Frank Schneider Gereon R. Fink (Hrsg.) Funktionelle MRT in Psychiatrie und Neurologie
Frank Schneider Gereon R. Fink (Hrsg.)
Funktionelle MRT in Psychiatrie und Neurologie Mit 664 meist farbigen Abbildungen und 24 Tabellen
123
Univ.-Prof. Dr. med. Dr. rer. soc. Frank Schneider Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinikum Aachen, RWTH Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
Univ.-Prof. Dr. med. Gereon R. Fink Klinik und Poliklinik für Neurologie Klinikum der Universität zu Köln Kerpener Str. 62, Haus 30 50924 Köln
ISBN-10 3-540-20474-1 Springer Medizin Verlag Heidelberg ISBN-13 978-3-540-20474-9 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Planung: Renate Scheddin Projektmanagement: Meike Seeker SPIN 10954959 Layout und Einbandgestaltung: deblik Berlin Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH, Würzburg Druck: Stürtz GmbH, Würzburg Gedruckt auf säurefreiem Papier 2126 – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort Dieses Buch beschäftigt sich mit den Beiträgen der funktionellen Kernspintomographie (fMRT) zur psychiatrisch und neurologisch orientierten Grundlagenforschung. Es zeigt die große Bedeutung, die die Technik der funktionellen Bildgebung für unser Verständnis der normalen und gestörten Hirnfunktionen hat. In den letzten Jahrzehnten konnten mittels funktioneller Bildgebung wichtige Beiträge zum Verständnis der Pathophysiologie psychischer und neurologischer Erkrankungen erarbeitet werden. Die Autoren der einzelnen Kapitel versuchen, die wichtigsten Entwicklungen nachzuvollziehen und gleichzeitig auch praxisnah aufzuzeigen, wie solche Beiträge in Zukunft gewonnen und für die Diagnostik genutzt werden können. Darüber hinaus wird es eine wesentliche Herausforderung sein, neue Strategien zur Behandlung von neurologischen und psychischen Erkrankungen zu entwickeln: Neue Einsichten in die Pathophysiologie von Erkrankungen werden neue therapeutische Ansätze ermöglichen – neue Therapien können mittels funktioneller Bildgebung auf ihre neuralen Mechanismen und Effekte untersucht werden. Durch Neurofeedback wird es in absehbarer Zeit möglich sein, diese Technik selbst therapeutisch zu nutzen. Auch hier versucht das Buch, konkrete Hinweise und Anregungen für zukünftige Arbeiten zu geben. Ein umfangreicher Praxisteil inklusive einem ausführlichen Hirnatlas rundet diese Bestrebungen im Sinne einer Anleitung zum Arbeiten mit der fMRT ab. Dieses Buch wurde sowohl von Experten außerhalb unserer Kliniken wie auch von unseren Mitarbeitern geschrieben. Allen an der Entstehung dieses Buches Beteiligten möchten wir an dieser Stelle ganz herzlich dafür danken, dass sie sehr komplexe Fragestellungen auf eine prägnante, interessante und kurzweilige Art dargestellt haben. Wir würden uns sehr freuen, wenn dieses Buch fächerübergreifend Interesse findet: Geschrieben ist es für Wissenschaftler am Anfang ihres Werdeganges, für Studierende der Medizin oder Psychologie mit psychiatrischem oder neurologischem Interesse sowie für Assistenzärzte oder Fachärzte in der Neurologie bzw. Psychiatrie. Für Anregungen und Verbesserungsvorschläge für zukünftige Auflagen sind wir jederzeit dankbar. Geholfen haben uns bei der Fertigstellung des Buches, neben den Autoren, Frau Sabrina Weber und Frau Anette Schürkens. Dafür bedanken wir uns herzlich, ebenso bei Frau Christine Opfermann-Rüngeler und Herrn Hartmut Mohlberg für die Graphiken und die Bildbearbeitung im Atlasteil. Unser ganz besonderer Dank gilt nicht zuletzt Frau Renate Scheddin vom Springer-Verlag – ohne deren stets hilfreiche und geduldige Art dieses Buch nicht zustande gekommen wäre. Aachen, Köln und Jülich, im Herbst 2006 Frank Schneider Gereon R. Fink
Die Herausgeber Univ.-Prof. Dr. med. Dr. rer. soc. Frank Schneider ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und komm. Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin am Universitätsklinikum Aachen, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen sowie Adjunct Professor of Psychiatry an der School of Medicine der University of Pennsylvania, Philadelphia. Im Brain Imaging Center West (BMBF) ist er Koordinator für psychiatrische Forschung und Sprecher im Internationalen Graduiertenkolleg 1328 (DFG) zu den hirnstrukturellen und –funktionellen Grundlagen von Schizophrenie und Autismus. Er ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut sowie Ausbilder für funktionelle Kernspintomographie der Arbeitsgemeinschaft »Klinische Neurowissenschaften«. Adresse: Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Aachen, Pauwelsstr. 30, 52074 Aachen,
[email protected], http://www.psychiatrie.ukaachen.de
Univ.-Prof. Dr. med. Gereon R. Fink ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Klinikum der Universität zu Köln sowie Direktor am Institut für Neurowissenschaften und Biophysik – Medizin des Forschungszentrums Jülich und Sprecher der Klinischen Forschergruppe 112 (DFG) zu Aufmerksamkeitsstörungen und deren therapeutischer Beeinflussung. Daneben ist er neurologischer Koordinator im Brain Imaging Center West (BMBF). Er ist Facharzt für Neurologie und Ausbilder für funktionelle Kernspintomographie der Arbeitsgemeinschaft »Klinische Neurowissenschaften«. Adresse: Klinik und Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität zu Köln, Kerpener Str. 62, 50924 Köln,
[email protected], http://www.uni-koeln.de/med-fak/neurologie und Institut für Neurowissenschaften und Biophysik – Medizin, Forschungszentrum Jülich, 52425 Jülich,
[email protected], http://www.fz-juelich.de/ime/ime_kognitive_neurologie
VII
Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
II Höhere Hirnleistungen
F. Schneider, G.R. Fink
13 Motorik und Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . 199
I Grundlagen
P.H. Weiss-Blankenhorn, G.R. Fink
14 Wahrnehmung und Aufmerksamkeit . . . . . . . 219 1 Funktionelle Neuroanatomie . . . . . . . . . . . .
9
R. Weidner, G.R. Fink
K. Amunts, K. Zilles
15 Visuelles System und Objektverarbeitung . . . . 235 2 Grundlagen der MR-Bildgebung . . . . . . . . . .
61
K. Willmes, B. Fimm
T. Stöcker, N.J. Shah
16 Auditorisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 3 Grundlagen der Morphometrie und Integration anatomischer und funktioneller Bilddaten . . .
K. Krumbholz, G.R. Fink
79 17 Exekutive Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
P. Pieperhoff, H. Mohlberg, K. Amunts
N.Y. Seiferth, R. Thienel, T. Kircher
4 Echtzeit-fMRT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91 18 Somatosensorisches System . . . . . . . . . . . . . 279
K. Mathiak, N. Weiskopf
C. Grefkes, G.R. Fink
5 Rekrutierung, Screening von Gesunden und Patienten, allgemeine Ein- und Ausschlusskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
19 Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 T. Kellermann, M. Piefke
M. Priebe, F. Schneider
20 Funktionelle Neuroanatomie der Sprache . . . . 309 6 Planung und Umsetzung experimenteller Paradigmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
K. Amunts, S. Heim, G.R. Fink
21 Zahlenverarbeitung und Rechnen . . . . . . . . . 321
U. Habel, G.R. Fink
H.-C. Nuerk, K. Willmes
7 Datenanalyse: Vorverarbeitung, Statistik und Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 A. Wohlschläger, T. Kellermann, U. Habel
22 Lateralität und Konnektivität . . . . . . . . . . . . 333 K.E. Stephan, G.R. Fink
8 Reliabilität und Qualität von fMRTExperimenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
23 Perspektivwechsel und soziale Kognition . . . . 351 K. Vogeley, G.R. Fink
T. Stöcker, N.J. Shah
24 Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 9 Augenbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
U. Habel, F. Schneider
A. Wohlschläger, V. Backes
25 Olfaktorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 10 Neuropharmakologische funktionelle Bildgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
U. Habel, F. Schneider
26 Schmerz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
C. Thiel, G.R. Fink
H. Holthusen, T. Mierdorf
11 Geschlechts- und altersabhängige Effekte . . . . 177 M. Reske, U. Habel
12 Schlaf und veränderte Bewusstseinszustände T. Mierdorf
187
VIII
Inhaltsverzeichnis
III
Krankheitsbilder
27 Bewegungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 B. Haslinger, A. Ceballos-Baumann
IV
Untersuchungsbeispiele
41 Hemisphärenspezialisierung und kognitive Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 K.E. Stephan, G.R. Fink
28 Aphasie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 M. Grande, W. Huber
42 Pharmakologische fMRT . . . . . . . . . . . . . . . . 601 C. Thiel, G.R. Fink
29 Akalkulie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 K. Willmes, H.-C. Nuerk
30 Apraxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451
43 Therapieverlaufsstudien bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 609 K. Koch, F. Schneider
F. Binkofski, G.R. Fink
31 Neglekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 J. Kukolja, G.R. Fink
44 Multicenterstudie: Kompetenznetz Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 M. Reske, F. Schneider
32 Amnesien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 H.J. Markowitsch
V
Perspektiven
33 Funktionserholung nach Schlaganfall . . . . . . . 491 G. Nelles
34 Demenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 T. Kircher, R. Ihl
45 Von der Grundlagenforschung zum klinischen Einsatz in Diagnostik und Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 G.R. Fink, F. Schneider
35 Schizophrenien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 M. Reske, F. Schneider, T. Kircher
36 Affektive Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . 529 S. Bestmann, U. Habel, F. Schneider
VI
Anhang
37 Zwangs- und Angststörungen . . . . . . . . . . . . 545 K. Koch, K. Mathiak
Hirnatlas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632 K. Amunts, K. Zilles
38 Aufmerksamkeitsdefizit-HyperaktivitätsSyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557
Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657
K. Konrad, S. Herpertz, B. Herpertz-Dahlmann
Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667 39 Persönlichkeitsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . 569 V. Backes, K. Mathiak
40 Suchterkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 A. Keßler, V. Backes, G. Gründer
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679
IX
Autorenverzeichnis Frau Prof. Dr. K. Amunts
Prof. Dr. G.R. Fink
Frau Prof. Dr. S. Herpertz
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen und Institut für Neurowissenschaften und Biophysik – Medizin Forschungszentrum Jülich 52425 Jülich
Klinik und Poliklinik für Neurologie Klinikum der Universität zu Köln Kerpener Str. 62 50924 Köln und Institut für Neurowissenschaften und Biophysik – Medizin Forschungszentrum Jülich 52425 Jülich
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Rostock Gehlsheimer Str. 20 18147 Rostock
Dipl.-Psych. V. Backes
Frau Dr. M. Grande
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
Neurologische Klinik des Universitätsklinikums Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
Dipl.-Psych. S. Bestmann, Ph. D.
Dr. C. Grefkes
Wellcome Dept. of Imaging Neuroscience & Sobell Department of Motor Neuroscience and Movement Disorders University College London 12 Queen Square London WC1N 3BG United Kingdom
Institut für Neurowissenschaften und Biophysik – Medizin Forschungszentrum Jülich 52425 Jülich
Prof. Dr. F. Binkofski Klinik für Neurologie Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck Ratzeburger Allee 160 23538 Lübeck
Prof. Dr. A. Ceballos-Baumann Abteilung für Neurologie und Klinische Neurophysiologie Zentrum für Parkinson und Bewegungsstörungen Zentrum für Klinische Neurophysiologie Neurologisches Krankenhaus München Tristanstr. 20 80804 München
Prof. Dr. G. Gründer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
Frau PD Dr. U. Habel Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
PD Dr. B. Haslinger Neurologische Klinik und Poliklinik Klinikum Rechts der Isar TU München Möhlstr. 28 81675 München
Frau Prof. Dr. B. Herpertz-Dahlmann Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie des Universitätsklinikums Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
Prof. Dr. H. Holthusen Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin Paracelsus-Klinik der Stadt Marl Lipper Weg 11 45770 Marl
Prof. Dr. W. Huber Neurologische Klinik des Universitätsklinikums Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
Prof. Dr. R. Ihl Alexianer Krankenhaus Köln Kölner Str. 64 51149 Köln
Dr. Dipl.-Psych. T. Kellermann Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
Frau Dr. A. Keßler Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
Dr. S. Heim Dr. Dipl.-Psych. B. Fimm Neurologische Klinik des Universitätsklinikums Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
Institut für Neurowissenschaften und Biophysik – Medizin Forschungszentrum Jülich 52425 Jülich
Prof. Dr. T. Kircher Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
X
Autorenverzeichnis
Frau Dr. Dipl.-Psych. K. Koch
Prof. Dr. H.-C. Nuerk
Dr. K.E. Stephan
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Friedrich-Schiller-Universität Jena Philosophenweg 3 07743 Jena
Fachbereich Psychologie Universität Salzburg Hellbrunnerstr. 34 5020 Salzburg Österreich
Wellcome Department of Imaging Neuroscience University College London Functional Imaging Laboratory 12 Queen Square London WC1N 3BG United Kingdom
Frau Prof. Dr. K. Konrad Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie des Universitätsklinikums Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
Frau Dr. M. Piefke
Frau Dr. K. Krumbholz
Dipl.-Phys. P. Pieperhoff
MRC Institute of Hearing Research Univ. Nottingham University Park Nottingham NG7 2RD United Kingdom
Institut für Neurowissenschaften und Biophysik – Medizin Forschungszentrum Jülich 52425 Jülich
Neurologische Klinik des Universitätsklinikums Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
Frau Dipl.-Psych. M. Priebe Dr. J. Kukolja Institut für Neurowissenschaften und Biophysik – Medizin Forschungszentrum Jülich 52425 Jülich
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bethesda Allgemeines Krankenhaus Bergedorf Glindersweg 80 21029 Hamburg
Prof. Dr. H.J. Markowitsch
Frau Dr. Dipl.-Psych. M. Reske
Physiologische Psychologie Universität Bielefeld Postfach 10 01 31 33501 Bielefeld
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
Prof. Dr. Dr. K. Mathiak
Prof. Dr. Dr. F. Schneider
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
Dipl.-Psych. T. Mierdorf
Frau Dipl.-Psych. N.Y. Seiferth
Institut für Experimentelle Psychologie II Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Universitätsstr. 1 40225 Düsseldorf
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
H. Mohlberg
Prof. Dr. N.J. Shah
Institut für Neurowissenschaften und Biophysik – Medizin Forschungszentrum Jülich 52425 Jülich
Institut für Neurowissenschaften und Biophysik – Medizin Forschungszentrum Jülich 52425 Jülich und Fachbereich Physik Universität Dortmund 44221 Dortmund
PD Dr. G. Nelles Klinik und Poliklinik für Neurologie Hufelandstr. 55 45147 Essen
Dr. T. Stöcker Institut für Neurowissenschaften und Biophysik – Medizin Forschungszentrum Jülich 52425 Jülich
Frau Prof. Dr. C. Thiel Institut für Biologie und Umweltwissenschaften Kognitive Neurobiologie Universität Oldenburg Carl von Ossietzky Str. 9–11 26111 Oldenburg
Frau Dr. Dipl.-Psych. R. Thienel Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
Prof. Dr. Dr. K. Vogeley Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Klinikum der Universität zu Köln Kerpener Str. 62 50924 Köln
Dr. R. Weidner Institut für Neurowissenschaften und Biophysik – Medizin Forschungszentrum Jülich 52425 Jülich
Dipl.-Phys. N. Weiskopf Wellcome Department of Imaging Neuroscience Institute of Neurology University College London 12 Queen Square London WC1N 3BG United Kingdom
XI Autorenverzeichnis
PD Dr. P.H. Weiss-Blankenhorn
Prof. Dr. K. Willmes
Prof. Dr. K. Zilles
Institut für Neurowissenschaften und Biophysik – Medizin Forschungszentrum Jülich 52425 Jülich und Neurologische Klinik des Universitätsklinikums Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
Neurologische Klinik des Universitätsklinikums Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
Institut für Neurowissenschaften und Biophysik – Medizin Forschungszentrum Jülich 52425 Jülich und C. & O. Vogt-Institut für Hirnforschung Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 40225 Düsseldorf
Frau Dr. A. Wohlschläger Neurologische Klinik und Poliklinik Klinikum Rechts der Isar TU München Möhlstr. 28 81675 München
XIII
Abkürzungsverzeichnis 1PP 3PP AACD AAT ACC ACh ADHD
AIP ALA ALM AP APL ASL BA BCI BD BOLD BTX CA CBF CBV cCMA CGL CGM CI cIPS CMA CMRO2 CNR CP CPT CR CRT CS CSF CT DAT DCM DLPFC DSM DTI
Erste-Person-Perspektive Dritte-Person-Perspektive altersassoziierte Gedächtniseinbuße (»age associated cognitive decline«) Aachener Aphasie Test anteriorer zingulärer Kortex Azetylcholin Aufmerksamkeitsdefizit-HyperaktivitätsSyndrom (»attention-deficit/hyperactivity disorder«) anteriores intraparietales Areal anterolateraler Teil des Heschl-Gyrus Allgemeines Lineares Modell Aktionspotenzial anteriorer parietaler Lappen arterielle Spinmarkierung (»arterial spin labeling«) Brodmann-Areal Brain-Computer-Interface binaurale Differenz »blood oxygen level dependent« Botulinumtoxin Commissura anterior zerebraler Blutfluss (»cerebral blood flow«) zerebrales Blutvolumen (»cerebral blood volume«) kaudales zinguläres motorisches Areal Corpus geniculatum laterale Corpus geniculatum mediale durch Einschränkung angeregt (»constrainedinduced«) kaudaler intraparietaler Sulcus zinguläres motorisches Areal zerebrale Stoffwechselrate (»cerebral metabolic rate of oxygen«) Kontrast-zu-Rausch-Verhältnis (»contrast-to-noise-ratio«) Commissura posterior »Continuous Performance Test« konditionierte Reaktion »Cognitive Remediation Therapy« konditionierter Reiz zerebrospinale Flüssigkeit (»cerebrospinal fluid«) Computertomographie Demenz vom Alzheimer-Typ »dynamic causal modelling« dorsolateraler Präfrontalkortex Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen diffusionsgewichtete Bildgebung (»diffusion tensor imaging«)
EBA EEG EFT EKG EKT EMG EOG EPI ER efMRT ESR ESS FA FACS FDR FEF FFA fMRT FoV FRU FT FTD FWR GABA GLM HERA HF hIPS HPA
HRF IAPS ICA ICC ICD IFG IPL IPS LFP LI LIP LOC
extrastriäre Körperregion (»extrastriate body area«) Elektroenzephalogramm »Embedded Figures Task« Elektrokardiogramm Elektrokrampftherapie Elektromyogramm Elektrookulogramm echoplanare Bildgebung (»echo planar imaging«) Endoplasmatisches Retikulum ereigniskorrelierte funktionelle Magnetresonanztomographie »Emotional Self Rating« »European Stroke Scale« fraktionelle Anisotropie »Facial Action Coding System« »false discovery rate« frontales Augenfeld Gesichtsareal im Gyrus fusiformis (»fusiform face area«) funktionelle Magnetresonanztomographie Sichtfeld (»field of view«) Wiedererkennenseinheit für Gesichter (»face recognition unit«) Fourier-Transformation frontotemporale Demenz »familywise error rate« gamma-Aminobuttersäure Generelles Lineares Modell (»General Linear Model«) »hemispheric encoding retrieval asymmetry« Hochfrequenz horizontaler Teil des intraparietalen Sulcus Komplex aus Hypothalamus-HypophyseNebennierenrinde (»hypothalamus-pituitaryadrenal gland complex«) hämodynamische Antwortfunktion (»hemodynamic response function«) »International Affective Picture System« unabhängige Komponenten Analyse (»Independent Component Analysis«) Intra-Klassen Korrelationskoeffizient Internationale Klassifikation von Erkrankungen (»International Classification of Diseases«) Gyrus frontalis inferior inferiorer parietaler Lappen intraparietaler Sulcus lokales Feldpotenzial Lateralitätsindex laterales intraparietales Areal lateraler okzipitaler Komplex
XIV
Abkürzungsverzeichnis
MCI MEG MEP MIP MNI MP MPH MRC MRT MST MT NREM OFC OPFC PAC PAG PANAS PCA PET PFC PMd PMv PNS PO PPA PPC PPI präSMA PSC PSPL PTBS PV RA rCBF rCMA REM RFX ROI RSVP rTMS
milde kognitive Beeinträchtigung (»mild cognitive impairment«) Magnetenzephalographie magnetisch evozierte Potenziale mediales intraparietales Areal Montreal Neurological Institute Morbus Parkinson Methylphenidat »Medical Research Council« Magnetresonanztomographie, Kernspintomographie mittleres superiores temporales Areal mittleres temporales Areal ohne schnelle Augenbewegungen (»non-rapid eye movement«) orbitofrontaler Kortex orbitaler Präfrontalkortex primärer Hörkortex periaquäduktales Grau »Positive and Negative Affect Schedule« Hauptkomponentenanalyse (»Principal Component Analysis«) Positronenemissionstomographie präfrontaler Kortex dorsaler prämotorischer Kortex ventraler prämotorischer Kortex peripheres Nervensystem parietales Operculum parahippokampales Ortsareal (»parahippocampal place area«) posteriorer parietaler Kortex psychophysiologische Interaktionen präsupplementärmotorisches Areal prozentuale Signalschwankung (»percentage signal change«) posteriorer superiorer Parietallappen posttraumatische Belastungsstörung ventrales parietales Areal schnell adaptierend (»rapidly adapting«) regionaler zerebraler Blutfluss (»regional cerebral blood flow«) rostrales zinguläres motorisches Areal schnelle Augenbewegungen (»rapid eye movement«) »Random-Effects-Model« Region von Interesse (»regions of interest«) »rapid serial visual presentation« repetitive transkranielle Magnetstimulation
SA SD SEF SEM SI SII SMA SMG SNR SOA SPL SPECT SPM SSRI STN STS Te TE TI TMS ToL TOM TPJ TR TTP UR US VA VBM VCA VCP VD VIM VIP VL VLPFC VPL VTA VPF VPM WAV WCST ZNS
langsam adaptierend (»slowly adapting«) Standardabweichung supplementäres Augenfeld Standardfehler des Mittelwertes unimodaler somatosensorischer Kortex sekundärer somatosensorischer Kortex supplementärmotorisches Areal, supplementärmotorischer Kortex Gyrus supramarginalis Signal-Rausch-Verhältnis (»signal noise ratio«) »stimulus onset asynchrony« superiorer parietaler Lappen Single-Photon-Emissions-ComputerTomographie »statistical parametric mapping« selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer (»selective serotonin reuptake inhibitors«) Nucleus subthalamicus superiorer temporaler Sulcus Areale des auditorischen Kortex (Te 1, Te 2 usw.) Echozeit (»echo time«) Inversionszeit (»inversion time«) transkranielle Magnetstimulation »Tower of London« »Theory of Mind« temporoparietale Übergangsregion (»temporoparietal junction«) Repetitionszeit (»repetition time«) zeitliche Dynamik (»time to peak«) unkonditionierte Reaktion unkonditionierter Reiz Nucleus ventralis anterior voxelbasierte Morphometrie Senkrechte in der vorderen Kommissur Senkrechte in der hinteren Kommissur vaskuläre Depression Nucleus ventralis intermedius ventrales intraparietales Areal Nucleus ventralis lateralis ventrolateraler präfrontaler Kortex Nucleus ventralis posterolateralis ventral tegmentales Areal ventraler Präfrontalkortex Nucleus ventralis posteromedialis »Waveform Analysis Protocol« »Wisconsin-Card-Sorting-Test« Zentralnervensystem
Einführung F. Schneider, G.R. Fink
2
Einführung
Psychische und neurologische Störungen sind Erkrankungen des Gehirns. Sie sind mit den klinisch verfügbaren Untersuchungsinstrumenten der körperlichen und psychopathologischen Befundung sowie mit meist apparativen Zusatzuntersuchungen bei einem individuellen Patienten zu diagnostizieren. Die Forschung geht deutlich weiter als die Untersuchung klinischer Einzelfälle. So basiert moderne neuropsychiatrische Forschung auf (. Abb. 1) 4 Genetik, 4 Neurochemie (inkl. Molekularbiologie und Tiermodelle), 4 Bildgebung (strukturell und funktionell) und 4 Psychologie (Phänomenologie inkl. Neuropsychologie und Psychopathologie). Die inhaltliche Fokussierung erfolgt dabei in der neuropsychiatrischen Forschung schwerpunktmäßig auf Funktionsbereichen wie Kognition, Emotion, Lernen, Sprache und Motorik, wobei die Veränderung der Funktionalität und Störungscharakteristika im Laufe der Lebensspanne eine besondere Beachtung finden. Dies wird eine effektivere Suche nach Endophänotypen bei den einzelnen neuropsychiatrischen Störungen vorantreiben. Zum Einsatz kommen hier insbesondere die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT, auch funktionelle Kernspintomographie), die Positronenemissionstomographie (PET), die Magnetenzephalographie (MEG) oder die Single-Photon-Emissions-Computer-Tomographie (SPECT). Die verschiedenen bildgebenden Methoden bieten dabei unterschiedliche Ansatzpunkte und zeichnen sich durch spezifische Vor- und Nachteile aus. Das nuklearmedizinische Verfahren der PET bietet beispielsweise unter der Verwendung von Tracersubstanzen die einzigartige Möglichkeit, die Komplexität und Funktionsweise von Stoffwechselvorgängen und Transmittersystemen in vivo zu untersuchen. Die Bildgebung mit Hilfe dieser Tracer macht die Messung des zerebralen Blutflusses und des zerebralen Blutvolumens, des Sauerstoffverbrauchs, . Abb. 1. Dimensionen neuropsychiatrischer Forschung: Methoden, Endophänotypen und Krankheiten
der Neurotransmitterfunktionen und des Metabolismus in verschiedenen Hirnregionen möglich. Die PET wurde dabei in den letzten Jahren mit zunehmender Häufigkeit genutzt, um die Rezeptoreigenschaften und -verteilungen bzw. -dichten bei psychisch und neurologisch Kranken zu beschreiben, um so etwa weitere Schlüsse bezüglich der Pathophysiologie oder der Wirksamkeit von Psychopharmaka zu gewinnen. Die MEG auf der anderen Seite misst die durch Hirnströme induzierten neuromagnetischen Felder und eignet sich besonders für Studien mit visuellem oder auditorischem Stimulusmaterial. Auch andere Stimuli wie Gerüche werden eingesetzt. Als besonderer Vorteil ist ihre hohe zeitliche, bei jedoch gleichzeitig schlechterer räumlicher, Auflösung im Vergleich zu den anderen genannten Verfahren zu sehen.
Stellenwert der fMRT in der neuropsychiatrischen Forschung Besonders die fMRT hat als weit verbreitetes Verfahren dazu beigetragen, ein detaillierteres Verständnis der kortikalen und subkortikalen zerebralen Netzwerke des Erlebens und Verhaltens Gesunder und ihrer Störungen bei psychiatrischen und neurologischen Patienten zu erlangen. Bei dieser Methode wird die durch standardisierte Aufgaben hervorgerufene Änderung von lokalisierten Hirnaktivierungen erfasst und statistisch belastbar ausgewertet. Ein großer Vorteil etwa gegenüber der PET ist, dass es sich bei der fMRT um ein völlig nichtinvasives Verfahren handelt, das es ermöglicht, Aussagen über die zerebrale Aktivierung aufgrund der intrinsischen Kontrasteigenschaften des Blutes und damit ohne die zusätzliche Gabe von radioaktiven Tracersubstanzen zu treffen. So wird, während der Proband im Kernspintomographen liegt, der sog. BOLDKontrastmechanismus (»blood oxygenation level dependent«) zur Analyse zerebraler Aktivität genutzt. Der BOLD-
3 Einführung
Kontrast beruht auf dem Paramagnetismus des Desoxyhämoglobins, das die Magnetfeldhomogenität in der Umgebung der Blutgefäße stört. Während der Aktivierungsphase strömt sauerstoffreiches und damit weniger paramagnetisches Blut in den aktivierten Bereich ein. Da aber ein Überschuss an Sauerstoff vorhanden ist, kommt es zu einer Zunahme des Oxyhämoglobins bzw. zu einer Abnahme der Desoxygenierung im venösen Blut des aktivierten Areals. Das viel zum Einsatz kommende EPI-Verfahren (»echo planar imaging«) bietet die Möglichkeit zur ultraschnellen Messung, sodass Messzeiten von weniger als 100 ms erreicht werden können und Schichtaufnahmen des ganzen Gehirns im Sekundenbereich erfassbar sind. Somit ist die zeitliche Auflösung der fMRT nur durch die Verzögerung der hämodynamischen Antwort limitiert, während sie sich durch eine exzellente räumliche Auflösung auszeichnet. Die limitierte zeitliche Auflösung kann aber durch das Verfahren der sog. ereignis-korrelierten fMRT (»event-relatedfMRI«) deutlich verbessert werden (7 Kap. 2). Bei den in der Forschung verwendeten gängigen Feldstärken bis 4 T sind dabei keinerlei Gesundheitsrisiken für den Menschen bekannt, weswegen sich die fMRT aufgrund der Unbedenklichkeit hervorragend für Wiederholungsmessungen eignet, sodass auch der Weg in die Evaluation therapeutischer Prozesse eröffnet wurde. Während die fMRT anfänglich schwerpunktmäßig für die Untersuchung einer Stichprobe zu einem Messzeitpunkt genutzt wurde, finden in jüngerer Zeit Längsschnittstudien eine zunehmende Verbreitung. Erste fMRT-Studien haben Wiederholungsmessungen zwischenzeitlich genutzt, um Effekte einer Pharmako- und/oder Psychotherapie bei Patienten mit psychischen und neurologischen Störungen nachzuweisen. So liefern Befunde aus Therapiestudien wertvolle Hinweise auf die funktionell-zerebralen Korrelate bei neuropsychiatrischen Patienten sowie die Möglichkeit, diese durch verhaltenstherapeutische und pharmakologische Therapie zu verändern. Während zunächst zahlreiche Einzelbefunde von fMRTStudien an Gesunden und neuropsychiatrischen Patienten vorgelegt wurden, wird inzwischen versucht, aus den vielfältigen Ergebnissen ein umfassenderes und detaillierteres Verständnis funktionell zerebraler Systeme und ihrer Rollen für die Entstehung, Symptomatologie und den Verlauf
der Erkrankungen zu gewinnen. Insbesondere für die Früherkennung und Diagnostik ist die kernspintomographische Untersuchung von Hochrisiko-Probanden in den Fokus der Forschung gerückt. So eignet sich hierfür etwa die Untersuchung von Angehörigen ersten Grades von psychisch Kranken, von der man sich aufgrund des erhöhten genetischen Risikos die Identifikation solcher zerebraler Aktivierungen erhofft, die bereits prämorbid bestehen. Dies soll etwa für die Schizophrenie genetisch determinierte Traitmerkmale erkennbar machen, die für die Früherkennung und Prävention genutzt werden könnten. Aber auch die Analyse der mit Prodromalstadien und initialen Episoden assozierten zerebralen Muster wird wegweisend für die Einbindung der Bildgebung in den diagnostischen Prozess werden. Aktuelle Arbeiten aus der neurowissenschaftlichen Grundlagenforschung weisen darauf hin, dass höhere kognitive und emotionale Funktionen nicht in einzelnen umschriebenen Gehirnarealen zu lokalisieren sind, sondern dass sie auf dynamischen Interaktionen zwischen verschiedenen Gehirnregionen in weit verteilten zerebralen Netzwerken beruhen. In diesem Zuge hat insbesondere in der neuropsychiatrischen Forschung die Hypothese einer gestörten zerebralen Konnektivität wieder verstärkt Beachtung gefunden. Neuere Ansätze mit der fMRT, die diese Fragen beantworten sollen, bieten Konnektivitätsanalysen oder auch das »diffusion tensor imaging« (DTI). Die effektive Konnektivität bezieht sich dabei explizit auf den Einfluss, den eine umschriebene Hirnregion auf eine andere Hirnregion ausübt, während die funktionelle Konnektivität die beobachtbare Korrelation der Hirnaktivität – bestimmt mit fMRT, MEG oder auch PET – verschiedener Hirnregionen über die Zeit hinweg beschreibt.
Ausbildung in der fMRT Um den qualifizierten Einsatz der fMRT-Methode in der Forschung zu optimieren, wurde ein Curriculum fMRT von zahlreichen wissenschaftlichen Fachgesellschaften vorgelegt. Es beschreibt die Ausbildung von Anwendern auf 3 Ebenen. Daneben werden Anforderungen an die Ausbilder thematisiert, die von einem interdisziplinären Akkreditierungsausschuss anerkannt sein müssen.
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Einführung
Curriculum »Funktionelle Magnetresonanztomographie«1 Präambel Die Leitungsgremien der Mitgliedsgesellschaften haben das vorliegende Curriculum fMRT beschlossen. Dieses Curriculum fMRT ist ein Teil des Curriculums für »Funktionelle Bildgebung«, das von der Arbeitsgemeinschaft »Funktionelle Bildgebung« erstellt wird. Die Arbeitsgemeinschaft »Funktionelle Bildgebung« hatte im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft »Klinische Neurowissenschaften« die Aufgabe übernommen, Curricula für den Bereich der »Funktionellen Bildgebung« zu erarbeiten, die u. a. Methoden wie die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT), Positronenemissionstomographie (PET), Elektroenzephalographie (EEG), Magnetenzephalographie (MEG) und transkranielle Magnetstimulation (TMS) alleine oder in Kombination beinhalten. An der inhaltlichen und formalen Ausgestaltung des Curriculums fMRT innerhalb der AG »Funktionelle Bildgebung« haben Mitglieder folgender Fachgesellschaften mitgewirkt: 5 Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) 5 Deutsche Gesellschaft für klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung (DGKN) 5 Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) 5 Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR) 5 Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) 5 Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin (DGN) 5 Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) 5 Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP) Die AG »Funktionelle Bildgebung« gibt sich eine Geschäftsordnung und wählt einen Vorsitzenden. Das Curriculum fMRT – wie auch die weiteren Curricula zum Thema »Funktionelle Bildgebung« – bestehen jeweils aus einem allgemeinen Grundkurs (A), einem methodenspezifischen weiterführenden Theorie-Kurs (B) und einer praktischen Ausbildung (C). Im Grundkurs (A) sollen alle relevanten bildgebenden Techniken des ZNS vorgestellt werden. Der Grundkurs ist deshalb auch Voraussetzung für die Teilnahme an allen weiteren speziellen Kursen zur funktionellen Bildgebung. Der weiterführende Theorie-Kurs im Bereich der fMRT (B) besteht aus 4 Pflichtmodulen sowie 2 Wahlmodulen und wird mit dem Bestehen einer theoretischen Prüfung abgeschlossen. Die praktische Ausbildung (C) muss bei einem in der fMRT akkreditierten Ausbilder erfolgen und schließt den Nachweis selbständig durchgeführter fMRT-Untersu1
chungen ein. Nach belegter Teilnahme am Grundkurs (A), bestandenem Theorie-Kurs (B) und dem Nachweis selbstständiger Arbeit während der praktischen Ausbildung (C) wird die erfolgreiche Ausbildung in der fMRT zertifiziert. Mit erfolgreichem Abschluss des Curriculums fMRT soll dokumentiert werden, dass der Prüfling fundierte Kenntnisse für den wissenschaftlichen und klinischen Einsatz der fMRT-Methode erworben hat. Die Zertifizierung wird von der DGKN im Auftrag der AG »Klinische Neurowissenschaften« und den in ihr zusammengeschlossenen Fachgesellschaften erstellt. Grundkurse, Pflicht- und Wahlmodule können von allen beteiligten Fachgesellschaften standardisiert angeboten werden. Mit der Standardisierung der Inhalte und Prüfungsfragen wird die AG »Funktionelle Bildgebung« beauftragt. Curriculum fMRT Bei dem Curriculum fMRT handelt es sich nicht um einen Gegenstandskatalog von zu vermittelnden Lehrinhalten, sondern um einen Rahmen, der einen Standard für eine fächerübergreifende fMRT-Ausbildung in den Neurowissenschaften setzen soll. Er soll daher einer ständigen Weiterentwicklung unterliegen und für neue Entwicklungen offen sein. Ziel des fMRT-Curriculums ist es, eine verbesserte und standardisierte Ausbildung zu etablieren. Durch die fächerund methodenübergreifende Zertifizierung soll eine Qualitätssicherung in der klinischen und wissenschaftlichen Anwendung erreicht werden, die zur Stärkung der internationalen Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit im Bereich der Neurowissenschaften beitragen kann. Die Zertifizierung ist nicht als Ergänzung bestehender Regelungen der ärztlichen Ausbildung und der lokalen Gerätenutzung gedacht. Sie berechtigt nicht zum Betreiben eines Kernspintomographen und berührt auch nicht die Inhalte des Fachkundenachweises der Weiterbildungsordnung. Die Benutzung und der Betrieb von MRT-Geräten für wissenschaftliche Untersuchungen sollte durch lokale Gremien der Fakultät oder Klinik/Institut jeweils vor Ort im Detail geregelt werden (Betreiber- und Nutzerordnung). Akkreditierungsausschuss Der Akkreditierungsausschuss besteht aus je einem benannten Vertreter der beteiligten Fachgesellschaften (Deutsche Gesellschaft für klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung; Deutsche Gesellschaft für Neurologie; Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie; Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie; Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin, Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psycho-
Curriculum »Funktionelle Bildgebung«: Teil 1: Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) der Arbeitsgemeinschaft »Klinische Neurowissenschaften« (aus Schneider u. Dieterich, Nervenarzt 2005, 4:513–516)
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5 Einführung
therapie und Nervenheilkunde; Gesellschaft für Neuropädiatrie). Er hat folgende Aufgaben: 5 Auswahl der Ausbilder 5 Auswahl der Prüfer für (B) und (C) 5 Prüfung der eingereichten Unterlagen für die Zertifizierung Die Unterlagen zur Erlangung des fMRT-Zertifikats werden zuerst dem Fachkollegen im Akkreditierungsausschuss zur Prüfung vorgelegt, dann nach positiver Bewertung an zwei weitere Mitglieder des Akkreditierungsausschusses (darunter dem Vorsitzenden) zur Beurteilung weitergereicht. Alle drei Mitglieder verständigen sich über die abschließende Beurteilung und zertifizieren im Namen des Ausschusses dem Prüfling eine dem Curriculum entsprechende erfolgreiche Ausbildung in Theorie, Methodik und Anwendung der fMRT. Die AG »Funktionelle Bildgebung« schlägt einen Vorsitzenden des Akkreditierungsausschusses vor, der von der Arbeitsgemeinschaft »Klinische Neurowissenschaften« bestätigt wird. Zertifizierung Voraussetzung für die Teilnahme am Kurs (B) ist die Teilnahme am Grundkurs (A). Der Gesamtleistungsnachweis
Zusammenfassung und Ausblick Die neurobiologische Forschungsrichtung mittels funktionell-bildgebender Methoden, insbesondere der fMRT, hat bereits über eine Integration von funktionell-bildgebenden, strukturell-anatomischen, experimentalpsychologischen und pharmakologischen Befunden zu umfangreichen neuen Erkenntnissen zur Ätiopathogenese, Diagnostik und Therapie neurologischer und psychischer Störungen geführt. In den wenigen Jahren ihrer Anwendung hat die funktionelle Bildgebung unser Verständnis der neurowissenschaftlichen Grundlagen unserer Hirnfunktionen und ihrer Störungen bei psychischen und neurologischen Erkrankungen bereits weitgehend verän-
für den weiterführenden Theorie-Kurs »fMRT« ist erbracht, wenn alle einzelnen Module (4 Pflichtmodule, 2 Wahlmodule) per Schein nachgewiesen werden und auch die praktische Tätigkeit (Teil C) belegt ist. 5 Schein (A): Anwesenheitspflicht 5 Schein (B): Zu den Jahreskongressen der beteiligten Fachgesellschaften sollte eine einheitliche Theorieprüfung durchgeführt werden, deren Koordination und Abstimmung durch die Arbeitsgemeinschaft »Funktionelle Bildgebung« erfolgt (»multiple choice«). 5 Schein (C): Mündliche Prüfung Einzelprüfung durch einen Prüfer, der akkreditierter Ausbilder ist oder durch den Akkreditierungsausschuss bestimmt wurde. Voraussetzung für die Prüfung von Teil (C) ist Teil (B). Äquivalenzbescheinigungen Für einzelne Module und die praktische Tätigkeit können in besonderen Fällen für einzelne Personen Äquivalenzbescheinigungen vom Akkreditierungsausschuss beantragt und ausgestellt werden. Hierbei obliegt dem Beantragenden der Nachweis der Anwesenheit und des Inhalts der Veranstaltung.
dert. Unter ihrer Verwendung ergeben sich ein immer umfassender werdendes Verständnis der funktionellen Neuroanatomie und die Formulierung klarer Hypothesen bezüglich zerebraler Fehlfunktionen bei Patienten mit psychischen und neurologischen Störungen. Hieraus lassen sich bereits erste klinisch relevante Anwendungen für Pharmako- und Psychotherapie, aber auch zur Frühdiagnostik und Intervention bis hin zur Entwicklung neuer Therapiestrategien in der Rehabilitation entwickeln. Eine Verbindung mit genetischen und Transmitter-bezogenen Befunden lässt ein noch besseres Verständnis neuropsychiatrischer Störungen erwarten und eröffnet völlig neue Wege in Diagnostik und Therapie.
I Grundlagen 1
Funktionelle Neuroanatomie – 9 K. Amunts, K. Zilles
2
Grundlagen der MR-Bildgebung – 61 T. Stöcker, N.J. Shah
3
Grundlagen der Morphometrie und Integration anatomischer und funktioneller Bilddaten – 79 P. Pieperhoff, H. Mohlberg, K. Amunts
4
Echtzeit-fMRT – 91 K. Mathiak, N. Weiskopf
5
Rekrutierung, Screening von Gesunden und Patienten, allgemeine Ein- und Ausschlusskriterien – 103 M. Priebe, F. Schneider
6
Planung und Umsetzung experimenteller Paradigmen – 115 U. Habel, G.R. Fink
7
Datenanalyse: Vorverarbeitung, Statistik und Auswertung – 133 A. Wohlschläger, T. Kellermann, U. Habel
8
Reliabilität und Qualität von fMRT-Experimenten – 149 T. Stöcker, N.J. Shah
9
Augenbewegungen – 157 A. Wohlschläger, V. Backes
10
Neuropharmakologische funktionelle Bildgebung – 165 C. Thiel, G.R. Fink
11
Geschlechts- und altersabhängige Effekte – 177 M. Reske, U. Habel
12
Schlaf und veränderte Bewusstseinszustände T. Mierdorf
– 187
1 1
Funktionelle Neuroanatomie K. Amunts, K. Zilles
1.1
Einführung und Grundlagen – 10
1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4
Aufbau und Gliederung des Gehirns – 10 Feinbau des Nervensystems – 11 Aufbau des Kortex – 14 Große Faserbahnsysteme – 16
1.2
Hirnhäute, Ventrikel und Blutgefäße – 17
1.2.1 1.2.2 1.2.3
Hirnhäute – 17 Ventrikel – 19 Blutgefäße – 19
1.3
Funktionelle Systeme – 21
1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.3.5 1.3.6 1.3.7 1.3.8 1.3.9 1.3.10 1.3.11 1.3.12 1.3.13 1.3.14
Visuelles System – 21 Auditorisches System – 27 Gleichgewichtssystem – 30 Mechanorezeption – 34 Schmerz – 37 Olfaktorisches System – 39 Gustatorisches System – 40 Motorisches System – 41 Neuroanatomische Grundlagen affektiven Verhaltens – 47 Lernen, Gedächtnis und Aufmerksamkeit – 51 Neuroendokrines System – 53 Koordinierung und Modulation durch die Formatio reticularis – 54 Transmittersysteme – 55 Transmitterrezeptoren und intrazelluläre Signalverarbeitung – 57
1.4
Literatur – 59
1.5
Weiterführende Literatur – 59
10
1
Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
))
Gliederung des zentralen Nervensystems
Die funktionelle Kernspintomographie zeigt umschriebene Aktivierungen im Gehirn, die eine anatomische Identifizierung benötigen. Aus diesem Grund geben wir hier einen kurzen Überblick über die neuroanatomischen Grundlagen des Gehirns mit dem Kortex im Mittelpunkt. In fast allen funktionellen bildgebenden Untersuchungen ist jedoch nicht nur eine kortikale Region aktiviert. Für ein tieferes Verständnis komplexer kognitiver Funktionen ist es deshalb notwendig, auch die Verbindungen zwischen kortikalen Arealen oder mit tiefer gelegenen Kerngebieten und dem Rückenmark zu kennen. Diese Verbindungen werden hier in Form von »Schaltschemata« dargestellt. Das vorliegende Kapitel gibt eine Einführung in den Bauplan des Gehirns einschließlich seiner Mikrostruktur, der regionalen Gliederung der Hirnrinde und die Topographie der Faserbahnen. Anschließend werden die wichtigsten funktionellen Systeme beschrieben.
1.1
Einführung und Grundlagen
1.1.1 Aufbau und Gliederung des Gehirns Das zentrale Nervensystem (ZNS) lässt sich in verschiedene Bereiche gliedern. Die gewaltige Anzahl von Nervenzellen (verschiedene Schätzungen gehen von 19–40 Milliarden Neuronen allein in der Hirnrinde aus) ist die Grundlage einer kaum vorstellbaren Anzahl von Verschaltungsmöglichkeiten. Das menschliche Gehirn ist in seinem äußeren, makroskopischen und inneren, mikroskopischen Bau als Ausdruck des Prinzips der Arbeitsteilung hoch differenziert. Die Zellkörper (Perikarya) von Nervenzellen (Neuronen) zeigen unterschiedliche Verteilungsmuster im Gehirn: sie können gleichmäßig verteilt liegen, z. B. in der netzartigen Formatio reticularis des Hirnstamms, wohingegen es in anderen Bereichen zu Clustern von Nervenzellkörpern kommt, z. B. in Kerngebieten (Nuclei). Schließlich zeigt die Hirnrinde (Cortex cerebri) ebenfalls eine hohe Konzentration von Nervenzellen, die aber in oberflächenparallenen Schichten (Laminae) und senkrecht dazu stehenden Zellsäulen (Columnae) angeordnet sind. Oft bilden die von den neuronalen Zellkörpern wegführenden Fortsätze (Axone) Faserbündel, die als Bahnen (Tractus, Fasciculi, Lemnisci, Fibrae, Striae) bezeichnet werden. Diese Bahnen stellen die Verbindungen mit anderen Gebieten des ZNS her. Im peripheren Nervensystem heißen diese Strukturen Nervi (Nn.). Einige Faserbahnen werden gemeinsam von verschiedenen funktionellen Systemen genutzt. Dabei wird aber die funktionelle Spezifität der verschiedenen Faserbündel innerhalb einer Bahn beibehal-
1. Rückenmark 2. Gehirn 5 Rhombenzephalon 5 Myelenzephalon (Medulla oblongata) 5 Metenzephalon mit Zerebellum 5 Mesenzephalon mit Tectum 5 Prosenzephalon 5 Dienzephalon 5 Hypothalamus mit Hypophyse 5 Subthalamus 5 Thalamus (dorsalis) mit Metathalamus 5 Epithalamus mit Epiphyse 5 Telenzephalon 5 Corpus striatum und Globus pallidus 5 Pallium (Kortex und weiße Substanz)
ten. So werden auch Fasern aus verschiedenen Abschnitten der Retina in ihrem Verlauf im Sehnerv nicht vermischt und diese retinotope Gliederung bleibt bis in die Sehrinde erhalten (7 Kap. 1.3.1). Das Gehirn ist bilateral symmetrisch angelegt. Es finden sich aber dennoch anatomische und funktionelle Unterschiede zwischen linker und rechter Hirnhälfte, Lateralisation oder Asymmetrie (7 Kap. 22). Beide Hälften interagieren miteinander: homotope Kommissurenbahnen verknüpfen nach ihrer Lage gleiche, heterotope Kommissurenbahnen nach ihrer Lage unterschiedliche Ziel- und Ursprungsgebiete der beiden Hirnhälften. Während der Begriff der Lateralisation eher eine funktionelle Spezialisation beschreibt, wird »Asymmetrie« anatomisch und/oder funktionell verwendet. Rechts- bzw. Linkshändigkeit und Sprachdominanz sind in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung. Das Prosenzephalon (Vorderhirn) mit seinen beiden Anteilen Telenzephalon (Endhirn) und Dienzephalon (Zwischenhirn) ist beim Menschen besonders stark entwickelt. Es ist vor allem das Telenzephalon mit seinem Pallium (Hirnmantel), das wesentlich die Hirngröße des Menschen bestimmt (. Abb. 1.1). Das Pallium wird aus der Hirnrinde (Cortex cerebri) und der darunter liegenden weißen Substanz, die aus den zum Kortex hinführenden (afferenten) und vom Kortex wegführenden (efferenten) Faserbahnen besteht, gebildet. Die Oberfläche des Kortex ist durch die Vorwölbungen (Windung, Gyrus) und Einbuchtungen (Furche, Sulcus, Fissura) gefaltet. Das Pallium wird in verschiedene Lappen, Lobi, (Frontallappen [Lobus frontalis], Parietallappen [Lobus parietalis], Okzipitallappen [Lobus occipitalis], Insel [Lobus insularis] und Temporallappen [Lobus temporalis]) gegliedert (. Abb. 1.1).
11 1.1 · Einführung und Grundlagen
a
b
. Abb. 1.1. Lateral- (a) und Medialansicht (b) der rechten Hirnhälfte. Die gestrichelten Linien markieren die Grenzen zwischen den verschiedenen Lobi.1 Pallium, 2 Dienzephalon, 3 Mesenzephalon,
1.1.2
Feinbau des Nervensystems
! 5 Das Nervengewebe besteht aus 2 Zelltypen: Neuronen und Gliazellen. 5 Oligodendrozyten sind besondere Gliazellen, die Myelinscheiden bilden. 5 Die Fortsätze der Perikaryen übernehmen als »Kabel« die Informationsweiterleitung über teilweise lange Strecken. 5 An Dendriten finden Erregungsaufnahme und Erregungsleitung statt. 5 Axone dienen der Erregungsleitung. 5 Synapsen übertragen die Erregung von einem auf das nächste Neuron.
4 Metenzephalon, 5 Myelenzephalon; LF Lobus frontalis, LO Lobus occipitalis, LP Lobus parietalis, LT Lobus temporalis
Das Neuron ist die strukturelle und funktionelle Einheit des Nervensystems. Es bildet Fortsätze, einen Neuriten (Axon) und meist mehrere Dendriten, die vom Zellleib (Soma, Perikaryon), ausgehen. Gliazellen übernehmen vielfältige Aufgaben und sind in den Prozess der Neurotransmission eingebunden, z. B. durch die Regulation der extrazellulären Transmitterkonzentration (. Abb. 1.2). Das Soma von Neuronen wird vom Zellkern und dem Perikaryon mit den Zellorganellen gebildet (. Abb. 1.2). Die äußere Form von Neuronen wird stark von der Ausprägung der abgehenden Fortsätze beeinflusst. Das Perikaryon ist in der Regel von Gliazellen umgeben, zwischen denen Axone anderer Neurone an das Perikaryon herantreten und synaptische Kontakte ausbilden können. Der
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12
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
. Abb. 1.2. Schema eines motorischen Neurons aus dem Vorderhorn des Rückenmarks. Die gestrichelte Linie markiert die Grenze zwischen peripherem und zentralem Nervensystem (PNS/ZNS)
relativ große Zellkern liegt zumeist im Zentrum des Perikaryons, dessen Chromatin über den gesamten Kernbereich fein verteilt ist. Die Hülle des Nucleus besteht aus 2 Elementarmembranen. Das äußere Blatt der Kernmembran hat Verbindung mit dem endoplasmatischen Retikulum (ER) im Zytoplasma. Es ist reich mit Ribosomen besetzt (rauhes oder granuläres ER, rER) und in zahlreichen, konzentrischen Stapeln (Nissl-Schollen; 7 Kap. 1.1.3) organisiert. Der Golgi-Apparat ist in Nervenzellen stark ausgeprägt. Mitochondrien liegen in großer Anzahl im Perikaryon und sichern den Energiebedarf. Das Perikaryon bildet Fortsätze, die Dendriten (afferent) und Axone (efferent). Während Dendriten in unterschiedlicher Anzahl pro Neuron ausgebildet sein können, gibt es immer, von wenigen Sonderfällen abgesehen (z. B. amakrine Zellen der Retina), nur ein Axon. Bei Projektionsneuronen und Spinalganglienzellen können die Axone länger als einen Meter sein (z. B. im motorischen System; 7 Kap. 1.3.8). Diese beiden Zelltypen sind meist exzitatorisch und bilden v. a. die Transmitter Glutamat oder Azetylcholin (7 Kap. 1.3.14). Interneurone dienen der Erregungsleitung über kurze Strecken. Ihre Axone sind daher kurz.
Interneurone sind oft inhibitorisch und bilden u. a. meist den Transmitter GABA. Das Axon (auch Neurit) beginnt mit einem Axonhügel am Perikaryon, gibt Kollateralen ab und zweigt sich am Ende als Telodendron auf. Die Enden (Axonterminale) bilden Auftreibungen (»boutons«), die die präsynaptische Komponente der Synapse darstellen (. Abb. 1.3). Im Inneren des Axons findet sich das Axoplasma, das viele Neurofilamente (Durchmesser: ca. 10 nm) und Neurotubuli (20 nm) enthält. Die Neurotubuli sind die strukturelle Grundlage des axonalen Transports, der mit Hilfe von Adenosintriphosphatasen (ATPasen), dem mikrotubulusassoziierten Protein (MAP) und Kinesin durchgeführt wird. Die Weiterleitung der Erregung von einem zu einem anderen Neuron geschieht meist über Synapsen. Der weitaus häufigste Kontakt ist die chemische Synapse. Die Boutons an den Endverzweigungen der Axone sind der nachgeschalteten Zellmembran eng angelagert und es entsteht ein 20–30 nm breiter synaptischer Spalt. Die Boutons als präsynaptische Struktur enthalten neben zahlreichen Mitochondrien zur Bereitstellung von Energie vor allem Vesikel mit Botenstoffen (Transmitter) (7 Kap. 1.3.13), die in der
13 1.1 · Einführung und Grundlagen
. Abb. 1.3. Dendrit mit verschiedenen Synapsentypen
Regel im Perikaryon gebildet werden. Synapsen sind die Grundlage der Informationsverarbeitung bzw. -integration und spielen eine wichtige Rolle bei Lern- und Gedächtnisvorgängen. Die Oberfläche eines Dendriten oder eines Perikaryons ist mit einer Vielzahl von Synapsen verschiedener Herkunft und Funktion besetzt. Inhibitorisch wirksame Synapsen kommen besonders häufig am Zellkörper vor. Die Perikarya von Pyramidenzellen des Kortex und das Axoninitialsegment sind überwiegend von inhibitorischen Synapsen besetzt. Da dort auch das Aktionspotenzial entsteht, nehmen diese inhibitorischen Synapsen durch ihre Lage eine strategisch besonders günstige Position in der Verschaltungsstruktur des Nervensystems ein. Unter dem Begriff der (Neuro-)Glia werden morphologisch und funktionell unterschiedliche Zelltypen zusammengefasst. Im Gehirn kommen etwa 10-mal mehr Gliaals Nervenzellen vor. Gliazellen sind nicht direkt an der Erregungsleitung beteiligt und bilden keine Aktionspotenziale und Synapsen. Sie haben aber z. B. Rezeptoren für Neurotransmitter und Hormone und spielen bei der Transmitterregulation und -bildung eine wichtige Rolle. Astrozyten sind u. a. an der Steuerung der Ionenkonzentration im Interzellularraum beteiligt, wirken am Aufbau der Blut-Hirn-Schranke mit und haben regulatorische Funktion bei der Erregungsübertragung. Mantelzellen und Lemnozyten tragen zur Isolierung neuronaler Elemente
. Abb. 1.4. Kontinuierliche (links) und saltatorische Erregungsleitung (rechts). Ein Aktionspotenzial (AP) ist mit einem erhöhten Na+-Einstrom verbunden, was zu einer Depolarisation führt. Nach einer Refraktärphase kann dann erneut ein AP gebildet werden. Bei einem nicht myelinisierten Axon läuft dieser Prozess kontinuierlich an der Membran des Axons entlang. Bei einem myelinisierten Axon bleiben die Bildung des AP und die Depolarisation auf die Zonen der RanvierSchnürringe beschränkt und springen von Schnürring zu Schnürring über. Dadurch kommt es zu einer erheblichen Beschleunigung der Erregungsleitung
bei, da sie Perikarya in Ganglien und afferente Zellfortsätze in der Haut umhüllen. Mikroglia ist zur Phagozytose von Zellen und Zellbruchstücken fähig. Oligodendrozyten bilden im ZNS die Myelinscheiden oder Markscheiden, die Axone umhüllen und gegeneinander isolieren (. Abb. 1.4). Neben markhaltigen gibt es auch marklose Fasern. Eine Gliazelle umhüllt ca. 1 mm der Axonlänge. Zwischen den benachbarten Abschnitten der Gliaumhüllungen bleibt ein schmaler Spaltraum, in dem die Zellmembran des Neurons frei liegt – Ranvier-Schnürring. Während bei einem Neuron ohne Myelinscheide die Erregung kontinuierlich über die gesamte Membranstrecke weitergeleitet wird, springt sie im Fall der myelinisierten Fasern von Schnürring zu Schnürring (saltatorische Erregungsleitung; . Abb. 1.4). Dadurch wird die Erregungsleitungs-
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
geschwindigkeit um ein Vielfaches erhöht. Für die Geschwindigkeit ist darüber hinaus die Dicke der Myelinscheide wichtig: stark myelinisierte Fasern leiten bis zu 100-mal schneller als Axone gleichen Durchmessers ohne Myelinscheide. Myelinscheiden können in histologischen Präparaten sichtbar gemacht werden und ermöglichen so z. B. eine Darstellung von großen Faserbahnen (7 Kap. 1.1.4) und eine differenzierte Darstellung unterschiedlicher Kortexregionen (7 Kap. 1.1.3).
kennzeichnen soll. Man weiß heute, dass funktionell, wenn auch nicht architektonisch dem Neokortex vergleichbare Strukturen bei allen tetrapoden Wirbeltieren gefunden werden. Die Bezeichnungen Allo- und Isokortex beziehen sich dagegen auf die histologische Struktur: Der Isokortex ist im Allgemeinen durch einen sechsschichtigen Aufbau gekennzeichnet, in den verschiedenen allokortikalen Regionen dagegen kommt es zur Ausbildung von weniger oder auch von mehr Schichten.
1.1.3 Aufbau des Kortex
Allokortex
! 5 Der Kortex lässt sich in den sechsschichtigen Neokortex (Isokortex) und den Allokortex (Paläokortex und Archikortex) untergliedern. 5 Paläo- und Archikortex sind phylogenetisch älter, der Neokortex ist phylogenetisch jünger. 5 Der Kortex zeigt regionale Unterschiede in seinem mikroskopischen Aufbau (Architektonik). 5 Diese Unterschiede sind Grundlage einer Untergliederung des Kortex in Areale. 5 Die kortikalen Areale dienen unterschiedlichen Funktionen.
4 4 4 4 4 4 4
Der beim Menschen besonders hoch entwickelte Neokortex (Neokortikalisation) bildet den sechsschichtigen Isokortex und liegt zwischen den beiden Anteilen des Allokortex, dem Paläokortex und dem Archikortex. Isokortex und Allokortex gehen schrittweise ineinander über. Proisokortex ist Teil des Isokortex am Übergang zum Allokortex; Periallokortex gehört zum Allokortex am Übergang zum Isokortex (. Abb. 1.5). Die Begriffe Archi-, Paläo- und Neokortex stammen aus der vergleichenden Anatomie und beschreiben ursprünglich eine zeitliche, phylogenetische Sequenz. Danach ist der Neokortex eine Neubildung, die erst die Säugetiere
. Abb. 1.5. Medianansicht einer rechten Hemisphäre mit der Einteilung des Kortex (modifiziert nach Stephan 1975)
Der Paläokortex umfasst folgende Rindengebiete: Bulbus olfactorius Regio retrobulbaris Regio amygdalaris (kortikaler Anteil der Amygdala) Tuberculum olfactorium Septum mit Regio periseptalis und Regio diagonalis Regio prepiriformis Teile des Inselkortex (Regio peripalaeocorticalis claustralis)
Der Archikortex umfasst folgende Regionen: 4 Hippocampus retrocommissuralis (Cornu ammonis, Fascia dentata, Subiculum) 4 Hippocampus supra- und precommissuralis 4 Presubiculum und Parasubiculum 4 Regio entorhinalis 4 Regio retrosplenialis 4 Regio cingularis
Isokortex Hier finden sich Repräsentationsgebiete für alle Sinnessysteme mit Ausnahme des olfaktorischen Systems und die Ursprungsgebiete motorischer Bahnen (Primärgebiete). Die Größe des Isokortex geht in besonderem Maße auf die Ausdehnung solcher Gebiete zurück, die zwischen den Pri-
15 1.1 · Einführung und Grundlagen
. Abb. 1.6. Hirnkarte der einzelnen allo- und isokortikalen Areale der menschlichen Hirnrinde nach Brodmann (1909). Die einzelnen Areale sind mit unterschiedlichen Farben und Schraffuren dargestellt
märgebieten liegen. Diese Regionen sind mit der Analyse spezieller Aspekte einer bestimmten Modalität befasst (unimodale Sekundär- und Tertiärgebiete). In den multimodalen Assoziationsgebieten werden dann verschiedene Modalitäten zusammengeführt. Diese Gebiete bilden letztlich die Grundlage für eine ganzheitliche Wahrnehmung der uns umgebenden Welt und die Voraussetzung für komplexes und flexibles Verhalten. Der Kortex ist an der Gyruskuppe breiter als im Fundus eines Sulcus. In den meisten Regionen ist der Kortex ca. 3 mm dick. Er ist besonders schmal im Gyrus postcentralis und im Bereich des Sulcus calcarinus (ca. 2 mm) und besonders dick im Gyrus precentralis (4 mm). Zellkörperfärbungen des menschlichen Kortex (z. B. Nissl) zeigen, dass unterschiedlich geformte und verschieden große Neurone in den Schichten des Kortex gefunden werden. Im Isokortex heißen die 6 Schichten Lamina molecularis (I), Lamina granularis externa (II), Lamina pyramidalis externa (III), Lamina granularis interna (IV), Lamina pyramidalis interna (V) und Lamina multiformis (VI). Die Ausprägung dieser 6 Schichten bzgl. ihrer Breite, Packungsdichte der Nervenzellen und Anordnung variiert regional (Zytoarchitektur). Beispiele für kortikale Regionen mit unterschiedlicher Zytoarchitektur sind der agranuläre motorische Kortex, bei dem die Lamina granularis interna nicht ausgeprägt ist (7 Kap. 1.3.8) und der primäre visuelle Kortex, der im Gegensatz dazu eine sehr breite und reich differenzierte Lamina granularis interna aufweist, in die afferente Fasern aus der Sehbahn ziehen (7 Kap. 1.3.1). Unterschiede in der Zytoarchitektur wurden schon früh dazu herangezogen um die Hirnrinde in unterschiedliche Areale zu untergliedern. Eine der bekanntesten und auch heute noch weit verbreiteten Karten ist die von Korbinian Brodmann aus dem Jahr 1909 (. Abb. 1.6). Neben regionalen Unterschieden in der Zytoarchitektur kann man auch bauliche Besonderheiten einzelner Hirnregionen in Bezug auf Myeloarchitektur (erkennbar in Markscheidenfär-
bungen histologischer Präparate), Transmitter und Enzyme (immunohistochemische und histochemische Marker) sowie die Rezeptoren (Autoradiographie, Immunhistochemie, In-situ-Hybridisierung) feststellen. Die Mikrostruktur hat einen direkten Bezug zu den modernen bildgebenden Verfahren – so beeinflussen z. B. Zyto- und Myeloarchitektur das MR-Signal und regionale Rezeptorverteilungen für Transmitter lassen sich mit Rezeptor-PET in vivo erfassen. Die Brodmann-Karte zeigt eine schematisierte Darstellung eines »typischen« Gehirns. Sie berücksichtigt nicht die interindividuelle Variabilität, ein Umstand, dessen sich Brodmann durchaus bewusst war. Die Karte erlaubt es deshalb nicht, auf die genaue Lage der Grenze eines zytoarchitektonischen Areals in Bezug auf Gyri und Sulci zu schließen. Die zytoarchitektonischen Areale und das Sulcusmuster variieren unabhängig voneinander. Schließlich benötigen funktionell bildgebende Untersuchungen zur topographischen Interpretation von Befunden dreidimensionale Vorlagen und keine zweidimensionale schematische Zeichnung wie die vorliegende Karte. Eine Weiterentwicklung der klassischen architektonischen Karten wie der von Brodmann sind die probabilistischen, architektonischen Karten, die in den Arbeitsgruppen der Autoren dieses Kapitels entwickelt werden (. Abb. 1.7). Diese Karten basieren auf einem Untersucherunabhängigen Verfahren zur Grenzfindung der verschiedenen kortikalen Areale in 10 Post-mortem-Gehirnen. Sie beinhalten neben kortikalen Arealen auch subkortikale Kerngebiete und Faserbahnen, die nach drei-dimensionaler Rekonstruktion der histologischen Schnittserien auf ein Referenzgehirn wie das »MNI-Gehirn« (http://www.fz-juelich.de/ime/ und http://www.bic.mni.mcgill.ca/cytoarchitectonics/) registriert wurden. Dieses Referenzsystem wird im Rahmen vieler bildgebender Studien zur räumlichen Normierung genutzt und eignet sich deshalb für StrukturFunktions-Vergleiche. Hierbei können z. B. auf probabilistischer Grundlage funktionelle und strukturelle MR-Be-
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
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. Abb. 1.7. Oberflächenrekonstruktion des individuellen MNI-Referenzgehirns mit »maximum probability maps« kortikaler Areale. Die Darstellung basiert auf Kartierungen der Areale in histologischen Serienschnitten von 10 Post-mortem-Gehirnen. Ansichten von lateral
und dorsal. Jedes Areal ist mit einer anderen Farbe gekennzeichnet. Areale in der Tiefe des Gehirns, z. B. Te 1 auf dem Heschl-Gyrus, sind nicht zu sehen
funde von Untersuchungen an Probanden oder Patienten zu bestimmten neuropsychologischen Paradigmata mit den in Post-mortem-Gehirnen gewonnenen mikrostrukturellen Karten direkt verglichen werden.
Projektionsbahnen Projektionsbahnen verlaufen häufig durch die Capsula interna und lassen sich dort am besten auf einem Horizontalschnitt darstellen (. Abb. 1.9). Die Kapsel lässt im Schnitt-
1.1.4 Große Faserbahnsysteme Die weiße Substanz des Telenzephalons enthält myelinisierte und nicht-myelinisierte Nervenfasern, die in 3 Fasersystemen mit unterschiedlichem Verlauf organisiert sind: ! 5 Projektionsbahnen verlaufen zwischen Rindengebieten und Kerngebieten, auf- und absteigend; ein großer Teil verläuft durch die Capsula interna. 5 Kommissurenbahnen verbinden Rindenareale der beiden Hemisphären. 5 Assoziationsfasern verbinden Rindengebiete einer Hemisphäre.
Für die funktionelle Bildgebung und Orientierung im stereotaxischen Raum haben die Commissura anterior (CA) und die Commissura posterior (CP) eine besondere Bedeutung (. Abb. 1.8). Die gedachte Verbindung zwischen oberem Rand der CA und unteren Rand der CP (CA–CP-Linie) definiert die 3 orthogonal zueinander stehenden Raumrichtungen (frontal, horizontal, sagittal), der Schnittpunkt zwischen oberem Rand von CA und der Interhemisphärenebene definiert den Ursprung nach der Konvention von Talairach und Tournoux (1988). Diese Konvention ermöglicht eine räumliche Vergleichbarkeit von Bilddatensätzen in einem gemeinsamen Referenzraum. Neben dem Talairach-Raum werden auch andere Konventionen (z. B. der MNI-Raum, der anatomische MNI-Raum) verwendet.
. Abb. 1.8. Median-Sagittalschnitt eines hochaufgelösten T1-gewichteten MRT-Datensatzes bei 1,5 Tesla (Voxelgröße 610 µm isotrop, Mittelung von 10 individuellen Datensätzen). MR-Bild von Oros-Peusquens, Stöcker, Zilles, Shah. CA, CP Commissura anterior und Commissura posterior. Diese beiden Strukturen definieren die CA–CP-Linie und legen die horizontale Schnittebene fest. Durch den hinteren Rand der Commissura anterior verläuft orthogonal zur CA–CP-Linie die VCA-Linie. Diese definiert die vertikofrontale Bildebene. Der Schnittpunkt von CA–CP-Linie und VCA-Linie in der Ebene des Interhemisphärenspaltes definiert den Ursprung im Talairach & Tournoux Atlas (1988)
17 1.2 · Hirnhäute, Ventrikel und Blutgefäße
bild einen vorderen Schenkel, das Knie und einen hinteren Schenkel erkennen. Durch die Capsula interna verlaufen sowohl vom Thalamus aufsteigende als auch zum Thalamus, Hirnstamm und Rückenmark absteigende Bahnen.
Kommissurenfasern Homotope Kommissurenbahnen verbinden gleichnamige Areale in den beiden Hemisphären, heterotope verbinden ein Kortexgebiet einer Hemisphäre mit einem anderen Kortexgebiet der kontralateralen Hemisphäre. Homotope Faserbahnen verbinden die bilateralen Repräsentationsfelder der gleichen Körperteile in den beiden Hemisphären (z. B. vertikaler Meridian des Gesichtsfeldes). Die größte Kommissurenbahn ist das Corpus callosum (. Abb. 1.10). Die Fasern fächern lateral der Mittellinie die Capsula interna auf. Es werden Genu, Truncus und Splenium corporis callosi unterschieden. . Abb. 1.9. Lage von Projektionsbahnen in einem Horizontalschnitt durch die Capsula interna mit Crus anterius, Genu und Crus posterius. Der Pedunculus thalamicus anterior (9) liegt im Crus anterius und enthält u. a. Verbindungen zwischen dem dorsomedialen Thalamus und dem präfrontalen Kortex. Im Pedunculus thalamicus inferior (8) im oberen Teil der Capsula interna im Crus anterius liegen Bahnen zwischen dem dorsomedialen Thalamus und dem präfrontalen, insulären und temporalen Kortex sowie Verbindungen zwischen Thalamus und Amygdala. Der Tractus corticonuclearis (= corticobulbaris – 1) liegt im Genu. Im Crus posterius finden sich Tractus corticospinalis (2), Fibrae corticorubralis und corticotegmentalis (3). Ebenfalls im Crus posterius liegt der Pedunculus thalamicus superior (4), der u. a. die somatosensorische thalamokortikale Bahn als Fortsetzung des Lemniscus medialis enthält. Am hinteren und unteren Ende des Crus posterius folgen der Pedunculus thalamicus posterior (5), die Radiatio acustica (6) und die Radiatio optica (7). Die Pfeile markieren die Verbindung zwischen Seitenventrikel und III. Ventrikel. A Armrepräsentation, B Beinrepräsentation, C Claustrum, Cau Nucleus caudatus, CC Corpus callosum, Ce Zerebellum, E Epiphyse, Fo Fornix, GP Globus pallidus, H Hippocampus, I Inselrinde, LV Seitenventrikel, PC Plexus choroideus, Put Putamen, R Rumpfrepräsentation, Te Tectum, Th Thalamus; 1 Tractus corticonuclearis, 2 Tractus corticospinalis, 3 Fibrae corticorubralis et corticotegmentalis, 4 Pedunculus thalamicus superior, 5 Pedunculus thalamicus posterior, 6 Radiatio acustica, 7 Radiatio optica, 8 Pedunculus thalamicus inferior, 9 Pedunculus thalamicus anterior
. Abb. 1.10. Probabilistische Karte des Corpus callosum. Die Karte zeigt die interindividuelle Variabilität der Faserbahn in 10 Post-mortem-Gehirnen. Frontal-, Horizontal- und Sagittalschnitt. Ausrichtung entlang der CA–CP-Linie. Die Überlagerung der individuellen Karten
Assoziationsfasern Diese Fasern verbinden verschiedene Bereiche des Kortex einer Hemisphäre. Sie bilden den größten Teil der weißen Substanz. Kurze Fasern, Fibrae arcuatae cerebri, werden von Axonen z. B. von Pyramidenzellen gebildet und verbinden meist 2 benachbarte Gyri miteinander. Sie verlaufen U-förmig von der Rinde in das Mark und wieder zurück in die Rinde (. Abb. 1.11). Lange Assoziationsfasern bilden Bündel, die auch weit voneinander entfernte Rindenregionen verbinden. Neben den in . Abb. 1.10 dargestellten Bahnen gehört dazu auch das Cingulum, das unter dem Gyrus cinguli liegt.
1.2
Hirnhäute, Ventrikel und Blutgefäße
1.2.1 Hirnhäute ! 5 Es werden harte (Pachymeninx) und weiche Hirnhaut (Leptomeninx) voneinander unterschieden. 5 Die harte Hirnhaut stellt ein mechanisches Schutzsystem für das Zentralnervensystem dar. 5 Die weiche Hirnhaut bildet die Liquor-BlutSchranke.
vor dem Hintergrund des individuellen MNI-Gehirns ist farbkodiert (z. B. rot – Überlagerung aller 10 Gehirne). Die vollständigen Karten und die anderer Projektions- und Assoziationssysteme sind über die Webseite (http://www.fz-juelich.de/ime/) verfügbar
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
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. Abb. 1.11. Wichtige Assoziationsbahnen in den Endhirnhemisphären.1 Fibrae arcuatae, 2 Fasciculus occipito-frontalis superior (verbindet Lobi frontalis und occipitalis), 3 Fasciculus longitudinalis superior (verbindet Lobi frontalis, parietalis und occipitalis), 4 Fasciculus arcuatus (verbindet Wernicke- und Broca-Region), 5 Fasciculus occipitofrontalis inferior (verbindet Lobi frontalis und occipitalis), 6 Fasciculus longitudinalis inferior (verbindet Lobi temporalis und occipitalis), 7 Fasciculus uncinatus (verbindet Amygdala mit basalen Regionen des Lobus frontalis)
Das ZNS ist von außen nach innen von 3 Bindegewebshüllen (Meningen) umgeben (. Abb. 1.12): 4 Dura mater 4 Arachnoidea 4 Pia mater Arachnoidea und Pia mater bilden die Leptomeninx, die Dura mater die Pachymeninx.
. Abb. 1.12. Hirnhäute und äußere Liquorräume im Frontalschnitt. 1 Kopfhaut, 2 Schädeldach, 3 V. diploica, 4 Sinus sagittalis superior, 5 Pacchioni-Granulationen, 6 Dura mater, Periost und Subduralspalt, 7 Arachnoidea, 8 Pia mater, 9 Falx cerebri, 10 Subarachnoidalraum, 11 Virchow-Robin-Raum, 12 Periost, 13 Arachnoideatrabekel, 14 von Astrozytenfüßen gebildete Gliamembran (Membrana limitans), 15 Arterie, 16 Arteriole, 17 Kapillare, 18 Gehirn, 19 Interzellularraum der Leptomeninx
licht. In T1-gewichteten strukturellen MR-Bildern des Kopfes erscheint die Dura sehr signalintensiv. Gefäßversorgung. Die Dura wird durch eigene Gefäße mit
Dura mater Die Dura mater (. Abb. 1.12) besteht aus straffem Bindegewebe mit geflechtartig angeordneten Kollagenfasern, die von Mesothel bedeckt sind. Sie hat ein inneres und ein äußeres Blatt. Die Dura ist fest mit dem Periost (äußeres Blatt) der Schädelknochen verwachsen. Sie bildet innere Duplikaturen: Falx cerebri, Falx cerebelli und Tentorium cerebelli. 4 Die Falx cerebri ragt in die Fissura longitudinalis cerebri hinein und bildet die Sinus sagittales superior und inferior. 4 Die Falx cerebelli liegt als sichelförmiges Septum in der Vallecula cerebelli und ist am Os occipitale befestigt. 4 Das Tentorium cerebelli zieht zeltförmig zwischen Okzipitallappen und Zerebellum hindurch und geht in der Mediansagittalebene in die Falx cerebri über. Durch das Tentorium cerebelli wird der intrakraniale Raum in ein supra- und infratentorielles Kompartiment gegliedert, die das Pros- bzw. Rhombenzephalon enthalten. Diese Trennung hat Bedeutung bei raumfordernden Prozessen, da sie z. B. eine Verdrängung von Hirnteilen bei intrakranialem Druckanstieg aus dem infratentoriellen Kompartiment nur in Richtung des Foramen magnum ermög-
Blut versorgt: die A. meningea anterior aus der A. ethmoidalis anterior versorgt die vordere Schädelgrube. Die A. meningea media aus der A. maxillaris ist die wichtigste Arterie für die Blutversorgung der Dura. Sie verläuft zwischen Dura und seitlicher Schädelbasis und teilt sich in einen vorderen und hinteren Ast (Versorgung der mittleren Schädelgrube). Die A. meningea posterior ist der Endast der A. pharyngea ascendens und versorgt die hintere Schädelgrube.
Arachnoidea Die Arachnoidea (. Abb. 1.12) besteht aus mehreren Lagen platter Meningealzellen (Neurothel), die durch »tight junctions« fest miteinander verbunden sind und so den Übertritt von Liquor cerebrospinalis (CSF) aus dem Subarachnoidalraum (zwischen Arachnoidea und Pia) in den Subduralspalt (zwischen Arachnoidea und Dura) verhindern (Liquor-Blut-Schranke). Arachnoidea und Pia sind durch Trabekel miteinander verbunden. An einigen Stellen ist der mit Liquor gefüllte Subarachnoidalraum jedoch besonders weit und bildet Zisternen. Die gefäßfreien Ausstülpungen der Arachnoidea, die in der Gegend der Sinus und Vv. diploicae auftreten können, werden als Granulationes arachnoidales Pacchioni bezeichnet.
19 1.2 · Hirnhäute, Ventrikel und Blutgefäße
Pia mater Die Pia mater (. Abb. 1.12) besteht aus Bindegewebe und Meningealzellen. Sie ist mit der Oberfläche des ZNS fest verbunden und zieht mit den Blutgefäßen in das Nervengewebe. Die Pia ist immer durch eine Basallamina, die von Astrozyten gebildet wird, vom Nervengewebe getrennt. Sie erstreckt sich etwa bis zur Aufzweigung der Gefäße in das Kapillarbett und bildet um die Blutgefäße perivaskuläre Spalträume (Virchow-Robin-Raum). Zwischen Pia und Blutgefäßen ist ebenfalls eine Basallamina vorhanden, die sich auf die Kapillaren fortsetzt und zusammen mit den Endothelzellen und Astrozytenfortsätzen eine Barriere zwischen Nervengewebe und Blut bildet (Blut-HirnSchranke). An einigen Stellen des Ventrikelsystems setzen sich Ependymzellen als Lamina choroidea epithelialis auf das gefäßreiche Bindegewebe der Pia, die Tela choroidea, fort. Beide Strukturen bilden zusammen die in das Ventrikelsystem hineinragenden Plexus choroidei. Die Plexus produzieren den Liquor und kontrollieren das Liquormilieu.
1.2.2 Ventrikel ! 5 Das Ventrikelsystem ist der innere Liquorraum des Zentralnervensystems. 5 Die Plexus choroidei bilden den Liquor. 5 Das Ventrikelsystem steht mit dem Subarachnoidalraum in Verbindung.
Der innere Liquorraum wird durch das Ventrikelsystem gebildet (. Abb. 1.13). Die beiden Seitenventrikel liegen in den Hemisphären. Der III. Ventrikel befindet sich im Dienzephalon; der IV. Ventrikel ist im Rhombenzephalon gelegen. III. und IV. Ventrikel sind durch den engen Aquaeductus cerebri (= mesencephali) verbunden. Der IV. Ventrikel setzt sich in den Zentralkanal des Rückenmarks fort. Die Wände der Ventrikel werden von Ependym ausgekleidet. Die Plexus choroidei bilden alle 3–4 h ca. 150 ml Liquor. Der Liquor kann über die Granulationes arachnoidales in den Sinus sagittalis superior und die Vv. diploicae sowie über die beiden Aperturae laterales Luschkae, und die Apertura mediana Magendii des IV. Ventrikels in den Subarachnoidalraum abfließen.
1.2.3 Blutgefäße ! 5 Die Blutversorgung des Gehirns erfolgt über die A. carotis interna und die A. vertebralis. 5 Die Aa. carotis interna, vertebralis und basilaris haben definierte Versorgungsbereiche. 5 Die Kapillaren im Zentralnervensystem sind am Aufbau der Blut-Hirn-Schranke beteiligt. 5 Die Venen des Gehirns münden in die Sinus venosi.
. Abb. 1.13. Ventrikelsystem des Gehirns. 1 Vorderhorn (Cornu frontale) des Seitenventrikels, 2 Foramen interventriculare, 3 Pars centralis des Seitenventrikels, 4 Hinterhorn (Cornu occipitale) des Seitenventrikels, 5 Unterhorn (Cornu temporale) des Seitenventrikels, 6 III. Ventrikel, 7 Recessus suprapinealis, 8 Recessus pinealis, 9 Aquaeductus mesencephali, 10 Recessus opticus, 11 Recessus infundibuli, 12 IV. Ventrikel, 13 Recessus lateralis des IV. Ventrikels, 14 Canalis centralis des Rückenmarks (durch Verklebungen, des Ependyms kein durchgängiger Kanal), Pfeil Commissura rostralis, Doppelpfeil Chiasma opticum, Pfeilkopf Commissura epithalamica, X Adhaesio interthalamica
Die A. carotis interna (aus der A. carotis communis) und der A. vertebralis (meist aus A. subclavia) sichern die Versorgung des Gehirns (. Abb. 1.14). Die A. carotis interna versorgt die Hirnabschnitte, die vor einer gedachten Linie durch den Sulcus parietooccipitalis und die Epiphyse liegen. Zum Versorgungsgebiet dieser Arterie zählen der Frontal- und Parietallappen, der Pol des Temporallappens und der Boden des Zwischenhirns mit der Hypophyse. Das Versorgungsgebiet der A. vertebralis umfasst den Okzipital- und den Rest des Temporallappens, kaudale Teile des Thalamus, des Corpus callosum und der Capsula interna sowie das gesamte Rhombenzephalon. Aufzweigungen der Aa. carotis interna und basilaris beider Seiten bilden an der Hirnbasis den Circulus arteriosus cerebri (Willisi), der die Stromgebiete der 4 Arterien beider Seiten miteinander verbindet (. Abb. 1.14). Durch die Oberfläche des Gehirns dringen senkrecht Arterien unterschiedlichen Kalibers ein, wobei sich die kleinlumigen Arterien eher oberflächlich, die großlumigen Arterien eher in der Tiefe verzweigen. Die »tight junctions« zwischen den Endothelzellen der Kapillaren und die Basilarmembran tragen zur Bildung der Blut-Hirn-Schranke bei, die das ZNS vor dem Eintreten der meisten im Blut gelösten Moleküle schützt. Sauerstoff kann frei übertreten, Glukose gelangt durch ein spezifisches Transportsystem in das Nervengewebe.
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
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. Abb. 1.15. Sinus durae matris und Venen. 1 Sinus sagittalis superior, 2 Sinus sagittalis inferior, 3 Sinus rectus, 4 Confluens sinuum, 5 Sinus transversus, 6 Sinus sigmoideus, 7 V. jugularis interna, 8 Sinus petrosus superior, 9 Sinus petrosus inferior, 10 Sinus cavernosus, 11 Sinus occipitalis, 12 Vv. cerebri superficiales, 13 V. anastomotica superior (Trolard), 14 V. anastomotica inferior (Labbé), 15 V. basalis (Rosenthal), 16 V. cerebri magna (Galen), 17 V. cerebri media superficialis
. Abb. 1.14. Die Versorgungsgebiete der Aa. cerebri anterior (I), cerebri media (II) und cerebri posterior (III) sind in Lateralansicht (oben) und Medialansicht (Mitte) dargestellt. Unten: Beziehung zwischen Aa. carotides internae, vertebrales und Circulus arteriosus cerebri mit abzweigenden Blutgefäßen. 1 A. vertebralis, 2 A. spinalis posterior, 3 A. cerebelli inferior posterior, 4 A. spinalis anterior, 5 A. basilaris, 6 A. cerebelli inferior anterior, 7 A. pontis, 8 A. cerebelli superior, 9 A. cerebri posterior, 10 A. communicans posterior, 11 A. carotis interna, 12 A. ophthalmica, 13 A. choroidea anterior, 14 A. cerebri media, 15 Aa. lenticulostriatae (= Aa. centrales anterolaterales), 16 A. temporopolaris, 17 Pars insularis arteriae cerebri mediae, 18 A. frontobasalis lateralis, 19 A. cerebri anterior, 20 A. communicans anterior, 21 A. frontobasalis medialis, 22 A. frontopolaris, 23 A. callosomarginalis, 24 A. parietalis interna, 25 A. parieto-occipitalis, 26 R. temporalis inferior anterior, 27 R. temporalis inferior posterior, 28 A. occipitalis lateralis, 29 A. occipitalis medialis, 30 R. parieto-occipitalis, 31 R. calcarinus, 32 A. temporopolaris, 33 A. temporalis anterior, 34 A. temporalis intermedia, 35 A. temporalis posterior, 36 Aa. supramarginalis und gyri angularis, 37 A. sulci postcentralis, 38 A. sulci centralis, 39 A. sulci precentralis, 40 A. frontobasalis lateralis
In bestimmten Regionen des III. und IV. Ventrikels, den sog. neurohämalen Zonen des Gehirns, ist die Blut-HirnSchranke aufgehoben. Hierzu zählen z. B. das Corpus pineale und die Eminentia mediana mit der Neurohypophyse im III. Ventrikel und die Area postrema im IV. Ventrikel (7 Kap. 1.3.11). Diese bilden die zirkumventrikulären Organe, zu denen auch das Subkommissuralorgan gehört (letzteres allerdings mit Blut-Hirn-Schranke). Die meisten zirkumventrikulären Organe sind unpaar und liegen in der Mediansagittalebene. Die Venen geben das Blut des Kapillarbetts in die Sinus durae matris ab (. Abb. 1.15). Sinus sind von Dura mater gebildete starrwandige Blutleiter, die innen mit Endothel ausgekleidet sind. Die Sinus stehen untereinander in Verbindung und münden schließlich in die V. jugularis interna. Die Venen des Gehirns lassen sich bezüglich ihrer Lage in oberflächliche (Vv. cerebri superficiales) und tiefe (Vv. cerebri profundae) gliedern, die jedoch über zahlreiche Anastomosen verbunden sind:
21 1.3 · Funktionelle Systeme
4 Vv. cerebri superficiales: sammeln das Blut aus der Hirnrinde und dem Marklager, münden in die Sinus sagittalis superior, transversus, cavernosus, petrosus superior und sphenoparietalis 4 Vv. cerebri profundae: sammeln das Blut aus den tieferen Anteilen des Marklagers, den Basalganglien, dem Dienzephalon, den Plexus choroidei (Ventrikel I, II, III); münden in die V. cerebri magna Galeni Die wichtigste gemeinsame Endstrecke beider Venensysteme ist die V. basalis (Rosenthal), die um den Tractus opticus und den Pedunculus cerebri herum nach hinten in die V. cerebri magna einmündet, die im Sinus rectus endet.
1.3
Funktionelle Systeme
1.3.1 Visuelles System ! 5 Stäbchen- und Zapfenzellen, bipolare und Ganglienzellen sind in der Retina für die Perzeption, Verarbeitung und Weiterleitung visueller Information verantwortlich. 5 Verschiedene Ganglienzellen (magno- und parvozellulär) gewährleisten eine weitere funktionelle Spezialisation. 5 Das retino-genikulo-kortikale System vermittelt den bewussten Seheindruck. 5 Form-, Bewegungs- und Farbsehen werden durch spezialisierte Regionen im striären Kortex ermöglicht. 5 Die Verarbeitung visueller Information erfolgt in den mehr als 20 Arealen des extrastiären Kortex, die über einen dorsalen (Wo-System) und einen ventralen Strom (Was-System) in parietale und temporale Regionen projizieren.
Die Aufnahme visueller Information erfolgt mit den Sinneszellen in der Netzhaut des Auges (Retina). Sie ist der rezeptive Anteil des visuellen Systems. Die Retina verarbeitet aber auch Sehinformation und gehört somit ebenso wie die nachgeschalteten Kern- und Rindengebiete des Gehirns zum integrativen Anteil des visuellen Systems. Zum Sehvorgang tragen noch weitere Strukturen des Auges (z. B. Hornhaut, Linse, Iris, Glaskörper, innere Augenmuskulatur) bei. Die Retina ist ein in die Peripherie verlagerter Hirnanteil. Sie besteht aus 3, durch Synapsen hintereinander geschalteten Zelltypen, den Rezeptorzellen, den bipolaren und den Ganglienzellen. Insgesamt enthält die Retina sehr viel mehr neuronale, gliale und epitheliale Zellen, deren Zellkörper und -fortsätze über 10 zellkörperreiche oder zellkörperfreie Schichten verteilt sind. Durch ihre Morphologie lassen sich die mehr als 100 Millionen Rezeptorzellen in 2 Typen gliedern:
4 Stäbchenzellen (ca. 100 Millionen) 4 Zapfenzellen (ca. 6 Millionen) Alle Rezeptorzellen bestehen aus einem Außensegment, in dem der Lichtreiz perzipiert wird, einem Innensegment, das der Energieversorgung dient, dem Perikaryon und dem präsynaptischen Zellfortsatz. Stäbchen- und Zapfenzellen unterscheiden sich in Bau und Funktion. Die Fortsätze der Stäbchenzellen sind länger und schmaler als die der Zapfenzellen. Die Stäbchenzellen enthalten Rhodopsin, das aus dem lichtabsorbierenden 11-cis-Retinal und dem Protein Opsin besteht. Es kommen 3 verschiedene Zapfenzelltypen mit jeweils spezifischer Zusammensetzung der Opsinmoleküle vor. Diese ermöglichen die Lichtabsorption in je 3 verschiedenen Wellenlängenbereichen und somit das Farbensehen (photopisches Sehen). Das vom Photopigment der Zapfenzellen abweichende Photopigment der Stäbchenzellen ermöglicht durch seine hohe Lichtempfindlichkeit das Dämmerungssehen (skotopisches Sehen). Die Verteilung der Zapfen- und Stäbchenzellen ist regional unterschiedlich. In der Peripherie der Retina kommen nur Stäbchenzellen vor, während im gelben Fleck, Macula lutea, ausschließlich Zapfenzellen vertreten sind. Hier liegt die Fovea centralis, die Stelle des schärfsten Sehens. Etwa 4 mm nasal der Fovea liegt die Austrittsstelle der Ganglienzellaxone, die Papilla nervi optici (»blinder Fleck«), wo es keine Sinneszellen gibt. Außer den beiden Rezeptorzelltypen werden 4 Klassen von Nervenzellen unterschieden: 4 Bipolare Zellen 4 Horizontalzellen 4 Amakrine Zellen 4 Ganglienzellen Die Ganglienzellen sind die einzigen, deren Axone die Retina verlassen und als N. opticus zum Gehirn ziehen. Sie können je nach Art der Reaktion auf einen Lichtreiz im Zentrum ihres rezeptiven Feldes eingeteilt werden in: 4 On-center-Ganglienzellen, die bei Lichteinfall erregt werden, 4 Off-center-Ganglienzellen, die bei Lichteinfall gehemmt werden. Lichtreize im Zentrum oder der Peripherie eines rezeptiven Feldes eines Ganglienzelltyps lösen jeweils antagonistische Reaktionen der Ganglienzelle aus. Auch bipolare Zellen lassen sich in On- und Off-center-Zellen einteilen. Während bipolare On- und Off-center-Zellen, die ihren synaptischen Input von Zapfenzellen erhalten, direkt mit Ganglienzellen Synapsen bilden, enden bipolare Zellen, die ihren Input von Stäbchenzellen erhalten, an amakrinen Zellen, die dann auf Ganglienzellen weiterschalten. Darüber hinaus können Ganglienzellen nach ihrer Größe unterteilt werden:
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
4 Große M- (magnozelluläre) Ganglienzellen besitzen einen großen Dendritenbaum und große rezeptive Felder, antworten nur kurz auf Lichtreize und haben eine hohe Leitungsgeschwindigkeit. Sie können Informationen von vielen bipolaren Zellen aufnehmen und damit große Objekte und Bewegungen von Objekten registrieren, wohingegen die Ortsauflösung gering ist. 4 Kleine P- (parvozelluläre) Ganglienzellen erhalten mit ihren kleinen Dendritenbäumen nur von wenigen bipolaren Zellen Informationen. Sie haben ein kleines rezeptives Feld und eine hohe Ortsauflösung. P-Ganglienzellen vermitteln Informationen zur Form und Farbe von Objekten. Neben dem prinzipiellen, vertikalen Weg der Erregungsleitung in der Retina von den Rezeptorzellen über bipolare zu Ganglienzellen gibt es andere, »laterale« Bahnen, in die amakrine und Horizontalzellen eingeschaltet sind. Horizontalzellen und amakrine Zellen sind Interneurone, die Interaktionen zwischen verschiedenen, teilweise weit entfernten Rezeptorzellen vermitteln. Das Gesichtsfeld eines Auges erstreckt sich ca. 90° nach temporal und 60° nach nasal. Ein breiter, nasaler Bereich des Gesichtsfeldes (ca. 120°) wird auch im anderen Auge abgebildet – der binokuläre Teil des Gesichtsfeldes. Der am weitesten temporal gelegene Abschnitt ist der monokuläre Teil, der nur von einem Auge erfasst wird (. Abb. 1.16). Das Gesichtsfeld bildet sich seitenverkehrt und umgekehrt, jedoch topologisch korrekt auf der Retina ab. Der räumliche
. Abb. 1.16. Grundzüge des retino-genikulo-kortikalen Systems mit Verlauf der Nervenfasern aus dem rechten und linken Auge und der Projektion des Gesichtsfeldes auf Retina und primäre Sehrinde. A17 primäre Sehrinde (Area 17), CGL Corpus geniculatum laterale
Bezug bleibt auch im N. opticus und den zentralen Zielgebieten erhalten. Diese Konstanz der räumlichen Beziehungen zwischen Orten im Gesichtsfeld, Abbildung auf der Retina und räumlicher Ordnung im Gehirn wird als Retinotopie bezeichnet. Die Axone der Ganglienzellen verlassen in der Papilla nervi optici (blinder Fleck) die Retina und werden danach als N. opticus bezeichnet. Ein N. opticus enthält ca. 1 Million Nervenfasern aus dem ipsilateralen Auge. Nach einem Verlauf von etwa 50 mm kreuzen die Nervenfasern der nasalen Retinahälfte im Chiasma opticum zur Gegenseite, während die Axone der temporalen Retinahälfte auf der gleichen Seite verbleiben (. Abb. 1.16). Zentralwärts folgt der Tractus opticus; er liegt der Hirnbasis im Hypothalamusbereich eng an. Wegen der partiellen Kreuzung im Chiasma enthält er im Unterschied zum N. opticus Axone aus beiden Augen. Der Tractus opticus zieht zum Metathalamus, wo er u. a. das Corpus geniculatum laterale (CGL) als wichtigstes Zielgebiet der retinofugalen Fasern erreicht.
Das zentrale visuelle System besteht aus unabhängigen Bahnsystemen mit unterschiedlichen Funktionen. Nach den verschiedenen kortikalen oder subkortikalen Zielgebieten unterscheidet man: 4 4 4 4 4
Retino-genikulo-kortikales System Retino-tektales System Retino-prätektales System Retino-hypothalamisches System Akzessorisches optisches System
(die Zahlen 1–6 bezeichnen die verschiedenen Schichten des CGL), Ch Chiasma opticum, NO N. opticus, TO Tractus opticus. Folgen von Läsion bei 1: Amaurose, bei 2: heteronyme, bitemporale Hemianopsie, bei 3: homonyme, kontralaterale Hemianopsie
23 1.3 · Funktionelle Systeme
. Abb. 1.17. Schematische Darstellung der wichtigsten zentralen Leitungsbahnen des visuellen Systems
Retino-genikulo-kortikales System Die meisten Fasern des Tractus opticus projizieren in das CGL (. Abb. 1.16 und 1.17). Dem zentralen Bereich des Gesichtsfeldes entspricht ein überproportional großer Teil des Kerngebietes, der mit der größeren Rezeptorzelldichte in der Fovea centralis korreliert. Die Gliederung des CGL in 6 Schichten spiegelt die Trennung der Eingänge aus den beiden Augen und den verschiedenen Ganglienzelltypen der Retina wider. Die ersten beiden Schichten werden von Axonen der magnozellulären Ganglienzellen erreicht. In den 4 folgenden kleinzelligen Schichten (3–6) enden Axone der parvozellulären Ganglienzellen. In die Schichten 1, 4 und 6 projizieren Fasern aus dem kontralateralen Auge und in die Schichten 2, 3 und 5 die des ipsilateralen Auges (. Abb. 1.17). Die das CGL verlassenden Axone werden als Sehstrahlung, Radiatio optica, bezeichnet. Diese zieht zunächst nach rostral und lateral im hinteren Schenkel der Capsula interna. Die Radiatio optica biegt dann im Knie der Seh-
strahlung nach kaudal, gelangt in den Lobus occipitalis und endet vor allem im primären visuellen Kortexareal, der Area 17 nach Brodmann. Der primäre visuelle Kortex (Area 17, auch V1) liegt im Sulcus calcarinus auf der medialen Hemisphärenfläche und zieht sich bis auf die freie Oberfläche der benachbarten Gyri (. Abb. 1.18). Auf frischen und fixierten Hirnschnitten sowie in hochaufgelösten MR-Aufnahmen des Gehins ist parallel zur Hirnoberfläche ein schmaler, weißer Streifen, der Gennari- oder Vicq-d’Azyr-Streifen, zu erkennen. Dieser Streifen besteht aus stark myelinisierten Axonen. Er gab diesem Kortexareal die Bezeichnung Area striata (striärer visueller Kortex). Allen anderen visuellen Kortexarealen fehlt dieser Streifen (extrastriärer visueller Kortex; . Abb. 1.19). Die Area 17 zeigt, wie auch schon die vorherigen Stationen der Sehbahn, eine retinotope Gliederung. Die Fovea centralis ist am Okzipitalpol repräsentiert. Der obere Teil der Retina und damit der untere Teil des Gesichtsfeldes sind
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
. Abb. 1.18a, b. Lateral- (a) und Medialansicht (b) des Lobus occipitalis mit visuellen Arealen. CC Corpus callosum, P Lobus parietalis, S.calc Sulcus calcarinus, S.p.-o. Sulcus parieto-occipitalis, T Lobus temporalis, V1 primäre Sehrinde (Area 17), V2 sekundäre Sehrinde (Area 18), V3, V3A, V4, V5, VP Areale des extrastriären visuellen Kortex
im visuellen Kortex oberhalb des Sulcus calcarinus lokalisiert. Die untere Hälfte der Retina ist im unterhalb des Sulcus calcarinus liegenden Teil der Area 17 repräsentiert. Die Area 17 zeigt einen hochdifferenzierten Schichtenaufbau. Im Unterschied zu den übrigen isokortikalen Arealen ist die Lamina IV der Area 17 in 3 Unterschichten, IV A, IV B und IV C eingeteilt (. Abb. 1.19). Die Lamina IV B enthält den Gennari-Streifen. Die Laminae IV C kann in eine IV Cα und IV Cβ aufgegliedert
. Abb. 1.19. Area 17 des Menschen in der Nissl-Färbung (oben). Die einzelnen Schichten sind mit römischen Ziffern bezeichnet. Die Veränderung des laminären Musters an der Grenze (Pfeilkopf ) zur Area 18 (A18) ist in der Markscheidendarstellung (unten) deutlich erkennbar. G Gennari-Streifen
werden. Die genikulo-kortikalen Fasern enden vor allem in den Laminae IV A und IV C, aber auch in den Laminae I– III. Die kleinzelligen Schichten 3–6 des CGL projizieren als Teil des parvozellulären Systems vor allem in die Lamina IV Cβ, aber auch in die Laminae IV A und I. Neurone der Lamina IV Cβ projizieren zu den Pyramidenzellen der Laminae II–III, die ihrerseits Efferenzen in andere visuelle Areale der ipsi- und kontralateralen Hemisphären senden. Aus der Lamina V der Area 17 ziehen Efferenzen zum Colliculus cranialis, dem Pulvinar und der Pons. Aus der Lamina VI gelangen Efferenzen zurück zum CGL und über Axonkollateralen zu Sternzellen ohne dendritische Spines in der Lamina IV C. Wichtige Efferenzen aus der Lamina VI enden auch im Claustrum. Die magnozellulären Schichten 1–2 des CGL projizieren in die Lamina IV Cα (magnozelluläres System). Sternzellen mit dendritischen Spines senden von dort stark myelinisierte Axone in die Lamina IV B, die hier den GennariStreifen bilden und gelangen nach synaptischer Umschaltung auf Pyramidenzellen in benachbarte extrastriäre Areale, so auch zur Area V5/MT+ (7 unten). Außerdem projizieren die Neurone der Lamina IV Cα in die Laminae II–III der Area 17. Das schnell und phasisch reagierende magnozelluläre System dient vor allem der Bewegungsdetektion und dem niedrig-auflösenden achromatischen Sehen. Schließlich bekommt die Area 17 weitere Afferenzen aus dem Rhombenzephalon, z. B. dem Locus coeruleus (Transmitter Noradrenalin), den Raphe-Kernen (Transmitter Serotonin), dem ventralen Teil des Tegmentum mesencephali (Transmitter Dopamin), den thalamischen Kerngebieten wie z. B. dem Pulvinar, dem basalen Vorderhirn (Transmitter Azetylcholin) sowie aus anderen kortikalen Arealen (Transmitter Glutamat). Die genikulo-kortikale Projektion in die Lamina IV C der Area 17 erfolgt in sog. Augendominanzsäulen. In solch einer Säule liegen Neurone, die nur Projektionen aus
25 1.3 · Funktionelle Systeme
. Abb. 1.20. Schema der modulären Organisation des primären visuellen Kortex (Area 17). Okuläre Dominanzsäulen (OD) in Lamina IV Cα, »blobs« mit den Zentren farbsensitiver Neuronenpopulationen (F) in Lamina III, »interblobs« (IB) in Lamina III und Hypersäulen (HS) in derselben Lamina. Die fetten Balken im Bereich der Hypersäule markieren Orientierungssäulen mit wechselnder Spezifität für die Orientierung visueller Stimuli. Römische Ziffern: kortikale Schichten
einem Auge erhalten. Die Ausdehnung einer Augendominanzsäule beträgt etwa 1 mm. Ipsi- und kontralateral dominierte Bereiche folgen alternierend (. Abb. 1.20). Bei einer dreidimensionalen Rekonstruktion oder bei oberflächenparallelen Flachschnitten durch die Lamina IV C zeigt sich, dass diese »Säulen« eher zusammenhängende »Streifen« bilden, die sich verzweigen oder fusionieren können. Andere periodische Strukturen in der Area 17 stehen mit den magno- und parvozellulären Systemen in Verbindung (. Abb. 1.20). Dazu gehören periodisch angeordnete Flecken (»blobs«), die sich vor allem in den Laminae II–III durch enzymhistochemische Darstellung der Zytochromoxidase darstellen lassen. Die »blobs« sind voneinander durch Flecken geringer Enzymaktivität getrennt (»interblobs«). »Blobs« und »interblobs« erhalten aus dem parvozellulären System synaptischen Input. »Blobs« enthalten ausschließlich farbselektive Neurone, Interblobs bestehen aus Neuronen für Form-, Tiefen- und Farbwahrnehmung, jedoch nicht für Bewegungsdetektion. Das magnozelluläre System projiziert auf die Neurone der Lamina IV Cα, deren Axone durch die Lamina IV B die extrastriäre Area 18 nach Brodmann (V2), erreichen. Die periodisch in Richtung der Längsausbreitung der Augendominanzsäulen aufeinander folgenden »blobs« sind jeweils über dem Zentrum einer Augendominanzsäule zu finden. Die Zellpopulationen mit definierter Orientierungsselektivität kreuzen annähernd rechtwinklig die Augendominanzsäulen. Die einzelnen Zellpopulationen, die in einer Orientierungssäule zusammengefasst sind, sprechen selektiv auf Lichtstimuli einer bestimmten, aber immer gleichen Orientierung an. Die Neurone in den folgenden Orientie-
rungssäulen zeigen eine schrittweise Veränderung ihrer Orientierungsselektivität. Die moduläre Superstruktur, die aus 2 okulären Dominanzsäulen, allen Orientierungssäulen, die zusammen einen kompletten Durchgang durch alle Orientierungsrichtungen bieten, und den in diesem Bereich auftretenden Farbsäulen besteht, wird als Hypersäule bezeichnet (. Abb. 1.20). Als visuellen Kortex bezeichnet man die Gesamtheit aller neokortikalen Areale, die durch Lichtreize aktiviert werden können. Nach den zytoarchitektonischen Untersuchungen von Brodmann wird der visuelle Kortex von der Area 17 (Area striata), der sie umgebenden Area 18 (Area parastriata) und Area 19 (Area peristriata) gebildet (. Abb. 1.18). Funktionell-bildgebende Untersuchungen beim Menschen und experimentelle Daten von Primaten haben jedoch gezeigt, dass der extrastriäre Kortex unter funktionellen und anatomischen Gesichtspunkten in eine Vielzahl von Arealen gegliedert werden muss und dass das Konzept der Area 19 selbst als »Oberbegriff« heutigen Parzellierungsschemata nicht mehr genügt. Darüber hinaus ist der visuelle Kortex nicht auf den Okzipitallappen beschränkt, sondern dehnt sich nach rostral über den Sulcus parieto-occipitalis in den Parietallappen und in den ventralen Teil des Temporallappens aus (. Abb. 1.18). Der visuelle Kortex kann somit in einen striären Kortex (V1, entspricht der Area 17) und einen extrastriären Kortex mit weit über 20 funktionell und anatomisch unterschiedlichen Arealen, eingeteilt werden. Die bisher am besten untersuchten Areale des extrastriären Kortex sind V2, V3, VP (ventroposteriores Areal), V4 und V5/MT+ (V5 oder auch MT: »midtemporal area«). Diese Areale können durch retinotope Kartierung mit fMRT identifiziert und weiter untergliedert werden (7 Kap. 15, . Abb. 15.2). Die Area V2 umgibt die Area V1 hufeisenförmig. Nach ventral schließen sich die Area VP und V4 (ventral) an. Während VP mit Ausnahme der am weitesten kaudal gelegenen Anteile auf der ventralen Oberfläche des Gehirns liegt, reicht V4 (ventral) auf die laterale Oberfläche hinaus. Die beiden Areale liegen zum Teil in der Wand des hinteren Abschnitts des Sulcus collateralis. Die Area V3 liegt auf der medialen Oberfläche oberhalb des Sulcus calcarinus. Die Area V5/ MT+ befindet sich meist in der Tiefe des Sulcus occipitalis anterior oder im vorderen Bereich des Sulcus occipitalis inferior oder des Sulcus occipitalis lateralis inferior.
Die extrastriären Areale erhalten ihre wichtigsten Afferenzen aus dem primären visuellen Kortex (direkt oder nach synaptischen Umschaltungen), aus dem Pulvinar thalami, das seinerseits von Fasern aus dem Colliculus cranialis und der Area 17 erreicht wird und über das Corpus callosum vom visuellen Kortex der Gegenseite. Efferenzen aus extrastriären Kortexarealen ziehen als reziproke Verbindungen zurück in die Ursprungsareale ihrer kortikalen Afferenzen, aber auch in andere Kortexareale, z. B. in das frontale Augenfeld und in subkortikale Kerngebiete, z. B. den Thalamus, die Area pretectalis, den Colli-
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
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. Abb. 1.21. Der dorsale (»where«) und ventrale (»what«) Strom visueller Verarbeitung. So wie im Kortex des Makaken wird auch beim Menschen ein dorsaler (okzipito-parietaler) und ventraler (okzipitotemporaler) Verarbeitungsweg angenommen, die beide wahrscheinlich weiter in den präfrontalen Kortex führen. MST analog zum »medial superior-temporal area«, V5/MT »middle temporal area«, LOC »lateral occipital cortex«, FFA »fusiform face area«, PPA »parahippocampal place area«, PPK posteriorer parietaler Kortex, PFK präfrontaler Kortex (modifiziert nach Goebel, Muckli, Kim in Paxinos & Mai 2004; 7 Kap. 15)
culus cranialis und die Formatio reticularis. Die Signale vom primären visuellen Kortex werden nicht nur stufenweise durch die Hierarchie der extrastriären Areale anterograd übertragen (»bottom-up«), sondern auch umgekehrt durch Verbindungen aus höheren uni- und multimodalen Arealen rückvermittelt (»top-down«). Wo- und Was-System. Es gibt 2 parallele und funktionell unterschiedliche Hauptwege vom primären visuellen Kortex zu den hierarchisch höher stehenden extrastriären Arealen des Okzipitallappens und den Arealen im inferotemporalen bzw. parietalen Kortex: 4 einen ventralen Strom oder »Was-System« oder »WasBahn« und 4 einen dorsalen Strom oder »Wo-System« oder »WoBahn« (. Abb. 1.21; 7 Kap. 15).
Die Einteilung nach Was- und Wo-System steht mit der Organisation der magno- und parvozellulären Systeme in der Area V2 (Area 18 nach Brodmann) in Beziehung. Hier haben sich wie in der Area V1 (Area 17 nach Brodmann) ebenfalls moduläre Strukturen herausgebildet, die getrennt die Informationen aus magno- und parvozellulären Systemen verarbeiten. In V2 kommen Streifen mit hoher und solche mit niedriger Zytochromoxidaseaktivität vor. Die Bereiche hoher Aktivität sind als breite und als schmale Streifen, die Bereiche niedriger Aktivität als blasse Streifen erkennbar. Die Neurone in den breiten Streifen von V2 erhalten ihre Afferenzen aus der Lamina IV Cα via Lamina IV B des primären visuellen Kortex, also aus dem magnozellulären System. Sie senden ihre Efferenzen v. a. in das Areal V5/MT+. Von dort
wird die Information in parietale Kortexareale weitergeleitet, die eine räumliche Orientierung ermöglichen. Dieser gesamte Verschaltungsweg des magnozellulären Systems nimmt damit einen primär nach dorsal gerichteten Verlauf (dorsaler Strom) und erlaubt die Lokalisation von Gegenständen im Raum (Wo-System). Zu den Neuronen in den schmalen Streifen von V2 kommen Afferenzen von den Neuronen der »blobs« in der Area V1 (parvozelluläres System). Die »blobs« in V1 und die schmalen Streifen in V2 sind nicht orientierungs-, sondern farbselektiv. Aus den schmalen Streifen führen die Efferenzen aus der Area V2 nach ventral in die Area V4 hinein (ventraler Strom), einem Areal das für Farbwahrnehmung (Was-System) von entscheidender Bedeutung ist. Die Neurone in den blassen Streifen von V2 erhalten ihre Afferenzen aus den »interblobs«, die orientierungsund formselektiv sind und gehören ebenfalls zum parvozellulären System. Die Efferenzen aus den blassen Streifen ziehen nach ventral (ventraler Strom) und erreichen schließlich den inferotemporalen Kortex. Hier gibt es z. B. spezialisierte Regionen für die Erkennung von Gesichtern oder für die Identifizierung bestimmter Objekte (Was-System).
Retino-tektales System Die Axone der retinalen Ganglienzellen mit einem großen Dendritenbaum (C-Zellen) ziehen über den Tractus opticus ohne Umschaltung im CGL direkt in den Colliculus cranialis (superior) (. Abb. 1.17). Durch den großen Dendritenbaum kann solch eine Ganglienzelle Information aus Rezeptorzellen aufnehmen, die über einen weiten Bereich in der Retina verteilt sind, kann somit Bewegungen registrieren. Der Colliculus cranialis des Menschen ist in zellkörperreiche (2., 4. und 6. Schicht) und -arme (1., 3., 5. und 7. Schicht) Schichten gegliedert. Die retinalen Afferenzen enden für das rechte und linke Auge getrennt in alternierenden, nebeneinander liegenden Zellsäulen in den oberen 3 Schichten in Analogie zu den kortikalen Augendominanzsäulen. In die tieferen Schichten des Colliculus cranialis projizieren Neurone aus dem Rückenmark, dem aufsteigenden somatosensorischen und dem akustischen System. Der Colliculus cranialis projiziert zum Pulvinar thalami, dem CGL und zur Area pretectalis.
Retino-prätektales System Die Area pretectalis befindet sich zwischen Colliculus cranialis und Thalamus. Sie erhält über den Tractus opticus ebenfalls direkte Afferenzen aus der Retina (. Abb. 1.17). Die Axone der Area pretectalis ziehen in das parasympathische Kerngebiet des dritten Hirnnerven, den Nucleus accessorius nervi oculomotorii (Nucleus Edinger-Westphal) der ipsilateralen Seite und über eine Kreuzung in der Commissura epithalamica auch nach kontralateral. Von
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hier aus gehen präganglionäre parasympathische Fasern des N. oculomotorius zum Ganglion ciliare und weiter als postganglionäre Fasern der Nn. ciliares breves zum M. sphincter pupillae. Durch Freisetzung des Transmitters Azetylcholin wird bei Lichteinfall eine Kontraktion dieses Muskels ausgelöst und damit eine Verengung der Pupillen oder Miosis erreicht (Pupillenreflex). Bei der durch Dunkelheit ausgelösten Erweiterung der Pupillen oder Mydriasis ist das sympathische Nervensystem beteiligt. Dabei wird folgender Weg benutzt: Retina → Area pretectalis → Griseum centrale → Seitenhorn des Rückenmarks (»Centrum ciliospinale«) → Ganglion cervicale superius → Nn. ciliares longi → M. dilatator pupillae. Durch Adrenalinausschüttung an den Endigungen der Nn. ciliares longi wird dann eine reflexartige Erweiterung der Pupille ausgelöst. Aus dem striären Kortex ziehen auch Fasern in die Area pretectalis, die nach synaptischer Umschaltung zu den Nuclei Edinger-Westphal beider Seiten, zum Ganglion ciliare und schließlich zum M. ciliaris weitergeleitet werden. Die Kontraktion des Muskels durch die postganglionären parasympathischen Fasern führt zur Entspannung der Augenlinse (Akkommodation). Wird die Linse bei relaxiertem M. ciliaris durch Zug der elastischen Choroidea am Corpus ciliare gespannt, flacht sie sich ab, was eine scharfe Abbildung weit entfernter Gegenstände ermöglicht. Beim Akkommodationsreflex wird ein weiterer Reflexbogen, der von der Retina über die Area pretectalis, die Commissura epithalamica und den Nucleus centralis Perlia führt, mitaktiviert. Der Nucleus centralis Perlia spielt hier eine wichtige Rolle bei der sogenannten Konvergenzreaktion. Diese bezeichnet das gemeinsame Auftreten von Pupillenreflex, Akkomodationsreflex und Konvergenz der Augen.
Retino-hypothalamisches System Retinale C-Ganglienzellen ziehen auch direkt in den Hypothalamus. Die Axone enden im Nucleus suprachiasmaticus, einem Kerngebiet im vorderen Teil des Hypothalamus unmittelbar über dem Chiasma opticum. Dieser Kern spielt eine Rolle bei der Synchronisation des zirkadianen Rhythmus neuroendokriner Systeme (7 Kap. 1.3.11). Seine Efferenzen ziehen in zahlreiche Gebiete des Hypothalamus. Weitere Umschaltstationen des neuroendokrinen Systems sind der Nucleus paraventricularis, das Seitenhorn des Rückenmarks (Nucleus intermediolateralis), das Ganglion cervicale superius und die Epiphyse, Corpus pineale. Die Epiphyse zeigt eine lichtabhängige Freisetzung des Hormons Melatonin, das zurück auf den Nucleus suprachiasmaticus wirkt.
Akzessorisches optisches System Zu diesem System gehört eine retinofugale Faserbahn, die von den magnozellulären Ganglienzellen der Retina ausgeht und sich nach überwiegender Kreuzung im Chiasma
opticum ventral dem Tractus opticus anlegt. Die Faserbahn endet überwiegend kontralateral in 4 verschiedenen Kerngebieten des Tegmentum mesencephali, den Nuclei terminales medialis, lateralis, dorsalis und interstitialis tractus optici. Hauptaufgabe des akzessorischen optischen Systems ist es, die Position eines Bildes auf der Retina trotz Eigenbewegungen des Körpers oder einer bewegten Umgebung zu stabilisieren. Damit ist es Teil des visuomotorischen Systems, das den optokinetischen Nystagmus steuert. Zu diesem System gehören auch die Nuclei vestibulares, mit denen die Kerne des akzessorischen optischen Systems verbunden sind (7 Kap. 1.3.3).
1.3.2 Auditorisches System ! 5 Leistungen des Hörsystems sind Frequenzanalyse, Richtungshören und Mustererkennung. 5 Im Ductus cochlearis befindet sich das CortiOrgan mit den Rezeptorzellen (innere und äußere Haarzellen). 5 Im Corti-Organ erfolgt eine erste Frequenzanalyse. 5 Die besondere Struktur des Corti-Organs ist die Grundlage der Tonotopie. 5 Die primären Neurone im Ganglion cochleare projizieren unter Beibehaltung der Tonotopie in den Hirnstamm. 5 Mustererkennung beginnt auf der Höhe der Nuclei cochleares. 5 Hier beginnt der Lemniscus lateralis, der im Colliculus caudalis endet. 5 Trapezkörper und obere Olive ermöglichen das Richtungshören. 5 Das Corpus geniculatum mediale ist die nächste obligatorische Umschaltstation im Metathalamus. 5 Die Area 41 ist der primäre auditorische Kortex und wird von höheren auditorischen Arealen umgeben.
Der Ductus cochlearis hat beim Erwachsenen eine Länge von ca. 4 cm und zeigt die Form eines Schneckengehäuses (»Kochlea«). Im Querschnitt lassen sich 3 getrennte Räume erkennen: 4 Scala vestibuli 4 Scala media mit Ductus cochlearis 4 Scala tympani Scala vestibuli und Scala tympani sind perilymphatische Räume, die an der Spitze der Schnecke ineinander übergehen. Der Ductus cochlearis enthält Endolymphe. Zwischen Ductus cochlearis und Scala vestibuli liegt die sehr dünne Reissner-Membran zwischen Peri- und Endolymphe. Zur
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
Scala tympani hin ist der Ductus cochlearis durch die Basilarmembran abgegrenzt. Am Beginn des Ductus cochlearis ist die Basilarmembran dick, schmal und damit versteift; in der Spitzenwindung ist sie dünn, breit und damit flexibler als in der Basilarwindung. Das ist die mechanische Grundlage der Frequenzanalyse im Rezeptororgan. Das Corti-Organ mit den Sinneszellen liegt auf der Basilarmembran. Es gibt 2 Gruppen von Sinneszellen, die jeweils von inneren und äußeren Stützzellen umgeben sind. Zum Drehzentrum der Schnecke hin liegen die ca. 3500 inneren Haarzellen. Nach außen, über dem elastischen Teil der Basilarmembran, liegen die ca. 12.000–19.000 äußeren Haarzellen. Innere und äußere Haarzellen sind sekundäre Sinneszellen, bilden also kein eigenes Axon. Die inneren Haarzellen werden von den Dendriten des ersten afferenten Neurons im Ganglion cochleare (spirale) erreicht. Die äußeren Haarzellen werden von efferenten Neuronen aus dem Rhombenzephalon kontaktiert. Am apikalen Zellpol der Haarzellen sind Stereovilli ausgebildet. Diese sind mit ihren Spitzen in die gallertige Membrana tectoria versenkt und hier mechanisch fixiert. ! 5 Der Schalldruck wird über die Gehörknöchelchen des Mittelohrs (Malleus, Incus, Stapes) und direkt über das Os temporale (»Knochenleitung«), sodann über die Scala vestibuli, Scala tympani, die Reissner-Membran und die Endolymphe im Ductus cochlearis weitergeleitet. 5 Druckschwankungen erzeugen eine Auslenkung der Basilarmembran. Die Auslenkung ist dort geringer, wo die Basilarmembran dick ist (basal) und größer, wo sie dünn ist (apikal). Diese räumliche Gliederung ist Grundlage der Tonotopie: Hohe Frequenzen sind basal, tiefe Frequenzen apikal auf der Basilarmembran repräsentiert (. Abb. 1.22). 5 Die Scherung der äußeren Haarzellen gegen die Membrana tectoria ist der adäquate Reiz für die inneren Haarzellen, die den Transduktionsprozess einleiten. 5 Es entsteht ein Rezeptorpotenzial durch die inneren Haarzellen (otoakustische Emission). 5 Die Erregung wird über die ersten Neurone im Ganglion cochleare zum Hirnstamm weitergeleitet.
Im Ganglion cochleare (Ganglion spirale cochleae) liegen die Perikarya der primären afferenten Neurone, die besonders mit den inneren Haarzellen synaptisch kontaktieren. Äußere Haarzellen bilden nur kleine afferente, dafür aber große efferente Synapsen. Somit besteht die Gesamtheit der Nervenfasern in der Radix cochlearis des N. statoacusticus zu über 90% aus Axonen, die Erregung von den inneren Haarzellen zum Gehirn weiterleiten. Jenseits des Ganglion cochleare legen sich die Axone des ersten afferenten Neurons zur Radix cochlearis zusam-
. Abb. 1.22. Räumliche Darstellung einer Wanderwelle mit einem deutlichen Schwingungsmaximum an einer definierten Stelle. Der Endolymphschlauch mit der Basilarmembran bildet diese Welle ab. Die strukturellen Eigenschaften der Basilarmembran sind Grundlage der Frequenzanalyse
men, die bald mit den Axonen aus dem Ganglion vestibulare (Radix vestibularis) den VIII. Hirnnerven, N. statoacusticus (= vestibulocochlearis), bildet (7 Kap. 1.3.3). Die tonotope Ordnung bleibt erhalten. Hinter der Brücke treten die Fasern aus der Kochlea in den Hirnstamm ein und erreichen die Nuclei cochleares. Die Nuclei cochleares (. Abb. 1.23) enthalten die Perikarya des zweiten Neurons der Hörbahn. Sie liegen dorsal und weit lateral im Hirnstamm in der somatosensorischen Längszone. Der kleinere Nucleus cochlearis dorsalis wird durch den Pedunculus cerebellaris caudalis von einem größeren Nucleus cochlearis ventralis getrennt. Die Nuclei cochleares sind obligatorische Umschaltstellen der Hörbahn. Innerhalb der Kerne werden hohe Frequenzen mehr dorsal, tiefe Frequenzen mehr ventral abgebildet. Neben Neuronen, die auf reine Töne reagieren (»primary like«), finden sich viele Zellen, die nur auf komplexe Reize reagieren. Eine integrative Informationsverarbeitung im Sinne einer Mustererkennung beginnt damit bereits auf diesem Niveau der Hörbahn. Das gilt vor allem für die Neurone im Nucleus cochlearis dorsalis. Der Colliculus caudalis (inferior) ist die nächste obligatorische Umschaltstation für alle Fasern der Hörbahn (. Abb. 1.23). Dieses Hirngebiet wird besonders von Neuronen aus dem Nucleus cochlearis dorsalis erreicht. Die Axone dieser Zellen kreuzen als Striae acusticae dorsales (Monakow) zur Gegenseite und ziehen dann im Lemniscus lateralis ohne weitere Umschaltung zum Colliculus caudalis, einem multimodalen Integrationszentrums. Der Nucleus centralis colliculi caudalis hat überwiegend Hörfunktion, die Zona lateralis des Colliculus ist ein polymodales Gebiet. Die Organisation ist tonotop. Die Efferenzen aus dem Colliculus caudalis verlaufen im Brachium colliculi caudalis zum Corpus geniculatum mediale (CGM) des Dienzephalons. Axone aus dem Nucleus cochlearis ventralis ziehen als Corpus trapezoideum überwiegend zur kontralateralen Seite und danach in den Colliculus caudalis (. Abb. 1.23). Die meisten efferenten Fasern enden jedoch vorher kontralateral in den Nuclei olivares superiores medialis et lateralis und im Nucleus corporis trapezoidei. Diese sind vom peri-
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. Abb. 1.23. Schematische Darstellung der wichtigsten zentralen Leitungsbahnen des auditorischen Systems (Hörbahn)
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
olivären Feld umgeben (. Abb. 1.23). Die Efferenzen aus den kontralateralen Nuclei periolivares und olivaris superior medialis treten in den Lemniscus lateralis ein, die Efferenzen aus dem Nucleus corporis trapezoidei ziehen zum Nucleus olivaris superior lateralis der gleichen Seite, wo sie umgeschaltet werden. Von dort gelangen Efferenzen in den Lemniscus lateralis. Der ipsilaterale Nucleus olivaris superior medialis ist die erste Station in der Hörbahn, die Informationen von beiden Cochleae bekommt. Dies ist die Grundlage der zweiten wichtigen Leistung des Hörsystems, des Richtungshörens. Richtungshören beruht auf der Identifizierung von Zeit- und Intensitätsdifferenzen zwischen dem Schalleintritt in das linke und rechte Ohr. Der größere Teil der efferenten Fasern aus einem Nucleus olivaris superior medialis kreuzt auf die Gegenseite, legt sich hier mit efferenten Fasern aus dem kontralateralen Kerngebiet zusammen und zieht im Lemniscus lateralis zum Colliculus caudalis (. Abb. 1.23). Aus dem periolivären Feld ziehen Efferenzen zu den Kochleariskernen und als olivokochleares Bündel (Rasmussen-Bündel) in das Innenohr, wo sie die äußeren Haarzellen direkt innervieren. Die Funktion dieser efferenten, cholinergen Fasern hängt wahrscheinlich mit den otoakustischen Emissionen der äußeren Haarzellen zusammen, indem sie eine Hemmung der Weiterleitung des akustischen Inputs zum Hirnstamm vermitteln und somit die Neurone der Nuclei cochleares vor Übererregung schützen. Die Nuclei lemnisci lateralis dorsalis et ventralis sind im Lemniscus lateralis als lang gestreckte Kerngebiete eingelagert. Sie sind keine obligatorischen Umschaltstationen für die Fasern des Lemniscus lateralis. Ihre Efferenzen ziehen sowohl zum Colliculus caudalis als auch direkt zum CGM und in weitere Zielgebiete des Hirnstamms. Das CGM kann in einen dorsalen, ventralen und medialen Teil geteilt werden. Die dorsalen und ventralen Teile bilden zusammen die Pars parvocellularis, der mediale Teil die Pars magnocellularis. Die dem akustischen System zugehörigen Efferenzen aus dem Nucleus centralis colliculi caudalis ziehen in den ventralen Teil der Pars parvocellularis. Die anderen Abschnitte des CGM sind Zielgebiete der Projektion aus der polymodalen Zona lateralis des Colliculus caudalis. Im CGM finden sich tonotop organisierte Neurone, die auf reine Töne reagieren und Neurone, die auf komplexere Reize ansprechen. Außerdem liegen in der Pars magnocellularis viele Neurone, die somatosensorische Informationen verarbeiten. Die Efferenzen aus dem ventralen Teil der Pars parvocellularis des CGM ziehen durch den sublentikulären Teil der Capsula interna als Radiatio acustica zum Gyrus temporalis superior. Der primäre akustische Kortex, die Area 41 liegt im Bereich des Gyrus temporalis transversus, der ersten Heschl-Querwindung, auf der dorsalen Fläche des Gyrus temporalis superior. Der Heschl-Gyrus verläuft schräg von lateral/rostral nach medial/kaudal. Die Area 41 hat die
typischen zytoarchitektonischen Merkmale eines primären sensorischen Kortexareals, d. h. eine ausgeprägte Lamina granularis interna (Lamina IV) mit einer hohen Dichte kleiner neuronaler Zellkörper. In der Area 42, die als sekundäres akustisches Hirnrindenareal die Area 41 teilweise umgibt, enden die Projektionen aus den übrigen Teilen des CGM. Die übrigen Bereiche auf der Dorsal- und Lateralfläche des Gyrus temporalis superior hinter den Areae 41/42 repräsentieren den akustisch dominierten Assoziationskortex. Wie in allen anderen Stationen der Hörbahn lassen sich auch in der Area 41 »Primary-like«-Neurone nachweisen. Sie liegen nicht verstreut, sondern sind zu Gruppen und Bändern zusammengefasst, die eine Tonotopie auch auf kortikalem Niveau repräsentieren. Es scheint multiple Tonotopien zu geben. Viele Neurone in der Area 41 reagieren allerdings nicht auf reine Töne, sondern auf komplexere akustische Reize. In dieser Gruppe sind auch solche Neurone zu suchen, die eine Mustererkennung akustisch induzierter Erregungen möglich machen (7 Kap. 16). Das Wernicke-Sprachzentrum ist im Gyrus temporalis superior kaudal der Areae 41/42 zu finden. Dieses Zentrum schließt sich unmittelbar an die erste Heschl-Querwindung an und erstreckt sich über die ganze dorsale Fläche des Gyrus temporalis superior bis zum Ende der Fissura lateralis. Diese dorsale Fläche des Temporallappens wird als Planum temporale bezeichnet. Weitere Teile des Wernicke-Zentrums sind auf der lateralen Oberfläche des Temporallappens gelegen, möglicherweise auch im Parietallappen (unterer Teil des G. angularis, G. supramarginalis). In Bezug auf die zugrunde liegenden kortikalen Areale ist das Wernicke-Zentrum nur unzureichend definiert. Das Planum temporale unterliegt in seiner Größe einer erheblichen individuellen Variabilität, ist jedoch in weitaus den meisten Fällen auf der linken Hemisphäre größer als auf der rechten Seite (Lateralisation der Sprachfunktion; 7 Kap. 20 und 22). Eine Zerstörung des Wernicke-Zentrums führt zur Wernicke-Aphasie, bei der ein Verständnis von Gehörtem, Erkennung von Melodien und der sinnvolle Wortgebrauch beim Sprechen nicht mehr möglich sind (7 Kap. 28). Das Wernicke-Zentrum steht in enger Verbindung mit den Areae 41/42, erhält aber auch Afferenzen aus dem visuellen und somatosensorischen System. Es schickt eine wichtige Projektion, den Fasciculus arcuatus, zum vorderen Sprachzentrum, dem Broca-Zentrum (7 Kap. 20).
1.3.3 Gleichgewichtssystem ! 5 Die Sinnesepithelien befinden sich in den 3 Bogengängen, sowie dem Utriculus und dem Sacculus. 5 Im Ganglion vestibulare liegt das erste afferente Neuron. 6
31 1.3 · Funktionelle Systeme
5 Die Nuclei vestibulares enthalten die Perikarya des zweiten Neurons. 5 In der Formatio reticularis werden Kerngebiete der Willkürmotorik erreicht. 5 Das Gleichgewichtssystem kontrolliert zusammen mit dem visuellen System die Steuerung der Augenmuskeln. 5 Über die Bahnen zum Rückenmark werden spinale Motoneurone aktiviert. 5 Das vestibuläre System projiziert außerdem zum Zerebellum, dem Thalamus und dem Telenzephalon.
Das Labyrinthorgan besteht aus 3 Bogengängen (Ductus semicirculares anterior, posterior et lateralis), die in den 3 Ebenen des Raumes zueinander fast senkrecht stehen. Die 3 Bogengänge sind annähernd Halbkreise und münden in den Utriculus, der über einen kleinen Gang mit dem Sacculus verbunden ist. Im Inneren von Utriculus und Sacculus liegen die flachen Maculae utriculi et sacculi, die Sinneszellen (Haarzellen) enthalten. Es gibt 2 Typen von Haarzellen: 4 Bauchige Haarzellen vom Typ I werden vom dendritischen Fortsatz des ersten Neurons (im Ganglion vestibulare) kelchartig umgriffen. An den Kelch treten außerdem Axone aus dem Nucleus vestibularis lateralis heran. 4 Schlanke Haarzellen vom Typ II bilden mit den dendritischen Fortsätzen des ersten Neurons und Axonen aus dem Nucleus vestibularis lateralis einzelne Synapsen. Beide Typen von Haarzellen haben an ihrem apikalen Zellpol Stereovilli und ein zusätzliches Kinozilium. Das Kinozilium ist der längste Fortsatz; die Stereovilli folgen in absteigender Länge dem Kinozilium. Kinozilium und Stereovilli sind von einer gallertigen Membrana statoconiorum bedeckt, in die kristalline Strukturen (Statholithen) eingebettet sind. Daher hat die Statolithenmembran ein höheres spezifisches Gewicht als die Endolymphe. ! 5 Die Sinneszellen von Utriculus und Sacculus reagieren auf lineare Beschleunigung und Schwerkraft. 5 Scherungen gegen das Kinozilium führen zu Erregung, Scherungen vom Kinozilium weg zu Hemmung. 5 Die Macula utriculi reagiert entsprechend ihrer Lage im Raum auf horizontal gerichtete, die kleinere Macula sacculi auf vertikal gerichtete Kräfte.
Am Übergang zum Utriculus sind die Bogengänge erweitert: Ampullae membranaceae anterior, posterior et lateralis. Hier liegen ebenfalls Haarzellen vom Typ I und II. Diese bilden Cristae ampullares, die in den Endolymphraum hineinragen. Die apikalen Zellfortsätze sind in eine gallertige
Cupula eingebettet, die dasselbe spezifische Gewicht wie die Endolymphe hat. Wenn der Kopf gedreht wird, bewegt sich die Wandung des entsprechenden Bogengangs relativ gegen die Endolymphe, die sich wegen Massenträgheit erst verzögert in Bewegung setzt. Die Haarzellen werden dadurch mechanisch stimuliert und ermöglichen so letztendlich die Wahrnehmung von Drehbeschleunigungen. Wenn die Bewegung eine gewisse Zeit anhält, erreicht die Endolymphströmung die Geschwindigkeit der Bewegung, und die Sinneszellfortsätze werden nicht mehr ausgelenkt. Kommt es zu einer schnellen Beendigung der Drehbewegung, setzt sich die Strömung der Endolymphe noch eine gewisse Zeit fort, und die Sinneszellfortsätze werden jetzt in entgegengesetzte Richtung ausgelenkt. Im Ganglion vestibulare befinden sich die Zellkörper des ersten afferenten Neurons, die mit den Haarzellen in den Cristae, Maculae und Cupulae synaptische Kontakte bilden. Im hinteren und oberen Teil des Ganglions liegen die Perikarya für die Ampullae anterior und lateralis, den Utriculus sowie Teile des Sacculus, im vorderen und unteren Teil die des Sacculus und der Ampulla posterior. Im Nervus vestibularis ziehen die zentral gerichteten Fortsätze des Ganglion vestibulare zum Hirnstamm und bilden zusammen mit den Axonen aus dem Ganglion spirale cochleae (7 Kap. 1.3.2) den Nervus statoacusticus. Dieser zieht durch den Meatus acusticus internus und tritt im Kleinhirnbrückenwinkel in den Hirnstamm ein. Die meisten Fasern des N. vestibularis erreichen 3 der 4 Nuclei vestibulares (. Abb. 1.24) während einige Fasern ohne Umschaltung über den Pedunculus cerebellaris caudalis direkt in die Lingula und den Flocculonodularkomplex des Zerebellums (»Vestibulozerebellum«) ziehen. Die Nuclei vestibulares (. Abb. 1.24) liegen in der somatosensorischen Längszone des Hirnstamms medial der Nuclei cochleares. Man unterscheidet 4 Kerngebiete, die Nuclei vestibulares cranialis, medialis, caudalis und lateralis. Der Nucleus vestibularis lateralis nimmt eine Sonderstellung ein. Er erhält im Unterschied zu den übrigen 3 Unterkernen Afferenzen über den propriozeptiven Tractus spinocerebellaris dorsalis aus dem Rückenmark (7 Kap. 1.3.4) und nicht aus dem Labyrinthorgan. Die Neurone in den Nuclei vestibulares projizieren in das Telenzephalon, das Dienzephalon, den Hirnstamm, das Zerebellum und in das Rückenmark (. Abb. 1.24). Die Kontrolle der Augenbewegungen und der Körperhaltung gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Vestibulariskerne. An der Steuerung der äußeren 3 Augenmuskeln (Mm. recti laterales, mediales, superior et inferior und Mm. obliqui inferior et superior) sind 3 Hirnnerven und ihre Ursprungsgebiete im Hirnstamm beteiligt: Nuclei nervorum oculomotorii (III), trochlearis (IV) und abducentis (VI). Die Aktivierung der äußeren Augenmuskeln bei Bewegungen ist komplex (. Abb. 1.25), da immer der Muskel eines Auges und sein Synergist am anderen Auge aktiviert werden muss um eine konjugierte, d. h. gleichsinnige Bewegung beider
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1 32 Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
. Abb. 1.24. Schematische Darstellung der wichtigsten zentralen Leitungsbahnen des Gleichgewichtsystems
33 1.3 · Funktionelle Systeme
. Abb. 1.25. Steuerung von Augenbewegungen. Synergistische Muskeln (z. B. M. rectus medialis des rechten Auges und M. rectus lateralis des linken Auges) müssen parallel aktiviert werden, um konjugierte Bewegungen möglich zu machen. Über die motorischen Augenmuskelkerne nehmen indirekt das frontale Augenfeld des Isokortex, das Labyrinthorgan und die mechanorezeptiven Anteile des Tractus spinoreticularis Einfluss. Nucleus prepositus hypoglossi, Nuclei vestibulares und die Formatio reticularis sind dabei wichtige Umschaltstationen
Augen sicherzustellen. Außerdem muss gleichzeitig der antagonistische Muskel desselben Auges relaxiert bleiben. ! Die Tätigkeit der äußeren Augenmuskeln hat zum Ziel, ein aufrechtes Bild auf der Retina zu generieren. Dafür sind neben Afferenzen aus dem Vestibularisapparat u. a. die propriozeptiven Afferenzen der Halsmuskulatur notwendig (s. unten), die Informationen über die Stellung des Kopfes vermitteln.
Die Efferenzen des Nucleus vestibularis cranialis ziehen im ipsilateralen Fasciculus longitudinalis medialis zum Nucleus nervi oculomotorii, der neben anderen Muskeln den M. rectus medialis innerviert. Auf der kontralateralen Seite wird ebenfalls der Nucleus nervi oculomotorii angesteuert. Von hier aus erfolgt dann die Kontrolle des M. rectus superior der kontralateralen Seite und der Mm. obliquus inferior und rectus inferior der ipsilateralen Seite. Aus dem Nucleus vestibularis medialis ziehen Fasern zum kontralateralen Nucleus nervi oculomotorii und zum Nucleus nervi trochlearis, der auf der kontralateralen Seite den M. obliquus superior aktiviert. Eine weitere Projektion geht zu den ipsilateralen und kontralateralen Nuclei nervi
abducentis. Vom kontralateralen Kern ziehen kreuzende Fasern zum Nucleus nervi oculomotorii zurück, der dann wiederum den M. rectus medialis innerviert. Der kontralaterale Nucleus nervi abducentis innerviert gleichzeitig den M. rectus lateralis auf seiner Seite. Axone aus dem Nucleus vestibularis caudalis ziehen nach Kreuzung in den Fasciculus longitudinalis medialis, und erreichen die Nuclei nervorum trochlearis et oculomotorii. Die Propriozeptoren der Halsregion vermitteln durch den Tractus spinoreticularis Informationen über die Stellung des Kopfes relativ zum Rumpf. Eine weitere Verbindung besteht zwischen medialer Formatio reticularis und Nucleus nervi abducentis. Schließlich wird die willkürliche Blickbewegung unter kortikaler Kontrolle (frontales Augenfeld, 7 Kap. 9) gesteuert. Dies geschieht über die Area pretectalis, die Formatio reticularis und den Nucleus prepositus hypoglossi, der u. a. zum ipsi- und kontralateralen Nucleus nervi abducentis projiziert. Die Axone des Nucleus vestibularis lateralis Deiters bilden den Tractus vestibulospinalis lateralis, der nach Umschaltung in Interneuronen die α- und γ-Motoneurone der Extensorenmuskulatur erreicht, die reflektorisch die Haltung des Körpers steuern. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Verbindung aus dem propriozeptiven Tractus spinocerebellaris dorsalis zum Vestibulariskernkomplex. Zum Nucleus vestibularis lateralis ziehen auch direkte Efferenzen aus dem Vermis cerebelli ohne Umschaltung in den Nuclei cerebellares. Das Zerebellum ist über den Pedunculus cerebellaris caudalis mit dem Vestibularissystem verbunden. Ein Teil der Afferenzen zum Zerebellum (Nodulus, Uvula, Vermisanteil im vorderen Lobus cranialis) kommt auf der ipsilateralen Seite direkt aus den Nuclei vestibulares cranialis, medialis und caudalis. Der Flocculus erhält sowohl ipsi- als auch kontralaterale Zuflüsse (7 Kap. 1.3.8). Daneben projizieren alle 3 Vestibulariskerne auf den Nucleus olivaris inferior, dessen Axone das Kletterfasersystem bilden. Auch zum Thalamus und in den Cortex cerebri werden aus Vestibulariskernen Projektionen entsandt. Sie entspringen in den Nuclei vestibulares cranialis, medialis und lateralis, kreuzen auf die Gegenseite und verlaufen im Tractus vestibulothalamicus zum Nucleus ventralis posterolateralis und Nucleus ventralis posterior inferior. Der Nucleus ventralis posterolateralis gehört zur somatosensorischen Bahn (7 Kap. 1.3.4) und projiziert in ein somatosensorisches Areal der Hirnrinde, die Area 3a im Fundus des Sulcus centralis. Hier kommt es zur bewussten Wahrnehmung der Erregungen aus dem vestibulären Teil des Innenohrs. Der Nucleus ventralis posterior inferior stellt ebenfalls eine Verbindung zum Kortex im Übergangsbereich vom Gyrus postcentralis zum rostralen Ende des Sulcus intraparietalis her (Area 2). Schließlich findet sich ein wichtiges kortikales Zielgebiet des Vestibularissystems im parietalen Operculum.
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
1.3.4
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Mechanorezeption
! 5 Verschiedene Rezeptororgane der Haut (langsam und schnell adaptierend), Muskeln, Sehnen und Gelenkkapseln registrieren mechanische Reize. 5 Das erste, afferente Neuron reicht vom Rezeptor über den peripheren Fortsatz der Spinalganglienzelle und dann über deren zentralen Fortsatz bis in das Rückenmark oder in den Hirnstamm. 5 Der Nervus trigeminus enthält das erste afferente Neuron der mechanorezeptiven Bahn aus dem Kopfbereich. 5 Die Nuclei gracilis und cuneatus, Nucleus proprius, Substantia gelatinosa und die sensorischen Kerngebiete des Nervus trigeminus enthalten die Zellkörper der zweiten Neurone. 5 Die Lage der zweiten Neurone für Projektionen aus der oberen und unteren Körperhälfte unterscheidet sich. 5 Eine somatotope Gliederung ist von der Peripherie bis in den Kortex nachweisbar. 5 Der somatosensorische Kortex im Gyrus postcentralis wird von den Areae 3a, 3b, 1 und 2 gebildet. 5 Der sekundäre somatosensorische Kortex SII enthält weitere Repräsentationen der Körperhälften.
Die Mechanorezeption dient dazu, mechanische Einwirkungen aus der Umwelt wahrzunehmen und dem Körper, z. B. als Längenänderungen der Muskulatur, zu melden. Zur Reizaufnahme dienen Exterozeptoren in der Haut und Enterozeptoren in der Tiefe, insbesondere Propriozeptoren in den Muskeln, Sehnen und Gelenkkapseln. Verschiedene Mechanorezeptoren in der Haut reagieren unterschiedlich auf Druck, Berührung und Vibration. Häufig bestehen sie aus einem mechanorezeptiven Fortsatz des ersten afferenten Neurons, der von einer bindegewebigen oder gliösen (Lemnozyten) Hülle umgeben ist. Auf der Grundlage ihrer neurophysiologischen Eigenschaften unterscheidet man: 4 Langsam adaptierende SA-Rezeptoren (»slowly adapting«), z. B. Merkel-Zellen, Pinkus-Iggo-Tastscheiben und Ruffini-Körperchen. Sie registrieren Druckreize. 4 Schnell adaptierende RA-Rezeptoren (»rapidly adapting«), wie z. B. Meissner-Körperchen und KrauseEndkolben, die Geschwindigkeitsdetektoren sind. Ihre Entladungsfrequenz steigt mit der Geschwindigkeit der Reizbewegung an. Die Meissner-Körperchen liegen in den Koriumpapillen der unbehaarten Haut (besonders zahlreich in der Fingerbeere) und haben sehr kleine rezeptive Felder. 4 Vibrationsrezeptoren wie Vater-Pacini-Körperchen und Golgi-Mazzoni-Körperchen sind extrem schnell adaptierend. Sie sind Beschleunigungsdetektoren und können sehr schnell nacheinander eintreffende Reize als getrennte Ereignisse wahrnehmen. Die Körperchen
sind sehr groß (bis ca. 4 mm). Sie sind z. B. in der Subkutis von Handfläche und Fußsohle lokalisiert, kommen aber auch in Gelenkkapseln vor. 4 Propriozeptoren der Muskulatur informieren über Stellung und Bewegung der Gelenke. Sie sind Dehnungsrezeptoren (Längenmesser) und als Muskelspindeln ausgebildet. Die peripheren Fortsätze des ersten Neurons haben eine unterschiedliche Dicke und sind unterschiedlich stark myelinisiert. Muskelspindeln und Skelettmuskulatur besitzen stark myelinisierte Fasern (Ia, Aα), während Sehnenorgane etwas schwächer myelinisiert sind (Ib, Aβ). SA, RA, Haarfollikel und Vibrationsrezeptoren werden von Fasern von Typ II erreicht und besitzen eine noch dünnere Myelinschicht. Das erste Neuron befindet sich im Spinalganglion oder im entsprechenden Ganglion des V. Hirnnerven, Ganglion trigeminale. Die Neurone in den Spinalganglien gehören zum pseudounipolaren Typ. Vom Perikaryon geht ein kurzes Segment aus, das sich dann in einen peripher- und einen zentralwärts gerichteten Fortsatz teilt. Das Aktionspotenzial geht vom peripheren Fortsatz direkt
. Abb. 1.26. Schematische Darstellung des Hauptweges im Bahnverlauf der Mechanorezeption (Exterozeption) aus Rumpf und Extremitäten
35 1.3 · Funktionelle Systeme
. Abb. 1.27. Schematische Darstellung des Bahnverlaufs der Mechanorezeption aus dem Gesichtsbereich über den N. trigeminus, sowie der Verschaltung propriozeptiver Afferenzen aus dem Gesichtsbereich mit dem motorischen Anteil des N. trigeminus
auf den zentralen Fortsatz über, ohne das Perikaryon zu erreichen. Über die dorsale Wurzel gelangen die Fortsätze der ersten afferenten Neurone in das Hinterhorn des Rückenmarks, das aufgrund seiner Architektur in verschiedene Bereiche untergliedert werden kann (Rexed-Schema). Im Hinterhorn teilt sich jeder Fortsatz und gibt einen aufsteigenden Ast ab, der im Hinterstrang, dem Funiculus dorsalis, hirnwärts zieht (. Abb. 1.26). Die aufsteigenden Fasern bilden Faszikel, die eine somatotope Anordnung der Fasern zeigen: Leitungsbahnen aus der unteren Extremität lagern sich nahe dem Sulcus medianus dorsalis an, solche von den oberen Extremitäten zwiebelschalenförmig weiter lateral. Auf Höhe des Halsmarks trennt ein Septum eine mediale Funiculushälfte, Fasciculus gracilis Goll (Afferenzen aus der unteren Körperhälfte), von einem lateralen Anteil, Fasciculus cuneatus Burdach (Afferenzen aus der oberen Körperhälfte). Der andere Ast des primär afferenten Neurons zieht als Kollaterale in die graue Substanz und endet hier am zweiten Neuron (. Abb. 1.26). Kollateralen der Fasern von Mechanorezeptoren der Haut erreichen Neurone des Nucleus proprius, vor allem in den Laminae V–VII, und angrenzende Regionen. Als Teil des Tractus spinothalamicus ventralis läuft so auch mechanorezeptive Information im Seitenstrang.
Im Kopfbereich übernehmen die 3 Äste des N. trigeminus die Erregungsleitung von den Mechanorezeptoren zum Gehirn: 4 Der N. ophthalmicus versorgt den Nasenrücken und die Region oberhalb der Augen. 4 Der N. maxillaris hat sein Einzugsgebiet im Schläfenbereich sowie unterhalb der Augen, über dem Jochbogen bis zum Oberkiefer. 4 Der N. mandibularis ist für den Unterkiefer und die Kinnregion zuständig. Analog zu den Verhältnissen im Spinalnerven sind die Perikarya der ersten afferenten Neurone in einem Ganglion außerhalb des ZNS konzentriert, Ganglion trigeminale (semilunare) Gasseri. Die Fasciculi cuneatus und gracilis erreichen die gleichnamigen Kerngebiete im kaudalen Rhombenzephalon, in denen das zweite Neuron liegt (. Abb. 1.26). Die efferenten Bahnen der Hinterstrangkerne kreuzen in der Decussatio lemniscorum des Hirnstamms und bilden den Lemniscus medialis, der den Nucleus ventralis posterolateralis (VPL) des Thalamus erreicht. Die Nuclei pontinus (sensorius principalis) und spinalis nervi trigemini sind Zielstrukturen des N. trigeminus mit seinen Informationen aus der Haut des Kopfbereichs.
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
Die meisten Efferenzen aus diesen Kerngebieten kreuzen nach kontralateral und legen sich medial als Lemniscus trigeminalis dem Lemniscus medialis an. Der kleinere Teil verbleibt ipsilateral und zieht im Tractus trigeminothalamicus dorsalis nach rostral. Ziel dieser Bahnen ist der Nucleus ventralis posteromedialis (VPM) des Thalamus, der medial in enger Nachbarschaft zum VPL gelegen ist. Die Weiterleitung der Propriozeption erfolgt getrennt für die obere und untere Körperhälfte über andere Verbindungen: 4 Weiterleitung der Propriozeption aus der unteren Körperhälfte zum Zerebellum: Stilling-Clarke-Säule (= Nucleus thoracicus oder Nucleus dorsalis, Lamina VII) in Th1–L2 → Tractus spinocerebellaris dorsalis → Pedunculus cerebellaris caudalis → Zerebellum 4 Weiterleitung der Propriozeption aus der oberen Körperhälfte zum Zerebellum: Radix dorsalis → Fasciculus cuneatus → Nucleus cuneatus externus → Pedunculus cerebellaris caudalis → Zerebellum Die Weiterleitung der Propriozeption aus der unteren Körperhälfte zum somatosensorischen Kortex erfolgt über die Radix dorsalis, die Stilling-Clarke-Säule, den Tractus spinocerebellaris dorsalis, den Nucleus Z, den Lemniscus medialis, der auf die kontralaterale Seite zieht und den Nucleus ventralis posterolateris thalami. Der laterale Thalamus mit seinem Nucleus ventralis posterolateralis (VPL) und dem Nucleus ventralis posteromedialis (VPM) wird von lemniskalen Fasern erreicht. Das laterale Kerngebiet erhält die spinalen Afferenzen. Hier ist von lateral nach medial der Rumpf, Bein und Arm der kontralateralen Körperseite abgebildet. Das mediale Kerngebiet erhält die trigeminalen Afferenzen. Auch hier ist eine Somatotopie erkennbar mit größeren Gesichtsbereichen im lateralen Teil und der Schlundregion und den Lippen mehr medial. Die glutamatergen thalamofugalen Projektionen ziehen über die Radiatio thalami im Crus posterius der Capsula interna in den somatosensorischen Kortex im Bereich des Gyrus postcentralis. Der Gyrus postcentralis liegt zwischen dem Sulcus centralis und dem Sulcus postcentralis (. Abb. 1.28). Er wird in rostrokaudaler Abfolge von den Brodmann-Arealen 3a, 3b, 1 und 2 eingenommen. Diese Rindengebiete zeigen mit einer deutlich ausgebildeten Lamina granularis interna (Lamina IV) den typischen Aufbau eines sensorischen Kortex. Die Mehrheit der somatosensorischen Afferenzen aus den Rezeptororganen der Haut erreicht die Area 3b. Alle 3 Areale repräsentieren zusammen den somatosensorischen Kortex und werden meist unter dem Begriff des primären somatosensorischen Kortex (SI) zusammengefasst, obwohl neuere Untersuchungen gezeigt haben, dass die Area 2 eher als nicht primäre Region angesehen werden sollte. Die Area 3a des somatosensorischen Kortex liegt im Grund des Sulcus centralis und erstreckt sich über eine geringe Distanz auch noch auf die hintere Wand des Sulcus
. Abb. 1.28. Lateralansicht (oben) auf das Hirn mit dem somatosensorischen Kortex (schraffiert) im Bereich des Gyrus postcentralis, histologischer Schnitt (unten) durch den Sulcus centralis mit den Gyri precentralis (Gprc) und postcentralis (Gpoc) und den dort gelegenen somatosensorischen Areae 3a, 3b, 1 und 2 sowie den motorischen Areae 6 und 4
centralis. Ihr schließt sich in kaudaler Richtung die Area 3b an, die den größten Teil der Hinterwand einnimmt. Auf der Kuppe des Gyrus postcentralis befindet sich die Area 1, anschließend, in der Vorderwand des Sulcus postcentralis folgt die Area 2 (7 Kap. 18). Ventrokaudal von SI findet sich eine Rindenregion, die ebenfalls in die somatosensorische Repräsentation eingebunden ist, der sekundäre somatosensorische Kortex (SII). Auch hier enden thalamofugale Bahnen, die Informationen allerdings nicht nur von der kontralateralen, wie in SI, sondern von beiden Körperseiten vermitteln. Neuere funktionelle Untersuchungen haben gezeigt, dass es im SII-Kortex mehr als eine somatotopische Repräsentation (Homunculus) gibt und das Gebiet nach zytoarchi-
37 1.3 · Funktionelle Systeme
tektonischen Kriterien in mehrere Areale unterteilt werden kann. Innerhalb der SI-Region ist die somatosensorische Repräsentation nach Submodalitäten (Berührung, Druck, Vibration, Propriozeption) getrennt in den einzelnen Arealen abgebildet. Generell gilt, dass jede der 4 Areae die gesamte Körperoberfläche somatotopisch in Form eines Homunculus repräsentiert (7 Kap. 18, . Abb. 18.2a). In Area 3a sind die Muskelspindeln repräsentiert, während die Area 3b Afferenzen von SA- und RA-Rezeptoren der Haut erhält. In Area 1 sind vor allem die RA-Rezeptoren vertreten, wohingegen die Area 2 Informationen aus Druckund Gelenkrezeptoren verarbeitet. Neben der somatotopen Ordnung gibt es eine vertikale und eine horizontale Differenzierung der Hirnrinde. Beide Organisationsprinzipien, die nicht nur die somatosensorische Hirnrinde kennzeichnen, spiegeln eine funktionelle Parzellierung wider (. Abb. 1.29). Die vertikale Differenzierung (Module, Kolumnen) gliedert die Hirnrinde innerhalb eines Areals in streifenförmige Bereiche mit einer Breite von jeweils ca. 200–800 µm. Diese Kolumnen verlaufen senkrecht zur Hirnoberfläche.
Die Kolumnen sind hier Zielgebiete definierter Afferenzen. Dabei wird den RA-Afferenzen, deren Rezeptoren in der Peripherie ein eng begrenztes rezeptives Feld haben, eine breite kortikale Kolumne zugeordnet. Den SA-Afferenzen, deren rezeptives Feld in der Peripherie vergleichsweise groß ist, entspricht hingegen im Kortex nur eine schmale Kolumne. Die horizontale Differenzierung entspricht der Schichtengliederung der Hirnrinde. Die Lamina IV des somatosensorischen Kortex ist die Schicht, in der die spezifischen thalamischen Afferenzen enden. Die Neurone der Laminae II/III projizieren u. a. in das ipsilaterale SII Gebiet und zum hinteren parietalen Kortex, der bei der Steuerung der Motorik eine wichtige Rolle spielt. Die Perikarya in der Lamina V entsenden Axone zu den Basalganglien, dem Hirnstamm und dem Rückenmark. Kortikothalamische Fasern haben ihren Ursprung in Lamina VI. Kortikofugale Fasern ziehen in den Thalamus zu den Nuclei intralaminares, dem VPM und dem VPL, in die Basalganglien, die Zona incerta, die Nuclei pontis und in das Rückenmark. Andere Fasern ziehen zu motorischen und prämotorischen Arealen, z. B. zum primären motorischen Kortex (Area 4). Die Areae 3a und 3b sind mit den Areae 1 und 2 reziprok verbunden. Aus den Areae 3b, 1 und 2 ziehen Efferenzen auch zum supplementärmotorischen Kortex, SMA, der ebenfalls zum primären motorischen Kortex projiziert. Zu der bereits erwähnten Verbindung in den hinteren parietalen Kortex kommen Anbindungen an den präfrontalen Kortex über den Fasciculus fronto-occipitalis inferior hinzu. Kommissurenbahnen über das Corpus callosum schließlich verknüpfen die somatosensorischen Areale der beiden Hemisphären miteinander.
1.3.5
. Abb. 1.29. Kortikale Repräsentation von SA- (Ruffini-Körperchen) und RA-Mechanorezeptoren (z. B. Meissner-Körperchen) der Fingerbeere in Area 3b. Man beachte die kolumnäre und laminäre Organisation des somatosensorischen Kortex. D2–D5 markieren die Repräsentationsfelder der Finger (D = digit) 2 bis 5. Die römischen Ziffern bezeichnen die isokortikalen Schichten I-VI. SA Slowly Adapting, RA Rapidly Adapting (modifiziert nach Kaas 1993)
Schmerz
! 5 Schmerz kann durch chemische, mechanische und thermische Reize ausgelöst werden und wird von nicht oder schwach myelinisierten Fasern registriert. 5 Die ersten Neurone der Schmerzbahn liegen in den Spinalganglien oder im Ganglion trigeminale. 5 Die zweiten Neurone der Schmerzbahn liegen im Rückenmark oder im Rhombenzephalon. 5 Nozizeption im Kopfbereich wird über den N. trigeminus weitergeleitet. 5 Zielgebiete der Schmerzbahn liegen im Rhombenzephalon, Dienzephalon und im Cortex cerebri. 5 Absteigende Bahnen aus dem Hirnstamm stellen Systeme zur Beeinflussung der Nozizeption dar.
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
> Definition Schmerzen aus dem Hautbereich werden als Oberflächenschmerz, Schmerz aus Muskeln, Knochen, Gelenken und Bindegewebe wird als Tiefenschmerz bezeichnet. Beide werden unter dem Begriff somatischer Schmerz zusammengefasst. Viszeraler Schmerz betrifft dagegen die Eingeweide. Als psychogenen Schmerz bezeichnet man Schmerzempfindung ohne feststellbare körperliche Ursache.
Schmerzauslösende Reize wirken direkt an freien Nervenendigungen von peripheren Nerven (Nozizeptoren) in der Haut und inneren Organen. Nozizeptoren werden in allen Organen des Körpers gefunden, wobei die Schmerzempfindlichkeit einer Region mit der Packungsdichte der Nozizeptoren korreliert. Die eigentlichen Nozizeptoren sind meist ganze Felder von Endverzweigungen der C- und AδFasern. Diese verfügen über zahlreiche variköse Auftreibungen, die nicht von Perineurium und Markscheiden umhüllt sind und die auf verschiedene Reize reagieren (»sensible Endstrecke«). Die entsprechenden Nervenfasern der Spinalnerven und des N. trigeminus enthalten neben dem klassischen exzitatorischen Transmitter Glutamat zahlreiche Neuropeptide wie Tachykinine (z. B. Substanz P, Neurokinin), »calcitonin-gene related peptide« (CGRP), vasoaktives intestinales Polypeptid und Cholezystokinin (CCK) (7 Kap. 1.3.14). Im nozizeptiven System sind Transmitter und Neuropeptide mit unterschiedlichen lokalen Präferenzen nachweisbar. Substanz P, Neurokinin A, CGRP, Glutamat und Aspartat fördern die Schmerzleitung während Galanin, CCK, Neurotensin, Neuropeptid Y, Prodynorphin, Proenkephalin, Serotonin, Noradrenalin, GABA, Adenosin und Glycin antinozizeptiv wirken. Je nach Wirkungsstelle im neuronalen Schaltkreis kann dieselbe Substanz entgegengesetzte Systemwirkungen entfalten (7 Kap. 1.3.14). Schmerzfasern sind periphere Fortsätze kleiner, pseudounipolarer Zellkörper, die in den Spinalganglien und dem Ganglion trigeminale liegen. C- und Aδ-Fasern übertragen den somatischen, C-Fasern den viszeralen Schmerz. Die schwach myelinisierten Aδ-Fasern haben eine höhere Leitungsgeschwindigkeit (12–30 m/s; schnell auftretende, stechende und gut lokalisierbare Schmerzwahrnehmung) als die nicht-myelinisierten C-Fasern (0,5–2 m/s; langsam einsetzende, lang anhaltende und brennend bis dumpfe Schmerzen). Die zentralen Fortsätze der ersten Neurone treten in das Rückenmark ein und gelangen lateral vom Hinterhorn in den Lissauer-Trakt. Dort teilen sie sich T-förmig, steigen etwa 2 Segmente auf oder ab und enden dann vor allem in den Laminae I–III des Rückenmarks. Hier schalten sie auf die zweiten Neurone der Schmerzbahn um (. Abb. 1.30). Die zweiten Neurone sind Strangzellen, die zum Rhomb- und Dienzephalon projizieren, oder Interneurone, deren Axone im Rückenmark verbleiben. Die Strangzellen
. Abb. 1.30. Durch schmerzhafte Reize aktivierbare Hirnrindengebiete des Menschen liegen in primären (SI) und sekundären (SII) somatosensorischen Kortexgebieten, im präfrontalen Kortex und im zingulären Kortex. Die Afferenzen für diese kortikalen Regionen kommen aus thalamischen Kerngebieten, die ihrerseits Afferenzen aus dem Rückenmark (anterolaterales System) und der Formatio reticularis erhalten. Die bewusste Schmerzwahrnehmung findet in mehreren Arealen des Cortex cerebri statt. Dabei werden Lokalisation und emotionale Bewertung getrennt repräsentiert
liegen im lateralen Teil der Lamina V, aber auch in den Laminae I und II–X. Die schwach myelinisierten Axone der Strangzellen bilden zusammen das anterolaterale System. Dazu gehören: 4 Tractus spinothalamicus lateralis (= Tractus neospinothalamicus) 4 Tractus spinothalamicus ventralis (=Tractus palaeospinothalamicus) 4 Tractus spinoreticularis 4 Tractus spinotectalis 4 Tractus spinoolivaris Zusätzlich werden spinothalamische, nozizeptive Fasern auch im dorsolateralen Teil des Seitenstrangs gefunden. Die Zielgebiete beider Systeme im Thalamus überlappen breit. Es wird angenommen, dass das dorsolaterale System der Lokalisation des Schmerzreizes, das anterolaterale System der Intensitätswahrnehmung dient.
39 1.3 · Funktionelle Systeme
Neben den Strangzellen spielen die Interneurone im Hinterhorn des Rückenmarks eine wichtige Rolle. Ihre Axone enden an Strangzellen, sodass eine Modulation der Nozizeption bewirkt werden kann. Interneurone sind auch Zielstrukturen der absteigenden Faserbahnen aus dem Hirnstamm. Ursprungsgebiete liegen im Nucleus raphe magnus mit der ventralen Formatio reticularis und dem dorsolateralen Tegmentum, die ihrerseits Afferenzen aus dem frontalen Kortex, der Amygdala, dem Hypothalamus und dem Griseum centrale erhalten. Prodynorphin und Proenkephalin spielen dabei als Botenstoffe eine wichtige Rolle, da diese endogenen Opioide antinozizeptiv wirken (endogener Mechanismus zur Schmerzlinderung; 7 Kap. 1.3.14). Im Kopfbereich wird Nozizeption über den Nervus trigeminus und das trigeminothalamische System in das Dienzephalon geleitet. Die dritten Neurone der Schmerzbahn befinden sich im medialen Teil der Formatio reticularis des Rhombenzephalons (für den Tractus spinoreticularis und Kollateralen des Tractus spinothalamicus ventralis), den tieferen Schichten der Colliculi cranialis und caudalis (für den Tractus tectospinalis) und in verschiedenen Kerngebieten des Thalamus (für die Tractus spinothalamici lateralis und ventralis). Der Thalamus ist gleichzeitig Zielgebiet für polysynaptische, aufsteigende Schmerzbahnen aus der Formatio reticularis. In primären und sekundären somatosensorischen Kortexarealen im Gyrus postcentralis und dem parietalen Operculum endet die Schmerzleitungsbahn aus dem Thalamus (. Abb. 1.30). Diese Kortexareale sind für die Lokalisation des Schmerzreizes wichtig. Es ist jedoch auch nach operativer Entfernung dieser Gebiete oder auch nach Läsion bei Schlaganfall noch eine bewusste Schmerzwahrnehmung möglich. Wahrscheinlich sind hierbei weitere kortikale Areale im Gyrus cinguli und dem präfrontalen Kortex (. Abb. 1.30) beteiligt, die bei der Schmerzwahrnehmung zusammen mit Arealen im Lobus parietalis aktiviert werden. Die Beziehung der zingulären und präfrontalen Areale zum kortikalen limbischen System lässt vermuten, dass diese Areale in Zusammenhang mit der emotionalen Bewertung des Schmerzes stehen (7 Kap. 1.3.9 und 26).
1.3.6
Olfaktorisches System
! 5 Die Perzeption von Geruch erfolgt über das Riechepithel. 5 Geruchsinformation wird durch die Filiae olfactoria zum Bulbus olfactorius weitergeleitet. 5 Die Areale des Paläokortex sind das Ziel der Efferenzen aus dem Bulbus olfactorius.
Riechen ist ein Prozess der Chemorezeption. Er beruht auf der Bindung von in wässrigem Milieu gelösten Molekülen
. Abb. 1.31. Lage von Riechepithel (hellbraun) und Bulbus olfactorius (dunkelbraun) (paramedianer Sagittalschnitt durch den Gesichtsschädel)
an spezialisierte Rezeptormembranen. Der Nasenraum trägt eine respiratorische Schleimhaut und das Riechepithel, das beim Menschen nur einen kleinen Teil der gesamten Nasenschleimhaut (. Abb. 1.31), die Regio olfactoria, umfasst. Zwischen undifferenzierten Basalzellen und schlanken Stützzellen liegen die eigentlichen Rezeptorzellen, deren apikale Fortsätze zu einem Riechkolben verdickt aus dem Epithel heraus ragen. Hier sitzen zahlreiche Zilien, an denen Duftmoleküle gebunden werden. Dies ist die strukturelle Grundlage für die Unterscheidung von Gerüchen (7 Kap. 25). Nach zentral entsenden die primären Sinneszellen Fortsätze (Fila olfactoria), die die Erregung in ihrer Gesamtheit als N. olfactorius an die nächste Station, den Bulbus olfactorius weitergeben. Der Bulbus olfactorius ist ein vorgelagerter Abschnitt des Telenzephalons und leistet eine erste Informationsverarbeitung (. Abb. 1.32). Die Axone der Mitral- und Büschelzellen des Bulbus olfactorius bilden den Tractus olfactorius. Hinter dem Tractus liegt die Regio retrobulbaris, die ebenfalls von Kollateralen dieser Zellen erreicht wird. Es bestehen Verbindungen zum kontralateralen Bulbus, zu allen übrigen Arealen des Paläokortex sowie zum Dienzephalon (Epithalamus, Thalamus, Hypothalamus). Der Tractus olfactorius teilt sich in einen medialen und einen lateralen Anteil. Zielgebiete des medialen Anteils sind Tuberculum olfactorium und Septum (. Abb. 1.32). Das Tuberculum olfactorium liegt vor dem Chiasma opticum an der Basis des Endhirns (vordere Substantia perforata) und erhält reziproke Verbindungen mit dem Bulbus, paläokortikalen Arealen und dem Hippocampus. Das Septum liegt in der vorderen, medialen Hemisphärenwand und ist Ziel olfaktorischer Projektionen nach Umschaltung in der Regio retrobulbaris und dem Tuberculum olfactorium. Auch präpiriforme Rinde und die Amygdala entsenden Efferenzen in das Septum. Gleichzeitig ist das Septum mit vielen anderen Hirngebieten verbunden, u. a. dem Hippocampus (Verbindung zum limbischen System, 7 Kap. 1.3.9 und 10).
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
. Abb. 1.32. Schematische Darstellung der wichtigsten zentralen (ipsilateralen) Leitungsbahnen des olfaktorischen Systems (Riechbahn)
Die Regio prepiriformis stellt die primäre Riechrinde dar und ist Ziel des lateralen Teils der bulbären Efferenzen (. Abb. 1.32). Auch die anderen olfaktorisch dominierten Gebiete stehen mit der Regio prepiriformis in Verbindung. Die Efferenzen der Regio prepiriformis ziehen zu den anderen olfaktorischen Gebieten, zum Hippocampus und schließlich zur Regio entorhinalis, die ihrerseits in den Hippocampus und einige andere nichtkortikale Zielgebiete (z. B. Nucleus basalis Meynert, Hypothalamus, Area preoptica) projiziert (7 Kap. 1.3.9 und 10). Die Regio periamygdalaris empfängt ebenfalls Afferenzen aus dem Bulbus olfactorius über die Striae olfactoriae laterales (. Abb. 1.32). Sie gehört zum Mandelkernkomplex, Corpus amygdaloideum (7 Kap. 1.3.9). Die Regio prepiriformis und der kortikomediale Anteil des Mandelkernkomplexes projizieren zur Substantia innominata (Teil des basalen Vorderhirns) sowie zum Nucleus medialis thalami. Von diesen beiden Regionen ziehen aufsteigende Fasern an die Unterseite des Frontallappens und enden getrennt im hinteren Teil des orbitofrontalen Kortex. Damit erreicht die Geruchsinformation auch den Isokortex.
1.3.7
Gustatorisches System
! 5 Geschmacksknospen befinden sich in der Zunge, dem weichen Gaumen und dem Eingang zum Pharynx und Larynx. 5 Die ersten Neurone liegen in den sensorischen Ganglien der Hirnnerven VII, IX und X. 6
5 Die zweiten Neurone befinden sich im Nucleus solitarius des Hirnstamms. 5 Weitere Geschmacksrepräsentationen finden sich im Thalamus und dem somatosensorischen Kortex.
Geschmacksknospen befinden sich im Epithel der Zunge (besonders an ihrem Rand und im Zungengrund), des weichen Gaumens, des Pharynx und des Larynxeingangs. Die eigentlichen Sinneszellen sind von Stützzellen umgeben. Die Geschmacksknospen der Zunge liegen in besonders gestalteten Papillen: 4 Papillae fungiformes im vorderen Bereich der Zunge 4 Papillae vallatae im Bereich des Zungengrundes 4 Papillae foliatae, seitlich an der Basis des Zungenrückens
Durch die Geschmacksknospen können 4 Submodalitäten wahrgenommen werden: süß, sauer, bitter und salzig. Süß wird an der Zungenspitze, sauer an der Zungenseite und bitter am Zungengrund wahrgenommen. Das Repräsentationsgebiet für salzigen Geschmack liegt in der vorderen Hälfte der Zungenseite und überschneidet sich mit den Arealen für süß und sauer. Geschmackszellen sind sekundäre Sinneszellen. Die Erregung wird über marklose Nervenfasern (peripherer Fortsatz des ersten Neurons) weitergeleitet. Je nach Lage der Geschmacksknospen sind 3 Hirnnerven involviert (. Abb. 1.33). Der N. vagus (X) versorgt den LarynxPharynx-Bereich. Der N. glossopharyngeus (IX) versorgt den Zungengrund. Der N. facialis (VII; N. intermedius mit N. petrosus major und Chorda tympani) schließlich
41 1.3 · Funktionelle Systeme
. Abb. 1.33. Schematische Darstellung der wichtigsten zentralen (ipsilateralen) Leitungsbahnen des gustatorischen Systems (Geschmacksbahn)
versorgt die vorderen 2 Drittel der Zunge und den Gaumen. Die Gesamtheit der Geschmacksfasern erreicht über den zentralen Fortsatz des ersten Neurons die im rostralen Teil des Nucleus solitarius gelegene Pars gustatoria (= 2. Neuron) im Hirnstamm (. Abb. 1.33). Die Pars gustatoria projiziert in den Thalamus (7 Kap. 1.33). Axonkollateralen der Efferenzen der Pars gustatoria zweigen zu den Nuclei salivatorii und dem Nucleus dorsalis nervi vagi ab und initiieren reflektorisch Speichel- und Magensaftsekretion. Die Fasern enden im kleinzelligen, medialen Anteil des Nucleus ventralis posteromedialis des Thalamus. Efferenzen aus dem Nucleus ventralis posteromedialis ziehen in den Gyrus postcentralis. Ventral und rostral des somatosensorischen Repräsentationsgebiets der Zunge im Gyrus postcentralis liegt als frontale Fortsetzung der Area 3b das viszerosensorische, somatotop organisierte Geschmacksfeld. Weitere Repräsentationsgebiete der Geschmacksempfindung sind im Bereich der vorderen Inselrinde und des vorderen Operculums nachweisbar. Eine andere Bahn aus dem Nucleus solitarius geht zunächst zum Nucleus parabrachialis medialis in das rostrale Rhombenzephalon. Dieses Kerngebiet ist mit dem Hypothalamus und dem limbischen System (7 Kap. 1.3.9 und 1.3.11) verbunden. So kann die Geschmacksinformation auch affektives Verhalten beeinflussen. Es wird angenommen, dass die wichtigste Funktion des Nucleus parabrachialis die Vermittlung viszeraler und somatomotorischer Reflexe ist, die durch gustatorische Stimuli ausgelöst werden.
1.3.8
Motorisches System
! 5 Der primäre motorische Kortex (Area 4) ist agranulär und zeigt die nur für ihn charakteristischen Betz-Pyramidenzellen. 5 Die Area 4 ist somatotop gegliedert – Homunculus. 5 Der Tractus corticospinalis verbindet Hirnrinde und Rückenmark. 5 Der Tractus corticonuclearis ermöglicht die kortikale Kontrolle der motorischen Hirnnervenkerne. 5 Das extrapyramidal-motorische System ist integraler Bestandteil des motorischen Systems und ermöglicht in Interaktion mit dem pyramidalen System Bewegung. 5 Striatum, Pallidum, Substantia nigra, Nucleus subthalamicus und motorischer Thalamus können als Basalganglien bezeichnet werden. 5 Basalganglien sind nicht nur an motorischen, sondern auch an kognitiven und emotionalen Prozessen beteiligt. 5 Das Zerebellum erhält Afferenzen aus allen Teilen des Zentralnervensystems. 5 Es nimmt über den Nucleus ruber und den Thalamus Einfluss auf die Hirnrinde. 5 Das Zerebellum ermöglicht eine zeitliche Abstimmung kontinuierlicher Bewegungsabläufe. 5 Alle absteigenden Faserbahnen der postkranialen Muskulatur ziehen in das Vorderhorn des Rückenmarks.
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
Bewegungen können in unwillkürliche und willkürliche Aktivitäten gegliedert werden. Entsprechend ihrer Bedeutung für die Bildgebung geht es hier v. a. um die Darstellung der anatomischen Grundlagen willkürlicher motorischer Aktionen. An der Steuerung der Willkürmotorik sind immer verschiedene Regionen des Zentralnervensystems beteiligt, die eng zusammenwirken. Der prämotorische, der supplementär-motorische und der zinguläre motorische Kortex liegen im Frontallappen und sind bei der Intention und Konzeption einer motorischen Aktion beteiligt. Ein großer Teil ihrer Efferenzen zieht in den primären motorischen Kortex. Dieser schickt Axone durch die Capsula interna und die Pyramide (pyramidales System) in die motorischen Kerngebiete des Hirnstamms und des Rückenmarks. Beide Kerngebiete erhalten aber nicht nur über die Pyramidenbahn Afferenzen, sondern meist über synaptische Umschaltungen auch Signale aus den Basalganglien, dem Zerebellum und dem Hirnstamm (extrapyramidal-motorisches System). Basalganglien, Zerebellum und viele weitere Kerngebiete des Rhomb- und Dienzephalons sind daher Bestandteile des extrapyramidalen Systems. Sie sind aber gleichzeitig auch mit dem motorischen Kortex verbunden, der höchsten Steuerungsebene im pyramidalen System. Damit ergibt sich anatomisch und funktionell eine enge Verflechtung von pyramidalem und extrapyramidalem System.
Motorische kortikale Areale Der primäre motorische Kortex, Area 4 nach Brodmann, zieht vom Grund des Sulcus centralis auf der Hinterwand des Gyrus precentralis bis zur freien Oberfläche (. Abb. 1.34). Diese Größe der Ausdehnung der Area 4 auf der freien Oberfläche nimmt von medial nach lateral ab. In Höhe des Sulcus frontalis inferior liegt die Area 4 meist in der Tiefe des Sulcus centralis und erreicht die freie Oberfläche nicht mehr. Die Area 4 dehnt sich über die Mantelkante bis auf die mediale Hemisphärenoberfläche oberhalb des Sulcus cinguli aus. Auf der lateralen Hemisphärenoberfläche liegt rostral an die Area 4 angrenzend der prämotorische Kortex (. Abb. 1.34), der etwa an der Mantelkante eine Grenze mit dem supplementär-motorischen Kortex bildet. Dieser ist auf der medialen Hemisphärenoberfläche vor der Area 4 lokalisiert und hat etwa dieselbe rostro-kaudale Ausdehnung wie der laterale prämotorische Kortex. Er ist in ein rostrales präsupplementär-motorisches Areal (pre-SMA) und ein kaudales Areal, das eigentliche supplementär-motorische Areal (SMA-proper), unterteilt. Auf der medialen Hemisphärenoberfläche reicht SMA ebenso wie der primär motorische Kortex von der Mantelkante bis zum Beginn des Sulcus cinguli. Die Grenze zum präfrontalen Kortex liegt hier meist rostral der Commissura anterior. Prämotorischer und supplementärer motorischer Kortex
. Abb. 1.34. Lateralansicht auf die Großhirnhemisphäre mit den wichtigsten motorischen Kortexarealen und dem Broca-Sprachzentrum
entsprechen ungefähr der Area 6 nach Brodmann. Im Sulcus cinguli liegt parallel zu pre-SMA das vordere zinguläre motorische, und parallel zu SMA-proper das hintere zinguläre motorische Areal. Beide zusammen bilden den zingulären motorischen Kortex. Die Areale des motorischen Kortex sind agranulär, d. h. es fehlt eine Lamina granularis interna. Die meisten motorischen Kortexareale senden Efferenzen zur Formatio reticularis des Hirnstamms. Diese Verbindungen sind wichtig, um über den Tractus reticulospinalis und den Eigenapparat des Rückenmarks Einfluss auf α- und γ-Motoneurone zu nehmen. Stand- und Gangmotorik z. B. werden über diese Wegstrecke kontrolliert.
43 1.3 · Funktionelle Systeme
. Abb. 1.35. Histologischer Schnitt (Nissl-Färbung) durch die Area 4 im Gyrus precentralis. Man beachte das für diese Region (»agranulärer Kortex«) typische Fehlen einer Lamina granularis interna (Lamina IV) und das Auftreten sehr großer Pyramidenzellen (Betz-Riesenzellen) in der Lamina V
Supplementär-motorische, prämotorische und primäre motorische Kortexareale sind reziprok miteinander verbunden und werden aktiv, wenn eine Bewegung geplant, initiiert und durchgeführt wird (7 Kap. 13). Sie übernehmen hierbei unterschiedliche Aufgaben. Der primäre motorische Kortex als wichtigstes Areal efferenter, kortikofugaler Bahnen aus der Großhirnrinde wird durch die Area 4 des Isokortex repräsentiert (. Abb. 1.34). Die Architektonik der Area 4 zeigt Anpassungen an die Aufgabe, lange Bahnen aus der Großhirnrinde ohne weitere synaptische Umschaltungen bis zum Hirnstamm und Rückenmark zu schicken (sehr große Pyramidenzellen) sowie ein Höchstmaß an Konvergenz auf große Pyramidenzellen zu garantieren. Die Area 4 hat beim Erwachsenen keine Lamina granularis interna (. Abb. 1.35). Diese Schicht tritt nur bis in die ersten Monate der postnatalen Entwicklung auf und bildet sich dann zurück. In dieser Schicht enden in der Regel thalamische Projektionen. Derartige Afferenzen spielen im motorischen Kortex und damit auch in der Area 4 eine geringere Rolle als in den sensorischen Kortexarealen; intrahemisphärische Verbindungen aus dem supplementärmotorischen, prämotorischen und dem hinteren parietalen Kortex sind hier funktionell bedeutsamer. Der primäre motorische Kortex besitzt eine nur ihm eigene Besonderheit: besonders große Pyramidenzellen (Betz-Riesenpyramiden) in der Lamina V. Die myelinisierten Axone dieser Neurone ziehen zum Hirnstamm oder zum Rückenmark. Die Area 4 zeigt eine ähnliche Somatotopie wie die sensorischen Areae 3, 1 und 2, den motorischen Homunculus. Neuere Befunde, die auf einer Kombination von funktionellen und anatomischen Untersuchungsmethoden beruhen, haben gezeigt, dass mindestens im Bereich der
Handrepräsentation mit einer doppelten Repräsentation von Körperregionen zu rechnen ist. Der näher dem Sulcusgrund gelegene Kortexstreifen der Area 4 ist dabei für Bewegungen zuständig, die durch somatosensorischen Input getriggert sind, während der weiter rostral gelegene Bereich spontane oder visuell getriggerte Bewegungen ermöglicht (7 Kap. 13). Der supplementär-motorische Kortex nimmt an der Planung und Initiierung einer Bewegung teil. Er zeigt eine grobe somatotope Gliederung mit Repräsentation von Gesicht, Arm und Bein von rostral nach okzipital gehend. Das supplementär-motorische Feld einer Seite beeinflusst ipsiund kontralaterale Zielgebiete. Die Motoneurone für die proximale Muskulatur können über Projektionen zum Hirnstamm und Rückenmark direkt erreicht werden, während die distalen Muskelgruppen, wie sie etwa zur Versorgung der Hand benötigt werden, vom primären motorischen Kortex angesprochen werden (7 Kap. 13). Der prämotorische Kortex ist ebenfalls somatotop organisiert, wobei die Abfolge von Bein-, Arm- und Gesichtsrepräsentation ebenso wie im primären motorischen Kortex von dorsal nach ventral erfolgt. Der prämotorische Kortex beeinflusst vor allem die proximale Muskulatur und wird mit der Generierung komplexerer Bewegungsabläufe in Verbindung gebracht. Das Broca-Sprachzentrum nimmt eine Sonderstellung zwischen den motorischen und den rostral davon gelegenen, lateralen frontalen Arealen ein. Während man ursprünglich seine Rolle bei der Koordinierung der motorischen Abläufe beim Sprechen betonte, zeigen neuere Untersuchungen seine Bedeutung für Sprache, insbesondere die Verarbeitung von Semantik, Phonologie, Prosodie und Syntax (7 Kap. 20). Das Broca-Zentrum mit seinen Arealen 44 (kaudal) und 45 (rostral), die in den Partes opercularis bzw. triangularis des Gyrus frontalis inferior gelegen sind, ist deshalb Gegenstand von 7 Kap. 20. Läsionen des Broca-Zentrums können zu BrocaAphasie führen (7 Kap. 28). Neben der Beteiligung an Sprachfunktionen wurde für die Broca-Region auch eine Rolle bei der Beobachtung von Bewegungen gefunden, die diese Region wiederum in die Nähe motorischer Areale rückt. Der hintere Teil des Lobus parietalis (Areae 5 und 7) ist mit dem motorischen Kortex verbunden. Neben dem somatosensorischen Input erhalten diese Areale auch Informationen aus den visuellen, akustischen und vestibulären Systemen. Diese Areale tragen entscheidend dazu bei, die Lokalisation von Objekten im Raum und hinsichtlich ihrer Lage zum Beobachter zu repräsentieren, um entsprechende Augen- und Greifbewegungen und ganz allgemein die räumliche Koordination des Bewegungsablaufs zu ermöglichen. Der hintere parietale Kortex erfüllt damit kognitive Aufgaben bei der Repräsentation des Raums durch die Assoziation verschiedener sensorischer Modalitäten (7 Kap. 14).
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
Motorische Bahnen
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Die aus der Großhirnrinde absteigenden Faserbahnen lassen sich nach ihren Zielgebieten ordnen: 4 Rückenmark: Tractus corticospinalis 4 Pons: Tractus corticopontinus 4 Hirnstamm: Tractus corticonuclearis, corticorubralis und corticoreticularis 4 Thalamus: Tractus corticothalamicus 4 Basalganglien: Tractus corticostriatalis Der Tractus corticospinalis (Pyramidenbahn) wird von efferenten Fasern aus der Area 4 gespeist, zieht durch das Crus posterius der Capsula interna, den Pedunculus (Crus) cerebri und gelangt ohne Umschaltung in das kontralaterale Vorderhorn des Rückenmarks. Der größte Teil dieser Bahn kreuzt in der Decussatio pyramidum auf die Gegenseite und bildet danach den Tractus corticospinalis lateralis im Funiculus lateralis des Rückenmarks. Der kleinere Teil, Tractus corticospinalis ventralis (medialis), verläuft zunächst ungekreuzt im Funiculus ventralis und kreuzt erst auf Rückenmarksniveau zur Gegenseite. Die Pyramidenbahn endet entweder direkt an den Motoneuronen des Vorderhorns oder erreicht dieses Ziel nach synaptischer Umschaltung auf spinale Interneurone. Die Axone der Pyramidenbahn sind stark myelinisiert und haben eine hohe Leitungsgeschwindigkeit. Der Tractus corticospinalis ist somit eine schnelle Verbindung zwischen dem motorischen Kortex und den Motoneuronen des Rückenmarks. Der Tractus corticonuclearis gewährleistet die kortikale Kontrolle der motorischen Hirnnervenkerne. Die anatomische Grundlage der willkürlichen Aktivierung der äußeren Augenmuskulatur ist komplex, wird aber letztlich über die Nuclei nervorum III, IV und VI ausgelöst. Das kortikale Zentrum für diese Funktion ist das frontale Augenfeld, das sich etwa an der Kreuzung von Sulcus frontalis superior und Sulcus precentralis befindet (. Abb. 1.34). Aus dem frontalen Augenfeld steigen Bahnen in die Area pretectalis, den Colliculus cranialis und die mediale Zone der Formatio reticularis in Höhe der Brücke und den Nucleus prepositus hypoglossi ab. Der Zugriff auf die Kerngebiete der Augenmuskelnerven erfolgt erst nach Umschaltungen in diesen Regionen (7 Kap. 9).
Extrapyramidal-motorisches System Hierzu werden insbesondere die Basalganglien gezählt, sowie Faserbahnen, die den motorischen Kortex mit den motorischen Hirnstammkernen bzw. dem Rückenmark verbinden und nicht den Tractus corticonuclearis bzw. corticospinalis zuzurechnen sind. Die Basalganglien bilden Basalganglienschleifen, über die der gesamte Kortex letztlich auf den Frontallappen zurückprojiziert. Die grundlegenden synaptischen Stationen dieser subkortikalen Schleife sind im Corpus striatum (Nucleus caudatus und Putamen), Globus pallidus und dem motorischen Thalamus. Die Substantia nigra und der Nucleus subthalamicus
. Abb. 1.36. Die Transmitter und funktionellen Aspekte der wichtigsten Projektionen zwischen Kortex, Basalganglien und Thalamus. Transmitter werden durch Farben, physiologische Wirkungen durch durchgezogene (exzitatorisch) oder gepunktete (inhibitorisch) Verläufe angezeigt: Rot: Glutamat; Blau: Dopamin; Schwarz: GABA. Die Erregungsübertragung durch Dopamin kann exzitatorisch wirken, wenn sie Dopaminrezeptoren vom Typ D1 zum Ziel hat oder inhibitorisch, wenn es sich um Dopaminrezeptoren vom Typ D2 handelt. Str Striosomen im Corpus striatum
werden ebenfalls häufig zu den Basalganglien gezählt (. Abb. 1.36). Ihre Funktion wird in der Feinabstimmung der Initiierung und sequenziellen Ausführung von spontanen Bewegungen gesehen. Basalganglien spielen bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen eine wichtige Rolle (7 Kap. 27) Das Corpus striatum (Striatum) erhält einen Teil der Axone der Pyramidenzellen aus den vorwiegend ipsilateralen Laminae II/III und V des gesamten Kortex über den Tractus corticostriatalis. Die Axone aus dem sensomotorischen Kortex ziehen meist in das Putamen, andere Kortexregionen projizieren in den Nucleus caudatus. Im Putamen wird die Somatotopie beibehalten. Bein-, Arm- und Gesichtsrepräsentation sind von dorsal nach ventral aufeinanderfolgend angeordnet. Der Tractus corticostriatalis benutzt Glutamat als Transmitter und wirkt auf die striatalen Zielzellen erregend. Die Zielzellen des Tractus corticostriatalis sind mittelgroße Neurone, die mehr als 70% der Nervenzellen im Corpus striatum stellen und daher als Hauptneurone bezeichnet werden. Diese bilden nur dann Aktionspoten-
45 1.3 · Funktionelle Systeme
ziale, wenn viele Afferenzen an ihren Dendriten gleichzeitig aktiv sind. Dann wirken sie durch Freisetzung des Transmitters GABA inhibitorisch auf ihre Zielgebiete. Hauptneurone, die auf die Pars lateralis des Globus pallidus projizieren, enthalten neben GABA auch Enkephalin, Projektionen zur Pars medialis des Globus pallidus und zur Substantia nigra weisen außer GABA auch Substanz P auf (7 Kap. 1.3.13). Die Axone der Hauptneurone projizieren durch die Lamina medullaris externa in die Substantia nigra und den Globus pallidus (Pallidum), durch die Lamina medullaris interna in eine Pars lateralis und eine Pars medialis getrennt. Substantia nigra und Pallidum enthalten ebenfalls GABAerge Neurone, die aber im Gegensatz zum Striatum eine hohe Spontanaktivität aufweisen. Daher bewirkt die Aktivierung striataler Hauptneurone eine kurzdauernde Inhibition einzelner Neurone im Pallidum und der Substantia nigra. Neben den Hauptneuronen gibt es im Striatum auch mittelgroße Interneurone, die Somatostatin, Neuropeptid Y und NADPH-Diaphorase oder GABA und Parvalbumin enthalten. Maximal 3% der Neurone bilden den Transmitter Azetylcholin und beeinflussen vermutlich die Funktion der Hauptneurone.
Die Neurone in der Pars medialis des Pallidums und der Pars reticularis der Substantia nigra entsenden Axone über die Ansa lenticularis und den Fasciculus lenticularis, die sich später im Fasciculus thalamicus vereinen, zu den motorischen Thalamuskernen Nucleus ventralis anterior (VA) und Nucleus ventralis lateralis (VL). Über diese Verbindung wird die Erregungsübertragung im motorischen Thalamus inhibiert. Werden sie jedoch durch die kortikale Aktivierung striataler Hauptneurone selber inhibiert, wird ihre inhibitorische Wirkung auf den Thalamus reduziert (Disinhibition der motorischen Thalamusneurone) und die Weiterleitung erregender Afferenzen (z. B. vom Rückenmark) im Thalamus wird erleichtert. Die Neurone der motorischen Thalamuskerne VA und VL projizieren in den Frontallappen, insbesondere den lateralen prämotorischen und supplementär-motorischen Kortex (Tractus thalamocorticalis). In ihren Zielgebieten setzen sie den exzitatorischen Transmitter Glutamat frei. Die Aktivierung thalamischer Neurone kann daher eine gezielte Erregung der prämotorischen Areale bewirken, die für die Bewegungsvorbereitung von Bedeutung sind. Weitere Kerne des motorischen Thalamus sind der Nucleus ventralis posterolateralis oralis, VPLo, die Area X, und die intralaminären Thalamuskerne. ! 5 Die Basalganglien sind Teil paralleler Schaltkreise, die unterschiedlichen Aufgaben dienen (z. B. Schleifen für Rumpf- und Extremitätenmotorik, Schleife für Augenmotorik). 6
5 Mit Striatum und Pallidum im engeren Sinne werden meist nur deren dorsale Anteile bezeichnet. 5 Zum ventralen Striatum zählt man den Nucleus accumbens, zum ventralen Pallidum Teile des Tuberculum olfactorium und der Substantia innominata. 5 Die ventralen Anteile weisen starke Verbindungen mit der Amygdala, dem präfrontalen Kortex und dem Gyrus cinguli auf und sind für die emotionale Beeinflussung von Bewegungsabläufen von Bedeutung (7 Kap. 1.3.9).
Innerhalb des Striatums lassen sich mit dem Nachweis des Enzyms Azetylcholinesterase Flecken von 300–600 µm Durchmesser mit niedriger Enzymaktivität nachweisen (Striosomen). Diese bilden ein dreidimensional zusammenhängendes Gerüst, das in eine Matrix mit hoher Enzymaktivität eingebettet ist. Die funktionelle Bedeutung dieser Kompartimentierung wird durch Unterschiede in den Afferenzen der Striosomen und der Matrix unterstrichen: Afferenzen zur Matrix stammen aus den supragranulären Schichten des Isokortex, Afferenzen zu den Striosomen vor allem aus infragranulären Schichten des präfrontalen Isokortex und des Allokortex.
Nucleus subthalamicus, Substantia nigra und weitere Thalamuskerne Fast alle kortikalen Regionen projizieren unter Beibehaltung der Somatotopie zum Nucleus subthalamicus. Die Axone kommen von den Pyramidenzellen der Lamina V und enthalten den exzitatorischen Transmitter Glutamat. Die Projektionsneurone im Nucleus subthalamicus projizieren zu den gleichen Zielstrukturen wie das Striatum, d. h. zum Pallidum und zur Pars reticularis der Substantia nigra. Diese Neurone benutzen ebenfalls Glutamat als Transmitter und zeigen eine ausgeprägte Spontanaktivität, die unter kortikalem Einfluss noch gesteigert wird. In ihren Zielgebieten, die mit denen der Axone aus dem Striatum überlappen, stellen die exzitatorischen Axone des Nucleus subthalamicus daher ein Gegengewicht zu den inhibitorischen Axonen des Striatums dar. Der Nucleus subthalamicus ist u. a. Zielgebiet für die Tiefenhirnstimulation bei Parkinsonpatienten (7 Kap. 27). Die Substantia nigra besteht aus einer sehr zelldichten Pars compacta und einer weniger zelldichten Pars reticularis. Während die Pars reticularis der Substantia nigra GABAerge Neurone besitzt, die auf die motorischen Thalamuskerne projizieren, enthält die Pars compacta überwiegend große dopaminerge Neurone, deren Axone in das Striatum ziehen. Die Wirkungen des Transmitters Dopamin sind teils exzitatorisch und teils inhibitorisch. Diese gegensätzlichen Wirkungen werden durch das Vorkommen verschiedener Dopaminrezeptoren im Striatum erklärt: Typ-1-Rezeptoren (D1 und D5) wirken eher exzitatorisch,
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
. Abb. 1.37. Schema der Verschaltung der Zellen in der Kleinhirnrinde
Typ-2-Rezeptoren (D2 bis D4) eher inhibitorisch (7 Kap. 1.3.13 und 1.3.14).
Zerebellum Das Kleinhirn, Zerebellum, ist wichtig für die Ausführung von Bewegungen unter Führung sensorischer Information (z. B. unter visueller Kontrolle). Dies wird durch Afferenzen aus praktisch allen Bereichen des Neokortex ermöglicht. Das Zerebellum besteht aus der Kleinhirnrinde, Cortex cerebelli, der weißen Substanz und den Kleinhirnkernen, Nuclei cerebellares. Die Kleinhirnrinde ist aus 3 Schichten aufgebaut: Stratum moleculare, Stratum ganglionare und Stratum granulosum (. Abb. 1.37). Die zerebellären Afferenzen sind exzitatorisch wirksame Moosfasern und exzitatorisch wirksame Kletterfasern. Sie ziehen in die Kleinhirnrinde, nachdem sie vorher Kollateralen an die Kleinhirnkerne abgegeben haben. Die Kletterfasern kommen aus dem Nucleus olivaris inferior, die Moosfasern rekrutieren sich dagegen aus verschiedenen Bereichen des Zentralnervensystems (. Abb. 1.37). Neben den Informationen aus den verschiedenen sensorischen Systemen des Cortex cerebri erhält die Kleinhirn-
rinde auch Informationen über die Stellung des Kopfs im Raum via Nuclei vestibulares (7 Kap. 1.3.3) und die Stellung der Körperteile zueinander aus Muskelspindeln und Sehnenorganen via propriozeptive Bahnen (7 Kap. 1.3.4). Diese Projektionen zeigen eine topische Gliederung ihrer Repräsentationsgebiete in der Kleinhirnrinde. Der mittelständige Wurmteil, Vermis cerebelli, und seine Derivate, Flocculus und Paraflocculus, stehen mit dem vestibulären System in Beziehung (7 Kap. 1.3.3). Die Pars intermedia der Hemisphären ist Zielgebiet von spinozerebellären Fasern mit Informationen aus dem propriozeptiven System (7 Kap. 1.3.4). Die Pars lateralis dagegen steht unter dem Einfluss der Großhirnrinde.
Die Moosfasern erreichen zunächst das Stratum granulosum der Kleinhirnrinde (. Abb. 1.37). Dort verzweigen sich die Axonendigungen und bilden synaptische Kontakte mit den Körnerzellen und den Axonendigungen der Golgi-Zellen (. Abb. 1.37). Die Axone der Körnerzellen ziehen in das Stratum moleculare, verzweigen sich dichotom und ziehen als Parallelfasern durch das Stratum moleculare. Die Parallelfasern stoßen hier auf die ausgebreiteten Dendritenbäume der Purkinje-Zellen. Die Perikarya der
47 1.3 · Funktionelle Systeme
Purkinje-Zellen bilden die mittlere Schicht der Kleinhirnrinde, das Stratum ganglionare. Die Dendritenbäume der Purkinje-Zellen bilden ein Spalier, das im rechten Winkel zu den Parallelfasern angeordnet ist. Somit zieht eine Parallelfaser durch viele quergestellte Dendritenbäume von Purkinje-Zellen, mit denen sie dann synaptische Kontakte bilden kann. Die Parallelfasern benutzen den exzitatorischen Transmitter Glutamat. ! Über Kollateralen der Parallelfasern werden 3 verschiedene Interneurone eingeschaltet (. Abb. 1.37): Golgi-, Stern- und Korbzellen sind GABAerge inhibitorische Interneurone in verschiedenen Schichten der Kleinhirnrinde.
Die Axone der Purkinje-Zellen (Transmitter GABA) ziehen als einzige Efferenzen aus der Kleinhirnrinde in die Kleinhirnkerne. Die Kleinhirnrinde hemmt somit die Nuclei cerebellares (. Abb. 1.37). Eine Ausnahme bilden die Purkinje-Zellen des Vermis, die direkt auf Neurone der Vestibulariskerne projizieren (7 Kap. 1.3.3). Es gibt 4 Nuclei cerebellares: Nucleus dentatus, Nucleus fastigii, Nuclei emboliformis und globosus. Nuclei emboliformis und globosus werden auch als Nucleus interpositus bezeichnet. Die Pars lateralis der Kleinhirnhemisphäre projiziert auf den Nucleus dentatus, die Pars intermedia auf die angrenzenden Nuclei emboliformis und globosus. Der Nucleus fastigii wird von Fasern aus dem Vermis erreicht. Efferenzen des Zerebellums. Über die Pedunculi cerebel-
lares cranialis und caudalis verlassen die Axone der Nuclei cerebellares das Zerebellum. Die größte Bahn aus den Nuclei dentatus, emboliformis und globosus verlässt das Zerebellum über den Pedunculus cerebellaris cranialis und zieht als Tractus cerebellothalamicus in das kontralaterale Zwischenhirn (Nuclei intralaminares und Nucleus ventralis lateralis). Die Axone des Nucleus fastigii kreuzen ebenfalls nach kontralateral und erreichen über den Pedunculus cerebellaris caudalis die Formatio reticularis. Aufsteigende Axone ziehen dann in die intralaminären Kerne sowie den Nucleus ventralis lateralis des Thalamus. Der Nucleus ventralis lateralis ist auch Umschaltstation im kortiko-striatopallido-thalamo-kortikalen Hauptschaltkreis (Basalganglienschleife) des extrapyramidalen Systems. Über diese Schleife hat das Kleinhirn Einfluss auf die Motorik. Eine zweite große Efferenz des Kleinhirns erreicht als Tractus cerebellorubralis den Nucleus ruber im Mesenzephalon. Der Nucleus ruber erhält außerdem über den Tractus corticorubralis Afferenzen aus der Großhirnrinde. Die Efferenzen der Pars parvocellularis des Nucleus ruber bilden einen Teil der zentralen Haubenbahn, Tractus tegmentalis centralis, und erreichen den Nucleus olivaris inferior. Die Neurone des Nucleus olivaris inferior ihrerseits senden Axone über den Pedunculus cerebellaris caudalis zurück zur Kleinhirnrinde (Kletterfasern). Die Pars magnocellula-
ris des Nucleus ruber ist der Ursprung des Tractus rubrospinalis, der in den Seitenstrang des Rückenmarks zieht und dort die gemeinsame motorische Endstrecke erreicht. Da das Zerebellum über die Körperstellung durch propriozeptive Afferenzen (Tractus spinocerebellares) informiert ist und über kortiko-pontino-zerebelläre Bahnen »weiß, was die Großhirnrinde vorhat«, kann es koordinierend auf die Motorik einwirken. Schädigungen und Funktionsausfälle des Kleinhirns zeigen sich daher auch nicht in einem generellen Ausfall der Motorik, sondern unter anderem in einer mangelnden zeitlichen Koordination der einzelnen Bewegungsabläufe (7 Kap. 27).
Gemeinsame motorische Endstrecke Die gemeinsame motorische Endstrecke für die Muskulatur im Kopf- und Halsbereich beginnt in den Kerngebieten der motorischen Hirnnerven, der postkranialen Muskulatur im Vorderhorn des Rückenmarks, das die großen Perikarya der α-Motoneurone enthält. Sie sind letztlich das Ziel aller absteigenden motorischen Bahnen. Beim Menschen sind diese absteigenden Bahnen in den lateralen und ventralen Funiculi des Rückenmarks gelegen.
1.3.9 Neuroanatomische Grundlagen
affektiven Verhaltens ! Affektives Verhalten wird über ein Netzwerk gesteuert, zu dem neben dem Septum, der Amygdala und dem Hypothalamus auch kortikale Areale (lateraler präfrontaler, anteriorer zingulärer, orbitofrontaler Kortex), die Insel, das ventrale Striatum, der Hippocampus und andere Bereiche des Hirnstamms gehören.
Die anatomische Basis affektiven Verhaltens wird häufig mit dem Begriff des limbischen Systems gleichgesetzt, der jedoch ursprünglich als topographische Klassifikation eine Reihe von Endhirnregionen, die wie ein Gürtel (= limbus) an der Grenze zwischen Endhirn und Hirnstamm liegen und das Corpus callosum umgeben, bezeichnete. Heute stehen bei Verwendung dieses Begriffes eher funktionelle Gesichtspunkte im Vordergrund, wobei affektives Verhalten nur einen der Funktionskomplexe, an denen das limbische System mitwirkt, darstellt (7 Kap. 24). So beeinflusst das limbisches System viszerale Reaktionen, Emotion und Motivation, das neuroendokrine System und vieles mehr. Nicht zuletzt spielen Teile des limbischen Systems eine wichtige Rolle bei Lern- und Gedächtnisfunktionen (7 Kap. 1.3.10). Unter diesen Gesichtspunkten können der Hippocampus und zahlreiche weitere Regionen wie Septum, Area entorhinalis, Gyrus cinguli, Teile der Amygdala, Nucleus anterior thalami, Habenula, Corpus mamillare, Nucleus interpeduncularis und die Formatio reticularis als limbisches System zusammengefasst werden (. Abb. 1.38). Die kor-
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
tikalen Abschnitte dieses Systems gehören dem Allokortex an.
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Amygdala
. Abb. 1.38. Hirnrinde, subkortikale Kerngebiete sowie Faserbahnen des limbischen Systems. Schwarze Pfeile Faserbahnen des PapezKreises. Rote Pfeile übrige Faserbahnen des limbischen Systems. 1 Hippocampus, 2 Area entorhinalis, 3 Corpus amygdaloideum, 4 Gyrus cinguli mit Cingulum, 5 Indusium griseum, 6 Area septalis, 7 Fornix, 8 Nucleus anterior thalami, 9 Corpus mamillare, 10 Hypothalamus, 11 Cingulum, 12 mediales Vorderhirnbündel, 13 ventrale Mandelkernstrahlung, 14 Pedunculus mamillaris, 15 Fasciculus longitudinalis dorsalis, 16 Tractus mamillotegmentalis, 17 Stria medullaris, 18 Stria terminalis, 19 Tractus habenulointerpeduncularis, 20 Tractus mamillothalamicus (Vicq-d’Azyr-Bündel)
. Abb. 1.39. Zytoarchitektonik der Amygdala. Histologischer Schnitt, menschliches Gehirn (0,02 mm Schnittdicke). BL Nucleus basolateralis, BM Nucleus basomedialis, BV Nucleus basoventralis, Ce Nucleus centralis, Cl Claustrum, Ent entorhinaler Kortex, F Fissura entorhinalis,
Die Amygdala (Corpus amygdaloideum, Mandelkern) hat subkortikale und kortikale Anteile (. Abb. 1.39). Sie umfasst kappenförmig das rostrale Ende des Unterhorns des Seitenventrikels und liegt unmittelbar vor dem Hippocampus. Die Oberfläche des Gehirns wird im Bereich des Gyrus semilunaris erreicht. Der basolaterale Kernkomplex der Amygdala unterhält reziproke Verbindungen mit dem Neokortex und ist so in kognitive Aufgaben eingebunden. Er projiziert u. a. zum ventralen Striatum, Nucleus mediodorsalis thalami und dem präfrontalen Kortex. Der zentromediane Komplex ist über die Stria terminalis und die ventrale Mandelkernstrahlung reziprok mit dem Hypothalamus verbunden und kann so auf das neuroendokrine System einwirken (. Abb. 1.38). Eine weitere wichtige Bahn ist das mediale Vorderhirnbündel, das Septum, Amygdala und Hypothalamus mit der Formatio reticularis verbindet. Diese ist mit dem Hypothalamus auch über den Fasciculus longitudinalis dorsalis Schütz verknüpft. Im kortikalen Kernkomplex enden olfaktorische Projektionen aus dem Bulbus olfactorius. Es existieren auch Verbindungen zum Subiculum, dem Thalamus u. a. subkortikalen Regionen. Stimulationen der Amygdala (oder des Septums) führen zu Reaktionen wie Kauen, Speichelfluss, Erbrechen, Nahrungsaufnahme, Miktion und Reaktionen der Genitalorgane. Vergleichbare Verhaltensweisen können auch durch Hypothalamusstimulation ausgelöst werden und deuten darauf hin, dass die Septum-Amygdala-HypothalamusAchse der vegetativen Steuerung dient (»viszerales Gehirn«).
Hi Hippocampus, La Nucleus lateralis, Me Nucleus medialis, NbM Nucleus basalis Meynert, TrO Tractus opticus, Vl Ventriculus laterales, VCo Nucleus corticalis ventralis. (Aus Amunts et al. 2005)
49 1.3 · Funktionelle Systeme
. Abb. 1.40. Einfluss von Amygdala und Hippocampus auf die Freisetzung von Kortisol. +/– erregender bzw. hemmender Einfluss. HPA »hypothalamus-pituitary-adrenal gland complex«; Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Komplex. Anhaltend starke Wirkung von Kortisol auf die Glukokortikoidrezeptoren von Hippocampusneu-
ronen, z. B. bei chronischem Stress, kann zum Tod der Neurone führen. Damit wird die hemmende Wirkung des Hippocampus auf den HPAKomplex vermindert, was zu einer verstärkten Ausschüttung von Kortisol und noch mehr Schädigung von Hippocampusneuronen führen kann
Eine zentrale Rolle bei der Steuerung von Angst und Stress kommt der Verbindung zwischen Amygdala, Hippo-
deren Bereichen des limbischen Systems angesehen. Das septo-hippokampale System ist wesentlich an Lernen und Gedächtnis beteiligt (7 Kap. 1.3.10).
campus und dem Komplex Hypothalamus–Hypophyse– Nebennierenrinde (im engl. Sprachgebrauch HPA) zu. Die Amygdala nimmt, wahrscheinlich über den Nucleus centralis, Einfluss auf den Hypothalamus (. Abb. 1.40).
Septum und basales Vorderhirn Das Septum (septale Region) umfasst Kerngebiete, die der Trennwand der beiden Seitenventrikel anliegen. Es befindet sich ventral des Balkens, sowie dorsal und rostral der Commissura anterior. Im medialen Teil des Septums befindet sich der Nucleus des diagonalen Bandes von Broca. Die meisten Neurone der medialen Region haben Azetylcholin als Neurotransmitter, es finden sich aber auch GABAerge Neurone mit oder ohne Kolokalisation von Parvalbumin (7 Kap. 1.3.13). Afferenzen kommen aus dem Hippocampus über cholinerge und nichtcholinerge Neurone aus dem Stratum oriens von CA1–CA3 und enden an Neuronen, die zum Hippocampus zurück projizieren. Weitere Afferenzen kommen aus dem Hypothalamus, der Regio preoptica, der Area tegmentalis ventralis, der Substantia nigra (Pars compacta), von den Raphe-Kernen, dem Nucleus coeruleus, dem Nucleus interpeduncularis und dem Rückenmark. Efferenzen ziehen zum Hippocampus und in verschiedene kortikale Bereiche (entorhinal, zingulär, piriform). Der laterale Teil des Septums erhält ebenfalls Afferenzen aus dem Hippocampus, dem entorhinalen Kortex, der medialen Amygdala, dem Nuclei interpeduncularis der Stria terminalis und dem lateralen Hypothalamus. Efferenzen ziehen über den Fornix in den Hippocampus und den entorhinalen Kortex, zur medialen Amygdala, dem Nucleus accumbens u. a. Gebiete. Die septalen Bereiche bilden einen wichtigen Teil des basalen Vorderhirns (7 Kap. 1.3.14). Dieser Komplex wird als Verbindungstelle zwischen dem Isokortex und den an-
Nucleus accumbens und ventrales Striatum Der ventrale Teil von Corpus striatum und Pallidum einschließlich des Nucleus accumbens wird im Gegensatz zum dorsalen Teil (motorisches System, 7 Kap. 1.3.8) dem limbischen System zugerechnet. Unterschiede zwischen dorsalem und ventralem Bereich lassen sich eher auf mikroskopischer als auf makroskopischer Ebene feststellen. Es findet sich z. B. im ventralen Teil keine klare Gliederung in Striosomen und Matrix. Der Nucleus accumbens (. Abb. 1.41) ist in eine mehr rostral gelegene Schalenregion (»shell«) und eine mehr kaudal gelegene Kernregion (»core«) gegliedert. Beide Regionen unterscheiden sich z. B. in der Morphologie ihrer cholinergen Neurone und in Bezug auf ihre Konnektivität. Afferenzen kommen aus den prä- und infralimbischen, orbitalen, insulären und posterior zingulären Kortexarealen, aus dem Thalamus (Mittellinien- und intralaminäre Kerne), dopaminergen Kerngebieten und der Formatio reticularis. Efferenzen ziehen besonders zum ventralen Pallidum, zum Thalamus, zur Area tegmentalis ventralis und der Substantia nigra (Pars compacta). Die Funktion des Nucleus accumbens wird in Zusammenhang mit motivationalem Verhalten und hedonischen Zuständen gesehen. Es wird vermutet, dass er für das Verarbeiten des »Belohnungswertes« von Bedeutung ist. Hierbei spielen Verbindungen mit dem zingulären Kortex, dem Subiculum sowie über die Substantia nigra zur Amygdala eine Rolle.
Limbische kortikale Areale Zu diesen Kortexarealen gehören der insuläre Kortex, der prä- und infralimbische Kortex, der orbitale präfrontale bzw. orbitofrontale Kortex und der zinguläre Kortex sowie
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
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. Abb. 1.41. Histologischer Schnitt durch den Nucleus accumbens eines menschliches Gehirn (0,02 mm Schnittdicke). Amyg Amygdala, BN »bed nucleus« der Stria terminalis, Caps int Capsula interna, CC Corpus callosum, Cl Claustrum, Fu Fundus striati, NA Nucleus accumbens, NC Nucleus caudatus, P Putamen, VP ventrales Pallidum. (Unveröffentliches Material: Amunts, Zaborsky, Voss, Hömke, Zilles)
der Hippocampus (7 Kap. 1.3.10). Der insuläre Kortex gliedert sich in Bezug auf Zytoarchitektur und Konnektivität in einen granulären, dysgranulären und agranulären Anteil. Der dysgranuläre Anteil ist der primär gustatorische Kortex bei den Mammalia (7 Kap. 1.3.7). Der orbitale präfrontale Kortex umfasst Bereiche des Gyrus orbitalis rectus, den Gyrus orbitalis medialis und Gyrus orbitalis lateralis. Der orbitofrontale Kortex hat vornehmlich mit motivationalen und emotionalen Aspekten der Planung von Verhalten zu tun, z. B. dem Abwägen von Konsequenzen. Der zinguläre Kortex umgibt gürtelförmig das Corpus callosum. Auch er besteht aus mehreren zytoarchitektonischen Arealen (Brodmann-Areale 24, 32 im vorderen Bereich, BA 23 im hinteren Bereich). Der vordere Bereich ist in limbische Funktionen involviert. Der anteriore zinguläre Kortex hat reziproke Verbindungen mit dem präfrontalen, orbitofrontalen und entorhinalen Kortex, dem Hippocampus, der Amygdala, dem Septum und dem Thalamus. Er projiziert außerdem direkt zu den motorischen Zentren (Kortex, Basalganglien, Zerebellum).
Belohnungssystem (Reward-System) Während allgemein angenommen wird, dass die Amygdala bei der Verarbeitung negativer Emotionen wie Angst eine
wichtige Rolle spielt, wird ihre Bedeutung für die Verarbeitung positiver Emotionen häufig unterschätzt. Jedoch kommt auch hier der Amygdala eine große Bedeutung zu, insbesondere bei der klassischen Konditionierung und operanter Konditionierung. Im englischen Sprachgebrauch wird in diesem Zusammenhang vom »Reward-System« (»reward« Belohnung) gesprochen (7 Kap. 40). Während bei Tierexperimenten bei klassischem Konditionieren ein neutraler Stimulus z. B. mit einer Belohnung in Form von Nahrung kombiniert wird, erfolgt operantes Konditionieren über das Lernen von Konsequenzen für eine bestimmte Handlung. Für das Reward-System, das z. B. auch eine Rolle bei der Abhängigkeit von Drogen, pharmakologischen Substanzen und Alkohol spielt, sind verschiedene Kerngebiete und kortikale Regionen im Bereich des limbischen Systems und ihre Verbindungen von Bedeutung. Substanzen, die Abhängigkeit hervorrufen, führen über das Belohnungssystem zu positiven Empfindungen. Die Amygdala, der Hypothalamus, der Nucleus accumbens, die Substantia nigra, die Area tegmentalis ventralis, der Hippocampus, septale Kerne, der vordere Gyrus cinguli, der orbitofrontale Kortex, cholinerge Kerngebiete des basalen Vorderhirns und andere Regionen sind am Belohnungssystem beteiligt. Der Nucleus accumbens und die Area tegmentalis ventralis sowie deren Verbindungen über das mediale Vorderhirnbündel zur Formatio reticularis werden als die zentralen Komponenten angesehen. Während einige Belohnungsmechanismen unter Einbeziehung der Amygdala ablaufen, gibt es auch solche, die von ihr relativ unabhänging sind. Zu den letzteren zählt z. B. die klassische Konditionierung nach Pavlov. Hierfür sind wahrscheinlich besonders kortiko-striatale und sensorimotorische Schleifen von Bedeutung. Andererseits wurde aber auch bei Pavlov’scher Konditionierung eine Beteiligung von dopaminergen D2/D3-Rezeptoren in der Amygdala gezeigt. Der basolaterale Kernkomplex und der Nucleus centralis der Amygdala sind besonders an den Amygdala-abhängigen Belohnungsmechanismen beteiligt (. Abb. 1.42). Der Nucleus centralis scheint hierbei nigro-striatale dopaminerge Projektionen zu modulieren. Der Nucleus centralis ist außerdem mit dem Nucleus accumbens, der Area ventralis tegmentalis, der Formatio reticularis, dem lateralen Hypothalamus, dem basalen Vorderhirn u. a. Kerngebieten verbunden. Der basolaterale Kernkomplex unterhält Verbindungen zum orbito-frontalen und mesialen Kortex, dem Nucleus accumbens, und dem Nucleus mediodorsalis thalami (zu den letzteren beiden direkt oder über den orbitofrontalen und mesialen Kortex). Unter den Neurotransmittern spielt Dopamin eine Schlüsselrolle, daneben aber auch Serotonin, endogene Opiate und GABA (7 Kap. 1.3.14). Zu den Drogen, die das Belohnungssystem über dopaminerge Neurone im Nucleus accumbens und der Area tegmentalis ventralis stimulieren,
51 1.3 · Funktionelle Systeme
. Abb. 1.42. Limbische Schaltkreise zwischen dem Kortex, der Amygdala, dem Hippocampus, dem ventralen Striatum und dopaminergen Kerngebieten mit Bedeutung für das Belohnungssystem und »Craving«. Die Area tegmentalis ventralis und die Substantia nigra
zählen u. a. Kokain, Amphetamine, Koffein und Nikotin. Blockade der Dopaminwirkung durch Rezeptorantagonisten oder Denervation hemmt den Reward-Mechanismus und führt zu Erscheinungen, die mit Entzugsphänomenen verglichen werden können.
Starkes Suchtverlangen (Craving) Funktionell bildgebende Untersuchungen beim Menschen identifizieren folgende Strukturen als relevant für starkes oder unstillbares Suchtverlangen (auch Suchtdruck, Craving): orbitofrontaler und zingulärer Kortex, temporaler Kortex und Amygdala (7 Kap. 40). Es sind wiederum dopaminerge (aus der Area tegmentalis ventralis, der Substantia nigra, Pars compacta), GABAerge (aus dem Nucleus accumbens, Globus pallidus, Thalamus) und glutamaterge Verbindungen (aus Hippocampus, basolateralem Kernkomplex und Nucleus centralis der Amygdala, Thalamus, orbitofrontalem, anterior zingulärem und medialem Kortex) beteiligt (. Abb. 1.42).
1.3.10
Lernen, Gedächtnis und Aufmerksamkeit
! 5 Der Hippocampus spielt eine Schlüsselrolle bei Lern- und Gedächtnisfunktionen. 5 Die Langzeitpotenzierung als Ausdruck synaptischer Plastizität ist ein wichtiger zellulärer Mechanismus beim Lernen. 6
(Pars compacta) enthalten dopaminerge Neurone und haben eine zentrale Bedeutung für das Belohnungssystem, Suchtverlangen und das Entstehen von Drogenabhängigkeit (modifiziert nach Everitt u. Robbins 2005)
5 Die Verbindungen zwischen Amygdala und Hippocampus gewährleisten eine Interaktion von affektivem Verhalten mit Lernen und Gedächtnis.
Der Hippocampus und andere, mit ihm in Verbindung stehende Strukturen des limbischen Systems haben Bedeutung für Lern- und Gedächtnisfunktionen (7 Kap. 19). Beidseitige Zerstörung des Hippocampus führt zum Verlust der Möglichkeit, Neues zu lernen und sich an Ereignisse zu erinnern, die nach oder relativ kurz vor der Zerstörung stattgefunden haben (7 Kap. 32). Der Hippocampus liegt als Teil des Archikortex am Boden und in der medialen Wand des Unterhorns des Seitenventrikels. Er erstreckt sich über den Gyrus dentatus und den medialen Teil des Gyrus parahippocampalis (Hippocampus retrocommissuralis). Unter dem Splenium corporis callosi geht er in den Gyrus fasciolaris über und zieht weiter nach dorsal auf das Corpus callosum (Hippocampus supracommissuralis). Er endet unter dem Rostrum corporis callosi (Hippocampus precommissuralis). Der retrokommissurale Teil des Hippocampus grenzt lateral im Gyrus parahippocampalis an die periarchikortikalen Gebiete des Presubiculums, das in das Parasubiculum übergeht und lateral von der Area entorhinalis (entorhinaler Kortex) umgeben wird (. Abb. 1.43). Lateral schließen sich isokortikale Areale des Temporallappens an (7 Kap. 1.1.3). Zwischen Isokortex und Hippocampus supra- bzw. precommissuralis liegen die Regio retrosplenialis und der zinguläre Kortex als periarchikortikale Regionen des Gyrus cinguli.
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
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. Abb. 1.43. Lokalisation des Allokortex und seiner einzelnen Abschnitte im menschlichen Gehirn. Der Paläokortex und seine Übergangszone (Peripaläokortex) in den Neokortex sind rot bzw. braun, der Archikortex gepunktet und der Periarchikortex schraffiert dargestellt. Jeder dieser allokortikalen Abschnitte kann in verschiedene Regionen eingeteilt werden. 1 Bulbus olfactorius, 2 Regio retrobulbaris, 3 Tuberculum olfactorium, 4 Regio prepiriformis, 5 Peripaläokortex, 6 Septum, 7 Corpus amygdaloideum, 8 Subiculum, 9 Cornu Ammonis, 10 Fascia dentata, 11 Pre- und Parasubiculum, 12 Area entorhinalis, 13 Hippocampus supracommissuralis, 14 Regio retrosplenialis, 15 Hippocampus precommissuralis, 16 zingulärer Kortex
Der Hippocampus retrocommissuralis ist der Teil, in dem die strukturelle Differenzierung beim Menschen am stärksten ausgeprägt ist. Er kann auf Grundlage von Unterschieden in der Architektonik und in der Verschaltung wie folgt untergliedert werden (. Abb. 1.44): 4 Subiculum 4 Cornu Ammonis (CA1–CA4) 4 Fascia dentata. An seiner ventrikulären Seite ist der Hippocampus vom Alveus bedeckt, der aus afferenten und efferenten Fasersystemen besteht (weiße Substanz des Hippocampus). Der Alveus setzt sich in die Fimbria hippocampi fort, die in den Fornix übergeht. Die einzelnen Regionen des Ammonshorns und Subiculums weisen 3 Hauptschichten auf (. Abb. 1.44): 4 Stratum oriens mit zahlreichen basalen Dendriten der Pyramidenzellen 4 Stratum pyramidale mit Zellkörpern 4 Oberflächlich das Stratum radiatum-lacunosum-moleculare mit den apikalen Dendriten der Pyramidenzellen. Die Fascia dentata besteht aus: 4 dem oberflächlich gelegenen Stratum moleculare mit den Dendriten der Körnerzellen, 4 dem Stratum granulosum mit den Zellkörpern dieser Neurone und 4 dem Stratum multiforme, das mit der CA4-Region als Hilus fasciae dentatae zusammengefasst werden kann. Die direkten Afferenzen des Hippocampus kommen aus dem Septum über den Fornix (Transmitter: Azetylcholin
. Abb. 1.44. Regionen und Schichten des Hippocampus mit Tractus perforans und seinen intrahippokampalen Verschaltungen. CA1–CA4Regionen des Cornu Ammonis, F Fimbria, FD Fascia dentata, PL Plexus choroideus, S Subiculum, SH Sulcus hippocampi, V Unterhorn des Seitenventrikels, 1 Alveus, 2 Stratum oriens, 3 Stratum pyramidale (rot), 4 Strata radiatum und lacunosum-moleculare, 5 Stratum moleculare der Fascia dentata, 6 Stratum granulosum der Fascia dentata (blau), 7 Stratum multiforme der Fascia dentata, 8 Stratum lucidum von CA3, 9 Tractus perforans, 10 Moosfasern, 11 Schaffer-Kollaterale
und GABA) und aus der Area entorhinalis über den Tractus perforans (Transmitter Glutamat) (7 Kap. 1.3.14), der an den Dendriten der Körnerzellen im Stratum moleculare der Fascia dentata endet. Die Körnerzellen senden ihre Axone vor allem zu den Dendriten der Pyramidenzellen in der Region CA3 in einer auf diese Region begrenzten Schicht, dem Stratum lucidum. Diese Axone werden als Moosfasern bezeichnet. Die Axone der Pyramidenzellen der CA3-Region verlassen den Hippocampus, geben aber vorher Kollateralen ab (Schaffer-Kollateralen), die an den Dendriten der Pyramidenzellen der CA1-Region enden (. Abb. 1.44). An den synaptischen Umschaltstationen von der Area entorhinalis bis zu den CA1-Pyramidenzellen wird Glutamat als Transmitter benutzt. Die Pyramidenzellen der CA1-Region zeigen bei wiederholter, tetanischer Reizung das Phänomen der Langzeitpotenzierung, das für die Gedächtnisfunktion des Hippocampus besonders wichtig ist. ! Langzeitpotenzierung: Nach einer ersten Stimulation und einer bestimmten Größe der Reizantwort in den CA1-Pyramidenzellen des Hippocampus kommt es bei erneuter Reizung gleicher Intensität zu einer intensiveren Reizantwort in CA1 als bei der ersten Reizung. Diese Potenzierung der Reizantwort ist noch nach vielen Wochen zu beobachten.
Die Langzeitpotenzierung ist Ausdruck synaptischer Plastizität und kann nicht nur im Hippocampus, sondern auch
53 1.3 · Funktionelle Systeme
im Neokortex nachgewiesen werden. Dieses Phänomen zeigt, dass Synapsen keine statischen Strukturen im Sinne einfacher Schalter sind, sondern sich dynamisch an funktionelle Bedingungen durch Änderung ihrer Effektivität anpassen können. Efferente Fasern verlassen den Hippocampuskomplex über den Fornix (. Abb. 1.44). Eine besonders wichtige Schleife verbindet die folgenden Strukturen und wurde unter dem Begriff des Papez-Kreises zusammengefasst: Hippocampus → Corpus mamillare → Nucleus anterior thalami → hinterer Gyrus cinguli → Hippocampus. Die besondere funktionelle Bedeutung des Papez-Kreis wird heute jedoch angezweifelt. Über das Corpus mamillare und den Tractus mamillotegmentalis und Pedunculus mamillaris hat der Hippocampus reziproke Verbindung mit limbischen Kerngebieten (7 Kap. 1.3.9) der Formatio reticularis des Mesenzephalons (Nucleus tegmentalis dorsalis Gudden und Nucleus reticularis tegmenti pontis Bechterew). Eine weitere wichtige Efferenz des Hippocampus gelangt über den präkommissuralen Fornix zum Septum. Weiterhin bestehen auch kommissurale Verbindungen zwischen den Hippocampi beider Seiten.
1.3.11
Neuroendokrines System
! 5 Die Hypophyse setzt sich aus Bereichen unterschiedlicher Herkunft und Funktion zusammen. 5 Die Adenohypohyse hat eine Schlüsselstellung für die Steuerung hormonproduzierender Drüsen des gesamten Körpers. 5 Die Neurohypohyse speichert und setzt Hormone frei, die auf Uterus, Mamma und Niere wirken. 5 Die Epiphyse ist Teil eines Systems zur Steuerung der zirkadianen Rhythmik und produziert Melatonin.
Das endokrine System nutzt zur Informationsweiterleitung im Gegensatz zum Nervensystem vor allem das Blutgefäßsystem. Beide Systeme verwenden Botenstoffe zur Übertragung von Signalen – entweder Transmitter (neuronales System) oder Hormone (humorales System). In Teilen des Hypothalamus und in der Hypophyse kommen beide Systeme anatomisch und funktionell zusammen. Man spricht deshalb auch von einem neuroendokrinen System. Die zentrale Steuerung des endokrinen Systems befindet sich im Hypothalamus des Dienzephalons. Der Hypothalamus wird nach rostral durch die Lamina terminalis, nach basal durch das Chiasma opticum, nach kaudal durch das Corpus mamillare und vom Thalamus durch den Sulcus hypothalamicus begrenzt. Er lässt sich in verschiedene Regionen und Kerngebiete untergliedern. Der Nucleus suprachiasmaticus der Regio hypothalamica anterior an der Grenze des III. Ventrikels ist für die Steuerung der zirkadianen Rhythmen verantwortlich (7 Kap. 1.3.1). Andere
Regionen sind in die Steuerung der Thermoregulation, des Sexualverhaltens, kardiovaskulärer Funktionen, des Wasserhaushalts sowie des Ess- und Trinkverhaltens involviert. Experimente an Ratten haben gezeigt, dass es z. B. bei einer Läsion des lateralen Hypothalamus zu Anorexia kommt. Der Hypothalamus hat Faserverbindungen zur Amygdala, dem Hippocampus, der Formatio reticularis, dem Thalamus, dem Rhombenzephalon aber auch dem Rückenmark. Eine besonders wichtige Verbindung besteht zwischen dem neuroendokrinen Hypothalamus und der Hypophyse. Diese besteht aus einem Lobus anterior (Adenohypohyse) und einem Lobus posterior (Neurohypophyse). Axone kleinerer Neurone des Hypothalamus ziehen als Tractus tuberoinfundibularis zur Eminentia mediana, die am Eingang zum Infundibulum gelegen ist. Diese Neurone des Hypothalamus-Infundibulum-Systems bilden Peptide, die als Liberine (»releasing hormones« [RH]) oder Statine (»release inhibiting hormones« [IH]) aus der Eminentia mediana über ein Pfortadersystem in die Adenohypophyse gelangen und die Syntheseleistung von endokrinen Zellen steuern. Zu den Liberinen zählen Folloliberin, Prolaktoliberin, Luliberin, Kortikoliberin, Thyroliberin, Somatoliberin und Melanoliberin; zu den Statinen zählen Somatostatin, Prolaktostatin, Melanostatin usw. Aus der Adenohypophyse gelangen die Steuerhormone in den Blutkreislauf und über diesen in die peripheren endokrinen Organe, die Effektorhormone bilden. So wirkt z. B. Kortikoliberin über Kortikotropin auf die Hormonproduktion der Nebennierenrinde. Die Neurohypophyse speichert und setzt Hormone frei, die auf Uterus, Mamma und Niere wirken (Oxytozin und Vasopressin [Adiuretin]). Diese Effektorhormone werden in den Nuclei supraopticus und paraventricularis synthetisiert, gelangen in den Axonen dieser Neurone als Tractus hypothalamo-hypophysialis direkt in die Neurohypophyse und von dort in den Blutkreislauf. Die Epiphyse, Corpus pineale (auch Pinealorgan), ist eine Ausstülpung an der Dorsalseite des Dienzephalons und erinnert in ihrer Form an einen kleinen Pinienzapfen. Sie liegt zwischen den beiden oberen Colliculi auf dem Tectum. Die Pinealozyten sind modifizierte Photorezeptorzellen und produzieren das Hormon Melatonin. Es wird über ein gut entwickeltes Gefäßsystem in den Blutkreislauf abgegeben und hat hemmende Wirkung auf alle endokrinen Organe. Die Steuerung der Epiphysenaktivität ist lichtabhängig: erhöhtes Lichtangebot führt zu einer Hemmung, nachlassendes Licht zu einer Steigerung der Melatoninproduktion. Damit spielt die Epiphyse auch eine Schlüsselrolle bei der zirkadianen und zirkannualen Rhythmik, die als biologische Uhr die Körperaktivität steuert. Die Epiphyse ist in einen Schaltkreis eingebunden, dem auch der Nucleus suprachiasmaticus angehört. Dieser Kern liegt der biologischen Uhr als Taktgeber zugrunde, wobei die Lichtmenge modifizierend eine Anpassung an wechselnde Tages- und Jahreszeiten ermöglicht. Lichtreize
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Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
. Abb. 1.45. Hypothalamus-Hypophysen-Systeme und Gefäßversorgung der Hypophyse. Rote Neurone: kleine Neurone des Hypothalamus-Infundibulum-Systems, das Steuerhormone bereitstellt, die in der Eminentia mediana in den Blutkreislauf eintreten und in der Adenohypohyse freigesetzt werden. Grüne Neurone: große Neurone des Hypothalamus-Hinterlappen-Systems, das Effektorhormone enthält, die zur Neurohypophyse gelangen und dort in den Blutkreislauf übertreten
wirken über die Retina auf den Nucleus suprachiasmaticus ein und aktivieren dort inhibitorische Neurone, die in der Epiphyse die Melatoninabgabe reduzieren.
1.3.12
Koordinierung und Modulation durch die Formatio reticularis
! 5 Die Formatio reticularis ist Umschaltstation und Koordinationszentrum für zahlreiche funktionelle Systeme im Rhombenzephalon.
Die Formatio reticularis reicht vom Mesenzephalon bis an das kaudale Ende der Medulla oblongata und enthält netzartig angeordnete Neurone. Innerhalb der Formatio reticularis findet man architektonisch distinkte Kerngebiete, z. B. Nucleus ruber und Nucleus reticularis tegmenti pontis. Die Formatio reticularis kann in eine mediale magnozelluläre und eine laterale parvozelluläre Zone gegliedert werden. Die großen Neurone der magnozellulären Zone haben weit ausstrahlende Dendriten. Ein einzelnes Neuron kann Informationen aus einem großen Einzugsbereich und vielen Fasersystemen aufnehmen und damit Informationen integrieren. Afferenzen stammen aus dem Rückenmark, den sensorischen Hirnnervenkernen, dem Zerebellum, dem Hypothalamus, den Basalganglien und dem Neokortex. Efferente Fasern projizieren in das gesamte Vorderhirn und in das Rückenmark.
Die laterale Zone enthält Interneurone oder prämotorische Neurone für den Nervus trigeminus (V), Nervus facialis (VII), Nervus vagus (X) und Nervus hypoglossus (XII). Außerdem gibt es hier prämotorische Neurone mit langen Axonen zu den Motoneuronen des Rückenmarks, die u. a. für die Atmung und Blutdruckregelung eine Rolle spielen. Eine Stimulation der Formatio reticularis führt zu einer allgemeinen Aktivierung der Hirnrinde (Weckreaktion, »arousal«; 7 Kap. 12). Das Konzept des menschlichen Arousal-Systems ist jedoch empirisch nicht gut abgesichert. Das ist u. a. dadurch begründet, dass die Art der experimentellen Aufgaben mit dem Arousal-System interferieren kann. Es wurde deshalb das Konzept des »cognitive effort« formuliert. Es betont, dass Arousal kein passiver Prozess ist, sondern von Umweltbedingungen und Aufgabenanforderungen beeinflusst werden kann. Die aufsteigenden Afferenzen aus der Formatio reticularis können den Kortex direkt erreichen oder werden vorher in den Nuclei intralaminares und ventralis anterior des Thalamus sowie im basalen Vorderhirn (7 Kap. 1.3.9 und 13) umgeschaltet. Innerhalb der Formatio reticularis gibt es Serotonin- und noradrenalinhaltige Neuronengruppen (z. B. Raphe-Kerne bzw. Locus coeruleus, 7 Kap. 1.3.13), die auf- und absteigende Faserbahnen aussenden. Vom Locus coeruleus wird angenommen, dass er u. a. über Projektionen in das basale Vorderhirn und den Kortex an Aufmerksamkeitsprozessen (7 Kap. 14) beteiligt ist.
55 1.3 · Funktionelle Systeme
1.3.13
Transmittersysteme
! 5 Transmitter sind an der chemischen Signalübertragung beteiligt. 5 Zu den Transmittern gehören Glutamat als der wichtigste exzitatorische Transmitter, GABA als der wichtigste inhibitorische Transmitter, sowie Azetylcholin, Katecholamine, Dopamin und Serotonin. 5 Die Wirkung erfolgt über spezielle Rezeptoren. 5 Auch zahlreiche Peptide wie Substanz P oder vasoaktives intestinales Polypeptid spielen eine wichtige Rolle bei der neuronalen Erregungsübertragung.
Die durch ein Aktionspotenzial ausgelöste Freisetzung von Transmittern aus dem präsynaptischen Axonende ist Grundlage der Erregungsübertragung im Nervensystem. Transmitter binden nicht-kovalent an spezielle prä- und/ oder postsynaptische Rezeptoren. Diese Rezeptoren sind Proteine und als solche Bestandteile der Zellmembran von Neuronen und Gliazellen. Verschiedene, relativ kleine Moleküle, z. B. Azetylcholin, Aminosäuren und Monoamine, können als Transmitter wirken. Sie werden ubiquitär oder
Wichtige klassische Neurotransmitter 5 Azetylcholin (ACh) 5 Monoamine 5 Katecholamine (Dopamin, Noradrenalin [Norepinephrin, NE], Adrenalin) 5 Indolamine (Serotonin, Histamin) 5 Aminosäuren 5 Glutamat 5 γ-Aminobuttersäure (»gamma-aminobutyric acid«, GABA) 5 Glycin
Wichtige Neuromodulatoren 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5
Adrenokortikotropes Hormon (ACTH) Angiotensin II Cholezystokinin (CCK) »Calcitonin-gene related peptide« (CGRP) »Corticotropin releasing factor« (CRF) Galanin (GAL) Luliberin (LHRH) Neuropeptid Y (NPY) Neurotensin Oxytozin und Vasopressin Opioide (Dynorphine, Endorphine, Enkephaline, MSH) Somatostatin (SOM) Tachykinine (Neurokinine A und B, Substanz P) Thyrotropin releasing hormon (TRH) Vasoaktives intestinales Polypeptid
. Abb. 1.46. Schematische Darstellung des Ursprungs der cholinergen und monoaminergen Transmittersysteme und ihrer wichtigsten Projektionsbahnen. Cholinerges System (rot): 1 Basales Vorderhirn mit Nucleus medialis septi, diagonalem Band von Broca, Substantia innominata mit Nucleus basalis Meynert (Ch1–Ch4), 2 Area tegmentalis dorsolateralis mit Nuclei parabrachiales und Griseum centrale (Ch5–Ch6), 3 Nuclei periolivares, 7 Fasciculus olivo-cochlearis (Rasmussen-Bündel), 8 Tractus septohippocampalis, 9 Stria terminalis, 10 Faserbündel zum Thalamus. Dopaminerges System (blau): 4 Area tegmentalis ventralis mit Substantia nigra pars compacta und retrorubralem Feld (A8–A10), 11 Tractus nigrostriatalis, 12 mediales Vorderhirnbündel. Noradrenerges System (schwarz): 5 Locus coeruleus mit ventrolateraler Formatio reticularis, Nucleus solitarius, Oliva superior und Nucleus subcoeruleus (A1–A7), 12 mediales Vorderhirnbündel. Serotoninerges System (gelb): 6 Raphe-Kerne (B1–B9), 12 mediales Vorderhirnbündel
nur in bestimmten Regionen des Nervensystems gebildet (. Abb. 1.46). Außerdem sind größere Moleküle, Peptide, bei der Erregungsübertragung als Neuromodulatoren ebenfalls von großer Bedeutung. Man unterscheidet klassische Transmitter, die kurze, schnell eintretende Effekte auslösen (Transmitter im engeren Sinne), von Peptiden, die langsame, langanhaltende Effekte vermitteln. Klassische Transmitter und Neuromodulatoren können zusammen im selben Axonterminal auftreten (Kolokalisation). Die Verteilung der Transmitter im Gehirn ist regional unterschiedlich (Chemoarchitektur, Rezeptorarchitektur). Durch die von einzelnen Perikarya ausgehenden, extrem langen und verzweigten Axone können in manchen Fällen alle Gebiete des ZNS von einem Transmitter und einer relativ kleinen Region beeinflusst werden. So finden sich z. B. die Perikarya noradrenerger Neurone vor allem im Locus coerules, die serotonerger Neurone in den Raphe-Kernen. Im Folgenden werden die neuronalen Systeme unter dem Gesichtspunkt der Transmitterspezifität dargestellt. Diese Betrachtungsweise hat in den letzten Jahren in Klinik und Forschung eine besondere Bedeutung erlangt, da bei Erkrankungen Störungen eines oder mehrerer Transmittersysteme vorliegen können.
1
56
Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
Azetylcholin
1
Azetylcholin wird in den α- und γ-Motoneuronen im Vorderhorn des Rückenmarks, den motorischen Hirnnervenkernen, allen präganglionären sympathischen und parasympathischen sowie allen postganglionären parasympathischen Neuronen, den Nuclei periolivares (Ursprungskerne des Rasmussen-Bündels; 7 Kap. 1.3.2), der Area tegmentalis dorsolateralis und dem basalen Vorderhirnkomplex synthetisiert (. Abb. 1.46). Neben diesen cholinergen Systemen mit langen Projektionsbahnen gibt es cholinerge Interneurone im Corpus striatum und Nucleus accumbens.
Monoamine Katecholamin-synthetisierende Nervenzellen (mit Aus-
nahme der adrenalinhaltigen Neurone) sind an ihrer dunklen Färbung erkennbar, die durch einen hohen Gehalt an Melanin bedingt ist. Dies gilt vor allem für den Locus coeruleus (Noradrenalin) und die Substantia nigra (Dopamin). Darüber hinaus kommen katecholaminhaltige Zellkörper in zahlreichen anderen Regionen vor. Die Benennung der katecholaminergen Zellgruppen von 1 bis 16 folgt dabei einer kaudorostralen Sequenz (. Abb. 1.46). Adrenalin beeinflusst im Hypothalamus die Oxytozinund Vasopressinsekretion sowie die Regulation der Nahrungsaufnahme und über seine Freisetzung in den Nuclei solitarius und dorsalis nervi vagi Blutdruck und Atmung. Noradrenalin-haltige Axone finden sich in zahlreichen Faserbahnen. Das dorsale noradrenerge Bündel ist der größere, noradrenerge Anteil des Fasciculus tegmentalis dorsalis, einer Faserbahn, die rostral im medialen Vorderhirnbündel (Fasciculus telencephalicus medialis) aufgeht. Der Fasciculus tegmentalis dorsalis enthält außer den noradrenergen auch cholinerge und adrenerge Anteile. Außerdem geht in dieser Faserbahn auch ein zweites noradrenerges Fasersystem, der rostrale Schenkel der dorsalen periventrikulären Faserbahn auf. Das ventrale noradrenerge Bündel, das aus den Gebieten A 1, A 2, A 5 und A 7 seine Fasern bezieht, kann nicht vom dorsalen noradrenergen Bündel abgetrennt werden. Das noradrenerge System soll stressdämpfende Funktion haben, beeinflusst die neuroendokrinen Funktionen des Hypothalamus-Hypophysen-Systems (7 Kap. 1.3.11) und steigert insgesamt das Aufmerksamkeitsniveau (»Arousal«-Reaktion) des Kortex (7 Kap. 1.3.12). Es kann durch verschiedene sensorische Reize stimuliert werden. Dopamin wird in Faserbahnen gefunden, die zum Rückenmark absteigen. Sie entspringen in den hypothalamischen Gruppen A 11 und/oder A 13 und gelangen über den Fasciculus longitudinalis dorsalis Schütz nach kaudal. Im Rückenmark enden sie in den äußeren Laminae des Hinterhorns und im Nucleus intermediolateralis des Seitenhorns.
! Eine klinisch bedeutsame Funktion des Dopamins kann durch die Verbindung der Substantia nigra (Pars compacta) mit dem Corpus striatum über den Tractus nigrostriatalis erklärt werden (7 Kap. 1.3.8). Dopamin wirkt dabei fördernd auf die willkürliche Steuerung motorischer Programme. Dopaminausfall oder -mangel bei Morbus Parkinson (7 Kap. 27) führt zu Bewegungsarmut (Akinesie), Zittern (Tremor) und Starre (Rigor).
Reward-Mechanismen sind ebenso von der Freisetzung von Dopamin abhängig (7 Kap. 1.3.9). Da auch bestimmte Substanzen, wie Opiate, Kokain und Alkohol auf diese Mechanismen einwirken, wird der Reward-Mechanismus heute als neurobiologische Grundlage von Suchterkrankungen angesehen (7 Kap. 40). Neurone mit dem Transmitter Serotonin kommen im medianen Bereich des Rhombenzephalons vom Pedunculus cerebellaris cranialis bis hinab zur Pyramidenbahnkreuzung vor. Diese Perikarya bleiben überwiegend auf die Nuclei raphe beschränkt (. Abb. 1.46). Die einzelnen serotonergen Zellgruppen werden durch eine alphanumerische Nomenklatur (B 1–B 9) definiert. Die Axone dieser Perikarya projizieren in das gesamte ZNS. Serotonin beeinflusst Hirndurchblutung und Schlafregulation, hemmt präganglionäre sympathische Neurone im Rückenmark sowie dopaminerge und noradrenerge Neurone, wirkt hemmend auf die Nozizeption im Hinterhorn des Rückenmarks und erregt spinale Motoneurone. Serotonin ist auch an zahlreichen weiteren Funktionen wie Ess- und Sexualverhalten, Blutdruck- und Körpertemperaturregulation und Erbrechen modulierend beteiligt. Es spielt neben anderen Transmittern bei affektiven Erkrankungen (7 Kap. 36) und Schizophrenie (7 Kap. 35) eine wichtige Rolle.
Aminosäuren Glutamat kommt als Transmitter in den exzitatorischen
Projektionsneuronen des ZNS vor. Neurone mit hohen Glutamatkonzentrationen sind z. B. Pyramidenzellen des Allo- und Neokortex, Körnerzellen der Kleinhirnrinde, Rezeptorzellen und bipolare Ganglienzellen der Retina. Vom Neokortex ausgehende, glutamaterge Faserbahnen ziehen z. B. zum Rückenmark, in den Hirnstamm, Corpus striatum und Nucleus accumbens, dem Thalamus, dem Colliculus cranialis, zur Substantia nigra, dem Nucleus ruber und zu den Nuclei pontis. Besonders viele Informationen liegen über die glutamatergen Systeme im Hippocampus vor. Der von der Area entorhinalis in den Hippocampus ziehende Tractus perforans nutzt Glutamat als Transmitter, ebenso die Projektionen vom Hippocampus zum lateralen Septum über den Fornix und vom Subiculum zum Nucleus striae terminalis, zum diagonalen Band von Broca, zu Corpus striatum, Nucleus accumbens und Hypothalamus mit Corpus mamillare (7 Kap. 1.3.10). Auch Bahnen innerhalb des Hippocampus
57 1.3 · Funktionelle Systeme
sind glutamaterg z. B. das Moosfasersystem und die Schaffer-Kollateralen. Vom Bulbus olfactorius zieht eine glutamaterge Bahn durch den Tractus olfactorius lateralis zur Regio prepiriformis. Im Zerebellum enthalten neben den von den Körnerzellen ausgehenden Parallelfasern die Kletterfasern und Moosfasern Glutamat (7 Kap. 1.3.8). GABA kommt überwiegend in Interneuronen, aber auch in Projektionsneuronen im gesamten ZNS vor. Die Hauptwirkung von GABA besteht in einer Hyperpolarisation und damit Hemmung der Zielzelle. Regionen mit besonders hoher Dichte an GABAergen Neuronen sind die Kleinhirnrinde, Teile der Raphe-Kerne, die oberen Schichten des Colliculus cranialis, Pars reticulata der Substantia nigra, Nucleus reticularis thalami, Corpus striatum sowie Allo- und Neokortex. In der Kleinhirnrinde wird GABA in Purkinje-, Golgi-, Stern- und Korbzellen gefunden. Damit kann es neben Inhibitionen in den intrakortikalen Verschaltungen durch diesen Transmitter zu einer Hemmung der Zielstrukturen der Purkinje-Zellen, den Nuclei cerebellares und vestibularis lateralis, kommen (7 Kap. 1.3.8). Im Nucleus raphe dorsalis bewirken die GABAergen Zellen eine Inhibition der serotonergen Neurone. Die GABAergen Neurone des Nucleus reticularis thalami projizieren zu anderen thalamischen Kerngebieten und üben dort einen inhibitorischen Einfluss aus. Die zahlreichen GABAergen Nervenzellen des Corpus striatum sind große, spine-freie Interneurone oder mittelgroße, mit zahlreichen Spines an den Dendriten ausgestattete Projektionsneurone (7 Kap. 1.3.8). Im medialen Septum und im diagonalen Band von Broca finden sich GABAerge Projektionsneurone, die über den Fornix den Hippocampus und die Area entorhinalis erreichen. Innerhalb von Allo- und Isokortex finden sich zahlreiche Interneurone, die GABA als Transmitter synthetisieren.
Neuromodulatoren Zahlreiche Peptide wurden im ZNS nachgewiesen. Ihre Aufgaben lassen sich u. a. aus der bevorzugten Lokalisation, z. B. in den neuroendokrinen und nozizeptiven Systemen, erklären. Daneben kommen auch beträchtliche Peptidkonzentrationen in Gebieten vor, die nicht einem der beiden genannten Systeme zugeordnet werden können. Ihre Wirkung wird hier an 2 Beispielen gezeigt: Substanz P (SP) wird in zahlreichen, primär afferenten Neuronen vor allem des nozizeptiven Systems gefunden (7 Kap. 1.3.4). Die bevorzugten Lokalisationen von SP sprechen neben einer Beteiligung an nozizeptiven, barorezeptiven und chemorezeptiven Funktionen für eine Mitwirkung bei der Neurotransmission im limbischen System. Es wurden langsame einsetzende und lang anhaltende exzitatorische Wirkungen von SP beschrieben. Das vasoaktive intestinale Polypeptid kommt vor allem in Interneuronen, den bipolaren Zellen des Neokortex vor. Dort ist es besonders häufig mit GABA kolokalisiert und bewirkt eine Inhibition der nachgeschalteten Neurone.
Außerdem wurden auch vasodilatatorische Wirkungen beschrieben. Vasoaktives intestinales Polypeptid-haltige Projektionsneurone werden in zahlreichen anderen Gebieten des Gehirns und des primär afferenten Neuronensystems gefunden.
1.3.14
Transmitterrezeptoren und intrazelluläre Signalverarbeitung
! 5 Ionotrope und metabotrope Rezeptoren vermitteln Neurotransmittersignale. 5 Es gibt regionale Unterschiede in der Verteilung der Transmitterrezeptoren (Chemoarchitektonik). 5 Transmitter wirken über verschiedene Rezeptorsubtypen und ermöglichen so unterschiedliche Effekte. 5 Die Second-Messenger-Systeme lösen in Verbindung mit Enzymen verschiedene metabolische Prozesse in Neuronen aus und können die Aktivität des Genoms beeinflussen.
Neurotransmitter wirken über verschiedene Rezeptortypen, an denen die Transmitter nach ihrer Freisetzung in den synaptischen Spalt nicht-kovalent gebunden werden. Je nach Rezeptortyp können das z. B. exzitatorische oder inhibitorische Wirkungen sein. Ein bestimmter Rezeptor bindet allerdings immer nur einen Transmitter mit hoher Affinität (»Schlüssel-Schloss- Prinzip«). Die funktionelle Bedeutung eines Transmitters hängt somit vom Rezeptor ab. Bezüglich ihrer Lokalisation kann man präsynaptische Rezeptoren an Axonendigungen und postsynaptische Rezeptoren an Dendriten, Perikarya oder am Axonhügel unterscheiden (. Abb. 1.47). Präsynaptische Rezeptoren dienen u. a. dazu, als Autorezeptoren die Ausschüttung eines Transmitters zu reduzieren (Feedback-Mechanismus). Wird die Freisetzung eines anderen Transmitters durch Bindung an präsynaptische Rezeptoren, die in anderen Neuronen zu finden sind, beeinflusst, spricht man von Heterorezeptoren. Rezeptoren verschiedener Transmittersysteme können sich gegenseitig beeinflussen. Man unterscheidet ionotrope von metabotropen Rezeptoren. Ionotrope Rezeptoren enthalten Ionenkanäle. Bei Bindung des Transmitters an den Rezeptor kommt es zu einer Konfirmationsänderung des Rezeptors und dieser öffnet sich, z. B. für Chlorid-, Kalzium- oder Natriumionen. Metabotrope Rezeptoren (auch G-Protein-gekoppelte Rezeptoren) sind mit Second-Messenger-Systemen gekoppelt. Nach Bindung des Transmitters wirkt dieser auf kleine, entlang der postsynaptischen Membran bewegliche Proteine (»G-Proteine«), die wiederum eine Kaskade von Folgereaktionen aktivieren. Die Rezeptoren beeinflussen durch ihre Ionenkanäle oder Second-Messenger-Systeme letztlich das Membranpotenzial, den Metabolismus und die Genexpression von Neuronen und Gliazellen, was sich in
1
58
Kapitel 1 · Funktionelle Neuroanatomie
1
. Abb. 1.47. Transmitter und Rezeptoren am Beispiel der L-Glutamat-vermittelten Erregungsübertragung. AMPA »α-amino-3-hydroxy5-methyl-4isoxazolepipropionic-acid«-Rezeptor, DG Diacylglyzerol, G G-Protein, IP3 Triphosphoinositol, Kainat Kainatrezeptor, L-AP4 »L-2amino-4-phosphonobutanoic-acid«-Rezeptor, M metabotroper Glutamatrezeptor, NMDA N-methyl-D-aspartat-Rezeptor, P Polyamin, PIP Polyphosphoinositol
kurz- und langfristigen Veränderungen der Aktivitätsmuster niederschlägt.
Besonders hohe Konzentration von Rezeptoren 5 Glutamatrezeptoren: Neokortex, Hippocampus, Striatum, Zerebellum 5 GABA-Rezeptoren: Neokortex und Striatum 5 Azetylcholinrezeptoren: Striatum, Hippocampus und Neokortex 5 Dopaminrezeptoren: Striatum 5 Noradrenalinrezeptoren: Neokortex und Hippocampus 5 Serotoninrezeptoren: Neokortex, Hippocampus, Striatum und Nuclei raphe 5 Opioidrezeptoren: Nucleus spinalis nervi trigemini, Hinterhorn des Rückenmarks
Der Transmitter Glutamat bindet an verschiedene Glutamatrezeptoren, die in ionotrope AMPA-, NMDA- und Kainatrezeptoren und in metabotrope Rezeptoren eingeteilt werden (. Abb. 1.47). Die Bindung von Glutamat an den AMPA-Rezeptor öffnet den vom Rezeptor gebildeten Ionenkanal und es kommt zu einer schnellen, lokalen Depolarisation. Die Glutamatbindung an NMDA-Rezeptoren führt ebenfalls zu einer Depolarisation. Glutamat bewirkt daher insgesamt ein biphasisches depolarisierendes Potenzial mit einer schnellen AMPA- und einer langsameren NMDAKomponente. Die Funktion der Kainatrezeptoren ist noch
weitgehend ungeklärt. Die metabotropen Glutamatrezeptoren wirken indirekt auf nicht durch Liganden gesteuerte Ionenkanäle und dadurch auf das Membranpotenzial ein. Der wichtigste inhibitorische Transmitter im Zentralnervensystem ist die γ-Aminobuttersäure (GABA), die spezifisch an verschiedene Rezeptortypen (GABAA-, GABAB- und GABAC-Rezeptoren) bindet. Eine Stimulation des ionotropen GABAA-Rezeptors öffnet den integralen Ionenkanal für Chloridionen für einen relativ kurzen Zeitraum, während der ebenfalls ionotrope GABAC-Rezeptor auf die Aktivierung mit einer länger andauernden Kanalöffnung reagiert. Diese Erhöhung der Membranleitfähigkeit für Cl– wirkt inhibitorisch. Der langsamer arbeitende metabotrope GABABRezeptor dagegen kann nicht nur die Leitfähigkeit der Membran für Ca++-Ionen verringern, sondern auch über die Öffnung von K+-Kanälen eine direkte Hyperpolarisation der Zelle bewirken. Benzodiazepine und Barbiturate können die Wirkung von GABA am Rezeptor erhöhen. Die Rezeptoren für Azetylcholin können durch die spezifische Bindung der Agonisten Nikotin und Muskarin in nikotinische und muskarinische Azetylcholinrezeptoren eingeteilt werden. Nikotinische Azetylcholinrezeptoren finden sich vor allem in den Muskelendplatten, aber auch im ZNS. Bei Morbus Alzheimer kommt es zu zahlreichen Rezeptorveränderungen, unter denen der Verlust an kortikalen nikotinischen Azetylcholinrezeptoren besonders auffällig ist (7 Kap. 34). Muskarinische Rezeptoren kommen u. a. in der Membran glatter Muskelzellen und Herzmuskelzellen, aber auch zum Teil in hohen Konzentrationen im ZNS vor (z. B. Kortex). Katecholaminerge Neurone (Transmitter Dopamin, Noradreanlin, Adrenalin) enthalten die Aminosäure Tyrosin, die eine Katecholgruppe aufweist, die allen 3 Transmittern gemein ist. Katecholaminerge Neurone finden sich besonders in Hirnregionen, die an der Steuerung von Bewegungen, der Regulation von Emotionen, Aufmerksamkeit und viszeralen Funktionen beteiligt sind. Für Dopamin wurden verschiedene Rezeptortypen identifiziert (D1, D2, D3, D4, D5), die weiter untergliedert werden können. Es handelt sich hier um metabotrope Rezeptoren. Bei der Schizophrenie werden u. a. Veränderungen der Dopaminrezeptoren gefunden (7 Kap. 35); bei Morbus Parkinson sind die D1-Rezeptoren im Striatum erniedrigt (7 Kap. 27). Zu den noradrenergen Rezeptoren gehören die α1 und α2-Rezeptoren, die weitere Subtypen haben. Adrenalin-synthethisierende Neurone enthalten ein Enzym, das Noradrenalin zu Adrenalin umbauen kann. Das katecholaminerge System hat im Unterschied zu Azetylcholin und dessen Abbauenzym Azetylcholinesterase keinen schnellen extrazellulären Abbaumechanismus im synaptischen Spalt. Die Wirkung von Katecholaminen im Spalt wird durch einen selektiven Re-Uptake von Katecholaminen in die Axonterminale gesteuert. Dieser Schritt kann durch verschiedene pharmakologische Substanzen beeinflusst werden. Wenn die Katecholamine wieder im
59 1.5 · Weiterführende Literatur
Axonterminal sind, können sie entweder wieder verwendet oder abgebaut werden. Der Abbau geschieht über MAO (Monoamino-Oxidase). Es gibt verschiedene Typen von Serotoninrezeptoren (5-HT1(A,B,C,Da,Db,E,F), 5-HT2A,2F, 5-HT4, 5-HT5a,5b u. a.) in fast allen Bereichen des ZNS. Axone serotonerger Neurone verlaufen im medialen Vorderhirnbündel. Bei Bindung von Serotonin an den Rezeptor kommt es zu einer Öffnung von K-Kanälen, einer Hyperpolarisation und anschließender Schließung und Depolarisation. Freigesetztes Serotonin im synaptischen Spalt kann aktiv wieder zurück in das präsynaptische Neuron aufgenommen werden (Re-Uptake). Dieser Mechanismus ist Ansatzpunkt für die SSRI (selektive Serotonin-Re-Uptake-Inhibitoren), die z. B. bei Depression eingesetzt werden. Opioidrezeptoren sind im ZNS weit verbreitet, finden sich aber besonders in Regionen, die nozizeptive Information verarbeiten und modulieren (7 Kap. 26). Dazu gehören die Raphe-Kerne, das Hinterhorn des Rückenmarks und die periaquäduktale graue Substanz (Griseum centrale mecencephali). Die hohe Konzentration von Opioidrezeptoren in der Substantia gelatinosa erklärt die Möglichkeit, durch Morphine schmerzhemmend zu wirken, da hier die synaptische Übertragung nozizeptiver Erregungen stattfindet. Auf zellulärer Ebene rufen Opioide verschiedene Effekte hervor – sie unterdrücken z. B. die Freisetzung von Glutamat aus dem präsynaptischen Axon oder inhibieren Neurone über eine Hyperpolarisierung der postsynaptischen Membran. Über metabotrope und ionotrope Rezeptoren kann die intrazelluläre Kalziumkonzentration verändert werden. Die Erhöhung dieser Konzentration kann zur Depolarisation der Zelle beitragen. Darüber hinaus sind Kalziumionen intrazelluläre Botenstoffe (Second-Messenger), die weitere metabolische Prozesse wie die Aktivierung von Enzymen (Adenylatzyklase, Phosphodiesterase, Proteinphosphatase, Calmodulin-Proteinkinase) auslösen. Second-MessengerSysteme bieten Ansatzpunkte zur Wirkung von Lithium. Für eine maximale Aktivierung dieser Enzyme ist die Bindung von 4 Ca++-Ionen am kalziumbindenden Protein Calmodulin erforderlich.
1.4
Literatur
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1
2 2
Grundlagen der MR-Bildgebung T. Stöcker, N.J. Shah
2.1
Einführung – 62
2.2
Das MR-Phänomen – 62
2.2.1 2.2.2 2.2.3
Spin, Kernmagnetisierung und Larmor-Präzession – 62 Resonanz: HF-Anregung und freier Induktionszerfall – 63 Spindichte, Relaxationszeiten, Sättigung und der MR-Kontrast – 65
2.3
MR-Bildgebung und die MR-Sequenz – 65
2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6
Schichtanregung und räumliche Kodierung – 66 Einfluss der Messparameter auf die Bildqualität – 68 MR-Echos: Spin-Echo und Gradienten-Echo – 69 Schnelle MRT: EPI (echoplanare Bildgebung) – 70 3D-Sequenzen: strukturelle MRT – 70 Abbildungsfehler (Artefakte) – 71
2.4
Komponenten eines MR-Tomographen – 72
2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.4.5 2.4.6 2.4.7
Supraleitender Magnet – 73 Hochfrequenz- und magnetische Abschirmung – 73 »Shimming« und Shim-Spulen – 74 Gradientenspulen – 74 Hochfrequenzspulen – 74 Kontrolleinheit – 75 Peripheriegeräte für die funktionelle MRT – 75
2.5
Sicherheitsaspekte – 75
2.6
Funktionelle MR-Bildgebung (fMRT) – 76
2.6.1 2.6.2 2.6.3
Exogene Kontrastmittel – 76 Perfusionsbasierte fMRT – 76 BOLD-fMRT – 76
2.7
Literatur – 78
62
Kapitel 2 · Grundlagen der MR-Bildgebung
2.2
)) Das folgende Kapitel soll eine Einführung in die Bildgebung mittels (funktioneller) Magnetresonanztomographie geben, die Funktionsweise eines Magnetresonanztomographen erklären und die physikalischen Grundlagen beschreiben. Artefakte können in der fMRT nur zum Teil vermieden werden, was die Kenntnis ihrer Ursachen wichtig macht. Abschließend wird auf den BOLD-Effekt eingegangen, der in der fMRT genutzt wird.
2
2.1
Einführung
Die Methode der Magnetresonanztomographie (MRT) wurde 1973 unabhängig voneinander von den mittlerweile mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Lauterbur und Mansfield entdeckt und hat seitdem eine rasante Entwicklung genommen (Lauterbur 1973; Mansfield u. Grannell 1973). Heute gehört die MRT praktisch in jedem größeren Krankenhaus zur klinischen Routine. Doch auch in ganz anderen Bereichen, wie z. B. Qualitätskontrolle von Lebensmitteln, Porositätsbestimmung von Gesteinen oder zur Beobachtung von Tierversuchen in der Pharmaindustrie, wird die MRT eingesetzt. Die Stärke der MRT beruht darauf, dass über die sorgsame Wahl der Messparameter Bilder mit unterschiedlichsten (Gewebe-)Kontrasten dargestellt werden können. Man spricht dann von einer (qualitativen) Gewichtung der Bilder; z. B. werden Diffusions-, Protonendichte- oder Relaxationszeit-gewichtete Bilder in der klinischen Routine eingesetzt. Seit ca. 10 Jahren werden mittels MRT funktionelle Untersuchungen am Gehirn durchgeführt; man spricht dann von der funktionellen MRT (fMRT). Bei dem dabei gebräuchlichsten Verfahren, der BOLD-fMRT, macht man sich zu nutze, dass die MRT-Untersuchung durch den Oxygenierungsgrad des Hämoglobins beeinflusst wird und somit Hirnaktivität abgebildet werden kann. Um in diese spannende, aber auch hochgradig interdisziplinäre Wissenschaft (Physik, Neurobiologie, Medizin, Psychologie, Informatik etc.) erfolgreich einzusteigen, ist ein grundlegendes Wissen in diesen Teilgebieten unabdingbar. Insbesondere aufgrund der hohen Flexibilität der MRT muss die Bearbeitung und Interpretation der Daten mit großer Sorgfalt erfolgen, was ohne ein tieferes Verständnis der MR-Physik, MR-Sequenzen, MR-Hardware, Physiologie und Datenverarbeitung kaum möglich ist. Aus diesem Grunde gibt dieses Kapitel eine kurze Einführung (s. a. Weishaupt et al. 2001) in die Physik der MRT, wobei hier stets besonders auf den Zusammenhang zur funktionellen MRT eingegangen wird.
Das MR-Phänomen
> Definition Beim Spin handelt es sich um eine physikalische Eigenschaft subatomarer Teilchen (Protonen, Neutronen, Elektronen usw.). Spin ist somit eine charakteristische physikalische Größe ähnlich wie es auch Masse oder Ladung sind; mit dem Unterschied, dass Spin in der makroskopischen Welt nicht direkt beobachtbar ist.
Eine Methode, um den Spin der Atomkerne makroskopisch sichtbar zu machen, ist das Phänomen der Magnetresonanz, das die Grundlage für die heutige Kernspintomographie bildet und im Folgenden in seinen Grundzügen erläutert wird.
2.2.1 Spin, Kernmagnetisierung
und Larmor-Präzession Das Wasserstoffatom ist aufgrund seiner Häufigkeit im menschlichen Organismus in der medizinischen Kernspintomographie von vorrangigem Interesse. Alle weiteren Ausführungen beschränken sich deshalb auf den Kern des Wasserstoffatoms, d. h. auf ein einzelnes Proton. Der Spin bzw. Eigendrehimpuls des Protons erzeugt (in Einklang mit der Elektrodynamik über bewegte Ladungen) ein magnetisches Wirbelfeld. Die Stärke des Kernspinmagnetismus wird physikalisch über das magnetische Moment ausgedrückt, das wiederum vom Spinzustand sowie der Art des Atomkerns abhängig ist. Letzteres wird durch das sog. gyromagnetische Verhältnis J beschrieben. Befindet sich nun ein Proton in einem äußeren magnetischen Feld, so präzediert das magnetische Moment um die Achse der Feldrichtung (. Abb. 2.1) mit einer Kreisfrequenz Z, die durch das Produkt aus der magnetischen Flussdichte B0 und dem gyromagnetischen Verhältnis J bestimmt ist. ! Die sog. Larmor-Gleichung gibt die Präzessionsfrequenz (Larmor-Frequenz) der Spins in einem Magnetfeld an: ω = γ × B0
. Abb. 2.1. Das magnetische Moment eines Protons präzediert um ein statisches Magnetfeld B0, ähnlich einem Kreisel, der um die Achse der Gravitationswirkung rotiert
63 2.2 · Das MR-Phänomen
Da Frequenzen in Hertz und die Flussdichte des Magnetfelds in Tesla angegeben werden, hat J die Einheit Hertz/ Tesla. Für Protonen beträgt J 42,52 MHz/T, ein hoher Wert im Vergleich zu allen anderen Atomkernen. Nun ist die Larmor-Frequenz auch proportional zur Energie der elektromagnetischen Wellen, die mit dem Verfahren der Kernspinresonanz erzeugt und gemessen werden können. Somit sind Wasserstoffkerne auch aus physikalischer Sicht sehr gut geeignet für die Kernspintomographie. ! Frequenz und Energie und somit auch die Signalintensität nehmen mit der Magnetfeldstärke zu. Da die zu detektierenden Signalunterschiede in der funktionellen MRT sehr klein sind (7 Kap. 2.6.3), sind hier große Feldstärken von Vorteil. Anstelle der klinisch üblichen 1,5 T werden in der fMRT vermehrt Feldstärken von 3 T und mehr verwendet.
Eine exakte physikalische Beschreibung der Kernmagnetresonanz erlaubt die Quantenmechanik. Jedoch sind viele Vorgänge auch mit einer reduzierten klassischen Betrachtungsweise möglich, bei der anstatt der einzelnen Spins (sowie ihren Wechselwirkungen) lediglich der summierte magnetische Effekt benachbarter Spins betrachtet wird. Aus der vektoriellen Summe einzelner magnetischer Momente wird eine effektive Magnetisierung berechnet, die sog. makroskopische Magnetisierung M0 (7 Box 2.1), die dann für die Beschreibung einer Vielzahl von Phänomenen
ausreichend ist. Im folgenden Abschnitt wird gezeigt, wie mit Hilfe der makroskopischen Magnetisierung die Entstehung eines elektromagnetischen Signals beschrieben werden kann.
2.2.2 Resonanz: HF-Anregung und freier
Induktionszerfall Wie im letzten Abschnitt erläutert, wird in einem protonenreichen Probenvolumen in einem starken äußeren Magnetfeld eine messbare makroskopische Magnetisierung erzeugt. Diese kann jedoch nicht direkt mit einem MR-Tomographen gemessen werden: Im thermischen Gleichgewicht, d. h. nach Einbringen der Probe in das Magnetfeld (bzw. des Patienten in den Tomographen) und Ausrichtung aller Spins entsprechend der Bolzmann-Verteilung, gibt es keine weiteren Wechselwirkungen. Dies kann jedoch durch einen elektromagnetischen Hochfrequenzpuls (HF-Puls) erreicht werden. > Definition Der Hochfrequenzpuls ist ein elektromagnetischer Anregungspuls, dessen Frequenz exakt auf der Präzessionsfrequenz des präzedierenden Spins (Larmor-Frequenz) erfolgen muss. Man spricht dann von einer Resonanzbedingung.
Box 2.1. Bolzmann-Verteilung und makroskopische Magnetisierung Ohne ein äußeres Magnetfeld sind die Orientierungen der Spins in einem Körper vollkommen zufällig verteilt. Im MR-Tomographen richten sich jedoch alle magnetischen Momente entweder parallel oder antiparallel zur Feldrichtung aus, die wir in einem kartesischen Koordinatensystem als z-Richtung bezeichnen. Aufgrund der zufälligen Verteilung der Spinpräzession existiert keine Komponente des magnetischen Moments innerhalb der x-y-Ebene. Da die parallele Ausrichtung (magnetisches Moment und äußeres Magnetfeld zeigen in die gleiche Richtung) energetisch günstiger ist, existieren mehr parallel als antiparallel orientierte Spins. Das Besetzungsverhältnis der beiden Energiestufen (Anzahl parallel orientierter Spins zur Anzahl antiparallel orientierter Spins), Nnn/Nnp, hängt vom Grad der thermischen Fluktuationen ab und wird durch eine Bolzmann-Verteilung beschrieben (hierbei ist h die Plank- und k die Bolzmann-Konstante): Nnn/Nnp = e J h B / (2 S k T) Bei Raumtemperatur (T=310° Kelvin) und Feldstärken typischer klinischer Kernspintomographen (B=1,5 T) erhält man ein Besetzungsverhältnis von lediglich 5 ppm (parts per million). Dieser geringe Überschuss parallel orientierter Spins bewirkt eine Polarisation der Spins. Die Superposition aller magnetischer Momente in einem be-
trachteten Probenvolumen VP wächst zu einer messbaren makroskopischen Gesamtmagnetisierung M0 an: M0 v B0 J2/(3kT) (Nnn–Nnp)/VP
M0 ist somit proportional zur Feldstärke B0 und zur Protonendichte. Letztere gibt an, wie viele Protonen sich innerhalb des Probenvolumens befinden, und ist somit ein gewebespezifisches Maß von direkter medizinischer Bedeutung.
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Kapitel 2 · Grundlagen der MR-Bildgebung
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. Abb. 2.2. Durch Wechselwirkung mit einem elektromagnetischen Hochfrequenzpuls rotieren die Spins um 90q. Deshalb ist auch die
makroskopische Nettomagnetisierung nun nicht länger parallel sondern senkrecht zum statischen Magnetfeld B0
Allerdings ist der HF-Puls senkrecht zum Hauptfeld B0 polarisiert, d. h. der Magnetisierungsvektor des HF-Pulses rotiert mit der Larmor-Frequenz in der x-y-Ebene im gleichen Drehsinn. Trotz der im Vergleich zum B0-Feld geringen Amplitude des HF-Pulses ist dieser aufgrund der erfüllten Resonanzbedingung in der Lage, die magnetischen Momente der Protonen aus ihrer Gleichgewichtslage auszulenken. Der Einfluss des HF-Pulses akkumuliert und rotiert so die Spins in die x-y-Ebene. Demnach ist auch die Superposition, d. h. die makroskopische Magnetisierung nicht mehr parallel zum B0-Feld orientiert (. Abb. 2.2). Der Drehwinkel ist dabei über Dauer und Stärke des HF-Pulses determiniert. Man kann also z. B. erreichen, dass alle magnetischen Momente genau um 90° auf die x-Achse gedreht werden. Die makroskopische Magnetisierung liegt nun als sog. transversale Magnetisierung Mxy vor und folgt ebenfalls den physikalischen Gesetzen eines magnetischen Moments in einem äußeren Magnetfeld, d. h. Mxy rotiert um die z-Achse. Allerdings werden gleichzeitig die Spins zurück in ihre Gleichgewichtslage parallel zum Hauptfeld geführt, so dass die makroskopische Magnetisierung entlang der z-Achse zunimmt unter gleichzeitiger Abnahme der transversalen Magnetisierung Mxy (. Abb. 2.3). Bei diesem Vorgang wird elektromagnetische Strahlung mit der Larmor-Frequenz emittiert, die mit Hilfe einer Spule
über das Faradaysche Induktionsgesetz gemessen werden kann (. Abb. 2.4; gleiches Prinzip wie ein Fahrrad-Dynamo!). Das empfangene Signal ist proportional zu Mxy. Die zeitliche Signalabnahme kann dabei gewebespezifisch über die MR-Messparameter variiert werden; dieses Phänomen erlaubt die für das MR-Verfahren typischen reichhaltigen Möglichkeiten zur Wahl des Bildkontrastes (7 Kap. 2.2.3).
a
b . Abb. 2.3. Nach Abschalten des HF-Pulses rotiert die makroskopische Magnetisierung zurück in die Gleichgewichtslage (thermisches Gleichgewicht). Der Vektor beschreibt dabei eine Art Helix. Seine transversale Komponente Mxy erzeugt ein messbares elektromagnetisches Signal
. Abb. 2.4. a Durch Anbringen einer Spule senkrecht zur z-Achse (bzw. des B0-Feldes) kann die transversale Magnetisierung gemessen werden. b Das so generierte MR-Signal wird als »free induction decay« (FID) bezeichnet und gleicht einer exponentiell gedämpften Schwingung
65 2.3 · MR-Bildgebung und die MR-Sequenz
2.2.3 Spindichte, Relaxationszeiten,
Sättigung und der MR-Kontrast Die Computertomographie ermöglicht Bildgebung über den Kontrast des Absorptionskoeffizienten der Röntgenstrahlung. Die medizinische und klinische Bedeutung der MRT ergibt sich aus der Tatsache, dass sie über verschiedene Parameter eine Bildgebung mit unterschiedlichsten Kontrasten erlaubt. > Definition Die vier wichtigsten gewebespezifischen Parameter für die Kontrastgebung sind Protonendichte U, Längsrelaxationszeit T1 und die Querrelaxationszeiten T2 und T2*. Die Protonendichte ist ein Maß für die Anzahl der im Gewebe vorhandenen Wasserstoffkerne (7 Kap. 2.2.1). Die Längsrelaxationszeit T1 gibt die Zeit nach einem HFPuls an, nach der sich der e-te Teil der Längsmagnetisierung M0 wieder neugebildet hat. Die Querrelaxationszeit T2 beschreibt die Zeit nach Anregung durch den HF-Puls, nach der noch der e-te Teil der transversalen Magnetisierung vorhanden ist.
Die Relaxationszeiten beschreiben die »Beweglichkeit« der Moleküle im Gewebe bzw. die quantenmechanischen Wechselwirkungen der Wasserstoffkerne mit der Umgebung. Alle Relaxationsmechanismen lassen sich durch eine exponentielle Zeitabhängigkeit beschreiben: T1 gibt die Zeit nach einem HF-Puls an, nach der sich der e-te Teil der Längsmagnetisierung M0 wieder neugebildet hat. Bei diesem Prozess werden Energien der Spins an das Molekülgitter in der Umgebung abgegeben, weshalb man auch von Spin-Gitter-Relaxation spricht. Magnetisierung, die nicht parallel zu B0 ausgerichtet ist, erfährt T1-Relaxation. T1-gewichtete Bilder sind insbesondere in der funktionellen MRT von großem Interesse, da graue und weiße Hirnsubstanz sich in diesem Parameter deutlich unterscheiden und somit kontrastreich abgebildet werden können (7 Kap. 2.3.5). In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Bedeutung der T1-Relaxation für jede MR-Aufnahme zu erwähnen: Erst nach vollständiger T1-Relaxation kann wieder die volle makroskopische Magnetisierung mittels eines HF-Puls in transversale Magnetisierung umgewandelt und so zur Generierung des MR-Signals genutzt werden. Da für eine MRAufnahme viele HF-Pulse benötigt werden (s. unten), darf die zeitliche Abfolge der Pulse nicht zu dicht sein. Ist diese sog. Repetitionszeit TR zu klein, so kann sich jeweils nur ein Teil der Längsmagnetisierung zurückbilden; somit wird das damit generierte MR-Signal schwächer. Dieses Phänomen wird als T1-Sättigung bezeichnet und ist von fundamentaler Bedeutung für jedes MRT-Messverfahren. T1-gewichtete Messungen machen sich genau diesen Effekt zu Nutze und lassen eben keine vollständige Relaxation zu, so dass Gewebe mit einem kurzen T1 geringere Sättigung aufweisen und somit heller abgebildet werden als Gewebe mit einem langen T1.
Wird über den HF-Puls die transversale Komponente Mxy erzeugt, so erfährt diese eine sog. Querrelaxation T2. Hier wird durch Wechselwirkung der Wasserstoffkerne untereinander die Phasenkohärenz (oder in anderen Worten, das »synchrone Präzedieren«) der Spins aufgehoben und somit verringert sich der summierte Effekt, d. h. die transversale Magnetisierung Mxy. Man spricht von Spin-SpinRelaxation. Die Relaxationszeit T2 beschreibt also die Zeit nach Anregung durch den HF-Puls, nach der noch der e-te Teil der transversalen Magnetisierung vorhanden ist. ! Das Kontrastverhalten von MR-Bildern, die sensitiv auf T1- oder T2-Relaxationsprozesse sind, ist sehr verschieden. Während in T1-gewichteten Aufnahmen fettreiches Gewebe hell und Flüssigkeiten dunkel erscheinen, bilden T2-gewichtete Aufnahmen Flüssigkeiten hell und Fett intermediär ab.
Für die Dephasierung der Spins innerhalb der x-y-Ebene gibt es jedoch noch einen weiteren Grund. Für ein synchrones Präzedieren ist wie beschrieben ein absolut homogenes Magnetfeld erforderlich, damit die Larmor-Frequenzen aller Spins identisch sind. Dies ist einerseits aufgrund der technischen Realisierung von Magnetfeldern dieser Stärke, andererseits aufgrund der magnetischen Eigenschaften der zu untersuchenden Probe (bzw. des Patienten) nicht möglich. Letzteres sorgt dafür, dass lokale Magnetfeldänderungen innerhalb der Probe genau an den Stellen groß werden, wo sich die magnetischen Eigenschaften ändern, z. B. an Gewebekontaktflächen. Dort dephasieren die Spins schneller – die Zeitkonstante des exponentiellen Signalabfalls wird mit T2* bezeichnet und ist immer kleiner als T2. T2*-gewichtete MR-Bilder sind also sensitiv gegenüber Änderungen in den magnetischen Eigenschaften der Probe – dieser Umstand wird bei der funktionellen MRT ausgenutzt, um Hirnaktivität mittels des BOLD-Effekts abzubilden (7 Kap. 2.6). Der hier entscheidende physikalische Parameter ist die magnetische Suszeptibilität, der angibt, in welcher Art und Stärke ein Material oder Gewebe ein Magnetfeld beeinflusst. Als Beispiel für die starke Abhängigkeit des Bildkontrastes von den Relaxationszeiten zeigt . Abb. 2.5 drei axiale Aufnahmen des menschlichen Gehirns: Protonendichte-, T1 (Längsrelaxation)- und T2 (Querrelaxation)-gewichtet.
2.3
MR-Bildgebung und die MR-Sequenz
Die bisherige Beschreibung des MR-Phänomens erläutert lediglich das Verfahren zur Gewinnung des MR-Signals aus einer Gesamtheit von Protonen in einer Probe, nicht jedoch die Bildgebung mit MR. Dabei handelt es sich um die Messung des MR-Signals aus kleinen wohldefinierten Volumina innerhalb der Probe, den sog. Voxeln (das dreidimen-
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Kapitel 2 · Grundlagen der MR-Bildgebung
. Abb. 2.5. Die Wahl des MR-Bildkontrastes erfolgt durch Gewichtung nach den Gewebeparametern T1 (Längsrelaxation), T2 (Querrelaxation) oder U (Protonendichte). Die verschiedenen Gewichtungen können z. B. durch Variation der Echozeit TE und Repetitionszeit TR der Spin-Echo-Sequenz erfolgen (7 Kap. 2.2.3)
sionale Pendant zum Pixel). Dazu benötigt man die sog. Gradientenspulen. ! Die Gradienten sorgen dafür, dass dem bisher als zeitlich und räumlich statisch angesehenen starken äußeren Magnetfeld B0 ein räumlich linear variierendes schwaches Magnetfeld überlagert wird. Dadurch lassen sich die Larmor-Frequenzen der Protonen in wohldefinierter Abhängigkeit von ihrer räumlichen Lage unterscheiden. Durch eine Frequenzanalyse (Fourier-Analyse) des gemessenen MR-Signals kann dann die jeweilige Raumposition der verschiedenen Frequenzanteile rekonstruiert werden.
2.3.1 Schichtanregung und räumliche
Kodierung Bei einer üblichen MRT-Messung kann das Verfahren zur Kodierung von Rauminformation mittels der Gradientenspulen in drei Schritte unterteilt werden, die in der Regel zeitlich nacheinander erfolgen. Schichtselektion. Zunächst werden mittels der Schichtselektion lediglich innerhalb einer Schicht (von wohldefinierter Dicke) die Spins von dem HF-Puls aus ihrer Gleichgewichtslage ausgelenkt, so dass die entstehende transversale Magnetisierung Mxy allein von den Protonen innerhalb dieser Schicht erzeugt wird. Dafür wird zeitgleich zum HF-
Puls ein Gradient geschaltet, der dafür sorgt, dass nur die Protonen innerhalb der Schicht mit der Resonanzfrequenz präzedieren – außerhalb der Schicht liegen dann die Larmor-Frequenzen aufgrund des überlagerten Gradientenfeldes soweit entfernt von der Hauptfrequenz des HF-Puls, dass die Resonanzbedingung nicht länger erfüllt ist. Hauptfrequenz heisst dabei, dass der HF-Puls eben nicht eine einzelne Frequenz beinhaltet, sondern ein ganzes Frequenzband um diese Hauptfrequenz trägt. Die Breite des Frequenzbandes sowie die Stärke des Gradientenfeldes bestimmen dann die Schichtdicke (. Abb. 2.6a). Frequenzkodierung. Nun muss noch innerhalb der Schicht die Raumlage der einzelnen Anteile des MR-Signals bestimmt werden. Für diese sog. Frequenzkodierung entlang einer Raumrichtung in der Schicht, z. B. der x-Richtung, wird dazu zeitgleich zur Signalaufnahme erneut das Gradientenfeld angeschaltet. Dies hat zur Folge, dass die Protonen entlang dieser Raumrichtung mit unterschiedlichen LarmorFrequenzen präzedieren und demzufolge auch elektromagnetische Strahlung unterschiedlicher Frequenz emittieren. Wie oben bereits angesprochen, kann hinterher das gemessene MR-Signal mittels der Fourier-Analyse in seine verschiedenen Frequenzanteile zerlegt werden und so Abschnitten entlang der x-Achse zugeordnet werden (. Abb. 2.6c). Phasenkodierung. Damit bleibt noch die Kodierung in y-Richtung bzw. die Ortskodierung senkrecht zur Raum-
67 2.3 · MR-Bildgebung und die MR-Sequenz
a
c b . Abb. 2.6a–c. Prinzip der Ortskodierung. a Schichtselektion: Die Resonanzfrequenz ist so auf das Gradientenfeld abgestimmt, dass lediglich Protonen in einer Schicht der Dicke 'z angeregt werden. b Phasenkodierung: Ein kurzes Anschalten des Feldes bewirkt eine Phasenverschiebung der Spins gegeneinander. Ist der Gradient stärker, so ist die bleibende Phasenverschiebung größer. c Frequenzkodierung: Ein
richtung der Frequenzkodierung. Dies wird mittels der sog. Phasenkodierung erreicht, die zeitlich zwischen Schichtselektion und der Frequenzkodierung stattzufinden hat. Hier wird der Gradient in y-Richtung nur für einen kurzen Moment angeschaltet. Da während des angeschalteten y-Gradienten die Spins entlang der y-Achse mit unterschiedlicher Frequenz präzedieren, unterscheiden sich die Phasenlagen in wohldefinierter Abhängigkeit von der Position entlang der y-Achse unterschiedlich (. Abb. 2.6b). Nun ist jedoch das gemessene MR-Signal ein Summensignal mit einer überlagerten Phase, aus der sich nicht alle Phasenanteile rekonstruieren lassen. Deshalb wird der gesamte Vorgang (Schichtselektion o Phasenkodierung o Frequenzkodierung) mehrfach wiederholt mit unterschiedlich starkem y-Gradient, so dass nach jedem Schritt unterschiedliche Phasendifferenzen der Spins erzeugt werden. Eine Änderung der Phasendifferenz beschreibt aber genau die Frequenz, so dass die wiederholten Messungen mit variabler Phasenkodierung im Prinzip wieder eine Frequenzkodierung, aber nun entlang der noch verbleibenden Raumdimension, der y-Achse, ergeben. Aus allen Messungen kann dann mittels der Fourier-Analyse entlang der x- und y-Achse das Bild rekonstruiert werden; man spricht von einer zweidimensionalen Fourier-Transformation (2D-FT).
Gradientenfeld während der Signalaufnahme führt zu einer ortsabhängigen Frequenzvariation. Die Schritte a–c werden nacheinander ausgeführt. Für jede Gradientenstärke der Phasenkodierung muss der gesamte Vorgang wiederholt werden. (Zur Anschauung wurde das Objekt [der Wasserzylinder] entlang der jeweiligen Raumrichtung orientiert)
der Repetitionszeit, bestimmt im Wesentlichen die Dauer einer gesamten MRT-Bildaufnahme. Hingegen ist die Anzahl der Bildpunkte in x-Richtung durch die Anzahl der Punkte des digitalisierten MR-Signals gegeben, das während der Frequenzkodierung aufgenommen wird. Sie wird bestimmt durch die sog. Abtastfrequenz oder Sample-Rate des Analog-DigitalWandlers, der das analoge MR-Signal zur weiteren Verarbeitung im Computer digitalisiert (7 Kap. 2.4). Durch Überlagerung aller drei Gradienten (x-, y- und z-Richtung) können beliebig orientierte Schichten innerhalb der Probe (des Patienten) selektiv angeregt und in diesen Phasen- und Frequenzkodierung durchgeführt werden.
Die Kunst bei der Entwicklung von MR-Sequenzen besteht nun darin, in einer effizienten Art und Weise HF-Pulse und Gradientenfelder zu schalten, so dass die Gewebekontraste von Interesse deutlich abgebildet werden unter Berücksichtung einer möglichst kurzen Messzeit. Die Beziehung zwischen MR-Sequenz, MR-Signal und dem MR-Bild wird in 7 Box 2.2 zusammenfassend dargestellt. Eine umfassende physikalische Beschreibung der Methode findet man z. B. bei Haacke et al. (1999). > Definition
! Die Anzahl der Bildpunkte in y-Richtung wird durch die Anzahl der Messwiederholungen bzw. Phasenkodierungen bestimmt. Diese Zahl, multipliziert mit 6
Mit k-Raum wird der konjugierte Bildraum der Raumfrequenzen bezeichnet, in dem das MR-Signal aufgenommen wird. Durch Fourier-Transformation des kRaum-Signals erhält man das MR-Bild.
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Kapitel 2 · Grundlagen der MR-Bildgebung
Box 2.2. Von der MR-Sequenz zum MR-Bild
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Die MR-Pulssequenz beschreibt die zeitliche Abfolge der räumlichen Magnetfeldgradienten zur Ortskodierung und der Hochfrequenzpulse zur Signalanregung. Der Gradient zur Frequenzkodierung liefert eine Zeile in der Matrix der Raumfrequenz-Informationen der selektierten Schicht. Der gleiche Vorgang wird mit variierender Stärke des »Phasen-Gradienten« Ny-mal wiederholt, wobei Ny die Anzahl der Zeilen in der Matrix ist. Nachdem die komplette Matrix der Raumfrequenz-Informationen gemessen wurde, wird sie mittels der zweidimensionalen Fourier-Transformation (2D-FT) in das MR-Bild übersetzt. Man nennt dies den Übergang vom k-Raum, in dem die Messdaten aufgenommen werden, in den Bildraum. Mit der Variablen k wird die Raumfrequenz bezeichnet. Mathematisch betrachtet, ist das MR-Signal S (bzw. die gesamte aufgenommene Matrix) eine Funktion der Raumfrequenzen (kx, ky) und wird durch die 2D-FT in Ortsinfomation (x, y) umgewandelt:
2.3.2 Einfluss der Messparameter
auf die Bildqualität Abgesehen von den für das MR-Verfahren typischen Abbildungsfehlern (7 Kap. 2.3.6) ist das sog. Signal-RauschVerhältnis (SNR, »signal-noise-ratio«) der entscheidende Parameter, der über die Bildqualität entscheidet. Jedes physikalische Messverfahren ist mit Fehlern behaftet. Bei der MR-Bildgebung stehen die typischerweise zufällig
gemessen im k-Raum: S=S(kx,ky) 2D-FT MR-Bild: S=S(x,y) Die Gradientenschaltung der MR-Sequenz beschreibt, wie die Daten im k-Raum aufgenommen werden. Dies skizzieren wir am Beispiel einer einfachen MR-Sequenz. Bestandteile sind das Pulsdiagramm und die zugehörige k-RaumTrajektorie. Links oben: zeitliche Schaltung von Hochfrequenzpuls (HF), Schichtselektionsgradient (Gz), Phasenkodiergradient (Gy) und Frequenzkodiergradient (Gx). Die mehrfachen Linien bei Gy bedeuten eine Wiederholung der gesamten Pulsfolge für jeden Phasenkodierschritt. Rechts oben: Im k-Raum entspricht jede Wiederholungsmessung einer Zeile mit unterschiedlichem Abschnitt auf der ky-Achse. Die Flächen unter der Gradientenpulsform bestimmen die Position im k-Raum. Nur während der Frequenzkodierung (dies entspricht den Pfeilen von links nach rechts) wird das Signal aufgenommen und so der k-Raum mit Daten gefüllt. Unten: Messdaten im k-Raum und Bildraum am Beispiel einer axialen Schicht durch das menschliche Gehirn.
verteilten Signalschwankungen in einem bestimmten Verhältnis zu dem erwünschten MR-Signal, das ein idealer Tomograph aufnehmen würde. Faktoren, die das SNR bestimmen sind zum einen die verwendete Hardware, d. h. der MR-Tomograph an sich, und zum anderen die verwendete MR-Sequenz. Es empfiehlt sich, eine gewisse Vorstellung zu haben, in welcher Weise sich das SNR ändert, wenn die Messparameter verändert werden. Im Folgenden soll kurz auf einige Parameter eingegangen wer-
69 2.3 · MR-Bildgebung und die MR-Sequenz
2.3.3 MR-Echos: Spin-Echo
und Gradienten-Echo Wie beschrieben, klingt das MR-Signal nach der HF-Anregung exponentiell ab, und zwar mit der Relaxationszeit T2*. Es ist jedoch wünschenswert, das Signalmaximum nicht direkt nach dem HF-Puls sondern während der Signalauslesung, d. h. nach Schichtselektion und Phasenkodierung und während der Frequenzkodierung zu erhalten. Dies ist mit sog. MR-Echos möglich.
. Abb. 2.7. Das MR-Bild ist eine Matrix, die einzelnen Elemente werden als Voxel bezeichnet. Dies sind kleine Würfel, deren Tiefe 'z der Schichtdicke entsprechen. Hier wurde absichtlich ein Beispiel gewählt, das das für die MRT typische »Fold-over«-Artefakt zeigt, hier sichtbar in Form der Nase, die am anderen Bildrand hineinragt (eine Erklärung dafür findet sich in 7 Kap. 2.3.6)
den, die praktisch bei jeder MR-Sequenz von Bedeutung sind. Die Repetitionszeit TR, d. h. die Zeit zwischen zwei Anregungen mittels HF-Puls, ist ein entscheidender Parameter. Zum einen bestimmt sie die Messzeit und man möchte sie deshalb klein wählen. Andererseits verhindert dies u. U. eine komplette T1-Relaxation, so dass die nächste Anregung ein geringeres MR-Signal ergibt. Das SNR wird also mit abnehmenden TR kleiner. Das MR-Bild liegt als Matrix vor: Die Größe der einzelnen Bildpunkte, der Voxel, bestimmt die Auflösung (. Abb. 2.7). Das Sichtfeld, das einen Ausschnitt aus dem maximal messbaren Bereich (gegeben durch die Spulendimensionen) und somit die Größe des Bildes in Millimeter bestimmt, wird als »field of view« (FoV) bezeichnet (bei nicht quadratischem FoV ist er für beide Bildachsen anzugeben). Verringert man die Voxel-Dimensionen (dies entspricht einer Erhöhung der Auflösung), so vermindert sich die Zahl der Spins pro Voxel, die zum MR-Signal beitragen, und somit das SNR. Allerdings muss diese Abhängigkeit nicht beliebig weit gelten: Die EPI-Sequenz der funktionellen MRT (7 Kap. 2.3.4) ist lokal von Suszeptibilitätsartefakten behaftet (7 Kap. 2.3.6), die mit zunehmender Voxel-Größe stärker werden und somit lokal das SNR wiederum vermindern können.
Spin-Echo-Verfahren. Das Spin-Echo-Verfahren ermöglicht es, die T2*-Dephasierung der Spins rückgängig zu machen. Dafür wird nach einer Zeit TE/2 nach dem 90°-HFPuls ein weiterer HF-Puls, allerdings diesmal ein 180°-Puls, erzeugt. Dieser bewirkt, dass die Spins ihre Orientierung genau so vertauschen, dass die aufgrund von Feldinhomogenitäten »vorauseilenden« Spins nun einen entsprechenden Phasenrückstand aufweisen. Also sind alle Spins nach der sog. Echozeit TE (gemessen ab dem 90°-Puls) wieder gleichphasig und somit das MR-Signal maximal. Dieses Verfahren kompensiert jedoch nicht die T2-Relaxation, so dass Spin-Echo-Sequenzen sehr gut für T2-gewichtete MRAufnahmen geeignet sind. Für die Wirkungsweise des 180°Puls bei der Spin-Echo-Sequenz wird gerne der Vergleich zu einem 400-Meter-Rennen herangezogen: Nimmt man an, dass alle Läufer mit unterschiedlichen aber konstanten Geschwindigkeiten laufen und lässt sie nach der Zeit TE/2 die Richtung umkehren, so landen alle wieder exakt zeitgleich zum Zeitpunkt TE am Start. Dieser Vergleich ist nur bedingt richtig, da der 180°-Puls nicht die Orientierung der Bewegung, sondern die der Spins ändert – übertragen auf das Beispiel würde das heißen, dass die Läufer von Geisterhand ihre Positionen genau so tauschen, dass aus jedem Vorsprung ein entsprechender Rückstand wird. Dies ist durch eine 180°-Drehung jedes Spins (bzw. Läufers) entlang einer Achse innerhalb der Rotationsebene der Spins (bzw. innerhalb der Laufbahn-Ebene) möglich, z. B. die x- oder y-Achse in der in diesem Kapitel gewählten Notation (. Abb. 2.8). Gradienten-Echo. Im Gegensatz zum Spin-Echo ist das sog.
Gradienten-Echo kein Verfahren, um den T2*-Abfall des Signals zu kompensieren. Stattdessen wird mittels eines Gradienten, der für eine noch wesentlich schnellere Dephasierung der Spins sorgt als durch die oben beschriebenen Querrelaxations-Mechanismen, das Signal zunächst geschwächt, um danach mittels eines exakt umgekehrt wirkenden Gradienten die Dephasierung rückgängig zu machen. Somit steigt das Signal wieder an, und das Maximum kann exakt in die Mitte der Auslesezeit gelegt werden. Insofern sind Gradienten-Echo-Sequenzen zunächst immer T2*-gewichtet. Gegenüber Spin-Echo-Sequenzen haben sie den Vorteil, dass sie in der Regel wesentlich schneller sind. Die in 7 Box 2.2 dargestellte Sequenz ist eine Gradienten-
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Kapitel 2 · Grundlagen der MR-Bildgebung
. Abb. 2.8. Wirkungsweise des Spin-Echos. Nach dem 90°-Puls haben die Spins gleiche Phasenlage. Es findet eine Dephasierung aufgrund von Feldinhomogenitäten statt. Ein 180°-HF-Puls nach der Zeit TE/2 bewirkt eine Drehung um eine Achse senkrecht zur Drehachse der Spinpräzession. Dies vertauscht die Positionen genau so, dass aus einem Vorsprung ein entsprechender Rückstand wird. Nach der Zeit TE sind die Spins dann wieder gleichphasig
Echo-Sequenz. Eine Abwandlung der Gradienten-EchoSequenz für besonders schnelle Bildgebung wird im nächsten Abschnitt vorgestellt. ! Mit abnehmender Repetitionszeit wird SNR kleiner, mit abnehmender Echozeit größer.
2.3.4 Schnelle MRT:
EPI (echoplanare Bildgebung) Die echoplanare Bildgebung (EPI, »echo planar imaging«) ermöglicht es, eine Schicht in weniger als 1/10 Sekunde aufzunehmen (Mansfield 1977). Diese Geschwindigkeit ist für die funktionelle MRT besonders geeignet, da die Hirnaktivität mit hoher zeitlicher Auflösung abgebildet werden kann. Im Gegensatz zur normalen Gradienten-Echo- oder Spin-Echo-Sequenz wird nicht für jede Phasenkodierung ein neuer HF-Puls ausgespielt, sondern es werden alle Phasen- und Frequenzkodierschritte in einer Schicht mittels sehr schnell geschalteter Gradienten nach einer einzigen 90°-Anregung durchgeführt; deshalb spricht man auch von »Single-shot«-Sequenzen. Allerdings ist die Auflösung der EPI-Sequenz in der Regel gering im Normalfall wird eine Schicht mit 64u64 Bildpunkten aufgenommen, maximal sind 128u128 Bildpunkte sinnvoll mit der zur Zeit gängigen Technik. Diese Limitierung ergibt sich aus der Tatsache, dass nach der Anregung das MR-Signal durch den T2*-Abfall schnell abklingt und keine Zeit bleibt für eine große Anzahl von Phasen- und Frequenzkodierungen. Das MRPulsdiagramm sowie die zugehörige k-Raum-Trajektorie der EPI-Sequenz sind in . Abb. 2.9 dargestellt. Da der gesamte Vorgang lediglich ca. 30–100 ms dauert, sorgt die extrem schnelle Umschaltung des x- und y-Gradienten für die typische Lautstärkebelastung der EPI-Sequenz.
! Die schnelle MRT-Bildgebung mittels der EPI-Sequenz hat eine unvermeidbare Verminderung der Bildqualität zur Folge (. Kap. 2.3.6)
2.3.5 3D-Sequenzen: strukturelle MRT Hochauflösende MR-Aufnahmen der anatomischen Struktur werden in der fMRT standardmäßig zusätzlich zu den funktionellen EPI-Daten aufgenommen. Dies wird u. a. deshalb gemacht, um die noch zu besprechenden Abbildungsfehler der EPI-Sequenz teilweise rückgängig zu machen bzw. um über genauere Information zur Anatomie für die neurowissenschaftliche Interpretation der funktionellen Daten zu verfügen. ! Wichtig für strukturelle MR-Sequenzen sind erstens eine hohe Auflösung in akzeptabler Messzeit und zweitens ein guter Kontrast zwischen grauer und weißer Substanz, wobei letzteres über eine T1-Gewichtung möglich ist.
Zuerst genanntes kann insbesondere durch sog. 3D-Sequenzen erreicht werden. Hier wird die Phasenkodierung sowohl in y- als auch in z-Richtung durchgeführt. Dies hat zur Folge, dass das MR-Signal nicht allein von den selektiv in einer Schicht angeregten Protonen herrührt, sondern von allen Protonen innerhalb einer zuvor selektiv angeregten sehr breiten Schicht. Insofern ist das MR-Signal entsprechend stärker und kann daher in mehrere Frequenzbänder zur Ortskodierung unterteilt werden, was dann einer höheren Auflösung der MR-Aufnahme entspricht. Mit 3D-Sequenzen lassen sich T1-gewichtete Aufnahmen mit einer Voxel-Größe von 1u1u1 mm3 des gesamten Gehirns in weniger als 10 min erzielen. Ein häufig verwendetes Verfahren ist die sog. MP-RAGE-Sequenz (»magnetization prepared rapid acquisition gradient echo«).
71 2.3 · MR-Bildgebung und die MR-Sequenz
Es wird zunächst ein 180°-Puls ausgespielt, der die makroskopische Magnetisierung antiparallel zum B0-Feld ausrichtet. In Abhängigkeit vom jeweiligen Gewebe erfahren diese eine jeweils spezifische T1-Relaxation. Nach der sog. Inversionszeit TI wird nun transversale Magnetisierung und damit das MR-Signal erzeugt. Gewebe, das schnell relaxiert hat (z. B. weiße Substanz T1|600 ms) bildet sich dann im MR-Bild heller ab als solches, das langsam relaxiert (z. B. graue Substanz T1|900 ms). Dieses Verfahren wird mit »inversion recovery« bezeichnet. Hierbei wird der 180q-Puls nicht für jede Linie im dreidimensionalen k-Raum ausgeführt, sondern für eine komplette Fläche. Die darauf folgenden HF-Pulse zur Erzeugung transversaler Magnetisierung »klappen« nicht die gesamte makroskopische Magnetisierung in die x-y Ebene, sondern nur einen kleinen Teil, da entsprechend kleinere Flip-Winkel eingesetzt werden ( Definition Der Kernspintomograph ist ein Gerät, das in der Lage ist, Spinpolarisation (und damit makroskopische Magnetisierung) durch ein starkes Magnetfeld zu erzeugen, diese mittels Radiofrequenzpulsen aus der Feldrichtung zu drehen und dann über örtlich variierende Magnetfelder die Präzessionsfrequenzen so zu manipulieren, dass die kleinen oszillierenden messbaren Induktionsströme durch eine Frequenzzerlegung räumlichen Bereichen innerhalb der Probe (bzw. des Probanden) zugeordnet werden können.
Im Weiteren sollen kurz die technischen Feinheiten angesprochen werden, um dieses Ziel mit erforderlicher Genauigkeit zu erreichen (. Abb. 2.10).
73 2.4 · Komponenten eines MR-Tomographen
a
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. Abb. 2.9. Pulsdiagramm der EPI-Sequenz (links oben) und zugehörige k-Raum-Trajektorie (rechts oben). Unten: EPI-Aufnahme in einem
homogenen Wasserzylinder. Rechts mit veränderter Intensitätsskalierung zur Verdeutlichung des Ghost-Artefakts (s. Text)
2.4.1 Supraleitender Magnet
Für die funktionelle MRT sind nur supraleitende Magneten geeignet, da die Messung von Hirnaktivität hohe Feldstärken verlangt. Andere Varianten von MRT-Magneten, wie Permanentmagneten und nicht-supraleitende Spulenmagneten (bis 0,2 T), werden allerdings auch heute noch klinisch eingesetzt, hauptsächlich wegen der reduzierten Kosten.
Starke Magnetfelder (1–4 T, üblicherweise 1,5 T in der klinischen MRT) mit ausreichender Homogenität können durch starke Ströme in einer Spule erzeugt werden. Um Ströme ausreichender Stärke möglichst verlustfrei fließen zu lassen, muss der Widerstand der Spule maximal reduziert werden, d. h. idealerweise gleich Null sein. Dies ist technisch über den Effekt der Supraleitung zu verwirklichen: Ein geeignetes Spulenmaterial (üblicherweise Niobium-Titan) wird in einem Behälter mit flüssigem Helium stark abgekühlt auf –269 °C. Da es nicht möglich ist, das Heliumbad komplett zu isolieren, muss regelmäßig kaltes Helium nachgefüllt werden, was einen großen Teil der hohen Betriebskosten eines MRT-Geräts erklärt.
2.4.2 Hochfrequenz- und magnetische
Abschirmung Die hohe geforderte Homogenität des Magnetfeldes sowie die Tatsache, dass das schwache elektromagnetische MRSignal mit sehr sensitiven Spulen registriert wird, verlangt,
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Kapitel 2 · Grundlagen der MR-Bildgebung
. Abb. 2.10. Schema eines Kernspintomographen. Die Kontrolleinheit steuert die Messung und sendet Gradienten- und Hochfrequenzsignale an die Spulen im Tomographen. Das dort generierte Signal wird empfangen, zurückgesendet und digital zu dem MR-Bild verarbeitet
dass der MR-Tomograph sich in einem komplett abgeschirmten Raum befindet. Dies wird durch einen sog. Faradayschen Käfig erreicht: Der gesamte Raum ist an Wänden, Decken und Boden mit Metall abgeschirmt. Jedes elektrische Signal, das von außen in den Magnetraum geführt werden muss, wird über besonders gefilterte Leiterbahnen geführt, die verhindern, dass äußere Störsignale durch die Kabel in den Magnetraum dringen können. Innerhalb des Magnetraums ist der supraleitende Magnet zusätzlich abgeschirmt, damit das Magnetfeld außerhalb des Tomographen möglichst schnell abklingt. Die Abschirmung wird heutzutage nicht mehr dadurch erreicht, dass der Magnet in einen massiven Eisenblock eingelassen ist (passive Abschirmung), sondern durch Erzeugung eines entgegen gerichteten Magnetfelds, das außerhalb des Tomographen das Hauptfeld kompensiert (aktive Abschirmung). Diese Abschirmung ist insbesondere aus Sicherheitsgründen notwendig (7 Kap. 2.5).
2.4.3 »Shimming« und Shim-Spulen Ein sehr homogenes Magnetfeld ist notwendig, um ein starkes MR-Signal zu erhalten und Abbildungsfehler zu unterdrücken. Bei der Besprechung der Relaxationszeit T2* (7 Kap. 2.2.3) und der Suszeptibilitätsartefakte (7 Kap. 2.3.6) wurde darauf hingewiesen, dass die Homogenität des Feldes abnimmt, sobald eine Probe (Proband) in den Tomographen eingebracht wird, was auf dessen magnetische Eigenschaften zurückzuführen ist. Um diese lokalen Inhomogenitäten auszugleichen, kann die Homogenität bestimmt werden und mit Hilfe eines Spulensystems Gegenfelder genau so erzeugt werden, dass sie diese Effekte zu einem großen Teil kompensieren. Diesen Prozess nennt man »shimming« er wird an modernen Geräten vollautomatisch vor Beginn der ersten Messung durchgeführt. ! Für die funktionelle MRT ist ein gutes »shimming« von besonderer Bedeutung, da die EPI-Sequenz sehr sensitiv für Feldinhomogenitäten ist.
2.4.4 Gradientenspulen Die Gradientenspulen sind in der Röhre so angeordnet, dass sie eine lineare Variation des Magnetfeldes in drei Raumrichtungen ermöglichen eine entspricht der Spulenachse (die »z-Richtung«), die beiden anderen liegen senkrecht zueinander und senkrecht zur z-Richtung. Die MR-Messsequenz fordert eine hohe Zeitgenauigkeit, mit der Ströme in diesen Spulen an- und wieder abgeschaltet werden müssen. Diese schnellen Wechselschaltungen erzeugen die für MRT typische Lautstärkebelastung, da jedes An- und Abschalten eine mechanische Kraft auf das Gradientensystem ausübt (wie das bekannte »Knacken« bei Einschalten der Stereoanlage). Die elektrischen Verstärker sind eine wesentliche Komponente, um die erforderlichen Ströme und Zeiten einhalten zu können. ! Moderne klinische MR-Tomographen erzeugen lineare Gradientenfelder bis zu 40 mT pro Meter, bei einer Anschaltdauer von 200 T pro Meter und Sekunde. Die schnelle EPI-Sequenz nutzt diese maximalen Werte in der Regel voll aus. Höhere Werte sind aufgrund sicherheitsspezifischer Aspekte klinisch nicht anwendbar (7 Kap. 2.5).
2.4.5 Hochfrequenzspulen Bei den HF-Spulen unterscheidet man zunächst zwischen Sende- und Empfangsspulen; die Anregung mittels HFPuls wird durch Sendespulen, die Aufnahme des MR-Signals durch Empfangsspulen ermöglicht. Moderne Spulen können beide Aufgaben übernehmen. Vor- bzw. Nachverstärkung sind entscheidend, um einen entsprechend starken HF-Puls zu senden bzw. um das schwache MR-Signal detektieren zu können. Die Spulen müssen optimal an das Senden bzw. Empfangen der Larmor-Frequenz von Protonen angepasst sein (»tuning«), und Frequenz und Phase des Signals muss möglichst unverzerrt gesendet bzw. empfangen werden, damit eine fehlerfreie Bildrekonstruktion möglich ist. Da das SNR bei abnehmenden Spulenvolumen
75 2.5 · Sicherheitsaspekte
zunimmt, gibt es spezielle Spulen für verschiedene Anwendungen.
scheidung mitzuteilen. Für Studien motorischer Hirnfunktionen sind beispielsweise aber auch komplexere Reaktionsgeräte, wie ein »Joystick«, bereits erhältlich. Gerade für Patientenstudien kann es von Vorteil sein, auch medizinische Überwachungssysteme im Tomographen zu verwenden (z. B. EKG, Atemgürtel), die den gleichen Kriterien genügen müssen. Da solche Geräte auch in der konventionellen klinischen MRT von großer Bedeutung sind, haben neurere MR-Tomographen solche Anwendungen zum Teil integriert.
! In der Hirnforschung sind die Kopfspulen daher von herausragender Bedeutung. Diese sind normalerweise so gebaut, dass der Proband den Kopf in eine Fassung legt, die die untere Hälfte der Spule darstellt, und danach wird der obere Teil der Spule mittels Klickkontakten durch kurzen Druck angebracht.
2.4.6 Kontrolleinheit Eine wesentliche Komponente ist die Kontrolleinheit des MR-Tomographen, die sich aus mehreren Computern mit verschiedenen Aufgaben zusammensetzt. Im Wesentlichen besteht sie aus drei miteinander vernetzten Einheiten. 4 Konsole: Hier wird die Messsequenz ausgewählt und ihre Parameter eingestellt, insbesondere die Schichtlage. Nach der Messung wird hier das MR-Bild dargestellt, um z. B. an diesem die Schicht-Positionierung für die folgende Messung durchzuführen. 4 Steuerungscomputer: Erhält die komplette Instruktionsabfolge der Sequenz von der Konsole und führt die Messung in Echtzeit durch. 4 Rekonstruktionsrechner: Erhält die digitalisierten Messdaten vom Analog-Digital-Wandler, berechnet aus ihnen das Bild, speichert dieses in der Datenbank und schickt es an die Konsole.
2.4.7 Peripheriegeräte für die funktionelle
MRT Die meisten fMRT-Untersuchungen verlangen Geräte zur Stimulation des Probanden und/oder Aufzeichnung von Probandenreaktion. Das wichtigste Kriterium für Peripheriegeräte der funktionellen MRT ist, dass sie die MR-Messung in keiner oder nur geringst möglicher Weise beeinflussen. Deshalb sollten ausschließlich optische Signale verwendet werden.
Exkurs Es ist von Vorteil, die Lichtleiter durch sog. »waveguides« in der Filterplatte in den Magnetraum zu führen. Dies sind Metallrohre, deren Abmessungen so ausgelegt sind, dass Störsignale im Radiowellenbereich nicht durch sie hindurch dringen können. Je nach Anwendungsgebiet existieren Geräte, die diesen Anforderungen genügen, zur visuellen, auditorischen und auch olfaktorischen Stimulation. Als Reaktionsgeräte werden zumeist einfache Taster verwendet, die es dem Proband ermöglichen, in einer bestimmten Situation eine Ent6
2.5
Sicherheitsaspekte
Als ein großer Vorteil der MR-Tomographie wird angesehen, dass es sich um ein vollständig nichtinvasives Verfahren handelt, das mit keinerlei ionisierender Strahlenbelastung verbunden ist. Nach dem derzeitigen Stand der Forschung gibt es keinerlei Ansatzpunkte, die Gegenteiliges vermuten lassen, insbesondere nachdem dieser Aspekt in den letzten 25 Jahren sehr gründlich untersucht wurde. Jedoch sind gewisse Vorsichtsmaßnahmen sehr streng einzuhalten, da ansonsten ein hohes Gefahrenpotenzial bestehen kann. Hier ist in erster Linie die Stärke des äußeren Magnetfelds zu erwähnen. ! Das Einbringen jeglicher ferromagnetischer (eisenhaltiger) Objekte in den Magnetraum ist verboten, da diese durch das Magnetfeld auf Geschwindigkeiten einer Pistolenkugel beschleunigt werden können. Kleinste Objekte wie z. B. Geldmünzen können verheerende Wirkung haben. Daher ist auch streng darauf zu achten, dass der Proband keinerlei ferromagnetische Implantate im Körper trägt; solche werden jedoch in der modernen Medizin und Zahnmedizin so gut wie nicht mehr verwendet.
Des Weiteren sind die schnellen Wechselfelder der Gradientschaltung eine mögliche Gefahrenquelle. Einerseits können hier elektrische Geräte in Mitleidenschaft gezogen werden, was z. B. im Falle eines Herzschrittmachers tödliche Folgen haben kann (und somit eine MR-Untersuchung ausschließt). Andererseits können die Wechselfelder des Gradientensystems z. B. in einer eisenhaltigen Tätowierung Ströme induzieren, die so stark sind, dass Hautverbrennungen auftreten können. Bei sehr hoher Schaltfrequenz können u. U. schwache Ströme in den Körper induziert werden, die Nervenstimulationen verursachen. Dies ist insbesondere bei der EPI-Sequenz zu beachten. Hier rühren die Limitierungen der Leistungsfähigkeit des Gradientensystems her. Die Hochfrequenzpulse können bei »Überdosierung« eine Erwärmung des Unterschungsobjekts/Probanden zur Folge haben, ähnlich dem (wesentlich stärkeren) Mikrowel-
2
76
2
Kapitel 2 · Grundlagen der MR-Bildgebung
leneffekt. Alle klinisch verwendeten MR-Tomographen haben deshalb einen Mechanismus, der eine Überschreitung der Maximaldosis verhindert, die bei 1 Watt/kg Körpergewicht angegeben wird. ! Abgesehen von diesen technischen Gefahrenpotenzialen ist Klaustrophobie für die MRT ein ernst zu nehmendes Problem bzw. verhindert in einigen Fällen deren Einsatz. Gerade bei funktionellen Untersuchungen ist es wichtig, dass klaustrophobische Reaktionen des Probanden auszuschließen sind, da sie das Ergebnis in unberechenbarer Weise beeinflussen können.
2.6
Funktionelle MR-Bildgebung (fMRT)
In diesem Kapitel sollen kurz die physikalischen Grundlagen für die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) erläutert werden. Eine Methode für funktionelle Anwendungen mittels MRT muss in der Lage sein, einen Kontrast zwischen aktiven und ruhenden Hirnregionen abzubilden. Hierfür gibt es 3 Verfahren: 4 exogene Kontrastmittel 4 perfusionsbasierte Methoden 4 BOLD-fMRT Die BOLD-fMRT liefert von allen nichtinvasiven Methoden den stärksten Kontrast und ist darum mit großem Abstand die meist verwendete in der derzeitigen funktionellen Hirnforschung.
2.6.1 Exogene Kontrastmittel Intravenös applizierte MRT-Kontrastmittel werden heutzutage kaum noch in Verbindung mit funktionellen Untersuchungen genutzt. Allerdings ist diese Methode aus historischer Sicht interessant, da es das erste Verfahren war, das genutzt wurde, um Hirnaktivität mittels MRT abzubilden. Meist wird hier als Kontrastmittel Gadolinium-DiethylPentaessigsäure (Gd-DTPA) verwandt. Dieser Stoff ist hoch paramagnetisch und sorgt damit für eine starke Reduktion der T2*-Relaxationszeit, was zur Bilderzeugung des zerebralen Blutflusses (rCBF) ausgenutzt werden kann.
2.6.2 Perfusionsbasierte fMRT Die sog. arterielle Spinmarkierung stellt ein nicht invasives Verfahren zur Bestimmung des rCBF dar und ist somit ein universell einsetzbares Verfahren, das exogenen Kontrastmitteln in vielen Anwendungen vorzuziehen ist. Bei dieser Methode wird die Magnetisierung in einer Schicht senk-
recht zum Perfusionsfluss mittels eines 180°-Pulses invertiert, was bei einigen Varianten mit einer zweiten Spule erreicht wird. In einer dazu parallelen Schicht verursachen dann die einströmenden markierten Spins eine Signalschwächung diese ist in der Differenz messbar, d. h. im Vergleich zur Messung der gleichen Schicht ohne vorherige Spinmarkierung. Dieses Verfahren bietet den Vorteil einer Quantifizierung des rCBF sowie eine relativ hohe räumliche Auflösung neuronaler Aktivität. Allerdings ist der Effekt, d. h. das Kontrast-zu-Rausch-Verhältins (CNR) geringer als bei dem noch zu besprechenden BOLD-Effekt. Da dies generell eine der wesentlichen Limitierungen der funktionellen MRT ist, haben sich Verfahren zur Messung des BOLD-Effekts weitgehend durchgesetzt. ! Ist die Quantifizierung des rCBF ein maßgeblicher Faktor, z. B. bei der Untersuchung zerebraler Erkrankungen, dann haben perfusionsbasierte Methoden große Vorteile und sind daher noch Gegenstand der aktuellen Forschung, insbesondere bei sehr starken Magnetfeldern (3–4 T).
2.6.3 BOLD-fMRT In den 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde die Tatsache, dass der zerebrale Blutfluss einem körpereigenen Kontrastmittel für die MRT gleicht, erstmals für funktionelle Studien genutzt. Zunächst wurde lediglich der Effekt aufgezeigt, um kurz darauf ein physiologisches Modell für diesen Umstand zu entdecken. Man spricht hier vom BOLD-Effekt (»blood oxygen level dependency«), da der Oxygenierungsgrad des Blutes die Ursache ist. Der für den Metabolismus notwendige Sauerstoff wird im Blut über das Hämoglobinmolekül transportiert. Dieses enthält ein Eisenatom, das im Verbund mit dem Sauerstoff die magnetischen Eigenschaften bestimmt. Ist Sauerstoff gebunden, spricht man von Oxyhämoglobin, das ähnliche magnetische Eigenschaften hat wie das umliegende Hirngewebe. Dagegen ist Desoxyhämoglobin (ohne gebundenem Sauerstoff) paramagnetisch und führt daher zu einer Verkürzung der Querrelaxationszeit T2*. Ein »Überschuss« an Desoxyhämoglobin sorgt für eine Verminderung des MR-Signal. Deshalb könnte man vermuten, dass der Sauerstoffverbrauch aktiver Neuronen ein lokal vermindertes MR-Signal bewirkt. Doch das Gegenteil ist der Fall. Der regionale Blutfluss überkompensiert den Verbrauch mit einer Erhöhung des Anteils von Oxyhämoglobin (. Abb. 2.11). Dies bewirkt eine lokale Vergrößerung von T2* und somit einer Erhöhung des MR-Signals in T2*-gewichteten Aufnahmen wie z. B. die schnelle Bildgebung mittels der EPI-Sequenz. Obwohl die Physiologie dieses Vorgangs bisher nicht komplett verstanden ist, ist dessen zeitlicher Verlauf gut bekannt (. Abb. 2.12). Experimentell konnte gezeigt werden,
77 2.6 · Funktionelle MR-Bildgebung (fMRT)
. Abb. 2.11. Physiologie des BOLD-Effekts. Neuronaler Aktivität folgt eine Erhöhung des Anteils von Oxyhämoglobin im regionalen Blutfluss, was zu einer Signalerhöhung des MR-Signals führt
len von Oxy- und Desoxyhämoglobin einstellt – man spricht von der hämodynamischen Antwortfunktion (HRF, »hemodynamic response function«). ! Der indirekte Nachweis neuronaler Aktivität mittles des BOLD-Effekts liegt in der Größenordnung von 0,5–5% des MR-Signals (bei 1,5 T) und damit zum Teil unterhalb des Störsignalpegels (Rauschen). Aus diesem Grund werden in der Regel Voxel-Größen von 10–40 mm3 in der EPI-Sequenz verwendet. (Dies entspricht ca. 2–3,5 mm Kantenlänge bei isotropen Voxeln.) Das zu geringe Signal-zu-Rausch-Verhältnis (SNR) bei höherer Auflösung wäre nicht ausreichend, um den BOLD-Kontrast abzubilden (7 Kap. 2.3.2).
. Abb. 2.12. Der BOLD-Effekt führt zu einer Veränderung des MR-Signals, das als hämodynamische Antwortfunktion bezeichnet wird. Diese Signalform konnte bisher experimentell in weiten Teilen des Gehirns bestätigt werden
dass die Überkompensation des Sauerstoffgehalts zeitlich um ca. 4 s verzögert zur eigentlichen neuronalen Aktivität ist. Dann fällt die im MR als Signalanstieg sichtbare Aktivierung rasch ab und eine kurze Phase von »Deaktivierung« folgt, bevor sich wieder ein Gleichgewicht zwischen Antei-
Zusammenfassung und Ausblick Die MRT ist ein Bildgebungsverfahren, das auf dem Effekt der Kernspinresonanz beruht: Die Spins im Gewebe werden in einem starken Magnetfeld polarisiert, um so die durch einen Radiofrequenzpuls absorbierte Energie kohärent als messbares Signal zu emittieren. Durch Überlage-
Dennoch ist der Kontrast in der Regel zu gering, um Unterschiede zum umliegenden Gewebe sichtbar zu machen. Jedoch ist die Differenz zu einem MR-Bild der gleichen Region in einer Ruhephase sichtbar bzw. mit Hilfe besonderer Versuchsanordnungen und Auswertestrategien sichtbar zu machen (7 Kap. 6). Hierbei ist die Qualität und Realibilität des funktionellen MRT-Experiments von entscheidender Bedeutung. Dieser Punkt wird in 7 Kap. 8 besprochen. Als weiterführende Literatur zum Thema fMRT findet man bei Buxton (2002) und bei Moonen u. Bandettini (2002) ausführliche Beschreibungen der verschiedenen Aspekte.
rung räumlich variierender Magnetfelder (Gradienten) wird die Frequenz des Signals in determinierter Weise ortsabhängig, so dass eine Spektralzerlegung (Fourier-Transformation) des gemessenen Signals das MR-Bild ergibt – dieses Verfahren erlaubt beliebig orientierte Schichtlagen. Der Kontrast des Bildes hängt von mehreren Gewebepara6
2
78
Kapitel 2 · Grundlagen der MR-Bildgebung
metern ab (z. B. Protonendichte, Relaxationszeiten, Diffusionskonstanten) und kann in vielfältiger Art und Weise durch die sog. Pulssequenz, d. h. der zeitlichen Schaltung von Hochfrequenzpulsen und Gradientenfeldern, beeinflusst werden. Eine genaue Volumenaufnahme (ca. 1 mm3 Auflösung) des menschlichen Gehirns mit hervorragendem Kontrast zwischen grauer und weißer Substanz kann in wenigen Minuten auf einem klinischen MR-Gerät erfolgen. Ultraschnelle Sequenzen (z. B. EPI) ermöglichen die Bildgebung des menschlichen Gehirns in wenigen Sekunden und somit funktionelle Untersuchungen (fMRT) mit unterschiedlichen Kontrastmechanismen. Die in der Regel sehr kleinen Signaländerungen aufgrund neuronaler Aktivität werden insbesondere unter Ausnutzung des BOLD-Effekts abgebildet, d. h. der geringen Änderung der magnetischen Eigenschaften aufgrund des zerebralen
2
2.7
Literatur
Buxton RB (2002) Introduction to functional magnetic resonance imaging: principles and techniques. Cambridge Univ Press, Cambridge Haacke EM, Brown RW, Thompson MR, Venkatesan R (1999) Magnetic resonance imaging – physical principles and sequence design. Wiley, New York Lauterbur PC (1973) Image formation by induced local interactions – Examples employing nuclear magnetic-resonance. Nature 242: 190–192
Blutflusses in aktivem Hirngewebe. Die Komplexität des MR-Verfahrens ist die Ursache für das große Anwedungspotenzial in der Hirnforschung. Allerdings sind bei dem Verfahren inhärente Mechanismen für verschiedene Abbildungsfehler (Artefakte) verantwortlich, deren Ausprägung durch die Pulssequenz bestimmt wird. Die MR-Physik der Pulssequenzen sowie die MR-Technik (Hardware) sind aktuelle Forschungsgebiete, z. B. um das Signal-zu-Rausch-Verhältnis zu verbessern, die Artefakte zu minimieren, die Messzeiten zu reduzieren, neue Kontrastmechanismen zu entdecken und allgemein den immer spezielleren Fragestellungen der anwendenden Wissenschaften neue Methoden zur Verfügung zu stellen. Insbesondere in der Hirnforschung sind durch die Hochfeld-MRT (≥3 T) sowie die Mehrkanal-Hochfrequenztechnik (parallele Bildgebung) in naher Zukunft noch große Fortschritte zu erwarten.
Mansfield P (1977) Multi-planar image-formation using NMR spinechoes. J Physics C Solid State 10 (3):L55–L58 Mansfield P, Grannell PK (1973) NMR diffraction in solids. J Physics C Solid State 6 (22):L422–L426 Moonen CTW, Bandettini PA (eds) (2002) Functional MRI. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio Weishaupt D, Köchli VD, Marincek B (2001) Wie funktioniert MRI? Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio
3 3
Grundlagen der Morphometrie und Integration anatomischer und funktioneller Bilddaten P. Pieperhoff, H. Mohlberg, K. Amunts
3.1
Makro- und Mikroanatomie sowie interindividuelle Variabilität – 80
3.2
Bildregistrierung
3.2.1 3.2.2 3.2.3
Realignment – 81 Koregistrierung – 81 Lokale räumliche Anpassung (Normalisierung)
3.3
Registrierungsverfahren – 82
3.3.1 3.3.2 3.3.3
Affine Transformation – 82 Transformationen mittlerer Komplexität – 83 Kontinuumsmechanik-basierte Transformationen
3.4
Gehirnmorphometrie – 84
3.4.1 3.4.2 3.4.3
Regionenbasierte In-vivo-Morphometrie Deformationsfeldmorphometrie – 85 Voxelbasierte Morphometrie – 86
3.5
Zusammenführung anatomischer und funktioneller Daten – 87
3.5.1 3.5.2
Mikroanatomie und Funktion – 87 Morphometrie und Funktion – 88
3.6
Literatur – 89
– 80
– 81
– 83
– 85
80
Kapitel 3 · Grundlagen der Morphometrie und Integration anatomischer und funktioneller Bilddaten
)) Die Kenntnis der Anatomie des Gehirns ist Voraussetzung für das Verständnis seiner Funktionen, insbesondere für die topographische Interpretation der Ergebnisse funktioneller Studien. Beim Vergleich der Gehirne verschiedener Individuen tritt das Problem der strukturellen Variabilität auf, d. h. der Unterschiede in Form, Größe und Lage sowohl makroanatomischer Regionen und Struktureinheiten (Gyri und Sulci), als auch mikroanatomisch bestimmter, kortikaler Areale. Zur Lösung dieses Problems werden derzeit Bildregistrierungsverfahren angewendet. Anatomische Studien werden sowohl an Post-mortemGehirnen als auch in vivo durchgeführt. Gehirnmorphometrie umfasst Methoden für die Charakterisierung von Gehirnen vor allem anhand ihrer strukturellen Eigenschaften. Regionenbasierte Morphometrie untersucht die Form und Abmessungen anatomisch definierter Struktureinheiten. Deformationsfeldmorphometrie beruht auf der Analyse der Deformationsfelder, die bei der Anwendung der Registrierungsverfahren erzeugt werden. Voxelbasierte Morphometrie untersucht die lokale Gewebeverteilung, insbesondere von grauer und weißer Substanz. Registrierungsverfahren werden eingesetzt, um die Ergebnisse makroanatomischer und mikroanatomischer Strukturanalysen sowie funktioneller Studien zusammen zu führen.
3
3.1
Makro- und Mikroanatomie sowie interindividuelle Variabilität
> Definition Unter der makroanatomischen Struktur eines Gehirns werden Struktureinheiten verstanden, die bei einer Auflösung von ungefähr 1 mm, d. h. mit bloßem Auge unterscheidbar sind. Die mikroanatomische Struktur eines Gehirns umfasst dagegen Struktureinheiten, die sich auf einer Größenskala von ca. 1 µm bis 1 mm identifizieren lassen.
Makroanatomische Struktureinheiten sind einer Untersuchung mit der strukturellen MRT zugänglich. Zu ihnen zählen Landmarken wie Gyri oder Sulci sowie durch sie begrenzte Regionen. Die mikroanatomische Gehirnstruktur beinhaltet z. B. die Zyto-, Myelo- und Chemoarchitektur (7 Kap. 1). Zellkörper und Myelinfasern lassen sich mit einem Lichtmikroskop in gefärbten histologischen Schnitten von Post-mortem-Gehirnen untersuchen (7 Kap. 1). Zytoarchitektonische Areale werden demnach zur mikroanatomischen Struktur eines Gehirns gerechnet: Ihre Abmessungen liegen zwar häufig im Bereich mehrerer Millimeter, jedoch lassen sie sich nur anhand mikroskopisch sichtbarer Merkmale wie z. B. der Zellarchitektur identifizieren. Die mikroanatomi-
schen Hirnareale werden heute fast ausschließlich an Postmortem-Gehirnen untersucht, da die erreichbare Auflösung und der Gewebekontrast der gängigen In-vivo-Bildgebungsverfahren hierfür derzeit noch nicht ausreichend ist. Zwischen den Gehirnen verschiedener Individuen können erhebliche strukturelle Unterschiede bestehen: Korrespondierende makroanatomische Struktureinheiten können sich in verschiedenen Gehirnen in Form, Größe und ihrer Lage im Raum voneinander unterscheiden. Darüber hinaus können sich Sulci auch in ihrer Ausprägung, der Anzahl ihrer Segmente oder sogar ihrer Präsenz unterscheiden. Dies wird als die makroanatomische Variabilität bezeichnet (. Abb. 3.1) Die primären Sulci sind in allen gesunden Gehirnen vorhanden und entstehen zu einem relativ frühen Zeitpunkt der Ontogenese. Sie unterscheiden sich zwischen verschiedenen Gehirnen in ihrer Tiefe, Länge, und der Anzahl der Segmente. Bei den sekundären und tertiären Sulci, die vergleichsweise spät in der Entwicklung des Gehirns entstehen, kommt zu dieser Variabilität noch hinzu, dass sie nicht in allen Gehirnen vorhanden sind. Mikroanatomische Variabilität beinhaltet Variabilität in Form, Lage und Größe mikroanatomischer, kortikaler Areale relativ zu den sie umgebenden makroanatomischen Gyri und Sulci sowie Variabilität in der Mikrostruktur eines kortikalen Areals. Da letztere für bildgebende Verfahren aufgrund der räumlichen Auflösung von untergeordneter Bedeutung ist, werden an dieser Stelle nur die Variabilität in Form, Lage und Größe der Areale beispielhaft erläutert. Die Grenze der zytoarchitektonischen Areale BA44 und BA45 (Brodmann 1909) können um mehr als 1 cm relativ zu makroanatomischen Landmarken wie dem Sulcus precentralis und dem Sulcus frontalis inferior schwanken (Amunts et al. 1999). Auch die Grenzen allokortikaler Areale wie z. B. zwischen Subiculum und entorhinalem Kortex können ähnlich variabel sein (. Abb. 3.2). Bezüglich der Lage der Grenzen zwischen den Arealen 4 und 3 im Sulcus centralis gibt es hingegen nur marginale individuelle Unterschiede. ! Makroanatomische Struktureinheiten wie Gyri und Sulci sind zumindest bei einigen mikroanatomischen Arealen nicht als »Landmarken« geeignet (7 Kap. 1).
3.2
Bildregistrierung
> Definition Bildregistrierungsverfahren werden eingesetzt, um verschiedene digitale Bilddatensätze (derselben oder ähnlicher Objekte) zu vergleichen bzw. um die in ihnen enthaltenen Informationen zusammenzuführen. Die Bildregistrierung dient hierbei dazu, möglichst genau festzustellen, welche Punkte in den verschiedenen Bilddatensätzen miteinander korrespondieren, und diese dann miteinander zur Deckung zu bringen.
81 3.2 · Bildregistrierung
. Abb. 3.1. Dreidimensionale Rekonstruktion der MRT-Datensätze von vier Probanden. Ansicht von dorsal (linke Seite im Bild entspricht der linken Hemisphäre). Alle Probanden waren männlich, rechtshän-
dig, und im Alter von 30–40 Jahren. Die Sulcusmuster der einzelnen Gehirne weisen dennoch deutliche Unterschiede voneinander auf
Bildregistrierungsverfahren werden sowohl bei morphometrischen als auch bei funktionellen Studien eingesetzt. Im folgenden werden einige typische Aufgaben aus beiden Gebieten aufgeführt.
3.2.1 Realignment In der funktionellen Bildgebung werden von den Probanden Zeitserien aufgenommen, die häufig aus mehreren Hundert Einzelbildern bestehen können. Da die Aufnahme einer Serie eine Stunde (oder auch länger) dauern kann, lässt es sich meistens nicht vermeiden, dass sich die Probanden geringfügig bewegen. Diese Bewegungen müssen aus den Bilddaten wieder herausgerechnet werden, damit sich die Einzelbilder optimal miteinander vergleichen lassen.
a
3.2.2 Koregistrierung Bei funktionellen Studien wird von jedem Probanden neben den funktionellen Daten meistens auch ein struktureller MRT-Datensatz aufgenommen. Bei der Zusammenführung der funktionellen und strukturellen Datensätze müssen wiederum Unterschiede in der Lage des Probanden berücksichtigt werden. Erschwert wird dies dadurch, dass strukturelle und funktionelle MRT-Datensätze sich im Allgemeinen deutlich im Gewebekontrast bzw. der Intensitätsverteilung, sowie in der Auflösung voneinander unterscheiden (. Abb. 3.3)
b . Abb. 3.2a, b. Mikroanatomische Variabilität am Beispiel der Grenze zwischen dem entorhinalen Kortex (EC) und dem Subiculum (Subic.) im rostralen Bereich des Hippocampus in zytoarchitektonischen Schnitten zweier Post-mortem-Gehirne (rechte Hemisphären) in vergleichbarer koronaler Ebene. Maßstab: 2 mm; markierte Richtungen: dorsal, ventral, medial, lateral
3.2.3 Lokale räumliche Anpassung
(Normalisierung) Bei Bildgebungsstudien werden häufig die Bilddatensätze der Gehirne mehrerer Probanden in Bezug auf ein gemeinsames Referenzgehirn verglichen. Hierbei müssen neben
3
82
Kapitel 3 · Grundlagen der Morphometrie und Integration anatomischer und funktioneller Bilddaten
. Abb. 3.3a, b. Struktureller T1-gewichteter und funktioneller Datensatz desselben Probanden. Die Datensätze unterscheiden sich vor allem hinsichtlich des Gewebekontrasts und der Auflösung sowie hinsichtlich der Lage des Probanden
3
b
a
der unterschiedlichen räumlichen Lage der Probanden bzw. des Referenzgehirns auch die lokalen anatomischen Unterschiede berücksichtigt werden. Mittels der Registrierungsverfahren werden die Bilddatensätze der Probanden in der Weise an das Referenzgehirn angepasst, dass die makroanatomischen Unterschiede zwischen den transformierten Datensätzen der Gehirne und dem Referenzgehirn möglichst gering sind. Die mikronanatomische Struktur der transformierten Gehirne lässt sich hierdurch allerdings nicht gezielt angleichen. Als Referenzgehirn kann, abhängig von der jeweiligen Aufgabenstellung, ein individuelles menschliches Gehirn (z. B. Roland u. Zilles 1994) oder auch ein gemitteltes Gehirn (Collins et al. 1994) gewählt werden. ! Gerade bei interindividuellen räumlichen Anpassungen sollte das Referenzgehirn möglichst mit der gleichen Bildgebungsmodalität aufgenommen worden sein wie die anzupassenden Datensätze der Probanden.
3.3
Registrierungsverfahren
In den vergangenen Jahren sind verschiedene Registrierungsverfahren entwickelt worden. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal dieser Verfahren ist die Anzahl der Freiheitsgrade, über die ein Verfahren verfügt, d. h. die Anzahl freier Parameter, die die Registrierung definieren und die für jedes anzupassende Gehirn neu berechnet werden müssen. Im Folgenden werden einige Beispiele für häufig eingesetzte Verfahren gegeben.
3.3.1 Affine Transformation > Definition Affine Transformationen sind Verfahren, die bei der Transformation von Bilddatensätzen zum Zweck der Bildregistrierung eingesetzt werden. Diese Transformationen können eine Translation, Rotation, Größenskalierung und Scherung umfassen.
Eine Untermenge der affinen Transformationen wird durch die Rigid-Body-Transformationen gebildet. Diese Transformationen verfügen über 6 Freiheitsgrade: 3 Drehwinkel und die 3 Komponenten einer Translation. Mit einer Transformation dieser Klasse lässt sich nur die Lage eines Gehirns im Raum verändern, ohne dass dessen Größe oder Form geändert wird. Diese Transformationen werden meistens angewendet, um mehrere Datensätze desselben Probanden miteinander auszurichten oder um Datensätze verschiedener Probanden bei Beibehaltung der spezifischen Gehirnform auf die gleiche Art und Weise im Raum auszurichten. Insbesondere beim Realignment und der Koregistrierung kommen diese Verfahren zum Einsatz. Die allgemeinen affinen Transformationen verfügen über 12 Freiheitsgrade. Zusätzlich zu den Rigid-BodyTransformationen ermöglichen diese auch Änderungen der Form und Größe, wie beispielsweise Skalierungen oder Scherungen. Daher sind hiermit beispielsweise auch Angleichungen der globalen Größe verschiedener Gehirne möglich. Diese Transformationen werden häufig als Vorstufe zu den in den folgenden zwei Abschnitten beschriebenen »nichtlinearen Transformationen« eingesetzt.
83 3.3 · Registrierungsverfahren
3.3.2 Transformationen mittlerer
Komplexität Die Transformationen dieser Klasse verfügen über einige hundert bis tausend Freiheitsgrade. Zwei Beispiele hierfür sind die in den Programmpaketen SPM (http://www.fil.ion. ucl.ac.uk/spm) und AIR (http://air.bmap.ucla.edu) enthaltenen nichtlinearen Transformationsverfahren. Das Verfahren in SPM berechnet eine räumliche Transformation als Linearkombination einer gegebenen Menge von Basisfunktionen (Ashburner u. Friston 1999). Die Koeffizienten dieser Linearkombination müssen für die jeweilige Anpassung bestimmt werden. Das Verfahren in AIR stellt die Verschiebung eines Punktes über ein Polynom höherer Ordnung in den Koordinaten des Ausgangspunkts dar (Woods et al. 1998). Diese Verfahren werden vor allem für die räumliche Registrierung von funktionellen Daten (z. B. funktionelles MRT und PET) eingesetzt. Zu diesem Zweck wird zunächst
a
c . Abb. 3.4a–d. Verschiedene Stufen einer Anpassung. a Ausgangsdatensatz, nach Segmentierung des Gehirns von umgebendem Gewebe (Meningen, Liquor etc.); b affine, globale Anpassung; c nicht-
ein struktureller MRT-Datensatz der untersuchten Person auf einen Referenzdatensatz registriert. Die hierbei berechnete Transformationsvorschrift wird dann angewendet, um die zu derselben Person gehörenden funktionellen Datensätze ebenfalls an dem Referenzdatensatz auszurichten. Eine »exakte« Anpassung eines strukturellen MRT-Datensatzes an einen Referenzdatensatz ist hiermit im Allgemeinen nicht möglich. Aufgrund der geringeren räumlichen Auflösung der funktionellen Daten im Vergleich zu den strukturellen MRT-Datensätzen wird eine »exakte« Übereinstimmung jedoch häufig nicht gefordert.
3.3.3 Kontinuumsmechanik-basierte
Transformationen Den Registrierungsverfahren dieser Gruppe liegen physikalische Modelle zugrunde, die aus der Kontinuumsmechanik stammen. Der anzupassende Bilddatensatz wird hierbei
b
d lineare, lokale Anpassung; d Referenzgehirn. Die Formveränderungen der roten Gitternetzlinien visualisieren die Deformationen während der verschiedenen Anpassungsschritte
3
84
3
Kapitel 3 · Grundlagen der Morphometrie und Integration anatomischer und funktioneller Bilddaten
beispielsweise als ein viskoses Fluid oder als ein elastisches Kontinuum behandelt. Anhand der lokalen Unterschiede zwischen dem anzupassenden Datensatz und dem Referenzdatensatz werden »Kräfte« berechnet, die zu einer lokalen Deformation führen. Die hieraus resultierenden Verschiebungen miteinander benachbarter Punkte in dem anzupassenden Datensatz sind jedoch nicht unabhängig voneinander, sondern – entsprechend dem gewählten physikalischen Modell – aneinander gekoppelt. Diese Art der Modellierung soll gewährleisten, dass der anzupassende Volumendatensatz stetig deformiert wird, und dass dessen topologische Eigenschaften erhalten bleiben. Für die Beurteilung der Übereinstimmung zwischen dem angepassten Datensatz und dem Referenzdatensatz wird eine Abstandsnorm definiert. Diese wird häufig als die Summe der Grauwertdifferenzen zwischen dem Referenzdatensatz und dem angepassten Datensatz berechnet. Mit Hilfe eines geeigneten mathematischen Verfahrens muss der Ausgangsdatensatz in mehreren aufeinander folgenden Rechenschritten in der Weise deformiert werden, dass die Abstandsnorm einen vorgegebenen Schwellenwert unterschreitet (. Abb. 3.4). Das Registrierungsverfahren kann beispielsweise ein Modell nutzen, das aus der Theorie der linearen Elastizität stammt. Dies erfordert die wiederholte Lösung der NavierLamé-Gleichung, die zu den elliptischen partiellen Differentialgleichungen zweiter Ordnung gehört. Der mathematische Aufwand für die Lösung dieser Gleichungssysteme ist sehr hoch: Bei einem dreidimensionalen Datensatz mit 256 Bildpunkten in jeder Raumrichtung enthält das Gleichungssystem mehr als 24 Millionen Unbekannte. Solche Gleichungssysteme lassen sich jedoch aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften numerisch sehr effizient mit Hilfe von Mehrgitterverfahren lösen (Henn et al. 1997). Das von uns eingesetzte Verfahren ist auf einem gängigen PC-System implementiert. Die Registrierung eines Datensatzes mit 256u256u256 Bildpunkten dauert auf diesem System ca. 3 h. ! Der Aufwand der mit der maximalen Anzahl an Freiheitsgraden arbeitenden Registrierungsverfahren ist häufig sehr hoch – sowohl was die Entwicklung dieser Verfahren betrifft, als auch im Hinblick auf deren praktische Anwendung. Aus unserer Sicht ist die Genauigkeit dieser Verfahren jedoch bei einigen Fragestellungen erforderlich, beispielsweise wenn zytoarchitektonische probabilistische Karten und Datensätze mit funktionellen Aktivierungen miteinander überlagert werden sollen (7 Kap. 20).
3.4
Gehirnmorphometrie
> Definition Gehirnmorphometrie umfasst Untersuchungsmethoden zur Charakterisierung eines Gehirns anhand seiner globalen und lokalen strukturellen Eigenschaften. Regionenbasierte Morphometrie untersucht die Form und Abmessungen anatomisch definierter Struktureinheiten. Deformationsfeldmorphometrie beruht auf der Analyse der Deformationsfelder, die bei der Anwendung der Registrierungsverfahren erzeugt werden. Voxelbasierte Morphometrie untersucht die lokale Gewebeverteilung.
Das Ziel solcher Analysen besteht darin, die Korrelationen zwischen den strukturellen Eigenschaften und der normalen oder der pathologisch veränderten Hirnfunktion bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen zu erforschen. Die strukturellen Merkmale eines Gehirns können unter Umständen Hinweise auf lokale Besonderheiten der Hirnanatomie geben. Mit Hilfe der strukturellen MRT ist es möglich geworden, morphometrische Studien auch in vivo und nicht nur an Post-mortem-Gehirnen durchzuführen. Derzeit liegt die Auflösung der mit Routinetechniken durchgeführten strukturellen MRT-Aufnahmen des gesamten Gehirns bei ca. 1u1u1 mm3. In-vivo-Studien bieten gegenüber Post-mortem-Studien zahlreiche Vorteile: 4 Bei In-vivo-Studien können bei demselben Probanden zusätzlich funktionelle Untersuchungen durchgeführt werden, z. B. funktionelle MRT und neuropsychologische Tests. Dies ist interessant im Hinblick auf die Untersuchung der Zusammenhänge von strukturellen und funktionellen Besonderheiten. 4 In Abhängigkeit von der untersuchten Fragestellung müssen die Probanden bestimmte Eigenschaften erfüllen – beispielsweise im Hinblick auf Alter, Geschlecht, Erkrankungen, Händigkeit und sozialen Hintergrund (7 Kap. 5). Bei In-vivo-Studien lassen sich die Probanden nach genaueren Kriterien auswählen, als dies bei der Auswahl von Post-mortem-Gehirnen der Fall sein kann. Dementsprechend werden Gruppenvergleiche an Post-mortem-Gehirnen weitaus seltener durchgeführt als im Rahmen von In-vivo-Studien. 4 In vivo lassen sich Longitudinalstudien durchführen: Hierbei werden dieselben Probanden über einen längeren Zeitraum wiederholt untersucht, um so beispielsweise die Entwicklung des Gehirns im normalen oder erkrankten Zustand zu verfolgen. Ein Beispiel hierfür sind Studien zu neurodegenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer-Krankheit (Thompson et al. 1998). Im Folgenden sollen 3 Verfahren der In-vivo-Morphometrie näher erläutert und diskutiert werden, die insbeson-
85 3.4 · Gehirnmorphometrie
dere für die Untersuchung struktureller MRT-Datensätze innerhalb von Gruppenstudien angewendet werden.
3.4.1 Regionenbasierte
In-vivo-Morphometrie Die regionenbasierte In-vivo-Morphometrie untersucht die Eigenschaften makroanatomischer Struktureinheiten des Gehirns. Dies können z. B. sein: 4 Abmessungen, Volumen, Oberfläche des gesamten Gehirns, der Hemisphären, der Ventrikel, der Lobi oder subkortikaler Kerngebiete; 4 lokale Dicke des Kortex; 4 Tiefe, Oberfläche, Länge, Ausprägung von Sulci; 4 Gyrifizierungsindex (. Abb. 3.5): In zweidimensionalen Schnitten des Gehirns wird dieser berechnet als das Verhältnis der Länge einer Konturlinie, die dem äußeren Rand des Kortex exakt folgt, zu der Länge einer Einhüllenden (Zilles et al. 1988; Armstrong et al. 1995). 4 Interhemisphärische Symmetrien/Asymmetrien: Hierbei wird untersucht, ob in einem Gehirn die untersuchten Struktureinheiten in beiden Hemisphären unterschiedliche Größe oder Form haben. Dies ist interessant im Hinblick auf funktionelle Lateralisierungen bzw. die Händigkeit des Probanden (Amunts et al. 1996, 2000). In den Volumendatensätzen der untersuchten Gehirne müssen die interessierenden anatomischen Struktureinheiten markiert werden. Meistens geschieht dies manuell.
. Abb. 3.5. Der Gyrifizierungsindex eines zweidimensionalen Schnitts wird berechnet als das Verhältnis der Länge der exakten Konturlinie des Kortex (rot) zur Länge seiner Einhüllenden (grün) (Zilles et al. 1988)
Diese Vorgehensweise ist jedoch fehleranfällig, erfordert viel Erfahrung und ist zudem sehr zeitaufwändig. Daher sind Computerprogramme entwickelt worden, die bestimmte anatomische Struktureinheiten automatisch erkennen sollen – so z. B. für die Bestimmung der Oberfläche der grauen Substanz bzw. der Kortexdicke (MacDonald et al. 2000). Ungeachtet der Forschritte, die es in den vergangenen Jahren bei der computergestützten Analyse der Hirnstruktur gegeben hat, stellen diese Aufgaben nach wie vor große Herausforderungen dar. Aufgrund der makroanatomischen Variabilität kann es gerade bei kleinen Regionen schwierig sein, diese in konsistenter Weise in verschiedenen Gehirnen zu definieren.
3.4.2 Deformationsfeldmorphometrie In den vergangenen Jahren sind Verfahren entwickelt worden, die auf der Registrierung von MRT-Datensätzen der zu untersuchenden individuellen Gehirne, d. h. der Anpassung an ein gemeinsames Referenzgehirn beruhen. Bei diesen Verfahren ist es im Unterschied zu der regionenbasierten Morphometrie nicht erforderlich, in den Volumendatensätzen »regions of interest« (ROI) zu definieren – mithin müssen auch keine anatomischen Struktureinheiten markiert werden. Diese Verfahren beruhen auf der Analyse der Deformationsfelder, die bei der Registrierung erzeugt werden. > Definition Das Ergebnis einer nichtlinearen räumlichen Registrierung (d. h. einer Registrierung, die über eine affine Transformation hinausgeht, s. oben) wird häufig durch ein Deformationsfeld beschrieben. Dieses Deformationsfeld ist ein dreidimensionales Vektorfeld, das jedem Punkt des Referenzdatensatzes einen Deformationsvektor zuordnet. Dieser weist von dem jeweiligen Punkt im Referenzdatensatz zu dem korrespondierenden Punkt in dem noch undeformierten, anzupassenden Datensatz. Anders ausgedrückt, stellt dieser Deformationsvektor die Koordinatendifferenz zwischen einem Punkt im Referenzgehirn und dem entsprechenden Punkt im jeweiligen individuellen Gehirn dar.
Es existieren verschiedene Methoden, um charakteristische Eigenschaften aus Deformationsfeldern zu extrahieren. So können die jedem Voxel zugeordneten 3 Vektorkomponenten einem multivariaten statistischen Test unterzogen werden (Ashburner et al. 1998; Gaser et al. 1999, 2001). Aus dem Deformationsfeld sowie seiner Funktionalmatrix (die aus den Ableitungen der 3 Vektorkomponenten nach allen 3 Raumrichtungen gebildet wird) können weitere Größen berechnet werden, die ebenfalls für jedes einzelne Voxel (»voxelwise«) statistisch ausgewertet werden können (Thompson u. Toga 1999; Chung et al. 2001).
3
86
Kapitel 3 · Grundlagen der Morphometrie und Integration anatomischer und funktioneller Bilddaten
korrespondierenden Umgebung im nicht-deformierten individuellen Gehirn. Dieses Volumenverhältnis lässt sich z. B. mittels der Funktionaldeterminante (»JacobiDeterminante«) der nichtlinearen Transformation berechnen. 4 Deformationsenergie: Ein aus der Theorie der linearen Elastizität (Budo 1974) übernommenes Maß für die bei der Registrierung auftretende lokale Verzerrung des individuellen Gehirndatensatzes. Hiermit werden auch solche Verzerrungen detektiert, bei denen keine lokale Volumenänderung auftritt.
3
. Abb. 3.6. Deformationsfeld einer nichtlinearen Anpassung in einem MRT-Datensatz (paramedianer Sagittalschnitt). Jeder Deformationsvektor weist von seinem Anfangspunkt im Referenzgehirn auf den korrespondierenden Punkt im jeweiligen individuellen Gehirn. Aus Gründen der Übersichtlichkeit ist nur eine Untermenge der Deformationsvektoren dargestellt. Die Farbkodierung gibt die Länge der Deformationsvektoren in mm an
Im Folgenden werden einige Beispiele für diese ausgewerteten Größen aufgeführt: 4 Länge eines Deformationsvektors: Abstand zwischen einem Punkt im Referenzgehirn und dem korrespondierenden Punkt im nicht-deformierten individuellen Gehirn. 4 Lokale Volumenänderungsrate: Volumenverhältnis der Umgebung eines Voxels im Referenzgehirn zu der
. Abb. 3.7. Vereinfachtes Schema der Deformationsfeldmorphometrie. Ein T1-gewichteter MR-Datensatz wird zunächst segmentiert, d. h. dass nicht zum Gehirn gehörende Teile (insbesondere Schädel, Hirnhaut, Liquor) entfernt werden. Daraufhin folgt eine affine und eine nichtlineare Anpassung des MR-Datensatzes an einen Referenzdatensatz. Hierbei wird ein Deformationsfeld erzeugt. Aus diesem lassen sich weitere Deformationsgrößen ableiten, wie z. B. die lokalen Volu-
Auf diese Weise lassen sich für jedes individuelle Gehirn dreidimensionale Karten erzeugen, die jedem Punkt des gemeinsamen Referenzgehirns Daten zuordnen, die charakteristisch sind für die lokale Struktur in dem korrespondierenden Punkt im nicht-deformierten individuellen Gehirn (. Abb. 3.7). Da diese Karten alle auf das gemeinsame Referenzgehirn bezogen sind, können die Karten verschiedener Gehirne durch unmittelbare Überlagerung miteinander verglichen werden.
3.4.3 Voxelbasierte Morphometrie Die voxelbasierte Morphometrie (VBM) beruht ebenfalls auf der Anpassung der zu untersuchenden strukturellen MRT-Datensätze an ein gemeinsames Referenzgehirn. Mit diesem Verfahren können vor allem die Verteilungen der Kompartimente graue Substanz, weiße
menunterschiede zwischen dem angepassten Datensatz und dem Referenz-Datensatz (in der Abbildung sind ausgedehnte bzw. komprimierte Bereiche blau bzw. rot dargestellt). Diese Schritte werden für die Daten jedes zu untersuchenden Probanden wiederholt. Die Deformationsdatensätze der verschiedenen Probanden werden schließlich statistisch ausgewertet
87 3.5 · Zusammenführung anatomischer und funktioneller Daten
. Abb. 3.8. Vereinfachtes Beispiel eines Schemas für die voxelbasierte Morphometrie. Ein T1-gewichteter MR-Datensatz wird zunächst auf einen Referenzdatensatz »normalisiert«: Dieser Schritt entspricht einer affinen und nichtlinearen Registrierung. Danach wird der Datensatz in die 3 Gewebeklassen graue Substanz, weiße Substanz und zerebrospinaler Liquor segmentiert. Jeder dieser 3 Datensätze wird geglättet, z. B. mit einem Gauß-Filter der Weite 12 mm. Diese Schritte
werden für jeden zu untersuchenden Probanden wiederholt. Aus den geglätteten Segmentierungsmasken wird dann eine statistische Karte berechnet (im Allgemeinen für die verschiedenen Gewebeklassen getrennt). Als Referenzdatensatz wurde hierbei ein über die MR-Datensätze mehrerer Personen gemittelter Datensatz verwendet (Evans et al. 1993)
Substanz und zerebrospinale Flüssigkeit (CSF) untersucht werden. Im Folgenden wird das Grundprinzip von VBM beschrieben (. Abb. 3.8): Jeder MRT-Datensatz wird an das Referenzgehirn angepasst sowie entsprechend der interessierenden Kompartimente klassifiziert. Zu jedem dieser Kompartimente wird eine Karte erzeugt, die für jedes Voxel die Zugehörigkeit zu dem entsprechenden Kompartiment angibt: Abhängig vom Klassifizierungsverfahren kann dies ein binärer Wert sein (d. h. 1 bzw. 0 bedeutet, dass das Voxel zu dem Kompartiment gehört bzw. nicht gehört), oder ein Wahrscheinlichkeitswert. Auf diese Karten wird ein Gauß-Filter angewendet, üblicherweise mit einer Breite von 12 mm. Die gefilterten Datensätze mehrerer Probanden können voxelweise miteinander überlagert werden. Innerhalb einer Gruppenstudie können somit die gefilterten Datensätze als Eingangsdaten für voxelweise statistische Verfahren genutzt werden, mit deren Hilfe beispielsweise lokale Unterschiede in der Verteilung der grauen Substanz untersucht werden können (Ashburner u. Friston 2000). Die Karten der Gewebeverteilungen jedes einzelnen Probanden können zusätzlich mit den Daten der »JacobiDeterminante«, die aus der vorangegangenen Anpassung gewonnen werden (7 Kap. 3.4.2), »moduliert« werden: Dies bedeutet, dass die lokalen Größenunterschiede der einzelnen Gehirne berücksichtigt werden. Die auf diese Weise modulierten Voxelwerte werden als »Volumenwerte« interpretiert, die unmodulierten Voxelwerte dagegen als »Konzentrationen« (d. h. als lokaler Volumenanteil z. B. der grauen Substanz; Ashburner u. Friston 2000; Good et al. 2001).
! Mittels regionenbasierter Morphometrie werden strukturelle Kenngrößen bestimmt, die jeweils auf eine Region als Ganzes bezogen sind. Diese Regionen müssen a priori definiert werden (z. B. mittels eines Hirnatlas). Deformations- und voxelbasierte Morphometrie beruhen auf der Anpassung der zu untersuchenden Gehirndatensätze an ein gemeinsames Referenzgehirn. Die Deformationsfeldmorphometrie untersucht die bei der Registrierung berechneten Deformationsfelder. Die voxelbasierte Morphometrie wertet die nach der Anpassung der strukturellen MRTDatensätze bestehenden residuellen Unterschiede in der Gewebezusammensetzung aus. Beide Verfahren ermöglichen voxelweise statistische Analysen. Daher werden A-priori-Hypothesen hinsichtlich der »regions of interest« nicht notwendigerweise benötigt. Die Integration von a-priori-definierten »regions of interest« (z. B. in Form von zytoarchitektonischen probabilistischen Karten, 7 Kap. 1) kann allerdings hilfreich sein, wenn voxelweise statistische Tests keine signifikanten Aussagen ermöglichen.
3.5
Zusammenführung anatomischer und funktioneller Daten
3.5.1 Mikroanatomie und Funktion Die Zuordnung funktioneller Aktivierungen zur Mikrostruktur ist die Voraussetzung dafür, die entsprechenden funktionellen Vorgänge in Bezug zu kortikalen Arealen set-
3
88
3
Kapitel 3 · Grundlagen der Morphometrie und Integration anatomischer und funktioneller Bilddaten
zen zu können. Die mikroanatomischen Strukturdaten können als probabilistische Karten vorliegen (z. B. von zytoarchitektonischen Arealen, Faserbahnen und Kerngebieten; 7 Kap. 1; Amunts et al. 2004). Diese probabilistischen Karten basieren auf der Kartierung der jeweiligen Struktureneinheiten in Post-mortem-Gehirnen. In der probabilistischen Karte einer Struktureinheit wird für jedes Voxel des Referenzgehirns, auf das die jeweilige Karte bezogen ist, die geschätzte Wahrscheinlichkeit der Zugehörigkeit zu der betreffenden Struktureinheit angegeben. Die probabilistischen Karten verschiedener Struktureinheiten können dabei überlappen. Die funktionellen Daten verschiedener Probanden müssen für die statistische Analyse ebenfalls auf ein gemeinsames Referenzgehirn registriert werden. Um bei einem Vergleich mit mikroanatomischen Daten die größtmögliche Aussagekraft zu erzielen, sollten hierfür das gleiche Referenzgehirn und ein Registrierungsverfahren mit vergleichbarer Genauigkeit benutzt werden wie bei der Erstellung der probabilistischen Karten der mikroanatomischen Areale. Für die Zuordnung der lokalen Maxima funktioneller Aktivierungen zu makroanatomischen Struktureinheiten wurden verschiedene Vorgehensweisen vorgeschlagen (Tzourio-Mazoyer et al. 2002), die in abgewandelter Form auch für mikroanatomische Areale angewendet werden können: 1. Position der lokalen Maxima. 2. Erweiterte lokale Maxima: Hierbei wird davon ausgegangen, dass jedes lokale Maximum nur mit einem von Null verschiedenen Fehler bestimmt ist. Daher wird um jedes lokale Maximum eine sphärische Region mit einem Durchmesser von z. B. 20 mm gelegt. Über jede Region werden die probabilistischen Werte des in Frage kommenden Areals integriert. 3. Die probabilistischen Werte der in Frage kommenden Areale werden über den gesamten funktionellen Cluster, d. h. das zusammenhängende Gebiet einer funktionellen Aktivierung integriert. Bei der Auswahl der für die Untersuchung am besten geeigneten Methode sind folgende Gesichtspunkte von Bedeutung: 4 Funktionelle Aktivierungen sind im Allgemeinen über einen gewissen Bereich ausgedehnt. Insofern kann es problematisch sein, für deren quantitative Auswertung nur einen einzelnen Punkt zu berücksichtigen – wie bei Methode 1. 4 Die Ausdehnung funktioneller Aktivierungs-Cluster hängt von den Parametern der statistischen Analyse, wie beispielsweise der Filterweite bei der TiefpassFilterung ab. Weiterhin können in einem Cluster mehrere lokale Maxima vorhanden sein. In diesem Fall lässt sich Methode 3 nicht ohne weiteres anwenden.
Probabilistische Karten geben neben der Lage einzelner Struktureinheiten auch Auskunft über die lokale mikroanatomische Variabilität. Die funktionelle Variabilität steht hiermit vermutlich in einem engen Zusammenhang. Beim statistischen Vergleich der funktionellen Aktivierung verschiedener Gruppen kann dies relevant werden: Wenn in einer Probandengruppe die strukturelle Variabilität eines Areals vergleichsweise stark ist, dann kann dies dazu führen, dass die »Normalisierung« der funktionellen Daten nur zu einer schlechten Überlagerung der Aktivierungen führt – so dass das für die Gruppe resultierende Aktivierungssignal schwächer ist, als im Vergleich zu einer Gruppe mit geringerer Variabilität.
3.5.2 Morphometrie und Funktion Strukturelle MRT-Aufnahmen und funktionelle Daten können sich gerade bei funktionellen Vergleichsstudien verschiedener Probandengruppen ergänzen: Die morphometrische Analyse kann Hinweise geben auf anatomische Besonderheiten im Bereich der beobachteten funktionellen Aktivierungsunterschiede zwischen den Probandengruppen. Umgekehrt kann anhand der funktionellen Daten ermessen werden, bei welchen kognitiven oder emotionalen Vorgängen die beobachteten morphometrischen Unterschiede funktionell relevant sind (Kochunov et al. 2003). Weiterhin können morphometrische Analysen Auskunft über die lokale strukturelle Variabilität innerhalb einer Probandenpopulation geben: Unter Umständen können Unterschiede in der makroanatomischen strukturellen Variabilität die Auswertung funktioneller Aktivierungen in ähnlicher Weise beeinflussen, wie dies bereits in 7 Kap. 3.5.1 für die mikroanatomische Variabilität beschrieben wurde.
Zusammenfassung und Ausblick Mikroanatomische Strukturanalyse, Morphometrie und funktionelle Bildgebung sind einander sich ergänzende Untersuchungsverfahren. Mikroanatomische Daten werden vorwiegend an Post-mortem-Gehirnen gewonnen. Morphometrische Studien können dagegen auch in vivo durchgeführt werden. Daher lassen sie sich mit funktionellen Studien kombinieren. Zudem können morphometrische Vergleichsstudien an Probanden durchgeführt werden, die bezüglich bestimmter neuropsychologischer Kriterien ausgewählt worden sind. Bei der kombinierten Auswertung morphometrischer und funktioneller Daten sollte möglichst das gleiche Verfahren für die Registrierung, d. h. die Anpassung der Gehirndaten an ein gemeinsames Referenzgehirn benutzt werden.
89 3.6 · Literatur
3.6
Literatur
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3
4 4 Echtzeit-fMRT K. Mathiak, N. Weiskopf
4.1
Technische Entwicklung und Anwendungen – 92
4.2
Neurofeedback mit fMRT – 95
4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4
Selbstregulation – 96 Technische Anforderungen – 96 Kontrolle von Artefakten – 98 Lernparadigmen – 100
4.3
Literatur
– 101
92
Kapitel 4 · Echtzeit-fMRT
)) Bislang benötigen die meisten fMRT-Studien langwierige Analyseschritte. Nicht selten sind Rechner nächtelang damit befasst, die mühsam erhobenen Daten auszuwerten. Dadurch ist ein intuitiver Zugang zu den Daten deutlich erschwert, und Anfänger brauchen viel Durchhaltevermögen, um zu einem fassbaren Ergebnis zu kommen. Um solche Einschränkungen zu umgehen und auch neue Anwendungen zu ermöglichen, kommen in den letzten Jahren zunehmend Echtzeitverfahren in der fMRT zum Einsatz. Ursprünglich wurde die Bezeichnung Echtzeit auch für Auswertungen verwendet, die wenige Minuten nach dem Abschluss der Messung erste Ergebnisse liefern. Echtzeit im engeren Sinne sind Auswertungen, die online nach jeder Volumenakquisition – meist noch innerhalb der Repetitionszeit – Aktivierungskarten berechnen (. Abb. 4.1). Generell gilt, dass Echtzeitanalysen nur für einzelne Versuchspersonen möglich sind. Die anschließende Gruppenanalyse ist dann aber aufgrund der vorliegenden Individualanalysen möglich und sogar deutlich beschleunigt. Wir wollen in diesem Kapitel folgende Schwerpunkte diskutieren: 5 Die rasche Analyse der Individualdaten zur Qualitätskontrolle oder zur Gewinnung von funktionellen Navigatoren. Insbesondere in der prächirurgischen Diagnostik hat sie einen hohen Stellenwert. 5 Die direkte Interaktivität von Echtzeit-fMRT ermöglicht einen unmittelbaren Einsatz in der Lehre und bei kurzen studentischen Forschungsprojekten. 5 Aus dem Einsatz als fMRT-Brain-Computer-Interface (fMRT-BCI) ergeben sich gänzlich neue Anwendungen, in denen die aktuelle Hirnaktivierung direkt Einfluss auf das Paradigmum gewinnt. Dies sind in erster Linie Neurofeedback-Verfahren. 5 Zuletzt wollen wir noch einen Überblick über die technischen Anforderungen und Weiterentwicklungen auf dem Bereich der Echtzeit-fMRT geben.
4
4.1
Technische Entwicklung und Anwendungen
Cox et al. (1995) stellten erstmalig eine Apparatur vor, die in Echtzeit fMRT-Analysen berechnen konnte. Seitdem wurden – auch unterstützt durch die verbesserte Computertechnik – zunehmend verfeinerte Algorithmen zur Echtzeitverarbeitung von funktionellen MR Daten vorgestellt. Ähnlich wie bei der konventionellen fMRT-Analyse müssen Bewegungskorrektur (Mathiak u. Posse 2001; Thesen et. al. 2000) und andere Verfahren zur Reduktion von Artefakten angewandt werden (. Abb. 4.2). Zunächst wurden Nah-Echtzeitmethoden beschrieben, die nach dem vollständigen Ablauf eines Experimentalblocks die statistische Auswertung durchführen (Lee et. al. 1998; Voyvodic 1999; . Abb. 4.1).
Exkurs Lehrkonzept mit Echtzeit-fMRT Eine rasche Einführung in die funktionelle Kernspintomographie soll informieren und junge Wissenschaftler ansprechen. Unser Konzept basiert auf einem direkten und intuitiven Zugang zu diesem Medium. Die Echtzeit-fMRT wird dazu verwendet, dass Studenten die eigene Hirnaktivität online beobachten können (. Abb. 4.4). In diesem Zusammenhang werden die genauen physikalischen und biologischen Grundlagen der Signalentstehung diskutiert, um zu verdeutlichen, dass die funktionelle Bildgebung nicht so willkürlich ist wie sie manchem kritischem Geist erscheint. Heutzutage ist die fMRT eine der meist genutzten Methoden der Neurowissenschaft. Deshalb sollten jedem Studierenden, der in diese Art von Forschung involviert werden könnte, Grundlagenkenntnisse angeboten werden. Allerdings ist das Wissensgebiet fMRT leider sehr komplex und auch kompliziert. In Lehre, Publikationen und wissenschaftlichen Arbeiten neigen die Ebenen Theorie, Experiment, Datenverarbeitung und Dateninterpretation dazu, auseinander zu fallen. Um die Methodik intuitiv zu lehren, muss ein holistischer Ansatz gewählt werden. Da meist nur wenig Zeit für eine Einführung in die fMRT zur Verfügung steht, sollte nur eine kurze theoretische Einführung stattfinden, die den Hintergrund für die praktische Erfahrung liefern soll und den Studenten in die Lage versetzt, die Literatur über fMRT besser zu verstehen und kritisch zu würdigen. Andererseits sollen natürlich junge Wissenschaftler dazu motiviert werden, das Feld zu erforschen und auch in dem Bereich weiter zu arbeiten, indem langwierige methodische Prozeduren vermieden werden und die praktische Anwendung im Vordergrund steht. Darauf basierend können nun von den Studenten eigene Paradigmen vorgeschlagen werden. Um einen Eindruck über die Signaleigenschaften zu gewinnen, wird die Aktivität einzelner Hirnregionen dem Studenten oder der Studentin im Tomographen rückgemeldet. Dadurch wird z. B. die hämodynamische Verzögerung zwischen neuronaler Aktivität und Blutflussänderung direkt erfahrbar. Im Idealfall kann sie oder er nun lernen, diese Hirnaktivierung über Neurofeedback selbst zu steuern (7 Kap. 4.2). Durch interaktives Lernen mit Echtzeit-fMRT ist eine neue Anwendung von fMRT entstanden. Wir erreichen damit gute Lernerfolge und motivieren viele Studenten, weiter im fMRT-Bereich zu arbeiten. Die Studenten sind – wenn die infrastrukturellen Gegebenheiten erfüllt sind – hoch zufrieden. Allerdings entstehen hohe Anforderungen an Menschen und Material.
93 4.1 · Technische Entwicklung und Anwendungen
. Abb. 4.1. Unterschiedliche Strategien für die fMRT-Datenauswertung von der traditionellen Offline-Auswertung bis zum fMRT-BCI. Die Offline-Auswertung für einen Probanden dauert Stunden bis Tage. Dies ist für die meisten systematischen Studien über Gruppen ausreichend. Für prächirurgische Anwendungen bietet sich die Nah-Echtzeit an, um rasch kontrollierbare Ergebnisse zu erhalten. Der Datentransfer erfolgt nach jedem Messblock (bzw. die Auswertung erfolgt direkt auf dem MR-System) und die Analyse dauert wenige Minuten. Wenn nötig
können Messblöcke auch direkt wiederholt werden. Online-Verfahren transferieren und analysieren die Daten nach jeder Volumenakquisition. Inkrementell kann die Datenanalyse beobachtet werden; wir haben dies insbesondere in der Lehre eingesetzt, um einen intuitiven Zugang zur fMRT zu erreichen. Ein Brain-Computer-Interface erfordert weiter minimale und zuverlässige Transfer- und Analysezeiten. Zusätzlich müssen die Daten auch direkt zur benutzerfreundlichen Darstellung aufgearbeitet werden
Echte Online-Verfahren nutzten entweder eine »Slidingwindow«-Technik (Gembris et. al. 2000) oder kontinuier-
dependent-components«-Analyse (ICA; Esposito et al. 2003) werden zurzeit erprobt, müssen aber noch ihre Nützlichkeit unter Beweis stellen. Auch automatisch angepasste hämodynamische Antwortfunktionen konnten sich bisher nicht durchsetzen (Gembris et al. 2000). Bisher wurde gezeigt, dass Echtzeit-fMRT für sensorische, motorische, höhere kognitive und emotionale Aktivierungsparadigmen eingesetzt werden kann (Posse et al. 2001; Phan et al. 2004). Allerdings hatten diese Studien bislang wenig Bedeutung, da neurowissenschaftlich wenig Zugewinn zu erwarten war. Von klinischem Interesse ist die Echtzeit oder die Nah-Echtzeit fMRT für die prächirurgi-
liches rekursives Ergänzen eines Schätzers des linearen Modells (Bagarinao et. al. 2003; . Abb. 4.3). Die »Slidingwindow«-Technik nutzt nur Bilder aus einem beschränkten Zeitfenster (etwa 2–3 min) und ist somit gegen Artefakte relativ stabil, da diese das betrachtete Zeitfenster auch wieder verlassen. Die rekursiv berechneten linearen Modelle, die ähnlich schnell berechnet werden können, akkumulieren die experimentelle Evidenz und erhöhen die statistische Empfindlichkeit mit der Menge der gemessenen Daten. Neuere Verfahren wie eine Echtzeitberechnung einer »In-
4
94
Kapitel 4 · Echtzeit-fMRT
4
. Abb. 4.2. Strategien gegen Artefakte in Echtzeit
sche Lokalisationsdiagnostik, um eine direkte Qualitätskontrolle zu erreichen und rasch die Information an den Chirurgen weiterleiten zu können (Fernandez et al. 2001; Möller et al. 2005; Gasser et al. 2005). Ein ähnlich pragmatisches Interesse führte dazu, die Echtzeit-fMRT als modernen Lügendetektor zu benutzen (Phan et al. 2005).
Klinische Anwendungen wie präoperatives Lokalisieren dürfen vor allem wenig fehleranfällig sein. Im Gegensatz dazu erfordern wissenschaftliche Anwendungen vor allem die Möglichkeit zur statistischen Aufarbeitung der Ergebnisse. Aus diesem Grund findet man vermutlich relativ selten Publikationen über die durchaus verbreiteten Echtzeit-
4
95 4.2 · Neurofeedback mit fMRT
. Abb. 4.3. Schematische Darstellung der Analysetechniken für Echtzeit-fMRT
fMRT-Systeme, die auf der Scanner-Hardware installiert sind (Goodyear et al. 1997). Es zeigt sich eher, dass spezielle Applikationen (FIRE, Posse et al. 2001; Turbo-BrainVoyager, Goebel 2001) zum Einsatz kommen, die entweder mit besonderen Bildberechnungsroutinen (T2*-Schätzer, Hagberg et al. 2002) oder Anbindung an Neurofeedback-Systeme (Übersicht: Weiskopf et al. 2004b) Anwendung finden.
4.2
Neurofeedback mit fMRT
Brain-Computer-Interfaces (BCI) messen Hirnaktivität online und nutzen diese für unterschiedliche Anwendungen wie Kommunikation oder Neurofeedback und Selbstkon-
trolle von Hirnaktivität. Durch die Einführung von hochperformanten MR-Tomographen und Computern wurde auch fMRT als Basis eines nichtinvasiven BCI nutzbar. Schon anhand der wenigen bisher publizierten Studien ist es klar, dass der Mensch über Rückkopplung des BOLDSignals seine Gehirnaktivität lokal und willentlich modifizieren kann. Die Anzahl der Forschungsgruppen in dem Bereich und der benutzten Paradigmen steigt kontinuierlich an, so dass hier nur ein momentaner Überblick gegeben werden kann. Wir hoffen aber beim Leser mit den gegebenen Beispielen das Interesse zum weiteren Studium zu wecken. In Neurofeedback-Studien lernen gesunde Freiwillige oder Patienten Hirnaktivität über operante Konditionie-
A
a . Abb. 4.4a, b. Studenten beobachten die eigene Hirnaktivität mittels Echtzeit-fMRT. a Nach ärztlichem Interview und aufgeklärtem Einverständnis wird ein Student für die MR-Untersuchung von einer technischen Assistentin vorbereitet. b Studenten bedienen unter Aufsicht selbstständig eine MR-Konsole (A; Magnetom Trio, Siemens, Deutschland). Durch die BCI-Software (B) werden Zeitserien der »region of in-
b terest« verarbeitet. Diese werden in eine Graphik umgesetzt, die auch die experimentellen Aufgaben darstellt (C) und in den Tomographen projiziert. Die Echtzeitanalyse-Software (D) zeigt unmittelbar die errechneten Hirnaktivitäten an und weist auf Artefakte oder andere Probleme hin
96
Kapitel 4 · Echtzeit-fMRT
. Abb. 4.5. Mit fMRT-Neurofeedback untersuchte Hirnareale. Die Studien erfassten Selbstregulation der primärmotorischen (M1), somatosensorischen (S2), Brocas und der parahippokampalen Ortsareale. Auch höhere kognitive und affektive Strukturen wie das vordere Cingulum (ACC), der mediale Gyrus superior frontalis und die Amygdala dienten als Zielregion (Weiskopf et al. 2004b)
4
rung mit einem Feedback-Signal zu kontrollieren. Bisher erfolgte dies über die Elektroenzephalographie (EEG) um z. B. mit gelähmten Patienten zu kommunizieren (Birbaumer et al. 1999) oder epileptische Aktivität zu unterdrücken (Kotchoubey et al. 2001). Darüber hinaus ist Neurofeedback ein innovatives und interessantes experimentelles Paradigma in der Neurowissenschaft. Üblicherweise wird Hirnaktivität als abhängige Variable betrachtet, die über einen externen Reiz oder das Verhalten modifiziert wird. Im Gegensatz dazu wird in Neurofeedback-Experimenten die selbst regulierte Aktivität als die unabhängige Variable betrachtet. Damit können Effekte von willentlich gesteuerter Hirnaktivität auf das Verhalten untersucht werden. EEG-Feedback diente z. B. dazu, die Performance von Musikern zu verbessern (Egner u. Gruzelier 2003). Da diese Effekte von der genauen Lokalisation abhängig sind (d. h. von der regulierten Gehirnregion), bietet hier die Kontrolle des räumlich hochaufgelösten fMRT-Signals deutliche Vorteile gegenüber der schwer lokalisierbaren EEG Aktivität.
4.2.1 Selbstregulation Das fMRT-Signal oder BOLD-Signal (»blood oxygen leveldependent signal«) wird durch die lokalisierte Änderung in der Konzentration des desoxygenierten Hämoglobins im Blut bestimmt. Dessen Vorkommen im Gehirngewebe hängt von der neuronalen Aktivität ab. Die maximalen Signaländerungen treten erst nach einer Verzögerung von ca. 6 s auf und messen nur mittelbar neuronale Aktivität. Trotzdem gibt es zunehmend Hinweise darauf, dass eine enge Kopplung von dem im fMRT beobachteten Signal und der elektrischen neuronalen Aktivität, z. B. dem lokalen Feldpotenzial (LFP, s. Logothetis 2003), besteht. Die bisher beschriebenen Neurofeedback-Experimente mit fMRT basierten auf operanter Konditionierung. Die anatomischen Ziele der Selbstregulation waren der sensomotorische Kortex (DeCharms et al. 2004; Yoo et al. 2002, 2004), das supplementär motorische Areal (SMA; Weiskopf et al. 2004a), posteriore Anteile des Gyrus temporalis superior (Yoo et al. 2004), der mediale Gyrus superior
frontalis (Yoo et al. 2004), das parahippokampale Ortsareal (»parahippocampal place area«, PPA; Weiskopf et al. 2004a), das vordere Cingulum (ACC; Weiskopf et al. 2003; Yoo et al. 2004) und die Amygdala (Posse et al. 2003). Ein Überblick dazu findet sich in . Tab. 4.1 und . Abb. 4.5. In allen diesen Arealen konnten zumindest einzelne Probanden eine bewusste Kontrolle der lokalen Hirnaktivität erreichen. Ein Beispiel für eine online berechnete statistische Auswertung und Neurofeedback ist in Weiskopf et al. (2004a) dargestellt (. Abb. 4.6). In dieser Studie sollten die Teilnehmer das Feedback-Signal wechselnd erhöhen und erniedrigen. Rückgekoppelt wurde die Differenz des Signals aus dem supplementär-motorischen Areal und dem parahippokampalen Ortsareal (SMA–PPA).
4.2.2 Technische Anforderungen ! Um ein operantes Konditionieren mit Hilfe des fMRTSignals zu ermöglichen, muss eine für die Versuchsperson erkennbare Kontingenz erzeugt werden. Dazu muss das Feedback schnell und zuverlässig dargestellt werden. Dies erfordert eine hohe Geschwindigkeit, Empfindlichkeit gegenüber Aktivitätsänderungen und eine gute Artefaktunterdrückung.
Die hämodynamische Kopplung erzeugt eine Verzögerung von mehreren Sekunden zwischen der neuronalen Aktivität und dem fMRT-Signal. Der erste Signalanstieg erfolgt erst nach ca. 3 Sekunden und die maximale Änderung wird erst nach 6 s erreicht. Das heißt, so lange die Verarbeitungsgeschwindigkeit deutlich unter diesem Intervall liegt, kann keine wesentliche Verbesserung erreicht werden. Bei modernen Software-Implementationen wird die Analyse innerhalb von weniger als 1,5 s durchgeführt. Damit sind weitere Investitionen in die Erhöhung der Verarbeitungsgeschwindigkeit nur notwendig, wenn komplizierte Daten extrahiert werden sollen, wie etwa Konnektivitätsmaße anstatt der einfachen »Regions-of-interest«-Analyse. Während bei konventionellen fMRT-Untersuchungen eine erhöhte Sensitivität durch längere Messungen oder
Zielregion (»region of interest«) und Definition
Feedback und Design
Anweisungen und Probanden
Verzögerung
Ergebnisse
Bildgebungsund Analysetechnik
Anzahl der Probanden
Yoo u. Jolesz 2002
M1, S2
Aktivierungskarten; die aktivierten Regionen sollten vergrößert werden durch die Modifikation der Handbewegung (15 s Ruhe/15 s Bewegung)
Erläuterung der Aktivierungskarten, fMRT-unerfahren
60 s
Erfolgreiche Anpassung des Motorverhaltens, d. h. es wurden mehr Muskelgruppen eingesetzt
1,5 T, EPI, keine Vorverarbeitung, Differenzbild mit Schwellwert
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Posse et al. 2003
Amygdala; anatomisch
Verbale Rückkopplung über Aktivierung, die vom Experimentator eingeschätzt wurde; selbstinduzierte Traurigkeit oder neutrale Stimmung auf Präsentation von Gesichtern hin (20 s Ruhe/30 s Stimmungsinduktion)
Anweisung für Stimmungsinduktion; keine nähere Information über die Probanden
60 s
Die Aktivierungsmuster korrelierten mit den subjektiven Einschätzungen der negativen Stimmung, signifikante Unterschiede zwischen neutraler und trauriger Stimmung, Lerneffekt analysiert
1,5 T, mEPI, Kompensation von Suszeptibilitätsbedingten Signalauslöschungen, Bewegungskorrektur, räumliche Glättung, »Slidingwindow« Technik
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Posse et al. 2003
Amygdala; anatomisch
Verbale Rückkopplung über Aktivierung, die vom Experimentator eingeschätzt wurde; selbstinduzierte Traurigkeit oder neutrale Stimmung auf Präsentation von Gesichtern hin (20 s Ruhe/30 s Stimmungsinduktion)
Anweisung für Stimmungsinduktion; keine nähere Information über die Probanden
60 s
Die Aktivierungsmuster korrelierten mit den subjektiven Einschätzungen der negativen Stimmung, signifikante Unterschiede zwischen neutraler und trauriger Stimmung, Lerneffekt analysiert
1,5 T, mEPI, Kompensation von Signalausfällen, Bewegungskorrektur, räumliche Glättung, »Sliding-window« Technik
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Weiskopf et al. 2003
ACcd, ACad; anatomisch
Zwei Kurven der Aktivität in ACcd, ACad; Erhöhung beider Kurven (60 s Ruhe/60 s Erhöhung)
Neurowissenschaftlicher Hintergrund; Mitglied der Forschungsgruppe
50 Jahre
Altersbedingte Verminderung des zerebralen Metabolismus, dadurch Abnahme der Signalstärke und/oder höhere Wahrscheinlichkeit eines dementiellen Prozesses
Ausschluss von psychischen Erkrankungen aktuell und in der Vergangenheit
Mangelnde Zugehörigkeit zur Zielgruppe, Risiko eines veränderten zerebralen Metabolismus
Ausschluss von psychischen Erkrankungen in der blutsverwandten Familie bei Verwandten ersten Grades
Genetisch bedingt erhöhtes Risiko für eine eigene psychische Erkrankung, Risiko eines veränderten zerebralen Metabolismus
Intelligenzquotient Definition
b . Abb. 6.8a, b. Amygdalaaktivität. a Die Amygdalaaktivität variiert mit der Startle-Reflexamplitude (oben) sowie der Interaktion von Startle-Reflex und Valenzratings (unten). b Die Aktivität des frontomedialen Kortex korreliert mit der Hautleitfähigkeit (Anders et al. 2004)
> Definition Der Startle-Reflex oder Schreckreflex ist eine unwillentliche Reaktion auf einen plötzlichen unerwarteten Reiz (meist lautes Geräusch), der eine muskuläre Anspannung und eine Vielzahl viszeraler Reaktionen nach sich zieht. Es kann die Startle-Reflexamplitude und/oder Latenz (30–40 ms) erfasst werden, z. B. über den Lidschluss. Die Amplitude ist emotional modulierbar, d. h. vergrößert in negativ emotionalem Kontext, verkleinert bei positiv emotionalen Reizen, was über die Amygdala reguliert wird. ! Reaktionserfassung ist während fMRT-Messungen über motorische Reaktionen oder Sprache möglich. Zur Kontrolle des Probanden oder zur Beantwortung entsprechender Fragestellungen kann eine Messung der Augenbewegungen sinnvoll sein. Eine Alternative, allerdings weniger aussagekräftig, sind Reaktionsaufzeichnungen im Anschluss an die Messung außerhalb des Tomographen.
6.4
Formen des experimentellen Designs
6.4.1 Block- und Event-related-Design Da sehr viele Variablen die Hirnaktivierung beeinflussen und die fMRT-Messungen relative Signaländerungen erfassen, ist es wesentlich, kontrastierende Bedingungen bei der Messung einander gegenüberzustellen. Bei der optimalen Gestaltung der Paradigmen ist daher anzustreben, einer-
Blockdesign (auch »boxcar« genannt): Experimentelles Design, in dem die Stimuli in fester Zeitfolge präsentiert werden unabhängig von subjektiven Reaktionen. Jeder Block wird bei der Analyse als Einheit betrachtet, so dass alle Stimulusvorgaben bzw. Aufgaben nur zu einer Bedingung gehören sollten.
Diese Blöcke mit mehreren Messwiederholungen des interessierenden psychologischen Vorgangs sind jeweils deutlich länger als die Zeitkonstanten der hämodynamischen Antwortfunktion. Wegen der diskreten Stimulusvariation zwischen on- (hier: interessierende Untersuchungsbedingung) und off- (hier: Ruhephase bzw. Kontrollbedingung) Phasen im Sinne einer Rechteckfunktion wird es auch »Boxcar«-Paradigma genannt (. Abb. 6.9). Es beruht auf der theoretischen Überlegung, dass die stimulusgebundene neuronale Aktivität sich linear aufsummiert und dass ein stabiler kognitiver Zustand erreicht werden kann, während dessen keine Wechselwirkung mit anderen Aufgaben oder Einflüssen stattfindet. Eine flexiblere Gestaltung des Stimulationsablaufs kann durch Verwendung von sog. »Eventrelated«-Paradigmen erreicht werden (. Abb. 6.9), die analog zu den ereigniskorrelierten Untersuchungen in der Elektrophysiologie aus einer Serie von kurzen und identischen Einzelaktivierungen (»single trials«) bestehen und die (bzw. deren BOLD-Antwort) nachträglich aufsummiert werden. > Definition »Event-related«-Design (»Single trial«-Design): Experimentelles Design, bei dem die Zeit des Auftretens eines Stimulus nicht festgelegt ist und bei dem die Stimulusvorgaben häufig sehr kurz sind. Jeder Stimulus/jede Aufgabe ist damit statistisch unabhängig von den vorhergehenden. Um dies zu gewährleisten, müssen die verschiedenen Stimuli randomisiert werden, so dass keine Antizipation möglich ist bzw. der nächste Stimulus/die nächste Aufgabe nicht vorhersagbar ist.
Durch die Einführung des »Event-related«-Paradigmas in die fMRT-Messungen konnte die zeitliche Auflösung beträchtlich gesteigert werden. Das Signal kann gut erfasst
6
124
Kapitel 6 · Planung und Umsetzung experimenteller Paradigmen
6
. Abb. 6.9. Beispiel eines Signalverlaufs im Blockdesign (oben links, schwarze Linie) mit der Modellfunktion für die hämodynamische Antwortfunktion (blaue Linie) und dem in SPM-modellierten Design
werden, wenn die Akquisitionszeit etwa im Bereich einer TR von 2 s liegt (Price et al. 1999); die Abtastrate und damit die genaue Erfassung der Form der Einzelaktivierung kann jedoch noch gesteigert werden, wenn die Reize mit variablem Intervall bezüglich der Messzeitpunkte vorgegeben werden (jittern), d. h. also nicht parallel zur Akquisitionszeit. > Definition Jittern: Variable Stimulusdauer oder variable Länge des Interstimulusintervalls; dadurch werden unterschiedliche Schichten zu einem bestimmten Zeitpunkt wäh6
der Bedingungsabfolge (unten links) und zum Vergleich für ein »single trial«(rechts)
rend des definierten Einzelereignisses aufgenommen. Durch Variation der Ereignisse, der TR und der Schichtaufnahmen kann die BOLD-Response für jedes Ereignis besser abgetastet und extrahiert werden.
Es ist jedoch darauf zu achten, dass die Inter-Stimulus-Intervalle nicht zu kurz gewählt werden, da es sonst zu einer Sättigung im Signal kommen kann. Auf diese Weise lassen sich verschiedene Zeitpunkte des Signalverlaufs in verschiedenen Einzelaktivierungen erfassen. Wählt man eine ausreichend hohe Anzahl, lässt sich der Signalverlauf der einzelnen Aktivierungen durch Sortieren der Messwerte rekonstruieren. Allerdings setzt dies voraus, dass die Ein-
125 6.4 · Formen des experimentellen Designs
zelereignisse während der gesamten Messung identisch reproduzierbar sind. Inzwischen wurde die Messempfindlichkeit so weit gesteigert, dass sich kurze motorische und sensorische Aktivierungen auch direkt ohne Mittelung messen lassen (»Single-trial«-fMRT). Das »Event-related«-Design besitzt damit eine höhere zeitliche Auflösung und hat den Vorteil der randomisierten Vorgabe von Stimuli und Bedingungen. Das heißt, analog zu den normalen Alltagsbedingungen wird nicht ein bestimmter dauerhafter Zustand induziert. Außerdem können bei bestimmten Fragestellungen Posthoc-Analysen durchgeführt werden, die eine weitere Differenzierung der jeweiligen kognitiven Prozesse erlauben. Dies hat es beispielsweise bei Gedächtnisexperimenten ermöglicht, anhand der späteren Erinnerungsleistung Unterschiede in den neuronalen Mechanismen zwischen erinnerten und vergessenen Items bei der Enkodierung zu analysieren (. Abb. 6.10). Allerdings ist die Sensitivität des »Event-related«-Paradigmas geringer als die des Blockdesigns und sowohl der Aufbau als auch die Analyse solcher Experimente sind schwieriger. Die Auswirkung emotionaler Valenz (positiv, negativ, neutral) auf die (implizite) Gedächtnisleistung untersuchten Dolcos et al. (2004) in einem »Event-related«-Ansatz. Die Probanden schätzten während der Messung die empfundene Valenz der unterschiedlich emotionalen Bilder ein und wurden 45 min nach der Messung einem unangekündigten Gedächtnistest unterzogen. Die Auswertung erfolgte durch Vergleich der Enkodierungsaktivitäten bei später erinnerten versus vergessenen Bildern und dies getrennt für jede Emotionskategorie. Dieser Ansatz erlaubt die Analyse
der spezifischen Korrelate der Valenzverarbeitung (positive, negative und neutrale Reize), der Erregung (durch Vergleich emotionaler mit neutralen Stimuli) und der Gedächtniseffekte (erinnerte versus vergessene Reize) sowie der Interaktion von Emotion und Gedächtnis. Die Wahl des geeigneten Paradigmas richtet sich jedoch nach der Fragestellung und den Untersuchungshypothesen, d. h. nach der Charakteristik der zu erhebenden psychischen Funktion. So ist z. B. das Blockdesign eher für die Abbildung längerdauernder, mehr gleichförmiger, nichtzeitkritischer psychischer Prozesse geeignet, »Event-related«-Paradigmen dagegen für randomisiert vorzugebende, abgrenzbare Einzelereignisse sowie bei Versuchsanordnungen, die vom Probanden gesteuert werden. ! Es können prinzipiell auch beide Paradigmen in einem Hybridansatz kombiniert werden, so beispielsweise um tonische und phasische Effekte zu vergleichen. Die Einzelereignisse werden dann in Blöcken gebündelt, so dass sowohl die Analyse von Blöcken als auch von Einzelereignissen (über Blöcke hinweg und innerhalb) möglich ist, wodurch sich die Vorteile beider Methoden kombinieren lassen.
Vorteile des Blockdesigns. Vorteilhaft ist die Einfachheit in der Handhabung und Analyse (t-Test, Subtraktion, Korrelation) sowie bei der Interpretation. Ferner besitzt das Blockdesign eine hohe statistische Power. Ein anderer wesentlicher Vorteil von Blockdesigns im Vergleich zum »Event-related«Design ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch noch, dass sie das Untersuchen von effektiver Konnektivität mittels »structural equation modelling« oder psychophysiologischen Interaktionen (PPI) ermöglichen (7 Kap. 22). Dies wird sich aber bald ändern, da zurzeit vielfältige und erfolgsversprechende Bemühungen bestehen, diesen methodischen Nachteil von »Event-related« Designs auszugleichen. Nachteile des Blockdesigns. Nachteilig sind die Möglichkeit der Erwartungs- und Antizipationsbildung, der Habituation von Aktivierungen (7 unten; Bandettini et al. 1997) und der Schwierigkeit der Randomisierung von Stimuli; ferner können Wiederholungseffekte nur bedingt kontrolliert werden, und die relativen Ereignishäufigkeiten der Stimuli können nicht verändert werden.
6.4.2 Designklassifikation
. Abb. 6.10. Die Emotionalität erhöhte die erfolgreiche Enkodierungsaktivität (Dm, Aktivität bei später erinnerten versus vergessenen Items) im linken präfrontalen Kortex. Verglichen mit der Aktivität bei neutralen Bildern (DmNeu) war die Aktivität bei positiven (DmPos) und negativen Bildern (DmNeg) größer im linken ventrolateralen (BA47) und dorsolateralen präfrontalen (BA9/6) Kortex (Dolcos et al. 2004)
Bei der experimentellen Planung ist unabhängig von der Paradigmenwahl (Blockdesign versus »Event-related«-Design) auch die Frage der Faktoren- bzw. Bedingungsanzahl und der Art der Faktoren zu klären. Man unterscheidet dabei allgemein einfaktorielle und mehrfaktorielle Designs, wobei die jeweiligen Faktoren kategorial oder parametrisch sein können (. Abb. 6.11).
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126
Kapitel 6 · Planung und Umsetzung experimenteller Paradigmen
untersuchenden Bedingungen maßgeblich sind, bzw. die bei den Personen invariant involviert sind.
. Abb. 6.11. Designklassifikation bei fMRT-Experimenten. Beispiele unterschiedlicher Effekte und Untersuchungsmöglichkeiten in Abhängigkeit von der Art und Anzahl der Faktoren und der zugrunde liegenden Annahmen
! Mit der »Conjunction«-Analyse können allgemein die Areale entdeckt werden, die bei einer Reihe von verschiedenen Personen bzw. Bedingungen gleichermaßen aktiviert sind.
Parametrisches Design Kategoriales Design
6
Kategorialen Designs liegt die Annahme zugrunde, dass neuronale Prozesse sich additiv verknüpfen lassen: Wird verglichen mit der Baseline bzw. bestehenden neuronalen Prozessen ein weiterer interessierender Prozess eingeführt, so sollten die übrigen Prozesse davon nicht beeinflusst werden. Demnach können in diesem Design, bestehend aus diskreten Abstufungen eines Faktors (im einfaktoriellen Fall) einzelne Komponenten durch Subtraktion isoliert werden, um die für jede Bedingung spezifischen regionalen Aktivierungsmuster zum Vorschein zu bringen. Trifft diese Annahme allerdings nicht zu, und verhalten sich neuronale Prozesse im Falle einer Kombination interaktiv und nichtadditiv, so repräsentieren Differenzen zwischen den Bedingungen nicht den interessierenden Effekt, sondern die Wechselwirkung zwischen bereits bestehenden und neu hinzugekommenen Prozessen. Bezieht sich die Subtraktionsmethode typischerweise auf eine spezielle Fragestellung, also z. B. das Isolieren der neuralen Mechanismen, die einer einzelnen kognitiven Funktion zugrunde liegen, so handelt es sich bei der »Conjunction«-Analyse um eine Ausweitung der Auswertung auf mehrere spezielle Fragestellungen, die gleichzeitig getestet werden (Price u. Friston 1997). Konkret heißt das, dass die »Conjunction«-Analyse es z. B. erlaubt zu bestimmen, welche neuralen Mechanismen sowohl bei der Aufgabe A wie auch bei der Aufgabe B und der Aufgabe C signifikant involviert sind (. Abb. 6.12). Dieser Ansatz kann sowohl zwischen mindestens 2 Bedingungen wie auch bei mehreren Personen getestet werden und soll die invarianten Komponenten zum Vorschein bringen, die für den speziellen gemeinsamen Effekt der zu
a . Abb. 6.12. »Conjunction«-Analyse. a Beispiel für eine kognitive Subtraktion: PI ist der interessierende Prozess, Task A entspricht der Aktivierung, Task B der Baseline. b Beispiel für eine kognitive »Con-
Bei einem parametrischen Design geht man davon aus, dass die zerebralen Aktivierungen mit dem Ausmaß an kognitiver, emotionaler, motorischer oder sensorischer Stimulation und Verarbeitung systematisch variieren. Dazu wird ein Stimulusparameter quantitativ oder blockweise verändert (z. B. die Arbeitsgedächtnisbelastung in den einzelnen Bedingungen, Zeiteffekte, Schmerzintensität etc.). Die Analyse der Daten kann über lineare oder nonlineare Regressionen erfolgen. Sinnvoll kann das parametrische Design eingesetzt werden, um z. B. die zerebralen Korrelate klinischer Symptome oder Syndrome zu erfassen, wobei über eine multiple Regression der Zusammenhang zwischen neuronaler Aktivität und verschiedenen Dimensionen klinischer psychopathologischer Ratingskalen bestimmt wird (Liddle et al. 1992). Mohr et al. (2005) haben zur Untersuchung der Rolle des anterioren zingulären Kortex (ACC) bei selbst und extern applizierten thermalen Schmerzreizen ein mehrfaktorielles parametrisches Design verwendet (. Abb. 6.13). Die Probanden nahmen an 4 Bedingungen teil: A Selbst (intern) applizierte Schmerzreize; B extern applizierte Schmerzreize gleicher Intensität und Häufigkeit, wobei die motorische Aktivität (der linken Hand) der Probanden vergleichbar gehalten wurde. In den Bedingungen C und D wurden Schmerzreize auf akustische Hinweisreize gegeben entweder mit Verzögerung C oder ohne Verzögerung D, um das unterschiedliche Ausmaß an Unsicherheit der Bedingungen A und B zu berücksichtigen, da extern applizierte Reize bzgl. ihres zeitlichen Auftretens immer mehr Unsicherheit beinhalten als intern verabreichte. Drei verschiedene Schmerzintensitäten wurden verwendet (unter, um und oberhalb der individuellen Schmerzschwelle). Die Pro-
b junction«-Analyse: Das Design hat 2 Teile (I, II), mit jeweils einer Aktivierung (A) und Baseline (B). P1–P4 sind unterschiedliche aber arbiträre Komponenten (Price u. Friston 1997)
127 6.4 · Formen des experimentellen Designs
a
b
c . Abb. 6.13a–c. Faktorielles parametrisches Design bei einem Schmerzexperiment (Mohr et al. 2005). Schmerzassoziierte Aktivierungen im posterioren zingulären Kortex (a), dem mittleren zingulären ACC (b) und perizingulären ACC (c). Mitte: Die Kontrasteinschätzungen für die einzelnen Bedingungen. Rechts: lineare Regression der bedingungsspezifischen Effekte der Regionen für die Interaktionen in-
tern versus externer Schmerz und sicherer versus unsicherer Schmerz (*geben signifikante Unterschiede an; p=0,005). Die Aktivierungen in gelb repräsentieren die Interaktion zwischen extern versus intern appliziertem Schmerz, in blau für intern versus extern. In grün sind Areale aktiviert, die sich aus der »Conjunction«-Analyse von A und B ergaben und übereinstimmende Aktivierungen zeigten
banden schätzten unmittelbar im Anschluss die Intensität in 4 Kategorien ein (P1–P4). Die Ergebnisse zeigten, dass der posteriore zinguläre Kortex mit zunehmender Schmerzintensität bei selbst generiertem Schmerz abnehmende Aktivität zeigt, möglicherweise Ausdruck einer adaptiven Strategie, während der perigenuale Teil des ACC Aktivitätserhöhungen zeigt (die sich so auch in Abhängigkeit der Sicherheit zeigen), was mit Erwartungen bei sicheren Ereignissen in Zusammenhang gebracht wird. Der mittlere zinguläre Bereich scheint dagegen unabhängig von der Art der Stimulusapplikation zu sein.
erklären lässt, sondern aufgrund spezieller differenzieller Kombinationseffekte zustande kommt. Es werden dabei 2 oder mehr Faktoren untersucht, die wiederum 2 oder mehr Abstufungen haben können (. Abb. 6.14). Beispielsweise ist dies im bereits angeführten Beispiel zur Testevaluation der Fall, wenn der Einfluss von Emotionen auf die unterschiedliche Arbeitsgedächtnisleistung untersucht wird. Es wurden zur Emotionsinduktion ein negativer Geruch und zum Vergleich neutrale Luft verwendet (Faktor 1) und die Auswirkungen auf niedrige (0-back) und hohe (2back) Arbeitsgedächtnisbelastung (Faktor 2) im Rahmen des CPT (»continuous performance test«) analysiert. Dieses Design ist besonders geeignet für den klinischen Bereich, wo beispielsweise verschiedene klinische Gruppen mit gesunden Kontrollprobanden bezüglich gestörter neuraler Prozesse oder der Effekt einer therapeutischen Intervention auf eine Leistung und ihre neurobiologischen Substrate untersucht werden können. So prüfen wir z. B. die
Mehrfaktorielle Designs Ein (mehr)faktorielles Design ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass es die Analyse von Interaktionen erlaubt (. Abb. 6.11 und 6.13). Eine Interaktion beinhaltet, dass die Wirkung einer Kombination von 2 Faktoren sich nicht aus der additiven Verknüpfung der beiden einzelnen Faktoren
6
128
Kapitel 6 · Planung und Umsetzung experimenteller Paradigmen
Dabei ist eine Kontrolle mehrerer wesentlicher Punkte zwischen den Bedingungen wesentlich, so z. B. die Aufmerksamkeit, die Anstrengung, die Stimulusanforderungen und die Reaktionsanforderungen. Alle diese Punkte sollten zwischen der Aktivierungs- und der Kontrollbedingung so ähnlich wie möglich gehalten werden; gleichzeitig sollten sie bezüglich des interessierenden Parameters so unterschiedlich wie möglich sein, um differenzielle Aktivierungsmuster zwischen den Bedingungen mit größtmöglicher Sicherheit auf den interessierenden unterschiedlichen Parameter zurückführen zu können. Aus den angeführten Gründen ist zu empfehlen, auf Ruhebedingungen als Vergleichsbedingung zu verzichten.
6
6.5
Messwiederholungen
6.5.1 Habituation
. Abb. 6.14. Faktorielles Blockdesign mit 2 jeweils zweistufigen Faktoren. Es wird der Einfluss von negativen bzw. neutralen Emotionen (Faktor 1) auf die Arbeitsgedächtnisleistung (0-back und 2-back; Faktor 2) untersucht. Analysierbar sind die Haupteffekte Emotion (negative > neutrale Geruchsstimulation) und Arbeitsgedächtnis (2-back > 0-back) und deren Interaktion (negative > neutrale Geruchsstimulation bei 2-back > 0-back). Unten ist die Modellierung für die statistische Analyse in SPM dargestellt. Eine Spalte repräsentiert eine Bedingungskombination, wobei auch immer die Baseline mit Fixation der Stimuli eingeschlossen ist
Effektivität verschiedener Therapieformen (Plazebo, Medikation, Psychotherapie) auf die zerebralen Korrelate des Alkohol-Cravings bei abstinenten Alkoholikern. Wiederholte Messungen vor und nach den Interventionen in einem Intervall von 3 Wochen sollen eher krankheitsimmanente überdauernde Trait- und fluktuierende zustandsabhängige State-Komponenten der bei Craving involvierten Hirnareale zum Vorschein bringen. Auch mehrfaktorielle Designs können parametrisch modulierte Faktoren beinhalten (z. B. . Abb. 6.13; Mohr et al. 2005), wodurch Inferenzen über lineare und nonlineare Interaktionen möglich werden.
6.4.3 Wahl der Kontrollbedingung ! Unabhängig von der Art des gewählten Designs muss jedes experimentelle Paradigma eine passende Ruheoder besser Kontrollbedingung einschließen, mit der die neuronale Aktivität der interessierenden Bedingung verglichen wird, da das BOLD-Signal keine absolute Messung neuronaler Aktivität darstellt.
Im Rahmen von fMRT-Messungen kann man zwischen Stimulus- und Messwiederholungen unterscheiden. Eine Stimuluswiederholung ist wesentlich, um das SignalRausch-Verhältnis, also die Messempfindlichkeit zu steigern. Erst mehrere Mittelungen des Aktivierungsverlaufs erlauben es, eine Signaländerung aus dem Rauschen sicher herauszufiltern. Dabei ist man häufig mit dem Problem der Habituation konfrontiert, da neuronale Strukturen im Falle wiederholter Präsentationen eine Reaktionsminderung zeigen können. Wiederholt demonstriert wurde dies im Falle des visuellen Kortex (Condon et al. 1997), des auditorischen Kortex (Pfleiderer et al. 2002), des primären olfaktorischen Kortex (Poellinger et al. 2001) und der Amygdala (Breiter et al. 1996; Büchel et al. 1998, 1999). Eine Reaktion der Amygdala konnte wiederholt im Kontext emotionaler Reaktionen demonstriert werden (Schneider et al. 1997, 1998, 2000a, 2000b; Büchel et al. 1998,1999), allerdings schwächt sich diese Reaktion bei wiederholter Präsentation ab (Wright et al. 2001). Dies macht es je nach Designplanung oder gewählter Aufgabe schwierig, Amygdalaaktivierungen überhaupt nachzuweisen So scheint eine Beteiligung der Amygdala im Kontext emotionalen Erlebens keiner Habituation zu unterliegen (Schneider et al. 1997, 1998, 2000a; Habel et al. 2004, 2005; . Abb. 6.15), im Kontext von Konditionierungen wird sie dagegen häufig berichtet (Schneider et al. 1999, 2000b; Büchel et al. 1998, 1999; . Abb. 6.16). Besonders die Wahl eines Blockdesigns kann in so einem Fall durch eine Mittelung der Signale pro Phase eine Aktivierung im Bereich der Amygdala verdecken. Ein häufiger Stimuluswechsel und die Wahl eines »Event-related«Designs, wie auch die Unterteilung eines Blockes in mehrere Phasen können dem begegnen und eine Reaktion wie auch eine mögliche Habituation der Amygdala sichtbar machen.
129 6.5 · Messwiederholungen
. Abb. 6.15. Zeitverlauf in der Amygdala während einer traurigen Stimmungsinduktion bei 19 gesunden Probanden (modifiziert nach Habel et al. 2004). Es wurde das in . Abb. 6.1 dargestellte Design mit der beschriebenen standardisierten Stimmungsinduktionsmethode verwendet
. Abb. 6.16. Beispiel einer Amygdalahabituation eines Probanden während eines Konditionierungsexperimentes (Büchel et al. 1999). Die dritte zusätzliche Dimension (»scans«) zeigt die Entwicklung (Abnahme) der Signalveränderung über den experimentellen Verlauf hinweg
6.5.2 Veränderungsmessungen
zifisch bei Patienten im Vergleich zu Gesunden beteiligt. Infolge einer dreiwöchigen Verhaltenstherapie zeigte sich ein reduziertes Suchtverlangen, und gleichzeitig waren keine Reaktionen der Amygdala und des Zerebellums mehr nachweisbar, während bei gesunden Probanden keine vergleichbaren Veränderungen während der gleichen Zeit auftraten (. Abb. 6.17). Problematisch für die Interpretation der Befunde bei dieser Studie war allerdings, dass die Patienten auch medikamentös mit einem Antidepressivum behandelt waren und daher medikamentöse und verhaltenstherapeutische Effekte nicht sauber getrennt werden konnten. Außerdem ließ sich nicht ausschließen, dass auch nur reine Zeiteffekte solche Änderungen bei den Patienten bewirkt haben könnten, da eine Wartekontrollgruppe nicht eingeschlossen worden war. Dennoch lassen die Aktivierungen in Amygdala
Die fMRT ist aufgrund ihrer Nichtinvasivität besonders gut geeignet, um Messwiederholungen im Zeitverlauf durchführen zu können. Zahlreiche Studien haben dies zwischenzeitlich genutzt, um Therapieeffekte nachzuweisen. So konnten die Effekte einer Verhaltenstherapie auf die zerebralen Korrelate des Suchtverlangens (Craving) von alkoholabhängigen Patienten nachgewiesen werden (Schneider et al. 2001). Durch olfaktorische alkoholische Reize konnte bei 10 abstinenten alkoholabhängigen Patienten subjektiv Craving ausgelöst werden, dessen zerebrale Korrelate Amygdalaund Kleinhirnaktivierungen repräsentierten (Schneider et al. 2001). Diese Areale waren spezifisch bei der Alkoholstimulation im Vergleich zur Kontrollbedingung und spe-
a . Abb. 6.17a, b. Craving. a Mittlere Cravingratings der Patienten vor und nach Therapie für alkoholische und neutrale Duftreize. b Amygdala und zerebelläre Aktivität als Korrelate des Cravings (bei alkoholi-
b scher olfaktorischer Stimulation) sind nur vor der Therapie, nicht mehr nach Therapie feststellbar (modifiziert nach Schneider et al. 2001)
6
130
Kapitel 6 · Planung und Umsetzung experimenteller Paradigmen
6
. Abb. 6.18. Behandlungseffekte im Sinne einer Aktivierungszunahme bei ersterkrankten schizophrenen Patienten. Dargestellt sind Vergleiche zwischen Gesunden (n=25) und Patienten (n=23): oben bei Beginn der Untersuchung und unten nach bis zu 2 Jahren Therapie. Die Unterschiede zwischen den Gruppen zum ersten Messzeitpunkt
im Bereich Hippocampus (links oben), des temporalen, temporoparietalen, anterior zingulären (mittlere Bilder) und frontalen, parietalen (Precuneus) und zingulären Kortex (rechts) bei erhöhten Arbeitsgedächtnisanforderungen verschwinden infolge der Therapie (unten)
und Zerebellum vermuten, dass es sich um Korrelate des Craving handelt, die durch eine Therapie reduzierbar sind. Ähnliche Aktivierungen wurden bei Kokain- und NikotinCraving berichtet (Childress et al. 1999; Wang et al. 1999; Due et al. 2000). Im Bereich der Schizophrenie haben erste Ergebnisse einer Multicenterstudie bei ersterkrankten schizophrenen Patienten die Effekte einer doppelblinden pharmakologischen Behandlung mit atypischen versus typischen Neuroleptika auf die Aktivierung während unterschiedlicher Arbeitsgedächtnisanforderungen zeigen können (. Abb. 6.18). Die Patienten werden während einer »Continuous-performance«-Aufgabe mit der funktionellen Kernspintomographie zu mehreren Zeitpunkten untersucht (zu Beginn, nach einem halben, einem und zwei Jahren). Die oben stehende Abbildung verdeutlicht die Veränderungen: Zu Beginn bestehende Aktivierungsunterschiede zwischen Gesunden und Patienten in hippokampalen, temporalen, frontalen, zingulären und parietalen Arealen werden durch die medikamentöse Behandlung abgeschwächt. Da es sich hierbei um erste Ergebnisse einer laufenden Untersuchung handelt, deren Verblindung noch nicht aufgelöst wurde, konnten differenzielle Pharmakaeffekte noch nicht analysiert werden. Auch die Effekte psychologischer Therapien können durch die fMRT validiert werden: Die Effekte eines Emotionsdiskriminationstrainings (Frommann et al. 2003) wurden anhand des Vergleiches von 10 trainierten schizophrenen Patienten sowie 10 nicht-trainierten Patienten evaluiert. FMRT-Messungen wurden vor und nach dem 6-wöchigen
standardisierten Trainingsprogramm (bzw. zu vergleichbaren Zeitpunkten bei der nicht-trainierten Kontrollgruppe) durchgeführt. Die Wirksamkeit und Effektivität des Trainings wurden in deutlichen Leistungsunterschieden der Gruppen bei der emotionalen Diskriminationsfähigkeit sichtbar. Vergleichbar wurden auch in der Hirnaktivierung während einer solchen emotionalen Diskriminationsaufgabe spezifische Änderungen der Trainingsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe vor allem in temporalen und frontalen Hirnarealen sichtbar. Diese Beispiele verdeutlichen die kritischen Punkte bei Veränderungsmessungen bzw. Therapieverlaufsstudien. Um genaue Aussagen über die Effekte machen zu können, ist es nötig, Kontrollgruppen ohne die interessierende Therapie und gesunde Probanden zu vergleichbaren Zeitpunkten zu untersuchen, um auch reine Zeiteffekte und die Effekte der bloßen Messwiederholung zu erfassen. Allein diese erneute Untersuchung kann zu anderen Resultaten führen, da die Probanden weniger nervös sind, an die Situation gewöhnt und möglicherweise auch nicht mehr gleichermaßen motiviert oder interessiert. Ferner muss bei der Durchführung des gleichen Paradigmas auch wiederum an Habituationseffekte gedacht werden. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass psychiatrische Patienten (und dies gilt vermutlich nicht nur für diese) verglichen mit Gesunden eine geringere Retest-Reliabilität bei wiederholter Messung zeigen (Manoach et al. 2001). Dies erschwert eine Differenzierung von reinen Zeit- und Therapieeffekten sowie Wechselwirkungen dieser.
131 6.6 · Literatur
Zudem müssen progressive anatomische Veränderungen bei Patienten und solche als Folge von Alterseffekten bei Gesunden im Rahmen von Langzeitstudien als Ursache funktioneller Unterschiede in Betracht gezogen werden (Kasai et al. 2003; Cahn et al. 2002). Bei neurologischen Patienten mit z. B. Ausfallserscheinungen nach einem Schlaganfall ist auch der natürliche Heilungsverlauf (z. B. durch zerebrale Plastizität) mit zu bedenken: viele Patienten zeigen über Monate hin eine Verringerung ihrer Ausfalls-
erscheinungen, die oft nicht auf eine spezifische Therapie zurückzuführen sind. Bei neurologischen Therapiestudien ist es deswegen besonders empfehlenswert, neben den eigentlich interessierenden fMRT-Untersuchungen vor und nach Therapie noch fMRT-Untersuchungen vorher – zum Nachweis der Stabilität des Defizits und der defizitären neuralen Prozesse – und nachher – zum Nachweis der Stabilität des erreichten Therapieeffektes – durchzuführen. Nur so lassen sich Wirksamkeit und Wirkung differenzieren.
6.5.3 Allgemeine Planungshinweise
Box 6.2. Planung von fMRT-Messungen 5 Eine genaue Spezifizierung der Fragestellungen und Hypothesen. Ist eine Beantwortung der Fragestellung mit dem gewählten Untersuchungsansatz möglich? 5 Anpassung bzw. Entwicklung eines Designs und Paradigmas zur optimalen Erfassung der interessierenden Faktoren. Bei eher zeitunkritischen Prozessen Wahl eines Blockdesigns, bei interessierenden Einzelereignissen und randomisierter Vorgabe der Stimuli eher ein »Event-related«-Design bzw. alternativ eine Kombination beider. 5 Handelt es sich um abgestufte (kategoriales Design) oder systematisch variierende (parametrisches Design) Faktoren? Sind bei mehreren Faktoren Wechselwirkungen zwischen Faktoren möglich/wahrscheinlich? Dann sollte ein faktorielles Design gewählt werden. 5 Verhaltensdaten sollten immer mit erfasst werden, um sicherzustellen, dass der Proband die Aufgabe tatsächlich durchführt und um die erhaltene Aktivierung sicher mit einem Verhalten korrelieren zu können.
5 Zwischen den Bedingungen (interessierende Bedingung, Kontrollbedingung) sollte optimalerweise immer nur ein Unterschied (bzgl. der interessierenden Zielvariable) bestehen. Sonst besteht die Möglichkeit, dass z. B. bei Vergleich der Aktivierungsbedingung mit einer reinen Ruhe-Baseline ohne jede Aufgabe vor allem auch Aufmerksamkeitseffekte abgebildet werden. 5 Die Bedingungen, die untersucht werden sollen, sollten möglichst immer in einem Messdurchgang dargeboten werden. In unterschiedlichen Durchgängen kann das Ausmaß an Rauschen unterschiedlich sein, und bestimmte Vorverarbeitungsschritte können die Statistik zwischen den Messdurchgängen unterschiedlich beeinflussen. 5 Wenn möglich sollte eine Balance hergestellt werden zwischen ausreichender Zahl an Stimuluswiederholungen bzw. Blockwiederholungen (mit ausreichender Länge) und begrenzter Dauer des Durchganges, um zum einen eine ausreichende statistische Aussagekraft zu gewährleisten, zum anderen Ermüdungserscheinungen und Bewegungsartefakte zu vermeiden.
Zusammenfassung und Ausblick Die Ausführungen verdeutlichen die Bedeutung der experimentellen Designplanung als wesentlichen Bestandteil jeder funktionell kernspintomographischen Untersuchung. Durch die Wahl des geeigneten Paradigmas und
6.6
Literatur
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die Kontrolle möglicher Einflussfaktoren kann die Qualität der erhobenen Daten gesteigert werden, was wiederum maßgeblich auf die Ergebnisse und ihre Interpretationsmöglichkeiten zurückwirkt.
Birbaumer N, Grodd W, Diedrich O, Klose U, Erb M, Lotze M, Schneider F, Weiss U, Flor H (1998) fMRI reveals amygdala activation to human faces in social phobics. Neuroreport 9:1223–1226 Breiter HC, Etcoff NL, Whalen PJ, Kennedy WA, Rauch SL, Buckner RL, Strauss MM, Hyman SE, Rosen BR (1996) Response and habituation of the human amygdala during visual processing of facial expression. Neuron 17:875–887 Büchel C, Morris J, Dolan RJ. Friston KJ (1998) Brain systems mediating aversive conditioning: an event-related fMRI study. Neuron 20:947–957
6
132
6
Kapitel 6 · Planung und Umsetzung experimenteller Paradigmen
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7 7 Datenanalyse: Vorverarbeitung, Statistik und Auswertung A. Wohlschläger, T. Kellermann, U. Habel
7.1
Vorbereitung der Daten – 134
7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.1.4 7.1.5 7.1.6
Bewegungskorrektur – 134 Grenzen des Bewegungskorrekturverfahrens Slice time correction – 136 Koregistrieren – 136 Normalisierung – 137 Glättung – 139
7.2
Statistische Auswertung
– 134
– 139
7.2.1 Messungen an einem einzelnen Probanden 7.2.2 Gruppenstatistik – 144
– 139
7.3
Explorative Datenanalyse
7.4
Anatomische Zuordnung der Ergebnisse – 147
7.5
Literatur
– 147
– 145
134
Kapitel 7 · Datenanalyse: Vorverarbeitung, Statistik und Auswertung
)) Die echoplanare Bildgebung (»echo planar imaging«, EPI) bietet die Möglichkeit, den zeitlichen Verlauf des MR-Signals mit einer relativ hohen räumlichen Auflösung zu verfolgen. Für jedes einzelne Raumelement oder Voxel, das in den EPI-Aufnahmen unabhängig aufgelöst werden kann, ist es möglich, diesen Signalverlauf zu verfolgen. fMRT-Datensätze sind daher vierdimensional. Die übliche Fragestellung, die einer fMRT-Studie zugrunde liegt, lautet, in welchem relativen Ausmaß eine gegebene Hirnregion an der Bearbeitung einer interessierenden Aufgabe beteiligt ist. Bei der Analyse des Datensatzes müssen 2 Problematiken bedacht werden. Erstens soll die Auswirkung des experimentellen Paradigmas auf das BOLD-Signal ausgewertet werden, und zweitens soll eine Zuordnung von Positionen in den Messdaten zu anatomischen Lokalisationen erfolgen. Dies alles geschieht auf der Grundlage eines relativ geringen Effekts in einer Größenordnung von wenigen Prozent des gesamten MR-Signals. Die Unterscheidung von tatsächlichem Effekt, der auf der Aufgabenstellung beruht, und dem experimentellen Rauschen muss daher mit den Methoden der Statistik bearbeitet werden. Im Folgenden wird zunächst beschrieben, wie die fMRT-Daten für die anschließende statistische Analyse vorbereitet werden. Im weiteren Verlauf des Kapitels wird die Auswertung mit Hilfe des allgemeinen linearen Modells (ALM; »general linear model«, GLM) zunächst für die Daten aus der Messung an einem Probanden eingeführt. Mit dem ALM wird der Einfluss der experimentellen Faktoren auf den Signalverlauf in jedem Voxel mit statistischen Methoden untersucht, die in einem eigenen Abschnitt erläutert werden. Statistische Tests an Gruppen von Probanden und die Inferenz auf Populationen werden in einem weiteren Abschnitt behandelt. Die Vierdimensionalität der fMRT-Datensätze bietet zusätzlich zu den erwähnten Methoden, die die Kenntnis des Ablaufs der vom Probanden bearbeiteten Aufgaben erfordern, auch die Möglichkeit der explorativen Analyse der Daten. Diese alternative Vorgehensweise der Datenauswertung wird in einem gesonderten Abschnitt behandelt. Abschließend werden Herangehensweisen an die anatomische Zuordnung und Darstellung von Aktivierungen beschrieben.
7
4 bei Bedarf Korrektur der zeitlich gestaffelten Akquisition von Einzelschichten in der EPI-Messung; 4 Abgleich von EPI-Aufnahmen, z. B. mit einer T1-gewichteten Aufnahme des Probanden, was in erster Linie der anatomischen Lokalisation dient; 4 Normalisieren auf ein Standardgehirn, was einen voxelweisen Vergleich zwischen den Probanden ermöglicht; 4 Glätten der Daten, was zur Verbesserung der Statistik und der Vergleichbarkeit der Einzelprobandendaten miteinander dient.
7.1.1 Bewegungskorrektur Natürlich ist es auch bei sorgfältiger Positionierung unmöglich, jegliche Kopfbewegung des Probanden während der fMRT-Datenakquisition zu unterdrücken. Dies bedeutet, dass sich das Gehirn in den Aufnahmen der Zeitserie leicht und in zunehmendem Maße verschoben und gedreht abbildet. Nur funktionelle Messungen während derer sich die Kopfposition insgesamt um nur wenige Millimeter und Winkelgrade geändert hat, sind für die statistische Auswertung geeignet. Da die Voxel-Größe bei EPI-Messungen in der Regel bei 3u3u4 mm3 liegt, führt z. B. eine Verschiebung des Kopfes um nur 3 mm dazu, dass das Signal, das von ein und demselben Ort im Hirn entspringt, zu verschiedenen Zeitpunkten in verschiedenen Voxeln abgebildet wird. In einem solchen Fall wird der statistische Vergleich, der ja immer innerhalb eines Voxels stattfindet, fehlerhaft. Gängige Vorgehensweise, um Bewegungsartefakte zu minimieren, ist der Vorverarbeitungsschritt der Bewegungskorrektur (»realignment«). Durch Drehung und Verschieben, d. h. durch »Rigid-body«-Transformationen, wird jedes Einzelbild der EPI-Zeitserie auf z. B. das erste Bild der Serie reorientiert (Friston et al. 1996; Jenkinson et al. 2002). Das erforderliche Maß an Translation in den 3 Raumrichtungen und Rotation um die 3 Raumachsen wird für jedes EPI-Bild der Zeitserie durch 6 Parameter beschrieben, den Bewegungsparametern.
7.1.2 Grenzen des Bewegungs-
korrekturverfahrens 7.1
Vorbereitung der Daten
Das Vorbereiten der Daten hat mehrere inhaltlich unterschiedliche Funktionen. Zum einen können für fMRTZeitserien bekannte Artefakte bearbeitet und minimiert werden, zum anderen kann ein Abgleich von EPI-Aufnahmen mit Bildern anderer Modalitäten durchgeführt werden. Häufig bearbeitete Punkte sind dabei folgende: 4 Kompensation von Kopfbewegungen des Probanden im Tomographen während der Datenakquisition;
Den verfügbaren Korrekturverfahren sind Grenzen gesetzt und zwar bei ruckartigen Bewegungen wie auch bei der maximalen absoluten Verschiebung der Kopfposition. Ruckartige Kopfbewegungen im Tomographen können dazu führen, dass sich die Kopfposition innerhalb einer EPI-Volumenmessung ändert. Dadurch kommt es zu starken Artefakten, die nicht durch die Bewegungskorrektur zu beheben sind. Die erfolgten Kopfbewegungen bilden sich dennoch dadurch ab, dass sich die Bewegungsparameter
135 7.1 · Vorbereitung der Daten
zwischen 2 Zeitpunkten der Zeitserie stark unterscheiden. Durch Einbinden dieser Unterschiede in Form der Differenzen der Parameter in die folgende statistische Analyse kann der Einfluss dieser Artefakte auf die Endergebnisse verringert werden. ! Koinzidieren ruckartige Kopfbewegung und Komponenten des experimentellen Paradigmas, z. B. die Knopfdruckantwort des Probanden, kann der Effekt der Bewegung von dem der Aktivierung durch die Aufgabe nicht unterschieden werden. Derartige Szenarien müssen dementsprechend schon vor der fMRT-Messung verhindert werden.
Die Einschränkung der tolerierbaren Absolutbewegungen des Probanden liegt in der räumlichen Struktur des außen anliegenden Magnetfeldes begründet. Die Signalintensität der EPI-Messung in einem Voxel hängt vom äußeren Feld ab. Dieses weist trotz Optimierung immer Inhomogenitäten auf. Das lokale äußere Feld, das an den Messorten für 2 unterschiedliche EPI-Bildpunkte herrscht, ist daher nicht identisch. Wird nun Gewebe von einem Ort an den anderen verschoben, so wird das emittierte Signal verstärkt oder abgeschwächt, je nach absoluter Position des Gewebes im Raum. Für diesen Einfluss der magnetischen Feldstärke gibt es 2 Korrekturansätze. Zum einen kann die ortsaufge-
löste Feldstärke in sog. »field maps« quantifiziert werden und so in die Korrektur der EPI-Messdaten eingebracht werden (Jezzard u. Balaban 1995; Andersson et al. 2001). Die Feldinhomogenitäten werden u. a. von der magnetischen Suszeptibilität beeinflusst, die der Kopf des Probanden in das Messvolumen einbringt. Daher kann eine »field map« als Teil einer fMRT-Messung bestimmt werden, wenn eine solche Korrektur angestrebt wird, oder sie kann während der Berechnung der Bewegungskorrektur angenähert ermittelt werden (»unwarping«). Der zweite Ansatz zur Korrektur ist das Einbinden der Bewegungsparameter in die statistische Analyse, da sie die absolute Verschiebung im Raum beschreiben. Auch hier ist darauf zu achten, dass die Bewegung nicht mit dem experimentellen Paradigma korreliert, da deren Auswirkungen auf die Daten nach erfolgter Messung nicht mehr zu trennen sind. Da die Suszeptibilität des Mediums, d. h. die Reaktionsfähigkeit des Mediums auf ein äußeres magnetisches Feld, dieses äußere Feld wiederum beeinflusst, sind die durch die Bewegung verursachten Artefakte dort am stärksten, wo Gewebe unterschiedlicher Suszeptibiltät aneinander grenzen, wie z. B. an Grenzen unterschiedlicher Substanzklassen, am Rachenraum, an der Schädelbasis und am Rand der Ventrikel.
Exkurs Transformationsoperationen Eine lineare Koordinatentransformation im dreidimensionalen Raum lässt sich mathematisch in folgender Weise darstellen: x’ a1 b1 c1 d1 x x’ = a1 · x + b1 · y + c1 · z + d1 y’ a2 b2 c2 d2 x y’ = a2 · x + b2 · y + c2 · z + d2 , oder in Matrixschreibweise : = z’ = a3 · x + b3 · y + c3 · z + d3 z’ a3 b3 c3 d3 x 0 0 0 1 1 (1 = 1) 1
冢冣冢
Ein Punkt an der Koordinatenposition (x, y, z) wird an den Ort (x’, y’, z’) überführt. Die Transformation wird durch die Konstanten ai, bi, ci und di beschrieben, wobei i von eins bis drei variiert. Diese Klasse von sog. affinen Transformationen bildet gerade Linien auf ebenfalls gerade Linien ab, erhält aber im Allgemeinen nicht Winkel und Längen. Diese Transformation hat 12 Freiheitsgrade entsprechend den zwölf dargestellten Konstanten. Anschaulich sind das die Freiheitsgrade, die das erforderliche Maß an Verschiebung in die 3 Raumrichtungen, der Drehung um die 3 Raumachsen, der Streckung und der Scherung jeweils in die 3 Raumrichtungen widerspiegeln. Die Spezialfälle von affinen Transformationen die Winkel und Längen erhalten, d. h. also einen starren Körper in eine andere Position überführen, heißen »Rigid-body«-Transformationen
冣冢 冣
(. Abb. 7.1). Sie besitzen nur 6 Freiheitsgrade, die für die Translation und die für die Rotation. Mathematisch bedeutet das, dass die 12 Konstanten, die »Rigid-body«-Transformationen beschreiben, nicht voneinander unabhängig sind. Für eine Rotation um die z-Achse um einen Winkel Z gilt beispielsweise: a1 = cos(Z); b1 = sin(Z); a2 = –sin(Z); b2 = cos(Z) In nichtlinearen Transformationen sind die Faktoren a1 bis d3 keine Konstanten, sondern hängen von x, y und z ab. Im Falle der dreidimensionalen diskreten Sinus- oder Kosinustransformation (DST/DCT), wie sie in SPM zum Einsatz kommt, variieren die Faktoren entlang der x-, y- und z-Achse gemäß Sinus- bzw. Kosinusfunktionen (Ashburner u. Friston 1999).
7
136
Kapitel 7 · Datenanalyse: Vorverarbeitung, Statistik und Auswertung
7 a
b . Abb. 7.1a, b. Transformationsoperationen. a »Rigid-body«-Transformationen erlauben Rotation und Translation eines starren Objekts im Raum. Im Vorverarbeitungsschritt der Bewegungskorrektur kommt
ausschließlich diese Art von Transformationen zum Einsatz. b Die Klasse der affinen Transformationen enthält zusätzlich Stauchung, Streckung und Scherung
7.1.3 Slice time correction
des okzipitalen Kortex). Interpolationsartefakte werden dann dort minimiert.
Bei EPI-Messungen handelt es sich um echte Schichtmessungen im Gegensatz zu Volumenmessungen. Das heißt, das Signal, das zur Darstellung unterschiedlicher Schichten verwendet wird, entstammt nicht demselben Messvorgang, sondern wird zu getrennten Zeitpunkten aufgenommen. Die Aufnahme der Schichten von einem EPI-Volumen erfolgt innerhalb der TR (Repetitionszeit) nacheinander in aufsteigender, absteigender oder überlappender (»interleaved«) Reihenfolge, so dass sich im Extremfall die Zeitpunkte der Messungen zweier Schichten desselben Volumens um mehrere Sekunden unterscheiden. Da insbesondere bei der Analyse ereigniskorrelierter Messungen (»Event-related«fMRT) eine zeitliche Auflösung im Bereich von Zehntelsekunden anzustreben ist, muss den Unterschieden in den Schichtakquisitionszeiten bei der Analyse Rechnung getragen werden. Effekte des Zeitpunkts der Schichtakquisition können gezielt in der statistischen Analyse behandelt werden. Alternativ können sie auch als Teil der Vorverarbeitung der Daten behandelt werden. Bei der sog. »slice time correction« wird eine Interpolation der Intensitätswerte auf einen definierten Zeitpunkt innerhalb der TR durchgeführt (. Abb. 7.2). Als sinnvollen Zeitpunkt kann man hierbei denjenigen wählen, zu dem die Hirnregion vermessen wird, die im Fokus der Studie steht (z. B. die mittlere EPI-Schicht bei einer Sequenz mit aufsteigender Schichtfolge zur Untersuchung
! Da der Effekt des Messzeitpunkts einer Schicht auf das Signal zumeist kleiner ist als der Effekt der Probandenbewegung, außer bei Sequenzen mit überlappender Schichtreihenfolge, wird die »slice time correction« in der Regel nach der Bewegungskorrektur durchgeführt.
7.1.4 Koregistrieren > Definition Als Koregistrieren bezeichnet man den räumlichen Abgleich von Volumenaufnahmen desselben Probanden mit unterschiedlichen Bildgebungsmodalitäten.
Zusammen mit funktionellen MR-Messungen, die eine vergleichsweise geringe räumliche Auflösung besitzen, wird meist eine höher aufgelöste anatomische MR-Aufnahme gemacht. Diese kann herangezogen werden, um eine Aktivierung genauer anatomisch zu lokalisieren. Außerdem ist die anatomische Aufnahme im Gegensatz zur EPI-Aufnahme verzerrungsarm und kann genutzt werden, um die Normalisierung (7 unten) der gesamten, also auch der funktionellen Daten, auf ein Standardgehirn zu optimieren.
137 7.1 · Vorbereitung der Daten
. Abb. 7.2. »Slice time correction«. Die Präsentation der Stimuli (A) und die Akquisition der EPI-Aufnahmen (B) erfolgen mit Hilfe von Trigger-Signalen synchronisiert. Die EPI-Schichtbilder werden nacheinander aufgenommen und danach zu einem Volumenbild zusammengesetzt. Beispielhaft ist hier eine Sequenz mit 17 Schichten pro Volumen dargestellt. Jede Schichtmessung ist durch einen senkrechten Strich angedeutet, wobei die erste Schicht zum Betonen der Repetitionszeit (TR) rot hervorgehoben ist. In diesem Beispiel besteht der überwiegende Teil der TR aus der echten Akquisitionszeit (TA), d. h. der Zeit in der effektiv ein Messsignal aufgenommen wird. Daraus resultiert eine nur sehr kurze anschließende Totzeit, ein kurzer Zeitraum, in dem keine
Messung durchgeführt wird. Durch die »slice time correction« wird der Akquisitionszeitpunkt einer jeden Schicht auf einen festgesetzten Zeitpunkt (blauer durchbrochener Strich), hier in der Mitte der TR, interpoliert. In der Regel wird der Messzeitpunkt des ersten EPI-Bildes der Zeitserie in der anschließenden statistischen Auswertung als Zeitnullpunkt definiert. Durch die Korrektur der Schichtakquisitionszeiten verschiebt sich dieser Zeitnullpunkt, im dargestellten Fall um δ=TR/2. Ein Stimulus, wie hier der erste Stimulus a, der mit der ersten Schichtakquisition des ersten EPI-Bildes gezeigt wurde, muss daher nach Korrektur nun einer negativen Präsentationszeit zugeordnet werden. Analoge Verschiebungen der Präsentationszeiten gelten für alle Stimuli
Wie bei der Bewegungskorrektur sind dabei nur »Rigidbody«-Transformationen, d. h. 6 Freiheitsgrade der Operation, erforderlich. Allerdings muss die Kostenfunktion, d. h. die Funktion, die zum Auffinden der optimalen Übereinstimmung beider Bilder minimiert wird, anders formuliert werden als bei der Bewegungskorrektur, da unterschiedliche Modalitäten ein und denselben Gewebetyp in anderer Weise, d. h. bei anderen Bildgrauwerten, darstellen. Eine Möglichkeit dazu besteht darin, die zu koregistrierenden Bilder nach grauer und weißer Substanz und Liquor zu segmentieren. Die durch diese Methode des Segmentierens erzeugten Karten eines Gewebetyps können dann durch Translation und Rotation aufeinander angepasst werden. Weitere Methoden stammen aus der Informationstheorie. Zum Einsatz im Zusammenhang mit der fMRT kommt hier eine Methode, die als Kostenfunktion das Maß der »mutual information« verwendet (Wells et al. 1996). Die Histogramme, d. h. die Grauwertverteilungen der beiden Bilder unterschiedlicher Modalitäten, werden dabei in verbundenen Histogrammen verglichen (. Abb. 7.3). Zum Auffinden der besten räumlichen Übereinstimmung wird dann ein Maß der Entropie, d. h. der Unordnung, dieser verbundenen Histogramme minimiert. Bildlich bedeutet das, dass der Bildgrauwert, der z. B. in der EPI-Sequenz der weißen Substanz entspricht, durch das Verfahren dem zugeordnet wird, der in der anatomischen Aufnahme der weißen Substanz entspricht, wobei die Grauwertskalen nicht proportional sein müssen. Dieselbe Zuordnung erfolgt
gleichzeitig für die graue Substanz und andere Substanzklassen. Anders als bei der Methode des Segmentierens erzwingt das Verfahren hier nicht die Einteilung aller Bildwerte in 3 Kategorien, sondern arbeitet unabhängig von vordefinierten Kategorien auf allen Daten. Speziell für das Verfahren, das auf »mutual information« basiert, aber auch im Allgemeinen ist ein dem Algorithmus vorhergehender manuell-visueller Abgleich beider Bilder von Vorteil, um Fehlanpassungen zu vermeiden. Im Falle, dass zwischen fMRT-Messung und anatomischer Messung keine nennenswerte Kopfbewegung des Probanden erfolgte, können auch die Schichtpositionierungsparameter beider Messungen, zumindest für den ersten Abgleich beider Bilder, genutzt werden.
7.1.5 Normalisierung > Definition Die Normalisierung dient dazu, identische anatomische Strukturen verschiedener Probandengehirne aufeinander abzubilden.
Die einzelnen Probanden unterscheiden sich in den individuellen Formen und Größen der Gehirne. Für den Vergleich von Aktivierungsmustern zwischen Probanden ist es daher sinnvoll, einen Normalisierungsschritt einzuführen.
7
138
7
Kapitel 7 · Datenanalyse: Vorverarbeitung, Statistik und Auswertung
. Abb. 7.3a–c. Koregistrierung zweier Bilder verschiedener MR-Modalitäten, hier ein EPI-Bild (a) und ein darauf koregistriertes T1-gewichtetes anatomisches Bild (b). c zeigt die verbundenen Histogramme der beiden Bilder vor und nach dem Koregistrieren. Die Grauwerte in beiden Bildern sind über ihre Koordinatenpositionen zu Paaren verbunden. Nach erfolgreicher Koregistrierung weist das verbundene
Histogramm, d. h. die Datenpaare jeweils gegeneinander aufgetragen, eine größere Ordnung auf als zuvor, da nun die Substanzklassen, wie z. B. weiße Substanz und graue Substanz, sich in beiden Bildern an übereinstimmenden Koordinaten befinden (http://www.fil.ion.ucl. ac.uk/spm/spm2.html)
Dadurch wird die Gesamtheit der Aktivierungsbilder einer Gruppe von Probanden auch einem voxelweisen statistischen Vergleich zugänglich (»second-level analysis«). Von Talairach und Tournoux wurde durch ihren stereotaktischen Hirnatlas ein Koordinatensystem etabliert, das die Grundlage der gängigen Vorlagen (»templates«) darstellt, die zur Normalisierung verwendet werden. SPM verwendet Vorlagen, die aus der Überlagerung von Hirnaufnahmen gewonnen wurden, die in den Talairach-Tournoux-Raum gebracht worden waren. Diese Gehirnaufnahmen des Montreal Neurological Institute (MNI) sind in der Zuordnung von anatomischen Strukturen zu Talairach-Koordinaten nicht identisch mit dem Gehirn des Atlasses von Talairach und Tournoux. Daher ist es für die Normalisierung wichtig, die gewählte Vorlage genau zu spezifizieren, um die Vergleichbarkeit von Untersuchungsbefunden zwischen Studien zu erhalten. Individuelle Gehirne unterscheiden sich in einer Fülle von Details. Ebenso reich an Freiheitsgraden muss ein mathematisches Modell sein, das diese Unterschiede parametrisch quantifizieren soll. Bei EPI-Messungen setzt die relativ reduzierte Auflösung der Genauigkeit der Zuordnung anatomischer Strukturen eine Obergrenze, anders als bei hochauflösenden anatomischen Aufnahmen (7 Kap. 3). Ein erster und weitreichender Schritt der Normalisierung besteht im Einsatz affiner Transformationen. Auf dieser Grundlage können noch weitere nichtlineare Anpassungen durchgeführt werden, wie z. B. die räumlich periodische Modulation der Bilddaten (DST/DCT; SPM; Ashburner u.
Friston 1999). Die Amplitude der periodischen Modulation bei vorgegebenen räumlichen Frequenzen wird dabei angepasst, angelehnt an das Konzept der Fourier-Transformation. Art und Größe der für die Normalisierung des Bildes erforderlichen Bilddeformationen werden durch eine räumliche Spektralanalyse angenähert. Hirnaufnahmen können mit diesen Verfahren nur dann erfolgreich auf eine Vorlage normalisiert werden, wenn die Vorlage grundsätzlich dasselbe abbildet wie die Aufnahme selbst. Unterschiede der Sequenzparameter bei der EPI-Akquisition können z. B. zu merklichen Unterschieden in Lage und Ausmaß der Suszeptibilitätsartefakte führen. Weicht die so gewonnene EPI-Aufnahme daher stark von der zur Verfügung stehenden EPI-Vorlage ab, sollte eine eigene Vorlage erstellt werden oder aber das koregistrierte anatomische (T1-gewichtete) Bild zur Normalisierung herangezogen werden. ! Bei Studien an Patienten mit fokalen Läsionen ist das Erstellen einer Bildmaske für den Bereich der Läsion für die Normalisierung erforderlich. Während des Normalisierens werden die maskierten Bereiche dann nicht zur Bestimmung des besten Abgleichs von Bild und Vorlage mit einbezogen. Die Übereinstimmung des nicht-betroffenen Gewebes wird daher optimiert (. Abb. 7.4). Der Bereich der Läsion, der sich auch im normalisierten Bild abbildet, muss bei der folgenden statistischen Analyse in jedem Fall gesondert behandelt werden.
139 7.2 · Statistische Auswertung
Stammen die EPI-Daten von speziellen Gruppen von Probanden, wie z. B. Kindern oder älteren Menschen, so dass schon bei visuellem Vergleich der EPI-Daten mit Standardvorlagen geringe Übereinstimmung auszumachen ist, ist es sinnvoll, angepasste Vorlagen zu verwenden.
7.1.6 Glättung Die räumliche Glättung der EPI-Bilder (»smoothing«) wird erreicht, indem der Bildgrauwert jedes Voxels mit dem der benachbarten Voxel verrechnet wird. Der Beitrag, den jedes Voxel dabei hat wird üblicherweise durch eine dreidimensionale Gauß-Verteilung bestimmt, d. h. das zentrale Voxel hat den höchsten Beitrag. Dies wird als Faltung mit einem Gauß-Kern bezeichnet (. Abb. 7.5). Glättung kann die Sensitivität der anschließenden statistischen Analyse erhöhen, da z. B. zufällige Effekte, die ein Voxel betreffen, durch die Verrechnung mit den Nachbarn herausgemittelt werden können. Die Vergleichbarkeit zwischen Probanden wird verbessert, da zum einen die Normalisierung im Rahmen der EPI-Bildauflösung keinen hundertprozentigen Abgleich liefern kann und die anatomischen Landmarken, die ja die Basis der Normalisierung darstellen, nur in begrenztem Maß die Lage funktioneller Areale anzeigen. . Abb. 7.4a, b. Normalisierung der anatomischen MR-Aufnahme eines Gehirns mit frontaler Läsion. Die Darstellung zeigt die Ergebnisse von Normalisierungen unter Einbeziehung von nichtlinearen Transformationen auf die unten abgebildete Vorlage. a Verzerrungen im gesamten frontalen Bereich, die durch Fehlanpassung aufgrund der Läsion entstehen. b Verbesserte Anpassung auf die Vorlage durch Maskieren des Läsionsbereichs während der Normalisierung. Die der dargestellten Schicht entsprechende Maske ist unten abgebildet (Brett et al. 2001)
7.2
Statistische Auswertung
7.2.1 Messungen an einem einzelnen
Probanden Modellspezifikation Um verschiedene Hypothesen über die Ursachen des zeitlichen Verlaufs des BOLD-Signals in einem Voxel zu testen, vergleicht man dessen empirisch beobachteten Verlauf mit
. Abb. 7.5a–c. Glättung. Originalschicht eines EPI-Bildes (a) und dieselbe Schicht nach Glättung mit einer dreidimensionalen 6-mm- und 10-mm-GaußFunktion (b, c). Die Skizze zeigt eine zweidimensionale GaußFunktion
7
140
7
Kapitel 7 · Datenanalyse: Vorverarbeitung, Statistik und Auswertung
einem Modell, das zunächst spezifiziert werden muss. Ein Modell, das möglichst viele Informationen enthält, die im Zusammenhang mit dem Experiment bekannt sind, bietet die beste Möglichkeit, den Signalverlauf möglichst weitreichend zu erklären. Die meisten und interessantesten Informationen gehen aus dem Studien-Design hervor, wie es bereits im Vorfeld des Experiments aufgrund des eigenen Forscherinteresses und theoretischer Überlegungen entworfen wurde (7 Kap. 6). Dieses Design charakterisiert sämtliche Informationen über den genauen zeitlichen Verlauf der unterschiedlichen experimentellen Bedingungen, die der Proband während der Untersuchung im Tomographen zu bewältigen hatte. Dazu gehört u. a. die Anzahl der unterschiedlichen Bedingungen (z. B. die Präsentation von emotionalen oder neutralen Gesichtern) und der genaue zeitliche Verlauf dieser Bedingungen. Basierend auf diesem Wissen kann für jede der Bedingungen ein Zeitverlauf kreiert werden, der nur zwischen »on« (Vorhandensein) und »off« (Nichtvorhandensein) der Bedingung zum gegebenen Zeitpunkt unterscheidet. Besteht eine fMRT-Messung beispielsweise aus 120 funktionellen Aufnahmen und wurden dem Probanden im Wechsel emotionale und neutrale Gesichter gezeigt, so würden wir zunächst für jede einzelne der 120 Messungen festhalten, ob ein emotionales Gesicht gezeigt wurde oder nicht und danach die Prozedur für die neutralen Gesichter wiederholen. Im Prinzip kann dann mit diesem Modell mit 2 Prädiktoren (einer für emotionale, einer für neutrale Gesichter) die Änderung des BOLD-Zeitverlaufs in Abhängigkeit von der jeweiligen Bedingung geschätzt werden. Natürlich lässt sich das Modell noch wesentlich verbessern. Diese Verbesserungen lassen sich anhand einer Einführung in die wesentlichen Grundlagen des allgemeinen linearen Modells (ALM) erläutern. Mit dem ALM testet man statistisch, ob das gemessene Signal in einem Voxel tatsächlich mit der Präsentation von emotionalen oder neutralen Gesichtern zusammenhängt oder mit der Präsentation von Gesichtern im Allgemeinen oder aber ob das jeweilige Voxel gar nicht auf die Stimulation mit Gesichtern »reagiert«.
Das allgemeine lineare Modell Das allgemeine lineare Modell (ALM) tritt an die Stelle einer Vielzahl statistischer Tests. Das Prinzip der im ALM verwendeten statistischen Tests besteht darin, beobachtete Daten in verschiedene Varianzanteile zu zerlegen, um diese miteinander zu vergleichen (ALM in der funktionellen Bildgebung: Friston et al. 1995). Die wichtigste Unterscheidung von Varianzanteilen besteht zwischen der durch die Modellgleichung erklärten Varianz und der Fehlervarianz (. Abb. 7.6). Im oben ausgeführten Beispiel, das die 3 Bedingungen emotionale Gesichter, neutrale Gesichter und Ruhebedingung unterscheidet, verteilt sich die beobachtete Gesamtvarianz also auf diejenigen Teile, die auf die beiden Prädikto-
ren für emotionale und neutrale Gesichter zurückzuführen sind. In Abhängigkeit der Vorhersagegüte der Prädiktoren bleibt immer ein mehr oder weniger großer Anteil an Fehlervarianz. Der Mittelwert der gesamten Zeitreihe in einem Voxel wird im Modell durch eine Konstante angepasst, da nur systematische Schwankungen der Zeitreihe interessieren, nicht aber der Mittelwert selbst. Aus diesen Informationen kann ein mathematisches Vorhersagemodell aufgestellt werden (. Abb. 7.7): y = β1 xe + β2 xn + β3c + H Hierbei steht y für die empirisch beobachtete Zeitreihe in einem Voxel (in unserem Beispiel bestehend aus 120 Datenpunkten), xe und xn sind die Prädiktoren für emotionale und neutrale Gesichter, wobei eine »1« das Auftreten und eine »0« das Ausbleiben eines dieser Gesichtstypen für jeden der 120 Messzeitpunkte kodieren, so dass 2 Prädiktoren resultieren, von denen jeder 120 Werte (Null oder Eins) enthält. Die Konstante ist hier durch den Vektor c gegeben und enthält lediglich 120-mal die Eins. Der Fehlerterm H enthält die Differenz zwischen dem Modell und jedem der 120 Datenpunkte (y) und beschreibt somit jenen Anteil in den Daten, der durch das Modell nicht erklärt zu werden vermag. Die 3 Parameter β1, β2 und β3 (auch Beta-Gewichte genannt) sowie der Fehlerterm H werden im ALM so geschätzt, dass der Fehlerterm H minimal wird und damit gleichzeitig die durch β1, β2 und β3 erklärte Varianz maximal. Die Ruhebedingung ist in diesem Fall implizit modelliert, was bedeutet, dass sie zu den Messzeitpunkten vorliegt, an denen keine der übrigen beiden Bedingungen auftritt, und entspricht damit der Konstanten c. Die experimentellen Daten ergeben sich in dieser Darstellung als lineare Kombination der Prädiktoren, oder Regressoren, und dem Fehlerterm. Die Gesamtheit der Regressoren lässt sich in der sog. Design-Matrix zusammenfassen, die genauso viele Spalten besitzt wie Regressoren und so viele Zeilen wie die Anzahl der Messpunkte in der Zeitreihe. Daten aus fMRT-Messungen erfüllen allerdings die im ALM gemachte Annahme nicht, dass die Residuen H normalverteilt sind. Die Daten enthalten beispielsweise langsame Drifts, die zum Teil durch Aliasing entstehen. > Definition Aliasing beschreibt das Phänomen, dass periodische Prozesse, die stroboskopartig nur an diskreten Zeitpunkten (z. B. hier jede TR) beobachtet werden, in dieser Beobachtung eine völlig andere Frequenz aufweisen, als der zugrundeliegende Prozess eigentlich hat.
Durch Modellierung der in den Daten vorliegenden extrem langen Wellenlängen, d. h. niedrigen Frequenzen (also durch Hinzufügen weiterer Regressoren mit entsprechenden Eigenschaften zum Modell), kann man diese Varianz
141 7.2 · Statistische Auswertung
. Abb. 7.6. Aufteilung der Gesamtvarianz σges in unterschiedliche Anteile. Auf der linken Seite ist der simulierte Zeitverlauf des BOLD-Signals eines repräsentativen Voxels gegen die Zeit (in Einheiten der Repetitionszeit TR) dargestellt. Im oberen Teil der Abbildung wird die Abfolge der angelegten experimentellen Bedingungen a (dunkelrot) und b (dunkelblau) ignoriert. Das Histogramm oben rechts, d. h. die Anzahl der Datenwerte aufgetragen gegen die BOLD-Signalintensität zeigt eine zweigipflige Verteilung. Anpassen einer Normalverteilung an alle Daten liefert einen großen Wert für die berechnete Varianz σges. Wird das Wissen um das experimentelle Paradigma einbezogen, wie im un-
. Abb. 7.7. Das allgemeine lineare Modell (ALM) am Textbeispiel. Die erste Spalte stellt die Zeitreihe in einem Voxel dar (simuliert), wobei jedem Scan ein Wert zugeordnet wird. Jede weitere Spalte stellt einen Regressor im ALM dar, während die Scans reihenweise von oben nach unten fortschreiten. Die beiden Prädiktoren für die emotionalen (2. Spalte) und die neutralen Gesichter (3. Spalte) zeigen hell kodiert, bei welchen Scans die jeweilige Bedingung auftrat. Der vierte Prädiktor oder auch Regressor ist lediglich eine Konstante, um Mittelwertsschwankungen auszugleichen und die letzte Spalte stellt den Fehlerterm dar
teren Teil dargestellt, kann ein großer Teil der Varianz in den Daten durch das Vorliegen der jeweiligen Bedingungen erklärt werden. Die Effektgröße, die sich aus dem Unterschied der Verteilungsmittelwerte ergibt, ist mit β bezeichnet. Rechts unten sind die Histogramme der beiden Verteilungen der BOLD-Signalintensitäten unter Bedingung a und unter Bedingung b dargestellt. Die nicht erklärte Varianz bzw. Fehlervarianz σε ist gegenüber σges wesentlich reduziert. Im ALM (7 Text) wird von einem einheitlichen Wert für σε in der gesamten Studie ausgegangen, unabhängig von der jeweils anliegenden Bedingung (a.u. = beliebige Einheiten)
7
142
Kapitel 7 · Datenanalyse: Vorverarbeitung, Statistik und Auswertung
. Abb. 7.8. Wirkungsweise eines Hochpassfilters. FMRT-Daten (blau) enthalten meist zusätzlich zum vom experimentellen Paradigma beeinflussten Signalverlauf auch langsame, d. h. langwellige Drifts in der Signalintensität, die durch entsprechende Regressoren im Modell unabhängig angepasst werden können. Dargestellt sind die Anpassung durch die zusätzlichen Regressoren (schwarz) und das experimentelle Paradigma (rot). Die Kombination der Anpassungen (grün) beschreibt die Messdaten (blau) bis auf residuales Rauschen
7 an ihre jeweiligen Regressoren binden, die dadurch als Hochpassfilter fungieren. Der Hochpassfilter sollte Frequenzen unterhalb ca. 7–8 mHz modellieren, da dieser Bereich sehr viele der typischen Artefakte abdeckt (. Abb. 7.8). Zusätzlich können Autokorrelationen in den Daten explizit unter der Annahme modelliert werden, dass sich die Stärke a der Korrelation zwischen einem Signalwert und dem zeitlich vorhergehenden über den Zeitraum des Experiments hinweg nicht ändert. Die Korrelationsstärke a wird als zusätzlicher Parameter im linearen Modell geschätzt. Diese Vorgehensweise ersetzt den Einsatz eines Tiefpassfilters, der zum Entfernen der unbekannten Autokorrelationen alle hohen Frequenzen aus dem Datensatz und dem Modell entfernt. Ereigniskorrelierte Paradigmen enthalten jedoch oft aussagekräftige hochfrequente Anteile, die durch den Einsatz eines Tiefpassfilters verloren gehen würden. Auch die eigentlich interessierenden Prädiktoren xe und xn können durch zusätzliche Informationen verbessert und so die Fehlervarianz weiter minimiert werden. So weiß man z. B., dass die BOLD-Antwort in einem aktivierten Voxel nicht unmittelbar mit der Präsentation eines Stimulus ansteigt. Aufgrund der Trägheit der Hämodynamik ist das Maximum der BOLD-Antwort erst 5–6 s nach Stimulusbeginn (»Stimulus-Onset«) zu erwarten und folgt einem charakteristischen Verlauf (Friston et al. 1994). Diese Information kann in das Modell einbezogen werden, indem z. B. die Prädiktoren xe und xn so verändert werden, dass sie der hämodynamischen Antwort des BOLD-Signals auf das gegebene Paradigma angepasst werden, anstatt die reine Abfolge der Bedingungen wiederzugeben (. Abb. 7.9).
Statistische Inferenz Durch das ALM wird jeder Bedingung des Experiments in jedem Voxel eine Effektgröße E zugeordnet, die den Ein-
fluss der Bedingung an dem jeweiligen Ort im Gehirn beschreibt. Der BOLD-Effekt ist jedoch sehr klein und liegt in einer Größenordnung von wenigen Prozent des MR-Signals. Er ist daher von vergleichbarer Größe wie das Rauschen. Erst der statistische Vergleich der Effektgröße mit dem verbleibenden Rauschen H, liefert Aussagen darüber, ob sich die Größe E tatsächlich als Auswirkung der jeweiligen experimentellen Bedingung ergibt, oder ob es sich um ein reines Zufallsprodukt handelt. Das Bilden von Kontrasten ermöglicht es, sich auf die Prädiktoren von Interesse zu beschränken. Diejenigen Prädiktoren, die sich im Modell aus dem Hochpassfilter ergeben oder die Mittelwertskonstante, reduzieren zwar die verbleibende Varianz, brauchen bei der Analyse durch Kontraste der Beta-Gewichte aber nicht berücksichtigt zu werden. Nicht interessierende Regressoren werden mit Null gewichtet, während die interessierenden Regressoren je nach anzustellendem Vergleich unterschiedlich gewichtet werden. Welche Voxel bei emotionalen Gesichtern mehr Aktivität zeigen als bei neutralen, stellt sich heraus, wenn der Prädiktor xe mit Eins und der Prädiktor xn mit minus Eins belegt wird. ! Jeder Kontrast liefert für jedes Voxel einen Wert, der t-verteilt ist. Die Hypothese des statistischen Tests besteht darin, dass das BOLD-Signal an einer gegebenen Stelle systematisch von der interessierenden Bedingung abhängt. Die Hypothese wird anhand eines festgelegten zulässigen Fehlers 1. Art für ein Voxel verworfen oder beibehalten. Am Ende der Auswertung der Daten einer Versuchsperson liegt also pro Kontrast ein solcher t-Wert für jedes einzelne Voxel eines EPI-Bilds vor.
Die bisher beschriebene Auswertung der Daten einer einzelnen Versuchsperson wird auch als Analyse auf der ers-
143 7.2 · Statistische Auswertung
. Abb. 7.9. Unterschied zwischen der reinen »Boxcar«-Funktion (rot) und des verbesserten Prädiktors für die erwartete BOLD-Antwort. Die »Boxcar«-Funktion zeigt lediglich »On«- und »Off«-Phasen an. Der Prä-
diktor ergibt sich aus der sog. Faltung der »Boxcar«-Funktion mit der kanonischen hämodynamischen Antwortfunktion und modelliert z. B. die verzögerte BOLD-Antwort und die weichere Form der Hämodynamik
ten Ebene bezeichnet. Eine vergleichende Untersuchung mehrerer Versuchspersonen mittels t-Statistik kann dann auf der zweiten Ebene durchgeführt werden, vorausgesetzt, dass gleichwertige Kontraste von allen Probanden hierfür
verwendet werden. An dieser Stelle soll auf das Problem der multiplen Vergleiche hingewiesen werden, das gleichermaßen für die Analysen auf der ersten und der zweiten Ebene gilt und deswegen eigens diskutiert wird.
Exkurs Multiple Vergleiche Die Problematik der multiplen Vergleiche bezieht sich auf die Tatsache, dass jedes Voxel einzeln auf statistische Signifikanz geprüft wurde. Das bedeutet, dass bei einer Anzahl von ca. 28.000 Voxeln im Gesamthirn auch entsprechend 28.000 Tests durchgeführt werden. Dies hat bei einer individuellen Irrtumswahrscheinlichkeit (Fehler 1. Art) von 0,05 für jeden einzelnen Test wiederum zur Folge, dass in ca. 1.400 Voxeln eine falsch-positive Entscheidung zu erwarten ist, wobei kein Anhaltspunkt vorliegt, welche Voxel das sein könnten. Für diese Problematik gibt es verschiedene Lösungsansätze, die gegen das Auftreten zu vieler falsch-positiver Tests eine Korrektur anbieten. Die einfachste, aber auch konservativste Methode ist die Bonferroni-Korrektur, wonach die individuellen Irrtumswahrscheinlichkeiten der einzelnen Tests so zu wählen sind, dass ihre Summe die versuchsbezogene Irrtumswahrscheinlichkeit ergibt. Bei 28.000 Voxeln würde also die Signifikanzschwelle jedes einzelnen Tests von 0,05 auf 0,0000018 korrigiert! Die Bonferroni-Korrektur ist die Methode der Wahl, wenn die durchgeführten Tests unabhängig voneinander sind, was aber sicherlich nicht für Voxel gilt, die zusam-
menhängende Mosaikbausteine des Gehirns sind. Wegen der räumlichen Korrelation der Voxel, die durch Verarbeitungsschritte wie insbesondere die Glättung noch verstärkt wird, ist die Anzahl unabhängiger Beobachtungen viel kleiner als die Anzahl an Voxeln. Diese Tatsache macht sich die Theorie der Gauß-Felder zunutze (Worsley 1996), um eine Korrektur zu erzielen, die sensitiver ist als die BonferroniMethode. Hierbei werden die sog. »resels« (»resolution elements«, also Auflösungseinheiten) anhand der Voxelzahl und des Glättungskerns ermittelt. Diese bestimmen ihrerseits im Zusammenhang mit der Form des Gehirns die sog. Euler-Charakteristik eines dreidimensionalen Bildes unter der Annahme der Nullhypothese. Die Euler-Charakteristik liefert den korrigierten Schwellenwert eines Voxels für eine gewählte Irrtumswahrscheinlichkeit. Dieses Prinzip liefert (bei einem versuchsbezogenen Fehler 1. Art von 0,05) die Antwort auf die Frage, wie hoch der t-Wert sein muss, damit bei den gegebenen Eigenschaften des Bildes (»resels«, Glätte etc.) im Durchschnitt 95 von 100 Bildern keine differenzielle Aktivierung zeigen, während 5 von ihnen ein oder mehrere überschwellige Voxel aufweisen, obwohl in Wahrheit kein einziges Voxel überschwellig aktiv ist. Die beschriebene Methode ist als »familywise error rate« (FWR) bekannt. 6
7
144
Kapitel 7 · Datenanalyse: Vorverarbeitung, Statistik und Auswertung
Eine andere Methode, die Kontrolle der »false discovery rate« (FDR), wird auch in der Genetik bei vergleichenden Analysen von Gensträngen verwendet. Unter tausenden von Tests wird eine Reihe von Aktivierungen (Abweichung von der Nullhypothese der Gleichheit) gefunden, wobei einige falsch-positive Tests zugelassen werden, solange deren Anzahl klein im Verhältnis zur Gesamtzahl speziell der positiven Tests bleibt. Die FDR-Korrektur wird daher als »Sicherheit der Vorhersage« bezeichnet.
7.2.2 Gruppenstatistik Parametrische Verfahren
7
Die Analyse auf der ersten Ebene erlaubt es, auf zukünftige Wiederholungen desselben Experiments mit ein und denselben Versuchspersonen und -bedingungen zu generalisieren. In der Regel interessieren in der medizinischen und psychologischen Forschung jedoch allgemeinere Aussagen. Trotz der Einschränkung, nur eine kleine Stichprobe von Probanden untersuchen zu können, wäre es wünschenswert, die Ergebnisse auf die entsprechende Population zufallskritisch verallgemeinern zu können. Das heißt, es ist erklärtes Ziel, nicht nur Aussagen z. B. über einen speziellen schizophrenen Patienten zu machen, der untersucht wurde, sondern die Ergebnisse sollten nach Möglichkeit auch auf andere schizophrene Patienten generalisierbar sein (Holmes u. Friston 1998). Um dies zu verwirklichen, muss eine ausreichende Anzahl an Beobachtungen vorhanden sein, es müssen also ausreichend viele Probanden untersucht worden sein. Die Effektstärken der einzelnen Probanden zu einem interessierenden Kontrast in einem jeweiligen Hirnareal werden in der zweiten Ebene zusammengenommen betrachtet und die Verteilung dieser Einzelwerte pro Proband mittels tStatistik auf signifikante Effekte untersucht. Aus solchen Tests auf der zweiten, der Gruppenebene, besteht die »Random-effects«-Analyse. Voraussetzung für den Vergleich äquivalenter Hirnareale verschiedener Probanden auf Voxel-Basis ist das Normalisieren der EPI-Bilder wie zu Anfang des Kapitels beschrieben. In jedem Voxel können nun verschiedene statistische Tests berechnet werden, die sich in keiner Weise von Gruppenstatistiken mit anderen Daten unterscheiden. Ein Kollektiv von gesunden Probanden beispielsweise kann mit einem Einstichproben-t-Test in jedem einzelnen Voxel auf den Kontrastbildern der Einzelprobandenauswertung untersucht werden, um Voxel zu identifizieren, die in der Population gesunder Erwachsener bei einem interessierenden Paradigma differentielle Aktivität aufweisen. Ein Zweistichproben-t-Test (oder t-Test für unabhängige Stichproben) kann zum Vergleich zweier unterschiedlicher Populationen, wie z. B. gesunde Probanden und Patienten, heran-
Besteht eine A-priori Hypothese darüber, in welchem Gebiet im Gehirn eine Aktivierung auftritt, so kann das untersuchte Volumen entsprechend durch Abstecken einer »region of interest« eingegrenzt werden. Die Vorabinformation setzt sich dann in einem verringerten Schwellenwert für t um, da in einem kleineren Volumen die Anzahl der unabhängigen Tests geringer ist (sog. »small volume correction«).
gezogen werden. Die Wirkung einer speziellen Therapie kann mittels eines gepaarten t-Tests (oder t-Test für abhängige Stichproben) untersucht werden, bei dem die Messungen an ein und demselben Patienten zu 2 Messzeitpunkten, z. B. vor und nach der Therapie, zu Paaren zusammengefügt werden. Eine alternative Vorgehensweise besteht in der sog. »Fixed-effects«-Analyse. Für alle Probanden der Gruppe werden die Regressoren nebeneinander zu einer einzigen umfassenden Design-Matrix zusammengesetzt, wobei die Messungen an den jeweiligen Probanden chronologisch gestaffelt werden. Diese Methode ermöglicht aber keine Inferenz, d. h. Folgerung der Gültigkeit des Ergebnisses auf eine Population, die vom Probandenkollektiv repräsentiert wird. Grund hierfür ist, dass die Effektgröße beim Prüfen der Signifikanz an der Varianz der Einzelmessungen gemessen wird, nicht an der Varianz der Verteilung der Effektstärken selbst, die pro Proband des Kollektivs bestehen.
Nicht-parametrische Verfahren Eine weitere Methode, die Rate falsch positiver Entscheidungen effektiv zu kontrollieren, bieten Permutationstests (Nichols u. Holmes 2001). Diese Methoden sind bei der Analyse von fMRT-Daten ausschließlich auf der zweiten Ebene anwendbar, also bei Gruppenstatistiken. Das Prinzip hierbei besteht darin, dass unter der Annahme der Nullhypothese die Größe und das Vorzeichen der Effekte (der Beta-Gewichte oder entsprechender Kontrastgewichte) bei den einzelnen Versuchspersonen unabhängig von der Gruppenzugehörigkeit sind. Träfe die Nullhypothese zu, so könnte man also die Bezeichnung »Patient« bzw. »Kontrolle« willkürlich vertauschen. Unabhängig von der Zuordnung zwischen Gruppe und Effektparameter ergibt der Test keinen Unterschied zwischen den Gruppen. Bei dem Pendant zum Einstichproben-t-Test kann man unter Annahme der Nullhypothese davon ausgehen, dass die Beta-Gewichte aus der Analyse auf der ersten Ebene alle symmetrisch um Null verteilt sind und daher das Vorzeichen der beta-Werte unerheblich sein müsste. Anhand aller möglichen Permutationen der Vorzeichen wird ermittelt, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, die in den Daten
145 7.3 · Explorative Datenanalyse
gefundene Vorzeichenzuordnung zu erhalten. Diese Wahrscheinlichkeit kann niemals kleiner werden als der Kehrwert der Anzahl an möglichen Permutationen. Bei 4 Probanden in einem Einstichproben-Permutationstest gibt es 24 = 16 Möglichkeiten, die Vorzeichen zu permutieren, was einer minimalen Wahrscheinlichkeit von 0,0625 unter der Nullhypothese entspricht. D. h. man benötigt mindestens 5 Personen um mit einem Einstichproben-Permutationstest eine Irrtumswahrscheinlichkeit von 0,05 zu unterschreiten.
7.3
Explorative Datenanalyse
> Definition Aufgabe der explorativen Datenanalyse ist es, Strukturen, Beziehungen und Abhängigkeiten herauszufinden, die in einem Datensatz vorhanden sind.
Die Möglichkeit, fMRT-Daten zu analysieren, ohne Vorannahmen zu spezifizieren bzw. das experimentelle Paradigma bei der Auswertung zu berücksichtigen, liefern explorative Analyseverfahren wie die faktorenanalytischen Verfahren, die »principal component analysis« (PCA) und die »independent component analysis« (ICA) oder verschiedene Clusteranalyseverfahren wie z. B. das »fuzzy clustering«. Die üblicherweise verwendeten inferenzstatistischen Analyseverfahren sind dann geeignet, wenn, wie oben beschrieben, sinnvolle Modellspezifikationen über die erwartete Reaktion gemacht werden können. Häufig wirken sich aber auch Faktoren auf die Messdaten aus, die spontan auftreten oder nicht extern appliziert werden und damit schwer in ihrem Auftreten kontrollierbar und erfassbar sind (z. B. die Abbildung von Halluzinationen mittels fMRT, von Stimmungsänderungen oder von Therapieeffekten). Modellfreie datengesteuerte Verfahren eignen sich demnach besonders bei Reizen, deren Reaktionscharakteristik kaum bekannt ist. Mit modellbasierten Analyseverfahren können nur Ergebnisse gefunden werden, die am Modell orientiert sind, während explorative Verfahren auch nicht erwartete neuartige Resultate erbringen können. Die explorative Datenanalyse kann entsprechend auch bei der Suche nach Artefakten, z. B. aufgrund von Bewegung sowie deren Elimination erfolgreich eingesetzt werden (Sommer et al. 2003). Dabei wird jeweils auf der Grundlage von Korrelationsmatrizen bzw. der Datenvarianz eine Varianzzerlegung vorgenommen: Basierend auf den Dateninterkorrelationen werden bestimmte Cluster oder Faktoren extrahiert, die diese Datencharakteristik bestmöglichst repräsentieren bzw. von denen man annimmt, dass sie den Interkorrelationen als gemeinsame Struktur zugrunde liegen. Meist wird dabei versucht, die komplexe regionale und zeitliche Struktur in dem Aktivierungsnetzwerk abzubilden, d. h. es
wird nach interessierenden Signalverläufen oder räumlichen Mustern gesucht (. Abb. 7.10). Bei der PCA beispielsweise erfolgt die Varianzzerlegung in voneinander unabhängige Komponenten (orthogonale Achsen), die eine Rekonstruktion der originalen Daten durch lineare Kombination ermöglichen und ein Maximum der Varianz aufklären sollen. Im Rahmen einer Faktorenanalyse besteht die zusätzliche Möglichkeit der Rotation dieser Achsen, die dann jedoch wiederum miteinander korreliert, d. h. voneinander abhängig sind. Dies hat den Nachteil, dass die bei der fMRTAnalyse interessierenden Komponenten, nämlich die aktivierten Zeitverläufe, das Rauschen und die Artefakte nicht eindeutig voneinander trennbar sind (Somorjai u. Jarmasz 2003). Auf einem ähnlichen Prinzip beruht die ICA, wobei sie im Gegensatz zu den eben genannten Verfahren die Varianzzerlegung so vornimmt, dass statistisch voneinander unabhängige Komponenten gemeinsam herangezogen werden, um die beobachteten Zeitverläufe in den Daten zu schätzen (. Abb. 7.11). Problematisch können dabei die Linearität und Globalität der ICA sein, d. h. Zeitverläufe in verschiedenen Regionen mit unterschiedlichen Verteilungseigenschaften betrachtet die ICA als räumlich/zeitlich homogen. Clusterverfahren dagegen haben diese Schwierigkeit nicht, sie betrachten die Zeitverläufe als unabhängig voneinander und haben zusätzlich den Vorteil, dass ihre Berechnung sehr beschleunigt werden kann, was bei der Analyse großer Datenmengen ein wesentlicher Punkt ist. Meist werden bei Clusteranalysen die Cluster in Voxeln gesucht, die einen ähnlichen Zeitverlauf zeigen. Cluster können dann durch ihr räumliches Muster und das Clustercenter und den gemittelten Zeitverlauf charakterisiert werden (Wichert et al. 2003). Problematisch ist allerdings, dass diese Verfahren als solche keine inferenzstatistische Absicherung ermöglichen. Allerdings sind auch hier Vorschläge zur Signifikanzprüfung gemacht worden (Calhoun et al. 2001, 2004; Somorjai u. Jarmasz 2003). ! In der Anwendung bei echten und simulierten Daten demonstrierten die explorativen Verfahren bei der Analyse von geblockten Daten ihre Validität (Kiviniemi et al. 2003; Svenson et al. 2002; Quigley et al. 2002). Ohne A-priori-Annahmen über das Design konnte die funktionelle Aktivität valide identifiziert werden. Es konnte gezeigt werden, dass alle Regionen von der ICA ermittelt werden, die mit verschiedenen Referenzfunktionen zur Modellierung der hämodynamischen Response aufgedeckt wurden (Moritz et al. 2000).
Über die Detektion aufgabenspezifischer Aktivität hinaus zeigte die ICA aber zusätzliche Sensitivität und demonstrierte Aktivität in weiteren Regionen, die nicht alle aufgabenrelevant waren. Insgesamt konnten ähnliche Ergebnisse (Fadili et al. 2000) und vergleichbare Test-Retest-Reliabilität (ICA; Nybakken et al. 2002) wie mit den herkömmlichen
7
146
Kapitel 7 · Datenanalyse: Vorverarbeitung, Statistik und Auswertung
a
7
b . Abb. 7.10a, b. Die Verfahren bei der explorativen Datenanalyse zielen darauf ab, die experimentelle Signalzeitkurve durch einige wenige Zeitverläufe möglichst umfassend zu erklären. a Darstellung des ersten EPI-Volumenbildes aus einer Zeitserie, das beispielhaft nur aus 4 Voxeln (A–D) besteht. Die Signalentwicklung mit der Zeit in allen Voxeln ist ebenfalls dargestellt. b Jeder der 4 Zeitverläufe lässt sich fast vollständig durch die beiden dargestellten Zeitverläufe (K1 und K2) er-
. Abb. 7.11. »Principal component analysis« (PCA) im Vergleich mit einer »independent component analysis« (ICA). Korrelationen zwischen Zeitserien werden erkennbar, wenn man sie gegeneinander aufträgt. Im zweidimensionalen Raum ist das nur für 2 Zeitserien (aus zwei Voxeln) möglich. Bei der PCA wird zunächst die Hauptachse der Korrelation bestimmt und dann orthogonale Komponenten gesucht. In dem unten aufgetragenen Datensatz II sieht man mit bloßem Auge 2 nicht-orthogonale unabhängige Komponenten in den Daten. Die ICA zielt darauf ab, solche Komponenten aufzufinden und zu trennen (Abbildung mit freundlicher Genehmigung von Ch. Beckmann)
klären, wenn sie, je nach Voxel-Koordinate, mit den geeigneten Amplituden multipliziert werden. Die Zahlenwerte der Amplituden sind pro Zeitverlaufskomponente in einem Volumenbild (links) zusammengestellt. Bei der hier dargestellten Zerlegung des Datensatzes bleibt nur eine geringe residuale Varianz (Differenz zwischen blauer und schwarzer Linie in . Abb. 7.10a)
147 7.5 · Literatur
Verfahren erzielt werden. Darüber hinaus können mit explorativen Verfahren auch verzögerte Reaktionen oder unterschiedliche Aktivierungsniveaus abgebildet werden (Moser et al. 1997; Baumgartner et al. 1998; Barth et al. 1997). Im Falle von Bewegungsartefakten oder schlechter Aufgabenleistung scheinen explorative Verfahren möglicherweise genauere Ergebnisse zu liefern (Quigley et al. 2002). Die ICA erwies sich beispielsweise auch bei Gruppenanalysen als vielversprechend und in der Lage, Komponenten der Gruppe wie auch der einzelnen Individuen zu extrahieren (Svenson et al. 2002). Es bestehen auch Verfahren, die Ergebnisse einer ICA in statistischer Hinsicht zu evaluieren (Beckmann u. Smith 2004). Explorative Verfahren bleiben nicht nur auf Paradigmen mit Blockdesign beschränkt, sondern lassen sich auch auf »Event-related«-fMRT anwenden (Wichert et al. 2003; Stone et al. 2002). Dabei können über clusteranalytische Verfahren Signalsegmente extrahiert werden, die den verschiedenen Signalen (»events«) entsprechen, ohne dass Annahmen über den zeitlichen Verlauf der Aktivität vorliegen müssen. Dies eignet sich besonders bei schwachen, bzgl. ihrer Reizantwort unbekannten Signalveränderungen. Eine interessante Anwendung ergibt sich auch im Rahmen der Hypothesengenerierung, wobei die Ergebnisse anschließend mit parametrischen Verfahren weiter abgesichert werden können (z. B. Windischberger et al. 2003). Ein Vergleich der verschiedenen explorativen Verfahren ergab ähnliche Ergebnisse für das »fuzzy clustering« (7 oben) und die PCA, wenn nur das Rauschen des Tomographens zur Varianz beiträgt (Baumgartner et al. 2000). Kommen andere Rauschquellen wie physiologisches Rauschen hinzu, dann ist die PCA dem »fuzzy clustering« überlegen. Unterschiedliche Sensitivität bezüglich der Identifizierung von Rauschen zeigten die PCA und ICA. Die ICA kann strukturiertes Rauschen besser filtern, während die PCA zufälliges Rauschen besser isoliert (Thomas et al. 2002).
7.4
Eine verbesserte Darstellung der anatomischen Areale erreicht man, indem man die Aktivierungen einem koregistrierten anatomischen Bild überlagert, hierbei müssen eventuelle Divergenzen zwischen der anatomischen und der EPI-Aufnahme berücksichtigt werden. Anhand von MNI-Koordinaten können auch äquivalente Talairach-Koordinaten aus Tabellen entnommen werden und dann eine anatomische Zuordnung gemäß dem Atlas von Talairach und Tournoux durchgeführt werden. Die Limitierungen in der Genauigkeit sind offensichtlich, da der Atlas ein einzelnes Beispielhirn enthält, das nur innerhalb der EPI-Genauigkeit dem des zu untersuchenden Probanden entspricht. Anschauliche Darstellungen, wie die Überlagerung der Aktivierungen auf ein oberflächenrekonstruiertes Gehirn oder auf eine »flatmap«, d. h. die Abbildung des entfalteten Kortex, können in speziellen Fällen für die Interpretation hilfreich sein.
Zusammenfassung und Ausblick Die fMRT hat in den letzen Dekaden zusammen mit anderen Methoden, wie z. B. der PET, die Möglichkeit eröffnet, sehr speziellen neuronalen Funktionen eine Lokalisation im Gehirn zuzuordnen. Die Fähigkeit zur präziseren Ortsauflösung wird in den nächsten Jahren durch die immer stärker werde Verbreitung von Hochfeld-MRT-Geräten an Qualität gewinnen. Im Gegensatz zur Entschlüsselung dieser sog. funktionellen Segregation bieten fMRT-Messungen die Möglichkeit, auch die komplementäre funktionelle Integration der Hirnfunktionen zu untersuchen. Bei deren Analyse spielt die zeitliche Auflösung der Signale eine große Rolle, die in der fMRT grundsätzlich durch die Tatsache begrenzt ist, dass das gemessene Signal der Blutantwort auf ein neuronales Phänomen entstammt. Die gleichzeitige Messung von Elektroenzephalogrammen und fMRT-Signalen wird zur Klärung des genauen Zusammenhangs von neuronaler Aktivität und BOLD-Signal beitragen. Spektakuläre Informationen können auch z. B. aus dem Abgleich von fMRT-Studien mit zytoarchitektonischen In-vivo-Messungen (»diffusion-tensor-imaging«) innerhalb ein und desselben Probanden resultieren (Ramnani et al. 2004).
Anatomische Zuordnung der Ergebnisse
Die Auswertung der EPI-Zeitserie liefert Tabellen von Voxel-Koordinaten und zugehörige statistische Kennwerte oder, bei einer explorativen Datenanalyse entsprechend Amplituden der Komponenten. Im Folgenden werden repräsentativ Ergebnisse von t-Statistiken beschrieben. Die Vorgehensweisen können aber auf alle anderen Auswerteverfahren direkt übertragen werden. Die anatomische Zuordnung einer Aktivierung kann am zuverlässigsten ermittelt werden, wenn die Darstellung der Aktivierungen einem EPI-Bild der Zeitserie überlagert wird. Da die Aktivierungen auf Grundlage der EPI-Aufnahmen berechnet sind, enthalten sie auch alle charakteristischen EPI-Verzerrungen.
7.5
Literatur
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7
148
7
Kapitel 7 · Datenanalyse: Vorverarbeitung, Statistik und Auswertung
Barth M, Diemling M, Moser E (1997) Modulation of signal changes in gradient-recalled echo functional MRI with increasing echo time correlate with model calculations. Magn Reson Imaging 15:745– 752 Baumgartner R, Windischberger C, Moser E (1998) Quantification in functional magnetic resonance imaging: fuzzy clustering vs. correlation analysis. Magn Reson Imaging 16:115–125 Baumgartner R, Ryner L, Richter W, Summers R, Jarmasz M, Somorjai R (2000) Comparison of two exploratory data analysis methods for fMRI: fuzzy clustering vs. principal component analysis. Magn Reson Imaging 18:89–94 Beckmann CF, Smith SM (2004) Probabilistic independent component analysis for functional magnetic resonance imaging. IEEE Trans Med Imaging 23:137–152 Calhoun VD, Adali T, Pearlson GD, Pekar JJ (2001) A method for making group inferences from functional MRI data using independent component analysis. Hum Brain Mapp 14:140–151 Calhoun VD, Pekar JJ, Pearlson GD (2004) Alcohol intoxication effects on simulated driving: exploring alcohol-dose effects on brain activation using functional MRI. Neuropsychopharmacology 29:2097– 2117 Fadili MJ, Ruan S, Bloyet D, Mazoyer B (2000) A multistep unsupervised fuzzy clustering analysis of fMRI time series. Hum Brain Mapp 10:160–178 Friston KJ, Jezzard P und Turner R (1994) Analysis of functional MRI timeseries. Hum Brain Mapp 1:153–171 Friston KJ, Holmes AP, Worsley KF, Poline JB, Frith CD, Frackowiak RSJ (1995) Statistical parametric maps in functional imaging: a general linear approach. Hum Brain Mapp 2:189–210 Friston KJ, Williams S, Howard R, Frackowiak RSJ, Turner R (1996) Movement-related effects in fMRI time-series. Magn Reson Med 35:346– 355 Holmes AP und Friston KJ (1998) Generalisability, random effects and population inference. NeuroImage 7: S754 Jenkinson M, Bannister P, Brady M, Smith S (2002) Improved optimization for the robust and accurate linear registration and motion correction of brain images. NeuroImage 17:825–841 Jezzard P, Balaban RS (1995) Correction for geometric distortion in echo planar images from B0 field variations. Magn Reson Med 34:65–73 Kiviniemi V, Kantola JH, Jauhiainen J, Hyvarinen A, Tervonen O (2003) Independent component analysis of nondeterministic fMRI signal sources. NeuroImage 19:253–260 Moritz CH, Haughton VM, Cordes D, Quigley M, Meyerand ME (2000) Whole-brain functional MR imaging activation from a finger-tap-
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8 8 Reliabilität und Qualität von fMRT-Experimenten T. Stöcker, N.J. Shah
8.1
Das Problem der Messwiederholung und Qualitätsfaktoren der fMRT – 150
8.2
Qualitätskontrolle von fMRT-Daten – 151
8.3
Einfluss der Datenqualität auf die fMRT-Analyse – 153
8.4
Literatur
– 155
150
Kapitel 8 · Reliabilität und Qualität von fMRT-Experimenten
)) In diesem Kapitel sollen die Qualitätsfaktoren der fMRT sowie Methoden zur Quantifizierung von Reliabilität und Variabilität von fMRT-Experimenten beschrieben werden. Im weiteren Verlauf des Kapitels werden Protokolle zur Qualitätskontrolle der fMRT-Hardware und von In-vivo-Experimenten dargestellt. Abschließend wird der Einfluss der Datenqualität auf die statistische Analyse von fMRT-Experimenten beschrieben.
8.1
8
Das Problem der Messwiederholung und Qualitätsfaktoren der fMRT
Unter den Begriffen »Stabilität«, »Reliabilität und Variabilität« oder »Test und Retest« wird in der fMRT stets das gleiche Problem verstanden: Eine fMRT-Wiederholungsmessung am gleichen Probanden, der sog. Retest, führt zu teilweise unterschiedlichen Aktivierungsmustern. Eine anschauliche Beschreibung des Problems der Messwiederholung wurde in einer Studie von Specht et al. (2003) gegeben; die in 7 Box 8.1 zusammengefassten Ergebnisse erlauben quantifizierende Klassifizierungen von fMRT-Retest-Experimenten über eingeführte Reliabilitäts- und Variabilitätsmaße. Um die Ursachen der Variabilität genauer zu verstehen, müssen alle Faktoren, die Schwankungen der Messergebnisse verursachen können, in Betracht gezogen werden. Generell kann man die Qualitätsfaktoren eines funktionellen MRT-Experiments in 3 unabhängige Kategorien einteilen, die jede für sich eine Fülle an Erklärungsmöglichkeiten für das Problem der Messwiederholung bietet:
4 experimentelles Design, 4 allgemeiner Zustand und Kooperationsbereitschaft des Probanden, 4 fMRT-Technik. Beim ersten Punkt ist beispielsweise der Trainingseffekt bei vielen fMRT-Experimenten zu nennen, aufgrund dessen unterschiedliche Aktivierungen in einem zweiten Experiment verständlich sind. Andererseits kann allein die Tagesform des Probanden einen großen Einfluss haben, auch bei bewusster gleicher maximaler Kooperation im Experiment. Beispiel: im ersten Experiment war der Proband ausgeschlafen, im zweiten nicht; oder er hatte nur vor dem ersten Messtermin Kaffee getrunken und musste während des Experiments auf Toilette − in Erinnerung daran trank er keinen Kaffee vor dem zweiten Experiment; insofern kann auch die bewusste Kooperation aufgrund persönlichen Befindens, z. B. durch Liebeskummer, sehr unterschiedlich sein. Allgemein sind die beiden erstgenannten Punkte schwierig zu kontrollieren; geeignete Maßnahmen sind sehr stark vom speziellen Design und der Hypothese des Experiments abhängig. Eine interaktive Methode zur hypothesenbasierten Qualitätskontrolle von fMRT-Daten wurde von Luo und Nichols (2003) publiziert. Als besonders schwerwiegend sind Differenzen in den Ergebnissen zu beurteilen, die auf technischen Unterschieden an den beiden Messtagen beruhen. Die fMRTTechnik ist jedoch leichter zu quantifizieren und sollte deshalb durch eine routinemäßige Qualitätssicherung kontrolliert werden. Ein Verfahren dafür soll kurz angesprochen und seine Anwendbarkeit auf In-vivo-Daten zur Bestimmung von bewegungskorrelierten Signalstörungen gezeigt werden.
Box 8.1. Quantifizierung des Problems der Messwiederholung (nach Specht et al. 2003) Zur Untersuchung der Reliabilität aktivierter Voxel in fMRT-Experimenten wurde eine Studie mit visueller Stimulation durchgeführt, bei welcher der Proband seine Aufmerksamkeit für das dargebotene Material in verschiedenen Bedingungen variieren sollte. Als Hintergrund wurde ein flackerndes Schachbrettmuster gewählt, das bekanntermaßen starke Aktivierung im visuellen Kortex hervorruft. Dieses sollte in 2 Bedingungen entweder bewusst ignoriert oder wahrgenommen werden, sowie in einer dritten Bedingung ein versteckter Buchstabe erkannt werden. Ein einfaches Maß für die Reliabilität in einer Wiederholungsmessung sind dann sog. »Scatter-Plots«. Es werden die t-Werte aller aktivierten Voxel aus Experiment 1 über den t-Werten aus Experiment 2 aufgetragen. Im Falle einer exakten Übereinstimmung liegen dann die Datenpunkte auf der Linie, die xund y-Achse mit 45° schneidet.
Die Abbildung zeigt repräsentative Scatter-Plots für die »Ignorieren« und »Buchstabenerkennung«-Bedingung einer Test und Retest-Messung an einem Probanden. Bei der ersten Bedingung ist die Variabilität groß (d. h. die Reliabilität klein), während die Buchstabenerkennung recht hohe Reliabilität aufweist, was möglicherweise durch die wesentlich konkreter gestellte Aufgabe zu begründen ist. Über den Korrelationskoeffizienten der aufgetragenen Daten kann die Reliabilität mit einer Maßzahl angegeben werden. Ein Maß für die Reliabilität der Lokalisierung durch fMRT kann mit dem sog. Overlap angegeben werden. Bezeichnet man mit V1 und V2 die Anzahl aktivierter Voxel in der ersten und zweiten Messung, sowie mit Voverlap die Anzahl der aktivierten Voxel in beiden Messungen, so gibt die Gleichung R1,2 = 2 Voverlap/(V1+V2) 6
151 8.2 · Qualitätskontrolle von fMRT-Daten
ein einfaches Maß für die Überlappung der aktivierten Hirnregionen. (Sind die Regionen identisch, so ist Voverlap=2(V1+V2) , also ist R1,2=1. Gibt es hingegen keinerlei Überlappung, also Voverlap=0, dann ist R1,2=0). Dieses Maß kann auch für die Reliabilität der Lokalisierung in einer Gruppe von Probanden genutzt werden, indem die Summe der Anzahl aller aktivierten Voxel im Nenner angegeben wird, und Voverlap die Anzahl der in allen Experimenten aktivierten Voxel bezeichnet. Für den Overlap wird ein bestimmtes Signifikanzniveau festgelegt − darüber hinaus wird jedoch die unterschiedliche Stärke der Aktivierungen in den verschiedenen Messungen durch R1,2 nicht beschrieben, wie es für die Scatter-Plot-Analyse der Fall ist.
8.2
Qualitätskontrolle von fMRT-Daten
Die Bedeutung der Qualitätskontrolle in der fMRT (z. B. Thulborn 2002) begründet sich insbesondere in der geringen Stärke des BOLD-Signals, die je nach Experiment kaum über oder in der Größenordnung des Rauschpegels einer fMRT-Messung liegt (7 Kap. 2.6). Zur Qualitätssicherung der fMRT-Technik müssen einerseits die Stärke der zufälligen Schwankungen (»random noise level«) und andererseits mögliche kohärente Schwankungen (Artefakte) in den Daten bestimmt werden. Letztere sollten auf keinen Fall enthalten sein, können aber durch jegliche Änderung der Hardware-Konfiguration entstehen (7 Kap. 2.4) − somit ist eine Qualitätskontrolle der fMRT-Technik nach solchen Änderungen im Allgemeinen zwingend erforderlich.
Um die Reliabilität der Aktivierungsstärke über eine Gruppe von Probanden und Retest-Messungen hinweg zu quantifizieren, schlagen Specht et al. einen sog. IntraKlassen Korrelationskoeffizienten (ICC) vor, der von der Varianz innerhalb und zwischen den Probanden abhängt. Die damit berechneten ICC-Karten des Gehirns sind ein geeignetes Maß dafür, inwieweit sich die Varianz der fMRT-Daten durch die Variabilität innerhalb der einzelnen Probanden in den Retest-Messungen erklären lässt, oder ob die Varianz von der Variabilität der Daten über die Probanden hinweg herrührt. Die genaue mathematische Definition des ICC sowie Beispiele sind der Referenz zu entnehmen.
! Die Qualitätskontrolle sollte mit der gleichen EPIMesssequenz für die fMRT an einem sog. MR-Phantom durchgeführt werden, z. B. einem mit Wasser gefüllten Glaskolben von der Größe eines menschlichen Kopfes. Die Anzahl der Messzeitpunkte (bzw. der Scans) ist hierbei so lang zu wählen, dass zeitliche Stabilität für alle experimentellen Designs gewährleistet ist. . Abbildung 8.1 zeigt den Vorgang zur Auswertung einer
EPI-Zeitreihe von 96 Scans eines homogenen MR-Phantoms. Die auf den Mittelwert normierte prozentuale Signalschwankung wird als PSC (»percentage signal change«) bezeichnet. Aus der MR-Physik ist bekannt, dass eine Normalverteilung die Signalschwankungen im MR-Bild beschreibt, sofern ein starkes Signal vorhanden ist. Die Schwankungen in den Randbereichen unterliegen nicht ei-
8
152
Kapitel 8 · Reliabilität und Qualität von fMRT-Experimenten
a
b
8
c
. Abb. 8.1. Ablauf einer Messung zur fMRT-Qualitätskontrolle. Von jedem Bild in der Zeitreihe wird der Mittelwert der Zeitreihe abgezogen und ein Gebiet von Interesse (ROI) ausgewählt. Die zeitliche prozentuale Signalabweichung (PSC) in der ROI, (d. h. 100×Standardabweichung/Mittelwert) wird dann als Zeitreihe auf die Stärke der zufälligen statistischen Schwankungen hin untersucht (unten rechts). Um die statistischen Eigenschaften der Schwankungen zu untersuchen, kann jeder Voxelwert in einen z-Wert umgerechnet und die Signalschwankungen können über eine Histogrammanalyse auf ihre Verteilungseigenschaften getestet werden (oben rechts)
. Abb. 8.2a–c. Beispiel zur Qualitätskontrolle der fMRT: Trotz einer Messung an einem MR-Phantom zeigen die Daten im zeitlichen Verlauf der Bildregistrierung deutliche Bewegung entlang einer Raumrichtung, hier dargestellt duch die Parameter der Bewegungskorrektur (a). Dies ist bedingt durch Erwärmung bestimmter Spulensysteme, so dass leichte Verschiebungen bei der Ortskodierung auftreten. Lässt man diesen Effekt unberücksichtigt, zeigt der q-q-Plot deutliche Nichtlinearität (b), d. h. die Daten erscheinen nicht normalverteilt. Nach der Bewegungskorrektur zeigt sich jedoch, dass die Annahme der Normalverteilung sehr gut erfüllt ist (c)
ner symmetrischen Verteilung, da das MR-Bild eine Amplitudenabbildung ist, d. h. hier kann das Signal nicht um den Mittelwert Null schwanken. Die mathematischen Modelle zur Beschreibung des fMRT-Signals gehen von einem normalverteilten Signal aus. Eine Überprüfung dieser Annahme ist insofern gut an einem homogenen protonenreichen Objekt wie dem MRPhantom möglich. Relevant sind hier 2 Fragen: 4 Ist das Signal normalverteilt? 4 Wenn ja, wie hoch ist die Streuung, d. h. die Stärke der zufälligen Signalschwankungen?
Wichtig ist es, vor der statistischen Analyse zur Qualitätskontrolle der Daten eine Bewegungskorrektur vorzunehmen, auch bei einer Kontrollmessung an einem MRPhantom. Erhitzungen in den Spulensystemen während der EPI-Messung führen zu kleinen Fehlern in der Ortskodierung; lässt man diese unberücksichtigt, erscheinen die Daten aufgrund der zeitlichen Drift nicht normalverteilt (. Abb. 8.2). Das Protokoll kann ebenso auf In-vivo-Daten angewendet werden – liegen keinerlei Hardware-bedingte Artefakte vor, so sind hier starke Schwankungen in der Regel durch Probandenbewegung und physiologisches Rauschen (Blutfluss) zu erklären. Wird die q-q-Plot-Analyse zu jedem Zeitpunkt (d. h. für jede EPI-Messung) einzeln durchgeführt, so ergibt sich aus den Steigungen wiederum eine zeitliche Messung der prozentualen Signalschwankung PSC (. Abb. 8.3). Diese Analyse kann weiterhin auf einzelne Schichten reduziert werden, um die betroffenen Daten genauer zu identifizieren und ggf. Maßnahmen zur Korrektur vorzunehmen (Stöcker et al. 2005). Zeitliche Fluktuationen können allerdings auch durch den BOLD-Effekt selbst verursacht werden, sie sind aber in der Regel sehr viel kleiner als die Effekte aufgrund von Bewegung. Falls mit sehr großen Schwankungen des BOLD-Signals zu rechnen ist, z. B. bei sehr großen Magnetfeldstärken, kann der Einfluss auf die Qualitätskontrolle durch zeitliche und räumliche Restriktion der Analyse minimiert werden (Stöcker et al. 2005).
Das Testen einer Verteilungsfunktion kann mit vielen Methoden erfolgen, z. B. dem Kolmogorov-Smirnov-Test oder einer Histogrammanalyse wie in . Abb. 8.1 dargestellt. Neuere Methoden der Statistik versuchen einen linearen Zusammenhang zwischen den Daten und einer vorgegeben Verteilungsfunktion nachzuweisen. Trägt man die Daten gegen die Quantile der Verteilung auf – den z-Werten im Falle der Normalverteilung – so spricht man von einem Quantil-Quantil-Plot (q-q-Plot) (Gnanadesikan 1997), einer Darstellung ähnlich dem Scatter-Plot in 7 Box 8.1. Der Korrelationskoeffizient und die Steigung des q-qPlots, aus der sich die Signalschwankung PSC berechnet, sind aussagekräftige Maße der Datenqualität einer EPIMessung. Diese Methode wurde von Stöcker et al. (2005) genutzt, um ein Protokoll zur standardisierten und automatisierten Qualitätskontrolle von fMRT-Daten zu beschreiben. Das Verfahren soll hier kurz an 2 Beispielen beschrieben werden.
153 8.3 · Einfluss der Datenqualität aufj die fMRT-Analyse
a
b
c d
e
f
. Abb. 8.3a–f. Beispiel der Qualitätskontrolle von In-vivo-fMRT-Daten. Im Vergleich zu den Parametern der Bewegungskorrektur (a) ist die prozentuale Signalabweichung (PSC) (b) der verlässlichere Parameter zur Beschreibung der Datenqualität. Abbildungsfehler aufgrund von Probandenbewegung werden hier deutlich als Spitzen dargestellt, diese müssen allerdings nicht bei den Bewegungsparametern sichtbar sein, wenn hier die Bewegungskorrektur nicht im Stande war eine Korrektur anzubringen. Die Darstellung des PSC pro Schicht (c) ermöglicht die Detektion einzelner fehlerhafter Schichten. Zum Beispiel ist die Schicht Nr. 8 zum Zeitpunkt 45 (Pfeil) aufgrund von Bewegung mit starken Artefakten im Bild aufgenommen worden: d, e bzw. f zeigen diese Schicht zum Zeitpunkt 45, 46 bzw. die Differenz der beiden Aufnahmen
8.3
einheitlichem Datenmaterial. Hier ist also eine ständige Überwachung der Rahmenbedingungen unabdingbar. Ein Beispiel für eine solche Multicenter-Studie wird in 7 Kap. 44 aufgezeigt; dort sind auch Ergebnisse der hier besprochenen Methode zur Qualitätskontrolle der fMRT-Technik zu finden. Als zweiter Grund für die besondere Bedeutung qualitätssichernder Maßnahmen in der fMRT an Patientengruppen kann genannt werden, dass sich eine solche Gruppe möglicherweise in ihrer Kooperationsbereitschaft und Fähigkeit deutlich von der Kontrollgruppe unterscheidet und dies einen unerwünschten Einfluss auf die Ergebnisse hat. So ist es z. B. häufig der Fall, dass bestimmte Patientengruppen größere Schwierigkeiten haben, während der Messung absolut still zu liegen bei gleichzeitiger Konzentration zur Erfüllung der jeweiligen Aufgabe. Bewegungsartefakte können z. B. vermehrt in der Patientengruppe auftauchen und die Datenqualität mindern. Falls solchen Umständen keine Beachtung geschenkt wird, kann dies im schlimmsten Fall zu Fehlinterpretationen führen: Eine geringere Aktivierung wird als funktioneller Unterschied gedeutet, basiert aber tatsächlich auf schlechterem Datenmaterial der Patientengruppe. ! Um solcher Qualitätsminderung der Daten vorzubeugen, ist also zunächst zu gewährleisten, dass mittels qualitätssichernder Maßnahmen die Datenqualität in beiden Gruppen sehr ähnlich ist, was häufig zum Ausschluss einzelner Messungen innerhalb der Patientengruppe (und der Kontrollgruppe) führen kann.
Einfluss der Datenqualität auf die fMRT-Analyse
Die soeben vorgestellten Verfahren zur Sicherung der Datenqualität in einer fMRT-Studie sollen nun an einem Beispiel erläutert werden. Bei der Untersuchung bzw. Entdeckung von funktionellen Unterschieden einer bestimmten Patientengruppe sind solche Maßnahmen insbesondere von enormer Bedeutung. Dies hat im Wesentlichen 2 Gründe: Einerseits sind die Auswirkungen solcher Unterschiede oft sehr klein, d. h. die messbare Differenz an BOLD-Signal im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ist so gering, dass nur eine sehr große Stichprobe signifikante Aussagen erlaubt. Um solche Studien durchführen zu können, sind aus rein logistischen Gründen Kooperationen über verschiedene Forschungseinrichtungen und Universitätskliniken hinweg notwendig. Dies erlaubt dann zwar die Messung einer vergrößerten Stichprobe, birgt aber auch die Gefahr von un-
. Abb. 8.4. Qualitätskontrolle in einer fMRT-Multicenter-Studie. Die mittleren prozentualen Signalabweichungen (PSA) aller In-vivo-Messungen der Patienten sowie der Kontrollprobanden wurden in einem q-q-Plot gegeneinander aufgetragen. Die Daten korrelieren sehr stark (Korrelationskoeffizient r=0,9591) mit der Winkelhalbierenden (Steigung σ=1, y-Achsenabschnitt µ=0). Dies bedeutet, dass die Streuung der Datenqualität in beiden Gruppen nahezu gleichverteilt ist − dies ist eine wichtige Voraussetzung für die statistischen Modelle zur Auswertung von fMRT-Gruppenvergleichen
8
154
Kapitel 8 · Reliabilität und Qualität von fMRT-Experimenten
b a
8
d c . Abb. 8.5a–d. Beispiel von fMRT-Gruppenanalysen bei unterschiedlicher Datenqualität. Aus dem Datenpool in . Abb. 8.4 wurden 4 Untergruppen à 16 Personen gebildet: die Kontrollprobanden und die Patienten mit der schlechtesten bzw. besten Datenqualität, bezeichnet durch K– (a) und P– (c) bzw. K+ (b) und P+ (d). Die Analysen zeigen eine deutliche Abnahme der Aktivierung bei den Gruppen mit schlech-
ter Datenqualität; dieser Effekt ist noch ausgeprägter bei der Patientengruppe, da hier die Variation der Datenqualität noch größer ist. Gruppenvergleiche solcher fMRT-Daten sind nicht zulässig, da hier im wesentlichen Aktivierungsunterschiede aufgrund unterschiedlicher Datenqualität zu erwarten sind. Es besteht die große Gefahr für eine neurologische (funktionelle) Interpretation dieser Unterschiede
Als Beispiel zeigt . Abb. 8.4 Ergebnisse der fMRT-Qualitätskontrolle aus der Multicenter-Studie im Kompetenznetz Schizophrenie (7 Kap. 44). Hier ist die prozentuale Signalschwankung PSC aller Patientenmessungen und aller Kontrollmessungen in einem q-q-Plot gegeneinander aufgetragen. Die gute Korrelation mit der Winkelhalbierenden zeigt, dass keine Design-bedingten Einflüsse zu Unterschieden in der Datenqualität beider Gruppen vorhanden sind. Somit erfüllen die Daten die Voraussetzung, um Gruppenverglei-
che funktionell, neurologisch und psychologisch interpretieren zu können. . Abbildung 8.5 zeigt den starken Einfluss der Datenqualität auf die Aktvierungskarten der fMRT-Analyse – hier wurden aus dem Datenpool der Multicenterstudie Untergruppen mit guter und schlechter Datenqualität gebildet. Aktivierungskarten zur Darstellung von Gruppenvergleichen anhand solcher Gruppen sind nicht interpretierbar (hier nicht abgebildet; Stöcker et al. 2005).
155 8.4 · Literatur
8.4
Literatur
Zusammenfassung und Ausblick Das experimentelle Design, der Proband sowie die fMRT-Technik beeinflussen die Qualität von fMRTExperimenten. Die Analyse von Test und Retest-fMRTExperimenten lassen Aussagen über die Reliabilität und Variabilität des Experiments zu. Qualitätssichernde Maßnahmen geben Aufschluss über die statistischen Eigenschaften der Daten (Verteilungsfunktion und Streuung). MR-Phantommessungen sind für die Qualitätskontrolle der fMRT-Technik geeignet. Qualitätskontrolle der In-vivo-Daten ist ein unverzichtbarer Bestandteil von fMRT-Patientenstudien um Fehlinterpretationen der Ergebnisse auszuschließen.
Gnanadesikan R (1997) Methods for statistical data analysis of multivariate observations, 2nd ed. Wiley, New York Luo WL, Nichols TE (2003) Diagnosis and exploration of massively univariate neuroimaging models. NeuroImage 19:1014–1032 Specht K, Willmes K, Shah NJ, Jancke L (2003) Assessment of reliability in functional imaging studies. J Magn Reson Imaging 17 (4):463– 471 Stöcker T, Schneider F, Klein M, Habel U, Kellermann T, Zilles K, Shah NJ (2005) Automated quality assurance routines for fMRI data applied to a multi-center study. Hum Brain Mapp 25:237–246 Thulborn KR (2002) Quality assurance in clinical and research echo planar functional MRI. In: Moonen CTW, Bandettini PA (eds) Functional MRI. Springer, Berlin Heidelberg New York
8
9 9 Augenbewegungen A. Wohlschläger, V. Backes
9.1
Einführung
– 158
9.2
Technik der Augenbewegungskontrolle in der fMRT – 158
9.3
Kalibrierung und Gestaltung der Stimuli – 161
9.4
Auswertung der Daten – 161
9.4.1 Kornealreflex-Methode – 161 9.4.2 Untersuchung von Sakkaden – 163
9.5
Literatur
– 163
158
Kapitel 9 · Augenbewegungen
)) Durch die Messung der Augenbewegungen eines Probanden während einer gleichzeitigen fMRT-Messung erhebt man wertvolle Verhaltensdaten, die die Informationen der funktionellen Bildgebung ergänzen. Im Folgenden wird eine Übersicht über die Messmethodik, die Durchführung der Messung und die Auswertung der erhobenen Daten gegeben.
9.1
9
Einführung
Eine häufig verwendete Methode, Probanden Stimuli und Instruktionen im Rahmen der funktionellen Magnetresonanztomographie zu präsentieren, ist die visuelle Darbietung von Wörtern und Bildern. Probanden reagieren auf diese Art der Stimulation unmittelbar, sei es bewusst oder unbewusst, unter anderem mit Augenbewegungen. Alfred Yarbus entdeckte, dass das Muster der Trajektorien von Augenbewegungen eines Betrachters auf einem Objekt diejenigen Details hervorhebt, die seine besondere Aufmerksamkeit anziehen (. Abb. 9.1; Yarbus 1967). Seine Untersuchungen machen deutlich, dass die neuronalen Substrate zur motorischen Kontrolle der Augenbewegungen mit denjenigen, die die visuelle Aufmerksamkeit vermitteln, in komplexer Weise verbunden sind. Augenbewegungen sind vielgestaltig. Der Mensch besitzt verschiedene neuronale Kontrollsysteme, die Augenbewegungen zu unterschiedlichen Zwecken steuern. Fünf Arten von Augenbewegungen wurden 1902 von Raymond Dodge klassifiziert. Sie dienen einem Beobachtenden dazu, ein Objekt auf der Fovea einzufangen, dem Bereich der Retina mit der höchsten Detailauflösung (7 Kap. 1.3.1), und das Bild dort zu halten: 4 Sakkaden sind rasche Augenbewegungen, die es ermöglichen, die Fovea schnell auf einen Zielreiz zu lenken. 4 Gleitende Folgebewegungen halten ein bewegtes Objekt auf der Fovea. 4 Unabhängige Bewegungen von rechtem und linkem Auge, die Vergenzbewegungen, dienen beim binokulären Sehen dazu, ein und dasselbe Objekt in beiden Augen auf die Fovea zu bringen. 4 Vestibulookuläre Bewegungen werden vom vestibulären System ausgelöst und dienen dazu, den Effekt kurzer Kopfbewegungen zu kompensieren (7 Kap. 1.3.3). 4 Optokinetische Bewegungen der Augen halten ein Objekt während einer gleichmäßigen Bewegung des Kopfes auf der Fovea. Zu diesen Bewegungen kommt das Fixationssystem, das ein Konstanthalten des Blicks auf ein interessierendes Objekt ermöglicht.
! Da im MR-Tomographen im Idealfall keine Kopfbewegungen des Probanden erfolgen und das dreidimensionale Sehen meist keinen interessierenden Faktor darstellt, werden durch Augenbewegungsmessungen im Tomographen von den oben beschriebenen Bewegungstypen nur Sakkaden, gleitende Folgebewegungen und die Fixationen erfasst.
Die Aufzeichnung der Augenbewegungen während fMRT-Untersuchungen gewährt Zugang zu Verhaltensdaten, deren Analyse bei der sinnvollen Interpretation der funktionellen Daten hilfreich und oft sogar unerlässlich ist. In jedem Fall liefert das Überwachen von Augenbewegungen bei visuellen Paradigmen eine zusätzliche Möglichkeit zur Verhaltenskontrolle ähnlich einer KnopfDruck-Antwort des Probanden, die seine Kooperationsbereitschaft oder seinen Aufmerksamkeitszustand widerspiegelt. Paradigmen, die das Fixieren der Blickrichtung des Probanden auf einen zentralen Punkt des Bildschirms erfordern, sind relativ häufig. Durch Augenbewegungsmesssysteme können diese überwacht und eventuell ein Versuchsdurchgang aufgrund mangelnder Fixation verworfen werden. Das Verfolgen von Sakkaden liefert, ähnlich wie bei den Untersuchungen von Yarbus, Einsichten darüber, wie ein Proband eine bestimmte Darbietung visuell erkundet. Auch der aufsummierte Blickweg (»scan path«) kann ein interessantes Maß darstellen, indem er zeigt, zu wie vielen Sakkaden der Proband durch das Stimulusmaterial veranlasst wurde. Die Erfassung von gleichmäßigen Folgebewegungen ermöglicht zu beurteilen, ob ein Proband seine Aufmerksamkeit auf ein animiert dargebotenes Objekt richtet. Von besonderer Wichtigkeit sind Augenbewegungsmessungen bei der Untersuchung von Hirnarealen wie dem parietalen Kortex, dem präfrontalen Kortex, der die frontalen Augenfelder (FEF) enthält, und dem okzipitalen Kortex mit den primären und höhergradigen visuellen Arealen, da diese Strukturen in die Steuerung von Augenbewegungen involviert sind. Sie zeigen in der Bildgebung typische Aktivierungen, wenn die Blickrichtung auf räumlich variierende Zentren der Aufmerksamkeit gesteuert wird. Aber auch bei reiner Verschiebung der Aufmerksamkeit unter Fixierung der Blickrichtung auf einen festen Punkt, d. h. ohne offene Augenbewegung, findet man vergleichbare Aktivierungen in denselben Arealen (. Abb. 9.2).
9.2
Technik der Augenbewegungskontrolle in der fMRT
Zur Erfassung von Augenbewegungen im MR-Tomograph stehen derzeit 2 unterschiedliche Verfahren zur Verfügung.
159 9.2 · Technik der Augenbewegungskontrolle in der fMRT
. Abb. 9.1. Messungen von Alfred Yarbus anhand des Gemäldes »Der unerwartete Besucher« (Yarbus 1967). Sieben unterschiedliche Augenbewegungsmessungen an einem Probanden. 1 Freie Beobachtung. Vor den folgenden Messungen wurde der Proband gebeten: 2 das Vermögen der Familie auf dem Bild abzuschätzen, 3 das Alter
der jeweiligen Leute anzugeben, 4 Vermutungen anzustellen, was die Familie vor dem Besuch des »unerwarteten Besuchers« gemacht hat, 5 sich die Kleidungsstücke und Gegenstände zu merken, 6 sich die Positionen der Gegenstände und Personen im Bild zu merken und 7 zu schätzen, wie lange der »unerwartete Besucher« weg gewesen war
Kornealreflex-Methode. Diese Methode ist durch unter-
um zu einem erhöhten, von der Pupille ausgestrahlten infraroten Signal führt. Die Maxima der vom Auge zurückgeworfenen infraroten Strahlung, Kornealreflex und die gesamte Pupille, werden zeitecht aus einer Videoaufzeichnung des Auges ermittelt. Die relative Lage von Kornealreflex und Zentrumspositon der Pupille gibt nach Eichung, die für jeden Probanden eigens durchgeführt werden muss, Aufschluss über die jeweilige Abfolge der Blickpositionen.
schiedliche Hersteller (http://www.a-s-l.com/ sowie http:// www.smi.de/home/index.html) verschiedenartig implementiert und beruht auf der Reflexion von infrarotem Licht durch das Auge. Dabei wird ausgenutzt, dass zum einen ein einfallender infraroter Lichtstrahl direkt von der Kornea reflektiert wird und zum anderen durch die Pupille in das Auge eintritt und nach Reflexion durch die Retina wieder-
9
160
9
Kapitel 9 · Augenbewegungen
. Abb. 9.2. Aktivierungen im parietalen, präfrontalen und frontomedialen Kortex verursacht durch offene (»overt«) und verdeckte (»covert«) Verschiebung der Aufmerksamkeit aus einer Gruppenauswertung an 3 gesunden Probanden (Gitelman et al. 2000). Die repräsentative Schicht liegt bei z=51 mm des MNI-Koordinatensystems. Die Einsätze A und B zeigen die Blickbewegungen auf dem Kalibrierungsbild. C und D zeigen die Augenbewegungen eines repräsentativen
Probanden unter Fixierungsbedingung bzw. freiem Sehen. In allen Fällen wurde eine Raute im Zentrum des Bildschirms gezeigt, zusammen mit 2 Quadraten bei einer Exzentrizität von 7,5°. Nach einem Cue-Signal erschienen entweder ein x oder ein + in einem der Quadrate. Der Proband sollte nur auf x reagieren. FEF frontale Augenfelder, IPS intraparietaler Sulcus, SMA supplementäre Motorregion
Geräte, die auf diesem Messprinzip beruhen, können in »eye goggles« (Brillensysteme) eingebaut werden, oder in eigenständigen langreichweitigen Systemen implementiert werden. . Abbildung 9.3 stellt exemplarisch einen Versuchsaufbau mit einem langreichweitigen System dar. Während des fMRT-Experiments werden Daten wie Blickposition und Pupillendurchmesser mit einer Frequenz von 50–60 Hz aufgezeichnet. Eine Aufrüstung auf Auslesefrequenzen von über 200 Hz ist möglich. Einfache, seriell oder parallel vermittelte Trigger-Signale zwischen dem Stimulus- und dem Augener-
fassungsrechner erlauben es, die Erfassung der Augenbewegung auf die Stimuluspräsentation abzustimmen. Möglich ist der stimulusgesteuerte Start der Aufzeichnung der Augenbewegungen und der Eintrag ablaufspezifischer Kodes in die Datei der Augenerfassung, um so die spätere Auswertung der Augenbewegungen gezielt für einzelne Stimuli oder einzelne experimentelle Bedingungen zuzulassen.
. Abb. 9.3. Skizze des Aufbaus eines Augenerfassungssystems in der fMRT, basierend auf infraroter (IR) Ausleuchtung des Auges und Aufzeichnung des reflektierten Lichtes über Spiegelsysteme. Spiegel 1 reflektiert das IR-Licht auf das Auge und ebenso das Bild des Auges zurück zum »eye tracker«. Spiegel 2 überträgt die visuellen Stimuli zum Auge des Probanden
Limbusdetektions-Methode. Ein zweites Verfahren zur Messung der Augenbewegungen im MR-Tomograph wurde an der Universität Freiburg entwickelt und beruht auf
161 9.4 · Auswertung der Daten
einer anderen Infrarotlichtmethode, der Limbusreflektion (Anbieter für Limbus-Detektionssysteme: http://www. crsltd.com/). Dabei wird die Kante der Iris (Limbus) durch eine Photodiode beleuchtet. Da Kornea und die darunter befindliche Iris einen viel kleineren Teil des Lichtes reflektieren als die Lederhaut (Sklera), lassen sich aus der reflektierten Gesamtintensität die Proportionen von Iris und Sklera bestimmen, die sich im Öffnungswinkel des Detektors befinden. Das Gerät liefert Daten bei einer Abtastfrequenz von 1000 Messungen pro Sekunde. Diese enorm hohe zeitliche Auflösung ermöglicht es sogar, Sakkaden in ihrem Frequenzspektrum zu analysieren. Dagegen ist das Gerät nicht für eine Überwachung von Augenfixation geeignet. Auch bei diesem System ist eine individuelle Eichung für jeden Probanden erforderlich.
9.3
Kalibrierung und Gestaltung der Stimuli
An dem Beobachter/Betreuerarbeitsplatz erfolgt die Überwachung der Versuchsdurchführung unter anderem durch Beobachtung der Augenbewegungen auf einem speziellen Monitor. Zur Feinabstimmung der Augenerfassung wird vor einem geplanten MR-Experiment mittels des Stimulusrechners eine Kalibrationsmatrix dargeboten, auf die das Augenerfassungssystem für jeden Probanden neu eingestellt wird. Für die eigentliche Erfassung der Blickrichtung, z. B. nach der mit Kornealreflex und Pupillensignal arbeitenden Methode (Kornealreflex-Methode), ist es von wesentlicher Bedeutung, dass das System stabil zwischen Pupille und Kornealreflex unterscheiden kann. Die Stellung von Pupille zu Kornealreflex ist für jede Blickrichtung eindeutig. Der für den Probanden im Tomographen sichtbare Bereich eines z. B. über Leinwand dargebotenen Stimulus ist in aller Regel kleiner, als der Bereich der gleichzeitig auf einem Computermonitor dargestellt werden kann. Für den Bereich, in dem der Proband die Stimuli gut wahrnehmen kann, wird das System kalibriert, d. h. für eine bestimmte Auswahl an Bildpunkten wird die Stellung von Pupille zu Kornealreflex erfasst und gespeichert (. Abb. 9.4). Die Stimuli für ein Experiment sollten so gestaltet sein, dass sie in dem Bereich dargestellt werden, der innerhalb der Kalibrationsmatrix liegt. ! Bei der Kornealreflex-Methode führt aufgrund des Pupillenreflexes (7 Kap. 1.3.1) ein zu dunkler Versuchsaufbau zu einer erheblichen Vergrößerung des Pupillendurchmessers und verhindert dadurch oft eine Unterscheidung von Pupille und Kornealreflex durch das Augenerfassungssystem. Deswegen ist es wichtig bei Experimenten, bei denen eine gute Augenerfassung gewährleistet sein soll, auf helle Stimuli zu achten.
. Abb. 9.4. Kalibrationsmatrix. Für die hier dargestellten Bildpunkte wird vor Beginn des eigentlichen Versuchablaufes das Augenerfassungssystem kalibriert, d. h. für jeden Bildpunkt wird die Stellung von Pupille zu Kornealreflex aufgezeichnet
Auch bei optimaler Anpassung des Versuchsaufbaus an die Rahmenbedingungen des spezifischen Augenerfassungssystems wird die Erfassung der Augenbewegungen nicht in jedem Falle funktionieren. Kritisch sind einerseits zu starke Kopfbewegungen, die dazu führen, dass die Kalibrierung ungültig wird. Darüber hinaus ergeben sich aber auch erhebliche Probleme bei Probanden, die Kontaktlinsen tragen. Insbesondere getönte Linsen haben sich als sehr schwierig erwiesen, da sie den Systemen zum Teil nicht einmal mehr ermöglichen, die Pupille des Probanden stabil zu erkennen. Leider lässt sich keine allgemeingültige Regel definieren, wie stark Kontaktlinsen die Augenbewegungsmessung stören, im Zweifelsfalle bleibt nur der Versuch.
9.4
Auswertung der Daten
9.4.1 Kornealreflex-Methode Die Position, an der sich der Blick des Probanden in der Ebene des Bildschirms befindet, wird durch das Augenbewegungsmessgerät als x-y-Datenpaare ausgegeben, die z. B. bei einer Aufzeichnungsrate von 60 Hz etwa alle 17 ms aufgenommen werden. Für einen ersten Eindruck der erfolgten Augenbewegungen kann man entweder die Gesamtheit der Daten oder nach den experimentellen Bedingungen getrennte Untermengen einem Stimulusbild überlagern. Datenwolken entstehen an den Orten, die der Proband lange oder oft im Zentrum des Blicks hatte. Für eine sinnvolle quantitative Analyse muss die Fülle der entstandenen Daten in einem ersten Schritt von Artefakten bereinigt werden. Unvermeidlich ist z. B. das zeitweilige Blinzeln der Probanden, das sich in einer oben beschriebenen Überlagerung als Entweichen des Blicks über den unteren Bildrand hinaus abbildet (. Abb. 9.5). Durch die Kalibrierung ist bekannt, innerhalb welchen Wertebereichs sich die Stimulusbilder während der Messung befunden haben. Blickrichtungswerte, die außerhalb dieses Bereichs liegen, können verworfen werden. Da gerade im
9
162
Kapitel 9 · Augenbewegungen
. Abb. 9.5. Augenbewegungsmuster von 4 Probanden bei Fixierung auf einen zentralen Punkt auf dem Bildschirm. In 3 von den 4 Fällen
sind Blinzelbewegungen mit Entweichen des Blicks an die untere Bildkante zu erkennen (Vandenberghe et al. 2001)
Falle von Blinzeln der Blickpunkt nicht nur zeitweise verschwindet, sondern sein Weg bis zur unteren Bildkante und zurück bei einer Akquisitionsrate von 60 Hz mehrmals aufgezeichnet wird, sollten Daten aus einem Intervall von bis zu 200 ms um das Verschwinden des Blickpunkts herum mitentfernt werden.
Messzeitraum, vergleicht, sollte in Betracht bezogen werden, dass schon leichte Kopfbewegungen des Probanden, die Berechnung der Blickposition wie oben beschrieben beeinflussen. Die vor der Messung durchgeführte Kalibrierung verliert an Genauigkeit und die interessierende Region (»region of interest«, ROI) sollte in Kenntnis dieser systematischen Abweichungen angesetzt werden. Ähnliche Verfahren kommen zum Einsatz, wenn geprüft werden soll, ob bestimmte Areale in einem jeweiligen Stimulusbild z. B. von besonderem Interesse für die Probanden sind, oder welches von mehreren konkurrierenden Arealen von größtem Interesse ist (. Abb. 9.6).
Region-of-interest-Analyse
9
Ob ein Proband tatsächlich wie aufgefordert einen vorgegebenen Fixationspunkt durchgehend im Blick behalten hat, stellt man fest, wenn man den Prozentsatz derjenigen x-yDatenpaare von der Gesamtheit der Daten ermittelt, die innerhalb einer festgelegten Region um den Fixationspunkt herum liegen. Da diese Form der Analyse die Daten über einen längeren Zeitraum, in der Regel über den gesamten
. Abb. 9.6. Beispiel für eine »Region-of-interest«-Analyse. Jeweils links sind die Originalbilder dargestellt und rechts dieselben Bilder überlagert mit dem Muster der Augenbewegung eines Probanden. In diesem Paradigma wurde dem Probanden eine Reihe von solchen Bildern präsentiert, wobei die roten Kugeln unterschiedliche Positionen
Auffinden von Fixierungspunkten Besteht keine Vorkenntnis, welche Positionen im Stimulusbild vom Probanden als bevorzugte Blickpunkte ausgewählt
auf einem Kreisring um den Kopf der Figur einnahmen. Mit der in den unteren beiden Bildern in rot eingetragenen Region kann hier beispielsweise untersucht werden, mit welcher relativen Häufigkeit der Blick des Probanden den Kopf der Figur aufsucht
163 9.5 · Literatur
. Abb. 9.7. Skizze des Auffindens von Fixierungspunkten in chronologischer Reihenfolge. In der dargestellten Aufgabe sollte der Proband den Gesichtsausdruck der unten links sichtbaren Figur einschätzen. Die Positionen im Bild, an denen sich der Blick am längsten aufhält, werden dadurch charakterisiert, dass sich dort mehrere unmittelbar aufeinander folgende Blickpositionen im Rahmen eines vordefinierten Fehlers (roter Kreis) befinden. In diesem Fall hätte der Proband das Bild vorzugsweise an 3 verschiedenen Stellen in der Reihenfolge linkes Auge – rechtes Auge – Mund exploriert
hohe zeitliche Auflösung ermöglicht eine genaue Analyse z. B. des Frequenzspektrums der Sakkaden, des Zeitintervalls von Präsentation eines Zielstimulus bis zum Einsetzen der Augenbewegung (Latenz), eine Differenzierung von gleitender Folgebewegung und Sakkade und eröffnet so eine enorme Vielfalt an Möglichkeiten der Analyse. Kimmig et al. beispielsweise verglichen direkt Frequenz sowie Latenz der Augenbewegungen mit dem BOLD-Signal der zugehörigen fMRT-Messungen. Sie konnten u. a. zeigen, dass in den frontalen wie auch in den supplementären Augenfeldern (FEF und SEF), dem parietalen, wie parietookzipitalen Kortex und der Area striata, die BOLD-Signaldifferenz von der Frequenz, nicht aber von der Amplitude der Augenbewegungen abhängt (Kimmig et al. 2001). Denkbar sind auch fMRT-Untersuchungen an Patienten mit spezifischen Störungen der Augenbewegungen, z. B. nach Läsionen oder bei psychotischen Patienten. In die Analyse von solchen BOLD-Daten können dann auf Gruppenebene Parameter eingehen, die direkt von den hochfrequent aufgenommenen Augenbewegungsmessungen abgeleitet sind.
Zusammenfassung und Ausblick Die Augen besitzen eine neuronale Repräsentation im motorischen System, daher ist die Überwachung von Augenbewegungen eine sinnvolle Ergänzung zu allen fMRT-Studien, die mit visuell dargebotenen Stimuli arbeiten. Sie ermöglicht, über die Reaktionsdaten hinaus, eine Beurteilung der Compliance des Probanden. Einen Zugang zur grundsätzlichen Funktionsweise dieses speziellen motorischen Systems liefert die gleichzeitige Untersuchung von Blicksakkaden und zugehöriger neuronaler Aktivität. Darüberhinaus besteht ein spezielles Einsatzgebiet in Patientenstudien, in denen gezielt neurologische Ausfallerscheinungen im Zusammenhang mit Augenbewegungen untersucht werden. Hier kann die Augenbewegungsmessung wertvolle Beiträge liefern.
werden oder soll die Reihenfolge ermittelt werden, in der ein Bild vom Probanden exploriert wird, so können sukzessiv diejenigen Punkte gesucht werden, an denen der Blickpunkt für mehrere Messzeitpunkte verweilt (. Abb. 9.7).
Analyse der Blickbewegungsrate Gerade im Vergleich mehrerer experimenteller Bedingungen kann es zum Verständnis der Aktivierungsmuster, ermittelt durch die funktionelle Messung, erforderlich sein zu wissen, ob alle Bedingungen das gleiche Maß an Augenbewegungen erfordert haben. Der Abtastpfad des Blickes kann im Mittel für eine Bedingung als überstrichene Pixelzahl pro Zeiteinheit berechnet werden. Unterscheidet sich der Abtastpfad zwischen den Bedingungen signifikant, so sind die BOLD-Signaländerungen aufgrund der interessierenden Aufgabe und der differentiellen Augenbewegungen untrennbar miteinander verbunden und die Ergebnisse nur in diesem Lichte interpretierbar.
9.4.2 Untersuchung von Sakkaden Sakkaden sind sehr rasche Augenbewegungen, die Geschwindigkeiten von bis zu 900 Winkelgrad pro Sekunde annehmen können. Eine differenzierte Untersuchung von Sakkaden durch Frequenzanalyse ist daher nur bei Systemen mit hoher Messrate von über 100 Hz möglich, insbesondere z. B. beim Limbus-Tracking-System. Eine derartig
9.5
Literatur
Gitelman DR, Parrish TB, LaBar KS, Mesulam MM (2000) Real-time monitoring of eye movements using infrared video-oculography during functional magnetic resonance imaging of the frontal eye fields. NeuroImage 11:58–65 Kimmig H, Greenlee M, Gondan M, Schira M, Kassubek J, Mergner T (2001) Relationship between saccadic eye movements and cortical activity as measured by fMRI: quantitative and qualitative aspects. Exp Brain Res 141:184–194 Vandenberghe R, Gitelman DR, Parrish TB, Mesulam MM (2001) Location- and feature-based targeting of peripheral attention. NeuroImage 14:37–47 Yarbus AL (1967) Eye movements and vision. Plenum, New York
9
10 10 Neuropharmakologische funktionelle Bildgebung C. Thiel, G.R. Fink
10.1 Pharmakologisches fMRT
– 166
10.2 Noradrenerges System – 168 10.3 Dopaminerges System
– 169
10.4 Serotonerges System – 170 10.5 Cholinerges System
– 170
10.6 GABAerges System – 172 10.7 Andere Neurotransmittersysteme – 173 10.8 Literatur
– 174
166
Kapitel 10 · Neuropharmakologische funktionelle Bildgebung
)) In den letzten Jahren ist die Anzahl von fMRT-Studien, die die neuralen Effekte von Psychopharmaka untersuchen, enorm gestiegen. Das Kapitel erklärt Sinn und Nutzen solcher pharmakologischen fMRT-Studien und gibt einen Überblick über die wichtigsten Arbeiten.
10.1
Pharmakologisches fMRT
> Definition Als Pharmakokinetik bezeichnet man die Charakteristiken der Aufnahme, Verteilung, Wirkung und des Abbaus von Pharmaka.
10
Die meisten Neurone im Gehirn kommunizieren miteinander durch Ausschüttung von Neurotransmittern, die mit den Rezeptoren der nachgeschalteten Zellen interagieren. Neurochemische Kommunikation ist damit ein wesentliches Element für die Weiterleitung von Informationen zwischen Nervenzellen. Pharmaka greifen in diese Reizweiterleitung ein und verstärken oder blockieren beispielsweise in Form von Rezeptoragonisten oder Rezeptorantagonisten die Wirkung eines Neurotransmitters. Neben ihrer therapeutischen Wirksamkeit können Pharmaka damit als »Werkzeuge« benutzt werden, um neurochemische Kommunikation im Gehirn gezielt und reversibel zu manipulieren. Die Neuropsychopharmakologie untersucht, zumeist am Tier, die kognitiven und neuralen Effekte einer solchen pharmakologischen Manipulation. Viele der klassischen Neurotransmittersysteme (. Tab. 10.1) konnten so anatomisch und funktionell charakterisiert werden. Es existieren eine Reihe psychopharmakologischer Studien am Menschen, die die Rolle verschiedener Neurotransmittersysteme bei kognitiven Prozessen, wie Aufmerksamkeit, Lernen, Motivation oder Emotion untersuchen. Bezüglich der zerebralen Lokalisation dieser Effekte musste jedoch lange Zeit auf tierexperimentelle Befunde zurück-
gegriffen werden, wo zum einen durch intrazerebrale Injektion von Pharmaka oder neurochemische Läsionen Neurotransmittersysteme lokal manipuliert und zum anderen durch intrazerebrale Messmethoden Effekte lokalisiert werden können. Auch wenn tierexperimentelle Befunde wichtige Hinweise über den Wirkort der Pharmaka geben können, gibt es bezüglich Anatomie und Rezeptorverteilung Unterschiede zwischen Tier und Mensch. Zudem sind manche kognitive Leistungen beim Tier nur schwer zu untersuchen. > Definition Neurotransmitter sind Moleküle, die als Überträgerstoffe zwischen Nervenzellen agieren. Sie werden von der Nervenzelle ausgeschüttet und binden an Rezeptoren anderer Nervenzellen. Rezeptoragonisten binden an den Rezeptor und aktivieren diesen oder verstärken dessen Funktion. Rezeptorantagonisten sind Substanzen, die an den Rezeptor binden und damit die Wirkung des Neurotransmitters verhindern/reduzieren. Sie besitzen im Gegensatz zu Agonisten keine eigene Wirkung.
Durch die Entwicklung bildgebender Verfahren wie der fMRT und PET stehen der Hirnforschung Werkzeuge zur Verfügung, die es ermöglichen, neurale Korrelate kognitiver Funktionen beim Menschen zu untersuchen; d. h. die Hirngebiete zu identifizieren, die bei bestimmten höheren Hirnleistungen ihre Aktivität verändern. In den vergangenen Jahren kam es zu einer Vielzahl von Studien, die mit diesen Methoden Karten kognitiver Funktionen des menschlichen Gehirns erstellten und eine »Spezialisierung« verschiedener Hirngebiete für bestimmte höhere Hirnleistungen nahe legen (7 Teil III). Ein weitergehender Ansatz der funktionellen Bildgebung untersucht neben dieser funktionell-neuroanatomischen Korrelation höherer Hirnleistungen die neurochemische Basis von kognitiven Hirnfunktionen. Dies geschieht mittels pharmakologischer fMRT-Studien.
. Tabelle 10.1. Die wichtigsten klassischen Neurotransmitter, Rezeptortypen und in fMRT Studien verwendete Pharmaka
Transmitter
Rezeptortypen
Pharmaka
Azetylcholin
Nikotinerg, muskarinerg
Nikotin, Skopolamin, Cholinesteraseinhibitoren (z. B. Physostigmin)
Monoamine 5 Dopamin 5 Noradrenalin 5 Serotonin 5 Histamin
5 5 5 5
5 Bromocriptin, Sulpirid, Amphetamine, Metylphenidat, L-Dopa 5 Clonidin, Guanfacin, Propanolol 5 Chlorophenylpiperazin, Fluoxetin
Aminosäuren 5 Glutamat 5 GABA
5 NMDA, nicht-NMDA 5 GABAA, GABAB
D1, D2 α, β 5-HT1 bis 5-HT7 H1, H2, H3
5 Ketamin 5 Benzodiazepine (z. B. Lorazepam, Diazepam)
167 10.1 · Pharmakologisches fMRT
> Definition Als neurales Korrelat einer kognitiven Funktion versteht man eine veränderte Hirnaktivität, die im Zusammenhang mit einer kognitiven Aufgabe auftritt.
Der Begriff »pharmakologische fMRT« wird oft übergreifend für fMRT-Studien verwendet, die die Verabreichung eines Pharmakons vor oder während der Durchführung einer fMRT-Untersuchung beinhalten (Leslie u. James 2000). Dabei sind 2 verschiedene Ansätze zu unterscheiden. Der erste Ansatz untersucht den Effekt eines Pharmakons auf Hirnaktivität an sich und kann Auskunft über den Wirkort des Pharmakons sowie ortsabhängige Dosis-Wirkungs-Zusammenhänge und pharmakokinetische Eigenschaften geben. Ein anderer Ansatz, der wesentlich häufiger verwendet wird, untersucht die Effekte eines Pharmakons im Rahmen kognitiver Aufgaben; hierzu gehören beispielsweise Studien, die die neuralen Effekte von Anticholinergika in Lernparadigmen untersuchen und zeigen, inwiefern die Gedächtnisstörung mit veränderter Hirnaktivität einhergeht. Dieser Ansatz gibt Auskunft über Hirngebiete, in denen die pharmakologisch wirksame Substanz aufgabenspezifische Hirnaktivität beeinflusst. Untersucht wird damit die neurochemische Modulation von Hirnaktivität. Es ist wichtig, beide Ansätze zu unterscheiden, da sie unterschiedliche experimentelle Designs erfordern (. Abb. 10.1). Beim ersten Ansatz, bei dem die Wirkung des Pharmakons im Ruhezustand gemessen wird, steht das Pharmakon an Stelle der kognitiven Aufgabe. Das heißt, anstatt Hirnaktivität während einer kognitiven Aufgabe mit einer Kontrollbedingung zu vergleichen, vergleicht man hierbei Hirnaktivität unter dem Pharmakon mit Hirnaktivität unter Plazebo. Idealerweise würde es zu einem schnellen Wechsel von Pharmaka- und Plazebogabe während der fMRT-Untersuchung kommen. Da dies aufgrund pharmakokinetischer Eigenschaften der Substanzen nicht möglich ist, sind hier andere methodische Wege erforderlich. Eine Möglichkeit ist, das fMRT-Signal vor und nach Pharmakagabe zu vergleichen. Hierbei können entweder ein über alle Messzeitpunkte gemitteltes Signal oder aber spezifische Zeitpunkte miteinander verglichen werden. Da die meisten Substanzen nicht schnell abgebaut werden, erfordert dieser Ansatz jedoch, dass die Plazebogabe zuerst erfolgt, was zu Reihenfolgeeffekten führen kann. Zudem nutzt dieser Ansatz die relativ hohe zeitliche Auflösung des fMRTSignals nicht aus. Bloom und Kollegen schlagen deshalb alternativ das sog. »Waveform Analysis Protocol« (WAV) vor (Bloom et al. 1999). Dieser Analysemethode liegt die Annahme zugrunde, dass die Pharmakokinetik der meisten Substanzen bekannt ist und Parameter wie beispielsweise der Zeitpunkt der maximalen Konzentration zur Vorhersage von Signalveränderungen im fMRT benutzt werden können. Obwohl die WAV-Methode auf einigen Voraussetzungen beruht, die noch weiter validiert werden
. Abb. 10.1. Schematische Übersicht über pharmakologische Ansätze im fMRT. Es können 2 verschiedene Ansätze unterschieden werden. Einer, der die Wirkung des Pharmakons per se, d. h. im Ruhezustand untersucht (1), und ein anderer, der die modulatorische Rolle des Pharmakons im Rahmen von Aktivierungsstudien untersucht (2). Wird die Pharmakawirkung im Ruhezustand untersucht, so erfolgt die Verabreichung des Plazebos bzw. Pharmakons während des fMRT-Scannings. Im Rahmen von Aktivierungsstudien wird der Zeitpunkt der Verabreichung von Plazebo oder Pharmakon vor dem fMRT-Scan so gewählt, dass während des Scans die maximale Wirkung des Pharmakons erfasst werden kann. Bei der Untersuchung chronischer Pharmakaeffekte im Rahmen kognitiver Studien wird das Pharmakon bzw. der Plazebo chronisch über mehrere Wochen verabreicht. Vorher und nachher kommt es zu einer fMRT-Untersuchung. Die Dauer der fMRTUntersuchung ist beim ersten Ansatz von der Wirkdauer des Pharmakons, beim zweiten Ansatz vom verwendeten Paradigma abhängig
müssen, zeigen erste Anwendungen dennoch sinnvolle Ergebnisse. Stein und Kollegen untersuchten mittels des »WAV«Protokolls die regionalen Effekte von Nikotin im Gehirn von Rauchern. Dazu infundierten sie akut aufsteigende Dosierungen von Nikotin und verglichen den Zeitverlauf der Aktivierungen in jedem Voxel mit dem auf pharmakokinetischen Kriterien beruhendem Modell. Aktivierungen, die diesem Modell entsprachen, konnten in mehreren Hirngebieten, darunter auch dem Nucleus accumbens, gefunden werden, der eine dosisabhängige Aktivitätszunahme zeigte (Stein et al. 1998). Einen wesentlich sensitiveren und vor allem methodisch einfacheren Ansatz stellen pharmakologische Interventionen im Rahmen von Aktivierungsstudien, d. h. kognitiven, motorischen oder sensorischen Paradigmen dar. Hier kann die etablierte Methodik herkömmlicher fMRT-Studien genutzt werden. Ein direkter Vergleich der durch eine kognitive Auf-
10
168
10
Kapitel 10 · Neuropharmakologische funktionelle Bildgebung
gabe hervorgerufenen neuralen Aktivierungen unter Plazebo und Pharmakon gibt Auskunft über Hirngebiete, in denen die pharmakologisch wirksame Substanz aufgabenabhängige Aktivität beeinflusst. Da in Neurologie und Psychiatrie die Wirkung eines Pharmakons nicht zuletzt im Zusammenhang mit sensorischen, motorischen oder kognitiven Leistungen von Interesse ist, wird im Folgenden die Methodik pharmakologischer fMRT-Untersuchungen im Rahmen von Aktivierungsstudien beschrieben. Untersuchungen dieser Art werden oft in Form einer akuten Pharmakaapplikation an freiwilligen Probanden durchgeführt. Medikamente werden dabei als »Werkzeuge« benutzt, mit deren Hilfe Neurotransmittersysteme experimentell stimuliert oder blockiert werden können. Die Ergebnisse geben Auskunft über die modulatorische Rolle verschiedener Neurotransmitter bei höheren Hirnleistungen im gesunden Gehirn. Zum anderen werden pharmakologische fMRT-Studien an Patienten durchgeführt, um Auskunft über die therapeutische Wirksamkeit eines Pharmakons zu erhalten. Dabei wird das Pharmakon oft chronisch appliziert und es kommt zu einer »Vorher«- und »Nachher«-Messung. Beiden Arten der Pharmakaapplikation ist jedoch gemein, dass die Wirkung des Pharmakons auf aufgabenspezifische Aktivierungen untersucht wird; dieser Wirkort, d. h. die Lokalisation der modulatorischen Effekte, muss nicht dem Ort entsprechen, an dem das Pharmakon an die entsprechenden Rezeptoren bindet. Loubinoux und Kollegen untersuchten bei Schlaganfallpatienten und gesunden Probanden die Effekte von Serotonin bei motorischer Aktivität. Im gesunden Gehirn konnten sie zeigen, dass bei Durchführung einer motorischen Aufgabe eine akute Erhöhung serotonerger Neurotransmission zu einer Aktivitätserhöhung im kontralateralen primär sensomotorischen Kortex und im supplementärmotorischen Areal führte (Loubinoux et al. 2002). Auch bei Patienten zeigte sich eine Erhöhung von Aktivität im kontralateralen primär motorischen Kortex bereits nach einmaliger Gabe eines Serotoninwiederaufnahmehemmers, die mit einer Verbesserung motorischer Leistungen einher ging. Die Befunde zeigen, dass Serotonin im gesunden Gehirn motorische Hirnaktivität moduliert und dass im kranken Gehirn eine Erhöhung serotonerger Neurotransmission erholungsfördernd sein könnte (Pariente et al. 2001). ! Pharmakologische fMRT ist eine Bezeichnung für Studien, die ein Pharmakon vor oder während der Durchführung einer fMRT-Untersuchung applizieren. Je nach Ansatz wird dabei entweder der direkte Effekt eines Pharmakons auf Hirnaktivität im Ruhezustand untersucht oder der modulatorische Effekt der Substanz auf Hirnaktivität, die im Rahmen sensorischer, motorischer oder kognitiver Aktivierungen entsteht.
Im Folgenden werden Befunde zur Neurochemie höherer Hirnleistungen dargestellt, die aus pharmakologischen Aktivierungsstudien im fMRT stammen. Das Kapitel be-
schränkt sich dabei auf Studien an gesunden Probanden (siehe auch Überblicksarbeit von Honey und Bullmore 2004). Für spezifische methodische Aspekte bei pharmakologischen Ansätzen im fMRT sei auf 7 Kap. 42 verwiesen.
10.2
Noradrenerges System
Noradrenerge Projektionssysteme entspringen 2 Zellgruppen im Hirnstamm: dem Locus coeruleus und einer Zellgruppe im lateralen ventralen Tegmentum. Die Fasern, die im Locus coeruleus entspringen, innervieren alle Kortexareale, thalamische und hypothalamische Kerne, den Bulbus olfactorius, das Zerebellum und das Rückenmark. Die Zellgruppe im lateralen ventralen Tegmentum zieht zu Amygdala, Hippocampus und dem Rückenmark. Noradrenerge Rezeptoren werden in α- und β-Rezeptoren unterteilt, für die jeweils weitere Subtypen existieren (α1, α2, β1, β2, β3). Noradrenerge α-Rezeptoren werden mit »arousal« und kognitiven Funktionen wie Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis in Verbindung gebracht. Dabei sind die kognitiven Effekte oft von der Höhe des »arousals« abhängig. Noradrenerge β-Rezeptoren sind hingegen stark an emotionalem Gedächtnis beteiligt. Das noradrenerge System ist besonders an Aufmerksamkeitsprozessen beteiligt. Neurale Korrelate dieser Effekte wurden in frontalen und parietalen Kortexarealen sowie dem Thalamus gefunden. Effekte von β-Rezeptoren auf emotionales Lernen wurden in Amygdala und Hippocampus gefunden. > Definition »Arousal« bezeichnet einen Zustand erhöhter physiologischer Aktivität. Der Begriff wird oft mit Aktivierungsgrad oder Erregungszustand übersetzt. Experimentell kann »arousal« beispielsweise durch weißes Rauschen erzeugt werden. »Alertness« bezeichnet die Aufmerksamkeitsaktivierung und die erhöhte Bereitschaft auf auftretende Reize zu antworten. Experimentell kann »alertness« beispielsweise durch Warnreize phasisch erhöht werden.
Aufmerksamkeitsmodulierende Effekte einer noradrenergen α-Rezeptormanipulation untersuchten Coull et al. (2001). Sie konnten zeigen, dass eine Störung noradrenerger Neurotransmission mit geringeren Aktivierungen in parietalen und frontalen Hirnarealen einhergeht; die Lokalisation der noradrenergen Wirkung hängt dabei von der untersuchten Aufmerksamkeitsfunktion ab. In einer weiteren Studie wurde gezeigt, dass diese neurochemischen Effekte auch vom »arousal« abhängig sind (Coull et al. 2004). Aufmerksamkeitsleistungen verschlechtern sich durch α2Agonisten nur unter Bedingungen geringen »arousals«. Dies geht mit einer niedrigeren Aktivität im Pulvinarkern des Thalamus einher. Das heißt, dass die Verringerung der
169 10.3 · Dopaminerges System
Aufmerksamkeitsstörung unter hohem »arousal« auf einer Erhöhung thalamischer Aktivität beruhen könnte. Coull und Kollegen (2001) untersuchten in einem Aufmerksamkeitsparadigma, in dem räumliche und zeitliche Aufmerksamkeitsausrichtung sowie »alertness« durch verschiedene Warnreize differenziert werden konnten, die Effekte des α2-Agonisten Clonidin. Diese Substanz führte zu einer Reduktion präfrontaler Aktivierungen der linken Hemisphäre während zeitlicher Aufmerksamkeitsausrichtung und zu einer Reduktion superior parietaler Aktivierungen der rechten Hemisphäre während räumlicher Aufmerksamkeitsausrichtung. Eine Verschlechterung von »alertness« unter Clonidin ging mit einer Reduktion von Aktivität im linken inferioren Parietalkortex einher. Die Rolle der noradrenergen β-Rezeptoren bei emotionalem Lernen untersuchten Strange und Dolan (2004); sie konnten zeigen, dass eine Blockade der β-Rezeptoren mit Propanolol beim emotionalen Lernen die Aktivierungen in Amygdala und Hippocampus verändert.
10.3
Dopaminerges System
Im Gegensatz zu den anderen Aminen, die die gesamte Neuraxis innervieren, sind die Projektionen des dopaminergen Systems umgrenzt. Oft werden 3 Projektionssysteme unterschieden, die ihren Ursprung jeweils im Mittelhirn haben: 4 Das nigrostriatale System entspringt in der Substantia nigra und projiziert zum Neostriatum. 4 Das mesolimbische System entspringt im ventralen Tegmentum und endet im ventralen Neostriatum. 4 Das mesokortikale System hat seinen Ursprung ebenfalls im ventralen Tegmentum, endet aber im Frontalkortex, Cingulum und entorhinalen Gebieten. Fünf verschiedene Dopaminrezeptoren sind bisher identifiziert worden. Diese werden in 2 Klassen aufgeteilt, die D1und die D2-Familie. Neben psychopharmakologischen Untersuchungen liefern auch neuropsychologische Studien an Patienten mit Erkrankungen wie dem Morbus Parkinson und der Schizophrenie, bei denen dopaminerge Aktivität durch die Erkrankung chronisch reduziert bzw. erhöht ist, einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der dopaminergen Modulation kognitiver Leistungen. Funktionell ist das nigrostriatale System vorwiegend an motorischen Leistungen beteiligt. Das mesolimbische System wird mit Belohnungslernen und Substanzabhängigkeit assoziiert. Das mesokortikale System wird mit Arbeitsgedächtnis und Exekutivfunktionen in Verbindung gebracht. ! Das dopaminerge System wird mit motorischen Leistungen, Motivation, Arbeitsgedächtnis und Exekutivfunktionen in Verbindung gebracht. Die dopaminerge Modulation von Arbeitsgedächtnis hängt mit neuraler Aktivität im Frontalkortex zusammen.
In einer fMRT-Studie von Mattay und Kollegen (Mattay et al. 2000) wurden die Effekte des indirekten Dopaminagonisten Dextroamphetamin untersucht. Die Ergebnisse zeigten, dass eine Stimulation dopaminerger Neurotransmission die neurale Aktivität im rechten Präfrontalkortex besonders bei steigender Belastung des Arbeitsgedächtnisses erhöht. Im Verhalten fand man gedächtnisverbessernde Effekte der Substanz allerdings nur bei Versuchspersonen mit einer ursprünglich niedrigen Gedächtnisleistung. Eine Abhängigkeit dopaminerger Effekte vom ursprünglichen Leistungsniveau ist auch in anderen Studien beschrieben worden (Mehta et al. 2000) und wird oft mit einem umgekehrt U-förmigen Dosis-Wirkungszusammenhang erklärt (. Abb. 10.2). Während Psychostimulanzien wie Dextroamphetamin oder Methylphenidat indirekte Effekte sowohl auf D1- als auch D2-Rezeptoren besitzen, wirken Substanzen wie Bromocriptin spezifisch durch Stimulation der Dopaminrezeptoren der D2-Familie. Die Rolle dopaminerger D2-Rezeptoren bei Arbeitsgedächtnis, Exekutivfunktionen und motorischen Aufgaben wurde von Kimberg und Kollegen untersucht (Kimberg et al. 2001). Je nach Aufgabe zeigte sich reduzierte neurale Aktivität im posterioren Parietalkortex, der Insula, dem extrastriären Kortex und dem prämotorischen Kortex. Bezüglich der Arbeitsgedächtnisaufgabe zeigten die Befunde keine Modulation frontaler, sondern parietaler Aktivierungen, was dafür sprechen könnte, dass die neuralen Mechanismen, die dem Arbeitsgedächtnis im Frontalkortex zugrunde liegen, durch D1-Rezeptoren moduliert werden. Präfrontale Aktivität zeigt sich in fMRT-Studien nicht nur bei Arbeitsgedächtnisaufgaben, sondern besonders auch bei Aufgaben mit hohem Schwierigkeitsgrad. Die Effekte dopaminerger Substanzen auf solche schwierigkeitsabhängigen Aktivierungen wurden in einer visuell-räumli-
. Abb. 10.2. Schematische Verdeutlichung des umgekehrt U-förmigen Dosis-Wirkungs-Zusammenhangs. Eine zu starke Stimulation des dopaminergen Systems führt nicht zu einer Leistungsverbesserung sondern zu einer Leistungsverschlechterung (niedrige Gedächtnisleistung bei hohem Dopamin-Level). Ebenso kann erklärt werden, warum nur Personen mit anfänglich schlechter Leistung (grün) von einer Erhöhung des Dopamin-Levels profitieren, Personen mit anfänglichen guten Leistungen aber keine Veränderung zeigen
10
170
Kapitel 10 · Neuropharmakologische funktionelle Bildgebung
chen Lernaufgabe von Bullmore und Kollegen untersucht (2003). Dopaminerge Neurotransmission wurde durch den indirekten Dopaminagonisten Methylphenidat stimuliert und durch Sulpirid, ein Neuroleptikum, das hauptsächlich den D2-Rezeptor antagonisiert, blockiert. Beide dopaminergen Substanzen verringerten die schwierigkeitsabhängigen Aktivierungen im Präfrontalkortex, was für eine umgekehrt U-förmige Wirkungsweise dopaminerger Substanzen im Präfrontalkortex sprechen könnte. In anderen Hirngebieten unterschieden sich beide Substanzen jedoch in ihrer Wirkung. So beispielsweise im anterioren Cingulum, prämotorischen und parietalen Gebieten, die stark an visuell räumlichen Aufmerksamkeitsprozessen beteiligt sind. In diesen Gebieten wurde ein Anstieg von Aktivität durch dopaminerge Stimulation gefunden sowie eine Abnahme durch Blockade von D2-Rezeptoren. ! Ein umgekehrt U-förmiger Dosis-Wirkungs-Zusammenhang bedeutet, dass eine Blockade der Rezeptorfunktion sowie eine übermäßige Stimulation ähnliche Effekte hervorrufen (. Abb. 10.2).
10
Eine ganz andere Rolle dopaminerger Neurotransmission wurde von Hariri und Kollegen untersucht. Sie konnten zeigen, dass Dextroamphetamin die Aktivität in der rechten Amygdala bei der Verarbeitung ängstlicher Gesichter erhöht, was die anxiogenen Effekte von dopaminergen Stimulanzien erklären könnte (Hariri et al. 2002).
10.4
Serotonerges System
Die Ursprungszellen des serotonergen Systems liegen in den Raphekernen des Hirnstamms. Die Fasern laufen über das mediale Vorderhirnbündel und innervieren alle Kortexareale, das Neostriatum, den Thalamus und den Hippocampus. Bisher sind 7 serotonerge Rezeptoren identifiziert worden (5-HT1 bis 5-HT7), die in weitere Subtypen unterteilt werden können. Funktionell ist Serotonin mit einer Vielzahl von Verhaltensweisen in Zusammenhang gebracht worden, darunter Lernen und emotionales Verhalten wie beispielsweise Impulsivität. In der fMRT konnte gezeigt werden, dass es einen Zusammenhang zwischen serotonerger Aktivität im Frontalkortex und impulsivem Verhalten gibt (Anderson et al. 2002). Des Weiteren scheint Serotonin über eine Wirkung in sensomotorischen Hirnarealen an einer Erholungsförderung nach Schlaganfall beteiligt zu sein (Pariente et al. 2001; Loubinoux et al. 2002). Anderson et al. 2002 untersuchten die neuralen Korrelate der serotonergen Modulation von Impulsivität. Dabei wurden die Effekte des 5-HT2C-Agonisten m-Chlorophenylpiperazin in einer Aufgabe untersucht, in der auf manche Reize geantwortet, bei anderen Reizen jedoch die Antwort unterdrückt werden musste (sog. »Go-NoGo-Aufgaben«). Im Vergleich zu Plazebo war in Durchgängen, in denen die Antwort unterdrückt werden musste, neben me-
dial okzipital und rechts temporoparietalen Regionen auch die Aktivität im rechten Orbitofrontalkortex erhöht.
10.5
Cholinerges System
Zwei große cholinerge Projektionssysteme können unterschieden werden: 4 Die cholinerge Innervation des Kortex und Hippocampus entspringt im basalen Vorderhirn (u. a. Nucleus basalis, Septum). 4 Die Innervation des Thalamus stammt dagegen aus cholinergen Neuronen des Hirnstamms. Azetylcholin im basalen Vorderhirn ist maßgeblich an kognitiven Leistungen wie Aufmerksamkeit, Lernen und Gedächtnis beteiligt sowie an neuronaler Plastizität. Es können 2 Rezeptortypen, der muskarinerge und der nikotinerge Azetylcholinrezeptor, unterschieden werden. Der muskarinerge Rezeptor kann in 5 Untertypen unterteilt werden (M1–M5). Auch beim nikotinergen Rezeptor existieren Untereinheiten (z. B. α7, α4β2). ! Das cholinerge System ist für Aufmerksamkeit, Lernen und Gedächtnis von Bedeutung. Die Blockade von Gedächtnisfunktionen durch Anticholinergika geht mit einer Reduktion von Aktivität in extrastriären und frontalen Hirnarealen einher. Verbesserte Aufmerksamkeitsleistungen durch Nikotin könnten auf einer Modulation parietaler Aktivität beruhen.
Die Mehrheit der funktionellen Bildgebungsstudien zum cholinergen System untersucht die cholinerge Modulation von Lernen und Gedächtnis. Sperling und Kollegen blockierten in einer Gesicht-Namens-Assoziationsaufgabe cholinerge Aktivität durch den muskarinergen Antagonisten Skopolamin (Sperling et al. 2002). Eine Leistungsverschlechterung ging mit reduzierten Aktivierungen im Gyrus fusiformis, also der Region, in der Gesichter verarbeitet werden, sowie im inferioren Präfrontalkortex und Hippocampus einher. Eine cholinerge Modulation frontaler Aktivierungen, allerdings im Rahmen von steigender Aufgabenschwierigkeit, zeigten auch Bullmore und Kollegen (2002). In dieser Studie reduzierte Skopolamin die Aktivität im dorsalen Präfrontalkortex. Effekte einer cholinergen Stimulation durch Physostigmin, einer Substanz die den Abbau von Azetylcholin reduziert und damit cholinerge Aktivität erhöht, wurden von Furey und Kollegen (2000) in einer Arbeitsgedächtnisaufgabe untersucht. Zum einen fanden die Autoren eine Reduktion frontaler Aktivierungen durch Physostigmin. Zum anderen fanden sie eine Erhöhung extrastriärer Aktivität während der Phase des Enkodierens was darauf hinweist, dass die Verbesserung von Lernen bei cholinerger Stimulation auf einer effizienteren Reizverarbeitung beruhen könnte.
171 10.5 · Cholinerges System
Dies wird auch durch 2 neue fMRT Studien von Bentley und Kollegen (2003 und 2004) unterstützt, die eine Erhöhung extrastriärer Aktivität nach Physostigmin in 2 verschiedenen Aufmerksamkeitsparadigmen fanden. In einer der beiden Studien zeigte sich zudem, dass das cholinerge System die Aufmerksamkeit nicht unspezifisch erhöht, sondern gezielt auf biologisch wichtige Reize lenkt (Bentley et al. 2003). > Definition Priming bezeichnet die schnellere oder veränderte Verarbeitung von Reizen, wenn diese ein zweites Mal dargeboten werden. Priming ist eine Form impliziten Lernens. Ein fMRT-Korrelat von Priming ist die sog. Wiederholungsunterdrückung (»repetition suppression«), d. h. eine verringerte BOLD-Antwort auf die zweite Darbietung des Reizes. Konditionierung ist eine Form impliziten Lernens, bei der ein unbedeutender Reiz dadurch an Bedeutung gewinnt, dass er mit einem bedeutenden Reiz gepaart wird. Wird beispielsweise ein Ton mit einem Schock gepaart, gewinnt dieser Ton an Bedeutung, da er den Schock voraussagt. Der Ton ist damit der konditionierte Stimulus (CS), der Schock stellt den unkonditionierten Stimulus (US) dar. In differenziellen Konditionierungsparadigmen werden die mit einem Schock gepaarten Töne (CS+) mit nicht gepaarten Tönen verglichen (CS-).
. Abb. 10.3. Lokalisation der Effekte von Skopolamin und Lorazepam in einem Primingparadigma (Wortstammergänzung). Die Aktivierungen stellen die Pharmaka-x-Aufgaben-Interaktion dar, d. h. Regionen, in denen die neuralen Korrelate von Priming durch die Pharmaka unterdrückt werden. Extrastriatale und frontale Hirnregionen zeigen
Weitere Studien mit cholinergen Substanzen zeigen, dass es auch in impliziten, d. h. dem Bewusstsein nicht zugänglichen, Lernaufgaben zu einer cholinergen Modulation der Leistungen und Hirnaktivität kommt. So konnten wir in 2 Primingparadigmen nachweisen, dass die Wiederholungsunterdrückung, die bei Priming in extrastriären und frontalen Hirngebieten zu beobachten ist, unter anderem durch die Gabe von Skopolamin gestört wird und dies mit Verhaltensdefiziten einhergeht (Thiel et al. 2001; Thiel et al. 2002c; . Abb. 10.3 und 7 Kap. 42). In 2 Konditionierungsstudien konnten wir des Weiteren zeigen, dass zwar eine Blockade des cholinergen Systems lernabhängige Hirnaktivierungen reduziert. Eine Erhöhung cholinerger Aktivität führte aber auf der anderen Seite ebenso zu einer Reduktion lernabhängiger Aktivierungen und nicht zu einer Verbesserung wie ursprünglich angenommen (Thiel et al. 2002a; Thiel et al. 2002b; . Abb. 10.4 und 7 Kap. 42). Ähnlich wie im dopaminergen System spricht auch dies dafür, dass ein »mehr« an neurochemischer Aktivität im gesunden Gehirn nicht immer mit Leistungsverbesserung einhergehen muss, sondern dass Neurotransmitterkonzentrationen ein Aktivitätsoptimum besitzen. Thiel und Kollegen (Thiel et al. 2002a; Thiel et al. 2002b) untersuchten die BOLD-Aktivität im primär auditorischen Kortex in einem Konditionierungsparadigma. Es konnte gezeigt werden, dass unter normalen Bedingungen in sol-
unter Plazebo eine sog. Wiederholungsunterdrückung, d. h. ein geringeres Signal bei wiederholter Darbietung der Reize (alte Wortstämme). Dies wird durch Skopolamin und Lorazepam gestört (Thiel et al. 2001)
10
172
Kapitel 10 · Neuropharmakologische funktionelle Bildgebung
. Abb. 10.5. Aktivität im Sulcus intraparietalis des Parietalkortex bei einer visuell-räumlichen Aufmerksamkeitsaufgabe. Unter Plazebo ist die neurale Aktivität dann hoch, wenn die Probanden bei invalide angezeigten Reizen ihre Aufmerksamkeit umlenken müssen. Dies wird durch Nikotin reduziert (Thiel et al. 2005)
10
. Abb. 10.4. Effekte von Skopolamin und Physostigmin auf lernabhängige Veränderungen im auditorischen Kortex beim Konditionieren. Es wurde ein aversives auditorisches Konditionierungsparadigma verwendet. Als konditionierte Reize (CS) wurden 2 Töne verwendet, von denen der eine mit einem Schock gepaart wurde (CS+), der andere nicht (CS-). Vor der Konditionierung wurden die Töne ohne Schock dargeboten, um die Ausgangsaktivität zu erfassen. Dargestellt sind Signalveränderungen in einem Voxel des auditorischen Kortex vor (»Vorher«) und während der Konditionierung
chen Paradigmen die Aktivität im auditorischen Kortex, für den CS+, also einen Reiz mit erlernter Relevanz, im Gegensatz zu einem Reiz ohne Relevanz (CS-) ansteigt. Die pharmakologische Manipulation in Form einer Blockade muskarinerger cholinerger Aktivität durch Skopolamin reduzierte diese lernabhängigen Veränderungen. Der Nachweis, dass eine Erhöhung cholinerger Aktivität umgekehrt lernabhängige Veränderungen erhöht, gelang jedoch nicht. Im Gegenteil, unter Physostigmin, das den Gehalt von Azetylcholin im Gehirn erhöht, zeigten sich keine Unterschiede in der Aktivierung für den relevanten und irrelevanten Reiz, was im Vergleich zur Plazebogruppe auf einer erhöhten Aktivierung für den irrelevanten Reiz unter Physostigmin in der Konditionierungsphase beruhte. In anderen Worten, eine erhöhte cholinerge Neurotransmission könnte im gesunden Gehirn dazu führen, dass relevante Reize nicht von irrelevanten unterschieden werden können. Eine weitere fMRT-Studie untersuchte die Wirkung direkter nikotinerger Stimulation auf Aufmerksamkeitsprozesse (Lawrence et al. 2002). Das Experiment wurde an
Rauchern durchgeführt, die ein Nikotin-Kaugummi kauen sollten, und zeigte eine bilaterale Erhöhung parietaler Aktivität während einer visuellen Aufmerksamkeitsaufgabe. Es sei jedoch betont, dass nikotinerge Effekte in Gehirnen von Nichtrauchern anders aussehen können. So fanden wir beispielsweise unter bestimmten Aufmerksamkeitsbedingungen eine Reduktion von parietaler Aktivität in einem visuell-räumlichen Aufmerksamkeitsparadigma bei Nichtrauchern nach Nikotingabe (. Abb. 10.5; Thiel et al. 2005).
10.6
GABAerges System
GABA ist der hauptsächliche inhibitorische Neurotransmitter im Zentralnervensystem und ist in ca. 40% der Neuronen vorhanden. Es werden zumeist 2 Typen von GABARezeptoren unterschieden (GABAA, GABAB). Funktionell ist die Rolle der GABAA-Rezeptoren besonders interessant, die in hoher Konzentration im gesamten Kortex vorkommen. An diese funktionell heterogene Rezeptorfamilie binden Substanzen wie Barbiturate, Anästhetika und Benzodiazepine. Die Wirkung der Benzodiazepine beruht darauf, dass sie die Bindung von GABA an den GABAA-Rezeptor und damit die inhibitorische Aktivität erhöhen. Psychopharmakologische Studien beschäftigen sich vorwiegend mit der Rolle der Benzodiazepine, die neben ihrer angstreduzierenden und antikonvulsiven Wirkung auch gedächtnismindernde Effekte besitzen. ! Benzodiazepine erhöhen GABAerge Aktivität. Sie reduzieren Angst, verschlechtern aber auch Gedächtnisleistungen. Neurale Korrelate verschlechterter Gedächtnisleistungen wurden im Frontalkortex, dem Hippocampus und extrastriären Hirnarealen gefunden.
Die Lokalisation der Gedächtnisdefizite bei Benzodiazepingabe wurden in mehreren PET-Studien untersucht, die zu inkonsistenten Befunden besonders bezüglich einer
173 10.7 · Andere Neurotransmittersysteme
frontalen Beteiligung an diesen Effekten führten. Eine neuere fMRT-Studie von Sperling und Kollegen (2002) bringt nun weitere Evidenz für eine GABAerge Modulation von frontalen Aktivierungen. Nach Gabe des Benzodiazepins Lorazepam kam es zu einer Reduktion von neuraler Aktivität im inferioren Frontalkortex. Dies ging mit Defiziten beim Gesichter-Namen-Assoziationslernen einher. Darüber hinaus kam es zu einer Reduktion von Aktivierungen im Hippocampus und Gyrus fusiformis, ähnlich den Effekten durch den cholinergen Antagonisten Skopolamin. In einer unserer Studien zeigte sich ebenfalls eine unspezifische Reduktion von Aktivität im Gyrus fusiformis durch Lorazepam (. Abb. 10.6). Die verringerte Aktivität ging jedoch weder auf neuraler noch Verhaltensebene mit Defiziten beim impliziten Lernen (Priming) einher (Thiel et al. 2002c). In einer anderen Primingaufgabe, in der das Stimulusmaterial nicht Gesichter, sondern Wörter darstellte (sog. Wortstammergänzung; Thiel et al. 2001), zeigte Lorazepam hingegen deutliche neurale und Verhaltensdefizite (. Abb. 10.3). Das heißt, es kam zu einer Reduktion von der sonst beim Priming beobachteten Wiederholungsunterdrückung in extrastriären und frontalen Hirnarealen. Einen ähnlichen Befund in extrastriären Arealen zeigten auch Stephenson und Kollegen (2003), allerdings bezüglich einer Unterdrückung von Aktivität bei Aufgabenwiederholung. Die Studie von Thiel et al. (2001) zeigt zudem eine Dissoziation der extrastriären Effekte bezüglich GABAerger und
cholinerger Pharmaka. Eine Dissoziation GABAerger von cholinergen und dopaminergen Effekten fanden auch Bullmore und Kollegen, allerdings bezüglich dorsal präfrontaler Aktivierungen bei steigender Aufgabenschwierigkeit, die durch cholinerge und dopaminerge Pharmaka, nicht aber durch das Benzodiazepin Diazepam beeinflussbar waren. Die Effekte von Lorazepam bei der Verarbeitung emotionaler Bilder wurden von Northoff und Kollegen in einer kombinierten fMRT/MEG-Studie untersucht. Die fMRT Ergebnisse zeigten, dass das Benzodiazepin orbitofrontale Aktivität bei emotional negativen Bildern erniedrigt und bei emotional positiven Bildern erhöht (Northoff et al. 2002), was darauf hinweist, dass die GABAerge Modulation emotionaler Reize mit Aktivität im Orbitofrontalkortex zusammenhängt. Dies passt zu klinischen Befunden, die zeigen, dass das Benzodiazepin Lorazepam anxiolytische Effekte bei Erkrankungen mit orbitofrontaler Beteiligung, wie beispielsweise Zwangsstörungen und Panikattacken besitzt. Eine Synthese der Bildgebungsbefunde mit Benzodiazepinen ist schwierig, da sehr viele verschiedene Substanzen existieren und verwendet wurden, die sich schon bezüglich ihrer kognitiven Effekte und wahrscheinlich auch ihrer Bindung an Benzodiazepinrezeptoren unterscheiden. So scheint es, dass nur bestimmte Benzodiazepine beispielsweise Aktivität in frontalen Hirngebieten modulieren. Eine Herausforderung im GABAergen System besteht darin, verschiedene Benzodiazepine zu vergleichen und die neuralen sowie Verhaltenseffekte der Benzodiazepine von denen der Anticholinergika zu trennen.
10.7
. Abb. 10.6. Aktivierungen im Gyrus fusiformis auf Gesichter. Unter Plazebo ist das BOLD-Signal bei Präsentation berühmter (B) und unbekannter (U) Gesichter im linken Gyrus fusiformis erhöht. Dies wird durch Lorazepam reduziert (Thiel et al. 2002c)
Andere Neurotransmittersysteme
Zunehmend kommt es auch zu Studien, die andere Neurotransmittersysteme wie beispielsweise das glutamaterge oder das Opiatsystem untersuchen. Abel und Kollegen (2003) untersuchten beispielsweise die Effekte von Ketamin, einem Antagonisten des glutamatergen NMDA-Rezeptors. Im Vordergrund der Untersuchung stand die Modulation von Aktivierungen in limbischen Hirnregionen bei der Präsentation von ängstlichen Gesichtern. Zwar reduzierte die Ketamingabe die Amygdalaaktivierung auf ängstliche Gesichter, im direkten Vergleich zur Plazebogruppe war dies jedoch nicht signifikant, so dass noch weitere Studien notwendig sind, um die Modulation limbischer Hirnareale durch NMDA-Rezeptoren bei emotionalem Verhalten zu untersuchen. Eine weitere Studie beschäftigte sich mit dem tierexperimentell oft beschriebenen Einfluss von NMDA-Rezeptoren auf Gedächtnis und untersuchte die Effekte von Ketamin in einer Arbeitsgedächtnisaufgabe (Honey et al. 2004). Während Ketamin auf gedächtnisspezifische Aktivierungen in dieser Aufgabe keinen Einfluss hatte, zeigten sich in frontalen und parietalen Hirnarealen sowie dem Putamen
10
174
Kapitel 10 · Neuropharmakologische funktionelle Bildgebung
Effekte, die von den exekutiven Anforderungen an die Aufgabe abhängig waren. Eine andere Studie untersuchte neurale Korrelate der Schmerzhemmung durch Opiate und konnte zeigen, dass das Opiat Remifentanil schmerzinduzierte Aktivität in der Insula dosisabhängig reduziert (Wise et al. 2002).
Zusammenfassung und Ausblick
10
Funktionelle Bildgebungsstudien versuchen, höhere Hirnleistungen bestimmten Hirngebieten zuzuordnen. Dies bezeichnet man als funktionelle Segregation. In diesem Kapitel wurde versucht, Neurotransmittersysteme bestimmten höheren Hirnleistungen und Hirnsystemen zuzuordnen, d. h. eine neurochemische Segregation vorzunehmen. Dies ist ein sehr vereinfachender Ansatz, jedoch als erster Schritt nützlich, um Hirnmechanismen aus neurochemischer Perspektive zu verstehen. Im Gegensatz zur funktionellen Anatomie kognitiver Funktionen beruht das Verständnis der Neurochemie höherer Hirnleistungen derzeit oft nur auf vereinzelten Studien, die für viele Neurotransmittersysteme ein noch unvollständiges Bild abgeben, da sich sowohl Pharmaka als auch Paradigmen von Studie zu Studie unterscheiden. Die neurochemische Segregation kognitiver Funktionen ist somit erst in den Anfängen, so dass es noch vieler weiterer pharmakologischer fMRTUntersuchungen bedarf. Es sei jedoch unterstrichen, dass letztendlich auch bei pharmakologischen fMRTStudien neben der Segregation neurochemischer Prozesse verstärkt die Integration und Interaktion verschiedener Hirngebiete betrachtet werden müssen. Methoden wie effektive Konnektivität (7 Kap. 22) ermöglichen es, den Einfluss, den ein Hirngebiet auf ein anderes ausübt, mittels Maße für Verbindungsstärken zwischen Hirngebieten zu erfassen. Es ist anzunehmen, dass die pharmakologische Modulation solcher Verbindungsstärken die heute bestehenden Erkenntnisse über Pharmakaeffekte um einen wichtigen Aspekt erweitern wird.
10.8
Literatur
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10
11 11
Geschlechts- und altersabhängige Effekte M. Reske, U. Habel
11.1
Einfluss des Geschlechts – 178
11.1.1 11.1.2 11.1.3
Geschlechtsspezifische Neuroanatomie – 178 Geschlechtsspezifische BOLD-Reaktionen – 179 Zyklusabhängige Aktivierungen – 179
11.2
Funktionelle Unterschiede zwischen Männern und Frauen – 179
11.2.1 11.2.2 11.2.3
Kognitionen – 179 Emotionales Erleben und Verhalten Olfaktorik – 181
11.3
Altersspezifische Effekte – 181
11.3.1 11.3.2 11.3.3
Alter und Kognitionen – 182 Alter und Emotionen – 183 Olfaktorik – 183
11.4
Interaktion von Geschlecht und Alter – 184
11.5
Literatur – 184
– 179
178
Kapitel 11 · Geschlechts- und altersabhängige Effekte
)) Zahlreiche relevante Einflussfaktoren müssen bei fMRT-Untersuchungen beachtet, kontrolliert und/oder analysiert werden. Im Folgenden sollen 2 wesentliche Faktoren beispielhaft in ihrer Bedeutung für fMRT-Ergebnisse veranschaulicht werden, da sie zunehmend auch auf größeres Forschungsinteresse stoßen und als eigenständiges Forschungsgebiet im Bereich des Neuroimaging gelten: Geschlechtsunterschiede und Alterseffekte. a
11.1
11
Einfluss des Geschlechts
Auch wenn sich die Frage nach Geschlechtsunterschieden bei den zerebralen Korrelaten einzelner Funktionen immer wieder stellt und daher in den einzelnen Kapiteln dort jeweils spezifisch thematisiert wird, so handelt es sich doch um ein Themengebiet, das eine besondere eigenständige Würdigung verdient. Behaviorale Leistungsunterschiede zwischen Männern und Frauen, die Frauen größere sprachliche Fähigkeiten und solche im Bereich des episodischen Gedächtnisses wie auch der Emotionalität, Männern dagegen bessere visuell-räumliche und motorische Fähigkeiten zusprechen, führten bereits früh zu der Frage nach strukturellen und funktionellen zerebralen Unterschieden zwischen den Geschlechtern. Die starke Verbreitung und Weiterentwicklung funktionell bildgebender Verfahren hat in den letzten Jahren zu einer spezifischeren Charakterisierung der Struktur und funktionellen Neuroanatomie von Geschlechtsunterschieden geführt. ! Gerade bei der Untersuchung von Geschlechtsunterschieden mittels funktionell bildgebender Verfahren müssen mögliche Fehlinterpretationen aufgrund methodischer Ungenauigkeiten vermieden werden.
Beispielsweise verschwinden Geschlechtsunterschiede während der Bearbeitung kognitiver Aufgaben nach Normalisierung der regionalen Aktivierung auf die Durchblutung des gesamten Gehirns (Esposito et al. 1996). Und auch die Leistung in den im Scanner durchgeführten Tests kann einen großen Einfluss auf die geschlechtsspezifischen zerebralen Aktivierungen haben (McClure et al. 2004), so dass diese Informationen zu Verhaltensdaten zur Interpretation der funktionellen Daten nicht fehlen dürfen und einbezogen werden müssen. So wurde unlängst nachgewiesen, dass geschlechtsspezifische zerebrale Aktivierungen durch signifikant unterschiedliche Leistungen bedingt sein können. In einer Studie von Unterrainer et al. (2005) wurden aus einer Gruppe gesunder Männer und Frauen jeweils 10 hinsichtlich der Leistung im verwendeten »Tower of London Paradigma« gematchten Probandinnen und Probanden ausgewählt. Während sich eine Korrelation zwischen der Leistung in der Planungsphase und der Stärke der Aktivierung des rechten
b . Abb. 11.1a, b. Unterrainer und Kollegen (2005) wählten ihre männlichen und weiblichen Probanden nach vergleichbaren Leistungen in einer kognitiven Aufgabe aus (a) und berichteten hiernach funktionelle, geschlechtsabhängige Unterschiede im Bereich des Hippocampus (b, grün)
dorsolateralen Präfrontalkortex (DLPFK), superior temporaler und inferior parietaler Areale nachweisen ließ, waren hier jedoch keine geschlechtsspezifischen Unterschiede zu beobachten. An derselben Stelle wurden in der Ausführungsphase des Paradigmas signifikant stärkere Aktivierungen des Hippocampus beschrieben, so dass zusammenfassend zu folgern ist, dass Befunde aus Studien mit weiblichen und männlichen Probanden sowohl Leistungs- als auch tatsächlich bestehende geschlechtsabhängige Aktivierungsmuster widerspiegeln können (. Abb. 11.1).
11.1.1
Geschlechtsspezifische Neuroanatomie
Funktionell zerebrale Unterschiede können durch neuroanatomische Volumenunterschiede determiniert sein. Solche volumetrischen Differenzen wurden zwischen adulten männlichen und weiblichen Gehirnen, aber auch bereits in der frühen Adoleszenz beschrieben. So sind männliche Gehirne im Durchschnitt größer (Sullivan et al. 2001) und weisen zudem eine größere Anzahl an Neuronen in spezifischen Hirnregionen auf (Rabinowicz et al. 1999). Frauen zeigen andererseits einen höheren Grad an frontaler und parietaler kortikaler Komplexität zur Erhöhung der kortikalen Oberfläche (Luders et al. 2004). Bei Männern kann
179 11.2 · Funktionelle Unterschiede zwischen Männern und Frauen
gegenüber Frauen mehr weiße Substanz und zerebrospinale Flüssigkeit gemessen werden, ein Unterschied, der bestehen bleibt, selbst wenn die Werte für das gesamte intrakranielle Volumen korrigiert werden (Gur et al. 1999). Bezüglich der Anatomie sind besonders auch Hemisphärenasymmetrien berichtet worden, die auf eine höhere Symmetrie bei Frauen, vor allem in Bereichen des temporalen Kortex, hier im Gyrus temporalis superior (Kovalev et al. 2003), im Planum temporale (Good et al. 2001) und im auditorischen Kortex (Kovalev et al. 2003) hindeuten. Es besteht zunehmend Übereinstimmung dahingehend, dass alle diese beschriebenen zerebralen Unterschiede ein dynamisches Zusammenspiel von biologischen und Umgebungsfaktoren reflektieren. ! Relevant ist die Frage nach geschlechtsspezifischen zerebralen Volumina aufgrund ihrer möglichen Auswirkungen auf zerebrale Funktionen und den Verhaltensbereich. So korreliert beispielsweise die Größe des Corpus callosum nur bei Frauen positiv mit der kognitiven Leistung (Davatzikos u. Resnick 1998). Wenn auch kein linearer Zusammenhang zwischen neuroanatomischen Strukturen und ihrer Funktion angenommen werden kann, so sollten jedoch bei funktionellen Untersuchungen gemischt-geschlechtlicher Stichproben volumetrische Analysen durchgeführt werden.
11.1.2
Geschlechtsspezifische BOLD-Reaktionen
FMRT-Studien belegen basale zerebrale Unterschiede zwischen Männern und Frauen. So liegen bei visueller Stimulation signifikant schwächere BOLD-Reaktionen bei Frauen als bei Männern vor (Kaufmann et al. 2001). Allerdings gibt es auch gegenteilige Befunde, so dass die Ergebnisse nur bedingt interpretierbar sind. Möglicherweise gehen die geschlechtsspezifischen BOLD-Reaktionen auf unterschiedliche Hämoglobinspiegel von Männern und Frauen zurück. Unterschiedliche Hämatokritspiegel beeinflussen den BOLD-Effekt (Levin et al. 2001) und höhere Hämatokritspiegel können höhere BOLD-Aktivierung bewirken. Diese Beziehung gilt dabei stärker für Männer als für Frauen (Levin et al. 2001). ! Männer und Frauen zeigen unterschiedliche BOLD-Reaktionen, die u. U. auf dem Hämoglobingehalt des Blutes basieren. Dieser Einfluss ist jedoch noch unzureichend erforscht; daher sollte der Einfluss unterschiedlicher Hämatokritspiegel in weiteren Untersuchungen beachtet und näher analysiert werden.
11.1.3
Zyklusabhängige Aktivierungen
Innerhalb des weiblichen Zyklusses kommt es zu hormonellen Schwankungen, die Auswirkungen u. a. auf die olfaktorische, auf die räumliche und auf die gedächtnisbezogene Leistungsfähigkeit der Probandinnen haben können. Auch die zerebrale Asymmetrie (Hausmann et al. 2000) und der regionale zerebrale Blutfluss (Berman et al. 1997) scheinen hormonell beeinflusst zu sein. Bislang sind die wenigen Ergebnisse funktionell bildgebender Studien jedoch noch recht uneinheitlich und somit nur eingeschränkt interpretierbar. ! Zum Zwecke der Kontrolle hormoneller Einflussfaktoren ist eine Vereinheitlichung des Messzeitpunktes im Rahmen des Menstruationszyklusses anzustreben. Frauen einer Stichprobe sollten im optimalen Fall zum vergleichbaren Zeitpunkt innerhalb des Zyklusses untersucht werden, sofern dies nicht einen spezifischen Untersuchungsschwerpunkt darstellt.
11.2
Funktionelle Unterschiede zwischen Männern und Frauen
11.2.1
Kognitionen
Bislang wurden hirnfunktionelle Geschlechtsunterschiede hauptsächlich unter kognitiven Anforderungen untersucht. Die Befunde beziehen sich vor allem auf eine geschlechtsspezifische Lateralisierung. Im Bereich der Sprache nimmt man an, dass bei Frauen eine bilaterale Repräsentation vorliegt (. Abb. 11.2; Phillips et al. 2001), jedoch ist dies nicht immer nachweisbar. Auch neuere Metaanalysen sprechen gegen eine unterschiedliche Sprachrepräsentation bei Männern und Frauen (Sommer et al. 2004). Während die Bearbeitung räumlicher Aufgaben bei Männern eher mit einer bilateralen Aktivierung einhergeht, zeigt sich bei Frauen eine rechtshemisphärische Dominanz (Gur et al. 2000). Aufgaben zur Objektrekonstruktion (Georgopoulos et al. 2001) und zum Arbeitsgedächtnis bewirken eine hauptsächlich linksseitige Beteiligung bei Frauen und eine eher rechtsseitige bei Männern. Mentale Rotationsaufgaben lösen bei Männern und Frauen auch ein unterschiedliches Aktivierungsmuster mit stärkerer parietaler Aktivität bei Männern und stärkerer frontaler Aktivität bei Frauen aus (Weiss et al. 2003).
11.2.2
Emotionales Erleben und Verhalten
Frauen und Männer unterscheiden sich in ihrer subjektiv erlebten Emotionalität und in der Fähigkeit, Emotionen zu erkennen (7 Kap. 24), so dass sich die Frage nach unterschiedlichen zerebralen Korrelaten auch während der Bearbeitung emotionaler Aufgaben stellt.
11
180
Kapitel 11 · Geschlechts- und altersabhängige Effekte
. Abb. 11.2. Primär unilateral rechte Repräsentation sprachlicher Aufgaben bei Männern (oben). Frauen (unten) zeigen bilaterale Aktivierungsmuster während passiver Sprachrezeption (Philips et al. 2001)
11
Da auch und gerade im emotionalen Bereich häufig Leistungsunterschiede zwischen Männern und Frauen berichtet werden, z. B. bei der Emotionsinduktion oder Diskrimination, müssen diese bei der Interpretation der hirnfunktionellen Daten berücksichtigt werden. Nach Möglichkeit sollte die Leistung in den Gruppen vergleichbar gehalten werden. Während der Wahrnehmung freudiger Gesichtsausdrücke ist bei Männern eine stärkere Lateralisierung der Amygdalaaktivierung als bei Frauen (Killgore et al. 2001a) zu beobachten. Zudem scheint eine stärkere Reagibilität der Amygdala bei Männern jedoch nicht generell vorzuliegen, sondern ggf. valenzspezifisch zu sein (McClure et al. 2004; Schienle et al. 2005). Eine Minderaktivierung der Amygdala gesunder Frauen gegenüber Männern wurde von Schienle et al. (2005) beispielsweise bei der Betrachtung angstauslösender Bilder beobachtet. Unklar ist, ob diese Unterschiede auf geschlechtsspezifische Verarbeitungsstrategien oder biologische Faktoren zurückzuführen sind (. Abb. 11.3).
Solche Lateralisierungseffekte konnten jedoch nicht konsistent während der Bearbeitung verschiedener emotionaler Aufgaben nachgewiesen werden. Möglicherweise sind geschlechtsspezifische Interaktionen zwischen der Valenz und Lateralität der Amygdalaaktivität anzunehmen (McClure et al. 2004). Auch Aufgaben zur Induktion von Emotionen ließen geschlechtsspezifische Aktivierungsmuster erkennen. Schneider et al. (2000) berichteten in einer fMRT-Studie bei Männern über eine Amygdalaaktivierung als zerebrales Korrelat subjektiv erlebter Trauer. Diese konnte für Frauen trotz vergleichbarer Selbsteinschätzung nicht nachgewiesen werden. Beide Gruppen zeigten vergleichbare Volumina
! Eine allgemein stärkere Aktivierung der Amygdala bei Männern oder Frauen scheint nicht vorzuliegen. Hier besteht jedoch zur Klärung noch Forschungsbedarf. Auch scheinen Männer und Frauen zu unterschiedlich lateralisierten Amygdalaaktivierungen zu neigen.
Canli und Mitarbeiter (2002) fanden z. B. während der Wiedererkennung emotionalen Materials eine rechtsseitige Aktivierung der Amygdala bei Männern, jedoch eine linksseitige Aktivierung bei Frauen (. Abb. 11.4). Die weiblichen Probanden aktivierten in der gleichen Untersuchung generell signifikant mehr Cluster der linken als der rechten Hemisphäre, während dies bei Männern nahezu gleichverteilt war.
. Abb. 11.3. Hyperaktivierung der Amygdala bei Männern für den Kontrast ängstliche versus neutrale Gesichter (Schienle et al. 2005)
181 11.3 · Altersspezifische Effekte
rale Asymmetrie bezüglich olfaktorischer Verarbeitung aufzuweisen, da sie im Gegensatz zu Frauen das rechte Nasenloch und somit die rechte Hemisphäre zur Geruchsidentifizierung und -wiedererkennung präferieren (Millot u. Brand 2000). Die Frage nach einer insgesamt stärkeren neuronalen Aktivierung bei Männern oder Frauen während olfaktorischer Verarbeitung ist bislang nicht eindeutig geklärt.
11.3
Altersspezifische Effekte
! Querschnittsuntersuchungen ermöglichen einerseits den Vergleich von jungen und älteren Probanden, stellen andererseits keine Methode zur direkten Analyse von Alterungsprozessen dar. Längsschnittuntersuchungen sind nötig, um echte Altersveränderungen aufzuzeigen und beispielsweise Generationeneinflüsse zu limitieren. Jedoch stellen sie einen erheblichen Aufwand dar. . Abb. 11.4. Der Abruf emotionaler Gedächtnisinhalte führt zu rechtsseitigen Amygdalaaktivierungen bei Männern, wohingegen Frauen linkslaterale Aktivierungen zeigen (Canli et al. 2002)
der Mandelkerne, so dass die Unterschiede nicht strukturell basiert waren, sondern eine geschlechtsspezifische funktionelle Organisation nahe legen. Berichtete funktionelle Unterschiede zwischen den Geschlechtern betreffen vor allem die zerebrale Lateralisierung. Killgore et al. (2001b) interpretieren die unterschiedliche Hemisphärendominanz bei Männern und Frauen (während der Verarbeitung emotionaler Stimuli) als Folge einer geschlechtsspezifischen neurobiologischen Strategie. Bei weiblichen Probanden käme es während der Adoleszenz unter hormonellem Einfluss zu einer verringerten Amygdalaaktivierung zugunsten einer verstärkten Beteiligung links präfrontaler Strukturen (Killgore et al. 2001b). Die Verarbeitung von emotionalen Stimuli führe bei Frauen mit zunehmendem Alter also zu verstärkten links kortikalen Repräsentationen. Männer hingegen zeigen eine mit dem Alter zunehmende Beteiligung der Amygdala und eine abnehmende Relevanz präfrontaler Strukturen. Diese bedingt die bei erwachsenen Männern und Frauen berichtete charakteristische Lateralisierung.
11.2.3
Olfaktorik
Die geschlechtsspezifisch unterschiedliche olfaktorische Leistungsfähigkeit (Frauen meist besser als Männer) zeigt sich auch in unterschiedlichen Hirnaktivierungsmustern bei Männern und Frauen (7 Kap. 25). So konnten beispielsweise Yousem et al. (1999a) eine insgesamt stärkere Aktivierung bei Frauen als bei Männern belegen. Männer scheinen zudem auch bei olfaktorischen Prozessen eine stärkere zereb-
Zunehmendes Alter ist mit spezifischen, fortschreitenden Leistungsminderungen in verschiedenen neuropsychologischen Bereichen assoziiert. Dies betrifft insbesondere den Abbau kognitiver, emotionaler und olfaktorischer Funktionen. Altersbedingte zerebrale Volumenminderungen konnten vor allem in frontalen und temporolimbischen Regionen nachgewiesen werden (Tisserand et al. 2004). Im Vergleich zu Jüngeren wurden bei älteren Probanden wiederholt neben Hypoaktivierungen auch Hyperaktivierungen (vor allem frontaler) Hirnregionen gefunden, so dass es keine allgemeingültige, generelle und aufgabenübergreifende Annahme über Effekte gibt, die das Altern des menschlichen Hirns betreffen. Um der Frage nachzugehen, inwieweit aufgabenspezifische und aufgabenübergreifende Ursachen für zerebrale Auffälligkeiten bei älteren Probanden eine Rolle spielen, wurden von Cabeza et al. (2004) je 20 ältere und jüngere Probanden während der Bearbeitung dreier kognitiver Paradigmen untersucht (. Abb. 11.5). Über die verschiedenen Paradigmen hinweg zeigten die älteren Probanden schwächere Signale in okzipitalen und hippokampalen Regionen und stärkere Aktivität im präfrontalen Kortex. Nur bei 2 der verwendeten Paradigmen konnte bei Älteren eine Aufhebung der zerebralen Asymmetrie präfrontaler Hirnregionen im Sinne des HAROLD-Modells (»hemispheric asymmetry reduction in older adults«) beobachtet werden. Wie für den Nachweis vieler Funktionen und Dysfunktionen wird auch hier ersichtlich, dass bei fMRT-Untersuchungen von altersspezifischen Veränderungen in den zerebralen Korrelaten verschiedener Funktionen das verwendete Paradigma von großer Relevanz ist. Sowohl die BOLD-Reaktion (Huettel et al. 2001) als auch die zerebrale Asymmetrie (Cabeza 2002) scheinen bei älteren Personen schwächer ausgeprägt zu sein, so dass es sinnvoll erscheint, eine bezüglich des Alters homogene Gruppe zu untersuchen.
11
182
Kapitel 11 · Geschlechts- und altersabhängige Effekte
. Abb. 11.5. Unterschiedliche Signalstärken in okzipitalen und präfrontalen Arealen bei älteren und jüngeren Probanden bei verschiedenen kognitiven Paradigmen (Cabeza et al. 2004)
11
! Es empfiehlt sich, bei fMRT-Untersuchungen nur Probanden bis zu einem maximalen Alter von 45–50 Jahren einzuschließen, bei denen Altersabbauprozesse noch weitgehend ausgeschlossen werden können. Bei der Untersuchung älterer Probanden bleibt zu bedenken, dass spezifische funktionell abweichende Ergebnisse einerseits auf primär strukturelle Veränderungen wie Volumenminderungen zurückzuführen sein könnten, andererseits auch funktionell, d. h. beispielsweise durch eine veränderte hämodynamische Antwort begründet sein könnten.
11.3.1
Alter und Kognitionen
Kernspintomographische Studien zur Relevanz des Alterungsprozesses für die kognitive Leistungsfähigkeit wurden vielfach vorgelegt und machen deutlich, dass vor allem Gedächtnis und Aufmerksamkeit durch das Altern beeinflusst sind. Dabei kommt es mit zunehmendem Abbau der grauen Substanz frontaler und mediotemporaler Areale zu stärkeren Beeinträchtigungen kognitiver Funktionen (Tisserand et al. 2004). Bei älteren Probanden konnten einerseits verminderte Aktivierungen frontaler Hirnregionen (Stebbins et al. 2002) während der Enkodierung, andererseits aber auch die verstärkte Rekrutierung frontaler Areale gezeigt werden (Logan et al. 2002; Gutchess et al. 2005). Für den Abruf gespeicherter Informationen ergab sich ein einheitlicheres Bild, wobei Ältere eher bilateral frontale Regionen aktivierten, während jüngere Probanden eine rechts-dominante Aktivitätszunahme erkennen lassen (Madden et al. 1999). Maguire und Frith (2003) belegten, dass auch Unterschiede bezüglich des hippokampalen Aktivierungsmusters
zwischen älteren und jüngeren Probanden während des Abrufs autobiographischer Informationen bestehen. In der Gruppe älterer Personen kam es zu einer bilateralen Aktivierung hippokampaler Strukturen und einer nur linksseitigen Aktivierung bei jüngeren Probanden, wobei keine Volumenunterschiede vorlagen (. Abb. 11.6). Die Autoren interpretieren die verstärkte rechtslaterale Aktivierung bei Älteren als Ausdruck der Dominanz räumlicher Information im Alter, die es älteren Probanden ermöglicht, die größere Zahl autobiographischer Informationen zu differenzieren. Eine Kompensation der Überforderung des linken Hippocampus wird von den Autoren jedoch ebenfalls in Betracht gezogen. Die Möglichkeit einer Kompensation wird von mehreren Autoren diskutiert. Hypoaktivierungen einer Region könnten im Alter möglicherweise durch Einbezug weiterer
a
b
. Abb. 11.6a, b. Zerebrale Aktivierungen, hervorgerufen durch den Abruf autobiographischer Informationen bei jüngeren (a) und älteren (b) Probanden. Frontaler (blau) und bilateral hippokampaler (rot) Signalanstieg bei Älteren (Maguire u. Frith 2003)
183 11.3 · Altersspezifische Effekte
kortikaler Areale kompensiert werden. Minderaktivierungen beispielsweise des Hippocampus beim Abruf von nicht-autobiographischen Gedächtnisinhalten könnten im Sinne einer zerebralen Plastizität durch Mehraktivierungen frontaler Areale ausgeglichen werden (Gutchess et al. 2005). Zur näheren Analyse solcher Interaktionsprozesse bieten sich daher zukünftig funktionelle Konnektivitätsanalysen und der Einsatz von »diffusion tensor imaging« (DTI) an.
11.3.2
Alter und Emotionen
Der Einfluss zunehmenden Alters auf die zerebralen Aktivierungen während emotionaler Aufgaben wurde bislang nur in unzureichendem Maße erforscht, obwohl bekannt ist, dass ältere Probanden beispielsweise den Gehalt emotionaler lexikalischer Informationen weniger akkurat verarbeiten als jüngere Probanden (Grunwald et al. 1999). Gunning-Dixon und Mitarbeiter (2003) legten unlängst Befunde vor, für die sie die Hirnaktivierungen einer jüngeren und einer älteren Stichprobe während der Diskrimination emotionaler Gesichtsausdrücke verglichen (. Abb. 11.7). Die Gruppe der Älteren zeigte eine signifikant schlechtere Leistung, so dass sich die Interpretation schwierig gestaltet. Für den Vergleich mit einer kognitiven Aufgabe mit gleichem Stimulusmaterial (Altersdiskrimination)
zeigten die direkten Gruppenvergleiche aber Aktivierungen temporolimbischer Areale, insbesondere der Amygdala bei jüngeren Probanden, präfrontaler Hirnstrukturen hingegen bei älteren Probanden. Die Ergebnisse stehen damit in Einklang mit Befunden zum Gedächtnis (7 oben) und deuten wiederum auf eine veränderte Funktionalität im Sinne einer Kompensation. Es bleibt zu bedenken, dass ggf. valenzspezifische Dysfunktionen subkortikal-limbischer Strukturen vorliegen (Iidaka et al. 2002), jedoch ist die Befundlage hier noch unzureichend, um eine abschließende Aussage treffen zu können.
11.3.3
Es wurde gehäuft gezeigt, dass ein altersbedingter, konsistenter und nahezu gleichmäßiger Abbau olfaktorischer Fähigkeiten vorliege (Larsson et al. 2000), wovon insbesondere das olfaktorische Gedächtnis und die Geruchsidentifikationsfähigkeit betroffen seien. In einer von Barber publizierten Untersuchung (1997) waren jedoch nur bestimmte Fähigkeiten durch das Alter negativ beeinflusst, während sich andere im Alter sogar verbesserten. Möglicherweise korreliert die im Alter schlechter werdende olfaktorische Leistungsfähigkeit mit dem Abbau olfaktorischer Strukturen. Hirnfunktionelle Studien beschreiben signifikante Unterschiede der Hirnaktivierungsmuster zwischen jüngeren und älteren Probanden. Demnach demonstrieren Jüngere im Vergleich zu Älteren eine stärkere Beteiligung frontaler, perisylvischer und zingulärer Strukturen (. Abb. 11.8; Yousem et al. 1999b). Allerdings muss diese Studie ob ihrer deutlich zu kleinen Stichprobengröße (n=5 je Gruppe) und ihrer gemischt-geschlechtlichen Gruppen als explorativ angesehen werden. Auch wurde zwar außerhalb des Scanners die Riechfähigkeit getestet und nach der funktionellen Untersuchung die verwendeten Gerüche durch die Probanden eingeschätzt, doch liegen der Interpretation der funktionellen Daten keine Verhaltensdaten zugrunde, so dass Folgestudien, die Alterseffekte auf olfaktorische Prozesse beleuchten, noch ausstehen.
a
. Abb. 11.7. Der Kontrast der kognitiven mit der emotionalen Aufgabe zeigt bei jüngeren im Vergleich zu älteren Probanden eine stärkere Aktivierung der Amygdala (Gunning-Dixon et al. 2003)
Olfaktorik
b
. Abb. 11.8a, b. Olfaktorische Stimulation zeigt Minderaktivierungen bei älteren Probanden (b) im Vergleich zu jüngeren (a) (Yousem et al. 1999b)
11
184
Kapitel 11 · Geschlechts- und altersabhängige Effekte
. Abb. 11.9a, b. Amygdala und orbitofrontaler Kortex zeigen eine signifikante Interaktion zwischen Alter und Geschlecht: Nur adulte weibliche Probandinnen (b) zeigen hier Mehraktivierungen gegenüber männlichen Probanden (a) (McClure et al. 2004)
11.4
11
a
Interaktion von Geschlecht und Alter
Geschlechtsunterschiede sind nicht zuletzt bezüglich unterschiedlicher Alterseffekte auf die Hirnstruktur bedeutsam. Bei Männern scheinen altersbedingte Abbauprozesse stärker ausgeprägt zu sein als bei Frauen (Coffey et al. 1998). Volumenreduktionen sind bei Männern stärker im Frontalund Temporallappen sowie im Gesamthirnvolumen feststellbar, bei Frauen im Hippocampus und Parietallappen. Auch bezüglich der Verarbeitung emotionaler Stimuli zeigen sich altersspezifische Geschlechtsunterschiede. Während es bei Frauen mit zunehmendem Alter zu einer stärkeren Dominanz präfrontaler im Vergleich zu subkortikallimbischen Aktivierungen kommt, zeigt sich bei Männern kein solcher Effekt (Killgore et al. 2001b). Zur Beantwortung der Frage nach der Interaktion von Alters- und Geschlechtseffekten wurden von der Gruppe um McClure (2004) sowohl gesunde Männer und Frauen (Alter 25–36) als auch gesunde weibliche und männliche Jugendliche (Alter 9–17) während des Betrachtens von emotionalen und neutralen Bildern mittels der fMRT untersucht (. Abb. 11.9). Bei vergleichbarer Leistung zwischen den Gruppen wurden Interaktionen zwischen Alter und Geschlecht für die Bereiche des orbitofrontalen Kortex und der Amygdala (Ärger versus Neutral) belegt, wobei adulte Frauen stärkere Aktivierungen zeigten als Männer, während sich die Jungen und Mädchen nicht unterschieden. Die Autoren schlossen hieraus, dass sich die später zu beobachtenden Geschlechtsunterschiede erst im Verlauf der Adoleszenz bilden. Wünschenswert wäre sicherlich eine Replikation mit Gruppen, deren mittleres Alter weiter auseinander liegt bzw. die Durchführung einer Verlaufsstudie. ! Eine eindeutige Trennung von alters- und geschlechtsabhängigen Effekten ist bei gemischt-geschlechtlichen Stichproben mit weiter Altersspanne nur schwer möglich. Daher sollten nach Möglichkeit homogene Stichproben untersucht werden.
Neben Verhaltensunterschieden konnten, wie beschrieben, wiederholt differenzielle zerebrale Korrelate bei Männern und Frauen berichtet werden, die möglicherweise auf un-
b
terschiedliche Verhaltensstrategien zurückgehen. Allerdings könnten die Verhaltensunterschiede auch durch charakteristische zerebrale Korrelate bedingt sein, denn auch Studien mit zwischen den Gruppen vergleichbaren Leistungen belegen funktionale Unterschiede. Längsschnittuntersuchungen über den Zeitraum der Adoleszenz bis ins Erwachsenenalter stellen eine Möglichkeit zur Beantwortung dieser Frage dar. Ggf. ist ein graduell mit dem Alter zunehmender Einfluss des Geschlechts denkbar (McClure et al. 2004), wobei das Jugendalter eine Übergangsphase repräsentiert.
Zusammenfassung und Ausblick Hirnfunktionelle Studien sollten aufgrund der berichteten geschlechts- und altersabhängigen Effekte eine möglichst homogene Stichprobe einschließen, um valide Ergebnisse erzielen zu können. Bei begrenzten Stichprobengrößen empfiehlt sich die Untersuchung von Probanden eines Geschlechts deren Altersgrenze begrenzt ist, wobei das maximale Alter von 45–50 Jahren wegen zu erwartender Abbauprozesse nicht überschritten werden sollte. Mögliche Einflussfaktoren wie Hormonstatus, Hämoglobingehalt des Blutes und Phase des weiblichen Zyklusses erfordern zudem eine stärkere Berücksichtigung, als es zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Fall ist.
11.5
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11
12 12 Schlaf und veränderte Bewusstseinszustände T. Mierdorf
12.1 Einführung
– 188
12.2 Informationsverarbeitung im Schlaf – 188 12.3 Bewusstseinszustände 12.4 Globale Bewusstheit 12.5 Literatur
– 196
– 192 – 195
188
Kapitel 12 · Schlaf und veränderte Bewusstseinszustände
)) Jede Nacht erleben wir eine andere Welt: Wir schlafen und träumen. Mit Wörtern wie Rausch oder Trance beschreiben wir veränderte Bewusstseinszustände, in denen sich unser Erleben merklich vom gewöhnlichen Wachbewusstsein unterscheidet, selbst wenn uns das während des Erlebens nicht immer direkt klar ist, wie z. B. in »klassischen«, halluzinativen Träumen. Wir verstehen darunter auch klinisch relevante Zustände wie das Koma oder die Narkose, die durch das von außen beobachtbare Verhalten eines Patienten definiert werden, ohne dass eindeutig feststeht, in welchem Ausmaß subjektives Erleben in diesen Zuständen erhalten bleibt. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit Hilfe der fMRT veränderte Bewusstseinszustände zu untersuchen. Solche Untersuchungen befinden sich in den Anfängen, und es existieren zum jetzigen Zeitpunkt nur wenige veröffentlichte Studien hierzu. Daher werden wir in der Folge auch auf die methodischen Herausforderungen dieser Forschungsrichtung eingehen.
12.1
12
Einführung
Grundsätzlich gibt es 4 Möglichkeiten, Bewusstseinszustände mittels funktioneller Bildgebung zu untersuchen (. Abb. 12.1): 4 Der Zustand stellt das experimentelle Treatment dar. Das Interesse gilt kognitiven und/oder neurophysiologischen Variablen, die durch einen bestimmten Zustand moduliert werden. Als Beispiel sei die Frage genannt, welchen Einfluss der Schlaf auf die Gedächtnisbildung hat. 4 Inwieweit findet Informationsverarbeitung in einem anderen Zustand als dem gewöhnlichen Wachbewusstsein statt? Beispiele hierzu wären die Untersuchung von Schmerzerleben unter Hypnose (7 Kap. 26) oder die
. Abb. 12.1. Illustration möglicher experimenteller Designs zur Untersuchung von Bewusstseinszuständen. Die Rechteckkurve stellt exemplarisch ein Blockdesign dar. Die Farben stehen für verschiedene
Untersuchung von zerebralen Antworten auf sensorische Reizung im Schlaf (7 Kap. 12.2). 4 Gilt das Interesse den einzelnen Zuständen an sich, kann man die spontane Gehirnaktivität von z. B. Komapatienten oder anästhesierten Probanden vergleichen mit jener im normalen Wachzustand gesunder Probanden – oder, falls die Hypothesen dies nahe legen, mit anderen Zuständen in Probanden oder Patienten. Dies ist die Frage nach der funktionellen Neuroanatomie einzelner Bewusstseinszustände (7 Kap. 1.3.12 und 12.3). 4 Schließlich bietet es sich an, mit Hilfe verschiedener Zustände die globale Bewusstheit zu untersuchen und gegebenenfalls ein neuronales Korrelat der Bewusstheit zu identifizieren. Hierbei dienen veränderte Bewusstseinszustände nur als Mittel, um die Variable »Bewusstheit« zu variieren (7 Kap. 12.4).
12.2 Informationsverarbeitung im Schlaf ! Während des Schlafs verändert sich die spontane elektrophysiologische Hirnaktivität dramatisch. Im Verlauf der NREM-Schlafstadien tauchen im EEG Zeichen zunehmender Hyperpolarisation auf, wie Schlafspindeln oder Delta-Wellen. Die Informationsübermittlung thalamischer Neurone an den Kortex ist herabgesetzt ebenso wie die Reaktion des Schläfers auf externe Reize.
Im Schlaf nehmen wir die Umwelt nicht wahr. Dennoch müssen Umweltreize auch im Schlaf verarbeitet werden damit der Schläfer auf für ihn relevante Reize reagieren kann. Portas et al. (2000) konnten zeigen, dass der als emotional relevante Reiz fungierende Vorname ihrer Probanden im Vergleich zu neutralen Sinustönen zu stärkerer Aktivierung im mittleren temporalen und orbitofrontalen Gyrus im Wachzustand und NREM-Schlaf führt (. Abb. 12.2a). Im linken präfrontalen Kortex und der linken Amygdala war
Bewusstseinszustände. Designtyp 3 kann prinzipiell aus Typ 2 abgeleitet werden, indem der Effekt der Stimulationsbedingung in der Datenanalyse modelliert aber nicht statistisch evaluiert wird
189 12.2 · Informationsverarbeitung im Schlaf
a
b . Abb. 12.2a, b. Akustisch evozierte Aktivierung im Wachzustand und NREM-Schlaf. a Hirnareale, die stärker auf die Präsentation des eigenen Vornamens reagieren, als auf Sinustöne (p Definition Exogene Aufmerksamkeitskontrolle erfolgt durch Reize, die so salient, d. h. hervorstechend sind, dass wir sie nicht ignorieren können (z. B. ein lautes Geräusch oder ein Lichtblitz). Ein externes Ereignis bestimmt also, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Von endogener Aufmerksamkeitskontrolle spricht man, wenn wir unsere Aufmerksamkeit gezielt auf einen Ort, ein Objekt oder ein Merkmal richten (z. B. wenn wir nach etwas Bestimmtem suchen).
Vergleich exogene – endogene Kontrolle. Anhand des Paradigmas der visuellen Suche lässt sich der Unterschied
. Abb. 14.8. Visuelles Suchdisplay mit 2 Zielreizen. Während das Dreieck mit einem roten Zentrum sehr schnell erkannt wird (exogene Aufmerksamkeitslenkung), muss aktiv nach dem Zielreiz gesucht werden, dessen grüne Ecke auf der linken Seite ist (endogene Aufmerksamkeitslenkung)
229 14.3 · Steuerung von Aufmerksamkeit
1999; Thiel et al. 2004). Dennoch kann eine unterschiedliche Beteiligung dieser Komponenten bei verschiedenen Aufgaben beobachtet werden. ! Exogen gesteuerte Aufmerksamkeitslenkung scheint eine stärkere Lateralisierung zur rechten Seite hervorzurufen, die am deutlichsten im Sulcus intraparietalis zu beobachten ist (Kim et al. 1999). Endogene Aufmerksamkeitsausrichtung führt zu stärkeren Aktivierungen in temporal-okzipitalen Übergangsregionen und im linken Sulcus intraparietalis.
Kim et al. (1999) verwendeten in ihrem Experiment das sog. »Posner-Paradigma« (7 Box 14.1). Unterschiede zwischen Aufgaben mit endogener und exogener Aufmerksamkeitslenkung werden dabei durch die Verwendung von direkten und symbolischen Hinweisreizen realisiert. Ein direkter Vergleich beider Aufgaben mit dem Ziel, Areale zu identifizieren, die mit einer internen Steuerung assoziiert sind, bringt einige Probleme mit sich. Neben den Problemen, die durch eine unterschiedliche zeitliche Dynamik der Hinweisreizeffekte bedingt sind (Müller u. Rabbitt 1989), muss in Betracht gezogen werden, dass bei der Verwendung von symbolischen Hinweisreizen zusätzliche Prozesse ausgelöst werden, die nur indirekt in Zusammenhang mit der Steuerung von Aufmerksamkeit stehen. Zunächst ist die visuelle Verarbeitung eines symbolischen Hinweisreizes im Vergleich zu einem direkten Hinweisreiz aufwändiger, da eine Analyse der Form des Reizes durchgeführt und die entsprechende Bedeutung verstanden werden muss. Die Information, die aus der Analyse dieser Form extrahiert wurde, muss zusätzlich wiederum solange repräsentiert werden, bis eine entsprechende Ausrichtung der Aufmerksamkeit initiiert wurde. Shulman et al. (1999) isolierten Aktivierungen, die mit der Verarbeitung des Hinweisreizes und der Aufrechterhaltung einer Aufmerksamkeitseinstellung assoziiert sind, in einer nicht-räumlichen Aufmerksamkeitsaufgabe. Dabei präsentierten sie ihren Probanden statische Reize, die als Hinweis auf eine bevorstehende Beurteilung eines Bewegungsreizes dienten. Durch ein geschicktes experimentelles Design und ein spezielles statistisches Auswertungsverfahren gelang es Shulman et al. (1999), Aktivierungen innerhalb eines Durchganges voneinander zu trennen, d. h. es konnten Signale aus der Hinweisreizphase von denen unterschieden werden, die in der Beurteilungsphase hervorgerufen wurden. Während bewegungssensitive Areale im MT+-Komplex und der anteriore Teil des Sulcus intraparietalis (bilateral) sowohl in der Hinweisreizphase als auch in der Beurteilungsphase aktiv waren, zeigte sich im posterioren Teil des Sulcus intraparietalis nur eine hinweisreizbezogene Aktivierung. Eine Signaländerung, die mit der Verarbeitung bzw. Analyse des Hinweisreizes in Zusammenhang stand, fand sich entlang des Gyrus fusiformis. Corbetta et al. (2000) diskutierten die Rolle dieser Areale bei endogener Aufmerksamkeitsausrichtung und ver-
muteten, dass ein symbolischer Hinweisreiz zunächst im Gyrus fusiformis verarbeitet wird. Die damit gelieferte Information wird in frühen bewegungsspezifischen Arealen in entsprechende Bewegungssignale umkodiert. Dieses Signal würde in verschiedenen Bereichen des Sulcus intraparietalis gespeichert. Der Sulcus intraparietalis wäre demnach das Areal, von dem eine endogene Modulation sensorischer Areale ausgehen würde. Aufmerksamkeitsnetzwerke. Bei einer räumlichen Aufmerksamkeitsaufgabe mit Hinweisreizen trennten Corbetta u. Shulman (2002) ebenfalls Aktivierungen, die mit Hinweisreizen assoziiert sind, von denen, die eher mit der Entdeckung eines Zielreizes einhergehen. In Übereinstimmung mit der vorigen Studie gingen Signaländerungen im Sulcus intraparietalis eher mit der willentlichen Verschiebung von Aufmerksamkeit einher, während ein Areal rechts am Übergang zwischen temporalen und parietalen Arealen (TPJ, »temporoparietal junction«) in die Entdeckung von nicht erwarteten Zielreizen involviert war. ! Corbetta u. Shulman (2002) postulierten auf der Grundlage dieser Daten die Existenz zweier verschiedener Aufmerksamkeitsnetzwerke. Ein weitgehend bilaterales Aufmerksamkeitsnetzwerk, bestehend aus Regionen des Sulcus intraparietalis und den frontalen Augenfeldern, ist mit der willentlichen Verschiebung von Aufmerksamkeit und der Aufrechterhaltung von Aufmerksamkeitseinstellungen assoziiert, während ein zweites Netzwerk, bestehend aus der rechten temporoparietalen Übergangsregion und dem ventralen Frontalkortex, relevante Reize entdeckt, die außerhalb des Aufmerksamkeitsfokusses liegen.
Diesem zweiten System wird eine Art »Unterbrecherfunktion« zugeschrieben, die dazu führt, dass momentane willentliche Aufmerksamkeitseinstellungen und aktuelle kognitive Prozesse unterbrochen werden, sobald saliente Reize entdeckt werden, auf die in der Folge Aufmerksamkeit ausgerichtet wird (. Abb. 14.9). Eine Studie von Indovina u. Macaluso (2004) stützt diese These. In dieser Studie zur visuell-räumlichen Aufmerksamkeit mit exogenen Hinweisreizen konnte gezeigt werden, dass es nach der Präsentation invalider Hinweisreize zu einer stärkeren Kopplung zwischen TPJ und visuellen Arealen kommt. Verschiedene Arten endogener Steuerung. In dem oben
beschriebenen Modell werden keine unterschiedlichen Mechanismen für die Steuerung verschiedener Arten von Aufmerksamkeit postuliert, da es sowohl auf Befunden aus Experimenten mit räumlicher Aufmerksamkeitslenkung (Corbetta et al. 2000) als auch auf der Ausrichtung von Aufmerksamkeit innerhalb des visuellen Merkmals Bewegung basiert. Vieles spricht dafür, dass Arealen des Sulcus intraparietalis eine allgemeinere Rolle bei der Steuerung von Aufmerksamkeit zukommt. So berichteten Wojciulik u.
14
230
Kapitel 14 · Wahrnehmung und Aufmerksamkeit
a
b
14
. Abb. 14.9a, b. Darstellung des neuroanatomischen Modells visueller Aufmerksamkeitskontrolle nach Corbetta u. Shulman (2002). a Areale des dorsalen (blau) und ventralen (orange) frontoparietalen Aufmerksamkeitsnetzwerks. b Schematische Darstellung des neuroanatomischen Modells visueller Aufmerksamkeitskontrolle. Der Sulcus intraparietalis (IPS) und die frontalen Augenfelder (FEF) sind in die en-
dogene Kontrolle visueller Aufmerksamkeit involviert (blau). Die temporoparietale Übergangsregion und der ventrale Frontalkortex sind an exogenen Aufmerksamkeitsverschiebungen beteiligt (orange). Das ventrale frontoparietale Netzwerk unterbricht aktive endogene Aufmerksamkeitsprozesse, sobald saliente Reize entdeckt werden
Kanwisher (1999), dass Bereiche im anterioren und im posterioren Teil des Sulcus intraparietalis an einer Vielzahl von Aufmerksamkeitsaufgaben beteiligt sind. Evidenz für gemeinsame neurale Mechanismen von visuell-räumlicher und objektbasierter Aufmerksamkeit wurde bereits von Fink (1997; 7 Kap. 31) berichtet. Eine mögliche unterschiedliche Rolle parietaler Areale bei der
Kontrolle von Aufmerksamkeitswechseln zwischen verschiedenen Orten und beim Wechsel zwischen verschiedenen Objekten wurde von Yantis u. Serences (2003) untersucht. Sie verwendeten dazu eine sog. RSVP-Aufgabe (»rapid serial visual presentation«), bei der in sehr schneller Abfolge Reize präsentiert werden (7 Box 14.2).
Box 14.2. »Rapid serial visual presentation« Um nicht-räumliche Aufmerksamkeitslenkung zu untersuchen, kann das sog. RSVP-Paradigma verwendet werden. Verschiedene visuelle Reize werden dabei schnell aufeinanderfolgend an derselben Position dargeboten. Die Aufgabe der Versuchsperson ist es, das Auftreten eines vorher definierten Reizes, beispielweise das Erscheinen eines Buchstabens innerhalb einer Folge von Zahlen, zu entdecken (. Abb. 14.10). Aufgrund der sehr kurzen Präsentationszeiten (zwischen 6–30 dargebotene Reize pro Sekun-
de) muss Aufmerksamkeit fortwährend auf die Position der Reizpräsentation gerichtet werden. Mit der RSVP-Aufgabe lässt sich sowohl die Dynamik von Prozessen nicht-räumlicher Aufmerksamkeitsverschiebungen als auch die Dynamik visueller Zielreizentdeckung untersuchen. Folgt beispielweise einem Zielreiz innerhalb von 500 ms ein weiterer, so kann dieser häufig nicht berichtet werden, ein Phänomen, das unter dem Begriff »attentional blink« bekannt ist (Raymond et al. 1992).
231 14.4 · Synopsis
. Abb. 14.10. Beispiel für eine Reizabfolge bei einer RSVP-Aufgabe. Dabei werden visuelle Reize seriell in schneller Abfolge zentral auf ein Display dargeboten. Probanden sind instruiert das Auftreten eines vorher definierten Reizes zu entdecken
Aufmerksamkeitswechsel. Wenn Aufmerksamkeit von einem Ort an einen anderen verschoben werden musste, wurden phasische Aktivierungen im rechten Lobus parietalis superior und tonische Aktivierungen im Sulcus intraparietalis beobachtet. Dies steht im Einklang mit den Ergebnissen aus der Studie von Corbetta et al. (2000) zur visuellräumlichen Aufmerksamkeitslenkung. In einer nichträumlichen Version dieser Aufgabe wurden den Probanden in schneller Abfolge räumlich überlagerte Darstellungen von Häusern und Gesichtern präsentiert, ähnlich den Reizen, die auch in der Studie von O’Craven et al. (1999) (7 oben) verwendet wurden. Aufgabe der Versuchspersonen war es, die Aufmerksamkeit entweder auf das Haus oder das Gesicht zu richten. Die Präsentation eines bestimmten Gesichts bzw. eines bestimmten Hauses signalisierte den Versuchspersonen, die Aufmerksamkeit auf die jeweils andere Objektkategorie zu lenken. Wechsel zwischen den Objektkategorien führten dabei, ebenso wie in der räumlichen Aufgabe, zu transienten Aktivierungen im Lobus parietalis superior, was für eine allgemeinere Bedeutung dieses Areals an der Steuerung von Aufmerksamkeit spricht. Möglicherweise spielt der Lobus parietalis superior aber auch eine generelle Rolle bei der Veränderung kognitiver Einstellungen. Gurd et al. (2002) konnten zeigen, dass der superiore Teil des posterioren Parietalkortex auch dann aktiv ist, wenn Probanden zwischen verschiedenen Wortproduktionsaufgaben wechseln mussten. Neben räumlicher und objektbasierter Aufmerksamkeitslenkung spielen Aufmerksamkeitswechsel zwischen verschiedenen visuellen Dimensionen bei der Selektion von Informationen eine Rolle (Müller et al. 1995). Die neuralen Korrelate dieser Art visueller Aufmerksamkeitswechsel wurden von Pollmann et al. (2000) untersucht. Dabei standen attentionale Wechsel zwischen den verschiedenen
visuellen Dimensionen Farbe und Bewegung im Mittelpunkt des Interesses. Wechsel zwischen verschiedenen visuellen Dimensionen führten u. a. zu Aktivierungen im rechten posterioren Parietalkortex (Sulcus intraparietalis, Lobus parietalis superior und Precuneus). Neben einer Beteiligung dieser parietalen Areale wurden Aktivierungen in frontalen Arealen entdeckt, die mit der Steuerung visueller Aufmerksamkeit in Zusammenhang stehen. Wechsel zwischen visuellen Dimensionen führen demnach zu Aktivierungen im linken frontopolaren Kortex (BA 10) und medialen präfrontalen Arealen. Eine genauere Evaluation der Rolle dieser frontalen Areale zeigte, dass der laterale frontopolare Kortex selektiv bei der Verarbeitung exogen kontrollierter visueller Dimensionswechsel aktiv ist, während mediale präfrontale Areale eine stärkere Rolle bei der Verarbeitung von endogen kontrollierten Aufmerksamkeitswechseln spielen (Weidner et al. 2002). Inwiefern diese Areale eine Sonderrolle bei der Steuerung dimensionaler Aufmerksamkeitswechsel spielen oder allgemein an visuellen Aufmerksamkeitswechseln beteiligt sind, ist derzeit noch ungeklärt, allerdings konnte eine Beteiligung dieser Areale auch bei räumlichen Aufmerksamkeitsaufgaben beobachtet werden (Lepsien et al. 2002).
Zusammenfassung Visuell-räumliche Aufmerksamkeitslenkung geht mit der Aktivierung eines frontoparietalen Netzwerks, bestehend aus den frontalen Augenfeldern und Arealen im Sulcus intraparietalis, einher. Nach Corbetta u. Shulman (2002) ist ein dorsales frontoparietales Netzwerk mit der Etablierung und Aufrechterhaltung von spezifischen Aufmerksamkeitseinstellungen assoziiert, während ein ventrales frontoparietales Netzwerk mit der Entdeckung von relevanten Reizen außerhalb des Aufmerksamkeitsfokus in Verbindung gebracht wird. Diese Netzwerke scheinen sowohl an der Steuerung ortsbasierter als auch objekt- und merkmalsbasierter Aufmerksamkeitssteuerung beteiligt zu sein.
14.4
Synopsis
Die Vielzahl vorhandener Informationen in unserer Umwelt erfordert von unseren sensorischen Systemen, relevante von irrelevanten Informationen zu unterscheiden und die vorhandenen Ressourcen zur Informationsverarbeitung effektiv einzusetzen. Die Ausrichtung von Aufmerksamkeit führt dazu, dass bestimmte Aspekte sensorischer Information zu Ungunsten anderer Aspekte vorrangig und damit effektiver verarbeitet werden können. Ein neurales Korrelat dieser effizienteren Verarbeitung ist z. B. die Modulation der Aktivierung von Nervenzellstrukturen in verschiedenen Arealen im visuellen Kortex. Je nachdem, auf welche
14
232
14
Kapitel 14 · Wahrnehmung und Aufmerksamkeit
Art von Information unsere Aufmerksamkeit gerichtet wird, führt dies zu einer Erhöhung der neuralen Aktivität in den Arealen, die mit der Verarbeitung dieser Art von Information assoziiert sind. Entsprechend führt beispielsweise die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf den Bewegungsaspekt eines Reizes zu einer Modulation der bewegungssensitiven Areale MT/ MST, die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf ein Gesicht führt dagegen zur Modulation von Gehirnarealen, die mit der Verarbeitung von Gesichtern einhergehen. Dabei spielen die Komplexität der vorhandenen visuellen Reize und die momentan verfügbaren Ressourcen eine Rolle. Sind wenige attentionale Ressourcen gebunden, kann unser Verarbeitungssystem viele Reize präattentiv bis zu einer hohen Verarbeitungsstufe analysieren. Sind Verarbeitungsressourcen jedoch knapp, müssen mehr Informationen von der Weiterverarbeitung ausgeschlossen werden. Auf welche Art von Information wir unsere Aufmerksamkeit ausrichten, entscheiden wir entweder selbst, indem wir unsere Aufmerksamkeit gezielt endogen verlagern, oder aber unsere Aufmerksamkeit wird durch bestimmte Reizkonstellationen automatisch (exogen) angezogen. Damit ein Reiz unsere Aufmerksamkeit automatisch anziehen kann, muss er bis zu einem gewissen Grad ohne die Beteiligung von Aufmerksamkeit, d. h. präattentiv, analysiert werden. Psychologische Modelle der Aufmerksamkeit wie z. B. das »Guided Search Modell« von Wolfe et al. (1989) postulieren entsprechend die Existenz verschiedener Merkmalskarten, anhand derer die Salienz eines Reizes präattentiv ermittelt und eine Aufmerksamkeitsverlagerung initiiert wird. Dieses Konzept korrespondiert teilweise mit dem neuroanatomischen Modell der Aufmerksamkeitssteuerung von Corbetta u. Shulman (2002). Darin wird ein ventrales frontoparietales Netzwerk der Aufmerksamkeitssteuerung beschrieben. Dieses Netzwerk steuert exogene Aufmerksamkeitslenkung und hat demnach zwangsläufig die Aufgabe, sensorische Reize zu überwachen, die nicht im Fokus der Aufmerksamkeit liegen. Wird ein salienter und entsprechend relevanter Reiz entdeckt, muss eine momentan aktive endogene Aufmerksamkeitseinstellung unterbrochen werden und der Fokus der Aufmerksamkeit wird neu ausgerichtet. Nach Corbetta u. Shulman (2002) besteht dieses Netzwerk aus der temporoparietalen Übergangsregion und ventralen frontalen Arealen. Das Aufmerksamkeitsnetzwerk, das für die endogene Steuerung zuständig ist und dessen Aktivitäten unterbrochen werden, sobald ein salienter Reiz entdeckt wird, besteht nach Corbetta u. Shulman (2002) aus dem Sulcus intraparietalis und dorsalen frontalen Arealen, sowie den frontalen Augenfeldern. Das Modell, das von Corbetta u. Shulman (2002) vorgeschlagen wurde, integriert eine Vielzahl von Befunden bisheriger funktioneller bildgebender Studien. Es werden jedoch weitere Studien nötig sein, um die Fragen nach der Steuerung visueller Aufmerksamkeit umfassend zu beant-
worten. Aus diesem Grund kann das Modell von Corbetta u. Shulman (2002) auch nur als vorläufiger Ausgangspunkt zukünftiger Studien betrachtet werden. Dabei steht eine exaktere Lokalisation der einzelnen Komponenten beider Netzwerke und eine entsprechend detaillierte funktionelle Beschreibung der Komponenten im Vordergrund des Interesses. Der Identifikation verschiedener Aufmerksamkeitsprozesse mittels behavioraler, experimentalpsychologischer Methoden, kann die Identifikation der jeweiligen neuralen Korrelate folgen. Dies ermöglicht detailliertere Schlüsse auf die funktionelle Bedeutung bestimmter Areale und erlaubt zudem, dass verschiedene Prozesse, deren neurale Korrelate teilweise identisch sind, in Beziehung gesetzt werden können.
Zusammenfassung und Ausblick Die Kombination funktioneller bildgebender Verfahren mit experimentalpsychologischen Paradigmen wird auch zukünftig zu einem verbesserten Verständnis des Phänomens Aufmerksamkeit und dessen neuraler Implementation beitragen. Dies wiederum ist Voraussetzung für ein besseres Verständnis von gestörten Aufmerksamkeitsprozessen im Rahmen neurologischer (z. B. Neglekt) oder psychiatrischer (z. B. Schizophrenie, ADHD) Erkrankungen.
14.5
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14
15 15 iVsuelles System und O bjektverarbeitung K. Willmes, B. Fimm
15.1
Farbwahrnehmung – 236
15.2
Formwahrnehmung – 236
15.3
Bewegungswahrnehmung
15.4
Wahrnehmung räumlicher Tiefe – 238
15.5
Höhere visuelle (apperzeptive) Verarbeitung – 239
15.5.1 15.5.2 15.5.3 15.5.4
Gruppierung nach Kollinearität – 239 Merkmalsverknüpfung/Segmentierung Normalisierung der Perspektive – 241 Visuelle Agnosie – 242
15.6
Assoziative Verarbeitung – 242
15.6.1 15.6.2
Strukturelles Beschreibungssystem – 242 Semantisches System – 244
15.7
Gesichter – 245
15.7.1 15.7.2
Phänomene und Modelle – 245 Funktionelle Bildgebung – 247
15.8
Literatur – 252
– 237
– 240
236
Kapitel 15 · Visuelles System und Objektverarbeitung
)) In diesem Kapitel werden auf der Basis des modifizierten hierarchischen Modells der visuellen Objekterkennung und -benennung von Riddoch und Humphreys (2001; . Abb. 15.1) die einzelnen an höheren visuellen Leistungen beteiligten Komponenten sowie deren zugrunde liegende funktionelle Neuroanatomie behandelt. Störungen dieser Komponenten führen zu charakteristischen klinischen Syndromen, wie z. B. Prosopagnosie.
15.1
15
Farbwahrnehmung
Die Neurophysiologie des Sehsystems (7 Kap. 1.3.1) legt nahe, dass nicht nur ein umschrieben lokalisierbares »Farbzentrum« vorliegt, sondern ein Verarbeitungspfad, der Farbverarbeitung repräsentiert, vorhanden sein muss. Zeki (1993) konnte in PET-Studien zeigen, dass die Wahrnehmung von Farbe und Bewegung zu Aktivierungen in unterschiedlichen kortikalen Arealen führt. Farbwahrnehmung führte zu bilateralen, meist anterioren und inferioren okzipitalen Aktivierungen (V4), Bewegungswahrnehmung zu bilateralen Aktivierungen im Bereich des temporoparietookzipitalen Überganges. Aktuelle fMRT-Studien sind diesen frühen Arbeiten zur funktionellen Bildgebung hinsichtlich zeitlicher und räumlicher Auflösung der dargestellten sensorischen und psychologischen Prozesse überlegen und beginnen, die Lücke zwischen neurophysiologischen Befunden zur Einzelzellableitung und der Darstellung kompletter neuronaler, an spezifischen Funktionen beteiligter Netzwerke zu schließen. McKeefry u. Zeki (1997) konnten frühere PET-Befunde in einer fMRT-Untersuchung zur Lokalisation und Topographie der menschlichen Farbwahrnehmung bestätigen. Bei 12 gesunden Probanden, denen sie sowohl chromatische als auch achromatische Mondrian-Muster vorgaben, fanden sie eine konsistente Aktivierung des ventralen okzipitotemporalen Kortex in der Nähe des kollateralen Sulcus des Gyrus fusiformis bei Farbstimulation. Dieses Areal bezeichneten sie als menschliches homologes Areal zu V4 des Makaken. In einem weiteren Experiment stimulierten sie das obere und das untere Gesichtsfeld isoliert und konnten zeigen, dass das obere Gesichtsfeld innerhalb von V4 mehr medial lokalisiert ist als das untere, und schlossen daraus auf eine retinotope Organisation des Farbwahrnehmungszentrums. Insgesamt war auch die V1-Aktivierung bei chromatischen Stimuli stärker als bei achromatischen Reizen. Hadjikhani et al. (1998) konnten zudem die retinotope Repräsentation chromatischer Stimuli in V1, V2, V3 und V3a nachweisen und beschrieben darüber hinaus ein außerhalb von V4 liegendes Areal (von ihnen V8 genannt), das stärker als andere Areale auf Farbänderungen reagierte und eine eigene foveale Repräsentation aufweist.
. Abb. 15.1. Hierarchisches Modell der Objekterkennung (modifiziert nach Riddoch u. Humphreys 2001)
Retinotopes Kartieren. Warnking et al. (2002) stellten detailliert das experimentelle Vorgehen zum retinotopen Kartieren visueller Stimuli bei Verwendung von fMRT dar. Mittels radialer, rotierender farbiger Stimuli sowie ringförmiger, sich konzentrisch dehnender oder kontrahierender farbiger Muster (. Abb. 15.2a), die sich langsam bewegen, werden von striären und extrastriären Arealen retinotope Karten erstellt, die Sektoren innerhalb eines Gesichtsfeldes sowie die Fovea und konzentrische Regionen unterschiedlicher Exzentrizität abbilden können. Durch Kombination dieser beiden Informationen lassen sich Repräsentationen für jeden Punkt des Gesichtsfeldes ablesen sowie die Grenzen zwischen den primären visuellen Arealen bestimmen (. Abb. 15.2b, c).
15.2
Formwahrnehmung
Mit der Erkennung von Zufallsfiguren sowie einfachen 2Dund 3D-Formen beschäftigte sich eine Arbeit von Murray et al. (2002). Sie fanden dabei eine Abnahme der Aktivierung in V1 mit zunehmender Struktur der Form, maximal bei 3D-Figuren sowie eine entsprechende Zunahme der Akti-
237 15.3 · Bewegungswahrnehmung
a
b
c
. Abb. 15.2a–c. Retinotopes Kartieren. a Bei retinotopem Mapping verwendete Reize zur Erfassung von Exzentrizität (links) und polarem Winkel (rechts) innerhalb des Gesichtsfeldes. Es werden sowohl dehnende und kontrahierende farbige Ringe als auch gegen und mit dem Uhrzeiger rotierende Sektoren vorgegeben. Aufgabe des Probanden ist es, den zentralen Punkt zu fixieren und auf das Erscheinen eines gelb-blauen Musters innerhalb des Reizes (das an unterschiedlichen
Stellen des Gesichtsfeldes erscheint) zu achten. b Retinotopes Mapping des Probanden MD bezüglich polarem Winkel (oben) und Exzentrizität (unten). Es wurde eine Exzentrizität von 8,5° visuellem Winkel geprüft. c Ableitung der Areale V1 bis V3 der linken und rechten Hemisphäre bei retinotopem Mapping bei Proband MD (Warnking et al. 2002)
vierung im lateralen okzipitalen Komplex (LOC), der mit höherer visueller Formwahrnehmungsleistung assoziiert wird (. Abb. 15.3). Hieraus schließen die Autoren, dass V1 vor allem mit lokalen Stimuluseigenschaften beschäftigt ist, die noch keinen Rückschluss auf ein übergeordnetes Objekt zulassen. Dem LOC wird auch aufgrund anderer Studien eine spezifische Rolle bei der Gruppierung von einzelnen Formelementen in ein Objekt oder eine kohärente Szene zugeschrieben. Eine alternative Erklärung für die Aktivierungsminderung wird in einem modulierenden Einfluss höherer visueller Zentren (LOC) auf V1 gesehen. Die Studie von Stanley u. Rubin (2003) ist mit der angenommenen Wechselwirkung zwischen höheren und primär visuellen Zentren bei der Formwahrnehmung vereinbar. Sie verwendeten modifizierte Kanizsa-Stimuli, um die Wahrnehmung scheinbarer Konturen zu prüfen und variierten die Prägnanz wahrgenommener Konturen (. Abb. 15.4a, c). Selbst wenn eine sog. »saliente Region« im Gesichtsfeld wahrgenommen wird (. Abb. 15.4c), d. h. eine hervortretende, scheinbare Kontur ohne eindeutige »Ränder« oder »Kanten« wird der LOC aktiviert. Vor dem Hintergrund neurophysiologischer Befunde verweisen die Autoren auf einen möglichen Feedback-Mechanismus zwischen LOC und dem primären visuellen Kortex, wobei LOC auf saliente Regionen reagiert und diese Information
an primäre Zentren zurückliefert, die dann eine entsprechende selektive Verarbeitung initiieren.
15.3
Bewegungswahrnehmung
FMRT-Untersuchungen zum Bewegungssehen lassen sich grob klassifizieren nach Studien, die 4 bewegte Objekte oder Zufallsmuster und 4 biologische Bewegungen (z. B. von Händen) als Stimuli verwenden. Kansaku et al. (2001) fanden bei ihren Probanden eine retinotope Aktivierung des Areals V5/MT, wenn diese Zufallsmuster, die aus Punkten bestanden und sich im zentralen oder peripheren Gesichtsfeld mit einer konstanten Geschwindigkeit nach links oder rechts bewegten, mittels Augenbewegungen verfolgten. Sie konnten zeigen, dass Bewegungen im zentralen Gesichtsfeld weiter posterior als jene im peripheren Gesichtsfeld repräsentiert sind. Aktivierungen in V5/MT sind jedoch nicht nur als Reaktion auf tatsächliche Bewegungen zu finden, sondern treten auch auf, wenn nicht-bewegte Objekte, deren Art der Darstellung oder Position jedoch eine Bewegung nahe legen oder implizieren, dargeboten werden (»representatio-
15
238
Kapitel 15 · Visuelles System und Objektverarbeitung
a
b
d
c
15
. Abb. 15.3a–d. Formwahrnehmungsleistung. a Stimulusbeispiele. b Vergleich von 3D-Figuren mit Zufallsreizen bei einem Probanden (links; rot/gelb = Aktivierung; blau = Deaktivierung); Aktivierungen bei Darbietung eines Flackerreizes mit gleicher Exzentrizität wie die Stimuli aus a zur Bestimmung des an der Verarbeitung beteiligten Anteils von V1 (rechts). Dabei wird deutlich, dass dieser Anteil bei Verarbeitung von 3D-Figuren eine Deaktivierung aufweist. Die durchgezo-
genen Linien repräsentieren den vertikalen Meridian. c Durchschnittliche Signaländerung vom Mittelwert der 3 Bedingungen über 6 Probanden. Alle paarweisen Vergleiche sind signifikant. d Durchschnittlicher Zeitverlauf des MRI-Signals in LOC und V1 bezogen auf die mittlere Aktivierung über alle 3 Bedingungen. Die Experimentalphasen R (»random«), 2D und 3D sind durch entsprechende Schattierungen gekennzeichnet (Murray et al. 2002)
nal momentum«). So konnten Kourtzi u. Kanwisher (2000) u. a. bilaterale Aktivierungen in zuvor bei der Beobachtung konzentrisch sich verändernder Kreise aktiven Arealen (als Korrelat von V5/MT) bei der Darbietung von Objektphotographien, die eine Bewegung implizierten, nachweisen.
nehmen daher im lateralen temporalen Kortex 2 parallele Verarbeitungswege für (komplexere) Bewegungen an. Beide beginnen unmittelbar anterior der Area MT. Der superiore Anteil im superioren temporalen Sulcus (STS) reagiert sensitiver auf biologische Bewegungen, der inferiore, im Bereich des posterioren mittleren temporalen Gyrus, auf Werkzeugbewegungen (. Abb. 15.5).
! Die funktionale Repräsentation von biologischen Bewegungen unterscheidet sich nach aktuellen Befunden von dem Verarbeitungsnetzwerk, das bei der Wahrnehmung von Bewegungen unbelebter Objekte aktiviert ist.
So konnten Beauchamp et al. (2002) Unterschiede in lateralen Anteilen des posterioren temporalen Kortex bei der Beobachtung menschlicher Bewegungen im Vergleich mit bewegten Werkzeugen nachweisen. Superiore Anteile waren bei menschlichen Bewegungen, eher inferiore Anteile bei Werkzeugbewegungen stärker aktiviert. Die Autoren
15.4
Wahrnehmung räumlicher Tiefe
Stereoskopische Tiefenwahrnehmung basiert auf binokularer Disparität und korreliert mit deren Ausmaß, wie Backus et al. (2001) in einer parametrischen fMRT-Studie mit systematischer Variation der Disparität zwischen 2 räumlichen Wahrnehmungsebenen nachwiesen. Das Areal V3a zeigte dabei eine hohe Sensitivität für stereoskope Stimuli. Bei ei-
239 15.5 · Höhere visuelle (apperzeptive) Verarbeitung
a
b
c
d
. Abb. 15.4a–d. Von Stanley und Rubin (2003) verwendete modifizierte Kanizsa-Stimuli. a enthält eine illusionäre Kontur, c dagegen eine saliente Figur ohne eindeutige Kanten, b und d sind die jeweiligen Kontrollreize
nem Vergleich der Tiefenwahrnehmung von Menschen und Makaken bildete V3a die Schnittmenge der jeweils beteiligten, mittels fMRT nachgewiesenen, neuronalen Netzwerke (Tsao et al. 2003). Beim Menschen fanden sich dabei zusätzliche Aktivierungen innerhalb des dorsalen visuellen Verarbeitungsweges in V7, V4d und einer Region im kaudalen intraparietalen Sulcus.
15.5
Höhere visuelle (apperzeptive) Verarbeitung
15.5.1
Gruppierung nach Kollinearität
Das Modell von Riddoch u. Humphries (2001; . Abb. 15.1) geht von einer hierarchischen Struktur visueller Objektwahrnehmung aus. Nach einer ersten primären Analyse der Objektform werden auf einer übergeordneten Ebene Elemente auf der Basis ihrer Kollinearität, d. h. der Eigenschaft, als zusammenhängende Linie perzipiert zu werden, zueinander gruppiert. Es wird angenommen, dass dies schon im primären visuellen Kortex passiert und es gibt Hinweise, dass in V2 eine Gruppierung von Elementen nach Kollinearität erfolgt (Riddoch u. Humphries 2001) und dass erst
a
b
. Abb. 15.5a, b. Werkzeugbewegungen. a Overlay-Plot von 8 Probanden zum Vergleich menschlicher mit Werkzeugbewegungen. Rote und gelbe Aktivierungen bezeichnen Areale, die stärker auf menschliche Bewegungen, blaue Areale solche, die stärker auf Werkzeugbewe-
gungen ansprechen. IPS intraparietaler Sulcus; STS superiorer temporaler Sulcus; LFG lateraler Gyrus fusiformis; MFG medialer Gyrus fusiformis; MTG mittlerer temporaler Gyrus. b Aktivierungen der 8 Probanden (Beauchamp et al. 2002)
15
240
Kapitel 15 · Visuelles System und Objektverarbeitung
a
15
b
. Abb. 15.6a, b. Der obere Teil der Abbildungen zeigt beispielhaft von Kourtzi et al. (2003) verwendete Stimuli mit Zufalls- (a) und kollinearem (b) Muster. Darunter sind spezifische Aktivierungen eines Probanden auf kollineare Muster in »Flat-map«-Darstellung zu sehen. Sulci sind dunkel-, Gyri sind hellgrau dargestellt. Zusätzlich sind die mit-
tels retinotoper Technik ermittelten Grenzen der früheren Areale V1 bis V4 zu sehen. A anterior; P posterior; STS superiorer temporaler Sulcus; ITS inferiorer temporaler Sulcus; OTS okzipitotemporaler Sulcus; CoS kollateraler Sulcus; LO posteriore bzw. pFs anteriore Anteile des lateralen okzipitalen Kortex (LOC) (Kourtzi et al. 2003)
danach die Zuweisung bzw. Erkennung von Kanten und Ecken zu Objekten erfolgt. In einer Studie von Kourtzi et al. (2003) wurde die Integration lokaler Stimulus-Charakteristika in globale Formen untersucht. Dabei wurden, wie in . Abb. 15.6 dargestellt, Zufallsmuster und kollineare Muster in einem ereigniskorrelierten Adaptationsdesign (bei dem Änderungen neuronaler Aktivität als Funktion der Unterschiede zwischen einem adaptierten und einem aktuellen Stimulus erfasst werden) vorgegeben. Es wurden frühe visuelle Areale sowie der LOC als »regions of interest« (ROI) identifiziert. Sie konnten dabei zeigen, dass Orientierungsänderungen bei Zufalls- und bei kollinearen Mustern in verschiedenen visuellen Arealen (V1, V2, V3a und V4) kodiert werden. Weiterhin zeigte sich ein spezifischer Effekt des kollinearen Musters in peripheren (retinotop gesehen) Arealen von V1 und in zentralen Arealen
von V2. Neben diesen frühen visuellen Arealen fanden sich auch in anterioren Anteilen des LOC spezifische Aktivierungen bei der Verarbeitung kollinearer Muster. ! Kourtzi et al. (2003) interpretieren die Resultate als Hinweise auf zunehmende Integration lokaler kollinearer Muster schon auf früher visueller Ebene. Auf der Ebene von LOC erfolgt dann eine Gesamtanalyse der globalen Form.
15.5.2
Merkmalsverknüpfung/ Segmentierung
Die Prozesse der Merkmalsverknüpfung (»binding«) und der Segmentierung werden auf einer frühen Stufe der Hie-
241 15.5 · Höhere visuelle (apperzeptive) Verarbeitung
rarchie visueller Objekterkennung angenommen, die präattentiv, somit unbewusst, unkontrolliert und parallel abläuft. Hierbei werden Charakteristika eines Objektes (z. B. einzelne Seiten) wahrgenommen und als zusammengehörig »gruppiert«. In der Gestaltpsychologie wurden Prinzipien formuliert, anhand derer Reizcharakteristika gruppiert und zusammengefasst werden: räumliche Nähe, Ähnlichkeit, Kontinuität, Geschlossenheit und Kollinearität (Gray 1999). Die Ergebnisse dieser präattentiven Analyse bilden dann die Basis für selektive Aufmerksamkeitsprozesse bzw. für die Objekterkennung. Einen interessanten Versuch, die Verarbeitung lokaler Reizcharakteristika von globalen Gruppierungsprozessen am Beispiel der Gesichtererkennung zu trennen, stellt die Studie von Hasson et al. (2001) dar. Sie verwendeten modifizierte Versionen der Rubin-Vase-Gesicht-Figur, bei der durch leichte Veränderungen des Kontextes um die Figur das Erkennen der Figur als Vase oder als Gesicht induziert werden konnte. Durch einen Vergleich dieser beiden Stimulusarten können die Autoren zeigen, dass in Arealen, die sich in Kontrollexperimenten als besonders sensitiv für die Erkennung von Gesichtern erwiesen (posteriorer Gyrus fusiformis und Anteile des lateralen okzipitalen Kortex), stärkere Aktivierungen beim Erkennen der Gesichterprofile als beim Erkennen der Vase auftreten. Da die Stimuli so modifiziert waren, dass die Verarbeitung lokaler Konturen innerhalb der Figur kein eindeutiges Erkennen als Gesicht oder Vase ermöglicht (. Abb. 15.7), sondern diese in erster Linie holistische Verarbeitungsprozesse erfordern, folgern die Autoren, dass eine Spezifität gesichts-sensitiver kortikaler Areale deren holistische visuelle Verarbeitung darstellt, die möglicherweise nicht nur spezifisch bei Gesichtern, sondern auch bei anderen Objekten auftritt.
. Abb. 15.7. Aktivierungsprofil kortikaler Areale, die selektiv auf Gesichter relativ zu Gläsern reagieren (links). Die Profilansichten der Rubin-Vase-Gesichts-Figur (rechts) weisen die gleichen lokalen Konturen auf wie die Vasenansichten, führen aber zu stärkeren Aktivierungen im lateralen okzipitalen Kortex und posterioren Gyrus fusiformis (Hasson et al. 2001)
15.5.3
Normalisierung der Perspektive
! Eine wesentliche Eigenschaft menschlicher Objekterkennung ist die Fähigkeit, Objekte unter verschiedenen Perspektiven, bei unterschiedlicher Beleuchtung oder Schattierung sowie aus unterschiedlicher Entfernung erkennen zu können. Zwei verschiedene theoretische Ansätze versuchen zu erklären, wie Objektrepräsentationen beschaffen sein müssen, um diese Fähigkeit zu ermöglichen. Zum Einen wird angenommen, dass Objekte durch strukturelle Eigenschaften ausgezeichnet sind, anhand derer eine Repräsentation definiert ist (objektzentrierte Repräsentation), andere Ansätze gehen davon aus, dass multiple »Schnappschüsse« eines Objektes (z. B. aus unterschiedlichen Perspektiven) gespeichert sind (beobachterzentrierte Repräsentation).
Erkennen unter Annahme einer objektzentrierten Repräsentation erfordert somit die Analyse hervorstechender Merkmale eines Objektes (z. B. Ecken, Kanten) sowie deren räumlicher Beziehung zueinander und daran anschließend die Klassifikation anhand dieser strukturellen Beschreibungsmerkmale. Unter der Annahme einer beobachterzentrierten Repräsentation basiert Erkennen auf dem Abgleich eines aktuellen Objektes mit schon gespeicherten Versionen dieses Objektes (bei gegebener Perspektive, Entfernung etc.). Zur klinischen Differenzierung von apperzeptiver Agnosie und assoziativer Agnosie werden Abbildungen von Objekten unter prototypischer und hiervon abweichenden Ansichten vorgegeben.
15
242
Kapitel 15 · Visuelles System und Objektverarbeitung
15.5.4
Visuelle Agnosie
> Definition Visuelle Agnosie bzeichnet die Unfähigkeit, die Art oder Gattung eines gesehenen Objekts zu erkennen bei weitgehend erhaltener primär visueller Wahrnehmung. Hierbei sind im Wesentlichen folgende Unterformen zu differenzieren: 5 Apperzeptive Agnosie: Unfähigkeit, Objekte zu erkennen, obwohl einzelne Aspekte davon wahrgenommen und erkannt werden; es erfolgt keine Integration von lokalen Details und globaler Form und keine Extraktion charakteristischer Merkmale. 5 Assoziative Agnosie: Unfähigkeit, ein Objekt zu erkennen bzw. seine Bedeutung zu verstehen bei intakter Wahrnehmung von Gestalt und Details als Folge einer gestörten Verknüpfung des visuellen Eindrucks mit dem semantischen Gedächtnis. 5 Prosopagnosie: Unfähigkeit, die Individualität eines Gesichtes zu erkennen.
In einer fMRT-Studie von Grill-Spector et al. (1999) wurden neuronale Korrelate von visuell dargebotenen Objekten und Gesichtern, die verschiedenen Transformationen unterzogen wurden (Rotation, Translation, Beleuchtung), erfasst. Dabei zeigte sich im LOC eine stärkere Invarianz (d. h. erhöhte Adaptation) für Größen- und Positionsänderungen und ein verstärktes Ansprechen auf Änderungen der Beleuchtung und des Blickwinkels. Die Autoren schlagen ausgehend von ihren Ergebnissen eine Unterteilung des LOC in einen kaudal-dorsalen Anteil (mit weniger Adaptation, d. h. geringerer Invarianz) und einen posterioren fusiformen Anteil (mit größerer Invarianz) vor. James et al. (2002) prüften die Invarianz für Rotationen gewöhnlicher und neuartiger Objekte mittels Priming und fanden bilateral ein Areal im ventralen temporookzipitalen Kortex, das rotationsinvariant reagierte (d. h. eine Adaptation sowohl auf identische als auch rotierte Objekte auf-
15
. Abb. 15.8. Aktivierungen von 8 Probanden, projiziert auf das Modell eines »aufgeblasenen« Gehirns (Gyri sind hellgrau, Sulci dunkelgrau dargestellt). Es wurden neuartige und gewöhnliche Objekte in unterschiedlichen Perspektiven dargeboten. Der laterale okzipitale Komplex (vTO) reagierte dabei rotationsinvariant, der kaudale intraparietale Sulcus (cIPS) rotationsvariant. Die Aktivierungen waren jeweils bilateral (James et al. 2002)
wies) als auch bilaterale Aktivierungen im kaudalen intraparietalen Sulcus (cIPS), sowohl bei Darbietung neuartiger als auch rotierter Varianten unmittelbar zuvor gezeigter Objekte (Rotationsvarianz; . Abb. 15.8). ! Der (ventrale) temporookzipitale Kortex scheint somit Repräsentationen über die Identität eines Objektes unabhängig vom Blickwinkel generieren zu können, wogegen der (dorsale) cIPS auf Tiefenrotationen eines Objektes sensitiv reagiert, um beispielsweise Greifoperationen zu diesem Objekt entsprechend dessen Lage im Raum anzupassen.
15.6
Assoziative Verarbeitung
15.6.1
Strukturelles Beschreibungssystem
Auf der nächsthöheren Ebene der visuellen Objekterkennung wird auf gespeichertes Objektwissen zurückgegriffen. Dieser assoziative Prozess wird von Riddoch u. Humphreys (2001) in 2 sequenzielle Prozesse unterteilt. In einer ersten Stufe werden gespeicherte Informationen über strukturelle Eigenschaften eines Objekts abgerufen, so dass beispielsweise bestimmt werden kann, ob es sich um ein reales Objekt oder ein nicht-existentes Objekt handelt (z. B. ein Tier versus ein aus Merkmalen unterschiedlicher Tiere zusammengesetztes Wesen). So beschrieben Riddoch u. Humphreys den Patienten JB (Schädel-Hirn-Trauma mit Contusio cerebri sowie großem epiduralem Hämatom links, das sich bis zur Fossa cranii posterior erstreckte; links parietookzipitale Kraniotomie zur Entlastung des Hämatoms; homonyme Hemianopsie nach rechts; leichte Hemiparese rechts), der zwar Objektentscheidungen korrekt treffen konnte, somit offensichtlich Zugang zu visuellem (strukturellem) Wissen über das Aussehen von Objekten (z. B. Werkzeuge) hatte, aber nicht angeben konnte, welche 2 von 3 Objekten (z. B. Hammer,
243 15.6 · Assoziative Verarbeitung
Nagel, Schraubenschlüssel) normalerweise zusammen verwendet werden. Dieses Defizit trat nur bei visueller Vorgabe der Objekte auf und wurde von den Autoren als eine Schwierigkeit beim Zugriff auf semantische Information (über die Funktion der Werkzeuge) bei intaktem Zugriff auf visuell-strukturelles Wissen gedeutet. Dieser Prozess der Zuordnung von strukturellem zu semantischem Wissen ist vor allem dann als problematisch anzunehmen (Riddoch u. Humphreys 2001), wenn die verschiedenen Objekte visuell und semantisch ähnlich sind, wie z. B. lebende Objekte. Leblose Objekte (z. B. Gegenstände) sind in der Regel perzeptuell heterogener, was die Unterscheidung erleichtert. Bar et al. (2001) präsentierten in ihrer ereigniskorrelierten fMRT-Untersuchung Schwarz-weiß-Zeichnungen realer Objekte subliminal (26 ms lang) sowohl mit Maskierung zwischen 2 Versuchsdurchgängen (»trials«) als auch ohne. Jedes der Objekte wurde mehrfach und in unterschiedlichem zeitlichem Abstand zur letzten Darbietung präsentiert. Die Probanden sollten bei jedem Trial mit einer von 4
Tasten angeben, wie sicher sie das Objekt erkannt hatten (1. Taste = Stimulus und Masken können nicht differenziert werden; 2 = Stimulus wird wahrgenommen, aber weder Form noch Identität können eingeschätzt werden; 3 = die Orientierung der Form und deren Größe können wahrgenommen werden, das Objekt wird jedoch nicht erkannt; 4 = das Objekt wird erkannt). Mittels dieses Designs versuchten die Autoren, neuronale Korrelate unterschiedlicher Phasen der Objekterkennung bei Konstanthaltung der visuellen Reizattribute (also der Bottom-up-Komponente) darzustellen. Hierbei konnten sie zeigen, dass das fMRT-Signal im anterioren Gyrus fusiformis positiv linear mit dem Grad der Objekterkennung korreliert (. Abb. 15.9b). Die Autoren schließen daraus, dass diese Struktur unter anderem für den zunehmenden Abgleich der erhaltenen Objektrepräsentation mit gespeicherten Informationen zuständig ist und dass Objekterkennung ein gradueller und kein abrupter Prozess ist. Die Aktivität in V1 und V2 war unabhängig vom Grad der Objekterkennung.
a
b
. Abb. 15.9a, b. Objekterkennung. a Aktivierungen in Abhängigkeit des subjektiven Grades der Objekterkennung (versus Fixations-Kontrollbedingung). Es lässt sich eine Entwicklung von posterioren temporalen Arealen in Prärekognitionsphasen hin zu mehr anterioren
Arealen bei gelungener Objekterkennung nachweisen. b Veränderung des fMRT-Signals im linken anterioren Gyrus fusiformis in Abhängigkeit vom subjektiven Grad der Objekterkennung (modifiziert nach Bar et al. 2001)
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244
Kapitel 15 · Visuelles System und Objektverarbeitung
Der posteriore Anteil des inferioren temporalen Sulcus, der in mehreren Studien vor allem mit Formerkennung assoziiert wird, reagierte wesentlich schwächer als der Gyrus fusiformis, wobei sich auch hier eine Entwicklung von posterioren Arealen in Prärekognitionsphasen (3) hin zu mehr anterioren Arealen bei gelungener Objekterkennung nachweisen ließ (. Abb. 15.9a). Ein Hemisphärenunterschied trat in dieser Studie nicht auf. Weiterhin zeigte sich eine signifikante Aktivierung im Gyrus frontalis inferior bei erkannten Objekten und Stimulusmaskierung, evtl. als Korrelat eines Top-down-Prozesses bei erschwerter Objekterkennung. > Definition Bottom-up-Prozess: Bezeichnung für einen seriellen Ablauf der Informationsverarbeitung: von den Sinnesorganen über eine interne Repräsentation von Stimuli hin zu höherer kognitiver Verarbeitung (reizabhängige Verarbeitung). Top-down-Prozess: Bezeichnung für eine Informationsverarbeitung, die konzeptuell, d. h. erfahrungs- und erwartungsabhängig, gesteuert wird. Dieser Prozess bildet das Gegenstück zur reizabhängigen Verarbeitung.
15.6.2
15
Semantisches System
Wenn ein semantisches Defizit vorliegt, treten Probleme der Objekterkennung und -benennung sowohl bei verbaler Beschreibung der funktionalen Eigenschaften eines Objektes als auch bei dessen visueller Darbietung auf. Gleichwohl kann der Zugang zu struktureller Information zum Objekt erhalten sein, wenn z. B. die Fähigkeit Nicht-Objekte als solche erkennen zu können, intakt ist. Sowohl klinisch neuropsychologische Untersuchungen (Warrington u. Shallice 1984), elektrophysiologische Studien mit Einzelzellableitung (Kreiman et al. 2000, die bei Epilepsiepatienten kategoriespezifische Zellantworten bei Darbietung von Gesichtern, Häusern, Szenen, berühmten Personen und Tieren fanden) als auch PET-Studien (Devlin et al. 2002; Phillips et al. 2002) zur funktionellen Neuroanatomie des semantischen Systems geben Hinweise auf kategoriespezifische se. Abb. 15.10. In verschiedenen PET-Studien nachgewiesene Anteile des ventralen Verarbeitungsweges für die Erkennung von Gesichtern, Plätzen/Gebäuden sowie evtl. Wortformen und Objektformen (Kanwisher et al. 2001)
mantische Defizite bzw. eine analoge Organisation des semantischen Systems. Hierbei sind 2 unterschiedliche Konzeptionen der Organisation semantischen Wissens zu unterscheiden. 4 Zum einen wird eine kategoriebasierte Organisation in belebte und unbelebte Objekte sowie deren jeweils weitere Unterteilung in z. B. Pflanzen und Tiere einerseits und Werkzeuge, Fahrzeuge etc. andererseits angenommen. 4 Ein anderer Ansatz geht davon aus, dass eine eigenschaftsbasierte Organisation vorliegt mit einer Einteilung in perzeptuelle (Farbe, Form, Muster etc.) und funktionale (Handhabung des Gegenstandes, Vorkommen etc.) Eigenschaften. In jüngerer Zeit formulierten Shelton u. Caramazza (2000) zudem eine evolutionär begründete Hypothese domänenspezifischen Wissens und gehen davon aus, dass Objekte entlang der Dimensionen biologisch (belebt) und nicht-biologisch (unbelebt) verarbeitet werden. Innerhalb dieser Dimensionen schlagen sie weitere Unterteilungen in beispielsweise Tiere, Obst/Gemüse und Werkzeuge etc. und damit ebenfalls eine hierarchische Struktur semantischen Wissens vor, die mit einem evolutionären Vorteil einhergeht. Zahlreiche PET-Studien und neuerdings verschiedene fMRT-Studien gingen der Frage nach möglichen kategoriespezifischen kortikalen Repräsentationen von Objekten nach. Dabei wurden verschiedene Regionen beschrieben (Kanwisher et al. 2001; . Abb. 15.10): 4 »fusiform face area (FFA)« im Gyrus fusiformis, offenbar spezialisiert auf die Verarbeitung von Gesichtern, 4 »parahippocampal place area (PPA)«, prädestiniert für die Repräsentation bzw. Verarbeitung von Plätzen und Gebäuden und 4 »extrastriate body area (EBA)« im superioren temporalen Sulcus für die Repräsentation menschlicher Körperteile. Diese Studien zeigten in der Regel jedoch auch, dass diese Areale neben ihrer spezifischen Reaktion auf die genannten Reize auch auf Stimuli anderer Kategorien, wenn auch deutlich schwächer, reagierten. Es bleibt also die Frage, ob sich tatsächlich umschriebene zerebrale, kategoriespezifi-
245 15.7 · Gesichter
sche Repräsentationen nachweisen lassen, oder ob es sich jeweils eher um disseminierte, relativ unspezifische Repräsentationen mit einzelnen Schwerpunkten handelt. Zur Beantwortung dieser Frage gingen Spiridon u. Kanwisher (2002) methodisch folgendermaßen vor. Sie gaben visuelle Darstellungen von Objekten aus 7 verschiedenen Kategorien (Gesichter, Katzen, Häuser, Stühle, Scheren, Schuhe und Flaschen) vor (mit 16 Stimuli pro Kategorie aus jeweils 2 Perspektiven gezeigt). Diese wurden sequenziell vorgegeben und die Probanden sollten jeweils reagieren, wenn das aktuelle Objekt identisch mit dem unmittelbar zuvor dargebotenen war. Kategoriespezifische Aktivierungen wurden durch Korrelation der Muster basierend auf der ersten Hälfte der Daten mit der zweiten Hälfte der gleichen Kategorie sowie mit den entsprechenden Mustern der anderen Kategorien erfasst. Sie fanden dabei eine relativ hohe Spezifität von FFA und PPA für Gesichter und Häuser/Plätze, jedoch keine über V1 hinausgehende diskriminative Verarbeitung in diesen Regionen bei Objekten anderer Kategorien. Die Ergebnisse sprechen andererseits jedoch auch für eine relativ weitflächige Repräsentation kategorialer Information im ventralen Pfad visueller Verarbeitung. Tyler et al. (2003) verwendeten eine semantische Entscheidungsaufgabe und gaben Wörter aus 4 Kategorien (Tiere, Werkzeuge, biologische Aktionen und mit Werkzeugen ausgeführte Aktionen) vor. Tiere und Werkzeuge erzeugten dabei umfangreiche, vor allem linkshemiphärische Aktivierungen im Gyrus fusiformis, Gyrus hippocampalis und im Gyrus frontalis inferior. Die gleichen Regionen waren auch aktiviert, wenn nur die mit Tieren bzw. Werkzeugen assoziierten Bewegungen als sprachliche Stimuli vorgegeben wurden, woraus die Autoren schließen, dass Objekte immer auch Areale mit aktivieren, die mit entsprechenden, Aktionen betreffenden Objektattributen verknüpft sind. Allerdings konnte dabei nicht eindeutig zwischen Tier- und Werkzeug-induzierten Aktivierungen unterschieden werden.
15.7
Gesichter
15.7.1
Phänomene und Modelle
! Gesichter sind besonders komplexe visuelle Objekte, die eine Fülle von Informationen verschiedener Art parallel zur Verarbeitung bieten. Das Gesicht liefert den wichtigsten Hinweis auf die Identität einer persönlich bekannten oder berühmten Person. Die physische Beschaffenheit kann verwendet werden, um Eigenschaften wie Geschlecht oder Alter einer Person zu erschließen oder Gesichter hinsichtlich ihrer Ähnlichkeit zu vergleichen. Die emotionale Befindlichkeit einer anderen Person kann aus dem Gesichtsausdruck erschlossen werden. Auch die Sprachperzeption stützt sich teilweise auf die Form und Bewegung von Mund und Lippen.
Im Unterschied zu den meisten anderen Klassen von Objekten ist die Ähnlichkeit zwischen verschiedenen Gesichtern besonders hoch. Sie unterscheiden sich vorwiegend durch konfigurationale Aspekte zweiter Ordnung, d. h. die strukturelle Beschreibung anhand der räumlichen Beziehungen von Kinn, Mund, Nase, Augen, Augenbrauen, Stirn ist für alle Gesichterexemplare dieselbe, lediglich die metrischen Aspekte dieser Beziehungen sind verschieden und charakterisieren das individuelle Gesicht. Als ein Ausdruck einer ganzheitlichen (holistischen) Verarbeitung von Gesichtern im Vergleich zu anderen Objekten wurde der viel diskutierte Inversionseffekt angesehen (Yin 1969). In einem Lerndurchgang eingeprägte Gesichter werden bei invertierter erneuter Darbietung (Präsentation auf dem Kopf) überproportional schlechter wiedererkannt als andere Objekte wie Flugzeuge oder Häuser, die ebenfalls meist in einer bevorzugten Orientierung gesehen werden. Zudem ist die Diskrimination von Gesichtsteilen (z. B. Nasen, Lippen) im Kontext eines Gesichtes leichter zu leisten, als wenn die Gesichtsteile isoliert zu unterscheiden sind. Dieser Vorteil einer holistischen Verarbeitungsmöglichkeit gilt nicht für andere Objekte. Weiterhin können Störungen in der Verarbeitung von Gesichtern (Prosopagnosie) verglichen mit anderen Objekten (Objektagnosie) doppelt dissoziiert auftreten. Eine alternative Erklärung, verbunden mit der Ablehnung eines speziellen Verarbeitungsmodus für Gesichter, gaben Diamond u. Carey (1986). Sie belegten, dass der Inversionseffekt dann auftritt, wenn Personen Experten für die visuelle Verarbeitung einer Klasse von Objekten sind, die sich vorwiegend durch feinere Details in konfigurationalen Aspekten zweiter Ordnung unterschieden. Kampfrichter auf Rassehundeschauen zeigten vergleichbare Inversionseffekte wie für menschliche Gesichter bei Portraitphotos von Hunden bestimmter Rassen. Ein weiteres Phänomen ist die unbewusste Verarbeitung (»covert recognition«) von Gesichtern. Zum einen erfolgt eine Antwort des autonomen Nervensystems in der affektiven Verarbeitung: die Hautleitfähigkeit nimmt 1–5 s nach Präsentation eines Gesichts zu. Diese Zunahme ist größer bei bekannten, vertrauten Gesichtern, selbst wenn das gezeigte Gesicht nicht wiedererkannt wird. Zum anderen kommt es zur Bahnung (»priming«), d. h. zur erleichterten (besseren bzw. schnelleren) Verarbeitung eines Stimulus, wenn derselbe Stimulus (»repetition priming«) oder ein verwandter Stimulus (»semantic priming«) kurz zuvor (u. U. nur für eine bewusst nicht wahrnehmbare Zeitspanne; »unconscious priming«) dargeboten worden ist. Für Gesichter sind diese Arten von Bahnung wiederholt nachgewiesen worden (Überblick bei Morrison et al. 2000). Seit etwa 20 Jahren sind kognitive Modelle der mentalen Verarbeitung von Gesichtern entwickelt worden. Besonders einflussreich ist das Modell von Bruce u. Young (1986) gewesen (. Abb. 15.11), das experimentalpsycholo-
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246
Kapitel 15 · Visuelles System und Objektverarbeitung
. Abb. 15.11. Verarbeitungsmodell für Gesichter von Bruce u. Young (1986) (modifiziert nach Ellis u. Lewis 2001)
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gische Resultate, (alltägliche) Fehler gesunder Personen sowie die bei neurologischen Patienten mit einer selektiven Verarbeitungsstörung für Gesichter (Prosopagnosie) vorgefundenen Störungsmuster als »lokale« Fehlfunktionen bzw. Schädigungen einzelner oder mehrerer Verarbeitungskomponenten oder deren Verbindungen erklären kann. Initial werden Gesichter wie andere visuelle Objekte strukturell enkodiert. Da aber von einigen Patienten bereits bei der Entscheidung »Gesicht ja/nein« Defizite berichtet worden sind, wird diese Klassifikationskomponente von einigen Autoren noch im Modell vorgeschaltet. Bei der strukturellen Enkodierung werden 2 hierarchisch geordnete Stufen unterschieden: 4 Die betrachterspezifische Beschreibung liefert die relevante Information für die Verarbeitung des emotionalen Gesichtsausdrucks sowie der Lippenbewegungen und des Mundbildes. 4 Die abstraktere, von Emotionsausdruck und Perspektive freie Beschreibung liefert die relevante Information für die Teilprozesse der Wiedererkennung einer Person. Jede dieser 3 von der strukturellen Enkodierung aus parallel aktivierbaren Komponenten liefert eine andere Art der Kategorisierung von gesichtsrelevanten Informationen. Mit Aufgabenstellungen zur Zuordnung (»matching«) von 2 Photos desselben unbekannten Gesichts aus unterschiedlicher Perspektive, zur Zuordnung derselben Emotion bei 2 verschiedenen Gesichtern und der Klassifikation von Gesichterphotos von berühmten Persönlichkeiten bzw. unbe-
kannten Personen nach bekannt/unbekannt können diese 3 Aspekte separat erfasst werden. In bestimmten Aufgabenstellungen und Situationen ist es erforderlich und möglich, selektiv auf einen bestimmten Aspekt von Gesichtern aufmerksam zu sein, etwa die Stellung der Augen oder ein spezifisches Merkmal wie die Kopfform, um in einer Menge effektiver nach einer persönlich bekannten Person suchen zu können. Deshalb ist im Modell eine Komponente der gezielten visuellen Verarbeitung (»directed visual processing«) enthalten. Damit ist eine Unterscheidung zwischen Prozessen eingeführt, die für die Verarbeitung unbekannter Gesichter wie den Vergleich zweier Gesichter oder das Wiedererkennen aus einer Auswahlmenge erforderlich sind, und solchen, die für die Verarbeitung bekannter Gesichter entscheidend sind (über die Wiedererkennens-Einheiten für Gesichter). Im linear hierarchischen Teil wird der Prozess des Identifizierens eines bekannten Gesichts weiter in Teilschritte unterteilt. Am Beginn steht das Wissen darum, dass das gesehene Gesicht einer bekannten Person gehört. Dieses ist in einem Assoziativspeicher abgelegt. Eine Wiedererkennenseinheit für Gesichter (»face recognition unit«, FRU) wird aktiviert, wenn die zuvor erstellte strukturelle Beschreibung genügend Ähnlichkeit mit der strukturellen Beschreibung eines gespeicherten Gesichts aufweist. Diese Wiedererkennenseinheit für Gesichter hat Zugriff auf einen Teil des Assoziativgedächtnisses (im kognitiven System), in dem spezifische semantische Informationen über eine bekannte Person abgelegt sind. Letztere bewirken, dass man sich sicher fühlt, eine Person zu kennen.
247 15.7 · Gesichter
Auf den Namen einer Person kann nur über den aktivierten Personen-Identitäts-Knoten (»person identity node«, PIN) zugegriffen werden Die Unterscheidung zwischen Erkennens-Einheiten für Gesichter und PersonenIdentitäts-Knoten liegt vorwiegend darin, dass man zu ersterer nur über die strukturelle Enkodierung des Gesichts gelangt, während man zum Personen-Identitäts-Knoten auch über die Stimme oder den gesprochenen Namen einer Person gelangen kann. Erst bei letzterer handelt es sich um das Erkennen der Identität einer Person, nicht nur eines Gesichtes.
rPosopagnosie > Definition Prosopagnosie bezeichnet die Unfähigkeit, vertraute Gesichter von Familienangehörigen, Freunden oder bekannten Persönlichkeiten zu identifizieren trotz intakten Sehens und der erhaltenen Fähigkeit, die Bestandteile eines Gesichts zu erfassen sowie eine Person anders als über das Gesicht (z. B. die Stimme) zu identifizieren.
Es gibt eine lange Debatte in der neuropsychologischen Literatur darüber, ob es ein einheitliches Syndrom der Prosopagnosie gibt. Nur selten sind bei ausführlicher neuropsychologischer Untersuchung nicht auch Schwierigkeiten in der Verarbeitung anderer komplexer visueller Objekte aufgetreten. Häufig wird, wie bei der visuellen Objektagnosie, klinisch eine Unterscheidung nach apperzeptiver und assoziativer Form getroffen. Bei der apperzeptiven Form liegt die Störung in frühen Phasen der strukturellen Enkodierung, so dass kein einheitliches Perzept eines Gesichts entstehen und damit auch keine hinreichende Aktivierung der richtigen Gesichter-Erkennens-Einheit erfolgen kann. Bei der assoziativen Form kann ein einheitliches Perzept gebildet werden, ein Wiedererkennen ist jedoch nicht möglich, weil die FRU geschädigt oder nicht zugänglich sind oder nach ihrer Aktivierung kein Abruf von personenspezifischer semantischer Information oder vom Namen der betreffenden Person möglich ist. Die Beobachtung, dass bei einigen Patienten mit Prosopagnosie Reaktionen des autonomen Nervensystems in Form einer Zunahme der Hautleitfähigkeit auftraten, wenn zu einem bekannten Gesicht (z. B. eines Politikers), das sie nicht bewusst erkennen und benennen konnten, in einer Menge von laut vorgelesenen Namen von Politikern auch der richtige Name darunter war, führte zur Formulierung eines Zwei-Routen Modells der Gesichterverarbeitung mit bewusstem Wiedererkennen (»overt recognition«) über den »ventralen visuell-limbischen Pfad« sowie unbewusstem Wiedererkennen (»covert recognition«) über einen zweiten »dorsalen visuell-limbischen Pfad«.
a Cpgras-S yndrom Ellis u. Young (1990) waren die ersten, die eine kognitionspsychologische Erklärung für das Capgras-Syndrom liefer-
ten. In diesem vom französischen Psychiater Capgras zuerst beschriebenen Syndrom entwickeln Patienten die fälschliche Überzeugung, dass nahe Verwandte oder Freunde durch Doppelgänger ersetzt worden sind. Die Patienten konnten bekannte Personen wiedererkennen; was ihnen hingegen fehlte, war eine affektive Reaktion auf das vertraute Gesicht. Patienten mit Prosopagnosie, besonders vom assoziativen Typ, zeigten das umgekehrte Bild. Diese Befunde machen eine Revision des Ein-Weg Modells erforderlich. Breen u. Mitarbeiter (2000) nehmen bis zu den FRU das Ein-Weg Modell über den ventralen visuellen Pfad an. Neu führen sie neben den PIN parallel und bidirektional damit verbunden eine Komponente für eine affektive Antwort auf ein bekanntes oder vertrautes Gesicht ein. Eine assoziative Prosopagnosie ergibt sich dann nach Schädigung der FRU und/oder deren Verbindung zu den PIN. Beim Capgras-Syndrom hingegen ist die Verbindung von den FRU und/oder die affektive Antwortkomponente beeinträchtigt (Ellis u. Lewis 2001).
15.7.2
Funktionelle Bildgebung
Haxby et al. (2000) fassen die Ergebnisse funktioneller Aktivierungsstudien zur Verarbeitung von Gesichtern zusammen und beziehen sie direkt auf das kognitive Modell von Bruce und Young: 4 Die Perzeption von Gesichtern wird mediiert über ein distribuiertes neurales System in multiplen bilateralen Regionen. Das Modell von Haxby und Mitarbeitern (. Abb. 15.12) postuliert ein sog. Kernsystem (»core system«) mit Regionen zur Enkodierung und Repräsentation invarianter Aspekte in der Perzeption eines Gesichts wie dessen individueller Identität gegenüber variablen Aspekten wie Blickrichtung, emotionalem Gesichtsausdruck oder Lippenbewegungen. Ein erweitertes System (»extended system«) bildet dann die Verbindung zu anderen Systemen, die für die Weiterverarbeitung der invarianten (persönliche Identität, Eigenname, semantische Information über eine individuelle Person) und variablen Informationen zuständig sind. 4 Das Kernsystem wird von 3 okzipitotemporalen Regionen im extrastriären visuellen Kortex gebildet. Bereiche des inferioren Gyrus occipitalis, des lateralen Gyrus fusiformis und des superioren temporalen Sulcus sind mit unterschiedlicher Aufgabenverteilung in die visuelle Analyse eines Gesichts einbezogen. Der inferiore Gyrus occipitalis projiziert zum lateralen Gyrus fusiformis, der für die Repräsentation der Gesichtsidentität zuständig ist, und zum superioren temporalen Sulcus, in dem vorwiegend veränderliche Aspekte von Gesichtern verarbeitet werden. 4 Das erweiterte System verarbeitet Informationen, die von einem Gesicht »abgelesen« werden können: Ein emotionaler Gesichtsausdruck wird in Arealen des lim-
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Kapitel 15 · Visuelles System und Objektverarbeitung
. Abb. 15.12. Rahmenmodell von Haxby über die bei der Gesichterverarbeitung involvierten Hirnareale (modifiziert nach Haxby et al. 2000)
bischen Systems verarbeitet, die Analyse der Blickrichtung stützt sich auf parietale Areale, die mit räumlicher Aufmerksamkeit in Verbindung gebracht werden, und das Lippenlesen führt zu gesteigerter Aktivität in Regionen, die für die auditive Analyse von Sprachlauten zuständig sind (. Abb. 15.13).
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Die Verarbeitung von Gesichtern (und anderen visuellen Objekten) ist ein paradigmatischer Fall für die Frage nach der funktionellen Organisation des Gehirns, insbesondere des ventralen temporalen Kortex als wichtiger Struktur im ventralen Pfad der visuellen Verarbeitung. Gibt es eine Einteilung nach den Inhalten der verarbeiteten Information, d. h. gibt es bereichsspezifische Module, die speziell Gesichter verarbeiten, wie für das Gesichtsareal im Gyrus fusiformis (»fusiform face area«, FFA) angenommen? Oder gibt es eine Einteilung nach der Art der informationsverarbeitenden Prozesse, d. h. gibt es bereichsübergreifende Prozesse wie die Expertise im visuellen Wiedererkennen individueller Exemplare einer Kategorie von Objekten, wie das für Gesichter der Fall ist? Eine dritte Möglichkeit besteht darin (Haxby et al. 2001, sog. »object form topography model«), dass es eine verteilte und überlappende topographische Repräsentation von visuellen Formmerkmalen von Gesichtern und anderen Objekten gibt, deren Gesamtheit mit einem Muster sowohl von stärkeren wie auch schwächeren Aktivierungen erst ein individuelles visuelles Objekt, insbesondere ein Gesicht, konstituiert.
Kernsystem Ein großer Teil der Studien beschäftigte sich mit der Funktionalität einer Region im lateralen Gyrus fusiformis, die bei der Perzeption eines Gesichts üblicherweise bilateral, aber noch konsistenter rechts aktiviert ist. Diese fusiforme Gesichtsregion (»fusiform face area«, FFA oder auch »posterior fusiform gyrus«, pFs) wird, wie zuvor schon kurz erläutert, von verschiedenen Autoren als eine auf die selektive Verarbeitung von Gesichtern spezialisierte Region angesehen (Gauthier et al. 2000a; Gauthier et al. 2000b; Kanwisher 2000; Haxby et al. 2001; Spiridon u. Kanwisher 2002). Ein neuer Ansatz besteht darin, visuelle Verarbeitung unter natürlichen Bedingungen wie beim Betrachten einer längeren Spielfilmpassage von mehreren Minuten mit der fMRT zu untersuchen (Bartels u. Zeki 2004). Unabhängig von den Betrachtern im MRT gab eine andere Gruppe von Probanden online beim Anschauen des Films vierstufige Beurteilungen über die Intensität der Wahrnehmung jeweils eines von 4 Merkmalen (Gesichter, menschlicher Körper, Sprache, Farbe) des Films ab. Diese über die Probandengruppe hoch konsistenten Beurteilungen dienten als Regressoren in der fMRT-Analyse. Die Zusammenhänge der Aktivierungen mit den Beurteilungen sind in . Abb. 15.14 dargestellt. Bezüglich der Gesichter im Film findet man Maxima des Zusammenhangs im FFA bilateral und im superioren temporalen Kortex bilateral entlang des gesamten mittleren Gyrus temporalis mit stärkerer Ausprägung rechts unter Einschluss des Wernicke-Areals links; letztere temporalen
249 15.7 · Gesichter
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. Abb. 15.13a–c. Aktivierungsbeispiele für die Komponenten des erweiterten Modells von Haxby. a Der IPS (Pfeil) ist stärker bei der Wahrnehmung des abgewendeten Blickes aktiviert. b Die Amygdala ist bei Verarbeitung eines ängstlichen Gesichtsausdrucks aktiviert.
c Lippenlesen aktiviert auditorische Areale des superioren Temporallappens, wie bei auditiver Verarbeitung von Sprache (Haxby et al. 2000)
Areale nach dem Modell von Haxby in . Abb. 15.12 sind verantwortlich für die variablen Aspekte eines Gesichts wie Blickrichtung, emotionaler Gesichtsausdruck und Lippenbewegungen. Es besteht zudem ein monotoner Zusammenhang zwischen Intensitätsrating und prozentualer Signaländerung in dem betreffenden Areal. Die in verschiedenen Studien stärkere Aktivierung des rechten FFA bei der Verarbeitung von Gesichtern wird mit einer Hemisphärenasymmetrie in der visuellen Verarbeitung erklärt. Rechtshemisphärisch werden vorrangig Prozesse unterstützt, die zu einer maximalen Individuation innerhalb einer Objektklasse führen. Umgekehrt werden linkshemisphärisch Prozesse kategorialer Wahrnehmung mit Maximierung der Ähnlichkeit zwischen Objekten einer Klasse unterstützt. Als weitere Komponenten des Kernsystems sieht Haxby variable Merkmale eines Gesichts an. Insbesondere in kommunikativen Situationen bildet die Blickrichtung eine wichtige Informationsquelle über die Aufmerksamkeitsausrichtung, die Intentionen und auch bestimmte Emotionsaspekte des Kommunikationspartners.
heiten (in der FFA) ein modalitätsspezifisches System zum Erkennen von Gesichtern. Die Identität einer Person (ob berühmt oder persönlich bekannt) wird anhand der Aktivierung eines in den Verarbeitungsmodellen postulierten, nicht modalitätsspezifischen Personen-Identitäts-Knoten (PIN) abrufbar, die den Zugang zu im semantischen und episodischen Gedächtnis gespeicherter biographischer Information ermöglicht. In einer efMRT-Studie (Leveroni et al. 2000) konnte ein temporofrontales Netzwerk nachgewiesen werden, das als zuständig für den Abruf personenspezifischen Wissens aus dem Langzeitgedächtnis angesehen wird. Persönlich gut bekannte Gesichter können zudem die Erinnerung an affektive Reaktionen und persönliche episodische Begebenheiten hervorrufen. Für diese Prozesse werden anterolaterale temporale sowie inferolaterale frontale Regionen, verbunden durch den Fasciculus uncinatus, als kritisch angesehen (Kroll et al. 1997) Im Vergleich zu aktuell gelernten Gesichtern unbekannter Personen waren neben superioren, medialen und inferioren präfrontalen Bereichen bilaterale Aktivierungen anteriorer (und polarer) Anteile des lateralen mittleren temporalen Gyrus zu beobachten, die sich bis zum temporoparietalen Übergang hinzogen. Weiterhin waren der Hippocampus links und der parahippokampale Gyrus rechts aktiviert sowie Areale im Bereich des linken und rechten posterioren Gyrus cinguli und Precuneus. Letztere retrospleniale kortikale Areale des limbischen Assoziationskortex sind bei der Analyse der persönlichen Vertrautheit einer Person involviert, allerdings nicht nur bei Verarbei-
Erweitertes System Exemplarisch soll von der Rahmenkonzeption aus . Abb. 15.12 nur auf das System zur Identifizierung individueller Personen Bezug genommen werden. Es wird eine Unterscheidung nach Gesichtern berühmter Persönlichkeiten (»famous faces«) und persönlich vertrauten Gesichtern (»familiar faces«) vorgenommen. Nach dem Modell von Bruce und Young gibt es mit den Gesichter-Erkennensein-
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Kapitel 15 · Visuelles System und Objektverarbeitung
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. Abb. 15.14. a Überblick über die topographische Trennung kategoriespezifischer Aktivierung (p Definition Agnosie: Beeinträchtigung der Erkennung von Schallen trotz ausreichenden Hörvermögens. Amusie: Beeinträchtigung der Melodieerkennung. Zentrale Taubheit (»Rindentaubheit«): Taubheit aufgrund einer beidseitigen Zerstörung des primären Hörkortex.
. Abb. 16.8. Vergleich zwischen der neuronalen Antwort auf einen binauralen Schallreiz (rote Balken unten) und der Summe der Antworten auf seine monauralen (links/rechts) Bestandteile (blaue Balken). Der obere Teil der Abbildung zeigt die t-Werte für den Vergleich (siehe Farbskala) in 2 koronalen (links und Mitte) und einer parallel zur Fissura Sylvii ausgerichteten Schicht (rechts) (nach Krumbholz et al. 2005a)
Krumbholz et al. (2005a) haben gezeigt, dass binaurale Verarbeitung auf der Ebene des Hirnstamms im fMRT mithilfe der binauralen Differenz und der »Cardiac-gating«Technik dargestellt werden kann. Die binaurale Differenz ist die Differenz zwischen der Summe der Antworten auf 2 identische monaurale (links/rechts) Schallreize und der Antwort auf den binauralen Reiz (BD=MonL+MonR−Bin). Jede Abweichung von BD=0 deutet auf eine funktionelle Integration der Signale von den beiden Cochleae hin. Eine nicht-verschwindende binaurale Differenz (BD>0) wurde im Colliculus inferior (CI), im Corpus geniculatum mediale (CGM) und im auditorischen Kortex (AK) beobachtet (. Abb. 16.8, oberer Teil). In jedem Fall war die Antwort auf den binauralen Reiz höchstens halb so groß wie die Summe der monauralen Antworten (. Abb. 16.8, unterer Teil). Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass die Verknüpfung der binauralen Information in der oberen Olive, also auf der Ebene vor dem Colliculus inferior, in starkem Maße von inhibitorischen Prozessen abhängt.
Wegen der relativen Seltenheit dieser Erkrankungen liegen dazu bisher nur wenige Bildgebungsdaten vor. Eine PETStudie von Engelien et al. (1995) legt nahe, dass die Regeneration defizitärer auditorischer Funktionen nach temporalen Läsionen durch 4 eine verstärkte Aktivierung periläsionaler Gebiete, 4 die Rekrutierung ausgedehnter kortikaler Netzwerke sowie 4 die Einbindung der für die betreffende Funktion nichtdominanten Hirnhälfte gekennzeichnet ist. Insbesondere wurde in der Studie gezeigt, dass ein an auditorischer Agnosie leidender Patient, der die Fähigkeit zur Erkennung nicht-verbaler Schalle weitgehend wiedererlangt hatte, bei der Kategorisierung von natürlichen Schallen homologe kortikale Netzwerke in beiden Hirnhälften aktivierte, während normale Probanden für dieselbe Kategorisierungsaufgabe vorwiegend nur die linke Hirnhälfte beanspruchten. Eine rudimentäre Schallwahrnehmung ist sogar dann noch möglich, wenn die primären Hörkortizes sowie weite Teile nicht-primärer auditorischer Felder in beiden Hirnhälften zerstört sind. Engelien et al. (2000) haben in einer PET-Studie gezeigt, dass Schallreize in einem solchen Fall nur dann zu einer signifikanten Hirnaktivierung führen, wenn der Patient die Aufmerksamkeit bewusst auf die auditorische Modalität richtet, das heißt, wenn die Schallreize erwartet werden. Unerwartete Schallreize hatten praktisch keinen Einfluss auf die Hirnaktivität. Zu den zentralen Störungen der Schallwahrnehmung gehören auch die bei psychiatrischen Erkrankungen, insbesondere schizophrenen Psychosen, auftretenden akusti-
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Kapitel 16 · Auditorisches System
schen Halluzinationen (die subjektive Wahrnehmung von
Geräuschen oder Stimmen ohne Außenreize). Die existierenden Bildgebungsdaten legen nahe, dass das Erleben verbaler Halluzinationen (Stimmen hören) auf einer anormalen Aktivierung von auf die Verarbeitung akustischer und sprachlicher Information spezialisierten Hirnregionen beruht. Woodruff et al. (1997) haben gezeigt, dass temporale Sprachareale bei verbal halluzinierenden schizophrenen Patienten eine verminderte neurale Antwort auf sprachliche Außenreize zeigen. Das weist darauf hin, dass verbale Halluzinationen und sprachliche Außenreize um gemeinsame neurophysiologische Ressourcen konkurrieren. Dierks et al. (1999) haben beobachtet, dass das Erleben verbaler Halluzinationen bei schizophrenen Patienten mit einer erhöhten Aktivierung im primären Hörkortex verbunden ist. Die Aktivierung während der Halluzinationen war in ihrer räumlichen Ausdehnung und Stärke der durch tatsächliche Schallreize (Sprache und zeitlich invertierte Sprache) hervorgerufenen Aktivierung vergleichbar. Shergill et al. (2000) konnten sogar in subkortikalen Regionen (Thalamus, Colliculus inferior) eine mit der Wahrnehmung verbaler Halluzinationen korrelierte Aktivitätszunahme beobachten.
Zusammenfassung und Ausblick
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Funktionelle Bildgebungsexperimente haben gezeigt, dass der menschliche Hörkortex ähnlich wie der visuelle Kortex in funktionell spezialisierte Teilgebiete untergliedert ist. Während elementare Schalleigenschaften wie Frequenzgehalt und Intensität vor allem im primären Hörkortex abgebildet werden, scheinen die nicht-primären auditorischen Felder überwiegend auf die Verarbeitung der Merkmale komplexer Schallmuster spezialisiert zu sein. Eine hierarchische Gliederung des Hörkortex scheint sich auch in den zeitlichen Antworteigenschaften der verschiedenen auditorischen Areale abzuzeichnen: So erzeugt ein länger andauernder Schallreiz im primären Hörkortex eine anhaltende, wenig adaptierende Aktivierung, während derselbe Schallreiz in nicht-primären Gebieten eine eher transiente, teilweise stark adaptierende Antwort verursacht (Seifritz et al. 2002). Objektbezogene Schallinformationen (z. B. Tonhöhe) werden vom primären Hörkortex scheinbar vor allem zu weiter vorne (anterior) gelegenen Gebieten projiziert (ALA, Planum polare), während richtungs- bzw. raumbezogene Informationen vorwiegend weiter hinten (posterior) gelegenen Gebieten (Planum temporale, Parietalkortex) zugeleitet werden. Eine wichtige, noch ungelöste Frage ist, wie die komplexen Schalleigenschaften (z. B. Tonhöhe, Richtung) in
Bei der Beschreibung verbaler Halluzinationen wird häufig unterschieden, ob die eingebildeten Stimmen außerhalb oder innerhalb des Kopfes wahrgenommen werden. Außerhalb des Kopfes wahrgenommene Halluzinationen werden von den Betroffenen häufig als besonders realistisch empfunden. Über Kopfhörer dargebotene Schallreize werden normalerweise innerhalb des Kopfes wahrgenommen. Ein äußerlicher Klangeindruck kann jedoch auch mit Kopfhörern durch die naturgetreue Simulation von Raumreflexionen sowie die durch Rumpf, Kopf und Außenohr hervorgerufenen akustischen Modifikationen des Schalls erreicht werden. Hunter et al. (2003) haben diese Technik angewendet und gefunden, dass außerhalb des Kopfes wahrgenommene (über Kopfhörer dargebotene) Stimmen im Vergleich zu innerhalb des Kopfes wahrgenommenen Stimmen bei normalen Probanden eine erhöhte Aktivierung im linken Planum temporale hervorrufen. Hunter et al. vermuten daher, dass das linke Planum temporale für die Frage, ob verbale Halluzinationen innerhalb oder außerhalb des Kopfes wahrgenommen werden, eine entscheidende Rolle spielen könnte.
den nicht-primären auditorischen Feldern repräsentiert werden und welche Rolle der Hirnstamm bei der Verarbeitung spielt. Eine naheliegende Vermutung wäre, dass die Tonhöhen- und Richtungsinformation im Hirnstamm in einen der Tonotopie vergleichbaren Ortskode (»Periodotopie«, auditorische Raumkarte) umgewandelt wird. Die Ergebnisse einzelzellphysiologischer Messungen deuten jedoch darauf hin, dass wenigstens die Richtungsinformation im Hörkortex von Säugetieren nicht räumlich, sondern womöglich zeitlich kodiert wird (Furukawa u. Middlebrooks 2002). Es ist zu erwarten, dass das fMRT wegen seiner relativ guten räumlichen und zeitlichen Auflösung und auch wegen der Möglichkeit, den Hirnstamm darzustellen, wichtige Beiträge zu dieser Frage wird leisten können. Eine weitere ungelöste Frage ist, wie die neurale Aktivität im Hörkortex durch kognitive Prozesse (z. B. Aufmerksamkeit, Gedächtnis) beeinflusst wird und durch welche Hirnareale bzw. Nervenverbindungen diese Beeinflussung bewirkt wird. Antworten auf diese Frage versprechen speziell auf die Darstellung funktioneller Integration ausgerichtete Analysemethoden (z. B. effektive Konnektivität; 7 Kap. 22 und 41), die im auditorischen fMRT bisher noch kaum Verwendung gefunden haben (Gonçalves et al. 2001).
263 16.4 · Literatur
16.4
Literatur
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16
17 17
Exekutive Funktionen N.Y. Seiferth, R. Thienel, T. Kircher
17.1
Definition exekutiver Funktionen – 266
17.2
Funktionelle Bildgebung exekutiver Funktionen – 266
17.2.1 17.2.2 17.2.3 17.2.4 17.2.5
Kognitive Flexibilität – 266 Planen und Entscheiden – 269 Inhibition – 272 Monitoring – 274 Arbeitsgedächtnis – 275
17.3
Literatur – 276
266
Kapitel 17 · Exekutive Funktionen
)) Als exekutive Funktionen werden kognitive Prozesse bezeichnet, die zum Erreichen eines definierten Ziels die flexible Koordination mehrerer Subprozesse steuern. Diese höheren kognitiven Leistungen stellen eine sehr heterogene Gruppe von Prozessen dar und werden entsprechend mit unterschiedlichsten Paradigmen untersucht. Exekutive Dysfunktionen sind bei verschiedenen Krankheiten beschrieben worden, die im Allgemeinen auf strukturelle oder funktionelle Pathomechanismen des Frontalkortex – aber auch des Parietal- und Temporalkortex – zurückgeführt werden können. Funktionell bildgebende Verfahren, wie die fMRT, konnten diesen Zusammenhang sowohl für Patienten wie auch für gesunde Probanden nachweisen. Klar umrissene zerebrale Netzwerke für einzelne Teilfunktionen, die der Gruppe der exekutiven Funktionen zugeordnet werden, sind jedoch nach heutigem Erkenntnisstand noch nicht endgültig definiert. Dieses Kapitel soll zunächst eine Beschreibung und Einordnung der einzelnen Teilaspekte exekutiver Funktionen geben. Im Anschluss werden exemplarisch Untersuchungen dargestellt, die verschiedene Komponenten exekutiver Leistungen mit Hilfe der fMRT untersucht haben, und es wird auf die Anwendung dieser Erkenntnisse zur Untersuchung von Patientengruppen eingegangen. Schließlich soll ein kurzer Ausblick auf mögliche zukünftige Entwicklungen dieses Forschungsbereiches gegeben werden.
17.1
Definition exekutiver Funktionen
Lezak (1995) subsummiert unter Exekutivfunktionen solche Operationen, die einer Person erlauben, selbständig und zielstrebig selbstdienliche Aktivitäten und Handlungen auszuführen. Sie umfassen diejenigen Verhaltenskomponenten, die den Ausdruck, die Organisation, die Aufrechterhaltung, die Kontrolle und Modulation von Verhalten ermöglichen. > Definition Unter dem Begriff »exekutive Funktionen« werden kognitive Prozesse subsummiert, die durch die Kontrolle, Steuerung und Koordination verschiedener Subprozesse das Erreichen eines übergeordneten Ziels ermöglichen.
17
Kaum einem Teilbereich kognitiver Funktionen liegt ein vergleichbar heterogenes Konzept zugrunde, wie dem Begriff der exekutiven Funktionen. Häufig werden die exekutiven Funktionen daher auch vereinfachend durch die Auflistung von Beispielen definiert. Aufgeführt werden dabei Planungsprozesse, kognitive Flexibilität, Antizipation, Entscheidungsfindung, Inhibitionsprozesse und kognitive Überwachungstätigkeiten (Monitoring).
Wesentlich ist, dass allen diesen Funktionen die Koordination, Steuerung und Kontrolle verschiedener, fundamentaler kognitiver Prozesse gemeinsam ist. Exekutive Funktionen können somit als integrierende kognitive Metakomponente verstanden werden. Die Kernfunktion exekutiver Prozesse liegt daher in ihrer Beteiligung an der Lösung neuer, bisher unbekannter Probleme und der Modifikation von Verhalten auf Basis veränderter Informationen über die Umwelt. Hinzu kommen die Sequenzierung komplexen Verhaltens und die Entwicklung von zielorientierten Strategien. ! Exekutivfunktionen sind die Voraussetzung dafür, sich rasch und erfolgreich an neuartige, unerwartete Situationen in einer variablen Umwelt anzupassen.
Entsprechend der Heterogenität exekutiver Funktionen kommen verschiedene Tests und experimentelle Paradigmen zum Einsatz, um Teilleistungen exekutiver Funktionen zu erfassen. Die wichtigsten Verfahren, insbesondere für die Durchführung von fMRT-Untersuchungen, werden im Folgenden im Zusammenhang mit der zugrunde liegenden Teilfunktion vorgestellt. Eine Übersicht über Teilfunktionen exekutiver Prozesse, Beispiele für mögliche Testverfahren zur Untersuchung exekutiver Funktionen sowie eine Zuordnung zu den erläuternden Abschnitten gibt . Tab. 17.1.
17.2
Funktionelle Bildgebung exekutiver Funktionen
17.2.1
Kognitive Flexibilität
> Definition Die Fähigkeit zur Variation in Denken und Handeln zur Adaptation an veränderte Umweltbedingungen wird als »kognitive Flexibilität« bezeichnet.
Kognitive Flexibilität beinhaltet die Fähigkeit, Denken und Verhalten zu variieren, um situationsangemessen wahrnehmen, verarbeiten und reagieren zu können. Kognitive Flexibilität ist daher ein zentraler Bestandteil adaptiven menschlichen Verhaltens. Durch Teilprozesse kognitiver Flexibilität, wie der Produktion von Ideen, Handlungsplanung und dem Abwägen von Alternativen, ist der Mensch in der Lage, mit sich verändernden Umständen umzugehen und Langzeitziele zu erreichen. Dabei ist kognitive Flexibilität kein einheitliches Konstrukt, sondern kann nach Eslinger u. Grattan (1993) sowohl kognitiv wie hirnphysiologisch in folgende Komponenten unterteilt werden: 4 Spontane kognitive Flexibilität beinhaltet einen ständigen Ideen- und Antwortfluss, bei dem durch divergentes Denken eine Vielzahl von Antworten generiert werden kann. Spontane kognitive Flexibilität wird bei-
267 17.2 · Funktionelle Bildgebung exekutiver Funktionen
. Tabelle 17.1. Schematische Darstellung exekutiver Teilleistungen mit Verweis auf mögliche Testverfahren und die behandelnden Abschnitte des Kapitels
Teilfunktion (Kapitelabschnitt)
Mögliche Testverfahren
Kognitive Flexibilität (7 Kap. 17.2.1)
Wortflüssigkeitsaufgaben Wisconsin-Card-Sorting-Test (Grant u. Berg 1948)
Planen und Entscheiden (7 Kap. 17.2.2)
Turm von Hanoi (Simon 1975) Tower of London (Shallice 1982)
Inhibition (7 Kap. 17.2.3)
Go-No-go-Aufgaben Stroop-Test (Stroop 1935)
Monitoring (7 Kap. 17.2.4)
Fehlerentdeckungsaufgaben
Arbeitsgedächtnis (zentrale Exekutive; 7 Kap. 17.2.5)
Dual-Task-Aufgaben Task-switching-Aufgaben
spielsweise getestet, indem eine Person eine Vielzahl von Wörtern produzieren muss, die sich hinsichtlich semantischer oder morphologischer Parameter entsprechen (7 unten). Spontane Flexibilität beruht laut Eslinger u. Grattan (1993) auf der Integrität des dorsolateralen präfrontalen Kortex (DLPFC). 4 Reaktive kognitive Flexibilität beinhaltet die Fähigkeit zur Reaktions- und Kognitionsumstellung, wenn es die äußeren Umstände oder der Kontext erfordern. Häufig wird in der angloamerikanischen Fachliteratur synonym der Begriff »set shifting« benutzt, der verdeutlicht, dass der Wechsel von Verhalten bzw. zugrunde liegender Kognition wesentlich ist (7 unten). Nach Eslinger u. Grattan (1993) ist reaktive kognitive Flexibilität hirnphysiologisch von einer intakten Interaktion zwischen dem DLPFC und dem Striatum abhängig. Andere Autoren stellen neokortiko-limbische Interaktionen als Substrat reaktiver kognitiver Flexibilität in den Vordergrund (z. B. Weinberger et al. 1994), während Robbins (1990) sowohl striatale, hippokampale als auch präfrontale Anteile als notwendig erachtet.
Wortflüssigkeit > Definition Unter Wortflüssigkeit versteht man die Generierung von Wörtern nach festgelegten Kriterien innerhalb einer bestimmten Zeit.
Die Wortflüssigkeit ist ein sehr gut untersuchtes neuropsychologisches Testverfahren. Entsprechend häufig kommt es in Verhaltensexperimenten wie auch in fMRT-Untersuchungen zur Anwendung. Bei diesem Testverfahren sollen vom Probanden innerhalb einer vorgegebenen Zeit möglichst viele verschiedene Wörter generiert werden, die z. B. mit einem bestimmten Anfangsbuchstaben beginnen. Ausgenommen sind dabei zumeist Eigennamen und mehrere grammatikalische Modifikationen ein und desselben Wortstamms. Eine Alternative zu dieser lexikalischen Wortflüs-
sigkeit stellt die sog. semantische Wortflüssigkeit dar.
Hierbei besteht die Aufgabe darin, möglichst viele Begriffe einer vorgegebenen semantischen Kategorie zu generieren (z. B. Tiere). Defizite der Wortflüssigkeit werden zumeist im Zusammenhang mit frontal lokalisierten Läsionen oder Dysfunktionen beobachtet, auch in Abwesenheit einer Aphasie oder anderer sprachlicher Einschränkungen. Demzufolge gilt die Wortflüssigkeit als Maß kognitiver Flexibilität und damit exekutiver Funktionen. Notwendige kognitive Leistungen umfassen bei dieser Aufgabe die interne Initiierung der verbalen Reaktion, kognitive Flexibilität und eine relativ ungezwungene strategische Suche im mentalen lexikalischen Gedächtnis (Lurito et al. 2000). Typisch für eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit in diesem Test sind, neben einer geringen Anzahl korrekt generierter Wörter, häufige Perseverationen, d. h. die Wiederholung bereits zuvor genannter Wörter. Bei der Verwendung der Wortflüssigkeit zur Untersuchung exekutiver Funktionen mit Hilfe der fMRT ergibt sich jedoch ein Problem: Das Sprechen des Probanden, d. h. das Nennen der generierten Wörter, führt zwangsläufig zur Bewegung des Kiefers und des Kopfes des Probanden im Kernspintomographen, was Suszeptibilitätsartefakte zur Folge haben kann. Aufgrund der Anfälligkeit der Magnetresonanztomographie für Bewegungsartefakte (7 Kap. 2) ist damit die offene Reaktion des Probanden kritisch zu betrachten. Aus diesem Grund wird im Kontext bildgebender Verfahren die Wortflüssigkeit häufig mit einer sog. verdeckten Reaktion des Probanden durchgeführt. Hierbei werden die Wörter vom Probanden nicht laut ausgesprochen, sondern die stille Generierung eines neuen Wortes durch die Betätigung einer Reaktionstaste angezeigt. Problematisch an dieser Art der Durchführung ist, dass damit kein externes Maß vorliegt, um die tatsächliche Leistung des Probanden zu überprüfen. Für eine sinnvolle Durchführung ist hierbei also die Einhaltung der Instruktionen durch den Probanden notwendige Voraussetzung. Es gibt allerdings einige Lösungsansätze für das Problem der offe-
17
268
Kapitel 17 · Exekutive Funktionen
nen verbalen Reaktion im Kernspintomographen, wie z. B. das kontinuierliche Sprechen über Aktivierungs- und Baseline-Bedingung hinweg (Barch et al. 1999; Kircher et al. 2000; Kircher et al. 2001a). Yetkin et al. (1995) verglichen in einem fMRT-Experiment die kortikalen Aktivierungsmuster bei herkömmlicher Durchführung der Wortflüssigkeit und bei verdeckter Reaktion des Probanden. In dieser Studie zeigten sich bei beiden Varianten der Wortflüssigkeit ähnliche Bereiche des Gehirns aktiviert, im Einzelnen waren dies der inferiore frontale Kortex, das anteriore Cingulum, der sensomotorische Kortex sowie der supplementär-motorische Kortex. Entsprechend der Erwartung waren aber bei offener Reaktion der Probanden mehr Aktivierungen außerhalb des Gehirns und damit Artefakte zu beobachten (. Abb. 17.1). Zudem waren bei der verdeckten Reaktion mehr einzelne Pixel im inferioren Frontalkortex aktiviert, was ggf. auf ein besseres Signal-Rausch-Verhältnis infolge der geringeren Bewegungsartefakte zurückzuführen ist. Dem gegenüber zeigte sich bei der offenen Reaktion der Probanden eine stärkere Aktivierung des sensomotorischen Kortex, was aus der Bewegung der Lippen, der Zunge und der Gesichtsmuskulatur beim Sprechen resultierte. Exekutive Funktionen sind ein theoretisches Konstrukt, bestehend aus diversen Sub- und Teilkomponenten, das immer im Kontext einer Reihe von mehr oder weniger parallel ablaufenden Prozessen zu sehen ist. Beispielsweise ist die Lösung einer Planungsaufgabe selbstverständlich auch von Wahrnehmungs- und Gedächtnisfunktionen abhängig. Entsprechend ist die Frage interessant, auf welchen Anteil der gemessenen Hirnaktivität die eigentliche exekutive Leistung des Gehirns zurückzuführen ist. Insbesondere bei der Untersuchung exekutiver Funktionen ist daher die Wahl einer geeigneten Baseline-Bedingung im fMRT (7 Kap. 6) essenziell. Es ist aber auch möglich, dieser Frage explizit experimentell nachzugehen. So untersuchten etwa Lurito et al. (2000), zu welchen Anteilen die Wortflüssigkeit einerseits exekutive und andererseits sprachliche Funktionen abzubilden vermag. Die Autoren verglichen dazu die kortikale Aktivierung bei einer lexikalischen Wortflüssigkeitsaufgabe mit der Aktivierung
bei Bearbeitung einer Reimaufgabe. Für beide Bedingungen zeigten sich Aktivierungen in Bereichen um die Fissura Sylvii (inferiorer Frontalkortex, posteriorer Teil des superioren Temporalkortex, Gyrus fusiformis), die mit Sprachfunktionen assoziiert sind. Die Bearbeitung der Wortflüssigkeitsaufgabe bedingte allerdings eine stärkere Aktivierung des DLPFC und des anterioren Cingulums als die Reimaufgabe, was für eine stärkere Beteiligung nicht-sprachlicher Komponenten bei der Wortflüssigkeit spricht. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Phelps et al. (1997). In ihrer Studie zeigten sich bei der Wortflüssigkeit im Vergleich zu dem einfachen Nachsprechen von Wörtern der linke Gyrus frontalis inferior und das anteriore Cingulum vermehrt aktiviert. Forschergruppen, die die semantische Wortflüssigkeit zur Untersuchung exekutiver Funktionen verwenden, beschreiben häufig auch eine Beteiligung temporaler Kortexbereiche an der Bearbeitung dieser Aufgabe. Pihlajamaki et al. (2000) etwa berichteten die vermehrte Aktivierung des linken medialen Temporalkortex, im Detail im Bereich der Hippocampus-Formation und des posterioren Gyrus parahippocampalis. Andere Studien mit modifizierten Wortflüssigkeitsparadigmen (Satzergänzung versus Lesen) fanden vermehrte superior temporale Aktivierung für die Wortproduktionsbedingung (Kircher et al. 2001b). Die Autoren interpretieren diese Beobachtungen dahingehend, dass der laterale Temporallappen speziell für den strategischen Wortgenerierungsprozess anhand von Kategorien von Bedeutung zu sein scheint. Diese Annahme stimmt mit Befunden überein, die eine Beeinträchtigung der semantischen Wortflüssigkeit trotz intakten semantischen Wissens bei Patienten mit frontal lokalisierten Hirnläsionen berichten (Sylvester u. Shimamura 2002). Die funktionelle Bildgebung kann die neurobiologischen Grundlagen bekannter exekutiver Defizite bei verschiedenen Patientengruppen aufdecken. So fanden etwa Okada et al. (2003) heraus, dass die geringere Leistungsfähigkeit depressiver Patienten während einer Wortflüssigkeitsaufgabe mit Hypoaktivierungen im linken präfrontalen Kortex und im linken anterioren Cingulum assoziiert sind. Bereits zuvor wurden Auffälligkeiten in diesen Kortexbereichen für depressive Patienten beschrieben, ohne
17
a . Abb. 17.1a, b. Funktionelle Bilder in parasagitaler Ebene durch die linke Hemisphäre eines Probanden während offener (a) und verdeck-
b ter (b) Wortflüssigkeit. Bei der offenen Wortgenerierung waren deutlich mehr Artefakte zu beobachten (Yetkin et al. 1995)
269 17.2 · Funktionelle Bildgebung exekutiver Funktionen
dass jedoch ein direkter Zusammenhang zu einer bestimmten Funktion hergestellt werden konnte. Auch bei schizophrenen Patienten hat sich diese Beziehung zwischen Defiziten bei der Bearbeitung der Wortflüssigkeit einerseits und einer Hypoaktivität im linken präfrontalen Kortex andererseits gezeigt (Curtis et al. 1998). Andere Studien fanden neben den frontalen auch lateral temporale Aktivierungsdifferenzen bei modifizierten Wortflüssigkeitsaufgaben (Lesen versus Satzergänzung; kontinuierliche Sprachproduktion) bei Patienten mit Schizophrenie, die sich zudem bei Patienten mit unterschiedlichen Symptomen deutlich unterschieden (Kircher et al. 2001c; Kircher et al. 2002).
Set shifting > Definition Der Begriff »set shifting« bezeichnet die kognitive Fähigkeit, die Aufmerksamkeit von einem Attribut eines Reizes hin zu einem anderen Attribut zu lenken, d. h. einen Stimulus anhand eines neuen kognitiven Sets zu charakterisieren.
Der Wisconsin-Card-Sorting-Test (WCST; Grant u. Berg 1948) erfasst die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Stimulusattributen flexibel zu wechseln, was in der angloamerikanischen Literatur als »set shifting« bezeichnet wird. Der WCST wird daher häufig als Maß exekutiver Funktionen verwendet. Es handelt sich hierbei um einen Test, der die Sortierung von verschiedenen Karten anhand einer von 3 möglichen Kriterien (Farbe, Form oder Anzahl der abgebildeten Symbole) erfordert. Wesentlich an der Aufgabenstellung des WCST ist, dass das relevante Kriterium zeitweilig ohne Hinweis wechselt (die Versuchsperson kann dies lediglich aus der Rückmeldung indirekt schließen), so dass die Versuchsperson aktiv das zuerst gelernte Ordnungsschema unterdrücken muss, um zum neuen, gültigen Schema zu wechseln. Der Test erfordert somit die flexible Anpassung zuvor etablierter, erfolgreicher Verhaltensmuster an veränderte Bedingungen (. Abb. 17.2). Der WCST ist bisher überwiegend als Stimulationsparadigma in Bildgebungsstudien mit PET oder SPECT ver-
wendet worden, es existieren aber auch einige fMRT-Untersuchungen. Auch hier erwiesen sich der mediale und der dorsolaterale präfrontale Kortex als für die Bearbeitung des WCST relevante Areale (z. B. Volz et al. 1997). Konishi et al. (1999) beschrieben bei Stimulation mit einer Computerversion des WCST eine vermehrte Aktivität im posterioren Teil des Sulcus frontalis inferior, die zudem mit der Aufgabenschwierigkeit anstieg. In einer Folgeuntersuchung widmeten sich Konishi et al. (2002) zudem der Analyse einzelner Subprozesse des WCST. Sie beobachteten in dieser Studie eine funktionelle Lateralisierung im Bereich des lateralen Frontalkortex. Während sich diese Areale bei Wechsel der relevanten Stimulusdimension vermehrt linkshemisphärisch aktiviert zeigten, waren die korrespondierenden rechtshemisphärischen Areale während negativer Rückmeldung aktiv. Demnach scheint der linke Frontalkortex für die Aktualisierung der Stimulusinformationen und der rechte Frontalkortex für die Überprüfung des eigenen Verhaltens bei negativer Rückmeldung ausgerichtet zu sein. Neben Patienten mit frontalen Läsionen zeigen insbesondere Patienten mit Schizophrenie Leistungsdefizite im WCST. Volz et al. (1997) untersuchten schizophrene Patienten im Kernspintomographen bei Bearbeitung des WCST und fanden eine Minderaktivierung im rechten präfrontalen Kortex sowie eine tendenziell vermehrte Aktivität im linken Temporallappen bei den Patienten gegenüber gesunden Kontrollpersonen. Die Autoren regten als Erklärung dieser Befunde an, dass die neurobiologische Grundlage der beschriebenen neuropsychologischen Auffälligkeiten bei schizophrenen Patienten gegebenenfalls nicht in einer primären Dysfunktion des Frontalkortex zu suchen ist. Stattdessen scheine diese vielmehr in einer veränderten funktionellen Konnektivität verschiedener Kortexbereiche einschließlich des Temporalkortex begründet zu sein.
17.2.2
Planen und Entscheiden
Planungsprozesse Die Planungsfähigkeit ist eine der bedeutendsten höheren kognitiven Leistungen des Menschen. Planungsprozesse sind in solchen Situationen erforderlich, in denen ein Ziel nur durch eine Folge von Zwischenschritten erreicht werden kann. Die Koordination verschiedener Subprozesse und Teilschritte ist gleichzeitig Voraussetzung für andere höhere kognitive Leistungen, wie etwa das Problemlösen.
. Abb. 17.2. Exemplarische Darstellung des Wisconsin-Card-SortingTest (WCST; Grant u. Berg 1948). Die Karte mit den 2 roten Kreuzen kann nach dem Kriterium Farbe dem roten Dreieck zugeordnet werden, nach dem Kriterium Anzahl den beiden grünen Sternen oder nach der Kategorie Form den 3 gelben Kreuzen
> Definition Planung meint die Fähigkeit, kognitives Verhalten in Zeit und Raum zielorientiert und nach bestimmten Kriterien zu organisieren.
Köchlin et al. veröffentlichten 1999 eine fMRT-Studie über die neuronalen Korrelate des Problemlösens bzw. komple-
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270
Kapitel 17 · Exekutive Funktionen
xerer Planungsprozesse. Es sollte das Handeln der Versuchspersonen im Hinblick auf ein übergeordnetes Ziel während der Bearbeitung mehrerer Subziele abgebildet werden. Zudem haben die Autoren nach einem Weg gesucht, den interessierenden Problemlöseprozess weitestgehend isoliert zu betrachten, d. h. beteiligte basalere Prozesse zu subtrahieren und so eine Konfundierung zu vermeiden. Zu diesem Zweck modifizierten sie die unterschiedlichen Versuchsbedingungen sowohl hinsichtlich des Grades an Arbeitsgedächtnisbelastung (direkter versus verzögerter Abruf) als auch hinsichtlich der Menge an synchron zu bearbeitenden Aufgaben (Single- versus Dual-Task-Aufgaben) und kombinierten die verschiedenen möglichen Anforderungen. Somit flossen in die verschiedenen Bedin-
. Abb. 17.3. Spezifische Aktivierung (z>4,5, p>0,05, korrigiert) bei gleichzeitiger Bearbeitung einer Arbeitsgedächtnisaufgabe und einer Dual-Task-Anforderung gemittelt über alle Probanden (n=6) in der Studie von Köchlin et al. (1999)
gungen sowohl die Arbeitsgedächtnisleistung als auch die Fähigkeit zur Allokation der Aufmerksamkeit in unterschiedlichem Maß ein. Dabei zeigte sich, dass der frontopolare präfrontale Kortex selektiv aktiviert war (. Abb. 17.3), wenn die Probanden beide Teilaspekte (Arbeitsgedächtnis und DualTask) integrierten, also ein übergeordnetes Ziel behalten mussten, während sie gleichzeitig mehrere Teilziele bearbeiteten. Dieses frontale Areal wurde weder durch die alleinige Arbeitsgedächtnisbedingung noch durch die bloße Dual-Task-Anforderung aktiviert. Die Autoren schlussfolgerten, dass der frontopolare präfrontale Kortex demnach für komplexere Planungs- und Problemlöseprozesse von besonderer Bedeutung ist. Bei der Untersuchung gesunder Probanden mittels fMRT konnten verschiedene Studien zeigen, dass insbesondere der dorsolaterale präfrontale und parietale Kortex mit Planungsfunktionen assoziiert zu sein scheint (Newman et al. 2003; Schall et al. 2003; Rasser et al. 2005). Die »Tower of London«-Aufgabe (ToL; Shallice 1982), eine Adaptation des »Turm von Hanoi« (Simon 1975), wird als ein Verfahren zur Untersuchung der Planungsfähigkeit beschrieben. In der Originalversion muss die Versuchsperson unterschiedlich farbige Holzkugeln in der geringst möglichen Anzahl von Zügen rearrangieren, um eine vorgegebene Zielkonfiguration herzustellen. Vorausplanung und die Entwicklung und Nutzung von Problemlösestrategien sind kognitive Subfunktionen, die zur Lösung des Tests notwendig sind. Vor allem das frontal mediierte visuell-räumliche Arbeitsgedächtnis scheint bei der Bearbeitung der Aufgabe erfasst zu werden. In fMRT-Studien wird der Test in com-
17
. Abb. 17.4. Beispiel einer ToL-Sequenz, wie sie im Scanner dargeboten wurde. Die gelben Beschriftungen dienen hier nur der Verdeutlichung und wurden im Versuch nicht präsentiert. Jede Sequenz bestand aus 4 Kein-Zug- und 3 aktiven Bedingungen mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad (hier: 1-, 3- und 5-Zug-Problem). In der 30 s
andauernden Präsentationsphase kalkulierte die Versuchsperson leise, mit welcher minimalen Anzahl an Zügen das jeweilige Problem zu lösen ist. In der anschließenden Sekunde gab sie verbal ihre Lösung an (Schall et al. 2003)
17
271 17.2 · Funktionelle Bildgebung exekutiver Funktionen
puterisierter Form vorgegeben (. Abb. 17.4). Die Versuchsperson hat hierbei die Aufgabe anzugeben, in welcher minimalen Anzahl an Zügen aus der Ausgangskonfiguration (unterer Monitorbereich) die Zielkonfiguration (oberer Monitorbereich) herzustellen ist. In der kombinierten Positronenemissionstomographie und fMRT-Studie von Schall et al. (2003) zeigte sich bei Gesunden eine links dorsolateral präfrontale und zerebelläre Aktivierung, die zudem schwierigkeitsgradabhängig war (Zugprobleme mit 1–5 Zügen). Weiterhin beschrieben Newman et al. (2003) eine erhöhte Aktivierung des rechten superioren Parietalkortex, die ebenfalls mit der Aufgabenschwierigkeit korreliert war. Auch hirnstrukturell fanden sich mit Hilfe eines neuen dreidimensionalen sog. »Cortical-pattern-matching«-Verfahrens Entsprechungen zu den funktionell erhobenen Daten. Rasser et al. (2005) konnten so zeigen, dass bei Patienten . Abb. 17.5a–c. a Vergleich der grauen Substanz zwischen Patienten und Kontrollen. Positive Werte indizieren erhöhte, negative Werte verminderte graue Substanz bei den Patienten. b Schwierigkeitsgradabhängige BOLD-Antwort in beiden Gruppen, mit positiver BOLD-Antwort in präfrontalen und negativer Antwort in temporalen Arealen. c Korrelation der funktionellen Aktivierung mit der kortikalen Dicke. Zusammenhang zwischen reduzierter BOLD-Antwort und kortikaler Dicke links präfrontal, rechts orbitofrontal, rechts superior temporal und bilateral parietal über die Gruppen hinweg (Rasser et al. 2005)
a
mit Schizophrenie die oben bereits erwähnten präfrontalen Areale bei der Bearbeitung des Tests minderaktiviert waren und die Lokalisation des funktionellen Defizits mit dem hier im Vergleich zur gesunden Kontrollstichprobe verminderten Volumen an grauer Hirnsubstanz korrelierte (. Abb. 17.5). Eingeschränkte Planungsfunktionen bei der Bearbeitung solcher Aufgaben lassen sich aber nicht nur für psychiatrische Störungsbilder wie Schizophrenie, sondern auch für neurologische Krankheiten, z. B. Parkinson, nachweisen (Hodgson et al. 2002).
Entscheidungsfindung > Definition Kognitive Prozesse, die der Auswahl einer angemessenen Reaktion aus verschiedenen Handlungsalternativen dienen, werden als »Entscheidungsfindung« bezeichnet. b
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272
Kapitel 17 · Exekutive Funktionen
Entscheidungsfindung ist ein komplexer zerebraler Prozess, der erforderlich wird, sobald Uneindeutigkeit über die erforderliche Reaktion vorliegt. Dies umfasst sowohl emotionale wie kognitive Komponenten und erfordert die systematische Prüfung möglicher Handlungsalternativen und damit die Entwicklung einer Strategie. Zudem ist die Beachtung möglicher Vorerfahrungen mit den verschiedenen Handlungsalternativen nötig, um eine optimale Strategie zur Entscheidungsfindung zu gewährleisten. In einer fMRT-Untersuchung von Paulus et al. (2002) zeigten sich bei Bearbeitung einer Wahl-Reaktions-Aufgabe vermehrte Aktivierungen im rechten dorsolateralen und inferioren präfrontalen Kortex sowie im Precuneus. Zudem betrachteten sie den Einfluss der Fehlerrate und des Grades an Vorhersagbarkeit der korrekten Reaktion auf das kortikale Aktivierungsmuster. Bei hohen Fehlerraten fanden sich prämotorische und parahippokampale Areale aktiviert, bei geringen Fehlerraten hingegen parietale und zinguläre Kortexbereiche. Diese Befunde sprechen dafür, dass die Erfahrung, die eine Entscheidung mit sich bringt, das kortikale Aktivierungsmuster bei nachfolgenden Entscheidungsfindungsprozessen merklich beeinflusst.
17.2.3
Inhibition
> Definition Als Inhibition bezeichnet man kognitive Prozesse, die der Unterdrückung einer bestimmten Handlungstendenz und damit einer bereits initiierten Reaktion dienen. Inhibitorische Kontrollprozesse sind daher kritische Komponenten jeglicher Reaktionen, die eine präzise und fehlerfreie Leistung zum Ziel haben.
Inhibition (Synonym: Reaktionsunterdrückung) kann mit Hilfe verschiedener Aufgaben untersucht werden. In diesem Zusammenhang häufig verwendete Paradigmen sind sog. Go-No-go-Aufgaben. Diesen ist gemeinsam, dass ein bestimmter Reiz wiederholt präsentiert wird, auf den der Proband jeweils reagieren soll. Diese Folge wird allerdings von andersartigen Stimuli unterbrochen, auf die keine Reaktion erfolgen soll, die Reaktionstendenz bei Erscheinen eines Reizes in diesen Durchgängen also unterdrückt wer-
den muss. Konishi et al. (1999) lokalisierte das neuronale Korrelat der Inhibition von Reaktionstendenzen im posterioren Bereich des rechten Sulcus frontalis superior. Auch andere Arbeitsgruppen konnten die Beteiligung des präfrontalen Kortex an der Inhibition einer Reaktion bestätigen (Liddle et al. 2001). Zusätzlich zur Lokalisation der eigentlichen Inhibitionsleistung haben sich einige Arbeitsgruppen der Analyse der Gehirnaktivität bei Fehlleistungen dieser exekutiven Funktion, d. h. bei mangelnder Unterdrückung einer Reaktion, gewidmet. Diese Fragestellung ist insbesondere im Hinblick auf solche Patientengruppen interessant, die hier Defizite aufweisen. Menon et al. (2001) etwa berichteten, dass die an einer erfolgreichen Reaktionsinhibition beteiligten Hirnregionen und solche bei fälschlichen Reaktionen der Probanden aktivierten Areale nur teilweise überlappend sind. In dieser Studie zeigten sich speziell bei misslungener Reaktionsinhibition das rechte anteriore und linke posteriore Cingulum, der linke Precuneus und bilateral die anteriore Insula vermehrt aktiviert. Zu ähnlichen Ergebnissen bei Verarbeitungen von Fehlern kamen Garavan et al. (2002), die Aktivierungen insbesondere im anterioren Cingulum und im präsupplementär-motorischen Kortex beobachteten. Neben Go-No-go-Aufgaben ist auch der Stroop-Test (Stroop 1935) ein häufig angewandtes Verfahren zur Untersuchung von Inhibitionsprozessen. Bei diesem Test wird eine kognitive Interferenz erzeugt, indem der Versuchsperson farblich inkongruent dargestellte Farbwörter vorgelegt werden, deren Druckfarbe benannt werden soll (. Abb. 17.6). Der Interferenzeffekt zeigt sich dabei äußerst robust in einem Anstieg der benötigten Reaktionszeit gegenüber einer einfachen Lese- oder Farbbenennungsaufgabe. Exekutive Kontrolle ist zur Bearbeitung dieser Aufgabe erforderlich, da der erzeugte Konflikt zur Ausführung der korrekten Reaktion im Vorfeld erkannt und gelöst werden muss. Der Stroop-Test wird weitverbreitet als Index selektiver Aufmerksamkeit und exekutiver Kontrolle verwendet, da diese Aufgabe die Fähigkeit erfordert, eine stark überlernte und automatisierte Reaktion (Lesen des Wortes) zugunsten einer eher willentlichen Reaktion (Benennung der Farbe des Wortes) aktiv zu unterdrücken.
17
. Abb. 17.6. Der Stroop-Test (Stroop 1935) und seine verschiedenen Bedingungen
273 17.2 · Funktionelle Bildgebung exekutiver Funktionen
Exkurs Die in diesem Kapitel hauptsächlich beschriebene Forschungsstrategie, nämlich der Versuch, kognitionspsychologische Konstrukte mit lokalen Hirnfunktionen zu korrelieren, birgt inhärente methodologische Probleme. Es handelt sich um mindestens 2 Ebenen der Beschreibung, wobei nicht klar ist, bis zu welchem Grad sich diese zur Deckung bringen lassen. Kognitionspsychologische Konstrukte, wie die Exekutivfunktionen, sind abstrakte Modellvorstellungen, die aus Daten von Reaktionszeitexperimenten entwickelt wurden. Ob und inwieweit sich diese Modelle mit umschriebenen Hirnfunktionen oder Netzwerken in Verbindung bringen lassen, ist zurzeit Gegenstand der Forschung, was eine ständige Wandlung der Konzepte und naturgemäß ebenso Unsicherheit bei der Interpretation der Daten beinhaltet. Die Schwierigkeit, kognitive Konzepte und neurophysiologische Daten zur Deckung zu bringen, sei am Beispiel der Verarbeitung interferierender Reize erläutert: Die klassische Variante des Stroop-Tests, wie sie oben erläutert ist, wurde bisher in einigen wenigen fMRT-Untersuchungen verwendet (z. B. Gruber et al. 2002). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich in diesen Studien gezeigt hat, dass die Verarbeitung der im Stroop-Test induzierten Interferenz eine Funktion des anterioren Gyrus cinguli zu sein scheint. Der Stroop-Test ist daraufhin in weiteren fMRT-Untersuchungen in verschiedenen modifizierten Versionen verwendet worden, mit dem Ziel, verschiedene Subregionen des anterioren Cingulums zu differenzieren. Dazu gehört etwa eine Version des Stroop-Tests, die ohne das Sprechen des Probanden zu bearbeiten ist, was die Qualität der fMRT-Daten erheblich verbessert (Bush et al. 1998). Um zu überprüfen, ob der anteriore zinguläre Kortex das tatsächliche neuronale Korrelat der Interferenzverarbeitung darstellt, führten Zysset et al. (2001) eine Untersuchung mit einer modifizierten Stroop-Aufgabe durch. Der Stroop-Test war dabei
Neben den klassischerweise verwendeten Paradigmen, wie der Stroop-Aufgabe, existieren auch andere Ansätze auf dem Gebiet der Reaktionsinhibition. So verwendeten Brass et al. (2001) ein sehr einfaches Paradigma zur Untersuchung von Inhibitionsprozessen, das ebenfalls von der notwendigen Hemmung einer gelernten Handlungstendenz, nämlich der Imitation einer wahrgenommenen Bewegung, ausgeht. Die Autoren benutzten in ihrem Experiment 2 verschiedene Bedingungen. Den Probanden wurden Videosequenzen gezeigt, auf denen jeweils eine von 2 verschiedenen Fingerbewegungen zu sehen war (. Abb. 17.7). Aufgabe des Probanden war es in der einen Bedingung, diese Fingerbewegung nach Präsentation der Videosequenz zu imitieren; in der anderen Bedingung sollte darauf folgend eine andere, nicht-imitative Bewegung ausge-
dahingehend verändert, dass eine verbale Reaktion der Probanden unnötig war. In dieser Studie ergab sich überraschenderweise keinerlei Aktivierungsanstieg im anterioren Cingulum. Die Autoren schlussfolgerten, dass das anteriore Cingulum nicht für die eigentliche Interferenz relevant ist, sondern eher in motorische Präparationsprozesse involviert ist. Problematisch ist jedoch, dass bei der modifizierten Aufgabe, wie sie von Zysset et al. verwendet wurde, unter Umständen auch ein distinkter kognitiver Prozess zugrunde liegend ist. Aufgabe war es nämlich, ein nicht-farbliches Farbwort mit der Druckfarbe eines anderen Farbwortes zu vergleichen. Hier ist es beispielsweise denkbar, dass die Aufgabe durch die zwingende Fokussierung auf das Lesen des nicht-farblichen Wortes erleichtert wurde, so dass es nicht zur charakteristischen Interferenz auf kognitiver Ebene kam. Peterson et al. (2002) haben zur gleichen Problematik wie Zysset et al. eine Studie durchgeführt, die zu entgegengesetzten Ergebnissen führte. Beim Vergleich der Gehirnaktivität gesunder Probanden während der Stroop-Aufgabe und einer ähnlichen, sog. Simon-Aufgabe, ergaben sich für beide Interferenzaufgaben ähnliche kortikale Aktivierungsmuster, die das anteriore Cingulum einschlossen. Die verwendete Simon-Aufgabe erzeugte dabei eine Interferenz visuell-räumlicher Informationen und war wie die modifizierte Stroop-Aufgabe von Zysset et al. ohne die verbal-motorische Reaktion des Probanden zu bearbeiten. Dieser Befund widerspricht also der Interpretation von Zysset et al., dass die mehrfach beschriebene Aktivität des anterioren Cingulums von der Vorbereitung einer verbalmotorischen Reaktion abhängt. Diese Erläuterungen zeigen auf, dass auch die funktionelle Bildgebung zur Untersuchung exekutiver Funktionen von der Schwierigkeit betroffen ist, die Komplexität zerebraler Prozesse mit Hilfe eher uneindeutiger Konstrukte verstehen und erklären zu wollen.
führt werden. Nach Kontrastierung der Aktivierungsmuster zeigte sich bei notwendiger Unterdrückung der Imitationstendenz eine vorherrschende Aktivierung im Gyrus frontalis medialis. Dieser Kortexbereich wurde zuvor mit Monitoringprozessen in Verbindung gebracht (Petrides u. Pandya 1999). Daneben zeigte sich in dieser Studie, dass auch rechtsseitig der frontopolare Kortex und der anteriore Parietalkortex sowie der Precuneus an der Hemmung der Imitation einer präsentierten Bewegung beteiligt sind. Die Lokalisation relevanter Strukturen scheint also in diesem Fall über den Frontalkortex hinauszugehen. Die alltägliche Bedeutung inhibitorischer Prozesse und der Fähigkeit, unerwünschte Reaktionen zu unterdrücken, wird bei Patienten mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperak-
17
274
Kapitel 17 · Exekutive Funktionen
. Abb. 17.7. Bildsequenz, die in der Studie von Brass et al. (2001) als Stimulusmaterial verwendet wurde. Von einer neutralen Ausgangsposition aus (links) sollte der Finger entweder kongruent oder inkongruent mit dem Video gehoben bzw. gesenkt werden
tivitäts-Syndrom deutlich. Bei diesen zumeist sehr jungen Patienten äußert sich eine defizitäre inhibitorische Kontrolle sowohl motorischer Impulse als auch irrelevanter Reize in vermehrter Impulsivität, Unruhe und Unaufmerksamkeit bzw. mangelhafter Konzentrationsfähigkeit. Casey et al. (1997) haben Kinder mit dieser Störung im MRT bei Bearbeitung verschiedener Inhibitionsparadigmen untersucht und festgestellt, dass eine verminderte Leistungsfähigkeit bei den Patienten mit strukturellen Auffälligkeiten in frontalen und striatalen Regionen insbesondere der rechten Hemisphäre korrelierte. Dies unterstützt die Annahme, dass für das Krankheitsbild des AufmerksamkeitsdefizitHyperaktivitäts-Syndroms rechtshemisphärische frontostriatale Schleifen eine besondere Rolle spielen.
17.2.4
Monitoring
> Definition Unter Monitoring versteht man eine kognitive Kontrollfunktion, die die ständige Evaluierung der eigenen Leistung gestattet und so die flexible und nahtlose Anpassung des Verhaltens an die sich permanent verändernde Umwelt erlaubt.
17
Die Fähigkeit, die eigene kognitive Leistung und das eigene Verhalten zu verfolgen, hinsichtlich seiner Effektivität einzuschätzen und unter Umständen zu korrigieren, ist eine wichtige Leistung zur Evaluation des eigenen Verhaltens und zur Anpassung an die Umwelt. Es erfordert eine interne Überwachung der eigenen Reaktionen, gegebenenfalls die Erkennung der Reaktion als fehlerhaft und die resultierende Korrektur des Verhaltens. Diese kognitive Funktion wird daher auch als »Monitoring« bezeichnet. Sie kann beispielsweise mit Hilfe von kognitiven Aufgaben untersucht werden, die neben der eigentlichen Aufgabe von der Person zusätzlich die Entdeckung und Korrektur von fehlerhaften Reaktionen erfordern (Fehlerentdeckungsaufgaben). Das Monitoring der eigenen Leistung und die damit verbundene Fähigkeit zur Fehlerdetektion ist eine exekutive Teilleistung, die sich bei Patienten mit Schizophrenie häufig beeinträchtigt zeigt.
Laurens et al. (2003) etwa untersuchten die Gehirnaktivität bei fehlerhaften Leistungen in einer Go-No-go-Aufgabe bei schizophrenen Patienten mittels fMRT. Die Verhaltensdefizite schizophrener Patienten bei erforderlichem Monitoring spiegelten sich in dieser Studie in einer Verschiebung kortikaler Aktivierungsmuster wieder. Während die Patienten gegenüber Gesunden im Bereich des rostralen anterioren Cingulums sowie in limbischen Regionen hypoaktiviert waren, zeigten sich im Parietalkortex bei den Patienten Hyperaktivierungen. Aufgrund der Bedeutung der hier hypoaktivierten Strukturen für emotionale und motivationale Prozesse schlussfolgerten die Autoren, dass die beobachteten Verhaltensdefizite schizophrener Patienten unter Umständen durch eine veränderte interne Reaktion auf eine erfolgte Fehlreaktion zu erklären sind. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Carter et al. (2001). Sie konnten mittels fMRT bei gesunden Personen eine fehlerkorrelierte Aktivierung des anterioren zingulären Kortex bei Überwachung der eigenen Leistung in einem Aufmerksamkeitstest nachweisen. Dieser Zusammenhang ließ sich jedoch nicht für die schizophrenen Patienten beobachten. Zudem zeigten die Patienten eine schlechte Korrektur ihres Verhaltens nach falschen Alarmen. Diese Ergebnisse sprechen daher ebenfalls für eine Störung der internen Überwachungsfunktionen bei schizophrenen Patienten, die mit einer Dysfunktion des anterioren Cingulums einhergeht. Nicht nur bei abstrakten kognitiven Aktivierungsaufgaben sind Monitoringprozesse involviert, sondern ständig auch während der Produktion von Sprache. Über einen »internal error detection loop« (Levelt 1989) werden präartikulatorisch Sprachfehler erkannt und korrigiert, ein Prozess der während kurzer Sprachhäsitationen stattfindet und mit dem linken posterioren Gyrus temporalis superior assoziiert ist (Kircher et al. 2004). Angrenzend an das Konzept der Monitoringfunktion ist für die Symptomentstehung bei Schizophrenie besonders das Konzept des »Self-Monitoring« bedeutsam (Jeannerod et al. 2003). Gestörte Efferenzkopiemechanismen liegen zum Teil Symptomen wie akustischen Halluzinationen, formalen Denkstörungen und Ich-Störungen zugrunde und wurden dementsprechend mit unterschiedlichen Strukturen in Zusammenhang gebracht (Kircher et al. 2003).
275 17.2 · Funktionelle Bildgebung exekutiver Funktionen
17.2.5
Arbeitsgedächtnis
Der Begriff des Arbeitsgedächtnisses geht ursprünglich auf eine Arbeit von Baddeley u. Hitch (1974) zurück. Der wesentliche Aspekt dieses Konzeptes ist, dass jegliche Informationen, die zur zielgerichteten Ausführung einer Aufgabe notwendig sind, kurzzeitig aktiv gespeichert und entsprechend der Aufgabe bearbeitet werden müssen. Baddeleys Konzept beinhaltet eine verbale (»phonological loop«) und eine visuell-räumliche Untereinheit (»visuo-spacial skatchpad«), die der sog. »zentralen Exekutive« untergeordnet sind. ! Die zentrale Exekutive hat die Funktion, die verfügbaren Aufmerksamkeitsressourcen adäquat auf die beiden Untereinheiten zu verteilen. Daher kann dieser Teilaspekt des Arbeitsgedächtnisses nach Baddeley auch der Gruppe der exekutiven Funktionen zugeordnet werden.
Im Folgenden soll nicht auf die funktionelle Bildgebung des Arbeitsgedächtnisses im Allgemeinen eingegangen werden (7 Kap. 19), sondern insbesondere der exekutive Teilaspekt des Arbeitsgedächtnisses sowie die Überschneidung mit anderen exekutiven Funktionen erläutert werden. Die zentrale Exekutive des Arbeitsgedächtnisses wird häufig mit Hilfe sog. »Dual-Task-Aufgaben« untersucht. Bei solchen Paradigmen muss die Versuchsperson 2 verschiedene Aufgaben gleichzeitig bearbeiten, die zudem häufig unterschiedliche Modalitäten oder kognitive Prozesse einschließen. In fMRT-Untersuchungen wird dabei das kortikale Aktivierungsmuster bei Bearbeitung dieser 2 Aufgaben mit der Aktivierung bei Bearbeitung nur einer Aufgabe verglichen. D’Esposito et al. (1995) untersuchten erstmalig die Gehirnaktivität bei Koordination zweier konkurrierender Aufgaben im fMRT. Sie beschrieben in der Dual-Task-Bedingung eine additive Aktivität im DLPFC und im anterioren Cingulum, die nicht mit der Aufgabenschwierigkeit assoziiert war. Diese Befunde sprechen für eine Beteiligung des präfrontalen Kortex an der Allokation und Koordination von Aufmerksamkeitsressourcen. Konsistent mit diesen Befunden fanden Szameitat et al. (2002) eine spezifische Aktivierung im Bereich des Sulcus frontalis inferior, des Gyrus frontalis medialis und des Sulcus intraparietalis bei Bearbeitung einer Dual-Task-Aufgabe. Andere Arbeitsgruppen kamen hingegen zu dem Ergebnis, dass das zentrale exekutive System keiner Struktur im Gehirn zuzuordnen ist, die für diese Funktion spezifisch ist (z. B. Adcock et al. 2000). Die Fähigkeit, zwischen verschiedenen konkurrierenden Aufgaben zu wechseln, was in der englischsprachigen Literatur als »task switching« bezeichnet wird, erfordert ähnlich der zentralen Exekutive des Arbeitsgedächtnisses die Verteilung bzw. Verlagerung kognitiver Ressourcen. Diese Fähigkeit wird dann benötigt, wenn entweder 2 Auf-
gaben gleichzeitig (wie bei Dual-Task-Aufgaben) oder in raschem Wechsel zu bearbeiten sind, so dass ein Konflikt zwischen den beiden Bearbeitungszielen entsteht. Dabei nimmt die Leistung einer Person im Vergleich zur separaten Bearbeitung der Aufgaben ab, was als Kosten der erforderlichen exekutiven Prozesse bei Aufgabenwechsel verstanden wird. Verschiedene fMRT-Untersuchungen konnten zeigen, dass bei dem Wechsel zwischen verschiedenen Aufgaben tatsächlich mediale und dorsolaterale Teile des Präfrontalkortex ihre Aktivität erhöhen (z. B. Sylvester et al. 2003). Gurd et al. (2002) berichten hingegen von einer Studie, in der sie die Versuchspersonen zwischen 2 Wortflüssigkeitsaufgaben mit unterschiedlichen semantischen Kategorien mehrfach wechseln ließen. Zusätzlich waren die gefragten Kategorien unterschiedlich gut gelernt (Früchte versus Tage der Woche). In dieser Studie ergab sich beim Vergleich der kortikalen Aktivierungsmuster bei mehrfachem Wechsel der Kategorie gegenüber der Wortflüssigkeit ohne erforderlichen Aufgabenwechsel eine vermehrte Aktivierung des superioren posterioren Partietalkortex. Signifikante Aktivierungen in frontalen Bereichen (anteriores Cingulum, Gyrus frontalis medialis, frontales Operculum, linker Gyrus frontalis inferior) und im Bereich des Zerebellums (Vermis) beschrieben die Autoren für den Vergleich der unterschiedlich gut gelernten Kategorien. Diese Ergebnisse machen deutlich, dass auch parietale Kortexbereiche für das Verständnis exekutiver Funktionen eine Rolle spielen, exekutive Funktionen daher auch nicht mit frontalen Funktionen gleichzusetzen sind. Zudem wurde bisher angenommen, dass der parietale Kortex vorwiegend für die Allokation von Aufmerksamkeit hinsichtlich räumlicher und visueller Stimuli von Bedeutung ist. Die Funktion des parietalen Kortex scheint daher um die Verschiebung des internen Aufmerksamkeitsfokus, wie in dieser Wortflüssigkeitsaufgabe, erweitert werden zu müssen.
Zusammenfassung und Ausblick Exekutive Funktionen sind kognitive Leistungen, die die Koordination, Steuerung und Kontrolle untergeordneter Denkprozesse ermöglichen. Zu den exekutiven Funktionen werden daher verschiedene Teilleistungen gezählt, etwa kognitive Flexibilität, Planungs- und Entscheidungsprozesse, Inhibition sowie Monitoring. Insgesamt gesehen sind die sicheren Erkenntnisse, die man über die neuronalen Korrelate dieser Funktionen bisher gewonnen hat, noch recht lückenhaft. Bedeutsamste Hirnstruktur für alle diese Teilleistungen ist der präfrontale Kortex, insbesondere der dorsolaterale Teil. Häufig findet sich in bildgebenden Untersuchungen aber auch eine Beteiligung des anterioren Cingulums, vor allem bei der Verarbeitung von fehlerhaften Reak6
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Kapitel 17 · Exekutive Funktionen
tionen, sowie von Arealen im Parietal- und Temporalkortex. Eine genauere Zuordnung exekutiver Funktionen zu einem neuroanatomischen Korrelat erfordert allerdings die Konkretisierung der eigentlichen Teilleistung und eine Modifikation bestehender Konzepte. Die Möglichkeit, mit Hilfe der funktionellen Kernspintomographie die Aktivität des Gehirns nicht invasiv und in vivo zu erfassen, hat zu einem geradezu sprungartig zunehmenden Interesse an den neuronalen Mechanismen von menschlicher Kognition und Verhalten geführt. Insbesondere lässt sich durch diese Methode eine genauere Vorstellung von der Organisation höherer mentaler Prozesse wie den exekutiven Funktionen entwickeln. Trotzdem offenbaren sich gerade in diesem Bereich deutlich die Probleme, die die kognitiv neurowissenschaftliche Forschung in den nächsten Jahren zu überwinden suchen muss. Dies erfordert 5 die exakte Definition und Untersuchung von Subprozessen der exekutiven Leistungen durch klug gewählte Paradigmen. 5 laufende Neuentwicklung von Modellen und Konzepten auf den beiden Untersuchungsebenen »kognitive Prozesse« und »Hirnphysiologie« sowie den Versuch deren Integration. Es liegen bisher wenige Modelle über die Funktionsweise des Gehirns hinsichtlich der verschiedenen exekutiven Prozesse und hinsichtlich des Zusammenspiels dieser Funktionen sowohl untereinander als auch mit anderen zerebralen Prozessen vor. Um dieses schwierige, aber faszinierende Teilgebiet menschlicher Kognition besser verstehen und erklären zu können, müssen daher auf Basis der bisherigen Erkenntnisse genauere Theorien über die Organisation exekutiver Funktionen entwickelt werden, die dann anhand bildgebender Untersuchungen zu überprüfen sind. Ein besseres Verständnis exekutiver Prozesse bei neuropsychologisch gesunden Personen erlaubt in Zukunft dann auch die zunehmende Anwendung dieser Erkenntnisse auf die Untersuchung exekutiver Dysfunktionen bei neurologischen und psychiatrischen Patienten, für welche die Forschung hier noch am Anfang steht.
17 17.3
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18.1
Funktionelle Gliederung des somatosensorischen Kortex – 280
18.1.1 18.1.2 18.1.3
Unimodaler somatosensorischer Kortex – 281 Sekundärer somatosensorischer Kortex – 284 Posteriorer parietaler Kortex – 289
18.2
Somatotopie im somatosensorischen System und fMRT – 291
18.3
Läsionen und funktionelle Störungen – 292
18.3.1 18.3.2
Anteriorer parietaler Kortex – 292 Posteriorer parietaler Kortex – 292
18.4
Literatur – 295
280
Kapitel 18 · Somatosensorisches System
)) Das somatosensorische System verarbeitet Informationen aus Haut-, Gelenk-, und Muskelrezeptoren und dient damit primär der Wahrnehmung sensorischer Qualitäten wie Druck, Berührung, Schmerz und Temperatur. Die Integrität dieses Systems ist eine notwendige Voraussetzung für das Verarbeiten komplexer Stimuli, z. B. für das Erkennen dreidimensionaler Strukturen und Objekte (Stereognosie). Weiterhin spielt der somatosensorische Kortex eine fundamentale Rolle bei der Erfassung von Bewegungsinformation (Kinästhesie) und der Wahrnehmung der Arm- und Handposition im Raum (Propriozeption). Daher besitzt das somatosensorische System vor allem mit dem motorischen System enge anatomische und funktionelle Verflechtungen. Funktionell fasst man beide Systeme auch als »sensomotorisches System« zusammen. In diesem Kapitel sollen vor allem fMRT-Studien zur kortikalen Domäne im Vordergrund stehen, insbesondere zur Somatotopie und zur taktilen Verarbeitung von einfachen und komplexen taktilen Stimuli (für einen Überblick über die subkortikalen und peripheren Strukturen der Somatosensorik sei auf 7 Kap. 1.3.4 verwiesen). Diese werden vor dem Hintergrund tierexperimenteller Daten diskutiert; insbesondere Rhesusaffen (Macaca mulatta) haben sich beim Menschen für das sensomotorische System als gutes 6
a
18
. Abb. 18.1a, b. Somatosensorische Regionen im Cortex cerebri. a Funktionell lassen sich 3 Regionen definieren, in denen somatosensorische Information verarbeitet wird: der unimodale somatosensorische Kortex (SI, blau), der sekundär-somatosensorische Kortex (SII, grün) und die posterior-parietalen Rindenfelder (PPC, violett), die sich – getrennt durch den Sulcus intraparietalis (ips) – auf dem Lobulus parietalis superior (SPL) und Lobulus parietalis inferior (IPL) befinden. Der größte Teil von SII liegt in der Tiefe des Sulcus lateralis und ist daher auf der dargestellten 3D-Rekonstruktion nicht sichtbar. Im PPC sind es vor allem die rostralen Anteile, die in somatosensorische Ver-
Tiermodell bewährt, da viele In-vivo-Experimente (z. B. direkte intrakortikale Ableitung von Neuronen, während die Tiere bestimmte Aufgaben verrichten; gezielte Läsionen und deren Auswirkungen auf Verhalten etc.) aus technischen und ethischen Gründen beim Menschen nicht durchzuführen sind.
Funktionelle Gliederung des somatosensorischen Kortex
18.1
Anatomisch-funktionell können die kortikalen Anteile des somatosensorischen Systems in 3 Regionen untergliedert werden (. Abb. 18.1a): 4 Der Gyrus postcentralis im anterioren Teil des Parietallappens (APL) enthält die Rindenfelder des unimodalen somatosensorischen Kortex (ältere Bezeichnung: primär-somatosensorischer Kortex, SI). 4 Der sekundär-somatosensorische Kortex (SII) befindet sich im parietalen Operculum auf der oberen Wand der Fissura lateralis Sylvii. 4 In der Region posterior zum Sulcus postcentralis (posteriorer parietaler Kortex, PPC) werden somatosensorische Stimuli auf höchster Stufe verarbeitet und mit Informationen aus anderen sensorischen Systemen (visuell, akustisch, vestibulär) vereinigt (polymodaler Assoziationskortex).
b
arbeitung involviert sind, wohingegen die kaudalen Bereiche eher visuell dominiert sind. b Die 4 Areale des SI-Kortex, wie hier an einem histologischen Präparat gezeigt, liegen in rostrokaudaler Abfolge auf dem Gyrus postcentralis (pog). Die vordere Grenze zum motorischen Kortex (Area 4p) wird grob durch den Fundus des Sulcus centralis (cs), die hintere Grenze zum PPC durch den Sulcus postcentralis (pos) markiert. Die exakte Position der Grenzen kann aber nur durch histologische Analysen erfolgen und ist nicht über MR-tomographische oder anatomische Landmarken bestimmbar
281 18.1 · Funktionelle Gliederung des somatosensorischen Kortex
> Definition
! Area 3b ist das somatosensorische Primärareal.
Das somatosensorische System besteht im Wesentlichen aus dem unimodalen somatosensorischen Kortex (SI), dem sekundär-somatosensorischen Kortex (SII) und den posterior-parietalen Rindenfeldern (PPC).
18.1.1
Area 3a. Area 3a liegt am Grund des Sulcus centralis zwi-
Unimodaler somatosensorischer Kortex
Der Gyrus postcentralis liegt zwischen dem Sulcus centralis und dem Sulcus postcentralis (. Abb. 18.1a; 7 Kap. 1.3.4, . Abb. 1.28) und ist das Hauptprojektionsgebiet des ventroposterioren Thalamus-Komplexes mit den beiden wichtigsten somatosensorischen Kerngebieten für Gesichtsrepräsentation (Nucleus ventralis posteromedialis, VPM) und Körperrepräsentation (Nucleus ventralis posterolateralis, VPL). Der Kortex des Gyrus postcentralis lässt sich mikrostrukturell in 4 Areale unterteilen, die gemäß der Brodmann-Nomenklatur Area 3a, 3b, 1 und 2 genannt werden (. Abb. 18.1b) und sich in rostrokaudaler Abfolge bandförmig vom Interhemisphärenspalt zur Fissura Sylvii erstrecken. Funktionell bestehen zwischen diesen 4 Arealen deutliche Unterschiede. Area 3b. Als das sog. somatosensorische Primärareal ist die Area 3b anzusehen (analog zur primär-visuellen Area 17). Dieses Areal liegt in der Hinterwand des Sulcus centralis und unterliegt einer somatotopen Gliederung, d. h. die Körperoberfläche ist in topologischer Abfolge auf dem Gyrus postcentralis abgebildet (»sensorischer Homunculus«, . Abb. 18.2a). Area 3b weist eine relativ unspezifische Aktivität für eine Vielzahl somatosensorischer Stimuli auf, die von schnell adaptierenden (»rapid adapting«, RA) oder langsam adaptierenden (»slowly adapting«, SA) Hautafferenzen über spezifische histologische Rezeptorstrukturen (. Tab. 18.1) registriert werden. Aktivierungen in der Vorderwand des Gyrus postcentralis (|Area 3b) lassen sich daher am besten durch passive, punktförmige Stimulierung der Haut (z. B. der Finger) ohne weitere Stimulusinformation (z. B. ohne Bewegung auf der Haut) erreichen. So konnten in einem fMRT-Experiment durch Applikation von piezoelektrisch erzeugten Vibrationsreizen auf einzelne Finger relativ selektive Aktivierungen in der Vorderwand des Gyrus postcentralis gezeigt werden (Maldjian et al. 1999).
schen dem motorischen Primärareal 4p (rostral) und dem somatosensorischen Primärareal 3b (kaudal). Funktionell ist für Area 3a aufgrund ihrer geringen Größe nur sehr wenig bekannt, da sie z. B. in fMRT-Experimenten oft durch die benachbarte 3b-Aktivierung »überstrahlt« wird. Bei Makaken ist durch direkte intrakortikale Ableitungen bekannt, dass Area 3a Informationen aus Muskelspindeln verarbeitet und daher auf Bewegungen und Gelenkmanipulationen reagiert. Beim Menschen wird Area 3a vor allem bei aktiver Palpation von Objekten mittels Hand und Finger aktiviert, wohingegen passive Berührungen, Textur und gekrümmte Oberflächen nur schwache Reaktion auslösen (Bodegard et al. 2001). Wahrscheinlich versorgt Area 3a den motorischen Kortex (Hauptprojektionsziel der 3a-Neurone) mit einem sensorischen Feedback und ist im Zusammenspiel mit anderen (z. B. posterior-parietalen) Arealen in Planung und Durchführung von Bewegungen involviert. ! Area 3a verarbeitet vor allem Informationen aus Muskelspindeln und ist strukturell und funktionell eng mit dem motorischen System verbunden.
Area 1. Area 1 ist das Hauptprojektionsgebiet von Area 3b
und verarbeitet vor allem Signale aus kutanen RA-Rezeptoren auf höherem kortikalen Level, d. h. in Area 1 konvergieren Informationen aus dem somatosensorischen Thalamus mit bereits präprozessierten Informationen aus Area 3b, sodass Neurone in Area 1 bereits eine gewisse Spezialisierung für bestimmte taktile Stimuli aufweisen. Bei Makakenaffen besitzen Area-1-Neurone größere rezeptive Felder (einige umfassen sogar mehrere Finger) und sind zum Teil selektiv für Bewegungsrichtungen von Berührungen. Auch beim Menschen konnte gezeigt werden, dass durch Stimulation der Haut mit einer rotierenden Bürste Area 1 im SIKortex am stärksten aktiviert wird (Bodegard et al. 2000). ! Area 1 wird insbesondere durch taktile Bewegungsund Richtungsinformation aktiviert.
Area 2. Area 2 schließt sich kaudal an Area 1 an und liegt in
der Hinterwand des Gyrus postcentralis in der Tiefe des gleichnamigen Sulcus (. Abb. 18.1b und 18.4a). Bei Makaken verarbeitet dieses Areal hauptsächlich Efferenzen aus
. Tabelle 18.1. Periphere Rezeptoren des taktilen Systems
Rezeptortyp
Endkörperchen
Bevorzugter Stimulus
Verarbeitung von
RA Typ 1 RA Typ 2 SA Typ 1 SA Typ 2
Merkel-Zellen Vater-Pacini-Korpuskel Meissner-Körperchen Ruffini-Körperchen
Leichte Berührung Vibration (hochfrequent) Druck Dehnung
Bewegung auf der Haut Vibrationsempfinden Form von Objekten Fingerbewegung und -position
18
282
Kapitel 18 · Somatosensorisches System
. Abb. 18.2a, b. Somatotopie im SI-Kortex des Menschen. a Die Repräsentationen der verschiedenen Körperbereiche spiegeln sich auf dem Gyrus postcentralis als »sensorischer Homunculus« wider. Man beachte die disproportionale Abbildung mit starker Betonung von Handund Gesichtsregionen (modifiziert nach Penfield u. Rasmussen 1952). b Somatotopie der Handregion des Menschen (Gruppenanalyse), dargestellt mit fMRT bei 4,0 T. Die Finger der Probanden wurden mit piezoelektrischen Vibrationsreizen stimuliert. Man erkennt deutlich, wie die Aktivierungsmaxima vom kleinen Finger (36/-36/54; Z=3,07) zum Daumen (54/-14/36, Z=4,04) von posterior, superior und medial nach anterior, inferior und lateral wandern. Der Indexfinger zeigt die flächenmäßig größte Aktivierung (50/-18/42, Z=3,88). Für den kleinen Finger findet sich ein weiteres Maximum, das etwas weiter lateral gelegen ist (48/-24/42, Z=3,74) (modifiziert nach Maldjian et al. 1999)
a
b
18
Area 3b und 1, teilweise auch direkte thalamische Information von peripheren Gelenkrezeptoren. Die rezeptiven Felder von Area-2-Neuronen sind oft größer als in Area 1 und umfassen mehrere Finger. Bis vor wenigen Jahren war über die funktionelle Bedeutung dieses Areals beim Menschen nur sehr wenig bekannt. Dies lag unter anderem an dem unzureichenden Wissen über die strukturelle Ausdehnung
von Area 2 auf dem Gyrus postcentralis. So haben erst kürzlich gezielte zytoarchitektonische Untersuchungen an Post-mortem-Gehirnen gezeigt, dass Area 2, anders als auf der Karte von Brodmann (1909) dargestellt, weder medial im Interhemisphärenspalt noch lateral in der Sylvischen Fissur zu finden ist und auch keine Ausdehnung in den Sulcus intraparietalis besitzt (Grefkes et al. 2001). Dies hat
283 18.1 · Funktionelle Gliederung des somatosensorischen Kortex
natürlich Implikationen für die Interpretation funktioneller Aktivierungen in dieser Region. Somit konnten neuere Studien zeigen, dass Area 2 beim Menschen vor allem in die taktile Erfassung von räumlichen Objekteigenschaften wie Form und Größe (Bodegard et al. 2001) involviert ist und in der Hierarchie des somatosensorischen Systems eine hö-
here Stufe einnimmt als die übrigen 3 Areale (3b, 3a, 1) des SI-Kortex. ! Area 2 wird bevorzugt durch dreidimensionale Stimuli aktiviert.
Box 18.1. Wieviel taktile Information ist nötig, um ein BOLD-Signal zu erzeugen? Eine essenzielle Frage der funktionellen Bildgebung ist, wie stark oder wie ausgedehnt ein peripherer Stimulus sein muss, um im Gehirn ein messbares Signal zu erzeugen. Die menschliche Hand ist durch ca. 17.000 mechanozeptive Afferenzen innerviert, die je nach Rezeptortyp und Innervationslokalisation in schnell adaptierende (RA, z. B. für Vibrationsempfindung) und langsam adaptierende (SA, z. B. für Druckempfindung) Einheiten klassifiziert werden können (. Tab. 18.1). Trulsson et al. (2001) haben in einem fMRT-Experiment (3,0 T, EPI, TR=2000 ms, TE=35 ms, »voxel size« =3,0u3,0u4 mm3) gezielt einzelne mechanozeptive Nervenfasern im Nervus medianus mit Hilfe von Mikroelektroden gerade oberhalb der Wahrnehmungsschwelle gereizt (Stimulusstärke bis 7 µA, Frequenz 30 Hz in 0,5 s Serien über eine Blocklänge von 16 s). Dabei löste die Stimulation einer SA-Faser eine Drucksensation, die Stimulation einer RA-Faser Vibrationsempfindungen im zugehörigen rezeptiven Feld aus (. Abb. 18.3a).
Erstaunlicherweise konnte bereits durch die Stimulation einer einzelnen afferenten Nervenfaser ein robustes BOLDSignal im somatosensorischen Kortex erzeugt werden (. Abb. 18.3b, c). Des Weiteren zeigte sich, dass bei Stimulation einer RA-Faser des Daumens (. Abb. 18.3a) 2 separate Aktivierungsfoci im Gyrus postcentralis ausgemacht werden konnten (. Abb. 18.3c), zum einen in der Vorderwand des Gyrus (|Area 3b), zum anderen auf dessen Kuppe (|Area 1). Somit kann bereits durch Stimulation einer einzelnen afferenten Nervenfaser des N. medianus ein robustes und abgrenzbares Signal bei 3 T detektiert werden. Dieses Signal entsteht sehr wahrscheinlich aufgrund der thalamokortikalen Divergenz taktiler Information durch die relativ breiten Verzweigungen der aus dem Thalamus stammenden Axone in den mittleren kortikalen Schichten (insbesondere Schicht IV). Interessanterweise war bei fast allen Probanden die Anzahl signifikanter Voxel im Area-1-Bereich größer als im Area-3b-Bereich, was auf eine weitere Divergenz taktiler Information im kortikalen Datenfluss schließen lässt.
Box 18.2. Korrelation von Struktur und Funktion im somatosensorischen System: Wahrscheinlichkeitskarten Die Interpretation funktioneller Daten vor dem Hintergrund struktureller Areale, d. h. die Verknüpfung von Struktur und Funktion, ist ein problematisches Thema in der funktionellen Bildgebung (für eine ausführliche Darlegung dieses Themenkomplexes 7 Kap. 3). Anhand der makroanatomischen Lokalisation von Aktivierungen lassen sich in strukturellen MR-Bildern keine Arealzugehörigkeiten bestimmen. Dies hat gerade für das somatosensorische System, das aus vielen relativ kleinen Arealen besteht, zur Folge, dass bis vor kurzem relativ wenig über die spezifischen Funktionen z. B. von Area 3a, 3b, 1 und 2 beim Menschen bekannt war. Viele Autoren nutzen zur Lokalisation ihrer Aktivierungen den Schnittbild-Atlas von Talairach und Tournoux (1988), der jedoch nicht auf strukturellen (d. h. zytoarchitektonischen) Analysen beruht, sondern lediglich eine ungefähre Abschätzung der Arealgrenzen gemäß der Zeichnungen von Brodmann (1909) darstellt. Abgesehen von der Problematik, eine abstrakte zweidimensionale Hirnkarte auf ein dreidimensionales Gehirn zu projizieren, zeigt das Brodmann-Gehirn (und damit auch der Talairach-Atlas) nicht die Zustände in der
Tiefe der Sulci (obwohl ca. 2/3 des Kortex innerhalb der Hirnfurchen liegen) und gibt keine Information über die biologische interindividuelle Variabilität von Form, Größe und Lokalisation eines Areals. Leider existieren zahlreiche fMRT-Studien zum somatosensorischen System, in denen relativ unkritisch Aktivierungen mittels des Talairach-Atlas bestimmten Arealen zugeordnet wurden. Einen Ausweg aus dieser Problematik bieten die sog. zytoarchitektonischen Wahrscheinlichkeitskarten (Probabilitätskarten, »population maps«), die auf zytoarchitektonischen Post-mortem-Analysen einer Serie von Gehirnen beruhen (. Abb. 18.4a) und im Raum des Talairach-Referenzsystems die Wahrscheinlichkeiten angeben (. Abb. 18.4b), mit der ein Voxel einem bestimmten zytoarchitektonisch definierten Areal angehört (7 Kap. 3). Für die meisten Areale des somatosensorischen Systems existieren solche Probabilitätskarten und werden bereits im Rahmen von funktionellen Studien zur Lokalisation von Aktivierungen eingesetzt: Dabei werden signifikante Aktivierungen in SPM99/SPM2 (oder anderen Analyseprogrammen) mit den strukturellen Probabilitätskarten überlagert 6
18
284
Kapitel 18 · Somatosensorisches System
(. Abb. 18.7a) und somit auf probabilistischer Basis histologisch definierten Arealen zugeordnet. Dadurch werden neue Dimensionen der Interpretation funktioneller Daten eröffnet. So konnten Bodegard et al. (2001) in einer Studie zur taktilen Verarbeitung von Objekteigenschaften die
18.1.2
Sekundärer somatosensorischer Kortex
Der sekundäre somatosensorische Kortex (SII) entlang der oberen Bank der Sylvischen Fissur (parietales Operculum, . Abb. 18.1a) wird bei einer Vielzahl von somatosensorischen Stimuli und Aufgaben aktiviert (. Abb. 18.5a), meistens in Kombination mit den Arealen des unimodalen (primären) somatosensorischen Kortex, mit dem der SII-Kortex über direkte axonale Verbindungen anatomisch eng verbunden ist. Dabei soll »sekundär« bzw. »primär« keine funktionelle Bewertung dieser beiden Kortexregionen implizieren, sondern stellt eine Bezeichnung dar, die auf den
a
18
Repräsentation einzelner Areale innerhalb der signifikanten Aktivierungen aufschlüsseln und darauf basierend ein hierarchisches Konzept über den Tastsinn im menschlichen Gehirn entwickeln (. Abb. 18.9).
historisch unterschiedlichen Zeitpunkten der Identifizierung von SI und SII beruht. Beim Makaken besitzen SII-Neurone große, meist bilaterale rezeptive Felder. Diese feuern bevorzugt bei großflächiger kutaner Stimulierung (z. B. Bestreichen der Palma manūs mit einem Schwamm), sind aber auch in komplexe Aufgaben wie z. B. in die bilaterale Koordination der Hände eingebunden. Rostral von SII befindet sich beim Makaken das Areal PV (ventrales parietales Areal) mit sehr ähnlichen Eigenschaften und spiegelbildlicher Somatotopie (. Abb. 18.5b). Weitere somatosensorische Areale in der Sylvischen Fissur sind der retroinsuläre Kortex (Ri), der postauditorische Kortex (Pa) und die somatosensorische Inselrinde (Ig),
b
c . Abb. 18.3a–c. Kortikale Antwort bei Stimulation einer einzelnen RA-Faser im Nervus medianus mit intraneuraler Mikroneurographie und fMRT (3 T mit 14 cm Surface-Coil). a Rezeptives Feld einer RA-Faser am Daumen. b Hämodynamische BOLD-Antworten für signifikante Voxel im Gyrus postcentralis während einer Stimulationsserie (Block-
länge jeweils 16 s, X-Achse). c Drei signifikante Aktivierungscluster im sensomotorischen Kortex: Kuppe (SIa) und Vorderwand (SIb) des Gyrus postcentralis, parietales Operculum (SII) (P Definition Patienten mit taktiler Apraxie weisen eine gestörte Objekterkennung auf, weil sie unfähig sind, systematische Abtastbewegungen durchzuführen.
Bei der taktilen Apraxie (Klein 1931) handelt es sich um eine isolierte Störung von Handbewegungen im Zusammenhang mit objektbezogenen Handlungen (z. B. Greifbewegungen, Abtasten), wohingegen intransitive Bewegungsmuster (also nicht objektgerichtete Bewegungen, z. B. Ausdrucksbewegungen/Gesten) keine pathologischen Auffälligkeiten zeigen (Binkofski et al. 2001). Ähnlich wie bei taktiler Agnosie liegen auch bei taktiler Apraxie keine basalen somatosensorischen, motorischen oder kognitiven Defizite vor. Die Patienten können mit der betroffenen Hand jedoch nur unzureichend explorative Fingerbewegungen durchführen, die aber – wie weiter oben bereits ausgeführt
! Taktile Apraxie bedeutet das Unvermögen, die Hand als Abtastorgan sinnvoll einsetzen zu können, obwohl keine basalen somatosensorischen, motorischen oder kognitiven Defizite vorliegen. Das Krankheitsbild tritt vor allem nach parietalen Läsionen auf. Das Bewegungsmuster von explorativen Fingerbewegungen ist unorganisiert und stark gestört. Dadurch kann es sekundär zu taktiler Agnosie kommen.
Exkurs In der Literatur sind bis dato nur sehr wenige fMRT-Studien über Patienten mit taktiler Agnosie oder Apraxie publiziert. Die Ursache dafür liegt darin, dass insgesamt fMRT-Studien mit Patienten nach Infarkten bzw. mit tumorbedingten Läsionen nicht unproblematisch sind. 6
294
Kapitel 18 · Somatosensorisches System
. Abb. 18.9. Hierarchie der Areale im somatosensorischen System bei der Verarbeitung taktiler Objektinformation. Dargestellt sind die Ausdehnungen von Area 3a, 3b, 1, 2 gemäß der zugehörigen Probabilitätskarten. Die aufgeführten Schritte kortikaler Informationsverarbeitung wurden über Korrelationen von »population maps« mit Aktivierungen aus funktionellen Bildgebungsstudien (PET und fMRT) erarbeitet, in denen mit spezifischen Paradigmen verschiedene Aspekte der Somatosensorik untersucht wurden. Area 3b prozessiert als somatosensorisches Primärareal hauptsächlich Informationen aus
18
Zum einen treten viele neuropsychologische Syndrome, wie taktile Agnosie oder Apraxie, hauptsächlich im akuten Stadium der Erkrankung auf, es handelt sich also oft nur um transiente Defizite. Die Patienten sind jedoch im akuten Stadium oft sehr krank, sodass ihnen die Strapazen eines MR-Scans nicht zugemutet werden können. Durch kortikale Reorganisation und andere Mechanismen werden die Einschränkungen aber dann meist schon nach Tagen bis Wochen kompensiert. Ein weiterer kritischer Punkt betrifft die Größe der Läsion. Ausgedehnte Infarkte (z. B. nach Verschluss eines großen Astes der A. cerebri media) erlauben keine präzise Korrelation von strukturellem und funktionellem Defizit. »Wünschenswert« für genaue Testungen inklusive fMRT-Scan wären also ein chronisch-stabiles Defizit und eine relativ umschriebene Läsion. Aber selbst dann kann nur schwer beurteilt werden, ob das funktionelle Defizit auf der direkten Störung einer kortikalen Neuronenpopulation am Ort der Ischämie/Nekrose beruht oder aus der Schädigung passierender Faserbahnen im Sinne eines Diskonnektionssyndroms resultiert.
dem sensiblen Thalamus und projiziert überwiegend zu Area 1. Dort werden vor allem Oberflächenmerkmale wie Textur, Richtung und Geschwindigkeiten taktiler Stimuli verarbeitet. Area 2 integriert diese Informationen und analysiert 3D-Beschaffenheiten von Objekten, die dann weitergeleitet werden zu verschiedenen Arealen innerhalb des PPC, der in Zusammenarbeit mit anderen kortikalen Systemen die letzten Schritte taktiler Objekterkennung leistet. Für SII lagen zum Zeitpunkt der Studien noch keine Probabilitätskarten vor (modifiziert nach Bodegard et al. 2001)
Zusammenfassung und Ausblick Somatosensorische Information wird von den Arealen in SI, SII und PPC sowohl seriell als auch parallel verarbeitet (. Abb. 18.9). Der prozentual größte Anteil an thalamischen Efferenzen von Signalen peripherer Rezeptoren aus Haut, Muskulatur und Gelenken erreicht Area 3b. Somit stellt Area 3b das somatosensorische Primärareal dar (analog zum visuellen Primärareal, Area 17/V1). Aber auch andere Areale wie z. B. Area 3a, 1, 2, 5 und SII besitzen direkte Verbindung zum ventroposterioren Thalamus, jedoch zu einem erheblich geringeren Anteil, sodass der Hauptinformationseingang dieser Areale aus kortikokortikalen Projektionen besteht. Area 1 verarbeitet Information aus Area 3b auf höherem kortikalen Niveau und analysiert taktile Richtungsinformation. Area 2 repräsentiert die höchste hierarchische Stufe im SI-Kortex und integriert Information aus Area 3b und 1 zur Analyse dreidimensionaler Strukturen, besitzt also bereits keinen Primärareal-Charakter mehr. 6
295 18.4 · Literatur
18.4 Eine weitere wichtige Station in der taktilen Analyse von Objekten stellt der anteriore intraparietale Kortex (Area AIP) dar, in dem taktile Objektinformation dem visuellen System durch intermodalen Informationstransfer zugänglich gemacht wird. Des Weiteren spielt für das Prozessieren von 3D-Formen der Kortex auf dem Gyrus supramarginalis, aber auch der SII-Kortex eine Rolle. Im superioren parietalen Kortex wird vor allem somatosensorische (propriozeptive) Information zu Gelenkstellung und Positionen der Extremitäten im Raum verarbeitet. Dagegen besitzt der laterale präfrontale Kortex eine wesentliche Rolle für taktiles Arbeitsgedächtnis und für die Differenzierung zwischen verschiedenen taktilen Stimuli. Läsionen des parietalen Kortex können zu ausgeprägten somatosensorischen Defiziten führen. Schädigungen des anterioren parietalen Kortex bewirken eine massive Störung basaler somatosensorischer Wahrnehmung. Schädigungen des posterioren parietalen Kortex betreffen höhere Funktionen der Sensomotorik wie z. B. taktile Objekterkennung (taktile Agnosie) oder Objektgebrauch (taktile Apraxie). Die meisten Areale des somatosensorischen Systems sind somatotop gegliedert. Je höher jedoch die Position, die ein Areal in der kortikalen Hierarchie einnimmt, desto gröber, unschärfer und variabler die Ausprägung der Somatotopie. Areale wie Area 2 und Area 5 besitzen für einige Körperbereiche sogar multiple Repräsentationen. Die funktionelle Bedeutung des SII-Kortex des Menschen ist noch nicht völlig geklärt. Sein Hauptinformationseingang stammt aus Area 3b. Vieles spricht dafür, dass SII eine heterogene Region darstellt, die in eine Vielzahl von Funktionen involviert ist, u. a. in Verarbeitung drei-dimensionaler Formen, taktiles Lernen und Wahrnehmung von Schmerz und viszeraler Information. Weiterhin sind auch subkortikale Kerngebiete und vor allem das Zerebellum in somatosensorische Informationsverarbeitung involviert. Die Erkenntnisse zu diesen Regionen sind aber noch relativ unklar und zum Teil spekulativ und wurden daher in diesem Kapitel nicht gesondert aufgeführt.
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19 19
Gedächtnis T. Kellermann, M. Piefke
19.1
Arbeitsgedächtnis – 298
19.1.1 19.1.2 19.1.3
Die phonologische Schleife – 299 Der räumlich-visuelle Speicher – 299 Zusammenfassung und Weiterentwicklungen
19.2
Das Langzeitgedächtnis – 300
19.2.1 19.2.2 19.2.3 19.2.4 19.2.5 19.2.6
Enkodierung und Konsolidierung – 301 Speicherung von Information – 302 Abruf von Information – 303 Der mediale Temporallappen – 303 Der präfrontale Kortex – 304 Blocked und ereigniskorrelierte fMRT bei der Untersuchung des Langzeitgedächtnisses – 306
19.3
Literatur – 307
– 300
298
Kapitel 19 · Gedächtnis
)) In diesem Kapitel werden zunächst die einzelnen Komponenten des Arbeitsgedächtnisses beschrieben. Dabei differenziert man zwischen Speicherprozessen und aktiver Manipulation von Information. Mit Hilfe der fMRT lassen sich diese Prozesse separat darstellen. Der sog. episodische Speicher leistet die integrative Verarbeitung räumlicher und zeitlicher Informationskomponenten. Im zweiten Abschnitt des Kapitels wird auf das Langzeitgedächtnis und die verschiedenen Stufen der Informationsverarbeitung (Registrierung, Enkodierung, Konsolidierung, Speicherung und Abruf ) eingegangen.
19.1
Arbeitsgedächtnis
> Definition Mit Arbeitsgedächtnis bezeichnet man die kurzfristige und unmittelbare Speicherung von Information, die nicht mehr perzeptuell in der Umwelt verfügbar ist.
Der Begriff umfasst jedoch nicht nur die Speicherung, sondern auch die aktive Manipulation von Information zur Steuerung nachfolgenden Verhaltens. Das Arbeitsgedächtnis ist somit in die meisten kognitiven Funktionen involviert wie z. B. Verstehen, Planen, (logisches) Denken und das Verarbeiten räumlich-visueller Information. Diese aktive Komponente macht den wesentlichen Unterschied zu früheren, eher statischen Modellen eines passiven Kurzzeit-
. Abb. 19.1. Arbeitsgedächtnismodell
19
gedächtnisses aus. Das Konzept des Arbeitsgedächtnisses sieht die Prozesse der Speicherung und der Manipulation von Information als voneinander getrennt an, da z. B. Untersuchungen von hirngeschädigten Patienten nahelegen, dass beide Prozesse unabhängig voneinander gestört sein können. Mit Hilfe funktioneller bildgebender Verfahren kann man die neuronalen Repräsentationen dieser Prozesse auch bei gesunden Menschen unterscheiden. Zusätzlich zu dieser prozessspezifischen Trennung beinhaltet das Konzept des Arbeitsgedächtnisses eine modalitätsspezifische Unterscheidung zwischen 2 Speichern, deren einer sprachlich-verbale Inhalte aufnimmt, während der andere hauptsächlich räumlich-visuelle Reize verarbeitet. Entsprechend besteht das Arbeitsgedächtnis aus mindestens 3 Komponenten (Baddeley 1992; . Abb. 19.1): 4 der modalitätsfreien zentralen Exekutive, 4 der phonologischen Schleife und 4 dem räumlich-visuellen Speicher. Da die kognitiven Ressourcen für die Speicherung von Information begrenzt sind, bedarf die Zuweisung dieser Ressourcen auf verschiedene Aufgaben einer zentralen Steuerung. Diese Zuteilung übernimmt die zentrale Exekutive, die aufgrund ihrer übergeordneten Funktion modalitätsfrei sein muss, d. h. unabhängig von der Art der zu verarbeitenden Information. Der zentralen Exekutive obliegt insofern auch die Steuerung der Aufmerksamkeit. Exekutive Funktionen spielen bei fast allen kognitiven Prozessen eine so wichtige Rolle, dass diesem Thema ein eigenständiges Kapitel in dem vorliegenden Buch gewidmet wurde (7 Kap. 17).
299 19.1 · Arbeitsgedächtnis
Der interessierte Leser sei für Informationen, die die zentrale Exekutive betreffen, dorthin verwiesen. Die Speicherung von Information geschieht dagegen in den beiden modalitätsspezifischen Schleifen, deren eine verbale und deren andere räumlich-visuelle Information im Arbeitsgedächtnis aufrechterhält. Die Unterscheidung dieser beiden Speichersysteme wird z. B. durch die Beobachtung unterstützt, dass das Lernen von Wortlisten erfolgreicher ist, wenn Versuchspersonen Strategien verwenden, die neben der Repetition der Wörter in der phonologischen Schleife zusätzlich auf der visuellen Vorstellung und räumlichen Kodierung der Items basieren als bei bloßer phonologischer Wiederholung der Wörter (aktuelle Übersicht: Baddley 2003). Dieser Vorteil verschwindet allerdings, wenn der begrenzte räumlich-visuelle Speicher mit einer zusätzlichen Aufgabe belastet wird und es daher zu Interferenzen kommt. Im Folgenden werden die einzelnen Komponenten des Arbeitsgedächtnisses genauer beschrieben.
19.1.1
Rypma u. D’Esposito 1999; Veltmann et al. 2003). Ereigniskorrelierte fMRT-Studien, die die Messung des zeitlichen Verlaufs der Gehirnaktivität während der Informationsverarbeitung ermöglichen, sprechen ebenfalls dafür, dass eine klare neuroanatomische Zuordnung unterschiedlicher Frontalhirnfunktionen problematisch ist. Der DLPFC ist offensichtlich an einer Vielzahl kognitiver Operationen beteiligt. So erleichtert er vermutlich die effiziente Enkodierung von Information und wird bei hoher Speicherbelastung zusammen mit dem ventrolateralen präfrontalen Kortex (VLPFC) zwecks Aufrechterhaltung der Information rekrutiert. Wenn Information schließlich nicht nur aufrechterhalten sondern auch manipuliert werden soll, so kommt es ebenfalls zu einer verstärkten Beteiligung des DLPFC (D’Esposito et al. 2000). Für die Rolle des inferioren Parietallappens bei der Speicherung verbaler Information gibt es hingegen übereinstimmende Belege (z. B. Newman et al. 2002), obwohl man in Betracht ziehen muss, dass diese Struktur zusätzlich andere kognitive Funktionen haben kann.
Die phonologische Schleife 19.1.2
Die phonologische Schleife wird unterteilt in den phonologischen Speicher und das artikulatorische Kontrollsystem. Der phonologische Speicher ermöglicht die Aufrechterhaltung auditorischer (vor allem verbaler) Information für einen kurzen Zeitraum von ca. 2 s. Er bildet eine Schleife mit dem artikulatorischen Kontrollsystem, das die Information im phonologischen Speicher durch Repetition für längere Zeit stabilisiert. Die Wiederholung geschieht zumeist subvokal, d. h. ohne motorische Bewegungen des Mundes oder der Lippen. ! Die phonologische Schleife leistet vor allem die Erhaltung und unmittelbare Wiedergabe sequenzieller Information. Gegenüber semantischen Effekten sprachlicher Information ist sie insensitiv.
Smith et al. (1998) kommen in ihrer Zusammenfassung mehrerer Studien, die funktionelle bildgebende Verfahren einsetzten, zu dem Schluss, dass die phonologische Wiederholung durch links-hemisphärische frontale Sprachareale vermittelt wird (vor allem BA44 und BA6), während der phonologische Speicher durch Regionen im linken posterioren Parietallappen repräsentiert ist (BA40). Parametrische fMRT-Untersuchungen, die neuronale Aktivierungen in Beziehung setzen zu unterschiedlichen Stufen der Auslastung des Arbeitsgedächtnisses durch kognitive Anforderungen, haben eine klare Dissoziation von Exekutivfunktionen und aktiver Speicherung in Zweifel gezogen. Hatte man zunächst angenommen, dass der dorsolaterale präfrontale Kortex (DLPFC) ausschließlich exekutive Funktionen übernimmt, so konnte jedoch inzwischen gezeigt werden, dass das BOLD-Signal in dieser Region mit der Arbeitsgedächtnisauslastung kovariiert (Cohen et al. 1997;
Der räumlich-visuelle Speicher
! Nach dem Modell des Arbeitsgedächtnisses leistet der räumlich-visuelle Speicher die temporäre Aufrechterhaltung und Manipulation räumlich-visueller Information. Er spielt wahrscheinlich eine zentrale Rolle bei der räumlichen Orientierung und der Lösung räumlichvisueller Problemstellungen wie z. B. der mentalen Rotation.
Eine typische Aufgabe, die auf der mentalen Rotation von Objekten basiert, erfordert z. B. die Entscheidung, ob 2 Objekte identisch sind und sich nur durch ihre Lage im Raum unterscheiden, oder ob es sich um 2 verschiedene Objekte handelt. Auf der perzeptuellen Ebene muss man zwischen Objektwahrnehmung (Form und Farbe) und der Wahrnehmung der Lage eines Objekts im Raum unterscheiden. In einer ereigniskorrelierten fMRT-Studie führte diese Unterscheidung allerdings nicht zu signifikanten Unterschieden in der Gehirnaktivität (Postle u. D’Esposito 1999). Vielversprechender als eine inhaltliche Unterscheidung (Objekt versus Lokation) erscheint – wie im Falle der phonologischen Schleife – auch hier eine prozessspezifische Unterscheidung. Analog der funktionellen Differenzierung im präfrontalen Kortex für verbale Arbeitsgedächtnisleistungen sprechen PET- und fMRT-Daten auch hinsichtlich des räumlich-visuellen Speichers dafür, dass der VLPFC und der Parietallappen vorwiegend Speicherfunktionen übernehmen, während die Manipulation von Information eine Kooperation zwischen dem DLPFC und dem VLPFC erfordert (Owen et al. 1998, 1999). Dieses neuronale Netzwerk dominiert − im Gegensatz zum verbalen Arbeitsgedächtnis − in der rechten Hemisphäre.
19
300
Kapitel 19 · Gedächtnis
Anzumerken ist, dass, obwohl Lesen eine sprachlichverbale Aufgabe ist, der räumlich-visuelle Speicher vermutlich auch hierbei eine wichtige Rolle spielt, indem er die räumliche Lokalisation von Wörtern und Sätzen »online« hält und im Falle von Verständnisschwierigkeiten eine Art Rückspulfunktion übernimmt.
19.1.3
Zusammenfassung und Weiterentwicklungen
Obwohl das Bild, das die Forschung zum Arbeitsgedächtnis ergibt, noch unvollständig ist, besteht doch eine Übereinstimmung der Studienergebnisse hinsichtlich der Differenzierung zwischen den beiden Speichersystemen innerhalb des Arbeitsgedächtnisses. Während die phonologische Schleife eher in der sprachdominanten, linken Hirnhemisphäre zu lokalisieren ist (Smith et al. 1998), kann der räumlich-visuelle Speicher eher der rechten Hemisphäre zugeordnet werden (Owen et al. 1999). Innerhalb beider Systeme ist eine Differenzierung zwischen Speicherprozessen und aktiver Manipulation von Information möglich. Posteriore Areale im inferioren Parietallappen leisten zusammen mit dem VLPFC die Aufrechterhaltung von Informationen, während eine Kooperation zwischen DLPFC und VLPFC die aktive Manipulation von Information im Arbeitsgedächtnis ermöglicht. Mehrfach konnte gezeigt werden, dass das Ausmaß der DLPFC-Aktivierung positiv mit dem Anstieg der Aufgabenanforderungen korreliert ist (Cohen et al. 1997). Ereigniskorrelierte fMRT-Studien und Fortschritte in der Auswertung von fMRT-Daten haben eine teilweise Einsicht in die zeitliche Dynamik einzelner Hirnregionen gewährt (D’Esposito et al. 2000). Neuere Entwicklungen in den Auswertungsstrategien werden wahrscheinlich auch Aufschluss geben können über spezifische Veränderungen in . Abb. 19.2. Interaktion zwischen Arbeitsund Langzeitgedächtnis, Sprache und Semantik
19
der Kommunikation zwischen unterschiedlichen Arealen im Verlauf der neuronalen Verarbeitung von Arbeitsgedächtnisanforderungen. Untersuchungen zur funktionellen Integration sind insofern unerlässlich, als kognitive Prozesse im allgemeinen nicht von einzelnen Hirnregionen ausgeführt werden, sondern das Resultat der Interaktion unterschiedlicher Strukturen innerhalb eines Netzwerks sind. Erste Anstrengungen in diese Richtung sind bereits gemacht worden (Diwadkar et al. 2000; Newman et al. 2002). Weiterentwicklungen auf der theoretischen Ebene haben empirische Unterstützung durch bildgebende Studien bekommen. So wurden mittels funktioneller bildgebender Verfahren z. B. Interaktionseffekte beobachtet, wenn unterschiedliche Informationsmodalitäten (z. B. die verbale und die räumliche) integriert enkodiert werden (Prabhakaran et al. 2001). Solche Interaktionseffekte treten auch auf Verhaltensebene auf (Luck u. Vogel 1997) und führten hier zur Ergänzung des Arbeitsgedächtnismodells durch den sog. episodischen Speicher (. Abb. 19.2). Dieser leistet die integrative Verarbeitung räumlicher und zeitlicher Komponenten von Information und bildet so eine Schnittstelle zwischen verschiedenen Modalitäten (Baddeley 2003).
19.2
Das Langzeitgedächtnis
> Definition Ganz allgemein kann das Langzeitgedächtnis als Form langfristig verhaltensmodifizierender Prozesse definiert werden. Eine solch weitgefasste Definition schließt auch viele unbewusste Lernvorgänge, wie klassisches Konditionieren und prozedurales Lernen mit ein (. Tab. 19.1).
Die Unterteilung des Langzeitgedächtnisses nach Inhalten mit den wichtigsten zugehörigen Hirnarealen ist in
301 19.2 · Das Langzeitgedächtnis
. Tabelle 19.1. Gedächtnissysteme und deren Inhalte
Gedächtnissystem
Charakterisierung
Inhalt
Episodisches Gedächtnis Semantisches Gedächtnis Priming (Bahnung) Prozedurales Gedächtnis
Explizit Explizit/implizit Implizit Implizit
Kontextinformationen, Details Faktenwissen, Weltwissen Perzeptuelle Präsentationen (Motorische) Fertigkeiten
. Abb. 19.3. Unterteilung des Gedächtnisses nach Inhalten und assoziierte Gehirnregionen
. Abb. 19.3 zusammengefasst. Da die meisten fMRT-Studien sich auf Untersuchungen zum deklarativen Gedächtnis beziehen, beschränkt sich die Darstellung in diesem Kapitel auf dessen Hauptkomponenten: das semantische und vor allem das episodische Gedächtnis. Um die komplexen Wege der Informationsverarbeitung im episodischen und semantischen Gedächtnis zu beschreiben, ist es zunächst erforderlich, eine Unterteilung in unterschiedliche Stufen der Informationsverarbeitung vorzunehmen. Mindestens 5 solche Stufen müssen voneinander getrennt werden (7 Box 19.1; Markowitsch 2003).
Box 19.1. Stufen der Informationsverarbeitung und deren Beziehungen zum episodischen und semantischen Gedächtnis 5 Registrierung: Initiale Perzeption der Information und Transfer zu kortikalen Arealen 5 Enkodierung: Weitere frühe Informationsverarbeitung (»binding«, Bildung von Assoziationen) 5 Konsolidierung: Tiefe Enkodierung und Einbettung von Information in bestehende Repräsentationen (Engrammbildung) 5 Speicherung: Bildung einer stabilen Repräsentation der Information im ZNS 5 Abruf: Reproduktion von Information
19.2.1
Enkodierung und Konsolidierung
Episodische und semantische Information finden über sensorische Bahnen Eingang in das Gehirn. Beide Arten von Information werden vermutlich zunächst online (d. h. kurzzeitig vorübergehend) in kortikalen Assoziationsarealen gespeichert, insbesondere (jedoch nicht ausschließlich) in denen des lateralen parietalen Kortex (Markowitsch 2000). Teile des präfrontalen Kortex werden ebenfalls als Orte der Kurzzeitspeicherung diskutiert. Von dort wird die Information übermittelt zum limbischen System, einem
19
302
Kapitel 19 · Gedächtnis
phylogenetisch älteren System von Gehirnstrukturen und Faserverbindungen, das die Enkodierung und Konsolidierung kognitiver und emotionaler Information leistet. Die verschiedenartigen Strukturen und Faserverbindungen, die zum limbischen System gehören, fungieren vermutlich insbesondere als Loci der Evaluation eingehender Information sowie auch der Übertragung dieser Information zu den endgültigen neokortikalen Speicherorten. Traditionell werden die hippokampale Formation und das Corpus amygdaloideum als die Kernstrukturen des limbischen Systems betrachtet. Es sollte jedoch betont werden, dass eine Reihe anderer Gehirnstrukturen möglicherweise ebenfalls eine Schlüsselrolle für die Gedächtnisfunktionen des limbischen Systems spielen. Innerhalb des limbischen Systems sind einige Gehirnstrukturen insbesondere an der affektiven und emotionalen Informationsverarbeitung beteiligt (z. B. Corpus amygdaloideum und Septum). Andere leisten dagegen eher die kognitiven Aspekte der Informationsverarbeitung (z. B. hippokampale Formation). Entsprechend werden 2 limbische Netzwerke als neuronale Grundlagen der Selektion, des »binding« und Transfers von Information unterschieden. Diese sind der basolaterale limbische Schaltkreis und der Papez- bzw. mediale Schaltkreis (Markowitsch 2003). Vom basolateralen limbischen Schaltkreis wird angenommen, dass er vorwiegend die Evaluation affektiver und emotionaler Aspekte eingehender Information leistet. Er besteht aus dem Corpus amygdaloideum, dem mediodorsalen Thalamus und der subkallosalen Region des basalen Vorderhirns. Diese Strukturen sind unidirektional verbunden durch den ventralen amygdalofugalen Trakt, der von der Amygdala zum mediodorsalen Thalamus führt, und durch Fasern, die von dort die subkallosale Region erreichen. Via Bandeletta diagonalis projizieren diese Fasern dann zurück in das Corpus amygdaloideum (Markowitsch 2003). . Abbildung 19.4 zeigt die Rolle des Corpus amygda-
. Abb. 19.4. Die Rolle der Amygdala in der emotionalen Gedächtnisverarbeitung
19
loideum innerhalb des basolateralen limbischen Schaltkreises. Der Papez-Schaltkreis wird dagegen gewöhnlich als ein Netzwerk funktionell miteinander verbundener limbischer Strukturen betrachtet, das das neuronale Substrat der Evaluation, des »binding« und der Übertragung von Information für die Langzeitspeicherung bildet. Ihm werden gewöhnlich die Mammillarkörper, der anteriore Thalamus, die hippokampale Formation und der Gyrus cinguli zugerechnet. ! Eine Gedächtnisspur besitzt nach der Enkodierung und Übertragung der Information in neokortikale Langzeitspeicherorte noch keine Stabilität (Piefke 2003). Vielmehr müssen weitere Konsolidierungsprozesse stattfinden, die kürzlich erworbene Information mit schon länger vorhandener abgleichen. Die gegenwärtigen Kenntnisse über die Biochemie der Gedächtniskonsolidierung deuten darauf hin, dass Konsolidierungsprozesse dazu tendieren, eine kongruente und kontinuierliche Gestalt des Gedächtnisrepertoires zu formen (Markowitsch 2003).
19.2.2
Speicherung von Information
Man vermutet, dass ausgedehnte neuronale Netzwerke als Orte der Speicherung von Information im Gedächtnis fungieren. Im Falle des episodischen und des semantischen Gedächtnisses befinden sich diese Netzwerke hauptsächlich in neokortikalen Gehirnregionen, z. B. im polysensorischen und im Assoziationskortex. Jedoch erfordert die Speicherung von episodischer Information und Faktenwissen vermutlich zusätzlich den Rückgriff auf allokortikale und subkortikale Gehirnstrukturen. Insbesondere die Speicherung von episodisch autobiographischer Information verlangt einen Input vom Corpus amygdaloideum und der
303 19.2 · Das Langzeitgedächtnis
septalen Region. Da episodisch autobiographische Information bewusst reflektiert wird (Tulving 2000; Tulving u. Markowitsch 1998), mag deren Speicherung darüber hinaus angewiesen sein auf ein neuronales Netzwerk, das sich von der Formatio reticularis des Hirnstamms bis in neokortikale Regionen erstreckt (Markowitsch 2003).
19.2.3
Abruf von Information
Neurofunktionelle Bildgebungsstudien haben Befunde neuropsychologischer Untersuchungen von amnestischen Patienten sowie tierexperimentelle Studien bestätigt und erweitert, indem sie zeigten, dass der orbitofrontale Kortex und weitere präfrontale Regionen (z. B. ventrolateraler und dorsolateraler präfrontaler Kortex), anterolaterale Areale des temporalen Pol, mediale temporale Regionen sowie der posteriore Gyrus cinguli und der retrospleniale Kortex die Hauptkomponenten der funktionellen Neuroanatomie des Abrufs von episodischer Information und Faktenwissen bilden (Fink et al. 1996; Piefke et al. 2003, 2005). Präfrontale und temporopolare Regionen sind miteinander verbunden durch den Fasciculus uncinatus. Die präfrontalen Areale stellen vermutlich Trigger-Signale bereit für den Abruf von Information, die in den posterioren Assoziationskortizes gespeichert ist. Von den anterioren temporalen Regionen nimmt man demgegenüber an, dass sie die Verarbeitung affektiver und emotionaler Aspekte und die Re-Enkodierung von Information leisten. Re-Enkodierungsprozesse sind vermutlich vor allem abhängig von der hippokampalen Formation. Es ist zu betonen, dass Interaktionen zwischen Enkodierungs- und Abrufprozessen in Betracht gezogen werden müssen, denn jeder Abrufprozess ist begleitet von der Re-Enkodierung der abgerufenen Information. Umgekehrt beinhaltet jede Enkodierung neuer Information Abrufprozesse (Buckner et al. 2001). Das episodische und semantische Gedächtnis basieren insofern hauptsächlich auf einem frontotemporalen Netzwerk, für das sich – je nach Aufgabenstellung – in einigen PET- und fMRT-Studien eine rechtshemisphärische Domi-
. Abb. 19.5. Aktivierung des Hippocampus und des Neokortex in Abhängigkeit vom Alter der Erinnerung
nanz zeigte (Fink et al. 1996), in anderen dagegen eine Linkslateralisierung (Nolde et al. 1998a, b; Piefke et al. 2003). Im Hinblick auf den Beitrag posteriorer neokortikaler Gehirnregionen zum episodischen Gedächtnis haben 2 PET-Studien eine spezifische Funktion des Precuneus nahe gelegt. Aktivierungen dieser Region waren in beiden Studien stärker beim Abruf konkreter als beim Abruf abstrakter Wörter (Fletcher et al. 1996). Insofern könnte der Precuneus beteiligt sein an der Entstehung visueller Vorstellungen während des Informationsabrufs, die insbesondere typisch sind für den Abruf autobiographischer Erinnerungen. ! Das episodische Gedächtnis und das Wissenssystem beruhen mit großer Wahrscheinlichkeit weitestgehend auf denselben neuronalen Grundlagen, wobei das Alter der Erinnerung möglicherweise bestimmt, inwieweit der Hippocampus oder der Neokortex zum Abruf benötigt werden (. Abb. 19.5).
19.2.4
D er mediale Temporallappen
Verhaltensuntersuchungen an Tieren und Menschen zeigen, dass Läsionen der hippokampalen Formation das Erlernen neuer Information schwer beeinträchtigen und in manchen Fällen sogar unmöglich machen. Hat die Speicherung der Information jedoch bereits stattgefunden, sind Menschen und Tiere mit Schädigungen der Hippocampusformation häufig imstande, die entsprechenden episodischen Komponenten und Wissensaspekte abzurufen (7 Kap. 32). Es wird daher vermutet, dass dem Hippocampus eine Schlüsselfunktion im Bereich des anterograden Gedächtnisses zukommt und er darüber hinaus in das retrograde Gedächtnis innerhalb eines bestimmten Zeitintervalls involviert ist. ! Das »klassische« Modell der Gedächtniskonsolidierung schreibt dem Hippocampus eine zeitbegrenzte Funktion innerhalb der Langzeitgedächtnisverarbeitung zu (Teng u. Squire 1999).
19
304
Kapitel 19 · Gedächtnis
Box 19.2. Zeit- und emotionsabhängige Aktivierung beim Abruf autobiographischer Erinnerungen In Übereinstimmung mit dem klassischen Modell der Gedächtniskonsolidierung zeigten Piefke et al. (2003) in einer fMRT-Studie, dass die funktionelle Neuroanatomie des autobiographischen Gedächtnisses abhängig ist vom Alter einer Erinnerung. Im Vergleich zu Kindheitserinnerungen, die vor mehr als 15 Jahren enkodiert wurden, führten Erinnerungen an die rezente Vergangenheit zu Aktivierungen des Hippocampus und des retrosplenialen Kortex (. Abb. 19.6), während der umgekehrte Kontrast (Kindheitserinnerungen versus rezente Erinnerungen) zu keinerlei signifikanten Aktivierungen führte. Darüber hinaus wurden Veränderungen der funktionellen neuronalen Korrelate des autobiographischen
19.2.5
Der präfrontale Kortex
Einige Regionen des präfrontalen Kortex leisten vermutlich die zeitliche Sequenzierung anderweitig unverbundener Episoden. Areale des frontalen Pol (BA10) wurden wiederholt mit der Entstehung des autonoetischen Bewusstseins während des Abrufs von Episoden aus der persönlichen Vergangenheit in Verbindung gebracht, sowie auch mit der Spezifizierung von Intentionen und Plänen basierend auf der Projektion vergangener Erfahrungen in die Zukunft. FMRT- und PET-Studien über das episodische und seman-
19 . Abb. 19.6. Funktionelle Neuroanatomie des autobiographischen Gedächtnisses: rezente versus alte Erinnerungen (Piefke et al. 2003)
Gedächtnisses in Abhängigkeit von der emotionalen Bewertung einer Erinnerung beobachtet (. Tab. 19.2). Gegenüber negativen Erinnerungen aktivierten positive interessanterweise den entorhinalen Kortex, die Amygdala und angrenzende Strukturen des medialen Temporallappens. Der Abruf negativer episodisch-autobiographischer Information führte dagegen zu verstärkter neuronaler Aktivität im rechten mittleren temporalen Gyrus (. Abb. 19.7). Die Daten legen nahe, dass die Amygdala und benachbarte Strukturen nicht nur, wie häufig angenommen, in der Verarbeitung negativer Emotionen eine Schlüsselrolle spielen, sondern ebenso, oder unter Umständen sogar noch stärker, involviert sind in die Verarbeitung positiver Emotionen.
tische Gedächtnis unterstützen und erweitern die Befunde dieser früheren Untersuchungen präfrontaler Funktionen. Die mit episodischen und semantischen Gedächtnisaufgaben assoziierten frontalen Aktivierungen sind vorwiegend im ventrolateralen und dorsolateralen präfrontalen Kortex sowie in orbitofrontalen und frontopolaren Regionen lokalisiert.
Exkurs Das HERA-Modell (»hemispheric encoding retrieval asymmetry«) postuliert, dass der linke präfrontale Kortex bei der Enkodierung episodischer Information aktiver ist als beim Abruf und dass der rechte präfrontale Kortex wiederum mehr beim Abruf aktiviert wird als bei der Enkodierung solcher Informationen (Tulving et al. 1994; Habib et al. 2003). Das HERA-Modell ist auf der Basis materialspezifischer Lateralisierungsmodelle kritisiert worden. Diese schreiben dem rechten präfrontalen Kortex die Verarbeitung räumlicher und dem linken präfrontalen Kortex die Verarbeitung verbaler Stimuli zu. Die Daten aus einer Studie von McDermott et al. (1999) zeigen jedoch, dass die beiden Ansätze einander nicht ausschließen (. Abb. 19.8).
In einem fMRT-Gedächtnisexperiment können die beobachteten Aktivierungsmuster jeweils abhängig sein von der Modalität der Stimuluspräsentation (z. B. visuell, auditorisch), von Eigenschaften des Stimulusmaterials (z. B. Wörter, Objekte, Bilder), den spezifischen Aufgabenanforderungen (z. B. Enkodierung, freier Abruf, Wiedererkennung) und anderen Aspekten des experimentellen Designs. Darüber hinaus formulieren Nolde et al. (1998b) als Ergebnis eines Reviews neurofunktioneller Bildgebungsstudien, dass die neuronale Aktivität im linken präfrontalen Kortex ansteigt mit der Erweiterung der Komplexität und
19
305 19.2 · Das Langzeitgedächtnis
a
b . Abb. 19.7a, b. Funktionelle Neuroanatomie des autobiographischen Gedächtnisses: positive (a) versus negative (b) Erinnerungen (Piefke et al. 2003)
. Tabelle 19.2. Gehirnregionen mit zeit- und emotionsabhängigen Aktivierungen während des Abrufs autobiographischer Erinnerungen (Piefke et al. 2003)
Region
Lateralisierung
X
y
Z
T-Wert
Retrosplenialer Kortex
L
-4
-46
+24
6,6*
Hippocampusformation
R L
+30 –24
–20 –22
–20 –18
4,3** 4,7**
Orbitofrontaler Kortex
R
+6
+56
-12
6,1*
Temporaler Pol
R
+34
+8
-40
5,0*
Entorhinaler Kortex
R L
+24 –22
–10 –12
–34 –32
4,9* 5,1*
R
+50
-30
-6
6,2*
Haupteffekt rezenter Erinnerungen
Haupteffekt positiver Emotionen
Haupteffekt negativer Emotionen Mittlerer temporaler Gyrus
* signifikant bei p Definition Unter Semantik versteht man die Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken sowie Bedeutungsbeziehungen zwischen Wörtern.
Im Bereich des Sprachverstehens werden üblicherweise visuell oder auditiv Wörter oder Sätze präsentiert, wobei die Versuchpersonen entweder passiv zuhören/-schauen, eine Aufgabe ausführen, die sich inhaltlich auf das Stimulusmaterial bezieht (Entscheidungs-, Gedächtnisaufgaben) oder einer Aufgabe unterzogen werden, die nur der Aufmerksamkeitskontrolle dient (z. B. Tastendruck nach jedem Wort). Passive oder nicht-materialbezogene Aufgaben finden sich oft in Priming-Paradigmen, in denen die Effekte semantisch verwandter (Hund – Katze) und nicht-verwandter (Hund – Nagel) Begriffe verglichen werden. Andere, materialbezogene Paradigmen beinhalten Entscheidungen über semantische Aspekte der Stimuli wie ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kategorie (z. B. Tiere, Werkzeuge) oder eine bestimmte Eigenschaft (z. B. belebt – unbelebt, natürliche Größe, Ähnlichkeit). In einer lexikalischen Entscheidungsaufgabe treffen die Versuchpersonen die Entscheidung, ob der Stimulus ein reales Wort, z. B. »Ofen«, ein orthographisch legales Pseudowort »Efon« oder ein Nicht-Wort »Fnoe« ist. Im Satzkontext können Versuchpersonen mit semantisch plausiblen oder unplausiblen Sätzen konfrontiert werden. Beispiele für solche Sätze sind (Friederici et al. 2003): »Die Gans wurde gefüttert« (plausibel) bzw. »Das Lineal wurde gefüttert« (unplausibel). Bei der Sprachproduktion dienen anstelle von Wörtern meist Bilder oder Szenen als Stimuli, die von den Versuchspersonen zu benennen (Wortebene) oder zu beschreiben (Satzebene) sind. Verbreitet sind auch Wortgenerierungsaufgaben (»verbal fluency«), in denen zu einem vorgegebenen Begriff, z. B. Hund, verwandte Wörter zu produzieren sind (Leine, Katze etc.). In Bildbenennungsexperimenten können die Stimuli wiederum semantisch miteinander verwandt sein bzw. zu vorgegebenen Kategorien gehören.
315 20.3 · Sprachverarbeitung
Bildgebende Befunde zu semantischer Verarbeitung Die Aktivierungsbefunde stimmen für die Domänen Sprachverstehen und Sprachproduktion weitestgehend überein, so dass sie im Folgenden gemeinsam dargestellt werden. Eine Reihe von Ergebnissen spricht für die Existenz von »semantic maps«, d. h. kategorienspezifischen Repräsentationen von Begriffen im linken Temporallappen. Einer aktuellen Metaanalyse (Devlin et al. 2002) zufolge ist jedoch die einzige Unterscheidung, die sich über alle Studien als beständig erweist, die zwischen natürlichen (medialer Temporalpol) und künstlichen Objekten (linker posteriorer Gyrus temporalis medius). Zusätzlich zu den konsistenten links-temporalen Aktivierungen finden sich bei semantischer Verarbeitung auch Foci im linken inferior-frontalen Bereich. Thompson-Schill (1997) formulierte erstmals die Hypothese, dass diese Aktivierung immer und nur dann auftritt, wenn spezifische semantische Informationen (z. B. die Farbe eines Objektes) ausgewählt werden müssen. Das würde bedeuten, dass die Repräsentation von Begriffen sich vornehmlich linkshemisphärisch inferior- und medial-temporal befindet, während links inferior-frontale Aktivierungen anforderungsoder aufgabenbezogen sind. Schließlich gibt es Befunde zu Aktivierungen in der Pars orbitalis, die etwa der Area 47 nach Brodmann entspricht, bei semantischer Satzverarbeitung (Dapretto u. Bookheimer 1999). Eine Untersuchung, bei der Worte zu verschiedenen Kategorien (z. B. Musikinstrumente, Tiere, Autos) generiert werden sollten, ergab im Vergleich zu einer Kontrollbedingung mit automatisierter Wortgenerierung (Wochen- und Monatstage) Aktivierungen im linken Gyrus frontalis inferior. Diese wurden mit zytoarchitektonischen Wahrscheinlichkeitskarten der Areale 44 und 45 überlagert (. Abb. 20.6). Die maximalen Aktivierungen lagen mit einer Wahrscheinlichkeit von 60% in der Area 45 und nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 20% in der Area 44 der linken Hemisphäre (Amunts et al. 2004), was dafür spricht, dass die linke Area 45 stärker in semantische Verarbeitung einbezogen ist als die Area 44 derselben Hemisphäre. Solche kombinierten Analysen von zytoarchitektonischen Wahrscheinlichkeitskarten (»probability maps«) und Aktivierungen aus fMRT-Untersuchungen ermöglichen einerseits eine größere Präzision bei der Lokalisation der Aktivierungen, aber auch eine differenziertere, aufgrund quantitativer Darstellung und Abwägung der Ergebnisse der Lokalisation. Dies erscheint notwendig, da gerade neurolinguistische und neuropsychologische Studien immer differenziertere Fragestellungen zur Sprachverarbeitung analysieren, z. B. die neuralen Korrelate der Unterscheidbarkeit ähnlicher semantischer Kategorien oder bestimmter syntaktischer Regeln (7 unten). Es gibt Hinweise darauf, dass in der (linken) Broca-Region eine funktionelle Spezialisierung besteht mit einer stärkeren Involvierung der Area 44 in syntaktische Aspekte der Sprachverarbeitung (7 unten)
. Abb. 20.6. Anatomische Wahrscheinlichkeitskarten der Areale 44 (rot) und 45 (gelb) auf einem Horizontalschnitt bei z=4 mm überlagert mit den Aktivierungen einer fMRT-Studie (blau) zur Wortflüssigkeit (Amunts et al. 2004). Für die kortikalen Areale wurden alle die Voxel dargestellt, die in 4 oder mehr der 10 untersuchten Post-mortem-Gehirne im Referenzraum übereinstimmten. Die Area 45 überlagert sich mit der Aktivierung (grün) bei höherer semantischer Belastung. Dargestellt wurden alle die Voxel der Areale im Standardraum, die in 4 oder mehr von 10 Post-mortem-Gehirnen nach Untersucher-unabhängigem Mapping übereinander zu liegen kommen. L linke Hemisphäre
und einer Fokussierung der Area 45 auf semantische Aspekte (Friederici u. Kotz 2003). ! An der Verarbeitung semantischer Informationen sind vor allem die Areale 45 und 47 (zur Broca-Region gehörig) im linken Gyrus frontalis inferior und der linke Temporallappen beteiligt. Im Temporallappen sind semantische Informationen gespeichert. Die Areae 45 und 47 unterstützen die Selektion bzw. den Abruf von spezifischer semantischer Information.
20.3.2
Phonologie
> Definition Ein bedeutungsunterscheidender Sprachlaut wird als Phonem bezeichnet. Die Phonologie ist eine Teildisziplin der Sprachwissenschaft, die sich mit Phonemen und ihren Beziehungen beschäftigt.
Bei den experimentellen Paradigmen zu phonologischen Aspekten von Sprache dominieren explizite phonologische Entscheidungen, z. B. über die Identität zweier Silben »dip – tip« oder die Reihenfolge von Phonemen (B nach D in Duisburg). Ähnlich wird bei der Produktion entschieden, ob z. B. der Name eines auf einem Bild gezeigten Objektes
20
316
20
Kapitel 20 · Funktionelle Neuroanatomie der Sprache
mit einem bestimmten Phonem beginnt. Weitere Methoden sind z. B. das Reimen auf ein gegebenes Startwort oder die Entscheidung, ob sich 2 Worte reimen.
Bildgebende Befunde zu phonologischer Verarbeitung Bei phonologischer Verarbeitung in der Perzeption zeigen sich konsistent Aktivierungen im oberen Bereich der Pars opercularis, dem posterioren Anteil des linken Gyrus temporalis superior sowie bei akustischer Präsentation, im primären und assoziativen auditorischen Kortex. Gemäß einer Studie von Burton findet sich der inferior-frontale Fokus nur, wenn die Stimuli sich mindestens um ein Phonem unterscheiden »dip – ten«, nicht aber bei subphonemischen Differenzen wie Stimmhaftigkeit »dip – tip« (Burton et al.
2000). Thierry und Kollegen (1999) zeigten, dass die Aktivierung im posterioren superioren Temporalgyrus zeitlich vor der im Gyrus frontalis inferior auftritt. Weniger eindeutig ist die Befundlage zur phonologischen Produktion. Neuere fMRT-Untersuchungen deuten auf die Beteiligung desselben Netzwerks wie beim Verstehen, jedoch mit umgekehrter zeitlicher Dynamik, hin (7 Box 20.2; Heim u. Friederici 2003; Heim et al. 2003b). ! Eine Region im posterioren Gyrus temporalis superior (Wernicke-Region) dient als phonologischer Wortformspeicher, während die Area 44 in der Pars opercularis (Broca-Region) wahrscheinlich immer dann aktiviert wird, wenn auf einzelne Phoneme zugegriffen werden muss.
Box 20.2. Beispiel eines fMRT-Experiments zur Untersuchung phonologischer Prozesse bei Sprachproduktion (Heim u. Friederici 2003; Heim et al. 2003b) Stimulusmaterial 5 80 Bilder von realen Objekten: 25% natürliche (z. B. Tiere, Pflanzen), 75% künstliche (z. B. Werkzeuge, Gebäude). 5 Die Bildnamen beginnen in 25% der Fälle mit einem Vokal und in 75% mit einem Konsonant (je 25% B, K, und T).
weisreiz und Stimulus) zur Steigerung der experimentellen Aussagekraft. MR-Methode 5 Funktionell: EPI-Sequenz (TR=1 s, TE=30 ms), 8 axiale Schichten.
Aufgaben 5 Semantische Entscheidung (SEMAN): Ist das dargestellte Objekt natürlich? 5 Phonologische Entscheidung (PHON1): Beginnt der Bildname mit B? 5 Phonologische Entscheidung (PHON2): Beginnt der Bildname mit einem Vokal?
Resultate (. Abb. 20.7) 5 Aktivierung für phonologische Prozesse (»conjunction analysis« PHON1 und PHON2 minus SEMAN): Broca-Region (linker Gyrus frontalis inferior, etwa im Bereich der Area 44), Wernicke-Region (linker posteriorer Gyrus temporalis superior, etwa im Bereich der Area 22). 5 Zeitliche Dynamik (»time to peak«, TTP) der BOLD-Antwort: Broca-Region vor Wernicke-Region.
Design 5 Ereigniskorreliert (Aufgaben und Stimuli erscheinen in pseudorandomisierter Reihenfolge). 5 »Null events« (Durchgänge ohne Stimuli) und »jittering« (variable Zeitintervalle zwischen Aufgabenhin-
Fazit 5 Aktivierung in demselben kortikalen Netzwerk wie bei Sprachproduktion und Sprachverstehen. 5 Zeitliche Dynamik bei Sprachproduktion und Sprachverstehen umgekehrt.
20.3.3
Syntax
> Definition Mit Syntax bezeichnet man ein System von Regeln, das beschreibt, wie aus einem Inventar von Grundelementen durch spezifische syntaktische Mittel (morphologische Markierung, Wort- und Satzgliedstellung etc.) alle wohlgeformten Sätze einer Sprache abgeleitet werden können. Beispiele für syntaktische Informationen: grammatikalisches Geschlecht (maskulinum, femininum, neutrum), Wortkategorie (z. B. Substantiv, Verb, Präposition, Konjunktion).
Im Bereich des Sprachverstehens zählen auf der Einzelwortebene Entscheidungsaufgaben (z. B. über grammatikalisches Geschlecht oder Wortkategorie) zu den häufigsten Paradigmen, aber auch das passive Verarbeiten von Wörtern aus unterschiedlichen syntaktischen Kategorien (Substantive, Verben etc.) wurde untersucht. Auf der Satzebene finden sich Vergleiche zwischen Sätzen und Pseudowortsätzen (»Das mumpfige Fölöfel hongert das apoldige Trekon«) (Meyer et al. 2002) oder Wortlisten, syntaktisch korrekten Sätzen (»Die Gans wurde gefüttert«) und inkorrekten Sätzen (»Die Gans wurde im gefüttert«) (Friederici et al. 2003) sowie syntaktisch komplexeren Sätzen (»I helped the
317 20.3 · Sprachverarbeitung
a
b
. Abb. 20.7a, b. Untersuchung phonologischer Prozesse bei Sprachproduktion. a Netzwerk für phonologische Aufgaben (7 Box 20.2) bei der Sprachproduktion, bestehend u. a. aus dem superioren Anteil der Broca-Region (BA 44) und dem posterioren Anteil des linken Gyrus temporalis superior (Wernicke-Region) (Heim et al. 2003b). Die Signifi-
kanz der Aktivierung (z-Wert) ist farbig kodiert. b Zeitliche Dynamik (»time to peak« = Latenz der maximalen Aktivierung) der phonologischen Verarbeitung in diesem Netzwerk (getrennt dargestellt für 2 verschiedene phonologische Aufgaben). Die Aktivierung in der Broca-Region erreicht früher ihr Maximum als die in der Wernicke-Region
girl [that Mary saw in the park]«) (mit Transformationen) gegen solche ohne Transformationen (»I told Mary [that the girl ran in the park]«) (Ben-Shachar et al. 2003). In der Domäne der Sprachproduktion verwendet man das Erzeugen von Wörtern aus bestimmten Kategorien (Substantive, Verben etc.), die Produktion des bestimmten Artikels (der, die, das) von Bildnamen bzw. Wörtern und die Beschreibung bewegter Szenen, bei der die Versuchspersonen entweder alle Worte in Grundform als Wortliste
(»Dreieck, blau, Kreis, rot, stoßen«), in deklinierter Form als Wortliste (»blaues Dreieck, roter Kreis, stoßen«) oder als ganzen Satz produzieren (»Das blaue Dreieck stößt den roten Kreis«) (Indefrey et al. 2004). Der letztgenannte Ansatz erfordert den Zugriff auf unterschiedliche Ausmaße an syntaktischer Information in den einzelnen Bedingungen (keine versus grammatikalisches Geschlecht versus Wortkategorieinformation und grammatikalisches Geschlecht und syntaktische Verknüpfungsregeln im Satz).
a
b
. Abb. 20.8a–c. Maxima der Aktivierungen für syntaktische Verarbeitung, dargestellt durch das Fadenkreuz und den gelben Kreis, überlagert auf die »probability map« von Area 44 (rot) in der Broca-Re-
c
gion. a Entscheidung über die Wortkategorie. b Entscheidung über das grammatikalische Geschlecht. c Syntaktische Verarbeitung bei der Satzproduktion
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318
20
Kapitel 20 · Funktionelle Neuroanatomie der Sprache
Bildgebende Befunde zu syntaktischer Verarbeitung
Bildgebende Befunde zu prosodischer Verarbeitung
Die Entscheidung über syntaktische Eigenschaften von Einzelwörtern führt in der Mehrzahl der Studien zu einer Aktivierung der Broca-Region in der linken Hemisphäre (Areale 44/45; . Abb. 20.8) (Heim et al. 2003a). Im Satzkontext zeigen sich Aktivierungen im linken tiefen frontalen Operculum und im anterioren Anteil des Gyrus temporalis superior. Für den Vergleich von Sätzen mit komplexerer versus einfacherer syntaktischer Struktur wird über Aktivierungen in verschiedenen Bereichen des linken Gyrus temporalis inferior berichtet (Caplan et al. 1999). Bei sorgfältiger Kontrolle des Stimulusmaterials ergibt sich, dass Aktivierungen in der Broca-Region (etwa Bereich der Area 44) nicht auf Komplexität per se, sondern z. B. auf die Anforderungen an das syntaktische Arbeitsgedächtnis zurückzuführen sind (Fiebach et al. 2002). Auch für die Sprachproduktion wird eine Erhöhung der Hirnaktivität in der Umgebung der Broca-Region berichtet. Für die Beschreibung von Szenen mit Sätzen versus Wortlisten berichteten Indefrey et al. (2004) die Beteiligung der Broca-Region. Die Befunde lassen sich so interpretieren, dass die Broca-Region eine zentrale Rolle bei der Verarbeitung syntaktischer Abhängigkeiten zwischen Elementen eines Satzes spielt.
Generell finden sich in bildgebenden Studien zum Sprachverstehen bilaterale Aktivierungen mit rechtshemisphärischer Dominanz. Dies gilt sowohl für den prosodischen Modus (Meyer et al. 2002) als auch für emotionale Prosodie (Mitchell et al. 2003). Die Foci liegen dabei v.a. in temporalen Regionen, speziell im superioren und medialen Temporalgyrus. Die rechtsdominante Lateralisierung scheint allerdings von der jeweiligen experimentellen Aufgabe abzuhängen (Plante et al. 2002). Zusätzlich zu den temporalen werden auch bilaterale inferior-frontale und frontooperkulare Aktivierungen berichtet (Hsieh et al. 2001; Meyer et al. 2002). Diese werden, wie bei Meyer et al., als antiproportional zur Verfügbarkeit syntaktischer Information im Satz oder, wie bei Hsieh und Mitarbeitern, als abhängig von der sprachspezifischen Erfahrung interpretiert.
! Auch bei der Verarbeitung von syntaktischer Information (grammatikalisches Geschlecht, Wortkategorie, Transformationen etc.) ist die Broca-Region beteiligt.
20.3.4
! Das aus frühen Läsionsstudien stammende Konzept der rechtshemisphärischen Dominanz für prosodische Information wird prinzipiell durch funktionelle Studien unterstützt, bedarf in einigen Punkten jedoch der Spezifizierung. Auf der Basis von funktionellen, neurophysiologischen und Patientendaten schlagen Friederici u. Alter (2004) folgendes »Zwei-Routen-Modell« vor: Tonhöheninformation wird rechtshemisphärisch verarbeitet. Je »linguistischer« die Stimuli oder die Aufgabe, desto höher ist die Beteiligung der linken Hemisphäre. Die Integration der Ergebnisse beider Verarbeitungsrouten erfolgt dabei über das Corpus callosum.
Prosodie
> Definition Prosodie bezeichnet die Sprachmelodie (Wort-, Satzmelodie). Grundparameter sind Amplitude (Lautstärke), Grundfrequenz (Tonhöhe) sowie Rhythmus (Dauer und Pausen).
Erst kürzlich rückte die Untersuchung der melodischen und rhythmischen Eigenschaften von Sprache in den Brennpunkt neurolinguistischer Forschung. In natürlicher Sprache unterscheidet sich die Prosodie für Fragen und Antworten (Modus), betonte und unbetonte Satzelemente (Akzent, Fokus), die emotionale Befindlichkeit des Sprechers etc. Beim Sprachverstehen verwendet man als Stimuli akustisch dargebotene Sätze 4 mit korrekter Prosodie, 4 mit inkorrekter Prosodie (z. B. Fragesatz mit der Betonung eines Aussagesatzes; inhaltlich fröhliche Aussage mit trauriger Prosodie), 4 ohne Prosodie (Eliminierung der Grundfrequenzänderungen durch Filter) oder 4 mit erhaltener prosodischer Information, aber ohne verstehbare Wörter, »als ob jemand hinter einer geschlossenen Tür redet« (Meyer et al. 2002).
20.4
Gebärdensprache, Zweitsprachen
Funktionelle bildgebende Untersuchungen konnten zeigen, dass neben offener (gesprochener, »overt speech«) und stiller Sprache (»covert speech«) auch Zeichensprache zu einer Aktivierung der klassischen Sprachzentren führt. So wies Horwitz et al. (2003) in einer PET-Studie zur Untersuchung von »American Sign Language« an bilingualen (beherrschen »American Sign Language« und »gesprochenes« Englisch) und monolingualen Probanden (beherrschen nur »gesprochenes« Englisch, kein »American Sign Language«) nach, dass »American Sign Language« genauso wie (gesprochenes) Englisch bei Probanden, die bilingual aufgewachsen sind, zu einer Aktivierung der linken Area 45 führt. Hierbei wurden zur topographischen Interpretation wiederum zytoarchitektonische Wahrscheinlichkeitskarten der Areale 44 und 45 (Amunts et al. 1999) genutzt. Es wurden während des Experiments auftretende Bewegungen der Extremitäten und des Larynx kontrolliert.
319 20.4 · Gebärdensprache, Zweitsprachen
! Zeichensprache greift auf ähnliche neurale Netzwerke wie gesprochene Sprache zurück, zumindest dann, wenn diese zu einem relativ frühen Zeitpunkt während der Ontogenese erlernt wurde.
Diese Befunde werden unterstützt durch Ergebnisse von Untersuchungen zum Zweitspracherwerb (Kim et al. 1997; Perani et al. 1998). Eine wichtige Rolle, welche Regionen für die Zweitsprache genutzt werden, spielt dabei allerdings das Alter, in dem der Spracherwerb erfolgte sowie der Grad der Sprachbeherrschung (Perani et al. 1998). Darüber sind für die Lokalisation von Aktivierungen mit nur geringen topographischen Unterschieden im Bereich weniger Millimeter, wie z. B. die in der Studie von Kim et al. (1997) in Bezug auf spät erlernte Zweitsprachen und Muttersprachen, methodische Fragen des Auflösungsvermögens der Bildgebung, des Warpings, der Filterung usw. sowie die Genauigkeit der zugrundeliegenden anatomischen Karten besonders zu berücksichtigen.
Zusammenfassung und Ausblick Sprachliche Informationen werden im Gehirn vornehmlich in links-lateralisierten Netzwerken verarbeitet, die aus inferior-frontalen und temporalen Komponenten bestehen, die sich zum Teil mit den »klassischen« 6
. Abb. 20.9. Metaanalyse über 32 Studien aus den Jahren 1992– 2005, die Aktivierungen in der Broca-Region berichten (Heim, unveröffentlichte Daten). Farbig kodiert sind die Maxima der Aktivierungen für die Verarbeitung von Sprachinformationen (Phonologie: blau, Syntax: rot, Semantik: orange) sowie Aufgabenkontrolle (grün) und Verarbeitung von Rhythmus und Vorstellung von Bewegung (gelb), darge-
Sprachregionen (Broca, Wernicke) decken. Diese Netzwerke sind sowohl in Prozesse des Sprachverstehens als auch der -produktion involviert. Speziell für das Broca-Areal lässt sich eine Beteiligung an der Verarbeitung einer Vielzahl von linguistischen Informationen und Prozessen (Semantik, Syntax, Phonologie, Zweitsprachkontrolle) festhalten, wobei es eine funktionelle Spezialisierung der Areale 44 und 45 innerhalb der Broca-Region gibt (. Abb. 20.9). Das gegenwärtige Konzept zur Funktion der Wernicke-Region ist dagegen weit weniger präzise formuliert; es scheinen neben den klassischen posterioren (Area 22, posteriorer Teil) auch mittlere und sogar anteriore Anteile des Gyrus temporalis superior sowie Bereiche des Lobulus parietalis inferior bei der Sprachverarbeitung eine Rolle zu spielen. Diese Netzwerkorganisation von Sprache ist bei der sprachbezogenen Funktionsdiagnostik neurologischer und psychiatrischer Patienten von Bedeutung. Die genaue Klärung des Zusammenhangs zwischen funktioneller und struktureller Spezialisierung der Broca- und der Wernicke-Region sowie deren Einbindung in sprachrelevante Netzwerke wird auch weiterhin Schwerpunkt klinischer und angewandter Forschung sein.
stellt auf einem repräsentativen Referenzgehirn. Die Abbildung verdeutlicht die im Text beschriebene Konzentration in Unterbereichen der Broca-Region und die große Variabilität in der Lokalisierung. Insgesamt lässt sich die Komplexität der Prozesse erkennen, an denen die Broca-Region beteiligt ist
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320
Kapitel 20 · Funktionelle Neuroanatomie der Sprache
20.5
20
Literatur
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21 21 Zahlenverarbeitung und Rechnen H.-C. Nuerk, K. Willmes
21.1 Ein funktional-anatomisches Modell der Zahlenverarbeitung – 322 21.2 Wo werden Zahlen im Gehirn verarbeitet? – 323 21.3 Drei parietale Netzwerke der Zahlenverarbeitung – 328 21.4 Literatur
– 331
322
Kapitel 21 · Zahlenverbeitung und Rechnen
))
21
Zahlen werden nicht als eine Entität verarbeitet. Eine häufige Beobachtung im klinischen Alltag ist, dass Patienten bestimmte Aufgaben mit Zahlen problemlos ausführen können, während ihnen andere einfache Aufgaben große Schwierigkeiten bereiten. So können beispielsweise Patienten mit Läsionen im Versorgungsgebiet der linken Arteria cerebri media im Allgemeinen Größenvergleiche zwischen arabischen Zahlen noch ohne Fehler ausführen, während sie gleichzeitig unfähig sind, selbst einfachste Zahlen sicher zu benennen.
21.1
Ein funktional-anatomisches Modell der Zahlenverarbeitung
! Zahlenverarbeitung beschäftigt sich mit der Wahrnehmung, Repräsentation und Manipulation von Zahlen (wie z. B. beim Rechnen). Eine einzelne Zahl wird multidimensional repräsentiert und nicht als eine einzige Entität wahrgenommen.
Dehaene und Cohen haben 1995 (Dehaene u. Cohen 1997; Cohen u. Dehaene 2000; . Abb. 21.1) ein funktional-anatomisches Modell der Zahlenverarbeitung vorgeschlagen, das weltweit große Bedeutung für die Konzeption und Interpretation von fMRT-Studien zur Zahlenverarbeitung besitzt. Es wird postuliert, dass verschiedene Funktionen der Zahlenverarbeitung von verschiedenen, zum Teil weit auseinander liegenden Hirnregionen übernommen werden und deshalb auch unabhängig voneinander beeinträchtigt sein können. Das funktional-anatomische Modell von Dehaene und Cohen (1995) basiert auf dem Triple-Code-Modell von Dehaene (1992) und postuliert im Wesentlichen 3 verschiede-
ne Hirnregionen, die die 3 verschiedenen Zahlenrepräsentationen des kognitionspsychologischen Triple-Code-Modells unterstützen: 4 Eine beidseitig im Parietallappen lokalisierte numerische Größenrepräsentation, mittels derer Größenvergleiche (z. B. ist 9 größer als 5?) oder Abschätzungen (120 Personen in einem Bus, ist das viel oder wenig?) vorgenommen werden. In späteren Versionen des Modells wird diese Lokalisation näher spezifiziert: Die Größenrepräsentation stützt sich auf Strukturen des intraparietalen Sulcus (IPS) und noch spezifischer dessen horizontalem Anteil (hIPS, horizontaler Abschnitt des intraparietalen Sulcus). 4 Eine linksseitig in perisylvischen Arealen lokalisierte verbale Repräsentation von Zahlen (z. B. /neun/), an die auch arithmetisches Faktenwissen wie das kleine 1×1 gebunden ist. Ist diese Repräsentation gestört, können u. U. Zahlen nicht mehr richtig benannt werden. Insbesondere der Abruf von multiplikativem Faktenwissen ist häufig gestört. Diese verbale Repräsentation bezieht subkortikale Verbindungen und Strukturen unter Beteiligung von Thalamus und Basalganglien mit ein. 4 Eine beidseitig (für arabische Ziffern) bzw. einseitig links (für Zahlwörter) im okzipitotemporalen Übergangsbereich (BA19/37) lokalisierte Repräsentation der visuellen Zahlenform (z. B. der Form /9/), die uns arabische Zahlensymbole erkennen lässt. In frühen Versionen des Modells ist diese Repräsentation der visuellen Zahlenform mit dem Zugriff auf die Paritätsinformation über Zahlen mit gerade/ungerade-Entscheidungsaufgaben verknüpft. Zusätzlich ist im Modell noch eine unspezifische vierte Verarbeitungskomponente vorgesehen, die in . Abb. 21.1 unter Strategiewahl und Planung bilateral im dorsolateralen präfrontalen Kortex (DLPFC) lokalisiert ist. Dort werden
. Abb. 21.1. Funktional-anatomisches Modell der Zahlenverarbeitung in der Darstellung von Willmes (2002)
323 21.2 · Wo werden Zahlen im Gehirn verabeitet?
strategisches Wissen über Rechenprozeduren (wie z. B. der Zehnerübertrag bei mehrstelligen Rechenaufgaben) und Planungsprozeduren bei komplexen Rechenaufgaben als notwendige aber nicht spezifische Komponenten für die Zahlenverarbeitung postuliert.
Exkurs »Calculating without reading« Besonders auffällig ist die Dissoziation zwischen Größenrepräsentation und verbaler Repräsentation: Unter dem obigen provokanten Titel wurde ein Patient vorgestellt, der einfache, visuell in arabischen Ziffern dargebotene Additionsaufgaben zu 60–70% richtig lösen konnte, obwohl er mindestens eine der Ziffern derselben Additionsaufgaben während ihrer Durchführung zu 80% falsch benannte. Auf die Darbietung von 2+6 würde er also möglicherweise »fünf + fünf« lesen und dann die richtige Antwort »acht« geben. Patienten können also die Zahlen verbal im Ausgabelexikon falsch repräsentieren, aber ihrer Größe nach trotzdem zum richtigen Ergebnis kommen, obwohl das Ergebnis auch mittels der gestörten verbalen Repräsentation sprachlich produziert werden musste (Cohen u. Dehaene 2000; Whalen et al. 2002).
21.2
Wo werden Zahlen im Gehirn verarbeitet?
Das Modell von Dehaene und Cohen (1995) wurde aufgrund von neuropsychologischen Befunden und kognitionspsychologischen Experimenten postuliert. Deshalb war es zunächst fraglich, ob es funktionell-anatomischen Daten wie fMRT-Aktivierungen standhalten würde. Die wichtigste und nach Dehaene et al. (2003) spezifischste Zahlenrepräsentation ist die semantische Größenrepräsentation, die im Bereich des intraparietalen Sulcus lokalisiert wird. Chochon et al. (1999) konnten in einer fMRT-Studie Aktivierungen im Bereich des anterioren, mittleren und posterioren Teils des IPS für Aufgabenstellungen zeigen, in denen die Semantik von Zahlen verarbeitet wird. Beim Größenvergleich, in einer Subtraktions- und in einer Multiplikationsaufgabe war jeweils bilateral der IPS stärker aktiviert als in der Kontrollaufgabe (Benennen von Buchstaben), während das bloße Benennen von Zahlen im Vergleich zu Buchstaben keine höhere IPS-Aktivierung auslöste. Stärkere Aktivierungen des IPS waren in der Subtraktionsaufgabe im Vergleich zu Multiplikationsaufgaben zu finden. Dieser Befund stimmt mit früheren Postulaten der Gruppe um Dehaene überein, wonach Subtraktion stärker auf parietale Areale, die numerische Größenrepräsentation, zugreift, während Multiplikation stärker mit Arealen verbaler Verarbeitung verknüpft ist.
Neben diesen klassischen parietalen Arealen wurden auch bilateral dorsolateral-präfrontale Areale aktiviert, die gewöhnlich mit Arbeitsgedächtnisfunktionen assoziiert werden, sowie das anteriore Cingulum, das mit Aufmerksamkeitsanforderungen in Verbindung gebracht wird. . Tabelle 21.1 gibt einen Überblick über Folgestudien auch von anderen Arbeitsgruppen, die die wichtige Rolle des IPS für die numerische Größenrepräsentation belegen. Thioux et al. (1999) fanden eine bilaterale IPS-Aktivierung beim Vergleich von Zahlen, aber nicht beim Vergleich der Gefährlichkeit von Tieren. IPS-Aktivierungen in Rechenaufgaben und insbesondere in Subtraktionsaufgaben wurden häufig repliziert (z. B. Burbaud et al. 1999; Chochon et al. 1999; Cohen et al. 2000; Rückert et al. 1996; Simon et al. 2002). Im Vergleich zu einfachen Kontrollaufgaben fanden sich jedoch auch häufig Aktivierungen des IPS bei Multiplikationsaufgaben (z. B. Chochon et al. 1999; Rickard et al. 2000; Zago et al. 2001) und Additionsaufgaben (z. B. Pesenti et al. 2000; Stanescu-Cosson et al. 2000). Eine einfache Unterscheidung wie »Multiplikationsaufgaben werden verbal gelöst« versus »Größenvergleiche oder Subtraktionsaufgaben werden mit Hilfe der IPS-Größenrepräsentation gelöst«, ist deshalb im Gesamtbild der Aktivierungsstudien nicht haltbar. Bei Multiplikationsaufgaben wird anscheinend meist auch die Größe einer Zahl mitaktiviert, selbst wenn das Ergebnis schnell und verbal als Faktum abgerufen werden kann. Umgekehrt werden auch bei der Subtraktionsaufgabe oft Areale mitaktiviert, die mit verbalen Repräsentationen verknüpft werden. So berichteten etliche Studien bei Subtraktion Aktivierungen im und in der Nähe des BrocaAreals (BA 44 und 45; Burbaud et al. 1999; Chochon et al. 1999; Simon et al. 2002). Subtraktion scheint also auch verbale Repräsentationen anzusprechen. Insgesamt bleibt festzustellen, dass vor allem bei komplexen Rechenaufgaben stets das gesamte von Dehaene und Cohen postulierte Netzwerk aktiviert ist und nicht nur spezifische Hirnareale für spezifische Aufgaben. Die Aktivierungen in diesen Hirnarealen bleiben jedoch nicht unveränderlich, sondern können sich als Funktion von Training und Expertise unterscheiden.
Exkurs Die Veränderung von Zahlenaktivierungen durch systematisches Training Delazer und Kollegen (2003) ließen Probanden Multiplikationsfakten lernen und verglichen Aktivierungen bei gelernten Fakten mit denen bei nicht gelernten Fakten. Sie fanden signifikant stärkere Aktivierungen für nicht trainierte Multiplikationsitems im linken IPS, links im inferior parietalen Bereich (-64, -24, 24) sowie im linken inferioren frontalen Gyrus sowie in linken perisylvischen Arealen (-62, -36, 20) und im linken Gyrus lingualis (-8, -84, 0). Dagegen ergaben sich für die trainierten 6
21
324
Kapitel 21 · Zahlenverbeitung und Rechnen
. Tabelle 21.1. Überblick über die Aktivierungen in ausgewählten wichtigen bildgebenden fMRT-Studien zur Zahlenverarbeitung erweitert und verändert nach Dambeck (2003)
21
Studie Größenvergleich
Aufgabe/Kontrast
Chochon et al. (1999)
Größenvergleich vs. Zahlen benennen
Chochon et al. (1999)
Größenvergleich mit Standard ›S‹ vs. Buchstaben benennen
Dehaene et al. (1996)
Größenvergleich vs. Multiplikation
Dehaene et al. (1996)
Größenvergleich vs. Ruhe
Le Clec’H et al. (2000)
arab. Zahlen mit Standard ›12‹ vs. Körperteil oberhalb/unterhalb Standard ›Schulter‹ (Exp.1)
Le Clec’H et al. (2000)
arab. Zahlen mit Standard ›12‹ vs. Körperteil oberhalb/unterhalb Standard ›Schulter‹ (Exp.2)
Naccache & Dehaene (2001)
geprimter vs. ungeprimter Größenvergleich (Repetitionsunterdrückung)
Pesenti et al. (2000)
Größenvergleich vs. Orientierungsaufgabe zu arab. Zahlen
Pesenti et al. (2000)
Größenvergleich vs. Orientierungsaufgabe zu nichtnumerischen Stimuli
Rickard et al. (2000)
Größenvergleich für zweistellige Zahlen
Rickard et al. (2000)
Größenvergleich vs. Detektion der Zahl ›1‹ in vierstelligen Zahlenreihen
Thioux et al. (1999)
Größenvergleich arab. Zahlen mit Standard ›5‹ vs. visuoperzeptive Aufgabe
Thioux et al. (1999)
Größenvergleich arab. Zahlen mit Standard ›5‹ vs. Gefährlichkeit von Tieren mit dem Standard ›Hund‹
Hirnregion frontal 10
R
9
46
R
11
47
r
B
R
R
45
R
44
6
8
B
B, r
r
R
R
R
L
L
4
B
L L B B
R
R
L
L
Paritätsentscheidung Thioux et al. (1999)
arab. Zahlen vs. visuoperzeptive Aufgabe
Thioux et al. (1999)
arab. Zahlen vs. Kategorie von Tieren (Säugetiere j/n)
L L
Rechenaufgabe
Multiplikation
Chochon et al. (1999)
Multiplikation vs. Größenvergleich
Chochon et al. (1999)
Multiplikation vs. Zahlen benennen
Chochon et al. (1999)
Multiplikation mit 3 vs. Buchstaben benennen
Cohen et al. (2000)
Patient ATH: Multiplikation vs. Subtraktion
Dehaene et al. (1996)
Multiplikation vs. Größenvergleich
Dehaene et al. (1996)
Multiplikation vs. Ruhe
Delazer et al. (2003)
Multiplikationsabruf vs. Zahlen-Matching
Delazer et al. (2003)
untrainierte Multiplikationsfakten vs. Zahlen-Matching
Delazer et al. (2003)
untrainierte vs. trainierte Multiplikationsfakten
Delazer et al. (2003)
trainierte vs. untrainierte Multiplikationsfakten
Kazui et al. (2000)
Multiplikation vs. Zahlen zählen
Rickard et al. (2000)
Multiplikationsverifikation einstelliger Zahlen
B
Zago et al. (2001)
Multiplikation (kleines 1x1) vs. Multiplikation (großes 1x1)
L
Zago et al. (2001)
Multiplikation (kleines 1x1) vs. Zahlenpaare vorlesen
Zago et al. (2001)
Multiplikation (großes 1x1) vs. Zahlenpaare vorlesen
Zago et al. (2001)
Multiplikation (kleines und großes 1x1) vs. Zahlenpaare vorlesen
L B
B
B
B
R
R
R b B
R R
L
L
L
B
R
L L B
L
L, l
L
L
L
L
B
B
B
B
L
L B
L B
L
L
L
L
L
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21
325 21.2 · Wo werden Zahlen im Gehirn verabeitet?
G. cinguli ant
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I
IPS
temporal 40
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okzipital 22
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Diverse
cb
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R
R
*
B
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bg
B
B
B
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B
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B
B
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L L
L L
* *
B
* B
B
B
B
#
*
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Kapitel 21 · Zahlenverbeitung und Rechnen
. Tabelle 21.1 (Fortsetzung)
21
Studie Größenvergleich
Aufgabe/Kontrast
Rechenaufgabe
Subtraktion
Burbaud et al. (1995)
sukzessive mentale Subtraktion vs. Ordinalzahlen aufzählen
Burbaud et al. (1999)
sukzessive mentale Subtraktion vs. Ruhe
Burbaud et al. (1999)
Hirnregion frontal 10
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11
47
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?
L
L
?
?
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?
L
mentale Subtraktion von einer gedachten Zahl vs. Zahl ausdenken
L
L
Burbaud et al. (1999)
mentale Subtraktion von einer gedachten Zahl vs. Ruhe
L
L
Chochon et al. (1999)
Subtraktion vs. Multiplikation
Chochon et al. (1999)
Subtraktion vs. Größenvergleich
Chochon et al. (1999) Chochon et al. (1999) Cohen et al. (2000)
Patient ATH: Subtraktion vs. Multiplikation
Ghatan et al. (1998)
serielle Subtraktion
Kazui et al. (2000)
serielle Subtraktion vs. Zahlen zählen
Rueckert et al. (1996)
serielle Subtraktion vs. Vorwärtszählen (mental)
Simon et al. (2002)
Subtraktion von 11 bzw. 15 vs. Buchstaben benennen
L
R
L
R
B
B
Subtraktion vs. Zahlen benennen
R
B
Subtraktion von 11 vs. Buchstaben benennen
B
B
?
B
B
B
B
B
B
B
L
L
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?
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B
#
#
#
#
#
L L
Addition
Dehaene & Cohen (1999)
approximative vs. exakte Berechnung
Dehaene & Cohen (1999)
exakte vs. approximative Berechnung
Dehaene et al. (1999)
exakte Addition zweistelliger Zahlen
Dehaene et al. (1999)
approximative Addition zweistelliger Zahlen
De Jong et al. (1996)
serielle Addition der zuletzt gehörten Zahl
Pesenti et al. (2000)
Addition vs. Größenvergleich
Pesenti et al. (2000)
Addition vs. Orientierungsaufgabe zu nichtnumerischen Stimuli
Stanescu-Cosson et al. (2000)
Addition vs. Buchstabenzuordnen
B
Stanescu-Cosson et al. (2000)
exakte vs. approximative Addition
L
Stanescu-Cosson et al. (2000)
approximative vs. exakte Addition
L
B
Rechenaufgabe
gemischt
Code et al. (1999)
nicht näher präzisiert
L
L
Cohen et al. (2000)
Patient ATH: Rechnen (Multiplikation, Subtraktion) vs. Buchstabenzuordnen
L
L
Cohen et al. (2000)
Patient ATH: Rechnen (Multiplikation, Subtraktion) vs. Ruhe
Cowell et al. (2000)
einfache Rechenaufgaben
Sakurai et al. (1996)
Rechnen vs. »verdecktes Lesen«
Sakurai et al. (1996)
Rechnen vs. »Fixationskontrolle«
L
L
R
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Rechenaufgabe
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B B
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8
L
L
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L
B
B
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B
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B # L
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327 21.2 · Wo werden Zahlen im Gehirn verabeitet?
G. cinguli ant
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L
L
L
L
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328
Kapitel 21 · Zahlenverbeitung und Rechnen
. Tabelle 21.1 (Fortsetzung)
21
Studie Größenvergleich
Aufgabe/Kontrast
Rechenaufgabe
Subtraktion
Hirnregion frontal 10
9
Chochon et al. (1999)
Zahlen benennen vs. Buchstaben benennen
Burbaud et al. (1995)
Ordinalzahlen aufzählen vs. Ruhe
Burbaud et al. (1999)
Zahl ausdenken vs. Ruhe
Code et al. (1999)
Zahlen wiederholen von auditorischen Stimuli
L
Cowell et al. (2000)
Zahlen wiederholen
L
Pesenti et al. (2000)
Orientierungsaufgabe zu arab. Zahlen vs. Größenvergleich
Pesenti et al. (2000)
Orientierungsaufgabe zu arab. Zahlen vs. Orientierungsaufgabe zu nichtnumerischen Stimuli
46
11
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r
R
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L
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4
B
Abkürzungen: L links lateral oder nicht spezifiziert, R rechts lateral oder nicht spezifiziert, B bilateral, l links medial, r rechts medial, m medial, b bilateral Mittellinie, # nicht näher bezeichnet, ? unklare Darstellung, IPS S. intraparietalis, bg Basalganglien, cb Zerebellum, ins Insula, th Thalamus, SPoC Sulcus postcentralis, mt midtemporal, ant auterior, post posterior Die in der Originalarbeit angegebenen anatomischen Lokalisationen wurden wie folgt in Brodmann-Areale (BA) umgewandelt: G. frontalis sup. BA 6, 8, 10, 11; G. frontalis inf. BA 6, 44, 45, 47; G. frontalis med. BA 6, 9, 46; medial präfrontal BA 9, 46; inferior präfrontal BA 44; dorsolateral präfrontal BA 9, 10; (prä-)SMA BA 6; G. precentralis BA 4; Precuneus BA 19; G. fusiformis BA 19, 37; G. angularis BA 39; G. supramarginalis BA 40; G. lingualis BA 17, 18; Cuneus BA 17, 18. Der Einsatz von BA ist nicht unproblematisch; eine Vereinheitlichung der Aktivierungskodierung ist aber notwendig, um studienübergreifende Vergleiche und Metaanalysen zu ermöglichen
Items signifikant stärkere Aktivierungen vor allem links im Gyrus angularis (-46, -60, 24), im inferioren temporalen Gyrus, im zingulären Gyrus sowie bilateral parazentral (-24, -20, 48 und 14, -12, 44) und bilateral im Zerebellum. Sie interpretierten diese Befunde dahingehend, dass bei nicht trainierten Multiplikationsaufgaben die Größenrepräsentation (IPS-Aktivierung) sowie strategische und Arbeitsgedächtnisprozesse (frontale Aktivierungen) noch eine größere Rolle spielen, während die trainierten Items häufiger über einen direkten Faktenabruf (vor allem Gyrus angularis) gelöst werden. Die Ergebnisse erfordern eine Modifikation des Modells von Dehaene und Cohen, da der Faktenabruf eher vermehrt posterior im Gyrus angularis stattzufinden scheint als in (anderen) perisylvischen Arealen, die für nicht trainierte Items stärker aktiviert waren.
21.3
Drei parietale Netzwerke der Zahlenverarbeitung
Solche und andere neuere Befunde dürften Dehaene und Kollegen (2003) bewogen haben, ihr ursprüngliches Modell zu modifizieren und stärker auszudifferenzieren. Sie postulieren nun 3 parietale Netzwerke für die Zahlenverarbeitung (. Abb. 21.2):
4 eine semantische Größenrepräsentation bilateral im horizontalen Segment des intraparietalen Sulcus (hIPS: links -44, -48, 47; rechts 41 -47, 48), 4 eine verbale Verarbeitung und ein multiplikativer Faktenabruf im linken Gyrus angularis (AG; -41, 66, 36) sowie 4 räumliche und Aufmerksamkeitsprozesse bilateral im posterioren superioren Parietallappen (PSPL: links -22, -68, 56; rechts: 15, -63, 56). Horizontaler Abschnitt des intraparietalen Sulcus. Im
hIPS liegt demnach die nonverbale Repräsentation der semantischen Größe, also die nicht-räumlichen Aspekte des mentalen Zahlenstrahls. Dehaene und Kollegen führen Belege aus 5 fMRT-Paradigmen an: 4 Der hIPS sei meist aktiviert bei Rechenaufgaben, vor allem bei Subtraktion (. Tab. 21.1). 4 Der hIPS sei meist aktiviert beim numerischen Größenvergleich. 4 Die Aktivierung des hIPS sei spezifisch beim Vergleich von Zahlenaufgaben mit anderen Kontrollaufgaben. 4 In parametrischen Designs ließe sich nachweisen, dass die IPS-Aktivierung als Funktion der Zahlengröße modulierbar ist. So fanden z. B. Pinel und Kollegen (2001), dass die Aktivierung im hIPS direkt mit numerischer Distanz korrelierte. 4 Unbewusstes Repetitions-Priming führe zu quantitätsspezifischer Unterdrückung von Aktivierung im IPS (Naccache u. Dehaene 2001).
21
329 21.3 · Drei parietale Netzwerke der Zahlenverarbeitung
G. cinguli ant
post
parietal 7
IPS
temporal 40
39
38
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42
okzipital 22
21
20
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th
Diverse
cb Andere
B R R
R
B B
R
B
B
B
B
L
B
B r
auditorischer Kortex
*
B sensomotorisch
*
r
R
Kritisch ist zu diesen Befunden anzumerken, dass vor allem die fMRT-Studien ausführlich diskutiert werden, die das revidierte Modell stützen, während abweichende Befunde nicht erläutert werden. So ist z. B. in der oben beschriebenen Studie von Chochon et al. (1999) der IPS stärker beim numerischen Größenvergleich aktiviert als beim Buchstaben benennen, aber nicht signifikant stärker als beim Zahlenbenennen. In einer frühen PET-Studie fanden Dehaene und Kollegen (1996) selbst überhaupt keine parietalen Aktivierungen im Vergleich zu einer Kontrollbedingung auf dem ursprünglich geplanten Signifikanzniveau. Dagegen fanden Fias und Kollegen (2003) auch parietale Aktivierungen in nicht-numerischen Vergleichsaufgaben sowie – in einer Konjunktionsanalyse – IPS-Aktivierungen bei numerischen und nicht-numerischen (z. B. Winkel-)Vergleichsaufgaben. Nur im vordersten Teil des IPS ergaben sich etwas stärkere Aktivierungen für Zahlen. Insofern legt diese Studie eher eine quantitative, als eine qualitative Spezialisierung des IPS nahe. Insgesamt kann als gesichert angesehen werden, dass die Größenrepräsentation von Zahlen Hirnareale im Bereich des IPS aktivieren kann. Es ist jedoch unklar, wie hinreichend und notwendig (d. h. vor allem auch wie spezifisch) diese Aktivierungen wirklich sind. Die Spezialisierung des hIPS für Zahlen ist die letzte als zahlenspezifisch postulierte Hirnregion in Dehaenes Modell. Selbst dieses letzte Spezialisierungspostulat ist jedoch inzwischen umstritten (Walsh 2003).
Gyrus angularis. Die für die Multiplikationsaufgabe postulierte Aktivierung im linken Gyrus angularis stellt eine Modifikation des ursprünglichen Modells dar, welches verbale Zahlenmanipulationen zumindest sprachlich unspezifischer in perisylvischen Bereichen und in den Abbildungen (Dehaene u. Cohen 1995, 1997) wesentlich weiter anterior als im Gyrus angularis lokalisiert hat. Der Gyrus angularis ist aktiver in Multiplikationsaufgaben als in anderen Rechenaufgaben (Chochon et al. 1999; Gruber et al. 2001; Lee 2000) und bei überlernten (Stanescu-Cosson et al. 2000) oder trainierten (Delazer et al. 2003) Rechenaufgaben. Wie Dehaene und Kollegen selbst herausstellen, ist der Gyrus angularis jedoch nicht spezifisch für die sprachliche Verarbeitung von Zahlen, sondern ist auch aktiv in Leseaufgaben oder verbalen Arbeitsgedächtnisaufgaben (Fiez u. Petersen 1998; Price 1998). Offen bleibt im Modell von Dehaene und Kollegen, warum die Multiplikation einstelliger Zahlen (als auf verbale Zahlenrepräsentation ausgerichtete Repräsentation) nicht nur den Gyrus angularis stärker aktiviert, sondern zum Teil auch stärker IPS-Strukturen aktiviert als z. B. ein Größenvergleich. Posteriorer superiorer parietaler Bereich. Das dritte und
letzte parietale Netzwerk im Modell von Dehaene und Kollegen ist der PSPL, der ebenfalls nicht spezifisch für Zahlenverarbeitung ist, sondern auch in Aufmerksamkeitsaufgaben häufig aktiviert wird (Corbetta et al. 2000; Simon et al. 2002; Wojciulik u. Kanwisher 1999). Dehaene und Kollegen postulieren, dass die räumliche Links-nach-rechts-Orien-
330
Kapitel 21 · Zahlenverbeitung und Rechnen
21
. Abb. 21.2. Lokalisierte Aktivierung der 3 parietalen Netzwerke nach Dehaene. Die Abbildung bildet die Überschneidung der Aktivier-
ung aus mehreren Studien ab. Je roter die Aktivierung, umso größer die Überlappung (Dehaene et al. 2003)
tierung des mentalen Zahlenstrahls hier kodiert wird und dass beim Abruf von semantischer Größe auch verdeckte räumliche Aufmerksamkeit auf den mentalen Zahlenstrahl gelenkt wird. Neuropsychologische Befunde über Zahlenverarbeitung bei Neglekt sind konsistent mit dieser Interpretation. Zorzi und Kollegen (2002) fanden, dass Neglektpatienten bei einer Zahlenbisektionsaufgabe (»Was ist die numerische Mitte zwischen 1 und 9?«) räumlich weiter links liegende Zahlen (also 2, 3 und 4) negierten und als Fehler fast nur Zahlen in der rechten Hälfte des Bisektionsintervalls auftauchten (im obigen Beispiel 6, 7, oder 8). Die Befunde sind also ähnlich wie bei der gewöhnlichen Linienbisektionsaufgabe, in der man eine Linie (und nicht ein Zahlenintervall) in der Mitte teilen muss. Während aber diese Linie tatsächlich visuell-räumlich vor einem zu sehen ist, gibt es bei der Zahlenbisektionsaufgabe keine explizite räumliche Information. Dennoch spielt die mentale räumliche Anordnung von Zahlen auf einem vorgestellten Zahlenstrahl offenbar eine wichtige Rolle in der Zahlenbisektionsaufgabe bei Neglektpatienten. Diese Verbindung zwischen der räumlichen Repräsentation von Zahlen und
räumlicher Aufmerksamkeit ist möglicherweise in der gemeinsamen Kodierung beider Repräsentationen im superior-parietalen Bereich begründet.
Zusammenfassung und Ausblick Neuere fMRT-Studien zur Zahlenverarbeitung führten zu einer stärkeren Ausdifferenzierung und teilweisen Modifizierung des Modells von Dehaene und Cohen (1995) durch Dehaene et al. (2003). Die semantische Größenrepräsentation wurde genauer im horizontalen Teil des intraparietalen Sulcus (hIPS) lokalisiert und anderen parietalen Strukturen wurden andere Repräsentationen zugeordnet. Ein posterior superior parietales System ist demnach für die räumliche Kodierung von Zahlen zuständig. Der Gyrus angularis wird mit der verbalen Zahlenrepräsentation, insbesondere mit dem multiplikativen Zahlenwissen (dem sog. kleinen 1×1), assoziiert. 6
331 21.4 · Literatur
Offene Fragen betreffen die Ausdifferenzierung und Spezifität dieser verschiedenen Repräsentationen: 5 Ist die im IPS lokalisierte Größenrepräsentation wirklich spezifisch für Zahlen oder ist sie Teil eines »general purpose« Größenrepräsentationsystems, das Größe ganz generell für Raum, Zeit, Zahlen und andere Objekte kodiert? 5 Unterspezifiziert sind in den gegenwärtigen Zahlenmodellen die verschiedenen Aspekte der verbalsprachlichen Repräsentation von Zahlen. Ist die Repräsentation von verbal gelernten Multiplikationsfakten wirklich die gleiche verbale Repräsentation im Vergleich zu abstrakteren, konzeptuell-linguistischen Repräsentationen wie der linguistischen Markiertheit (z. B. Nuerk et al. 2004)? In der Sprachforschung werden diese verschiedenen verbalen Repräsentationen unterschieden, in der Zahlenforschung noch nicht.
21.4
Literatur
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21
332
21
Kapitel 21 · Zahlenverbeitung und Rechnen
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22 22
Lateralität und Konnektivität K.E. Stephan, G.R. Fink
22.1
Hemisphärenspezialisierung: ein altes Rätsel der Neurowissenschaften – 334
22.2
Die Natur der Hemisphärenspezialisierung – 334
22.3
Untersuchung lateralisierter kognitiver Prozesse mit fMRT – 335
22.3.1 22.3.2 22.3.3
Sprache – 336 Visuell-räumliche Prozesse – 337 Mechanismen lateralisierter Aktivität bei sprachlichen und visuell-räumlichen Prozessen – 340
22.4
Konnektivität – 340
22.4.1 22.4.2 22.4.3 22.4.4
Strukturelle (anatomische) Konnektivität – 341 Funktionelle Konnektivität – 342 Effektive Konnektivität – 343 Untersuchungen zur Rolle der Konnektivität bei lateralisierten Prozessen – 344
22.5
Literatur – 348
334
Kapitel 22 · Lateralität und Konnektivität
))
22
Obwohl funktionelle Asymmetrien des Gehirns bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts beschrieben wurden, verstehen wir die Ursachen und Mechanismen der Hemisphärenspezialisierung (Lateralisierung) bisher nur unzureichend. Dieses Kapitel gibt einen Überblick, wie Fragen der Lateralisierung mit Hilfe der fMRT untersucht werden können und welche Vorteile die fMRT gegenüber anderen Verfahren bietet. Des Weiteren ist Hemisphärenspezialisierung eng mit Fragen zur Konnektivität des Hirns verzahnt. Zum einen wäre die Lateralisierung von Funktionen nutzlos ohne die Möglichkeit, die Funktion beider Hemisphären zu integrieren; zum anderen gibt es eine zunehmende Zahl von Befunden, die die Natur der funktionellen Hemisphärenunterschiede über Konnektivitätsunterschiede beschreiben. Aus diesen Gründen werden Lateralisierung und Konnektivität in diesem Kapitel zusammen behandelt.
22.1
Hemisphärenspezialisierung: ein altes Rätsel der Neurowissenschaften
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Methode der klinisch-pathologischen Korrelation in der europäischen Medizin etabliert: man begann, systematische Beziehungen zwischen den beobachteten Krankheitssymptomen und pathologischen Organveränderungen abzuleiten. Unter anderem wurden dabei die Gehirne von Patienten untersucht, die einen teilweisen Verlust ihrer Sprachfunktion erlitten hatten (Aphasie). Aus diesen Post-mortem-Untersuchungen der Gehirne aphasischer Patienten wurde deutlich, dass Aphasien nach Verletzungen des Gyrus frontalis inferior (IFG) in der linken, nicht aber der rechten, Hemisphäre auftraten. Dieser Befund, der insbesondere durch die Arbeiten von Paul Broca bekannt wurde, war aufsehenerregend: erstens demonstrierte er die Lokalisierbarkeit von Funktionen im Kortex, und zweitens stellte er die bis dahin herrschende Lehrmeinung von einer strengen anatomischen wie funktionellen Symmetrie des Gehirns fundamental in Frage.
> Definition Lateralisierung bezeichnet die funktionelle Hemisphärenasymmetrie, d. h. die stärkere Ausprägung eines kognitiven bzw. neurophysiologischen Prozesses in einer der beiden Hemisphären.
Der Frage nach der Natur und den Mechanismen der Lateralisierung kognitiver Prozesse ist seitdem in einer großen Anzahl von Studien nachgegangen worden, dennoch sind viele Aspekte der funktionellen Asymmetrie des menschlichen Gehirns unklar geblieben. Dieses Kapitel gibt einen kurzen Überblick über empirische Befunde und aktuelle Konzepte der Lateralitätsforschung. Dabei liegt der Fokus auf dem Beitrag der neuen bildgebenden Verfahren, insbesondere fMRT, die die Untersuchung der Hemisphärenspezialisierung revolutioniert haben. Untersuchungen zur intra- und interhemisphärischen Konnektivität spielen eine bedeutende Rolle in der Lateralitätsforschung, deshalb wird insbesondere auf methodische Aspekte dieses Forschungsansatzes eingegangen.
22.2
Die Natur der Hemisphärenspezialisierung
Die Lateralisierung verschiedenster kognitiver Leistungen ist in einer Vielzahl von Studien experimentell untersucht worden, wobei bildgebende Verfahren nur einen möglichen methodischen Ansatz darstellen (7 Box 22.1). Die eindeutigsten Befunde existieren für sprachliche (linkshemisphärische) und visuospatiale (rechtshemisphärische) Leistungen, so dass es zeitweise möglich schien, die funktionelle Spezialisierung der beiden Hemisphären allein anhand dieser beiden Funktionsbereiche zu beschreiben. Allerdings gibt es auch im sprachlichen bzw. visuospatialen Bereich Prozesse, die bevorzugt von der sonst nicht-dominanten Hemisphäre übernommen werden (z. B. Kontextinterpretation von Sätzen bzw. lokale visuelle Suche – s. unten sowie die Übersichtsarbeiten von Bradshaw u. Nettleton 1981; Hellige 1990; Gazzaniga 2000).
Box 22.1. Methoden zur Untersuchung von Hemisphärenspezialisierung Der erste, bereits von Broca und seinen Zeitgenossen verwendete und bis heute bedeutsam gebliebene, methodische Ansatz besteht in der neuropsychologischen Untersuchung von Patienten mit Hirnläsionen. Mit Ausnahme derjenigen Patienten, deren Läsion das Resultat eines gezielten neurochirurgischen Eingriffs war (z. B. bei Hirntumoren oder Epilepsie), musste jedoch der Tod der Pati-
enten abgewartet werden, bis die kognitiven Funktionsverluste des Patienten mit dem Läsionsort verglichen werden konnten. Erst mit der Einführung der Computertomographie in den 70er-Jahren und der Magnetresonanztomograpie in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurde es möglich, zu Lebzeiten des Patienten die neuropsychologische Untersuchung mit der Läsionslokalisation zu korrelieren. 6
335 22.3 · Untersuchung lateralisierter kognitiver Prozesse mit fMRT
Ein spezieller neuropsychologischer Ansatz bildet die Untersuchung von sog. Split-brain-Patienten, denen aufgrund therapierefraktärer Epilepsie das Corpus callosum neurochirurgisch durchtrennt wurde. Bei der Einführung dieser Behandlungsmethode in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurde in der Regel das gesamte Corpus callosum sowie die vordere und hintere Kommissur durchtrennt, sodass die beiden Hemisphären des Patienten, mit Ausnahme von Kommissurenfasern auf Hirnstammebene, fast vollständig voneinander isoliert waren. Diese Konstellation machte es möglich, durch Verwendung von Stimuli, deren Information selektiv eine Hemisphäre erreichte (z. B. durch periphere tachistoskopische Präsentation, 7 unten), die funktionellen Eigenschaften beider Hemisphären getrennt zu testen (ausführliche Übersicht: Gazzaniga 2000). Durch Verwendung spezieller Paradigmen ist es möglich, auch in gesunden Probanden Stimulusinformation primär nur einer Hemisphäre zu übergeben. Im Gegensatz zu Split-brain-Patienten besteht hierbei allerdings im
> Definition Unter einer tachistoskopischen Präsentation versteht man eine sehr kurze Präsentation eines visuellen Stimulus ( Definition Funktionelle Konnektivität ist definiert als die temporale Korrelation zwischen räumlich segregierten neurophysiologischen Prozessen (Friston 1995).
Betrachtet man z. B. 2 Voxel X und Y mit Zeitserien {xt} und {yt}, so entspricht die funktionelle Konnektivität der beiden Voxel schlicht dem Pearson-Korrelationskoeffizienten r der beiden Zeitserien: covxy rxy = 7 sx · sy
(Gleichung 3)
(sx, sy = Standardabweichung, covxy = Kovarianz von {xt}, {yt})
(Parker et al. 2002). b Probabilistische Karte der Radiatio optica als Resultat einer Gruppenanalyse von 22 gesunden Probanden mit Hilfe des PiCO-Algorithmus (Parker et al. 2003). Die Farbskala zeigt die Wahrscheinlichkeit (basierend auf 105 Monte-Carlo-Simulationen) eines Voxels, eine Verbindung vom NGL zu erhalten (Toosy et al. 2004)
nutzen, um den räumlichen Verlauf von einzelnen Faserbahnen algorithmisch zu rekonstruieren (»fibre tracking«; . Abb. 22.5). Es gibt inzwischen eine Vielzahl solcher Algorithmen, die auf verschiedenen Prinzipien basieren (Beispiele: Parker et al. 2002, 2003).
Es handelt sich damit um eine mathematisch eindeutige und modellunabhängige Definition. Zu beachten ist, dass hierbei nicht kontrolliert wird, ob die gefundene Korrelation partiell dadurch entsteht, dass X und Y gemeinsame Einflüsse von einem dritten Voxel erhalten. Dies würde die Bestimmung partieller Korrelationen erfordern, was aber ein Modell der Einflüsse voraussetzt. Weiterhin ist es nicht möglich, unmittelbar zu prüfen, welche Direktionalität der Beziehung besteht. Kausale Aussagen über die Art der Wirkbeziehung zwischen A und B sind somit nicht möglich. Ohne an dieser Stelle in Details gehen zu können, sollte nicht unerwähnt bleiben, dass statistische Methoden wie die Hauptkomponentenanalyse (»principal components analysis«, PCA) es erlauben, das Muster funktioneller Konnektivität über alle Voxel hinweg zu analysieren, anstatt Voxel paarweise zu vergleichen.
343 22.4 · Konnektivität
22.4.3
Effektive Konnektivität
N
xi (t) = Σ aijxj(t) > Definition Effektive Konnektivität ist definiert als der kausale Einfluss, den eine neuronale Einheit auf eine andere ausübt (Friston 1995).
Im Gegensatz zur funktionellen Konnektivität sind Aussagen über effektive Konnektivität streng abhängig vom gewählten Kausalitätsmodell. In dem folgenden einfachen linearen Basismodell für die effektive Konnektivität zwischen einem Voxel i und N anderen Voxeln wären die Verbindungsstärken aij (die die Stärke des Einflusses von Voxel j auf Voxel i repräsentieren) beispielsweise linear separierbar und unabhängig vom Zustand der Voxel i und j:
(Gleichung 4)
j=1
Effektive Konnektivität kann auf sehr unterschiedliche Art in mathematischen Modellen abgebildet werden. Etablierte Ansätze umfassen u. a. psychophysiologische Interaktionen (PPI; Friston et al. 1997), »structural equation modelling« (McIntosh et al. 1994; Büchel u. Friston 1997) und »dynamic causal modelling« (DCM; Friston et al. 2003; Stephan et al. 2005). Anhand einer kurzen Beschreibung dieser 3 Methoden in 7 Box 22.4 bis 22.6 soll ein Eindruck vermittelt werden, welche Aussagen zur funktionellen Integration im Gehirn mit Hilfe von Analysen effektiver Konnektivität gemacht werden können.
Box 22.4. Psychophysiologische Interaktionen (PPI) PPI sind eine Adaptation multipler Regressionsanalysen mit Moderatorvariablen (Friston et al. 1997). Mit Hilfe eines einfachen bilinearen Modells charakterisieren sie den Einfluss, den ein Voxel x auf einen zweiten Voxel y in Abhängigkeit vom kognitiven Kontext c ausübt: y = (x × c)β1 + xβ2 + cβ3 +GβG + ε
(Gleichung 5)
Eine solche kontextabhängige Kopplung entspricht dabei dem Unterschied zwischen den Regressionsgeraden bei der separaten Regression von y auf x unter 2 verschiedenen Bedingungen. Allerdings enthält die multiple Regressionsgleichung zusätzlich zum Interaktionsterm x×c (d. h. Zeitserie × Kontext) mindestens auch die Haupteffekte des kognitiven Kontextes c und der Zeitserie von x, um
eine konservative Schätzung der PPI für den Fall verbleibender Korrelation zwischen dem Interaktionsterm und den Haupteffekten sicherzustellen; zusätzlich können auch noch weitere experimentelle Faktoren oder Kovariate (z. B. Bewegungsparameter) in das Modell aufgenommen werden (siehe G in Gleichung 2). Diese multiple Regressionsgleichung kann als generelles lineares Modell implementiert werden, so dass die Kopplungshypothese für die gewählte Region x mittels Standard-fMRT-Analysesoftware, wie z. B. »statistical parametric mapping« (SPM), für jeden Voxel im gesamten Hirn getestet werden kann. PPI sind somit eine »explorative« Methode zur Bestimmung effektiver Konnektivität, da sie kein A-priori-Modell verlangen, mit welchen Hirnregionen die kontextabhängigen Kopplungsveränderungen der Ursprungsregion X auftreten sollen.
Box 22.5. »Structural equation modelling« Bei »structural equation modelling« handelt es sich um eine multivariate, hypothesengesteuerte Methode, die in den 90er-Jahren für PET- und fMRT-Daten adaptiert wurde. »Structural equation modelling« basiert auf einem sog. »Strukturmodell«, das eine Hypothese über die Beziehungen zwischen mehreren Variablen abbildet (McIntosh et al. 1994; Büchel u. Friston 1997 und Bullmore et al. 2000 für Details). Im Kontext von fMRT handelt es sich bei den Variablen um die gemessenen BOLD-Zeitserien y1, …, yn von n Hirnregionen und bei den Beziehungen um plausible anatomische Verbindungen zwischen den Regionen. Die Stärke einer jeden Verbindung yi o yj wird durch einen sog. »Pfadkoeffizienten« spezifiziert, der, analog zu einem partiellen Regressionskoeffizienten, angibt, wie die Varianz in yi von der Varianz in yj abhängt, wenn alle anderen Einflüsse auf yj konstant gehalten werden.
Das statistische Modell der gängigen »Structural-equationmodelling«-Implementierungen für fMRT-Daten kann dabei wie folgt zusammengefasst werden (Friston et al. 2003): y = Ay + u
(Gleichung 6)
wobei y der n×s Matrix von n arealspezifischen BOLD-Zeitserien mit jeweils s Scans entspricht, A ist die n×n Matrix der Pfadkoeffizienten (mit Nullen für nicht-existierende Verbindungen), und u ist eine n×s Matrix normalverteilter Fehlerterme, die auch als zufällige Eingänge ins modellierte System (»Innovationen«) aufgefasst werden können (Gleichung 7). Wie bei einer PPI können auch bilineare Terme in »structural equation modelling« berücksichtigt werden, um so die Modulation einer Verbindung in Abhängigkeit vom Kontext zu bestimmen (Büchel u. Friston 1997). Die Para6
22
344
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Kapitel 22 · Lateralität und Konnektivität
meterschätzung erfolgt in »structural equation modelling« über eine Minimierung des Unterschiedes zwischen der empirisch beobachteten Kovarianzmatrix und der modellierten Kovarianzmatrix Σ. Letztere ergibt sich nach Umformung von Gleichung 6, wobei I die Identitätsmatrix darstellt: y = (I – A)–1u Σ = yyT T = (I – A)–1uuT (I – A)–1
Der wesentliche Nachteil von »structural equation modelling« besteht in der Beschränkung auf Strukturmodelle niedriger Komplexität, da bei Modellen mit reziproken Verbindungen und Schleifen die Parameterbestimmung leicht instabil wird. Diese Einschränkung ist insbesondere für die Untersuchung interhemisphärischer Interaktionen relevant, da allgemein davon ausgegangen wird, dass transkallosale Verbindungen reziprok verlaufen.
(Gleichung 7)
Box 22.6. »Dynamic causal modelling« (DCM) DCM ist das zurzeit komplexeste Modell effektiver Konnektivität (Details in Friston et al. 2003). Es geht von einer Zustandsgleichung neuronaler Aktivität aus, in der die zeitliche Veränderung der neuronalen Zustandsvariablen von n Hirnregionen: = ż = 冤 ӭ 冥冣 , 冢4 dt ż dz
ż1
n
vom aktuellen Zustandsvektor z, externen Inputs u = {u1, …, um} sowie Systemparametern θ abhängt: ż = F(z, u, θ)
(Gleichung 8)
Diese nichtlineare Dynamik auf der für fMRT nicht direkt sichtbaren neuronalen Ebene wird in DCM durch eine bilineare Differenzialgleichung approximiert: m
ż ≈ Az + Σ ujBjz + Cu i=1
wF wż A=4=4 wz wz
In Gleichung 9 ist die neuronale Dynamik dabei determiniert durch die intrinsische Konnektivität A, aktivitätsinduzierende Inputs C (z. B. sensorische Stimuli) und die kontextabhängige Modulation B bestimmter Verbindungen. Die Verbindung zwischen der neuronalen und der BOLDEbene wird durch ein empirisch motiviertes hämodynamisches Modell hergestellt, das die neuronale Dynamik in ein BOLD-Signal umwandelt. Es handelt sich bei DCM damit um ein Vorwärtsmodell: die Parameter θ = {A, B, C} der neuronalen Zustandsgleichung 9 werden durch ein Bayes-Verfahren so geschätzt, dass die Differenz zwischen modelliertem und gemessenem BOLD-Signal minimal wird (Friston et al. 2003). Da DCM nur wenige Beschränkungen hinsichtlich der Komplexität des Konnektivitätsmodells aufweist, steht zu erwarten, dass es insbesondere für die Untersuchung von interhemisphärischen Interaktionen eine sehr wichtige Rolle spielen wird (erste Anwendung: Stephan et al. 2005).
(Gleichung 9)
2 w F w wż Bj = 7 = 4 4 wzwuj wuj wz
wF C=4 wu
22.4.4
Untersuchungen zur Rolle der Konnektivität bei lateralisierten Prozessen
Diejenigen Studien, die sich mit der Rolle, die Konnektivität für die der Hemisphärenspezialisierung zugrundeliegenden Mechanismen spielt, befassen, lassen sich entlang zweier Dimensionen kategorisieren: 4 Strukturelle versus funktionelle/effektive Konnektivi-
tät: Konnektivitätsunterschiede zwischen den Hemisphären können auf struktureller und/oder funktioneller Ebene charakterisiert werden.
4 Intra- versus interhemisphärische Konnektivität: Zwei
verschiedene Arten konnektionaler Asymmetrie könnten, separat oder zusammen, Hemisphärenspezialisierung determinieren: innerhalb der beiden Hemisphären könnte ein unterschiedliches Konnektivitätsmuster zwischen korrespondierenden Arealen vorliegen, und/ oder die Verbindungen zwischen den Hemisphären könnten asymmetrisch sein (d. h. Rechts-links-Verbindungen und Links-rechts-Verbindungen könnten strukturell und funktionell unterschiedlich organisiert sein).
345 22.4 · Konnektivität
Wenngleich das Interesse an diesem Thema in den letzten Jahren stark zugenommen hat, ist die Zahl der Studien zu Asymmetrien struktureller bzw. funktioneller Konnektivität bisher noch gering. Im Folgenden werden wir einige wesentliche Studien vorstellen.
Asymmetrien struktureller Konnektivität Empirische Daten zu Asymmetrien struktureller Konnektivität sind leider rar. Es gibt nur wenige Tracer-Studien, die gezielt nach Hemisphärenunterschieden der Konnektivität suchten. Beispielsweise untersuchten McGuire et al. (1991) beim Makaken die Verbindungsmuster des Gyrus frontalis medius sowie des supplementär-motorischen Kortex in beiden Hemisphären, fanden aber weder bei der intra- noch bei der interhemisphärischen Konnektivität nennenswerte Rechts-links-Differenzen. Leider wird selbst die Information, aus welcher Hemisphäre die Befunde stammen, von den meisten Tracer-Studien nicht geliefert. Ansonsten könnten Hemisphärenasymmetrien der Konnektivität mit Hilfe von Konnektivitätsdatenbanken in Metaanalysen leicht untersucht werden (Stephan et al. 2001). Wie oben beschrieben stehen für Konnektivitätsuntersuchungen im menschlichen Gehirn weit weniger sensitive Methoden zur Verfügung als bei Primaten. Galuske et al. (2000) konnten dennoch mittels neuer Post-mortem-Tracing-Verfahren zeigen, dass die intrinsische Konnektivität der linken Brodmann-Area 22 (einem Teil der sprachrelevanten »Wernicke-Region« im Gyrus temporalis superior) mehr funktionelle Subsysteme ermöglicht als der rechten Area 22. Dieses potenzielle Plus an funktioneller Kapazität könnte die Grundlage für die spezifische Rolle der linken Area 22 in der Analyse gehörter Sprache darstellen (Binder et al. 2000). Komplementäre Befunde auf interregionaler Ebene erbrachte eine DTI-Studie, in der der Fasciculus arcuatus (von dem angenommen wird, dass er die sprachrelevanten Broca- und Wernicke-Areale verbindet) eine signifikant höhere fraktionelle Anisotropie (FA; 7 Box 22.3) in der linken verglichen mit der rechten Hemisphäre zeigte (Büchel et al. 2004). Auch aus klinischer Sicht ist die Suche nach potenziellen Hemisphärenasymmetrien der strukturellen Konnektivität von großem Interesse: Für mehrere Erkrankungen, z. B. Dyslexie und Schizophrenie, bei denen lateralisierte
Mechanismen angenommen werden, wird eine entwicklungsbedingte Störung in der Ausbildung der zerebralen Konnektivität vermutet. So konnten Klingberg et al. (2000) in einer DTI-Studie zeigen, dass bei Dyslexiepatienten die FA der temporoparietalen weißen Substanz gegenüber einer Kontrollgruppe bilateral vermindert war, was auf eine Störung der Faserbündelstruktur in dieser Region schließen lässt. Interessanterweise waren aber nur die linkshemisphärischen Anisotropiewerte mit der behavioralen Leseleistung der Patienten korreliert. Analoge Hinweise auf ein Dyskonnektionssyndrom wurden bei Stotterern gefunden, bei denen mittels DTI eine signifikante FA-Verminderung in der weißen Substanz unmittelbar unterhalb der Larynx- und Zungenrepräsentation des linken sensomotorischen Kortex beobachtet wurde (Sommer et al. 2002). Schließlich gibt es im Bereich der Schizophrenie-Forschung mehrere DTI-Studien, die sowohl globale als auch regionale Anisotropieverminderungen der weißen Substanz bei schizophrenen Patienten, im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden, berichten. Diese Veränderungen, die als mikrostrukturelle Störung von Faserbahnen interpretiert werden, zeigten dabei eine Tendenz zur Lokalisation in der linken Hemisphäre (z. B. Burns et al. 2003) und eine starke Beteiligung des Corpus callosum (z. B. Hulshoff-Pol et al. 2004).
Asymmetrien funktioneller/effektiver Konnektivität Es gibt bislang nur wenige Studien, die systematisch die funktionelle bzw. effektive Konnektivität innerhalb oder zwischen den Hemisphären während lateralisierter Prozesse verglichen. Die Pionierarbeit auf diesem Gebiet, eine PET-Studie von McIntosh et al. (1994), untersuchte intrawie interhemisphärische Asymmetrien effektiver Konnektivität mittels »structural equation modelling«. Diese Studie verwendete 2 rechtslateralisierte Aufgaben, bei der Gesichter bzw. räumliche Positionen verglichen werden mussten. Ihre Ergebnisse zeigten u. a., dass bei beiden Aufgaben funktionelle Interaktionen innerhalb der rechten Hemisphäre stärker waren als in der linken und die Einflüsse rechtshemisphärischer Areale auf links-rechtshemisphärische Areale größer waren als umgekehrt (. Abb. 22.6). Diese Studie wird im Detail in der 7 Box 22.7 besprochen.
Box 22.7. Analyse intra- und interhemisphärischer Asymmetrien effektiver Konnektivität mittels PET und »structural equation modelling« Pionierarbeit in der Untersuchung intra- wie interhemisphärischer Asymmetrien effektiver Konnektivität wurde von McIntosh et al. (1994) geleistet. Diese PET-Studie verwendete 2 Aufgaben, die beide rechtslateralisiert waren und zudem differenziell den dorsalen bzw. ventralen Pfad des visuellen Systems ansprachen (7 Kap. 1.3.1).
In beiden Aufgaben mussten die Probanden jeweils einen von 2 präsentierten Stimuli gegen einen gleichzeitig dargebotenen Referenzstimulus vergleichen und den passenden auswählen. Bei der einen Bedingung wurden Gesichter, bei der anderen Aufgabe die räumliche Lage von Punkten verglichen. McIntosh et al. untersuchten mittels 6
22
346
22
Kapitel 22 · Lateralität und Konnektivität
. Abb. 22.6. Zusammenfassung der Ergebnisse der Analyse effektiver Konnektivität während einer Gedächtnisaufgabe mit Gesichtern (»face matching«) bzw. Raumpositionen (»location matching«) (Details der Ergebnisse finden sich bei McIntosh et al. 1994.). Die Stärke und Art der Pfeile charakterisiert die Größe der gefundenen Pfadkoeffizienten. Diese Abbildung wurde freundlicherweise von Randy McIntosh (Rotman Institute, Toronto) zur Verfügung gestellt
»structural equation modelling« in 2 verschiedenen Modellen die intra- bzw. interhemisphärische Konnektivität während der beiden Aufgaben (. Abb. 22.6). Bezüglich der intrahemisphärischen Konnektivität fand sich, dass in beiden Aufgaben die funktionellen Kopplungen wesentlich stärker in der rechten als in der linken Hemisphäre ausgeprägt waren und diese hemisphärenspezifischen Kopplungserhöhungen zudem spezifisch im dorsalen Pfad (Positionsvergleiche) bzw. ventralen Pfad (Gesichtsvergleiche) des visuellen Systems auftraten.
Ein gutes Beispiel, wie eine Analyse funktioneller Konnektivität wichtige Einsichten in lateralisierte sprachliche Prozesse liefern kann, liefert die Studie von Bokde et al. (2001). Auf der Basis der Daten von Tagamets et al. (2000) untersuchten sie die Hypothese, dass der linke anteriore Gyrus frontalis inferior (aIFG) in die semantische Analyse von
Die Ergebnisse des interhemisphärischen Modells zeigten, dass die Einflüsse der rechten auf die linke Hemisphäre deutlich größer waren als umgekehrt (McIntosh et al. 1994 für Details der Parameterschätzung in diesem aufgrund der multiplen reziproken Verbindungen für »structural equation modelling« komplexen und methodisch schwierigen Modell). Diese Studie ist bisher die einzige, in der die Abhängigkeit der funktionellen Interaktionen innerhalb und zwischen den Hemisphären von kognitiven Parametern systematisch untersucht wurde.
Worten involviert ist, während die Rolle des linken posterioren Gyrus frontalis inferior (pIFG) in der phonologischen Analyse von Worten besteht. In der Studie von Tagamets et al. (2000) mussten verschiedene Stimuli (Wörter, Pseudowörter, Buchstabenketten, False Fonts) in einer »Oneback«-Vergleichsaufgabe beurteilt werden (7 oben). Bokde
347 22.4 · Konnektivität
. Abb. 22.7. Funktionelle Konnektivität des linken anterioren Gyrus frontalis inferior (aIFG) während einer orthographischen Vergleichsaufgabe (Analyse von Bokde et al. 2001 auf den Daten von Tagamets et al. 2000). Die horizontalen Schichten zeigen diejenigen Voxel, deren BOLD-Signal stark positiv (r>0,4) mit dem BOLD-Signal im Ursprungs-
voxel im aIFG korrelierte (Pfeil). Die Farblegende gibt an, bei welchen Aufgaben diese Korrelationen gefunden wurden. Die Darstellung folgt radiologischer Konvention, d. h. die linke Hemisphäre befindet sich auf der rechten Seite der Schichten (Bokde et al. 2001)
et al. konnten nachweisen, dass der linke pIFG während der Präsentation aller phonologisch prozessierbaren Stimuli (d. h. Wörtern, Pseudowörtern und Buchstabenketten, nicht aber False Fonts) ausgeprägte funktionelle Konnektivität mit linken temporookzipitalen Arealen aufwies, die in der visuellen Prozessierung von Wortstimuli involviert sind. Demgegenüber zeigte der linke aIFG nur bei der Prozessierung von echten Wörtern starke funktionelle Konnektivität mit eben diesen Arealen in der linken Hemisphäre (hellblaue Aktivierungen in . Abb. 22.7), nicht aber bei Pseudowörtern, Buchstabenketten oder False Fonts, die keinen semantischen Gehalt aufweisen. Der entscheidende Punkt dieser Analyse war, dass in beiden Fällen die funktionellen Kopplungen allein auf die linke Hemisphäre beschränkt waren: die Untersuchung funktioneller Konnektivität der homotopen Voxel im rechten aIFG und pIFG zeigten keine signifikanten Kopplungen mit sprachrelevanten temporalen Arealen. Während Asymmetrien der intrahemisphärischen Konnektivität die funktionelle Spezialisierung der beiden
Hemisphären unterstreichen, ist interhemisphärische Konnektivität notwendig, um die funktionelle Integration beider Hemisphären zu gewährleisten. Störungen dieser transkallosalen Integration sind bei mehreren psychiatrischen Erkrankungen, insbesondere der Schizophrenie, beschrieben worden (Tamura et al. 1997; Spencer et al. 2003). Aufgrund der oben beschriebenen methodischen Schwierigkeiten, die die Untersuchung reziproker Interaktionen für viele Konnektivitätsmodelle mit sich bringt, ist es verständlich, wenngleich sehr bedauerlich, dass bisher nur wenige Studien erschienen sind (z. B. Schlösser et al. 2003; Irwin et al. 2004), die sich gezielt mit Fragen der interhemisphärischen Konnektivität, insbesondere aus einer klinischen Perspektive, befasst haben.
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348
Kapitel 22 · Lateralität und Konnektivität
Zusammenfassung und Ausblick
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Um Hemisphärenspezialisierung nicht nur rein phänomenologisch zu beschreiben, werden formale Modelle der zugrundeliegenden Mechanismen benötigt. Hypothesen über diese Mechanismen lassen sich in erster Linie auf der Ebene kontextabhängiger funktioneller Interaktionen innerhalb und zwischen den Hemisphären formulieren. Dementsprechend wird ein zukünftiger Fortschritt unseres Verständnisses von Hemisphärenspezialisierung vor allem mit Hilfe von Modellen effektiver Konnektivität erzielt werden. Vor allem die folgenden Fragen sind dabei von größtem Interesse: 5 Welche Bottom-up- und Top-down-Faktoren beeinflussen die Ausprägung intra- bzw. interhemisphärischer Interaktionen? 5 Lassen sich Longitudinaluntersuchungen an hirngeschädigten Patienten mit erfolgreicher Rehabilitation nutzen, um aus der beobachteten Dynamik funktioneller Interaktionen Strategien für verbesserte oder innovative Rehabilitationstherapien abzuleiten? 5 Gibt es Muster interhemisphärischer Interaktionen, die als spezifische neurophysiologische Marker (Endophänotypen) für die Diagnostik psychiatrischer Erkrankungen genutzt werden können?
22.5
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23 23 Perspektivwechsel und soziale Kognition K. Vogeley, G.R. Fink
23.1 Einführung
– 352
23.2 Perspektivwechsel im Raum – 353 23.3 Perspektivwechsel und Zuschreibungsleistungen – 355 23.4 Perspektivwechsel und Agentenschaft – 357 23.5 Bildinterpretation – 358 23.6 Schlussfolgerungen 23.7 Literatur
– 360
– 359
352
Kapitel 23 · Perspektivwechsel und soziale Kognition
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23
Unsere Kommunikation mit Anderen beruht wesentlich auf der Fähigkeit, sich in die Lage eines anderen Menschen hineinzuversetzen und seine Perspektive einzunehmen. Diese und verwandte Leistungen werden auch als soziale Kognition zusammengefasst und lassen sich mit funktionell bildgebenden Verfahren auch neurobiologisch untersuchen. Es lässt sich zeigen, dass medial präfrontal und parietal sowie superior temporal gelegene Hirnregionen relevant sind. Interessant ist, dass diese Hirnregionen auch wesentlich für selbstreferenzielle Prozesse sind. Daraus kann die Vermutung abgeleitet werden, dass sozial kommunikative und selbstreferenzielle Prozesse ähnliche neurobiologische Grundlagen haben.
23.1
Einführung
> Definition Unter Kognition können Wahrnehmungs- und Erkenntnisleistungen zusammengefasst werden, die für den Organismus bedeutungsvoll und für sein Überleben in einer gegebenen Umwelt relevant sind. Zu unseren kognitiven Leistungen gehören Fähigkeiten wie Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Sprache und Handlungsplanung, die, basierend auf einer naturalistischen Grundannahme, sämtlich an die funktionelle Integrität unseres Gehirns gebunden sind.
Obwohl eine allgemein anerkannte und verbindliche Definition von »Kognition« oder »kognitiv« nicht existiert, kann zumindest formuliert werden, dass sich Kognition auf »komplexe, für den Organismus bedeutungsvolle, d. h. für Leben und Überleben […] relevante und deshalb meist erfahrungsabhängige Wahrnehmungs- und Erkenntnisleistungen« und damit auf die Orientierung eines Organismus in der Welt zum Zweck überlebensdienlicher Handlungen in dieser Welt bezieht (Roth 1994). Zunehmend rücken auch solche Leistungen in den Fokus der Kognitionsforschung, die mit unserem Selbstbewusstsein zusammenhängen und unserer Fähigkeit, uns in die Perspektive einer anderen Person hineinzuversetzen (Gallagher 2000; Vogeley u. Fink 2003; Newen u. Vogeley 2003). Letztere wurden gelegentlich auch als »metakognitive« Leistungen bezeichnet und werden in den letzten Jahren zunehmend unter dem Sammelbegriff »social cognitive neuroscience« geführt. In diesem Bereich werden gezielt Fähigkeiten untersucht, die konstitutiv sind für Kommunikationsleistungen in sozialen Kontexten (Adolphs 2003; Ochsner 2004). > Definition Unter Selbstbewusstsein ist die Fähigkeit zu verstehen, eigene mentale (z. B. Wahrnehmungen, Urteile, Gedan6
ken) und/oder körperliche Zustände (z. B. Propriozeption, Schmerz) als die eigenen mentalen und/oder körperlichen Zustände im Sinne der adäquaten Selbstzuschreibung mentaler und/oder körperlicher Zustände zu repräsentieren, also die Fähigkeit zur adäquaten Selbstzuschreibung mentaler Phänomene.
Arbeitshypothetisch basieren derartige Leistungen auf der Aktivierung eines empirisch noch näher zu bestimmenden, neuralen Netzwerks mit spezifischen Eigenschaften, das als Quelle intern generierter Signale immer dann episodisch aktiv ist, wenn selbstbewusste Erfahrungen, also etwa Erfahrungen von Urheber- oder Agentenschaft bei Handlungen (Jeannerod 2001) bzw. Erfahrungen von Erste-PersonPerspektive bei Wahrnehmungen oder Urteilen gemacht werden (Fink et al. 1999; Vogeley u. Fink 2003). Wenn geeignete empirische Indikatoren dieser Teilleistungen isoliert werden, lassen sich die neuralen Korrelate dieser Teilfunktionen bestimmen. > Definition Unter Erste-Person-Perspektive (1PP) ist die Bezugnahme auf den eigenen Organismus oder die eigene Person zu verstehen, z. B. Zentrierung des multimodalen Erfahrungsraums um die eigene Körperachse im Raum, z. B. Zuschreibung mentaler Zustände zu sich selbst bei sozialer Interaktion.
Die in einer Erste-Person-Perspektive erlebten Phänomene können dann Zuschreibungsleistungen gegenübergestellt werden, bei denen anderen Personen entsprechende mentale und/oder körperliche Vorgänge zugeschrieben werden. Hier haben sich in den letzten Jahrzehnten insbesondere sog. »Theory-of-mind«-Paradigmen etabliert. Eine grundsätzliche methodische Schwierigkeit im Zusammenhang mit der empirischen Erforschung derartig selbstbewusster Vorgänge ergibt sich daraus, dass die beiden Phänomenbereiche des Mentalen und des Neuralen nur in unterschiedlichen Raum-Zeit-Systemen beobachtbar sind. Gehirnvorgänge sind nur in einem öffentlichen Raum-Zeit-System, subjektive Erlebnisse nur in einem privaten Raum-Zeit-System zugänglich, was einen methodologischen Dualismus bedeutet. Diese selbstbezüglichen Phänomene sind dadurch ausgezeichnet, dass sie nicht mehr nach objektiven Kriterien bearbeitet werden können, wie das etwa bei anderen test- oder neuropsychologischen Leistungen möglich ist, die auf statistischen Normbegriffen basieren und auf dieser Grundlage Übereinstimmungen oder Abweichungen nachweisen können. Bei diesen Leistungen spielt vielmehr die subjektive Einschätzung einer bestimmten Situation eine zentrale Rolle. Als Konsequenz müssen also geeignete Operationalisierungen entwickelt werden, die es erlauben, auch die subjektiv erlebten Phänomene anhand von Verhaltensdaten überprüfbar zu machen. Diese werden dann anhand empi-
353 23.2 · Perspektivwechsel im Raum
rischer Indikatoren auch in einem öffentlichen Beschreibungskontext untersuchbar. Neben dem technischen Aufwand der bildgebenden Verfahren darf aber zu keinem Zeitpunkt übersehen werden, dass eine neuropsychologische Expertise unverzichtbar für jedes Experiment im Rahmen der kognitiven Neurowissenschaft ist. Denn erst nach der adäquaten Operationalisierung eines psychologischen Konstrukts, das gezielt als kognitive Leistung in einem Experiment verlangt wird, sind auch die parallel erhobenen neuralen Korrelate eindeutig interpretierbar. ! Das Kernstück eines typischen Experiments bleibt also neben der Verfügbarkeit geeigneter funktionell bildgebender Verfahren das adäquat operationalisierte Paradigma, mit dem zerebrale Parallelphänomene erfasst werden sollen.
Entsprechend bleiben die Verhaltensdaten (Reaktionszeit, Fehlerrate) als klassische abhängige Variablen wichtige Pfeiler in der Interpretation der Daten. Der erklärende Gehalt neurowissenschaftlicher Daten weist dort über die experimentalpsychologischen Daten hinaus, wo er Informationen zum Ort der Implementierung der untersuchten kognitiven Leistung im Gehirn liefert. Über Ähnlichkeitsbeziehungen der topisch verteilten signifikanten Aktivitätsunterschiede bei verschiedenen kognitiven Leistungen lassen sich dann Rückschlüsse auf gemeinsame oder differenzielle kognitive Prozesse ableiten.
23.2
werden im allozentrischen Referenzrahmen Relationen hergestellt, die unabhängig von der Position eines personalen Agenten sind (Objekt-zu-Objekt-Relation) (. Abb. 23.1; Klatzky 1998; Aguirre u. D’Esposito 1999). > Definition In der Raumkognition werden egozentrische und allozentrische Referenzrahmen unterschieden. Erstere definieren Subjekt-zu-Objekt-Beziehungen und werden adäquat in einem polaren Koordinatensystem abgebildet. Letztere definieren Objekt-zu-Objekt-Beziehungen und werden adäquat in einem kartesischen Koordinatensystem abgebildet.
In einer einfachen Raumkognitionsaufgabe wurden virtuelle Raumszenen präsentiert, in denen ein virtueller Charakter und ein bis 3 Objekte sichtbar waren (Beispiel in . Abb. 23.2). Die Testpersonen wurden gebeten, die Anzahl der Objekte anzugeben, so wie sie entweder von der eigenen Perspektive (1PP) oder der des virtuellen Charakters zu sehen waren (3PP). Beide Aufgaben basierten damit zum einen auf Prozessen, die auf die Objekterkennung gerichtet sind sowie zum anderen auf sog. egozentrischen Operationen, die die Objekte in Relation zu einem personalen Agenten bzw. dessen Körperachse und ihrer Lokalisation im Raum setzen (entweder in Bezug zu sich selbst oder in Bezug zum virtuellen Charakter). Der spezifische Unterschied
Perspektivwechsel im Raum
> Definition Perspektivwechsel bezeichnet die Fähigkeit, zwischen einer Erste-Person-Perspektive (1PP) und einer DrittePerson-Perspektive (3PP) adäquat zu wechseln oder mentale Zustände wie Wahrnehmungen, Urteile, Überzeugungen entweder der eigenen Person (1PP) oder einer anderen Person (3PP) zuzuschreiben.
Die adäquate Repräsentation mentaler und/oder körperlicher Phänomene erfordert die Einnahme der Erste-PersonPerspektive (1PP). Sprachlich wird die Zuschreibung der 1PP durch den korrekten Gebrauch von Personalpronomina der ersten Person Singular angezeigt (»Ich«, »mich«, »mir«, »mein« etc.) (Gallagher 2000). Dies ist wesentliche Vorbedingung dafür, dass wir unsere Beziehungen zur Umwelt adäquat konzeptualisieren können im Hinblick auf Raumkognition, Zuschreibungsleistungen oder Agentenschaft. Diese Perspektivwechsel sind eingebettet in Referenzrahmen, die als ein Instrument zur Repräsentation der Lokalisation von Objekten im Raum (Klatzky 1998) aufgefasst werden. In einem egozentrischen Referenzrahmen werden Objektlokalisationen im Hinblick auf einen personalen Agenten und auf seine physikalische Konfiguration erfasst (Subjekt-zu-Objekt-Relation). Im Gegensatz dazu
. Abb. 23.1. Illustration der Referenzrahmen der Erste- und DrittePerson-Perspektive. Beide kognitiven Leistungen der Einnahme der Erste- und Dritte-Person-Perspektive, z. B. beim Blick auf eine Raumszene aus der eigenen Perspektive oder der eines anderen, unterscheiden sich phänomenal voneinander. Um diese beiden Beschreibungsebenen voneinander zu trennen, werden hier die Begriffe Erste- und Dritte-Person-Perspektive (1PP und 3PP) benutzt, um die phänomenale Ebene anzuzeigen, während sich die Begriffe ego- und allozentrische Referenz auf eine kognitive oder repräsentationale Ebene beziehen. Die entscheidende Differenz zwischen 1PP und 3PP ist, dass 3PP die Translokation des eigenen egozentrischen Blickpunkts erfordert (Vogeley u. Fink 2003)
23
354
23
Kapitel 23 · Perspektivwechsel und soziale Kognition
. Abb. 23.2. Um den Perspektivwechsel zwischen 1PP und 3PP zu untersuchen, wurden neurologisch und psychiatrisch gesunden Versuchspersonen (n=11) im Rahmen eines fMRT-Experimentes Stimuli gezeigt, die eine virtuelle, dreidimensionale Szene mit einem virtuellen Charakter (Avatar) und roten Kugeln in seiner Umgebung zeigten. Die Aufgabe für die Versuchspersonen war, die roten Kugeln zu zählen, so wie sie aus der eigenen (1PP) oder der Perspektive des virtuellen Charakters (3PP) sichtbar waren. Da nicht alle Objekte vom Avatar aus sichtbar sind, kann anhand der behavioralen Daten eine sichere Unterscheidung beider kognitiven Zustände getroffen werden
bestand darin, dass unter 1PP die Szene aus der eigenen Perspektive beobachtet wurde, während unter 3PP eine Translokation des eigenen Standpunktes bzw. der eigenen Körperachse nötig war, um die Objekte dem Gesichtsfeld des virtuellen Charakters zuzuordnen. Zur Erhebung der neuralen Korrelate der hierzu nötigen visuellen Verarbeitung sowie der spezifischen Leistungen, die mit dem Wechsel der Perspektiven verbunden waren, wurde eine fMRT-Untersuchung an 11 gesunden Probanden durchgeführt. Dabei ließen sich als Korrelate der Leistungen, die in allen Zielbedingungen erforderlich waren, nämlich Objekterkennung und egozentrische Referen. Abb. 23.3. Schematische Darstellung der Regionen, die bei Einnahme der Erste-Person-Perspektive aktiviert sind. Dazu gehören insbesondere medial kortikale Regionen, nämlich anterior medial präfrontal, posterior zingulär und superior temporal gelegene Regionen. Diese Hirnregionen entsprechen etwa dem Verteilungsmuster von Hirnaktivität während des sog. »Hirnruhezustandes«
zierung, Aktivierungen im Bereich des oberen parietalen Kortex und der okzipitoparietalen Übergangsregion nachweisen. Im Hinblick auf die neuralen Korrelate während des Perspektivwechsels zeigten sich medial präfrontale, posterior zinguläre und bilateral temporal gelegene Aktivierungen während 1PP im Kontrast zu 3PP (. Abb. 23.3) und rechtsbetont im medialen oberen parietalen Kortex unter 3PP im Kontrast zu 1PP (. Abb. 23.4; Vogeley et al. 2004). Wie andere Studien bestätigen, scheint der temporoparietale Kortex wesentlich für die Navigation im Raum mit egozentrischer Referenzierung zu sein (Maguire et al. 1998). In der gleichen Untersuchung ließ sich unter Bedingungen, in denen eine Eigenbewegung erforderlich war, außerdem eine Rekrutierung des bilateralen medialen parietalen Kortex zeigen (Maguire et al. 1998). Die topische Verteilung der Aktivierung kann dann in der Interpretation der Daten weiteren Aufschluss über die zugrunde liegenden Prozesse der untersuchten Leistungen geben. Hier soll beispielhaft die Rolle des oberen parietalen Kortex bei der Raumkognition diskutiert werden (Colby u. Goldberg 1999). Derartige raumkognitive Leistungen umfassen auch Handlungen im Raum (Jeannerod 2001) sowie die räumliche Transformation von Objekten (Lamm et al. 2001). Insbesondere konnte gezeigt werden, dass diese Region bei egozentrischen Aufgaben aktiviert ist, bei denen Versuchspersonen Urteile darüber fällen sollten, wo sich bestimmte Objekte in Relation zu ihrer eigenen Mittellinie befanden (Vallar et al. 1999). Aus klinischer Sicht ist bemerkenswert, dass es bei Störungen oder Läsionen der oberen parietalen Region, entweder bilateral oder rechtsseitig, zu einer Schwäche bei der relativen Lokalisierung von Objekten oder anderen Personen in Bezug zu sich selbst kommen
355 23.3 · Perspektivwechsel und Zuschreibungsleistungen
. Abb. 23.4. Schematische Darstellung der Regionen, die bei Einnahme der DrittePerson-Perspektive aktiviert sind. Dazu gehören insbesondere superior parietale und prämotorische Regionen, die rechtsbetont aktiviert werden. Diese Regionen werden insbesondere auch bei verschiedenen anderen raumkognitiven Leistungen aktiviert
kann. Diese Störung wird auch als »egozentrische Orientierungsstörung« bezeichnet (engl. »egocentric disorientation«; Aguirre u. D’Esposito 1999). Interessant ist, dass die aufwändigeren egozentrischen Operationen unter 3PP, die eine Transposition der eigenen Körperposition gegenüber 1PP erforderlich machten (bzw. eine Simulation einer solchen Transposition) ebenfalls mit einer Aktivierung in der oberen parietalen Region korrelierten. Aus der Beobachtung, dass diese Region sowohl in der gemeinsamen Aktivierung aller Zielbedingungen als auch bei der Kontrastierung von 3PP gegenüber 1PP aktiviert ist, können 2 wichtige Schlüsse für die kognitiven Operationen gezogen werden, die bei diesen Aufgaben erforderlich sind: 4 Zum einen kann aus der Tatsache der Aktivierung der gleichen Hirnregion abgeleitet werden, dass beiden Zielbedingungen 1PP und 3PP die gleichen kognitiven Prozesse der egozentrischen Referenzierung zugrunde lagen. 4 Zum anderen lassen diese Beobachtungen den Schluss zu, dass der »Bedarf« an derartiger egozentrischer Prozessierung bzw. der »kognitive Aufwand« bei 3PP deutlich größer ist. Dieser erhöhte Bedarf korrelierte übrigens auch mit einer erhöhten Reaktionszeit unter 3PP, verglichen mit 1PP.
23.3
Perspektivwechsel und Zuschreibungsleistungen
Perspektivwechsel, also die Perspektive eines Anderen einnehmen, findet aber nicht nur im Kontext von Raumkogni-
tion, sondern auch im Kontext von sozialer Kognition statt, bei der es um die vergleichsweise komplexe Zuschreibung von Einstellungen, Überzeugungen und Urteilen geht. Diese Fähigkeit wird häufig im Rückgriff auf die erste Verwendung dieses Begriffes durch Premack und Woodruff (1978) als »theory of mind« (TOM) oder als »mindreading« (Baron-Cohen 1995) bezeichnet. In funktionell bildgebenden Untersuchungen haben sich die hierfür relevanten Hirnregionen bereits konsistent darstellen lassen: Diese umfassen im Wesentlichen die anterior medial präfrontal gelegenen Regionen sowie superior temporal gelegene Hirnregionen (Fletcher et al. 1995; Frith u. Frith 1999; Vogeley et al. 2001; Gallagher u. Frith 2003). > Definition »Theory-of-mind«, alternativ auch als »mindreading« oder »mentalising« bezeichnet, beschreibt die Fähigkeit, mentale Zustände anderer Personen diesen Personen adäquat zuzuschreiben, um das Verhalten dieser Personen erklären oder vorhersagen zu können.
In einer eigenen Studie wurden animierte Videosequenzen von etwa 7 s Dauer mit virtuellen Charakteren gezeigt, die mittels mimischen Ausdrucksverhaltens Kontakt zu einer anderen Person aufnehmen wollten. Um dabei die neuralen Korrelate des spezifischen Effekts der Kontaktaufnahme als solche zu untersuchen, unabhängig davon, ob die Kontaktaufnahme zu der beobachtenden Testperson oder einer dritten, unbekannten Person stattfand, wurde ein zwei-faktorielles Design gewählt. Hierbei wurde entweder »soziale Kontaktaufnahme« oder aber keine soziale Kontaktaufnahme variiert durch Vermittlung verschiedener mimischer
23
356
Kapitel 23 · Perspektivwechsel und soziale Kognition
23 . Abb. 23.5. In einem eigenen Experiment zur sozialen Kognition wurden virtuelle Charaktere präsentiert, die entweder die Versuchsperson »adressierten«, also in Richtung der Versuchsperson schauten (wie abgebildet) oder die leicht abgewandt zu einer unsichtbaren Person neben der Versuchsperson gerichtet waren. In diesen beiden Positionen zeigten die virtuellen Charaktere entweder ein mimisches Verhalten, das eine soziale Kontaktaufnahme implizierte (wie abgebildet) oder nicht
Verhaltensweisen (z. B. Lächeln zur Kontaktaufnahme, . Abb. 23.5). Zum anderen wurde entweder die teilnehmende Versuchsperson vom virtuellen Charakter angeschaut oder aber eine andere, unsichtbare, seitlich von der Versuchsperson befindliche Person. Die Ergebnisse einer ereigniskorrelierten fMRT-Studie an 17 Probanden zeigten eine Aktivierung des anterior medial präfrontal gelegenen Kortex sowohl dann, wenn die Versuchsperson angeschaut wurde (unabhängig davon, ob der virtuelle Charakter mimisch eine soziale Kontaktaufnahme vermittelte oder nicht) als auch dann, wenn die Versuchsperson eine soziale Kon-
. Abb. 23.6. Als Haupteffekt für die Adressierung der Versuchsperson durch den virtuellen Charakter, unabhängig davon, ob der virtuelle Charakter ein sozial bedeutsames oder nicht bedeutsames mimisches Verhalten zeigte, ließ sich als neurales Korrelat erhöhte Aktivität im Bereich des medialen präfrontalen Kortex zeigen
taktaufnahme wahrnahm (unabhängig davon, ob der virtuelle Charakter die Versuchsperson selbst oder die virtuelle dritte Person anschaute) (. Abb. 23.6; Schilbach et al. 2006). In einer weiteren eigenen Studie, in der Geschichten mittels narrativen Textmaterials präsentiert wurden, in denen die Probanden sich entweder aus ihrer eigenen Perspektive oder der eines anderen zu einem bestimmten Sachverhalt verhalten sollten, haben wir diese Ergebnisse ebenfalls zeigen können. Zusätzlich konnten wir eine differenzielle Hirnaktivierung in solchen Fällen zeigen, in denen die Versuchspersonen spezifisch sich selbst mentale Zustände zuschreiben. Darunter lassen sich differenzielle Aktivierungen in medial gelegenen Hirnregionen des oberen medialen Parietallappens und des rechtsseitigen temporoparietalen Übergangsbereichs zeigen (Vogeley et al. 2001). Insbesondere die letztgenannte Region ist auch bei selbstbezüglichen egozentrischen Operationen involviert und ist an der »Erkennung« biologisch generierter Bewegungsmuster (»biological motion«) beteiligt, insbesondere dann, wenn sie sich der eigenen Person nähern (Bremmer et al. 2001). Die funktionale Rolle dieser temporoparietalen Übergangsregion ist dabei sicher nicht beschränkt auf egozentrische kognitive Operationen, da die rechtsseitige temporoparietale Region auch bei »klassischen« TOM-Aufgaben aktiviert wird, in denen nicht zwischen 1PP und 3PP differenziert wird (Frith u. Frith 1999).
357 23.4 · Perspektivwechsel und Agentenschaft
23.4
Perspektivwechsel und Agentenschaft
> Definition Agentenschaft bezeichnet eine subjektive Erfahrungsqualität, die erlaubt zu differenzieren, ob eine Handlung von sich selbst oder von jemand anderem ausgeführt wurde. Agentenschaft ist eine Kerneigenschaft von Selbstbewusstsein im Sinne der Repräsentation eigener mentaler und/oder körperlicher Zustände als den eigenen mentalen und/oder körperlichen Zuständen.
Im Feld von Urheberschaft oder Agentenschaft wird die Leistung der Selbst-Fremd-Differenzierung bzw. des Perspektivwechsels darin abgebildet, ob ich selbst eine Handlung ausführe oder jemand anderes es ist, der eine Handlung ausführt. Ein Perspektivwechsel lässt sich also auch im Hinblick auf Agentenschaft einer einfachen Handlung, z. B. eines Ballwurfs, variieren. Dieser kann auch zusätzlich räumlich variieren, wenn man sich vorstellt, einen Ballwurf von der eigenen Position oder von einer anderen Raumposition als der eigenen zu veranlassen. Sowohl phänomenal wie auch behavioral wird deutlich, dass es einen erheblichen Unterschied macht, ob man selbst der Urheber einer Handlung ist, oder ob man eine andere Person als die handelnde und als Urheber einer bestimmten Handlung erlebt (Vogeley u. Newen 2002). Eine systematische Untersuchung dieser Frage wurde in einer Studie untersucht, in der innerhalb einer einfachen Ballspielszene mit 3 Mitspielern Ballwürfe dargestellt bzw. ausgelöst werden konnten. Die Versuchsperson war entwe. Abb. 23.8. Als neurale Korrelate der Agentenschaft zeigen sich im Wesentlichen anterior medial präfrontal gelegene Aktivierungen. Diese Aktivität spiegelt also die Tatsache wider, dass die Versuchsperson in dem Ballspiel den Ball selbst »werfen« konnte. Motorisch exekutive Areale wie etwa der prämotorische Kortex oder der Gyrus precentralis sind nicht aktiviert, da die Durchführung von Bewegungen während des Experiments kontrolliert wurde
. Abb. 23.7. In einer Agentenschaftsaufgabe wurden 3 virtuelle Charaktere dreieckig zueinander angeordnet. Je nach Position des Balls (nicht abgebildet) war entweder aus der eigenen Position (Spieler mit dunklem Hemd im Vordergrund) oder aus der Position eines der beiden anderen Spieler der Ball zu werfen oder aber der Ballverlauf zu beurteilen
der der Agent bzw. Urheber eines Ballwurfs oder aber nur der Beobachter eines Ballwurfs, der von einer anderen Person durchgeführt wurde. Dieser Faktor der Agentenschaft wurde in einem zwei-faktoriellen Design kombiniert mit 2 Raumpositionen, wobei der Ball entweder von der eigenen Position oder der Position eines anderen geworfen wurde oder aber von der eigenen Position oder der Position eines anderen aus nur zu beobachten war (. Abb. 23.7). Es ließ sich dabei zeigen, dass im Fall der Agentenschaft, also immer dann, wenn die Versuchsperson den Ball werfen sollte, unabhängig von ihrer Position im Spielfeld, Aktivierungen im anterior medial präfrontalen Kortex auftraten (. Abb. 23.8). Wurde der Ball von der Versuchsperson dagegen nur in sei-
23
358
Kapitel 23 · Perspektivwechsel und soziale Kognition
. Abb. 23.9. Wird der Ballwurf während des Spiels nicht von der Versuchsperson selbst ausgelöst, sondern nur beobachtet, so zeigen sich lediglich Aktivierungen im Bereich des visuellen Assoziationskortex (Bereich V5), der für die Informationsverarbeitung bewegter Stimuli zuständig ist
23
nem Flugverhalten beobachtet, während ein anderer Spieler den Ball warf, zeigte sich im wesentlichen eine Aktivierung im Bereich von V5, nämlich des visuellen Assoziationskortex, der für die Verarbeitung von bewegtem Stimulusmaterial zuständig ist (. Abb. 23.9) (David et al., 2006). Eine systematische Untersuchung des Perspektivwechsels in einer Aufgabe zur Vorstellung bestimmter motorischer Abläufe wurde von Ruby u. Decety (2001) durchgeführt. Auf der Basis visueller und auditorischer Stimulation wurde systematisch die Übernahme der eigenen Perspektive und der des Experimentators variiert. Die Testperson sollte sich vorstellen, dass sie selbst ein bestimmtes Objekt manipuliert oder aber, dass das Objekt von einer anderen Person manipuliert wurde. Während der Vorstellung, selbst das Objekt zu manipulieren, zeigten sich Aktivierungen ausschließlich in der linken Hemisphäre, insbesondere im unteren Parietallappen, im Gyrus precentralis, im Gyrus frontalis superior, im okzipitotemporalen Übergang und in der vorderen Insula-Region. Während der Simulation der betreffenden Handlung durch einen anderen wurde dagegen die rechte Hemisphäre aktiviert, im Bereich des unteren parietalen Kortex, des Precuneus, des hinteren Gyrus cinguli und des frontopolaren Kortex. Möglicherweise reflektieren diese Ergebnisse die besondere Leistungszuordnung der linken Hemisphäre für Handlungen (Liepmann 1905) und der rechten Hemisphäre für Raumkognition (Heilman et al. 1997). In einer kürzlich durchgeführten Navigationsstudie konnte gezeigt werden, dass die Zuordnung einer Handlung an jemand anderem als Urheber mit einer Aktivierung im Bereich des unteren Parietallappens beidseits assoziiert war. Der Aspekt der Lateralisierung einer bestimmten Leistung könnte wesentlich verbunden sein mit dem tatsächlichen
Kontext einer bestimmten Aufgabe (Farrer u. Frith 2002). Interessanterweise war eine erhöhte links temporoparietale Aktivierung auch zu finden in einer Aufgabe, in der die Versuchspersonen Links-rechts-Urteile zu fällen hatten, entweder in Bezug zu sich selbst oder aber in Bezug zu einer anderen, ihnen gegenüberstehenden Figur (Zacks et al. 1999). ! Insgesamt zeigen diese empirischen Ergebnisse, dass offensichtlich sowohl anterior medial präfrontale als auch medial und lateral gelegene parietale Areale in den Perspektivwechsel bei Handlungskontexten eingebunden sind.
23.5
Bildinterpretation
Im Kontext der kognitiven Neurowissenschaft muss kritisch betrachtet werden, mit welchen methodischen, verfahrensbedingten Einschränkungen die bildgebenden Verfahren operieren. Bei bildgebenden Verfahren im engen Sinn handelt es sich um Derivatsignale, die als empirischer Indikator für neurale Aktivität genommen werden. Im Fall von fMRT ist die eigentliche abhängige Variable die zeitabhängige Veränderung des Oxygenierungsstatus des Hämoglobins in einem gegebenen Volumenanteil des Gehirns, die anhand des sog. BOLD-Kontrastes gemessen werden kann. Die Messmethode bestimmt auch die räumliche und zeitliche Auflösung, die bei fMRT räumlich bis zu einem Millimeter, zeitlich weniger als eine Sekunde betragen kann. Das fMRT-Verfahren weist damit sehr gute Charakteristika von räumlichem und zeitlichem Auflösungsvermögen auf, liegt aber trotzdem weit unter dem tatsächlichen Auflösungsbe-
359 23.6 · Schlussfolgerungen
darf (Mikrometer, Millisekunden), der nötig wäre, um neurale Prozesse im engen Sinn zu erfassen. ! Ungeklärt ist bislang, auf welcher Beschreibungsebene und bei welchem Auflösungsvermögen eigentlich neurale Korrelate von kognitiven Leistungen sinnvoll untersucht werden können.
Neben diesen methodischen Überlegungen ist auch wichtig, den Gang der Interpretation der entstandenen Daten zu verfolgen. Das Resultat einer fMRT-Studie ist eine dreidimensionale, innerhalb eines bestimmten standardisierten Datenraumes beschreibbare Verteilung von signifikanten Unterschieden in der Hirnaktivierung. Mit der bloßen regionalen Verteilung einer Aktivierung während einer bestimmten kognitiven Leistung ist aber zunächst noch keine komplexe und valide Funktionszuschreibung erreicht, die über die bloße Assoziation der kognitiven Teilleistung mit der Aktivitätsverteilung hinausreichen würde. Interpretatorisch angereichert werden kann ein solcher Einzelbefund erst nach Hinzuziehung der einschlägigen Literatur dadurch, dass alle solche Studien gesichtet werden, die eine den aktuellen Studienergebnissen ähnliche Aktivierung erreicht haben. Nun kann eine funktionale Deutung erfolgen, indem die Gemeinsamkeiten aller kognitiven Teilleistungen aufgesucht werden, die diesen regional ähnlich aktivierenden Studien zugrunde gelegen haben. Neben diesen in der bildgebenden Methode verbleibenden »intrinsischen« Interpretationshilfen stehen heute aber auch insbesondere Anreicherungen dieses Datenraums durch ausgedehnte neuroanatomische und neuromolekulare Untersuchungen zur Verfügung. So können Hirnfunktionsdaten heute zunehmend unter Hinzuziehung von probabilistischen Hirnkarten angereichert werden (7 Kap. 3), die zytoarchitektonische und chemoarchitektonische Charakteristika bestimmter Hirnregionen kartieren. ! Durch probabilistische Hirnkarten können neuroanatomische und neurochemische Profile von Hirnregionen in die bisher rein funktionell und topisch argumentierenden Interpretationen einbezogen werden; dadurch werden sich die Interpretationsmöglichkeiten auch über verschiedene neurowissenschaftliche Beschreibungsebenen deutlich erweitern.
23.6
Schlussfolgerungen
Eine interessante Deutungsmöglichkeit ergibt sich aus Beobachtungen, dass sich bei Zuständen der Selbstzuschreibung und Fremdzuschreibung in sozialem Kontext ein Hirnaktivierungsmuster zeigt, das auch in Ruhezuständen, also in solchen Situationen, in denen der Proband keine spezifische, kognitiv aufwändige Operation durchführen muss, nachweisbar ist. Dieser neurale Zustand ist auch als »Hirnruhezustand« oder »default mode of the brain« bezeichnet worden.
Er korreliert mit einem Aktivierungsmuster, das den anterioren medialen frontalen Kortex, den medialen parietalen Kortex und den superior temporal gelegenen Kortex bzw. temporoparietalen Übergangskortex beidseits umfasst (Raichle et al. 2001). Die hier referierten Untersuchungen zeigen, dass es in der Tat selbstbezügliche, d. h. etwa auf die Selbstzuschreibung im Raum bezogene Leistungen sind, die sich darin abbilden. Ohne eine fokussierte, von einem Experimentator vorgegebene Aufgabenstellung befindet sich unser Hirn also offensichtlich in einem Zustand, in dem es dazu disponiert ist, selbstbezügliche Informationen zu verarbeiten. > Definition Mit dem Hirnruhezustand (»default mode of the brain«) wird ein Verteilungsmuster von Hirnaktivierung bezeichnet, das charakteristischerweise in solchen Phasen eines Experimentes beobachtet werden kann, in denen die untersuchten Testpersonen keiner expliziten, durch den Experimentator gestellten Aufgabe folgen.
Diese Art von Informationen könnte in Beziehung stehen zu solchen, »die unmittelbar mit unserem Existieren vor Ort (»being on the spot«) zusammenhängen, mit unserer Registratur der Szene, in der wir uns gerade befinden, in der wir agieren und in der unser Leben auf dem Spiel steht. [...] Erst hier erreichen wir Formen des Interpretierens oder Verstehens, die alle Registraturen unserer Physis mit umfassen, vom Reflex bis zur Stimmung, Empfindung und Ahnung.« (Hogrebe 2005). Die Korrelation mit dem Hirnruhezustand zeigt, dass wir offensichtlich immer wieder »automatisch« in diese quasi-dispositionalen Zustände einrücken, die damit so etwas wie eine neurale Konstante unserer »mantischen Deutungsnatur« reflektieren. Mit Mantik ist dabei die Disposition zur Deutung oder Interpretation komplexer Anordnungen natürlicher Zeichen gemeint, zu der wir immer dann neigen, wenn objektive Wissensbestände nicht mehr verfügbar oder erreichbar sind. Genau diese Situation ist in den kontingenten und situativen Kontexten erstpersonaler Zustände gegeben, in denen wir auf uns selbst gestellt sind. Gerade unter solchen, nicht systematisch wiederholten Untersuchungsbedingungen können eben solche mantischen Prozesse ablaufen. Diese aber sind mindestens neural sehr ähnlich denen, die ablaufen, wenn wir Subjektivität oder Intersubjektivität verhandeln. Diese Befundkonstellation liefert also starke Hinweise dafür, dass wir neural bereits eine starke Disposition zum Personalbezug aufweisen, aus der wir uns durch aufwändige Manöver wie etwa im Rahmen eines experimentalpsychologischen Designs kognitiv herausbewegen. > Definition Mantik bezeichnet die Fähigkeit, Deutungen oder Interpretationen natürlicher Zeichen vorzunehmen in Situationen, in denen keine objektiven Wissensbestände 6
23
360
Kapitel 23 · Perspektivwechsel und soziale Kognition
mehr zur Verfügung stehen oder erreicht werden können, in denen wir also nicht mehr wissen, sondern nur noch ahnen oder vermuten können.
Zusammenfassung und Ausblick
23
Unsere Kommunikation mit anderen Menschen beruht wesentlich auf den Fähigkeiten, sich in die Lage eines anderen hineinzuversetzen und die Perspektive eines anderen einzunehmen sowie der Leistung zur SelbstFremd-Differenzierung bei Wahrnehmungen, Urteilen und Handlungen. Diese Phänomene und ihre neuralen Mechanismen werden in dem neuen Forschungsfeld der sozial-kognitiven Neurowissenschaft behandelt. Um derartige Leistungen bzw. ihre neuralen Korrelate abzubilden, sind geeignete Operationalisierungen nötig, die sich im Wesentlichen auf den Perspektivwechsel im Raum und in sozialen Kontexten richten. Funktionell-bildgebende Verfahren zeigen, dass der medial präfrontale, der medial parietale und der superior temporale bzw. temporoparietale Kortex wesentlich mit diesen sozial kognitiven Leistungen assoziiert sind. Diese Regionen sind insbesondere bei der Einnahme einer Erste-Person-Perspektive als auch bei der Perspektivübernahme anderer in sozialen Kontexten aktiviert. Interessanterweise lässt sich dieses Verteilungsmuster von Hirnaktivität auch im sog. Hirnruhezustand zeigen, in denen keine aufwändigen kognitiven Leistungen vom Probanden verlangt werden. Dies lässt den Schluss zu, dass es sich bei sozial kognitiven Leistungen um Phänomene handelt, zu denen wir disponiert sind im Sinne einer mantischen Deutungsnatur.
23.7
Literatur
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24 24
Emotionen U. Habel, F. Schneider
24.1
Emotionales Erleben – 362
24.2
Emotionale Diskriminationsfähigkeit – 367
24.2.1 24.2.2
Geschlechtsunterschiede Alterseinflüsse – 373
24.3
Emotionales Gedächtnis – 373
24.4
Emotionales Lernen – 377
24.5
Klinische Relevanz – 378
24.6
Literatur – 379
– 372
362
Kapitel 24 · Emotionen
))
24
vor in der fehlenden Standardisierung des Materials und Vorgehens.
Die Bedeutung von Emotionen wird besonders sichtbar, wenn sie eine Stärke erreichen, die zu überschießenden und unkontrollierten Reaktionen führt oder wenn pathologische Prozesse ihren normalen Ausdruck und ihre Funktionsweise verändern oder beeinträchtigen. Durch ihre anatomische Lokalisierung in stammesgeschichtlich alten Hirnstrukturen sind sie viel älter als die Entwicklung der Sprache und damit auch nicht nur auf den Menschen beschränkt. Furcht, Aggression, Wut, Erregung usw. sind bekannte und beobachtbare emotionale Phänomene im Tierreich. Dies mag die Faszination erklären, die die Untersuchung von Emotionen ausübt; aber es war nicht zuletzt die schnelle Verbreitung bildgebender Verfahren, die das Forschungsinteresse an der Untersuchung emotionalen Verhaltens und Erlebens neu aufleben ließ und zu einer stetig wachsenden Zahl von Publikationen beitrug. Während emotionsspezifische Korrelate mittels physiologischer Indikatoren bisher kaum nachgewiesen werden konnten, bieten bildgebende Verfahren nun die Möglichkeit, die für die jeweiligen Emotionen spezifischen zerebralen Verarbeitungsprozesse abzubilden und gegebenenfalls zu lokalisieren. Angesichts des Einflusses von Emotionen auf nahezu alle interessierenden psychologischen Variablen (wie Gedächtnis, Verhalten, Lernen, Wahrnehmung etc.) ist dies eine positiv zu wertende Entwicklung, andererseits steht man in der Emotionsforschung nach wie vor einem Gebiet gegenüber, dessen mangelnde Operationalisierbarkeit und Zugänglichkeit nur schwer objektivierbare Untersuchungsbedingungen bietet. Mit bildgebenden Verfahren wurden im Bereich von emotionalem Verhalten und Erleben verschiedene Prozesse experimentell realisiert und untersucht, darunter das emotionale Erleben, die emotionale Diskriminationsfähigkeit, das emotionale Gedächtnis und Lernprozesse. Diese Komponenten emotionaler Verarbeitung sollen im Folgenden anhand der bislang veröffentlichten fMRT-Untersuchungen bezüglich ihrer neurobiologischen Grundlagen näher charakterisiert werden.
24.1
Emotionales Erleben
Im Tomographen können Emotionen meist nicht unter natürlicherweise emotionsauslösenden Bedingungen erfasst werden. Ein grundlegendes Problem der Forschung in diesem Bereich sind daher wirksame Methoden zur experimentellen Emotionsinduktion. Es muss vor allem gewährleistet sein, dass der interessierende emotionale Zustand von den Personen auch erreicht wird. Bisher wurde dies jedoch auf sehr verschiedenartige Weise angestrebt. Der Nachteil einer solchen Methodenvielfalt liegt in unterschiedlichen Ergebnissen und mangelnder Vergleichbarkeit der Untersuchungen. Ein Hauptproblem besteht nach wie
Stimmungsinduktionsmethoden Das emotionale Erleben wird meist mit Hilfe von Stimmungsinduktionsmethoden experimentell untersucht. Es lassen sich dabei verschiedene Formen der experimentellen Emotionsinduktion unterscheiden, so z. B.: 4 das Hineinversetzen in einen bestimmten emotionalen Zustand anhand von dargebotenem emotionalem Material (Texte, Filme, Musik) entsprechend einer vorgegebenen Instruktion; 4 die freie Erinnerung an eigene Erlebnisse; 4 die Darbietung emotionalen Materials ohne explizite Instruktion, sich in die Emotion einzufühlen; 4 die Rückmeldung von Erfolg bzw. Misserfolg und entsprechend die Herbeiführung von Befriedigung bzw. Frustration sowie 4 experimentelle physiologische Veränderungen (z. B. Gabe von Medikamenten). Die ersten bildgebenden Untersuchungen zum emotionalen Erleben wurden mit der PET durchgeführt (Pardo et al. 1993; George et al. 1995). Im einen Fall handelte es sich um selbstinduzierte Trauer, bei der inferiore und orbitofrontale Aktivität sichtbar wurde (Pardo et al. 1993), im anderen Fall wurden Trauer und Freude mit der Vorgabe entsprechender affektiver Gesichtsausdrücke ausgelöst (George et al. 1995). Trauer war von diffusen Blutflussänderungen in limbischen und paralimbischen Bereichen begleitet, Freude dagegen von rCBF-Abnahmen bilateral im temporoparietalen und rechten frontalen Kortex. Dies verdeutlicht bereits die Ergebnisunterschiede, die durch verschiedenartige Stimulusvorgaben bedingt sein können. In dem Bestreben, solche Schwierigkeiten zu vermeiden, wurde eine standardisierte Methode zur Emotionsinduktion entwickelt (Schneider et al. 1994), die im Vorfeld mittels Untersuchungen bei gesunden Probanden (Weiss et al. 1999) und psychiatrischen Patienten (Schneider et al. 1995a; Habel et al. 2000) validiert wurde. Die Freude- und Trauerinduktion beruhen auf der Vorgabe von je 40 Dias männlicher und weiblicher Gesichtsausdrücke von entsprechender emotionaler Qualität (freudig bzw. traurig). Es handelt sich um Schwarzweiß-Aufnahmen von Schauspielern verschiedener Altersgruppen. Die Instruktion lautet, mit Hilfe der Gesichter alles zu versuchen, um sich möglichst traurig/fröhlich zu fühlen. Während der standardisierten Emotionsinduktion haben die Probanden ein Reaktionsgerät in beiden Händen, das es ihnen ermöglicht, durch beidseitigen Knopfdruck die Dias in selbstgewählter Geschwindigkeit weiter zu transportieren.
Amygdala Die älteren anteriomedialen Anteile der Amygdala sind eng an das olfaktorische System und die motorische Akti-
363 24.1 · Emotionales Erleben
a
b
. Abb. 24.1a, b. Aktivität der Amygdala während einer traurigen Stimmungsinduktion bei 26 gesunden Probanden (a). Zusätzlich zu den SPM-Auswertungen wurde eine regionale Analyse für die Amygdala durchgeführt, bei der individuell der Signalverlauf extrahiert wurde. Bei 19 Probanden konnte eine Aktivierung im Bereich der Amygda-
la lokalisiert werden. Der gemittelte Signalverlauf während der Trauerinduktion (b) dieser 19 Probanden entspricht im Wesentlichen der Referenzfunktion, die das experimentelle Design wiedergibt. Die Aktivität war zudem signifikant mit den subjektiven Einschätzungen zum Emotionserleben korreliert (modifiziert nach Habel et al. 2004)
vität gebunden. Die in ein dichtes kortikales und subkortikales Verbindungsnetz eingebundenen basolateralen Anteile üben dagegen höhere emotionale Funktionen aus (7 Kap. 1.3.9). Die Stimmungsinduktionsmethode wurde in PET- und zwischenzeitlich mehrfach in fMRT-Untersuchungen eingesetzt und hat das bei emotionalem Erleben beteiligte Netzwerk näher gekennzeichnet. Charakteristisch war eine Aktivierung im Bereich der Amygdala während der traurigen Stimmungsinduktion, die sich sowohl mit der PET als auch mit der fMRT (Schneider et al. 1995a, 1997, 1998, 2000a) nachweisen ließ. Durch die hohe Korrelation mit dem subjektiven Emotionserleben erhielt sie zusätzliche Bestätigung als Emotionskorrelat (. Abb. 24.1; Schneider et al. 1998, 2000a; Habel et al. 2004, 2005). Die Bedeutung der Amygdala als Korrelat einer traurigen Stimmung zeigte sich auch in einer weiteren Untersuchung (Posse et al. 2003). Sechs gesunde Probanden nahmen an einer der oben beschriebenen Methode sehr ähnlichen Stimmungsinduktion teil. Die fMRT-Messungen
fanden während randomisierter Bedingungen einer neutralen Stimmungsinduktion mit gleichzeitiger Präsentation eines neutralen Gesichtes bzw. einer traurigen Stimmungsinduktion mit der Darbietung eines traurigen Gesichtes statt. Die Probanden schätzten im Anschluss an jede Bedingung ihr subjektives Erleben ein und erhielten zudem verbales Feedback über das Ausmaß ihrer Aktivierung in der Amygdala, um den Stimmungsinduktionseffekt noch zu verstärken. Dieses Feedback beruhte auf der Beobachtung der während der Messung online durchgeführten Realtimeauswertung der Daten außerhalb des Scannerraumes. Die Daten zeigten starke Übereinstimmung zwischen selbst eingeschätzter Trauer und Amygdalaaktivität der Realtimeanalyse. Eine Beteiligung der Amygdala konnte jedoch auch in einer im Anschluss an die Untersuchung durchgeführten regionalen Analyse nachgewiesen werden (. Abb. 24.2). Von den insgesamt 120 bei den Probanden aufgenommenen Bedingungen war bei 78% eine Übereinstimmung von hauptsächlich linksseitiger Amygdalaaktivität und selbsteingeschätzter Trauer nachweisbar. Im Gegensatz
a
b
. Abb. 24.2a, b. a T1-Bild, das die Definition der Amygdalaregion zeigt, für die der Signalverlauf extrahiert wurde. b Gemittelter Zeitver-
lauf der linken Amygdalaaktivierung während 5 neutraler und 5 trauriger Stimmungsbedingungen (Posse et al. 2003)
24
364
Kapitel 24 · Emotionen
. Abb. 24.3. Ausschnitt aus der beispielhaft aufgezeichneten Konnektivität der Amygdala im Kontext emotionalkognitiver Funktionalität
24
dazu war dies nur bei 14% der neutralen Stimmungsbedingungen der Fall. ! Der Amygdala kommt im Kontext emotionaler und kognitiver Verarbeitung eine herausragende Rolle zu (. Abb. 24.3).
Wie aus . Abb. 24.3 ersichtlich wird, ist es eine Platzierung inmitten aller am Gefühlsleben beteiligten Hirnareale, zum anderen eine vielfache Vernetzung mit eben jenen, die diese anatomische Struktur als integrative Schaltstelle erscheinen lassen. Die Bedeutung der Amygdala für emotionale Prozesse wird in Bezeichnungen wie »headganglion of the emotional-motivational system« (Doty 1989) oder »sensory gateway to the emotions« (Aggleton u. Mishkin 1986) deutlich. Aufgrund ihrer Verbindung zum Hypothalamus kontrolliert die Amygdala vermutlich die eher rudimentären, hypothalamisch gesteuerten emotionalen Reaktionen bzw. ermöglicht durch ihre Evaluationsfunktion die Vorbereitung einer hypothalamisch angeregten Triebbefriedigung. Damit bildet ihre Funktion die Grundlage einer emotionalen Reaktion infolge einer Valenzbestimmung der Reizsituation. Diese Valenzzuschreibung ist wiederum Ausgangspunkt für eine differenzierte emotionale Reaktion. Allerdings gelingt es nicht allen Forschungsgruppen, Amygdalaaktivierungen während emotionalen Erlebens nachzuweisen. Statt dessen wird wiederholt eine Beteiligung des anterioren zingulären Kortex und des präfrontalen Kortex berichtet (Mayberg et al. 1999; Teasdale et al. 1999). Möglicherweise sind methodische Unterschiede für diese abweichenden Ergebnisse verantwortlich. Es werden unterschiedliche Methoden der Stimmungsinduktion eingesetzt. So wird zum einen visuelles Material verwendet (Teasdale et al. 1999; Lane et al. 1997), zum anderen die Erinnerung an persönliche emotionsbeladene Lebensereignisse (Mayberg et al. 1999) benutzt. Wie sich jedoch zeigen ließ, aktivierten intern und extern generierte Emotionen jeweils andere kortikale und subkortikale Netzwerke (Rei-
man et al. 1997), und auch die Aufgabeninstruktion bei der Präsentation von emotionalem Material hatte Einfluss auf die limbische Beteiligung (Liberzon et al. 2000). So war eine Beteiligung der Amygdala bei einer über einen Film induzierten traurigen Stimmung nachzuweisen, nicht aber bei einer durch Erinnerung bewirkten negativen Stimmung. Hier war stattdessen eine Aktivierung in der anterioren Inselregion beobachtbar (Lane et al. 1997). Teasdale und Kollegen (1999) verwendeten zwar eine visuelle, jedoch gleichzeitig indirekte Methode der Stimmungsinduktion, in der die 3 männlichen und 3 weiblichen Probanden jeweils Bilder mit entsprechenden Beschriftungen betrachten sollten, die so gewählt waren, dass sie entweder emotional oder nicht-emotional waren. Negativ bzw. positiv emotionale Bildbeschriftungskombinationen lösten im Vergleich zu nicht-emotionalen Reizen Aktivierungen in präfrontalen und anterior zingulären Bereichen aus. ! Werden Emotionen infolge kognitiver Prozesse ausgelöst oder sind kognitive Prozesse daran beteiligt, wie dies beispielsweise auch bei der Stimmungsinduktion mittels Erinnerung an oder Vorstellung von emotional bedeutsamen persönlichen Erlebnissen der Fall ist, so fand man regelmäßig eine Beteiligung des anterioren zingulären Kortex und präfrontaler Areale. Angesichts seiner aufmerksamkeitsmodulierenden Funktion und seiner Beeinflussung exekutiver Prozesse sowie seiner Verbindung zu subkortikal-limbischen Arealen (besonders Amygdala) ist die Beteiligung des anterioren zingulären Kortex in diesem Kontext durchaus nachvollziehbar.
Medialer Präfrontalkortex In einer Metaanalyse (Phan et al. 2002) erwies sich der mediale präfrontale Kortex als eine Region, die bei emotionalem Erleben unabhängig von der spezifischen Emotion und der Stimmungsinduktionsmethode beteiligt ist und damit seine Bedeutung im Rahmen des emotionalen Netzwerkes
365 24.1 · Emotionales Erleben
verdeutlicht. Es sind dabei einige emotionsübergreifende Funktionen wie Aufmerksamkeitsfokussierung, Bewertung, Regulation oder Entscheidungsprozesse denkbar, die frontal moduliert werden könnten und die eher die kognitiven Aspekte im Rahmen emotionaler Prozesse betreffen. Wesentlich ist vermutlich die modulierende und steuernde Funktion des präfrontalen Kortex in diesem Zusammenhang, wie neue Befunde nahelegen. Beim Vergleich einer traurigen Stimmungsinduktion (mittels Filmen) und einer Bedingung, in der die Probanden eine aufkommende traurige Stimmung unterdrücken sollten, waren bei Trauer Temporalpol, Mittelhirn, Inselregion, Amygdala und ventrolateraler präfrontaler Kortex beteiligt, während die Unterdrückung dieser Stimmung zu dorsolateral präfrontaler und orbitofrontaler Aktivität führte (Levesque et al. 2003).
Individuelle Einflussfaktoren Neben methodischen Aspekten können auch individuelle Einflussfaktoren für bildgebende Befunde in diesem Zusammenhang von Bedeutung sein (Eugene et al. 2003): Zwei identische fMRT-Untersuchungen zur traurigen Stimmungsinduktion wurden bei 2 verschiedenen Versuchsgruppen durchgeführt. Im einen Fall korrelierte das subjektive Trauererleben mit der Aktivität im anterioren Temporalpol und der Insel, im anderen Fall mit der Aktivität im orbitofrontalen und medialen präfrontalen Kortex. Zudem war ein beträchtliches Ausmaß an interindividueller Variabilität festzustellen. Ebenso können Persönlichkeitsfaktoren als Moderatorvariablen fungieren (Canli et al. 2001).
Emotion, Stimmung und Gefühl Eine weitere wesentliche Unterscheidung in diesem Kontext betrifft die zwischen Emotion und Stimmung bzw. Gefühl (Dolan 2002), wobei man unter letzteren längerwährende Reaktionstendenzen versteht, die das Auftreten einer a
. Abb. 24.4a–c. Regionen, die bei Emotionen eine Rolle spielen in der Ansicht von lateral, anterior und posterior (Dolan 2002): orbito-
bestimmten Emotion begünstigen können. Gefühle können als mentale Repräsentationen physiologischer Veränderungen infolge der Verarbeitung emotionsauslösender Zustände oder Objekte definiert werden (Dolan 2002). Emotionen sind spezifischer und bewusster, es sind eher kurzzeitige heftige emotionale Reaktionen, die automatische Reaktionsmuster beinhalten. Es gibt einige Belege, die dafür sprechen, dass Emotionen und Stimmungen von unterschiedlichen neuronalen Systemen vermittelt werden (Dolan 2002). Gefühle und die Erinnerung an bestimmte Gefühle aktivieren den Hypothalamus, Hirnstammkerne, den orbitofrontalen und somatosensorischen Kortex sowie die Insula (. Abb. 24.4). Während Dolan (2002) jedoch davon ausgeht, dass Amygdalaaktivierungen in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen, legen die oben dargestellten Ergebnisse andere Schlüsse nahe. Spezifische Korrelate für bestimmte Emotionen konnten anhand der Metaanalyse von Phan et al. (2002), in die 55 PET- und fMRT-Studien eingingen, im subgenualen anterioren zingulären Kortex für Trauer und in den Basalganglien für Freude identifiziert werden. Furcht ist dagegen stark mit einer Aktivierung der Amygdala assoziiert. Für die Rolle des subgenualen zingulären Kortex bei negativer Emotion sprechen auch klinische Befunde, die bei depressiven Patienten eine verringerte Aktivierung in diesem Bereich berichteten (Drevets 2000), die sich im Zuge einer erfolgreichen antidepressiven Therapie normalisierte (Mayberg et al. 2000). Die Basalganglien haben durch die hohe Konzentration dopaminerger Neurone und ihre Rolle im Rahmen des Belohnungssystems eine wesentliche Bedeutung für positive Affekte. Diese funktionale Unterteilung kann jedoch nicht als umfassend und ausschließlich betrachtet werden. Sie repräsentiert vielmehr eine besondere Rolle der genannten Regionen im Kontext der spezifischen Emotionen und ist Teil eines differenziellen und emotionsb
c
frontaler Kortex (gelb), insulärer Kortex (violett), anteriorer (blau) und posteriorer zingulärer Kortex (grün) sowie die Amygdala (rot)
24
366
Kapitel 24 · Emotionen
spezifischen Aktivierungsmusters. Dennoch ist eine Beteiligung der Basalganglien z. B. auch bei Ekel beschrieben worden und viele Untersuchungen demonstrieren eine Aktivität der Amygdala bei negativen und positiven Emotionen, wie Trauer (Schneider et al. 1998, 2000a; Levesque et al. 2003) und Freude (Schneider et al. 1997; Habel et al. 2005), auch wenn man davon ausgehen kann, dass eine stärkere Beteiligung bei negativen Emotionen vorherrscht.
Netzwerk des emotionalen Erlebens Die Unterschiede zwischen Emotionsqualitäten bzw. den Einfluss der Valenz verdeutlichte eine eigene Untersuchung
24 . Abb. 24.5a, b. a Vergleich der Aktivierungen bei Freude und Trauer im Vergleich zu einer kognitiven Kontrollaufgabe (Geschlechterdiskrimination) bei 26 gesunden Männern. b Valenzspezifische Aktivierung beim direkten Vergleich von Trauer und Freude. Auf den Schichten ist stärkere anterior zinguläre Aktivierung bei Trauer und stärkere dorsolateral präfrontale Beteiligung bei Freude zu erkennen (Habel et al.
a
2005)
b
(Habel et al. 2005; . Abb. 24.5). Die standardisierte oben erwähnte Stimmungsinduktionsmethode ergab bei 26 gesunden Männern ein breit gespanntes Netzwerk beteiligter Regionen beim Erleben von Trauer und Freude (. Abb. 24.5a), das im Vergleich zu der kognitiven Kontrollaufgabe dorsolateral präfrontale, orbitofrontale, anterior zinguläre, temporale Kortexareale, den Precuneus sowie die Amygdala, den Hippocampus, und den parahippokampalen Gyrus involvierte und damit im Einklang zu Einzelbefunden und metaanalytischen Ergebnissen steht (Phan et al. 2002). Dennoch weist der direkte Vergleich der beiden Bedingungen auf unterschiedliche valenzspezifische Aktivierungs-
367 24.2 · Emotionale Diskriminationsfähigkeit
schwerpunkte innerhalb dieses Netzwerkes, bei Trauer eher im anterior zingulären Bereich, dem ventrolateralen präfrontalen und temporalen Kortex, bei Freude dagegen im dorsolateralen präfrontalen Bereich, im inferior temporalen Kortex, einem Bereich mehr im dorsalen posterioren zingulären Kortex und dem Zerebellum (. Abb. 24.5b). Dies deutet darauf hin, dass innerhalb eines gemeinsamen, dem emotionalen Erleben zugrunde liegenden Netzwerkes, spezifische zerebrale Komponenten charakteristisch für einzelne Emotionen sind und demnach möglicherweise für die einzigartige emotionale Qualität und Färbung verantwortlich. Die vielfältigen Ergebnisse in Einklang zu bringen, ist angesichts der Verschiedenheit der verwendeten Methoden und des experimentellen Designs nicht einfach. So wurden zum Teil nur weibliche Probanden untersucht, wodurch die Ergebnisse nicht a priori auf Männer übertragbar sind (Pardo et al. 1993; George et al. 1995; Mayberg et al. 1999), besonders da es Ergebnisse gibt, die auf Geschlechtsunterschiede hinweisen (Schneider et al. 2000a; Killgore et al. 2001; Sabatinelli et al. 2004). Die bisherigen gemischt geschlechtlichen Stichproben bei den verschiedenen Untersuchungen emotionaler Prozesse haben dagegen die Analyse von Geschlechtsunterschieden aufgrund zu kleiner Gruppengrößen nicht zugelassen oder solche Unterschiede wurden nicht berichtet (Teasdale et al. 1999). Auf der anderen Seite wurden Emotionen einmal bewusst (George et al. 1995; Pardo et al. 1993), dann wieder unbewusst manipuliert (Teasdale et al. 1999) und schließlich ist nicht immer eine vergleichbare aktivierende nicht-emotionale Kontrollaufgabe verwendet worden (Pardo et al. 1993). Dennoch lassen die Ergebnisse die Beteiligung der erwarteten subkortikal-limbischen und kortikalen Strukturen erkennen. Die zwischen ihnen bestehenden Divergenzen verweisen aber auch auf ein komplexes Zusammenspiel der am emotionalen Erleben beteiligten Netzwerke in Abhängigkeit von der Emotion und den experimentellen Anforderungen. ! Emotionales Erleben beruht auf der Beteiligung eines breit gespannten Netzwerkes aus kortikalen und subkortikalen Arealen mit einer besonderen Rolle der Amygdala. Die Befunde deuten ferner auch auf emotionsspezifische Korrelate innerhalb dieses Netzwerkes, die möglicherweise den qualitativ unterschiedlichen Emotionsempfindungen zugrunde liegen. Allerdings spielen eine Reihe interner wie auch externer Einflussfaktoren eine Rolle, die die teilweise divergierenden Ergebnisse erklären können.
24.2
Emotionale Diskriminationsfähigkeit
Eine weitere häufig im Tomographen untersuchte Aufgabe ist die Verarbeitung emotionaler Gesichtsausdrücke. Vielfach werden den Probanden dabei Bilder mit emotionalen Gesichtsausdrücken ohne weitere Instruktion oder mit einer
ablenkenden Instruktion (z. B. Geschlechterdiskrimination) gezeigt (Phillips et al. 1998 u. a.). Dies ist im eigentlichen Sinne nicht als explizite emotionale Diskriminationsaufgabe zu bezeichnen, bei der jeweils entschieden werden soll, ob bzw. um welchen emotionalen Ausdruck es sich bei der Person handelt (Gorno-Tempini et al. 2001; Gur et al. 2002a). > Definition Unter Emotionsdiskrimination wird allgemein die Fähigkeit zur Erkennung von Emotionen in Gesichtsausdrücken verstanden. Dabei wird bei bildgebenden Untersuchungen zwischen impliziter und expliziter Verarbeitung unterschieden. Bei der expliziten Emotionserkennung haben die Probanden die Aufgabe, Emotionen im Gesichtsausdruck zu benennen oder aus verschiedenen Alternativen auszusuchen, bei der impliziten Verarbeitung werden die emotionalen Gesichter mit ablenkenden Aufgaben (z. B. Geschlechterdiskrimination) vorgegeben, die die Aufmerksamkeit nicht spezifisch auf die emotionalen Inhalte lenken.
Explizite und implizite Verarbeitung Entsprechend haben implizite und explizite Verarbeitung auch unterschiedliche neuronale Korrelate. Einige Untersuchungen haben inzwischen den direkten Vergleich angestellt: Explizite Verarbeitung zeigt stärkere temporale Beteiligung, während implizite Aufgaben eher die Amygdala ansprechen (Critchley et al. 2000). Die Befunde anderer Arbeitsgruppen legen jedoch genau das Gegenteil nahe. Hier war eine stärkere Amygdala- und Hippocampusaktivität sichtbar, wenn die emotionalen Gesichtsausdrücke aufgabenrelevant waren (Emotionsdiskrimination) im Gegensatz zu einer Bedingung der Altersdiskrimination, in der sie es nicht waren (. Abb. 24.6; Gur et al. 2002a; Habel et al., eingereicht). Umgekehrt scheint der Hippocampus und der inferiore okzipitale Kortex durch passive Betrachtung furchtsamer im Vergleich zu neutralen Ausdrücken stärker angesprochen zu werden als infolge expliziter Aufgabeninstruktion (Lange et al. 2003). Explizite Emotionserkennung von freudigen, neutralen und Ekelausdrücken aktiviert ein breit gespanntes Netzwerk, das unabhängig von der spezifischen Emotion den präzentralen Sulcus, frontale Areale, den posterioren Gyrus fusiformis und die anteriore Inselregion umfasst. Emotionsspezifische Aktivität zeigten die Amygdala, Nucleus caudatus und der orbitofrontale Kortex (GornoTempini et al. 2001).
Amygdalaaktivierung durch spezifische Emotionen Die Tatsache, dass neben der expliziten oder impliziten Aufgabenstellung auch die Emotion (Gorno-Tempini et al. 2001) und die Art des Stimulus (Keightley et al. 2003) eine Rolle spielen, trägt zur Steigerung der Komplexität noch bei. Selbst unterschiedliche Aufgabenanforderungen bei expliziten Emotionsdiskriminationsaufgaben führen zu
24
368
Kapitel 24 · Emotionen
24
. Abb. 24.6. Stärkere subkortikale Aktivierung in der bilateralen Amygdala und im linken Hippocampus und Parahippocampus bei der SPM99-Kontrast-Emotionsdiskrimination versus Altersdiskrimination
bei 14 gesunden Probanden. Der umgekehrte Vergleich von Altersdiskrimination versus Emotionsdiskrimination ergibt stärkere okzipitale Aktivität (Gur et al. 2002a)
unterschiedlichen Aktivierungsmustern. Die Verwendung eines Tests zum visuellen Zuordnen (»matching«) und eines Tests zum verbalen Benennen mimischen Affektausdrucks (»labeling«) von Ärger und Angst ergab Amygdalaaktivität nur beim »matching«, bei der »Labeling«-Aufgabe war dagegen eine Abnahme der Aktivität bei gleichzeitiger frontaler Beteiligung feststellbar (Hariri et al. 2002). Bereits die ersten fMRT-Untersuchungen in diesem Bereich haben jedoch vorwiegend auf die Amygdala fokussiert und Amygdalareaktionen bei der alleinigen Betrachtung von emotionalen Gesichtern festgestellt (Breiter et al. 1996). Übereinstimmend mit der Hypothese einer vorrangigen Beteiligung der Amygdala bei negativen emotionalen Inhalten war ihre Reaktion bei positiven emotionalen Gesichtsausdrücken seltener nachweisbar. Dennoch ließen zum Teil selbst neutrale und freudige Gesichtsausdrücke eine Amygdalareaktion erkennen (Breiter et al. 1996). Darin mag sich zum einen ihre Bewertungsfunktion im emotionalen Kontext zeigen, zum anderen ist aber aus Tierun-
tersuchungen und Läsionsbefunden bekannt, dass Amygdalaneurone spezifisch auch auf Gesichter reagieren. Entsprechend ist eine Reaktion der Amygdala bei emotionalen Gesichtsausdrücken auch stärker als bei anderen visuellen affektiven Reizen (z. B. IAPS, Hariri et al. 2002). Andere Untersuchungen ermöglichten eine nähere Charakterisierung des weiteren, bei der Verarbeitung spezifischer Emotionen in Gesichtsausdrücken involvierten Netzwerkes. Bei der Betrachtung freudiger Gesichtsausdrücke, nicht jedoch trauriger, konnte mit der fMRT eine Aktivierung im linken anterioren zingulären Kortex, bilateral im posterioren zingulären Kortex, im medialen frontalen Kortex und rechten supramarginalen Gyrus demonstriert werden (Phillips et al. 1998). Traurige Gesichtsausdrücke gingen mit einer Amygdalaaktivierung einher (Blair et al. 1999), während Ekel- und Ärgerausdrücke divergierende Ergebnisse erbrachten (Blair et al. 1999; Gorno-Tempini et al. 2001). So aktivierte Ekel Putamen und häufig Inselregion (Phillips et al. 1998; Sprengelmeyer et al. 1998;
369 24.2 · Emotionale Diskriminationsfähigkeit
. Abb. 24.7a–d. a Rechtsseitige Amygdalaaktivität bei der Betrachtung furchtsamer im Vergleich zu neutralen Gesichtern. b. Effekt der Aufmerksamkeit auf die Amygdala. Aufmerksamkeit (rot) ändert die Reaktion der Amygdala auf furchtsame Gesichter nicht, aber reduzierte Aufmerksamkeit bewirkt eine verstärkte Reaktion bei Ekel (grün). c Die anteriore Inselregion zeigt verstärkte Aktivität bei Ekel im Vergleich zu neutralen Gesichtsausdrücken. d Reduzierte Aufmerksamkeit vermindert die Beteiligung der Inselregion bei Ekel (Anderson et al. 2003)
a
c
b
d
Schienle et al. 2002; Anderson et al. 2003), Ärger dagegen zinguläre und medial temporale Areale, Furcht wiederum den Gyrus fusiformis und dorsolateralen präfrontalen Kortex (Sprengelmeyer et al. 1998). Hier wurde keine Amygdalabeteiligung berichtet, obwohl die Amygdala fast immer mit Furchtausdrücken in Verbindung gebracht wird (Whalen et al. 1998) und selbst bei Ekelausdrücken nachweisbar war (Schienle et al. 2002; Anderson et al. 2003). Ebenso scheint die Inselregion nicht nur spezifisch für die Verarbeitung von Ekel in Gesichtsausdrücken zuständig zu sein (Schienle et al. 2002). Anscheinend haben Aufmerksamkeitseffekte auch modulierende Funktion bezüglich der Amygdala: Interessanterweise führt eine reduzierte Aufmerksamkeit bezüglich furchtsamer Gesichtsausdrücke nicht zwangsläufig zu einer Verminderung amygdaloider Signalintensität, sondern zu einer Zunahme ihrer Aktivität bei Ekelausdrücken (. Abb. 24.7, Anderson et al. 2003). ! Reduzierte Aufmerksamkeit geht demnach mit einer breiteren unspezifischeren Reaktion der Amygdala einher, die damit möglicherweise eine Art Filterfunktion für affektiv negative und damit potenziell bedrohliche Reize ausübt.
Inferior frontale Aktivität war emotionsübergreifend mess-
bar (Sprengelmeyer et al. 1998; Gorno-Tempini et al. 2001), was in Übereinstimmung mit Befunden zum Emotionserleben steht. Demnach ist es denkbar, dass dem frontalen Kortex auch in diesem Zusammenhang kognitive sowie Entscheidungs- und Bewertungsfunktionen zukommen. Dafür spricht auch, dass bei emotionalen verglichen mit neutralen Gesichtern stärkere Aktivität resultiert, die auch zusätzliche Regionen mit einbezieht, wobei sich Emotionsunterschiede hauptsächlich in frontalen Arealen manifestieren (Kessler-West et al. 2001).
Habituationsprozesse Problematisch bei einem Nachweis der Amygdala im Kontext emotionaler Verarbeitung ist die schnelle Habituation der Amygdalaneurone (Breiter et al. 1996) bei wiederholter Reizdarbietung. Allerdings kann dem durch Einführung von »event-related« Paradigmen vorgebeugt werden, bei denen die Reize in randomisierter Folge dargeboten werden. Dies kann jedoch nicht dazu führen, den Zeitverlauf der Aktivierung generell außer Acht zu lassen. Wie sich zeigte, kann das zeitliche Antwortmuster in rechter und linker Amygdala nämlich unterschiedlich sein (Phillips et al. 2001) und das gilt auch für Habituationsprozesse (Wright
24
370
Kapitel 24 · Emotionen
et al. 2001). Zudem müssen neben Habituations- auch Sensitivierungsprozesse mit in Betracht gezogen werden. Feinstein und Kollegen (2002) fanden Habituationsprozesse in aufmerksamkeitsrelevanten Regionen der rechten Hemisphäre, so im posterioren parietalen Kortex und im frontalen Augenfeld, Sensitivierungprozesse dagegen auf der linken Seite im Gyrus angularis, posterioren superioren temporalen Kortex und der Insel während die Probanden eine Geschlechterdiskrimination bei emotionalen Gesichtern durchführten.
Backward masking
24
! Da selbst die unbewusste Wahrnehmung (»backward masking«) emotionaler Reize in der Lage ist, das subkortikal-limbische Emotionsnetzwerk zu stimulieren, kann man die Amygdala auch als Warn- und Schutzsystem bezeichnen, das automatisch adaptiv auf wechselnde Umweltanforderungen reagiert. > Definition Unter »backward masking« versteht man eine kurze Stimulusdarbietung unterhalb der bewussten Wahrnehmungsschwelle (subliminal; 30–40 ms), gefolgt von einem länger dargebotenen Stimulus, so dass die Wahrnehmung des ersten Reizes durch die Präsentation des zweiten verdeckt wird.
Bei »Backward-masking«-Paradigmen reichte die kurze Präsentation von emotionalen Gesichtern, maskiert mit einem neutralen Gesicht, um Amygdalaaktivität bei gesunden Probanden nachweisen zu können (. Abb. 24.8; Whalen et al. 1998). Zudem bekräftigten die Ergebnisse den Einfluss der Valenz auf die Aktivität. Die Reizantwort in der Amygdala war bei ängstlichen maskierten Gesichtern stärker als bei freu-
. Abb. 24.8. Amygdalaaktivierung bei der maskierten Präsentation ängstlicher im Vergleich zu freudigen Gesichtern (Whalen et al. 1998)
digen. Etwas divergierende Ergebnisse berichten hier allerdings Killgore und Yurgelun-Todd (2004). Hier war bei maskierten freudigen und traurigen Gesichtern eine stärkere Amygdalabeteiligung bei den freudigen Gesichtern zu verzeichnen, aber generell war eine Aktivität in Amygdala und anterior zingulärem Kortex charakteristisch für die unbewusste Verarbeitung. Im Gegensatz dazu konnten Phillips et al. (2004) nur bei der bewussten Verarbeitung furchtsamer Gesichter Amygdalabeteiligung beobachten, nicht jedoch bei einer maskierten Präsentation. Demnach basieren unbewusste und bewusste Verarbeitung auf unterschiedlichen neuronalen Korrelaten, die wiederum Einflüsse von Aufmerksamkeit reflektieren. Allerdings mag hier der Faktor eines Blockdesigns im Vergleich zu den meist verwendeten »Event-related«-Paradigmen in diesem Kontext zu den divergierenden Ergebnissen beigetragen haben.
Modulation der Amygdalaaktivität Insgesamt mehren sich zwischenzeitlich die Befunde, die eine Fülle relevanter Einflussfaktoren identifizieren und charakterisieren konnten, die die Aktivität der Amygdala modulieren. So spielt beispielsweise die Blickrichtung eine Rolle, denn zugewandte ärgerliche Gesichter sind mit einer stärkeren Amygdalareaktion verbunden als abgewandte (Sato et al. 2004a) und die Verwendung von biologisch relevanteren dynamischen im Vergleich zu statischen Vorlagen ging ebenfalls mit einer stärkeren amygdaloiden Beteiligung bei furchtsamen bewegten Gesichtern einher (Sato et al. 2004b). Gleiches gilt auch in weiteren Arealen, wie dem visuellen Kortex und frontalen Arealen bei ärgerlichen und auch freudigen Gesichtern (Kilts et al. 2003), was die Relevanz zeitlicher Information bei der Verarbeitung zum Ausdruck bringt. Ebenso haben sich schematische emotionale im Vergleich zu neutralen Gesichtsausdrücken als geeignet erwiesen, Stimulusantworten in Amygdala, Hippocampus und präfrontalem Kortex auszulösen (Wright et al. 2002), was zusätzlich den experimentellen Vorteil hat, einfacher und kontrollierbarer zu sein als menschliche Gesichtsausdrücke. Die Bedeutung der Individualität des Gesichtes neben der Emotionalität zeigten Gläscher et al. (2004). In einem 2×2 faktoriellen Blockdesign wurden 4 individuell unterschiedliche Gesichter in 5 verschiedenen emotionalen Ausdrücken (in der Intensiät variierend) von freudig über neutral bis furchtsam dargeboten (. Abb. 24.9). Zur Kontrolle der Aufmerksamkeit hatten die Probanden eine OddballAufgabe, d. h. manchmal wurde mit dem Gesicht ein definierter Stimulus präsentiert, auf den die Probanden mit einem Knopfdruck reagieren sollten. Eine Geschlechterdiskrimination oder Emotionserkennung wurde bewusst vermieden, da hier konfundierende Effekte vermutet wurden. In den 4 Bedingungen werden jeweils die Identität (konstant/variabel) und die Emotionalität (konstant/variabel) zu CiCe (konstante Individualität und Emotion), ViCe (variable Identität, konstante Emotion), CiVe (konstante Iden-
371 24.2 · Emotionale Diskriminationsfähigkeit
. Abb. 24.9. Experimentelles Paradigma und Ergebnisse der fMRTStudie von Gläscher et al. (2004). Amygdalareaktionen in den verschiedenen experimentellen Bedingungen. Die Amygdalaaktivierungen zeigen den Interaktionseffekt zwischen Identität und Emotion an. Die Pfeile weisen auf die maximal aktivierten Voxel. Die oberen beiden Graphen verdeutlichen die rechtsseitige und linksseitige Amygdalaaktivität (Regressionskoeffizienten und Standardfehler) in allen experi-
mentellen Bedingungen. Die höchste Aktivität resultiert bei variierender Individualität und gleichbleibender Emotion (ViCe). Detaillierte emotionsspezifische Aktivität ist in den unteren beiden Graphen dargestellt. Die stärkste Aktivität innerhalb der ViCe-Bedingung wird von maximal furchtsamen Gesichtern ausgelöst (*signifikanter Unterschied)
tität bei variabler Emotion), ViVe (variable Identität und Emotion) kombiniert. Die Amygdalaaktivität für den Interaktionseffekt ([ViCe>CiCe]>[ViVe>CiVe]) maskiert mit dem Kontrast (ViCe>CiVe) wurde mittels einer regionalen Analyse (anatomische Maske) erfasst. Die Autoren interpretierten die starke Amygdalabeteiligung (. Abb. 24.9) bei ViCe als Ausdruck des Konzeptes der emotionalen Konstanz. Über die Zeit hinweg werden die emotionalen Hinweisreize verglichen, auf Stabilität geprüft und zeigen im Fall ViCe ein hohes Ausmaß an Konsistenz in der Umweltbewertung, das die eigene Bewertung unterstützt. Variable
Emotionalität (CiVe, ViVe) kann demgegenüber als Rauschen im Kontext der Entdeckung konstanter Emotionen aufgefasst werden. ! Emotionserkennung ist demnach wesentlich an die Beteiligung der Amygdala gebunden, doch ist auch die Amygdala eng vernetzt mit weiteren subkortikalen und kortikalen Strukturen, die für eine intakte Emotionserkennung relevant sind.
Ein Modell verdeutlicht das an der Emotionserkennung beteiligte Netzwerk (. Abb. 24.10; Phillips et al. 2003).
24
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Kapitel 24 · Emotionen
druck bei Männern und Frauen zurückzuführen. Unklar bleibt noch, ob das Geschlecht der dargestellten Person für die Diskriminationsleistung von Männern und Frauen eine möglicherweise – unterschiedliche – Rolle spielt, da hier divergierende Ergebnisse berichtet werden (Thayer u. Johnsen 2000).
a
! FMRT-Ergebnisse konnten nun zeigen, dass der unterschiedlichen Diskriminationsleistung bezüglich emotionaler Gesichtsausdrücke hirnfunktionelle Unterschiede zugrunde liegen. Sie veranschaulichen, dass Geschlechtsunterschiede, die bei emotionalem Verhalten und Erleben wiederholt gefunden wurden, biologischen Ursprungs sind und durch Lernprozesse moduliert werden. Während der Betrachtung emotionaler Gesichtsausdrücke weisen Frauen und Männer in Abhängigkeit von der spezifischen Emotion ein unterschiedliches Aktivierungsmuster auf.
24 b
. Abb. 24.10a, b. Emotionserkennung. a Darstellung der für die Emotionserkennung wesentlichen Prozesse. 1) Bewertung und Identifikation der emotionalen Bedeutung des Stimulus, 2) Herbeiführung eines spezifischen affektiven Zustandes und eines Verhaltens auf den Reiz hin und 3) Regulation dieser, was eine Hemmung oder Modulation der Prozesse bei 1) und 2) beinhalten kann (angezeigt durch +/-), so dass der affektive Zustand, das Verhalten und das emotionale Erleben für den jeweiligen Kontext angemessen sind. b Schematische Darstellung der für die Emotionserkennung wesentlichen zerebralen Strukturen. Ein hauptsächlich ventrales System ist für die Erkennung der emotionalen Bedeutung, die Auslösung eines affektiven Zustandes und die autonome Regulation zuständig (dunkelgrau), während ein eher dorsales System (hellgrau) die effektive Regulation der resultierenden affektiven Zustände übernimmt. Vermutlich existiert eine reziproke funktionelle Verbindung zwischen beiden Systemen (angezeigt durch die gebogenen Pfeile). VLPFC ventrolateraler präfrontaler Kortex; DLPFC dorsolateraler präfrontaler Kortex; DMPFC dorsomedialer präfrontaler Kortex; ACG anteriorer zingulärer Gyrus (Phillips et al. 2003)
24.2.1
Geschlechtsunterschiede
Auch bei Aufgaben zur Emotionsdiskrimination finden sich Hinweise auf Geschlechtsunterschiede: Obwohl gesunde Männer und Frauen Emotionen im Gesichtsausdruck erkennen und korrekt klassifizieren können, ist die Leistung von Frauen besser, während Männer mehr Schwierigkeiten dabei haben, die Emotionen im Gesichtsausdruck voneinander zu unterscheiden (Thayer u. Johnsen 2000). Möglicherweise ist dies auf Unterschiede im Emotionsaus-
So fand sich stärkere Aktivität von Frauen in der Amygdala und im orbitofrontalen Bereich beim Vergleich ärgerlicher und neutraler Gesichter (McClure et al. 2004; . Abb. 24.11), die auf spezifische stärkere Aktivität der Frauen bei eindeutigen bedrohlichen Reizen zurückgehen. Andererseits wurde stärkere Amygdalabeteiligung auch bei Männern beobachtet und zwar spezifisch bei furchtauslösenden Reizen, nicht dagegen bei ekelinduzierenden (Schienle et al. 2005) trotz stärkerer Furcht- und Erregungseinschätzungen der Frauen; möglicherweise eine Folge des Stimulusmaterials mit überwiegend aggressivem Inhalt, wofür Männer eine stärkere Sensibilität aufweisen könnten. Dies deutet darauf hin, dass Geschlechtsunterschiede in den neuronalen Korrelaten emotionaler Prozesse nur für spezifische Stimulusarten, so z. B. auch erotische Reize bestehen könnten (Hamann et al. 2004; Sabatinelli et al. 2004; . Abb. 24.12). Besonders häufig wurden Geschlechtsunterschiede auch bezüglich der Lateralisierung der Aktivität berichtet. Ausschließlich bei Männern war eine stärkere Aktivierung bei der Präsentation ärgerlicher im Vergleich zu freudigen Gesichtern erkennbar. Asymmetrisch stärkere rechtshemisphärische Aktivität war ferner bei ärgerlichen im Vergleich zu traurigen und stärkere linksseitige bei traurigen im Vergleich zu freudigen Gesichtsausdrücken messbar. Bei Frauen fanden sich keine solchen Asymmetrien (KeslerWest et al. 2001). Eine stärker asymmetrische Aktivität ließ sich auch im Bereich der Amygdala bei Männern im Vergleich zu Frauen finden, wenn hier auch die Valenz der Stimuli ebenfalls Einfluss auf die Lateralisierung der Aktivität nimmt. Freudige Gesichter bewirkten eher rechtsseitige Amygdalaaktivität (bei Männern), furchtsame Gesichter dagegen linksseitige (bei beiden Geschlechtern; Killgore u. Yurgelun-Todd 2001). Geschlechtseinflüsse werden natürlich auch bedeutsam bei den neuronalen Substraten der Verarbeitung sexueller Reize. Hamann et al. (2004) haben den 28 Probanden einmal Bilder von Paaren während sexueller Aktivität und sol-
373 24.3 · Emotionales Gedächtnis
bei Männern (intrinsisch oder gelernt) und weniger Folge einer größeren Erregung. Man nimmt an, dass die reifungsbedingten Entwicklungen in der Zeit der Geschlechtsreife zu hirnfunktionellen Veränderungen im Sinne von Neuorganisationen führen und durch geschlechtsspezifische hormonelle Veränderungen im Jugendalter bedingt sind. Dies unterstützen die Ergebnisse einer fMRT-Untersuchung bei Jugendlichen. Bei Mädchen verschob sich das Verhältnis von linkshemisphärischer subkortikaler Amygdalaaktivierung und präfrontaler Beteiligung mit zunehmendem Alter zugunsten stärkerer präfrontaler Aktivierung bei der Betrachtung von angstvollen Gesichtsausdrücken (Killgore et al. 2001). Bei Jungen waren solche altersabhängigen Veränderungen nicht zu finden. ! Generell lassen die beobachteten Geschlechtsunterschiede eine unterschiedliche funktionell zerebrale Organisation bei Männern und Frauen vermuten, die nicht zwangsläufig in manifesten Verhaltensunterschieden sichtbar wird.
24.2.2
. Abb. 24.11. Vergleich der Aktivität bei Frauen und Männern bei der Beurteilung der Bedrohlichkeit von Gesichtsreizen. Die Präsentation von ärgerlichen Gesichtern war bei Frauen mit stärkerer Aktivität im rechten orbitofrontalen Kortex und der Amygdala verbunden (McClure et al. 2004)
che von attraktiven gegengeschlechtlichen nackten Personen präsentiert und zur Kontrolle Bilder von neutralen Mann-Frau-Interaktionen sowie ein Fixationskreuz. Außerhalb des Tomographen wurden anschließend Ratings für die Attraktivität und Erregung erhoben. Für die Amygdala und den Hypothalamus wurden regionale Analysen durchgeführt. Obwohl die Einschätzungen von Attraktivität und Erregung (bei Frauen eher höher) bei Männern und Frauen vergleichbar waren, wiesen Männer bei der Betrachtung der sexuellen Stimuli (Paare) eine höhere Aktivität in Amygdala und Hypothalamus auf (. Abb. 24.12), Regionen, die bei emotionaler Erregung und Sexualität eine wesentliche Rolle spielen. Aufgrund der vergleichbaren Erregung ist dies demnach vermutlich eher Ausdruck eines größeren appetitiven Anreizes visueller sexueller Stimuli
Alterseinflüsse
Altersprozesse nehmen auf die Hirnaktivierung nachweisbaren Einfluss (7 Kap. 11). Im Bereich emotionaler Verarbeitung wurden sie bislang jedoch noch kaum untersucht. Nur wenige Untersuchungen widmeten sich den Effekten des Alters auf die emotionale Verarbeitung. Bei älteren Probanden scheint es zu einer Aktivierungsabnahme im subkortikal-limbischen Bereich zu kommen sowohl während Emotionsdiskriminationsaufgaben (Gunning-Dixon et al. 2003) als auch während impliziter Verarbeitung emotionaler Gesichter (Iidaka et al. 2002). Dies betrifft sowohl die Amygdala als auch den Hippocampus und Parahippocampus. Gunning-Dixon et al. (2003) fanden jedoch auch, dass ältere Probanden stattdessen andere Areale im frontalen und parietalen Kortex bei der gleichen Aufgabe rekrutieren. Eine solche funktionelle Reorganisation kann durch morphologische oder funktionelle Veränderungen mit zunehmendem Alter bedingt sein, die besonders in limbischen Regionen nachgewiesen wurden. Angesichts einer schlechteren Verhaltensleistung könnten sie jedoch auch ein Ausdruck größerer Anstrengung sein.
24.3
Emotionales Gedächtnis
Zerebrale Korrelate von Enkodierung und Abruf Übereinstimmend wird in der Psychologie ein Einfluss von Emotionen auf Gedächtnisleistungen beschrieben (Bower 1981). So wird angenommen, dass emotionale Inhalte leichter gelernt und besser behalten werden und dass Emotionen auch den Abruf beeinflussen. Aufgrund der uneinheitlichen experimentellen Befundlage ist jedoch unklar, ob es sich
24
374
Kapitel 24 · Emotionen
a
b
24
c . Abb. 24.12a–c. Geschlechtsunterschiede bei der Verarbeitung sexueller Reize. Stärkere Aktivität der Männer bei sexuellen Reizen (Paare) im Vergleich zum Fixationskreuz (a) und im Vergleich zu neutralen Reizen in Amygdala und Hypothalamus (b). Die weißen Kreise zeigen die definierten und analysierten Regionen. c Darstellung der
mittleren Signaländerungen in den Regionen, getrennt für Männer und Frauen sowie die einzelnen Bedingungen (verglichen mit dem Fixationskreuz). Couples Bilder sexuell aktiver Paare, OS Bilder gegengeschlechtlicher nackter Einzelpersonen, neutral neutrale Mann-FrauInteraktionen (Hamann et al. 2004)
hierbei um einen Valenz- oder Intensitätseffekt handelt, d. h. ob die spezifische Emotion oder die Steigerung der Erregung infolge einer Emotion für diesen Einfluss verantwortlich ist. Einige Autoren nehmen an, dass die Intensität der Emotion ausschlaggebend für die Gedächtnisleistung ist. Dies konnte mit Textmaterial und mit visuellem Material aufgezeigt werden. Zwischenzeitlich mehren sich entsprechende funktionell-bildgebende Untersuchungen. Die meisten Studien haben die Hirnaktivität während der Enkodierung gemessen und mit der späteren Behaltensleistung in Beziehung gesetzt (Cahill et al. 1996; Dolcos et al. 2004; Sergerie et al. 2005). Nur wenige fMRT-Untersuchungen haben die Aktivität während der Wiedergabe erfasst (Smith et al. 2004) und eine weitere hat sowohl die Enkodierung als auch die Wiedergabe mittels fMRT bezüglich ihrer zerebralen Korrelate untersucht (Tabert et al. 2001). Auch bei den diesem Effekt zugrunde liegenden neurobiologischen Korrelaten scheint die Amygdala eine große Rolle zu spielen (Cahill et al. 1996); dies verdeutlicht damit einmal mehr ihre herausragende Rolle im emotional-limbischen Netzwerk. Sowohl bei der Enkodierung als auch beim Abruf emotionalen Materials konnte eine Beteiligung der Amygdala nachgewiesen werden. So korrelierte der mit der PET gemessene Glukosemetabolismus in der Amygdala nur bei der Enkodierung emotionalen, nicht neutralen
Filmmaterials mit der späteren Gedächtnisleistung (3 Wochen später; Cahill et al. 1996). Dies gilt sowohl für positivals auch negativ-emotionales Material (Hamann et al. 1999). Die Aktivität der Amygdala war auch bei dieser PET-Untersuchung mit der gesteigerten episodischen Gedächtnisleistung für emotionales Material im Vergleich zu neutralem Material korreliert. Ähnliches wird auch von anderen Autoren berichtet, die fMRT-Untersuchungen durchführten (Canli et al. 2000; Tabert et al. 2001). Die Korrelation mit der nachfolgenden Behaltensleistung scheint dabei vom Ausmaß der subjektiv eingeschätzten emotionalen Intensität abhängig zu sein (Canli et al. 2000), was die Bedeutung der Erregung für die Gedächtnisleistung hervorhebt (. Abb. 24.13). Die Beteiligung während der Enkodierung deutet darauf hin, dass eine Funktion der Amygdala in diesem Kontext in einer Steigerung der Behaltensleistung für emotionales Material liegt. Es wird angenommen, dass die Amygdalareaktion besonders bei negativ emotionalem Material die frühe Verarbeitung visueller Information moduliert, so dass diese Prozesse der Informationsverarbeitung und Bewertung verstärkt werden, eine Annahme, die durch die Korrelation von amygdaloider Aktivität und okzipitaler Aktivität unterstützt wird (Tabert et al. 2001). Neuere Befunde mit dem β-adrenergen Antagonisten Propanolol deuten auf eine noradrenerg modulierte amygdaloide Beteiligung bei der Enkodierung (Strange u. Dolan 2004).
375 24.3 · Emotionales Gedächtnis
a
b . Abb. 24.13a, b. Verstärkte Gedächtnisleistung für emotionales Material korreliert mit der Amygdalaaktivität. a Gedächtnisleistung als Funktion der emotionalen Intensitätsratings der Probanden. b Korrelation der Amygdalaaktivität mit der Erinnerungsleistung für als emotional hoch intensiv eingestuftes Material (Canli et al. 2000)
Man geht aber auch davon aus, dass der Einfluss der Amygdala sich vor allem auf das Langzeitgedächtnis bezieht. Dies unterstreichen die Ergebnisse von Tabert und Kollegen (2001). Sie fanden beim Abruf keinen Hinweis auf eine Amygdalaaktivität. Der Grund hierfür liegt möglicherweise darin, dass in dieser Untersuchung sowohl Enkodierung als auch Abruf erfasst wurden, die somit zeitlich zu nahe beieinander lagen, um Langzeitgedächtniseffekte sichtbar werden zu lassen. ! Neuere Untersuchungen legen nahe, dass die Amygdalaaktivität die Gedächtnisleistung bei negativ-emotionalem Material vorhersagt, während dies bei positivemotionalem Material der anteriore parahippokampale Gyrus und extrastriatale Regionen sind (Erk et al. 2003). In negativ-emotionalem Kontext gelernte Wörter gingen bei der Wiederkennung mit einer Aktivierung im dorsolateralen präfrontalen Kortex, Amygdala, Hippocampus, lingualen Gyrus und posterioren zingulären Kortex einher, in positiv-emotionalem Kontext gelernte Wörter dagegen mit präfrontaler und orbitofrontaler sowie anterior temporaler Aktivität (Maratos et al. 2001).
Ein ähnliches zerebrales Netz, das den Einfluss von emotionalem im Vergleich zu neutralem Enkodierungskontext (IAPS-Bilder) bei der Erinnerung neutraler Stimuli moduliert, bestätigten auch Smith et al. (2004). Es umfasste parahippokampalen Kortex, Hippocampus und präfrontalen Kortex sowie emotionsrelevante Regionen, nämlich Amygdala, orbitofrontalen und anterior zingulären Bereich (. Abb. 24.14). Das Zusammenspiel zwischen subkortikal-limbischen Strukturen einerseits und kortikalen Regionen andererseits wird an den emotionalen Einflüssen auf Gedächtnisprozesse besonders deutlich. Hamann et al. (1999) wiesen in ihrer Untersuchung darauf hin, dass die Hippocampusaktivität durch die Amygdala moduliert wird, sofern die Stimuli einen emotionalen Bedeutungsgehalt aufweisen. Eine bedeutende Rolle kommt dabei offensichtlich auch dem retrosplenialen Kortex zu, der bei emotionalen Reizen aktiviert wird und zugleich bei der Bildung des episodischen Gedächtnisses involviert ist (Wiggs et al. 1999). Neuere Ergebnisse erweitern die neuronalen Korrelate zum Einfluss von Emotionen auf die Gedächtnisleistung durch die Betonung präfrontaler Regionen. Die Aktivität im linksseitigen präfrontalen Kortex bei der Enkodierung ging mit einer verbesserten Gedächtnisleistung speziell für emotionale Gesichtseindrücke einher (Sergerie et al. 2005). Ähnliches gilt jedoch auch für andere emotionale visuelle Stimuli und linksseitige ventrolaterale und dorsolaterale präfrontale Regionen (Dolcos et al. 2004). Vermutlich steigert diese Aktivität strategische Enkodierungsprozesse, wie z. B. eine tiefere semantische Verarbeitung, wobei diese Ergebnisse wiederum nahe legen, dass die gedächtnismodulierende Wirkung emotionaler Reize über die gesteigerte Erregung und nicht die Valenz vermittelt wird, da kein Unterschied zwischen positiven und negativen Stimuli zu finden war. Allerdings sind neutrale Reize, die zum Vergleich verwendet werden, meist wenig aussagekräftig, da sie sowohl nicht-emotional als auch weniger erregend sind.
Geschlechtsunterschiede Geschlechtsunterschiede konnten auch in den neuronalen Korrelaten emotionaler Gedächtnisprozesse nachgewiesen werden. Bei Aufgaben zum emotionalen Gedächtnis manifestiert sich eine bereits bei der emotionalen Diskriminationsleistung beschriebene unterschiedliche Lateralisierung der Aktivierung im Bereich der Amygdala bei Männern und Frauen (Cahill et al. 2004, . Abb. 24.15). Während der Betrachtung emotionaler und neutraler Stimuli korreliert eine stärkere rechtsseitige Aktivität der Amygdala mit einer verbesserten Gedächtnisleistung für die emotionalen Inhalte bei Männern. Bei Frauen geht wiederum die linksseitige Aktivität mit einer verbesserten Behaltensleistung einher. Dies unterstützt vorausgehende Ergebnisse zur geschlechtsspezifischen Lateralisierung der Aktivität bei emotionalem Gedächtnis (Hamann et al. 1999;
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Kapitel 24 · Emotionen
. Abb. 24.14. Erinnerungskorrelierte Aktivität: Regionale Aktivierungen während der korrekten Erinnerung von in emotionalem verglichen mit in neutralem Kontext gelernten Objekten (Smith et al. 2004)
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Cahill et al. 1996; Canli et al. 2000) und bei emotionalen Prozessen allgemein. Geschlechtsspezifische Einflüsse auf das autobiographische Gedächtnis haben Piefke et al. (2005) untersucht. Dafür wurden emotionale (positive und negative) autobiographische Ereignisse der Probanden aus der kürzer und länger zurückliegenden Vergangenheit erfragt, die als auslösende Reize für die fMRT-Untersuchung verwendet wurden. Während der Untersuchung sollten sich die Probanden die Ereignisse bei Vorgabe der verbalen Stimuli lebhaft und emotional vorstellen. Die anschließende korrekte Zuweisung bzw. Erkennung der Stimulusvorgaben mit den episodischen Gedächtnisinhalten sowie die subjektiven Ratings ließen keine Geschlechtsunterschiede erkennen. Zur Analyse der fMRT-Daten (Blockdesign) wurden alle Gedächtnisbedingungen mit der Ruhe-Baseline verglichen und zeigten stärkere Aktivitäten der Männer im parahippokampalen Gyrus, bei Frauen dagegen frontal und insulär (. Abb. 24.16). Sie könnten Folge von geschlechtsspezifisch unterschiedlichen kognitiven Strategien bei der Enkodierung, der Erinnerung und dem Nachdenken über autobiographische Gedächtnisinhalte sein. Die Daten verweisen auch erneut auf die unterschiedliche Lateralisierung der Aktivität bei Männern und Frauen. ! Zusammenfassend weisen diese Befunde darauf hin, dass Teile der Amygdala, des Präfrontalkortex, des anterioren zingulären Kortex und des anterioren Temporalkortex ein neuronales Netzwerk bilden, welches in der Lage ist, emotional und sozial relevante Informationen aus Gesichtern zu extrahieren, Emotionen zu erleben und im Verhalten auszudrücken.
. Abb. 24.15. Stärkere rechtsseitige Amygdalaaktivität während der Enkodierung emotionaler Stimuli bei Männern korreliert mit verbesserter Behaltensleistung nach 2 Wochen, bei Frauen ist es die linksseitige Amygdala (Cahill et al. 2004)
377 24.4 · Emotionales Lernen
. Abb. 24.16a, b. Geschlechtsspezifische Aktivierungen (10 Männer, 10 Frauen) während der autobiographischen Erinnerung (alle Bedingungen) verglichen mit der Baseline. a Männer zeigen stärkere Aktivität im linken parahippokampalen Gyrus. b Frauen weisen stärkere Beteiligung im rechten insulären a Kortex und dorsolateralen präfrontalen Kortex auf (Piefke et al. 2005)
b
24.4
Emotionales Lernen
Ein biologisch relevanter adaptiver Mechanismus zur Vereinfachung und Steigerung der Effektivität emotionaler Reaktionen stellt die klassische Konditionierung emotionaler Reaktionen dar. Auch in diesem Kontext kommt der Amygdala eine wesentliche Bedeutung zu. > Definition Konditionierung: Ein neutraler Reiz erwirbt aufgrund seiner mehrfachen Paarung mit einem bedeutsamen Reiz (unkonditionierter Reiz, US), der eine (emotionale) unkonditionierte Reaktion auslösen kann, die Fähigkeit, ebenfalls und auch allein (konditionierter Reiz, CS), diese Reaktion zu bewirken. Sie wird dann als konditionierte Reaktion (CR) bezeichnet.
Die optimalen Voraussetzungen, um die neurobiologischen Grundlagen klassischer Konditionierung zu untersuchen, bietet die Anwendung von »Event-related«-Paradigmen. Im einen Fall wurden geometrische Figuren als CS eingesetzt und elektrische Schocks als US (LaBar et al. 1998). Akquisition und Extinktion wurden mit »Single-trial«fMRT untersucht, wobei nur wenige Schichten, die im Bereich der Amygdala angesiedelt waren, aufgenommen wurden, um die Aufnahmezeit zu verkürzen. Der CS+ löste Amygdalaaktivierung aus, die während der Anfangsphase der Akquisition stärker war. Auch in der Extinktion fand sich ein solches Aktivierungsmuster. Kortikale Beteiligung wurde in einer Aktivierung des anterioren zingulären Kortex sichtbar. In der anderen Konditionierungsstudie (. Abb. 24.17) wurden Gesichter als CS verwendet und aversive Töne als US (Büchel et al. 1999). Die CS+ (Dauer 3 s) waren nur in
der Hälfte der Fälle von einem US gefolgt. Diese partielle Verstärkung erlaubte es, die Reaktion auf den CS+ von der auf den US zu trennen, da nur solche CS+ in die Analyse eingeschlossen wurden, die nicht mit einem US assoziiert waren. Differenzielle Konditionierungseffekte (auf den CS+ im Vergleich zum CS-) fanden sich wiederum in der Amygdala und im anterioren zingulären Kortex. In beiden Untersuchungen war eine Abnahme der kon-
a
b . Abb. 24.17a, b. a Schematische Darstellung der zeitlichen Aufeinanderfolge von US und CS im Rahmen der klassischen Konditierung. b Aktivierung im Bereich des anterioren zingulären Kortex, der Inselregion und der Amygdala auf CS+ (oben) im Vergleich zu CS- (unten) (Büchel u. Dolan 2000)
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Kapitel 24 · Emotionen
ditionierten Reaktionen zu verzeichnen. Dies unterstützt das bereits vorliegende Wissen aus tierexperimentellen Studien, aus denen deutlich wurde, dass die Amygdala hauptsächlich an dem Prozess der Assoziationsbildung beteiligt ist und anschließend eine schnelle Habituation in ihrer Reaktivität zeigt. Unterschiedliche Befunde existieren zu der Beteiligung der Amygdala bei Löschungsprozessen. Teilweise wird eine Aktivitätssteigerung immer dann berichtet, wenn sich Kontingenzen ändern, also auch bei der Löschung (Knight et al. 2004), teilweise gibt es auch Hinweise darauf, dass Konditionierungseffekte besonders bei Furchtreizen in der Amygdala wenig reversibel sind. Während der orbitofrontale Kortex sehr schnell auf die Änderungen der Kontingenzen reagierte (CS+ und CS- wurden vertauscht), zeigte die Amygdala nach wie vor eine Reaktion auf den neuen CS-, der vorher CS+ war (Morris u. Dolan 2004). ! Es ist mit der fMRT möglich, sehr sensibel den Zeitverlauf dynamischer zerebraler Prozesse abzubilden, die psychologischen Prozessen zugrunde liegen.
Im Gegensatz zu den »Event-related«-Untersuchungen zeigt eine klinische Studie die Möglichkeit der Anwendung auch des »Boxcar«-Paradigmas zur Untersuchung der neurobiologischen Mechanismen des differenziellen klassischen Konditionierens bei kontrastierenden psychiatrischen Gruppen mit unterschiedlichen Annahmen bezüglich der emotionalen Konditionierbarkeit (Schneider et al. 1999, 2000b). Der Unterschied zwischen den klinischen Gruppen sollte besonders in der Aktivität der Zielstruktur, der Amygdala, zutage treten: Bei Angstpatienten wurden nach dem Lernen verstärkte Amygdalaaktivierungen, bei Soziopathen dagegen schwächere Reaktionen postuliert. Als konditionale Stimuli (CS) dienten 2 neutrale, männliche Gesichter (CS+/CS-), als unkonditionale Stimuli vergorene Hefe (aversiv, US+) bzw. Raumluft (neutral, US-). In der Habituation wurde in einem einfachen Blockdesign jeder Reiz 20-mal im MR-Tomographen dargeboten. Im Verlauf des Lernens sollte die assoziative Verknüpfung des neutralen Gesichtes mit dem aversiven Reiz bzw. mit der Raumluft stattfinden (Akquisition: 80 Lerndurchgänge). Während der Messung (nach 60 Lerndurchgängen) wurde jedes Reizpaar nach einer Baselinephase 20-mal dargeboten und erlaubte es, den Effekt der Assoziationsbildung zu erfassen, indem die Messung jeweils nur auf die Präsentation des CS beschränkt blieb und bereits beendet war, wenn der US einsetzte. Da eine aversive Geruchsstimulation zu einer Amygdalaaktivierung führte, stellte ihre Aktivierung die emotionale UR dar. Gruppenunterschiede traten nach erfolgreicher subjektiver Konditionierung anhand eines regionalen Analyseansatzes erwartungsgemäß während der Akquisition auf: Im Gegensatz zu der bei Gesunden gefundenen Deaktivierung bei der Präsentation des CS+ im Vergleich zum CS-, die als Ausdruck einer bereits stattgefundenen Habituation auf die emotional negative assoziative Verknüpfung interpretiert
werden kann, war bei den Patienten mit sozialer Phobie eine anhaltende Aktivierung in Amygdala und Hippocampus auffällig. Dies könnte als ein neurobiologisches Korrelat einer Angstreaktion bereits bei nicht-phobierelevanten Reizen interpretiert werden, und auf ein leicht stimulierbares bzw. überaktives regional spezifisches Netzwerk hindeuten. Bei Patienten mit soziopathischer Persönlichkeitsstörung war stattdessen im Vergleich zu gesunden Probanden eine erhöhte Aktivierung im dorsolateralen präfrontalen Kortex und in der Amygdala festzustellen. Sie könnten die Folge einer größeren Anstrengung von Soziopathen sein, die sie aufgrund ihrer emotionalen Beeinträchtigungen für derartige emotionale Prozesse aufbringen müssen.
24.5
Klinische Relevanz
Affektive Beeinträchtigungen sind für viele psychiatrische wie auch neurologische Erkrankungen charakteristisch. Sie treten in großer Zahl auf und besitzen daher hohe klinische Relevanz. So konnte in einer Auswertung der AMDP-Aufnahmebefunde für 2011 allgemeinpsychiatrische stationäre Patienten der Düsseldorfer Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie die Häufigkeit von Affektstörungen ermittelt werden: Folgende Prozentverteilung von Affektstörungen mit mindestens erheblicher Ausprägung findet sich bei den einzelnen ICD-10Hauptgruppen: 4 Suchtstörungen 65%, 4 Schizophrenie 77%, 4 affektive Störungen 86%, 4 Neurosen 77%, 4 Persönlichkeitsstörungen 83%. Auf neurobiologischer Ebene lassen sich bei vielen dieser Störungen Auffälligkeiten im limbischen System bzw. speziell in der Amygdala finden. So sind pathologische Veränderungen der Amygdala bei Morbus Alzheimer, Depression, bipolaren Störungen und Schizophrenie, aber auch bei Morbus Parkinson und Epilepsie berichtet worden. Funktionell bildgebende Befunde bei psychiatrischen und neurologischen Patienten mehren sich in den letzten Jahren ebenfalls, die emotionales Verhalten und Erleben bezüglich seiner neurobiologischen Grundlagen und Dysfunktionen untersuchen. So werden emotionale Auffälligkeiten bei Depressiven und bipolaren Störungen, Schizophrenien, Autismus, Angststörungen, Substanzabhängigkeit, Persönlichkeitsstörungen wie Borderline und Soziopathie und ferner Demenz erforscht. Aber auch bei neurologischen Störungen finden affektive Beeinträchtigungen zunehmend mehr Beachtung, so z. B. bei Morbus Parkinson oder Epilepsie. Meist werden dabei krankheitsspezifische affektive Beeinträchtigungen untersucht, wie das emotionale Erleben bei Schizophrenien oder Depressionen, die emotionale Dis-
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kriminationsfähigkeit bei Schizophrenien und Epilepsien, die Reaktionen auf emotionale, oft störungsspezifische Stimuli bei Angst- und Persönlichkeitsstörungen oder Depressionen und das stimulusausgelöste Suchtverlangen (»craving«) bei Abhängigkeiten. Damit ließen sich störungsübergreifende krankheitsunspezifische, aber auch störungsspezifische Auffälligkeiten feststellen, die Hinweise auf zugrunde liegende, an den Dysfunktionen beteiligte, neuronale Substrate geben. Beispielsweise konnten Auffälligkeiten schizophrener Patienten sowohl während des emotionalen Erlebens von Trauer (Habel et al. 2004) als auch während der Emotionsdiskrimination (Gur et al. 2002b) im Bereich der Amygdala lokalisiert werden. Damit kommt der Amygdala möglicherweise bei den zerebralen Grundlagen emotionaler Beeinträchtigungen und
affektiver Symptome bei Schizophrenen eine besondere Rolle zu. In einem nächsten Schritt lassen sich daraus möglicherweise neue Implikationen für die Diagnose und Therapie gewinnen. So ließ sich beispielsweise feststellen, dass dysfunktionale Aktivierungsmuster schizophrener Patienten während einer Emotionsdiskriminationsaufgabe durch ein standardisiertes Emotionsdiskriminationstraining abgenommen haben (Habel et al. eingereicht). Ähnliches zeigte sich auch bei Alkoholabhängigkeit. Limbische funktionelle Auffälligkeiten von Alkoholabhängigen waren infolge einer dreiwöchigen Verhaltenstherapie rückläufig (Schneider et al. 2001). Die Anwendung bildgebender Verfahren eignet sich damit auch, um Therapieeffekte zu evaluieren und auf zerebraler Ebene nachzuweisen.
Zusammenfassung und Ausblick Emotionen – lange ein vernachlässigtes Forschungsfeld – rückten dank der schnellen und weiten Verbreitung bildgebender Verfahren wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Verwendete Paradigmen dienen der Erfassung des emotionalen Erlebens, der Erkennungsfähigkeit, des Gedächtnisses und des Lernens. Dies verweist auch auf die hohe Bedeutung und den Einfluss von Emotionen auf nahezu alle weiteren kognitiven Prozesse. Daher sind Emotionen und Kognitionen auch nur schwer trennbare Konstrukte, die sich in ständiger Interaktion befinden; diese Wechselwirkungen müssen daher stärker beachtet und besser, besonders bezüglich ihrer neurobiologischen Korrelate, untersucht werden. Die Ergebnisse bildgebender Untersuchungen im Bereich der Emotionen weisen auf ein breit gespanntes zugrunde liegendes Netzwerk aus subkortikalen und kortikalen Regionen, bei denen die Amygdala eine Schlüsselstellung einnimmt. Sie kann als zentrale und integrative
24.6
Literatur
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Schaltstelle für Emotionen gelten, gekennzeichnet durch eine vielfältige Funktionalität, die trotz der zunehmenden Häufigkeit der Befunde von Amygdalaaktivitäten in unterschiedlichem emotionalem Kontext, noch weiter klärungsbedüftig ist. Eine Reihe funktioneller Charakteristika, aber auch weiterer externer, insbesondere methodischer Einflussfaktoren und Probleme, machen den Nachweis einer Amygdalaaktivität nach wie vor zu einer messtechnischen Herausforderung. Weitere, bei emotionalen Prozessen wesentliche Regionen sind präfrontale und anterior zinguläre wie auch temporale Areale; für ein intaktes emotionales Erleben und Verhalten ist das gesamte Emotionsnetzwerk unerlässlich. Im klinischen Bereich kann die Untersuchung von zerebralen Dysfunktionen psychiatrischer und neurologischer Patienten, bei denen affektive Symptome häufig und in großer Zahl auftreten, dazu beitragen, eine genauere Charakterisierung möglicher pathogenetisch bedeutsamer Merkmale zu liefern.
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Kapitel 24 · Emotionen
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24
25 25 Olfaktorik U. Habel, F. Schneider
25.1 fMRT olfaktorischer Verarbeitung
– 384
25.2 Die Schwierigkeit olfaktorischer fMRT-Untersuchungen – 385 25.3 Lateralität
– 388
25.4 Die Abbildung spezifischer olfaktorischer Funktionen – 388 25.5 Gerüche und Affekte – 389 25.6 Olfaktorische Konditionierung 25.7 Klinische Relevanz 25.8 Literatur
– 393
– 392
– 391
384
Kapitel 25 · Olfaktorik
))
25
Die phylogenetisch wichtigste und älteste Funktion des Geruchssinnes ist die chemosensorische Analyse der Atemluft. Die Nase versorgt den Organismus auf diese Weise mit Informationen, die diesem bei der Beschaffung von Nahrung, bei dem Erkennen von anderen Personen, bei der Suche nach Geschlechtspartnern und bei der Vermeidung von Gefahren von Nutzen sein können. Trotz dieser wichtigen Aufgaben zählte der Geruchssinn lange Zeit zu den niederen und primitiven Sinnen des Menschen. Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt ist die enge Verbindung zwischen Geruchs- und Emotionsempfinden: Anatomisch steht der Bulbus olfactorius sehr eng mit dem limbischen System und speziell mit der Amygdala in Kontakt. Die Untersuchung des olfaktorischen Systems und der olfaktorischen Verarbeitung, besonders seiner neuralen Korrelate, ist daher aus verschiedener Hinsicht von Interesse. Während die peripheren Mechanismen olfaktorischer Informationsverarbeitung bereits weitgehend geklärt sind, wurden erst in letzter Zeit mit zunehmend größerer Beliebtheit und Verbreitung bildgebender Verfahren auch eine Reihe von Untersuchungen zur zerebralen Organisation olfaktorischer Verarbeitung durchgeführt.
25.1
fMRT olfaktorischer Verarbeitung
Die meisten dieser bildgebenden Untersuchungen haben die Charakterisierung des subkortikalen und kortikalen olfaktorischen Netzwerkes zum Ziel; es gibt jedoch auch Untersuchungen, die die olfaktorische Stimulation mit einem anderen Ziel einsetzen, so z. B. als emotionalen Stimulus (Schneider et al., im Druck), als unkonditionierten Reiz bei emotionalen Konditionierungen (Schneider et al. 1999, 2000; Gottfried et al. 2002a, b) oder zur Induktion eines Suchtverlangens (Schneider et al. 2001). Diesen Überlegungen liegt die enge anatomische Verbindung zwischen olfaktorischem und limbischem System zugrunde. Zudem erhält die zentrale Struktur des emotional-limbischen Netzwerkes, die Amygdala, aus dem olfaktorischen System als einzigem sensorischen System direkten Zustrom (7 Kap. 1.3.6, . Abb. 1.32).
chen Riechhirnes mit dem restlichen Hirnvolumen, so nimmt dieses – relativ zu anderen Vertebraten – nur einen kleinen Raum ein. Dennoch sind die Riechleistungen von Menschen erstaunlich: es existieren über 15.000 unterscheidbare Düfte bzw. Gerüche – und einige sind selbst bei sehr geringen Konzentrationen noch wahrnehmbar. Wie kein anderes sensorisches Sinnessystem steht der Geruchssinn mit archaischen Hirnarealen des Paläokortex in direkter Verbindung: die zentralen Leitungsbahnen des olfaktorischen Systems ziehen zunächst zu phylogenetisch alten Hirnstrukturen, dem piriformen Kortex, bevor sie zum Thalamus und zum Neokortex gelangen.
! 5 Im olfaktorischen System finden ausgehend von den Sinnesrezeptoren direkte Projektionen ins Telenzephalon ohne thalamische Verschaltungen statt. 5 Die zentralen Projektionen verlaufen ipsilateral, d. h. dass Duftapplikationen in die rechte (linke) Nasenhöhle die rechte (linke) Hemisphäre des Gehirns erreichen. 5 Das olfaktorische ist das einzige sensorische System, das direkte Projektionen zur Amygdala hat.
Die Applikation der olfaktorischen Reize im Kernspintomographen erfolgt am elegantesten und exaktesten mittels eines Olfaktometers (. Abb. 25.1). Allerdings sind bei den verschiedenen Bildgebungsuntersuchungen auch diverse
Exkurs Im Gegensatz zu anderen Wirbeltieren, bei denen die Riechfunktionen noch eine existenzielle Rolle bei der Orientierung im Lebensraum darstellen, ist das Riechhirn beim Menschen stark zurückgedrängt, fast rudimentär. Vergleicht man etwa die Masse des menschli6
. Abb. 25.1. Beispiel für ein Olfaktometer und seine Anwendung im Kernspintomographen im Forschungszentrum Jülich
385 25.2 · Die Schwierigkeit olfaktorischer fMRT-Untersuchungen
Geruchsproben verwendet worden, die dann einfach unter die Nase gehalten werden. Der Einsatz eines Olfaktometers ist jedoch gerade bei fMRT-Untersuchungen vorteilhaft, denn es ermöglicht eine standardisierte und damit reliable Geruchsapplikation mit konstanter Temperatur (möglichst angewärmt auf Körpertemperatur) und Durchflussgeschwindigkeit, gleichem Druck sowie einer gewissen Feuchtigkeit, die der Gefahr einer Austrocknung der Nasenschleimhäute vorbeugt. Die Geruchskonzentration ist für die Ergebnisse einer fMRT-Untersuchung ebenfalls bedeutsam. Sobel und Mitarbeiter konnten hier zeigen, dass sowohl hohe als auch niedrige Konzentrationen eines olfaktorischen Stimulus zu einer Aktivierung führen können (Sobel et al. 1999). Beide Konzentrationen induzierten signifikante Aktivierungen insbesondere in anterior thalamischen und inferior frontalen Regionen. Der Signalanstieg in inferior frontalen Arealen war jedoch während der Stimulation mit hohen Konzentrationen signifikant größer als während der Stimulation mit der niedrigeren Konzentration. Ähnlich bewirkten in einem anderen Fall die höchsten Konzentrationen die stärkste Aktivität, womit allerdings nicht gleichzeitig impliziert war, dass schwächere Konzentrationen proportional schwächere Aktivität nach sich ziehen (Levy et al. 1997). ! Die kontrollierte olfaktorische Stimulusapplikation ist gerade im Rahmen bildgebender Untersuchungen besonders bedeutsam; so kann die Ursache vieler divergierender Ergebnisse in diesem Bereich in wenig kontrollierten und standardisierten Stimulationsmethoden begründet liegen.
Bei olfaktorischer Stimulation aktivierte zerebrale Areale.
Zu den wesentlichen, bei olfaktorischen Prozessen involvierten zerebralen Arealen zählen nach bisherigen Erkenntnissen der Neuroimaging-Forschung (PET, fMRT): 4 piriformer Kortex (primärer olfaktorischer Kortex; Yousem et al. 1997; Sobel et al. 1998a, 1999; Levy et al. 1999; Poellinger et al. 2001; Zelano et al. 2005) 4 orbitofrontaler Kortex (OFC, sekundärer olfaktorischer Kortex; Levy et al. 1997; Qureshy et al. 2000; Royet et al. 2000; Sobel et al. 2000) 4 temporaler Kortex (medial und posterior: Levy et al. 1997; superior: Sobel et al. 2000) 4 insulärer Kortex (Fulbright et al. 1998) 4 zingulärer Kortex (Levy et al. 1997; Fulbright et al. 1998; Sobel et al. 2000) 4 Amygdala (Levy et al. 1997; Royet et al. 2000; Sobel et al. 2000; Herz et al. 2004) 4 Hippocampus (Levy et al. 1997; Sobel et al. 2000; Herz et al. 2004) 4 Thalamus (Sobel et al. 1999, 2000) 4 Hypothalamus (Royet et al. 2000) 4 Zerebellum (Yousem et al. 1997; Sobel et al. 1998b)
25.2
Die Schwierigkeit olfaktorischer fMRT-U ntersuchungen
Betrachtet man die Ergebnisse der meisten Studien, so sind häufig Inkonsistenzen zu verzeichnen. Problematisch war bislang hauptsächlich der Nachweis piriformer und amygdaloider Aktivität. Dies wird verständlich, wenn man sich die zahlreichen inzwischen ermittelten Einflussfaktoren bei der olfaktorischen Stimulation vergegenwärtigt. Auswertungsvorlage. Ein methodischer Einflussfaktor
liegt beispielsweise in der der Analyse zugrunde gelegten Auswertungsvorlage. Bei fMRT-Analysen wird das BOLDSignal meist mit einer vorgegebenen Funktion korreliert, die dem Stimulationsverlauf entspricht und bei der die hämodynamische Latenz des BOLD-Signals berücksichtigt wird. Dabei wird jedoch der Einfachheit halber impliziert, dass diese hämodynamische Antwortfunktion für alle Stimulusarten identisch ist, eine in der Praxis teilweise höchst problematische Annahme. Untersuchungen mit ereigniskorrelierten Potenzialen haben gerade für olfaktorische Reize spezifische Reaktionscharakteristika gezeigt, so dass die Verwendung solcher Einheitsfunktionen die Sensitivität der Analyse möglicherweise beeinträchtigt. Cerf-Ducastel und Murphy (2004) konnten dies eindrücklich zeigen (. Abb. 25.2). Eine wahrnehmungsbasierte Auswertung (Korrelation mit außerhalb des Scanners erhobenen gemittelten kontinuierlichen Intensitäts-Ratings) bewies dabei eine deutlich höhere Sensitivität als die übliche stimulationsbasierte Korrelation. Aktives und passives Riechen. Durch das bewusste Riechen und Schnüffeln (»sniffing«) werden andere Areale aktiviert als durch den Geruch selbst (Sobel et al. 1998a, b): Aktives Riechen beinhaltet durch den hereinströmenden Luftstrom eine somatosensorische Komponente, die unabhängig von dem tatsächlichen Vorhandensein eines Geruchs Aktivierung im piriformen, medialen und posterioren orbitofrontalen Kortex auslöst. Der passiv wahrgenommene Geruch dagegen stimuliert unabhängig vom aktiven Riechvorgang eher anterior-laterale Anteile des orbitofrontalen Kortex (Sobel et al. 1998a). Solche spezifischen Aktivierungen in Abhängigkeit vom aktiven oder passiven Riechvorgang wurden auch im Kleinhirn beobachtet (Sobel et al. 1998b). Aufmerksamkeit. Eine aktuelle Untersuchung konnte sehr
eindrucksvoll eine weitere funktionelle Ausdifferenzierung im primären olfaktorischen Kortex infolge von Aufmerksamkeitsmodulationen zeigen (Zelano et al. 2005, . Abb. 25.3). In dieser fMRT-Untersuchung hatten die 12 Probanden abwechselnd verschiedene olfaktorische Aufgaben, in denen die Aufmerksamkeit moduliert wurde, ohne den olfaktorischen Reiz zu verändern; zum einen sollten sie im Rahmen eines Scan-Durchgangs auf auditorische »cues« hin
25
386
Kapitel 25 · Olfaktorik
a
b
25 . Abb. 25.2a, b. fMRT-Ergebnisse gewonnen mit unterschiedlichen Auswertungsvorlagen. Aktivierung einer Versuchsperson auf retronasale olfaktorische Stimulation in Abhängigkeit von der wahrnehmungsbasierten (a) sowie der stimulationsbasierten (b) Funktion, die
für die Korrelation mit dem BOLD-Signal verwendet wurde. Man erkennt die stärkere Aktivität in piriformen und mesiotemporalen Arealen bei a (Cerf-Ducastel u. Murphy 2004)
aktiv riechen (»sniffing«) und angeben, ob ein olfaktorischer Reiz vorhanden war (»task detection«), was in 50% der Stimulationen der Fall war. Abwechselnd hatten sie eine weitere Aufgabe (»task inhalation«), bei der sie ebenfalls aktiv schnuppern sollten, aber wussten, dass keine olfaktorische Stimulation erfolgen würde. Eine weitere Messung erfolgte nur während »task inhalation«, so dass hier keine Aufmerksamkeitsänderung durch geänderte Instruktionen nötig war. . Abbildung 25.3 zeigt die aufmerksamkeitsmodulierte Reaktion im piriformen Kortex (analysiert wurden jeweils Bedingungen ohne olfaktorische Reizung). Die differenzierte Analyse in verschiedenen Subregionen des piriformen Kortex ergab differenzielle aufmerksamkeitsabhängige Aktivierungen nur für den frontalen piriformen Kortex und das olfaktorische Tuberkel, nicht jedoch für den temporalen piriformen Kortex. Auch andere aktivierte Regionen im Zerebellum, der Insel und dem orbitofrontalen Kortex zeigten keine vergleichbare Aufmerksamkeitsmodulation.
aktionscharakteristika des primären und sekundären olfaktorischen Kortex sowie die physiologischen Mechanismen der Habituation sind jedoch bislang noch nicht ausreichend geklärt. Folglich sollten in olfaktorischen Untersuchungen, in denen der Nachweis einer Beteiligung dieser Regionen angestrebt wird, Stimulationszeiten so gewählt werden, dass Habituationsprozesse minimal sind.
Habituation. Die häufige Schwierigkeit, Aktivität des primären olfaktorischen Kortex (des piriformen Kortex) nachzuweisen, kann jedoch auch auf den spezifischen Zeitverlauf olfaktorisch-induzierter Aktivierungen zurückzuführen sein (Sobel et al. 2000), denn bereits nach kurzer Zeit (ca. nach 9 s) tritt in diesen Arealen eine Habituation auf (Sobel et al. 1999, 2000; Poellinger et al. 2001). Habituationsprozesse wurden in diesem Zusammenhang auch für die Amygdala, den entorhinalen Kortex und den Hippocampus beobachtet (Poellinger et al. 2001). Im orbitofrontalen Kortex war dagegen eine anhaltende Aktivität während der gesamten Stimulationsdauer feststellbar (Sobel et al. 2000; Poellinger et al. 2001). Die genauen Ursachen dieser unterschiedlichen Re-
Signalverluste und Artefakte. Problematisch für die fMRT bei der Abbildung beteiligter subkortikaler und ventraltemporaler sowie -frontaler Areale sind ferner die Signalverluste und Suszeptibilitätsartefakte in diesen tieferliegenden Strukturen aufgrund umgebender Gefäße, Luft und Knochen. Art der olfaktorischen Reizung. Bei der Olfaktorik kön-
nen in Abhängigkeit vom verwendeten Geruch jeweils olfaktorische, vomeronasale oder auch trigeminale Systeme mit angesprochen werden. Welche Auswirkungen dies haben kann, veranschaulichte eine fMRT-Untersuchung von Yousem und Kollegen (1997). Es wurden Reize, die ausschließlich das olfaktorische System stimulierten (u. a. Eugenol, Geraniol, Patchuli, Ylang Ylang) mit solchen verglichen, die zusätzlich das trigeminale System reizten. Zudem wurden Messwiederholungen im Abstand von einer Woche durchgeführt. Die rein olfaktorischen Stimuli lösten rechts orbitofrontale und zerebelläre Aktivität aus, die bei der erneuten Untersuchung schwächer ausfiel, was vermutlich die Folge einer systemgebundenen Gewöhnung bzw. Adaptation ist. Die gemischten Reize dagegen stimulierten wesentlich mehr Areale (okzipital, temporal, zingulär, Precuneus) und ließen bei der wiederholten Konfrontation sogar eine in der räumlichen Ausdehnung gesteigerte Akti-
387 25.2 · Die Schwierigkeit olfaktorischer fMRT-Untersuchungen
. Abb. 25.3a–e. Aufmerksamkeitsabhängigkeit der zerebralen Aktivität bei olfaktorischer Stimulation. a Mittlerer Zeitverlauf der Response im piriformen Kortex. Der graue Bereich zeigt die Zeit der akustischen Instruktion an. Obwohl alle 3 analysierten Bedingungen des aktiven Riechens (»sniffing«) identisch und jeweils ohne olfaktorische Stimulation waren, zeigten sich Aktivitätsunterschiede in Abhängigkeit von der Aufmerksamkeit. Erstaunlicherweise tritt antizipatorische piriforme Aktivität bereits bei der Instruktion auf, jedoch nur in der Bedingung der höchsten Aufmerksamkeit. b »Random-effect«Gruppenanalyse: Darstellung der bis in den linken Inselbereich hineinreichenden piriformen Aktivität. c–e Fehlende Bedingungsunterschiede und damit kein nachweisbarer Einfluss der Aufmerksamkeit im Gegensatz zum piriformen Kortex in Zerebellum (c), Inselregion (d) und posteriorem und lateralem orbitofrontalem Gyrus (e; basales Operculum) (Zelano et al. 2005)
a
c
vität erkennen. Die Autoren sehen darin den Ausdruck einer evolutionären Anpassung: Trigeminal reizende Gerüche führen bei wiederholter Stimulation zu einer zunehmenden Irritation und Aversion und lösen damit eine Art Kampf- und Fluchtverhalten aus, das sich in der Aktivierung eines breiteren kortikalen Netzwerkes niederschlägt. Affektive Reaktionen. Einen weiteren schwer kontrollier-
baren Einflussfaktor stellen affektive Reaktionen dar, die durch bestimmte Gerüche ausgelöst werden und ihrerseits mit Aktivierungen in bestimmten Netzwerken verknüpft sind (7 unten). ! Die Notwendigkeit zur Kontrolle solcher Einflussfaktoren bei der Planung von olfaktorischen fMRT-Untersuchungen wird durch diese Befunde belegt. Beachtet werden sollten: 5 mögliche unterschiedliche hämodynamische Antwortfunktion 5 Riechvorgang, d. h. aktives versus passives Riechen 5 Aufmerksamkeits- und Antizipationseinflüsse 5 Habituationsprozesse 5 Signalverluste und Suszeptibilitätsartefakte in tiefer liegenden Strukturen 5 Art der olfaktorischen Reizung (negativ versus positiv, trigeminal versus nicht-trigeminal)
b
d
e
Potenzielle weitere Einflussfaktoren Generell müssen natürlich auch weitere allgemeine Einflussfaktoren bei der Untersuchung olfaktorischer Funktionen, wie Rauchen, Alter oder Geschlecht beachtet werden. Rauchen. Bezüglich des Einflusses von Rauchen besteht
nach wie vor Unklarheit, da nur zum Teil eine reduzierte olfaktorische Sensitivität bei Rauchern berichtet wurde (Frye et al. 1990). Andere Untersuchungen berichteten keine Beeinträchtigungen, oder nur bei der Wahrnehmung trigeminal reizender Gerüche (Cometto-Muniz u. Cain 1982). Mögliche Unterschiede zwischen Rauchern und Nichtrauchern bezüglich der olfaktorischen Verhaltensleistung wie auch der zugrunde liegenden neuralen Reaktionen müssen jedoch in Betracht gezogen und daher in Untersuchungsplanungen berücksichtigt werden. Alter. Ein gleichmäßiger Abbau olfaktorischer Fähigkeiten
mit dem Alter wurde wiederholt berichtet, wobei insbesondere das olfaktorische Gedächtnis und die Geruchsidentifikationsfähigkeit betroffen zu sein scheinen. Es existieren jedoch auch hier gegenteilige Befunde, die eher spezifische Einbußen, jedoch keine allgemeine Verschlechterung nahelegen. Möglicherweise sind solche Beeinträchtigungen an einen altersbedingten Abbau olfaktorischer Strukturen gebunden. FMRT-Studien mit olfaktorischer Stimulation er-
25
388
25
Kapitel 25 · Olfaktorik
gaben eine in ihrer regionalen Ausdehnung aber auch in ihrer Intensität reduzierte Aktivität älterer Personen verglichen mit jüngeren Probanden, z. B. in bestimmten Arealen des Kleinhirns (Ferdon u. Murphy 2003), und auch besonders in Regionen primärer olfaktorischer Projektion, wie Amygdala, piriformer Kortex und entorhinaler Kortex (Cerf-Ducastel u. Murphy 2003). Möglicherweise ist eine reduzierte Wahrnehmungsschwelle älterer Personen von Einfluss: Wurden die Daten dieser PET-Untersuchung zur sensorischen Stimulation diesbezüglich korrigiert, verschwanden Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Probanden im Gyrus rectus und medialen orbitalen Gyrus (Kareken et al. 2003). Dies legt eine Begrenzung der Altersspanne bei olfaktorischen fMRT-Untersuchungen nahe, und unabhängig davon eine Bestimmung der Wahrnehmungsschwellen. Geschlecht. Männer und Frauen scheinen sich in ihrer Geruchswahrnehmung zu unterscheiden; so zeigen Frauen im Vergleich zu Männern eine höhere Intensitäts- und eine abweichende hedonische Einschätzung. In der zerebralen Aktivität werden unterschiedliche Ergebnisse berichtet, zum einen fanden sich keine Unterschiede in einer PETUntersuchung (Bengtsson et al. 2001), während fMRT-Studien solche Unterschiede nahelegen. Bei Frauen wurden allgemein schwächere Aktivitäten bei insgesamt 3 positiven und negativen Gerüchen beobachtet (Levy et al. 1997), wobei sich jedoch keine regionalen Unterschiede ergaben. Allerdings wurden hier nur 3 Regionen quantitativ untersucht, so dass die Daten keinen Schluss auf die gesamte Hirnaktivität erlaubten. Genau gegenteilige Befunde präsentierten Yousem und Kollegen (1999). Mit Eugenol und Phenylalkohol beschrieben sie bei Frauen eine im Durchschnitt bis zu 8-mal ausgedehntere Aktivität in spezifischen frontalen und perisylvischen Regionen als bei Männern. Ferner war bei Frauen eine signifikante Aktivitätssteigerung bilateral inferior frontal festzustellen (. Abb. 25.4).
25.3
Lateralität
Obwohl bezüglich einer hemisphärischen Lateralisierung olfaktorischer Funktionen noch keine Eindeutigkeit besteht, legt doch die Gesamtzahl der Befunde eine solche nahe. Grundsätzlich unterscheidet sich das olfaktorische System von den anderen sensorischen Systemen dadurch, dass die zentralen Projektionen ipsilateral verlaufen, d. h. dass Duftapplikationen in die rechte (linke) Nasenhöhle die rechte (linke) Hemisphäre des Gehirns erreichen. Während häufig eine rechtshemisphärische zerebrale Dominanz bei der Verarbeitung olfaktorischer Stimuli nachgewiesen wurde (Yousem et al. 1997; Sobel et al. 1999; Savic u. Berglund 2000), gibt es jedoch auch Studien, die eine linksdominante Aktivierung während olfaktorischer Verarbeitung nahelegen (Royet et al. 2000). Die Befunde einer stärkeren rechts-
a
b
c
d
. Abb. 25.4a–d. Die bilaterale periinsuläre Aktivierung (Pfeile) ist bei Frauen (a) deutlich stärker als bei Männern (b). Ebenso zeigen Frauen (c) stärkere rechtsseitige frontale Aktivität als Männer (d); (Yousem et al. 1999)
hemisphärischen Asymmetrie stehen jedoch in Einklang mit Läsionsbefunden, bei denen stärkere olfaktorische Defizite bei rechts-lateralisierten Läsionen berichtet werden, sowie solchen, die eine Überlegenheit des rechten Nasenloches bei der Verarbeitung von olfaktorischen Reizen demonstrierten. Möglicherweise spielt in diesem Zusammenhang die Valenz (Gottfried et al. 2002a) oder auch die Vertrautheit der verwendeten Gerüche eine entscheidende Rolle, da Probanden in der Untersuchung von Savic und Berglund (2000) nur bei wenig vertrauten Gerüchen eine zerebrale Asymmetrie zeigten. ! Generell scheint die Verarbeitung olfaktorischer Reize beide Hemisphären zu involvieren, wenn auch mit einem Schwerpunkt der rechten Hemisphäre.
25.4
Die Abbildung spezifischer olfaktorischer Funktionen
Über die reine Stimulation mit olfaktorischen Reizen hinaus werden inzwischen gehäuft auch höhere olfaktorische Funktionen mit bildgebenden Verfahren untersucht. So führte beispielsweise die Vorstellung, einen Geruch wahr-
389 25.5 · Gerüche und Affekte
zunehmen, zu Aktivierungen jener Hirnareale, die auch bei der tatsächlichen olfaktorischen Stimulation beteiligt sind. Allerdings konnte gezeigt werden, dass die Hirnaktivierungen im Vergleich zur tatsächlichen Stimulation in der Imaginationsbedingung in abgeschwächter Form vorliegen (Levy et al. 1999). Die zerebralen Korrelate des olfaktorischen Arbeitsgedächtnisses wiesen übereinstimmend mit denen des visuellen Arbeitsgedächtnisses Aktivierungen des dorsolateralen und ventrolateralen präfrontalen, sowie inferior parietalen Kortex auf (Dade et al. 2001), worin die modalitätsübergreifenden Eigenschaften des Arbeitsgedächtnisses zum Ausdruck kommen. PET-Untersuchungen zum olfaktorischen Gedächtnis vermittelten neue Erkenntnisse über die Rolle des primären olfaktorischen Kortex (piriformer Kortex). Beim Vergleich von Aktivierungen bei Enkodierung, Wiedererkennung und verzögertem Abruf, ergaben sich Aktivierungen des piriformen Kortex nur für die Wiedererkennungsbedingungen, die bei verzögerter Behaltensleistung sogar stärker waren (Dade et al. 1998). Gottfried et al. (2004) gaben in einer Enkodierungsphase Geruchs-Objekt-Paare vor, die assoziiert oder in eine Geschichte eingebunden werden sollten. In der Testphase erfolgte die Wiedererkennung der Objekte ohne olfaktorische Reizung. Die korrekte Wiedererkennung (im Vergleich zu neuen Objekten) ging mit hippokampaler und piriformer Aktivität einher, die nicht an die Geruchsvalenz gebunden war. Dies könnte bedeuten, dass bei der Erinnerung der olfaktorische Kontext abgerufen wird und damit implizieren, dass Repräsentationen der originalen Episode in modalitätsspezifischen sensorischen Arealen enthalten sind. Für die Wiedererkennung olfaktorischer Stimuli spielen neben piriformem Kortex auch rechts orbitofrontale und temporale Regionen eine tragende Rolle (Dade et al. 1998). Auch der Hippocampus scheint in Gedächtnisprozesse für olfaktorische Stimuli involviert zu sein. Eine besondere Rolle scheinen Hippocampus, Parahippocampus und Amygdala bei persönlich bedeutsamen olfaktorischen Erinnerungen zu spielen (Herz et al. 2004, . Abb. 25.5). . Abb. 25.5a, b. Aktivierung von Amygdala und Hippocampus. a Aktivierungsintensität für jede Bedingung als Mittel des Aktivierungsclusters. b Amygdalaaktivierung, die im Kontrast zwischen experimenteller olfaktorischer Stimulation (EO) und visueller Stimulation (EV) zutage tritt (Herz et al. 2004). Es wurden persönlich relevante mit episodischen Gedächtnisinhalten assoziierte Parfümgerüche (EO) und deren visuelle Darstellung (EV) verwendet, äquivalente Kontrollstimuli (CO, CV) sowie neutrale Luft als sensorische Kontrollbedingung (AIR)
Bei der Enkodierung und Wiedererkennung des präsentierten Stimulusmaterials wurden zusätzlich auch präfrontale Areale rekrutiert (Dade et al. 1998). Das Benennen olfaktorischer Stimuli aktivierte ein zerebrales Netzwerk, das Regionen wie den linken Cuneus, den rechten anterioren zingulären Kortex, die linke Inselregion und das posteromediale Zerebellum beinhaltete (Qureshy et al. 2000), während eine Aufgabe zum olfaktorischen Vergleich mit Aktivierungen des linken Cuneus, des linken anterolateralen Zerebellum und des rechten posteromedialen Zerebellum einherging (Qureshy et al. 2000). Dies impliziert, dass die Funktionalität der meisten an der olfaktorischen Verarbeitung beteiligten Areale über die rein sensorischen Prozesse hinausgeht.
25.5
Gerüche und Affekte
Die bereits erwähnten, von Gerüchen ausgelösten affektiven Reaktionen sind bei der Untersuchung der zerebralen Organisation olfaktorischer Prozesse für eine klare Dateninterpretation hinderlich, andererseits eignen sich jedoch Gerüche besonders gut, um solche affektiven Reaktionen hervorzurufen und zur Stimmungsinduktion, also in emotionalem Kontext, verwendet zu werden. Es ist daher oft schwierig, die Ergebnisse von Studien zu reiner olfaktorischer Verarbeitung von solchen zu affektiven Reaktionen auf olfaktorische Reize klar zu trennen, da olfaktorische Reize je nach subjektiver Erfahrung und hedonischer Qualität häufig implizit emotionale Reaktionen nach sich ziehen. Zudem legen die engen anatomischen Verbindungen zwischen olfaktorischem und limbischem System auch eine enge funktionelle Interaktion nahe. ! Im Kontext der Emotionsforschung bieten olfaktorische Reize gerade für fMRT-Untersuchungen neue und vielfältige Möglichkeiten, da sie den Vorteil haben, eine wenig manipulierbare, standardisierbare und praktisch relativ gut im Tomographen umsetzbare Methode zur 6
b a
25
390
Kapitel 25 · Olfaktorik
a
25 b
c
. Abb. 25.6a–c. Funktionell interessierende Regionen, definiert anhand ihrer Korrelation mit den subjektiven Einschätzungen von Intensität, Angenehmheit oder Unangenehmheit. Die Ordinate zeigt das fMRT-Signal, die Abszisse entweder die Intensitäts- oder Valenz-Ratings. a Region in der rechten Hemisphäre, die von der dorsalen Amygdala in den piriformen Kortex übergeht, korrelierte mit der In-
Untersuchung emotionalen Erlebens darzustellen. Die Ergebnisse können dazu verwendet werden, Vergleiche zwischen durch verschiedene Modalitäten ausgelöste Emotionen und ihren neurobiologischen Korrelaten anzustellen.
Olfaktorische Reize bieten in diesem Zusammenhang beispielsweise auch die Möglichkeit, Valenz und Intensität affektiver Reaktionen zu differenzieren. Eine zu diesem Zweck durchgeführte ereigniskorrelierte fMRT-Untersuchung verwendete einen positiven und einen negativen Geruch in einer hohen sowie einer geringen Konzentration (Anderson et al. 2003). Es zeigte sich, dass die Amygdalaaktivität über die Intensitätsinformation moduliert wird, während unterschiedliche Areale (rechts-medial versus links-lateral) innerhalb des orbitofrontalen Kortex jeweils durch die positive bzw. negative hedonische Qualität angesprochen wurden. Die Amygdalaaktivität änderte sich dagegen nicht mit der hedonischen Qualität, sondern mit
tensitätseinschätzung, nicht mit der Valenz. b Eine bilaterale Aktivierung im Subkallosum, die in den posteromedialen orbitofrontalen Kortex hineinreicht, korrelierte mit der Einschätzung der Angenehmheit, nicht der Intensität. c Links anterior-laterale und rechts anteriormediale orbitofrontale Aktivität korrelierte mit der Unangenehmheit, nicht der Intensität (Anderson et al. 2003)
Intensitätsveränderungen und war stärker bei höherer Intensität (. Abb. 25.6). Allerdings sind Rolls et al. (2003) angesichts ihrer sehr ähnlichen Befunde der Ansicht, dass es eher angrenzende Areale, nämlich der piriforme und entorhinale Kortex sind, die mit der Intensität korrelieren als die Amygdala selbst. Dass es sich bei den Ergebnissen von Anderson et al. (2003) nicht nur um Effekte zweier unterschiedlicher Gerüche, sondern tatsächlich um Valenzeffekte handelte, demonstrierten Rolls et al. (2003; . Abb. 25.7), da die 11 Probanden hier mit 3 angenehmen und 3 unangenehmen Reizen stimuliert wurden, die im Rahmen einer »Conjunction«-Analyse bezüglich ihrer zerebralen Korrelate untersucht wurden. Angenehme Gerüche aktivieren den mediorostralen orbitofrontalen Kortex, nicht aber den lateralen OFC, eine Aktivierung, die auch mit den subjektiven Ratings korreliert war. Eher laterale Bereiche des OFC waren nur bei unangenehmen Gerüchen aktiv und korrelierten entsprechend mit der empfundenen Unangenehmheit, aber beide Areale jeweils nicht mit
391 25.6 · Olfaktorische Konditionierung
. Abb. 25.7. »Conjunction«-Analyse: Gemeinsame Aktivierung aller angenehmen sowie unangenehmen Gerüche im Bereich des medialen (angenehm) und lateralen orbitofrontalen Kortex (unangenehm) sowie des anterioren zingulären Kortex (Rolls et al. 2003). Die Analyse erfolgte hier in a priori definierten Regionen
der wahrgenommenen Intensität. Dies macht es unwahrscheinlich, dass es ein spezifischer Geruch ist, der für diese Aktivierungen verantwortlich ist. Die Ergebnisse unterstützen im Wesentlichen die Annahme, dass der orbitofrontale Kortex ein Ort der Repräsentation von affektiver Valenz emotionaler Reize ist und damit eine wesentliche Rolle bei subjektiver emotionaler Verarbeitung spielt. Dies deckt sich auch mit Befunden zu einer orbitofrontalen Beteiligung bei anderen Verstärkerreizen wie Geschmack oder auch finanziellen Verstärkern. Unterschiedliche emotionale Valenzen olfaktorischer Reize scheinen auch in weiteren Regionen spezifisch verarbeitet zu werden (Fulbright et al. 1998). In einem regionalen Analyseansatz ergab sich mehr Aktivität in der linken Inselregion bei Stimulation mit einem angenehmen Geruch (Clementinen) im Vergleich zu einem unangenehmen (Isovaleriansäure), während es im linken motorischen Assoziationskortex (BA 6) genau umgekehrt war.
25.6
Olfaktorische Konditionierung
Mit dem Ziel, Regionen zu identifizieren, die durch olfaktorische Reize und durch die Valenz des Geruches stimuliert werden, haben Gottfried et al. (2002a, b) ein klassisches Konditionierungsparadigma mit olfaktorischen Reizen im To-
mographen implementiert, das es ihnen zum einen erlaubte, die zerebralen Korrelate olfaktorischer Verarbeitung zu analysieren, zum anderen auch die bei emotionalen Lernprozessen involvierten Strukturen abzubilden. Drei Geruchsstimuli verschiedener Valenz wurden dabei mit neutralen Gesichtern gepaart, wobei ein 50%-iger Verstärkungsplan (die Hälfte der konditionierten Stimuli wurden ohne unkonditionierten Reiz dargeboten) eingesetzt wurde, der es während der ereigniskorrelierten fMRT-Messungen ermöglicht, die Reaktion auf den konditionierten Reiz allein zu erfassen, ohne die Gefahr einzugehen, Reaktionen auf konditionierten und unkonditionierten Reiz zu konfundieren. Ein weiterer Vorteil der ereigniskorrelierten Messungen besteht in der Minimierung von Habituationseffekten. Für die Abbildung der reinen sensorischen olfaktorischen Verarbeitung wurden dabei die Reaktionen auf die gepaarten Stimuli (konditionierter Reiz plus unkonditionierter Reiz) mit den ungepaarten für die verschiedenen olfaktorischen Reize kontrastiert (Gottfried et al. 2002a). Die Ergebnisse zeigten valenzunabhängige Aktivierungen im piriformen Kortex und der Amygdala. Genauer betrachtet wies jedoch das zeitliche Antwortmuster im anterioren piriformen Kortex valenzabhängig einen unterschiedlichen Verlauf auf und die Amygdala demonstrierte bei negativen Reizen eine stärkere Beteiligung. Deutliche Valenzeffekte waren im orbitofrontalen Kortex nachweisbar: Aversive, affektiv negative olfaktorische Stimuli waren eher links-lateral lokalisiert, angenehme dagegen rechts medial, in Einklang mit bereits berichteten Befunden (Anderson et al. 2003; Rolls et al. 2003). Dies bringt erneut die enge Verbindung zwischen olfaktorischer und emotionaler Verarbeitung wie auch der beiden Systeme zum Ausdruck. Weitere über die reine sensorische Stimulusverarbeitung hinausgehende Funktionen des primären und sekundären olfaktorischen Kortex zeigte die Analyse von Lerneffekten (Gottfried et al. 2002b), bei der die konditionierten Gesichtsportraits, die vorher mit einem emotionalen Geruchsreiz assoziiert waren mit solchen verglichen wurden, bei denen dies nicht der Fall war. Dabei gingen nur ungepaarte Reize in die Analyse ein, so dass ausschließlich die gelernte Reaktion auf den konditionierten Reiz erfasst wurde. Die neuralen Korrelate appetitiven und aversiven Lernens spiegelten sich in Aktivierungen des orbitofrontalen Kortex wider, wobei sich zeigte, dass rostrale Anteile spezifisch Lerneffekte repräsentierten. Differenzielle Effekte appetitiven und aversiven Lernens fanden sich erneut in medialen bzw. lateralen Anteilen des orbitofrontalen Kortex. Amygdala und Nucleus accumbens ließen eine Beteiligung nur bei appetitiver Konditionierung erkennen, obwohl die Amygdala bekanntermaßen eine besondere Rolle im Kontext von Furchtkonditierung spielt (. Abb. 25.8). Die Autoren halten andere qualitative Aspekte der olfaktorischen Reize und die dadurch ausgelösten Emotionen (eher Ekel statt Furcht) für mögliche Verursacher solcher divergierender Ergebnisse. Interessanterweise war jedoch
25
392
Kapitel 25 · Olfaktorik
a
b
d
e
c
25 f
. Abb. 25.8a–f. Appetitive Konditionierung. Im Vergleich von konditioniertem zu unkonditioniertem Reiz fanden sich Aktivierungen im medialen und anterioren orbitofrontalen Kortex (a, d), im bilateralen
Nucleus accumbens (b, e) und der posterioren Amygdala sowie im medialen temporalen Kortex (c, f) (Gottfried et al. 2002b)
auch der piriforme Kortex bei der aversiven Assoziationsbildung beteiligt und belegt damit erneut eine über sensorische Informationsverarbeitung hinausgehende Rolle des primären olfaktorischen Kortex. Dieses Paradigma der olfaktorischen Konditionierung geht auf eine klinische fMRT-Untersuchung zurück, bei der jedoch ein Blockdesign verwendet wurde, um die neurobiologischen Mechanismen des differenziellen klassischen Konditionierens bei kontrastierenden psychiatrischen Gruppen zu untersuchen (Schneider et al. 1999, 2000; 7 Kap. 24).
ringertes Volumen erkennen (Turetsky et al. 2003) und wies damit auf genetisch modulierte strukturelle Auffälligkeiten hin, die möglicherweise auch den bekanntermaßen beeinträchtigten olfaktorischen Identifikations- und Diskriminationsleistungen schizophrener Patienten wie auch ihrer nicht-erkrankten Angehörigen zugrunde liegen könnten. Im funktionellen Bereich ergaben sich ebenfalls Anhaltspunkte für genetische Einflüsse olfaktorisch-emotionaler Dysfunktionen schizophrener Patienten. In einer eigenen fMRT-Untersuchung (Schneider et al., im Druck) wurden die bereits erwähnten olfaktorischen Reize (vergorene Hefe und Vanille) zur Stimmungsinduktion bei 13 männlichen schizophrenen Patienten und ihren nicht erkrankten Brüdern sowie ebenso vielen gesunden Kontrollprobanden verwendet. Obwohl die subjektiven Geruchs- und Emotionseinschätzungen in allen Gruppen vergleichbar ausfielen, ergaben sich Auffälligkeiten im zerebralen Aktivierungsmuster der Patienten besonders in frontalen und temporalen Arealen bei aversiver olfaktorischer Stimulation. Ähnliche Auffälligkeiten wurden bereits mit der PET bei schizophrenen Patienten während negativer im Vergleich zu positiver olfaktorischer Stimulation beschrieben (Crespo-Facorro et al. 2001). Die Ergebnisse bei den nicht-affizierten Angehörigen deuten auf eine genetische Modulation dieser Dysfunktionen, da ähnliche frontale Auffälligkeiten auch bei den Brüdern auftraten. Möglicherweise handelt es sich dabei um gestörte kognitive Funktionen höherer Ordnung im Rahmen olfaktorischer Verarbeitung. Da weitere Areale nicht betroffen waren, ist anzunehmen, dass nicht-erkrankte Angehörige über kompensatorische Prozesse verfügen, die diese Auffälligkeiten ausgleichen können.
25.7
Klinische Relevanz
Verlässt man den Bereich der Erforschung der allgemeinen zerebralen Netzwerke olfaktorischer Prozesse, um sich Störungen olfaktorischer Funktionen zuzuwenden, so ist hier ebenfalls ein großes Potenzial von fMRT-Untersuchungen zu erkennen. Bei vielen neurologisch-psychiatrischen Erkrankungen, wie z. B. Morbus Alzheimer, Morbus Parkinson, Schizophrenie, Chorea Huntington, multiple Sklerose, um nur einige zu nennen, sind olfaktorische Defizite bekannt. Mit der MR ließen sich beispielsweise positive Korrelationen zwischen der Größe des linken Hippocampus und der olfaktorischen Identifikationsleistung bei Patienten mit möglicher Alzheimererkrankung finden (Murphy et al. 2003). Ähnlich ergab sich bei Multiple-Sklerose-Patienten eine Korrelation zwischen Geruchsdefiziten und Läsionen in der weißen Substanz in inferior frontalen und temporalen olfaktorischen Arealen (Zorzon et al. 2000). Bei schizophrenen Patienten wie auch ihren nicht-erkrankten Angehörigen ließ der Bulbus olfactorius ein ver-
393 25.8 · Literatur
Zusammenfassung und Ausblick Erst in den letzten Jahren hat sich die bildgebende Forschung vermehrt der Charakterisierung der den olfaktorischen Funktionen zugrunde liegenden neuronalen Substraten zugewandt. Dabei sieht sich die experimentelle Untersuchung jeweils gewissen Schwierigkeiten und auch moderierenden Variablen ausgesetzt, die auch die zum Teil divergierenden Ergebnisse erklären können. Als besonders wesentlich sind Aufmerksamkeit, Riechvorgang, Habituationsprozesse und damit fast untrennbar verbundene affektive Reaktionen zu nennen, die olfaktorische Reizung aber wiederum für den Kontext der Emotionsforschung attraktiv machen. Die in subkortikalen und ventralen Bereichen lokalisierten neuralen Korrelate stellen zudem hohe Anforderungen an die Messtechnik.
25.8
Literatur
Anderson AK, Christoff K, Stappen I, Panitz D, Ghahremani DG, Glover G, Gabrieli JD, Sobel N (2003) Dissociated neural representations of intensity and valence in human olfaction. Nat Neurosci 6:196–202 Bengtsson S, Berglund H, Gulyas B, Cohen E, Savic I (2001) Brain activation during odor perception in males and females. Neuroreport 12:2027–2033 Cerf-Ducastel B, Murphy C (2003) FMRI brain activation in response to odors is reduced in primary olfactory areas of elderly subjects. Brain Res 986:39–53 Cerf-Ducastel B, Murphy C (2004) Improvement of fMRI data processing of olfactory responses with a perception-based template. NeuroImage 22:603–610 Cometto-Muniz JE, Cain WS (1982) Perception of nasal pungency in smokers and nonsmokers. Physiol Behav 29:727–731 Crespo-Facorro B, Paradiso S, Andreasen NC, O’Leary DS, Watkins GL, Ponto LL, Hichwa RD (2001) Neural mechanisms of anhedonia in schizophrenia: a PET study of response to unpleasant and pleasant odors. JAMA 286:427–435 Dade LA, Jones-Gotman M, Zatorre RJ, Evans AC (1998) Human brain function during odor encoding and recognition. A PET activation study. Ann N Y Acad Sci 855:572–574 Dade LA, Zatorre RJ, Evans AC, Jones-Gotman M (2001) Working memory in another dimension: functional imaging of human olfactory working memory. NeuroImage 14:650–660 Ferden S, Murphy C (2003) The cerebellum and olfaction in the aging brain: a functional magnetic resonance imaging study. NeuroImage 20:12–21 Frye RE, Schwartz BS, Doty RL (1990) Dose-related effects of cigarette smoking on olfactory function. JAMA 263:1233–1236 Fulbright RK, Skudlarski P, Lacadie CM, Warrenburg S, Bowers AA, Gore JC, Wexler BE (1998) Functional MR imaging of regional brain responses to pleasant and unpleasant odors. AJNR 19:1721–1726 Gottfried JA, Deichmann R, Winston JS, Dolan RJ (2002a) Functional heterogeneity in human olfactory cortex: an event-related functional magnetic resonance imaging study. J Neurosci 22:10819–10828 Gottfried JA, O’Doherty J, Dolan RJ (2002b) Appetitive and aversive olfactory learning in humans studied using event-related functional magnetic resonance imaging J Neurosci 22:10829–10837 Gottfried JA, Smith AP, Rugg MD, Dolan RJ (2004) Remembrance of odors past: human olfactory cortex in cross-modal recognition memory. Neuron 42:687–695
Neben der reinen olfaktorischen Verarbeitung rückten zunehmend auch höhere olfaktorische Funktionen wie Gedächtnis- und Lernprozesse in den Vordergrund der Aufmerksamkeit, die auch bei psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen gestört sein können. Noch gibt es kaum funktionell bildgebende Untersuchungen olfaktorischer Dysfunktionen bei neurologischen und psychiatrischen Patienten. Da olfaktorische Dysfunktionen jedoch bei vielen dieser Erkrankungen vorliegen und die Lebensqualität der Betroffenen stark beeinträchtigen können, besitzen sie hohe klinische Relevanz. Die bildgebende Erforschung der neuralen Mechanismen dieser Dysfunktionen kann wesentlich dazu beitragen, ihre zerebralen Anteile aufzudecken und damit mögliche Ansatzpunkte für eine therapeutische Beeinflussung zu liefern.
Herz RS, Eliassen J, Beland S, Souza T (2004) Neuroimaging evidence for the emotional potency of odor-evoked memory. Neuropsychologia 42:371–378 Kareken DA, Mosnik DM, Doty RL, Dzemidzic M, Hutchins GD (2003) Functional anatomy of human odor sensation, discrimination, and identification in health and aging. Neuropsychol 17:482-495 Levy LM, Henkin RI, Hutter A, Lin CS, Martins D, Schellinger D (1997) Functional MRI of human olfaction. J Comput Assist Tomogr 21:849–856 Levy LM, Henkin RI, Lin CS, Hutter A, Schellinger D (1999) Odor memory induces brain activation as measured by functional MRI. J Comput Assist Tomogr 23:487–498 Murphy C, Jernigan TL, Fennema-Notestine C (2003) Left hippocampal volume loss in Alzheimer’s disease is reflected in performance on odor identification: a structural MRI study. J Int Neuropsychol Soc 9:459–471 Poellinger A, Thomas R, Lio P, Lee A, Makris N, Rosen BR, Kwong KK (2001) Activation and habituation in olfaction – an fMRI study. NeuroImage 13:547–560 Purves D, Augustine GJ, Fitzpatrick D, Katz LC, LaMantia A-S, McNamara JO, Williams SM (2004) Neuroscience, 2nd ed. Sinauer, Sunderland Qureshy A, Kawashima R, Imran MB, Sugiura M, Goto R, Okada K, Inoue K, Itoh M, Schormann T, Zilles K, Fukuda H (2000) Functional mapping of human brain in olfactory processing: a PET study. J Neurophysiol 84:1656–1666 Rolls ET, Kringelbach ML, de Araujo IE (2003) Different representations of pleasant and unpleasant odours in the human brain. Eur J Neurosci 18:695–703 Royet JP, Zald D, Versace R, Costes N, Lavenne F, Koenig O, Gervais R (2000) Emotional responses to pleasant and unpleasant olfactory, visual, and auditory stimuli: a positron emission tomography study. J Neurosci 20: 7752–7759 Savic I, Berglund H (2000) Right-nostril dominance in discrimination of unfamiliar, but not familiar, odours. Chem Senses 25:517–723 Schneider F, Habel U, Kessler C, Posse S, Grodd W, Müller-Gartner HW (2000) Functional imaging of conditioned aversive emotional responses in antisocial personality disorder. Neuropsychobiology 42:192–201 Schneider F, Habel U, Wagner M, Franke P, Salloum JB, Shah NJ, Toni I, Sulzbach C, Honig K, Maier W, Gaebel W, Zilles K (2001) Subcortical correlates of craving in recently abstinent alcoholic patients Am J Psychiatry 158:1075–1083 Schneider F, Habel U, Klein M, Toni I, Falkai P, Shah J (2006) Neural substrates of olfactory processing in schizophrenia patients and their healthy relatives. Psychiatry Res Neuroimaging (in press)
25
394
Kapitel 25 · Olfaktorik
Schneider F, Weiss U, Kessler C, Muller-Gartner HW, Posse S, Salloum JB, Grodd W, Himmelmann F, Gaebel W, Birbaumer N (1999) Subcortical correlates of differential classical conditioning of aversive emotional reactions in social phobia. Biol Psychiatry 45:863–871 Sobel N, Prabhakaran V, Desmond JE, Glover GH, Goode RL, Sullivan EV, Gabrieli JD (1998a) Sniffing and smelling: separate subsystems in the human olfactory cortex. Nature 392:282–286 Sobel N, Prabhakaran V, Hartley CA, Desmond JE, Zhao Z, Glover GH, Gabrieli JD, Sullivan EV (1998b) Odorant-induced and sniff-induced activation in the cerebellum of the human. J Neurosci 18:8990– 9001 Sobel N, Prabhakaran V, Hartley CA, Desmond JE, Glover GH, Sullivan EV, Gabrieli JD (1999) Blind smell: brain activation induced by an undetected air-borne chemical. Brain 122:209–217 Sobel N, Prabhakaran V, Zhao Z, Desmond JE, Glover GH, Sullivan EV, Gabrieli JD (2000) Time course of odorant-induced activation in the human primary olfactory cortex. J Neurophysiol 83:537–551
25
Turetsky BI, Moberg PJ, Arnold SE, Doty RL, Gur RE (2003) Low olfactory bulb volume in first-degree relatives of patients with schizophrenia. Am J Psychiatry 160:703–708 Yousem DM, Williams SC, Howard RO, Andrew C, Simmons A, Allin M, Geckle RJ, Suskind D, Bullmore ET, Brammer MJ, Doty RL (1997) Functional MR imaging during odor stimulation: preliminary data. Radiology 204:833–838 Yousem DM, Maldjian JA, Siddiqi F, Hummel T, Alsop DC, Geckle RJ, Bilker WB, Doty RL (1999) Gender effects on odor-stimulated functional magnetic resonance imaging. Brain Res 818:480–487 Zelano C, Bensafi M, Porter J, Mainland J, Johnson B, Bremner E, Telles C, Khan R, Sobel N (2005) Attentional modulation in human primary olfactory cortex. Nat Neurosci 8:114–120 Zorzon M, Ukmar M, Bragadin LM, Zanier F, Antonello RM, Cazzato G, Zivadinov R (2000) Olfactory dysfunction and extent of white matter abnormalities in multiple sclerosis: a clinical and MR study. Mult Scler 6:386–390
26 26
Schmerz H. Holthusen, T. Mierdorf
26.1
Funktionelle Neuroanatomie des Schmerzes – 396
26.1.1 26.1.2 26.1.3 26.1.4 26.1.5 26.1.6 26.1.7
Hirnstamm und Thalamus – 396 Somatosensorischer Kortex – 396 Insula – 400 Anteriores Cingulum – 403 Präfrontaler Kortex – 403 Amygdala – 405 Zerebellum und motorische Areale – 405
26.2
Methodische Herausforderungen – 406
26.3
Literatur – 407
396
Kapitel 26 · Schmerz
26.1.1
))
26
Schmerz ist ein komplexes Phänomen. Er enthält eine sensorisch-diskriminative, eine affektiv-motivationale und eine kognitiv-evaluative Komponente. Entsprechend lässt sich auch nicht ein einziges Schmerzareal im Gehirn identifizieren, sondern das Schmerzerleben ist assoziiert mit der Aktivierung eines ganzen Netzwerkes neuroanatomischer Strukturen. Hierzu werden insbesondere der somatosensorische Kortex, die Insula und das anteriore Cingulum gezählt. In 7 Kap. 26.1 gehen wir auf die Bedeutung dieser und weiterer Hirnareale beim Schmerzerleben ein. Die Befunde beziehen sich fast ausschließlich auf Akutschmerzexperimente, die den größten Teil der bildgebenden Schmerzforschung ausmachen (chronischer Schmerz 7 Box 26.2). In 7 Kap. 26.2 weisen wir dann auf einige methodische Probleme hin.
26.1
Funktionelle Neuroanatomie des Schmerzes
Über vorwiegend 3 Fasertrakte gelangen periphere Schmerzsignale in das zentrale Nervensystem. 4 Der spinothalamische Trakt mündet in lateral und medial gelegenen Kernen des kontralateralen Thalamus. Der somatosensorische Kortex erhält Afferenzen der lateralen Thalamuskerne. Diese Verbindungen zusammen bezeichnet man auch als laterales Schmerzsystem, das vornehmlich mit sensorisch-diskriminativen Funktionen der Schmerzverarbeitung beschäftigt ist. Die medialen Thalamuskerne leiten die Information sowohl zum postzentralen Gyrus als auch zu weiteren Strukturen wie dem zingulären, insulären und präfrontalen Kortex (7 Kap. 1.3.5, . Abb 1.30). Diese Bahnen bezeichnet man zusammen als mediales Schmerzsystem, das u. a. die Verarbeitung der affektiven Komponente des Schmerzes leistet. 4 Die Formatio reticularis erhält Afferenzen über den spinoretikularen Trakt und bildet Efferenzen zum medialen Thalamus, der weiter zum Kortex projiziert. 4 Der spinomesenzephale Trakt schließlich leitet die nozizeptive Information in das periaquäduktale Grau im Mittelhirn. Welche kortikalen Areale an der Schmerzverarbeitung beteiligt sind und vor allem, welche funktionelle Rolle diese einnehmen, wurde zunächst überwiegend mit Hilfe der PET erforscht, hauptsächlich durch den Vergleich schmerzhafter, thermaler mit nicht-schmerzhaften Stimuli. Allerdings hat erst die fMRT der bildgebenden Schmerzforschung zu einem bedeutenden Schub verholfen und unser Verständnis des (kortikalen) Schmerznetzwerkes beträchtlich erweitert.
Hirnstamm und Thalamus
Die Mehrzahl an Schmerzstudien findet entsprechend der anatomischen Verschaltung eine Aktivierung des kontralateralen Thalamus, manche auch eine ipsilaterale oder bilaterale Aktivierung (Peyron et al. 2000). Thalamische Kerne, wie auch Strukturen im Hirnstamm und Mittelhirn, sind mit Hilfe der strukturellen MRT in der Regel nicht eindeutig identifizier- und differenzierbar. Die Zuordnung funktioneller Aktivierungen zu bestimmten Strukturen geschieht daher über Talairach-Koordinaten (z. B. Becerra et al. 1999). Allerdings wird meist nur grob der laterale vom medialen Thalamus unterschieden. Die funktionelle Bildgebung des Mittelhirns und Hirnstamms wird erschwert durch Pulsationsartefakte und die Notwendigkeit vieler Schichten in der fMRT, wenn auch andere Anteile des Schmerznetzwerkes mit guter räumlicher Auflösung erfasst werden sollen. Einige (PET-)Studien konnten auch eine Aktivierung des periaquäduktalen Grau (PAG) beobachten (z. B. Hsieh et al. 1996). Petrovic et al. (2004b) haben gezeigt, dass mehrere Strukturen im Hirnstamm und Mittelhirn nur initial auf einen tonischen Schmerzreiz reagieren. Diese Reaktion geht einher mit der autonomen sympathischen Reaktion auf den Schmerzreiz, die ebenfalls schnell habituiert.
26.1.2
Somatosensorischer Kortex
Übereinstimmend mit elektrophysiologischen Studien findet sich in der überwiegenden Zahl der fMRT-Studien eine kontralateral zum Schmerzreiz gelegene Aktivierung des primären somatosensorischen Kortex (SI), unabhängig von Reizart (Elektroreiz: Davis et al. 1995; Thermoreiz: Chen et al. 2002; . Abb. 26.1; Chemoreiz: Andersson et al. 1997) und Stimulationsort (Haut: Bingel et al. 2003; Muskel: Niddam et al. 2002; Vene: Schneider et al. 2001). In Fällen, in denen viszeraler Schmerz (7 Box 26.1) in der Körpermitte evoziert wurde, z. B. durch Ballondistension des Ösophagus, konnte auch eine bilaterale Aktivierung von SI beobachtet werden (Strigo et al. 2003). In einigen fMRT-, vor allem aber PET-Studien konnte trotz Anwendung gleicher Methoden keine signifikante Aktivierung in SI beobachtet werden. Ein Grund hierfür könnte in der ausgeprägten somatotopen Ordnung von SI liegen und der daraus resultierenden geringen fokalen Aktivierung. Entsprechend dieser Vermutung wurde eine SIBeteiligung häufiger bei hoher Reizintensität sowie bei Stimulation großer Hautareale beobachtet, eine fehlende eher bei niedrigen Reizintensitäten nahe der Schmerzschwelle sowie bei kleinen Stimulationsbezirken (Peyron et al. 2000). Ein weiterer Grund könnte in der anatomischen Variabilität der somatotopen Organisation liegen sowie in den beobachteten regionalen Deaktivierungen innerhalb von SI (Apkarian et al. 2000), so dass gerade bei geringer fokaler Akti-
397 26.1 · Funktionelle Neuroanatomie des Schmerzes
a
b . Abb. 26.1a–c. Bei 4 Probanden wurde die linke Wade entweder thermisch (Thermode: 9 cm², 45–46°C) oder mechanisch (weicher Pinsel: 2 Hz) stimuliert (z-Koordinaten in mm entsprechen Talairach-Atlas). a SI-Aktivierung durch Schmerz oder Berührung: Bei allen Probanden wurden für beide Reizarten Aktivierungen im kontralateralen SI-
Kortex beobachtet. b SII-Aktivierung durch Schmerz oder Berührung: Bei allen Probanden wurden kontralaterale, bei 2 Probanden bilaterale Aktivierungen im SII-Kortex nach Hitze- bzw. Berührungsreiz beobachtet
26
398
Kapitel 26 · Schmerz
26
c
. Abb. 26.1a–c. (Fortsetzung) c Zeitverlauf der SI- und SII-Aktivierungen nach thermaler oder mechanischer Stimulation: Der gemittelte Zeitverlauf der Aktivierungen für schmerzhafte thermische (obere Reihe) und schmerzlose mechanische Stimulation (mittlere Reihe) wurde aus den kontralateralen SI- und SII-Regionen extrahiert (ROIAnalyse, 4 Probanden, Daten normalisiert, dargestellt als %-Änderungen der Signalintensität zur Ausgangsintensität, gemittelt über alle Stimulationswiederholungen; Pfeil = Stimulationsbeginn, Scan-Inter-
vall 3,4 s). Die untere Reihe zeigt den für alle Probanden gemittelten Zeitverlauf der Aktivierungen in SI und SII. Mechanische, nichtschmerzhafte Stimulation und thermaler Schmerzreiz evozieren charakteristische Aktivierungsmuster. Das zum Berührungsreiz unterschiedliche Zeitverlaufmuster bei Hitzestimulation belegt, dass die somatosensorische Aktivierung dabei auf Verarbeitung von Schmerz beruht und nicht auf Verarbeitung von Berührung, z. B. durch den Hautkontakt der Thermode (Chen et al. 2002)
399 26.1 · Funktionelle Neuroanatomie des Schmerzes
a
b
c . Abb. 26.2a–c. Aktivierungen in SI, SII, Inselregion und präfrontalem Kortex nach schmerzhafter Laserstimulation. Laserstimulation des linken Handrückens bei 10 Probanden (Tm:YAG-Laser, Wellenlänge 1,96 µm, Stimulationsgebiet – 5 mm, Stimulationsdauer 5 s, Eindringtiefe 360 µm). Regionen, deren Aktivierung mit der Reizintensität korrelierten sind rot markiert; die, die mit der Schmerzintensität korrelierten, grün und solche mit einer kognitiv abhängigen Korrelation blau. a Sagittaler Schnitt mit Aktivierung in SI und anteriorer Insula. b Axialer Schnitt mit Aktivierungen in SII/posteriorer Insula (weiße Linie in a zeigt die Schnittebene). c Schnitt durch den dorsolateralen präfrontalen Kortex. Die mittlere Spalte zeigt die individuellen Reiz-AntwortFunktionen für jede Region. Es wurden Regressionskoeffizienten für jede Region berechnet, die die jeweilige Intensität widerspiegeln (P0:
nicht wahrgenommen, P1–P4: Stimulationsintensitäten des Lasers von warm bis schmerzhaft). Diese Beträge (±SEM) gegen die subjektiven Stimulusbewertungen aufgetragen ergeben die Reiz-AntwortKurven. In der rechten Spalte ist die Größe der Aktivierung (% der Gesamthirn-Signaländerung in der entsprechenden Region) alle 2 s separat für P0–P4 aufgetragen. Insula und SII/posteriore Insula weisen eine schmerzabhängige Reiz-Antwort-Kurve auf, wohingegen in SI zwischen P0 und P1 diskriminiert wird als Hinweis auf eine Reizintensitäts-Beziehung. Der präfrontale Kortex zeigt eine stufenförmige Beziehung, die eine Reizwahrnehmung widerspiegelt, aber keine Schmerz- oder Intensitätsabhängigkeit erkennen lässt (Bornhövd et al. 2002)
26
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Kapitel 26 · Schmerz
a
b
. Abb. 26.3a, b. Topographische Organisation von SII. Kombinierte fMRT-MEG-Studie mit Elektrostimulation des N. medianus am linken Handgelenk sowie des N. tibialis am linken Malleolus medialis (Rechteckimpulse, 0,2 ms, 0,3 Hz bei MEG, 1,9 Hz bei fMRT; Farbkodierung fMRT: blau = N. medianus, gelb = N. tibialis; MEG (Rechtecke): zyan =
N. medianus, weiß = N. tibialis). Nach unilateraler Elektrostimulation bilaterale Aktivierung in SII, wobei untere und obere Extremitäten in beiden bildgebenden Verfahren als Ausdruck einer somatotopen Anordnung getrennt repräsentiert sind (Del Gratta et al. 2002)
vierung eine Signalabschwächung durch Mittelung über mehrere Probanden auftreten kann. Schließlich könnte die spezielle Anordnung mechanorezeptiver, spezifisch nozizeptiver Neurone und »Wide-dynamic-range«-Neurone in den Voxeln dafür verantwortlich sein (Davis 2003). Die funktionelle Bedeutung von SI besteht entsprechend seiner ausgeprägten somatotopen Organisation in einer sensorisch-diskriminativen Schmerzsignalverarbeitung: Lokalisation des Schmerzortes, Erkennung der Stimulationsart, Dauer der Stimulation sowie höchstwahrscheinlich auch eine Kodierung der Stimulusintensität, wobei sowohl positive (. Abb. 26.2; Bornhövd et al. 2002) als auch negative Reiz-Antwort-Kurven beobachtet wurden (Ringler et al. 2003). Eine Beteiligung des sekundären somatosensorischen Kortex (SII) an der Schmerzverarbeitung findet sich regelmäßig in allen Bildgebungsstudien (. Abb. 26.1; Chen et al. 2002); einzig hinsichtlich der Lateralisierung sind die Er-
gebnisse nicht einheitlich. So konnte nur in etwa der Hälfte der fMRT-Studien eine bilaterale Aktivierung beobachtet werden (sonst eine kontralaterale), wohingegen in allen MEG-Studien eine bilaterale Aktivierung auftrat (z. B. Del Gratta et al. 2002). Interessanterweise werden SI und SII durch Schmerzreize nahezu simultan erregt, was für eine spezifische, parallele Schmerzverarbeitung in diesen Regionen spricht, im Gegensatz zu einer sequenziellen SI-SIIVerarbeitung bei nicht-schmerzhafter taktiler Reizung (Schnitzler u. Ploner 2000). Auch SII ist, wenn auch nicht so ausgeprägt wie SI, somatotop organisiert (. Abb. 26.3; Del Gratta et al. 2002), was auf sensorisch-diskriminative Aufgaben hinweist. Die funktionelle Bedeutung von SII liegt nach übereinstimmender Meinung in der Verknüpfung schmerzhafter mit nicht-schmerzhafter Information (Treede et al. 2000). Ob zusätzlich die Stimulusintensität in SII kodiert wird, erscheint eher zweifelhaft (Bornhövd et al. 2002).
26
Box 26.1. Viszeraler versus Hautschmerz In den meisten funktionellen Schmerzstudien wurde Schmerz von der Haut evoziert. Da sich aber Viszeral(Tiefen)schmerz und Schmerz von der Körperoberfläche erheblich voneinander hinsichtlich Qualität, Affekt und vegetativen Begleiterscheinungen unterscheiden, erhebt sich die Frage, ob und wie sich dieser Unterschied bei der zentralen Schmerzverarbeitung manifestiert. Die wenigen
26.1.3
Insula
Wegen ihrer anatomischen Verbindungen zu nozizeptiven Neuronen des posterioren Teils der ventromedialen Thalamusregion, die ihrerseits Afferenzen aus der Lamina I des spinalen Hinterhorns erhalten, war schon früh über eine Beteili-
dazu durchgeführten Studien kommen zu dem Schluss, dass die beiden Schmerzarten zwar graduell abweichend in somatosensorischen, motorischen und limbischen Regionen repräsentiert werden, prinzipiell aber ein gemeinsames kortikales und subkortikales Netzwerk zur Erkennung und Einordnung von Haut- und Viszeralschmerz benutzt wird (. Abb. 26.4; Mertz et al. 2000; Strigo et al. 2003).
gung der Insula an der Schmerzsignalverarbeitung spekuliert worden (Craig 1995). In früheren PET-Studien war jedoch die Insularegion nur schlecht von SII abzugrenzen und wurde oftmals mit ihr zusammengefasst (Peyron et al. 2000). Erst in den letzten Jahren durch Anwendung hochauflösender fMRTAufnahmen mehren sich Beobachtungen, die eine schmerzas-
401 26.1 · Funktionelle Neuroanatomie des Schmerzes
a
b
. Abb. 26.4a–e. Kortikale Aktivierung nach Haut- und Viszeralschmerz. Daten von 7 Probanden, bei denen entweder Schmerz an der Körperoberfläche (Peltier-Thermode, 9 cm², 39–47°C, 5°C/s) oder im Körperinneren (Ösophagus-Ballondistension) erzeugt wurde (Farb-
säulen = t-Werte). a Nur Viszeralschmerz aktiviert erwartungsgemäß die intraabdominelle Region in SI (oben); Haut- und Viszeralschmerz aktivieren beide die Stammregion in SI (unten). b Haut-, aber nicht Viszeralschmerz aktiviert bei 3 von 7 Probanden den präfrontalen Kortex
soziierte Aktivierung der Insula, insbesondere des anterioren Anteils, belegen (. Abb. 26.2; Bornhövd et al. 2002). Aus den Verbindungen der Insula zu SII und ihren Projektionen zu Amygdala und Hippocampus, aus funktionellen Untersuchungen (Bornhövd et al. 2002) sowie aus klinischen Beobachtungen bei Läsionen wurde geschlossen,
dass die Insula eher eine supramodale, integrative Rolle bei der Schmerzverarbeitung spielt als sensorisch-diskriminative Aufgaben erfüllt (Peyron et al. 2000). So vermindert sich beispielsweise bei isolierten Insulaläsionen deutlich die affektive Komponente des Schmerzerlebens ohne jedoch die Schmerzschwelle zu beeinflussen (Greenspan et al. 1999).
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Kapitel 26 · Schmerz
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. Abb. 26.4a–e. (Fortsetzung) c Sowohl Haut- als auch Ösophagusdehnungsschmerz aktivieren bilateral weite Teile der Insula, Hautschmerz den anterioren Bereich stärker. d Nur Ösophagusdistension aktiviert die primäre Motorregion, die mit Vokalisation und Salivation
korrespondiert und auch bei nicht-schmerzhafter, aber Salivationsauslösender Ösophagusdehnung aktiviert wird. e Beide Schmerzstimuli aktivieren das anteriore Cingulum, der viszerale mehr den anterioren Anteil (Strigo et al. 2003)
403 26.1 · Funktionelle Neuroanatomie des Schmerzes
26.1.4
Anteriores Cingulum
Zahlreiche Bildgebungsstudien belegen die Beteiligung des anterioren zingulären Kortex (ACC) an der Schmerzverarbeitung. Dabei besteht weitgehend Übereinstimmung in der Annahme, dass im ACC die affektive Komponente des Schmerzes kodiert wird sowie Aufmerksamkeit, Antizipation und motorische Reaktion auf Schmerzreize koordiniert werden (Peyron et al. 2000; Schnitzler u. Ploner 2000). Somit besitzt der ACC eine multi-integrative Funktion bei der Schmerzverarbeitung, ist aber kein reines »Schmerzzentrum«, da er auch in die Verarbeitung nicht-schmerzhafter Reize eingebunden ist. Die Aktivität distinkter Anteile des ACC korreliert mit unterschiedlichen Prozessen: Während der anteriore Anteil des ACC beispielsweise durch die kognitiven Anforderungen einer schmerzmodulierenden Distraktionsaufgabe aktiviert wird, zeigt sich der posteriore Anteil gleichzeitig und einhergehend mit verminderter Schmerzwahrnehmung relativ deaktiviert (Frankenstein et al. 2001; 7 Box 26.3). Die genaue Darlegung der Diskussion um die funktionelle und anatomische Unterteilung des ACC, wie z. B. anteriorer Anteil – eher unspezifische Aufmerksamkeitserhöhung, posteriorer Anteil – eher affektive Schmerzverarbeitung (. Abb. 26.5; Kwan et al. 2000) sowie der zahlreichen Afferenzen und Projektionen würde an dieser Stelle zu weit führen (Übersichten: Devinsky et al. 1995; Peyron et al. 2000;).
Box 26.2. Chronischer versus akuter Schmerz Von klinischer Relevanz ist die Versorgung chronischer Schmerzpatienten. Daher stellt sich die Frage, inwiefern die überwiegend aus Akutschmerzexperimenten an gesunden Probanden gewonnenen Befunde auf diese Patientengruppe übertragbar sind. Da sich chronischer Schmerz in der Regel nicht problemlos experimentell manipulieren lässt, wird zur Untersuchung dieser Frage zumeist auf ein Modell des chronischen Schmerzes an gesunden Probanden zurückgegriffen. Beispielsweise führt die topische oder subdermale Applikation von Capsaicin mit anschließender thermischer oder mechanischer Reizung der behandelten Hautstelle zu andauerndem Schmerzerleben. Lorenz et al. (2002) haben eine Capsaicin-induzierte thermale Hautallodynie mit einem thermalen Hautschmerz, der subjektiv dieselbe Schmerzintensität hatte, mittels PET verglichen. Im Unterschied zu dem akuten Schmerz führte die Allodynie vor allem zu einer deutlichen Aktivierung des medialen Thalamus, der anterioren Insula und des präfrontalen und orbitofrontalen Kortex. Vergleichbare fMRT-Studien, die die induzierte Hyperalgesie (gesteigerte Schmerzempfindlichkeit) oder Allodynie (Schmerzauslösung durch einen Reiz, der normalerweise keinen Schmerz auslöst) einer nichtschmerzhaften Hautreizung gegenübergestellt haben, kommen hinsichtlich der frontalen Aktivierungen zu ähnlichen Ergebnissen. Je nach Studie zeigten sich auch ande-
26.1.5
Präfrontaler Kortex
Eine schmerzassoziierte Aktivierung des präfrontalen Kortex (PFC), vor allem des dorsolateralen und orbitalen Anteils wurde in einer Reihe von Studien beobachtet (7 Box 26.2; Peyron et al. 2000). Die genaue funktionelle Rolle der teilweise verstreut liegenden Cluster im PFC ist unklar. Sie scheinen aber nicht direkt an der Schmerzwahrnehmung beteiligt zu sein. So haben Bornhövd et al. (2002) zeigen können, dass der dorsolaterale PFC bereits durch kutane Laser-Stimuli aktiviert wird, die als nicht-schmerzhaft eingestuft werden. Im Gegensatz zu anderen Hirnarealen der Schmerzmatrix weist er bei zunehmender Reizintensität und damit verbundenem Schmerz auch keine weitere Änderung des BOLD-Signals auf (. Abb. 26.2). Die Aktivierung des PFC spiegelt vermutlich einen Teil all jener kognitiven Prozesse wider, die generell mit der Wahrnehmung eines (Schmerz-)Reizes einhergehen. Entsprechend finden sich präfrontale Aktivierungen insbesondere bei jenen Experimenten, bei denen auch die Kognition der Probanden manipuliert wurde, z. B. die erlebte Kontrollierbarkeit eines Schmerzreizes (Salomons et al. 2004). Der orbitofrontale Kortex hat darüber hinaus Anteil an der Modulation des Schmerzerlebens (7 Box 26.3). Der ventromediale PFC verändert seine Aktivität, wenn Probanden unsicher sind, ob und mit welcher Intensität sie ein Schmerzreiz erwartet (Ploghaus et al. 2003).
re Areale der Schmerzmatrix aktiviert, jedoch selten das ACC und nicht das Zerebellum (Baron et al. 1999; Maihöfner et al. 2004). Doch auch diese Befunde lassen sich nicht ohne weiteres auf eine klinische Population übertragen: Peyron et al. (2004) finden bei 27 Patienten mit neuropathischem Schmerz aufgrund von Läsionen insgesamt recht ähnliche Aktivierungsmuster bei mechanischer Stimulation des allodynischen Hautbereichs im Vergleich zur Stimulation eines nicht betroffen Hautareals. Dabei führte die schmerzhafte im Vergleich zur nicht-schmerzhaften Reizung zu einer ausgeprägteren SI, SII und insulären Reaktion. Zusätzliche BOLDAntworten konnten im (prä-)motorischen, parietalen und zingulären Kortex beobachtet werden. Der PFC wurde in der Gruppe nicht aktiviert, sondern nur bei einzelnen Patienten. Maihöfner et al. (2005) schließlich haben eine Patientengruppe mit komplex-regionalem Schmerzsyndrom (ohne zentrale Läsionen) mittels fMRT untersucht und Korrelate der Hyperalgesie insbesondere in der Insula, aber auch in SI, SII, dem ACC und PFC gefunden. Zusammen zeigen die Befunde Unterschiede auf zwischen dem durch chronischen und akuten Schmerz aktivierten kortikalen Netzwerk. Die während andauerndem Schmerz aktivierten präfrontalen Areale scheinen dabei eher mit der kognitiv-evaluativen Reaktion auf den Schmerzreiz assoziiert zu sein als mit dem (affektiven) Schmerzerleben an sich.
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404
Kapitel 26 · Schmerz
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405 26.1 · Funktionelle Neuroanatomie des Schmerzes
26.1.6
Amygdala
Valide Hinweise für eine Beteiligung der Amygdala an der Schmerzverarbeitung sind rar, möglicherweise weil die üblichen Methoden zur Schmerzerzeugung nur selten mit einem hohen Affekt behaftet sind. Erst durch Korrelation des BOLD-Signals mit der individuell erlebten Intensität von sehr unangenehmem Gefäßschmerz konnte eine schmerzassoziierte Amygdala-Aktivierung nachgewiesen werden (Schneider et al. 2001). Seitdem finden sich jedoch keine konsistenten Ergebnisse. Die wenigen Studien, die einen Effekt in der Amygdala zeigen konnten, berichten sowohl relative Aktivierungen (Kulkarni et al. 2005) als auch negative BOLD-Signalveränderungen während Schmerzreizung (Becerra et al. 1999). Petrovic et al. (2004a) haben in einer PET-Studie mittels einer einfachen Manipulation robuste Amygdaladeaktivierungen bewirkt: Diese traten bei identischer Schmerzstimulation nur dann auf, wenn den Probanden vorher ein länger andauernder Schmerzreiz angekündigt wurde. Probanden erlebten diesen in der Antizipationsphase als aversiver und nutzten während der Schmerzreizung verstärkt Coping-Strategien,
die vermutlich zur Herabregulierung der Amygdalaaktivität geführt haben. Eine Lenkung der Aufmerksamkeit auf die Unannehmlichkeit eines Schmerzreizes führt dagegen zu einer verstärkten Aktivität der Amygdala (und des medialen Schmerzsystems; Kulkarni et al. 2005).
26.1.7
Zerebellum und motorische Areale
In zahlreichen Bildgebungsstudien werden bei der Schmerzverarbeitung auch Aktivierungen in und lateral der Vermis, sowie im motorischen und prämotorischen Kortex beobachtet. Diese Aktivierungen sind am ehesten zu deuten als Vorbereitung bzw. Unterdrückung von motorischen Abwehrreaktionen. Für diese Interpretation spricht auch, dass motorische Antworten bei tonischer Schmerzapplikation, bei der Probanden an den Reiz bereits habituiert sind, nicht beobachtet wurden (z. B. Lorenz et al. 2002). Neuerdings wird auch ein modulierender Einfluss des Kleinhirns auf die Schmerzverarbeitung diskutiert, auch wenn klinische Beobachtungen dazu, z. B. bei Läsionen, fehlen (Übersicht: Saab u. Willis 2003).
Box 26.3. Modulation des Schmerzerlebens Gewöhnlich wird dem Schmerz eher stereotyp mit der Applikation von Analgetika begegnet. Schmerzerleben lässt sich jedoch auch nicht-pharmakologisch mildern oder ausblenden. Eine interessante und wirksame Möglichkeit stellt die klinische Hypnose dar. Auf welche Hirnareale des Schmerznetzwerks nimmt die Hypnose dabei Einfluss? Zwei PET-Studien zeigen übereinstimmend einen modulatorischen Effekt auf den ACC während thermaler Schmerzapplikation (Rainville et al. 1997; Faymonville et al. 2000). Die subjektiv bewertete Unannehmlichkeit des Schmerzreizes kovariierte mit der beobachteten neuronalen Modulation. Allerdings scheint die alleinige Induktion von Hypnose nicht ausreichend zu sein; denn ein signifikanter Effekt trat erst nach hypnotischer Suggestion auf (Rainville et al. 1997; Hofbauer et al. 2001). Hofbauer et al. (2001) suggerierten eine verstärkte oder verminderte Schmerzintensität im Gegensatz zu Rainville et al. (1997), die die Suggestionen auf die Unannehmlichkeit des Schmerzreizes richteten. Erstere konnten damit in ih-
9 . Abb. 26.5a–h. Aktivierungen im anterioren zingulären Kortex (ACC) nach thermaler Stimulation. a Repetitive thermale Stimulation des Daumenballens mit einer Peltier-Thermode (9 cm²). Reizstärken: nicht-schmerzhaft warm – schmerzhaft heiß; nicht-schmerzhaft kühl – schmerzhaft kalt. Als motorischer Kontrollreiz wurde willkürliche, intermittierende Daumen-Kleinfinger-Opposition verwendet. aACC/ pACC anteriorer/posteriorer ACC; PCC posteriorer zingulärer Kortex; AC Commissura anterior; PC Commissura posterior; VAC vertikale Achse duch AC; VPC vertikale Achse durch PC. b Aktivierung im supplemen-
rer PET-Studie auch einen modulierenden Effekt auf den somatosensorischen Kortex nachweisen. Schulz-Stübner et al. (2004) haben diese Ergebnisse mit Hilfe der fMRT replizieren können: Hypnose mit nicht-schmerzbezogenen Suggestionen verminderte die Antwort auf thermale Schmerzreizung außer in SI und dem ACC auch in der Insula. Im linken rostralen ACC beobachteten sie eine erhöhte Aktivität, außerdem zeigten sich die anterioren Basalganglien unter Hypnose aktiviert. Allerdings fehlt in dieser Studie eine adäquate Kontrollbedingung für die Schmerzstimulation, so dass das Aktivierungsmuster auch Modulationen von Hirnarealen enthalten kann, die nicht direkt an der Schmerzverarbeitung beteiligt sind (7 Kap. 26.2). Neben der Hypnose erweisen sich auch Plazebos als analgetisch wirksam. Da die Plazebo-induzierte Analgesie mit einem Opiatrezeptor-Antagonisten (Naloxon) blockierbar ist, liegt diesem Effekt offenbar eine Beteiligung des endogenen Opioidsystems zugrunde. Petrovic et al. (2002) haben mittels PET die Wirkung des Opioids Remifentanil 6
tärmotorischen Areal (SMA) nach willkürlichem, motorischem Reiz (Proband #1). c, e Aktivierungen im aACC bei nicht-schmerzhaftem Kühlreiz sowie im pACC bei schmerzhafter Kältereizung (Proband #2). d, f, g Warm- und Hitzereiz (Proband #3): Der nicht-schmerzhafte Reiz führt zu Aktivierungen im aACC und der schmerzhafte im pACC. h Zeitverlauf der Signalintensität für Hitzeschmerz von 2 Probanden. Die Daten weisen auf eine funktionelle Unterteilung des ACC hin: Anteriores ACC eher Aufmerksamkeitssteigerung, posteriores ACC Schmerzverarbeitung (Kwan et al. 2000)
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406
26
Kapitel 26 · Schmerz
mit dem eines Plazebos in einem thermalen Schmerzparadigma verglichen und als gemeinsamen Effekt eine Aktivierung des rostralen ACC beobachtet. Die Aktivität des ACC kovariierte mit Regionen im Hirnstamm und Mittelhirn (PAG) und deutet damit auf einen direkten Einfluss des ACC auf das analgetische System des Hirnstamms hin. Wager et al. (2004) konnten die Plazebo-Wirkung auf den ACC in 2 fMRT-Experimenten bestätigen und auf die anteriore Inselregion sowie den kontralateral zum applizierten elektrischen und thermalen Schmerzreiz gelegenen Thalamus erweitern. Die Reduktion der BOLD-Antwort in diesen Regionen korrelierte in beiden Experimenten mit einer Abnahme im Schmerzerleben der Probanden. Die bessere zeitliche Auflösung der fMRT im Vergleich zur PET erlaubte auch eine Analyse des Zeitverlaufs der Aktivitätsreduktion. Die dabei beobachtete Latenz (späte BOLD-Reduktion) der Plazebowirkung nach Applikation eines Schmerzreizes, könnte in Übereinstimmung mit der oben genannten Hypothese auf eine Ausschüttung endogener Opioide hinweisen. In der Phase, in der Probanden
26.2
Methodische Herausforderungen
Ein grundsätzliches Problem bei der Untersuchung von Schmerz mit Hilfe bildgebender Verfahren besteht in nichtschmerzhaften Begleitempfindungen. So entsteht naturgemäß bei Hitze- oder Kälteschmerz sowie bei mechanisch evoziertem Schmerz neben Schmerz auch ein Temperaturoder Berührungsgefühl, dessen korrespondierende Aktivierungen spezifische Schlussfolgerungen erschweren. Ein Ausweg aus diesem Dilemma besteht darin, unterschwellige und überschwellige Reizintensitäten sequenziell zu applizieren und anschließend die Aktivierungen zu subtrahieren – in der Absicht, dadurch »spezifische«, schmerzassoziierte Aktivierungen zu erhalten. Ein anderer Lösungsansatz besteht darin, nur solche Stimulationsarten zu verwenden, bei denen ausschließlich Schmerz evoziert wird: kutane Laserstimulation, nasale Insufflation von CO2 sowie auch thermische, mechanische oder chemische Reizung von Extremitätenvenen, da ihr sensorisches Nervensystem ausschließlich der Nozizeption dient (Arndt u. Klement 1991). Auch andere Variablen beeinflussen das Muster zerebraler Schmerzverarbeitung und sind bei der Studienplanung zu berücksichtigen: So kann allein die Größe der stimulierten Körperoberfläche zu deutlichen Unterschieden, zum Teil gegenläufigen Effekten in der kortikalen Antwort des lateralen Schmerzsystems führen (Apkarian et al. 2000). Insbesondere kognitive Variablen sollten gut kontrolliert oder zumindest mit erfasst werden. Funktionell bildgebende Studien des Schmerzes haben sich in den letzten Jahren zunehmend mit Fragen der kognitiven Modulation von
der Schmerzreiz angekündigt wird und sie auf ihn warten, steigt der BOLD-Kontrast im orbitofrontalen Kortex, ACC und Mittelhirn an. Diese Hirnregionen spielen demnach eine Rolle bei der Antizipation von Schmerz und sind vermutlich Vermittler des Plazeboeffekts. Eine weitere, bekannte psychologische Möglichkeit der Schmerzdämpfung ist Ablenkung. Wird im Experiment während der Schmerzreizung eine Aufgabe durchgeführt (z. B. ein Stroop-Test), vermindert dies das Schmerzerleben als auch die Aktivierung von Strukturen des medialen Schmerzsystems. Vermittelt wird dieser Effekt vermutlich durch den orbitofrontalen Kortex und den ACC, die verstärkte BOLD-Antworten während der Distraktionsaufgabe zeigen (Bantick et al. 2002; Valet et al. 2004). Ähnlich den Befunden von Petrovic et al. (2002) bei der Plazebo-induzierten Analgesie, konnte auch hier eine Kovariation der Aktivität von ACC und PAG mittels funktioneller Konnektivitätsanalyse gezeigt werden (Valet et al. 2004), was einen Einfluss des ACC auf schmerzhemmende Zentren des Mittelhirns, wie das PAG, nahe legt.
Schmerz beschäftigt und es konnte hinreichend gezeigt werden, dass Faktoren wie Aufmerksamkeit (Kulkarni et al. 2005), Erwartungshaltung (Ploghaus et al. 2003) oder Coping-Strategien der Probanden (Petrovic et al. 2004a) die Aktivität von Teilen des Schmerznetzwerkes erhöht oder dämpft (7 Box 26.3). Schließlich sollte entsprechend der Subtraktionslogik funktioneller Bildgebungsstudien ja auch nur jener Prozess manipuliert werden, dem das Interesse gilt, während alle anderen konstant gehalten werden – kognitive Variablen eingeschlossen, um zweifelsfrei entsprechende neuronale Korrelate identifizieren zu können.
Zusammenfassung und Ausblick Aufgrund der verteilten neuronalen Repräsentation von Schmerz hat die funktionelle Bildgebung besonderen Anteil an ihrer Entschlüsselung. Welche Rolle die einzelnen Strukturen des Schmerznetzwerks für das Gesamtkonstrukt »Schmerz« spielen, muss weiter erforscht werden, so dass letztlich jene hinreichenden Hirnareale identifiziert werden können, bei deren Manipulation Schmerz selektiv ausgeschaltet werden kann – gerade im Hinblick auf die klinische Intervention. Es ware wünschenswert, wenn zukünftige Studien auch verstärkt jene zentralnervösen Prozesse untersuchen, die letztlich mit pathologischen Formen des Schmerzerlebens einhergehen. Denn die Übertragbarkeit der an gesunden Probanden gewonnen Befunde auf Schmerzpatienten ist nicht notwendig gegeben 6
407 26.3 · Literatur
(7 Box 26.2). Erst die Synthese von klinischen Beobachtungen mit Beobachtungen aus direkter Hirnstimulation sowie aus funktionellen Untersuchungen mit fMRT, PET und MEG kann ein umfassendes Bild von der zentralen Verarbeitung des Schmerzes zeichnen.
26.3
Literatur
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408
Kapitel 26 · Schmerz
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III Krankheitsbilder 27
Bewegungsstörungen
– 411
B. Haslinger, A. Ceballos-Baumann
28
Aphasie – 429 M. Grande, W. Huber
29
Akalkulie – 443 K. Willmes, H.-C. Nuerk
30
Apraxien – 451 F. Binkofski, G.R. Fink
31
Neglekt
– 465
J. Kukolja, G.R. Fink
32
Amnesien – 479 H.J. Markowitsch
33
Funktionserholung nach Schlaganfall – 491 G. Nelles
34
Demenzen
– 501
T. Kircher, R. Ihl
35
Schizophrenien
– 511
M. Reske, F. Schneider, T. Kircher
36
Affektive Erkrankungen
– 529
S. Bestmann, U. Habel, F. Schneider
37
Zwangs- und Angststörungen – 545 K. Koch, K. Mathiak
38
Aufmerksamkeitsdefizit-HyperaktivitätsSyndrom – 557 K. Konrad, S. Herpertz, B. Herpertz-Dahlmann
39
Persönlichkeitsstörungen V. Backes, K. Mathiak
40
Suchterkrankungen
– 581
A. Keßler, V. Backes, G. Gründer
– 569
27 27
Bewegungsstörungen B. Haslinger, A. Ceballos-Baumann
27.1
Parkinson-Syndrom – 412
27.1.1 27.1.2
Motorische Symptome des Parkinson-Syndroms – 412 Nicht-motorische Störungen bei der Parkinson-Erkrankung
27.2
Dystonien – 418
27.2.1 27.2.2
Motorische Aktivierungsstudien bei Dystonie – 418 Sensorische Aktivierungsstudien bei Dystonie – 421
27.3
Essenzieller Tremor – 422
27.4
Tiefe Hirnstimulation und fMRT – 423
27.5
Chorea Huntington – 424
27.6
Literatur – 426
– 415
412
Kapitel 27· Bewegungsstörungen
))
27
Als Bewegungsstörungen werden Syndrome bezeichnet, die mit einer Störung in der Initiation und Durchführung von willkürlicher und unwillkürlicher Motorik einhergehen. Unter dem Begriff Bewegungsstörungen sollen hier definitionsgemäß deshalb weder periphere und zentrale Paresen, Myopathien, rheumatische oder orthopädische Erkrankungen, sensible und sensorische Defizite mit Auswirkung auf Bewegungsabläufe gezählt werden, noch Apraxien und andere neuropsychologische Störungen mit motorischer Symptomatik. Traditionell werden die Bewegungsstörungen zu den Basalganglienerkrankungen gezählt, womit ein gemeinsamer Nenner zumindest für die grobe neuroanatomische Lokalisation der Funktionsstörung vorliegt (7 Kap. 1.3.8). Hierbei werden funktionelle Veränderungen in basalganglionär-kortikalen Regelkreisläufen als ein zentrales Element in der Pathogenese der klinischen Manifestationen von Bewegungsstörungen vermutet. Vereinfacht lassen sich Bewegungsstörungen in einem Zuviel – Hyperkinesen – und einem Zuwenig – Hypokinesen – an Motorik unterteilen. Zu den Hypokinesen gehören die Parkinson- oder akinetisch-rigiden Syndrome. Die Hyperkinesen umfassen vor allem den Tremor, die Dystonien und die Chorea. Anfang der 90er-Jahre wurde begonnen, funktionelle Aktivierungsstudien zur Untersuchung von Bewegungsstörungen wie Akinese bei Parkinson-Syndrom, Tremor, Dystonien und Chorea einzusetzen. Das geschah zunächst mit emissionstomographischen Verfahren, in erster Linie mit PET. Die funktionelle Auflösung moderner PET-Scanner liegt zwischen 4–8 mm. Das ist adäquat, um Blutflussveränderungen im Nucleus lentiformis und Kaudatum-Kopf zu unterscheiden, lässt hingegen leider nicht eine sichere funktionelle Differenzierung von Putamen, Pallidum und Nucleus subthalamicus zu. Hier bietet die fMRT neue Perspektiven. Allerdings ist die Datenlage zur Aktivierung der Basalganglien, die bei Bewegungsstörungen besonders interessieren, mittels fMRT bisher begrenzt. Die komplexe vaskuläre und neuronale Architektur der Basalganglien erschwert in dieser Region die Interpretation des mikrovaskulären hämodynamischen Phänomens, das dem BOLD-Effekt zugrunde liegt. Bei den Bewegungsstörungen liegt bisher wie bei PET mit der fMRT das Augenmerk deshalb vielfach auf dem Kortex.
27.1
a Prkinson-Syndrom
27.1.1
Motorische Symptome des a Prkinson-Syndroms
! Motorisches Leitsymptom des Parkinsonismus ist die Bewegungsverarmung. Es lassen sich dabei 3 Komponenten differenzieren: 6
5 Bewegungsverlangsamung oder Bradykinese, 5 Verminderung der Bewegungsamplituden und Spontanbewegungen oder Hypokinese sowie 5 Hemmung der Bewegungsinitiation oder Akinese. Im klinischen Sprachgebrauch werden die 3 genannten Begriffe häufig synonym und austauschbar verwendet. Daneben sind die Muskelsteifheit (Rigor) und ein typisches Zittern in Ruhe (Tremor) Leitsymptome der Parkinson-Erkrankung.
In den wenigen bisherigen fMRT-Arbeiten wurde ausschließlich das nach diagnostischen Kriterien eng definierte und durch eine gute L-Dopa-Beeinflussbarkeit gekennzeichnete idiopathische Parkinson-Syndrom, der sog. Morbus Parkinson (MP) untersucht. Im Folgenden werden wir uns deshalb auf Studien zu diesem Krankheitsbild beschränken. Das Konzept der basalganglionär-kortikalen Regelkreisläufe und ihrer Veränderungen beim MP wurde in den 80er-Jahren auf der Grundlage tierexperimenteller und neuropathologischer Untersuchungen eingeführt (DeLong 1990). Es hat unser Denken über funktionell neuroanatomische Zusammenhänge revolutioniert und stellt noch heute das zentrale Konzept für das Verständnis der Steuerung von Bewegungen dar. Die motorischen Schleifen umfassen eine sog. »direkte« und »indirekte« Verbindung vom Striatum zu den Ausgangsstationen der Basalganglien, dem internen Pallidum und der Substantia nigra pars reticulata (. Abb. 27.1). Durch das dopaminerge Defizit entsteht beim MP vereinfacht gesagt ein Ungleichgewicht zwischen diesen beiden Wegen mit einem Überwiegen des indirekten Weges (7 Kap. 1.3.8, . Abb. 1.36; 7 Kap. 1.3.13, . Abb. 1.46). Hierdurch kommt es zu einer Disinhibition des Nucleus subthalamicus mit daraus folgender verstärkter Erregung des internen Pallidums. Die daraus sich ergebende verstärkte pallidale Hemmung auf exzitatorische thalamofrontale Projektionen (vor allem zum prämotorischen Kortex/SMA) wird als das wesentliche funktionelle Substrat der Akinese beim MP angesehen.
Exkurs Vor der fMRT-Ära durchgeführte Studien mittels PET und SPECT zeigten in Übereinstimmung mit diesem Modell eine bewegungsabhängige Minderaktivierung im Bereich des mesial prämotorischen Kortex/SMA bei Patienten mit MP als funktionelles Korrelat der Akinese. Als ein kompensatorisches Ausweichen auf die bei MP nicht betroffenen zerebellär-parietal-prämotorischen Verbindungen wurde ferner eine vermehrte Aktivierung lateraler prämotorischer, parietaler sowie zerebellärer Areale berichtet. Weiterhin zeigte sich, dass thera6
413 27.1 · Parkinson-Syndrom
b
a . Abb. 27.1a, b. Modell der motorischen basalganglionär-kortikalen Regelkreisläufe im gesunden (a) und im pathologischen Fall (b) bei Morbus Parkinson, projiziert auf einen koronaren Hirnschnitt (Lang
peutische Maßnahmen wie die Gabe von Dopaminergika, die Tiefenhirnstimulation im Nucleus subthalamicus, die Pallidotomie und die Transplantation fetaler dopaminerger Zellen zu einer partiellen Normalisierung der mesial prämotorischen Aktivierung führen (Literaturübersicht in Ceballos-Baumann 2003).
Die erste Blockdesign-fMRT-Studie, die sich mit dem funktionellen Korrelat motorischer Störungen beim MP beschäftigte verglich Patienten mit akinetisch-rigidem idiopathischen Parkinson-Syndrom im »off«, d. h. ca. 12 h nach Gabe der letzten Parkinson-Medikation mit gesunden Kontrollpersonen (Sabatini et al. 2000). Patienten und Kontrollen mussten komplexe selbstgetriggerte sequenzielle Bewegungen mit der rechten Hand durchführen. Diese wurden mit einer Ruhe-Kontrollbedingung verglichen. Dabei zeigte sich in Übereinstimmung mit früheren Bildgebungsuntersuchungen mittels PET und SPECT eine relative Minderaktivierung bei Parkinson-Patienten bei der Durchführung der motorischen Aufgabe im Bereich der rostralen SMA und des rechten dorsolateralen präfrontalen Kortex. Als neues Ergebnis wurde beschrieben, dass nicht nur der lateral prämotorische und inferior parietale Kortex beidseits, sondern auch der primär-sensomotorische Kortex beidseits, kaudale Anteile der SMA und Teile des zingulären Kortex bei ParkinsonPatienten überaktiv waren. Die Autoren folgerten, dass Parkinson-Patienten als Kompensation für defizitäre striatomesial-frontale Verbindungen neben prämotorisch-parietalen Schleifen auch weitere Areale im Sinne eines funktionellen Reorganisationsprozesses vermehrt rekrutieren.
2003). Hier symbolisieren rote Verbindungen inhibitorische Projektionen, grüne Verbindungen exzitatorische Projektionen. Die Dicke einer Verbindung symbolisiert, ob die Projektion über- oder unteraktiv ist
Haslinger et al. wandten erstmals die ereigniskorrelierte funktionelle Kernspintomographie (efMRT) zur Untersuchung der Pathophysiologie des motorischen Systems beim MP und der zentralen Pharmakologie von Dopaminergika an (Haslinger et al. 2001). Der Vorteil des ereigniskorrelierten Ansatzes gegenüber Blockdesign-fMRT-Studien und PET besteht darin, dass BOLD-Signalveränderungen in Abhängigkeit von einzelnen kurzen Bewegungen untersucht werden können und damit besser direkt bewegungsassoziierte zerebrale Aktivität widerspiegeln. 8 Patienten mit frühem akinetisch rigiden MP wurden mit 8 gesunden freiwilligen Probanden verglichen. Die fMRT-Messungen unter Verwendung einer schnellen EPI-Sequenz umfassten 6 apikale Schichten unter Einbeziehung des primär-motorischen Kortex (M1) sowie des frontalen/parietalen motorischen Assoziationskortex. Es wurden je 3 fMRT-Messungen vor und (nur bei Patienten) 30 min nach oraler Applikation von 250 mg L-Dopa durchgeführt. Die motorische Aufgabe bestand in der Durchführung extern getriggerter, einzelner kurzer Joystick-Bewegungen in selbstgewählter Richtung. Alle Patienten zeigten eine signifikante klinische Besserung infolge der L-Dopa-Gabe. Der Vergleich beider Gruppen ergab eine signifikante Minderaktivierung im Bereich des mesial prämotorischen Kortex (SMA) bei gleichzeitiger kompensatorischer Mehraktivierung im Bereich von primär-motorischem und lateral prämotorischem Kortex beidseits bei Patienten »on/off« Dopa gegenüber Kontrollpersonen. Es fand sich ein signifikanter Aktivierungsanstieg im Bereich des mesial prämotorischen Kortex bei Patienten durch die Gabe von L-Dopa, wohingegen Patienten im »off« eine höhere Aktivivität im Bereich von
27
414
Kapitel 27· Bewegungsstörungen
b
a
27
. Abb. 27.2a, b. a Kortikale Areale mit signifikantem Signalanstieg durch die Gabe von L-Dopa bei Patienten mit Morbus Parkinson während der Durchführung einzelner Joystickbewegungen. b Areale mit
signifikant höherer Aktivierung vor Gabe von L-Dopa, d. h. hier führte L-Dopa zu einer Abnahme des fMRT-Signals bei MP-Patienten (Haslinger et al. 2001)
primär-motorischem Kortex, lateral prämotorischem Kortex und superior parietalem Kortex beidseits aufwiesen (. Abb. 27.2). Diese Ergebnisse bestätigen die Theorie einer – durch L-Dopa-Gabe partiell reversiblen – Minderaktivität im Bereich des mesial-prämotorischen Kortex beim MP. Darüber hinaus beschreibt diese Studie erstmals, dass eine bei Patienten mit MP beobachtete verstärkte Rekrutierung von primär-motorischem Kortex, lateral prämotorischem und superior parietalem Kortex ebenso durch L-Dopa-Gabe partiell normalisiert werden kann. Dies unterstützt die Theorie einer kompensatorischen Rekrutierung zerebellärer, parietaler, lateral-prämotorischer Schleifen um das mesialprämotorische Defizit beim MP auszugleichen. Die in diesen fMRT-Studien (Sabatini et al. 2000; Haslinger et al. 2001) erstmals beschriebene Disinhibition des primär-motorischen Kortex beim MP könnte eines der funktionellen Korrelate für Rigidität darstellen. Im Gegensatz hierzu beschreibt eine weitere Blockdesign-fMRT-Studie eine Minderaktivierung des primär-motorischen Kortex bei Parkinson-Patienten bei der Durchführung auditorisch getriggerter Finger-Daumen-Oppositionen (Buhmann et al. 2003). Dabei wurden De-novo-Parkinson-Patienten, die bisher keine Medikation erhalten hatten vor und 5-mal im Abstand von 20 min nach Gabe von L-Dopa untersucht. Parallel dazu wurden vor jeder Messung die Motorperformance anhand der Zahl schnell alternierender Bewegungen pro Zeiteinheit sowie nach LDopa-Gabe die L-Dopa Plasmakonzentrationen im Blut bestimmt. Vor L-Dopa-Gabe zeigten Patienten eine signifikante Minderaktivierung im Bereich des primär-motorischen Kortex kontralateral zur betroffenen Hand im Vergleich zum ipsilateralen primär-motorischen Kortex. Die L-Dopa-Gabe führte zu einem signifikanten Signalanstieg im Bereich des kontralateralen primär-motorischen Kortex und der kaudalen SMA. Korrelationen zwischen verbesser-
ter Motorperformance und BOLD-Signal wurden in der kaudalen SMA und im kontralateralen primär-motorischen Kortex gefunden. Der Gruppenvergleich zeigte eine Minderaktivierung bei Patienten im Bereich der SMA und des primär-motorischen Kortex im Vergleich zu Kontrollpersonen. Die Autoren folgerten, dass bei De-novo-Parkinson-Patienten eine Minderaktivierung des primär-motorischen Kortex und der SMA infolge des reduzierten exzitatorischen Inputs von Seiten subkortikaler motorischer Schleifen und eine Reduktion der Inhibition des motorischen Kortex durch Gabe von L-Dopa besteht. Die Unterschiede ihrer Ergebnisse im Vergleich zu den vorangegangenen motorischen fMRT- und PET-Studien erklärten sie dadurch, dass bei De-novo-Parkinson-Patienten eine Reorganisation des motorischen Kortex, sei es durch Progression der Erkrankung oder durch die chronische Gabe von L-Dopa noch nicht stattgefunden hat. Die in vielen bildgebenden Studien berichtete Minderaktivierung der SMA bei Parkinson-Patienten und ihre partielle Reversibilität durch therapeutische Beeinflussung der Akinese passt zwar gut in das Konzept der Pathophysiologie basalganglionär-thalamokortikaler Schleifen beim MP. Allerdings wurde dieses Ergebnis überwiegend dann gefunden, wenn Patienten die Bewegung oder deren Zeitpunkt selbst wählen und damit Aufmerksamkeit auf ihre motorische Aktivität lenken sollten. Rowe et al. untersuchten deshalb mit BlockdesignfMRT spezifisch, inwiefern sich Aufmerksamkeit auf die mesial-prämotorische Aktivierung bei Patienten mit MP auswirkt (Rowe et al. 2002). Dabei wurden 12 Patienten und 12 Kontrollen abhängig von der Durchführung einer überlernten sequenziellen Fingertapping-Aufgabe alleine, einer visuellen Suchaufgabe alleine, beider Aufgaben gleichzeitig und der motorischen Aufgabe bei explizitem Lenken von Aufmerksamkeit auf die Bewegungen unter-
415 27.1 · Parkinson-Syndrom
sucht. Hierbei zeigte sich, dass bei Analyse des Haupteffektes von Bewegung versus Ruhe Patienten zwar eine relative Minderaktivierung des Putamens, aber eine Überaktivität der kaudalen SMA aufweisen. Das Lenken von Aufmerksamkeit auf die Bewegungen führte bei Kontrollen zu einer signifikanten Mehraktivierung des präfrontalen Kortex, der SMA, des parazingulären Kortex und des Zerebellums, während im Vergleich dazu Patienten ein signifikantes Defizit der Mehrrekrutierung durch Aufmerksamkeit im Bereich der kaudalen SMA und des parietalen Kortex aufwiesen (. Abb. 27.3). Um dieses Ergebnis weiter zu analysieren, untersuchten die Autoren die Beeinflussung effektiver Konnektivität durch die experimentellen Manipulationen innerhalb eines Netzwerkes von präfrontalem Kortex, SMA, prämotorischem und primär-motorischem Kortex. Während bei Kontrollpersonen Aufmerksamkeit zu einer gesteigerten Konnektivität zwischen präfrontalem Kortex und SMA bzw. prämotorischem Kortex führte, zeigte sich diese aufmerksamkeitsabhängige Modulation bei Patienten nicht. ! Diesen Ergebnissen zufolge besteht bei Parkinson-Patienten anstelle einer generellen SMA-Minderaktivie6 . Abb. 27.3a–d. »Statistical parametric maps« für gesunde Probanden (a), Parkinson-Patienten (b), den Vergleich gesunde Probanden versus Patienten (c) und den Vergleich Patienten versus gesunde Probanden (d). Für jede Gruppe sind die Ergebnisse für den Haupteffekt Bewegung (linke Spalte), die visuelle Suchaufgabe (mittlere Spalte) und das Lenken von Aufmerksamkeit auf die Bewegung (rechte Spalte) dargestellt. Die Pfeile zeigen, dass Patienten eine verstärkte Aktivierung der kaudalen SMA bei einfacher Bewegung zeigen (d), aber eine gestörte Mehraktivierung der SMA beim Lenken von Aufmerksamkeit auf die Bewegung aufweisen (c) (Rowe et al. 2002)
a
b
c
d
rung vielmehr eine kontextspezifische funktionelle Deafferenzierung der SMA und des prämotorischen Kortex von präfrontalen Einflüssen. Eine funktionelle SMA-Minderaktivierung bei Parkinson-Patienten hängt demnach von der Wahl des Paradigmas ab, je nachdem ob eine aufmerksamkeitsabhängige Selektion von Motorprogrammen erforderlich ist.
27.1.2
Nicht-motorische Störungen bei der Parkinson-Erkrankung
Neben den typischen motorischen Symptomen werden bei Patienten mit MP kognitive, neuropsychologische Einbußen beobachtet. Diese überwiegend präfrontal lokalisierten Defizite werden zunehmend als indirekte Konsequenz der Degeneration aszendierender katecholaminerger Projektionen vom Hirnstamm zum frontalen Kortex interpretiert. Dabei spielen entweder ein veränderter Informationsfluss vom Nucleus caudatus via Thalamus zum frontalen Kortex oder eine verminderte frontale dopaminerge Aktivität als Folge der Degeneration mesokortikaler frontaler Projektionen von der ventral tegmentalen Area (VTA) und nigraler Areale eine Rolle.
27
416
27
Kapitel 27· Bewegungsstörungen
Kognitive Defizite in frühen Stadien der Parkinson-Erkrankung ähneln meist denen einer Dysfunktion des frontalen Kortex und beinhalten z. B. Einschränkungen in Funktionen wie Planen und Arbeitsgedächtnis (sog. exekutive Funktionen). Die Ergebnisse verschiedener Bildgebungsstudien zu kognitiven Defiziten beim MP zeigen auf den ersten Blick zum Teil widersprüchliche Ergebnisse, was auch daran liegen könnte, dass einerseits eher mesokortikale, andererseits zum Teil eher nigrostriatale Dysfunktionen abgebildet wurden. Mattay et al. untersuchten mit Blockdesign-fMRT die Aktivierung bei Parkinson-Patienten ohne umschriebenes klinisches kognitives Defizit während einer Arbeitsgedächtnisaufgabe im Vergleich zu einer motorischen Aufgabe vor und nach Gabe von L-Dopa (Mattay et al. 2002). Während der Arbeitsgedächtnisaufgabe zeigten Patienten vor L-Dopa-Gabe eine signifikant stärkere Aktivierung im Vergleich zum Zustand nach Medikation in einem frontoparietalen Netzwerk unter Einschluss des präfrontalen Kortex, anterior zingulären Kortex, insulären Kortex sowie superior und inferior parietalen Kortex. Interessanterweise korrelierte dieses verstärkte BOLD-Signal positiv mit den Fehlern bei der Durchführung der Arbeitsgedächtnisaufgabe, d. h. mit einer Abnahme der kognitiven Leistung. Bei der motorischen Aufgabe hingegen fand sich ein signifikanter Signalanstieg durch die L-Dopa-Gabe im Bereich des primär-motorischen Kortex, prämotorischen Kortex, der SMA sowie des superior und inferior parietalen Kortex. Die Autoren folgerten, dass L-Dopa motorische und kognitive Netzwerke beim MP auf verschiedene Art und Weise beeinflusst. Nigrostriatale Projektionen fazilitieren das motorische System indirekt via thalamische Projektionen zum Motorkortex, während das mesokortikale dopaminerge System Arbeitsgedächtnisfunktionen durch direkte Projektionen zum präfrontalen Kortex beeinflusst. Da Hinweise dafür vorliegen, dass intrakortikales Dopamin von mesokortikalen Projektionen nötig zu sein scheint, um neuronale kortikale Aktivität zu fokussieren, folgerten die Autoren, dass der dopadefizitäre Zustand durch eine vermindert effiziente kortikale Informationsverarbeitung bei der Arbeitsgedächtnisaufgabe mit dadurch benötigter verstärkter kortikaler Aktivierung gekennzeichnet ist. Während Patienten in frühen Phasen der ParkinsonErkrankung klinische Hinweise auf einen verminderten Trainingseffekt bei implizitem Lernen sequenzieller motorischer Aufgaben aufweisen, zeigte sich im fMRT, dass die Durchführung zuvor gelernter Sequenzen bei Patienten mit Morbus Parkinson im Vergleich zu gesunden Vergleichspersonen nicht beeinträchtigt ist (Werheid et al. 2003). Beide Gruppen aktivierten unter anderem Teile des anterioren frontomedianen Kortex und des anterioren sowie posterioren zingulären Kortex bei der Durchführung gelernter versus randomisierter sequenzieller Bewegungen. Dem frontomedianen Kortex wird hierbei eine Funktion in der Antizipation kommender Stimuli, dem posterior zingulären
Kortex eine Funktion in der Verbindung dieser Stimuli zu gelernten Inhalten zugeschrieben. Diese Ergebnisse lassen sich im Kontext der Beobachtung so interpretieren, dass mediale dopaminerge Verbindungen von mesenzephalen Arealen zum frontomedianen Kortex in frühen Stadien der Erkrankung, die hier untersucht wurden weniger betroffen zu sein scheinen als laterale Projektion via Striatum und Thalamus zum lateral präfrontalen Kortex. Lewis et al. untersuchten Patienten mit einer selektiven Einschränkung bei der sog. »Tower-of-London«-Aufgabe, die Leistungen wie Arbeitsgedächtnis, Problemlösen und Planen beinhaltet (Lewis et al. 2003). Diese wurden mit diesbezüglich unauffälligen Parkinson-Patienten und mit gesunden Kontrollpersonen verglichen. Die Patienten waren vergleichbar bzgl. dem motorischen Aspekt ihrer Erkrankung und dem allgemeinen kognitiven Status gemessen an anderen – nicht-exekutiven – Tests. Mit 3-T-»Eventrelated«-fMRT wurde eine Arbeitsgedächtnisaufgabe die das Memorieren, Abrufen und die Veränderung einer Sequenz von 4 Buchstaben beinhaltet, untersucht. Generell führte das Abrufen und Verändern im Arbeitsgedächtnis zu einer Aktivierung in den dorsolateralen und ventrolateralen Kortizes, dem okzipitoparietalen Kortex und im Striatum beidseits. Patienten mit exekutiven Defiziten zeigten jedoch im Vergleich zu diesbezüglich nicht eingeschränkten Patienten und zu Kontrollpersonen beim Abrufen der Information eine Unteraktivität im Nucleus caudatus beidseits, beim Manipulieren im Gedächtnis zusätzlich hierzu im präfrontalen Kortex beidseits und im rechten Putamen (. Abb. 27.4). Erstmals gelang es hier mit fMRT, das Korrelat selektiver exekutiver/kognitiver Dysfunktionen beim MP darzustellen. Die klinische Beobachtung, dass Defizite des Arbeitsgedächtnisses beim MP mit dem Effekt eines kontrollierten L-Dopa-Entzuges korrelieren, legt ein vorwiegend dopaminerges Substrat der beobachteten Unterschiede nahe. Mesokortikale Degeneration kann zum Teil hierzu beitragen. Da dieses System aber vor allem in frühen Stadien wie es hier untersucht wurde weniger betroffen ist als das nigrostriatale System, folgerten die Autoren, dass eher eine nigrostriatale Dopaminverarmung und ihr Effekt auf das Funktionieren frontostriataler Kreisläufe für die Ergebnisse verantwortlich ist. Eine Unteraktivität im Nucleus caudatus bei Patienten mit exekutiver Dysfunktion passt auch dazu, dass der Nucleus caudaus das Hauptprojektionsziel dorsomedialer Teile das nigrostriatalen Traktes ist und eine wichtige Rolle bei kognitiven Funktionen spielt. Eine Unteraktivität kortikaler (präfrontaler) Areale bei Manipulation im Arbeitsgedächtnis, nicht aber beim reinen Abrufen legt nahe, dass exekutive Dysfunktionen beim MP funktionell spezifisch sind und an die Funktion frontostriataler Kreisläufe gebunden sind. Ein weiteres gut definiertes Defizit bei MP-Patienten und Patienten mit präfrontalen Läsionen ist das des gestörten »set shifting«, d. h. des Anpassens einer Verhal-
417 27.1 · Parkinson-Syndrom
a b . Abb. 27.4a, b. Kognitive Defizite bei Parkinson-Patienten. a fMRTAktivierungen bei einer Arbeitsgedächtnisaufgabe (Lewis et al. 2003). b Mittleres regionales fMRT-Signal während Manipulation der Information im Arbeitsgedächtnis. Parkinson-Patienten mit exekutiven Störungen (schwarze Balken) zeigen im Vergleich zu diesbezüglich nicht
eingeschränkten Patienten (graue Balken) signifikant verminderte Aktivität in frontostriatalen ROI, nicht aber im okzipitoparietalen Kortex. Kontrollprobanden (weiße Balken) zeigen vergleichbare Aktivierungen zu exekutiv nicht eingeschränkten Patienten
tensantwort auf geänderte äußere Umstände und Regeln. Patienten mit MP wurden deshalb im Vergleich zu Kontrollpersonen während verschiedener Phasen des sog. »Wisconsin-Card-Sorting«-Tests untersucht (Monchi et al. 2004). Diese Aufgabe aktiviert distinkte Regionen des präfrontalen Kortex in Assoziation mit subkortikalen basalganglionären Arealen. Dabei wiesen Parkinson-Patienten klinisch eine höhere Fehlerrate bei der Durchführung der Aufgabe auf. Im fMRT zeigte sich bei Patienten eine signifikant geringere Aktivität in 2 präfrontalen kortikostriatalen Schleifen: Diese umfassen den ventrolateralen präfrontalen Kortex in Assoziation mit dem Nucleus caudatus bei Wahrnehmung von negativem Feedback (. Abb. 27.5) und den posterioren präfrontalen Kortex in Assoziation mit dem Putamen bei Verhaltensanpassung nach negativem Feedback. Im Gegensatz zu diesen ventrolateral präfrontal, basalganglionären Unteraktivierungen fanden sich dorsolaterale präfrontale Überaktivierungen bei Parkinson-Patienten bei positivem oder negativem Feedback. Diese dorsolateral präfrontalen Aktivierungen zeigten bei Kontrollpersonen keine Koaktivierung mit dem Striatum. In Erweiterung zu bisher geäußerten Hypothesen folgerten die Autoren, dass wenn eine Region des präfrontalen Kortex bei einer Aufgabe spezifisch in Assoziation mit dem Striatum aktiviert wird, die Abnahme an nigrostriatalem Dopamin im Nucleus caudatus und Putamen einen kritischen Faktor für den Verlust ihrer Funktion darstellen könnte. Das würde dann in einer verminderten Aktivität dieser präfrontalen Region wie hier des ventrolateralen und
posterioren präfrontalen Kortex durch vermehrten inhibitorischen Output der Basalganglien zum Kortex via den Thalamus resultieren. Demgegenüber scheint das durch mesokortikale Projektionen regulierte kortikale Dopamindefizit eine wichtigere Rolle im Sinne einer fehlenden Fokussierung kortikaler Aktivität zu spielen wenn eine präfrontale Region wie hier der dorsolaterale präfrontale Kortex nicht notwendigerweise in Assoziation mit dem Striatum für einen speziellen kognitiven Prozess erforderlich ist. Diese Studie zeigt, dass beim MP sowohl verstärkte als auch verminderte präfrontale Aktivierungen auftreten können, je nachdem ob die spezifische präfrontale Region bei der jeweiligen Aufgabe eine funktionelle Beziehung zum Striatum aufweist. Auch die Verarbeitung emotionaler Reize ist bei Patienten mit Morbus Parkinson klinisch oft beeinflusst. Patienten haben zum Teil eine gestörte Verarbeitung von Gesichtsausdrücken und affektiven Attributen. Auch diese Defizite werden zum Teil der Degeneration des nigromesolimbischen dopaminergen Systems im Bereich der ventralen tegmentalen Area (VTA) und Substantia nigra zugeschrieben. Dabei bestehen Verbindungen zur Amygdala, der eine zentrale Rolle bei der Emotionsverarbeitung zugeteilt wird. Hier untersuchten Tessitore et al. das funktionelle Korrelat der Emotionswahrnehmung gemessen am Erkennen ängstlicher bzw. wütender Gesichtsausdrücke bei Patienten mit MP vor und nach Gabe von L-Dopa im Vergleich zu Kontrollpersonen (Tessitore et al. 2002). Während Kontrollen eine starke bilaterale Aktivierung der Amygdala bei der
27
418
Kapitel 27· Bewegungsstörungen
Wahrnehmung dieser Gesichter hatten, fand sich bei Patienten im »off« in dieser Struktur kein signifikanter Signalanstieg. Jedoch führte die Gabe von L-Dopa zu einer signifikanten Aktivierung und zu einem Signalanstieg im Bereich der Amygdala beidseits (. Abb. 27.6). Die verminderte Aktivierung der Amygdala spricht für eine gestörte Verarbeitung emotionaler Gesichtsausdrücke bei Patienten mit Morbus Parkinson. L-Dopa führt wahrscheinlich durch direkte Mittelhirnprojektionen zur Amygdala zu einer partiellen Normalisierung dieses Defizites. Dieser Befund spricht dafür, dass Dopamin auch eine modulatorische Rolle auf die sensorische Verarbeitung der Amygdala beim Menschen ausübt. Damit kann L-Dopa auch zu einer Beeinflussung des emotionalen Verhaltens bei Parkinson-Patienten führen.
a
b
27
27.2
Dystonien
27.2.1
Motorische Aktivierungsstudien bei Dystonie
c
. Abb. 27.5a–c. Störung des »set shifting«. Aktivierungen im ventrolateralen, posterioren und dorsolateralen präfrontalen Kortex bei Erhalt von negativem Feedback im Rahmen des »Wisconsin-Card-Sorting«-Tests. a Ventrolateral-präfrontale und Nucleus-caudatus-Aktivität bei Kontrollprobanden, nicht aber bei Patienten mit Morbus Parkinson. b Höhere und ausgedehntere Aktivierung bei Patienten im dorsolateralen und posterioren präfrontalen Kortex im Vergleich zu gesunden Kontrollen. c Im Gruppenvergleich zeigt sich eine stärkere Aktivierung im ventrolateral-präfrontalen Kortex bei gesunden Kontrollen im Vergleich zu Patienten mit MP (Monchi et al. 2004)
a
b
. Abb. 27.6a–c. Unterschiede der Aktivierung zwischen ParkinsonPatienten und Kontrollen bei der Wahrnehmung emotionaler Gesichtsausdrücke. Dies zeigt eine stärkere Aktivierung bei Kontrollpersonen im Vergleich zu Patienten sowohl im medikamentösen »off« (a)
> Definition Dystonie ist eine Form der zentralen Bewegungsstörung, die durch anhaltende Muskelkontraktionen gekennzeichnet ist, die abnorme Haltungen (z. B. zervikale Dystonie, »spastischer Schiefhals«) und repetitive Bewegungen (z. B. Blepharospasmus, »Lidkrampf«) hervorrufen. Beschäftigungskrämpfe wie der Schreibkrampf sind charakterisiert durch Kokontraktionen agonistischer und antagonistischer Handmuskeln, die aktionsinduziert spezifisch nur bei der jeweiligen übertrainierten, automatisierten Tätigkeit wie etwa dem Schreiben auftreten.
c
als auch im »on« (b) im Bereich der Amygdala und des posterioren Gyrus fusiformis. Die Gabe von L-Dopa bei Patienten führt zu einer partiellen Normalisierung der Aktivierung im Bereich der Amygdala und des rechten posterioren Gyrus fusiformis (c) (Tessitore et al. 2002)
419 27.2 · Dystonien
Bei der Mehrheit der Dystoniepatienten liegt eine Beteiligung der kraniozervikalen Region vor, die die fMRT mit problematischen Bewegungen und Monitoringbedingungen unter der Kopfspule herausfordert. Zudem ist die zentrale Organisation der kraniozervikalen Sensomotorik wenig erarbeitet. Kürzlich konnten wir mit Hilfe von »Sparsesampling«-fMRT eine gute funktionelle Abbildung kontrollierter orofazialer Bewegungen in der fMRT zeigen (Dresel et al. 2005). Diese Methode erlaubt es, durch nicht-kontinuierliche Datenakquisition mit Pausen während der motorischen Aufgabe das Entstehen von Bildgebungsartefakten durch orofaziale Motorik zu minimieren. Die meisten funktionell-bildgebenden Untersuchungen sind bei der fokalen Dystonie Schreibkrampf durchgeführt worden. Wegen der gut erforschten großen zentralen Handrepräsentation und damit für die Bildgebung guten Untersuchbarkeit hat der Schreibkrampf wie andere Beschäftigungskrämpfe (z. B. Musikerkrampf) Modellcharakter für andere Dystonieformen bekommen. Pujol et al. führten die erste Studie mit fMRT bei Dystonie durch. Die Gruppe untersuchte 5 Gitarristen mit Musikerkrampf während der Symptomprovokation mit einer Gitarre im 1,5-T-MRT mit einem Blockdesign. Im Vergleich zu gesunden Gitarristen beschrieben diese Autoren gesteigerte Aktivierungen im primär-sensomotorischen Kortex und ein reduziertes Signal im prämotorischen Kortex bei den Dystoniepatienten während der Ausführung dystoner Bewegungen (Pujol et al. 2000). Preibisch et al. verglichen Schreibkrampfpatienten während des Schreibens mit Kontrollpersonen ebenfalls mit einem Blockdesign (Preibisch et al. 2001). Die Kontrollpersonen aktivierten dabei den ipsilateralen Nucleus dentatus, kontralateral die Kleinhirnhemisphäre, den primären sensomotorischen Kortex sowie den präzentralen Gyrus. Die Schreibkrampfpatienten zeigten eine signifikant stärkere Aktivierung in der ipsilateralen Kleinhirnhemisphäre, außerdem eine Ausdehnung der Aktivierung im sensomotorischen Kortex nach kaudal und rostral. Thalamische Aktivierung konnte nur bei den Patienten beobachtet werden. Die Autoren folgerten, dass bei Dystonie ein vermehrter Output aus den Basalganglien zu einer Disinhibition des motorischen Kortex führt. Diese drückt sich in entsprechenden Kokontraktionen von agonistischen und antagonistischen Muskeln und damit einhergehenden dystonen Haltungen aus. Die Ergebnisse von Pujol et al. und Preibisch et al. sind aber gänzlich divergent zu den Resultaten vorangegangener PET-Studien, die bei Patienten mit idiopathischer Torsionsdystonie und Schreibkrampf bewegungsabhängige Minderaktivierungen im primär- und angrenzenden prämotorischen Kortex und der kaudalen supplementärmotorischen Area beschreiben und Überaktivierungen nur im lateralen prämotorischen, insulären und primären sensorischen Kortex finden (z. B. Ceballos-Baumann et al. 1997; Ibanez et al. 1999). In einer Nachuntersuchung der gleichen Patientengruppe konnte die Spezifität der Minderaktivierung
erhärtet werden, indem gezeigt wurde, dass die Minderaktivierungen im primär-motorischen Kortex durch die therapeutische periphere lokale Denervierung mit Botulinumtoxin nicht beeinflusst wird, dafür aber die Zunahme des rCBF im benachbarten sensorischen Kortex über eine zentrale denervierungsbedingte Reorganisation den therapeutischen Effekt von Botulinumtoxin erklären kann (Ceballos-Baumann et al. 1997). Die Divergenzen zwischen den oben erwähnten fMRTund vorangegangenen PET-Arbeiten können darauf zurückgeführt werden, dass die Patienten bei den verschiedenen Paradigmen der Studien in unterschiedlichem Maße Dystonie entwickelten. Dafür spricht eine den fMRT-Arbeiten von Pujol et al. und Preibisch et al. ähnliche Überaktivität im sensomotorischen Kortex bei Patienten mit symptomatischer Dystonie, die während der Aktivierung im PET weiterhin eine schwere kontinuierliche dystone Fehlhaltung der Hand aufwiesen (Ceballos-Baumann et al. 1995). Ferner ist bei Blockdesigns die zeitliche Auflösung zwischen vorbereitenden und ausführenden Komponenten der Motorik nicht möglich. Damit kann während der motorischen Aufgabe ein Überwiegen von gesteigertem propriozeptiven Feedback und Kraftaufwand bei provozierter Dystonie eintreten und so sekundär die Überaktivität im sensomotorischen Kortex hervorrufen. Um dieses Problem zu umgehen, verglichen Oga et al. erstmals mit ereigniskorrelierter fMRT 8 Schreibkrampfpatienten mit Kontrollpersonen (Oga et al. 2002). Aus einem »prämotorischen« Zustand entsprechend einer Vorinnervierung wurde die hämodynamische Antwort mit folgenden Aufgaben korreliert: 4 eine Relaxationsaufgabe, in der die Probanden aufgefordert wurden, ihre Faust aus einer leicht im Handgelenk gestreckten Haltung zu entspannen; 4 eine Kontraktionsbedingung, in der die Probanden aus der gleichen Haltung, die Faust nach oben strecken mussten. Passend zu den vorangegangenen PET-Studien war das Aktivierungsausmaß bei den Schreibkrampfpatienten im exekutiven motorischen Kortex (kontralateraler sensomotorischer Kortex und SMA) in beiden Aufgaben reduziert (. Abb. 27.7). Die Autoren erweiterten die bisherigen Schlussfolgerungen, dass bei Schreibkrampf die Aktivierung des exekutiven motorischen Kortex aufgrund einer kortikalen Dysfunktion sowohl in der Hemmung als auch in der Exzitation gestört ist. Verminderte sensomotorische Aktivierungen könnten in Entsprechung zu elektrophysiologischen Befunden bei Dystonie einerseits durch eine verringerte intrakortikale Inhibition mit einer Abnahme inhibitorischer neuronaler Aktivität und damit erniedrigtem BOLD-Signal erklärt werden. Andererseits könnte eine Dedifferenzierung einer weniger fokussierten kortikalen neuronalen Aktivierung bei Dystonie zu den Aktivierungsunterschieden beitragen.
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420
Kapitel 27· Bewegungsstörungen
. Abb. 27.7. Aktivierte Regionen während einer Muskelkontraktionsaufgabe und einer Relaxationsaufgabe bei einem repräsentativen Patienten mit Schreibkrampf und einer gesunden Vergleichsperson (Oga et al. 2002). Die Fläche der aktivierten Areale im Bereich des linken sensomotorischen Kortex und der SMA war bei Patienten im Vergleich zu Kontrollen bei beiden Aufgaben geringer
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. Abb. 27.8. Kortikale Areale mit signifikant geringerer Aktivierung bei Patienten mit laryngealer Dystonie im Vergleich zu gesunden Kontrollen während einfacher Vokalisation. Die Abbildung zeigt die Ergeb-
nisse des Vergleichs beider Gruppen vor einer Behandlung der Patienten mit Botulinumtoxin (Haslinger et al. 2005a)
421 27.2 · Dystonien
Unter Zuhilfenahme einer speziellen »Sparse-sampling«-Technik, der sog. »Silent-event-related«-fMRT konnten wir kürzlich erstmals Veränderungen sensomotorischer Aktivierungen bei Patienten mit laryngealer Dystonie (sog. spasmodische Dysphonie), einer umschriebenen Dystonie der Stimmbänder, nachweisen (Haslinger et al. 2005a). Wir untersuchten 12 Patienten mit laryngealer Dystonie im Vergleich zu 12 gesunden Kontrollpersonen. Die Patienten wurden vor und nach einer klinisch hoch wirksamen Behandlung mittels lokaler Injektionen von Botulinumtoxin (BTX) in die Stimmlippen untersucht. Zwei verschiedene motorische Aufgaben, einfache Vokalisation mit Induktion dystoner Symptome bei den Patienten und klinisch asymptomatisches Flüstern wurden untersucht. Die Ergebnisse zeigten eine verringerte Aktivität im Bereich des primär-sensorimotorischen Kortex sowie prämotorischer und sensorischer Assoziationskortizes bei den Patienten während Vokalisation vor BTX (. Abb. 27.8). Diese Unteraktivität konnten wir zum Teil auch während des klinisch asymptomatischen Flüsterns beobachten. Die BTX-Behandlung führte zu keiner Normalisierung der verminderten sensomotorischen Aktivierung. Erstmals konnten wir hier verminderte sensomotorische Aktivierungen im fMRT bei Patienten mit laryngealer Dystonie bei Bewegung der klinisch betroffenen Muskeln zeigen. Dieser Hinweis auf eine zentrale kortikale Dysfunktion erhärtet die diagnostische Einordnung dieser seltenen Stimmstörung in das Krankheitsbild der Dystonien. Kürzlich konnten wir erstmals funktionelle Veränderungen bei Patienten mit einer fokalen Dystonie im Gesicht (orofaziale Dystonie) mit Hilfe einer Mundmotorikaufgabe (Pfeifen mit gespitzten Lippen) und fMRT nachweisen (Dresel et al. 2006). Im Gegensatz zu Patienten mit isoliertem Lidkrampf (Blepharospasmus) zeigten Patienten mit einer Kombination aus Blepharospasmus und oromandibulärer Dystonie im Bereich der unteren Gesichtshälfte (Meige-Syndrom) bei dieser Aufgabe eine Unteraktivität wiederum im primär-motorischen und ventral prämotorischen Kortex. (Prä)motorische Unteraktivität scheint somit ein spezifischer Befund der klinisch betroffenen Mundregion bei Patienten mit Meige-Syndrom zu sein. Bei beiden Patientenkollektiven wurde darüber hinaus eine Überaktivierung des primär-somatosensorischen Kortex, passend zu der Hypothese einer veränderten somatosensorischen Repräsentation (7 Kap. 27.2.2) bei Patienten mit Dystonie, gefunden (. Abb. 27.9).
27.2.2
Sensorische Aktivierungsstudien bei Dystonie
! Die Dystonie wird primär als eine motorische Störung angesehen, jedoch spielen sensorische Einflüsse klinisch eine wesentliche modifizierende Rolle, so dass auch eine sensorische Verarbeitungsstörung bei der Dystonie angenommen wird.
a
b
c
. Abb. 27.9a–c. Aktivierungsunterschiede zwischen Patienten mit orofazialer Dystonie (Blepharospasmus und Meige-Syndrom) im Vergleich zu gesunden Kontrollen während einer Mundmotorikaufgabe. a Unteraktivität im Bereich des primärmotorischen und ventral prämotorischen Kortex bilateral bei Meige-Patienten vor Behandlung mit Botulinumtoxin (BTX). Überaktivität im primär somatosensorischen Kortex und in der kaudalen SMA bei Blepharospasmus-Patienten (b) und Meige-Patienten (c) vor BTX (Dresel et al. 2006)
Mit der fMRT wurde die tierexperimentell und elektrophysiologisch unterstützte Hypothese einer fehlerhaften sensomotorischen Plastizität mit entdifferenzierter Repräsentation über den Nachweis einer Vergrößerung und Überlappung motorischer und sensorischer Handaktivierungen bei Schreibkrampfpatienten getestet. Eine 3-T-fMRT-Studie erforschte die zentrale Repräsentation individueller Finger innerhalb von Subregionen des primär-sensorischen Kortex (S1) und in anderen nicht
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Kapitel 27· Bewegungsstörungen
primären sensorischen Gebieten (Butterworth et al. 2003). Schreibkrampfpatienten und Kontrollpersonen wurden einem vibrotaktilen Reiz über dem Zeigefinger oder dem kleinen Finger der dominanten Hand ausgesetzt. Die Daten wurden hinsichtlich Lokalisation, Größe, Ausmaß und dreidimensionaler Orientierung der Aktivierung untersucht. Es zeigten sich signifikante Unterschiede in der gemittelten dreidimensionalen Distanz der Repräsentationen von Zeige- und kleinem Finger in S1 (9,6±1,2 mm für die Kontrollpersonen und 4,1±0,2 mm für die Dystoniker; . Abb. 27.10). Außerdem wurden Trends beschrieben, die eine verkehrte Ordnung der Repräsentation beider Finger im sekundären sensorischen und posterioren parietalen Kortex bei den Patienten nahe legen. Ferner fand sich wie in vorangegangenen Aktivierungsstudien eine verminderte Antwort im sekundären somotosensorischen Kortex (SII/ BA 40) für den Zeigefinger und im posterioren parietalen Kortex für den kleinen Finger. Es ist davon auszugehen, dass diese bildgeberisch und neuroanatomisch bestätigte veränderte und entdifferenzierte kortikale sensorische Repräsentation zu einer abnormalen Verarbeitung bei simultanen sensorischen Inputs führen muss. Das legen Resultate einer weiteren fMRT-Studie bei Schreibkrampfpatienten nahe (Sanger et al. 2002). Bei gleichzeitiger Aktivierung verschiedener Finger lässt sich bei Gesunden eine lineare Kombination der Aktivierungsmuster mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit von 12% voraussagen, hingegen liegt bei Schreibkrampfpatienten der Irrtum bei 30%. Das spricht für eine nicht-lineare Interaktion zwischen der hämodynamischen Antwort der sen-
sorischen Stimulation einzelner Finger bei den Dystonikern.
. Abb. 27.10. Aktivierungen bei vibrotaktiler Stimulation des Zeigefingers oder kleinen Fingers bei einem Patienten mit Schreibkrampf (Butterworth et al. 2003). Es zeigt sich eine signifikant geringere räumliche Trennung mit verstärkter Überlappung der sensorischen Reprä-
sentationszonen. Aktivierungen bei Stimulation des Zeigefingers sind in gelb, bei Stimulation des kleinen Fingers in blau dargestellt. Regionen, die bei Stimulation beider Finger gleichermaßen aktiviert wurden sind in grün dargestellt
27.3
Essenzieller Tremor
> Definition Definitionsgemäß stellt Tremor eine Bewegungsstörung dar, die rhythmisch sinusoidal oszillierend und annähernd amplitudengleich ist. Man unterscheidet Ruhe-, Halte- und Aktionstremor. Der Ruhetremor ist typisch für das Parkinson-Syndrom, ein Halte- und Aktionstremor tritt beim essenziellen Tremor auf. Der essenzielle Tremor (ET) wird autosomal dominant vererbt und betrifft ca. 4% der westlichen Gesellschaft. Es handelt sich im Gegensatz zum Ruhetremor des Morbus Parkinson um einen meist monosymptomatischen Halte- und Aktionstremor mit einer Frequenz von ca. 4–8 Hz.
Elektrophysiologische Untersuchungen am sog. HarmalinTiermodell, morphologische Analysen umschriebener Hirnläsionen bei ET-Patienten und funktionell bildgebende Untersuchungen deuten auf eine zentrale Generatorstruktur mit konsekutiver Überaktivität zerebellothalamokortikaler Netzwerke hin. Aufgrund der typischen klinischen Charakteristika des ET, also dem unmittelbaren Beginn bei Haltemanövern und dem raschen Sistieren unter Ruhebedingungen, ist der ET für Aktivierungsstudien besonders gut geeignet.
423 27.4 · Tiefe Hirnstimulation und fMRT
Bucher und Mitarbeiter konnten die fMRT bei 12 ETPatienten im Vergleich zu 15 altersgleichen rechtshändigen Kontrollpersonen anwenden (Bucher et al. 1997). Es erfolgten Blockakquisitionen unter Ruhebedingungen, während unilateralem Haltetremor und während externer (also passiver) Armbewegungen der klinisch am meisten betroffenen Extremität. Der Haltetremor aktivierte in Einzelfallanalysen konsistent den kontralateralen primären sensomotorischen Kortex, den kontralateralen Thalamus, den Nucleus ruber und das Kleinhirn beidseits. Im Gegensatz dazu wurde durch passive Armbewegung das Kleinhirn nur ipsilateral bzw. der Nucleus ruber nur kontralateral aktiviert. Der Gruppenvergleich zu den gesunden Kontrollpersonen bestätigte die bereits bei H215O-PET-Aktivierungen nachgewiesene zerebelläre und rubrale Überaktivität. Weitere fMRT-Studien zum ET, insbesondere unter Anwendung von »Event-related«-Designs liegen bisher nicht vor. Auch beim sog. palatalen Tremor (Tremor im Bereich des Gaumensegels) bestehen Hinweise auf Kleinhirn-assoziierte Überaktivitäten. Mittels fMRT konnten von 2 Arbeitsgruppen durch palatalen Tremor induzierte Aktivitätszunahmen im dentatorubroolivären System nachgewiesen werden (Boecker et al. 1994; Nitschke et al. 2001).
27.4
Tiefe Hirnstimulation und fMRT
> Definition Bei der sog. Tiefenhirnstimulation handelt es sich um ein relativ junges Therapieverfahren zur Behandlung von Bewegungsstörungen wie dem Morbus Parkinson, dem Tremor und der Dystonie. Dabei werden stereotaktisch 6
quadripolare Elektroden in subkortikale Kerngebiete implantiert und mit einem subkutan, ähnlich einem Herzschrittmacher implantierten Impulsgeber verbunden. Durch Applikation kontinuierlicher, hochfrequenter Stromimpulse kann die neuronale Aktivität des Zielpunktes systematisch und reversibel manipuliert werden.
Die funktionell bildgeberische Untersuchung von Patienten mit implantierten tiefen Hirnelektroden und Impulsgebern stellt eine einzigartige Möglichkeit dar, in vivo neuronale Systeme beim Menschen zu untersuchen. Hypothesen gesteuert können grundlegende Fragen zur systemphysiologischen Organisation neuronaler Netzwerke durch die selektive Beeinflussung wichtiger Schnittstellen durch die Elektroden bearbeitet werden. Außerdem wird das Verständnis für diese junge und zukunftsträchtige Therapieform erweitert. Die Impulsgeber lassen sich über Telemetrie in Sekunden ein- und ausschalten. Dabei können unterschiedliche Elektrodenkontakte, Polaritäten, die Frequenz, die Spannung und die Impulsart sowie -dauer modifiziert werden. Während diverse Untersuchungen mit PET zu bemerkenswerten Arbeiten geführt haben, die die modulatorische Wirkung der Stimulation auf neuronale Systeme auch in Abhängigkeit einzelner oder mehrerer Stimulationsparameter wie Frequenz und Spannung nachweisen konnten (Ceballos-Baumann et al. 1999; Schroeder et al. 2002; Haslinger et al. 2003, 2005b), ist fMRT hier wegen einer Reihe ernster Sicherheitserwägungen (Induktion von Strom in den Elektroden, Elektrodenerhitzung und -bewegung, Impulsgeberbeschädigung etc.), Produkthaftpflichtaspekten und Artefaktüberlagerungen (. Abb. 27.11, Pujol, persönliche Mitteilung) kaum einsetzbar. Bisher erfolgten fMRTUntersuchungen bei tiefenhirnstimulierten Patienten un-
. Abb. 27.11. Artefakte bei einer fMRT-Untersuchung von einem Parkinson-Patienten mit Elektroden im Nucleus subthalamicus (mit freundlicher Genehmigung von Jesús Pujol)
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27
Kapitel 27· Bewegungsstörungen
mittelbar postoperativ, solange der Strom an den Elektroden über einen externen nicht-implantierten Impulsgeber verändert werden kann. Das schränkt die Interpretierbarkeit der Befunde wegen des postoperativen Ödems um die Elektroden und der eingeschränkten Kooperativität der nach der Operation nicht erholten Patienten zusätzlich ein. Es ist daher unwahrscheinlich, dass in nächster Zukunft mit fMRT die regionale Hirnaktivität wie im PET elektiv in einer Sitzung wiederholt unter Änderung der Stimulation während aufgaben-spezifischer motorischer und kognitiver Aktivierungen mit implantierten Impulsgebern untersucht werden kann. Bisher finden sich 2 fMRT-Berichte zur tiefen Hirnstimulation, die sich auf die Sicherheitsvorkehrungen und die dazu durchgeführten noch sehr einfachen Phantomstudien konzentrieren. Als Parameter wurden beispielsweise herangezogen: die Koagulation von Eiweiß in der Spule oder das Spüren von Strom auf der Zunge mit der Elektrode im Mund während EPI-Sequenzen. Die wenigen untersuchten Patienten wurden individuell ausgewertet. In der ersten Studie wurden 3 Patienten mit Elektroden im periventrikulären Grau bei Schmerzsyndrom und 2 ETPatienten mit Elektroden im thalamischen VIM-Kern kurz nach der stereotaktischen Elektrodenplazierung und vor der Implantation des Impulsgenerators mit externen Stimulatoren über ein Kabel untersucht (Rezai et al. 1999). Es konnten Aktivierungen bei überschwelliger Stimulation nachgewiesen werden, subkortikal um die Elektrode sowie im nachgeschalteten kortikalen Projektionsgebiet, sofern dieses nicht durch den Elektrodenartefakt verschattet war. In einer vorläufigen Studie wurden 3 Parkinson-Patienten mit Stimulatoren im Nucleus subthalamicus (STN) und einer im thalamischen VIM-Kern untersucht (Jech et al. 2001). Diese Publikation zog eine Kontroverse zur Sicherheit des fMRT bei tiefer Hirnstimulation nach sich. Es wurde eine Zunahme des BOLD-Signals unter STN-Stimulation im ipsilateralen Globus pallidus und im Thalamus bei 3 Patienten gefunden, jeweils bei einem STN-stimulierten wurde die Substantia nigra, der Colliculus superior, der dorsolaterale präfrontale zusammen mit dem lateral prämotorischen Kortex sowie der kontralaterale Thalamus und kontralaterale Nucleus caudatus aktiviert. Die im einzelnen schwer zu interpretierenden subkortikalen BOLDSignal Zunahmen außerhalb des Zielpunkes wurden generell als eine Überstimulation des Zielkerns und seiner Projektionen gedeutet.
27.5
Chorea Huntington
> Definition Chorea Huntington ist eine autosomal-dominante Erbkrankheit, die durch motorische, kognitive und affektive Symptome gekennzeichnet ist. Chorea geht auf das 6
griechische Wort Tanz zurück und zeichnet sich durch kräftige, schnelle, unregelmäßig auftretende ruckartige Bewegungen aus. Die unwillkürlichen Bewegungen können an Komplexität einer koordinierten Handlung gleichkommen und zu Symptombeginn mit einer scheinbar sinnvollen Bewegung kaschiert werden.
Bereits in sehr frühen Krankheitsstadien treten Dysfunktionen in kognitiven und emotionalen Bereichen auf, die mithilfe der fMRT bei motorisch asymptomatischen (sog. präsymptomatischen) Patienten untersucht wurden. Studien zur Pathophysiologie der Sensomotorik bei symptomatischen Huntington-Genträgern waren bisher nur mit der PET möglich (z. B. Boecker et al. 1999). Die kognitiven Dysfunktionen in frühen Stadien der Erkrankung umfassen vor allem Störungen des Problemlösens und Planens, des Gedächtnisses, visuospatialer Fähigkeiten sowie von Aufmerksamkeit und Sprache. In einer ersten fMRT-Studie zu kognitiven Leistungen bei Patienten mit Chorea Huntington wurden die PorteusLabyrinthe verwendet, bei denen jeweils ein Weg durch ein Labyrinth gefunden werden soll, ohne dass Fehler in Form von »Sackgassen« auftreten (Clark et al. 2002). Hierbei handelt es sich um eine kognitiv anspruchsvolle Aufgabe, die vorausschauendes Planen, Entwickeln, Testen und Bewerten von Lösungen voraussetzt. Die Chorea-Huntington-Patienten wiesen beim Lösen der Labyrinthaufgaben im Vergleich zu Kontrollpersonen verminderte Aktivierungen im Bereich des okzipitalen, parietalen, somatomotorischen Kortex und des Nucleus caudatus auf. Zusätzlich zeigten sich bei der Patientengruppe erhöhte Aktivierungen im linken postzentralen und rechten mittleren frontalen Gyrus. Nach Meinung der Autoren betreffen die veränderten Aktivierungsmuster bei Chorea Huntington solche Areale, die für die Labyrinthaufgaben typisch sind, wobei die erhöhte Aktivierung im mittleren frontalen Gyrus als möglicher Kompensationsmechanismus für Minderaktivierungen im Nucleus caudatus gedeutet wird. Allerdings beruhte diese Untersuchung nur auf einem sehr kleinen Patientenkollektiv von 3 Patienten. Weniger konsistente striatale Aktivierungen bei Huntington-Patienten in frühen Krankheitsstadien im Vergleich zu Kontrollen bei der Untersuchung von implizitem Lernen, d. h. unterbewusstem Lernen von Regeln in Assoziation mit einem geringeren klinischen Lerneffekt wurden als Hinweis für eine frühe funktionelle Dysfunktion infolge striataler Degeneration interpretiert (Kim et al. 2004). Bei Untersuchung einer Aufgabe, die das Abschätzen verschieden langer Zeitintervalle testet, zeigten präsymptomatische Patienten mit aus dem genetischen Befund errechneter baldiger motorischer Manifestation der Erkrankung gegenüber Kontrollen und solchen Patienten mit noch längerer vermuteter präsymptomatischer Phase nicht nur eine schlechtere Performance, sondern auch eine verminderte Aktivierung im Nucleus caudatus und Thalamus. Von der
425 27.5 · Chorea Huntington
motorischen Manifestation noch weiter entfernte Patienten zeigten demgegenüber bei unauffälliger klinischer Performance eine scheinbar kompensatorische medial präfrontale Überaktivität (Paulsen et al. 2004). In einer weiteren fMRT-Studie wurde die Wahrnehmung des Gesichtsausdrucks Ekel untersucht, die in klinisch-neuropsychologischen Studien sowohl bei Patienten in fortgeschrittenem als auch im präsymptomatischen Stadium beeinträchtigt ist (Hennenlotter et al. 2004). Neun präsymptomatische Huntington-Risikopersonen und 9 alters-, bildungs- und IQ gematchte Kontrollpersonen sahen während der fMRT-Untersuchung Blöcke des Gesichtsausdrucks Ekel und von neutralen Gesichtern. Im Anschluss an die fMRT-Untersuchung wurde der Test »Facial Expressions of Emotions: Stimuli and Test« (FEEST) durchgeführt, der sich in der Forschung als Verfahren zur sensiblen Erfassung der Wahrnehmung emotionaler Gesichtsausdrücke bewährt hat. Im Einklang mit der gut belegten Rolle der anterioren Insel bei der Wahrnehmung des Gesichtsausdrucks Ekel, zeigte sich bei den Huntington-Risikopersonen im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen eine reduzierte Aktivierung im insulären Kortex (. Abb. 27.12). Zusätzlich wiesen die Huntington-Risikopersonen in Übereinstimmung mit vorherigen Untersuchungen ein selektives Defizit auf, den Gesichtsausdruck Ekel zu erkennen. Diese Ergebnisse legen nahe, dass die Dysfunktion der anterioren Insel das neuronale Korrelat für das klinische Defizit der Huntington-Patienten darstellt, den Gesichtsausdruck Ekel zu erkennen. Ebenfalls in einem motorisch präklinischen Stadium untersuchte eine weitere Studie Huntington-Patienten im Vergleich zu Kontrollen abhängig von der Durchführung einer sog. Interferenzaufgabe, die nicht automatisiertes und flexibles Antwortverhalten testet (Reading et al. 2004). Hierbei zeigten die Patienten bei vergleichbarer klinischer Leistung im Verleich zu gesunden Kontrollen eine signifikante Unteraktivität im Bereich des anterioren zingulären Kortex, der funktionell eng mit der Durchführung dieser Aufgabe verknüpft ist. Diese Studie belegt erneut, dass funktionelle neuronale Veränderungen bei der Hunting-
ton-Erkankung bereits vor Ausbruch der motorischen Symptome nachweisbar sind. Die Autoren interpretierten die Ergebnisse im Sinne einer Dysfunktion der kortikostriatalen zingulären Schleife bei präsymptomatischen Huntington-Genträgern. Die Huntington-Erkrankung wurde auch als Modellkrankheit für eine Dysfunktion des Nucleus caudatus bei der Untersuchung einer räumlichen Orientierungsaufgabe mittels fMRT eingesetzt (Voermans et al. 2004). Eine derartige Aufgabe beansprucht verschiedene miteinander funktionell verknüpfte und interagierende Gedächtnisbzw. Lernsysteme im Bereich der Basalganglien, vor allem des Nucleus caudatus einerseits sowie des medialen Temporallappens, vor allem des Hippocampus andererseits. Während Patienten mit einer frühen oder präklinischen Huntington-Erkrankung unabhängig von ihrem kognitiven Score klinisch eine unauffällige und zu Kontrollen vergleichbare Leistung bei der räumlichen Orientierungsaufgabe zeigten, fanden die Autoren eine signifikante Unteraktivierung im Bereich des rechten Nucleus caudatus bei Patienten. Diese korrelierte negativ mit dem Schweregrad der allgemeinen kognitiven Einschränkung. Demgegenüber fand sich eine Überaktivität bei Huntington-Patienten im Bereich des rechten Hippocampus, die positiv mit dem Schweregrad der kognitiven Einschränkung korrelierte. Um direkt die Interaktion zwischen Nucleus caudatus und Hippocampus darzustellen, wurden zusätzlich sog. psychophysiologische Interaktionen berechnet. Hierbei fand sich eine stärkere Korrelation der Aktivierungen von rechtem Nucleus caudatus und Hippocampus bei gesunden Kontrollen im Vergleich zu Patienten. Die Autoren interpretierten ihre Ergebnisse im Sinne einer nonkompetitiven Interaktion dieser 2 Gedächtnissysteme. Hier scheint der Hippocampus bei Huntington-Patienten für das funktionelle Defizit im Bereich des Nucleus caudatus zu kompensieren und damit eine annähernd normale klinische Performance im Frühstadium der Erkrankung zu ermöglichen.
. Abb. 27.12. Verminderte Aktivierung der Insel im Vergleich zu normalen Kontrollpersonen bei motorisch asymptomatischen Huntington-Genträgern während der Betrachtung von Gesichtern, die Ekel
ausdrücken, im Vergleich zu affektiv neutralen Gesichtern (Hennenlotter et al. 2004)
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Kapitel 27· Bewegungsstörungen
! Falls jemals eine Behandlung zur Beeinflussung des Verlaufs der Huntington-Erkrankung zur Verfügung stehen sollte, könnte der Nachweis früher nicht-motorischer Veränderungen mit fMRT in der Zukunft deren frühestmöglichen Einsatz bewirken. Kognitive Defizite könnten als frühe Hinweise auf neuronale Dysfunktion in Frühstadien der Erkrankung dienen und das Erkennen der Erkrankung vor Ausbruch motorischer Symptome erleichtern.
Zusammenfassung und Ausblick
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Verglichen mit den vielen Arbeiten zu grundlegenden neuropsychologischen Fragestellungen mit Untersuchungen bei gesunden Freiwilligen und in jüngerer Zeit auch bei psychiatrischen Patienten, ist mit fMRT im Bereich der Bewegungsstörungen bisher immer noch relativ wenig gearbeitet worden. Die meisten Publikationen basieren in erster Linie auf vorangegangenen PET-Arbeiten. Es bleibt zu berücksichtigen, dass sich bei fMRT-Untersuchungen gerade von bewegungsgestörten Patienten im Vergleich zu PET häufig praktische Probleme ergeben. Das liegt in erster Linie am eingeengten und geschlossenen MRT-System, das bei vielen Patienten per se unwillkürliche Bewegungen hervorrufen kann, an der Lautstärke während der Untersuchungen und nicht zuletzt an der im Vergleich zum PET höheren Empfindlichkeit der fMRT für Bewegungsartefakte. Allerdings ist bei dem wesentlichen Vorteil der vollkommenen Nichtinvasivität und dem Potenzial von unbegrenzten Verlaufsuntersuchungen, der breiten Verfügbarkeit von Kernspintomographen mit einer zunehmenden Anwendung von fMRT und pharmaMRT zur Erforschung der Ätiopathogenese und pharmakologischer Mechanismen bei Bewegungsstörungen zu rechnen. Für bestimmte Fragestellungen – wie beispielsweise die Evaluierung von implantierten tiefen Hirnelektroden mit Impulsgeneratoren und Hyperkinesen mit Beteiligung kranialer oder zervikaler Regionen – wird PET bis auf weiteres aber schwer zu ersetzen sein. Auf der anderen Seiten konnte die hohe zeitliche Auflösung im Rahmen ereigniskorrelierter Untersuchung, ein großer Vorteil der fMRT im Vergleich zu PET, in Studien zu den modulierenden Effekten dopaminerger Medikation bei Parkinson-Patienten und zur Untersuchung der kortikalen Aktivierung bei Dystonie eingeführt werden. Mit speziellen sog. »Sparse-sampling«fMRT-Techniken gelang es, einige Probleme bei der Untersuchung von Patienten mit orofazialen Bewegungsstörungen im fMRT zu umgehen. Vor allem auch der Nachweis subtiler, klinisch oft schwer zu diagnostizierender nicht-motorischer Symptome und ihrer funk6
tionellen Korrelate in der fMRT könnte in Zukunft als eine Art früher neurobiologischer Marker dienen. Dies würde z. B. eine Kontrolle des Krankheitsverlaufs oder des Einflusses von Therapien auf diesen Verlauf in frühen Stadien vor Ausbruch der motorischen Symptome ermöglichen.
27.6
Literatur
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427 27.6 · Literatur
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27
28 28
Aphasie M. Grande, W. Huber
28.1
Einführung – 430
28.2
Lokalisation von sprachlichen Funktionen – 431
28.3
fMRT-Studien zu Aphasie – 431
28.3.1 28.3.2 28.3.3
Aktivierung der ungeschädigten rechten Hemisphäre – 432 Aktivierung der geschädigten linken Hemisphäre – 434 Einfluss von Sprachtherapie – 436
28.4
Literatur – 441
430
Kapitel 28 · Aphasie
4 Broca-Aphasie und 4 amnestische Aphasie.
)) AAphasien sind erworbene Sprachstörungen, die als Folge einer Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS) auftreten. Betroffen sind die sprachrelevanten Areale (»Sprachzentrum«), die bei über 90% der Menschen an die seitliche Hirnfurche der linken Großhirnrinde angrenzen (perisylvische Region). Aphasien betreffen alle Modalitäten (Sprechen, Verstehen, Lesen und Schreiben) und alle Anteile des Sprachwissens (Lexikon, Syntax, Morphologie und Phonologie), wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Es finden sich charakteristische Kombinationen von Symptomen, die als klinische Aphasiesyndrome beschrieben werden. Aphasien sind Sprachstörungen, keine Denkstörungen.
28.1
Einführung
Ätiologie. Die häufigsten Ätiologien sind im Erwachsenenalter Schlaganfälle (rund 80% der Aphasien), im Kindes- und Jugendalter Schädel-Hirn-Verletzungen durch Unfälle.
28
Einteilung. Nach Abschluss der Akutphase lassen sich
4 große Standardsyndrome beschreiben (Huber et al. 2002): 4 globale Aphasie, 4 Wernicke-Aphasie,
Neben den Standardsyndromen werden noch die 4 Leitungsaphasie sowie die 4 transkortikale Aphasie unterschieden. Klinik. Für die klinische Aphasiediagnostik wird im deutsch-
sprachigen Raum vorwiegend der Aachener Aphasie-Test (AAT, Huber et al. 1983) verwendet. Den unterschiedlichen aphasischen Syndromen entspricht eine differenzielle Lokalisation der Läsion in der sprachdominanten Hemisphäre. Ohne die klassische Zentrenlehre im engeren Sinne zu bestätigen, finden sich typische Lokalisationen für die einzelnen Syndrome. Bei einer globalen Aphasie ist meist das gesamte Versorgungsgebiet der A. cerebri media betroffen, bei einer Wernicke-Aphasie das hintere und bei einer Broca-Aphasie das vordere Media-Versorgungsgebiet (Willmes u. Poeck 1993). Im klinischen Verlauf ergeben sich Variabilität und Syndromwandel. Beispielsweise ist die BrocaAphasie häufig eine Rückbildungsform der globalen Aphasie. Daraus ergibt sich eine Variabilität in der Lokalisation der Aphasie-Syndrome, insbesondere wenn das Verlaufsstadium nicht streng kontrolliert wird. Die Faktoren für Art und Ausmaß der sprachlichen Rückbildung sind wenig bekannt.
Box 28.1. Leitsymptome der Aphasien 5 Sprachautomatismus: Mehrfach wiederkehrende, formstarre Äußerung, die aus neologistischen Silbenabfolgen, beliebigen Wörtern oder Phrasen besteht, die weder lexikalisch noch syntaktisch in den sprachlichen Kontext passt und die der Patient gegen die vom Gesprächspartner erwartete Intention hervorbringt. Leitsymptom der globalen Aphasie. 5 Agrammatismus: Kurze, einfache Sätze mit häufigem Fehlen von Funktionswörtern und Flexionsformen. Leitsymptom der Broca-Aphasie. 5 Paragrammatismus: Komplex angelegter Satzbau mit häufigen Satzverschränkungen und Satzteilverdoppelungen sowie falschen Funktionswörtern und Flexionsformen. Leitsymptom der Wernicke- und der Broca-Aphasie. 5 Paraphasie, phonematische: Lautliche Veränderung eines Wortes durch Ersetzung, Auslassung, Umstellung oder Hinzufügung einzelner Laute. Leitsymptom der Wernicke-Aphasie und der Broca-Aphasie.
5 Paraphasie, semantische: Fehlerhaftes Auftreten eines Wortes der Standardsprache, das zum Zielwort entweder eine bedeutungsmäßige Ähnlichkeit aufweist oder grob davon abweicht. Leitsymptom der WernickeAphasie. 5 Wortfindungsstörung: Stocken im Sprachfluss bzw. Satzabbruch, wobei dem Patienten offensichtlich ein bestimmtes Wort nicht zur Verfügung steht. Leitsymptom der amnestischen Aphasie. 5 Dysarthrie: Störung der Sprechmotorik, bei der die Ausführung von Sprechbewegungen beeinträchtigt ist. Häufiges Begleitsymptom der globalen und der BrocaAphasie. 5 Sprechapraxie: Störung der Sprechmotorik, bei der die Programmierung von Sprechbewegungen betroffen ist. Häufiges Begleitsymptom der globalen und der Broca-Aphasie.
431 28.3 · fMRT-Studien zu Aphasie
28.2
Lokalisation von sprachlichen Funktionen
Die Lokalisation der Aphasiesyndrome spiegelt nur bedingt die funktionelle Architektur der Sprache wider. Benachbarte anatomische Gebiete, die wegen ihrer gemeinsamen Vaskularisation betroffen sind, haben nicht notwendigerweise gemeinsame Sprachfunktionen (Poeck 1983). Andererseits ist davon auszugehen, dass komplexere Sprachfunktionen über mehrere kortikale Areale verteilt sind bzw. sich in neuralen Netzen abbilden (7 Kap. 20). Werden diese nur teilweise geschädigt, dann kann es zu Substitution oder Kompensation von Funktionen kommen. Deshalb ist die Zuordnung der aphasischen Syndrome und mehr noch der einzelnen Symptome zu eng umschriebenen Arealen der perisylvischen Region nach wie vor umstritten. Hier können bildgebende Untersuchungen sowohl bei Sprachgesunden als auch bei Aphasikern Aufschluss geben. Es ist zu erwarten, dass sich die seit der klassischen Aphasieforschung bestehenden Unsicherheiten in der Zuordnung von aphasischem Symptom zu normaler Funktion aufklären lassen.
Box 28.2. Das klassische Zuordnungsproblem Bereits Hughlings Jackson (1879) verwies auf ein methodisches Problem der sog. Defizittheorie der Aphasien. In der Defizittheorie wird angenommen, dass aphasische Symptome gestörte normale Sprachfunktionen widerspiegeln. Daraus würde folgen, dass die zugrunde liegende Schädigung das neurale Substrat der normalen Funktion darstellt. Diese Schlussfolgerung ist jedoch problematisch, solange es keine eigene Evidenz für die Lokalisation der normalen Funktion gibt, denn das aphasische Symptom könnte auch durch Kompensations- oder Substitutionsvorgänge entstanden sein und somit nicht die normale Sprachfunktion widerspiegeln.
Im Verlauf der kindlichen Hirnreifung kommt es zur Ausbildung der Sprachdominanz in der linken Hemisphäre, die auf verschiedenen sprachrelevanten Arealen beruht. Diese Areale sind um die Fissura lateralis Sylvii angeordnet und umfassen die angrenzenden Hirnwindungen des Frontal-, Temporal- und Parietallappens sowie die Inselrinde und das unter den genannten Hirnrindenarealen liegende Marklager. Auch die Basalganglien erfüllen sprachrelevante Funktionen (Kertesz u. Wallesch 1993). Alle diese Gebiete liegen im Versorgungsgebiet der linken A. cerebri media. Verallgemeinernd spricht man deshalb vom »perisylvischen Sprachzentrum« (Huber u. Ziegler 2000). Wesentliche Teile sind das Broca- und das Wernicke-Areal, die klassischen »Sprachzentren«. Die sprachliche Spezialisierung des Gehirns dürfte genetisch festgelegt sein, denn das Sprachzentrum liegt nur
bei 1–2% aller Menschen in der rechten Hirnhälfte und bei weiteren 1–2% in beiden Hemisphären (Hartje 2002). Diese Ausnahmen finden sich vorwiegend bei Linkshändern. Rund 60% der Linkshänder haben allerdings das Sprachzentrum ebenso wie nahezu alle Rechtshänder in der linken Hemisphäre. Kommt es bei eindeutig rechtshändigen Patienten nach einer rechtshirnigen Schädigung zu einer Aphasie, spricht man von einer »gekreuzten Aphasie«. Die dabei auftretenden Sprachstörungen sind ähnlich variabel wie nach einer linkshirnigen Schädigung. Ihr Verlauf ist meist günstig, was durch eine stärkere bilaterale Sprachrepräsentation erklärt wird. Die Hemisphärendominanz für Sprache scheint sich im Verlauf der Hirnreifung aus elementaren bilateralen Sprachfunktionen, der sog. Protosprache, zu entwickeln (Corballis 1991; Springer et al. 2000). Die Protosprache ist ein universales, möglicherweise angeborenes System, das die basale Bildung von sprachlichen Zeichen, deren referenzielle Verwendung und lineare Verknüpfung ermöglicht. Diese frühen protosprachlichen Funktionen scheinen nach Schädigung des Sprachzentrums als Fähigkeiten der rechten Hemisphäre erhalten zu bleiben und dem pathologisch reduzierten Wissen von Syntax und Grammatik zugrunde zu liegen. Das Korrelat der Ausprägung von Sprachdominanz ist die Fähigkeit, formal hochkomplexe, rekursive Muttersprachsysteme weitgehend unbewusst zu erwerben und Sprache rapide und automatisiert multimodal zu verarbeiten. Dennoch bleiben nach abgeschlossener Hirnreifung und vollständiger Ausprägung der Sprachdominanz elementare und eher ganzheitliche Protosprachfunktionen in der nichtdominanten rechten Hirnhälfte verfügbar. Belege hierfür finden sich zum einen in der Forschung zu »Splitbrain«-Patienten (Zaidel 1998), zum anderen aufgrund von Untersuchungen von hirnorganisch gesunden Menschen bei gesichtsfeldabhängiger und dichotischer Reizdarbietung (Davidson u. Hugdahl 1994). Bei vollständiger Schädigung des Sprachzentrums können diese Funktionen auch im Erwachsenenalter einen – wenn auch meist begrenzten – Wiedererwerb der verlorenen Muttersprache ermöglichen.
28.3
fMRT-Studien zu Aphasie
Inzwischen liegen mehrere fMRT-Studien zu Sprachverarbeitung bei Aphasie vor. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass immer nur versucht wurde, normale sprachliche Funktionen bei Aphasikern zu untersuchen, z. B. das Aktivieren von Wortbedeutungen. Demgegenüber gibt es bisher keine Vorschläge, wie aphasische Symptome – z. B. die Produktion von Paraphasien oder Sprachautomatismen – speziell untersucht werden können. Außerdem muss bei der Diskussion von fMRT-Studien zu Aphasie berücksichtigt werden, dass bei Aphasikern nur eine begrenzte Auswahl an Aufgaben zur Verfügung steht.
28
432
Kapitel 28 · Aphasie
Insbesondere Aufgaben zu Grammatik und Satzbau sind häufig zu schwierig, um von den Patienten im fMRT im untersuchungstechnisch vorgegebenen Zeitrahmen bearbeitet zu werden. Daher sind in den meisten Untersuchungen, die spezifischen linguistischen Fragestellungen nachgehen, Aufgaben verwendet worden, die den Zugriff auf Wortdeutungen, nicht auf Wortformen oder gar deren grammatische Eigenschaften verlangen. Häufig werden allerdings recht unspezifische sprachliche Aufgaben gestellt, so z. B. das Hören eines Textes oder das Aufsagen einfacher Reihen wie z. B. Zahlen oder Monate. Insgesamt ist es bisher nur in Ansätzen gelungen, Störungen der funktionellen Architektur der Sprache und deren Reorganisation im Verlauf einer Aphasie aufzudecken.
28.3.1
Aktivierung der ungeschädigten rechten Hemisphäre
Koaktivierung und Kompensation
28
Der Aktivierung von sprachlichen Funktionen in der rechten Hemisphäre wird für die Rückbildung von Aphasien eine bedeutende Rolle zugeschrieben. Erstmals konnten Weiller et al. (1995) dies in einer PET-Aktivierungsuntersuchung zeigen. Es wurde eine Gruppe von männlichen rechtshändigen Patienten mit nahezu vollständig zurückgebildeter Wernicke-Aphasie untersucht. Verlangt wurde das rasche gedankliche Generieren von Verben zu vorgesprochenen Nomina. Dabei zeigte sich, dass die zum Broca- und Wernicke-Areal homologen Areale der rechten Hemisphäre bei den Patienten stärker aktiviert wurden als bei einer hirnorganisch gesunden Kontrollgruppe (. Abb. 28.1). In der linken Hemisphäre fanden sich wie bei den Kontrollprobanden Aktivierungen im intakt gebliebenen BrocaAreal sowie im angrenzenden dorsolateralen präfrontalen Kortex. Insgesamt zeigte sich das folgende Muster: Die in der linken Hemisphäre erhalten gebliebenen sprachrelevanten Areale wurden aktiviert, allerdings mit einer Koak-
tivierung in der rechten Hirnhälfte. Diejenigen sprachrelevanten Areale, die durch den Infarkt zerstört sind – also in der vorliegenden Studie das Wernicke-Areal – wurden funktionell durch homologe Areale in der rechten Hemisphäre ersetzt. Berücksichtigt man die initial sehr schweren Aphasien bei diesen Patienten, so ist zu vermuten, dass sowohl die links- als auch die rechtshemisphärischen Aktivierungen das Resultat einer mehrfachen funktionellen Reorganisation des Sprachsystems sind. Diese entwickelte sich im Verlauf der monate- bis jahrelangen Rückbildung der Aphasie. Bei sehr großen Läsionen, die alle sprachrelevanten Areale der linken Hemisphäre umfassen, finden sich erwartungsgemäß ausschließlich rechtshemisphärische Aktivierungen. Beispielsweise fanden Specht et al. (1998) bei einem Patienten mit ausgedehntem linkshemisphärischem Infarkt und gemischt-transkortikaler Aphasie sowohl beim Nachsprechen als auch beim Benennen ausschließlich rechtshemisphärische Aktivierungen. Ähnliche Muster zeigten sich in der Untersuchung von Cao et al. (1999). Die Ergebnisse betonen eine positive Korrelation zwischen funktioneller Rückbildung und bilateralen im Gegensatz zu ausschließlich rechtshemisphärischen Aktivierungen. Untersucht wurden 7 Patienten mit linkshemisphärischen Läsionen und gut zurückgebildeten Aphasien bei einer Dauer von mindestens 5 Monaten. Die Patienten sollten Strichzeichnungen still benennen. Die Aktivierungen fanden sich in erhaltenen Arealen auf der linken Seite und zusätzlich in Arealen der rechten Hirnhälfte, homolog sowohl zu erhaltenen als auch zu geschädigten Arealen der linken Hirnhälfte. Bei umfassender Schädigung eines Areals war nur dessen rechtshemisphärisches homologes Areal aktiviert. Bei einzelnen Patienten zeigten sich jedoch ausschließlich rechtshemisphärische Aktivierungen bzw. es wurden nicht-geschädigte Areale der linken Hirnhälfte nicht aktiviert. Diese Patienten zeigten im Vergleich die schlechteste Rückbildung.
. Abb. 28.1. Aktivierungen während einer wortsemantischen Aufgabe bei Patienten mit gut zurückgebildeter Wernicke-Aphasie projiziert auf ein SPM-Standardgehirn (Weiller et al. 1995)
433 28.3 · fMRT-Studien zu Aphasie
Box 28.3. Aktivierungsparadigma »Verbgenerieren« (Weiller et al. 1995) 5 Zielsetzung: Untersuchung der Wortaktivierung nach semantischen Kriterien bei Kontrolle der auditivphonologischen Wortverarbeitung. 5 Bedingungen: – A: Verbgenerieren, z. B. »bellen«, »beißen«, »laufen« auf den Stimulus »Hund« – B: Pseudowort (z. B. Stahn, Hürtel) innerlich wiederholen – C: Ruhe: Probanden sind aufgefordert, »an nichts zu denken« 5 Durchführung: Blockdesign, auditive Darbietung, 1 Stimulus pro 6 s, 30 Stimuli pro Bedingung, Abfolge: CBAABC. 5 Linguistische Annahmen: Pseudowörter haben mögliche Lautstrukturen der Sprache, sind aber nicht
Weitere Evidenz für bilaterale Rückbildungsmuster erbrachte eine Studie von Rosen et al. (2000). Sie untersuchten 6 chronische Patienten mit links inferior frontalen Läsionen ebenfalls mit einer Verbgenerierungsaufgabe. Es zeigten sich vor allem Aktivierungen im rechten inferioren frontalen Kortex, d. h. dem Broca-Homolog. Zwei der Patienten zeigten zusätzlich links inferior frontale Aktivierungen im an das Infarkt-Areal angrenzenden Gewebe. Diese Patienten hatten kleinere Läsionen als der Rest der Gruppe und sie zeigten die beste Rückbildung. Dies passt gut zu dem oben formulierten Muster, wonach diejenigen Funktionen, die links ausfallen, durch rechtshemisphärische Aktivierung ersetzt werden und diejenigen Areale, die in der linken Hirnhälfte erhalten sind, links, aber auch rechts aktiviert werden. Semantisches Verarbeiten untersuchten Gold u. Kertesz (2000) bei einem aphasischen Patienten mit einer großen linkshemisphärischen Läsion, die sowohl das Broca- als auch das Wernicke-Areal umfasste, und einer Kontrollperson. Der Insult lag zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits 7 Jahre zurück. Im Vergleich zu einer orthographischen Kontrollaufgabe aktivierte das semantische Kategorisieren visuell dargebotener Wörter vorwiegend rechtshemisphärische Regionen und nur sehr schwach periläsionelle Gebiete auf der linken Seite. Gold u. Kertesz interpretierten den Beitrag der rechten Hirnhälfte zur funktionellen Rückbildung als aufgabenabhängig. Diejenigen Aufgaben, für die in der rechten Hemisphäre latent Fähigkeiten vorhanden seien, würden auch im Rückbildungsprozess stärker von rechtshemisphärischer Aktivierung abhängen, z. B. semantische Aufgaben. Dagegen würden bei Aufgaben, die auch im ungeschädigten Gehirn mehr auf Fähigkeiten der linken Hemisphäre beruhen, linkshemisphärische Kompensationsprozesse die entscheidende Rolle spielen. Stark links-lateralisierte Sprachfunktionen findet man in Aufgaben zu Satzstruktur und Grammatik (Indefrey et al. 2001; Longoni et al. 2001, 2004; Heim et al. 2003).
im mentalen Lexikon enthalten und deshalb nicht mit spezifischen Bedeutungen verknüpft. Die Aktivierung von realen Wörtern erfordert beides, lautstrukturelle (phonologische) und bedeutungsmäßige (semantische) Verarbeitung. Somit lässt sich das Netzwerk semantischer Funktionen aufdecken, indem man das Aktivierungsmuster bei Pseudowörtern vom Aktivierungsmuster beim Verbgenerieren abzieht. 5 Empirischer Befund: Nach Subtraktion zeigt sich typischerweise das semantische Netz der linken Hemisphäre. Bei umgekehrter Subtraktion zeigt sich eine Aktivierung des Wernicke-Areals, dem neuralen Substrat der vorlexikalischen phonologischen Verarbeitung.
Allerdings sind diese für aphasische Probanden bei den für das fMRT benötigten raschen Präsentationsraten zu schwierig, sodass die von Gold u. Kertesz vorgetragene Hypothese bisher nicht überprüft werden konnte.
Koaktivierung und Shift im Aphasieverlauf Thulborn et al. (1999) konnten einen Wechsel von bilateraler zu rein rechtshemisphärischer Aktivierung im Verlauf der Rückbildung zeigen. Sie untersuchten mit einer Satzverständnisaufgabe einen Patienten 76 h und 6 Monate nach Auftreten eines vorderen Mediainfarktes. Die Sätze wurden schriftlich dargeboten, sollten leise gelesen und inhaltlich beurteilt werden. Zum Zeitpunkt der ersten fMRT-Messung hatte sich die initiale expressive Sprachstörung bereits weitgehend zurückgebildet. Im Broca-Areal zeigte sich in der Umgebung der Läsion nur eine geringfügige Aktivierung, die im homologen rechtshemisphärischen Areal deutlich stärker ausgeprägt war. Bei der zweiten Untersuchung, 6 Monate später, war diese Aktivierung ausschließlich auf der rechten Seite zu beobachten. Im strukturell unbeeinträchtigten Wernicke-Areal zeigte sich bereits 76 Stunden nach dem Ereignis eine deutlich stärkere Aktivierung als im rechten Homolog. Dies war auch 6 Monate später der Fall. In dieser Studie zeigte sich also im Broca-Areal ein Shift von bilateraler zu rechtshemisphärischer Aktivierung, der mit einer überraschend guten Rückbildung der Sprachfunktionen einherging. Die Aphasie war flüchtig. Möglicherweise lag prämorbid eine bilaterale Sprachdominanz vor. Ebenfalls mit der Rückbildung im Akutstadium beschäftigt sich eine Einzelfallstudie von Riecker et al. (2002). Ein Patient wurde 4 und 35 Tage nach einem Basalganglieninfarkt mit funktioneller MRT untersucht, während er die Monatsnamen sowohl leise als auch laut aufzählte. Zum Zeitpunkt der ersten Untersuchung lag eine Dysarthrie vor, die sich zum Zeitpunkt der zweiten Untersuchung vollständig zurückgebildet hatte. Nach Subtraktion der Aktivie-
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Kapitel 28 · Aphasie
rungsmuster zeigte sich zum Zeitpunkt 1, 4 Tage nach dem Insult, eine Aktivierung im linken motorischen Kortex. 35 Tage nach dem Ereignis fand sich hingegen eine Aktivierung des rechten motorischen Kortex. Das bedeutet, dass sich auch hier, ähnlich wie in der Studie von Thulborn et al. (1999), eine Verschiebung der Aktivierung in die rechte Hirnhälfte zeigte. Offensichtlich beeinträchtigte die Basalganglienläsion die subkortikalen sprechmotorischen Kontrollschlaufen, was allmählich zu einer funktionellen Depression des linken motorischen Kortex führte. Dies wurde durch Funktionsübernahme des rechten motorischen Kortex kompensiert. Calvert et al. (2000) stellten in einer Einzelfallstudie eine Patientin mit einer Aphasiedauer von 5 Monaten vor. Die Patientin hatte eine links inferior frontale Läsion und zeigte neben periläsioneller Aktivierung ein großes Cluster aktivierter Voxel auf der gegenüberliegenden Seite im inferioren Frontalkortex. Auffällig war bei dieser Patientin insbesondere eine Aktivierung im extrastriären visuellen Kortex beidseits, die die Autoren nicht in einen direkten Zusammenhang mit der Bearbeitung der semantischen Entscheidungsaufgabe stellen. Stattdessen postulieren sie, dass hier im Vergleich zu Sprachgesunden andere kognitive Strategien zur Lösung der Aufgabe geführt haben. Diese Aktivierung spiegele also nicht – im strukturellen Sinn – kortikale Plastizität wider, sondern eine veränderte Lösungsstrategie.
28.3.2
Aktivierung der geschädigten linken Hemisphäre
Periläsionelle Aktivierungen Sprachliche Funktionen sind in der linken Hemisphäre nicht, wie man früher meinte, in einzelnen, eng umschriebenen Zentren organisiert, sondern in einem weit verteilten Netzwerk repräsentiert. Marshall (1984) nimmt an, dass bei normaler Funktion nicht alle zur Verfügung stehenden Neurone benötigt werden, sondern dass eine gewisse Redundanz besteht, die es dem geschädigten System ermöglicht, auch mit dem intakt gebliebenen Teil der Neurone bestimmte Funktionen weiter auszuführen. Je nach Größe der Läsion
findet sich am Rand des Infarktes immer noch genug erhaltenes Gewebe, das im Zusammenwirken mit anderen Anteilen des geschädigten Netzwerkes eine Aufrechterhaltung der sprachlichen Funktionen ermöglicht. Kommt es allerdings zu einem Penumbra-Effekt, nämlich zu einer funktionellen Schädigung des »im Schatten der Läsion« liegenden Randgewebes, dann ist eine Restitution ausgeschlossen. Die Möglichkeit einer periläsionellen Aktivierung wurde in mehreren fMRT-Untersuchungen überprüft. Zahn et al. (2002) untersuchten 2 Patienten mit auditivphonetischen, lexikalischen und semantischen Entscheidungsaufgaben. Beide Patienten erreichten innerhalb eines halben Jahres eine sehr gute Rückbildung der initialen transkortikal-sensorischen Aphasie. Bei beiden fanden sich vorwiegend linkshemisphärische, zum Teil periläsionelle Aktivierungen im Frontal- und Temporallappen. Die Autoren verglichen die Ergebnisse der beiden Patienten nicht nur mit denen einer Kontrollgruppe, sondern dokumentierten zusätzlich, wie viele der Kontrollprobanden in einer Einzelfallanalyse diejenigen Aktivierungen zeigten, die sie bei den Patienten gefunden hatten. Da alle Aktivierungen bei mindestens einer Kontrollperson aufgetreten waren, interpretierten sie ihre Befunde als Reaktivierung eines bereits bestehenden Netzwerkes (»redundancy recovery«) und nicht als Übernahme von Funktionen durch andere, nicht zum gleichen System gehörende Areale (»vicarious functioning«). Die Unterscheidung zwischen Rückbildung durch Redundanz und Rückbildung durch Ersatzfunktionen wurde erstmals von Marshall (1984) postuliert. Um diese Rückbildungsmechanismen bei großen linkshemisphärischen Schädigungen zu überprüfen, untersuchten die Autoren mit dem gleichen Paradigma 7 Patienten mit chronischer globaler oder schwerer Broca-Aphasie (Zahn et al. 2004). Trotz der ausgedehnten linkshemisphärischen Schädigungen zeigte sich bezüglich der Lateralisierung der Aktivierungen kein signifikanter Unterschied zur Kontrollgruppe. Mit Ausnahme eines Patienten wurden 70% der Aktivierungen in Regionen beobachtet, die auch bei den Kontrollpersonen aktiviert waren, insbesondere im extrasylvischen temporalen und im rechten posterior parietalen Kortex.
Box 28.4. Aktivierungsparadigma »semantische und lexikalische Entscheidungsaufgabe« (Zahn et al. 2002) 5 Zielsetzung: Untersuchung der semantischen Beurteilung von Wörtern bei Kontrolle der lexikalischen und auditiv-phonetischen Beurteilung von Wörtern. 5 Bedingungen: – A: Semantische Entscheidungsaufgabe: »Tier?«, z. B. »ja« bei »Adler«, »nein« bei »Marmor« – B: Lexikalische Entscheidungsaufgabe: »Wort?«, z. B. »ja« bei »Dach«, »nein« bei rückwärts abgespieltem Wort
– C: Auditiv-phonetische Entscheidungsaufgabe: »Sprache?«, z. B. »ja« bei rückwärts abgespieltem Wort, »nein« bei reinem Klang – D: Ruhebedingung 5 Durchführung: Blockdesign, auditive Darbietung, 1 Stimulus pro 3 s, 42 Stimuli pro Bedingung, 3 Durchgänge, Abfolge: CDCDCD BDBDBD ADADAD. 5 Linguistische Annahmen: Eine Einzelwortverarbeitung durchläuft 3 Ebenen. Zunächst werden Sprach6
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laute (im Gegensatz zu nicht-sprachlichen Klängen und Geräuschen) identifiziert. Dann erfolgt der Abgleich im mentalen Lexikon und schließlich wird die Wortbedeutung aktiviert. Durch Subtraktion können diese 3 Ebenen separiert werden. Die am stärksten komplexe Verarbeitung ist jedoch nicht einfach die Summe der einfacheren Verarbeitungsschritte. Beispielsweise könnte semantisches Entscheiden mehrfachen Abgleich im mentalen Lexikon erfordern, sodass nach Subtraktion der Aktivierung beim lexika-
Dynamische Fernwirkungen Price et al. (2001) führten den Begriff der »dynamic diaschisis« ein, um den aufgabenspezifischen Effekt einer Läsion auf zum Teil weit entfernt liegende, nicht von der Läsion betroffene Areale zu beschreiben. > Definition Diaschisis im klassischen Sinn bezeichnet generelle Fernwirkungen einer Läsion auf intakte Hirnareale. Die dynamische Diaschisis tritt demgegenüber nur bei bestimmten kognitiven oder sprachlichen Anforderungen auf.
Price und Mitarbeiter fanden bei einem Patienten mit links inferior frontaler Läsion beim Lesen ein Ausbleiben der auf Grund der Ergebnisse der Kontrollgruppe erwarteten links inferior temporalen Aktivierungen, obwohl diese Region strukturell unbeeinträchtigt war. Bei einer semantischen Entscheidungsaufgabe dagegen zeigte genau diese Region Aktivierungen, die denen der gesunden Probanden entsprachen. Die Autoren interpretierten dies als Hinweis darauf, dass die betreffende temporale Region während des Lesens auf Informationen aus frontalen Arealen angewiesen ist, dass sie aber bei einer semantischen Entscheidungsaufgabe die erforderlichen Informationen aus temporoparietalen Arealen erhält, d. h. dass sich die Läsion des BrocaAreals je nach Aufgabenstellung auf ein entfernt liegendes Areal unterschiedlich auswirken kann.
Linkshemisphärische Aktivierung im Aphasieverlauf Erstmals zeigten Heiss und Mitarbeiter, dass anhaltende rechtshemisphärische Aktivierungen eher mit einer langsamen und unvollständigen Rückbildung korreliert sind. Bei rascher und vollständiger Rückbildung kommt es nur zu einer temporären rechtshemisphärischen Aktivierung, die im weiteren Verlauf durch Aktivierungen in der geschädigten linken Hemisphäre abgelöst werden. Heiss et al. (1997) fanden einen Zusammenhang zwischen einem guten Rückbildungsverlauf (gemessen an Leistungen im Token-Test) und Aktivierungen im linken G. temporalis superior. Patienten mit schlechterem Outcome zeigten dagegen vorwie-
lischen Entscheiden auch noch rein lexikalische Anteile im Aktivierungsmuster enthalten sind. 5 Empirischer Befund: Nach Subtraktion zeigt sich typischerweise das semantische Netz der linken Hemisphäre. Lexikalisches Entscheiden aktiviert vor allem das Broca-Areal ohne angrenzenden präfrontalen Kortex. Auditiv-phonetisches Entscheiden aktiviert bilateral den auditorischen Kortex (Specht et al. 1998; Zahn et al. 2002).
gend rechtshemisphärische Aktivierungen. Karbe et al. (1998) und Heiss et al. (1999) sehen in der besseren Rückbildung bei Patienten mit linkshemisphärischer Aktivierung Hinweise auf eine Hierarchie innerhalb der funktionellen Rückbildungsprozesse. Sie nehmen an, dass die rechte Hirnhälfte nur dann rekrutiert wird, wenn linkshemisphärische Sprachareale dauerhaft zerstört sind und dort keine Reaktivierung möglich ist. Die Nutzung vorwiegend rechtshemisphärischer Areale bedeutet für die funktionelle Rückbildung grundsätzlich eine schlechtere Prognose. Gegen diese Auffassung sprechen die Befunde von Thulborn et al. (1999) und Riecker et al. (2002), die innerhalb des ersten Jahres bei guter Rückbildung zunehmende rechtshemisphärische Aktivierungen zeigten. Für die Auffassung von Heiss und Mitarbeitern spricht die Einzelfalluntersuchung von Hund-Georgiadis et al. (2000). Der Patient hatte eine gut zurückgebildete transkortikal-sensorische Aphasie nach Basalganglienblutung und wurde 2, 5 und 8 Monate nach dem Ereignis im fMRT untersucht. Der Patient sollte im Takt von 2 s Wörter leise lesen und entscheiden, ob sie eine konkrete oder abstrakte Bedeutung hatten – eine Aufgabe, die bei schwer gestörten Aphasikern nicht durchführbar wäre. Zum ersten Zeitpunkt, zu dem noch eine mittelgradige transkortikal-sensorische Aphasie vorlag, ließen sich Aktivierungen im rechten Wernicke- und Broca-Homolog beobachten. Drei Monate später zeigten sich Aktivierungen rechts im Broca-Homolog und links im Wernicke-Areal, zum letzten Untersuchungszeitpunkt, zu dem nur noch eine amnestische Aphasie beschrieben ist, waren neben dem Wernicke-Areal sowohl das Broca-Areal als auch dessen Homolog aktiviert. Hier zeigte sich eindeutig ein Wechsel der Aktivierungen von der rechten hin zur linken Hirnhälfte, zunächst für das Wernicke-Areal, später auch für das Broca-Areal, hier allerdings immer noch mit rechtsseitiger Koaktivierung. Interessant ist hierbei auch, dass die gesunden Kontrollprobanden keine Aktivierung des Wernicke-Areals gezeigt hatten, sodass möglicherweise auch diese Aktivierung kompensatorisch ist. Vermutlich war das linkshemisphärische sprachliche Netzwerk zunächst funktionell geschädigt, sodass es solange zu rechtshemisphärischer Kompensation kam, bis sich die linkshirnigen Sprachfunktionen wieder restituierten.
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Kapitel 28 · Aphasie
Auch Fernandez et al. (2004) interpretierten periläsionelle Aktivierungen im linken Temporallappen im Zusammenhang mit erhaltenen bzw. zurückgebildeten semantischen Fähigkeiten. Rechts-temporoparietale Aktivierungen homolog zu den geschädigten Arealen schreiben die Autoren erhöhten Anforderungen an das Arbeitsgedächtnis zu. Perani et al. (2003) ließen 6 Patienten mit mindestens 6-monatiger Aphasiedauer Wörter nach Vorgabe des Anlautes oder einer semantischen Kategorie bilden. Hierbei zeigten sich bei Anlaut-Vorgabe besonders dann gute Leistungen, wenn eine Aktivierung im Broca-Areal beobachtet werden konnte. Bei der Generierung von Wörtern nach semantischer Vorgabe war kein solch klarer Zusammenhang zur Aktivierung einer bestimmten Hirnregion zu beobachten, was die Autoren darauf zurückführen, dass hier neben den sprachrelevanten Arealen im engeren Sinne eine Reihe anderer, meist präfrontaler Gebiete eine Rolle spielen.
28.3.3
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Einfluss von Sprachtherapie
Bisher versuchten nur wenige Studien, das neurale Substrat von therapeutischen Stimulierungs- und Trainingseffekten aufzudecken. Dies ist methodisch schwierig, denn Art und Dauer des Trainings müssen strikt kontrolliert sein. Die Aktivierungen sollten vor und nach Behandlung registriert und die Therapieeffekte gegenüber reinen Wiederholungseffekten abgesichert werden. Belin et al. (1996) untersuchten mit PET 7 chronische Patienten mit nicht-flüssiger Aphasie (2 Patienten mit Broca-Aphasie, 5 Patienten mit globaler Aphasie) nach Abschluss einer längeren Behandlung mit melodischer Intonationstherapie (MIT). Die Behandlungsdauer variierte zwischen einem Monat und 9 Jahren, ohne dass vor Beginn der Behandlung eine Aktivierungsuntersuchung durchgeführt wurde. In der MIT wird mit Hilfe von melodischen Konturen und Rhythmus zunächst Sprechgesang, dann normales Sprechen angebahnt. Die Wirksamkeit der Methode wird auf kompensierende Funktionen der rechten Hemisphäre zurückgeführt (Albert et al. 1973). Überraschenderweise fand sich jedoch eine Aktivierung anterior zum geschädigten Broca-Areal, wenn die Patienten aufgefordert waren, Wörter im MIT-typischen Sprechgesang zu wiederholen. Neutral gesprochene Wörter aktivierten hingegen vor allem das Broca-Homolog der rechten Hemisphäre. Die Interpretation dieses Befundes ist uneindeutig, zumal Kontrollaktivierungen vor der Behandlung fehlen. Weitaus überzeugender ist die PET-Untersuchung von Musso et al. (1999). Die Autoren konnten zeigen, dass bereits kurzfristiges Training bei aphasischen Patienten Auswirkungen auf neurale Aktivierungsmuster hat. In 12 Messdurchgängen wurde die regionale Hirndurchblutung (rCBF) registriert, wobei jeweils das auditive Sprachverstehen in einfachen Aufgaben überprüft und trainiert wurde. Verbesserungen im Sprachverständnis korrelierten positiv
mit Änderungen im rCBF, insbesondere im rechten Gyrus temporalis superior und im linken Precuneus. Small et al. (1998) stellten eine Patientin mit einer großen links-frontotemporalen Läsion vor, die trotz guter Rückbildung der gesprochenen Sprache auch 17 Jahre nach dem Infarkt spezifische Schwierigkeiten mit dem Lesen hatte. Es lag eine phonologische Dyslexie vor, d. h., Lesen war allenfalls ganzheitlich möglich, wohingegen die einzelheitliche Zuordnung von Graphemen zu Lauten herausragend schwer gestört war. Es wurden fMRT-Messungen vor und nach einer intensiven 24-tägigen Therapie durchgeführt, in der gezielt das gestörte einzelheitliche Lesen geübt wurde. Zur Kontrolle von reinen Wiederholungseffekten fanden 2 fMRT-Messungen vor der Therapie statt, während derer Sätze gelesen und inhaltlich beurteilt werden mussten. In beiden Messungen zeigte sich unverändert eine Aktivierung im linken Gyrus angularis, einer Region, die auch bei gesunden Probanden häufig für das Lesen gefunden wird. Man vermutet, dass hier orthographisches Wortwissen (Sichtwortschatz) aktiviert wird. Nach dem intensiven Lesetraining wurde als wichtigstes Ergebnis eine Aktivierung im linken Gyrus lingualis berichtet, einem Areal, in dem Buchstaben als Grapheme identifiziert werden, also einzelheitliche Verarbeitung stattfindet. Somit zeigte diese theoretisch und methodisch differenzierte Einzelfalluntersuchung, dass auch in einem hochchronischen Stadium der Aphasie nach intensiver Sprachtherapie neurale Veränderungen auftreten können.
Gruppenstudie zur Sprachverarbeitung In einer kürzlich abgeschlossenen Gruppenuntersuchung (Drews et al., unveröffentlichte Daten) war die Zielsetzung, möglichst alle während der Sprachrehabilitation behandelten Patienten mit derselben Aufgabe zu untersuchen. Wir wählten eine einfache semantische Entscheidungsaufgabe, die in der Logopädie mit den Patienten eingeübt wurde. 4 Semantische Entscheidungsaufgabe (SEMAN): Im Scanner hörten die Patienten über Kopfhörer hintereinander im Abstand von 3 s ein- und zweisilbige Nomen, die alle belebte und nicht-belebte Objekte aus der Natur bezeichnen (z. B. Laub, Storch, …). Die Patienten wurden instruiert, nur dann eine Taste zu drücken, wenn das Wort ein Tier bezeichnete. Der Tastendruck wurde immer mit der linken Hand durchgeführt, da viele Patienten mit Aphasie auch eine rechtseitige Armlähmung haben. Wie stellt man sich die zugrunde liegenden Funktionen in einem Modell normaler Sprachverarbeitung vor? In . Abb. 28.2 wird die Entscheidungsfindung in einem Netzwerkmodell illustriert. Wortinformationen sind auf 3 Ebenen gespeichert. Der auditive Input wird zunächst als Kette von Sprachlauten (Phonemen) identifiziert. Dann wird der dazugehörige Eintrag im Speicher der Wortformen (Lexeme) aufgerufen. Die Bedeutung des Lexems ergibt sich aus
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. Abb. 28.2. Netzwerkmodell der Sprachverarbeitung (modifiziert nach Dell et al. 1997)
der anschließenden Aktivierung von semantischen Merkmalen des bezeichneten Sachverhalts. Die geforderte semantische Entscheidung kann durch unterschiedliche Strategien getroffen werden. Entweder verlässt sich die Versuchsperson ganz auf ihr Weltwissen und entscheidet sobald die aktivierten semantischen Merkmale mit dem Weltwissen über Tiere übereinstimmen. Oder zusätzliches Wortwissen wird aktiviert, nämlich dann, wenn die Entscheidung über eine innere Benennung mit dem Oberbegriff »Tier« herbeigeführt wird. In diesem Fall wird auf die Ebene der Lexeme zurück aktiviert. ! Diese theoretischen Überlegungen verdeutlichen, dass fMRT-Untersuchungen immer eine genaue Aufgabenanalyse erfordern, denn die Komponenten selbst einfacher Sprachaufgaben können zu weit verzweigten und sich überlappenden Aktivierungen im menschlichen Gehirn führen.
Will man in unserer Aufgabe den letzten Schritt, nämlich die semantische Entscheidung (SEMAN), isolieren, dann muss man geeignete Kontrollaufgaben entwickeln und gleichzeitig untersuchen. Wir wählten 2 Kontrollaufgaben: 4 Kontrolle des auditiven Erkennens von Sprachlauten (PHON): Die Patienten hörten im Scanner in zufälliger Reihenfolge Klänge und rückwärts abgespielte Stimuluswörter; sie sollten immer dann durch Tastendruck reagieren, wenn es sich um ein »Rückwärtswort« handelte. Im Modell wird hiermit die Aktivierung von Phonemen überprüft. 4 Kontrolle des Erkennens von Wortformen (LEX): Hier bestanden die Stimuli aus Rückwärtswörtern und realen Wörtern, wobei die Patienten aufgefordert waren, nur bei »richtigen Wörtern« zu reagieren. Im Modell findet diese Entscheidung auf der Lexemebene statt. In einer Untersuchung von nicht hirngeschädigten Probanden, die wie die aphasischen Patienten rechtshändig und im Mittel 53 Jahre alt waren (bei einem Altersbereich von 50– 72), führten diese Aufgaben theoriegemäß zu hierarchisch abgestuften Aktivierungen vorwiegend in der sprachdomi-
nanten linken Hemisphäre. Den Anteil der einzelnen Aufgaben kann man durch Subtraktionsanalysen ermitteln. Abgezogen wird die hierarchisch niedrigste Aufgabe, in unserem Fall das Aktivieren von Sprachlauten (PHON). Die Subtraktion bestätigt, dass die auditiv-phonetische Kontrollaufgabe in den beiden komplexeren Aufgaben vollständig eingeschlossen ist. Die Ausdehnung der Aktivierungen ist bei den komplexeren Aufgaben unterschiedlich. Nach Subtraktion aktiviert die lexikalische Aufgabe im Wesentlichen die klassischen Sprachareale, bei der semantischen Aufgabe kommen Areale außerhalb des perisylvischen Kortex hinzu. Wir führten jedoch zusätzlich eine »Conjunction«Analyse durch, um zu bestimmen, wie stark eine Aktivierung der Lexemebene auch bei der semantischen Anforderung beteiligt war. Wir ermittelten das semantisch-lexikalische Netzwerk nach folgender Formel: (SEMAN–LEX) + (SEMAN–PHON). Das Ergebnis zeigt . Abb. 28.3. Tatsächlich bleiben Anteile der klassischen Sprachareale weiter aktiviert, was zeigt, dass die semantische Aufgabe stärkere lexikalische Anforderungen enthält als die einfache Wortformaufgabe. Auch dies entspricht der Modellannahme, nämlich der Rückaktivierung in den Lexemspeicher (. Abb. 28.2).
Weitere Untersuchungen zum lexikalischsemantischen Netzwerk Ähnliche lexikalisch-semantische Netzwerke wurden bereits früher wiederholt berichtet, auch wenn einzelne Anteile fehlten oder hinzukamen. Die von uns gefundenen anatomischen Areale und die ihnen zugeschriebenen Funktionen sind: 4 perisylvischer Kortex (Wernicke- und Broca-Areal linkshirnig): lexikalische Analyse 5 extrasylvischer Kortex: 5 temporal beidhirnig: Objektbezogene konzeptuelle Analyse 5 okzipital linkshirnig: Bildvorstellungen (»imagery«) 5 präfrontaler Kortex beidhirnig: Suchfunktion und Arbeitsgedächtnis
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Kapitel 28 · Aphasie
. Abb. 28.3. Ergebnis der »Conjunction«-Analyse (SEMAN–LEX) + (SEMAN–PHON) projiziert auf das SPM99-Standardgehirn
Zusätzlich fanden wir eine Aktivierung des zingulären Kortex an der Innenseite des Frontalhirns; diese ist durch die allgemeine kognitive Anforderung bedingt. ! Bei Aphasie sind typischerweise die perisylvischen Anteile teilweise oder vollständig geschädigt, die extrasylvischen hingegen nur in Einzelfällen.
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Die generelle Fragestellung bei Rückbildung einer Aphasie lautet deshalb: Können verlorene Funktionen innerhalb des verbliebenen linkshirnigen lexikalisch-semantischen Netzwerks ersetzt werden oder ist Kompensation durch homologe Areale der rechten Hemisphäre notwendig? Wir untersuchten 10 aphasische Patienten, 9 Männer und eine Frau, im Alter von 29–73 Jahren (Median 53) mit einer Aphasiedauer von 2–63 Monaten (Median 8,5 Monate). Im Unterschied zur Analyse der Probanden war es wegen der Läsionen nicht sinnvoll, die Hirnbilder der Patienten zu normalisieren. (Die neueste Version des SPM-Programms lässt dies inzwischen zu.) Stattdessen wurden die Aktivierungen bei jedem einzelnen Patienten analysiert und das Ergebnis der »Conjunction«-Analyse auf die individuellen anatomischen MR-Schichten des Gehirns projiziert. Danach wurde die Lage der Aktivierungen anatomisch bestimmt und überprüft, ob sie einem der oben aufgeführten anatomischen Anteile des semantischen Netzwerkes zugeschrieben werden kann. Dieses Vorgehen nennt man »Regions-of-interest«(ROI)-Analyse; es wird durch 3 Beispiele veranschaulicht. In . Abb. 28.4 sieht man das Gehirn des 45-jährigen Patienten M. T. mit einer ausgedehnten Läsion im vorderen und mittleren Versorgungsgebiet der A. cerebri media. Das Broca-Areal ist also vollständig zerstört. Der Patient hatte initial eine globale Aphasie, die sich im Verlauf von 5 Jahren
zu einer Broca-Aphasie mit Telegrammstil und Sprechapraxie zurückgebildet hat. M.T. löste die Aufgaben im Scanner nahezu fehlerfrei. Seine Sprachregionen waren in unterschiedlichen Hemisphären aktiviert, rechts das Homolog zum Broca-Areal, links das Wernicke-Areal. Temporale Semantikaktivierungen fanden sich nur linksseitig in der hinteren mittleren Temporalwindung. Die okzipitalen Bildvorstellungen führten hingegen bilateral zu Aktivierungen. Der präfrontale Kortex war als Folge der Läsion nur im rechten Gehirn aktiviert, der zinguläre Kortex beidseitig. Somit waren im Gehirn des Patienten alle Anteile des semantischen Netzwerkes trotz der ausgedehnten Läsion aktivierbar, wenn auch in den vorderen Anteilen nur auf der rechten Seite. Bei den lexikalischen Funktionen war es im langjährigen Verlauf zu einer funktionellen Reorganisation mit Beteiligung beider Hemisphären gekommen. In . Abb. 28.5 ist das Gehirn des 48-jährigen Patienten K. H. dargestellt. Der Patient hatte ebenfalls vor 5 Jahren eine Basalganglienblutung erlitten. Kortikale Areale waren strukturell nicht betroffen, allerdings ist der linke perisylvische Kortex etwas mehr atrophiert als der rechte, was funktionelle Beeinträchtigungen zur Folge haben könnte, denn mit großer Wahrscheinlichkeit sind die neuralen Verbindungen zwischen Basalganglien und Kortex teilweise degeneriert. Bei K. H. liegt eine mittelgradige amnestische Aphasie vor. Bei der »Conjunction«-Analyse zeigten sich Aktivierungen in der linken Hemisphäre im Brocaund im Wernicke-Areal bzw. im angrenzenden Marklager. In der rechten Hemisphäre ließen sich Aktivierungen im okzipitalen Kortex sowie am Temporalpol beobachten. Präfrontale Areale waren in beiden Hirnhälften aktiviert, eine Aktivierung des zingulären Kortex zeigte sich dagegen nicht. Auch bei diesem Patienten sind einige Anteile des
. Abb. 28.4. Patient M.T., Ergebnisse der »Conjunction«-Analyse (SEMAN–LEX) + (SEMAN–PHON) projiziert auf die individuelle Anatomie
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. Abb. 28.5. Patient K.H., Ergebnisse der »Conjunction«-Analyse (SEMAN–LEX) + (SEMAN–PHON) projiziert auf die individuelle Anatomie
semantischen Netzwerkes nur in der rechten Hemisphäre aktiviert, obwohl links keine kortikale Läsion vorliegt. Die perisylvischen Areale sind allerdings wie bei den Sprachgesunden linksseitig aktiviert. Ähnliche Links-rechts-Aufteilungen des semantischen Netzes fanden wir vereinzelt auch bei sprachgesunden Kontrollpersonen (Zahn et al. 2002). Der 63-jährige Patient F. H. (. Abb. 28.6) hatte nach einem ausgedehnten Infarkt im mittleren und hinteren Mediaterritorium vor 2 Jahren eine globale Aphasie erlitten, die in leichterer Form immer noch vorliegt. Dennoch konnte er die Aufgaben im fMRT mit geringen Fehlerraten lösen. Es zeigte sich linkshemisphärisch eine Aktivierung im verbliebenen Marklager angrenzend zum Wernicke-Areal und im erhaltenen Broca-Areal. Präfrontal zeigten sich bilaterale Aktivierungen, auch das rechte Homolog zum BrocaAreal war aktiviert. Der zinguläre Kortex war ebenfalls aktiviert, ebenso der rechte okzipitale Kortex. Bei F. H. waren trotz ausgedehnter Läsion die erhalten gebliebenen Anteile des lexikalisch-semantischen Netzwerkes aktivierbar; im
Fall des Wernicke-Areals reichten Marklager-Reste. Die Aufgaben wurden von ihm weitgehend korrekt, jedoch mit starker Anstrengung gelöst, wie die bifrontalen und zingulären Aktivierungen zeigen. Offensichtlich besteht eine große Variabilität an Reorganisationsmustern, selbst bei sehr einfachen sprachlichen Aufgaben, wie die von uns untersuchten Entscheidungen über Wortform und Bedeutung. Dies kann 2 Gründe haben: Erstens, das individuelle Muster struktureller und funktioneller Läsionen ist entscheidend. Zweitens, auch in nicht geschädigten Gehirnen zeigen sich interindividuell variable Sprachaktivierungen. Vermutlich trifft beides zu. Bei Patienten wie Normalprobanden unserer Studie war die Variabilität beträchtlich, auch wenn erwartungsgemäß linkshemisphärische Aktivierungen vorherrschten. Beim derzeitigen Stand der Methodik wird man mögliche Gründe für die Variabilität nur durch sehr sorgfältig geplante Einzelfallstudien aufdecken können. Dabei muss zusätzlich die Dynamik des Aphasieverlaufs durch wiederholte Untersuchungen kontrolliert werden.
Box 28.5. Aktivierungsparadigma »Homonyme Finden« und »Gemeinsamkeiten Finden« 5 Zielsetzung: Untersuchung des Zugriffs auf Wortform- und auf Bedeutungswissen. 5 Bedingungen: – A: »Finde ein Homonym (ein Wort mit 2 unterschiedlichen Bedeutungen), dessen beide Bedeutungen zu den vorgegebenen Stimuli passen!«, z. B. »Schloss« zu »König« und »Schlüssel« oder »Mutter« zu »Vater« und »Schraube«
– B: »Finde eine Gemeinsamkeit zwischen beiden Stimuli!«, z. B. »Familie« bei »Vater« und »Kind« oder »Herrscher« bei »König« und »Fürst« – C: Kontrollaufgabe: Leises Lesen der 2 Stimuli , z. B. »Lehrling«, »Schlüssel« oder »Wort«, »König« 5 Durchführung: »Event-related«-Design, visuelle Darbietung, 1 Stimulus pro 12,5 s, 42 Stimuli pro Bedingung, 3 Durchgänge, Abfolge: CBA. 6
. Abb. 28.6. Patient F.H., Ergebnisse der »Conjunction«-Analyse (SEMAN–LEX) + (SEMAN–PHON) projiziert auf die individuelle Anatomie
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Kapitel 28 · Aphasie
5 Linguistische Annahmen: Die Suche nach einer Gemeinsamkeit aktiviert vorwiegend semantisches Wissen, während für das Finden eines Homonyms neben dem Zugriff auf semantisches Wissen der Abgleich verschiedener Wortformen notwendig ist.
Sprache und Handmotorik
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In einer Einzelfallstudie (Grande et al. 2003) untersuchten wir einen Patienten mit sehr gut zurückgebildeter Aphasie, dessen Läsion sich vom hinteren Gyrus temporalis medius in den Gyrus angularis und einen Teil des Gyrus supramarginalis erstreckt. In einer fMRT-Untersuchung wurde dem Patienten eine Aufgabe dargeboten, bei der eine Gruppe gesunder Probanden in genau dieser Region – nämlich im Gyrus supramarginalis und Gyrus angularis – eine Aktivierung gezeigt hatte (Weis et al. 2001). Die Aufgabe erforderte das Finden von Homonymen, das sind Wörter, die gleich geschrieben und gleich ausgesprochen werden, jedoch 2 unterschiedliche Bedeutungen haben. Der Proband bekam 2 Stimuli, die so ausgewählt waren, dass sie jeweils zu den beiden Bedeutungen eines Homonyms passten. Korrekt gelöste und ungelöste Homonyme wurden getrennt ausgewertet. In . Abb. 28.7 sind die Aktivierungen des Patienten R. M. während des korrekten Lösens der Homonymaufgabe dargestellt. 2 s nach Erscheinen der Stimuluswörter auf der Projektionsfläche zeigten sich zunächst linkshemisphärische bilaterale okzipitale sowie posterior parietale Aktivierungen. Diese stehen im Zusammenhang mit der visuellen Informationsaufnahme und dem beginnenden Aktivieren von semantischem Wissen. Bei den Normalpersonen findet
. Abb. 28.7. Aktivierungen des Patienten R.M. während des korrekten Lösens der Homonymaufgabe, oben 2 s, unten 8 s nach Beginn der Stimuluspräsentation, projiziert auf die individuelle Anatomie, links axiale Schichten, rechts koronare Schichten
5 Empirischer Befund: Sowohl bei der Suche nach einer Gemeinsamkeit als auch nach einem Homonym zeigt sich eine Aktivierung im Broca-Areal, beim Finden eines Homonyms ist zusätzlich der untere Parietallappen aktiviert (Weis et al. 2001).
sich gleichzeitig eine Aktivierung des Broca-Areals, was die semantisch geleitete Suche nach Wortformen anzeigt. Beim Patienten zeigte sich überraschenderweise keine Aktivierung des strukturell intakten Broca-Areals. Möglicherweise sind die Funktionen des Broca-Areals als Folge der Läsion in den hinteren Anteilen des perisylvischen Sprachareals reduziert (Diaschisis). Statt dessen findet sich eine auf den ersten Blick überraschende Aktivierung im linken primär motorischen Handareal. Mehrere Studien konnten jedoch belegen, dass ein enger funktioneller Zusammenhang zwischen Sprache und Handmotorik besteht (Hadar et al. 1998; Flöel et al. 2003; Meister et al. 2003), sodass anzunehmen ist, dass diese Aktivierung an der Kompensation sprachlicher Funktionen beteiligt ist. 8 s nach Beginn der Stimuluspräsentation sind in der linken Hemisphäre temporale und parietale Aktivierungen im direkt an das geschädigte Areal angrenzenden Gewebe zu beobachten. Diese periläsionellen Aktivierungen reichen offensichtlich aus, um erfolgreich die Wortformen von Homonymen zu aktivieren. Außerdem finden sich rechts präfrontale sowie bilaterale zinguläre Aktivierungen, die vermutlich den erhöhten Schwierigkeitsgrad der Aufgabe widerspiegeln. Fand der Patient in der Homonymaufgabe keine Lösung, zeigte sich genau wie bei den gesunden Probanden ein Aktivierungsmuster, das
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eher dem des Gemeinsamkeiten-Findens ähnelte. Das bedeutet, dass hier zwar die semantische Suche stattfand, der Zugriff auf Wortformwissen jedoch ausblieb. Insgesamt zeigte der Patient R. M. bei einer Aufgabe zur Wortformverarbeitung weitgehend den Normalprobanden entsprechende Aktivierungsmuster, einschließlich periläsioneller links-parietaler und temporaler Aktivierungen. Der Patient ist trotz seiner Läsion gut in der Lage, die verhältnismäßig schwierige Homonymaufgabe zu lösen. Neben den bei gesunden Probanden ebenfalls gefundenen Aktivierungen im lexikalisch-semantischen Netzwerk ist besonders eine Aktivierung der linken Handmotorik auffällig. Möglicherweise steht diese im Zusammenhang mit einem kompensatorischen Zugriff auf Wortformen im mentalen Lexikon als Ersatz für die von Diaschisis betroffenen Funktionen des Broca-Areals.
Zusammenfassung und Ausblick Zur Sprachverarbeitung bei Aphasikern liegen inzwischen mehrere fMRT-Studien vor. Dabei ging es jedoch immer um normalsprachliche Funktionen. Das Aufdecken neuraler Korrelate von aphasischen Symptomen gelang bisher noch nicht. Hier wäre es wichtig, ein geeignetes Paradigma zu entwickeln, um das Auftreten aphasischer Symptome wie z. B. Paraphasien im fMRT zu untersuchen. Auch neurale Entsprechungen von Therapieeffekten sollten weiter untersucht werden. Hier liegen bisher kaum Studien vor, die sowohl Art und Dauer der Therapie als auch den Therapieeffekt selbst ausreichend kontrollieren. Es besteht auf diesem Gebiet also noch weiterer Forschungsbedarf, zumal Lern- und Therapiestudien es ermöglichen könnten, Faktoren der funktionellen Reorganisation nach Hirnschädigung aufzudecken. Dies wäre von hoher Relevanz für die Entwicklung einer neurowissenschaftlichen Theorie der Aphasietherapie.
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28
442
Kapitel 28 · Aphasie
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29 29
Akalkulie K. Willmes, H.-C. Nuerk
29.1
Einführung – 444
29.2
Charakteristische Störungsmuster – 444
29.2.1 29.2.2
Störungen der Zahlenverarbeitung Störungen des Rechnens – 445
29.3
Kognitiv-neuropsychologische Akalkulieforschung – 445
29.4
Modellorientierte fMRT-Studien – 445
29.4.1 29.4.2
Dissoziation zwischen an Sprache oder an quantitative Größenrepräsentation gebundenen Funktionen – 445 Interpretation eines individuellen Patienten-Aktivierungsmusters – 447
29.5
Kortikale Plastizität – 448
29.6
Literatur – 449
– 444
444
Kapitel 29 · Akalkulie
)) In diesem Kapitel werden – orientiert an einem prominenten Verarbeitungsmodell für die Zahlenverarbeitung und das Rechnen – aufgrund einer Hirnschädigung erworbene oder entwicklungsbedingte Rechenstörungen behandelt. Exemplarisch wird demonstriert, wie man eine schlüssige Interpretation für das bei einer Patientin mit Akalkulie gefundene fMRT-Aktivierungsmuster geben kann, wenn man Kenntnisse über modellgeleitete Aktivierungsstudien bei gesunden Probanden, Informationen über die individuelle Hirnläsion und über das individuelle Beeinträchtigungsmuster zusammenführt.
29.1
Einführung
Seit der Prägung des Begriffs Akalkulie durch Henschen (1919) und der Etablierung von erworbenen Störungen der Rechenfähigkeit als eigenständigem Syndrom hat das Störungsbild eine weitgehende Ausdifferenzierung erfahren. Bereits Berger (1926) hat die primäre von der sekundären Akalkulie unterschieden, die durch Störungen der Aufmerksamkeit, des Lang- und Kurzzeitgedächtnisses, der Sprache sowie des Lesens bedingt ist.
29
> Definition Akalkulie bezeichnet Störungen im Umgang mit Zahlen und beim Rechnen als Folge einer erworbenen Hirnschädigung, die sich nicht nur in Testuntersuchungen, sondern auch bei vielen Verrichtungen im Alltag zeigen. Akalkulie als Störung oder Verlust der bereits erworbenen Rechenfähigkeit ist von der (Entwicklungs-) Dyskalkulie abzugrenzen, die eine von Kindheit an bestehende Rechenschwäche bezeichnet, bei der eine Teilleistungsschwäche im Rechnen bei ansonsten im Normalbereich liegenden Fähigkeiten und Fertigkeiten vorliegt.
Hécaen et al. (1961) haben eine viel beachtete Klassifikation in Alexie und Agraphie für Ziffern und Zahlen, räumliche Akalkulie und »anarithmétie« als eigentliche Rechenstörung eingeführt. Die Rechenstörungen sind von Boller u. Grafman (1985) noch einmal in Probleme mit dem Erinnern und Abrufen von rechnerischem Faktenwissen gegenüber Problemen im mathematischen Denken und Verständnis für die den Rechenoperationen zugrunde liegenden Konzepte ausdifferenziert worden. Im klassischen neuropsychologischen Zugang zum Verständnis verschiedener Aspekte dieser Störungen wurden anhand von Läsionsdaten (zuerst post mortem) mehrere kortikale Zentren postuliert, die mit verschiedenen Komponenten der Rechenfertigkeit in Verbindung stehen: 4 ein motorisches Zentrum in der linken dritten Frontalwindung, verantwortlich u. a. für das Zählen und die
lautsprachliche Produktion von Zahlwörtern sowie das Schreiben von Ziffern; 4 der Gyrus angularis und andere Teile des linken Parietallappens für die Steuerung des Lesens und Schreibens von Zahlen einschließlich des linken inferior parietalen Kortex für das Kopfrechnen. Henschen hat auch angenommen, dass bei großen linkshemisphärischen Läsionen die rechte Hemisphäre gewisse Rechenfunktionen übernehmen kann. In der Literatur sind frontale, temporale, parietale (intraparietaler Sulcus, Gyrus angularis), temporoparietale und parietookzipitale linkshemisphärische Läsionen als relevant bei Rechenstörungen angesehen worden, außerdem auch Regionen der rechten Hemisphäre und subkortikale Strukturen. Grafman (1988) stellt in seinem Überblick linkshemisphärische Läsionen im Bereich des Gyrus angularis als typisch für eine Akalkulie heraus.
29.2
Charakteristische Störungsmuster
Bereits Henschen hat herausgearbeitet, dass die Rechenfähigkeit eine komplexe Hirnfunktion ist, die sich auf die Zusammenarbeit verschiedener posteriorer Areale der linken Hemisphäre stützt. Diese vermutete modulare Organisation hat sich nachfolgend in einer Fülle von Einzelfallstudien mit (doppelten) Leistungsdissoziationen bestätigt (Übersicht z. B. Dehaene u. Cohen 1995; Claros Salinas u. Willmes 2000; Cipolotti u. van Harskamp 2001; Delazer u. Bartha 2001 mit Überblick für Aphasien). Die wichtigste Unterscheidung von Symptomen der Akalkulie bezieht sich darauf, ob sie auf eine sprachliche (aphasische) Symptomatik zurückführbar sind oder nicht.
29.2.1
Störungen der Zahlenverarbeitung
Akalkulie und Aphasie treten häufig assoziiert auf. Gestörte rezeptive wie expressive Zahlenverarbeitung in sog. Transkodierungsaufgaben (Überführen von Zahlen von einer Notation in eine andere, z. B. Schreiben von arabischen Zahlen nach Diktat, lautes Lesen von arabischen Zahlen, Umwandlung von geschriebenen Zahlwörtern in arabische Zahlen und umgekehrt) sind zwar häufig mit generellen Lese- und/ oder Schreibstörungen verbunden, können jedoch nicht in jedem Fall notwendig auf eine Sprachstörung zurückgeführt werden (Überblick z. B. bei Claros Salinas u. Willmes 2000; Delazer u. Bartha 2001; Willmes 2002). Darüber hinaus können selbst Probleme mit dem Lesen und Schreiben von Zahlen dissoziiert auftreten, wenngleich meistens beide Funktionen gemeinsam gestört sind. Eine eingeschränkte Zahlenmerkspanne, oft als Symptom rein sprachlicher Arbeitsgedächtnisstörungen beschrie-
445 29.4 · Modellorientierte fMRT-Studien
ben (obwohl Zahlen nicht nur sprachlich repräsentiert sind), führt zum Abbruch nach wenigen Ziffern beim Schreiben nach Diktat von mehrstelligen Zahlen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn sie ausschließlich aus von Null verschiedenen Ziffern zusammengesetzt sind. Räumlich-konstruktive Störungen können beim Schreiben von Zahlen mit eingebetteten Nullen zum Auslassen oder Hinzufügen von Nullen führen. Beispielsweise werden bei visuellem Hemineglekt häufiger beim (lauten) Lesen links stehende Ziffern ausgelassen.
29.2.2
Störungen des Rechnens
Neben selten berichteten isolierten Störungen in der Verarbeitung von Rechenzeichen sind besonders Störungen des arithmetischen Faktenabrufs (z. B. das kleine Einmaleins) von Störungen von Rechenprozeduren zu unterscheiden. Beide können mehr oder weniger selektiv betroffen sein (Überblick: Claros Salinas u. Willmes 2000). Eine wichtige zusätzlich eingeführte Unterscheidung ist die nach exaktem versus approximativem Rechnen (Dehaene et al. 1999), die ebenfalls isoliert beeinträchtigt sein können (Dehaene u. Cohen 1997). Exaktes Rechnen ist weitgehend an spezifisch sprachliche Repräsentationen in perisylvischen Regionen unter Einschluss links-inferior frontaler Regionen gebunden. Dabei ist Arithmetik eine noch nicht sehr alte kulturelle Leistung, die sich in ihrer Entwicklung auf fortschreitend verbesserte Notationssysteme für Zahlen stützte. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass eine Unterscheidung von vermutlich stärker sprachgebundenen Rechenarten wie der Multiplikation und kleinen Additionsproblemen vs. Subtraktions- und größeren Additionsproblemen zu treffen ist (Dehaene et al. 1999; Überblick bei Delazer u. Bartha 2001). Approximative Arithmetik hingegen ist nicht sprachgebunden und stützt sich vorwiegend auf Netzwerke im linken und rechten Parietallappen.
29.3
Kognitiv-neuropsychologische Akalkulieforschung
Plausible Erklärungen für beobachtete Störungsmuster bei Patienten waren erst mit der Entwicklung von detaillierteren kognitiv-neuropsychologischen Modellen der Zahlenverarbeitung und des Rechnens in den letzten 10–15 Jahren möglich (Überblick: Willmes 2006). Insbesondere das Triple-Code-Modell von Dehaene (Dehaene 1992; Dehaene u. Cohen 1995; Dehaene 2000 für dessen funktional-anatomische Einbettung) und seine Aktualisierung mit einer Ausdifferenzierung der parietal lokalisierten Teilfunktionen (Dehaene et al. 2003) haben die Akalkulieforschung maßgeblich beeinflusst. Wie in 7 Kap. 21 ausführlich dargestellt, unterscheidet es 3 wichtige mentale Repräsentationen von
Zahlen, auf die sich Prozesse der Zahlenverarbeitung und des Rechnens stützen. Je nach Aufgabenstellung können nach dem TripleCode-Modell 3 verschiedene Repräsentationssysteme involviert sein (vergleiche aber auch die teilweise revidierte und erweiterte Version des Modells von Dehaene et al. 2003): 4 ein System numerischer Quantität (oder Numerosität; Butterworth 1999), das eine nonverbale, semantische Repräsentation der Größe und Distanzrelationen zwischen Zahlen liefert (oft in der Metapher vom »mentalen Zahlenstrahl« ausgedrückt); 4 ein sprachliches System, in dem Zahlwörter lexikalisch, phonologisch und syntaktisch in ähnlicher Form wie Wörter generell repräsentiert sind; 4 ein visuelles System, mit dem Zahlen als Sequenzen arabischer Ziffern enkodiert werden können.
29.4
Modellorientierte fMRT-Studien
Bisher ist nur eine detaillierte fMRT-Einzelfallstudie zur Akalkulie publiziert worden (Cohen et al. 2000). Sie zeigt exemplarisch, wie eine Kombination aus modellbezogener, funktionell-anatomischer Erklärung für ein Störungsmuster in Verbindung mit Wissen über fMRT-Aktivierungsmuster aus Zahlenverarbeitungs- und Rechenstudien zu einer rationalen Planung einer fMRT-Studie beim einzelnen Patienten mit Akalkulie führen und bei einer plausiblen Interpretation des gefundenen Aktivierungsmusters hilfreich sein kann.
29.4.1
Dissoziation zwischen an Sprache oder an quantitative Größenrepräsentation gebundenen Funktionen
In der Studie von Cohen et al. (2000) handelt es sich um eine 55-jährige rechtshändige Patientin (ATH) mit initial vorhandener aber schnell ganz zurückgebildeter Hemiparese, Aphasie und Alexie mit Agraphie, die 2 Jahre nach dem Schlaganfall erneut untersucht wurde. Die strukturelle MR-Untersuchung zeigte eine Läsion, welche Teile der klassischen perisylvischen Sprachareale unter Ausschluss frontaler Areale umfasste: superiorer temporaler Gyrus, Teile des mittleren temporalen Gyrus, der Gyrus supramarginalis und die vordere Hälfte des Gyrus angularis waren betroffen. Vom intraparietalen Sulcus (IPS) waren der mediale Anteil und posteriore Anteile des lateralen Anteils nicht geschädigt (. Abb. 29.1). Ausgehend vom funktional-anatomischen Modell von Dehaene und Cohen (1995; 7 Kap. 21) kann man vermuten, dass die Patientin in allen weitgehend an Sprache gebundenen Aufgaben zur Zahlenverarbeitung und zum Rechnen
29
446
Kapitel 29 · Akalkulie
29
. Abb. 29.1. Koronare Schichten durch den hinteren Teil der Läsion der Patientin ATH: Der Pfeil deutet auf den linken intraparietalen Sul-
cus. Der Kortex tief innerhalb des IPS ist teilweise von der Läsion ausgenommen, insbesondere der mediale Anteil (Cohen et al. 2000)
deutliche Beeinträchtigungen zeigen sollte, nicht aber in Aufgaben, die sich weitestgehend auf eine nichtverbale semantische Repräsentation der Größe von Zahlen stützen. In der Sprachuntersuchung wurden deutliche aphasische Symptome, Schreibstörungen und Lesestörungen im Sinne einer mittelgradigen Tiefendyslexie beobachtet. Eine orientierende klinisch-neuropsychologische Untersuchung der Zahlenverarbeitungs- und Rechenfertigkeiten ergab im Sinne der Klassifikation von Hécaen eine Kombination aus Alexie und Agraphie für Zahlen sowie einer Rechenstörung im engeren Sinn schon bei einfachen Grundrechenaufgaben. Sie war in allen Aufgaben mit Zahlen in gesprochener oder geschriebener Form beeinträchtigt. In deutlichem Gegensatz dazu konnte die Patientin von jeweils 2 arabischen Zahlen sicher die größere auswählen und auch weitere Aufgaben, die quantitatives Zahlenwissen erfordern, viel besser lösen.
Im nächsten Schritt wurde dann diese Leistungsdissoziation ausführlicher mit experimentellen Aufgabenstellungen teilweise am PC mit Zeitmessung analysiert. Zusammenfassend zeigte ATH ganz vorwiegend nur dann Störungen, wenn Zahlen in einem sprachlichen Format kodiert werden mussten. Beim Rechnen gab es deutliche Unterschiede zwischen Subtraktion und Addition (wenige Fehler) gegenüber Multiplikation (viele Fehler), selbst wenn nicht nur die Aufgabenstellung, sondern auch die Lösung als arabische Zahl gegeben wurde. Diese Leistungsdissoziation (Deloche u. Willmes 2000) ist kompatibel mit der Modellvorstellung, dass Multiplikationsaufgaben stärker anhand gespeicherter verbaler Assoziationen zwischen Aufgabenstellung und Ergebnis »automatisch« gelöst werden, während für Subtraktionen (und in schwächerem Ausmaß für Additionen) eher numerische Quantitäten auf ei-
29
447 29.4 · Modellorientierte fMRT-Studien
nem mentalen Zahlenstrahl manipuliert werden und/oder nach der Modellrevision von 2003 exakte Berechnungen sich auf den linken Gyrus angularis stützen, von dem bei der Patientin nur der vordere Anteil links in die Läsion einbezogen war.
29.4.2
Interpretation eines individuellen Patienten-Aktivierungsmusters
Ausgehend von dem beobachteten Störungsmuster wurde in einer fMRT-Studie im »Boxcar«-Design (je 5 Aktivierungsphasen und 5 Ruhephasen mit je 40 s Dauer pro Aktivierungsbedingung in einem Durchgang) ein Vergleich von Subtraktions- und Multiplikations-Verifikationsaufgaben (Stimuluspräsentation für je 2,5 s) vorgenommen (komplexe und einfache Kontrollaufgaben: Buchstabenvergleich und Ruhe). Die Patientin sollte mit Tastendruck links bei korrekten Lösungen und – wegen der noch bestehenden sensiblen Störungen in der rechten Hand – keinem Tastendruck bei falschen Lösungen antworten. Nach dem Triple-Code-Modell und der aktuellen Hypothese über 3 parietale Netze der Zahlenverarbeitung (Dehaene et al. 2003) ist aufgrund der Verhaltensdaten zu erwarten, dass bei der Patientin ATH intraparietale Regionen im Unterschied zu Spracharealen nicht von der Läsion betroffen und bilateral während der Zahlenverarbeitung aktiviert sind. Um Vergleiche mit Aktivierungsstudien bei Gesunden zu ermöglichen, wurde das strukturelle MR trotz der recht großen Läsion stereotaktisch auf das Talairach-Bezugsystem transformiert unter Verwendung des MNI Standards. Das Ergebnis der Bedingungsvergleiche
mit SPM96 (voxelbezogenes Signifikanzniveau p Definition Neben dem perzeptiven Neglekt kann sich die Aufmerksamkeitsstörung auch auf mentale Repräsentationen erstrecken. Patienten mit einem repräsentationalen Neglekt geben Objekte mangelhaft wider, wenn diese sich in einer vorgestellten räumlichen Szene vom jeweiligen Blickwinkel aus auf der kontraläsionalen Seite befinden.
31
474
Kapitel 31 · Neglekt
rietalkortex nur bei der Verarbeitung der rechten Raumhälfte aktiviert wurde (passend zu Hypothesen über die Entstehung von Neglekt, 7 Kap. 31.4). Wurde die räumliche Verarbeitung dagegen in der mentalen Vorstellung durchgeführt, waren beide Parietalkortizes annähernd gleich aktiviert. Einzig das Verteilungsmuster über beide Hemisphären hinweg war während der Vorstellung in der linken und rechten Raumhälfte unterschiedlich. Diese Dissoziation kann eine Erklärung dafür bieten, warum nicht alle Patienten mit visuell-räumlichem Neglekt auch einen repräsentationalen Neglekt zeigen und andersherum.
31.3.4
Motorischer und intentionaler Neglekt
> Definition Zeigen die Patienten eine über das Pareseausmaß hinausgehende Minderbeweglichkeit einer Extremität oder einer Körperhälfte, so spricht man von motorischem Neglekt (Fink u. Marshall 2005, für eine Übersicht). Dieser ist bedingt durch ein fehlendes Bewusstsein für die betroffene Körperhälfte.
31
Klinisch kann dies wie eine Hemiplegie imponieren. Wird das Neglekt-Symptom z. B. durch geeignete Bahnung überwunden, kann die aktive Nutzung der betroffenen Körperhälfte oder Extremität herbeigeführt werden. Die motorische Beeinträchtigung kann aber auch statt der linken Körperhälfte Bewegungen in der linken Raumhälfte (und dann beide Körperhälften) betreffen. Bei dieser direktionalen »Hypokinesie« werden Bewegungen sowohl der betroffenen, kontraläsionalen als auch der »gesunden«, ipsiläsionalen Extremität im kontraläsionalen Raum verzögert begonnen bzw. verlangsamt ausgeführt. Weitere Störungen in diesem Zusammenhang sind die Reduktion der Bewegungsamplitude beider Extremitäten im kontraläsionalen Raum (»Hypometrie«) oder die Schwierigkeit, eine eingenommene Haltung in der kontraläsionalen Raumhälfte aufrechtzuerhalten (»Impersistenz«; Heilman u. Watson 1991). Diese Phänomene werden unter dem Begriff des »intentionalen Neglekts« zusammengefasst. Man nimmt an, dass vor allem der Ausfall prämotorischer Areale verantwortlich ist für motorische Aspekte des Neglekt-Syndroms (Bisiach et al. 1990), während Schädigungen des Parietalkortex eher sensorische Defekte verursachen (Mesulam 1994). Eine PET-Studie bei Patienten mit motorischem Neglekt nach Schlaganfällen (von Giesen et al. 1994) konnte darstellen, dass eine Verminderung des Glukosestoffwechsels über das Infarktareal hinaus in Anteilen des prämotorischen Kortex, des Gyrus cinguli, des Thalamus und des Parietalkortex der betroffenen Hemisphäre nachzuweisen war. In mehreren PET-, TMS- und fMRT-Studien konnte eine dominante Rolle des linksseitigen Parietalkortex in
der Aufmerksamkeitsausrichtung auf eine durchzuführende Handlung unabhängig von der benutzten Hand herausgestellt werden (z. B. Rushworth et al. 2001). Das diesen Studien zugrunde gelegte Konzept der motorischen Aufmerksamkeit bezieht sich jedoch eher auf die Planung und Durchführung von Bewegungen unabhängig von räumlichen Verarbeitungsprozessen (7 Kap. 13) und kann nur bedingt im Zusammenhang mit motorischem Neglekt gesehen werden. Eher scheint beim motorischen Neglekt die fehlende Integration der räumlichen Verarbeitung bzw. Wahrnehmung und der Motorik eine Rolle zu spielen. Diesen Aspekt der aufmerksamkeitsabhängigen Aktivität im motorischen System konnte eine fMRT-Studie von Baker et al. (1999) beleuchten. Dabei konnte eine Modulation der Aktivität im primär motorischen, prämotorischen und parietalen Kortex durch die Blickrichtung bei (durchgeführten) Handlungen nachgewiesen werden (Baker et al. 1999): wurde der Blick (und somit die Aufmerksamkeit) nach ipsilateral zur aktiven Hand gelenkt, wurde die motorisch bedingte Aktivität in der kontralateralen Hemisphäre gesteigert. Eine Unterbrechung des dafür verantwortlichen neuronalen Netzwerks kann eine plausible Erklärung für unilaterale, aufmerksamkeitsbedingte motorische Defizite bieten.
31.3.5
Extinktion
> Definition Eng verwandt mit Neglekt ist das Phänomen der Extinktion. Sie bedeutet, dass Patienten mit einer rechtshemisphärischen Läsion Reize auf der rechten und linken Seite vergleichbar gut erkennen können, wenn sie einzeln dargeboten werden. Werden die Reize aber simultan auf beiden Seiten gezeigt, berichten Patienten mit Extinktion nur den ipsiläsionalen Reiz. Analog zum Neglekt kann Extinktion die somatosensorische, auditorische und visuelle Modalität betreffen.
Man geht von einer hemisphärischen Rivalität als Grundprinzip in der Verarbeitung von Sinnesreizen in der rechten und linken Raumhälfte aus (Kinsbourne 1977). Ist eine Hemisphäre durch eine Läsion nicht mehr voll funktionsfähig, überwiegt die andere in der Verarbeitung von (vornehmlich kontraläsionalen) Sinnesreizen und führt zur Extinktion der ipsiläsionalen Reize. Tatsächlich konnten Fink und Mitarbeiter (2000) in einer PET-Studie zeigen, dass die Aktivität im primär visuellen und peristriatären Kortex bei bilateraler Stimuluspräsentation geringer war als bei einseitiger Stimuluspräsentation. Dies wurde als Ausdruck der interhemisphärischen Rivalität im Sinne der Hemmung von kortikalen Arealen einer Hemisphäre durch die korrespondierenden Areale der anderen Hemipshäre gewertet (Fink et al. 2000).
31
475 31.5 · Therapiemöglichkeiten
31.4
Pathomechanismen
Derzeit werden unterschiedliche Ursachen für NeglektSymptome diskutiert. Störungen der räumlichen Aufmerksamkeit, der mentalen Repräsentation der Umwelt bzw. des eigenen Körpers und des räumlichen Koordinatensystems werden als Pathomechanismen genannt. Jedoch reicht keiner der genannten Vorschläge aus, um die vielschichtigen Symptome umfassend zu erklären. Somit ist davon auszugehen, dass abhängig vom Läsionsort unterschiedliche neuronale Netzwerke unterbrochen sind, die die Variabilität der Störungsmuster bedingen. Neglekt wird im Allgemeinen häufiger nach rechts- als nach linkshemisphärischen Läsionen beobachtet (Mort et al. 2003; Ringman et al. 2004). Dies gilt vor allem für die chronische Phase. Im Akutstadium beträgt die Inzidenz von Neglekt ca. 40% nach rechtshemisphärischer und 20% nach linkshemisphärischer Läsion (Ringman et al. 2004). Zudem bildet sich rechtsseitiger Neglekt nach linkshemisphärischer Läsion rascher und vollständiger zurück als linksseitiger Neglekt nach rechtshemisphärischer Läsion (Ringman et al. 2004). Diese Asymmetrie hat zu verschiedenen Hypothesen über die Rolle der rechten Hemisphäre in der räumlichen Verarbeitung geführt. Zwei wesentliche Modelle lassen sich unterscheiden: Das »Modell der gegengerichteten Verarbeitung« (»opponent processor model«) geht davon aus, dass sich von der rechten und linken Hemisphäre Aufmerksamkeitsvektoren in die jeweils kontralaterale Raumhälfte richten. Die linke, dominante Hemisphäre besitzt einen stärkeren Vektor als die rechte, wird von dieser aber in ihrer Ausrichtung gehemmt, so dass eine gleichmäßige Verteilung der Aufmerksamkeit erfolgen kann (Kinsbourne 2003). Wird die rechte Hemisphäre geschädigt, überwiegt der von der linken Hemisphäre ausgehende, nach rechts gerichtete Aufmerksamkeitsvektor und verschiebt damit tonisch den Aufmerksamkeitsfokus in die rechte Raumhälfte. Somit entsteht ein Neglekt für die linke Raumhälfte. Da von der linken Hemisphäre ein geringerer Aufmerksamkeitsvektor in die kontralaterale Raumhälfte ausgeht, wirkt sich eine linkshemisphärische Läsion nicht so stark auf die Aufmerksamkeitsausrichtung aus und verursacht keinen oder nur einen geringen Neglekt nach rechts (Kinsbourne 2003). Ein alternatives Modell besagt, dass die rechte Hemisphäre in der räumlichen Verarbeitung beider Raumhälften dominant ist, während die linke Hemisphäre nur für die rechte Raumhälfte zuständig ist (Mesulam 1999). Wird die linke Hemisphäre geschädigt, entsteht ein geringer Neglekt, da die rechte Hemisphäre die Aufgaben der linken Hemisphäre bei der Verarbeitung der rechten Raumhälfte kompensieren kann (. Abb. 31.9). Bei einer Schädigung der rechten Hemisphäre kann eine solche Kompensation nicht stattfinden, da eine Mitversorgung der linken Raumhälfte durch die linke Hemisphäre nicht gewährleistet ist. In diesem Fall entsteht ein Neglekt nach links.
a
b
c
. Abb. 31.9a–c. Schema zur hemisphärischen Dominanz bei der Aufmerksamkeitsausrichtung. Während die linke Hemisphäre hauptsächlich die rechte Hälfte des Raumes verarbeitet (blauer Pfeil), ist die rechte Hemisphäre für beide Raumhälften zuständig (rote Pfeile). a Normaler Zustand. b Bei rechtshemisphärischer Läsion (roter Kreis) kann die linke Hemisphäre nur die rechte Raumhälfte verarbeiten, es entsteht ein Neglekt nach links (graues Feld). c Bei linkshemisphärischer Läsion (roter Kreis) kann die rechte Hemisphäre das Defizit in der rechten Raumhälfte kompensieren, so dass sich rechts nur ein leichtgradiger Neglekt ausbildet (grau schraffiertes Feld)
In der Zusammenschau fehlen eindeutige Hinweise auf die Richtigkeit eines der Modelle und eine Widerlegung des anderen, da die aufgeführten fMRT-Studien beide Modelle zulassen (z. B. einerseits Krumbholz et al. 2005; Kukolja et al. (unveröffentlichte Daten); andererseits Fink et al. 2000).
31.5
Therapiemöglichkeiten
Die Vernachlässigung einer Raum- und Körperhälfte durch Neglekt hat schwerwiegende Auswirkungen auf den Erfolg von Training und Rehabilitationsmaßnahmen nach Schlaganfällen und anderen Hirnschädigungen. Obwohl Neglekt als Symptom oft weniger auffällt als eine Halbseitenlähmung oder Sprachstörung, kann er doch die Wiederherstellung der für den Alltag wichtigen Funktionen erheblich verzögern. Daher ist die Suche nach gezielten Therapiemaßnahmen wichtig. Im letzten Jahrzehnt wurden eine Reihe von Therapieansätzen vorgestellt, jedoch fehlen zurzeit noch große kontrollierte Studien, um Aussagen über ihre Wirksamkeit machen zu können. Es hat sich jedoch gezeigt, dass mehrere Therapieansätze erfolgversprechend sind:
476
Kapitel 31 · Neglekt
Das Training der Daueraufmerksamkeit konnte gute Ergebnisse erzielen. Patienten, die in einer kürzlich durchgeführten Studie zahlreiche Sitzungen eines computergesteuerten Aufmerksamkeitstrainings durchlaufen hatten, zeigten eine deutliche Verbesserung in aufmerksamkeitsspezifischen Tests. Dies war begleitet von einer Reaktivierung eines frontoparietalen Netzwerkes, das bei einer gesunden Kontrollgruppe ein niedrigeres Aktivierungsniveau nach dem Training im Vergleich zur Aktivierung vor dem Training aufwies (Sturm et al. 2004). Man geht davon aus, dass eine Rekrutierung dieser Areale (möglicherweise unterstützt durch das spezifische Training) für ein gutes Therapieergebnis von Bedeutung ist (Sturm et al. 2004). Andere Methoden bedienen sich sensorischer Stimulation, die auf dem Grundprinzip beruht, die Verschiebung des egozentrischen Referenzsystems nach rechtsparietalen Läsionen wieder rückgängig zu machen. Dabei konnten bei der kalorischen und galvanischen Stimulation des Gleichgewichtsorgans (Kaltspülung des kontralateralen Ohrs bzw. elektrische Reizung des Nervus vestibularis), bei der richtungsspezifischen optokinetischen Stimulation und bei der einseitigen Nackenmuskelvibration positive Ergebnisse erzielt werden (Kerkhoff 2003). In einer fMRT-Studie mit gesunden Probanden konnte eine Interaktion zwischen räumlicher Aufmerksamkeit und galvanischer vestibulärer Stimulation im rechten inferioren Parietalkortex und rechten prämotorischen Kortex dargestellt werden (. Abb. 31.10;
Fink et al. 2003). Da diese Hirnregionen unter galvanischer Stimulation und dadurch bedingter Verzerrung des egozentrischen Koordinatensystems während allozentrischen räumlichen Beurteilungsaufgaben aktiver waren als unter Kontrollbedingungen, scheinen sie für die Interaktion des egozentrischen Koordinatensystems mit dem allozentrischen Koordinatensystem von Bedeutung zu sein (Fink et al. 2003). Zum einen erklärt diese Studie die Störung des egozentrischen Koordinatensystems bei rechtsseitigen Läsionen, zum anderen gibt sie einen Hinweis auf die Funktionsweise der vestibulären Stimulation bei der Verbesserung der Neglekt-Symptome von neurologischen Patienten. Um die Daueraufmerksamkeit bei Patienten mit Neglekt zu verbessern, erscheinen auch pharmakologische Ansätze sinnvoll. Nikotin als cholinerge Substanz übt eine positive Wirkung auf Reaktionszeiten beim Reorientieren im Posner-Paradigma aus. Gesunde Nichtraucher erreichten bessere Verhaltensdaten unter der Einnahme von Nikotin (in Form von Nikotin-Kaugummis) als unter Plazebobedingungen, wenn sie auf unerwartete Reize reagieren müssen (Reorientieren bei invalid angekündigten Reizen) (Thiel et al. 2005). Dies ist interessanterweise begleitet von einer Reduktion der neuronalen Aktivität im linken intraparietalen Sulcus und inferioren Anteilen des Okzipitallappens beidseits (7 Kap. 42; Thiel et al. 2005). Eine Erklärung für diesen Zusammenhang könnte eine Steigerung der
. Abb. 31.10. Regionen mit einer signifikanten Interaktion zwischen räumlicher Verarbeitung (Linienhalbierungsaufgabe, LBJ) und galvanischer vestibulärer Stimulation. RoL Anode über dem rechten Mastoid, Kathode über dem linken Mastoid: subjektive Verkippung des Kopfes
nach links; LoR Anode über dem linken Mastoid, Kathode über dem rechten Mastoid: subjektive Verkippung des Kopfes nach rechts; CON Kontrollbedingung ohne LBJ (Fink et al. 2003)
31
477 31.6 · Literatur
räumlichen Aufmerksamkeit unter Nikotin sein, die dazu führt, dass nicht erwartete Reize früher und unter geringerer Beanspruchung neuronaler Ressourcen erkannt und verarbeitet werden (Thiel et al. 2005). Eine weitere Option zur Therapie des Neglekts ist die Anwendung von Prismengläsern, die eine optische Abweichung von 10° nach rechts und als Reaktion darauf eine Überadaptation nach links verursachen (Rossetti et al. 1998).
Zusammenfassung und Ausblick In der Zusammenschau bieten die genannten fMRTStudien an gesunden Probanden Einblicke in die Aktivierungsmuster neuronaler Netzwerke bei verschiedenen Aufmerksamkeitsfunktionen und -modalitäten, die bei Neglekt-Patienten gestört sein können. Der Vergleich mit Läsionsstudien zeigt, dass sowohl die direkte Schädigung der für die Durchführung einer bestimmten Aufgabe notwendigen kortikalen Areale als auch die Unterbrechung ihrer Verbindungen zu entfernten, nicht direkt geschädigten Arealen zu einseitigen Aufmerksamkeitsstörungen führen kann. Die in zahlreichen fMRT-Studien untermauerte hemisphärische Asymmetrie in der Ausrichtung der räumlichen Aufmerksamkeit mag zum Teil erklären, warum es vor allem rechtshemisphärische Läsionen sind, die zu schwerwiegenderem und länger andauerndem einseitigen Neglekt führen (unabhängig davon, ob man das Modell der gegengerichteten Verarbeitung oder das Modell einer rechtshemisphärischen Dominanz zugrunde legt). Dennoch bleiben zurzeit viele Fragen unbeantwortet: eine eindeutige Lateralisierung der Hirnaktivität bei Aufmerksamkeitsverschiebungen in die linke oder rechte Raumhälfte konnte nur unregelmäßig nachgewiesen werden, obwohl der Ausfall nur einer Hemisphäre zu einer eindeutigen Aufmerksamkeitsverschiebung führt. Welche Hirnareale im akuten und im chronischen Stadium die Funktion der geschädigten Areale übernehmen und wie Verhaltensdaten mit neuronalen Aktivierungen bei Patienten korrelieren, bleibt noch zu untersuchen. Insgesamt gibt es zurzeit noch wenige fMRT-Studien mit Neglekt-Patienten, was nicht zuletzt mit der schweren Behinderung dieser Patienten und der dadurch eingeschränkten fMRT-Tauglichkeit zusammenhängt. Große Schwankungen der allgemeinen Aufmerksamkeit erschweren nicht nur klinische neuropsychologische Untersuchungen, sondern vor allem auch die Untersuchungen unter fMRT-Bedingungen. Zudem sind die Auswirkungen der allgemeinen Gefäßveränderungen bei Schlaganfallpatienten, die bei Weitem den größten Anteil der Neglekt-Patienten ausmachen, auf das BOLD-Signal noch wenig erforscht. Dabei können eine diabetische oder hypertensive 6
Mikroangiopathie bzw. eine vorgeschaltete intra- oder extrakranielle Gefäßverengung schwer kalkulierbare Folgen auf die Reaktivität der kleinen Gefäße haben, die letztendlich das BOLD-Signal vermitteln (Rossini et al. 2004). Zum weiteren Verständnis des Neglekt-Syndroms sind in Zukunft zum einen Studien notwendig, die sich mit grundsätzlichen fMRT-spezifischen Veränderungen bei vaskulär geschädigten Patienten beschäftigen. Zum anderen können Untersuchungen der funktionellen Neuroanatomie und ihre Korrelation zu Verhaltensdaten bei Patienten mit akutem oder chronischem Neglekt richtungsweisende Perspektiven bieten. Diese Daten können dann als Grundlage für die Evaluation von Therapieerfolgen durch verschiedene Rehabilitationsmaßnahmen dienen.
31.6
Literatur
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Kapitel 31 · Neglekt
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32 32 Amnesien H.J. Markowitsch
32.1 Einführung – 480 32.2 Amnesie und Gehirn – 481 32.3 fMRT bei amnestischen Störungen – 485 32.4 fMRT nach Pharmakagaben – 486 32.5 Funktionelle Gedächtnisstörungen und fMRT – 487 32.6 fMRT in Ätiopathogenese, Diagnostik und Therapie von Amnesien – 488 32.7 Literatur
– 489
480
Kapitel 32 · Amnesien
)) Gedächtnisstörungen gehören zu den häufigsten Symptomen von Hirnschäden aller Art. Entsprechend finden sich auch starke Abweichungen, was Art, Ausmaß und Dauer von Gedächtnisstörungen angeht. Manchmal finden sich nur transiente, auf bestimmtes Material bezogene Erinnerungslücken, manchmal anhaltende und umfassende Amnesien.
32.1
Einführung
Eine Amnestikerin (A-mnesie: »ohne Gedächtnis«) repräsentiert das Gegenbild von Mnemosyne, der griechischen Muse des Gedächtnisses, einer Person mit gesunder Erinnerungsfähigkeit. In der früheren neurologischen Literatur wurden häufig Ausdrücke wie »Globalamnestiker« oder »globale Amnesie« verwendet, um die allgemeine Unfähigkeit, neue Informationen aufzunehmen und alte wiederzugeben zu charakterisieren. Patienten, denen diese Symptomatik zugeordnet wurde, hatten z. B. ein »organisches Psychosyndrom« oder waren »Korsakow-Amnestiker«. Unter die Kategorie der globalen Amnestiker fiel in früherer Zeit
allerdings auch der wohl bekannteste neuropsychologisch untersuchte Patient, H.M., der wegen damals andersartig nicht kontrollierbarer epileptischer Anfälle eine bilaterale mediale Temporallappenresektion erhielt und danach seine Merkfähigkeit verlor, jedoch – was der strengen Definition von globaler Amnesie eigentlich widerspricht – seine Erinnerungsfähigkeit großteils behielt (eingehende Beschreibung in Markowitsch 2005). > Definition »Merkfähigkeit« bedeutet, neue Information bleibend einspeichern zu können, »Erinnerungsfähigkeit«, alte, bereits abgespeicherte Information wieder abrufen – »hervorholen« zu können.
Heutzutage wird Amnesie weit differenzierter betrachtet, was zum einen mit der Erkenntnis zusammenhängt, dass Amnesien in mehrerer Hinsicht selektiv sein können, und zum anderen mit der Unterteilung von Gedächtnis in Subsysteme, wie sie unter anderem von Endel Tulving und Larry Squire vorangetrieben wurde – um die Exponenten zweier in ihren Vorstellungen teilweise divergierenden Forschungsansätzen zu nennen (. Abb. 32.1; Squire u. Zola 1997; Tulving 2002).
Box 32.1. Die 5 Hauptsysteme des Langzeitgedächtnisses (. Abb. 32.1) 5 Das prozedurale Gedächtnis beinhaltet Fertigkeiten – vor allem, aber nicht ausschließlich, solche motorischer Art; d. h., es geht in der Regel um antrainierte oder trainierbare Leistungen, die hochgradig automatisiert abgerufen werden (Auto fahren, schwimmen, Klavier spielen).
5 Priming bedeutet eine erhöhte Wiedererkennungswahrscheinlichkeit für Reize, denen man zu einem früheren Zeitpunkt ausgesetzt war und bei denen kein bewusster Zusammenhang zwischen dem jetzigen Wiedererkennen und dem damaligen Wahrnehmen hergestellt wurde (man kann Priming 6
32
. Abb. 32.1. Inhaltliche Unterteilung des Langzeitgedächtnisses in 5 Hauptsysteme
481 32.2 · Amnesie und Gehirn
näherungsweise mit Bahnung oder Prägung übersetzen). 5 Im perzeptuellen Gedächtnis geht es um die sichere Identifikation wahrgenommener Einzelreize anhand der Erfahrung, die man mit diesen Reizen (Objekten) ein Leben lang gemacht hat. 5 Das Wissenssystem (oder Kenntnissystem oder semantische Gedächtnis) erlaubt ein Erinnern von Fakten, die ihres Raum-Zeit-Kontextes beraubt sind (z. B. Sydney liegt in Australien).
Was die Selektivität von Amnesien angeht, so lassen sich Amnesien in eine ganze Palette von Subgruppen auffächern: in domänen-, material- und modalitätsspezifische Amnesien, in Amnesien, bei denen der Gedächtnisverlust sich rein auf die Zukunft bezieht (anterograde Amnesie, gestörte Neugedächtnisbildung, Merkschwäche) und andere, bei denen nur die Vergangenheit (retrograde Amnesie; gestörte Erinnerungsfähigkeit) betroffen ist (. Abb. 32.2). Es finden sich Formen partieller Amnesien und solche, die zeitlich eng begrenzt auftreten (»transiente globale Amnesie«), oder, auf der anderen Seite, zeitlich unbegrenzt andauern. Auch kann sich die Amnesie selektiv auf Kurzzeit- oder selektiv auf Langzeitgedächtnisfunktionen beziehen, sie kann organische oder psychische Ursachen haben oder eine Mischform von diesen darstellen, was dann als funktionelle Amnesie bezeichnet wird (Markowitsch et al. 1999b). ! Während der Begriff Amnesie früher die völlige Unfähigkeit, abgespeicherte Informationen wiederzugeben oder neue bleibend zu erlernen bezeichnete, spricht man heutzutage somit auch dann von Amnesie, wenn es sich nur um unvollständige Gedächtnisstörungen handelt. Merkschwäche, Vergesslichkeit, Abrufversagen, spontaner Verfall, fehlerhafte Reproduktion, falsche Erinnerungen (»false memories«), durch Interferenz bedingtes Vergessen, Konfusionsvergessen, motiviertes Vergessen, Zungenphänomene, Gedächtnisblockaden und Konfabulationen lassen sich zum weiteren Umfeld amnestischer Zustände zählen. . Abb. 32.2. Differenzierung der Zeitdimension des Gedächtnisses und seiner Störungen von einem bestimmten Zeitpunkt – dem Auftreten einer Hirnschädigung oder einer psychischen Stress- oder Traumasituation – an gesehen. Gedächtnisvorgänge können sowohl hinsichtlich Zukunft als auch hinsichtlich Vergangenheit beeinträchtigt sein
5 Das episodische Gedächtnis ermöglicht »Zeitreisen«, d. h. ein Zurückwandern zum zeitlich-räumlichen Kontext eines bestimmten Ereignisses. Es ist gebunden an das eigene Selbst, erfordert ein Bewusstmachen des Ereignisses (»autonoëtisches Bewusstsein«; Markowitsch 2003) und erfordert die Fähigkeit zur Zeitwanderung (Chronästhesie). Eingeschlossen ist im Regelfall auch eine emotionale Bewertung oder Skalierung des oder der Ereignisse.
In aller Regel beziehen sich Amnesien auf Störungen des Langzeitgedächtnisses; es gibt aber auch Einzelfallbeispiele für massive Kurzzeitgedächtnisstörungen bei erhaltenem Langzeitgedächtnis (Markowitsch et al. 1999a). . Tab. 32.1 gibt einen Überblick über unterschiedliche Amnesieformen. Amnesien unterscheiden sich durch ihre Selektivität von Demenzen: Bei Demenzen sind weitere Dimensionen der Persönlichkeit betroffen, während bei amnestischen Patienten in der Regel nur das Gedächtnis, nicht aber die Intelligenz und andere kognitive und affektive Variablen betroffen sind. Amnesien mit direkten organischen Ursachen sind durch unterschiedliche Formen von Hirnschäden verursacht, während psychogene Amnesien durch psychische Traumata oder Stresssituationen bedingt sind. Leichtere somatische Störungen, wie ein Treppensturz, das Fallen auf den Hinterkopf oder ein Autounfall mit Schleudertrauma, aber ohne Hirn(substanz)schädigung – die im Regelfall untypisch für anhaltende Gedächtnisstörungen sind – können zu andauernden Amnesiezuständen führen, die als funktionelle Amnesien bezeichnet werden (Markowitsch 2005).
32.2
Amnesie und Gehirn
Entsprechend der Vielzahl von Amnesien sind die zugrunde liegenden Hirnschäden oder Funktionsunterbrechungen sehr unterschiedlich und können sowohl kortikale wie subkortikale Regionen betreffen. Strukturen des limbischen Systems sind als Flaschenhalsstrukturen vorwiegend für
32
482
Kapitel 32 · Amnesien
. Tabelle 32.1. Amnesieformen und mit ihnen verknüpfte Krankheitsbilder
32
Bezeichnung/Begriff
Beschreibung/Defizit
Globale Amnesie
Früher geläufige, heute eher unübliche Bezeichnung für den totalen Gedächtnisverlust
Anterograde Amnesie
Unfähigkeit, neue Information langfristig abzuspeichern
Retrograde Amnesie
Unfähigkeit, bereits abgespeicherte Information wieder hervorzuholen
Partielle Amnesie (lakunäre Amnesie)
Gedächtnisverlust für bestimmte Arten von Information oder für bestimmte Zeitabschnitte im Leben (»Epochen«)
Materialspezifische Amnesie
Benennstörung hinsichtlich Objekten oder Materialien
Episodische Amnesie
Amnesie für den Bereich des episodischen Gedächtnissystems
Semantische Amnesie
Amnesie für den Bereich des semantischen Gedächtnissystems (Wissenssystems)
Reduplikative Paramnesie
Gestörter Sinn für Vertrautheit oder Bekanntheit; der Patient ist davon überzeugt, dass eine Person, ein Ort oder ein Objekt doppelt existiere (i. d. R. organische Grundlage)
Capgras-Syndrom
Gestörter Sinn für Vertrautheit oder Bekanntheit; der Patient ist davon überzeugt, dass eine Person einen Doppelgänger hat (i. d. R. psychiatrisches Krankheitsbild; wahnhafte Verkennung)
Topographische Amnesie
Störung des Ortsgedächtnisses
Infantile Amnesie
Unfähigkeit, Ereignisse der ersten Lebensjahre abzurufen (vermutlich aufgrund fehlenden Bewusstseins über die eigene Person, mangelnder Sprachfertigkeiten und unzureichender Ausreifung neuronaler Verbindungen)
Korsakow-Syndrom
Durch (meist bei chronischem Alkoholismus vorkommende) Fehlernährung (Thiaminmangel) bedingte Amnesie, die mit Degenerationen im Zwischenhirn (und in Teilen des Zerebellums) einhergeht; als Kardinalsymptome gelten Merkunfähigkeit, Erinnerungsdefekt, Desorientierung und die Tendenz zu Konfabulieren. Intelligenz und Kurzzeitgedächtnis sind wie bei den meisten Amnesieformen weitgehend erhalten
Mnestisches Blockadesyndrom
Gedächtnisblockade, bedingt durch psychische Einwirkungen wie Stress und Traumata (Markowitsch 2001)
Pseudodemenz
Krankheitsbild, das als Demenz erscheint, aber in der Regel durch einen Depressionszustand ausgelöst ist
Psychogene Amnesie
Auf autobiographische Ereignisse eingegrenzte Gedächtnisstörung
Psychogene Fugue; dissoziative Fugue
Eine Form der psychogenen Amnesie, bei der eine Entfernung vom normalen Wohnsitz oder Aufenthaltsort stattfindet, wobei gleichzeitig die sonstige Symptomatologie der psychogenen Amnesie zu finden ist
Posthypnotische Amnesie
Unfähigkeit, unter Hypnose Erlebtes abzurufen
Transiente globale Amnesie
Eine vorübergehend auftretende massive Gedächtnisstörung meist älterer Personen. Ihre Dauer ist auf weniger als 24 h begrenzt. Die Amnesie umfasst stärker den anterograden als den retrograden Gedächtnisbereich (Markowitsch 1990)
Multiple Persönlichkeitsstörung; dissoziative Identitätsstörung
Existenz von 2 oder mehr Persönlichkeiten in einem Individuum, wobei die Persönlichkeiten i. d. R. für einander amnestisch sind
Ganser-Syndrom
Hysterischer Semi-Trance-Zustand mit Tendenz, nur näherungsweise korrekte Antworten zu geben; zur Amnesie können Bewusstseinsstörungen und Halluzinationen hinzutreten
Lügen, Täuschen, Simulieren
Vorspiegelung von Gedächtnisproblemen, wobei die Übergänge zu (anderen) funktionellen Amnesien fließend sein können
483 32.2 · Amnesie und Gehirn
. Tabelle 32.2. Hirnregionen, deren (bilaterale) Schädigung charakteristischerweise Gedächtnisstörungen nach sich zieht
Hirnregion
Vorwiegend betroffener Gedächtnisbereich
Medialer Temporallappen (insbesondere hippokampale Formation und Umfeld)
Einspeicherung und Übertragung von episodischer und semantischer Information in das Langzeitgedächtnis
Amygdalakomplex
Herstellen der sozialen und biologischen Relevanz von Informationen
Temporaler Pol, inferolateraler präfrontaler Kortex
Abruf aus dem retrograden Gedächtnis (Erinnerungen an alte biographische Erlebnisse bei vorwiegend rechtshirnigem Schaden, Erinnerung an Fakten bei vorwiegend linkshirnigem Schaden)
Präfrontaler Kortex
Einspeichern und Abruf von Information; insbesondere auch Anstrengung und Wille zur Informationsverarbeitung betroffen
Fornix
Einspeicherung und Übertragung episodischer (und teilweise semantischer) Information
Orbitofrontaler Kortex, basales Vorderhirn (z B. bei Rupturen der Arteria cerebri anterior)
Einspeicherung und emotionale Kolorierung von Information
Limbische Thalamuskerne (Nuclei anteriores und mediodorsalis)
Einspeicherung und Übertragung episodischer (und teilweise semantischer) Information in das Langzeitgedächtnis
Nuclei pulvinares
Abspeicherung vor allem sprachbezogener Information
Gyrus cinguli
Verarbeitung aufmerksamkeitsbezogener und den Willen betreffender Komponenten der Informationsverarbeitung
Corpora mammillares
Einspeicherung und Übertragung episodischer (und in geringerem Maße auch semantischer) Information in das Langzeitgedächtnis
Basalganglien
Verarbeitung prozeduraler Gedächtnisinhalte
Lateraler parietaler Kortex (insbesondere links), Teile des präfrontalen Kortex
Kurzzeitgedächtnis, Arbeitsgedächtnis
Zerebraler Kortex (weitflächig)
Netzwerkartige Abspeicherung von Information, einschließlich solcher aus dem PrimingBereich
die Einspeicherung neuer Information essentiell, während Strukturen im Stirnhirn und im vorderen Schläfenlappen für den Abruf von zentraler Bedeutung sind (Markowitsch 2005) (. Tab. 32.2). > Definition Flaschenhalsstrukturen sind Strukturen mit besonderer Bedeutung für die Informationsverarbeitung, da Information sie passieren muss, um abgespeichert oder abgerufen werden zu können. Eine Schädigung dieser Strukturen hat ein Diskonnektionssyndrom zur Folge: Der Schaltkreis oder das Netzwerk kann in seiner Gesamtheit nicht mehr arbeiten, ähnlich wie nach dem Bruch eines Kettengliedes die gesamte Kette unbrauchbar wird.
Hierbei belegen vor allem Daten von Patienten, dass normalerweise die rechtshirnige Kombination dieser beiden Regionen für den Abruf der persönlichen Vergangenheit – des episodischen Gedächtnisses – relevant zu sein scheint,
während die gleiche Regionenkombination der linken Hemisphäre für den Abruf aus dem Wissenssystem, oder semantischen Gedächtnis von ausschlaggebender Bedeutung ist (zusammengefasst in Markowitsch 2005). Mittels funktioneller Bildgebung gewonnene Daten führen hinsichtlich der Hemisphärenspezifität zu ambivalenteren Ergebnissen, was mit einer Reihe unterschiedlicher Variablen zu tun hat (Fink et al. 1996; Markowitsch et al. 1997, 2003; Piefke et al. 2003). Hierzu zählt vermutlich zentral, wie leicht (eher rechtshemisphärisch) es für die untersuchte Person ist, die Episoden zu »ekphorieren«, d. h. sie im gegenwärtigen Kontext und in der gegenwärtigen Stimmung abzurufen. Auch der Grad und evtl. auch die Richtung der Emotionalität (stark, schwach, positiv, negativ) scheinen bedeutende Rollen zu spielen (. Abb. 32.3; Markowitsch et al. 2000b, 2003; Siebert et al. 2003). Hinzu kommt, dass jeder Abruf von Informationen mit einer (modifizierten) Wieder- oder Neueinspeicherung einhergeht (Markowitsch 2005). Diese Re-Enkodierung sollte
32
484
32
Kapitel 32 · Amnesien
. Abb. 32.3. Relativer Anstieg der neuronalen Aktivierung (für eine Gruppe von 20 Probanden) während des Abrufs positiver autobiographischer Erinnerungen (im Vergleich zum Abruf negativer Erinnerungen), unabhängig vom Zeitpunkt der ersten Enkodierung der Information (frühe Kindheitserinnerung oder rezente Erinnerung). Die lokalen Maxima innerhalb der Regionen statistisch signifikanter Aktivierung im Bereich der Amygdala und des entorhinalen Kortex (p Definition Unter dynamischer Reorganisation versteht man die Änderung der funktionellen Hirnorganisation im zeitlichen Verlauf als Antwort auf eine veränderte Umgebungsbedingung.
In den vergangenen 5 Jahren haben longitudinale Untersuchungen mit funktioneller Bildgebung die dynamische Reorganisation bei Schlaganfallpatienten beschrieben. Bisher wurden 2 PET- (Nelles et al. 1999b ; Calautti et al. 2001) und
Dynamische Reorganisation im motorischen System Eine häufige Beobachtung war die Fokussierung der Hirnaktivierung im motorischen System im Verlauf der motorischen Rückbildung. Bei anfangs schwer betroffenen, hochgradig hemiparetischen Patienten verlagerte sich die bilaterale Aktivierung in somatosensiblen Kortexarealen bei passiven Bewegungen im Verlauf der motorischen Rückbildung wieder in die zur Lähmung kontralaterale Hemisphäre (. Abb. 33.4a, b). Demgegenüber blieb die Aktivierung des ipsilateralen prämotorischen Kortex erhalten (. Abb.
495 33.2 · Funktionelle Bildgebung bei Schlaganfallpatienten
a
b
c
d
e
f
g
h
i
. Abb. 33.3a–i. PET während passiver Bewegung bei Schlaganfallpatienten (Nelles et al. 1999a). a–c Bewegung des rechten Armes bei gesunden Kontrollpersonen. d–f Bewegung des plegischen linken Ar-
mes bei Patienten. g–i Areale, die bei Schlaganfallpatienten während der Frühphase im Vergleich zu Kontrollen stärker aktiviert werden
. Tabelle 33.1. Prospektive Untersuchungen mit funktioneller Bildgebung
Autoren
Aufnahmetechnik
Infarkt
Patientenzahl
1. Untersuchung
2. Untersuchung
Zeit seit Infarkt
Hemiparese
Zeit seit Infarkt
Rückbildung
Nelles et al. 1999b
PET
Subkortikal
6
20 Tage
Hemiplegisch (FuglMeyer-Score 8–13)
6 Wochen
Variabel (Fugl-MeyerScore 8–41)
Marschall et al. 2000
fMRT
Lakunär
8
2–7 Tage
Variabel, MRC-Kraftgrad 0–4/5
3–6 Monate
Gut, alle Patienten MRC 5/5
Calautti et al. 2001
PET
Subkortikal
5
2 Monate
Variabel, aber bei allen aktive Fingerbewegung möglich (ESS 72–86)
8 Monate
Gut, ESS 75–92
Feydy et al. 2002
fMRT
Kortikal/ Subkortikal
14
1–2 Monate
Hemiplegisch
2–4 Monate, 3 Folgeuntersuchungen
Variabel (gut, moderat, schlecht)
Small et al. 2002
fMRT
Kortikal/ Subkortikal
12
26–97 Tage
Aktive Fingerbewegung möglich
6 Wochen
Je zur Hälfte gut und schlecht
Ward et al. 2004
fMRT
Subkortikal
20
10–14 Tage
Aktive Fingerbewegung möglich
3–12 Monate
Negative Korrelation zwischen Ausdehnung der Hirnaktivierung und der Qualität der Rückbildung
33
496
Kapitel 33 · Funktionserholung nach Schlaganfall
a
b
c
33
. Abb. 33.4a–c. Dynamische Reorganisation bei Patienten mit schwerer Hemiparese (Nelles et al. 1999b). a Hirnaktivierung während passiver Bewegung des plegischen linken Armes 20,0±8,6 nach Schlaganfall. Fugl-Meyer-Score 10,2±0,8 von 66 Punkten. b Hirnaktivierung während passiver Bewegung des paretischen linken Armes
4 Wochen nach PET 1. Fugl-Meyer-Score 21,0±6,0 von 66 Punkten. c Vergleich zwischen Änderungen des rCBF zu beiden Zeitpunkten. Die Abbildung zeigt im zur Parese ipsilateralen prämotorischen Kortex eine relative Aktivierung zum Zeitpunkt der zweiten Untersuchung verglichen mit der ersten Untersuchung
33.4c). Diese dynamische Veränderung wird bei längerer
reiche motorische Funktionserholung eine wichtige Bedeutung haben, muss nach den heute vorliegenden longitudinalen PET- und fMRT-Untersuchungen bezweifelt werden. Zumindest bei den Patienten mit guter Rückbildung verlagert sich die Aktivität des primären Motorkortex eher wieder auf die Seite der Läsion (kontralaterale Hemisphäre). Bestätigt wurde diese Beobachtung auch in einer Kohärenzanalyse mit simultaner EMG und EEG Analyse (Mima et al. 2001). Bei einer kleinen Gruppe von 6 chronischen Schlaganfallpatienten zeigte nur die kontralaterale Hemisphäre eine Kohärenz zwischen EMG- und EEG-Signal und damit Hinweise für eine funktionelle Verbindung der Pyramidenbahn zum Zielmuskel. Die longitudinalen funktio-
Beobachtungszeit und während aktiven Bedingungen noch deutlicher (. Abb. 33.5). Zumindest zu Beginn der motorischen Rückbildung besteht also oft eine bilaterale Hirnaktivierung mit Einbezug des ipsilateralen sensomotorischen Kortex. Die ipsilaterale Aktivierung geht dann mit zunehmender motorischer Rückbildung wieder zurück. Aktivierung der gesunden Hemisphäre. Die Bedeutung der neuronalen Aktivierung in der (zur Parese) ipsilateral gelegenen, also gesunden, Hemisphäre für die Funktionserholung ist noch unklar. Die früher häufig geäußerte Vermutung, diese ipsilaterale Aktivierung könne für eine erfolg-
497 33.2 · Funktionelle Bildgebung bei Schlaganfallpatienten
. Abb. 33.5a, b. Dynamische Veränderung des Aktivierungsmusters bei aktiven Fingerbewegungen mit der paretischen rechten Hand (Calautti et al. 2001). PET 1 52±39 Tage (a) und PET 2 216±101 Tage (b) nach Schlaganfall. PET 1: Barthel-Index 63±17, PET 2: 95±5. Die Aktivität im sensomotorischen Kortex verlagert sich im Verlauf auf die (zur Parese) kontralaterale Seite. Nur bei PET 1 ist der sensomotorische Kortex auch ipsilateral aktiviert. Demgegenüber bleibt die ipsilaterale Aktivität im prämotorischen Kortex erhalten
a
nell-bildgebenden Studien lassen vermuten, dass die ipsilaterale Aktivierung besonders in der Frühphase nach dem Insult beobachtet wird, aber im weiteren Verlauf, mit zunehmender motorischer Funktionsverbesserung, an Bedeutung verliert (7 unten). Aktivierung der gesunden Hemisphäre. Die Lateralisierung der Hirnaktivität kann auch quantitativ mit einem sog. Lateralitätsindex (LI) bestimmt werden (Cramer et al. 1997). Der LI berechet den Kontrast an Aktivität in der kontralateralen und ipsilateralen Aktivität mit der Formel LI=(C-I)/(C+I), wobei C das Gesamtvolumen der kontralateralen Aktivität und I das Gesamtvolumen der ipsilateralen Aktivität ist. Der LI kann demzufolge von +1 (ausschließlich kontralaterale Aktivität) bis –1 (ausschließlich ipsilaterale Aktivität) reichen. In den longitudinalen Untersuchungen war die Änderung des LI nicht einheitlich. Ursache für die diskrepanten LI-Ergebnisse könnten unterschiedliche Versuchsbedingungen sein. Die Unterschiede zeigen aber auch, dass der LI möglicherweise in der hier angewendeten Form nicht sinnvoll ist: für die Berechnung der Lateralität werden für C und I die absoluten Zahlen der aktivierten Voxel benutzt. Unberücksichtigt bleibt dabei, welches Aktivierungsniveau jedes einzelne Voxel hat. Diese Größe ist aber bei der quantitativen Berechnung der Gesamtaktivierung einer Hemisphäre möglicherweise entscheidend. Sinnvoller ist es also, den LI an das individuelle Signifikanzniveau der aktivierten Voxel angepasst zu berechnen. Mit Hilfe eines »korrigierten Lateralitätsindex« wird gegenwärtig die Veränderung der Hirnaktivität in beiden Hemisphären von Schlaganfallpatienten genauer untersucht (Calautti 2005, persönliche Mitteilung).
Dynamische Reorganisation und klinische Rückbildung Die Aktivierungsmuster nach Schlaganfall ändern sich auch in Abhängigkeit der klinischen Rückbildung. Patienten mit anhaltender ipsilateraler Aktivität im sensomotorischen Kortex erholten sich schlechter als Patienten mit
b
stärkerer kontralateraler Aktivität (Calautti et al. 2001). In einer größeren longitudinalen fMRT-Untersuchung an 20 Schlaganfallpatienten wurde diese Beobachtung bestätigt (Ward et al. 2004). Hier konnte eine negative Korrelation zwischen Ausdehnung der Hirnaktivierung und Qualität der Rückbildung dargestellt werden. Patienten mit schlechteren motorischen Funktionen aktivieren in größerem Umfang und ausgedehnter motorische Zentren als Patienten mit guter motorischer Funktionserholung. Neben dem klinischen Funktionsausfall spielt aber auch der neuroanatomische Befund eine wichtige Rolle (Feydy et al. 2002). Patienten mit geringer Läsion der M1-Region verlagern und fokussieren die anfangs bilaterale Aktivierung wieder auf die Seite der geschädigten Hemisphäre. Bei Patienten mit ausgedehnter Läsion der M1-Region und WallerDegeneration persistiert das bilaterale Aktivierungsmuster. Gegenüber dem primären motorischen und sensorischen Kortex zeigt die dynamische Reorganisation des prämotorischen Kortex ein anderes Muster. In den longitudinalen PET- und fMRT-Untersuchungen an Schlaganfallpatienten wurde der ipsilaterale prämotorische Kortex im Verlauf der motorischen Rückbildung häufig stärker aktiviert – ein Ergebnis, das auch bei den Querschnittsuntersuchungen beobachtet wurde. Möglicherweise greift das Gehirn zu Beginn nach einem Schlaganfall in erhöhtem Maße auf ein schon existierendes, ausgedehntes Netzwerk von motorischen Zentren zurück. Der prämotorische Kortex spielt hier offenbar eine besondere Rolle. Seine Aktivität zeigte in der ipsilateralen Hemisphäre während der motorischen Rückbildung häufig eine weitere Zunahme (. Abb. 33.5; Nelles et al. 1999b; Calautti et al. 2001). Diese ipsilaterale Aktivierung korrelierte in einer kombinierten fMRT/TMS-Studie mit der motorischen Fähigkeit der paretischen Hand (Johansen-Berg et al. 2002a). Im Unterschied zum primären motorischen Kortex, verlaufen die Neurone des prämotorischen Kortex über die kortikoretikulären Bahnen bilateral zum Rückenmark und bieten somit bessere anatomische Voraussetzungen für eine funktionell wirksame bilaterale Hirnaktivität.
33
498
Kapitel 33 · Funktionserholung nach Schlaganfall
Patienten mit Hemiparesen nach Schlaganfällen zeigen auch regelmäßig eine stärkere Aktivierung des präfrontalen Kortex, des hinteren Parietallappens und des Cingulum. Diese Areale werden bei Gesunden in der Regel bei motorischen Bewegungsaufgaben nicht aktiviert. Ihre Aktivierung könnte mit einer zusätzlichen kognitiven Kontrolle durch verstärkte visuospatiale und selektive Aufmerksamkeit zusammenhängen. Auch diese Aktivität nimmt im Laufe der motorischen Rückbildung, vor allem in der ipsilateralen Hemisphäre, wieder ab. ! Die dynamische Veränderung der Hirnaktivität ist kennzeichnend für das Wiedererlangen von verloren gegangener motorischer Funktion. Eine genaue neuroanatomische Zuordnung der Funktionserholung ist noch nicht möglich. Aus den bisherigen longitudinalen Studien bei Schlaganfallpatienten lassen sich einige konsistente Merkmale der dynamischen Reorganisation im Verlauf der Rückbildung von Hemiparesen ableiten: 5 Dynamische Veränderung der ipsilateralen (M1-) Aktivierung mit Verlagerung auf den motorischen Kortex der geschädigten Hemisphäre und Fokussierung während der motorischen Rückbildung (»Normalisierung« des Aktivierungsmusters); 5 Anhaltende Rekrutierung von sekundären motorischen Zentren und Aktivierung des ipsilateralen prämotorischen Kortex; 6
5 Aktivierung nicht motorischer Strukturen im präfrontalen und parietalen Kortex sowie im Cingulum.
33.2.3
Funktionelle Bildgebung von rehabilitativen Interventionen
Die longitudinalen Untersuchungen mit funktioneller Bildgebung bei Schlaganfallpatienten waren ein wesentlicher Schritt, um einer weiteren, sehr wichtigen Frage nachzugehen: Besteht die Möglichkeit, die dynamische Reorganisation im motorischen System durch geeignete Behandlungsmethoden für Hemiparesen zu modulieren? Drei Studien mit prospektiver funktioneller Bildgebung haben trainingsinduzierte Effekte untersucht (. Tab. 33.2; Nelles et al. 2001; Carey et al. 2002; Johansen-Berg et al. 2002b). Patienten, die im Laufe ihrer Rehabilitation ein intensives aufgabenorientiertes Bewegungstraining erhielten, hatten im Vergleich zu einer Kontrollgruppe eine sehr viel stärkere Aktivierung in motorischen und sensorischen Zentren, vor allem in der zur Parese kontralateralen Hemisphäre. Auch nach zweiwöchiger CI-Therapie bei chronischen Schlaganfallpatienten wurde mit aufeinander folgenden fMRT-Untersuchungen eine Verschiebung der kortikalen Kontrolle von ipsilateral nach kontralateral beobachtet (. Abb. 33.6). Nach dem Training wurden auch signifikante Verbesserungen der motorischen Fähigkeit be-
. Tabelle 33.2. Interventionsstudien mit funktioneller Bildgebung
Autoren
33
Aufnahmetechnik
Infarkt
Patientenzahl
Studienaufbau
Nelles et al. 2001
PET
Subkortikal
10
Carey et al. 2002
fMRT
Kortikal/ Subkortikal
JohansenBerg et al. 2002
fMRT
Kortikal/ Subkortikal
1. Untersuchung Zeit seit Infarkt
Hemiparese
Randomisiert, kontrolliert; auch gesunde Kontrollen
23 Tage
Hemiplegisch
10
Randomisiert, kontrolliert, Crossover; auch gesunde Kontrollen
0,8–21 Jahre
7
Prospektiv, keine Kontrollgruppe
6–84 Monate
Intervention
Verlaufsuntersuchung Intervall zur 1. Untersuchung
Rückbildung
Aufgabenorientiertes Armtraining täglich über 3 Wochen
22 Tage
Besser in Behandlungsgruppe
Mindestens 20° Beugung/Streckung im Grundgelenk von Dig. II der paretischen Hand
Finger Tracking Training 2–3 Einheiten pro Woche, insgesamt 18–20 Einheiten
6–10 Wochen
Besser in Behandlungsgruppe
Leichte bis mittelschwere Hemiparese
2 Wochen »forced use«
2 Wochen
Besser nach Behandlung (im Mittel 20%)
499 33.3 · Literatur
. Abb. 33.6. Effekt von rehabilitativem Training auf die Reorganisation im motorischen System. Im Verlauf der motorischen Rückbildung kommt es zur Aktivierung im Kleinhirn sowie im kontralateralen sensomotorischen Kortex (Johansen-Berg et al. 2002b)
richtet. Diese noch präliminären Daten zeigen, dass neuere Trainingsmethoden nicht nur zu nachhaltigen funktionellen Verbesserungen führen, sondern auch eine kortikale Umorganisation induzieren können (Nelles et al. 2004). Gestützt werden diese Beobachtungen durch vergleichbare Ergebnisse von TMS-Studien zum Effekt der »Forced-use«Therapie auf die kortikale neuronale Organisation. Die trainingsinduzierte Plastizität bei Schlaganfallpatienten ist nicht nur in der Subakutphase möglich, sondern auch im chronischen Stadium und bietet damit vielen Patienten eine Chance für motorische Funktionsverbesserungen in den Monaten und Jahren nach einem Schlaganfall. Der Einfluss von Trainingsparadigmen auf die neuronale Plastizität ist aber in funktionell bildgebenden Studien bisher nur in Ansätzen untersucht und erfordert dringend weitere Studien mit größeren Patientenzahlen. Die Effekte von plastizitätsfördernden Medikamenten sind noch weitgehend unbekannt. Die Beantwortung dieser Fragen mit funktionell-bildgebenden und elektrophysiologischen Methoden kann wichtige Informationen für die Weiterentwicklung der Behandlung von Hemiparesen liefern.
Zusammenfassung und Ausblick Die zerebrale Reorganisation trägt zur Funktionserholung nach einem Schlaganfall bei. Noch liegen wenige Studien mit funktioneller Bildgebung vor, die die kli6
nische Rückbildung in Abhängigkeit der zerebralen Reorganisation untersucht haben. Sehr viel größere Untersuchzungszahlen sind notwendig, um den Zusammenhang zwischen neuronaler Plastizität im menschlichen Gehirn und der Rückbildung von Funktionsausfällen besser verstehen zu können. Es wird darauf ankommen, diese Erkenntnisse in die Weiterentwicklung wirksamer Behandlungsmethoden zu integrieren.
33.3
Literatur
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33
500
Kapitel 33 · Funktionserholung nach Schlaganfall
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33
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34 34
Demenzen T. Kircher, R. Ihl
34.1
Prävalenz und Klassifikation – 502
34.2
Alzheimer-Demenz – 502
34.2.1 34.2.2 34.2.3 34.2.4
Neuropathologie – 502 fMRT bei DAT – 503 Visualisierung von Therapieeffekten mit Cholinesterasehemmern bei DAT – 505 Risikogruppen für Alzheimer-Demenz – 506
34.3
Andere Demenzformen – 508
34.4
Literatur – 509
502
Kapitel 34 · Demenzen
))
5 Chronische Lebererkrankungen (Morbus Wilson,
Hämochromatose, Leberzirrhose) Die Zahl an Patienten mit demenziellen Syndromen wird in Zukunft aufgrund des soziodemographischen Wandels unserer alternden Gesellschaft deutlich zunehmen. Demenzen sind gekennzeichnet durch Störungen des Gedächtnisses, der Orientierung und weiterer kognitiver Funktionen aber auch durch Verhaltens-, Persönlichkeits- und Affektstörungen, wobei die Demenz vom »normalen Alterungsprozess« abzugrenzen ist. Die operationalisierten Diagnosesysteme basieren auf dem Muster der kognitiven Defizite, ohne die Konnotation einer bestimmten Prognose. Die häufigste Demenzform ist die der Alzheimer-Demenz (Demenz vom Alzheimer-Typ, DAT) mit rund zwei Dritteln aller Demenzen, gefolgt von vaskulären Formen. Im Folgenden soll daher hauptsächlich auf die DAT fokussiert werden, hierzu liegen auch mehrere fMRT-Studien vor.
5 Chronische Nierenerkrankungen (Dialyseenzepha-
lopathie) 4 Intoxikationen 5 Industriegifte (Kohlenmonoxid, Quecksilber, Blei, Perchloräthylen) 5 Medikamente (Psychopharmaka, Barbiturate, Antikonvulsiva) 5 Alkohol 4 Elektrolytstörungen 5 Hyponatriämie (z. B. diuretische Behandlung) 5 Hypernatriämie 4 Rheologisch bedingte Störungen (Polyzythämie, Hyperlipidämie, multiples Myelom) 4 Entzündliche ZNS-Erkrankungen (Meningoenzephalitiden, Lues, Aids, multiple Sklerose)
34.2 34.1
34
Alzheimer-Demenz
Prävalenz und Klassifikation
In Deutschland schätzt man zurzeit die Zahl der Betroffenen auf rund 1 Million Patienten. Die Demenzprävalenzrate unterschiedlicher epidemiologischer Studien variieren je nach Alter der untersuchten Personen und sind abhängig von der Erfassungsmethode, der Schwere der kognitiven Beeinträchtigungen sowie der Regionen. Die 1-Jahres-Prävalenz für schwere kognitive Beeinträchtigungen im Erwachsenenalter wird mit etwa 3% geschätzt. Die Prävalenz eines demenziellen Syndroms nimmt mit steigendem Alter zu, bei über 85-Jährigen liegt sie bei 20% und mehr. Demenzen können eine Vielzahl von Ursachen haben. Es kann zwischen primär-degenerativen und sekundären Demenzen unterschieden werden: 4 Primäre Demenzen 5 Demenz vom Alzheimer-Typ 5 Morbus Pick (frontotemporale Demenz) 5 Lewy-Körper-Demenz 5 Morbus Parkinson 5 Chorea Huntington 4 Sekundäre Demenzen 5 Endokrinopathien 5 Hypothyreose 5 Hyperthyreose 5 Hypoparathyreoidismus 5 Hyperparathyreoidismus 4 Vitaminmangelkrankheiten 5 B12-Mangel (perniziöse Anämie) 5 Folsäuremangel 5 B1-Mangel 5 B6-Mangel 4 Metabolische Enzephalopathien 5 Chronische Hypoxie bei kardiologischen, pulmonalen und hämatologischen Erkrankungen
Die Alzheimer-Demenz ist eine schleichend beginnende, langsam progrediente Störung kognitiver (wie Gedächtnisund Orientierungsstörungen) und nicht-kognitiver Funktionen, die von Aloys Alzheimer 1906 erstmals mit neuropathologischen Veränderungen in Verbindung gebracht wurde (Kircher u. Wormstall 1996, 1997; Ihl 2002). Der Anteil der Alzheimer-Demenz an allen Demenzursachen wird mit 60–70% angegeben. Der Verlauf beträgt im Mittel 5–8 Jahre mit einer Spannweite von 1–20 Jahren. Die Punktprävalenz beträgt 8–13% der Bevölkerung über 65 Jahre in Deutschland. Die Lebenszeitprävalenz teilt sich wie folgt auf: 4 bis 80. Lebensjahr Definition Anhedonie ist definiert als Freud- und Lustlosigkeit; sie ist ein häufiges Symptom besonders bei Depressionen und depressiven Syndromen, teilweise mit Aufmerksamkeitsdefiziten und Hyperaktivität einhergehend.
Neben mediotemporalen Strukturen finden sich vor allem Auffälligkeiten zingulärer und orbitofrontaler Areale. Die funktionelle Dysfunktion des anterioren zingulären Kortex ist als Korrelat stimmungsabhängiger Antworttendenzen depressiver Patienten interpretiert worden (George et al. 1995). Patienten zeigen während der Präsentation emotional besetzter Wörter zudem eine deutlich verringerte Aktivität im ventralen und subgenualen zingulären Kortex. Bemerkenswerterweise kommt es im Bereich des anteromedialen Frontalkortex bei Gesunden während der Präsentation fröhlicher Wörter, bei Depressiven hingegen während der Präsentation trauriger Worte zu einer Aktivitätszunahme (Elliott et al. 2002). Erhöhte Aktivität vor allem rechts-orbitofrontaler Areale sowie des bilateralen anterioren Temporalkortex tritt besonders bei als traurig klassifizierten emotionalen Distraktionsreizen auf. Da Patienten im Vergleich zu Gesunden häufig keine Verhaltensauffälligkeiten bei der Erkennung emotionaler Stimuli aufweisen, scheinen emotional negative Distraktoren bei Depressiven
einen höheren kognitiven »Aufwand« zu erfordern, beispielsweise um falsche Antworten zu unterdrücken. Die beobachteten Aktivitätsmuster scheinen somit ein physiologisches Korrelat der häufig berichteten Schwierigkeiten dieser Patienten zu reflektieren, negativ emotionale Stimuli adäquat zu verarbeiten. Unter Verwendung der sog. Rückwärtsmaskierung konnte diese Hypothese gestärkt werden. Die Rückwärtsmaskierung ermöglicht die Manipulation emotionaler Stimuli ohne die bewusste Wahrnehmung der Probanden und umgeht somit Unterschiede kognitiver Verarbeitungsstrategien zwischen Depressiven und Gesunden. In diesen Versuchen zeigen depressive Patienten eine erhöhte linksseitige Amygdalaaktivierung nach subliminaler Präsentation emotionaler Gesichter (. Abb. 36.8; Sheline et al. 2001). Die erhöhte Reaktivität bezüglich emotionaler Reize bei Depressiven spiegelt sich physiologisch in verstärkten Aktivierungen der Amygdala nach Präsentation negativ-emotionaler Worte wieder, wobei die verlängerte physiologische Antwort mit dem selbsterlebten »Wiederkäuen« negativer Information depressiver Patienten korreliert (Siegle et al. 2002). Im direkten Vergleich mit depressiven Patienten weisen bipolare Patienten während der Präsentation emotionaler Gesichter jedoch eine weitere Erhöhung »emotionaler« Hirnregionen auf. Die Aktivität im ventralen Präfrontalkortex und im ventralen Striatum, Thalamus und Hippocampus ist hierbei sowohl bei positiv als auch negativ besetzten emotionalen Stimuli deutlich erhöht (Lawrence et al. 2004). Dieses Ergebnis bestätigt die Theorie, dass bipolare Störungen mit einer abnorm erhöhten Aktivität in für affektives Erleben relevanten Arealen korreliert sind, die u. U. die funktionelle neuroanatomische Basis für die Entstehung bipolarer Störungen darstellt. Obgleich in dieser Untersuchung nicht zwischen euthymen und depressiven bipolaren Patienten unterschieden wurde, deuten andere Studien an, dass sich die entscheidenden Hirnareale für die Subtypen der bipolaren Störung weiter aufteilen lassen. Die Untersuchung bipolarer Patienten außerhalb einer akuten depressiven Episode zeigt beispielsweise eine bilaterale Hyperaktivität der Amygdala und eine reduzierte Aktivität des dorsolateralen Präfrontalkortex während der Präsentation furchtsamer Gesichter (Yurgelun-Todd et al. 2000). Die bipolaren Erkrankungen basieren zwar auf einer Störung an affektiver Verarbeitung beteiligter Hirnregionen, die einzelnen Komponenten differieren aber je nach Krankheitsstatus erheblich.
36.2.2
Studien kognitiv-motorischer Aufgabenstellungen
Während gesunde Probanden in sog. Wortflüssigkeitstests konsistent links präfrontale und anterior zinguläre Aktivität aufweisen, sind die behavioralen Auffälligkeiten depressi-
36
536
Kapitel 36 · Affektive Erkrankungen
ver Patienten durch verringerte Aktivität des Präfrontalkortex und ein Fehlen signifikanter Aktivität des anterioren zingulären Kortex gekennzeichnet (Okada et al. 2003). Neuere Ergebnisse liefern zudem Hinweise auf eine abnorme Funktion zerebellärer Areale. Im Vergleich zu Gesunden führt die Antizipation schmerzhafter Stimuli bei remittierten depressiven Frauen zu einer reduzierten zerebellären Antwort. Zusammen mit den nachgewiesenen strukturellen Veränderungen zerebellärer Strukturen (Beyer u. Krishnan 2002) stellen diese Auffälligkeiten möglicherweise einen Marker für die Vulnerabilität rekurrenter Depression dar (Smith et al. 2002). Obgleich präfrontale Dysfunktionen keine nosologische Spezifität besitzen, also nicht auf affektive Störungen im engeren Sinne beschränkt bleiben, und u. a. auch bei Schizophrenie, Angsterkrankungen, Morbus Parkinson und Demenz vorkommen, lassen sich einige depressionsspezifische präfrontale Auffälligkeiten während kognitivmotorischer Aufgaben nachweisen. Diese treten vor allem in medioorbitofrontalen Bereichen auf und grenzen sich von den charakteristischen dorsolateral-präfrontalen Aktivitätsmustern schizophrener Patienten ab. Schizophrene zeigen z. B. während mathematischer Aufgabenstellungen i. d. R. keine oder verringerte Aktivierungen im Bereich des dorsolateralen Präfrontalkortex (Hugdahl et al. 2004), wohingegen nicht-psychotische, nicht-medizierte Depressive eher normale bilaterale dorsolateral-präfrontale Aktivierungsmuster aufweisen (Barch et al. 2003). Ähnliche kognitive Beeinträchtigungen bei unterschiedlichen Erkrankungen spiegeln sich somit nicht notwendigerweise in veränderten Aktivierungsmustern gleicher Hirnregionen wider. Präfrontale Auffälligkeiten depressiver Patienten sind eher in medioorbitalen Arealen wie z. B. dem ventromedialen Präfrontalkortex und der subgenualen Region lokalisiert (Drevets et al. 1997), die wiederum eng reziprok mit limbischen Arealen verknüpft sind. Während kognitive präfrontale Defizite bei jungen Depressionspatienten vergleichsweise gering sind, treten diese bei älteren Patienten gehäuft auf und sind mit dorsolateralpräfrontalen strukturellen und funktionellen Auffälligkeiten korreliert. ! Dies verdeutlicht erneut die Notwendigkeit einer Unterscheidung früh- und späterkrankter Patienten.
36
Die häufig beobachtbaren psychomotorischen Veränderungen bipolarer Patienten finden in einer effektorspezifischen erhöhten Aktivität primär- und sekundär-motorischer kortikaler und subkortikaler Areale während einfacher Fingerflexionsbewegungen ihr neurophysiologisches Korrelat (Caligiuri et al. 2003). DSM-IV klassifizierte manische Patienten zeigen im Vergleich zu Gesunden eine bilaterale Aktivitätserhöhung des Globus pallidus und primären Motorkortex, wohingegen depressiv-bipolare Patienten im Vergleich zu manisch-bipolaren Patienten eine erhöhte Aktivität im Thalamus und Nucleus caudatus aufweisen.
Der Schweregrad der manischen Episode ist zudem positiv mit linker und negativ mit rechter Pallidumaktivität korreliert. Diese physiologischen Auffälligkeiten werden vom Medikationsstatus beeinflusst: Bipolare Patienten ohne antipsychotische oder stimmungsstabilisierende Medikation zeigen im Vergleich zu medizierten Patienten signifikant erhöhte Aktivierungen des primären Motorkortex, der supplementär-motorischen Area, des Globus pallidus und des Thalamus (Caligiuri et al. 2003). Eine erfolgreiche psychopharmakologische Intervention normalisiert somit unter Umständen die krankheitskorrelierten Aktivitätsveränderungen in kortikal-subkortikal motorischen Netzwerken. Ein weiteres Kerndefizit bipolarer Patienten ist eine verringerte Arbeitsgedächtnisleistung. Dies korreliert mit einer erhöhten Aktivität in mit Gedächtnisleistung und Informationsabruf assozierten Arealen, inklusive frontopolarer Regionen, des Thalamus und der Basalganglien (Adler et al. 2004). Euthym-bipolare Patienten zeigen häufig andauernde Defizite des Arbeitsgedächtnisses. In einer streng kontrollierten Studie konnten Monks et al. (2004) zeigen, dass diese Defizite mit veränderten Aktivierungsmustern in frontal-exekutiven Arealen korreliert sind (. Abb. 36.7). Durch einen Vergleich von zentral exekutiven und phonologischen Arbeitsgedächtnisaufgaben konnten die Autoren die Spezifität dieser Ergebnisse darstellen: Während Patienten keine Aktivierungsunterschiede im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden in phonologischen Gedächtnistests zeigten, ergaben sich signifikante Aktivitätsverringerungen in bilateral frontalen, temporalen und parietalen Arealen, sowie erhöhte Aktivierungen im linken präzentralen, rechten mediofrontalen und linken supramarginalem Gyrus in einer zentral exekutiven Arbeitsgedächtnisaufgabe. Hierbei wurden ausschließlich Patienten mit gleicher Medikation und ohne weitere klinische Befunde getestet, die sich seit mindestens 4 Wochen in einer euthymen Phase befanden. Somit wurden eventuelle State-Komponenten genau kontrolliert. Die Studie verdeutlicht zudem die Notwendigkeit, mehrere kognitive Paradigmen zu testen, um Aussagen über die neuronalen Korrelate der Kerndefizite der Erkrankung treffen zu können. Die Autoren konnten so zeigen, dass ein Defizit frontal-exekutiver Funktion als ein Kerndefizit der bipolaren Störung angesehen werden kann, das sich in einer signifikanten Aktivitätsveränderung entsprechender kortikaler Areale widerspiegelt. Insgesamt betrachtet ist die derzeitige Befundlage bezüglich funktioneller MRT-Untersuchungen vor allem bipolarer Patienten jedoch noch unzureichend, um eine überzeugende und klinisch relevante Validierung eines Gesamtmodells zu liefern. Unklar ist zudem der Zusammenhang frontaler Dysfunktionen und ihrer Auswirkungen: So können sowohl stressabhängige autonome und neuroendokrine Reaktionen als auch belohnungsbezogene, mesolimbisch dopaminerge Fehlfunktionen den bei Patienten mit affektiven Stö-
537 36.2 · Funktionelle Bildgebung affektiver Störungen
. Abb. 36.7a, b. Kortikale Aktivität bipolarer Patienten und gesunder Kontrollen während zentral exekutiver und phonologischer Arbeitsgedächtnisaufgaben. a Bipolare Patienten zeigen in einem zentral-exekutiven Arbeitsgedächtnistest verringerte Aktivität in bilateral frontalen, temporalen und parietalen Arealen, sowie erhöhte Aktivität in links präzentralen, rechts mediofrontalen und links supramarginalen Gyri. b In einem phonologischen Arbeitsgedächtnistest lassen sich keine signifikanten Aktivierungsunterschiede nachweisen (p=0,01, korrigiert). R rechts; Zahlen geben Talairach-Koordinaten in der z-Dimension an (Monks et al. 2004)
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rungen charakteristischen anhedonischen, motivationalen und autonomen Auffälligkeiten zugrunde liegen (Drevets et al. 1998). Veränderte Aktivierungsmuster spiegeln ggf. eine Prädisposition für depressive Episoden wider oder aber stellen physiologische Begleiterscheinungen dar, die die depressive Symptomatik lediglich begleiten. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Rekrutierung kompensatorischer Mechanismen, die auf pathologische Prozesse modulierend einwirken oder aber die für das emotionale Erleben beteiligten Areale indirekt beeinflussen (Drevets et al. 1998; Strakowski et al. 2004). Derzeit fehlen überzeugende Längsschnittstudien, die sowohl anatomische als auch funktionelle Auffälligkeiten affektiver Störungen an homogenen Stichproben über mehrere Monate oder Jahre untersuchen. Die Notwendigkeit solcher Untersuchungen ergibt sich aus dem oft wechselhaften oder zyklischen Verlauf affektiver Erkrankungen, sowie dem Befund hirnmorphologischer Veränderungen besonders älterer Patienten.
36.2.3
State- und Trait-Merkmale affektiver Erkrankungen
Ältere depressive Patienten zeigen häufig kognitive Beeinträchtigungen, die sich deutlich von denen der Demenz unterscheiden lassen, und sowohl durch psychologische Ursachen, wie z. B. Veränderungen der Aufmerksamkeit und Motivation, als auch strukturelle Veränderungen vermittelt werden. Obgleich ältere Patienten stärkere struktu-
relle Veränderungen als jüngere Patienten aufweisen, scheinen diese prinzipiell ohne signifikante funktionelle Konsequenzen zu sein (Dahabra et al. 1998). Zudem persistieren die strukturellen und kognitiven Veränderungen auch nach Abklingen der depressiven Episode unabhängig vom Beginn der Erkrankung, und deuten somit an, dass funktionelle Auffälligkeiten eher ein Resultat des depressiven Zustandes als der Manifestation struktureller Veränderungen sind (Dahabra et al. 1998). Andere Studien kommen jedoch zu dem Schluss, dass die erhöhte Vulnerabilität für neuroanatomische Veränderungen ursächlich für das Entstehen kognitiver Dysfunktion depressiver Patienten ist. Krankheitsspezifische Manifestationen im Rahmen zerebraler Aktivierungen bieten ggf. die Möglichkeit einer frühzeitigen Evaluation der medikamentösen Behandlung und eine zusätzliche Absicherung differenzialdiagnostischer Klassifizierungen (Gron et al. 2002). Der Vergleich gesunder (n=11) und depressiver (n=11; DSM-IV) Probanden vor und nach erfolgreicher medikamentöser Behandlung zeigt bei Patienten eine beeinträchtigte Amygdalaaktivität während der Verarbeitung subliminaler emotionaler Gesichter (Sheline et al. 2001). Der Präsentation eines neutralen Gesichtes ging die kurzzeitige und unbewusste Präsentation eines traurigen, fröhlichen oder neutralen Gesichtes voraus (. Abb. 36.8a). Die resultierenden Aktivierungen der Amygdalae sind hierbei deutlich von den für dieses Messverfahren typischen Signalauslöschungen im Bereich der Schädelbasis entfernt (. Abb. 36.8b). Die Präsentation vor allem furchtsamer Gesichter führt bei Depressiven zu deutlich erhöhter linkssei-
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Kapitel 36 · Affektive Erkrankungen
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. Abb. 36.8a–e. Verarbeitung subliminaler emotionaler Gesichter. a Emotionale Gesichter (furchtsam, traurig, neutral) wurden für 40 ms, neutrale Gesichter für 160 ms präsentiert. b Anatomisch definierte ROI im Bereich der Amygdala und dazu korrespondierende funktionelle Bilder derselben Region. c Depressive demonstrierten eine größere linksseitige Amygdalaaktivität nach Präsentation furchtsamer Gesich-
ter als Kontrollprobanden. d, e Nach antidepressiver Behandlung zeigte sich eine Normalisierung der erhöhten Amygdalaaktivität sowohl bei der generellen Präsentation emotionaler Gesichter (d), als auch bei Präsentation maskierter furchtsamer Stimuli (e) (Sheline et al. 2001)
tiger Amygdalaaktivität (. Abb. 36.8c), während rechtsseitige Amygdalaaktivität sowohl bei Gesunden als auch bei Depressiven erhöht ist (. Abb. 36.8c). Die achtwöchige Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI)-Behandlung resultiert in einer Reduktion bilateraler Amygdalaaktivität (. Abb. 36.8d), die wiederum besonders bei Präsentation furchtsamer Reize ausgeprägt ist (. Abb. 36.8e). Die Verwendung subliminaler Stimuli verhindert, dass die Effekte einer erhöhten Tendenz Depressiver entspringen, negative Kontexte verstärkt wahrzunehmen und zu beachten. Diese Hypersensitivität bezüglich furchtsamer Stimuli findet somit in einer erhöhten linksseitigen Aktivie-
rung der Amygdala ein physiologisches Korrelat. Ein grundlegendes Problem bildgebend-pharmakologischer Studien wird hierbei deutlich: Aufgrund des Fehlens einer Plazebogruppe lässt sich nicht bestimmen, ob Aktivierungsveränderungen ein Effekt der Messwiederholung oder der aus der antidepressiven Behandlung resultierenden Symptomreduktion sind. Neuere Studien deuten an, dass fMRT für die Charakterisierung antidepressiver Behandlung eingesetzt werden kann, indem Aktivierungen vor und nach Behandlungsbeginn mit denen gut gematchter Kontrollprobanden verglichen werden. Fu et al. (2004) haben hierfür 19 nach DSM-
539 36.2 · Funktionelle Bildgebung affektiver Störungen
. Abb. 36.9. Areale (prägenualer anteriorer zingulärer Kortex, ventrales Striatum, Zerebellum), in denen eine Verringerung stimuluskorrelierter Aktivität (d. h. Areale, die auf den emotionalen Gehalt der präsentierten Stimuli antworten) signifikant mit einer Reduktion der affektiven Symptomatik nach antidepressiver Behandlung assoziiert ist. R rechts; Zahlen geben Talairach-Koordinaten in der z-Dimension an (Fu et al. 2004)
IV klassifizierte Depressive vor und nach SSRI-Behandlung während einer emotionalen Klassifikationsaufgabe verglichen. Die Probanden klassifizierten hierbei das Geschlecht unterschiedlich trauriger Gesichter. Durch dieses Verfahren kann das implizite Verarbeiten affektiver Information untersucht werden. Frühere Studien konnten bereits nachweisen, dass affektive Information bereits zu Aktivierungen emotionaler Netzwerke führt, bevor Probanden explizite Aussagen bezüglich des emotionalen Gehalts solcher Stimuli treffen können. Im Vergleich zu Gesunden zeigten sich bei Depressiven während der Präsentation emotionaler Stimuli verringerte Aktivierungen im Bereich der linken Amygdala, des ventralen Striatums und des frontoparietalen Kortex, sowie eine Erhöhung links präfrontaler Aktivität, die mit dem Unterschied des affektiven Gehalts der präsentierten Stimuli korreliert (. Abb. 36.9). Nach erfolgreicher medikamentöser Behandlung trat eine mit dem Ausmaß des Behandlungseffektes korrelierte Normalisierung affektspezifischer Aktivität vor allem im Bereich des prägenualen zingulären Kortex und des ventralen Striatums auf. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass prägenual zinguläre Aktivität unter Umständen prädiktiv für die medikamentöse Ansprechbarkeit ist und somit einen wichtigen diagnostischen Wert besitzen könnte. Der häufige phasische Verlauf affektiver Erkrankungen ermöglicht z. B. den Vergleich unterschiedlicher Krankheitsstadien innerhalb gleicher Stichproben und somit eine Differenzierung zustandsbedingter und anlagebedingter Auffälligkeiten. Die funktionelle MRT erlaubt hierbei einen
Vergleich des Einfluss verschiedener Behandlungsmethoden, wie z. B. medikamentöse Behandlung, transkranielle Magnetstimulation (TMS) oder Elektrokrampftherapie (EKT) auf neurophysiologische Aktivitätsmuster. Unter der Annahme, dass Unterschiede kortikaler Aktivierungsmuster hierbei Korrelate pathophysiologischer Prozesse darstellen, ist zu erwarten, dass diese Unterschiede sich nach erfolgreicher Behandlung oder Symptomremission zumindest teilweise normalisieren und ein mit gesunden Probanden vergleichbares Niveau erreichen. > Definition Bei der transkraniellen Magnetstimulation handelt es sich um eine nichtinvasive, neurophysiologische Methode zur fokalen Stimulation des Kortex, beruhend auf dem Prinzip der elektromagnetischen Induktion. Hierbei durchdringen die Magnetpulse den Schädel ungehindert und induzieren in leitendem Gewebe einen elektrischen Strompuls, der kortikale Neurone depolarisieren oder in ihrer Erregbarkeit verändern kann. Über primär motorischen und visuellen Arealen können Positivphänomene in Form von Muskelpotenzialen bzw. Lichtblitzen (Phosphenen) ausgelöst werden. Bei der Elektrokrampftherapie wird durch elektrische Reizung des Gehirns ein generalisierter hirnorganischer Anfall ausgelöst. Die EKT ist bei therapieresistenter wahnhafter Depression, depressivem Stupor sowie akuter suizidaler Katatonie indiziert. Die therapeutische Wirkung beruht vermutlich auf der konsekutiven Ver6
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540
Kapitel 36 · Affektive Erkrankungen
änderung des Hirnstoffwechsels. Die erfolgreiche Therapie erfordert ca. 5–12 Behandlungen, die in Narkose unter Muskelrelaxation durchgeführt werden. Nebenwirkungen sind akute, zumeist reversible Verwirrtheitszustände und Amnesien.
Exkurs TMS und Depression Die Behandlung der Depression mittels TMS beruht auf der Annahme, dass die fokale und repetitive Stimulation des Kortex zu überdauernden Veränderungen kortikaler Erregbarkeit und ggf. zu einer Normalisierung gestörter Hirnfunktion führt, ohne dabei die Nebenwirkungen der EKT zu erzeugen. Basierend auf bildgebenden Untersuchungen hat sich die Forschung hierbei vor allem auf die Stimulation des dorsolateralen Präfrontalkortex konzentriert. Allerdings bleibt der antidepressive Effekt meist unterhalb der klinischen Relevanz und hält selten länger als 1–2 Wochen an (Padberg u. Möller 2003). Bezüglich der effektiven Stimulationsparameter, des optimalen Stimulationsortes, oder der Langzeitfolgen entsprechender Stimulationsprotokolle besteht kein Konsens. Bei der »magnetic seizure therapy« (MST) werden mittels der TMS generalisierte Anfälle erzeugt. Im Vergleich zur EKT besteht hierbei eine bessere Kontrolle über die Lokalisation des Anfalles und das Ausmaß der kortikalen Stimulation, und es kommt zu geringeren subjektiven und objektiven Nebenwirkungen. Derzeit fehlen jedoch kontrollierte Multicenterstudien, die eine valide Beurteilung des Behandlungspotenzials magnetischer Kortexstimulation bei der Depression erlauben.
36
Die Befundlage bezüglich vorliegender fMRT-Untersuchungen von Trait- und State-Merkmalen affektiver Erkrankungen ist generell uneinheitlich. Verringerte Aktivierungen vor allem links präfrontaler Areale zeigen sich bei Depressiven nach Präsentationen negativer piktorialer Stimuli, die wiederum nach erfolgreicher antidepressiver Behandlung auf ein normales Niveau zurückkehren (Davidson et al. 2003). Die verringerte Leistung älterer depressiver Patienten in kognitiven Tests präfrontaler Funktion ist dabei mit einer Volumenverringerung im Bereich des linken Orbitofrontalkortex korreliert (Steffens et al. 2003). Gleichzeitig führt erfolgreiche Behandlung mit Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern zu einer Normalisierung der Aktivitätsmuster sekundär-visueller Areale nach Präsentation positiver und negativer Bildreize, und deutet darauf hin, dass entsprechende Verhaltensauffälligkeiten nicht ausschließlich durch präfrontale Dysfunktionen vermittelt werden (Kanlin et al. 1997). Bipolare Störungen sind unter anderem mit Trait-Auffälligkeiten im Bereich des linken ventralen Präfrontalkor-
tex assoziiert (Blumberg et al. 2003). Hierbei ist jedoch die Lateralisierung und Ausprägung dieser Auffälligkeiten maßgeblich durch die Valenz der affektiven Symptomatik bestimmt: während Patienten mit einer gehobenen Stimmung eine rechtsseitige Verringerung ventral präfrontaler Aktivität zeigen, weisen depressive Patienten eine linksseitige Aktivitätserhöhung auf. Bipolare Patienten zeigen zudem signifikant höhere Aktivitätsmuster im Bereich des Motorkortex, der Basalganglien und des Thalamus, die sich unter erfolgreicher antidepressiver Behandlung normalisieren (Caligiuri et al. 2003). Das häufige Fehlen von Stimmungsratings und experimentellen Verhaltensdaten erschwert jedoch eine Beurteilung vieler Studien bipolarer Patienten. In einer neueren Untersuchung wurden euthyme, unmedizierte Patienten mit gesunden Probanden während der Ausführung einer nichtemotionalen Aufgabe verglichen (Strakowski et al. 2004). Obgleich sich zwischen den Gruppen keine Unterschiede im Verhalten nachweisen ließen, zeigten Patienten signifikant höhere Aktivierungen in Regionen, die emotionale Reize verarbeiten. Zu diesen zählen parahippokampale Areale inkl. der Amygdala sowie der ventrolaterale Präfrontalkortex. Eine zusätzlich erhöhte Aktivität visueller Assoziationsareale deutet auf eine kompensatorische Funktion gegenüber der erhöhten Reaktivität emotionaler Areale bei euthymen Patienten hin. Die erhöhte Reaktivität emotionaler Areale während nicht-emotionaler Aufgabenstellungen ist als ein mögliches neurophysiologisches Korrelat der erhöhten Vulnerabilität für Stimmungsschwankungen interpretiert worden.
Exkurs Strukturell-morphologische Auffälligkeiten affektiver Störungen Hochaufgelöste MRT-Aufnahmen zerebraler Strukturen im (Sub-)Millimeterbereich mit einer Kontrastierung weißer und grauer Substanz erlauben die Identifizierung pathologisch-morphologischer Veränderungen in vivo mit einer hohen Sensitivität. Hierdurch ist ein limbisch-kortikal-striatal-pallidal-thalamisches Netzwerk identifiziert worden, innerhalb dessen strukturelle Veränderungen zu einer erhöhten Auftretenswahrscheinlichkeit affektiver Störungen führen. Vor allem frontostriatale Strukturen wie der subgenuale und orbitofrontale Präfrontalkortex, hippokampal-amygdaloide Areale sowie die Basalganglien sind hierbei betroffen. Im Bereich des subgenualen Präfrontalkortex treten bereits im frühen Krankheitsstadium Volumenreduktionen von bis zu 48% auf (Drevets et al. 1997). Ähnliche Auffälligkeiten zeigen sich bei familiär-bipolaren Störungen (Drevets et al. 1997) und lassen sich in Post-mortem-Untersuchungen als verringerte Neuronendichte nachweisen. Präfrontale Volumina sind bei Patienten 6
541 36.2 · Funktionelle Bildgebung affektiver Störungen
mit spätem Krankheitsbeginn signifikant reduziert und mit dem Schweregrad der Erkrankung korreliert. Veränderungen medial-temporaler Strukturen scheinen sich bereits bei jungen bipolaren Patienten zu manifestieren (Blumberg et al. 2004). Schädigungen der tiefen weißen Substanz lassen sich bei bis zu 67% aller späterkrankten bipolaren Patienten nachweisen und bilden vermutlich einen Marker für die Chronifizierung der Erkrankung. Strukturelle Veränderungen vor allem frontaler Strukturen sind negativ mit einem Ansprechen auf medikamentöse Behandlung korreliert. Ungeklärt bleibt jedoch die Frage, ob strukturelle Veränderungen der depressiven Erkrankung vorangehen oder Folge einer sekundären Pathologie sind, die letztlich ebenfalls in depressiver Symptomatik resultiert.
Die zunehmende Zahl bildgebender Studien verdeutlicht, dass affektive Erkrankungen mit abnormer Funktion sowohl höherer kortikaler als auch limbischer Areale assoziiert sind. Dies deutet darauf hin, dass die Phänomenologie der Depression nicht die Dysfunktion isolierter kortikaler oder subkortikaler Regionen reflektiert, sondern eine Störung der Regulation limbisch-kortikaler Interaktion widerspiegelt (. Abb. 36.10). Allerdings sind aufgrund fehlender Plazebountersuchungen, oft mangelnder Kontrollbedingungen sowie eventuell auftretender Messwiederholungseffekte TraitMerkmale nur eingeschränkt definierbar, und entsprechend kontrollierte Untersuchungen erforderlich, um eine gezielte Spezifizierung eventueller Trait- bzw. State-Merkmale für die entsprechenden Subtypen der affektiven Erkrankungen mittels der funktionellen Bildgebung zu ermöglichen. In einem Farbe-Wort-Interferenz-Test wurden 36 bipolare Patienten gemäß DSM-IV nach gehobener, depressiver oder euthymer Stimmung klassifiziert (Blumberg et al. 2003). Diese Aufgabe erfordert die Beteiligung mehrerer aufmerksamkeitsspezifischer und kognitiver Prozesse, wie z. B. die erfolgreiche Detektion gegensätzlicher Farb- und Wort-Stimuli, die Inhibition falscher Antworttendenzen und die Selektion erforderlicher Reaktionen. Aktivierungen wurden vor allem im Bereich des dorsalen anterioren zingulären Kortex und des Präfrontalkortex beobachtet. Im Bereich des ventralen Präfrontalkortex wiesen depressive Patienten eine erhöhte linksseitige Aktivität auf (. Abb. 36.11a), während euphorische Patienten eine rechtsseitige Reduktion kortikaler Aktivität (. Abb. 36.11b) im Vergleich
Zusammenfassung und Ausblick Die funktionelle Bildgebung hat entscheidend zu dem Verständnis der funktionellen Neuroanatomie und der Formulierung klarer Hypothesen bezüglich Fehlfunktionen be-
. Abb. 36.10. Limbisch-kortikales Dysregulationsmodell nach Mayberg (2003) und Seminowicz et al. (2004). Das Modell hebt interkonnektierte Areale hervor, die synchrone Aktivitätsveränderungen während 3 verschiedener behavioraler Zustände zeigen: unipolar depressiv, remittiert-depressiv und induzierte Traurigkeit. Limbische Areale: blau, kortikale Areale: grün, subkortikale Areale: rot. Traurigkeit und Depression sind mit verringerter dorsal kortikaler (Aufmerksamkeit und Kognition) Aktivität korreliert, wohingegen ventral limbische und paralimbische (autonome Funktionen) Areale Aktivitätszunahmen zeigen. Laut Modell führt eine Normalisierung kortikal-limbischer Interaktion zu einer Remission der affektiven Symptomatik. Dies kann z. B. durch Medikation oder Plazeboeffekte erreicht werden. Zudem fördert eine initiale Modulation subkortikaler Kernareale durch bestimmte Therapieformen eine Wiederherstellung und Erhaltung des Gleichgewichtes innerhalb limbisch-kortikaler Netzwerke und begünstigt somit eine Verbesserung des klinischen Erscheinungsbildes. Dorsomediofrontale (mf9–10), rostro-anterior-zinguläre (rZg24) und medioorbitofrontale (mof11) Areale sind innerhalb der 3 Systeme hervorgehoben, um ihre besondere Bedeutung für selbst-referenzielle, emotional bedeutsame exogene Reize zu betonen, die entscheidenden Einfluss auf Belohnungs-, Bestrafungs- und Lernvorgänge sowohl bei Gesunden als auch bei affektiv Erkrankten haben. Abkürzungen: aZg: anteriorer zingulärer Kortex; KBT kognitiv-behaviorale Therapie; pZg posteriorer zingulärer Kortex; ant anterior; post posterior; Hypothal Hypothalamus; mof medial orbitofrontal; PK Parietalkortex; pm prämotor; pf präfrontal; mf medial frontal
zu euthymen Patienten erkennen ließen. Alle Patienten zeigten zudem unabhängig von der Stimmung eine verringerte Aktivierung des linken rostroventralen Präfrontalkortex im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden (. Abb. 36.11c). Der linke ventrale Präfrontalkortex scheint ein Trait-Merkmal der Erkrankung darzustellen, wohingegen Veränderungen anderer präfrontaler Regionen durch die akute Stimmungslage der Patienten bestimmt werden.
stimmter Hirnareale beigetragen. Hieraus lassen sich bereits erste klinisch relevante Anwendungen entwickeln. So wurde z. B. aufgrund der immer wieder beschriebenen Aktivitätsveränderungen im Bereich des subgenualen zin6
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Kapitel 36 · Affektive Erkrankungen
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. Abb. 36.11a–c. Vergleich der Aktivität des kaudalen ventralen Präfrontalkortex (VPF) bei verschiedenen Stimmungszuständen bipolarer Patienten. a Erhöhte linksseitige Aktivität im VPF zeigt sich bei depressiven (n=10) im Vergleich zu euthymen bipolaren Patienten (n=15). b Dagegen weisen Patienten mit einer gehobenen Stimmung (n=11) eine rechtsseitige Aktivitätsreduktion im VPF im Vergleich zu
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gulären Kortex die Hypothese formuliert, dass eine Normalisierung in diesem Bereich zu einer Verringerung affektiver Symptomatik führen sollte. Bei therapieresistenten depressiven Patienten wurde daraufhin durch chronische elektrische Stimulation der an dieses Areal angrenzenden Projektionen eine Aktivitätsnormalisierung beobachtet, die mit einer beeindruckenden Symptomverbesserung der ansonsten auf therapeutische Intervention nicht ansprechenden depressiven Patienten einherging (Mayberg et al. 2005). Dieses Ergebnis verdeutlicht, wie die aus der funktionellen Bildgebung gewonnenen Erkenntnisse für die effektive Behandlung affektiver Störungen genutzt werden können. Es ist allerdings zu betonen, dass eine detaillierte Identifikation der krankheitsspezifischen Netzwerke derzeit bestenfalls für die Kernmerkmale depressiver und bipolarer Erkrankungen vorhanden ist. Hier fehlen umfangreiche Untersuchungen der verschiedenen Subtypen dieser Erkrankungen, die für eine effektive und gezielte Behandlung der Subtypen der affektiven Störungen erforderlich sind und einen Brückenschlag mit anderen methodischen Untersuchungsund Behandlungsmethoden ermöglichen. Die Ergebnisse strukturell und funktionell bildgebender Studien bestätigen derzeitige Modelle, in denen affektive Störungen das Resultat von Dysfunktionen limbisch-präfrontal-striataler Areale sind, die für die Verarbeitung emotionalen Verhaltens und Erlebens verantwortlich sind. Störungen innerhalb dieses komplexen anatomischen Netzwerkes führen zu den für die affektiven Erkrankungen typischen emotionalen, kognitiven, psychomotorischen, neurovegetativen, neuroendokrinen und neurochemischen Auffälligkeiten und lassen sich mit
c euthymen Patienten (n=15) auf. c Vergleich bipolarer Patienten und gesunder Kontrollprobanden. Eine Aktivitätsverringerung im Bereich des linken rostralen ventralen Präfrontalkortex zeigt sich bei bipolaren Patienten (n=36) im Vergleich zu gesunden Kontrollen (n=20). p Definition Bei der Symptomprovokation werden psychiatrische Krankheitssymptome mittels experimenteller Maßnahmen evoziert. Bei der skriptbasierten Symptomprovokation sind dies Maßnahmen, die auf das individuelle traumatisierende Ereignis (in Form eines Skripts, d. h. einer regulären Ereignisabfolge in bestimmten individuellen Situationen oder Kontexten) zugeschnitten sind.
Da bei der Zwangserkrankung die Art des Stimulus von entscheidender Bedeutung ist, werden zur Evozierung der Symptome meist Stimuli dargeboten, die auf die individuelle Symptomatik zugeschnitten sind. Bildgebende Studien, die vor dem Hintergrund dieser Methode die zerebralen Korrelate von Patienten mit Zwangserkrankung bei Wahrnehmung eines symptomspezifischen Reizes mit der Aktivierung bei Darbietung eines neutralen Stimulus verglichen haben, kamen zu relativ einheitlichen Befunden. So schien frühen PET-Studien zufolge die Wahrnehmung symptomspezifischer Reize bei Patienten mit Zwangserkrankung vornehmlich mit einer Aktivierungserhöhung im Bereich des orbitalen Präfrontalkortex (OPFC), des Striatums sowie des Thalamus assoziiert zu sein (. Abb. 37.1). Untersuchungen mittels fMRT bestätigten im Wesentlichen diese Vorbefunde. Breiter et al. (1996) fanden in einer fMRTStudie bei Symptomprovokation erhöhte Aktivierungen im OPFC bilateral sowie im rechten Nucleus caudatus.
547 37.1 · Zwangsstörungen
37.1.3
Bildgebende Studien mittels kognitiver Paradigmen
Darüber hinaus zeigten sich unter anderem auch lateral-frontale und anterior-temporale Areale sowie Amygdala und insulärer Kortex bei der Wahrnehmung symptomspezifischer Reize aktiviert. Eine jüngere Symptomprovokationsstudie mittels individuell zugeschnittener Auslösereize (Adler et al. 2000) wies ebenso auf störungsspezifische zerebrale Korrelate im orbitofrontalen und mediotemporalen Kortexbereich hin.
In Untersuchungen mittels kognitiver Verfahren zeigen dieselben Areale im Bereich der Basalganglien sowie des OPFC bei Zwangserkrankten auch bei kognitiven Anforderungen auffällige Aktivierungsmuster. Beispielsweise war während der Bearbeitung einer Aufgabe zum impliziten Gedächtnis bei Gesunden eine signifikante Aktivierungserhöhung im bilateralen inferioren Striatum zu verzeichnen, die bei Patienten mit Zwangserkrankung fehlte (Rauch et al. 2001). In der Gruppe der Patienten fanden sich stattdessen mediotemporale Areale aktiviert und somit Strukturen, die gewöhnlich mit der Bearbeitung von Aufgaben zum expliziten Gedächtnis in Zusammenhang gebracht werden. Die Befunde der Arbeitsgruppe um Rauch liefern demnach einen weiteren Hinweis auf eine kortikostriatale Dysfunktion, die bereits mehrfach als ein mögliches Korrelat der Zwangssymptomatik vermutet wurde. Befunde zu den zerebralen Korrelaten frontalhirnspezifischer Aufgaben weisen auf Auffälligkeiten bei Zwangspatienten hin. In einer Untersuchung mittels des Wortflüssigkeitstests, der relativ stabil mit der Aktivierung linksfrontaler Strukturen einher geht, fand sich eine erhöhte Aktivierung im linken Frontalkortex während der Aufgabenbearbeitung sowie ein verminderter Aktivierungsrückgang während der Baseline-Phasen bei Patienten mit Zwangssymptomatik im Vergleich zu Gesunden (. Abb. 37.2; Pujol et al. 1999). Die erhöhte frontale Aktivierung während der Baseline-Phasen korrelierte darüber hinaus signifikant positiv mit dem Ausprägungsgrad der Symptomatik. Die Befunde stehen im Einklang mit Vorbefunden zu frontaler Hyperaktivität bei Patienten mit Zwangssymptomatik (Breiter et al. 1996). Da jedoch lediglich nicht-hörbare Antworten mit möglichst wenig Zungenbewegung
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. Abb. 37.2a, b. Gemittelter Zeitverlauf frontaler Aktivierung im Bereich des linken prämotorischen Kortex in gesunden Personen (a) und Patienten mit Zwangserkrankung (b) während der Bearbeitung eines Wortflüssigkeitstests. Bei Patienten mit Zwangssymptomatik im Ver-
gleich zu Gesunden zeigt sich eine erhöhte Aktivierung während der Aufgabenbearbeitung sowie eine erhöhte Restaktivierung während der zweiten Baseline-Phase (modifiziert nach Pujol et al. 1999)
. Abb. 37.1. PET-Untersuchungen zu den zerebralen Korrelaten der Zwangserkrankung. B Baxter et al. 1988: erhöhte Aktivierung vom Gyrus orbitalis und N. caudatus; N Nordahl et al. 1989: erhöhte Aktivierung vom OPFC; S Swedo et al. 1989: erhöhte Aktivierung vor allem von OPFC, Thalamus und Zerebellum; P Perani et al. 1995: erhöhte Aktivierung vor allem von N. lenticularis und Thalamus; R Rauch et al. 1994, 1997: erhöhte Aktivierung vor allem von N. caudatus und Striatum; M McGuire et al. 1994: erhöhte Aktivierung vor allem von inferior frontalen Arealen und Striatum; C Cottraux et al. 1996: erhöhte Aktivierung vom OPFC, verringerte Aktivierung von Thalamus und Putamen. Striatäre Bahnen: grün: exzitatorische Neurone; rot: inhibitorische Neurone (modifiziert nach Nolte u. Angevine 2003)
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Kapitel 37 · Zwangs- und Angststörungen
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. Abb. 37.3a–c. Erhöhte anterior zinguläre (a), insuläre (b) und linksparahippokampale (c) Aktivierung bei der Bearbeitung des »Tower-ofLondon«-Paradigmas in Abhängigkeit von der Aufgabenschwierigkeit
bei Patienten mit Zwangssymptomatik im Vergleich zu Gesunden (van den Heuvel et al. 2003)
verlangt wurden, konnten Performanz und Kooperation der Probanden nicht nachgeprüft werden, so dass die Ergebnisse noch unter Vorbehalt zu interpretieren sind. Das »Tower-of-London«-Paradigma (TOL) erfasst in erster Linie die Problemlösefähigkeit einer Person und ist besonders mit der Aktivierung frontal-striataler Strukturen assoziiert. Van den Heuvel et al. (2003, 2005) untersuchten die zerebrale Aktivierung unmedizierter Zwangspatienten während der Bearbeitung der TOL-Aufgabe (Shallice 1982) mittels fMRT. Der Problemlösungsprozess ging bei Patienten mit einer erniedrigten frontal-striatalen Responsivität einher (. Abb. 37.3). Erhöhte Aktivierung in Abhängigkeit von der Aufgabenschwierigkeit zeigte sich hingegen bei Patienten im Vergleich zu Gesunden vor allem im Bereich des anterioren Cingulums, der bilateralen Insula und des linken parahippokampalen Gyrus. Auch die Gruppe um Fitzgerald (2005) fand bei Patienten eine im Vergleich zu gesunden Personen signifikant erhöhte fehlerbezogene Aktivierung im rostralen Abschnitt des anterioren Cingulums während der Bearbeitung einer einfachen kognitiven Aufgabe. Zudem scheint bei Patienten mit Waschzwang bzw. Kontaminationsängsten die Insula, die bekanntlich eine wesentliche Rolle im Rahmen der Entstehung von Ekelgefühlen spielt, bei der Wahrnehmung ekelerregender Bilder stärker aktiviert zu sein als bei Gesunden (Shapira et al. 2003). Vor dem Hintergrund derartiger Befunde, die darauf hindeuten, dass die Art der Symptome ganz wesentlich die zerebralen Substrate der Störung mit beeinflussen, wurden in einer jüngsten Studie die zerebralen Korrelate von Wasch-, Kontroll-, und Sammelzwängen miteinander in Beziehung gesetzt (Mataix-Cols et al. 2004). Es fanden sich hier in Abhängigkeit von der Symptomatik jeweils unterschiedliche, voneinander unabhängige Bereiche eines frontostriatothalamischen Netzwerks bei Symptomprovokation involviert, ein Befund, der darauf hindeutet, dass in künftigen Studien die Art des Zwangsverhaltens stärker berücksichtigt, wenn nicht sogar konstant gehalten werden sollte.
37.1.4
Modellvorstellungen zur Pathophysiologie aufgrund funktioneller Befunde
Aufgrund der Befunde bildgebender Verfahren, die relativ konsistent vornehmlich orbitofrontale sowie striatal-subkortikale Areale als Loci auffälliger Aktivierung bei Patienten mit Zwangserkrankung identifizieren konnten, wird eine gestörte Interaktion zwischen relevanten frontalen und subkortikalen Arealen als bestimmender Faktor für die Pathogenese der Erkrankung vermutet (Saxena et al. 2001). Unter den medial frontalen Strukturen wird hierbei besonders dem anterioren Cingulum wachsende Aufmerksamkeit zuteil. Das anteriore Cingulum zeigt sich unter anderem bei der Beobachtung und Registrierung eigener Fehler aktiviert. Da ein übersteigertes Bemühen zur Fehlervermeidung als charakteristisch für die Zwangserkrankung gilt, haben einige jüngere Studien die zerebrale Aktivierung während der Beobachtung eigener Fehler bei Patienten mit Zwangserkrankung untersucht (Taylor et al. 2003; Ursu et al. 2003). Signifikante zerebrale Aktivierungsunterschiede zwischen Patienten und Gesunden fanden sich hierbei lediglich im Bereich des rostralen anterioren Cingulum. Bei den Patienten war dort während der Ausführung und Wahrnehmung eigener Fehler eine signifikant höhere Aktivität zu verzeichnen als in der Gruppe der gesunden Kontrollprobanden. Darüber hinaus fand sich eine signifikant positive Korrelation zwischen der Aktivität im Bereich des rostralen anterioren Cingulum und dem Ausprägungsgrad der Zwangssymptomatik. . Abbildung 37.4 veranschaulicht die Befunde bildgebender Studien besonders in verschiedenen Bereichen der Basalganglien sowie orbitofrontaler, thalamischer und anterior zingulärer Strukturen. Eine dort lokalisierte Dysregulation könnte zur Pathogenese der Zwangserkrankung beitragen. Saxena et al. (2001) postulieren in ihrem Modell zur Pathophysiologie der Zwangserkrankung eine erhöhte Aktivierung in frontal-subkortikalen Verbindungswegen, die durch eine verstärkte tonische Aktivität in den direkten im Vergleich zu den indirekten orbitofrontalen-subkortikalen
549 37.2 · Angststörungen
Verbindungswegen zustande kommt (. Abb. 37.5). Da angenommen wird, dass besonders der OPFC bei der Genese emotionaler Reaktionen auf biologisch signifikante Stimuli (wie z. B. Schmutz, Sex, Gewalt etc.) eine ausschlaggebende Rolle spielt, wird zusehends häufiger die vielfach berichtete Aktivierungserhöhung in orbitofrontal-thalamischen Strukturen mit der Zwangssymptomatik in Verbindung gebracht. Hypoaktivierung des Striatums, dem in diesem Zusammenhang eine inhibitorische Funktion attribuiert wird, begünstigt dem Modell zufolge die frontal-subkortikale Hyperresponsivität zusätzlich.
. Abb. 37.4. Übersicht über verstärkte und erniedrigte Aktivierung in fMRT-Untersuchungen bei Zwangserkrankungen. Zusätzlich zu den striatären Schleifen sind der amygdalohippokampale Komplex (A, B) und das ACC (R, V) beschrieben. Anatomische Annotationen Abb. 37.1. B Breiter et al. 1996: erhöhte Aktivierung von OPFC und N. caudatus; P Pujol et al. 1999: erhöhte Aktivierung des prämotorischen Kortex; A Adler et al. 2000: erhöhte Aktivierung von OPFC und AmygdalaHippocampus-Komplex; R Rauch et al. 2001: erhöhte Aktivierung des Striatums; V Van den Heuvel et al. 2003: erniedrigte Aktivierung vor allem des Striatums; F Fitzgerald et al. 2005: erhöhte Aktivierung vom ACC (R); S Shapira et al. 2003: erhöhte Aktivierung der Insula; M Mataix-Cols et al. 2004: erhöhte Aktivierung vor allem von Striatum und Thalamus
. Abb. 37.5. Modellhafte Darstellung der Pathophysiologie der Zwangserkrankung. Angenommen wird eine erhöhte Aktivierung in orbitofrontal-thalamischen Strukturen, die durch eine verstärkte tonische Aktivität in den direkten im Vergleich zu den indirekten orbitofrontalen-subkortikalen Verbindungswegen zustande kommt (Zwang
37.2
Angststörungen
37.2.1
Diagnostische Kriterien
Ein der Zwangserkrankung als psychopathologisch verwandt angesehenes Störungsbild ist die Angsterkrankung. Sie wird in jüngster Zeit zusehends häufiger mittels fMRT untersucht. Besonderes Interesse gilt hierbei der sozialen Phobie, die durch Furcht vor dem Zusammensein mit anderen Menschen charakterisiert ist. Diagnostische Kriterien für die soziale Phobie (300.23) nach DSM-IV sind: A. Eine ausgeprägte und anhaltende Angst vor einer oder mehreren sozialen oder Leistungssituationen, in denen die Person mit unbekannten Personen konfrontiert ist oder von anderen Personen beurteilt werden könnte. Der Betroffene befürchtet, ein Verhalten (oder Angstsymptome) zu zeigen, das demütigend oder peinlich sein könnte. B. Die Konfrontation mit der gefürchteten sozialen Situation ruft fast immer eine unmittelbare Angstreaktion hervor, die das Erscheinungsbild einer situationsge-
= Pfeil). Dargestellt ist die striatäre Schleife mit orbitofrontalem Kortex (OPFC), Striatum und thalamischen Strukturen; grün: exzitatorisch wirkende Bahnen, rot: inhibitorisch wirkende Bahnen (modifiziert nach Saxena et al. 2001)
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Kapitel 37 · Zwangs- und Angststörungen
C. D.
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bundenen oder einer situationsbegünstigten Panikattacke annehmen kann. Die Person erkennt, dass die Angst übertrieben oder unbegründet ist. Die gefürchteten sozialen oder Leistungssituationen werden vermieden oder nur unter intensiver Angst oder Unwohlsein ertragen. Das Vermeidungsverhalten, die ängstliche Erwartungshaltung oder das starke Unbehagen in den gefürchteten sozialen oder Leistungssituationen beeinträchtigen deutlich die normale Lebensführung der Person, ihre berufliche (oder schulische) Leistung oder sozialen Aktivitäten oder Beziehungen, oder die Phobie verursacht erhebliches Leiden. Bei Personen unter 18 Jahren hält die Phobie über mindestens 6 Monate an. Das Störungsbild geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz (z. B. Droge, Medikament) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück und kann nicht besser durch eine andere psychische Störung erklärt werden. Falls ein medizinischer Krankheitsfaktor oder eine andere psychische Störung vorliegen, so stehen diese nicht in Zusammenhang mit der unter Kriterium A beschriebenen Angst.
Darüber hinaus rückt zunehmend die sogenannte posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Das Beschwerdebild ist eine Reaktion auf ein massives und traumatisierendes Ereignis und umfasst neben körperlichen Symptomen wie Hypervigilanz oder Schlaflosigkeit wiederholt auftretende Erinnerungen an das entsprechende Ereignis. Akute physische und psychische Reaktionen auf Reize oder Situationen treten auf, die dem Belastungsereignis ähnlich sind. Diagnostische Kriterien für die posttraumatische Belastungsstörung (309.81) nach DSM-IV sind: A. Die Person wurde mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, bei dem die beiden folgenden Kriterien vorhanden waren: 4 die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert, die tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen beinhalteten 4 Die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen B. Das traumatische Ereignis wird beharrlich auf mindestens eine der folgenden Weisen wiedererlebt: 4 wiederkehrende und eindringliche belastende Erinnerungen an das Ereignis, die Bilder, Gedanken oder Wahrnehmungen umfassen können 4 wiederkehrende, belastende Träume von dem Ereignis
C.
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4 Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische Ereignis wiederkehrt (beinhaltet das Gefühl, das Ereignis wiederzuerleben, Illusionen, Halluzinationen und dissoziative Flashback-Episoden, einschließlich solcher, die beim Aufwachen oder bei Intoxikationen auftreten) 4 intensive oder psychische Belastung bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern 4 körperliche Reaktionen bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern Anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, oder eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mindestens 3 der folgenden Symptome liegen vor: 4 bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen 4 bewusstes Vermeiden von Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen 4 Unfähigkeit, einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern 4 deutlich vermindertes Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen Aktivitäten 4 Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen 4 eingeschränkte Bandbreite des Affekts 4 Gefühl einer eingeschränkten Zukunft Anhaltende Symptome erhöhten Arousals (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mindestens zwei der folgenden Symptome liegen vor: 4 Schwierigkeiten ein- oder durchzuschlafen 4 Reizbarkeit oder Wutausbrüche 4 Konzentrationsschwierigkeiten 4 übermäßige Wachsamkeit 4 übertriebene Schreckreaktion Das Störungsbild (Symptome unter Kriterium B, C und D) dauert länger als 1 Monat. Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
37.2.2
Ätiologie
Ätiologisch wird sowohl für die Angststörung als auch für die PTSD ein Konditionierungsprozess angenommen, da die durch Angst charakterisierte Reaktion relativ löschungsresistent ist und generalisiert. Dieser tritt besonders deut-
551 37.2 · Angststörungen
lich bei PTSD-Patienten zu Tage. So kann bei Betroffenen ein ehemals neutraler Stimulus starke unkontrollierbare Angstgefühle hervorrufen, wenn dieser zuvor in Verbindung mit dem traumatischen Ereignis aufgetreten ist. Die neurobiologische Basis der Konditionierung wurde vor einigen Jahren von LeDoux (1996) erstmals untersucht. LeDoux’s Befunden zufolge kommt der Amygdala bei der Furchtkonditionierung eine zentrale Rolle zu. So zeigt sich diese besonders in den frühen Phasen des Konditionierungsprozesses aktiviert, so dass davon ausgegangen wird, dass die Amygdala lernbedingte Plastizität in angrenzenden Strukturen initiiert, bevor sie nach relativ kurzer Zeit in ihrer Reaktion habituiert. Außerdem führen sogar maskiert dargebotene, d. h. vorbewusst wahrgenommene Stimuli, zu einer konditionierten Reaktion der Amygdala. Anatomisch eng verbunden mit den amygdaloiden Strukturen ist ferner der Hippocampus, der gleichsam bei Konditionierungsprozessen von Relevanz ist und insbesondere bei der Konditionierung zeitlicher und örtlicher Kontextreize eine wichtige Rolle spielt.
37.2.3
Bildgebende Studien mit soziophobischen Patienten
Eine fMRT-Studie zu den zerebralen Korrelaten von Konditionierungsprozessen mit sozialphobischen Patienten von Schneider et al. (1999) bestätigt die Bedeutung der limbischen Strukturen. Die Studie untersuchte die zerebrale Aktivierung während aversiver klassischer Konditionierung bei unmedizierten Patienten mit sozialer Phobie und gesunden Kontrollprobanden. Als konditionierte Stimuli fungierten Gesichter mit neutralem Gesichtsausdruck, als unkonditionierter Reiz wurde negativer Geruch in Form vergorener Hefe dargeboten. Obgleich subjektiven Maßen zur Negativität der Gesichtsausdrücke zufolge die Konditionierung in beiden Gruppen gleichermaßen vonstatten ging, zeigten sich deutliche Unterschiede in den zerebralen Korrelaten zwischen beiden Gruppen (. Abb. 37.6). In der Gruppe der Patienten im Vergleich zu den Gesunden war . Abb. 37.6. Lokalisierte Effekte eines klassischen Konditionierungsprozesses auf die zerebrale Aktivierung bei Patienten mit Sozialphobie und gesunden Personen. Die Abszisse bildet die aktivierten Regionen ab, auf der Ordinate ist der Signalunterschied zwischen CS+ and CS-Bedingung (prozentuelle Veränderung) abgetragen (modifiziert nach Schneider et al. 1999)
unter anderem eine signifikant höhere Aktivierung im Amygdala-Hippocampus-Komplex feststellbar. > Definition Bei der aversiven klassischen Konditionierung nimmt ein ehedem neutraler Reiz aufgrund der Assoziation mit einem negativen Reiz eine negative Valenz an.
Entsprechend haben auch spätere fMRT-Studien bei Patienten mit sozialer Phobie während der Darbietung furchtrelevanter Stimuli neben verstärkter Aktivierung im OPFC und im parahippokampalen Kortex signifikante Aktivierungserhöhungen in amygdaloiden Strukturen berichtet (Stein et al. 2002). In einer Studie von Lorberbaum et al. (2004) wurden Patienten mit sozialer Phobie und Gesunde während der Antizipation einer öffentlichen Redesituation mittels fMRT untersucht. Auch wenn die Resultate aufgrund des geringen Stichprobenumfangs (8 Patienten, 6 Gesunde) lediglich unter Vorbehalt interpretierbar scheinen, so deuten auch diese auf eine erhöhte Reagibilität limbischer Regionen, insbesondere im Bereich der Amygdala, des anterioren parahippokampalen Gyrus, der Insula sowie des Striatums, bei Patienten mit Sozialphobie in phobieassoziierten Situationen hin. Ähnliche Aktivierungsmuster im Amygdalakomplex sowie im Gyrus parahippokampalis fanden sich bei Patienten mit Sozialphobie auch bei der Beurteilung sozial bedrohlicher Gesichter (Straube et al. 2004). Eine Untersuchung von Veit et al. (2002), in der die zerebralen Korrelate während aversiver Konditionierung bei Patienten mit Sozialphobie sowie Patienten mit antisozialer Persönlichkeitsstörung mittels fMRT erfasst wurden, deutet auf ähnliche Auffälligkeiten hin (7 Kap. 39). Auch hier fungierten Gesichtsstimuli mit neutralem Gesichtsausdruck als konditionierte Stimuli. Ein schmerzhafter Druckreiz wurde als unkonditionierter Reiz dargeboten. Im Vergleich zur Gruppe der Gesunden sowie zu den Patienten mit Persönlichkeitsstörung war bei den sozialphobischen Patienten eine erhöhte Aktivierung im Bereich des OPFC, der Insula, des anterioren Cingulum, des linken DLPFC sowie der rech-
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Kapitel 37 · Zwangs- und Angststörungen
ten Amygdala sowohl in der Akquisitions- als auch in der Extinktionsphase des Konditionierungsprozesses zu verzeichnen. Vor dem Hintergrund dieser Befunde wird insbesondere eine erhöhte Responsivität amygdaloider Strukturen als ein Charakteristikum der sozialen Phobie vermutet.
37.2.4
Bildgebende Studien zur posttraumatischen Belastungsstörung
Mediotemporale Strukturen Als relevant für die Pathogenese der posttraumatischen Belastungsstörung gilt besonders vor dem Hintergrund struktureller Befunde der Hippocampus-Komplex. Eine Vielzahl morphometrischer Befunde berichtet strukturelle hippokampale Auffälligkeiten bei Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung. Obgleich einige Studien keine strukturellen zerebralen Unterschiede zwischen Gesunden und Patienten mit PTSD finden konnten, berichtet eine überwiegende Anzahl volumetrischer Untersuchungen eine signifikante Verringerung des Hippocampusvolumens bei Patienten im Vergleich zu gesunden Personen (z. B. Stein et al. 1997). Nach wie vor umstritten ist jedoch, ob die hippokampalen strukturellen Auffälligkeiten eine Prädisposition oder vielmehr eine neurodegenerative Folgeerscheinung der posttraumatischen Belastungsstörung darstellen. Funktionell berichten Bremner et al. (1999) eine verringerte Aktivierung des Hippocampus bei Symptomprovokation in Patienten mit PTSD. Ferner wird insbesondere dem OPFC sowie vereinzelten anterior temporalen Strukturen eine Beteiligung an traumatischen Belastungsreaktionen zugeschrieben (Shin et al. 1999).
Medial-präfrontale Strukturen
37
In jüngster Zeit wird darüber hinaus auch das anteriore Cingulum mit der Pathogenese der posttraumatischen Belastungsstörung in Zusammenhang gebracht (Semple et al. 2000). Mehrfach nachgewiesen wurde der inhibitorische Effekt, den medial präfrontale Strukturen auf Regionen auszuüben vermögen, denen eine Beteiligung an der Generierung von Angstgefühlen zugeschrieben wird. So wird ein Zusammenhang zwischen erhöhter medial präfrontaler Aktivität und erniedrigter Furchtreaktion berichtet. Bei Patienten mit PTSD wird daher eine Dysfunktion medial präfrontaler Strukturen, insbesondere im Bereich des rostralen anterioren Cingulum, vermutet. Als hypothetische Konsequenz wird eine erhöhte Aktivierung subkortikallimbischer Strukturen angenommen, die eine verstärkte emotionale Reaktion auf den Auslösereiz begünstigt (Pitman et al. 2000). Das rostrale anteriore Cingulum gilt als die Subregion innerhalb des zingulären Kortex, die in erster Linie an der Verarbeitung emotionaler Stimuli beteiligt ist (Bush et al. 2000). In einer aktuellen Studie, die mittels skript-basierter Symptomprovokation traumatisierte Personen mit der
Diagnose PTSD untersuchte, wurde die zerebrale Aktivierung während akustischer Darbietung individueller traumaspezifischer Szenen mittels fMRT erfasst (Lanius et al. 2003). Vorbefunden zufolge geht die skript-basierte Symptomprovokation bei einem Großteil der Patienten mit detaillierten, stark emotional gefärbten Erinnerungen an das traumatische Ereignis einher; etwa ein Drittel jedoch reagiert den Ergebnissen zufolge mit Depersonalisierung, ein Zustand, der weder mit physiologischer noch subjektiv empfundener Emotion einher zu gehen scheint. In Übereinstimmung mit der Annahme einer regulatorischen Funktion des anterioren Cingulums fand sich in der Gruppe der Patienten mit Depersonalisierung eine signifikant erhöhte Aktivierung im anterioren zingulären Kortex im Vergleich zu Gesunden; bei den Patienten, die starke Emotionen in Folge der Symptomprovokation zeigten, war hingegen eine signifikant erniedrigte Aktivierung im anterioren zingulären Kortex im Vergleich zu Gesunden feststellbar.
Amygdalastrukturen Die Relevanz der Amygdala im Rahmen der posttraumatischen Belastungsstörung wurde in einer fMRT-Studie von Rauch et al. (2000) offenbar, in der Vietnamveteranen mit und ohne PTSD furchtrelevante Reize maskiert dargeboten wurden. Hierzu wurden Abschnitte mit maskierten ängstlichen und maskierten fröhlichen Gesichtern alternierend mit einer Baseline-Phase dargeboten. Die emotionalen Gesichter wurden jeweils für lediglich 33 ms dargeboten, gefolgt von einem neutralen Gesicht (Maske), das für je 167 ms eingeblendet wurde. Wie frühere Studien belegen geht diese Art der Stimulusdarbietung mit einer Aktivierungserhöhung amygdaloider, nicht jedoch medial präfrontaler Strukturen einher. Ein Vergleich zwischen beiden Gruppen förderte zwar eine vergleichbare Aktivierung im Bereich des Gyrus fusiformis zu Tage, die Amygdalaaktivierung war jedoch bei Veteranen mit PTSD signifikant größer. Ferner stellten die Forscher eine signifikant positive Korrelation zwischen Aktivierungsstärke und Ausprägungsgrad der Symptomatik fest. Die Befunde sprechen somit für eine erhöhte Responsivität der Amygdala bei Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung. Diese scheint auch dann gegeben zu sein, wenn der furchtrelevante Reiz nicht mit bewusster Wahrnehmung einher geht und auch eine Aktivierung inhibitorischer frontaler Strukturen ausgeschlossen werden kann. Die jüngste Studie der Arbeitsgruppe um Shin (2005) bestätigt die Vorbefunde. Darin wurden 13 Patienten mit PTSD und 13 traumatisierten Personen ohne PTSD ängstliche und freudige Gesichtsausdrücke dargeboten. Im Vergleich zur Gruppe der Personen ohne posttraumatische Belastungsstörung fand sich in der Gruppe der Patienten mit PTSD eine signifikant erhöhte Aktivierung im Bereich der Amygdala sowie ein signifikant verringertes Signal im medialen Präfrontalkortex bei der Wahrnehmung ängstli-
553 37.2 · Angststörungen
cher Gesichter. Aktuelle Befunde deuten zudem darauf hin, dass das Signal im Bereich der Amygdala als Reaktion auf traumaassoziierte Stimuli nicht nur erhöht, sondern auch im Hinblick auf seinen Verlauf bei Patienten mit PTSD verändert ist (Protopopescu et al. 2005). ! Obgleich die unterschiedlichen Traumatatypen (Missbrauch, Kriegserlebnisse etc.), die der Symptomatik der untersuchten Patienten zugrunde liegen, einen Vergleich der Befunde nur unter Vorbehalt zulassen, wird zum aktuellen Zeitpunkt eine Überaktivität amygdaloider und assoziierter paralimbischer Strukturen bei Patienten mit PTSD angenommen. Bei Betroffenen entsteht eine verstärkte Furchtresponse sowie eine erhöhte Konditionierbarkeit. Ferner wird eine Unteraktivität inhibitorischer medial-präfrontaler Strukturen (vor allem anteriores Cingulum) vermutet, deren mögliche Folge eine reduzierte Inhibition amygdaloider Strukturen darstellt.
Umstritten ist jedoch nach wie vor, ob die Hyperresponsivität amygdaloider Strukturen einen Vulnerabilitätsfaktor oder vielmehr eine Folgeerscheinung des traumatisierenden Ereignisses darstellt. Da insbesondere das anteriore Cingulum nicht nur mit der Inhibition, sondern auch der Extinktion konditionierter emotionaler Reaktionen in Verbindung gebracht wird, kann die mehrfach berichtete zinguläre Aktivierungsverminderung auch die zeitliche Konstanz der Symptomatik verursachen.
37.2.5
Eine Untersuchung von Paquette et al. (2003) deutet die Effektivität der kognitiven Umstrukturierung auch im Zusammenhang mit der Behandlung der Angsterkrankung an. Darin unterliefen Patienten mit Spinnenphobie eine Kombinationstherapie basierend auf den Techniken der kognitiven Umstrukturierung sowie der Desensibilisierung. Mittels fMRT wurde die zerebrale Aktivierung der Patienten vor und nach der Therapiephase bei Betrachtung eines furchtrelevanten Films erfasst. Während zum ersten Messzeitpunkt bei Wahrnehmung der furchtrelevanten Stimuli signifikante Aktivierungsmuster im Bereich des visuellen Kortex, des rechten DLPFC sowie des Gyrus parahippocampalis erkennbar waren, zeigten sich zum zweiten Messzeitpunkt neben einer Aktivierung des visuellen Kortex lediglich der superiore Bereich des Parietallappens sowie der rechte inferior frontale Gyrus aktiviert (. Abb. 37.7). Vor dem Hintergrund früherer Befunde führen Paquette et al. die Korrelate im Bereich des parahippokampalen Gyrus auf die Aktivierung des kontextuellen
a
Behandlungsmöglichkeiten
Auch bei der Entwicklung von Therapiemethoden wurden jüngste Befunde bildgebender Studien berücksichtigt. So nehmen auch neu konzipierte Therapieansätze neben der Existenz eines kognitiv deklarativen Erinnerungssystems das Vorhandensein eines emotional amygdalabasierten Systems an, das während der Erinnerung an das traumatisierende Ereignis bei Patienten mit PTSD aktiviert wird (Brewin 2001). Entsprechend bestätigt eine jüngste Untersuchung mittels skriptbasierter Symptomprovokation (Lanius et al. 2004), dass Patienten mit PTSD ein Netzwerk aktivieren, das im Vergleich zu dem Netzwerk gesunder Personen weniger Areale umfasst, die gewöhnlich mit sprachlich deklarativen Verarbeitungsprozessen assoziiert werden. Da die Inhalte dieses amygdalabasierten Erinnerungssystems als schwerlich kognitiv kontrollierbar und relativ löschungsresistent gelten (Morris u. Dolan 2004; Pitman et al. 2000), zielen neuartige kognitive Therapieverfahren auf die Bildung bewusst zugänglicher Daten und Fakten in Zusammenhang mit dem traumatischen Ereignis ab. Diese sollen sodann bei Wahrnehmung eines traumaspezifischen Stimulus bewusst abgerufen werden können, so dass sich die zerebrale Aktivierung vornehmlich in frontalkortikale Bereiche verlagert (Brewin 2001).
b
. Abb. 37.7a, b. Zerebrale Aktivierung bei Patienten mit Spinnenphobie. a Erhöhte Aktivierung im rechten DLPFC vor der Therapie (Betrachtung von Spinnen versus Schmetterlinge). b Erhöhte Aktivierung im rechten parahippokampalen Gyrus vor der Therapie (links), fehlende parahippokampale Aktivierung nach der Therapie (rechts) (Paquette et al. 2003)
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Kapitel 37 · Zwangs- und Angststörungen
Furchtgedächtnisses zurück sowie die fehlende Aktivierung zum zweiten Messzeitpunkt als Nachweis für einen therapiebedingten Dekonditionierungsprozess. > Definition Bei der kognitiven Umstrukturierung handelt es sich um eine therapeutische Technik, die darauf abzielt, dysfunktionale Gedanken und verzerrte Interpretationen zu identifizieren und durch neue, funktionellere Denkmuster und Interpretationen zu ersetzen. Die Desensibilisierung ist ein verhaltenstherapeutisches Verfahren zur Reduktion einer Angststörung. Gemäß der individuellen Angsthierarchie wird der Patient systematisch unter Anwendung zuvor erlernter Entspannungstechniken mit angstauslösenden Situationen konfrontiert und lernt diese schrittweise zu bewältigen.
Weitere bildgebende Studien besonders zu den Effekten verschiedener Therapiemethoden auf die zerebralen Korrelate sind noch notwendig, um fundierte Aussagen über Therapieeffekte treffen zu können. Die Ergebnisse der beschriebenen Studien machen bereits deutlich, dass die Durchführung etablierter Therapiemethoden mit physiologisch-zerebralen Veränderungen einher geht. Künftig sollten daher bestehende neurophysiologische Kenntnisse im Rahmen der Konzipierung und Durchführung von Therapiemaßnahmen stärker berücksichtigt werden.
Zusammenfassung und Ausblick Obgleich ein Großteil aller bildgebenden Studien auf Auffälligkeiten in einem frontostriatothalamischen Netzwerk im Rahmen der Zwangserkrankung sowie auf medial frontale sowie subkortikale Veränderungen bei der posttraumatischen Belastungsstörung hinweist, müssen die Kenntnisse zu den Störungsbildern im Hinblick auf die zugrunde liegenden zerebralen Mechanismen nach wie vor als vorläufig und lückenhaft gelten. Daher scheinen weitere bildgebende Studien zu Symptomatik, Pathogenese und Therapie der Störung unerlässlich.
37.3
37
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37
38 38 AufmerksamkeitsdefizitHyperaktivitäts-Syndrom K. Konrad, S. Herpertz, B. Herpertz-Dahlmann
38.1 Einführung
– 558
38.2 Morphometrische Befunde – 559 38.3 Funktionelle Studien
– 560
38.4 Funktionelle Veränderungen unter Medikation – 563 38.5 Funktionelle Bildgebung und Genetik bei ADHD – 565 38.6 Literatur
– 566
558
Kapitel 38 · Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom
)) Die ADHD stellt mit einer Prävalenz von ca. 1–3% die häufigste psychiatrische Erkrankung des Kindesalters dar. Sie ist gekennzeichnet durch ein situationsübergreifendes Verhaltensmuster von motorischer Unruhe, Unaufmerksamkeit und Impulsivität, das mit klinisch bedeutsamen Beeinträchtigungen im sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsbereich verbunden ist. Jungen sind etwa 3- bis 9-mal so häufig betroffen wie Mädchen. Mit den jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet der modernen Bildgebungsmethoden, insbesondere durch die Anwendung der nichtinvasiven fMRT, steht nun seit einigen Jahren eine Technik zur Verfügung, mit der spezifischere Aussagen darüber möglich sind, ob und welche Veränderungen in der Hirnanatomie und -funktion an der Ätiologie des Aufmerksamkeitsdefizit-HyperaktivitätsSyndroms beteiligt sind. Ein großer Vorteil der fMRT besteht darin, dass diese nichtinvasive Methode im Kindesund Jugendalter optimal eingesetzt werden kann und auch die Untersuchung gesunder Kontrollkinder ermöglicht. Im Folgenden soll eine kurze Zusammenfassung der morphometrischen Befunde gegeben werden, da diese Voraussetzung für die Interpretation der funktionellen Aktivierungsstudien sind. Sodann werden die Ergebnisse der fMRT-Untersuchungen zum Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom dargestellt. Des Weiteren soll auf Studien, die zentrale Effekte von Psychostimulanzien mittels funktioneller Bildgebung untersucht haben, eingegangen werden.
38.1
Einführung
Symptomatik. Die Symptomatik manifestiert sich
früh (vor dem 7. Lebensjahr) und zeigt bei ca. 20% der Patienten eine Persistenz im Erwachsenenalter. Während die motorische Hyperaktivität im Laufe der Entwicklung abnimmt, dominieren die Aufmerksamkeitsstörung und Impulsivität das Krankheitsbild im Erwachsenenalter. ADHD hat weitreichende Konsequenzen für die Entwicklung des Patienten: So weisen die betroffenen Kinder in erheblichem Maße schulische Schwierigkeiten und Probleme mit Gleichaltrigen auf. Im Erwachsenenalter besteht zudem ein hohes Risiko für soziale Isolation, schwere Verkehrsunfälle, dissoziale Entwicklungen und Drogenmissbrauch. Klassifikation. Das DSM-IV unterscheidet je nach vorherr-
38
schender Symptomatik 3 Subtypen des Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndroms (ADHD): 4 den unaufmerksamen Subtyp, 4 den hyperaktiv-impulsiven Subtyp und 4 den kombinierten Subtyp.
ADHD tritt selten allein auf; vielmehr geht man heute davon aus, dass 50–80% aller Patienten mit ADHD auch noch die diagnostischen Kriterien für eine weitere psychiatrische Erkrankung erfüllen. Als häufigste Komorbidität finden sich externalisierende Verhaltensstörungen, wie z. B. die Störung des Sozialverhaltens, aber auch Ticstörungen, internalisierende Störungen, Teilleistungsstörungen und Persönlichkeitsstörungen im Erwachsenenalter sind häufig (Herpertz-Dahlmann 2003). Therapie. Psychostimulanzien, insbesondere Methylphenidat (MPH) stellen die Behandlungsmethode der ersten
Wahl bei Patienten mit ADHD dar. Allerdings sprechen ca. ein Drittel aller Patienten nur unzureichend auf Methylphenidat an (sog. Nonresponder). Behandlungsalternativen sind Dextroamphetamin (in den USA auch ein Gemisch von Amphetaminsalzen und -razematen) und Pemolin, wobei letzteres aufgrund von hepatotoxischen Nebenwirkungen nur bei besonderer Indikation verordnet werden darf. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit der Psychostimulanzien wurden in jüngster Zeit retardierte Formen entwickelt, die nur einmal täglich verabreicht werden müssen und die Compliance der Patienten erleichtern. Die Wirksamkeit von Stimulanzien wurde in zahlreichen Doppelblind-Plazebo-Kontrollstudien dokumentiert (z. B. Greenhill et al. 1999). Atomoxetin, ein selektiver Noradrenalinwiederaufnahmehemmer, ist seit 2005 auch in Deutschland zugelassen. Erste Vergleichsstudien zeigten eine ähnlich gute Wirksamkeit wie die der Psychostimulanzien auf.
Exkurs MTA-Studie Im Rahmen der Multimodal Treatment Study of Children with ADHD (MTA) wurden 579 Kinder im Alter von 7–10 Jahren in 6 Zentren der USA nach einem multimodalen Vorgehen über 14 Monate behandelt. Die erste Gruppe erhielt eine individuell angepasste MPH-Behandlung, die zweite Gruppe eine intensive Verhaltenstherapie mit Behandlungskomponenten für die Schule, die Eltern und das Kind. In der dritten Gruppe wurde eine kombinierte Behandlung aus medikamentöser und Verhaltenstherapie durchgeführt; eine vierte Gruppe wurde einer Standardtherapie zugeordnet (medikamentöse Behandlung durch Hausärzte ohne genaue Dosisanpassung). Eine Überlegenheit der Kombinationsbehandlung von medikamentöser und Verhaltenstherapie zeigte sich nur für die Gruppe der Patienten, die neben der ADHD auch noch eine Störung des Sozialverhaltens aufwiesen (Jensen et al. 2001).
Ätiologie. Seit der ersten Beschreibung dieses Syndroms durch George Still (1902) ging man davon aus, dass ADHD
559 38.2 · Morphometrische Befunde
primär durch eine biologische Ätiologie erklärt werden kann. Auch die erste deutschsprachige Arbeit zum hyperkinetischen Syndrom von Kramer und Pollnow (1932) beschrieb die Trias Hyperaktivität, Impulsivität und Unaufmerksamkeit als eine neuropsychiatrische Erkrankung. Unterstützung für diese Hypothese fanden frühe Arbeiten in der Beobachtung, dass Kinder, die die große Enzephalitis-Epidemie in den Jahren 1917–1926 überlebt hatten, zu einem großen Anteil ADHD-Symptome entwickelten. Später führten dann Studien, die ein gehäuftes Auftreten von prä-, peri- oder postnataler Schädigung des ZNS bei hyperkinetischen Kindern beobachtet hatten, dazu, dass frühkindlich bedingte Hirnfunktionsstörungen für die Genese des ADHD angenommen wurden. Allerdings ließen sich solche Risikofaktoren auch bei gesunden Kindern finden und schienen bei der Mehrzahl der Kinder mit ADHD doch zu fehlen. Ähnliches galt auch für die sog. weichen neurologischen Zeichen (»soft signs«), die trotz der hohen Prävalenz in den klinischen Stichproben nicht als pathognomisch für das ADHD bestätigt werden konnten.
38.2
Morphometrische Befunde
In den letzten Jahren haben eine Reihe von Studien morphometrische Veränderungen bei Kindern und Jugendlichen mit ADHD untersucht. Insgesamt fallen eine relativ große Heterogenität der Befunde sowie deren mangelnde Spezifität auf. Beispielsweise haben 3 Studien berichtet, dass Kinder mit ADHD im Vergleich zu gesunden Kontrollkindern ein insgesamt um ca. 5% vermindertes zerebrales Gesamtvolumen aufweisen (Castellanos et al 1996). Genauere Analysen zeigten aber, dass sich dieser Befund nicht bestätigen ließ, wenn Gruppenunterschiede hinsichtlich des IQ bei der statistischen Analyse berücksichtigt wurden (Filipek et al. 1997). Verschiedene volumetrische Studien berichteten von kleineren rechtsseitigen präfrontalen
. Abb. 38.1. Darstellung der Gruppenunterschiede zwischen ADHDPatienten und Kontrollprobanden hinsichtlich der Dichte der grauen Substanz. Wärmere Farben oberhalb von 0 in der Farbskala kennzeichnen Regionen mit einer größeren Dichte der grauen Substanz, und kältere Farben unterhalb von 0 diejenigen Areale mit verminderten
Regionen (Castellanos et al. 1996; Filipek et al. 1997) bei Jungen mit ADHD im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen, die mit einem schlechteren Abschneiden in einer Inhibitionsaufgabe korrelierten (Casey et al. 1997). Auch Hesslinger et al. (2002) berichteten von einer Volumenminderung im linken orbitofrontalen Kortex bei erwachsenen Patienten mit ADHD. Die hinsichtlich der MRT-Auswertung methodisch aufwendigste morphometrische Studie wurde von Sowell et al. (2003) durchgeführt. Im Unterschied zu vorangegangenen Studien wurden nicht a priori »regions of interest« definiert, sondern der gesamte Kortex wurde mit Hilfe von computergestützten Auswertealgorithmen analysiert. In einer Gruppe von 27 Kindern und Jugendlichen mit ADHD und 46 Kontrollprobanden wurden die kortikalen Veränderungen der grauen Substanz überprüft (. Abb. 38.1). Es fanden sich weniger regional begrenzte Veränderungen, sondern vielmehr bilateral reduzierte Volumina im inferioren Anteil des dorsal präfrontalen Kortex und bilateral in den anterioren Temporallappen. Ferner fanden sich signifikant vergrößerte Volumina bilateral im Bereich der posterioren Temporallappen und des inferioren Parietalkortex. Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass ADHD mit relativ globalen morphometrischen Veränderungen des Kortex assoziiert ist, die alle Hirnlappen betreffen. Hinsichtlich morphometrischer Veränderungen der Basalganglien berichteten Filipek und Mitarbeiter (1997) ein vermindertes Volumen des Nucleus caudatus bei ADHD, wohingegen 2 andere Studien diesen Befund nicht bestätigen konnten (Aylward et al. 1996; Castellanos et al. 1996). Noch heterogener stellen sich Befunde zur Asymmetrie des Nucleus caudatus dar. Hier wurde beispielsweise berichtet, dass Kinder mit ADHD nicht die bei gesunden Kontrollkindern übliche »Rechts Definition Unter »cue induction« versteht man die Erzeugung eines (emotionalen) Zustandes durch Präsentation von Hinweisreizen (»cues«).
Die fMRT macht sich die konditionierten Stimuli zunutze. Dabei wird häufig ein sog. »Cue-induced-craving«-Design angewandt. Abhängigen, die zum Messzeitpunkt nüchtern sind, werden drogenbezogene Reize dargeboten. Im Sinne der klassischen Konditionierung wird davon ausgegangen, dass die Konfrontation eines Suchtkranken mit dem Suchtstoff oder einem direkten Hinweis auf den Suchtstoff direkt zu Craving führt. Ziel ist es, Gehirnzentren auszuweisen, die Craving auslösen bzw. verstärken können. Die Angabe, ob die Probanden Craving wahrgenommen haben, wird über Craving-Skalen abgefragt, die neben dem direkten Verlangen auch körperliche und psychische Symptome erfragen. Dabei eignen sich die meisten sozialen Stimuli nicht für die Bildgebung (z. B. Familienfeiern), da ihre Bedeutung individuell zu verschieden und darüber hinaus schlecht experimentell manipulierbar ist. Direkte suchtmittelgebundene Reize lassen sich jedoch vielfältig anwenden.
40.3.1
Olfaktorische Stimulation
Eine der ersten fMRT-Arbeiten mit reizinduziertem Alkohol-Craving wurde von Schneider et al. (2001) veröffentlicht. In der Studie wurden 10 abstinente alkoholabhängige Patienten und 10 gesunde Probanden mit einem olfaktorischen Reiz in einem Blockdesign gescannt (7 Kap. 25). Das Studiendesign umfasste folgende Bedingungen: alkoholhaltiger Geruch (Korngeruch mit 38%-igen Alkoholgehalt)
c tofrontaler Kortex; ACC anteriores Cingulum; AMG Amygdala (Wilson et al. 2004)
40
584
Kapitel 40 · Suchterkrankungen
Box 40.1. Fragebogen zum aktuellen Alkohol-Craving
40
Der Proband bewertet folgende Symptome mit einer Punktezahl zwischen 0 (überhaupt nicht vorhanden) bis 10 (extrem stark vorhanden). 5 Ausmaß des Verlangens nach Alkohol 5 Körperliche Beschwerden wie beim Entzug 5 Aufdringliche Gedanken
und Raumluft. Nach jeder Bedingung wurde mit RatingSkalen das subjektive Craving eingeschätzt. Bei »Cue-induced-craving«-Designs wechseln sich Baseline-Phasen von 30–100 s mit Phasen, in denen der Reiz mehrere Male präsentiert wird, ab. Der Reiz wird meist nur wenige Sekunden präsentiert (mit Ausnahme von Videobändern, 7 unten). In der Studie von Schneider wurde für 2 s ein Geruchsstoff präsentiert, die Daten wurden noch 2 weitere Sekunden akquiriert, dann folgte eine Pause von 6 s, um einen olfaktorischen Habituationseffekt zu verhindern (. Abb. 40.2). Dieser Scan-Ablauf wurde 10-mal wiederholt und ergab 10 Scans. Nach 100 s erfolgte der gleiche Ablauf unter Baseline-Bedingungen (ohne Reiz). Insgesamt entstanden pro Bedingung 70 Scans vom gesamten Gehirn. Die Untersuchung wurde an 2 Messzeitpunkten durchgeführt: Bei der Patientengruppe zum Messzeitpunkt 0, eine Woche nach Entgiftung, und zum Messzeitpunkt 1, nach dreiwöchiger tagesklinischer verhaltenstherapeutischer und wahlweise medikamentöser Behandlung mit Doxepin, bei der Probandengruppe an 2 Messzeitpunkten mit einem dreiwöchigen Abstand. Es konnte zum Messzeitpunkt 0 in der Patientengruppe nach Präsentation von alkoholhaltiger Luft eine Aktivierung der rechten Amygdala (Bereich Hippocampus) und des Kleinhirns nachgewiesen werden. Ebenso wurde verstärkt Craving angegeben. Normale Raumluft zeigte weder bei der Patienten- noch bei der Kontrollgrup-
5 Niedergeschlagenheit, Angst, Einsamkeit oder Unsicherheit 5 Ärger, Wut, Reizbarkeit oder Anspannung 5 Zufriedenheit, Entspannung, Freude oder gehobene Stimmung 5 Wille zur Abstinenz
pe eine Aktivierung. Zum Messzeitpunkt 1, nach dreiwöchiger Therapie, ergaben sich keine Unterschiede mehr (. Abb. 40.3).
40.3.2
Wexler et al. (2001) veröffentlichten eine fMRT-Studie, in der die Probanden im Scanner (Kokainabhängige im Vergleich zu gesunden Probanden) Videobänder ansahen. Schauspielerinnen spielten in einer kurzen Szene entweder glückliche oder traurige Gefühle. In einer dritten Szene berichteten die Schauspielerinnen von frustrierenden Erlebnissen der letzten Zeit, wünschten sich »high« zu sein, holten eine Substanz aus einem Beutel, schnupften diese und wiederholten immer wieder, wie gut der »shit« sei. Die Bänder waren 3–4,5 min lang. Die Baseline-Zeit betrug 30 s. Die Arbeitsgruppe fand bei Kokainabhängigen, die das Videoband mit dem Kokainkonsum sahen, im Vergleich zu der gesunden Kontrollgruppe eine deutliche Aktivierung insbesondere des anterioren Cingulum und gleichzeitig eine Minderaktivierung im Bereich des Frontallappens, was auf ein Ungleichgewicht zwischen limbischer und frontaler Rindenaktivierung hinweist. Dieses Aktivierungsmuster wurde weder beim Betrachten glücklicher, noch beim Betrachten trauriger Videoinhalte generiert und war unab-
a
. Abb. 40.2. Design der olfaktorischen Induktion von Craving bei Alkoholkranken von Schneider et al. (2001). Es wechseln sich Blöcke von olfaktorischer Stimulation und Baselinephasen ab
Visuelle Stimulation durch Videobänder
b
. Abb. 40.3a, b. Amygdala und Zerebellum sind bei der Präsentation von alkoholhaltigem Geruch bei kürzlich entgifteten Alkoholikern aktiviert (a). Nach dreiwöchiger Verhaltenstherapie und tagesklinischer Betreuung findet diese Aktivierung nicht mehr statt (b; Schneider et al. 2001)
585 40.3 · Cue-induced-craving-Design
hängig vom subjektiven Erleben von Craving. Vielmehr zeigte sich, dass das berichtete Craving bei denjenigen stärker war, die sich nicht in Therapie befanden. ! Auf diesen Einflussfaktor bei der Durchführung von Studien wiesen Wilson et al. (2004) in einer Übersichtsarbeit hin: Die unterschiedlichen Ergebnisse der Aktivierung präfrontaler Gehirnstrukturen waren abhängig von dem Umstand, ob sich die Patienten zum Untersuchungszeitpunkt in einem therapeutischen Setting befanden oder nicht. Diejenigen, die keine Therapie bekamen, also nach der Untersuchung wieder ihr Suchtmittel konsumieren konnten, zeigten eine deutlichere Reaktion auf die suchtmittelspezifischen Reize als Abhängige, die sich in Therapie befanden. Verstärkt werden konnte der Effekt, wenn den Abhängigen der Konsum der gezeigten Droge unmittelbar in Aussicht gestellt wurde (Sayette et al. 2003).
. Abb. 40.4a–c. Studie von Grüsser et al. (2004) mit visuellen Reizen. a Die visuellen Reize sind entweder alkoholbezogen, abstrakt oder neutral. b Es zeigten sich Aktivierungen des anterioren Cingulum im linken Sagittalschnitt und des angrenzenden medialen präfrontalen Kortex im rechten Koronalschnitt. c Im Transversalschnitt ist das Putamen aktiviert
a
b
c
40.3.3
Visuelle Stimulation durch Bilder
Ähnlich der Studie von Wexler et al. wurden in einer Studie von Grüsser et al. (2004) abstinenten Alkoholikern im Vergleich zu gesunden Probanden alkoholassoziierte Bilder, abstrakte und affektiv neutrale Bilder gezeigt (. Abb. 40.4). Nach der Untersuchung wurden die Probanden gebeten, das Ausmaß an Craving anzugeben. Die Patienten wurden weitere 3 Monate begleitet. Eine reizinduzierte Aktivierung von Striatum, anteriorem Cingulum und medialem präfrontalen Kortex lag bei 5 der 10 Alkoholabhängigen vor, die in der Folge auch rückfällig wurden. Keine Korrelation bestand zu der subjektiven Craving-Einschätzung, dem vorangegangenen Alkoholkonsum und der Dauer der Abstinenz vor der Untersuchung. Diese fMRT-Untersuchung konnte Untergruppen von rückfallgefährdeten Alkoholikern identifizieren, die klinisch im Vorfeld der Untersuchung keine Auffälligkeiten boten. Wie Wilson wies Grüs-
40
586
40
Kapitel 40 · Suchterkrankungen
ser darauf hin, dass es sinnvoll sein könnte, zukünftig die physiologischen Korrelate von Craving anstelle von subjektiven Einschätzungen zu messen. In den bisher vorgestellten Studien wurde ein Blockdesign gewählt. Dieses zeichnet sich durch regelmäßige Präsentation eines oder mehrerer Reize aus. Die Abfolge ist den Probanden dabei meist klar, und es tritt eine Erwartungshaltung ein, was den BOLD-Effekt in der Regel vergrößert. Beim ereigniskorrelierten Design wird der Stimulus unerwartet präsentiert. Die Erwartungshaltung ist niedrig, die BOLD-Effekte sind aber auch kleiner. Due et al. (2002) entwickelten eine ereigniskorrelierte Studie, in deren Rahmen Rauchern und Nichtrauchern im Scanner Bilder präsentiert wurden. Insgesamt wurden den Probanden 60 Bilder, in denen Zigaretten und Rauchen abgebildet wurden, 60 Bilder mit neutralen Inhalten und 15 Bilder von Tieren gezeigt. Die Bilder wurden 4 s präsentiert, danach schloss sich eine Baseline-Zeit von 14 s Dauer an. Es gab insgesamt neun Abläufe, diese teilten sich in 15 Bilder auf, die zur Hälfte mit Raucher-Bildern, zur Hälfte mit neutralen Bildern und aus 1–2 Tierbildern bestanden. Die Aufgabe der Probanden war es, einen Knopf zu drücken, wenn Tierbilder präsentiert wurden (ereigniskorreliert). Mittels Fragebögen wurden vor, während und nach der Untersuchung Fragen zu Craving, Stress und Stimmung gestellt. Due et al. fanden, wie auch schon die Gruppe um Schneider, eine Amygdala-/Hippocampusaktivierung der Abhängigen bei Präsentation der Bilder, in denen Zigaretten und Rauchen abgebildet wurden. Zusätzlich zeigten sich auch Aktivierungen im Belohnungssystem (ventrale Mittelhirnhaube, mediodorsaler Thalamus) und des Systems zur räumlichen Aufmerksamkeit (präfrontaler und parietaler Kortex, rechter Gyrus fusiformis). Beide Gruppen zeigten eine verstärkte Aktivierung sowohl des Belohnungssystems als auch des Systems zur räumlichen Aufmerksamkeit nach Präsentation der Tierbilder und Knopfdruck. Die Autorin schließt aus dem Befund, dass Raucher Bilder mit ihrem Suchtstoff genauso verarbeiten wie Arbeitsaufgaben, d. h. mit einer Aktivierung vom Belohnungssystem und Verbesserung der räumlich-visuellen Aufmerksamkeit. Dies wäre ein Hinweis, warum Suchtabhängige im Craving ihre Aufmerksamkeit sehr nach außen verlagern. Möglicherweise weisen diese Ergebnisse auf eine wichtige Wirkung bei Suchtmittelkonsum hin: die Möglichkeit, sich mehrmals am Tag belohnen zu können.
40.3.4
Weitere Möglichkeiten der Reizkonfrontation
Die direkte Reizkonfrontation kann auch als Geschmack (kleine Proben auf die Zunge) oder als Berührung (z. B. das Gefühl eine Zigarette zwischen den Fingern zu haben) er-
folgen. Auch gibt es die Möglichkeit, Reize akustisch zu setzen. Es wird dabei eine plastische Darstellung des Suchtmittelkonsums vorgelesen. Diese Vorgehensweise ist sicherlich weniger direkt als die übrigen beschriebenen Möglichkeiten der Reizkonfrontation und wird eher bei Studien zur Emotionsinduktion gebraucht (7 Kap. 24).
40.4
Designs zu Gehirnteilleistungen bei Abhängigen
Das »Cue-induced-craving«-Design ist die zurzeit für Suchterkrankungen am häufigsten verwendete fMRT-Untersuchungsmethode. Zur Evaluation von bestimmten Gehirnleistungen bei Suchterkrankungen wurden jedoch auch andere Paradigmen etabliert.
40.4.1
Spatial-working-memoryParadigma
Eine Möglichkeit, das Arbeitsgedächtnis zu testen, beinhaltet Paradigmen, die Zeichen im Scanner anzeigen. Diese Zeichen wechseln in regelmäßigem Abstand. Der Proband bekommt die Anweisung, bei bestimmten Zeichen in einer bestimmten Reihenfolge einen Knopf zu drücken. Pfefferbaum et al. (2001) untersuchten in einer fMRTStudie mit einem Arbeitsgedächtnistest (»match to center«, »match-2-back«) abstinente Alkoholabhängige im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe (. Abb. 40.5). In dieser Studie ging es darum, mögliche unterschiedliche Verarbeitungsprozesse im Gehirn bei gleicher Arbeitsleistung darzustellen. Vorhergehende Untersuchungen hatten gezeigt, dass Alkohol vor allem die Funktionen des Frontallappens, wie räumliches Arbeitsgedächtnis, Problemlösen und kognitive Flexibilität (Sullivan et al. 1993; Nixon et al. 1995) beeinträchtigt. So wurde in dieser Studie sichergestellt, dass der Test von beiden Versuchsgruppen, den alkoholabhängigen Patienten und der gesunden Kontrollgruppe, gleich gut bewältigt wurde. Mittels der Bildgebung konnte nun nachgewiesen werden, dass die gesunde Kontrollgruppe – je nach Aufgabe – die erwartete Aktivierung im präfrontalen/frontalen Kortex abbildete, im Gegensatz zu der Gruppe der Alkoholabhängigen. Diese zeigten eine vermehrte Aktivierung in benachbarten Gehirnregionen. ! Es scheint bei alkoholabhängigen Patienten zu einer funktionellen Reorganisation des Gehirns zu kommen. Dies könnte darauf hinweisen, dass Alkoholabhängige mit der Zeit andere Strategien anwenden, die andere Gehirnregionen aktivieren, um eine Arbeitsaufgabe zu bewältigen. Ein ähnlicher Vorgang konnte für Patienten mit Morbus Parkinson und für ältere gesunde Menschen nachgewiesen werden (Sabatini et al. 2000).
587 40.5 · Geschlechtsunterschiede
. Abb. 40.5. Studie von Pfefferbaum et al. (2001). Signifikante Gruppenunterschiede in der Aktivierung bei 2-Back versus Ruhe. Die Abbildung zeigt diejenigen Regionen in denen die Kontrollgruppe stärkere Aktivierungen bei der Arbeitsgedächtnisaufgabe zeigte. Es gab in keiner Region signifikant stärkere Aktivierungen der alkoholkranken Patienten
40.4.2
Cued-target-detection-Paradigma
Das »Cued-target-detection«-Paradigma enthält 4 verschiedene Aufgaben, die zufällig präsentiert werden (»no«, »neutral«, »valid« und »invalid cue trials«). Die Bewältigung der verschiedenen Aufgaben und deren Korrelation ermöglicht Aussagen zur Wachsamkeit, zur räumlichen Wahrnehmung und Reorientierung.
In einer kürzlich erschienenen Studie von Thiel et al. (2005) wurde 15 Nichtraucherinnen und Nichtrauchern entweder ein Kaugummi mit 1 mg oder 2 mg Nikotin oder ein Plazebokaugummi gegeben. Es wurde ein »cued target detection task« durchgeführt (. Abb. 40.6). Es zeigte sich, dass Nikotin auf der Verhaltensebene die Reorientierung bei visuospatialen Aufgaben, nicht jedoch die Aufmerksamkeit, verbesserte. Neuronal wurden beide Systeme (Wachsamkeit und Reorientierung) durch Nikotin verändert. Dabei korrelierte die erhöhte Reaktionsgeschwindigkeit bei der Durchführung der Testaufgaben mit einer reduzierten parietalen Aktivität. In Studien an Substanzabhängigen werden in der Regel Probanden mit einem komorbiden Substanzkonsum ausgeschlossen, Nikotinabhängigkeit wird wegen ihres ubiquitären Vorkommens bei Süchtigen jedoch zugelassen. Angesichts der neuronalen Veränderung durch Nikotin sollte zumindest Dauer und Ausmaß des Nikotinabusus erfasst werden, um die Effekte dieser Substanz in der Subpopulation der komorbid Abhängigen erfassen zu können.
40.5
. Abb. 40.6. Experimentelles Paradigma des »cued target detection task« mit Illustration der verschiedenen Versuche: Zentral leuchtet ein Diamant vollständig, seitlich oder er leuchtet nicht, peripher zeigen sich leere oder gefüllte Boxen (Thiel et al. 2005)
Geschlechtsunterschiede
Li et al. (2005) veröffentlichten kürzlich eine Studie, in der sie die Geschlechtsunterschiede in der affektiven neuronalen Verarbeitung bei kokainabhängigen Männern und Frauen verglichen. Klinisch ist in den letzten Jahren gezeigt worden, dass kokainabhängige Frauen mit den üblichen, auf kokainabhängige Männer ausgerichteten Therapieverfahren weniger Erfolg hatten (Kosten et al. 1993; Weiss et al.
40
588
40
Kapitel 40 · Suchterkrankungen
1997). Die Arbeitsgruppe bediente sich eines »Script-driven-imagery«-Paradigmas in einem Blockdesign. In einem Vorgespräch mit einem Psychologen berichteten männliche und weibliche Kokainabhängige von neutralen Situationen (Beschreibungen eines Strandes, ein ruhiger Sonntagnachmittag zuhause) und stressreichen Situationen (kürzliche Streitereien innerhalb der Familie, Trennungen). Diese Situationen wurden aufgeschrieben und den Probanden später im Scanner auf einem Tonband vorgespielt. Die Baseline-Zeit betrug 1,5 min, die Tonbandaufnahme dauerte 2,5 min, es folgte eine Erholungszeit von 1,5 min. Beide Situationen wurden 2- bis 3-mal wiederholt.
Zusammenfassung und Ausblick Bei der fMRT-Untersuchung von Suchterkrankungen sind 2 Ansätze wesentlich: Der erste Ansatz untersucht die spezifischen neurobiologischen Korrelate süchtigen Verhaltens (z. B. mit einem »Cue-reactivity«-Design). Diese Untersuchungen sind sinnvoll, um die beteiligten Gehirnareale darzustellen und deren Vernetzung zu verdeutlichen. Der zweite Ansatz versucht Korrelate für die Rückfallwahrscheinlichkeit und einer optionalen medikamentösen Therapie aufzuzeigen. Weitere Unter-
. Abb. 40.7. Darstellung der BOLD-Effekte bei Frauen und Männern während der Vorstellung stressiger Situationen in T1-gewichteten Koronalschnitten (von hinten nach vorne). Frauen zeigen eine größere Aktivität in der linken Insula, im rechten Cingulum, im linken dorsoanterioren Cingulum, im linken mittleren frontalen Kortex und im linken inferioren frontalen Kortex (Li et al. 2005)
Wie erwartet zeigten Männer und Frauen teilweise ein unterschiedliches Aktivitätsmuster (. Abb. 40.7). Frontolimbische Aktivitätssteigerungen bei kokainabhängigen Frauen könnten auf verstärkte verbale Coping-Strategien in stressreichen Situationen hinweisen. Ferner korrelierte eine Aktivitätsänderung im linken anterioren Cingulum und rechten posterioren Cingulum während der stressreichen Beschreibungen negativ mit dem auftretenden Craving. Dies legt nahe, dass das Cingulum stressinduziertes Kokaincraving beeinflusst und scheint eine gesonderte Untersuchung von stressinduzierten Effekten und reizinduzierten Effekten notwendig zu machen.
suchungsmöglichkeiten fokussieren auf kognitive und emotionale Reaktionsweisen bei Süchtigen und Menschen ohne Suchtverhalten, zum Teil im Vergleich zu anderen Patientengruppen. Insbesondere mit fMRT und PET konnte das Zusammenspiel biologischer Faktoren mit Verhaltensweisen und sozialen Variablen dargestellt und deren Interaktion mit Suchtmittelmissbrauch verdeutlicht werden. Die Ergebnisse der funktionellen Bildgebung zeigen mögliche neue medikamentöse und psychotherapeutische Behandlungs6
589 40.6 · Literatur
strategien. Dazu zählen therapeutische Interventionen, die die suchtmittelgebundene Belohnungskaskade unterdrücken, ggf. negativ verändern (wie es bereits Anticraving-Substanzen tun), die die natürlichen Be-
40.6
Literatur
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40
IV Untersuchungsbeispiele 41
Hemisphärenspezialisierung und kognitive Kontrolle – 593 K.E. Stephan, G.R. Fink
42
Pharmakologische fMRT
– 601
C. Thiel, G.R. Fink
43
Therapieverlaufsstudien bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit – 609 K. Koch, F. Schneider
44
Multicenterstudie: Kompetenznetz Schizophrenie M. Reske, F. Schneider
– 615
41 41 Hemisphärenspezialisierung und kognitive Kontrolle K.E. Stephan, G.R. Fink
41.1 Planung und Umsetzung der Studie – 594 41.2 Ergebnisse
– 596
41.3 Praktische Implikationen 41.4 Literatur
– 599
– 598
594
Kapitel 41 · Hemisphärenspezialisierung und kognitive Kontrolle
))
41
Unser Verständnis der Hemisphärenspezialisierung ist bislang recht unvollständig (7 Kap. 22). Insbesondere fehlen präzise Vorstellungen, welche Auslösefaktoren und welche neurophysiologischen Mechanismen dazu führen, dass in bestimmten Situationen eine Hemisphäre funktionell dominiert. Dieses Kapitel demonstriert an einem konkreten Beispiel, wie mittels fMRT die Lateralisierung kognitiver Prozesse untersucht werden kann. Es soll beispielhaft gezeigt werden, welche Entscheidungen und Vorbereitungen einerseits vor der Durchführung eines solchen Experiments nötig sind und wie andererseits durch fMRT Einsichten in die zugrundeliegenden Determinanten und Mechanismen der Lateralisierung gewonnen werden können, die über die Möglichkeiten anderer Methoden, wie z. B. der neuropsychologischen Untersuchung von hirngeschädigten Patienten, hinausgehen. In der in diesem Kapitel beschriebenen fMRT-Studie (Stephan et al. 2003) wurden folgende zentrale Fragen untersucht: 5 Hängt die Lateralisierung von Hirnprozessen von der Art der sensorischen Stimuli oder von den Anforderungen der durchgeführten kognitiven Aufgabe ab? 5 Gibt es, wie von Levy und Kollegen bereits in den 70erJahren postuliert (Levy et al. 1972; Levy u. Trevarthen 1976), aber bisher neurophysiologisch nicht belegt, einen Zusammenhang zwischen den kognitiven Kontrollmechanismen während der Durchführung einer Aufgabe und lateralisierter Hirnaktivität?
41.1
Planung und Umsetzung der Studie
Das Problem bei der Beantwortung der ersten Frage ist, dass jede kognitive Aufgabe typischerweise auf einen spezifischen Typ Stimulus angewendet wird und somit die jeweiligen Einflüsse von Stimuluseigenschaften und kognitiven Erfordernissen der Aufgaben auf die Ausprägung von Lateralisierung nicht unterscheidbar sind. Die zentrale Idee der hier beschriebenen Studie bestand deshalb darin, 2 Aufgaben, die bei Anwendung auf ihre typischerweise assoziierten Stimuli gegensätzliche Hemisphärenspezialisierung aufweisen, auf identische Stimuli anzuwenden. Sollte Hemisphärendominanz von den Stimuluseigenschaften abhängen, dürfte bei identischen Reizen keine wesentliche Asymmetrie der Hirnaktivität beim Vergleich der beiden Aufgaben zu finden sein. Falls die Hemisphärenspezialisierung hingegen durch die kognitiven Erfordernisse der Aufgabe bestimmt ist, sollte man trotz identischer Stimuli deutliche Unterschiede in der Aktivierung der beiden Hemisphären beim Vergleich der beiden Aufgaben finden. Im letzteren Falle ließe sich dann weiterhin prüfen, ob eine solche aufgabenabhängige Lateralisierung durch den Einfluss
von Kontrollarealen beeinflusst werden kann, die ihre funktionelle Kopplung mit denjenigen Hirnregionen verstärken, die die jeweiligen Aufgaben ausführen. Bei der Umsetzung einer solchen Idee in ein experimentelles Design gilt es, 4 grundsätzliche Anforderungen zu erfüllen. Erstens müssen Stimuli gefunden werden, auf denen gleichermaßen links- und rechtshemisphärisch dominante Aufgaben durchgeführt werden können. Problematischerweise ist für viele kognitive Leistungen nicht eindeutig geklärt, in welchem Maße sie lateralisiert sind (Bradshaw u. Nettleton 1981; Hellige 1990). Am eindeutigsten ist die Datenlage bisher für sprachliche (linkshemisphärisch) und visuell-räumliche Leistungen (rechtshemisphärisch) bei Rechtshändern (7 Kap. 22). Im konkreten Beispiel wurden Stimuli gesucht, die gleichzeitig sprachrelevante und räumliche Informationen enthielten. Die Lösung bestand in der Wahl deutscher Hauptwörter gleicher Länge (4 Buchstaben), in denen jeweils ein Buchstabe rot hervorgehoben war und auf denen unsere Probanden Buchstaben- und visuell-räumliche Entscheidungen ausführten (. Abb. 41.1). In der Buchstabenentscheidungsaufgabe mussten die Probanden die Position des roten Buchstabens ignorieren und per Knopfdruck angeben, ob das jeweils gezeigte Wort den Buchstaben A enthielt oder nicht. In der visuell-räumlichen Entscheidungsaufgabe mussten sie die sprachliche Information des gezeigten Wortes ignorieren und per Knopfdruck angeben, ob der rote Buchstabe rechts oder links von der Wortmitte stand. Die Eigenschaften der Wortstimuli wurden nach den folgenden Kriterien standardisiert und balanciert: 4 Unter Verwendung einer linguistischen Datenbank (http://wortschatz.uni-leipzig.de) wurden 194 ausschließlich konkrete, deutsche Nomina gleicher Länge (4 Buchstaben) ausgewählt. 4 Die Hälfte der Wörter enthielt den Buchstaben A genau einmal, die andere Hälfte enthielt kein A; die Verteilung der Häufigkeitsklassen (bezüglich der Verwendung in der deutschen Schriftsprache) der Wörter war in beiden Gruppen gleich. 4 Zu jedem Wort wurden 2 Stimulusvarianten gebildet: in einem der beiden Stimuli war der zweite Buchstabe rot gefärbt, im anderen der dritte Buchstabe. Für jeden Probanden wurde einer dieser zusammengehörigen Stimuli der Buchstabenentscheidungsaufgabe und der andere der visuell-räumlichen Entscheidungsaufgabe randomisiert zugeordnet. Jedes Wort wurde demnach genau einmal in jeder der beiden Aufgaben verwendet (. Abb. 41.2). Bei der Verteilung der Stimuli über die Blöcke innerhalb der Aufgaben wurde durch ein »geleitetes« Randomisierungsverfahren sichergestellt, dass in jedem Block gleich viele Wörter 5 mit bzw. ohne den Buchstaben A bzw. 5 mit rotem Buchstaben an zweiter bzw. dritter Stelle vorkamen.
595 41.1 · Planung und Umsetzung der Studie
. Abb. 41.1. Schematische Darstellung der Stimuluseigenschaften und des experimentellen Designs. Die Stimuli, bestehend aus konkreten deutschen Nomina mit jeweils 4 Buchstaben, wurden mit einem zeitlichen Abstand (SOA) von 1,5– 2,5 s für jeweils 150 ms im linken bzw. rechten visuellen Feld dargeboten. Die Probanden führten 3 verschiedene Aufgaben auf diesen Stimuli durch und antworteten mit der linken bzw. rechten Hand. Die Bedingungen waren geblockt
. Abb. 41.2a, b. Ergebnisse des Vergleichs der Buchstaben- mit der visuellräumlichen Entscheidungsaufgabe. Dargestellt sind die Resultate der Gruppenanalyse (»random effects«, 16 Probanden) auf einem Signifikanzniveau von p Definition Unter »stimulus onset asynchrony« (SOA) versteht man den zeitlichen Versatz zweier aufeinanderfolgender Stimuli, z. B. bei einem Stimulus und seiner anschließenden Maskierung.
rung zu klären. Gibt es einen solchen Zusammenhang, so sollten die Kontrollstrukturen ihre funktionelle Kopplung in hemisphärenspezifischer Weise mit eben denjenigen Hirnregionen verstärken, die die jeweilige Aufgabe ausführen.
Die dritte wesentliche Anforderung an das experimentelle Design bestand darin, den Einfluss kognitiver Faktoren, die einen Einfluss auf die Ausprägung der Hemisphärendominanz haben könnten, auszubalancieren. Angesichts der Tatsache, dass die Information eines Stimulus im linken oder rechten visuellen Feld im Wesentlichen die kontralaterale Hemisphäre erreicht und dass die motorische Aktivierung einer Hand über den kontralateralen motorischen Kortex erfolgt, musste ausgeschlossen werden, dass weder die Form des visuellen Inputs noch die Form der motorisch vermittelten Antwort einen Einfluss auf das Verhältnis der Hemisphärenaktivierungen in den beiden Aufgaben haben konnte. Dies wurde dadurch erreicht, dass 4 50% der Stimuli im linken und 50% der Stimuli im rechten visuellen Feld präsentiert wurden und 4 50% der Antworten mit der linken und 50% der Antworten mit der rechten Hand erfolgten (. Abb. 41.1).
> Definition
Die vierte Herausforderung bestand darin, das experimentelle Design so zu wählen, dass auch die zweite Frage der Studie, der Zusammenhang zwischen Lateralisierung und kognitiver Kontrolle, untersucht werden konnte. > Definition Der Begriff der »kognitiven Kontrolle« beschreibt hier die Fähigkeit, sich komplexen Zielvorgaben möglichst gut anzunähern, indem durch Top-down-Prozesse wie Aufmerksamkeit die Informationsverarbeitung auf früher sensorischer Ebene so optimiert wird, dass die gewünschte Stimulus-Antwort-Beziehung im Verhalten erreicht wird.
Typische Komponenten dieser Kontrollmechanismen sind die Selektion und Inhibition konkurrierender Prozessierungsstrategien sowie die gleichzeitige Evaluation der Auswirkungen der gewählten Strategie, mit gegebenenfalls anschließender Korrektur (MacDonald et al. 2000). Wie oben beschrieben sind genau diese Prozesse unentbehrlich bei der Durchführung der Buchstaben- und visuell-räumlichen Entscheidungsaufgaben auf identischen Stimuli. Um die Lokalisation der für diese Kontrollmechanismen verantwortlichen Hirnstrukturen zu ermöglichen, wurde zusätzlich eine reine Reaktionszeitaufgabe als Baseline ins Design aufgenommen, die auf dem gleichen Stimulustyp operierte, aber keine relevanten kognitiven Kontrollprozesse benötigte. Die Lokalisation der Kontrollstrukturen ist essenziell, um mittels einer Analyse ihrer effektiven Konnektivität die zweite Frage der Studie nach dem Zusammenhang zwischen kognitiver Kontrolle und Hemisphärenspezialisie-
Effektive Konnektivität bezeichnet den kausalen Einfluss, den eine neuronale Einheit auf eine andere ausübt. Effektive Konnektivität kann mittels verschiedener mathematischer Modelle untersucht werden (7 Kap. 22).
Schließlich muss bei einer jeden Studie die Wahl zwischen einem geblockten und einem ereigniskorrelierten (»eventrelated«) Design getroffen werden (7 Kap. 6). Für die hier beschriebene Studie hatte ein geblocktes Design 2 wesentliche Vorteile: 4 Bei einem geblockten Design erstreckt sich die aufgabenspezifische Aufmerksamkeitsleistung über einen längeren Zeitraum (»attentional set«), was einerseits potenzielle (und für diese Studie unerwünschte) Einflüsse durch häufigen Wechsel der Aufgabe (»task switching«) vermeidet, und andererseits die Stärke der modulatorischen Effekte von Aufmerksamkeit auf funktionelle Kopplungen erhöht. 4 Für die in der hier beschriebenen Studie gewählte Methode zur Analyse effektiver Konnektivität (psychophysiologische Interaktionen, PPI; Friston et al. 1997) bringen ereigniskorrelierte Daten spezielle methodische Schwierigkeiten mit sich, die in einem geblockten Design vermieden werden (Gitelman et al. 2003). Nach Planung und Austestung des oben beschriebenen Designs wurde die Studie an 16 jungen, gesunden, rechtshändigen Freiwilligen durchgeführt. Aufgrund potenzieller Geschlechterunterschiede bezüglich der Ausprägung von Lateralisierung (7 Kap. 22), wurden in diese Studie nur Männer einbezogen. Weitere, über das Design des Experiments hinausgehende methodische Details (z. B. Datenakquisition, Datenanalyse etc.) können bei Stephan et al. (2003) nachgelesen werden.
41.2
Ergebnisse
In der Analyse der fMRT-Daten zeigten die beiden Aufgaben deutliche differenzielle Aktivierungen der beiden Hemisphären. Beim Vergleich der Buchstaben- gegen die visuell-räumliche Entscheidungsaufgabe fanden sich starke linkshemisphärische Aktivierungen sowie eine bilaterale Aktivierung im primär visuellen Kortex (. Abb. 41.2a). Diese linkshemisphärischen Aktivierungen umfassten klassische Sprachareale, u. a. die Broca-Region im linken Gyrus frontalis inferior. Demgegenüber fanden sich beim Ver-
41
597 41.2 · Ergebnisse
gleich der visuell-räumlichen gegen die Buchstaben-Entscheidungsaufgabe ausschließlich rechtshemisphärische Aktivierungen im anterioren und posterioren Anteil des unteren Parietallappens (. Abb. 41.2b). Die Resultate sind im Detail in . Tab. 41.1 dargestellt. Die Ergebnisse dieser Analysen zeigen eindeutig, dass in dem verwendeten Paradigma lateralisierte Hirnfunktion allein über die unterschiedlichen kognitiven Anforderungen der beiden Aufgaben erklärt werden kann. Der nächste Schritt bestand nun darin zu klären, welche Mechanismen dazu führen, dass die Informationsverarbeitung in Abhängigkeit von der Aufgabe präferentiell in einer der beiden Hemisphären erfolgt. Wie oben beschrieben enthielten die Stimuli stets sowohl sprachliche als auch räumliche Informationen und erzwangen somit den Gebrauch von Selektions- und Inhibitionsprozessen bei ihrer Verarbeitung. Könnten diese kognitiven Kontrollprozesse ein entschei-
dender Faktor sein, der die relative Aktivierung der beiden Hemisphären bestimmt, z. B. durch eine kontext-abhängige und hemisphärenspezifische Verstärkung des funktionellen Einflusses zwischen Kontrollarealen im frontalen Kortex und den Arealen, die an der Ausführung der Aufgaben beteiligt sind? Beim Vergleich der Buchstaben- und visuell-räumlichen Entscheidungsaufgaben gegen die Baseline (d. h. die Reaktionszeitaufgabe) fand sich eine signifikante bilaterale Aktivierung im dorsokaudalen anterioren zingulären Kortex (ACC), einem Areal, dem die Durchführung kognitiver Kontrollprozesse zugeschrieben wird (Bush et al. 2000; Casey et al. 2000; MacDonald et al. 2000). In einer Analyse effektiver Konnektivität mit Hilfe von PPI zeigte sich, dass die funktionellen Interaktionen des linken und rechten ACC, verglichen zwischen Buchstaben- und visuell-räumlichen Entscheidungen, mit dem Rest des Hirns eine deutliche Dis-
. Tabelle 41.1. Ergebnisse der Gruppenanalysen (»random effects«). A, B: Alle Cluster mit signifikanten BOLD-Unterschieden (p Buchstabenentscheidungen) Posteriorer Sulcus intraparietalis
R
28
–72
48
47
4,49
0,015*
Anteriorer Sulcus intraparietalis
R
42
–42
44
33
4,63
0,034*
Hem. gibt an, ob die Region in der linken (L) oder rechten (R) Hemisphäre liegt. x, y, z bezeichnen die Koordinaten des lokalen Cluster-Maximums bezüglich des in SPM verwendeten MNI-Templates. Um die Ergebnisdarstellung kompakt zu halten, sind nur die Hauptmaxima der signifikanten Cluster aufgeführt. k gibt die Anzahl der auf einer Schwelle von p Definition Das zerebrale Belohnungssystem ist ein mesokortikolimbisches System im Zentralnervensystem, bestehend aus Area tegmentalis, Hippocampus, Teilen des Frontalkortex und Nucleus accumbens, das durch Ausschüttung des Neurotransmitters Dopamin an der Entstehung positiv belohnender Gefühle beteiligt ist (z. B. bei Alkoholgenuss).
Dass jedoch die Einzelbefunde unterschiedlicher Studien nicht ohne weiteres miteinander in Beziehung gesetzt werden sollten, demonstriert eine Metaanalyse von Wilson et al. (2004), in der die Resultate aus 19 bildgebenden Untersuchungen zu Suchtdruck (vor allem bei Kokainabhängigkeit) unter besonderer Berücksichtigung des Behandlungsstatus der Patienten miteinander verglichen wurden. So fanden Stephen und Kollegen, dass eine Signalerhöhung im Bereich des orbitofrontalen und dorsolateralen Präfrontalkortex lediglich bei denjenigen Patienten auftrat, die zum Zeitpunkt der Untersuchung konsumierten. Folglich sollte der Aspekt des Behandlungsstatus (d. h. die Frage, ob die Perspektive auf einen zeitnahen Substanzkonsum besteht) bei der Interpretation der zerebralen Substrate von Suchtdruck stets Berücksichtigung finden.
611 43.2 · Studienbeispiel: subkortikale Korrelate von Craving
43.2
Studienbeispiel: subkortikale Korrelate von Craving
43.2.1
Untersuchte Stichprobe und Einschlusskriterien
Da nur die wiederholte Untersuchung derselben Personengruppe mit zwischenzeitlicher therapeutischer Intervention reliable Rückschlüsse auf die Effekte therapeutischer Maßnahmen zulässt, ist diese Art der Wiederholungsmessung für die Verbesserung von Therapiemethoden von großer Relevanz. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen haben Schneider et al. (2001) die funktionellen zerebralen Korrelate während der Darbietung eines alkoholischen olfaktorischen Reizes bei alkoholkranken Patienten vor und nach einer dreiwöchigen Kombinationstherapie mittels fMRT berichtet (7 Kap. 40.3.1).
Stichprobenbeschreibung Hierfür wurden 10 männliche Patienten mit der Diagnose Alkoholabhängigkeit nach DSM-IV (APA 1994) sowie 10 gesunde Kontrollprobanden (. Tab. 43.1) zweimalig mit einem zeitlichen Abstand von 3 Wochen gemessen. Die Diagnose basierte auf den Befunden des deutschsprachigen »Semi-Structured Assessment for the Genetics of Alcoholism« (SSAGA; Bucholz et al. 1994), einem teilstrukturierten Interview zur Erfassung physischer, psychischer und sozialer Hinweise auf Alkoholmissbrauch oder -abhängigkeit sowie eventuell vorhandener komorbider Störungen. Patienten mit komorbider Störung sowie aktuellem oder vergangenem Drogenkonsum (Opioide, Methadon, Amphetamine, Cannabinoide, Sedativa) wurden von der Studie ausgeschlossen. Die gesunden Teilnehmer waren zu der Gruppe der Patienten bezüglich Geschlecht, Alter und Bildungsgrad parallelisiert. Personen mit neurologischen oder psychiatrischen Auffälligkeiten wurden nicht eingeschlossen.
Teilnahmevoraussetzungen Voraussetzung für die Teilnahme jedes Patienten war eine zweiwöchige stationäre Entgiftung, die mindestens eine
Woche vor dem ersten Messzeitpunkt abgeschlossen sein musste. Während der Entgiftungsphase wurden die Patienten mit Disulfiram oder Doxepin und, je nach Indikation, Carbamazepin und/oder Haloperidol psychopharmakologisch behandelt. Mit einem zwischenzeitlichen Abstand von 3 Wochen wurden beide Gruppen sodann mittels fMRT zweimalig gemessen (1,5-T-Scanner). Zwischen Erst- und Zweitmessung unterzog sich die Patientengruppe einer dreiwöchigen standardisierten ambulanten Verhaltenstherapie mit kontrollierter Abstinenz. Zusätzlich erhielten die Patienten in diesem Zeitraum Doxepin mit einer Tagesdosis von 150 mg. Anatomische Daten:
4 4 4 4
Matrix=256×256×128 TR=11,4 ms TE=4,4 ms FOV=230 mm
Funktionelle Daten:
4 4 4 4 4 4
»echoplanar imaging«, 32 Schichten Schichtdicke=3 mm Zwischenschichtabstand=0,3 mm TR=10 s TE=66 ms Matrix=64×64
43.2.2
Versuchsdesign
Der Gesamtablauf der fMRT-Messung unterteilte sich in 2 Durchläufe. Mittels eines eigens konstruierten Olfaktometers (Schneider et al. 1999, 7 Kap. 25) wurde während des ersten Durchgangs Ethanol (38%), während des zweiten Durchgangs neutrale Raumluft olfaktorisch dargeboten. Durch eine spezielle Schlauchvorrichtung war es hierbei möglich, die Duftstoffe exakt unterhalb des rechten Nasenlochs des Probanden zu präsentieren. Nach jeder Bedingung wurde der emotionale Zustand des Probanden mittels der »Positive and Negative Affect Schedule« (PANAS, Watson et al. 1988) sowie der subjektiv empfundene Sucht-
. Tabelle 43.1. Alter, Bildung, Alkoholkonsum und Rauchgewohnheiten der Studienteilnehmer
Parameter
Patienten mit Alkoholabhängigkeit nach DSM-IV (n=10)
Gesunde (n=10)
Durchschnittliches Alter in Jahren
41,4 (SD=7,7)
41,1 (SD=7.5)
Durchschnittliche Bildung in Jahren
9,5 (SD=1,7)
12,7 (SD=4,0)
Durchschnittliche Alkoholabhängigkeit in Jahren
8,9 (SD=3,8)
–
Rauchverhalten
9 Raucher, durchschnittlich 22,2 (SD=9,4) Zigaretten täglich, 20,7 (SD=8,0) Jahre lang
5 Raucher, durchschnittlich 15,8 (SD=5,31) Zigaretten täglich, 24,6 (SD=9,58) Jahre lang
43
612
Kapitel 43 · Therapieverlaufsstudien bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit
druck mittels der »Craving Rating Scale« (Szegedi et al. 2000) standardisiert erfasst. Jeder Durchgang bestand aus 4 Baseline-Phasen sowie 3 Phasen mit olfaktorischer Stimulation mit einer jeweiligen Dauer von 100 s. Jede der 100-sekündigen Phasen umfasste 10 Intervalle zu je 10 s, innerhalb derer lediglich während der ersten 4 s Datenakquisition stattfand. Die olfaktorische Reizung (Ethanol oder Luft) wurde während der ersten 2 s des Intervalls dargeboten (. Abb. 43.1).
43.2.3
Ergebnisse
43 Die Ergebnisse der »Craving Rating Scale« konnten einen verminderten Suchtdruck in der Gruppe der Patienten während der Stimulation mit Ethanol zum zweiten im Vergleich zum ersten Messzeitpunkt bestätigen.
Zerebrale Aktivierung zum ersten Messzeitpunkt Vor der dreiwöchigen Behandlungsphase reagierten die Patienten während der Darbietung von Ethanol mit signifikanten Aktivierungserhöhungen im Bereich des rechten Amygdala-Hippocampus-Komplexes (. Abb. 43.2). Weitere Aktivierungsmuster zeigten sich im superioren temporalen Gyrus sowie im Zerebellum. Die Stimulation mit neutraler Raumluft war nicht mit einer vergleichbaren Aktivierung assoziiert, es fand sich ein lediglich schwaches Signal im mediofrontalen Bereich. Die gesunden Versuchsteilnehmer zeigten während der Ethanolstimulation keine erhöhte Aktivierung im subkortikalen Bereich, jedoch eine signifikante BOLD-Antwort im superior-temporalen Gyrus (. Abb. 43.3). Der direkte Vergleich zwischen beiden Gruppen förderte eine geringe Mehraktivierung in der Gruppe der Patienten in amygdaloiden und zerebellären Strukturen sowie im superioren und medialen temporalen Bereich bei Ethanolstimulation zu Tage.
. Abb. 43.1. Versuchsablauf, bestehend aus 2 Durchgängen mit je 4 Baselineblocks und 3 Stimulationsblocks sowie Ethanolbzw. neutraler olfaktorischer Stimulation
Zerebrale Aktivierung zum zweiten Messzeitpunkt Nach der dreiwöchigen Behandlungsphase trat bei den Patienten während der Stimulation mit Ethanol weder eine Aktivierung im Bereich des Amygdala-HippocampusKomplexes noch im Zerebellum auf. Aktivierung fand sich im superioren temporalen Gyrus, im Okzipitalkortex und im insulären Kortex. Die Stimulation mit neutraler Raumluft ging in der Patientengruppe mit zerebraler Aktivierung im vorderen Teil des superioren temporalen Gyrus, im Okzipitalkortex sowie im frontalen, präzentralen und zingulären Gyrus einher. Im Vergleich zum ersten Messzeitpunkt fand sich bei den gesunden Kontrollprobanden zum zweiten Messzeitpunkt bei Darbietung von Ethanol ähnlich wie bei der Erstmessung eine erhöhte Aktivierung im superior temporalen und posterior zingulären Bereich. Die Stimulation mit neutraler Raumluft ging in der Gruppe der gesunden Teilnehmer lediglich mit Signalerhöhung im postzentralen Gyrus einher. Der Vergleich beider Gruppen förderte insbesondere eine Mehraktivierung im Parietal- und Okzipitalkortex sowie im linksseitigen temporalen Bereich bei Patienten während Ethanolstimulation zu Tage. Bei der Darbietung neutraler Raumluft waren der rechte mediofrontale Gyrus und der rechte superior temporale Gyrus bei Patienten stärker aktiviert als bei Gesunden.
Interpretation der Befunde Die Ergebnisse bestätigen eine Modifikation der zerebralen Korrelate von Suchtdruck bei alkoholkranken Patienten nach der Teilnahme an einer therapeutischen Behandlung. So ging die olfaktorische Darbietung von Alkohol bei abstinenten Patienten vor der therapeutischen Behandlung mit subjektiv empfundenem Suchtdruck und zerebraler Aktivierung im Amygdala-Hippocampus-Komplex sowie im Zerebellum einher. Nach einer dreiwöchigen verhaltenstherapeutischen und psychopharmakologischen Behandlung
613 43.2 · Studienbeispiel: subkortikale Korrelate von Craving
. Abb. 43.2. Zerebrale Aktivierung bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit vor und nach therapeutischer Intervention während der olfaktorischen Darbietung von Ethanol (Schneider et al. 2001)
. Abb. 43.3. Zerebrale Aktivierung gesunder Kontrollprobanden während der olfaktorischen Darbietung von Ethanol zu 2 Messzeitpunkten (Schneider et al. 2001)
43
614
43
Kapitel 43 · Therapieverlaufsstudien bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit
blieb die entsprechende subkortikale Aktivierung aus. Ferner gaben die Patienten eine Verminderung des subjektiv empfundenen Suchtdrucks an. Wie auch die Ergebnisse der PANAS-Skala bestätigen, ging der olfaktorisch induzierte Suchtdruck vor der Behandlung bei den alkoholkranken Patienten mit verstärkter Emotionalität einher, so dass die Aktivierung der Amygdala als erwartungsgemäß zu bezeichnen ist. Ferner ist anzunehmen, dass die zerebelläre Aktivierung mit Gedächtnisprozessen, die bei der Aktivierung von Assoziationen zu dem alkoholischen Reiz bei suchtkranken Personen auftreten, in Zusammenhang steht. Hingegen war in beiden Gruppen bei der Stimulation mittels Ethanol Aktivierung im bilateralen superior-temporalen Kortex zu verzeichnen und somit in einem Areal, das sich häufig bei olfaktorischer Stimulation aktiviert zeigt. Neben dem superior-temporalen Kortex berichtet ein Großteil aller Studien zur olfaktorischen Wahrnehmung auch eine Beteiligung des orbitofrontalen Kortex. Dies hat sich in der vorliegenden Studie jedoch nicht gezeigt. Da die zeitliche Dauer der Aktivierungsphasen, in denen olfaktorisch stimuliert wurde, mit 100 s relativ lang war, ist hier Habituation als mögliche Ursache für die fehlende Aktivierung im orbitofrontalen Kortex nicht auszuschließen. Neben der Aktivierung im superior-temporalen Bereich fand sich in der Gruppe der Patienten bei Ethanoldarbietung nach der Behandlungsphase ein Signalanstieg in der rechten Insula sowie im rechten Okzipitalkortex. ! Die Befunde machen deutlich, dass die subkortikale Aktivierung vor Behandlungsbeginn zustandsabhängig war und durch die verhaltenstherapeutisch-pharmakologische Intervention modifiziert werden konnte.
Zusammenfassung und Ausblick Die Befunde der beschriebenen Studie liefern einen wertvollen Hinweis auf die funktionell-zerebralen Korrelate von Alkohol-Craving im Bereich des AmygdalaHippocampus-Komplexes bei Patienten mit Alkoholkrankheit sowie die Möglichkeit, diese durch verhaltenstherapeutische, antidepressive Therapie zu verändern. Da die olfaktorischen Reize in der beschriebenen Studie nicht randomisiert dargeboten wurden, kann eine Erwartungshaltung seitens des Versuchsteilnehmers jedoch nicht ausgeschlossen werden. Ein designtechnisches Defizit der Studie beruht ferner auf der Tatsache, dass die Modifikation der zerebralen Aktivierung nicht mit der notwendigen Sicherheit auf die therapeutische Intervention attribuiert werden kann. Ursache kann auch lediglich der zeitliche Abstand zwischen Erst- und Zweitmessung sein. Ferner kann auch keinerlei Aussage über eventuelle differenzielle Behandlungseffekte getroffen werden.
43.3
Literatur
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44 44
Multicenterstudie: Kompetenznetz Schizophrenie M. Reske, F. Schneider
44.1
Das Kompetenznetz Schizophrenie – 616
44.2
Praktische Durchführung – 617
44.2.1 44.2.2 44.2.3
Verwendete Paradigmen – 617 Hard- und Software – 617 Statistische Analyse – 618
44.3
Koordination eines multizentrischen Projektes – 619
44.3.1 44.3.2
Koordinativer Kontakt – 619 Datenverwaltung – 619
44.4
Literatur – 620
616
Kapitel 44 · Multicenterstudie: Kompetenznetz Schizophrenie
))
44
Publizierte Ergebnisse aus multizentrischen Studien, die die fMRT verwenden, sind bislang selten. Dies wird insbesondere auf die Probleme zurückzuführen sein, die sich ergeben können, wenn verschiedene Datenquellen zu einem Pool integriert werden sollen. Für multizentrisch angelegte Untersuchungen ist einerseits die Kontrolle der Qualität der Hard- und Software der verschiedenen Zentren von enormer Bedeutung. Andererseits stellt die Durchführung der gesamten Untersuchung im Vergleich zu Experimenten an einem Zentrum einen potenzierten, nicht zu vernachlässigenden koordinativen und organisatorischen Aufwand dar. Im Folgenden sollen am Beispiel der multizentrischen fMRT-Untersuchung im Kompetenznetz Schizophrenie (KNS) die Probleme dargestellt werden, die sich bei solchen Studien ergeben können. Ferner werden Hinweise zur Optimierung der Datenqualität und der Durchführung zukünftiger Multicenterstudien gegeben.
44.1
Das Kompetenznetz Schizophrenie
> Definition Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Kompetenznetzes Schizophrenie (KNS) werden ersterkrankte schizophrene Patienten über eine Zeitspanne von 2 Jahren therapeutisch begleitet. Die Patienten erhalten u. a. eine doppelblinde Medikation mit einem typischen oder atypischen Antipsychotikum (Haloperidol versus Risperidon) sowie eine standardisierte Psychotherapie.
Das gesamte Kompetenznetz ist multizentrisch angelegt. 20 Forschungseinrichtungen, meist Universitätskliniken für Psychiatrie und Psychotherapie in Deutschland sind in die groß angelegte Studie involviert. Die in die Studie eingeschlossenen Patienten nehmen bei vorliegendem Einverständnis und nicht vorliegenden Kontraindikationen (7 Kap. 5) auch an Untersuchungen mit der fMRT teil. Als
. Abb. 44.1. Ablauf der Wiederholungsmessungen (4 Messzeitpunkte innerhalb von 2 Jahren) im fMRT-Projekt des Kompetenznetzes Schizophrenie
grundlegende Idee basiert dieses multizentrische Projekt auf der Tatsache, dass sich die Ergebnisse der meisten publizierten fMRT-Untersuchungen auf relativ kleine Stichprobengrößen stützen und dass bei der Rekrutierung in verschiedenen Zentren höhere Fallzahlen erreicht werden können. Diese multizentrische fMRT-Studie findet an 9 deutschen fMRT-Zentren statt und wird u. a. von den Autoren dieses Kapitels koordiniert. Mit einem Wechsel des Projektleiters an das Universitätsklinikum Aachen erfolgte dann auch ein Wechsel des Projektes von Düsseldorf nach Aachen. Die Betreuung des gesamten Projektes lag für die komplette Laufzeit in der Hand der gleichen Mitarbeiter, was für die Koordinationstätigkeiten innerhalb eines solch großen Projektes von entscheidendem Wert ist. ! Multicenterstudien ermöglichen das Sammeln großer Fallzahlen innerhalb kürzester Zeit, erfordern aber ein Poolen von Daten verschiedener Zentren und Tomographen, weswegen eine Garantie der Vergleichbarkeit und Güte der Daten gewährleistet werden muss.
Im KNS wurden aus der Gesamtheit aller in die Studie eingeschlossenen Patienten Daten von insgesamt 84 ersterkrankten schizophrenen Patienten erhoben, eine für Kernspinstudien extrem große Stichprobe, die nur durch Multicenterstudien erzielt werden kann. Als Vergleichsgruppe dienten gesunde Kontrollprobanden, die individuell nach Geschlecht, Alter und Schulbildung der Eltern gematcht wurden, wobei zugehörige Patienten und Gesunde jeweils im gleichen Zentrum gemessen werden. Die Probanden werden innerhalb der 2 Jahre wiederholt mittels der fMRT untersucht. Hierzu wurden 4 Untersuchungszeitpunkte gewählt: T0 im Anschluss an eine initiale, sechswöchige stationäre Akuttherapie, T1 nach 6 Monaten, T2 nach 12 und T3 nach 24 Monaten (. Abb. 44.1). Die Wiederholungsmessungen ermöglichen es, die prädiktive Valenz der hirnfunktionellen Auffälligkeiten zu Beginn der Erkrankung für den individuellen Krankheitsverlauf und das Rückfallrisiko zu determinieren. So sollen Aussagen über gegebenenfalls bestehende Trait- und StateMerkmale ermöglicht werden.
617 44.2 · Praktische Durchführung
44.2
Praktische Durchführung
44.2.1
Verwendete Paradigmen
Auf hirnfunktioneller Ebene zeichneten sich die Patienten während Arbeitsgedächtnisprozessen durch Hypoaktivierungen parietaler Regionen (inkl. Precuneus) und Hyperaktivierungen inferior frontaler Hirnareale aus (. Abb. 44.3). Die im KNS untersuchten ersterkrankten schizophrenen Patienten zeichneten sich dabei wider Erwarten nicht durch eine allgemeine Hypofrontalität aus (Schneider et al. 2006). Im Anschluss an den CPT werden zentrenspezifisch Paradigmen mit unterschiedlichen, für die Schizophrenie relevanten Schwerpunkten und Fragestellungen verwendet (. Abb. 44.4), so z. B. emotionale Paradigmen, Paradigmen zu Augenfolgebewegungen und exekutiven Funktionen.
Zentrenübergreifend wurde im KNS eine modifizierte Version des »Continuous-Performance«-Tests (CPT; . Abb. 44.2) als gemeinsames kognitives Paradigma mit Relevanz für die Pathophysiologie schizophrener Erkrankungen gewählt. Der Test besteht aus Aufgaben zu Aufmerksamkeits(0-Back-) und Arbeitsgedächtnisaufgaben (2-Back) und ist in der psychiatrischen Forschung gut evaluiert. Während die Leistungen in der 0-Back-Aufgabe bei Patienten und Gesunden vergleichbar waren, wurde in der 2-Back-Aufgabe mit Fokus auf Arbeitsgedächtnisleistungen bei Patienten eine schlechtere Leistung beobachtet.
44.2.2
Hard- und Software
! Für die Durchführung und die Gewährleistung der Vergleichbarkeit der Daten für das gemeinsame Paradigma ist die Kontrolle der Qualität von Hard- und Software von essenzieller Bedeutung, denn die Varianz der Daten innerhalb von Multicenterstudien kann im Gegensatz zu Studien an nur einem Scanner aufgrund verschiedener Tomographen eine erhöhte Fehlervarianz aufweisen.
Alle beteiligten Zentren verfügen über 1,5-T-Tomographen. Um einen hohen Standard der Datenqualität zu garantieren, werden daher in allen beteiligten Zentren die gleichen Messsequenzen (gleiche TR, TE, α, Schichtdicke, Matrix, FoV etc.) für die funktionellen Scans verwendet. Im KNS wurde in engster Zusammenarbeit mit dem Institut für Medizin des Forschungszentrums Jülich eine Methode zur automatisierten Kontrolle der Qualität der Messungen entwickelt, die insbesondere für Multicenterstudien von großer Wichtigkeit ist (Stöcker et al. 2005).
. Abb. 44.2. CPT-Paradigma mit 0-Back-(Aufmerksamkeits-) und 2Back-(Arbeitsgedächtnis-) Phasen. 0-Back erfordert einen Tastendruck auf den Targetbuchstaben X hin, 2-Back, wenn 2 Buchstaben zuvor der gleiche Buchstabe präsentiert wurde
a
b . Abb. 44.3. Hirnfunktionelle Aktivierungsmuster gesunder Probanden (a) und ersterkrankter schizophrener Patienten (b) während Arbeitsgedächtnisanforderungen (2-Back versus 0-Back)
44
618
Kapitel 44 · Multicenterstudie: Kompetenznetz Schizophrenie
. Abb. 44.4. Verwendete Paradigmen in den beteiligten Zentren. Gemeinsames Paradigma: CPT mit 0-Back (Aufmerksamkeit) und 2-Back (Arbeitsgedächtnis)
44
Dieses Verfahren nutzt funktionelle EPI-Messungen mit Siemens-Standardphantomen (. Abb. 44.5a), um scanner-
spezifische, zum Teil tagesabhängige Parameter (. Abb. 44.5b) zu erheben. Hierfür wird an jedem Messtag des KNS an Phantomen die gleiche EPI-Sequenz genutzt, wie sie auch für die funktionellen In-vivo-Messungen verwendet wird. Anhand der prozentualen Signaländerung wird dann ein Maß für die Fehlervarianz der Daten bestimmt. Neben der in 7 Kap. 8 beschrieben Methode wurde des Weiteren ein Verfahren entwickelt, das es ermöglicht, die In-vivo-Messungen einer Quantifizierung von Bewegungsartefakten zu unterziehen, die im KNS zum Ausschluss von 24 Gesunden und 25 Patienten mit schlechter Datenqualität führte (. Abb. 44.6; Stöcker et al. 2005; Schneider et al., eingereicht).
44.2.3
Statistische Analyse
Die statistische Analyse der hirnfunktionellen In-vivo-Daten erfolgt im KNS mit Hilfe des Softwarepaketes SPM99 a a
(http://www.fil.ion.ucl.ac.uk/spm) nach vorgegebenem Schema (Verwerfen der Prescans, »realignment« auf das gleiche Bild, Koregistrierung, Normalisierung und »smoothing« mit gleichen Parametern/Filter etc.) innerhalb der jeweiligen Zentren, während die Daten der Phantommessungen vom koordinierenden Zentrum Aachen/Jülich verarbeitet werden. ! Sollen die Gruppenanalysen einer Multicenterstudie zentral durchgeführt werden, ist es notwendig, dass alle Schritte der Einzelauswertung bis hin zur Reihenfolge der Kontrastdefinitionen der Einzelstatistik in absolut gleicher Art und Weise durchgeführt werden.
Die Verwendung von Skripten zur automatischen Auswertung der einzelnen personenbezogenen Daten erscheint in Hinblick auf die Auswertungsobjektivität vor allem in Multicenterstudien daher eine entscheidende Rolle zu spielen. Es bleibt jedoch zu bedenken, dass skriptbasierte Auswertungen eine Qualitätsanalyse im Einzelfall nicht liefern können. So bleibt dem Anwender in jedem Falle eine Überprüfung der Korrektheit der einzelnen Auswerteprozeduren (z. B. Koregistrierung) nicht erspart.
b . Abb. 44.5. Siemens-Phantome (a) werden zur Kontrolle der Qualität der Scanner genutzt. Anhand der prozentualen Signaländerung (PCS) können Datensätze erkannt werden, die artefaktbehaftet sind (b)
. Abb. 44.6. In-vivo-Qualitätskontrolle führt zum Ausschluss von Datensätzen und maximiert die Datenqualität
619 44.3 · Koordination eines multizentrischen Projektes
! Falls möglich, sollte skriptbasiert ausgewertet werden. Ein Monitoring der Qualität ist trotzdem erforderlich! Bei manueller Auswertung müssen ein striktes Protokoll vorgegeben und möglichst trainierte Auswerter eingesetzt werden. Skriptbasierte Auswertungen können Fehlerquellen minimieren und erfordern dennoch eine Kontrolle der Daten.
In jedem Falle ist es absolut notwendig, alle Daten in der gleichen Art vorliegen zu haben. Sollen die Einzelanalysen zentrenspezifisch durchgeführt werden, müssen dem (Gruppen-)auswertenden Zentrum alle nötigen Informationen über die Daten (z. B. radiologische versus neurologische Konvention etc.) zur Verfügung stehen. Sollen vom koordinierenden Zentrum den jeweiligen Zentren Skripte zur Auswertung bereitgestellt werden, sind diese zentrenspezifischen Besonderheiten zu bedenken.
44.3
Koordination eines multizentrischen Projektes
44.3.1
Koordinativer Kontakt
Neben persönlichen Treffen der kooperierenden Mitarbeiter haben sich in regelmäßigen Abständen stattfindende Telefonkonferenzen und nicht zuletzt persönlicher Kontakt von Seiten des koordinierenden Zentrums mit den Mitarbeitern der beteiligten Zentren (per Telefon, Email o. ä.) als essenziell für die Durchführung der Studie erwiesen. Während die Telefonkonferenzen im Allgemeinen dazu genutzt werden, größere Probleme und Zukunftsperspektiven zu be- bzw. erarbeiten, dient der enge Kontakt zwischen der Netzwerkzentrale und den teilnehmenden Zentren insbesondere dazu, kleinere Probleme und Fragen, wie sie zum Beispiel bei der Datenauswertung entstehen können, zu monitoren. Insbesondere in der Netzwerkzentrale sollte ein konstanter Mitarbeiter für die Koordination verantwortlich und speziell in der Phase des Projektbeginns permanent ansprechbar sein. Diesem fällt u. a. die Aufgabe der Sammlung und Verwaltung aller zu erhebenden Daten zu. Teilweise wechseln jedoch während der Projektlaufzeit in den verschiedenen Zentren die Mitarbeiter, was eine Einarbeitung der neuen Mitarbeiter in die Strukturen des Netzwerkes unbedingt erfordert.
44.3.2
Datenverwaltung
Im Rahmen des KNS werden die funktionellen Daten zentrenintern ausgewertet, und anschließend in kompletter Form (inkl. Rohdaten, 3d-Satz, Daten der funktionellen Runs, Statistikverzeichnis) an das koordinierende Zentrum transferiert. Aufgrund der in Multicenterstudien zu erwartenden Datenmenge (im KNS z. B. bei 2 Durchgängen des
CPT je Proband à 99 Scans, 84 Patienten und 84 Gesunden, 4 Messzeitpunkten pro Proband 1400 GB für alle analysierten Daten aller Messzeitpunkte) ist die Durchführung von Gruppenanalysen an sehr hohe Ressourcen gebunden. Im Rahmen von Multicenterstudien können sich bei der Datenanalyse und -verwaltung kleinere, leicht zu behebende Probleme ergeben, die durch die Individualität der zentreneigenen Mitarbeiter bedingt ist. ! Eine Vereinheitlichung der Datenstruktur ist bei zentralisierter Auswertung unerlässlich.
Unabdingbar für die Planung und Durchführung (Datentransfer, Lösung von zentrenübergreifenden und -spezifischen Problemen) von Multicenterstudien hat sich ein ausreichender IT-Support erwiesen. Dies sollte unbedingt bei der Beantragung des Projektes bedacht werden. Eine halbe Stelle erscheint auch hier erfahrungsgemäß der Mindestbedarf zu sein. Bei der Datenorganisation sollten folgende Punkte beachtet werden: 4 Einheitliche Benennung der funktionellen Datensätze, nach Möglichkeit unter Einbeziehung relevanter Informationen, z. B. P7m03a für den dritten (»03«) männlichen (»m«) Patienten (»P«) aus Zentrum 7, Messzeitpunkt T0 (»a«) bzw. K7w01b für die erste weibliche Kontrollperson aus Zentrum 7, Wiederholungsmessung (Zeitpunkt »b«). 4 Einheitliche Kodierung aller Daten einer Person (z. B. funktioneller Datensatz, zugehörige Verhaltensdaten, demographische Daten etc.) vereinfacht die Datenanalyse. 4 Eine identische Organisation der funktionellen Daten erleichtert das Handling für die Gruppenauswertung (z. B. die Anlage von 3d-Satz, Statistik-Verzeichnis, funktionelle Daten pro Proband). 4 Zeitnahes Monitoring durch die Netzwerkzentrale zur Verhinderung von Datenverlust (Wurden alle Daten erhoben? Wie ist die Qualität der Auswertung, der Daten?).
Zusammenfassung und Ausblick Multizentrische Studien stellen ein großes Potenzial dar, die Stichprobengröße einer funktionell kernspintomographischen Untersuchung in relativ kurzer Zeit zu maximieren. Es ergeben sich unter Umständen Probleme, die u. a. durch ein umfangreiches Monitoring der Qualität der Daten minimiert werden können. Die Kontrolle der Scannerperformance sowie der Analyse der funktionellen Daten sollte dabei im Vordergrund stehen.
44
620
Kapitel 44 · Multicenterstudie: Kompetenznetz Schizophrenie
44.4
Literatur
Schneider F, Habel H, Klein M, Kellermann T, Stöcker T, Shah NJ, Zilles K, Braus DF, Schmitt A, Schlösser R, Wagner M, Frommann I, Kircher T, Rapp A, Meisenzahl E, Ufer S, Ruhrmann S, Thienel R, Sauer H, Henn FA, Gaebel W (2006) Neural correlates of working memory dysfunction in first-episode schizophrenia patients: An fMRT multicenter study. Schiz Res, doi: 10.1016/j.schres.2006.07.021. Stöcker T, Schneider F, Klein M, Habel U, Kellermann T, Zilles K, Shah NJ (2005) Automated quality assurance routines for fMRI data applied to a multi-center study. Hum Brain Mapp 25:237–246
44
V Perspektiven 45
Von der Grundlagenforschung zum klinischen Einsatz in Diagnostik und Therapie – 623 G.R. Fink, F. Schneider
45 45 Von der Grundlagenforschung zum klinischen Einsatz in Diagnostik und Therapie G.R. Fink, F. Schneider
45.1 Neurochemie von Hirnfunktionen: Untersuchung mittels fMRT – 624 45.2 Genotypisierung und Phänotypisierung 45.3 Methodische Weiterentwicklungen
– 626
– 627
45.4 Von der neuralen Netzwerkebene zur molekularen Signalübertragung: multimodales Imaging – 628 45.5 Literatur
– 629
624
Kapitel 45 · Von der Grundlagenforschung zum klinischen Einsatz in Diagnostik und Therapie
))
45
Bereits 1968 stellte Chomsky fest: »Ein Problem der psychologischen Wissenschaften liegt im Grad der Vertrautheit der Phänomene, mit denen sie sich auseinandersetzen. Man benötigt ein gewisses Ausmaß intellektueller Anstrengung um zu erkennen, wie psychologische Phänomene sinnvoll untersucht werden können, wie die richtigen Fragen gestellt werden können, und wie daraus erklärende Theorien geformt werden können. Dabei neigen wir dazu, psychologische Phänomene als etwas Gegebenes, Notwendiges oder Natürliches hinzunehmen.« (Chomsky 1968). Die kognitiven Prozesse, die bei psychischen Störungen wie neurologischen Erkrankungen gestört sein können, gehören zu den von Chomsky beschriebenen psychologischen Phänomenen, die intellektuelle Anstrengung erfordern, um sie sinnvoll untersuchen zu können. Ohne jeden Zweifel hat hier gerade die Kombination von geeigneten Untersuchungsparadigmen mit den Möglichkeiten der funktionellen Bildgebung in den letzten Jahrzehnten den klinisch orientierten Neurowissenschaften zu einer »Erfolgsstory« ohne gleichen verholfen. Die aktuelle Forschung in den Fächern Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie spiegelt den Wandel von einem deskriptiv-philosophischen zu einem quantitativ-naturwissenschaftlichen Ansatz wieder. Hierzu hat der enorme Fortschritt auf dem Gebiet der Neurowissenschaften entscheidend beigetragen. Je umfassender das Wissen über die Struktur und Funktion des Zentralnervensystems wird, desto leichter fällt es, entsprechende Dysfunktionen, wie sie bei neuropsychiatrischen Störungen vorliegen, vorherzusagen und erfolgreich zu behandeln. Dabei haben sich die Methoden der molekularbiologischen und der funktionell-bildgebenden Neurowissenschaften rasant entwickelt. Auch wenn z.B. die Genetik mit Linkage-Studien unser Wissen entscheidend vorangebracht hat, so bleibt die Aufklärung der Pathophysiologie psychischer und vieler neurologischer Störungen – insbesondere im individuellen Fall – weiterhin schwierig bis unmöglich, da es sich in der Regel um komplexe Syndrome handelt, bei denen (oftmals) polygenetische und umweltbedingte Faktoren ineinander greifen. Methodische Ansätze, die hier besonders Erfolg versprechend erscheinen, sind die neuropharmakologische fMRT und das Verknüpfen von genotypischen und phänotypischen Informationen mit funktioneller Bildgebung. Die neuropharmakologische fMRT ist ein zurzeit besonders aufregender Ansatz, um die modulierenden Effekte psychopharmakologisch aktiver Substanzen auf die neuralen Netzwerke, die kognitiven Funktionen zugrunde liegen, zu untersuchen. So gewonnene Daten ermöglichen es, neue Einblicke in die Dynamik pharmakologischer Prozesse, den spezifischen Einfluss von Neurotransmittern auf spezifische kognitive Prozesse, und neuerdings auch den Einfluss genetischer Variationen auf die neurophysiologischen Effekte von Pharmaka darzustellen.
45.1
Neurochemie von Hirnfunktionen: Untersuchung mittels fMRT
Der Ansatz, Effekte eines Pharmakons auf kognitive Prozesse im Vergleich zu einem Plazebo bei ein und derselben Versuchsperson mittels fMRT zu untersuchen, hat sich als besonders interessant erwiesen (Thiel et al. 2002, 2005; Stephenson et al. 2003). Pharmakaspezifische Effekte werden dadurch erfasst, dass die verumspezifische Modulation eines kognitiven Prozesses (im Vergleich zu einer adäquaten Kontrolle) mittels der BOLD-Signal-Veränderungen als Index der neuralen Mechanismen, die dieser kognitiven Funktion zugrunde liegen, bestimmt werden (im Vergleich zum Plazebo). Dieser Ansatz ist in 7 Kap. 10 und 42 ausführlich erläutert. Allgemein betrachtet, erlaubt diese Technik neue Einblicke in die Rolle verschiedenster Neurotransmitter für kognitive Prozesse (z. B. von Dopamin (Mattay et al. 2002), Azetylcholin (Thiel et al. 2005), GABAA (Northoff et al. 2002), etc.). Gleichfalls wichtig ist die Tatsache, dass Pharmakon-Effekte auch an Patienten direkt untersucht werden können (z. B. bei Parkinson-Patienten oder während der Erholung nach einem Schlaganfall) und dass dadurch neue Einblicke in gestörte Funktionen und deren therapeutische Beeinflussung gewonnen werden können:
Exkurs Ein Beispiel hierfür sind Untersuchungen zu kognitiven Defiziten bei Parkinson-Patienten. Seit langem ist bekannt, dass eine Dysfunktion des dopaminergen Systems dem Morbus Parkinson zugrunde liegt. Ursache hierfür sind die Degeneration der Pars compacta der Substantia nigra und die konsekutive Funktionsstörung der kortiko-striären-thalamischen Schaltkreise. Parkinson-Patienten zeigen jedoch oft nicht nur die bekannten motorischen Symptome der Erkrankung (Bradykinese, Rigor, Tremor), sondern auch kognitive Defizite; dies betrifft insbesondere kognitive Funktionen, die dem Präfrontalkortex zugeschrieben werden. Mattay und Kollegen nutzten hier die fMRT, um den modulierenden Effekt einer dopaminergen Therapie auf die neuralen Netzwerke, die dem Arbeitsgedächtnis und motorischen Funktionen zugrunde liegen, bei Parkinson-Patienten zu untersuchen (Mattay et al. 2002). Klinisch leicht beeinträchtigte Parkinson-Patienten (Stadium 1 bzw. 2 nach Hoehn und Yahr) wurden zum einen 12 h nach der letzten Gabe von dopaminergen Substanzen untersucht, also zu einem Zeitpunkt relativer Dopaminarmut, zum anderen nach dem Wiederauffüllen der Dopaminspeicher (durch die Gabe dopaminerger Substanzen). Die funktionelle 6
625 45.1 · Neurochemie von Hirnfunktionen: Untersuchung mittels fMRT
Bildgebung mittels fMRT wurde während 3 Bedingungen durchgeführt: 5 einer Arbeitsgedächtnisaufgabe, 5 einer sensomotorischen Aufgabe und 5 einer Ruhebedingung.
Ein weiterer klinischer Bereich, in welchem die funktionelle Bildgebung in den nächsten Jahren von wesentlicher Bedeutung sein wird, ist die Entwicklung neuer Therapiestrategien, z. B. zur Funktionserholung nach einem Schlaganfall.
Exkurs Dabei wollten Mattay und Kollegen (Mattay et al. 2002) 2 miteinander konkurrierende Hypothesen bzgl. der kognitiven Defizite von Parkinson-Patienten und der möglichen ursächlichen Beteiligung des Präfrontalkortex testen: Sie nahmen an, dass die neurale Aktivität im präfrontalen Kortex reduziert sein sollte, wenn das primäre Defizit bei Parkinson-Patienten in einer verminderten Stimulation des Präfrontalkortex durch den Nucleus caudatus (via Thalamus) besteht. In diesem Fall sollte eine dopaminerge Stimulation mit Pharmaka dann zu einer Funktionserholung des präfrontalen Kortex, reflektiert in einer Zunahme der neuralen Aktivität unter dopaminerger Therapie, führen. Alternativ sollte, wenn das primäre Defizit bei Parkinson-Patienten in einem defizienten mesokortikalen dopaminergen Einfluss besteht, der präfrontale Kortex während der relativen Dopaminarmut ineffizient arbeiten – was konsekutiv zu einer Zunahme der neuralen Aktivität im präfrontalen Kortex führen würde. Eine dopaminerge Therapie sollte dann zu einer Reduktion der neuralen Aktivität im präfrontalen Kortex führen. Die Untersuchungsergebnisse zeigten, dass die Hirnregionen, die die motorische Aufgabe unterstützten, im Zustand der Dopaminspeicher-Auffüllung (also nach Gabe dopaminerger Substanzen) eine Zunahme der neuralen Aktivität zeigten, und dass diese Zunahme während der sensomotorischen Aufgabe mit einer Verbesserung der Motorik positiv korrelierte. Im Gegensatz dazu zeigten die Hirnregionen, die die Arbeitsgedächtnisaufgabe unterstützten, mehr neurale Aktivität im Zustand der relativen Dopaminarmut. Außerdem fand sich eine positive Korrelation der Arbeitsgedächtnis-assoziierten Aktivierungen mit abnehmender Leistung. Mattay und Kollegen schlossen aus ihren Daten (Mattay et al. 2002), dass die kortikalen Netzwerke, die Arbeitsgedächtnis und Motorik unterstützen, differenziell durch Dopamin moduliert werden: Nigrostriatale dopaminerge Projektionen unterstützen die motorischen Funktionen (vermutlich über thalamische Relaisstationen), das mesokortikale dopaminerge System unterstützt dagegen Arbeitsgedächtnisfunktionen (vermutlich über direkte Projektionen zum Präfrontalkortex). Darüber hinausgehend legen die Daten nahe, dass relative Dopaminarmut die Effizienz der Informationsverarbeitung des Präfrontalkortex negativ beeinflusst, und dass eine dopaminerge Therapie hier einen positiven modulierenden Effekt hat.
Pariente und Mitarbeiter (Pariente et al. 2001) nutzten fMRT, um den Einfluss von Fluoxetin auf die motorischen Fähigkeiten von Schlaganfallpatienten zu untersuchen. Dabei wurde analysiert, ob ein positiver Einfluss des Pharmakons in der Frühphase nach lakunären Schlaganfällen beobachtet werden kann und mit welchen neuralen Mechanismen ein solcher Einfluss verbunden ist. Die Untersuchung wurde prospektiv und doppelblind an 8 Patienten mit rein motorischen Halbseitenlähmungen und einer Einzeldosis Fluoxetin in einem Crossover-Design in der fMRT durchgeführt. Jeder Patient wurde hierfür zweimal mittels fMRT untersucht: Die erste Studie wurde 2 Wochen nach dem Schlaganfall durchgeführt, die zweite Studie eine Woche später. Während den fMRT-Untersuchungen führten die Patienten eine motorische Aufgabe mit der gelähmten Hand durch (aktive Bewegung), zur Kontrolle führten die Untersucher die gleiche Aufgabe mit der gelähmten Hand durch (passive Bewegung). Die motorische Leistung wurde durch Aufgaben außerhalb der fMRT unmittelbar vor der fMRT-Untersuchung sowohl unter Plazebo wie auch unter Verum (Fluoxetin) gemessen, um den Effekt von Fluoxetin zu bestimmen. Fluoxetin verbesserte die motorische Funktion der gelähmten Hand signifikant. Passend hierzu wurde eine signifikante Zunahme der neuralen Aktivität im ipsiläsionalen (!) motorischen Kortex während der aktiven Bewegung der gelähmten Hand beobachtet. Das heißt, eine Einzeldosis Fluoxetin reichte aus, um die motorische Funktion zu modulieren und zu einer Zunahme an neuraler Aktivität im motorischen System zu führen. Dabei war eine »Umverteilung« (im Sinne von zerebraler Plastizität) von neuraler Aktivität im motorischen System zum ipsiläsionalen motorischen Kortex zu beobachten, die mit der verbesserten motorischen Leistung assoziiert war.
Es bleibt weiteren Studien vorbehalten, solche Effekte zu replizieren – entscheidend ist, dass solche Studien einen Weg aufzeigen, wie Hirnfunktionen spezifisch mittels neuropharmakologisch wirksamen Substanzen moduliert werden können und wie z. B. Funktionserholungen nach einem Schlaganfall in Zukunft systematisch untersucht werden können. Dabei kann der gleiche Ansatz selbstverständlich auch auf behaviorale Paradigmen bzw. Therapien (statt Pharmaka) ausgeweitet werden (7 Kap. 33). Der Einsatz von funktioneller Bildgebung zur Untersuchung von The-
45
626
45
Kapitel 45 · Von der Grundlagenforschung zum klinischen Einsatz in Diagnostik und Therapie
rapieeffekten steckt noch in den Kinderschuhen – in Anbetracht der hohen klinischen Relevanz werden Untersuchungen mittels fMRT zur Darstellung von therapieinduzierter zerebraler Plastizität aber ganz sicher in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen. Neue Studien zeigen, dass die fMRT neben der PET zukünftig auch für die Analyse und Prädiktion der Wirksamkeit psychopharmakologischer Behandlungen eingesetzt werden kann. So wurden zunächst zerebrale Aktivierungen vor und nach einem psychopharmakologischen Behandlungsbeginn bei psychisch Kranken mit denen von Kontrollprobanden verglichen. Inzwischen werden zudem erste Langzeit-fMRT-Studien mit Fokus auf eine differenzielle Pharmakowirkung durchgeführt. Ziel dieser Untersuchungen ist die Herausarbeitung protektiver und potenziell beeinträchtigend wirkender zerebraler Mechanismen, die eine individuelle Verlaufsprädiktion und Indikation für eine spezifische Pharmako- und Psychotherapie erlauben werden. Wenn auch die Prädiktion des individuellen Krankheitsverlaufs hinsichtlich Therapieansprechen und Rückfall momentan noch nicht anhand funktionell bildgebender Untersuchungen umfassend möglich ist, wird es doch in näherer Zukunft darum gehen, zunächst Subgruppen von Patienten mit homogenem Aktivierungsmuster zu identifizieren (»phenotyping«). Sind auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur Assoziationen mit dem folgenden Krankheitsverlauf aufzeigbar, wird es dieses Vorgehen dennoch in absehbarer Zeit erlauben, bei initialen Episoden beispielsweise der schizophrenen Störungen, den folgenden Verlauf der Erkrankung vorherzusagen, eine individuell indizierte Pharmakotherapie auszuwählen und spezifische Trainingsoder Therapieverfahren zu integrieren. So werden inzwischen neben Indexpatienten zunehmend Hochrisikoprobanden wie nicht-affizierte Angehörige von Patienten nach Möglichkeit im Langzeitverlauf untersucht, um Aussagen über prämorbid bestehende funktionelle Auffälligkeiten zu erzielen. Die Identifikation dieser Traitmerkmale psychiatrischer Störungen wird zur Früherkennung und Frühintervention genutzt werden können, so dass die Phase unbehandelter manifester Syndrome reduziert und die schädigende Wirkungen auf die zerebrale Integrität und Funktion minimiert werden können.
45.2
Genotypisierung und Phänotypisierung
Wesentliche weitere Einsichten können durch die Kombination von genotypischer und phänotypischer Information mit funktioneller Bildgebung gewonnen werden. In einem neuen und bahnbrechenden Ansatz zeigten Mattay und Mitarbeiter (Mattay et al. 2003) bei gesunden Probanden, dass individuelle Variationen der Hirnaktivierung durch Amphetamine vom val158-met-Genotyp der Catechol-OMethyltransferase (COMT) abhängen. Monoamine modu-
lieren Hirnfunktionen und monoaminerge Pharmaka wie Amphetamine können eingesetzt werden, um neuropsychiatrische Erkrankungen, wie z. B. das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (7 Kap. 38), zu behandeln. Dabei ist oft beobachtet worden, dass die klinischen Effekte von Amphetaminen sehr variabel und schwer vorherzusagen sind: einige Patienten zeigen positive Effekte auf Stimmung und Kognition, andere Patienten zeigen dagegen sogar einen negativen Einfluss der Amphetamine. Mattay und Kollegen testeten nun die Hypothese, dass solche gegensätzlichen Amphetamin-Effekte durch unterschiedliche Genotypen Monoamin-assoziierter Gene und dadurch hervorgerufene unterschiedliche Phänotypen monoaminerger Funktionen bedingt sind (Mattay et al. 2003).
Exkurs Um diese Hypothese zu untersuchen, bestimmten Mattay und Kollegen die Effekte des val158-met-Polymorphismus desjenigen Gens, das die COMT kodiert. Hier war bekannt, dass dieser Polymorphismus die dopaminerg vermittelten Funktionen des präfrontalen Kortex bei Tier und Mensch moduliert. Mattay und Kollegen untersuchten nun in ihrem Experiment den Einfluss des Polymorphismus auf die Amphetamin-vermittelte Modulation der Funktion des Präfrontalkortex. 10 Probanden mit val/val-Genotyp, 11 mit val/met-Genotyp und 6 mit met/met-Genotyp wurden in eine fMRT-Studie eingeschlossen, in der eine N-back ArbeitsgedächtnisAufgabe untersucht wurde (7 Kap. 17) und in der Amphetamine (oder ein Plazebo) 120 min vor der fMRTUntersuchung den Probanden gegeben wurden. Amphetamine erhöhten die Effizienz des präfrontalen Kortex (gemessen mittels fMRT) während der Arbeitsgedächtnisaufgabe in homozygoten Probanden mit hoher COMT-Aktivität (infolge des val/val-Genotyp, mit konsekutiv relativ erniedrigtem präfrontalem synaptischem Dopamin) unabhängig vom Schwierigkeitsgrad des N-back-Paradigmas. Im Gegensatz dazu zeigten homozygote Probanden mit niedriger COMT-Aktivität (infolge des met/met-Genotyp, mit konsekutiv relativ viel präfrontalem synaptischem Dopamin und relativ hoher basaler Präfrontalkortex-Funktion) keinen Amphetamin-Einfluss auf die präfrontale kortikale Aktivität bei leichten und mittelschweren Arbeitsgedächtnis-Belastungen aber eine reduzierte präfrontale kortikale Effizienz bei hohen Arbeitsgedächtnis-Anforderungen. Mattay und Kollegen interpretierten ihre Ergebnisse dahingehend, dass die Daten die Annahme einer invertierten U-Funktion der dopaminergen Antwort des Präfrontalkortex unterstützen. Außerdem zeigen die Ergebnisse, dass Probanden mit dem met/met-Genotyp ein erhöhtes Risiko haben, unerwünschte Amphetamin-Effekte zu zeigen.
627 45.3 · Methodische Weiterentwicklungen
Die Studie von Mattay und Kollegen (Mattay et al. 2003) illustriert vor allem das außergewöhnliche Potenzial der Verknüpfung von funktioneller Bildgebung und Pharmakogenetik und belegt gleichzeitig, wie wichtig es ist, Verhaltensparameter und neurophysiologische Parameter (z. B. die BOLD-Signalveränderung) miteinander zu korrelieren. Gerade für psychiatrische Störungsbilder, allen voran für die Schizophrenie, eröffnen sich erhebliche Perspektiven für das sog. »genetic neuroimaging«. In einem kürzlich vorgelegten Übersichtsartikel (Harrison u. Weinberger 2005) wird die Relevanz der Verknüpfung von Genetik und funktioneller Bildgebung für die Schizophrenie-Forschung wie folgt zusammengefasst: »Nevertheless we speculate that these genes man all converge functionally upon schizophrenia risk via influence upon synaptic plasticity and the development and stabilization of cortical microcircuitry«… »Characterization of a core molecular pathway and a ›genetic cytoarchitecture‹ would be a profound advance in understanding schizophrenia, and may have equally significant therapeutic implications«. Es sollte allerdings bedacht werden, dass die genetischen Befunde der vergangenen Jahre trotz der hohen Heritabilität psychiatrischer Störungsbilder keinen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung der beteiligten Gene liefern konnten. Es ist anzunehmen, dass es keinen monogenen Haupteffekt für diese Störungsbilder gibt. Somit stützt sich die Forschung vornehmlich auf die Untersuchung differenzieller Endophänotypen, für die jeweils eine eigene genetische Prädisposition identifiziert werden soll. Solche Endophänotypen charakterisieren homogene Subgruppen innerhalb eines Störungsbildes, sind kontinuierlich quantifizierbar und können die Störung probabilistisch vorhersagen. Ihre Analyse wird die Forscher näher an die biologische Basis des jeweiligen Störungsbildes heranbringen. Diese neuen Möglichkeiten des »genetic neuroimaging« eröffnen somit eine interessante Perspektive, bei der durch Zusammenführung von genetischen Markern und hirnfunktionellen Daten versucht wird, eine Beziehung zwischen den Genen, der Makrostruktur und der Funktion bestimmter Hirnregionen zu determinieren. In diesem Sinne wurden beispielsweise bereits Allelvarianten und Polymorphismen des Dopamin- und Noradrenalin-abbauenden Enzyms COMT mit der Funktion des frontalen Kortex und einer erhöhten Suszeptibiltät für Schizophrenie in Verbindung gebracht. Hierbei geht die vermutlich niedrigere Dopaminkonzentration im Frontalkortex beim COMT-val-Genotyp mit einer erhöhten Aktivierung des dorsolateralen Präfrontalkortex einher. Obwohl absehbar ist, dass wir in nächster Zeit Kandidatengene für viele psychische und neurologische Störungen erhalten werden, scheint der Beitrag eines einzelnen Gens zum Erkrankungsrisiko oftmals gering, sodass neben einer Aufklärung des Genotyps eine vernünftige Charakterisierung des Endophänotyps von großer Bedeutung ist.
Hier spielen insbesondere nichtinvasive bildgebende Verfahren eine große Rolle.
45.3
Methodische Weiterentwicklungen
Methodisch wird der Weg neuropsychiatrischer Forschung auf die zunehmende Verwendung der Hochfeldbildgebung fokussieren. Messungen beispielsweise an 3-T- oder gelegentlich auch an 4-T-Geräten haben dabei folgende Vorteile: 4 Der funktionale Signalkontrast (BOLD-Effekt) steigt mit der Feldstärke an. 4 Bei den gängigen 1,5-T-Tomographen ist die Messempfindlichkeit vor allem in subkortikalen Regionen unbefriedigend. Der Einsatz von Hochfeldgeräten führt hier über die erhöhte Messempfindlichkeit zu deutlich verbesserten Ergebnissen. Um bei 3 T in subkortikalen Regionen keine Einbußen der Bildqualität zu erleiden, werden jedoch hohe Anforderungen an das Gradientensystem gestellt. 4 Bei 3 T können mehr Schichten pro Zeiteinheit gemessen werden. Dies steigert die zeitliche Auflösung. Es kommt zu einer Verkürzung der Messzeit. 4 Das Potenzial von 3-T-Geräten sollte natürlich nicht verdecken, dass ihr Einsatz nach wie vor hohe Anforderungen stellt und sie (noch) nicht als Routinegeräte betrachtet werden können. Natürlich bleiben auch hier noch viele Einflussfaktoren bedeutsam, die die Sensitivität und Spezifität der Ergebnisse bestimmen, unter anderem die Wahl der Paradigmen, Repetitionszeit, Echozeit, Auswerteanalysen usw. Auch mittels der DTI wird versucht, die Interaktion verschiedener Hirnregionen zu untersuchen. Die DTI beruht dabei auf der Möglichkeit, die zufällige Bewegung von Wassermolekülen (Diffusion) entlang der Nervenfasern darzustellen (Anisotropie). Mit diesem Verfahren ist es möglich geworden, speziell den Faserverlauf der weißen Substanz des Gehirns abzubilden. So werden mit der DTI die Ausbreitungseigenschaften von Wassermolekülen im Hirngewebe messbar, sodass der Verlauf von Nervenfasern verfolgt werden kann. Bei intakten Nervenfasern lässt sich die in bestimmte Richtungen eingeschränkte Bewegung von Wassermolekülen in Form von Signalunterschieden gegenüber dem umliegenden Hirngewebe darstellen. Die differenzielle Analyse von neurologischen und psychiatrischen Patienten und gesunden Probanden kann dann Aufschlüsse über normale bzw. gestörte zerebrale Verschaltungen liefern. Mit der Einführung und schnellen Verbreitung bildgebender Verfahren, der Entwicklung von Echtzeit-fMRT und damit neuer Möglichkeiten von Gehirn-ComputerSchnittstellen gibt es auch erste Hinweise auf die Möglichkeit zur Selbstregulation von neuraler Aktivität in umschriebenen Hirnregionen im Sinne des Neurofeedbacks
45
628
45
Kapitel 45 · Von der Grundlagenforschung zum klinischen Einsatz in Diagnostik und Therapie
(Posse et al. 2003; Weiskopf et al. 2003; deCharms et al. 2004). Der Einsatz von Biofeedback hat inzwischen eine lange Tradition im Bereich der klinischen und medizinischen Psychologie und findet durch die technischen Weiterentwicklungen neuerdings auch in funktionell-bildgebenden Studien Verwendung. Das Neurofeedback, also die Rückmeldung neuronaler Informationen, beschreibt ein Verfahren, bei dem physiologische Prozesse, die nicht oder nur ungenau durch die Sinnesorgane erfasst werden, der bewussten Wahrnehmung zugänglich gemacht werden. Der Proband oder Patient lernt dabei, Kontrolle über unwillkürlich ablaufende, unbewusste körperliche Prozesse in Richtung eines therapeutisch oder experimentell gesetzten Ziels auszuüben. Erscheint es momentan noch eine Zukunftsvision, so gehen doch erste Studien bereits in die Richtung der therapeutischen Nutzung, sodass sich das Neurofeedback während funktionell kernspintomographischer Messungen in naher Zukunft insbesondere für Patientengruppen mit neuropsychiatrischen Störungen anbieten wird, bei denen regional eingrenzbare, spezifische Hyper- oder Hypoaktivierungen identifiziert wurden. Dies wird neue Wege in der Therapie neuropsychiatrischer Störungsbilder eröffnen.
45.4
Von der neuralen Netzwerkebene zur molekularen Signalübertragung: multimodales Imaging
Schließlich wird eine weitere wesentliche Aufgabe der Hirnforschung mit funktioneller Bildgebung für die nächsten Jahre sein, die Lücke zwischen der neuralen Netzwerkebene und der molekularen Signalübertragungsebene zu schließen und Untersuchungen von der Systemebene (Hirnregionen, neurale Netze) über die mittlere Ebene (Zellpopulationen) bis hin zur zellulären Ebene (Nervenzellen, Synapsen, Moleküle) zu ermöglichen bzw. zu integrieren. Dies wird für ein besseres Verständnis von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen wesentlich sein und entscheidend für das Entwickeln neuer molekularbiologischer, neuropharmakologischer, behavioraler oder minimal-invasiver (z. B. erweiterte Indikationen für die Tiefenhirnstimulation) Therapieansätze. So wissen wir heute, dass sich selbst im erwachsenen Gehirn – zumindest an einigen Stellen – noch neue Nervenzellen bilden können. Zum jetzigen Zeitpunkt verstehen wir aber noch nicht, wie sich bei dieser »Neurogenese« neue Nervenzellen in alte Verschaltungen einfügen und welche Funktionen sie übernehmen. Die Frage, ob sich z. B. eine medikamentös induzierte Neurogenese (oder die Applikation von Stammzellen) für ursächliche Therapien von neurodegenerativen Erkrankungen einsetzen lassen, können wir daher zurzeit noch nicht beantworten. Der gleichzeitige Einsatz von struktureller und funktioneller Bildgebung (evt. in Kombination mit elektrophy-
siologischen Methoden) wird in den nächsten Jahrzehnten deswegen eine zentrale Rolle in der klinischen Diagnostik und Therapieentwicklung einnehmen. Die Bildgebung ist zurzeit die einzige Methode, die den Brückenschlag zwischen der Systemebene und der zellulären/molekularen Ebene sowie zwischen Pathophysiologie und Therapie ermöglicht. Das Verbinden phänotypischer und genotypischer Informationen ist – wie oben ausgeführt – nicht nur Voraussetzung für ein besseres Verständnis von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen, sondern auch für das Entwickeln neuer diagnostischer Verfahren und Therapien. Der Einsatz von funktioneller Bildgebung, die auf allen Ebenen die Applikation und Funktion neuer Pharmaka oder Therapeutika (z. B. Antikörper) ermöglicht (und im Verlauf verfolgt), wird hierbei zwingend notwendig sein. Von ebenfalls entscheidender Bedeutung wird sein, mit geeigneten Paradigmen auch die Funktionsverbesserung bzw. -wiederherstellung im Sinne eines eindeutigen Therapieerfolgs belegen zu können, da nur so der hohe Aufwand z. B. molekularer Therapien zu rechtfertigen sein wird. Ein Abdecken der gesamten Kette von den Biomarkern über die präklinische Forschung zur klinischen Validierung wird ein hohes Maß an Interdisziplinarität von der Bildgebung bis zur molekularen Neurobiologie erfordern, eröffnet aber auch ganz neue Perspektiven für die klinischorientierten Grundlagenwissenschaften in Psychiatrie und Neurologie. Zunehmend werden auch unterschiedliche Verfahren miteinander kombiniert, um die Vorteile der jeweiligen Methoden zu vereinen oder deren Nachteile so zu minimieren. So werden in jüngerer Zeit beispielsweise fMRT-Untersuchungen mit EEG- oder MEG-Ableitungen zusammen durchgeführt. Erste Studien haben die technischen Schwierigkeiten der zeitgleichen Ableitung von fMRT- und EEGDaten überwunden (Kaufman et al. 2005). Andere Ansätze gehen in die Richtung, fMRT und MEG zu kombinieren, wenn auch 2 einzelne Sitzungen notwendig sind, deren Daten zu integrieren. Allerdings bietet die Limitierung durch die Verwendung von 2 einzelnen Sitzungen und separaten Messungen für fMRT und MEG auch Vorteile: So ist nicht mit Artefakten durch das jeweils andere Messverfahren zu rechnen, wie es bei fMRT und EEG anzutreffen ist. Außerdem können die Paradigmen dann für die jeweilige Untersuchungstechnik optimiert werden. Die Kombination bietet zudem die Möglichkeit, die Vorzüge beider Methoden zu kombinieren.
Zusammenfassung und Ausblick Mehr als bisher sollte die Verbindung von Grundlagenforschung und klinischer Forschung im Sinne einer »translational research« im Vordergrund stehen. »Translational research« beschreibt hierbei die Übersetzung 6
629 45.5 · Literatur
der Ergebnisse der Grundlagenforschung, der experimentellen und der angewandten Forschung in neue klinische und andere Anwendungen in Form neuer Ideen sowohl in Bezug auf diagnostisches Vorgehen, Pharmaka und andere somatische und psychosoziale Behandlungen und Präventionsmaßnahmen. Die Entwicklung neuer Therapie- und Vorhersagemöglichkeiten sollte vorangetrieben werden. Ein großes Ziel der Psychiatrie und Neurologie muss die frühe Identifizierung von Risikopersonen und Prodromalstadien durch Ermittlung von phäno- oder genotypischen Markern bzw. auffälligen Mustern auf mehreren Ebenen sein. Dies kann zu einer Individualisierung von Diagnostik und Therapie führen, z. B. durch individuell »maßgeschneiderte« Pharmako- und Psychotherapien und den Einsatz von prädiktiver Diagnostik. Die Methode der fMRT wird hierzu einen relevanten Beitrag leisten.
45.5
Literatur
Chomsky N (1968) Language and mind. Harcourt, New York deCharms RC, Christoff K, Glover GH, Pauly JM, Whitfield S, Gabrieli JD (2004) Learned regulation of spatially localized brain activation using real-time fMRI. NeuroImage 21:436–443 Harrison PJ, Weinberger DR (2005) Schizophrenia genes, gene expression, and neuropathology: on the matter of their convergence. Mol Psychiatry 10:40–68 Kaufmann C, Wehrle R, Wetter TC, Holsboer F, Auer DP, Pollmächer T, Czisch M (2005) Brain activation and hypothalamic functional con-
nectivity during human non-rapid eye movement sleep: an EEG/ fMRI study. Brain Dec 9, Epub ahead of print Mattay VS, Tessitore A, Callicott JH, Bertolino A, Goldberg TE, Chase TN, Hyde TM, Weinberger DR (2002) Dopaminergic modulation of cortical function in patients with Parkinson’s disease. Ann Neurol 51:156–164 Mattay VS, Goldberg TE, Fera F, Hariri AR, Tessitore A, Egan MF, Kolachana B, Callicott JH, Weinberger DR (2003) Catechol O-methyltransferase val158-met genotype and individual variation in the brain response to amphetamine. Proc Natl Acad Sci USA 100:6186–6191 Northoff G, Witzel T, Richter A, Gessner M, Schlagenhauf F, Fell J, Baumgart F, Kaulisch T, Tempelmann C, Heinzel A, Kotter R, Hagner T, Bargel B, Hinrichs H, Bogerts B, Scheich H, Heinze HJ (2002) GABAergic modulation of prefrontal spatio-temporal activation pattern during emotional processing: a combined fMRI/MEG study with placebo and lorazepam. J Cogn Neurosci 14:348–370 Pariente J, Loubinoux I, Carel C, Albucher JF, Leger A, Manelfe C, Rascol O, Chollet F (2001) Fluoxetine modulates motor performance and cerebral activation of patients recovering from stroke. Ann Neurol 50:718–729 Posse S, Fitzgerald D, Gao K, Habel U, Rosenberg D, Moore GJ, Schneider F (2003) Real-time fMRI of temporolimbic regions detects amygdala activation during single-trial self-induced sadness. NeuroImage 18:760–768 Stephenson CM, Suckling J, Dirckx SG, Ooi C, McKenna PJ, BisbrownChippendale R, Kerwin RW, Pickard JD, Bullmore ET (2003) GABAergic inhibitory mechanisms for repetition-adaptivity in large-scale brain systems. NeuroImage 19:1578–1588 Thiel CM, Friston KJ, Dolan RJ (2002) Cholinergic modulation of experience-dependent plasticity in human auditory cortex. Neuron 35:567–574 Thiel CM, Zilles K, Fink GR (2005) Nicotine modulates reorienting of visuospatial attention and neural activity in human parietal cortex. Neuropsychopharmacology 30:810–820 Weiskopf N, Veit R, Erb M, Mathiak K, Grodd W, Goebel R, Birbaumer N (2003) Physiological self-regulation of regional brain activity using real-time functional magnetic resonance imaging (fMRI): methodology and exemplary data. NeuroImage 19:577–586
45
VI Anhang Hirnatlas – 632 K. Amunts, K. Zilles
Glossar
– 657
Quellenverzeichnis Sachverzeichnis
– 667
– 679
632
Anhang
Hirnatlas K. Amunts, K. Zilles
. Abb. 1–9. In-vivo-Magnetresonanztomographie (MRT) eines menschlichen Gehirns. Frontale Schnittserie. Es handelt sich hierbei um das sogenannte individuelle, T1-gewichtete Referenzgehirn des Montrealer Neurologischen Instituts (Evans et al. [1993] IEEE-NSS-MI Symposium, 1813–1817; Collins et al. [1994] J Comput Assist Tomogr 18:192–205; Holmes et al. [1998] J Comp Assist Tomogr 22:324–333; http://www.bic.mni.mcgill.ca/), das häufig in bildgebenden Untersuchungen als Referenzgehirn verwendet wird (»MNI-Referenzraum«). Der Datensatz wurde in sagittaler Richtung aufgenommen und ist das Ergebnis der Mittelung aus 27 einzelnen Datensätzen. Anschließend wurde der Datensatz entlang der Ebene, die durch die Commissura anterior (CA) und Commissura posterior (CP) definiert ist, ausgerichtet. Im Unterschied zum MNI-Referenzraum (wie es z. B. in SPM verwendet wird) ist bei diesem anatomischen Referenzgehirn der Nullpunkt (0,0,0) durch das obere, vordere Ende der CA im Interhemisphärenspalt definiert. Negative x-Koordinaten entsprechen der linken, positive x-Koordinaten der rechten Hemisphäre; negative y-Koordinaten sind kaudal, positive y-Koordinaten rostral der CA gelegen, negative z-Koordinaten sind ventral, positive dorsal der CA-CP-Ebene gelegen (anatomischer Referenzraum). Zur Übersicht und zum Vergleich mit dem Schnitt sind die Sulci markiert. Die Graphik erklärt die im korrespondierenden MR-Bild dargestellten Strukturen. . Abb. 10–13. In-vivo-MR-Schnittserie eines menschlichen Gehirns. Horizontale Schnittserie. Zur Übersicht und zum Vergleich mit dem Schnitt sind die Sulci in der Oberflächenrekonstruktion des Gehirns markiert. Die Graphik erklärt die im korrespondierenden MR-Bild dargestellten Strukturen. . Abb. 14–17. In-vivo-MR-Schnittserie eines menschlichen Gehirns. Sagittale Schnittserie. Zur Übersicht und zum Vergleich mit dem Schnitt sind die Sulci in der Oberflächenrekonstruktion des Gehirns markiert. Die Graphik erklärt die im korrespondierenden MR-Bild dargestellten Strukturen. . Abb. 18a–e. Oberflächenrekonstruktion des in den Schnittserien dargestellten MR-Datensatzes in den Ansichten von (a) dorsal, (b) rechts lateral, (c) links lateral, (d) rostral und von (e) basal. Individuelles, T1-gewichtetes Referenzgehirn des Montrealer Neurologischen Instituts (»MNIReferenzgehirn«). Im Gegensatz zu vielen Atlasabbildungen ist diese Oberflächenrekonstruktion keine schematisierte Darstellung. Es handelt sich hierbei um einen individuellen Datensatz eines In-vivo-Gehirns, das jedoch kein besonders typisches oder »repräsentatives« Gehirn ist. Beachte die Unterschiede im Sulcusmuster zwischen der linken und der rechten Hemisphäre.
633 Hirnatlas
Abb. 1
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Anhang
Abb. 2
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Abb. 3
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Anhang
Abb. 4
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Anhang
Abb. 6
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Abb. 7
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Anhang
Abb. 8
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Anhang
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Abb. 11
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Anhang
Abb. 12
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Abb. 13
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Anhang
Abb. 14
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Abb. 15
648
Anhang
Abb. 16
649 Hirnatlas
Abb. 17
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Anhang
. Abb. 18a–e. Oberflächenrekonstruktion des in den Schnittserien dargestellten MR-Datensatzes in den Ansichten von (a) dorsal, (b) rechts lateral, (c) links lateral, (d) rostral und von (e) basal. Individuelles, T1-gewichtetes Referenzgehirn des Montrealer Neurologischen Instituts (»MNIReferenzgehirn«). Im Gegensatz zu vielen Atlasabbildungen ist diese Oberflächenrekonstruktion keine schematisierte Darstellung. Es handelt sich hierbei um einen individuellen Datensatz eines In-vivo-Gehirns, das jedoch kein besonders typisches oder »repräsentatives« Gehirn ist. Beachte die Unterschiede im Sulcusmuster zwischen der linken und der rechten Hemisphäre.
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Anhang
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Anhang
655 Hirnatlas
657
Glossar Abtastfrequenz: Häufigkeit, mit der ein Wert gemessen
wird.
dalitäten (Sprechen, Verstehen, Lesen und Schreiben) und Anteile des Sprachwissens (Lexikon, Syntax, Morphologie und Phonologie).
Affine Transformation: Mathematisches Transformations-
verfahren, das bei der Transformation von Bilddatensätzen zum Zweck der Bildregistrierung eingesetzt wird. Diese Transformation kann eine Translation, Rotation, Größenskalierung oder Scherung umfassen.
Apraxie: Störung der Ausführung willkürlicher, zielgerichteter und geordneter Bewegungen, die nicht durch eine Störung sensomotorischer Funktionen erklärt werden kann.
Agnosie: Störungen des visuellen Erkennens bei erhaltener
Arousal: Zustand vorübergehend erhöhter physiologischer Aktivität, z. B. durch einen Weck- oder Gefahrenreiz.
Wahrnehmung. Agrammatismus: Kurze, einfache Sätze mit häufigem Fehlen von Funktionswörtern und Flexionsformen. Leitsymptom der Broca-Aphasie.
Arterial Spin Labeling: Nicht-invasive Perfusionsbestim-
Akalkulie: Sammelbegriff für Störungen im Umgang mit Zahlen nach einer erworbenen Hirnschädigung.
Astereognosie: Trotz intakter basaler Sensibilität bestehende Unfähigkeit zur Objekterkennung durch Tasten.
Alertness: Aufmerksamkeitsaktivierung und erhöhte Be-
Autokorrelation: Korrelation zwischen aufeinander folgenden Werten innerhalb einer Serie von Messwerten. Sie gibt die Korrelation einer Variable innerhalb eines bestimmten Raumes/Zeitintervalls mit sich selbst an.
reitschaft, auf auftretende Reize zu antworten. Aliasing: Bei der Digitalisierung (Abtastung zu diskreten Zeitpunkten) eines Signals mit periodischen Anteilen werden hochfrequente Anteile, deren Frequenzen größer als die halbe Abtastrate sind, verfälscht als niederfrequente Anteile wiedergegeben. Dieses allgemeine Phänomen der Signaltheorie entspricht bei der MRT einem Artefakt, das durch eine zu geringe Wahl des Sichtfeldes (ൺ Field of View) entsteht: Anteile außerhalb des Field of View bilden sich dann an gegenüberliegenden Seiten des Bildes ab. Allgemeines Lineares Modell (ALM): Das ALM tritt an die
Stelle einer Vielzahl statistischer Tests. Das Prinzip der im ALM verwendeten statistischen Tests besteht darin, beobachtete Daten in verschiedene Varianzanteile zu zerlegen, um diese miteinander zu vergleichen. Allozentrisches Koordinatensystem: Umgebende Objekte werden in Bezug zu einem anderen Objekt (nicht der eigenen Person) gestellt, im Gegensatz zum ൺ egozentrischen Koordinatensystem. Amnesie: Gedächtnisstörung für zeitliche und/oder in-
haltliche Erinnerungen. Anhedonie: Freud- und Lustlosigkeit, besonders bei depressiven Syndromen häufiges Symptom. Aphasie: Erworbene Sprachstörung als Folge einer Erkran-
kung des zentralen Nervensystems. Betroffen sind alle Mo-
mung ohne Kontrastmittelgabe mittels Magnetresonanztomographie.
Backward masking: Die kurze Stimulusdarbietung unter-
halb der bewussten Wahrnehmungsschwelle (subliminal; 30–40 ms), der ein länger dargebotener Stimulus folgt, so dass die Wahrnehmung des ersten Reizes durch die Präsentation des zweiten verdeckt/maskiert wird. Baseline-Bedingung: In ൺ Blockdesign-Untersuchungen
wird neben der aktiven Bedingung mit der zu untersuchenden kognitiven Anforderung eine Baseline-Bedingung verwendet, die möglichst genau dem sensorischen Reizmaterial der aktiven Bedingung entspricht, ohne jedoch die zu untersuchende Komponente zu beinhalten. So kann später rechnerisch der »rein« sensorische Anteil der Aktivierung von der Aktivierung der aktiven Bedingung abgezogen werden. Bewegungskorrektur: ൺ Realignment. Bildregistrierung: Verfahren der Bildverarbeitung, die dazu dienen, die Informationen aus verschiedenen Bilddatensätzen miteinander zu vergleichen und zu kombinieren. Die Bilddatensätze können Aufnahmen verschiedener, aber ähnlicher Objekte enthalten, oder z. B. mehrere Aufnahmen desselben Objekts, die aber mit verschiedenen Techniken, oder zu verschiedenen Zeitpunkten hergestellt worden sind.
658
Anhang
Blockdesign: Experimentelles Design, in dem die Stimuli
mit fester Zeitfolge in längeren Blöcken unabhängig von subjektiven Reaktionen präsentiert werden. Jeder Block wird bei der Analyse als Einheit betrachtet. BOLD-Effekt: »Blood-Oxygenation-Level-Dependent«-Ef-
fekt, der die unterschiedlichen magnetischen Eigenschaften von sauerstoffreichem und sauerstoffarmem Blut zur Signaldetektion nutzt, konkret den Unterschied zwischen Oxyhämoglobin und Desoxyhämoglobin. Oxyhämoglobin ist diamagnetisch und hat keinen Einfluss auf die magnetischen Eigenschaften des umgebenden Gewebes. Desoxyhämoglobin hingegen ist paramagnetisch. Diese Eigenschaft führt im venösen Blut zu diskreten, detektierbaren Magnetfeldveränderungen. Wichtige Grundlage für die funktionelle MRT. Bottom-up-Prozess: Bezeichnung für einen seriellen Ablauf der Informationsverarbeitung von den Sinnesorganen, über eine interne Repräsentation von Stimuli hin zu höherer kognitiver Verarbeitung (reizabhängige Verarbeitung). Vgl. ൺ Top-down-Prozess. Boxcar-Paradigma: Synonym für ൺ Blockdesign. Brain-Computer-Interface (BCI): BCIs messen Hirnaktivi-
tät online und nutzen diese für unterschiedliche Anwendungen wie Kommunikation oder Neurofeedback und Selbstkontrolle von Hirnaktivität.
feldern eingesetzt wird: Hiermit lässt sich die bei einer ൺ nichtlinearen Transformation bewirkte lokale Verzerrung des transformierten Datensatzes berechnen. Deformationsvektor, Deformationsfeld: Eine ൺ nichtlineare Transformation lässt sich häufig durch ein Deformationsfeld beschreiben: Dies ist ein dreidimensionales Vektorfeld, wobei jedem Punkt im Referenzdatensatz ein Deformationsvektor zugeordnet wird. Dieser Deformationsvektor wiederum entspricht der Koordinatendifferenz zwischen dem Punkt im Referenzdatensatz und dem korrespondierenden Punkt in dem Datensatz vor der nichtlinearen Transformation. Diaschisis: Funktionelle Einbußen zerebraler Strukturen durch Ausfall/Läsion topographisch entfernter Kortexareale. Dichotische auditive Stimuluspräsentation: Beide Ohren
werden gleichzeitig mit verschiedenen auditorischen Reizen konfrontiert. Diffusion Tensor Imaging (DTI): Magnetresonanztomographisches Verfahren zur Messung der regionalen Unterschiede der Diffusionscharakteristik von Wasser. Liefert In-vivo-Aussagen über die Integrität der weißen Substanz (Anisotropie) und den Verlauf von Nervenfaserverbindungen (Fiber tracking) im Gehirn. Diskonnektionssyndrom: Störung der neuralen Informa-
Cardiac gating: Bildaufnahmen werden mit dem Herz-
zyklus synchronisiert, wodurch sich der Effekt der pulsatilen Hirnstammbewegungen deutlich reduzieren lässt.
tionsverarbeitung aufgrund einer Faserzugdurchtrennung. Dissoziation: Ein Pharmakon (oder eine Hirnläsion) zeigt
Chemische Verschiebung: Artefakt, das durch geringe Un-
in einer Aufgabe einen Effekt, nicht aber in einer anderen.
terschiede in den Larmor-Frequenzen verschiedener Gewebe verursacht wird. Bekanntes Beispiel: Chemische Verschiebung zwischen Fett und Wasser.
Doppeldissoziation: Ein Pharmakon (oder eine Hirnlä-
Continuous-Performance-Test (CPT): Den Probanden
werden in schneller Folge Buchstaben oder Symbole mit kurzer Präsentationszeit dargeboten. Die 0-Back-Variante erfordert eine Reaktion des Probanden bei Erscheinen eines vordefinierten Targets. In der N-Back-Variante sollen die Probanden immer dann reagieren, wenn n Items zuvor der gleiche Stimulus erschien. Craving: Intensives Verlangen, in der Regel nach einem
Suchtmittel. Cue induction: Erzeugung eines (z. B. emotionalen) Zu-
standes durch Präsentation von Hinweisreizen (»cues«). Deformationsenergie: Physikalisch motivierte Berech-
nungsvorschrift, die bei der Analyse von ൺ Deformations-
sion) zeigt in Aufgabe A, nicht aber in Aufgabe B einen Effekt. Ein zweites Pharmakon (oder eine Hirnläsion) zeigt in Aufgabe B, nicht aber in Aufgabe A einen Effekt. Dual-Task-Aufgaben: Gleichzeitige Bearbeitung von zwei
verschiedenen Aufgaben, die zudem häufig unterschiedliche Modalitäten oder kognitive Prozesse einschließen. Dynamic Causal Modelling (DCM): Nichtlineares dynamisches Modell ൺ effektiver Konnektivität. Die mit fMRT nicht sichtbare Dynamik auf der neuronalen Ebene wird mittels eines Vorwärtsmodells in modellierte BOLD-Dynamik umgesetzt. Die Schätzung der neuronalen Kopplungsparameter erfolgt dann über eine Minimierung der Diskrepanz zwischen vorhergesagtem und empirisch gemessenem BOLD-Signal.
659 Glossar
Dynamische Reorganisation: Änderung der funktionellen Hirnorganisation im zeitlichen Verlauf als Antwort auf eine veränderte Umgebungsbedingung.
Ferromagnetische Metalle: Ein Metall wird als ferro-
Dysarthrie: Störung der Sprechmotorik, bei der die Aus-
Field of View (FoV): Das FoV (oder das Sichtfeld) bestimmt
führung von Sprechbewegungen beeinträchtigt ist.
einen Ausschnitt aus dem maximal messbaren Bereich (gegeben durch die Spulendimensionen) und somit die Größe des Bildes.
Dyslexie: Leseschwäche bei normalem Seh- und Hörver-
magnetisch bezeichnet, wenn es dieselben magnetischen Eigenschaften wie Eisen besitzt.
mögen. Formale Denkstörungen: Störungen des Denkens und Dystonie: Dystonie ist eine Form der zentralen Bewe-
gungsstörung, die durch anhaltende unwillkürliche Muskelkontraktionen gekennzeichnet ist, die abnorme Haltungen (z. B. zervikale Dystonie, »spastischer Schiefhals«) und repetitive Bewegungen (z. B. Blepharospasmus, »Lidkrampf«) hervorrufen. Echoplanare Bildgebung (»Echo Planar Imaging«, EPI):
Besonders schnelle Methode zur MR-Bildgebung, bei der eine gesamte Schicht in Bruchteilen einer Sekunde nach einem einzigen ൺ Hochfrequenzpuls aufgenommen wird. Wichtigste Sequenz für die funktionelle MRT. Echozeit (TE): Die Zeit zwischen ൺ Hochfrequenzpuls (Anregung) und dem Maximum des MR-Signals. Echtzeitanalysen: Im engeren Sinne Auswertungen, die online nach jeder Volumenakquisition – meist noch innerhalb der ൺ Repetitionszeit – Aktivierungskarten berechnen.
Sprechens. Sie können in »positive« (z. B. Neologismen, Paraphrasien, Zerfahrenheit) und »negative« (z. B. Gedankenabreißen, Denkverarmung) und nicht in diese Dichotomie fallende Symptome (z. B. Konkretismus, Perseverationen) eingeteilt werden. Freiheitsgrade: Anzahl frei wählbarer Parameter, statistisches Maß (»degrees of freedom«, df). Frequenzkodierung: Auslesung des MR-Signals bei gleichzeitig anliegendem Gradientenfeld, so dass sich den verschiedenen Frequenzanteilen des Signals Ortskoordinaten in Richtung des Gradienten zuordnen lassen. Funktionelle Integration: Annahme, dass ein Zusammenspiel mehrerer Hirnregionen notwendig ist, um einen kognitiven Prozess zu bewerkstelligen. Vgl. ൺ funktionelle Segregation. Funktionelle Kernspintomographie (fMRT): Eine Teilme-
Egozentrisches Koordinatensystem: Umgebende Objekte
werden in Bezug zur eigenen Person gestellt. Vgl. ൺ allozentrisches Koordinatensystem. Ekphorie: Zustandsabhängiger Gedächtnisabruf. Episoden zu »ekphorieren« heißt, sie im gegenwärtigen Kontext und in der gegenwärtigen Stimmung abzurufen und damit höchstwahrscheinlich anders, als sie ursprünglich eingespeichert wurden. Ereigniskorrelierte fMRT: Ermöglicht die Erfassung singulärer Ereignisse: die Zeit des Auftretens eines Stimulus ist nicht in Blöcken angelegt und die Stimulusvorgaben sind häufig sehr kurz. Jeder Stimulus/jede Aufgabe ist damit statistisch unabhängig von den vorhergehenden.
thode der Magnetresonanztomographie, die die Untersuchung funktioneller Eigenschaften des Gehirns ermöglicht. Durch die fMRT können Aktivierungen von Hirnarealen während der Durchführung bestimmter Aufgaben abgebildet werden. Funktionelle Segregation: Hypothese über den modular-
tigen Charakter von Hirnregionen und die damit verbundene Annahme, dass jede Hirnregion auf eine kognitive Komponente spezialisiert und umgekehrt jeder kognitive Prozess in einer Region repräsentiert ist. Vgl. ൺ funktionelle Integration. Genetic Neuroimaging: Verknüpfung von Genetik und
funktioneller Bildgebung.
Event-related fMRI: ൺ Ereigniskorrelierte fMRT.
Ghost: Artefakt, das insbesondere bei der EPI-Sequenz
Explorative Datenanalyse: Aufgabe der explorativen Da-
auftaucht und eine um die halbe Bildlänge verschobene Kopie des Bildes bezeichnet.
tenanalyse ist es, Strukturen, Beziehungen und Abhängigkeiten herauszufinden, die in einem Datensatz vorhanden sind. »Eye-tracking«-Systeme: Verfahren zur Messung der
Blickbewegungen.
Glättung (»smoothing«): Die räumliche Glättung der EPI-
Bilder wird erreicht, indem der Bildgrauwert jedes ൺ Voxels mit dem der benachbarten Voxel verrechnet wird. Glättung kann die Sensitivität der anschließenden statistischen Analyse erhöhen, da z. B. zufällige Effekte, die ein
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Anhang
Voxel betreffen, durch die Verrechnung mit den Nachbarvoxeln herausgemittelt werden können. Gleitende Folgebewegungen: Augenbewegungen, die ein
bewegtes Objekt in der Fovea centralis halten. Go-NoGo-Aufgaben: Aufgaben, bei denen ein bestimmter
Reiz wiederholt präsentiert wird, auf den der Proband jeweils reagieren soll. Jedoch Unterbrechung der Folge durch andersartige Stimuli, auf die keine Reaktion, sondern eine Unterdrückung der Reaktion erfolgen soll. Gradienten: Linear räumlich variierende Magnetfelder zur Ortskodierung. Gyromagnetisches Verhältnis γ: Quotient aus magnetischem Moment und Gesamtdrehimpuls eines Teilchens.
Hochpassfilter: Jeder Signal-Zeit-Verlauf enthält Kompo-
nenten verschiedener Wellenlängen bzw. Frequenzen. Statistisches Rauschen z. B. stellt eine kurzwellige Komponente dar, d. h. besitzt eine hohe Frequenz, ein rampenartiger Signalanstieg dagegen z. B. eine sehr langwellige Komponente mit daher niedriger Frequenz. Ein Hochpassfilter lässt nur »hochfrequente Signale passieren«, d. h. nur der Teil des Signals mit Frequenzen über der vorgegebenen Grenzfrequenz (d. h. mit Wellenlängen kürzer als die der Grenzfrequenz entsprechenden) bleibt erhalten, der Rest wird weggefiltert. Homunculus: Die Körperperipherie ist in topologischer (somatotopischer) Abfolge auf dem Gyrus postcentralis (»sensorischer Homunculus«) bzw. auf dem Gyrus precentralis (»motorischer Homunculus«) abgebildet. Hypervigilanz: Erhöhte Wachsamkeit und Schreckhaftig-
Habituation: Absinken der Reaktionsstärke, wenn ein Reiz
keit.
wiederholt bzw. lange dargeboten wird. Inversionszeit (TI): Die Zeit zwischen einem 180°-InverHämodynamische Antwortfunktion: Zeitliche Änderung
des MR-Signals in einer aktiven Hirnregion aufgrund des ൺ BOLD-Effekts. Halluzination: Trugwahrnehmung auf einem Sinnesgebiet, ohne dass eine Reizgrundlage vorliegt. Bei einer akustischen Halluzination werden beispielsweise Stimmen gehört, ohne dass jemand spricht (findet sich häufig bei schizophrenen Psychosen). HAROLD-Modell: »Hemispheric Asymmetry Reduction in Older Adults«. Annahme, dass bei Älteren die zerebrale
Asymmetrie vermindert ist. HERA-Modell: Das HERA-Modell (»Hemispheric Encoding Retrieval Asymmetry«) postuliert, dass der linke prä-
frontale Kortex bei der Enkodierung episodischer Information aktiver ist als beim Abruf und dass der rechte präfrontale Kortex wiederum mehr beim Abruf aktiviert wird als bei der Enkodierung solcher Informationen. Hirnruhezustand: Verteilungsmuster von Hirnaktivierung
in sog. »Ruhe«-Zuständen eines Experimentes. Hochfrequenzpuls (HF-Puls): Ein senkrecht zum Hauptmagnetfeld polarisierter elektromagnetischer Puls, dessen Frequenz genau der Präzessionsfrequenz der ൺ Spins entspricht (Larmorfrequenz). Dies führt zur Anregung des Spin-Systems (Resonanz), d.h. einer Rotation des Magnetisierungsvektors in die transversale Ebene, wobei der Drehwinkel durch Stärke und Dauer des HF-Pulses bestimmt ist.
sionspuls und der Auslesung des MR-Signals. Jittern: Variable, im Design festgelegte Stimulusdauer oder variable Länge des Interstimulusintervalls; dadurch werden unterschiedliche Schichten zu einem bestimmten Zeitpunkt während des definierten Einzelereignisses (ൺ ereigniskorrelierte fMRT) aufgenommen. Kernspintomograph: Gerät, das in der Lage ist, Spinpolarisation (und damit ൺ makroskopische Magnetisierung) durch ein starkes Magnetfeld zu erzeugen, diese mittels Radiofrequenzpulsen aus der Feldrichtung zu drehen und dann über örtlich variierende Magnetfelder die Präzessionsfrequenzen so zu manipulieren, dass die kleinen oszillierenden messbaren Induktionsströme durch eine Frequenzzerlegung räumlichen Bereichen innerhalb der Probe (bzw. des Probanden) zugeordnet werden können. Kognitive Kontrolle: Oberbegriff für kognitive Mechanis-
men, die bei komplexen Anforderungen die Informationsverarbeitung auf früher sensorischer Ebene so optimieren, dass die gewünschte Stimulus-Antwort-Beziehung im Verhalten erreicht wird. Typische Beispiele solcher Kontrollmechanismen umfassen die Selektion und Inhibition konkurrierender Prozessierungsstrategien sowie die gleichzeitige Evaluation der Auswirkungen der gewählten Strategie, mit gegebenenfalls anschließender Korrektur. Konjunktionsanalyse: Ausweitung der Auswertung auf
mehrere spezielle Fragestellungen, die gleichzeitig getestet werden. Mit der Konjunktionsanalyse können allgemein die Areale entdeckt werden, die bei einer Reihe von verschiedenen Personen bzw. Bedingungen gleichermaßen aktiviert sind.
661 Glossar
Konnektivität: Funktionelles Zusammenspiel unterschied-
licher Hirnbereiche (im Gegensatz zur anatomischen Konnektivität). Funktionelle Konnektivität ist definiert als die zeitliche Korrelation zwischen räumlich segregierten neurophysiologischen Prozessen. Effektive Konnektivität ist ein Begriff für den kausalen Einfluss, den eine neuronale Einheit auf eine andere ausübt. Effektive Konnektivität kann mittels verschiedener mathematischer Modelle untersucht werden. Etablierte Ansätze umfassen u. a. ൺ psychophysiologische Interaktionen, ൺ »Structural Equation Modelling« und ൺ »Dynamic Causal Modelling«. Koregistrieren: Räumliches Abgleichen von Volumenauf-
nahmen desselben Probanden mit den gleichen oder unterschiedlichen Bildgebungsmodalitäten.
Makroskopische Magnetisierung: Mit M0 bezeichnete Magnetisierung, die durch Polarisation der ൺ Spins in einem starken Magnetfeld entsteht. Materialspezifische Asymmetrie: Aktivierungsmuster in
einer Bildgebungsstudie werden auf das verwendete Material zurückgeführt (z. B. verbales Material versus bildliches Material) und nicht auf den kognitiven Prozess. Vgl. ൺ prozessspezifische Asymmetrie. Mikroanatomie: Anatomische Struktureinheiten, die bei
einer Auflösung von ca. 1 µm bis 1 mm unterscheidbar sind. Hierzu gehört z. B. die Zyto-, Myelo- und Chemoarchitektur. Vgl. ൺ Makroanatomie. Morphometrie: Untersuchung der anatomischen Struktur
k-Raum: Bezeichnung des konjugierten Bildraums der
Raumfrequenzen in dem das MR-Signal aufgenommen wird. Durch Fourier-Transformation des k-Raum-Signals erhält man das MR-Bild. Längsrelaxation: Die erneute Bildung ൺ makroskopischer Magnetisierung, nachdem das Gleichgewicht durch einen ൺ Hochfrequenzpuls gestört wurde. Die zugehörige exponentielle Zeitkonstante wird mit T1 bezeichnet. Längsschnittstudie: Untersuchung des Verlaufs der expe-
rimentellen Variable über die Zeit. Larmor-Gleichung: Die sog. Larmor-Gleichung gibt die
Präzessionsfrequenz (Larmor-Frequenz) der ൺ Spins in einem Magnetfeld an: Z = J u B0. Lateralisierung: Oberbegriff für funktionelle Hemisphä-
renasymmetrie, d. h stärkere Ausprägung eines kognitiven bzw. neurophysiologischen Prozesses in einer der beiden Hemisphären. Lateralitätsindex (LI): Die Lateralisierung der Hirnaktivität
kann quantitativ mit einem sog. Lateralitätsindex bestimmt werden. Der LI berechnet den Kontrast an Aktivität in der kontralateralen und ipsilateralen Hemisphäre mit der Formel LI=(C-I)/(C+I), wobei C das Gesamtvolumen der kontralateralen Aktivität und I das Gesamtvolumen der ipsilateralen Aktivität ist. Magnetenzephalographie (MEG): Bildgebendes Verfah-
ren, das die durch Hirnströme induzierten neuromagnetischen Felder misst. Ein Vorteil ist die hohe zeitliche Auflösung, bei jedoch gleichzeitig (im Vergleich zur fMRT) schlechterer räumlicher Auflösung. Makroanatomie: Anatomische Struktureinheiten, die bei ei-
ner Auflösung von ca. 1 mm unterscheidbar sind, wie z. B. einzelne Gyri, Basalganglien, Ventrikel. Vgl. ൺ Mikroanatomie.
eines Gehirns anhand seiner strukturellen Merkmale. Im Allgemeinen werden hierbei vor allem die makroanatomischen Merkmale untersucht. Methoden/Teilbereiche: Deformationsfeldmorphometrie beruht auf der Anpassung von Bilddatensätzen an einen Referenzdatensatz, wobei insbesondere Bildregistrierungsverfahren eingesetzt werden können. Die strukturellen Informationen werden aus der Transformation, die bei der Anpassung berechnet wird, extrahiert. Die regionenbasierte Morphometrie beruht auf der Abgrenzung sowie der Vermessung von Regionen, die anhand anatomischer Kriterien definiert werden (wie Gyri, Sulci, Lobi, Hemisphären). Die voxel-basierte Morphometrie beruht auf der Anpassung von Bilddatensätzen an einen Referenzdatensatz. Hierbei werden Unterschiede in der lokalen Gewebezusammensetzung untersucht. MR-Sequenz: Die MR-Sequenz oder MR-Pulssequenz beschreibt die zeitliche Schaltung der ൺ Hochfrequenzpulse und Gradientenfelder zur Erzeugung eines MR-Bildes mit bestimmten Kontrasteigenschaften. Multicenterstudien: Multicenterstudien ermöglichen das Sammeln großer Fallzahlen innerhalb kürzester Zeit, erfordern aber ein Poolen von Daten verschiedener Zentren und Tomographen, weswegen eine Vergleichbarkeit der Daten gewährleistet werden muss. Negativer BOLD-Effekt: Deutliche Signalabfälle. Die Bedeutung eines negativen ൺ BOLD-Effektes wird kontrovers diskutiert. Als Ursachen kommen die gewählte BaselineBedingung im Versuchsdesign, hämodynamische Effekte (»vascular stealing phenomenon«) oder neuronale Deaktivierung in Frage. Neglekt: Halbseitige Vernachlässigung des Körpers und
der Umwelt. Tritt meist nach Läsionen im parietalen Assoziationskortex der nicht-sprachdominanten (rechten) Hemisphäre auf.
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Anhang
Neurofeedback: Rückmeldung neuronaler Informationen an den Probanden. Physiologische Prozesse, die nicht oder nur ungenau durch die Sinnesorgane erfasst werden, werden der bewussten Wahrnehmung zugänglich gemacht.
Paragrammatismus: Komplex angelegter Satzbau mit häufigen Satzverschränkungen und Satzteilverdoppelungen sowie falschen Funktionswörtern und Flexionsformen. Leitsymptom der Wernicke-Aphasie.
Neurotransmitter: Moleküle, die als Überträgerstoffe zwi-
Parametrische fMRT-Untersuchung: Spezielle Analyseme-
schen Nervenzellen agieren. Ausschüttung in der Nervenzelle und Bindung an Rezeptoren anderer Nervenzellen. Zu den Transmittern gehören Glutamat als wichtigster exzitatorischer Transmitter im ZNS, GABA als wichtigster inhibitorischer Transmitter im ZNS sowie Dopamin, Serotonin, Azetylcholin und Katecholamine.
thode mit der über die Beteiligung einer Hirnstruktur an einem kognitiven Prozess hinaus auch festgestellt werden kann, ob die Stärke der BOLD-Antwort mit den Anforderungen der Aufgabe zusammenhängt.
Nichtlineare Transformation: Transformationsverfahren,
Paraphasie, phonematische: Lautliche Veränderung eines
Wortes durch Ersetzung, Auslassung, Umstellung oder Hinzufügung einzelner Laute. Leitsymptom der Brocaund der Wernicke-Aphasie.
die bei der ൺ Bildregistrierung eingesetzt werden. Diese Transformationen verfügen über erheblich mehr freie Parameter als die ൺ affinen Transformationen, sodass hierbei auch lokale Unterschiede zwischen dem anzupassenden Datensatz und dem Referenzdatensatz ausgeglichen werden können.
Paraphasie, semantische: Fehlerhaftes Auftreten eines Wortes der Standardsprache, das zum Zielwort entweder eine bedeutungsmäßige Ähnlichkeit aufweist oder grob davon abweicht. Leitsymptom der Wernicke-Aphasie.
Normalisierung: Ein Verfahren, bei dem die individuelle
Perfusionsbasierte fMRT: Methode der fMRT, bei der an-
Anatomie einem standardisierten, universellen räumlichen Koordinatensystem angepasst wird. Die Normalisierung dient dazu, identische anatomische Strukturen verschiedener Probandengehirne aufeinander abzubilden. Nyquist-Theorem: Fundamentales Prinzip der digitalen
stelle arbiträrer Grauwerte in der konventionellen fMRT der zerebrale Blutfluss durch vorherige Markierung der ൺ Spins mittels spezieller ൺ Hochfrequenzpulse gemessen wird. Der Kontrast ist geringer als bei der BOLD-fMRT; insofern wird das Verfahren heute nur noch bei speziellen Fragestellungen eingesetzt.
Signalverarbeitung. Es besagt, dass die ൺ Abtastfrequenz eines Signals mindestens doppelt so hoch sein muss wie die höchste Frequenz des abzutastenden Signals, damit man das abgetastete Signal ohne Verzerrung wiederherstellen kann.
Pharmakokinetik: Bezeichnet die Charakteristiken der Aufnahme, Verteilung, Wirkung und des Abbaus von Pharmaka.
Objektivität: Gütekriterium für die Erhebung psychologischer Daten: Unabhängigkeit der Ergebnisse von der Person des Untersuchers.
Pharmakologische fMRT: Funktionelle Magnetresonanz-
tomographie-Studien mit einer Pharmakaverabreichung, bislang meist Studien zur Wirkung von Pharmaka im Rahmen von kognitiven Aufgaben.
Olfaktometer: Apparatur, in der eine Geruchsstoffprobe
einem Probanden als Riechprobe dargeboten wird. Optische Ataxie: Störung der Koordination von Armbewe-
gungen unter visueller Kontrolle nach Läsion des superioren Parietalkortex. Optokinetische Bewegung: Bewegungen der Augen, die
ein Objekt während einer gleichmäßigen Bewegung des Kopfes auf der Fovea halten.
Phasenkodierung: Verschiebung der Phase des MR-Sig-
nals durch ein kurzes Anschalten eines Gradientenfeldes. Dieser Prozess muss mit verschiedenen Phasenverschiebungen so oft wiederholt werden, bis eine Frequenzkodierung entlang der Richtung des Gradienten erfolgt ist. Plastizität: Neuronale Plastizität bezeichnet die Fähigkeit des menschlichen Gehirns, seine strukturelle und funktionelle Organisation veränderten Bedingungen anpassen zu können.
Ortskodierung: Der Prozess, bei dem mittels der Gradientenfelder verschiedenen Frequenzanteilen des MR-Signals Ortskoordinaten zugeordnet werden können.
Plazebo: Substanz ohne Wirkstoff, die aber indirekt trotzdem eine Wirkung haben kann (Plazebo-Effekt).
Overlap: Ein Maß zur Beschreibung der ൺ Reliabilität von
Positronenemissionstomographie (PET): Bildgebendes,
fMRT-Experimenten. Es gibt die Übereinstimmung der Aktivierungskarten in Test- und ൺ Retest-Messungen an.
nuklearmedizinisches Verfahren, bei welchem mit kurzlebigen radioaktiven Isotopen markierte Tracersubstanzen
663 Glossar
(»Radioliganden«) verwendet werden, um biochemische Vorgänge in lebenden Organismen abzubilden. Posner-Paradigma: Räumliches Aufmerksamkeitsparadigma, bei dem Aufmerksamkeit durch einen Hinweisreiz auf einen bestimmten Ort gelenkt wird. Prädiktive Validität: Vorhersagegültigkeit bzw. Güte einer
Methode, einen bestimmten Kriteriumswert vorherzusagen. Priming: Die schnellere oder veränderte Verarbeitung von Reizen, wenn diese ein zweites Mal dargeboten werden. Priming ist eine Form impliziten Lernens. Probability maps: Zytoarchitektonische, dreidimensionale (stereotaxische) Karten kortikaler Areale, subkortikaler Kerngebiete oder Faserbahnen, die die Häufigkeit widerspiegeln, mit der eine Struktur in einem bestimmten Punkt des Referenzgehirns, basierend auf einer Kartierung der Struktur in einer Gruppe von Post-mortem-Gehirnen, anzutreffen ist. Prosopagnosie: Unfähigkeit, vertraute Gesichter zu iden-
tifizieren trotz intakten Sehens und der erhaltenen Fähigkeit, die Bestandteile eines Gesichts zu erfassen sowie eine Person anders als über das Gesicht (z. B. die Stimme) zu identifizieren. Protonendichte: Maß für die Anzahl der im Gewebe vorhandenen Wasserstoffkerne.
Qualitätskontrolle (bei fMRT): Standardisierte und auto-
matisierte Mess- und Auswerteprotokolle zur Quantifizierung der Datenqualität und zur Charakterisierung der fMRT-Hardware sowie der Qualität von In-vivo-fMRTExperimenten. Quantil-Quantil-Plot (q-q-Plot): Statistisches Verfahren, bei dem die Daten gegen die Quantile einer bekannten Verteilungsfunktion aufgetragen werden, um über den Korrelationskoeffizienten bzw. die Geradensteigung die Ähnlichkeit zur vorgegebenen Verteilung bzw. die Streuung der Daten zu beschreiben. Trägt man stattdessen 2 unabhängige gemessene Größen gegeneinander auf, so kann die Ähnlichkeit der beiden zugrunde liegenden Verteilungsfunktionen ermittelt werden. Quantitative fMRT: ൺ perfusionsbasierte fMRT. Querrelaxation: Der Rückgang ൺ transversaler Magnetisierung aufgrund von Spin-Spin-Wechselwirkungen nach der Anregung durch einen ൺ Hochfrequenzpuls. Die zugehörige exponentielle Zeitkonstante wird mit ൺ T2 bezeichnet. Dephasierungseffekte aufgrund von Feldinhomogenitäten beschleunigen diesen Prozess: In diesem Fall bezeichnet man die Zeitkonstante mit T2*. Querschnittsstudie: Einmalige Untersuchung einer expe-
rimentellen Variablen zu einem gegebenen Zeitpunkt in einer Stichprobe. Randomisierung: Die zufällige Verteilung von Stimuli auf
Bedingungen oder Zeitpunkte. Prozentuale Signalschwankung: Die zufällige relative
Schwankung beschreibt den Messfehler im MR-Signal. Sie liegt bei EPI-Messungen in der Größenordnung des ൺ BOLD-Effekts (bei einer Feldstärke von 1,5 T), d. h. bei ca. 0,5–5%. Prozessspezifische Asymmetrie: Asymmetrische Aktivie-
rungsmuster in einer Bildgebungsstudie werden auf den untersuchten kognitiven Prozess zurückgeführt (z. B. auf den Prozess des Abrufens aus dem episodischen Gedächtnis) und nicht auf das verwendete Material. Vgl. ൺ materialspezifische Asymmetrie.
Rapid serial visual presentation: Paradigma, um nicht-
räumliche Aufmerksamkeitslenkung zu untersuchen. Verschiedene visuelle Reize werden dabei schnell aufeinanderfolgend an derselben Position dargeboten. Die Aufgabe der Versuchsperson ist es, das Auftreten eines vorher definierten Reizes zu entdecken. Realignment: Korrektur, um die durch Bewegungen wäh-
rend der Datenakquisition in der MRT verursachten Artefakte zu minimieren. Referenzrahmen: Bezugssysteme zur Beschreibung von
Psychophysiologische Interaktionen (PPI): Ein einfaches
Relationen zwischen Objekten im Raum.
bilineares Modell zur Analyse ൺ effektiver Konnektivität. Entspricht einer Variante von multipler Regression mit Moderatorvariablen.
Regressor: Die Regressionsanalyse ist ein Verfahren zur
Qualitätsfaktoren (bei fMRT): Einflüsse auf die ൺ Reliabilität, Variabilität und Qualität von fMRT-Experimenten, die im Wesentlichen in 3 Punkte gegliedert werden können: experimentelles Design, Probandenkooperation und fMRT-Technik.
Analyse statistischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge. Dabei versucht man, statistische Abweichungen durch sog. Regressionsfunktionen zu erklären. Die erklärenden Variablen werden unabhängige Variablen oder Regressoren genannt. Erwartet man beispielsweise einen linearen Anstieg des Gewichts von Gehirnen mit der gegebenen Nahrungsaufnahme und will eine Stichprobe an Daten da-
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Anhang
hingehend statistisch analysieren, so bilden die Werte der Nahrungsaufnahme den Regressor.
Semantic maps: Kategorienspezifische Repräsentationen
Relaxationszeit: Die Relaxationszeiten beschreiben die »Beweglichkeit« der Moleküle im Gewebe bzw. die quantenmechanischen Wechselwirkungen der Wasserstoffkerne mit der Umgebung.
Set shifting: Der Begriff »set shifting« bezeichnet die kognitive Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit von einem Attribut eines Reizes hin zu einem anderen Attribut zu lenken, d. h. einen Stimulus anhand eines neuen kognitiven Zustands zu charakterisieren.
von Begriffen im linken Temporallappen.
Reliabilität: Gütekriterium für die Erhebung psychologi-
pulsen in einer ൺ MR-Sequenz.
Shimming: Prozess zur Kompensation lokaler Feldänderungen, die z. B. durch die ൺ Suszeptibilität der Probe (bzw. des Probanden) entstanden sind. Nach einer Messung der Feldinhomogenitäten wird dies durch Kompensationsfelder mittels sog. Shim-Spulen erreicht.
Retest: Bezeichnung einer (fMRT-)Wiederholungsmessung, die in der Regel zur Quantifizierung der ൺ Reliabilität und Variabilität des Experiments durchgeführt wird.
Signal-Rausch-Verhältnis (»Signal-Noise-Ratio«, SNR): Verhältnis von zu erfassendem Signal zu z. B. durch Bewegungsartefakte induziertem Rauschen.
scher Daten: Reliabilität bezeichnet die Genauigkeit einer Erhebung. Repetitionszeit (TR): Die Zeit zwischen 2 ൺ Hochfrequenz-
Retinotopie: Benachbarte Neurone des visuellen Kortex entsprechen benachbarten retinalen rezeptiven Feldern, so dass sich eine topographische Abbildung eines Reizes im primären visuellen Kortex ergibt. Der Bereich um die Fovea centralis ist dabei kortikal überproportional repräsentiert. Rezeptoragonisten: Rezeptoragonisten binden an den Rezeptor und aktivieren diesen oder verstärken dessen Funktion. Rezeptorantagonisten: Rezeptorantagonisten sind Substanzen, die an den Rezeptor binden und damit die Wirkung des Neurotransmitters verhindern/reduzieren. Sie besitzen im Gegensatz zu Agonisten keine eigene Wirkung.
Silent-event-related-fMRI: Eine spezielle ൺ sparse-samp-
ling-fMRT-Technik. Single-Photon-Emissions-Computer-Tomographie (SPECT): Bildgebendes, nuklearmedizinisches Verfahren,
bei dem radioaktiv markierte Substanzen in die Blutbahn injiziert werden, die sich dann in bestimmten Arealen im Gehirn anreichern. Unterschiede zur ൺ Positronenemissionstomographie (PET) bestehen vor allem in der Art der Strahlendetektorsysteme und der angewandten Radiopharmaka. Im Vergleich zur PET hat die SPECT eine geringere räumliche Auflösung. »Slice-time«-Korrektur: Bei der sog. »slice-time«-Korrektur wird eine Interpolation der Intensitätswerte auf einen definierten Zeitpunkt innerhalb der ൺ Repetitionszeit durchgeführt.
Rigid-Body-Transformation: Untermenge der ൺ affinen
Transformationen, die nur aus einer Translation und einer Rotation bestehen. Hierbei wird nur die Lage des transformierten Körpers verändert, während seine Größe und Form erhalten bleiben. Sakkaden: Rasche Augenbewegungen, die es ermöglichen, die Fovea schnell auf einen Zielreiz zu lenken. Sie können Geschwindigkeiten von bis zu 900 Winkelgrad pro Sekunde annehmen.
»Sliding-window«-Technik: Technik bei der Echtzeit fMRT.
Die »sliding-window«-Technik nutzt nur Bilder aus einem beschränkten Zeitfenster (etwa 2–3 min) und ist somit gegen Artefakte relativ stabil, da diese das betrachtete Zeitfenster auch wieder verlassen. Sparse-sampling-fMRT: Nicht-kontinuierliche Datenak-
quisition mit Pausen, während der der Scanner inaktiv ist.
Scan-Path: Aufsummierter Blickweg, der zeigt, zu wie vie-
Spiegelneurone: Neurone, die sowohl feuern, wenn eine
len ൺ Sakkaden der Proband durch das Stimulusmaterial veranlasst wurde.
Bewegung selbst ausgeführt wird, als auch, wenn eine Bewegung beobachtet wird.
Schichtanregung: Selektive Anregung ൺ transversaler Magnetisierung in einer Schicht durch einen ൺ Hochfrequenzpuls bei gleichzeitig anliegendem Gradientenfeld.
Spin: Eigendrehimpuls, eine physikalische Eigenschaft
subatomarer Teilchen (Protonen, Neutronen, Elektronen usw.). Spin ist somit eine charakteristische physikalische Größe ähnlich wie es auch Masse oder Ladung sind; mit
665 Glossar
dem Unterschied, dass Spin in der makroskopischen Welt nicht direkt beobachtbar ist.
de das Structural Equation Modelling in den 90er-Jahren für PET- und fMRT-Daten adaptiert.
Spin-Echo-Verfahren: Ein Standardverfahren in der fMRT. Nach einem 90°-Hochfrequenzanregungsimpuls wird ein Spinecho durch einen 180°-Invertierungsimpuls ausgelöst.
Suszeptibilität: Eine Material- bzw. Gewebeeigenschaft,
die zu einer lokalen Veränderung des äußeren magnetischen Feldes aufgrund der magnetischen Eigenschaften des Materials führt.
Spin-Gitter-Relaxation: ൺ Längsrelaxation. Suszeptibilitätsartefakt: Durch Heterogenitäten des Spin-Spin-Relaxation: ൺ Querrelaxation. Split-brain-Patienten: Diesen Patienten wurde z. B. auf-
grund einer therapierefraktären Epilepsie das Corpus callosum neurochirurgisch durchtrennt, um die anatomische Verbindung der beiden Hirnhälften zu unterbrechen. Sprachautomatismus: Mehrfach wiederkehrende, form-
starre Äußerung, die aus neologistischen Silbenabfolgen, beliebigen Wörtern oder Phrasen besteht, die weder lexikalisch noch syntaktisch in den sprachlichen Kontext passt und die der Patient gegen die vom Gesprächspartner erwartete Intention hervorbringt. Leitsymptom der globalen ൺ Aphasie. Sprachdominanz: Spezialisierung der beiden Hemisphären (ൺ Lateralisation) in Bezug auf Sprache, wobei in ca. 95% aller Gehirne die linke Hemisphäre sprachdominant ist. Bei Verletzungen in den sprachassoziierten Regionen der linken, dominanten Hemisphäre kommt es zu Sprachverlust (ൺ Aphasie), bei denen in der rechten dahingegen nicht. Sprachdominanz wird begleitet von einer Asymmetrie in der Struktur der Hirnhälften.
Grundmagnetfeldes und unterschiedliche ൺ Suszeptibilität eng benachbarter Gewebe kommt es von Ort zu Ort zu einer unterschiedlich starken Magnetisierung, lokalen Magnetfeldinhomogenitäten und Artefakten. Symptomprovokation: Evozierung psychiatrischer Krank-
heitssymptome mittels experimenteller Maßnahmen. Bei der skriptbasierten Symptomprovokation handelt es sich z. B. um Maßnahmen, die auf das individuelle traumatisierende Ereignis (in Form eines Skripts, d. h. einer regulären Ereignisabfolge in bestimmten individuellen Situationen oder Kontexten) zugeschnitten sind. Symptomspezifischer Reiz: Auf die individuelle Krankheitssymptomatik zugeschnittener Stimulus. T1: ൺ Längsrelaxation. T1-Sättigung: Phänomen, dass das MR-Signal schwächer wird, da die ൺ Repetitionszeit zu klein ist und sich jeweils nur ein Teil der ൺ Längsrelaxation zurückbilden kann. T2, T2*: ൺ Querrelaxation.
Sprechapraxie: Störung der Sprechmotorik, bei der die
T2-Relaxometrie: Bei diesem Verfahren wird im Unter-
Programmierung von Sprechbewegungen betroffen ist. Häufiges Begleitsymptom der globalen und der BrocaAphasie. Startle-Reflex: Eine unwillentliche Reaktion auf einen plötzlichen unerwarteten Reiz, der eine muskuläre Anspannung und eine Vielzahl viszeraler Reaktionen nach sich zieht.
schied zu fMRT-Untersuchungen mit kognitiven Anforderungssituationen die Tatsache genutzt, dass im SteadyState Hirnregionen mit einer stärkeren kontinuierlichen Aktivität über die Zeit mehr Blutvolumen und mehr Desoxyhämoglobin-Moleküle (ൺ BOLD-Effekt) pro Gewebevolumen aufnehmen, so dass die paramagnetischen Eigenschaften dieser Regionen zunehmen, was sich anhand einer Abnahme der T2-Relaxationszeit messen lässt.
State: Der momentane Ausprägungsgrad einer Personen-
Tachistoskopische Stimuluspräsentation: Sehr kurze Prä-
variablen; steht der relativ stabilen Persönlichkeitseigenschaft (ൺ Trait) gegenüber.
sentation eines visuellen Stimulus (