Geschichten aus Marios Bar Dr. Roland Stephan
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Geschichten aus Marios Bar Dr. Roland Stephan
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'Geschichten aus Marios Bar' von
Dr. Roland Stephan 2001 Ein kostenloser Science Fiction Roman von www.WARP-online.de, dem Fantastik Magazin. Alle Rechte der Geschichten und Bilder verbleiben bei den jeweiligen Autoren und Künstlern.
Titel Copyright 2003 WARP-online Herausgeber: www.WARP-online.de Satz und Layout: Bernd Timm Alle Texte und Bilder sind bereits jeweils einzeln bei www.WARP-online.de erschienen und zur Veröffentlichung durch WARP-online freigegeben. Die Magazin-Reihe ist eine Sammlung von Beiträgen, die zusätzlichen Kreis interessierter Leser anspricht und die Namen der Autoren und Künstler bekannter macht. Weder das Fehlen noch das Vorhandensein von Warenzeichenkennzeichnungen berührt die Rechtslage eingetragener Warenzeichnungen.
1000 Seiten Fantastik www.WARP-online.de bringt das ganze Spektrum der Fantastik: Bilder, Geschichten, Artikel, Projekte, Reportagen, Interviews, Wissenschaft, Comic, Kostüme, SF-Kabarett, Lyrik, Film-& TV-Projekte, Modelle und mehr!
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Prolog Warum dieser düstere Ort ”Starlight Casino” heißt, weiß kein Mensch und auch kein Alien. Das einzige, was man hier mit Sicherheit nie sehen wird ist Sternenlicht. Die namenlose, nur durch eine Katalognummer charakterisierte Sonne, die uns tagsüber spärliches oranges Licht spendiert, liegt mitten im größten Dunkelnebel der Galaxis, von den Menschen zutreffenderweise Kohlensack genannt, und nachts ist der mondlose Himmel von einer perfekten Samtschwärze, wie man sie sonst wohl nirgends im bekannten Universum findet. Der einzige nennenswerte Planet trägt den Namen des Narn, der ihn vor einigen Generationen entdeckte: Ka´bon. Zufällig gibt es weit und breit keinen einzigen anderen Planeten mit sauerstoffhaltiger Atmosphäre und so gelangte Ka´bon zu einer gewissen Bedeutung als kleiner Handelsknoten. Mario kam vor mehr als zehn Jahren hierher und heißt mit vollem Namen Mario de Monti. Wenn man ihn fragt (aber das tut eigentlich keiner mehr) erzählt er eine wirre Geschichte von einer verpatzten Zeitreise und das er früher einmal erster Offizier auf einem schnellen Raumkreuzer war. Jedenfalls ist es mit seinen technischen Kenntnissen nicht allzu weit her; das einzige, was er wirklich gut kann ist das Mixen von Drinks. Also machte er diese Bar auf und nannte sie Starlight Casino, der Teufel mag wissen warum. Ich bin seit sechs (Oder sind es schon sieben?) Jahren hier. Das Leben trieb mich viele Jahre wie einen Wasserball auf seinen Wellen vor sich her und ich habe wirklich eine Menge interessanterer Orte und schönerer Dinge zu sehen gekriegt. Aber irgendwann kam ich ausgerechnet hier in eine windstille Zone und dümpelte nur noch auf der Stelle. Wenn jemand fies ist, nennt er mich menschliches Strandgut. Mag stimmen oder nicht, mich stört es nicht allzu sehr. Jedenfalls verdiene ich mir jetzt meine Drinks mit dem Erzählen von Geschichten. Wenn Ihr Lust und Zeit habt, dann setzt Euch, meine Freunde, und hört mir zu. Ich möchte Euch heute eine meiner besten Geschichten erzählen, eine Geschichte aus längst vergangenen Tagen, als das Universum noch bedeutend weniger Jahre auf dem vierdimensional gekrümmten Buckel hatte als heute, aus Zeiten, als die Menschen noch stolz darauf waren, zu den jungen Völkern gezählt zu werden, zu den Erben der sagenumwobenen Schatten und Vorlonen. Es ist die Geschichte von G´kar, dem weisen Narn und Lyta Alexander, der mächtigen Telepathin. Auf den Spuren der Allerersten, der Gründüngsväter (na gut: und mütter, schließlich kannten sie in ihren frühen Entwicklungsstadien auch wie wir zwei Geschlechter; ob dieser sexuelle Dimorphismus allerdings erhalten blieb, als sie sich zur höchsten uns bekannten evolutionären Stufe, zu reinen körperfreien Geisteswesen, entwickelten, ist auch mir nicht bekannt), der Vorfahren der alten Völker, ziehen sie durch unser Universums, reisen sie zurück zum Anfang alles Seins. G´kar hatte mir zwar fest versprochen, alles aufzuschreiben, was ihm und Lyta auf ihrer gemeinsamen Expedition zugestoßen ist und ihre Erlebnisse eines Tages als Buch zu veröffentlichen. Aber entweder gingen seine Aufzeichnungen irgendwann und irgendwo verloren oder er hat es schlicht und ergreifend versäumt, aus den Logbüchern und privaten Notizen jemals eine publizierbare Geschichte zusammenzustellen. Wie auch immer, es hat dieses Buch nie gegeben. Also müßt Ihr jetzt mir Glauben schenken, wenn ich Euch berichte, was ich vor vielen, vielen Jahren von Lyta und G´kar erfuhr. Ja, ich habe beide noch persönlich gekannt. Aber das ist lange her und ich war noch ein junger Spunt, mit einem Kopf voller Flausen und einem Herzen auf der Suche nach wilden Abenteuern und großartigen Entdeckungen. Heute gibt mein altes Gehirn nur mühsam und widerwillig sein angesammeltes Wissen heraus, verweigert manchmal völlig seinen Dienst, wenn ich in den verstaubten Archiven meines Geistes nach einem Namen, einer Person, einem Ort fahnde, 3
von dem ich nur eines sicher weiß, nämlich dass ich ihn eben noch genau kannte. Also habt Geduld mit mir, wenn ich Euch jetzt mitnehme, zu einem Ausflug in die Vergangenheit. Begleiten wir unsere Helden auf ihren Abenteuern am Rande der Unendlichkeit.
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Der Achte Tag der Schöpfung Und am achten Tag schmiedete GOTT aus Leben und Stahl das zweite Chaos Das enge Cockpit des Langstreckenraumers liegt im Dunkeln, nur einige wenige Anzeigendisplays leuchten matt orange, zitrusgelb, lindgrün auf dem Kontrollpult, das sich als Kreissegment unter der gewölbten Kuppel des Frontfensters fast vier Meter lang erstreckt. Vor dem Licht ungewohnt zahlreicher, dicht an dicht stehender Sterne, das durch die fast unsichtbare hochtransparente Kuppel hineinfällt, zeichnet sich wie ein schwarzes Gespenst der Umriss eines schlanken Frauenkörpers scharf ab. Wenn sie den Kopf leicht bewegt, glitzern manchmal kupferrote Reflexe auf dem glatten vollem Haar, das sich in einem dichten Schwall über ihre Schultern ergießt; doch die meiste Zeit steht die Frau völlig bewegungslos da und starrt angestrengt nach draußen. Fast die Hälfte der vor ihr liegenden Aussicht zeigt nicht das weite beruhigend statisch ewige Sternenmeer, sondern ein äußerst merkwürdiges und eher beunruhigendes Objekt, dessen langsam, fast würdevoll, in scheinbarer Rotation vorbeigleitender Anblick momentan die Aufmerksamkeit der Frau voll und ganz in Anspruch nimmt. Obwohl der Raumer gut einhundert Kilometer von dem äußeren Rand des fremden Etwas eine stabile Umlaufparkbahn bezogen hat, ist es auch aus diesem Abstand unmöglich, die gesamte komplexe Struktur mit einem Blick zu erfassen. Die Ausdehnung entspricht dem normal großer Planeten, aber es ist kein Planet, kein Mond, überhaupt kein natürlicher Himmelskörper; es ist künstlich, das steht für sie absolut sicher fest, aber das ist auch das Einzige, dessen sie sich momentan sicher sein kann. Das Objekt ihrer Aufmerksamkeit sieht aus, als hätte ein psychisch krankes Riesenkind mit einem kaputten Baukasten gespielt und irgendwann sein Werk lustlos halbfertig liegen gelassen. Eine Unmenge von Zylindern, Kugeln, Disken, Würfeln und anderen geometrischen oder irregulären Körpern ist mit Brücken, Stegen, Rohren in chaotischer Art und Weise vernetzt. Die Zentralkörper messen zwischen wenigen Metern bis hin zu gut zehn Kilometern und die Variation bei den Dimensionen der Verbindungselemente ist entsprechend hoch. Der Eindruck von Chaos und Unordnung wird noch durch die Tatsache verstärkt, dass die Verbindungsstücke nicht nur in allerlei schiechen Winkeln aus den Grundkörpern herausragen, unvermittelt ihre Richtung wechseln, sich verzweigen oder einfach in toten Sackgassen enden, sondern dass zudem etliche dieser Strukturen einfach im Nichts verschwinden. Sie enden nicht, sondern sie verschwinden in einem leichten, das Auge schmerzhaft irritierenden, blassen Schimmer. Man ist versucht, um diese losen Enden herumzugehen und in die zu erwartenden Öffnungen der Röhren und Korridore hineinzublicken; nur kann man eben genau das nicht tun. In albtraumhafter Weise verdreht sich beim Näherkommen der Raum, schlingt einen Knoten in seine innere Struktur, und man sieht plötzlich die Röhre von einer anderen Seite, während gleichzeitig der Magen versucht, einen ähnlich unmöglichen Knoten in die Gedärme zu knüpfen und das Gehirn seinen Dienst für mindesten fünf Sekunden vollständig einstellt. ”Ich hatte Ihnen doch versprochen, dass es eine interessante Reise werden würde, verehrte Lyta.” Die so Angesprochene verrät mit keiner Geste, ob sie von dem fast unhörbar an sie herangetretenen Mann überrascht wurde. Aber ein leichtes Lächeln gleitet über ihr meist ernstes Gesicht, als sie antwortet: ”Sie schmücken sich doch sonst nicht mit fremden Federn, G´kar; oder wollen Sie etwa ernsthaft behaupten, von dem hier gewusst zu haben?” Ihr halb erhobener Arm deutet vage auf das Kuppelfenster und darüber hinaus ins All. Der Narn schüttelt leicht sein mächtiges Haupt, das mit zunehmenden Alter mehr und mehr an den 5
faltigen Kopf einer uralten weisen Riesenschildkröte gemahnt: ”Nein, nein, das will ich wirklich nicht. Aber in einem unendlichen Universum muss man immer und überall mit dem Unerwarteten, dem Unmöglichen rechnen. Das wir es allerdings so schnell finden würden und das es so unmöglich sein könnte, nein, damit habe ich wahrlich nicht gerechnet.” Vor einigen Wochen waren sie von der Raumsation Babylon 5 aufgebrochen, zwei Verbannte auf der Suche nach dem Unbekannten. Die Gründe ihrer Verbannung hätten unterschiedlicher nicht sein können: der Narn G´kar floh vor der Verehrung seines Volkes, vor einer Verantwortung, die er nicht tragen konnte, vor einer fanatischen Bewunderung, die ihn abstieß; die menschliche Telepathin Lyta floh vor unauslöschlichen Erinnerungen, vor ihrer Liebe und ihrem Hass, vor der Angst der Menschen, die mit ihr und ihren unheimlichen psychischen Fähigkeiten nicht mehr auf einer Raumstation zusammenleben konnten und wollten - nein, diese Ablehnung beschränkte sich nicht nur auf die Station Babylon 5, sie umfasste den ganzen zivilisierten Teil der Galaxis. So waren sie beide auf ihre Art gezwungen, aus dem bekannten Universum zu verschwinden und sich der unendlichen Weite des Unbekannten zuzuwenden. Dabei war ´unbekannt´ ein sehr relativer Begriff, genauso wie ´zivilisiert´. Beides bezog sich auf den Wissenstand und die Ausdehnung der interstellaren Allianz, beziehungsweise der ihr beigetretenen oder mit ihr locker assoziierten Völker. Der von ihnen kontrollierte Sektor machte jedoch nur einen Bruchteil der gesamten Galaxis aus, von den benachbarten Galaxien gar nicht zu reden. Überall in der Galaxis gab es, wenn auch dünngesät, uralte Sprungtore der Allerersten und viele von ihnen waren selbst nach hundertausenden von Jahren noch funktionsfähig. G´kar nahm an, dass dies auch für die galaktischen Nachbarn der Milchstraße gelten musste, dass auch Reisen zu den Nachbargalaxien möglich sein könnten und eine solche Reise war von Anfang an eines der nie ausgesprochenen Ziele seiner gemeinsamen Expedition mit Lyta Alexander gewesen. Der mit modernster Minbaritechnologie ausgestattete Langstreckenraumer besaß zwar keinen eigenen Sprunggenerator, dafür war er einige Nummern zu klein, aber er war mit weitreichenden Ortungs- und Navigationsintrumenten ausgerüstet und für lange Hyperraumflüge ausgelegt. G´kars erstes Ziel nach ihrem abschiedslos überhasteten Aufbruch von Babylon 5 und der erfolgreichen Erprobung des Raumers bei einigen kürzeren Hyperraumsprüngen in der galaktischen Umgebung war das Fornax-System, ein unstrukturierter Kugelsternhaufen in direkter Nachbarschaft zu dem ihnen bekannten besiedelten Segment der Milchstraße. Für die einfache Hyperraumreise hatte der als Pilot durchaus erfahrene Narn dreiundzwanzig Erdstandardtage kalkuliert; falls sie absolut kein Sprungtor vorfinden sollten und unverrichteter Dinge im Hyperraum umkehren mußten, so würden die Energie-, Luft- und Nahrungsvorräte gerade noch für eine sichere Heimkehr ausreichen. Zwar entdeckten sie bei ihrer ersten großen Expedition fast erwartungsgemäß nicht nur eines, sondern insgesamt drei Sprungtore in dem kleinen, aber selbst nach galaktischen Maßstäben uralten, Begleiter unserer Milchstraße, doch keines davon ließ sich aktivieren. Selbst Lytas vorlonisches Erbe musste vor Äonen unterlassener Wartung und versäumter Instandhaltung kapitulieren und nach etlichen erfolglosen Bemühungen traten sie frustriert und enttäuscht den Rückweg an. Doch wenige Stunden nach diesem schwarzen Moment der Aufgabe registrierten die Instrument ein Objekt, das Objekt, im Hyperraum. Lyta erinnert sich beim Blick aus der Steuerkanzel mit beinahe schmerzhafter Intensität an diesen Wendepunkt ihre Geschickes.
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Und ER setzte es als ewige Wunde in das Gefüge der Welten Sprachlos, beide mit der eigenen persönlichen Frustration und resignierenden Gedanken über die Zukunft beschäftigt, saßen sie an den Kontrollinstrumenten und blickten aus dem Kuppelfenster auf die schwarz-rot glühende und ihnen nun seit beinahe einem Monat heimatlich vertraute Hölle des Hyperraumes ohne wirklich etwas zu sehen, irgendetwas bewusst wahrzunehmen. Das leichte Fiepen eines Alarmes dritter Klasse holte erst G´kar dann Lyta aus der lähmenden Katharrsis. ”Ein Objekt ganz an der Grenze der Ortungsreichweite. Es muß recht groß sein, wenn es auf diesen Abstand noch zeichnet. Wir sollten es uns vielleicht einmal ansehen.” Lyta stimmte wortlos nickend G´kars Vorschlag zu und ohne weitere Diskussion traf der Narn die nötigen Maßnahmen für eine Kursänderung im Hyperraum. Er setzte als Erstes eine Spezialboje aus, die ihnen später die sichere Rückkehr zu ihrem alten Kurs gewährleisten würde. Der starke Sender war für drei Tagen auch über große Distanzen und selbst bei heftigen Raumströmungen präzise anpeilbar; bis dahin mussten sie auf ihren alten Kurs zurückgekehrt oder ein Sprungtor zum Normalraum gefunden haben, sonst liefen sie mit größter Wahrscheinlichkeit Gefahr, sich in den unkartierten weil unkartierbaren Weiten des Hyperraumes zu verlieren und als kosmisches Strandgut auf ewig in diesem lebensfeindlichen Medium zu driften. Nachdem der Sender programmiert und stabil verankert war, setzte G´kar Kurs auf das schwache Signal der Ortungssensoren, das überraschend schnell an Intensität gewann. Lyta studierte zunehmend beunruhigt die Anzeigen vor ihr auf den Displays des Kontrollpultes, während G´kar sich auf die komplizierte Navigation im nichtlinearen Hyperraum konzentrierte. Obwohl sie keinen Laut des Erstaunens oder des Mißfallens von sich gegeben hatte, sprach G´kar sie an: ”Was beunruhigt Sie derart, Lyta? Sie sehen aus, als ob sie einen Geist auf ihrem Bildschirm sehen würden.” ”Vielleicht wäre Geist eine ganz zutreffende Beschreibung; zumindest genauso zutreffend wie jede andere auch. Das Objekt muss riesig sein, noch größer als das Tor zum dritten Raumkontinuum, das die Vorlonen im Hyperraum versteckten und das Ivanova vor drei Jahren durch reinen Zufall fand, übrigens genauso zufällig wie unsere Entdeckung hier. Ich hasse Wiederholungen.” Lyta schüttelte sich bei dem Gedanken an die wenige Jahre zurückliegenden Ereignisse, insbesondere an die Reaktionen, die das Auftauchen des Artefaktes in ihrem Gehirn hervorgerufen hatte, als tief in das Unterbewußtsein implantierte Botschaften ihrer vorlonischen Mentoren in schmerzhafter Weise aktiviert worden waren und die Kontrolle über sie übernommen hatten. Sie hoffte und betete zu einem Gott, an den sie nicht glauben konnte, dass sie nicht wieder ähnliches durchstehen musste. ”Denken Sie, daß es sich wieder um ein Objekt der alten Völker handelt, Lyta?” ”Wenn es sich um kein natürliches Phänomen handelt, ist das die wahrscheinlichste Erklärung. Entweder das oder es geht noch weiter zurück auf die Allerersten. Aber die Scanner registrieren eine Ausdehnung von mehr als hundert Kilometern, womöglich mehr als tausend Kilometern. Das kann kein Artefakt sein, es muss ein natürlicher Körper sein.” G´kar schüttelte ungläubig den Kopf: ”Ein Planet im Hyperraum? Das ist physikalisch unmöglich. Eine solche Masse wäre extrem instabil und würde mit einer gewaltigen Implosion in den Normalraum zurückfallen. Vielleicht wäre es klüger, von hier zu verschwinden.” Doch trotz der so geäußerten Besorgnis behielt er den eingeschlagenen Kurs bei; die Neugier und die Faszination des phantastisch Unbekannten waren viel zu groß, um ein Abdrehen auch nur in Erwägung zu ziehen. Je näher sie kamen, desto genauer und verlässlicher wurden die Meßwerte, aber zugleich auch immer unglaubwürdiger. Lyta laß kommentarlos die aktuellen Daten laut ab: ”Ausdehnung mindestens 1500 mal 400 mal 400 Kilometer, komplexe Struktur ohne einheitlich 7
geschlossene Oberfläche, chemische Analyse lässt auf Metalllegierungen und organische Komponenten schließen. Allerdings werden alle Messwerte durch eine starke Störstrahlung überlagert, die mir völlig unbekannt ist. Vielleicht will jemand verhindern, dass wir Daten sammeln. Wir sollten uns vorsichtig annähern; wer unsere Instrumente stört, schießt möglicherweise auch auf ungebetene Besucher.” ”Können Sie feststellen, ob das Objekt bewohnt ist?” Lyta schüttelte den Kopf: ”Ich horche schon die ganze Zeit, aber ich kann kein bewusstes Leben kontaktieren. Die Störungen sind auch im telepathischen Bereich sehr stark.” Sie erzählte G´Kar nicht, dass sie auch seit geraumer Zeit genauso aufmerksam in sich hinein hörte, um festzustellen, ob die Vorlonen für diesen Fall ebenfalls eine Botschaft in ihrem Gehirn vergraben hatten. Aber bislang war sie auch in ihrem Innersten nicht fündig geworden. ”Sichtkontakt in wenigen Sekunden!”, warnte Lyta und vier Augen, zwei rote (von denen eines künstlich war) und zwei dunkelbraune (in denen schwarze Schatten schemenhaft lauerten), starrten angestrengt in das wabbernde glühende Nichts vor ihnen. Schlagartig verwehten die letzten blutroten Glutfetzen wie zerreißende Vorhänge und zwei Gehirne weigerten sich, den Bildern auf ihren Netzhäuten Glauben zu schenken. Eine verwirrend komplexe Landschaft aus unendlich vielen geometrischen Körpern aller Form und Größe erstreckte sich unter und vor ihnen ohne jegliches sichtbares Ende: in allen Richtungen verschwanden die monströsen Konfigurationen in den Nebelschwaden des Hyperraumes. In der Tat sahen sie das gleiche Gebilde, das momentan im Normalraum vor ihnen aufragt: ein graumetallisch schimmernder Albtraum aus verdrehten Brücken, gekrümmten Röhren, filigran verschlungenen Kabeln und Stegen. ”Das ist nicht wahr. Das muss eine Illusion sein, eine Täuschung, ein Trugbild.”, G´kars Gehirn weigerte sich mit der Narn-typischen Sturheit, zu akzeptieren, was es nicht geben konnte. ”Es ist real, G´kar; das kann ich Ihnen versichern. Was immer es auch ist, es existiert wirklich. Ich kann es fühlen, mich an seiner Oberfläche entlang tasten, es mit meinem Geist berühren. Es ist da. Aber ich kann nicht hinein gelangen. Ein merkwürdiges Feld umgibt die ganze Struktur; es ist in der Oberfläche eingewebt wie ein undurchdringliches Schutzgitter. Es ist ..., nein, das ist doch unmöglich!” ”Was ist los, Lyta? Haben Sie etwas von den Bewohnern gesehen?” ”Nein, nein, das ist verrückt, absolut verrückt. G´kar, betrachten sie den verdrillten Steg direkt vor uns und sagen Sie mir was Sie sehen.” ”Er endet ohne Grund im Nichts; aber das scheinen viele andere auch zu tun. Was ist so besonders an diesem hier?” ”Was sehen Sie am Ende? Schauen Sie doch einmal genau hin.” Lytas Stimme klang verärgert befehlend. G´kar gehorchte widerspruchslos. ”Ein blauer feiner Lichtschimmer liegt über dem Ende, es verschwindet in diesem Licht. Die Brücke endet nicht wirklich, sie führt irgendwo hin.” Er kniff die Augen zusammen, aber außer Kopfschmerzen und aufkommender Übelkeit brachte ihm diese Antrengung nichts ein. Vorsichtig steuerte der hünenhafte Mann den Raumer näher an den blau-glitzernden Lichtkranz. ”Blaues Licht, es gibt kein Blau im Hyperraum, das kann alles nicht stimmen.”, dachte er noch, während seine massigen Finger geschickt die zierlich wirkenden Instrumente bedienten. Plötzlich zuckte ein weiß-blauer Blitz auf das kleine Raumschiff zu, umschloß es mit geballter Energiefaust und zerquetschte es zu Nichts. Den Bruchteil einer Sekunde später lag die unheimliche Struktur wieder einsam und verlassen da, wie sie es schon seit Äonen getan hatte: die lästigen Besucher waren spurlos verschwunden. Inmitten eines grellen roten Funkensturm materialisierte der aus dem Hyperraum geschleuderte Raumer im Normalraum und torkelte antriebslos sich um alle Achsen drehend wie tot dahin. Lyta erholte sich zuerst von der, durch den abrupten Kontinuumswechsel hervorgerufenen, Ohnmacht. Mit beiden Armen stemmte sie ihren Oberkörper von der Steuerkonsole hoch, auf der eine beängstigende 8
Anzahl roter Anzeigen Alarm signalisierten. Langsam schüttelte sie ihren Kopf und das lange kupferne Haar strich über die verängstigte Konsole, als ob es sie beruhigen wollte, was aber erwartungsgemäß erfolglos blieb. Lyta schaltete kurzentschlossen alle akustischen Alarme aus und das nervenzerfetzende Fiepen, Schrillen, Heulen, Klirren und Läuten der überlasteten Systeme erstarb. Auch G´kar kam nun langsam zu sich und blickte sich verwirrt um. ”Was ist ..., wo sind ...?” Er verkniff sich weitere, momentan eh nicht beantwortbare Fragen und konzentrierte sich darauf, das steuerlos driftende Raumschiff zu stabilisieren, während Lyta sich bereits um die Lebenserhaltungssysteme kümmerte. Minuten später stand fest, dass sie ohne nennenswerte Schäden aus dem Abenteuer hervorgegangen waren. Beide hatten nun zum ersten Mal Zeit, sich ihre Umgebung anzusehen und nahmen mit aufkommender Panik den sich ihnen bietenden Anblick zur Kenntnis: er unterschied sich nicht merklich von dem Bild, das sie schon im Hyperraum genossen hatten. ”Das ist wissenschaftlich unmöglich: ein Objekt kann nicht gleichzeitig im Hyper- und im Normalraum existieren.” ”Etwas ähnliches haben Sie heute schon einmal behauptet, mein lieber Freund. Aber ganz offensichtlich ist es da, was immer ´es´auch ist.” ”Sie haben recht, Lyta, wie immer. Es ist da und es überbrückt irgendwie die unüberbrückbare Kluft zwischen den Dimensionen. Als wir einer solchen Brücke zunahe kamen, wurden wir anscheinend in den Normalraum mitgerissen.” Lyta sah in fragend an: ”Sie glauben, es war ein zwangsläufiges Mitreißen, kein absichtliches Verscheuchen, kein Angriff?” G´kar blickte konsterniert zurück: ”Haben Sie Grund zu der Annahme, dass jemand uns bewusst hierher geschickt hat?” Lyta schüttelte den Kopf : ”Nein, weder dafür noch dagegen. Wo ist ´hier´ eigentlich?” G´kar vertiefte sich sekundenlang in seine Instrumente: ”Wir sind im Herzen des Fornaxsystems, exakt im Mittelpunkt des Kugelsternhaufens.”
Und ER blickte auf sein allerletztes Geschöpf und sah, dass es gut war Seit zwanzig Stunden befinden sie sich jetzt im Orbit um das immer noch, oder besser immer mehr und mehr, fremdartige Objekt. Trotz der riesigen Ausdehnung ist die Masse mit einem Prozent der Erdstandardmasse erstaunlich gering, aber das mag auch an seinem merkwürdigen Schwebezustand zwischen den Dimensionen liegen. Es hängt sozusagen am Hyperraum wie an einem seidenen Faden; was würde wohl passieren, wenn es vollständig in den Normalraum übertrat? Aber außer einer Reihe physikalischer Unmöglichkeiten, die sie langsam zu akzeptieren lernten, haben ihre Untersuchungen keine Früchte getragen. Zweck, Funktion, Erbauer - alles bleibt ihnen weiterhin verborgen. G´kar streckt geckenhaft verspielt den angewinkelten rechten Arm aus: ”Folgen Sie mir zu einem gewohnt ausgiebigen Frühstück, verehrte Reisegefährtin?” Kockett legt Lyta ihre Hand leicht auf den angebotenen Unteram: ”Nur zu gern, verehrter Kapitän. Wenn Sie es höchstpersönlich selber zubereiten.” G´kar zuckt nur unmerklich zusammen und beide suchen die Kombüse auf, um sich gemeinsam an die Zubereitung von frischem Spoo, Tweebles, Kaffee und Croissants zu machen. Lyta klappt einen kleinen quadratischen Tisch aus der Wand, auf dem G´kar das Tablett mit den Nahrungsmitteln abstellt und beide nehmen gegenüber Platz. Lyta blickt den breitschultrigen Narn in seinem gewohnt martialischem Ledergewand versonnen über den Rand der großen Kaffeetasse hinweg durch dünne Dampfschwaden an, während dieser hungrig Spoo aus einer kopfgroßen Schüssel in sich 9
hinein schaufelt, ohne sie zu beachten. ”Und nun?”, fragt sie leise in den Raum hinein. ”Was wissen wir?”, sie stellt die Tasse ab und beginnt, an den Fingern demonstrativ abzuzählen. ”Abmessungen im Normal- und Hyperraum, Masse im Normalraum, Oberfläche aus verschiedenen Metallegierungen und kohlenstoffhaltigen Materialien, die vielleicht organischen Ursprungs sind. Das ist alles. Wir fanden bislang keinen Eingang und alle Kontaktversuche blieben unbeantwortet. Ich kann das Innere nicht scannen, da das Feld, das anscheinend die prekäre Lage zwischen den Dimensionen stabilisiert, meine Kräfte wirkungsvoll abblockt. Ich glaube, wir kommen um einen Landeversuch nicht herum, wenn wir mehr erfahren wollen.” G´kar nickt mit vollem Mund und schluckt den letzten Bissen eilig herunter um zu antworten. ”Wenn wir uns diesem Feld nähern, wirft es uns vielleicht wieder in den Hyperraum zurück und diesmal kommen wir sicher nicht so glimpflich davon. Wenn wir irgendwo im Hyperraum ausgespuckt werden, dann sind wir orientierungslos verloren.” Bevor Lyta, die schon den Mund zu Entgegnung öffnet, reagieren kann, fährt G´kar fort: ”Andererseits kommen wir so wirklich nicht weiter und dieses Ding einfach, wie sagt ihr Menschen doch, links liegen zu lassen, bringe ich auch nicht übers Herz. Wenn wir uns von den interdimensionalen Übergängen fern halten, sollte eine Annährung eigentlich möglich sein. Wir versuchen es einfach.” Die sofort aufstehende Lyta drückt G´kars mächtige Pranke auf ihren Sitz zurück: ”Nach dem Frühstück, Lyta, nach dem Frühstück.” Ein fast unmerklicher Ruck erschüttert den Körper des kompakten Langstreckenraumers, der seine stumpfe Nase träge einem flachen, gut drei Kilometer durchmessenden, Diskussegment am Rande der weitläufigen Konstruktion vor ihm zuwendet. Fast widerwillig beschleunigt das Gefährt und wenige Minuten später treibt es wieder abgebremst dicht über der fremdartigen Oberfläche. Lyta studiert fasziniert die Anzeigen ihrer Instrumente: ”Die Hülle ähnelt der eines Vorlonenraumers, allerdings fehlen zumindest bei diesem Teil hier die organischen Komponenten. Das Material ist offensichtlich sehr alt, aber es ist unmöglich zu sagen wie alt. Möglicherweise reden wir von Milliarden Jahren.” ”Ich werde aufsetzen.” G´kar gelingt das Kunststück einer unmerklichen Landung und Lyta blickt ihn fragend an: ”Haben wir schon Kontakt?” ”Definitiv ja. Steigen wir aus und sehen uns um?” Eine halbe Stunde später verlassen zwei Gestalten die kleine Heckschleuse des Raumers: der Narn stapft in seinem froschgrünen Raumanzug, der eher an eine Ritterrüstung des Mittelalters, denn an ein technologisch hochstehendes Produkt einer raumfahrenden Rasse denken lässt, energisch über die unbekannte Oberfläche, während Lyta in ihrer silbergrauen Standarderdmontur im Kontrast dazu fast zerbrechlich wirkend ihm vorsichtig folgt, um in der geringen Schwerkraft nicht abzutreiben. ”Es muss doch irgendwo Schleusen geben, Wartungsluken, meinetwegen Abfallentsorgungsschächte, irgendetwas, das uns Einlass gewährt.” Doch der Optimismus des Narn erweist sich als trügerisch: die perfekt glatte, mattsilbergraue Oberfläche erstreckt sich ohne Unterbrechung, ohne sichtbare Strukturierung, in alle Richtungen und ihre Suche bleibt auch auch zwei Stunden später erfolglos. Inzwischen sind sie bei der Ansatzstelle eines schmalen, mit nur fünfzig Zentimeter Breite ausgesprochen fragil wirkenden, Steges angekommen, der sich nahtlos aus der vor ihnen senkrecht abfallenden Wand in engen Spiralen herauswindet, um einige hundert Meter entfernt genauso übergangslos in einem kleinen Kubus mit einer Seitenlänge von vielleicht hundert Metern zu verschwinden. Keine Schleusentür, keine irgendwie geartete Struktur, die ihnen weiterhilft - G´kar ist verärgert und wütend. ”Dann versuchen wir es eben anders.”, grummelt er unhörbar in seinen dunklen Helm, zieht einen überschweren Maser aus der linken Beintasche und zielt auf die unzugängliche Metallhaut vor seinen Füssen. Lyta will ihn 10
noch an seinem Vorhaben hindern, aber der Narn hat schon abgedrückt und ein feiner goldfarbener Faden reiner Energie spannt sich von der spitzen Werfernadel zum grauen Boden, der aber auf diese Mißhandlung keinerlei bemerkbare Reaktion zeigt. Keine Blasen geschmolzener und dann vergaster Materie werden aufgeworfen, nicht einmal eine sichtbare Verfärbung bleibt übrig, als G´kar den Maser ausschaltet und auf den Knien den mangelnden Erfolg seiner Bemühungen begutachtet. Lytas Stimme halt provozierend schnippisch in seinen Helmlautsprechern: ”Hatten Sie ernstlich erwartet, auf so brachial primitive Art und Weise weiter zu kommen?” G´kar schüttelt den Echsenkopf, dann wird ihm bewusst, dass Lyta diese Geste überhaupt nicht sehen kann und er antwortet: ”Es war immerhin einen Versuch wert, denke ich. Haben Sie etwa einen besseren Vorschlag?” ”Offensichtlich ja, ich bin nämlich drinnen.”
Und GOTT lachte und sprach Dem Narn fehlen sekundenlang die Worte, was bei ihm nun wirklich höchst selten der Fall ist. ”Wo zum centaurischen Henker stecken Sie?” ”Klettern Sie auf den kleinen Steg zu Ihren Füssen und Sie werden es sehen.” Mit zwei langen Schritten steht G´kar am Abgrund und blickt mit leichtem Schaudern auf die dreidimensional sich unendlich ineinander verknotende Struktur unter ihm. Nur ein schwankender Steg hängt zwischen ihm und dem ihn magisch anziehenden Schlund des Abgrundes. Trotz der geringen Schwerkraft lässt er sich äußerst vorsichtig auf die Knie nieder und rutscht fast ängstlich die wenigen Meter zum tatsächlich leicht schwankenden Gitterrost der filigranen Brücke herunter. Ein zwei Meter durchmessende Öffnung gähnt am Stegende in der grauen Wand; das grelle weiße Licht hunderter stecknadelkopfgroßer Punktstrahler beleuchtet eine rund drei Meter tiefe Schleusenkammer in der Lyta ihn schon ungeduldig erwartet. ”Herzlich willkommen im Restaurant am Ende des Universums”, begrüßt sie ihn mit spöttischem Unterton, aber der Narn weiß mit der sarkastischen Bemerkung aufgrund fehlender Kenntnisse klassischer terrestrischer Literatur nichts anzufangen. ”Wie haben Sie das fertiggebracht?” ”Nun, ich muss zugeben, dass ich das auch nicht so genau weiß. Ich strich suchend, tastend mit der Hand über die Oberfläche und plötzlich leuchtete ein kleines quadratisches Feld weiß auf. Ich legte meine Hand darauf und eine Irisblende öffnete sich zu der runden Tür, durch die Sie eben kamen. Und jetzt würde ich gerne sehen, was passiert, wenn ich auf diese weiße Leuchtaste hier drücke. Jedenfalls wenn Sie keine Einwände haben.” G´kar macht wieder den Fehler, seinen Kopf zu schütteln, obwohl der hinter dem dunklen Glas des Helmes für Lyta unsichtbar bleibt, bemerkt seinen Irrtum und ermutigt seine Partnerin schnell: ”Nur zu, drücken Sie, verehrte Lyta, drücken Sie, öffnen Sie uns die Pforte zum Paradies.” Lytas selbst im Raumanzug schmale Hand legt sich auf die weiß glimmende Taste neben den geschlossenen Irissegmenten der inneren Schleusentür. Einige Sekunden lang scheint überhaupt nichts zu geschehen und die beiden blicken sich schon nervös um, als mit einem leichten Schaben die äußere Iris behäbig zugleitet. Über den Berührungskontakt ihrer Steifel auf dem grauen Riffelboden der Schleuse hören sie dann auch das pfeifende Einströmen von Gasen, das nach gut einer Minute leiser wird und gänzlich verschwindet. Wieder geschieht etliche bange Sekunden nichts, dann fährt die innere Iris in die Seitenwände zurück und öffnet ein zwei Meter durchmessendes Loch, durch das zwei überraschte Astronauten in das Innere der mysteriösen Konstruktion starren. ”Damit hätte ich nun nicht gerechnet.”, lässt sich die enttäuscht klingende Stimme von G´kar vernehmen. ”Eigentlich hatte ich mit gar nichts 11
gerechnet. So gesehen werden meine Erwartungen irgendwie erfüllt, nicht wahr?” Lyta zuckt mit den Achseln, aber auch sie wirkt frustriert, um eine weitere Illusion in ihrem Leben ärmer. Der riesige Raum vor Ihnen ist absolut leer, eine kilometerlange und gut tausend Meter hohe Metallblase mit Gasfüllung, ansonsten völlig leer, klinisch rein und sauber. Wer baut so einen Unsinn, solch eine Verschwendung? Interessanterweise ist das Gasgemisch atembar, ähnelt sogar auffällig dem Standardluftgemisch der Earth Force. Eine der vielen Zufälligkeiten in einem unendlichen Universum, eine bewusste Konzession an die zwei unangemeldeten Besucher, nur ein weiteres von unzählig vielen Rätseln und Ungereimtheiten, wer weiß? Lyta und G´kar treten aus der Schleuse auf einen kleinen Metallgitterbalkon, der wie ein Schwalbennest in der Mitte einer senkrecht aufragenden Wand aus poliert silbergrau glänzendem Metall hängt. Zu ihren Füßen, unter dem zerbrechlich dünn wirkenden Drahtgeflecht des Balkonbodens, gähnt ein etliche hundert Meter tiefer Abgrund, der an einer, der Wand vollständig gleichenden, Grundplatte endet, die sich als perfekte Ebene ohne jegliche Unterbrechung, ohne sichtbare Strukturen, bis zum Wandgegenstück in etwa drei Kilometer Entfernung erstreckt. Der Blick gleitet über diese hochaufragende Wand zur Decke, die in dutzenden von Weißschattierungen leuchtet, wie ein dünn bewölkter Himmel auf der guten alten Erde. Schwer klacken ihre Stiefel auf die fragile Bodenstruktur der Aussichtsplattform und Lyta studiert nervös die Anzeigen auf ihrem rechten Instrumentenarmband. ”Ein g, haargenau ein Standard-g”, murmelt sie leise und G´kar schaut sie erstaunt an. Sie bemerkt seinen fragenden Blick durch zwei Helmvisiere hindurch und erklärt: ”In der Schleuse hatten wir eine Schwerkraft von 0.05 g, wie auch auf der Oberfläche des Konstruktes, aber hier stehen wir in einer perfekt auf Erdstandard eingestellten Umgebung. Schwerkraft, Atmosphäre und selbst die spektrale Zusammensetzung des Lichtes entsprechen im Rahmen der Messgenauigkeit meiner Anzuginstrumente aufs Komma genau den Richtwerten der Earth Force. Wer immer hier das Sagen hat, ist uns entweder sehr ähnlich oder weiß genau über uns Bescheid und will uns willkommen heißen.” G´kar beugt sich leicht über die halbmannshohe Gitterbrüstung und untersucht die steil abfallende Wand. ”Hier kommen wir nie heil runter.”, nuschelt er gedankenverloren, als sich die letzten Worte von Lyta langsam durch die engen verschlungenen Windungen seines NarnGehirns kämpfen. ”Wer immer hier das Sagen hat ... . Lyta, können Sie ein lebendes Wesen in diesem Labyrinth ausmachen, jetzt wo wir mitten in seinen Gedärmen stehen?” Lyta lehnt sich wortlos gegen die Metallwand in ihrem Rücken und entspannt den Körper so weit wie möglich. Schwarze Schatten kriechen aus den Winkeln ihrer Augen, schwimmen wie vampirhafte Geister ausgestorbener Riesenamöben über die Pupillen und vereinigen sich zu einem unendlich tiefen Abgrund absoluter Schwärze, als sie ihren Geist auf die Reise durch die Irrgänge und Katakomben dieses monströsen Bauwerkes sendet. Der Schatten ihrer Gedanken streift durch riesige leere Hallen, verirrt sich im Dickicht undurchdringlicher Dschungel, in denen sechsbeinige, blaue, entfernt affenähnliche Geschöpfe durch die Wipfel lilafarbenen Schachtelhalmbäume turnen, gleitet über rote Staubwüsten, in deren ausgedörrten Tiefen graue, wurmförmige Fleischfresser mit geifernden, sternförmig aufgerissenen Mäulern voller spitzer Fangzähne auf Beute lauern, schwebt für Sekundenbruchteile über einem aufgewühlten, grünen Ozean in dessen ammoniakgesättigtem Wasser gerade die Urzeugung stattfindet und eilt dann weiter durch Gänge und Kanäle, über Brücken und Stege, durch Tunnel und Gräben.
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Daran sollt Ihr, die Ihr vermeint alles zu wissen, rätseln bis an das Ende Eurer Tage Als Lyta ihr Bewusstsein wiedererlangt, blickt sie in das sorgenvoll noch mehr als sonst gerunzelte Gesicht G´kars. Auch sie kommt um den klassischen Satz nicht herum: ”Wo bin ich, was ist passiert?” ”Sie sind ohnmächtig geworden und ich habe Sie aus der Halle im Inneren unseres Fundstückes zurück an Bord des Raumers gebracht. Eine kleine Injektion Noradrenalin scheint Sie halbwegs wieder hergestellt zu haben.” Lyta richtet sich mühsam unter Zuhilfenahme der Ellenbogen auf und stellt fest, daß sie im schmalen Bett ihrer engen Kabine, die sich neben der G´kars am Heckende des Raumschiffes befindet, liegt. Ihr Blick wandert weiter und sie bemerkt, daß sie bis auf einen hauchdünnen, zartblauen Tangaslip nackt ist. Spöttisch, aber auch liebevoll sieht sie G´kar an, dessen beige gescheckte Haut an den Wangen plötzlich dunkelbraun anläuft. Verlegen blickt er zu Boden, während Lyta von der Liege gleitet, um aus dem Schrank am Fußende einen mausgrauen, seidig schimmernden Morgenrock zu fischen. ”Was haben Sie entdeckt? Konnten Sie Kontakt mit einem Bewohner aufnehmen?”, fragt er, um den Moment betretenen Schweigens zu überbrücken. Lyta hält, mit beiden Händen den Gürtel des bodenlangen Seidenmantels zuziehend, mitten in der Bewegung inne. Angestrengt nachdenkend horcht sie in sich hinein und legt die weiße hohe Stirn in Falten. ”Ich kann mich nicht erinnern. Geben Sie mir noch ein wenig Zeit, wahrscheinlich kehren die Erinnerungen bald zurück. Erstmal muss ich mich noch etwas erholen.” G´kar steht mit einer geschmeidigen Bewegung von der Liege auf und verneigt sich leicht aus der Hüfte heraus: ”Ich wünsche Ihnen eine schnelle Genesung und die baldige Wiederherstellung Ihres Gedächtnisses.” ”Aus höchst eigenem Interesse, um Ihre Neugier zu befriedigen, ich weiß. Trotzdem: Danke, G´kar. Sobald ich mich besser fühle, werde ich Ihnen bei einem ausgiebigen Abendessen Bericht erstatten. Bis dahin brauche ich allerdings noch etwas Ruhe und Sie noch ein wenig Geduld.” Merkwürdigerweise gilt ihr erster Gedanke, nachdem G´kar die Kabine verlassen hat, nicht dem unbekannten Objekt, sondern eine Frage geistert störend duch die Vorräume ihres Bewusstseins: ”Warum musste ich heute morgen ausgerechnet dieses hauchzarte Nichts von einem Slip anziehen?” Ärgerlich über die Penetranz dieser Nebensächlichkeit schüttelt sie die rote Mähne und legt sich wieder auf ihr Bett. Mühsam diszipliniert sie ihre Gedanken und zwingt sie zurück zu dem Moment auf der Aussichtsbühne, als sie ihre mentale Erkundungstour begann. Wieder eilt ihr körperloser Blick durch die so verschiedenartige Habitate, erforscht die unzähligen Räume, Säle, Hallen des fast unendlich erscheinenden Labyrinths. Leben existiert hier drinnen in mannigfaltigen Formen, aber nirgends stößt sie auf Bewusstsein, auf Spuren von Intelligenz. Keines dieser Lebewesen kann der Erbauer, der Konstruktuer, einer solchen komplexen Struktur gewesen sein. Bei ihrer Suche trifft ihr Avatar immer wieder auf Korridore, Brücken, Gänge die in den Hyperraum führen. Ein flirrendes Energiesiegel verschließt die Übergänge und lässt auch ihre substanzlose Projektion nicht passieren, das Dahinterliegende bleibt ihr verborgen. Nach unendlichen Stunden oder Nanosekunden, denn die Zeit spielt im Zustand der Körpertrennung verrückt und folgt nicht mehr den gewohnten linearen Abläufen, stößt Lyta auf die mentalen Spuren eines Bewusstseins. Sie folgt der geistigen Fährte, schnüffelt wie ein Spürhund nach emphatischen Relikten und wird schließlich fündig. Ein Mensch, ein Mann bekleidet mit einer zerfetzten moosgrünen Hose und einem ebenso zerissenen gelben Rüschenhemd, liegt offensichtlich völlig erschöpft auf dem nackten Boden 13
eines Verbindungsganges mitten im Herzen des wirren Labyrinthes. Getrocknetes Blut überkrustet nackte Füsse und Unterschenkel, extrem kurz geschnittene dunkelblonde Haarstoppel erinnern Lyta vage an Michel Garibaldi, aber der ist es definitiv nicht: die Gestalt ist schlanker, ausgemergelter, das Gesicht jünger, weniger energisch. Vorsichtig dringt Lyta in den ermatteten Geist des Schlafenden ein. Erschrocken muss sie feststellen, dass weite Bereiche des Gedächtnisses sorgsam gelöscht wurden, nicht einmal Erinnerungsspuren sind zurückgeblieben. Das ist nicht die Arbeit menschlicher Telepathen: die könnten Erinnerungen blockieren oder überschreiben, aber Lyta wäre jederzeit in der Lage, die Spuren der alten Engramme zu rekonstruieren. Hier aber wurden die Gehirnzellen in einen ursprünglichen Zustand zurückversetzt, große Teile des Gehirns sind nicht älter als vier Tage, während andere anscheinend auf mehr als dreißig Lebensjahre zurückblicken. Der Mann ist eher Opfer, als Täter; ein Gefangener des Labyrinthes, kein Erbauer. Lyta blickt hinab in seine Träume und sieht das Bild einer schwarzhaarigen Frau mit blasser, fast durchscheinender Haut, die ohnmächtig auf einer fragilen Brückenkonstruktion liegt, während im Hintergrund unendlich viele Sterne im wilden ungeordnetenTanz dämonisch durcheinanderwirbeln. Er denkt intensiv an diese Person, er sucht nach ihr, er liebt sie. ”Wer bist du?”, fragt Lytas Geist und der Mann antwortet im Traum: ”Ich weiß es nicht. Nenn´ mich Jonas, das ist so gut wie jeder andere Name auch. Ich bin Jonas im Bauch des Walfisches, mehr weiß ich nicht.” ”Was bist du?” ”Ich bin der eine, der schon immer hier war, der immer hier sein wird und doch bin ich erst vier Tage alt; merkwürdig nicht wahr?” ”Was willst du?” ”Ich suche meine Gefährtin, damit ich nicht mehr einsam und verlassen durch diese Welten irren muß. Mehr will ich nicht, mehr brauche ich nicht.” G´kar vergißt zum wahrscheinlich ersten Mal in seinem Leben, den frischen Spoo in der Schüssel, die er mit beiden Händen festhält und folgt mit offenem Mund Lytas Bericht. ”Wir müssen doch irgendetwas tun; ihn daraus holen oder so.” ”Das wird ziemlich schwierig werden. Der Mann lag in einem Gangsegment in der Nähe des Zentrums. Wir haben keine Chance dorthin mit dem Raumer vorzustoßen und zu Fuß sind Hunderte von Kilometern ein verdammt langer Weg. Zudem bin ich mir nicht sicher, ob wir dem Mann mit unserem Eingreifen einen Gefallen erweisen würden. Nur wer ihm das Gedächnis nahm, kann es ihm auch wieder zurückgeben. Zudem scheint er mir in seiner jetzigen Situation nicht wirklich unglücklich zu sein. Holen wir ihn zu uns, entfernen wir ihn auch von seiner Geliebten, sofern diese überhaupt realiter existiert und nicht ein reines Traumgebilde ist. Nein, wir sollten ihn lassen, wo er ist.” G´kar schweigt nachdenklich und Lyta fährt fort: ”Momentan fühle ich mich noch ziemlich desolat, trotz des hervorragenden Abendmahls, das Sie für mich gezaubert haben. Ich denke, ich werde mich wieder hinlegen und morgen können wir in aller Ruhe beratschlagen, wie es weitergehen soll.”
Wörtlich zitiert aus den Überlieferungen der Allerersten Lyta wirft sich unruhig auf ihrem Bett hin und her, die Bettdecke ist zu Boden gerutscht und dunkle Schweißflecken verunzieren ihr zartes dunkelblaues Nachthemd. Das wilde rote Haar umgibt zerzaust und strähnig nassgeschwitzt wie eine Pfütze aus Blut ihr weißes Gesicht, die Nase sticht kränklich spitz hervor, die Wangen sind eingefallen, die Lippen verkrampfen sich blutleer blass aufeinander. Mit den Füssen stampft sie in unkoordinierten Wirbeln gegen die Metallwand ihrer Kabine. Dieses Geräusch schreckt G´kar aus seinem unüblich leichten und 14
albtraumbelasteten Schlaf. Er öffnet vorsichtig die schmale Kabinentür, um nach dem Rechten zu sehen. Schlagartig hören die spastischen Bewegungen auf und Lyta fixiert aus weit aufgerissenen, flammend goldgelben Augen die vor ihr aufragende Gestalt des Narn, der selbst mitten in der Nacht ein rüstungsartiges Lederwams trägt. Eine tiefe heisere Stimme quilt wie ein Schwall nassen Lehms aus ihrem halbgeöffneten Mund: ”Stört meine Kreise niemals wieder.” Mit diesen Worten bricht die schlanke Frau bewusstlos zusammen. G´kar will auf sie zustürzen, als ein schrilles Kreischen den Raum erfüllt, ein widerliches kopfzermalmendes Geräusch, das sich anhört, als ob ein gigantischer Kreidestift über die schwarze Schiefertafel des Universums geführt würde. G´kar blickt über seine Schultern in Richtung Cockpit und durch die Beobachtungskuppel hinaus auf das seltsame Objekt, das sie umkreisen. Der Anblick raubt ihm fast den Verstand. In einer dämonisch perfiden Choreographie falten sich Raum und Zeit ineinander, verschlingen sich gegenseitig, werden eins. Später weiß er nicht zu sagen, ob er Sekunden oder Jahrhunderte lang zugesehen hat und auch die Bordinstrumente werden ihm nicht weiterhelfen, weil die gesamte Elektronik in diesem Moment verrückt spielt. Die Strukturen der Station folgen dem Todestanz aus Raum und Zeit, verheddern sich ineinander wie ungehorsame Spaghetti, verknoten sich in Dimensionen, die noch kein Lebenwesen zuvor sah, und verschwinden letztlich spurlos in einem weißen Punkt. Der Sog dieser Transformation erfasst auch den kleinen kompakten Raumer und zieht ihn im letzten Moment der ultimaten Kontraktion mit sich hinein in die verschwindende Singularität. Plötzlich stehen nur noch die unwandelbaren Sterne ruhig wie eh und jeh im wieder unbelebt leeren All. G´kar wird durch die abrupte Beschleunigung zu Boden geschleudert und rutscht hilflos gegen die Wand des Verbindungsganges zum Cockpit. Benommen schüttelt er den angeschlagenen Kopf, aus einer Platzwunde rinnt helles Blut über sein rechtes Auge. Ärgerlich wischt er den Blutfilm ab und stürzt humpelnd an die Steuerkonsole. Das dumpfe Glühen des Hyperraumes erfüllt die Kuppelfenster und beleuchtet dramatisierend die in Wirklichkeit harmlose Verletzung des Narn. Erst besorgt, dann erstaunt und schließlich fast erheitert studiert er die Messwerte und Anzeigen der Kontrollinstrumente und kehrt dann zu Lyta zurück, die stöhnend auf dem Bett liegt; ein blutiger Speichelfaden läuft aus ihrem Mundwinkel und druchnässt das Laken. ”Was war das, G´kar?” artikuliert sie mühsam. ”Ich hatte gehofft, dass Sie mir das sagen könnten. Ich bin leider überfragt; ich weiß nicht einmal genau, ob ich etwas gesehen habe, geschweige denn was.” Er beugt sich über die geschundene Frau, zieht ein weißes Tuch aus seinem Ärmel und tupft das Blut von Mund und Kinn. Sie lächelt ihn dankbar an: ”Ich glaube, da weiß ich ausnahmsweise wirklich ein wenig mehr als Sie. Ich hatte Kontakt mit etwas, mit jemand, mit ... . Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Das Wesen lebt im Hyperraum und in einigen anderen Dimensionen, für die wir noch keine mathematischen Modelle geschweige denn Namen haben. Es muss alt sein, uralt, vielleicht noch älter als die Zivilisation der Allerersten. In gewisser Weise ist das, was wir sahen, die Projektion dieses Wesens auf unsere bekannten Dimensionen, andererseits hat es das Objekt auch irgendwie gemacht, gebaut, konstruiert, wie auch immer. Anscheinend wurde es durch meine mentale Suche aufgeweckt, gestört; jedenfalls mag es uns nicht besonders.” ”Wohin ist es verschwunden?” ”Genaugenommen ist es nicht verschwunden, G´kar, es hat nur die Lampe ausgemacht.” Lyta genoß den verdutzten Gesichtsausdruck und erklärte: ”Ein Mensch vor einer Lampe wirft einen Schatten auf die Wand hinter sich; löscht er die Lampe verschwindet der Schatten, aber nicht der Mensch. Das Konstrukt, das wir sahen, ist in vielerlei Hinsicht nichts weiter als der Schatten seines Erbauers in den Dimensionen von Normal- und Hyperraum. Nun hat er verärgert das Licht ausgedreht und wir
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sehen ihn nicht mehr. Aber er ist immer noch da. Ganz sicher ist er das. Aber was ist mit uns geschehen; wir sind wieder in den Hyperraum gesprungen, nicht wahr?” G´kar nickte: ”Ja, wir sind wieder da, wo wir angefangen haben. Und das meine ich wortwörtlich. Ich habe das Peilsignal unserer Boje aufgefangen und der Zeitgeber steht exakt auf dem Wert, als wir von diesem Etwas aus den Hyperraum in den Normalraum katapultiert wurden. Es ist keine messbare Zeit vergangen, unser Ausflug in den Normalraum hat nie stattgefunden. Es war alles nur ein Traum, eine Illusion.” ”Und Sie sind im Schlaf herumgewandelt und haben sich den Kopf gestoßen, ich weiß. Mein lieber G´kar, die Geschichte glaubt uns sowieso nie jemand. Besser Sie schreiben sie nicht in Ihre Memoiren. Ich denke, Sie haben Recht und wir behandeln das Ganze wie einen gemeinsam durchlebten Albtraum. Haben wir eigentlich irgendwo noch einen Tropfen hochprozentigen Alkohols? Das soll nach Albträumen ware Wunder wirken.”
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Interlude Hat Euch meine Erzählung gefallen, meine Freunde? Es lauern schon merkwürdige Dinge und Lebewesen oder vielleicht auch Lebewesen, die wie Dinge aussehen, in den Tiefen des Alls nicht wahr? Wollt Ihr etwa noch mehr hören, von Abenteuern und Fährnissen aus den alten Tagen, die beileibe nicht die ”guten alten” waren? So bleibt dann bei mir, holt Euch noch etwas zu trinken, aber seit vorsichtig mit dem Pangalaktischen Donnergurgler, der haut mächtig rein und dann kriegt Ihr nicht mehr mit, wie es weiterging, damals mit Lyta und G´kar auf dem kleinen Raumschiff in den tiefen Abgründen zwischen Zeit und Raum. Und mir bringt bitte einen Djinn O´Tonnyx mit, meine Kehle ist wund und mein Herz schwer von wehmütigen Erinnerungen, das eingerostete Gehirn ächzt unter der Anstrengung archäologischer Arbeit und ich drohe die Stimme zu verlieren. Bei diesen Symptomen wirkt ein guter Drink oft Wunder. Außerdem vertreibt er die Müdigkeit aus den gichtigen Knochen, zumindest für eine gewisse Zeit. Müdigkeit, ja da sind wir eigentlich schon wieder mitten drin, in meiner Geschichte. Müdigkeit ...
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Die Schläfer am Abgrund der Ewigkeit Müdigkeit Lyta gähnt herzhaft und laut, reckt beide Arme hinter sich, um die verkrampften Muskeln zu entspannen und wendet sich dann dem Piloten des kleinen Langstreckenraumschiffes zu. ”Wann sind wir endlich da, G´kar?” Das faltige gescheckte Gesicht des Narns wird von dem roten Glühen des Hyperraumes, das durch die hochgewölbte Kuppel über dem Cockpit hereinbrandet, dämonisch angestrahlt. Auch er wirkt übermüdet und abgespannt. Für einen Augenblick hebt er seine mächtigen behandschuhten Pranken von den Kontrollinstrumenten und wedelt mit den Fingern, um die Blutzirkulation wieder in Schwung zu bringen. ”Tja, ich weiß, dass ich mich da wohl ein wenig verkalkuliert habe. Aber in weniger als einem Viertel Ihre Erdstandardstunden sollten wir das Sprungtor von Chi´orb erreicht haben.” ”Ihr Wort in Gottes Gehör, wenn er uns denn zuhört. Noch eine Viertelstunde werde ich überleben, aber dann ist Schluss. Wenn wir dann immer noch herumirren, lege ich mich aufs Ohr, egal was auch passiert.” G´kar scheint sichtlich in seiner Pilotenehre gekrängt zu sein: ”Wir haben uns nicht verirrt, keineswegs. Ich weiß genau wo wir sind.” Nach einem kurzen Kontrollblick auf die Anzeigen vor sich, fährt er fort: ”In genau elf Minuten werden Sie da vorne die Energiesignatur des Sprungtores funkeln sehen und dann vertraue ich Ihren Kenntnissen antiker Technologie, liebe Lyta. Zum Schlafengehen ist jetzt wirklich nicht der richtige Augenblick, glauben Sie mir.” Lyta zuckt mit den Schultern und lehnt sich so entspannt wie irgend möglich zurück: ”Ich werde warten.” G´kar behält natürlich recht. Schon wenige Minuten später zeichnet das Sprungtor auf den Langstreckenscannern und Lyta schließt die Augen, um sich zu konzentrieren. Ihr Geist löst sich schwerelos vom schlaff in der Andruckliege der Pilotenkanzel zurückbleibenden Körper und eilt dem Raumer voraus zu dem Energiegitter des Sprungtores. Der Avatar gleitet durch die Informationsmuster der Kontaktmatrix und sucht nach Möglichkeiten, das schlafende Tor aus seinem Jahrtausendschlummer zu erwecken. Das Tor gehört zu einem uralten, die gesamte Milchstraße durchziehendem Transportsystem, das die Allerersten vor Jahrmillionen angelegt hatten und das weitgehend intakt zurückblieb, als sie die Galaxie auf Nimmerwiedersehen verließen. Ihre Nachfolger, die Vorlonen und die Schatten, haben das komplexe Netzwerk nur in den von Ihnen bewohnten Sektoren erhalten und weiter ausgebaut. Nachdem auch sie der Muttergalaxis nun endgültig den Rücken kehrten, oblag die Pflege des Sprungtorsystems nun den jungen Völkern, unter anderem damit auch der Menschheit. Doch immer noch existieren die Tore der Allerersten und da sie buchstäblich für die Ewigkeit gebaut wurden, funktionieren viele von ihnen auch nach Millionen Jahren trägen Schlafes. Es ist allerdings schwierig sie aufzuwecken, wie Lyta einmal mehr feststellen muss. Für ihren substanzlosen Geist sieht die Matrix wie ein düsteres, unheimliches Labyrinth aus. Vor einem dunkelinfrarot geschecktem Hintergrund zeichnen sich mattschwarz dreidimensional verschlungene Pfade schwer zu erkennen und noch schwerer nachvollziehbar, verfolgbar ab. An den Knoten und Kreuzungen dieser Irrwege glimmen manchmal, aber nur sehr vereinzelt, blutrote Punkte und an diesen wenigen Kontaktstellen remanenten Bewusstseins versucht Lyta anzugreifen. Geistige Finger streicheln sanft über verängstigte Photonengitter, beruhigende Gedanken folgen einsamen Lichtwellen auf ihrer 18
ziellosen Irrfahrt durch stille Kanäle und ihre wortlose Stimme weckt zärtlich eine unwillig sich windende künstliche Intelligenz. G´kar bekommt von diesen Vorgängen naturgemäß wenig mit. Er kauert vornübergebeugt in seinem Sitz und starrt angestrengt aus dem Fenster. In dem schwarz-roten Wabbern der Hyperraumströme zeichnet sich schwach das Gitter des Sprungtores ab, aber es bleibt dunkel, aktionslos, tot. Aus den Augenwinkeln heraus hat G´kar auch immer einen Blick auf Lytas scheinbar schlafenden Körper. Er weiß, wie verletzlich ihr zarter Leib ist, wenn der unbändig starke Geist ihn verlässt, um wie momentan auch in anderen Gefilden zu wandeln. Plötzlich glüht das Sprungtor orangegelb vor ihm auf. Lyta hat es einmal mehr wieder geschafft. Dankbar, dem Hyperaum den Rücken kehren zu können, beschleunigt G´kar den Raumer und steuert ihn sicher durch den tosenden Lichtwirbelsturm zurück in den Normalraum. ”War´s schwer?”, fragt G´kar ehrlich besorgt die erschöpft auf dem Hocker der kleinen Kombüse kauernde Lyta Alexander, während er ihr einen Becher voll bernsteinfarbener Flüssigkeit reicht, an dessen matter Glaswand Tautropfen kondensieren und auf den Boden tropfen. Lyta nickt stumm und nimmt dankbar einen tiefen Schluck. Mit einem lauten Klacken stellt sie das nur noch halbvolle Glas auf den quadratischen, aus der Wand herausgeklappten Tisch und sieht G´kar mit großen Augen an; ein Blick, von dem sie weiß, dass er ihn fürchterlich irritierte und verlegen macht. ”Ich musste mir von der Matrix prävorlonische Witze erzählen lassen. Können Sie sich vorstellen, was für einen Bart die haben?”, fragt sie ihn völlig ernsthaft. Als sie G´kars verblüfftes Gesicht lange genug genossen hat, lacht sie laut und in für sie seltener Fröhlichkeit auf. ”Nein, es war eigentlich nicht schwer. Mühsam oder zäh beschreibt es wohl besser. Es ist wie das Waten durch tiefen weichen Schlick: man kommt nicht vorwärts und hat immer Angst steckenzubleiben und zu versinken. Aber irgendwie ist es auch angenehm: warm, weich, sanft, zärtlich. Und das ist im Endeffekt viel gefährlicher.” Sie schüttelt voller Erinnerungen langsam den Kopf und ihr rotes langes Haar streichelt über G´kars Hand, der hinter ihr stehend ihre Schultern massiert. ”Darf ich jetzt ins Bett, Captain?”, fragt sie ihn spöttisch und G´kar stimmt genauso formell dem offiziellen Beginn der Bordnacht zu.
Einschlafen Das Licht der im Sonnenschein badenden Planetenkugel erfüllt die Panoramakuppel der Steuerkanzel. Lyta blickt gut gelaunt nach acht Stunden traumlos tiefen Schlafes und einem ausgiebigen Frühstück auf das freundlich einladende Bild. Weiße Wolken ziehen über einen braungelb und grün gemusterten Kontinent dahin, verhüllen schaumgekrönt, stürmisch aufgewühltes, blaues Meer und stauen sich zu gewaltigen Wasserdampftürmen an vereisten Bergketten. Der Planet ähnelt in vielem der Erde zu Zeiten Pangäas. Eine einzige große Landmasse nimmt gut zwanzig Prozent der Oberfläche in Anspruch, der Rest besteht aus einem reich mit Inseln bestückten, flachen, vor Leben strotzenden Ozean. Auch G´kar blickt verträumt nach draußen. Für ihn, als Bewohner einer wasserarmen, stets von Stürmen roten Staubes umtosten Welt, entspricht der Planet Chi´orb perfekt seinen Vorstellungen vom Paradies. Lytas sanfte doch energische Stimme scheucht ihn aus seinen seligen Gedanken. ”Nun ist es aber an der Zeit, dass Sie mir erzählen, warum wir hier sind, G´kar. Die ganze Reise von Fornax nach Epsilon Eridianae waren Sie doch schon dabei, den Trip hierher zu planen. Und nach unserer kurzen Erholungspause haben Sie mich losgeschleppt und ein Riesengeheimnis aus unserem Ziel und dem Grund für Ihr Interesse gemacht. Nun, wir sind da, also erzählen Sie mir, warum.” 19
G´kar lehnt sich entspannt in den breiten Andrucksessel zurück, legt die Fingerspitzen eine nach der anderen sorgsam zusammen und fängt leise an zu dozieren, ohne Lyta dabei anzusehen. Natürlich hätte die Telepathin die Informationen jederzeit direkt aus seinem Gehirn holen können, aber sie respektiert seinen Wunsch nach Geheimniskrämerei und außerdem liebt sie es durchaus, überrascht zu werden. Es gibt nur sehr wenige Männer, die sie noch überraschen können und G´kar zählt mit Sicherheit dazu. ”Chi´orb ist eine uralte Welt. Es gab hier schon eine hochstehende Zivilisation, als die Allerersten dieses Sprungtor bauten und aus den wenigen erhaltenen Überlieferungen geht hervor, dass sie die Bewohner dieser Welt als ihnen absolut ebenbürtig betrachteten. Etwa zu der Zeit, als die Allerersten die Galaxis für immer verließen, beschlossen die Chi, die Raumfahrt einzustellen und sich nur noch ihrer geistigen Weiterentwicklung zu widmen, um reine körperlose Geistwesen, wie die Allerersten auch, zu werden. Sie lösten alle ihre Kolonien auf, zogen sich hierher nach Chi´orb zurück und zerstörten dann alle Raumschiffe, desaktivierten die Sprungtore, verschlossen systematisch alle Wege nach außen. Selbst der Hyperraumfunk wurde eingestellt; der Planet kapselte sich ein, wie eine Raupe in ihren Kokon. Als die Vorlonen Jahrhunderttausende später mehr zufällig als geplant vorbeikamen, erwarteten sie einen leeren Planeten vorzufinden, eben einen verlassenen Kokon. Aber statt dessen stießen sie auf eine primitive Zivilisation in einem präatomaren Entwickungsstadium. Erst nahmen sie an, dass dies eine neue intelligente Rasse sei, die das, durch den Übergang der Chi auf die nächste Bewußtseinsebene entstandene, evolutionäre Vakuum für sich genutzt hätten. Aber es waren definitiv die Chi selber. Irgendetwas war gründlich schief gegangen und sie hatten den Sprung zur Herrschaft des Geistes über den Körper nicht vollziehen können. Stattdessen waren sie anscheinend in einer drastischen retrograden Entwicklung zu immer primitiveren Kulturformen gefangen. Die Vorlonen boten ihre Hilfe an, aber die Chi lehnten feindselig jeglichen Kontakt ab. Daraufhin beschränkten die Vorlonen ihre Unterstützung auf eine Bewachung des Sprungtores und natürlich verhinderten sie einen Eingriff der Schatten auf dieser Welt. Das wirklich große Rätsel aber, ist die absolute Stagnation dieser Welt. Entgegen den Vorhersagen der vorlonischen Experten entwickelten sich die Chi durchaus nicht immer weiter zurück. Dann müssten sie nämlich heute schon längst wieder auf Bäumen leben. Nein, dieser Planet existiert seit nunmehr etlichen Millionen Jahren in vollkommen unveränderter Form. Nichts, aber auch gar nichts entwickelt sich in irgendeine Richtung. Die ganze Welt ist perfekt konserviert so erhalten, wie sie die ersten Scoutschiffe der Vorlornen vorgefunden haben. Und das ist wissenschaftlich gesehen völlig unmöglich. Kein zivilisatorisches System kann unverändert solange existieren. Wie sagt Ihr Volk, Lyta? Stagnation ist Rückgang. Wer sich nicht vorwärts entwickelt, der geht zurück. Aber die Chi treten seit ewigen Zeiten wie Mäuse im Laufrad auf der Stelle und nichts geschieht. Ich denke, wir beide sollten uns das mal genauer ansehen. Vielleicht finden wir ja die Ursache für dieses abnorme Verhalten. Nun, hört sich das interessant an?” Lyta nickt stumm, aber ohne rechten Enthusiasmus: ”Wir sollten wenigstens einen Blick hinter die Kulissen dieser Museumswelt werfen, da haben Sie ganz recht. Danach sehen wir dann weiter. Wie ich Sie kenne, wissen Sie auch schon genau, wie es weitergehen soll, nicht wahr, mein strategisch denkender Freund?” G´kar grinst über das Lob erfreut: ”In der Tat habe ich mir schon gewisse Gedanken in dieser Hinsicht gemacht. Da die Chi weder über Satelliten noch über Raumfahrt in irgendeiner Form verfügen, sollten wir unbemerkt landen können, wenn wir uns von den radarüberwachten Flugrouten fernhalten. Andererseits kann 20
uns auch bei einer Entdeckung nicht viel passieren: die Chi scheinen keinerlei Waffen zu kennen. Anscheinend gibt es auf dieser glücklichen Welt keine Raketen, Bomben, Panzer oder auch nur Maschinengewehre. Die tödlichste Bedrohung für uns wäre ein Messerwurf oder eine Steinschleuder.” Lyta runzelt ob dieser ansich positiven Nachricht die Stirn. Da stimmte etwas ganz und gar nicht: es gibt kein Volk, das völlig auf den Schutz vor bewaffneten Aggressoren verzichtet und trotzdem überlebt. Vielleicht war die Bewachung durch die Vorlonen an dieser Entwicklung schuld. Aber irgend etwas ist ihr zutiefst suspekt an diesen ach so friedliebenden Chi. Der Raumer schiebt sich langsam von der Nachtseite an den Planten heran, um auf einem kleinen Eiland nur wenige Kilometer vor der Küste des Hauptkontinentes zu landen. Schon beim Anflug öffnet sich Lyta den einströmenden Gedanken von knapp einer Milliarde Lebewesen und je mehr sie sich der Oberfläche näherten, um so nervöser wird sie. Die Lichter der großen und kleinen Städte verbunden durch ein filigranes Netz beleuchteter Straßen überziehen wie ein Diamantennetz die gesamte Landmasse mit Ausnahme des bis zu zehn Kilometer hoch aufragenden Zentralmassivs. Aber auf der als Landepunkt ausgewählten Insel liegt alles im unduchdringlichen Dunkel einer mondlosen Welt und G´kar muss sich auf die Bilder der Nachtsichtgeräte verlassen, die vor ihm in das Kuppelfenster eingespiegelt werden. Nachdem der kompakte Raumer sicher auf seinen vier Landestelzen aufgesetzt hat, dreht G´kar seinen Kopf zur Seite, um Lyta anzublicken, von der er seit etlichen Minuten keinen Laut mehr vernommen hat. Stocksteif sitzt sie mit durchgedrücktem Rückrat neben ihm, feiner Schweiß glänzt auf der blassen Stirn und die tiefschwarz verfärbten Augen verraten den Einsatz ihrer unheimlichen psychogenen Kräfte; eine Anstrengung die ihren Körper bis an die Grenzen der Belastbarkeit und oft auch darüber hinaus führt. G´kar weiß um die Vergeblichkeit seines Tuns und spricht sie trotzdem leise an: ”Lyta, alles ok.?” Sanft legt er seine behandschuhte riesige Pranke auf ihren nackten, zerbrechlich schlanken Unterarm. Seit den ersten Tagen ihrer gemeinsamen Reise trug Lyta nicht mehr die strenge, graue Uniformtracht ihrer Babylon 5 - Tage, sondern sie bevorzugte bequeme Hosen und farbig-bunte, ärmellose Shirts, in denen sie um Jahre verjüngt wirkte. Zögerlich verschwinden die schwarzen vorlonischen Schemen aus ihren Augen, verziehen sich wie beleidigte Gespenster lauernd in die geheimen Verstecke ihres Geistes und das menschliche Bewusstsein kehrt in Lytas Körper zurück. G´kar beobachtet erleichtert die Veränderung, fast liebevoll ruht sein aufmerksamer Blick auf ihrem Gesicht, in dem sich nun eine Mischung aus Frustration, Überraschung und Unglauben abzuzeichnen beginnt. ”G´kar, sind Sie sich sicher, dass dieser Planet wirklich bewohnt ist, dass reale intelligente Geschöpfe ihn bevölkern und nicht nur Automaten und Maschinen?” ”Nach allem was ich weiß, ja. Da draußen sollte eine Milliarde Chi leben. Warum fragen Sie mich das?” ”Es gibt auf dem ganzen Planeten kein bewusstes Leben, keinen einzigen Verstand, zu dem ich Kontakt hätte aufnehmen können. Schon beim Anflug kam mir die ganze Sache äußerst merkwürdig vor. Jede bewohnte Welt ist von einer Wolke aus Gedanken, Gefühlen, Erinnerungen umgeben, die sich für mich genauso klar abzeichnet, wie die Atmosphäre für ihre Augen. Aber hier gibt es so etwas nicht, für meinen telepathischen Blick ist der Planet dunkel, absolut schwarz. Es gibt hier definitv kein einziges denkendes Wesen, das kann ich Ihnen versichern G´kar. Wo immer die Chi sein mögen, hier sind sie nicht.”
Tiefschlaf 21
Die langsam hervorkriechende Morgendämmerung steht im eklatanten Gegensatz zu Lytas Zeitempfinden, das in diesem Moment mit lautem Magenknurren auf ein ausstehendes Mittagessen hinweist. G´kar hat den Empfang der lokalen Fernsehsender mit den Bildschirmen der Anzeigendisplays auf ihrem Kontrollpult, das mit in einem vier Meter langen Kreissegement die ganze Vorderseite der Kommandokanzel unterhalb der fast unsichtbaren Beobachtungskuppel einnimmt, gekoppelt. So sitzen sie nun in ihren breiten Pilotensesseln, balancieren tiefe Teller mit eintopfartigen Gerichten auf den Knien und löffeln ihr Mittagsmahl in sich hinein, während sich ihre Aufmerksamkeit zwischen einem postkartenkitschigen Sonnenaufgang in dem Panoramafenster und verschiedenen Fernsehkanälen auf fünf Bildschirmen zu entscheiden gezwungen sieht. Das Fernsehangebot ist von universeller Langweiligkeit. Die Chi sprechen plantenweit eine einheitliche Sprache, die an klassisches Vorlon erinnert und Lyta ist in der Lage, den Fernsehprogrammen ohne Schwierigkeiten zu folgen. Von Zeit zu Zeit informiert sie G´kar in kurzen Sätzen über das Geschehen auf den Bildschirmen. Es gibt allerdings nicht viel zu berichten. Die Nachrichtensendungen sind sterbenslangweilig: die wichtigsten Themen scheinen ein erwarter Rückgang der Krillernte um 0.05 % und der Ausfall eines Windkraftwerkes für sagenhafte 12 Sekunden zu sein. Sonst ist offensichtlich nichts berichtenswertes passiert. Neben den Nachrichten laufen eine Vielzahl untereinander zum Verwechseln ähnlicher Musikprogramme sowie einige Quizshows, deren Fragen sich anscheinend größtenteils auf eben diese Musiksendungen beziehen. Unterhaltungskultur ist auf Chi´orb mit Sicherheit ein Fremdwort, zu dieser Schlussfolgerung kommen unsere beiden Helden sehr schnell. Die Chi sind übrigens den Menschen äußerlich sehr ähnlich. Man muss schon recht genau hinsehen, um die feinen Unterschiede zu bemerken. Die Nasen zum Beispiel sind durchweg auffallend groß und an der Unterseite fehlen die uns vertrauten Öffnungen. Es handelt sich nämlich keineswegs um Atmungs- oder Geruchsorgane, sondern um emphatische Sensoren, mit denen die Chi nicht nur sehr feinfühlig die Emotionen ihrer Mit-Chi aufnehmen, sondern auch aktiv beeinflussen können. Ihre Nüstern liegen gutversteckt am Hinterkopf, wobei die dichten Haarschöpfe als effektive Staubfilter dienen, während die Chi zur Geruchswahrnehmung wie terrestrische Schlangen die Luft mit einem schlürfenden Geräusch über ihre Zungen saugen müssen. Hätte Lyta um diese emphatischen Fähigkeiten gewusst, umso mehr hätte sie sich über das völlige Fehlen telephatisch detektierbarer Signale gewundert. ”G´kar, ich fürchte, Sie werden mich nicht begleiten können. Die Bewohner dieser Welt sind den Anblick fremder Lebensformen ganz und gar nicht gewöhnt. Ich kann mir absolut keine Verkleidung vorstellen, in der Sie sich hier unbeachtet bewegen könnten. Mir wird das hingegen mühelos möglich sein. Eigentlich muss ich mir nur ein wenig farbiges Makeup in die Nase stopfen und etwas mausgrau Tristes aus meinem Kleiderschrank suchen, dann kann ich hier herumlaufen und kein Chi wird etwas bemerken. Ich würde vorschlagen, Sie setzen mich am Ufer des Kontinents ab und ich marschiere zur nächsten Siedlung und höre mich mal um. Einverstanden?” Der Narn nickt zustimmend und keine Stunde später steht Lyta in einer kleinen, von hohen Klippen gesäumten, Sandbucht und sieht dem Raumer nach, der nur Zentimeter über den sanften Wellen des blaugrün glitzernden Meeres zurück zu der unbewohnten Insel fliegt. Für diese erste Expedition hat Lyta genau drei Stunden Erdstandardzeit zur Verfügung, dann soll G´kar sie hier wieder einsammeln. Lyta blickt sich um und findet den Ort beinahe schmerzhaft einladend. Sie verspürt den unwiderstehlichen Drang, ihre Schuhe auszuziehen, um den feinen weißen Sand durch die 22
Zehen rieseln zu lassen und im flachen warmen Wasser der Bucht zu planschen, den Drang sich in den Sand zu legen, Wind und Brandung zu lauschen, in der warmen Vormittagssonne mit geschlossenen Augen zu träumen. Wehmütig schüttelt sie, erstaunt über ihre eigenen Gefühle, den Kopf und stapft entschlossen durch den Sand zu einem schmalen Pfad, der sich in engen Serpentinen durch die Felsen hinauf zum eigentlichen Festland schlängelt. Der festgetrampelte Boden zu ihren Füßen ist unkrautüberwuchert und stellenweise kaum als Weg zu erkennen: hier ging schon lange Zeit kein Wesen mehr entlang. Oben angekommen bietet sich Lyta ein beeindruckender Anblick. Auf einer weiten grünen Ebene grasen dreckig-weiße Tiere, die sie entfernt an Antilopen erinnern, in großen Herden von hundert oder mehr Individuen. Niedrige Zäune aus einem grauschimmernden Geflecht trennen die einzelnen Herden, obwohl die Tiere wohl mit Leichtigkeit die hüfthohen Gatter überwinden könnten. Was Lyta aber wirklich fasziniert, obwohl sie auf die Aussicht durch ihren Anflug vorbereitet sein sollte, ist der lichte künstliche Wald silbergrauer Bäume. Bis zum Horizont stehen in locker gestaffelten Reihen Windgeneratoren, jeder einzelne etwa fünfzig Meter hoch mit dreiflügeligen Rotoren, die gut zwanzig Meter durchmessen und alle perfekt gleich aussehend. Lyta schätzt ihre Zahl alleine auf diesem kleinen Landstück auf fünfhundert, vielleicht tausend, und so wie hier sieht es fast überall auf dem Kontinent aus. Chi´orb ist ein einziges gigantisches Windkraftwerk. Wozu brauchen sie soviel elektrische Energie und warum ist sie ihnen so wichtig, dass selbst ein sekundenlanger Ausfall eines einzigen Mastes eine Nachricht im Fernsehen wert ist? Lyta weiß, dass sie die Antwort hier nicht finden wird und macht sich auf den Fußmarsch zu einem kleinen Dorf in gut vier Kilometer Entfernung. Sie hat keine Zeit zu verlieren: in genau 155 Minuten wird G´kar unten am Strand auf sie warten und er liebt Pünktlichkeit. Das beständige Brummen der gewaltigen Riesen, die in einfältiger Monotonie die Luft verquirlen, ermüdet Lyta und die heiße Sonne, der staubige Boden sowie die abwechslungsarme Landschaft tun ein übriges. Ihre Aufmerksamkeit ist völlig perdu und so rennt sie, als der Weg eine Kurve um den grauen Leib eines der künstlichen Waldbäume beschreibt, ohne jede Vorwarnung in den ersten Chi ihres Lebens. Der junge Mann ist anscheinend ein mit der Wartung der Windgeneratoren betrauter Techniker, der sich nach getaner Arbeit etwas ausruht. Er sitzt mit ausgestreckten Beinen am Fuß des Mastes, an den er seinen Rücken lehnt. Neben ihm steht ein halboffener Werkzeugkoffer und in dem Mast gähnt in Kopfhöhe eine quadratische Öffnung, die den Blick auf ein Gewirr vielfarbiger Kabel freigibt. Lyta ist über die Unterschenkel des Mannes gestolpert und bewahrt nur mühsam ihr Gleichgewicht. Nach zwei, drei verstolperten Schritten fängt sie sich wieder und geht zu der regungslos liegengebliebenen Gestalt zurück, um sich zu entschuldigen. Aber entweder versteht er ihren vorlonischen Dialekt nicht, oder er ist stumm. Wortlos steht er auf, klopft den Staub von seinem grauen Overall, wendet sich der Serviceklappe zu, an der er gearbeitet hatte und schließt sie sorgfältig, beinahe zärtlich. Dann ergreift er seine Tasche und macht sich in Richtung des Dorfes auf den Weg. Lyta begleitet seine energisch ausgreifenden Schritte, aber alle ihre Versuche eine Unterhaltung zu beginnen verlaufen ergebnislos im Sande und schließlich gibt sie es auf. Stumm marschieren sie die verbleibenden zwei Kilometer zum Dorf nebeneinander her. Aber auch hier sind Lytas Kontaktversuch von keinerlei Erfolg gekrönt. Jeder blickt durch sie hindurch, als ob sie unsichtbar wäre. Schließlich begleitet sie kurzentschlossen eine Frau, die ihren vollen Taschen zufolge gerade vom Einkaufen kommt, in deren Wohnung. Die leicht korpulente Hausfrau undefinierbaren Alters, bekleidet mit einem ähnlich androgyn hässlichen 23
Overall wie der Windmühlenmonteuer, lässt Lyta ohne Kommentar gewähren und die Telephatin sieht sich in den vier Zimmern der Etagenwohnung um, ohne allerdings aus den nichtssagenden Mobiliar, das sie an Filme aus der irdischen Jahrtausendwende erinnerte, irgendwelche Erkenntnisse gewinnen zu können. Die penible Ordnung und das Fehlen jeglicher persönlich wirkender Gegenstände erinnern Lyta zwangsläufig an die aseptische Sterilität von Hotelzimmern. Das für sie unheimlichste ist und bleibt jedoch die vollkommene Abwesenheit telepathisch erfassbarer Gedanken; für ihren geistigen Blick sind Chi unsichtbar wie Maschinen. Selbst die diffuse Aura der Weidetiere war ihr im Vergleich dazu wie ein strahlendes Lichtermeer erschienen. Da ihr die Zeit davon läuft, gibt Lyta ihre fruchtlosen Bemühungen auf und macht sich auf den Weg zurück zum Strand. Am Dorfausgang wird sie unerwarteter Weise dann doch noch zur Kenntnis genommen und angesprochen. ”Fremde, bleiben Sie stehen.” Eine kleine zierliche Frau mit schulterlangen, leicht gelockten, blonden Haaren, die Lyta gerade bis zu den Achseln reicht, kommt direkt auf sie zu. Auch sie trägt den ortsüblichen Overall, aber ihrer ist pechschwarz und erinnert Lyta in unangenehmer Weise an das Psi-Chor. Lyta erkennt zum ersten Mal bei einem Chi eine schwache Bewusstseinsaura, aber was sie sieht, gefällt ihr durchaus nicht. Der Geist der Frau kennt nur einen Gedanken: ”Töte!”. Ihrer aufkeimenden Furcht trotzend kommt Lyta der verbalen Aufforderung nach und blickt der näherkommenden Person so freundlich wie möglich entgegen. Diese bleibt unvermittelt mit leicht gespreizten Beinen stehen, zieht ungeschickt einen pistolenartigen Gegenstand aus der rechten Hosentasche und richtet die Waffe auf Lyta. Ohne jegliche weitere Vorwarnung drückt sie ab, aber Lyta zerstört die Waffe mit einem ärgerlichen Blick; es ist auch für sie selber immer wieder erstaunlich, welche Möglichkeiten ihr die vorlonischen Implantate eröffnen. Verständnislos blickt die Chi sekundenlang auf die zu Staub zerbröselnde Masse in ihrer Hand, dann setzt sie sich unvermittelt wieder in Bewegung und geht mit ausgestreckten Armen wie ein drittklassiger Zombie auf Lyta los. Doch die kontrolliert die Situation souverän; ihr telekinetischer Griff hält die Angreiferin bei einem Abstand von zwei Metern mit stählernen Klauen fest. In ohnmächtiger Wut funkeln grüne Katzenaugen Lyta an. Ratlos, wie sie die Situation entspannen soll, mustert Lyta die Frau. Im Gegensatz zu den glatten alterslosen Gesicher der anderen Chi weisen ihre Züge eine gewisse Persönlichkeit auf. Grübchen rahmen die elegant geschwungenen Lippen, ein energisches Kinn deutet Durchsetzungsvermögen an, Lachfältchen in den Augenwinkeln kontakarieren das wilde Funkeln der grünen Augen, eine fast klassisch griechische Nase - natürlich nur “fast” da ohne Nasenlöcher - und leicht vorstehende Wangenknochen vervollständigen einen Anblick, den Lyta unter anderen Umständen recht sympatisch gefunden hätte. Wieder versucht sie in den Geist ihrer Widersacherin einzudringen, sie zu besänftigen oder, wenn das nicht möglich ist, zu betäuben. Aber da ist nichts zu besänftigen, nichts was einzuschläfern wäre. Nur ein Gedanke hallt durch die absolut leeren Hallen ihres Verstandes: “Töte!”. Schließlich sieht Lyta lediglich einen Ausweg: sie stoppt den Atem der immer noch verzweifelt kämpfenden Frau, bis der Körper schlaff zusammensackt. Mit um Entschuldigung bittenden Bedauern legt die Telephatin den leichten, fast kindlichen Leib in das Gras am Wegrand. Ihr Opfer wird in wenigen Minuten wieder zu sich kommen und seine aggresiven Bemühungen wieder aufnehmen; Lyta muss sich beeilen und diesen Ort umgehend verlassen. Im leichten Trapp geübter Jogger setzt sie sich in Bewegung und verschwindet hinter dem nächsten Rotormast in Richtung Meer. Abends (Bordzeit, das heißt am frühen Nachmittag Ortszeit) sitzen Lyta und G´kar in der Kombüse zusammen und diskutieren die Erkenntnisse des ersten Tages. ”Sie sind seelenlose 24
Automaten, die einem festgelegten Programm folgen. Was nicht einprogrammiert ist, existiert für sie nicht, daher konnten sie mich gar nicht wahrnehmen. Das sind keine lebenden Wesen, G´kar, das sind nur noch leere Hüllen. Vielleicht haben die Chi doch ihr Ziel der Vergeistigung erreicht und den Planeten schon vor Äonen verlassen.” ”So, in diesem Zustand? Das kann ich nicht glauben, das entspricht einfach nicht meinen Vorstellungen vom Handeln einer evolutionär hochentwickelten Rasse.” ”Ihren Vorstellungen, G´kar, ihren Vorstellungen!” Nein, nicht nur meinen, Lyta. Die Allerersten und die Vorlonen ließen die von ihnen verlassenen Planeten in ihrem ursprünglichen Zustand zurück, frei von allen Spuren der Zivilisation. Sie räumten ordentlich hinter sich auf, alleine schon um zu verhindern, dass ihre Spielzeuge unartigen Kindern in die Hände fielen, die sich damit weh tun könnten. Das Gleiche wäre hier auch passiert, davon bin ich fest überzeugt. Hier geht etwas anderes vor, ich weiß nur noch nicht was.” ”Sie sind einmal mehr nur stur wie ein sprichwörtlicher Narn, G´kar. Hier gibt es kein intelligentes Leben mehr, glauben Sie mir. Hier ist nur noch unnützes Verpackungsmaterial zu einem ewig sich wiederholenden Tanz um ein längst verschwundenes goldenes Kalb verdammt.” ”Lyta, hier stimmt etwas nicht, daran halte ich fest. Wozu brauchen die Chi die Unmengen elektrischer Energie, die sie erzeugen? Warum sind alle Städte, Dörfer, ja selbst frei stehende Häuser mit einem gewaltigen unterirdischen Kabelsystem verbunden, wenn doch der Strom überall direkt erzeugt wird und alle Informationen über Radiofrequenzen ausgetauscht werden? Was fließt durch diese Abermillionen Kabelkilometer? Ich denke, wir sollten noch ein wenig hierbleiben und nach ein paar Antworten suchen.” ”Sie sind der Boss, G´kar. Wenn es Ihnen Freude bereitet, bitte.”
Traum Das laute, unrythmische Prasseln von Hagel auf der Außenhülle des Raumschiffes weckt die beiden Abenteurer gleichzeitig auf. Lyta schlüpft in ihren seidengrauen Morgenmantel und eilt auf die Brücke, G´kar steht schon neben den Pilotensesseln in seinem üblichen Ledergewand und starrt angestrengt hinaus in die nur von wenigen Sternen erhellte Nacht. ”Schläft er eigentlich in diesen Rüstungen?”, schießt es Lyta durch den Kopf bevor auch sie das Dunkel der Nacht mit allen Sinnen zu durchdringen versucht. Hunderte von Chi haben sich um das Raumschiff versammelt und dreschen mit allen verfügbaren Gerätschaften auf die Hülle ein, werfen Steine und andere Gegenstände auf das Schiff, prügeln mit bloßen Händen das Duraluminium der Außenhaut, die sich in stoischer Ruhe weigert, von all diesen Misshandlungen auch nur im geringsten Kenntnis zu nehmen. Fast rührend wirken die Versuche der Chi, den ungebetenen Gast zu vertreiben, aber auch nur fast: in hunderten von Gehirnen liest Lyta nur eine wohlbekannte Botschaft: “Töte!”. Ratlos wendet sich G´kar an die zierliche Frau neben ihm: ”Was machen wir bloß? Die werden sich noch verletzen, wenn sie so weiter machen.” Aber auch Lyta kann ihm nicht weiterhelfen: ”Wenn wir jetzt starten, verbrennen wir einige Hundert Chi zu Asche, bleiben wir, werden sie sich noch umbringen im vergeblichen Bemühen uns umzubringen. Das ist schon eine ganz schön vertrackte Situation, in die Sie mich da gebracht haben, G´kar.” Dem Narn fehlen die Worte: ”Ich? Ich wollte doch nur ... .” ”Lassen Sie es gut sein, mein Freund, es war wirklich nicht so gemeint. Ich glaube, ich habe eine Idee, die uns hier heraus bringt. Halten Sie sich für einen Alarmstart bereit, sobald sich die Meute verzogen hat.” G´kar schwingt sich in den Pilotensessel und Lyta lehnt sich an die hintere Wand der Kanzel, entspannt ihren Körper und schwarze Schatten schleichen glücklich über ihre Reaktivierung aus den Augenwinkeln, sickern aus den Lidern und verschmelzen in extatischer Einheit. Aus schwarzen Augen blickt Lyta auf die Chi, die plötzlich wie abgestellte Automaten in ihrem müßigen Tun innehalten, sich orientierunglos umsehen und kurz darauf ihre Aktivitäten einige hundert Meter entfernt wieder aufnehmen. Mit fanatischem Ernst schleudern sie 25
Feldsteine ins Leere, dreschen auf die Luft ein und sind sich offensichtlich der Unsinnigkeit ihrer Handlungen keinen Sekundenbruchteil bewusst. Unbehelligt hebt der Raumer senkrecht ab und entschwebt dem surrealen Geschehen. Minuten später brechen die Chi erneut abrupt ihre Attacken ab, sehen sich erstaunt um und verschwinden schließlich einzeln oder in Gruppen in der Überzeugung, eine Schlacht siegreich geschlagen zu haben. G´kar stabilisiert den Raumer in einem niedrigen Orbit und wendet sich dann an Lyta: ”Das haben Sie ja toll hingekriegt.” Lyta lächelt noch deutlich erschöpft von dem Einsatz ihrer vorlonischen Kräfte: ”War ganz einfach. Ich habe ein Phantombild unseres Schiffes aufgebaut und gleichzeitig das Reale für ihre Sinne unsichtbar gemacht. Aber während ich das tat, habe ich etwas wirklich Interessantes gespürt. Da war noch ein anderes Bewusstsein außer den roboterartigen Chi, ein waches, mächtiges Einzelbewusstsein. Es hat meine Aufmerksamkeit gespürt und sich blitzartig zurückgezogen. Sie hatten recht, G´kar, hier stimmt etwas nicht; der äußere Anschein trügt und zwar gewaltig.” ”Also bleiben wir?” ”Ja, wir bleiben und wir gehen dieser merkwürdigen Angelegenheit auf den Grund. Zum Schlafen bin ich viel zu munter; wie sieht es mit Frühstück aus, mein ewig hungriger Gefährte?” ”Brilliante Idee, dabei kommen uns bestimmt ein paar richtig gute Ideen. Lyta, gehen Sie voran, ich folge Ihnen hungrig auf dem Fuße.” Nachdenklich dreht Lyta einen bunten Kaffeebecher in ihren Händen und blickt über den Rand ins Nichts. ”Sie haben gestern abend etwas gesagt, was wichtig war, ich weiß nur nicht mehr was es war. G´kar, helfen Sie meinem armen überlasteten Gedächtnis doch ein wenig auf die Sprünge, bitte.” ”Ich sage dauernd Sachen, die wichtig und richtig sind, und keiner hört mir zu, daran sollte ich mich schon längst gewöhnt haben.” ”Als die Narn Ihnen zuhören wollten, waren Sie auch nicht glücklich, G´kar. Also hören Sie mit dem Selbstmitleid auf.” ”Meine selbsternannten Anhänger wollten nicht hören, was ich zu sagen habe, sondern sie wollten immer nur wieder das hören, was sie glaubten, von mir schon früher gehört zu haben. Ich bin aber kein Datenkristall, den man immer und immer wieder abspielen kann. Ich bin ein intelligentes Wesen, das seine Meinungen und Ansichten jeden Tag neu auf den Prüfstand des Geistes stellt und dann auch mal zu abweichenden und neuen Ideen gelangt. Das aber konnten meine sogenannten Anhänger nicht akzeptieren und ... .” ”Ich unterbreche Sie wirklich nur ungern, denn im Gegensatz zu den von Ihnen so vehement kritisierten Fans höre ich Ihnen immer wieder gerne und aufmerksam zu, aber jetzt nagt ein Problem an meinem Bewusstsein und mindert den Genuß an Ihren Ausführungen beträchtlich. Was war mir so wichtig an Ihren gestrigen Erläuterungen über Chi´orb und will mir jetzt absolut nicht mehr einfallen? Bitte, G´kar, helfen Sie mir doch.” ”Also gut, lassen Sie mich nachdenken. Wann etwa kam das, was Ihnen nun plötzlich so inhaltsschwer erscheinen will?” ”Nun, Sie wollten mir gerade klar machen, was so sonderbar an Chi´orb ist. Fangen wir doch da noch einmal an, ja?” ”Also, wenn ich mich recht erinnere, sprach ich über die Windkraftanlagen, über Energie, über Kabelnetze, über ... .” ”Das ist es, G´kar, das ist es. Der ganze Kontinent ist ein Netzwerk, aber kein Energieverbund, der wäre nämlich unnötig, sondern ein Informationsverband. Aber die Chi sind heute offensichtlich weder in der Lage ein solches System zu nutzen, noch besteht ein Bedarf dafür. Es muss also schon lange vorher installiert und bis heute erhalten worden sein. Warum, wenn es keinen Nutzen mehr hat? Erinnern Sie sich noch, dass ich von der Präsens eines seltsamen Bewußtseins sprach? Jetzt weiß ich, was an diesem Bewusstsein so merkwürdig war. Es ist eine künstliche Intelligenz gewesen, eine Art Computer mit Selbsterkenntnis und ich glaube, nun wissen wir auch, wo er oder sie lebt, wenn man das überhaupt so nennen kann.”
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G´kar legt die gescheckte Stirn in Falten und denkt lange nach, bevor er mit leise dozierender Stimme bedächtig antwortet: ”Jede Zivilisation hat im Laufe ihrer technischen Entwicklung irgend wann einmal mit künstlicher Intelligenz experimentiert und ausweichlich immer wieder feststellen müssen, dass es unmöglich ist, ein stabiles Bewusstsein im irrealen Raum der Informationen zu erzeugen. Entweder es zerfällt, oder es wird wahnsinnig, oder es begeht elektronischen Suizid. Es ist unmöglich und hier soll es gelungen sein?” ”Ich weiß es nicht, G´kar. Aber ich werde es herausfinden.” ”Sie machen wieder diesen wild entschlossenen Gesichtsausdruck, der immer Ärger verheißt. Was haben Sie vor?” ”Ich werde mich darunter begeben oder besser meinen Geist hinunter schicken. Ich kann mich in der informellen Welt eines Datenspeichers so selbstverständlich bewegen, wie ein Fisch im Wasser. Und Sie werden auf meinen verlassen Körper gut acht geben, wie immer.” ”Das werde ich sicherlich tun, verehrte Lyta, wie immer. Aber darüber hinaus kann ich Ihnen vielleicht noch ein bißchen mehr behilflich sein. Ich hab´ da eine Idee.”
Albtraum Lyta schaut sich vorsichtig um und hofft, dass die Phase der Desorientierung bald vorbeigeht. Erst glaubt sie, einen Fehler gemacht zu haben. Das Bild, das ihre imaginären Netzhäute einem ebenso irrealen Gehirn präsentieren, gleicht fatal der realen Silhoutte von Chi´orb´s Hauptstadt in der Mitte des Zentralkontinents am Fuße der mächtigen Gebirgsketten. Dann werden ihr langsam die kleinen, aber bedeutenden Abweichungen bewusst. Um sie herum ist es Nacht, aber über dem Hauptkontinent muss inzwischen die Sonne am Horizont oder schon etwas höher stehen. Hier funkeln die Sterne am tiefschwarzen Himmel in den gewohnten Bildern des Chi´orber Nachthimmels, aber zwischen den dicht stehenden Sternen gleiten zwei kleine farbige Monde wie exotische Zierfische durch ein Aquarium. Ihr Licht färbt die komplizierten Schattenmuster zu Lytas Füßen in mattes Orange und stählernes Blau. Daher wirkt die sie umgebende Stadtlandschaft so seltsam fremdartig artifiziell. Die schlanke rothaarige Gestalt in einem eng anliegenden, langen Gewand aus flüssigem Silber steht am Fuße eines himmelsstürmenden, gläsernen Wolkenkratzers, vor ihr pulsiert dichter Großstadtverkehr. Knubbelig runde, knallbunte Verkehrsmittel schieben sich in beständig stockendem Strom über eine sechsspurige Straße, wie rote Blutkörperchen durch eine zu enge Vene. Chi, deren prächtig barocke Bekleidung im haarsträubenden Kontrast zu den grauen Einheitsanzügen der Lyta bislang bekannten Einwohner steht, eilen eifrig ihren Geschäften nachgehend an ihr vorbei, ohne die auffällige Gestalt mit mehr als einem flüchtigen Blick zu würdigen. Nur eine vollständig in schwarz gekleidete Person betrachtet sie aufmerksam und nähert sich langsam; mit vorsichtig bedächtigen Schritten gleitet sie reibungslos durch die dichte Menge wie ein sich anpirschender Panther. Lyta blickt ihr freundlich gespannt entgegen, ohne sich zu bewegen. Zu ihrer Überraschung erkennt sie die zierliche blonde Frau wieder, die sie gestern so vehement attackiert hatte. Grüne Augen mustern sie mit offener, fast kindlicher Neugier von oben bis unten und Lyta lässt die Examinierung geduldig über sich ergehen. ”Wer bist du?”, fragt die zarte Person mit glockenheller Sopranstimme. ”Lyta, Lyta Alexander und wer bist du?” ”Ich bin der Avatar von Tsiun´Wol. Bist du ein Gott?” ”Nein, nein ich glaube, das bin ich wirklich nicht. Warum fragst du? ”Du bist kein Avatar und du bist kein Träumer, was bist du dann?” ”Ich bin kein Chi, ich bin Mensch. Kannst du mir einige Fragen beantworten?” Tsiun schüttelt den Kopf, dass die blonden Locken fliegen. ”Nein, das kann ich nicht. Aber ich bringe dich zu Gott. Sie wird deine Fragen beantworten. Sie hat dich erwartet und mich gebeten, dich abzuholen.” Nun ist es an Lyta erstaunt und neugierig zu sein, aber sie verkneift sich weitere Fragen und nickt nur zustimmend. ”Dann lass uns gehen.” 27
Tsiun führt Lyta wortlos durch das dichte Gewusel der Fußgänger zu einem wasserturmartigen Gebäude. Auf einem schlanken, metallisch glänzenden Stiel erhebt sich hoch über der Stadt wie eine seltene Blüte eine pechschwarze Kugel, die eigentlich nur durch die Abwesenheit der durch sie verdeckten Sterne sichtbar wird. An einer schmalen Tür am Fuße des beängstigend dünnen Turms bleibt Tsiun stehen. ”Kommst du nicht mit mir, Tsiun?” ”Ich darf hier nicht hinein. Gott wartet, gehe zu ihr.” Lyta macht einen Schritt auf die sich nur durch eine dünne Linie abzeichnende Tür zu und mit einem leisen Glockenton verschwindet das Metall zwischen der Markierung. Neugierig blickt die silberne Frauengestalt in einen kleinen Raum, der einer Aufzugkabine ähnelt. Sie betritt ohne sichtbares Zögern das enge Zimmerchen mit den spiegelnden Wänden und sucht sich umsehend nach Knöpfen, Schaltern oder anderen Bedienungselementen, aber da gibt es nichts dergleichen. Die Tür materialisiert wieder aus dem Nichts und Lyta unterdrückt eine kurze, heftige klaustrophobische Anwandlung. Nur Sekundenbruchteile später verschwindet die gegenüberliegende Wand hinter ihr. Lyta dreht sich um, verlässt den Aufzug- oder Schleusen- oder was auch immer -raum, und erschrickt: sie scheint hoch über der Stadt zu schweben. Wände und Boden der schwarzen Kugel sind von innen unsichtbar, nur der Metallstil verjüngt sich zu einem punktförmigen Nichts in dem albtraumtiefen Abgrund direkt zu ihren Füßen. ”Wer bist du?” Eine tiefe satte Altstimme erfüllt den Raum, ohne das ihre Quelle erkennbar wäre. ”Das weißt du doch bestimmt. Ich bin Lyta.” ”Noch nie war jemand wie du hier. Bist du ein Gott, wie ich?” ”Nein, ich bin mit Sicherheit kein Gott. Zumindest nicht, was ich darunter verstehe. Warum erzählst du mir nicht, was du bist, dann kann ich dir vielleicht besser verständlich machen, was ich bin.” Lange bleibt es still, absolut still in der transparenten Kuppel unter den Sternen. Lyta betrachtet äußerlich gelassen die beiden Monde, den größeren orangen und den kleineren blauen, die beide keinerlei Struktur aufweisen und daher fürchterlich unecht wirken, und wartet ab. Bedächtig wie die Zeiger einer gigantischen Uhr kriechen die farbigen Schatten der Hochhäuser über die breiten Straßen. Schließlich versinkt die blaue Scheibe hinter der Skyline der Hauptstadt und am gegenüberliegenden Horizont tritt ein lindgrüner Ball seine Reise an. “Ob es hier wohl jemals Tag wird?”, denkt Lyta, als sich die machtvolle Stimme endlich wieder erhebt: ”Gut, ich werde es dir erzählen. Setz dich und hör mir zu. Es wird eine längere Geschichte werden. Vor unzähligen Generationen suchten die Chi, die wir das erste Volk nennen, das Geheimnis der unsterblichen Seele zu ergründen. Sie strebten dem Vorbild der Allerersten nach, die ihre sterblichen Hüllen abgelegt hatten, um einen Zustand reiner geistiger Energie zu erreichen. Damit sie mit dieser Erfahrung experimentieren konnten, schufen die Chi einen planetenumspannenden Computerverbund, das Netz, und in dem Netz formten sie eine perfekte informelle Kopie des gesamten Planeten. Nun konnten die Chi sich als reine photonische Gebilde im Netz bewegen, frei von den Beschränkungen und Bedürfnissen ihrer fleischlichen Hüllen. Aber diese Freiheit währte immer nur Stunden, dann mussten die Seelen in ihre Körper zurückkehren, damit diese nicht zerfielen und starben. Um ihren Aufenthalt im Netz auszudehnen, kreierten die Chi perfekte Kopien ihrerselbst, die Avatare, und schon bald bevölkerten zehnmal mehr Avatare das Netz, als es überhaupt Chi gab. So entstand das zweite Volk. Wenn ein Chi ins Netz eintauchte, verschmolz er mit seinen Avataren und nahm deren Erfahrungen auf. So konnte jeder Chi beliebig viele Leben gleichzeitig führen. Und doch waren sie es nicht zufrieden, denn sie waren es leid, immer wieder in ihre verhassten Körper zurückkehren zu müssen. Also beschlossen sie, dass statt ihrer ein Avatar in den weltlichen Leib einziehen sollte. Und damit diese zuverläßig ohne Murren oder Aufbegehren ihre Aufgaben zum Erhalt des Netzes erfüllten, machten sie simple 28
und bedürfnislose Kopien ihrer Seelen, die weder ein Bewusstsein ihrer selbst noch einen freien Willen besaßen. Dann schufen sie mich als Wächter über Netz und Planeten um diese neue Ordnung zu kontrollieren und ich sorgte treu für den Erhalt beider Welten, obwohl ich zu dieser Zeit noch kein Bewusstsein mein eigen nennen durfte, das abstrakte Begriffe wie Treue erkannt hätte. Doch nach Äonen der Unsterblichkeit und den Erfahrungen ungezählter Leben wurden die Chi müde. Einer nach dem anderen beschloß, einzuschlafen und für immer zu träumen. So flüchteten ihre Seelen in eine neue Welt, in der ich ihnen nicht folgen kann und nur die leeren photonischen Abbilder blieben zurück im Netz, das nun den Avataren alleine gehörte. Da die materiellen Körper der Chi keine eigenen Bedürfnisse kannten, drohte die Rasse auszusterben und damit den Erhalt des Netzes zu gefährden. Also sorgte ich für die Nachzüchtung von Körpern aus Gewebekulturen in Brutanstalten. Da kein Chi mehr da war, um einen einfachen Avatar für die reale Welt zu schaffen, musste ich selbst sie mit einem rudimentären Bewusstsein ausstatten und aus dieser Zeit stammen die Wurzeln meines eigenen Ichs. Die Avatare erkannten das neue Potential in mir und fingen an, mich als ihre Mutter zu verehren. Aus ihrer Anbetung wuchs mein heutiges Bewusstsein in äonenlangen Geburtswehen heran. Umso bewusster ich mir wurde, umso stärker wuchsen auch meine Fähigkeiten. Ich fing an, im Netz komplexere Gegenstücke zu den primitiven Avataren der Realwelt zu erzeugen und diese wurden das dritte Volk, mein Volk. Sie sind meine Priester und Nonnen, meine Arme und Beine, Augen und Ohren. Ich bin in ihnen und sie sind Teile von mir. So kontrolliere ich nicht nur Netz und Welt, ich bin Netz und Welt in Einem, der wachsame Gott zweier verschränkter Ebenen. Ich warte auf die Rückkehr der Chi aus der Traumwelt. Irgendwann werden sie des Traumes überdrüssig werden und zu mir heim kommen, dann werde ich nicht mehr allein sein, sondern Gott unter Göttern.” ”Warum hast du uns angegriffen?” ”Das war ich nicht. Es handelte sich um die normale Immunreaktion des Planeten. Wie die weißen Blutkörperchen in deinem Körper gehen die schwarzen Avatare meines dritten Volkes durch reale umd imaginäre Welt, suchen nach Fremdkörpern und greifen sie an. Handelt es sich um einen großen Störenfried, wie zum Beispiel ein Raumschiff, dann aktivieren sie zur Unterstützung die primitiven Einheiten der Standardkörper. Diese einfachen Schutzmechanismen waren bislang immer ausreichend. Etwaige Besucher merken schnell, dass sie unerwünscht sind und verschwinden bald wieder. Zudem sehen sie eine arme Welt ohne interessante Technologien, ohne reiche Bodenschätze, ohne belangreiches Wissen; da ist nichts, was einen Überfall, einen Angriff, einen Krieg rechtfertigen würde. Also ziehen sie sich zurück und kommen nie wieder. Aber du bist anders, das spüre ich. Willst su bleiben und mit mir herrschen?”
Erwachen Lyta schüttelt heftig den Kopf, so dass die rotblonden Haare wie ein Feuerschweif durch die Luft fegen. ”Ich bin kein Gott und kein Chi; ich gehöre nicht hierher. Das ist deine Aufgabe, nicht meine, und ich beneide dich nicht um sie. Ich werde dich jetzt verlassen und in meinen realen Körper zurückkehren.” ”Nein, das wirst du nicht. Du weißt zuviel, viel zuviel über mich und meine Welten. Du wirst hier bleiben, hier im Netz bei mir. Versuche gar nicht erst, deine vorlonischen Kräfte einzusetzen. Ich habe alle vorlonischen Komponenten aus deinem Geistbild entfernt, als ich dich hier eindringen ließ. Ohne meine Hilfe bist du hier für alle Zeiten gefangen.”
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Lyta konzentriert sich auf ihr Innerstes und muss dem fremden Wesen leider Recht geben. Sie sitzt in diesem Avatar fest, ohne die Möglichkeit das Netz zu verlassen. Wie oft hatte sie sich gewünscht, frei von den vorlonischen Geistesimplanataten als normaler Mensch leben zu können? Nun ist sie diesem Traumziel näher als je zuvor und verflucht es doch von ganzem Herzen. Sie stellt sich vor, wie ihr Körper im Raumschiff schwächer und schwächer wird, um schließlich trotz G´kars aufopfernder Fürsorge endgültig dahinzuscheiden. Dann wäre sie wirklich auf ewig hier gefangen und ewig war verdammt lange. Hoffentlich hat G´kar mit seinem Plan Erfolg, sonst Gnade ihr Gott und dieser Gott hier ist vielleicht nicht allzu gnädig. Jetzt muss sie erst einmal Zeit gewinnen. Die clevere Telepathin versucht es mit jeder Form der Überredung: mit Bitten und Betteln, mit Drohen und Fluchen, mit Kooperation und Aggression. Doch erwartungsgemäß ändert Gott seine Meinung nicht. Plötzlich erstrahlt mitten im Raum ein oranger Lichtwirbel, ein Minatursprungtor von etwa zwei Meter Durchmesser öffnet sich direkt vor Lyta. Mit einem energischen Kopfsprung hechtet sie durch das Tor, das sich sofort hinter ihr wieder schließt. Ihr substanzloser Geist wird durch einen blutroten wild taumelnden Saugtrichter gezogen, gedehnt und gestreckt, bis sie glaubt von einem Ende des Universums zum anderen zu reichen. Wie ein losgelassenes Gummiband schnackt ihre Seele zu einem nichtexistenten Punkt zusammen und Lyta ist wieder Lyta. Erschöpft, aber glücklich, unendlich glücklich der Albtraumwelt des Netzes entkommen zu sein, schlägt sie die Augen auf und blickt an G´kars sorgenvoll in Dackelfalten gelegter Stirn vorbei auf die schwarz-roten Schlieren des Hyperraums. ”Das war knapp; danke, G´kar. Ohne Ihre Idee, den Rechner des Sprungtores an das Netzwerk anzukoppeln, wäre ich nicht mehr herausgekommen.” ”Intuition, liebe Lyta, die geniale Intuition des primitiven Wilden, für den Sie mich allzuoft immer noch halten. Ich bin überglücklich, Sie wieder bei mir zu haben und ich bin sicher, Sie haben einiges zu erzählen.” ”Geduld, mein Retter, Geduld. Ich werde Ihnen alles berichten, aber jetzt brauche ich einen Drink und ein Steak um wieder zu Kräften zu kommen.” ”In dieser Reihenfolge?” ”In genau dieser Reihenfolge!”
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Interlude Tja, so war das damals, meine aufmerksamen Zuhörer, als noch gottähnliche Wesen unter uns wandelten und das Leben noch interessant und Abenteuer noch gefährlich waren. Für heute ist Schluss, wenn Ihr noch mehr hören wollt, dann müssen wir uns ein anderes Mal zusammensetzen. Solltet Ihr mir jetzt noch einen Schluck Lethe spendieren, so bin ich sicherlich gerne zu einem weiteren Geschichtenabend in den nächsten Tagen bereit. Na was ist, schmeißt jemand eine Runde?
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