Silber Grusel � Krimi � Nr. 275 �
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Brütende Hitze lastete über der Stadt. Wer nicht unbe...
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Silber Grusel � Krimi � Nr. 275 �
W.J. Tobien �
Feuerreiter �
Brütende Hitze lastete über der Stadt. Wer nicht unbedingt das Haus verlassen mußte, um irgendwelche Dinge zu erledigen, ließ die Jalousien runter und stellte die Klimaanlage auf ›cool‹, legte sich halbnackt aufs Bett und schlürfte einen eiskalten Grapefruitsaft. Dick Farrel gehörte nicht zu den Glücklichen. Er mußte arbeiten, und das war bei der Gluthitze nicht gerade angenehm. Farrel war Lagerarbeiter und hatte unter anderem die ankommenden Trucks zu entladen. Die Jungs stellten ihre Lastwagen ab, nickten freundlich und verzogen sich sogleich in den Schatten. Dick Farrel fluchte, aber was half das? Er war schon weit über fünfzig und brauchte seinen Job. Er konnte es sich nicht leisten, seinen Posten aufs Spiel zu setzen. Dazu war er zu alt, und das wußte er verdammt genau. Gerade war er dabei eine Fuhre Spanplatten mit dem Gabelstapler zu entladen. Der Schweiß lief ihm in Strömen über Gesicht und Rücken. Es war nicht auszuhalten. Er schnaufte und wischte sich über die Stirn. Sein Blick glitt flüchtig zu der großen Uhr über einer der Lagerhallen. Noch zwei Stunden… Brummend setzte er den Stapler in Bewegung. In der Halle war es zwar stickig, aber da brannte ihm wenigstens die Sonne nicht auf den Kopf. Vorsichtig fuhr er an den engen Regalen entlang, die sich meterhoch bis zur Decke streckten. Endlich hatte er die rückwärtige Seite erreicht. Hier sollte er die Platten aufstapeln. Die Hälfte hatte er schon geschafft. Dick Farrel arbeitete konzentriert. Er bekam nicht mit, wie plötzlich ein länglicher Schatten auf ihn fiel. Farrel betätigte den Hebel, welcher die Hydraulik in Gang setzte und die gebündelten Platten in die Höhe hob. Sorgfältig setzte 3 �
er die Eisengabel auf, ließ sie nach vorn kippen und nickte zufrieden, als die Last ordnungsgemäß plaziert war. Er holte tief Luft und wandte sich um. Im gleichen Augenblick erstarrte er! Direkt neben ihm gewahrte er ein schwarzes Pferd und einen Reiter, der leuchtend rote Kleidung trug. Für einen Augenblick setzte Farrels Herzschlag aus. Japsend richtete er sich von seinem Sitz auf. »Was…, was ist das, was soll das?« stammelte er tief erschrocken. Der Unheimliche auf dem Pferd sagte kein Wort. Tonlos blickte er Farrel an. »Was wollen Sie?« brachte der Alte noch heraus. »Dich!« dröhnte eine tiefe Stimme. Der unheimliche Reiter zog die Zügel straffer. Sein Gesicht war unverhüllt. Es war unnatürlich bleich, wie skelettartig, nur die Augen funkelten wie Feuer, Dick Farrel glaubte zu träumen. Für einen Augenblick führte er alles auf die Hitze zurück. Er blinzelte. »Wer sind Sie?« »Der Tod«, erklang es schallend. »Der…«, Dick Farrel zuckte zusammen. Er war zu keiner Bewegung mehr fähig. »Eure Zeit ist gekommen«, dröhnte es dumpf durch die Lagerhalle. Das Pferd bäumte sich auf. Mit brutalem Ruck zwang der Unheimliche es wieder zur Ruhe. Gleich darauf wandte er sich wieder Farrel zu. »Für euch ist kein Platz mehr auf dieser Welt! Meine Freunde und ich werden euch holen! Du bist der erste!« »Ich?« gellte Farrels Stimme. »Was habe ich denn getan?« Der unheimliche Reiter ersparte sich jedes weitere Wort. Seine Rechte schnellte vor. Dick Farrel zweifelte in diesem Augenblick an seinem Verstand. Er bekam die letzten Sekunden noch mit, sah wie aus den skelettierten Fingern des Unheimlichen Flammen schlugen und spürte noch, wie sie ihn trafen und ihm sein Leben raubten. 4 �
Dick Farrel wollte schreien und Hilfe herbeirufen, doch dazu kam er nicht mehr. Im gleichen Augenblick, als die Flammen ihn berührten, starb er. Sein Körper löste sich auf und wurde zu Asche… Der unheimliche Reiter schaute befriedigt auf die Überreste des Mannes. Dann gab er seinem Pferd die Sporen. Der Rappe erhob sich in die Lüfte… Nur noch das leise Dieselgeräusch des Gabelstaplers war zu vernehmen. Das Grauen nahm seinen Anfang… * Captain Sam Clousky stand vor der Apartmenttür mit der Nummer 107. Clousky gehörte zur Mordkommission von Mayville. Er sah ziemlich unscheinbar aus, eher wie ein Gelehrter, der jahrelang Universitätsstaub geschluckt hatte. Klein an Wuchs, Stoppelhaare, die durch einen mächtigen Schnauzbart kaschiert werden sollten, verkniffene Schweinsaugen, und ein stets grimmig wirkendes Gesicht. In dieses ›Hotel‹ hatte er sich auch nur gewagt, weil er auf seine Polizeimarke baute. Die Gegend hier war alles andere als empfehlenswert; aber hier hauste nun mal ein Bursche, den der Captain sprechen wollte. Seine Rechte pochte hart gegen die Türfüllung. Erstaunt sah er, wie die Tür nach innen auf glitt. Einen Augenblick zögerte er noch, dann trat er ein. Er rümpfte die Nase. Hier roch es nach allem möglichen, kaltem Rauch, verdunstetem Fusel und mindestens einer Woche abstinenter Frischluftzufuhr; aber das war typisch für Mike Tremaine. »Heh.« Der Captain tapste vorsichtig durch das dunkle Zim5 �
mer, fand durch Zufall das Fenster, schlug die Gardine zurück, öffnete die Fensterflügel und holte befreit Luft. Dann drehte er sich um. Er mußte unwillkürlich grinsen. Hier sah es aus wie nach einer Durchsuchung. Mike Tremaine lag verkehrt herum auf einer Doppelliege. Er hatte darauf verzichtet sich auszuziehen. Captain Clousky trat näher an den Schlafenden heran. Er wollte gerade die Hand ausstrecken, um den Mann wachzurütteln, als er plötzlich einen Revolverlauf unter dem rechten Auge verspürte und erstarrte. »Man schleicht nicht in fremde Zimmer«, sagte Mike Tremaine und gähnte. »Das nennt man Hausfriedensbruch.« Er richtete sich auf und nahm die Waffe beiseite. »Junge«, schnaufte der Captain, »ist das vielleicht eine Art, gute alte Freunde zu begrüßen?« Mike grinste wie ein kleiner Junge, dem man gesagt hatte, daß er zweimal im Jahr Geburtstag hat. Er kratzte sich die zerwühlten Haare, gähnte noch mal und stand auf. »Was willst du?« »Hast du momentan einen Job?« »Nein.« Tremaine streckte seine Einsneunzig und sah etwas verknittert aus. Er hatte eine schlechte Nacht hinter sich. Irgendwo war er hängen geblieben, hatte sich mit einem allzu aufdringlichen Betrunkenen geprügelt und war anschließend nach Hause gefahren. Der Captain musterte seinen Freund kurz. Der wirkte trotz seiner etwas vernachlässigten Kleidung irgendwie sympathisch. Seine Augen, momentan etwas verkniffen, strahlten eine unnatürliche Bläue aus. Das Gesicht war markant geschnitten, kräftiges Kinn, schmale Lippen. »Ich hätte was für dich, Mike.« »Nicht vor dem Frühstück.« Tremaine ließ den Captain einfach 6 �
stehen, schritt durch das winzige Zimmer zum Eisschrank, schnappte sich eine halbvolle Flasche Haig, schenkte sich einen Pappbecher ein, kippte das Zeug, nickte zufrieden und sah seinen Freund wieder an. »Schieß los!« »Die Sache ist ziemlich undurchsichtig, Mike«, begann der Captain und sah mißbilligend, wie sein Freund sich noch mal bediente. »Seit einer Woche häufen sich die Todesfälle in unserer schönen Gegend.« »Soll vorkommen«, winkte Mike ab. »Was habe ich damit zu tun?« »Es ist alles ziemlich verfahren«, fuhr der Captain fort. »Wir finden immer nur ein Häufchen Asche von den Opfern« »Das erspart einen Sarg.« »Red nicht so dumm daher! Du bist doch sonst nicht so kaltschnäuzig.« »Zu dieser Tageszeit immer.« »Es waren immer relativ harmlose Bürger. Eben noch am Leben, und dann auf einmal zu Asche geworden! Das Seltsame daran ist, das nirgends in mittelbarer Nähe Spuren von Verbrennungen zu finden sind. Gerade erst gestern haben wir einen Fall untersuchen müssen, Farrel, hieß der Mann, war Lagerarbeiter. Fuhr so 'n Gabelstapler. Seine Kollegen hatten sich gewundert, daß das Ding noch lief. Sie gingen hin und fanden besagte Asche auf dem Sitz. Und wieder waren nirgendwo Rückstände zu entdecken, die auf Feuer hätten schließen lassen.« »Vielleicht erlaubt sich einer makabre Scherze und verstreut die Asche.« »Unsinn«, begehrte der erfahrene Kriminalist auf. »Er wurde noch zehn Minuten vor dem Vorfall gesehen. Er hat auch seinen Arbeitsplatz nicht verlassen. Nein, wir kommen nicht darum herum, uns darüber im klaren zu sein, daß der Mann, wie auch die anderen Opfer, an Ort und Stelle verbrannt worden ist.« 7 �
Mike Tremaine legte seinen Kopf schief. »Klingt etwas unglaublich, nicht wahr?« »Es ist aber so. Außerdem handelte es sich in allen Fällen um menschliche Aschenrückstände. Das haben die Laboruntersuchungen einwandfrei ergeben.« »Was habe ich damit zu tun?« Captain Sam Clousky wischte mit einer Handbewegung das Bettzeug von der Liege und nahm Platz. Er steckte sich eine Zigarette an, bot Mike ebenfalls eine Players, reichte Feuer, inhalierte tief und rieb sich sein Kinn. »Ich muß sagen, daß wir vor einem Rätsel stehen, Mike.« »Das habt ihr schon öfter getan«, knurrte Tremaine ungehalten. »Ich bin inoffiziell hier«, fügte Clousky hinzu. »Dachte ich mir. Wenn dein Chef wüßte, daß du mit dem verhaßten Tremaine sprichst, dann würde er dich auf Streife degradieren.« Er ging zum Fenster und schaute hinaus. »Aber ich habe kein Interesse an der Sache, tut mir leid!« Der Captain erhob sich und drückte die Zigarette auf einem Unterteller aus. Er blickte auf Tremaine, räusperte sich kurz und sagte dann hart. »Den alten Winston hat es auch erwischt.« Er konnte sehen, wie Mike Tremaine erstarrte. Clousky seufzte schwer. »Ich wollte es dir schonender beibringen, Mike, aber du hättest es ohnehin erfahren, und da dachte ich mir, daß es besser sei, wenn ich es dir sage.« Er wußte genau, in welchem Verhältnis Tremaine zum alten Winston stand. Seit man Lieutenant Mike Tremaine vor zwei Jahren unehrenhaft aus dem Polizeidienst entlassen hatte, war Winston Shmuel der einzige gewesen, der zu ihm gehalten hatte. Er nahm ihn auf wie einen väterlichen Freund, kümmerte sich um ihn und sorgte dafür, daß Tremaine nicht auf die schiefe Bahn geriet. Sie beide verband eine tiefe Freundschaft, Winston streckte ihm auch das Geld vor, mit welchem Tremaine sich selbstständig machen konnte. Seine De8 �
tektei war zwar nicht gerade geeignet, Unmengen Geld damit zu scheffeln, aber es reichte für einen bescheidenen Lebensstandard. Und jetzt war der Mann tot… In Mike Tremaine stieg heiße Wut hoch. Langsam ging er zu der Schnapsflasche hinüber, nahm sie in die Hand und betrachtete sie nachdenklich. Dann trat er ans Waschbecken. Captain Clousky beobachtete ihn aufmerksam. Mit einem Ruck schüttete Mike den Whisky ins Becken. Danach sah er den Captain mit gerunzelten Augenbrauen an. »Ich bin dein Mann, Sam«, sagte er. »Das habe ich auch gehofft. Weißt du, mit unseren normalen Ermittlungsmethoden kommen wir nicht weiter. Ich befürchte sogar, daß da etwas auf uns zukommt, was außerhalb unseres Denkens liegt.« Mike Tremaine nickte nur. »Ach, noch eins, mein Freund. Natürlich kann ich dich nicht bezahlen, aber ich brauche deine Hilfe.« »Man hat Winston getötet«, sagte Mike kalt. »Ich brauche dein Geld nicht. Ich bin es dem alten Shmuel einfach schuldig. Und wenn es mein Leben kostet; ich werde den Alten rächen. Habe ich deine Unterstützung dabei?« »Das ist doch selbstverständlich, Mike.« »Okay. Ich brauche sämtliche Fakten, alles, auch wenn es dir unwesentlich erscheint.« »Ist klar.« Die beiden so unterschiedlichen Männer sahen sich ernst in die Augen. Sie wußten, einer würde für den anderen einstehen, in jeder Beziehung. »Fang an«, sagte Mike Tremaine übergangslos. »All right«, nickte Captain Clousky. Sie saßen noch Stunden beieinander. Der Captain hatte viel zu 9 �
berichten. � *
Donald Cover, ein muskulöser Athlet, reckte seine gut durchtrainierte Statur, dann nahm er den Tennisschläger in die Linke. »Bist du bereit?« »Alles klar«, ließ sich Silvie Delroy vernehmen. Sie schüttelte ihren Kopf, daß ihre langen blonden Haare nur so flogen. Silvie war prachtvoll anzuschauen. In ihrem Tennisdreß kam ihre atemberaubende Figur voll zur Geltung. Lange, wohlgeformte, braungebrannte Beine, schmale Hüfte, eine Taille, die ein erwachsener Mann mit zwei Händen umfassen konnte, einen kleinen, hoch stehenden Busen, der bisher noch nie in einen BH gezwängt worden war. Ihr Gesicht konnte man schlicht als rassig bezeichnen. »Na, dann los«, er ließ den Tennisball zweimal auf tippen. »Hast du dich gut vorbereitet, Darling?« »Rede nicht soviel«, lachte Silvie »ich werde dir gleich beweisen wie gut ich vorbereitet bin.« Donald Cover grinste flüchtig. Die Partie begann. Die beiden jungen Leute kamen ordentlich ins Schwitzen, aber es machte Spaß. Cover jagte Silvie Delroy über das Spielfeld. Sie hielt sich tapfer. Ab und zu gelang ihr eine gute Rückhand, und dann mußte Donald Cover ordentlich spurten, um den Ball zu kriegen. Nach einer halben Stunde hörten sie auf. Der junge Mann hatte klar gewonnen. Sie trafen sich am Netz. Völlig außer Atem reichten sie sich die Hände. »Ich werde es wohl nie lernen«, japste Silvie. »du bist einfach zu gut. Ich glaube, ich werde mich von dir trennen müssen.« »Heh, solche Worte aus einem so schönen Mund? Du bist also 10 �
doch ein schlechter Verlierer.« »Unsinn«, lachte sie, »aber ich möchte dich einfach auch mal besiegen.« »Das hast du doch schon längst getan.« Er nahm ihren Kopf in beide Hände und küßte sie. »Hör auf, ich bekomme keine Luft mehr.« Sie machte sich von ihm frei. Mit einem Satz sprang er über das Netz und stand neben ihr. »Ich liebe dich«, sagte er, »ich weiß nicht wieso und weshalb. Es gibt Unmengen von hübschen Mädchen in dieser Stadt, aber ich muß ausgerechnet an dich geraten. Ist schon sehr ungerecht.« »Wenn es dir nicht paßt, dann brauchst du nur zu gehen«, sagte sie schnippisch und wandte sich ab. Das kleine Röckchen wippte aufreizend. »Nicht so hastig«, beeilte er sich zu sagen und holte sie ein. »Du bist zwar schon alt und häßlich, aber ich habe nun mal einen Narren an dir gefressen.« Er grinste und sah dabei unwahrscheinlich gut aus. »So?« Sie blieb stehen. »Ich bin also alt und häßlich.« Sie stemmte beide Arme in die Hüften und gab sich große Mühe wütend anzusehen. Daß sie dabei entzückend wirkte, wußte sie nur zu gut. Er rümpfte die Nase und sah sie nachdenklich an. »Na ja, wenn ich es so recht betrachte, dann hast du einige kleine Vorteile. Zum Beispiel spielst du ausgesprochen schlecht Tennis.« »Ppfff«, mehr sagte sie nicht. Sie ließ ihn einfach stehen. Natürlich war die alberne Fopperei nur ein Zeichen dafür, daß die beiden jungen Leute sich mochten. Sie gehörte nun mal dazu. »Was hältst du von einem eiskalten Martini?« fragte Donald Cover. »Ich habe jahrelang Cent für Cent gespart, um dir eines Tages mal ein Glas spendieren zu können. Schlag es mir bitte 11 �
nicht ab.« »Wie werde ich denn?« Silvie Delroy sah ihn von unten her an, denn er überragte sie um eine Kopflänge. »Solltest du nicht ausreichend bei dir haben, dann lege ich dir das Geld für den Juice aus.« »Womit habe ich dich nur verdient«, reagierte er theatralisch. Sie konnte einfach nicht anders und mußte laut auflachen. Im gleichen Augenblick hing sie an seinem Hals. Ihre warmen und vollen Lippen küßten seinen Mund. Jetzt kam Donald Cover völlig außer Atem, aber das nahm er gern in Kauf. Nach gut drei Minuten lösten sich die beiden jungen Leute voneinander. Ihre Gesichter waren erhitzt. »Ich werde dich heiraten«, sagte Donald, und dabei war er völlig ernst. »Solltest du meinen Antrag ablehnen, werde ich alle Fabriken meines Vaters in die Luft jagen. Kannst du das verantworten?« »Was können die armen Leute dafür? Wenn du mich so unter Druck setzt, dann muß ich ja wohl nachgeben, du Erpresser.« Sie hatten mittlerweile den Tennisplatz verlassen und gingen auf Donald Covers Jaguar zu. Untergehakt schritten sie nebeneinander. In diesem Augenblick erschien wie aus dem Nichts eine rotgekleidete Gestalt. In der rechten Hand hielt sie die Zügel eines Pferdes fest. Donald Cover blieb abrupt stehen. Er wischte sich über die Augen, aber das unheimliche Bild blieb konstant. Silvie Delroy preßte sich eng an ihren Freund. Plötzliche Eiskälte strahlte auf die jungen Leute ein. Donald Cover machte sich sanft von Silvie frei und ging einen Schritt nach vorn auf den Unheimlichen zu. Sein Blick glitt über das nervös schnaubende Pferd. Dann erst 12 �
sah er sich den Mann genauer an. Er war groß und schlank. Seine Kleidung war feuerrot, rote, enganliegende Hosen, rotes Seidenhemd und ein ebenfalls roter Schulterumhang. Donald Cover kannte keine Angst. Er räusperte sich. »Wer sind Sie?« fragte er, »was wollen Sie?« Der Rotgekleidete blieb stumm. Cover fröstelte. Er hatte den Mann noch nie zuvor gesehen. Hier in Mayville fielen Fremde auf, denn man kannte sich. Bei knapp vierhundert Einwohnern war das völlig normal. »Sie sind nicht von hier«, sagte er. »Laß uns von hier weggehen«, bemerkte Silvie, die den Mann unheimlich fand. »Warte noch«, sagte Donald, dann wandte er sich wieder dem Fremden zu. Im gleichen Augenblick zuckte er zusammen. Der Mann hatte die Zügel seines Pferdes losgelassen und schritt auf Donald Cover zu. Sein Gesicht hatte sich verzogen und war zur Fratze geworden. Donald wich zurück. Er war kein Feigling, beileibe nicht, aber der Mann schien ihm nicht geheuer. »Bleib stehen«, erklang plötzlich eine dröhnende Stimme. Der Mann hatte beide Arme gehoben. Es sah so aus, als ob er jemand beschwören wollte. Donald spürte im gleichen Augenblick die Angst. »Renn weg«, schrie er. »So renn doch weg!« Er sah Silvie flehend an, doch das Girl war wie gebannt. Sie war nicht fähig, auch nur einen Schritt zu machen. Der Unheimliche hatte Donald Cover erreicht. Er brauchte nur noch seine Arme auszustrecken, und er hätte ihn berühren können. Der junge Mann spürte auf einmal eine unerklärliche Hitze in sich aufkeimen. »Ich will nur dich«, sagte der Rotgekleidete dumpf, »nur 13 �
dich…« »Aber…«, Donald Cover wich zurück. Er wußte nicht zu sagen, was ihn dazu bewog. Normalerweise hätte er sich auf den Mann gestürzt, doch eine unerklärliche Barriere hielt ihn davon ab. Er wollte vorwärts und dem Kerl an den Kragen, aber er fühlte sich wie festgenagelt. Er konnte sich nicht mehr bewegen. »Deine Zeit ist vorüber«, ließ sich der Unheimliche wieder vernehmen. Er stand nur noch einen halben Meter vor Donald Cover. Da senkte er seinen Kopf und schaute Silvie Delroy an. »Geh fort«, sagte er. Seine Augen glühten fanatisch, »geh!« Seine Rechte zuckte herrisch in die Höhe. Wie eine Marionette setzte sich Silvie Delroy in Bewegung. Sie vergaß alles um sich, tappte wie ohnmächtig über den Sandweg und war nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Donald Cover sah ihr nach. Seine Augen weiteten sich. Er wollte irgend etwas rufen, ihr nacheilen und bei ihr sein, aber er kam nicht vom Fleck. Voller Angst starrte er auf den Unheimlichen vor sich. Was war das? Träumte er? Würde er bald erwachen und über seinen Alptraum lachen? Plötzlich fühlte er Todesangst in sich aufkeimen. Er konnte es sich nicht erklären; er wußte nur, daß sein Leben zu Ende ging. Es war ein seltsames Gefühl. Noch am Leben zu sein, und dennoch zu wissen, daß es bald dem ewigen Tod weichen würde. Mit äußerster Kraftanstrengung wandte er seinen Kopf. Er sah Silvie laufen und wie sie immer kleiner wurde… Ruckartig drehte er seinen Kopf wieder in die Richtung, um dem Rotgekleideten zu sehen. Der Unheimliche grinste faunisch. Seine Hände berührten fast Donald Covers Körper. Plötzlich schlugen Flammen aus den Fingern des Feuerreiters. In Sekundenbruchteilen war alles vorüber. 14 �
Nur ein qualmendes Häufchen Asche blieb zurück. Donald Cover hatte aufgehört zu existieren. * Mike Tremaine hatte alle Informationen erhalten. Er stand noch immer unter dem Schock, den der Tod seines besten Freundes verursacht hatte. Er fing da an zu arbeiten, wo es am sinnvollsten war. Captain Clousky hatte ihm etwas von einer Bar erzählt. »Dirty Pinky« hieß der Schuppen, und so sah er auch aus, aber hier hatte Winston Shmuel ab und zu verkehrt. Außerdem war jemand, der in der Bar gearbeitet hatte, ebenfalls ums Leben gekommen. Mike hatte sich an die Theke begeben. Der Tresen war dicht umlagert. Sämtliche Schattierungen trieben sich herum, angefangen von Landstreichern, Rauschgifthändlern, Kriminelle aller Gattungen und Prostituierte. »Orangenjuice«, bestellte Mike bei dem Keeper. Das war so eine seiner Eigenarten. Wenn er einen Fall zu bearbeiten hatte, trank er keinen Tropfen Alkohol. Er sah sich unauffällig um. Captain Clousky hatte ihm was von einem gewissen Rick Stoll gesteckt. Dieser Bursche sollte angeblich an jeder Quelle sitzen. Wenn überhaupt jemand wußte, was in Mayville vorging, dann war es Rick Stoll. Mike schlürfte den Juice, fand ihn ekelhaft fad und ließ das Glas stehen. »Eh«, er winkte den Keeper noch mal zu sich heran. Der vierschrötige Bursche mit einem leicht stupiden Gesichtsausdruck warf sein Handtuch, mit welchem er gerade Gläser abgetrocknet hatte, in ein Regal und kam brummend auf Mike Tremaine zu. Gäste, die nur alkoholfreie Getränke verlangten, wa15 �
ren ihm nicht ganz geheuer. Außerdem steigerten sie nicht annähernd den Umsatz, an dem der Keeper prozentual beteiligt war. »Was 'n los?« »Ich muß unbedingt Stoll sprechen.« »Kenn' ich nicht«, antwortete der Mann. »Wer soll 'n das sein?« Mike lächelte freundlich, dann aber schoß seine Rechte vor, erwischte das Revers des Burschen, packte zu, und mit einem Ruck lag der Keeper fast voll auf dem Tresen. Er zappelte und versuchte sich freizumachen, doch Mike Tremaine hielt ihn sicher. »Hör zu«, sagte der Detektiv, »ich werde dir sämtliche Zähne entfernen, wenn du mir noch mal sagst, daß du Stoll nicht kennst.« »Aber ich kenne ihn wirklich nicht«, stammelte der Bursche. »Wie du willst!« Mike Tremaine erhob sich von seinem Barhocker, den Kerl immer noch festhaltend. Jetzt griff er auch noch mit der Linken zu. Es bereitete dem Hünen keine Schwierigkeiten, den Keeper über die Theke zu ziehen. Im gleichen Augenblick erklang eine Stimme hinter Mikes Rücken. »Bist du immer so tapfer, Kleiner?« Tremaine hielt den Barkeeper noch immer tischen den Fäusten. Er wandte nur den Kopf. Hinter ihm stand ein Bursche, die Beine gespreizt und die Fäuste angewinkelt. Ein typischer Rausschmeißer. Mit einem Schubs katapultierte Mike den Keeper wieder zurück. Dieser verließ sofort die gefährliche Umgebung. Der junge Detektiv musterte seinen neuen Gegner. Der Kerl war nicht von Pappe. Etwas größer als Mike, Schultern wie Mister Universum, und von einer penetranten Selbstsicherheit. »Ich möchte nur Rick Stoll sprechen«, sagte Mike, »können Sie mir sagen, wo ich ihn treffe?« Tremaine war bisher immer geneigt, jedem Ärger aus dem Weg zu gehen. »Wir kennen hier keinen Mister Stoll«, gab der Gorilla Aus16 �
kunft. »Zahl' deine Zeche und verdufte! Das ist ein guter Ratschlag!« Mike Tremaine rieb sich die Nase. Für Freunde, die ihn kannten, war das ein untrügliches Zeichen. »Ich weiß zufällig ganz genau, daß Stoll sich hier täglich einfindet, Mister«, sagte er. »Dann hast du dich eben mal geirrt.« »Meinen Sie?« »Nein«, sagte der Rausschmeißer grinsend, »das weiß ich. Und nun hau ab! Ansonsten werde ich böse, und das würde dir wehtun.« Mike Tremaine sah den Burschen abschätzend an. »Wissen Sie eigentlich was mit Ihnen ist?« fragte er. »Nein«, sagte der Mann verblüfft. »Du stinkst«, sagte Mike lächelnd. »Oh!« Der Gorilla fühlte sich an seiner Ehre gepackt und glaubte, jetzt seine Aufgabe erfüllen zu müssen, stürmte vor, holte weit aus und schlug zu. Doch Mike Tremaine hatte den Schlag kommen sehen. Er tauchte einfach weg, machte einen Sprung nach vorn, zielte kurz und landete eine Gerade am Kinn des Mannes. Es klackte ziemlich laut. Mikes Rechte brannte wie Feuer. Die »Helden« im Film, die sich minutenlang schlugen, hätten das natürlich völlig ignoriert, aber in der Wirklichkeit war es eben anders. Der Bursche wankte nicht mal. Er rieb nur das Kinn, schüttelte den Kopf, grunzte und griff sofort an. Im Nachsetzen erwischte er Mike voll am Brustkorb, mit dem Resultat, daß Tremaine wie ein Federball durch die Gegend flog und sich am unteren Ende der Theke wiederfand. Er war gerade dabei, sich aufzuraffen, als der Mann nachsetzte. Der rechte Fuß schnellte vor und wollte Mike im Gesicht treffen, doch da war der Detektiv schneller. Er packte zu, erwischte voll 17 �
das Bein des Schlägers und riß ihn zu Boden. Im gleichen Moment stand Mike Tremaine wieder auf seinen Füßen. In seiner Wut kannte er keine Grenzen mehr. Er schnappte sich den Burschen, zog ihn hoch und gab es ihm voll. 15 Sekunden dauerte es. Mike lehnte sich schweratmend gegen die Theke und schaute auf den am Boden Liegenden. Der Gorilla lag flach auf dem Rücken, die Augen geschlossen. Er schlief. Mike nickte zufrieden. Dann suchte er den Keeper. Der Mann hatte aus der äußersten Ecke zugesehen. Mit hochgezogenen Schultern kam er näher, als Mike ihn heranwinkte. »Wo finde ich Stoll?« wiederholte der Detektiv seine Frage. Der Mann zögerte jetzt keinen Augenblick mehr. »Im Hinterzimmer ist er.« »Na also, warum nicht gleich so?« Die Männer in der Bar machten ihm bereitwillig Platz. Sie hatten ebenfalls den Kampf miterlebt. »Sir!« Mike Tremaine blieb stehen. »Was gibt es?« »Wenn Sie mit Stoll sprechen wollen, dann müssen Sie schon etwas mitnehmen«, sagte der Keeper kleinlaut. »Hier«, er reichte Mike eine Flasche Gin. »Ohne das da redet der kein Wort.« »Danke.« Mike nahm die Flasche in Empfang und begab sich ins Hinterzimmer. Überrascht blieb er stehen, als er Rick Stoll zum ersten Mal sah. Er hatte einen Mann in mittleren Jahren erwartet, einen gestandenen, der sämtliche Fäden in seinen Händen vereinigte. Und was bekam er zu sehen? In dem schmuddeligen Hinterzimmer, dessen Mobiliar nur aus einem Tisch und zwei altersschwachen Stühlen bestand, hockte ein kleiner, uralter Mann mit gebeugtem Rücken. Er sah nicht mal auf, als die Tür geöffnet wurde. Seine Kleidung bestand aus schäbigen Hosen, einem verwa18 �
schenen Hemd und einem geflickten Mantel. Der Kragen war hochgeschlagen, als ob dem Mann kalt wäre, aber im Raum herrschte eine stickige Hitze, die einem fast die Luft abschnürte. Mike Tremaine gestand sich seine Enttäuschung. Was konnte ihm der Alte schon sagen oder helfen? »Stell den Schnaps auf den Tisch«, sagte Stoll plötzlich. Er hatte eine krächzende Stimme, die irgendwie zu seiner Erscheinung paßte. Mike gehorchte. »Setz' dich hin, Tremaine! Ich mag es nicht, wenn man auf mich herabsieht.« Der Detektiv blies überrascht die Wangen auf. Woher kannte ihn der Mann? Sie waren sich noch nie zuvor begegnet, aber er folgte der Aufforderung. Was hatte er schon zu verlieren? »Du bist erstaunt, daß ich dich kenne, Tremaine?« Der Alte lachte meckernd, hob seinen Kopf und sah Mike an. Tiefe Falten hatten sein Gesicht durchfurcht, eine spitze Nase ragte wie eine Röhre aus seinem Gesicht. »Ich kenne alles und jeden. Ja, da staunst du, was? Der alte Stoll gehört noch nicht zum alten Eisen.« Er schnappte die Ginflasche, schraubte sie auf, setzte sie an und stellte sie erst wieder zurück als der Pegelstand um etliche Zoll gesunken war. Er wischte sich schmatzend über die Lippen. »Ah, der Bastard von Keeper könnte ruhig mal einen besseren Schnaps herausrücken.« Dann wechselte er abrupt das Thema. »Du kommst wegen der Vorfälle der letzten Tage?« »Ja«, nickte Mike und zündete sich eine Chester an. »Man sagte mir, daß Sie mir weiterhelfen könnten.« Der Alte kicherte. »Dieser Hundesohn von Captain schickt immer andere vor, weil er weiß, daß er von mir keine Auskunft bekommt. Ich mag ihn nicht, aber du gefällst mir irgendwie. Weiß der Teufel warum!« Er stieß auf. Mike Tremaine verzog angewidert das Gesicht, aber er hütete 19 �
sich, etwas zu sagen. Er konnte es sich nicht erklären, aber er spürte, daß der Alte ein Geheimnis in sich barg. »Das totale Chaos kommt auf uns zu«, sagte Stoll plötzlich. »Niemand hat es mir geglaubt. Ich habe schon vor Wochen die ersten Anzeichen verspürt. Die Feuerreiter werden uns alle vernichten, samt und sonders.« »Die Feuerreiter?« Mike stützte sich auf die Tischplatte auf. »Was soll das sein?« Wieder folgte ein Kichern aus der Kehle des Alten. Er ging auf Mikes Frage nicht ein. »Die Welt ist schlecht und böse. Die Zeit ist gekommen. Hier wird der Anfang gemacht, und das Höllenreich wird sich ausbreiten wie ein Geschwür. Wir haben ihm nichts entgegenzusetzen. Asmodis hat lange warten müssen. Das Reich der Schatten wird uns überfluten, die dämonischen Kräfte dulden keinen Widerstand. Was hier geschieht, ist erst der Anfang vorn Ende!« Mike Tremaine räusperte sich. Es war seltsam. Im Normalfall hätte er das Gerede des Alten als spinniges Geschwafel abgetan, aber diesmal war es etwas anderes. Stoll bediente sich noch mal aus der Flasche. »Woher wissen Sie das alles?« fragte Mike leise. »Ich sehe, daß du mir glaubst, junger Freund«, fuhr Stoll fort. »Das freut mich, aber es wird uns aus dieser Misere auch nicht herausführen. Woher ich das weiß, hast du gefragt. Nun, das ist ganz einfach zu beantworten. Ich habe das Zweite Gesicht!« Er machte eine längere Pause. Sein zahnloser Mund mummelte. Mike blieb stumm. »Ich habe es kommen sehen, aber ich wußte auch, daß mir niemand Glauben schenken würde. Der alte Stoll ist doch verrückt, hätte man gesagt. Der weiß nicht mehr, was er erzählt. So ähnlich hätte es geklungen. Und deswegen habe ich meinen Mund gehalten. Ich weiß nicht mal, warum ich mit dir darüber rede. Du bist irgendwie anders als die anderen. Von dir 20 �
geht irgend etwas aus. Verflucht noch mal, du mußt das Weiße in dir tragen, Tremaine! Wer waren deine Eltern?« »Ich habe sie nie kennengelernt«, sagte Mike Tremaine wahrheitsgemäß. »Ich werde nicht schlau aus dir.« Rick Stoll setzte sich aufrecht, drückte seinen krummen Rücken gerade und sah Mike in die Augen. »S'hen ogk«, sagte er leise. »Dm'argh m'wter«, erwiderte Mike Tremaine. Im gleichen Augenblick zuckte er zusammen. Er wischte sich über die Augen. Was hatte er da soeben gesagt? Der Alte saß wie erstarrt auf dem Stuhl. Seine knöchernen Hände verkrampften sich auf der Tischplatte. »Das ist nicht wahr«, stammelte er fassungslos, »das ist nicht wahr!« Mike Tremaines Finger zitterten. Was war das eben gewesen? Diese unartikulierten Laute, die er von sich gegeben hatte. In seinem Hirn bissen sich mit brutaler Gewalt die Worte fest. ›Bist du einer von jenen?‹ hatte der Alte gefragt und er hatte geantwortet: ›Jene sind ich‹ Die Übersetzung in die Lautsprache war eins mit seinen Gedanken. »Du bist ein Weißer Magier«, sagte Stoll atemlos. Er sprang auf und zwang seinen alten Körper in die Höhe. Dann wich er zurück. Tremaine sah ihn entsetzt an. »Unser Ende ist nahe. Wir haben versagt.« Rick Stoll richtete sich zu voller Größe auf. »Flammen werden niedergehen, auf uns Unglückliche. Vernichtung, Tod und Elend wird auf uns regnen. Es gibt kein Entrinnen…« »Nein«, schrie Mike, »nein! Du irrst dich! Du mußt dich irren!« Der Alte verharrte in seiner Bewegung. Er stand stocksteif. Sein Gesicht war zur Maske erstarrt. »Du bist ein Weißer.« Seine Stimme hatte sich gefestigt. Plötzlich sprach er nicht mehr wie ein seniler Mann. Scharf artikuliert wandte er sich an Mike Tre21 �
maine. »Wenn uns jemand noch helfen kann, dann wirst du es sein. Nimm den Kampf gegen die Feuerreiter auf, Tremaine! Du bist der einzige, der die Kraft in sich birgt…« »Du redest Unsinn«, sagte Tremaine, »du bist alt und betrunken.« Stoll überhörte den Vorwurf. »Daß ich das noch erleben muß«, stammelte er, »es ist nicht zu fassen. Wieso habe ich bisher nichts von deiner Existenz gewußt?« Mike Tremaine fühlte sich äußerst unwohl. Er hatte zwar diese seltsamen Laute ausgesprochen und verstanden, aber er wußte damit nichts anzufangen. Ein weißer Magier! Pah, es war einfach lachhaft. Er wandte sich ab und wollte das schäbige Zimmer verlassen. »Warte noch!« Stolls Worte klangen schneidend. »Was willst du noch?« Mike sah den Alten wütend an. »Auch wenn du es nicht glaubst, Tremaine«, Stoll holte tief Luft. »Du gehörst zu den Weißen. Ich fühle es.« »Laß mich mit deinem Geschwafel in Ruhe«, knurrte der Detektiv. Innerlich jedoch bebte er immer noch. Das eben Erlebte hatte ihn geschafft. »Du wirst früher oder später den Kontakt zu den Feuerreitern finden. Das weiß ich. Sie werden dich vernichten wollen, sie müssen dich vernichten, denn du kannst ihnen gefährlich werden.« Mike zwang sich ein Grinsen ab. »Schluck den Fusel da und halte deinen verdammten Mund! Ich habe gedacht, daß ich mich mit dir normal unterhalten kann, aber ich habe mich geirrt.« Mit diesen Worten ging er aus dem Zimmer. Rick Stoll, der Mann mit dem Zweiten Gesicht, sah ihm noch lange nach. * 22 �
Sam Clousky rannte wie ein Tiger auf und ab. Er hatte bei Mike angerufen, bekam aber keine Verbindung. Kurz entschlossen hatte er sich auf den Weg gemacht. Irgendwann mußte der ehemalige Kollege ja mal zurückkommen. Er hatte sich gerade einen Gin Fizz zubereitet, als er auf dem Flur ein Knacken vernahm. Der Captain nickte zufrieden, setzte sich auf ein stuhlähnliches Ding, schlug die Beine übereinander und hatte schon ein ›guten Tag, mein Freund‹ auf den Lippen, als die Tür zu Tremaines Wohnung geöffnet wurde. Ein Mann erschien im Rahmen. Sam hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Der Bursche war groß und stattlich, enorm gewichtig, eine imposante Erscheinung. Der Captain sprang auf. Im Gegensatz zu dem Eindringling wirkte er wie Zwerg Nase. »Was wollen Sie hier?« Clousky trat unerschrocken näher. »Sie sind Tremaine?« lautete die Gegenfrage des Mannes. »Ich habe Sie mir anders vorgestellt.« »Nein, bin ich nicht. Ich bin Captain Clousky, Morddezernat.« »Wo ist Tremaine?« »Was geht Sie das an, und vor allen Dingen, wie kommen Sie hier rein?« »Die Tür war nicht verschlossen.« »Sie haben dennoch nicht das Recht, hier einfach einzudringen, Mann.« »Lassen Sie Luft ab, Kleiner«, sagte der Unbekannte, »wann kommt der Bursche zurück?« Sam Clousky zuckte zusammen. »Kleiner durfte niemand zu ihm sagen. Er wußte, daß er nicht gerade mit überwältigenden Körpermaßen gesegnet war, deshalb hatte er seinen Aufstieg immer erkämpfen müssen. »Zeigen Sie mir Ihre Papiere«, schnarrte Clousky. 23 �
»Wie käme ich dazu?« war die Entgegnung des Mannes. Er sah sich aufmerksam um, ging sogar ins Bad und in die Küche. Als er zurückkam hatte Sam seinen Revolver in der Rechten. Der Mann lächelte amüsiert. »So, jetzt können wir uns vielleicht wie normale Menschen unterhalten, Mister«, sagte der Captain. »Erst mal schön die Hände hoch, und zwar hinter den Kopf verschränken, wenn's beliebt!« »Wenn es beliebt, natürlich, aber Sie werden lachen, es beliebt nicht. Legen Sie die Waffe weg oder ich muß ernstlich böse werden!« »Sie sehen nicht nur aus wie ein Riesenkalb, Mister, Sie haben auch das Gehirn dazu!« Der Mann schien Humor zu besitzen, denn er grinste über das ganze Gesicht. Er war kein bißchen beleidigt. »Sie sind ein mutiger Mann, Captain, aber wenn Sie nicht augenblicklich den Revolver weglegen, wird ihnen mein Freund unangenehm nahe treten. Er steht hinter Ihnen!« Captain Clousky verzog sein Gesicht zu einem geringschätzigen Lächeln. Das war der älteste Trick der Welt. »Ich habe schon mal mehr lachen müssen, Mister.« »Ich habe Sie gewarnt, Captain«, erwiderte der Mann ruhig. Er blickte an Sam vorbei. »Zieh ihm eins über, Mac!« In diesem Moment fühlte Clousky eine Bewegung hinter sich. Also hatte der Kerl doch nicht geblufft. Er wollte sich noch herumwerfen, aber seine Reaktion kam zu spät. Der Schlag erwischte ihn am Haaransatz. Es funkte, Sterne bildeten sich. Er spürte nicht mal mehr den Schmerz. Seine Umgebung versank in eine graue Dunkelheit. Wie ein gefällter Baum krachte der Captain zu Boden. Sie hatten ihn ausgeknockt. »Okay, Mac«, sagte der Mann, »schaff ihn weg! Am besten ins Bad mit ihm. Leg ihn in die Wanne und laß das Wasser laufen. 24 �
Paß aber auf, daß er auch liegen bleibt. Ein toter Polizist kann uns nicht schaden, nicht wahr?« Mac, ein gedrungener, kräftig gebauter Mann, grinste. »Du hast recht, Jack. Ich werde ihn reinlich ins Jenseits befördern.« »Tu das, Mac«, gab Jack Hopkins das Grinsen zurück. »Ich werde inzwischen auf Tremaine warten.« »Okay, Boß.« Er schleppte den ohnmächtigen Captain ins Badezimmer. Dort angekommen, fesselte er ihm die Hände auf den Rücken, ließ ihn langsam in die Wanne gleiten und stellte das Wasser an. Captain Sam Clousky hatte nicht mehr lange zu leben… * Mike Tremaine parkte seinen alten Thunderbird, stieg aus, reckte sich und war sauer. Stolls Gequatsche hatte ihn doch mehr mitgenommen, als er sich selber eingestehen wollte. Wütend blickte er auf die Hausfassade vor sich. Das war nun sein Zuhause! Ein schäbiges, heruntergekommenes Gebäude. Überall blätterte der Putz ab. Die altersschwache Feuerleiter gammelte rostend vor sich hin, es roch nach Knoblauch und Kohl. Tremaine rümpfte die Nase. Er verwünschte sich selbst, daß er es hatte soweit kommen lassen. Aber woanders konnte er nicht unterkommen. Sein ›Apartment‹ kostete sechzig Dollar kalt. Das konnte er gerade noch aufbringen, ohne die Fürsorge in Anspruch zu nehmen. Seinen alten Wagen hatte er aus fünfter Hand. Es war schon irre. Als er noch Lieutenant war, hatte er zwar auch nicht übermäßig viel Geld in Händen, aber sein Gehalt kam wenigstens regelmäßig. 25 �
Doch dann kam die Sache mit Jeremy Thorsen. Der Mann war einer der übelsten Rauschgifthändler. Er verlängerte das Gift mit allem möglichen. Daß seine Kunden dabei draufgingen, kümmerte ihn nicht im geringsten, und keiner konnte ihm was nachweisen. Jeder wußte es, sogar die Polizei, aber die Beweise fehlten. Es war damals sein Job gewesen, Thorsen zu überführen, aber so sehr er sich auch Mühe gab, der Kerl war glatter als ein Aal. Und da platzte Lieutenant Mike Tremaine eines Tages der Kragen. Als in seinen Armen eines der bedauernswerten Opfer lag, ein Girl von sechzehn Jahren, konnte er einfach nicht anders. Er fand die Kleine auf einer öffentlichen Toilette. Sie hatte die Nadel noch in der Vene und lebte noch. Er hatte sofort die Ambulanz verständigt, die Jungs im weißen Kittel grundlos angepfiffen, und er hatte so sehr gehofft, daß das Girl durchkam. Doch zwei Stunden nach der Einlieferung starb sie. Lieutenant Mike Tremaine war daraufhin zu Thorsen gefahren. Er hatte den Kerl krankenhausreif geschlagen, aber er hatte auch ein unterschriebenes Geständnis. Jeremy Thorsen wurde zu zwanzig Jahren verurteilt, und Mike wurde unehrenhaft aus dem Polizeidienst entlassen, weil er seine Kompetenzen überschritten hatte. Tremaine war sich darüber im klaren, daß seine Entlassung rechtens war. Es ging einfach nicht, daß jeder Polizist Richter spielte, aber es schmerzte ihn trotzdem. Es war nicht mehr rückgängig zu machen… Der Detektiv holte tief Luft und begab sich ins Haus. Die schlechte Luft verursachte ihm Übelkeit, aber auch daran konnte man sich gewöhnen. War alles nur Willenssache. Er stieg über die Treppen nach oben. Vor seiner Tür verharrte Mike kurz. 26 �
Wie ein Hund, der Witterung genommen hatte. Irgend etwas stimmte nicht, das fühlte er. Seine Nackenmuskeln verkrampften sich. Vorsichtig drehte er den Türknauf. Er hielt seine Tür immer unverschlossen. Was war bei ihm auch schon zu holen? Leise quietschend schwang sie nach innen auf. »Kommen Sie rein«, erklang da Hopkins Stimme. »Ich habe auf Sie gewartet, Tremaine!« Es dauerte nur Bruchteile von Sekunden, dann hatte Mike sich wieder unter Kontrolle. Er trat ein und schloß die Tür hinter sich. Er gab sich bewußt lässig. Es war nicht das erstemal, daß man sich um ihn bemühte. Solches war er gewöhnt. »So habe ich Sie mir vorgestellt«, sagte Hopkins und zeigte ein flüchtiges Grinsen. »Freut mich, daß Sie nicht enttäuscht sind«, murmelte Mike. Was wollte der Bursche von ihm? Er hatte ihn noch nie zuvor gesehen. »Sie sind doch Detektiv, stimmt's?« »Wenn Sie es sagen«, nickte Tremaine. »Kommen Sie zur Sache, Mann!« »Bitte, wie Sie wollen.« Hopkins hielt die Waffe, die er dem Captain abgenommen hatte, genau auf Mikes Magen gerichtet. Tremaine hütete sich, eine falsche Bewegung zu machen. »Hier«, der Eindringling griff in seine Jackentasche und holte ein kleines, verschnürtes Bündel hervor. Er warf es Mike vor die Füße. »Heben Sie es auf!« Tremaine gehorchte. Er riß das Päckchen auf. Seine Augen weiteten sich. Das, was er in der Hand hielt, waren mindestens 1000 Dollar. Nicht verstehend blickte er Hopkins an. »Meine Auftraggeber sind der Überzeugung, daß Sie nichts gegen tausendfünfhundert Dollar einzuwenden hätten. Zählen Sie ruhig nach!« 27 �
»Was soll ich dafür tun?« »Gar nichts, überhaupt nichts. Sie sollen sich nur einen wohlverdienten Urlaub gönnen. Irgendwo an der Westküste vielleicht. Was halten Sie davon? Sobald Sie uns benachrichtigt haben, wo Sie sich aufhalten, werden Sie die gleiche Summe überwiesen bekommen. Drei Riesen sind doch wirklich nicht zu verachten.« »Da haben Sie recht«, sagte Mike, dem die Hände zitterten. »Also sind Sie einverstanden?« »Wenn Sie mir noch sagen, warum man mich loswerden will, werde ich wohl oder übel zusagen müssen.« »Sie sind ein vernünftiger Mann, Tremaine«, grinste Hopkins. »Wir haben da so ein kleines Problem, müssen Sie wissen. Seit einigen Tagen scheint bei den Bullen etwas im Busch zu sein. Die schwirren umher wie ein wildgewordener Bienenschwarm. Weiß der Teufel warum! Das wäre an sich nicht so schlimm, wenn der liebe Captain Clousky nicht an Sie herangetreten wäre.« »Was hat Sam damit zu tun?« »Schauen Sie, die Sache ist so.« Der Gangster schlug einen jovialen Tonfall an. »Diese Stadt hier war bislang recht friedlich, und das hat meinen Auftraggebern gefallen. Sie konnten ihren, na sagen wir mal, Interessen nachgehen, aber wie ich schon sagte, jetzt scheint hier der Teufel los zu sein. Man hat sogar Verstärkung aus der Hauptstadt geschickt, aber das ist nicht das Problem. Mit den Leuten werden wir fertig. Einzig Sie bereiten uns da geringfügige Sorgen. Sie waren mal ein guter Bulle, das wissen wir, jetzt sind Sie Privatmensch, und Sie können etwas unorthodoxer vorgehen und das beunruhigt uns. Natürlich hätten wir Sie auch umlegen können. Ich habe übrigens dafür gestimmt, wenn es Sie interessiert, aber die hohen Herren waren anderer Meinung. Sie wollen es erst im Guten versuchen. Na, 28 �
wie steht es nun, nehmen Sie das Geld an?« »Was bleibt mir anderes übrig?« sagte Mike Tremaine kalt. Seine Gedanken überschlugen sich. Irgendwie kam ihm so allmählich die Erinnerung. Er hatte den Typ schon mal irgendwo gesehen, nur, wo war das und in welchem Zusammenhang? »Ich bin etwas enttäuscht, Tremaine. Ich dachte, Sie würden sich weigern.« »Ich bin untröstlich, Mister, aber bei Geld kann ich nicht widerstehen, tut mir leid.« »Ich habe Sie anders eingeschätzt. Na ja, nicht zu ändern. Das Geld haben Sie ja. Lassen Sie uns wissen, wo Sie sich aufhalten, dann wird man Ihnen den Rest schicken. Schreiben Sie einfach eine Karte an Ihre hiesige Anschrift. Einer unserer Leute wird sich dann darum kümmern.« »Und wie lange soll ich mich außerhalb aufhalten?« »Sie bekommen von uns Nachricht, Tremaine. Machen Sie sich keine Sorgen.« »Okay«, Mike zuckte plötzlich zusammen. Durch die geschlossene Badezimmertür vernahm er ein leises Plätschern. Also war da noch jemand, und da anzunehmen war, daß der Gangster kein Interesse daran hatte, ein Bad zu nehmen, mußte etwas anderes sein. »Wenn wir schon handelseinig sind, Mister, dann können Sie das Ding da ja einstecken.« Er durchquerte das Zimmer und ging einfach an Hopkins vorbei, der ziemlich verdattert auf den Revolver starrte. Im nächsten Augenblick wandte Mike einen raffinierten Trick an. Aus dem Stand wirbelte er herum und trat dem Burschen in die Kniekehlen. Hopkins lag flach. Tremaine war sofort über ihm. Eine links, eine rechts und eine auf den Punkt das war schon alles. Hopkins schlief friedlich. 29 �
Mike richtete sich wieder auf. Er schnappte sich den Revolver. Auf den ersten Blick erkannte er, daß es sich um eine Dienstwaffe, Colt Special, handelte. Er riß die Badezimmertür auf. Mac wirbelte erschrocken herum, erkannte einen Fremden vor sich, sah im gleichen Augenblick Hopkins auf dem Boden liegen, und dann handelte er auch schon. So dümmlich er auch aussah, so gewandt war er doch. Wie ein Pfeil schoß er auf Mike zu, erwischte ihn und riß ihn förmlich mit sich. Tremaine konnte noch abdrücken, aber das Projektil schlug in die Decke. Er mußte einige schmerzhafte Hiebe einstecken. Wie eine Katze drehte er sich um die eigene Achse, kam auf die Beine und flog im nächsten Augenblick fast in die Wanne, denn Mac hatte ihm einen Schlag in den Rücken gegeben. Und da sah er den Captain! Das Wasser umspülte schon sein Gesicht. Er war wieder zu sich gekommen. In seinem Mund steckte ein Waschlappen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er seinen Freund an. Mike schluckte. Er warf sich herum und ging den Killer an. Gnadenlos ließ er seine Fäuste fliegen. Mac gab sich geschlagen und riß abwehrend beide Arme vors Gesicht, doch Mikes Rechte zertrümmerte die Deckung. Der Rest war Sekundensache. Schwer atmend stürzte Mike Tremaine dann ins Bad, schnappte den hilflosen Captain, riß ihn aus der Wanne, nahm ihm den Knebel aus dem Mund und löste ihm die Handfesseln. Sam Clousky rang nach Luft. »O Mann«, keuchte er, »ich dachte schon, daß du überhaupt nicht mehr kommst. In den Krimis kommen die Freunde immer viel früher.« »Hauptsache, ich bin da, meinst du nicht? Als Wasserleiche würdest du sehr unappetitlich aussehen, Sam.« »Halt deinen Mund!« Sam Clousky japste immer noch. »Kennst du die beiden?« 30 �
»Ich weiß nicht so recht, Sam. Den da«, er zeigte auf Hopkins, »habe ich schon mal irgendwo gesehen, aber frage mich nicht wo.« Er schleifte den ebenfalls ohnmächtigen Mac ins Wohnzimmer. Captain Clousky hatte sich mittlerweile mit zitternden Fingern eine Zigarette angezündet. Mike ging zu seinem Plastikschrank, suchte eine Weile, fand endlich eine Wäscheleine, beugte sich über die beiden und verschnürte sie postgerecht. Über die Schulter bückend, schaute er auf den tropfnassen Captain. Der saß bibbernd auf einem Sessel. »Nimm dir 'nen dreifachen Whisky, und dann such dir irgend etwas Anziehbares von meinen Sachen heraus. So holst du dir sonst noch den Tod.« Sam Clousky kam der Aufforderung nur zu gern nach. Er kippte den Schnaps und begab sich dann auf Kleidersuche. »Wenn ich deine Klamotten anziehe, sehe ich gemeingefährlich aus«, sagte er und hatte seinen Sarkasmus schon wieder gefunden. »Man erschießt mich dann wie einen tollen Hund.« »Krempel die Hosenbeine halt einen halben Meter hoch«, knurrte Mike, »und dann, verdammt noch mal, will ich wissen, was das alles zu bedeuten hat. Allmählich habe ich es satt, immer nur als Randfigur zu fungieren.« »Wappne dich mit Geduld«, sagte Sam Clousky, »ich habe eine Überraschung für dich. Wir haben eine Augenzeugin. Sie hat die Feuerreiter, oder besser gesagt, einen Feuerreiter gesehen. Da bist du neugierig, was?« Mike Tremaine konnte nur noch nicken. * Rick Stoll hatte sich entschlossen, den Heimweg anzutreten. Er � nickte dem Keeper freundlich zu, bekam noch einen Schnaps mit � 31 �
auf den Weg und verließ das ›Dirty Pinky‹. Er war ziemlich alkoholisiert, aber das war er eigentlich immer. Es war so eine Art Dauerzustand bei ihm. Ihn störte es nicht. So war sein Leben wenigstens einigermaßen auszuhalten. Es war schon spät. Die Hitze hatte nachgelassen. Es war angenehm warm. Eine trübe Dunkelheit empfing ihn, als er die Bar verließ. Er holte tief Luft. Zehn Minuten Fußweg wartete auf ihn, zehn Minuten frische Luft. Er wankte leicht, dann kicherte er. Er kam am Jackson-Park vorbei. Kurz entschlossen änderte er seine Richtung. Er hatte genügend Zeit und wollte noch etwas draußen bleiben. Zu Hause wartete niemand auf ihn. Was also sollte ihn davon abhalten, noch durch die Gegend zu streifen? Er betrat den Park. Die hochgewachsenen Bäume, mit ihren dicht belaubten Wipfeln, schluckten jegliches Mondlicht. Es war finster, aber Stoll störte es nicht. Er war ein harmloser, alter Mann. So gut es ging, schritt er geradeaus weiter. Hier im Park wehte ein kühler Wind, eigentlich viel zu kühl für die heiße Jahreszeit, aber Stoll machte sich darüber keine Gedanken. Mühsam fand er eine Bank. Sie stand inmitten von alten Latschenkiefern und war fast nicht zu erkennen. Das war der richtige Ort, um etwas auszuspannen. Stoll wankte darauf zu, ließ sich schwer fallen, rutschte bequem hin und her, bis er den richtigen Platz gefunden hatte, seufzte tief, lehnte sich zurück, verschränkte die Hände vor dem Bauch und starrte in die Dunkelheit. Um ihn herum herrschte geheimnisvolles Wispern und Rauschen. Der müde wehende Wind spielte im Geäst der Bäume, bewegte das Laub, ließ es rascheln, zwang die schwerbehangenen Äste sich zu beugen und drückte sie nieder. Rick Stoll schloß die Augen. Ein Seufzen entrang sich seiner 32 �
Brust. Er liebte diese Stunden der Nacht. Niemand war neben ihm, er war allein. Allein mit seinen Gedanken, mit seinem Wissen, seiner Angst… Die heutige Begegnung mit dem jungen, gutaussehenden Mann, hatte ihn doch sehr nachdenklich gemacht. Dieser Tremaine, den er schon vor seinem geistigen Auge gesehen hatte, und das Wochen vor ihrem heutigen Zusammentreffen, hatte ihn irgendwie fasziniert. Der Mann barg Kräfte in sich, die für andere unvorstellbar waren, aber Tremaine wußte es nicht; noch nicht. Er hatte keinerlei Kontrolle über seine Fähigkeiten, das hatte Stoll sofort erkannt. Es war seine Aufgabe, diesen Mike Tremaine darauf hinzuweisen und ihm behilflich zu sein, seine überirdischen Kräfte in die richtigen Bahnen zu lenken. Er schnaufte schwer. Das Atmen bereitete ihm auf einmal Schwierigkeiten. Rasselnd sog er die Luft in sich ein. Es war, als ob er Gluthitze speicherte. Er schüttelte seinen Kopf. Eine unerklärliche Aura hüllte ihn ein, nahm ihm die Luft und wollte seine Lungen verbrennen. Stöhnend drückte er sich von der Bank hoch. Du hast zu viel getrunken, konnte er noch denken. Krampfhaft zwang er sich weiter vorwärts. Leg dich hin, dachte er, du mußt nach Hause, noch einen Schluck Gin nehmen, und dann ab ins Bett. Morgen sieht alles wieder völlig anders aus. Der nachtfinstere Weg vor ihm machte einen leichten Knick. Stoll, der unentwegt seinen Kopf schüttelte, um einigermaßen klar zu werden, bekam es nicht mit. Als er die hüfthohen Büsche fühlte, blieb er stehen. Verwirrt versuchte er etwas zu erkennen, aber dafür war es zu dunkel. Er tastete sich zurück. In diesem Augenblick glaubte er an seinem Verstand zu zweifeln. 33 �
Wie aus dem Nichts entflammten plötzlich die Büsche rings um ihn. Wabernder Feuerschein fiel auf den alten Mann, der, geblendet, die Augen schützte, indem er die Hände hochriß. Er warf sich herum, wollte weg von diesem unheilvollen Ort und fortstürzen und laufen, so schnell es ihm seine alten Beine erlaubten, aber die Flammen waren plötzlich überall. Rick Stoll blieb wie festgenagelt stehen. Er hatte keine Chance mehr; das fühlte er, und er ergab sich in sein Schicksal. Er straffte seine gebeugte Figur. Wenn schon, dann wollte er wenigstens aufrecht sterben. Die Flammen hüllten ihn ein, sie umgaben ihn und loderten überall, aber, und das war das Seltsame, sie gaben kein Licht. Normalerweise hätte der Flammenschein viele hundert Meter weit gereicht, doch diese Flammen ringten nur ihn ein… Sie hatten Stoll erreicht. Die Feuerreiter hatten ihren Feind erkannt… Er hatte keine Chance mehr! Rick Stoll blieb mit hängenden Armen stehen. Gehetzt schaute er sich um. Er wußte, er würde die unheilvollen Feuerreiter heute erstmalig sehen, und das würde sein Tod sein… »Stoll!« dröhnte eine Stimme von oben, »Stoll!« Der Alte zuckte zusammen. Verzweifelt warf er sich herum und suchte einen Ausweg. »Warum stellst du dich gegen uns?« Die Stimme war überall, wie aus hunderten von Lautsprechern gellte es auf den Mann mit dem Zweiten Gesicht nieder. Er blickte nach oben. Seine Augen weiteten sich. Über sich sah er die höllische Armada der Feuerreiter. Sie schwebten über ihm auf pechschwarzen Pferden und wirbelten umeinander. Abwehrend riß der die Hände hoch. Er wollte irgend etwas schreien, sich verteidigen und sein Leben retten. 34 �
Die Höllenflammen leckten nach ihm, wollten ihn vereinnahmen und verschlingen. »Du hast einen großen Fehler begangen, Stoll«, fuhr wieder eine Stimme auf ihn nieder, »und dafür wirst du büßen müssen!« Die Höllenarmada über ihm formierte sich. Alle richteten ihre Arme auf den Unglücklichen. »Nein…«, gellte der Schrei des Alten durch die Nacht. Ein höhnisches Lachen war die einzige Antwort… * Captain Sam Clousky sah tatsächlich etwas seltsam aus. Die Sachen des Einsneunzig-Detektivs schlotterten um seine Figur. Mike Tremaine ersparte sich jeglichen Kommentar, da er genau wußte, daß Clousky ziemlich fuchsig wurde, wenn man ihn wegen seiner Körpergröße aufzog. Mike hatte das Revier angerufen und den Sachverhalt geschildert. Man sagte sofortige Hilfe zu. Zwischenzeitlich waren die beiden Gangster wieder zu Besinnung gekommen. Hopkins zerrte wütend an den Fesseln. »Was soll das?« blaffte er den Captain an, »binden Sie uns augenblicklich los!« »Ich werde dir gleich ein paar hinter die Löffel geben, wenn du nicht augenblicklich ruhig bist«, sagte Sam wenig feinfühlend. »Ihr werdet bald abgeholt. Ein Dutzend Jahre Staatspension sind euch sicher.« »Weshalb?« fragte Mac, der etwas schwer von Begriff war. »Das will ich dir sagen.« Mike Tremaine hockte sich neben ihn und packte ihn an den Haaren. »Fangen wir erst mal mit Hausfriedensbruch an, dann tätlicher Angriff auf einen Polizisten, Körperverletzung und Mordversuch. Ne schöne Latte!« 35 �
»Hören Sie«, ließ sich Hopkins vernehmen, »man kann sich doch einigen.« Mit dem Kopf deutete er auf das Geldbündel an der Tür. »Wir werden unseren Mund halten, na, einverstanden?« »Auch noch Bestechung eines Beamten«, freute sich Sam Clousky, »du reißt dich immer mehr rein, mein Lieber. Aber ich habe euch beiden einen Vorschlag zu machen. Nennt mir eure Hintermänner, und ich kann vielleicht einige Punkte fallen lassen, das erspart euch einige Jahre.« »Und was ist mit Tremaine?« knurrte Hopkins. »Wenn er sich bei den Bullen ein paar gute Punkte verschaffen kann, dann macht der alles.« »Sei froh, daß du wehrlos bist, sonst würde ich dir mal zeigen, was ich alles machen kann!« »Also, wie steht's?« Der Captain sah die beiden Gangster fragend an. »Und was ist, wenn Sie uns reinlegen wollen?« Mac traute dem Frieden nicht so recht. »Das ist euer Risiko, meine Herren«, sagte Sam. »Okay, Sie haben gewonnen, Captain.« »Okay. Freut mich, daß ihr vernünftig seid. Meine Leute werden gleich hier sein. In etwa zwei, drei Stunden bin ich auch im Revier. Dann können wir uns unterhalten. Anschließend erst werde ich meinen Bericht schreiben.« »Wir haben ja keine andere Wahl«, sagte Jack Hopkins schwer, »Sie haben uns in der Hand.« »Wie wahr«, griente der Captain, »du bist ein schlaues Kerlchen.« Die nächsten Minuten verliefen ziemlich schweigend. Dann kamen die Beamten, schnappten die beiden Verbrecher und führten sie ab. »So, das wäre auch erledigt«, wandte der Captain sich an Mike Tremaine. 36 �
»Glaubst du, daß die irgend etwas mit der Sache zu tun haben?« fragte der Detektiv, »Mit den Feuerreitern meinst du?« »Woher hast du diesen Ausdruck?« Mike war verblüfft. »Der alte Stoll war zwar nicht gerade charmant zu mir, aber nach 'ner halben Flasche hatte sich seine Zunge gelockert. Er faselte irgend etwas von diesen Feuerreitern, die ein Fanal setzen werden, aber mehr konnte ich aus ihm nicht herausholen, deshalb habe ich ja auch dich hingeschickt. Hast du wenigstens etwas erfahren können, was uns weiterbringt?« »Ja«, nickte Mike. »Na, das ist ja herrlich. Aber um auf deine Frage zurückzukommen. Ich glaube nicht, daß die beiden Burschen etwas damit zu tun haben, aber das werde ich ja bald erfahren. Viel wichtiger ist, so meine ich, daß wir, wie schon gesagt, eine Augenzeugin haben. Sie heißt Silvie Delroy. Ihr Freund ist ebenfalls ein Opfer der imaginären Feuerreiter geworden. Sie hat zwar nicht alles genau mitbekommen, aber das, was sie zu sagen weiß, ist äußerst interessant. Ich dachte, daß wir sie mal besuchen.« »Da hast du völlig richtig gedacht.« »Vorher muß ich aber noch mal bei mir zu Hause vorbeifahren«, sagte Clousky, »hast du mal eine Plastiktüte für meine nassen Kleider?« Mike Tremaine gab ihm das Gewünschte. Danach fuhren sie in die Wohnung des Captains. Innerhalb weniger Minuten hatte er sich umgezogen und sah wieder einigermaßen zivilisiert aus. »So, jetzt fühle ich mich halbwegs als Mensch. Von mir aus kann es losgehen.« Sie hatten Mikes Thunderbird genommen. Sam Clousky nannte die Anschrift, Mike nickte und fuhr los. Die angegebene Adresse führte sie etwas außerhalb von Mayville. Hier draußen wohnten die Leute, deren Konten mindestens sechsstellige Zahlen aufwiesen. 37 �
»Dort ist es«, sagte der Captain und zeigte auf eine Villa, die von einem waldähnlichen Park umgeben war. Das schmiedeeiserne Tor und der hüfthohe Zaun waren mehr Zierde als Schutz. Sie klingelten. In diesem Augenblick vernahm Mike Tremaine ein Rauschen über sich. Er blickte nach oben. Sein Unterkiefer klappte herunter. Menschenähnliche Schatten trieben unter dem azurblauen Himmel. Es waren unzählig viele. »Sam«, keuchte er, »Sam, sieh dir das an!« Der Captain wirbelte herum. »Was ist denn?« rief er, »was hast du, Mike?« »Sieh doch, dort!« Seine Rechte zeigte nach oben. Sam Clousky schaute in die angegebene Richtung, aber er konnte nichts entdecken. »Ich sehe nichts, Mike«, sagte er. Tremaine glaubte, an seinem Verstand zweifeln zu müssen. Vor seinen Augen wirbelten die Schatten umeinander. Sie kreisten direkt über ihm… »Sam«, er wich zurück und preßte sich gegen das Tor. Der Captain schaute noch mal hoch, aber zu erkennen war nichts. Er schüttelte seinen Kopf, wandte sich wieder seinem Freund zu und bekam einen Höllenschreck, als Mike plötzlich vorwärtsstürmte, ihn zu packen bekam, mit sich riß und ihn dann weit von sich schleuderte. Dort, wo der Captain eben noch gestanden hatte, brodelte die Erde. Weißlichgrauer Qualm stieg auf. Es stank nach verbranntem Holz. Sam Clousky rappelte sich wieder hoch. Er schimpfte wie ein Verrückter und klopfte sich den Staub von seinem Anzug. Mike Tremaine stand immer noch auf der dampfenden Erde. Er hatte beide Arme zur Abwehr hochgerissen. Irgend etwas war in und um ihn, eine unerklärliche Aura, die er schmerzend fühlte und 38 �
wahrnahm. Der Captain zögerte nicht länger. Mit langen Schritten war er bei Mike, packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn ordentlich durch. »Mike, komm zu dir«, schrie er, »Mike, ich bin es doch, Sam!« Der junge Detektiv, der Weiße Magier, stand wie eine Säule. Kerzengerade aufgerichtet, sämtliche Muskeln angespannt. Er sah die Schreckensgestalten aus dem Schattenreich, fühlte ihre Kräfte und spürte, wie sie ihn angingen. Die diabolischen Feuerreiter waren überall… Es war fürchterlich. Mike Tremaine bekam erstmals zu spüren, mit welchen Mitteln das Reich des Grauens kämpfen konnte, und das war eine Erkenntnis, die ihm fast den Verstand raubte. Kein normal veranlagter Mensch hätte ihm jetzt helfen können. Sie wollten in ihn eindringen und ihn zu einem der Ihren machen, denn sie spürten, daß sie ihn nicht so leicht vernichten konnten. Höllengewalten wirkten auf Mike Tremaine ein. Er bekam das Unwahrscheinliche zu spüren und fühlte das Böse, das ihn in seinen Bann schlagen wollte, und er fühlte auch die Kräfte, die in seinem Körper wohnten. Das Weiße, das Gute gab ihm die Macht über sich. Der Magier erschauerte. Er sah den Menschen vor sich. Er kannte ihn. Von ihm ging keine Gefahr aus. Mit Gewalt löste er sich aus Clouskys Fäusten. Er schob ihn einfach beiseite. Der Captain war wie erstarrt. Er wollte seinen Freund festhalten und ihn zu Vernunft bringen, aber Mike Tremaine, der Weiße Magier, ging plötzlich seiner Berufung nach. Erstmals fühlte er die Kräfte in sich. Er verstand es nicht, er dachte an nichts mehr, er ließ sich nur noch von seiner Veranlagung leiten. 39 �
Die Feuerreiter umwirbelten ihn. Sie konzentrierten sich völlig auf Tremaine. Von ihm ging eine tödliche Gefahr aus… Sie formierten sich zu einer Armada der Hölle, stürzten sich auf ihn, schleuderten den Magier mit Urgewalt in die Sphäre und wollten sein Ende. Sie mußten ihn vernichten, denn Asmodis, der Höllenfürst, hatte sich entschlossen die Erde zu vereinnahmen. Die Zeit war reif, war gekommen. Mike Tremaine entstofflichte sich. Es war ein Vorgang, den er überhaupt nicht mitbekam. Nur sein Wissen und seine Macht war noch konsistent. Er schwebte durch die Schatten und war in dem totalen Nichts, nur ein waberndes, pechschwarzes Fluidum umgab ihn. Stimmen und Fühlen drang auf ihn ein, umhüllte ihn, vereinnahmte ihn1 vollends… und dann fand er sich in einem kreisrunden Schwarz wieder. Eiskälte strömte auf ihn ein, aber er; fühlte sie nicht körperlich, nur sein Wissen begann zu zittern. Seine Geisteskraft erbebte unter dem Einfluß der dämonischen Kälte. Er hatte die Welt verlassen und befand sich im Raum des Schwarzen und des Weißen. Ein Schock, der ihn fast zerriß, ließ sämtliche Gefühle in Aktivität verwandeln. Der Weiße Magier hatte seine Kräfte erkannt… * Captain Sam Clousky starrte verständnislos auf seinen Freund. Tremaine schien zu wachsen, und dabei war er wie erstarrt. Kein Muskel regte sich. Er wirkte wie aus Stein. Seine Arme hatte er zum Himmel gestreckt, als wollte er die Sterne an sich ziehen. Es war eine unheimliche Szene. Sein Mund hatte sich zu einem lautlosen Schrei geöffnet. Die Augen weit aufgerissen, schien er irgend etwas zu sehen, was nur er erkennen konnte. 40 �
Dann schien ihn ein Blitz zu treffen. Ein Ächzen entrang sich Mikes Kehle. Er sackte in sich zusammen. Sämtliche Knochen schienen seinem Körper entrissen zu sein. Wimmernd lag er da. Er keuchte und schnappte nach Luft. Mike Tremaine hatte sein erstes Zusammentreffen mit den Höllenkräften überlebt. Sein Körper zitterte wie im Fieber, Der Captain bebte ebenfalls, aber er rang sich durch, sprang auf Mike zu und riß ihn an sich. »Junge, um Himmels willen, was ist mit dir? Was war das eben gewesen?« Mike erwachte wie aus einem tiefen Schlaf. Im ersten Moment wußte er nicht, wo er sich befand. Stöhnend richtete er sich auf. Das alles hatte nur Sekunden gedauert, länger nicht, und er hatte die Hölle gefühlt. »Schon gut«, krächzte er und schüttelte Sams hilfreiche Hände ab, »alles in Ordnung, es geht schon wieder.« »Bitte, Sie wünschen, meine Herren?« Wie aus dem Nichts war der Hausbedienstete von Mister Delroy hinter dem Zaun aufgetaucht. »Ist Ihnen nicht wohl, Sir?« »Reden Sie nicht«, fuhr der Captain den Diener an, »wir möchten Mister Delroy sprechen. Polizei!« Er zückte seinen Dienstausweis und hielt ihn dem Mann vor die Nase. Aus den Augenwinkeln beobachtete er dabei Mike Tremaine, aber der hatte sich wieder gefangen, einzig sein Gesicht wirkte wie eine steinerne Maske. Der Mann öffnete das Tor. »Wenn Sie mir bitte folgen würden?« Er ging voraus, die beiden Männer folgten. Mike gab sich große Mühe, sich nichts von dem Erlebten anmerken zu lassen. Er räusperte sich, dann betraten sie die Villa. »Wenn Sie bitte einen Augenblick warten würden, meine Herren?« Der Diener ließ sie einfach stehen. Die Männer sahen sich 41 �
aufmerksam um. Unter Armut schien Delroy nicht zu leiden. Alles in der geräumigen Vorhalle schrie nach Geld. Es war schon imposant. Sam Clousky wollte Mike ablenken. Er deutete auf ein Bild, das über einer Sesselecke an der Wand hing. »Sieh dir mal den alten Schinken an«, sagte er, »zeugt nicht gerade von viel Geschmack, was?« Er grinste flüchtig. »Dieser alte Schinken ist ein VanGogh«, bemerkte Mike Tremaine. »Ich sehe, daß Sie etwas von Kunst verstehen, Mister!« Sam und der Detektiv wandten sich um. Vor ihnen stand Patrick Delroy. Der Mann wirkte äußerst vornehm. Seine ganze Erscheinung strahlte das gewisse Etwas aus, auf welches Frauen flogen, obwohl er schon die fünfzig überschritten hatte. Er trug einen weißen Anzug, der zu seiner Gesichtsbräune vorteilhaft kontrastierte. »Ich habe Angebote in Millionenhöhe erhalten«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Dann würde ich doch verkaufen«, erwies sich Clousky als Kunstbanause. »Das verstehen Sie nicht«, sagte Patrick Delroy, »aber kommen wir doch bitte zur Sache. Sie wollten meine Tochter sprechen, nicht wahr?« »So ist es«, nickte der Captain, »wir versprechen uns 'ne Menge davon, Sir. Würden Sie sie bitte rufen lassen?« »Sie ist im Nebenzimmer«, sagte Delroy, »folgen Sie mir!« Unter der Tür blieb er noch mal stehen. »Ich muß Sie ersuchen, Ihren Besuch kurz zu fassen, denn Silvie steht noch immer unter Schock. Ich wollte sie eigentlich ins Krankenhaus bringen, aber mein Hausarzt meinte, daß das nicht nötig sei. Die vertraute Umgebung würde ihr mehr helfen als ein Aufenthalt im Sanato42 �
rium.« »Wir werden sie nicht lange in Anspruch nehmen«, bemerkte Sam Clousky, »keine Sorge, Mister Delroy.« »Dann ist es gut.« Er gab die Tür frei. Der Captain und Mike traten über die Schwelle. Das Zimmer war mit dunkelblauen Tapeten verziert. Reine Seide, tippte Mike völlig richtig. Der Boden, aus herrlichem Parkett bestehend, strömte einen frischen Holzduft aus. Die Einrichtung war passend zum Lebensstil des Patrick Delroy. Silvie, seine Tochter, saß auf einer zweisitzigen Couch nahe am Fenster. Sie schaute in den Garten. Die Hände hielt sie im Schoß verschränkt. Ihr Gesicht war blaß, die Augen lagen in tiefen Höhlen. Man konnte dem Mädchen ansehen, daß es in den letzten Stunden viel geweint hatte. »Darling.« Patrick Delroy trat auf seine Tochter zu und streichelte sie zärtlich, »da sind zwei Herren, die dich sprechen möchten. Bist du bereit mit ihnen zu reden, oder sollen sie später wieder kommen?« »Nein«, sagte sie leise, »nein, es geht schon, Pa.« »Darf ich mich vorstellen?« Sam Clousky ging auf das Mädchen zu. »Captain Clousky, und das ist ein guter Freund von mir, Mike Tremaine. Wir möchten Ihnen gern helfen, Miß.« »Wie können Sie mir helfen?« fragte Silvie schwer und richtete ihren Bück auf die beiden Männer. Mike lächelte sie an. Er strömte Vertrauen aus. Das Girl merkte es sofort und entspannte sich etwas. »Sie haben doch sicher Fragen an mich, nicht wahr?« »In der Tat«, nickte Sam, »wenn Sie bereit wären, uns alles zu erzählen, was Sie gesehen haben, könnten Sie uns wahrscheinlich weiterhelfen.« »Da gibt es nicht viel zu erzählen, Captain«, sagte sie ohne Betonung. 43 �
»Dann sagen Sie uns immerhin das Wenige«, sagte Mike freundlich. »Auch eine Nichtigkeit kann uns schon vorwärts bringen.« »Donald ist tot«, sagte sie. »Das wissen wir.« Mike trat etwas vor. Er stand noch immer unter dem Eindruck des eben Erlebten, deshalb nahm er auch auf Clouskys Kompetenzen keine Rücksicht. Sam ließ es stillschweigend geschehen, denn schließlich hatte er Tremaine ja um Hilfe gebeten. »Aber können Sie uns vielleicht sagen, wie es geschehen ist?« »Da war plötzlich ein Mann.« Die Erinnerung übermannte sie wieder. Ein Weinkrampf schüttelte sie. Mike sah, daß das Girl völlig fertig war. Er setzte sich zu ihr und ergriff ihre Hände. Bei der Berührung zuckte das Mädchen zusammen. Sie blickte Tremaine an. Sein beruhigendes Lächeln strömte auf sie ein. Sie schluchzte noch mal, dann riß sie sich zusammen. Die Anwesenheit des fremden Mannes gab ihr Sicherheit. Sie konnte es sich nicht richtig erklären, wieso und warum, aber es war so. »Er saß auf einem Pferd«, sagte sie mit leiser Stimme. Mikes Nicken registrierte sie nur flüchtig. »Er sah grausam aus, wie eine Figur aus einem alten Ritterfilm. Seine Kleidung war so sonderbar.« »Sagte er etwas?« »Ja«, sagte sie, »aber er sprach nur mit Donald.« »Und was sagte er?« drängte Mike. »Er sagte so ungefähr, deine Zeit ist vorüber, und ich will nur dich.« »Von Ihnen wollte er nichts?« Silvie schüttelte ihren hübschen Kopf. »Er hat mich gar nicht beachtet.« »Seltsam«, sagte Tremaine nachdenklich. »Reicht das nicht?« ließ der alte Delroy sich vernehmen. »Sie 44 �
sehen doch, daß meine Tochter Ruhe braucht.« »Was geschah dann?« fragte Mike unbeirrt. Er mußte jetzt weitermachen, auch wenn es für das Mädchen hart war, doch darauf durfte er keine Rücksicht nehmen. »Donald schickte mich fort. Er schrie, ich solle verschwinden.« »Und?« »Ich konnte mich nicht bewegen. Ich wollte fort, aber irgend etwas hielt mich zurück. Ich kann es mir auch nicht erklären, Mister…« Sie sah ihn kurz an. »Nennen Sie mich Mike«, sagte er freundlich. »Aber Sie sind doch weggelaufen, nicht wahr?« »Ja«, nickte Silvie verzweifelt, »ich bin weggelaufen.« »Ich denke, Sie konnten sich nicht bewegen.« »Der unheimliche Mann befahl es mir«, schluckte sie und kämpfte dabei tapfer gegen die Tränen an. »Er hat sie fortgeschickt?« fragte Mike atemlos. Das war interessant. »Ja. Er machte eine herrische Geste und sagte einfach nur ›geh‹.« »Und dann konnten Sie sich wieder bewegen?« Sie nickte. »Weiter, Silvie, was geschah dann? Haben Sie sich umgedreht? Haben Sie noch etwas gesehen?« »Nein. Ich konnte es nicht. O Mike«, sie benutzte seinen Vornamen wie selbstverständlich, »es war alles so furchtbar, so entsetzlich.« »Ist schon gut.« Er nahm sie einfach in den Arm, ohne auf den verwunderten Blick ihres Vaters zu achten. »Alles in Ordnung, Silvie. Sie brauchen keine Angst mehr zu haben. Es wird Ihnen nichts geschehen.« Dann überkam es sie. Völlig übergangslos begann sie zu weinen. Ihr zarter Körper verkrampfte sich. Alle Verzweiflung wurde mit den Tränen aus ihr gespült. Sie ließ sich einfach gehen 45 �
und klammerte sich an Tremaine. Mike ließ es geschehen. Beruhigend streichelte er ihr Haar. Er fühlte das Beben und Zittern ihrer Glieder und konnte ihr nicht helfen. Nur festhalten konnte er sie, leise auf sie einreden in einem Tonfall, der ihre Verzweiflung etwas linderte, denn sie spürte unwillkürlich, daß der Mann, den sie nie zuvor gesehen hatte, Wärme ausstrahlte, die ihr gut tat und Geborgenheit vermittelte. So saßen sie noch eine Viertelstunde. Sam Clousky hatte Patrick Delroy kurzerhand aus dem Zimmer gedrängt, er tat gut daran, obwohl seine Reaktion nur im Unterbewußtsein geschah. Der Captain wartete draußen. Ungeduldig rauchte er eine Zigarette nach der anderen. Er würde nichts mehr in Erfahrung bringen können, das spürte er. Vielleicht erfuhr Mike noch etwas von dem Girl. Als Tremaine das Haus verließ, trat Sam ihm entgegen. »Na, du Seelentröster. Hat sie dich endlich gehen lassen?« »Halt den Mund!« Mike reagierte unwirsch und stieg in seinen Wagen. Clousky wieselte um den Thunderbird herum und warf sich in die Polster. »Hat sie noch was gesagt?« »Nein«, blieb Mike kurz angebunden, »aber das Wesentliche hast du doch gehört.« »Sie erschien mir etwas wirr im Kopf«, sagte Sam Clousky. »Die Story mit dem geheimnisvollen Reiter klingt 'n bißchen abgestanden.« »Sie ist aber wahr!« Mike Tremaines Gesicht zeigte eine ungewohnte Härte. »Sogar verdammt wahr…« »Ich gebe ja zu, daß in letzter Zeit viel geschehen ist, was nicht so leicht zu erklären ist, Mike, aber deswegen mußt du mir doch nicht gleich solche Schauermärchen als wahr verkaufen wollen. 46 �
Wir leben im zwanzigsten Jahrhundert, und obwohl ich schon ein paar Jahre auf dem Buckel habe, war es mir bisher noch nie vergönnt gewesen, einen Geist, 'ne Hexe oder andere miese Gesellen zu sehen.« Er kratzte sich sein Stoppelhaar. »Darüber mach dir mal keine Gedanken«, sagte Mike Tremaine schwer, »so wie ich die Sache sehe, wirst du alsbald in den Genuß kommen, mein Freund.« »Was soll das heißen?« Sam Clousky fuhr aus dem Kunststoffsitz hoch, wie weiland der Mann, der sich aus Versehen in einen Ameisenhaufen gesetzt hatte. »So, wie ich es gesagt habe, Captain.« »Drück dich gefälligst deutlicher aus«, knurrte Clousky, »ich habe was gegen Ratespiele.« »Um dich zu beruhigen, Sam, da kommt eine Sache auf uns zu, die höllisch werden wird, und das im wahrsten Sinn des Wortes. Die Feuerreiter existieren tatsächlich, und sie haben nur eine einzige Aufgabe, nämlich Tod und Vernichtung über die Menschheit zu bringen.« »Hast du was getrunken?« Der hünenhafte Detektiv begnügte sich mit einem Seitenblick auf den schnauzbärtigen Captain. »Jetzt mal ernsthaft, Boy, was ist dran an der Geschichte? So allmählich hast du es geschafft, mich neugierig zu machen.« »Ich werde dich zu Hause absetzen, Sam«, sagte Mike einfach. »Kommt gar nicht in Frage, mein Lieber. Ich werde schön bei dir bleiben«, beharrte Clousky im Brustton der Überzeugung. Mike Tremaine ersparte sich jedes weitere Wort. Nach knapp zehn Minuten hatten sie das Haus des Captain erreicht. Nach weiteren zwei Minuten stand Sam Clousky wie ein begossener Pudel auf der Straße und sah dem Thunderbird nach. Tremaine hatte ihn kurzerhand abgesetzt. Obwohl Sam zu seinen wenigen Freunden zählte, konnte er ihn im Augenblick nicht gebrauchen, außerdem wollte er den Captain nicht unnötig 47 �
in Gefahr bringen. Mike lenkte seinen Wagen zum ›Dirty Pinky«. Er mußte noch mal mit Rick Stoll sprechen. Der Mann wußte mehr, als er bei der ersten Unterhaltung gesagt hatte. Der unfreundliche Keeper erkannte Tremaine sofort wieder. Mike beachtete ihn nicht weiter und ging sofort auf die hintere Tür zu. »Mister«, rief der Keeper, »Stoll ist nicht da. Diesmal wirklich nicht«, setzte er hastig hinzu. »Wir haben uns auch schon gefragt, wo er wohl bleibt, denn sonst war er zu dieser Zeit immer schon hier.« Mike Tremaine reckte sich, dann öffnete er die Tür und betrat den düsteren Raum. Stoll war tatsächlich nicht anwesend. Mike wandte sich ab. Der Keeper sah ihm entgegen. »Wo wohnt er?« »Keine Ahnung«, beteuerte der Mann, »Stoll ist ein sonderbarer Kauz. Er hat niemand an sich herangelassen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Er kam nur her, verzog sich ins Hinterzimmer, ließ sich vollaufen, und wenn er genug hatte, verschwand er wieder. Wir haben ihn auch nie gefragt, Mister.« »Kann ich mal telefonieren?« »Sicher doch, Sir«, dienerte der Keeper eifrig, »gleich dort drüben, am Fenster steht der Apparat.« »Danke.« Mike Tremaine ging hinüber. Er wählte eine Nummer. Nach zweimaligen Klingeln wurde abgehoben. »Hör zu«, sagte Mike, »ich brauche unbedingt die Privatadresse von Rick Stoll.« »Und ich brauche sie dir nicht zu sagen«, rief Captain Clousky in den Draht. »Schnapp wieder aus«, drängte Tremaine, »es ist wirklich wichtig, sonst würde ich dich nicht belästigen, Sam.« »Weißt du was?« »Nein.« 48 �
»Das freut mich.« Es knackte. Der wütende Captain hatte aufgelegt. Er war noch immer sauer. Was auch nicht weiter verwunderlich schien. Einfach aus dem Wagen drücken, war das eine Art? Brummelnd wollte er sich gerade abwenden, als das Telefon wieder anschlug. Seufzend hob er ab. »Hör zu, du Gekränkter«, schnarrte Mikes Stimme aus der Muschel, »gib mir augenblicklich die Anschrift, oder ich werde deiner geschiedenen Frau mitteilen, wo du wohnst.« »Bell Road 155«, knurrte Sam Clousky, »und die Erpressung kostet dich mindestens eine Flasche Scotch.« »Höchstens 'ne halbe«, schränkte der Detektiv ein, »und, danke, Sam! Ich melde mich wieder bei dir.« »Hoffentlich.« Tremaine legte den Hörer zurück, ging zum Tresen und warf ein paar Münzen hin. »Sollte Stoll inzwischen eintreffen, sagen Sie ihm, daß Tremaine hier war. Er soll unbedingt warten, okay?« »In Ordnung, Mister«, nickte der Keeper und sah Mike erleichtert nach. Er hatte noch in guter Erinnerung, wie der Mann den Rausschmeißer fertig gemacht hatte. So etwas vergaß man nicht so schnell. Tremaine betrat das dreigeschossige Haus in der Bell Road. Im Gegensatz zu Stolls Aufmachung, war das Wohnhaus recht ordentlich anzusehen. Hier sollte der Alte wohnen? War kaum zu glauben, aber gleich im ersten Stock hing ein Emailleschild mit dem Namen Stoll. Der Detektiv klingelte anhaltend. Nach einiger Zeit, immer nervöser werdend, horchte er auf irgendwelche Geräusche in der Wohnung. Endlich vernahm er ein Schlurfen hinter der Tür. »Wer ist da?« Mike Tremaine zögerte etwas. Das war eine Frauenstimme. Er räusperte sich. »Tremaine«, meldete er sich, »ich möchte Mister 49 �
Stoll sprechen.« »Mike Tremaine?« »Ja«, sagte Mike verwirrt, »ist Stoll anwesend?« »Sekunde bitte«, ein Schlüssel wurde umgedreht, ein Riegel rastete knackend aus, dann wurde die Tür geöffnet. Der athletische Detektiv trat einen Schritt zurück. Vor ihm stand eine Frau. Sie war klein und zierlich, zwanzig Jahre vielleicht, mit einem Gesicht, blaß und krank, aus dem große Kinderaugen auf Mike Tremaine sahen. »Kommen Sie herein.« Das Mädchen gab den Eingang frei. »Ich wollte eigentlich Mister Stoll sprechen«, sagte Mike. »Mein Vater ist tot, aber deshalb können Sie trotzdem eintreten, Mister Tremaine.« Sie verzog ihre schmalen Lippen zu einem angedeuteten Lächeln. »Ihr Vater?« Mike blickte das Girl verwundert an, »und er ist tot? Woher wissen Sie das?« »Ich weiß es eben, Mister.« Sie ließ ihn einfach stehen und ging in die Wohnung. Mike folgte ihr und schloß die Tür hinter sich. Seine Gedanken überschlugen sich. »Hier entlang, Mister Tremaine«, ertönte ihre Stimme aus einem der Zimmer. Die Wohnung mußte ziemlich teuer sein. Von dem kleinen Flur gingen vier Türen ab. Mike betrat das Zimmer. Das Mädchen hatte sich hinter einen Schreibtisch gesetzt. Die Einrichtung zeugte nicht gerade von gutem Geschmack, aber sie war gediegen und sinnvoll. »Ich heiße übrigens Betty«, sagte Stolls Tochter, »nehmen Sie bitte Platz. Darf ich Ihnen etwas anbieten?« Wenn der alte Stoll tatsächlich tot war, mußte das Girl über erstaunlich gute Nerven verfügen oder sie war kaltblütig. Mike nahm das Letztere an. »Danke«, lehnte er ab, »ich stehe lieber. Was ist mit Ihrem Vater geschehen? Gestern noch habe ich mit ihm gesprochen.« 50 �
»Die Feuerreiter haben ihn vernichtet«, sagte sie lakonisch, »er hat damit gerechnet.« »Was wissen Sie von den Feuerreitern?« »Alles, Mister Tremaine! Deshalb werde ich auch das nächste Opfer sein!« »Wie kommen Sie darauf?« »Das ist leicht zu erklären, Mister Tremaine. Ich habe alles erfahren, was mein Vater ›gesehen‹ hat. Daß er das Zweite Gesicht hatte, wissen Sie ja.« »Er hat es erwähnt«, nickte Mike. »Wie ist Ihr Vater gestorben? Und vor allem, wann und wo geschah es?« »Es war ein idyllischer Platz«, sagte Betty Stoll, »im Jackson Park haben sie ihn gestellt. Wir beide hatten damit gerechnet.« »Waren Sie dabei?« »Nein, sonst könnte ich jetzt nicht mit Ihnen sprechen, Mister. Aber viel Zeit bleibt mir nicht mehr.« Sie sprach völlig ruhig. Aus einem Kästchen nahm sie sich eine Zigarette. »Haben Sie mal Feuer für mich?« Tremaine reichte es ihr. Er wurde aus dem Mädchen nicht schlau. Irgendwie glaubte er ihr. »Sagen Sie mir alles, was Sie wissen«, forderte er sie auf. Betty Stoll erhob sich. Plötzlich wirkte sie nicht mehr wie ein kleines Mädchen. Ihre Augen erstrahlten in einem hellen, inneren Licht. Kurz vor Mike Tremaine blieb sie stehen. Sie mußte hochblicken, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Ihre Stimme klang mitleidlos, unpersönlich, als rede sie über eine Sache, die sie nichts anging. »Sie sind einer der wenigen Weißen Magier, Mister Tremaine. Ich weiß, daß Sie es bis vor kurzem nicht gewußt haben. In Ihnen schlummern Kräfte, die den Feuerreitern gefährlich werden können. Sie könnten sie vernichten. Es liegt nur an Ihnen. Mein Vater wußte schon von Ihrer Existenz, noch ehe er Sie zu sehen bekam. Er hat förmlich auf Sie gewartet, 51 �
denn nur Sie allein können diesen Höllenspuk auslöschen, aber das auch nur, wenn Sie sich genau an die Richtungslinien halten, die mein Vater Ihnen mitteilen wollte. Leider kam er nicht mehr dazu, Sie einzuweihen. Er hat Ihnen ein Vermächtnis hinterlassen, Mister Tremaine, und mich hat er beauftragt, es Ihnen auszuhändigen.« »Was hat es mit den Feuerreitern auf sich?« fragte Mike atemlos. »Wer sind sie, und was wollen sie?« »Die Feuerreiter sind Vorboten der Hölle. Sie haben die Aufgabe, Angst, Grauen und Tod über die Menschen zu bringen. Sie sollen dem Bösen den Weg bahnen, sie kämpfen den Dämonen aus dem Reich der Schatten sämtliche Schwierigkeiten weg. Sie kennen nur ein Ziel: Vernichtung.« Mike Tremaine nahm sich jetzt ebenfalls eine Zigarette. Er brauchte einfach etwas zwischen den Fingern. »Wenn sie so mächtig sind, warum schlagen sie dann nicht mit aller Gewalt zu? Warum picken sie sich einzelne Opfer heraus. Es müßte ihnen doch ein Leichtes sein, ganz Mayville vom Erdboden zu fegen.« »Da haben Sie recht, was die Macht angeht, aber bitte vergessen Sie eines nicht, Mister Tremaine. Die aus dem Zwischenreich kennen nicht unsere Maßstäbe von Größe. Wenn es sich so ergibt, dann werden sie ohne Umstände ganze Landstriche veröden. Aber töten und dabei gleichzeitig völlige Vernichtung, sind für die Dämonen verschiedene Sachen. Ihnen ist der Tod eines Opfers genauso viel wert wie die Zerstörung einer ganzen Stadt.« »Woher wissen Sie das?« Mike bekam ziemlichen Respekt vor dem Mädchen. »Durch meinen Vater habe ich ins Zwischenreich ›sehen‹ können«, sagte Betty Stoll einfach, »und deshalb schreckt mich auch sein Tod nicht. Verstehen Sie das?« 52 �
»Nein«, sagte Mike ehrlich, »das kann ich nicht verstehen, Betty.« »Oh«, sie lächelte flüchtig, »Sie werden es schon müssen, Mister Tremaine, denn wenn Sie das Vermächtnis meines Vaters antreten, werden Sie, wohl oder übel, nicht drum herumkommen.« »Ich habe schon zu spüren bekommen, daß ich nicht so wie die anderen Menschen bin«, sagte Mike schwer. »Das ist Unsinn«, begehrte Stolls Tochter auf. »Sie sind genauso normal wie mein Vater, ich und all die anderen auf dieser Welt. Sie unterscheidet nur eine wichtige Kleinigkeit. Sie sind ein Weißer.« »Aber wieso?« Der junge Detektiv war völlig verwirrt. Er kam einfach auf keinen gemeinsamen Nenner. »Das kann ich Ihnen auch nicht sagen, Mister Tremaine. Das kann Ihnen niemand sagen, einzig die Tatsache ist wichtig. Sie sind nun mal von einer höheren Macht dazu erkoren, ein Bollwerk des Weißen darzustellen. Finden Sie sich damit ab! Doch lassen Sie uns endlich zur Sache kommen. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Ich fühle es. Die Feuerreiter haben schon ihre Fühler nach mir ausgestreckt. Mein Tod naht! Beeilen wir uns!« Sie sprach mit monotoner Stimme. Mike war schockiert. Das junge Mädchen sprach über den nahenden Tod wie über eine alltägliche Sache. Sie schien keine Angst zu haben. Jetzt nahm sie den Weißen Magier bei der Hand und zog ihn mit sich. Ihre Rechte war kalt, völlig ohne Gefühl, wie die Hand eines Toten… Sie geleitete den jungen Detektiv durch eine Tapetentür. Der dahinterliegende Raum war ziemlich klein. Eine Neonröhre spendete grelles Licht. Es roch nach abgestandener Luft. Eine Wand wurde von einem hohen Regal verkleidet, in welchem sich Unmengen von Büchern befanden. Die anderen Wände waren nackt und kahl. Rohes Mauerwerk war zu erkennen. 53 �
Inmitten des Raumes befand sich ein runder Tisch, vier Stühle und ein grauer Kasten. Er hatte die Höhe eines Fernsehapparates. »Setz dich«, sagte Betty Stoll. Sie war zum Du übergegangen, eine Tatsache, die Mike nicht bemerkte. Befremdet sah der Hüne sich um. Ein plötzliches Unwohlsein überkam ihn. Seine Hände begannen zu zittern. Wütend steckte er sie in die Hosentaschen, doch das Zittern hörte nicht auf. Es war auch keine körperliche, persönliche Angst, die auf ihn einströmte. Es war etwas anderes, etwas unerklärliches. Wie ein Strahlen, das ihn einfing, ihn einhüllte und gefangen hielt. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen. Es fiel ihm schwer Luft zu holen. Betty Stoll nahm den Kasten vom Boden auf. Mike wollte ihr helfen, denn das Ding war sicher schwer, doch da hatte Betty den Kasten schon auf den Tisch gestellt. Wie eine Faltschachtel ließ er sich öffnen, Sie klappte die Seitenteile einfach runter. Dabei sprach sie kein Wort. Mike Tremaine schwieg ebenfalls. Aus zusammengekniffenen Augen sah er dem Mädchen zu. Was hatte das alles zu bedeuten? Was barg der geheimnisvolle Kasten? Als Betty den letzten Seitenteil entfernt und den Deckel angehoben hatte, war Mike irgendwie enttäuscht. Er hatte zwar keine bestimmte Vorstellung gehabt, aber was er nun zu sehen bekam, war doch entgegen jeglicher Erwartung. Es war ein Tonbandgerät mit immensen Ausmaßen. Auf den ersten Blick erkannte er das Fabrikat. Es war ein Uher, aber solch ein Monstrum von Bandgerät hatte er nie zuvor gesehen. Gut, es gab sogenannte HiFi-Türme, aber dieser Apparat war völlig anders gearbeitet. Die riesigen Bandspulen füllten fast die gesamte Breitseite des Tonbandes. Das grüne, phosphoreszierende Licht unter den Be54 �
dienungshebeln gleißte geheimnisvoll. Mike schaute weg. »Hier hat mein Vater alles gespeichert, was Sie wissen müssen«, sagte Betty ruhig. »Sie sollen es sich allein anhören, Mister Tremaine.« Jetzt war sie wieder beim unpersönlichen Sie angelangt. »Ich werde nebenan auf Sie warten. Die Tür werde ich nur anlehnen. Wenn Sie das Band abgehört haben, kommen Sie einfach rüber. Ich habe dann einen Kaffee für Sie bereitet.« Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr blasses Gesicht. »Ach, noch eins, Mister Tremaine! Das Band wird sich selbst vernichten, wenn das letzte Wort gesprochen wurde. Also, hören Sie bitte aufmerksam zu!« »Okay«, sagte Mike heiser. Er wollte noch etwas hinzufügen, wollte fragen, was das alles zu bedeuten habe, wollte Gewißheit erlangen, doch da war Betty schon draußen. Er war versucht ihr nachzulaufen, doch im nächsten Augenblick vernahm er ein Knacken. Das Tonband war eingeschaltet. Jetzt erst, sah er das Kabel, das unter dem Tisch entlanglief. Er hatte es vorher nicht bemerkt, und er hatte auch nicht mitbekommen, wie Betty den Apparat auf ›on‹ gestellt hatte. Dann hörte man die Stimme von Rick Stoll. Mike Tremaine zuckte zusammen. Im nächsten Moment war er hellwach. Die anfängliche Beklemmung war von ihm gewichen. Er spannte seinen Körper. Der Weiße Magier starrte lauernd auf das Tonbandgerät und saugte jedes Wort in sich ein. Jede einzelne Silbe fraß sich in sein Wissen, biß sich in seinem Gehirn fest. Unauslöschbar festigte sich das Vermächtnis des Mannes mit dem Zweiten Gesicht in Mike Tremaine. Und es machte ihn stark… *
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Betty Stoll hatte sich in die Wohnküche begeben. Sie mußte sich einfach ablenken, denn sie wußte, was in diesem Augenblick hinter der Tapetentür vorging. Sie zwang sich zur Ruhe. Mit gemäßigten Schritten holte sie das Kaffeepulver. Sie stülpte das Filterpapier in die vorgesehene Öffnung, schüttelte den gemahlenen Kaffee hinein, dann zog sie den Wasserspender hinüber, so daß das Brühwasser in den Filter laufen konnte. Betty setzte sich auf die Holzbank. Sie stützte ihr Kinn in beide Hände Ihre Augen blickten ins Leere. Sie fühlte nichts mehr. Alles Denken war ausgeschaltet, denn sie wußte, daß ihr Tod bevorstand. Vater, dachte sie plötzlich, Vater, warum mußte alles so kommen? Ich liebe dich, obwohl ich dich nie verstanden habe. Warum müssen ausgerechnet wir diejenigen sein? Sie erhob sich. Ihre momentane Apathie war gewichen. Sie wollte kämpfen und sich nicht einfach ihrem Schicksal ergeben. Betty blickte sich um. Sie wußte nicht, was sie machen sollte. Plötzlich kam ihr der Tod völlig sinnlos vor. Noch vor wenigen Augenblicken hatte sie mit dem Leben abgeschlossen, doch das war jetzt anders. Sie wollte leben! Sie mußte einfach weiterleben, das war sie schon ihrem Vater schuldig. Drüben, hinter der Geheimtür, saß der Mann, der ihr helfen konnte. Mike Tremaine, der Weiße Magier. Er allein war in der Lage, sie vor dem Tod zu bewahren. Und wenn sie am Leben bleiben würde, könnte sie ihm eine hilfreiche Mitstreiterin sein. »Ja«, sagte sie laut, »ich werde leben.« Betty Stoll verließ die Küche und ging ins Arbeitszimmer ihres Vaters. Sie sah die angelehnte Tapetentür. Es würde nicht mehr lange dauern. Das Vermächtnis ihres Vaters war zwar gewichtig und nicht mit Geld zu bezahlen, aber es 56 �
war auch zeitlich gesehen kurz. Vielleicht noch zehn Minuten, eher weniger. Betty Stoll hatte sich aufgerafft. Sie war entschlossen, ihr Leben nicht einfach zu opfern. Sie wußte, daß die grauenvollen Vorboten der Hölle sich auf sie konzentriert hatten, denn sie war einfach zu gefährlich, aber sie wollte den Feuerreitern die Stirn bieten. Verzweifelt versuchte sie sich zu erinnern, was ihr Vater ihr immer wieder eingehämmert hatte, doch sie war zu aufgeregt. Die Tochter des Mannes mit dem Zweiten Gesicht stand mitten im Zimmer. Ihre Hände waren schweißnaß. Sie blickte zu der angelehnten Tapetentür. Tremaine mußte bald erscheinen. »Vater«, sagte sie plötzlich laut, »ich habe mich entschlossen, den Kampf gegen die Feuerreiter aufzunehmen. Hilf mir dabei, hörst du? Ich werde nicht sterben… Ich werde diesem Tremaine beistehen… Das muß ich einfach, verstehst du?« Sie sprach in den leeren Raum, und es kam auch keine Antwort. Betty Stoll sah sich hastig um. Irgend etwas hatte sich verändert. Sie wirbelte um ihre eigene Achse. Ihre Augen weiteten sich. Ihre tödlichen Gegner hatten sie erreicht. Die Feuerreiter standen ihr gegenüber… Die Männer auf ihren Pferden sahen aus gnadenlosen Augen auf Betty Stoll. Die schwarzen Pferde standen wie steinerne Standbilder, und die rotgekleideten Visionen aus dem Reich der Schatten bewegten sich um keinen Millimeter. Sechs an der Zahl waren es. Ein höllischer Pestgeruch entströmte ihnen, doch Betty Stoll merkte es nicht. Ihr Körper begann zu vibrieren. Sie wollte zurückweichen, doch ihre Beine waren wie festgenagelt. 57 �
Aus weit aufgerissenen Augen starrte sie auf die grauenvollen Feuerreiter. Ihre Münder waren zu einem Grinsen verzogen. Sie bildeten einen geschlossenen Block und gaben Betty Stoll keine Chance zu entweichen. Jetzt riß einer von ihnen seine Rechte hoch. Eine Flammenzunge schlug aus seinen Fingern. Die Feuerlohe fraß sich knirschend einige Zentimeter von Betty entfernt in den Fußboden. Die junge Frau stand immer noch wie erstarrt da, riß ihren Mund auf, wollte schreien und den Weißen Magier zu Hilfe holen, doch sie bekam kein Wort über die Lippen. Angstgeschüttelt starrte sie auf die teuflischen Feuerreiter. Sie verharrten immer noch wie eine Mauer des Todes. Die Rechte des einen zeigte auf Betty. Das Gesicht des Dämonen verzog sich zu einem verächtlichen Grinsen, und dann nickte er. Sogleich richteten die Feuerreiter ihre Hände auf die Unglückliche, die in diesem Augenblick ihre Bewegungsfreiheit wieder erlangte. Als die alles vernichtenden Flammen ihr Opfer fanden, gellte ein Schrei durch den Raum. Betty Stoll starb in Bruchteilen von Sekunden, aber ihr letzter Schrei erreichte Mike Tremaines Ohr. Der Weiße Magier schnellte vom Stuhl hoch. Das Tonband lief noch, doch das war im Augenblick Nebensache. Er stürzte aus dem kleinen Zimmer. Dabei wurde die dünne Tapetentür aus den Angeln gerissen. Mike flog förmlich in den Raum. Ein bestialischer Geruch plagte ihn. Er stolperte, fing sich wieder und blickte sich um. Die Feuerreiter sahen in dem Mann eine ungeheure Gefahr für sich. Mike konnte die grauenvollen Gestalten noch sehen. Er warf sich nach vorn, doch da waren die Höllengestalten schon verschwunden. Die Luft flimmerte, wabernde Wolken quollen hoch… Der 58 �
Spuk war vorbei! Die Feuerreiter waren verschwunden. Zurück blieb nur ein aschiger Überrest. Betty Stoll hatte es nicht mehr geschafft. Mike Tremaine stand stocksteif und erstarrt und wußte, daß der kleine Haufen Asche mal die Tochter Rick Stolls gewesen war. Verzweiflung übermannte ihn. Hilflos schaute er sich um. Warum hatte er nicht besser auf Betty aufgepaßt? Sie hatte ihm doch von ihrem drohenden Tod berichtet. Verzweifelt ging er in das geheime Nebengelaß zurück, und er bekam gerade noch mit, wie das Tonband einrastete, dann erklang ein leises Knirschen. Die Aufnahmespule rollte wieder ab. Alles wurde gelöscht… Mike war versucht, den Lauf zu stoppen, doch im gleichen Augenblick wußte er, daß er es nicht schaffen konnte. Das Band raste im Schnellauf durch. Wütend hieb er auf das Gerät. Er hatte viel gehört. Der ermordete Stoll hatte ihm manches mitgeteilt, doch den Rest, das wichtige Ende, hatte er nicht hören können… Mike Tremaine wußte im Augenblick nicht weiter. Stoll, seine einzige Hoffnung, war tot, von den Feuerreitern gerichtet, und sein Vermächtnis, auf Tonband gespeichert, hatte ihn nicht vollends erreicht. Es war zum Verzweifeln! Er verließ die Wohnung. Diesen Ort des Grauens würde er nie wieder betreten. Mike hatte jetzt keine andere Chance als abzuwarten. Die fürchterlichen Mächte würden schon den Weg zu ihm finden, und dann würde er weitersehen. Er setzte sich in seinen Wagen. Nachdenklich startete er den Thunderbird. Er ließ ihn sanft anrollen. Frischer Fahrtwind streifte sein erhitztes Gesicht. 59 �
*
Die beiden gedungenen Killer, die den Captain in Tremaines Badewanne ertränken wollten und dem Detektiv Bestechungsgeld angeboten hatten, befanden sich im Verhör. Sam Clousky hatte sein Versprechen gehalten, das er den Gangstern gegeben hatte. Die Namen der Hintermänner, und er würde ein paar Punkte der Anklage fallen lassen… Mac und sein Kumpan Jack Hopkins waren äußerst gesprächig. Sie plauderten über eine halbe Stunde. Clousky hörte aufmerksam zu. Er machte sich ein paar Notizen, anschließend ließ er die beiden wieder abführen. Für einige Minuten blieb er noch hinter seinem Schreibtisch sitzen. Er überlegte angestrengt. Die Namen, die die beiden Verbrecher genannt hatten, waren interessant, aber er wußte, daß die Gangsterbosse nichts mit dem ›Fall‹ zu tun hatten, der ihm momentan am Herzen lag, doch da er Mike im Augenblick nicht erreichen konnte, erhob er sich und leitete alles in die Wege. Vier Streifenwagen mit je zwei Mann Besatzung fuhren los. In der Zwischenzeit besorgte Sam Clousky die notwendigen Haftbefehle. Als er wieder sein Büro betrat, war ein Mann anwesend, den der Captain am liebsten als Astronaut irgendwo im All gewußt hätte, doch Don Harper hatte leider nicht die geringsten Ambitionen dazu. Harper, ein kleiner windiger Bursche, der immer so aussah, als ob er gerade einen Haupttreffer in der Lotterie erzielt hätte, war Reporter bei der Morning-News, einer Zeitung, die Regional in noch zwei anderen Kleinstädten erschien. Don Harper zeigte ein paar prachtvolle Zähne und einen gespitzten Bleistift nebst Notizblock, als er aufsprang und den Captain begrüßte. 60 �
»Hat man Sie noch immer nicht rausgeschmissen?« fragte Clousky wenig taktvoll und zwängte sich in seinen Drehstuhl. Er nickte den kleinen Ventilator so, daß der Luftstrom auf den Reporter gerichtet war, stellte dann das Ding auf höchste Geschwindigkeit und hoffte, daß dem Zeitungsmann irgendwann ungemütlich wurde. »Seit meinem letzten Artikel über Ihre Behörde, bekam ich 15 Dollar mehr Gehalt«, grinste Harper. »Sie sind ein windiger Schreiberling«, schimpfte Sam ungehalten, »der nur von Sensationen lebt.« »Das ist nun mal mein Job, Captain.« Die Äußerung berührte den jungen Reporter kaum. Er kannte Clouskys bärbeißige Art. Ihn konnte nichts mehr erschüttern. »Was wollen Sie, und wer hat Sie überhaupt hier eingelassen?« »Ich habe mich an dem Sergeant vorbeigeschmuggelt, und ich will von Ihnen nur ein paar Auskünfte über gewisse Todesfälle in dieser schönen Gegend.« »Ich werde Ihnen nichts sagen«, brummte Clousky sauer. »Auch nicht schlecht«, nickte Harper zufrieden. »Ich habe meinem Chef versprechen müssen, Sie aufzusuchen. Er gehört noch zum alten Schlag, wie Sie wissen, aber wenn Sie nicht bereit sind, mir Auskünfte zu erteilen, dann tun Sie mir einen großen Gefallen.« »Wieso?« blaffte der Captain mit zuckendem Schnauzbart. »Weil ich mir schon die Schlagzeile zurecht gelegt habe. ›Captain Clousky verweigert der Bevölkerung Informationen über geheimnisvolle Mordfälle in unserer Stadt, und dann kommt mein Kommentar. Sie können sich denken, wie der ausfallen wird«, sagte Harper freundlich und zufrieden. »Ich habe es jedenfalls versucht, Captain. Schönen Tag noch. Er wandte sich der Tür zu. »Bleiben Sie stehen, Sie kleiner Erpresser«, schnauzte Sam hin61 �
ter dem Reporter her. »Sie bekommen Ihr Interview.« »Na, also«, grinste Don Harper. »Ihre Impertinenz ist einfach nicht zu überbieten«, stöhnte Clousky, »aber von mir aus, stellen Sie Ihre Fragen. Wenn sie nicht unsere Ermittlungen behindern, werde ich sie Ihnen beantworten.« »Das ist doch ein Wort, Captain. Fangen wir gleich an: Was hat es mit den Verschwundenen auf sich? Drei Männer sind einfach verschwunden. Niemand weiß, wo sie geblieben sind. Nicht mal ihre Leichen hat man gefunden, nur Aschenreste. Haben Sie dafür eine Erklärung?« »Nein«, sagte Sam lakonisch, »die haben wir noch nicht.« »Das klingt 'n bißchen nach Übersinnlichem, finden Sie nicht auch.« »Vielleicht.« »Ist Horror mit im Spiel?« kam die knappe Frage. »Was verstehen Sie unter Horror?« fragte Clousky zurück. »Schon im Altertum hat man sich damit beschäftigt und nannte es Horror vacui, das ist lateinisch und bedeutet, die Scheu der Natur vor der Leere.« »Sie werden lachen, Harper«, knurrte der Captain, »aber auch ich kenne mich da ein bißchen aus. Damit können Sie mir nicht imponieren. Sie vergessen dabei eines, die betreffenden Philosophen lebten dreihundert Jahre vor Christus. Das ist nun schon 'n paar Jährchen her, nicht wahr?« »Spielt das eine Rolle?« bohrte der Reporter weiter, »aber Sie haben meine Frage nicht verneint. Das ist interessant, Captain.« »Ich habe nichts gesagt«, beeilte Clousky sich zu sagen, »legen Sie mir nicht die Worte in den Mund, die Sie gern hören möchten!« »Regen Sie sich wieder ab«, sagte Harper, »ich will nur Fakten, mehr nicht. Wie steht es also mit diesen seltsamen Todesfällen?« 62 �
»Das ist schwer zu erklären.« »Macht nichts. Sie werden lachen, aber ich habe eine Universität schon mal von innen gesehen.« »Na schön«, seufzte Clousky, »Sie geben ja doch nicht eher Ruhe, als bis Sie alles wissen. Das ist mir außerdem lieber, als wenn Sie Ihre Phantasie schweifen lassen. Aber ich warne Sie, Harper! Ich gebe Ihnen zwar alle Informationen, die ich habe, aber ich will noch nichts darüber in der Zeitung lesen! Verstanden?« »Das von einem Reporter zu verlangen ist, gelinde gesagt, sadistisch, Captain«, knurrte Harper, »aber von mir aus. Schießen Sie los!« »Okay«, nickte Clousky schwer, »doch wenn ich in den nächsten Tagen auch nur ein Wort darüber lese, werde ich persönlich dafür Sorge tragen, daß man Sie feuert.« »Ist ja gut. Und wann kann ich darüber schreiben?« »Ich werde Ihnen rechtzeitig Bescheid geben.« Dann begann der Captain zu berichten. Mit zehn Sätzen hatte er die Story gebaut. Der Reporter erlaubte sich ein flüchtiges Grinsen. »Die Morning New ist ein seriöses Blatt«, sagte Harper amüsiert, »Ihre Geschichte können Sie an ein einschlägiges Magazin verkaufen. Die nehmen so etwas mit Kußhand.« Sam Clousky sprang vom Stuhl hoch. Er war wütend. »So eine Unverschämtheit«, brüllte er, »was erlauben Sie sich?« Don Harper erhob sich ebenfalls. Er grinste immer noch. »Als Märchenonkel könnten Sie reich werden, Captain. Ich werde mir schon die richtigen Fakten besorgen. Auf den Arm nehmen können Sie unsere Briefkastentante, aber nicht mich. Feuerreiter, pah, einen größeren Blödsinn konnten Sie sich wohl nicht einfallen lassen, was?« »Verschwinden Sie«, fauchte Clousky den Reporter an. Als Harper das Büro verlassen hatte, ließ der Captain sich auf seinen 63 �
Stuhl sinken. Er hatte sich lächerlich gemacht, daß wußte er. Wie hatte er nur glauben können, daß bei diesem Harper etwas von den imaginären Feuerreitern ankommt. Er kannte den Mann schließlich. Und das schlimmste war, daß er selbst nicht daran glaubte… Wütend hieb er mit der Faust auf den Tisch, daß die Kaffeetasse tanzte. Verdammt, dachte er, das hat mir gerade noch gefehlt. So, wie er Harper einschätzte, würde sofort ein Artikel folgen, in dem der Captain nicht gerade gut weg kam, und Clousky konnte ihn nicht mal verhindern… * Don Harper fuhr tatsächlich sofort in die Redaktion. »Clark«, rief er dem Chef vom Dienst zu, »hast du für morgen noch 'ne Spalte auf der Ersten frei? Ich habe einen Knüller.« Wenn Harper sagte, er habe einen Knüller, dann war das Grund genug, die erste Seite umzusetzen. »Geht klar«, nickte Clark Cooper, »ich gebe dir dreißig Zeilen. Reicht das?« »Völlig. In 'ner halben Stunde hast du die Fahne.« Harper stürmte in seine Bude, die sich Büro nannte, hockte hinter die altersschwache Olympia und hämmerte drauflos. Er war sogar schon früher fertig. Cooper las den Artikel aufmerksam. »Ist das nicht ein bißchen zu hart, Don?« »Sollen wir uns denn auf den Arm nehmen lassen?« fragte Harper sauer. »Der Mann tischt mir eine Story auf, bei der sich selbst Frankenstein im Grab umdreht.« »Na, ich weiß nicht. Wenn ich das so bringe, wie du es geschrieben hast, haben wir in Captain Clousky einen unversöhnlichen Gegner, und das für immer und ewig. Ich kenne ihn, der läßt sich nicht gern verschaukeln.« »Ich auch nicht. Was ist nun«, drängte er, »setzt du dein okay 64 �
darunter?« »Und was machen wir, wenn er dir Schwierigkeiten bereitet?« »Das ist meine Sache«, knurrte Harper, »seit wann hast du Manschetten?« »Red' nicht so einen Stuß! Von mir aus kann das Manuskript in Druck gehen. Aber ich habe dich gewarnt!« »Ist schon gut, Clark«, sagte Harper zufrieden, »ich nehme es auf meine Kappe. Bereitet mir direkt ein persönliches Vergnügen, diesen arroganten Leuten mal einen Dämpfer zu versetzen.« »Wie du meinst«, sagte der Chef vom Dienst, hakte den Artikel ab und gab ihm einem Büroboten, dann rief er unten in der Setzerei an und informierte die Leute. »Überschrift zweizeilig fett, den Namen gesperrt gedruckt, der Rest in drei Spalten a zehn Zeilen, klar?« »Okay, Clark«, brummte der Verantwortliche, »aber dann muß ich die Sache mit dem Corry-Prozeß rausschmeißen.« »Ist egal. Das bringen wir dann morgen in der Abendausgabe.« »Ready«, der Mann hängte ein. »So«, sagte Clark Cooper, »das war's. Zufrieden?« »Und wie«, grinste Harper. »Das Gesicht von Clousky möchte ich sehen, wenn er morgen die Zeitung in die Hand nimmt.« »Abwarten«, dämpfte der Chef vom Dienst die Vorfreude seines Reporters. »Clousky wird dir wahrscheinlich ziemlich kräftig auf die Füße treten.« »Keine Sorge, Clark, ich bin einiges gewöhnt.« Er ging in die Kantine und genehmigte sich ein großes Glas kalter Milch. Er konnte den nächsten Tag fast nicht abwarten. Eine diabolische Vorfreude hielt ihn gefangen, doch es sollte alles ganz anders kommen… * 65 �
Man hatte sich viel Mühe gegeben. Das Betriebsfest der Shafford Werke war ein voller Erfolg. Die Belegschaft hatte auf dem Firmengelände mehrere Tische plaziert, auf denen kalte Platten standen. Die gekühlten Getränke gab's in der Empfangshalle. Die Flaschen standen in metallenen Sektkühlern, die bis oben hin mit Eiswürfeln gefüllt waren. Es herrschte eine Bombenstimmung. Der Seniorchef, Frederick Shafford, ging von einem zum anderen, schüttelte Hände und hielt überall eine kleine Plauderei. Man mochte ihn. Er war ein Mensch, der nicht dauernd den Chef hervorkehrte. Er gab sich jovial und freundlich, und sein Rezept erwies sich als goldrichtig. Seine Angestellten fühlten sich wohl. Dementsprechend war auch ihre Arbeitseinstellung. Das Geschäft florierte. »Gefällt es Ihnen?« fragte Shafford gerade einen Lagerarbeiter, der seine Frau mitgebracht hatte. »Sie haben ja nichts zu trinken. Warten Sie, ich bringe Ihnen was.« Er wandte sich ab und ließ einen verblüfften Mann zurück, der es nicht verstand, daß der Chef ihn bediente. Kopfschüttelnd sah er Frederick Shafford nach. Der Senior der Firma holte zwei Sektschalen, ließ sie bis oben hin füllen und brachte sie dem Lagerarbeiter und seiner Frau auf den Hof. »Schließlich sollen Sie nicht verdursten«, lächelte er und ging dann weiter. Vierzig Angestellte hatte der Betrieb. Es war der größte in Mayville. Die Shafford-Werke stellten Lacke und Farben her und waren vor zwei Jahren mit einer einzigartigen Farbkomposition ganz groß herausgekommen. Mit ihren Artikeln belieferten die Shafford-Werke die ganze Westküste und einen Teil Mittelamerikas. Es war schon eine lukrative Sache, und auch die paar Aktionäre waren zufrieden, denn die steigenden Umsätze sicherten 66 �
ihnen gute Dividenden. Es war ein herrlicher Tag. Die Sonne meinte es mehr als gut, keine Wolke war zu sehen. Für den Nachmittag hatte die Firmenleitung eine Folkloregruppe engagiert. Die Männer in ihren farbenprächtigen Kostümen packten soeben ihre Instrumente aus. Man hatte rasch ein provisorisches Podium errichtet. Abwartend sahen die Leute auf die Musikertruppe. Auch Jim Shafford, der Juniorchef, gesellte sich zur Belegschaft. Er hatte seine derzeitige Freundin mitgebracht. Marge war ein hübsches Mädchen mit ausgezeichneter Bildung, sie war so recht nach dem Geschmack des Seniors. Wohlerzogen, klug und freundlich. Sie begrüßte Frederick Shafford mit einem Kuß auf die rechte Wange. Der Alte genoß die Zärtlichkeit sichtlich. »Na, ihr Herumtreiber, habt ihr euch auch endlich eingefunden?« fragte er schmunzelnd. »Ich dachte schon, daß ihr nicht mehr kommt. Hattet ihr was Wichtiges zu erledigen?« »O Dad, du bist unmöglich«, stöhnte der Sohn, »hast du kein Taktgefühl.« »Du brauchst nicht rot zu werden, Marge«, lächelte Frederick Shafford anzüglich, »ich war auch mal jung.« Jim grinste seinen Vater an, nahm Marge bei der Schulter und zog sie aus dem Machtbereich des Alten. Frederick sah ihr bedauernd nach. Der Junge hatte schon ein unverschämtes Glück, dachte er. Der Seniorchef ging zu der Folkloregruppe hinüber. Er hatte einen bestimmten Musikwunsch. ›Send me the pillow that you dream on.‹ Er liebte die Melodie. Vielleicht konnten die Jungs den Song spielen. Zufällig blickte er nach oben. Er blieb abrupt stehen. Die Sonne blendete ihn etwas. Er blinzelte. Da war doch etwas gewesen. 67 �
Shafford sen. wischte sich über die Augen. Er mußte sich geirrt haben. Kopfschüttelnd ging er weiter. Er hatte die Kapelle fast erreicht, als ein Schatten auf ihn fiel. Wieder blickte er hoch. »Nein«, stammelte er fassungslos, »nein, das gibt es doch nicht!« Über ihm schwebte eine Gestalt auf einem Pferd… Jetzt hatten auch die Musiker den Geheimnisvollen entdeckt. Einer von ihnen schrie laut auf und lenkte so die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf das grauenvolle Gebilde. Ein vielstimmiger Entsetzensschrei gellte auf. Der Feuerreiter kam immer näher. Die Hufe seines Pferdes berührten schon die Erde, und plötzlich waren noch mehr da. Sie schienen aus dem Nichts zu entstehen, aus dem Erdboden zu wachsen… Die Menschen liefen in Panik durcheinander. Tische und Stühle wurden umgerissen. Ein Chaos bahnte sich an, während die Feuerreiter stumm und ohne jede Bewegung auf der Stelle verharrten. Aus kalten Augen blickten sie auf die Menschen, die entsetzt zurückwichen. Frederick Shafford riß sich zusammen. Er konnte sich das plötzliche Auftauchen der unheimlichen Gestalten auch nicht erklären, aber er spürte irgendwie, daß sie Tod und Vernichtung mit sich brachten. »Jim«, schrie er, »Jim, wo bist du?« Shaffords Sohn stieß ein paar der Männer beiseite, um zu seinem Vater durchzukommen. Anfangs wollte er Marge mit sich ziehen, doch seine Freundin hatte sich, als sie die unheimlichen Reiter gewahrte, schreiend ins Fabrikgebäude geflüchtet. Die meisten der Angestellten folgten ihr. Nur ein paar tapfere Männer blieben abwartend stehen. Jim erreichte seinen Vater. Er keuchte. »Was hat das zu bedeu68 �
ten? Soll das ein Gag für die Party sein, Dad?« Frederick Shafford schüttelte stumm den Kopf. Er ließ die Feuerreiter nicht aus den Auge. Er fühlte die drohende Gefahr. »Bring die Leute weg«, flüsterte er seinem Sohn zu. »Aber…«, Jim wurde unterbrochen. »Tu, was ich dir sage.« Sein Vater stand aufrecht da und blickte Jim Shafford kurz an, »das ist kein Spaß, Jim, das ist tödlicher Ernst! Rette die Leute!« »Was bedeutet das alles?« Jim starrte nichtverstehend auf die grauenvolle Armada, die sich noch immer nicht bewegt hatte. Angstschweiß sammelte sich auf seiner Stirn. Was hatte das zu bedeuten? Er war ein nüchtern denkender Mann, das plötzliche Auftauchen dieser Gestalten verstand er einfach nicht. »So mach doch schon, Junge!« Der alte Shafford stieß seinen Sohn an. »Okay, Dad!« Jim begab sich zum Fabrikgebäude. Aus den Augenwinkeln beobachtete er dabei die geheimnisvollen Reiter, die sich plötzlich in Bewegung setzten… Sie hielten genau auf den Seniorchef zu. Frederick Shafford wich keinen Inch. Ihn schüttelte zwar eine bisher nie gekannte Angst, aber er blieb stehen. Die wenigen verbliebenen Männer der Belegschaft ahnten die Bedrohung für ihren Chef. Stillschweigend gingen sie vor. Sie würden dem Boß zu Hilfe eilen. Darüber gab es gar keine Frage. Jim Shafford trieb die wenigen Menschen ins Fabrikgebäude. Es war seltsam. Angesichts höchster Angst, verkriecht sich der Mensch wie ein Tier. Auch wenn die Mauern keinen sicheren Schutz boten, man duckte sich doch unwillkürlich und fühlte sich etwas sicherer. So war es auch mit den meisten Betriebsangehörigen. Jim hatte keine Schwierigkeiten, die Belegschaft ins Haus zu drängen. Gleich darauf rannte er zum Telefon. Mit flie69 �
genden Fingern wählte er die Nummer des örtlichen Polizeireviers. Ungeduldig lauschte er auf das monotone Freizeichen, und dabei schaute er aus dem Fenster in den Hof. Vor Entsetzen fiel ihm der Hörer aus der Hand. Ein unartikulierter Schrei entrang sich seiner Kehle. Dort, wo eben noch die Männer und sein Vater gestanden hatten, war nichts mehr zu sehen… Mit riesigen Sprüngen stürmte er aus der Fabrik. Er prallte zurück. Der Hof war leer. Auch die geheimnisvollen Reiter waren verschwunden. Wie ein Schlafwandler legte er die paar Meter zurück. Angst schüttelte ihn. »Vater, wo bist du?« Hielt er sich irgendwo versteckt? Aber das war unmöglich. Auf dem Hof gab es weit und breit keine Deckungsmöglichkeit, und weggegangen konnte er nicht sein. Dafür war die Zeit zu kurz gewesen. Ein penetranter Geruch erreichte ihn. Übelkeit stieg würgend in ihm hoch. Er schluckte krampfhaft, um dem inneren Reizgefühl nicht nachgeben zu müssen. Verzweifelt blickte er sich um. Heftiger Wind war aufgekommen und wehte über den Hof, der wie nach einer Schlacht aussah. Überall lagen umgestürzte Tische und Stühle, Glaser blitzten im grellen Sonnenlicht. Und dann sah Jim Shafford die kleinen Aschenhaufen… Der Wind fuhr hinein und wirbelte sie hoch. Mit einem irren Schrei stürzte der Juniorchef ins Fabrikgebäude zurück. * Captain Sam Clousky hatte den Anruf entgegengenommen. Er hatte sich gemeldet. »Hallo«, rief er in die Muschel, »wer ist dran?« 70 �
Doch es kam keine Antwort. So was liebte Clousky. Diese Leichtfertigen, die irgendeine Nummer wählten und sich dann nicht meldeten. Man müßte so einen Fernsprechteilnehmer mal erwischen und ein Exempel statuieren, aber das war so gut wie ausgeschlossen. Wütend warf er den Hörer auf die Gabel. Er wandte sich wieder seinen Akten zu, trank einen Schluck Kaffee und zündete sich eine Schwarze an. Im Dezernat waren seine Zigaretten gefürchtet. Die Jungs waren der Meinung, daß die Glimmstengel wie alte Stiefel stanken, die einer getragen hat, der vom Füßewaschen noch nie etwas gehört hatte. Natürlich kursierte dieses Urteil über den Tabak des Captains nur hinter vorgehaltener Hand. Niemand würde es wagen, Clousky die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Sam paffte munter darauf los. Ihn störten die Rauchwolken, die er produzierte, nicht. Im Gegenteil, er liebte das brennende Gefühl auf der Zunge. Ihm fiel ein, daß Mike Tremaine sich schon eine geraume Weile nicht gemeldet hatte. Er entschloß sich anzurufen, hob den Hörer ab und wartete vergebens auf das Freizeichen. Der Anrufer hatte also nicht mal aufgelegt. Na warte, dachte Sam, dich erwische ich. Er wollte gerade eine Fangschaltung veranlassen, als sich eine Stimme meldete. »Hallo«, schrie der Mann in die Leitung, »hallo, Polizei?« »Ja«, reagierte Captain Clousky genauso laut, »sagen Sie mal, was denken Sie sich eigentlich? Blockieren hier einfach die Leitung. Ich werde Sie belangen!« »Kommen Sie sofort hierher«, rief der Anrufer, »es ist etwas Furchtbares geschehen.« Sams Nackenmuskel versteiften sich. »Was ist passiert?« »Kommen Sie hierher«, wiederholte der Anrufer, »Shafford71 �
Werke.« »Mit wem spreche ich?« Sam hatte sofort einen Notizblock gegriffen und kritzelte den Namen aufs Papier. »Mein Name ist Jim Shafford«, sagte der Juniorchef, »mein Vater ist tot, und noch ein paar Männer!« »Wir sind gleich bei Ihnen«, sagte der Captain hastig und hängte ein. Zwei Minuten später sausten zwei Wagen der Bereitschaft durch Mayville. Ihnen folgte ein Krankenwagen mit dem Polizeiarzt und zwei Sanitätern. Der Captain fuhr im ersten Wagen mit. Das gellende Sirenengeschrill fegte ihnen die Straßen frei. * Mike Tremaine, der hünenhafte Detektiv und Weiße Magier, hatte sich von Stolls Wohnung direkt nach Hause begeben. Er fühlte sich äußerst unwohl, völlig ausgelaugt. Einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, seinen Freund, den Captain, anzurufen, und ihn über die Vorfälle der letzten Stunden zu informieren, doch im nächsten Moment verwarf er den Gedanken wieder. Was hätte es genützt? Sam war Polizist genug, um nur an Realitäten zu glauben. Mike merkte plötzlich, daß er Hunger hatte. Den ganzen Tag über hatte er nichts zu sich genommen, und das machte sich jetzt bemerkbar. Er kniete vor den Kühlschrank und betrachtete seine Vorräte. Kaltes Huhn und eine Büchse Corned-Beef, das war alles. Mike nahm sich das Huhn, packte es auf einen Pappteller und kippte eine ordentliche Portion Paprikaketchup drüber. Dazu gab es ein Glas Orangenjuice mit zwei Tropfen Tabasco. Das war zwar eine gewagte Mischung, aber ihm schmeckte es. 72 �
Nach zehn Minuten schob er den Teller von sich. Das Essen war zwar nicht gerade höchsten Ansprüchen gewachsen, doch er war satt geworden. Mike ging ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Er ließ sich rücklings auf die Couch fallen und stopfte sich ein paar Kissen unter den Kopf, dann schaltete er alle Programme durch. Kanal sechs ließ er an. Die ABC brachte gerade Nachrichten. Der Moderator las, ohne auch nur einmal aufzublicken. Über die Ölkrise war zu hören, ein Putsch in einem afrikanischen Staat und eine angedrohte Intervention der USA in Nicaragua. Mike langweilte sich. Momentan hatte er für die Weltpolitik nicht das geringste Interesse. Ihn beschäftigte etwas anderes. Er wollte gerade ausschalten, als der Nachrichtensprecher die regionalen Informationen ankündigte. Die Teams der ABC waren bekannt dafür, immer an vorderster Front zu stehen. Die Trupps waren einfach überall, wo etwas los war, und sie brachten die neuesten Berichte. In unmittelbarer Nähe hatte man mit den Dreharbeiten zu einem Actionfilm begonnen. Die Taylor spielte mit, und auch Robert Mitchum. Der Film trug den Titel »Ten Eagles« und sollte zur Zeit des Zweiten Weltkriegs spielen. Hier wurden wichtige Außenaufnahmen gedreht. Jason Parker, einer der Könner der ABC, den Mike gut kannte, hatte es geschafft, die Taylor vor sein Mikro zu holen. Tremaine suchte nach Zigaretten, fand aber keine. Deshalb stand er auf und ging zum Schreibtisch. In diesem Moment vernahm Mike Tremaine die Stimme des Nachrichtensprechers. »Ein seltsames Unglück ereignete sich vor einer Stunde in den Shafford-Werken. Jack Füller berichtet.« Das Bild wechselte. Mike blickte flüchtig hin. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, als er Captain Clousky erkannte. Der schnauzbärtige Poli73 �
zist stand inmitten seiner Leute und redete auf sie ein. Jetzt erklang Füllers Stimme: »Hier muß vor kurzem etwas Furchtbares geschehen sein, Ladies and Gentlemen. Menschen verschwanden auf geheimnisvolle Art und Weise. Soweit ich in Erfahrung bringen konnte, sollen sie verbrannt sein, aber niemand weiß etwas Genaueres. Ich werde versuchen, den leitenden Beamten zum Interview zu bekommen. Vielleicht erfahren wir dadurch mehr.« Jack Füller ging auf Clousky zu. »Captain, hätten Sie einen Augenblick Zeit für uns?« »Nein«, knurrte Clousky ungehalten und schaute direkt in die Kamera. Als er die Leute der ABC sah, gab er sich einen Ruck und wurde zugänglicher. »Aber fassen Sie sich kurz, klar?« »Sind Menschen zu schaden gekommen?« »Aller Wahrscheinlichkeit nach, ja«, sagte Clousky. »Was heißt das?« blieb der Reporter am Ball. Der Captain wand sich wie ein Aal und wollte nicht so recht mit der Sprache heraus, bevor er selbst Näheres wußte. Bisher hatte er nur die Aussagen Jim Shaffords, und die waren reichlich dürftig. »Wir ermitteln noch. Ich kann jetzt nichts sagen.« »Sie sind vom Morddezernat, Captain«, sagte der Reporter der ABC, der Clousky flüchtig kannte, »also muß doch etwas geschehen sein. Wollen Sie darüber nicht reden?« »Nein«, wehrte Sam hastig ab, »wir stehen selbst erst am Anfang. Das müssen Sie doch verstehen.« Er wollte sich abwenden, doch Füller wäre kein Profi gewesen, wenn er den Captain so einfach hätte gehen lassen. »Die Bevölkerung hat ein Recht auf Information.« »Das brauchen Sie mir nicht zu sagen. Soll ich hier mit Theorien um mich werfen? Sobald wir etwas erfahren haben, werden Sie informiert, und jetzt entschuldigen Sie mich. Die Bevölkerung hat auch das Recht zu verlangen, daß wir etwas für unser Geld tun.« 74 �
Füller war der Wind aus den Segeln genommen. Er gab seinem Kameraden ein Zeichen. Mike Tremaine hatte atemlos zugehört. Als der Studiosprecher wieder ins Bild kam, schaltete Mike den Apparat aus. Nach zwei Minuten saß er in seinem Wagen. Die ShaffordWerke waren nicht weit von seiner Wohnung entfernt. Die Feuerreiter hatten wieder zugeschlagen, konnte er nur noch denken. Seine Hände krampften sich um das Lenkrad. Mit verbissenem Gesicht starrte er auf die Straße. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken… Captain Sam Clousky hatte sich wutentbrannt an einem seiner Leute schadlos gehalten. »Halten Sie mir die Filmfritzen vom Hals«, schrie er den verblüfften Sergeant an. »Die behindern nur unsere Ermittlungen. Also, tun Sie was! Ist mir egal wie, haben Sie verstanden?« »Yeah.« Der lange Sergeant steckte den Anpfiff ungerührt ein. Dann gab er sich wenig fein, schob das ABC-Team kurzerhand vom Fabrikgelände und beorderte zwei Streifenwagenleute ans Tor. »Wenn ihr mir auch nur einen Unbefugten durchlaßt, passiert was!« »Okay«, grinsten die beiden Polizisten, rückten ihre Sonnenbrillen zurecht und zeigten entschlossene Gesichter. Passanten, die sich immer einfanden, wenn irgendwo Polizeieinsatz war, hüteten sich, den beiden Beamten zu nahe zu kommen. Mike gab sich da anders. Er stellte seinen Thunderbird dem einem Polizisten fast auf die Zehen, stieg dann aus und schritt zum Hoftor. »He, Mister«, der eine handelte kurzentschlossen. Wenn der Sergeant sagte, niemand durchlassen, dann meinte er es auch so. Er packte Mike Tremaine ziemlich unsanft an der Schulter. »Hier dürfen Sie nicht rein.« »Meinen Sie?« fragte der Detektiv und drehte sich um. Der Po75 �
lizist sah ziemlich verdattert auf Tremaine. »Lieutenant«, sagte er, »entschuldigen Sie bitte, aber ich konnte nicht wissen ..stammelte er verlegen. »Ich bin nicht mehr bei der Polizei, wie Sie wissen«, knurrte Mike, »Wo ist Captain Clousky? Ich muß ihn sprechen.« Der Beamte befand sich in einem Gewissenskonflikt. Einerseits war Tremaine lange Jahre beim Rauschgiftdezernat gewesen, andererseits war er jetzt Privatperson. »Ich weiß nicht so recht, Sir«, stotterte der Mann und fühlte sich äußerst unwohl, »eigentlich darf niemand das Gelände betreten. Strikte Anweisung vom Sergeant.« »Ihr Sergeant kann mich mal«, sagte Tremaine kühl und betrat den Hof. Achselzuckend wandten die beiden Beamten sich ab. Sergeant Hooper, ein Klotz von einem Mann, sah Mike Tremaine gemütlich schlendern. Er war erst vor kurzem aus einem anderen Distrikt hierher versetzt worden und kannte Tremaine nicht. »Heh, Bürschchen«, Hooper stippte seinen Hut aus der Stirn, »bleiben Sie stehen!« »Das ›Bürschchen‹ blieb stehen und sah von Einsneunzig Höhe auf den Sergeant. »Verschwinden Sie augenblicklich, bevor ich ungemütlich werde. Sie behindern unsere Ermittlungen, klar?« »Besorgen Sie mir 'n Kaffee, Sergeant«, sagte Mike hart und ging an dem verblüfften Mann vorbei. Er hatte Captain Clousky ausgemacht und hielt auf ihn zu. Sergeant Hooper lief kirschrot an, straffte seine Figur und machte Anstalten, den Fremden an die Luft zu setzen, als Sam seinen Freund erkannte. Ein erleichtertes Grinsen bildete sich rund um seinen Schnauzbart. »Ich habe dich schon erwartet, Mike«, sagte er zufrieden. »Schick diesen Burschen da weg«, verlangte Tremaine und deutete auf Sergeant Hooper. 76 �
»Gehen Sie«, sagte Clousky nicht mal unfreundlich. »Sie haben sicher sonst zu tun.« Hooper sah ein, daß er hier überflüssig war. »Eine schöne Bescherung, was?« Sam Clousky machte eine Handbewegung, die die gesamte Fabrik einschloß. »Woher hast du davon erfahren?« »Im TV haben sie davon berichtet«, sagte Mike Tremaine. »Glaubst du jetzt an diese verdammten Feuerreiter?« »Wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben, was?« »Ich habe noch eine schlechte Nachricht für dich, Sam. Stoll ist tot, und seine Tochter starb ebenfalls.« »Was?« Clousky richtete sich kerzengerade auf. Sein Gesicht wurde bleich. »Du warst doch bei diesem Stoll, nicht wahr?« Mike nickte. »Ja, aber da war er schon tot.« »Und seine Tochter?« »Starb fast neben mir«, sagte Mike schwer. »Ich habe es nicht verhindern können.« »Geht der Tod der beiden ebenfalls auf das Konto dieser Reiter?« »Ja«, sagte Mike hart. »Wie viele Menschen haben hier ihr Leben lassen müssen?« »Das wissen wir noch nicht genau. Fest steht nur, daß der Chef der Firma sang- und klanglos verschwunden ist, und mit ihm einige Männer der Belegschaft, doch der Aussage dieses Jim Shafford ist nicht viel Gewicht beizumessen. Er steht unter Schockeinwirkung und redet nur wirres Zeug. Aber eins ist interessant. Die Leute berichten übereinstimmend von unheimlichen Gestalten, die plötzlich auf dem Hof standen.« »Waren sie beritten?« »Ja. So erzählen sie jedenfalls«, schränkte der Captain rasch ein. »Was soll ich bloß machen, Mike?« »Zieh deine Leute ab, Sam!« 77 �
»Was?« Der Captain machte große Augen, »bist du noch bei Trost? Wir sind gerufen worden und müssen hier ermitteln.« »Willst du, daß noch mehr umkommen?« fragte Mike Tremaine hart. »Natürlich nicht. Was soll die Frage?« »Wenn du das gehört hättest, was ich gehört habe, würdest du anders reagieren, Sam.« »Was hast du gehört?« »Das würde jetzt zu weit führen, Captain«, sagte Mike, »außerdem würdest du mir ja doch kein Wort glauben.« »Und was soll ich meinem Chef erzählen, warum ich die Ermittlung unterbrochen habe?« »Das ist dein Bier, Sam, aber im Interesse der Leute hier, ist es von Wichtigkeit, daß du auf mich hörst.« »Du hast gut reden, Mike, aber mich erklärt man für verrückt.« »Na und«, sagte Tremaine kalt, »wenn dadurch Menschenleben gerettet werden, was macht das schon aus?« »Schwachsinn, das Ganze«, knurrte Clousky, »aber bitte, wenn du meinst, Mike. Ich kenne dich lange genug, um zu wissen, daß du kein Spinner bist. Wir werden hier verschwinden. Wie lange brauchst du? Denn du hast doch irgend etwas vor, nicht wahr?« Mike Tremaine nickte. »Soll einer aus dir schlau werden.« Der Captain holte tief Luft. »Es wird mich sicher meine Karriere kosten, aber was soll ich machen? Irgendwie wirst du mir unheimlich, Mike. Was ist los mit dir?« »Gib mir drei Stunden, Sam. Mehr nicht. Dann bin ich entweder tot oder dein Fall ist gelöst! Okay?« Tremaine, der Weiße Magier, sagte es ohne jegliche Betonung. Sam Clousky hörte den Ernst heraus, der in Mikes Stimme klang. »Okay«, sagte er leise, »okay, Junge! Kann ich dir nicht irgend78 �
wie behilflich sein?« »Nein!« »Gut, wie du meinst, Mike. Ich komme zwar in Teufels Küche, aber es sind schon zu viel unheimliche Dinge geschehen, als das ich deine Hilfe in den Rauch schlagen könnte. Du hast drei Stunden Zeit.« »Das reicht, Sam, ich danke dir.« »Ach was«, winkte der Captain ab, »schon vergessen.« So ganz wohl fühlte er sich zwar nicht, aber er trommelte seine Leute zusammen. Die Männer waren froh, hier wegzukommen, denn auch sie wußten nichts mit der Situation anzufangen. Mike Tremaine hatte Clousky zuvor noch gebeten, daß man ihm Jim Shafford vorstellt. Der Polizeiarzt hatte zwar etwas dagegen einzuwenden, aber der Captain gab sich charmant. »Der Mann steht unter Schock«, sagte der Doc zum x-ten Mal, »der ist nicht ansprechbar. Es könnte dem Mann schaden, wenn man ihn jetzt vernehmen würde. Die Verantwortung…«, er wurde unterbrochen. »… trage ich«, knurrte Sam Clousky, »außerdem wird er überhaupt nicht vernommen.« Der Doc blieb freundlich, ging gemächlich über den Hof und ließ den Captain mit Mike allein zurück. Tremaine kam zu seinem Gespräch mit dem Juniorchef. Jim Shafford sah tatsächlich nicht gut aus. Er wirkte völlig geistesabwesend, sein Gesicht war kreidebleich, die Augenlider zuckten unkontrolliert. Mike reichte ihm die Hand, doch Shafford jun. übersah sie völlig. »Wo ist mein Vater?« fragte er, »ich habe ihn eben noch gesehen. Er muß hier irgendwo sein.« Tremaine sah sich flüchtig um. Niemand war in der Nähe. Er wandte sich wieder dem jungen Shafford zu. »Wir werden ihn schon finden«, sagte er leise. 79 �
»Wirklich?« Die glanzlosen Augen des Juniorchefs leuchteten für einen Moment auf. Es tat Mike Tremaine in der Seele weh, dem jungen Mann etwas vorzumachen, aber er hatte keine andere Wahl. »Aber ja«, sagte er beruhigend. »Sagen Sie mir doch bitte, wo Sie Ihren Vater zum letzten Mal gesehen haben.« Jim Shafford drehte sich um. Er zeigte ungefähr in die Mitte des Hofes. »Dort«, sagte er, »dort stand er, und dicht bei ihm standen die Reiter.« Er wischte sich über die Augen. »Und?« fragte Mike, »was geschah dann?« »Dann war ich weg«, sagte Shafford tonlos, »ich habe alles nur aus weiter Entfernung gesehen.« »Wo waren Sie?« »Weiß ich nicht!« Seine Augen blickten wieder leer. »Aber was Sie gesehen haben, können Sie mir doch sagen, nicht wahr?« Jim Shafford nickte. »Ja, natürlich, warum auch nicht?« »Dann tun Sie es auch«, drängte Mike. »Er war plötzlich weg; er und noch ein paar Männer.« »Und die Reiter?« »Auch, ich habe nichts mehr gesehen.« »Was taten Sie dann?« bohrte Mike weiter. »Ich ging auf den Hof. Aber da war nichts mehr, nur noch Asche. Ja, ich habe kleine Aschehäufchen gesehen, überall, aber der Wind hat sie fortgeweht.« Die Erinnerung übermannte ihn wieder. Er begann zu zittern. Mike erkannte, daß er dem Mann zuviel zugemutet hatte. »Doc«, rief er mit lauter Stimme. Der Arzt hatte sich nur im Hintergrund gehalten. Er war sofort zur Stelle. Sein Blick, mit dem er Mike Tremaine musterte, sprach Bände, doch dann kümmerte er sich sogleich um Jim Shafford. Er legte ihm den Arm um die Schultern und führte ihn zum 80 �
wartenden Krankenwagen. Captain Clousky kam noch mal auf Mike zu. »Alles klar?« Tremaine nickte. Er sah der abrückenden Bereitschaft nach, dann betrat er das Fabrikgebäude. Langsam durchschritt er die Zimmer im Erdgeschoß. Plötzlich ertappte er sich dabei, wie er immer wieder die gleichen Laute vor sich hinmurmelte. »Dm' argh m'wter Dm'argh m'wter…« ›Jene sind ich‹, hämmerte es in seinem Hirn. Was hatte das alles zu bedeuten? Er blieb abrupt stehen. Die Worte des alten Stoll bohrten sich mit schmerzhafter Vehemenz in sein Hirn. Er hatte wieder alles vor Augen. Sein Geist erbebte unter der Allgewalt der Worte. Das Vermächtnis des Mannes mit dem Zweiten Gesicht fraß sich noch tiefer in sein Wissen. »Höre zu, Mann der Weißen Magie«, dröhnte es wie eine Membrane in Mike Tremaines Innern, »diese Aufzeichnung wird sich sofort vernichten, wenn du das letzte Wort vernommen hast. Ich weiß nicht, wer du bist und woher du kommst, aber dennoch kenne ich dich. Du bist ausersehen, das Böse zu bekämpfen und zu vernichten. Du hast die Kraft und die Mittel dazu. Die Feuerreiter bringen Tod und Vernichtung über die Erde. Das mußt du verhindern. Ich kann dir nicht viel helfen, denn ich fühle mein Ende nahen. Sie haben die Gefahr erkannt, die von mir ausgeht, und deshalb werden sie mich beseitigen. Ich weiß, was du jetzt fragen willst. Du möchtest wissen, woher die Feuerreiter kommen und wer ihnen die mörderische Macht verlieh. Aber darauf kann ich dir keine zufriedenstellende Antwort geben, denn auch ich weiß es nicht genau. Nur soviel, sie kommen aus dem Zwischenreich. In diesen für uns nie zu erschließenden Dimensionen toben fürchterliche Machtkämpfe. Die Dämonen setzen all ihre Fähigkeiten ein, die Vorherrschaft über die Erde zu erlangen, und deshalb schicken sie ihre Höllenboten. Es sind die grausamsten Geschöpfe, die man sich vorstellen kann. Du wirst noch 81 �
mehr von ihnen kennenlernen, aber zuerst mußt du die Feuerreiter vernichten. Sie sind die Momentangefahr für die Menschheit. Du mußt es einfach schaffen. Ich bedaure zutiefst, daß ich dir nicht zur Seite stehen kann, aber mein Ende naht. Sie lassen mir nicht mehr viel Zeit. Den nächsten Morgen werde ich wahrscheinlich nicht mehr erleben, doch das darf dich nicht abhalten, den Kampf gegen die Feuerreiter aufzunehmen. Eine kleine Hilfestellung kann ich dir noch geben. Da du die Sprache der Magier beherrscht, wirst du auch den Kontakt zu den anderen aufnehmen können. Außer dir gibt es noch zwei Weiße Magier auf der Welt. Sie wissen von deiner Existenz, und sie werden mit dir zusammenarbeiten, wenn es erforderlich sein wird, aber diesen Kampf mußt du allein bestreiten. Wenn du alles gehört hast, wird das Band sich selbsttätig vernichten. Dann bist du völlig auf dich allein angewiesen. Die anderen Menschen werden dich sicher verlachen. Sie werden einfach nicht an die dämonischen Greuelgestalten glauben wollen, denn sie sind zu borniert. Gib nicht auf, Weißer, gib unter keinen Umständen auf! Ich habe von einem der Magier ein Kleinod erhalten, das aller Wahrscheinlichkeit nach die Macht besitzt, diese Höllengestalten zu vernichten. Ich habe nicht die Kräfte, die dazu erforderlich sind, aber in deiner Hand wird es sich als mächtige Waffe gegen das Böse erweisen. Es ist nur ein kleiner…«, in diesem Augenblick ertönte der Schrei von Betty Stoll. Mike Tremaine war nach nebenan gestürzt, und als er zurückkehrte, war die Spule durchgelaufen. Tremaine erwachte wie aus einem Trancezustand. Er sah sich um und er kannte, daß er sich noch immer in der Fabrik aufhielt. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Der alte Stoll hatte in seinem Vermächtnis etwas von einem Kleinod erzählt. In der verständlichen Aufregung über den Tod der Betty Stoll hatte Mike daran nicht mehr gedacht. Er warf sich herum und stürzte zu seinem Wagen. Er mußte 82 �
unbedingt noch mal in Stolls Wohnung. Mikes Finger zitterten, als er den Zündschlüssel drehte. * Alles war noch unverändert. Da er bei seinem Weggang die Tür nur zugeschlagen hatte, konnte er jetzt ungehindert eintreten. Er preßte sich sofort gegen die geschlossene Wohnungstür und lauschte, doch es war kein verdächtiges Geräusch zu vernehmen. Es war zu ruhig… Mikes Nackenhaare richteten sich auf. Ein flaues Gefühl machte sich in seinem Magen breit. Vorsichtig betrat er das Wohnzimmer. Dieser unangenehme Brandgeruch war noch immer vorhanden. Er sah sich um. Irgendwie fühlte er, daß er nicht allein in der Wohnung war. Sein Blick fiel auf die Tapetentür. Sie hing schief in den Angeln. Als er aus dem Geheimzimmer gestürzt war, hatte er die Tür zerstört. Langsamen Schrittes ging er nun darauf zu. Dieses Kleinod, das Rick Stoll in seinem Vermächtnis erwähnt hatte, mußte sich in dem kleinen Zimmer befinden. Mike überschritt die Schwelle. »Na endlich«, sagte eine tiefe Stimme, »ich dachte schon, du würdest nicht mehr kommen.« Tremaines Augen verengten sich. Vor ihm stand ein Mann. Ein breites Grinsen lag auf seinem Gesicht. Der kurze Lauf der Smith & Wesson zeigte genau auf Mikes Kopf. Der junge Detektiv und Weiße Magier hatte den Mann nie zuvor gesehen. Vorsichtshalber hob er beide Hände. »Du bist vernünftig, sagte der Mann, »aber es ist leider zu spät für dich, mein Freund! Du hättest das Angebot annehmen sollen!« »Welches Angebot?« tat Mike naiv, »ich weiß nicht, wovon Sie reden.« 83 �
»Dämlich bist du also auch noch«, grinste der Mann. »Jack und Mac hast du ja hinter Gitter gebracht, aber mit mir wirst du einen schweren Stand haben. Meine Auftraggeber haben mir die Order erteilt, dich umzulegen. Deine Schnüffeleien sind uns zu riskant. Es tut mir echt leid, denn ich habe viel von dir gehört.« »Du bist kein Killer«, sagte Mike und ließ die Hände sinken. »Laß sie oben«, knurrte der Mann. »Warum? Wenn du mich ohnehin umlegen willst? Soll ich mich umdrehen, damit du mir in den Rücken schießen kannst?« »Halt dein Maul«, keifte der Mann, »ist doch nicht meine Schuld, daß du meinem Boß im Weg stehst. Ich persönlich habe nichts gegen dich, Tremaine.« »Wie hast du mich gefunden?« »War ganz einfach«, sagte der Gangster knapp. »Wir haben dich beschattet. Und als du aus der Wohnung gestürzt kamst, hatte ich so eine Ahnung, daß du wiederkommen würdest, und du siehst, ich habe mich nicht getäuscht.« »Stimmt«, nickte Mike, »nur, ich muß dir eine traurige Mitteilung machen.« »So! Und welche?« Der Bursche zeigte keinerlei Gemütsregung. »Auch wenn du es nicht glaubst, unten steht ein PKW mit der Aufschrift ›Police‹. Wenn die Jungs einen Schuß hören, kostet es sie vielleicht zehn Sekunden, und sie stehen im Raum. Sie werden dich, ohne viel zu fragen, zusammenschießen.« »Das ist doch nur ein billiger Bluff, Tremaine«, höhnte der Mann und spannte den Hahn. »Dann drück doch einfach ab«, reagierte Mike eiskalt. »Okay, ich gehe dabei drauf, aber auch du wirst nicht lange leben. Die großen Kaliber der Colt-Specials werden dich in zwei Stücke reißen.« Der Mann wurde nervös. Er war unschlüssig. »Du bist mit al84 �
len Wassern gewaschen, Tremaine, ich habe es auch nicht anders erwartet. Der Trick ist schon so alt, wie meine selige Urgroßmutter.« Er zog den Stecher durch. Mike sah es einen Sekundenbruchteil vorher in seinen Augen. Da der Revolver noch immer auf seinen Kopf gerichtet war, warf er sich der Länge nach zu Boden. Der Detonationsknall zerriß ihm fast das Trommelfell, aber die Kugel pfiff knapp über ihn hinweg und dann hatte er den Kerl erreicht. Er erwischte ihn an den Beinen. Die beiden Männer lagen gleich darauf nebeneinander. Mike wirbelte herum und kam auf seinen Gegner zu liegen. Eine harte Rechte krachte gegen den Kopf des Mannes. Der Bursche mußte einen Schädel aus Stahl haben, denn er brummte nur kurz und schlug zurück. Mike, obwohl nicht gerade schwächlich gebaut, kullerte beiseite, sprang aber sofort wieder auf die Beine und ging den Gangster erneut an. Es wurde ein minutenlanger Schlagabtausch, bei dem sich die beiden Männer nichts schenkten. Der Killer hatte längst seinen Revolver verloren. Keuchend standen sich die Kontrahenten gegenüber. »Das Kämpfen hast du gelernt«, japste der Mann nach Luft. »Du bist auch nicht ohne«, sagte Mike. Gleich darauf verwandelte er sich in eine menschgewordene Kampfmaschine. Er hatte nicht mehr viel Zeit, das wußte er, und deshalb kannte er jetzt kein Pardon mehr. Mit gezielten Geraden trieb er den Mann vor sich her. Ein letzter, endgültiger Schlag schickte den Kerl zu Boden. Er verdrehte leicht die Augen und seufzte. Anschließend streckte er sich aus. Mike sah keuchend auf den Mann zu seinen Füßen. Der war für die nächsten Minuten ausgeschaltet. Tremaine hob den Revolver auf und steckte ihn ein, dann sah er sich nach einer 85 �
Schnur um, fand jedoch keine. Kurz entschlossen riß er den Store von der Gardinenstange, fetzte ihn in längliche Streifen, legte den Kerl auf die Seite und fesselte ihm Hände und Füße, so daß er wie ein Bogen aussah. Eine halbe Stunde konnte man in dieser Stellung aushalten, und bis dahin würde er den Captain informiert haben, der den Ganoven in Gewahrsam nahm. Mike Tremaine richtete sich wieder auf. Bei dem Kampf hatten sie jede Menge Möbel umgeworfen. Es sah aus, als wäre eine Horde wildgewordener Schimpansen durch das Zimmer gerast. Mike ging ins Geheimzimmer. Hier, wenn überhaupt wo, müßte sich das Kleinod befinden. Er begann systematisch zu suchen. Er wußte nicht mal, wonach er suchen sollte, aber er war überzeugt, daß, wenn er auf den Gegenstand stieß, er ihn auch erkannte. Tremaine kniete auf dem Boden. Mit beiden Händen tastete er unter dem kleinen Tisch entlang. Seine Linke berührte einen festen Gegenstand. Mike griff sofort zu. Enttäuscht starrte er dann auf den Kronkorken einer Bierflasche. Wütend schleuderte er das Stück Blech von sich. Verdammt, dachte er, irgend etwas muß doch da sein… Tremaine erhob sich. Sein Blick fiel auf das Tonbandgerät. Einer plötzlichen Eingebung folgend begann er das Bandgerät zu untersuchen. Er nahm die beiden großen Spulen ab. Doch da war auch nichts zu erkennen. Die riesenhafte Deckplatte war von nur vier Kreuz schrauben gehalten. Zuerst versuchte er es mit den Daumennägeln, doch das führte zu keinen Erfolg. Er sah sich nach einem geeigneten Werkzeug um, fand aber nichts Brauchbares. Vielleicht würde er in der Küche Glück haben. Er ging hinüber. Der Kerl, postgerecht verschnürt, schlief noch immer. In der Küche wurde Mike fündig. Ein kleiner Metallbehälter barg in seinem Innern ein paar Schraubenzieher, Nägel und 86 �
Schellen. Mike Tremaine nahm die Kiste an sich und ging zu dem Bandgerät zurück. Zwei Minuten später hatte er die Abdeckplatte gelöst. Da er von der Technik nicht viel verstand, schaute er ziemlich ratlos auf das ›Chaos‹ von Kabeln, Lötstellen und Spulen. Verärgert hieb er mit der Rechten auf das Gerät. Mit klackendem Geräusch flog ein kleiner Gegenstand zu Boden… Mike Tremaine bückte sich und hob ihn auf. Der Gegenstand war nur perlengroß, aber nicht gleichmäßig rund. Als Mike ihn zwischen Daumen und Zeigefinger nahm, fühlte er abgeflachte Kanten. Das Ding hatte Ähnlichkeit mit einem Miniaturwürfel. Die Farbe war als olivgrün zu bezeichnen. Er spürte plötzlich eine wohltuende Wärme, ein Prickeln, das sich in seinem Körper fortpflanzte. Irgend etwas war geschehen. Mike Tremaine zuckte zusammen. Das war das Kleinod, von dem Rick Stoll gesprochen hatte! Er betrachtete es genauer, doch er konnte nicht erkennen, aus welchem Material die ›Perle‹ bestand. Es mußte irgendein wärmeleitendes und -speicherndes Mineral in sich bergen. Nur was, zum Teufel? In diesem Moment vernahm er die Polizeisirenen. Richtig, er hatte Captain Clousky ja von Rick und Betty Stolls Tod erzählt. Also lag es auch auf der Hand, daß Sam am Tatort erschien. Hastig kritzelte er ein paar Worte in sein Notizheft, riß die Seite heraus und legte sie neben den Ohnmächtigen, dann sputete er sich und verließ die Wohnung. Unten hörte er das Kreischen der Bremsen. Er überlegte kurz und entschied sich sodann, für's erste, den Fragen der Mordkommission zu entgehen. Mit raschen Sprüngen eilte er über die Treppe nach oben. Unten wurde die Tür 87 �
aufgestoßen. Die Männer vom Dezernat, allen voran Captain Clousky, stürmten in den ersten Stock. Sam sah den Verschnürten zuerst. Er stutzte kurz, fand dann den kleinen Zettel, hob ihn auf und las, ›verhaftet den Mann, er wollte mich umbringen, ich melde mich wieder. Sei brav. Mike.‹ Clousky grinste. Dieser Teufelskerl, dachte er und steckte den Zettel ein. Seine Leute schwirrten aus. Der Captain wußte, daß es nicht viel Sinn hatte, die Bude auf den Kopf zu stellen, denn wenn Mike Tremaine da gewesen war, konnte man sicher sein, daß nichts mehr zu finden war. Aber das konnte er schlecht seinen Jungs verdolmetschen, deshalb ließ er sie gewähren. Um den Killer kümmerte er sich selbst… Mike hatte den Boden erreicht. Die Lattentür, nur mit einem lächerlichen Riegelschloß versehen, knackte er im Handumdrehen. Natürlich hatten die Polizisten seinen Thunderbird vor der Tür gesehen. Diese Möglichkeit fiel also flach. Der Boden roch muffig wie alle Böden. Das Schrägdach war über eine altersschwache Leiter zu erreichen. Die Luke stand ohnehin Tag und Nacht offen. Mike Tremaine zwängte sich ins Freie. Er war ein unfehlbarer Held, aber im Augenblick konnte er es sich nicht leisten, durch zeitraubende Fragen aufgehalten zu werden. Der Captain würde ihn nicht behelligen, das wußte Mike, aber Sam mußte sich auch vor seinen Leuten verantworten, und deshalb wählte Tremaine diesen etwas ungewöhnlichen Weg. Das Dach war mit länglichen Ziegeln versehen. Mike kroch wie eine Bergziege die Schräge hinunter. An der Traufe wagte er einen Blick nach unten. Drei Stockwerke waren schon 'ne ziemliche Höhe. Er überlegte fieberhaft. Das Nachbarhaus war fast zwei Meter entfernt. Ohne Anlauf und Schwung war es unmöglich den Sprung zu 88 �
wagen. Aber er mußte hier irgendwie runter. Die weißblechige Regenrinne kam in sein Blickfeld. Sehr vertrauenerweckend sah sie nicht gerade aus, aber was half's? Er schickte sich gerade an, an dem Ding abwärts zu klettern, als er einen Uniformierten genau an der Ecke stehen sah. Der Polizist würde nicht schlecht staunen, wenn so plötzlich ein Mann vom Himmel stieg. Mike fluchte leise vor sich hin. Mit katzenhaften Bewegungen erklomm er das Dach bis zum First. Dann atmete er erleichtert aus. Wie so viele Häuser hatte auch dieses Gebäude ein sanft abfallendes Rückdach, das knapp fünf Meter über dem Boden endete. Da drunter hatte sich der Besitzer eine Veranda eingerichtet. Mike Tremaine rutschte vorsichtig über die Ziegel. Ein Fehltritt nur, und er wäre in die Tiefe gestürzt, doch das Glück war ihm hold. Er schaffte es. Das schmale Auffanggitter stoppte seine Rutschpartie. Nach kurzem Zögern, sprang Mike runter. Das Fünf-MeterBrett ist schon für viele ein Horror, obwohl sich darunter Wasser befindet, doch ein Sprung aus fünf Metern Höhe auf Sandboden ist eine andere Sache. Wenn man die Standhöhe berechnet, sind es weit über sechs Meter, und dazu gehört schon einiges, aber Mike Tremaine hatte keine andere Wahl. Er kam glücklicherweise federnd auf, verspürte nur einen kurzen Schmerz in den Sprunggelenken, doch als er gleich darauf losstürmte, merkte er, daß nichts gebrochen war. Er hatte unwahrscheinliches Glück gehabt. Hinter dem Haus befand sich eine gartenähnliche Anlage. Die einzelnen Grundstücke waren nur durch hüfthohe Zäune abgeteilt. Die bereiteten Mike keine Schwierigkeiten. Er setzte über sie hinweg, wie ein Stabhochspringer über die Ein-Meter-Marke. Nach vier Zäunen erreichte er die Ecke und 89 �
damit die Nebenstraße. Vorsichtig ging er weiter. Der Polizist vor dem Haus lehnte gelangweilt an einem der Dienstwagen. Er hatte keinen Blick für die Umgebung übrig, weil er wußte, daß das Team oben in der Wohnung war. Einen Hinterausgang sollte es auch nicht geben, und daß jemand den selbstmörderischen Weg über das Dach wagte, schien dem Beamten unwahrscheinlich. Mike Tremaine hetzte die Straße entlang. Sein Ziel war die Fabrik, die Shafford-Werke. Dort wollte er die Feuerreiter auf sich aufmerksam machen, sie provozieren. Dort wollte er sie auch vernichten… Dieser Platz war geeignet, denn die Fabrik befand sich nicht in mittelbarer Nähe von Wohnhäusern, und Captain Clousky hatte ihm drei Stunden zugesagt. Von dieser Frist war allerdings eine Stunde schon verstrichen. Mike Tremaine, der Weiße Magier, hatte keine Zeit mehr. * Auf dem Campingplatz war kein freies Fleckchen mehr zu bekommen. Der Platzwart bekam fast graue Haare, als er das Durcheinander sah. Solch einen Run hatte er noch nie erlebt, und er hatte diesen Job schon seit Jahren inne. Es kam ihm wie eine Stadtflucht vor. Alles was Beine hatte, schien anwesend zu sein. Der Campingplatz ›sun-down‹ war allgemein beliebt. Er lag nur eine halbe Meile vor Mayville. Zu Fuß war man in zehn Minuten in der Einkaufsmetropole, und das war äußerst wichtig. Die Campingwagen und Zelte waren nicht mehr zu zählen. Ruuf Parker, der Wart, kratzte sein Kinn und wandte sich dem Bürokram wieder zu. Sein Holzhaus war das einzig feste Gebäude auf dem Platz. 90 �
Hier lebte er das ganze Jahr über, denn auch im Winter gab es einige Individualisten, die partout campen wollten, auch wenn ihnen der Nordwind eisige Kälte und jede Menge Schnee bescherte. Er klappte das Buch zu, in das sich jeder eintragen mußte. Momentan hätte nicht mal mehr ein Ein-Mann-Zelt hier Platz gefunden. Okay, der Umsatz war nicht zu verachten, und Parker war prozentual daran beteiligt, aber es machte auch jede Menge Arbeit. , Bei so vielen Menschen, Parker schätzte die Anzahl auf knapp 800, gab es natürlich immer wieder Ärger. Gerade eben hatte er einen Mann aus dem Büro werfen müssen, der partout einen anderen Platz wollte, weil seine Nachbarn eine Großfamilie waren mit sechs Kindern und einem riesigen Hirtenhund. Natürlich tobten die Kinder den lieben langen Tag im Freien, und das störte den Mister gewaltig. Parker hatte kurzen Prozeß gemacht, und dem Kinderfeind die Tür gewiesen. Da die Urlaubszeit gerade erst angefangen hatte, würde Parker noch mehr um die Ohren haben. Er seufzte und nahm sich eine Büchse Bier aus dem kleinen Kühlschrank. Gerade als er den Blechring gezogen hatte, wurde die Tür aufgerissen. Der Mann, der soeben von Parker an die frische Luft gesetzt worden war, stand unter dem Rahmen. Ruuf stellte die Büchse weg und sprang auf. »Scheren Sie sich endlich zum Teufel«, brüllte er wütend, »ist ja eine Unverschämtheit.« »Es brennt«, keuchte der Mann, »ein paar der Zelte stehen in Flammen.« »Was?« Parkers Unterkiefer klappte herunter, dann aber setzte er sich in Bewegung. Er war sportlich gut in Form, doch er 91 �
brauchte nicht weit zu laufen. Gleich als er sein Haus verließ, sah er die Flammenwand, die sich an der Südseite des Campingplatzes ausgebreitet hatte. Aufgeregte Urlauber liefen schreiend durch die schmalen Wege. »O nein«, stammelte Ruuf Parker. Ihm fiel das schreckliche Unglück auf dem spanischen Campingplatz ›Los Alfaques‹ ein, wo über zweihundert Menschen ums Leben kamen, als ein Tanklastzug mit Propangas gegen die Mauer des Platzes gerast und in Flammen aufgegangen war. Seine Gedanken überschlugen sich. »Gehen Sie in mein Büro und rufen Sie die Feuerwehr an! Die Nummer hängt neben dem Fenster an der Wand.« Ruuf Parker überzeugte sich nicht erst, ob der Mann seine Anweisung befolgte. Er stürmte über den Platz. Aufgeregte Menschen, denen die Angst im Gesicht geschrieben stand, kamen ihm entgegen, doch er mußte weiter. Er war hier der Verantwortliche. Aber er kam nicht weit. Die Gluthölle sprang ihn förmlich an. Er hörte das Rauschen und Knacken der Flammen, die sich in die Zelte fraßen. Er hielt kurzerhand einen Mann am Arm fest. »Wie ist das passiert? Sind da noch Menschen drin?« »Weiß ich doch nicht«, entgegnete der Mann lauthals und riß sich los. »Verdammter Feigling«, schrie Parker, doch der Mann konnte es schon nicht mehr hören. Der Platzwart zitterte am ganzen Körper. Wie hatte das nur passieren können? Immer wieder wurden die Urlauber von ihm persönlich darauf aufmerksam gemacht, mit diesen verdammten Kochern und Flaschen vorsichtig umzugehen, und jetzt das! Ruuf Parker wußte im Augenblick nicht, was er machen sollte. Verzweifelt starrte er auf das Flammenmeer, das sich immer weiter ausbreitete. Fast kam es ihm so vor, als ob die Feuersbrunst gelenkt würde… In aller Eile sorgte er dafür, daß die unmittelbar bedrohten Zel92 �
te geräumt wurden, aber seine Sorge war unbegründet, denn die Menschen verließen schreiend den Campingplatz. Ein paar Besonnene starteten ihre Wagen und chauffierten sie aus der Gefahrenzone. Ruuf Parker hatte alle Hände voll zu tun, denn das Feuer breitete sich mit rasender Geschwindigkeit aus. Parker mußte zurückweichen. Wenn die Wehr nicht bald anrückte, würde alles ein Raub der Flammen werden. Der Schaden würde in die Millionen gehen. Sein Blick glitt flüchtig zum Himmel. Den ganzen Morgen über hatte es nach Regen ausgesehen. Wenn der jetzt einsetzte, könnte weiteres Übel verhindert werden. Parker zuckte zusammen. Es war keine einzige Wolke mehr zu sehen. Dafür schwebten dünne Schatten über ihnen… Was war das, dachte er? Ruuf Parker schaute genauer hin, und dann glaubte er, an seinem Verstand zweifeln zu müssen. Das da oben waren ohne Frage menschliche Gestalten auf Pferden. Skelette. Er wischte sich über die Augen, aber das gespenstische Bild blieb unverändert. Er hatte die Feuerreiter entdeckt… * Der Chief der Feuerwehr Mayville, District Nord, Dennis Loyd, setzte sich mit seinem Stationcar an die Spitze des Zuges. Die Wehr war in neunzig Sekunden abfahrbereit gewesen. Loyd war sogar noch etwas früher fertig, aber das war er sich als Feuerwehrchef schuldig. Mit hundert Meilen zischten sie über die holprige Landstraße, die aus Mayville hinausführte. Dennis Loyd sah aus zusammengekniffenen Augen die schwarz wabernden Qualmwolken, die sich über dem Camping93 �
platz gebildet hatten. Er trat das Gaspedal bis zum Bodenblech durch, denn er wußte, daß es hier unter Umständen auf Sekunden ankam. Schlitternd haute er seinen Wagen in einen schmalen Graben, um den Löschfahrzeugen den Weg freizugeben. An diesem Platz befanden sich nur zwei Hydranten, und ausgerechnet da parkten jede Menge Fahrzeuge. Loyd heulte fast vor Wut. »Weg mit denen«, schrie er, »schiebt sie auf den Mond!« Der Fahrer des ersten Löschwagens zögerte nicht lange. Er gab Vollgas und schob die widerrechtliche geparkten Straßenkreuzer zu einem Knäuel zusammen. So bekamen sie wenigstens die lebensnotwendigen Hydranten frei. Den Besitzern der Beschädigten winkte eine saftige Rechnung. Loyd dirigierte seine Leute ein. »Sechs Mann mit Atemgeräten rein da«, befahl er lautstark, »holt noch raus, was laufen kann!« Er wußte zwar, daß es völlig sinnlos war, in diesem Chaos von Flammen noch mit Menschenleben zu rechnen, aber sie mußten jede Chance nutzen. Das sogenannte Actionsteam der Truppe rannte auf den Campingplatz. Die Jungs riskierten ihr Leben, denn mittlerweile standen fast alle Zelte in Flammen. Aber sie verfügten über Nerven wie Stahlseile, und keiner von ihnen hatte eine Familie. Darauf hatte Loyd schon immer geachtet. Die tapferen Boys der Wehr kämpften sich verzweifelt durch das Flammenmeer. Sie liefen jeden Augenblick Gefahr, von der Feuersbrunst eingeschlossen zu werden, aber sie machten weiter. Sie kannten es einfach nicht anders, und selbst wenn sie nur einem Menschen das Leben retteten, wäre in ihren Augen ihr selbstmörderischer Einsatz gerechtfertigt gewesen. Sie stürmten in brennende Zelte, suchten in Windeseile nach 94 �
Anwesenden und kamen manchmal gerade noch mit dem Leben weg, indem sie mit einem verzweifelten Satz aus den Zelten sprangen, die hinter ihnen funkenstiebend zusammenbrachen. Inzwischen hatten sich die übrigen darauf konzentriert, das Feuer unter Kontrolle zu bekommen. Die atü-gewaltigen Strahlen der C-Rohre prasselten in die Flammenwand. Löschen war sowieso sinnlos. Das hatte Dennis Loyd sogleich erkannt. Sie mußten sich darauf beschränken, das weitere Übergreifen der Flammen zu verhindern. Selbst das war so gut wie aussichtslos, denn sie hatten eine brennende Fläche von knapp zwei Quadratkilometern vor sich. Sie kämpften im Schweiß ihres Angesichts. Loyd war überall, wo not am Mann war. Einer seiner Leute, Jack Morgan, gerade seit vier Wochen bei der Truppe, hatte sich zu weit vorgewagt. Die Gluthitze hüllte ihn ein, noch ehe er begriff, was geschehen war. Seine Kleidung begann sofort zu glimmen, Loyd erkannte es aus den Augenwinkeln. Im Nu war er bei dem Mann, riß ihn aus dem Gefahrenbereich und stieß ihn zu Boden. Er wälzte Morgan wie eine Rolle hin und her und erstickte die züngelnden Flammen. Dabei schrie er wie ein Berserker. »Paß gefälligst auf! Ich habe keine Lust, deinen Eltern einen Brief zu schreiben, hast du kapiert?« »Ja, Sir«, stammelte der junge Mann, »und vielen Dank auch, Sir!« »Ach was«, wehrte Loyd ab. »Sie haben mir das Leben gerettet«, keuchte Morgan, »das vergesse ich…« Er wurde von seinem Chef unterbrochen. »Das gleiche würde ich auch von dir erwarten. Also spar dir deinen Schmus.« »Zu Befehl, Sir«, sagte Morgan, immer noch ziemlich bleich. »Na also!« 95 �
In diesem Augenblick trat Ruuf Parker, der Platzwart, auf den Feuerwehrchief zu. »Heh«, rief er, »das ist schön, daß Sie so früh gekommen sind, da müssen nämlich noch ein paar Leute drin sein.« Er zeigte auf das prasselnde Flammenmeer, das an Heftigkeit noch zuzunehmen schien. »Verdammt«, schimpfte Dennis Loyd und schob sich den Helm mit dem Plastiknackenschutz in die Stirn, »woher wissen Sie das?« »Ich weiß es nicht, aber ich vermute es. Sehen Sie da die Leute?« Seine Rechte deutete auf die Menschenansammlung der Betroffenen, »es müssen ganz einfach noch ein paar fehlen.« »Die sind längst verbrannt«, sagte Loyd hart, »das da überlebt niemand.« »Ich wollte es Ihnen ja nur sagen, Mister.« Der Chef der Feuerwehr nickte kurz. »Ich habe sechs meiner besten Leute da drin«, sagte er, »wenn es noch einen Lebenden gibt, dann finden die ihn. Darauf können Sie sich verlassen!« »Ihr Wort in Gottes Ohr«, seufzte Ruuf Parker und starrte fassungslos auf das Chaos der entfesselten Gewalten. * Mike Tremaine hielt sich in der Fabrik auf . Das gefundene Kleinod hatte er in die Brusttasche seines Hemdes gesteckt. Er hatte sich ein paar Stühle geholt, sie auf den Hof gestellt, auf einem Platz genommen und seine Füße auf einen weiteren gelegt. So wartete er. Er hatte die Augen geschlossen. Irgend etwas hielt ihn gefangen. Er wußte sich das Gefühl nicht zu erklären. Es war einfach da. Wie eine Überfülle von Wissen. Er wollte an nichts denken, aber es bohrte sich in sein Hirn und füllte alles in seinem Innern 96 �
aus. Mike wußte, daß er sich treiben und leiten lassen mußte, denn noch konnte er seine übermenschlichen Kräfte nicht erkennen und steuern. Etwas Ungeheures war mit ihm geschehen; nur was es war, das wußte er noch nicht. Zeit seines Lebens hatte er ein normales Leben geführt wie jeder Sterbliche, hatte Ärger und Freuden mitgemacht, sich ziemlich intensiv um das andere Geschlecht gekümmert, getrunken, geprügelt, wenn es sein mußte, sich in Spielhöllen herumgetrieben und ein paar Flaschen Champagner ausgegeben, Steuerschulden nur auf Raten beglichen, kiloweise Büchsen geleert, denn Kochen hatte er nie gelernt, Tausende Nächte auf dem Revier zugebracht, weil zu Hause ohnehin niemand auf ihn wartete, sich von klein auf bei der Polizei hochgearbeitet, kurz, er lebte ein normales Leben. Bis er dann gefeuert wurde. Aber auch dann hatte er nicht aufgesteckt. Er hatte zwar die Flaschen zu seinen besten Freunden gemacht, aber er fing sich immer wieder und ging seinem neuen Job als Privatdetektiv nach, und er war nicht mal einer der Schlechtesten. Doch seit seinem ersten Zusammentreffen mit Rick Stoll, dem Mann mit dem Zweiten Gesicht, war er ein völlig anderer geworden. Es war schon zum Verzweifeln, wenn man eine Veränderung in sich spürte, sich aber nicht erklären konnte, wieso und weshalb das so war. Er öffnete die Augen. In seinem Gehirn hatten sich atonale Lautgebilde breitgemacht. Mike Tremaine wußte sofort, was das bedeutete. Die ›Sprache‹ der Weißen Magier! Sie mußte ihm den Weg zu den diabolischen Feuerreitern ebnen. Ruckartig setzte er sich auf. Etwa eine Meile von ihm entfernt, bildeten sich am Horizont pechschwarze Wolken. Der Qualm stieg röhrenartig in den Him97 �
mel. Dort mußte irgend etwas brennen, eine große Fläche, denn die Wolken verdunkelten den Himmel. Er hatte mal einen Film über einen Steppenbrand gesehen. Die Wolken waren so ähnlich, weiträumig und dick wabernd. Der Campingplatz, schoß es Mike durch den Sinn… Während er hier tatenlos herumsaß und auf den Angriff der Feuerreiter wartete, hatten die Höllengeschöpfe ganz woanders und unverhofft zugeschlagen. Mike Tremaine sprang vom Stuhl hoch. Gehetzt blickte er sich um. Er hatte keinen Wagen. Sein Blick fiel auf einen altersschwachen Lkw der ShaffordWerke. Das Ding sah zwar schon museumsreif aus, aber Mike machte sich nichts vor. Im Nu hockte er hinter dem Lenkrad. Natürlich steckte der Zünder nicht. Kurz entschlossen riß er die betreffenden Kabel unter dem Armaturenbrett hervor. Zwei Minuten Arbeit, und der Lkw gab den ersten Ton von sich. Mike trat das Pedal brutal durch, brachte noch mal die Kabel zusammen und gab es dem alten Truck voll. Die Kiste sprang an. Mike schob den ersten Gang rein, ließ die Kupplung springen und lenkte den Veteranen vom Hof. Sein Ziel war der Campingplatz, denn er spürte auf einmal, daß sich der letzte Machtkampf dort abspielen würde. * Dennis Loyd war nur noch ein Nervenbündel. Das Unerwartete war eingetroffen. Seine Jungs, die sich todesmutig in das Flammenmeer gestürzt hatten, waren von dem Feuer eingeschlossen worden. Obwohl kein wesentlicher Wind herrschte, schlugen die Flam98 �
men plötzlich um und schnitten den sechs Männern den Fluchtweg ab. Dennis Loyd hatte alle Rohre auf den Abschnitt richten lassen, doch auch die tausend Liter richteten gegen die Flammen nichts aus. Er befahl noch mehr Druck, doch die C-Rohre erzielten einzig den Erfolg eines Löschpapiers gegen tausend umgekippte Tintenfässer. Der Chef konnte sich diese Tatsache nicht erklären. Seine Leute lebten noch. Über Walkie-Talkie konnte Dennis Loyd sie hören. »Hey, Dennis«, sagte Roger Neskens, ein gestandener Feuerwehrmann, »sieht verdammt schlecht aus. Wir haben hier gerade mal null komma null Quadratmillimeter flammenfreies Gebiet. Wenn ihr uns nicht gleich oder besser noch vor 'ner halben Stunde rausholt, mußt du sechs Briefe mit schwarzem Rand schreiben.« »Red' nicht solch einen Unsinn«, schrie Dennis Loyd, »ihr werdet schon rausgeholt! Ihr kennt mich doch!« »Sicher«, sagte Neskens, »nur uns brennt gleich die Pelle ab, Chef.« »Habt ihr noch welche gefunden?« »Nichts, Chef, der Platz ist leer wie ein Kuchenteller im Kinderheim.« »Ist ja prächtig, dann werde ich jetzt zu euch rüberkommen und euch rausholen.« »Das würde ich besser bleiben lassen, Dennis. Hat nicht mehr viel Sinn.« »Schnauze«, schrie Dennis Loyd ins Walkie-Talkie. In diesem Augenblick hatte Mike Tremaine den brennenden Campingplatz erreicht. Seine Nerven waren aufs äußerste angespannt. Er sprang aus dem Lkw und rannte auf Dennis Loyd zu. 99 �
»Was wollen Sie?« herrschte er Tremaine an. »Sind Sie der Boß hier?« fragte Mike zurück. »Ja«, knurrte Loyd, »aber ich habe jetzt keine Zeit zum Plaudern. Da drin sind noch sechs Mann von mir.« Mike bückte auf die Flammenhölle. Das würde kein Mensch überleben. Dennis Loyd hatte sich abgewandt. »Heh, warten Sie«, rief er hinter ihm her. Der Mann blieb stehen. »Was wollen Sie noch«, reagierte er ungehalten. »Ich werde Ihre Leute da rausholen«, sagte Mike schlicht. »Sie?« kam es erstaunt über die Lippen von Dennis Loyd. »Und wie wollen Sie das anstellen?« »Keine Ahnung«, sagte Tremaine ehrlich, »vielleicht haben wir Glück, das könnten Ihre Männer bestimmt gebrauchen.« Er ließ den Chef der Feuerwehr einfach stehen und schritt auf das Flammenmeer zu. Loyd brüllte ihm nach. »Machen Sie keinen Quatsch, Mann, kommen Sie zurück!« Die anderen Menschen hatten mit offenen Mündern zugesehen. Gleich darauf war von Tremaine nichts mehr zu sehen. Die Flammen hatten ihn aufgenommen. Mike Tremaine durchschritt die Höllenglut. Die Feuerzungen leckten nach ihm und hüllten ihn ein. Er murmelte geheimnisvolle Worte vor sich hin, seine Rechte umkrampfte das Kleinod. Irgendwie hatte er darauf vertraut, daß ihm nichts geschah, und er hatte recht behalten. Das Feuer, von den dämonischen Geistern entfacht, konnte ihm nichts anhaben. Das Prasseln und Zischen der gewaltigen Feuersbrunst hatte sich zu einem Orkan entfacht. Der Weiße Magier schritt immer weiter. Endlich hatte er die Männer erreicht. Die Sechs standen dicht gedrängt auf dem einzig freien Platz, 100 �
der noch nicht von dem Feuer vereinnahmt worden war. Mit ihren Atemgeräten sahen die Männer wie Wesen von einem anderen Stern aus. Verblüfft sahen sie auf den hünenhaften Mann, der plötzlich aus den Flammen trat. »Das gibt es doch nicht«, keuchte Neskens und kippte den Schalter des Sprechfunkgerätes auf ›on‹. Dennis Loyd meldete sich sofort. »Dennis«, rief er, »hier steht ein Fremder kannst du mir erklären…« Er wurde unterbrochen. »Hat der es doch tatsächlich geschafft. Kaum zu glauben!« Mike Tremaine packte Roger Neskens am Arm. »Wenn Sie nicht auf Kindsgröße schrumpfen wollen, dann würde ich an Ihrer Stelle mit dem Quasseln aufhören. Wenn ihr überhaupt noch eine Chance habt, dann die, im Eilzugtempo raus hier!« »Da kommen wir doch höchstens als Schaschlik wieder raus«, begehrte der Feuerwehrmann auf. »Reden Sie keinen Stuß, Mister! Hört zu«, wandte er sich an die anderen Männer, »ihr müßt dicht bei mir bleiben; je dichter, desto besser. Kriecht zusammen und schmiegt euch an mich! Fragen könnt ihr später stellen. Kapiert?« Sie hatten keine andere Wahl, deshalb nickten sie auch zustimmend. Die Lage war mittlerweile noch bedrohlicher geworden. Die Männer klebten aneinander wie Bienen im Stock. Sie machten den ersten Schritt in die prasselnden Flammen… Die beiden Männer der Wehr, die vor Mike gingen, schlossen ergeben die Augen und warteten auf den unweigerlich kommenden Schmerz. Rotgelbe Feuerlanzen fegten ihnen entgegen. Das brüllende Chaos der entfesselten Gewalten schlug über ihnen zusammen. Die sechs Männer, alles durchweg Kerle, die das Wörtchen Angst nur aus dem Duden kannten, hatten mit ihrem Leben ab101 �
geschlossen. Aber sie schritten, dicht an den Weißen Magier geschmiegt, durch die Feuersbrunst. Ein vielstimmiger Jubelschrei scholl ihnen entgegen. Verdattert sahen sich die Männer um. Sie waren draußen, hatten die Hölle hinter sich gelassen. Zwei von ihnen kippten einfach um. Die Anstrengung war doch zu viel gewesen. Dennis Loyd, seine Männer in Sicht, zweifelte fast an seinem Verstand. Er stürmte auf Mike Tremaine zu. Unfähig zu einem vernünftigen Wort, stammelte er irgend etwas, was jedoch in diesem Inferno der prasselnden Flammen völlig unterging. Dann mußte er mit weitaufgerissenen Augen mit ansehen, wie der Fremde sich noch mal auf die alles vernichtenden Flammen zubewegte. Er wollte etwas rufen, den Mann daran hindern, aber dafür war es schon zu spät. Mike Tremaine ging dem letzten, endgültigen Kampf entgegen… Die glückliche Rettung der Sechs hatte er schon wieder vergessen. Jetzt ging es ums Ganze! Und er würde gnadenlos vorgehen… * Die dämonischen Höllenboten hatten ohnmächtig zugesehen. Dieser Mensch war nicht zu vernichten, er barg das Weiße in sich. Seine Waffe war nicht zu besiegen. Heulendes Wehklagen erfüllte die Luft. Sie formierten sich über dem Ort des Grauens und wirbelten aufgeregt umeinander. Der Weiße Magier hatte sich wieder in die Flammen begeben, er mußte ins Zentrum gelangen. 102 �
Mike Tremaine hatte in diesem Moment nichts Menschliches mehr an sich. Äußerlich war ihm zwar nichts anzumerken, aber in seinem Innern machten sich Kräfte breit, die für einen Normalsterblichen unfaßbar waren. Dämonische Mächte des Weißen ließen ihn zur menschlichen Bombe werden. Er war bereit, sein Leben zu opfern, wenn er dadurch die Feuerreiter vernichten konnte… * Captain Sam Clousky hatte geduldig abgewartet. Die Abmachung, die er mit Mike getroffen hatte, bereitete ihm ordentliche Schwierigkeiten. Sein Vorgesetzter hatte ihm eine Standpauke gehalten. »Wie konnten Sie es verantworten, eine wichtige Ermittlung einfach abzubrechen? Noch dazu im Zusammenhang mit Tremaine. Wir haben diesen Mann nicht ohne Grund gefeuert. Sind Sie sich eigentlich im klaren darüber, was Sie da auf sich genommen haben? Das kann Sie Ihre Karriere kosten.« »Ja, Sir«, hatte Sam erwidert, »Schaffen Sie mir den Burschen her! Ich werde ihm einen Dämpfer versetzen, daß ihm die Augen tränen.« »Tut mir leid«, knurrte Sam, »aber da werden Sie sich wohl noch ein Weilchen gedulden müssen.« »Wie darf ich das verstehen, Captain?« »Ich habe ihm drei Stunden zugebilligt. In dieser Zeit wird er von uns nicht gestört.« »Sind Sie krank?« fragte der Vorgesetzte gefährlich leise, »er soll von uns nicht gestört werden?« »So ist es«, nickte Sam, flüchtig grinsend. »Er kämpft nämlich gegen die Feuerreiter, Sir, und das kann nur Tremaine. Wir sind dafür einfach ungeeignet. 103 �
»Was sagen Sie da, Captain?« »Nur die Wahrheit! Mehr nicht, und jetzt entschuldigen Sie mich. Ich habe noch zu tun.« »Sie bleiben! Sie gehen erst dann, wenn ich es sage.« »Das ist ein großer Irrtum«, sagte der Captain und ging aus dem Zimmer. Sauer warf er sich in seinem Büro in den Drehstuhl, riß den Hörer von der Gabel und verlangte den Sergeant. »Kommen Sie mal rüber!« »Was gibt es?« fragte der Gerufene beim Eintreten gelangweilt. Er kannte den Captain noch aus der Zeit, als er Streife fuhr. Sergeant Berger war ein altgedienter Polizist, den so leicht nichts umwarf. Wenn der Chef brüllte, dann war halt etwas nicht in Ordnung. »Ich muß sofort wissen, wo sich Mike Tremaine aufhält. Veranlassen Sie das bitte, und wenn ich sofort sage, dann meine ich gestern, klar?« »Okay«, erwiderte der Sergeant. »Tremaine hält sich im Sundown auf«, sagte er wie beiläufig. »Woher wissen Sie das?« reagierte Clousky verblüfft. Das Wissen dieses erfahrenen Beamten überraschte ihn immer wieder. Irgendwie mochte er Berger. Er war bärbeißig und so gut wie unnahbar, aber wenn es darauf ankam, griff der Captain gern auf den Sergeant zurück. »Es gehört zu meinen Aufgaben, gut informiert zu sein«, murmelte er. »Der Campingplatz steht in hellen Flammen. Dort herrscht ein Chaos, ungefähr wie im alten Rom, als Nero die Stadt anstecken ließ.« Als Sam Clousky das Wort Flammen hörte, horchte er auf. »Der Campingplatz brennt?« vergewisserte er sich noch mal, »und Mike ist anwesend.« »Sagte ich doch eben.« Sergeant Berger gab sich gelangweilt. 104 �
›Verdammt, hätten Sie mir das nicht früher sagen können?« schrie er Berger an. »Ich sah dazu keine Veranlassung, Chef, ist doch Sache der Fire-Brigade.« »Und es ist Sache von mir, Sie nach Alaska zu versetzen«, brüllte Clousky. »Schöne Gegend da oben«, erwiderte Berger ungerührt, »und wenn Sie hier bleiben, kann es direkt ruhig sein.« Captain Clousky ersparte sich eine Antwort, die bei dem Sergeant ohnehin auf taube Ohren gestoßen wäre. Sam fegte aus dem Zimmer, er mußte zum Campingplatz. Dort mußte etwas passiert sein, das im mittelbaren Zusammenhang mit den Feuerreitern stand. Und damit hatte er völlig recht. * Mike Tremaine befand sich in den Flammen… Rein optisch vernahm er sie, auch das krachende Prasseln der Feuerlanzen, aber die Feuersbrunst konnte ihm nichts anhaben, denn es waren dämonische Flammen, und dagegen war er gefeit. Er wußte, daß die Feuerreiter sich auf ihn konzentrieren würden, und er rechnete mit seinem Tod, dennoch ging er unerschrocken weiter. Mike verharrte im Schritt. Aus zusammengekniffenen Augen sah er, wie die Flammen, die ihn bisher eingehüllt hatten, plötzlich erloschen. Ein Vakuum hatte sich gebildet, und der Weiße Magier befand sich mitten drin. Rings um ihn tobte die Feuersbrunst, die mit normalen Mitteln nicht zu löschen war. 105 �
Mike Tremaine fühlte sich auf einmal angehoben. Er verlor den Boden unter den Füßen. Erschrocken, denn noch hatte er nicht alle ihm gegebenen Fähigkeiten richtig erkannt und merkte, wie er im rasenden Wirbel der Gewalten ins Nichts geschleudert wurde. Die Feuerreiter hatten sich seiner bemächtigt… Sie hatten erkannt, daß sie ihn auf der Erde nicht besiegen konnten. Deshalb holten sie ihn zu sich. Tremaines Ich taumelte durch die Zeit. Grauenhafte Kräfte wirkten auf ihn ein, trieben ihn immer weiter und rissen ihn in immer entsetzlichere Tiefen des Schattenreiches. Die Weiten des Zwischenreiches vereinnahmten den Weißen Magier, und nur seine ihm angeborene Kraft ließ ihn am Leben. Der Widerstand in ihm wuchs, und plötzlich fühlte er, daß er das Umherwirbeln steuern konnte. Diese Tatsache überraschte ihn ungemein. Er verhielt in seinem taumelhaften Sturz ins Grauen. Langsam schaute er sich um. Sein Blick glitt an seinem entstofflichten Körper entlang. Das war nicht mehr die menschliche Hülle des Privatdetektivs Mike Tremaine! Nur ein länglicher Schatten, weiß wabernd und inkonsistent, zuckend und immer wieder ineinander fließend. Das war das Schatten-Dasein! Ihn durchlief eine fürchterliche Angst. Sein Ich weitete sich aus und wurde zu einem breiten Nebelstreif, der sich in der unvorstellbaren Unendlichkeit unsägliche verlor… Jetzt mußte der Weiße um seine Existenz kämpfen, und gerade in der schwierigsten Phase trafen ihn die Feuerreiter. Sie ringten ihn ein, umschwebten ihn fuhren durch ihn hindurch und trieben ihre grausamen Scherze mit ihm. Mike Tremaine schrie. 106 �
Es bereitete ihm Schmerzen. Doch die Höllengeschöpfe kannten keine Gnade. Sie mußten ihren gefährlichsten Gegner besiegen, wollten sie nicht selbst vernichtet werden. »Endlich haben wir dich«, schrillte ein helles Tremolo in Tremaine. Es schüttelte ihn durch, warf ihn hin und her. »Warum hast du dich gegen uns gestellt?« Mike Tremaine spürte jede einzelne Silbe, die sich in sein Wissen bohrte und dort eine Schmerzwelle nach der anderen auslöste. Verzweifelt versuchte er zu entkommen. Das totale Nichts nahm ihn auf und verschluckte ihn förmlich, aber die dämonischen Feuerreiter ließen ihm keine Chance. Sie umtanzten ihn wieder. Der Weiße Magier erinnerte sich des Kleinods, doch hier im Reich der Schatten war es ein Nichts. Er wußte, er hatte verloren. Resignierend stöhnte er. Eine grelle Lichtquelle erreichte ihn, peinigende Helligkeit traf ihn. Versengende Hitze umgab ihn und saugte das bißchen IchSein aus ihm. Es war vorbei! Der Weiße Magier war besiegt. Aber da, wie aus dem Nichts, befanden sich plötzlich zwei graue Schemen neben ihm. Zwei Weiße Magier eilten ihm zu Hilfe und suggerierten ihm seine tatsachlichen Kräfte ein. Atonale Laute erreichten ihn. Mike Tremaine verstand sie. Das waren die beiden Weißen Magier, die noch außer ihm auf der Welt lebten. Mike erinnerte sich wieder, daß Rick Stoll in seinem Vermächtnis davon gesprochen hatte. Die drei machten jetzt Front gegen die Feuerreiter. Gemeinsam trieben sie die Höllengeschöpfe aus dem schützenden Zwischenreich. 107 �
Wehklagen und Jammern erscholl. Doch die Weißen Magier kannten kein Erbarmen. Ihre Kräfte hatten sich vereinigt, und sie schafften es, die Feuerreiter ins reale Reich zu zwingen. Hündisches Jaulen machte sich breit. Luftturbulenzen entstanden. Mike Tremaine hatte wieder festen Boden unter den Füßen. Das Flammenmeer wogte immer noch mit Allgewalt über den Boden. Er sah sich rasch um. Neben ihm standen eine Frau und ein Mann. Sie hatten steinerne Gesichter. Die Arme hielten sie vor der Brust verschränkt. Mike wußte plötzlich, daß das die beiden Weißen Magier waren, von denen Stoll ihm erzählt hatte. Doch im nächsten Augenblick verlor er die beiden aus den Augen, dafür gerieten die Feuerreiter in sein Blickfeld. Die Horden des Teufels wurden durch einen magischen Bann ans Erdreich gefesselt. Mike streckte seine Rechte vor. Das perlengroße Kleinod lag auf der Handinnenfläche… Gemessenen Schrittes ging er auf die wimmernden Feuerreiter zu. Sie konnten nicht mehr von der Stelle. Das Gute hielt sie fest. Intuitiv tat Tremaine das Richtige. Er berührte jeden der grausamen Dämonendiener. Eine fürchterliche Verwandlung ging mit ihnen vor sich. Schrilles Fiepen erklang aus ihren Kehlen, von Todesangst geschüttelt, wollten sie ausbrechen, doch sie schafften es nicht. Eiskalt schritt Mike Tremaine von einem zum anderen und berührte ihn. Derjenige zerfiel sofort zu Staub. Und so vernichtete der Weiße Magier einen nach dem anderen. Höllischer Wind kam auf, doch Tremaine ließ sich nicht beirren… 108 �
*
Dennis Loyd, der Boß der Feuerwehr, versuchte alles Mögliche, um die Flammen endlich unter Kontrolle zu bekommen. Doch es war umsonst Der Platz brannte lichterloh, Loyd erwägte schon, durch eine Sprengladung die Feuersbrunst zu zerfetzen, und dann die einzelnen Brandherde anzugehen, doch von diesem Gedanken nahm er schnell wieder Abstand. Dort, in diesem Chaos, befand sich noch der Fremde. Der Mann war zweimal unbehelligt durch die Flammenwand geschritten, und er hatte die sechs Mann unverletzt gerettet; eine Tatsache, die dem erfahrenen Feuerwehrmann bis zur Stunde noch immer ein Rätsel war. Vielleicht lebte der Mann noch, obwohl Loyd daran nicht so recht glauben wollte, aber eine minimale Chance bestand immerhin. Seine Kommandos scheuchten die Leute umeinander. Um wenigstens nicht nur hilflos herumzustehen, kommandierte Loyd alle verfügbaren Schläuche auf das Feuer. Unmengen von Wasser fuhren in die Flammen, doch es war zum Verrücktwerden. Der Erfolg war gleich Null. »Sir«, brüllte einer hinter ihm, »das hat doch keinen Sinn. Wir müssen sprengen, sonst brennen die Flammen noch bis zum Jüngsten Tag.« Wütend warf Loyd sich herum. »Noch bestimme ich, was geschieht.« »Das ist kein normales Feuer«, stöhnte der Mann, »hier geht es nicht mit rechten Dingen zu, Sir. Wir haben alles getan, was in unserer Macht steht.« »Sei ruhig!«, schrie Loyd den Mann an. »Wir werden den 109 �
Brand löschen, und wenn wir tagelang hier stehen.« In diesem Augenblick hatte Captain Clousky den Ort der Katastrophe erreicht. Mit großen Augen schaute er auf das prasselnde Feuer. Solch eine Brunst hatte er nie zuvor gesehen. Hastig schaute er sich um. Wo war Mike? Er konnte ihn nirgends entdecken. Er wandte sich an den erstbesten Mann, der untätig herumstand. »Captain Clousky«, stellte er sich kurz vor, »ich suche einen gewissen Mike Tremaine. Wissen Sie zufällig, wo der ist?« »Kenne ich nicht«, sagte der junge Bursche. »Wo ist ihr Chef?« fragte Sam gereizt. »Dort drüben.« Der Mann zeigte auf Dennis Loyd, der nur knapp zehn Meter vor der Flammenwand stand. Sam war sofort bei ihm. Um langwierigen Fragen zu entgehen, hielt er dem Feuerwehrchef einfach den Dienstausweis vor die Nase. Loyd warf nur einen kurzen Bück drauf, dann knurrte er. »Was wollen Sie? Ich habe zu tun.« »Ich suche Mike Tremaine«, sagte Sam. »Wer soll das sein? Habe den Namen nie gehört.« Der Captain gab eine kurze, aber präzise Beschreibung von Mike ab. Dennis Loyd zuckte zusammen. »Sie meinen den Irren?« fragte er. »Wieso Irren?« »Der Mann ist da drin.« sagte Loyd schwer und zeigte auf das Feuer. »Er kam plötzlich an, ging rein ins Feuer, holte meine Leute raus und dann marschierte er noch mal rein!« »Konnten Sie ihn nicht zurückhalten?« brüllte Sam wütend. »Halten Sie doch mal den Wind fest«, blaffte Loyd. »Chef«, schrie plötzlich einer der Männer, »sehen Sie mal da rüber.« Ungehalten bückte Loyd in die angegebene Richtung. 110 �
Was er da zu sehen bekam, verschlug ihm den Atem. Die eben noch hochprasselnde Feuersbrunst war in sich zusammengesunken. Die Flammen schrumpften zusehends, als ob einer von oben einen riesigen Deckel darüber gestülpt hätte. Fassungslos sahen die Männer der Wehr, wie das Feuer ohne jegliche Fremdeinwirkung verlosch. Nicht mal Rauch bildete sich. Nach einer halben Minute war alles vorüber. Die Männer an den Schläuchen schauten verdutzt auf das Phänomen vor ihren Augen. Loyd wischte sich über das Gesicht. Sein Mund stand weit offen. »Was ist das?« stammelte er verwirrt, »das gibt es doch nicht, das kann es einfach nicht geben!« Sämtliche Zelte und Wohnwagen waren ein Raub der Flammen geworden. Der ehemals saftgrüne Grasboden war schwarz verbrannt. Ein seltsamer Gestank kam plötzlich herüber. Es roch nach Schwefel… Und inmitten der verbrannten Erde stand ein Hüne von Mann. Er hielt noch immer seine Rechte weit vorgestreckt. Captain Clousky erkannte Mike Tremaine sofort. Mit einem Freudenschrei stürmte er auf den Freund zu. Mike erwachte wie aus Trance. Er blinzelte kurz, sah sich um und sog erleichtert Sauerstoff in seine Lungen. Der Höllenspuk war endgültig vorbei. Sein verkrampfter Körper entspannte sich. Sam Clousky hatte seinen Freund gerade erreicht, als Mike Tremaine wie ein gefällter Baum zu Boden sank. Das alles, das Zusammentreffen mit den Feuerreitern, war zuviel für ihn gewesen. Eine tiefe Ohnmacht hielt ihn gefangen. 111 �
Der Captain sah erschrocken auf Mike. Er lag da wie ein Toter. Sollte es ihn am Ende doch erwischt haben? Er kniete neben Mike. Im selben Augenblick war auch schon ein Sanitäter zur Stelle. Er schob den protestierenden Captain einfach ins Aus und kümmerte sich um Tremaine. Auf sein Winken hin kamen zwei Mann mit einer Trage. Nach fünfzehn Minuten war Mike im Krankenhaus. Es ging ihm schlecht. Der Chefarzt veranlaßte die Verlegung auf die Intensivstation, denn er räumte Tremaine nicht mehr viel Überlebenschancen ein. Mike Tremaine lag im Koma… * Captain Clousky hatte es sich nicht nehmen lassen, am Bett seines Freundes zu sitzen. Die Schwester hatte Mike jederzeit im Monitor, doch Mike zeigte keinerlei Lebenszeichen, einzig seine Organe funktionierten noch, Lebenswille war, so schien es den Ärzten jedenfalls, nicht mehr vorhanden. Über diverse Schläuche wurden ihm alle möglichen Medikamente zugeführt. Den ganzen Tag und die folgende Nacht brachte Sam an Mikes Bett zu. Er saß einfach nur da und starrte auf seinen Freund. Niemand wagte ihn zu stören. Und dann, Sam war gerade eingenickt, schlug Mike Tremaine die Augen auf… Es war wie ein Erwachen aus unendlicher Dunkelheit. »Heh«, rief er ziemlich kläglich und schwach wie ein Säugling, »heh, Sam, hör auf zu pennen!« Clousky glaubte sich verhört zu haben. Verschlafen wie er war, blickte er auf Mike. Im Nu saß er kerzengerade auf dem unbe112 �
quemen Stuhl. »Mike«, brachte er über die Lippen. »Wer denn sonst?« Ein schiefes Grinsen lag auf seinem Gesicht. »Du lebst?« »Du hast schon immer blöde Fragen gestellt«, sagte Mike. Im nächsten Moment waren zwei Schwestern und zwei Ärzte zur Stelle. Sie waren ziemlich aufgeregt und stellten den Patienten fast auf den Kopf. Alle möglichen Funktionen wurden überprüft, und er wurde mit Fragen überhäuft. Nach einer halben Stunde war auch das vorbei. Da sie nichts mehr an ihm finden konnten, brachte man ihn auf die Männerstation, das heißt, man wollte es. Im Fahrstuhl, der ihn nach oben tragen sollte, hatte Mike sich entschlossen, einen Scotch zu sich zu nehmen. Die beiden Pfleger hatten dagegen etwas einzuwenden, und auch Sam war nicht so ganz dafür, denn er hielt Mike nach wie vor für schonungsbedürftig. Tremaine kam sich auf der Trage mit Rollen ziemlich einfältig vor, denn es ging ihm wieder einigermaßen gut. Kurz entschlossen schwang er sich auf die Füße. Die Pfleger protestierten, doch darum kümmerte sich Mike nicht. ' Als der Fahrstuhl hielt, ging Tremaine wie ein Nachtgespenst in seinem hinten offenen Kittel auf die Schwester in der Loge zu, klopfte ihr freundlich auf den Handrücken, nannte seinen Namen und verlangte charmant seine Kleider zurück. Nach einer Minute stand ein Arzt neben ihm. Er verweigerte Mike die gewünschten Sachen, und erst als Sam ihn darauf aufmerksam machte, daß das als Diebstahl bezeichnet werden könnte, rückte man die Kleider heraus. Mike Tremaine mußte noch den üblichen Schein unterschreiben, auf dem in etwa stand, daß er auf eigenen Wunsch und gegen den Willen der Ärzte entlassen wurde. 113 �
Nachdem das überstanden war, lockte Mike Tremaine den Captain in eine Bar, wo es vor schönen Mädchen und Scotchflaschen nur so wimmelte. Er beorderte von jedem etwas an den Tisch. Dem Captain schob er die Blondine rüber. Die würde Sam genügend beschäftigen, so daß er nicht zu Fragen kam. Doch da hatte er sich geirrt. Sam Clousky fing an zu bohren. »Erzähl mir jetzt endlich, was geschehen ist!« »Nein«, grinste Mike. »Ich bestehe aber darauf.« »Pff«, machte Mike. »Was ist mit diesen Schurken, diesen Feuerreitern?« »Weg«, sagte Mike lakonisch. Er hatte keine Lust, dem Captain mehr zu sagen, als nötig war. Auch das plötzliche und rettende Auftauchen der beiden Weißen Magier verschwieg er lieber. Er wußte, daß er sie irgendwann wieder traf, doch das war einzig seine Sache. Der Kampf war überstanden, und nur das zählte. Die weiteren Fragen überhörte er geflissentlich, und endlich gab auch der Captain auf. Es führte sowieso zu nichts. Der Abend wurde nett und teuer. Nach knapp vier Stunden nahm Mike Sam unter den Arm, brachte ihn nach Hause und fuhr dann in seine Wohnung. Und hier grübelte er noch eine lange Zeit nach… ENDE
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