KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
ZEHN
HEFTE
LEBENSBILDER
FORSCHER UND E...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
ZEHN
HEFTE
LEBENSBILDER
FORSCHER UND ERFINDER WIE SIE G R O S S U N D B E R Ü H M T W U R D E N
VERLAG MURNAU-
SEBASTIAN
MÜNCHEN-
LUX
INNSBRUCK-BASEL
AUF DASS DIE STEINE REDEN
Alois Senefeider
6. x i . 1771 — 26.11.1834
„Leutein, nehmt's die Wasch von der Leine — die Komödianten k o m m e n . . . ! " So wenig schmeichelhaft wie überall damals in der Welt begrüßt man in der Altstadt von Prag auch die wandernde Schauspielertruppe, der Herr Senefelder aus München angehört. Der „Jugendliche Liebhaber" aber freut sich über den ersten Sohn, Alois, den die Gattin ihm während des Prager Gastspiels schenkt, und zu dritt kehrt die Familie in die bayerische Heimat zurück. Der kunstsinnige Kurfürst beruft Senefelder als Hofschauspieler an sein Münchner Residenztheater; auch Alois zieht's zum Theater, jedoch der Vater will seinem Ältesten die bitteren Erfahrungen der eigenen Jugend ersparen und bestimmt den Hochbegabten zum Juristen. Fleißig, aber ohne große Begeisterung, studiert der Junge an der Universität zu Ingolstadt Rechtswissenschaft, bis der allzufrühe Tod des Vaters alle Pläne zunichte macht. Mutter Senefelder eröffnet eine kleine Wäscherei, mit der sie ihre neun Kinder zu ernähren hofft, während Alois, der ehemalige Rechtsstudent, sich als Schauspieler und Lustspieldichter versucht. Nicht ohne Erfolg übrigens, seine Theaterstücke werden freundlich aufgenommen, aber es fehlt das Geld, sie drucken zu lassen. Selber drucken müßte man können! Einmal will es der Zufall — so wird
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er später in seinem „Lehrbuch des Steindrucks" berichten —, daß er für die Mutter eine eilige Wäscherechnung schreiben soll, doch in dem ärmlichen Haushalt sind weder Papier noch- Tinte zu finden. Da schreibt er in der Eile die Rechnung mit Wachstinte auf eine Solnhofener Steinplatte, die er sonst zum Farbeanreiben benützt. Eine flüchtige Laune läßt ihn — mal sehn, was daraus wird! — die Platte mit Scheidewasser ätzen, und als die von der Wachstinte geschriebenen Worte erhaben im Stein stehen bleiben, da fühlt er sich als glücklicher Erfinder eines funkelnagelneuen Druckverfahrens. Als er erfahren muß, daß die Steinhochätzung eine altbekannte Sache ist, versucht der Enttäuschte sein Glück als Soldat in der bayerischen Armee, bis man auf der Schreibstube dahinterkommt, daß der Alois Senefelder ja in Prag geboren ist, und den „Ausländer" schleunigst nach Hause schickt. Hier bastelt und bosselt er weiter; er verbessert seine „Steintinte" und seine kleine Druckpresse, er schreibt Musiknoten auf Papier, druckt sie auf Stein über und kommt so zum ersten Umdruckverfahren von Papier auf Stein, das er unermüdlich fortsetzt. Seine beiden Brüder, die der Arbeit gern aus dem Weg gehen, weiht der Gutmütige in sein Erfindergeheimnis ein, auf das ihm ein bayerisches Privileg für vorläufig fünfzehn Jahre erteilt wird. Nun winken Ehre, Ruhm und Reichtum —• es kommen die verlockendsten Angebote, und ein namhafter Offenbacher Musikverleger läßt den jungen Mann auf eigene Kosten nach London reisen, damit er dort mit englischen Privilegien eine Steindruckerei eröffnen kann. An der Themse aber siegt wieder Senefelders Phantasie über Alltag und Wirklichkeit, er läßt Geschäft Geschäft sein und macht sich an die Erfindung eines lenkbaren Luftschiffes und eines Perpetuum mobile. Die Mühen enden mit Enttäuschung und ruhmloser Heimkehr. Inzwischen haben seine nichtsnutzigen Brüder in München die Erfindung des Steindrucks weiterverkauft an den bayerischen Staat, der unter Mißachtung des von ihm an Senefelder erteilten Privilegs eigene „Lithographische Anstalten" errichtet. Erst als der Heimgekehrte vor Gericht seine Ansprüche vertritt, erfährt der Kurfürst, nun König von Napoleons Gnaden, von dem begangenen Unrecht; er befiehlt schleunigste Wiedergutmachung und ernennt Alois zum Inspektor an der Königlichen Vermessungsdruckerei. Der Senefelder aber ist für ein ruhiges, sorgenfreies Beamtendasein nicht geschaffen, er verkauft seine so hart umkämpften Erfinderrechte wieder, verkauft sie — was man ihm übelnimmt — gleich zweimal. Seine hochfliegenden Pläne einer
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Staatsdruckerei in Paris verwirklichen sich ebensowenig wie seine Träume von eigenen großen Fabriken in England. Mit seiner an Leichtsinn grenzenden Sorglosigkeit in Geldsachen schiebt er ein glänzendes Angebot aus Wien achtlos beiseite und stürzt sich mit Feuereifer in neue, phantastische Projekte. Während er sich mit diesen Erfindungen erfolglos abmüht, tritt sein „Flachdruckverfahren", das ihm eine Sternstunde seiner Jugend geschenkt, den Siegeszug durch die Welt an, fast so bedeutend wie Gutenbergs Tat für die Verbreitung des Wissens und die Erweiterung der Bildungsmöglichkeiten. Die „Steingravur", die der achtundzwanzigjährige Senefelder „so nebenbei" erfunden hatte, begründet den Weltruf der deutschen Anstalten für Landkartendruck, und mit seinem Verfahren der Steinzeichnung schaffen Menzel, Daumier, Gericault und andere die ersten Spitzenleistungen der Künstlerlithographie. Zu neuer Blüte gelangt sie später durch die Bildwerke Manets, Renoirs, Toulouse-Lautrecs, Munchs, Liebermanns, Corinths, Kokoschkas, Barlachs und der Käthe Kollwitz. „Ich bin und bleib' ein armer Lump .. ." Aber allen Rückschlägen und Enttäuschungen zum Trotz nennt sich der rastlos Tätige einen „glücklichen Erfinder". Wer weiß — vielleicht hätte der gute alte Gänsekiel als Schreibinstrument sich noch hinübergerettet ins technische Zeitalter, wenn Senefelder nicht auf den Gedanken gekommen wäre, breite, stählerne Uhrfedern zu „Schreibfedern" zu zerschneiden und durch Ausglühen und blitzschnelles Abkühlen zu härten. So entstand die Stahlfeder, über ein Jahrhundert lang das bevorzugte Schreibwerkzeug der zivilisierten Welt — die Stahlfeder, die noch in den Goldfedern unserer Füllhalter fortlebt. Die Engländer entwickelten diese Erfindung Senefelders — für die er nie einen Groschen erhalten hat — zu einem Industriezweig, der Millionengewinne erbrachte. Noch am Ende seines reichen und bewegten Lebens erinnert sich der Sohn des fahrenden Komödianten an das fehlende Stückchen Papier in der Waschküche seiner Mutter: „Hätte ich damals das nötige'Geld gehabt, so würde ich mir Lettern, eine Buckdruckpresse und Papier gekauft haben zum Druck meiner Theaterstücke, und die Steindruckerei wäre wahrscheinlich so bald nicht erfunden worden. Ich habe den Wunsch, daß meine Erfindung der Menschheit durch vortreffliche Erzeugnisse vielfältigen Nutzen bringen und zu ihrer größten Veredelung gereichen, niemals aber zu einem bösen Zweck mißbraucht werden möge . . ." 4
„ER BRACHTE UNS DIE GESTIRNE N Ä H E R
Josef Fraunhofer 6. III. 1787 — 7 . VI. 1826
Am 1. Juni 1801, um die Mittagsstunde, trug sich in der kurfürstlichen Haupt- und Residenzstadt München ein sonderbares Unglück zu, von dem die Leute noch lange zu erzählen wußten. Nahe beim Dom Unserer Lieben Frau stürzte plötzlich das Haus des Glasschleifers und Spiegelmachers Weichselberger mit fürchterlichem Krachen in sich zusammen. Der Meister selbst und sein kleines Mädchen konnten sich mit eigener Kraft aus den Trümmern befreien, seine Frau aber und sein Lehrbub waren verschüttet. Ohne viel Hoffnung, sie noch lebend bergen zu können, machte man sich an die schwierigen Aufräumungsarbeiten; auch der Kurfürst Max Joseph kam von der nahen Residenz zur Unglücksstätte und ließ sich von dem Geschehen berichten. Nach vierstündiger Arbeit brachten die Männer den Lehrbuben wieder ans Tageslicht, leicht verletzt, aber lebendig. „Ein armer Waisenknabe . ..", flüsterte man dem Kurfürsten zu. „Nun denn, so will ich fortan sein Vater sein!" sagte der Landesherr, schenkte dem Geretteten achtzehn Goldstücke und versprach, auch weiterhin für ihn zu sorgen. Das Unglück wurde für den jungen Joseph Fraunhofer — so hieß der Lehrbub — zum Segen und zum Tor in eine hellere Zukunft. Als elftes Kind eines armen Glasers war er in Straubing zur Welt gekommen. Die Mutter war früh gestorben; als Elfjähriger verlor er auch den Vater, und um dem Waisenhaus zu entgehen, 5
entschloß er sich, ein Handwerk zu erlernen und sich sein Brot selbst zu verdienen. Er kam nach München in die Lehre, zum Glasschleifer Weichselberger, auf eine sechsjährige Lehrzeit verpflichtet, weil er kein Lehrgeld zahlen konnte. An jenem Unglückstag erwies sich aber das Haus seines Lehrherrn als noch schwächlicher als der Lehrling, der sich mit den Goldstücken des Kurfürsten von der restlichen Lehrzeit freikaufte und sich den Herzenswunsch seines jungen Lebens erfüllte: eine eigene Glasschleifmaschine! Glücklich saß er in seiner kleinen Kammer vor dem blitzenden Gerät. Es störte ihn nicht, daß der mächtige Hofkammerherr des Kurfürsten, Geheimreferendarius Joseph Utzschneider, manchmal kam und dem Vierzehnjährigen zusah, dem Waisenknaben aus Straubing, der kaum richtig lesen und schreiben konnte. Aber Brillengläser schleifen — das konnte er, konnte es bald besser als mancher Meister, und Utzschneider kam aus dem Staunen nicht heraus über den schüchternen, in sich versponnenen Buben. Er brachte ihm Physik- und Mathematikbücher mit, auch Schreibhefte und Rechtschreibelehrbücher, und schickte ihn schließlich auf eigene Kosten in die Münchener Feiertagsschule für begabte Handwerker. Fraunhofer arbeitete mit großem Fleiß und bewundernswerter Geschicklichkeit an seiner Fortbildung und an seinen geliebten Gläsern. Die neuerworbenen mathematischen Kenntnisse verwendete er zur Berechnung optischer Linsen, und Utzschneider war von den erstaunlichen Fortschritten seines jungen Schützlings so begeistert, daß er ihn in dem von ihm begründeten Mathematisch-Mechanischen Institut anstellte. Im Jahre 1809 wurde der zweiundzwanzigjährige Fraunhofer Teilhaber dieses Instituts und Leiter der optischen Abteilung. Er konstruierte nach eigenen Berechnungen die Pendelschleifmaschine und eine neuartige Maschine zum Polieren der Gläser; wenig später übernahm er zusätzlich die Leitung der von Giunand begründeten Glasschmelze und Glasschleiferei in Benediktbeuern. Nur eine unbeugsame Energie und eine kaum vorstellbare Hingabe an Sendung, und Werk konnten die Last an Arbeit und Verantwortung bewältigen, die' der kleine, schwächliche und empfindsame Mann sich aufgebürdet hatte. Aber er schaffte es — mit bescheidenem Stolz blickte er auf sein erstes, mit selbstgeschliffenen Linsen gebautes Fernrohr, das für die Universitätssternwarte Dorpat bestimmt war. „Staunend stand ich vor dem herrlichen Kunstwerk", schrieb der Direktor der Sternwarte, „unentschieden, was mehr zu bewundern sei, die Schönheit der Formen des Ganzen oder die Vollendung bis 6
ins kleinste Detail!" Mit einem Schlag war der ehemalige Glaserlehrling weltberühmt. Der Ruhm kümmerte ihn wenig. Er schuf sich ein neues Fernrohr für seine eigenen Zwecke — und mit ihm entdeckte er im Jahre 1814 im Sonnenspektrum eine Anzahl verschieden starker schwarzer Linien, die auch bei veränderten Versuchsanordnungen immer gleich blieben. Ober fünfhundert dieser Linien trug er in seine Zeichnung ein — die berühmten „Fraunhoferschen Linien", die genau angeben, welche chemischen Stoffe sich auf der lichtaussendenden Sonne befinden. Ähnliche Linien sah man auch im Spektrum anderer Sterne, und auch ihre stoffliche Zusammensetzung konnte so von der Erde aus erkannt werden. Von seinem Beobachtungsstand, dessen gläsernes Auge weit hineinreichte in Gottes wunderbare Schöpfung des Alls, kehrte der hochgeehrte Forscher und Entdecker immer wieder zurück in seine geliebte Werkstatt, in der die erste, von des Kurfürsten Gnadengeschenk erworbene Glasschleifmaschine einen Ehrenplatz einnahm. Daneben aber standen viele neue und bessere Maschinen, von Fraunhofer selbst konstruiert und gefertigt. Das neueste Gerät war eine „Teilungsmaschine", die es ihm ermöglichte, dreihundert parallele Linien auf eine nur millimeterbreite Glasfläche zu ritzen — ein Hilfsinstrument zur Messung der Wellenlänge des Lichtes, das eine wichtige Rolle im Gelehrtenstreit um das Wesen des Lichtes spielte. Im Jahre 1821 legte Fraunhofer der Bayerischen Akademie seine berühmt gewordene Abhandlung über die Beugung des Lichtes vor. Der Professortitel war nur eine von vielen äußeren Anerkennungen für diese bahnbrechende Arbeit. Drei Jahre später erhielt er aus den Händen seines Königs den Adelsbrief. Der arme Waisenknabe, den hilfsbereite Männer einst aus den Trümmern des eingestürzten Glaserhauses geborgen, hatte mit seinen ungewöhnlich geschickten Händen und durch hohe Geistesarbeit mitgeholfen an der Errichtung eines neuen, strahlenden Weltgebäudes menschlichen Forschungs- und Erkenntnisdranges. Eine fortschreitende Lungenschwindsucht riß Fraunhofer noch vor Vollendung seines vierzigsten Lebensjahres von seinem Werk. In tiefem Leid begleiteten die Münchener ihren weltberühmten Mitbürger zur letzten Ruhestätte im Südlichen Friedhof, und der König selbst bestimmte die Infchrift auf seinem Grabe: „Er brachte uns die Gestirne näher." 7
DIE FINKEN DER GALAPAGOS-INSELN
Charles Robert Darwin 12. II. 1809 — 19. IV. 1882
Der Name Darwin hatte schon lange vor Charles Robert in der gelehrten Welt einen guten Klang — vom Großvater Erasmus her, dem angesehenen Arzt, Dichterphilosophen und Naturforscher, dessen Buch „Botanischer Garten" gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts viel und gern gelesen wurde. Der Enkel wächst auf in jener großbürgerlichen Geborgenheit überkommenen Reichtums und im Stolz britischen Selbstbewußtseins. Robert Waring Darwin, der Sohn des Erasmus und Vater unseres Charles, ist schon mit einundzwanzig Jahren ein erfolgreicher Arzt in dem kleinen Landstädtchen Shrewsbury am Severn, zu dem die heilungsuchenden Patienten von weither pilgern. Sein ansehnliches Vermögen findet noch erfreulichen Zuwachs durch die bedeutende Mitgift seiner Frau Josiah, die in das puritanische Arzthaus auch künstlerische Ansprüche und Interessen bringt. Diese Interessen ihrem lieben Sohn Charles einzupflanzen, gelingt ihr nicht recht; der Junge beschäftigt sich lieber mit Käfer- und Steinesammeln, mit Jagen und Fischen, mit Herbarium und Schmetterlingssammlung, und die Mutter läßt ihn schließlich gewähren. Aber der Vater, der V a t e r . . . Vergeblich sucht er den eigenen brennenden Ehrgeiz in dem Sohn, der wenig Freude hat an Homer und Virgil, aber mit größter Begeisterung Nistkästen anlegt, Vogel-
nester beobachtet und im Geräteschuppen des elterlichen Anwesens übelriechende chemische Experimente durchführt. Er schickt den Sechzehnjährigen getreu der Familientradition" zum Medizinstudium nach Edinburgh, aber der unfreiwillige Äskulapjünger bereitet der Universität manchen Kummer: Bei den Vorlesungen und Demonstrationen schläft er meist den Schlaf des Gelangweilten, und nie kommt es ihm — nach seinen eigenen Worten — etwa in den Sinn, wegen der ebenso langweiligen Zoologieund Geologiestunden eine Jagdpartie zu versäumen. Beim ersten Sezierversuch in der Anatomie überfallen ihn Ekel und Übelkeit, denn der angehende Arzt kann kein Blut sehen . .. Da gibt es der Vater auf. Er entscheidet, daß Charles Geistlicher werden solle und meldet den Neunzehnjährigen beim Christus-College im altberühmten Cambridge an. Der Jüngling gehorcht, doch neben der Heiligen Schrift liegen die Bücher Alexander von Humboldts, die Schriften des philosophierenden Naturwissenschaftlers Herschel und die illustrierten Mappenwerke des großen amerikanischen Vogelkenners Audubon. In dem Botaniker Henslow findet der junge Theologe einen väterlichen Freund, der ihn auch zu eingehenden geologischen Arbeiten im Seminar des Professors Sedgwick ermuntert. Doch über all dem versäumt Charles Darwin sein theologisches Studium nicht, und als er mit dem philosophischen Grad eines „Bachelor of Arts" heimkehrt, da ist selbst der strenge Vater zufrieden. Ein Brief wartet auf Charles im Vaterhaus, ein Schreiben des Mathematikers und Astronomen George Peacock, in dessen Händen die Ernennung von beigeordneten Naturwissenschaftlern für die Vermessungsschiffe der königlich britischen Marine liegt. Auf Henslows Vorschlag lädt er Darwin ein, an einer Weltumseglung auf der „Beagle", einer mit zehn Kanonen bestückten Brigg von zweihundertzweiundvierzig Tonnen, als Mitglied der Naturforschergruppe teilzunehmen. Charles ist Feuer und Flamme für diesen Plan — der Vater weniger. „Wenn du einen Mann von gesundem Menschenverstand findest, der dir, dem angehenden Geistlichen, zu diesem Unternehmen zurät, dann will ich meine Einwilligung geben. Sonst nicht!" Dem Himmel sei Dank: Der „Mann von gesundem Menschenverstand" findet sich in Gestalt eines wohlwollenden Onkels aus der mütterlichen Unternehmerfamilie Wedgwood — und nun kann es mit väterlichem Segen losgehen. — Am 27. Dezember 1831 werden die Anker gelichtet zu der großen Fahrt. Darwin ist kaum zweiundzwanzig Jahre a l t . .. 9
Über die Kapverdischen Inseln segelt die „Beagle" nach Brasilien, dann südwärts an der amerikanischen Küste entlang zu den Falklandinseln bis nach Feuerland; später, nach Durchfahren der Magellanstraße, längs der chilenischen und peruanischen Küste nach Norden bis zum Galapagos-Archipel. Fünf Jahre ist die Brigg unterwegs, und der größte Teil dieser Zeit wird in den südamerikanischen Gewässern verbracht, wo das Schiff befehlsgemäß umfangreiche Vermessungsarbeiten durchzuführen hat — für den jungen Darwin hochwillkommene Gelegenheit zum Reisen, Sammeln und Beobachten auf dem südamerikanischen Kontinent. Vor allem aber hat es ihm die vulkanische Galapagos-Inselwelt in Äquatornähe angetan, die „Schildkröten-Inseln" mit ihrem höchst eigenartigen Tierund Pflanzenleben. Darwin trifft hier, auf diesen völlig entlegenen Inseln, Finken an, die, obwohl sie miteinander verwandt sind, die verschiedenartigsten Schnabelformen haben, zum Beispiel lang-spitz, keilförmig-stumpf. Und es kommt ihm ein Gedanke: Hier auf diesen isolierten Inseln haben diese Vögel kaum Widersacher, sie brauchen keinen Kampf ums Dasein zu führen, und so können sich die Schnäbel gleichsam in alle Richtungen entfalten. Wären aber Feinde vorhanden, so würden sich nur jene Finken durchsetzen, deren Schnäbel die beste Abwehrwaffe sind. Und noch etwas geht ihm auf: daß die Lebewesen nicht ständig so bleiben, wie sie geschaffen worden sind, sondern daß sie sich verändern und Eigenschaften annehmen können, die ihre Voreltern nicht gehabt haben. Diese Erkenntnisse sind zwar noch nicht der ganze „Darwin". Aber sie lassen ihn in der Folge darüber nachdenken, wie und warum solche neuen Arten mit veränderten Eigenschaften überhaupt entstehen können. Erst Jahrzehnte später, nach gewissenhaftesten Vorarbeiten und härtester Selbstkritik, veröffentlicht er — am 24. November 1859 — sein Hauptwerk über „Die Entstehung der Arten . . . " Das Erscheinungsdatum wird zur Geburtsstunde der modernen Biologie. Neue Arten mit geänderten Merkmalen, das ist der Grundgedanke dieses Werkes, entwickeln sich dadurch, daß im Kampf ums Dasein immer jene Tiere die meiste Aussicht haben zu überleben und sich fortzupflanzen, deren Merkmale dem Existenzkampf am besten angepaßt sind, während die weniger gut angepaßten untergehen. Damit gab Darwin zugleich eine der Erklärungen für das schrittweise Aufkommen neuer Pflanzen- und Tierformen. 10
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2007.01.13 17:37:51 +01'00'
„VERGIL DER INSEKTEN"
Jean Henri Fahre 21. XII. 1823 — 11. X. 1915
Bauern, gewohnt in der kargen Welt der Cevennen zwischen Rodez und Millan ihr Brot zu finden, waren die Vorfahren Jean Henri Fabres, der wie nur wenige die großen Vorzüge der Menschen des Mittelmeerraumes, die an den Bewohnern seiner gebirgigen Teile am deutlichsten sichtbar werden, in sich vereint: Bedürfnislosigkeit, Zähigkeit, Lebensklugheit und Klarheit des Denkens. Reichtümer sind auf den steinigen Hängen der Cevennen nicht zu gewinnen, es ist ein ärmliches Land mit Roggen-, Hafer-, Kartoffelund Hanffeldern und noch viel mehr Ödland, auf dem Schafe ihr Auskommen finden. Herren der kleinen Herden sind die Kinder des Dorfes, die mit diesem ersten Dienst frühzeitig in das arbeitsreiche Landleben hineinwachsen. Als Schaf- oder Ziegenhirt hat man viel Zeit zu müßiger Träumerei. Der junge Jean Henri ist ein sehr aufmerksamer Beobachter, nichts entgeht seinen flinken Augen, und er macht sich bald seine eigenen Gedanken über Art, Wesen und Ordnung der Gräser, Blumen und Bäume, über alles, was kreucht und fleucht. Der Pfarrer, aufmerksam geworden auf'den intelligenten Jungen, gibt ihm ein paar Unterrichtsstunden in Naturkunde. Die einfache Dorfschule, zu deren Heizung jeder Schüler im Winter ein Scheit Holz mitbringen muß für den Ofen, der nebenbei auch das Futter für die Schweine des Lehrers kocht, vermittelt die ersten systematischen Kenntnisse von Pflanzen- und 11
Tierkunde, wobei der Anschauungsunterricht durch Absuchen der Schnecken von den Gemüsebeeten des Herrn Lehrers zu dem weniger geschätzten Anschauungsunterricht gehört. J. H. Fabre ist zehn Jahre alt, als der Vater sein Glück in der Stadt Rodez als Inhaber eines kleinen Kaffees versucht. Um das Schulgeld zu sparen, singt Jean Henri im Kirchenchor und übernimmt das Amt des Meßdieners. Der Pfarrer gibt ihm Lateinunterricht, aber mehr noch als die Sprache, in der er als der Muttersprache auch seiner eigenen urtümlichen provengalischen Mundart bald heimisch wird, interessiert der Inhalt des lateinischen Lehrund Lesebuches: Vergils Landleben mit seinen bis ins einzelne gehenden Tierschilderungen. Nach nur dreijährigem Aufenthalt in Rodez zieht die Familie, deren wirtschaftliche Lage sich eher verschlechtert als verbessert hat, noch weiter nach dem Süden, nach Toulouse. Dort kann Jean Henri wenigstens die fünfte Klasse der Volksschule vollenden. Bald aber wird das wenige Umzugsgut wieder auf den Wagen geladen, und es geht nach Montpellier. An Schule ist nicht mehr zu denken, die Familie ist bettelarm geworden. „Und jetzt, mein Kleiner, Gott befohlen! Verdiene dir, so gut du kannst, deine Bratkartoffeln!" Mit diesen Abschiedsworten wird der Sechzehnjährige vom Vater in die Fremde entlassen. Auf Jahrmärkten verkauft er Zitronen, arbeitet als Erdarbeiter an einer Eisenbahnstrecke bei Nimes, muß hungern, schläft unter Brücken und verbringt eine Elendszeit, deren er sich noch nach sechzig Jahren mit Schaudern erinnert. Im Juli 1840 kommt er in Nimes mit nur drei Franken in der Tasche an und ersteht dafür statt eines guten Mittagessens die Gedichte des Bäckerpoeten Jean Raboul, denn fast noch wichtiger als die leibliche ist ihm die geistige Kost. Und darum übersieht er auch nicht den Anschlag am Rathaus, der eine Auswahlprüfung in der Provinzhauptstadt Avignon bekanntgibt. Schüler, die sie bestehen, bekommen einen Freiplatz und können Volksschullehrer werden. Fabre geht als Erster aus der Prüfung hervor, weiß endlich wieder, wie er morgen satt wird, und kann jede Möglichkeit wahrnehmen, sich in den Naturwissenschaften weiterzubilden. Mit neunzehn Jahren verläßt Fabre das Lehrerseminar, um seine erste Stelle mit siebenhundert Franken im Jahr anzutreten. Beim Feldmeßunterricht, der natürlich im Freien stattfindet, sieht er, wie die Schüler — meist Bauernsöhne aus der Provinz — die Nester der Mörtelbiene öffnen und den Honig mit einem Strohhalm herausschlürfen, eine Kenntnis und Kunst, die bereits 12
von den Jägern und Sammlern der Vorzeit geübt wurde. Fahre schaut interessiert zu,* und er möchte gern mehr wissen über dieses Tier, das bereits im 18. Jahrhundert den großen Reaumur beschäftigt hatte. Als er in einer Buchhandlung das bekannte illustrierte Insektenbuch von Castelnau, Blanchard und Lucas findet, opfert er dafür ein ganzes Monatsgehalt seiner kleinen, nicht immer regelmäßig ausgezahlten Volksschullehrerbesoldung. Diese Ausgabe war so wenig Verschwendung wie seinerzeit in Nimes, als er sich für die letzten drei Franken den Gedichtband kaufte. Es war die Sicherheit eines Berufenen, der sich sein Handwerkszeug besorgte. Wenige Monate später hätte er das Geld allerdings wieder bitter nötig gehabt. Denn kaum volljährig geworden, heiratet Fabre die junge Lehrerin Marie Villard aus Carpentras. Aus dieser Ehe entsprießen nicht weniger als fünf Kinder. Wohl hat der junge Ehemann inzwischen auch die Lehrbefähigung für Physik und Mathematik an höheren Schulen erworben, doch wird er erst nach längerer ungeduldiger Wartezeit seinem Examen entsprechend verwendet und bezahlt. Als er seine erste bedeutende wissenschaftliche Arbeit veröffentlicht, wird man in Paris auf ihn aufmerksam. Der Unterrichtsminister Napoleons III. besucht ihn in Avignon, läßt ihn nach Paris kommen, wo er dem Kaiser vorgestellt wird und das Kreuz der Ehrenlegion erhält. Den Tagen des Glücks und der Erfolge folgen schwere Zeiten. Da beginnt Fabre, seine Erfahrungen, Beobachtungen und Forschungen aus der Insektenwelt in einem zehnbändigen Werk niederzulegen, das er „Souvenirs entomologiques" — ,Erinnerungen an Insekten' — nennt; fast dreißig Jahre schreibt er an diesen Büchern, die auch heute noch höchst lesenswert sind. Er spricht darin den Gedanken aus, „daß die Insekten geradeso unbewußt zweckmäßig handeln, wie etwa das Herz oder ein anderes Organ, dessen Tätigkeit der Erhaltung des Körpers dient, ohne daß es selbst ein Bewußtsein davon hat''. Die populärwissenschaftliche Buchreihe findet großen Absatz, und Fabre, der auch ein herrliches Sternenbuch geschrieben hat, steht lange Zeit im Mittelpunkt der Interessen des geistigen Frankreich. Fabre war, wie der große Darwin in der „Entstehung der Arten" feststellte, ein „unnachahmlicher Beobachter", aber auch ein einfallsreicher Experimentator, dessen Forschungsergebnisse teilweise bis heute Gültigkeit haben. Sein Wohnsitz Harmas in Sevignan ist heute eine vom Museum für die Geschichte der Naturkunde in Paris betreute Gedenkstätte. 13
EIN LEBEN FÜR DIE TIERE
Alfred E. Brehm 2. II. 1'829— 11. XI. 1884
Von weither kommen die Vogelkundler, die Ornithologen, und andere Tierforscher zum „Vogelpastor" Christian Ludwig Brehm nach Renthendorf im thüringischen Orlagau, in das stille, gastfreundliche Pfarrhaus mitten im grünen Herzen Deutschlands. Der Vogelpastor, der über neuntausend ausgestopfte Vögel sein eigen nennt, steht mit den bedeutendsten Ornithologen aller Erdteile in Briefverbindung und fruchtbarem Gedankenaustausch; wer ins Renthendorfer Pfarrhaus kommt, darf immer freundlicher Aufnahme und eines guten Rates gewiß sein. In jeder freien Stunde durchstreift Pastor Brehm, begleitet von seinen drei Söhnen, die Wälder und Auen der Heimat auf den Spuren der gefiederten Freunde. Die Buben wetteifern mit dem geliebten Vater im Aufspüren neuer Nester und Gelege, und der kleine Alfred kennt alle Vögel seines Heimatlandes und ihre Stimmen, noch bevor er lesen und schreiben kann. Am liebsten möchte er Naturforscher werden; aber Reinhold, der älteste der Brüder, ist schon für den Arztberuf bestimmt, und zum Studium zweier Söhne reicht das Einkommen aus der bescheidenen Dorfpfarrei nicht aus. Nach der Konfirmation kommt Alfred zu einem Bauunternehmer in die Lehre. Freilich — sein Herz gehört nach wie vor den Tieren, seine Liebe gilt allem, was da in Gottes freier Natur kreucht und fleucht. Als eines Tages der Freiherr Johann Wilhelm von Müller zu wissenschaftlichen Diskussionen ins väterliche Pfarrhaus kommt, hängt der 14
siebzehnjährige Alfred mit atemloser Spannung an den Lippen des weitgereisten Mannes, der von seiner ersten Afrika-Expedition erzählt, von ihren Abenteuern und der reichen naturwissenschaftlichen Ausbeute — und von seinem Plan zu einer zweiten Afrikareise, für die er noch einen zuverlässigen Begleiter sucht. Jung soll er sein, gesund soll er sein, und ein Herz für die Tiere soll er haben, wie — nun, zum Beispiel wie des Herrn Pastors Sohn! In stürmischer Begeisterung bettelt Alfred um die Einwilligung des Vaters; er wird ihm viele, viele seltene Vögel mitbringen, er wird seinem Namen Ehre machen, er wird dem Freiherrn ein treuer und verläßlicher Gehilfe sein auf allen seinen Wegen .. . Endlich, nach langem Zögern, sagt der Vogelpastor in Gottes Namen sein „Ja!" Am 6. Juli 1847 verläßt das Expeditionsschiff Wilhelm von Müllers mit dem achtzehnjährigen Alfred Brehm an Bord den Hafen von Triest. Nach einem Jahr, so hofft man, wird die Expedition mit reicher Ausbeute wieder in die Heimat zurückkehren. Aber noch ist Afrika, Europas dunkle Schwester, ein unerforschter und geheimnisumwitterter Erdteil voller Rätsel, Überraschungen und Gefahren. Wüste und Urwald drohen mit Durst und Fieber, aber was wiegen alle Entbehrungen gegen das Glück des Entdeckens, des Sammeins und Forschern! Doch — wie so oft — erweist sich auch hier der Diener treuer als der Herr, der Gehilfe ausdauernder als der Gebieter. Eines Tages kehrt Freiherr von Müller allein nach Europa zurück, und Alfred Brehm bleibt mit vielen guten Wünschen, aber fast ohne Geldmittel, sich selbst überlassen, in Afrika. Nach Monaten entbehrungsvollen Wartens bringt Alfreds Bruder Oskar ein wenig Geld nach Kairo, mit dem Auftrag Müllers, erneut in den Sudan vorzustoßen. Aus dem ursprünglich vorgesehenen einen Jahr werden fünf volle, reiche Afrika-Jahre, ehe Brehm — am 16. Juli 1852 — wieder in der Heimat eintrifft. Eine ganze kleine Menagerie bringt er mit, vor allem natürlich Bachida, die geliebte zahme Löwin, und eine riesige Ausbeute an wissenschaftlichem Material, dessen Sichtung und Bearbeitung Jahre in Anspruch nimmt. Aber Brehm ist nicht der Mann, auf seinen Lorbeeren auszuruhen. In Jena und Wien studiert er weiter, und kurz nach bestandenem Doktorexamen geht er, als jüngstes Mitglied der altberühmten Leopoldinischen Akademie der Naturwissenschaften, erneut auf die Reise, diesmal nach Spanien zu Bruder Reinhold, der dort als Arzt tätig ist. Wieder daheim, wird er Mitarbeiter der „Gartenlaube", einer der 15
volkstümlichsten Wochenschriften jener Zeit. Nun warten Woche für Woche in vielen deutschen Bürgerhäusern die Väter und Söhne auf die neueste Nummer mit den Tierschilderungen des Doktor Brehm. Der Verleger erkennt bald den bedeutenden Anteil Brehms am überragenden Erfolg seines Wochenblattes und ermöglicht dem jungen Naturforscher eine ausgedehnte Reise zu den Vogelbergen Nordeuropas, nach deren Abschluß Brehms erstes größeres Buchwerk „Die Vögel Europas" erscheint. Ein großer Erfolg! Herzog Ernst II. von Coburg lädt den berühmten Tierschriftsteller zu einer neuen — diesmal finanziell gesicherten — Expedition nach Ostafrika ein. Mit von der Partie sind Friedrich Gerstäcker, der bekannte Jugendschriftsteller, und der Maler Kretschmer, der sich auf Tierdarstellung spezialisiert hat. Nach der Rückkehr beginnt Brehm mit der Arbeit an seinem „Illustrierten Tierleben", von dem im Jahre 1863 der erste Band erscheint. Neben anderen Malern hat auch Freund Kretschmer treffliche Illustrationen beigesteuert. Mit Spannung erwartet und begeistert begrüßt, folgt nun Band auf Band des „Tierlebens", das den Namen Brehm in aller Welt bekannt und zu einem Wertbegriff wissenschaftlicher Zuverlässigkeit, lebendiger Anschaulichkeit und allgemeinverständlicher Darstellungskunst gemacht hat. Für kurze Zeit übernimmt Brehm die Leitung des Hamburger Zoos, und die kühlen Hanseaten staunen nicht wenig, wenn der Direktor Brehm zusammen mit seinem Schimpansen „Molly" am Kaffeehaustisch sitzt. Wenig später baut der große Tierfreund in Berlin das „Aquarium unter den Linden" auf. Aber die Verwaltung_sarbeit behagt ihm wenig. Viel lieber unternimmt er mit Kronprinz Rudolph von Österreich ausgedehnte Jagd- und Forschungsfahrten nach Ungarn und Spanien. Vortragsreisen führen ihn durch Nordamerika, neue wissenschaftliche Expeditionen bis nach Sibirien. Immer aber kehrt er ins geliebte thüringische Renthendorf zurück, in seine alte Heimat, wo der gütige Vater den Knaben einst das liebende Verstehen der Tiere gelehrt hatte. „Brehms Tierleben" hat die Zoologie, bis dahin eine Domäne der Fachgelehrten, mit einem Schlag volkstümlich gemacht. In dieser „Tierbibel des deutschen Volkes" wird zum erstenmal das Tier als ein Wesen geschildert, das liebt, kämpft und leidet. Von Liebe, Kampf und Leid war auch das Leben Alfred Brehms erfüllt, des „Tiervaters", der schon in seinem fünfundfünfzigsten Jahre die letzte, große Reise antreten mußte. 16
MIT DEM VORLIEGENDEN HEFT verabschieden sich — im 18. Jahr nach ihrer Gründung — die LUX-LESEBOGEN in der bisherigen Form und Erscheinungsfolge von ihren Lesern. Unmittelbar nach dem Kriegsende ins Leben gerufen, konnten seitdem über 25 Millionen Lesebogen mit 410 Titeln und zahlreichen Sonderheften wertvolles Wissen verbreiten. Die allgemein steigenden Produktions- und Versandkosten entziehen den 30-Pfennig-Heffen die kaufmännische Grundlage. Eine notwendige, erhebliche Erhöhung des Heftpreises glaubt der Verlag seinen jungen Lesern gegenüber grundsätzlich nicht vertreten zu können.
LUX-LESEBOGEN wird es auch in Zukunft geben Der Verlag beabsichtigt, in Fortführung der bisherigen Reihe Sonderhefte erscheinen zu lassen. Ihre Themen sind denkwürdige Ereignisse der Forschung und Lebensbilder aus allen Bereichen des Wissens. Der Verlag bittet die bisherigen Bezieher, auf dem Antwortschein in dieser gelben Beilage ihre Anschrift bekanntzugeben, damit sie rechtzeitig — ohne jede Verbindlichkeit — über das Erscheinen der Sonderhefte unterrichtet werden können.
Alle LUX-LESEBOGEN können nachbestellt werden Da die Nachfrage nach früher erschienenen Heften sfets sehr grofj isf, hat der Verlag von jeder Nummer einen Vorrat neu drucken lassen. Wir bitten, in der Titellisfe auf den folgenden Seiten die gewünschten Nummern auszuwählen und sie in den Bestellschein einzutragen (Mindestbestellung 10 Hefte). Der Nachbesfellpreis beträgt je Heft 30 Pfg., bei Schulsammelbestellungen 25 Pfg. (in beiden Fällen portofrei).
Eine schmucke Bibliothek des Wissens besitzt, wer seine Lesebogen in den schönen Plastik-Buchkassetfen aufbewahrt. Jede Kassette kann 24 Hefte aufnehmen. Preis der Lesebogen-Plasfik-Kassetfe DM 2,95 (einschl. Versandgebühren). Bitte auch für die Kassetfenbestellung den beigehefteten Bestellschein benutzen.
Ein Nachschlagewerk fürs Leben — eine prachtvoll gebundene Reihe von 15 Bänden — sind die LUX-LESEBOGEN-BDCHER mit 360 ausgewählten, nach Wissensgebieten geordneten LUX-LESEBOGEN. Der dauerhafte Einband in farbfroher Luxusplastik mit goldgeprägtem Rückenschild und die kräftige Bindung machen diese Buchreihe besonders geeignet für Schüler- und Lehrerbüchereien, Jugendbibliotheken und Lesesäle. Auch in der Privatbücherei sind sie ein Besitz von bleibendem Wert (vgl. die Sonderanzeige hinter der „Titelliste").
Verlag Sebastian Lux 811 Murnau, Seidlpark
LUX-LESEBOGEN TITELLISTE DER L I E F E R B A R E N
HEFTE
Heftpreis 30 Pfg. Schulsammelbestellungen 25 Pfg. (Mindestbestellung 10 Hefte)
Länder und Volker 69 Japan 402 Australien 114 Wir ritten n. Lhasa 317 Irland 229 Korsika 404 Portugal 282 Malta 211 Die kleinen Vier 39 Wüste oder Paradies 275 Der Nil 328 Der Berg Sinai 140 Die Karawane 244 Saba 206 Negerstaat Liberia 251 Ghana (Goldküste) 85 Pygmäen 305 Gold in Südafrika 177 Im Kongo 298 Stanley am Kongo 345 Die Donau 265 Kapitäne 391 Sdiätze der Sahara 320 Sdiiffe im Hafen 358 Der Jangtse 363 Wien 372 Bantu und Buschmänner 373 Bambus und Beton (Mexiko heute) 383 Die Weiße Oase 398 Nanga Parbat 399 Geburt e. Vulkans
Forscher und Erfinder 214 230 125 201
Große Erfinder Berühmte Ärzte Martin Behaim Paracelsus
369 343 292 296 307
Kopernikus Johannes Kepler James Cook AI. v. Humboldt Hofapotheker Pettenkofer 310 Forstmeister Drais . 266 Livingstone 19 Robert Koch 176 Brot für die Menschheit— Justus Liebig 120 Edison, der Zauberer 306 Heinrich Hertz 220 Röntgen 204 Madame Curie 326 Marconi 281 Max Planck 303 Albert Einstein 331 Max von Laue 360 Otto Hahn 184 Professor Piccard 410 Forscher und Erfinder
Weif der Technik 95 Triumphe d. Technik 42 Vom Tretrad zur Turbine 182 Ratsherr Guericke 159 Siemens 79 Kälter als Eis 217 Straßen der Kraft 264 Titan 212 Glas 190 Salzgitter 332 Das Dampfroß 315 Der eiserne Seehund 48 Luftgaukler 113 Der Schneider v.Ulm 325 Traum u. Tat (Eyth) 295 Schiff« am Himmel
200 Hubschrauber 232 Silbervögel 215 QDM 270° / Flughäfen und Piloten 143 Friedliches Atom 63 Weltraum-Raketen 252 Ultraschall 233 Amateurfunker 26 Die gläserne Landkarte (Radar) 362 Stahl 364 SOS
370 „Freundschaft 7* (Erdsatelliten) 376 Ozeanriesen 395 Der Staudamm (Kitimat in Kanada) 160 Das Raumschiff
Sfernenwelf und Erde 100 7 237 375 76 46 247 84 60 134 256 209 278 226 37 20 157 67
Welteninseln Die Sterne Sternenrätsel Wie hoch ist der Himmel? Die Sonne Sonnenstoff Helium Die neun Planeten Rätsel des Mars Meteore Die alte Erde Entdeckung d. Erde Weltuhr Weltumsegier Mit 40 PS rund um die Erde Der gute Mond Multipliziertes Auge Mount Palomar Im Reich der Höhlen
141 Die Höhle von Pierre Saint Martin 259 Bergleute in alter Zeit 41 Der brennende Stein (Steinkohlen) 156 Land der Braunkohle 333 Ätna 82 Rätsel der Osterinsel 337 Gipfelstürmer 379 11000 Meter tief ins Meer
Amerika - Die Neue Welt 3 86 153 261 238 213 14 51 272 96 227 221 287 133 293 33 16 242 309 228 150 191 336 65
Goldland d. Inka Das Reich der Maya Indianer Masken u. Dämonen Schlangenanbeter Unterirdische Götter Columbus Cortez Mexiko Der Amazonas Simon Bolivar Der wilde Westen New York Die Brooklyn-Brücke Vater der Ströme Auf dem Mississippi Wasser, Wüste, Weizen Der Pfadfinder Waldläufer Hudson's Bay Company Kanada Der große Strom St. Lorenz Der Arzt von Labrador Eisbrecher erkämpfen Nordost-Passage
Nordpol - Südpol 31 203 73 357 149 291 356 313 127 300 130
Arktis Luftkreuz Nordpol Roald Amundsen Nansen Im ewigen Eis Nautilus (Nordpolunterquerung) Am Dach der Welt Eskimos Grönland Spitzbergen Suomi — Finnland
239 Nomaden d. Nordens 92 Herden unter der Mitternachtssonne 172 Alaska 319 Urwild der Arktis 338 Lemming-Züge 324 Eisbären 260 Robben 43 Der sechste Erdteil 155 Pinguine 245 Admiral Byrd 280 Station am Südpol 389 Schwimmende Wälder
Welfgesdiidife 198 Stadt am Indus 330 Die Pyramide 289 Hatschepsut, Tochter der Sonne 350 Nofretete 54 Im Tal der Könige 316 Euphrat und Tigris 110 Ninlve und Babylon 382 Throne auf goldenen Füßen 378 Reich der Hethiter 128 Konfuzius 101 Buddha 90 Entdeckung Trojas 218 Olympia 3S4 Athen 66 Der Prozeß Sokrates 270 Etrusker 385 Karthago 283 Rom 147 Das goldene Byzanz 393 Berg Athos 91 Mohammed 188 Die Wikinger 29 Mit den Drachenbooten nach Vinland 311 Die große Mauer 195 Sturm aus der Steppe 117 Dschingis-Chan 361 Eldorado 71 Das Land Sibir 302 Der schwarze Tod 116 Ritter, Bürger, Bauern 284 Salzstraßen 359 Die Fugger 210 Florenz 205 Venedig 346 Paris 340 Wallenstein 40 1648: Und es ward Friede
387 189 158 396
Prinz Eugen Dr. Eisenbart Pestalozzi Der falsche Demetrius 352 Kaiser von Haiti 297 Unter schwarzer Flagge 335 Auswandererschiff 323 Goldsucher 243 Freiherr vom Stein 5 Flucht in die Freiheit 25 Das tolle Jahr 1848 371 Der Armendoktor 258 Albert Ballin 106 Mahatma Gandhi 390 Rebell der Wüste (Mahdi) 135 Postmeister der Welt
Nafurgesdiidife 276 262 223 246 13 45 392
Werkstatt der Natur Kräfte der Natur Wunder in uns Pflanzenwunder Augen aufl (1) Augen aufl (2) Das Jahr in Wald und Flur 108 Penicillin 119 Welt der Viren 165 Sieg über die Kälte 288 Das blühende Jahr 62 über Wald u. Heide 241 Der Baum 126 Tiefsee 94 Schätze, die das Meer verschenkt 381 Auf meiner Klippe (Meerestiere) 397 Meergespenster 224 Schildkröteninseln 294 Perlen 75 Urwald 185 Chinchon, der Wunderbaum 186 Zucker 279 Kaffee 267 Kautschuk 163 Fabeltiere 290 Uraltes Tiervolk 52 Tier-Riesen der Urwelt 353 Saurier in Afrika 314 In der Wüste Gobi 59 Jäger der Urzeit 38 Tiere und Tierbilder des Höhlenmenschen
187 Instinkt der Tiere 394 Tiersignale 53 Das verwandelte Tier 47 Das überlistete Tier 98 Merkwürdige Tiere 70 Tierleben 222 Tier-Rätsel 268 Tiere, wie sie keiner kennt 406 Rivalen im Tierreich 236 Tiergeschichten 192 Tiere i. Winterschlaf 57 Tiervölker wandern 132 Kleines Tiervolk 216 Elche 168 Seltsame Käuze 18 Hagenbeck 22 Der Rattenfänger 154 Im Zoo 194 Tiere hinter Gittern 308 Das Mammut 171 Graue Riesen 409 Löwen 339 Pferde 312 Hunde 248 Bernhardiner 263 Affenvolk 197 Die großen Räuber 78 Grimback — der Hamster 366 Meister Lampe 142 Der Dachs 137 Die letzten Biber 93 Freund Igel 368 Verachtetes Tier (Kröte) 102 Bergmann d. Ackers 8 Anguis — der Aal 21 Wale 178 Ritter im Teich/ Der Stichling 341 Wunder d. Insekten 344 Spinnen 401 Insektenmütter 322 Bienenvolk 118 Die Wespenkönigin 269 Ameisen 9 Gefiederte Freunde 384 Vögel, die es nicht mehr gibt 219 Vogelvolk 162 Vogelwelt im Zoo 381 Baumeister der Vogelwelt 277 Vögel am Fenster 231 Eulenvolk 253 Der Habicht 299 Der Sperber
199 123 173 365 347 403 285 152 202
Mauersegler Der Kuckuck Türili — die Lerche Vogelberge Papageien Hyazinth-Arara Der Honigvogel Familie Specht Der heilige Käfer / Der Skarabäus 74 Hydra 274 Der Vulkan 105 Erdöl 180 Das Moor 254 Wetterballone 145 Orkane und Taifune 348 Ebbe und Flut 351 Der Golfstrom 386 Das Herz
Kultur und Bildung 183 Schichten und Scherben (Archäologie) 235 Das weifle Gold 136 Mode und Tracht 169 Gutenberg 80 Formende Hände 286 Matthäus Merian 61 Gemälde (Werkstattgeheimnisse großer Meister) 167 Falscher Rembrandt 1 Die alte Orgel 111 Klingender Wald (Die Geige) 250 Herz d. Zeit (Uhren) 121 Vorhang auf / Die Welt des Theaters 405 Bildhafte Sprache 27/28 Kasperl (Puppenspiel-Doppelheft) 34/35 Film (Doppelheft) 400 Bücherwelt 148 Tönende Leinwand 208 Fernsehen 255 Sehende Hände (Bündenschiift) 234 Olympische Flamme 4 Verhexte Zahlen 407/08 Winter-Olympia 1964 (Doppelheft)
Didifer und Denker 240 Cicero 249 Dante Alighieri .
15 Polizeiakte Shakespeare 107 Cervantes, der Ritter Don Quichote 374 Abraham a Santa Clara 55/56 Beim Herrn Geheimrat (Goethe, Doppelheft) 170 Der junge Schiller 304 Schiller in Weimar 146 Matthias Claudius 164 Johann Peter Hebel 355 Kleist 349 Die Brüder Grimm 144 E. Th. A. Hoffmann 367 Ludwig Uhland 196 Hans Christian Andersen 115 Eduard Mörike 207 Bunte Steine / Adalbert Stifter 334 Schopenhauer 138 Walt Whitman 175 Waldheimat / Peter Rosegger 109 Selma Lagerlöf 377 Gerhart Hauptmann 327 Rainer Maria Rilke 193 Hermann Hesse
Kunst und Musik 44 Dome der Gotik 380 Erzene Stimme (Glocken) 318 Botticelli 124 Leonardo da Vinci 58 Michelangelo 2 Albrecht Dürer 174 Meister Matthis, der Maler 301 El Greco 10 Rembrandt 81 J.S.Bach 166 Meister des Barock 12 Mozart 122 Beethoven 271 Franz Schubert 329 Paganini 273 Carl Spitzweg 139 Ludwig Richter 342 Verdi 72 Wilhelm Leibl 321 Puccini 49 Moderne Kunst 257 Der blaue Reiter 129 Barlach
Ein Nachschlagewerk
LUXLESEBOGEN-BUCHREIHE Eine Universalbibliothek des Wissens, 15 Bände mit 360 ausgewählten, nach Wissensgebieten geordneten Lux-Lesebogen. Dauerhafter Einband in farbfroher Luxusplastik 1 Länder u. Völker 4 Sternenweltu. Erde 7-8 Weltgeschichte 14 Dichter u.Denker 2 Forscher u. Erfinder 5 Amerika 9-12 Naturgeschichte 15 Kunst u. Musik 3 Welt d. Technik 6 Nordpol - Südpol 13 Kultur u. Bildung Preis des Gesamtwerkes mit 15 Bänden (Umfang etwa 11500 Seiten, Tausende von Abbildungen) DM 128,—. Ratenbezug gegen 12 Monatsraten zu je DM 11.75 VERLAG SEBASTIAN LUX-811
MURNAU, SEIDLPARK
ARCHE NOAH — OHNE GITTER
Carl Hagenbeck
10. vi. 1844 — 14. iv. 1913
„Weltberühmt hier auf der Erde / überall auf jedem Fleck / bei der kleinsten Affenherde / ist der Name Hagenbeck!" Die mächtigen Trommeln dröhnen, die blitzenden Posaunen schmettern, und fünftausend Menschen schlagen mit Händen und Füßen den Takt zu Jean Gilberts mitreißendem Marschlied, so daß die unzähligen blauen, roten, grünen und gelben Glühbirnen in dem riesigen Zeltbau zu zittern beginnen, und die Lichtfinger der grellen Scheinwerfer nervös über das weite Rund der Manege huschen. Der glanzvolle Einzug b e g i n n t . . . Zirkus Hagenbeck! In New York oder Madrid, in Yokohama wie in Paris — überall das gleiche strahlende Traumbild, wenn der berühmteste Zirkus der Welt seine Zeltdome aufschlägt. Carl Hagenbeck, Jer Gründer des gleichnamigen Zirkus' und Gründer des Tierparadieses von Hamburg-Stellingen, das zum Vorbild unzähliger zoologischer Gärten in aller Welt geworden ist, hat in seinem schönen, noch heute viel und gern gelesenen Buch „Von Tieren und Menschen" seinen Weg zum Weltruhm selbst erzählt. In liebevoll nachzeichnenden Erinnerungen schildert er den verehrten Vater, aus dessen gutgehendem Fischgeschäft im altberühmten 17
Hamburger Vergnügungsviertel St. Pauli sich ganz allmählich, unter Rückschlägen und mancherlei Zwischenfällen, eine angesehene Tierhandlung entwickelte, in der Carl schon von seinem neunten Lebensjahr an tätig und lernend mithalf. Oft waren Vater und Sohn auf der Reise, um Seehunde, Eisbären oder gar Löwen einzukaufen, die dann mit gutem Gewinn weiterverhandelt wurden. Das Geschäft vergrößerte sich zusehends und drohte den beiden über den Kopf zu wachsen — da beschlossen sie eine redliche Teilung: Der Vater widmete sich weiterhin ausschließlich dem Fischgeschäft, während der Sohn den Tierhandel in eigener Verantwortung übernahm. Damals war Carl fünfzehn Jahre alt. Schon ein Jahr später schloß er seinen ersten größeren Handelsvertrag: Er verkaufte einen Elefanten an den Berliner Zoo, und sein Vater schmunzelte zufrieden, als er den erzielten Preis — an die siebzehnhundert Taler — erfuhr. Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg, das erlebte auch der junge Hagenbeck, der mit Eifer und Selbstvertrauen neue Geschäfte wagte, große Reisen unternahm und bald in der Branche als zuverlässiger und geschickter Handelspartner respektiert wurde. Überall, wo interessante und gewinnbringende Tierkäufe lockten, war er zur Stelle — in London und Paris, in Suez und Alexandria, in Antwerpen und Wien. Die weiten Reisen, die Bekanntschaft mit fremdartigen Menschen aus aller Herren Ländern, brachten Hagenbeck auf den Gedanken, seinem Tiergarten auch eine exotische Völkerschau anzugliedern: Er engagierte indische Gauklertrupps, Kalmücken und Chinesen und reiste mit ihnen durch ganz Deutschland, überall von neugierigen und gut zahlenden Zuschauern begeistert begrüßt. Einmal gelang es ihm, eine prunkvolle Ceylonkarawane mit siebenundsechzig Singhalesen und fünfundzwanzig Elefanten zu verpflichten, mit Teufelstänzern und glutäugigen Bajaderen. Mit dieser Truppe marschierte er auch durch die Industriestadt Essen und zog in glanzvollem Aufzug in das Werksgelände des Kanonenkönigs Krupp ein. Weit öffneten sich die Tore der gewaltigen Stahlwerke vor den auf Prunkelefanten einherschaukelnden Fremden; man nahm an, daß ein millionenschwerer Maharadscha gekommen sei, um viele Kruppkanonen und Maschinen zu bestellen für sein fernes Reich. Die Höflichkeit verbot, Fragen zu stellen, so geleitete man die vornehmen Gäste durch das ganze Fabrikgelände, bewirtete sie aufs feinste und verabschiedete sich mit vielen Verbeugungen. Als die Krupps später erfuhren, daß das Ganze nur der Reklameaufzug eines ge18
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wissen Herrn Hagenbeck aus Hamburg gewesen war, gab es lange Gesichter . . . Nun war der Schritt zum eigenen Zirkus nur noch klein. In Hamburg wurde das erste Hagenbecksche Zirkuszelt nach amerikanischem Vorbild errichtet, und Carl Hagenbeck selbst betätigte sich als erfolgreicher Dompteur. Er war der erste, der Löwen, Tiger und Bären zusammen in einem Käfig und in gemeinsamem, zahmem Dressurakt vorführte; und er verdiente mit seinen ausgedehnten Gastspielreisen so viel Geld, daß er an die Verwirklichung seines Jugendtraumes denken konnte, an die Errichtung eines Tierparadieses, eines riesigen, gitterlosen Freigeheges, auch für die „wilden Tiere". In Stellingen bei Hamburg fand er ein passendes weitläufiges Gelände, und nun machte sich ein ganzer Stab von Ingenieuren, Architekten, Landschaftsgärtnern und Tierzüchtern daran, nach Hagenbecks Plänen in fünfjähriger Arbeit den „Tierpark Stellingen" zu errichten, der mit einer glanzvollen Eröffnungsfeier dem Publikum zur Freude, zur Belehrung und zur Erholung übergeben wurde. Ganz ohne Angst waren die ersten Besucher nicht, als sie sich plötzlich den mächtigen Löwen gegenübersahen, ohne Schutzgitter! Sie ahnten nichts von der genialen Sicherung, auf die nur der erfahrene Tierkenner Hagenbeck kommen konnte: Ein niedriger, abgestufter Gehegerand zwang den Löwen, mit den Vorderbeinen tiefer zu stehen als mit den Hinterbeinen. Diese Stellung hinderte ihn am Sprung über den kleinen, verdeckten Wassergraben, denn Löwen nehmen — wie Katzen — keinen Anlauf zum Sprung, sie überwinden ein Hindernis mit einem einzigen Satz. Sechs Jahre noch konnte sich Carl Hagenbeck in Stellingen der Krönung seines Lebenswerkes freuen; er konnte Kaiser und Könige durch sein Tierparadies führen und immer wieder auf weiten Reisen neue, seltene Tiere erwerben. „Kinder, reißt aus — Hagenbeck kommt!" — stand unter einer reizenden Zeichnung in den humoristischen Fliegenden Blättern. Da sah man im Urwald die Affen auf ihre Bäume flüchten, die Löwen sich im Steppengras verstecken und die Flußpferde in ihrem Tümpel versinken. Man lachte viel über das Bild, aber es stimmte nicht ganz. Denn wenn die Tiere reden könnten, wie noch zu Zeiten des heiligen Franziskus, dann würde wohl mancher Affe, mancher Löwe und mancher Elefant mit Überzeugung ausrufen, daß es ihm in der heimatlichen Freiheit lange nicht so gut gegangen sei wie bei Carl Hagenbeck in Hamburg-Stellingen. 19
DER GROSSE DILETTANT
Thomas Alva Edison 11.11. 1847—18. X. 1931
Nach dem Tode des Autokönigs Henry Ford fand man in seinem Hause unter dem Arbeitstisch seiner ersten kleinen Werkstatt einen Schuhkarton mit persönlichen Erinnerungen, die der große Mann hier ve'rsteckt hatte: eine Locke seiner Frau, ein Hufeisen und ein sorgsam versiegeltes Glasröhrchen, auf dessen Etikett Henry Ford geschrieben hatte: „Thomas Edisons letzter Atemzug." Sie waren Freunde gewesen durch viele Jahrzehnte, zwei Männer, die sich nie darum kümmerten, „was die Leute sagen. .." Das kümmerte schon den fünfjährigen Edison nicht, als seine schottische Mutter ihn mit Gewalt aus dem Entenstall des Nachbars zerrte, wo er sich zehn Stunden lang bemüht hatte, die Eier der erstaunten Ente auszubrüten. Als er sieben Jahre alt war, bat die Lehrerin seine Mutter einmal in die Schule: „Es tut mir leid — aber Ihr Tom will einfach gar nichts lernen. Er ist wirklich geistig zurückgeblieben..." „Geistig zurückgeblieben! Mein Junge . . . " Empört nahm Mama Edison ihren Sohn bei der Hand und knallte die Schultür zu. Sie öffnete sich nie mehr für Edison, die gesamte Schulzeit seines Lebens hat drei Monate gedauert. Von nun an unterrichtete ihn seine Mutter selbst, nicht ganz ohne Erfolg. Er bastelte gern, aber seine chemischen Versuche kosteten Geld, mehr Geld, als der Vater ihm geben konnte. Da beschloß der 20
Zwölfjährige, sich auf eigene Füße zu stellen; er hatte die peinliche Taschengeldbettelei satt. Im Eisenbahnzug zwischen Port Huron und Detroit verkaufte er Zeitungen, Obst und Erfrischungen, und das Geschäft blühte in kürzer Zeit so auf, daß er „Filialen" einrichten mußte. In den Jahren des amerikanischen Bürgerkrieges nahm das Interesse an den neuesten Zeitungsmeldungen gewaltig zu; und als im April 1862 die Schlacht bei Shilo tobte, überredete Edison den freundlichen Bahntelegraphisten, die Nachricht an alle Stationen längs der Bahnlinie zu drahten. Die Stationsvorsteher würden sie dann auf die schwarzen Nachrichtentafeln schreiben, die man vom Zug aus lesen konnte. Das machte die Reisenden neugierig, und selbstverständlich würden sie gieriger als sonst nach seinen Zeitungen greifen, um nähere Einzelheiten von der Schlacht zu erfahren. Auf diese Weise setzte Edison statt der üblichen dreihundert volle tausend Exemplare ab. Und das wiederholte sich nach dem gleichen Verfahren. Vom Verdienst erstand er eine alte Buchdruckpresse, die er mit Genehmigung der Eisenbahnverwaltung im Gepäckwagen „seines" Zuges montierte. Nun druckte er seine Zeitung selber während der Fahrt, mit den letzten Neuigkeiten von der Strecke, Geburten, Kindstaufen, Verlobungen und Feuersbrünsten. Gegen den Zeitungsdruck hatten die nachsichtigen Bahnleute nichts einzuwenden, wohl aber gegen die chemische Hexenküche, die Tom im Gepäckwagen eingerichtet hatte. Eines Tages flog sie in die Luft, und Edison flog hinterher. Er begann von vorn — als wandernder Telegraphist, obwohl seine Taubheit ihn die Tickzeichen des Morseapparates nicht vernehmen ließen. Er „las" sie am Vibrieren des Apparates ab. Um sein Äußeres kümmerte er sich wenig, ihn störten weder ausgefranste Hosen noch zerrissene Schuhe. Er brauchte sein gutes Geld für Bücher und Experimente. Das erste Patent meldete er mit einundzwanzig Jahren an: einen elektrischen Stimmenzähler für Parlamentsabstimmungen. Die Herren in Washington waren nicht sehr begeistert: „Ihr Gerät ist zu genau, zu zuverlässig, verstehen Sie . . .?" Edison, der Unpolitische, verstand nicht. Mit geliehenem Reisegeld ging er nach New York, wo ihm die Erfindung eines Apparates für das schnelle Anzeigen der neuesten Börsenkurse vierzigtausend Dollar einbrachte; Geld genug zum Aufbau der ersten Fabrik, in der er Telegraphen- und Telephonanlagen herstellte. Als Dreiundzwanzigjähriger legte er den Grundstein 21
zu seinem berühmt gewordenen Labor in Menlo Park, der Geburtsstätte des ersten Walzenphonographen, des Vorläufers unseres Plattenspielers. „Mariechen hatt' ein Lämmchen klein . . . " brüllte Tom in den Apparat, der den geistvollen Satz krächzend, aber gut verständlich wiedergab. Das nächste Glanzstück des unermüdlichen Bastlers war die Verbesserung der Kohlenfaden-Glühlampe, einer Erfindung des Deutschen Heinrich Goebel, der ihre Bedeutung wohl unterschätzt hatte. Edison ließ, nachdem es ihm gelungen war, die Brenndauer seiner Glühbirnen von vierzig auf fünfhundert Stunden heraufzusetzen, auf eigene Rechnung und Gefahr einen ganzen Stadtteil New Yorks mit elektrischen Lichtanlagen versehen, erbaute das erste Elektrizitätswerk der Welt und leitete sein Stromnetz in über neunhundert Gebäude. Der Zauberer von Menlo Park hatte es fertiggebracht, etwas Wirklichkeit werden zu lassen, was seine Gegner für unmöglich erklärt hatten. Seine Gegner. . . Nun ja, um mehrere seiner zweieinhalbtausend Patente gab es langwierige und unerfreuliche Streitigkeiten. Die Frage, ob ein anderer etwas Ähnliches vielleicht schon vorher erfunden habe, hat Edison nicht allzusehr belästigt, nicht aus Hab- oder Machtgier, sondern in der großzügigen Schlamperei des genialen Dilettanten, der weder Physiker noch Chemiker war und niemals eine geregelte Ausbildung erhalten hatte. Seine Rechte an der Glühlampe, die allein ihn zum reichsten Mann der Welt hätten machen können, veräußerte er gegen eine einmalige Abfindung von einer Million Dollar, die er sofort wieder in neue Unternehmen steckte. Dabei dachte er gar nicht an seine eigene Bequemlichkeit. Wer ihm eine Botschaft zukommen lassen wollte, der mußte einen berittenen oder motorisierten Boten schicken, denn in seinem Haus gab's weder Telephon noch eine richtiggehende Uhr. Als man ihm vorschlug, das Haushaltsgas durch elektrischen Strom zu ersetzen und bemerkte, daß er damit das Glück seines Lebens machen könne, gab er zur Antwort: „Ach, wissen Sie, ich mache mir nichts aus dem Glück." Nachdem ihm die Erfindung des Kinematographien gelungen war, schrieb er selbst kleine, lustige Kurzfilme voll derben Humors, ohne künstlerische Ansprüche, die ihm fernlagen. Vor der unschätzbaren Kunstsammlung seines Freundes Henry Ford sagte er verständnislos: „Ich bin nämlich geistig etwas zurückgeblieben. Meine Lehrerin hat's schon vor fünfundsiebzig Jahren gesagt. . . " 22
„EINE GANZE DRUCKZEILE . . .!
Ottmar Mergenthaler U . V . 1854 — 2 8 . X. 1899
Das ehemalige Schulhaus des mainfränkischen Dörfchens Hachtel bei Bad Mergentheim, ein altehrwürdiger, stilvoller Fachwerkbau; dient der kleinen Landgemeinde heute als Rathaus. Zugleich aber ist es ein gern besuchtes Museum; sind doch im Geburtszimmer des Lehrersohnes Ottmar Mergenthaler viele wertvolle Erinnerungsstücke zusammengetragen und liebevoll verwahrt, zum ehrenden Gedenken des Mannes, dem die Welt eine der bedeutendsten Erfindungen seit Gutenbergs Großtat verdankt. Der Dorfschullehrer Johann Georg Mergenthaler hatte auch seinen Ottmar für den Lehrerberuf bestimmt — aber der aufgeweckte und allem Technischen mit Leidenschaft zugetane Junge hatte ganz andere Pläne: Er setzte es schließlich mit vielen guten Worten bei seinem Vater durch, daß er beim Onkel Hahl, einem geschickten Uhrmacher im "württembergischen Bietigheim, in die Lehre kam und dort eine gründliche feinmechanische Ausbildung erhielt, die durch eifrigen Besuch der Mechanikerfachschule noch vertieft wurde. In den Zeitungen las er von den erregenden Geschehnissen drüben in der fernen Neuen Welt, vom Präsidenten und Sklavenbefreier Lincoln und vom Siegeszug der Technik in den jungen Vereinigten Staaten. Amerika — das Traumland der Verheißung für so viele junge Deutsche — lockte auch ihn. Und er empfand es als einen 23
unübersehbaren Wink und Fingerzeig des Schicksals, als eines Tages Nachricht kam von einem in Washington lebenden Verwandten seines Lehrmeisters, der technisch begabte junge Feinmechaniker suchte für seine Fabrik. Schweren Herzens gab der Lehrer Mergenthaler dem Sohn die stürmisch erbettelte Erlaubnis zur großen Zukunftsreise über den Ozean. Der Einwanderer arbeitete in Washington, später in Baltimore, und erfreute sich bald des Wohlwollens seiner Brotherren, die sein handwerkliches Geschick, sein technisches Verständnis und seine Aufgeschlossenheit für alles Neue und Interessante zu schätzen wußten. Er wurde ein Meister im feinmechanischen Gerätebau. Eines Tages kam der Gerichtsstenograph James O. Clephane zu Mergenthaler. Auf einem Handkarren brachte er eine Art „Setzmaschine" mit, von der er sich eine beschleunigte Wiedergabe seiner Presseberichte erhoffte. Aber die Maschine funktionierte nicht, sie war ebensowenig zu gebrauchen wie ihre zahlreichen Vorgängerinnen, von denen die erste schon im Jahre 1822 zum Patent angemeldet worden war. Viele hatten sich vergeblich um die Erfindung einer solchen Maschine bemüht — der berühmte Mark Twain verlor bei dieser Gelegenheit ein Vermögen von anderthalb Millionen Dollar, ohne daß sein aus achtzehntausend Einzelteilen bestehender „Setzapparat" jemals auch nur eine einzige Schriftzeile zustande gebracht hätte. Nun wollte also James O. Clephane sein Glück versuchen mit Mergenthalers Hilfe, denn von der Geschicklichkeit des jungen Deutschen erzählte man sich Wunderdinge. Ottmar schüttelte zwar den Kopf, als er das primitive Gerät und die Pläne dazu erblickte, die eine Buchstabengußform aus Papiermache vorsahen, doch ging er unverweilt an die Arbeit, um eine brauchbare Lösung zu finden — vergeblich. Aber in Fachkreisen sprach es sich bald herum, daß da etwas „im Gange" war; die Verleger der großen Tageszeitungen „Washington Post" und „New York Tribüne" wurden auf Clephane und Mergenthaler aufmerksam und beteiligten sich -mit erheblichen Geldmitteln an den langwierigen Entwicklungsarbeiten. Endlich, an einem warmen Julitag, war man am Ziel. Strahlend stand Ottmar Mergenthaler im Setzersaal der „New York Tribüne" vor seiner Maschine. Sie sah fast aus wie eine Schreibmaschine, mit einem riesigen Anbau von Gußformen, Röhren, Zahnrädern und Hebeln, und es war ein feierlicher Augenblick, als Ottmar zum er24
stenmal auf die Tasten drückte. Ein Klirren, Rattern und Dröhnen — dann warf die Maschine einen blinkenden dünnen Metallstreifen aus, in der vollen Breite einer Zeitungsspalte. Whitelaw Reid, der Verleger, nahm den silbrig schimmernden Metallstreifen in die vor Erregung zitternden Hände und betrachtete die acht Wörter, die in gestochen scharfen, erhabenen, druckreifen Buchstaben darauf gegossen waren. „Eine ganze Schriftzeile von Buchstaben — a line of types!" rief er begeistert aus und gab damit Mergenthalers genialer Erfindung den Namen, den sie bis heute behalten hat: Linotype . . . Aber Ottmar gab sich mit dem Erfolg nicht zufrieden; er arbeitete weiter in besessener Hingabe an seinem Werk, an Verbesserungen und Vereinfachungen, und drei Jahre später war die neue, noch viel schneller setzende und nahezu- unverwüstliche „Linotype" fertig, im wesentlichen die noch heute verwendete Setzmaschine, mit deren Hilfe über achtzig Prozent alles dessen gesetzt wird, was in der ganzen Welt gedruckt und gelesen wird. Seine Rechte und Patente verkaufte der Erfinder an die Gesellschaft, die ihm die langjährige Arbeit ermöglicht hatte, und der ehemalige Uhrmacherlehrling aus Hachtel erhielt dafür über anderthalb Millionen Dollar. Wenige Erfindungen haben so wie die Linotype die kulturelle und auch politische Entwicklung beeinflußt: Erst die Setzmaschine ermöglichte die preiswerte Herstellung von Massenzeitungen, Zeitschriften und wohlfeilen Bildungswerken; neue Verlage und Druckereien entstanden, und wenige Jahre nach der ersten „gegossenen" Schriftzeile sank in den Vereinigten Staaten die Zahl der Analphabeten von siebzehn auf unter fünf Prozent, während die Auflage der amerikanischen Tageszeitungen sich verzehnfachte. Mergenthaler blieb auch als reicher, mit Ehrungen aller Art überhäufter Mann der bescheidene, in die Welt seiner Ideen und Erfindungen versponnene Bastler. Mit dem gewohnten Eifer arbeitete er nun unablässig weiter an der Verbesserung seiner Setzmaschine, an der Erfindung neuer Dresch- und Korbflechtmaschinen, und über der Arbeit vergaß er Essen, Schlafen und die Sorge um seine geschwächte Gesundheit. Er achtete auch nicht auf die immer bedrohlicher werdenden Anzeichen der Lungenschwindsucht und hörte nicht auf die Mahnungen seiner Ärzte, sich zu schonen. Fünf Monate nach seinem fünfundvierzigsten Geburtstag nahm ihm der Tod die Hände von den Tasten der Linotype. 25
VOM SKLAVEN ZUM „PFLANZENDOKTOR"
George Washington Carvei Januar 1860 — 5. I. 1943
Seine Eltern sind noch Sklaven, zwei jener Millionen von Schwarzen und Braunen, die in den Südstaaten von Nordamerika seit vielen Generationen in knechtischer Unfreiheit gehalten werden. Die beiden aber haben das Glück, ihrer treuen Dienste wegen bei dem Farmerehepaar Moses und Susan Carver in Diamond Grove in Missouri wie Verwandte des Hauses behandelt zu werden. Die kleine schwarze Familie führt ein zufriedenes und bei aller Kargheit sogar glückliches Leben, bis das Schicksal zuschlägt: Der Vater verunglückt tödlich bei einem Transport von Baumstämmen, und wenig später werden in der Dämmerung auf abgelegenem Feld die knapp neunzehnjährige Mutter und das überaus kleine, schwächliche, vom Keuchhusten fast bis zum Ersticken geplagte Kind von rohen Fäusen gepackt, auf ein Pferd gezerrt und als Raubbeute entführt. Es herrscht Grenzkrieg zwischen den beiden Staaten Missouri und Kansas, und es gelten die Gesetze des Dschungels mit Plündern, Rauben, Brandschatzen und Morden. Sklaven kann man verkaufen, und sie gelten wegen ihres hohen Wertes sogar mehr als ein Pferd oder ein Maultier. Ein Buschjäger bringt später den Säugling zurück, ein in einen Mantel gewickeltes, hinter den Sattel geschnalltes Bündel, und erhält dafür ein Reitpferd als Belohnung; die junge Mutter aber bleibt für immer verschollen. 26
1865 wird im Staate Missouri die Sklaverei abgeschafft. Das pechschwarze Waisenkind ist frei und erhält von „Onkel" und „Tante" den Namen George Washington Carver. Erstaunliche Fähigkeiten werden bei dem kleinen George offenbar. Sehr bald spricht es sich bei der ganzen Nachbarschaft herum, daß er eine geradezu magisch glückliche Hand für Tiere und erst recht für Pflanzen habe. Mrs. Carver beschäftigt den Burschen, den sie und ihr Mann wie ein eigenes Kind ins Herz geschlossen haben, meist im Haus, und es macht selbst den trübsten Tag hell, wenn er mit seiner hohen Stimme selbst erfundene Lieder singt, obgleich ihm der Keuchhusten, den er als Baby durchmachte, ein schreckliches Stottern als Erbe hinterlassen hat. Er ist von rascher Auffassungsgabe und von ungewöhnlichem Geschick. Sein Wissensdurst ist unstillbar, er umfaßt alle Gebiete des täglichen Lebens. Missouris neue Verfassung gewährt allen Jugendlichen zwischen fünf und zwanzig Jahren unentgeltlichen Unterricht. Der kleine George aber steht oft sehnsüchtig vor der geschlossenen Schultür, die sich nur weißen Kindern öffnet. Schließlich drängt er die Pflegeeltern solange mit seinen Bitten, bis sie ihn in die Fremde ziehen lassen: Der schwarze George sucht sein Glück, ein zarter Junge von zehn Jahren gibt die Sicherheit seines Heimes und den Halt einer vertrauten Umgebung auf und macht sich, brennend vor Eifer, auf, um das Wissen zu finden. Das war zu allen Zeiten ein mühsamer Weg für die Armen, besonders beschwerlich aber, wenn man ihn mit schwarzen Füßen beschreitet. Neosho, acht Meilen entfernt, ist sein erstes Ziel. Eine Hebamme nimmt den Hungernden auf, und hier hat er es richtig getroffen — nur ein Zaun trennt ihn von der Lincolnschule, einem einzigen baufälligen Raum von ein paar Quadratmetern, in dem sich 75 Negerkinder vor einem schwarzen Lehrer drängen. Ungezählte Male springt George, der seine Zeit zwischen Unterricht und Arbeit teilen muß, über diesen Zaun. Und er arbeitet nicht nur in Haus und Garten der Hebamme Watkins, sondern überall in der Stadt, wo sich eine Möglichkeit bietet. Mit dreizehn Jahren schließt er sich einer Familie an, die nach Fort Scott in Kansas übersiedelt. Er hat inzwischen erkennen müssen, daß es Negerkindern bei Strafe der Lächerlichmachung verboten ist, davon zu träumen, eines Tages reich oder gar berühmt zu werden. Aber in seinem Herzen hämmert unablässig der Wunsch und der Wille: Ich möchte wissen . . . ich möchte lernen . . . 27
Eines Tages — er hat Arbeit bei einem farbigen Grobschmied angenommen — wird er Zeuge, wie eine brüllende Menge einen Farbigen aus dem Gefängnis zerrt, mit öl übergießt und verbrennt. Grauenhaft ist das Geschehen, und tiefste Melancholie senkt sich auf das Gemüt des jungen Negers. Am anderen Morgen verläßt er die Stadt, von Furcht, Ekel und Entsetzen geschüttelt. Carver wird ein zielloser, aber überall scharf beobachtender Wanderer. Unübersehbar sind die Stationen seines weiteren Lebensweges. Während er sich als Holzsäger, Mäher, Koch sein Brot verdient, studiert er zugleich in der freien Natur, in Gärten, Parks und Gewächshäusern die Pflanzen, prüft die Bodenverhältnisse und vertieft sich nachts in die Fachbücher. Mit Leichtigkeit gelingt es ihm, die Vorprüfungen abzulegen, die ihm die Tore der Highland-Universität öffnen sollen. Schriftlich meldet er sich mit den glänzendsten Zeugnissen zur Immatrikulation, und man erwidert ihm, daß man sich geehrt fühle, einen Studenten solcher Vorbildung zu gewinnen. Als sich aber bei der Vorstellung ergibt, daß es sich um einen Neger handelt, weist man ihm die Tür. Erst im September 1890 — Carver ist dreißig Jahre alt — nimmt ihn das Simpson-College in Indianola im Staate Iowa auf. Wenige Jahre später ist er die Leuchte der Hochschule für Landwirte. Sofort beginnt er, angefüllt mit den Erfahrungen vieler Wanderjahre, der dauernden Wirtschaftsnot in den Südstaaten dort entgegenzutreten, wo sie ihren Ursprung hat: Es ist der einseitige Anbau einer einzigen Nutzpflanze, der Baumwolle. Ein Preisverfall an den Baumwollbörsen der Welt muß deshalb jedesmal eine Katastrophe für Millionen Familien werden. Carver bringt seine Landsleute dazu, im Anbau der Feldfrüchte zu wechseln und Teile ihrer Fluren mit Sojabohnen, Erdnuß und Süßkartoffeln zu bestellen oder Forsten anzulegen. Und er macht zugleich Vorschläge für die Verarbeitung übergroßer Ernten zu Arzneistoffen, Farben und Kunststoffen. Der Erfolg ist so überzeugend, daß sein Name in aller Welt genannt wird. Er wird zum ständigen Ratgeber der Landesregierung in Fragen der Pflanzenkunde und Bodenbestellung. Damit Ratsuchende den Negerprofessor und „Pflanzendoktor" leichter finden, läßt der Gouverneur • des Staates Missouri Wegweiser aufstellen, die zu ihm hinweisen. Carver sorgt selber noch dafür, daß seine Arbeit nach seinem Tode weitergeführt werden kann, durch die Gründung der Forschungsstätte „Carver Foundation". 28
VOM ARBEITER ZUM ASTRONOMEN
Bruno H. Bürgel 14. XI. 1875 — 8. VII. 1948
Er kommt „aus der Tiefe", wie er selbst von sich gesagt hat. Im damaligen „Scheunenviertel" von Berlin, an einem düsteren Novembertag, in einer jener Mietskasernen voller Armut, Lärm und Krankheit, erblickt er das Licht seiner Kindheitswelt. Eine frühverwaiste, junge, blasse Näherin ist seine Mutter. Ihr ganzer Besitz ist eine kleine Holztruhe mit derber Wäsche und billiger Kleidung, denn mehr ist nicht zu erwerben mit Waschen, Nähen und Flicken vom Morgen bis in die Nacht in den dunklen Hinterzimmern fremder Häuser. Und auch gegen die Schwindsucht, die Krankheit der Armen, ist kein Kraut gewachsen. Vom Scheunenviertel führt kein Weg in die heilende Sonne von Davos. Die Mutter stirbt, wie alle Armen sterben, still, ohne Widerstand und ohne viel Aufhebens. Kurz vor dem Tode seiner Mutter ist Bruno von einem älteren Schuhmacherehepaar adoptiert worden, bei dem die Todkranke Unterschlupf gefunden hatte. Es sind biedere, brave Menschen, die ihn rührend umsorgen, soweit ihre dürftigen Mittel reichen. Außer einer prächtig mit Fahnen geschmückten Straße und schreienden Menschen, die 1882 an dieser Straße den ersten Stadtbahnzug begrüßen, bleibt ihm kein nachhaltiger Eindruck aus der dumpfen Enge seiner ersten Kindheit. Er ist elf Jahre alt, als sich endlich der erlösende Lichtschimmer inmitten der Dunkelheit zeigt. Seine Pflegeeltern ziehen nach einem nördlichen Vorort, hinaus ins Freie! 29
Licht, Luft, Sonne, Gärten und Wiesen, Felder und Wälder! Ein schmächtiger, blasser Stadtjunge aus den Elendsquartieren schwelgt in dem Wunder, daß er nun den unbegrenzten Himmel sehen kann, den Duft des Flieders und der Linden atmet und das Singen der Vögel, das Zirpen der Grillen hört. Die einfache Philosophie dieses enttäuschten und herumgestoßenen Waisenkindes ist der Glaube der Armen, daß die Welt der Menschen von Grund auf und von Anbeginn bis Ende traurig und voller Not und Ungerechtigkeit ist und daß es Glück und Gerechtigkeit erst jenseits des Irdischen, dort oben bei Mond und Sternen gibt. Mond und Sterne — man müßte mehr darüber wissen! Der Tag seiner Entlassung aus der Schule wird für ihn zum Tag schwerster Entsagung. „Die Sterne studieren", sein innigster, heißester Wunsch, verstummt bei dem entscheidenden Gespräch mit seinen Pflegeeltern in der bitteren Einsicht, daß alle finanziellen Voraussetzungen zum Studium einer zudem brotlosen Kunst fehlen. Er braucht ja nur in die vom Alter, von Arbeit und Sorge zerfurchten Gesichter zu schauen, um zu begreifen, daß es jetzt an ihm ist, eine Hilfe zurückzuerstatten, die ihm trotz aller Drangsal und Beschwernis nach besten Kräften gegeben wurde. Wer arm ist, wird arm bleiben, und da es das Schicksal so will, wird er eben Lehrling bei seinem Pflegevater werden und hinter dem verhaßten Schusterbock leben und sterben! Er ist vierzehn Jahre alt, ein langer, dünner Bursche, der in keinen abgelegten Anzug mehr hineinpaßt. Als er mit gar zu unglücklichem Gesicht den rundköpfigen Schusterhammer schwingt, erlaubt ihm der Stiefvater, sich Arbeit in einer Druckerei zu suchen. Die in ihm stets schlummernde Sehnsucht nach Wissen wird nun hellwach; er glaubt, in der neuen Arbeitsstelle recht viel lesen und lernen zu können, um sich fortzubilden; aber es ist eine seiner heftigsten Enttäuschungen, als er nur Farben reiben und Druckwalzen auswaschen darf und es außer Preislisten, Viehmarktkalendern und Maskenballplakaten nichts zu lesen gibt. Aber seine Kräfte halten ja sowieso noch nicht durch — auch nicht in einer Schraubenfabrik und einer Glasflaschenfabrik. Eine tiefe Angst vor der Welt ergreift den unglücklichen Jungen. Er muß doch Geld verdienen! Wie soll er ohne Geld je die Sterne studieren können? Fünf Jahre geht er in seiner blauen Bluse, die Blechkanne unter dem Arm, eineinhalb Stunden —• im Winter ohne den viel zu teuren Mantel — zur Arbeit. Die 60 Pfennige für eine Arbeiterwochenkarte können besser in Leseheftchen angelegt werden. Und eines 30
dieser Hefte scheint ihm vom unberechenbaren, geheimnisvollen Glück wie zur Belohnung für sein Streben geradezu zugeworfen zu sein: „Auf einer Sternwarte, oder wie der Astronom zu den Resultaten seiner Forschung gelangt", lautet der Titel. Der bekannte Astronom Wilhelm Meyer, der Begründer der Berliner Volkssternwarte „Urania", ist sein Verfasser. In diesem Augenblick beginnt für den Fabrikarbeiter Bürgel der „Aufstieg zu den Sternen". Noch rücksichtsloser gegen seine Gesundheit, noch unbedingter entschlossen, das Ziel zu erreichen, spart er jeden Pfennig, um sich das Rüstzeug für seine Weiterbildung zu beschaffen. Mit bescheidensten Mitteln baut er Meßinstrumente, beobachtet in den Nächten, zitternd vor Kälte und Müdigkeit, den Sternenhimmel, hat endlich — sein neunzehnter Geburtstag ist gerade vorüber — die 15 Mark für ein kleines Fernrohr beisammen, ist wie vom Fieber geschüttelt, als er die ersten Sonnenflecken sieht, verfolgt die Bewegungen der Monde des Jupiters und kann die Gebirge des Mondes und die Ringe des Saturns erkennen. In der gefährlichsten Krise seines wahrhaftig nicht leichten und bequemen Lebens, arbeitslos, ohne Geld, in einem regennassen Wald übernachtend, und der Verzweiflung so nahe, daß ihm die Sterne fast für immer versunken wären, schreibt er an jenen Dr. M. W. Meyer, dessen kleine Schrift ihm vor Jahren zum Wegweiser geworden war. Und der warmherzige, hilfsbereite Gelehrte kann dem Fabrikarbeiter Bürgel eine zunächst kleine, aber sattmachende und die Wege zu allen Geistesschätzen ebnende Anstellung an der Sternwarte „Urania" beschaffen. Und hier begann der Aufstieg Bürgeis, der es wie wenige verstanden hat, in Büchern, Vorträgen und Aufsätzen auch dem nicht vorgebildeten Laien die Rätsel und Geheimnisse der Sternenwelt verständlich zu machen. Texte: Karlheinz Dobsky, Wolf J. Hartmann, Martin Müllerott Zeichnungen: Barbara Schmidt — Umschlagbild: Der junge französische Physiker Denis Papin (1647—1712) studiert die Kraft der Dampfspannung; er konstruierte die erste Dampfmaschine. — Umschlagseite 2: Otto Lilienthal mit seinem Gleitsegler 1891. L u x - L e s e b o g e n 4 1 0 (Geschichte) H e f t p r e i s 3 0 P f g . Natur- und kulturkundliche Hefte — Alle früher erschienenen LuxLesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig — Druck: Hieronymus Mühlberger, Augsburg — Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München — Herausgeber: Antonius Lux.
Die zehn Lebensbilder im v o r l i e g e n d e n Heft sind eine A u s w a h l aus dem im V e r l a g der Lux-Lesebogen erschienenen spannenden Buch: „Jugend der W e l t — Aufstieg zum Ruhm". Vierzehn Schriftsteller erzählen in diesem Biographienwerk aus d e n Jugendjahren berühmter M ä n n e r und Frauen. Dramatisch b e w e g t sind diese 166 Jugend-Geschichten: W i e der Knabenkaiser A k b a r , der kaum lesen und schreiben konnte, weil es an seinem Hof zu Delhi hundert Schreiber und Vorleser g a b , zu einem der gröhten und zugleich friedvollsten Herrscher der Menschheit heranwächst; w i e Kaiser Friedrich I I . v o n Hohensfaufen als Straßenjunge durch d i e Gassen Palermos streift, um das V o l k kennenzulernen; w i e der j u n g e Charles Lindbergh seinen Traum v o n der O z e a n ü b e r q u e r u n g der Wirklichkeif näher b r i n g t ; w i e der Jüngling Arturo Toscanini im g e b o r g t e n Frack mit abgeschnittenen Hosenbeinen seine erste O p e r dirigiert oder w i e in einem Dachkammerversteck zu Amsterdam d i e d r e i z e h n j ä h r i g e A n n e Frank d i e Geschichte ihres Lebens niederschreibt und wie dieses T a g e buch eines v e r f o l g t e n Judenkindes einmal die g a n z e W e l t erschüttern w i r d . Viele der Groben w a r e n bereits als Kinder und J u g e n d liche berühmt durch das W u n d e r ihrer g e n i a l e n B e g a b u n g . A n d e r e w a r e n frühvollendef u n d w u r d e n a b b e r u f e n , ohne dafj sie d e n G i p f e l der Lebensreife erreichen durften. Das Buch ist eine G a l e r i e großer V o r b i l d e r . Porträtzeichnungen und Lebensdokumenfe ergänzen das G e s a m t b i l d der Persönlichkeifen. JUGEND DER WELT — Aufstieg zum Ruhm. G a n z l e i n e n , f a r b i g e r Schutzumschlag, 544 Seiten, reich illustriert DM 9,80. In jeder Buchh a n d l u n g erhältlich.
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