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Georg Eichliolz
Gleichnisse
der
Evangelien Form Überlieferung Auslegung Neukirchener Verlag
Georg Eichholz Gleic...
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Georg Eichliolz
Gleichnisse
der
Evangelien Form Überlieferung Auslegung Neukirchener Verlag
Georg Eichholz Gleichnisse der Evangelien Form, überlieferung, Auslegung
Neukirchener Verlag
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Eichholz, Georg: Gleichnisse der Evangelien: Form, Überlieferung, Auslegung / Georg Eichholz. - 4. Aufl. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1984. ISBN 3-7887-0280-X
© 1971 - 4. Auflage 1984 Neukirchener Verlag des Erziehungsvereins GmbH, Neukirchen-Vluyn Alle Rechte vorbehalten Umschlag: Kurt Wolff, Düsseldorf Gesamtherstellung: Breklumer Druckerei Manfred Siegel Printed in Germany - ISBN 3~7887 -0280-X
Vorwort
Dieses Buch hat einen fest umrissenen Rahmen: es gilt der Auslegung synoptischer Gleichnisse. Es kann zwar nicht auf Vollständigkeit aus sein, nimmt aber die methodischen Probleme in einer bestimmten Zuspitzung auf und verklammert ständig Hermeneutik und Exegese. Es ist um eine weitgespannte Arbeitsgemeinschaft mit der bisherigen Gleknnisforsdmng bemüht und bewegt sich in einem oft kritischen Gespräch mit anderen hermeneutischen Ansätzen, wennschon die Kritik aus Gründen in der Regel implizit erfolgt. Denn eine Auslegung muß für sich selbst sprechen und sich insofern selbst verteidigen. An der Auslegung ist eine Hermeneutik zu messen, nicht aber die Auslegung an der Hermeneutik, wenn ich mir diese fast änigmatische Abbreviatur vorweg erlauben darf. So muß offenbar Hermeneutik immer in Bewegung bleiben. Die Selbstverständlichkeit, mit der gegenwärtig die existentiale Interpretation fast überall als allein möglich und deshalb das »Existenzverständnis« der Gleichnisse als ihr »übersetzbarer Inhalt« angesehen wird, kann ich nicht bejahen. Die Einengung oder auch: die Akzentveränderung, die damit den neutestamentlichen Texten widerfährt, scheint mir zu deutlich, gerade auch, wenn uns die Frage nicht losläßt, wie wir heute von Gott reden sollen. Ich hoffe auf die kritische Erprobung der hier versuchten Auslegung der Gleichnisse in der sonntäglichen Verkündigung und in der kirchlichen Unterweisung, wenn ich auch homiletische und katechetische Folgerungen nur gelegentlich andeuten konnte und mich auf meine Aufgabe als Exeget beschränken mußte. Diesem Buch gehen einige Vorarbeiten voraus. Ich nenne nur meine Studie »Das Gleichnis als Spiel« (EvTh
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Vorwort
1961 309-)26, jetzt in: Tradition und Interpretation, Theologische Bücherei 29 1965 57-77) sowie meine »Einführung in die Gleichnisse« (Biblische Studien Heft )7 196)). Vor allem waren die Gleichnisse vielfach Gegenstand meiner Vorlesungen und Seminare, zuerst in einem Vorsemester im Herbst 1945 und zuletzt im Sommersemester 1970. Ich habe es gewagt, den exegetischen Arbeiten auch eine Predigt beizufügen, die ich in einem Semesterschlußgottesdienst der Kirchlichen Hochschule Wuppertal am 2). Juli 1967 über das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus gehalten habe, um den nahen Zusammenhang anzudeuten, in dem sich für mich Exegese und Verkündigung befinden. Ich habe für wertvollste Hilfe bei der Korrektur Herrn Pastor CarlErnst Kattwinkel und seiner Frau Annerose sowie meinem früheren Assistenten, Herrn Horst Leske, zu danken. Herr Leske hat darüber hinaus auch die Register am Schluß erstellt und damit das Buch übersichtlicher und handlicher gemacht.
Wuppertal-Barmen
Georg Eichholz
Inhalt
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Einführung
11 17 )9
Einleitung Sprache und Struktur der Gleichnisse Überlieferungs geschichte der Gleichnisse
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Auslegung
55 Von den beiden Schuldnern (Luk. 7, )6-50 : 41-4)) 65 Vom Säemann (Mark. 4, 1-9. 14-20) 85 Von den Arbeitern im Weinberg (Matth. 20, 1-16a) 109 Vom Schatz und von der Perle (Matth. 1),44-46) 126 Vom großen Abendmahl (Luk. 14, 16-24) und Von der königlichen Hochzeit (Matth. 22,1-14) 148 Vom bannherzigen Samariter (Luk. 10, 25-)7) 179 Vom reichen Kornbauern (Luk. 12,1)-21) 192 Vom Bauen und vom Kriegführen (Luk. 14, 28-)2) 200 Vom verlorenen Sohn (Luk. 15, 11-)2) 221 Vom reichen Mann und annen Lazarus (Luk. 16, 19-)1)
229 2)2 2) 7
Bibelstellenregister Namenregister Sachregister
Einführung
Einleitung
:1. Was in diesem Buch versucht werden soll, könnte man eine kleine Methodenlehre der Gleichnisauslegung nennen. Deshalb werden nicht nur Gleichnisse (aus allen drei synoptischen Evangelien) ausführlicher ausgelegt, sondern zugleich grundsätzliche Fragen besprochen, wie sie sich für jeden Ausleger Gleichnis um Gleichnis wiederholen. Dabei ist mit den grundsätzlichen Fragen zu beginnen, wenn freilich auch von Anfang an im Vorgriff einzelne Gleichnisse zur Illustration heranzuziehen sind, weil alle methodischen Einsichten an Hand der Texte gewonnen werden sollen. So nähern wir uns den Gleichnissen nicht mit vorformuHerten Auslegungsregeln. Auslegungsregeln können uns nur in der Begegnung mit den Texten selbst zufallen, in unaufhörlichem Achten auf die Struktur und die überlieferungsgeschichte der Gleichnisse. Auslegungsregeln müssen kontrollierbar sein. Was methodologisch gelten soll, muß im Umgang mit den Texten erfahren und begründet werden. Alle Abstraktheit ist nach Möglichkeit zu vermeiden, nicht nur aus didaktismen, sondern mehr noch aus hermeneutischen Gründen. Das bedeutet sofort, daß die Grenze zwischen methodischer Einführung und Einzelexegese nicht streng gezogen werden kann. Auch die Auslegung der Gleichnisse wird immer wieder auf die methodischen Vorüberlegungen zurückgreifen müssen - oder noch besser: sie wird von sich aus immer wieder zu Grundeinsimten der Auslegung vorstoßen müssen. Beides gehört untrennbar zusammen und greift ineinander. Die Auslegung darf nicht von vorgefaßten hermeneutischen Sätzen her überfremdet werden. Eine den Gleichnissen angemessene Hermeneutik muß sim im Vollzug der Auslegung erst ergeben und kann den Texten gegenüber nur eine dienende Funktion haben.
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Einleitung
Gelegentliche überschneidungen sind bei diesem Ansatz nicht vermeidbar. Sie sind vielmehr, genau genommen, sinngemäß. Sie verraten den engen Zusammenhang von methodischen Regeln und Auslegungsversuchen, wie er in der Linie dieses Buches liegt. Einige Fragen liegen von vornherein nahe. Weshalb greift Jesus so oft zum Gleichnis? Bedeutet das Gleichnis, sofern es die Sprache der Bilder spricht, eine Verschlüsselung der Botschaft? Oder ist beim Gleichnis vielmehr alles darauf angelegt, daß der Hörer die Botschaft verstehen soll: kommt sie ihm in besonderer Eindrücklichkeit und Unmittelbarkeit nahe, erfährt sie eine Zuspitzung gerade für ihn? Allgemein gefragt: Welche Rolle spielt der Hörer für das Gleichnis? Es wird sich zeigen, daß er nie wegzudenken ist - daß das Gleichnis Zug um Zug um seinetwillen erzählt ist, ja, daß er nicht selten selbst im Gleichnis vorkommt. Er soll sich im Gleichnis selbst entdecken, und auf diese Entdeckung kommt es an. Aber was drückt sich darin aus? über die Zuordnung von Gleichnis und Hörer werden wir besonders nachzudenken haben. Diese Zuordnung wird sich geradezu als Schlüssel zum Verständnis der Struktur der Gleichnisse erweisen. In diesem Zusammenhang wird auch die Frage wichtig, was für eine Welt uns in den Gleichnissen begegnet. Sie ist vielfältig genug. Mit Rudolf Bultmann läßt sich sagen: »Der Stoff der Bildworte, Gleichnisse, Parabeln usw. umspannt einen weiten Kreis: das Haus und seine Bewohner, zumal Vater und Sohn; seine alltäglichen Vorgänge wie das Salzen der Speise und das Kneten des Teigs, das Flicken des Kleides und das Füllen des Weines; das Lichtanzünden am Abend und das Suchen nach dem verlorenen Groschen. Ferner das Spiel der Kinder wie das Treiben der Erwachsenen; Saat und Ernte, Viehzucht und Fischfang, Arbeit und Fest, Unternehmungen, Prozesse und Kriege. So treten auf Reiche und Arme, Gläubiger und Schuldner, Herren und Sklaven, König und Kaufmann, Richter und Klienten, Pharisäer und Zöllner, Juden und Samariter ... « (Geschichte der synoptischen Tradition 19)1 2 217 f). Diese Welt trägt, wie noch näher zu sehen ist, palästinisches Gepräge. Sie ist die Welt des ursprünglichen Hörers: seine eigenste Welt. 2.
). Bei näherem Zusehen zeigt sich schnell, daß der Begriff »Gleichnis« eine Art Sammelbegriff ist, der verschiedene Formen zusammenfaßt.
Einleitung
1)
Eine weite Skala verläuft vom kurzen Bildwort und Vergleich über das eigentliche Gleichnis und die sogenannte Parabel bis hin zur Beispielerzählung. Immer geht es um eine bildhafte Form der Aussage. Mit der Allegorie kämen wir freilich an eine Grenze. Darüber ist noch zu sprechen. Joachim Jeremias polemisiert nicht ohne Grund gegen eine Einteilung der Gleichnisse in verschiedene Kategorien, weil der hebräische und aramäische Begriff für Gleichnis (maschal-mathla) alle schon genannten Kategorien umfaßt, ja noch weitere Bedeutungen in sich birgt, so Fabel, Sprichwort und Rätselrede (wie auch das griechische Wort für Gleichnis - parabole - einen weitgefaßten Sinn hat). Vor allem ist zu verstehen, daß »die Übergänge zwischen den verschiedenen Formen der Bildersprache ... fließend« sind - eine Einsicht, in der sich etwa Rudolf Bultmann, Nüs Alstrup Dahl und Friedrich Hauck (bis in die Formulierung hinein) begegnen. Der Untersdried kann gelegentlich einfach in der »Ausführlichkeit« begründet sein, »mit der das Bild gestaltet ist« (Rudolf Bultmann aaO 184). Die größere oder geringere Ausführlichkeit kann aber keinen entscheidenden Maßstab abgeben. Deshalb kann »Knappheit der Darstellung« bei Gleichnissen kaum als Kriterium für die Ursprünglichkeit einer Fassung verwandt werden (anders Hans G. Klemm, Die Gleichnisauslegung Ad. Jülichers im Bannkreis der Fabeltheorie Lessings, ZNW 1969 153-174 - eine sorgfältige Studie, auf die ich hinweisen möchte). So werden wir darauf verzichten, vorweg eine Definition des Gleichnisses zu versuchen, bei der wir Gefahr liefen, die weite Bedeutungsspanne des Begriffs einzuengen. »Man darf nicht alles über einen Kamm scheren«, hat Julius Wellhausen seinerzeit gegenüber einer Definition, die ihm zu schematisch und unelastisch vorkam, erklärt (Das Evangelium Marci 19092 29). Wir werden ohnedies guttun, die methodischen Vorbemerkungen knapp zu halten. 4. Wählen wir unter den Vorfragen aus, so scheint es mir unumgänglich zu sein, das Problem der Sprache der Gleichnisse aufzugreifen. Wir werden sorgfältig zu fragen haben, worin Möglichkeit und Grenze der Sprache des Gleichnisses liegen. So wird sich bald zeigen, daß es nur sehr vorläufig das Besondere des synoptischen Gleichnisses trifft, wenn man sagt, daß es die »Sprache der Bilder« spricht. Wir werden diese Formel überholen müssen. Sieht man in der Sprache der Bilder schon das Ent-
Einleitung
scheidende, so ist die Abgrenzung von Gleichnis und Allegorie nur noch schwer vollziehbar. Eben diese Abgrenzung ist aber (seit Adolf !ülichers großem Werk über die Gleichnisse) wichtig und darf nicht mehr verloren gehen. Wo aber verläuft hier die wahre Grenzlinie? Denn die Sprache der Bilder spricht auch die Allegorie. Die Allegorie spricht sie freilich anders als das Gleichnis. Die Allegorie - chiffriert die gängige Sprache in eine Art Chiffresprache und verlangt deshalb ein Dechiffrierverfahren! Bekanntlich spricht man von der »Pointe« des Gleichnisses als dem »Punkt«, der für die Aussage des Gleichnisses entscheidend ist. Das ist in der Abwehr einer allegorischen Interpretation formuliert. Verrät sich die Pointe vielleicht schon formal? Das wäre methodisch bedeutsam. Ich denke, daß diese Frage zu bejahen ist, und deshalb wird alle Sorgfalt, die wir auf die Form der Gleichnisse verwenden, weit davon entfernt sein, nur eine formale Bemühung zu sein. Ich möchte das schon hier betonen. Nur sehr von außen gesehen, könnte es so scheinen, als ob das Problem der Form vom Inhalt ablösbar wäre. Aber eben der Inhalt hat in aller Sprache eine Form, besser gesagt: seine Form, nämlich die dem Inhalt gemäße Form. 5. Zu den Vorfragen möchte ich noch ein weiteres Problem rechnen, das ich mit dem Stidlwort der Überlieferungs geschichte umschreibe. Wir betreten damit das Feld der historischen Problematik. Jeder weiß, daß es Gleichnisse gibt, die in den synoptischen Evangelien mehrfach vorkommen. Schon ein flüchtiger Vergleich läßt erkennen, daß dabei bedeutsame Abweichungen möglich sind - im Umfang, in der Adresse, in den Akzenten und zugleich im theologischen Zuschnitt, in der durchgehenden theologischen Profilierung. Ein Beispiel vorweg zur Illustration. Das Gleichnis vom verlorenen Schaf geht bei Lukas an die Adresse der Gegner Jesu und rechtfertigt seine Freudenbotschaft vor ihren Kritikern, vor den Pharisäern und Schriftgelehrten, die Jesus zum Vorwurf machen, daß er sich mit den fraglichsten Figuren der jüdischen Gesellschaft an einen Tisch setzt, daß er »Sünder annimmt« (Luk. 1.5, 1.-2). Wir haben noch etwas betonter als Luther zu übersetzen: »Warum nimmt dieser Sünder (in seinem Haus) auf und gewährt ihnen Tischgemeinschaft?« (Joachim Jeremias). Nach Meinung der Kritiker wäre allein äußerste Distanz angebracht, nicht aber die Nähe der Tischgemeinschaft. Tischgemeinschaft ist als
Einleitung
solche Ausdruck für eine Nähe, was wir uns erst wieder sagen lassen müssen. Wir achten darauf, daß die Freudenbotschaft hier nicht nur ein Wort ist, das Jesus verkündigt, daß die Freudenbotschaft vielmehr gleimsam vollzogen und in die Wirklichkeit des gelebten Lebens übersetzt wird. Sie gewinnt Gestalt im Greifbaren und Alltäglichen. Sie stößt in die Öffentlichkeit vor und hat weitgreifende Folgen für das Miteinander der Menschen. Was bei Jesus Vergebung heißt, kann zuletzt nur begriffen werden, wenn man sieht: sie geschieht, heute und hier, in höchster Konkretheit. Und eben darauf bezieht sich der Protest der Pharisäer und Schriftgelehrten - oder tragenden Schichten Israels, wie man sagen kann. Sie erweisen sich als hellhörig. Wir halten zunächst nur fest, daß das Gleichnis eine deutliche Adresse hat und daß mit dieser Adresse seine Zuspitzung zusammenhängt. Bei Matthäus kommt das gleiche Gleichnis im sogenannten Gemeindekapitel (Matth. 18) vor, erweist sich mithin vom Rahmen her als an die Jünger gerichtet und wird zur Anweisung an die Gemeinde, sich als Bruderschaft zu bewähren und allen Gefährdeten und Bedrohten nachzugehen (Matth. 18, 12-14). Geht die Gemeinde nicht mehr den Gefährdeten und Bedrohten in der Entschlossenheit der Liebe nach, so gerät sie selbst in Gefahr: in die Gefahr, zu vergessen, daß sie nur in solchem Nachgehen Gemeinde sein kann, weil sie so ihren eigenen Ursprung bezeugt. Das ist wichtig für das Kirchenverständnis des ersten Evangelisten. Wir haben hier noch nicht exegetisch weiterzufragen. Aber das Problem zeichnet sich schon ab. Wir haben für dasselbe Gleichnis zwei verschiedene Adressen. Welche Adresse ist ursprünglich? Die Gegner- oder die Jüngeradresse? Ist der offensichtliche Adressenwechsel verstehbar und erklärbar? Was hat sich hier in der Überlieferungsgeschichte der Gleichnisse zugetragen? Der Vorgang des Adressenwechsels als solmer ist unbestreitbar, und die damit gegebene Umformung und Umprofilierung beginnen wir vielleicht schon zu ahnen. Sie darf nicht verwischt werden, sondern ist so sorgfältig wie möglich zu erfassen, gerade wenn wir begreifen wollen, was Überlieferungsgeschichte heißt. Wir können vorläufig auch sagen, daß wir (selbstverständlich in einem begrenzten Ausschnitt) auf den bewegenden Sachverhalt von Freiheit und Gebundenheit in der synoptischen Überlieferung stoßen. W~s birgt dieser historische Sachverhalt - theologisch in sich? Wir befinden uns mit dieser Frage zugleidl in der Nähe der heute vielfach neu gestellten Frage nach
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Einleitung
dem »historischen Jesus«, wenn das auch ein eigenes Thema ist, auf das wir nicht nebenher zu sprechen kommen können. Ich muß es bei dieser Andeutung der Probleme lassen, auf die wir nun zugehen. Schon im Vorfeld der eigentlichen Auslegung werden wir, wie angekündigt, ständig zu Illustrationen greifen, ständig die Gleichnisse selbst heranziehen.
Sprache und Struktur der Gleichnisse
Unsere Überschrift greift weit und geht, wie sofort deutlich werden wird, über eine nur technische Problematik hinaus. Sie begreift die Frage in sich, wie es zum Gleichnis als einer besonderen Form der Sprache kommt. Geht es uns um das Gleichnis als eine Möglichkeit der Sprache, so geht es uns um nicht weniger als um einen Zugang gerade zum Inhalt der synoptischen Gleichnisse. 1. Ich nannte es eine erst vorläufige Einsicht,wenn man sagt, daß das Gleichnis die »Sprache der Bilder« spricht. Sicher ist diese Formulierung nicht einfach falsch. Ich entnehme dem Artikel: Bildersprache von Alfred Stuiber im Reallexikon für Antike und Christentum folgende sprachgeschichtliche Beobachtung: »Die Sprache bezeichnet primär Verhältnisse des sinnlich wahrnehmbaren Bereichs; für den sinnlich nicht zugänglichen Bezirk muß sich die Sprache einer bildhaften Ausdrucksweise bedienen, also ursprünglich vollständig Bildersprache sein. Die Sprachentwicklung läßt aber das Bildhafte vieler Ausdrucksweisen nicht mehr zum Bewußtsein kommen; viele selbst offenkundige Metaphern werden so konventionell, daß sie kaum noch als übertragene Redeweise empfunden werden (abgeblaßte Metaphern)« (RAC II Sp. 341). Was ist eine Metapher? Eine Metapher ist »eine Art abgekürztes Gleichnis, das sich formal auf die Form so-wie zurückführen läßt«. Spricht Homer von Hektor als von einem »Löwen«, so wird Hektor mit einem Löwen verglichen, so wird das Bild vom Löwen auf Hektor übertragen - »übertragen« ist selbst eine Metapher, so geläufig, daß wir den metaphorischen Charakter dieser Wendung gar nicht mehr empfinden. Ich nehme einige Sätze des
Sprache und Struktur
Philosophen Kar! Löwith auf, die in einem Beitrag Löwiths zum Theologentag von 1958 enthalten sind: »Kann man überhaupt sprechen, ohne in Metaphern zu reden? ... Nicht nur die dichterische Sprache, auch die alltägliche Umgangssprache, desgleichen die Sprache der Wissenschaft, der Philosophie und der Theologie, sind nicht nur voller Metaphern, sondern die ganze Sprache ist metaphorisch. Jean Paul, der selbst ein ausgezeichneter Dichter der Metapher ist, hat einmal gesagt, die Sprache sei ... >ein Wörterbuch vergilbter Metaphern< - was wiederum eine Metapher zweiten Grades ist, denn weder vergilben Worte wie grüne Blätter noch ist das Vergilben von Laub eine bloße Verfärbung ins Gelbe. Doch spielt das eine auf das andere an, im Spiel der Worte« (Die Sprache als Vermittler von Mensch und Welt, in: Das Problem der Sprache in Theologie und Kirche 1959 )6 ff). Und Löwith zieht, nach seiner »Erklärung« dessen, was Metapher heißt, die Bilanz: »Auch alles, was wir über die Metapher sagten, bestand, etwas >näher besehenGrotesken< gehören (könnte). Noch Einer, der unrecht handelt (vgl. Luk. 16,1 ff!), kann euch lehren, wie es um Gottes Herrschaft bestellt ist. Was wendet Einer auf, der einen Schatz findet, ihn zu sichern! Und daß es bei Geld und Gut hier in diesem Weltlauf nicht ohne Unrecht zugeht (Luk. 16,9), wer weiß das nicht?« (aaO 168). Aber ich meine, daß die Gleichnisgeschichte nur den gänzlich unverhofften Glücksfall akzentuieren will. Dazu ist alles inszeniert. Und so etwas kommt vor, bis heute, wenn auch selten genug, und füllt die Spalten der Zeitungen, erregt die Köpfe. Geschichten von vergrabenen Schätzen in seiner Heimat in Mecklenburg-Schwerin haben Heinrich Schliemann als kleinen Jungen beschäftigt und ihm frühe Ausgräberträume eingetragen - so daß er selbst autobiographisch bemerkt hat, daß »sozusagen Hacke und Schaufel für die Ausgrabung Trojas und der Königsgräber von Mykenä schon in dem kleinen deutschen Dorfe geschmiedet und geschärft (wurden), in dem ich acht Jahre meiner ersten Jugend verbrachte« (Heinrich Schliemann, Selbstbiographie 19446 7). Adolf Schlatter hat Jesus bekanntlich »Geschichten erfinden« lassen (Das Evangelium des Lukas 1931 285). Und so wird man diese Fundgeschichte um der Pointe willen erfunden sein lassen: so geht es zu, wenn ein Mensch mit Gottes Herrschaft zu tun bekommt ... Das ist nur ver-
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Vom Schatz und von der Perle
gleichbar solchen glückhaften Fundgeschichten, in denen ein Mensch den Fund seines Lebens macht, der für ihn mit einem Schlage alles ändert. Daß der Landarbeiter »in seiner Freude« hingeht und »alles, was er hat, verkauft«, entspricht dem Horizont der Kurzgeschichte, die hier gleichnishaft aufgegriffen ist. Würde der Hinweis auf die Freude, die den Landarbeiter überfällt, fehlen, so würde er doch dem Sinn nach zu ergänzen sein. Er fügt sich in das Gefälle des Geschehens, besser: das Gefälle des Geschehens fordert ihn. Was den Landarbeiter erfüllt, ist die übergroße Freude, die mit seiner Entdeckung über ihn kommt. Sollte dieses Vorzeichen seines HandeIns nach dem Kontext von Matth. :1) für Matthäus selbst unbetont bleiben, weil für ihn aller Akzent auf die ganze Hingabe fällt, so hebt das nicht auf, daß das Gleichnis von Haus aus dieses Vorzeichen hat. Akzentverschiebungen sind innerhalb der synoptischen Überlieferung keine Seltenheit. Eher ist zu sagen, daß sie sich von selbst ergeben. Sie ergeben sich von dem her, was die Gleichnisse im jeweiligen Textzusammenhang sagen bzw. sagen sollen. Daß es - im Zeichen der Freude I - dazu kommt, daß nicht weniger als die ganze Habe hergegeben wird, damit der Schatz in die Hände des Finders übergehen kann - das bleibt dabei nach wie vor Element der Aussage des Gleichnisses. Wenn wir das Element der Freude betonen, weil es dem Gleichnis schon von seinem eigenen Gefälle her anhaftet, so hören wir es sagen, was es, unbeschadet des Rahmens bei Matthäus, immer noch enthält. So löst sich, wie ich denke, die Spannung innerhalb der verschiedenen Ansätze der Auslegung. So ist Joachim Jeremias zuzustimmen, wenn er interpretiert: »Wenn die große, alles Maß übersteigende Freude einen Menschen faßt, dann reißt sie ihn fort, erfaßt sie das Innerste . . . Alles verblaßt vor dem Glanz des Gefundenen« (aaO :(99). Wilhelm Wilkens widerspricht Jeremias und seiner Betonung des Moments der Freude, das Jeremias das Entscheidende im »Überwältigtwerden« -.durch die Größe des Fundes sehen läßt. »An dieser Stelle liegt der Skopus des Gleichnisses sicher nicht« (Wilhelm Wilkens aaO :(2)). Aber das dürfte doch gerade so nur - von der matthäisehen Interpretation des Gleichnisses gelten. Eberhard Jüngel macht Bultmanns Auslegung gegenüber in bedeutsamer Abgrenzung geltend: »Wer von der Freude über solch einen Schatz bewegt ist, braucht sich nicht mehr zu entscheiden.· Die Entscheidung ist schon gefallen. Der Fund hat sie dem Finder abgenommen«
Vom Senatz und von der Perle
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(Paulus und Jesus 1964 14)). Ähnlich hat auch Ernst Fuchs dem Gleichnis el'ltnommen: »Nur der Fund und seine Folgen sind entscheidend, nämlich das Eine, daß der Fund den Menschen >ganz< erfaßt« (Das Zeitverständnis Jesu, in dem Band: Zur Frage nach dem historischen Jesus 19602 3)2 f). Eben das gilt, wenn man primär vom Gleichnis selbst und nicht vom Rahmen bei Matthäus ausgeht. Ich bemerke noch, daß man den Landarbeiter nicht zum Phantasten machen darf, wenn er seine ganze Habe aus der Hand gibt (sowenig man das beim Perlenkaufmann darf, wie wir noch sehen werden). Daß er ein Phantast wäre; das kann nur der Zuschauer meinen, der nicht mitbekommen hat, was sich hier eigentlich zuträgt. In Wirklichkeit handelt er höchst vernünftig, einzig vernünftig. Seine Transaktion hat in jedem Sinn Hand und Fuß. Was ihn beflügelt und den nächsten Tag kaum abwarten läßt, ist die Freude, in der er weiß, was er tut. 4. »Das Gleichnis von der Perle ist von derselben Pointe her entworfen« (Eberhard Jüngel aaO 144). Zunächst scheint sich das zweite Gleichnis vom ersten in manchem abzuheben. Bei näherem Zusehen zeigt sich jedoch, daß die Abweichungen (ich denke, samt und sonders) - mit dem anderen Gleichnismodell gegeben sind. Gehört der Landarbeiter sichtlich in kleine Verhältnisse, so betreibt der Perlenkaufmann seinen Handel in großem Stil. Er ist nach der griechischen Vokabel im Text als Großhändler bezeichnet (im Unterschied zum Kleinkaufmann, zum Krämer). Großhändler begegnen Jak. 4, 1) in ihrem Geschäftsgebaren und Pläneschmieden: »Heute oder morgen wollen wir in die und die Stadt ziehen und wollen dort Handel treiben und Gewinn machen«. So mag man sich auch den Perlenhändler, auf der Suche nach Perlen, ständig unterwegs denken: unterwegs zu den Basaren, in denen sie gehandelt wurden. Man denke etwa daran, daß ein phrygischer Kaufmann (nach seiner Grabinschrift) im 2. Jhdt. die Reise von Phrygien nach Rom nicht weniger als 72mal gemacht hat (Adolf von Harnack, Mission und Ausbreitung des Christentums I 19244 25 1) - um sich die Möglichkeiten des Handels und Verkehrs im Imperium Romanum zu verdeutlichen. Perlen wurden »vor allem im Roten Meer, im Persischen Golf und im Indischen Ozean von Taumern gefischt und zu Schmuck, namentlich zu Halsketten, verarbeitet« (Joachim Jeremias aaO 198). Kostbare Exemplare von Perlen konnten einen fast sagenhaften Kurswert haben (vgl. Friedrich Hauck ThW
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Vom Sdzatz und von der Perle
IV 475 ff). Eine Perle im Besitz Kleopatras soll nach Plinius d. Ä. den Weft von 20 Millionen Mark gehabt haben! Und heute? »Schottlands einz~ger Berufsperlenfischer, Bill Berneth, hat eine Perle mit einem Durchmesser von 1,27 cm und einem Gewicht von 8,6 Karat im Flußbett des Tay gefunden. Die Juwelierfirma, die die Perle angekauft hat, bezeichnete den Fund als >praktisch unbezahlbargnostischen< Evangelium sagen: daß eine Gelegenheit unwiderruflich verpaßt ist, wie Joachim Jeremias interpretiert, der sich dabei auf eine rabbinische Parallele bezieht, die den Text des Thomas-Evangeliums beeinflußt habe (aaO 29)? Aber was hieße das? Daß das Gleichnis im Thomas-Evangelium in einer schon >zersagten< Form begegnet, stellt auch Ernst Haenchen fest. Ober dem Zersagen wurde der Sinn fraglich bzw. wandelte sich der Sinn. Haenchen versucht eine Auslegung im Horizont gnostischen Denkens, die ich für naheliegend und einleuchtend halte: »Diese Fassung ... illustrierte für (die) Gnostiker die Wahrheit, daß die meisten Menschen gar nicht ahnen,
122
Vom Schatz und von der Perle
welcher Schatz in ihnen angelegt ist, und daß darum nicht jeder diesen Schatz in seinem Acker findet«. Dieser Schatz ist das eigentliche Selbst des Menschen, das seiner himmlischen Abkunft entstammt (Die Botschaft des Thomas-Evangeliums 1961 47). Diesem Versuch einer Deutung stimmt auch Wolfgang Schrage zu (aaO 198 f). Eine besondere Betonung kommt in der Fassung des Thomas-Evangeliums dem Faktum zu, daß weder der Vater noch der Sohn, noch zunächst der Käufer wissen, was der Acker in sich birgt. Das rechtliche Problem entsteht hier übrigens nicht. Akzentuiert ist das Verborgensein des Schatzes, von dem man »nicht weiß«. Wir befinden uns, wenn dieses Verständnis zutrifft, gänzlich im Zusammenhang gnostischen Denkens. »Die Erhabenheit des Menschen ist nicht offenbar, sondern ist im Verborgenen«; diese Parallele aus dem Evangelium des Philippus (58) ,das in dem gleichen Codex enthalten ist, in dem sich auch das Thomas-Evangelium befindet, wird von Wolfgang Schrage mit Recht als besonders sinnverwandt empfunden. Die Würde des Menschen ist verkennbar, auch von ihm selbst verkennbar. Es bedarf des »Rufes«, um ihn daran zu erinnern (vgl. Hans Jonas, Gnosis und spätantiker Geist I 1934 120 ff). Das gnostische Evangelium kennt, wie hier deutlich wird, keine Geschichte. Übrigens enthält auch das Thomas-Evangelium fast nur Sprüche und kaum eine Erzählung, was doch für den gnostischen Charakter dieses Textes bedeutungsvoll sein könnte. Sind die Sprüche nicht widerstandsloser gegen eine gnostische Interpretation? Vgl. Henri-Charles Puech bei HenneckeSchneemelcher I 1959 203. 7. Nicht so einfach scheinen die Dinge bei der Parallele zum Gleichnis von der Perle zu liegen. Claus-Hunno Hunzinger und Joachim Jeremias haben der Fassung des Thomas-Evangeliums den Vorzug vor dem Matthäustext gegeben. Hunzinger meint, beim Thomas-Evangelium mehr als einmal mit einem »besonderen, von den synoptischen Evangelien unabhängigen Traditionsstrang« rechnen zu können, der der synoptischen Tradition »im Prinzip ebenbürtig, ja streckenweise überlegen« sei. Läßt das Thomas-Evangelium den Kaufmann (der hier kein eigentlicher Perlenhändler ist) seine Handelsware gegen die Perle tauschen, so zieht Hunzinger diese Variante vor. »Der Vorgang ist offenbar so vorgestellt, daß der Kaufmann sich auf einer Einkaufsreise befindet und bereits allerlei Ware eingekauft hat, als ihm die Perle zu Gesicht kommt. Da gibt
Vom Schatz und von der Perle
1.2)
es für ihn kein Überlegen - er stößt alle übrige Ware wieder ab, um diese eine Perle erwerben zu können, die sein größtes Geschäft sein wird. So handelt ein geschäftstüchtiger Kaufmann ... Demgegenüber ist die Fassung in Matth. 1.),46 weniger einleuchtend: all sein Hab und Gut zu verkaufen, geht durchaus über das hinaus, was ein verständiger Kaufmann tut; der Zug wirkt übertrieben und dadurch gerade nicht überzeugend«. Und Hunzinger gelangt zu dem Schluß, daß sich in der Fassung des Thomas-Evangeliums »ein ursprüngliches Element erhalten hat, das in Matth. 1.), 46 bereits verlorengegangen ist« (Unbekannte Gleichnisse Jesu aus dem Thomas-Evangelium, in: Judentum, Urchristentum, Kirche. Festschrift für Joachim Jeremias 1.960 209 ff. 21.0. 21.9 f). Hunzinger hat die Zustimmung von Joachim Jeremias gefunden, der übrigens auch die Verwandlung des Kaufmanns in einen Perlenhändler bei Matthäus (so muß man im Sinn von Jeremias formulieren) für »sicher sekundär« hält, »weil dadurch das Überraschungsmoment vorweggenommen wird« (aaO 1.98). Ich frage mich freilich, ob die referierten Argumente zwingend sind. Daß mit der Einführung des Kaufmanns als Perlenhändler bei Matthäus »das Überraschungsmoment vorweggenommen« und mithin die Logik der Erzählung verletzt wäre, trifft kaum zu. Die Überraschung gilt der Entdeckung der »besonders kostbaren Perle«. Diese besonders kostbare Perle kann aber nur der Fachmann als solche würdigen. Das Oberraschungsmoment gehört in den Horizont gerade des Perlenhändlers! Adolf ]ülicher hat seinerzeit formuliert: »Ein Mann, der nicht Perlen sucht, also ihren Wert nicht kennt, wird auch für die gefundene nicht viel ausgeben« (aaO 584). Diese Einsicht Jülichers trifft die Sache. Wir brauchen im Rahmen der Gleichnis-Kurzgeschichte den Experten, wenn die Geschichte Sinn haben soll. Streicht man den Perlenkaufmann als handelnde Figur und ersetzt ihn durch einen Warenhändler, so ist darin keine Verbesserung zu sehen. In Perlen muß man sich auskennen. An diesen Sachverhalt hat Wolfgang Schrage im Zusammenhang mit dem Argument, das Joachim Jeremias geltend macht, mit Recht erinnert (aaO 1.565). Hunzingers Tendenz, die Gleichnisgeschichte so plausibel wie möglich zu machen bzw. der höheren Plausibilität der Fassung des Thomas-Evangeliums den Vorrang einzuräumen, scheint mir, auch abgesehen davon, daß die von ihm behauptete größere Plausibilität nicht vorliegt, grundsätzlich nicht bejahbar zu sein. Denn zu oft wird in den syn-
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optischen Gleichnissen der Rand des Alltäglichen erreicht. Gegen Hunzingers Kritik, all sein Hab und Gut zu verkaufen (so der Refrain bei Matthäus), »sei unüblich und übertrieben«, wendet Schrage deshalb ein: »Als ob es nicht im Skopus des Gleichnisses ... gerade darum ginge, das Unübliche zu tun, tatsächlich alles andere einzusetzen ... Das aber war kaum besser als durch das drastische hyperbolische >alles< zum Ausdruck zu bringen« (aaO 1.56). Wenn ich mich für den Perlenhändler als sinnvolle Gleichnisfigur einsetze, so ist mein Argument nicht die größere Plausibilität der Geschichte im Sinn Hunzingers, sondern allein die Überlegung, daß der Perlenhändler besser in die Geschichte paßt: daß die Geschichte ihn, wenn sie schlüssig sein soll, fordert. Zur Kritik an Hunzinger vgl. auch R. Schippers, The Mashal-character of the Parable of the Pearl, in: Studia Evangelica II 1.964 236 ff. Ich kann deshalb nicht dafür sein, den Matthäustext nach dem Thomas-Evangelium zu korrigieren, zumal das Thomas-Evangelium, wenn nicht alles täuscht, den Matthäustext voraussetzt, wie mir mit Wolfgang Schrage wahrscheinlich zu sein scheint. Fragen wir nach dem Sinn des Gleichnisses im gnostischen Kontext, so ist offenbar ähnlich wie zum Gleichnis vom Schatz im Acker zu formulieren. »Schatz und Perle meinen ja für Th ein und dasselbe« (Schrage 1.57). Immer geht es um das eigentliche Selbst des Menschen, das ihm zu suchen aufgegeben ist. Schrage verweist auf einen mandäischen Text, der inhaltlich verwandt ist: »... Zur ganzen Welt und ihren Werken habe ich kein Vertrauen in der Welt. Nur nach meiner Seele gehe ich (suchend) umher, die mir Generationen und Welten wert ist. Ich ging hin und fand meine Seele; wozu sollen mir alle Welten?« (Ginza, übersetzt von Mark Lidzbarski 1.925 390 f). Vgl. zur Gnosis auch das Perlenlied aus den Thomasakten (z. B. bei Hennecke-Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen II 1.964 349 ff). Der Ruf der Gnosis erinnert den Menschen an den unverlierbaren Adel, der in seiner himmlischen Herkunft besteht: »Erhebe dich und steh auf von deinem Schlafe . . . Erinnere dich, daß du von königlichem Geschlechte bist ... Erinnere dich der Perle« (vgl. Alfred Adam, Die Psalmen des Thomas ... 1.959 51.). 8. Ich fasse ganz knapp zusammen, was sich uns als Exegese ergab. Wer mit Gottes kommendem Reich zu tun bekommt, erfährt die größte Überraschung seines Lebens. Entdeckergeschichten müssen herhalten, wenn
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nach Vergleichbarem gefragt wird. Das Evangelium bleibt, recht verstanden, die größte Neuigkeit, die es nur geben kann. Darin begegnen sich beide Modelle. Sie beschreiben glückhafte Vorgänge, wie sie sich nicht alle Tage zutragen, wie sie vielmehr aU"sdein gängigen Alltag des Landarbeiters wie des Perlenkaufmanns herausfallen. Makarismen sind bekanntlich Gratulationsformeln. Zum profanen Makarismus gehört das gratulationsfähige Ereignis. So kann man auch dem Landarbeiter und dem Perlenhändler nur gratulieren. Sie wissen es selbst nicht anders; als daß ihnen etwas widerfahren ist, was sie nicht erwarten konnten und was sie sich nicht selbst zuguteschreiben können. Das Evangelium von Gottes kommendem Reich bleibt das Unerwartbare. So sehr durchbricht es allen Menschenalltag, daß es schon in der Sprache der Gleichnisse als die Grenze des Alltags zur Sprache kommt. 9. Ich habe zum Schluß die Frage, ob es denkbar wäre, unsere Gleichnisse in der Verkündigung so nachzuerzählen, daß (»verfremdend«) mit der Geschichte als solcher begonnen würde und erst zuletzt gesagt würde: So ist das auch mit dem Himmelreich ... ! Die Frage ist ja gerade: Was ist das, das Himmelreich? Was ist es um die Begegnung mit ihm? Muß diese Frage nicht immer neu beantwortet werden, damit das unbegreiflich Neue nicht verlorengeht und in einem so gängig gewordenen Vokabular sich eher verbirgt als ausgesprochen wird? Die >Profanität< der Gleichnisgeschichten darf dabei nicht stören, begegnet doch das tertium comparationis zunächst als Pointe in der Ebene der Profanität, freilich von der Intention der Aussage des Gleichnisses her in die Profanität der Welt hineingezeichnet. Die Gleichnisgeschichte vom Säemann setzt in Matth. 1.) auch ohne Schlüssel, einfach als Geschichte, ein, wie etwa auch die Gleichnisse vom barmherzigen Samariter oder vom verlorenen Sohn einfach als Geschichte einsetzen. Bei einem solchen Nacherzählen müßte freilich alles auf die entscheidende Szene zulaufen: auf die Szene der Entdeckung, die von der Freude begleitet ist, die alles überstrahlt. Ich gestehe, daß das ein Wagnis wäre. Vielleicht aber könnte es bei einem solchen Versuch, in die Schule der Sprache zu gehen, die die Gleichnisse sprechen, besser als sonst gelingen, von dem zu reden, wovon die Gleichnisse reden wollen: von der grenzenlosen Überraschung und von dem unvergleichbaren Fund als den gleichnishaften Chiffren für die Begegnung des Menschen mit dem Evangelium vom Reich ...
Das Gleichnis vom großen Abendmahl (Luk. 14, 16-24) und von der königlichen Hochzeit (Matth. 22, 1-14)
Luk. 1.4, 1.6-24: »Ein Mensch wollte ein großes Mahl geben und lud viele dazu ein und sandte seinen Knecht aus, zur Stunde des Abendmahls den geladenen Gästen zu sagen: Kommt, denn es ist längst bereit. Und sie begannen, sich auf einmal alle zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft, und ich muß notwendig hingehen, ihn zu besehen; ich bitte dich, nimm mich für entschuldigt. Und ein anderer sagte: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft und gehe (gerade), sie zu erproben; ich bitte dich, nimm mich für entschuldigt. Und ein anderer s~gte: Ich habe ganz kürzlich geheiratet, und deshalb kann ich nicht kommen. Und der Knecht kam zurück und meldete dies seinem Herrn. Da ward der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen und Krüppel und Blinden und Lahmen herein. Und der Knecht sagte: Herr, es ist geschehen, was du befohlen ·hast, und es ist noch Raum. Und der Herr sprach zum Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, damit mein Haus voll wird. Ich sage euch aber, keiner von jenen Männern, die geladen waren, wird von meinem Mahl kosten.« Matth. 22, 1.-1.4: »Es verhält sich mit der Königsherrschaft der Himmel wie mit einem menschlichen König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete. Und er sandte seine Knechte aus, die Eingeladenen zur Hochzeit zu rufen; aber sie wollten nicht kommen. Wieder sandte er andere Knechte aus mit dem Auftrag: Sagt den Eingeladenen: Seht, ich habe
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mein Mahl gerüstet, meine Ochsen und meine Mastkälber sind geschlachtet, und alles ist bereit. Kommt zur Hochzeit! Sie aber kümmerten sich nicht darum und gingen weg, der eine auf seinen Acker, der andere zu seinem Geschäft. Die übrigen aber griffen seine Knechte, ließen ihren Mutwillen an ihnen aus und sdllugen sie tot. Der König aber ward zornig und ließ seine Truppen marschieren und brachte jene Mörder um und ließ ihre Stadt in Flammen aufgehen. Darauf sagte er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist bereit, aber die Geladenen waren nicht würdig. So geht nun hinaus bis an die Enden der Straßen (bis dahin, wo die Straßen der Stadt in die Überlandwege übergehen, vgl. Wilh. Michaelis ThW V 69) und ladet zur Hochzeit, wen immer ihr findet. Und die Knechte gingen aus auf die Straßen und brachten zusammen alle, die sie fanden, Böse und Gute, und der Hochzeitssaal füllte sich mit Gästen. Als aber der König hereinkam, um die Gäste zu besehen, sah er da einen Menschen, der kein hochzeitliches Gewand trug. Und er sprach zu ihm: (Mein) Lieber, wie (loach. Jeremias möchte übersetzen: »mit welchem Recht«) kamst du hierher, hast du doch kein hochzeitliches Gewand? Der aber verstummte. Darauf sagte der König zu seinen Dienern: Packt ihn an Händen und Füßen und werft ihn hinaus in die Finsternis draußen, dort wird Heulen und Zähneknirschen sein. Denn viele sind geladen, wenige aber erwählt.« 1. Das Problem der Überlieferungsgeschichte : Wenn man den Lukasund Matthäustext miteinander vergleicht, dann springen sofort bedeutsame Unterschiede heraus. Wir heben vorläufig nur einige heraus. Aus dem vornehmen und reichen privaten Gastgeber bei Lukas, der Gäste an seine abendliche Tafel lädt, ist bei Matthäus ein König geworden, der zur Hochzeit seines Sohnes einlädt. Man mag beim Vergleich mit Lukas von »grellen Zügen« bei Matthäus sprechen, die er über Lukas hinaus hat (Günther Bornkamm, Jesus von Nazareth 15), und daran denken, daß die Knechte, die im Namen des Königs die Einladung überbringen, nicht nur abgewiesen, sondern mißhandelt und umgebracht werden - und der König darauf als Gegenmaßnahme seine Truppen marschieren und die Stadt der undankbaren Gäste in Flammen aufgehen läßt. (Wird man hier nicht - trotz der Gegenargumente von K. H. Rengstorf, über die nom zu sprechen sein wird - sofort an die über Jerusalem
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im Jahr 70 hereingebrochene Katastrophe erinnert 7) Vor allem fällt bei Matthäus als Sonderzug gegenüber Lukas der Schluß auf, die Szene mit dem Gast, der kein hochzeitliches Kleid trägt - eine Szene, die für die Matthäusfassung so charakteristisch ist, daß das Gleichnis gelegentlich von ihr her seine Überschrift erhält. Die zahlreichen und gewichtigen Unterschiede heben aber kaum auf, daß es sich beide Male um dasselbe Gleichnis handelt. Und so stoßen wir wieder auf das überlieferungs geschichtliche Problem, das uns schon in der Einführung begegnete, an Hand unseres Modellgleichnisses von Luk. 15, 3-7 bzw. Matth. 18, 12-14. Freilich, bei diesem Gleichnis war es mehr der Rahmen, dessen Verschiedenheit uns auffiel, und vor allem von der Verschiedenheit des Rahmens her kamen wir darauf, daß Zuschnitt und Akzent des Gleichnisses sich von Lukas zu Matthäus verschoben. Hier aber, im Verhältnis von Luk. 14 zu Matth. 22, greift die Verschiedenheit auf die ganze Gestalt des Gleichnisses über, greift die Verschiedenheit so weit, daß man bezweifeln konnte, daß wir es noch mit demselben Gleichnis zu tun haben. So etwa Theodor Zahn, der sich dabei auf die veränderte chronologische und topographische Einordnung in den jeweiligen Zusammenhang (bei Lukas und Matthäus) berief, ein Argument, das kaum gilt, von der heutigen Sicht des »Rahmens der Geschichte Jesu« (Karl Ludwig Schmidt) her geurteilt. Aber auch Zahn sprach von einer Ähnlichkeit beider Gleichnisse. Wir werden vielmehr sagen: Daß es sich beide Male um dasselbe Gleichnis handelt, ist festzuhalten, wieweit sich auch beide Fassungen im Lauf der Überlieferungs geschichte voneinander entfernt haben - so daß es fraglich sein mag, ob eine Rekonstruktion einer »gemeinsamen Urform« (Klostermann Matth. 173) gelingen kann. In der neueren Forschung hat sich schon Adolf Jülicher entschlossen dafür eingesetzt, daß kaum etwas in der Evangelienkritik sicherer sei, »als daß Matth. 22 nur eine andere Rezension der Parabel Luk. 14, 16 ff darstellt, vielleicht unter Verwendung von anderweiten, bei Lukas nicht benutzten Stoffen, aber ganz in der Art des Matthäus gehalten, wie wiederum gewisse Sonderzüge in Luk. 14 unverkennbar den Charakter dieses Evangelisten tragen« (407). Und auch Schlatters Urteil lautet rund: »Daß dieses Gleichnis (Luk. 14, 16 ff) mit dem identisch ist, das Matth. erzählt ... ist sofort sichtbar« (Das Evangelium des Lukas 336). Ebenso urteilen Joachim Jeremias und Günther Bornkamm. Man wird jedoch an literarisch von-
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einander unabhängige Erzählungsvarianten zu denken haben, zumal weder Matthäus Lukas noch Lukas Matthäus gekannt zu haben scheint. Wir kommen auf das traditionsgeschichtliche Problem der Umformung später noch einmal zurück. Unsere erste Aufgabe wird darin bestehen müssen, die Abweichungen in der Kontur der Gleichnisse möglichst sorgsam zu erfassen. Alle voreilige Angleichung bzw. Harmonisierung wird zu unterbleiben haben, wenn wir nicht undeutlich machen wollen, was hier gerade erneut zu verstehen ist: das Problem der Überlieferungs geschichte.
Das lukanische Gleichnis: Wir haben schon früher gesehen, daß die Gleichnisgeschichte deutlich in einer Szenen/alge verläuft, wobei der Szenenwechsel durch das Kommen und Gehen des Knechtes gegeben ist, der im Gleichnis von Anfang bis zu Ende vorkommt. Die Gleichnisgeschichte hält sich zunächst durchaus im Rahmen des Gängigen, insofern ein festliches Mahl beschrieben wird. Eine doppelte Einladung ergeht, was dem Brauch der Vornehmen von Jerusalem entsprach. Eine Voreinladung geht vorauf, noch ohne Nennung einer bestimmten Zeit; ihr folgt die eigentliche Einladung mit der Ansage der genauen Stunde. »Keiner ging zu einem Gastinahl, bevor er nicht zweimal gerufen war« (Str. B. I 880). Die Voreinladung verpflichtet die geladenen Gäste, sich auf das Mahl zu rüsten und sich für die Ansage der Stunde bereit zu halten. Das ist zum Verständnis der Exposition des Gleichnisses, wie sofort einleuchten wird, wichtig, wie auch für den Ablauf von Szene 1. In der doppelten Einladung liegt mithin kein »allegorischer« Zug, und sie findet sich als Voraussetzung bei Lukas wie Matthäus (vgl. J. Jeremias 57). Wir haben schon von der Möglichkeit gesprochen, die drei Entschuldigungsszenen von Luk. 14, 18-20 zu einer Szenengruppe I zusammenzufassen. Man kann angesichts der allgemeinen Absage nur von einer Überraschung sprechen - so begründet die Absage auch jeweils erscheinen könnte. Denn daß sich die Stunde des Beginns des Abendmahls gerade mit der Stunde der Überprüfung des Ertrags des Ackers und der Arbeitsleistung der Zugochsen überschneidet, scheint begreiflich, war doch für beides die Zeit nach der eigentlichen Tagesarbeit und vor Feierabend die gegebene Spanne des Tages (vgl. Eta Linnemann, Gleichnisse Jesu 1961 94). Und daß man bei einem solchen Kauf (ehe man ihn endgültig abschloß) eine Besichtigung vorzunehmen nur gut tat, liegt so 2.
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nahe wie möglich. Insofern greift eins ohne weiteres ins andere. Aber das hebt doch kaum das Befremdliche auf, daß die schon geladenen Gäste im Konflikt zwischen der Einladung und ihrem eigenen Vorhaben - dies ihr Vorhaben für wichtiger halten als die Einladung und deshalb die Einladung ausschlagen. (Daß ihre Antwort an den Knecht so zu verstehen wäre, daß sie später doch noch kommen möchten und nur nicht pünktlich sein können, wie Eta Linnemann hier deuten will, scheint mir der Text nicht zu sagen - so wenig wie ich Eta Linnemann darin folge, daß der Gastgeber mit der »schnell« geschehenden Einladung anderer Gäste den später noch eintreffenden ursprünglichen Gästen demonstrieren wolle, daß sie nun zu spät kommen, womit die Parabel den »Charakter eines Schelmenstückes« erhalte. Kritisch gegenüber Eta Linnemann äußert sich auch Dan O. Via aaO, Exkurs zum Gleichnis vom großen Abendmahl 170. Die Aussage des Textes dürfte sich auch nicht darin erschöpfen, daß die Entscheidung des Menschen unaufschiebbar ist und deshalb jetzt geschehen muß. Der Akzent, der auf die Gnade der Einladung fällt, darf seinen Rang nicht verlieren). So zeidmet sich in der Szenengruppe I in Varianten immer wieder dies ab: daß es die Vordringlichkeiten des Tages sind, die zur Absage der Einladung führen. Man wird dabei vielleicht Jülichers Beobachtung aufnehmen können, der zum Stil hervorhebt, daß der Ton allmählich weniger höflich wird: »Echo ananken sagt der Erste, einfach poreuomai, also eine bloße Berufung auf seinen Willen setzt der Zweite, der Dritte vollends kurz, fast grob: Ein Weib habe ich geheiratet und kann deshalb nicht kommen; kein Wort der Bitte scheint ihm vonnöten« (412). Es ist der Horizont der typischen Welt einer Kleinstadt, dem wir hier begegnen. Die Vordringlichkeiten des Tages lassen die Gäste ... keine Zeit für die Einladung haben. Daß der Mensch keine Zeit hat, ist offenbar ein Phänomen, das zum Menschen gehört, sobald er von der Sorge um sein Durchkommen erfüllt ist. Die Gäste sind mit den Fragen ihrer Existenz vollauf beschäftigt, und die drei Entschuldigungsgründe haben für sie den Rang elementarer, selbstverständlicher Argumente. Verschiebbar scheint hier nichts zu sein. Übrigens braucht deshalb der dritte Gast, der kürzlich geheiratet hat, nicht unhöflicher als die beiden anderen zu sein, wenn er die Entschuldigungsformel wegläßt. Er könnte eben seinen Grund einfach für Entschuldigung genug und für elementarer als die Gründe der anderen halten, so daß die Formel hier fehlen kann. Selbst-
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verständlich kann man auch sagen: die erneute Wiederholung erübrigt sich erzählungs technisch. Die Grundfrage der Auslegung von Szene I dürfte sein, ob wir die drei Entschuldigungen einfach innerhalb der Bildebene zu begreifen haben (so etwa Wilhelm Michaelis) - oder ob sie über die. Bildebene hinausreichen und auf das Verhaftetsein der ursprünglichen Hörer (der Pharisäer) an die Dinge des Alltags hinweisen sollen: der Pharisäer, die wie die anderen an den Dingen dieser Welt hängen und deshalb die Botschaft Jesu ablehnen (wie Adolf Schlatter auslegt, Das Evangelium des Lukas ))8). Es ginge dann bei den Pharisäern um eine Mischung von Frömmigkeit und Weltlichkeit. Ich würde hier eher mit Wilhelm Michaelis meinen, daß nur das Nein zur Einladung als solches im Rahmen der Bildebene den Akzent hat und deshalb im einzelnen nicht auszudeuten ist. Freilich wird in einem Punkt doch die Ebene des Alltäglichen verlassen: in der dreifachen Ablehnung der Einladung, die das ausnahmslose Nein aller geladenen Gäste aussagt. Adolf Jülicher hat mit Recht betont, daß ein Konflikt zwischen einem Gastgeber und seinen Gästen »in dieser Ausdehnung die Unwahrscheinlichkeit selber ist, wenn ein gewöhnlicher Hausherr mit Freunden und Nachbarn zu thun hat ... Der Konflikt ist dagegen nicht blos möglich, sondern wirklich, wenn Gott das Mahl veranstaltet.« Das heißt, daß Lukas bei dem Gastgeber von vornherein »schon an Gott denkt« (413). . Bedeutet das nun, daß bei Lukas in dieser Szene doch schon ein allegorisches Element zu erkennen ist? Ich denke: nein. Was hier spürbar wird, ist vielmehr die Grenze des Alltags. Was sich im Verhältnis zwischen den Menschen und Gott zuträgt, läßt sich in der Bildebene des Gleichnisses nur so sagen, daß eine unwahrscheinliche Szene entsteht: wobei die Sache selbst in die Bildhälfte hineinragt, wie wir schon früher einmal formulierten. Die folgende Szene (11) umfaßt Vers 21. Der Knecht kommt zu seinem Herrn zurück und berichtet zunächst. Solche Berichtszenen finden sich auch sonst in den Gleichnissen. Sie liegen erzählungstechnisch nahe. Sie ersetzen die Wiederholung; vgl. Matth. 18, 21 ff. Wichtig ist, wie der Bericht beantwortet wird: Der Gastgeber zürnt, begreiflicherweise, über das Echo, das seine Einladung gefunden hat. Aber die Gleichnisgeschichte ist damit noch nicht zu Ende. Der Gastgeber beantwortet das Nein der zuerst geladenen Gäste mit einer erneuten Einladung, diesmal an die Ar-
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men, Krüppel, Lahmen und Blinden der Stadt. Sie werden in den Rang von Gästen erhoben, wiewohl sie arme Schlucker sind, sind Krüppel, Blinde und Lahme doch »im Orient eo ipso Bettler« (Joachim Jeremias 111). Eine überraschende Tischgesellschaft, zu deren Zusammensetzung man Luk. 14, 12-14 vergleichen muß:
»Er sprach aber auch zu dem, der ihn geladen hatte: Wenn du ein Frühstück oder ein Mahl gibst, 50 bitte nicht deine Freunde noch deine Brüder, noch deine Verwandten, noch reiche Nachbarn, damit nicht auch sie dich wieder einladen und du (50) deine Vergeltung bekommst. Sondern, wenn du eine Gesellschaft gibst, so lade Arme, Krüppel, Lahme (und) Blinde; dann wirst du selig sein, daß sie dir nicht vergelten können, denn es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten« (Übersetzung von Erich Klostermann). Ich weise nur eben darauf hin, daß wir in Luk. 14, 1-24 eine zusammenhängende Komposition des Lukas vor uns haben, deren szenischer Rahmen ein Gastmahl im Haus eines führenden Pharisäers ist (14, 1). Joachün Jeremias sieht in Luk. 14, 12-14 eine sekundäre paränetische Umformung des Gleichnisses von Luk. 14, 16-24, sozusagen eine »Anwendung« des Gleichnisses (34. 90). Wir beachten in unserem Zusammenhang nur die Nähe von Vers 21 zu Vers 13. Daß hier dieselben Stichworte vorkommen, ist kaum zufällig, und beide Verse erhellen einanderl Wir sehen sofort, daß die Tischgesellschaft in II (Vers 21) von der in I (Vers 18-20) vorgesehenen deutlich absticht. Es handelt sich nicht um die ehrenwerten Bürger der Stadt, die wichtige geschäftliche Verhandlungen abzuschließen haben bzw. eben geheiratet haben, sondern um eine Bettlergesellschaft. Denn darauf liegt doch der Akzent in Luk. 14, 12-14, daß der Gastgeber, wenn er »eine Gesellschaft gibt«, lauter Habenichtse einladen soll, die nicht die Möglichkeit haben, sieh zu revanchieren. Der Gastgeber bittet sonst seine Freunde, seine nähere und weitere Verwandtschaft, seine reichen Nachbarn. Das ist ihm selbstverständlich. Die Gäste, die er in der Regel einlädt, gehören zu »seinem Kreis«, wie man nicht ohne Grund zu sagen pflegt. Zu seinem Kreis gehört aber die Gesellschaft, die er nach dem Wort Jesu einladen soll, gerade nicht. Und doch hinge für ihn alles daran, daß sie seine Gäste würden, daß er über »seinen Kreis« hinauskäme und - dürfen wir so sagen? - sein Haus für Lazarus öffnete. Auch der reiche Mann von Luk. 16, 19-31 wird nicht allein an seiner reich besetzten Tafel gesessen haben. Weshalb
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sollen wir ihn uns als Einspänner vorstellen? Wird er nicht von einer Fülle von Freunden umgeben gewesen sein, die ihm gern Gesellschaft leisteten? Nur daß es nicht um die Fülle seiner Freunde ging, sondern um den einen armen Lazarus vor seiner Tür! Sören Kierkegaard hat in seinen Meditationen über das »Leben und Walten der Liebe« (1847) zu dem Text von Luk. 14, 12-14 folgende Sätze geschrieben, die den entscheidenden Akzent in einem fingierten Dialog zwischen dem Gastgeber und einem seiner Freunde sehr eindrücklich werden lassen:
»Denke dir einen Menschen, der ein Gastmcihl veranstaltete, und dazu Lahme, Blinde, Krüppel, Bettler einlud: es sei ferne von mir, etwas anderes von der Welt zu glauben als daß sie es doch schön fände, wenn auch sonderbar. Denke dir aber, dieser Mann, der das Gastmahl veranstaltet, hätte einen Freund, zu dem er sagte: Gestern hatte ich ein großes Gastmahl . .. nicht wahr, dann würde der Freund vor allem sich verwundern, daß er nicht unter den Geladenen war. Wenn er dann hören würde, wer die Eingeladenen gewesen: es sei ferne von mir, daß ich von dem Freund etwas anderes denke als daß er es doch schön fände, wenn auch etwas sonderbar. Doch verwundern würde er sich und würde vielleicht sagen: Das ist doch ein eigentümlicher Sprachgebrauch, eine solche Versammlung ein Gastmahl zu heißen! Ein Gastmahl, wo die Freunde nicht dabei sind! Ein Gastmahl, wo es sich nicht um die Trefflichkeit der Weine, um die auserlesene Gesellschaft, um die Anzahl der an der Tafel aufwartenden Diener handelt! Das soll ein Gastmahl sein! ... Das heißt: der Freund würde meinen, eine derartige Abspeisung sollte man ein Liebeswerk ntfnnen, nicht aber ein Gastmahl. Denn wie gut auch das Mahl war, welches sie bekamen, ob es auch nicht bloß wie das aus der Sup'penanstalt kräftig und wohlschmeckend war, sondern wirklich ausgesucht und kostbar - ja ob sie auch zehn Sorten Wein bekamen: die Gesellschaft selbst, das Arrangement des Ganzen, ein gewisser nicht auszudrückender Mangel an der Sache, erlaubt nicht, daß man so etwas ein Gastmahl nenne. Es ist gegen den Sprachgebrauch, der nun einmal einen Unterschied macht. Gesetzt nun, jener Mann, der das Gastmahl gegeben hatte, antwortete: Ich glaubte doch, ich hätte den Sprachgebrauch auf meiner Seite! Lesen wir nicht im Evangelium des Lukas (14, 12. 13) die Worte Christi: Wenn du das Mittag- oder Abendessen hältst, so lade nicht deine Freunde, auch nicht deine Brüder, auch nicht deine Anverwandten,
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au.ch nicht reiche Nachbarn, auf daß sie nicht dich wieder laden und es dir vergolten werde. Wenn du aber ein Gastmahl veranstaltest, so lade Ar:me, Krüppel, Lahme und Blinde! Hier ist ja nicht bloß das Wort Gastmahl ganz nach dem Sprachgebrauch gebraucht, sondern es wird im Anfang sogar ein minder festlicher Ausdruck gebraucht, Mittag- oder Abendessen, und erst wenn es sich um die Einladung der Armen und Krüppel handelt, erst dann wird das Wort Gastmahl gebraucht. Scheint es dir nicht, als wollte Christus andeuten, da/1 die Einladung -der Armen und Krüppel nicht bloß unsere Pflicht sei, sondern zugleich etwas weit Feierlidteres als mittags oder abends mit Freunden und Verwandten und reichen Nachbarn zu speisen? daß man dies letztere nicht ein Gastmahl heißen dürfe, da erst die Armen einladen heiße ein Gastmahl halten? Aber ich sehe wohl ein, unser Sprachgebrauch ist verschieden; denn durch den allgemeinen Sprachgebrauch ist schon fest vorgeschrieben, wer zu einem Gastmahl geladen werden soll: Freunde, Brüder, Verwandte, reiche Nachbarn, welche es wettmachen können. Die christliche Gleichheit aber und ihr Sprachgebrauch nimmt es genau; sie fordert nicht bloß, daß du die Armen speisen sollst, sondern auch daß du das ein Gastmahl heißest ... Oh, mein Lieber, dünkt dich, das Vorstehende sei nur ein Wortstreit um den Gebrauch des Ausdrucks Gastmahl? Oder siehst du nicht, daß der Streit sich um die Nächstenliebe dreht? Denn wer die Armen speist, aber doch nicht so viel über sich vermag, daß er diese Speisung ein Gastmahl nennt, sieht in den Armen und Geringen nur die Ar, men und Geringen; wer das als ein Gastmahl veranstaltet, sieht in dem Armen und Geringen den Nächsten, wie lächerlich dies auch in den Augen ~er Welt scheinen mag . .. « (übersetzung von Christoph Schrempf 19 2 4 87 ff)· Aber wir kehren zum Gleichnis vom großen Abendmahl zurück. Auch das ist im Zusammenhang des Gleichnisses offenbar zu betonen: Der Gastgeber kommt zu Gästen, auch wenn die zuerst Geladenen nicht kommen. Und das setzt sich in Szene III (Vers 22-2)) so fort, daß der Knecht, nach erneutem Bericht über die Ausführung des ihm erteilten Auftrags, noch einmallosgeschickt wird, weil »(immer) noch Raum da ist«. Sein letzter Auftrag führt ihn über die Grenzen der Stadt hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune (man wird bei den Zäunen an die Umfriedungen der Weinberge außerhalb der Stadt zu denken haben). Solche »Gäste« können über eine »Einladung« offenbar nur selbst ver-
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wundert sein und müssen deshalb freundlich »genötigt« werden. überdies wahren sie die »morgenländische Höflichkeit« und sträuben sich zunächst zu kommen, wie Joachim Jeremias unterstreicht (111). So bleibt das Paradoxe der Tischgesellschaft von Szene 11 in Szene 111 erhalten, das Paradoxe einer überraschenden, ungewohnten Tischgesellschaft - einer Tischgesellschaft von lauter Lazarussen, wobei die Stadtarmen und die Landstreicher (Joachim Jeremias 38), die kein Dach über dem Kopf haben, einander beinahe verwandt erscheinen. Ich habe mich auf den von W. Salm, Beiträge zur Gleichnisforschung, entdeckten und von J. Jeremias aufgegriffenen rabbinischen Text vom reichen Zöllner Bar Ma'jan (j. Sanh. 6, 23c) hier nicht bezogen, weil ich der Erhellung nicht sicher bin, die dabei für die Exegese zu gewinnen ist.
3. Die Deutung des lukanischen Gleichnisses: Die Frage wartet längst, was das Gleichnis sagen will. Eine betonte Zäsur liegt zwischen Szene I und Szene 11, während Szene 11 und Szene 111 enger zueinandergehören dürften. Wer sind die zuerst geladenen Gäste, die alle »auf einmal« die Einladung mit einer Absage quittieren, wiewohl sie schon von der Einladung wußten? Man kann doch nur verstehen: Gemeint sind die ursprünglichen Hörer des Gleichnisses, die Frommen Israels, die, als Gottes Einladung die Stunde des Mahls ansagt: Kommt, es ist bereit! - nicht bereit sind. So entsteht die Dissonanz zu Vers 15! Der Makarismus von Vers 15 sagt die Wahrheit - aber wer wird an Gottes Tafel zu finden sein? ... In der »Stunde des Abendmahls« entschuldigen sich die zuerst geladenen Gäste. Sie sagen ab. Sie versagen sich der Freudenbotschaft Jesu. Ich würde bei diesem Sinn von Szene I bleiben, wobei der Kontrast erfaßt sein will, daß es gerade die Freudenbotschaft ist, die bei den geladenen Gästen kein Echo findet. Das ist im lukanischen Evangelium immer wieder hervorgehoben. Der Konflikt entsteht an der Freudenbotschaft. In der Stunde, in der Gottes Einladung Israel erreicht, findet Israel das Ja nicht: Israel in seinen führenden Schichten - während die Zöllner und Sünder den Weg der Umkehr gehen. Das ist die »Umgruppierung«, von der die Evangelien erfüllt sind. Ich erinnere an Matth. 21, 31: »Amen, ich sage euch, die Zöllner und die Dirnen kommen vor euch iris Reich Gottes. « Das ist das abgründige Rätsel, daß der Zöllner (im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner Luk. 18, 9-14) gerechtfertigt
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in sein Haus geht, jener (der Pharisäer) nicht: daß der Zöllner im Bekenntnis seiner Schuld der Gnade Gottes näher ist als der seiner Sache sichere Pharisäer. Es begegnet uns im Gleichnis vom großen Abendmahl das gleiche Geheimnis, dem wir auch im Gleichnis von Luk. 7, 41-4) nahe waren: daß der Vorzug des Pharisäers zur Gefährdung für ihn wird, daß sein Vorsprung vor den Zöllnern und Sündern ihn verkennen läßt, daß auch er nur vom Wunder der Gnade leben kann. Die Gäste, die zuerst geladen sind, verkennen die Gnade der Stunde der Einladung. Daß der Gastgeber im Gleichnis zürnt, ist doch als durchsichtiger Hinweis auf den Zorn Gottes zu verstehen, auf den »heiligen Zorn des verschmähten Erbarmens und der verletzten Liebe« (Gustav Stählin ThW V 429). Solcher Zorn befindet sich nicht im Widerspruch zur Güte Gottes, ist er doch die Antwort auf die Ablehnung der Güte, besagt er doch, daß es nur eine Möglichkeit des Lebens vor Gott gibt: das Leben von seiner Güte und Barmherzigkeit. Was uns das Gleichnis einprägt und verkündigt, ist das Wunder der Gnade der Einladung. Man kann auch sagen: Es geht um die Souveränität und Majestät der Barmherzigkeit Gottes. Gottes Barmherzigkeit kann verscherzt werden, was auch der Schlußvers (Vers 24) ausspricht. Man kann mit Gottes Barmherzigkeit nicht spielen. Das ist der - Ernst der Gnade bzw. das Gericht der Gnade! Und Gottes Tisch bleibt nicht leer, wenn die zuerst geladenen Gäste sich der Einladung versagen. Seine Einladung wird gehört und angenommen von den Stadtarmen, von den Habenichtsen, von den Zöllnern und Sündern - und in Szene III von den Landstreichern außerhalb der Stadt, auf den Landstraßen der Welt, wobei doch nur an die Menschen der Völkerwelt gedacht sein kann (mit Joachim Jeremias )8). Erich Klostermann sieht Lukas das Gleichnis hier »allegorisch« verstehen (151) daß Lukas in Szene 111 über Israel hinaus· die Völkerwelt anvisiert sein läßt, kann nicht fraglich sein. In der Gemeinde der Verlorenen kommt es zur Solidarität. »Wäre die Gemeinde der Heiligen nicht eine Versammlung solcher lahmen Krüppel und heruntergekommenen Landstreicher, so wäre die Ekklesia, die Tisch- und Hausgenossenschaft Gottes, nicht das reine Gnadenwunder, das sie ist« (Peter Brunner in einer Meditation über unser Gleichnis). Daß die Einladung nicht an ein Anrecht oder Vorrecht geknüpft ist, wird hier daran deutlich, daß sie »an keine Bedingung gebunden ist, sondern von allem absieht, was die Geladenen durch sich selbst sind« (Schlatter, Das Evangelium des Lukas ))8). Das Gleichnis
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verkündigt die Regel der Barmherzigkeit des HandeIns Gottes, die als Regel der Barmherzigkeit keine Begrenzung erfährt und deshalb auch über die Grenzen Isra,els hinaus greift. Daß die V älkerwelt in Szene III einbezogen ist, läßt erkennen, daß das Gleichnis bei Lukas die Missionssituation der Kirche aufnimmt. Der Knecht ist unermüdlich unterwegs. Er ist (als Gleichnisfigur) der Träger der Einladung Gottes - er kann nur dem ihm gewordenen Auftrag nachkommen. Sein Ruf, der zuletzt zum Ruf an jedermann wird, ist nicht seine private Sache, stammt nicht aus seiner eigenen Initiative, sondern ist streng sein Gehorsam ~ Gehorsam gegenüber dem Befehl seines Herrn. Man muß doch sagen: Im Modell des Knechtes begegnet uns zuletzt Sinn und Dringlichkeit der missionarischen Verkündigung, die nicht in der Initiative der Kirche, sondern im Befehl des Herrn der Kirche begründet ist. Zu deutlich wird das Geschehen, das im Gleichnis vor uns abläuft, durch den ständig neuen Auftrag des Herrn des Knechtes in Gang gehalten und weitergeführt. Im grenzenlosen Auftrag spiegelt sich die grenzenlose Barmherzigkeit des Herrn. Das Gleichnis nimmt uns so in eine umfassende Perspektive hinein, in eine Perspektive, die nicht weniger als die Welt umfaßt. Das Geschehen, das Szene III meint, ist offenbar noch nicht abgeschlossen. Der Knecht kann noch nicht die Erfüllung des Auftrags berichten. Aber gerade das entspricht der Grenzenlosigkeit seines Auftrags, der jedermann gilt, wie der Unabgeschlossenheit der Geschichte, in der der Auftrag erfüllt sein -
will. 4. Die Matthäusfassung: Wir haben schon die Unterschiede der Lukasund Matthäusfassung gestreift. Wir müssen aber die Frage nach dem Matthäusprofil des Gleichnisses noch einmal eigens aufnehmen. Daß bei Matthäus eine Allegorisierung (über die Ansätze zur Allegorie bei Lukas hinaus) vorliegt (J. Jeremias), legt sich nahe. Der ganze Rahmen des Geschehens ist verändert, insofern vom König, vom Königssohn und von der Hochzeit gesprochen wird: Bilder für Gott, den Messias und die messianische Freudenzeit. »Zug um Zug will hier gedeutet und verstanden sein« (G. Bornkamm 16). Wird auch hier die Sprache der Bilder gesprochen, so gelten für diese Sprache andere Gesetze als beim Gleichnis. Dazu fügt sich, daß aus dem einen Knecht bei Lukas - viele Knechte geworden sind und daß die Knechte bei der Erfüllung ihres Auftrags nicht
Vom großen Abendmahl
nur ein Nein zu hören bekommen, sondern die Erfüllung mit schimpflicher Behandlung, ja mit dem Leben bezahlen müssen. Wird hier nicht die bei Lukas. weithin innegehaltene Bildebene deutlich verlassen? Wir können daran denken, daß die Herrenwort-Überlieferung, die der erste Evangelist in sein Evangelium aufnahm, immer wieder auf die Situation der Verfolgung zu sprechen kommt: daß sich im Matthäusevangelium die Situation einer Märtyrerkirche abzeichnet (vgl. Schniewind Matth. Ein!. 204). In der Herrenwortüberlieferung »weht uns der Geist der ersten Zeugen an«, hat J. Wellhausen gesagt. Vor allem aber ist der allegorische Charakter der Matthäusfassung in dem zu erkennen, was über die Stadt gesagt wird. Daß der König seine Truppen marschieren und die Mörder umbringen läßt und zuletzt ihre Stadt den Flammen überantwortet - das wäre im Lukasrahmen nicht möglich, läßt uns aber bei Matthäus erneut an ein Hineintragen der geschichtlichen Wirklichkeit denken: »Matthäus schreibt hier unter dem unmittelbaren Eindruck dessen, was sich begeben hat«, wie J. Schniewind knapp sagt (21.4). In das Gleichnis ist bei Matthäus der Ablauf der Geschichte ... bis zur Katastrophe Jerusalems im Jahre 70 hineingezeichnet. Wie kann man anders verstehen? Karl Heinrich Rengstorf (Die Stadt der Mörder, in: Judentum, Urchristentum, Kirche 1.960 1.06-1.29) hat gemeint, einer solchen Auslegung widersprechen zu müssen, weil in der Zerstörung der Stadt (bis zur Verbrennung der Häuser mit Feuer) ein »aus dem alten Orient stammender und bis in das nachbiblische Judentum erhaltener Topos« vorläge, der mit einer Fülle von literarischen Beispielen belegbar sei - ohne daß hier eine konkrete geschichtliche Erinnerung eine Rolle spielen müsse. Daß das Stichwort »Zerstörung einer Stadt« in den Kriegsannalen antiker Herrscher zu typischen Schilderungen führte, eben zu einem literarischen Topos, dafür kann man an Hand der von Rengstorf "Zitierten Texte offen sein. (Vg1. die assyrischen Kriegsannalen, z. B. über die Zerstörung und Verbrennung von Karkar. Hier mag man von stereotyper Darstellung sprechen. Ich verweise auf Hugo Greßmann, Altorientalische Texte, 1.9262; dort die assyrischen Berichte über die Zerstörung Karkars, 853 unter Salmanassar 111. und 720 unter Sargon.) Aber deshalb braucht doch in Matth. 22,7 nicht der Bezug auf die Zerstörung Jerusalems wegzufallen, wenn dabei auch ein gängiger Topos genutzt wäre (so auch Victor Hasler, Die königliche Hochzeit, Matth. 22, 1.-4, In ThZ 1.962
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3441 ; vgl. auch Ernst Haenchen, Die Botschaft des Thomas-Evangeliums 1961 5668, und Georg Strecker, Der Weg der Gerechtigkeit 1962 35 7). Halten wir hier in unserer Analyse inne, so zeigt sich, daß Matthäus im Vergleich zu Lukas sowohl knapper wie ausführlicher ist. Was wir bisher an Abweichungen hervorhoben, bezieht sich auf einen Textumfang, der der Szene I bei Lukas entspricht. Es geht um die zuerst geladenen Gäste. Die bei Lukas breiter gegebene Folge von Entschuldigungen (die lukanischen Sprachgebrauch verraten: J. Jeremias 60 1) ist bei Matthäus in knappem Bericht zu finden. Man kann an eine rabbinische Parallele denken, auf die wir nachher für den Schluß unseres Gleichnisses noch einmal zurückkommen müssen, in der es in einem weithin parallelen Mahlgleichnis von einer Gruppe von Gästen heißt: »Da ging der Kalkanstreicher zu seinem Kalk, der Töpfer zu seinem Lehm, der Schmied zu seiner Kohle, der Walker nach seinem Waschhaus« (Str. B. I 878). Die Parallele ist auffällig. Eine Gruppe von Gästen läßt sich durch die Einladung von ihrer täglichen Arbeit in nichts abbringen. Ich möchte hier gleich noch eine weitere Parallele nennen, die im Text des Thomasevangeliums vorkommt und fast nur die Entschuldigungsszenen, und zwar erweitert, enthält. Ich muß darauf verzichten, auf die Frage nach der Beziehung des Thomasevangeliums zur synoptischen Überlieferung umfassender einzugehen. Ich verweise auf Wolfgang Schrage aaO 133 ff und auf Ernst Haenchen, Die Botschaft des ThomasEvangeliums 1961. Das Thomasevangelium ist um 1945 bei Nag-Hammadi (in Oberägypten) gefunden, im Zusammenhang mit dem Fund einer koptisch-gnostischen Bibliothek (vgl. Henrich-Charles Puech, in: Hennecke~Schneemelcher I 1959 202. 210 f).
»Jesus sprach: Ein Mann hatte Gäste. Und als er bereitet hatte das Mahl, sandte er seinen Knecht, damit er die Gäste einlade. Er ging zu dem ersten. Er sagte zu ihm: Mein Herr lädt dich ein. Er sagte: Ich habe Geld(forderungen) an Kaufleute. Sie kommen zu mir am Abend. Ich werde gehen und ihnen Aufträge geben. Ich entschuldige mich für das Mahl. - Er ging zu einem anderen. Er sagte zu ihm: Mein Herr hat dich eingeladen. Er sagte zu ihm: Ich habe ein Haus gekauft, und man bittet mich für einen Tag. Ich werde keine Zeit haben. Er kam zu einem anderen; er sagte zu ihm: Mein Herr lädt dich ein. Er sagte zu ihm: Mein Freund wird heiraten, und ich werde ein Mahl geben. Ich werde nicht kommen können. Ich entschuldige mich für das Mahl. Er kam zu einem
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anderen. Er sagte zu ihm: Mein Herr lädt dich ein. Er sagte zu ihm: Ich habe ein Gut gekauft; ich gehe den Pachtzins holen. Ich werde nicht kommen können. Der Knecht ging. Er sagte seinem Herrn: Die, welche du zum Mahl geladen hast, lassen sich entschuldigen. Der Herr sagte zu seinem Knecht: Gehe hinaus auf die Straßen; die, welche du finden wirst, bringe sie, damit sie das Mahl einnehmen. Die Käufer und die Kaufleute (werden) nicht hinein(gehen) in die Orte meines Vaters« (Übersetzung von Ernst Haenchen 26). Die Parallelen werden für sich selbst sprechen ·und bedürfen deshalb keines näheren Kommentars. Das Gleichnis ist im gnostischen Zusammenhang - gnostisch zu interpretieren. Der Mensch ist verstrickt in die Gesellschaft und das Erwerbsleben. »Darum folgt er dem Ruf ins Reich nicht, das hier mit dem Gastmahl gemeint ist« (Haenchen 56). Das Reich aber ist das Reich des Geistes, dem der Mensch angehört, sofern er Geist ist: geht es doch um das Zurückfinden zum letztlich unverlorenen Ursprung, um den Aufbruch in das Zuhause, an das der Ruf erinnert. Dagegen ist das Geschick der Knechte und das Geschick der Gäste bei Matthäus sehr viel ausführlicher als bei Lukas zur Sprache gebracht. J. Jeremias spricht hier, unter Einbeziehung des Schlusses des MatthäusGleichnisses, geradezu von einem »Abriß der Heilsgeschichte vom Auftreten der Propheten des Alten Bundes über die Zerstörung Jerusalems bis zum Jüngsten Gericht«, zu dem das Gleichnis »durch allegorisierende Ausdeutung« ausgestaltet sei (58). Wir konnten nicht umhin, die Deutung der Verse 1-7 schon zu bedenken. Ich füge nur noch an, daß in der Aufnahme der Zerstörung Jerusalems in den »Abriß der Heilsgeschichte« offenbar prophetische Deutung der Geschichte Israels vorliegt. Man braucht nur zu präzisieren, was hier gesagt wird, um die Kühnheit der Aussage zu begreifen: Die römischen Legionen, die gegen Jerusalem marschierten, sind in Gottes Auftrag marschiert! Aber eine ähnliche Deutung geschichtlichen Geschehens kann in der Bibel bekanntlich immer wieder vollzogen werden. Geschieht nichts in der Geschichte ohne Gottes Willen, so kann er sich auch der Legionen Vespasians bedienen, um an Israel zu handeln, so kann er mitten im geschichtlichen Geschehen seine apokalyptischen Reiter über die Erde reiten lassen (lassen die apokalyptischen Reiter doch nur die apokalyptische Dimension des realen geschichtlichen Geschehens erkennen), um die Welt zur Umkehr zu rufen (Apok. 6) - so ist aber auch der König von Assyrien trotz seiner Hybris
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zugleich Gottes Werkzeug (Jes. 10). Übernehmbar ist eine solche Deutung nur in der Beugung unter den Herrn der Geschichte, ist sie doch Prophetie! Wir kehren zum Vergleich der Matthäusfassung mit Lukas zurück. Szene II bei Lukas (die Einladung an die Armen, Krüppel, Blinden und Lahmen) findet bei Matthäus keine Entsprechung. Dagegen berühren sich Szene III bei Lukas und Szene II bei Matthäus: 22, 8-10. Auch bei Matthäus dürfte an die Völkerwelt gedacht sein. Der Sonderzug aber, den Matthäus zum Schluß (in Vers 11 bis 1)) bringt, hat wieder keine Parallele bei Lukas, und er ist zugleich für die Matthäusfassung so charakteristisch, daß er dem ganzen Gleichnis sein eigentliches Profil verleiht. Was ist der Sinn der Szene mit dem Gast, der kein hochzeitliches Gewand trägt? Man hat in der Geschichte der Auslegung an eine Sitte gedacht, nach der jedem Gast an der königlichen Tafel ein Festgewand für die Teilnahme angeboten worden sei - dieser Mann habe es zurückgewiesen. Aber das steht nicht im Text. Und darüber hinaus ist zu sagen: »Bestehen und Tragweite« einer solchen Sitte ist »umstritten« (J. Schniewind, vgl. auch J. Jeremias )9). Man hat so versucht, das Gleichnis bei Matthäus - von Paulus her zu deuten, und in. dem als Geschenk angebotenen Festgewand (reformatorisch) die geschenkte Gerechtigkeit, die iustitia aliena, finden wollen. Mari mag dazu etwa J. A. Bengel vergleichen, der erklärt: Haec vestis est iustitia Christi (Dies Kleid ist die Gerechtigkeit Christi). Aber Adolf Schlatter hat scharf widersprochen: »Wird die Erzählung des Matthäus dadurch erweitert, daß der König allen auch ein Festgewand angeboten habe, so schafft man ein neues Gleichnis, das aber in einer anderen Ethik wurzelt als der des Matthäus« (Der Evangelist Matthäus 6)9-640). Ich denke, daß wir uns dieser Kritik Schlatters nur öffnen können. Wir haben als Exegeten keine Harmonisierung von Paulus und Matthäus vorzunehmen. Wir verwischen dann nur die Matthäus-Kontur, die es doch gerade zu erfassen gilt. Eben die Differenzierungen sind wichtig. Man kann auch die Theologie der Tora bei Matthäus und Paulus nicht gleichsetzen, sondern muß den jeweils eigenen Akzent heraushören. Was aber bedeutet dann die Sonderszene des Matthäus-Gleichnisses? Ich denke, es ist hilfreich, das rabbinische Mahlgleichnis, an das ich schon erinnerte (Str. B. I 878: Midr. Qoh. 9,8), hier noch einmal im Auszug zu zitieren:
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»Gleich einem König, der ein Gastmahl veranstaltete und (Gäste) einlud. Er sprach: Geht . .. säubert euch, salbt euch, wascht eure Kleider und bereitet euch zum Gastmahl! Er setzte ihnen aber keine bestimmte Zeit fest. Die Klugen gingen am Eingang des Palastes auf und ab. Sie sagten: Sollte der Palast des Königs an irgend etwas Mangel haben? Die Törichten aber bekümmerten sich nicht um das Wort des Königs. Sie sprachen: Schließlich werden wir vom Gastmahl des Königs doch etwas merken! Gibt es denn irgendein Gastmahl ohne Mühe und Festsetzung der Tischordnung? Da ging der Kalkanstreicher zu seinem Kalk, der Töpfer zu seinem Lehm, der Schmied zu seiner Kohle, der Walker nach seinem Waschhaus. Plötzlich befahl der König, alle sollten zum Mahl kommen. Man trieb sie zur Eile an ... « (Und entsprechend ihrer Klugheit oder Torheit kamen die Gäste gerüstet oder ungerüstet.) »Da freute sich der König über die Klugen . .. über die Törichten aber zürnte er.« Die Törichten gehen mit leeren Händen aus und müssen zusehen, wie die Klugen an der königlichen Tafel teilnehmen. Eine Anmerkung mag hinzugefügt sein. Sowohl bei Matthäus wie im rabbinischen Gleichnis ist der Rahmen der Einladung königlich-großzügig. In der Antike konnte es gelegentlich zu Einladungen in ganz großem Stil kommen, so z. B. einmal bei Assurnassirpal 11. (884-859), der zur Einweihung der wiederaufgebauten Stadt Kalach (am Tigris, zwischen Ninive und Assur) ein großes Fest für fast 70000 Menschen aus allen Teilen des Reiches bis hin nach Tyrus und Sidon gab. »Zehn Tage lang speiste ich die Geladenen aus allen Ländern und Kalach, tränkte sie, badete sie, salbte sie, tat ihnen Ehre an und entließ sie gesund und freudig in ihre Länder« (Wolfram von Soden, Der Nahe Osten im Altertum, in: Propyläen-Weltgeschichte 11 1962 80 f). Man wird diese Annalennotiz beachten, wenn man auch die genannte Zahl von 70000 kaum unbesehen übernehmen wird. Im rabbinischen Mahlgleichnis stoßen wir wieder auf eine» Voreinladung«. Die klugen Gäste halten sich auf Grund der Voreinladung von vornherein bereit. Für sie läuft der Alltag nicht einfach weiter, als ob nichts geschehen wäre. Sie nehmen die Einladung ernst und waschen sich und ihre Kleider. Das hochzeitliche Kleid ist das für die Hochzeit hergerichtete Kleid, und das Matthäus-Gleichnis wird hier in einer Analogie zum rabbinischen Mahlgleichnis zu interpretieren sein. Der Sonderzug des Matthäustextes legt den Finger darauf, daß die Einladung, die jeder-
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mann gilt, auch jedermann verpflichtet. Dan O. Via unterstreicht: »Ein angemessenes Hochzeitskleid heißt nicht ein besonders festliches Gewand, sondern saubere Kleidung« (aaO 125). Die Kirchenväter haben eine Fülle von Antworten gegeben, um den Sinn des hochzeitlichen Kleides zu umschreiben. Gregorius sprach von der Liebe, Hilarius vom heiligen Geist, Hieronymus von den Werken. Bengel, den wir schon zitierten, befindet sich mit seiner Auslegung in der Nähe Luthers: »Der Glaube an Christus zieht Christus an; das hochzeytt kleydt ist Christus« (WA 10 III 413) - eine Exegese, die sich schon bei Origenes findet. Man kann diese (hier nur angedeutete) Fülle von Deutungen verstehen, wird aber gleichzeitig sehen, daß es zuletzt um eine einfache Linie geht: um die Linie einer Entsprechung zur Einladung im Leben des geladenen Gastes, im Leben des Christen. Es kann für den, der die Einladung empfangen hat, nicht alles beim alten bleiben. Vielmehr gilt für ihn, daß die Ehre und Freude, die auf ihn wartet, ihn schon jetzt erfüllt und bestimmt: daß sein Leben schon jetzt im Zeichen des Kommenden steht. Joachim Jeremias hat gesehen, daß diese Profilierung des MatthäusGleichnisses mit dem Adressenwechsel zusammenhängt (39). Wieder ist von Lukas zu Matthäus aus der Gegneradresse eine jüngeradresse geworden. Das Gleichnis wendet sich nicht nur kritisch gegen Israel: es wendet sich auch kritisch nach innen, und das dürfte für die Haltung des Evangelisten charakteristisch sein. Die Tradition wird nicht einseitig gehört und zu einer Selbstrechtfertigung verwandt. Sie wird in wacher Verantwortung auch auf die eigene Situation kritisch bezogen. Das Gleichnis warnt mit anderen Worten auch die Kirche, für die Matthäus sein Evangelium schreibt: vor einer Sicherheit, in der sie nicht mehr um die Frage wüßte, die mit der Schluß szene des Matthäus-Gleichnisses gegeben und in der Schlußsentenz (Vers 14) enthalten ist. »Die im Gleichnis vom Hochzeitsmahl dargestellte, geschehene und erfolgte Entscheidung« wird zuletzt »überraschend in Richtung auf die noch ausstehende Zukunft des Gerichtes wieder geöffnet«. Es zeigt sich, daß »auch der Jüngerschaft Jesu das kommende Gericht gilt« (G. Bornkamm, Enderwartung und Kirche im Matthäusevangelium, in: Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium 1960 40. 18). Darf man sagen: Die Sorge des Evangelisten gilt der Möglichkeit, daß es in der Kirche zu einer neuen Form von Sicherheit kommen könnte, die nicht weniger be-
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denklich wäre als jede andere? Ich brauche nur anzudeuten, daß sich hier das Kirchenverständnis des ersten Evangelisten ausspricht, weshalb man fragen wird, ob dieser Zug nicht von Matthäus eingefügt ist, zum al in Vers 11-1) Spracheigentümlichkeiten des ersten Evangelisten begegnen (vgl. Gerhard Barth im eben zitierten Sammelband 55 7). J. Jeremias spricht von einem Verschmelzen zweier Gleichnisse zu einer Einheit, das sich hier vollzogen habe. Im Schluß der Matthäusfassung (bzw. schon am Anfang) wäre dann ein »von Haus aus selbständiges Gleichnis« aufgenommen (79. )9)' Aber mit Sicherheit wird sich das nicht sagen lassen, weil in der rabbinischen Parallele der Grundriß des Matthäustextes weithin schon begegnet und gerade das Moment des hochzeitlichen Kleides schon vorkommt, wenngleich selbstverständlich ohne die allegorische Erweiterung in Szene I und ohne Szene II (8-10). Und Szene III erscheint nur, wenn man von Lukas herkommt, als eine zusätzliche Szene (vgl. zur Datierung der rabbinischen Parallele J. Jeremias 155 2). Wichtiger als diese traditions geschichtliche Einzelfrage ist die schon deutlich werdende Nähe des Matthäusakzents zu einer im ersten Evangelium auch sonst erkennbaren theologischen Linie. Ich erinnere nur an Matth. ), 7-10 (Johannes der Täufer ruft zur Frucht, die der Umkehr entspricht - gegenüber einer Berufung auf Abraham bzw. gegenüber einem Pochen auf ein Erwählungsprivileg), an Matth. 7, 21-2) (Die Berufung auf den Richter des Jüngsten Tages kann seiner Entscheidung nicht vorgreifen: »Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr!, wird in das Reich der Himmel kommen, sondern wer den Willen meines Vaters in den' Himmeln tut . . .«; die kritische Frage bleibt auch an den engsten Kreis gerichtet). Aber auch in den Gleichnissen von Matth. 1): Fischnetz und Unkraut unter dem Weizen findet sich die Warnung vor falscher Sicherheit (wobei sprachlich wieder die Hand des ersten Evangelisten erkennbar ist, vgl. J. Jeremias 69 ff). In der Reihe des Gleichnis-Sondergutes bei Matthäus ist noch das Gleichnis von den zehn Jungfrauen (Matth. 25, 1-1)) zu nennen, das unüberhörbar den Ruf zu wacher Bereitschaft enthält und mit dem Ernst seines Ausgangs die christliche Gemeinde selbst warnt. Immer ist zu sehen, daß der warnende Ernst alle Sicherheit im Sinn einer securitas verwehrt und zum ganzen Gehorsam mahnt. So gehört das Gleichnis von der königlichen Hochzeit bei Matthäus in eine paränetische Grundlinie des ganzen Matthäus-Evangeliums hinein, erweist sich mit anderen Worten in seiner Profilierung als ein Element
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der Verkündigung gerade dieses Evangeliums. Die empfangene Einladung verpflichtet. Sie geht den geladenen Gast bis in seinen Alltag hinein an. Sie wirft ihr Licht schon voraus. Das bedeutet nicht, daß der paränetische Akzent der rabbinischen Parallele (der auf die Umkehr fällt) in seinem spätjüdisch-theologischen Zuschnitt einfach übernommen wäre, wogegen J. Jeremias sich mit Recht wendet, wenn er betont, man werde »zwischen der rabbinischen Antwort und der des Evangeliums unterscheiden müssen« (155). Im neuen Zusammenhang spricht der Gleichniszug neu, ist die Einladung und die Weisung an den Gast neu verklammert: verklammert im Sinn des Sichausrichtens auf die Ehre und Freude der Teilnahme an der königlichen Hochzeit. Der Freudencharakter der Einladung darf nicht verlorengehen, den Luther hervorgehoben hat: »Er malets mit schoner farb und nennets ein hochzeit, das ist: nicht ein erbeit zeit, sed freudenzeit, da schickt man sich, singt, pfeift, ißt, trinckt, ist frolich, sonst hieße es kein hochzeit ... Sie doeet Euangelium esse ein libliche, froliche Predigt, et sey ein: recht frolich hochzeit« (WA 37, 550 bis 551). Und auch J. Schniewinds Einsicht wird nicht vergessen werden dürfen, daß im Neuen Testament Umkehr im Zeichen der Freude geschieht, ja selbst zur Freude wird, weshalb für ihn das Hochzeitskleid als» Wort für eine alles überstrahlende Freude« zu verstehen ist (Matth. 215). 5. Eine kurze Erwägung soll unsere Auslegung beschließen. Eine Urform des Gleichnisses ist nur schwer zu rekonstruieren. Man kann kaum daran denken, sie auf dem Weg eines »Subtraktionsverfahrens« zu gewinnen. Subtraktionsverfahren hieße, daß man alle Sonderzüge bei Lukas und Matthäus subtrahierte und den verbleibenden Rest als die ursprüngliche und von keiner Umformung berührte Gestalt des Gleichnisses ansähe. Die Vorstellung vom Vorgang der Oberlieferungsgeschichte, die wir bei einem solchen Verfahren verrieten, könnte man zu mechanisch nennen. Sie widerspräche Beobachtungen, die wir inzwischen -schon gemacht haben, haben wir doch gesehen, daß sich bei Matthäus eine Profilierung zeigt, die das Gleichnis theologisch im Sinn einer paränetischen Grundlinie des ganzen Evangeliums prägt. üb diese Prägung auf den Evangelisten selbst zurückgeht oder schon in der ihm voraufgehenden Überlieferung oder in der »Schule des Matthäus« (Krister Stendahl, The School of St. Matthew 1954) erfolgt ist, ist dabei nicht entscheidend.
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Wichtig ist nur, daß die Prägung sich auf das Ganze des Gleichnisses bezieht und sich nicht auf Einzelzüge beschränkt. Wollte man subtrahieren - und bei Lukas Szene II (Vers 2:1) und bei Matthäus Szene III (Vers :1:1-:13) als Zusatz streichen -, so spränge als paralleler Grundriß und vorläufige Urform heraus: Lukas Szene I und III .(:16-20 und 22-24) bzw. Matthäus Szene I und II (:1-7 und 8-:10). Es wären dann weiter die allegorisierenden Züge in Szene I bei Matthäus als spätere Interpretamente zu subtrahieren. Aber hier haben wir noch einmal mit einer Frage einzusetzen. Joachim Jeremias hat darauf hingewiesen, daß das Gleichnis bei Lukas und Matthäus (bei Lukas Szene 111, bei Matthäus Szene 11) zum Missionsbefehl ausgestaltet sei - »ausgestaltet«, weil diese Umformung zwar früh erfolgt sei, »aber trotzdem schwerlich den ursprünglichen Sinn« treffe. Der ursprüngliche Sinn wird von J. Jeremias im Zusammenhang mit der ursprünglichen Adresse (an die Kritiker und Gegner Jesu) als Rechtfertigung der Freudenbotschaft verstanden. Die ursprünglichen Hörer sind selbst die zuerst geladenen Gäste, die Gottes Einladung ausschlagen. Aber Gottes Tisch wird deshalb nicht leer bleiben. Die Zöllner und Sünder nehmen die Einladung an (37 f). Folgt man J. Jeremias (mir scheint seine überlegung begründet), so wird der Versuch, die Urform auf dem Weg über eine Subtraktion zu erreichen, noch problematischer, aber der Sachverhalt selbst einfacher und zugleich bewegter, lebendiger und so begreiflicher, durchsichtiger. Wir müssen nur noch auf das Stichwort der Missionssituation der Urkirche zurückkommen. Daß bei Lukas das Gleichnis auf einen Missionsbefehl hinausläuft, haben wir schon bei der Analyse gesehen. Daß das aber auch für Matthäus gilt, wird sich nicht bestreiten lassen. Man wird darüber hinaus sagen können, daß hier neben der Linie von Matth. 28, :19 (Deshalb geht hin und macht zu Jüngern alle Völker. ,'.) die von Matth. 28, 20 erkennbar wird, nach der es um das »Bewahren alles dessen« geht, »was ich euch geboten habe«. Eben die Paränese ist in den Missionsbefehl hineingenommen. Und das ist wieder ein Zeichen dafür, wie sehr das Matthäusevangelium eine Einheit ist. Wird das Gleichnis aber bei Lukas wie bei Matthäus als Missionsbe~ fehl verstanden, dann liegt hier schon zurück, was man mit Heinrich Schlier die »Entscheidung für die Völkermission in der Urchristenheit« nennen kann, im Sinn einer der Urkirche sozusagen Schritt für Schritt
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von ihr@m Herrn abgerungenen und ihr nicht etwa von vornherein selbstverständlichen Entscheidung. J. Jeremias hat in seiner Schrift: Jesu Verheißung für die Völker (1956) die Einsichten Schliers übernommen und weitergeführt, wie das auch von Johan:nes Blauw (Gottes Werk in dieser Welt 1961) zu sagen ist. Jesus hat in seine Verkündigung die Völkerwelt in der Weise der alttestamentlichen Verheißung einbezogen, nach der die Völkerwelt in der eschatologischen Stunde ... zu Israel hinzukommen wird (vgl. auch Gerhard von Rad, Die Stadt auf dem Berge, EvTh 8 1948/49,439-447). So iS,t doch das Logion von Matth. 8, 11 zu verstehen: »Viele werden kommen vom Morgen und vom Abend und mit Abraham und Isaak und Jakob zu Tisch sitzen im Reich der Himmel.« In diesem Zusammenhang ist nicht unwichtig zu sehen, daß das Matthäusevangelium noch die Weisung an die Jünger festhält: »Zieht nicht zu den Völkern und betretet nicht die Provinz Samaria; geht vielmehr zu den verlorenen Schafen vom Haus Israel« (Matth. 10, 5-6). Man mag auch die Geschichte von der Kanaanäerin Matth. 15, 21-28 vergleichen, die doch auch von einem (noch erst vereinzelten, zeichenhaften) »Hinzukommen« der Kanaanäerin zu Israel als dem Volk der Erwählung spricht: die Frau sagt ausdrücklich Ja zum Geheimnis der Erwählung Israels. Albrecht Alt hat übrigens in seiner Studie über die »Stätten des Wirkens Jesu in Galiläa« betont, daß wir keinen Anhalt dafür hätten, daß Jesus jemals die Grenzen des jüdischen Volkstums überschritten habe. Davon hebt sich der Schluß von Matth. 28 spürbar ab. Aber in diesem Schluß begegnet uns der Befehl des auferstandenen Kyrios, was nicht verwischt w~rden darf. Die Stunde der Mission (im Sinn des Vorstoßens der Botschaft und der Boten in die Völkerwelt) ist eine eigene und neue Stunde. Diese Stunde zeichnet sich in beiden Fassungen unseres Gleichnisses schon ab. So begegnet uns erneut ein Beispiel dafür, daß die Urkirche zugleich interpretierte, was sie tradierte - daß die Spuren ihres Hörens für uns erkennbar sind. »Die überlieferung gibt nicht eigentlich (Jesu) einst gesprochenes Wort wieder und weiter, sondern sie ist sein Wort heute« (G. Bornkamm, Jesus von Nazareth 195 6 15).
Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Luk. 10, 25-37)
»Und siehe, ein Lehrer der Tora stand auf, ihn zu versuchen, und sagte: Lehrer, was muß ich tun, um ein Erbe des ewigen Lebens zu werden? Der aber sprach zu ihm: Was steht in der Tora geschrieben? Wie liesest du? Er gab zur Antwort: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft und mit deiner ganzen Vernunft und deinen Nächsten wie dich selbst. Er sprach zu ihm: Richtig hast du geantwortet; das tue, so wirst du leben. Der aber wollte sich selbst rechtfertigen und sagte zu / esus: Und wer ist mein Nächster? /esus nahm das Wort und sprach: Ein Mann ging von /erusalem nach /ericho hinab und fiel unter Räuber, die zogen ihn aus und schlugen ihn, ließen ihn halbtot liegen und machten sich davon. Es traf sich aber, daß ein Priester jene Straße hinabging; der sah ihn und ging vorüber. Ebenso kam auch ein Levit an die Stelle; der sah ihn und ging voruber. Ein Samariter aber, der unterwegs war, kam in seine Nähe, sah ihn und erbarmte sich, ging auf ihn zu, goß öl und Wein auf seine Wunden und verband ihn. Dann setzte er ihn auf sein Reittier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. Und am anderen Morgen zog er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Pflege ihn, und was du außerdem noch aufwendest, werde ich dir auf meinem Rückweg ersetzen. Wer von diesen dreien, meinst du, ist dem, der unter die Räuber fiel, der Nächste geworden? Er sprach: Der, der die Barmherzigkeit an ihm tat. /esus aber sprach zu ihm: Geh hin und tue desgleichen.«
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Wir haben im Gleichnis vom barmherzigen Samariter eine der sog. Beispielerzählungen vor uns, für die charakteristisch ist, daß sie nicht Gottes Handeln an dem, was ein Mensch tut, gleichnishaft verdeutlichen, sondern am Modell menschlichen Handeins zeigen, was der Mensch zu tun hat. Ein Einzelfall wird zum Modellfall. Es bedarf nicht erst der Übersetzung aus einer _Bildhälfte in eine Sachhälfte. Die Erzählung bringt sofort die Sache selbst zur Sprache. Sie hat nicht nur paränetischen Zuschnitt - sie ist Paränese. Sie ist »veranschaulichte Ethik«, wie Schlatter knapp formuliert. Zu den Beispielerzählungen rechnet Adolf Jülicher noch drei weitere lukanische Gleichnisse: Luk. 12, 16-21; 16, 19-31. und 1.8, 9-1.4; Schlatter nimmt noch Luk. 16,1. ff hinzu. Selbstverständlich wird auch in den Beispielerzählungen »Gottes Wllle und Werk enthüllt. Aber den Stoff dieser Geschichten gibt das, was die Menschen tun« (Adolf Schlatter, Das Evangelium des Lukas 285). So begegnet uns in der Beispielerzählung in besonderer Direktheit die Frage nach unserem Handeln, im Sinn der Weisung oder der Warnung. Der Appell springt aus der Geschichte unmittelbar und unabweisbar heraus. »Geh hin und tue desgleichen« (Vers 37). Würden wir von diesem Adressiertsein an uns absehen, hätten wir dem Gleichnis die' Spitze abgebrochen. 1.
Dabei kann gleich unterstrichen werden, daß der Akzent in unserem Text immer wieder auf das Tun fällt. Schon die Frage des Toralehrers zu Anfang gilt dem gebotenen Tun: Was muß ich tun, um ein Erbe des ewigen Lebens zu werden? Das Doppelgebot gebietet u.mfassend ein Tun, worauf Vers 28 zurückgreift: Das tue, so wirst du lebenl Und das Gleichnis spricht in allen Einzelszenen vom Tun: auch wenn Nächstenschaft verweigert wird, war sie gefordert. In unserem Gleichnis stoßen wir auf ein Modell der Nächstenschaft. Nächstenschaft kommt hier in der Begegnung zustande. Was das heißt, werden wir noch näher zu verstehen haben. Aber das ist von vornherein zu sehen: daß Nächstenschaft ... Nachbarschaft meint, Nachbarschaft voraussetzt und zur Nachbarschaft verbindet - daß hier zwei Menschen in nächste Beziehung zueinander geraten und aneinander gewiesen sind, daß der eine nicht ohne den anderen sein kann. Deshalb kommt hier Menschlichkeit als Mitmenschlichkeit zur Sprache. Die Frage des Toralehrers gilt dem Nächsten: »Wer ist denn mein Nächster?« (Vers 29). Wir werden das überlieferungsgeschichtliChe Pro-
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blem aufzunehmen haben, wie das einleitende Gespräch (Vers 25-29) und das Gleichnis (Vers 30-37) zueinander gehören: ob Einleitung und Gleichnis als ursprünglich verbunden anzusehen sind oder ob sie erst im Lauf der überlieferungsgeschidlte (vielleicht durch den Evangelisten, vielleicht schon vor ihm) zusammengefügt sind. Aber wie man sich hier auch entscheidet: »Mag (die Gleichniserzählung) vorher >frei umgelaufen< sein - was anders hätte ihr Thema sein können als: >Wer ist denn mein Nächster?Eigengesetzlichkeitdes Krieges der Söhne des Lichtes gegen die Söhne der Finsternis< zu finden sind. Die letzteren betreffen ausschließlich den Angriffskrieg der Guten gegen die Schlechten, während wir es hier mit einem Verteidigungskrieg gegen einen unbekannten Feind zu tun haben«. Die von Yigael Yadin zum Vergleich genannte Rolle >des Krieges der Söhne des Lichtes gegen die Söhne der Finsternis< gehört zu den Qumranfunden und führt die Bezeichnung 1. QM (Text und Übersetzung in: Die Texte aus Qumran, herausgegeben von Eduard Lohse 1.964 1.77-225). Es geht mir hier nur darum, daß mir die Problematik verwandt zu sein scheint, die in unserem Gleichnis wie in dem zitierten Text erkennbar wird. Und insofern ist die Parallele wichtig, zumal sie auch zeitlich in die Nähe des Gleichnisses gehört. Ich meine, daß auch bei unserem Gleichnis eine Situation gegeben ist, in der ein Angriff unmittelbar bevorsteht und die Frage nur lauten kann, wie dem Angriff zu begegnen ist. Selbstverständlich ist hier, wie auch sonst bei Gleichnissen zu sagen, daß die Bildhälfte des Gleichnisses nicht isoliert genommen werden darf, daß die Bildhälfte nicht von der mit ihr intendierten eigentlichen Aussage getrennt werden darf, weil damit die Struktur des Gleichnisses verkannt wäre. So ist dem Aufgreifen der Situation des Krieges nicht entfernt eine Rechtfertigung des Krieges zu entnehmen. Jesus bringt in seinen Gleichnissen freilich immer wieder die Welt zur Sprache, wie sie ist, die Welt in ihrer ungeschminkten Wirklichkeit. Aber damit wird die Wirklichkeit, wie sie ist, nicht bejaht, sowenig das etwa beim-Gleichnis
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vom ungerechten Verwalter (Luk. 16, 1 ff) von den geschäftlichen Praktiken des Verwalters gesagt werden kann. Deshalb sind aus unserem Gleichnis keine Schlüsse zur politischen Ethik zu ziehen. Methodisch möglich ist nur die Frage nach der Pointe, die sich in der Bildhälfte abzeichnet und von der Sinnhälfte des Gleichnisses her gewollt ist. Das Gleichnis ist eine Sinneinheit. 3. Wir wenden uns dem Kontext der Gleichnisse zu. Lukas hat sie in den Rahmen eingefügt, dessen Thematik zunächst in den einleitenden Versen 14, 25-27 erscheint: Thematik der Jüngerschaft. Für Lukas trifft sich offenbar die Pointe der Gleichnisse mit dem Akzent der Nachfolgesprüche. Konzentrieren sich die Gleichnisse auf eine einzige Szene der Überlegung und warnen sie vor unbedachtem Handeln, so bringen auch die Nachfolgeworte zur Sprache, was es »kostet«, Jesus als Jünger zu folgen. Jüngerschaft kann nicht die Sache des Experiments oder des Abenteuers sein, Jüngerschaft verlangt Außerstes. Die Schlußzeile (14, 33) zieht die Summe: »So kann keiner von euch, der nicht allem entsagt, was er hat, mein Jünger sein.« Das wird in 14, 25-27 am Verhältnis des Jüngers zu den Bindungen illustriert, in denen er sich vorfindet: zu den Bindungen an Vater und Mutter, an Brüder und Schwestern, an Frau und Kinder. Das ist das Koordinatennetz der Beziehungen, in denen sich menschliches Leben vor allem abspielt. Wichtigste soziologische Strukturen sind genannt. Nachfolge heißt, wie Dietrich Bonhoeffer das zu übersetzen versucht hat, daß Jesus zwischen uns steht, zwischen mir und meinem Nächsten, zwischen mir und meinen mir gegebenen Partnern, Verwandten, Freunden, Kameraden ... So aber gibt es keine »Unmittelbarkeiten« mehr, die uns selbstverständlich beanspruchen könnten. Und zwar deshalb nicht, weil in der Nachfolge Jesus unser Herr wird, dem wir mit allem, was wir sind und haben, gehören. Das bedeutet nicht die Irrelevanz dieser Bindungen, aber es heißt, daß die Nachfolge uns in Konflikte bringen kann, in denen wir bewähren müssen, daß wir Jesus gehören - daß die Bindung an ihn Vorrang vor jeder anderen Bindung hat. Die Nachfolge kann uns unsere Beziehungen kosten. Ich denke, daß ich das hier nicht weiter auszuführen brauche. Ich möchte aber die Zuspitzung noch unterstreichen, die darin besteht, daß die nach dem Text entscheidende Bindung, die Bindung an Jesus, auch unser Gebundensein an uns selbst berührt. Was nach Luk. 14, 26
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von uns gefordert ist, ist auch das Nein zu uns selbst. Gehören wir Jesus, so folgt daraus, daß wir nicht mehr uns selbst gehören. Vielleicht klingt das zu gewohnt. Deshalb wiederhole ich es mit einer kleinen Abwandlung. Daß Jesus unser Herr ist, hat die Konsequenz, daß wir nicht mehr - auf uns selbst hören. Dabei ist doch das, was uns kennzeichnet, dies: daß wir zuerst und zuletzt auf uns selbst hören, daß uns nichts so nahe ist wie wir selbst, daß wir in einem ständigen Monolog mit uns selbst begriffen sind. Wir sind uns selbst letzte Instanz. In der Schule der Nachfolge aber endet dieser so selbstverständliche Monolog. Wir erfahren, daß ein anderer der Herr unseres Lebens ist. In der Sprache der Nachfolgesprüche heißt das bei Lukas (wie bei Markus und Matthäus): »Wenn jemand mit mir gehen will, so verleugne er sich selbst . .. « (Luk. 9, 2)). Julius Schniewind hat das einmal höchst eindrücklich von der Geschichte der Verleugnung des Petrus her ausgelegt. Der bedrängte und angefochtene Petrus, der sich zu Jesus bekennen soll, sich aber auf seine Beziehung zu Jesus nicht ansprechen lassen und in die Anonymität fliehen will, stößt die Worte heraus: »Ich kenne diesen Menschen nicht« (Mark. 14, 71). Ist der Schluß nicht zwingend: Sich selbst verleugnen, heißt, von sich selbst sagen: Ich kenne diesen Menschen nicht ... heißt, sich selbst nicht kennen, von sich selbst keine Notiz nehmen, während wir doch uns selbst in allem befragen, mitreden lassen, mitentscheiden lassen. Nachfolge ~kostet( offenbar dieses so selbstverständliche Mitspracherecht, Einspracherecht, Entscheidungsrecht. Nachfolge meint ein Entweder/ Oder: Entweder verfügen wir selbst über unser Leben, über das, was wir sind und haben (weil wir nicht davon abzubringen sind, zu meinen, wir müßten für uns selbst aufkommen) - oder Jesus wird unser Herr und nimmt unser Leben in seine Hand. Anders als im Zeichen dieses Entweder/Oder ist Jesus nicht zu verstehen und ist das Evangelium nicht zu haben. 4. So geht es in unserem Text um die Konsequenzen der Nachfolge. Hebt das, was der Text dazu einschärft, etwa auf, daß Jüngerschaft Sache der Erwählung ist, wie wir zu Anfang an Hand der Jüngerberufungen gesagt haben? Verblaßt hier das Gleichnis der Gnade? Haben wir es mit einem Sonderzug der lukanischen. Jüngerethik zu tun, und ist dieser lukanische Akzent zu den Zügen zu rechnen, »die das Evangelium von der unmittelbaren Nähe des Gottesreiches moralisieren, rationalisieren« und
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so die ursprüngliche eschatologische Aussage »in die einem späteren Zeitalter angemessene frühkatholische Theologie umbiegen«? Josef B. Soucek, der vorübergehend so fragt, warnt doch davor, diese Frage »voreilig bejahend« zu beantworten (Göttinger Predigtmeditatio_~_en 1959 184). Wir haben im Grunde schon angedeutet, daß es kaum möglich ist, von einem betont nur lukanischen Akzent zu sprechen. Jesus fragt auch bei Matthäus Menschen, die ihm nachfolgen wollen, ob sie die Konsequenzen überlegt haben. Überraschend, vielleicht bestürzend, gilt seine Frage gerade auch angesichts einer ausgesprochenen Bereitschaft, die keine Vorbehalte zu kennen scheint: »Ich will dir nachfolgen, wohin du auch gehst« (Luk. 9,57 f ist mit Matth. 8,19 f wörtlich parallel). Sind nicht in aller Regel die Vorbehalte das Problem? Hier aber scheint gewußt zu sein, daß Nachfolge Sache des Gehorsams ist und daß deshalb nicht im voraus festgelegt werden kann, zu was für Schritten es in der Nachfolge kommt. Dennoch hört sich die Antwort Jesu (bei Matthäus und bei Lukas) wie eine Gegenfrage an: »Die Füchse haben Gruben und die Vögel des Himmels haben Nester, der Menschensohn dagegen hat nicht, wo er sein Haupt hinlegen kann.« Ich spreche von einer Gegenfrage, denn Jesus dürfte fragen: Weißt du auch, was du versprichst? Jesus verweist auf seinen Weg. Ich denke, wir haben zu verstehen, daß Nachfolge, wie ein Mensch sie sich vornehmen kann und wagen will, noch nicht die Nachfolge ist, die Jesus von ihm fordert. Womit wir deshalb hier (und in allen Nachfolgeworten) konfrontiert werden, das ist das Geheimnis der Gestalt und des Weges lesu selbst, das ist das Geheimnis, das ihn unverwechselbar macht und verwehrt, daß Jesus von uns zu einer Chiffre für unsere eigenen, noch so hoch gegriffenen Ideale gemacht wird. Die Verwechslung liegt offenbar immer nahe. Alle Nachfolgeworte aber spiegeln dieses sein Geheimnis. Wir können auch sagen: Die Nachfolge gilt lesus selbst, nicht einer Sache, und wäre sie die beste von der Welt. Das ist die Einsicht, auf die alle Paradoxien der Jüngersprüche zulaufen. Deshalb widersprechen sich auch die Akzente nicht: die Akzente souveräner Erwählung und äußerster Forderung. »Jüngerschaft bedeutet Entscheidung, lesu Entscheidung über bestimmte Menschen, aber dann nicht minder auch ihre Entscheidung für ihn ... (Günther Bornkamm, Jesus von Nazareth 1956 135). So begegnen uns in unserem Text unaufhebbare Elemente der Nachfolge.
Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Luk. 15, 11-3 2 )
»Ein Mensch hatte zwei Söhne. Und der jüngere von ihnen sprach zum Vater: Vater, gib mir den Anteil am Vermögen, der mir zukommt. Da teilte er das Vermögen unter sie. Und wenige Tage später machte der jüngere (Sohn) alles zu Geld und wanderte aus, in ein weit entlegenes Land (chöra makra ist »geläufiger jüdischer Ausdruck für Übersee«: Friedrich Hauck 1.99; Belege bei Strack-Billerbeck II 1.1.2 f). Dort verschwendete er sein Vermögen in einem liederlichen Leben (asötös ist »längst eingebürgert . .. für eine schwelgerische, verschwenderische Lebenshaltung«: Adolf /ülicher aaO 341.). Als er aber alles vertan hatte, kam es in jenem Land zu einer schweren Hungersnot, und er begann, Mangel zu leiden. Und er ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes. Der schickte ihn auf seine Felder, Schweine zu hüten. Und er hätte sich am liebsten den Bauch vollgeschlagen mit den /ohannisbrotschoten, mit denen die Schweine gefüttert wurden (J. /eremias aaO 1.29) - aber niemand gab (sie) ihm. Er aber ging in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Brot im Überfluß, ich aber komme hier vor Hunger um. Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden. Halte mich wie einen deiner Tagelöhner. Und er machte sich auf und ging zu seinem Vater. Als er aber noch weit weg war, sah ihn sein Vater, wurde von Erbarmen erfaßt, lief (ihm entgegen), fiel ihm um den Hals und küßte ihn. Der Sohn sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden. Aber
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der Vater sprach zu seinen Knechten: Schnell! Bringt das Festgewand und zieht es ihm an, gebt ihm einen Ring an die Hand und Schuhe für die Füße. Holt das Ma,stkalb und schlachtet es. Wir wollen essen und guter Dinge sein. Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden. Und sie begannen, guter Dinge zu sein. Sein älterer Sohn aber war auf dem Felde. Als er auf dem Heimweg in die Nähe des Hauses kam, hörte er Musik und Reigentanz. Und er rief einen von den Knechten heran und wünschte zu erfahren, was das wäre. Der aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das Mastkalb schlachten lassen, weil er ihn gesund zurück hat. Ihn aber packte der Zorn, und er wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber kam heraus und redete ihm zu. Er aber gab dem Vater zur Antwort: Siehe, so viele Jahre diene ich dir wie ein Sklave und habe niemals ein Gebot von dir übertreten. Aber niemals hast du mir (auch nur) einen Bock gegeben, damit ich mit meinen Freunden fröhlich sein könnte. Nun aber dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Vermögen im Umgang mit Dirnen vertan hat, da hast du ihm das Mastkalb geschlachtet. Der aber sprach zu ihm: Mein liebes Kind, du bist allezeit bei mir, und alles Meine ist dein. Du müßtest jubeln und dich freuen. Denn dieser dein Bruder war tot und ist lebendig geworden, er war verloren und ist gefunden worden.« 1. Zu Anfang des Gleichnisses wird in großer Knappheit erzählt, daß von zwei Söhnen eines Vaters der jüngere sich seinen Anteil am väterlichen Erbe auszahlen läßt und daß er mit seiner ganzen Habe »wenige Tage später« nach übersee aufbricht. Wie es bei dem jüngeren Sohn zum Verlassen des väterlichen Hofes kam, läßt sich nur vermuten. »Gründe werden nicht angegeben« (Karl Heinrich Rengstorf, Die Re-Investitur des Verlorenen Sohnes in der Gleichniserzählung Jesu Luk: 15, 11-32 1967 15). Will er sich eine Existenz in übersee schaffen? Und will er dabei späteren Verlegenheiten entgehen, zu denen es kommen-könnte, wenn der Vater nicht mehr lebt und er neben oder unter dem älteren Bruder auf dem Hof arbeiten müßte? Man könnte dabei an das Gleichnis von Luk. 12, 13-21 denken, das vorauszusetzen scheint, daß ein jüngerer 'Bruder vergeblich darauf wartet, daß ihm sein Erbe ausgezahlt wird. Auswanderung war offenbar der gegebene Weg, sich selbständig zu machen, wozu zu bedenken ist, daß die begrenzten wirtschaftlichen Mög-
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lichkeiten Palästinas von vornherein viele zwang, sich außerhalb Palästinas eine Existenz zu suchen. Joachim /eremias spricht von den »verlockend günstigen Lebensbedingungen in den großen Handelsstädten der Levante« und verweist auf die Statistik, die schon Adolf von Harnack errechnete. »Juden gab es in den meisten, jedenfalls in allen am Mi~elmeer und in dessen Umgebung gelegenen Provinzen des römischen Reichs sowie am schwarzen und kaspischen Meere, östlich über Syrien hinaus in kompakten Massen in Mesopotamien, Babylonien und Medien« (Mission und Ausbreitung des Christentums I 19244 5). Adolf Deißmanns Karte der Paulusmission deckt sich mit der Karte der Auslandsjudenschaft. Überraschend ist die zahlenmäßige Verbreitung: Die Auslandsjudenschaft betrug ein Vielfaches der jüdischen Bevölkerung in Palästina selbst. über vier Millionen standen höchstens einer halben Million gegenüber (Joachim Jeremi~s aaO 129). Das aber heißt: Man kann den Aufbruch nach übersee nicht etwa ohne weiteres zusätzlich belasten - als ob der jüngere Sohn es darauf angelegt hätte, sich so smnell wie möglich unerreichbar zu machen, um jeder väterlichen Kontrolle zu entgehen. Die Suche nach einer Existenz in Übersee konnte für ihn einfach eine naheliegende Lösung sein. Ich berühre das, weil zu fragen ist, ob der jüngere Sohn nicht sehr begreiflich handelt, wenn er die Verhältnisse zu Hause mit dem Wagnis der Fremde vertauscht. Sich das Erbe auszahlen lassen und nach Übersee aufbrechen: »das haben viele junge Söhne getan, ja, tun müssen«, hat Karl Bornhäuser bemerkt. Was zu Anfang des Gleichnisses geschieht, kann deshalb nach Bornhäuser nicht schon mit einem negativen Vorzeimen versehen werden. »Eher könnte der Vater sich darüber freuen, daß sein jüngerer Sohn Selbständigkeitstrieb zeigt und Wagemut« (Studien zum Sondergut des Lukas 1934 109). »Auswanderung war an der Tagesordnung«, kann Eta Linnemann im Rahmen einer ähnlichen Sicht sagen (aaO 1961181). Daß das Verlangen des jüngeren Sohnes »noch kein Unrecht bedeutet, scheint indirekt aus Sir. 30, 28 ff hervorzugehen«, war smon die Meinung von Erich Klostermann (Das Lukasevangelium 19292 157). Der Sirachtext warnt freilich die Väter vor vorzeitiger Verteilung des Erbes. Vor Erich Klostermann befand sich Johannes Weiß in seiner Auslegung auf der gleichen Spur. Theodor Zahn ist ebenfalls dieser Auslegungslinie zuzurechnen (Das Evangelium des Lucas 19203.4 56o: Die
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Bitte des Jüngeren verrät als solche keine Unehrerbietigkeit dem Vater gegenüber). Auch Adolf Jülicher hat sich gegen eine Interpretation des Gleichnisanfangs gewehrt, die den Jüngeren sofort belastet. »Durch den Vokativ pater bekommt der Imperativ aos moi ... den Charakter der Bitte, pater klingt so herzlich wie das teknon 31.« (aaO 338). Eberhard Jüngel beruft sich auf Jülicher, wenn auch er meint, daß ein negativer Akzent auf den Weg und die Geschichte des jüngeren Sohnes erst fällt, als er sein Hab und Gut in einem liederlichen Leben verschwendet (aaO 1.61.). Wilhelm Michaelis entwirft vom jüngeren Sohn das Porträt eines >strebsamen jungen Bauernsohnes, der Unternehmungsgeist besitzt und sich zutraut, daß er es auswärts zu etwas bringen werdedas< Mastkalb für die festliche Tafel zu verwenden. Aber >das< Mastkalb meint das für besondere Anlässe jederzeit bereitgehaltene Mastkalb (Joachim Jeremias aaO 1)0), so daß das Stichwort (Luk. 15, 2). 27. )0) nicht als Indiz für einen schmalen Zuschnitt des Milieus gelten kann. Das Mastkalb spielt übrigens, wie das dreifache Vorkommen im Text zeigt, eine bedeutsame illustrative Rolle. Martin Dibelius hat, was kleinbäuerliche Verhältnisse angeht, neben unserem Gleichnis das Gleichnis vom Knechtslohn (Luk. 17, 7-10) genannt, in dem ein Bauer vorkommt, der für die Landwirtschaft wie für die Hauswirtschaft nur einen einzigen Knecht zur Verfügung hat
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(Die Formgeschichte des Evangeliums 1933 2 253 1). Aber in Luk. 17, 7-10 handelt es sich doch offenbar um bescheidenere Verhältnisse als in unserem Gleichnis. Mir scheint Karl Heinrich Rengstorf hier richtiger zu urteilen. Er ist übrigens über das Gesagte hinaus der Meinung, daß dem Vater in unserem Gleichnis »unverkennbar gewisse königliche Züge« anhaften, was bei ihm im wörtlichen und nicht im übertragenen Sinn zu verstehen ist (51). Aber das Problem, das damit gegeben ist, müssen wir vorläufig noch verschieben. 4. Wir kehren nach diesen Exkursen (zur Rechtslage und zum Milieu) zum Faden der Erzählung zurück. Mit ein paar Strichen wird die Existenz des jüngeren Sohnes im Ausland gezeichnet. Im Handumdrehen ist das Vermögen vertan und der Impetus des Aufbruchs verbraucht. Das Geld ist ausgegeben und das Leben im großen Stil vorüber. Da zudem eine Hungersnot ausbricht, muß sich der jüngere Sohn, der eben noch aus dem Vollen schöpfen und sich leisten konnte, was er wollte, Arbeit suchen und mit der geringsten Tätigkeit zufrieden sein, die er findet. Er verdingt sich als Schweinehirt, was für ihn als Juden besonders beschämend war und als Ausdruck seiner schweren Notlage gelten muß. Er kann nur das erste beste Angebot ergreifen, muß aber erleben, daß er sich nicht einmal mit den Johannisbrotschoten »den Bauch vollschlagen« kann, die an die Schweine verfüttert werden. »Der derbe Ausdruck ist in vielen Handschriften beseitigt« (Joachim Jeremias aaO 129). Das gemisai ten koilian autou ist durch ein chortasthenai ersetzt, was trotz der Bezeugung durch den Sinaiticus, Vaticanus und Bezae Cantabrigiensis kaum ursprünglich sein dürfte. Man muß offenbar verstehen, daß er in seiner äußersten Not mit dem Schweinefutter vorlieb genommen hätte, wenn er es nur bekommen hätte. Johannisbrot war eßbar. So hat Rabbi Chanina ben Dosa mit Johannisbrotschoten sein Leben gefristet. Ein Rabbi um 320 hat erklärt: »Wenn die Israeliten Johannisbrot (infolge Armut) nötig haben, dann tun sie Buße« (Midrasch Leviticus Rabba 35 [132C] Strack-Billerbeck 11 214). Unser Gleichnis läßt hier deutlich palästinisches Kolorit erkennen (vgl. Adolf Schlatter, Das Evangelium des Lukas 193 1 358). In der Stunde des völligen Verlassenseins muß der verlorene Sohn an seinen Vater denken: an den Kontrast zwischen einst und jetzt, an
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den Kontrast zwischen dem Geborgensein zuhause und dem gegenwärtigen Hungerleben in der Fremde. In einem Monolog zieht er den Schlußstrich unter seine verfehlte Existenz und entschließt sich zur Rückkehr: »Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen«. Sein Entschluß läßt ihn sich vorstellen, was geschieht, wenn er dem Vater begegnet. Sein Entschluß beflügelt ihn und läßt ihn die Worte überlegen, die er dann sprechen wird: »Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden. Halte mich wie einen deiner Tagelöhner.« Er kann es sich nicht ersparen, seine Schuld zu bekennen. Jeder Versuch, sie zu bemänteln, sollte er an ihn gedacht haben, ist aufgegeben. Nur noch das offene Aussprechen der Schuld ist möglich - nicht in dem Sinn, daß nur das noch eine Chance für ihn hätte, die er nutzen muß (als eine conditio sine qua non, um die er nicht herumkommt) ... sondern in dem Sinn, daß er etwas anderes, nachdem die Einsicht in seine Schuld über ihn gekommen ist, nicht mehr vermag. Daß er seine Schuld bekennt, ist das Indiz seiner Umkehr. Die Stunde der Begegnung ist die Stunde der gänzlichen Offenheit. 5. Die Begegnung mit dem Vater wird für den verlorenen Sohn zu einer einzigen Überraschung. Er hätte sich fragen können, ob der Vater ihn anhören und mit seiner Bitte zu Wort kommen lassen würde. Zuviel belastende Dinge sind geschehen, als daß er das für selbstverständlich halten könnte. Heißt das, daß der verlorene Sohn ein äußerstes Risiko auf sich nimmt: daß er damit rechnen muß, abgewiesen zu werden? Ich denke, daß es dem Duktus der Erzählung entspricht zu sagen, daß der verlorene Sohn im Zeichen der Umkehr keine Wahl mehr hat, daß er nur noch zum Vater hin unterwegs sein kann. Alles andere ist ein Irrealis geworden. Seine Zukunft liegt in den Händen des Vaters. Aber der Vater nimmt dem Sohn alle Verlegenheit im voraus. Fast nimmt er ihm das erste Wort ab, das ihm besonders schwer fallen könnte - weil er ihm im Zeichen seines Erbarmens entgegeneilt, sobald er ihn nur entdeckt hat, »als er noch weit weg war«. Wir brauchen nicht zwischen den Zeilen zu lesen. Die Zeilen sind beredt genug und berichten von lauter Gesten des Vaters, die in der Unmittelbarkeit ihrer Sprache ergreifen. Der Vater »fiel ihm um den Hals und küßte ihn«. Ehe der Sohn eine Silbe sagen kann, handelt der Vater. »Der Kuß kommt vor der Buße«, hat Helmut Gollwitzer als Ausleger unseres Gleichnisses text-
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nah unterstrichen (Das Leben der Versöhnung, Biblische Studien :14 1957 )6). Der Kuß kommt vor dem Bekenntnis der Schuld! Der Vater erkennt in der Rückkehr die Umkehr. Das ist das überwältigende Entgegenkommen, das unerwartete Zuvorkommen des Vaters. Das bedeutet, daß der entscheidende Schritt, das eigentliche Ereignis, sich in der Initiative des Vaters vollzieht - der gegenüber verblaßt, was der verlorene Sohn selbst tut, so gewiß es zum Ganzen hinzugehört. Und wir beobachten: Als der verlorene Sohn zu sprechen beginnt, wie er es sich in seinem Monolog in der Fremde vorgenommen hat, unterbricht ihn sein Vater. Und zwar unterbricht er ihn, ehe er noch aussprechen kann, daß nun für ihn nur noch eine Tagelöhnerexistenz denkbar ist. So läßt der Vater ihn mit seiner Bitte nicht zu Wort kommen. Aber das ist deshalb so, weil das Handeln des Vaters die Bitte des Sohnes, ohne daß sie ausgesprochen ist,
weit überholt. Denn alle Anweisungen, die der Vater seinen Knechten gibt, haben miteinander den einen Sinn, den verlorenen Sohn wieder zum Sohn des Hauses zu machen, mit allen Konsequenzen. Adolf Jülicher hat einen etwas anderen Schluß gezogen: Der verlorene Sohn habe seine Bitte nicht mehr vorgebracht, weil er, durch den Empfang beschämt, ganz unfähig gewesen sei, »Wünsche für seine Zukunft zu äußern«, weshalb er »mit einem unbedingten Eingeständnis seiner Schuld schließen« mußte (aaO )50). Aber das braucht sich mit unserer Auslegung in der Sache nicht zu stoßen. 6. Karl Heinrich Rengstorf hat in seiner Studie über die »Re-Investitur des verlorenen Sohnes« in allen Einzelheiten der väterlichen Anweisung an die Knechte Elemente eines einheitlichen Rechtsakts erkennen wollen, der die solenne Wiedereinsetzung des verlorenen Sohnes in das Sohnesrecht zur Folge habe: die Verleihung des Gewandes, die Begabung mit dem Siegelring und das Anlegen der Schuhe. Man würde nach Rengstorf jeden dieser Vorgänge verkennen und so auch den Sinn der Szene im ganzen verfehlen, wenn man alles nur als Zeichen einer betont freundlichen Begrüßung verstünde - wenn man etwa das Gewand nur damit in Zusammenhang brächte, daß der Heimkehrer, zerlumpt, wie man ihn sich denken muß (und wie ihn Rembrandt etwa auf seiner Radierung von :(6)6 dargestellt hat), anders als festlich gekleidet beim Fest der Freude, das der Vater inszeniert, nicht erscheinen konnte. So naheliegend
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ein solches Verständnis auch sein könnte, so wenig reicht doch nach Rengstorf eine solche Interpretation aus. Der Begriff des Ehrengastes bleibt nach, Rengstorf zu allgemein und zu unpräzise. Das Gewand ist vielmehr als Rechtssymbol zu nehmen. Das »erste -Gewand« (wie Rengstorf die griechische Wendung pröte stole wörtlich übersetzen möchte) ist nicht, viel zu ungenau, als besonders kostbares Gewand zu verstehen, sondern meint das Kleid, das der verlorene Sohn »zurückließ, als er das Haus verließ, in dem er Sohnesstellung und Sohnesrecht besaß«. Es ist mit anderen Worten das Signum seines Sohnseins. prötos ist im Sinn von proteros gebra~cht und hat zeitliche Bedeutung. Auch die Bezeichnung des Gewandes als stole gibt ihm »den Charakter eines förmlichen Insigniums«. Wird dem verlorenen Sohn dieses Gewand wieder zugesprochen, so ist damit die Re-Investitur vollzogen. In diesen Kontext gehört nach Rengstorf auch die Begabung mit dem Siegelring. Mit dem Siegelring wird nämlich »Macht übertragen, und zwar erhält der zurückgekommene Sohn, wenn er auf Weisung des Vaters mit einem Ring ausgestattet wird, Anteil an der väterlichen Macht und kommt so zu einem Status, der ihn befähigt, selbst Befehle zu geben«. Man kann vielleicht das Siegelrecht mit dem Unterschriftsrecht vergleichen: der Inhaber kann rechtsverbindliche Verträge abschließen und untersiegeln. Endlich muß auch das Anlegen der Schuhe in Analogie zu den bisher beschriebenen Akten der Wiedereinsetzung in die Sohnschaft verstanden werden. Beim »Schuhsymbol« geht es »um die Bekundung von Besitzrecht, besonders hinsichtlich Grund und Boden«, mithin um »Verfügungsgewalt«. Dieser dritte Akt kennzeichnet deshalb nicht, wie man oft versteht, den freien Mann im Unterschied zum Sklaven, sondern zielt präzise auf die Rechtsstellung, die der verlorene Sohn dank der Güte des Vaters wieder einnimmt. Bei dieser Auslegung wird auch begreiflich, weshalb schon im Monolog des Sohnes in der Fremde seine Rechtsstellung eine Rolle spielt: daß er in seiner eigenen Sicht sein Sohnesrecht verscherzt hat. Es konnte ihm nicht mehr zustehen, weil er selbst es aufgegeben hatte. Allein die souveräne Güte des Vaters konnte ihm die Rechte eines Sohnes wieder verleihen, als ob er sie nie verloren hätte. Ich denke, daß Rengstorf jedenfalls darin zuzustimmen ist, daß an dem rechtlichen Charakter des Vorgangs nicht gezweifelt werden kann. Unbestreitbar ist Rengstorfs Exegese von hoher Geschlossenheit. Sie
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kann Ansätze aufnehmen, zu denen es in der Auslegungsgeschichte des Gleichnisses auch sonst schon kam. Rengstorf selbst nennt in diesem Zu'sammenhang den Namen von Joachim Jeremias (aaO 17). Rengstorf mödtte, was nodt nachzutragen ist, audt das Geschehen am Anfang des Gleidtnisses von einem Rechtsbrauch her deuten. Dabei ist nidtt an die von uns berührte erbrechtlidte Problematik zu denken. Rengstorf möchte aber den Abschied des verlorenen Sohnes vom Elternhaus mit einem spät jüdischen Rechtsinstitut in Verbindung bringen, das den Sinn hat, die »Trennung« zwisdten einer Sippengemeinsdtaft und einem Sippenglied zu vollziehen, das die Sippe verläßt. Wer die Sippe verläßt, ist für die Sippe nid}t mehr existent. Ein Toseftatext legt fest, daß »ein Sohn, der geteilt hat, wie irgendeiner von allen anderen Menschen ist« (Baba batra 11 5), was näher so zu kommentieren ist, daß er »wie ein beliebiger Mensch (ist), mit dem man nichts weiter zu tun hat«. Der Toseftatext dürfte sidt gerade auf eine »von einem Sohn verlangte und ihm gewährte Abfindung« beziehen. Eben diese Abfindung impliziert die »Aufhebung des Sohnesverhältnisses« (aaO 21. ff). Wenn Rengstorfs Vermutung zutrifft, dann entspräche dem öffentlidten Charakter der Re-Investitur in der Mitte der Gleidtnisgesdtidtte - der in der Öffentlidtkeit vollzogene Akt der »Trennung« zu Anfang. Die Re-Investitur begibt sidt vor aller Öffentlidtkeit, vor der Öffentlidtkeit, in der ihre rechtlichen Konsequenzen respektiert werden sollen und Geltung bekommen: vor der Öffentlidtkeit der Hofgemeinschaft.
7. Rengstorf hat für seine Interpretation Belege beigebracht, die der höfischen Welt des Vorderen Orients entstammen. Ihm scheint dabei, daß das Gleichnis in sich eine gewisse Diskrepanz erkennen lasse, insofern eine Reihe von wichtigen Einzelzügen dieses Gleichnisses, das nach seinem Wortlaut in einem gehobenen bürgerlichen Müieu spielt, sich erst dann in ihrer ganzen Bedeutung enthüllen, wenn man sie von Vorstellungen und Riten her beleuchtet, die sich an orientalischen Höfen nachweisen lassen und hier gerade in Verbindung mit Investiturakten begegnen (aaO 55 f). Ich muß zu diesen Belegen auf Rengstorfs Studie verweisen. Rengstorf verknüpft mit dieser Diskrepanz »Erwägungen zur Herkunft des Erzählungsstoffs«. Auf der Suche nach der Vorgeschichte des Gleichnisses meint Rengstorf im Perlenlied der Thomasakten eine Parallele gefunden zu haben (Text und Kommentar bei HenneckeSchneemelcher II 1.964). »Die Übereinstimmungen sind so charakteristisch und greifen zugleich so weit, daß von einer nur zufälligen Berührung nicht die Rede sein darf. Vielmehr muß ernstlich damit gerechnet werden, daß die nicht zu leugnende Verwandtschaft auf Teilhabe an einer gemeinsamen Vorlage beruht« (aaO 57 f). Rengstorf erinnert daran, daß in beiden Texten zwei Söhne vorkommen, von denen der ältere zuhause bleibt, während der jüngere in die Fremde aufbricht. Auch im Per-
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lenlied spielt das »Gewand«, das der jüngere Sohn zuhause zurückläßt und nach der Rückkehr wieder empfängt, eine entscheidende Rolle. Und »hier wie dort steht am Ende die Freude des Vaters« (aaO 59). Aber ich meine, daß neben den parallelen Zügen doch auch bedeutsame Abweichungen zu erkennen sind. Vor allem handelt es sich beim Perlenlied um einen mythologischen Text, der nur gnostisch interpretiert werden kann, während im Lukasgleichnis jeder mythologische Bezug fehlt. Das schließt selbstverständlich nicht aus, daß die Berührungen auf eine gemeinsame Vorlage zurückgreifen. Aber das Problem spitzt sich auf die Frage zu, wieweit das Gemeinsame nach der Verzweigung innerhalb der Traditionsgeschichte des Stoffes noch reicht. Wir sind im Perlenlied in einer anderen Welt als im Lukasgleichnis. Weiter ist kritisch zu sagen, daß die Texte sich in ihrer eigentlichen Aussage kaum noch berühren, wenn sie auch im Stoff verwandte Züge zeigen. Die Verwandtschaft verblaßt vor der Differenz der Aussage. Das Ganze ist jeweils so sehr anders akzentuiert, daß auch Rengstorf beim Lukasgleichnis zuletzt doch von einer originalen Konzeption spricht, »die lediglich mit Hilfe eines überkommenen Stoffes veranschaulicht wird« (aaO 61). So möchte Rengstorf das Gleichnis »als solches nicht ohne durchschlagende innere Gründe Jesus absprechen, der für die Überlieferung sein Autor ist« (aaO 62). Daß Rengstorfs Belege für die Re-Investitur aus der höfischen Welt des alten Vorderen Orients genommen sind, läßt darüber hinaus fragen, ob sie ohne weiteres in das gehobene bürgerliche Milieu übertragbar sind, in dem sich das Gleichnis bei Lukas nach Rengstorfs eigener Formulierung bewegt. Sollten aber nur noch Reminiszenzen an einen früheren höfischen Rahmen vorliegen, so könnte das bedeuten, daß höfische Vorgänge nur begrenzt im Rahmen der Exegese unseres Gleichnisses herangezogen werden können. Die von Rengstorf beobachtete Diskrepanz hat offenbar ihre Konsequenz. Deshalb wäre offen zu lassen, ob die Verleihung des Gewandes ,von Rengstorf nicht überinterpretiert ist und deshalb die frühere Auslegung (im Sinne eines Festgewandes) nicht nach wie vor erwägbar bleibt. Ich habe Rengstorfs Auslegung ausführlich skizziert, weil sie als ein Ganzes gewertet sein will. Ihre hohe Konsequenz haben wir anerkannt. Aber das heißt nicht, daß nicht trotz der Konsequenz, vielleicht auch wegen der Konsequenz, Fragen bleiben.
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8. Wir haben längst gesehen, daß in unserem Gleichnis, ähnlich wie beim Gleichnis von Matth. 20, 1-16a, alles Geschehen der Schlußszene entgegenläuft: der spannunghaften Bemühung des Vaters um den älteren Sohn. Die Parallelität der Struktur haben wir schon eingehend hervorgehoben. Der ältere Sohn schließt sich von allem aus. Anders betont: er schließt sich selbst von allem aus. Als er von der Arbeit nach Hause kommt, bringt er in Erfahrung, was sich zugetragen hat. Er kann sich nur distanzieren - distanzieren von dem überschwenglichen Empfang, von dem vom Vater inszenierten Fest der Freude. Das alles kommt seinem Bruder, wie er meint, nicht zu, nicht mehr zu. Daß etwas, was einmal geschehen ist, rückgängig gemacht werden könnte - besser: daß es so etwas wie Vergebung gäbe -, das ist in seiner Welt, in der er lebt, wie es scheint, nicht vorgesehen. Er vermag von dem Zurückgekehrten nicht einmal mehr als von seinem Bruder zu sprechen, als ob er es, nachdem er Schiffbruch erlitten hat, nicht mehr wäre. Deshalb heißt es im Gespräch mit dem Vater: »... dieser dein Sohn« - was der Vater in seiner beide Söhne umfassenden Liebe korrigiert: »Denn dieser dein Bruder war tot und ist lebendig geworden, er war verloren und ist gefunden worden«. Hat es Bedeutung, daß der ältere Sohn die Vateranrede unterläßt? Wird daran sichtbar, wie fern er dem Vater steht, wie Walter Grundmann verstehen möchte (Das Evangelium nach Lukas 1961 315)? Der Vater entläßt den älteren Sohn nicht: er entläßt ihn nicht in seine Distanz, er entläßt ihn nicht aus seiner Liebe. Er möchte ihn in seinem Widerspruch überwinden und ihn seinem väterlichen Handeln zustimmen sehen, das das Handeln der Liebe ist - das der Vater ihm als das Handeln seiner Liebe erklärt. Versteht der ältere Sohn die Sprache der Liebe nicht? Darauf läuft alles hinaus. Sollte der ältere Sohn, der immer zuhause war, dem Vater inzwischen ferner sein als sein jüng~rer Bruder, der aus aller Ferne zurückgekehrt ist und seine ursprüngliche Nähe zum Vater zurückgewann, weil der Vater die Spanne der Ferne in seiner Güte überbrückte? Entscheidungsschwer ist diese Frage, mit der das Gleichnis schließt, ohne daß sie beantwortet würde. Bliebe es beim Nein des älteren Sohnes, so scheiterte er an dem königlich gütigen Handeln des Vaters, das der Vater selbst als das Handeln seiner Liebe zu begreifen ihn nur einladen kann. Das aber heißt, daß der ältere Sohn sich durch den Vater mit seinem jüngeren Bruder konfrontiert sieht. Das Verhältnis des älteren Sohnes
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zu seinem Vater kann nicht zurechtkommen, wenn sein Verhältnis zu seinem Bruder nicht zurechtkommt. Sein Ja zum Vater wäre zugleich das Ja zu seinem Bruder. Denn es wäre das Ja zur Freude des Vaters. Fände er den Weg zur festlichen Tafel, die der Vater decken ließ, so ginge die väterliche Freude auf. ihn über und er wäre mit seinem Bruder am Tisch des Vaters vereint. 9. So ist die Schlußszene des Gleichnisses ganz und gar von der Szene in der Mitte her überschattet oder besser überstrahlt. So ist die Schlußszene nur die Spitze, in die das Geschehen in der Mitte des Gleichnisses ausläuft, auf den älteren Bruder zuläuft . .. weil alles am Handeln des Vaters hängt. Das Gleichnis hat seine Einheit zuletzt darin, daß es zur Einladung an den Tisch der Freude des Vaters wird: »Du müßtest jubeln und dich freuen. Denn dieser dein Bruder war tot und ist lebendig geworden, er war verloren und ist gefunden worden« (Luk. 15, 32). So könnte das Gleichnis die Überschrift tragen: Die Freude des Vaters. Freude ist das Stichwort, das unser Gleichnis mit den beiden vorhergehenden Gleichnissen in Luk. 15 verbindet. Die Freude auf Erden wird zum Gleichnis der Freude im Himmel, zum Gleichnis der Freude Gottes. Das Gleichnis vom verlorenen Schaf und das Gleichnis von der verlorenen Drachme enden mit dem Aufruf zur Freude, zur Mitfreude an Freunde und Nachbarn (Luk. 15, 6. 9), und der Freude auf Erden entspricht Gottes Freude im Himmel. In unserem Gleichnis wird das Stichwort »Freude« in 15, 32 »ausdrücklich aufgenommen ... , nachdem es schon durch die Verse 23. 26 vorbereitet war« (Karl Heinrich Rengstorf aaO 66). So vertritt die Freude des Vaters im Gleichnis gleichnishaft die Freude Gottes, der sich über die Umkehr des Menschen freut. So bekommt Gottes Freude ihr Gleichnis in der überschwenglichen Freude des irdischen Vaters, der seinen verlorenen Sohn gesund zurück hat. Wird der irdische Vater transparent für den himmlischen Vater, so wird aus dem Gleichnis doch keine Allegorie. Wir erinnerten schon daran, daß im Gleichnis selbst der Unterschied zwischen dem himmlischen und dem irdischen Vater erhalten bleibt. Die Grenze zwischen Gleichnis und Allegorie bleibt sorgsam gewahrt, was für die Exegese ständig beachtet sein will.
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10. Wir fragen erst jetzt nach der Einheitlichkeit des Textes. Adolf /ülieher hat zu Luk. 15, 24 bemerkt: »Hier könnte die Parabel schließen, wenn sie nur Parallele zu 15, 4-6 und 8 f sein wollte, eine Anwendung wie 7 und 10 würden wir nun leicht selber ergänzen. Aber es folgt noch ein zweiter Teil, der nicht zufällig ebenso wie der erste endet 24C-32« (aaO 353). Damit ist das Problem vorläufig formuliert. Ist nicht Luk. 15, 11-24 in sich gerundet zu nennen und für sich be greifbar? Mit dem Wiederfinden des Verlorenen haben doch auch die Gleichnisse vom verlorenen Schaf und von der verlorenen Drachme ihre Pointe erreicht, genauer mit dem Wiederfinden und der Freude über das Wiederfinden. Joachim Jeremias überlegt, ob nicht auch bei dem synkalei in 15, 6 und 15, 9 an einen festlichen Ausklang der Geschichte zu denken sei, wenn auch jeweils in einem verschiedenen Zuschnitt (aaO 134). Käme der festliche Ausklang hinzu, so wäre die Parallelität noch größer. Josef Blinzler hat sagen können: »Wenn die Parabel mit Vers 24 schließen würde, würde niemand etwas vermissen«, und er folgert daraus, daß das Entscheidende schon in Luk. 15, 11-24 enthalten sein müsse (Bibel und Liturgie 1963/ 64 25). Sollte deshalb in Luk. 15, 25-32 ein sekundärer Nachtrag vorliegen, der als ein von Lukas oder schon von einem Vorgänger angefügter Zusatz anzusehen ist und ursprünglich nicht zu der Parabel von Luk. 15, 11-24 gehört hat? Oder ist in Luk. 15, 25-32 nur die auch für Luk. 15,3-7. 8-10 vorauszusetzende Adresse expliziter gemacht und in das Gleichnis einbezogen - was die Struktur aller drei Gleichnisse von Luk. 15 erneut einander angliche? Eduard Schweizer hat im Rahmen einer sprachlichen Analyse von Luk. 15, 11-32 an Hand des »unlukanischen« bzw. »semitischen Vokabulars« der ersten Hälfte des Gleichnisses (15, 11-24; genauer der Verse 12. 13b. 15. 16) annehmen wollen, daß Lukas für die erste Hälfte eine Quelle verwertet und sprachlich-stilistisch überarbeitet habe: eine Quelle, zu der in der Sammlung von Strack-Billerbeck »reiche jüdische Sachparallelen« zu finden seien, »während diese sonst fast ganz fehlen« (vgl. Strack-Billerbeck 11 216). Sie begleiten nach Schweizer nur den Text der ersten Hälfte des Gleichnisses. Eduard Schweizer wagt es, die Vorlage zu rekonstruieren. Er rechnet mit der Möglichkeit, daß sie »einen düsteren Schluß« gehabt habe (was Schweizer aber nachher korrigiert hat). Der ältere Bruder kommt in dieser Rekonstruktion nicht vor. Lukas hat ihn erst hineingebracht. Das Geschehen spielt sich zwischen zwei Figuren ab,
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zwischen dem Vater und dem verlorenen Sohn. Joachim Jeremias hat Eduard Schweizer widersprochen und geltend gemacht, daß das ganze Gleichnis »mit Semitismen durchsetzt« sei, so daß ihm auch als ganzem eine semitische Quelle zugrunde liege. So ist Luk. 15, 25-32 nicht gegenüber 15, 11-24 abzugrenzen - übrigens auch deshalb nicht, weil »wir erst hier den konkreten Anlaß erkennen, aus dem das Gleichnis gesprochen wurde: es ist zu Menschen gesagt, die aufs tiefste dadurch verletzt sind, daß Unwürdigen Gottes Gnade zugesprochen wird«. Eduard 5 chweizer meint in seiner Antwort an Joachim Jeremias daran festhalten zu sollen, daß der zweite Teil des Gleichnisses als lukanische Redaktion anzusehen sei (wie das auch von der Rahmenangabe Luk. 15,1-2 gelte). Es sei wahrscheinlich, daß Lukas »das ursprüngliche Gleichnis den beiden vorhergehenden und zugleich seinem Schema von 15, 1-2 angepaßt« habe (Eduard Schweizer, Zur Frage der Lukasquellen, Analyse von Luk. 15, 11-32, in: ThZ 1948 569-571; Joachim Jeremias, Zum Gleichnis vom verlorenen Sohn Luk. 15, 11-32, und Eduard Schweizer, Antwort, in: ThZ 1949 228-233). Man wird Eduard Schweizers Versuch, einer Vorgeschichte des Gleichnisstoffes auf die Spur zu kommen, nicht a limine abweisen können. Die Frage ist nur, ob er unserem Gleichnis angemessen ist, und vor allem: ob eine Naht innerhalb des Gleichnisses nachweisbar ist. Schon Adolf Jülicher, von dem wir uns das Problem vorläufig formulieren ließen, hat zu einer Au/teilung von Luk. 15, 11-32 (in eine echte erste und sekundäre zweite Hälfte) - bereits vor Joachim Jeremias - bemerkt, daß »die Gleichartigkeit des Tones in beiden Teilen, wo die semitische Sprachfarbe an Lukas als Verfasser kaum zu denken« erlaube, gegen sie spräche. So plädiert Jülicher für die einheitlich ge faßte Parabel, deren Einheitlichkeit er inhaltlich so angeben möchte: »Zu 11-24, die Gottes Sünderliebe in ihrer Grenzenlosigkeit beschreiben, bietet 25-32 eine Ergänzung, indem das Besduiebene nun auch verteidigt wird« (aaO 361). Das ist vielleicht noch etwas blaß formuliert. Aber auch Josef Blinzler hat nicht die Konsequenz einer Aufteilung des Gleichnisses gezogen, sondern auf das Vorkommen des älteren Bruders schon zu Anfang des Gleichnisses hingewiesen - »was unverständlidt wäre, wenn dieser gar keine Rolle in der Geschichte spielen sollte« (ähnlich argumentiert Dan O. Via aaO 156). Eduard Schweizer hat den älteren Bruder deshalb in der von ihm postulierten Vorlage streichen müssen! Blinzler hat auch
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gemeint, man dürfe nicht sagen, daß in der zweiten Hälfte »ein neues Thema behandelt werde« (aaO 26 f). Rudolf Bultmann hat das Problem der Einheitlichkeit in einer knappen Zusammenfassung umrissen und beantwortet. Er meint, man könne fragen, »ob in der Parabel vom verlorenen Sohn der zweite Teil Luk. :1.5, 25-32 eine sekundäre Erweiterung des ersten Teiles Vers :1.:1.-24 ist. Ist die Absicht des Erzählers, Gottes Vatergüte, die der sich selbst verurteilenden Reue bedingungslos verzeiht, anschaulich zu machen, nicht mit Vers 24 erreicht? Wird nicht in Vers 25-32 die Pointe verschoben, indem Gottes Vergebung gegen den Vorwurf der Ungerechtigkeit verteidigt wird? Indessen ist Vers 25-32 ja nicht eine allegorisierende Weiterspinnung, sondern bleibt formal völlig im Rahmen der Parabel. Aber auch sachlich wird durch den zweiten Teil der Blick in Wahrheit nicht abgelenkt, sondern durch das Gegenbild wird in Vers 25-32 gerade der paradoxe Charakter der Vergebung Gottes deutlich gemacht. Diese Parabel gehört also mit jenen anderen zusammen, in denen zwei Typen einander gegenübergestellt werden, wie sie denn in Matth. 2:1., 28-3:1. ihre sachliche Parallele hat, so daß man gut täte, Luk. :1.5, :1.:1.-32 als die Parabel von >den verlorenen Söhnen< zu bezeichnen. Man kann nur erwägen, ob der erste Teil ursprünglich knapper erzählt gewesen ist« (Geschichte der synoptischen Tradition 2:1.2). Ich denke, daß diesen Überlegungen Bultmanns, sofern sie die ursprüngliche Einheitlichkeit des Gleichnisses eher für gegeben halten als eine nachträgliche Ergänzung von :1.5, :1.:1.-24 durch :1.5, 25-32, zuzustimmen ist (vg!. auch Eberhard Jüngel, Paulus und Jesus 160). Die Frage freilich, wie die beiden Teile von Luk. :1.5, :1.1-32 zueinander gehören, muß noch eigens aufgenommen werden, denn von der Antwort auf diese Frage dürfte viel für das Verständnis des Gleichnisses abhängen. Vor allem muß die Funktion der zweiten Hälfte des Gleichnisses erhellt werden. 1:1.. Es wird deutlich sein, daß diese Frage sich mit der anderen nach der Adresse des Gleichnisses trifft. Joachim Jeremias versteht das Gleichnis als zweigipflig. Es schildert »nicht nur die Heimkehr des jüngeren Sohnes, sondern auch den Protest des älteren Sohnes, und die Zweiteilung wird dadurch unterstrichen, daß jeder der beiden Teile fast refrainartig mit demselben Logion schließt (:1.5, 24. 32)«. Der zweite Teil »hält sich
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sprachlich und sachlich völlig im Rahmen der Erzählung, ohne zu allegorisieren oder die Aussage zu verschieben«. Zweigipfligkeit bedeutet aber wie immer, daß der zweite Gipfel den eigentlichen Akzent hat. Mithin ist das Gleichnis vom verlorenen Sohn »primär nicht Verkündigung der Frohbotschaft an die Armen, sondern Rechtfertigung der Frohbotschaft gegenüber ihren Kritikern« (aaO 131). Ich möchte in der Frage der Adresse zunächst von der von Lukas in 15, 1-2 angegebenen Adresse absehen. Ist sie redaktionell, so kann sie immer noch in der Sache zutreffen: so kann Lukas sie aus den Gleichnissen, die er in Luk. 15 zu einer einheitlichen Komposition zusammengefügt hat (Jülicher spricht hier wieder wie bei den Saatgleichnissen von Mark. 4 von einer» Trilogie« 333), sachgemäß erschlossen haben. Ist sie nicht auch für uns erschließbar? Ich meine, daß dem Gleichnis seine Adresse entnommen werden kann, die ihm immer noch anhaftet. Kann man verkennen, daß die Gestalt des älteren Bruders alles andere als zufällig ist, daß sie noch nicht erklärt ist, wenn man auf die häufige Dreizahl der Figuren bei Gleichnissen verweist? übernimmt der ältere Bruder nicht eine >Rolle im SpielSatzden verlorenen Söhnen< zu bezeichnen« (aaO 212). Sicher trifft das den Sinn besser. Aber ist das Thema des Gleichnisses nicht noch eher die unbegreifliche Güte des Vaters? Das Handeln des Vaters verklammert beide Hälften, die nun nicht mehr zwei Hälften sind, sondern Elemente des einen Ganzen des Gleichnisses. Der Vater kommt Szene um Szene vor. Selbst in
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der Szene der Einsamkeit des verlorenen Sohnes, in der Ferne vom Vater, spielt der Vater noch eine Rolle, besser: die entscheidende Rolle. Denn den verlorenen Sohn überkommt die Erinnerung an den Vater. Diese Erinnerung an den Vater ist es, die ihn zurückruft. Ich denke nicht, daß damit zuviel gesagt ist. Das Kennzeichen dieses Vaters ist sein Entgegenkommen. Er kommt dem jüngeren Sohn entgegen, nein, er »läuft« ihm entgegen, als er seiner nur ansichtig wird. »Das ist für einen betagten Orientalen ganz ungewöhnlich und unter seiner Würde, selbst dann, wenn er es noch so eilig hat«. Will man diesen Zug in der Beredtheit seiner Sprache verstehen, dann muß dieser Kommentar von Joachim Jeremias bedacht werden (aaO 1)0). Der Vater kommt aber auch dem älteren Sohn entgegen. Nicht nur in dem Sinn, daß er ihm immer schon entgegenkam: »Alles Meine ist dein«, sondern betont auch in dem Sinn, daß er um seinetwillen die festliche Tafel verläßt, um ihn, der zögert und beiseite steht, einzuladen: »Sein Vater aber kam heraus und redete ihm zu« (parekalei auton 15, 28). So ist es ein doppeltes Entgegenkommen des Vaters, das das Gleichnis zur Sprache bringt, und in diesem doppelten Entgegenkommen hat es seine innere Einheit. Immer wieder hängt alles an der entscheidenden Initiative des Vaters. Selbstverständlich ist auch von der Initiative des jüngeren Bruders zu reden. Man könnte sagen wollen: Er bringt die ganze Geschichte ins Rollen. Er bricht auf in die Ferne. Er lernt das Leben kennen. Er gerät an den Rand des' Abgrunds. Aber er faßt sich ein Herz und geht den langen Weg zurück, den Weg zum Vater. Er spricht seine Schuld aus. Das ist nicht nichts. Aber was ist diese Initiative - gemessen an der Initiative des Vaters, der in der Szene der Rückkehr die Geschichte der Schuld des verlorenen Sohnes durchstreicht, als hätte nie etwas zwischen ihm und seinem Sohn gestanden? Selbstverständlich gilt auch von dem älteren Bruder, daß er in der Szene der Rückkehr des Verlorenen die Initiative der Distanz ergreift, die Tür ins Schloß wirft oder doch zu werfen droht. Man kann dem nur entnehmen, daß alle Figuren miteinander höchst lebendige Figuren sind. Sie füllen ihre Rolle aus. Aber die beherrschende Figur ist und bleibt der Vater mit seinem unvergleichlich souveränen Handeln.
Das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus (Luk. 1.6, 19-31) Eine Predigt
»Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und feines Leinen und genoß sein Leben alle Tage. Ein Armer aber namens Lazarus lag voller Schwären vor seinem Eingangstor und hätte sich gern von dem Abfall vom Tisch des Reichen gesättigt. Noch dazu kamen die Hunde und leckten seine Schwären. Es begab sich aber, daß der Arme starb und von den Engeln in Abrahams Schoß getragen wurde. Es starb aber auch der Reiche und wurde begraben. Und als er in der Unterwelt seine Augen aufhob, in Qualen leidend, sah er Abraham von weitem und Lazarus in seinem Schoß. Und er rief laut: Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, daß er seine Fingerspitze in Wasser tauche und mir die Zunge kühle, denn ich leide Schmerzen in dieser Feuer{lamme. Abraham aber sprach Kind, gedenke doch, daß du dein Gutes in deinem Leben bekommen hast und Lazarus entsprechend das Böse. Jetzt wird er hier getröstet, du aber leidest Schmerzen. Und zu alledem: zwischen uns und euch besteht eine große Kluft, damit die von hier zu euch hinüber wollen, es nicht können, noch die von dort zu uns herüber kommen. Er sagte: Dann bitte ich dich, Vater, daß du ihn in das Haus meines Vaters schickst, denn ich habe fünf Brüder, damit er sie beschwöre, daß sie nicht auch an diesen Ort der Qual kommen. Abraham aber sprach: Sie haben Mose und die Propheten. Sie mögen auf sie hören. Er aber sprach: Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen kommt, werden sie umkehren. Er aber sprach zu ihm: Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, so werden sie sich auch nicht bewegen lassen, wenn einer von den Toten aufstünde.«
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»Es war aber ein reicher Mann ... Ein Armer aber mit Namen Lazarus lag vor seiner Tür ... « Das ist die einprägsame Szene, mit der das Gleichnis beginnt und sofort nach uns greift, wenn wir auch vielleicht zunächst nur soviel verstehen, daß diese Geschichte sich überall, immer schon und heute noch abspielt. Daß Ähnliches in einem altägyptischen Märchen und in jüdischer Legende erzählt wird, kann gar nicht überraschen. Denn nimmt das Gleichnis nicht einfach ein Stück Wirklichkeit auf, Wirklichkeit unseres Lebens? Beschreibt es diese Wirklichkeit nicht, wie wir alle sie kennen, nur mit ein paar Strichen, aber äußerst sprechend, ohne jede Retusche, während wir die Wirklichkeit vielleicht lieber etwas retuschieren möchten? Leben wir nicht in einer Welt schwer überbrückbarer Spannungen, handgreiflicher Verschiedenheiten zwischen Mensch und Mensch, härtester Kontraste - im kleinen wie im großen? Sehen wir etwas genauer zu und versuchen wir, schon ein wenig zu übersetzen. Ich brauche kaum zu sagen, daß die Sprache unseres Textes - die Sprache der Gleichnisse ist und daß das heißt, daß alles miteinander gleichnishaft zu nehmen ist, Szene und Figuren - wie deshalb alles in seiner Weiträumigkeit zu belassen ist. Die Tür darf nicht zu früh ins Schloß fallen. Ich kann auch sagen: Wir haben sie offen zu halten. Aber es wird auch keiner von uns daran denken, so schnell zu erklären: Der reiche Mann - das bin ich doch nicht. Ich verfüge nicht über sein mutmaßliches Konto, und so paßt mir dieser Rock nicht. Ich verbringe mein Leben nicht in seinem Stil- nicht »mit Nichtstun« (Wilhelm Michaelis) ... oder wie man sich ihn, vielleicht immer in leiser Karikatur, vorstellen mag. Verbände uns nichts mit dem reichen Mann, so verbände uns auch nichts mit Lazarus. Keiner von uns muß wie der Lazarus des Gleichnisses s~in Leben fristen. So ginge uns die ganze Geschichte nichts an. Aber ich setze voraus: So kurzschlüssig werden wir uns von dieser Geschichte und ihren Figuren nicht absetzen wollen. Das Gleichnis umfaßt uns immer noch, auch wenn unser Lebenszuschnitt zwischen den Extremen liegt, denen wir im Gleichnis begegnen ... irgendwo dazwischen. Darauf kommt es diesmal so genau nicht an. Denn das kommt doch vor und das kennen wir alle: Dem einen fällt alles zu. Er ist beneidenswert begabt. Er braucht sich nicht mühsam durchzusetzen: im Studium, im Leben. Was er unternimmt, gelingt ihm, meist schon im ersten Griff. Er bringt es zu etwas. Er erlebt Erfolg um Erfolg. Aber das ist nur der äußere Rahmen. Hand in Hand damit geht 1.
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das andere. Er findet überall offene Türen, ist ein gern gesehener Gast, hat jedermann zum Freund. Kontakte sind für ihn kein Problem, wenn er nur will. Alle respektieren ihn. Die Last des Alleinseins kennt er nicht. Er ist ein GlÜckspil~. Dem anderen aber gerät so gut wie nichts. Er eckt überall an. Was er probiert, geht schief. Er findet sich immer wieder in Verlegenheiten und Engpässen. Er kann sich kaum über Wasser halten. Er ist ein Pechvogel. Ich erinnere an die Sprichwortweisheit, die wir aus der Bibel kennen (und die in ihr als Wort Jesu überliefert ist): »Wer hat, dem wird gegeben, und wer nicht hat: auch was er hat, wird ihm genommen werden« (Mark. 4, 25). Ist das nicht wahr, und kann man das nicht über unsere Szene setzen? Eduard Schweizer hat diese Sprichwortweisheit kurzerhand auf die Formel gebracht: »Der Reiche wird immer reicher, der arme Teufel geht zugrunde.« Das ist bitter genug. Was ist bitter genug? Das Leben, wie wir es kennen, mit seinen Gegensätzen, mit seinen unverwischbaren Härten. Der arme Lazarus kann vermutlich nichts dazu, daß ihm nur die Rolle des Bettlers an der Tür des reichen Mannes bleibt, daß er sich nur kümmerlich durchschlagen kann und den Hunger nie loswird. Er kann sich sein Brot nicht selbst verdienen, sondern ist auf das Mitleid der anderen angewiesen. Offenbar ist er ge-lähmt und kann sich kaum bewegen. Dazu ist sein Leib mit Schwären bedeckt. Und er kann sich nicht einmal der Gassenhunde erwehren, die seine Schwären belecken. Ein Steckbrief des Elends. Jedes weitere Wort kann ich mir ersparen. Informationen zum Thema Lazarus? Sie stehen, aus aller Welt, reichlich zur Verfügung. Ich setze sie voraus. 2. Oder sind doch weitere Informationen erforderlich? Informationen darüber, wer Lazarus eigentlich ist? Und wer der reiche Mann ist? Und was sie miteinander zu tun haben? Wir haben verstanden: Das Gleichnis fängt ein Stück Wirklichkeit ein, Wirklichkeit unserer menschlichen Existenz. Wir sind eingespannt in ein hartes Gefüge. Aber was das Gleichnis uns eigentlich sagen will, ist damit noch nicht gesagt ... so entscheidend es ist, daß es sich an die Wirklichkeit hält, daß es uns in unserer Wirklichkeit aufsucht. Auf die erste Szene des Gleichnisses folgt eine zweite. Man wird an eine Rabbinengeschichte erinnert. Der fieberkranke Sohn des Rabbi Jehoschua ben Levi hat einen Traum. Als er aus seinen Fieberträumen wieder zu sich kommt, fragt ihn sein Vater: Was hast du gesehen? Er ant-
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wortet: Eine umgekehrte Welt habe ich gesehen, die Oberen zuunterst und die Untersten zuoberst. Der Vater spricht: Mein Kind, eine wahre Welt hast du gesehen! So ist auch in der zweiten Szene unseres Gleichnisses alles wie vertauscht. Was oben war, ist unten, und was unten war, ist oben. Wenn das die wahre Welt ist - gerät dann nicht die ganze erste Szene ins Zeichen der Vorläufigkeit? Wird nicht die Welt, in der wir leben, zu einem abbruchreifen Haus? Anders gefragt, von der Hoffnung beflügelt gefragt: Wartet das, was wir die Wirklichkeit nennen, nicht auf eine große Veränderung, auf eine Umwertung aller Werte? Kann man es anders sagen: In der zweiten Szene ist der reiche Mann ein armer Lazarus geworden - ärmer als Lazarus je war -, und der arme Lazarus ist unbegreiflich reich, in höchsten Ehren, in Abrahams' Schoß. Wieder sind beide auf Sichtweite miteinander konfrontiert, wie das schon in der ersten Szene war. Auf diese Sichtweite kommt etwas an, kommt es entscheidend an. Und der reiche Mann möchte, daß Lazarus zu ihm herüber käme und ihm einen Dienst der Liebe täte - man kann doch nur sagen: einen ganz kleinen Dienst. Der reiche Mann wendet sich mit seiner flehentlichen Bitte an den Vater Abraham. Aber der Vater Abraham kann der Bitte nicht entsprechen. Ich kann in meiner Auslegung nicht alles aufgreifen; ich möchte nur die erste Szene von der zweiten her ein wenig erhellen. Was dabei herauskommt, ist bewegend genug. Alles andere muß ich für diesmal ausklammern. Und ich kann auch dann nicht erschöpfen, was der Text uns zu sagen hat. 3. In der ersten Szene wäre es für den reichen Mann ein Kinderspiel gewesen, den armen Lazarus in seine Nähe zu bitten, den Gelähmten an seinen Tisch holen zu lassen. Lazarus hätte sich das nicht erst dreimal sagen lassen und hätte sich das nicht lange zu überlegen brauchen. Aber in der ersten Szene (es fällt uns vielleicht erst jetzt auf!) geschieht buchstäblich nichts. Es geschieht nichts - während gleichzeitig alles darauf angelegt ist, daß etwas geschehen müßte. Ist unser Leben eine Serie von ungenutzten Gelegenheiten, von verweigerter Hilfe? Ist die erste Szene eine einzige vielsagende Illustration zu unserer so oft bewährten Schwerhörigkeit? »Es war aber ein reicher Mann ... Ein Armer aber mit Namen Lazarus lag vor seiner Tür ... « Dabei bleibt es, bei diesem Einanderkonfrontiertsein, bei dem der arme Lazarus, so wie er vor der Tür des reichen Mannes liegt, zu einer einzigen schreienden Bitte an den reichen
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Mann wird - wiewohl er gar nicht schreit, lärmt, Demonstrationen und Revolutionen anzettelt. Er ist, so wie er ist, in seiner Existenz als solcher, die Bitte selbst: Übersieh mich nicht, nimm dich meiner an, ich kann mir selbst nicht helfen. Das gilt von ihm genau so wie von dem Mann, der auf der Straße zwischen Jerusalem und Jericho liegt. Konfrontiert sind sie alle mit ihm, sehen können sie alle ihn, seine Bitte gewordene hilflose Existenz geht sie alle an, den Priester, den Levit, übrigens bewaffnet mit »Mose und den Propheten«! Aber der reiche Mann versteht offenbar die Sprache des armen Lazarus nicht. Alle reichen Leute verstehen diese Sprache nicht. Daß sie sie nicht verstehen - das kennzeichnet sie. Sollte es auch uns kennzeichnen? So sicher der arme Lazarus sich ohne den reichen Mann nicht helfen kann, so sicher er auf die Brocken, die von seinem Tisch fallen, angewiesen ist: so sicher scheint der reiche Mann ohne ihn auskommen zu können. Wer sollte ihm das auch beibringen: Du kannst ohne Lazarus nicht leben? Müßte er darüber nicht den Kopf schütteln und sagen: Umgekehrt wird ein Schuh darausl Er hat doch alles, was er braucht, in Hülle und Fülle. Ihm geht nichts ab. 4. Aber nun sagt das Gleichnis offenbar, was der reiche Mann nicht begreift: Du kannst ohne Lazarus nicht leben. Keiner kann ohne den Lazarus, der vor seiner Tür liegt, leben. Der reiche Mann scheitert an Lazarus. Das müssen wir noch genauer sehen. Denn noch hört sich das wie ein Rätsel an. Und noch präziser müssen wir erfassen, wer Lazarus ist. Lazarus ist der, dem wir in unserem Leben, in unserer sogenannten Lebensgemeinschaft hier auf der Hardt, konfrontiert sind, der aber am Rand bleibt, am Rand unseres täglichen vielbeschäftigten Lebens, dem wir uns nicht besonders zuwenden und für den wir wenig oder gar keine Zeit haben. Das ist seine genaue Definition, seine unserem Gleichnis nachgesprochene Definition: Lazarus ist der, den wir in unser Leben nicht hineinlassen, obwohl er nur darauf wartet und obwohl es für uns nur um ihn ginge, gerade um ihn. Ich denke an die Lesung zu Anfang dieses Gottesdienstes (Luk. 14, 12-14). Sie kommt mir wie ein Schlüssel vor, wie eine unentbehrliche Verstehenshilfe. Ich übersetze sofort. Wir haben Kameraden. Das ist die Chance der Kirchlichen Hochschule. Wir sind zu vielen, die an einem Strick ziehen, uns an der gleichen Aufgabe versuchen. Spätestens nach einem Semester, denke ich, haben wir alle begriffen, daß Theologiestu-
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dium eine Sache ist, bei der sich noch jeder übernimmt. Ich meine nicht das Sprachenlernen. Aber ich meine die Theologie selbst. Und dann ist es eine Hilfe, zu sehen, wie es den anderen ebenso geht, daß auch sie ihre Verlegenheiten haben, daß die begonnene Aufgabe nur immer größer wird. Und wir gewinnen, hoffe ich, Freunde, mit denen wir uns >verstehenüber alles sprechen< läßt: eine permanente Einladung zum nahen Austausch. Aber nun sagt der Text von Luk. 14, 12-14 das Überraschende, ja Bestürzende (und wer wollte hier sein Erschrecken verbergen): Zuletzt kommt es in unserem Leben nicht auf unsere Kameraden und Freunde an, und weiter nicht auf unsere nähere und weitere Verwandtschaft und Bekanntschaft. Es kommt auf alle, mit denen wir sowieso zusammen sind, nicht an - nicht auf den >Kreis