RUDOLF DAUMANN
Freiheit oder Bananen
VERLAG NEUES LEBEN BERLIN 1954
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RUDOLF DAUMANN
Freiheit oder Bananen
VERLAG NEUES LEBEN BERLIN 1954
Alle Rechte vorbehalten Lizenz Nr. 303 (305-106/54) Urnschlagzeichnung: Fritz Ahlers, Prieros (Mark} Gestaltung und Typographie: Kollektiv Neues Leben Druck: Karl-Marx-Werk, Pößneck, V15/SO
Als das einfache Fischerboot mit dem geflickten Mattensegel die Ausfahrt aus der Chetumal-Bai, nördlich von Britisch-Honduras gelegen, gewinnen konnte, heulte die Sirene des Polizeikutters haltgebietend dreimal auf. Der junge bronzefarbene Indio ließ die Segelleine fahren; dem Alten, der am Heck kauerte und mit der Ruderpaddel das Boot am Wind hielt, fiel mit einer mutlosen Gebärde der Kopf auf die Brust. Sein Atem ging schwer. Der junge Mann fragte: „Will dir die Luft heute nicht bekommen, Vater? Sieh, wie der Morgen lacht!“ , Ein müdes Lächeln spielte über das geschwollene Gesicht des Alten: „Die Seeluft ist wie ein Heiltrunk aus dem heiligen Nopalkaktus. Doch der Sergeant Morgan von der Küstenpolizei preßt mir die Brust zusammen.“ Er wies auf das Motorboot, das sich mit schäumender Bugwelle näherte. An der Reling stand ein breitschultriger Mann in weißer Tropenuniform; die linke Hand hatte er auf einen Bootshaken gestützt, die rechte hob das Megaphon. „Seid ihr nicht die Perlenfischer, die Ferrentes, aus Payo Nabisco, der alte Juan und der junge Teokal?“ erklang seine Stimme. „Macht klar zur Kontrolle!“ Der junge Ferrente warf die strähnige schwarze Haarmähne aus der Stirn und schrie zurück: „Unser Boot kontrollieren? In der Nußschale kann man wohl viel verstecken! Macht Euch nicht lächerlich, Sergeant
Morgan!“ Sein Englisch war einwandfrei, als hätte er es auf der Universität Oxford gelernt. „Halt dein Maul, Bürschlein! Komme euch schon auf eure verdammten Schliche!“ Der Bootshaken packte die Bordkante des Fischernachens und holte ihn längsseits. Schwerfällig stieg Morgan über. „Jüngelchen, bilde dir keine Schwachheiten ein, weil du das Eingeborenen-College Ihrer Majestät Kronkolonie Britisch-Honduras in Belize besucht hast! – Ihr fahrt auf Perlenfischerei?“ Der alte Ferrente nickte: „Selbstverständlich, Mister Morgan! Wir Perlenfischer… Hier Registriermarke!“ „Quatsch mich nicht an, alte Braunhaut!“ knurrte der Sergeant. „Habt ihr Tauchhilfsmittel an Bord?“ Teokal schüttelte den Kopf: „Seitdem sie verboten sind, fischen wir wieder wie unsere Vorfahren, die weisen Mayas… springen nackt ins Wasser und brechen mit unseren Händen die reifen Muscheln aus den Bänken. Eine lebensgefährliche Arbeit, Sir!“ Der Polizist warf mit der Stiefelspitze die armseligen Mattenbündel auf dem Bootsboden auseinander. „Der junge Mann sehnt sich also wieder nach einem bequemen Taucheranzug? Gibt es nicht mehr! Höchste Zeit, daß man euch das verboten hat, sonst wären wohl bald die letzten Perlmuscheln aus dem Golf von Honduras verschwunden. Perlmuschelschutzgesetz… ein sehr weises Gesetz des Hohen Rates unserer Kronkolonie!“ Der alte Ferrente atmete noch schwerer. In seinem unbeholfenen Englisch begann er: „Wir unsere Muschelbänke schonen… immer nur die reifen Muscheln nehmen… schon 500… 600 Jahre lang. Noch ehe weiße Männer hierhergekommen. Wir schonen mit Tau-
cherhelm und ohne.“ Und sein Sohn setzte hitzig hinzu: „Ein ungerechtes Gesetz! Es will den Perlenhändlern einen hohen Preis sichern. Uns Perlenfischern aber kostet es die Gesundheit. Seht meinen Vater an! – Lungenerweiterung! Die hat er sich geholt, seitdem er wieder ohne Taucheranzug auf dem Meeresboden arbeiten muß…“ Der Sergeant bückte sich und hielt dann eine dicke Glasscheibe hoch, die von einem breiten Gummiwulst eingefaßt war: „Hallo, Juan, und was ist das?“ Der alte Perlenfischer griff danach: „Nur Sichtscheibe, Mister!“ „Also eine Tauchhilfe! Das Gesetz verbietet jegliches Gerät, das geeignet ist, den Aufenthalt unter Wasser zu erleichtern. Beschlagnahmt!“, und er warf die Sichtscheibe in das Motorboot hinüber. Der Sohn protestierte: „Sichtscheiben sind nie und nimmer durch das Perlmuschelgesetz verboten worden.“ Morgan schwang sich bereits wieder in den Polizeikutter. „Kannst dich ja beim obersten Kronrichter, Sir Townsbridge, über mich beschweren, Braunhaut! Verschwindet! Seid froh, daß ich euer verdammtes Karibenboot nicht beschlagnahme!“ Das Polizeifahrzeug drehte ab und schoß über die blaue Flut der großen Chetumal-Bai auf den Küstenstreifen zu. Teokal hatte die Fäuste geballt und starrte dem davonjagenden Kutter nach. Sein Vater saß zusammengesunken auf der Heckbank und atmete mühsam. „Laß deinen Zorn, Teokal! Die Weißen haben ihre Freude daran, uns zu beleidigen und zu erniedrigen. Wir wollen Kurs auf Ambergrins nehmen, zur
alten Muschelbank. Vielleicht beschert sie uns heute das große Glück!“ Zwei Stunden später legten die beiden Ferrentes ihr Boot mit Steinankern über dem Fischgrund fest. Teokal warf die teerige Schifferhose und das billige Kattunhemd ab. Sorgsam schnallte er den breiten Gurt mit dem scharfen Dolch und dem meißelartigen Muschelbrecher um die schmalen Hüften. Der Vater band ihm den Sammelkorb vor die Brust und suchte selbst den geeignetsten Tauchstein aus, der den schlanken Jünglingskörper zwanzig Meter tief auf den Grund ziehen sollte. Er schlang das Gleitseil in die Öse und ordnete nochmals vorsichtig die Seilwindungen. Nun warf der alte Ferrente die Kleidung ab und begann seinen Körper mit Palmfett zu salben, denn das Wasser auf dem Grunde ist kühl, und viele Male muß ein Taucher zu den Muschelbänken hinunter, um die Beute zu bergen. Teokal unterbrach seine Atemübungen. „Du wirst heute nicht tauchen, Vater! Du hast es mir versprochen.“ Der nickte, fuhr aber in seiner Tätigkeit fort. „Mein Wort gilt; aber ich will bereit sein, wenn dir eine Gefahr droht. Jahrelang waren wir nicht auf dieser Bank. Es könnten sich Kraken eingenistet haben; Haie lauern immer…“ Der Sohn ermahnte ihn noch. „Aber nicht tauchen!“ Dann ergriff er den schwersten Tauchstein und ließ sich über Bord gleiten. Rasch zog ihn das große Gewicht in die Tiefe. Schon hatte er das warme Oberflächenwasser durchmessen, jetzt umspülte ihn das kühle Tiefenwasser. Der Druck der auf ihm lastenden Wassersäule nahm von Meter zu Meter zu. Es knackte in
den Trommelfellen; der Brustkorb wurde zusammen gepreßt. Die Augen schmerzten immer mehr, während die Muschelbank, am Rande einer unterseeischen Schlucht gelegen, näher und näher kam. Teokal griff nach dem Muschelbrecher, dann schlang er die Tauchleine um das rechte Bein, um nicht vom Auftrieb emporgerissen zu werden. Jede Bewegung fiel ihm maßlos schwer. Er krallte sich an den Felsen der Bank fest, brach die größten Muscheln los und stopfte sie in den Korb. Als er acht Stück gesammelt hatte, glaubte er, der Kopf würde ihm zerspringen. Er langte nach der Leine und ließ sich hinaufgleiten, vorsichtig, um den Wasserdruck nicht zu schnell zu vermindern. Dabei blies er den Atem aus, und lustig perlten die Luftbläschen durch die blaue Flut. Fast zwei Minuten war er unter Wasser geblieben. Heftig nach Luft schnappend, hing er nun am Bootsrande, und der Vater half ihm, sich über die Bordkante zu schwingen. Dann wurde der Stein heraufgehievt. Der Vater nahm die Muscheln aus dem Korb, klopfte dem Sohn anerkennend auf die Schultern und seufzte: „Schwer… sehr schwer für dich! Aber gute Muscheln… sehr schöne Muscheln!“ Wieder und wieder ließ sich Teokal in die Tiefe gleiten. Der alte Juan sprühte Öl auf die Wasserfläche, um das Wellengekräusel zu glätten. So konnte er in dem klaren Wasser jede Bewegung des Tauchers genau verfolgen. Sorgsam beobachtete er die Umgebung, in der sich sein Sohn befand. Zum zehnten Male wurde der Korb geleert. Teokal saß, mit den Zähnen klappernd und am ganzen Körper
zitternd, auf der Heckbank und zählte die Muscheln. „Hundert!“ stellte er fest. „Noch einmal!“ Juan sah, wie sein Sohn drunten mit dem Muschelbrecher arbeitete. Da erblickte er plötzlich einen schwarzen Schatten, der sich aus den dunklen tieferen Gründen löste, breit wie ein Teppich, mit zuckendem Dornschwanz und einer wahren Satansfratze. „Teufelsrochen!“ brüllte der Vater. Den schwersten Tauchstein mit seinen braunen Händen packend, sprang er über Bord. Das Herz des Kranken schlug zum Zerspringen, als er einige Schwimmstöße im Niedertauchen wagte. Jetzt hing er in fünfzehn Meter Tiefe genau über den zittrig flatternden Flanken des Seeungetüms und ließ den Stein los. Im Sog des Auftriebs sah er noch, wie die Gespensterfratze des Stachelrochens getroffen wurde. Mit jähem Schwung verschwand die Bestie aus seinem Blickfeld. Dann kam die Dunkelheit einer Ohnmacht über ihn. Als er erwachte, lag er auf den Bündeln zwischen den Bootsspanten. Das Rauschen der Bugwelle kündete von schneller Fahrt. Er war ein wenig verwundert, als er die Stimme seines Sohnes hörte: „Und nun bist du doch getaucht, Vater… getaucht, um mich zu retten. Ich sah den Teufelsrochen zu spät. Wenn mich die giftigen Stacheln getroffen hätten! Bleibe ganz ruhig liegen. Wir haben günstigen Rückenwind und sind bereits in der Chetumal-Bai.“ Der Alte konnte sich schon wieder ein wenig aufrichten. Er flüsterte: „Und die Muscheln? Wenn der Halunke, der Morgan, wieder kontrolliert?“ Das Scherensegel fiel zusammen; neben ihm kniete Teokal.
„Götterfreund“ bedeutet dieser Name. „Wie weise ist mein Vater. Wir wollen gleich unseren Fang untersuchen!“ Der Vater sah mit kritischen Augen, wie der Sohn die Haltebänder der Muscheln durchschnitt, die regenbogenfarbenen Schalen auseinanderklappte und sorgsam das Weichtier untersuchte. „Nichts!“ hörte er immer wieder. „Nichts… nur gutes Perlmutt!“ Es mochte die dreißigste Muschel sein, da griff Teokal vorsichtig mit zwei Fingern in die schleimigen Organe und holte einen birnenförmigen Körper heraus, größer als eine schwarze Bohne. Er steckte ihn in den Mund und schlürfte den anhaftenden Schleim. Dann hielt er eine vollendet geformte Perle zwischen den Fingern und rief begeistert: „Pirula… ein Wunderbirnchen! Vater, schau und vergiß den Kummer! Eine Prachtperle… keinen einzigen Fehler können meine Augen finden. Sicherlich 50 Gran, wenn nicht mehr. Hast du jemals ein so schönes Stück gesehen?“ Juan Ferrente richtete sich ächzend auf und nahm das Wunder der Natur vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger. „Ohne jeden Makel und von bestem Glanz! Nie sahen meine Augen eine so schöne Perle… Ich wärme sie unter meiner Zunge, damit sie nichts von ihrem Schimmer einbüßt. Und schweige, schweige! In Belize… 100 Pfund haben sie schon gemordet… Dieses Stück ist mindestens 3000 wert!“ Teokal setzte wieder das Segel. Durch das Rauschen der Wellen hörte der Vater die Worte seines Sohnes, als wären sie ein Jubellied: „Die Perle… das ist das Motorboot für die Genossenschaft, das Glück der Fi-
scher von Payo Nabisco… das ist der Arzt für dich… Gute Perle… schöne Perle!“ Als Sergeant Morgan das heimkehrende Boot stoppen hieß und Auskunft über den Fang verlangte, wies Teokal auf die geöffneten und ungeöffneten Muscheln: „Unsere ganze Beute! Mein Vater kann nicht sprechen, weil ihm der Wasserdruck das Blut in die Luftröhre getrieben hat. Verflucht sei euer Gesetz!“ Morgan schätzte die kümmerliche Ausbeute und ließ den Kutter abdrehen. „Euer Glück, daß es nicht mehr Muscheln sind! Ich werde euch schon Gehorsam gegenüber dem Gesetz beibringen!“ „Ein scheußliches Nest, dieses Belize!“ knurrte der hagere Mann mit dem rostroten Haar, während er sich in dem weichen Sessel rekelte. Er sprach das Englisch gaumig, so daß man sofort den Yankee erkannte. „Belize, Hauptstadt von Britisch-Honduras… britisch so lange, wie es dem Hohen Senat und dem Weißen Haus in Washington gefällt! Mister Kronrichter, wie konntet Ihr es hier an der verdammten Küste des lausigen Karibischen Meeres schon sechs Jahre aushalten?“ Der kleine Mann mit dem rosigen rundlichen Gesicht hinter dem breiten Schreibtisch lächelte seinem Gast vergnügt zu: „Ich brauche nicht mehr auszuhalten… Meine Vertragszeit ist abgelaufen. Nur diese Gerichtssitzungen nehme ich noch wahr, Mister Grebb. Mein Nachfolger ist schon auf der Reise hierher. Hoffentlich wird er das Recht ebenso sprechen wie ich: unparteiisch und unbestechlich, wie es die geheiligte Überlieferung des britischen Empires von seinen Kronrichtern
verlangt.“ Grebb grinste unverschämt. „Was Ihr immer für Sprüche wißt! Ich wette, daß Ihr neun Zehntel Eures beachtlichen Bankkontos der Tätigkeit für die United Fruit-Company verdankt! Und die Vereinigte FruchtGesellschaft ist eine amerikanische Gesellschaft. Könntet Euer Guthaben noch etwas abrunden, wenn Ihr Euch mir gefällig erweisen würdet. Die UFC zahlt gut und schnell.“ Der Kronrichter Townsbridge kniff die Augen zusammen: „Meint Ihr Payo Nabisco? Ein heißes Eisen die Sache, seitdem Beschwerde gegen Euren Länderkauf dort eingelegt worden ist. Muß es denn ausgerechnet das Ufer der Chetumal-Bai sein?“ Der Yankee sprang erregt auf: „Natürlich, sonst würden wir uns wahrhaftig nicht darauf versteifen Die United Fruit hat die lange Küstenzone zwischen Belize und Benque Viejo in eine einzige Bananenplantage verwandelt, in der 20 000 Schwarze, Rote und Braune kaum genug Hände haben, die Früchte zu bergen. Aber wir brauchen neues Land, unausgesogen, verkehrsgünstig gelegen und vor allem mit arbeitswilligen und genügsamen Eingeborenen. An der Chetumal-Bai gibt es Zehntausende von Hektar, die unseren Zwecken dienen könnten.“ „Aber nicht zu haben!“ meinte der Kronrichter. „Bodenverkäufe dürfen die Gerichte nur registrieren, wenn die Vorstände der Dorfgenossenschaften zugestimmt haben. Die guten Zeiten der United Fruit, als sie die Quadratmeile Boden für zwei Flaschen Niggerrum und einen Dollar kaufen konnte, sind vorbei. Payo Nabisco
kommt Euch nicht so billig!“ Grebb stieß einige Flüche aus, die selbst bei einem hartgesottenen Gangster von der Seeseite Chikagos Aufsehen erregt hätten. „Diese höllenverdammten Ferrentes! Nicht einmal ihre Kaziken, ihre Priesterhäuptlinge, wollen sie anerkennen. Mit dem ewig besoffenen Kaziken Chinchano von Payo Nabisco war ich einig. Er unterschrieb alles, was ich ihm vorlegte, wenn ich ihm nur den notwendigen Schnaps auf Lebenszeit versprach. Doch dann nimmt ein Krongericht Kenntnis von dem Einspruch eines Teokal Ferrente, der dem Kaziken jedes Recht abspricht, im Namen der Bewohner von Payo zu verhandeln und zu verkaufen. Warum hört Ihr eigentlich auf diesen Ferrente?“ „Weil er ein kluger und gebildeter Indio ist, dessen Meinung in ganz Honduras viel gilt!“ behauptete Townsbridge. „Ich möchte in den letzten Monaten meiner Amtstätigkeit keinen Aufstand erleben.“ Er ging zum Fenster und blickte durch die spiegelnden Scheiben hinaus auf die sonnenübergossenen Parkanlagen und das unwirklich blaue Meer. „Freund Houston, Euch ist es wohl am meisten um willige Arbeitskräfte zu tun? Kann ich mir denken. Unsere Arbeitslosen leben lieber von Seeigeln und Strandkrabben, als daß sie bei Euch Arbeit suchen. Die Bewohner von Payo Nabisco sind sanfte Mayas, Nachkommen des großen Kulturvolkes Mittelamerikas, die richtigen Opfer für die United Fruit. Also, wenn der Einspruch nicht wäre… Ich gebe Euch einen guten Rat: Dort unter der großen Fächerpalme vor dem Eingeborenenhospital sitzen gerade Eure beiden Gegner in
dem Streitfall. Ja, die Ferrentes! Sorgt dafür, daß sie nicht persönlich vor Gericht erscheinen, wenn über den Einspruch verhandelt wird. Wer kann dann den Kronrichter hindern, Euren Vertrag mit dem Kaziken für rechtskräftig zu erklären?“ Houston Grebb griff nach dem Tropenhelm, stülpte ihn auf seinen eiförmigen Schädel und sagte, schon im Gehen: „Danke Euch! Könnt Euch jetzt schon um 1000 Dollar reicher fühlen, Townsbridge! Will mir mal die Rothäute näher beschauen!“ Er schob frischen Kaugummi zwischen seine Zähne und schlenderte über die prunkvolle Freitreppe des Krongerichtes hinab in die gepflegten Anlagen, wo die beiden Ferrentes auf einer Bank ausruhten. Sie trugen ihre Festtagskleidung: blaue Baumwollhemden und Zwillichhosen, die mit dem blutroten Saft der Cochenillelaus gefärbt waren. Der Vater starrte mit angstgeweiteten Augen in das Grün und Gold des Vormittags, verzweifelt nach Atem ringend. Teokal klopfte behutsam seine Schultern, um ihm Erleichterung zu schaffen. Grebb heuchelte Anteilnahme und blieb stehen. „Wohl stockbesoffen schon am frühen Morgen?“ fragte er. Teokals kupferfarbenes Gesicht wurde noch dunkler. „O nein, Herr! Mein Vater leidet an der Taucherkrankheit… Lungenerweiterung… drückt aufs Herz!“ Der Yankee riet: „Geht zu Doktor Clarkson! Der spritzt euch den Teufel aus dem Kadaver. Taucherkrankheit? Muß der Alte eben seinen Beruf aufgeben. Ihr seid doch die Ferrentes aus Payo Nabisco?“ „Wir sind geehrt, daß der Herr unseren bescheidenen
Namen kennt“, erwiderte Teokal voller Vertrauen. „Ich wollte meinen Vater in das Eingeborenenhospital führen… Unterwegs packte ihn der Anfall, die Atemnot.“ Grebb zog seine Stirn kraus: „Das Farbigenhospital? Was werden sie schon mit dem Alten machen? Jod auf die Rippen, Brechpulver in den Magen und Rhabarber für den Darm. Unsinn! Geht zu Clarkson! Nennt meinen Namen: Houston Grebb von der United Fruit. Wird euch keinen Cent kosten. Nehme das aus Mitleid mit dem Alten auf mein Konto.“ Teokal war einen Schritt zurückgewichen: „Mister Grebb von der UFC? Haben Sie nicht den Vertrag mit dem Kaziken Chinchano abgeschlossen?“ Der Yankee ließ sich auf der Bank neben dem stöhnenden Juan nieder, legte seinen rechten Arm stützend um die Schultern des Leidenden und versuchte weiter den Harmlosen zu spielen: „Natürlich, Houston Grebb, wie er leibt und lebt. Bin auf euren versoffenen Priesterhäuptling elend hereingefallen. Hätte ich gewußt, daß ihr Ferrentes in Payo das Heft in der Hand habt, wäret ihr meine Vertragspartner geworden. Ihr seid doch sozusagen die Chefs an den Ufern der ChetumalBai!“ Juan Ferrente schien den Anfall überwunden zu haben. Der Atem ging noch schwer, doch konnte er schon einige Worte sprechen: „Nicht Chef… Vorsteher von Dorfgenossenschaft. Sehr arm in Payo Nabisco… Fischer und Bauern… schlechter Mais, wenig Fische. Tortillas knapp, Enchilladas… Ihr wissen, gefüllt mit Fischfleisch… wenig, sehr wenig.“ Grebb nickte zu dieser Feststellung und meinte sal-
bungsvoll: „Arme und Reiche hat es nach Gottes Willen immer gegeben. Das kann man nicht ändern. Immerhin könnte ich mir vorstellen, daß wenigstens die Ferrentes in eurem dämlichen Kaff zu Macht und Reichtum aufsteigen könnten. Ich liebe nicht viele Worte. Kurz: Bestätigt die Verträge der UFC, geschlossen mit dem Kaziken, eurem Chinchano, und ihr seid Vormänner für Payo Nabisco, ja mehr… für die lange Küste der Chetumal-Bai. Vormann für die United Fruit, das bringt jedem von euch tausend Dollar Überschuß im Jahre…“ „… und Hunger den Dorfgenossen, Verzweiflung den Frauen und Verkommenheit unseren Mädchen!“ brauste Teokal auf. „Ich weiß, was Ihr zwischen Belize und Benque Viejo aus fleißigen Negern und fröhlichen Indios gemacht habt. Ihr sagt Fortschritt und meint Bananen. Wir wollen Freiheit und nicht Bananen für die UFC. Können wir uns da verstehen?“ Der Yankee stand kopfschüttelnd auf: „Blödsinn, mit solchen Mauleseln erst zu reden! Ihr wollt also Kampf? Bitte, könnt ihr haben, bis zur Entscheidung! Die Ferrentes und die UFC! Kinder, das ist zum Lachen! Aber bitte, wie, ihr wollt!“ Und er schritt von dannen, ohne den beiden Indios den Weg zu dem Wunderdoktor Clarkson gewiesen zu haben. Juan blickte ihm erschrocken nach: „Teokal, der Hauptmacher der UFC! Jetzt geht er und wirbt Totschläger. Es ist sehr gefährlich, den Herrn Grebb zum Feind zu haben.“ Sein Sohn lächelte: „Vater, wer im Recht ist, darf keine Furcht haben. Und dann bedenke, wenn erst das
Gericht gesprochen hat, kann die UFC sich nicht mehr auf den verräterischen Kaziken berufen.“ „Dieser Schurke! Er verrät das Volk, wenn er nur genug Schnaps bekommt! Wir hätten ihn nicht nur hinaustreiben, ins Meer hätten wir ihn stürzen sollen!“ Juan ballte die Fäuste. „Blutsauger findet zu Blutsauger: die Briten, die Amerikaner, die Verräter aus unserem Volke… Wer wird uns von diesem Geschmeiß befreien?“ „Wenn wir es nicht selber tun…!“ Teokal stützte seinen Vater und geleitete ihn zur Pforte des Spitals. „Wir brauchen nicht zu verzagen. Neue und gute Gedanken entflammen die Herzen aller Gequälten und Geknechteten in der ganzen Welt. Seit mehr als 400 Jahren sind wir Mayas rechtlose Sklaven der weißen Ausbeuter. Nun aber ist die Zeit gekommen, da wir selbst darüber entscheiden werden, was gut ist und was uns nützt. Jetzt brauchen wir Mut und müssen alle Furcht ablegen!“ Der Vater schüttelte zwar leicht den Kopf, aber im stillen freute er sich doch über den Sohn, der mit dieser Gewißheit von dem besseren Leben der Indios in naher Zukunft sprechen konnte. Und als der grobe Krankenwärter im Eingeborenenspital den Alten warten ließ, ermahnte dieser ihn: „Du solltest freundlicher mit deinen Brüdern umgehen. Wenn du auch ein Mestize bist, das Blut deiner indianischen Mutter macht dich doch zu unserem Bruder!“ Die anderen wartenden Eingeborenen klatschten dieser Feststellung lächelnd Beifall, so daß der gestrenge Wärter selbst fröhlich wurde und mit heiterer Miene
das Krankenbuch aufschlug, um die neuen Fälle einzutragen: „Kommt her, Brüder und Schwestern! Alter, du hast recht! Was kümmert mich der brummige Arzt? Euer Wohl steht meinem Herzen am nächsten!“ Houston Grebb war inzwischen in das Hafenviertel hinabgestiegen. In einer schmutzigen Gasse trat er durch die schmale Tür in das lärmerfüllte Innere einer Rumschenke. Ohne Gruß durchschritt er den Vorraum und ließ sich im Hinterzimmer in einen Schaukelstuhl sinken. Dem eifrig herbeieilenden Wirt gab er den kurzen Befehl: „Schafft mir Kururu, den Mann mit der Machete, hierher! Schnell, ich habe nicht lange Zeit!“ „Kururu?“ Der Schankwirt, seiner Farbe nach ein echter Jamaikaneger, wischte sich verzweifelt die Handflächen an der Sackschürze ab. „Euer Gnaden, Kururu wurde gestern von den Polizeimännern in Haft genommen… von der Hafenpolizei… weil… weil er Streit mit einem Maschinisten von einem Bananendampfer hatte, einen blutigen Streit, Herr. Zwangsarbeit ist ihm sicher….“ „Wo sitzt er?“ fragte Grebb. „Noch in der Wache des Hafenbezirks. Das Polizeigericht tagt erst am Nachmittag.“ Der Yankee stülpte sich den Tropenhelm auf und ging ohne Gruß und Wort. Die diensttuenden Beamten in der Polizeiwache sprangen auf, als er den Raum betrat. Er knurrte etwas, was wohl einen Gruß bedeuten sollte, und wandte sich einer Tür im Hintergrunde zu. „Muß den Chef sprechen!“ Ohne zu klopfen, trat er durch die Milchglastür. Der dicke Polizeihauptmann rekelte sich aus seinem
Klubsessel empor. „Welche Ehre!“ begrüßte er den Eintretenden. „Houston Grebb persönlich?! Womit kann ich dienen?“ Der Chefagent der UFC winkte ab, als ein Klubsessel für ihn zurechtgerückt wurde. „Keine Zeit, Cormick! Ich brauche auf der Stelle Kururu. Soll in Eure Fangarme geraten sein. Paßt aber durchaus nicht zu meinen Plänen. Muß außer Verfolgung gesetzt werden!’’ „Sir, der Mann mit der Machete hat einem Eurer Maschineningenieure das linke Ohr mit seiner verdammten Machete abgesäbelt, rein aus Vergnügen sozusagen, weil ihm das Gesicht des Mannes nicht gefiel!“ „Ist Strafantrag gestellt? Nein? Na also, die Beruhigung des Maschinenkulis nehme ich auf meine Rechnung. Schnell, Mann, schafft mir Kururu hierher. Cormick, es dürfte nicht Euer Schade sein, wenn der Mann mit der Machete freigelassen und außer Verfolgung gesetzt wird.“ Keine fünf Minuten waren vergangen, da führten zwei Polizisten den Häftling herein. Er trug noch die „stählerne Acht“, die Handfesseln; und stemmte sich mit aller Gewalt gegen die beiden, die ihn vor den Polizeihauptmann stellen wollten. Dabei fluchte er in sämtlichen Sprachen, die an der Küste von BritischHonduras gesprochen wurden: Englisch, Spanisch, Maya, Karibisch, sie alle durcheinandermischend und verstümmelnd. Er behauptete, seiner Abstammung nach ein Casco zu sein, also der Sohn einer Mulattin und eines Mulatten, die wieder Abkömmlinge von Weißen und Negern sind. Doch auch das Blut von weisen Mayas und abenteuerlichen Kariben mußte in sei-
nem Körper kreisen, wie seine Gesichtszüge verrieten. Er war eines jener unglücklichen Geschöpfe, wie man sie überall findet, wo seit Jahrhunderten der weiße Mann die Urbevölkerung unterdrückt, und die nicht wissen, ob sie sich zu den Beherrschern oder zu den Entrechteten zählen sollen. Kururu war ein Muskelriese. Er galt an der Küste von Belize als der wildeste Faustkämpfer. Dort werden bei einem Kampf über 12 Runden keine gepolsterten Boxhandschuhe umgeschnallt. Mit den felsenharten Knöcheln und dem eisernen Handrücken versucht man, den Gegner k. o. zu schlagen, und keine Vorschrift gibt es, die einen Treffer unter der Gürtellinie verbietet. Wenn Kururu aber betrunken war – und das war er sehr häufig – , dann zeigte er seine Künste mit der Machete, mit dem meterlangen Buschmesser, das jeder Waldarbeiter der Mahagoni-Exportgesellschaft trug, um zu zeigen, daß er nicht zu den sanften Bananenbauern gehöre. Es war ein offenes Geheimnis in Belize, daß Kururu mit der Machete nicht nur die in die Luft geworfenen Orangen oder Bananen zerteilen konnte. Wenn ein Eingeborener mit einer furchtbaren Halswunde tot aufgefunden oder aus dem Wasser gezogen wurde, dann flüsterte man scheu: „Das war der Mann mit der Machete!“ Niemand hätte es jedoch gewagt, Kururu diese Beschuldigung ins Gesicht zu sagen. Als er den wartenden Grebb erblickte, zuckte der Riese zusammen, als hätte ihn ein Peitschenhieb getroffen. Plötzlich wurde er ganz still. Der Amerikaner fuhr ihn an: „Verdammtes Vieh, hältst du so deine Versprechen? Bezahlen läßt du dich,
aber wenn du gebraucht wirst, hast du dich feige in das Gefängnis verdrückt! Wenn ich meine Hand von dir abziehe, sind dir zwanzig Jahre Zwangsarbeit sicher… oder der Strang!“ „Kleiner Spaß nur!“ gurgelte Kururu. „Nicht böse gedacht…“ Seine Augen unter den dicken Brauenwülsten wurden vor Staunen starr, als die „Acht“ aufgeschlossen wurde und seine Hände frei waren. Verlegen rieb er seine geschwollenen Gelenke. Grebb stand schon an der Tür: „In einer Viertelstunde bei Seymour. Kommst du nicht, weißt du, was dir blüht!“ Kururu war pünktlich in der Rumschenke. Grebb lud ihn nicht zum Sitzen ein. Er fragte: „Du kennst die Ferrentes, Juan und Teokal, aus Payo Nabisco?… Gut! Du hast mit deiner Bande dafür zu sorgen, daß mir die beiden Braunhäute nicht mehr vor die Augen kommen, weder hier noch am Ufer der Chetumal-Bai. Wie, das ist deine Sache. Hier…“ Er riß einen Hundert-DollarSchein mitten durch, gab Kururu die eine Hälfte: „Die andere bekommst du, wenn ich erfahre, wohin die Ferrentes verschwunden sind.“ Der Mann mit der Machete sah dem Davonhastenden mit bösem Blick nach, ehe er sich über die Flasche hermachte, die Grebb unangebrochen stehengelassen hatte. Teokal hatte es erreicht, daß der Arzt den Vater gründlich untersuchte; aber dann gab es doch nur Ratschläge über Schonung und Ruhe und einen harmlosen Hustensaft. „Heilen, junger Mann? Vielleicht in einem Sanatorium, wenn man das Geld dazu hat. Wie alt ist der Vater? 48 Jahre? Allerhand! Durchschnittlich
leben die Farbigen hier in diesem gottgesegneten Lande nur 38 Jahre. Warum das so ist? Das weiß unsere Statistik nicht. Mangelnde Körperpflege, meinen wir Ärzte, wozu wir auch Nahrung, Kleidung und Wohnunterkunft gerechnet wissen wollen. Die weiße Bevölkerung erreicht trotz des höllischen Klimas ein Durchschnittsalter von 58 Jahren. – Ob es Spritzen für den Alten gibt? Gewiß, aber das Stück kostet ein Pfund. Und zur Grundkur gehören dreißig…“ Der alte Kolonialarzt war nicht wenig verwundert, als Teokal zehn Pfundnoten auf den Tisch zählte und bat: „Helft meinem Vater, Sir! Wir haben Perlmutt verkauft, und ehe es dunkelt, lege ich auch die fehlende Summe in Eure Hand. Soll mein Vater gleich im Spital bleiben?“ Der Arzt feilte bereits an dem Hals einer Ampulle, um die nickelblinkende Wunderspritze zu füllen: „Nicht notwendig! Ich gebe heute versuchsweise ein Präparat. Übermorgen kommt ihr in der Mittagsstunde wieder und erzählt mir, wie es ihm bekommen ist. Müßt mächtig Geld verdienen in Payo Nabisco! Solche Patienten habe ich gern.“ Nach der Behandlung mußte der Kranke noch einige Stunden ruhen, und erst als nach der lähmenden Mittagshitze das Leben in den Straßen von Belize wieder erwachte, schritten die beiden Ferrentes hinab zur Stadt. Der alte Juan freute sich: „Das Herz springt nicht mehr wie ein junges Böcklein, es geht ruhig wie die Dünung bei Ambergris, und der Druck ist mir von der Lunge genommen. Dank sei der großen Kunst der weißen Ärzte!“
„Wenn sie nur nicht so teuer wäre!“ warf Teokal ein. „Doch wir wollen nicht klagen. Die Perle wird genug Geld bringen, um dich gesund zu machen.“ Der Perlenhändler Constantin Simonides hatte gerade hohen Besuch, als die beiden Indios sein Büro betraten, um ihm den kostbaren Fund anzubieten. Ärgerlich wies er auf eine Bank an der Wand und hieß sie warten. Dann wandte er sich wieder seinem Gaste zu: „Sehr erfreulich, Sir Equester, daß die Kollegen vom Strand in London so viel von mir erwarten. Ausgerechnet der Simonides in Belize soll für die junge Königin das Schaustück, die Wunderperle, die Krönungsperle beschaffen! Lachen könnte man, wenn man nicht weinen müßte! Ich kaufe Registrierware, das ist schlechter Durchschnitt. Was gut und besser ist, das sichern sich die amerikanischen Gangster, die ohne Konzession ihren Perlenhandel betreiben. Eine Perle von 50 oder mehr Gran? Wo hätte man in den letzten 50 Jahren jemals so einen Fang gemacht? Schlagt Euch den Gedanken aus dem Kopf, ausgerechnet in Belize dieses Prunkstück zu finden.“ „Jeden Preis für ein fehlerloses Stück von 50 Gran. Ihr könnt dabei verdienen… sagen wir einmal…“ Da stand Teokal an dem Tisch mit der Feinwaage und den Durchleuchtungseinrichtungen und sagte: „Wir haben gefunden, sind registrierte Perlenfischer, möchten Euer Gnaden anbieten…“ Aus einem weichen Lederbeutel rollte die große Perle auf den schwarzen Samt der Prüfschale. Simonides ließ zwei kräftige elektrische Strahler aufblinken, faßte mit zitternder Hand nach den Pinzetten
und stieß dann einen Schrei der Überraschung aus. „Equester, kein Wort mehr über Preise… wir zahlen, was verlangt…“ Mehr brachte er nicht aus seiner trokkenen Kehle heraus. Er legte die Perle auf die Waage, stellte ein Gewicht von 84 Gran fest, schraubte sie vorsichtig in die Halter des Durchleuchtungsgerätes und sagte nach langem Schauen und Prüfen: „Beste Naturware… sehr kräftiger Mantel! Wird sich jahrhundertelang tragen lassen!“ Er reichte das Gerät dem Gast, der lange durch das Prismenrohr starrte und endlich feststellte: „Ich wußte doch, daß ich bei Simonides in Belize die Ware finden würde. Gemacht?“ Stumm schlug der Perlenhändler in die dargebotene flache Hand ein und wandte sich dann zu den beiden Ferrentes: „Eine ausgefallene Sache, Freunde! Wird gar nicht mehr gefragt, so ein Riesenknollen. Was habt ihr euch als Preis gedacht, Brüder aus Nabisco?“ Teokal zögerte einen Augenblick, dann sagte er fest: „5000 Pfund, ohne zu handeln! Mister Simonides, Ihr wollt verdienen, der Herr dort will verdienen. Uns Perlenfischern wird jedoch, obgleich wir Tausende sind, nur einmal in 50 Jahren so ein Prachtstück geschenkt. 5000 Pfund für die Fischereigenossenschaft Payo Nabisco.“ Der Perlenhändler wollte eben zu handeln beginnen, da sah er, wie der Gast aus London leicht den Kopf schüttelte und dann zehn Finger hob. Er seufzte: „Preise fordert Ihr Ferrentes, Preise! Aber gut, der Tag ist heute so schön, und ein lieber Gast ist gekommen… sollt das Geld haben! Hier ist der Scheck, holt euch das Geld bei der Überseebank ab. Sie schließt in einer
Stunde! Also hopp!“ Als die beiden Indios, verwundert über den kurzen Handel, den Raum verlassen hatten, schob Simonides dem Londoner Geschäftsfreund die Wunderperle hin: „Gemacht für 10 000 Pfund! Oder sollte ich Euch falsch verstanden haben, Sir Equester? Und trotzdem werde ich mich betrogen fühlen… unter 20 000 gebt Ihr doch das Prunkstück nicht aus Eurem Tresor!“ „Das ist meine Sache, Simonides! Handeln heißt verdienen und verdienen lassen. Wann geht das Flugzeug nach Jamaika? Morgen erst? Dann schweigt bis nach meinem Abflug von unserem Geschäft. Mit einer solchen Perle in der Tasche fühle ich mich selbst im Hause des Gouverneurs von Britisch - Honduras nicht sicher .“ Die beiden Ferrentes achteten auf dem Wege zur Bank kaum auf die Menschen, die ihnen begegneten – Braune, Schwarze und Weiße. Vater Juan machte Pläne: „Teokal, wir kaufen sofort den Motorkutter bei dem Ford-Vertreter. Das ist der Anteil, den die Genossenschaft zu erhalten hat. 3000 Pfund will er haben… Aber wir zahlen den Preis nur, wenn er das Boot nochmals gründlich überholen läßt!“ forderte Teokal. „Jago Savedra, der Schiffsbauer, wird dann an der Probefahrt teilnehmen. Er ist ein ehrlicher Mann und wird uns sagen, welche Mängel noch beseitigt werden müssen.“ „Und wo lassen wir das viele Geld inzwischen“, fragte Juan. „Auf der Bank! Wir nehmen nur soviel, wie wir brauchen: für den Arzt, für die Einkäufe, für den Be-
triebsstoff… 200 Pfund werden reichen. Den Motorkutter bezahlen wir mit einem Scheck…“ Der Vater sagte stolz: „Wie du alles kennst. Ja, wenn ich auch schreiben könnte. Ein Wunder wahrhaftig, daß es dir gelungen ist, mich lesen zu lehren.“ Auf der Übersee-Bank hatten die beiden Mayas ein wahres Verhör zu bestehen, ehe ihnen ein Konto eingerichtet wurde. Erst als Teokal erklärte, die WestindiaBank liege ja nur um die Ecke, und die würde froh sein, neue Kunden mit so ansehnlichen Geldmitteln zu bekommen, wurde ihm ein Scheckheft ausgehändigt. Als der Kassierer umständlich den Gebrauch erklären wollte, füllte der junge Ferrentes bereits ein Formular aus und ließ sich 200 Pfund auszahlen. „Sie werden sich daran gewöhnen müssen, Sir, daß auch wir Eingeborenen Ihre Kunden werden. Auf die Besonderheiten des britischen Scheckrechtes brauchen Sie mich nicht hinzuweisen.“ Vor der Bank stellte sich den beiden Indios ein zehnjähriger Junge in den Weg, nur mit einem ärmellosen Hemd und einem Hüfttuch bekleidet. Das schmale, abgezehrte Gesicht erzählte noch mehr von seinem Elend als die Fetzen, die seine Kleidung darstellten. Juan rief überrascht aus: „Da schau, Pablo Chinchano! Deine Freunde in Payo Nabisco sehnen sich nach dir. Warum kehrst du nicht in deine Heimat zurück?“ „Ich kann den Großvater nicht allein lassen!“ erklärte der Junge. „Und daheim würde man auf mich mit Fingern zeigen, weil ich aus dem Geschlecht der Kaziken stamme. Wenn er stirbt… vielleicht kehr’ ich dann zurück. O Teokal, keine glückliche Stunde habe ich
gehabt, seit ich von den blauen Fluten der ChetumalBai Abschied nahm.“ Er wollte die Geldscheine nicht nehmen, die ihm der junge Ferrente in die Hand drückte. „Wozu? Damit sie der Großvater vertrinkt? Hat er gewußt, daß ihr in der Stadt seid? Er hat mich ausgeschickt, euch zu suchen. Aber ich sollte mich nicht von euch erblicken lassen. Kennt ihr Kururu, den Mann mit der Machete?“ Die beiden Mayas schüttelten den Kopf. Der kleine Chinchano fuhr fort: „Ein böser Mensch! Er steht dort drüben an der Wappensäule, dahinter hat sich Großvater versteckt. Sie haben gesagt, ich soll euch über den Gouverneursplatz führen, damit Kururu die Spur aufnehmen kann. Geht nicht dorthin. Der Mann mit der Machete denkt schlimm und tut schlecht.“ Sie standen dort, wo sich die Hauptstraße zum zweiten Hauptplatz verbreitert. Teokal spähte durch das Menschengewühl zu der hohen Säule hinüber, vor der ein Springbrunnen seine Wasser in die heiße Luft warf. „Entspring, kleiner Freund Pablo! Sage, du hättest uns nicht gefunden. Ist der Mulatte dort der böse Kururu?… Ein Casco will er sein? Höre, erlausche, was der Bursche vorhat. Du triffst uns eine Stunde nach Sonnenuntergang im Speisehaus ,Göttlicher Mais’ in der Entrada. Überlege dir inzwischen, ob du nicht mit uns nach Payo zurückkehren willst. Wir kaufen heute das schönste Motorboot an der ganzen Küste, und einen fleißigen Decksboy könnte die Fischereigenossenschaft noch gebrauchen!“ Ein dankbares Aufleuchten in den sanften Schwarzaugen, dann war der kleine Kerl im Menschengedränge
verschwunden. „Er wird Schläge ernten!“ sagte Juan bekümmert. „Hier macht man Kinder zu schlechten Menschen. Da, schau hin, jetzt kriecht der alte Chinchano aus seinem Versteck, und nun schlagen sie den schwachen Pablo. Noch nie hat man gehört, daß ein Maya ein Kind prügelte. Sollen die Jungen nicht besser werden als die Alten? Armer Pablo!“ Kopfschüttelnd schritt er neben seinem Sohne Teokal her, der einen Umweg einschlug, um die prunkvollen Geschäftsräume der Ford-Vertretung am Gouverneursplatz zu erreichen. Sie waren hier keine Unbekannten. Ein schlaksiger Yankee winkte ihnen herablassend zu und quetschte neben seiner Frage nach Wohlbefinden und Geschäftsaussichten das Angebot heraus: „Der Kutter mit dem schweren Motor also, meine Freunde? Immer noch zu haben, für rund 3000 Pfund, bei Barzahlung, versteht sich!“ „Werdet auch mit zweieinhalb zufrieden sein, Mister Armour!“ begann Teokal sehr kühl die Verhandlung. „Wir möchten aber endlich zum Ziel kommen. Für 3000 ist das Motorboot hier in Belize nie und nimmer an den Mann zu bringen. Für die feine Gesellschaft entwickelt es zu geringe Geschwindigkeit, macht zuviel Lärm und stinkt zu sehr nach Schweröl. Die Fischereigenossenschaft Payo Nabisco aber würde über diese Mängel, auch über die im Bau, hinwegsehen, wenn sie es mit 2500 Pfund kaufen könnte. 2500 Pfund heute noch bar auf den Tisch, wenn Ihr Euch verpflichtet, die Kosten der Generalüberholung zu übernehmen.
Jago Savedra soll als Treuhänder feststellen, was verbessert werden muß.“ „2500 Pfund bar auf den Tisch?“ Der Ford-Vertreter kniff seine wasserblauen Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. „Das müßte ich erst einmal sehen! Oder habt ihr an den Ufern der Chetumal-Bai den Schatz der Mayas gefunden?“ Teokal legte das Scheckbuch auf den Tisch, füllte die Anweisung aus und setzte schwungvoll seinen vollen Namen darunter. „Rufen Sie die Obersee-Bank an, ob er Deckung hat. Unseren ehrlichen braunen Gesichtern glauben Sie ja doch nicht. Und dann haben wir noch eine Stunde Zeit, um vor Sonnenuntergang die Probefahrt durchzuführen. Bitte, 2500 Pfund… wenn Sie nicht wollen, fahren wir morgen nach Yzabal in Guatemala. Dort können wir für denselben Preis einen besseren Seekutter bekommen.“ „Moment!“ stotterte der Vertreter, und nachdem er vom Telephon zurückgekommen war, wurde das Geschäft abgeschlossen. „Aber halbe-halbe bei der Überholung. Mehr als 100 Pfund werden wir nicht teilen müssen.“ Ehe noch die Sonne sank, war in dem Städtchen Belize der Kauf des Seekutters das Gespräch des Tages. Als die beiden Ferrentes das Speisehaus „Göttlicher Mais“ beiraten, blickten sich alle Gäste nach ihnen um, weil sie neugierig waren, die Männer zu sehen, die über so viel Geld verfügen konnten. Nur Indios und Mestizen verkehrten hier, wo es die besten Tortillas und Enchilladas in Belize gab. Juan Ferrente trank einen Krug Fruchtpunsch dazu,
dem er selbst ein Glas Rum beigefügt hatte. Teokal hatte sich an der Sodafontäne ein Getränk aus eisgekühltem Bananenbrei und Selterswasser mischen lassen. Zwischen den einzelnen Bissen nahm er sparsame Schlucke und schüttelte den Kopf zu den Empfehlungen des diensteifrigen Kellners, der nicht genug Wunderwässer anbieten konnte. „Reiche Leute müssen auf ihren Verstand achten, Freund!“ sagte er. „Weder Rum noch Gin, noch Brandy werden jemals meine Lippen befeuchten. Auch Maisbier oder Pulque will ich nicht haben. Eure Enchilladas sind herrlich, der Trank ist labend und kühlend. Warum sollte ich mehr begehren?“ Der Besitzer des Speisehauses, kam selbst an den Tisch und sagte vertraulich: „Man spricht von großem Glück beim Perlentauchen. Ich würde keinem alkoholisches Getränk aus Agavensaft das Glück mehr gönnen als euch. Doch euer Reichtum erweckt den Neid und die Begierden…“ Teokal lachte über die Bedenken: „Gerüchte, Freund! Wir haben Perlmutt und kleines Pinkperlenzeug verkauft, und das Geld ist schon wieder weitergewandert. Wenn ein Indio sich bei dir ein einziges Mal im ganzen Jahr Enchilladas leisten kann, dann halten ihn die Schwätzer von Belize für unermeßlich reich. Du kannst uns aber noch eine Platte backen lassen. Wir bekommen Besuch!“ Der Enkel des Kaziken war durch die Hintertür eingetreten und sah sich suchend um. „He, Pablo, komm und nimm an unserer Mahlzeit teil!“ Sie schoben ihm Becher und Teller hin; doch obgleich die Augen begehr-
lich aufleuchteten, wollte er nicht Platz nehmen. Er flüsterte: „Der Kazike und Kururu sind auf dem Wege hierher. Großvater weiß doch, wo die Männer aus Payo Nabisco einkehren, wenn sie nach Belize kommen. Könnt ihr von hier nicht verschwinden?“ Juan Ferrente lachte: „Du bist ängstlich wie ein Gekko im Hüttendach! Kann ich mit unserem früheren Kaziken nicht mehr in derselben Hütte sitzen? Und mit Kururu haben wir nichts zu schaffen!“ Der Kleine sah sich scheu um: „Sie haben Böses vor, die beiden. Sie haben von eurem Reichtum gehört… die ganze Stadt spricht davon. Laßt sie kein Geld sehen!“ Dann eilte er von dannen. Juan seufzte: „Wenn wir nur erst wieder in Payo Nabisco wären! Oder ob sich Pablo einen Spaß mit uns macht?“ Sein Sohn schüttelte den Kopf. „Er scherzt nicht. – In drei Tagen soll erst das Motorboot fertig werden? Wir sollten nicht in Belize bleiben. Vater, du willst doch schon lange deinen Bruder in Tikal besuchen. Wenn wir morgen mit dem ersten Autobus bis Oranje Walk fahren, dann könnten wir vor dem Abenddämmern in Tikal sein. Die Jaguare in den großen Wäldern sind nicht so gefährlich wie die Banditen in Belize.“ „Du hast recht, mein Sohn. Mein Bruder Carlos hat nie wegen meiner Schuld gedrängt. Er wird das Geld aber gebrauchen können, um neues Land zu kaufen. Drüben in Guatemala hat die United Fruit-Company alles Land an den Staat zurückgeben müssen, das sie nicht selbst bebaut.“ „Weil unsere Brüder sich auf ihre eigene Kraft, be-
sannen. Fast 100 000 Hektar können nun an die landlosen und landarmen Bauern verteilt werden. Ich möchte gern das neue Leben in Tikal kennenlernen.“ „So fahren wir morgen bei Sonnenaufgang. Die gute Luft in den Bergen wird mir Erleichterung schaffen.“ Der alte Juan nahm eine neue Enchillada von der Platte und wollte sie zum Munde führen. Da blitzte es plötzlich silbern vor seinen Augen, und genau in der Mitte getroffen, fiel ein Teil des Backwerkes auf den Tisch zurück. Verblüfft starrte er auf das Stück, das er noch in der Hand hielt. Ein schallendes Gelächter ließ ihn aufblicken. Vor ihm stand Kururu und schwang seine meterlange Machete wirbelnd über seinem Haupte. „Gut getroffen, alter Ferrente!“ lachte der Casco. „Da staunt ihr Leute aus Nabisco! Soll ich dir eine Haarsträhne vom Kopfe säbeln, ohne deine verdammte Kopfhaut zu ritzen?“ Teokal stellte sich vor seinen Vater: „Laß die Scherze, Mann mit der Machete! Sonst könnte leicht der Fall eintreten, daß du zum letzten Male mit dem Buschmesser herumgefuchtelt hast.“ „Kururu macht, was er will!“ höhnte der Bandit. „Deine Nase gefällt mir nicht, kleiner Teokal. Soll ich dir ein klein winzig bißchen wegschnippeln? Vielleicht wird sie dann hübscher!“ Die Machete wirbelte jetzt dicht vor dem Gesicht des jungen Ferrente. Da duckte sich der junge Mann blitzschnell, seine Hände faßten den rechten Arm des Zudringlichen, ein kurzer Ruck, und aufschreiend stürzte Kururu zu Boden. Die Machete entfiel der kraftlos gewordenen Hand. Von den anderen Tischen stürzten jetzt Indios herbei, packten den
Friedensstörer und schleppten ihn zum Ausgang. Teokal rief dem Schreienden nach: „Ich habe dir nur den Arm ausgerenkt, Kururu! Willst du mich aber noch einmal mit deiner Machete erschrecken, dann breche ich deinen Arm zweimal, über der Handwurzel und über dem Ellenbogen, damit dir für alle Zeiten das Gefuchtel mit dem Buschmesser vergeht. Betrunkene und Feiglinge kannst du mit deinen Künsten erschrecken, aber keinen Maya, der die alten Ringergriffe kennt!“ Vater Juan freute sich: „Man sieht es deinen Händen nicht an, wie sie zupacken können. Man hört den Kerl noch draußen auf der Straße brüllen. Nun, es wird sich schon ein Barmherziger finden, der ihm den ausgekugelten Arm wieder in Ordnung bringt. Aber zehn Tage wird er friedliche Menschen nicht belästigen können. – Ob das nur Scherz war?“ „Er wollte Streit suchen. Jetzt wird ihm die Lust vergangen sein. Mit dem Kaziken hätte ich noch gern ein ernstes Wort gesprochen. Aber er verschwand wie der Blitz, als der Bandit die Erde küßte.“ Der Gastwirt schlich mit hängendem Kopf herbei. „Schnell greift die Jugend zu!’’ sagte er kopfschüttelnd. „Eigentlich hat der Casco ja nur einen Scherz gemacht. Vielleicht wäre er wieder gegangen, ohne daß etwas geschehen wäre. Nun aber werden die Bandidos kommen und Kururu rächen… Er hat viele Freunde, der Mann mit der Machete, große und mächtige darunter, die ihre Hände über ihn halten, damit kein Polizist an ihn heran kann. Wenn ihr hier bleibt, wird heute noch Blut fließen!“ Vom Nebentisch riefen einige Gäste: „Du bist ein
Feigling, Jago! Dankbar mußt du dem jungen Ferrente sein, weil er den Banditen so schnell auf die Diele gelegt hat. Seine Freunde sollen sich nur hierher wagen! Wir Holzschläger aus den Kordilleren werden sie heimschicken, daß sie das Wiederkommen vergessen!“ „Und dabei geht die Einrichtung meines Gasthauses zu Bruch, wenn sie nicht gar Feuer in die Grasdächer werfen“, jammerte der Besitzer des „Göttlichen Mais“ „Ihr wollt uns also loswerden?“ fragte Teokal. „Gut, macht die Rechnung fertig. Aber laßt es Euch gesagt sein: Es ist eine Schande für ganz Belize, daß ehrliche Menschen vor Banditen weichen müssen!“ „Bravo!“ schrie es vom Nebentisch herüber. „Wo die Ferrentes nicht erwünscht sind, wollen wir auch nicht bleiben. Ihr Freunde aus Payo Nabisco, kommt mit uns! Nach Oranje Walk wollt ihr? Dahin müssen wir auch. Unser Lastwagen steht vor der Tür. Also fahren wir!“ Es war ein großes Opfer, das ihnen die Holzfäller aus den Kordilleren an der Grenze zwischen BritischHonduras und Guatemala brachten. Sie fällten dort in den kaum zugänglichen Bergwäldern für die britische Mahagoni-Gesellschaft die tropischen Edelhölzer und kamen nur alle Vierteljahre einmal nach Belize. Wenn sie jetzt ihren Aufenthalt in der Hauptstadt verkürzten, so verzichteten sie auf vieles, was sie oben in den Bergen niemals finden konnten. Doch die Indios, Neger und Mulatten lachten nur, als Teokal sie bat zu bleiben. „Wir haben genug von Belize, und außerdem geht unser bißchen Geld zu Ende. An den Holzschlägerfeuern hat man erzählt, wie tapfer ein Ferrente für die Rechte
aller Farbigen gegen die weißen Herren eingetreten ist. Wir helfen uns selbst, wenn wir euch helfen!“ Der Lastwagen war ein jämmerlicher Rumpelkasten. Doch er setzte sich nach einigen donnernden Fehlzündungen in Bewegung und schwankte mit der fröhlichen Fracht auf der Ladepritsche die Straße hinauf, gerade in dem Augenblick, als ein tobender Haufe aus einem Seitengäßchen gegen das Gasthaus „Göttlicher Mais“ hervorbrach. „Höchste Zeit!“ brummte ein untersetzter Indio. „Die Bandidos von Belize sind schon mobil. Da scheinen gewichtigere Leute als der freche Kururu am Werke zu sein. Dem Jago vom ,Göttlichen Mais’ wird alle Feigheit nichts nützen!“ Und damit hatte er recht. Nicht einmal die Sodafontäne im Speisehaus blieb verschont, und erst als die Banditen erfahren hatten, wo die Ferrentes geblieben waren, verließen sie die Trümmerstätte, um die Verfolgung aufzunehmen. Davon ahnte die Reisegesellschaft auf dem alten Lastwagen nichts, als dieser durch die eintönigen Bananen- und Pampelmusenkulturen des Tieflandes rollte. Große Geschwindigkeit gab der Motor auf der holprigen Straße nicht her, und als die ersten Kurven in den Vorbergen durchfahren waren, dampfte der Kühler, und aus dem Verschluß zischte es in langen Strahlen. „Bis Wipers Row noch!“ schrie der Chauffeur aus dem Fahrerkasten. „Dann müssen wir Pause machen, am besten wohl bei dem alten Mironda. Der hat bestimmt noch etwas für uns Holzschläger und ist nicht böse, wenn wir ihn aus dem Schlaf klopfen!“
Wipers Row war eine kleine Indiosiedlung am Fuße der Grenzkordilleren. Hier regierte weder die Fruitnoch die Mahagoni-Gesellschaft. An dem ausgebeuteten Buschwalde hatten beide kein Interesse, und so konnte hier unbehindert eine kleine Dorfgenossenschaft ihren Mais und ihre Bataten bauen. Vorsteher war Mironda, der sich der Herkunft von kühnen karibischen Seefahrern rühmte, obgleich er jetzt zwischen dem Tiefland und den Bergen ein einfaches Gasthaus betrieb. Die Briten glaubten, in ihm einen ergebenen Untertanen der Kolonialherrschaft gefunden zu haben. Die Bewohner der unwegsamen Grenzgebirge und die ausgebeuteten Arbeiter der Bananenplantagen wußten aber, daß sie dem Alten voll und ganz vertrauen konnten. Als der Lastwagen keuchend und polternd vor Mirondas Hütte hielt, kam der Wirt aus dem Patio, dem Hof, herbeigeschlurft und stellte zunächst einmal, mit den Augen blinzelnd, fest, wer seine späten Gäste sind. Er krächzte: „Eingetreten, liebe Freunde! Soeben erhielt ich Botschaft von eurem Kommen. Ihr habt gute Menschen mitgebracht, ihr Holzwürmer von der Mahagoni? Recht so, die tapferen Ferrentes wollte ich schon lange kennenlernen. Seid willkommen, Juan und Teokal Ferrente!“ Der alte Perlenfischer fragte überrascht: „Aber woher weißt du, wertester Mironda, daß wir mit den Freunden Holzschlägern gefahren sind?“ Er sah sich aufmerksam um. „Ich sehe keinen Draht, der zu dieser Hütte führt. Also kann keiner über ihn zu dir gesprochen haben.“ „Was brauchen wir die Künste der Weißen, wenn wir
andere besitzen!“ erwiderte der alte Indio. „Rühmt ihr Ferrentes euch nicht der Herkunft von den weisen Mayas? Habt ihr nie etwas von dem Kambarysu gehört, von dem Geheimnis des Trommelschalls, der – unhörbar dem Uneingeweihten – dem Wissenden verkündet, was in der Ferne geschieht?“ Teokal rief verwundert aus: „Steht hier ein Kambarysu? Ich weiß, wie er gebaut wird. Aber ich habe noch keinen in Tätigkeit gesehen. Die große Kunst ist bei uns in Payo Nabisco verlorengegangen.“ „Dann wird es Zeit, daß ihr sie wieder lernt!“ Der alte Karibe winkte den beiden Ferrentes, ihm zu folgen. Zu den Holzschlägern sagte er: „Ihr wißt, wo ihr Labe für euer schweres Leben findet. Bedient euch und folgt uns in den Patio, ohne Lärm zu machen. Ich erwarte neue Botschaft über Kururu und seine Bande. Vorläufig grölen sie noch besoffen in Belize, weil sie zuviel im ,Göttlichen Mais’ getrunken haben. Der geheime Kambarysu meines Freundes Telteke in Belize will mir genau die Stunde der Abfahrt melden.“ „Sie wollen uns in die Kordilleren folgen?“ fragte Juan erschrocken. „Gern tun sie es nicht!“ berichtete Mironda. „Nur die allerschlimmsten Banditen von Belize hat der Mann mit der Machete für das Abenteuer werben können. Warum hast du dem Lumpen nicht die Knochen gebrochen? Er kann zwar mit seiner Rechten nicht mehr die Machete schwingen, aber die Mäquina, die Pistole, regiert er mit der Linken. Zertreten soll man solches Gewürm wie den giftigen Tausendfuß. Junger Teokal, hast du das noch nicht gelernt?“
Sie hatten inzwischen den Hof des Rasthauses erreicht. Schwaches Licht fiel von Mond und Sternen herab. Mironda hob von dem Brunnenaufsatz eine Lederdecke ab, schraubte schnell die Wasserröhre aus und hockte sich dann am Rande des Beckens nieder. „Ich muß meinen Kambarysu vor den Augen der Späher verbergen. Am Tage fließt hier das kühle Bergwasser in die Brunnenschale. Doch nachts bringt mir der klingende Baum die Nachrichten aus Belize und den Kordilleren, aus Britisch-Honduras und Guatemala. Hundert wohl sitzen im Verborgenen am Kambarysu und geben Botschaft. Und wie also baut man den Kambarysu?“ wandte er sich an Teokal. Der berichtete eifrig: „Eine Erdgrube muß man ausheben, deren Seiten genau nach den Himmelsrichtungen weisen, zwei Meter tief, bis man auf den gewachsenen Grund stößt. Dann füllt man in Schichten Kiesel, zerstoßene Knochen, Tierhaare – die vom Jaguar sind die besten –, roten Pfeifenton, feinen Bachsand und angeglühte Holzkohle um einen ausgehöhlten Stamm…“ „Von welchem Baume?“ fragte der Wirt. „Die Briten nennen ihn Eisenholz… wir Kambarysu!“ „Gut, mein Sohn! Vergiß aber nicht, daß die tönenden Stämme gleichaltrig sein müssen. - Schweig! Er beginnt zu sprechen.“ Sie neigten alle drei die Köpfe über die Grube, und da vernahmen sie ein tönendes Summen und leises Klopfen, wie aus einer Geisterwelt zu ihnen dringend. Mironda legte einen seiner löffelförmigen Schläger an den ausgehöhlten Stamm und schien jetzt mit den Fin-
gern zu fühlen, welche Nachricht übermittelt wurde. Ab und zu trommelte er kurze Wirbel auf das tönende Holz, wenn eine Pause in der Übermittlung eintrat Dann ließ er seine Hände in den Schoß sinken und übersetzte die Botschaft aus Belize. „Die Banditen von Belize haben von der United Fruit einen großen Lastwagen erhalten. Sie streiten sich noch um den Kopfpreis für euch beide… Eine wunderbare Perle soll in eurem Besitz sein, Brüder… Houston Grebb verspricht sie dem Lumpengesindel… Kururu macht trotz seiner Schmerzen den Spürhund… Die Hafenpolizeiwache hat den Banditen Maschinenpistolen und Handgranaten übergeben… Betrunken wie die Schweine in einer Rumfabrik sind sie jetzt abgefahren… Richtung Wipers Row… In einer Stunde vielleicht können wir sie erwarten.“ Leise waren die Holzschläger näher getreten und hatten mitgehört. Der untersetzte Indio bat: „Mironda, gib Nachricht an unsere Brüder in den Kordilleren. Sie möchten bereitstehen in den engen Straßenkehren von Oranje Walk, nicht mit den schweren Äxten, nur mit den Blasrohren und den Eisenholzbogen. Wir wollen die Totschläger der United Fruit-Company gebührend empfangen!“ „Wacht ihr endlich auf?“ rief der alte Wirt vergnügt. „Macht ganze Arbeit, Brüder! Erst die Banditen aus Belize, dann die Bluthunde der United Fruit und endlich die Rotröcke des britischen Gouvernements… Dann sind wir sie los, die Blutsauger, und wir gründen einen karibischen Freistaat, wo Recht nicht mehr Unrecht heißt!“
Während Mironda auf dem tönenden Stamm zu trommeln begann, um seine Nachrichten den lauschenden Freunden in der Nähe und in der Ferne zu übermitteln, fragte Teokal leise: „Werden sie hören?“ „Aufflammen wie das Feuer in den Glutbergen der Kordilleren werden sie, wenn sie erfahren, daß es gegen die Pest unseres Landes, gegen die United Fruit geht. Da ist doch keiner in den Bergen, der nicht aus der Sklaverei der UFC geflohen ist, Freund. Freiheit oder Bananen! Heißt so nicht euer Losungswort? Droben in den Urwäldern der Kordilleren haben sie es übersetzt: Freiheit oder Mahagoni… und Freiheit oder Chicle. Die Holzschläger und die Chiclesucher werden für Teokal Ferrente einstehen, als wenn es ihr Blutsbruder wäre, weil er es gewagt hat, den Kampf mit den Dieben unseres Reichtums aufzunehmen.“ „Lobt mich nicht zu sehr!“ warf Teokal bescheiden ein. „Ich habe nur das Recht unserer Dorfgenossenschaft zu verteidigen.“ „Aber du warst der erste, der nicht wie ein räudiger Hund kuschte… Still… der Kambarysu sagt, die Banditen haben Belize verlassen… Hinter ihnen her jagt ein Wagen der Rotröcke, der Honduras-Polizei. Nein, nicht um sie zurückzuholen. Der Polizeicaptain hat befohlen: ,Die Empörer Vernichten! Zur größeren Ehre Ihrer Majestät!’ Ich würde euch raten, aufzubrechen!“ Doch es dauerte lange, bis der Motor wieder ansprang. Als sie die ersten Kehren der Bergstraße überwunden hatten, sahen sie, wie sich die leuchtenden Scheinwerfer zweier Wagen Wipers Row schnell näherten. „Der Teufel soll den Karren holen!“ fluchte der
Fahrer. „Sie kriegen uns, noch ehe wir das erste Holzschlägerlager im Urwald erreicht haben. Companieros, steht dort nicht Stahldorn am Hang?“ Als er bremste, schwangen sich bereits fünf Fäller über die Seitenbretter, und der klirrende Axtschlag verriet, wie sie dem Stahldorn zu Leibe gingen. Mit blutenden Händen schleppten sie die Äste herbei, zerhackten sie und versenkten sie so in den Straßensand, daß nur die Spitzen der eisenfesten Dornen aus den Fahrspuren hervorragten. „Fahr langsam!“ befahl einer. „Wenn sie ihr Wild so nahe sehen, dann legen sie noch drei Zähne drauf, um uns zu kriegen. Und das übrige werden die Stahldornen besorgen.“ Der Fahrer erwiderte: „Laß deine klugen Ratschläge! Der Karren will sowieso nicht mehr. Zweitausend Yard schafft er vielleicht noch… aber dann sind wir mitten im Urwald. Sollen uns dort erst einmal finden!“ Eine weitere Unterhaltung war nicht mehr möglich. Der Motor dröhnte, als wollten sich jeden Augenblick Kolben und Zylinder voneinander trennen. Pfeifend schoß der Dampf aus dem Einfüllstutzen des Kühlers. Einen Augenblick blieb das Fahrzeug in einer Spitzkehre stehen. Ein Indio rief: „Sie halten unten bei Mironda. Los! Bis zur Abzweigung nach Oranje Walk wird es die ,Kaffeemühle’ wohl noch schaffen. Dann fährst du geradeaus, und wir schlagen uns in den Wald!“ „Wenn sie über die Stahldornsperre hinwegkommen!“ knurrte der Fahrer und trat noch einmal auf die Kupplung.
Juan Ferrente bat: „Laßt uns aussteigen! Euch werden die Lumpen nichts tun!“ „Uns nur die Knochen zerschlagen, wenn wir nicht sagen, wo ihr geblieben seid“, schrie einer der Holzfäller. „Ihr Ferrentes, wir bleiben zusammen, und wir werden die Banditen und die Polizisten heimschicken, daß sie das Wiederkommen vergessen!“ Der Lastwagen keuchte weiter durch die Spitzkehren. „Sie kommen!“ rief der Fahrer. „Über Mirondas Hüttendach schlagen Flammen empor! O ihr verdammten Hunde!“ „Rache für Vater Mironda!“ gellte es durch die Nacht. „Die Brandbombe soll euch teuer zu stehen kommen!“ „Runter von der Ladepritsche!“ befahl der Chauffeur. Er neigte sich weit aus der Kabine und starrte in die Tiefe, wo die Lohe des Brandes immer höher schlug. „Verdammte Hunde! Von Hunden gezeugt… nicht wert, Menschengesicht zu tragen! – Alte Blechliese… nur noch bis zur nächsten Spitzkehre!“ Das war an seinen Wagen gerichtet. Ächzend und knatternd holperte er die Steigung weiter hinauf, zum Kamm der Kordilleren. Die Holzfäller und die beiden Perlenfischer standen in einer Lichtung und schauten hinab auf das Schlangenband der Bergstraße, das geisterhaft von dem zuckenden Brande in Wipers Row beleuchtet wurde. Durch die Kurven schossen die Lichter der beiden verfolgenden Kraftwagen. Ihnen schien die Steigung wenig auszumachen. Nur in den Kehren wurde die rasende Hast etwas gestoppt. Und mit 40 Meilen Geschwindigkeit raste der vordere Wagen in die Zone, die mit den har-
ten Spitzen des Stahldorns verseucht war. Die Beobachter sahen, wie der Wagen – durch die platzenden Pneus – nach rechts und links geschleudert wurde, vom gähnenden Schlund links weggerissen, rechts gegen die Böschung prallte und sich langsam im Lichtkegel der Scheinwerfer des folgenden Fahrzeuges auf die Seite legte. Dann schoß eine grelle Stichflamme auf und beleuchtete ein Gewimmel von Körpern, die sich über die Seitenbretter des Ladekastens schwangen. „Fressen soll sie das Feuer!“ Ein Indio schrie es durch die Nacht. Juan Ferrente sagte leise: „Wenn es nach unseren Wünschen gehen würde!“ Ein anderer setzte hinzu: „Brüder, nur eine Pause! Der zweite Wagen hält vor der Sperre… Sie machen die Straße frei. Daß ihnen die Hände verdorren möchten! – Brüder, wir müssen gehen. Ob wir unsere Freunde finden werden?“ Sie schritten im Indianermarsch, einer hinter dem anderen, den vernachlässigten Fahrweg hinauf, der hier von der Hauptroute abzweigte. Über ihnen schloß sich dicht das Gewölbe der riesigen Urwaldbäume, durch deren Geäst kaum ein Mondstrahl dringen konnte. Teokal verhielt den Schritt und lauschte: „Brüllaffen schon hier an den Hängen der Kordilleren?“ Der Obmann der Holzschläger lachte auf: „Kleiner Ferrente, du magst die Stimmen des Meeres kennen. Von denen des Waldes verstehst du nichts. Sie sind nahe, unsere Helfer, die besten, die wir uns denken können… Waldindios; freie Männer im wilden Gestrüpp. Mironda hat sie mit dem Kambarysu gerufen.
Ich antworte!“ Er legte beide Hände zu einer Muschel vor dem Mund zusammen und schrie unverständliche Worte hinein. Der Schall brach sich unter den Wipfeln der Baumriesen, und das Getön klang weit die Hänge empor. „Schneller!“ mahnte der Obmann. „Unser Wagen hat keine Fahrt mehr. Geklapper und Ächzen sind verstummt. Nun brummt der Feind die letzte Kehre herauf. Die Götter des Waldes sollen ihn mit Blindheit schlagen!“ Wie Trauben hingen rechts und links an dem Alarmwagen der Belizer Polizei die Gefährten Kururus, die nach der Havarie ihres Fahrzeuges noch kampffähig waren. Der Casco, der neben dem Fahrer saß, fluchte aus Leibeskräften über die unwillkommene Überraschung. „Drei Armbrüche und ein Schenkel kaputt! Wer bezahlt mir den Schaden, den meine Bande erlitten hat? Die Ferrentes etwa? Hier beginnt der Urwald, und wenn sie ausgestiegen sind, dann können wir sie suchen, bis – halt! Bremse schneller, Schurke von Polizist! Zurück den Wagen bis… hierher!“ Er sprang aus dem Fahrerhaus und beugte sich stöhnend zur Erde. „Da, eine Machete, wie sie die Holzfäller gebrauchen… und hier sind viele Stapfen im Sand! Die Narren wollen uns irreführen? Wenn ihr auch Kururus Schulter verrenkt habt, seine Augen habt ihr nicht stumpf gemacht. Dort, den Weg am Hang hinauf haben sie genommen. Sie stecken in der Falle. Über die Schlucht bei den Wasserfällen von Walk-River kommen sie nicht mehr hinaus. Macht die Mäquinas klar und schießt jeden zum Sieb, der im Scheinwerfer-
licht zu erkennen ist!“ Mit wildem Geheul begrüßten seine Gefährten die Weisung. Langsam rollte der Wagen in den düsteren Tunnel, den die Urwaldbäume bildeten. Tausend Yard waren erst zurückgelegt, da zog der Fahrer die Bremsen und erklärte: „Aus mit der Tour! Das Gestrüpp wickelt sich um die Achsen, die Fahrbahn wird sumpfig. Möchte nicht tausend Fuß seitwärts abrutschen. Raus mit euch, Burschen. Hier kommt man nur noch zu Fuß vorwärts!“ „Feigling!“ keifte Kururu. „Wenn ihr Rotröcke nicht wollt, werden wir euch mal zeigen, wie der Wolf die Schäflein aus dem Walde holt!“ Die Polizisten blieben sitzen. Die Banditen machten ihre Pistolen und Maschinenpistolen schußfertig und folgten Kururu, der wie ein Spürhund den Fährten – deutlich gekennzeichnet durch umgetretene Gräser und geknickte Schößlinge – nachging. „Nicht zögern… sofort schießen, wenn ihr ein Ziel seht!“ wies er die Mitglieder seiner Bande an. „Keine Furcht! Was werden sie schon haben? Einen verrosteten Colt oder allenfalls eine Pistole mit sieben Patronen. Gefährlich werden können uns nur die Macheten. Daher knallt ab, was ihr auf dem Wege seht!“ Er lauschte und fuhr fort: „Sie haben die Brüllaffen aufgescheucht, kreischen wie Satanas im Schwefelbade. Die verdammten Söhne der Hündinnen werden bald selber so schreien, wenn sie fünf Lot Blei im Bauche haben! Was hast du, Pargan?“ Ein riesiger Schwarzer neben ihm schrie, als sei ihm ein Spieß durch den Leib gerannt worden. Der Casco ließ seine Stableuchte aufflammen. Im Oberschenkel
seines Gefährten steckte ein meterlanger Pfeil, mit Geierfedern geschäftet, der das Bein fast durchbohrt hatte. Während Kururu noch verblüfft auf die Wunde starrte, aus der stoßweise das Blut drang, brüllte bereits ein zweiter Bandit auf. Ein Pfeil hatte sich in seine rechte Schulter gebohrt Die Widerhaken saßen fest, und das Geschoß ließ sich nicht entfernen, so sehr auch der Getroffene an dem Schaft rüttelte und zog. „Schießt!“ schrie Kururu mit überkippender Stimme. „Waldindios… Zerschmettert die Burschen!“ Die Maschinenpistolen knatterten, einige Wurfgranaten flogen in die pechschwarze Finsternis des Unterholzes, zersprangen donnernd, und ein morscher Urwaldriese brach prasselnd und dröhnend zusammen. Aus den Baumwipfeln höhnten aufgeregte Brüllaffen. „Vorwärts, drauf auf die Lumpen!“ befahl Kururu. Er hatte sich vorsichtig in den Hintergrund zurückgezogen. Als er aber jetzt seine grelle Stableuchte aufflammen ließ, sah er, daß alle seine Helfer Deckung hinter den Stämmen oder in dem dichten Gebüsch gesucht hatten. Und da klangen neue Schmerzensschreie auf. Ein Bandit brach zusammen, von einem Pfeil mitten in die Brust getroffen; einem anderen wurde von dem lautlosen Geschoß die Wange aufgerissen. Schnell knipste Kururu seine Leuchte aus; aber die unsichtbaren Schützen hatten ihn schon erspäht. Er hörte ein leises Sirren und verspürte einen leichten Schlag gegen den dicken Schulterverband, der das ausgekugelte Gelenk schützte. Als er mit zitternden Händen dorthin tastete, fühlte er einen halbspannenlangen Holzsplitter, dessen Ende ein kleines Federbündel um-
gab. Dem Mann mit der Machete lief es kalt über den Rücken. Das war ein Geschoß aus einem Blasrohr, sicher vergiftet mit dem todbringenden Harz, das die Waldindianer aus den Giftbäumen der Kordilleren zu gewinnen verstanden. Er hob seine Pistole und schoß sinnlos das ganze Magazin leer; denn in der lastenden Dunkelheit war kein Ziel zu erkennen. Dann rannte er geduckt zurück, dahin, wo er den Polizeiwagen wußte. Immer wieder glaubte er das unheimliche Sirren winziger Geschosse zu hören. Er war froh, als er die Scheinwerfer hinter der Bergnase aufleuchten sah. Es waren mehr geworden. Ein zweiter Alarmwagen der Honduras-Polizei hatte sich hinzugesellt, und zwischen beiden stand – zusammen mit dem Polizeihauptmann – Mister Houston Grebb, der sich von dem bisherigen Verlauf der Jagd berichten ließ. Sein Wagen hatte Pech gehabt. Er war an einer Sumpfstelle des Weges bis über die Achsen eingesunken. Fluchende Rotröcke bemühten sich, ihn wieder herauszuziehen. Houston Grebb hatte das Knallen der Pistolen und das Krachen der Wurfgranaten gehört Er schien mit dem Verlauf nicht einverstanden zu sein. „Da vorn widersetzt man sich offenkundig unseren Hilfskräften. Ich kalkuliere, nun müßte Ihrer Majestät Honduras-Polizei an die Front, um den letzten Widerstand zu brechen.“ „Es sind zwanzig Schwerbewaffnete bei Kururu. Die werden wohl mit den paar Holzschlägern und den beiden Ferrentes fertig werden“, erwiderte der Polizeihauptmann. „Aber da kommt ja… natürlich… Kururu! He, Bursche, was habt ihr da vorn wie wild zu knallen?!“
Der Mann mit der Machete lehnte schwer atmend an dem ersten Wagen. Die Wartenden sahen, daß sein Gesicht aschgrau war. Mühsam formte er die Antwort: „Waldteufel gegen uns… hier…“, und er hielt den Weißen den winzigen Blasrohrpfeil entgegen. „Schaut nach, ob meine Haut geritzt ist!“ Wild zerrte er an den Binden des Verbandes. „Hier traf es mich…“ Er hatte Glück gehabt. Keine Ritzstelle war auf der Geschwulst zu erkennen. Mit größerer Fassung berichtete er weiter: „Pfeile aus dem Walde… aber kein Bogenschütze zu erkennen. Jetzt kommen sie noch mit Blasrohren… Haut ab, wenn euch euer Leben lieb ist!“ Der Polizeihauptmann machte ein ernstes Gesicht: „Suchscheinwerfer einschalten!“ befahl er. „Ausschwärmen! Feuer auf alles, was sich im Walde zeigt!“ Dann wandte er sich zu Grebb: „Ein verdammter Zauber, in den wir hineingeraten sind. Eisenholzbogen und Blasrohre sind im Urwald gefährlicher als Maschinengewehre und Haubitzen: kein Abschuß zu hören, kein Schütze sichtbar. Viele Verluste da vorn?“ wandte er sich an Kururu. „Sie fallen wie die Fliegen!“ ächzte der Casco. „Schickt Unterstützung… oder ihr werdet keinen Mann aus meiner Bande mehr wiedersehen!“ „Was das schon für ein Schaden wäre!“ höhnte der Polizeihauptmann. Er hielt das winzige Giftgeschoß zwischen seinen Fingern. „Auch ein Segen der United Fruit, Mister Grebb! Eure Kontraktarbeiter aus Brasilien haben diese Kunst hierher nach Britisch-Honduras gebracht. Eine Spur von dem Pfeilgift im Blut, und schon beginnt die Muskelstarre, bis endlich das Herz
ergriffen wird. He, Boys! Stellt endlich den Wagen wieder auf die Räder, damit wir zurück können. Und wenn es nicht anders geht, schmeißt ihn den Steilhang hinab. Jetzt geht es um das bißchen Leben, Jungs!“ Gerade in diesem Augenblick kamen die Gefährten Kururus, die sich noch auf den Beinen halten konnten, in wilder Flucht den Pfad zurückgestürmt. „Tausend Teufel im Busch!“ schrie einer. „Schießt… sie sind uns auf den Fersen!“ Das Maschinengewehr auf dem Verdeck des Wagens legte mit einer Garbe die letzten Flüchtenden um, als sie die schützende Felsnase umgangen hatten. Aber es zeigten sich keine Verfolger im grellen Lichte der Suchscheinwerfer. Krachend kippte jetzt der zweite Wagen den Hang hinab, der vorderste fuhr langsam und vorsichtig im Rückwärtsgang um das Sumpfloch. Die ausgeschwärmten Polizisten folgten ihm, immer wieder kurze Feuerstöße in den dunkel drohenden Wald hineinjagend. Aber ehe sie noch die Hauptstraße erreicht hatten, fuhr einem Rotrock ein meterlanger Pfeil durch den Halskragen, und ein anderer winselte erbärmlich um Hilfe, nachdem er aus den feisten Genickfalten einen winzigen Federpfeil gerissen hatte. Grebb hatte den Kragen seines Mantels trotz der dunstenden Schwüle im Walde aufgerichtet, den breitrandigen Hut bis über die Ohren gezogen und versuchte in den langsam zurückrollenden Wagen einzusteigen. Aufschreiend flüchtete er, als plötzlich ein langer Pfeil zischend den Verdeckbezug durchbohrte. „Sie schießen auf die Polizei, auf Ihrer Majestät Polizei!“ kreischte er. „Feuer aus allen Rohren auf das Gesin-
del!“ „Funkt um Hilfe! Funkt um Hilfe!“ befahl der Polizeihauptmann. Der Fahrer kurbelte die Seitenscheibe herab: „Schon geschehen! Verstärkung wird in zwei Stunden hier sein!“ „Dann nichts als abhauen!“ Ein Pfeil blieb mit zitterndem Schaft in der Wagenspur stecken. „Sie müssen uns verdammt nahe auf dem Pelz sein… und nichts zu sehen… Endlich, da ist die Hauptstraße!“ Schrille Signalpfiffe riefen die Polizisten herbei. Houston Grebb war zufrieden, daß er noch einen Stehplatz zwischen den Bänken bekommen konnte. Auch Kururu hatte sieh in das Wageninnere gedrängt. Die Mitglieder seiner Bande aber wurden roh zurückgestoßen, und die Pistolenkolben hieben auf ihre Fingerknöchel ein, bis sie die hölzerne Wagenklappe losließen und in den Sand der Straße taumelten. Das Fahrzeug hatte gewendet und schoß die Bergstraße hinab. Verzweifelnd, jammernd oder wütend heulend, stürmten ihm die Banditen nach, um sich so schnell wie möglich aus der Reichweite der stummen Schützen zu retten. Es verging eine lange Zeit, bis die ersten Holzschläger die breite Höhenstraße betraten. Die beiden Ferrentes folgten ihnen, begleitet von zehn mit großen Bogen und langen Blasrohren bewaffneten Waldindios. Teokal wies auf den davonjagenden Polizeiwagen, der in wilder Hast die Kehren durchbrauste: „Das waren außer den zwanzig Banditen Kururus gut vierzig Polizisten, die vor sieben Eisenholzbogen und drei Blasrohren geflüchtet sind! Dank euch, Brüder, daß ihr gleich dem Hilferuf des Kambarysus gefolgt seid. Aber nun
kommt mit uns über den Grenzkamm nach Guatemala; denn morgen früh wird es hier von HondurasPolizisten wimmeln. Die mögen dann die Verwundeten auflesen. Sie werden Wunderdinge über die Schlacht im Urwald berichten. Um so sicherer könnt ihr nach einigen Wochen wieder eure Jagdzüge durch die Kordilleren aufnehmen. Die Polizei und die Belizer Banditen werden sie meiden wie die Pest!“ Einer der Holzschläger lachte: „Ich wollte mir immer eine schwere Pistole kaufen; aber nun übe ich mich im Bogenschießen und ziele mit dem Blasrohr! Ihr wollt den Klettersteig über den Grenzkamm einschlagen? Gut, wir suchen unseren Wagen. Weit wird er mit dem überanstrengten Motor nicht gekommen sein. Was wir der Polizei sagen werden? Nichts! Wir haben von der ganzen Geschichte nichts gesehen. Aber in Honduras und Guatemala wird man über die Flucht der Polizisten so lachen, daß sie schamrot werden wie ihre Röcke. Freund Teokal, in dieser Nacht haben wir bewiesen, was einige entschlossene Männer gegen unsere Unterdrücker ausrichten können. Die Vereinigte Frucht-und die Vereinigte Mahagoni-Gesellschaft werden es bald merken, daß ein anderer Wind von den Bergen zum Karibischen Meer bläst!“ Obgleich die Polizisten zu strengstem Stillschweigen verpflichtet waren – die Banditen hatten auf ihrem mühsamen Fluchtmarsch Belize noch gar nicht erreicht – , wußte in den frühen Morgenstunden bereits jeder der 20 000 Einwohner Belizes, was geschehen war. Houston Grebb schimpfte sich im Hause des Kronrichters die Wut über die erlittene Niederlage gründlich
vom Herzen. Obgleich sich sein Kammerdiener alle Mühe gegeben hatte, sah der Yankee wie ein zerrupfter Seerabe aus. „Auf mich zu schießen!“ fauchte er. „Keinen Zoll von meinem Kopfe entfernt fuhr der Mordpfeil durch das Wagenverdeck. Das sollen mir die Ferrentes büßen! Sie müssen sofort Anklage erheben, Townsbridge! Wegen Mord, Aufruhr, Hochverrat… Auf jedem steht der Strang! An den Galgen mit den Schurken!“ Der Kronrichter versuchte, ihn zu beruhigen: „Aber warten Sie doch erst einmal das Ergebnis der Untersuchung dieses sehr, sehr bedauerlichen Zwischenfalles ab. Die Hälfte unserer gesamten Streitmacht ist augenblicklich auf dem Wege zum Kampfplatz, um diese unverschämten Empörer gegen Ihrer Majestät Obrigkeit in Haft zu nehmen. Bis jetzt wissen wir noch nicht, ob die Ferrentes überhaupt an dem Aufstandsversuch teilgenommen haben.“ „Natürlich haben sie!“ brüllte Grebb los. „Kururu kann Ihnen sagen…“ „… daß er niemanden im finsteren Urwald gesehen hat! Das hat er im Kreuzverhör bereits zugegeben. Die Ferrentes befinden sich in Tikal, jenseits der Grenze, wie wir eben durch ein Telegramm erfahren haben. Sie wollen von nichts wissen. Die Holzschläger sitzen in ihren weltverlorenen Waldlagern und behaupten, keine Ahnung von der Schlacht im Bergwalde zu haben. „Und schon zwei Stunden vor Sonnenaufgang erzählten unsere Kontraktarbeiter im Hafen die Geschichte mit allen Einzelheiten: daß die Gefährten Kururas überfallen wurden, die Honduras-Polizisten unter Zu-
rücklassung eines Alarmwagens flüchteten und die Maschinengewehre und Maschinenpistolen der bewaffneten Kolonialkräfte machtlos waren gegen die verdammten Eingeborenen mit ihren Eisenholzbogen und Blasrohren. Eine Schande für die Regierung der Kronkolonie Honduras, sage ich Ihnen, Townsbridge! Wenn ihr die Ferrentes nicht zum abschreckenden Beispiel vor der britischen Wappensäule henkt, dann könnt ihr in Belize einpacken, Sir Kronrichter! Das sage ich euch, Houston Grebb, der verdammt gut weiß, wie Aufstände gemacht werden!“ Wütend stülpte er seinen breitrandigen Filz auf und stürmte aus dem Zimmer. Draußen erwartete ihn seine Leibgarde, vier Männer, die nicht nur mit den Fäusten gut umzugehen wußten. Die schiefsitzenden Leinenjacken verrieten allzugut, wo sie die untergeschnallten schweren Pistolen trugen. „Würde mich heute nicht allzuviel in Belize zeigen, Chef!“ knurrte der eine, während sie zu dem vor dem Portal parkenden Rolls-Royce schritten. „Werden gefrotzelt, wo wir uns sehen lassen. Die Farbigen werden frech!“ „Dann schlagt dazwischen!“ Grebb zog seinen Hut tief in die Stirn, als er sich in die Polster des Wagens warf. „Wofür bekommt ihr eigentlich euren Lohn, Boys? Gestern abend wart ihr nicht aufzufinden…“ „Waren zu Besuch auf ,Lonny VIII’, dem Bananendampfer, nachdem der Dienst erledigt war. Wollen auch mal privat sein!“ maulte einer. „Das hört jetzt auf!“ befahl der Beauftragte der United Fruit. „Ich kalkuliere, es kommen schwere Tage für mich.“ Der Wagen rollte bereits über den Marktplatz.
In einer Ecke hatte sich eine große Menschenmenge versammelt. Auf einigen zusammengeschobenen Tischen standen dort vier Musikanten, zwei bliesen die langen Nasenflöten, zwei schlugen die Handtrommeln. Die Umstehenden sangen zu der seltsamen Melodie so andächtig, als sei es ein Kirchenpsalm. „Halten!“ befahl Grebb. „Was haben die zu krähen?“ Es war kein gutes Englisch, es war das eigentümliche Sprachgemisch, das von den Eingeborenen und den Kontraktarbeitern in Belize gesprochen wurde. Aber die Amerikaner verstanden die Worte gut: „Einmal werden wir jagen die Schurken der UFC. Vorbei dann die tausend Plagen und unser schlimmes Weh… Und im Sturm voran unsre Fahnen… Freiheit oder Bananen!. Freiheit oder Bananen! Nieder mit der UFC!“ „Das ist doch…“ rief der Yankee. „… das verbotene Lied!“ ergänzte einer seiner Begleiter. „Schönen Zug habt ihr in der Kolonne, Mister Grebb! Das sind alles Kontraktarbeiter von der United Fruit, die da singen. Hört mal, neuer Vers wohl?“ Begeistert sangen die Versammelten: „Einer ist schon gelaufen, Mister Grebb von der UFC… Gelaufen ohne verschnaufen, von den Bergen bis Belize… gelaufen vor unseren Fahnen… Freiheit oder Bananen… Freiheit oder Bananen!… Nieder mit der UFC!“ „Auseinander! Auseinandergehen!“ brüllte Grebb, während die Musikanten die Überleitung zu einer neuen Liedstrophe spielten. Da hatten viele der Sänger schon den Wagen erkannt. Faule Bananen und angeschimmelte Pampelmusen schleuderten sie gegen den Rolls-Royce. Der Fahrer gab Vollgas und raste die
Parkavenue hinunter. Er minderte das Tempo erst, als er in den mauerumwehrten Sitz der UFC-Direktion abbiegen konnte. „Tor schließen und Wachen auf die Mauern!“ keuchte Grebb, als er sich aus dem Wagen schob. Dann stürmte er in sein Büro und rief den Kronrichter an: „Eure verdammte Vertrauensseligkeit! Wollt ihr Briten dadurch auch noch diese Kolonie verlieren? Der Aufstand ist schon im Gange! Schlachtkreuzer müssen her, und Schnellfeuer aus Siebenzollrohren auf die Revolutionäre! – Was geschehen ist, Townsbridge? Sie singen auf dem Markte am hellen Tage das verbotene Lied über die UFC! Wie bitte?… Ihr hättet das nicht verboten? Nur unsere Generaldirektion?… Ja, zum Donnerwetter, ist das etwa nicht dasselbe?… Und außerdem, irgend so ein hondurenischer Wald- und Wiesendichter hat neue Spottverse über mich, jawohl, über Houston Grebb von der UFC verbrochen, und die grölen sie nun, was die Kehlen hergeben. Mit faulen Bananen und Pampelmusen haben sie nach mir geworfen!… Sir, das sind keine gefährlichen Waffen? Tausend Pfund unseres Abfalls auf Ihren Kopf, dann werden Sie anders denken!… Der Auflauf ist schon zerstreut? Was nützt das mir? Sicherheit will ich, hundertprozentige Sicherheit! Und die wird mir erst dann garantiert, wenn die Ferrentes hängen! – Ja, wenn sie auch in Tikal sind, die geistigen Urheber bleiben sie doch!“ Von all diesen Vorgängen ahnten Juan und Teokal nichts, als sie nach drei Tagen wieder nach Belize zurückkehrten, um das Motorboot zu übernehmen. Sie verließen schon in Wipers Row den klapprigen Omni-
bus, um den alten Mironda aufzusuchen und ihm für seine Hilfe Dank zu sagen. Sie glaubten, eine verkohlte Brandstätte vorzufinden. Um so erstaunter waren sie, als sie sahen, wie fleißige Hände gerade die letzten Riedbündel auf dem neu gerichteten Dachfirst festbanden. Der Beherrscher des Kambarysus musterte eben einige neue, kunstvoll geflochtene Grasmatten. „Seid mir gegrüßt, ihr Ferrentes!“ lachte er ihnen entgegen. „Schaut, wer anderen hilft, hilft sich selbst! Brüder, ich wollte schon lange ein neues Haus bauen. Als die Freunde in den Plantagen und in den Kordilleren hörten, was mir geschehen war, kamen sie in Scharen herbei, und nun steht schon die neue Hütte, größer und schöner als die alte Rauchkate. Trotzdem aber habe ich Klage erhoben, gegen Kururu und seine Banditen. So sehr auch der Polizeimeister um Schönwetter bittet, hinter meiner Klage stehen alle, die nach Freiheit rufen.“ „Wir sind sehr in deiner Schuld!“ Teokal verneigte sich tief vor dem klugen Mironda. „Wenn dein Kambarysu nicht die Helfer gerufen hätte…“ . „Rede nicht über Selbstverständlichkeiten! Wollt ihr heute nach Belize?“ „Ja, das Motorboot abholen und dann zurück nach Payo Nabisco!“ „Reichlich leichtsinnig, ihr Ferrentes! In Belize haust ein gewisser Kururu, der seit dem Abenteuer im Walde allen Kredit verloren hat. Schade, daß ihm kein Pfeil durch die Kehle gefahren ist! Und seine Banditen? Von denen nimmt jetzt auch kein Hund mehr ein Stück Tor-
tilla. Meint ihr, die werden euch mit Blumenkränzen begrüßen? Gar nicht zu reden von einem Master Grebb, der vor Wut zu schreien beginnt, wenn er nur den Namen Ferrente hört. Und endlich, daß die ruhmvolle Honduras-Polizei an euch ihre Schlappe droben in den Kordilleren auswetzen möchte, muß ich das noch besonders erwähnen? Ich ginge lieber mit bloßen Füßen in ein Schlangennest, als mich nach Belize zu wagen!“ Dann schlug er vor, durch einen zuverlässigen Mann, vielleicht durch den Schiffsbauer Jago Savedra, das Motorboot abholen zu lassen. „Von Wipers Row könnt ihr leicht die Küste erreichen, ohne in die Nähe von Belize zu kommen. Wie, der Arzt wartet auch? Ihr Ferrentes, laßt euch gesagt sein, in eurer Lage kann das beste Heilmittel zum schlimmsten Gift werden. Aber wir wollen einmal hören, was in Belize los ist!“ Bald saßen die drei um den Kambarysu, der erst zu sprechen begann, nachdem Mironda seine Fragen auf den hohlen Stamm getrommelt hatte. „Der Klang der Schläge dringt nicht über deinen Hof hinaus!“ stellte Teokal fest, während sie auf die Antwort warteten. „Wie kann sie dein Freund in Belize auf seinem Kambarysu hören?“ „Der hohle Stamm verstärkt den schwachen Schall… vielleicht leitet ihn auch die gute Erde. Was weiß ich! Aber ich höre meinen Freund in Belize und er mich, genau so wie vor 500 Jahren die Diener am Kambarysu, als die weisen Mayas Botschaften von Uxmal an der Nordküste Yukatans bis nach Tikal in Guatemala in Stundenfrist sandten. Still jetzt, Belize spricht!“
Er schüttelte den Kopf, als er das Kambarysugespräch beendet hatte. „Seid froh, daß ihr nicht sofort nach Belize gefahren seid! Alle, die in die Stadt hinein wollen, werden einer strengen Kontrolle durch die Polizei unterzogen. Nun sagt noch, daß euch eure Dankbarkeit keinen Gewinn eingebracht hätte! Wäret ihr nicht zum alten Mironda gekommen, säßet ihr jetzt schon in Polizeihaft!“ „Sie haben aber doch keinerlei Beweise gegen uns? Tatsache ist auch, daß wir an dem Kampf im Walde überhaupt nicht beteiligt waren“, erklärte Juan. Mironda lachte: „Um eure Unschuld wird sich die Polizei viel kümmern. Sie sperrt euch zunächst mal ein, wochen-, monatelang. Inzwischen wird der Kontrakt zwischen Chinchano und Grebb als rechtsgültig erklärt, und Payo Nabisco gehört mit allen Menschen der UFC. Wollt ihr das?“ Teokal schüttelte den Kopf: „Nie und nimmer darf das geschehen. Du bist sehr klug, Bruder Mironda! Wir folgen deinen Ratschlägen.“ Gegen Mitternacht übernahm Jago Savedra die beiden Flüchtlinge in einer kleinen Bucht südlich von Belize auf das starke Motorboot. In weitem Bogen umfuhren sie die Leuchtfeuer der Hafenstadt und brausten dann, noch ehe sich das erste Morgenrot zeigte, der Einfahrt in die Chetumal-Bai entgegen. Als sich die Sonne aus den märchenhaft blauen Fluten der Karibischen See erhob, sahen sie unter Palmen die bescheidenen Hütten ihres Heimatdorfes auftauchen. Jago Savedra kroch mit Teokal nochmals in den Motorenschacht und klopfte anerkennend auf den Getrie-
bekasten: „Ein schmuckes Maschinchen! Da seid ihr nicht betrogen worden. Registriert ist es auch für die Fischereigenossenschaft Payo Nabisco, und ich kann mir nichts Schöneres denken,, als drei Wochen bei euch zu bleiben, um gute Kutterführer auszubilden. Zwei Barrels Treibstoff habe ich geladen, und die Tanks sind noch voll. Was ihr mir schuldig seid? Immer langsam mit den jungen Mulas… Die Rechnung lege ich euch schon noch vor; denn von der erquickenden Seebrise allein kann Jago Savedra wirklich nicht leben!“ Als sie das Motorboot an den wackligen Bootssteg heranmanövrierten, erklärte der Schiffsbauer: „Und dann habe ich von Mironda noch einen ganz besonderen Auftrag: Ich soll für Payo Nabisco einen Kambarysu bauen und einen gewissen Teokal Ferrente wenigstens mit den einfachsten Regeln der Nachrichtenübermittlung vertraut machen. Schau mich nicht so verwundert an, Junge! Auch ich gehöre zu den Verschworenen, die wissen, warum ihr Kampfruf ,Freiheit oder Bananen!’ heißt. In Payo Sierra steht ein Kambarysu, in Payo Obispo drüben im Mexikanischen ein anderer, keiner weiter als fünf Meilen von eurem Dorf. Da könnt ihr jede Nachricht schnell erhalten und auch einen Hilferuf weitergeben, wenn er notwendig wird. Hoffen wir, daß ihr dies niemals zu tun braucht!“ Doch dieser Zeitpunkt kam schneller, als Savedra dachte. Zuerst tauchte in Payo Nabisco der alte Kazike Chinchano auf und wies eine Verfügung des Krongerichtes vor, daß seine Ausweisung aus dem Dorfe zu Unrecht erfolgt sei. Er nahm wieder Besitz von seiner
Hütte und bedrohte alle seine Gegner mit dem Zorn der Götter. Sein Enkel kam weinend zu Teokal: „Hütet euch vor ihm! Mit Master Grebb und Kururu hat er immer zusammengesessen, und Unheil ist gesponnen worden für alle, die in Payo Nabisco leben. Ich muß euch warnen vor dem, dessen Blut in meinem fließt.“ Teokal fragte: „Und er schlug dich, ein unmündiges Kind?“ Der Kleine nickte: „Alle Tage, auch jetzt hier… und er wird mir die Zunge ausreißen, wenn er hört, daß ich zu euch Ferrentes gegangen bin.“ Der alte Juan klagte: „So verderben sie unser Volk! Niemals hätte ein Maya ein Kind geschlagen, wenn er nicht schlechte Beispiele vor Augen gehabt hätte. Und dieses Untier will Kazike sein! Den Haifischen sollten wir ihn vorwerfen!“ „Damit könntet ihr den Briten und den Yankees den größten Gefallen tun!“ meinte der Schiffsbauer. „Unser neuer Kambarysu spricht bereits. Er meldet, daß Kururu sich neue Banditen aus Jamaika und von den Bahia-Inseln heranholt. Die Belizer Tagediebe wollen nichts mehr mit dem Machetenmann zu tun haben; denn allzu gründlich haben die Arbeiter der UFC und der Mahagoni-Company sie darüber belehrt, daß sie in der Hauptstadt von Britisch-Honduras keine Verbrecher mehr sehen wollen. Auf einem alten Hulk, einem abgetakelten Schiff, sammelte Kururu seine Helfershelfer, denen er das Blaue vom Himmel versprechen mußte, um sie für den Raubzug nach Payo Nabisco zu gewinnen.“
„Perlen, pfundweise, haben die Fischer von Nabisco in ihren Mattentaschen… und die Mädchen aus dem Nest, die Schönsten an den Küsten der Karibischen See… Ich garantiere dafür, kein Mann von der Honduras-Polizei wird sich darum kümmern, welchen Zauber wir in dem gottverfluchten Nest anstellen!“ prahlte der Casco, der seinen rechten Arm schon wieder ein wenig gebrauchen konnte. „Woher ich das weiß? He, ihr Lumpenhunde, ist der Kazike von Payo Nabisco nicht unser Verbündeter? Der Priesterhäuptling wird dafür sorgen, daß wir machen können, was wir wollen. Hauptsache ist, daß wir fort sind, ehe die Polizei sich darauf besinnt, daß sie für Ruhe und Ordnung zu sorgen hat!“ Ganz getraute sich das Raubgesindel auf dem schnaufenden Küstendampfer nicht an die Küste von Payo Nabisco heran. Sergeant Morgan, der Seepolizist, hatte von seinem Wachkutter aus dem Kapitän allerhand Warnungen zugeschrien, als sie die Fluten der Chetumal-Bai durchquerten: „Rammen euch glattweg in den Grund, die Fischer von Nabisco. Haben ein tolles Schnellboot gekauft… natürlich aus dem Gewinn ihrer Perlenfänge. Strotzt da jeder Bursche mit mindestens 1000 Pfund im Portemonnaie. Wer die ausbeuteln kann, der hat das große Glück gefunden.“ Nach „dieser Mitteilung landeten die Banditen etwa drei Wegstunden von dem kleinen Fischerort entfernt. Sie hatten dichten Urwald zu durchschreiten, der sich von den Kordilleren bis zum Meeresstrand hinzog. Aber da ging eine alte Mayastraße, und sie glaubten, auf diesem Wege die Fischer und Bauern von Payo
Nabisco überraschen zu können. Erst stärkten sie sich einmal gründlich an den mitgenommenen Vorräten, und da der üble Fuselrum nicht der kleinste Teil davon war, sanken sie in den Schlaf, ehe sie noch den Vormarsch angetreten hatten. Houston Grebb tobte nicht wenig, als er seine Hilfstruppe drei Stunden vor Sonnenuntergang noch an der Landungsstelle traf, die ihm der Küstenkapitän gewiesen hatte. „Verdammter Brüllaffe!“ schrie er Kururu an. „Ich komme, um aus der Hand von Chinchano die Bestätigung entgegenzunehmen, daß Payo Nabisco nichts mehr gegen die Kontrakte mit der UFC einzuwenden hat… Und ihr vertrödelt hier die kostbare Zeit? Meint ihr, die Braunhäute werden euch Verbrechergesindel mit Jubelgeheul empfangen? Denke an den Urwald zwischen Wipers Row und Oranje Walk! Auf und vorwärts! In Belize ist der Teufel los, weil der ganze Plan verraten ist. Morgen früh liegt der Küstenaviso vor Payo Nabisco und wird euch mit blauen Bohnen füttern, wenn der versoffene Chinchano nicht sein Wort für euch in die Waagschale werfen kann. Und das kann er nur, wenn die Ferrentes und ihre Freunde nicht mehr ,gicks’ sagen können. Hundert Dollar dem, der zuerst die Brandröhre in die Hütte der Ferrentes schleudert!“ Johlend klaubten die Banditen die Waffen zusammen und drangen, noch taumelnd von den Folgen des Rausches, in das grüne Dämmern des Urwaldes ein. Grebb folgte dem lärmenden Zug mit seinen vier Leibwächtern, nachdem sie ihre schweren Pistolen aus den untergeschnallten Koppeln gelöst und schuß fertig ge-
macht hatten. Während die wilde Bande unter den Lianengehängen vorwärts marschierte, riefen die Kambarysus von Payo Nabisco, Sierra und Obispo immer noch um Hilfe. Fast einhundert Mann, alle gut bewaffnet, hatte Kururu im Auftrage Grebbs gegen das kleine Küstendorf aufgeboten, wo nur einige Macheten zur Verteidigung geschliffen werden konnten. Doch die Fischer und Bauern waren entschlossen, den Kampf um ihre Heimat aufzunehmen. Frauen und Kinder hatten den Hausrat in Bündeln zusammengeschnürt und waren landeinwärts gewandert, als die Späher die Landung der Banditen gemeldet hatten. In einer der vielen alten Ruinenstädte der Mayas, an den Hängen der Küstenkordilleren, fanden sie Zuflucht, und dort trafen sie schon auf die ersten Helfer, die herbeieilten, um den verbrecherischen Anschlag auf den friedlichen Fischerort abzuwehren. Es waren Holzschläger mit ihren wuchtigen Äxten und Waldindios mit mannshohen Eisenholzbogen und zwei Meter langen Blasrohren. Auf geheimen Waldpfaden rannten sie wie die schlanken Wapitihirsche der Hochebene und wiesen an den Ausblicken auf die blaue Fläche der Chetumal-Bai, über die schlanke Karibenboote auf Payo Nabisco zuschossen. Die Männer scherzten mit den verängstigten Frauen: „Bereitet das Siegesmal! Schlachtet eure fettesten Schweine und stellt die vollen Kalebassen kühl. Die ganze Küste bis hinüber nach Mexiko ist alarmiert. Wollen mal mit dem bösen Kururu und seiner Bande Schluß machen!“ Die Fischer und Bauern von Payo Nabisco waren inzwischen nicht untätig. Sie hatten die Mayastraße mit
Astverhauen gesperrt und dazwischen geschickt die giftigen Schwanzstacheln des Teufelsrochens verborgen. Als die lärmende Kolonne der Banditen sich dem ersten Hindernis näherte, wichen die Verteidiger um den bergenden Hangrist zurück und bauten ein neues Hindernis. Kururu hielt sich wohlweislich im Hintergrund. Als die Spitzenleute seiner Bande schrien, daß Äste den Weg versperren, brüllte er: „Schmeißt den Dreck über den Hang hinab! Zugepackt und den Pfad freigemacht!“ Doch da schrie schon der erste Mann auf: „Dornen im Verhau… nein… Rochenstacheln!“ Und dann verfluchte er Tag und Stunde, als er sich für den Raubzug hatte anwerben lassen, verfluchte Kururu und den Yankee, die UFC und ganz Honduras. Geifer stand ihm vor dem Munde, als er sich mit geschwungener Machete Bahn brach durch die Reihen seiner Gefährten. Doch ehe er dem Casco an den Kragen gehen konnte, brach er in Krämpfen zusammen. „Wut und Angst erwürgten ihn!“ stellte Grebb fest. „Lächerlich, vor Rochenstacheln Furcht zu haben.“ Doch er mußte eine Sonderbelohnung aussetzen, ehe die Buschmesser wieder in den Verhau fuhren. Es dauerte lange, ehe der Weg frei wurde. Das verfilzte Unterholz machte ein Umgehen der Sperre unmöglich. Außerdem getraute sich keiner in das Dickicht hinein; denn nun war es allen klar geworden, daß ihnen die Fischer von Payo Nabisco einen heißen Empfang bereiten würden. Als sie den Bergrist umgangen hatten, sahen sie eine
neue Astsperre, quer über den Weg errichtet. Ein schlanker Knabe eilte, gewandt von Stamm zu Stamm springend, den Hang hinauf. Aus zehn Pistolen wurde auf ihn – es mochte ein Späher sein – das Feuer eröffnet. Doch schon hatte ihn die grüne Dämmerung verschluckt, und ein gellender Warnschrei klang aus dem Gestrüpp. „Vorwärts! Wir haben keine Zeit zu verlieren, sonst überrascht uns die Nacht im Wald!“ feuerte Grebb seine Schar an. Seine weiteren Worte blieben ihm im Halse stecken, als ein weißgefiederter Pfeil zu seinen Füßen niederfiel. „Bogenschützen oben am Hang!“ schrie einer seiner Leibgardisten. Kururu brüllte: „Da unten, Waldindianer!“ Schüsse peitschten hinauf und hinab, obwohl keiner einen Gegner sehen konnte. Nur eine aufgescheuchte Horde Brüllaffen schwang sich keifend und jammernd durch die Lianen zu ihren Häupten. Doch die Gegner waren da. In der Spitzengruppe der Banditen, die dicht vor dem Verhau stand, brachen zwei Mann zusammen, getroffen von schwirrenden Pfeilen, die irgendwo aus der grünen Hölle geflogen kamen. Das Schreien der Verwundeten genügte, die ganze Bande von dem Verhau zurückzuscheuchen. Doch die unsichtbaren Verteidiger schienen überall zu sein. Während Grebb die Zurückweichenden noch anfeuerte, traf einen seiner Leibwächter ein Pfeil in den Rücken, und ein anderer zog mit verdutztem Gesicht einen federbesetzten Bambussplitter aus der blutenden Wange. „Giftpfeile aus Blasrohren!“ brüllte Kururu auf und wandte sich zur Flucht. Er kam nicht weit. Genau über
der Gürtelschärpe traf ihn der Pfeil, und gurgelnd wälzte er sich auf dem Moddergrund. Grebb schlug um sich, als wolle er einen wildgewordenen Bienenschwarm abwehren, während er den Weg zurücklief. Das war das Signal zur allgemeinen Flucht, und die Banditen erwiesen sich als bessere Läufer. Grebb stolperte und fiel, raffte sich wieder auf, schrie verzweifelt nach seinen Leibwächtern und taumelte auf einknikkenden Knien weiter den Mayapfad entlang, bis sich endlich der Wald öffnete und vor ihm die See lag, aufleuchtend in den letzten Strahlen der Abendsonne. Doch vergeblich suchte er sein Motorboot. Es war verschwunden wie der Küstendampfer. Nur zwei dunkle Punkte waren in der Enge von Ambergris zu erkennen, und am Ufer standen etwa fünfzig Banditen und zeigten nach Osten: „Abgehauen, die Feiglinge! Los, weiter die Küstenstraße, sonst holt uns alle noch der Teufel! Wir sind blind in eine Falle gegangen!“ Unheimlich gellte vom Waldrande das Kriegsgeschrei der Bergindios herüber, und zischende Pfeile fuhren zwischen das Raubgesindel. Grebb lief zuerst am Strande entlang, dann aber zwang ihn ein steiler Fels wieder in den Wald. Einige der Banditen versuchten die Felsen zu überklettern. Doch das unterspülte Gestein gab nach, und auf die mit dem Wasser ringenden Menschen schossen hochgestellte Dreiecksflossen zu. „Haie!“ gurgelte neben Grebb ein Mulatte aus Jamaika. „Massenhaft Haie in der verfluchten See. Und unsichtbare Geisterschützen im Walde…“ Der Yankee beschwor ihn, bei ihm zu bleiben. „Hundert Dollar… tausend!“ bot er. Doch der Mann rannte, ohne sich um
die Angebote zu kümmern, den schmalen Fußpfad weiter, als seien ihm die Schreckgespenster aller Urwälder auf den Fersen. Was sich in dieser Nacht noch alles ereignete, das wollte später sogar die Kolonialpolizei nicht wissen. Kururu, der Mann mit der Machete, wurde in Belize nie mehr gesehen. Von seiner Bande tauchten wohl einige Mitglieder auf; aber sie machten sich schnell auf und davon; denn wo sie sich blicken ließen, da sahen sie geballte Fäuste und hörten handfeste Drohungen. Der Kronrichter, Sir Townsbridge, erkundigte sich jeden Tag, ob man von Houston Grebb noch keine Nachricht habe. Eine ganze Woche verstrich, da wurde er von der Hafenstation angerufen. „Eines unserer Patrouillenboote hat am Strande zehn Meilen nördlich von Belize einen furchtbar heruntergekommenen Weißen aufgelesen. Sergeant Morgan behauptet, das könne nur Mister Grebb von der UFC sein. Warum wir ihn nicht fragen? – Sir Kronrichter, der Mann ist nicht bei Sinnen… nein, nicht ohnmächtig. Tropenkoller oder so etwas, sagen wir schon ganz klar: verrückt! Seine Taschen revidieren? Seit wann haben nackte Menschen Taschen? – Ja, splitterfasernackt! Nein, verwundet ist er nicht, abgesehen von Dornenkratzern und Insektenstichen. – Was er macht? Er döst oder singt… Ulkiges Lied, sage ich Ihnen. Geht so: ,Einer ist schon gelaufen… Mister Grebb von der UFC…’ Und dann lacht er wie ein Blödsinniger… Gut, halte das ,Fundstück’ bereit, bis Sie hier sind!“ Es war Houston Grebb, wie Townsbridge feststellen mußte: abgemagert, zerschunden, geistesabwesend zur
Decke starrend und auf keine Frage antwortend. Der alte Arzt aus dem Spital hatte ihn bereits einer gründlichen Untersuchung unterzogen. „Körperlich fehlt ihm nicht viel. Hat vielleicht einen kleinen Sonnenstich gehabt, wird wohl auszukurieren sein. Aber davon kommt der Blödsinn nicht. Sir Townsbridge, kennen Sie die alten schottischen Sagen vom Wirrkraut und Taumelbrot? Ist viel Wahres drin, jawohl. Es gibt hier an der Küste des Karibischen Meeres viele Wirrkräuter, höllenverdammte Früchte und Wurzeln, die den Menschen um den Verstand bringen. Ob er davon gegessen haben mag?“ „Keine Pfeilwunde?“ wollte der Kronrichter wissen. „Sie meinen Giftpfeile? Muß ich nach bestem Wissen und Gewissen verneinen. Die Pfeilgifte führen zu Lähmung und Muskelstarre; aber der Mann da ist, abgesehen von seinem geistigen Defekt, quicklebendig und beweglich. Wenn es nicht Grebb wäre, würde ich sagen, das Gewissen, die Einsicht in sein schandbares Tun, hat ihn um den Verstand gebracht. Und die Furcht! Muß doch verdammt viel auf dem Kerbholz haben…“ Townsbridge schüttelte den Kopf: „Vollkommen vernehmungsunfähig also? Peinlich für die UFC. Grebb persönlich hat Einspruch gegen die Beschwerde der Dorfgenossenschaft Payo Nabisco erhoben. Wird wohl kaum verhandlungsfähig sein, wenn der Fall behandelt wird. Mit dem haltlosen Säufer, dem Kaziken Chinchano, will ich lieber nichts zu schaffen haben. Wirrkräuter hier in Britisch-Honduras? Ernsthaft? Na, dann bin ich froh, daß ich in vierzehn Tagen dieses unheim-
liche Land verlassen kann. Mag sich mein Nachfolger um die Aufklärung des Falles Grebb kümmern.“ Der Arzt begleitete ihn über den Kai zu seinem Wagen, nachdem er die Überführung des Kranken in das Regierungshospital angeordnet hatte. Gerade bog ein starkes Motorboot in den Bootshafen ein, das am Heck die englische Flagge trug. Am Bug aber flatterte eine rote Fahne mit einem silbernen Stern. Der Kronrichter betrachtete sie augenzwinkernd: „Von der WeißenStern-Linie? Die Hausflagge sieht doch ganz anders aus!“ Der Doktor sah ihn verwundert an: „Aber Sir Townsbridge, haben Sie die neuesten Zeitungen noch nicht gelesen? Das ist die Fahne der Hondurenischen Volkspartei, die Sie selbst vor Wochen konzessioniert haben. Und das Boot da bringt die Ferrentes und ihre Mitverschworenen aus Payo Nabisco hierher, zur ersten Delegiertenkonferenz. Der Teokal Ferrente wird bei der nächsten Wahl für unser ulkiges Scheinparlament kandidieren. Ist mächtig populär, der junge Mann. Da singt ja das ganze Hafenvolk los…“ Auf den Verladestegen und an den Kairampen standen Neger, Indios, Mulatten und Mestizen dicht gedrängt und schwenkten bunte Blumenbüsche im lachenden Sonnenschein. Alle sangen das verbotene Lied, als ob es keine Polizei Ihrer Majestät mehr gäbe. Es war wieder eine neue Strophe: Hoch lebet, ihr Arbeitsleute, in den Bergen und an der See! Wir sind nicht mehr wehrlose Beute für die Schurken der UFC!
Freiheit oder Bananen! Und der Stern auf unseren Fahnen sagt „Freiheit“ und nicht „Bananen“! Fort mit der UFC! „Sieht nach allerhand Unwetter aus!“ meinte der alte Doktor, als er sich in den Wagen schob. „Zu klar der Himmel, Sir Kronrichter? Eben deshalb! Genau deswegen! Ich kenne doch mein Belize!“
W. Pollatschek PHILIPP MÜLLER-HELD DER NATION
2. überarbeitete Auflage illustriert 160 Seiten Halbleinen 1,40 DM Dieses für alle Jungen und Mädchen bedeutungsvolle Buch erzählt aus dem Leben unseres tapferen, vorbildlichen Freundes, der am 11. Mai 1952 in Essen hinterrücks erschossen wurde. VERLAG NEUES LEBEN . BERLIN W 8