Feldzug der Seelenlosen von Dirk Hess Atlan Heft Nr. 160 Korrektur by Moneymaker Im Großen Imperium der Arkoniden schrei...
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Feldzug der Seelenlosen von Dirk Hess Atlan Heft Nr. 160 Korrektur by Moneymaker Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v.Chr. entspricht. Arkon steht trotz des tobenden Krieges gegen die Methans in voller Blüte. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III, ein brutaler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII töten ließ, um selbst die Herrschaft übernehmen zu können. Auch wenn Orbanaschol seine Herrschaft gefestigt hat – einen Gegner hat der Imperator von Arkon besonders zu fürchten: Atlan, den rechtmäßigen Thronerben und Kristallprinzen des Reiches, der nach der Aktivierung seines Extrahirns den Kampf gegen die Macht Orbanaschols aufgenommen hat und den Sturz des Usurpators anstrebt. Im Zuge dieser gegen Orbanaschol und seine Schergen gerichteten Unternehmungen haben Atlan, Fartuloon, der Leibarzt des ermordeten Imperators, und Ra, der mysteriöse Barbar von einem unbekannten Planeten, gerade die Schrecken des 30-Planeten-Walls hinter sich gebracht und wieder unversehrt Atlans Beuteschiff, die KARRETON, erreicht. Jetzt geht die Suche nach dem legendären »Stein der Weisen«, dem Kleinod kosmischer Macht, hinter dem auch Orbanaschols Leute her sind, weiter. Dovreens Silberkugel weist der KARRETON den Weg zum Eppith-System und zu einer seltsamen Welt, auf der das Chaos eines ewigen Krieges zu wüten scheint. Atlan und drei seiner Freunde betreten diese Welt – und sie nehmen teil am FELDZUG DER SEELENLOSEN…
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan – Der Kristallprinz landet in einer Dschungelhölle. Fartuloon, Ra und Vorry – Atlans Freunde und Begleiter. Karamanlis und Corda-Sestere – Zwei Rebellen von Endroosen. Niaxos-Pelidis – Koordinator von Endroosen-II.
1. Die obere Welt Karamanlis duckte sich unter dem irrlichternden Impulsstrahl und rutschte über eine schräg abfallende Schutthalde in die Tiefe. Seine goldenen Haare knisterten im Sog der ionisierten Luft. Es roch nach Ozon. Diese Bastarde wissen genau, dass ich echt bin. Sie wollen nicht, dass ich den Beweis für ihre elende Existenz heranschaffe. Karamanlis atmete keuchend. Er gehörte zu den wenigen, die noch über genügend Spannkraft und Vitalität verfügten. Er konnte wirklich kämpfen und brauchte sich nicht an den Illusionen der Transfer-Hauben zu berauschen. Die obere Welt besaß ihre Reize. Es war eine wilde und geheimnisvolle Welt und eine tödliche. Karamanlis überprüfte die Energiebatterie seines Strahlers. Er sah kurz auf und registrierte die Bewegung hinter der etwas höher gelegenen Ruinenwand. Blauschwarze Schlingpflanzen wucherten zwischen den Mauerdurchbrüchen. Sie hatten den Kämpfer eingekreist. Und sie würden bis zu seinem Ende gnadenlos weiterkämpfen. Kompromisse wurden auf der oberen Welt grundsätzlich nicht geschlossen. Warum auch? Es war alles ein großes Spiel mit perfekten Marionetten. Mit dem Unterschied, dass Karamanlis keine Marionette war. Oder etwa doch? Er begann langsam selbst an seiner Echtheit zu zweifeln. Das mochte mit der beginnenden Erschöpfung zusammenhängen. Er wünschte sich in seine Schlafzelle zurück.
Egal, wie scheußlich der synthetische Nahrungsbrei auch schmeckte. Er hatte sein Leben erhalten. Aber was bedeutete ein Leben in der unteren Welt? Abhängigkeit von den Termakks. Flucht in den Rausch der Transfer-Hauben. Langsame Degeneration. Karamanlis schüttelte sich. Als mehrere Schattenlängen von ihm entfernt ein dunkler Körper hochsprang, wälzte sich Karamanlis durch mehrere Körperdrehungen beiseite und ruckte hoch. Er legte an, stützt den ausgestreckten rechten Arm mit der Linken und berührte den Schusssensor. Ein Schrei verriet ihm, dass er ins Schwarze getroffen hatte. Wenige Augenblicke später wurde das Mauerwerk der Ruine von einer Detonation zerfetzt. Die Energiespeicher des anderen hatten sich in einer einzigen Überladung vernichtet. Karamanlis verzog grimmig lächelnd die Mundwinkel. Wieder einer weniger. Er empfand keinerlei Gewissensbisse. Denn er wusste, dass seine Gegner nicht wirklich lebten. Vor ihm erstreckte sich ein mehrfach gewundener Gang durch die Ruine. Schlingpflanzen bildeten ein dichtes Blätterdach. Hier kam nicht mal die Lichtflut der blauen Sonne durch. Dichter Mooswuchs hatte die Wände mit einem dichten Teppich überzogen. Karamanlis brauchte nur handtellergroße Brocken herauszureißen, um an der Wand empor klettern zu können. Als im Halbdunkel des Ruinengangs ein Knall ertönte, arbeitete er sich fieberhaft weiter an der Wand hoch. Er kannte den Grund für die seltsame Detonation. Hier waren nicht nur die gut ausgerüsteten Kämpfer der oberen Welt gefährlich – nein, auch die Natur von Endroosen besaß ihre Tücken. Es roch süßlich. Karamanlis presste ein Tuch gegen seine Nase. Die Augen begannen ihm zu tränen. Er kletterte verbissen weiter. Noch hatte er eine Chance, bis oben durchzukommen. Kleine, fluoreszierende Teilchen irrlichterten durch das Halbdunkel. Sporen der großen Pilze.
Karamanlis musste sich eingestehen, dass er damit am allerwenigstens gerechnet hatte. Er war von dem Gedanken beherrscht gewesen, den Arkoniden vor der schimmernden Kuppel abzufangen. Mit dem lebenden Beweis dieses Fremdrassigen hätte er seine Kameraden in der unteren Welt von der Richtigkeit seiner Argumente überzeugen können. Möglich wäre auch gewesen, dass ihnen der Arkonide wertvolle Hinweise über die aktuelle Situation in der Galaxis gegeben hätte. Sie wussten längst nicht mehr, was sich alles auf Endroosen abspielte, wie konnten sie dann wissen, was in der Galaxis los war? Keuchend schob sich Karamanlis über den Moos bewachsenen Mauersims. Er verlor das Tuch und war den leuchtenden Sporen hilflos ausgeliefert. Aber er wollte sich nicht unterkriegen lassen. Der aromatische Duft gaukelte ihm Zufriedenheit, Ruhe und Sattheit vor. Gefühle, nach denen er sich die ganze Zeit gesehnt hatte. Zwei Schatten tauchten zwischen den tief hängenden Schlingpflanzen auf. Ihre Körper waren über und über mit leuchtenden Pilzsporen bedeckt. Das schien ihnen offensichtlich nichts auszumachen, denn sie bahnten sich mit unverminderter Schnelligkeit ihren Weg durch das Chaos des Pflanzendschungels. Ihr Erscheinen ließ Karamanlis wieder munter werden. Er wehrte sich verbissen gegen den halluzinatorischen Zwang der leuchtenden Sporen. Sein Lebenswille siegte. Karamanlis stützte sich auf seinen Strahler. Er stemmte sich auf die Waffe und verharrte einige Augenblicke schwerfällig auf den Knien. Er konnte nicht richtig durchatmen, sonst hätte er sich die Lungen mit dem Teufelszeug voll gesogen. Sein Gesicht leuchtete von den festgeklebten Sporen gelblich. Der Schweiß hatte sie in eine zäh-klebrige Masse verwandelt. Er hatte aber noch Glück gehabt, denn weiter drüben quollen dichte Sporenwolken aus dem Dickicht. Rechts von ihm ging es steil abwärts. Er konnte den Weg durch die überwucherte Ruine nur
undeutlich erkennen. Zurück würde er keinesfalls gehen. Er war überzeugt davon, dass seine Gegner alle Wege und Schlupfwinkel in der Ruine abgeriegelt hatten. Für ihn gab es nur noch die Flucht nach vorn. Und das wollten jene zwei Kämpfer verhindern. Karamanlis wartete noch. Seine Gegner sollten so nahe wie möglich herankommen. Er wusste nicht, ob ihn dort vorn noch andere erwarteten. Wenn die beiden sich die Flanke abgesichert hatten, dann würde er geradewegs in das Feuer eines Desintegrators rennen. Karamanlis zuckte zusammen. Irgendwo in der Finsternis knallte es peitschenartig. Dann folgte eine Serie knallender Entladungen. Aus dem Dickicht kroch gelblicher Qualm. Der Boden leuchtete auf einmal intensiv. Eine Serie Sporenkapseln war geplatzt und hatte seine gefährliche Ladung in die Luft katapultiert. Karamanlis sah, wie sich die beiden Bewaffneten durch die Sporenwolken kämpften. Sie wedelten grotesk mit den Armen, um sich die Sicht freizuhalten. Ihre Körper waren kaum noch von der Umgebung zu trennen, so sehr hüllte sie der Sporenstaub ein. Dennoch schien diese Behinderung ihre Kampfmoral nicht im mindesten geschwächt zu haben. Karamanlis wurde jetzt von zwei Seiten attackiert. Einmal steckte er in der Schusslinie seiner Widersacher, und zum anderen wehte ein schwüler Lufthauch die Sporenwolken rasch heran. Er blickte genau in die metallisch schimmernden Augen der Gegner. Sie schienen gewusst zu haben, dass er hier lauerte. Langsam hoben sie ihre Strahler an. Karamanlis sah die flimmernden Abstrahlmündungen. Er zögerte die Berührung seines Waffensensors bis zum letzten Augenblick hinaus. Als er das Gefühl hatte, der Nächststehende würde schießen, drückte er ab. Der Oberkörper des Kroitbloben verschwand in einer Glutwolke. Metallische Verstrebungen seines Energie abweisenden
Schutzschilds krümmten sich rot glühend. Außer dem Bersten des Körpers war kein Laut zu vernehmen. Karamanlis erschauerte. Ihm war dieses gnadenlose Kämpfen zuwider. Aber er fand keine Zeit, sich Gedanken über Sinn und Unsinn dieser Aktionen zu machen. Der zweite Gegner hatte sich hinter einem Mauersims verschanzt. Ein breit gefächerter Strahlenschauer verbrannte dicht vor Karamanlis den Boden. Schmieriger Pflanzenbrei floss in die Löcher kleiner Tierlabyrinthe. Karamanlis musste sich beherrschen, um nicht laut aufzuschreien. Einige Glutspritzer hatten ihn am Bein erwischt und sich durch den Kombinationsstoff gefressen. Es schmerzte höllisch. Er biss die Zähne zusammen und kroch auf allen vieren durch das Unterholz. Das Knacken trockener Äste verriet ihm, dass sein Gegner nicht untätig blieb. Wie zwei wilde Tiere umschlichen sich die Kroitbloben in der Finsternis eines wild durcheinander wuchernden Pflanzendschungels. Karamanlis Keuchen wurde vom Bersten mehrerer Sporenkapseln übertönt. Er musste sich gewaltsam zur Ruhe zwingen. Der Gegner hatte ihn bestimmt schon mit den empfindlichen Akustiksensoren geortet. Dass er den gesamten Dschungelbereich noch nicht durch einen breiten Desintegratorfächer vergast hatte, lag einzig und allein daran, dass er etwas von diesem Kampf haben wollte. Er genoss das Ganze. Karamanlis kratzte sich wiederholt die Stirn. Der Juckreiz hatte sich innerhalb weniger Augenblicke verstärkt. Die Widerhaken der Sporen steckten tief in den Hautzellen. Er brauchte unbedingt eine Verschnaufpause, um sich von dem Zeug zu befreien. Aber das gönnte ihm sein Gegner natürlich nicht. Da stieß Karamanlis auf eine schmale Transportschneise. Das silberne Band enthielt ein Pflanzen abweisendes Schmiermittel. Kroitblobische Reparaturtrupps schafften hier ihre Bauteile zur nächstgelegenen Stadt. Es ließ sich ganz leicht darauf gehen. Leichter jedenfalls, als sich den Weg durch den Dschungel zu bahnen. Aber er durfte nicht zu
lange auf der silbern glänzenden Spur bleiben, sonst zersetzten sich seine Sohlenbeläge. Karamanlis hoffte, auf einen Bautrupp zu stoßen. Er wusste aus eigener Erfahrung, dass die Kroitbloben niemals auf ihre Technikertrupps schossen. Die allgemeine Rohstoffknappheit zwang sie zu dieser Maßnahme. Hinzu kam, dass kaum einer von ihnen mit den komplizierten Fabrikationsanlagen umgehen konnte. Der Planet würde sterben, wenn die letzte Fabrik aufgegeben werden musste. Zur Zeit garantierten noch viele Sonnenenergiemeiler die Energieaufnahme. Aber das konnte schlagartig aufhören, wenn die Wartung der Sonnenzellen nicht mehr gewährleistet war. Auch das war ein Grund, weshalb Karamanlis den Teufelskreis der Transfer-Hauben durchbrochen hatte. Er war im gewissen Sinn ein Revolutionär, der die gefährlich eingefahrenen Denkschemata seiner Brüder bekämpfte. Er musste auf Biegen und Brechen jenen Arkoniden finden, den die Fremden aus dem All zurückgelassen hatten. Karamanlis stand regungslos da. Er hielt den Strahler leicht angewinkelt in der Rechten. In das Bersten der Äste mischte sich plötzlich helles Quieken mehrerer Tiere. Es kam von allen Seiten. Junge Termakks, durchzuckte es den Fliehenden. Hinter ihm sprangen die kaum armlangen, weiß schimmernden Körper mehrerer Termakks über die Transportschneise. Er drückte ab und erwischte zwei von ihnen mitten im Sprung. Der erste erreichte ihn über eine Schlingpflanze, die er als Sprunghilfe benutzte. Seine winzigen Hände umklammerten die Schlinge und ließen erst los, als er Karamanlis vor sich sah. Wie ein huschender Schemen streifte er Karamanlis Gesicht. Der süßliche Körpergeruch ließ ihn angewidert das Gesicht verziehen. Dann gruben sich die gelben Nagezähne des Termakks tief in seine Schulter. Karamanlis hätte am liebsten laut aufgeschrieen. Mit dem Lauf des Strahlers schlug er gegen den kleinen, lang gestreckten
Termakk. Das Tier quiekte und lockerte seinen Biss. Karamanlis konnte es abstreifen und mit einem Fußtritt davon schleudern. Termakks waren sehr gefährlich. Besonders die jungen Tiere. Einen Teil der Brut domestizierte man für einfache Hilfsdienste, während das Gros für die Jagd gedrillt wurde. Diese Termakks gierten förmlich danach, ihre Aggression total auszuleben. Der Kroitblobe kam mit wenigstens fünfzig Termakks aus dem Dickicht. Sein Gesicht war voller Pilzsporen. Karamanlis konnte keine Regung darauf erkennen. Aber das hatte nichts zu sagen. Die Transfer-Haube übertrug nur in den seltensten Fällen Emotionen auf den Körper des betreffenden Kämpfers. Karamanlis sprang von der Transportschneise. Um ihn herum schlugen die Desintegratortreffer ein. Sein Gegner wollte ihn nicht töten. Höchstens verwunden. Anscheinend hatten seine Freunde in der unteren Welt darüber entschieden, dass die Termakks den Rest erledigen sollten. Karamanlis fühlte kalte Wut in sich aufsteigen. Die erste Welle der angreifenden Termakks verschwand im Glutfächer von Karamanlis Waffe. Der Kroitblobe verstellte etwas an der Mündung seines Strahlers. Karamanlis wich rechtzeitig aus, so dass der scharf gebündelte Strahl ihn knapp über den Kopf hinweg verfehlte. Sein Gegner wollte ihm die Waffe aus der Hand schießen. Was dann kam, konnte sich der einsame Kämpfer lebhaft vorstellen. Karamanlis schoss aus der Hüfte heraus. Er sah, wie sich der Strahl durch die Brust des Kroitbloben fraß. Das brachte den Gegner jedoch noch nicht zu Fall. Karamanlis wartete nicht darauf, bis der andere herangekommen war. Er sprang blitzschnell um einen Baum herum, steckte die Waffe in den Gürtel und ergriff eine dicke Schlingpflanze. Innerhalb weniger Atemzüge hatte er sich an der Schlingpflanze empor gehangelt, so dass er den Schneisenbereich des Transportbands überblicken konnte. Einige Termakks sprangen ihm nach, doch er
konnte sie abwehren. Der Kroitblobe hatte jetzt große Mühe, sich noch auf den Beinen zu halten. Sein Rücken war schwarz verbrannt. Funkensprühende Entladungen zuckten aus dem Schusskanal. Lange würde der Kämpfer nicht mehr handlungsfähig sein. Dessen war sich Karamanlis ganz sicher. Er ließ sich langsam an der Liane herab gleiten, ohne jedoch seine Pendelbewegungen aufzugeben. Er pendelte bereits über die halbe Schneise, als sich der Kroitblobe wie in Zeitlupe herumdrehte und den Strahler auf ihn richtete. Karamanlis ließ es nicht zum Äußersten kommen. Ein Fußtritt, und der schwere Desintegrator krachte zwischen den davon springenden Termakks zu Boden. Als er zurückpendelte, drehte er sich einmal um die eigene Achse, so dass er seitlich neben den Kroitbloben zu hängen kam. Ein wuchtiger Fußtritt gegen den Kopf des Gegners entschied den Kampf. Karamanlis sah, dass die Bewegungen seines Gegners abrupt aufhörten. Sie haben ihn abgeschaltet, dachte er grimmig. Wenn ich lange genug warte, schicken sie ein Reparaturkommando her. Aber er wollte keine Zeit mehr verschwenden, um seinen Gegnern in der Tiefe eine weitere Niederlage zuzufügen. Er hatte sich eine Aufgabe gestellt, die er unbedingt durchführen wollte. Nach dem Ende des Kroitbloben zogen sich die Termakks winselnd zurück. Sie sahen jetzt in Karamanlis einen gefährlichen Gegner, den man nicht so ohne weiteres erledigen konnte. Die schlanken etwas zu lang geratenen Tierkörper verschwanden im Unterholz. Die Transportschneise vibrierte leicht. Das untrüglich Zeichen für einen nahenden Nachschubbehälter. Zwischen den breit gefächerten Blättern wurde es unruhig. Die Termakks hatten den Behälter ebenfalls gewittert und die richtigen Rückschlüsse gezogen. Die intensive Kampfschulung befähigte sie sogar dazu, sich in den Gegner hineinzuversetzen. Das machte sie
außerordentlich gefährlich. Aus dem Dickicht schoss ein zylindrischer Behälter heran. Seine Oberfläche war blank poliert und glich einem Spiegel. In der Mitte befand sich die Öffnungsluke. Eine schmale Plattform für Arbeiter und eine Trittvertiefung. Wer sich damit auskannte, hatte eine Chance, die Fahrt lebend zu überstehen. Und Karamanlis war schon mehrmals von einer Stadt zur anderen gefahren, ohne die Kroitbloben der unteren Welt um Erlaubnis zu bitten. Karamanlis schätzte die Geschwindigkeit des Fahrzeugs ab. Er hing jetzt genau in der Mitte des Bandes und pendelte langsam hin und her. Die Termakks sprangen wütend hoch, ohne ihn zu erreichen. Dann war der schimmernde Zylinder heran. Karamanlis fixierte die Öffnungsluke und sprang. Der Luftzug über dem Fahrzeug drohte ihn wegzureißen, doch seine Hände ließen nicht los. Er hatte seinen Gegnern wieder einmal ein Schnippchen geschlagen. * Vor ihm lichtete sich der Dschungel. Karamanlis konnte seinen Griff lockern. Jede Faser seines Körpers tat ihm weh. Die Kombination hatte zwar gehalten, aber die Peitschenschläge der Schlingpflanzen waren ihm durch Mark und Bein gegangen. Er wagte nicht daran zu denken, wie er jetzt aussah. Einige Riesenpilze kamen in Sicht. Sie waren noch nicht reif. Ihre mächtigen Schirme waren nur halbgeöffnet. Man brauchte also keine Angst zu haben, in eine Sporenwolke zu geraten. In Fahrtrichtung lag irgendwo die Stadt. Noch war nichts zu sehen. Lediglich ein paar Baustellen, an denen eine unüberschaubare Zahl von Arbeitern schuftete. Karamanlis registrierte das emsige Treiben aus den Augenwinkeln. Ihm waren solche Szenen vertraut. Er hatte sie oft mit einer gigantischen Pantomime verglichen. Hier wurden
ungeheure Materialwerte verschleudert, um den Kroitbloben in der unteren Welt die Illusion zu vermitteln, es würde alles wie in den längst vergangenen Zeiten ablaufen. Das war einer der Gründe, die Karamanlis zum Ausbrechen aus seiner Gesellschaft veranlasst hatten. Außer ihm gab es noch mehr, aber ein Kontakt zueinander existierte nicht. Karamanlis wünschte sich nichts sehnlicher, als einen Gleichgesinnten zu treffen. Doch welcher Revolutionär würde sich schon freiwillig als solcher zu erkennen geben? Erschwerend kam hinzu, dass man nur unter besonders günstigen Umständen einen echten Kroitbloben von einem ferngesteuerten unterscheiden konnte. Die Lage der einsamen Kämpfer war verzweifelt. Die Natur des Kampfes ließ es nicht zu, dass sie sich untereinander verbünden konnten. Und doch gab es Zwischenfälle, die ein Zusammentreffen zwischen echten Kroitbloben ermöglichten. Karamanlis zuckte zusammen, als er den Energieblitz in Fahrtrichtung erkannte. Er krümmte sich zum Sprung, um das zylindrische Fahrzeug im richtigen Augenblick verlassen zu können. Ringsum zogen sich die Arbeiter hinter die Fragmente einer entstehenden Vorstadt zurück. Die Gebäude würden niemals fertig werden. Sie wirkten wie die Kulissen einer Filmstadt. Ein zweiter Blitz raste über die Transportschneise hinweg und spaltete einen Riesenpilz. Bevor der mächtige Stamm auf das Band herab krachen konnte, hatten mehrere Arbeiter das Gewächs abgefangen. Der Transportbehälter konnte ungehindert passieren. Karamanlis sah, wie sich die Schneise zu einer Kurve krümmte. Bevor es soweit war, sprang er herunter, schützte seinen Kopf mit beiden Armen und rollte im weichen Gras ab. Wenig später stand er gebückt da und sah sich sichernd um. Der Strahler lag fest in seiner Hand. Die Arbeiter in seiner Nähe verhielten sich passiv. Er hatte es auch
noch nie erlebt, dass man sie zum Kämpfen eingesetzt hatte. Fünf Kroitbloben hetzten über die wellige Hügellandschaft. Sie sprangen in die Deckung eines Pilzes und verhielten sich still. Auf ein unhörbares Kommando sprangen sie aus der Deckung und rannten weiter. Sie gaben einige Schüsse ab, ließen sich zu Boden fallen und robbten hinter eine Grasnarbe. Karamanlis fragte sich, welches Wild diese Kroitbloben jagten. Er konnte nichts erkennen. Über ihm hing das dicht verfilzte Blätterdach einer mattenähnlich strukturierten Pflanzenebene. Erst darüber spannte sich der Himmel des blauen Zentralgestirns. Karamanlis hatte die Sonne lange nicht gesehen. Er sehnte sich danach, seinen Körper in ihrem Licht zu baden. Nicht jeder Kroitblobe war dazu imstande. Es gab viele unter den Degenerierten, die sofort starben, wenn sie sich dem Sonnenlicht aussetzten. Ein breit gefächerter Strahlenschuss zuckte heran. Einer der Jäger wurde gestreift und verwandelte sich augenblicklich in eine Fackel! Karamanlis sah, wie der Mann über den Hügelkamm lief und verzweifelt um sich schlug. Seine Isolierverkleidung verschmorte in schwärzlichem Qualm. Die vier restlichen Kämpfer kamen aus der Deckung. Sie feuerten unablässig in die düstere Schlingpflanzenwand hinein. Da verglühte der vierte Jäger im Schuss des unsichtbaren Gegners. Die anderen drei gingen erneut in Deckung. Sie hatten ihre Strahlenkarabiner auf Dauerfeuer gestellt und bestrichen kontinuierlich die vor ihnen liegende Hügellandschaft. Innerhalb weniger Augenblicke war kaum noch etwas zu sehen. Karamanlis musste husten. Der Qualm ließ seine Augen tränen. Der dritte Jäger verging in einem zielsicher abgestrahlten Schuss. Sein Körper platzte in greller Glut auseinander. Unter den beiden übrig gebliebenen Kämpfern herrschte Unsicherheit. Aber das Gefühl, im Kampf bisher versagt zu haben, ließ sie weitermachen. Sie trennten sich.
Karamanlis rieb sich die Augen. Er sah, wie einer der Jäger hinter dem brennenden Grashügel verschwand, während der zweite zur Flanke eilte. Mehrere Strahlschüsse durchbrachen das Chaos aus Qualm und Dreck. Es war mehr als nur Neugier, dass sich Karamanlis dem Ort des Geschehens näherte. Wenn die kroitblobischen Jäger aktiv waren, dann steckte meist ein Revolutionär dahinter. Natürlich bekämpften sich die Kroitbloben auch untereinander. Aber das nur zwischen den verschiedenen Städten. Karamanlis nahm nicht an, dass ein gegnerischer Stoßtrupp bis hierher vorgedrungen war. Dann wäre auch nicht mit Strahlenkarabinern geschossen worden, sondern mit Raketenwerfern und Splitterkapseln. Ein Knall ertönte, als der zweite Kroitblobe im Energiestrahl des unbekannten Gegners verschwand. Karamanlis packte seinen Strahler fester. Er fühlte sich auf einmal nicht besonders wohl in seiner Haut. Auch wenn eine gewisse Hochachtung für den unsichtbaren Kämpfer mitschwang. Der andere beherrschte die Guerillataktik fast besser als er. Es war kein Schuss zuviel abgegeben worden. Und jedes Mal ein Treffer. Karamanlis hätte nicht mit Bestimmtheit sagen können, ob er die Situation derart gemeistert hätte. Wer war der Fremde? Ein Kroitblobe aus der unteren Welt? Oder ein Verbannter der angrenzenden Stadt? Vom Hügelkamm schräg gegenüber löste sich ein Erdbrocken. Die Qualmwolken bildeten düstere Wirbel. Karamanlis starrte in das wogende Dunkel. Seine Nerven waren wie zum Zerreißen angespannt. Er fühlte, wie ihm der Schweiß in den Kragenausschnitt lief. Sein Strahler deutete in die Finsternis der Rauchschwaden. Es vergingen mehrere Augenblicke, in denen er nicht zu husten wagte. Auch, wenn ihn der Qualm bis zum Brechreiz trieb. Dann sah er plötzlich den Körperschatten des Fremden. Er bewegte sich
gebückt wie ein Raubtier. Schnell und zielstrebig in die Richtung, in der vorhin der letzte Kroitblobe verschwunden war. Sie entdeckten einander fast gleichzeitig. Karamanlis konnte sehen, wie der andere um die eigene Achse wirbelte und sich fallen ließ. Noch im Fallen löste der Gegner seinen Strahler aus. Der Schuss verfehlte Karamanlis um Haaresbreite. Karamanlis ließ dem Fremden keine Zeit zum Verschnaufen. Er zielte kurz und berührte den Feuersensor. Drüben ertönte ein gellender Schrei. Karamanlis sah, wie der Strahler des einsamen Kämpfers in hohem Bogen durch die Luft flog und am Rand des Hügels liegen blieb. Jetzt kam der Kroitblobe aus seiner Deckung heraus. Er schien Karamanlis für seinesgleichen zu halten und winkte ihm zu dem Treffer beglückwünschend zu. Der Gruß erstarrte mitten in der Bewegung, als Karamanlis zum zweiten Mal schoss. Der kroitblobische Jäger verging in einem heftigen Energiewirbel. Karamanlis verspürte einen bitteren Geschmack auf der. Zunge. Er war über sich selbst wütend. Er wusste, dass er mit seinem ersten Schuss einen potentiellen Freund ausgeschaltet hatte. Einen Gehetzten wie er selbst. Das wäre zu vermeiden gewesen. Er hätte sich nur zu erkennen geben brauchen. Aber die Furcht, außer den fünf Jägern noch weitere anzutreffen, war größer gewesen. Langsam ging Karamanlis an den glühenden Trümmern des letzten Kroitbloben vorüber. Sein Blick wurde starr, als er den zusammengesunkenen Körper sah. Der Strahler lag noch immer im verbrannten Gras. Er hob ihn auf, ohne den Blick von der reglosen Gestalt zu lassen. Russflöckchen wirbelten durch die Luft und vollführten einen Totentanz über dem bleichen Gesicht. Der Impulsstrahl hatte ihren Waffenarm gestreift und die Kombination verbrannt. Sonst war keine ernsthafte Verwundung zu erkennen. Als er sich über den Körper beugte, stöhnte er unterdrückt auf. »Bei Ischtar… eine Frau!«
* Das war kein ferngesteuerter Kroitblobe, sondern ein Wesen aus Fleisch und Blut. Er legte sein Ohr auf ihre Brust und vernahm erleichtert ihren regelmäßigen Herzschlag. Er hatte sie nur gestreift. Er war das erste Mal froh, danebengeschossen zu haben. Sie hielt die Augen krampfhaft geschlossen. Anscheinend stand sie noch unter der Schockwirkung ihrer Niederlage. Sie musste lange allein gewesen sein. So wie er selbst. Er entfernte den verbrannten Kombinationsärmel und zog vorsichtig die Stoffreste aus der Wunde. Zur ersten Behandlung opferte er seinen Notvorrat an Wundsalbe. Er sah, wie sich der Arm mit einer kokonartigen Schicht überzog, die rasch antrocknete und sich wie eine künstliche Haut spannte. Er bedauerte es sehr, ihre Schmerzen nicht lindern zu können. Sie erwachte langsam. Ihre vollen Lippen öffneten sich. Sie wollte etwas sagen, doch Karamanlis legte ihr sachte die Hand auf den Mund. »Nicht anstrengen… Sie sind in Sicherheit!« Er merkte, wie sie sich erleichtert entspannte. Er hatte sein Kombinationsoberteil zusammengefaltet und unter ihren Nacken geschoben. Die goldenen Haare bildeten einen Flammenkranz um das bleiche Gesicht. »Ich habe den letzten Kroitbloben erledigt.« Sie öffnete die Augen und sah ihn lange an. Sie war schön. Er hatte lange keine Frau mehr gesehen. In den unteren Welten, wurden die Geschlechter nicht mehr voneinander unterschieden. Karamanlis spürte eine Welle der Zuneigung in sich aufsteigen. »Ich habe Sie für einen Jäger gehalten«, sagte sie leise. »Hätte ich sonst geschossen? Man trifft selten einen Kämpfer. Wir sind allein und misstrauen jedem. Es ist schwer, sich von den Ferngesteuerten abzusondern. Die Tarnung ist perfekt.«
Es klang wie eine Rechtfertigung. »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, meinte die Frau leise. Karamanlis schaute sie nachdenklich an. Seine Rechte strich ein paar Russflöckchen aus ihrem Gesicht. »Ich heiße Corda-Sestere. Die Termakks von Endroosen-IV wollten mich hinrichten. Es ist schon ziemlich lange her. Aber glücklicherweise macht mir das Sonnenlicht nichts aus. Ich kann in der oberen Welt leben.« Karamanlis nickte verständnisvoll. Er wäre auch beinahe verurteilt worden. Er erinnerte sich genau daran, wie sie ein paar Freunde von ihm in die Sonnenkammer gesteckt hatten. Ihre Körper hatten dem Ansturm der blauen Strahlen nicht widerstehen können. Er gehörte jedoch zu den Immunen. Außer ihm irrten noch andere durch die obere Welt. Revolutionäre wie er oder Corda-Sestere. Die Kroitbloben der unteren Welt veranstalteten gnadenlose Hetzjagden auf sie. »Dann stammen wir aus derselben Stadt. Ich wurde ebenfalls in Endroosen-IV gezeugt. Aber wie sollte man dort jeden einzelnen kennen? Sie verstecken sich ja beharrlich unter ihren TransferHauben.« Corda-Sestere nickte zustimmend. »Und wie heißen Sie?« »Karamanlis!« »Kommt mir bekannt vor. Ich hörte von einem gewissen Karamanlis, der den geheimnisvollen Arkoniden sucht.« Karamanlis beugte sich aufgeregt vor. »Haben Sie ihn etwa gesehen? Was wissen Sie über den Arkoniden?« Corda-Sestere runzelte die Stirn. Ihr Arm schmerzte, doch sie hielt sich eisern unter Kontrolle. »Gesehen habe ich den Arkoniden nicht, aber in Endroosen-II reden sie von dem Fremden aus dem Weltraum. Ich hielt das zuerst nur für einen Trick der Termakks, um die Revolutionäre auf einen Schemen anzusetzen. Aber der Fremde scheint wirklich zu
existieren.« »Ich glaube auch daran. Wir hatten Besuch aus dem Weltraum. Ich muss den Arkoniden unbedingt finden. Vielleicht kann ich dann mehr von unseren Brüdern und Schwestern aus der tödlichen Lethargie reißen. Unser Volk wird untergehen, wenn nichts geschieht.« Corda-Sestere lächelte trotz der Schmerzen. »Das klingt sehr optimistisch, Karamanlis. Aber was können wir zwei gegen die geballte Kraft der fünf Städte ausrichten? Die Termakks sind ernstzunehmende Gegner. Womit ich die Schlagkraft der Ferngesteuerten auf keinen Fall unterschätzen will. Ich hatte große Mühe, vorhin mit den Jägern fertig zu werden.« Karamanlis hockte neben der Verwundeten. Die Salbe begann zu wirken. Sie konnte den Arm bereits wieder bewegen. »Zu zweit haben wir eine größere Chance, den Arkoniden zu finden. Vier Augen sehen mehr. Du wirst deinen Arm bald wieder gebrauchen können, Corda-Sestere.« Aus der Ferne dröhnte das Wummern explodierender Splittergeschosse herüber. Die Hügelkette verbarg die Sicht in den Hintergrund, so dass die schrecklichen Kämpfe um Endroosen-IV nur akustisch zu verfolgen waren. Karamanlis war froh darüber. Ihn erschreckte der Anblick jener sinnlosen Zerstörungsorgien zutiefst. Er konnte keinen Sinn darin sehen. Und jede explodierende Rakete brachte sein Volk dem Ende ein Stück näher. Karamanlis blickte die junge Frau lange an, während sie seine Hand mit der unverletzten Linken zärtlich umfasste. »Wir müssen bald aufbrechen. Hier sind wir nicht mehr sicher genug. Wenn sie Termakks auf unsere Spur angesetzt haben, sind wir im freien Land verloren.«
2. Der Weltraum: Bericht Atlan Das Zerren der letzten Transition verschwand so plötzlich, wie es gekommen war. Ich massierte meinen Nacken. Fartuloon schwang sich auf seinem Kontursessel herum. »Dort… die blaue Sonne!« Die Bildschirmoptik zeigte eine gestochen scharfe Wiedergabe des umliegenden Raumquadranten. »Sechs Planeten. Du scheinst recht gehabt zu haben, Bauchaufschneider.« »Wann habe ich nicht recht, Atlan?« Ein Blick in das lachende Gesicht des Geharnischten genügte, um seine Schalknatur zu erkennen. Das hatte manchen Gegner getäuscht. Fartuloon war einer der härtesten Kämpfer, die ich kannte. Auch der anachronistisch wirkende Panzer, das Schwert und der Helm wirkten auf den ersten Augenblick skurril und unpassend. Kein Arkonide hätte Fartuloon für einen perfekten Chirurgen gehalten. »Das Eppith-System?« fragte ich zweifelnd. Fartuloon starrte wie gebannt auf den Bildschirm. Er hätte die KARRETON niemals grundlos hierher gesteuert. Auf sein Gedächtnis konnte man sich verlassen. Die Bestätigung durch einen arkonidischen Sternenkatalog wäre mir zwar lieber gewesen, aber dort war das Eppith-System nirgendwo verzeichnet. »Ich kann mich nicht geirrt haben, Atlan… die blaue Sonne, sechs Planeten, von denen die dritte Welt eine grüne Pflanzenhölle ist. Es passt alles wunderbar zusammen. Es gibt kein zweites Sonnensystem in dieser Konfiguration.« Ich wünschte, Fartuloon hatte recht. Wir waren auf unserer abenteuerlichen Suche nach dem Stein der Weisen auf unheimliche und rätselhafte Dinge gestoßen. Der Hinweis in der schimmernden Kugel hatte uns ins Eppith-System geführt. Was würden wir hier
finden? Wenn es wirklich das gesuchte System ist, korrigierte mich mein Extrasinn. Ich schreckte hoch, als die Tür zur Zentrale mit einem Ruck aufgestoßen wurde. Das ungestüme Schnaufen unseres Magnetiers ließ die Instrumentenverkleidungen erzittern. »Ihr arkonidischen Wichte… ich sollte euch auf dem Altar der großen Mutter opfern!« Fartuloon starrte gelangweilt an die Zentraledecke. »Schafft mir diesen lebenden Asteroiden aus der Zentrale, sonst verlasse ich das Schiff!« sagte er. Ich grinste. Der Bauchaufschneider hatte mal wieder den Unmut des Magnetiers Vorry auf sich gezogen. Beide rivalisierten um meine Gunst. Ein Außenstehender hätte das Geplänkel der ungleichen Wesen für bitteren Ernst gehalten. Ich wusste, dass dabei keiner zu Schaden kommen würde. Höchstens die Einrichtung der Zentrale. Aber die Geräte konnten ersetzt werden. »Hat es dir die Sprache verschlagen, Zweibeiner?« Fartuloon machte eine indignierte Miene. »Du willst mir drohen… elender Narr! Dein Schwert wäre ein willkommener Nachtisch auf meiner Speisekarte. Und dann noch den ganzen Bauchaufschneider mitsamt seines Harnischs! Ein ausgesprochenes leckeres Mahl.« Ich konnte mich nicht länger beherrschen und prustete los. Fartuloon bedachte mich mit einem strafenden Blick. »Wie soll diese Tonne miserabelsten Alteisens jemals feines arkonidisches Benehmen lernen, wenn du mit schlechtem Beispiel vorangehst?« Vorry trampelte näher und starrte Fartuloon aus seinen gelben Augen an. Es war schwierig, dem Magnetier irgendeine Gefühlsregung zuzuschreiben. Sein schwarzer Körper ließ kaum derartige Deutungen zu. Fress- und Atemöffnung waren bei ihm eins. Er zeigte seine mächtigen Knochenkiefer, mit denen er ganze
Raumschiffswände durchbrechen konnte. Ein Schwall heißer Luft traf den Bauchaufschneider. Fartuloon drehte sich brüsk um. »Zum letzten Mal! Entweder ich, oder dieses Ungeheuer!« Ich musste mich beherrschen. Fartuloon wurde noch gebraucht. Ich musste zugeben, dass mich eine prickelnde Spannung ergriffen hatte. Wenn wir das Eppith-System erreicht hatten, waren wir auf der Suche nach dem Stein der Weisen einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Wir sahen, wie der grüne Planet auf dem Bildschirm größer wurde. »Energiepeilung!« »Was?« Ich schlug auf den Schalter des Ortungsgeräts. Auf dem dazugehörigen Bildschirm erschien eine gezackte Linie. »Tatsächlich! Kernreaktionen und kleine Detonationen. Auf einem Truppenübungsplatz des Großen Imperiums würde es nicht anders aussehen.« Ich veränderte die Bildeinstellung. Sämtliche Außenobjektive richteten sich auf den grünen Planeten. Seine Oberfläche erinnerte an das pockennarbige Gesicht eines alten Mannes. Alles war einheitlich grün gefärbt, nur unterbrochen von einigen Wolkenfeldern. Berge oder Meere waren nicht zu erkennen. »Städte!« stellte Fartuloon aufgeregt fest. Dann sah ich die schimmernden Zinnen ebenfalls. Sie waren größtenteils überwuchert. Der Planetenumspannende Pflanzenteppich hatte die Überreste einer alten Zivilisation verschlungen. Überreste? fragte mich mein Extrasinn. Dort unten wird noch gekämpft und zwar mit den modernsten Waffen. Wie in Zeitlupe zeigte eine Szene das kraterförmige Absinken eines großen Landstrichs. Grelle Strahlenfinger zuckten aus dem Pflanzengewirr und verbanden sich mit einer pilzförmigen
Rauchwolke. »Eine Atomexplosion.« Ich nickte zustimmend. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Dort unten wurde mit modernsten Mitteln gekämpft. Um was es ging, konnten wir nicht erkennen. Die wild wuchernden Pflanzen versperrten uns den Blick. An einer Stelle flackerte ein mächtiger Flächenbrand. Schwarze Qualmwolken verschleierten die Sicht. Immer wieder blitzten Strahlschüsse auf. »Das sind Arkoniden«, stellte ich verblüfft fest. Bevor das Bild verschwunden war, hatte ich die Szene mit der Automatikkamera auf den Bildschirm gebannt. »Dort, Fartuloon!« Der Bauchaufschneider nickte langsam. »Könnten Arkonidenabkömmlinge sein. Sie sehen aus wie wir.« Das Bild zeigte mehrere Männer, die übereinander hergefallen waren. Ein Körper verging gerade in einer Glutwolke. Der grausame Kampf schreckte mich ab. »Seltsam, dass über diese Welt nichts in den amtlichen Katalogen steht. Ich hatte angenommen, dass alle Kolonisationswelten registriert sind.« Fartuloon gab den Bildschirm wieder für die Beobachtung des planetaren Umfeldes frei. »Ich nehme an, dass es sich um Arkonidenabkömmlinge handelt«, begann er. »Aber wir mussten erfahren, dass es weit mehr arkonidenähnliche Rassen in der Galaxis gibt, deren Ursprung nicht auf das große Imperium zurückgeht. Die Erklärung dafür muss in der Vergangenheit zu suchen sein.« Fartuloon hatte schon oft darüber gesprochen. Er vertrat die Theorie, dass Arkon und sein großes Imperium der Erbe eines weit mächtigeren Sternenreichs war. Demzufolge mussten wir damit rechnen, Vertreter jener Urrasse zu finden. »Denk doch nur an Ra! Er stammt garantiert nicht von uns
Arkoniden ab… und doch ähnelt er uns sehr.« Ich musste automatisch an Ras Erzählungen denken. Sein Heimatplanet befand sich auf einer vortechnischen Entwicklungsstufe. Trotzdem waren seine Bewohner äußerst intelligent. Nach wenigen Hypnokursen konnte Ra ein Raumschiff steuern. Ich ahnte, dass wir auf der Pflanzenwelt wieder ein Stück kosmischer Geschichte zu enträtseln hatten. Fartuloon schien meine Gedanken erraten zu haben. »Der sagenhafte Stein der Weisen könnte das Bindeglied zu unseren Wissensfragmenten der galaktischen Geschichte darstellen. Vermutlich werden wir den Äonen umspannenden Bogen unseres Ursprungs erst dann vollständig vor uns ausbreiten können, wenn unsere Suche nach dem Stein der Weisen erfolgreich ist.« Der Interkom summte. Ich drückte die Sprechtaste und sah, wie das braungebrannte Gesicht des Barbaren Ra auf dem Bildschirm erschien. »Was gibt’s, Ra?« »Ich habe euch belauscht. Wenn ihr nichts dagegen habt, begleite ich euch auf eurem Ausflug. Der Dschungel dort unten sieht nicht ungefährlich aus. Ein Jagdabenteuer wäre gerade richtig für meine erschlaffenden Muskeln.« Wir mussten lachen. Ra war nun mal ein Sklave seiner Jagdleidenschaft. Auf seiner Heimatwelt war er noch vor gar nicht allzu langer Zeit mit wilden Nomaden umhergezogen. Sein Jagdinstinkt war auch nach mehreren Hypnoschulungen nicht verschwunden. Er war und blieb der steinzeitliche Jäger, den wir kennen gelernt hatten. Daran änderte auch das Wissen einer Raum fahrenden Rasse nichts. »Kannst du Gedanken lesen, Ra? Ich wollte dich ohnehin gerade anrufen. Du kannst deinen Faustkeil einpacken. Wir starten gleich.« Der Barbar lächelte zufrieden. Ohne eine weitere Erwiderung unterbrach er die Verbindung. Er war bereits auf dem Weg in die
Zentrale. Mir schoss auf einmal ein seltsamer Gedanke durch den Kopf. Ich wusste ganz sicher, dass Ra seiner Goldenen Göttin Ischtar nachtrauerte. Als er vor einiger Zeit meine Begleiterin Farnathia zum ersten Mal gesehen hatte, war er in höchste Verwirrung gestürzt worden. Er hatte Farnathia damals für seine verschwundene Ischtar gehalten. Ischtar! Welch ein Name! Ich stellte die verwegensten Kombinationen an. Seit ich wusste, dass diese geheimnisvolle Raumfahrerin einem verschollenen Volk angehörte, hatte ich Ra immer wieder darauf angesprochen. Diese Ischtar musste wissen, was es mit dem Stein der Weisen auf sich hatte. Wir beiden hatten ein Interesse daran, sie wieder zu finden. Ra, weil er sie abgöttisch liebte. Ich, weil wir den Stein der Weisen finden wollten. Doch Ischtar war im Dschungel der Sterne verschwunden. Genauso spurlos wie ihre Rasse, die Varganen. Mein Extrasinn bestärkte mich in der Vermutung, Ra würde auch auf dem grünen Planeten nach Ischtar suchen: Ra ist längst nicht mehr der primitive Jäger, der nur seinem instinkthaften Jagdbedürfnis folgt. Er träumt von der Goldenen Göttin, die ihn damals auf dem steinzeitlichen Planeten seiner Väter zurückgelassen hat. Er wird sie auf jedem Planeten suchen, den wir ansteuern. Ich lächelte über diese Art von Optimismus. Was wusste der Barbar überhaupt von den grenzenlosen Sternenräumen? Den Abgründen zwischen den Welteninseln oder den unbekannten Einflüssen der Zeit? Um im Weltraum auf Freunde oder zumindest Gleichgesinnte zu stoßen, bedurfte es eines ausgefeilten Koordinatensystems, nach dem sich beide Parteien richteten. Und auch dann war noch lange nicht sicher, dass man am richtigen Zielpunkt eintraf. Aber warum sollte ich dem Barbaren die Illusion nicht lassen? Er würde seine Goldene Göttin irgendwo und irgendwann einmal
wieder sehen. Im Grunde war ich ja selbst an einem solchen Treffen interessiert. Fartuloon riss mich aus meinen Grübeleien. Er warf mir ein kleines Funkgerät zu, öffnete den Behälter für die Ersatzbatterien unserer Kombistrahler und drängte sich an Vorry vorbei. »Soll diese Missgeburt etwa auch mitkommen?« »Selbstverständlich!« Vorry war ein gewaltiger Kämpfer. Seine Schlagkraft ließ sich am ehesten mit einer Staffel Kampfroboter vergleichen. Nach dem, was wir über die Fernbeobachtung erfahren hatten, durften wir nicht schutzlos auf der grünen Welt landen. Von sich aus hätte Fartuloon niemals zugegeben, dass er den Eisenkerl bei sich haben wollte. So kleidete er den Wunsch in die Form einer Suggestivfrage. Nachdem ich damit einverstanden war, konnte er ungefährdet seinem Missfallen Ausdruck geben. »Wenn du am Untergang der Dschungelzivilisation schuld sein willst… bitte! Ich habe dich gewarnt. Der Magnetier ist eine primitive, gefräßige und äußerst gefährliche Kampfmaschine.« Vorry attackierte den Bauchaufschneider mit einem Schwall heißer Luft. Doch Fartuloon ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Auf dem Bildschirm der Sprechanlage erschien das Gesicht unseres Freundes Morvoner Sprangk. Irgendwo aus dem Hintergrund ertönte Corpkors Stimme. Der Kopfjäger war mit einem seiner Tiere beschäftigt. »Wir haben ein Beiboot klargemacht, Atlan!« »Sehr gut. Wir starten sofort.« Ich sah, wie sich Corpkor in den Erfassungsbereich der Bildschirmoptik drängte. Eine kleine, geflügelte Schlange wand sich über seine Schulter. Die stahlblaue Zunge des Reptils berührte die Wange des Kopfjägers. Das schien dem Mann nichts auszumachen. Er war einer der besten Tierspezialisten, der mir jemals begegnet war. Seine Tierarmee war leistungsfähiger als ein jeder ZarltonerTrupp der arkonidischen Hofgarde.
»Wenn’s im Dschungel zu heiß wird, holen wir euch wieder ab. Kalte Getränke stehen schon bereit.« Corpkor grinste übers ganze Gesicht. »Dann kann ja nichts schief gehen. Wir bleiben in Funkkontakt!« rief ich meinen Freunden zu. Der Zentrale Lift brachte uns in den unteren Beiboothangar der KARRETON. Ra erwartete uns schon. Er hatte darauf verzichtet, eine feuerfeste Kampfkombination anzuziehen. Er trug wieder seinen Lederschurz, den er durch alle Wirrnisse der letzten Zeit gerettet hatte. Im Gürtel des Barbaren steckte ein glitzernder Feuersteinkeil. Seitlich trug er einen Kombistrahler in der Lederschlaufe. Vorry bemühte sich schnaufend, in das tropfenförmige Beiboot zu klettern. Er zwängte sich zwischen die Pilotensessel und verhielt sich abwartend. Wenig später war der gesamte Hangarraum hermetisch von der übrigen Schiffzelle abgeriegelt worden. Vor unserem Beiboot öffnete sich das äußere Schleusentor. Wir entspannten uns in unseren Kontursesseln und verfolgten auf den Instrumenten das Ausschleusungsmanöver. Ein Ruck kündigte die Loslösung vom Schiffskörper an. Ein Antigravpolster katapultierte uns in den Raum der blauen Sonne. * Das grüne Pflanzenmeer glitt wie ein unregelmäßig strukturierter Teppich unter uns hinweg. Es waren alle Grüntöne vorhanden, die wir uns nur vorstellen konnten. Eine Farborgie in Grün. Dazwischen wieder türkis schimmernde Abstufungen. Dunkle, tiefer gelegene Einbrüche. Zerfasert wirkende Wucherungen, leuchtende Pilzgewächse und bizarr aufragende Baumstauden. Ein unwirkliches Bild, dessen Zauber mich mehr und mehr gefangen nahm. Ich hatte mich in die weichen Polster des
Kontursessels zurückgelehnt und blickte auf den Frontbildschirm. Das grüne Gleiten übte einen beruhigenden Einfluss auf meine Nerven aus. Wir hatten gnadenlose Kämpfe um jeden Fußbreit Boden erwartet. Aber die Planetenoberfläche erwies sich in der näheren Betrachtung als so weiträumig, dass wir jene Brennpunkte suchen mussten. Es schien hier unzählige Schlupfwinkel zu geben, die nicht von den versteckten Raketenbatterien erreicht werden konnten. Vorry meldete sich mit einem röhrenden Schnaufen, das abgrundtiefes Missfallen ausdrücken sollte. »Kein Eisen… nur Gewächsbrei! Muss wohl doch Fartuloons Harnisch fressen. Dann kommt das Beiboot dran.« Fartuloon würdigte den Magnetier keines Blickes. »Und wie willst du dann wieder aus dem Gewächsbrei verschwinden, Vorry?« Der Magnetier reckte sich hoch und funkelte mich aus seinen kleinen, gelben Augen erwartungsvoll an. Er ließ es sich gefallen, dass ich ihm freundschaftlich auf die Augenwülste boxte. »Vielleicht finden wir doch noch Eisen!« Ich brauchte dem Magnetier nicht zu antworten. Der Massetaster gab ein akustisches Warnsignal. Eine kleine Lichterkette des automatischen Analyseinstruments flimmerte auf. »Weitläufige Metallvorkommen dicht unter uns!« Ich stoppte unser Fahrzeug ab und ließ es langsam tiefer schweben. »Nichts zu sehen«, meinte Fartuloon, der den Bildausschnitt des Frontschirms veränderte. Die Blätterwand war undurchdringlich. Die Ahnung, dass sie technische Konstruktionen vor unseren Blicken verbarg, machte alles nur noch geheimnisvoller. Ich tippte den Schalter der Infrarotortung an. Im gleichen Augenblick verschwand der satte Grünton und machte einem düsteren Violett Platz. An verschiedenen Stellen schimmerte es
hellrot. Das untrügliche Zeichen für einen geballten Wärmestau, wie es nur durch arbeitende Aggregate hervorgerufen wurde. Die Funkanlage summte. »Ja?« »Ihr befindet euch genau über einer unterirdischen Stadtanlage. Da unten scheint allerhand los zu sein.« Typisch Morvoner Sprangk! Der Arkonide hatte unseren Kurs genau verfolgt und die nötigen Ortungen angestellt. »Was meinst du, Morvoner… sollen wir den Pflanzenteppich durchstoßen?« »Es spricht nichts dagegen, Atlan. Die Kämpfe finden weiter westlich statt. Da unten geht es friedlich zu.« »Gut! Wagen wir’s. Haltet die Gegend weiterhin gut im Auge!« »Machen wir, Atlan. Viel Glück… und Fartuloon soll Vorry nicht ärgern.« Sprangk schaltete ab, bevor Fartuloon etwas entgegnen konnte. Vorry dagegen räusperte sich ungebührlich laut. Die Zelle unseres Fahrzeugs erzitterte unter den Urlauten des Magnetiers. Ich ließ das Boot langsam tiefer sinken. Die Höhenmesser gaben verschiedene Werte an. Den Abstand zum alles umspannenden Pflanzenteppich konnte ich optisch überwachen. Aber die nicht sichtbaren Hohlräume ließen sich nur ungenau anmessen. Die metallischen Stadtkonstruktionen irritierten die Messinstrumente. Solange ich keine exakten Angaben in den Bordrechner tippen konnte, mussten wir uns hauptsächlich auf die Bildschirmübertragung verlassen. Bodenkontakt! Der Antigrav fing den Aufprall ab. Die Schlingpflanzen federten uns noch einmal hoch, bevor wir langsam im grünen Gewirr versanken. Über uns schloss sich die mächtige Pflanzendecke. »Dort vorn… die Stadt!« Ich konnte die Ruine deutlich ausmachen. Mächtige Funktürme trotzten dem wuchernden Zugriff der Schlingpflanzen. Dazwischen
ragten zerschossene Gleiterstraßen aus dem Dickicht. Mauerteile, verrostende Gitterstreben und spitze Betonkeile. Unser Boot schlingerte, als ich den Kurs änderte. Ich musste höllisch aufpassen, damit wir nicht gegen eine jener Stützverstrebungen prallten. Was dem Dschungel widerstanden hatte, konnte auch uns gefährlich werden. Fartuloon tippte den Waffenkontakt der Bordkanone. Ein gleißender Energiestrahl ließ das Pflanzengewirr in Fahrtrichtung verdampfen. Ein Tunnel von der Breite unseres Fahrzeugs tat sich auf. Wir schoben uns langsam in den weißlichen Dämpfen der verdampfenden Pflanzen vor. Wir mussten die kleine Kanone mehrmals betätigen, um vorwärts zukommen. Es wurde immer dunkler. Die Gewächsstauden bildeten sich als finstere Reliefs auf dem Frontschirm ab. Seltsamerweise hatten wir bis jetzt weder Tiere noch intelligente Lebewesen entdecken können. Als Fartuloon noch einmal den Weg freischießen wollte, hielt ich ihn zurück. Ich wollte keine Lebewesen verletzen. Wir waren jetzt so weit heruntergekommen, dass ich jeden Augenblick mit einem solchen Kontakt rechnete. Aber nichts dergleichen geschah. Die Sicht wurde immer schlechter. Schließlich schoben sich gelb leuchtende Wolken ins Blickfeld. Die Außenmikrophone übertrugen explosionsartige Geräusche. »Bomben?« fragte Fartuloon unsicher. »Die Instrumente zeigen nichts dergleichen an. Es muss eine andere Ursache haben.« Als der hellgelbe Stamm vor uns auftauchte, war es für ein Ausweichmanöver zu spät. Unser Beiboot raste genau in den mächtigen Schirm eines Riesenpilzes hinein. Die Antigravprojektoren konnten die Kollision mildern. Ich hatte dennoch das Gefühl, der Magen würde mir in die Knie gedrückt. Pflanzenteile wirbelten um unser Fahrzeug und verklebten die Objektivsockel der Bildschirmüberwachung. Bevor der Luftsog
unserer zügigen Fahrt jene schleimige Fladen weg geschoben hatte, war es stockfinster in der Kommandozelle geworden. Als ich wieder einigermaßen die Umgebung erkennen konnte, stieß Fartuloon einen Überraschungsruf aus. »Wir steuern genau auf eine Stadt zu!« Ich sah es auch. Wir näherten uns einer riesigen Baustelle. Halbfertige Häuser säumten den gerodeten Dschungelrand. Auf mattschwarzen Pisten rollten Versorgungsfahrzeuge. Ein unübersehbares Heer von Arbeitern zog über die freie Fläche. Werkzeuge wurde in langen Ketten vorbeigereicht, während auf hohen Gerüsten einige Wagemutige balancierten, um Querverstrebungen zu befestigen. Aber etwas stimmte an der hektischen Aktivität nicht. Mein Extrasinn erkannte das Absurde sofort: Es wird nirgendwo etwas richtig fertig gestellt. Das Ganze ist eine einzige Riesenpantomime. Die Arbeiter vollziehen echt wirkende Handreichungen, aber sie stellen nichts her. Sie tun nur so, als würden sie arbeiten. Für wen wurde dieses Theater veranstaltet? Das war hier die Frage, auf die ich eine Antwort finden wollte. * »Wie Luccis in ihrem Erdbau«, ließ sich Fartuloon vernehmen. Er verglich das riesige Heer der emsig Arbeitenden mit jenen kleinen Tieren von Arkon, die sich durch besondere Brut- und Nestpflege auszeichneten und dadurch scheinbar jegliche Individualität verloren hatten. Es mutete grotesk an, wie diese Arkoniden ähnlichen Wesen an den Geräten hantierten, ohne etwas herzustellen. Einige vollführten regelrechte Pirouetten, als sie nicht vorhandene Bauteile aufeinander zuschichten glaubten. »Sie kümmern sich überhaupt nicht um uns«, stellte ich erstaunt fest.
»Was kann man von diesen Verrückten anderes erwarten?« meinte Fartuloon. »Die Bevölkerung dieses Dschungelplaneten scheint nur aus behandlungsbedürftigen Manisch-Depressiven zu bestehen.« Fartuloon wusste auch keine bessere Erklärung für das Treiben der Eingeborenen. Ich fand auch keinen vernünftigen Sinn für ihr Tun. Rituelle Handlungen fremder Zivilisationen wirkten auf Fremde immer eigenartig und zum größten Teil unverständlich. Aber seit wann war es üblich, aus irgendeinem religiösen Grund eine Riesenpantomime zu veranstalten. Ra starrte vom hinteren Sitz zwischen uns hindurch auf den Bildschirm. Er schüttelte belustigt den Kopf. »Denen fehlt wohl die Sonne, was?« Gar nicht so abwegig, dachte ich bei mir. Wenn sich der unglaubliche Pflanzenwuchs innerhalb kurzer Zeit um den gesamten Planeten ausgebreitet haben sollte, so könnten die Rohstofflieferungen der fremden Zivilisation ins Stocken geraten sein. Ohne Material konnte man schwerlich Städte bauen. Aber wozu dann diese sinnlosen Anstrengungen? »Vielleicht Tarnkonstruktionen für den Gegner?« vermutete Fartuloon. Der Bauchaufschneider dachte natürlich an die Atomexplosionen, die wir von Bord der KARRETON aus beobachten konnten. »Um das Rätselraten zu beenden, schlage ich vor, die Eingeborenen nach dem Sinn und Zweck ihrer Arbeit zu befragen. Was haltet ihr davon?« Ra war mit meinem Vorschlag einverstanden. Er wollte endlich die enge Kabine des Beiboots verlassen. Fartuloon hätte die Szenerie am liebsten noch etwas länger aus sicherer Höhe beobachtet, aber er hatte schließlich auch nichts dagegen, dass wir landeten. Ich setzte das Beiboot vorsichtig auf einer dunkelgrünen Pflanzenmatte auf. Der Untergrund wippte leicht, doch dann stand unser Fahrzeug ruhig.
Hoch über uns spannte sich die dicht verfilzte Pflanzendecke. Nur an wenigen Stellen kamen ein paar Sonnenstrahlen hindurch. Der Grünschimmer war allgegenwärtig. Sowohl die Spektralanalyse an Bord der KARRETON als auch meine rasch vorgenommene Chemo-Analyse hatte keinerlei Schadstoffe in der Atmosphäre feststellen können. Die leicht erhöhte Radioaktivität stellte keine Gefahr dar. Vorry sprang mit einem Satz ins Freie als die Schleusenverriegelung aufschnappte. Er wurde von den elastischen Pflanzensträngen wie von einem Trampolin hoch geschleudert. Das schien dem Magnetier ungeheuren Spaß zu machen. Sein Brüllen musste bis in den letzten Winkel des Dschungels zu hören sein. Dann brach er an einer Stelle in den Mattenboden ein, kam wieder hoch und fetzte eine breite Gasse durch das Dickicht. Schnaufend kehrte der Magnetier zum Beiboot zurück. Fartuloon und Ra sprangen gleichzeitig ins Freie. Ich sah, wie sie hoch gefedert wurden und nach mehreren Versuchen auf die Füße kamen. Die Schwerkraft lag etwas unter Arkonnorm, so dass wir auch größere Erkundungsmärsche unternehmen konnten, ohne mit starker Ermüdung rechnen zu müssen. Die Luft war seltsamerweise nicht so feucht, wie man es von einem Planetenumspannenden Dschungel erwartet hätte. Es roch eher süßlich. Ich verriegelte die Schleuse und übertrug den Öffnungskode auf meinen Armbandsender. Außer mir würde kein anderer das Beiboot öffnen können. Es sei denn, er würde die Schleuse mit einem Desintegrator aufschmelzen. Wir gewöhnten uns rasch an die merkwürdigen Lichtverhältnisse. Auch das Laufen auf dem federnden Untergrund machte uns bald nichts mehr aus. Vor uns öffnete sich der Dschungel und gab den Blick auf die riesige Baustelle frei. »Dort!« rief Ra und deutete auf eine bräunlich leuchtende Schneise. »Was ist das?«
Ein etwa zwei bis drei Körperschatten durchmessender Graben versperrte uns den Weg. Seine Oberfläche wirkte wie ein fein strukturierter Teppich von erlesener Qualität. Unzählige Härchen glitzerten darauf. Sie bewegten sich in einem wellenförmigen Rhythmus. Nirgendwo war auch nur eine Lücke zu sehen. Vorry wollte eine Bresche in den wogenden Graben schlagen, doch er zog sich mit einem Wehlaut zurück. Über seine Armpaare irrlichterten plötzlich elektrische Entladungen. »Eine Absperrung der Baustelle!« »Nein…«, meinte Fartuloon. »Das sind Tiere. Raupen oder etwas Ähnliches.« Ich sah, wie sich die Bresche wieder schloss, die Vorrys ungestüme Bewegung geschlagen hatte. Abertausende von kleinsten Raupen zogen hier quer durch den Dschungel. Wenn Vorry nicht gewesen wäre, hätten wir ganz sicher den Tod in ihren elektrischen Schlägen erlitten. Die Dschungelwelt war weit gefährlicher, als es zuerst den Anschein gehabt hatte. Wir versuchten, den Raupengraben zu umgehen. »Wir sollten alles zusammenschmelzen«, schlug Fartuloon vor. »Das wäre äußerst unklug.« Ich sah den Bauchaufschneider nachdenklich an. »Wir kennen längst nicht alle Waffen oder Gefahren dieses Planeten. Warum willst du unsere Trümpfe schon vorher ausspielen?« »Stimmt auch wieder, Atlan«, meinte der Bauchaufschneider und sah sich nach einem Ausweg um. Der Raupengraben kam tief aus dem Dschungel und verschwand auf der anderen Seite in der grünen Hölle. »Wir können auch einen Baum fällen!« Ra stand vor einem morschen Baumstamm eines Urwaldriesen. Das Gewächs bestand aus mehreren Stämmen. Einige waren nieder gebrochen, andere wiederum teilweise verfault. »Fasst alle mit an! Wir bilden eine Brücke über den Graben.«
Vorry ließ uns gar nicht erst so weit kommen. Er war wütend über die Raupen. Der elektrische Schlag musste ihn empfindlich getroffen haben. Stampfend tobte der Magnetier heran. Sein Kopf war leicht nach unten geneigt, die Augenwülste drohten wie die Zacken eines Rammbocks. Dann kam der Aufprall. Der schwarze Körper traf den Stamm des Urwaldriesen, das die Fetzen flogen. Im gleichen Augenblick knirschte es und der verwachsene Stamm neigte sich langsam in die Schräglage. Ra stieß einen Begeisterungsruf aus. Er wusste solche Kraftakte zu schätzen. Vorry reckte sich, und es klang, als würde ein Stahlblock gespalten werden. Er versetzte dem schräg stehenden Baumstamm einen Tritt und sah zu, wie sich das riesige Gewächs quer über den Raupengraben legte. »Die Herrschaften können sich in Marsch setzen, oder verlangt der Herr Bauchaufschneider eine Extraeinladung?« Vorry konnte sich die Anspielung auf Fartuloon nicht verkneifen. »Ein gut gezielter Desintegratorschuss hätte denselben Effekt gehabt«, meinte Fartuloon geringschätzig. Vorry räusperte sich unwirsch. »Seit wann sind Schwertträger gut im Schießen?« Ich ahnte, dass sich in wenigen Augenblicken der schönste Streit zwischen unserem Bauchaufschneider und dem Magnetier anbahnen würde. Wenn wir im Moment auch keine unmittelbaren Gefahren gegenüberstanden, so durften wir uns doch von nichts ablenken lassen. »Ihr könnt euer kleines Spielchen später in der KARRETON austragen. Konzentriert euch lieber auf die Umgebung!« »Schon gut, Atlan… nicht gleich in die Luft gehen!« Fartuloon versetzte Vorry einen Tritt und sprang rasch über die Baumbrücke. Auf der anderen Seiten trafen wir uns wieder. Es war nicht mehr weit bis zu den ersten Arbeitergruppen. Fünf Männer in silbrig schimmernden Kombinationen hantierten
an langen Stahlrohren, die sie zu einem Gerüst aneinandermontiert hatten. Anscheinend fehlten ihnen jetzt zusätzliche Stangen. Sie hatten jedenfalls kein Material mehr. Einer von ihnen drehte immer wieder und mit starrsinniger Verbissenheit an nicht vorhandenen Schrauben herum. Er hielt den automatischen Schraubdreher in der Rechten und vollführte ruckhafte Bewegungen. Fartuloon führte den rechten Zeigefinger an die Stirn und machte eine vieldeutige Bewegung. Vorry konnte sich eine bissige Bemerkung nicht verkneifen: »In euren Hypnoprogrammen wird immer wieder darauf hingewiesen, andere Mentalitäten nicht zu verachten. Wir befinden uns immerhin auf einem nichtarkonidischen Planeten. Fartuloon scheint die einfachsten Regeln galaktopsychologischer Erkenntnisse vergessen zu haben. Spott ist eben der Dunst kleiner Herzen.« Bevor Fartuloon sein Skarg aus der Scheide gerissen hatte, ergriff ich seinen Arm und deutete auf die schweigenden Arbeiter. »Sie sehen aus wie Arkoniden.« Fartuloon nickte. Er streifte den vorbeistampfenden Vorry mit einem wütenden Blick und meine nachdenklich: »Könnten Arkonidenabkömmlinge sein. Obwohl dieser Planet aller Wahrscheinlichkeit nach nicht während der letzten tausend Arkonjahre kolonisiert wurde.« »Dann gehören sie zu den ersten Kolonisten. Während der langen Zeit haben sie das arkonidische Erbe verloren. Ihre Haut wurde tiefbraun, ihre Haare golden.« Einer der Arbeiter schaute uns lange an. Sein starrer Blick schien durch uns hindurchzugehen. »Könnt ihr uns verstehen?« Keine Reaktion. Ich versuchte es noch einmal, indem ich den kleinen Translator aus der Brusttasche nahm und auf Aufnahme stellte. Ein paar gesprochene Sätze würden genügen. Der angeschlossene Minicomputer würde in kurzer Zeit die grammatikalischen Grundregeln der fremden Sprache analysiert
haben. Einer Verständigung stand dann nichts mehr im Wege. Voraussetzung dazu allerdings war, dass sich diese Eingeborenen in irgendeiner Weise äußerten. Aber sie blieben stumm. Ich ging langsam auf die Gruppe zu. Sie arbeiteten weiter. Als ob ich Luft wäre. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Fartuloons Hand den Griff des Skarg umfasste. »Wenn ihr uns verstehen könnt, sagt etwas!« Nichts. Ich drehte mich um. Fartuloon machte eine bedauernde Geste. Ra runzelte die Stirn. Das Verhalten der Eingeborenen war alles andere als normal. Ich sah mir den Nächststehenden noch einmal genauer an. Seine Augen waren starr ins Leere gerichtet, so als würde er durch uns hindurchschauen. Ich machte mehrere Wischbewegungen vor seinen Augen. Er zuckte nicht einmal mit den Wimpern. Sieh dir seine Pupillen genauer an! Fällt dir gar nichts auf? Mein Extrasinn machte mich auf etwas aufmerksam, was mich die ganze Zeit schon gestört hatte. Der Arbeiter besaß metallisch glänzende Pupillen. Man musste ihm aus einer bestimmten Winkelrichtung in die Augen sehen. Es wirkte gespenstisch. Als ob kein Leben in ihm war. Ich hatte schon Tote gesehen, deren Augäpfel in kurzer Zeit jene graue, bleierne Färbung angenommen hatten. Hier war es nicht anders. Fartuloons Lippen zogen sich zu einem dünnen Strich zusammen. Der Bauchaufschneider machte ein geheimnisvolles Gesicht. »Mir kommt da ein phantastischer Gedanke, Atlan! Wenn wir alle Beobachtungen bis jetzt in einen großen Topf werfen, herumrühren und den Extrakt löffelweise herausnehmen, dann ergeben sich einige interessante Anhaltspunkte.« »Spann uns nicht auf die Folter! Rede schon!« »Wir haben es mit Beeinflussten zu tun!« Fartuloon machte eine gewichtige Geste. »Sie werden von irgendjemanden unterjocht.
Deshalb auch die sinnlos anmutende Arbeit. Sie werden pausenlos dazu gezwungen, in Bewegung zu bleiben und trotz fehlender Rohstoffe zu arbeiten. Wenn mich nicht alles täuscht, wurden ihnen Minisender implantiert. So können sie von einer unterirdischen Kommandozentrale aus ferngesteuert werden.« Vorry kam interessiert näher. »Aber wie erklärst du dir die metallische Augenfarbe?« Fartuloon kratzte sich im Nacken. »Du denkst an Androiden, nicht wahr?« Vorry ließ mich nicht zu Wort kommen. In seiner typisch abgehackt wirkenden Sprechweise bestätigte er Fartuloons Verdacht. »Ich wittere viel Eisen. Die Kerle sind gut zu verwerten. Ich könnte endlich meinen Hunger stillen.« »Das wirst du schön bleiben lassen, Vorry!« Ich sah Fartuloon viel sagend an. Der Magnetier trottete maulend an den Arbeitern vorbei. Wenn ich es ihm gestattet hätte, dann wäre er über den erstbesten hergefallen. Vorry hätte da keine Gewissensbisse gehabt. Trotzdem klaffte eine Lücke in unserer Kombination. »Wenn das tatsächlich genial konstruierte Androiden sind, wer setzt sie dann ein, und vor allem zu welchem Zweck?« Ich sah noch immer keinen Sinn im Treiben der Arbeiter. Roboter, deren Herren längst tot waren, würden nicht so unsinnig weiterarbeiten. Wenn die Rohstoffquellen versiegt waren und kein Nachschub mehr möglich war, dann mussten sie getreu ihrer Programmierung die Arbeit einstellen und auf neue Befehle warten. Du vergisst den Funkspruch, erinnerte mich mein Extrasinn. Einer der Arbeiter hatte irgendjemanden über den Fortgang seiner Aktivitäten unterrichtet. Oder aber – und diese Erklärung erschien mir weitaus realistischer zu sein –, er hatte die unbekannte Steuerzentrale über unser Erscheinen informiert. Wenn das stimmte, dann würden wir längst beobachtet. Ich fühlte
ein eigenartiges Kribbeln im Nacken. Wir wussten nicht, wie man hier mit Besuchern aus dem Weltraum verfuhr. Dem Stand der Technik nach zu urteilen, musste die Bewohner der Dschungelwelt selbst einmal Raumfahrt betrieben haben. Vielleicht besitzen sie sogar noch Raumschiffe, vermutete mein Extrasinn. Du darfst die Atomexplosion nicht vergessen. Hier wird mit komplizierten Geräten gearbeitet. Von selbst würde sich das Rätsel des seltsamen Planeten nicht lösen. Wir mussten weitersuchen. Die Frage war nur, wie lange man uns noch auf der riesigen Baustelle herumlaufen lassen würde. * Wir suchten nach einem Zugang zu der offensichtlich vorhandenen Steuerzentrale. Von dort aus erhielten die Arbeiter ihre Anweisungen. Wir hatten immer wieder Funksignale geortet. Der Sinn war uns zwar unverständlich geblieben, hatte uns aber in der Gewissheit bestärkt, dass das Geheimnis des Planeten in der Tiefe zu suchen war. Fartuloon war das Ganze unheimlich. »Es wäre besser, wenn wir zum Beiboot zurückkehren würden, Atlan. Aus der Luft haben wir einen besseren Überblick. Ich glaube nicht, dass wir hier noch etwas finden.« »Du vergisst die Fernortung der KARRETON!« erwiderte ich. »Wen Corpkor oder Sprangk etwas Entscheidendes entdeckt hätten, wüssten wir längst Bescheid.« »Gut… dann suchen wir weiter. Ich glaube aber nicht, dass es sich lohnt.« Die Vegetation stand wieder dichter. Exotische Blumen leuchteten zwischen den saftigen Lianen. Ein betäubender Duft stand über den Gewächsen. Wir fanden Früchte, die tief bis zum Boden herunterhingen. Sie leuchteten verführerisch. Wir hüteten uns jedoch davor, eine Frucht zu pflücken.
Auch Ra hielt sich zurück. Er schien instinktiv zu spüren, dass die Gewächse ungenießbar oder sogar giftig waren. Vorry ging jetzt voraus und bahnte uns eine Gasse durch das Dickicht. Das Schnaufen des Magnetiers wirkte beruhigend auf mich. Solange ich das schwarze Kraftbündel in unserer Nähe wusste, fühlte ich mich sicher. Ich wurde aber das unangenehme Gefühl nicht los, dass wir seit geraumer Zeit beobachtet wurden. Ich konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob die leuchtenden Punkte im Unterholz Tieraugen oder nur schimmernde Blüten waren. Es konnten auch Fäulnisstoffe sein, die im Dunkeln leuchteten. Jedes Knacken im Geäst ließ mich zusammenzucken. Ra hielt den Feuersteinkeil fest in der Faust. Er würde bei der ersten Andeutung irgendeiner Gefahr gnadenlos zuschlagen. »Hier kommen wir nicht weiter«, rief Fartuloon. Seine Stimme klang eigentümlich hohl. Das Blattwerk wirkte akustisch dämmend. Mir war alles andere als wohl zumute. Aber ich hatte vorhin gesehen, wie mehrere Arbeiter im Dschungel verschwunden waren. Es musste hier irgendwo einen Schacht oder eine Sammelstelle geben, von der aus man zu den unterirdischen Räumlichkeiten der Kommandozentrale gelangen konnte. »Vorry bringt uns hier wieder heil raus! Nicht ungeduldig werden, Fartuloon.« Ein gellender Schrei ließ uns zusammenzucken. Aus dem Dickicht vor uns ertönte das Rascheln trockenen Astwerks. Vorry hielt überrascht inne und drehte sich mit einer Schnelligkeit um, die mich immer wieder aufs Neue verblüffte. »Das war Ra… er ist vorausgegangen!« * Der Anblick der schreienden Barbaren ließ mir das Blut in den Adern erstarren.
Hinter mir brachen Fartuloon und Vorry durch das Unterholz. Der Bauchaufschneider zog sofort das Skarg aus der Scheide. »Die Pflanzen bewegen sich! Fleischfressende Gewächse… oder?« Mir war es egal, was diese unheimlichen Pflanzen darstellen, oder welchen Zweck sie in der Flora des Todesdschungels erfüllten. »Ihr vernichtet die Wurzeln! Ich kümmere mich um Ra!« Ich riss den Vibratordolch aus dem Schaft meines rechten Stiefels und stürzte zu den zuckenden Tentakeln herüber. Ras Gesicht war rot angelaufen. Er brachte nur noch stöhnende Laute zustande. Ich sah, wie ihm die Augäpfel aus den Höhlungen traten. Der Vibratordolch rutschte an der glatten Oberfläche eines armdicken Pflanzententakels ab. Ich fluchte unterdrückt. Wenn Ra nicht bald loskam, würde er ersticken. Die Adern des Barbaren zeichneten sich reliefartig an den Schläfen ab. Seine Arme wurden von den unheimlichen Pflanzen fest an seinen Körper gepresst. »Die Pflanzen leben ja!« schrie Fartuloon. Die Skargspitze deutete auf übermannsgroße Gebilde, die aus unzähligen Pflanzensträngen verbunden und verwachsen waren. Sie besaßen zwei Arme und zwei Beine, deren Enden im lockeren Erdreich steckten. Jetzt krümmten sie langsam ihre Körper, schnellten hoch und schoben sich unaufhaltsam vor. Ihre Köpfe waren halslos und rund. Man konnte nirgendwo Augen oder Münder erkennen. Die mattenähnlich geflochtenen Pflanzenstränge bedeckten die ganzen Körper. Fartuloon schlug immer wieder gegen die kräftigen Tentakel, die Ras Körper umklammert hielten. Als sich ein Pflanzenarm dunkelrot verfärbte, stieß der Bauchaufschneider einen triumphierenden Schrei aus. Vorry wollte helfen und attackierte die Pflanzenwesen. Er sprang mitten zwischen sie und teilte kraftvolle Schläge aus. Grüne Fetzen wurden links und rechts durch die Luft gewirbelt, aber der
unheimliche Vormarsch ließ sich nicht aufhalten. Ra hing kraftlos im Würgegriff der Tentakel. Ich sah, wie sein Atem flacher ging. Blutiger Schaum stand ihm vorm Mund. Ich war verzweifelt. Der Barbar durfte nicht sterben. Mir war alles egal. Sollten die Fremden in der unterirdischen Schaltzentrale ruhig wissen, was mit uns los war. Ich packte den Kombistrahler und fokussierte die Abstrahlmündung auf stärkste Bündelung. Doch ich kam nicht zum Schießen. Ein peitschender Tentakel schlug mir die Waffe aus der Hand. Ich bückte mich sofort danach, fühlte aber, wie etwas Klebriges mein linkes Bein packte. Ich wurde hochgerissen und verlor den Boden unter den Füßen. »Fartuloon!« Der Bauchaufschneider hatte genug mit sich selbst zu tun. Mehrere Pflanzenwesen hatten sich bis dicht an ihn heran geschoben. Das Skarg fuhr blitzend durch die Luft und spaltete den nächststehenden Angreifer. Eine gelbliche Brühe spritzte über den Boden. Der andere wich Fartuloons Schwerthieb geschickt aus. Doch der Bauchaufschneider tauchte blitzschnell unter einem von oben herunterlangenden Tentakel hinweg und durchbohrte das Pflanzenwesen mit einem kraftvollen Stich. Hoch über uns öffneten sich mächtige Blütenkelche. Glitzernde Sekrettropfen perlten herunter. Langsam wiegten sich die Blüten hin und her. Ich sah, wie sich runde Saugnäpfe in ihrem Innern aufstülpten. Zweifelsohne Fressöffnungen. Wir sollten also in den Verdauungskanälen Fleischfressender Pflanzen enden. Kalte Wut packte mich. Ich zerrte an den Tentakeln, die mich immer höher emporhoben. Doch umsonst. Ich kam nicht los. Vorry wütete wie ein Berserker unter den Unheimlichen. Aber selbst für ihn war die Zahl der Angreifer zu groß. Ich ahnte, dass der Magnetier nicht seine ganzen Kräfte entfaltete. Er verachtete Pflanzen. Wären wir jetzt echten Robotern begegnet, so hätte Vorry seinen Angriff weit intensiver gestaltet. Denn er war ein
Eisenfresser, und hier vermisste er den Lohn eines reichhaltigen Mahles. »Fartuloon…«, schrie ich, »du musst die Tentakel kappen!« »Versuche ich ja die ganze Zeit! Aber das verdammte Buschzeug ist dauernd im Wege.« Der Bauchaufschneider stieß mehrere Angreifer von sich. Sein Skarg zuckte noch einmal auf eines der Tentakel herab, dass mich und Ra gepackt hatte. Wieder glitt das Schwert ab, hinterließ aber eine rötliche Stelle, die rasch anschwoll. »Du musst es noch mal versuchen, Fartuloon!« Der Druck um meine Brust verstärkte sich. Ich wusste, dass ich es nicht mehr lange aushalten würde. Da zertrennte das Skarg des Bauchaufschneiders einen Tentakel. Eine hellrote Flüssigkeit spritzte heraus und versickerte sofort im Boden. Der Stumpf zuckte konvulsivisch auf und nieder. Wie Blut, durchzuckte es mich. Im gleichen Augenblick raste ein fürchterlicher Schrei durch unsere Gedanken. Akustisch war überhaupt nichts zu hören. Das war ein telepathischer Schrei gewesen. Ausgestoßen von einem Wesen, das entsetzliche Schmerzen empfand. Ich fühlte, wie der Würgegriff der Tentakel etwas gelockert wurde. »Weitermachen, Fartuloon! Du schaffst es.« »Was… was war das?« rief der Bauchaufschneider entsetzt. »Können wir später klären! Du musst uns zuerst von den Würgepflanzen befreien.« Vorry unterstützte Fartuloon dabei. Der Magnetier packte einen schenkeldicken Pflanzenstrang und zermalmte ihn zwischen seinen Knochenplatten. Rötlicher Saft lief ihm über die schwarzen Kinnbacken. Ich musste wieder an Blut denken. Ein telepathisches Wimmern ließ uns erschauern. Fartuloon kappte einen zweiten Schlingpflanzenstrang. Und wieder spritzte diese hellrote Flüssigkeit heraus, die wie echtes Blut
aussah. Der Bauchaufschneider schüttelte sich. Ich erkannte, dass er gegen den aufsteigenden Ekel ankämpfen musste. Der rote Saft verströmte einen entsetzlichen Geruch. Ich stemmte mich mit erlahmender Kraft gegen die Umklammerung. Erst als Fartuloon und Vorry einen weiteren Strang zerstört hatten, konnte ich mich losmachen. Gemeinsam befreiten wir Ra aus dem Würgegriff. »Schnell weg von hier!« Hinter uns hatten die düsteren Pflanzenwesen eine dichte Kette gebildet. Ihre lang gestreckten Körper wiegten sich vor und zurück. Ich zerrte Ra hoch und stützte ihn. Die Tentakel hatten blutunterlaufene Striemen auf seiner Brust hinterlassen. Über uns schlossen die leuchtenden Blüten ihre Kelche. Wir wären nicht weit gekommen, wenn wir die Reihe der Pflanzenwesen durchbrochen hätten. Hinter ihnen waren noch mehr von der Sorte aufgetaucht. Der ganze Dschungel wimmelte von ihnen. Wir kamen nur in einer Richtung weiter. Vor uns, dort wo sich der Dschungel allmählich wieder zu lichten begann, standen keine Gegner. Ein helles Leuchten erhellte die sattgrüne Umgebung. Außer unserem keuchenden Atem und dem Rascheln der vorrückenden Pflanzenwesen war nichts zu hören. Mir kam ein schrecklicher Verdacht: Wollten die Unheimlichen uns etwa in eine bestimmte Richtung abdrängen? Wenn ich vorhin auf Fartuloon gehört hätte, wäre uns das jetzt nicht passiert. Das Beiboot hätte die Pflanzenungetüme garantiert nicht herabziehen können. Aber es war müßig, sich über den Sinn oder Unsinn unserer Expedition zu streiten. Wir steckten im größten Schlamassel und mussten sehen, wie wir uns aus eigener Kraft daraus befreiten. *
Ra kam schneller als erwartet wieder zu Kräften. Staunend betrachtete er die uralten Bauwerke, die unseren Fluchtweg säumten. Hinter uns schoben sich die dunklen Körper der Pflanzenwesen aus dem Dickicht. Sie drängten uns unaufhaltsam weiter durch den Dschungel. Jetzt kamen wir aber schneller vorwärts. Vorry brauchte uns keine Gasse mehr durch das Unterholz zu schlagen. »Diese Mauern müssen zur Frühgeschichte des Planeten gehören«, vermutete ich. »Den verwitterten Reliefs nach zu urteilen… bestimmt!« Fartuloon ließ seine Rechte über die verwirrend angeordneten Ornamente gleiten. Sie stellten Arkoniden ähnliche Wesen in aufrecht sitzender Position dar. Ihre Körper waren von geometrisch strukturierten Symbolen umgeben. Ra entdeckte das golden schimmernde Standbild zuerst. »Ischtar… meine Goldene Göttin!« stammelte der Barbar. Ich folgte seinem Blick. Zwischen bunt gesprenkelten Blüten ragte eine stilisierte Frauengestalt aus dem Dickicht empor. Ihr Gesicht war ebenmäßig geformt. Lange goldene Haare fielen ihr über die Schultern herab. Eine Hand bedeckte die Brüste, während die andere in den Himmel deutete. Die Augen des Standbilds schienen von innen heraus zu glühen. Sie wirkten unglaublich lebendig. »Das müssen wir näher untersuchen«, rief ich. »Sah deine Ischtar wirklich so aus?« Ra blickte mich aus glänzenden Augen an. Er war zutiefst erregt. Er hatte Ischtar vor längerer Zeit auf seinem Heimatplaneten getroffen. Er war ein primitiver Barbar gewesen. Sie eine einsame Raumfahrerin, der das unglaubliche Erbe einer verschollenen Rasse zur Verfügung stand. Ra hatte diese Frau geliebt, als Göttin verehrt und als Frau begehrt. »Vorry… halte uns die Ungeheuer vom Leib! Wir brauchen ein bisschen Zeit, um die Statue zu untersuchen.« »Pah!« brummelte der Magnetier. »Ist wirklich kein Vergnügen,
sich durch diesen Schlabberbrei zu wühlen. Eisen wäre mir lieber.« Sprach’s und trollte sich. Das schwarze Kraftpaket wartete nicht, bis die Pflanzenwesen herangekommen war. Es unterlief die weit gespannte Angriffskette und zerfetzte mehrere Gestalten auf einmal. Vorry konnte den Weitermarsch der stummen Armee nicht verhindern. Aber er verschaffte uns den genügenden Zeitgewinn. Ra strich bebend über die glänzende Oberfläche der Statue. Ich konnte nur ahnen, was ihm diese Frau bedeutete. »Ist das wirklich ein Abbild jener Goldenen Göttin, die dich damals in ihr Raumschiff genommen hat?« Ra nickte. Fartuloon drückte auf die Aktivierungstaste seines kleinen Allzweckgeräts. Er wollte die Legierung der Statue analysieren. Ich hörte den zirpenden Ton des Ultraschallsensors. »Woraus besteht das Denkmal?« »Keine Ahnung«, erwiderte Fartuloon ein wenig ratlos. »Jedenfalls aus keinen uns bekannten Metall. Es sind Spurenelemente vorhanden, die auch in unseren Raumschiffszellen verwendet werden, aber insgesamt versagt der Analysator hier.« Ich betrachtete den ausgestreckten Arm der Göttin. Die schlanken Finger deuteten genau in den Himmel, der von der dichten Pflanzendecke abgeschirmt war. Sie weist zu den Sternen, meldete sich mein Extrasinn. Ihr Handgelenk wurde von einem zierlichen Armreif umschlossen. Ich wollte mich schon abwenden, da überlief es mich siedendheiß. Narr! Hast du die mathelogischen Symbole etwa nicht sofort erkannt? Mein Extrasinn schalt mich zu Recht. Das mit dem übrigen Körper nur locker verbundene Schmuckstück war mit allgemein verständlichen Symbolen verziert worden. Hastig lange ich danach. Eine halbe Drehung, und ich konnte es über die Hand streifen. »Das könnten galaktische Positionsdaten sein. Sieh doch nur,
Fartuloon… der Raum-Zeit-Quadrant einer Sonne, hier die Lage eines Planeten!« Ra nahm keine Notiz von meiner Begeisterung. Er starrte auf die Statue. Seine Augen hatten einen träumerischen Glanz angenommen. Vermutlich vollzog er in den Gedanken noch einmal die Ereignisse während seines Zusammentreffens mit Ischtar. Ich kannte die Geschichte aus seinem Bericht. Vorry kam herangeschnauft. Sein schwarzer Körper war jetzt grün gesprenkelt. Das kam von den Pflanzenkörpern, die er zerfetzt hatte. Der Magnetier malmte mit den Kiefern. »Wir müssen weiter!« »Das sehe ich auch. Los, Ra… wir haben das Armband. Die Statue nützt uns herzlich wenig. Komm endlich!« Der Barbar löste sich nur widerwillig von der goldenen Statue. Er atmete tief durch. »Ich weiß jetzt ganz sicher, dass wir die Goldene Göttin wieder sehen werden.« »Kann sein, Ra! Aber wenn du dich jetzt nicht beeilst, wirst du niemals jemanden wieder sehen. Die Pflanzenungeheuer nahmen keine Rücksicht.« Wir hetzten weiter durch den Dschungel. Hinter uns blieb die goldene Göttin im Gewirr der Schlingpflanzen zurück. Bald konnten wir sie nicht mehr sehen. Dafür waren die Pflanzenwesen näher gekommen. Ihre stumme Schar drängte uns immer tiefer in die Grüne Hölle hinein. * Um uns herum war ein stetiges Gleiten. Alles war auf einmal in Bewegung geraten. Ich hatte instinktiv nach einer herabhängenden Liane gegriffen. Jetzt hing ich über einem Wirbel, der alles mit sich riss und ins Bodenlose verschluckte.
»Fartuloon! Wo steckst du? Vorry. Ra!« Ich schrie wiederholt die Namen meiner Freunde. Vorry meldete sich. Er kam mehr schwimmend als laufend durch die glänzenden Partikel näher. »Fartuloon ist zu dick. Er ist untergegangen!« »Und Ra?« Innerlich krampfte sich mir alles zusammen. Wenn Fartuloon, mein väterlicher Freund, in den Schwemmsamen versunken war, bestand keine Hoffnung mehr für ihn. »Ra ist auch untergegangen. Genau an der Stelle, über der du hängst!« Ich hätte mich am liebsten losgelassen. Aber einer musste ja die KARRETON alarmieren. Niemand außer mir konnte mehr funken. Vorry besaß keine Sender. Vorry ließ sich von den Wirbeln der in Bewegung geratenen Schwemmsamen erfassen und verschwand für wenige Augenblicke von der Bildfläche. »Vorry!« schrie ich verzweifelt. »Vorry… komm wieder raus!« Ich umklammerte mit der Linken die schwankende Liane. Mit der Rechten hantierte ich an dem kleinen Armbandsender. Schweißtropfen traten mir auf die Stirn und liefen brennend in die Augenwinkel. Ich schaffte es nicht. Langsam glitten meine schweißnassen Hände an der Liane ab. Ich sank immer tiefer, den teuflischen Schwemmsamen entgegen. Sie bedeckten ein großes Gelände mitten im Dschungel. Über mir spannte sich die Mattendecke der oberen Welt, unter mir gurgelte der nie endende Strom der Samenpartikel. Sie waren durch eine ölige Substanz vor dem Verdorren bewahrt worden. Das ermöglichte auch das reibungslose Gleiten und Rutschen. Da kam Vorry wieder hoch. Er fand sich also in der ungewohnten Umgebung zurecht. »Hast du Fartuloon und Ra gefunden?« »Sie sinken tiefer. Ich schaffte es nicht, sie wieder festzuhalten.
Aber sie leben noch.« »Wirklich ein schwacher Trost! Kannst du mich auf festen Boden bringen, Vorry?« Der Magnetier sah, wie ich tiefer sank. Noch ein paar Handbreiten, und meine Füße würden in den Schwemmsamen stecken. Vorry ruderte geschickt mit den Beinen. Er hielt sich dadurch an der Oberfläche und entging sogar den Wirbeln, die alles gnadenlos in die Tiefe rissen. »Ich will es versuchen, Atlan! Komm ganz langsam runter. Nicht springen. Zuerst die Füße auf meinen Rücken setzen…« Ich versuchte es, glitt aber an der ölig verschmierten Körperoberfläche des Magnetiers ab. Ich griff nach der Liane, aber konnte mich nicht mehr hochziehen. Ich rutschte schreiend tiefer. Die Schwemmsamen umspülten meine Knöchel. Ich spürte das Ziehen und Zerren. Es war fast unmöglich, dagegen anzukämpfen. Der Wirbel wurde stärker. Mir war, als klebten Stahlgewichte an meinen Beinen. »Vorry! Hilf mir… Vorry!« Das letzte, was ich sehen konnte, bevor die Schwemmsamen über meinem Kopf zusammenschlugen, war der herankraulende Magnetier. Seine Augenwülste waren mit dem öligen Zeug verschmiert. Er konnte mich bestimmt nicht mehr sehen, sonst wäre er schneller gewesen. Voller Verzweiflung schlug ich wild um mich. Ich wehrte mich, doch das beschleunigte das Absinken nur. Grelle Schemen tanzten vor meinen Augen. Das Blut hämmerte in den Schläfen. Der zerrende Sog ließ mich nicht wieder los. Es wurde dunkel um mich herum. Da zerriss die Wirklichkeit in tausend Fragmente. Meine gequälten Lungen verlangten nach frischer Luft. Doch ich konnte nicht mehr atmen. Ich verlor das Bewusstsein.
3. Die untere Welt: Bericht Atlan Die Luft war stickig. Es roch nach ranzigem Fett. Aber daran konnte man sich gewöhnen. Am schlimmsten war die Finsternis. Nirgendwo ein Lichtschimmer. Mir schmerzte jeder Knochen. Irgendetwas schien meinen Brustkorb eingedrückt zu haben. Ein heißer Lufthauch traf mein Gesicht. Vorry, der Magnetier! raunte mein Extrasinn. »Keine unmittelbare Gefahr mehr, Atlan!« »Wo stecken… wir hier?« Der Magnetier stemmte die nachrutschenden Schwemmsamen von sich. Sie sammelten sich irgendwo in einer Querrinne. Sehen konnte ich nichts. Ich fragte den Magnetier noch einmal: »Wo sind wir hier gelandet, Vorry?« »Tief unter dem Dschungel, Atlan. Ich weiß auch nicht wo, aber irgendwo am Grund der bewegten Erde.« Bewegte Erde! Damit meinte der Magnetier die Schwemmsamen. Anscheinend gab es Kavernen, in denen sich Luftblasen gebildet hatten. Das war meine Rettung gewesen. Fragte sich nur, für wie lange noch. Ein leises Stöhnen ließ mich munter werden. Ich erinnerte mich an die Instrumentenbeleuchtung meines Minisenders. Ich ließ den Knopf einrasten und winkelte den linken Arm an. Die kleinen Lichter genügten, mich die nähere Umgebung erkennen zu lassen. Dicht neben mir lag Fartuloon. Nicht weit davon Ra. »Fartuloon… kannst du mich verstehen?« Der Bauchaufschneider wälzte sich herum und blinzelte mich an. »So leicht verschwinde ich nicht zu unseren arkonidischen Müttern, mein Sohn!« Fartuloon schien mit dem Schrecken davongekommen zu sein.
Auch Ra zeigte keine besonderen Verletzungen. Der Barbar kam in die Hockstellung und starrte uns verwundert an. Sein Körper war an vielen Stellen blutunterlaufen. Das kam von der Umklammerung durch die Pflanzententakel. »Was soll jetzt weiter geschehen? Wir müssen die KARRETON alarmieren.« Fartuloon hatte Recht. Wir konnten jeden Augenblick tiefer rutschen. Vorry bemühte sich zwar redlich, nachrutschende Schwemmsamen zurückzuhalten, aber lange konnte er es nicht mehr schaffen. Ich tippte den Sender vorsichtig an. Wenige Augenblicke lang erloschen die Skalenlichter. Es war wieder stockdunkel um uns herum. Ich drehte am Batterieknopf des kleinen Geräts, doch es geschah nichts. »Irgendetwas schirmt uns von der Außenwelt hermetisch ab. Ich weiß nicht, was es ist, aber es scheint sehr mächtig zu sein.« »Ein Magnetfeld!« vermutete Fartuloon, dessen Analysator ein Energiefeld angemessen hatte. »Ich wittere Eisen«, meinte Vorry. In der Stimme des Magnetiers hatte unverhohlene Gier mitgeschwungen. Wenn Vorry von Eisen sprach, dann konnten wir sichergehen, dass er sich nicht getäuscht hatte. Plötzlich bebte der lockere Untergrund, auf dem wir hockten. »Das kommt von unten«, rief Fartuloon. Er klammerte sich an Vorry und versuchte, das Gleichgewicht zu behalten. Das Beben wurde stärker. Von allen Seiten kamen Schwemmsamen herunter. Wir wurden einfach mitgerissen. Es ging schräg abwärts. Ich konnte mich nirgendwo festhalten. Es war genauso wie vorhin, nur mit dem Unterschied, dass wir uns schon tief unter der Planetenoberfläche befanden. Ein metallisches Klirren wurde hörbar. Und plötzlich konnten wir auch wieder etwas sehen. Ein milchiger Schimmer drang zu uns. Es wurde mit jedem Augenblick heller.
Dann riss und eine unbekannte Kraft über einen Sockel, und wir stürzten mehrere Körperlängen tief auf ein elastisches Band. Fartuloon kam fluchend auf die Beine. Er stolperte wieder, weil sich sein Skarg seitlich in den Stiefelschacht geschoben hatte. Die Schwemmsamen fielen langsam von ihm ab. Ich kam dicht neben Ra zum Liegen. Vorry donnerte ebenfalls in allernächster Nähe herunter. Ein erfrischender Luftstrom wehte uns entgegen. Von den Schwemmsamen war glücklicherweise nichts mehr zu sehen. Über uns wölbte sich eine metallisch glänzende Decke. Mächtige Stützverstrebungen kamen in Sicht. Dazwischen verstrahlten Leuchtstoffröhren ihr Licht. Das Transportband riss uns einem unbekannten Ziel entgegen. * Das könnte eine bewachte Schleuse sein, warnte mich mein Extrasinn. Vor uns tauchte ein ovales Tor auf, dessen Seite von gelben Lampen grell angestrahlt wurden. »Runter vom Band!« schrie ich. Wir handelten augenblicklich. Vorry, Ra, Fartuloon und ich. Wir sprangen vom Gleitband und kamen auf einem leicht abfallenden Laufsteg zu stehen. Bevor uns der Sog des weiterrasenden Transportbandes wegreißen konnte, hatten wir uns eng an die Stützpfeiler gepresst, die den Tunnel begrenzten. Nur Vorry hatte wegen seines ungefügigen Körperbaus Mühe, die Balance zu halten. Neben dem Tor führten ein paar Stufen abwärts. Wir zwängten uns durch eine Tür und erreichten einen Gangabzweiger. Es ging noch tiefer hinunter. Bläuliche Lampen unter Schutzgittern gaben gerade soviel Helligkeit ab, dass man sich orientieren konnte. »Dort… liegen Knochen«, stellte Ra fest. Ich sog die Luft prüfend ein. Ein süßlicher Geruch erinnerte an Zerfall und Verwesung. Aber da war noch etwas anderes. Eine
tierhafte Ausdünstung. Raubtiere, Aasfresser, wisperte mein Extrasinn. Im vor uns liegenden Gang waren überall Kleidungsstücke verstreut. An einigen klebten Haarbüschel. In den schmutzigen Nischen lagen abgenagte Knochen. Rostrote Flecke auf dem glatten Boden verrieten uns, dass hier Kämpfe stattgefunden haben mussten. »Wer kann diese Gräueltaten begangen haben?« fragte Fartuloon nachdenklich. »Kannibalen!« stieß ich zwischen den zusammengepressten Zähnen hervor. »Sie haben ihre eigenen Artgenossen aufgefressen.« Ra verzog verächtlich das Gesicht. »Die Bewohner der unterirdischen Welt müssen krank sein.« Der Barbar hatte ausgesprochen, was ich gedacht hatte. Womöglich waren die Nachkommen jener untergegangenen Zivilisation zu Kannibalen degeneriert. Aus einer Wandöffnung sickerte fauliges Wasser. An vielen Stellen wucherten Moose und Pilze. Ein Rohr war aufgeplatzt und mit blauen Kristallen überzogen. Hinter uns raschelte etwas. Wir drehten uns fast gleichzeitig um. Aber außer der trügerischen Finsternis gab es nichts zu sehen. Keine Bewegung außer der eigenen. Irgendwo tröpfelte Wasser auf den Boden. »Verdammt ungemütlich hier, was?« Ich hatte meinen Kombistrahler verloren, als uns die Fleischfressenden Pflanzen attackierten. Mein Vibratordolch musste als Verteidigungswaffe genügen. Fartuloon ging voraus. Vorry folgte ihm. Seltsam, dachte ich, erst streiten sich die beiden, dann sind sie wieder ein Herz und eine Seele. Aber so war das wohl immer: Was sich liebt, das neckte sich. Ich wusste, dass der Bauchaufschneider des Magnetier längst ins Herz geschlossen hatte. »Still!« raunte Fartuloon. »Hört ihr nichts?«
Wir blieben stehen und lauschten in die Finsternis. Das Tröpfeln eines defekten Rohres klang wie das Rauschen eines Wasserfalls. Irgendwo knackte es in der Isolierung eines Kabelstrangs. Ich sah Fartuloon fragend an. »Dort hinten… als ob einer stöhnt!« Ich rutschte durch eine ölige Lache. Fartuloon packte mich, sonst wäre ich gegen die Betonwand geprallt. Er deutete auf eine schwere Stahltür, die durch ein Schwungrad verschlossen wurde. Das schien der einzige Öffnungsmechanismus zu sein. Ich konnte jetzt deutlich das entsetzliche Stöhnen hören. Hinter der Tür musste ein Wesen grausame Qualen erleiden. Ra presste sein Ohr gegen die kalte Tür. »Das kann eine Falle sein.« Ich hatte auch schon daran gedacht. Ra war die Sache auch nicht geheuer. Aber waren wir nicht längst in eine gigantische Falle gegangen? Die Pflanzenmonstren hatten uns in die Schwemmsamen getrieben. Jetzt lockte uns das Stöhnen eines Unbekannten an. Irgendwie wurde ich den Verdacht nicht los, von den Initiatoren jener Pantomime angelockt zu werden. Vielleicht waren wir längst in das Planeten umspannende Programm einverleibt worden, zu dem auch die Stadtkonstrukteure an der Oberfläche gehörten. Fartuloon stemmte sich gegen das Schwungrad. Es knackte in der Verriegelung und drehte sich ganz langsam. »Wir müssen endlich jemanden finden, der uns mehr über die Verhältnisse auf dieser Welt verraten kann«, meinte der Bauchaufschneider. Stimmt genau! Ich ahnte, dass wir bei zielstrebiger Suche auf einen entscheidenden Hinweis zum Stein der Weisen stoßen würden. Ich lange nach dem Armband jener Ischtar-Statue. Das war nur das erste Mosaiksteinchen unseres Rätselspiels gewesen. Wir würden garantiert noch Ergänzungen dazu aufstöbern. Fartuloon hatte den Riegel geöffnet. Quietschend löste sich die Halterung des Schwungrads. Als sich der Rahmen öffnete, wurden
wir von einer grellen Lichtflut überschüttet. Es dauerte eine Weile, bis sich meine Augen an die extreme Helligkeit gewöhnt hatten. Ein raffiniert angelegtes Glasfaserprisma lenkte das Licht der blauen Sonne in einen kleinen, fast quadratisch angelegten Raum. Es war sehr warm. Etwa so, wie es hoch oben, über den Planetenumspannenden Pflanzenmatten sein musste. Ich blieb entsetzt stehen. Auch Fartuloon war von dem scheußlichen Anblick deutlich geschockt. Auf einer niedrigen Pritsche lag ein Sterbender. Unbekannte hatten ihn mit Stahlbändern festgeschnallt. Sein Gesicht war eine einzige Wunde. Grässlich verzerrt und blutend. Er würde nicht mehr lange leben. Seine Haut war größtenteils verbrannt. »Welche… Teufel können das angerichtet haben?« stammelte ich. Der Sterbende sagte etwas. Nur ein paar Worte, dann verstummte er wieder. Ich konnte ihn nicht verstehen, aber Ra beugte sich interessiert zu ihm herunter. »Er spricht die Sprache der Goldenen Göttin!« »Was?« rief ich. Natürlich. Jene seltsame Raumfahrerin hatte Ra damals im Varganischen unterrichtet. Der Barbar konnte ihre Sprache also sprechen und verstehen, erinnerte mich mein Extrasinn an Ras Begegnung mit Ischtar. »Was sagt er?« drängte ich Ra. »Er bittet die Termakks um Gnade. So werden wohl seine Henker heißen. Ich kann mir auch keinen Reim darauf machen, aber wahrscheinlich wird er hingerichtet.« Ich schaute zu den strahlenden Enden des Glasfaserprismas hoch. »Seit wann kann man mit einfachem Sonnenlicht solche Verletzungen hervorrufen?« Fartuloon dachte scharf nach. Als Bauchaufschneider des arkonidischen Hofes waren ihm die raffiniertesten Foltermethoden bekannt. Aber hier schien er auch nur auf seine Kombinationen angewiesen zu sein. »Sie könnten ihn vorher gefoltert haben. Wahrscheinlicher kommt
es mir jedoch vor, als wären die Bewohner der Unterwelt nicht mehr an das Sonnenlicht gewöhnt. Im Laufe mehrerer Generationen kann sich ihr Stoffwechsel verändert haben. Die Folge davon ist eine Unverträglichkeit des Sonnenlichts. Dann genügt es, den Delinquenten gebündelter Sonnenstrahlung auszusetzen.« Ich wollte mich noch einmal mit dem Sterbenden befassen, als schrille Laute durch den Gang schallten. Fartuloon packte sofort sein Skarg und lief zum Ausgang hinaus. Die weißen Tierwesen kamen aus allen Richtungen. Es waren Unzählige. Sie starrten uns aus Rotleuchtenden Augen gierig an. Ich sah, dass einige Blutverkrustete Schnauzen hatten. »Das… sind die Kannibalen! Sie betrachten uns als Bereicherung ihres Speiseplans!« Wir rückten eng zusammen und erwarteten den Angriff der schrecklichen Wesen. * Vorry kämpfte wie ein Berserker. Um ihn herum häuften sich die weißbepelzten Leiber der aufrecht gehenden Tiere. Ihr schrilles Quieken wurde unerträglich. Blutgeruch stand in der Luft. Fellbündel schrammten über die Gangwand und hinterließen blutige Muster auf dem Beton. »Nicht durchbrechen lassen!« schrie Fartuloon. Der Bauchaufschneider ließ sein Skarg durch die Luft wirbeln. Er stach zu, zertrennte und zerfetzte die immer wieder anbrandenden Angreifer. Der stinkende Atem eines großen Tieres streifte mein Gesicht. Ich duckte mich und entging einem kraftvollen Schlag. Die Klaue war größer als die Hand eines Arkoniden. Rosig schimmerte das knorpelige Fleisch. Die Krallen waren spitz und scharf. Mein Vibratordolch bohrte sich tief in den weißen Pelz der Albinos. Ein schwärzlicher Blutstrahl lief mir über den Handrücken.
Mit dem Fuß stieß ich das Biest von mir. Der Vibratordolch reinigte sich selbsttätig. Vorry wollte zu uns durchbrechen. Er kam nicht weit. Auch wenn er bis jetzt unverwundet und unbesiegt geblieben war, waren seine Kraftreserven begrenzt. Stahlfaserverstärkte Seile zwangen den Magnetier zu Boden. Normalerweise hätte er sich befreien können, aber die ununterbrochenen Kämpfe hatten ihn müde gemacht. »Wir schaffen es nicht!« schrie Ra. Sein Faustkeil wurde von einer Seilschlinge weggerissen. Die Weißbepelzten drängten uns an die Gangwand. Fartuloon brachte es nicht fertig, sein Skarg aus dem Körper eines getöteten Gegners zu ziehen. Er war wehrlos. Ich stieß einen arkonidischen Fluch aus, der selbst Fartuloon bleich werden ließ. Der Vibratordolch schlitzte mehreren Angreifern die Kehlen auf. Ich wütete blind. Nur kämpfen. Wie eine Maschine. Das Schicksal des Mannes in der Sonnenkammer stand mir vor Augen. Ich ahnte, was diese Tiere mit uns vorhatten. Dann wurde ich niedergeschlagen. Ein scharfer Gegenstand schrammte mir über die Stirn. Um mich herum versank alles in wogenden Nebeln. Die schrillen Schreie der Weißpelze zerrten an meinen Nerven. Ich wurde nicht bewusstlos, konnte mich aber auch nicht mehr mitteilen. Ich wurde zu Fartuloon geworfen, der wimmernd auf einem offenen Wagen kauerte. Ra erging es nicht besser. Vorry konnte sich nicht mehr rühren. Die Seile umschlangen seinen schwarzen Körper so eng, dass ich mich fragte, wie er überhaupt noch atmen konnte. Befehle in einer unbekannten Sprache ertönten. Weiter hinten flammte Licht auf. Das Fahrzeug, auf dem wir lagen, setzte sich langsam in Bewegung. Neben mir tauchte ein Weißpelz auf. Er stieß mich unsanft mit dem Fuß an. Anscheinend bedauerte er es, dass ich noch lebte, denn seine Unmutsäußerung war offensichtlich. Ich wollte ihn von mir stoßen, aber er versetzte mir einen kräftigen Schlag.
Ich lag auf dem Rücken. Blut lief mir in die Augenwinkel, aber ich tat nichts dagegen. Das Licht der Deckenlampe wechselte in rascher Folge. Ein Licht nach dem andern. Ich wusste nicht, wie lange wir so fuhren. Als wir ein Tor passiert hatten, verstummte das Geschrei unserer Wächter. Die Weißpelze blieben abwartend zurück. Ich versuchte, mich auf die veränderte Umgebung einzustellen. Etwas war hier anders. Die Luft roch nach Ozon. Elektrostatische Luftreiniger, meldete mein Extrasinn. Ich richtete mich auf. Seltsamerweise hinderte mich niemand daran. Eine sorgfältig akzentuierte Stimme ertönte. Ich verstand die Sprache nicht, aber der Tonfall erinnerte mich an das Idiom des Sterbenden in der Sonnenkammer. Kein Wunder, dass Ra als erster antwortete. Er beherrschte als einziger das Varganische, denn die Goldene Göttin hatte ihn darin unterrichtet. * Die Fremden umringten uns neugierig. Sie waren überhaupt nicht bösartig. Ehe passiv und abgeklärt. Ihre Kleidung bestand aus Kunstfaserschals, die über den Schultern mit Magnetösen zusammengehalten wurden. Mein Translator übertrug die Sprache der Bunkerbewohner ins Arkonidische. Ra hatte die Kommunikation mit den Varganenabkömmlingen rasch aufgegeben, nachdem er nichts über seine Goldene Göttin erfahren konnte. »Ich heiße Niaxos-Pelidis. Die Brüder und Schwestern der Lebenshelme wählten mich zum Koordinator dieser Stadt. Ich begrüße euch und bitte das Benehmen der Termakks zu entschuldigen.« »Termakks?« fragte ich. »Ja… das sind unsere Wächter und Sklaven. Halbintelligente Tierwesen, die uns vor Revolutionen schützen und die Maschinen in Betrieb halten.«
Mir fiel auf, dass Niaxos-Pelidis besonders ausgeprägte Wundmale an den Schläfen besaß. Ich würde später nach ihrem Ursprung forschen, Niaxos-Pelidis stellte uns seinen Freunden vor. Es handelte sich ausnahmslos um devot lächelnde Gestalten. Ihre Haut war weiß wie Kochspeck. Man konnte die bläulichen Adern durchschimmern sehen. »Ihr kommt aus dem Weltraum?« fragte einer zaghaft. »Was wisst ihr darüber?« gab ich zurück. »Hattet ihr schon öfters Besuch aus dem All?« Niaxos-Pelidis schien etwas gegen den Gang unseres Gesprächs zu haben. Er drängte sich zwischen uns und machte eine einladende Geste. »Ihr habt euch gestärkt. Jetzt können wir euch unsere Stadt zeigen. Ich nehme an, ihr wollt auch die Lebenshelme sehen.« Die Gastfreundschaft des Varganenabkömmlings kam mir ziemlich penetrant vor. Sie stand in krassem Gegensatz zu dem bisher Erlebten. Ich wurde das Gefühl nicht los, er würde irgendetwas vor uns verbergen. Warum wollte er das Gespräch nicht auf den Weltraum bringen? Standen dem etwa Welt anschauliche Verbote entgegen? Niaxos-Pelidis lächelte. Seine mageren Arme hingen kraftlos herunter. Wenn sich dieser Mann gegen die Termakks zur Wehr setzten wollte, dann sah ich schwarz. Er und seine Brüder waren keine Kämpfer. Im Gegenteil. »Dann zeigt uns alles!« schlug ich vor. Die lang gestreckten Säle waren sauber. Steril. Man konnte nirgendwo ein Stäubchen entdecken. Luftreinigungsanlagen summten leise. »Ihr habt nicht immer unter der Oberfläche eures Planeten gelebt«, sagte ich und schaute den Führer unserer Gruppe an. »Das stimmt. Aber es ist schon viel Zeit vergangen, so dass wir euch nichts mehr über das Leben auf der oberen Welt sagen können. Unsere Geschichte ist uns weitgehend unbekannt. Aber warum
sollen wir uns darüber den Kopf zerbrechen. Interessant ist nur das Leben unter den Lebenshauben. Die untere Welt ist unsere Heimat, und so soll es immer bleiben.« »Aber was ist mit den Arbeitern an der Oberfläche?« Niaxos-Pelidis schürzte die Lippen. Er schien meine Frage erwartet zu haben. »Die Lebenshelme werden euch diese Frage beantworten. Es wäre müßig, wenn ich euch alle Details erklären würde. Die Praxis ist noch immer der beste Lehrmeister.« Ich musste grinsen. Was wusste dieser degenerierte Schwächling denn schon von der Praxis. Ich war gespannt darauf, was es mit den oft zitierten Lebenshelmen auf sich hatte. Wir gingen durch ein breites Tor. Links und rechts standen Termakks. Die Weißpelze sahen uns angriffslustig an. Ihre mannshohen Körper wirkten auf den unbeteiligten Betrachter wie zum Sprung bereit. Ich konnte mir vorstellen, dass die Varganenabkömmlinge irgendwann von ihnen aus der Rolle der Herrschenden gedrängt werden würden. Ein großer Saal nahm uns auf. Die indirekte Beleuchtung schuf eine anheimelnde Atmosphäre. In zwangsloser Folge standen Kunststoff liegen im Raum, auf denen viele Männer und Frauen lagen. Sie schienen zu träumen, denn ihre Gesichter zeigten recht unterschiedliche Gefühlsmerkmale. Dicht neben uns lag ein Mann, der zufrieden vor sich hinlächelte. Sein Kopf war mit einem flachen Helm bedeckt, an dessen Seiten Drähte angeklemmt waren. Die Schnüre verschwanden im Polster der Liege. Uns gegenüber lag ein Paar, dessen Gesichter angstverzerrt waren. Ich ahnte, dass sie schreckliche Alpträume erlitten. Die Hände waren zu Fäusten geballt. Ihre Münder zuckten erregt. »Sind das die Lebenshelme, von denen ihr gesprochen habt?« Niaxos-Pelidis machte eine bejahende Geste. »Ihr seid uns organisch sehr ähnlich. Versucht es doch auch
einmal!« Fartuloon mischte sich ein. Ihm war das Ganze nicht geheuer. »Solange wir nicht wissen, was hier überhaupt gespielt wird, bin ich strikt dagegen, uns diesen technischen Spielereien auszuliefern.« Niaxos-Pelidis breitete beide Arme aus. »Ihr seid hergekommen, um euch über unser Leben zu informieren. Was liegt dann näher, als dass ihr daran teilnehmt?« »Sie wollen doch wohl nicht behaupten, dass sich unter den Hauben das Leben ihrer Gesellschaft vollzieht.« Fartuloon sträubte sich gegen die sterile Atmosphäre in dem großen Saal. Er war ein Mann der Tat. Das seltsame Benehmen der bleichen Gestalten hatte seinen Argwohn geweckt. Ich wollte unbedingt herauskriegen, was hier gespielt wurde. »Übertragen die Hauben Illusionen in euer Bewusstsein?« fragte ich. Niaxos-Pelidis stand neben mehreren freien Liegen. Er sortierte ein paar Helme aus. Ohne mich anzuschauen, antwortete er: »Keine Illusionen! Die Helme lassen uns an der Realität teilnehmen. Die untere Welt ist natürlich zum Kriegführen zu klein. Eine einzige Raketendetonation würde das ganze Gewölbe zum Einsturz bringen. Außerdem vertragen wir die Sonnenstrahlung nicht. Es ist also nur logisch, dass wir andere für uns agieren lassen. Roboter… perfekte Androiden, die von unserem Bewusstsein gesteuert werden. Die Lebenshauben sind nur der Mittler zwischen uns und den Androiden.« Jetzt verstand ich auch das seltsame Benehmen der Arbeiter im Dschungel. Viele von ihnen hatten bestimmt keinen Kontakt mehr zu den Bewusstseinsträgern in der unteren Welt. Sie vollführten sinnlose Handreichungen. Fartuloon war das Ganze nicht recht geheuer. »Ich sehe nicht ein, warum wir uns dieser Prozedur unterwerfen sollen. Seht euch diese Gestalten an… sie liegen wehrlos auf ihren Betten. Sie können jederzeit getötet werden. Wenn die Maschine
versagt, träumen sie langsam in den Tod hinüber. Wie ist die Ernährung überhaupt geregelt?« Niaxos-Pelidis deutete auf kleine Kanüle, die direkt mit dem Blutkreislauf der Träumer verbunden waren. »Es wird alles positronisch geregelt. Es besteht kein Grund zur Beunruhigung.« Ich nickte dem Bauchaufschneider zu. »Was soll schon viel passieren, Fartuloon? Auf diese Weise können wir uns mittels der Androiden ungefährdet über die Oberfläche bewegen. Wir können sogar in die Kriegszonen eindringen. Uns passiert nichts. Unsere Körper liegen hier unten. Sie sind von alledem abgeschirmt.« Der Bauchaufschneider murmelte etwas in seinen dichten, schwarzen Kräuselbart. Er war ausnahmsweise einmal gleicher Meinung wie Vorry, der die Apparatur der schimmernden Helme am liebsten aufgefressen hätte. Ich beruhigte den Magnetier. »Uns passiert ja nichts, Vorry. Du kannst ja auch mal versuchen, ob dir so ein Ding steht.« »Schmecken würde es mir sicher!« Niaxos-Pelidis richtete einen flimmernden Stab auf Vorry und drückte einen Kontakt ein. Äußerlich war nichts zu sehen, aber als sich die Miene des Mannes aufhellte, wusste ich, dass der Magnetier an unserer geistigen Reise zur oberen Welt teilnehmen konnte. »Sein Geist ist ähnlich strukturiert wie unserer. Wir müssen nur auf die intravenöse Ernährung verzichten. Sein Metabolismus lässt die Behandlung nicht zu. Aber euer Aufenthalt dürfte nur von kurzer Dauer sein. Er wird es ohne großen Hunger überstehen.« »Hoffentlich!« entgegnete Vorry und blinzelte den Mann misstrauisch an. Niaxos-Pelidis deutete auf die freien Liegen. »Legt euch hin und entspannt euch. Ich stelle die Positronik nur auf euch ein.« Als ich mich auf die flache Liege schwang, entdeckte ich mehrere
Termakks. Die Weißpelze waren zur Positronik gelaufen und nahmen einige Einstellungen vor. »Was wollen diese Biester an der Maschine?« fragte ich unruhig. Niaxos-Pelidis setzte ein beruhigendes Lächeln auf. Er spreizte die Arme in der Art eines segnenden Priesters ab. Irgendwie kam mir sein Verhalten einstudiert und unecht vor. Aber was war hier unten schon echt? Wer sein ganzes Leben über Roboter hinweg die Wirklichkeit erlebte, konnte nicht mehr als normal bezeichnet werden. »Die Termakks helfen uns. Einfache Programmierungen können von ihnen erledigt werden. Wir sind froh, dass sie uns helfen.« Mich beruhigte diese Aussage nicht im mindesten. Dennoch streckte ich mich aus und wartete auf die Übergabe des Lebenshelms. Fartuloon kam zuerst dran, dann Ra und schließlich der Magnetier Vorry. Ich sah, wie meine Freunde die Augen schlossen und bewegungslos dalagen. Zwei Termakks standen hinter mir. Ich spürte ihren übel riechenden Atem im Genick. Als ich mich nicht länger beherrschen konnte und hochkam, drückten sie mich mit brutaler Gewalt nieder. Ich spürte den schmerzhaften Einstich einer Injektionsnadel. Sie hielten mich fest, bis sie sicher sein konnten, dass ich mich nicht mehr wehren würde.
4. Die obere Welt: Bericht Atlan Ich kam am Rand eines Bombentrichters wieder zu mir. Ätzender Qualm zog vorüber und verschleierte die Sicht in die nähere Umgebung. Das Wummern mehrerer Detonationen drang an meine Ohren. Irgendwo blitzte es grell auf. Zuerst wusste ich nicht, was los war. Die Erinnerung kehrte nur schwerfällig zurück. Ich hatte große Mühe, die einzelnen Fragmente zu einem logischen Ganzen zusammenzufügen. Ich vermisste meine Freunde. Ich war allein. In meinem Gürtel steckte ein Impulsstrahler unbekannter Bauart. Die Waffe gehört den Kroitbloben, half mir mein Extrasinn auf die Sprünge. Kroitbloben? Richtig. So hießen die Varganenabkömmlinge, die tief unter der Oberfläche des Dschungelplaneten in Symbiose mit den tierhaften Termakks lebten. Termakks und Kroitbloben. Zwei völlig unterschiedliche Rassen. Die einen lebten von den Abfällen und sogar von den Toten der anderen. Beide waren auf das Erbe einer gewaltigen Zivilisation angewiesen. Und mit Hilfe der Technik war ich auch an die Oberfläche des Dschungelplaneten zurückgekehrt. Mein Bewusstsein war von einer komplizierten Positronik in den Androiden projiziert worden. Ich konnte den Körper durch meine Bewusstseinsströme fernsteuern, ohne ein Risiko einzugehen. Das hatte Niaxos-Pelidis jedenfalls behauptet. Ich war anscheinend in einen Roboter projiziert worden, der im Bereich des Oberflächenkriegs agierte. Die verwüstete Landschaft unter der Planetenumspannenden Pflanzenmatte war verwüstet. Ringsum wurde gekämpft. Sollte ich zusammengeschossen werden, so würde ich sofort unter dem Lebenshelm aufwachen. Mir konnte also nichts passieren.
Lebenshelm, wiederholte ich innerlich voller Ironie. Was wussten die Kroitbloben schon vom richtigen, gefahrvollen Leben? Sie vegetierten in der sterilen Künstlichkeit ihrer Katakomben dahin. Sie ließen Roboter für sich kämpfen, sterben und arbeiten. Alles glitt wie ein Film an ihnen vorüber. Ich war erstaunt über die Echtheit meiner Eindrücke. Vielleicht haben sie dich nicht nur geistig, sondern auch körperlich an die Oberfläche des Planeten geschafft, gab mein Extrasinn zu bedenken. Unsinn, sagte ich zu mir selbst. Was hätte die Kroitbloben dazu veranlassen können, mich nicht unter den Lebenshelm zu legen? Ich verwarf den Einwurf meines Extrasinns und widmete mich der Erkundung meiner Umgebung. Mehrere Schemen tauchten im dichten Qualm auf und verschwanden wieder. Der Boden dampfte. Ganz in der Nähe musste kurz vor meiner Ankunft eine Rakete detoniert sein. Ich genoss das Gefühl, mich in der tödlichen Umgebung eines gnadenlosen Krieges völlig ungefährdet bewegen zu können. Selbst wenn in diesem Augenblick eine Bombe genau auf mich herab gefallen wäre – außer einem Schrecken würde ich nichts davontragen. Ich war ein Roboter, der von meinem richtigen Körper, tief unter der Oberfläche des Planeten liegend, ferngesteuert wurde. Als es unweit vor mir grell aufblitzte, ließ ich mich trotzdem hinter den nächstbesten Erdwall fallen. Die Splittergeschosse hatten mich um Haaresbreite verfehlt. Feuchte Erde überschüttete mich. Dicht neben mir bohrte sich ein glühendes Metallstück in den Boden. Ich zuckte mit dem Bein zurück. So echt war die Empfindung von Hitze. Ich stellte mir vor, was geschehen würde, wenn mich ein Impulsstrahl traf. Ich würde mit ansehen, wie mein Robotkörper langsam zerschmolz. Ein seltsames Gefühl beschlich mich. Vorsichtig kroch ich über den Erdwall. Die Sicht war noch schlechter geworden. Ich erkannte schräg vor mir die metallenen
Stützverstrebungen eines zerstörten Betonbunkers. Ein Sprung, und ich hatte die Deckung der mächtigen Brocken erreicht. Vor mir schien alles frei zu sein. Das ausgezeichnete Gehör meines Androiden rettete mir das Leben. Das »Leben« meines Robotkörpers, wie ich mich sofort korrigierte. Seitlich von mir knackte der Verschluss einer Energiewaffe. Das typische Gleiten eines in den Griff rutschenden Energiemagazins folgte. Bevor der unbekannte Gegner damit fertig war, sprang ich auf, hetzte über die Nebel verhangene Fläche und schoss. Der Glutstrahl traf mitten in einen hoch ruckenden Körper und durchbohrte ihn. Der Androide krachte schwer zu Boden. Ich lief an ihm vorbei, ohne mich lange aufzuhalten. Ringsum war es auf einmal lebendig geworden. Ich zählte mehr als zehn potentielle Gegner, die mich anscheinend gesehen hatten. Sie trennten sich und bildeten zwei Gruppen. Sie wollen dich in die Zange nehmen, wisperte mein Extrasinn. Bevor es zu einer weiteren Schießerei kommen konnte, sprang ich über eine Bodenwelle hinweg, rollte mich ab und kroch blitzschnell durch den Hohlweg, der sich vor mir auf tat. Mächtige Luftwurzeln bildeten eine dichte Decke über mir. Es war noch immer dunkel und neblig. Ich konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Ein fürchterlicher Gestank reizte meine Schleimhäute. Ich musste mich wieder über die Echtheit dieser Empfindungen wundern. Wie konnte ein Androidenkörper solche Empfindungen simulieren und sie in mein Bewusstsein übertragen? Ich konnte es mir nicht erklären. Es war der reinste Spießrutenlauf. Der schmale Schlammwassergraben wollte einfach nicht enden. Ich hätte mich auch durch die abschirmende Decke der Luftwurzeln schmelzen können, aber ich wollte die feindlichen Androiden nicht unnötig auf mich aufmerksam machen.
Da blitzte es vor mir grell auf. Ich drückte mich tief in den aufspitzenden Schlamm. Noch im Fallen erkannte ich zwei eng umschlungene Körper, die vor der Glutwolke scherenschnittartig abgebildet wurden. Dann raste die Druckwelle über mich hinweg. Waren das nun Gegner oder nicht?, fragte ich mich. Aber auf der oberen Welt schien jeder Androide den anderen zu bekämpfen. Ein System hatte ich in dem Ganzen bis jetzt nicht erkennen können. Vor mir flackerte ein Feuer. Irgendeine Bewegung war nicht auszumachen, und so kroch ich vorsichtig weiter. Ich hatte einen schalen Geschmack im Mund. Der Dreck schwappte seitlich an mir hoch. Das war wirklich kein Vergnügungsausflug, auch wenn die degenerierten Kroitbloben nichts anderes darin sahen. Ich fragte mich, was ich damit gewonnen hatte. Fartuloon hatte recht gehabt, als er mich vor dem Experiment warnte. Ich hätte zu gern gewusst, wie man seine Rückkehr in das Bewusstsein anmelden konnte. Mir wurde langsam ungemütlich. Ich fühlte mich alles andere als wohl. Aber ich kam nicht darum herum, hier und jetzt zu kämpfen. Die Gegner ließen mir keine andere Wahl. Dicht neben mir schlug ein Energiestrahl ein. Ich spürte den glühenden Hauch und sprang in Deckung. Sie wollen dich aus der Reserve locken, warnte mich mein Extrasinn. Zwei Gestalten hetzten durch den Nebel. Sie blieben am Ende des Hohlwegs kurz stehen, dann verschwanden sie wieder. Ich hütete mich davor, einen Schuss auf sie abzugeben. Die anderen hätten mich im gleichen Augenblick mit Feuer eingedeckt. Ich schob mich weiter vorwärts. Dicht vor mir öffnete sich der Hohlweg zu einem unübersichtlichen Kratertal. Zahlreiche Bombentrichter hatten den dampfenden Boden aufgewühlt. Plötzlich sprangen die beiden Kundschafter aus der Deckung. Bevor sie auf mich anlegen konnten, verglühten sie im
Strahlenschauer von zwei gut gezielten Schüssen. Du hast Verstärkung bekommen, ließ mein Extrasinn vernehmen. Ich dachte automatisch an Fartuloon und Ra. Aber wie sollte ich meine Freunde erkennen? Unsere Bewusstseinsinhalte waren in Androidenkörper transferiert worden, die nichts mit unseren eigenen Körpern gemein hatten. Wir würden also aufeinander schießen, weil wir uns für Gegner hielten. Um mich herum wurde es lebendig. Ich konnte nicht länger in dem Schlammloch verharren. Weiter hinter tauchten die schlanken Androidenkörper mit den Faustfeuerwaffen in Anschlag auf. Sie duckten sich, als ich aus der Deckung sprang und zum nächstliegenden Kraterwall hinübersprintete. Ein Schuß verfehlte mich um Haaresbreite. Meine unbekannten Helfer waren schneller als ich. Sie schossen einen Androiden nach dem andern ab. Die Glutzungen ihrer Strahler geisterten zielsicher durch die Dunkelheit. Sie mussten ständig ihre Deckung wechseln, denn die Vielzahl der anderen Kämpfer kam einfach nicht zum Zuge. Ihre Strahlenschüsse verpufften in der verdampfenden Erde. Ich kroch zwischen den Fronten durch das Schlammwasser. Irgendwie hatte ich unverschämtes Glück, denn kein einziger Schuss verletzte mich. Ich musste zugeben, dass ich nicht mit der sonst üblichen Vorsicht handelte. Denn selbst ein Volltreffer konnte mich ja nicht töten. Der Androidenkörper mit meinem Bewusstsein ließ sich jederzeit wieder ersetzen. Mein richtiger Körper lag geborgen in irgendeinem Bunker tief unter der Erde. Das hoffte ich zu diesem Zeitpunkt noch. Ich empfand einen gewissen Triumph, als ich die beiden Kämpfer dicht vor mir in der Deckung einer Querrinne hocken sah. Sie hatten mich nicht bemerkt. Sie unterhielten sich leise. Ein Mann und eine Frau. Also doch nicht Fartuloon und Ras Robotkörper. Weshalb hatten die beiden auf meine Gegner geschossen? Ich hob meinen Strahler. Natürlich würde ich die beiden nicht aus
dem Hinterhalt erschießen. Ich wollte nur sichergehen, dass sie nicht schneller waren als ich. Bevor ich sie ansprechen konnte, ertönte ein schrilles Kreischen. Ein Pulk schimmernder Metallzylinder orgelte über mich hinweg. Ich verschränkte sofort die Arme über dem Kopf und ließ mich in den Schlamm fallen. Kein Augenblick zu früh. Zwischen mir und den anderen Kampfandroiden detonierten mehrere Splitterraketen. Die Zylinder platzten bei Bodenkontakt auseinander und ließen eine Vielzahl winziger Sprengkörper nach allen Seiten davon schnellen. Als ich den Kopf leicht anhob, sah ich, dass mich die beiden Fremden entdeckt hatten. Die Geschosse blitzten in unregelmäßiger Folge hell auf. Dicht neben mir, weiter hinten und vor den anderen Kämpfern. Plötzlich verspürte ich einen heißen Schlag am rechten Bein. Ich zuckte zusammen. Eine teuflische Schmerzwelle raste durch meinen Körper. Du bist getroffen worden, meldete sich mein Extrasinn. Der Schmerz war so stark, dass ich mich mit Gewalt daran hindern musste, nicht laut aufzuschreien. Ich umklammerte mit meiner Linken den schmerzenden Oberschenkel. Da durchfuhr es mich siedendheiß, als ich meine blutverschmierte Hand sah. Ich begann die entsetzliche Wahrheit zu ahnen. Ich konnte kein Androide sein. * Im Schein der explodierenden Raketengeschosse erkannte ich zwei Gesichter, die sich neugierig über mich beugten. Ein Mann und eine Frau. Ihre Gesichter waren gebräunt. Dreckspritzer klebten ihnen auf der Stirn. Die Erschöpfung hatte Furchen in ihre jungen Gesichter gegraben. Sie redeten in einer mir unbekannten Sprache. Sie sprechen Varganisch, gab mir mein Extrasinn zu verstehen.
Schade, dass ich meine Armbandinstrumente nicht dabei hatte. Ohne Translator konnte ich keine Verständigung herbeiführen. Ich tastete langsam an mir herunter und berührte das linke Bein. Zuerst spürte ich nichts. Es war wie taub. Dann fühlte ich unter den Fingern den verstärkten Rand eines Notverbands. Das sind keine Feinde. Sie haben dich behandelt. Sonst wärst du verblutet. Mein Extrasinn hatte sicher Recht. Aber weshalb hatten die beiden ihr Leben aufs Spiel gesetzt und waren in der unmittelbaren Kampfzone geblieben? Der Mann beantwortete meine Frage, ohne dass ich ihn darum bitten musste. Er besaß einen kleinen Translator, der seine Worte in einwandfreies Arkonidisch übersetzte. »Du bist organisch. Deshalb mussten wir dich retten. Wir sind ebenfalls organisch. Ich heiße Karamanlis. Das ist meine Begleiterin Corda-Sestere. Wir haben deine Sprache analysiert, als du im Fieber gesprochen hast. Du bist ein Arkonide. Was suchst du hier?« Ich richtete mich auf. Die Schmerzen waren kaum noch der Rede wert. Anscheinend hatten sie mir ein Betäubungsmittel gegeben. »Wir sind mit einem Beiboot gelandet, um die Spuren eines uralten kosmischen Rätsels zu verfolgen. Im Dschungel fanden wir schließlich die Statue der Goldenen Göttin…« Karamanlis ließ mich nicht ausreden. »Du hast die Statue der Goldenen Göttin gefunden?« »Ja… was ist so Besonderes daran?« Karamanlis sah seine Begleiterin viel sagend an. »Die anderen waren auch dahinter her. Aber sie hatten kein Glück. Sie mussten sich auf das Wissen der Bunkerbewohner verlassen.« »Die anderen?« Jetzt war ich an der Reihe, den Ratlosen zu spielen. Ich ahnte, dass die beiden mehr wussten, als ich erwartet hatte. »Lange vor euch sind fremde Raumfahrer auf Endroosen gelandet. Sie hielten sich mehrere Sonnenumläufe auf unserer Welt auf. Einer
von ihnen hat viele Bunkerbewohner getötet. Er musste sehr grausam gewesen sein. Ich kenne die Ereignisse nur vom Hörensagen. Jedenfalls wurde den Fremden alles gezeigt, was aus unserer sagenhaften Vergangenheit noch aufzutreiben war.« Ich unterbrach den Kämpfer hastig. »Was suchten diese Raumfahrer… und wie sahen sie aus?« Karamanlis trat näher heran und ließ eine Locke meines schulterlangen Silberhaars durch seine Finger gleiten. »Genauso wie du! Sie waren Männer deiner Rasse.« »Also Arkoniden«, murmelte ich nachdenklich. »Und was suchten Sie?« »Dasselbe wie du! Einen Hinweis auf den Stein der Weisen.« Ich starrte meine Lebensretter entgeistert an. Karamanlis lächelte über meine Verblüffung. »Der Stein der Weisen gehört zu den größten Rätseln unseres Ursprungsvolks. Die Bunkerbewohner haben das Erbe der Varganen vergessen. Sie vegetieren unter ihren Traumhelmen dahin. Sie haben in ihrem ganzen Leben keine frische Luft geatmet, keinen Blumenduft gerochen und kein Gras gefühlt. Sie können das Sonnenlicht nicht mehr vertragen. Sie sind zum Aussterben verdammt. Mit ihnen geht wieder ein Stück unseres galaktischen Erbes verloren. Dagegen kämpfen Corda-Sestere und ich. Wir gehören zu den wenigen, die retten wollen, was noch zu retten ist. Unser Planet Endroosen ist nicht verloren. Verantwortungsbewusste Kroitbloben könnten die Umorientierung einleiten.« Ich sah, wie Karamanlis Augen leuchteten. Der junge Kämpfer hatte sich völlig seiner idealistischen Aufgabe verschrieben. Ich überlegte, wie ich ihm helfen konnte, aber es kam mir nichts Passendes in den Sinn. »Was wisst ihr noch über die Arkoniden, die hier gelandet sind?« »Sie haben einen Mann ihrer Besatzung zurückgelassen«, erklärte Corda-Sestere. »Was?« stieß ich hervor. »Sie haben einen Arkoniden hier
gelassen?« »Ja… er ist der einzige, der den Bunkerbewohnern Auskunft über die gegenwärtige galaktische Situation geben kann. Wir suchen ihn. Leider hatten wir bis jetzt keinen Erfolg.« Das könnte der Schlüssel zum Stein der Weisen sein, meinte mein Extrasinn. Er muss über die Ziele seiner Mannschaft informiert sein. Nur er kann dir verraten, was die anderen suchen. »Dann haben wir beide ein Interesse, diesen Arkoniden zu finden. Ihr, weil ihr euren Leuten in der unteren Welt zeigen wollt, was in der Galaxis los ist, und ich, weil ich mehr über seine Mission erfahren will.« »Du kannst uns begleiten, wenn deine Wunde nicht zu sehr schmerzt«, meinte die junge Frau. Sie gab mir ein Päckchen mit Konzentratpillen. Ich steckte sie in den Gürtel. Der Impulsstrahler lag neben mir. »Wohin geht ihr?« fragte ich die beiden. »Der Arkonide soll in der Nähe des Jamkar-Schlachtfeldes leben. Ich fand einen sterbenden Revolutionär, der ihn gesehen hat. Natürlich kann der Arkonide seinen Aufenthaltsort verlassen haben. Womöglich ist er sogar in die untere Welt zurückgekehrt. Uns bleibt nichts anderes übrig, als jede Spur zu verfolgen.« Du musst herauskriegen, welche Aufgabe der Arkonide hat, verlangte mein Extrasinn. Karamanlis und seine Begleiterin würden darüber nichts wissen. Das konnte mir der seltsame Arkonide nur selber verraten. Vielleicht sollte er andere Raumfahrer daran hindern, ebenfalls eine Spur zum Stein der Weisen zu finden. Das würde meine verzwickte Lage erklären. Der Verdacht, jemand hätte mich absichtlich auf den Kriegsschauplatz geschafft, verdichtete sich immer mehr. *
Wir befanden uns am Rand des Schlachtfelds. Mein Bein schmerzte kaum noch. Der sachkundige Verband hatte das Schlimmste verhütet. Wenn ich mich im Medo-Raum der KARRETON nachbehandeln lassen würde, konnte ich diese Episode bald vergessen. Aber noch war es längst nicht soweit. Meine Freunde befanden sich noch immer tief unter der Oberfläche des Planeten. Endroosen nannten meine Begleiter die Dschungelwelt. Das bedeutete soviel wie »Welt der Schatzsucher«. Es war anzunehmen, dass in der Vergangenheit von Endroosen viele Glücksritter gelandet waren, um die Spur vom Stein der Weisen aufzunehmen. Dabei konnte Endroosen nichts anderes als nur eine Zwischenstation auf dem dornigen Weg zum Ziel sein. Der Himmel leuchtete giftgrün. An einigen Stellen brach die Sonne durch das dichte Blätterdach. Ihre Strahlen erreichten jedoch nicht die Oberfläche des Schlachtfeldes. Nebel hüllte die aufgewühlte Erde ein. Giftige Dämpfe standen über den Explosionskratern. »Gibt es hier irgendwo einen Einstieg zur unteren Welt?« fragte ich. »In der Nähe des Kampfplatzes nicht. Das wäre zu gefährlich für die Bunkerbewohner. Es soll schon vorgekommen sein, dass sich defekte Androiden vom Schlachtfeld nach unten verirrten. Die Kroitbloben haben deshalb alle Schächte im Umkreis des JamkarFeldes sprengen lassen.« »Aber wie seid ihr an die Oberfläche gelangt?« Karamanlis ging weiter. Die junge Frau sah mich prüfend an. »Viele Fragen… viele Antworten. Besser, wir behalten dieses Geheimnis für uns. Die Termakks könnten dich schnappen. Ihre Verhörmethoden sind nicht gerade zimperlich!« »Aber, wenn es dich beruhigt, im Dschungel gibt es einen Abstieg, der nur uns beiden bekannt ist. Wenn wir den Arkoniden nicht finden sollten, bringen wir dich dorthin. Mit verbundenen Augen
natürlich.« Ich sah Karamanlis dankbar an. Der Kroitblobe schien begriffen zu haben, dass ich meine Freunde niemals im Stich lassen würde. Ob er mir aber helfen würde, Fartuloon, Ra und Vorry aus dem Saal der Lebenshelme zu befreien, war eine andere Frage. Karamanlis und Corda-Sestere kämpften für eine bessere Zukunft ihres Planeten. Unter diesen Umständen konnten sie keine Rücksicht auf fremde Raumfahrer nehmen. Es sei denn, wir hätten ihnen irgendwie nützlich sein können. Wir marschierten schweigend durch den ewig grünen Dschungel von Endroosen. Das eintönige Grau des Schlachtfeldes war längst dem satten Grün der dicht ineinander verfilzten Schlingpflanzen gewichen. Neben uns reckten sich mächtige Pilzstämme in die Höhe. Sie begrenzten einen schmalen Pfad. »Ein Wildpfad?« fragte ich. »Leider nicht!« Karamanlis machte eine bedauernde Geste. »Unsere Tierwelt wurde nahezu völlig ausgerottet. Die Pflanzen haben Überhand genommen. Der Jamkar-Krieg hatte mit dem verheerenden Einsatz von chemischen und bakteriologischen Waffen begonnen. Das störte den natürlichen Rhythmus unserer Umwelt so nachhaltig, dass nur Schmarotzer und Parasiten eine Überlebenschance hatten.« »So, wie diese Termakks, nicht wahr?« Corda-Sestere machte eine verächtliche Geste. »Die höllische Brut wurde von den Bunkerbewohnern auch noch dressiert. Nicht mehr lange, und die Weißpelze fallen über ihre Herren her. Das gibt ein Schlachtfest!« Ich hätte ihr solchen Sarkasmus gar nicht zugetraut. Aber es schwang auch ein Ton Bitterkeit mit. Sie liebte ihr Volk, aber die Entartung hatte sie von den Kroitbloben der unteren Welt entfremdet. Mir fiel auf, dass Karamanlis immer wieder suchend umherschaute. Er war unruhig geworden.
»Was gibt’s, Karamanlis?« Der Kroitblobe legte die Hand auf den Mund, zum Zeichen, ich sollte schweigen. Über uns hingen schwarze Trauben. Ich hielt die fruchtigen Gebilde jedenfalls für schmackhafte Gewächse. Gelbe Fäden schlängelten sich aus den Fruchtblättern und hingen leuchtend herab. Ich wollte danach greifen. »Halt!« zischte Karamanlis. »Nicht anfassen!« Ich zuckte erschrocken zurück. »Warum nicht… sind die Früchte giftig?« »Nein, das sind keine Früchte. Auch wenn sie so aussehen. Die Tarnung der Sincliis-Brut ist perfekt.« »Sincliis?« fragte ich verwirrt. »Du wirst sie früher zu Gesicht bekommen, als dir lieb ist. Ich hatte gehofft, die Teufelsbiester hätten diesen Teil des Dschungels verschont. Wenn unser Arkonide unachtsam war, hat es ihn bereits erwischt. Die Sincliis können sehr hartnäckig sein.« Karamanlis bestand darauf, so schnell wie möglich weiterzumarschieren. Er war unruhig und nervös. Er schien die Gefahr, die hier auf uns lauerte, genau zu kennen. Costa-Sestere ergriff Karamanlis Schulter. »Aber… was ist mit den Pilzen?« »Ich habe noch keine Fleckenpilze gesehen. Im Revier der Sincliis gibt es diese Gewächse normalerweise nicht. Wir müssten schon unverschämtes Glück haben.« Plötzlich ertönte irgendwo im dichten Blättergewirr lautes Sirren. An einer anderen Stelle antworteten die unbekannten Tiere. Wenig später ertönte das seltsame Geräusch in breiter Front vor uns. Karamanlis und Corda-Sestere waren leichenblass geworden. »Hier herein… schnell!« Karamanlis wartete nicht ab, bis ich mich durch die breiten Pflanzenstämme gezwängt hatte. Er hechtete ins Unterholz und verschwand zwischen weit ausladenden Luftwurzeln. Seine
Begleiterin folgte ihm. Ich hatte Mühe, den beiden zu folgen. Hinter mir steigerte sich das Sirren zu einem höllischen Crescendo. »Das sind Biester, die den Tod unserer Tierwelt besser nicht überlebt hätten«, stieß Karamanlis gepresst hervor. * Ich spürte auf einmal einen kalten Luftzug. Ich zog den Kopf ein und ließ mich auf den Boden fallen. Seitlich kam ich nicht weiter. Die Luftwurzeln standen dicht an dicht. Über mit rankten dornige Gewächse, denen ich besser nicht zu nahe kam. »Liegenbleiben!« schrie mir Karamanlis zu. Das fast kopfgroße Insekt schoss mit irrsinniger Geschwindigkeit durch den niedrigen Pflanzentunnel. Es schien ein organisches Radarsystem zu besitzen, denn es stieß nirgendwo gegen die herausragenden Wurzeln. Es änderte so rasch seinen Kurs, dass ich nur ein Aufblitzen seiner gläsern wirkenden Flügel bemerkte. Das Sirren wurde unerträglich. Ich presste beide Hände gegen die Ohren. Plötzlich brach das Geräusch ab. Ich vernahm ein lautes Knacken. Dann atmete Corda-Sestere erleichtert auf. »Ein schwerer Brocken«, meinte Karamanlis leichthin. Er hielt einen schmalen Dolch in der Rechten, mit dem er das Insekt im Flug aufgespießt hatte. Grünliches Sekret tropfte auf den Boden. Verwundert bemerkte ich, wie sich die Blätter damit verbanden. Wenig später dampfte es, und die Gräser, Blätter und Wurzeln hatten sich in einen schleimigen Brei verwandelt. »Selbst ein totes Sincliis ist noch gefährlich. Jede Waffe aus den kroitblobischen Giftküchen ist harmloser als ein Sincliis.« »Inwiefern?« wollte ich wissen. »Nun«, begann Karamanlis, »ein Sincliis-Stich infiziert jedes organische Wesen mit einem Mikropilz. Dadurch wird der gesamte Organismus in kurzer Zeit umgewandelt. Aus organischem Gewebe
entsteht pflanzliches. Die unglücklichen Kroitbloben, die davon getroffen waren, irren noch heute durch den Dschungel. Ihr Bewusstsein starb einen grauenvollen Tod.« Ich unterbrach Karamanlis. »Uns sind aufrecht gehende Pflanzenwesen begegnet. Nicht weit von der Ischtar-Statue. Sie waren nur den Umrissen nach als arkonidenähnliche Geschöpfe erkennbar.« »Ja… das waren Sincliis-Mutanten. Sie haben sich der Dschungelumgebung angepasst. Meistens dienen sie den Sincliis als Brutstätten.« Das Sirren am anderen Ende des Wurzelgangs war lauter geworden. Ich schüttelte mich unbewusst, als ich mir vorstellte, welche Horde jener teuflischen Insekten dort auf uns lauerten. »Wir können nicht ewig hier unten bleiben.« »Ganz recht«, erwiderte Corda-Sestere. »Wir werden weiter durch den Gang kriechen. Irgendwo gibt es einen Ausgang, und wenn wir ihn uns selbst schaffen müssen.« Das Sirren der Sincliis kam näher. »Sie sind noch einmal in den Gang eingedrungen!« rief Karamanlis. Er änderte die Abstrahlbreite seines Strahlers und wartete angespannt auf die fliegenden Todesboten. »Gibt es denn kein Mittel, mit dem man sich gegen einen SincliisStich schützen kann?« »Wer einmal infiziert wurde, ist rettungslos verloren. Ein Gegenmittel ist uns nicht bekannt. Aber wir haben uns schon oft mit dem Saft des Fleckenpilzes eingerieben. Das stört den Orientierungssinn der Sincliis. Nur verdammt schade, dass der Fleckenpilz äußerst selten ist.« Karamanlis drückte den Waffenkontakt seines Strahlers. Ein breiter Strahlenfächer raste den im Pulk heranschwirrenden Insekten entgegen. Sie wurden abrupt aufgehalten. Einige stürzten versengt zu Boden, andere lösten sich noch in der Luft auf. »Los, verschwindet! Ich gebe euch Rückendeckung!« schrie Karamanlis.
Ich hörte noch, wie er durch einen weiteren Schuss die Decke des Wurzelgangs zum Schmelzen brachte. Ätzende Dämpfe trieben uns entgegen. Ich achtete nicht darauf, sondern kroch hinter CordaSestere her. Wenig später war Karamanlis wieder bei uns. »Wenn die Glut erkaltet ist, haben wir die Biester wieder auf dem Hals.« Ich wusste nicht, wie lange wir so durch das Unterholz krochen. Mein Bein hatte wieder zu schmerzen angefangen. Ich biss die Zähne zusammen. Lange würde ich diese Gewaltkur aber nicht durchhalten. Ich wunderte mich darüber, dass die junge Frau den Strapazen gewachsen war. Sie äußerte sich jedenfalls keinen Augenblick lang über Müdigkeit oder Hunger. Dann wurde es etwas heller. Zerfasert wirkende Wurzelstränge begrenzten die Höhlung und gaben den Blick auf eine runde Lichtung frei. Das Sirren der Sincliis war kurz zuvor lauter geworden. Wir krochen aus dem Gang und rasteten für ein paar Atemzüge unter dem hochgewölbten Blätterdach. Ich hatte nur noch einen Wunsch: Ich wollte schlafen. Aber die äußeren Umstände ließen mir keine Wahl. Wenn ich nicht als Pflanzenmutant enden wollte, musste ich weiter. Karamanlis schoss mehrmals in den Wurzelgang. Als die Gewächse in hellen Flammen standen und ein zäh-klebriges Gemisch aus erhitzter Erde und verkochenden Pflanzenresten über den Boden lief, hielt ich inne. »Das dürfte fürs erste reichen.« Wir sahen uns um. Keiner wusste, was sich hinter dem dichten Grün des Dschungels verbarg. Möglich war auch, dass die Sincliis einen anderen Weg durch das Dickicht genommen hatten. Dann würden sie bald über uns herfallen. Karamanlis sog prüfend die Luft ein. Ich sah, wie er die Stirn in Falten zog.
»Es riecht verbrannt!« meinte er. »Als ob ich das nicht selbst weiß. Aber du kannst den Geruch der Fleckenpilze ja nicht kennen. Wenn mich nicht alles täuscht, stehen wir dicht vor einer solchen Kolonie. Der Geruch ist ganz typisch dafür.« »Fleckenpilze… euer geheimnisvolles Mittel gegen die Sincliis!« »Stimmt genau, Atlan. Wenn wir die Pilze rechtzeitig finden, könnten wir noch einmal davonkommen. Sonst sehe ich schwarz. Die Sincliis lassen niemals locker.« * Das Sirren der Sincliis kam von allen Seiten. Von links, von rechts und von oben. Ich wartete nur darauf, dass sich der Boden auftat und ein paar von den Teufelsbiestern ausspie. Karamanlis war zuerst ziellos umhergelaufen. Hatte hier und dort auf dem Boden gekniet und Blätter zwischen den Händen zerrieben. »Fleckenpilze stehen mit der gesamten Pflanzenwelt ihrer Umgebung in Verbindung. Sie sind perfekte Parasiten. Ihre dünnen Wurzelenden bohren sich weit unter dem lockeren Dschungelboden hindurch«, erklärte mir Karamanlis. Corda-Sestere stieß einen Freudenruf aus. Wir eilten sofort zu ihr und sahen, dass sie mehrere Grasbüschel ausgerissen hatte. Ich erkannte unzählige kleine Pilze, die in einer langen Kette in den Dschungel hineinwuchsen. »Fleckenpilze!« »Ich sehe nichts Außergewöhnliches daran«, sagte ich. »Dann komm weiter mit. Die Ableger nützen uns noch nichts.« Wir zwängten uns durch die Schlingpflanzen. Die Aussicht auf ein Abwehrmittel gegen die Sincliis schien unsere Kräfte zu regenerieren. Mächtige Schatten tauchten im Dickicht auf. Unter ihnen leuchtete es faulig. Moose hatten ein bizarres Muster an den mannsdicken
Stämmen hinterlassen. Erst als ich näher herangekommen war, erkannte ich die Struktur der Stämme. Die ovalen Schirme waren über und über mit rostroten Flecken übersät. Darunter schimmerte Flüssigkeit durch. Anscheinend speicherten diese Gewächse unglaublich viel Flüssigkeit. »Und weiter?« fragte ich ungeduldig. Das Sirren der Sincliis erfüllte den näheren Dschungelbereich. Karamanlis kappte mit seinem Dolch mehrere langstielige Blätter. »Hilf uns, Atlan. Mit den Blättern können wir das Pilzsekret auffangen. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.« Erst als etwa zehn dieser großen, beutelförmig gewölbten Blätter am Boden lagen, hielt Karamanlis inne. Corda-Sestere war unterdessen an den größten Fleckenpilz herangetreten. Sie trieb ein hohles Holzstück in den Stamm. Kurz darauf tropfte eine rostrote Flüssigkeit heraus. Damit nichts verloren ging, hielt sie sofort ein Beutelblatt darunter. Ich schaute fasziniert zu, wie sich das Blatt füllte. Ein öliger Schimmer lag auf der Flüssigkeit. Es roch intensiv nach einer chemischen Substanz. »Das langt fürs erste! Du musst alle Hautstellen damit einreiben, Atlan.« Karamanlis und Corda-Sestere zapften weiter das Pilzsekret aus dem Stamm. In der Aufregung hatte er seinen Translator ausgeschaltet. Er merkte es erst, als ich auf seine Anrede nicht reagierte. »Du hilfst Corda-Sestere! Ich passe auf, woher die Sincliis kommen«, sagte Karamanlis, nachdem er das kleine Gerät erneut eingeschaltet hatte. Es war nicht gerade leicht, sich mit dem stinkenden Pilzsekret einzureiben. Die ölige Konsistenz gab ihr eine gleitende Eigenschaft. Das Zeug wollte sich einfach nicht mit unserer Haut verbinden. »Es muss trotzdem reichen«, meinte Corda-Sestere. Der Beweis konnte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Über
uns raschelten die Blätter. Laub fiel herunter. Das Blätterdach vibrierte unter dem stärker werdenden Sirren der angreifenden Sincliis. »Sie kommen!« Ich duckte mich instinktiv und langte nach dem Strahler. Corda-Sestere umklammerte ängstlich den Pilzstamm, während Karamanlis breitbeinig vor dem Gewächs stand und seine Begleiterin mit der schussbereiten Waffe sicherte. Unsere Gesichter sahen fleckig verfärbt aus. Die Haare troffen vom Pilzsekret. Selbst ein Teil unserer Kombinationen war damit eingeschmiert worden. Karamanlis hatte darauf bestanden. Die Stacheln der Sincliis waren fingerlang. Lang genug also, um sich durch den Stoff der Kampfanzüge zu bohren. Ein wahrer Laubregen prasselte auf uns herunter. Es war soweit. Die Sincliis kamen! * Zwei Insekten schossen dicht an meinem Gesicht vorbei. Der Luftwirbel brachte meine Haare durcheinander. Weitere Sincliis stürzten wie Kampfjäger im Sturzflug auf uns herunter. Sie wichen aus, drehten sich um die eigene Achse und verharrten sirrend auf der Stelle. »Es wirkt, Karamanlis… es wirkt!« schrie ich begeistert. »Nicht so voreilig, Atlan. Das Pilzsekret verdunstet. Wir müssen uns gleich noch einmal damit einreiben.« Corda-Sestere hatte mehrere Beutelblätter mit Bastschnüren verschlossen. Die ölige Flüssigkeit würde also für eine Weile reichen. Ich fragte mich nur, für wie lange. Karamanlis zerstrahlte einige Sincliis, die sich zu nahe an ihn herangewagt hatten. Ich ließ eine ganze Insektenschar in den Fächer meines Strahlers hineinrasen. Aber das half nicht viel. Über uns spie der Dschungel
eine unübersehbare Schar von Sincliis aus. Das entnervende Sirren war überall. »Wir wollen versuchen, weiter in den Dschungel vorzudringen. Nach allem, was ich herausgefunden habe, hält sich der Arkonide in diesem Teilbereich auf. Er soll in einem alten Tempel hausen. Vielleicht haben ihm die Kroitbloben verraten, wie er sich gegen die Sincliis wehren kann.« Corda-Sestere hatte sich mehrere Beutelblätter aufgeladen. Sie knotete die Stängel der Blätter zusammen und schwang sie sich über die Schulter. Anscheinend wurde sie dadurch am besten geschützt. Kein einziges Insekt kam ihr zu nahe. Ich sicherte uns den Rücken, indem ich immer wieder einige Sincliis desintegrierte. Die Biester lernten aber schnell. Sie griffen in Scharen an, schlossen zu einem Pulk auf und stießen dann blitzschnell auf uns herab. Corda-Sestere trug schwer an den Beutelblättern. Sie verlor aber kein einziges Wort darüber. Karamanlis arbeitete sich mit dem Dolch und mit dem Strahler durch das Dickicht. Immer wieder erklang das Zischen des Strahlers. Seitlich zogen die verschmorenden Pflanzen ihre Ranken zurück. Innerhalb kurzer Zeit war die Temperatur gestiegen. Die Qualmwolken stiegen nur langsam durch das dicht stehende Laub. Wir husteten. Die Sincliis ließen sich nicht abschütteln. »Anhalten!« rief Karamanlis. »Wir müssen die Schutzwirkung des Pilzsekrets erneuern.« Corda-Sestere öffnete einen Behälter. Es war nur noch die Hälfte der kostbaren Flüssigkeit vorhanden. Der andere Teil war verdunstet. Während wir uns damit einrieben, wechselte Karamanlis das Energiemagazin seines Strahlers. Der Lauf der Waffe glühte dunkelrot. »Es wird Zeit, dass wir zu unserem Schlupfwinkel zurückkehren.
Unsere Vorräte gehen zur Neige.« Corda-Sestere ergriff den letzten Flüssigkeitsbehälter. »Bis dahin schaffen wir es niemals. Uns bleibt nur das Versteck des Arkoniden. Vielleicht besitzt er Raumanzüge. Das wäre natürlich der ideale Schutz für uns.« Ich versuchte mir vorzustellen, wie der Arkonide in dem Dschungel von Endroosen lebte. Wenn er noch lebt, korrigierte mich mein Extrasinn. Freiwillig war der Raumfahrer bestimmt nicht zurückgeblieben. Aber vielleicht erwartete der Arkonide die Rückkehr seines Kommandos. Ich stieß auf die verwitterten Reste eines alten Bauwerks. Sie waren Moos überzogen und vom Alter gespalten. Geschwungene Ornamentreliefs wölbten sich unter den Pflanzenschmarotzern. »Hier… wir müssen ganz dicht vor dem Tempel stehen!« Karamanlis hörte zu schießen auf und sprang zu mir herüber. Das hatte zur Folge, dass uns mehrere Sincliis gefährlich nahe kamen. Sie berührte uns jedoch nicht. Ihre blitzenden Stacheln verschonten uns, solange die Pilzflüssigkeit auf unserer Haut klebte. Die beiden Kroitbloben betrachteten das Mauerwerk. Weiter hinten zog sich eine niedrige Mauer durch das Unterholz. Sie verschwand irgendwo im Dunkel des Dschungels. »Das ist der Tempel von Endroosen-II. Kein Zweifel, hier sind wir richtig.« Der Dschungel wurde jetzt durchlässiger. Wir konnten rückwärts gehen, ohne befürchten zu müssen, im Geäst stecken zubleiben. Karamanlis schoss mit mir um die Wette. Ein Sincliis nach dem anderen löste sich auf. Das schien die sirrende Insektenflut aber nicht zu beeindrucken. Sie blieb uns hart auf den Fersen. Plötzlich spürte ich im Rücken etwas Massives. Mauerwerk, durchzuckte es mich. Ich schwang mich herum. Breite, Unkraut überwucherte Stufen begrenzten den Weg. Ich stand neben einer Statue, die irgendein Fabelwesen darstellen sollte. Corda-Sestere und Karamanlis hetzten über die breite Empore und
kletterten auf ein Podest. Ich folgte ihnen. Von dort aus hatten wir einen ausgezeichneten Überblick. Wären die Sincliis nicht gewesen, ich hätte mich hier erstmal umgesehen. Hinter den dicken Mauern vermutete ich viele interessante Überreste aus der Vergangenheit von Endroosen. Vielleicht sogar Schriften, die uns mehr über den Stein der Weisen verraten hätten. »Siehst du was, Atlan?« Karamanlis schaute sich suchend um. Er konnte jedoch nirgendwo einen Anhaltspunkt zur Behausung des geheimnisvollen Arkoniden entdecken. Ich schaute hoch und schloss geblendet die Augen. Ein schweres Objekt musste vor nicht allzu langer Zeit die äußere Pflanzendecke durchbrochen haben, so dass die blaue Sonne ihre Strahlenflut bis zum unteren Dschungel schicken konnte. Die Sincliis schwirrten wie glitzernde Edelsteine durch die Lichtflut. Es war anzunehmen, dass sich die Insekten im Schutz der mächtigen Tempelräume angesiedelt hatten. Hinter den Moos bewachsenen Quadern raschelte es. Das Sirren der Sincliis verstärkte sich erneut. Ihre hellen Körper vollführten im Licht der schräg einfallenden Sonnenstrahlen einen Todesreigen. Das Rascheln kam näher. »Was ist das?« fragte ich meinen kroitblobischen Begleiter. Karamanlis kniff die Augenlider zusammen. Seine Stimme klang gepresst, als er antwortete: »Pflanzen-Mutanten! Der Tempel steckt voll von ihnen. Sie tragen die Brut der Sincliis in sich. Wir sind mitten zwischen sie geraten.« Dann sah ich die furchtbaren Geschöpfe. Sie ähnelten jenen Pflanzenwesen, die mir, Fartuloon und den anderen im Schwemmsamen-Dschungel begegnet waren. Diese hier schienen jedoch einmal Arkoniden gewesen zu sein. Ihre grünen Körper wiesen noch zerfetzte Kombinationsstücke auf. Als ich einen von ihnen näher betrachtete, lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Ich wusste plötzlich, wer vor uns auf Endroosen gelandet war.
Der taumelnde Pflanzenmutant trug die Kombinationsreste eines Kralasenen. Du denkst an den Blinden Sofgart, nicht wahr? wisperte mein Extrasinn und bestärkte mich in meinen dumpfen Ahnungen. Der galaktische Folterer war uns schon im Dreißig Planeten-Wall zuvorgekommen. Sollte er wieder einmal schneller gewesen sein? Ich wünschte, ich hätte mich geirrt. Wenn die Schergen Orbanaschols vor uns hier gelandet waren, so schwebten wir in höchster Gefahr. Sie waren ganz bestimmt nicht von Endroosen verschwunden, ohne ihre Fallen auszulegen. »Kann man mit den Pflanzenwesen reden?« fragte ich. »Nein… unmöglich. Du würdest den Kontakt nicht überleben. Selbst, wenn sie noch ihre früheren Sinnesorgane besitzen würden. Ihre Gehirne verbanden sich mit den Pilzfäden und trockneten aus. In ihren jetzigen Körpern ist nichts mehr von ihrer früheren Existenz zu finden.« Karamanlis schoss auf die heranwankenden Mutanten. Der erste Schuss zertrennte einen von ihnen. Aus dem gewölbten Pflanzenkörper drängte sich eine schwarzbraune Larvenflut ins Freie. Junge Sincliis. Corda-Sestere wandte sich angeekelt ab. Wenig später war von den unheimlichen Gestalten nichts mehr zu sehen. Hier und da verwehte ein Aschehäufchen. Aus den düsteren Tempelräumen kamen weitere Mutanten. Sie wichen den Mauern aus und kamen nur langsam näher. Ich nahm an, dass sie nur deshalb nicht über die Mauern kletterten, weil sie wie richtige Pflanzen ständigen Bodenkontakt benötigten. Ihr Kampfeinsatz war glücklicherweise eingeschränkt. Nachdem wir uns durch Strahlenschüsse von den Sincliis befreit hatten, kletterten wir auf eine der großen Umfriedungsmauern hinauf. »Ich war früher schon mal hier. Wenn einer der Abstiegsschächte nicht verschüttet wurde, können wir in die unterirdischen Räume
eindringen. Da wären wir vorerst vor den Sincliis sicher.« »Und der Arkonide?« fragte ich. »Glaubt ihr, dass der Bursche noch lebt?« »Wenn du meine Meinung hören willst, Atlan… ich glaube nicht mehr daran. Du hast selbst gesehen, was aus seinen Begleitern geworden ist.« Plötzlich rutschte Corda-Sestere auf einem Mooskissen aus. Sie kippte seitlich weg und ließ das Beutelblatt mit dem Rest der Pilzflüssigkeit los. Ich griff geistesgegenwärtig zu. Sie hing über dem Rand der steil abfallenden Mauer. Mehrere Sincliis umkreisten uns gefährlich nahe. Tief unten zerplatzte der Behälter, und die Flüssigkeit versprühte im Gewirr der Pflanzen. »Hilf mir, Karamanlis!« Der Kroitblobe wusste, dass ich mich nicht lange mit dem Gewicht der Frau gegen den Mauerrand stemmen konnte. Meine Oberschenkelwunde hatte wieder zu bluten angefangen. Karamanlis verlagerte sein Gewicht und zerrte uns beide auf die schmale Mauer zurück. Wir konnten uns nicht ausruhen. Wir wussten, dass die Sincliis unsere Schwäche gnadenlos ausnützen würden. Corda-Sestere kam vorsichtig auf die Knie hoch und stützte sich gegen Karamanlis. Er half ihr auf die Beine, und sie setzte einen Fuß vor den anderen. Dann wurde es langsam dunkel. Das Blättergewirr wurde noch einmal in den Lichtschimmer der untergehenden Sonne getaucht, dann verschwand alles in düsteren Nebeln. Wir erreichten eine hohe Mauer. Karamanlis verbrannte das dicht wachsende Moos mit einem Energiestrahl. Unter den fugenlos aufeinander gesetzten Steinen bemerkte ich eine Vertiefung. »Ein uraltes Tor.« Karamanlis stemmte sich mit voller Kraft gegen die Vertiefung in der Mauer. Ich hörte, wie die Quader in ihrer Fassung knirschten. Aber das Tor gab nicht nach.
»Du musst es mit deinem Dolch versuchen«, riet ich dem Kroitbloben. Ich steckte meinen deaktivierten Vibratordolch in die schmale Fuge, während Karamanlis es auf der anderen Seite mit seinem Dolch versuchte. Aus der Mauerritze bröckelten Sand und lockeres Gestein. Ich wischte mir den Schweiß aus dem Gesicht. Die Reste der Pilzflüssigkeit brannten in den Augenwinkeln. »Noch mal dagegenstemmen, Atlan!« Wir verlagerten unser Gewicht und stemmten uns gegen die durchgebogenen Klingen unserer Dolche. Es knirschte. Dann brach Karamanlis Dolch entzwei. Er ritzte sich die Schulter blutig. »Verdammt… auch das noch!« Ich gab meine Bemühungen nicht auf. Vor lauter Anstrengung tanzten grelle Schemen vor meinen Augen. Mein Atem ging keuchend. Plötzlich wurde ich nach vorn gerissen. Ein gähnender Schlund tat sich unter mir auf. Polternd verschwand der mächtige Quader in der Finsternis. Wenn Karamanlis mich nicht festgehalten hätte, wäre ich irgendwo im Tempelinnern zu Tode gestürzt. »Danke!« sagte ich. Karamanlis schlug mir derb auf die Schulter. »Schade, dass du kein Kroitblobe bist, Atlan. Wir würden es diesen degenerierten Träumern da unten schon zeigen.« Ein feuchtkühler Lufthauch kam uns entgegen. An vielen Stellen schimmerten faulende Pilze. Es roch wie in einer Gruft. »Ich klettere zuerst runter! Du kommst mit Corda-Sestere nach«, rief Karamanlis und machte sich an den Abstieg. Nachdem sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte ich unzählige Mauervorsprünge, an denen wir hinunterklettern konnten. Die phosphoreszierenden Pilze spendeten einen matten Schimmer, so dass wir nicht völlig orientierungslos durch das Dunkel zu irren brauchten.
Corda-Sestere kletterte neben mir abwärts. Ich bewunderte die junge Frau, die mehr Mut und Ausdauer als mancher Arkonide bewiesen hatte. Wenn die anderen Revolutionäre von Endroosen genauso hartnäckig waren, bestand noch Hoffnung für die Dschungelwelt.
5. Die untere Welt: Bericht Atlan »Der Arkonide ist durch diesen Tunnel gegangen!« stellte Karamanlis fest. Er deutete auf die Fußspuren, die sich deutlich im feuchten Boden des unterirdischen Ganges abzeichneten. »Wir Kroitbloben haben kleinere Füße. Außerdem tragen wir keine Stiefel mit Magnethaftsohlen.« Das leuchtete mir ein. »Was hat er hier gesucht, Karamanlis?« »Dieser Gang führt nach Endroosen-II. Du musst dort gewesen sein. Ein gewisser Niaxos-Pelidis führt dort das Regiment der Schläfer. Er bestimmt, wer die Transfer-Hauben benutzen darf. Er spricht auch die Todesurteile über die Revolutionäre und Befehlsverweigerer aus.« Als Karamanlis den Namen des Stadtkoordinators erwähnte, zuckte ich unwillkürlich zusammen. »Meine Freunde sind dort zurückgeblieben. Sie liegen unter Lebenshelmen… oder Transfer-Hauben, wie du sie nennst.« »Ich weiß, dass dir deine Freunde sehr viel bedeuten, Atlan. Mir ginge es nicht anders. Ein Revolutionär muss immer für den anderen einstehen. Aber vergiss nicht, dass wir zu allererst unser Leben retten müssen.« Er denkt an den Arkoniden, las mein Extrasinn aus Karamanlis Worten heraus. Der unbekannte Raumfahrer bedroht uns alle. Vermutlich ist er für deinen Transport an die Oberfläche des Planeten verantwortlich zu machen. Das hatte ich schon vorher vermutet. Der Verdacht erhärtete sich langsam. Der Arkonide musste mich kennen. Er schien nur darauf gewartet zu haben, mich in das Chaos des Schlachtfelds zu locken. »Wie weit ist es noch bis zur Stadt?« fragte ich. Karamanlis zuckte mit den Schultern. »Das kann ich nicht genau sagen, Atlan. Aber auf der oberen Welt
dürfte die Sonne aufgehen und wieder versinken. Es kann aber auch wesentlich kürzer sein, als ich angenommen habe. Mir fehlt die genaue Orientierung. Ich konnte noch keine Wachstationen der Termakks entdecken.« Corda-Sestere war pessimistisch. Sie glaubte nicht, dass wir ungehindert an den Postenketten der Termakks vorbeikommen würden. »Es ist unsere einzige Chance, in die Stadt einzudringen«, erklärte ich ihr. »Abgesehen davon, dass ihr neue Waffen und Vorräte braucht, muss ich unbedingt zu meinen Freunden.« »Stimmt genau!« Karamanlis wog den Strahler in seiner Rechten. Das letzte Energiemagazin würde kaum den nächsten Kampf überstehen. Auch unser Vorrat an Nahrungskonzentraten war zur Neige gegangen. Plötzlich blieb ich wie erstarrt stehen. Mein Fuß war gegen etwas Weiches gestoßen. Ich trat zurück und erkannte im Widerschein der phosphoreszierenden Pilze einen Termakk. Das Tier lag verkrümmt am Boden. Sein Fell war an mehreren Stellen versengt. »Dort drüben liegen noch mehr Termakks!« »Sie wurden von einer Strahlenwaffe getötet.« Der Geruch verwesender Tierkörper erfüllte den düsteren Gang. Der Kampf musste also schon eine Zeit lang zurückliegen. In der Kälte des unterirdischen Gewölbes ging die Zersetzung organischer Substanzen langsamer vonstatten als an der Oberfläche des Planten. Wir stiegen vorsichtig über die verkrümmt daliegenden Tierkörper hinweg. Corda-Sestere kämpfte gegen ihren Ekel an. Dann hatten wir den Tunnel des Grauens hinter uns gelassen. Ein riesiger Höhlendom nahm uns auf. Es war heller als im Gang. Große, leuchtende Steine spendeten Licht, das auch in die kleinsten Nischen drang. Plastiken aus einem gelb schimmernden Metall bildeten vor uns einen Halbkreis. Sie stellten Männer und Frauen in würdevoller Haltung dar. Alle trugen die Insignien ihrer Tätigkeit
in den Händen: Waffen, Schriftrollen, Messinstrumente, Blumen und schließlich ein Atomsymbol. In der Mitte erhob sich ein schwarzer Altarblock. »Der Ischtar-Tempel«, flüsterte Corda-Sestere ehrfürchtig. »Dann sind wir weiter vorgedrungen, als ich angenommen habe«, meinte Karamanlis. »Vom Tempel führen mehrere Gänge direkt nach Endroosen-II. Die Bunkerbewohner selbst habe keine Ahnung mehr davon, weil die meisten Gänge verschüttelt wurden. Ich bin während meiner Flucht zur oberen Welt zufällig auf den Tempel gestoßen. Der sprechende Ring hat mir fast alles über unsere sagenhafte Vergangenheit verraten. Er war es auch, der mir erklärte, dass wir alle von den Varganen abstammen, und dass Ischtar unsere Goldene Göttin ist.« Das ist die Gelegenheit, mehr über den Stein der Weisen zu erfahren, drängte mich mein Extrasinn. Karamanlis und Corda-Sestere schienen die Gefahr vergessen zu haben, in der sie schwebten. Die toten Termakks im Tempelvorraum schienen nicht mehr zu existieren. Der Zauber des unterirdischen Tempels hatte sie gefangen genommen. Die Leuchtsteine tauchten den Saal in ein mattes, goldenes Licht. Es gab nirgendwo Schatten. Aber etwas vermisste ich dennoch: Das Bild der Goldenen Göttin. »Wo finde ich die sprechenden Ringe, Karamanlis?« fragte ich. »Auf dem Altar, Atlan.« Wir traten näher. Doch Karamanlis stieß einen enttäuschten Ruf aus. Auf der ebenmäßig glatten Fläche des Altars lang nur der goldene Reif einer magnetischen Abtastanlage. Sonst nichts. »Jemand hat die sprechenden Ringe weggenommen.« Ich beugte mich näher über den schwarz schimmernden Block. »Was ist das, Karamanlis?« Grüne Tropfen klebten auf der Oberfläche des Altars. Sie waren eingetrocknet, doch ihre Konturen waren scharf von dem schwarzen Untergrund abgezirkelt.
»Das Sekret der Sincliis«, stellte der Kroitblobe erschrocken fest. »Aber hier unten gibt es diese furchtbaren Insekten nicht.« »Aber einer, den die Sincliis infiziert haben, kann durch den Tempel geirrt sein. Er hat die sprechenden Ringe gefunden und sie mitgenommen. Vielleicht wollte er verhindern, dass noch andere ihr Geheimnis lösen. Wir können es nur ahnen. Ich glaube nicht, dass wir den Unbekannten jemals wieder sehen werden. Wenn er das Sincliis-Sekret abgesondert hat, dann verwandelt er sich bereits in einen Pflanzen-Mutanten.« Ich hatte Karamanlis Ausführungen nachdenklich zugehört. Er schien die einzig brauchbare Erklärung für das Verschwinden der sprechenden Ringe geliefert zu haben. »Kein gutes Gefühl, zu wissen, dass ein Pflanzenmonstrum durch das Gewölbe irrt, nicht wahr?« Meine kroitblobischen Begleiter nickten langsam. »Dann ist es gefährlich, allzu lange an einer Stelle zu verharren. Wir schleichen uns auf dem schnellsten Weg zur nächsten Stadt. Dort können wir immer noch entscheiden, wie wir vorgehen wollen.« Ich willigte ein. Doch bevor wir uns für einen der seitlich weiterführenden Gänge entschieden hatten, erfüllten schrille Kampfschreie den Tempelsaal. »Termakks!« rief Corda-Sestere entsetzt. »Sie haben uns entdeckt.« * Ich kauerte mich hinter dem schwarzen Altarblock nieder. Das Kreischen der entfesselten Meute wurde ohrenbetäubend. Was die Sincliis nicht geschafft hatten, wollten die Termakks jetzt nachholen. Und gegen die Weißpelze gab es kein Pilzsekret, das sie einem vom Leibe hielt. Hier half nur brutale Gewalt. Karamanlis Strahler irrlichterte durch den Tempel. Mehrere Termakks verbrannten.
Karamanlis schrie nach mir. Es war unheimlich, wie seine Worte plötzlich vom Arkonidischen ins Varganische umschwenkten. Sein Translator musste zerstört worden sein. Ich konnte mehrmals die Worte »Atlan… Atlan« hören. Dann brach das Schreien des Kroitbloben ab. Ich sprang hinter eine Statue. Eng an das goldene Metall gepresst, erwartete ich den Angriff der Termakks. Doch die waren noch vollauf mit Karamanlis und Corda-Sestere beschäftigt. Anscheinend wollten sie die beiden nicht töten. Ein Termakk kam um den Halbkreis der Statuen. Er starrte mich aus seinen funkelnden Raubtieraugen an und wollte sein Maul zu einem Warnschrei aufreißen. Ich schmetterte ihm den Kolben meines Strahlers gegen die fliehende Stirn und ließ eine DagorHandkante gegen die pelzige Brust folgen. Ohne einen weiteren Laut von sich zu geben, sackte der Weißpelz in sich zusammen. Wenn noch mehr kommen, bist du erledigt, dachte ich bei mir. Ich sprang von einer Statue zur anderen. Abseits, hinter dem Altarblock, zwangen die Termakks die beiden Kroitbloben nieder. Als Corda-Sestere ihre Waffe verloren hatte, stießen die Termakks ein gellendes Triumphgeschrei aus. Ich verharrte einen Augenblick. Sollten die Weißpelze meine Freunde töten wollen, so hätte ich alles zu ihrer Befreiung unternommen. Aber sie fesselten ihnen nur die Hände auf den Rücken. Karamanlis Stirn blutete. Der breitschultrige Kroitblobe starrte zornig ins Leere. Er schien es nicht begreifen zu können, dass ihn die Termakks zu guter Letzt doch noch überwältigt hatten. Die Weißpelze vollführten groteske Sprünge. Ich musste mich gewaltsam zur Ruhe zwingen, als ich sah, wie sie Karamanlis und Corda-Sestere schlugen. Ein Termakk hielt ein kleines Sendegerät in der Klaue. Er sagte etwas und schob die Antenne in den Kasten zurück. Ich kauerte mich ganz dicht auf den Boden und kroch in die
schmale Höhlung im Rücken einer Statue. Wenig später zerrten die Termakks ihre Gefangenen dicht an mir vorbei. Ich wartete so lange, bis das Kreischen der Tierwesen in dem düsteren Verbindungsgang verstummt war, dann kroch ich vorsichtig aus meinem Versteck. Wie ein fernes Echo drangen die Geräusche aus dem Gang. Es wurde wieder dunkler, so dass ich Mühe hatte, mich zu orientieren. Ich stieß mehrmals gegen die rissige Gangwand. Aber nicht nur die Geräusche der Termakks halfen mir, auf der Fährte zu bleiben, auch ihr süßlicher Körpergeruch verriet mit den Weg. Dicht hinter einer Gangbiegung zuckte ich erschrocken zurück. Ein Termakk stand mit einem Strahlenkarabiner vor einer Tür. Der Weißpelz starrte mit glühenden Augen in die Finsternis. Anscheinend hatte er etwas bemerkt. Er streckte jedenfalls seinen Strahler vor und stieß mehrere Zischlaute aus. Ich wartete nicht, bis der Termakk herangekommen war, sondern sprang auf und schmetterte blitzschnell eine Handkante zwischen das gegnerische Augenpaar. Meine Hand schmerzte teuflisch, doch der Termakk sackte lautlos in sich zusammen. Ich packte seine Waffe, bevor sie auf den Steinfußboden poltern konnte. Die Tür war nur angelehnt. Vorsichtig schob ich mich durch die Öffnung. Stickige Luft kam mir entgegen. Es roch nach Verwesung und den Ausdünstungen vieler Tierkörper. Eine Luftumwälzanlage schien es hier unten nicht zu geben. Ich spürte, wie mir vor Erregung Augensekret über die Wangen lief. Ich war mitten in die Höhle der Termakks hineingeraten. Die Weißpelze schliefen dicht aneinandergeschmiegt in den Höhlungen des lang gestreckten Raumes. Eine blaue Lampe an der Decke spendete genügend Licht, um mich die grauenhaften Einzelheiten erkennen zu lassen. Zwischen den Tierwesen lagen abgenagte Knochen. An einer Stelle sogar ein unversehrtes Armglied. Es musste einem
Kroitbloben gehört haben. Aber das war nichts gegen den Anblick mehrerer übereinander gestapelter Körper. Tote Kroitbloben. Ich hatte furchtbare Angst, hier unten auf Karamanlis oder CordaSestere zu stoßen. Oder sogar auf meine Freunde Fartuloon, Ra und Vorry, obwohl sein Eisenkörper für Termakksmägen ungenießbar war. Ich musste mich gewaltsam beherrschen, um nicht wild in die schlafende Meute hineinzuschießen. Es brauchte nur ein Termakk aufzuwachen, und ich wäre erledigt gewesen. Von draußen drangen Kommandorufe herein. Ich sprang über ein paar Schlafende hinweg. Sie mussten den niedergeschlagenen Wachtposten jeden Augenblick finden. Dicht neben mir regte sich ein Termakk. Er kratzte sich im Schlaf den Nacken und rollte sich wieder zusammen. Seine hässlichen, rosafarbenen Füße ragten steif in die Luft. Nur weiter, dachte ich wie im Fieberwahn. Nur weiterlaufen. Raus aus der Zelle des Schreckens. Fort von den gnadenlosen Tierwesen. Irgendwo stieß ein Termakk fauchend die Luft aus. Im blauen Schimmer der Deckenbeleuchtung sah ich, wie er sich reckte und langsam hochkam. Auf der gegenüberliegenden Seite wurde die Tür aufgestoßen. Zwei Termakks stürmten in den Raum. Ihre schrillen Pfiffe brachten Unruhe in die Reihen der Schläfer. Ich schlitterte über eine feuchte Lache, konnte mich jedoch rasch wieder fangen. Der Strahl einer Handlampe streifte mich. Wütende Zischlaute wurden überall hörbar. Ich verstand ihre Bedeutung nicht, konnte aber erraten, wem sie galten. Ich riss mehrere hochkommende Termakks im Laufen nieder. Meine Augen hatten sich fest auf die andere Tür des Schlafraums geheftet. Ich stieß einem Weißpelz den Kolben meines Strahlers in den Leib. Ein anderer ging unter einem blitzschnell geführten Dagor-Griff zu Boden. Die schlaftrunkenen Termakks stellten noch keine ernstzunehmende Gefahr für mich dar. Hauptsache, ich kam
ungehindert aus dem Raum. Erleichtert stieß ich gegen die kalte Metallfassung der Tür. Der Riegel knirschte, als ich ihn aufriss. Kalter Schweiß lief mir in den Nacken. Ich stürzte nach draußen und stemmte die Tür erneut in die Halterung zurück. Solange ich sie nicht verschließen konnte, war ich den erwachenden Horden hilflos ausgeliefert. Ich sah mich nervös nach einem schweren Gegenstand um, mit dem ich die nach außen aufgehende Tür versperren konnte. Ein Metallrohr musste genügen. Ich schob es in schrägem Winkel gegen die Tür und verankerte es durch einen Fußtritt mit dem Boden. Wütendes Pochen auf der anderen Seite. Ich zielte mit dem Strahler und drückte auf den Feuerknopf. Der Glutstrahl fraß sich langsam in das Metall und brachte es zum Schmelzen. Kurz darauf glühte die ganze Tür hellrot. Von der anderen Seite erklangen Schmerzensschreie. Bis die Tür erkaltet war, würde ich weit genug weg sein. Ich hoffte es jedenfalls. * Es war wie ein Alptraum. Ich hetzte am Rande der Erschöpfung durch das finstere Labyrinth. Nirgendwo auch nur eine Spur von Karamanlis und Corda-Sestere. Geschweige denn von meinen Freunden Fartuloon, Ra und Vorry. Es war entsetzlich. Ich musste mich mehrmals gegen die angreifenden Termakks zur Wehr setzen, aber das war nicht das Schlimmste. Der Anblick des Zerfalls, der verwesenden Kroitblobenkörper und die Furcht, meine Freunde auf ähnliche Weise wieder zu finden, brachten mich an den Rand des Wahnsinns. Mein Extrasinn strahlte immer wieder beruhigende Impulse ab. Er stimulierte mich zu unglaublichen Leistungen. Immer wieder Verbindungsgänge, Schalträume und lang
gestreckte Maschinensäle. Verschlossene Zellen, Vorratsräume und Schächte. Schließlich trennte mich nur noch eine gläserne Schwingtür vom Saal der Lebenshelme. Ich ignorierte die warnenden Impulse meines Extrasinns. Ich wollte endlich wissen, was mit meinen Freunden geschehen war. Die schlafenden Kroitbloben bemerkten mich nicht. Sie lagen teilweise entspannt, teils schrecklich verkrampft unter den Helmen. Das Summen der positronischen Elemente erfüllte den Saal. Als ich um eine Wanderweiterung bog, stieß ich fast mit den bewaffneten Termakks zusammen. Ich schlug wie eine Kampfmaschine zu. Blitzschnell und gnadenlos. Die Weißpilze gingen wimmernd zu Boden. Einige wurden gegen die Liegen der Kroitbloben geschleudert. Ein Lebenshelm fiel scheppernd zu Boden. Ganz in der Nähe zwangen mehrere Termakks zehn gefesselte Kroitbloben in die Hocke. Sie hatten den Gefangenen, die Mündungen ihrer Strahlenwaffen ins Genick geschoben. Sie werden sie hinrichten, schockte mich mein Extrasinn. Karamanlis und Corda-Sestere sind auch dabei. Ich erfasste die gefährliche Lage mit einem Blick. Mein Strahler trat ganz automatisch in Aktion. Meine Schüsse entwaffneten die Hälfte der Weißpelze, die kreischend ihre verbrannten Armstümpfe hielten. Ein weiterer Schuss zog eine glühende Trennlinie zwischen Termakks und gefesselten Kroitbloben. »Atlan!« schrieen Karamanlis und Corda-Sestere fast gleichzeitig. In ihren zerschundenen Gesichtern leuchtete auf einmal wieder so etwas wie ein Hoffnungsschimmer auf. Ich versetzte einer flachen Liege durch einen Fußtritt solche Schwungkraft, dass die restlichen Termakks zu Boden gerissen wurden. Mein Strahler trat in Tätigkeit, bevor einer überhaupt einen Schuss abgeben konnte. »Kommt rüber!« schrie ich. »Und haltet eure Ketten so hin, dass ich sie zerschmelzen kann.«
Karamanlis kam als erster dran. Als er frei war, riss er sofort einen Termakk-Strahler an sich und löste Corda-Sesteres Fesseln. »Habt ihr meine Freunde gesehen?« »Ja… der Arkonide ist bei ihnen. Er will sie einem Hypnoverhör unterziehen. Sein Auftraggeber will eure geheimen Stützpunkte kennen lernen.« Der Blinde Sofgart braucht die galaktischen Koordinaten von Kraumon, vermutete mein Extrasinn. Inzwischen hatten sich alle von ihren Fesseln befreit. Die Kroitbloben bewaffneten sich mit den Strahlern der Termakks. Zusammen bildeten wir eine schlagkräftige Truppe. Wir waren nicht die Stärksten, denn die Gefangenschaft hatte die meisten geschwächt. Aber der Hass auf die brutalen Kerkermeister stand allen deutlich in den Gesichtern. »Führt mich zu diesem Arkoniden!« verlangte ich. * Fartuloons Körper zuckte unkontrolliert, als eine Neuropeitsche über ihn hinwegzuckte. Elektrische Entladungen knisterten, und es roch intensiv nach Ozon. »Du elende Kreatur… wirst niemals erleben… dass ich auch nur ein Sterbenswörtchen verrate.« Fartuloon spie seinem Peiniger ins Gesicht. Ra war längst ohnmächtig geworden und hing schlaff in den Stahlbändern der schräg gekippten Liege. Vorry bäumte sich unter armdicken Stahlplastitseilen auf. Aber er konnte sich nicht befreien. Das Funkeln seiner kleinen, gelben Augen kündete von unbändiger Wut. »Die galaktischen Koordinaten eures Rebellenverstecks!« schrie der Arkonide. »Redet, oder ich quäle euch weiter!« Die Neuropeitsche wirbelte über den Gefangenen hinweg. Fartuloons Stirn wies bereits mehrere versengte Striemen auf. Der
Bauchaufschneider hatte sich jedoch eisern unter Kontrolle. »Rede…!« kreiste der Hagere, doch als er seine Neuropeitsche wieder zum Schlag erhob, zuckte ein Energiestrahl heran. Mit einem Wehlaut fuhr der Arkonide herum und blieb wie erstarrt stehen. »Atlan… lebt… und ich dachte…!« »Dass ich tot bin, nicht wahr?« Der Kristallprinz ging langsam auf den zurückweichenden Arkoniden zu. »Nicht berühren!« warnte Karamanlis. »Er ist von den Sincliis infiziert worden. Er hat den Mikropilz in seinem Körper.« Jetzt sah ich es auch. Die Augen des Arkoniden schimmerten dunkelgrün. An vielen Stellen hatte sich seine Haut grünlich verfärbt. Die Haut seiner Arme wirkte knorpelig, ein grünes Sekret troff aus den Mundwinkeln. Angeekelt hielt ich inne. »Befreit Fartuloon und Ra!« rief ich, ohne den Arkoniden aus dem Auge zu lassen. »Und jetzt zu uns beiden. Wenn ich mich nicht irre, hat dich der Blinde Sofgart zurückgelassen. Du solltest uns in eine Falle locken, nicht wahr?« Der Infizierte zuckte unkontrolliert mit den Armen. Seine Augen versprühten ein geisterhaftes Feuer. »Wenn… du schon alles weißt, warum fragst du mich dann noch?« »Weil ich es von dir wissen will. Du solltest dein Gewissen erleichtern, denn bald fressen dich die Sincliis-Larven bei lebendigem Leibe auf.« Der Arkonide stöhnte unterdrückt. Er sank langsam in sich zusammen. Fartuloon war inzwischen von den Fesseln befreit worden und drängte sich an mir vorbei. Ich musste ihn daran hindern, nicht über den Folterer herzufallen. »Was habt ihr herausbekommen? Wir wissen, dass ihr hinter dem Stein der Weisen her seid.« »Ich sage euch nichts!«
»Zerstrahle den Kerl«, verlangte Fartuloon von mir. »Nein… er ist bereits tot. Die Sincliis-Stiche sind das Schlimmste, was du dir überhaupt vorstellen kannst.« Der Arkonide hatte jedes Wort verstanden. Ich erkannte, dass er jeden Augenblick wahnsinnig werden konnte. Die langsame Verwandlung seines Körpers war ihm nicht verborgen geblieben. Er musste jetzt wissen, dass er bald sterben würde, um als GewächsMutant durch die Katakomben zu irren. »Ich… verrate euch nichts!« »Du hättest allen Grund, wütend auf deinen Herrn und Meister zu sein. Warum hat der Blinde Sofgart keinen anderen von eurer Mannschaft hier gelassen? Warum musstest du gerade in diesem Fieberdschungel zurückbleiben?« Langsam hatte ich den Unglücklichen da, wohin ich ihn bringen wollte. Er sollte uns alles verraten, was unser Erbfeind, der Blinde Sofgart, bis jetzt über den Stein der Weisen in Erfahrung gebracht hatte. Der Arkonide hockte in sich zusammengesunken am Boden. Er hatte seine unverletzte Hand in den Falten seines Umhangs verborgen. Ich achtete nicht darauf, sondern starrte in sein verwüstetes Gesicht. Dann trafen sich unsere Blicke. »Erleichtere dein Gewissen! Rede endlich!« Ich erinnerte mich plötzlich an das Ischtar-Armband, das ich von der Dschungelstatue genommen hatte. Leider war es während der Auseinandersetzungen mit den Termakks verschwunden. Mein Extrasinn hatte sich die eingekerbten Zeichen genau gemerkt. Ich wusste, dass es sich um galaktische Koordinaten handelte. Zum besseren Verständnis musste ich sie später im Bordgehirn der KARRETON analysieren lassen. »Ihr habt einen Hinweis gefunden, der einen weiteren Planeten betrifft. Eine andere Welt, die den Suchenden wieder ein Stück näher zum Stein der Weisen bringt, nicht wahr?« Ich hatte genau ins Schwarze getroffen.
»Ja… der Blinde Sofgart ist in das Schwarze System gestartet! Er hat im Tempel von Endroosen-II uralte Schriften… analysiert. Er ist viel weiter. Er wird vor euch den Stein der Weisen finden. Er hat auch den Dreißig Planeten-Wall überwunden. Ihr seid… zu langsam. Ihr werdet das Schwarze System niemals erreichen…« Die Stimme des Infizierten brach ab. Krämpfe schüttelten den gequälten Körper. »Die galaktischen Koordinaten!« verlangte ich unerbittlich. Der Arkonide konnte jeden Augenblick sterben. Ich durfte keine Rücksichten darauf nehmen. Er hätte uns auch nicht geschont. »Ihr werdet ja doch nichts davon haben…«, stammelte er und verriet die Kurskoordinaten ins Schwarze System. Ich merkte mir die Angaben genau. Später würde ich sie mit der Gedächtnisaufzeichnung jener Symbole vom Ischtar-Armband vergleichen. Ich hatte erreicht, wonach ich so lange gesucht hatte. Da riss der todkranke Arkonide einen Mikrothermostrahler aus den Falten seines Gewandes. Er zielte genau auf mein Gesicht. Seine verzerrten Augen leuchteten im beginnenden Wahnsinn. »Die Koordinaten… nützen dir nichts… mehr!« Im gleichen Atemzug verschwand der Arkonide von der Bildfläche. Fartuloon hatte mich blitzschnell beiseite gestoßen. Karamanlis nahm den Finger erst vom Feuerkopf seiner Waffe, als nicht einmal mehr ein Aschehäufchen von dem arkonidischen Folterer übrig geblieben war. Ich atmete erleichtert auf. Die Spannung der ereignisreichen Hetzjagd fiel langsam von mir ab. Karamanlis und Corda-Sestere waren glücklich. Sie hatten Endroosen-II in ihrer Gewalt. Das erste Mal in der Geschichte des unglücklichen Planeten, dass Revolutionäre den entscheidenden Schritt zur Neuorientierung getan hatten. Ich trat vor die beiden Kroitbloben und legte ihnen meine Hände auf die Schultern. Wir waren müde, aber wir konnten ja ausruhen, denn wir hatten gesiegt.
»Ich danke euch, Freunde«, sagte ich leise. »Ein Kämpfer wie du hätte früher nach Endroosen kommen müssen«, meinte Karamanlis, »dann hätten wir viel früher mit dem Spuk der Lebenshelme aufgeräumt. Er ist dein Verdienst, dass uns Endroosen-II gehört. Nicht mehr lange, und die anderen werden auch von uns kontrolliert. Dann können wir daran gehen, und die Oberfläche des Planten umgestalten. Das varganische Erbe ist groß genug, um Endroosen wieder in einen blühenden Planeten der Sonne zu verwandeln. Wir brauchen keine Bunkerstädte mehr. Die Degenerierten werden mit ihnen untergehen.« Vor meinem geistigen Auge entstand das Bild einer aufblühenden Zivilisation. Die Keimzelle der Revolutionäre von Endroosen würde es schaffen. Dessen war ich mir ganz sicher. »Viel Glück, Karamanlis… und Corda-Sestere! Vielleicht lande ich später einmal auf Endroosen. Ich bin gespannt, was ihr dann alles erreicht habt.« »Viel Glück!« meinte auch Fartuloon. Ich ergriff meinen Minisender, den Karamanlis zwischen den Beutestücken des Arkoniden gefunden hatte. Das Empfangslämpchen glühte dunkelrot. »Unsere Freunde auf der KARRETON werden vor Ungeduld nicht zur Ruhe gekommen sein«, rief ich und drückte die Sprechtaste. »Warum in aller Welt habt ihr euch nicht gemeldet?« ertönte Morvoner Sprangks aufgeregte Stimme. »Das erzählen wir euch bei einem Festessen«, meinte Fartuloon. »Ihr könnt uns abholen. Unser Aufenthalt ist beendet. Das Unternehmen war ein voller Erfolg.« »Wir haben euren Aufenthaltsort angepeilt. Was ist mit dem Beiboot?« »Das könnt ihr auch gleich einschleusen. Landet über der unterirdischen Stadt! Unsere neuen Freunde schaffen uns an die Oberfläche. Schätze, dass sie ein paar Sachen aus der KARRETON dringend gebrauchen können.«
Ich schaltete ab. Karamanlis, der übers ganze Gesicht strahlte, ahnte, was jetzt kommen würde. »Ich erinnere mich an diesen Pilzextrakt, mit dem ihr euch gegen die Sincliis zur Wehr gesetzt habt. Ich lasse die Substanz im Labor untersuchen. Wenn mich nicht alles täuscht, haben wir die Grundsubstanz dazu in unseren Kühltanks. Warum sollten wir euch keine wirksame Waffe gegen die Teufelsinsekten zurücklassen?« »Das wäre großartig, Atlan!« Ein leichtes Beben ließ die Grundfesten der unterirdischen Stadt erbeben. Morvoner Sprangk und Corpkor hatten die KARRETON durch die äußeren Pflanzenmatten gesteuert und sie auf dem Dschungelboden über Endroosen-II aufgesetzt. »Kommt!« rief ich, »unsere Freunde sind gelandet. Die würden euch auch ganz gern kennen lernen.« Nicht mehr lange, und wir würden Endroosen verlassen. Das Schwarze System stand auf unserem Plan. Ob wir den Blinden Sofgart und die Schergen Orbanaschols noch einholen konnten? Ich wusste es nicht. Aber wir würden alles daran setzen, um unsere Feinde zu überrunden. ENDE
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