Klaus F. Withauer Führungskompetenz und Karriere
Klaus F. Withauer
Führungskompetenz und Karriere Begleitbuch zum St...
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Klaus F. Withauer Führungskompetenz und Karriere
Klaus F. Withauer
Führungskompetenz und Karriere Begleitbuch zum Stufen-Weg ins Topmanagement
•
GABLER
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet Ober abrufbar.
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Ulrike M. Vetter I Sabine Bernatz Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschOtzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dOrften. Umschlaggestaltung: KOnkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2647-0
Inhaltsverzeichnis Einleitung
9
Kapitell: Führung und Führungsverhalten
l5
1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6
Führung als "personale" Management-Funktion Menschen führen im Gefüge von Managementprozessen Warum und wozu braucht man Führung? Führung steuert und lenkt Sachleistungen Sachaspekt und personaler Aspekt des Managements Führung mobilisiert menschliche Leistungspotenziale Führungsdefinitionen
16 17 18 20 22 23 24
2 2.1
27
2.5
Führung in Organisationen Referenzrahmen für Analyse und Beschreibung der Führung in Organisationen Systemisch-strukturelle Führung Wechselverhältnis zwischen struktureller und personaler Führung Methodenarsenal der Handlungsbeeinflussung in/von Organisationen in einer Zusammenschau Führung durch Menschen
37 38
3 3.1 3.2 3.3 3.4
Führungsverhalten Charakteristika des Führungsverhaltens Erklärungsansätze zum Führungsphänomen Attribute der Prägung des Führungsverhaltens Messung des Führungserfolgs
41 41 42 45 46
2.2 2.3 2.4
27 33 36
Kapitel 2: Motive des Individuums und Motivation
53
4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7
Psychologische Grundlagen der Motivation Persönliches Wollen : Motive und Motivation Motivanalyse Primäre und sekundäre Motivation Werte und Einstellungen Nicht-motivationale Verhaltenseinflüsse Motivkonflikte Frustration und Abwehrmechanismen
54 54 56 57 59 60 62 64
5 5.1 5.2 5.3
Inhaltliche Klassifikation angestrebter Zielzustände Kompetenzmotiv Kontaktmotiv Leistungsmotiv
67 68 70 72
6
Inhaltsverzeichnis
5.4 5.5 5.6 5.7
Dominanz- bzw. Machtrnotiv Status- und Prestigemotiv Sicherheitsmotiv Geldmotiv
74 77 78 80
6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7
Motivinhaltliche Strukturen Motivations- und Führungsziele Individuelle Arbeitsmotive :Hierarchie der Bedürfnisse Motivation zur Aktivierung von Leistung Motivation zum Herbeiführen von Zufriedenheit Motivation und Menschenbild Harmonisierung der Motivationsziele
83 83 84 85 92 93 102 104
7 7.1 7.2 7.3
Kognitive Prozesse im Motivationsablauf Entstehung von Motivationstendenzen Entstehung motivgeprägter Willensakte Motivationsrelevante Bewertung von Handlungsergebnissen
106 106 109 l11
8
Praktische Empfehlungen zur Gestaltung einer motivierenden Situation
113
Kapitel 3: Zusammenarbeit - Gruppeneffekte und Gruppendynamik
117
9 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5
Die Gruppe als soziales Gebilde Merkmale der Gruppe Gruppenentstehung Gruppen und Organisation Formelle und informelle Gruppen Kontaktformen und Gruppenstrukturen
118 118 119 120 122 124
10 10.1 10.2 10.3
Effizienz- und Motivationseffekte in Gruppen Interaktionsprozesse der Gruppe Gruppenzusammenhalt und Zufriedenheit Gruppenzusammenhalt und Leistung
127 127 130 133
11 11.1 11.2 11.3 11.4
Soziale Positionen und deren Kriterien Macht und Autorität - Quellen der Macht Status Gruppennormen Rolle
135 135 137 139 142
Inhaltsverzeichnis
7
Kapitel 4: Gestaltung von Führungsbeziehungen
149
12 12.1 12.2 12.3 12.4 12.5
Führungsverhalten als Rollenverhalten Führerschaft in der Arbeitsgruppe Verwirklichung von Gruppenzielen Vorgesetztenzentrierte vs. gruppendynamische Führung Differenzierende Führung innerhalb einer Arbeitsgruppe Chaotische Beziehungen
150 150 151 152 154 155
13 13.1 13.2 13.3 13.4 13.5
158 158 161 170 177
13.6
Persönlichkeitsstil, Führungsstil und Führungsformen Stilbestimmte Arten der Führung Verhaltensrelevante Charakteristika der Persönlichkeit des Führers Motivationale Verhaltensdisposition : der Führungsstil Führungsstil bei unterschiedlicher "Reife" der Geführten Erfolgswirksam erprobte und weniger erfolgreiche Führungsstile: das 3-D-Raster Flexibler Führungsstil und situatives Gespür
180 188
14 14.1 14.2
Vertrauen als Prämisse für gelingende Motivation und Führung Vorteilhaftigkeit vertrauensvoller Beziehungen Entstehung und Aufbau von Vertrauen
191 191 192
15
Ausgewählte Führungsinstrumente zur Umsetzung führungsbezogener Gestaltungsabsichten Anerkennung und Kritik Mitarbeitergespräch, Personal- und Vorgesetztenbeurteilung Zielvereinbarung: Management by Objectives Führungsgrundsätze
194 194 196 198 199
15.1 15.2 15.3 15.4
Kapitel 5: Führungspraxis in Führungskarrierestufen
201
16 16.1 16.2 16.3 16.4 16.5 16.6 16.7
Führung von Projektteams Projektgruppen und andere temporäre Teams Karriere durch Projekte: Qualifikation für Gruppen- und Teamarbeit.. Das Zusammenstellen des Teams Führungsverhalten im Projektteam und situative Wahl des Führungsstils Das Projekttearn zusammenführen: Teamentwicklung Diversity-Management Gespräche und Meetings in der Projektzusarnrnenarbeit
203 203 205 206 208 210 212 214
17 17.1 17.2 17.3
Führung des Chefs - Führung von unten Merkmale und Besonderheiten der Führung von unten Zunehmende praktische Bedeutung der Führung nach oben Einflussdimensionen und Strategieansatz der Führung von unten
217 217 218 220
8
Inhaltsverzeichnis
17.4 17.5
Interaktive Ansätze und Handlungsempfehlungen zur Führung von unten Strukturale Verankerung der Führung von unten
221 231
18 18.1 18.2 18.3
Führung in der Linienposition eines Geschäfts- oder Arbeitsbereichs Ausgangssituation beim Start als Bereichsleiter Führer- und Manager-Rollen Postulate zur effektiven Mitarbeiterführung
232 232 233 234
Kapitel 6: Mikropolitische und symbolische Führung
243
19 19.1 19.2 19.3 19.4
Führung und Mikropolitik Machtaufbau und -einsatz als politische Methode der Handlungssteuerung Mikropolitische Taktiken Rechtfertigung und Erkennbarkeit mikropolitischen Agierens Fördern oder Eindämmen mikropolitischen Führungshandelns
245 245 246 247 248
20 20.1 20.2 20.3 20.4
Symbolische Führung und Organisationskultur Führung mit Symbolen Wirkung eines Symbols Symbole als Sinnbilder der Unternehmenskultur Gruppierung und Typen kulturprägender Symbole
250 250 250 251 253
21 21.1 21.2 21.3
Kulturbewusste Führung Wirkungen der Unternehmenskultur Gestaltungsbereiche der Organisationskultur Gesteigerte Führungseffektivität durch symbolisches Führen
255 255 259 262
Kapitel 7: Training der Führungsqualifikation und Führungseffektivität
265
22 23
267 269
Neue Anforderungen an Führungskräfte "Schlüssel"qualifikationen der Führungskompetenz
Selbst-Check - Antworten Literaturverzeichnis Stichwortverzeichnis Der Autor Stimmen zum Buch
275 281 287 291 292
Einleitung Regel Nummer eins: Erst denken, dann handeln! - Das hilft, erfolgreich zu führen! Die meisten Führungskräfte stimmen dem zu . Gleichwohl ist ihnen durchaus bewusst, dass sie für die Führung von Mitarbeitern meistens nicht ausgebildet sind. Sie trösten sich zum einen damit, dass Führen ohnehin eher eine Frage der Persönlichkeit und deshalb nicht lernbar sei, oder sie sind der Auffassung, eine Führungsausbildung bestehe größtenteils aus Selbstverständlichkeiten, ja Binsenweisheiten, und sei deshalb entbehrlich. Andere - um sich - besorgte Führungskräfte räumen ein, dass sie sich in ihrer Führerrolle eher "durchwursteln", statt zu führen.
Was ist der Ausweg? - Der durchaus lesebereite Praktiker will meist weder ein zeitaufwändiges Studium der wissenschaftlichen Literatur bewältigen, durch das er nur zweifelhafte Erkenntnisse für die Führungspraxis gewinnt, noch möchte er sich an undurchschaubaren Führungs.Jrelden", -ideologien oder -mythen orientieren. Führungs1cräfte brauchen einefundierte Anleitung zum Führungs-Können. Die fast unübersehbare Führungsliteratur lässt indes fürchten, hierzu das "falsche" Buch zu erwischen, weil Autoren zu theorielastig oder banal, unverständlich oder praxisuntauglich schreiben. Gelingen kann ein praxistaugliches Arbeitsbuch nur Autoren, die genügend Praxiserfahrenheit aufweisen und sich parallel umfassend darum bemüht haben, in Forschung und Lehre führungsbezogene Erkenntnisse zu registrieren und praxisbezogen zu bewerten. Dieses Buch präsentiert dem Praktiker - sei er noch Mitarbeiter, Projektteamleiter oder bereits gestandener Chef - im Beruf das erfolgsrelevante Führungs-Können und das zugehörige Führungs-Wissen in einer Zusammenschau. In der Führungsrolle kann nur glaubwürdig sein, wer zumindest die Grundlagen gestalterischen Einwirkens kennt und einen Überblick über Ansätze, Ergebnisse und kritische Bewertungen der Führungsforschung hat. Sonst bleibt jedes Führungshandeln ein unsicheres Unterfangen. Vor allem bietet dieser Praxis-Ratgeber umsetzbare Gestaltungshinweise sowie konkrete Handlungsempfehlungen zu den jeweils angesprochenen Führungsthemen. Als ein Arbeitsbuch ist die Themenbehandlung vielfach interaktiv gestaltet. Zu informativen Abschnitten wird der Leser auch mit offenen Fragen konfrontiert: Die Führungsperson in der Praxis geht eher von spezifischen Ist-Situationen aus, will zunächst analytisch das relevante Phänomen bzw. ein Führungsproblem verstehen, um dann resultatwirksame Vorgehensweisen zu erkennen. Die Novität des Arbeitsbuches ist die integrierte Behandlung sowohl der Führungsthematik für die Absichten der individuellen Mitarbeiterführung von einer oder mehreren Personen als auch der Besonderheiten der zu immer mehr und differenzierter Bedeutung gekommenen Teamführung. Beispiele sind teilautonome Arbeitsgruppen und die Arbeit in quantitativ und qualitativ unterschiedlichen Projekten. Unverzichtbar spielt in die Führungsanstrengungen auch ein Extra-Rollen-Verhalten, das als Mikropolitik eingesetzt wird, um Macht aufzubauen und Handlungsspielräume zu erweitern; diese Art der Einflussnahme K. F. Withauer, Führungskompetenz und Karriere, DOI 10.1007/978-3-8349-6580-6_1, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
10
Einleitung
wurde früher nicht der Führungsthematik zugerechnet. Die mikropolitische Sichtweise macht deutlich, dass auch eine Führung "nach oben" geschieht, dass auch die Führenden geführt werden und sich führen lassen müssen, auch wenn sie das nicht wollen oder es ihnen gar nicht auffällt.
Auf dem Weg einerFührungskarriere will das Arbeitsbuch ein immerwieder befragtes Begleitbuch sein. Mit der Betonung des Führungs-Könnens verbindet es die programmatische Forderung, die richtigen Personen, statt sie in bürokratische Systeme und Routine einzuzwängen, wieder oder endlich führen zu lassen, und dies mit Begeisterung, Leidenschaft und Ausstrahlung. Tatsächlich lassen sich in der Wirklichkeit vielfältige Defizite in der personalen Führung ausmachen. Qualifizierte Mitarbeiter erleben Phasen der Demotivation. Dysfunktionale Organisationsstrukturen und Arbeitsprozesse führen zu unnötigen physischen, psychischen und materiellen Kosten. Arbeitszergliederung, unklare Zuordnung, Mangel an Verbindlichkeit in der Zusammenarbeit, Kommunikationsprobleme, wirkungslose, aber immer wieder praktizierte Problemlösungsverfahren, machtorientierte statt sachorientierte Entscheidungen - das sind nur einige Symptome für erhebliche Mängel im Management. Solchen beruflichen Misslichkeiten wollen Sie - der Leser - möglichst vorbeugen! Deshalb haben Sie dieses Buch gewählt. Es ist in 7 Kapitel aufgeteilt:
Themenbeschreibung je Buchkapitel Im 1. Kapitel - Führung und Führungsverhalten - werden Grundfragen und bereits mehrere Aufgaben gestellt: Warum bedarf es der Führung als "personaler" Management-Funktion? Wie entstehen in einer Führungsbeziehung die Führer- und Geführtemolle? Was macht beim Führungsverhalten als sozial akzeptierter Verhaltensbeeinflussung den Führungserfolg aus? Im 2. Kapitel - Motive des Individuums und Motivation - geht es um die Ausrichtung einer Führungsbeziehung. Da das Verhalten der Geführten zielgerichtet beeinflusst werden soll, ist ein intensiver Einblick in die Beweggründe menschlichen Handelns angebracht. Dieses menschliche Verhalten ist auf Motive zurückzuführen und auf Ziele orientiert. Führung ist darauf angewiesen, dass die Beteiligten ihre Aufgaben mit Schwung und Begeisterung erfüllen, d. h. fähig, motiviert und willens sind. Ein besonderes Augenmerk gilt der inhaltlichen Beschreibung einzelner Motive. Motivierende Führungsbeziehungen sollen produktive Effekte haben, die indes vielfach als unzureichend angesehen werden. Oftmals wird einem einfachen Menschenbild folgend an der monetären "Motivationsschraube" gedreht. Eine Fülle empirischer Befunde belegt, dass Geld kein nachhaltiger Motivator ist und sich zudem als höchst ungeeignet erweist, Mitarbeiter zu einem besseren Problemlösen oder gar zu einem kreativeren Verhalten zu animieren. Die Erforschung angestrebter Zielzustände, motivinhaltlicher Strukturen und kognitiver Prozesse hat verdeutlicht, dass die Motivation an einen Faktor gebunden ist,
Einleitung
11
der gut mit dem Stichwort der "intrinsisch motivierenden Tätigkeit" überschrieben werden kann. Hinzu kommen der Arbeit förderliche Rahmenbedingungen und Respekt vor dem arbeitenden Menschen. Wer sich hiervon "freikaufen" möchte, handelt nicht nur unter ethischen Gesichtspunkten bedenklich, sondern verschenkt Leistungsvorteile.
Motivation lässt sich alltäglich beobachten, ist aber nicht einfach zu erklären und noch schwieriger zu prognostizieren. Dennoch sind wir in der Lage, diesen Prozess annäherungsweise zu verstehen, und Führungskräfte können motivierendes Verhalten trainieren. Die jeweiligen Abschnitte der Kapitel geben der Führungsperson praktische Anleitungen mit einer Auswahl besonders beachtenswerter Verhaltensvorschläge: wie sie Leistungsmotivierte erkennt, welche Führungsmittel die Leistung erhöhen und welche Zufriedenheit bewirken, wie der Vorgesetzte den geistig ablaufenden Motivationsprozess beim Mitarbeiter und schließlich den Willensakt positiv beeinflussen kann. Das 3. Kapitel - Zusammenarbeit, Gruppeneffekte und Gruppendynamik - widmet sich der Alltagssituation, dass Führungsbeziehungen sich in den seltensten Fällen auf eine Führungsdyade beschränken. Für die Führung einer Mehrzahl von Personen ergibt sich deshalb die Frage nach den führungsbezogenen Besonderheiten. Der Leser gewinnt - auch anhand von Übungsaufgaben - Einsichten in das Zustandekommen der Gruppe, die häufig unterschätzten Effizienz- und Motivationseffekte und gruppentypische soziale Positionen in der Gruppe. Da Gruppeneffekte unabhängig von den Wünschen des Vorgesetzten, also emergent auftreten, kommt es darauf an, ihre positiven Wirkungen zu unterstützen und ihre negativen klug abzuschwächen. Der Umgang mit typischen Rollen in einer Gruppe ist hierzu ein gutes Übungsfeld. Erkenntnisse über die Eigenheiten von Gruppen sind heute speziell hilfreich, da gruppenorientierte Arbeitsformen zunehmen und Teamarbeit sich als erfolgreich erweist. In Organisationen firmieren - besonders eng - zusammenarbeitende Gruppen unter dem Begriff "Team". Im 4. Kapitel - Gestaltung von Führungsbeziehungen - werden für die Führungspraxis alternative Gestaltungsmöglichkeiten der Führung vorgestellt. Führung von Menschen konkretisiert sich in der Übernahme einer Rolle im Rahmen des Gruppenprozesses, sie ist meist aufgeteilt in einen aufgabenorientierten und einen sozio-emotionalen Part; die Beziehung zu einzelnen Mitarbeitern muss aus einsichtigen Gründen unterschiedlich ausfallen. Die Gestaltung von Führungsbeziehungen kann auf vielfältige Weise realisiert werden. Praktische Empfehlungen zum erfolgreichen Führen setzen die Feststellung von Konturen mit einer abgrenzbaren Beschreibung der Verhaltensweisen als Führungsstil voraus. Der Leser wird deshalb mit einer verhaltensbezogenen Präzisierung des Konstrukts "Führung" vertraut gemacht, indem beobachtbares Verhalten in Bezug auf empirisch ermittelte Dimensionen des Führungsverhaltens charakterisiert oder durch Einstufung anhand idealtypischer Führungsstil-Taxonomien beurteilt wird. Menschen neigen dazu, bei Führungsstilen eine Haltung auszudrücken, die ihrem persönlichen Verhaltensstil entspricht. Dieses natürliche Verhalten kann entweder unterstützend oder dirigierend oder beides sein. Der persönlichkeitstypische Verhaltensstil ist in vielen Situationen durchaus effektiv. Anhand einer textintegrierten Kurzform des zweidimensionalen
12
Einleitung
Persönlichkeitsmodells DISG kann der Leser seinen persönlichkeitstypischen Führungsstil feststellen. Die Nähe zu bekannten idealtypischen Spielarten der Führung wird diskutiert. Eine treffsichere Bestimmung des Führungsstils aus einer Persönlichkeitsanalyse scheitert oftmals womöglich daran, dass das reale Führungsverhalten von der motivationalen Orientierung beeinflusst wird. Führungskräfte sind in der Lage, ihren Führungsstil zu wechseln. Erstens weil ihr Verhalten mehrfach und komplex motiviert ist, und zweitens infolge situativer Anforderungen. Dies zeigt sich in verschiedenen situativ gewählten Führungsformen. Seine motivationale Verhaltensdisposition kann der Leser durch den Selbsteinschätzungstest prüfen. Wegen der potenziell aktivierbaren Verhaltensflexibilität wird das Verhaltensgitter GRID bis heute als beliebtes und plausibles Trainingskonzept eingesetzt. Die Führungsstilkonzepte haben bislang offen gelassen, welche abgrenzbaren Formen eines stilkennzeichnenden Führungsverhaltens auf der Mitarbeiterseite wahrnehmbare Effekte haben - wie Leistung, Anstrengung, Arbeitszufriedenheit. Eine dem führungspraktischen Interesse dienliche neuere empirisch-quantitative Untersuchung konnte aufzeigen, welches Führungsverhalten konkret zu positiven Ergebnissen führt. In einer innovativen Weiterentwicklung dieser Studienergebnisse wird für den Führungspraktiker transparent, dass allein ihre - in einer dritten Dimension "Effektivität" erfassten - Ausprägungen darüber entscheiden, welche als erfolgreich und weniger erfolgreich einzustufen sind. Das wohl wichtigste Ergebnis der Studie ist: Besonders erfolgreiche Chefs verlassen sich nicht auf einen Führungsstil allein. Sie wechseln im Lauf einer Arbeitswoche den Stil - in fließendem Übergang und in unterschiedlichem Maß -, je nachdem, was die Situation jeweils erfordert. Zur Praktizierung von Führungsstilen im Führungsverhalten sind einzelne Führungsinstrumente hilfreich. Sie sind meist organisationsweit vorhanden, führungsspezifisch werden sie durch aktiven Einsatz im Führungsprozess. Das Führungsinstrument der Anerkennung und Kritik ist insofern herausgehoben, als es in einer Führungsbeziehung alltäglich gebräuchlich sein sollte, immer wenn die Führungskraft auf Mitarbeiterleistungen wertend reagieren will und weil Mitarbeiter diesbezüglich außerordentlich erwartungsvoll sind. Eine angemessene Nutzung dieses Führungsinstrumentes prägt wesentlich die persönliche Beziehung zu Mitarbeitern. Das Mitarbeitergespräch ist die übliche Form mündlicher Kommunikation zu zweit oder in Gruppen. Dabei werden Berichte erstattet, Vorgänge und Fehler analysiert, Vorgehensweisen koordiniert, Problemlösungen gesucht, Informationen ausgetauscht, Meinungen gebildet, Beschlüsse gefasst usw. In neueren Formen als Beteiligungsgruppen, Workshops und Zirkeln sollen Innovationen und Lernen stattfinden. Für die genannten Zwecke haben sich hinsichtlich des Stils unterschiedliche Besprechungsformen herausgebildet, die erfolgsorientiert trainierbar sind. Vergleichsweise hochgradig institutionalisiert sind verschiedene Arten der Personal- und Vorgesetztenbeurteilung; sie sind eine sehr geeignete Ergänzung, um periodisch über Leistungen von Führenden und Geführten zu diskutieren.
Einleitung
13
Management by Objectives besagt, dass Vorgesetzte und nachgeordnete Manager gemeinsam Ziele festlegen, ihren Verantwortungsbereich für Ergebnisse abstecken und auf dieser Grundlage die Leistungsbeiträge ihrer Mitarbeiter bewerten. Der Erfolg dieses Führungsinstrumentes wird wesentlich davon bestimmt, inwieweit der Leitidee motivierenden Führens folgend Arbeits- und Individualziele miteinander zu vereinbaren sind. Deshalb muss der Prozess der Zieldefinition partizipativ geschehen und sich an individuellen Fähigkeiten und Anspruchsniveaus orientieren. Führungsgrundsätze sollen wert- und normsetzend für Mitarbeiter Orientierung bieten über das erwünschte Kooperations- und Leistungsverhalten in einer Organisation. In der Regel wird mit Führungsgrundsätzen ein partnerschaftlich-delegativer Führungsstil propagiert. Ihre Bedeutung wird in der Führungspraxis oft verkannt, meist deshalb, weil ihnen der Realitätsbezug mit Blick auf die gelebte Führungskultur innerhalb der Organisation fehlt . Sie sollten deshalb kompatibel zu anderen Führungsinstrumenten sein wie z. B. Mitarbeiterbeurteilung oder Auswahlgesprächen. Im 5. Kapitel - Führungspraxis in Führungslazrrierestujen - wird die spezifische Führungsrealität in vielfach beobachteten typischen Karrierestufen beleuchtet und es werden Anleitungen zu erfolgreichem Führungshandeln vorgestellt. Als häufige Karrierestufe und Beispiel der gruppenzentrierten Führung wird die Führung eines Projektteams betrachtet. Mit der führungsverantwortlichen Praxis und dem Beweis ihrer Führungsqualifikation werden Mitarbeiter oft erstmalig in der Funktion als Projektleiter befasst. Dadurch eröffnet sich die zunehmend praktizierte Chance des Aufstiegs durch eine "Karriere in und durch Projekte". Projektgruppen und andere temporäre Teams unterscheiden sich von den kontinuierlichen Formen der Gruppenarbeit, welche integrierter Bestandteil der regulären Arbeitsorganisation sind. Beispiele sind mit zunehmendem Handlungsspielraum klassische Arbeitsgruppen, Fertigungsteams und teilautonome Arbeitsgruppen. Ein Projekt ist allgemein eine inhaltlich und zeitlich abgegrenzte schwierige und gewichtige, relativ komplexe, oft anfangs intransparente, außerroutinemäßig erstoder einmalige Aufgabenstellung. Kennzeichnend für die Projektarbeit sind ein umfassendes Führungskonzept - das Projektmanagement - und die Arbeitsform der Gruppenarbeit, die Formierung eines Projektteams sowie eine projektspezifische Organisation. Die Qualität der Zusammenarbeit wird durch die Qualität der Teambesetzung und die Qualität der Teamführung geprägt. Zur Erprobung und Anwendung der empfohlenen Gestaltung von Führungsbeziehungen werden Hinweise gegeben und konsequent die Möglichkeiten aufgezeigt, die das neue Prestige als Projektleiter bietet. Dem Führungsstildiskurs zugeordnet sind für die ersten "Gehversuche" zur Führung konkrete Anleitungen zu der zur täglichen Realität gehörenden sogenannten Führung von unten. Durch das gewandelte Organisationsverständnis oder die gestiegene Qualifikation der Mitarbeiter ist es geboten, dass auch die Führenden geführt werden und sich führen lassen müssen. Die an konkreten Beispielen vorgestellten Handlungsempfehlungen gründen sich auf die erörterten interaktiven Möglichkeiten zur motivationalen Beeinflussung (siehe Kap. 2) sowie die Berücksichtigung persönlichkeitsstilgeprägter Verhaltenspräferenzen - des Chefs oder lateral der Kollegen.
14
Einleitung
Mit der Beförderung in eine betriebliche Linienposition muss jede Führungsperson in der Führer-Rolle Akzeptanz und Autorität erlangen und ihre Führungsweise an sichtbar gelebten Prinzipien verdeutlichen. Diese Postulate sind lernbar, vernünftig und anwendbar. Sie bilden das Fundament für eine dauerhaft erfolgreiche Führungsbeziehung.
Kapitel 6 - Mikropolitische und symbolische Führung - verweist auf bislang ausgeklammerte wesentliche emotionale Komponenten effektiver Führung, welche die rational geprägte personale Führung wirkungsvoll ergänzen, zugleich auch in einem erweiterten Führungsverständnis auf individuum- und gruppenübergreifende polyzentrische Lenkungs- und Führungsphänomene. Mikropolitik eröffnet Führungskräften, das Handeln der Mitarbeiter nicht nur direkt aufgrund übertragener Macht zu steuern, durch informelles mikropolitisches Agieren versuchen Vorgesetzte wie auch Mitarbeiter in oft kleinen Schritten, ihre eigenen Interessen in der Organisation - sogar anderweitig schädigend - durchzusetzen. Mikropolitik umfasst ein Arsenal jener Techniken, mit denen Macht aufgebaut und eingesetzt wird, wie etwa Kontrolle von Information, Verfahren oder Situationen, bewusste Selbstdarstellung und gezielte Beziehungspflege. Emotionale Komponenten enthält auch die anschließend erörterte unternehmenskulturell geprägte symbolische Führung. In einer erweiterten Perspektive der personalen Führung entsteht die symbolische Wirkung, wenn sie Ereignisse in der Arbeitsgruppe, in der Organisation oder in der Umwelt in einen "größeren" Zusammenhang stellt, ihnen dadurch "Sinn" gibt und für die Mitarbeiter vernünftig erscheinen lässt. Kultur prägt die Lebensäußerungen in einer sozialen Gemeinschaft. Sie enthält "Orientierungen" über Ziele und Zwecke, Beziehungen, Verhaltenserwartungen, die Natur des menschlichen Handelns und Seins. Sie ist erkennbar an Symbolen, deren Ausprägungen die Kultur charakterisieren. Die Kultur ist das Ergebnis eines längerfristigen kontinuierlichen Prozesses. Eine "gute", "gesunde" oder "exzellente" Kultur liegt vor, wenn sie als ungeschriebener Verhaltenskodex bei den Geführten verinnerlicht ist und so einwirkt, dass sie sich aufgrund ihrer Werthaltungen "automatisch" bzw. "ohne Weiteres" in erwünschter Weise verhalten. Die Organisationskultur ist gestaltbar und erfordert kulturbewusste Managerfähigkeiten.
Kapitel 7 - Training der Führungsqualifikation und Führungseffektivität - gibt konsequente Empfehlungen zur Qualifizierung von Führungspersonen und weist besonders auf die sogenannten Schlüsselqualifikationen zur Führungskompetenz hin.
IKapitell: Führung und Führungsverhalten Führungskräfte sollen vor allem für das stete Funktionieren der Unternehmung sorgen sowie Wegbereiter der Unternehmungszukunft sein. Sie müssen ihren jeweiligen Beitrag für die Resultate der Unternehmung definieren, und weil sie Führungskräfte sind, müssen sie auch dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter für die Unternehmung handeln. Menschen zu führen ist mithin eine der Aufgaben des Vorgesetzten. Die Führung als "Phänomen" menschlichen Wirkens äußert sich im Führungsverhalten. Was sind die Tätigkeiten eines Managers und wodurch zeichnen sie sich aus? Inwieweit stehen diese Tätigkeiten im Verhältnis zu anderen Tätigkeiten in den organisierten Gemeinschaften? Ist Führung notwendig und wie kann man sie erklären? Welche Faktoren beeinflussen das Führungsverhalten und wann ist Führung effektiv?
1
Führung als "personale" Management-Funktion
Unternehmungen sind komplexe produktive soziale Systeme, die in eine wiederum komplexe und dynamische Umwelt integriert sind und mit ihr in vielfältiger Weise in Wechselbeziehung stehen. Aus dieser engen Verflechtung zwischen Umwelt und Unternehmung ergibt sich, dass nur die Institutionen langfristig wettbewerbsfähig und bestandsfähig bleiben können, denen es gelingt, sich möglichst rasch und flexibel an zunehmend turbulentere Umweltentwicklungen anzupassen. In Organisationen ist Führung kein Selbstzweck, sie soll vielmehr der Erreichung organisationaler Ziele zur Erhaltung und Stärkung der organisationalen "Fitness" (vgl. Withauer 2000, S. 8 f.) dienen. Diese Ziele orientieren sich an der existenziellen Aufgabe, den Fortbestand der Organisation zu regulieren, sich den äußeren und inneren Wechsellagen anzupassen und auf Turbulenzen jedweder Art intelligent zu reagieren sowie die Entwicklungsfähigkeit tempo- und richtungsbestimmend zu kanalisieren. Aus der Führungsforschung lassen sich drei grundsätzliche Perspektiven zur Betrachtung des Führungsphänomens identifizieren. Zum einen wird Führung als die Ausübung bestimmter Management-Funktionen aufgefasst (vgl. Withauer 1974), wobei in sachbezogene (z. B. Planung, Organisation, Kontrolle) und personenbezogene Funktionen (Menschenführen) untergliedert wird. Der handlungsorientierte Ansatz richtet das Interesse auf die Aktivitäten der Führungskräfte und fasst diese zu beobachtbaren Management-Rollen zusammen (vgl. u. a. Mintzberg 1991), die durch empirische Beobachtung die in der Realität stärker vorhandenen kommunikativen, interpersonalen Aktivitäten im Führungshandeln belegen. Institutionell werden unter dem Begriff Management oder Führung die Personen oder Personengruppen bezeichnet, die Führungstätigkeiten bzw. -rollen wahrnehmen - die Führungskräfte. Die nachstehenden Betrachtungen richten sich auf die Führung in Organisationen, die als gruppenstrukturierte Leistungsgemeinschaften .Betrtebsrcharakter oder InstitutionenCharakter besitzen. Führung ist erforderlich in Unternehmungen, Schulen, den Streitkräften, in Krankenhäusern, Sportvereinen, Kirchen. Dies muss rnitgedacht werden, auch wenn im Folgenden beispielhaft in erster Linie die Führung in Unternehmungen betrachtet wird.
K. F. Withauer, Führungskompetenz und Karriere, DOI 10.1007/978-3-8349-6580-6_2, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Menschen führen im Gefüge von Managementprozessen
1.1
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Menschen führen im Gefüge von Managementprozessen
Das Kernproblem im Management besteht nach Stafford Beer und Ross Ashby darin, die für das Funktionieren der Unternehmung relevante Komplexität unter Kontrolle zu bringen. Die Autoren vergleichen hierbei die prinzipiellen Zusammenhänge zwischen der Unternehmung und ihrer Umwelt mit einem lebenden Organismus und den komplexen Einflüssen seiner Umwelt (vgl. Beer 1981, S. 270 ff.; Ashby 1984, S. 282 ff.), Gleichzeitig wird das Problem Komplexität zu der zentralen Managementherausforderung. Wie Probst ausführt, ist "Komplexität ... für den Manager ein zentrales Phänomen, bedeutet Management doch weitestgehend Komplexitätsbewältigung." (Probst 1985, S. 187). Kirsch sieht dies ähnlich und stellt fest, dass " ... die Handhabung komplexer Probleme die "eigentliche" Funktion einer Führung ..." (Kirsch 1984, S. 308) ist, und er sieht in der Untersuchung dieser Führungsfunktion den zentralen Gegenstand der "Lehre von der Führung". Und auch Malik äußert sich übereinstimmend: "Management kann man möglicherweise viel besser verstehen als das ständige Bemühen, ein sehr komplexes System unter Kontrolle zu bringen und zu halten ..." (Malik 2008, S. 46). Auch die Innenwelt von sozialen Systemen ist überaus komplex. Zunächst ist das interaktionelle Handeln keinesfalls kohärent und gleichgerichtet, sondern folgt verschiedenen subjektiven Intentionen. Vor allem ist die sprachliche Kommunikation als wichtigster Ausschnitt der menschlichen Interaktionen niemals eindeutig im Sinne einer deterministischen Aussage, es lassen sich bestenfalls temporär gültige Muster beschreiben, welche bezogen auf die gegebenen Randbedingungen eine gewisse Aussagefähigkeit besitzen. Dieses kaum vorhersehbare und mithin nicht fassbare menschliche Interaktionsverhalten charakterisiert humane soziale Systeme als nichtlineare dynamische Systeme. Damit gelten für diese in der Chaosforschung als "dissipative Systeme" bezeichneten Systeme die beobachteten Prozesse zur Musterbildung und -veränderung. Die sprachliche Kommunikation im Rahmen der personalen Führung ist daran wesentlich beteiligt. Dem Gedanken der Selbstorganisation folgend wirken zudem die Rahmenbedingungen prägend auf die Strukturbildung eines Systems, sodass auch der Interaktionsrahmen die Musterbildung beeinflusst. Inwieweit Unternehmungen in der Lage sind, mit dem Wandel in ihrer Umwelt und Innenwelt umzugehen, sich den äußeren und inneren Wechsellagen anzupassen und auf Turbulenzen jedweder Art intelligent zu reagieren, ist Ausdruck der Führbarkeit, und je besser dies einer Unternehmung gelingt, desto größer ist ihre "Fitness" (vgl. Withauer 2000, S. V ff.), Ist überhaupt die Möglichkeit gegeben, aktiv gestaltend und lenkend in das Geschehen der Unternehmung einzugreifen? Das Erhalten bzw. Schaffen von Erfolgspotenzialen und damit verbunden die Erhaltung bzw. Verbesserung der nachhaltigen "Fitness" kann als zentrale Aufgabe des Managements gesehen werden. Die zunehmende Dynamik und Vernetzung und damit verbunden die ansteigende Komplexität machen diese strategische Entwicklungsaufgabe jedoch zunehmend schwieriger, und es ist kei-
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Führung als "personale" Management-Funktion
neswegs klar, ob überhaupt geeignete Konzepte oder Strategien verfügbar sind, welche die Absicht zu managen erfüllen können. Eine Unternehmung führbar zu machen und funktionieren zu lassen ist im Kern die Aufgabe des Managements einer Unternehmung oder irgendeiner anderen Institution. Und dies heißt, sie so zu gestalten, zu lenken und zu entwickeln, dass sie "unter Kontrolle ist und bleibt". Die Lehre des Managements widmet sich der Gestaltung und Lenkung einer besonderen Kategorie dynamischer Systeme, den Unternehmungen (vgl. Ulrich 1984, S. 66). Mit "Gestalten" ist die Organisation der Strukturen und Abläufe gemeint, die Bestimmung des grundlegenden Kurses und die Festlegung von dauerhaften Regelungen und Normen, "Lenkung" ist die ständige, kontinuierliche Steuerung und Regelung aller Aktivitäten. Der Begriff "Managementlehre" ist mit dem Ausdruck "Führungslehre" keineswegs synonym verwendbar. Während mit "Führung" zumeist der personenbezogene Aspekt als "Menschen führen" gemeint ist, der englischsprachig mit "Leadership" ausgedrückt wird, fehlt dem Ausdruck Management dieser Bezug. "Gemanagt" werden nämlich nicht Menschen, sondern eher ganze Institutionen. "Management" im Sinne von H. Ulrich richtet die Perspektive auf die Gestaltung, Lenkung und Entwicklung gesellschaftlicher Institutionen. Während die Führungslehre durch ihre Hinwendung zum personalen Aspekt vorwiegend verhaltenswissenschaftlich ausgerichtet ist, wird die Managementlehre systemorientiert gedacht und verstanden. Es wird offenkundig, dass man gleichfalls unterscheiden muss zwischen personaler Führung und Personal-Führung. Die erstgenannte Bezeichnung entspricht dem Begriff "Menschen führen" und man meint damit die intentionale unmittelbare interaktionelle Beziehung zwischen einem oder mehreren Führenden und einem oder mehreren Geführten. PersonalFührung dagegen hat einen weiteren Rahmen, sie geht über den unmittelbaren Vorgesetzten-Mitarbeiter-Kontakt hinaus und erfasst auch die strukturellen Bedingungen der Zusammenarbeit, weil nicht mehr nur einzelne Mitarbeiter im Mittelpunkt stehen, sondern das Personal. Sie umfasst als Aufgabenfeld die Verfügbarkeit, Nutzung, Entwicklung der humanen Ressourcen der jeweiligen Organisationsmitglieder. Der Unterschied zum Begriff "Management" ist erkennbar fließend.
1.2
Warum und wozu braucht man Führung?
Führung erscheint als Phänomen der Alltagswelt als etwas so Selbstverständliches, dass nur selten die Frage gestellt wird, warum es Führung überhaupt gibt bzw. warum es im Zusammenleben und Zusammenwirken von Menschen der Führung schlechthin bedarf. Warum bilden sich in menschlichen Gemeinschaften Führungsstrukturen heraus, womit sind diese zu rechtfertigen und warum gibt es Führer und Geführte? Weil Führung eine soziale Tatsache ist und Alternativen zu ihr möglich und vorhanden sind, ist die Institution Führung begründungsfähig und, weil Führung systematisch mit Vorteilen und Belastungen verbunden ist und damit fundamental in die Lebenswirklichkeit von Menschen
Warum und wozu braucht man Führung?
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eingreift, auch begründungspflichtig. Wird nämlich begründungslos eine existierende soziale Einrichtung als bestmögliche, alternativenlose oder einzig normale, gesunde oder natürliche Gestaltungsform hingestellt, liegt Ideologieverdacht nahe (vgl. Neuberger 2002, S. 63 ff .), Ideologien beschreiben nämlich nicht, was ist, sondern rechtfertigen, warum es so ist bzw. sein muss oder sein soll. Die Begründungskonzepte für das Instrument Führung fußen auf zwei Argumentationsmustern: zum einen werden anthropologische Gegebenheiten herausgestellt, zum anderen funktionale Gründe genannt. Die anthropologische Begründung setzt argumentativ bei den unterschiedlichen Begabungen und Bereitschaften von Personen an, andere Menschen in ihrem Handeln zu koordinieren und Problemlösungsbeiträge für Gemeinschaften zu erbringen bzw. Führungspositionen überhaupt besetzen zu wollen. Aus dieser Logik heraus bedarf es einer Führung, weil Menschen geführt werden müssen bzw. geführt werden wollen (vgl. Neuberger 2002, S. 59 f.),
Aus der vorgenannt angenommenen Ungleichverteilung von Fähigkeiten und Begabungen von Menschen wird als notwendig abgeleitet, dass einige Personen die Verantwortung dafür übernehmen müssen, um ungeordnete Zustände zu vermeiden. Die Alternative zum Chaos ist in diesem Begründungszusammenhang die Hierarchie (griechisch: heilige Ordnung), was die Vorstellung impliziert, eine ungeordnete Gesellschaft sei in der Regel nicht wünschenswert. Zum zweiten Begründungsaspekt, dass Menschen geführt werden wollen, wird argumentiert, dass die Bedürfnisstrukturen von Menschen hinsichtlich Führen und GeführtWerden verschieden sind. Die meisten Menschen haben danach das Bedürfnis, von starken Persönlichkeiten den Weg gewiesen zu bekommen und diesen nicht selbst verantworten zu müssen. Die funktionale Begründung geht im Unterschied zur vorstehenden elitär-personalistischen Argumentation von rational-praktischen Notwendigkeiten aus: Mit steigender Größe, Komplexität und Differenzierung von Organisationen hat der Einzelne nur einen beschränkten Einblick in die Zusammenhänge und kann sein Handeln nicht mit dem Anderer wirksam koordinieren, selbst wenn er dies beabsichtigte. Zur Handlungskoordination eignen sich zwei Formen: Kooperation und Führung. Der Koordinationsmechanismus der Kooperation ist Diskussion und Konsensfindung, was prinzipiell zwischen gleichberechtigten Akteuren geschieht. Führung löst das Koordinationsproblem durch eine asymmetrische Einflussstruktur. Die Favorisierung der Führung als bessere Koordinationsform basiert auf der Annahme, dass sie hinsichtlich Effektivität und Effizienz ein Optimum ermöglicht, d. h. von allen effektiven Koordinationsformen ist Führung die effizienteste und/oder von allen effizienten Koordinationsformen ist Führung die effektivste (vgl. Weibler 2001, S. 12). Die beiden Begründungszusammenhänge erscheinen jeweils plausibel. Es soll deshalb unterstellt werden, dass sowohl anthropologische als auch funktionale Gründe dafür spre-
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Führung als " personale" Management-Funktion
eben. dass sich beim gemeinschaftlichen Handeln von Menschen Führungsstrukturen herausbilden. In Organisationen sind primär funktionale Gründe maßgebend. Die notwendige Führung kann indessen nur dann erfolgreich sein, wenn anthropologische Aspekte bei der Art und Weise der Ausübung berücksichtigt werden.
1.3
Führung steuert und lenkt Sachleistungen
In Betrieben als organisierten Leistungsgemeinschaften erbringen Menschen entsprechend
dem Zweck dieser Leistungsgemeinschaft Sachleistungen in Form materieller Güter oder immaterieller Dienstleistungen. Diese Leistungen sind sachlich sehr verschieden. Der Arbeiter in einer Fabrik bedient beispielsweise eine Drehbank, der Verkäufer in der Verkaufsabteilung eines Industrieuntemehmens gibt Angebote ab, er diktiert, telefoniert, verhandelt. Der Architekt entwirft ein Layout für den Bau eines Lagergebäudes. Vom Gesichtspunkt der Schwierigkeit kann man sie zwei Kategorien zuordnen, es können einerseits Routinetätigkeiten sein oder sich andererseits auf die Lösung von Problemen beziehen.
Abbildung 1.1 a. Problemphase b. Suchphase
Phasenstruktur der Führungstätigkeiten
Zielsetzung
ZIELE
Zielfixierung
SETZEN
Entscheidungsvorbere itung
c. Beurteilungs-
pha se (Bewerrungsphase)
PLANEN Planaufstellung
>
(Planung i.e.S.)
Planungs- oder Entscheidungsprozess (Planung i.w.S.)
Planverabschiedung d. Entschci-
dun gsplinse
Detaillierte Festle-
ORGANISIE-
g ung der Durch-
RE N
führung e. Realisations-
phase
f. Kontrollphase
Veranla ssen ,
FUHREN
Einwirken
(i.eS.)
Feststellen der Durch-
führungsresultate und
KONTROLLlE-
Ist-IPlall-Vergleich
RE N
.....
}
Steuerung
1
DURCHFÜHRUN G
Kontrolle
Regelung/Rückkopplung
- . . . . -.-.- . .-.- ... _- . . .----.-.-.--.,,- •• _
sachliche Anfrage
Die Darstellung eines beobachteten Gruppengeschehens zeigt beispielhaft das Soziogramm in Abbildung 10.3. Das Soziogramm kann neben den kategorialen Verhaltensweisen von Gruppenmitgliedern Parteibildungen innerhalb von Gruppen, isolierte Gruppenmitglieder, Beziehungen von Gruppen oder Abteilungen untereinander und andere soziale Prozesse erfassen.
10.2
Gruppenzusammenhalt und Zufriedenheit
Die Mitgliedschaft in einer Gruppe erfüllt eine soziale Funktion für das Individuum. Diese besteht in der Befriedigung verschiedenartiger Wünsche und Bedürfnisse - physischer, sozialer und psychischer. Die gleiche Gruppenaktivität kann jedoch bei verschiedenen Personen verschiedene Bedürfnisse befriedigen. Die eine befriedigt Geltungsbedürfnisse, die andere Geldbedürfnisse und wiederum eine andere findet ihre Arbeit möglicherweise
131
Gruppenzusammenhalt und Zufriedenheit
interessant. Hinzu kommt, dass der sichtbare oder angegebene Grund für eine Gruppenmitgliedschaft nicht der wahre Grund sein muss; ein Golfclub mag oftmals andere als sportliche Bedürfnisse befriedigen. Darüber hinaus kann eine Gruppe heute andere Bedürfnisse befriedigen als in der Vergangenheit. Zufriedenheit bezeichnet das individuelle Gefühl der Erreichung erwünschter Ziele des Individuums. Sie kann sich auf einen Gegenstand/ die Umwelt oder auch das Leben im Allgemeinen beziehen. AbbUdung 10.3
Differenziertes Soziogramm
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Alle Gruppen - formelle und informelle, kleine und große - besitzen zudem ein Gemeinschaftsgefühl ("Wir"-Gefühl), Solidarität und "Commitment". Dies ist eine wichtige Voraussetzung für das Bestehen einer Gruppe; es wird als Kohäswn bezeichnet. Kohäsion ist ein Maß für die Stabilität einer Gruppe sowie für die Attraktivität, die sie auf alte und neue Mitglieder ausübt. Die Attraktivität einer Gruppe und ihre Kohäsion ist dann hoch, wenn die Gruppe als Mittel zur Erreichung individueller Bedürfnisse gesehen wird. Für das Individuum bedeutet das Gemeinschaftsgefühl, von den Mitgliedern der Gruppe akzeptiert zu werden und mit ihnen an gemeinsamen Zielen festzuhalten, und dies führt zu einer hohen Kohäsion der Gruppenmitglieder. Manche Erscheinungen verführen zu einem falschen Urteil über den Gruppenzusammenhalt. Disziplin und Ordnung sind keineswegs Zeichen einer hohen Kohäsion. Ein von einem tyrannischen Dirigenten diszipliniertes Orchester kann hervorragende Musik hervorbringen. Ebenso lassen eine hohe Produktivität oder fehlende Konflikte nicht auf eine hoch-kohäsive Gruppe schließen. Eine Gruppe wird durch innere Kräfte zusammengehalten, nicht durch äußeren Druck. Existenz oder Fehlen von Kohäsion wird besonders dann deutlich, wenn in der Gruppe interne Probleme auftauchen. Kohäsion ist mithin auch die Fähigkeit einer Gruppe, auch dann ihre Existenz zu bewahren, wenn sie Druck und Stress ausgesetzt ist (vgl. Stogdill
132
Effizienz- und Motivationseffekte in Gruppen
1959 zit. bei Staehle 1999, S. 282). Guter Wille und Anpassungsfähigkeit an interne Veränderungen sind Kennzeichen des Gruppenzusammenhalts. Übereinstimmung in den Zielen und positive Einstellungen zueinander sind ebenso förderlich. Alle Gruppenmitglieder sind an dem Fortbestand der Gruppe interessiert. Eine niedrige Gruppenkohäsion führt zu einem Auseinanderfallen der Gruppe in kritischen Situationen, wobei man sich gegenseitig misstraut und kritisiert. Bei Spannungen ist die Gruppe nicht mehr arbeitsfähig. Die fehlende Anpassungsfähigkeit erlaubt ihr nicht, zu improvisieren, wenn neue Probleme aufkommen. Es fehlt die Übereinstimmung hinsichtlich der Gruppenziele, und die persönlichen Ziele weichen manchmal von den Gruppenzielen ab. Negative Einstellungen gegenüber diesen Zielen und ein geringes Gruppenzugehörigkeitsgefühl sind ebenso kennzeichnend. Man kann nicht erwarten, dass solche Gruppen eine lange Lebensdauer haben. Die Mitgliedschaft in einer hoch kohäsiven Gruppe bietet dem Individuum vielfältige Unterstützung. Wenn das Gruppenmitglied enttäuscht oder bedroht ist, gibt ihm die Gruppe Trost, Hilfe und innere Festigkeit, die erfahrene Widerwärtigkeit zu bewältigen. Hohe Kohäsion führt zu einer Abnahme von Angst und Anspannung und steigert auch die Widerstandskraft des Einzelnen gegenüber Zumutungen oder Bedrohungen durch das Management. Allerdings hat es der Abweichler und Nonkonformist in stark kohäsiven Gruppen bedeutend schwerer, sich zu artikulieren, als in schwach kohäsiven. Isolierte Personen sind meist unzufrieden, weil sie in ihren Bedürfnissen nach Kontakt und Wertschätzung frustriert werden. Sie werden umso unzufriedener sein, je größer der Zusammenhalt der anderen ist. Es kann zu rivalisierenden Gruppen oder der Bildung von Cliquen kommen, wenn sich mehrere isolierte Personen zusammenfinden; es entsteht eine gegenseitige Behinderung. Fluktuation und Fehlzeiten, sehr kostspielige Dinge in betrieblichen Organisationen, sind wesentlich abhängig vom Gruppenzusammenhalt. Sie sind geradezu ein Maßstab für die Gruppenkohäsion. Die Mitgliedschaft in einer kohäsiven Gruppe steigert die Arbeitszufriedenheit und vermindert Fehlzeiten und Fluktuation. Selbst wenn widerstrebende Gefühle gegen die Organisation bestehen, verhindert das Gefühl der Gruppensolidarität und -zugehörigkeit die Fluktuation und minimiert Fehlzeiten. Zusammenfassend ergaben sich durch empirische Forschungsarbeiten über Bedingungen und Folgen des Gruppenzusammenhalts folgende Faktoren, welche die Gruppenkohäsion fördern oder hemmen (vgl. Staehle 1999, S. 283):
Kohäsions[6rdernd
Kohäsionshemmend
Häufigkeit der Interaktion Attraktivität und Homogenität Intergruppen-Wettbewerb Einigkeit über Gruppenziele Erfolg und Anerkennung
Gruppengröße Einzelkämpfer individuelle Leistungsbewertung Intragruppen-Wettbewerb Zielkonflikte Misserfolge
Gruppenzusammenhalt und Leistung
10.3
133
Gruppenzusammenhalt und Leistung
Für produktiv tätige Organisationen interessiert verständlicherweise primär die Beziehung zwischen Kohäsion und Gruppenleistung (Produktivität). Die im Zuge der Human Relations-Bewegung verbreitete Ansicht, Kohäsion und Gruppenleistung korrelierten positiv miteinander, ist nicht aufrechtzuerhalten. Eine hoch-kohäsive Gruppe ist nur unter bestimmten Bedingungen auch produktiv. Kohäsive Arbeitsgruppen produzieren im Durchschnitt das gleiche wie Gruppen mit geringerem Zusammenhalt. Sicher ist heute lediglich, dass die Gruppenkohäsion die Leistungsstreuung innerhalb einer Gruppe beeinflusst und zwar negativ, d. h. mit zunehmender Kohäsion nimmt die Streuung der Einzelleistungen um einen Gruppendurchschnitt deutlich ab, die Konformität im Leistungsverhalten nimmt zu. Anders gesagt heißt das, dass Gruppen mit entweder sehr hoher oder sehr niedriger Produktivität im Allgemeinen einen hohen Gruppenzusammenhalt haben (vgl. Seashore 1954). Die einzelnen Gruppenmitglieder einer Gruppe besitzen jeweils in etwa das gleiche Leistungsniveau - das hoch oder niedrig sein kann! In diesen Gruppen mit hoher Kohäsion gibt es selten Personen, die in der Leistung stark nachhängen oder solche, die eine herausragend hohe Leistung erbringen. Das Leistungsniveau selbst wird durch andere Faktoren beeinflusst. Kohäsion wirkt sich auf die Leistung überhaupt nur dann positiv aus, wenn die kohäsive Gruppe eine eindeutige, anspruchsvolle Zielvorgabe hat und sich mit ihr identifiziert sowie leistungsfördemde und gruppenarbeitsunterstützende Bedingungen erfüllt sind wie "richtige" Gruppenstruktur, Informationssysteme, Anreizsysteme und materielle Ressourcen, wie sie unmittelbar durch den Vorgesetzten und dessen Einstellungen repräsentiert werden. Eine kohäsive Gruppe besitzt eine hohe Produktivität, wenn dem Management Zutrauen entgegengebracht wird, und erbringt eine niedrige Leistung, wenn dies fehlt. Hochkohäsive Gruppen, die in ihren Gruppennormen von den organisationalen bzw. Managementzielen abweichen, sind eine Bedrohung für jede Organisation. Eine Studie des Zusammenhangs zwischen Führung, Kohäsion und Leistung (vgl. Schachter et al. 1951) vermittelt einige für die Teamführung wesentliche Einsichten: Eine hochkohäsive, gut geführte Gruppe weist die höchste Produktivität auf, eine hochkohäsive, schlecht geführte dagegen die geringste Leistung. Schlechte Führung heißt, es ist dem Management nicht gelungen, Konformität zwischen Gruppen- und Managementzielen zu erreichen. In einer hochkohäsiven Gruppe führt das dazu, dass diese aus ihrer Sicht sehr produktiv ist, und zwar im Durchsetzen von Leistungsrestriktionen. Für diesen Fall empfiehlt es sich für das Management, die Gruppenkohäsion zu reduzieren. Gruppen mit geringer Kohäsion sind für das Management offensichtlich problemloser. Führung, sei sie nun gut oder schlecht, hat bei diesen wenig Einfluss auf die Leistung. Vermehrte Teamarbeit bietet verschiedene Chancen: Bei einem engen Gruppenzusammenhalt identifizieren sich die einzelnen Gruppenmitglieder stärker mit den Ergebnissen, was sich u . a. in reduzierten Fehlzeiten und geringeren Fluktuationsraten niederschlägt. Gleichzeitig hofft man, Synergien zu erreichen, denn bei guter Kooperation sind Informationsfluss und Fehlerdiagnose besser, die Motivation ist erhöht. Verschiedene Führungs-
134
Effizienz- und Motivationseffektein Gruppen
aufgaben können der Gruppe übertragen werden (z. B. Planung der An- und Abwesenheiten, der Prozessabläufe, Job-Rotationen). Jedoch müssen Mitarbeiter für diese Arbeitsformen oft erst "fit" gemacht werden, denn das Ausbildungssystem fordert primär Individualleistungen. Einflüsse auf die Leistung gehen weiterhin aus von der Gruppengröße, der Art der Aufgabe und der räumlichen Nähe in der Zusammenarbeit (vgl. Hentze et al. 1997, S. 447 f.), Maximal 7 Teilnehmer sollte eine Gruppe haben, die Probleme lösen soll; für das Zusammentragen von Fakten kann die Gruppengröße maximal 14 betragen. Einfache Aufgaben mit wechselseitig notwendiger intensiver Kooperation werden effektiver erledigt von alters-, ausbildungs- und erfahrungsmäßig homogenen Gruppen. Heterogen zusammengesetzte Teams leisten mehr bei komplexen Aufgaben, die Kreativität erfordern und die benötigte Zeit nachrangig ist. Gruppen mit gerader Teilnehmerzahl entscheiden sorgfältiger als mit ungerader Teilnehmerzahl. Räumlich nahe beieinander arbeiten bewirkt leichtere Kommunikation, wodurch die Kohäsion der Gruppe sowie die Arbeitseffektivität zunehmen. Das Partizipationsmodell von Likert (vgl. Kap. 3, 9.3, Abbildung 9.2) versucht, die positiven Aspekte kleiner Gruppen mit hoher Kohäsion für die Organisation und das Individuum nutzbar zu machen. Intragruppenkonflikte sollen vermieden und eine hohe Identifikation mit den Zielen der Organisation erreicht werden; im Konzept der überlappenden Gruppen wird dies durch weitgehende Selbständigkeit der Gruppen und eine Intergruppenvermaschung durch"Linking Pins" zu erreichen versucht.
11
Soziale Positionen und deren Kriterien
Soziale Positionen ergeben sich aus sozialen Prozessen. Im Gruppengeschehen entwickeln sich Machtpositionen. Statuspositionen und eine bestimmte Rollenverteilung. Es soll im Folgenden dargelegt werden, wie man Macht und Autorität erlangt, wie ein Status erworben wird und in welcher Weise sich die Rollendifferenzierung vollzieht.
11.1
Macht und Autorität - Quellen der Macht
Macht ist der potenzielle Einfluss, den ein Individuum auf das Verhalten anderer ausüben kann. Autorität liegt vor, wenn die Einflussnahme dieses Individuums akzeptiert wird und zwar routinemäßig, d . h. dass keine unabhängige Bewertung dieser Einflussnahme erfolgt. Führungskräfte können ihre Aufgabe nicht erfolgreich erfüllen, wenn sie ihre Mitarbeiter nicht beeinflussen. Die Macht kann ausgeübt werden durch die Wahrnehmung formaler Befugnisse. Immer schon ist allerdings ein solcher Vorgesetzter mehr erwünscht gewesen, dessen Macht getragen wurde von der Anerkennung und menschlichen Achtung, die ihm seine Mitarbeiter entgegenbrachten. Die vielgestaltigen ineinandergreifenden Funktionen in den heutigen Organisationen erlauben es einer Führungskraft nicht mehr, sich auf formelle Macht zu berufen. Die Führungssituation erfordert in einem höheren Maße "Autorität", d. h. die Fähigkeit, ohne Zwang Gefolgschaft zu finden und Zusammenarbeit zu bewirken. Autorität zählt nicht zu den Eigenschaften einer Person, sie kann nicht personalistisch erklärt werden. Die Autorität erwächst vielmehr aus menschlicher Interaktion und sie ist nicht den Personen, sondern dem Charakter der Kommunikation zuzurechnen. Sobald man versucht, das Verhalten anderer Menschen zu beeinflussen, ist die Macht Bestandteil der Interaktion. In einer Gruppe versucht ein Individuum, Macht auszuüben und ist den Versuchen der Beeinflussung des eigenen Verhaltens durch die anderen ausgesetzt. Die soziale Beeinflussung über die Ausübung von Macht, die nicht auf formeller Autorität basiert, beruht auf den folgenden verschiedenen Machtgrundlagen (vgl. Hentze et al. 2005, S. 352 ff.; Wunderer 2009, S. 298 ff.): Die Autorität kann dadurch bestimmt sein, dass der Beeinflusste je nach seinem Verhalten positive bzw. negative Sanktionen erwartet, d. h. Belohnungen bzw. Bestrafungen. Diese Sanktionen, die von der machtausübenden Person oder auch anderen Gruppenmitgliedern verhängt werden, bestimmen die Annahme bzw. Ablehnung des Willens des Beeinflussenden. Die positive und negative Sanktion muss relativ betrachtet werden insofern, als der Entzug einer Belohnung wie eine Bestrafung und der Verzicht auf Bestrafung wie eine Belohnung wirken kann. Positive Sanktionen wirken motivierend, negative zielen auf
K. F. Withauer, Führungskompetenz und Karriere, DOI 10.1007/978-3-8349-6580-6_12, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Soziale Positionen und deren Kriterien
eingeschränkte Motivbefriedigung. Unter freiheitlich-bewussten Menschen sollten positive Sanktionen Grundlage der Autorität sein.
Legitimierte Autorität bezeichnet eine spezifische Form der Macht und Autorität, die auf dem "eingepflanzten" Respekt und dem Gebot beruht, gegenüber bestimmten Positionen sozialer Systeme Gehorsam zu bezeigen. Das beeinflusste Individuum hat sich Normen angeeignet, die es befolgt, ohne dass ihm bewusst ist, wie diese Normen zustande gekommen sind. Die generalisierte Unterwerfung unter die Autorität diktiert das Handeln. Eine Person kann legitimierte Macht ausüben und erwarten, dass die Einflussnahme gehorsam respektiert wird, wenn sie eine anerkannte Machtstellung besitzt, die auf Normen des beeinflussten Menschen beruht. Hierin besteht der wesentliche Unterschied zur formellen Autorität. Die Identifikation als Machtgrundlage erklärt sich aus dem Gefühl eines Individuums, zu einer Person oder Gruppe hingezogen zu sein. Daraus resultiert der Wunsch, sich mit der Person oder Gruppe zu identifizieren. In betrieblichen Organisationen strebt eine Person beispielsweise eine bestimmte Position an und identifiziert sich mit dieser Position, schon bevor sie diese tatsächlich innehat. In entsprechender Weise handelt, glaubt und nimmt sie wahr. Der Beeinflussende kann auf Grund der Identifikation des Beeinflussten Macht ausüben. Führungskräfte versuchen zuweilen die Identifikation zu provozieren, indem sie ein vermeintlich gutes Vorbild sind in der Hoffnung, ihre Überzeugung und ihr Arbeitsverhalten werde übernommen. Ob dies gelingt, ist höchst unsicher, weil die Identifikation vom Mitarbeiter ausgeht und unbewusst und zudem nach jeweils eigenem emotionalem Verlangen geschieht (vgl. Bröckermann 2000, S. 46). Eine weitere Grundlage der Macht ist die funktionale Autorität, die Macht des Experten. Sie beruht auf der Annahme, dass der Beeinflussende über - tatsächliche oder auch nur wahrgenommene - Informationsvorteile verfügt und dadurch Sachverständigkeit aufweist. Das Wissen um die neueste Geschäftsentwicklung, das Fachwissen oder das Wissen um die Zusammenhänge der Personalführung gibt Führungskräften die mit dem Informationsvorsprung verbundene Expertenmacht. Die Beeinflussung wird akzeptiert, weil die beeinflussende Person sich in einem Handlungsbereich besser auskennt, die Konsequenzen von Handlungsmöglichkeiten besser abschätzen oder überhaupt zweckmäßige Handlungsalternativen aufzeigen kann. Experten- und Informationsmacht haben beträchtlich dazu beigetragen, dass Sanktions- und legitimierte Macht als Machtgrundlagen immer mehr an Bedeutung verlieren. Fraglos hat das fortschreitende Wissen es auch mit sich gebracht, dass viele fachlich spezialisierte Mitarbeiter Informationsvorsprünge gegenüber ihrem Vorgesetzten besitzen, und weil dieser auf ihr Wissen angewiesen ist, verfügen sie über Expertenmacht. Führung ohne Autorität ist undenkbar. Es ist für die Erlangung der Autorität von besonderer Bedeutung, diejenigen, die geführt werden, zu überzeugen, dass sie mit Gerechtigkeit und Sorgfalt geführt werden. Eine Führungskraft darf sich nicht in Kleinigkeiten verlieren, aber sie muss sorgfältig sein im Abwägen dessen, was recht und hilfreich ist. Hierzu gehört die Selbstsicherheit und Unabhängigkeit von persönlichen Trieben und Wünschen.
Status
137
Führende, die nach Popularität bei ihren Mitarbeitern haschen, verspielen die Autorität gerade dort, wo sie diese am meisten brauchen.
11.2
Status
Der Status einer Person ist ebenfalls nicht etwas, was eine Person besitzt, sondern wird von der Gruppe bestimmt. Der Status bezeichnet die Stellung eines Individuums unter den anderen Individuen einer Gruppe. Probleme, die gemeinhin als Organisationsprobleme bezeichnet werden, sind oftmals Statusprobleme; dies ergibt sich daraus, dass organisatorische Maßnahmen im allgemeinen auch die Stellung der einzelnen Individuen oder Gruppen im Betrieb betreffen. Der Status ist nicht absolut, sondern hängt von den Wertvorstellungen der jeweiligen Gruppe ab (vgl. Staehle 1999, S. 271). Die horizontale und vertikale Differenzierung sozialer Systeme ergibt Stellen unabhängig von der personellen Besetzung. Im betrieblichen Bereich ist der Status abhängig von der Position und der Funktion. Der Status der Position ergibt sich daraus, welcher - hierarchisch - bestimmte Platz der Stelle innerhalb der Organisation zugewiesen ist, der Umfang der Leitungsbefugnisse kennzeichnet den Status der Position. Die Gruppe, die den Positionsstatus verleiht, ist somit die gesamte Organisation des Betriebes. Im Gegensatz zum Status der Position basiert der Status der Funktion auf der Bedeutung der Tätigkeit, die ein Individuum im Betrieb ausübt. Zwei Personen mit gleichem Status
der Position können einen unterschiedlichen Funktionsstatus besitzen. Dies liegt daran, dass in einem Betrieb bestimmte Tätigkeiten zumeist als wichtiger im Vergleich zu den übrigen betrachtet werden. Der Status, der sich auf die Bedeutung der Wichtigkeit einer Tätigkeit bezieht, wird als Status der Funktion bezeichnet. Der Status der Position geht aus dem Organigramm hervor, jedoch nicht der Status der Funktion, der zum Gesamtstatus eines Individuums oder einer Gruppe beiträgt. Der Status der Funktion einer Position wird von verschiedenen Gruppen in einem Betriebe unterschiedlich hoch bewertet. Dieser Status wird also von den einzelnen Gruppen im Betrieb vergeben. Hollander (vgl. 1958, S. 117 ff.) charakterisiert den innerhalb einer Gruppe erworbenen Status als direkt abhängig vom ,,Idiosynkrasiekredit", dem Freiraum für persönliche Eigenheiten, der das Ausmaß bezeichnet, bis zu dem ein Individuum von den Erwartungen der Gruppe abweichen darf, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Die Höhe des durch die Gruppe gewährten Kredits für eigenes idiosynkratisches Verhalten sagt dann etwas über die Höhe des Status innerhalb der Gruppe aus. Während Status-Differenzierungen zur besseren Erreichung von Organisationszielen in ihrer Eignung umstritten sind, verstärken sie das individuelle Selbstwertgefühl und können zudem die Bedürfnisse nach Fremdwertschätzung befriedigen. Deshalb wird in der verhaltensorientierten Managementliteratur den Phänomenen der Statussymbole eine ziemliche Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. z. B. Kast/Rosenzweig 1985).
138
Soziale Positionen und deren Kriterien
Statussymbole haben in allen Organisationen zur Kennzeichnung der individuellen Stellung Eingang gefunden (vgl. Staehle 1999, S. 272). Sie sind äußere Kennzeichen des Status eines Individuums. In militärischen Organisationen wurden solche Symbole wohl im größten Umfang formalisiert; die Rangabzeichen kennzeichnen unmittelbar den Status des Trägers. Aber nicht nur im militärischen Bereich, in jeder Organisation finden sich zahlreiche Hinweise auf die Stellung der Individuen. Die Größe des Büros, Vorhänge, die Kornmunikationsmedien, der Teppich, Pflanzen im Büro, die Größe und Art des Schreibtisches sowie die übrige Ausstattung des Raumes weisen auf den Status der Führungskräfte hin. Je weniger sich der Rang formal äußert, desto bedeutender ist das sichtbare Zubehör, die Statussymbole. Ist der Status der Position eines Individuums jedermann sichtbar und klar, kann man am ehesten auf Statussymbole verzichten. Die Fragen des Status sind nicht allein auf Führungskräfte beschränkt. Auch unter dem ausführenden Personal können Ort des Arbeitsplatzes, Kleidung, Farbe des Schutzhelmes, Bauart des Betriebsfahrrades und vieles andere Statussymbole darstellen. Die Komplexität der Organisationen und der häufigere Wechsel der Tätigkeiten lässt die Menschen heutzutage größeren Wert auf Statussymbole legen als je zuvor. Selbst im privaten Bereich werden die Verhaltensweisen der Menschen nicht vom Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit, sondern durch den damit erhofften oder verknüpften Status bestimmt; ein exklusives Auto, moderne Kleidung und selbst gewisse Nahrungsmittel können so zu Statussymbolen werden. Das Statussystem eines Betriebes bringt manche Probleme mit sich, es sorgt jedoch ebenfalls dafür, dass die Organisation reibungslos arbeitet (vgl. Neuberger 2002, S. 659). Statussysteme üben einen koordinierenden Einfluss aus und erleichtern die betriebliche Zusammenarbeit insofern, als sie den Positionen und Rängen entsprechende Insignien zuordnen und so das System der Führungshierarchie verdeutlichen. Die Stabilität des Statussystems ergibt sich daraus, dass man den Individuen mit höherem Status gerne Privilegien zubilligt, weil diese dafür Verantwortung und Unannehmlichkeiten hinnehmen müssen. Die Menschen auf der unteren Ebene einer Hierarchie können ihre Verantwortung abschieben, Überstundenvergütung verlangen etc. Statussysteme beeinflussen auch die Kommunikation. Informationen werden vorzugsweise zu den Positionen mit höherem Status geleitet. Die Statussymbole verhindern bei einem Personalwechsel den Abbruch der Kommunikationskontakte mit der betreffenden Position. Die Art und Weise, wie ein Individuum kommuniziert, hängt wesentlich von seiner Auffassung über die Beziehung seines eigenen Status zu dem des Empfängers der Information ab. Zum Vorgesetzten spricht man im Allgemeinen anders als zu der Sekretärin. Ein Statussystem kann sich also motivierend auswirken. Der höhere Status kann für einen Mitarbeiter Anreiz bedeuten und ihn zu höherer Leistung veranlassen. Andererseits kann die Besorgnis um den eigenen Status, die "Statusangst", d. h. Angst, einen geringeren Status einzunehmen, sich auf die Leistung eines Mitarbeiters negativ auswirken.
Gruppennormen
139
Selbst-Check 11: Inwiefern sind Statussymbole im Betrieb bedeutsam?
a. Statussymbole können zwischenmenschliche und innerbetriebliche Probleme schaffen, die sowohl Leistung als auch Zufriedenheit beeinträchtigen. b. Sie verdeutlichen das Führungssystem, erhalten das Kommunikationssystem aufrecht unabhängig von den jeweiligen Positionsinhabern und fördern über die Anreizwirkung die Erreichung betrieblicher Ziele.
c. Man erkennt an ihnen lediglich die eigentliche Führungshierarchie. (Antwort am Ende des Buches)
11.3
Gruppennormen
Die Gruppennormen und -regeln sind bestimmend für das Verhalten der Gruppenmitglieder. Sie entwickeln sich in der Gruppe und diese überwacht die Einhaltung durch formelle Vorschriften (Gesetze, Verordnungen) oder durch informelle Kontrolle (Gruppendruck, Sanktionen). Daraus ergibt sich das führungsbedeutsame Interesse einer Führungskraft, Einfluss auf die Entwicklung oder die Veränderung der Gruppennormen zu nehmen. Eine Gruppe kann nur dann existieren, wenn die Gruppenmitglieder einige Normen und Regeln für ihre Interaktion akzeptieren. Die formelle Gruppe besitzt schriftlich fixierte Gesetze, Regeln und Vorschriften. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl ungeschriebener Regeln für das Verhalten, die jedermann anerkennen muss, der die Mitgliedschaft beansprucht. Die Gruppennorm ist ein Standard oder eine Verhaltenserwartung, die von allen Gruppenmitgliedern geteilt wird. Die Norm bezeichnet das angemessene Verhalten; sie kennzeichnet nicht unbedingt das beste oder schnellste Tun, sondern das angemessene Tun. Die Gruppennorm wird durch Gruppenmitglieder mit hohem Status mehr beeinflusst als durch andere Gruppenmitglieder. Wenn ein neues Mitglied zur Gruppe stößt/ das auf Grund früherer Erfahrungen eigene Normen hat, passt es sich den bestehenden Gruppennormen an. Es ist für den Gruppenprozess, durch den sich die Normen bilden, kennzeichnend/ dass dem Individuum dieses Geschehen nicht bewusst wird. Die Entwicklung von Gruppennormen und die Weitergabe derselben ist mit Kommunikationsprozessen verbunden. Überwiegend werden sie nicht direkt durchgesetzt, sondern durch indirekte richtunggebende Signalisierung. Diese Durchsetzung beinhaltet drei Aspekte (vgl. Lawless 1972/S. 268): 1. die Definition einer korrekten Einstellung und angemessenen Verhaltens,
2. kritische, mahnende Beobachtung in Bezug auf regelkonformes Verhalten (möglichst durch einen formellen Beobachter, z. B. den Gruppenleiter), 3. Ergreifung von Sanktionen (Belohnung bzw. Bestrafung bei Einhaltung oder Nichteinhaltung der Normen).
140
Soziale Positionen und deren Kriterien
Selbst-Check 12: Geben Sie aus Ihrer betrieblichen Praxis ein Beispiel für die Durchsetzung von Gruppennormen und versuchen Sie, die drei Komponenten dieses Prozesses aufzuzeigen. (Antwort am Ende des Buches)
Gruppennormen können sich auf alle relevanten Verhaltensweisen beziehen und reichen von allgemeinen Tätigkeiten bis zu Teilaufgaben eines Vorganges. Dies bedeutet, dass für eine Person eine große Zahl von Normen vorhanden ist. Manchmal führt dies dazu, dass angemessenes Verhalten in einem Verhaltensbereich für einen anderen Bereich unangemessenes Verhalten darstellt. Die Gruppennormen werden von der Gruppe bzw. dem Gruppenführer im Hinblick auf ihre Einhaltung überwacht. Abweichungen von der Norm nach oben oder unten werden von der Gruppe bestraft. In den entsprechenden Reaktionen der Gruppe finden sich außerordentlich subtile Formen von Sanktionen. Diese Maßnahmen dienen dazu, den Betroffenen spüren zu lassen, dass die Merkmale des Gruppenlebens nicht mehr für ihn gelten, dass er sich außerhalb der Gruppe gestellt hat. Sie sind umso massiver, je höher die Kohäsion einer Gruppe ist. Die Ermahnungen und Sanktionen sollen die Zahl der Verstöße vermindern. Sanktionen bei Verstößen gegen Gruppennormen vollziehen sich meist in einer bestimmten Reihenfolge. Die Gruppenrnitglieder 1. versuchen zunächst, freundlich zu diskutieren und den Normbrecher umzustimmen; 2. ignorieren ihn und entziehen ihm den Kontakt; 3. lachen ihn aus, nehmen ihn nicht ernst, hemmen seine Aktivität; 4. ermahnen, beschimpfen, greifen ihn an und entziehen ihm die Sympathie. Häufig weist die Gruppe den Normbrecher auf sein Verhalten hin, indem sie ihn mit typischen "Normbrechern" vergleicht und ihn als kriminell (Verbrecher), unreif (Kind) bezeichnet oder sagt, dass er spinnt (Geisteskranker). Unterstützung für nicht-konformes Verhalten erhält ein Normbrecher, wenn ein weiteres Gruppenrnitglied sich seinen Argumenten anschließt bzw. diese toleriert. Das Vorhandensein der Gruppennormen wirft die Frage auf, inwieweit die Gruppenführungskraft diese Normen überhaupt beeinflussen bzw. prägen kann (vgl. Coch/French 1948). Wenn eine Führungskraft die Normen nicht beeinflussen kann, ist die von ihm zu verantwortende Gruppenleistung aus seiner Sicht zufällig. Wie kann also das Verhalten in seiner Arbeitsgruppe verändert werden? Nicht jede Abweichung von der Norm wird mit einer Sanktion verhängt. In kreativen Gruppen sind geradezu gewisse Abweichungen nötig, damit sie ihre Aufgabe erfüllen können. Ein größeres Interesse beansprucht jedoch die Frage, inwieweit durch Macht, Status und Führung Gruppennormen verändert werden.
Gruppennormen
141
Der Gebrauch von Macht unter Verwendung negativer Sanktionen, also Bestrafungen, führt nicht zu dem erstrebten Verhalten. Die Gruppenmitglieder weichen der Macht aus . Eine Möglichkeit der Beeinflussung von Gruppennormen ergibt sich jedoch für Gruppenmitglieder mit hohem Status. Es ist für diese Personen kennzeichnend, dass sie sich mehr an die Normen halten als andere Gruppenmitglieder. Die Person mit dem höchsten Status - und der höchsten Autorität - ist üblicherweise der Gruppenführer. Insofern ist er am meisten an die Gruppennormen gebunden. Er muss aber zur gleichen Zeit von den Normen abweichen, weil die Aufgaben und die Arbeitsabläufe sich ändern. Der Führer muss sich gleichzeitig an die Normen halten und sie brechen. Dieser Widerspruch löst sich dadurch auf, dass Abweichungen von der Gruppennorm durch die Gruppe, geradezu erwartet werden, d. h . dass diese der Gruppennorm entsprechen (vgl. Hollander 1958, S.122). Der Führer hat durch sein bisheriges Verhalten in den Interaktionsprozessen der Gruppe strenge Konformität geübt, wodurch Status und Autorität aufgebaut worden sind. Er hat sich dadurch den als "Idiosynkrasiekreditl' bezeichneten Freiraum geschaffen, den er gegen "Misskredit", der aus Abweichungen von der Gruppennorm resultiert, aufrechnen kann. In dieser Betrachtungsweise können Normveränderungen zwei Folgen haben: Wenn die Abweichung von der Gruppe nicht von vornherein begrüßt wird, muss er von seinem "Kredit" Gebrauch machen, wenn sie den Wünschen der Gruppe entspricht, wird sein Status gefestigt (vgl. auch Staehle 1999, S. 363). Insofern kann der Führer sowohl Konformist als auch Abweichler sein. Der Aktionsspielraum des Führers wird vergrößert, wenn er legitimierte Macht oder die Autorität des Experten besitzt.
I
Um die Konformität von Gruppenzielen mit Managementvorgaben zu erhöhen, diskutieren Greene et al. (vgl. 1985,S. 196 ff.) sechs Empfehlungen für das Management:
•
Ziele und Mittel zu ihrer Erreichung klar, operational und eindeutig definieren;
•
alle Gruppenmitglieder an der Festlegung der Ziele und Mittel beteiligen;
•
Ziele herausfordernd, aber erreichbar formulieren;
•
rasches und häufiges Feedback über Qualität der Arbeitsergebnisse geben;
•
positiv verstärken (belohnen) in Fällen, in denen die Gruppe erfolgreich war;
•
Anreizsystem einführen, das die Akzeptanz und Erfüllung der Managementziele honoriert.
Sollten diese positiven Ansätze erfolglos bleiben und die Gruppe Normen entwickelt haben, die den Managementerwartungen zuwider laufen, wird angeregt, Maßnahmen zur Reduzierung der Gruppenkohäsion zu ergreifen, wie Erhöhung des Konkurrenzdenkens zwischen Gruppenmitgliedern durch individuelle Aufgabenzuweisung und Leistungsbeurteilung, räumliche Trennung der Gruppenmitglieder, höhere Gruppengröße durch neue Mitglieder, weniger Gruppenbesprechungen.
Soziale Positionen und deren Kriterien
142
11.4
Rolle
Der Interaktionsprozess innerhalb einer Gruppe führt dazu, dass sich unter den Mitgliedern bestimmte typische Verhaltensweisen differenzieren. Diese Verhaltensweisen bezeichnet man als Rollen. Die Rollen stabilisieren die internen Beziehungen in der Gruppe und sind für die Form der Interaktion maßgebend. Eine der wesentlichen, herausragenden Rollen in dieser Interaktion ist die Rolle des Führers. In ihren Beziehungen zur Umwelt nimmt jede Person eine Vielzahl verschiedener Rollen ein, z. B. als Kind, Schüler, Erwachsener, Freund, Chef usw. Mit jeder Position in einer Gruppe oder in einer Organisation ist eine Rolle verknüpft. Die Rollenpartner in Wirtschaft und Verwaltung sind meist •
Vorgesetzte, Chefs
•
Kollegen
•
Geschäftspartner, Kunden usw.
•
Unterstellte, Mitarbeiter.
Eine sich verändernde Umwelt lässt neue Rollen entstehen und macht andere überflüssig. Die Rolle ist nicht personengebunden. sondern positionsgebunden. Der Inhaber einer Position und damit der Rolle kann wechseln, wenn diese auch jeweils individuell ausgestaltet wird. Das Verhalten einer Person wird zum großen Teil durch mehrere verschiedene dieser Person zugehörige Rollen bestimmt, die sich auch gegenseitig überlagern können. Rollen legen fest a. was der Rolleninhaber tun muss (Aufgaben und Pflichten) b. was der Rolleninhaber nicht tun daif(Verbote und Tabus) c. was der Rolleninhaber tun kann (Rechte und Privilegien). Die Interaktion in der Gruppe führt bei den Gruppenrnitgliedern zu einer Übereinstimmung in der Auffassung, welches Verhalten den einzelnen Positionen in der Gruppenstruktur zukommt. Die Gruppennormen sind dabei die Grundlage von erwarteten, angemessenen Verhaltensweisen. Der Gruppenprozess entwickelt die Rolle; das Individuum nimmt die Rolle wahr (vgl. Katz/Kahn 1978, S. 182 ff., zit. bei Staehle 1999, S. 274). Dementsprechend sind die Bestandteile der Rolle 1.
die Rollenerwartungen, das sind die Erwartungen der Rollenpartner an den Rolleninhaber
2. die Rollenselbstdeutung. das sind die Vorstellungen des Rolleninhabers selbst über seine Position bzw. Rolle
Rolle
143
3. das tatsächliche Rollenverhalten, das ist die jeweilige individuelle Ausgestaltung der Rolle durch den Rolleninhaber in Abhängigkeit von seinen Eigenschaften, Einstellungen und Fähigkeiten. Die Rolle charakterisiert somit keinen Menschen, sondern einen Positionsinhaber. Die Beziehungen, die eine Position zu den anderen Positionen des sozialen Verbandes hat, sind auf zumindest zwei Dimensionen zu bestimmen: einmal auf einer Dimension der Über-Unter-Ordnung (Hierarchie, Herrschaft) und zum anderen auf einer funktionalen Dimension, bei der es um den Beitrag für das System-Ganze geht (in Wirtschaftsorganisationen z. B. Zielerreichung, Kooperation, Aufgabenerfüllung). Aus dieser Sicht ist die Führungsperson nicht mehr souveräner Akteur und in ihren Handlungen nur bestimmt durch ihre Fähigkeiten, Motive und Ziele. Nach der Art eines Drehbuchs oder Skripts ist dem Positionsinhaber sein Tun oder Lassen durch soziale Übereinkunft "vorgeschrieben". Dadurch wird das Rollenverhalten von Handlungspartnern in "typischen" oder "relevanten" Situationen voraussagbar, und zwar nicht nur für eine Person in einer Position, sondern darüber hinaus für eine Person in einer bestimmten Situation und Position (vgl. Neuberger 2002, S.313, 318). Ein Vorgesetzter wird bei einem bestimmten Fehlverhalten eines Mitarbeiters in voraussagbarer Weise reagieren, in gleicher Weise würde er sich jedoch auch beim gleichen Fehlverhalten eines Kollegen verhalten. Diese erwartbaren, typischen Verhaltensweisen schaffen dauerhafte und überschaubare Strukturen; sie können jedoch auch zu einer Stagnation des Gruppenprozesses führen. Das voraussagbare Rollenverhalten trifft insbesondere für formelle Gruppen zu. Die einzelnen Rollen sind genau festgelegt, der Rolleninhaber hat wenig Verhaltensspielraum; das Extrembeispiel ist die Bürokratie. Informelle Gruppen können die einzelnen Rollen der Gruppenrnitglieder in einer ihnen gemäßen Weise entwickeln, ein Rollenwechsel ist nicht ungewöhnlich; dadurch ist das Verhalten der Mitglieder einer informellen Gruppe weniger festgelegt und weniger kalkulierbar. Die Darstellung der Rolle als soziale Erscheinung in einer Gruppe zeigt, dass die Gruppendynamik nicht nur das Verhalten einer Gruppe erklären kann, sondern ebenso bestimmte individuelle typische Verhaltensweisen. Als Rolleninhaber wird das Gruppenmitglied wieder zum Individuum; es ist keine Marionette, die von Gruppenkräften gesteuert wird. Die einzelnen Rollen werden von den Gruppenmitgliedern in einer ihnen gemäßen Weise entwickelt. Es kommt auf die Gruppenziele und -normen an, inwieweit sich die einzelnen Rollen in den Gruppenprozess integrieren lassen. Sicherlich wird dies bei einigen Verhaltenstypen schwierig sein. Selbst-Check 13: Übernehmen Sie einmal in einer Diskussion eine der im folgenden dargestellten Rollen und versuchen Sie, sich möglichst rollenkonform zu verhalten. Wie würden Sie sich gegenüber einem derartigen Rolleninhaber verhalten, um ihn in die Gruppe zu integrieren?
144
Soziale Positionen und deren Kriterien
Negativist
Benehmen Sie sich so, als hänge Ihnen das Thema schon "zum Halse heraus". In der bisherigen Diskussion des Themengegenstandes haben Sie kaum Fortschritte gesehen und bringen zum Ausdruck, dass auch in Zukunft kaum etwas geschehen wird. Deshalb lehnen Sie sämtliche Vorschläge ab, weil sie nichts versprechen. Sie kritisieren die Vorschläge anderer und suchen überall die Nachteile heraus.
Mitläufer
Sie benehmen sich völlig unauffällig und halten sich im Hintergrund. Sie äußern sich nur wenig, wenn Sie jedoch direkt angesprochen und befragt werden, schließen Sie sich einer bereits formulierten Stellungnahme an.
Überagile
Versuchen Sie, in der Diskussion laufend Vorschläge zu machen und sich in den Vordergrund zu spielen. In Ihrem Eifer können Sie durchaus anderen Diskussionsteilnehmern in das Wort fallen, Sie dürfen ebenso anderen Diskussionsteilnehmern auf die Nerven gehen.
Koordinator
Esist Ihre Aufgabe, die Diskussion zielgerichtet zu führen. Sammeln Sie alle wesentlichen Diskussionsbeiträge, lassen Sie die Gruppenmitglieder gleichmäßig aktiv werden und versuchen Sie, die Beiträge zusammenzufassen und als gemeinsames Ergebnis zu formulieren. Störungen in der Gruppenarbeit bedürfen des ausgleichenden Eingriffs und eines Verhaltens, das die Gruppenarbeit integriert.
Spaßvogel
Sehen Sie Ihre Aufgabe darin, die anderen bei allem "sachlichen Ernst" möglichst häufig zum Lachen zu bringen. Falls ein anderer ebenfalls humorvoll sein will, überzeugen Sie ihn von Ihrem besseren Witz.
Opponent
Verweigern Sie stets Ihre Zustimmung. Ihre ablehnende Haltung bringen Sie in möglichst aggressiver Weise vor. Sie dürfen dabei ruhig andere beleidigen. Machen Sie andere Vorschläge lächerlich und setzen Sie Ihre eigene Meinung unbedingt durch.
Konvertit
Benehmen Sie sich, dass Sie jederzeit eine gerade relevante Meinung äußern bzw. sich einer geäußerten anschließen können. Sie können im Laufe einer Diskussion durchaus die entgegengesetzte zu einer von Ihnen früher geäußerten Meinung vertreten, wenn Ihnen dies richtig erscheint. Versuchen Sie, den anderen die jeweilige Meinung plausibel zu machen, indem Sie dazu passende Argumente bieten. (Antworten am Ende des Buches)
Rollenkonflikte ergeben sich aus einer Situation, in der sich ein Individuum zwei oder mehreren unvereinbaren Rollenerwartungen gegenüber sieht. Das Individuum kann in einem solchen Falle beiden bzw. mehreren Rollenerwartungen nicht gleichzeitig entsprechen (vgl. Staehle 1999, S. 390 ff., Neuberger 2002, S.322 H.). Die Tragweite eines Rollen-
Rolle
145
konflikts hängt einerseits von der Situation, andererseits von der Persönlichkeit des Individuums ab. Je widersprüchlicher Rollenerwartungen sind, desto schwerer ist im Allgemeinen der Rollenkonflikt. Je mehr ein Individuum die Einstellung und Fähigkeit besitzt, Rollenerwartungen zu ignorieren, um so weniger ernst wird sich der Rollenkonflikt darstellen. Die Rollenkonflikte können durch jeden der Bestandteile, die zum tatsächlichen Rollenverhalten, der Rollendefinition, beitragen, verursacht werden. Es sind dies •
unterschiedliche Rollenerwartungen verschiedener Rollenpartner der formellen Organisation (interpersonaler Konflikt),
•
abweichende Erwartungen der formellen und der informellen Organisation (Intergruppen-Konflikt),
•
Diskrepanz zwischen der Rollenselbstdeutung und den Rollenerwartungen der Rollenpartner (intrapersonaler Konflikt).
Werden dem Meister einer Werkstatt vom Betriebsleiter Leistungsstandards vorgegeben, die mit dem Qualitätsstandard der Qualitätskontrolle unvereinbar sind, befindet er sich in einem Rollenkonflikt, der durch die unterschiedlichen Erwartungen zweier Stellen der formellen Organisation verursacht wird. Ein Rollenkonflikt, der durch unterschiedliche Erwartungen zweier Gruppen der informellen Organisation verursacht wird, entsteht für einen neu ernannten Abteilungsleiter, der feststellt, dass er den Erwartungen der anderen Abteilungsleiter einerseits und den Erwartungen seiner früheren Kollegen andererseits nicht gleichzeitig entsprechen kann. Ein Angestellter, der sich entscheiden muss, ob er die Leistungsforderungen seines Vorgesetzten erfüllen oder sich Sanktionen von Seiten seiner Kollegen aussetzen soll, befindet sich in einem Rollenkonflikt, zu dem sowohl die formelle als auch die informelle Organisation beitragen. Die Formen der Konflikthandhabung für die Konflikttypen sind nach March/Simon (1958; 1976) vorzugsweise für einen interpersonalen Konflikt
=> Problemlösen, Überzeugen
Intergruppen-Konflikt
=> Verhandlung, politischer Prozess
intrapersonalen Konflikt
=> Suchverhalten, Anspruchsanpassung.
Zu den formalen Betrachtungen für Konfliktsituationen kommt gerade für die Führungsrolle noch eine Vielzahl von inhaltlichen Dilemmata. Oft handelt es sich dabei nicht einmal um Polaritäten, sondern voneinander unabhängige Dimensionen, wie dies z, B. auch für das bekannte Dimensionspaar "Mitarbeiter-Drientierung" und "Leistungsorientierung" unterstellt wird (vgl. dazu unten Kap. 4,13.3; 13.4). Die Vorgesetzten-Rolle lässt sich ohnehin nie so eindeutig, konfliktfrei und statisch fassen, dass keine subjektiven Deutungs- und Gestaltungsmöglichkeiten bleiben. Eher dürfte eine Vorgesetzten-Position nur dann als solche zu bezeichnen sein, wenn deutliche Ermessens-, Interpretations- und Handlungsspielräume bestehen (vgl. Neuberger 2002, S. 325).
Soziale Positionen und deren Kriterien
146
Dahrendorf (1962, zit. bei Staehle 1999, 5.395) unterscheidet als Formen der Konflikthandhabung zwischen Unterdrückung, Lösung oder Regelung von Konflikten. Die einfachste Form, einen Konflikt zu handhaben. ist die, ihn zu ignorieren; dies geschieht dadurch, dass man von der einen Rollenerwartung, die einer anderen Rollenerwartung zuwiderläuft, behauptet, dass ihr durch das gewählte tatsächliche Rollenverhalten ebenfalls entsprochen werde. Diese ignorierende Rationalisierung des Rollenkonflikts bedeutet wiewohl keine Lösung. Eine echte Konfliktlösung bei zwei verschiedenen Rollenerwartungen A und B ist nur möglich. wenn entweder der Rollenerwartung A oder der Rollenerwartung B entsprochen wird, wenn durch Kooperation (im Wege einer Verhandlung) eine den unterschiedlichen Interessen beidseits gerecht werdende Problemlösung erreicht wird, oder wenn eine sonstige Regelung (durch Vermittlung, Schlichtung oder Zwangsschlichtung) zustande kommt. Die tatsächliche Verhaltensweise ist eine Funktion von drei Variablen: wie berechtigt die Rollenerwartungen angesehen werden, welche Sanktionen erwartet werden. wenn einer Erwartung nicht entsprochen wird, sowie der persönlichen Orientierung der Person zu Legitimation und Sanktionen.
Abbildung 11.1
Konflikthandhabungsstile (Quelle: Thomas 1976, S. 900)
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lJ) lJ)
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Wettbewerb
(Problemlösung)
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Kompromiss
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Rückzug (Verzicht)
Anpassung (Nachgeben)
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niedrig
hoch
Wunsch nach Befriedigung gemeinsamer Interessen
Einmal tendieren die Menschen dazu, berechtigten Erwartungen zu entsprechen und unberechtigte zurückzuweisen. Zweitens verhalten sich Personen im Hinblick auf zwei verschiedene Rollenerwartungen so, dass ihnen starke negative Sanktionen erspart bleiben. Sind beide Erwartungen berechtigt oder haben von zwei Verhaltensweisen beide starke negative Sanktionen zur Folge, wird ein Kompromiss angestrebt. Legitimation und Sankti-
Rolle
147
onen können jedoch auch gegengerichtet sein, dann wird die dritte Variable relevant und entweder werden berechtigte Rollenerwartungen (moralistische Orientierung) oder Sanktionen (zweckhafte Orientierung) vorrangig bewertet. Bewertet man den Wunsch nach Befriedigung eigener Interessen auf einem Kontinuum von hoch bis niedrig sowie den Wunsch nach Befriedigung fremder Interessen von hoch bis niedrig und kombiniert diese Dimensionen miteinander, kommt man zu den von Thomas (1976, S.900) vorgeschlagenen Konflikthandhabungsstilen. Kooperation als Konflikthandhabungsform wird dann gewählt, wenn hohe eigene und große und wesentliche gemeinsame Interessen bestehen. Bei konfligierenden, aber geringen Interessen wird man auf Streit verzichten wollen und der Rückzug wahrscheinlich sein, bei geringen fremden Erwartungen und jedoch hohen eigenen Einsätzen bzw. Interessen dagegen Wettbewerb. Geringe eigene Einsätze bzw. Interessen und gleichwohl angestrebte Gemeinsamkeit führt zur Anpassung bzw. zum Nachgeben als wahrscheinliche Konflikthandhabungsform.
Kapitel 4: Gestaltung von Führungsbeziehungen Die Gestaltung der Führungsbeziehungen findet meist das besondere Interesse der Praktiker. Es wäre aber nicht ausreichend, das Führungswissen nur hierauf zu beschränken. Ohne die genauere Kenntnis der Grundlagen gestalterischen Wirkens, das Verständnis beobachteter und beobachtbarer Reaktions- und Verhaltensweisen des Einzelmenschen sowie von Menschengruppen bleibt jedes gestalterische Handeln ein unsicheres Unterfangen. Man kann davon ausgehen, dass das Individuum zwar nicht unbegrenzt perfektionierungsfähig, jedoch anpassungsfähig, lemfähig und motivierbar ist. Da Akteure in der Unternehmung nicht als Einzelwesen handeln, sondern Gruppen angehören und innerhalb von Gruppen arbeiten, wird ihr Verhalten im Wesentlichen von Institutionen, d. h. von den sie umgebenden Organisationen und den von ihnen verkörperten Wertvorstellungen geprägt und bestimmt. Das Führungsverhalten des Managers muss in diesem Kontext gesehen werden. Führung muss bestimmt sein durch die verstärkte Anwendung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse im Führungsprozess. Führung erfordert einen Führer. Es stellt sich die Frage, wer in einer Gruppe eigentlich Führer ist und wie man die Rolle des Führers erlangt. Die personale Führung besitzt einen weiten Spielraum der Gestaltung ihrer Methoden. Führungsformen und Führungsstile unterscheiden sich danach, welche Motivationsziele angestrebt werden, welche Möglichkeiten der Motivation angewendet werden und in welcher Weise die Interaktion zwischen Führer und Geführten erfolgt. Die Gestaltung der Führungsbeziehungen kann durch diverse Führungsinstrumente unterstützt werden, die die Chance bieten, kontextuell unterstützend auf das Verhalten der Geführten einzuwirken. Solche Führungsinstrumente lassen sich unterscheiden, ob sie auf die Qualifikation, die Motivation oder die Arbeitssituation des Mitarbeiters sowie auf die Führungskultur Einfluss nehmen. Die Mittel und Methoden der Führungsinstrumente sind in der Regel organisationsweit vorhanden, führungsspezifisch werden sie indessen nur dann, wenn ein Führer sich ihrer aktiv im Rahmen des Führungsprozesses bedient, um das Verhalten eines Mitarbeiters effektiver auf angestrebte Ziele auszurichten (vgl. Weibler 2001, S. 346 f.).
12
Führungsverhalten als Rollenverhalten
Die Führung von Menschen kann verstanden werden als ein Verhalten, das sich in der Übernahme einer Rolle im Rahmen des Gruppenprozesses konkretisiert. Diese Betrachtungsweise impliziert, dass der Gegensatz zum "Führer" nicht der "Gefolgsmann" ist, weil der Führer sich nicht konträr zu einem Gefolgsmann kennzeichnen lässt. Wenn es überhaupt den Gegensatz zum Führer gibt, wird er durch den "Indifferenten" dargestellt, weil die indifferente Person durch mangelnde Fähigkeiten oder fehlenden Willen zur Führung gekennzeichnet ist. Eine weitere hnplikation ist, dass eine Person in einer Situation Führer sein kann und in einer anderen Situation geführt wird, also folgt. Dies ist in der Realität nicht ungewöhnlich. In einer dynamischen Unternehmung sind Managementleistungen nicht nur auf einen bestimmten Personenkreis - etwa die formellen Führungskräfte - beschränkt, sondern werden von allen Akteuren im System er-bracht (vgl. Withauer 2000, S.62). Jedes Systemmitglied ist ein potenzieller Manager. Die Fähigkeit zu managen ist somit diffus über die ganze Organisation verteilt. Aus dieser Sicht kann Management als eine "Eigenschaft des Systems" verstanden werden und umfasst alle Handlungen, die dazu beitragen, das Funktionieren-lassen und Funktionieren-Können der Unternehmung zu fördern. Dies gilt auch für die personale Führung und zeigt sich in der häufigen Form einer "Führung von unten", ist prinzipiell aber in jeder organisatorischen Gruppe anzutreffen.
12.1
Führerschaft in der Arbeitsgruppe
Führung kann nicht verstanden werden, wenn man bei ihrer Betrachtung die sozialen Erscheinungen in einer Gruppe, Macht, Status, Gruppennormen und das Gruppengeschehen unberücksichtigt lässt. Die Gruppe muss bei ihrer Rollendifferenzierung eines der Gruppenmitglieder mit der Führungsrolle betrauen, um als Gruppe bestehen zu können. Wenn dies nicht geschieht, ist sie in ihrer Existenz dadurch bedroht, dass die Erreichung des Gruppenziels oder die Zufriedenheit der Gruppenmitglieder gefährdet wird. Führung ist ein spezifisches Verhalten in der Gruppe und bezieht sich auf die Gruppe; es ist an keine individuellen Eigenschaften oder Merkmale gebunden. Die personalistische oder situative Interpretation der Führung ist keine brauchbare Grundlage zur Erklärung dieses Phänomens. Der Mythos vom Führer ist dennoch weit verbreitet. Die Huldigung überholter Vorstellungen über die Führerschaft führt unweigerlich zu einer unzureichenden Nutzung des im Menschen vorhandenen Potenzials. Die meisten Gruppen in einer Organisation haben zwar einen formellen Führer, dessen Status durch diese Organisation legitimiert ist, man wird jedoch das relevante Gruppengeschehen übersehen, wenn man sich ausschließlich auf die Handlungen des Führers konzentriert. Wenn wir das Gruppengeschehen nicht beachten, wird Führung als Magie erscheinen, die in wundersamer Weise die soziale Umgebung beeinflusst. K. F. Withauer, Führungskompetenz und Karriere, DOI 10.1007/978-3-8349-6580-6_13, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Verwirklichung von Gruppenzielen
151
Führerschaft verstanden als die Wahrnehmung einer Rolle im Aktionsmuster einer Gruppe - in der Sichtweise des gruppendynamischen Ansatzes - ist gekennzeichnet durch jene bestimmten Handlungsweisen der Person des Führers, die auf die Erreichung eines oder mehrerer Gruppenziele gerichtet sind und/oder die Aufrechterhaltung und Stärkung der Gruppe bezwecken (vgI. Staehle 1999, S.356) . Ein Gruppenziel sollte auf das Funktionieren-lassen der Unternehmung ausgerichtet sein und einen Beitrag ausdrücken, der irgendeinen Nutzen für das übergeordnete System erbringt und damit den Erfolg der Unternehmung als Ganzes sichert oder erhöht (vgI. Neuberger 2002, S. 327). Aus motivationaler Sicht sollen die Mitarbeiter sich in der Arbeit engagieren, im Rahmen der gegebenen Aufgaben Mitdenker und Problemlöser sein, sich dabei wohl fühlen und zufrieden sein, wodurch wiederum das Gruppen- und Betriebsklima günstig beeinflusst und die Aktionsfähigkeit der Gruppe erhalten und erweitert wird. Weite Verbreitung in den Sozialwissenschaften hat die grundlegende Reduzierung der Funktionen des Führers in der Gruppe (vgI. Lukasczyk 1960, S. 183) auf zwei Aufgabenbereiche gefunden:
=>
Lokomotion (Zielgerichtetheit) und
D
Kohäsion (Zusammenhalt).
Die der Lokomotion dienenden Führungstätigkeiten verschreiben sich der Gruppenaufgabe und ihrer bestmöglichen Lösung. Entsprechende Aktivitäten sind Zielbestimmung, Handlungsanweisungen, Vorgehensvorschläge, die operative Planung des zieladäquaten Weges, Aufgabenstrukturierung, die Verhinderung nicht gruppenzielkonformer Aktionen, die Beeinflussung von Gruppennormen, die Überwindung von die Zielerreichung behindernden Hemmnissen. Die Kohäsion wird mehr durch Führungstätigkeiten, die sozioemotional orientiert sind, gefördert und umfasst die Aktivitäten, welche der Sicherung der Gruppenexistenz dienen, z. B. die Förderung guter zwischenmenschlicher Beziehungen, Ermutigung anderer Gruppenmitglieder, das Bemühen, entstandene Spannungen in der Gruppe zu beseitigen, die Einräumung der Redefreiheit und Förderung der Selbständigkeit für jedermann in der Gruppe und die Belohnung kooperativen. nützlichen Verhaltens anderer Gruppenmitglieder. Diese Betrachtungsweise der Führerschaft lässt erkennen, dass es sich um Tätigkeiten handelt, die fast jedes Gruppenmitglied zeitweise wahrnimmt oder zumindest wahrnehmen kann. Dies bedeutet, dass grundsätzlich jedes Gruppenmitglied potenziell und vielfach auch konkret führt.
12.2
Verwirklichung von Gruppenzielen
Eine Gruppe kann nicht ohne Führung bestehen und ein Führer kann nicht ohne eine Gruppe existieren. Führungshandeln ist nur dann sinnvoll, wenn eine der zwei Gruppenziele erreicht werden sollen : Leistung bzw. Aufgabenerfüllung und Zufriedenheit der Menschen durch Gruppenkohäsion.
152
Führungsverhalten als Rollenverhalten
In einer informellen Gruppe ist die Führungsrolle von vornherein nicht festgelegt. Möglicherweise übernimmt das Gruppenmitglied mit der lautesten Stimme die Führung, weil die anderen ihn ausgezeichnet verstehen können. Ein älteres Gruppenmitglied kann vielleicht deshalb zum Führer werden, weil seinen Vorschlägen Respekt entgegengebracht wird. Die Gründe für Führerschaft in einer informellen Gruppe sind sehr verschieden. Der Wechsel der Führung unter den verschiedenen Gruppenmitgliedern ist meist ohne Folgen für die Gruppe. In formellen Gruppen ist das Verhalten des Führers und der Gruppe weitgehend programmiert und voraussagbar. Es kommt für die Führerschaft jedoch auch stets auf die Situation an, die bestimmt, wer Führer ist. Eine Situation, die durch das vorrangige Erreichen einer sachlichen Aufgabe gekennzeichnet ist, braucht wahrscheinlich die Person zum Führer, die sich am besten durchsetzen kann, die meisten Kenntnisse besitzt oder die größte formelle Autorität hat. Eine Gruppe, die sich in einer Situation befindet, in der der Zufriedenheitsaspekt der Gruppe relevant ist - z. B. bei einer Hausparty, Diskussionsgruppe -, macht denjenigen zum Führer, der die meisten Witze macht, locker auftritt und für Entspannung sorgt und die interessantesten Gesprächsbeiträge liefert. In den meisten Gruppen ist sowohl der Leistungsaspekt als auch der Zufriedenheitsaspekt
von Bedeutung. Das Verhalten eines Führers kann sich vorrangig auf den einen, den anderen oder beide Aspekte auswirken. Es sei nochmals angesprochen, dass Führung nicht unbedingt nur von einer einzelnen Person ausgeübt werden muss. Es ist eine häufige Erscheinung in einer Gruppe, dass die Führung hinsichtlich der Gruppenziele differenziert ist (Divergenzansatz), wobei eine Person als Leistungsführer, eine andere als Beliebtheitsführer fungiert (vgl. Bröckermann 2001, S. 277).
12.3
Vorgesetztenzentrierte vs. gruppendynamische Führung
Das Erklärungskonzept der Führung als gruppenbezogenes Führungshandeln umschreibt das Führungsphänomen grundsätzlich und allgemein. Die Erfassung einer realen Führungssituation gelingt jedoch auch mit diesem Konzept in der Regel nur unvollständig, so dass ergänzende und differenzierende Betrachtungen notwendig werden. In der funktionalistischen Betrachtung steht nicht mehr das scheinbar unabhängige Individuum im Mittelpunkt, sondern die übergeordnete Einheit. Mit diesem Wechsel des Bezugssystems wird die Frage gestellt nach den notwendigen Bestands- und Wirkungsbedingungen einer Einheit - einer Person, Gruppe oder Unternehmung. Der gruppenbezogene Ansatz geht davon aus, dass der Führungsbeitrag des jüngsten, statusniedrigsten, introvertierten Gruppenmitglieds ebenso wichtig für das Gruppeninteresse sein kann wie die Aktivität eines formellen Vorgesetzten oder Managers, der einen hohen Status genießt, über weitreichende Erfahrungen verfügt und ein dominierendes Auftreten hat. Es kommt lediglich darauf an, ob der Führungsbeitrag wichtig ist - für die
Vorgesetztenzentrierte vs. gruppendynamische Führung
153
Gruppe oder die größere Organisation. Infolgedessen ist es die Aufgabe aller Gruppenmitglieder einschließlich des formellen Führers, Führungsbeiträge zu leisten, die dem Gruppenziel dienlich sind, und solche zu verhindern, die es gefährden (vgl. Neuberger 2002, S. 327). Getreu der funktionalistischen Sichtweise kommt es nicht auf den offiziellen Status "Vorgesetzter" an. Führungsfunktionen können in dieser formalen Rolle konzentriert oder aber in der Gruppe breiter gestreut sein. Je nachdem, was gerade anliegt, wird mal der eine, mal die Andere zur Führungskraft. Unternehmen gehen in der Praxis jedoch meist den anderen Weg, indem sie auf feste Ansprechpartner setzen, die quer durch die Organisation besetzt werden; dies gilt selbst für Projektgruppen. Formelle Führer werden durch ihre Organisation autorisiert. In betrieblichen Institutionen entsteht Führung somit durchaus nicht überwiegend aus dem Aktionsmuster einer Gruppe im Sinne der Gruppendynamik, sie wird vielmehr von formellen Führern ausgeübt. Man kann deshalb nicht mehr von einern gänzlich gruppenbezogenen Führungsverhalten sprechen, sondern lediglich von einer modifizierten Gruppenführerschaft. Der formelle Führer befindet sich in einer Position, in der er eine Rolle zu übernehmen hat. Diese Führungsrolle fordert von ihm, dass er notwendige Anweisungen erteilt und Vorgehensweisen vorschreibt, beispielsweise •
er bestimmt, wer das Protokoll führt,
•
er beendet die Diskussion,
•
er bittet um formelle Anträge,
•
er mischt sich in einen Konflikt ein,
•
er fragt nach einer fachlichen Meinung.
Der ernannte Führer in einer formellen Führungsposition wird zweifelsohne den Gruppenprozess nicht blockieren. Er sollte zumindest der Gruppe mehr Vorteile verschaffen als sie behindern. In einer verzweigten Organisation können Gruppen nicht ohne formelle Führer erfolgreich bestehen. Der Idealfall ist, dass sie die Gruppe ständig voranbringen. Der praktische Weg sind den Gruppenzielen überwiegend dienliche Führungsbeiträge. Dann haben formell autorisierte Führungskräfte die reelle Chance, auch informell bestätigt zu werden (vgl. Bröckermann 2001, S. 315). Wie eine Führungsrolle wahrgenommen wird, ist gewiss auch situationsabhängig. Daraus ergibt sich, dass eine Führungskraft je nach situativen Gegebenheiten einen anderen Führungsstil praktiziert und dass diese Führungsweise wiederum je nach Situation einen mehr oder weniger überzeugenden Führungserfolg oder gar einen Misserfolg nach sich zieht (siehe dazu auch 13.4, 13.5, 13.6). Die normalen täglichen Aufgaben bedürfen keiner anordnenden Führung. Eine Führungsperson kann sich darauf beschränken, die von den Gruppenmitgliedern kommenden Führungsbeiträge aufzunehmen und gegebenenfalls zu nutzen.
154
Führungsverhalten als Rollenverhalten
Der ideale Führer ist flexibel genug, seine Führungsform zu variieren zwischen einem völlig führungslosen Verhalten - etwa beim Brainstorming - und strengem Bestehen auf persönliche Opfer fordernder Pflichterfüllung. Dies sind hohe Anforderungen an eine Führungskraft, die ein großes Verständnis für das Gruppengeschehen und seine Bedingungen voraussetzen. Grundlegend wird deutlich, dass Führungshandeln und Gruppendynamik als zwei Aspekte eines Erklärungskonzepts der Führung zu sehen sind.
12.4
Differenzierende Führung innerhalb einer Arbeitsgruppe
Führer-Mitarbeiter-Beziehungen entstehen als Folge einer Serie von Interaktionen zwischen den Interaktionspartnern. Zur Beschreibung der Interaktionsweise wird bei üblichen Führungsstil-Untersuchungen für eine gesamte (undifferenzierte) Gruppe der "durchschnittliche" Führungsstil erfasst, indem die verschiedenen Vorgesetzten-VerhaltensBeschreibungen der einzelnen Gruppenmitglieder einfach gemittelt werden. Dadurch werden jedoch die Abweichungen von diesem Mittelwert ausgeblendet, denn diese sind ein Ausdruck für die interne Differenziertheit der Führer-Mitarbeiter-Beziehungen. Die praktische Erfahrung zeigt nämlich, dass sich ein Führer zu seinen Mitarbeitern keineswegs gleich oder ähnlich verhält (vgl. Graen/Uhl-Bien 1995, S. 1047). Eine detaillierte Betrachtung bedarf deshalb zweier Akzentsetzungen: Die Interaktionsbeziehungen in Arbeitsgruppen sind zu einzelnen Mitarbeitern unterschiedlich, sie müssen deshalb in Zweierbeziehungen (dyadische Relationen) zerlegt werden, weil nur so auf die Eigenheiten einzelner Mitarbeiter eingegangen werden kann. Diese treten nämlich dem Vorgesetzten jeweils nicht in Summe und abstrakte Positionsinhaber gegenüber, sondern als konkrete einzelne Menschen mit Stärken und Defiziten, Wünschen und Ängsten, spezieller Vergangenheit und Zukunft. Diese Individualisierung der Perspektive bedeutet zunächst auch die Absage an die gewohnte Gegenüberstellung der Führungskraft und der undifferenzierten Gesamtheit einer Gruppe als Ganzes. Die Zweierbeziehung formt sich aus, indem sozusagen ausgehandelt wird, wie man miteinander umgehen soll oder will. Andererseits kann eine Führungskraft nicht mit jedem Mitarbeiter gleich intensiven Austausch pflegen. Die Qualität der Beziehung zeigt sich in dem jeweiligen Verhandlungsspielraum, und zwar gemessen am Vertrauen, der übertragenen Verantwortung, Entscheidungsteilhabe und der Kommunikationshäufigkeit mit dem Vorgesetzten. Im Laufe der Zeit bilden sich deshalb eine führungsinteraktiv privilegierte Innengruppe auch als Vertrauenskader, Trusted Cadre oder In-Group bezeichnet - und eine eher von distanziert-formalem Einfluss beherrschte Randgruppe - auch Out-Group oder Hired Hands genannt. Während der Kontakt mit den Mitgliedern der Randgruppe sich im Extremfall auf die Einhaltung und Überwachung des Arbeitsvertrags beschränkt ("Supervision"), findet in den zur Innengruppe zählenden Dyaden eine weit darüber hinausgehende
Chaotische Beziehungen
155
Führung ("Leadership") mit intensivem sozialem Austausch statt, der informell-locker, vertrauensvoll, respektierend und mit wechselseitiger Einflussnahme die Bedürfnisse der Geführten berücksichtigt. Mehrere empirische Studien haben in längeren Zeitabständen jeweils die Größe des eingeräumten Verhandlungsspielraumes, den Beitrag des Führers und des Geführten zur Ausgestaltung der Austauschbeziehung und verschiedene Reaktionen der Geführten erhoben und miteinander in Beziehung gesetzt (vgl. Dansereau et al. 1975, zit. bei Staehle 1999, S. 365 f.). Die Ergebnisse zeigen: Die Geführten, denen vom Vorgesetzten ein vergleichsweise großer Spielraum eingeräumt wird, haben nach eigenen Angaben weniger Probleme mit ihrem Vorgesetzten et vice versa. Diese Mitarbeiter sehen ihren Vorgesetzten als jemanden, der ihnen Aufmerksamkeit widmet, sie unterstützt und ihnen gegenüber sensitiv ist. Die Geführten des Vertrauenskaders zeigen ihrerseits eine höhere Leistungsbereitschaft, die auch von den jeweiligen Vorgesetzten bestätigt wird. Die jeweiligen Vorgesetzten nehmen das Verhalten dieser Geführten als ihren Erwartungen entsprechend wahr und sind der Meinung, dass sie den ihnen eingeräumten Spielraum nicht missbrauchen. Schließlich zeichnen sich die Mitglieder des Vertrauenskaders durch eine höhere Zufriedenheit aus und neigen weniger zu Kündigungen; das wurde speziell auch für Führungsdyaden auf unteren Managementebenen bestätigt. Mitglieder der Out-Group haben häufiger Probleme mit ihrem Vorgesetzten, nehmen ihn als weniger sensitiv und unterstützend wahr und weisen auch eine geringere Zufriedenheit auf. Diese Geführten aus der äußeren Gruppe werden ihrerseits von den Vorgesetzten nicht ihren Erwartungen entsprechend wahrgenommen. Die Entstehung von Zweier-Beziehungen, die der Innengruppe zugehören, und solchen zur Randgruppe zählenden erscheint meist unausweichlich, da ein Vorgesetzter nicht über die Kapazität verfügt, alle seine Mitarbeiter zu Kadermitgliedern zu entwickeln. Zur Leistungssteigerung ist es indessen vielmals erforderlich, zusätzliche Mitarbeiter in den Kreis des Vertrauenskaders einzubeziehen. Dazu kann ein Training nützlich sein, in dem die Vorgesetzten ihr Führungspotenzial entsprechend erweitern. Eine an den Ergebnissen des Führungsdyaden-Modells ausgerichtete Beförderungs- und Einstellungspolitik würde vor allem darauf abzielen, Menschen für Führungsaufgaben zu rekrutieren, die in der Lage sind, zu möglichst vielen Mitarbeitern intensive soziale Interaktionsbeziehungen zu entwickeln, und auf der anderen Seite nur bei möglichst wenigen Mitarbeitern Austauschbeziehungen auf formale Autorität zu stützen (vgl. ebd., S. 367).
12.5
Chaotische Beziehungen
Trotz aller Ordnungsversuche bei der Analyse des Führungsverhaltens und der Beziehungen zwischen Führungsperson und Mitarbeiter bzw. Mitarbeitergruppe lässt sich die in einer konkreten Situation angestrebte Erfolgswirkung nicht voraussagen oder garantieren. Die Wirkungsbezüge im Aufbau und in der Pflege von Beziehungen weisen Parallelen zu auch in der Natur vorkommenden chaotischen Prozessen auf. Die Analyse chaotischer Systeme zeigt die folgenden Gesetzmäßigkeiten (vgl. auch Withauer 2000,S. 108ff. und 134 f.):
Führungsverhalten als Rollenverhalten
156
1. Chaotische Systeme sind nicht berechenbar, 2. kleine Schwingungen werden so lange verstärkt, bis sich das System neu konfiguriert, 3. kleinste Veränderungen beeinflussen das Ergebnis wesentlich und 4. chaotische Systeme sind instabil. Diese Eigenschaften sind mit denjenigen von Führungsbeziehungen - und natürlich auch allen anderen sozialen Beziehungen - identisch. Dies zeigt sich vor allem in den folgenden beobachtbaren Eigenheiten:
1. Beziehungen sind nicht berechenbar. Sympathie, Gleichgültigkeit oder Antipathie zweier Menschen lassen sich weder voraussagen noch berechnen. Erst im Erlebnisprozess der jeweiligen Partner entwickelt sich die Qualität der Beziehung, die schließlich den Führungserfolg wesentlich beeinflusst.
2. Kleine Übereinstimmungen werden so lange verstärkt, bisdaraus einetragende Beziehung entsteht. Der "erste Eindruck", das im zwischenmenschlichen Bereich gegenseitige sachliche und emotionale "Abtasten" führt zu einer positiven oder negativen Wirkung. Dieser Eindruck verstärkt sich mit jeder weiteren Erfahrung im gegenseitigen Umgang. Aus der Bestätigung gemeinsamer Werte entsteht ein gegenseitiges Verständnis, das sich dann erst langsam zu einer tragfähigen Beziehung entwickelt.
3. Kleine Veränderungen beeinflussen den Endzustand einerBeziehung wesentlich. Kleine Unachtsamkeiten, ein unglückliches Wort im falschen Moment, ein unbedachtes Argument können eine sensible Führungsbeziehung - das Ergebnis - nachhaltig verändern. Sobald das emotionale Umfeld einer Beziehung, oft auch durch eine unbewusste Handlung gestört wird, ist die Beziehung gefährdet, weil sich diese Störung genauso aufschaukeln kann, wie eine gemeinsame Übereinstimmung.
4. Beziehungen sind instabil. Eine gut aufgebaute, tragende partnerschaftliche Führungsbeziehung bleibt nur dann stabil, wenn sowohl die Führungskraft wie auch jeder Mitarbeiter an dieser Beziehung arbeiten und sich dafür auch engagieren. Bleiben diese Anstrengungen aus, so zeigt die Beziehungserosion die Instabilität der Beziehung, in der nur wenig zu zerfallen braucht, bis sie sich ganz auflöst. Diese typischen Eigenschaften einer Beziehung sind eigentümlich für "dissipative Systeme" und mithin kennzeichnend für chaotische Prozesse. Mit "Chaos" ist nicht gemeint, das System sei chaotisch. Der Begriff Chaos charakterisiert Verhalten und Veränderungen, die einer nicht erkennbaren nichtlinearen Ordnung folgen. Chaos erweist sich so als positiver Begriff, der - als Gegenpol der Ordnung - die Normalitäten des Alltags beschreibt. Ordnung ist dabei eine Momentaufnahme in einem chaotisch fließenden System. Die Analyse chaotischer Systeme zeigt die entsprechenden Gesetzmäßigkeiten wie sie vorstehend auch für soziale Systeme beschrieben sind (vgl. ebd.).
Chaotische Beziehungen
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Daraus kann gefolgert werden, dass Aufbau und Pflege von Führungs- und Einflussbeziehungen einer nichtlinearen Ordnung eines chaotischen Systems entsprechen. Jede sachbzw. ordnungsorientierte Führung geschieht in einem chaotischen Umfeld der Beziehung (Sympathie, Antipathie, Zufriedenheit, Ruhe, Angst, Unsicherheit der Beziehung, Emotion, Empathie). Um Veränderungen oder Verhaltensmodifikationen zu bewirken, muss eine Führungsperson sogar Chaos fördern, und dies heißt, auch Instabilität zu akzeptieren. Das Ausmaß der Ordnung eines starren Systems korreliert mit dem Ausmaß der Unsicherheit und Unfähigkeit der Manager, sich Veränderungen anzupassen. Nur chaotische Systeme sind lernfähig - in geordneten Systemen findet keine Veränderung und kein Lernen mehr statt. Konsequenterweise sind deshalb vorgegebene Verhaltensstrategien und definierte Gesprächskonzepte ungeeignet - im Einzelfall werden sie kontraproduktiv. Nur der Chef, der als Führungsperson situativ und gedankenschnell erahnt, wie seine Mitarbeiter fühlen und denken und der erahnt, wie ein Mitarbeiter gleich handeln wird und in dieser Ahnung schon seine Strategie aktualisiert hat, wird erfolgreich und nachhaltig Mitarbeiter führen und nicht manipulieren - können. Die Interaktion mit Anderen, der gegenseitige und intensive Austausch zwischen Führungskraft und Mitarbeitern wird nur in durchlässigen "chaotischen" Systemen erfolgreich handhabbar. Für ein Führungstraining bedeutet dies, dass der Schwerpunkt sich verschiebt zugunsten gekonnter Kommunikation, Sensitivitätstraining und höhere mentale Fitness, wobei Führungspersonen lernen, die Ganzheit einer Führungssituation zu erfassen und diese einfühlsam zu lenken (vgl. Withauer 2000, S. 270 H.).
13
Persönlichkeitsstil, Führungsstil und Führungsformen
Wirft man einen Blick in den Führungsalltag, lässt sich wahrnehmen, dass Vorgesetzte sich recht unterschiedlich gegenüber ihren Mitarbeitern verhalten. Das Verhalten zeigt sich sowohl temporär wie auch situativ variabel, und es ist auch zu verschiedenen Personen unterschiedlich. Im Kontext von Organisationen besteht eine Vielzahl von Führungsbeziehungen, welche erhebliche Unterschiede aufweisen können. Dies bedeutet, dass unterschiedliche Führungspersonen in der Regel auch ein unterschiedliches Führungsverhalten zeigen. Während der eine Vorgesetzte vielleicht bestrebt ist, eine möglichst strikte Umsetzung seiner Anweisungen zu sichern, ist ein anderer eher an einem offenen Dialog interessiert. Das Führungsverhalten des Führers bewirkt wiederum unterschiedliche Reaktionen bei den Geführten. Mitarbeiter erbringen mehr oder weniger Leistung, fühlen sich in ihrer Arbeit mehr oder weniger wohl und schätzen die Führungsqualitäten ihrer Vorgesetzten unterschiedlich ein. Diese Reaktionen differieren bei jedem einzelnen der Geführten. Da offenbar das Führungsverhalten die Qualität der Führungsbeziehung entscheidend prägt, stellen sich mehrere Fragen: •
Weshalb tritt unterschiedliches Führungsverhalten im Alltag auf?
•
Inwieweit lassen sich im Führungsverhalten Konturen feststellen, welche sich zur abgrenzbaren Beschreibung der Verhaltensweisen als ein Führungsstil eignen?
•
Lassen sich für diese abgrenzbare Form eines stilkennzeichnenden Führungsverhaltens auf der Mitarbeiterseite wahrnehmbare Auswirkungen erkennen (wie z. B. Leistung, Anstrengung, Arbeitszufriedenheit)?
Die beiden ersten Fragen zielen auf die Erfassung und Beschreibung abgrenzbarer idealtypischer Führungsverhaltensweisen. Die letzte Frage gilt vor allem dem führungspraktischen Interesse, ob und inwieweit einzelne Führungsstile in einer Führungsbeziehung zur Erreichung bestimmter Handlungsergebnisse verwendbar sind.
13.1
Stilbestimmte Arten der Führung
Nicht jedes Verhalten einer Führungsperson gegenüber den Geführten ist Ausdruck eines Führungsstils. Jede Führungsbeziehung enthält eine Vielzahl von singulär gezeigten Verhaltensweisen, die nur einmalig vorkommen oder von einer einmaligen Situation herrühren. Aus solchen mehr oder minder zufälligen und ungeplanten Verhaltensweisen kann jedoch keine Erkenntnis zur nutzvollen Gestaltung von Führungsbeziehungen gezogen werden. K. F. Withauer, Führungskompetenz und Karriere, DOI 10.1007/978-3-8349-6580-6_14, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Stilbestimmte Arten der Führung
159
Wenn Verhaltensweisen in einer Führungsbeziehung eine gestalterische Wirkung haben sollen, dann müssen sie auch von einer gewissen Konsistenz geprägt sein. Eine verhaltensbezogene Präzisierung des Konstrukts "Führung" kann erfolgen, indem beobachtbares Verhalten in Bezug auf empirisch ermittelte Dimensionen des Führungsverhaltens charakterisiert oder durch Einstufung anhand idealtypischer Führungsstil-Taxonomien beurteilt wird. Die Gestaltung der Führung, die Führungsformen sind danach zu unterscheiden •
wie das Führungshandeln geschieht; hierbei geht es um das Aktionsmuster der Führung innerhalb der Gruppe, wie entschlossen der Führer auftritt und in welchem Maße er seinen Mitarbeitern ermöglicht, im Führungsprozess initiativ zu werden;
•
welche Zielstruktur die Führung verfolgt; dies äußert sich in der Wahl der Motivationsmethoden;
•
in welcher Situation das Führungshandeln erfolgt; diese kurzfristig als gegeben und wenig beeinflussbar angesehene Variable bestimmt den Führungserfolg erheblich mit.
Diese Differenzierungsaspekte können nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. Immerhin kann gesagt werden, dass die Wahl der Führungsweise durch den Führer die Führungseffektivität bestimmt, wodurch sich wiederum die Führungsweise kennzeichnen lässt. Es wird dienlich sein für die Beschreibung, wie Führungsaufgaben von den Führungskräften wahrgenommen werden, die Begriffe Persönlichkeitsstil, Führungsstil und Führungsform einzuführen. Der Persönlichkeitsstil kennzeichnet Verhaltensmuster auf der Basis verhaltensbestimmender Persönlichkeitsmerkmale. Jede Führerperson verfügt über ein gewisses Spektrum von Verhaltensweisen, das sie der jeweiligen Situation entsprechend einsetzen kann. Es spricht jedoch einiges für die Annahme, dass die Grenzen dieses Verhaltensspektrums durch bestimmte motivationale und kognitive Grundstrukturen der Führerpersonen entscheidend vorgeprägt sind. Der Begriff Führungsstil kennzeichnet einerseits eine grundsätzliche Verhaltensdisposition auf der Basis einer bestimmten motivationalen Orientierung, wobei die Varianz des Führungsverhaltens in Bezug auf Verhaltensdimensionen beschrieben wird. Mit dem Führungsstil kann auch das Führungsverhalten der Mehrheit der Führungskräfte einer Organisation charakterisiert werden. In der individuellen Führungsform manifestiert sich die führungsstilbezogene Verhaltens-
disposition und zeigt sich in der besonderen situations- und aufgabenbezogenen Führungsweise einer einzelnen Person. Die Führungsform kann beschrieben werden durch mehrere Merkmale, die Führungselemente.
160
Persönlichkeitsstil, Führungsstil und Führungsformen
Die jeweilige Ausprägung der Merkmale, die die qualitativ gewählten Merkmale quantitativ präzisiert, ist eine Führungsvariable des Führenden. Die Kombination in bestimmter Weise ausgeprägter Führungselemente ergibt eine bestimmte Führungsform. Eine Stilrichtung der Führungsform wird erkennbar, wenn gewisse Merkmalsausprägungen der Führungselemente häufig von einer Führungskraft bevorzugt werden. Die vorstehend bezeichneten Aspekte und Sachverhalte der Prägung der Führungsweise beziehen sich auf verschiedene Konkretisierungsstufen der Entwicklung vom intendierten zum schließlich realisierten Verhalten und müssen jedenfalls getrennt voneinander betrachtet werden, wenn die Ergebnisse von empirischen Untersuchungen richtig interpretiert werden sollen. So ist es durchaus wirklichkeitsnah, dass eine Führungsperson mit autoritär/demokratischkooperativer Persönlichkeitsstruktur gegenüber ihren Mitarbeitern nicht notwendigerweise in allen Situationen autoritär/kooperativ auftritt; analog gilt das auch für die motivationale Orientierung aufgaben-/mitarbeiterorientiert. Folgende Beispiele mögen dies verdeutlichen: Angenommen die Führungskraft hat einen führerzentrierten Persönlichkeitsstil, sie zieht es vor, den Ablauf des Führungsprozesses weitgehend von sich aus zu steuern und die Initiative nicht den Mitarbeitern zu überlassen. Es sei ferner angenommen, dass dieser autoritär eingestellte Vorgesetzte hauptsächlich motiviert ist, seine Aufgabe zu erfüllen. Bei dieser Konstellation erscheint es höchst naheliegend, dass er wenigen Wert auf zweiseitige Interaktionsbeziehungen zu seinen Mitarbeitern legt. Prinzipiell ist dies aber nicht auszuschließen, wenn man etwa an den autoritären und besorgten Patriarchen denkt, der genau "weiß", was für den Mitarbeiter "gut" ist. Eine aufgabenbezogene motivationale Orientierung bedingt gleichfalls nicht automatisch aufgabenorientiertes Verhalten. So mag damit in manchen Situationen ein mitarbeiterorientiertes Verhalten vereinbar sein, beispielsweise dann wenn der Vorgesetzte einem Mitarbeiter bei der Lösung eines privaten Problems hilft und die Aufgabenerfüllung solange hintan stellt. Eine autoritäre, aufgabenorientierte Führungsperson entscheidet nicht in allen Entscheidungssituationen autoritär, sie wird vermutlich den Mitarbeitern umso mehr Einfluss auf die Entscheidungsfindung einräumen, je kompetenter sie sind. Es ist mithin keine irreale Vorstellung, dass ein autoritärer Vorgesetzter sich mitarbeiterorientiert verhält oder ein demokratisch-kooperativ eingestellter Manager autoritär eine aufgaben- und leistungsbetonte Entscheidung trifft. Prinzipiell ist auch zu beachten, dass das Konzept Aufgaben-/Mitarbeiterorientierung und das Konzept Kooperation/Autokratie nicht gleichgesetzt werden. Der Betrachtung der individuellen Führungsformen sollen zunächst zur Charakterisierung persönlichkeitsrelevanter Verhaltensmuster die Persönlichkeitsstile, die Führungstypen bilden, vorangestellt werden.
Verhaltensrelevante Charakteristika der Persönlichkeit des Führers
13.2
161
Verhaltensrelevante Charakteristika der Persönlichkeit des Führers
Menschen neigen dazu, bei Führungsstilen eine Haltung auszudrücken, die ihrem persönlichen Verhaltensstil entspricht. Dieses natürliche Verhalten kann entweder unterstützend oder dirigierend oder beides sein. Der persönlichkeitstypische Verhaltensstil ist in vielen Situationen durchaus auch effektiv, andererseits kann aber je nach Situation und Person auch ein ganz anderes Verhalten angebracht sein. Die Analyse der eigenen Persönlichkeit mit der Feststellung der Intelligenzstruktur (Structure of Intellect - SOl) sowie eines Profils der Persönlichkeitsdominanzen - z. B. durch die DISG-Analyse - ermöglicht ein Erkennen persönlicher Stärken und Defizitbereiche. Weil deren Ursachen in der zurückliegenden Ausbildung und Erziehung liegen und in der Regel unbewusst sind, ist eine Selbstreflexion geeignet, den Prozess der Selbstfindung zu unterstützen (vgl. Seiwert/Gay 1996, SpinolalPeschaneI1988). Persönlichkeit bezeichnet Teilaspekte des handelnden Menschen wie Einstellungen, Werte, Bedürfnisse sowie psychische Funktionen des Erkennens, Denkens und Fühlens, welche einen Charakterzug ergeben. Typische Ausprägungen dieser Teilaspekte werden zu Persönlichkeitstypen zusammengefasst. Nach Allport (1959, S. 48) stellt Persönlichkeit "die dynamische Organisation der psychophysikalischen Systeme eines Individuums dar, die seine ihm eigene Anpassung an die Umwelt festlegen". Bedauerlicherweise haben sich in der Managementpraxis anspruchsvollere Theorien der Persönlichkeit wie der psychoanalytische Ansatz auf der Basis von Freuds Strukturmodell des Psychischen - Es, Ich, ÜberIch - oder lemtheoretische Ansätze nicht durchgesetzt. Führung ist ein multifaktorielles Geschehen (siehe Kap. 1,2.), zu dessen Verständnis man bei jedem dieser Faktoren (Führungsperson, andere konkrete Personen als Geführte, Rahmenparameter durch gestaltetes und bedingendes Arbeitsumfeld in Form von Aufgaben, organisationale Struktur, Umwelt usw.) ansetzen kann. Trotz der Notwendigkeit zu reduzieren, ist die beliebte Betrachtung der Persönlichkeit und die dabei unterstellte Bedeutsamkeit nur noch dieses Faktors unzulässig vereinfachend.
a) Eindimensional orientierter Persönlichkeitsstil C. G. Jung und H. J. Eysenck unterscheiden für die Charakterisierung der Persönlichkeit nach extrovertierter und introvertierter Orientierung. Extrovertiertheit und Introvertiertheit bezeichnen eine Grundhaltung bzw. einen Charakterzug, welcher in unterschiedlichem Maße partiell die Persönlichkeit eines jeden Menschen ausmacht (vgl. Jung 1939). Beobachtet man eine Führungskraft über einen längeren Zeitraum, wird man ein relativ konstantes, sinnvoll strukturiertes, situationsinvariantes Verhaltensmuster in ihrem Führungsverhalten feststellen. Die Gemeinsamkeiten sind als Konkretisierung einer verhaltensorganisierenden Grundhaltung und Einstellung aufzufassen (vgl. Weibler 2001, S. 286). Diese personalen Charakteristika sind für eine Person immer ursächlich verhaltensbestimmend, also nicht nur in Erfüllung einer Führungsaufgabe. Das von Persönlich-
Persönlichkeitsstil, FÜhrungsstil und Führungsformen
162
keitsrnerkmalen beeinflusste situationsbeständige Führungsverhalten wird durch eine charakterspezifische Grundeinstellung (Philosophie, Ideologie) gegenüber Menschen geprägt (vgl. Staehle 1999, S. 334). Diese Prägung soll als eindimensional orientierter Persönlichkeitsstil bezeichnet werden. Durch die Einbeziehung von psychischen Funktionen, vor allem der motivationalen Orientierung, erfährt der Verhaltensstil eine weitere Differenzierung und Modifikation, wodurch sich idealtypische Führungsstile beschreiben lassen. Führungsverhalten beschreibt schließlich empirisch beobachtbare Beeinflussungsversuche einer Führungskraft in einer konkreten Führungssituation, die situationsabhängig variieren können. Die Beschreibung von Führungsstilen auf der Grundlage der Extrovertiertheit als Persönlichkeitsmerkmalliefert Ansätze, welche ausschließlich nach dem in der Regel sich daraus ergebenden Kriterium, dem Entscheidungsspielraum der Beteiligten typisieren. Recht bekannt ist diese Typisierung von Tannenbaum und Schmidt (1958, s. 96), die die Extremwerte als autoritären und kooperativen Führungsstil bezeichnen. Die Grauzone zwischen den beiden Extremwerten ist breit gefächert (vgl. Bröckermann 2000, S. 305 f.).
Abbildung 13.1
Eindimensionaler Verhaltensansatz der Führung (Quelle: Tannenbaum I Schmidt 1958, S. 96, ergänzt nach Wunderer 2009, S. 208)
Autoritärer Führungsstil FOhrungskraft ent scheidet und ordnet an
FOhrungskraft leistet Überzeugungsarbeit, bevor sie ihre Entscheidungen anordnet
»Autoritär« »Patriarchalisch «
Kooperativer Führungsstil Führungkraft entscheidet, gestattet jedoch Fragen , um Akzeptanz zu erreichen
FOhrungs kraft informiert, die Mitarbeiter! innen können ihre Meinung äußern , bevor die FOhrungskraft ihre endgültige Entscheidung trifft
Die Gruppe entwickelt gemeinsam Vorschlage, die FOhrungskraft entscheidet sich für den von ihr favorisierten Vorschlag
Die Gruppe entscheidet, nachdem die FOhrungskraft zuvor das Problem aufgezeigt und die Grenzen des Entscheidungsspielraumes festgelegt hat
Die Gruppe entscheidet, die FOhrungskraft fungiert als Koordinator nach innen und außen
»Informierend«
»Beratend«
»Kooperativ«
»Delegativ«
»Autonorn«
Mitarbeiter gering partizipativ (ruhrer-zentriert)
Mitarbeiter partizipativ (gruppen -zentriert)
Diese Systematik ist als Heuristik anzusehen, die mögliche Führungsstile aufzufinden bezweckt. Für die verschiedenen Stile sind mehrere Merkmale angegeben, sie beschreiben indessen eine vereinfachte Realität. Die Beschreibung solcher Grundformen von Füh-
Verhaltensrelevante Charakteristika der Persönlichkeit des Führers
163
rungsstilen liefert eine Klassifikation alternativer Führungsstile. Der eindimensionale Verhaltensansatz des unterschiedlichen Entscheidungsspielraums knüpft an die Persönlichkeitsdimension "extrovertiert" an und beschreibt als Führungsstilalternativen einerseits hohe Teilhabe der Gruppe (kooperativ) und entgegengesetzt bei geringer Partizipation der Gruppe hohe Machtautonomie des Führers (autoritär). Je eindeutiger Vorgesetzte die Gruppenaktivitäten kontrollieren und den autoritären Führungsstil praktizieren, desto weniger halten sie sich an die wiederholt belegte Erkenntnis aus den unterschiedlichsten Zweigen der Führungsforschung, dass man Mitarbeiter mit all dem, was sie bewegt, soweit wie eben möglich in die Zielsetzung, Planung und Organisation einbeziehen sollte (vgl. Bröckermann 2000, S. 306). Wer allein entscheidet und anordnet, setzt sich keinesfalls für die Partizipation der Gruppe ein und kümmert sich wenig um die Motive und Ziele der Mitarbeiter, in der Zusammenarbeit sind - zumindest auf längere Sicht - Konflikte vorprogrammiert. Die bislang dokumentierten Erkenntnisse der Führungsforschung lassen immerhin den Schluss zu, dass der kooperative Führungsstil in den meisten Fällen positiv zu bewerten ist (vgl. Bröckermann 2000, S. 307). Die Beurteilung der Führungsweise muss vorsichtiger ausfallen, wenn man auf das Führungsverhalten abstellt. Ein zeitlich begrenztes autoritäres Führungsverhalten kann durchaus angemessen sein, denn autoritäre Verhaltensweisen haben den Vorzug, dass sie äußerst schnell zu Ergebnissen führen. Zuweilen gibt es Situationen, in denen es zumindest ebenso wichtig ist, etwas schnell zu tun, wie unbedingt den eindeutig und unzweifelhaft richtigsten Weg zu wählen. Man denke etwa an die Feuerwehr im Einsatz oder ein Team von Ärzten bei einer komplizierten Operation. Hier können Fehlentscheidungen zwar zu fatalen Ergebnissen führen, ein Zögern wäre aber oft gleichfalls ein Fehler. Ein kooperativer Führungsstil ist auch der demokratische Führungsstil. Hier werden die Mitarbeiter ebenfalls aktiv an Entscheidungen beteiligt, allerdings durch eine Abstimmung. Wie Fauth (1992, S. 87) berichtet, ist man in amerikanischen Unternehmungen bei diesem Führungsstil schnell zu einem "let's vote" bereit. Die meisten Darstellungen des eindimensionalen Verhaltensansatzes unterschlagen den wirklichen Extremwert für den Entscheidungsspielraum der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, den Führungsstil, der Laissezfaire genannt wird. Mit dem Laissez-faire-Führungsstil setzt man vollständig auf die Potenziale der Mitarbeiter, die sich frei und ungehindert entwickeln sollen . Bei diesem Führungsstil (vgl. Weibler 2001, S.297) gibt man den Gruppenmitgliedern volle Freiheit. Die Führungskraft verhält sich grundsätzlich ebenso freundlich wie passiv. Sie macht keinerlei Einfluss geltend und bemüht sich lediglich auf Anfrage um die Rahmenbedingungen der Kommunikation, Motivation, Zielsetzung, Organisation und Zusammenarbeit. Die Mitarbeiter üben ausschließlich eine Selbstkontrolle aus . Der Führungskraft verbleibt in der Regel nur noch die grundlegende personelle Planung sowie die Aufbau- und Ablauforganisation. Der Laissez-faire-Führungsstil wird in fast allen Publikationen negativ besprochen. Man argumentiert, die Mitarbeiter könnten bei solch "sanfter" Führung (vgl. Mintzberg 1999, S. 9 ff.) die ihnen gewährten Freiheiten ausnutzen und zu schlechter Leistung, Unordnung,
164
Persönlichkeitsstil, FÜhrungsstil und FÜhrungsformen
Disziplinlosigkeit und Verantwortungslosigkeit tendieren. Diese Annahme wird indessen von der Praxis nicht bestätigt. Der Laissez-faire-Führungsstil findet sich vielmehr gerade dort, wo mit derartigen Missständen nicht zu rechnen ist, wo im Gegenteil jeder andere Führungsstil kaum erfolgreich sein würde, etwa im kreativen, wissenschaftlichen und forschenden Bereich.
b) Mehrdimensionale Orientierung der Führung Eine weitere Differenzierung der Führungsstile ergibt sich, wenn man zur Typisierung menschlichen Verhaltens nicht nur das Ausmaß der mit einer extra- bzw. introvertierten Grundhaltung einher gehenden Partizipation berücksichtigt, sondern auch die durch eine günstige oder ungünstige Wahrnehmung ihres Umfeldes bestimmte Beziehungsorientierung. Der amerikanische Psychologe William M. Marston hat unter Zugrundelegung dieser wesentlichen Einflüsse oder Variablen ein praktikables Persönlichkeitsmodell entwickelt, das durch Studien vor allem bei "gesunden" Menschen getestet ist (vgl. Marston 1928). Das 2-Achsen-Modell mit jeweils zwei Polen ordnet Verhaltensstile im Hinblick auf die beiden vorgenannten Dimensionen, je nachdem ob eine Person •
von ihrer inneren Einstellung auf dieses Umfeld eher aktiv oder passiv reagiert, sowie
•
ihre äußere Umgebung als eher günstig oder ungünstig wahrnimmt.
Abbildung 13.2 Dimensionen bzw. Orientierungen der Persönlichkeit (Quelle: Seiwert/Gay 1996, S. 14) innere Einstellung IReaktion ~ CI) c:
aktiv
0
~ CI)
c:
':;'
Ol c: :;,
':;'
Ol
extrovertiert
Cl
c
Cl
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E
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s:
c:
..c Repräsentator Erfüllen zeremonieller AUfgaben fü r die Organisationseinheit. > Führer
Interaktive Beziehungen zu Mitarbeitern etablieren und pflegen. > Liaison Kontaktnetzwerk zu Personen außerhalb der Organisation schaffen .
> Beobachter
Informationen aus dem Kontaktnetz, vielfach Gerüchte , Hörensagen. > Verteiler
Weitergeben erhaltener Informationen an Mitarbeiter. > Sprecher Inform ieren von auf den Arbeitsbereich einflussreicher Personen .
> Unternehmer
Für entw icklungsorientierten innovativen Wandel sorgen . > Störungsregler
Beilegen von Problemen intern oder extern zur Umwelt. > Ressourcen-Zuordner
Zuteilen von Ressourcen an Personen oder Gruppen. > Verhandler
Aushandeln von bestimmten zukünftigen Aktivitäten der Organisation .
18.3
Postulate zur effektiven Mitarbeiterführung
Die Postulate effektiver Mitarbeiterführung können durch ein Netzwerk (siehe Abbildung 18.2) dargestellt werden, das aus zwei wesentlichen Subsystemen oder Teilkreisläufen besteht. Im Zentrum dieses Netzwerkes steht die Ausrichtung auf Resultate, denn das ist es, was von Mitarbeitern erwartet werden muss. Resultate, insbesondere die richtigen Resultate, kann man nur erzielen, wenn der Vorgesetzte sich selbst klar ist über den Sinn des Beitrags, den der Mitarbeiter leisten soll und dies auch über Ziele und Erwartungen kund tut. Ein effektiver Leistungsbeitrag stellt sich leichter und wahrscheinlicher ein, wenn für die jeweilige Arbeit die Stärken nutzbar sind, dies setzt das Wissen des Führers voraus, zu wissen was ein Mitarbeiter wirklich kann. Klarheit über den Beitrag führt zur Konzentration
Postulate zur effektiven Mitarbeiterführung
235
auf die richtigen Prioritäten, und dies wiederum bestimmt die Verständigung über die benötigte Zeit, die für die Erzielung von Resultaten zu verwenden ist. Die Ausrichtung auf die Stärken von Mitarbeitern, aber auch diejenigen der Kollegen, Vorgesetzten und die eigenen ist die einzige Chance, realistische Erwartungen über die Leistungsfähigkeit eines Menschen zu bilden und oftmals auch die Grundlage der tragfähigen intrinsischen Motiva-
tion. Abbildung 18.2
Fünf Postulate zur effektiven Mitarbeiterführung (Quelle: in Anlehnung an Malik 2006, S. 73 ff.)
a) Resultate einfordern Die Ausrichtung auf Ergebnisse ist im Denken und Handeln von Menschen weitgehend unterentwickelt. Fragt man Führungskräfte oder Mitarbeiter danach, was sie in ihrem Unternehmen tun, dann beschreiben sie fast ausnahmslos ihre Tätigkeiten, erzählen wie sehr sie gefordert sind, welche Mühe sie sich geben und wie viel Stress sie ausgesetzt sind. Nur zirka ein Fünftel berichten danach von den Ergebnissen ihres Tuns. Solches Verhalten ist wohl ein Indiz für das Denken und Wahrnehmen der meisten Menschen: sie sind eher input- als outputorientiert. Was zählt, ist allerdings der Output! Deshalb ist es unumgänglich, dass Führungskräfte sich selbst und gleichfalls ihre Mitarbeiter auf Resultate hin orientieren müssen. Diese Ausrichtung des Handelns auf Resultate ist keineswegs selbstverständlich, die Praxis zeigt, dass die Wirklichkeit fast sämtlicher Organisationen der modemen Gesellschaft anders aussieht. Selbst wenn man unterstellt, dass alle Menschen in ihren Organisationen Tag für Tag hart arbeiten, so heißt dies noch lange nicht, dass auch Resultate erzielt werden. Andernfalls wäre es nicht erforderlich, Managementmethoden
236
Führungin der Linienposition eines Geschäfts- oder Arbeitsbereichs
wie etwa das "Führen mit Zielen" überhaupt anzuwenden. Jeder erfahrene Manager weiß, wie schwierig es ist, Menschen auf Ziele hin zu orientieren und es bedarf kontinuierlicher und systematischer Anstrengungen, dies zu erreichen. Die wirksame Arbeit und der Nutzen eines Mitarbeiters liegt einzig in den Ergebnissen seines Tuns. Der Grundsatz der Resultatorientierung gilt nicht nur in der Wirtschaft, sondern in jeder organisierten Leistungsgemeinschaft. Welche Resultate gewollt sind, ist abhängig von der jeweils speziell und konkret betrachteten Organisation. Dabei sind nicht ausschließlich wirtschaftliche Ergebnisse gemeint, sondern gleichfalls nicht-wirtschaftliche, nicht-materielle und nichtfinanzielle Resultate. Was wirklich zählt, sind weder die geleistete Arbeit, noch die entstandenen Mühen und Anstrengungen, sondern ausschließlich die erzielten Resultate. Aus dem Zusammenhang mit diesem Grundsatz leitet sich die Erkenntnis ab: Management ist der Beruf des Erzielens bzw. Erwirkens von Resultaten (vgl. Malik 2006, S. 73). Natürlich ist die Ausrichtung auf Resultate bei der Bewältigung von Aufgaben in zahlreichen Fällen durch gestaltete personenunabhängige Rahmenparameter des Arbeitsumfeldes vorgegeben und bedingt (siehe Kap. 1, 2.2). Offenkundig werden in manchen Leistungsbereichen durch die Technologie Arbeitsgänge so vorstrukturiert oder auch bei Verwaltungstätigkeiten durch Bürokratie durch generelle Regeln, Verfahren oder Formulare, dass die Resultate relativ eindeutig bestimmt sind und eine Interpretation durch eine Führungsperson entbehrlich ist. Es sind dies jene von vornherein gestalteten Strukturen, welche richtunggebend das Handeln im gewünschten Sinne herbeiführen. Die inzwischen erheblich gewandelten Wirtschaftsstrukturen mit einer zunehmenden Vielfalt im Produkt- und Dienstleistungsbereich zeigen, dass eine strukturell gestaltbare Resultatorientierung wie in der standardisierten bzw. Massenproduktion immer weniger infrage kommt. Komplexe Aufgaben im Dienstleistungssektor oder in der Hochtechnologie lassen sich nicht mehr in Einzelschritte zerlegen, ihr Lösungsverlauf ist kaum vorhersehbar und verändert sich, während man an ihnen arbeitet. Es entstehen kurzfristige und unvorhersehbare Anpassungsprozesse, die von den Mitarbeitern ein umfangreiches und kurzfristig aktivierbares Verhaltenspotenzial erfordern. Je mehr angesichts solcher Turbulenzen das kreative und innovative Potenzial von Mitarbeitern gefragt ist, desto mehr wird eine dezentrale Führung "vor Ort" mit mehr Handlungsspielraum und ohne Zeitverzug erforderlich. Gerade dies verlangt jedoch stabilisierende Wertkonturen und Regeln der Zusammenarbeit, zuvorderst steht die Ausrichtung der Leistung der Mitarbeiter auf mit der vorgesetzten Stelle vereinbarte Resultate. Malik (vgl. 2006, S.79) gibt zu bedenken, dass eine Führungskarriere für den Fall nicht ratsam ist, dass ein Führungsaspirant die Resultatorientierung nicht akzeptieren möchte, und deshalb nicht infrage kommen sollte. Eine eingenommene Managementposition würde bei solcher Einstellung nicht dem Interesse der Organisation dienen, wäre nicht im Interesse der Menschen, die unter einer inkompetenten Führung zu leiden hätten, und sie wäre zudem eine unzuträgliche Bürde für die Führungsperson.
Postulate zur effektiven Mitarbeiterführung
237
b) Sinn und Beitrag zum Ganzen klären Die Ausrichtung der Arbeitsleistung von Mitarbeitern auf Resultate ist aus der Sicht einer Organisation als Ganzes noch ungenügend. Es kommt auf die richtigen Resultate an; und diese lassen sich nur erzielen, wenn klar ist, dass und inwieweit das Resultat im Rahmen der Gesamtziele der Organisation einen Beitrag zum Ganzen darstellt. Der Erfolg und die Fähigkeiten einer Organisation resultieren nicht aus irgendwelchen mystischen Kräften, sondern schlicht daraus, dass möglichst viele Menschen ihr Handeln aus einem gründlichen Verständnis für den Zweck des Ganzen heraus selbständig in den Dienst des Ganzen stellen können. Führungskräfte haben mithin die wahrscheinlich wichtigste Aufgabe, ihren eigenen Beitrag und den Beitrag ihrer Mitarbeiter zum Zweck der Organisation auszuloten und klar, verständlich und überzeugend zu definieren. Überzeugend ist vor allem, Führungshandlungen sinnhaft zu begründen. Hierbei wird der Mensch als sinnsuchendes Wesen begriffen in seinen alltäglichen und damit auch seinem beruflichen Tätigkeiten. Sinn kann jedoch nicht vorgegeben, er muss gefunden werden. Im menschlichen Denken und Handeln spielt die Suche nach Sinn, Sinn der eigenen Person sowie Sinn des Handlungskontextes und der Produkte des eigenen Handelns die zentrale Rolle (vgl. Probst 1987, S. 75). Dies gilt auch für die kollektive bzw. kooperative Sinnfindung in einer Organisation. Es gehört zu den ersten Aufgaben einer Führungskraft, den Mitarbeitern bzw. Mitarbeitergruppen den Sinn, den Nutzen und den Beitrag für die Ganzheit vor Augen zu führen, es ihnen leicht zu machen, die Ganzheit zu erkennen. Es mag vielleicht idealistisch anmuten und es wäre abwegig zu leugnen, dass Führungskräfte nicht an äußere Merkmale ihrer Position denken, an ihren Rang und Status, ihr Einkommen, an Privilegien, Befugnisse und Vollmachten, ihr Prestige und die Anzahl ihrer Mitarbeiter und aus diesem Blickwinkel den Bezug zum Zweck der Organisation als Ganzes vernachlässigen. Erfahrungen besagen, dass dies die Mehrheit ist, allerdings auch nicht jene, welche wirklich die Resultate bewirken, die etwas bewegen (vgl. Malik 2006, S. 90 f.). Je mehr Arbeitsteilung und Spezialisierung, umso leichter verliert man das Verständnis für den Zweck des Ganzen, und umso grösser ist die Gefahr, dass die Resultate, die man erzielt, keinen Bezug zu diesem Zweck haben. Je größer eine Organisation ist, umso schwieriger ist es, die Frage nach dem Beitrag zu beantworten. Umso mehr bewusste Koordination durch ständiges Eingreifen in das innere Gefüge einer Organisation ist daher erforderlich, und dies wiederum führt zum Sachzwang, eine Organisation letztlich autoritär führen zu müssen, selbst wenn keiner der Beteiligten dies wirklich will. Nur die immer wieder neu gestellte Frage nach dem Beitrag, den jeder Einzelne auf seine Weise für das Ganze leisten kann, vermag dies zu verhindern und begründet das, was man als Selbstregulierung, Selbstkoordination und Selbstorganisation in einer Institution bezeichnet. Dies bedeutet keineswegs, eigene Interessen, Einkommen und Macht nicht ebenfalls im Auge zu behalten, entscheidend wäre im Zweifel, dem Beitrag den Vorrang zu geben. "Richtiges" Management trägt die Verantwortung für die "richtigen" Resultate, und diese sind ein Beitrag zum Funktionieren und zur Zweckerfüllung der Gesamtinstitution. Dieses Kriterium bedeutet zugleich den Schritt von der Effizienz zur Effektivität, vom richtigen Tun der Dinge zur Fähigkeit, die richtigen Dinge zu tun. Diese Art zu denken und zu handeln macht Manager wirksam (vgl. Malik 2006, S. 95).
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Führung in der Linienposition eines Geschäfts- oder Arbeitsbereichs
Ein Beispiel: Zunehmend kürzere Lebenszyklen der Produkte erfordern heute besonders in der Technologie schnelle Innovationen. Die beste Marktposition ist nur zu erreichen, wenn man schneller ist als die Konkurrenz. Herstell- und Informationszeiten werden immer mehr zum zentralen Wettbewerbsfaktor. Immer weniger gilt es, Probleme mit einem Streben nach Perfektionismus zu lösen, um einen uneinholbaren Vorsprung zu gewinnen, ist vielmehr erfolgversprechend das schnelle und damit rechtzeitige Lösen. Natürlich hat dies Auswirkungen auf das Definieren, Strukturieren und Prozesse der Sinnvermittlung des "richtigen" Beitrags in einem Führungsbereich und das Erkennen von Prioritäten. Allein die Ausrichtung auf den Beitrag für die Gesamtinstitution, so vage und mangelhaft dieses Kriterium auch sein mag, eröffnet die Chance, auf allen Ebenen der Organisation die richtigen Ziele zu identifizieren, Mittel richtig einzusetzen, Maßstäbe für die Beurteilung von Resultaten zu finden und Vertrauen und Gerechtigkeit zu schaffen . Die Antworten auf die Fragen "Worin besteht mein Beitrag zum Ganzen?" und "Worin sollte der Beitrag meiner Mitarbeiter bestehen?" werfen fast immer eine Reihe von Problemen auf. Das Erhalten und Schaffen von Erfolgspotenzialen und damit verbunden die Erhaltung bzw. Verbesserung der nachhaltigen "Fitness der Unternehmung" oder einer anderen Institution kann als zentrale Aufgabe des Management gesehen werden. Der Wandel in ihrer Umwelt und Innenwelt, sich den äußeren und inneren Wechsellagen anzupassen und auf Turbulenzen jedweder Art intelligent zu reagieren, stellt oft sehr infrage, inwieweit Beiträge in den einzelnen Bereichen, Abteilungen usw. zweckmäßig bestimmbar sind. Oft wird man sich nur durch gründliches Nachdenken und tiefgreifende Auseinandersetzung mit Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten an eine Antwort herantasten können. Die Verdeutlichung des eigenen Beitrags, den Nutzen und den Sinn des eigenen Tuns zu erkennen, bewirkt jene Motivation, die einen Mitarbeiter unabhängig macht von irgendwelchen Anreizen oder motivierenden Verhaltensweisen durch Vorgesetzte. Diese intrinsische Motivation ist stabiler und größer, sie entsteht aus der Arbeit selbst und ist verknüpft mit der Kenntnis des Ganzen, dem Dienst am Ganzen, dem Bewusstsein, etwas Wichtiges zu seiner Entstehung, Erhaltung und zu seinem Erfolg beizutragen. c) Auf Stärken und Begabungen aufbauen
Effektive Mitarbeiterführung richtet die Aufmerksamkeit wie bisher aufgezeigt auf das Einfordern von Resultaten aufgrund eines klaren Verständnisses für den Beitrag, den der Einzelne an das Ganze zu leisten hat. Ein weitergehendes Interesse jeder Organisation richtet sich auch auf die Qualität der geforderten Leistung. Möglichst gute Leistungen bis hin zu Spitzenleistungen sind unumgänglich, weil diese sich aus den objektiven Anforderungen an Organisationen ergeben, aus den Ansprüchen der verschiedensten Gruppierungen ihrer Umwelt. Dies gilt sowohl für in einer Marktkonkurrenz stehende Unternehmen, aber auch für gemeinwirtschaftliche Organisationen wie Verwaltungsbehörden, Bildungsinstitutionen etc., die sich zumindest gesellschaftlich legitimieren müssen. Der qualitative Beitrag von Mitarbeitern oder auch von Mitarbeitergruppen wird wesentlich davon bestimmt, ob und inwieweit bei der geforderten Leistung vorhandene Stärken verwertbar sind. Es scheint zunächst ein Widerspruch zu sein, wenn nur ganz gewöhnli-
Postulate zur effektiven Mitarbeiterführung
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ehe, normale Menschen zur Verfügung stehen, diese aber Höchstleistungen erbringen sollen. Lösbar ist dieses Missverhältnis, wenn man zunächst fragt, wo ein Mitarbeiter seine Stärken besitzt, was er also kann, und sich dann darum bemüht, die Aufgaben für diese Person so zu gestalten, dass eine bestmögliche Deckung entstehen kann zwischen dem, was die Person kann, und dem, was sie zu tun hat. Jeder Mensch hat seine Stärken und Defizite - auf allen möglichen Gebieten. Niemand wird weder von sich selbst noch von anderen erwarten dürfen, dass er in der Lage ist, dort wo er seine Defizite aufweist, besonders gute Leistungen erbringt und hervorragende Resultate erzielt. Höchst wahrscheinlich und angebracht ist es indes, Spitzenleistungen auf Gebieten zu verlangen, wo jemand seine Stärken hat. Überdies wird man sogar feststellen, dass dort Leistungen gar nicht speziell gefordert werden müssen, denn sie werden selbstmotiviert erbracht, weil es den meisten Menschen Spaß bereitet, hervorragende Resultate zu erbringen, wosiegut sind und ihre echten Veranlagungen es ihnen leicht machen. In der vorstehenden Begründung für die Beachtung der Stärken der Mitarbeiter lag die
Betonung auf "vorhandene" Stärken nutzen, nicht auf Stärken entwickeln und schon gar nicht auf Defizite beseitigen. Dies bedeutet nämlich die Nutzung dessen, was schon da ist, und nicht die erst zukünftig verwertbare Entwicklung von etwas. Praktisch tun sich Führungskräfte leichter, Defizite zu entdecken als die Stärken eines Menschen herauszufinden. Die Schwächen fallen einem auf, schon weil sie störend sind, und es ist zudem relativ leicht zu erkennen, was eine Person nicht kann. Aber auch das betriebliche Personalwesen bzw. Human Ressources Management widmet sich durch Förderungs- und Entwicklungsprogramme für Mitarbeiter, Nicht-Stärken bzw. Schwächen oder Defizite zu mildem oder zu reduzieren. Tatsächlich gelingt dies auch meist, allerdings im Sinne von "weniger schwach" oder mittelmäßig. Stärken zu identifizieren, ist hingegen zeitaufwändig und man muss sich für den Menschen interessieren, man muss sein Tun beobachten. Die Feststellung, wenn jemand etwas gerne tut, sei das für dieses Tun ein Indiz für "stark" und "begabt", gilt eher in umgekehrter Korrelation, weil man etwas gut kann, tut man es gern. Viel entscheidender ist indessen die Frage: Was fällt leicht? Die signifikante Korrelation besteht zwischen "leicht fallen" und "gut tun". Viele der sogenannten Defizite sind gar keine richtigen Schwächen, weil man sie vielfach relativ leicht beseitigen oder sie nicht schwerwiegend sind. Zu nennen sind hierzu Lücken an Wissen und Kenntnissen, die durch Lernen ausfüllbar sind, bestimmte Fertigkeiten wie etwa die Bedienung einer Computertastatur oder rhetorische Fähigkeiten, die man trainieren kann, das Verständnis für und die Einsicht in andere Aufgaben und Fachgebiete, was man durch Erfahrung verbessern kann, und schließlich gewisse Eigenarten wie schlechte Gewohnheiten, die man verlernen kann. Problematischer sind einzelne Persönlichkeitsdefizite und Unstimmigkeiten in sozialen Beziehungen, wie etwa bei Konflikten oder für Teamarbeit. Wer Stärken nutzen will, muss oft mehrere und zuweilen auch gravierende schwache Seiten in Kauf nehmen. Mit der Beachtung der Stärken geht einher, sichtbare Mängel zu kompensieren, was nicht heißt, sie zu beseitigen. Die Führungsaufgabe ist hier, die Defizite bedeutungslos bzw. sie organisatorisch weniger relevant zu machen.
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Führung in der Linienposition eines Geschäfts- oder Arbeitsbereichs
d) Prioritäten bestimmen, Ziel- und Zeitmanagement Beobachtungsstudien der Arbeit von Führungspersonen ergaben übereinstimmend den Befund, dass dieser Beruf wie kein anderer massiv und systematisch der Gefahr der Verzettelung und Zersplitterung der Kräfte ausgesetzt ist (vgl. Neuberger 2002, S. 452 ff.). Der Arbeitstag ist äußerst zerstückelt, er ist uneinheitlich und enthält viele ungeplante Elemente, wird mit vielen kurzen Arbeitsakten ausgelastet, Vorgesetzte bevorzugen die mündliche Kommunikation, sie leben von sozialen Kontakten, wobei sie viele Informationen sich "vor Ort" holen müssen, und sie kümmern sich um die Angelegenheiten ihrer verschiedenen Führerrollen (siehe Kap . 5, 18.2). Angesichts dieser Arbeitsanalysen erscheint eine systematische Ausrichtung des Tuns auf Resultate kaum zu gelingen. Will man Resultate für das Ganze auf wirklich wichtigen Gebieten erzielen und dabei die vorhandenen Stärken nutzen, dann erfordert dies zwingend, sich zu konzentrieren. Niemand kann dauerhaft auf vielen Gebieten zugleich erfolgreich sein. Natürlich haben Führungskräfte genau so wie die Mitarbeiter neben den wichtigen Aufgaben sich mit einer Fülle von verschiedenen Angelegenheiten zu befassen, die einfach auf sie einstürmen. Gerade deshalb sind aber der Grundsatz der Konzentration und das Bestimmen von Prioritäten unumgänglich, wenn man wirklich Resultate erzielen will. Effektive Fühmngskräfte erledigen erstrangige Dinge zuerst und nur eine Sache auf einmal. Und dies gilt es auch den Mitarbeitern zu vermitteln: das ist der Anwendungsfall des Führens mit Zielen, des Management by Objectives. Mit dieser Methode gelingt es, den planerischen Unterschied zwischen Zielen und Aufgaben zu verdeutlichen.
Führung mit Zielen: In einer für einen Periodenplan aufgeschriebenen Liste anstehender beabsichtigter Aufgaben findet sich in der Regel auch Wichtiges, aber es versteckt sich in einem Gestrüpp von Nebensächlichkeiten, und wenn das Wichtige abzuarbeiten ansteht, gerät es in der Hektik des Tagesgeschäfts leicht aus dem Blickfeld und man beschäftigt sich viel zu lange mit den nebensächlich vielen Aufgaben. Ziele konzentrieren sich auf das lebenswichtig Wenige und erstrebte Ergebnisse. Ziele setzen heißt in Richtung Zukunft denken. Das traditionelle Denken in Einzelaufgaben verleitet dazu, sich in Einzelheiten zu verlieren. Das Denken in Zielen bewirkt, dass das Einzelne auf das große Ganze ausgerichtet ist. Der Grund für nicht erreichte Ziele liegt darin, dass man sich zu viel auf einmal und zu viel Verschiedenartiges vornimmt. Der Mensch neigt hierbei dazu, zu Vieles als wichtig zu betrachten. Dies kommt wiederum daher, dass das Kriterium "dringlich" mit dem Attribut "wichtig" gleichgesetzt und verwechselt wird. Tatsächlich erweist sich indessen: Das Dringende ist seltenwichtig, und das Wichtigeist selten dringend! Beispielsweise ist die Neuordnung der Ablauforganisation eines Arbeitsbereichs wichtig, aber man bemerkt nicht als nachteilig, wenn dies erst demnächst geschieht. Ähnliches gilt für ein ins Auge gefasstes verbessertes Vertriebskonzept. Die Ehrung eines Jubilars ist hingegen dringend und terminfixiert, ein Resultat als Beitrag im Rahmen der Gesamtziele der Organisation entsteht dabei jedoch nicht. Das Prinzip der wertanalytischen Kräftekonzentration besagt, dass von einer Anzahl von Aufgaben normalerweise die bedeutenden Dinge einen relativ kleinen Anteil der Gesamt-
Postulate zur effektiven Mitarbeiterführung
241
aufgaben ausmachen. Als Faustregel gilt: mit 20 Prozent der aufgewandten Zeit (Input) für die lebenswichtig wenigen Probleme oder Aufgaben - erzielt man bereits 80 Prozent der Leistungsergebnisse, die restlichen 80 Prozent der aufgewandten Zeit - für die nebensächlich vielen Probleme oder Aufgaben - erbringen nur noch 20 Prozent der Gesamtleistung, Der Erfolg einer Führung mit Zielen wird bestimmt von der Kräftekonzentration auf Weniges, nur so werden als richtig befundene Ziele realistisch erreichbar.
Zeiimanagement: Aus dieser auch als Pareto-Prinzip bezeichneten Grundregel zur Relation ergebnisbringender Aufgaben am Gesamtumfang des Arbeitspensums ergibt sich für das praktische Handeln die Richtschnur: für das Wesentliche sich mehr Zeit nehmen! Da die Zeit kein vermehrbares Gut ist, heißt das zu entscheiden, wofür man Zeit haben will und wofür nicht. Wie dann wiederum Probleme von mittlerer Wichtigkeit erledigt und wie die Bearbeitung von bedeutungsneutralen Aufgaben arbeitsmethodisch geregelt werden kann, hängt unterschiedlich vom jeweiligen Arbeitsfeld ab (vgl. hierzu die RatgeberFachliteratur, wie Seiwert 2005). Mit der Einteilung der Arbeitsaufgaben in Blitz- und Intensivvorgänge und der Berücksichtigung der Störintensität lässt sich zudem sinnvoll planen, zur richtigen Zeit das Richtige zu tun (vgl. ebd.). Abbildung 18.3
Pareto-Prinzip: wertanalytische Kräftekonzentration (Quelle: Mackenzie 1974, S. 53)
Nebensächlich viele Situationen oder Probleme
80 %
der aufgewandten Zeit
80 %
der Ergebnisse Lebenswichtig wenige Situationen oder Probleme
e) Mut machen und Selbstmotivatton stärken Während im linken Wirkungskreis des Netzwerkdiagramms der Postulate für effektive Führung (siehe Abbildung 18.2) methodische Aspekte überwiegen, zeigt der rechte Kreis die psychischen Hintergründe für persönliche Leistungen. Das fünfte Postulat einer effektiven Mitarbeiterführung klingt fast selbstverständlich. Allerdings kommt bei der Vielzahl von Problemen, die selbstverständlich in einer Organisation auftauchen und zu lösen sind, auch der Gedanke, dass eher seriöse und gute Problem-
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Führung in der Linienposition eines Geschäfts- oder Arbeitsbereichs
lösungsverfahren hilfreich wären und es wirkt sogar abgehoben und befremdlich, das "Mut machen" in den Vordergrund zu stellen. Der Grundsatz, Mut zu machen und positiv zu denken, will die Aufmerksamkeit statt auf Probleme auf die Chancen lenken, die auch jeder Problemsituation innewohnen. Der Grundsatz des mutigen Suchens nach Möglichkeiten und Chancen resultiert aus der Erfahrung, dass auch in einer kniffligen oder gar aussichtslosen Situation nur diese Haltung es aussichtsreich macht, einen Ausweg zu finden und mit gestärkter Motivation die angestrebten Resultate - doch noch - zu erreichen. Die Erwartung von Erfolg ist nicht nur ein wesentlicher Antrieb für Leistung und Ergebnis, sondern Erwartungen steuern auch wesentlich die Qualität der Resultate. Dies weiß man durch die Studien zur signifikanten Wirkung von Placebos oder zu anderen Phänomenen sich selbst erfüllender Prophezeiungen, wobei sich erwies, dass ein Effekt umso wahrscheinlicher eintritt, je mehr man diesen Effekt erwartet. Dies gilt umgekehrt auch für eine negative Erwartung, Bedenken zu haben oder etwas nicht zu können. Gleichwohl wäre eine beliebige Erwartung naiv. Gemeint sind hier jedoch auf vormalig erlebte Erfolge gegründete Erwartungen - und wo könnte das begründeter sein als auf dem Gebiet vorhandener Stärken. Mut machen ist vielfach auch der Schlüssel zur Selbstmotivation. Als Postulat zur effektiven Mitarbeiterführung kommt der Motivationsanstoß noch von außen. Gleichwohl wirkt die Mut machende Anregung belebend und als Lernerlebnis. wie man eine anstehende Anstrengung und Überwindung leichter schafft. Mit der Zeit mag daraus eine Gewohnheit werden, eine zunehmende Begabung zur Selbstmotivation. Sie dürfte durch Erfolgserlebnisse weiter gestärkt werden. Selbstmotivation bei einem Mitarbeiter wird umso eher zustande kommen, je sinnhafter der Arbeitsbeitrag und die damit verknüpfte Zielorientierung und Arbeitsmethodik erscheint, zudem seine persönlichen Stärken erfordert und damit Erfolgserwartungen mit größtmöglicher Aussicht auf Erfüllung bietet. Die Befähigung zur Selbstmotivation macht außerdem unabhängig von den Fehlern, die Führungskräfte selbst bei bestem Willen tagtäglich begehen.
Kapitel 6: Mikropolitische und symbolische Führung Eine funktional-steuernde Mikropolitik wie auch die symbolische, kulturbewusste Führung sind Ausdruck wesentlicher irrationaler Komponenten effektiver Führung, welche die rational geprägte personale Führung wirkungsvoll ergänzen. Sie verweisen zudem in einem erweiterten Führungsverständnis auf individuum- und gruppenübergreifende polyzentrische Lenkungs- und Führungsphänomene.
Irrationale Komponenten tragen wesentlich zum Funktionieren eines sozialen Systems bei. Sie resultieren daraus, dass die Führungskraft nicht als alleiniger Akteur ("Filter", "Verstärker") in einer unilateralen hierarchischen Einflussbeziehung handelt, sondern dass vielmehr im Führungsgeschehen multiple vernetzte Einflussquellen wirken, von denen die Führungskraft zum Teil nur indirekt - vermittelt über Dritte - tangiert wird. Diese polyzentrische Perspektive liegt der Betrachtung des mikropolitischen Beeinflussens und der Führung durch Symbole zugrunde. Zur Erfüllung von Sachaufgaben und der Verwirklichung von Zielen beschränken sich Führungskräfte nicht nur auf eine direkte Handlungssteuerung, sie schaffen und verändern auch Ordnungen Strukturen, Institutionen -, durch die sie sich selbst und anderen dauerhaft und abstimmungsentlastet Handlungsmöglichkeiten eröffnen oder auch einengen. Das Funktionieren von Organisationen kann besser verstanden werden, wenn sie als politische Einrichtungen gesehen werden, in denen mikropolitische Vorgehensweisen der verschiedensten Akteure praktiziert werden. Statt mit nur geliehener oder übertragener Macht zu operieren, ist solches Agieren zur Schaffung eigener exklusiv verfügbarer Machtpotenziale geradezu unerlässlich (siehe Kap. 6,20). Irrationale Komponenten enthält auch die anschließend erörterte unternehmenskulturell geprägte symbolische Führung (siehe 21, 22). Was Führungspersonen tun, ist nie eindeutig, es muss interpretiert werden. Wie wäre es anders zu erklären, dass es nicht nur darauf ankommt, was im Führungsprozess geschieht, sondern auch darauf,
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Kapitel 6: Mikropolitische und symbolische Führung
wer es tut und wie dieses Tun gedeutet wird. In diesem Sinne macht es einen großen Unterschied, ob eine Führungshandlung wie etwa eine Entscheidung in einem Routinerundschreiben oder einem Aushang den Mitarbeitern kundgetan wird oder ob die wortwörtlich gleiche Entscheidung vom Führenden selbst allen Mitarbeiten im Rahmen eines Festaktes bekannt gemacht wird (vgl. v. Rosenstiel 2009, S. 23). Führung geschieht in einem kulturgeprägten Umfeld, das sich als "geronnene" Führung in Fakten - wie Sprache, Gesten, Taten, artifiziellen Symbolen - niederschlägt und als Führungssubstitut oder Führungsersatz wirkt. Dadurch steht es einer Führungskraft nicht mehr frei, wie sie sich verhalten will. Vielmehr wird dadurch sozial verbindlich gemacht, wie sie sich verhalten soll oder bei technologischem Sachzwang sogar muss. Führungskräfte handeln mithin nicht zufällig; ihre exponierte Rolle bedingt, dass sie ihr Handeln inszenieren und es tunliehst kulturbewusst mit kulturkonformen Deutungsund Regieanweisungen versehen (vgl. Neuberger 2002, S. 644).
19
Führung und Mikropolitik
19.1
Machtaufbau und -einsatz als politische Methode der Handlungssteuerung
Die mikropolitische Perspektive verlässt die Modellvorstellung der unilateral hierarchischen Einflussbeziehung einer Führungskraft in der Organisation und nimmt zur Kenntnis, dass jede Führungsperson, ob sie will oder nicht, in soziale Netze und Relationen integriert ist. Die Handelnden sind zum Teil voneinander abhängig oder aneinander interessiert, indem sie zur Befriedigung eigener Interessen den jeweils Anderen gebrauchen können. Jede Position in Organisationen und natürlich auch jede Führungsposition ist sowohl Quelle wie auch Ziel einer Vielzahl von Einflusslinien: zu Vorgesetzten, Kollegen, Mitarbeitern, Stäben, Außenstehenden usw. Politisches Handeln ist nicht nur empirisch alltäglich, sonder auch gedanklich-schlüssig unausweichlich. Wer nur allein und mit sich selbst identisch ist, braucht keine Politik. Wenn es aber Teil-Systeme gibt, dann markieren die Grenzen dieser Systeme Unterschiede. Und wer anders ist als Andere, hat - deswegen! - andere Interessen. Das Leitbild politischen Handelns ist nicht die rationale Entscheidung des allein souveränen Homo oeconomikus. Rationales Handeln setzt nämlich voraus ein in sich stimmiges operationales Zielsystem, die Information über alle möglichen Handlungsalternativen, welche Handlungssituationen zu er-warten sind und welche Ergebnisse jeweils gewählte Alternativen situationsbezogen erzeugen werden sowie eine konsistente Präjerenzordnung, sodass einer angebbaren Regel folgend aus dem Satz von Aktionsmöglichkeiten die attraktivste ausgewählt werden kann. Abgesehen von Routinefällen sind diese Bedingungen beim Führungshandeln nicht gegeben. Mit dieser Betrachtung werden nicht thematisiert die durch umfeldbedingte Rahmenbedingungen erzeugten "Führungssubstitute" oder "symbolisierte Führung" (siehe Kap. 1, 2.3, 2.4). Der mikropolitische Ansatz ist vielmehr dem handlungstheoretischen Paradigma verpflichtet: Personen(gruppen) versuchen, in ihren Handlungen ihre Interessen und Absichten zu verwirklichen. Statt selbstlos allein im Sinne der Organisationsziele zu handeln, rivalisiert ein jeder eigennützig und wohl in wechselseitiger Abhängigkeit mit anderen Opponenten und/oder Partnern, aber keiner dominiert den anderen völlig. Zentrale Variable ist die Macht gesehen als die Fähigkeit, Verhältnisse als Produkt, Bedingung und Rahmen "interessierten" Handelns im eigenen Sinne zu gestalten. Jeder Handelnde hat aufgrund der Komplexität, Intransparenz und Mehrdeutigkeit der Verhältnisse Spielräume, die Ungewissheitszonen darstellen und interpretationsbedürftig sind, dies ist kein Mangel, sondern eine Chance. Diese sucht er zu erhalten oder auszuweiten, teilweise auch durch die absichtliche Kaschierung von Ressourcen und Absichten. Dabei stößt er auf die gleichgerichtete Intention der anderen. Wer hierbei bessere "Trümpfe" ausspielt, ist im Vorteil (vgl. Neuberger 2002, S. 680 ff.), K. F. Withauer, Führungskompetenz und Karriere, DOI 10.1007/978-3-8349-6580-6_20, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Führung und Mikropolitik
246
Es werden Prozesse und nicht Zustände in den Mittelpunkt gerückt. Die Dinge ändern sich fortwährend, Strukturen und Privilegien erwachsen aus dem Handeln und konditionieren dieses rekursiv. Vielfach kommt es auch auf das"Timing" an, es entstehen zuweilen "einmalige" Gelegenheiten und "verpasste" Chancen oder das Beschleunigen oder Verzögern von Prozessen verändert eigene Vorteile.
19.2
Mikropolitische Taktiken
Sieht man das soziale System einer Unternehmung oder anderen Organisation als politisches System, in dem sich Koalitionen bilden und so lange erhalten, wie sie von und durch einander Nutzen haben, dann wird man seinen Blick richten auf das Bündel der Taktiken zum Stärken und Erhalten der eigenen Position oder Verhandlungsmacht (vgI. Neuberger 2002; S. 696-709):
1. Informationskontrolle; z. B. Schönfärberei, Informationsfilterung und -zurückhaltung, Informationen durchsickern lassen, Gerüchte verbreiten, Informationsmonopole erwerbenusw.
2. Kontrolle von Verfahren, Regeln, Normen; z. B. Entscheidungsprozeduren kontrollieren/ändern, Präzedenzfälle schaffen, passende Kriterien etablieren usw. 3. Beziehungen nutzen oder stören; z. B. Netzwerke und Bündnisse bilden ("Seilschaften"), unbequeme Gegner isolieren, Loyalität belohnen, Nepotismus; Intrigieren, Herabsetzen, Diskreditieren, schlecht aussehen lassen usw. 4. Selbstdarstellung; z. B. vorteilhafte Selbstdarstellung (Impression Management), die eigene Sichtbarkeit erhöhen, demonstratives Imponiergehabe usw. 5. Situationskontrolle, Sachzwang; z. B. Dienst nach Vorschrift, Sabotage, vollendete Tatsachen schaffen, Fakten vertuschen/verschleiern usw. 6. Handlungsdruck erzeugen; z. B. Emotionalisieren, Einschüchtern, Schikanieren, Pokern, Termine setzen/Kontrollieren, "Kuhhandel" usw. 7. Timing; z. B. verfügbar sein, den richtigen Zeitpunkt/Gelegenheiten/Überraschungseffekte nutzen, abwarten (können); Entscheidungen verzögern, Zeitdruck machen usw. Aufzählungen wie diese werden oft als extreme und praxisferne Schwarzmalerei abgetan. Sie nähren das Vorurteil, Mikropolitik sei etwas Illegitimes, Schädliches, Verderbtes. Praktiker können jedoch aus eigener Erfahrung eine Vielzahl von Situationen erinnern, in denen sie selbst solche Techniken eingesetzt haben oder mit deren Einsatz konfrontiert wurden.
Rechtfertigung und Erkennbarkeit mikropolitischen Agierens
19.3
247
Rechtfertigung und Erkennbarkeit mikropolitischen Agierens
Führungskräfte haben zwar eine zugewiesene offizielle Machtposition, die sie formal autorisiert und legitimiert, die aber gemindert oder unterlaufen werden kann etwa durch Expertise, Informationskontrolle, Koalitionen mit anderen Mächtigen. Als "Mikropolitik" sei bezeichnet das Arsenal jener alltäglichen "kleinen" (Mikro!)Techniken, mit denen Macht aufgebaut und eingesetzt wird, um den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern und sich fremder Kontrolle zu entziehen. Es sind Taktiken zum Stärken oder Verteidigen von (Verhandlungs-)Positionen (vgl. Neuberger 2002, S. 685). Führungskräfte werden verantwortlich gemacht für das Erreichen organisationaler Ziele; sie unterliegen dabei den formalen Beschränkungen des Systems, in dem sie operieren. Mikropolitik dagegen kennt keine einseitige Bindung an einen verpflichtenden stellenbezogenen Kodex; sie findet in einem komplexen Feld wechselseitig abhängiger interessierter Akteure statt, die einander für ihre eigenen Ziele zu instrumentieren suchen (vgl. ebd., S. 715). Das Erkennen mikropolitischen Agierens ist nicht eine Frage der Beobachtung, sondern lässt sich nur durch Deutung erschließen. Nicht ein Verhaltensakt ist entscheidend, sondern seine Einbettung in einen zielgerichteten Prozess. Ein politischer Akteur wird vorsichtig sein, die eigene Absicht offen zu verkünden, weil er damit im eventuellen Widerstreit den eigenen Spielraum einschränken würde. Diese Tatsache hat der Mikropolitik das Etikett Täuschen und Tarnen, Lug und Trug, Überlisten und Ausbooten, Schmeicheleien und Kuhhandel etc. eingebracht. Eine solche negative Konnotation sieht Mikropolitik als regelloses Chaos, vollends egoistisch, grenzenlos, dysfunktional. Ein Plädoyer für Mikropolitik vermag indes solche Bedenken ausräumen: Zum einen gibt es mehrere verschiedene Methoden der Handlungsbeeinflussung in/von Organisationen. Diese sind in einer Zusammenschau in Abbildung 2.2 (siehe Kap. 1, 2.4) spaltenweise nebeneinander gestellt. In den Zeilen der Zusammenschau sind die Akteure bzw. Stakeholder aufgeführt, und bedeutsam ist, dass das Methodenarsenal allen Handelnden offen steht. In einem "freien Spiel der Kräfte" kann die negative Wirkung einer Beeinflussungsmethode durch das gegenläufige Wirkungsprinzip einer anderen unter Kontrolle gehalten werden. In einem offenen System von "Checks and Balances" kann Mikropolitik ein Korrektiv für bürokratische Formalisierung/Standardisierung sein, letztere sorgt wiederum für eine Begrenzung mikropolitischer Auswüchse. Zum zweiten kommt hinzu, dass nicht nur eine Methode der Handlungssteuerung wünschenswert ist. Dies erschließt sich unschwer aus der Vorstellung, eine Organisation würde nur durch bürokratische Vorschriften oder nur durch technologische Programme, nur durch Charisma Einzelner oder nur durch Gruppenkonsens etc. gesteuert. Mikropolitik ist allgegenwärtig und sie ist unvermeidlich, dies heißt aber nicht, dass es nur noch Mikropolitik gibt.
Führung und Mikropolitik
248
Politisches Agieren fördert den Handlungsfortgang bei unzureichendem Konsens über Lagebeurteilung, Verfahren, Ziele, Werte, berechtigte Teilnehmer. Zu allen diesen Aspekten ist jedoch eine Minimalübereinstimmung vonnöten, die den Korridor der zulässigen Inhalte und Wege wenigstens vage beschreibt. Diese Legitimierung beruht auf in der Organisation etablierten "Selbstverständlichkeiten", auf allgemein gebilligten Werten und Grundsätzen, Moralen und Kulturen.
19.4
Fördern oder Eindämmen mikropolitischen Führungshandelns
Führungskräfte bewerten Mikropolitik ambivalent. Obwohl die meisten moralische Kriterien in ihrer Organisation befürworten, ist das Bekenntnis zur realen Orientierung an moralischen Standards geteilt, und dies wird begründet mit Erfolgsorientierung, fehlender organisationaler Verstärkung bzw. Belohnung moralischen Verhaltens, Wettbewerb und Konkurrenzdruck (vgl. Brenner/Molander 1977, zit. bei Neuberger 2002, S. 721). Mikropolitik kann dysfunktional und gefährlich oder auch nützlich sein. Wenn Mikropolitik das listenreiche Unterfangen ist, die eigenen Interessen zu wahren und sich fremden Interessen sich nicht widerstandslos auszuliefern, dann spricht Vieles dafür, diese Kunst zu lernen und zu lehren. Ein Zuviel an Mikropolitik kann durch jede der anderen Methoden der Handlungssteuerung (siehe das Tableau in Abbildung 2.2, zuvor zitiert) in Balance gehalten werden. In einer funktionierenden Unternehmung werden alle diese Methoden so praktiziert, dass keine fehlen und keine dominieren darf, sich einander "in Schach halten", um durch ihr Wechselspiel jene Dynamik zu erzeugen, die der Organisation ihre Vitalität sichert. Zuweilen mag aber auch eine Stimulierung und Förderung von Mikropolitik ratsam sein, dann nämlich wenn mit erweitertem Handlungsspielraum der Akteure es gleichzeitig um eindeutig herausfordernde Ziele geht, die nur erreichbar sind, wenn mit hohem Engagement in unvermeidlich aufkommenden Konflikt- und Dilemma-Situationen eigensinnige unkonventionelle Wege begangen werden, und dieses zugleich mit einer hohen Verpflichtung auf die Zielvorgaben gepaart ist. Einige Optionen sind z. B. (vgl. Neuberger 2002, S. 725 f.):
•
Unternehmergeist (Intrapreneurship) propagieren und belohnen;
•
Empowerment fördern durch kommunizierte hohe Erwartungen und Positionen;
•
komplexe Bewährungssituationen schaffen, bei denen es statt auf Verfahrenstreue auf Effizienz und Effektivität ankommt (Beispiel: Projektarbeit);
•
erfolgsabhängige Belohnungssysteme einführen (auch Entgeltsysteme);
•
Trotz hochkomplexer, intransparenter Aufgabe (z. B. F+E-Projekt) persönliche Verantwortlichkeit einfordern und zurechnen;
•
Diskussion über moralische Handlungsgrenzen führen.
Fördern oder Eindämmen mikropolitischen Führungshandelns
249
Mikropolitisches eigensinniges Führungshandeln birgt das Risiko, dass sozusagen als Nebenbedingung zur Wahrung eigener Interessen stillschweigend Vorschriften und normale rationale Handlungsweisen verletzt bzw. außer Kraft gesetzt werden müssen. In einer solchen doppelbödigen Situation sind Ziele nicht mehr eindeutig definiert und kann Führung nicht mehr auf Vorgaben und Vorschriften aufbauen. Die bewusste Stimulierung und Tolerierung mikropolitischen Führungshandelns bedarf einer wichtigen und riskanten Vorleistung: das Zutrauen und Vertrauen in die handelnde Führungsperson. Das geschenkte (!) Vertrauen setzt darauf, dass es gerechtfertigt wird, und es beruht sicher auf zuvor gesammelten Indizien für Vertrauenswürdigkeit. Kritischer ist der Fall des Misserfolgs. Wenn dann das Verletzen von Vorschriften oder Werten beklagt und ein "Sündenbock" gesucht und geopfert wird, wird dies künftiges kreatives, eigenverantwortliches und einsatzfreudiges Handeln kaum stimulieren mit negativen Auswirkungen auf Resultate, Kosten, Anpassungsfähigkeit und Innovation.
20
Symbolische Führung und Organisationskultur
Die symbolische Perspektive der Führung zielt auf die Vermittlung oder Erfassung von Sinn, die Stützung und Legitimierung von Handlungen, die Mobilisierung von Mitarbeiterpotenzialen, die Herstellung und das Verständnis zu einer konsequenten Zielorientierung und die Förderung von Neuerungen und Veränderungen (vgl. Probst 1987, S. 92).
20.1
Führung mit Symbolen
Die Führung mit Symbolen stellt statt der Leitidee "Ursachen erzeugen Wirkungen" darauf ab, dass es für die Wirksamkeit des Führungshandelns darauf ankommt, wie dieses wahrgenommen und vom Sinne her verstanden wird. Was Führende tun, ist nie eindeutig, dieses Tun muss interpretiert werden, indem die Handlungen von anderen - sinnvoll gedeutet werden und regeltreues Anschlusshandeln auslösen. Dies geschieht innerhalb einer spezifischen Untemehmenskultur. Eine Kultur enthält "Orientierungen" über Ziele und Zwecke, Beziehungen, Verhaltenserwartungen, die Natur des menschlichen Handelns und Seins. Kultur ist mithin die sinn-orientierte Dimension der Organisation und Führung, und sie prägt die Lebensäußerungen in einer sozialen Gemeinschaft. Führung durch eingesetzte Symbole als einer sinnbildlichen Darstellung einer Botschaft stellt den Bezug her zur Kulturbedingtheit menschlicher Lebensäußerungen und rückt neben den Führer- und Gruppeneinfluss den Menschen als nicht zuletzt von persönlichen und fremdgesetzten Werten geleitetes Individuum in den Blickpunkt. Die Symbole sind Ausdrucksformen und unter-stützen die Entstehung der Kultur eines sozialen Systems. Dies bedeutet eine Schwerpunktverschiebung von der instrumentalistischen Sichtweise traditioneller Führungspraxis hin zum Bewusstsein der ideellen Dimension der Führungsverantwortung und des Führungshandelns.
20.2
Wirkung eines Symbols
Führung durch und über Symbole setzt auf deren Wirkung. Führungskräfte handeln nicht einfach, ihr Handeln enthält oft codierte Signale und ist mit Deutungs- und Regieanweisungen versehen (vgl. Neuberger 2002, S. 643 f.), deren Sinn nur der versteht, der den Code entschlüsseln kann. Symbole stellen kulturspezifische Erkennungs- oder Beglaubigungszeichen dar. Sie bedeuten etwas für bestimmte Adressaten, deren Sozialisationserfahrung sie in die Lage versetzt, das Gemeinte zu dechiffrieren. Das Erkennungszeichen verstehen nur Eingeweihte, und nur auf sie können oder sollen sie Wirkung ausüben. Ein Symbol ist ein konkretes empiri-
K. F. Withauer, Führungskompetenz und Karriere, DOI 10.1007/978-3-8349-6580-6_21, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Symbole als Sinnbilder der Unternehmenskultur
251
sches Faktum oder Medium, ein objektiver Sachverhalt, es verweist aber zugleich auf etwas Anderes und ist hierfür Sinnbild, "WahrZeichen", Erkennungsbild. Symbole dienen der Vermittlung von Werten, sozialen Normen, Überzeugungen und Zielen. Ein Ehering ist z. B. ein Symbol für Treue und Zusammengehörigkeit, ein Luxusauto mag ein Zeichen für finanzielle Stärke sein, eine firmenüblich konservative Kleidung ein Symbol für hohe Qualität der Produkte und Seriosität der Mitarbeiter.
20.3
Symbole als Sinnbilder der Unternehmenskultur
Unternehmenskultur stellt einen Handlungsrahmen für Führungskräfte dar, auch wenn dieser, was Wirkungsweise und Ausprägung betrifft, unterschiedlich diskutiert wird. Fast alle Formen menschlichen Verhaltens sind teilweise kulturell bestimmt. Dies zeigt sich im individuellen wie auch sozialen Verhalten, und so ist das kollektive Verhalten von Menschen in Organisationen gleichfalls stark kulturell bedingt. Für das Kulturverständnis und den sinnvollen Umgang mit Kultur sind zwei Perspektiven bedeutsam: •
Auf der einen Seite entsteht Unternehmenskultur aus dem laufenden Verhalten der Mitarbeiter. Sie ist mithin eine Ansammlung von gemeinsam geteilten Werten, Normen, Ideologien etc. in der Unternehmung, wird durch deren Formen gewissermaßen "charakterisiert". Sie ist in dieser Hinsicht Ergebnisgröße.
•
Auf der anderen Seite wirkt die Unternehmenskultur als "kollektive Programmierung" (Hofstede, 1980, Sp. 1169). Sie prägt das Verhalten und ist deshalb eine Inputgröße.
Für eine betriebliche Organisation schafft die Organisationskultur "ein gemeinsames Bezugssystem, eine Linse, die Wahrnehmungen filtert und Erwartungen beeinflusst, gemeinsame Interpretationen ermöglicht, Komplexität reduziert, Handlungen lenkt und legitimiert" (Kieser 1984, S.4). Organisationskultur und Unternehmenskultur sind synonyme Begriffe (vgl. Dülfer 1991, S. 2). Die Kultur verleiht einer Unternehmung nach innen wie nach außen eine eigene unverwechselbare Identität. Die "Oberflächenstruktur" der Organisationskultur ist beobachtbar, erfahrbar, explizit und offen für eine gewisse Einflussnahme. Auf dieser Manifestationsebene der Kultur werden sinngebende und sinnmachende Bedeutungen ausgedrückt, nach innen und außen an die Beteiligten kommuniziert, bestätigt und korrigiert. Es gibt eine Vielzahl von Symbolen, an denen man eine Unternehmenskultur erkennt. Dem Insider sind sie meist so vertraut, dass er sie gar nicht mehr wahrnimmt. Hier seien nur einige Verhaltenskategorien willkürlich herausgegriffen, die Unternehmungskulturen widerspiegeln (vgl. Pümpin et al. 1985, S. 11):
252
Symbolische Führung und Organisationskultur
•
Wie spricht man vom Kunden? Mit Achtung und dienstbereit oder abfällig, wie von einer lästigen Person?
•
Art und Weise der Kommunikation zwischen Kollegen, zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern, zwischen verschiedenen Hierarchiestufen?
•
Arbeiten die Mitarbeiter vorwiegend als "Einzelkämpfer" oder im Team?
•
Wie werden Konflikte ausgetragen? Sucht man zu allererst nach dem Schuldigen oder betrachtet man Fehler als Chance zum Lernen und zu sachlicher Problemlösung?
•
Werden Titel und Hierarchie stark betont, oder sind Arbeitsstil und Zusammenarbeit problemorientiert und sachbezogen?
•
Gibt es viele Gerüchte, oder pflegt man die Mitarbeiter über Wesentliches schnell zu informieren?
•
Wer wird aufgrund welcher Leistungen befördert? Sind die Kriterien transparent, einsichtig und nachvollziehbar?
•
Wie ist die Bereitschaft zu Überstunden ausgeprägt, wenn diese notwendig werden?
•
Wie ist der Briefstil des Hauses? Kunden- bzw. mitarbeiterbezogen oder unpersönlich, umständlich, bürokratisch?
•
Wie schnell reagiert man auf Schreiben von außen und innen?
•
Wie verhalten sich die Mitglieder von Führungsgremien in Sitzungen? Wer kommt zu Wort? Geht es um persönliche Profilierung oder werden fachlich kompetente Lösungen angestrebt?
•
Wie verhalten sich Telefonistinnen und Sekretärinnen gegenüber Kunden und Mitarbeitern? Abweisend und überheblich oder hilfsbereit und freundlich?
•
Wie spricht man von der Firma im Freundes- und Bekanntenkreis? Redet man voll Stolz über "seine" Firma oder erzählt man hämische Witze und distanziert sich?
•
Gibt es "Helden", die ein besonderes Ansehen genießen und sichtbar verehrt werden?
Führungskräfte greifen permanent gestaltend in den Werdensprozess "ihrer" Organisation ein, um diese durch Managementprozesse auf einen bestimmten Entwicklungspfad zu kanalisieren. Gestaltende Eingriffe in ein zweckorientiertes produktives soziales System bedingen, dass Ereignisse, Prozesse, Zustände und Strukturen nicht nur substanziell entstehen/ sondern auch geistig nachvollzogen und sinnvoll interpretiert, erklärt und begründet werden können.
253
Gruppierung und Typen kulturprägender Symbole
20.4
Gruppierung und Typen kulturprägender Symbole
Wie äußert sich die Organisationskultur im betrieblichen Alltag? Welches sind die kulturellen Kräfte, welche die "sichtbare" Kultur steuern? Die sinnbildliche Darstellung einer Botschaft und Ausdruck auch von unbewussten Bedeutungen zeigt sich in symbolischen Handlungen, wie gemeinschaftlich gepflegten Verhaltensweisen, Sitten und Gebräuchen, Riten und Zeremonien sowie in konkreten Objekten oder Gegenständen wie Statussymbolen, Architektur der Gebäude, Bekleidungsgewohnheiten und ansonsten verwendeten Gegenständen, Hilfsmitteln, Einrichtungen, Ausstattungen und Technologien, aber deutlich auch in der Sprache für kommunikative Prozesse in der Organisation und mit der Umwelt durch Geschichten, Legenden, Mythen, Sagen, Redewendungen, ein institutionsspezifisches Vokabular.
Abbildung 20.1
Symboltypen der Unternehmenskultur (Quelle: v. Rosenstiel2009, S. 24, eigene Ergänzungen)
verbale
interaktionale
Artifizielle