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Man schrieb den 15. Dezember 1580. „Auf die Schlepptrosse achten, Profos!“ dröhnte die S...
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Seewölfe 73 1
Fred McMason 1.
Man schrieb den 15. Dezember 1580. „Auf die Schlepptrosse achten, Profos!“ dröhnte die Stimme des Seewolfs über Deck. „Aye, aye“, klang es unwillig zurück, und Carberry spie angewidert über das Schanzkleid in die von achtern heranrollende Dünung. Dieser Engländer, den sie seit mehr als einer Stunde im Schlepp hatten, hing dem Profos längst zum Hals heraus. Sollen die Kerle doch mit ihrem Kahn absaufen, diese verdammten Hurensöhne! dachte der Profos. Er warf einen Blick zu der Karavelle „Hermes“ hinüber, und abermals stieg ihm die Galle hoch. Der Engländer hatte ihnen eine verdammt harte Verfolgungsjagd geliefert, das mußte ihm der Neid lassen. Es war unmöglich gewesen, das schnelle Schiff abzuschütteln, immer wieder war es an der Kimm aufgetaucht. Später, als sie wie aus heiterem Himmel den Ruderschaden erlitten, als die „Isabella VIII.“ etliche Stunden lang manövrierunfähig gewesen war, hatte die „Hermes“ sie angegriffen. Aber der Seewolf hatte sie überlistet und bereits nach kurzem Gefecht ausgeschaltet, ohne daß die „Hermes“ überhaupt zum Schuß gekommen war. Anders hingegen hatten sich die Dinge entwickelt, als auch die „Albion“, die weitaus größere und stärkere Galeone der Engländer, zur Stelle war. Ihr Kommandant, Sir Nottingham, war ein wesentlich härterer Brocken gewesen. Nach einem kurzen, aber mörderischen Gefecht, in dem beide Schiffe alles auf eine Karte setzten, war die „Albion“ dann ebenfalls durch die Pulverpfeile der „Isabella“ in Brand geraten und durch eine Breitseite so schwer angeschossen worden, daß sie schließlich sank. Allerdings — und bei diesem Gedanken knirschte der Profos vor Wut mit den Zähnen - hatte auch die „Isabella“ ihren Teil abgekriegt. Eine Breitseite der Zwanzigpfünder der „Albion“ hatte genau im Ziel gelegen, und
Feuer an Bord
Ferris Tucker hatte alle Mühe gehabt, die „Isabella“ vorm Absaufen zu bewahren. Carberry knurrte vor sich hin, während er die lange Schlepptrosse kontrollierte. Und warum das alles? Weil diese verfluchten Intriganten Burton und Keymis und ein paar verstaubte Lordschaften den Seewölfen aufgrund miesester Verleumdungen buchstäblich die Hölle auf den Hals gehetzt hatten! Carberry blickte zu Stenmark hinüber. Der Schwede trug einen blutigen Kopfverband. Batuti war am Oberarm verletzt und Bob Greys Gesicht sah aus, als hätte man es mit einer Zimmermannsaxt bearbeitet. Ferris Tucker trat aufs Achterkastell und stellte sich neben den Profos. Das Gesicht des rothaarigen Schiffszimmermannes wirkte verkniffen. Seine Laune war dementsprechend. „Sieh dir nur unsere ‚Isabella’ an“, knurrte er. „Was die Himmelhunde aus dem schönen Schiff gemacht haben. Auf der Steuerbordkuhl ist das halbe Schanzkleid hinüber. Die Reparatur wird verdammt schwierig werden, und zwei Lecks haben wir auch.“ „Hast du sie schon abgedichtet?“ erkundigte sich Carberry. „Nur provisorisch mit Speckdämmseln. Mehr kann ich im Moment nicht tun. An Land müssen wir sie krängen, sonst kommen wir an die Löcher nicht heran.“ „Verdammter Mist“, fluchte der Profos. „Hoffentlich besteht Hasard darauf, daß wir die Karavelle ausschlachten.“ „Ganz bestimmt“, sagte Tucker. „Die Kerle werden zwar gehörig maulen, aber das soll uns egal sein. Schließlich sind wir weder Meuterer noch Rebellen und keiner, von uns hat Lust, in England an irgendeinem verdammten Galgen zu baumeln.“ Der Wind blies an diesem fünfzehnten Dezember leicht aus Nordwest. Die „Isabella“ segelte über Backbordbug und schleppte die angeschlagene Karavelle wie ein totes Tier hinter sich her. Immer wenn sie sich in die Wellen legte, ihr schmaler Bug sich hob und senkte, straffte sich die Schleppleine, begann wild
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zu scheuern und zog sich so straff, als würde sie jeden Augenblick mit einem gewaltigen Knall brechen. Achtern dümpelte die segellose Karavelle, die immer wieder aus dem Kurs geriet und die Manöver auf der „Isabella“ dadurch erschwerte. Hasard trat zu ihnen. Sein Gesicht war ernst und verschlossen. Kein Lachen in den sonnenverbrannten Zügen, kein Blitzen seiner weißen Zähne. „Noch ungefähr eine halbe Stunde“, sagte er, „dann haben wir die kleine Insel erreicht.“ Er blickte auf die Schlepptrosse und nickte. „Sie wird hoffentlich halten!“ meinte er dann. Tucker starrte den Seewolf sauer an. „Am liebsten würde ich die Axt nehmen und die verdammte Trosse damit kappen. Diese Hurenböcke haben uns nichts als Kummer bereitet und unnötigen Aufenthalt beschert. Ich wette, daß wir mit denen noch eine Menge Ärger kriegen.“ „Es sind unsere Landsleute“, erinnerte Hasard sanft, aber Tucker war nicht zu bremsen. „Schöne Landsleute“, sagte er giftig. „Überhaupt dieses Arschloch von Leutnant Scinders. Der haßt uns wie die Pest.“ „Er ist auf unsere Hilfe angewiesen, genau wie die anderen auch.“ Der Seewolf wußte, daß es noch Ärger geben würde. Scinders hielt sie für Meuterer und ehrlose Rebellen. Er konnte die Wut der Seewölfe verstehen, er verstand auch Tucker und Carberry, die immer wieder grimmige Blicke zu der Karavelle hinüberwarfen. Wäre es nach ihnen gegangen, hätten sie das angeschlagene Schiff sicher sich selbst überlassen. Sollten die Engländer doch sehen, wie sie auf der Azoreninsel klarkamen. Aber Hasard wollte sich den Weg zurück nicht verbauen. Er wollte nicht, daß sie als gesetzlose Piraten galten, von England gehaßt, von der Krone verfemt. Es mußte einen goldenen Mittelweg geben.
Feuer an Bord
In seine Überlegungen begann die Trosse hell zu singen. Die Karavelle schob sich nach Steuerbord und lief aus dem Kurs. „Wenn die Leine nicht hält, werd ich wahnsinnig!“ schrie der Profos wild. „Dann können wir halsen und manövrieren, bis uns das Wasser im Hintern kocht. Könnt ihr verdammten Idioten denn nicht richtig steuern?“ brüllte er zu der Karavelle hinüber und schüttelte die mächtige Faust. Die „Isabella“ tauchte in ein Wellental. Gischt spritzte am Bug hoch und verteilte sich in einem feinen Schleier über das ganze Vorschiff. Die Schlepptrosse hing ein paar Yards durch, und als die Galeone den Bug aus dem Wasser hob, straffte sie sich so stark, daß es einen spürbaren Ruck gab. Carberry betete zum Himmel, daß das verdammte Tau halten möge. Es hielt zum Glück, auch wenn es immer wieder den Anschein hatte, es würde gleich brechen. Die Karavelle schwenkte wieder auf Kurs, und der Profos atmete erleichtert auf. Die Insel Graciosa rückte näher. Deutlich war die Rauchfahne eines kleinen Vulkans zu erkennen. Das Eiland war nicht groß, es hatte einen weißen, leuchtenden Strand von Palmen gesäumt. Dahinter wucherte Urwald. Er zog sich bis zu einem Berg hoch, der in dem Vulkankegel endete. Hasard sah skeptisch zu der Insel hinüber. Es war die nördlichste in der Mitte der Azorengruppe. Er wußte nicht; ob sie bewohnt war. jedenfalls zeigten sich keine Eingeborenen am Strand, und Boote waren auch nicht zu sehen. Doch das mußte nicht viel zu bedeuten haben. Auf der „Isabella“ begann jetzt eine fieberhafte Emsigkeit. Hasard gab die erforderlichen Befehle an Ben Brighton, der sie an die Crew weiterleitete. „An die Brassen, an die Schoten! Holt ein die Blinde! Smoky, Tiefe loten!“ Die Männer standen bereit. Die Blinde, das Segel am Bugspriet, wurde eingeholt, die Männer schufteten. Smoky lotete aus. Er kam auf fünfundzwanzig Faden, eine Tiefe, die sich
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nur sehr langsam veränderte. Klippen gab es nicht, sie konnten gefahrlos mit der „Isabella“ bis an den Strand segeln. Ein Segel nach dem anderen wurde aufgegeit. Bramsegel, Marssegel und Großsegel fielen. Rapide nahm die Fahrt der Galeone ab. Tucker und Carberry klarierten eilig die provisorisch wiederhergerichtete Nagelbank, die von den Kugeln der „Albion“ getroffen worden war. Achtern lief die Karavelle jetzt aus dem Kurs, aber das ließ sich nicht ändern. Sie mußte zwangsläufig auf den Strand laufen. Als die Leine im Wasser hing, drehte Hasard sich um. „Achtern Schlepptrosse los, Ruder zwei Strich Backbord abfallen!“ Pete Ballie wiederholte den Befehl. Langsam schwang die „Isabella“ herum, um aus dem Bereich der auflaufenden Karavelle zu gelangen. Noch sechs Faden Wasser unter dem Kiel, das jetzt ständig abnahm. „Fallen Anker!“ Der Anker klatschte ins Wasser, das hoch aufspritzte. Carberry gab Lose, bis die ranke Galeone elegant herumschwoite und der Anker Grund faßte. Unter dem Kiel begann es sanft zu knirschen. An Steuerbord rückte die Karavelle auf. Auch sie warf gleich darauf Anker, schwoite herum und zeigte den Seewölfen ihre zerschossene Steuerbordseite, ehe sie auflief. Tiefe Stille herrschte ringsum, die nur durch das leise Murmeln der Wellen unterbrochen wurde, die an den Strand liefen. Hasard hatte diese Stelle bewußt gewählt. Es war eine kleine, ruhige Bucht, in der die Schiffe vor auflandigem Wind einigermaßen geschützt waren. Hier konnten sie in aller Ruhe mit den schwierigen Reparaturarbeiten beginnen. Das Deck wurde klariert, Hasard ließ die Ankertrosse noch etwas nachfieren, bis die „Isabella“ so sicher wie in Abrahams Schoß lag. „Ein idealer Platz“, ließ sich Big Old Shane vernehmen, der riesige Schmied und
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ehemalige Waffenmeister der Feste Arwenack. Sein gigantischer Brustkasten war vorgewölbt, bei jeder Bewegung spielten die Muskelstränge an seinem Rücken und den Oberarmen. „Ja, das ist er, Shane“, sagte Hasard. „Jetzt bin ich nur noch gespannt, ob unsere Landsleute uns helfen werden.“ „Zweifelst du daran?“ fragte Big Old Shane, dessen graue Haare wie ein Urwald von seiner Brust abstanden. „Ehrlich gesagt, ja! Die Leute selbst sind nicht schlecht, aber ich traue Scinders nicht. Er wird versuchen, sie gegen uns aufzuhetzen.“ „Scinders! Dieser arrogante Narr. Wir werden ihn schon kleinkriegen“, versprach der Schmied. „Drüben steigen die Soldaten an Land“, meldete Blacky. Ein Trupp von knapp zwanzig Mann verließ die Karavelle über die Jakobsleitern. Sie sprangen ins Wasser und wateten an Land. „Wir gehen auch an Land“, sagte Hasard. „Außerdem muß ich Leutnant Scinders sprechen. Wir wollen die Reparaturarbeiten möglichst schnell vorantreiben. Unser Ziel ist schließlich die Karibik und nicht die Azoren.“ „Ganz recht“, sagte Tucker. „Und deshalb werden wir diesen Hurenböcken gehörig Dampf unter die Hintern blasen.“ Etwas später verließen ein paar Männer das Schiff, um sich an dem Strand umzusehen. Hinter dem Urwald, der sich aus der Nähe mehr als großes verfilztes Gestrüpp entpuppte, kräuselte Rauch aus dem Vulkankegel in den Himmel. Es sah aus, als hätte jemand ein großes Feuer angezündet, das nicht so richtig brennen wollte. Hasard, Tucker, Brighton und Carberry betraten den Strand. Sie sahen, wie sich bei den Engländern zwei Gruppen gebildet hatten. Die eine scharte sich um Leutnant Jonathan Scinders, die andere scharte sich um den ehemaligen Kommandanten der untergegangenen Galeone, Sir Daniel Nottingham.
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Hasard dachte sich seinen Teil. Sir Nottingham war ein ehrenhafter Mann, der von seiner Mannschaft fast vergöttert wurde. Er war das, was man einen aufrechten Kerl nennt, während Scinders ein fanatischer Offizier war, ehrgeizig, kaltschnäuzig und arrogant. Aber jetzt war er es, der bei den Engländern zu bestimmen hatte. Der Strand war heiß und feinkörnig. Gleich dahinter begannen die Palmenhaine, ein paar Kasuarinen und buntschillernde Sträucher. Hasard ging auf die Gruppe zu, gefolgt von Brighton, Carberry und dem Schiffszimmermann, der auch diesmal nicht darauf verzichtet hatte, seine riesige, mörderische Axt mitzuschleppen. „Was ist das denn?“ Tucker blieb stehen und deutete auf eine Stelle zwischen den Palmen, wo sich ein mannshohes, hölzernes Gebilde erhob. Neugierig traten sie näher heran. Die Engländer hatten das Gebilde noch nicht bemerkt, aber sie äugten herüber. Hasard blieb vor dem Ding stehen. Es war so groß wie er, nur breiter. Der untere Teil stellte einen primitiven Körper vor, der grob aus dem Holz herausgeschnitzt war. Anstelle eines Schädels befand sich auf dem oberen Teil der Kopf eines Haifisches mit weit aufgerissenem Maul und spitzen Zähnen. „Eine merkwürdige Statue“, sagte Hasard. „Das paßt alles nicht zusammen. Vielleicht stellt es eine Art Gottheit dar.“ „Das hieße also, auf dieser Insel gibt es Eingeborene“, sagte Ben Brighton. Hasard schüttelte den Kopf. „Das muß nicht unbedingt der Fall sein. Hier kann jemand gestrandet sein, der aus Langeweile dieses Ding geschnitzt hat. Sehr kunstvoll ist es ja nicht gerade.“ Hasard wollte Bens Theorie nicht direkt von der Hand weisen. Vermutlich gab es hier doch Eingeborene. aber warum sollte er seine Leute unnötig beunruhigen? Sie hatten genug um die Ohren. Die angeschlagene Galeone und dann die Engländer. Die nächsten paar Tage würden alles andere als langweilig werden.
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Er betrachtete noch einmal diesen fürchterlichen Haifischkopf, dann wandte er sich achselzuckend ab. Die leichte Beunruhigung zeigte er nicht, niemand merkte ihm etwas an. Sir Nottingham erwiderte Hasards Gruß höflich und zuvorkommend. Er achtete den Seewolf, genau wie der ihn auch achtete. Die Soldaten standen im Halbkreis herum und scharrten unruhig im Sand. Leutnant Scinders erwiderte den Gruß nicht. Er drehte sich verächtlich zur Seite. Scinders war ein hagerer, großer Mann, rötlichblond, mit einem abweisenden Gesicht von der Art, das selbst bei starkem Sonnenschein nie braun wurde. Es blieb immer leicht gerötet. Sein schmallippiger Mund wirkte verkniffen, um die Nase herum befanden sich kleine dunkle Sommersprossen. Seine Nase war leicht gebogen, was seinem Gesicht einen lauernden Ausdruck gab. „Ich habe mit Ihnen zu reden, Leutnant“, sagte Hasard. Scinders blickte aufs Meer. Als er antwortete, war seine Stimme schneidend scharf. „Ich wüßte nicht, was ich mit Ihnen zu besprechen hätte.“ Er hielt es nicht für nötig, sich umzudrehen. In Hasard begann es zu kochen. Seine Wangenmuskeln traten scharf hervor, der Blick seiner Augen wurde eiskalt. Da mischte sich Sir Nottingham ein. Er wollte vermitteln. „Leutnant“, sagte er sanft. „Ich begreife Ihre ablehnende Haltung, aber der Ernst der Lage erfordert es, daß wir zumindest vorläufig Hand in Hand arbeiten. Wir sind aufeinander angewiesen, denn wenn die Arbeit. Schneidend scharf fuhr Scinders dazwischen. „Ich darf Sie daran erinnern, Sir, daß Sie meinem Kommando unterstehen, seit Ihr geschätzter Rebell die ,Albion` auf den Grund der See geschickt hat. Wenn Sie mit den Piraten konspirieren, werde ich mir weitere Schritte gegen Sie nach unserer Rückkehr vorbehalten. Ich hoffe, Sie haben mich verstanden, Sir!“
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„Natürlich“, entgegnete Sir Nottingham kalt. „Aber ich lasse mich von Ihnen nicht einfach absetzen. Ich habe zwar nicht die Macht, im Augenblick etwas dagegen zu tun, aber eines Tages werden wir wieder zurückkehren, und dann wird man Sie zur Rechenschaft ziehen. Ich lehne es vorläufig ab, Gewalt zu ergreifen, und ich möchte nicht, daß es unter unseren Leuten zu Tätlichkeiten kommt. Wir sind waffenlos, vergessen Sie das bitte nicht!“ Scinders Gesicht verfinsterte sich. „Und mir werden Sie wohl oder übel ebenfalls zuhören müssen, Leutnant“: unterbrach ihn Hasard rauh. Dieser Scinders schien nur aus einer geballten Ladung Haß zu bestehen. Er haßte den Seewolf, und er verachtete den anständigen Sir Nottingham, den Kommandanten der gesunkenen Galeone „Albion“. In das Wortgefecht der Männer mischte sich ein leises Grollen, das durch den Boden lief, ihn wellenförmig leicht schüttelte und dann verebbte. Alle Augen starrten zum Gipfel des Vulkans, aus dem träge der Rauch zog. In manchen Augen flackerte es leicht, aber als sich das Grollen nicht mehr wiederholte, beruhigten sich die meisten. Scinders lachte verächtlich. „Ich muß überhaupt nichts. Und mit Meuterern und Rebellen will ich nichts zu tun haben, eher würde ich mir freiwillig die Pest holen, als mit solchem Gelichter zu verhandeln.“ Er hatte noch nicht ganz zu Ende gesprochen, da stand Ferris Tucker blitzartig vor ihm. Die scharfe Schneide seiner Axt fuhr hoch. Erst kurz vor Scinders Gesicht blieb sie blitzend in der Luft hängen. „Noch ein solches Wort, Freundchen“, drohte Tucker respektlos. „Noch einmal dieser Ausdruck, dann landet deine Rübe im Sand!“ Scinders wurde totenblaß. Er taumelte zurück. Nackte Angst stand in seinem Blick. „Greift diesen Kerl!“ fuhr er seine Leute an.
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Die Soldaten taten so, als hätten sie nichts gehört. Und Ferris, der rothaarige Hüne, ließ sich nicht erst vom Seewolf zurückpfeifen, er drehte sich wortlos um und ging zurück. Hasard beherrschte sich meisterhaft. Nur seine Augen blitzten zornig und eiskalt vor verhaltener Wut. Mit diesem Holzkopf war einfach nicht zu reden, der ignorierte alles, was ihm nicht in den Kram paßte, auf eine arrogante und verletzende Art. „Ihr sollt diesen Kerl greifen!“ schrie Scinders mit vor Wut überkippender Stimme. Ein Teil der Leute hörte immer noch nicht. Unauffällig verließen sie Scinders und scharten sich um Sir Nottingham, dem die ganze Situation immer peinlicher wurde. Drei oder vier andere unternahmen den lahmen Versuch, auf Ferris Tucker zuzugehen, doch sie erstarrten im Ansatz. Wie dieser rothaarige Riese dastand, die mörderische Axt in den großen Händen, wie seine Augen vor Wut blitzten, wie er ganz langsam die Axt hob – nein, das wollte niemand riskieren. Der sah so aus, als würde er zehn Mann ganz allein erschlagen. Ferris entblößte die Zähne, grinste unheilvoll und sah dann seinen Freund Carberry an. Die Soldaten waren gewiß keine Feiglinge, das hatten sie in dem Kampf bewiesen, aber vor Hasard, diesem schwarzhaarigen Teufel mit den eisblauen Augen, hatten sie höllischen Respekt. Dann stand dieser mächtige, hünenhafte Profos mit dem Rammkinn da, dann Ben Brighton. Niemand wollte etwas riskieren, außerdem waren sie nicht bewaffnet. „Das ist Meuterei“, sagte Scinders kalt. „Ihr Feiglinge! Habt ihr etwa Angst vor diesen Reb… Kerlen?“ verbesserte er sich rasch. Als sich immer noch keine Hand rührte, schien etwas in ihm zu zerbrechen. Sein Gesicht wirkte, als würde er gleich losheulen vor hilfloser Wut, seine Mundwinkel zuckten. Stumm drehte er sich um und ging an den Männern vorbei.
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Hasard vertrat ihm den Weg und starrte ihm hart in die wäßrigen Augen. „Nur zu Ihrer Information, Leutnant“, sagte er. „Wir beginnen noch heute mit den Reparaturarbeiten.“ „Interessiert mich nicht.“ „Es sollte Sie aber interessieren, denn um unser Schiff zu reparieren, werden wir Ihre Karavelle ausschlachten! Und ich möchte den sehen, der mich davon abhält. Sie haben uns die Sache eingebrockt, und Sie werden sie auch auslöffeln!“ Scinders glaubte, sich verhört zu haben. Ungläubig blickte er den Seewolf an, der ihn kalt musterte. „Wiederholen Sie das noch einmal“, sagte er tonlos. „Ich denke, Sie haben mich verstanden, Leutnant. Ich habe mich klar genug ausgedrückt.“ Diesmal drehte Hasard sich um und ließ ihn stehen. Dabei fing er einen hilflosen Blick von Sir Nottingham auf, der die Schultern hob und sie gleich wieder fallenließ. Scinders ging wortlos weiter. In ihm kochte und brodelte es. Am liebsten hätte er den Seewolf mit bloßen Händen erwürgt. Was dieser verdammte Rebell sich einbildete! Er kam an der Statue, oder was immer es sein mochte, vorbei und blieb stehen. Was ihn dazu bewog, das Ding umzustoßen, wußte kein Mensch. Mit verzerrtem Gesicht hob er den rechten Fuß hoch und trat mit aller Kraft zu. Polternd stürzte die Statue mit dem Haifischkopf auf einen Stein. Der obere Teil zerbrach, die Haifischfratze fiel in den Sand und kollerte Scinders vor die Füße. „Dieser Idiot“, sagte Hasard zu Ben. „Hoffentlich hat er damit nichts Schlimmes angestellt!“ „Wie meinst du das?“ „Nur so, man kann ja nie wissen.“ Scinders ging weiter am Strand entlang, nachdem er seine Heldentat vollbracht hatte. Er vermittelte den Eindruck, als wolle er sich von der Gruppe lösen, um die Insel allein zu erkunden.
Feuer an Bord
Niemand hielt ihn zurück. Scinders war nicht beliebt, aber dennoch hatten sie Angst vor ihm, vor seiner Persönlichkeit, die nur Paragraphen und sonst nichts kannte. Was für ein wohltuender Anblick war dagegen Sir Nottingham. Der ehemalige Kommandant der „Albion“ war ein ruhiger, schlanker besonnener Mann um die Vierzig, eine gepflegte Erscheinung, gegen die Scinders hoffnungslos verblaßte. Seine grauen Augen ruhten interessiert auf Hasard, er blieb höflich, wahrte aber immer eine gewisse Distanz, denn auch er kannte die hinterhältigen Verleumdungen, Anschuldigungen und Intrigen, in die die Seewölfe verstrickt waren, nicht. Drei Männer lösten sich verstohlen aus der Soldatengruppe und schlenderten hinter Scinders her. Gefolgsleute, die auf seiner Seite standen, wie Hasard ganz richtig annahm. „Was hat der Leutnant da umgestoßen, Mister Killigrew?“ erkundigte sich Nottingham. Er trat näher, legte den Kopf etwas schief und musterte die Überreste der zerbrochenen Statue. „Ich weiß wirklich nicht, was es darstellen soll, Sir. Ein Symbol, ein Totem oder einfach nur die verspielte Schnitzerei eines Gestrandeten.“ Nottingham betrachtete den Haifischkopf. Er war schaurig und herrlich zugleich, und vor allem war der Schädel so echt wie nur möglich nachgebildet worden. Unbehaglich wandte er sich wieder Hasard zu. „Angenommen, es gäbe hier Eingeborene“, sagte er leise. „Und diese Statue symbolisiert eine Zone, die tabu oder heilig ist? Dann hat Leutnant Scinders allerdings einen schwerwiegenden Fehler begangen.“ „Genau das ist auch meine Ansicht“, sagte Hasard zu dem Kommandanten. Der Mann war offen und ehrlich, und er hatte ein untrügliches Gespür für derartige Sachen. „Aber wie dem auch sei, Sir, es ist nicht mehr zu ändern. Ich wundere mich nur, daß Sie gegen das Ausschlachten der Karavelle nicht protestiert haben!“
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In Nottinghams grauen Augen lag die Andeutung eines Lächelns. Winzige Fältchen bildeten sich um die Augenwinkel. „Sie sind der Sieger, Mister Killigrew, zu meinem Bedauern, muß ich allerdings gestehen. Es ist Ihr gutes Recht, sich an uns schadlos zu halten.“ „Ich will mich nicht schadlos halten“, widersprach Hasard. „Ihre Karavelle oder besser gesagt, des Leutnants Karavelle, ist nicht mehr seetüchtig, sonst hätte ich sie nicht schleppen müssen. An eine Reparatur des Schiffes ist nicht mehr zu denken, mit den wenigen Hölzern dieser Insel schon gar nicht. Aber mein Schiff ist zu reparieren, und da ich mir keiner Schuld bewußt bin, ist es nicht mehr als recht und billig, wenn ich mir die erforderlichen Planken von dem Wrack hole.“ „Natürlich. Nur hat Scinders das Kommando. Ich werde versuchen, auf ihn einzuwirken, aber er verachtet mich und will mich später vor ein Gericht stellen lassen.“ „Der Mann scheint nicht normal zu sein. Wir sind keine Rebellen oder Piraten, ich selbst habe von der Königin den Kaperbrief erhalten, und das hat einigen Intriganten nicht gepaßt. Bei Hofe wurden Lügen über uns verbreitet, obwohl wir der Krone einen Schatz brachten, wie ihn England noch nie gesehen hat.“ Hasard spürte, daß er sich in Eifer redete. Da war sie wieder, die alte Verbitterung, die erneut durchbrach. Er schwieg abrupt und glaubte, sich verhört zu haben. als Nottingham nur einen kurzen Satz sagte. „Ich glaube Ihnen, Mister Killigrew“, sagte er schlicht, und Hasard wußte genau, daß dieser Mann ihm wirklich glaubte. Er sah es in seinen ernsten Augen, an seinen Lippen, an seinem Mund, der zu einer Lüge gar nicht fähig war. „Vielen Dank ! Es gibt leider wenig Männer wie Sie.“ Hasard drehte sich zu seinen Leuten um. „Wir beginnen damit, die Sachen von Bord zu holen, an Land zu verstauen und ein
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paar Unterkünfte aufzubauen. Sagt den Leuten auf dem Schiff Bescheid!“ „Aye, aye, Tucker und Carberry zogen ab. Nur Ben blieb noch mit Hasard da. „Ihr beginnt jetzt ebenfalls mit dem Ausladen!“ befahl Nottingham den Seesoldaten. „Alles an Land, und daß mir die Verwundeten vorsichtig transportiert werden!“ Die Soldaten zogen ebenfalls ab. Hasard sah den Strand hinunter. Scinders und seine paar Gefolgsleute hatten schon fast das Ende der Bucht erreicht. Nicht ein einziges Mal hatten sie sich umgedreht. „Ich wette, die hecken etwas aus“, sagte Hasard. Nottinghams Stirn umwölkte sich. Voller Unbehagen sah er Scinders nach. „Leider dürften Sie recht haben, Mister Killigrew. Aber ich kann und will nichts gegen ihn unternehmen. Es darf zu keinem Konflikt kommen. Selbst wenn er mich dreimal abgesetzt hat, bleibe ich immer noch Kommandant, und der größte Teil der Leute hält einwandfrei zu mir, das kann ich Ihnen versichern.“ „Ich habe es selbst gesehen“, erwiderte Hasard. Was dieser Scinders sich hier in seinem grenzenlosen, verbohrten Haß herausnahm, ging zu weit. Später, in England, würden sich für ihn schwerwiegende Konsequenzen daraus ergeben. Nur sah er das noch nicht ein. Die Männer trennten sich nach einem kurzen Gruß. Jetzt ging es erst einmal an die Arbeit. Ein letztes Mal blieben der Seewolf und Ben vor der zerstörten Statue stehen. „Gib es zu, daß du ein mulmiges Gefühl hast, Hasard“, sagte Ben. Hasard gab es zu. „Ja, natürlich, ich denke ständig an dieses verdammte Götzenbild. Wenn ich nur wüßte, was es zu bedeuten hat. Ich komme einfach nicht dahinter.“ Damit war das Thema vorerst erledigt. Über das Götzenbild wurde erst später wieder gesprochen. *
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Unterdessen hatte Scinders mit seinen drei Leuten die Spitze der Bucht erreicht. An dieser Ecke standen ein paar kleinere Felsen halb im Wasser und halb an Land. Scinders blieb stehen und drehte sich um. „Wir sind ein Sauhaufen geworden“, stellte er fest, „ein verdammter Sauhaufen, der sich um Nottingham schart. Mir ist nicht klar, weshalb die meisten zu ihm halten, denn er verbrüdert sich mit Rebellen, Piraten und lichtscheuem Gesindel, das sich auf einen längst widerrufenen Kaperbrief Ihrer Majestät beruft. Dieser Killigrew gehört an den Galgen, einschließlich seiner gesamten Kreaturen. Und ich verspreche euch schon heute, daß er eines Tages dort hängen wird. Will die Karavelle abwracken, sein Schiff reparieren und uns hier hilflos zurücklassen.“ Seine Stimme bebte vor Zorn. Er fühlte sich elend und machtlos, verraten und verkauft. „Was können wir tun, Sir?“ fragte ein baumlanger Soldat. „Wir alle sind entwaffnet. Wir haben nicht eine einzige Muskete.“ „Ja, ich weiß. Aber wir müssen um jeden Preis verhindern, daß dieser Pirat wieder zu einem seetüchtigen Schiff kommt. Die Suppe werden wir ihm gründlich versalzen!“ „Sabotage, Sir?“ fragte der Lange. „Sie wissen, daß wir unverbrüchlich zu Ihnen halten, Sir!“ „Natürlich Sabotage, etwas anderes ist für uns nicht möglich. Diese Satansbrut darf die Insel nicht verlassen. Ich habe auch schon eine Vorstellung. Ihr habt doch Freunde, selbst unter den „Leuten von der Galeone.“ Alle drei nickten eifrig. Scinders fuhr im Plauderton fort. Er gab sich jovial und gelassen, wie es sonst gar nicht seine Art war. „Na, seht ihr. Ihr werdet doch in der Lage sein, ein paar eurer engsten Freunde zu überzeugen. Außerdem appelliere ich an euren Patriotismus. Wir sind Soldaten, Männer, und keine Schwächlinge, die sich permanent von Piraten übervorteilen
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lassen. Denkt an unsere Verwundeten und an die Toten, die dieser Kampf gekostet hat. Nur, weil sich ein paar aufsässige Rebellen nicht ergeben wollen.“ Das kam bei den einfachen Seesoldaten an. Wenn ein Vorgesetzter Zwietracht in ihre einfachen Seelen säte, dann ging die Saat meist sehr schnell auf und trug bald Früchte. Scinders verstand es meisterhaft, die Männer davon zu überzeugen, daß es auf der Insel nur Platz für eine Gruppe gab. Daß nur eine ein Recht zum Leben hatte. Und das waren bestimmt nicht die Seewölfe. Wenn sie die Reparatur des Schiffes sabotierten, dann war damit zu rechnen, daß früher oder später ein englisches Kriegsschiff hier auftauchte, um nach den vermißten Schiffen zu suchen. Und dann würde mit der Satansbrut aufgeräumt werden. Auf diese Art kam Scinders zu seiner langersehnten Rache. In dieser Richtung liefen seine Gedanken. * Kurz nach Mittag herrschte am Strand eine Emsigkeit, die immer größere Ausmaße annahm. Alles was nicht verbolzt, vernietet und vernagelt war, wurde von Bord der „Isabella“ an Land geschafft. Da wurden Kisten, Säcke, Fässer und Segel geschleppt. Ferris Tucker hatte zusammen mit ein paar anderen Männern Taljen und Blöcke an Land geschleppt und sich den Stamm einer Palme ausgesucht, der stabil genug war, um den nötigen Halt für das Krängen der Galeone zu gewährleisten. Der Profos kehrte mit starken Tauen von Bord zurück. Sechs andere waren damit beschäftigt, provisorische Unterkünfte zu bauen. Im erhöhten Strandteil bei den Palmen wurde gegraben, Pfosten wurden in den Boden gerammt. Der Segelmacher Will Thorne hatte alle Hände voll zu tun, um aus Segeln die notwendigen Überdachungen herzustellen.
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Hasard half mit. Ab und zu sah er zu der Karavelle hinüber, wo ebenfalls fleißig entladen wurde. Er stieß Big Old Shane an. „Sieh dir mal diesen Scinders an“, sagte er. „Der Kerl rührt keinen Finger, und die Leute, die sich um ihn geschart haben, ebenfalls nicht. Sie tun so, als ginge sie das alles nichts an:“ „Wir sollten uns die Gesichter von den Kerlen merken. Auf diese Burschen müssen wir ganz besonders achten. Ich fühle, daß sie geradezu auf eine Gelegenheit warten, um uns eins auszuwischen.“ „Die Gelegenheit werden wir zu verhindern wissen, Shane.“ Hasard drehte sich zu Carberry um. der mit Tucker zusammen gerade dabei war, eine Talje am Stamm der Palme anzuschlagen. Zusammen mit zwei weiteren würde das einen sehr wirksamen Flaschenzug geben. „Glaubst du, der Stamm hält. Ed?“ fragte der Seewolf. „Der hält“, versicherte der Profos. „Er wird sich etwas nach vorn biegen, aber brechen wird er nicht.“ „Gut, dann drehen wir das Schiff noch etwas und bringen den Stockanker aus, bevor wir mit der Krängung beginnen.“ „Das werden wir heute nicht mehr ganz schaffen“, meinte der hünenhafte Schiffszimmermann. „Taljen und Blöcke können wir noch anschlagen, das Schiff ausrichten und den Anker aussetzen. Bis dahin kann ich gerade noch die Schäden inspizieren, dann wird es dunkel.“ Das erste provisorische Zelt stand bereits. Direkt daran wurde das andere gebaut, das allen Seewölfen Unterkunft gab. Die Arbeiten liefen unvermindert weiter, und wo etwas nicht klappte, da trieb der narbengesichtige Profos die Männer an und versprach ihnen zum wiederholten Male, daß er ihnen die Haut in Streifen von den verdammten Affenärschen ziehen würde. Aber die Männer grinsten nur noch. Es gab niemanden an Bord, der sich über Carberrys Lieblingsspruch noch aufregte oder ihn ernst nahm. So zernarbt, wild und muskulös der Profos auch aussah, unter seiner rauhen Schale verbarg sich ein
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weiches Herz und im Grunde genommen war ihm Gewalt zuwider. Zwischen den schuftenden Männern flitzte der Affe umher. Hier war er in seinem Element, hier konnte er von einer Palme zur anderen jagen, daran hochklettern und die Engländer mit Kokosnüssen bewerfen. „So, wir können anfangen, Leute!“ rief der Profos. „Zuerst vorn und achtern Taue an Land und sie erst festmachen, wenn ich das Kommando dazu gebe.“ Dazu wurden nur ein paar Männer benötigt. Die Taue wurden an Pollern belegt, die anderen Enden wurden lose um zwei Palmen geschlungen. „Anker auf!“ Das nächste Kommando. Am Spill wurde geschuftet. Die Männer stemmten sich gegen die Spillspaken und liefen in der Runde, bis sich das Ankertau straffte und aus dem Wasser brach. „Nachfieren!“ brüllte der Profos zum Land hinüber, denn die „Isabella“ zog sich an ihrem eigenen Anker in Richtung Meer hinaus. „Auf, auf, ihr Lahmärsche, wollt ihr euch wohl in die Spaken legen, ihr gottverdammten Himmelhunde! Nachfieren, ihr lausigen Hurenböcke, noch mehr Lose!“ Jetzt lag die „Isabella“ parallel zum Strand und drängte von ihm weg, je mehr sich das Spill drehte. Der Profos schrie und brüllte, und je mehr er schrie, desto verwegener grinsten die harten Kerle. Jetzt waren auch sie wieder in ihrem Element und zeigten, daß sie außer Saufen, Prügeln und Fechten auch harte Knochenarbeit verrichten konnten. „Ein Lied!“ schrie Blacky, der sich gegen die Spake stemmte. Und alle am Ankerspill grölten begeistert los. „Fünfzehn Mann auf des toten Mann’s Kasten, johoho, und ‘ne Buddel Rum!“ Die Engländer schauten verblüfft herüber. Noch hatte sich keine Hand zur Hilfe angeboten, aber noch waren sie auch damit beschäftigt, ihre Unterkünfte zu bauen und die Karavelle zu entladen.
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Blacky stimmte schon wieder das nächste Lied an, und die rauhen Seemannskehlen fielen ein „Wir fuhren im Sturm durch die. Südsee, die Nacht war pechschwarz wie Teer, es war zwischen Cuba und Caicos, der Teufel war hinter uns her!“ Endlich kam der Anker auf. Tropfend hing er an der straff gespannten Trosse. Hasard, Dan, Tucker, Smoky und Matt Davies standen unter dem Bug im Boot, mit dem der Anker weiter in Richtung See ausgebracht werden sollte. „Abfieren, vorsichtig abfieren!“ brüllte der Profos weiter. „Singt, ihr Helden, und legt euch in die Spaken! Wenn der Anker ins Boot fällt, hänge ich euch alle an die Großrah zum Trocknen, aber am Hals!“ Zum Glück hatte das Lied noch ein paar Strophen, und so fiel der ganze Chor begeistert ein, während sich das Spill langsam drehte. „Wir gingen wie wilde Gespenster, in Plymouth an Land ohne Paß, zerschlugen beim Plymson die Fenster, und soffen den Whisky vom Faß!“ Vorsichtig hievten sie den Anker ins Boot, das bedenklich ins Schaukeln geriet, aber es ging glatt. Tucker ruderte los. Seine mächtigen Muskeln spielten an den Oberarmen, während hinter ihnen das Ankertau langsam abfierte. Der Seewolf gab kaum ein Kommando. Jeder kannte seine Arbeit, jeder einzelne wußte, wo er zupacken mußte, und jeder hatte seinen Handgriff schon tausendmal geübt. Hundertfünfzig Yards weiter draußen klatschte der Anker in die See. Das Boot sprang wie ein Delphin aus dem Wasser, und Dan O’Flynn wurde wie von einem Katapult abgefeuert, weil er eine Sekunde lang nicht aufgepaßt hatte, als das Gewicht ausgetrimmt wurde. Er landete in weitem Bogen im Meer, tauchte wieder auf und fluchte wie ein Rohrspatz, als er auf das Boot zuschwamm und sich an Bord zog.
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An Land wurde die Galeone jetzt Hand über Hand herangezogen, bis sie Grundberührung hatte. Gleichzeitig fierte das Ankertau weiter nach. Der gleiche Vorgang wiederholte sich, nur umgekehrt. Wenn das Schiff jetzt gekrängt war und festsaß, konnten sie es jederzeit mit Hilfe des Ankers wieder vom Grund ziehen. Die Männer stiegen an Land. Am Strand sah es aus, als hätte ein Taifun gewütet. Ein wüstes Durcheinander von Tauen, Blöcken, Taljen und Seilen herrschte. Tucker, Carberry und Old Shane schufteten verbissen weiter. Bevor es dunkel wurde, wollten sie den größten Teil der Arbeit hinter sich gebracht haben. Der Schweiß lief ihnen über die Körper, ab und zu wurde eine kleine Pause eingelegt, und dann gab es eine halbe Ration Rum für jedermann. Die Stimmung war gut, fand Hasard. Jeder gab das Beste, niemand drückte sich vor der Arbeit, wie es bei den Engländern der Fall war, hauptsächlich bei Scinders und seinen Mitverschworenen, die immer noch keinen Handschlag taten. Um Groß- und Fockmast wurden starke Taue geschlungen, die im spitzen Winkel aufeinander zuliefen. Zehn Yards vor dem Schiff trafen sie zusammen, ein schwerer Block hielt sie, von dem ein einzelnes Tau weiter an Land zu den anderen Taljen führte. Hasard wollte das Risiko nicht eingehen, die Galeone nur über einen Mast zu krängen. Die „Isabella“ hatte überhohe Masten, und die Beanspruchung wäre zu stark gewesen. So aber verkleinerte sich das Risiko, daß einer der Masten brach. Bis die Taljen und Blöcke saßen und einen funktionstüchtigen Flaschenzug bildeten, vergingen mehrere Stunden. Kurz vor Anbruch der Dämmerung erschienen fünf Engländer. Sie nickten anerkennend, als sie sahen, wie geschickt die Seewölfe ihre Galeone placiert hatten, damit sie am nächsten Tag gekrängt werden sollte.
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„Können wir helfen?“ fragte einer der Soldaten. „Sir Nottingham hat uns abkommandiert. wir sind frei.“ Der Seewolf nickte. So ganz traute er den Brüdern nicht, er wußte nicht, was sie im Schilde führten, und so blieb ein kleiner Rest Mißtrauen in ihm. Hasard wollte sie auch nicht gleich wieder fortschicken, und so teilte er ihnen kleine Arbeiten zu, die sie sofort erledigten. Dann brach die Dunkelheit herein. Am Strand loderte ein Feuer, das der Kutscher aus Treibholz und Knüppeln entfacht hatte. Er hatte zwei Töpfe über Astgabeln gehängt, in denen es brodelte und kochte. Die Seewölfe aßen und tranken, jeder erhielt noch eine Extraration Rum, und dann war der Tag voll Mühe und Arbeit für sie beendet. Nach und nach suchten sie ihre Schlafstellen in dem Zelt auf. Smoky, Dan und Blacky gingen Wache. In zwei Stunden sollten sie abgelöst werden, dann waren drei andere an der Reihe. Auch bei den Engländern brannte ein schwaches Feuer am Strand. Nicht mehr lange und auch da drüben kehrte Ruhe ein. 2. Irgendetwas weckte den Seewolf. der tief und fest geschlafen hatte. Im ersten Moment wußte er nicht, was es war, doch dann kam er blitzartig auf die Beine, als Dan ihn an der Schulter berührte. „Hörst du es, Hasard?“ fragte der junge O’Flynn. „Vor ein paar Minuten hat es angefangen.“ Hasard öffnete den Zeltvorhang und trat ins Freie. Es war eine unglaubliche Nacht. herrlich und schrecklich zugleich. Auf dem Wasser schien ein blutroter Mond zu schweben. Er hing direkt am Horizont und sah aus, als tauche der untere Teil seiner großen Scheibe ins Wasser. Die See wurde von seinen blutroten Strahlen übergossen, die am Strand silbrig schimmerten, weiter auf dem Meer jedoch wirkten, als bestünde das Wasser aus Blut.
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Unzählige Sterne blinkten. Schwarz und drohend hob sich zum Horizont hin die Silhouette der „Isabella“ ab, die einen langen, unheimlichen Schatten warf. Weiter links lag die Karavelle hingeduckt am Strand wie ein riesiges, verendetes Tier, das sich mit letzter Mühe und Kraft an den Strand gezogen hatte. Wald und Palmen verschmolzen zu einem Dickicht, rötlich vom Mond beschienen. Im Hintergrund ragte der rauchende Kegel des Kraters auf, ebenfalls in Dunst, Rauch und Mondlicht gehüllt. Das war es aber nicht, was den Seewolf so beunruhigte. Schon im Traum hatte er das undeutliche Wummern gehört, das die ganze Insel überzog. Wie ein leises Grollen hörte es sich an. Dann brach es abrupt ab und wiederholte sich erst nach einigen Minuten wieder. Hasard runzelte die Stirn. Die anderen schliefen, nur Dan, Smoky und Blacky waren wach. Bei den Engländern rührte sich ebenfalls nichts. Nur die Wachen mußten das Geräusch ebenfalls hören. „Trommeln“, sagte Hasard. „Das hast du doch gemeint, oder?“ „Ja, zuerst hielten wir es für ein leichtes Beben. Aber jetzt wird das Geräusch immer stärker. Hört nur!“ „Tam-tam-tam“, klang es herüber, und es war jetzt deutlich und immer stärker auf der ganzen Insel zu hören. „Eingeborene“, sagte Blacky. „Die wissen, daß wir hier sind. Hoffentlich wollen sie nichts von uns.“ Die Trommeln hörten sich dumpf und drohend an. Ihr Klang wurde immer unheimlicher, immer lauter und dröhnender. Hasard dachte an die Statue, die Scinders in seinem Wutanfall umgeworfen hatte. Er dachte an den unheimlichen Haifischkopf, der immer noch im Sand lag. „Komm mit“, sagte er zu Dan. Stumm marschierten sie zu der Stelle hinüber, wo sich die zerstörte Statue befand. Das Mondlicht ergoß sich rötlich über den Sand. Von der Statue war nichts mehr zu
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sehen. Der Kopf war verschwunden, und auch der übrige häßliche Körper fehlte. Gestalten tauchten neben ihm auf. Old Shane, Batuti, Ben Brighton. Einer nach dem anderen erschien, hörte das ferne, unheimliche Trommeln, sah den Rauch aus dem Vulkan steigen, und allen lief ein Frösteln über den Körper. „Verdammt, das sind Eingeborene“, sagte auch Ben. „Und es hängt wahrscheinlich mit dem Haifischkopf zusammen. Wo ist das Ding?“ „Verschwunden“, erwiderte Hasard. Immer wieder sah er sich unbehaglich nach allen Seiten um. „Verschwunden?“ fragte Ben ungläubig. „Wer soll das Ding denn geholt haben?“ „Die Eingeborenen vermutlich, wer sonst? Mich wundert nur, daß sie niemand gesehen hat. Dan, habt ihr nichts bemerkt?“ „Nicht das geringste“, gab Dan zu. „Wenn die wirklich hier waren, dann sind sie Meister im Anschleichen.“ Smoky und Blacky hatten ebenfalls weder etwas gesehen noch etwas gehört, obwohl sie die ganze Zeit auf Posten waren, wie sie Hasard versicherten. Der Seewolf glaubte ihnen. „Dann sind wir ausgerechnet in einem heiligen Bezirk gelandet“, sagte er nach einer Weile und lauschte wieder dem dumpfen Trommeln. Mitunter brach es jäh ab, dann schwieg die ganze Insel wie ein großes Grab, und es wurde totenstill. „Es kommt aus der Nähe des Berges“, sagte Dan, dem es immer unheimlicher wurde. Man konnte sich diesem Geräusch nicht entziehen, es ließ einen frösteln und erschauern. Ganz überraschend setzte es wieder ein. Jetzt erschienen auch die ersten Engländer. Ihre Gesichter waren fahl und wirkten verstört. Scinders ließ sich allerdings nicht blicken, dafür tauchte Sir Nottingham gleich darauf auf. „Meine heimlichen Befürchtungen haben sich bewahrheitet“, sagte er zu Hasard. „Wir sind in eine Zone eingedrungen, die ihnen etwas bedeutet, die vielleicht heilig für sie ist.“
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Als Hasard ihm von der verschwundenen Statue berichtete, nickte der Engländer. „Natürlich, sie haben entdeckt, daß wir sie zerstört haben. Ich fürchte, sie werden sich rächen. Die Trommeln kündigen es an.“ „Wahrscheinlich haben sie einen Späher geschickt“, sagte Ben, „der die zerstörte Statue entdeckt hat.“ Das Trommeln wurde noch lauter. Es schallte bis weit aufs Wasser hinaus, ertönte aus den Bergen, schien aus dem Boden zu dringen. Es lag überall in der Luft. „Von nun an gehen sechs Mann Wache“, ordnete der Seewolf an. „Alle Stunde werden sie abgelöst. Jeder Mann wird ab sofort bewaffnet.“ „Wir werden unsere Wachen ebenfalls verstärken“, sagte Sir Nottingham, „leider haben wir keine Waffen.“ Hasard sah ihn an. Bisher war nichts passiert, außer daß die unsichtbaren Eingeborenen trommelten. Er konnte es sich einfach nicht leisten, die Engländer zu bewaffnen, jetzt jedenfalls noch nicht. „Tut mir leid“, sagte er. „Meine Leute werden am Strand entlang patrouillieren.“ Er hatte den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden, doch er reagierte nicht weiter darauf. Sir Nottingham schien es nicht zur Kenntnis zu nehmen, seine Andeutung war verpufft. Jetzt wurden die Trommeln leiser, ein letzter dumpfer Wirbel, und sie schwiegen. Als sie sich nach einer Viertelstunde immer noch nicht rührten, atmeten die Männer heimlich auf. Und als es dann auch weiterhin ruhig blieb, hielten sie es für ein gutes Zeichen. Hasard war anderer Ansicht. Das Trommeln konnte ebenso gut ein Vorbote für einen bestehenden Überfall sein. Deshalb mußten sie für den Rest der Nacht höllisch auf der Hut sein. Nottingham marschierte wieder zurück. Er hatte seine Männer mit Holzknüppel und Latten bewaffnen lassen. Einer hatte auch noch einen’ riesigen Morgenstern dabei. Dann lösten sich die Wachen bei den Seewölfen ab. Diesmal waren es Hasard,
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Brighton, Carberry, Tucker, Batuti und Stenmark. Der Seewolf trug seine doppelläufige Radschloßpistole im Gürtel. Tucker hatte seine gewaltige Axt, Batuti war mit einem Morgenstern von der Größe eines Kopfes bewaffnet und die anderen trugen geladene Musketen. Aber bis zum Morgengrauen geschah nichts mehr. Alles blieb still und ruhig, die Trommeln schwiegen. Nur in der Unterkunft von Leutnant Scinders gab es keine Ruhe. Sieben Männer unterhielten sich flüsternd. Der Wortführer war der Leutnant. „Es wird bald, Ärger mit den Eingeborenen geben“, sagte er. „Doch die können uns nicht so gefährlich werden wie die Rebellen. Diese Chance müssen wir nutzen. Sobald der Ärger beginnt und die Rebellen abgelenkt sind, werden wir die Arbeiten sabotieren und versuchen, uns Waffen zu beschaffen. Sie, Rattier, werden zu gegebener Zeit diese Seewolfsbrut ablenken. Jeder erhält eine ihm zugedachte Aufgabe, über die wir noch sprechen werden.“ „Aye, aye, Sir“, sagte Rattler, ein blonder Mann mit einem kantigen Gesicht und harten Zügen. „Sied können sich auf uns felsenfest verlassen, Sir!“ „Dann ist es ja gut.“ Scinders lächelte milde. „Nicht mehr lange und diese Kerle werden ihr blaues Wunder erleben.“ * Am nächsten Morgen herrschte in den beiden Lagern helle Aufregung. Einer der wachegehenden englischen Soldaten wurde in Richtung der westlichen Spitze der Bucht tot aufgefunden. In seinem Hals steckte ein langer, gefiederter Pfeil. Nottingham hatte Hasard rufen lassen. Die beiden Männer standen vor der Leiche und starrten in den Sand, der sich unter dem Kopf des Mannes dunkelbraun verfärbt hatte. „Jetzt geht der Ärger los“, sagte Nottingham hart. „Diese Wilden werden einen nach dem anderen aus dem
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Hinterhalt ermorden. Sie werden uns immer weiter dezimieren. Und wieder hat niemand etwas gehört oder gesehen.“ „Der Mann hat sich ziemlich weit ans Ende der Bucht gewagt“, sagte der Seewolf. „Das war ein Fehler, der nicht hätte passieren dürfen. Die Leute müssen dichter zusammenbleiben. Die ‘Trommeln haben uns schließlich alle gewarnt:’ „Wie soll es jetzt weitergehen?“ fragte Nottingham. Hasard sah ihn aus schmalen Augen an. Er räusperte sich und drehte sich um, als Scinders plötzlich hinter ihnen auftauchte. „Eine zum Himmel schreiende Schweinerei ist das“, wetterte er los. „Wenn der Mann eine Waffe gehabt hätte, wäre das niemals passiert.“ „Meinen Sie?“ fragte Hasard kühl. „Die Muskete hätte ihm wenig geholfen, wenn der Pfeil aus dem Hinterhalt abgeschossen wurde. Oder haben Sie schon mal gehört, daß Tote sich noch wehren können, Leutnant?“ „Wir brauchen Waffen“, beharrte Scinders. „Aber Sie verschanzen sich hinter banalen Worten, die den Mann nicht mehr zum Leben erwecken können. Unternehmen Sie endlich etwas! Sie sind es doch, die Waffen haben, schicken Sie eine Strafexpedition in die Berge und räuchern Sie diese Wilden aus!“ Hasard blieb kalt und ruhig. „Überlegen Sie sich lieber Ihre Heldentat von gestern, als Sie das Götzenbild umstießen. Wir haben es hier mit primitiven Eingeborenen zu tun, die an Götter glauben und denen die Götzen und die Zone, in der sie stehen, heilig sind!“ Scinders wurde unter seiner roten Gesichtsfarbe blaß. Seine Haut sah durchscheinend aus. Er schluckte hart. „Blödsinn“, stieß er hervor. „Götter, Götzen. Wer glaubt denn an derartigen Quatsch?“ „Die Eingeborenen.“ „Dann knallen Sie die Hunde ab, Mann!“ schrie Scinders aufgebracht. Ein Blick glühenden Hasses traf den Seewolf. „Ich werde zu dem Häuptling gehen und mit ihm verhandeln“, sagte Hasard.
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„Abknallen ist ein häßliches Wort. Schließlich waren wir es, die ihren geheiligten Bezirk entweiht haben, wenn es auch ohne Absicht geschah. Was wissen wir denn schon über diese Eingeborenen? Nichts, nicht das Geringste!“ Scinders mußte sich beherrschen, um nicht zu explodieren. Es sah ganz so aus, als wollte er dem Seewolf an die Kehle fahren. Seine Wangenmuskeln zuckten, seine Hände ballten und öffneten sich. Hasard sah ihn spöttisch an. Er konnte diesen Kerl nicht ausstehen, er war ihm unsympathisch wie selten jemand zuvor, und er ahnte, daß Scinders etwas vorhatte, daß er eine Verschwörung plante. „Verhandeln“, höhnte Scinders. „Mit Wilden verhandeln! Die bringt man zur Räson —mit Gewalt.“ „Ich finde, Mister Killigrew hat recht“, sagte Nottingham. „Zumindest sollte man den Versuch unternehmen.“ Ein Blick der Verachtung traf den Kommandanten, den Scinders so eigenmächtig abgesetzt hatte. Der Leutnant schnaufte erregt durch die Nase, dann drehte er sich um und stapfte wütend davon. Hasard und Nottingham sahen sich wortlos an. Sie verstanden sich ohne großes Palaver, und Nottingham war nicht der Mann, der einen Mord gleich mit der Ausrottung eines ganzen Stammes bestrafte. Aber das wiederum würde Leutnant Scinders nie verstehen. „Begrabt ihn!“ sagte er zu einigen Soldaten, die scheu herangetreten waren und ihren toten Kameraden betrachteten. Schweigend gingen sie ans Werk, um eine Grube zwischen den Büschen im Sand auszuheben. „Wollen Sie wirklich verhandeln?“ fragte Nottingham. „Ja, das will ich.“ „Es könnte sehr gefährlich werden! Wir wissen nicht, welche Bedeutung die Eingeborenen ihrem Tabu zumessen. Sie sollten auf keinen Fall unbewaffnet gehen.“ „Bestimmt nicht“, versicherte der Seewolf. „Aber um unsere Reparaturarbeiten nicht
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zu stören, halte ich es für besser, wenn wir mit den Eingeborenen verhandeln.“ „Wenn Sie es wünschen, begleite ich Sie“, erbot sich Nottingham. Hasard lächelte leicht. „Wissen Sie, Sir Nottingham, es wäre mir lieber, Sie blieben hier. Das würde mich direkt beruhigen!“ „Ich verstehe, Mister Killigrew.“ Jetzt lächelte auch der Kommandant leicht. „Ich schicke Ihnen gleich ein paar Leute hinüber.“ „Vielen Dank!“ Hasard ging zu seinen Leuten. Der Vorfall des heimtückisch ermordeten Engländers war allgemeines Gesprächsthema und regte die Gemüter verständlicherweise auf, konnte es doch jede Nacht einem von ihnen passieren. Nach und nach beruhigten sich die Männer. Eine Gruppe Engländer, es war die, die schon am Vortag mitgeholfen hatte, kam heran und packte mit an. Die Galeone war jetzt vorn und achtern durch zwei Taue an Palmen festgemacht. In der Mitte wurde sie durch die zusammenlaufenden Taue mit der Talje gehalten. Auf Tuckers Kommando ging es los. „Hau ruck!“ brüllte der Schiffszimmermann. Nervige Fäuste rissen an Tauen. Das Seil straffte sich bereits nach ganz kurzer Zeit. „Langsam weiterholen!“ rief Ferris Tucker. „Hau ruck! Hau ruck!“ Gleichmäßig rissen die schwieligen Fäuste an dem Tau. Zoll um Zoll verkürzte es sich, bis es zu springen drohte. „Der Kahn rührt sich noch nicht“, sagte ein Engländer enttäuscht. „Warte nur Junge, das kommt noch. Gleich wird der Kahn sich rühren.“ Und wirklich! Nach ein paar weiteren Zügen begann es auf der „Isabella“ im Großmast zu knirschen. Tucker eilte zum Wasser, musterte den Mast, lauschte dem Knistern besorgt nach und entschied, daß nichts passieren konnte. Das Schiff war so wunderbar fest und stark gebaut, daß es diese Beanspruchung leicht verkraften konnte.
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„Weiter!“ rief er und hob die Hand. Die Männer zogen weiter. Fock- und Großmast bebten, zitterten, aber auch der Palmenstamm begann sich langsam zu biegen, der Druck wurde immer größer. Tucker lauschte jedem Geräusch. Mal war er hier, mal dort, überall sah er nach, überall horchte er. Als die Männer weiterzogen, begann die Galeone sich zum ersten Male etwas nach Backbord zu neigen. Der Schiffsrumpf erzitterte leicht, ein Beben durchlief ihn vom Kiel bis zu den Masten. Zoll um Zoll neigte sich das Schiff durch den stetigen Zug weiter. Es war nicht viel, aber die Masten standen jetzt nicht mehr senkrecht, sondern wiesen schon leicht schräg zum Himmel. Und dann holte sie über, rutschte über den Sand und neigte sich noch weiter. Scinders und seine Mitverschworenen standen in geringer Entfernung dabei und unterhielten sich. Hasard warf ihnen besorgte Blicke zu, aber die Engländer taten so, als interessiere sie nichts weiter als das Krängen eines Schiffes. Tucker marschierte ins Wasser, um von der anderen Seite aus die Einschußlöcher zu inspizieren, die die beiden Zwanzigpfünder-Kugeln der Engländer hinterlassen hatten. Unmerklich hoben sich die provisorisch abgedichteten Lecks aus dem Wasser. Zum Glück lagen sie nicht zu tief unter der Wasserlinie, so daß sie die „Isabella“ nicht bis zur äußersten Grenze belasten mußten. Ganz nette Einschläge, überlegte Ferris, der bis zur Hüfte im Wasser stand und mißmutig durch die Lecks in den Schiffbauch starrte. Da mußten etliche Planken ausgebaut und wieder neu eingezogen werden, denn schließlich sollte die Stabilität der Galeone ja in keinem Fall leiden. „Holt weiter auf!“ schrie er. Die Palme bog sich noch weiter zurück, als gezogen wurde. Aber dann hielt sie und gab nicht weiter nach.
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Jetzt hatte die Galeone eine Krängung von fast zwanzig Grad erreicht. Die beiden Einschüsse lagen frei. Hoch über Ferris Tucker sangen die Taue, als würden sie jeden Moment auseinanderspringen. Der Schiffszimmermann besah sich ein letztes Mal sein Werk, ehe er aus dem Wasser stieg und zum Strand hochging. „Rund zwanzig Grad Krängung“, meldete er dem Seewolf. „Ich denke, das genügt vorerst. An die Planken kommen wir gut heran, nur müssen wir ein Arbeitsfloß zimmern, im Wasser läßt es sich schlecht arbeiten, es ist zu tief dort.“ „Hol dir alles Erforderliche von der Karavelle“, erwiderte der Seewolf. „Auch die Balken zum Floß. Die Karavelle ist hinüber, die kann niemand mehr reparieren.“ „Und wenn Scinders uns daran hindert?“ „Ich glaube kaum, daß er es wagen wird“, sagte Hasard. „Und wenn, dann holen wir das Holz eben mit Gewalt.“ Scinders stand stocksteif am Strand, als ein paar Männer anrückten, bewaffnet mit Beilen und Äxten, um Teile der Karavelle abzuwracken. Der Zorn fraß in ihm, obwohl er innerlich einsah, daß an dem Schiff wirklich nichts mehr zu reparieren war. Er gönnte es den anderen nicht, das war die einfache Erklärung für seine Wut Tucker maß ihn von oben bis unten. Mit dem Daumen prüfte er die Schärfe seiner riesigen Axt, die er wie ein Spielzeug handhabte. Carberry verzog sein narbiges Gesicht, als er an Scinders vorbeiging. Dem Leutnant erschien es, als wolle der riesige Profos ihn auf der Stelle fressen. „Ist etwas?“ fragte Carberry. „Wir holen uns Holz, unser Kapitän hat es befohlen.“ Scinders gab keine Antwort. In seinem Gesicht arbeitete es unaufhörlich, seine Augen verengten sich, dann drehte er sich um und wandte den Männern verächtlich den Rücken zu. „Ein richtiger Bullenbeißer“, ließ Carberry sich so deutlich vernehmen, daß der Leutnant jedes Wort verstand. „Aus dem
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wird noch mal was, wenn der so weitermacht.“ „Gönnt den armen Rebellen nicht mal ein paar lausige Trümmer von seiner wertlosen Karavelle, damit sie wieder frei über die Meere segeln können.“ Tucker hatte es gesagt, er konnte den Kerl ebenfalls nicht ausstehen. Scinders Wutanfall äußerte sich, indem er mit dem Stiefel sauer in den Sand trat und die feinen Körner nach allen Seiten schleuderte. Er war mit Wut bis zum Bersten gefüllt. Na wartet, dachte er, ihr werdet wirklich noch euer blaues Wunder erleben. Schuftet nur, es wird euch nichts nutzen. Weder Tucker, Carberry und die anderen, die mitgegangen waren, kümmerten sich um den Leutnant, der im Sand stand und seinen düsteren Gedanken nachhing. Sie sammelten zuerst das Holz ein, das auch später nicht mehr benötigt wurde, um daraus eine schwimmende Arbeitsbühne zu zimmern. „Vergessen Sie nicht, daß es sich um Staatseigentum handelt, das Sie da zerschlagen!“ brüllte Scinders plötzlich. „Es ist ein Schiff Ihrer Majestät, der Königin von England!“ Carberry runzelte die Stirn, sein Rammkinn war weit vorgeschoben. „Vergessen Sie nicht“, schnauzte er zurück, „daß wir damit ein Schiff reparieren, das unter dem persönlichen Schutz der Königin von England steht, um Beute für die Krone zu bringen.“ Scinders war so perplex, daß er keinen Ton hervorbrachte. Was bildete sich dieser Piraten-Profos denn ein? dachte er entsetzt. Der hatte das Wörtchen „Respekt“ wohl noch nie in seinem Leben vernommen. Big Old Shane kam hinzu, dann noch zwei Engländer, die mit abgewandten Gesichtern an Bord ihrer Karavelle schlichen, um Scinders Blick nicht zu begegnen. Stumm und verbissen verrichteten sie ihre Arbeit und schleppten zerbrochene Planken, Kanthölzer und zerfetzte Spanten von Bord, die sie zur Galeone hinübertrugen.
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Da gab Scinders auf, aber er nahm sich vor, später alle diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die mit den Rebellen paktiert oder ihnen geholfen hatten. Sie alle würden nach ihrer Rückkehr vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Die Sonne knallte vom Himmel, vom Meer wehte nur ein laues Lüftchen herüber, das keine Abkühlung brachte. Die Männer schwitzten. Tucker hieb mit seiner riesigen Axt in die Planken, daß es nur so krachte, Er sah die Blicke der Engländer, jeder Schlag, den er ins Holz führte, tat ihnen weh, als hätte er sie persönlich getroffen. Und mit jedem weiteren Schlag, den er tat, schwand bei den Engländern die Hoffnung, daß sich an ihrer stolzen Karavelle vielleicht doch noch einmal etwas reparieren ließ. Tucker wählte für das Floß nur jene Teile, die ohnehin von der Breitseite der „Isabella“ erwischt worden waren, und die sich bestenfalls noch dazu eigneten, am Strand ein Feuer zu entfachen. Am Strand wurde das Arbeitsfloß zusammengenagelt und ins Wasser geschoben. Die Arbeit hatte nicht viel Zeit in Anspruch genommen, aber Tucker und auch den anderen war es darum gegangen, zuerst das Schiff zu krängen. Alles andere war nicht so eilig und hatte Zeit bis später. Hasard, Brighton und Tucker sprangen hinauf und inspizierten noch einmal die Löcher. „Wie lange, schätzt du, wird es dauern, Ferris?“ fragte der Seewolf. Tucker wiegte den Kopf. „Wenn die Arbeit flott vorangeht, brauchen wir mindestens zwei Tage für die Beplankung, abgesehen natürlich von der Reparatur am Schanzkleid, die noch mal ein paar Tage in Anspruch nehmen wird. Wir müssen sauber und gut arbeiten, denn die ,Isabella’ soll wieder genau so aussehen wie vorher und nichts von ihrer Stabilität verlieren.“ „Recht so, wir haben ja Zeit. Übereile nichts, Ferris.“ Tucker zeigte auf die Splitter, die auch andere Planken in Mitleidenschaft gezogen hatten.
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„Das muß ‘raus, die zweite und dritte Planke ebenfalls. Ich habe mir die Beplankung der Karavelle angesehen. Es ist gutes Holz, aber sehr viel ist nicht mehr übrig davon. Der größte Teil ist angesplittert, und das Holz kann ich nicht verwenden.“ „Du wirst deine Sache schon schaffen, Ferris.“ Tucker und Big Old Shane gingen sogleich an die Arbeit, ohne viel Worte zu verlieren. Die Axt des Schiffszimmermannes krachte in die Verbände, ein Stück nach dem anderen splitterte und brach heraus. Dann wurde gebohrt, gesägt, geschnitten, gehämmert, Kupfernägel herausgezogen, die Kalfaterung herausgenommen. Bereits nach einer Stunde konnte man von außen in den Laderaum der „Isabella“ kriechen, wenn auch mit einiger Mühe. „Da haben wir noch ein Andenken von unseren Freunden“, sagte Old Shane plötzlich. Seine Hand deutete in den Bauch der Galeone. Ferris kniff die Äugen zusammen, und dann entdeckte er es ebenfalls. In der Mitte des Schiffsbodens lag eine große Eisenkugel. Sie hatte eine Planke durchschlagen, dann aber nicht mehr die Kraft gehabt, auf der anderen Seite durchzuschlagen. „Die behalten wir als Andenken“, murmelte Tucker. „Damit wir immer an unsere Landsleute erinnert werden.“ Zum Glück briste es nicht auf, das Wetter hielt und gegen Nachmittag flaute der leichte Wind total ab. Das Meer lag wie ein Spiegel aus glitzerndem Silber da. „Das ist mein größter Kummer“, bemerkte Old Shane, der mit nacktem Oberkörper auf dem Floß stand und geschickt die Verbolzungen, Zapfen und Federn löste. „Was ist dein größter Kummer?“ fragte Ferris. „Na, das Wetter! Stell dir mal vor, wir kriegen auflandigen Wind. Dann können wir einpacken. Die nächsten Wellen schlagen sofort in die Laderäume.“ „Aber absaufen können wir trotzdem nicht“, sagte Ferris grinsend. „Ich hab Will Thorne gesagt, er soll zwei Segel
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zusammennähen und daraus für alle Fälle eine Art Rettungskleid basteln. Das wird mit zwei Leinen unter den Kiel gezogen und mit zwei weiteren Leinen oben an Deck festgezurrt. Das ist zwar nicht dicht, aber es hält eine Menge aus.“ Old Shane nickt anerkennend. Tucker war ein Mann, der ständig neue Ideen entwickelte, der immer grübelte und sann, ob es nicht irgendetwas zu verbessern gab — wie zum Beispiel den Kolderstock, den die „Isabella“ nicht mehr hatte. Beim Kauf der Galeone hatte er den alten Hesekiel Ramsgate mit seiner Neuerung total verblüfft, obwohl der alte Schiffsbauer einer von der Sorte war, die in völlig neuen Bahnen dachte und ebenfalls ständig tüftelte und verbesserte. Kein Wunder, daß sie das beste Schiff von ganz England besaßen. Der Krone war die „Isabella“ zu modern gewesen, und darum hatte sie die Galeone dem Baumeister Ramsgate nicht abgenommen. Tucker hatte zusammen mit Ramsgate ein Ruder entworfen und ein Steuerhaus gebaut. Jetzt war der Rudergänger direkt zu beneiden, weil er nicht mehr Wind, Wetter und überkommender See ausgesetzt war. Der Kutscher rief eine halbe Stunde später zum Essen. Er hatte eine kräftige Mahlzeit zubereitet. Er wußte, wie ausgehungert die Männer nach der Plackerei waren. Sie waren mit dem Essen noch nicht ganz fertig, als es übergangslos passierte. Die Trommeln dröhnten! 3. Jeder hielt mit dem Essen inne. Köpfe ruckten hoch und lauschten dem unheilvollen, drohenden Trommeln. Carberry erhob sich von der roh zusammen gezimmerten Bank, die im Schatten der Palmen stand. „Jetzt geht es schon wieder los“, sagte er aufgebracht. „Nicht mal in Ruhe essen kann ...“ Dicht über seinem Schädel zischte etwas durch die Luft. Der Profos duckte sich
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instinktiv, als er das Schwirren vernahm, aber es wäre ohnehin zu spät gewesen. Ein langer gefiederter Pfeil blieb zitternd im Stamm der Palme stecken und wippte hin und her. Im Nu waren die Seewölfe auf den Beinen. Hasard riß seine geladene Pistole aus dem Hosenbund und legte in das Dickicht an, obwohl er nichts erkennen konnte. Da fuhr ein langer Speer krachend in den provisorischen Tisch, den Tucker gezimmert hatte. Essenreste spritzten nach allen Seiten. Im Nu herrschte Durcheinander. Hasard drückte ab. Der Gegner blieb unsichtbar. nur die Richtung aus der er Pfeile abschoß, war ungefähr zu bestimmen. Die Radschloßpistole entlud sich krachend. Die Bleikugel donnerte in das Gebüsch. Ein zweiter Pfeil sirrte heran, ein dritter. Smoky starrte entsetzt auf sein Hemd. Der gefiederte Pfeil hatte es durchbohrt, quer über der Brust, ohne die Haut zu ritzen. Von der Seite her sah es aus, als wäre der Pfeil durch Smokys Körper gedrungen, und einen Augenblick lang hatte er sogar selbst das Gefühl. Die Überraschung war vollkommen. Als die Trommeln dröhnten, hatte niemand mit der Möglichkeit eines sofortigen Angriffs gerechnet. Aber jetzt reagierten die Seewölfe. Geladene Musketen lagen bereit, Entermesser, Pistolen und Äxte. Batuti stürmte los. Er schwang seinen kopfgroßen Morgenstern und ließ ihn um den Kraushaarschädel kreisen. Mit einem wilden Schrei umrannte er das Gebüsch. Von allen Seiten stürmten jetzt die Seewölfe. Die Engländer hatten sich voller Angst auf ihr Wrack zurückgezogen, ihnen blieb nichts anderes übrig, und wehrlos abschlachten lassen, wollten sie sich auch nicht. Ferris Tucker war der erste, der einen Eingeborenen sah. Ihm blieb allerdings keine Zeit, den Mann genauer zu betrachten, denn der schwang eine riesige Keule in der Rechten, schrie heiser und stürzte sich auf den Schiffszimmermann.
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Es war ein Hüne von Kerl, so groß wie Batuti, nur hatte er wulstigere Lippen und ein rohes Gesicht. Seine Hautfarbe war pechschwarz. Die Keule pfiff durch die Luft. Ferris konnte noch im allerletzten Augenblick zurückspringen, so schnell war der Schwarze. Dicht vor seinem Gesicht sauste das Mordinstrument herunter. Tucker wußte, daß es um sein Leben ging. Der Schwarze kannte kein Erbarmen. Nachdem sein Schlag fehlgegangen war, fuhr er knurrend herum und griff wieder an, mit einer Wut, die Tucker in Erstaunen versetzte. Da blieb auch dem rothaarigen Riesen nichts anderes übrig, als sein Leben zu verteidigen. Die Schneide seiner Axt pfiff durch die Luft. Er drehte sich einmal um seine Achse und hieb zu. Im selben Moment unterlief ihn der Eingeborene geschickt, seine Keule schlug gegen Tuckers Körper, daß er glaubte, alle Knochen würden ihm brechen. Der Schmerz fraß sich wie eine glühende Lunte durch seinen Körper. Ferris rollte ab, kam gerade auf die Beine, als der Schwarze ihm endgültig den Rest geben wollte, und brachte sich mit einem Sprung in Sicherheit. Aber dann schlug er erbarmungslos zu und traf. Die Axt spaltete den Schädel des Angreifers. Er war tot, noch bevor er zu Boden fiel. Aus den Büschen drang wildes Geheul, Musketenschüsse fielen, Pulverrauch stieg in grauen Wölkchen auf, dazwischen knallte Hasards Radschloßpistole. Batuti raste mit seinem Morgenstern racheschnaubend hinter einem Wilden her, dessen Pfeil ihn am Oberarm verletzt hatte. Er schwang die gezackte Kugel und schlug sie dem Schwarzen vor die Brust, der mit einem lauten Stöhnen zusammenbrach. „Umgeht sie von der linken Seite!“ rief Hasard laut. „Sonst lauft ihr in die Falle!“ „Arwenack!“ brüllte Dan; und der ganze Chor fiel in den alten Kampfruf ein. „Arwenack!“ erscholl es von allen Seiten. Das Gebrüll der Seewölfe und ihre eiserne Entschlossenheit schreckten die Angreifer
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hoch. Entsetzt stoben sie nach allen Richtungen auseinander und rannten in Richtung des Vulkanberges. Brighton feuerte noch einen Musketenschuß hinterher. Ein Eingeborener warf die Arme hoch, schrie wie am Spieß und sackte zusammen. Die anderen verschwanden so schnell, wie sie erschienen waren. Die weißen Teufel hatten sie gründlich dezimiert und ihnen heillose Angst beigebracht. Außer Batuti war nur Stenmark verletzt, eine leichte Fleischwunde, mehr war es nicht, die der Kutscher sogleich verband. „Die Burschen verstehen sich aufs Anschleichen“, sagte Hasard anerkennend. „Und auch darauf, wie man Fremde blitzartig überfällt. Es sind Schwarze, aber was hat sie hierher auf die Azoren verschlagen?“ Darauf wußte niemand eine Antwort. Der Rasse und Hautfarbe nach mußten sie aus dem wildesten Afrika stammen. Ihr Haß auf die Fremden war wohl nur deshalb so groß, Weil ihr Heiligtum entweiht worden war. „Sie kommen zurück“, sagte Dan aufgeregt. „Da vorn, neun Kerle sind es.“ „Na, dann werden wir ihnen gleich mal einheizen“, sagte Brighton grimmig und griff nach der wieder nachgeladenen Muskete. Hasard fiel ihm rechtzeitig in den Arm. „Warte noch, sie haben etwas vor, nicht schießen. Vielleicht ist es auch nur ein Trick, wir werden es gleich sehen.“ Weiter hinten erschienen tatsächlich neun Schwarze. Ihre Speere und Bögen trugen sie locker in der Hand, die Spitzen wiesen zum Boden. Immer wieder verbeugten sie sich aus der Ferne, blieben stehen, traten dann wieder ein paar Schritte vor. Jetzt waren sie ungefähr noch fünf- zig Yards entfernt, als der eine sich wieder verneigte und seine Waffen auf den Boden legte. „Die wollen sich doch nicht etwa ergeben?“ staunte Old Shane. „Bestimmt nicht, die haben etwas anderes vor. Abwarten. Gebt mir notfalls Feuerschutz!“
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Hasard ging den Schwarzen ein Stück entgegen. Zehn geladene Musketen waren hinter seinem Rücken auf die Wilden gerichtet. Argwöhnisch beobachtete der Seewolf jede Bewegung der Schwarzen. Die Pistole hatte er in den Hosenbund gesteckt, die offenen Handflächen hielt er zum Zeichen des Friedens nach oben. Ein hünenhafter Schwarzer rollte wild mit den Augen und schnatterte etwas in einer Sprache, die Hasard nicht verstand. Dann deutete er aufgeregt schnatternd auf eine Stelle am Boden, wo ein erschlagener Schwarzer lag. „Eure Schuld“, sagte Hasard achselzuckend. „Mir könnt ihr keine Vorwürfe machen.“ Natürlich verstand ihn. der Schwarze nicht. Wieder palaverte er aufgeregt und deutete auf den Toten, dann auf einen zweiten. Hasard ließ es darauf ankommen. Vielleicht verstand der Anführer der Eingeborenen die Zeichensprache. Deshalb ging er auf ihn zu, bückte sich und hob den zu Boden gelegten Speer auf. Die Wilden starrten ihn erschrocken an, als Hasard den Speer nahm, die Spitze auf seine Brust setzte, dann den Kopf schüttelte und den Speer waagrecht mit beiden Händen hochhielt. Mit einem Ruck ließ er ihn über sein hochschnellendes Knie fallen und zerbrach ihn. Die beiden Teile warf er zu Boden. Dann zog er seine Radschloßpistole aus dem Gürtel und legte sie daneben. Sekundenlang schien es ihm, als wollten sie nicht begreifen. Doch dann entblößte der Größte von ihnen seine Zähne und nickte ebenfalls. Daraufhin legten die anderen ihre Waffen nieder. Dem Seewolf fiel ein Stein vom Herzen. Wenn sie ihn verstanden hatten, war alles gut, dann waren die gröbsten Mißverständnisse vielleicht ausgeräumt. Seine Hand zeigte auf die Leichen, er trat ein paar Schritte zurück. Und er begriff, was sie wollten. Sie wollten die Toten mitnehmen.
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Hasard ließ sie ruhig gewähren, als vier Männer die Leichen packten und sie in Richtung der Berge davontrugen. Jetzt hatten sie es plötzlich eilig. Noch zwei weitere Tote wurden geborgen, dann hob der Anführer seine Waffen auf, drehte sich um und lief den anderen hinterher. Hasard sah ihnen sinnend nach, als er seine Pistole aufhob und sie einsteckte. Langsam kehrte er zurück. „Ich denke, die Gelegenheit zu einem Besuch in den Bergen ist für uns günstig“, sagte er. „Wir sollten sie gleich nutzen und mit ihnen verhandeln. Dann können wir in Ruhe weiterarbeiten, und auch die Engländer haben später Ruhe vor ihnen.“ „Eine gute Idee“, sagte Ben. „Den Grundstein für die Verhandlungen hast du soeben gelegt. Wann brechen wir auf?“ „In einer halben Stunde.“ Hasard fuhr herum, als von den Engländern lautes Gebrüll herüberklang. „Sie überfallen das Schiff!“ schrie Nottingham mit vor Erregung überkippender Stimme. Niemand hatte in diesem Augenblick auf die „Isabella“ geachtet. Und so war ihnen entgangen, daß sich von der Seeseite her drei Auslegerboote mit Schwarzen genähert hatten. Von der anderen Seite der Bucht her waren sie heimlich herübergekommen. „Zum Schiff! Schnell!“ brüllte Hasard. „Diese hinterlistigen Halunken. Freundlich verhandeln und einem dann in den Rücken fallen!“ Ein unbeschreiblicher Zorn erfaßte ihn. Diese Kerle hatten eine wirklich hinterhältige Taktik angewandt und die gespannte Situation geschickt ausgenutzt.. Und das Schlimmste war: Die „Isabella“ war wehrlos, aus ihren Kanonen, die an den Brooktauen zerrten, konnte kein Schuß bei dieser Krängung abgefeuert werden. Die Kugel würde in den Himmel fliegen und das Geschütz außenbords gehen. Die Seewölfe fluchten und tobten. Luke Morgan, von Natur aus jähzornig wie kein anderer der Crew, raste schäumend vor Wut zum Schiff. Die Muskete hatte er unter den Arm geklemmt. Am Strand
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feuerte er sie ab, gerade als von den beiden Booten ein Pfeilhagel herüberprasselte. Das Bleigeschoß saß im Ziel. Zwei Männer bäumten sich in ihrem Boot auf, die Kugel hatte beide Körper hintereinander durchschlagen. Pfeile und Speere zischten heran, einige blieben zitternd im Schiffskörper stecken, andere fuhren haarscharf an den Seewölfen vorbei. „Versucht, die achtere Drehbasse zu laden!“ rief Hasard. Carberry und Tucker waren schon aufgeentert, da flog von einem der Boote unter wildem Geschrei ein brennender Topf an Bord. Holzkohle glühte, ein Funkenregen stob über das Achterdeck. Die Drehbasse war ebenfalls um zwanzig Grad gekrängt und es bereitete Schwierigkeiten, sie einzusetzen. Carberry versuchte es trotzdem. In aller Hast stopften sie gehacktes Blei in das Rohr. Ein Schlag mit dem Flintstein brachte die Lunte zum Glimmen. Carberry blies aus vollen Lungen, bis sie glühte. Inzwischen traten Hasard, Bob Grey und Al Conroy die glimmenden Holzkohlestücke aus, um das Schlimmste zu verhindern. Im Boot brüllten die Wilden. Speere flogen. Carberry duckte sich blitzschnell, als mit häßlichem Sirren ein Speer an ihm vorbeiflog und im Ruderhaus steckenblieb. Eiskalt wartete er ab, bis sie näher heran waren. Die ersten hatten sich bereits aufgerichtet. Sie wollten aufs Schiff. Was sie sich davon versprachen, wußte niemand, vermutlich wollten sie es in Brand stecken, denn der Profos entdeckte noch weitere Schalen mit glimmender Glut, die sie bereithielten. „Euch Kakerlaken wird die Freude vergehen!“ brüllte er. Zwanzig Yards von der „Isabella“ entfernt tauchte jetzt das erste Boot im Ziel auf. Carberry drückte die Lunte aufs Zündkraut, und dann ballerte die Drehbasse los, zuckte durch den Rückschlag und die Schräglage wie verrückt und schien aus der Verankerung brechen zu wollen.
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Ein ungeheurer Knall erfolgte, der das Dröhnen der Trommeln übertönte. Grob gehacktes Blei fuhr aus dem Rohr, begleitet von einer dunklen Wolke Rauch und Feuer. Die Wilden im ersten Boot wurden zersiebt. Körper klatschten in die See, die Kerle, die verwundet waren, brüllten ihr Entsetzen lautstark hinaus. Leiber zuckten, verstümmelte Wilde sprangen ins Wasser. Der Rest, Tote und Lebende, ging mit dem Auslegerboot unter, das nur noch aus einem wüsten Trümmerhaufen bestand. Auch im zweiten Boot hatte es durch die Streuwirkung eingeschlagen. Ein Bleibrocken riß einem der Eingeborenen den Schädel vom Rumpf. Einen anderen zerfetzte es total. Sie waren nicht mehr in der Lage, davonzurudern. Panik hatte sie erfaßt und ließ sie kopflos werden. Die Seewölfe kannten keine Gnade. Ein Feind, der so hinterhältig angriff, der hatte es nicht anders verdient, für den gab es keine Schonung. Einen nach dem anderen holten die Musketen aus dem Boot, und die, die es schafften, an Land zu springen, um davonzurennen, holten sich Tucker und Batuti. Der letzte Wilde, der noch übrig war, kämpfte mit Matt Davies. Mit einer abgebrochenen Pfeilspitze drang er auf Matt ein, ein hünenhafter Bursche wie die anderen auch. Matt fackelte nicht lange. Sein scharf geschliffener Eisenhaken, die mörderische Prothese fuhr hoch. Ein Schrei, in höchster Tonlage abrupt abbrechend, hallte über das Wasser. Dann sank der Schwarze mit aufgeschlitzter Kehle im Sand zusammen. „Wir hätten ein paar von ihnen laufenlassen sollen“, sagte der Seewolf, „die hätten ihrem Häuptling Bericht erstatten können, wie es ihnen erging. Vielleicht hätte sie das zur Vernunft gebracht.“ „Willst du jetzt immer noch verhandeln?“ fragte Ben. Der Seewolf nickte grimmig.
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„Natürlich, Ben. Wir haben gute Argumente in der Hand.“ „Und der Häuptling zwei Geiseln“, warf Carberry ein. „Aber wenn sie das riskieren, dann fliegt diese ganze verdammte Insel in die Luft. Und jetzt können sie ‘antanzen und ihre Leichen abholen, diese hinterhältigen Hurenböcke!“ Sie zeigten sich nicht. Nach einer Weile schwiegen die Trommeln, auf der Insel kehrte wieder Ruhe ein. Der einzige, der erschien, war Scinders, nachdem alles vorüber war. Er baute sich vor dem Seewolf auf und sah ihn kalt an. „So“, sagte er gedehnt. „Sie haben gesehen, was passiert ist. Wollen Sie uns immer noch Waffen verweigern? Sollen wir uns vielleicht hilflos wie eine Hammelherde abschlachten lassen! Ich verlange auf der Stelle Waffen, Mann!“ „Gehen Sie mir aus dem Weg, Scinders“, sagte Hasard hart, und in seinen eisblauen Augen stand jenes gefährliche Funkeln, das auch den härtesten der Seewolf-Crew augenblicklich warnte und lammfromm werden ließ. Scinders schien dieses eisige Blitzen noch nicht zu kennen. „Ich verlange Waffen!“ schrie Scinders. „Verschwinden Sie, Sie Maulheld! Sie sind an dem ganzen Unglück schuld, weil Sie unüberlegterweise die Statue umgestoßen haben. Ich werde Sie nicht bewaffnen. Ich kenne Ihre wahren Absichten.“ Und als Scinders dem Seewolf empört den Weg vertrat, wischte Hasard ihn lässig zur Seite. Hinter dem leichten Stoß mit der Hand saß jedoch so viel Kraft, daß Scinders augenblicklich mit dem Hintern in den Sand fiel.’ „Noch etwas?“ fragte Hasard sanft. Der Blick, den Scinders ihm zuwarf, war so scharf wie die Pfeilspitzen der Wilden, nur noch giftiger. „Das werden Sie noch bereuen“, knirschte er. „Das wird Ihnen noch verdammt leid tun! Einen Offizier der Krone tätlich anzugreifen. Ich lasse mich nicht von einem dreckigen Rebellen anfassen!“ Hasard griff zu, zog Scinders mit einem Ruck aus dem Sand und stellte ihn auf die
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Füße. Dann packte er ihn an den Aufschlägen seiner Jacke und hob ihn ein paar Zoll an, bis Scinders hilflos vor den eisigblauen Augen des Seewolfes hing. „Wenn ich das Wort noch ein einziges Mal von Ihnen höre, Scinders, dann lasse ich Sie auspeitschen! Ist das klar? Mein Profos wird sich mit Freude dieser Arbeit widmen, und der Offizier der Krone wird spüren, wie es ist, wenn die Neunschwänzige auf seinem Rücken tanzt! Und jetzt hauen Sie ab, Sie aufgeblasener Trottel!“ Er ließ den Leutnant los, der sich mit krebsrotem Gesicht nach seiner Dienstmütze bückte. Carberry hob schon seinen gewaltigen Stiefel, um Scinders damit in den Achtersteven zu treten, aber der Seewolf schüttelte nur den Kopf. Er wollte den Bogen nicht unnötig überspannen. „Schade“, sagte der Profos enttäuscht, „ich wollte nur mal sehen, wie weit er fliegt.“ Die Männer grinsten, während Scinders wie ein geprügelter Hund davonschlich, aber als er weit genug weg war, wilde Drohungen ausstieß. „Jetzt sitzen wir herrlich zwischen zwei Stühlen“, sagte der Seewolf, der sich in seiner Haut nicht sehr wohlfühlte. „Einerseits kann ich nicht verantworten, daß die Wilden über unsere Landsleute herfallen und sie dem Überfall schutzlos ausgesetzt sind, zum anderen kann ich es erst recht nicht verantworten, die ganze Meute zu bewaffnen. Sie sind uns zahlenmäßig überlegen, und dieser Scinders würde das sehr schnell ausnutzen. Was also soll ich tun?“ „Sie nicht bewaffnen, auf gar keinen Fall“, erwiderte Big Old Shane. „Wir müssen sie beschützen und die Wachen verstärken. Sind sie erst bewaffnet, dreht sich das Blatt um. Dann sind wir es, die hierbleiben können, bis die nächste Steinzeit anbricht.“ „Und eure Meinung?“ fragte Hasard die anderen. „Auf keinen Fall bewaffnen“, antworteten sie einstimmig. „Sonst sind wir unsere ‚Isabella’ gleich los!“
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„Und Scinders läßt ein Kriegsgericht zusammenstellen und uns alle aufhängen“, sagte Tucker. „Wir sollten unser Lager befestigen“, sagte Old Shane in seiner ruhigen, überlegten Art. „Männer sind genug da. Wir bauen aus Holzstämmen eine Palisadenfestung, dann hat jeder der Kerle genug zu tun und verfällt nicht auf dumme Gedanken. Gleichzeitig hat jeder zu seiner Verteidigung etwas beigetragen. Ist das Lager erst einmal befestigt, dürften die Eingeborenen weniger Lust verspüren, uns anzugreifen.“ Hasard schlug seinem väterlichen Freund auf die Schulter. „Eine prächtige Idee, Shane. So hat jeder seine Aufgabe und etwas Nützliches geleistet. Du und Ferris, ihr arbeitet am Schiff weiter, wen ihr dazu benötigt, der hilft euch. Ben und ich gehen in die Berge und versuchen, die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen. Die anderen halten Wache und helfen bei der Befestigung mit!“ Niemand widersprach, auch wenn es ihnen insgeheim gegen den Strich ging, den Seewolf und Ben Brighton losziehen zu lassen. Dazu waren die Eingeborenen viel zu unberechenbar. Aber den Seewolf hielt von seinem Vorhaben nichts ab, auch nicht die bedenklichen Gesichter der Männer. Es mußte eine Einigung erzielt werden, seit sich auf der kleinen Insel vier verschiedene Interessengruppen gebildet hatten. Da waren die Wilden, deren heiligen Bezirk sie entweiht hatten, da waren die Engländer, gespalten in zwei Gruppen, und da waren die Seewölfe, entschlossen, ihr Schiff herzurichten, um weiterzusegeln. Und zwei Gruppen versuchten das zu verhindern: Scinders und seine Leute und die Wilden, die allerdings gänzlich andere Motive hatten. Nein, so ging es nicht weiter, überlegte Hasard. Wenigstens die Wilden mußten sie besänftigen, mit den anderen würde er schon fertig werden, das war etwas einfacher.
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„Wir nehmen zwei Messer als Geschenke mit, Ben. Eins für den Häuptling, das andere für den Medizinmann.“ „Die werden eine höllische Wut auf uns haben, daß wir mehr als ein Dutzend von ihnen umgebracht haben. Ich denke, die fressen uns mit Haut und Haaren, sobald sie uns erblicken!“ „Angst?“ fragte der Seewolf spöttisch, obwohl er seinen Ersten Offizier zur Genüge kannte und genau wußte, daß Ben Brighton keine Angst hatte. „Angst’?“ wiederholte Ben lachend. „Das Wörtchen habe ich in meinem Leben erst ein- oder zweimal gehört. Gehen wir!“ Zur Sicherheit nahmen sie zwei Radschloßpistolen, Pulver und Kugeln mit. Ihre eigenen Messer steckten im Gürtel, zwei weitere waren für den Häuptling und den Medizinmann bestimmt. „Profos, Sie übernehmen während meiner Abwesenheit das Kommando über alle!“ rief der Seewolf laut und deutlich, damit es auch die Engländer verstanden. „Und paß gut auf, Ed“, schärfte er ihm nochmals ein. „Achte auf alles, was irgendwie verdächtig scheint.“ „Aye, aye, Sir!“ brüllte Carberry. Ben Brighton und der Seewolf zogen los. 4. Für die beiden Männer war es ein mulmiges Gefühl, sich durch die Zone der Wilden zu bewegen. Über- all konnten sie unsichtbar lauern, hinter Büschen, Felsen, Sträuchern. Jeden Augenblick konnten Speere oder Pfeile heranfliegen. Nur — wenn sie es merkten, war es bereits zu spät. Hasard hielt die Hand am Griff der Pistole, Ben ebenfalls. Immer wieder blickten sie sich verstohlen um. Sie fühlten, daß unsichtbare Augen sie belauerten, aber sie sahen niemanden. Die Wilden beobachteten sie sehr geschickt, ohne sich zu zeigen. Hasard spürte das rein instinktiv. Sie durchquerten einen Teil verfilzten Waldes, marschierten über Lichtungen, gingen an einer Quelle vorbei, die zwischen Felsen entsprang und gleich
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wieder versickerte, und gerieten immer höher den Berg hinauf, der die Insel krönend mit seinem rauchenden Vulkankegel abschloß. „Etwas weiter nach links“, sagte Hasard. „Von dort her drang das Dröhnen der Trommeln.“ Als Weg konnte man die Strecke nicht bezeichnen, die in die Nähe des Vulkans hinaufführte, aber an vereinzelten Hinweisen erkannte Hasard, daß sie richtig gingen, denn überall gab es Spuren, wie sie nur Menschen hinterlassen haben konnten. Und dann — sie befanden sich in einem Terrain, das aus Felsen, Bäumen und niedrigen Büschen bestand — standen ihnen plötzlich zwei Wilde im Weg. Große, hagere Gestalten, die Bogen schußbereit in der Hand, die Augen wild hin und her rollend. Hasard blieb abrupt stehen, Ben ebenfalls. Alle beide griffen reflexartig zu ihren Waffen. Fast eine Minute lang starrten sie sich an, dann senkten sich zögernd die Bogen, und die beiden Seewölfe atmeten erleichtert auf. Die beiden Wilden, Hasard glaubte den einen zu kennen, als sie die Toten abgeholt hatten, gingen voran und sahen sich immer wieder um, ob die Weißen auch folgten. Knapp zehn Minuten lang gingen sie in zügigem Tempo, dann lagen rundgebaute Hütten vor ihnen. Eingeborene Frauen starrten die Weißen neugierig an, ein paar Kinder mit dicken Bäuchen standen herum, dann tauchte ein Mann auf, der Hasard augenblicklich an die Statue am Strand erinnerte. Sie sahen sein Gesicht nicht, aber es war zweifellos der Häuptling. Hochaufgerichtet und stolz stand er da. Seinen Kopf zierte ein präparierter Haifischschädel von gewaltigen Ausmaßen. „Verdammt!“ murmelte Ben. „Der kann einen ja richtig erschrecken!“ Der Haifischrachen war weit aufgerissen, das breite Maul mit den rasiermesserscharfen Zähnen schien zu grinsen. Dort, wo ehemals die Augen des Hais saßen, blitzte es. Hinter der
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Haifischmaske funkelten die Augen des Häuptlings sie an. Krieger erschienen an seiner Seite. Sie traten hinter den Hütten hervor, tauchten aus den Büschen auf, waren plötzlich da. Hasard zählte mehr als dreißig Eingeborene, und alle waren sie pechschwarz, Männer, Frauen, Kinder. „Häuptling Großer Hai“, sagte Hasard in die lastende Stille hinein. Der Große Hai murmelte ein paar Worte, woraufhin alle etwas von ihm abrückten und sich strafften. Seine rechte Hand vollführte eine weitausholende Bewegung, mit der er sie einlud, näher zu treten. „Scheint ein friedlicher Bursche zu sein“, Meinte Ben unbehaglich, weil mehrere Wilde hinter ihnen standen, und Brighton es nicht ausstehen konnte, jemanden, den er nicht kannte, in seinem Rücken zu haben. „Ich traue dem Kerl nicht“, flüsterte Hasard. „Und den anderen noch viel weniger.“ Ihre Aufmerksamkeit wurde abgelenkt. Aus einer der Hütten trat ein buntbemalter alter Mann, gebeugt, mit funkelnden Augen, die haßerfüllt die beiden Weißen musterten. Der Häuptling fuchtelte wieder mit dem Arm herum und ging ein Stück voran zu einer Buschgruppe. Hasard und Ben folgten beklommen. Die Buschgruppe wurde umrundet und gab den Blick zum Berggipfel frei. Der Anblick, der sich hinter den Büschen bot, war allerdings umwerfend. Da standen acht Schwarze, und je zwei von ihnen hatten eine der Leichen gepackt, Wilde, die beim ersten Überfall getötet worden waren. Der Medizinmann erschien wieder, besprengte die Toten aus einem Krug mit Flüssigkeit und murmelte Beschwörungen, indem er die Arme hob, sie wieder senkte und seinen ausgemergelten Körper hin und her schwang. Mit seltsam wiegenden Bewegungen setzte sich der Zug in Marsch. Sie trugen die Toten einen steinigen Pfad hoch, bis sie nach ein paar Minuten den rauchenden Krater erreicht hatten. Dort
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verharrten sie regungslos. Von irgendwoher dröhnten, dumpf die Trommeln, ohne daß jemand zu sehen war. Als das Tamtam endete, flog die erste Leiche in hohem Bogen in den Schlund des Kraters. Wieder grollten die Trommeln, der zweite Tote folgte, Schweigen breitete sich aus. Danach wiederholte sich die Prozedur unter Trommeln und Schweigen. Erst nach einer Weile kehrten die Wilden zurück, schweigend und verschlossen. „Da sind wir nicht gerade zum günstigsten Zeitpunkt erschienen“, sagte der Seewolf. „Oder sie haben absichtlich so lange gewartet“, erwiderte Ben. Der Häuptling wandte sich ihnen zu. Mit einem Ruck riß er die gräßliche Haifischmaske von seinem Schädel. Ein tiefschwarzes Gesicht erschien. Augen, die wie Holzkohle glühten, blickten sie verschlagen an. Das Haar des Häuptlings war fast weiß, seine Lippen hatten sich verkniffen. Er drehte sich nach links, legte beide Hände an die Stirn und verbeugte sich dreimal hintereinander in die Richtung. Hasards Blick folgte ihm. Erstaunt stieß er Ben an. „Sieh dir das an!“ hauchte er. „Mich trifft der Schlag!“ In einer Ecke stand die zerstörte Statue. Das war weiter nicht verwunderlich. Viel verwunderlicher war die Tatsache, woraus ihr anderes Heiligtum bestand. Decksplanken lagen da fein säuberlich aufgeschichtet, eine golden überzogene Galionsfigur, die einen spanischen Heiligen darstellte, stand auf einem umfriedeten Platz. Dahinter war ein Schiffsmast in den Boden gegraben und rechts davon befand sich ein größeres Floß. Auf dem Floß lagen verrostete Ketten von unterschiedlicher Länge. Ketten, mit denen man Sklaven zusammengekettet hatte, oder wie sie durch die Ruderbänke der Galeeren liefen. „Verstehst du das?“ fragte Ben staunend. „Bis jetzt noch nicht, aber ich kann mir ungefähr die Zusammenhänge vorstellen. Das hier verehren sie, daran besteht kein Zweifel. Aber woher haben sie es?“
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Der Große Hai hatte ihren Blick bemerkt, und augenblicklich verdüsterte sich sein Gesicht. In seinen kohlschwarzen Augen funkelte es unergründlich, lauernd sah er die beiden Männer an. Hasard zog die mitgebrachten Messer langsam hervor. Das eine legte er auf die linke Hand und überreichte es dem Häuptling. Ben nahm das andere, deutete eine kleine Verbeugung an und gab es dem Medizinmann. Die Bedeutung von Messern war ihnen bekannt, obwohl sie selbst keine hatten. Gierig starrten sie die breiten Messer an, dann streckten sich zögernd zwei schwarze Hände danach aus und rissen es Hasard und Ben aus den Händen. Verzückt starrten sie auf die Waffen. die Finger des Häuptlings fuhren über die Schneide, er stieß einen anerkennenden Grunzlaut aus, dem ein paar Worte in einer unbekannten Sprache folgten. „Wenn man wenigstens einen Brocken verstehen könnte“, sagte der Seewolf. Er sagte ein paar Worte auf Spanisch, aber sie verstanden ihn nicht. Auch Englisch begriffen sie nicht. Hasard ließ sich auf die Knie nieder, zeigte dann auf die Ketten, das verwitterte Floß und die Relikte, die da herumlagen. Seine Hand deutete zum Meer hinunter, dann wieder auf die Gegenstände, wobei. er den Großen Hai fragend ansah. Der Häuptling schien zu begreifen. Aufgeregt deutete er auf die Trümmer und begann hastig in seiner Sprache zu schnattern. Er wurde immer aufgeregter, bis sich seine Stimme überschlug. Es dauerte eine Weile, bis er sich beruhigte und mit dem Medizinmann ein paar Worte wechselte. Der schien sich zu sträuben, wie Hasard bemerkte, aber er wußte nicht, um was es ging. Dann, nach offensichtlichem Widerwillen, trat er in den Kreis der geheiligten Relikte, setzte sich auf das Floß, nahm die schweren Ketten und legte sie über seine Arme. Seine gespreizten Finger stieß er dabei mehrmals in die Höhe. Beim sechsten Mal hörte er auf.
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Jetzt schnatterte der Häuptling wieder los. Er zeigte auf den eingegrabenen Schiffsmast und die Galionsfigur. Sein hagerer Arm deutete weit aufs Meer hinaus, zeigte auf den Hai, dann wieder auf die zerstörte Statue, vollführte die Bewegung eines Schiffes, wie es brach und unterging. Hasard, der sich die Gesten anfangs nicht so richtig erklären konnte, sah plötzlich klar, als der Häuptling geendet hatte. Er nickte mehrmals und wiederholte einige der Bewegungen. „Sklaven“, sagte er zu Ben. „Sie sind als Sklaven von Afrika gekommen, vermutlich auf einem Spanier, der im Sturm gesunken ist. Sie waren angekettet und haben sich auf dem Floß retten können. Den Mast und die Galionsfigur hat der Wind später hier angetrieben.“ „Und was ist mit dem Hai?“ fragte Ben. „Was hat das mit der Statue am Strand zu tun?“ Es war nur eine Vermutung, die Hasard äußerte. aber sie traf ins Schwarze. „Ich nehme an, daß an jener Stelle das Floß gestrandet ist, mit dem sie sich retten konnten. Es gab etwa sechzig überlebende Sklaven. Bei dieser Aktion hat ein Hai eine große Rolle gespielt, doch das dürfte für uns bedeutungslos sein. Ich kann das nur so auslegen, daß es hier vor Haien wimmelte und die Sklaven merkwürdigerweise von ihnen nicht angegriffen worden sind. Deshalb haben sie dem Hai zu Ehren und als Dank für ihre Rettung die Statue am Strand aufgestellt.“ „Und darin taucht so ein Idiot wie dieser Scinders auf und wirft sie um.“ „Richtig. daher der Angriff auf uns. Sie wußten ja nicht, daß es nur ein einzelner war.“ Der Häuptling starrte sie an. während sie sich unterhielten. „Wie bringen wir ihnen nur bei, daß wir nichts von ihnen wollen?“ fragte Ben. „Wir können es mit Gesten versuchen oder mit Zeichnungen, die wir in den harten Sand ritzen. Ich denke doch, daß sie begriffen haben, was wir wollten.“
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Hasard versuchte es und fand aufmerksame Zuschauer. Nur in den Augen des Großen Hai glaubte er hin und wieder ein spöttisches Aufblitzen zu bemerken. „Macht der Vogel sich über uns lustig?“ fragte Ben im Plauderton. „Oder grinst der immer so hinterhältig?“ Hasard zuckte mit den Schultern. „Ich werde aus dem Kerl nicht schlau. Begriffen hat er jedenfalls, daß wir ihn nicht angreifen wollen. Ich werde es noch einmal versuchen.“ Mit der Messerklinge säuberte er ein Stück des Bodens und ritzte in den knochenharten Sand die Umrisse der Galeone ein. Der Große Hai nickte verstehend. Hasard deutete die Beschädigung an und daß man sie reparieren wolle. Wieder nickte der Große Hai ernsthaft, doch Hasard entging nicht der verschlagene Blick, den er mit dem Medizinmann tauschte. Er reichte ihm die Hand. Der Große Hai grinste von einem Ohr zum anderen, dann gab auch er die Hand, zögernd nur, und er zog sie auch gleich wieder zurück. Ein Krieger, der den Pfad heraufgeeilt war, unterbrach das Zeremoniell zwischen Schwarz und Weiß. Er trat auf den Häuptling zu, blickte Hasard und Ben ängstlich an und flüsterte dem Großen Hai etwas ins Ohr. Dessen Augen wurden immer größer, ein paarmal wollte er etwas sagen, doch drang kein Ton über seine Lippen. Seine Augen flackerten jedoch merkwürdig. Hasard nickte ihm freundlich zu, doch des Häuptlings Gesicht verschloß sich immer mehr, seine Lippen wölbten sich vor. Es hatte den Anschein, als wolle er Hasard das geschenkte Messer wieder vor die Füße werfen. „Was ist denn bloß in den Kerl gefahren?“ fragte Ben wütend. „Bei dem weiß man nie, ob man lachen oder weinen soll.“ „Vermutlich hat er soeben die Nachricht erhalten, daß auch seine anderen Krieger getötet worden sind. Aus dem Gemetzel mit den beiden Booten ist ja niemand entwischt.“
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„Ich denke, wir sollten wieder gehen“, sagte Ben. „Wir sind anscheinend nicht mehr erwünscht, sonst landen wir auch noch da oben in dem Krater.“ Die Stimmung wurde immer feindseliger, wie es den Anschein hatte. Frauen, Männer und ein paar der kleinen, dickbäuchigen Kinder zogen sich in ihre Hütten zurück. Der Häuptling verneigte sich übertrieben tief vor ihnen, dann drehte er sich ebenfalls um und ging aufrecht davon, ohne die beiden Männer noch eines Blickes zu würdigen. Damit war für ihn die Unterredung beendet. Hasard lachte rauh auf. „Weißt du, was diese Burschen wollen, Ben?“ fragte er. „Wenn ich mir das richtig überlege, diese ganzen Zusammenhänge, dann ist nicht allein die gefallene Statue daran schuld. Diese ehmaligen von den Dons gefangenen Sklaven sind jetzt ein paar Jahre hier, das haben wir an den Kindern gesehen. Was, glaubst du, wollen sie wirklich?“ „Willst du damit sagen, sie sind auf unsere ,Isabella’ scharf ?“ fragte Ben Brighton ungläubig. „Natürlich, sie wollen wieder dahin, wo sie herstammen, in ihre afrikanische Heimat nämlich. Nur werden sie wahrscheinlich kein Schiff segeln können, kein so großes jedenfalls“, schränkte Hasard ein. „Hm, das ist ein naheliegender Gedanke. Demnach meinst du also, sie werden nicht aufhören, uns zu überfallen? Deshalb auch dieser Ausdruck auf dem Gesicht des Häuptlings. Er kann seine wahren Gefühle und Gelüste doch nicht richtig verbergen!“ „So ist es, wir müssen scharf aufpassen! Und jetzt verschwinden wir von hier, sonst gibt’s noch mehr Stunk.“ Niemand war mehr zu sehen. Hasard nahm es als Zeichen der Unfreundlichkeit. Er hatte getan, was er konnte, und er wollte wirklich und wahrhaftig keine Auseinandersetzungen mit den ehemaligen Sklaven. Doch wenn sie wieder angriffen, würden sie sich blutige Nasen holen. Hasard hatte keine Lust, weitere Verzögerungen in Kauf zu nehmen. Langsam gingen sie den Weg zurück.
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Leutnant Jonathan Scinders kam die Entwicklung mit den Eingeborenen und dem Bau der Palisaden mehr als gelegen. Ausnahmslos alle Männer waren beschäftigt, sogar Nottingham half mit. Scinders dachte nicht im Traum daran, auch nur eine Hand zu rühren. Sein einziges Ziel war die Vernichtung der Galeone. Die Piraten und Rebellen, wie er die Seewölfe immer noch bezeichnete, durften unter keinen Umständen die Insel verlassen und sie hier - Soldaten Ihrer Majestät - zurücklassen. Er hatte eindeutige Befehle, und er war der Mann, der sie auch in die Tat umzusetzen pflegte. Egal wie und mit welchen Mitteln. Niemand beachtete ihn. Nottingham und jene Leute, die zu ihm hielten, würdigten ihn keines Blickes. Für sie war er ein Fanatiker, der nur Schaden anrichtete. Die Seewölfe waren ebenfalls beschäftigt. Wer nicht an der „Isabella“ arbeitete, half beim Palisadenbau mit, der ziemlich rasch voranschritt. Die ersten Holzstämme waren bereits in den Boden gegraben worden, und natürlich benutzten die Kerle dazu wieder einmal abgewrackte Hölzer aus der Karavelle. Scinders hatte sich unbemerkt ein kleines Pulverfaß angeeignet, das von der Karavelle stammte. Er hatte es halb im Sand versteckt und seine Jacke darüber gelegt. Niemand sah es. Scinders wartete. Noch ein bis zwei Stunden, und die Dämmerung würde über die Azoren hereinbrechen. Dann war die Zeit günstig für ihn. Einmal gingen Rattler, Fairbank, Steelman und Sales vorbei, Männer, die zu Scinders hielten. „Ihr werdet nachher ein wenig für Ablenkung sorgen“, sagte der Leutnant. „Oder bildet zumindest einen Halbkreis um die Piratenbrut, daß man mich nicht sieht. Ich werde deren verdammtes Schiff noch heute in die Luft jagen.“
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„Ist das nicht zu riskant für Sie, Sir? Einer von uns könnte es tun. Es würde weniger auffallen.“ „Nein, nein, ich übernehme das persönlich. Dieser Bande von Verbrechern überlasse ich das Schiff nicht. Dann wird es in die Luft geblasen, und wir alle bleiben hier, bis ein anderes Kriegsschiff nach uns sucht. Wie weit sind die Kerle?“ Alle gaben sich Mühe, so herumzustehen, daß es nicht nach einer Besprechung aussah, zumal zwei von der „Isabella“Crew ab und zu mißtrauisch herüberäugten. Rattler, ein harter, muskelbepackter Brocken, hatte immer wieder unauffällig inspiziert, wie weit die Arbeit voranging. „Die zerschossenen Planken haben sie ausgebaut“, berichtete er. „Bis morgen mittag werden sie zwei oder drei Planken eingezogen haben. Dieser rothaarige Kerl und der andere Hüne arbeiten wie besessen.“ „Kein Wunder, sie wollen ja so schnell wie möglich fort, weil sie ständig mit dem Auftauchen weiterer Kriegsschiffe rechnen. Aber diese Rebellen haben die Rechnung ohne uns gemacht. Und jetzt geht wieder an eure Arbeit, sonst fallen wir auf.“ „Aye, aye, Sir!“ Einer nach dem anderen verschwand, um beim Bau der Palisaden mitzuhelfen. Langsam brach die Dämmerung herein und damit Scinders günstigste Zeit. Er sah, daß der verhaßte Seewolf und sein Erster Offizier wieder zurückgekehrt waren und den anderen berichteten. Der Rothaarige und der mächtige Graukopf hatten eine Pause eingelegt. Sie alle hockten herum und palaverten oder hörten dem Seewolf zu. Scinders packte sein Pulverfäßchen und schlich los. Mit der Hand gab er Rattler ein Zeichen, der unauffällig nickte. Scinders Leute bildeten jetzt zusammen mit Sir Nottingham und Garner, dem Ersten Offizier, einen Halbkreis um die Seewölfe. Vorsichtig schlich Scinders um die Gruppe herum, pirschte durch das verfilzte
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Dickicht und umging die Palmengruppe in einem weiten Bogen. Niemand sah ihn und niemand fragte nach ihm. In ihm schwelte der Haß, die Wut auf den Seewolf und seine Crew, und er kannte nur noch ein Ziel: die „Isabella“ zu vernichten, um die Flucht der Piraten zu verhindern. Ungesehen gelangte er in einem weiten Bogen an die Galeone heran und stieg ins Wasser, das ihm bis zu den Hüften ging. Das Pulverfaß hielt er hoch über seinen Kopf. Er mußte eine freie, überschaubare Strecke zurücklegen, aber die Dämmerung half ihm dabei. Am Strand wurden ein paar Lampen entzündet. Scinders mußte verschnaufen, als er die Galeone erreicht hatte. Er stellte das Pulverfaß auf das Arbeitsfloß und zog sich daran hoch. Durch die herausgebrochenen Planken kletterte er ins Schiff, zog dann das Faß von dem Arbeitsfloß und sah sich um. Er befand sich im Laderaum und entdeckte in dem schwachen Licht eine Treppe, die nach oben führte. Vorsichtig ging er weiter. Die starke Krängung des Schiffes erschwerte ein normales Gehen. Wieder an Deck, schlich er auf dem Bauch weiter, das Pulverfaß vor sich herschiebend, bis er das Achterkastell erreichte. Dann stieg er einen Niedergang hinunter, der zur Kapitänskammer führte. Das hier war für sein Vorhaben genau die richtige Stelle. Wenn das Pulver hochging, würde der größte Teil des Achterkastells mit seiner Beplankung davonfliegen. Das bedeutete zusätzliche Reparaturarbeiten, die nicht in ein paar Tagen zu beheben waren. Er riß das Schott zu Hasards Kammer auf, verklemmte das Pulverfaß dahinter und zog die Lunte hervor. Ein paar leichte Schläge auf den Flintstein, ein Funke sprang über und setzte die Lunte in Brand. Scinders blies, bis sich an ihrem Ende rote Glut bildete. Das andere Ende der Lunte steckte in dem Fäßchen. Jetzt hatte er etwa zehn Minuten Zeit, bis das Pulver zündete. In dieser Zeitspanne
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mußte er sich jedoch noch schnell im Zelt umziehen, damit kein Verdacht auf ihn fiel. Jetzt hatte er es eilig. So schnell er konnte, lief er denselben Weg wieder zurück. Einmal glitt er aus und verlor seine Mütze. „Verdammt!“ fluchte er leise vor sich hin. Mit den Händen tastete er auf dem Deck herum. Wertvolle Zeit verging. Er fand die Dienstmütze nicht und fluchte verhalten weiter. Und die Zeit verging. Hinter ihm fraß sich der Funke seinen Weg in das Pulver. Nein, länger konnte er nicht mehr suchen. Vielleicht war die Mütze durch ein Speigatt ins Wasser gefallen, und er vertrödelte mit der Suche nur seine Zeit. Diesmal ging Scinders kein Risiko ein. Vom Floß tauchte er direkt ins Wasser und schwamm ruhig zur Karavelle hinüber. Er umschwamm sie in weitem Bogen, stieg ungesehen an Land und verschwand im Zelt. Dort zog er sich in aller Eile um, rieb seine Haare trocken und schlenderte zu Rattler und Fairbank, die sich in der Nähe der verhaßten Rebellen leise unterhielten. Scinders ließ sich bei der Gruppe sehen, die ihn feindselig anstarrte oder ihm verächtlich den Rücken wandte. * „... demnach immer gut aufpassen, auch in dieser Nacht“, hatte der Seewolf seinen Männern gerade eingeschärft. „Ich glaube zwar nicht, daß sie es heute nacht noch einmal versuchen, aber wir dürfen keine Minute lang unachtsam sein.“ Nottingham und Garner, der Erste Offizier der Galeone „Albion“, standen neben dem Seewolf. Ihre Gesichter waren besorgt, als Hasard seinen Bericht über die Sklaven beendet hatte. „Meine einzige Hoffnung ist, daß sie erkennen, welche Übermacht sie vor sich haben“, sagte Nottingham gerade. „Und daß es sich für sie nicht lohnt, anzugreifen, denn das Schiff werden sie niemals in ihre Gewalt kriegen, wir sind schließlich ...“ Weiter gelangte er nicht.
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Ein berstender Knall ertönte, eine feuerrote Stichflamme raste aus dem Heckteil der „Isabella“ hervor und erhellte die beginnende Nacht. Holzteile regneten zum Himmel, verstreuten sich und fielen zum Strand hinunter. Hinterher folgte ein Fauchen, als spucke der Vulkan Feuer und Dreck aus. Hasard war eine Sekunde lang wie gelähmt. Die Seewölfe starrten sprachlos auf ihr Schiff, aus dem sich die blutrote Feuerlanze herausgewälzt hatte. Dann kam Leben in sie. Der Profos brüllte, Tucker schrie seine Wut hinaus, und die ganze Meute stürmte zur Galeone hin, enteile das Floß und lief über das Deck, um nach dem Schaden zu sehen. „Verdammt!“ schrie der Profos, außer sich vor Wut. „Welcher Hund hat das getan?“ Hasard drang ins Achterkastell vor, zusammen mit Ferris Tucker, Old Shane und Ben Brighton. Es war eine höllische Überraschung, die sich ihnen bot. „Zündet Lampen an!“ befahl der Seewolf. Seine Stimme vibrierte, er preßte die Lippen zusammen. In aller Eile wurden Lampen entzündet. In ihrem milchigen Schein sahen sie den Schaden. Ein großes Stück der Beplankung des Achterkastells war herausgeflogen. Ein riesiges gezacktes Loch war zu sehen, durch das ein einzelner Mann bequem hindurchgehen konnte. Das große Loch lag drei Yards über dem Wasserspiegel. Ferris Tucker besah sich den Schaden fachmännisch mit Big Old Shane. „Wenn ich den Hund erwische, dann ziehe ich ihn gleich als Planke mit ein“, versprach er grimmig. „Zum Glück hat die offene Kammer einen Teil des Explosionsdrucks geschluckt, sonst wäre hier noch mehr passiert. Es hätte den ganzen Aufbau weggerissen.“ Hasard sagte nichts. In seinen eisblauen Augen blitzte es, seine nervigen Hände zuckten. Immer wieder fragte er sich, wer wohl hinter diesem Anschlag stecken mochte.
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Jetzt würden sich die Arbeiten um weitere Tage hinauszögern, Tage voller Arbeit und Mühen. Und wofür das alles? Nur weil ein paar fanatische Kerle sie mit aller Gewalt zurückhalten wollten, um sie den Schergen auszuliefern. Ferris Tucker beantwortete Hasards unausgesprochene Frage. Sein Gesicht war so grimmig verzogen, wie Hasard es noch nie bei ihm gesehen hatte. „Das dauert ebenfalls noch gut drei Tage“. murmelte er. „Selbst wenn wir wie die Wilden schuften.“ „Glaubst du wenigstens, daß wir es schaffen, Ferris?“ fragte der Seewolf erbittert. „Schaffen werden wir es, aber von der Karavelle bleibt keine Planke auf der anderen, das verspreche ich diesen Hundesöhnen jetzt schon. Wenn wir hier wegsegeln, haben sie nicht einmal mehr soviel Holz, um ein Lagerfeuer zu entzünden.“ Der Profos erschien und schnaufte erregt durch die Nase. In der Hand schwenkte er eine Dienstmütze, wie sie die englischen Offiziere und Kapitäne trugen. „Das habe ich eben unter der Nagelbank gefunden“, sagte er. „Und ihr dürft jetzt dreimal raten, wem dieser Deckel gehört.“ Ein regelrechter Wutanfall schüttelte Carberry. „So, den kaufe ich mir jetzt!“ brüllte er, und dann war er wie der Blitz verschwunden, noch bevor Hasard etwas sagen konnte. Carberry watete durchs Wasser, gefolgt von ein paar Männern aus der Crew, denen ebenfalls der Kragen geplatzt war. In der Hand schwang er die Mütze wie der Henker seinen Strick. Nottingham sah ihn sprachlos an und starrte dann auf die Mütze. Für ihn war klar, daß nur ein einziger Mann der Täter war, und den kannte er nur zu genau. Vor dem racheschnaubenden Profos wich er zurück. Der marschierte wie ein Elefant auf Scinders zu, der dem Profos nervös entgegensah. Carberry versuchte, sich zu beherrschen und ruhig und gelassen zu bleiben, doch er schaffte es nicht.
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„Wem gehört diese Mütze?“ brüllte er Scinders an. „Mir natürlich!“ erwiderte der Leutnant. Feine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Im Flackern des Feuers war sein verzerrtes Gesicht deutlich zu erkennen. „Und wie kommt die auf unser Schiff?“ fragte der Profos so drohend und so laut, daß Scinders krampfhaft schluckte. „Hast du die Lunte gelegt, du gottverdammter Hurenbock?“ Scinders nickte. Hinter ihm bauten sich ein paar Engländer drohend auf. Ihre Gesichter waren verkniffen, die Hände zu Fäusten geballt. „Ja, ich war es“, stieß Scinders haßerfüllt hervor. „Und ich bin für Sie kein gottverdamm ...“ Carberry klatschte ihm die Dienstmütze ins Gesicht und um die Ohren, daß es nur so rauchte. Scinders taumelte unter den Schlägen zurück, bis seine Mütze nur noch ein zerrissener Lappen war. Dann griffen harte Fäuste nach Scinders und zogen ihn hoch. Eine stahlharte Faust bohrte sich in seinen Magen. Luke Morgan, der jähzornigste der Mannschaft, schnellte vor, packte Scinders an den Haaren und schleifte ihn durch den Sand. „Den Hund machen wir fertig, und euch gleich mit!“ fuhr er die anderen an, die sich immer noch nicht entschließen konnten, Scinders aus den harten Fäusten zu befreien. Der Leutnant winselte, aber Carberry riß ihn Morgan aus den Fäusten und warf ihn mit einem Hieb zu Tucker hinüber, der ihn mit zwei knallharten Hieben empfing. „Eins verspreche ich euch Bastarden“, sagte Ferris Tucker. „Ihr alle werdet dafür schuften, bis euch das Wasser im Arsch kocht. Und wenn ihr fünfundzwanzig Stunden am Tag arbeitet!“ Morgan langte schon wieder nach Scinders. Am liebsten hätte er ihn gleich auf der Stelle umgebracht. „Dan!“ schrie er. „Gib ein Seil her. Den Hund ziehen wir hoch, damit er eine bessere Aussicht hat.“
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„Ihr könnt mich nicht hängen“, winselte Scinders, der mit einer so harten Reaktion nicht gerechnet hatte. Die Kerle meinten es ernst, ihre Gesichter verrieten es deutlich genug. „Was? Wir können dich nicht hängen?“ schrie Morgan erbost. „Das wirst du gleich sehen!“ Eine gewaltige Ohrfeige fegte Scinders von den Beinen. Rattler zeigte Anstalten, sich auf Morgan zu stürzen, aber Carberrys eisenharte Faust packte ihn im Genick und wirbelte ihn herum. „Was willst du verlauster Schellfisch denn? Hau ab. oder ich zieh dir die Haut in Streifen von deinem Affenarsch!“ Die anderen kannten den Lieblingsspruch des Profos noch nicht, und so nahm selbst Rattler ihn für bare Münze. Der Kerl mit dem Rammkinn und den Narben im Gesicht sah brutal genug aus, um seinen Worten die Tat folgen zu lassen. Verblüfft ließ er die Fäuste sinken, denn jetzt rückte zu allem Überfluß auch noch der rothaarige Hüne an. Seine Axt, die eine eisenharte Planke mit dem ersten Schlag in zwei Teile spalten konnte, schlenkerte er so lässig in der Hand, als hätte sie kein Gewicht. Dan O’Flynn brachte ein Seil, und die Seewölfe drängten sich um Scinders, der glucksende Geräusche von sich gab. Vor Angst wurde er grün im Gesicht. „Helft mir doch!“ jammerte er immer wieder. „Die Kerle meinen es ernst, die ermorden mich!“ „Ruhe!“ donnerte eine Stimme in ihrem Rücken. Es war der Seewolf, der Luke Morgan mit einer lässigen Bewegung das Tau aus der Hand nahm. „Hier wird vorerst niemand aufgehängt.“ „Richtig“, sagte Luke Morgan höhnisch. „Er darf auch noch ein Loch ins Vorschiff sprengen, damit wir schneller absaufen.“ „Klar!“ brüllte Dan dazwischen. „Und zur Belohnung kriegt das Schwein noch ein paar Perlen!“ „Ruhe — habe ich gesagt!“ Der Seewolf ließ sich auch durch das Murren seiner Leute nicht beirren. Hart trat er vor Scinders hin.
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„Waren Sie das, Scinders?“ fragte er ruhig. „Hat er doch eben zugegeben“, wetterte Carberry. „Ich habe Scinders gefragt“, sagte der Seewolf. „Was ist, Scinders?“ Unter dem drohenden Blick duckte sich der Leutnant. Dieser Rebell tat nur so, dachte er, der war der erste, der ihn aufknüpfen lassen würde. „Ja“, sagte er trotzig, „ich war es!“ Tucker schwang drohend seine mächtige Axt. Dicht vor Scinders Gesicht tauchte die scharfe Schneide auf. „Warum haben Sie das getan?“ Scinders schwieg. Sein sonst so rotes Gesicht war weiß geworden. Er zitterte an allen Gliedern. „Ich kenne die Gründe“, sagte Hasard hart und schneidend. „Sie hoffen immer noch darauf, daß Kriegsschiffe die Azoren anlaufen und mit uns kurzen Prozeß machen. Und wenn wir immer wieder aufgehalten werden, besteht diese Möglichkeit durchaus. Sie sabotieren fortwährend, und Sie werden es auch in Zukunft nicht lassen. Sie sind ein ehrgeiziger Holzkopf, Scinders, ein unverbesserlicher Narr, der seine eigenen Rachegelüste befriedigen will. Seien Sie froh, daß die Taue gehalten haben, sonst wäre das Unglück noch größer geworden, und ich hätte meine Leute nicht zurückhalten können. Ich warne Sie zum letztenmal: Wenn Sie weiterhin gegen uns agieren, lasse ich ein Bordgericht zusammenstellen, und das wird die höchste Strafe aussprechen, die es gibt.“ Scinders starrte den Seewolf verblüfft an. „Heißt das, ich bin jetzt frei?“ Die Seewölfe um Hasard herum murrten und taten ihren Unwillen lautstark kund. „Du kannst den Kerl nicht frei herumlaufen lassen, Hasard“, sagte auch Ben Brighton, und der jähzornige Luke Morgan hielt sich nur noch mühsam zurück. Hasard hatte das auch nicht vor. Scinders war eine Gefahr für alle, ein fanatischer Soldat, einer, der sein Ziel mit allen Mitteln erreichen wollte. Nichts und niemand würde ihn davon abhalten.
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„Frei?“ sagte Hasard voller Hohn. „Soll ich mich bei Ihnen etwa noch bedanken, he? Sie werden ab sofort in Ketten gelegt und unter Bewachung gestellt.“ „Das können Sie nicht ...“, sagte Rattler aufgebracht. „Er wird auch in Ketten gelegt, Profos! Und der da!“ Hasard wies auf Sales, der sich ebenfalls einmischen wollte. Die beiden Männer wurden schlagartig blaß. Der Profos schnappte sich Scinders und hielt ihn fest, allerdings hielt er ihn so fest, daß Scinders seine natürliche Gesichtsfarbe sofort zurückbekam. Er wurde knallrot unter dem eisenharten Griff des Profos. Ferris Tucker und Luke Morgan schnappten sich die beiden anderen, Rattler und Sales, und hielten sie fest. „Falls noch jemand wünscht, in Eisen gelegt zu werden, dann soll er sein Maul jetzt gleich auch noch aufreißen“, sagte der Seewolf. Vorerst wollte sich niemand mit den Seewölfen anlegen, die waren jetzt so geladen, daß sie keine Rücksicht mehr nahmen. Nottingham stand steif daneben, er sagte kein Wort. Innerlich gab er dem Seewolf recht, und der handelte noch verdammt human, denn er, Nottingham, hätte Scinders zumindest erbarmungslos auspeitschen lassen, wäre er an Killigrews Stelle gewesen. „Mich in Ketten legen?“ ächzte Scinders. „Einen Leutnant Ihrer Majestät, der....“ „Hören Sie mit Ihren Sprüchen auf“, fuhr Hasard ihn an. „Und benehmen Sie sich als Leutnant Ihrer Majestät, und nicht als Saboteur und Aufwiegler. Ohne Sie wäre es hier wesentlich friedlicher zugegangen! Ab mit ihm, ins Zelt und anketten!“ Der Profos. Tucker und Dan befolgten sofort den Befehl. Bob Grey und Smoky kehrten schon, mit Ketten beladen, von Bord zurück. Scinders protestierte nicht mehr. Er war im stillen heilfroh, noch einmal so glimpflich davongekommen zu sein. Die anderen hätten ihn sicherlich gehängt, wäre nicht
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der Seewolf gewesen. Das änderte jedoch nichts an seinem Haß, der wie eine Pechfackel in seiner Seele loderte. Rattler und Sales unternahmen einen letzten Versuch, sich von den Ketten zu befreien. Beide traten aus und wollten sich auf ihre Gegner stürzen, um dann einfach davonzulaufen. Aber Ferris Tucker hielt ihnen nur schweigend die Axt unter die Nase, und da wurden die beiden Aufsässigen augenblicklich lammfromm. Als alle drei in Ketten gelegt waren, wurden sie im ersten Zelt der Engländer untergebracht. Zwei Männer der Seewolfcrew bewachten sie - Bob Grey und Jeff Bowie, der am linken Arm eine ähnliche Hakenprothese trug wie Matt Davies. Er fuchtelte den gefangenen Engländern damit vor der Nase herum. „Versucht nur, die Schnauzen aufzureißen“, warnte er sie, „dann werdet ihr erleben, was man mit diesem Haken alles anstellen kann.“ Scinders und die beiden anderen schwiegen. Sie hörten nur entsetzt zu, was die beiden Seewölfe alles mit ihnen anstellen würden, sobald sich einer muckste. Nottingham war da ein ganz anderer Kerl. Er sah Hasard an und senkte den Kopf. „Ich möchte mich für Scinders entschuldigen“, sagte er leise. „Es tut mir leid, was er angestellt hat.“ „Sie brauchen sich nicht entschuldigen, Sir Nottingham. Ich habe Sie schon immer für einen aufrechten und ehrlichen Mann gehalten. Sie können nichts dafür, und Sie haben auf Scinders auch keinen Einfluß.“ „Ja, ich weiß. Dennoch ist es mir peinlich. Wir sind auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden. Was mich persönlich betrifft, so werden meine Leute Ihnen helfen, auch wenn sie die ganze Nacht durcharbeiten müssen.“ „Ich werde mich an Scinders Leuten schadlos halten“, sagte der Seewolf. „Da gibt es noch ein paar Männer, die mir nicht gefallen und hei nächstbester Gelegenheit wieder etwas planen. Nur wird meine
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Geduld dann erschöpft sein, und die meiner Leute ebenfalls. Bei dem nächsten Anschlag kann ich für nichts mehr garantieren.“ „Ich verstehe das“. erwiderte Nottingham. Hasard ging zu Ben Brighton hinüber. der neben Carberry stand. „Laß alle Engländer antreten, Ben, die unter Scinders Kommando gefahren sind. In zwei Minuten sind die Kerle hier versammelt. Ich habe mit ihnen zu reden.“ Brighton benötigte nicht lange. Die zwei Minuten waren noch nicht ganz um, als die Mannschaft vor ihm stand. „Ihr habt gesehen, was mit eurem Kommandanten passiert ist“, begann Hasard ruhig und leidenschaftslos. „Ihr werdet ab sofort das zweite Zelt gemeinsam bewohnen. In einer Stunde beginnen wir mit dem Abwracken der Karavelle. Das werdet ihr gemeinsam mit einigen unserer Leute tun. Ich dulde ab sofort keine Disziplinlosigkeit mehr. Das geringste Vergehen wird bestraft. Verstanden?“ Die meisten murmelten unsicher ihre Zustimmung. Nur ein rotblonder Mann mit dichtem Bart protestierte. „Wir unterstehen immer noch Leutnant Scinders, Sir. Es tut mir leid, aber ich kann nur Befehle von ihm entgegennehmen.“ Batuti, der riesenhafte Gambia-Neger, stand plötzlich neben dem Rotblonden und hielt ihm die Faust unter die Nase. „Wenn Kapitän Killigrew befehlen, dann du gehorchen, langes Lümmel. Sonst Batuti dich stecken in Erde als Palisade!“ radebrechte er in seinem fürchterlichen Englisch. Der Rotblonde gab noch nicht auf. „Verschwinde, du verdammter Nigger!“ grollte er. Ein Blick von Hasard hielt den GambiaNeger im allerletzten Augenblick zurück. Der Seewolf näherte sich dem Mann. „Entschuldigen Sie sich bei Batuti!“ forderte er. „Ich denke nicht daran. Er ist und bleibt ein verdammter Nigger!“ „Profos!“ rief Hasard. „Aye, aye, Sir!“
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„Dieser Mann erhält zehn Hiebe mit der Neunschwänzigen. Auf der Stelle! Walten Sie Ihres Amtes, Profos!“ „Aye, aye, Sir!“ brüllte Carberry —lauter, als es nötig gewesen wäre. Wo er die Neunschwänzige so überraschend her hatte, blieb allen ein Rätsel. Jedenfalls hatte sie der Profos schon in der Hand. Hasard sah ungerührt zu. Er war kein Freund von Prügelstrafen, aber wenn er dem Rotblonden das durchgehen ließ, war er für die anderen erledigt; das war sicher. Niemand würde mehr gehorchen, und damit war das Chaos dann vollkommen. Zwei Männer ergriffen blitzschnell den Rotblonden, zerrten ihn zum Stamm einer Palme und bogen ihm die Arme von vorn herum. Ed Carberry trat hinzu. Auch er liebte es trotz aller rauhen Sitten nicht, Männer zu verprügeln. Aber hier ging es nicht anders. Die Gruppe von Scinders würde immer unverschämter werden. Mit einem Ruck fetzte er dem Mann das Hemd vom Körper. Als der Seewolf nickte, holte der Profos aus und schlug zu. Er sah das große Loch im Schiff vor sich, und er nahm sich höllisch in die Gewalt, um nicht ausfallend zu werden. Immer wieder klatschte die Neunschwänzige dem Rotblonden auf den Rücken. Mit jedem Schlag zuckte der Mann zusammen. Nach dem achten Schlag schrie er wie am Spieß. Der Profos ließ den Arm sinken, als Hasards Stimme erklang. „Zehn Schläge habe ich befohlen, Mister Carberry. Also noch zwei!“ „Aye, aye, Sir!“ keuchte der Profos. Der Kerl schrie wie ein Kind. Schon dafür hätte der Profos ihm gern noch drei mehr übergezogen, denn wenn ein Kerl zuerst ein großes Maul hatte und dann nicht dafür geradestand, dann war er in Carberrys Augen kein Kerl mehr, sondern ein Waschlappen. „Halt gefälligst die Schnauze, du Maulheld!“ brüllte er den Rotblonden an, dem jetzt das Blut vom Rücken lief, und
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der sich gebärdete, als solle er abgeschlachtet werden. „Genug!“ rief Hasard, als die Neunschwänzige zum zehntenmal über seinen Rücken tanzte. „Gießt ihm ein paar Pützen Salzwasser über die Wunden, damit sie sich nicht entzünden!“ Dafür hatte schon der Kutscher vorgesorgt. Das hatte es an Bord der „Golden Hind“ auch schon gegeben. Zwei Pützen Seewasser klatschten dem Mann ins Kreuz und schwemmten das Blut weg. Noch einmal schrie er wie ein Tier. In den Augen der anderen Engländer las Hasard deutlich Verachtung für den Rotblonden, der es nicht wie ein Mann ertragen hatte. „Legt ihn ebenfalls in Ketten!“ befahl der Seewolf. „Er kommt zu den anderen.“ Er sah die restliche Gruppe der Engländer an. „Der nächste erhält zwanzig Hiebe“, sagte er kalt, „und der übernächste fünfzig, damit das klar ist. Habt ihr mich jetzt verstanden?“ „Aye, aye, Sir!“ brüllten sie einstimmig. „Dann ist es gut. Nur schade, daß man euch das nicht auch anders beibringen kann.“ Der Rotblonde wurde in Eisen gelegt und zu den anderen gebracht, die wohl sein Gebrüll gehört hatten, aber nicht wußten, was sich abgespielt hatte. Scinders schäumte vor Wut, aber der Blick, den Jeff Bowie ihm zuwarf, und wie er dann mit dem Eisenhaken über seine Bartstoppeln fuhr, ließ ihn seine Wut schnell verschlucken. Hasard teilte unterdessen die Engländer zum Abwracken ein. Ferris Tucker gab die Anweisungen weiter. Jeweils ein Seewolf sollte mit zwei Engländern zusammenarbeiten. Damit hatten sie die Männer gleichzeitig unter Kontrolle, und so konnte keiner auf dumme Gedanken verfallen. Nach dem Abendessen gingen die ersten an die Arbeit. Im stillen verfluchten sie Scinders, der ihnen das eingebrockt hatte. Sie hätten jetzt im Zelt liegen und schlafen können, statt ihr eigenes Schiff Stück für Stück auseinanderzunehmen und die
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einzelnen Teile zu der Galeone hinüberzuschleppen. Aber es gab auch andere. Fairbank und Steelman konnten ihren Haß, Ärger und ihre grenzenlose Wut nur schlecht verhehlen. Sie und noch ein paar andere waren es, die mit Scinders trotz allem sympathisierten und verzweifelt nach einem Ausweg suchten. Doch sobald sie ein paar Worte wechselten, war Blacky, Davies, Morgan oder ein anderer da und spitzte die Ohren. Dennoch gelang es ihnen, ein Komplott zu schmieden. Sie waren zu dritt in dieser Nacht, und ganz plötzlich ertönte der Klang der Trommeln wieder, der dumpf über die Insel hallte. „Das könnte unsere Chance sein“, flüsterte Fairbank. „Wenn die Wilden unruhig werden, passen die Seewölfe nicht so genau auf, sie haben mit sich selbst zu tun:“ Er sah sich um, ob niemand in der Nähe war. Luke Morgan arbeitete beim Schein von Fackeln und Lampen mit Blacky und Matt Davies zusammen, unterstützt von vier Engländern, die Holz schleppten. „Wenn es geht, befreien wir Scinders noch in dieser Nacht“, sagte der dunkelblonde Engländer. „Bin gespannt, wie du das anstellen willst. Wir kommen doch gar nicht dazu, uns zu formieren. Die verdammten Kerle passen viel zu gut auf.“ „Wir müssen uns den Seewolf schnappen, dann seinen Ersten Offizier und einen von den grobschlächtigen Kerlen. Den, der Blade ausgepeitscht hat. Wenn wir die haben, kriegen wir auch die anderen.“ „Ja, das stimmt“, flüsterte Steelman. „Auf die Kerle halten die anderen große Stücke. Schon wenn wir den Seewolf allein schnappen, werden sie aufgeben, um sein Leben nicht zu gefährden.“ Sie schmiedeten ihren Plan in allen Einzelheiten und halfen weiter mit, damit ihr ständiges Geflüster und Getuschel nicht auffiel. Immer wieder beobachteten sie den Seewolf, Carberry, Ben Brighton oder Old Shane, die an der Galeone arbeiteten.
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„Am besten, wir bieten unsere Hilfe bei denen da drüben an“, sagte Fairbank, „dann sind wir ganz in der Nähe.“ „Wir haben keine Waffen „Dann nehmen wir kurze Planken, Knüppel oder Hölzer. Etwas läßt sich immer finden.“ „Wir tragen ein paar Planken hinüber und bleiben einfach da“, schlug der dritte vor, ein schmächtiger Bursche mit kurzen Stoppelhaaren. „Und auf mein Kommando geht es los“, sagte Fairbank. „Sagt es auch noch den anderen.“ Unauffällig verteilten sich die Männer. * Hasard hob den Kopf, als das Geräusch der Trommeln die Nacht erfüllte und unheimlich über die Insel dröhnte. Wieder schien es von allen Seiten zu kommen. Mal klang es aus den Bergen, dann wieder aus dem Wald, dann hörte es sich an, als töne das dumpfe Grollen vom Meer her. Die anderen unterbrachen ihre Arbeit und lauschten in die Nacht. „Die werden doch nicht schon wieder angreifen wollen“, sagte Big Old Shane. „Es sieht aber ganz danach aus“, erwiderte Hasard. „Daß der Große Hai keine Ruhe gibt, war zu erwarten. Dieser Kerl ist unberechenbar.“ Hasard sah einen semmelblonden Engländer an der Galeone, der ein paar Worte zu Ferris Tucker sprach. Seit er bei diesen Burschen hart durchgegriffen hatte, waren sie wie verwandelt. Sie arbeiteten, ohne zu murren, ohne aufsässig zu werden, fast übertrieben sie ein wenig, fand der Seewolf. Das durchdringende Dröhnen der Trommeln wurde lauter, brach dann jäh ab, und plötzlich herrschte unheimliche Stille. Hasard rief seine Posten an. Dan O’Flynn, der alte O’Flynn und zwei andere meldeten sich. „Nichts zu sehen“, meldete Dan, der versteckt im Gebüsch hockte und
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pausenlos beobachtete, ob sich jemand anschlich. Auf der Wasserseite war ebenfalls nichts zu entdecken. Eine trügerische Ruhe herrschte. Was hatten die Eingeborenen vor? Wollten sie in dieser Nacht tatsächlich angreifen? Fast jeder stellte sich diese Frage. „Paßt gut auf!“ schärfte Hasard den Posten ein. „Sie können ganz plötzlich auftauchen, wie beim erstenmal!“ Die Seewölfe waren mit Musketen, Pistolen und den breiten Entermessern bewaffnet, und sie gaben acht, nicht nur auf die Eingeborenen, sondern auch auf die Engländer, obwohl die sich ausgesprochen diszipliniert verhielten. Stunde um Stunde verging und nichts geschah. Die Trommeln, die anfangs so drohend die Luft erfüllt hatten, schwiegen. Hasard wußte nicht, ob es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. In diesem Augenblick stand Fairbank neben ihm. Er hielt ein kantiges Stück Holz in der Hand, und er sah seine Männer an, die in Old Shanes Nähe standen und sich auch bei Ben Brighton befanden. „Sollen sie nur kommen, diese Himmelhunde“, sagte Fairbank. „Ich werde mein Leben so teuer wie möglich verkaufen, und wenn ich einen nach dem anderen mit diesem Holz erschlagen müßte!“ Der Seewolf hörte es, die anderen hörten es auch. Hasard war es peinlich, sie ungeschützt zu lassen, aber er konnte keine Waffen an sie ausgeben, das wäre noch gefährlicher gewesen als ein überraschender Angriff der Wilden. Er ahnte nicht, daß Fairbank eiskalt seine Chancen abwog, daß sechs andere Männer ebenfalls bereitstanden und auf ein Zeichen warteten. Fairbank sah sich in aller Ruhe Der größte Teil der Seewölfe befand sich weit entfernt von ihnen zwischen den Palmen, zwei andere waren an der Spitze der Bucht und standen da auf Posten. Und jetzt ging gerade der rothaarige Hüne in Richtung Palmenwald davon. Seine riesige Axt blitzte im Mondschein.
Feuer an Bord
Fairbank sah, daß der Seewolf, der Profos, der Erste Offizier und Old Shane sich anschickten, die „Isabella“ ein letztes Mal zu inspizieren. Sie stiegen in das flache Wasser und wollten zum Floß. Dort lauerten bereits zwei Engländer, ein weiterer befand sich im Bauch der Galeone. Er war mit einem starken Knüppel bewaffnet. „Können wir Ihnen helfen, Sir?“ fragte Fairbank. Der Seewolf musterte ihn kurz, dann schüttelte er stumm den Kopf und ging weiter. Jetzt war der Augenblick so günstig wie noch nie, fand Fairbank. Wenn es jetzt nicht klappte, dann klappte es überhaupt nicht mehr. Die Überraschung mußte perfekt werden. Er hob die Hand, das Zeichen für die anderen, und ging hinter dem Seewolf her. Carberry, Brighton Und Old Shane hatten gerade das Floß erreicht und zogen sich hinauf. In dem Augenblick schlugen die Engländer zu. Ein Brett aus Hartholz erwischte Brighton am Schädel. Das zweite traf Carberry, und der Kerl im Bauch der Galeone hieb Big Old Shane mit aller Macht einen schweren Holzknüppel über den Schädel. Hasard hörte ein Ächzen. „Was ist los?“ rief er. Es plätscherte, als fiele ein Körper ins Wasser, gleich darauf ertönte ein unterdrückter Fluch. In diesem Moment war Fairbank heran. Er hob seine abgebrochene Planke, um sie dem Seewolf über den Kopf zu schmettern. Er traf auch, aber Hasard nahm dem Schlag etwas von seiner fürchterlichen Wirkung, indem er sich nach vorn ins Wasser fallen ließ. Fairbank hieb wie ein Besessener auf ihn ein. Kaum hatte der Seewolf sich wieder gefangen, als ihn ein zweiter Schlag hart an der rechten Schulter traf. Schmerz fraß sich wie eine glühende Schlange durch seinen Körper und lähmte den rechten Arm.
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Seine linke Faust schoß vor und erwischte Fairbank an der Schulter. Der harte Schlag warf den Engländer herum und ließ ihn taumeln. Aber er war hart im Nehmen und zäh im Austeilen. In wilder Wut drang er auf den Seewolf ein. Immer wieder fuhr die abgebrochene Planke durch die Luft und traf zweimal hintereinander. Fairbank wunderte sich, daß der Seewolf diese Schläge verkraftete, die jeden anderen auf der Stelle umgeworfen hätten. Er hatte plötzlich Angst vor dem Mann, dessen eisblaue Augen ihn wütend und überrascht zugleich anstarrten, und der schon wieder mit einem wilden Satz auf ihn losging. Er erhielt einen Treffer in den Magen, der ihm fast die Besinnung raubte. Diese Faust, die da zuschlug, war hart wie Eisen, und die Schläge, die sie austeilte, hatten es in sich. Wie rasend schlug er mit der Planke um sich und benutzte sie als Dreschflegel, den er kreisen ließ, immer und immer wieder. Er traf den Seewolf am Arm. Der Schlag war so kräftig, daß ihm die Planke aus den Händen geprellt wurde und davonflog. Dann spürte Fairbank, wie sich zwei Hände um seinen Hals legten, ihn ‘umklammerten und erbarmungslos zudrückten. Er wollte schreien, er hatte diesen Mann gründlich unterschätzt, aber er kriegte keine Luft mehr. Schon begannen feurige Ringe vor seinen Augen zu kreisen, schon merkte er, wie ihn die Hände unter Wasser drückten und ihn auf dem Grund erbarmungslos weiter festhielten, da war er plötzlich frei. Steelman hatte den Augenblick genutzt, als der Seewolf ihm den Rücken zuwandte, um Fairbank unter Wasser zu drücken. Er hieb zu, zweimal hintereinander. Er sah, wie der Körper des Seewolfs schlaff wurde, wie er im Wasser taumelte und wie Fairbank wieder auftauchte. Sein dritter Schlag fegte Hasard von den Beinen. Fairbank schluckte, prustete und würgte. Er war kurz vorm Ertrinken gewesen, und er brachte immer noch keinen Ton hervor.
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Sein Hals brannte wie Feuer, die roten Ringe kreisten unentwegt weiter, ihm war sterbenselend zumute. Wie aus weiter Ferne hörte er Steelmans Stimme. „Wir haben sie, alle vier. Faß mit an, wir bringen ihn ins Schiff. Aber beeil dich, sonst kreuzen die anderen auf.“ Von den anderen hatte noch niemand bemerkt, was sich hier im Wasser abgespielt hatte. Außerdem dröhnten schon wieder die Trommeln über die Insel. Jeder Mann war mit sich beschäftigt und paßte auf, damit die Wilden nicht unversehens über sie herfielen. Lautlos schleppten sie Hasard zum Floß, zogen den schlaffen Körper hinauf und rollten ihn durch die herausgenommenen Planken ins Innere des Schiffes. Hasard, Ben, Old Shane und der Profos wurden von starken Armen weitergeschleppt, bis zu Hasards Kammer. Unterwegs hieb Fairbank dem Profos noch einmal einen Knüppel über den Schädel, als der gerade wieder zu sich kam. Fairbank massierte seinen Hals, der wie Feuer brannte. „Jetzt werde ich den Kerlen sagen, was zu tun ist“, sagte er heiser. „Und ihr paßt auf, daß keiner entwischt. Nehmt die Pistole von dem Kerl da und haltet ihn und die anderen in Schach.“ Schweratmend watete Fairbank den Weg durchs Wasser zum Strand zurück. Er sah den rothaarigen Schiffszimmermann auf sich zugehen, der ihn mißtrauisch musterte. Fairbank baute sich überlegen vor ihm auf und grinste kalt. „Tucker heißt du, nicht wahr?“ fragte er. Ferris sah ihn schweigend an. Er wurde das Gefühl nicht los, daß dieser Kerl etwas gegen ihn in der Hand hatte. „Was willst du?“ fragte er grob. „Ich verlange, daß ihr auf der Stelle Leutnant Scinders und die anderen Gefangenen freilässt. Und zwar ...“ Tuckers dröhnendes Lachen unterbrach ihn.
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„Du triefäugige Kakerlake“, wetterte er los, „wenn du nicht augenblicklich: verschwindest, werde ich dir zeigen ...“ Schon griffen die mächtigen Fäuste Tuckers nach Fairbank. Mit einem Ruck zog er den Engländer zu sich heran. „Tu’s nicht!“ fluchte Fairbank, der sich in dem Griff wand. „Wir haben den Seewolf, euren Ersten Offizier und die beiden anderen Riesen in der Gewalt.“ Tucker ließ verblüfft los. Er glaubte, sich verhört zu haben. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Dan, Smoky, Blacky, Morgan und Batuti sich näherten. Sie alle hatten den letzten Satz gehört und sahen sich betroffen an. Auch sie wollten es nicht glauben. „Wiederhol das noch mal!“ forderte Tucker mit belegter Stimme. Fairbank grinste verzerrt. Er wich zwei Schritte zurück. „Wenn einer die Hand gegen mich hebt“, warnte er, „dann stirbt einer von euren Leuten. Also seid vernünftig. Ich bin es, der jetzt die Bedingungen stellt. Ich habe sie schon genannt. Freilassung von Leutnant Scinders und den anderen Leuten. Geschieht das nicht innerhalb kürzester Zeit, bringen meine Leute den Seewolf und die drei anderen Männer um. Außerdem sprengen wir die Galeone in die Luft!“ Luke Morgan wollte sich mit einem Wutschrei auf ihn stürzen, doch Ferris Tucker hielt ihn rechtzeitig zurück. Wenn der Fall so lag, wie Fairbank erklärt hatte, fiel automatisch das Kommando an Tucker. Und sie konnten es sich nicht leisten, unbesonnen zu handeln. Die Engländer hatten das bessere Argument in der Hand — und sie hatten nichts mehr zu verlieren. Ferris sah das ein. Er versuchte, kühl zu bleiben, obwohl Zorn und Wut in ihm fraßen. Hinter seiner Stirn arbeitete es. „Ich will Bedenkzeit“, stieß er hervor. „Meine Männer sollen darüber mitentscheiden.“ Fairbank grinste höhnisch. „Meinetwegen. In spätestens einer Stunde habt ihr euch entschieden. Und laßt euch
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keinen Trick einfallen. Ich werde da vorn warten.“ Er drehte sich um, ließ die betroffenen Seewölfe stehen und marschierte davon, gefolgt von Sir Nottinghams verwundertem Blick. 6. Die Beratung war nur kurz. Tucker wollte in diesem extremen Fall nichts riskieren, und es war ihm gelungen, die Heißsporne und Hitzköpfe unter der Mannschaft zu überzeugen. „Bindet die Kerle los“, sagte er, während er zu Fairbank hinüberging. Über den Azoren lag gerade der Schimmer des beginnenden Tages, eine leichte Dämmerung, die schnell dem neuen Tag wich. Sie alle waren müde, ausgepumpt, denn an Schlaf war in dieser Nacht kaum zu denken gewesen. Fairbank, der im Sand hockte, sprang auf und sah Tucker erwartungsvoll entgegen. In seinen Augen flackerte es unruhig. „Scinders und seine Leute sind frei“, sagte Ferris Tucker. „Wir verlangen, daß ihr unsere Männer ebenfalls freilaßt.“ „Das hat der Leutnant zu entscheiden. Wir werden sehen, was er sagt.“ Scinders erschien zwei Minuten später, gefolgt von Rattler, Sales und Blade. Haß war in den Gesichtern der Männer zu lesen. Scinders blieb höhnisch grinsend vor Tucker stehen. Er maß ihn verächtlich von oben bis unten, dann kehrte er ihm den Rücken zu und ging zu der gekrängten Galeone hinüber, gefolgt von all denen, die zu ihm hielten, und das waren immerhin achtzehn Mann, wie die Seewölfe erbittert feststellten. „Was ist mit unserer Vereinbarung?“ brüllte Tucker unbeherrscht los. „Das wird sich finden“, sagte Scinders von oben herab. Zusammen mit den anderen enterte er an der Galeone auf. Sie verschwanden im Schiff, ein paar blieben auf dem stark geneigten Deck stehen.
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„Diese Hunde“, stöhnte Dan. „Wir hätten uns nicht darauf einlassen sollen. Die haben etwas vor.“ „Es ging nicht anders“, erwiderte Tucker wild. „Die hätten kurzen Prozeß mit dem Seewolf gemacht, und mit den anderen auch. Verdammt, daß wir das nicht bemerkt haben.“ Vom Schiff erscholl Scinders Stimme herüber. „Sir Nottingham! Kommen Sie bitte an Bord. Ich habe mit Ihnen etwas zu besprechen.“ „Gehen Sie schon, Sir“, drängte Ferris Tucker. „Und veranlassen Sie ihn, daß er sich an die Vereinbarungen hält.“ Nottingham ging mit gemischten Gefühlen. Daß Scinders jetzt die absolute Befehlsgewalt hatte, gefiel ihm gar nicht. Er sah, wie die Seewölfe ihm bis ans Wasser folgten und dann stehen blieben. Scinders empfing ihn mit einem süffisanten Lächeln. Nottingham blieb kühl und reserviert. „Nottingham“, sagte Scinders genüßlich. „Ich beschuldige Sie der Konspiration mit dem Feind sowie des Hochverrats. Sie werden später abgeurteilt. Vorerst werden Sie in Ketten gelegt!“ „Treiben Sie es nicht zu weit, Scinders“, warnte Nottingham. „Man kann den Bogen auch überspannen!“ „Hier befehle ich jetzt! Legt ihn in Ketten und bringt ihn nach unten in das Schiff!“ Es half Nottingham nichts, daß er protestierte und Scinders an die Vereinbarungen erinnerte. Der Leutnant ließ nicht mit sich reden. Jetzt konnte er endlich mit dieser ganzen Satansbrut aufräumen, ganz so, wie er sich das immer vorgestellt hatte. Nottingham wurde in Ketten gelegt und nach unten geführt. „Der verdammte Kerl geht zu weit”, knirschte Dan, der sich am liebsten auf die englische Meute gestürzt hätte. Aber Scinders ging noch viel weiter. Erst jetzt sollten sie ihn richtig kennenlernen. Breitbeinig stand er an Deck, hielt sich mit einer Hand leicht am oberen Teil des
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Schanzkleides fest und sah herausfordernd auf die Seewölfe, die zu ihm hochblickten. „Sie werden uns jetzt Waffen aushändigen, Tucker!“ rief er herunter. .,Musketen und Pistolen. Falls Sie Wert darauf legen, diesen Killigrew zurückzuerhalten, sollten Sie nicht zu lange zögern.“ Tucker beherrschte sich jetzt nur noch mühsam. „Dieser lausige Bastard“, sagte er aufgebracht. „Und wenn er Waffen hat, was dann?“ „Dann läßt er den Kahn reparieren und segelt ab“, sagte der alte O’Flynn hitzig. „Du verdammter Hund!“ brüllte der hitzköpfige Luke Morgan. Er riß die Muskete hoch und stürmte vor, gefolgt von dem Heißsporn Donegal Daniel O’Flynn, dem sofort der Faden durchbrannte. Noch bevor Morgan zum Schuß auf den kreidebleichen Scinders kam, riß Matt Davies ihm die Waffe aus der Hand. Batuti stürzte sich auf Dan -und hielt ihn ebenfalls davor zurück, etwas Unbesonnenes zu tun. „Seid ihr verrückt?“ fluchte Tucker. „Wollt ihr wirklich das Leben Hasards und der anderen riskieren, ihr lausigen Heringe?“ Beschämt standen die beiden Männer im Sand. Morgan warf wütend seine Muskete zu Boden. Tucker hatte ja recht, aber er konnte sein Temperament einfach nicht zügeln. „Wird’s bald?“ erscholl Scinders scharfe Stimme. „Gebt ihm ein paar Waffen“, flüsterte Tucker, dessen Nerven jetzt ebenfalls vibrierten. Stumm und verbittert gehorchten sie. Scinders erhielt ein paar Musketen, Pulver, Kugeln und zwei Pistolen. Er verteilte die Waffen an seine Männer. Er selbst steckte sich eine der Pistolen in den Gürtel. Wenn Scinders bisher schon sehr weit gegangen war, dann setzte er durch seine nächste Handlung allem die Krone auf. „So, ihr verdammten Piraten!“ rief er. „Jetzt werdet ihr eiserne Disziplin kennenlernen. Ihr habt es viel zu lange so bunt getrieben. Ich verlange eure völlige
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Unterwerfung, und ich werde euch entwaffnen lassen. Danach wird euer Kapitän als Rädelsführer der Rebellenhorde abgeurteilt. Legt eure Waffen nieder!“ Die ersten Musketen richteten sich auf die Seewölfe. Die Situation war fatal, zumal Scinders ein Fanatiker war, ein zu allem entschlossener Mann. Tuckers Gesicht wurde weiß vor Wut. Er stand hart am Wasser und sah Scinders in die Augen. „Sie gehen entschieden zu weit, Scinders! Sie haben sich genauso an die Vereinbarungen zu halten wie wir. Sobald Sie den ersten Schuß abfeuern, schießen wir zurück. und ich verspreche Ihnen, daß es unter Ihren Leuten verdammt viel Tote geben wird.“ „Ihr sollt augenblicklich die Waffen niederlegen!“ fuhr Scinders ihn an. „Auf der Stelle, sofort!“ Bei Ferris Tucker war jener Punkt erreicht, an dem es nicht mehr weiterging. Scinders konnte nicht nach Belieben mit ihnen Schindluder treiben. Einmal war das Maß voll, auch wenn der Leutnant und seine Männer im Vorteil waren. Ferris Tucker gab nicht mehr nach, von nun an blieb er stur. Ein paar Engländer stiegen von der „Isabella“ hinunter. In den Händen hielten sie Musketen. Tucker tippte sich mit dem Zeigefinger bezeichnend an die Stirn. „Kommt nur“, flüsterte er heiser, „kommt nur, und seht euch meine Axt an. Der Strand wird rot sein vom Blut!“ Zögernd blieben die Männer stehen. Tucker sah sich nach den anderen Engländern um. Auf die war immer noch Verlaß, schätzte er, denn niemand von ihnen ergriff Scinders’ Partei. Sie waren in zwei Lager gespalten. Scinders hatte sich die Sympathien selbst verscherzt, denn Nottingham erfreute sich bei den anderen überdurchschnittlicher Beliebtheit. An Deck stand Scinders, der sich krampfhaft überlegte, ob er das Risiko eingehen sollte, auf die Seewölfe zu
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schießen. Er hatte diese entfesselte Horde erlebt, wenn sie kämpfte, hart und erbarmungslos, ohne Rücksicht auf Verluste. Die würden selbst unbewaffnet über die anderen herfallen und sie mit bloßen Händen umbringen. Aber er hatte noch ein anderes Druckmittel. Damit waren sie vielleicht kleinzukriegen. „Holt Killigrew und den Profos an Deck!“ befahl er. Ferris Tucker sah ein paar der neutralen Engländer neben sich stehen, die Männer von Nottingham, die mit der ganzen Entwicklung nicht einverstanden waren und sich ziemlich unbehaglich fühlten. Seit Scinders Nottingham hatte in Ketten legen lassen, war ihrer Meinung nach die Toleranzgrenze eindeutig überschritten. Sie hielten nicht zu Scinders, aber sie wollten sich auch nicht mit den Seewölfen verbrüdern, aus Angst vor möglichen späteren Konsequenzen in England. Tucker stieß einen von ihnen mit dem Ellenbogen an. „Wundert euch nicht, wenn es gleich eine kleine Prügelei gibt“, sagte er leise. „Und nehmt die blauen Flecke nicht so tragisch. Sag das auch den anderen, die mit Scinders’ Vorhaben nicht einverstanden sind.“ „Wie meinen Sie das?“ fragte der Soldat erstaunt. „Wir wollen ein bißchen Verwirrung stiften“, erwiderte Ferris Tucker, und ein schiefes Grinsen huschte über sein Gesicht. „Ja, ich glaube, ich verstehe. Ich sage es weiter.“ Ferris Tucker wandte sich an die Männer der eigenen Crew. „Sobald dieser Bastard verrückt spielt, prügeln wir uns ein bißchen mit den anderen herum. Inzwischen versuchen ein paar von uns, das Schiff zu entern. In dem Tumult fällt das nicht so auf. Man kann leicht durch die herausgenommenen Planken in die Galeone schlüpfen.“ „Mann, das ist ein Gedanke“, sagte Dan begeistert. „Ich werde mich gleich etwas absetzen.“
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„Paßt gut auf, daß sie euch nicht entdecken. Ihr habt den Vorteil, unser Schiff besser zu kennen.“ Dan gab den Plan an ein paar andere weiter, die begeistert nickten. Unauffällig verteilten sie sich. Matt Davies fing den Stunk an. „Was glotzt du so auf meinen Haken, du Ochse!“ brüllte er einen Engländer an, der überhaupt nicht auf seine Hakenprothese geachtet hatte. „Du spinnst wohl, du Idiot!“ brüllte der zurück. Es war einer von denen, die unterrichtet waren und sich eine andere Entwicklung des Geschehens wünschten. Matt schlug zu, der Engländer schlug zurück. Zwei andere fingen ebenfalls an zu stänkern. In diesem Augenblick wurden der Seewolf und Ed Carberry an Deck geführt. Sie waren gefesselt, Musketenläufe drückten in ihr Kreuz. Scinders sah der kleinen Prügelei zu, ohne etwas zu sagen. Er nahm an, daß die Engländer ebenfalls zu ihm hielten, und wenn sie die Seewölfe beschäftigten, sollte ihm das nur recht sein. Inzwischen hatten sich Batuti, Dan, Luke und Smoky unauffällig verdrückt und näherten sich dem Schiff von der anderen Seite, dem Achterkastell her. Da erklang wieder Scinders verhaßte Stimme. „Ich lasse diese beiden Kerle jetzt auspeitschen!“ schrie er. „Und wenn ihr nicht sofort die Waffen niederlegt und euch ergebt, hängen dieser Killigrew und der andere Kerl hier ein paar Minuten später an der nächsten Rah!“ Aber am Strand schien man ihn nicht zu hören. Da prügelten sie sich herum, schrien und tobten, flogen durch den Sand und schlugen mit Knüppeln und Hölzern aufeinander ein, bis Scinders völlig verwirrt war. Hasard und der Profos wurden an den Besanmast gebunden. Einer der Engländer hielt eine Peitsche in der Hand und wartete auf Scinders Zeichen. „Ruhe!“ brüllte er. „Ruhe! Oder ich lasse f euern
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Tucker grinste höhnisch. Unbemerkt hatte er sich davongeschlichen. Vier andere waren ebenfalls nicht mehr zu sehen. 7. In dem allgemeinen Tumult war es Batuti, Dan, Luke und Smoky gelungen, an die Galeone heranzuschwimmen. Vom Achterkastell her näherten sie sich den herausgebrochenen Planken, die ein ganz beachtliches Loch im Schiffsrumpf bildeten. Vom Strand her drang Geschrei herüber. Oben an Deck waren Engländer damit beschäftigt, den Seewolf und Carberry zu halten, und dazwischen erklang immer wieder Scinders brüllende Stimme. Batuti schlich zur Pulverkammer, lautlos wie ein Schatten näherte er sich dem Raum, gefolgt von Dan, der hautnah hinter ihm herpirschte. Ein paar Fässer Pulver befanden sich wieder an Bord, und davor hockte, mit dem Rücken zu ihnen, ein Engländer, der sich durch den allgemeinen Aufruhr nicht aus der Ruhe bringen ließ. In der Hand hielt er eine lange, glimmende Lunte. Batuti trat hinter ihn, und in diesem Moment drehte der Engländer sich um. Seine Augen wurden groß und rund, als er den riesenhaften Schwarzen hinter sich bemerkte. Batuti schlug mit seiner mächtigen Pranke einmal zu. Der Engländer hatte das Gefühl, als segele eine schwere Galeone über ihn weg dann kippte er lautlos zur Seite. Batuti nahm die Lunte und drückte sie aus. Inzwischen war es auch den anderen gelungen, unbemerkt in die „Isabella“ zu gelangen. Naß und triefend standen sie in der Pulverkammer. „Zum Achterkastell hoch!“ raunte Ferris Tucker, der als letzter an Bord gestiegen war, nicht ohne seine Axt mitzunehmen. Sie kannten das Schiff vom Topp bis zum Kiel, und sie bewegten sich völlig lautlos. Die Überraschung mußte perfekt werden. Scinders gab in seiner Wut den Befehl zum Auspeitschen. Mit dem Profos fing er an. Ihm fiel nicht auf, daß die Seewölfe am
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Strand weniger geworden waren, denn dort wälzten sich immer noch Leiber durcheinander. Männer brüllten, fluchten, und einige der Engländer kämpften gegen ihre Freunde. Die Prügelei kühlte ihre Gemüter ab, und außerdem fanden sie Spaß daran. Der Mann mit der Peitsche holte weit aus. Dann schlug er zu und traf Carberrys breiten Rücken. „Jetzt weißt du, wie das ist, du Hundesohn“, zischte er. Der Profos zuckte mit keiner Miene, als der erste Schlag ihn traf. Es brannte höllisch, aber Carberry war hart im Nehmen. Der würde auch nach dem zwanzigsten Schlag keinen Ton von sich geben. Klatschend landete die Peitsche zum zweiten Mal auf seinem Rücken. Der Profos gähnte laut und ausgiebig, er riß den Mund auf, schloß ihn dann wieder und sah den Auspeitscher von der Seite her an. „Nicht so zaghaft, du Sohn einer verlausten Wanderhure. Auf mich brauchst du keine Rücksicht zu nehmen. Ich bin ganz andere Sachen gewöhnt.“ Ein schriller, irrer Schrei erklang. Dem Mann fiel plötzlich die Peitsche aus der Hand. Er vollführte eine halbe Drehung und sank dann auf die Decksplanken. In seinem Rücken steckte ein Messer. Alle Köpfe ruckten zu dem Auspeitscher herum. Und dann brauste ein zweiter Schrei über Deck, so gewaltig, daß alle die Köpfe einzogen. „Ar-we-nack! Ar-we-nack!“ Die Wölfe waren los. Ein wildes, energiegeladenes Rudel stürmte das Achterkastell mit Brüllen und wilden Flüchen. Dans Entermesser zischte durch die Luft. Hasards Stricke fielen, gleich darauf die Fesselung des Profos. Dann ging es los. Was sich auf dem schräg geneigten Deck der Galeone abspielte, hatten die Engländer noch nicht erlebt. Sie waren in der Übermacht, aber dieser
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wilden, prügelnden Horde waren sie nicht gewachsen. Batuti riß aus der wieder reparier ten Nagelbank einen Koffeynagel und ging auf die Engländer los. Erbarmungslos drosch er auf Köpfe, Schultern, Arme, auf alles, was er mit dem Hartholz traf. Dan befreite inzwischen in Hasards Kammer Ben Brighton und Big Old Shane, die sofort in den Kampf eingriffen. Musketenschüsse krachten. Scinders, der wie versteinert an Deck stand, riß seine Pistole hervor und drückte ab. Haarscharf pfiff die Bleikugel an Matt Davies vorbei. Für ihn war es das Signal zum endgültigen Aufräumen. Sein scharfgeschliffener Haken schlitzte Hemden auf, krachte an Schädel, zog Engländer zu sich heran, zuckte von unten hoch und verpaßte ihnen Haken, die sie von den Füßen holten. Einer von ihnen wollte seine unhandliche Muskete auf den Seewolf abfeuern. Hasard sprang ihn mit einem wilden Satz an, riß ihm die Waffe aus der Faust und schleuderte sie über Bord. Den Engländer packte er um die Hüften und ließ ihn im hohen Bogen außenbords segeln. Die Überraschung war es in erster Linie, die die Engländer lähmte. Mit dem Auftauchen der wilden Meute hatte niemand gerechnet, und so wurden sie jetzt gnadenlos zusammengeschlagen. „Schlag sie zusammen, aber schlagt sie nicht tot!“ rief Hasard. „Es sind Engländer wie wir!“ „Scheiß auf die Engländer!“ brüllte Luke Morgan, der in seinem blinden Jähzorn sich gleich mit drei Männern angelegt hatte. Und die nahm er nach allen Regeln der Kunst auseinander. Immer kleiner wurde der Haufen. Überall an Deck lagen bewußtlose Männer herum, von Belegnägeln oder harten Fäusten getroffen. Und immer wieder gesellten sich neue hinzu. Die Seewölfe hatten Erfahrung im Faustkampf, Erfahrung im Entern von Schiffen, Erfahrung im Kampf von Mann zu Mann. Und die führten sie ihren
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Landsleuten jetzt vor, dass sie das Fürchten lernten. In der Kuhl ging der Kampf weiter. Die restlichen Engländer hatten sich formiert und bildeten eine Mauer. Es half ihnen nichts. Batuti, Carberry und Tucker drangen wie wildgewordene Stiere auf sie ein und droschen sie zusammen. Einer nach dem anderen flog über Bord und landete klatschend im Wasser. Dan befreite Sir Nottingham von seinen Ketten, der den Lärm zwar gehört hatte, ihn aber nicht deuten konnte. Er erschien ebenfalls an Deck und sah das Chaos kopfschüttelnd an. Nur noch drei Engländer standen, die sich verzweifelt wehrten. Sie konnten, sich selbst ausrechnen, wann sie an der Reihe waren. Da gewahrte Hasard plötzlich den Leutnant, der auf allen vieren davon kriechen wollte. Aus dem Kampf hatte sich Scinders, so gut es ging, herausgehalten. Er war von dem überraschenden Angriff so geschockt, daß er zuerst wie gelähmt gewesen war. Als Hasard zum zweiten Mal hinsah, war Scinders verschwunden. Unbehaglich sah er sich um. Die letzten drei Engländer gaben gerade ihren Geist auf, als Carberrys und Batutis harte Fäuste sie erwischten. Wohin, zum Teufel, war Scinders verschwunden? fragte sich der Seewolf. Und was hatte er vor? Dem Seewolf schwante etwas. Dieser unberechenbare Fanatiker heckte mit Sicherheit etwas aus. Die Pulverkammer! schoß es ihm durch den Kopf. Mit wilden Sätzen fegte der Seewolf über Deck und jagte nach unten in die Pulverkammer. Dort lag nur ein bewußtloser Engländer auf dem Boden, neben ihm standen drei oder vier Pulverfässer. Hasard schleppte den Mann hoch, damit er nicht auf dumme Gedanken verfiel, wenn er erwachte. Er warf ihn auf Deck und suchte weiter nach Leutnant Scinders. Auf der Kuhl gewarte er einen feinen Rauchschleier. Zartgrauer Rauch kräuselte
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sich nach oben, doch schon Augenblicke später wurde die Wölke schwarz, und gleich darauf schlug eine Flamme an der Bordwand hoch, von dichtem schwarzem Qualm begleitet. Was das bedeutete, wußte jeder sofort. Scinders hatte in seinem Haß und seiner Wut Feuer gelegt. Tucker, Carberry und der Seewolf erstarrten vor Entsetzen. Jetzt ging es ums Ganze. Wenn sich das Feuer ausbreitete, war die „Isabella VIII.“ verloren. „In den Laderäumen!“ schrie Hasard. Er fühlte sein Herz bis zum Hals klopfen. Feuer, das war das Schlimmste, was passieren konnte. Das Holz brannte wie Zunder, und hatte das Feuer erst einmal die richtige Nahrung gefunden, dann half auch kein Wasser mehr. Zusammen stürmten sie wie von Furien gehetzt in die Laderäume. Von Scinders keine Spur. Dafür wurde das Entsetzen nur noch größer. Yardhohe Flammen tanzten, die immer wieder neue Nahrung fanden. Das Öl für die Schiffslaternen brannte, Holz, Werg und andere Dinge, die sie für die Reparaturen benötigten, standen in hellen Flammen. „Mein Gott!“ stöhnte Tucker. „Laß es nicht wahr werden!“ In aller Eile wurde eine Eimerkette gebildet. Wasser wurde gepützt und in die prasselnden Flammen geschüttet. Nottingham holte seine Leute an Bord, und die, die sich eben noch geprügelt hatten, halfen mit, um das Schiff zu retten. Der Brand breitete sich aus, das brennende Öl ließ sich nicht löschen. Das Wasser, das von oben kam, reichte nicht aus. Tucker hatte schweigend und voller Besorgnis zugesehen, und er erkannte, daß sie es so nicht schafften. Die „Isabella“ würde ein Raub der Flammen werden, wenn er nicht handelte. Blitzschnell überlegte er. Hier half nur noch eins: Es mußte soviel Wasser wie nur möglich in den Schiffsbauch gepumpt werden. Und das ging nur auf eine Art.
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Er raste hinauf, packte seine Axt und schrie Hasard zu: „Raus aus den Laderäumen, hört auf zu pützen, es hat keinen Zweck mehr. Wir schaffen es nicht.“ Der Seewolf begriff sofort. „Du willst ...?“ „Es gibt keine andere Lösung! Haltet euch fest!“ Und schon war Ferris Tucker den Großmast hinaufgeentert. Er hatte sich das reiflich überlegt, denn wenn sie nichts riskierten, waren sie das schöne Schiff los. Wie ein Berserker hieb er auf das starke Tau ein, das durch die Talje zwischen die beiden Masten lief und die „Isabella“ krängte. Der dritte Schlag, mit aller Kraft geführt, ließ das Tau wie eine Riesenschlange durch die Luft zucken. Sich windend rauschte es durch die Talje und schlängelte sich wild über den Strand. Die Galeone kippte hart nach Steuerbord, krängte weit über, und es sah so aus, als würde sie umschlagen.’ Culverinen zerrten wie wild an den Brooktauen, die Männer wurden durcheinandergewirbelt und verloren den Halt. Tucker schwang auf dem Mast hart zurück, ließ die Axt fallen und klammerte sich fest, als es laut knirschte. Er glaubte, davon zu segeln, so sehr legte die „Isabella“ sich auf die Seite. Dann glich sie die Krängung aus, pendelte ein letztes Mal und lag endgültig still. Der Wassereinbruch erfolgte sofort. Ein Schwall ergoß sich durch die herausgenommenen Planken, brach mit Wucht herein, schäumte in den Laderaum und klatschte auf das Feuer. Noch mehr Wasser strömte herein, es stieg schnell und löschte den Brand. „An die Arbeit, ihr Rübenschweine!“ ertönte des Profos brüllendes Organ, und er meinte damit hauptsächlich jene, die noch benommen an Deck standen oder lagen und die fürchterlichen Prügel bezogen hatten.
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„Auf, auf, ein neues Tau ausbringen. Das Schiff wird sofort wieder gekrängt, oder sollen wir hier absaufen, was wie?“ Nottingham scheuchte seine Leute durcheinander. Hasard und Carberry trieben die anderen zur Eile. Absaufen konnte die Galeone nicht, aber ihr Bauch würde eine verdammt große Menge Wasser ziehen, und dementsprechend hart würde später nach der Krängung die Arbeit an den Pumpen ausfallen. Hasard inspizierte das Schiff. Es war klar, daß die Arbeiten jetzt noch länger dauern würden, und das hatten sie Scinders zu verdanken, der nirgends zu finden war. „Wenn ich das Schwein erwische“, drohte Matt Davies, „dann wird er sich wünschen, nie geboren zu sein. Den reiß ich in drei Teile!“ Die Engländer um Nottingham stimmten ihm zu. Die anderen schwiegen wohlweislich, und als einer sich erkundigte, ob der Kutscher ihn verbinden könne, reagierte der Profos ausgesprochen sauer. „Verbinden?“ brüllte er den Mann an. „Du mit deiner kleinen Schramme am Arm? Wenn du verlauster Hurenbock nicht gleich am Tau ziehst, dann wird Will Thorne dich verbinden. Der näht dich in Segeltuch ein und schmeißt dich über Bord! Ab mit dir, du lausiger Stockfisch, steh hier nicht ‘rum! Und damit du schneller an Land kommst, lernst du jetzt fliegen!“ Der Profos mußte sich abreagieren. Er packte den Engländer, stemmte ihn hoch und feuerte ihn über die Bordwand ins Wasser. Und dann begann eine Höllenarbeit. Jeder schuftete mit, mehr als dreißig Männer zerrten an den neu ausgebrachten Tauen. Es dauerte Stunden, bis die Galeone zum zweiten Mal gekrängt war. Und jeder, einschließlich die Engländer, verfluchten und verwünschten Scinders, den Hund, der ihnen das alles eingebrockt hatte. Die Sympathien lagen eindeutig auf Seiten der Seewölfe, obwohl es immer noch
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Sympathisanten für Scinders gab. Doch die muckten nicht mehr auf. Sie hatten ihre höllische Lektion gelernt. Dann begann das Pumpen. Eine mühsame und schwere Arbeit. Langsam, sehr langsam wurde das Wasser aus dem Schiffsbauch gelenzt. Es gab keine Hand, die nicht mithalf, selbst Sir Nottingham beteiligte sich am Lenzen, bis er sich zu Hasard gesellte. „Diese Schweinerei war nicht nötig“, sagte er schweratmend. „Ich werde dafür sorgen, daß Scinders hart bestraft wird, sobald er auftaucht. Er scheint sich irgendwo auf der Insel versteckt zu halten.“ „Der kommt aus seinen Ketten nicht mehr heraus“, versprach auch der Seewolf. „Nur haben wir ihn leider noch nicht.“ Scinders blieb auch den ganzen Tag unauffindbar, obwohl Dan heimlich loszog, um ihn zu suchen. Der Boden schien ihn geschluckt zu haben. 8. An diesem Abend dröhnten wieder die Trommeln. Die Palisaden waren noch nicht weitergewachsen, und bei den Männern lag die Unruhe spürbar in der Luft. Wenn die Wilden jetzt auch noch angriffen... Sie hatten geschuftet bis zum Umfallen, und sie schufteten jetzt auch noch immer gemeinsam. Ab und zu konnte einer ausruhen, dann war der nächste Mann an der Reihe. Eine halbe Stunde, mehr ließ der Profos nicht zu. Nottingham und der Seewolf unterhielten sich. „Wenn wir heute nacht angegriffen werden“, sagte Hasard, „dann geht es um unser aller Leben. Die Männer sind erschöpft, todmüde und restlos ausgelaugt. Ich werde ein paar Leute abstellen, und von der Galeone zwei Culverinen und eine Drehbasse an Land mannen lassen. So ist unsere Überlegenheit doch wesentlich stärker.“ „Ich werde- Ihnen dabei helfen“, sagte Nottingham.
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Hasard sah ihn eine Weile an. Er wußte, daß er diesem aufrechten Mann in allen Punkten vertrauen konnte, und so rang er sich zu einer Entscheidung durch, die ihm nicht leicht fiel. „Sir Nottingham“, sagte er, „ich werde Sie und Ihre Leute bewaffnen lassen, wenn auch mit einigem Widerstreben. Allein sind wir trotz der Kanonen nicht stark genug, und das Lager ist noch nicht genügend befestigt. Sie wissen, welchen Leuten Sie vertrauen können?“ Nottingham gab dem Seewolf die Hand, ganz spontan. „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort als Offizier der Krone, Mister Killigrew, daß ich nichts, aber auch gar nichts, gegen Sie unternehmen werde. Ich habe Sie schätzen gelernt, Sie sind kein Rebell. Und Sie können mir ebenfalls vertrauen.“ „Ich vertraue Ihnen, Sie haben dieses Vertrauen auch bisher immer gerechtfertigt. Ich lasse die Waffen gleich ausgeben. Ein Überfall der Wilden kann zu jeder Zeit erfolgen.“ Etwas später wurden zwei Culverinen und eine Drehbasse an Land gemannt und in Stellung gebracht. Nottinghams Männer erhielten Musketen und Pistolen. Die Seewölfe trauten dem Frieden nicht. Aber sie waren todmüde und erledigt. Sie wollten nur ein paar Stunden schlafen, mehr verlangten sie nicht, denn was sie heute geleistet hatten, war eine ganze Menge. Das Schiff war gekrängt worden, die Räume leer gelenzt, die Brandspuren beseitigt und zwei neue Planken mittschiffs eingezogen. Und das Loch im Achterkastell hatte sich merklich verkleinert. Dann wurden ein paar Wachen aufgestellt, Männer, denen ebenfalls vor Müdigkeit die Augen zufielen, und die sich in dem Dickicht verteilten, um zu beobachten, ob die Wilden doch noch angriffen. In dieser Nacht blieb jedoch alles ruhig. Weder die Wilden noch Scinders tauchten auf. *
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In der Morgendämmerung des nächsten Tages regten sich die ersten Seewölfe. Die Gesichter waren mürrisch, die Männer kaum ansprechbar und immer noch wie zerschlagen und todmüde. Die Wachen waren jede Stunde abgelöst worden, und so hatte jeder zwei, drei Stunden Schlaf gehabt. Tucker wusch sich gerade am Strand und schlurfte über den Sand zum Lager zurück, als er Carberrys verdutztes Gesicht sah. Hasard trat hinzu, wünschte einen Guten Morgen und blickte irritiert Carberry an, der plötzlich hart schluckte. „Was gibt es, Ed?“ fragte der Seewolf. Der Profos hob die Hand und deutete zum Schiff hinüber. „Da hängt einer“, sagte er schwer. „Verdammt!“ stieß der Seewolf hervor. „Los, hin!“ Sie liefen zum Strand, und was sie da sahen, trieb ihnen den Schweiß auf die Stirn. An einer Rah des Fockmastes baumelte eine menschliche Gestalt! „Scinders“, sagte der Seewolf tonlos. „Scinders ist erhängt worden.“ Die Leiche hing im Wind, der sie leicht hin und her pendeln ließ. Immer wieder wandte ihnen Scinders das Gesicht zu, dann drehte der Wind seinen Körper leicht zur Seite und ließ ihn schwingen. Die Zunge hing ihm zum Hals heraus, sein Gesicht war blau angelaufen. Wie ein Gespenst bewegte er sich unter der Rah an einem Tau. Hasards Lippen preßten sich zusammen, seine eisblauen Augen schleuderten Blitze. Mit seiner plötzlichen Donnerstimme trieb er auch die restlichen Schläfer hoch, die verstört und mürrisch am Strand erschienen. „Seht mal alle zum Fockmast hoch!“ brüllte der Seewolf. Er war außer sich vor Wut. „Wer hat heute nacht Wache gehabt?“ „Sechs von Nottinghams Leuten und sechs von uns“, erwiderte Dan. Die anderen schwiegen. Eine unheilvolle Stille lag über dem Lager. Nach und nach tauchten übermüdete Engländer auf, auch Sir
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Nottingham erschien und wollte seinen Augen nicht trauen. Dort hing Scinders, alle sahen ihn überdeutlich. Hasard musterte jeden einzelnen Mann seiner Besatzung, aber wenn er ehrlich zu sich selbst war, so traute er keinem von ihnen diese Untat zu. „Diejenigen, die Wache hatten, vortreten!“ befahl er. Dan, Al Conroy, Luke Morgan, Blacky, Matt Davies und Bob Grey traten vor. „Habt ihr auf der Wache geschlafen?“ brüllte Hasard. „Oder glaubt ihr etwa, Scinders habe sich da selbst aufgehängt, he? Ich verlange eine Erklärung, wie das passieren konnte, ohne daß einer es merkte. Oder hat es einer gewußt?“ „Wir haben nichts gemerkt“, sagte Dan kleinlaut. Er war genauso überrascht wie die anderen auch. „Und geschlafen haben wir auf Wache auch nicht!“ Hasard stemmte die Arme in die Hüften. „Eine verdammte Sauerei ist das!“ schrie et. „Wachen, die nicht merken, wenn in ihrer Nähe jemand erhängt wird! Das ist ...“ Die zweite morgendliche Überraschung folgte. Hasard hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als der jähzornige Luke Morgan plötzlich vorsprang. Wie ein Irrer stürzte er auf den Seewolf zu, holte mit knallrotem Gesicht aus und rammte ihm die Faust in den Magen. Das hatte es noch nie gegeben! Die Männer erstarrten zu Salzsäulen. Hasard selbst taumelte unter dem wütend geführten, überraschenden Schlag nur einen Schritt zurück, dann hatte er sich wieder gefangen und sah Luke Morgan ungläubig an. „Was denkst du dir eigentlich!“ fauchte Morgan, der am ganzen Körper vor Wut zitterte. „Bei uns wird auf Wache nicht gepennt, das solltest du eigentlich wissen, Sir! Verflucht noch mal, wir alle lassen uns für dich in Stücke hauen, Sir! Wir haben zwei höllische Tage hinter uns und dennoch nicht auf Wache gepennt. Wir haben auf die Wilden geachtet und nicht
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auf den Fockmast, verdammt! Und dann will ich dir noch eins sagen, Sir!“ Er funkelte den Seewolf an. „Diese dreimal verdammte Ratte hängt da oben gerade richtig, jawohl, Sir! Und wenn ich diesen Bastard von Scinders erwischt hätte, dann hätte ich ihn sogar eigenhändig an derselben Stelle aufgehängt!” Seit langer Zeit war der Seewolf restlos verblüfft. Der Blick seiner Augen ging von einem zum anderen, ungläubig, verwundert. Er, der diese Satansbraten immer so vorzüglich in der Gewalt hatte, er mußte jetzt erleben, wie sie plötzlich murrten und ihm erbitterten Widerstand entgegensetzten. „Der hängt da oben genau richtig!“ brüllte Dan O’Flynn in die entstandene Stille hinein, „Der Mistbock hat das Achterkastell gesprengt, er hat Feuer gelegt, er hat Ed auspeitschen lassen und dich beinahe auch, wenn wir nicht eingegriffen hätten. Und jetzt kriegen wir nur noch Vorwürfe zu hören. Ich habe die Schnauze voll, Sir!“ Hasards Stimme bebte leicht. Sein Gesicht war kantig, die Muskeln an seinem Hals traten stark hervor. „Holt ihn ‘runter!“ sagte er. Keiner rührte sich. Hasard sah sich ungläubig um, er konnte es nicht fassen, daß sie immer noch Widerstand leisteten. „Mister Tucker! Schneiden Sie den Toten ab!“ brüllte er. Der rothaarige Riese sah Hasard ruhig an. Er starrte auf seine Axt, warf sie dann in den Sand und drehte sich wortlos um. „Ich geh kacken“, sagte er und verschwand im Gebüsch. „Donegal Daniel O’Flynn!“ fauchte der Seewolf. Aber auch das einstige Bürschchen rührte sich nicht. Trotzig sah er dem Seewolf in die Augen. „Meinetwegen kann der Hund da hängen, bis wir in der Karibik sind. Und meinetwegen kannst du mich auspeitschen lassen. Ich schneide ihn nicht ab, ums Verrecken nicht!“ Hasard war nahe daran, zu explodieren. Vielleicht war er mit seinem Vorwurf wirklich zu weit gegangen, und insgeheim
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verstand er auch die Reaktion seiner Männer, die für ihn durchs Feuer gingen. „Mister Brighton!“ erklang seine Stimme. Ben starrte mürrisch in den Sand vor seinen Stiefelspitzen. Er räusperte sich leise, sagte aber kein Wort. Auch Ed Carberry war auf achtzig. Von seinem Rücken liefen immer noch leichte Blutfäden, und immer wenn er sich bückte, rissen die Wunden wieder auf. Aber der Profos wollte dem ein Ende bereiten. Er drehte sich wortlos um, enterte an der Galeone hoch und kletterte die Wanten hinauf, bis er den Toten erreicht hatte. Er knüpfte ebenso schweigend ein Tau unter Scinders Achselhöhlen, schnitt das andere Tau durch und seihe den Toten auf die Decksplanken ab. Genauso wortlos und mürrisch brachte er die Leiche zum Strand, wo er sie in den Sand legte. Alle starrten Scinders an. Niemand fühlte Mitleid in sich aufsteigen, fast verächtlich blickten sie auf den Toten. Hasard sah seine Crew noch einmal an. „Ich möchte wissen, ob es einer von euch getan hat“, fragte er. „Wer es war, der soll vortreten!“ Alle schüttelten die Köpfe. Der Profos sprach stellvertretend für sie alle. „Von uns war es niemand, Sir“, sagte er ruhig. „Es gibt keine Feiglinge in unserer Crew, das wissen wir alle. Wenn es einer von uns getan hätte, würde er auch dafür geradestehen.“ Hasard blickte den Profos lange an. „Ja, das weiß ich“, sagte er dann. „Also keine weiteren Fragen mehr. Für mich ist die Sache erledigt.“ Sir Nottingham sah ebenfalls von einem zum anderen. Mehrere Leute senkten verlegen die Köpfe, und als er eine Frage stellen wollte, trafen ihn flehentliche Blick aus einigen Augenpaaren. Nottingham schluckte verstehend. Er hatte begriffen. Aber dieser Mord konnte andererseits auch nicht ungesühnt bleiben. „Begrabt Scinders“, sagte er. „Über diese Angelegenheit wird später entschieden werden, -- jetzt haben wir dazu keine Zeit. Und zudem haben wir keinen Schuldigen“, setzte er leise hinzu.
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Als zwei der Engländer sich bückten, um den Toten aufzuheben, ging der Tanz los. Dicht über dem ‘Kopf des Mannes zischte ein gefiederter Pfeil weg, der tief im Sand steckenblieb. „Überfall!“ schrie Sir Nottingham. Gleichzeitig krachte seine Pistole, und aus dem Gebüsch drang ein wilder Schrei. Die Eingeborenen griffen an! Diesmal hatte niemand damit gerechnet, außerdem hatten sich die Ereignisse ständig überschlagen. Und diesen Augenblick schienen die Schwarzen geschickt genutzt zu haben. Die Männer stoben auseinander. Hasard jagte sie an die Culverinen und an die eine Drehbasse. Alle Geschütze waren geladen. Ein Speer traf einen Engländer in die Brust. Mit einem Röcheln brach er zusammen und rührte sich nicht mehr. Al Conroy, der Waffenexperte und Stückmeister, hielt die glimmende Lunte auf das Zündkraut, als eine Horde von sechs oder sieben Wilden mit Gebrüll heranstürmte. Zwei Pfeile flogen ihm um die Ohren, er warf sich hinter der Drehbasse platt zu Boden und entging in letzter Sekunde einem geschleuderten Speer. Dann wummerte die Drehbasse los. Ein Hagel aus gehacktem Blei klatschte in die Angreifer, die regelrecht zerhackt wurden. Das Schreien und Brüllen Verwundeter übertönte sogar den Abschuß der Culverine, die Ben Brighton gezündet hatte. Wieder sauste ein Bleihagel in die Büsche, und wieder erklang lautes Schreien. Ein paar Eingeborene wälzten sich am Boden. Einem von ihnen war es gelungen, mitten unter die Seewölfe zu springen. Mit dem Speer hieb er wild um sich und erwischte Bob Grey am rechten Arm. Matt Davies war zur Stelle, noch bevor der Wilde zum tödlichen Stoß auf den am Boden liegenden Bob Grey ausholen konnte. Sein scharf geschliffener Haken zuckte vor und riß dem Schwarzen die Brust auf, ein zweiter Hieb mit dem mörderischen Haken spaltete seinen Schädel.
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Mit lautem „Arwenack“-Geschrei stürmten die Seewölfe, gefolgt von den Engländern, in die Büsche. Zwei Engländer fielen, ein Seewolf wurde leicht verletzt. Dann war der Kampf entschieden. Die Schwarzen zogen unter wildem Geheul ab, nur der Medizinmann blieb noch stehen und hob die Fäuste. Er stieß wilde Drohungen gegen den Seewolf aus. Hasard hob die Radschloßpistole, zielte kurz, das Rad begann zu schnurren und dann löste sich der Schuß. Dicht vor dem hinterhältigen Medizinmann fuhr die Kugel in den Boden und warf den Sand auf. Mit einem wilden Gebrüll verschwand der Medizinmann zwischen den Büschen. Der Kampf war beendet, die Männer atmeten auf. „Da sind sie schon wieder“, meldete Nottingham dem Seewolf ein paar Minuten später. „Die werden gleich genug haben“, sagte Hasard grimmig. Aber dann sah er ein ganz anderes Bild. Die Wilden jagten weit entfernt zum Strand hinunter, nachdem sie einen großen Bogen geschlagen hatten. Zu viert schleppten sie lange Boote hoch über den Köpfen. Sie schoben die Boote in rasender Eile ins Wasser, kletterten hinein und pullten los, voller Angst und Grauen. Ein paar Tote hatten sie ebenfalls mitgenommen. „Die rudern aufs Meer hinaus“, sagte Ben Brighton verblüfft. „Wo wollen die denn hin?“ Hasard sah den Booten nach, die schnell kleiner wurden. „Wahrscheinlich zu einer Nachbarinsel. Es kann sein, daß es dort noch mehr von ihnen gibt. Und sie verschwinden deshalb so schnell, weil sie einen Rachefeldzug befürchten.“ „Glaubst du, sie kommen wieder?“ fragte Ben. „Eines Tages bestimmt, vielleicht schon bald, wenn sie sich stark genug fühlen. Dann werden sie über die Engländer
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herfallen, und deshalb sollten möglichst rasch die Palisaden errichtet werden.“ Kurz danach ging die Arbeit. weiter. Leutnant Scinders hatte man am Ende der Bucht beigesetzt. 9. Nach zwei weiteren Tagen war von der Karavelle nicht mehr viel übrig, aber dafür sah die „Isabella“ aus wie vorher. Ferris Tucker und Big Old Shane hatten eine Probe ihres Könnens gegeben. Vom Brand und der Sprengung war nichts mehr zu sehen. Die eine Rahe, die die Engländer ihnen weggeschossen hatten, war wieder angeschlagen worden, die herausgerissene Nagelbank war repariert, die Planken alle eingezogen, im Achterkastell gab es keine Spur mehr von einem Anschlag. Die Engländer hatten tatkräftig geholfen, und nach vielen anstrengenden Tagen lag die „Isabella“ wieder in ihrem alten Glanz da. An diesem späten Dezembertag juckte es den Seewölfen mächtig in den Fäusten. Morgen sollten sie auslaufen, Kurs Südsüdwest, und so konnten sie kaum den nächsten Tag erwarten. Am Strand wurde eine kleine Feier veranstaltet. Hasard hatte ein Faß Rum gespendet, und niemand schloß sich von der Feier aus. Selbst die Engländer, die sich anfangs immer noch gesperrt hatten und zu Scinders hielten, feierten mit. Carberry hatte ihnen in den vergangenen Tagen mächtig eingeheizt, sie aber auch gelobt, wenn sie gut gearbeitet hatten. Dennoch wollte bei den Engländern die Stimmung den Höhepunkt nicht erreichen, und das war verständlich. Sir Nottingham saß bedrückt herum. Wenn er dem Blick des Seewolfes begegnete, blickte er zu Boden. „Eins verspreche ich Ihnen, Sir Nottingham“, sagte der Seewolf. „Das erste Schiff, das wir kapern, schicken wir zur Insel. Wir lassen Ihnen genügend Proviant da, Trinkwasser haben Sie selbst, und die Musketen können Sie behalten, einschließlich großer Mengen Pulver und
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Kugeln. Ihr Lager ist jetzt stark befestigt, Ihre Kanonen sind alle ausgebaut und in Stellung gebracht worden. Von den Schwarzen werden Sie nicht mehr viel zu befürchten haben. Sie werden jeden Angriff mühelos abschlagen, falls die Kerle das überhaupt noch einmal versuchen sollten.“ „Ich weiß, daß Sie das alles tun werden“, sagte Nottingham. „Ich habe nie an Ihrem Wort gezweifelt. Nur — es ist ein merkwürdiges Gefühl, hier allein zurückzubleiben.“ „Ich weiß, aber es wird nicht lange dauern. Irgendein Spanier läuft uns hier vor den Azoren bald über den Weg.“ Nottingham warf einen Blick zur Galeone hinüber, die jetzt vor Anker lag und genauso aussah, wie der alte Hesekiel Ramsgate sie gebaut hatte. Morgen in aller Frühe würden die Seewölfe in See gehen. Kein Wunder, daß sie jetzt so ausgelassen waren. Sie feierten, hockten am Strand und prosteten den Engländern zu, die ein Gefühl der Bitterkeit im Herzen trugen. Um Mitternacht gingen die Seewölfe an Bord. Am Strand wurde es langsam still und ruhig. Nur das Feuer brannte noch. 10. „Anker auf !“ Das Spill drehte .sich schneller als sonst. Jeder hatte es eilig, das Land hinter sich zu lassen. Die Segel wurden gesetzt. Die „Isabella“ nahm ihr majestätisches Aussehen an, als die Segel sich füllten, und das Schiff langsam aus der Bucht ins offene Meer hinausglitt. Über der Kimm tauchte die Sonne aus dem Meer. Ein handiger Wind wehte, als die stolze, ranke Galeone ihren Bug nach Backbord drehte. Am Strand standen die Engländer. Ihre Gesichter wirkten düster. Sie wußten nicht, was ihnen die nächste Zeit bringen und wie es ihnen ergehen würde.
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Hasard hob die Hand zum Abschied. Die Seewölfe brüllten einen letzten Gruß zum Strand hinüber. Nur sehr zögernd hoben sich die Hände der Engländer zum Gruß. Sir Nottingham stand inmitten seiner Gruppe und sah dem Schiff nach. Er seufzte tief. „Ich weiß, er wird Wort halten“, sagte er. „Er ist ein durch und durch ehrlicher Mann, der nichts verspricht, was er nicht halten kann. Es sind gute Männer, denen man übel mitgespielt hat, ich kann sie verstehen, und ich freue mich, daß wir ihnen geholfen haben.“ Er erhielt keine Antwort. Er hatte auch keine erwartet, aber er wußte, daß viele seiner Leute so dachten wie er. Sie hatten die harten Burschen kennengelernt, und sie achteten sie auch, das war sicher. Als die „Isabella“ immer kleiner wurde, drehte er sich um. Sie verschwand in dem aufgehenden Morgen und verschmolz mit der Sonne zu einem riesigen Klumpen aus Gold, in dem es schillerte und blitzte. * Eineinhalb Tage kreuzte die „Isabella“ zwischen den Azoreninseln Graciosa, Sao Jorge, Faial und Horta. Am Nachmittag des zweiten Tages ertönte Dans Stimme aus dem Großmars. „Mastspitzen an der Kimm, Backbord voraus!“ Eine halbe Stunde verging. Die Mastspitzen wurden größer. „Ein Spanier!“ rief O’Flynn. „Dreht auf Gegenkurs!“ „Ein Geschenk des Himmels!“ Der Seewolf lachte. „Und dazu noch allein, obwohl sie nicht allein segeln dürfen. Es wird wieder einer von denen sein, die durch einen Sturm von ihrem Verband getrennt wurden. Den schnappen wir uns!“ Hasard blickte durch das Spektiv. „Eine kleine Galeone. Wir bleiben auf Kurs, Pete!“ „Aye, aye, auf Kurs bleiben!“ wiederholte Pete Ballie am Ruder.
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Die Geschütze waren geladen, schon seit einem Tag. Jetzt begannen der Profos und Al Conroy, sie zu überprüfen. Es war alles in Ordnung. Inzwischen hatte der spanische Handelsfahrer sich ihnen genähert. Hinter dem Schanzkleid lauerten die Seewölfe. Die Stückpforten waren noch geschlossen, um den Spanier nicht mißtrauisch werden zu lassen. Als die Distanz noch eine knappe Meile betrug, hatten die Dons den Braten gerochen. Die Galeone scherte aus dem Kurs und wich hart nach Backbord aus. Hasard lachte leise. Durch das Spektiv sah er einzelne Gestalten an Deck herumhasten. „Diesmal hat er die falsche Seite gewählt. Ruder Steuerbord!“ Gegen den schnellen Segler hatte die plumpe, kleine spanische Galeone keine Chance. Dadurch, daß sie ihren Kurs geändert hatte, mußte sie in langen Schlägen kreuzen, aber die „Isabella“ holte auf. „Einen Schuß in die Takelage“, befahl der Seewolf. Al Conroy zündete. Aus dem überlangen Rohr der Culverine zuckte es brüllend auf. Die Siebzehnpfünder-Kugel rauschte hinaus, fauchte durch die Luft, zerfetzte auf dem Spanier ein Segel und fegte ihm ein Stück des oberen Mastes weg, der auf Deck krachte. Dann war die „Isabella“ heran und fuhr ein gewagtes Manöver. Der Spanier kam nicht zur Gegenwehr, seine kleinen Culverinen, von denen er auf jeder Seite nur zwei hatte, wurden nicht mehr abgefeuert. Die Fender an den Bordwänden knirschten, als die beiden Schiffe sich berührten. Musketen bedrohten die kopflosen Spanier, die Stückpforten waren hochgezogen, eine Breitseite und von der Galeone würde nichts mehr übrigbleiben. Die Dons verzichteten auf energische Gegenwehr. Es gab nur ein leichtes Geplänkel und ein paar verletzte Spanier. Hasard bat den zitternden Kapitän zu sich, einen kleinen, fetten, schwitzenden Mann
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und erklärte ihm, daß sein Schiff als Prise zu den Azoren gebracht und die Mannschaft dort ausgesetzt werde. „Si; si, Senor“, sagte der Spanier. „Wenn Sie versprechen, mich und meine Männer am Leben zu lassen, sind wir mit allem einverstanden.“ Hasard schlug ihm auf den Rücken, daß es krachte. „Das ist ein Angebot, Senor. Wir erhalten das Schiff, und Sie bleiben am Leben. Auf diese Art haben alle beide ein prächtiges Geschäft abgewickelt. Kommen Sie auf keine dummen Gedanken. Wir segeln direkt hinter Ihnen her, und unsere Kanonen schießen verdammt genau.“ „Ich weiß, Senor.“ „Na, dann marschiert mal brav unter Deck, ihr Rübenschweine“, sagte der Profos. „Der alte Carberry wird euch zu den Azoren segeln, daß es eine Pracht ist. Und dort drüben werdet ihr noch mehr nette Engländer treffen, die sich über euren Besuch freuen.“ Carberry und vier weitere Männer blieben auf der Galeone, die „Santa Anna“ hieß, und segelten sie in Richtung der Insel Graciosa, die sie noch am selben Abend erreichten. In ihrem Kielwasser folgte die „Isabella“. Beide Schiffe warfen in der Bucht Anker. Am Strand standen fassungslose Engländer. Sir Nottinghams Augen drohten ihm aus den Höhlen zu quellen, als Hasard, Carberry, Ben Brighton und ein paar andere an Land pullten. „Ich komme, um mein Versprechen einzulösen“, sagte Hasard unter dem brüllenden Gelächter seiner Crew. „Dieser Don segelte uns über den Weg, und da konnten wir einfach nicht anders handeln.“ Nottingham schnappte immer noch nach Luft. „Keine Kämpfe?“ fragte er fassungslos. „Keine Verwundeten?“ „Bei uns nicht, bei den Dons nur unbedeutend. Die Männer sind im Laderaum eingesperrt. Sie sind ganz friedlich.“
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Nottingham konnte sein Glück immer noch nicht fassen. Immer wieder starrte er den Seewolf an, der ihm leicht die Hand drückte. Dann wurden die verängstigten Dons ausgeladen. Ein armes Häuflein Spanier stand am Strand und stierte belämmert auf das Schiff, das sie so schnell losgeworden waren. „Ich danke Ihnen, auch im Namen meiner Männer“, sagte Sir Nottingham tief bewegt. „Nicht der Rede wert, Sir. Bestellen Sie Ihrer Majestät, der Königin von England, einen Gruß von Philip Hasard Killigrew. Der Kaperfahrer der Königin entbietet ihr die erste Beute dieser Reise. Mögen die Gewürze, die dieses Schiff geladen hat, und der Tabak, den es in seinen Laderäumen birgt, Ihrer Majestät und den gottverdammten Hofschranzen das süße Nichtstun noch süßer gestalten. Und sagen Sie dem Schatzkanzler, er möge nicht vergessen, meiner Crew und mir den im Kaperbrief ausgehandelten Anteil gutzuschreiben. Und nun segeln Sie, Sir Nottingham. Wir alle wünschen Ihnen und Ihren tapferen Männern eine glückliche Heimkehr!“ Nottingham fand kaum noch Worte. Er nickte ständig. Ja, dieser Seewolf war ein Kerl, ganz nach seinem Geschmack. Der hielt Wort! Er nahm sich vor, für ihn ein gutes Wort bei Hofe einzulegen. Und der Seewolf ahnte zu dieser Zeit noch nicht, wie nötig er das Zeugnis Sir Nottinghams noch einmal brauchen sollte. Er ließ sich an Bord zurückpullen, während die Spanier die Palisaden begutachteten, hinter denen sie die nächste Zeit verbringen würden, bis sie jemand fand Etwas später segelte die „Isabella“ zum zweiten Male aus der Bucht. Stolz und majestätisch glitt sie davon, mit Kurs Südsüdwest, der Karibischen See entgegen. Die Engländer winkten. diesmal so lange, bis das stolze Schiff am Horizont verschwunden war.
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