Werner Keller Johann Wolfgang Goethe: Faust. Eine Tragödie
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Werner Keller Johann Wolfgang Goethe: Faust. Eine Tragödie
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Johann Wolfgang Goethe: Faust. Eine Tragödie Von Werner Keller
Ilse Graham in Verehrung
Captain Hutton, einer der vielen reisenden Engländer, die Weimar besuchten, gestand in einem Gespräch mit Goethe (vom 10. Januar 1825), dass er – nach Egmont und Tasso – nun den Faust lese: »Ich finde aber, daß er ein wenig schwer ist.« Lachend erwiderte Goethe, dass er ihm zu dieser Lektüre nicht geraten hätte: »Es ist tolles Zeug und geht über alle gewöhnlichen Empfindungen hinaus.« Faust sei, fuhr Goethe fort, ein »seltsames Individuum« und – wie Mephisto – schwer zu verstehen: »Doch sehen Sie zu, was für Lichter sich Ihnen dabei auftun.« Der Gelehrtenfleiß mehrerer Generationen hat uns in der Zwischenzeit viele Lichter aufgesteckt – jeder Vers ist dutzendfach kommentiert, jede Szene hundertfach interpretiert. Der Kenntniszuwachs im Detail wird ergänzt durch den Erkenntnisgewinn, den veränderte geschichtliche Erfahrungen vermitteln: Auch die Auffassung eines Kunstwerks wandelt sich mit den Wandlungen der Folgezeit, und jede Gegenwart findet neue Probleme vor, die dem historischen Text neue Aspekte abverlangen. Die rezeptionsbedingte Metamorphose, die Faust aufgrund seiner Breitenwirkung durchmachte, stellt die Aufgabe, einen unmittelbaren Zugang zu diesem durch Bühne und Schule verstellten Drama zu suchen und seinen geschichtlichen Ort zu bestimmen. Jede Generation ist daher aufgerufen, den überkommenen Urteilen eine Neuwertung abzugewinnen. Das gegenwartsorientierte Verstehen der Vergangenheit will das © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Zeitbedingte des Dramas aufzeigen, das Fremdgewordene mit Namen nennen und das Gegenwärtige im Gewesenen aufspüren. Aus der historischen Distanz ergeben sich also Fragen nach dem Gehalt an Zukünftigkeit in einem Werk und Antworten, die der jeweiligen Gegenwart zu einem Stück Selbsterkenntnis verhelfen. Schon der Historiker Heinrich Luden hatte in seinem Gespräch mit Goethe (vom 19. August 1806) auf den Hexenspuk und Teufelsglauben im Faust-Fragment und damit auf die Fremdheit des Stoffs hingewiesen, der »mit der Welt, in welcher wir leben, in einem schneidenden Widerspruch« stehe. Diese Fremdheit nahm in der Zwischenzeit noch zu, und zugenommen hat überdies das Befremden, die Abneigung gegen alles »Faustische«, das sich auf das simplifizierte oder sinnverfälschte Faust-Drama beruft. Jede heutige Faust-Interpretation muss nüchterne Ideologiekritik mitleisten, denn die Skepsis gegen das »Faustische« kann Goethes Faust nicht ausnehmen, der seine paradigmatische Bedeutung behält, doch als Protagonist eines Dramas, das die Gattungsbezeichnung Tragödie trägt, alles Vorbildhafte verliert. Oswald Spengler schrieb in seinem Untergang des Abendlandes von Faust als dem »Portrait einer ganzen Kultur«. In allen nachantiken Lebensbereichen – auch in Kunst und Philosophie – sah er das »Faustische« am Werk, vornehmlich in der Technik, die die Natur beherrschen und ihre Kräfte verwerten will.1 Noch 1939 sprach Thomas Mann von dem »denkwürdigen Phänomen«, dass das Abendland »den Symbolwert der FaustGestalt für ihr tiefstes Wesen erkannt« habe.2 Inzwischen ist Schreckliches geschehen. Faust wurde, bis zur Halbkenntlichkeit mystifiziert, zum literarischen Muster für einen verhängnisvollen nationalen Mythos. Davon sind wir Deutschen geheilt. Eine strenge Selbsterkenntnis schließt die strenge Deutung der Faust-Figur ein. Dass Goethe sie hochbewusst zwischen Prometheus und Luzifer angesiedelt hat, ist der ernsten Forschung nicht entgangen; dass sie, richtig verstanden, keine Heroisierung verträgt, äußerten schon Luden und Schubart, Goethes Gesprächspartner. © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Faust, der Protagonist, ist widersprüchlich wie das Leben und vieldeutig wie die Wirklichkeit; er ist ein Mensch mit zweigeteiltem Willen und zwiespältigem Wesen. Seit 1945 ist er endgültig entmythologisiert; daran hatten zuvor schon Interpreten wie Konrad Burdach und Wilhelm Böhm gearbeitet. Das Faust-Drama ist uns ferngerückt; dass seine Problematik gegenwartsnah ist, zeigt ein Denkspiel, das die Figur des Teufelsbündners aus dem Spätmittelalter in die Realität des 20. Jahrhunderts transponiert: Um seinem Forschertrieb leben zu können, lässt sich der Physiker Faust mit einer Diktatur, der modernen Form des kollektiven Bösen, ein . . .
Vom »Faust«-Buch zu Goethes »Faust«-Dichtung Der historische Faust, wohl um 1480 in Knittlingen geboren, ist ein Zeitgenosse Luthers, Müntzers und Huttens, doch eine Randfigur im Halbdunkel der Zeit, eher Gaukler als Gelehrter, mehr Quacksalber als Arzt. Quellen besagen, dass der vagabundierende Faust in Nürnberg und Ingolstadt ausgewiesen wird, und wir können nachlesen, dass er, als Astrolog gelegentlich für den Bischof von Bamberg tätig, eine Weile – von Sickingen protegiert – Schüler unterrichtet und einem Vetter Huttens das Horoskop stellt. Die spärlichen Zeugnisse stimmen darin überein, dass er, der sich Meister aller mantischen Künste nennt, ein Renommist, ein bramarbasierender Phantast und Scharlatan sei: Der gelehrte Abt Johannes Trithemius schilt ihn einen Landstreicher und Sittenstrolch. Schon zu Lebzeiten ranken sich um Faust die Legenden; selbst in Wittenberg, das die öffentliche Meinung im protestantischen Deutschland bestimmt, gibt er das Thema für Tischgespräche ab. Wenige Jahre nach seinem Tod – der Zimmer’schen Chronik zufolge starb er um 1540 bei Freiburg i. Br. eines unnatürlichen Todes – unterstellt Melanchthon seinem Landsmann Faust, ein © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Teufelsbündner und damit ein abschreckendes Beispiel für die wahren Gläubigen zu sein. Im Jahre 1587 erscheint bei dem Frankfurter Buchhändler Spies die Historia von D. Johann Fausten dem weitbeschreyten Zauberer unnd Schwartzkünstler, von der innerhalb eines kurzen Jahrzehnts sage und schreibe 22 Nachdrucke aufgelegt werden. Dem unbekannten Verfasser geht es nicht um eine verlässliche Biographie; er kompiliert vielmehr Gehörtes, Gelesenes und Erfundenes, sammelt Episoden der disparatesten Herkunft, greift nach Zaubersagen und Schwankgeschichten und stellt das Sammelsurium geschickt unter das Motto aus Jak. 4,7, das Geistlichkeit und Leserschaft verbindet: »Seyt Gott underthänig / widerstehet dem Teuffel / so fleuhet er von euch.« Diese Laienpredigt, die ihre unvergleichliche Resonanz weniger der literarischen Qualität des Buchs als vielmehr dem reißerischen Stoff verdankt, erzählt in 68 Kapiteln detailliert von Fausts Disputationen mit Mephostophiles über die Entstehung von Himmel und Erde, von seiner Teufelsverschreibung und Wolkenfahrt, von seinen Abenteuern an den Höfen, seiner Buhlschaft mit Helena und der Dienerschaft Wagners und endigt, wie nachmals Thomas Mann, mit »D. Fausti Weheklag von der Helle«. Schon vor dem Ende des 16. Jahrhunderts sind also Dichtung und Wirklichkeit nicht mehr zu unterscheiden. Fausts Leben und Treiben zieht im Nachhinein jenes allgemeine Interesse auf sich, aus dem Sagen entstehen. Die aufgewühlte Phantasie von Menschen am vermeintlichen Zeitenende schafft sich in Faust eine Symbolgestalt, in der die geheimen Sehnsüchte und offenbaren Ängste angelegt sind. Die Frage liegt nahe, warum eben Faust, dem doch das Mittelmaß des Marktschreiers anhängt, zur büchermarktbeherrschenden Figur werden kann und in auflagenstarken Neubearbeitungen – durch Widmann (1599) in Hamburg, den Nürnberger Arzt Pfitzer (1674) und einen Anonymus, der sich der »Christlich Meynende« (1725) nennt – bis © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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hin zur Aufklärungsepoche wiederaufersteht. Die Faust-Gestalt der Historia trägt einzelne Züge des Paracelsus und des Agrippa, die man insgeheim verdächtigt, doch als Persönlichkeiten bestaunt, und eingeprägt sind ihr die Tendenzen, die den »Zeitgeist« als Verlockung und Gefährdung beschäftigen: der kopernikanische Erkenntnisdrang, der abenteuernde Mut eines Kolumbus, die Forschungsvielfalt eines Leonardo, der auch mit Flugmaschinen hantiert, die obskure Leidenschaft der Alchimisten und vor allem die Zauberpraktiken der Magier, die sich verborgener Geister- und Naturkräfte bedienen. Der zwielichtige Faust ist so wenig konturiert, seine historische Individualität bleibt so vage, dass man allein ihm, dem Außenseiter, die bedenkliche Physiognomie der Zweifler und Freigeister und die bedenkenlose der Zauberer und Beelzebuben aufdrängen konnte. Die Historia – fast ausschließlich im protestantischen Raum verbreitet – ist ein Exempel der protestantischen Warnliteratur. Wie die Renaissancekultur in Italien, so leistete der Protestantismus in Deutschland einen unfreiwilligen Beitrag, den strengen hierarchischen Ordo des Mittelalters aufzulösen. Das verantwortungsvolle Immediatsverhältnis von Individuum und persönlichem Gott, das Luther predigte, war von vornherein gefährdet durch die Autonomiegelüste des Subjekts, und die neugewonnene religiöse Freiheit der Christenmenschen wurde, und nicht nur von den Bauern, zur ständischen Freiheit verallgemeinert, hin und wieder auch als Widerruf überkommener geistig-geistlicher Autoritäten verstanden. Nicht nur das Leben des spätmittelalterlichen Menschen, auch die beginnende Neuzeit ist von religiösen Vorstellungen völlig beherrscht, und wie Sternenglaube und Höllenangst gehört der Teufel zu den lebendigsten Realitäten des 16. Jahrhunderts. Luthers Predigten und Tischreden, Hans Sachs’ dramatische Spiele legen davon ebenso Zeugnis ab wie die geistlichen Dramen jener Epoche. Die Teufels- und Hexenliteratur wird in dieser Zeit popularisiert, der Teufelsbündner-Stoff immer wieder traktiert: Der Teufel, durch Christus zwar überwunden, ist auf Erden allgegenwärtig; das Dasein des © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Christen ist ein beständiger Kampf gegen ihn – gegen Sünde und Laster. Faust übergab sich dem Bösen, indem er sich frevlerisch seinem Wissenstrieb, der Curiositas, überließ, und verspielte sein Seelenheil, weil er übermenschliche Kräfte und unmenschliche Lüste genießen wollte. Die Zeitgenossen fabulieren hin und wieder von Fausts Teufelsbündnis; für die Historia ist seine Seelenverschreibung eine Tatsache und seine Höllenfahrt die Quittung, der »wol verdiente Lohn« für alle Vermessenheit. Die Verurteilung Fausts als eines freigeisternden Grenzgängers im Volksbuch macht deutlich, dass das Luthertum im Widerstreit von Wissen und Glauben einzig auf die Autorität der Bibel setzt und dass die lutherische Orthodoxie überdies den Erkenntniswillen des Menschen durch die Offenbarung der Schrift begrenzt. Papst Gregor XV. verbot noch 1623 das Teufelsbündnis. Das protestantische Volksbuch von Dr. Faust warnt explizit vor dem Abfall von Gott und implizit vor der Versuchung, geistliche Freiheit in geistige Emanzipation umzudeuten. Wenngleich Rom und Wittenberg einander gegenseitig »verteufelten«, hatten sie doch die gleichen Bedenken gegen die ihren eigenen Voraussetzungen und Zielen gehorchende Vernunft: die »hochtragende« Hoffart im Geist und den Hochmut des Wissens, die Superbia. Janusgesichtig wie der historische Faust ist auch seine ambivalente Rezeption: Er fungiert als öffentliches Schreckbild, dem die scheue Sympathie der Zeitgenossen und der Nachwelt gehört. Dem Frankfurter Faust-Buch folgte in kurzem Abstand eine englische Übersetzung, und wohl 1592 schon entdeckte Christopher Marlowe, Shakespeares Vorläufer, die Aktualität des Stoffs und seine Modernität im Verlangen nach unbegrenztem Wissen, Tun und Genuss. Die Überhöhung Fausts geschieht im Namen der Renaissance; Widerruf und Verdammung folgen aus dem Geist der Reformation. Wie rege der Kulturaustausch in jener Zeit war, belegt auch die Tätigkeit englischer Wanderbühnen auf deutschem Boden: Urkunden bezeugen, dass Marlowes Drama schon 1608 in Graz © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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aufgeführt wurde. Zwar verkam die Tragödie, im Laufe der Jahrzehnte bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, zur Moritat, doch wie der Stoff in den Volksbüchern und im Puppenspiel fortwirkte, zeigt seine Verbreitung noch in der Frühaufklärung. Gottsched verspottete 1730 die »Alfanzereien« vom Dr. Faust, die dem Pöbel zur Belustigung dienen, doch Lessing, sein Gegenspieler und Anwalt des englischen Theaters, erkannte die nationale Bedeutung des Stoffs, als er in seinem vielzitierten 17. Literaturbrief vom Februar 1759 resümierte: »Und wie verliebt war Deutschland, und ist es zum Teil noch, in seinen Doktor Faust!« Lessings eigenes Szenenfragment über Faust und sieben Geister erlaubt nur dürftige Schlüsse, indes bezeugen das Berliner Szenarium und der Bericht seines Freundes Friedrich von Blanckenburg (vom Mai 1784) die entscheidende Neuwertung des Wissensdrangs: Faust kann gerettet werden, da Gott »dem Menschen nicht den edelsten der Triebe« gab, um ihn zu verderben. Für die »Stürmer und Dränger« wurde Faust, neben Prometheus, zu einer Identifikationsfigur. In ihm fand man den kühnen einzelnen, dem weder die biblische Offenbarung noch rationale Erkenntnis genügen, den nicht Gottes- noch Höllenfurcht schrecken. Für Tat und Genuss im Diesseits gibt er sein jenseitiges Seelenheil hin. Nicht nur für Goethe, auch für Lenz, Klinger, Maler Müller u. a. verkörpert Faust den Willen zum geistig-sinnlichen Abenteuer in einer eintönigen und reglementierten, überzivilisierten und naturfremden Epoche. Der junge Goethe kannte das Puppenspiel und den »Christlich Meynenden«, und noch in Dichtung und Wahrheit erinnert er sich, dass »die bedeutende Puppenspielfabel« in ihm »vieltönig klang und summte«.3 Wie im Götz ergriff er einen Stoff aus dem 16. Jahrhundert, einer Zeitenwende, in der die Geschichte selbst dramatische Form annimmt, da die überkommenen Normen von neuen Tendenzen negiert werden. Gehört Luther dem Mittelalter an, oder leitet sein Glaubensindividualismus die Neuzeit ein? Der unentschiedene Streit der Historiker lässt sich auch auf Faust übertragen, der, alten © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Teufels- und Geistervorstellungen verhaftet, ein neues Verhältnis zu ihnen findet, das in einem neuen, kraftvollen Selbstverständnis gründet. Stellte Goethe seinen Götz als einen »Selbsthelfer« in einer konkreten geschichtlichen Situation dar – Fausts Freiheitswille überspringt das Politisch-Gesellschaftliche und zielt auf Selbsthilfe im Meta-Physischen. Es geht Goethe also nicht um Wiedererweckung einer abgelebten Zeit, sondern um eine Deutung der eigenen Epoche: In der Vergangenheit wird gesucht, was der Gegenwart fehlt oder ihre verborgenen Tendenzen ausspricht. Der Urfaust, in der Frankfurter Zeit – wohl zwischen 1773 und 1775 – geschrieben, von Erich Schmidt erst 1887 im Nachlass der Luise von Göchhausen entdeckt, ist ein großartiger Torso, dessen genaue Entstehungszeit und szenische Genese ungesichert sind. Der junge Autor hatte keinen einheitlichen Plan, und weder damals noch später entwickelte sich das Drama in stetiger Folge, vielmehr mit langen Unterbrechungen und vielen Änderungen im Detail wie in der Konzeption. Der Vergleich ergibt, dass Goethe ungemein viele Handlungselemente, namentlich genannte Figuren und Lokalitäten, der schriftlichen Überlieferung und mündlichen Tradition entnimmt. Um der Scholastik und Mystik, um dem Humanismus und der Subkultur um 1500 genugzutun, verwertet er sein erstaunliches alchimistisches und theosophisches Wissen, das er sich während der Frankfurter Krankheit und in Straßburg angeeignet hatte. Indes überlagern sich die Zeiten im dramatischen Text, so dass der Urfaust für uns das genaueste Lebensdokument der Genieperiode darstellt. Der Urfaust, nach Brechts Urteil »hingeworfen in einer wunderbaren Skizzenform«,4 ist in drei disparate Teile gegliedert: in die Gelehrtentragödie, die Universitätssatire und die Gretchen-Handlung, die ein fast abgerundetes Drama im Torso bildet und nur unzulänglich mit den beiden vorhergehenden Partien verbunden ist. Der Protagonist ist, in »Sturm und Drang«-Manier, die exponierte Individualität, die die Horizonte des Menschseins erweitern will, der Grenzgänger, der von den Lebensrändern her © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
Werner Keller Johann Wolfgang Goethe: Faust. Eine Tragödie
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auskundschaften möchte, wer der Mensch ist und was er vermag. Faust dringt mit Hilfe der Magie auf Einswerdung mit der schöpferischen Natur – nicht nur, um die von der Zivilisation bedingte Entfremdung zu überwinden, sondern um am Werdeprozess, und zwar ohne Einbuße des individuellen Bewusstseins, teilzuhaben. Auf Begriffe gebracht, heißen die den Urfaust konstituierenden Gegensätze Vernunft und Gefühl, Verstand und Phantasie, Reflexion und Aktion, Wissen und Erfahrung. Das Thema ist der Widerstreit zwischen Geist und Leben, der auch den Straßburger Herder beschäftigte, Fausts Ziel die unmögliche Einheit von Geschöpf und Schöpfer im Endlichen. Dem tödlichen Ernst der Erdgeist-Begegnung folgt schon im Urfaust das Satyrspiel auf dem Fuße: die Wagner-Satire, die von Mephisto inszenierte hintersinnige Komik der Schüler-Szene und schließlich der rüpelhafte Grobianismus in »Auerbachs Keller«. Mephisto, der mit der Wissenschaft spielt, an der Faust verzweifelt, tritt ohne genügende Motivierung auf, so dass sein Verhältnis zum Erdgeist und seine Verbindung mit Faust ungeklärt bleiben. Der Advokat Goethe kannte die Prozessakten, die das Geschick der am 14. Januar 1772 hingerichteten Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt aufzeichneten. Man muss historisch zu verstehen suchen, um die Gretchen-Handlung im Urfaust richtig werten zu können, die prinzipielle Überzeugungen des »Sturm und Drang« mitformuliert und eine radikale Neuwertung der Liebe mitvollzieht: Hier wird die Leidenschaft der Sinne nicht nur dargestellt, sondern – entgegen aller Konvention – auch sanktioniert. Das Gefühl befreit sich zu sich selbst und entzieht sich der Kontrolle des Verstands und den Geboten der Erziehung. Indem die Liebenden ihre Sache auf nichts als auf ihr Gefühl stellen, dispensieren sie sich von überkommenen Moralvorstellungen und emanzipieren sich von Verboten und Normen; indem sie sich dem individuellen Gesetz ihrer »Natur« ausliefern, verlassen sie den schmalen Empfindungsraum, den das kleinbürgerliche Leben mit seinen Nöten und Zwängen © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
Werner Keller Johann Wolfgang Goethe: Faust. Eine Tragödie
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Menschen zugesteht. Indes: Mít der bedrängenden Abhängigkeit schwindet auch die vorher unbemerkte Geborgenheit. Die Neuwertung der Sinne und der Sinnlichkeit schließt die Gesellschaft in ihrer erstarrten Form aus; an ihr wird kritisch abgetan, was institutionalisiert ist und menschliche Beziehungen über Stand, Herkunft und Geschlecht hinweg hemmt, und verworfen, was sich der Subjektivierung entzieht: die unpersönlichen Mächte von Staat und Recht. Die säkularisierende Umdeutung der bis dahin gültigen kirchlichen Bindungen darf nicht nur negativ, als Entleerung sakraler Formen, verstanden werden, da Natur, Liebe und Freundschaft mit religiösem Enthusiasmus – das Wort in seinem etymologischen Sinn verstanden – ergriffen werden. Goethe hat, wie kein anderer neben ihm um 1770, die Gefühlssubjektivität in allen literarischen Gattungen gefeiert; zugleich durchschaute er aber illusionslos die innere wie die äußere Gefährdung seiner gedichteten Figuren: das Gefühl ohne verpflichtende Normen und die Leidenschaft ohne soziales Gewissen. Daher konnte die tragische Antinomie zwischen der individuellen Leidenschaft und der gesellschaftlichen Ordnung des Ganzen vom Werther bis zu den Wahlverwandtschaften zu einem Grundthema Goethes werden. Faust scheitert in seinem Doppelleben als Erkennender und auch als Liebender. Da aber seine tragische Disposition mit Notwendigkeit aus dem Widerspruch zwischen dem verabsolutierten Erkenntnisdrang und der geschöpflichen Endlichkeit entsteht und da er nicht an irgendeiner Form des Daseins, sondern an der Existenz selbst leidet, ist anzunehmen, dass Goethe schon in Frankfurt seinem Protagonisten die Rettung »von oben« zugedacht hat. Während seines Aufenthalts in Rom schreibt Goethe drei Szenen, die, Bruchstücke einer großen Konzeption, mit dem gekürzten Urfaust zusammen das 1790 veröffentlichte Faust-Fragment bilden. Der italienischen Reise verdankt Goethe die im unmittelbaren Anschauen von südlicher Natur und antiker Kunst gewonnene Einsicht, © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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dass bei den Alten eine Korrelation zwischen Naturgesetzlichkeit und Kunstform besteht. Da die bildende Natur das Verfahren vorschreibt, dem sich der Künstler zu verpflichten hat, verwirft Goethes römische Ästhetik folgerichtig das Subjektive und Zufällige: Die Einbildungskraft soll »exakt« vorgehen, die Gegenstände zum Reden bringen, auf den Typus und das Typische hinarbeiten, das als Variationsbasis allen individuellen Metamorphosen zugrunde liegt. An den drei Szenen lässt sich die neue Kunstgesinnung ablesen. »Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist, / Will ich in meinem innern Selbst genießen«5: Faust versteht sich als Individuum, das Lebenstotalität beansprucht und, repräsentativ für die Gattung, sich Welt einverwandeln, sich im Genuss mit allem »amalgamieren« will. »Wald und Höhle« zeigt in seinem Monologteil einen unfaustischen Faust, der für eine Weile in die befriedete Bezugseinheit von Natur und Mensch aufgenommen ist und dem der Blick ins Innere der Welt die eigene Innenwelt durchsichtig werden lässt. Der Süden ermöglicht es Goethe, die Tollheit der nordischen »Hexenküche« zu schreiben. Diese Szene, die Fausts Metamorphose vom Gelehrten zum jugendlichen Liebhaber erklärt, steckt Mephistos uneingeschränktes Hoheitsgebiet ab und zeigt die Ausgeburten einer missratenen Schöpfung, die nicht im Menschen, sondern in den Tieren gipfelt. Ein unwirkliches Spiel läuft ab, in dem die närrische Wirklichkeit der Menschen karikiert wird, Sinn in Unsinn umschlägt und Unsinn sich als Sinn ausgibt. Doch inmitten des Spuks gewahrt Faust den Spiegel, inmitten des Ungestalten gewahrt er Helena, die gestaltgewordene Schönheit – ästhetisches Zeugnis von Goethes Suche nach dem in Natur und Kunst aufscheinenden Urphänomen. Die Handlungsblöcke des Urfaust – unbedingtes geistiges Streben und bedingungsloser Liebesgenuss –werden durch die drei römischen Textteile zusammengerückt. Die ersterwähnte Szene (»Und was der ganzen Menschheit«) motiviert die Weltfahrt; die »Hexenküche« erregt die Begierde nach Sinnenlust; die Dialogpartie von »Wald und Höhle«, im Fragment vor dem © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
Werner Keller Johann Wolfgang Goethe: Faust. Eine Tragödie
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»Zwinger« eingefügt, erläutert Fausts Taumel zwischen den Extremen des »Sinnlichen« und des »Übersinnlichen«. Das Fragment von 1790 wurde von Kennern wie Friedrich Schlegel enthusiastisch begrüßt. Wie nachhaltig es die damalige studentische Jugend beschäftigte, lässt sich der Erzählung des Historikers Luden entnehmen, wie entschieden es auch indirekt weiterwirkte, verdeutlicht die Strukturierung von Hegels Phänomenologie des Geistes (1807). Doch trotz des Drängens der Öffentlichkeit ließ Goethe das Fragment jahrelang liegen. Politische, ästhetische und persönliche Gründe hemmten die Fortführung. Von der Französischen Revolution verstört, setzte Goethe grenzüberschreitenden Projekten die bewusste Bejahung der menschlichen Endlichkeit und den Willen zum Ausgleich zwischen Individuum und Gesellschaft entgegen. Der Griechennähe wegen nahm er nach 1790 Gegenwartsferne hin. Seine gegenstandsorientierte Einbildungskraft widersetzte sich der drastisch-derben Fabel mit ihrem Hexenspektakel und Geisterspuk, dem Formwidrigen und Unbestimmten des nordischen Stoffs. Da Goethe an antiken Kunstwerken das Bemühen ablas, den Menschen in seiner geistig-sinnlichen Einheit darzustellen, musste er den gespaltenen, über sich ins Unendliche hinausdrängenden Faust ablehnen. Seit Italien hing Goethe dem Gedanken der Renaissanceästhetik an, Kunst sei eine andere, zweite Natur; seine Naturforschung überzeugte ihn, das Kunstwerk müsse einem pflanzlichen Organismus gleichen, in dem jeder Teil zugleich Funktion und Zweck eines integralen Ganzen sei. Diese Einheit war für den Faust nicht zu gewinnen, da sich die überlange Entstehungszeit zwangsläufig in kompositionellen Unstimmigkeiten äußerte. Die Balladendichtung des Jahres 1797 führt Goethe wieder auf den »Dunst- und Nebelweg« des Faust (an Schiller, 22. 6. 1797). Schillers freundschaftliche Teilnahme vermag es, dass sich Goethe im Juni jenes Jahres – mit der Vorbereitung einer neuen Italienreise beschäftigt – endlich entschließt, die Arbeit an Faust wiederaufzunehmen © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
Werner Keller Johann Wolfgang Goethe: Faust. Eine Tragödie
Reclam
und an die überwundene Genieepoche wie an die frühe Neuzeit anzuknüpfen. Die pure Pflicht bindet ihn fortan an die Arbeit, und es bedarf über ein Jahrzehnt hinweg der selbstverleugnenden Mühe, um die »barbarische Komposition«, von der er am 27. Juni 1797 an Schiller schreibt, weiterzuführen. Erst die ausformulierte klassische Kunsttheorie ermöglicht die Fortsetzung des nichtklassischen Dramas; nur der Vorgriff auf Helenas griechische Welt macht die Plackerei mit dem sentimentalischen Faust erträglich. Daher kann die These gewagt werden, dass Goethe den ersten Faust-Teil, der 1808 erscheint, zu einem notdürftigen Ende brachte, um sich endgültig von »aller nordischen Barbarei loszusagen« (an Hirt, 25. Dezember 1797). Schiller nahm in seinen Briefen vom 23. und 26. Juni 1797 divinatorisch die Probleme vorweg: Es gelte, die erforderliche »Totalität der Materie« zu erreichen und Faust ins handelnde Leben als Hof- und Staatsmann einzuführen; es komme darauf an, den »poetischen Reif« zu finden, um den disparaten alten Szenenbestand und die neuen Textpartien zu assimilieren; vor allem aber sei die »Vernunftidee« herauszuarbeiten, die die gedankliche Einheit der Teile garantiere. Auch wenn das wichtige erste Paralipomenon keine strenge Gliederung des nunmehr in zwei Teilen geplanten Werks gibt, setzt es doch Deutungsschwerpunkte: »Ideales Streben nach Einwirken und Einfühlen in die ganze Natur«6 – damit ist Fausts Transzendierungsdrang zustimmend umschrieben, seine Phantasie legitimiert, die sich als Subjekt wie als Objekt setzt; »Lebens-Genuß der Person – von außen gesehen – I. Teil« – diese Formel bezieht sich auf Fausts dumpfes Treiben in der »kleinen Welt« (V. 2052).7 Die vier Stufen des »Genuß«-Begriffs, die Goethe in seinem Schema verwendet, bezeichnen in abstracto die Absicht und die Rangfolge beider Faust-Teile. »Genuß« bedeutet geistige Aneignung und sinnliche Teilhabe, Ergreifen der Wirklichkeit durch den Menschen im Spiel seiner gesammelten Kräfte. Im »Schöpfungs-Genuß« des
© 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Schlussakts von Faust II kulminiert Fausts tätige Existenz: Er genießt sich, schöpfergleich, in seinem Wirken und seinen Werken. Wie ließ sich Fausts exemplarische Bedeutung glaubhaft demonstrieren? wie der heterogene Szenenbestand auffüllen und verknüpfen? Die »große Lücke«, von der in einem Brief an Schiller vom 4. April 1801 die Rede ist, schließt Goethe durch den Selbstmordversuch, das Ostergeschehen und die Studierzimmer-Szenen mit der entscheidenden, die Seelenverschreibung ablösenden Wettformel. Fausts grenzennegierendes Wesen, sein Begehren im Genuss, sein Genießen des Begehrens, rechtfertigt der »Prolog«: Der Doktor Faust repräsentiert als »Knecht« Gottes (vgl. V. 299) das Menschengeschlecht in seiner Odyssee durch die Geschichte.
Von der Welt des Theaters zum Welttheater: Die drei Präludien Obwohl die »Zueignung« vom 22. Juni 1797 ein halbfertiges Stück präludiert, werden weder Gestalten noch Motive oder Probleme der künftigen Faust-Handlung antizipiert. Im nacherlebenden Rückblick spricht das elegische Ich die Phantasiewesen seiner Jugend an, und schon eingangs betont es die Eigenart dieser frühen imaginativen Entwürfe, deren »Zauberhauch« und »Geisterreich« an das Numinose der Faust-Sage wie auch an die unerklärliche Hervorbringung der Einbildungskraft erinnert. Die Strophen sind folgerichtig gegliedert: Die erste Stanze eröffnet den antwortlosen Dialog mit den »schwankenden Gestalten«, die die Bühne des Halbbewusstseins bevölkern; die Mittelstrophen ziehen die Verbindung zwischen Dichtung und Zeit, Dichter und Freunden und geben der Klage über Trennung und Tod und über die Vereinsamung in der Gegenwart nach, für die keinerlei Begründung angeführt wird (doch ist bekannt, wie Goethe in den neunziger Jahren unter den Wirkungen der Französischen Revolution © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Reclam
und seiner privaten Isolation litt); die Schlussstrophe schließlich überlässt sich dem Gewesenen, dem »Schauer«, der in Goethes Werk oft Transparenz der Zeit und Aufhebung der Zeitenfolge bedeutet und den vollen Anschluss an das alte Werkfragment markiert. Der dichterische Weg, als Gefühlsbewegung dargestellt, führt also schrittweise durch die kontrastierte Gegenwart in die Erinnerung zurück – in den Innenraum der Phantasie, die hier mit der Vergangenheit eins ist. Die »Zueignung« thematisiert den imaginativen Prozess, der den Schemen der Einbildungskraft, den »schwankenden Gestalten«, zur konturierten Bestimmtheit in der fertigen Dichtung verhelfen soll. Diese steigen »aus Dunst und Nebel« – das sind nicht nur die Merkmale der Landschaft nördlich der Alpen, die dem »nordischen« Faust entsprechen, »Dunst und Nebel« sind überdies Goethes Metaphern für das Halbbewusste, in dem sich der Gestaltungsvorgang vorbereitet. Die gewesene erfüllte Zeit kann zurückgerufen werden: Die formelhaften Schlussverse (V. 31 f.) geben Zustand und Gewinn des elegischen Ich wieder, das das Vergangene vergegenwärtigt und das Gegenwärtige weghält. Die Zeiten werden verkehrt, die Seinsmodi vertauscht, so dass sich das Erinnerte als eigentliche Wirklichkeit ausgeben kann. Die Einbildungskraft verhilft dem jetzigen und dem früheren Ich zur Selbstbegegnung und überspielt den Wirklichkeitssinn in seiner Temporalstruktur. Goethes Mühe, sich der Fortsetzung des Faust-Fragments zu verpflichten, objektiviert sich in einem Gedicht über die Entstehung von Dichtung. Im »Vorspiel« wird das Theater mit seinen eigenen Mitteln ironisiert und als »Theater« desillusioniert. Der vergnügliche Blick hinter die Kulissen durchschaut die übliche Vermengung des Seins und des Scheins, der Wirklichkeit des Lebens und der Wahrheit der Kunst, und der Interessenkonflikt innerhalb der Trias von Regie, Darstellung und Poesie deutet die gegenseitigen Abhängigkeiten an, die das Publikum selten wahrnimmt. Da in dem Disput zwischen dem »Direktor«, der »Lustigen Person« © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
Werner Keller Johann Wolfgang Goethe: Faust. Eine Tragödie
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und dem »Dichter« jeder nur eine Teilwahrheit vertritt, relativieren die drei Positionen einander wie in den Spielen der Frühromantik, und da Goethe seit Mai 1791 das Weimarer Theater leitete, konnte er im behaglichen Spott über den Intendanten auch ein Teil Selbstironie anbringen. Der »Direktor« versteht sich als geschäftstüchtiger Unternehmer, den die Erfolgspraxis rechtfertigt. Er kennt zur Genüge seinen wichtigsten Mitspieler, das Publikum, dessen Geschmack er lenkt und umschmeichelt. Die »Lustige Person« hat wenig mit dem von Möser reaktivierten Harlekin zu tun. Sie vermittelt zwischen dem gewieften Pragmatiker und dem kunstgläubigen Idealisten und vertritt als Mime, dem Rollendasein und dem flüchtigen Augenblick der Theateraufführung ergeben, die Leichtigkeit des Spiels und die Heiterkeit der Kunst. Der »Dichter«, der überraschenderweise nicht von einem konkreten Theaterstück spricht, sondern seine ästhetische Konfession ablegt, verwahrt sich leidenschaftlich gegen die Kunst als Ware und Unterhaltung für die Masse: Sein unbedingter Anspruch kollidiert mit den Bedingungen, die Besitzer und Schauspieler, Bühne und Publikum stellen und denen er sich wider Willen beugen muss. Mit Vorstellungsschemata, die in die Antike zurückreichen und allesamt belegen, was Dichtung ist und sein soll, entwickelt er eine ›aesthetica in nuce‹, eine Erlebnis- und Wirkungsästhetik, wie sie um 1800 gang und gäbe war – in seinen pathetischen Postulaten ist Schiller, in der organologischen Poetik ist Goethe greifbar. Die zentralen Thesen des »Dichters«, die der Auffassung des 19. Jahrhunderts vorarbeiten: Dichtung, über der banalen Alltagswirklichkeit angesiedelt, dient der Mnemosyne, der Erinnerung und Verkündigung, und dem selbstgeschaffenen Mythos vom Dichter; in der Natur, die nicht an die Kunst heranreicht, objektiviert sich das menschliche Innere dichterisch, das Kunstwerk präsentiert den »eminenten Fall«, die bedeutsame Einzelheit, die in ihrer Besonderung das Allgemeine spiegelt. »So schreitet in dem engen Bretterhaus / Den ganzen Kreis der Schöpfung aus« (V. 239 f. ) – auch der »Direktor« stimmt dieser © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Symbolisierungskunst zu, die darauf abzielt, die Welt des Theaters zum Welttheater auszuweiten, doch leitet erst der Schlussvers zum Faust-Drama über, das im »Himmel« beginnt, im Irdischen abläuft und, dem ersten Paralipomenon zufolge, mit Mephistos »Epilog im Chaos« enden sollte. Das »Vorspiel« hat also die Aufgabe, den ästhetischen Schein zu bestimmen, den die Fiktion des Hauptspiels wahrt. Man erstaunt immer wieder, dass Goethe noch um 1800 mit dem »Prolog im Himmel« seinem Publikum den Auftritt Gottes und Mephistos zumutet, um die Vorstellungswelt des 16. Jahrhunderts zu verbildlichen und um den mit der neuen Spielebene gegebenen transzendenten Rahmen für das irdische Geschehen abzustecken. Der Lobpreis der kosmischen Schöpfung, von Pythagoras und Kepler angeregt, in Klopstocks erhabener Manier vorgetragen, wird durch den raschen Perspektivenwechsel des Engelterzetts differenziert: Die Erde ist durch den Gegensatz von Licht und Finsternis geprägt und überdies den Störungen der Elemente ausgeliefert. Der scharfe Dualismus ist auch im Menschen angelegt, wie Mephisto, der – antwortend – das Gespräch mit Gott eröffnet, geringschätzig konstatiert. Der folgende Dialog entwirft beider Menschenbild, zeigt Mephistos Funktion im göttlichen Weltplan auf und erlaubt eine indirekte Charakterisierung der Gesprächspartner aufgrund ihrer verschiedenen Haltung zum Menschen. Mephisto, dessen bissig-konkrete Anthropologie der harmonisierenden Kosmologie der Erzengel widerspricht, entdeckt den Grund für das menschliche Leiden in der Gespaltenheit, im Gegensatz von Körper und Geist und in der Sonderstellung zwischen Tier und Engel. Geschickt macht er sich zum Anwalt der Menschen, listig mischt er in seine Klage die Anklage gegen die Schöpfung. Mephistos nörglerische Skepsis durchschaut das Paradox, dass der »Schein des Himmelslichts« (V. 284) es ist, die Vernunft, die die Un- und Widervernunft des Menschen ermöglicht. Der Doktor Faust, den der »Herr« nennt, um sich eine Verteidigung zu ersparen, wird in seinem widersprüchlichen Verlangen nach Himmel und Erde durch diese Nennung als © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Repräsentant des Menschengeschlechts herausgehoben – weder Heiliger noch Held, wohl aber Exponent der menschlichen »Duplizität«. Der »Herr«, der Fausts grenzüberschreitendes Wollen bejaht, legitimiert auch dessen Zweieinheit von »Streben« und »Irren«. Die Ferne des »Prologs« zur christlichen Ethik ist in der Umwertung der Grundwerte greifbar: Das Böse, die Negation Gottes durch menschliche Selbstsucht, wird durch die Sünde der »unbedingten Ruh« ersetzt (vgl. V. 341 f.), und das Gute, das theologisch in den Kardinaltugenden, philosophisch im Ethos der reinen Gesinnung vorgegeben ist, erfüllt sich im inhaltlich unbestimmten »Streben«, in der bloßen Potentialität des Willens. Den Prämissen des »Prologs« gemäß ist der Mensch nicht erlösungsbedürftig als Teil der gefallenen Schöpfung – erlösungswürdig aber wird er durch sein unstillbares »Streben«. Manche Fehldeutungen der Schlussszenen des zweiten Faust-Teils haben ihren Grund darin, dass die Verbindlichkeit der überraschenden Wertordnung des »Prologs« übersehen und die katholisierende Vorstellung von Fausts Himmelfahrt nicht als bloße poetische Verbildlichung des »Unbeschreiblichen« (V. 12108) begriffen wird. Da der Sündenfall in der individuellen Trägheit angelegt und die menschliche Freiheit in der Entscheidung zwischen »Streben« und »Ruh« angesiedelt ist, erhält das »Irren« einen neuen Stellenwert: Dass auch Irrwege nicht ohne lenkende Hand begangen werden, äußerte Goethe, wie die Lehrjahre zeigen, immer wieder;8 dass der Irrtum als Ausdruck der Entscheidungsfreiheit notwendig und produktiv zur Entwicklung des Individuums gehört, räumt der »Prolog« ein. »Es irrt der Mensch, solang’ er strebt« (V. 317): Akzeptiert der »Herr« nicht allzu leichtfertig mögliche leidvolle Auswirkungen des »Irrens« auf andere Menschen, und denkt er, ausschließlich am sanktionierten »Streben« interessiert, das per se das Ethos des Menschen »in seinem dunklen Drange« verbürgt (vgl. V. 328), nicht zu optimistisch, zu »aufgeklärt« über das Zielbewusstsein der Entelechie? Wie der Gott des Alten Testaments dem Teufel © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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zugesteht, Hiobs Glaube auf die Probe zu stellen, so genehmigt der »Herr« Mephistos Verführungskunst – die Anstrengung, Faust zur Verweltlichung in Ruhe und Trägheit zu verleiten. Mephisto spielt in der Schöpfung des »Herrn« lediglich eine ihm zudiktierte Rolle, doch während dem »Prolog« gemäß seine landläufige Funktion darin besteht, die »unbedingte Ruh« der Menschen zu verhindern, muss er sich an Fausts unbedingtem Streben – darin äußert und erfüllt sich dessen Ausnahmeexistenz – versuchen. Der »Prolog«, der durch Figuren und Themen an das spätmittelalterliche Mysterienspiel erinnert, in dem sich Gott und Satan eine ungleiche Partie liefern, die den Menschen zum Gegenstand hat, trägt im Ganzen wie im Detail die Signatur des 18. Jahrhunderts: Der selbstzufriedene Gott der Deisten hält Audienz; zu seinem Hofstaat gehört, da die Hölle vom aufgeklärten Verständnis verabschiedet wurde, Mephisto, den Goethe eigenwillig zum »Schalk« umdeutet (V. 339; vgl. auch V. 6885) – zum intellektuellen Verneiner (vgl. V. 1338) und »Geist des Widerspruchs« (V. 4030). Der Teufel der Bibel und des Volksbuchs, das persongewordene Böse, existiert hier nur als Teil seiner selbst, als Negant und Stimulant, der zum Guten »reizt und wirkt« (V. 343). Auch dies ist Geist vom Geist der Aufklärung: die leise Verharmlosung des Bösen – »die andre Seite vom Guten«, wie es in der Shakespeare-Rede9 heißt –, und aufklärerisch ist die Seligpreisung des »Irrens«, in dem sich wie bei Lessing die normfreie Selbstbestimmung des mündigen Individuums äußert; aufklärerisch ist schließlich die Anthropodizee, die sich andeutet: Faust übernimmt den Part Gottes, er vertritt nicht nur das Menschengeschlecht, sondern steht auch für die Berechtigung des GenesisWorts, die Schöpfung sei »gut«. Die Bedeutung von Fausts Lebensgang wird also erhöht, wenngleich der Halbernst des »Herrn« seinem späteren schrecklichen »Irren« und Mephistos diabolischem Treiben nicht gerecht wird. Nach den Bedingungen des »Prologs« ist die Verfehlung des Menschen in der »unbedingten Ruh« zu suchen und seine Bestimmung im unbedingten »Streben« zu © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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finden. Wie Licht und Finsternis, so ist die Zweieinheit von »Streben« und »Irren« Ausdruck der irdischen Polarität und das Böse – wie der Böse – ein integraler Teil der Schöpfung. Gemessen an den tradierten Werten, ist Faust eine ethisch indifferente, eine außermoralische Existenz; gemessen an den nicht übertragbaren, von der Spielabsicht abgeleiteten Wertvorstellungen des »Prologs«, lebt er exemplarisch und autonom: Seiner entschiedenen Selbstverwirklichung ist alles Übrige – das Gesellschaftliche in ihm und um ihn – untergeordnet. Durch die überaus lose Verbindung von biblischem Mythos und Aufklärung im »Prolog« erhält Mephisto als Gegenspieler Gottes eine kosmologische und als Gegenspieler des Menschen auch eine dramaturgische Funktion. Sein Zynismus besteht von Anfang an darin, dass er das menschliche Dilemma einsieht und doch ausnützt: Er verkörpert das Übel, das mitzuleiden er vorgibt. Das unkalkulierbare, wenngleich risikolose Spiel, das der »Herr« im Vertrauen auf den entelechischen Kern des Menschen und die Subordination des chancenlosen Teufels eingeht, hat zur Folge, dass das irdische Geschehen – die Geschichte – dem »verworren« dienenden Menschen und dem hellsichtigen Zynismus Mephistos überlassen bleibt. Auch wenn Faust im Hauptspiel wiederholt ein exemplarisches Leben beansprucht, weiß er – im Gegensatz zum Zuschauer – an keiner Station seines Weges, dass ihm eine exemplarische Bedeutung im Streit zwischen Himmel und Hölle, dem »Werdenden« (V. 346) und dem Zerstörerischen (vgl. V. 1343), zugeteilt ist. Der »Prolog«, der manche Ungereimtheit enthält, bildet den transzendenten Rahmen für die irdischen Vorgänge und erklärt die Binnenhandlung, wie weitläufig sie auch ist, zum Spiel im Spiel. Er exponiert die Hauptakteure, charakterisiert Faust, den Protagonisten, und Mephisto, seinen Antagonisten, unter divergierenden Aspekten, schlägt das Thema an und erläutert Grund und Ziel des Spiels, das von Faust handelt und die Menschheit meint. Ein Mensch des 16. Jahrhunderts steht, von den © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Wertvorstellungen des 18. begünstigt, stellvertretend für den mythologisch zeitlosen Kampf zwischen Gott und Satan. Der »Prolog im Himmel« liefert mit der Erwählung Fausts durch den »Herrn« die Voraussetzung für die Metamorphose einer Person zum Gattungswesen im Spielraum des Theaters, das die Welt bedeutet.
Fausts Entgrenzungsversuche Der junge Goethe kannte Marlowes Faust nicht, doch dessen kraftvolle Introduktion wirkt, durch die verharmlosenden und glättenden Puppenspiele vermittelt, noch in der allbekannten Selbstdarstellung des Goethe'schen Eingangsmonologs nach. »Habe nun, ach! [. . .]«: Faust zieht die Summe seines Lebens und Strebens. Die nächtliche Einsamkeit begünstigt seinen melancholischen Rückblick; das dürftige Resultat seiner angestrengten Lebensleistung begründet seine wechselnden Stimmungen und Entschlüsse; die Krise des Erkenntnissuchers bedingt seine wachsende Verzweiflung. Dass wir Fausts Selbstaussagen ohne Korrektur oder Ergänzungen von Mitagierenden vernehmen, bringt die Form des Monologs mit sich, die adäquate Äußerungsweise seines Subjektivismus. Ein furchtloser Freigeist charakterisiert sich, der die religiösen Ängste seiner Zeit überwand; ein ungebrochenes renaissancehaftes Selbstgefühl präsentiert sich, durch den Vergleich mit den Herren Kollegen gewonnen. Die nächtliche Verzweiflung hat weniger private als allgemeine, naturgegebene Gründe: »Und sehe, daß wir nichts wissen können!« (V. 364). Faust leidet an den Bedingungen des Menschseins. Sein Erkenntnisdrang zielt nicht auf quantitative Häufung von Wissen, sondern auf qualitative Vertiefung und Erweiterung seines Erkenntnisvermögens. Faust verwirft das bloße Bücherwissen, das den Gelehrten des Humanismus die fehlende Welterfahrung kompensieren soll, und er verachtet wie die »Stürmer und Dränger« das © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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leere »Wort«, das Wort ohne Sache und verändernde Praxis, das seinem Famulus Wagner genügt und lediglich dem antiquarischen Verhältnis zur Geschichte dient. Faust reicht keine rationale Einzelkenntnis, vielmehr verlangt es ihn nach transrationaler, unbegrenzter Einsicht in das Ganze der Welt. Damit stößt Fausts Erkenntnisstreben an seine naturgesetzte Grenze, die zu akzeptieren er nicht gewillt ist: »Drum hab ich mich der Magie ergeben« (V. 377) – diese Entscheidung geht der Bühnenhandlung vorauf. Faust versteht Magie als Hilfe, die dem Menschen gesetzten Schranken zu überwinden, und ausüben will er sie, um die Welt »im Innersten« zu erkennen und die schaffende Natur, die natura naturans, zu »schauen« (vgl. V. 384). Faust will also die Welt als Vorstellung und Erscheinung durchdringen und sich visionären Zugang zum Reich des Intelligiblen verschaffen. Das Geheimnis des Weltgrunds auszukundschaften ist der legitime Trieb eines Forschers, zumal in einer Aufbruchszeit. Da aber dafür, wie Faust weiß, der göttliche intellectus archetypus nötig ist, bedient er sich der Magie, des »Geistes Kraft und Mund« (V. 378), als der Möglichkeit zur Vermittlung des Verborgenen – zur begehrten gottgleichen Selbsttätigkeit, die die »Schau« des »Innersten« der Welt noch übertrifft (vgl. V. 618–620). Das Magie-Motiv wurde Goethe von der Faust-Tradition auferlegt. Die Fremdheit des Stoffs vergrößerte sich dadurch für seine Zeit ungemein. Die Verständnisschwierigkeit gegenüber Magie und Magiertum nahm inzwischen beständig zu, auch wenn wir eingestehen, dass jede Epoche mit dem ihr eigentümlichen Aberglauben geschlagen ist – mit einer Ideologie, einer Utopie, einer gesellschaftlichen Heilslehre oder, wie in unseren Tagen, einem technischen Fortschrittswahn. In der beginnenden Neuzeit wurde jedem außergewöhnlichen Können, besonders in der Natur- und Heilkunde, eine magische Fähigkeit zugesprochen – so auch der experimentellen Alchimie als der naturwissenschaftlichen Sonderform der Weißen Magie. Dass die Magie noch im 18. Jahrhundert in separaten Zirkeln geübt und die auf den legendären Hermes © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Trismegistos zurückgehende Hermetik noch in der Subkultur der Aufklärung eifrig gepflegt wurde, weiß man zu wenig, und zu wenig bekannt ist auch, dass sich der junge Goethe während seiner Frankfurter Rekonvaleszenz, von Fräulein von Klettenberg und Dr. Metz angeleitet, in seinem Labor weitläufige alchimistische Kenntnisse aneignete (vgl. z. B. V. 1034 ff.) und seinem Weltbild entscheidende Züge des Neuplatonismus, der Kabbala, der magisch-mystischen Lehren von Paracelsus und Welling, von Böhme und van Helmont einarbeitete.10 Die Bibel verwirft magische Praktiken als Zauberei, und die Kirchenväter tun sie als Werk und Offenbarung des Teufels ab, wenngleich Augustin zwischen bösem und gutem Gebrauch unterscheidet, doch in der Renaissance wird die Weiße Magie, die sich der übernatürlichen Kraft einer Geistpotenz zu einem guten Zweck zu bedienen sucht, auch kirchlich geduldet und an mehreren Universitäten als Lehrfach angeboten. Der Magier will, wie Faust, Kenntnis der unentschlüsselten, animistisch aufgefassten Naturgesetze und Kräfterelationen, Kommunikation mit dem allgegenwärtigen unsichtbaren Reich der Geister, denn das Diesseits der Sinne und das Jenseits der Geistwesen sind nicht geschieden (vgl. V. 443), und er will vor allem an der übermenschlichen Wirksamkeit der Geisterwelt partizipieren. In seinem Buch De occulta philosophia (1510) beschreibt Agrippa von Nettesheim die Magie als Herrschaftswissen: Die natürliche Magie verfügt über irdische Dinge, die himmlische über Elemente und Gestirne, die religiöse über Geister und Dämonen, und Paracelsus äußert, die Offenbarungen, die Gott seinen Heiligen gewährt, erlaube die Natur ihren Jüngern, den Magiern, die durch universale geometrische Modelle Einsicht in das Stufenreich des Kosmos der Geister erlangen und durch Namensnennung, Zahlenkombination und Beschwörungsformeln Geisterdienst erzwingen. Erst als mit Francis Bacon die strenge, empirisch-induktive Naturwissenschaft begann, spalteten sich Chemie und Physik von der Magie ab.
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Seinem Leiden am eingeschränkten menschlichen Erkennen und seiner Sehnsucht nach dem »Innersten« der Welt versucht Faust mit Magie zu begegnen; mit ihrer Hilfe beschwört er den Erdgeist und Mephisto in Pudelgestalt. Aber da sie instrumentalen Charakters ist und ihrer Absicht nach, wie manche Tendenz der heutigen Technik, den ungezügelten Willen zur Herrschaft über die Naturkräfte bedeutet, da sie zwar mutig die Grenzen des Menschseins überschreitet, doch dabei hybride Verstrickungen einzugehen bereit ist, wie der spätere Teufelsbund als Hinnahme der schuldhaften schwarzen Magie beweist, muss Fausts Entscheidung für die Magie in ihrer Ambivalenz erkannt werden: Er ist Magier – das entwertet nicht sein »Streben«, wohl aber sein Vollbringen, das von fremden Kräften lebt. Wer diese Zweideutigkeit von Fausts Magie ernst nimmt, ist gefeit gegen die Faust-Ideologien alter und neuer Provenienz, die ihre Gesellschafts- oder Kulturform mit Fausts Tatengröße identifizieren, ohne deren bedenkliche Mittel in ihr schwärmerisches Kalkül einzubeziehen. Der Übergang von der Weißen zur schwarzen Magie geschieht im Drama fast unmerklich. Es bedarf der hellsichtigen Augenblicke des alten Faust vor der Blendung durch die Sorge, um ihm seine lebenslange Verblendung kenntlich zu machen: »Könnt ich Magie von meinem Pfad entfernen, / Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen, / Stünd ich, Natur! vor dir ein Mann allein, / Da wär’s der Mühe wert, ein Mensch zu sein.« (V. 11404–407) Der erste Selbstentgrenzungsversuch im »Zeichen des Makrokosmos« gelingt nur für die Länge einiger Verse. Faust, der das Bücherwissen hinter sich lassen und sein Studierzimmer mit der offenen Natur – dem »Buch der Natur« – vertauschen wollte, gewahrt die zeichenhafte Harmonie des Universums: die Einheit des Seins in der Vielheit der Bezüge, die geordnete Bewegung der korrespondierenden »Himmelskräfte«, die das Über- und das Innerirdische verknüpfen, das Wechselspiel des Ganzen und des Einzelnen, das alles Lebendige durchwirkt. Faust wird die magische »Schau« des Ekstatikers zuteil, dem sich aufgrund seines biblisch-mythologischen © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Vorwissens von der Jakobsleiter die Naturkräfte allesamt als Geistwesen »enthüllen« (vgl. V. 438). Doch der emphatische Blick in die »wirkende Natur«, die Selbstprojektion pansophischer Vorstellungen, kann die Differenz zwischen dem kosmischen »Zeichen« und der universalen Wirklichkeit nicht leugnen: Das geometrische Abbild ist vom Urbild wie der bloße Schein vom wesenhaften Sein geschieden. Enttäuschung ist der rasche Preis der Illusion. Faust will mehr als die momentane ästhetische Schau: Vom Erfassen drängt es ihn, den »Stürmer und Dränger«, zum »Fassen« (V. 455), vom Begreifen zum Ergreifen, von der bildhaften Teilnahme zur sinnenhaften Teilhabe. »Die Geisterwelt ist nicht verschlossen« (V. 443): Mit der Möglichkeit des Magiers steigen die Ansprüche. Faust ruft in scheinbarer Bescheidung den menschennahen Erdgeist, um vom bloßen »Erkennen«, das er anfangs erstrebte, zum erhöhten Lebensgefühl und aktiven Mitvollzug im unbegrenzt-begrenzten Irdischen zu gelangen. Der Ernüchterung durch das Makrokosmoszeichen folgt also der gesteigerte magische Einsatz in der Beschwörung. Die Erscheinung, die sich im impersonalen »Es« (V. 468 ff.) ankündigt, »enthüllt« sich als sprachfähige Geistexistenz, die Faust beglückt und zugleich erschreckt. Goethe stattet seinen von Welling und Swedenborg angeregten, im Wesentlichen aber selbsterdachten Erdgeist-Mythos mit dem Doppelantlitz alles Numinosen aus, das als ›fascinosum‹ den Menschen erhebt, als ›tremendum‹ ängstigt. Die Selbstcharakterisierung des Erdgeistes, die an die Sulzer-Rezension erinnert – Natur ist »Kraft, die Kraft verschlingt«11 –, weist ihn als das individualisierte Prinzip des Irdischen aus, als rastlose Kraft, die, auf ewige Selbsttätigkeit ausgerichtet, Dauer im Wechsel, das Vergehen im Werden und das Werden im Vergehen verkörpert. »In Lebensfluten, im Tatensturm / Wall ich auf und ab« (V. 501 f.): Mit Hilfe seines Lieblingsbildes, des universalen Webegleichnisses (vgl. V. 1922 ff.), versinnlicht Goethe in hinreißenden Versen die Antinomien des Daseinsprozesses; wie die Griechen fasst er © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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die Erdnatur in ihrer Polarität als natura textor, als Webepotenz, auf. Der Erdgeist »wirkt« die Erscheinungswelt und vereinigt in sich den Widerspruch von Erschaffen und Zerstören ohne irgendein transzendentes Ziel: Wie in der Natur-Rhapsodie12, die das Naturgefühl des »Sturm und Drang« am genauesten wiedergibt, erfüllt sich der Sinn des Lebens im Leben selbst. Die Epiphanie des »Welt- und Taten-Genius«13 endet mit der völligen Demütigung Fausts, denn der Erdgeist verkörpert die schaffende Zeit, wirkt als Subjekt der Zeit, deren bloßes Objekt der Mensch Faust ist. Die Ironie der Szene schlägt sich in Fausts Ausweglosigkeit nieder: Die Weiße Magie versagt als Möglichkeit, das Endliche zum Unendlichen hin zu öffnen, und als Befähigung, sich mit dem Geist der Tätigkeit zu messen. Die Schau des Makrokosmoszeichens genügt Faust nicht – dem Erdgeist, der die elementare Erdkraft und den Lebensschrecken verkörpert, kann Faust, der »Übermensch« (vgl. V. 490), nicht genügen. In einem dritten Entgrenzungsversuch will Faust, ausgeschlossen von der Ganzheit des Daseins, das principium individuationis abwerfen, um aus seiner Isolation in das All der Natur überzugehen. Da die Leibgebundenheit des Geistes die früheste und schmerzlichste Erfahrung der menschlichen Endlichkeit ist, will er sich durch Selbstmord aus dem Gefängnis des Körpers, der »Trauerhöhle« (V. 1589), befreien. Die räumliche Beengung verschärft sich zur Diskrepanz zwischen dem ungemessenen Gefühl und den vielfachen äußeren Bedingtheiten: Faust lebt »in einem hochgewölbten, engen gotischen Zimmer«, in einem »Kerker« voll »Urväter-Hausrat« (vgl. V. 398 ff. und V. 656 ff. ), überdies in einer spießigen Umwelt, wie die Wagner-Satire, in sich zurückgedrängt, wie die Erdgeist-Erfahrung zeigt, gefesselt an die allgemeinen, beschränkenden Konditionen des Daseins (V. 634 ff.) und gebunden durch die Sorge, in deren Gestalt ihm das menschliche Leben reduziert erscheint (V. 640 ff.).
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Das Lebensfazit, das Faust im zweiten Monologteil zieht (vgl. V. 632 ff.), ist ernüchternd: Alles Geistige ist auf das verunreinigende Stoffliche angewiesen; die Sorge vor der Sorge, vor dem befürchteten Möglichen, verhindert den ruhigen Genuss der Gegenwart. Was das Leben verwehrt, will Faust (wie im Volksbuch des »Christlich Meynenden«) durch einen selbstgewählten Tod erreichen: Befreiung von den Grenzen der Physis, Einswerdung mit dem All und in ihm »reine Tätigkeit« (V. 705) – ein potenziertes Tun also, in dem Wille und Ausführung identisch und ohne stofflichen Erdenrest sind (vgl. V. 634 f. und V. 11954 ff.). Wie für die Stoiker ist auch für Faust der selbstbestimmte Tod ein Akt der Freiheit, allerdings markiert für ihn das Lebensende den Beginn des eigentlichen, wahren Lebens, so dass der Selbstmord nicht ein Ausdruck der Verzweiflung, sondern ein Fest auf dem Weg zur Alleinheit ist: Der äußerste Lebensdrang führt über das Leben hinaus. In der Phantasie überschreitet Faust die Grenze des Irdischen, und seine übersteigerten Sinne nehmen die Vision des Elias-Wagens als wirklich hin. Ein jünglingshafter Todesrausch erfüllt ihn – im Vorgefühl des letzten Augenblicks kulminiert das Leben wie in der Dithyrambe An Schwager Kronos –, so dass hinter seinem transzendierenden Überschwang alle Wirklichkeit zurückbleibt. Die Osterglocken verhindern, dass der Entschluss zur Tat wird; die Chöre des Passionsspiels retten Faust – für Mephisto. Goethe kontrastiert die Auferstehungsfeier mit Fausts Todeswunsch und Selbsterlösungswillen und deutet Gegenstrebungen an: Christus übernahm freiwillig die begrenzte Existenzform des Menschen, deren sich Faust entschlagen will. Dekuvriert das Spiel mit dem Tod den Lebensspieler? Beschäftigt sich Faust jeweils mit den letzten Dingen, um sich den nächsten zu entziehen? Jedenfalls verdeutlicht Fausts antizipatorisches Pathos den Hiatus zwischen Wort und Tat, den er bis zum Lebensende nicht zu überbrücken vermag, und da ihn nicht der Glaube zurückhält, sondern die Erinnerung, ist zu folgern, dass Faust sich am Ostermorgen der © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Vergangenheit überlässt wie zuvor der emphatisch vergegenwärtigten Zukunft. Bleibt daher die konkrete Gegenwart mit ihren konkreten Aufgaben ausgespart? Dient die »offene« Natur, nach der er Verlangen trägt, als gesellschaftsfreier Raum, als Fluchtraum, wie ihn Shaftesbury und Rousseau propagierten? Nach dem dritten gescheiterten Entgrenzungsversuch, gegen Ende des Osterspaziergangs mit Wagner, erregt die Abendsonne Fausts Sehnsucht in die ungemessene Ferne des Alls (vgl. V. 1070 ff.). Im Volksbuch von 1587 nimmt Faust »Adlerflügel« an; auch Goethes Faust wünscht sich, wie schon Werther, die Ungebundenheit des Vogels, um dem Sonnenlauf folgen zu können. Die Versgruppen demonstrieren nochmals, wie Fausts Phantasie arbeitet, wie der Blick vom Sichtbar-Konkreten zum Imaginativ-Geahnten ohne Zäsur übergeht und das Fernweh, das die Wirklichkeit hinter sich lässt, den Wunschtraum als geschaute Gegenwärtigkeit ausgibt (»Schon tut das Meer sich mit erwärmten Buchten / Vor den erstaunten Augen auf«; V. 1082 f.). Doch der ersehnte »göttergleiche Lauf« (V. 1080) bleibt diesmal ohne den üblichen Transzendierungsdrang: Der erkenntnissuchende Spiritualist entdeckt jetzt seine im »Prolog« angesprochene »andere« Seele – die derbe, welthafte und lebenshungrige. Dieser sinnliche Faust, der um einen »Zaubermantel« fleht, um seinen abenteuernden Trieb ausleben zu können, ist von der schwarzen Magie verführbar: Wie in alten Teufelssagen und im Volksbuch nähert sich Mephisto in Pudelgestalt. Nicht dem platonischen Schichtenmodell der Seele, sondern der von Augustin in seinen Bekenntnissen (8,10) verhöhnten manichäischen Lehre vom Widerstreit der zwei Seelen in der Menschenbrust folgt Goethes Text: Die Polarität des Irdischen reicht in den Menschen hinein und teilt ihn in eine schwankende »Zwienatur« auf (vgl. V. 11962). Die Versöhnung der Gegenkräfte – die Vitalisierung des Sublimen und die Sublimierung seines Vitaltriebs – versucht Faust vorläufig nicht, vielmehr wird den lebensgierigen Sinnen aufgetragen, was weder dem »Geist« noch der Geistbeschwörung gelang. Schon in seinem Brief vom 23. Juni 1797 © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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erkannte Schiller die Bedeutung der »Duplizität der menschlichen Natur« für den Gang der Handlung: Das »verunglückte Bestreben, das Göttliche und Physische im Menschen zu vereinigen«, macht Fausts Größe und Elend aus. Schon vor der Wette wird das Lebensgenuss-Motiv angeschlagen: Will der einsame Faust zunächst mehr als Leben – im Gefolge Mephistos will er einfach mehr Leben. Der Tag aus dem Leben des Doktor Faust, der erst nach dem Auftritt des Teufels in höchsteigener Person endet, erlaubt es, Fausts Psychogramm nachzuzeichnen, das aus ekstatischen Aufschwüngen und depressiven Abstürzen zusammengesetzt ist. Faust maßt sich an, »mehr als Cherub« (V. 618), nämlich Seraphim, zu sein, und muss sich eingestehen, dass er nur »dem Wurme« gleicht (V. 498 und V. 653). Elevation und Resignation – die Extreme lösen einander ab. Der Grund: Faust kann die Kluft zwischen Erkenntnisverlangen und Erkenntnisvermögen nicht schließen und die dadurch bedingte Selbstwertkrise nicht ausbalancieren. Der Selbstmord als Klimax der Entgrenzungsversuche scheint die einzige Möglichkeit zu sein, in die Totalität des Seins einzudringen und Totalität in sich aufzunehmen. Indes gibt die psychologische Deutung des rhetorischen Aktivisten nur die halbe Wahrheit wieder. Es ist der Begriff der »Gottebenbildlichkeit«, in dem Fausts Selbstgefühl gründet, und der der verwegenen »Gottgleichheit«, auf die sein »Streben« letztlich zielt (vgl. V. 516; auch V. 614 und V. 3285). Dass der Mensch die Anlage zur Gottheit in sich trage, äußern die »Stürmer und Dränger« in unreflektiertem Selbstgefühl; dass die Menschwerdung Gottes die Gottwerdung des Menschen bedinge, gehört zu den Grundüberzeugungen der Epoche des Idealismus. Goethes spätere Meinung spricht Nereus in den »Felsbuchten des Ägäischen Meers« aus (vgl. V. 8096 ff.). Wie die biblisch verheißene Gottebenbildlichkeit (1. Mose 1,26 f.), insgeheim zur Gottgleichheit umgedeutet, zur äußersten Anstrengung führt und zur Vermessenheit verführt, demonstriert das Faust-Drama. © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew’ger Wahrheit, Sein selbst genoß in Himmelsglanz und Klarheit, Und abgestreift den Erdensohn; Ich, mehr als Cherub, dessen freie Kraft Schon durch die Adern der Natur zu fließen Und, schaffend, Götterleben zu genießen [. . .] (V. 614 ff.) Ist hier pure Hybris am Werk? Faust kann sich auf Goethes jugendliche Kosmogonie am Ende des 8. Buchs von Dichtung und Wahrheit berufen, wovon nachher noch die Rede sein wird, wenn er zurückstrebt zu seinem Ursprung. Die Einheit, die Unendlichkeit Gottes tritt der »Privatreligion« des jungen Goethe zufolge über in die Mannigfaltigkeit der Teile, die in ihrer Geschöpflichkeit begrenzt sind, doch die Züge des göttlichen Urbilds tragen. Der Mensch ist getrennt von Gott und doch unzertrennlich mit ihm, in dem er enthalten bleibt, verbunden; er ist ebenbildlich, aber nicht ebenbürtig, er hat teil an der unendlichen Wesenheit des Schöpfers und besitzt doch nur partikulare geschöpfliche Kraft. An diesem Widerspruch, »zugleich unbedingt und beschränkt zu sein«, leidet der Mensch, »und da dieser Widerspruch durch alle Kategorien des Daseins sich an ihm manifestieren und ein vollkommenes Bewußtsein sowie ein entschiedener Wille seine Zustände begleiten sollte; so war vorauszusehen, daß er zugleich das Vollkommenste und Unvollkommenste, das glücklichste und unglücklichste Geschöpf werden müsse«.14 Der Mensch – und Faust repräsentiert den Menschen in genere gemäß Goethes Konzeption von 1797 – will sich der Rolle, unbedingt und bedingt in einem zu sein, entschlagen und sich selbst als absolut und autonom © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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statuieren. Darin besteht nach Goethe seine Undankbarkeit und sein luziferischer Teil. Überdies erstrebt Faust in den angeführten Versen weniger ein augustinisches Aufgehen in Gott als ein Übergehen in den Schöpfungsprozess, weniger eine Rückkehr zum göttlichen Ursprung als vielmehr »Schaffen« und »Genuß« im aktiven Einssein mit der apersonal gedachten Natur. Wir haben gelernt, Faust mit nüchternen Augen zu sehen, doch setzt seine Beurteilung – oder gar seine Verurteilung – voraus, dass das Gesetz, nach dem er angetreten ist, mit in Anschlag gebracht werde: die Erbtugend des »Strebens«, des Werdens und Verwandelns. Die Gottheit ist »Gestaltung, Umgestaltung« (V. 6287); die Natur hat, dem Natur-Aufsatz gemäß, »fürs Bleiben keinen Begriff und ihren Fluch hat sie ans Stillestehen gehängt«.15 Das Absolute der Gott-Natur in Faust ist es, das daher zum Absoluten zurückdrängt. Etwas Zweideutiges haftet indessen diesem Drängen immer an. Auf der komisch-niederen Ebene des Schülers gespiegelt, heißt dies: »Dir wird gewiß einmal bei deiner Gottähnlichkeit bange!« (V. 2050.) Im Rückblick wie im Vorblick auf die Studierzimmer-Szenen ergibt sich: Fausts Leiden an der Endlichkeit bedingt seinen Transzendierungsdrang; die überschießende Phantasie – neben dem Herzen das Organ, aus dem die »Stürmer und Dränger« zu existieren vorgeben – verringert die korrespondierende Wirklichkeit; der Reichtum des Innern bringt mit sich, dass die Außenwelt immer armselig zu sein scheint. Der Widerspruch, unbedingt und beschränkt zu sein, lässt sich daher am sinnfälligsten am Verhältnis von Innerlichkeit und Außenwelt, von Phantasie und Realität zeigen. Das Herz entwirft eine Welt »in sich« (vgl. V. 491 und V. 778); die Phantasie erweitert »zum Ewigen« (vgl. V. 640 f.); in der Menschenbrust regt sich die eigne Schöpfung (vgl. V. 1560): Immer trifft die innere Unendlichkeit auf die beschränkende Außenwelt. In einer Maxime definiert Goethe den Menschen »als innerlich Grenzenloses, als äußerlich Begrenztes«, das in die Außenwelt eingreife16, doch eben die »Disproportion« © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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von Innen und Außen verhindert den ausgewogenen Bezug. Werther, Tasso und Faust leiden an der Hypertrophie ihrer Einbildungskraft, an der gegenstandslosen Innerlichkeit, die sich ihre solipsistische Welt erschafft und dabei die kompromissgeformte Wirklichkeit von Gesellschaft und Staat übergeht. Die Dialektik von Freiheit und Bindung, auf der Goethe besteht,17 bleibt Faust fremd. Er ist der Prototyp jener neuzeitlichen Figuren, die das Wirkliche in das Überwirkliche erweitern wollen, aber, unterwegs zum Unbedingten, das in seiner Bedingtheit Mögliche verfehlen. Dass sich die hochgesteigerte Subjektivität, die im »Sturm und Drang« für den deutschen Sprachraum entdeckt wird, der gegenständlichen Außenwelt in Form der gesellschaftlichen oder staatlich-kommunalen Forderungen gern entzieht, ist teilweise mit der den Bürgern im 18. Jahrhundert aufgenötigten Abstinenz von politischer Wirksamkeit und der Entstehung des Kulturpessimismus im Gefolge Rousseaus zu begründen. Nietzsche hingegen diagnostiziert den »merkwürdigen Gegensatz eines Innern, dem kein Äußeres, eines Äußeren, dem kein Inneres entspricht«, als »eigenste Eigenschaft« des modernen Menschen.18 Fausts »Modernität« äußert sich in dieser unvermeidbaren Kollision: Erstmals in der Geschichte der Tragödie bedarf eine sich anbahnende Tragik keines Gegenspiels (vgl. V. 1866 f.). Faust bedeutet damit Höhepunkt und zugleich Krise des Subjektivismus. Die Entwicklung des Individualismus zum Subjektivismus seit der Renaissance ist, positiv gesagt, von der Befreiung aus kirchlichem Dogmatismus begleitet, negativ ausgedrückt, bezeichnet dieser Prozess den Zerfall der Einheit von Glauben und Wissen. Das Ergebnis ist bekannt: Absolute Ichsetzung muss mit Selbstverfehlung, totale Emanzipation mit Isolation, Überbetonung der Phantasie mit Realitätsverlust bezahlt werden. Daher besteht die Humanitätsphilosophie aus guten Gründen auf Maß und Entsagung als Regulativen des lebensimmanenten Unendlichkeitsdrangs. Um Herder zu zitieren: Die Natur will nicht allein, dass der Mensch sich ausbreitet, sondern dass er sich auch einschränkt.19 © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Das Resümee der drei Entgrenzungsversuche: Das vom »Herrn« gerechtfertigte, seiner Autonomie innegewordene Individuum will in seinem metaphysischen »Selbsthelfertum« die Ganzheit des Seins nicht nur begreifen, sondern auch – tätig und genießend – ergreifen. Den Weg der Mystik des 15. Jahrhunderts – durch Versenkung in den Seelengrund das Einssein mit Gott schon im Diesseits zu erfahren – verwirft der Magier Faust; die Idee des Idealismus von der werdenden Gottwelt, die sich des Bewusstseins des Menschen zu ihrer Vollendung bedient, bleibt ihm fremd. Am Ostermorgen endet die Exposition; den Tag über bescheidet sich Faust, Erinnerungen hingegeben und weltoffenen Sinnes, mit Wagner; am Osterabend beginnt, von seinem Fernweh eingeleitet, das Spiel zwischen ihm und Mephisto, der »magisch leise Schlingen« (V. 1158) um ihn zieht.
Faust und Mephisto: Ungleiche Partnerschaft Versöhnt mit Gott und Welt und auch mit sich, kehrt Faust in sein Studierzimmer zurück. Doch der Friede, den er in der Selbstbeschränkung findet, ist von kurzer Dauer: Sein Gefühlsrhythmus wechselt wieder in Strophenschnelle; sein religiöses Empfinden ist der bloße Reflex seiner schwankenden Stimmung. Die Übersetzung des Anfangsverses des Johannesevangeliums – ein vorzüglicher Kunstgriff Goethes – ermöglicht es Faust, eine neue indirekte Selbstdeutung zu geben. Der kenntnisreiche Exeget folgt dem hebräischen Textsinn und versteht wie Vico und Herder ›Logos‹ als ›Tat‹, in der sich die ›Kraft‹ in Bestimmtheit umsetzt. Die Gottheit als ›Tat‹ – für Faust bietet sich die analoge Selbstinterpretation als Kompensation seiner Handlungsarmut geradezu an. »Im Anfang war die Tat« (V. 1237) – just in diesem Augenblick beginnt folgerichtig die Metamorphose des Pudels als Antwort auf das anfängliche © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Schöpfungswerk. Fausts Beschwörung bedient sich schließlich ohne Bedenken christlich-magischer »Künste«: Dem Antichrist begegnet der Nichtchrist im Namen und im Zeichen Christi (vgl. V. 1305 ff.). Auch die Exposition Mephistos, des Antagonisten, geschieht durch eine Selbstcharakterisierung. »Ein Teil von jener Kraft,/ Die stets das Böse will und stets das Gute schafft« (V. 1335 f.). Bekräftigt er einfach das Urteil des »Herrn«, dass er, indem er als Teufel schafft (vgl. V. 343), gegen seine Absicht am göttlichen Weltplan mitwirkt und daher vor allem Anfang schon zum Misserfolg verurteilt ist? Oder begegnet der »Scholastikus« Fausts Imponiergehabe mit einer raffinierten Sophisterei, indem er ethische Termini durch Aspektvertauschung verrätselt? Will Mephisto, was die Menschen »böse« nennen, nämlich Zerstörung, und erlangt er, was »gut« ist nach seiner Einschätzung, nämlich Vernichtung? Er jongliert hier und später mit Begriffen und operiert mit Perspektiven, um seinen Part voranzutreiben. Da er in der Folge eine Satanologie unter dem Thema des Teils und des Ganzen entwirft (vgl. V. 1346 ff.), die, prima vista, dem bekannten biblischen Mythos verwandt zu sein scheint, bedarf es einer kurzen Digression. Nach biblischer Auffassung, in der orientalische Einflüsse nachwirken, konstituiert ein umgreifender Dualismus die Welt: Gott und Satan, Licht und Finsternis. Dem Neuen Testament zufolge ist der Teufel der »Fürst« und »Gott dieser Welt« (Joh. 12,31; 14,30; 16,11; 2. Kor. 4,4) und der Verderber der Menschen. Luther übernimmt den Teufelsglauben, und noch Frühaufklärer wie Christian Thomasius leugnen nicht die Existenz des Teufels, wohl aber die Möglichkeit des Teufelsbunds. Für das 18. Jahrhundert ist Satan die Chiffre für die unheimliche, die unerklärliche und doch reale Macht des Bösen in der Welt. In Goethes jugendlicher »Privatreligion«, die am Ende des 8. Buchs von Dichtung und Wahrheit im distanzierenden Altersrückblick dargelegt wird, nimmt Luzifer einen genauen Ort und eine bestimmte Stellung ein. Diese © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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synkretistische Kosmogonie des Frankfurter Goethe, die er sich während seiner langwierigen Genesung zusammenlas und ausdachte, verhilft zum angemessenen Verständnis von Mephistos Selbstcharakteristik. »Der neue Platonismus lag zum Grunde; das Hermetische, Mystische, Kabbalistische gab auch seinen Beitrag her, und so erbaute ich mir eine Welt, die seltsam genug aussah.«20 Eines der Resultate dieser eklektizistischen Studien ist Goethes halb christlich-religiöser, halb magisch-mystischer Luzifer-Mythos, der einen wichtigen Teil seines Erklärungsversuchs der Weltentstehung bildet: Die Gottheit schafft die ewige, unteilbare göttliche Dreieinigkeit, die aus sich »ein Viertes« hervorbringt, nämlich Luzifer. In diesem ist ein Widerspruch angelegt, denn er ist unbedingt und doch zugleich in der Trinität enthalten – und damit begrenzt. Luzifer nun, dem die Schöpfungskraft übertragen wird, »produziert« das ebenbildliche Engelreich, das ihm anhängt, sich mit ihm auf sich selbst konzentriert und aus Undank und Hybris teilweise von Gott abfällt. Dem Prozess der luziferischen »Konzentration« entstammen Materie, Körperlichkeit und Finsternis. Um der gefährlich fortschreitenden Verfestigung entgegenzuwirken, wird im göttlichen Gegenakt, der »Expansion«, das Gleichgewicht zwischen Zusammenziehung und Ausdehnung – der pulsierende Wechsel des Lebens – hergestellt. Das Licht entsteht und mit ihm, »was wir mit dem Worte Schöpfung zu bezeichnen pflegen«, schließlich der Mensch als das Wesen, das – »Ausgeburt zweier Welten«21 – den Gegensatz von Geist und Materie, Licht und Finsternis schmerzlich in sich vereinigt und Gott und Welt mühselig in sich verbindet. Der Mensch – gottebenbildlich gedacht – ist, da er wie Luzifer »unbedingt und beschränkt« zugleich ist, nicht nur, wie für Leibniz, der »kleine Gott der Welt« (V. 281), sondern auch deren kleiner Teufel im Undank und in der Selbstüberhebung. Glück und Unglück des Menschen entstammen diesem Widerspruch von Körper und Geist, von endlicher Anlage und der geistigen Disposition fürs Unendliche; aus seiner © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Sonderstellung zwischen den polaren, einander bedingenden Bereichen der Welt resultiert seine charakteristische Dualität, der Streit der »zwei Seelen« und der Gegensatz von Streben und Erschlaffen. Man sieht: Aus den Grundgedanken dieser Kosmogonie lassen sich die jugendliche Luzifer-Vorstellung und das Bild vom Menschen ableiten, die Auffassung von Mephisto und die Einschätzung Fausts; in ihr enthalten sind überdies zentrale Begriffspaare, die Goethes Dichten und Denken lebenslang bestimmen: Die Schöpfung ist ein unaufhörlicher, ein gegenstrebiger Prozess zwischen den »Pulsen« von Expansion und Konzentration, Diastole und Systole, Emanation und Regression, Ausgang und Rückkehr zum Ursprung; der Mensch als Doppelwesen ist zur Kontraktion – dem »Verselbsten« – genötigt und zur Expansion – der »Entselbstigung« (als einer Weise der Vergeistigung) – aufgerufen.22 Man erinnere sich an Prometheus und Epimetheus in Pandora oder an den Ganymed und den Prometheus der Oden, in denen die erwähnte Antinomie von Selbstverfestigung und Selbstpreisgabe personalisiert ist, und konkretisiere die Kosmogonie durch den »Prolog«: Das hier sanktionierte »Streben« erhält seinen vollen Sinn, wenn es als Expansionsdrang, als ruheloses Suchen nach dem Ursprung – dem »Urquell« (V. 324) – verstanden wird. Doch erst Systole und Diastole zusammen machen, gleichberechtigt, im rhythmischen Wechsel, das polar strukturierte Leben in seiner Ganzheit aus.23 Mit dem nötigen Vorbehalt gegen begriffliche Verkürzungen lässt sich sagen, dass Faust das diastolische, Wilhelm Meister eher das systolische Prinzip in Goethes Werk vertritt. Für die Kritik an Faust gilt das Wort des Abbé in den Lehrjahren: »Wer alles und jedes in seiner ganzen Menschheit tun oder genießen will [. . .], der wird seine Zeit nur mit einem ewig unbefriedigten Streben hinbringen.«24 Doch zurück zur ersten Studierzimmer-Szene, zu Mephistos verschnörkelter Selbstoffenbarung. Weder die Satanologie des »Prologs« noch die Luzifer-Vorstellung © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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der Autobiographie wird von ihm repetiert (vgl. V. 1335 f.), vielmehr geht er auf Verwirrung des verdutzten Faust aus, da Absicht und Resultat – das »Böse« wollen und das »Gute« erreichen – einander widersprechen. Mit aggressivem Freimut expliziert Mephisto seinen Nihilismus als Grund seines Destruktionstriebs und seiner Verkehrung der menschlichen Wertkriterien. »Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war, / Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar« (V. 1349 f.): Dem menschlichen Bedürfnis nach Ganzheit – Ganzheit ist ein wenig beachteter Zentralbegriff Goethes, in dem seine einheitliche Menschen-, Natur- und Kunstauffassung gesammelt ist – setzt Mephisto seine Partialität entgegen, die er aus seiner Metaphysik ableitet: Er ist bloßer Teil – einer aus der uniformen Heerschar der Bösen – und »Teil des Teils«, da die Nacht durch die Geburt des Lichts zum Teil des uranfänglichen Ganzen degradiert wurde. Geschickt deutet Mephisto die biblische Genesis um: Im Anfang war die Nacht, und die Nacht war ohne Gott, und Satan war die Nacht. Listig unterschlägt er den Schöpfergott, konsequent entwirft er seine Lehre von der Finsternis, rabulistisch statuiert er die Lichtwerdung als Aufstand gegen den nächtlichen Ursprung. Wie die alte Mythologie, so interpretiert auch Mephisto den Kampf zwischen Licht und Finsternis als Thema des Weltprozesses und der Weltgeschichte, doch kann es nicht wundernehmen, dass er den Sieg für das Dunkel reklamiert, zumal das Licht, von der vergänglichen Körperwelt hervorgebracht, von ihr abhängig und gehemmt ist. Obwohl Mephisto den ewigen Produktionstrieb Gottes, der sich im Kosmos manifestiert, leugnen möchte, kommt er nicht umhin, seine unablässigen Misserfolge einzugestehen: Die Beständigkeit des »Etwas«, die Welt, erhält sich gegen die teuflische Destruktion, die den alten Zustand des »Nichts« wiederherstellen will (vgl. V. 1363). Die Gesetzmäßigkeit der Natur setzt sich gegen die entfesselten Elementargewalten durch, deren sich Mephisto bedient, und Tier und Mensch überdauern als Gattung trotz des Tods der Individuen, wie Mephisto in seinem © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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widerwilligen Preis des Irdischen einräumen muss (vgl. V 1369 ff. und V. 9937 f.). Den Elementen Luft, Wasser und Erde verdankt sich das ewig neue, das »unverwüstliche« Leben; dem Lebenstrieb widersetzt sich, sofern es zerstörerisch wirkt, das Feuer, das daher Mephistos Attribut ist. Mephisto verkörpert also nicht – wie der Erdgeist – die immanente Dialektik der Natur, das Leben, das unfühlend in verwandelter Gestalt aus jedem Tod hervorgeht, sondern das statische Chaos, in dem alle Formen ausgelöscht sind. Wer »stets das Böse will«, nämlich Gesetzlosigkeit, bestätigt indirekt die Gesetzmäßigkeit der Natur; wer das Menschliche im Menschen bekämpft, ruft Gegenkräfte hervor und begünstigt ungewollt das individuelle Streben und den generellen Fortschritt. Daher ist das Teuflische die dialektische Negation der Geschichte und der Teufel die dialektische Ergänzung zu Faust. Mephistos dürftige Gesamtbilanz gegen Ende der ersten Studierzimmer-Szene rechtfertigt die Meinung des »Herrn« im »Prolog«; die Pentagramm-Episode (vgl. V. l393 ff.) demonstriert überdies, dass der Teufel »nur frei erscheinen« darf (V. 336) – dass auch seine Macht begrenzt und den vertrackten Gebräuchen und Gesetzen der Hölle unterworfen ist (vgl. V. 1410). Die Gegensätze klären sich: Die Schöpfung, das Leben, dessen »Werden« in der Wasser- und Quell-Metaphorik dutzendfach verbildlicht ist, steht gegen Zerstörung und Erstarrung, das Ganzheitsstreben des Menschen Faust will sich in Wette und Wettstreit gegen Mephisto, den Teil des Teils, behaupten. Der »Stürmer und Dränger« Faust will Ganzheit in dreierlei Hinsicht: in der Vereinigung sämtlicher Kräfte und Eigenschaften, die die platonisch-christliche Spaltung in Körper und Geist überwinden; in der Annahme der polaren Ganzheit des Lebens, »der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen« (V. 465; vgl. auch V. 1766 f. und V. 1773); in der Repräsentanz des ganzen Menschengeschlechts, wodurch sich die Individualität zur Totalität erweitert (vgl. V. 1770). Mephisto hat dafür nur den Spott des Welterfahrenen übrig (vgl. V. 1776 ff.).
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Das Intervall zwischen der ersten und zweiten Studierzimmer-Szene ist unbestimmt, doch lang genug, um einen neuerlichen Stimmungsumschwung in Faust zu zeitigen, der sich in einer weltschmerzlerischen Elegie – Melancholie ist das Attribut des Genies von Aristoteles über Marsilius Ficino bis zu den »Stürmern und Drängern« – über das vertraute Thema des »engen Erdelebens« (V. 1545) und seiner Pein Luft macht. »Entbehren« ist nach Faust synonym mit Dasein. Der Unterschied zwischen Autor und Protagonist wird hier wieder deutlich, denn Entsagung – die positive Form des »Entbehrens« – schließt für Goethe, und nicht erst seit Rom, Selbstbeschränkung, freiwillige Bejahung der Bedingungen der Natur und der begrenzenden Sittlichkeit ein. Faust beklagt seine tatenlose Verlorenheit im Universum seines Innern, sein Gefühl ohne Wirklichkeit, seinen Willen ohne Wirksamkeit und redet sich seine Verzweiflung ein, die in einer Verfluchungsorgie mündet: Sein Anathema trifft den bloßen Schein und das wahre Sein, Bezüge, Ordnungen und Werte. Faust nimmt die Kardinaltugenden von Glaube, Liebe und Hoffnung (vgl. 1. Kor. 13, 13) nicht aus, jene Kräfte also, die, ohne magische Hilfe, in der endlichen Welt ein Nicht-Endliches zu verwirklichen imstande sind. Auch wenn er keinen Gottesfluch ausstößt, nimmt der Mensch Faust in diesen Vers-Klimakes (V. 1587 ff.) das Ebenbild des Teufels an. Das Fazit: Fausts maßvergessener Nihilismus verringert die selbstsichere Distanz während seiner ersten Teufelsbegegnung; nach der Abweisung alles Verführerischen in Leben und Natur stellt er sich freiwillig dem Verführer. Der herkömmliche Teufelspakt folgt einem simplen Schema: Der Teufel dienert im Diesseits, der Mensch bezahlt im Jenseits – mit seiner ewigen Verdammnis. Durchtrieben, wie er ist, macht Mephisto dasselbe Angebot, das für ihn eine sichere Sache zu werden verspricht: »Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden, / Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn, / Wenn wir uns drüben wiederfinden, / So sollst du mir das gleiche tun.« (V. 1656–59.) Dass Mephisto das »Wenn« temporal © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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auffasst und nicht konditional, dass er eine eindeutige zeitliche Folge im Verhältnis des »Wenn« zum »Dann« voraussetzt, entspricht den selbstverständlichen Voraussetzungen seiner Offerte. Doch der bislang transzendenzsüchtige Faust bekennt sich mit gewohnter Ausschließlichkeit zur Immanenz des Irdischen, übernimmt die Gesprächsführung, testet Mephisto mit Paradoxien und Anomalien, die auf die Denaturierung der Natur ausgehen (vgl. V. 1678 ff.), und formuliert präzise die Wettbedingungen, die, im Gegensatz zum üblichen Pakt, beiden Partnern gleiche Chancen einräumen und den Ausgang der Wette offenhalten. Welche Wettvorschläge folgen mit Notwendigkeit aus Fausts Charakter, der die Geduld verflucht (vgl. V. 1606) und dessen Unruhe über das Irdische hinausdrängt? Mit großartiger Konsequenz formuliert Goethe als Wettgegenstand das nie zu befriedigende »Streben«, das alle zeitliche Sukzession – und in ihr den erfüllten »schönen« Augenblick – transzendieren möchte: »Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen, / So sei es gleich um mich getan!« (V. 1692 f.) Die Wette zielt auf Fausts Identitätswahrung, auf bleibende Übereinstimmung mit seinem entelechischen »Nisus«, dem Drang vorwärts.25 Selbstverlust droht durch die Ruhe des »Faulbetts«, durch lynkeushaftes Selbstgefallen in der Selbstannahme (vgl. V. 11296 ff. ) und durch begierdefreien, gestillten Genuss. Begierde und Genuss bilden fortan in Fausts »neuem Lebenslauf« (vgl. V. 2072) die Pole, die er weder vereinen will noch darf (vgl. V. 3249 f.). »Werd ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / Dann will ich gern zugrunde gehn« (V. 1699–1702): Der Wetteinsatz betrifft nur das irdische Leben, von einer Seelenverschreibung ist nicht die Rede, da Faust den Verlust der Wette mit dem Verlust des diesseitigen Lebens gleichsetzt und eine Existenz nach dem Tode unbedacht lässt (vgl. V. 1704 ff.). Den Wettformeln lassen sich noch andere Folgerungen entnehmen: Wenn das unendliche © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Wollen das endliche Sein übergeht, wird dem Irdischen der Wert, festgehalten zu werden, abgesprochen; wer wie Faust keinen Augenblick anerkennen kann oder, nach den Bedingungen der Wette, keinen Augenblick anerkennen darf, entpflichtet sich der Beständigkeit menschlicher Beziehungen und damit auch der Treue. Durch die Wette wird die Zeitlichkeit im Faust-Drama problematisiert und die Unstillbarkeit des »Strebens« und Genießens statuiert. Was sich im »Streben« als Übereinstimmung mit dem Willen des »Herrn« ausgeben darf, das Ungenügen am Endlichen aufgrund der Abkunft vom Unendlichen, verrät sich als Widerruf der Gleichnishaftigkeit alles Vergänglichen, das für das Unvergängliche steht (vgl. V. 12104 f.). Auch hier erweist es sich, wie fremd Faust seinem Autor sein muss, der den »ewigen« Augenblick noch in einem Altersgedicht, in Vermächtnis, anspricht, der das zur Ruhe gekommene ›nunc stans‹ zu erleben, der als Botaniker im spezifischen Augenblick der individuellen Metamorphose das Typische zu entdecken und seit 1797 das Symbolische bewusst zu gestalten sucht, das gleichnishafte Faktum, das verwandte Gegenstände und Vorgänge paradigmatisch vertritt. Faust, der repräsentativ zu existieren vorgibt, wie der entscheidende Einschub im Fragment von 1790 beweist (»Und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist, / Will ich in meinem innern Selbst genießen«; V. 1770 f.), der sein individuelles Ich als Welt-Ich anspricht, ist unfähig, exemplarisch zu leben und zu verstehen. Für Mephisto stellt sich die Aufgabe, Fausts ideelles Expansionsstreben einzuschläfern, den neuerwachten Trieb zum Sinnlichen anzustacheln und dabei Faust zum Selbstvergessen im verselbstigten »Beharren«, zum Verweilen im Genießen, zu verführen: »Staub soll er fressen, und mit Lust« (V. 334). Um zusammenzufassen: Weil er am Geist und an Geisterhilfe verzweifelt, lässt sich Faust aufs Leben ein, und zwar mit der gleichen unendlichen Begierde. Doch während der »Herr« im »Prolog« auf Fausts rastloses »Streben« setzt, wettet Faust aus Lebensverachtung auf sein dauerndes Ungenügen. © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Aus der Wette folgt die Rechtfertigung von Fausts Weltfahrt, und aus ihr geht hervor, dass er, nachdem er alle Welterfahrung verfluchte, sich mit der Welt einlassen und zugleich von ihr distanzieren kann: »Du hörest ja, von Freud’ ist nicht die Rede.« (V. 1765.) Nicht Faust schafft die Umstände, sondern Mephisto, kein Selbstverwirklichungsstreben treibt den Teufelsbündner, sondern die demonstrative Lust am Unerfüllbaren. Die Alternative zur missglückten Entgrenzung ins Jenseits ist Fausts Verlangen nach Konzentration aufs Diesseits, auf die »Tiefen der Sinnlichkeit« (V. 1750; vgl. dagegen V. 1330). Doch dazu bedient er sich der Zauberkraft Mephistos. Wenn Faust jetzt verkündet, nur rastlos betätige sich der Mann (vgl. V. 1759), spricht er das Urteil über seine Unmännlichkeit. Faust identifiziert die Gottheit – und auch sich – mit der Tat (vgl. V. 705, 1237, 10188 u. ö.), doch nichts dekuvriert die Faustldeologie alter und neuer Tage schonungsloser als die Differenz zwischen seinem emphatischen Wort und dem delegierten Tun (vgl. auch V. 2351 ff.). Goethe hat die Taten und Untaten des Faust der »Volksbücher« fast ganz ausgespart; allerdings hat er seinen Protagonisten auch vor Gaukeleien und Scharlatanerien bewahrt. Faust ist kein Handelnder im ersten Teil des Dramas, denn das Handeln zwingt den Menschen, aus der Fülle der Möglichkeiten, über die der Wille spielerisch verfügt, sich für eine einzelne konkrete Tat zu entscheiden, die ihn nachträglich noch festlegt (vgl. V. 632 f.). Der Weg von der Potentialität zur Realität führt über die Selbstbeschränkung. Jean Paul durchschaute eine der Absichten des Faust-Dramas, als er am 4. Oktober 1809 an Friedrich Heinrich Jacobi schrieb: »Eigentlich ist’s gegen die Titanenfrechheit geschrieben.« »Ward eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben, / Von deinesgleichen je gefaßt?« (V. 1676 f.) Wie legitimiert Faust, dessen labiles Ichgefühl zwischen der Anmaßung, »mehr als Cherub« zu sein (V. 618), und der Selbsterniedrigung, »dem Wurme gleich« zu existieren (V. 653), hin und her schwankt, wie begründet er seine © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Geringschätzung Mephistos? Das »hohe Streben« zeichnet den Menschen, Faust insbesondere, aus und überdies, wie sich dem 11. Paralipomenon entnehmen lässt, seine produktive Einbildungskraft, versinnlicht im »schaffenden Spiegel«. Goethe führte die im genannten Paralipomenon skizzierte Disputationsszene nicht zu Ende, wie er auch den Proserpina-Plan im zweiten Teil des Dramas, Fausts Losbittung der Helena, fallen ließ. Doch es ist zu mutmaßen, dass eine Disputation zwischen Faust und Mephisto, dieser als fahrender Scholar verkleidet, über Vernunft und Verstand die Grenze der Ratio demonstrieren sollte. Bei der Verteidigung seiner Thesen bleibt Mephisto die Antwort auf die Frage nach dem Ort des »schaffenden Spiegels«, der die Außenwelt nicht allein reflektiert, sondern Welt in der Welt produziert, schuldig. Plotin und Leibniz’ Monadologie (und der Paragraph 147 seiner Theodizee) stehen Pate bei dieser Vorstellung, wonach der menschliche Geist Wirklichkeit empfängt und, im Kunstwerk beispielsweise, eine Wirklichkeit sui generis gesteigert hervorbringt. So ist die Imagination am Werk, wenn Faust die geometrischen Zeichen des Makrokosmos in sinnenhafte Bilder verwandelt und den Elias-Wagen visionär vorwegnimmt, und es ist die im Eros gründende Imagination, die die Schönheit des schönen Bildes, das im magischen Spiegel der »Hexenküche« erscheint, noch vertieft (vgl. V. 2429 ff., überdies V. 1082 f., 4183 ff. und V. 7271 ff.). Daher geht Mephisto immer wieder gegen die überlegene Einbildungskraft an. Aus Insuffizienz und mit genauer Folgerichtigkeit mokiert er sich über den »Kribskrabs der Imagination« (V. 3268), und so klarsichtig wie zynisch entschleiert er die »hohe Intuition – (mit einer Gebärde)« (V. 3291), die sich ihre notdürftige Triebmaskierung nicht eingestehen mag. Wer ist Mephisto? Er ist die persongewordene reine Intelligenz – im ersten Teil des Faust ein Rationalist ohne Phantasie und ein Realist ohne Empfindung (»Sie ist die Erste nicht«; S. 128). Mephisto relativiert alle Werte und desillusioniert alles © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Menschliche, das seine Zweideutigkeit als »Ausgeburt zweier Welten« nicht los wird: Im »Streben« nimmt er nur den Irrtum und die vergebliche Anstrengung wahr (vgl. V. 280 ff.). Er spioniert beim Selbstmordversuch, bei der Bibelübersetzung und der Katechisation, glossiert, ironisiert und parodiert – er entlarvt das Lächerliche im Erhabenen, wenn dieses zur Selbststilisierung neigt (vgl. V. 3055 ff.), und den anmaßenden Schein (vgl. V. 1806), verkennt aber das wahre Sein, das sich in den einfachen Tugenden der Menschen äußert. Mephisto ist ein intellektueller Virtuose, der zu verdrehen, zu verwirren versteht, ein Zyniker, der das Leben sieht, wie es ohne Sinngebung wäre, und ein Nihilist, der mit Treu und Glauben skrupellos spielt. Mit vielen Attributen des Volksaberglaubens behaftet und doch alles andere als ein Prellund Hinketeufel, gehört er, wie Thomas Mann gelegentlich formulierte, zur »höllischen G. m. b. H.«26 – beschränkt in der Haftung und manchmal auch in der Ausübung. Der Mephisto des ersten Faust-Teils ist eine gegengöttliche Macht, das verkörperte Prinzip des Bösen – und doch: welche konkrete Vielgestalt gibt ihm Goethe bei, vor allem im zweiten Teil und gemessen an Miltons und Klopstocks Teufeln! Von proteushafter Wandelbarkeit, passt er sich den selbstinszenierten Gelegenheiten geschickt an; perfekt spielt er seine Rolle (vgl. V. 2010), ohne der Rollenerwartung in Nebenszenen zu entsprechen – ein Meister der Selbstironie aus Selbstdistanz, der Parodie und, im Hexenbereich, der Groteske. Dieser Teufel – »keiner von den Großen« (V. 1641) – ist nicht frei von Widersprüchen, die ihn lebendig machen, er ist lüstern und gemein, verlockt zum Obszönen und prangert es nachträglich an. Seine vielen Rollen und Masken reizen Schauspieler mehr als Fausts erhitztes Pathos, das sich in Lust und Schmerz immer gleichbleibt. Da Mephisto ausgenommen ist aus dem »Werden« der Schöpfung, ist er alt (vgl. V. 4091 f. und V. 6817) und somit doppelt illusionslos, ein Skeptiker auch in eigener Sache. Seine Erfahrung sammelt er in Maximen, gelegentlich mit einem Anflug von Humor – Humor als jene Äußerungsform verstanden, in der sich © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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nach überwundener Enttäuschung der Lebensernst distanziert zu Wort meldet. Mephisto ähnelt daher hin und wieder jenem Teufel, von dem Jean Paul in seiner Vorschule der Ästhetik schreibt, er könne sich ihn »leicht als den größten Humoristen gedenken«. Der Teufel im Jahrhundert der Aufklärung – räumte Goethe mit dem unmäßigen Höllenspuk, mit Hexenzauber und Geisterwesen dem vergangenen Spätmittelalter nicht allzu viel Wirklichkeit und Bedeutung in seiner Gegenwart ein? Bedurfte es für das Faust-Drama des verselbständigten Bösen, wo die Doppelnatur des Menschen dieses Böse als Anlage in sich trägt und seine Willensfreiheit es ermöglicht? Bedurfte es der Personifikation der menschlichen Triebhaftigkeit, die der Alltag lediglich mit dem Firnis der Zivilisation überdeckt, wenn Mephisto das Böse in Faust, dessen »eine« Seele, ist? Als sich Lessing und Maler Müller 1777 in Mannheim über ihre Faust-Arbeiten unterhielten, warnte Lessing davor, die Teufel, die heutzutage »schon so viel von ihrem Kredit eingebüßt«, wie Dante oder noch wie Klopstock »nach Wahrscheinlichkeit« darzustellen, und Friedrich Müller beruhigte seinen Gesprächspartner mit der Erklärung, dass er den Stoff mit Ironie traktiert und das Natürliche und Übernatürliche in der Weise verstrebt habe, dass dadurch ein genauer Blick sowohl in die »Höhen als auch Tiefen der menschlichen Natur« möglich werde.27 Gelten die Vorbehalte des Aufklärers Lessing dem Problem der »Wahrscheinlichkeit«, die im Drama zu beachten ist, will es sich nicht von der Wirklichkeit ungebührlich absentieren, so betreffen Hegels Einwände in seiner Ästhetik die Darstellung des bloß Negativen und Bösen. Wie sehr Hegel auch Faust I schätzte, so entschieden lehnte er den Teufel im Drama als »schlechte, ästhetisch unbrauchbare Figur« ab.28 Aber Mephisto ist nicht nur Neid, Lüge und Niedertracht, sondern als Geist der Verneinung und des Widerspruchs das dialektische Moment des Lebens, das die Affirmation des Bestehenden aufhebt und die Geschichte vorantreibt. In einem späten Gespräch mit Eckermann vom 2. März 1831 tat Goethe © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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seinen Mephisto als »negatives Wesen« ab, doch damit verkleinerte er dessen Gestalten- und Bedeutungsreichtum im zweiten Teil des Faust. Wenn noch Friedrich Theodor Vischer die Ansicht vertritt, zur Darstellung des Bösen bedürfe es keines Teufels,29 dann ist ihm beizupflichten, denn der Trieb zum Sinnlich-Negativen in Faust hätte sich auch eigene Mittel und Wege verschaffen können, doch verfehlt dieses Argument Fausts Wettziel, das dieser selbst nach dem Wettabschluss mehrfach verunklärt: Faust stürzt sich »in das Rauschen der Zeit« (V. 1754) und überlässt sich der Leidenschaft der Sinne, aber immer unter der stillen Voraussetzung, dass kein Behagen sein Beharren zu erzwingen, kein Genuss seine Begierde je zu befrieden, zu »betrügen« vermöge (vgl. V. 1696). Er braucht also den leibhaftigen Teufel, um sich in der von Mephisto ermöglichten Lust am Bedingten seiner unveräußerlichen Sehnsucht nach dem Unbedingten zu versichern. Die »Hexenküche« und die »Walpurgisnacht« sind demnach Stationen auf Mephistos Weg, Faust »einzuteufeln« (vgl. V. 3371), und ihre weitläufige Darstellung, die das Anachronistisch-Unwirkliche fabulierfreudig in Kauf nimmt, ist erforderlich, um die Bezugswelt der beiden Antagonisten gleichgewichtig zu vergegenwärtigen. Die komplizierte und wechselhafte Beziehung der beiden Partner vollzieht sich im ersten Teil des Dramas unter einem Doppelaspekt: Mephisto ist Diener und Gegenspieler in einem. Er verhilft Faust zu dem, was dieser in seiner menschlichen Begrenztheit zwar wollen, aber nicht – oder nur schwerlich – erreichen kann. Die knappste Umschreibung ihres Verhältnisses: Mephisto ist Fausts personifizierter Triebwille, doch nur ausnahmehaft sein verwirklichtes Wollen. Fausts Teilhabe am Teufelszauber bedingt seine prinzipielle Verschuldung; seine konkrete Mitschuld resultiert aus der unheiligen Allianz mit dem Bösen, der in der Gretchen-Handlung auch das Gutgewollte ins Schlimmgetane verkehrt. Denn Mephisto ist nicht nur Helfershelfer bei Taten, sondern auch Urheber von Untaten; unter seinen Händen wird ein © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Schlafmittel zum Gifttrank. Das Resultat der Partnerschaft in seiner letzten Konsequenz ist die Auslöschung von Gretchens Familie: Mephisto macht Fausts fatale Zweideutigkeit zur letalen Eindeutigkeit. Faust begehrt auf und beschimpft den »Schandgesellen« (S. 128), doch vermag er sich nicht von ihm zu lösen, da er vom mephistophelischen Übermaß an Möglichkeiten so abhängt wie von seinem eigenen bitter empfundenen Unmaß. Mephisto muss dienen, doch kann Faust weder ihn noch sich beherrschen. Was als stolze Autonomie des Erkenntnissuchers begann, geht nach der Wette über in die frivole Abhängigkeit von den verantwortungslosen Sinnen. Doch nochmals: Faust ist kein Hedonist, auch wenn er sich so gibt. »Wie fangen wir das an?« (V. 1834; vgl. auch V. 2055 ff.): Spricht so nicht eher ein Bücher- als ein Genussmensch? In der »Hexenküche«, die aus der Wette folgt, wird Faust physisch und psychisch für die Kavalierstour präpariert. Mit diesem Auftritt gelingt es, der deutschen Literatur das Groteskkomische einzugemeinden. Die Szene ist Goethes Erfindung aus römischen Tagen, die sich völlig freihält vom Hexenwahn des Spätmittelalters, der aus der Hexenbulle Innozenz’ VIII. (1484) und dem Hexenhammer der Dominikaner hervorging. Die schaurige Wirklichkeit der Hexenprozesse, gegen die der Barockdichter Friedrich von Spee und noch Christian Thomasius und Balthasar Bekker in der Frühaufklärung angehen mussten, ist dem bizarren Spiel der Phantasie mit sich selbst gewichen: Unsinn und Tiefsinn sind ineinander verknäuelt, das Unwirkliche ist mit zeitsatirischen Partikeln durchsetzt, eine verhexte Arithmetik begleitet das anzügliche Treiben. Der versierte Metaphoriker des Ungeziefers, Mephisto, gebietet über das Reich der ekligen Tiere. Faust wird angewidert von »Wust und Raserei« (V. 2339), doch enthusiasmiert vom schönen Bild, das ihm der Zauberspiegel vorgaukelt. Der Verjüngungs- und Liebestrank soll Fausts äußere und innere Wandlung und seine an Tristan und Tannhäuser erinnernde Liebesverfallenheit erklären. Mit Mephisto auf »du © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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und du« (V. 2585), kann Faust eine neue Lebensvariante durchprobieren, ohne dass der Teufel seiner Sache sicher sein dürfte: Im Bezirk des »tollen Zauberwesens« (vgl. V. 2337) wird Faust nämlich der »Inbegriff von allen Himmeln« (V. 2439) zuteil. Mit dem Eros erwacht die Südsehnsucht, die den 2. und 3. Akt von Faust II durchdringt; die Leidenschaft für Helena gilt nicht nur ihrer verführerischen, sondern mehr noch ihrer urbildlichen Schönheit. Daher muss Mephisto darauf sinnen, Fausts nackte Begehrlichkeit anzustacheln, damit er – »mit diesem Trank im Leibe« (V. 2603) – in der Frau nicht die Person, sondern das austauschbare Objekt sucht.
Fausts »kleine« Weltfahrt und sein großes Scheitern Wie knapp auch die Handlungsausschnitte der Gretchen-Tragödie gehalten sind, so ergibt die Szenenfolge doch eine vollkommene Lebensganzheit, gebildet aus charakteristischen Situationen, die Rückschlüsse erlauben und Vordeutungen ermöglichen. Wenige Wortstriche genügen, um eine Person, und zwar in ihrer psychosomatischen Ganzheit, sinnenhaft vorzustellen, und simple Regieanweisungen und konturierte Sprachskizzen reichen aus, um das unaufgeklärte Kleinbürgertum in seiner ehrbaren Rechtschaffenheit und bedrückenden Engherzigkeit zu vergegenwärtigen. Es bedarf nicht der im 19. Jahrhundert gängigen psychologischen Zergliederung, um dem Zuschauer den seelischen Innenraum dieser Menschen – ihre unterdrückten Hoffnungen, stummen Ängste und verborgenen Regungen – auszuleuchten. »Es war ein König in Thule / Gar treu bis an das Grab«: Das Gefühl eines Mädchens aus dem dritten Stand findet seine naive Sehnsucht nach Liebe und Treue des Mannes in diesen Liedstrophen objektiviert, ohne die sagenhafte Ferne Thules zu bedenken. © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Da Goethe alles tat, um der Gretchen-Figur die Sympathie der Zuschauer – auch deren »Furcht« und »Mitleid« – zu sichern, scheint selbst eine knappe Charakterisierung dieser Gestalt – zumal nach Kierkegaards Hinweisen (in Entweder – Oder) – überflüssig zu sein. Doch die Meinungsvielfalt der Faust-Deutungen nimmt Gretchen nicht aus. Man nannte sie sentimental, ohne den Gefühlsüberschwang anderer Frauengestalten der Empfindsamkeitsepoche an Gretchens Gefühlswahrheit zu messen, und der Dramatiker Peter Hacks befand, der »Unwert« ihrer Person könne durch den »Wert ihrer Haltung« – ihre unkonventionelle Liebe – nicht aufgewogen werden: »Sie ist nichts und hat also nichts hinzugeben; sie will nicht lieben, sie muß [. . .].«30 Angesichts solcher Urteile zählt nur der Text; er gibt verlässliche Auskunft darüber, wer Gretchen ist und wer sie wird. Obwohl die Charakterisierungsweisen, die für die exponierten Individuen des damaligen Dramas gelten – das Selbstverständnis, das bewusste Verhältnis zur Gesellschaft und das willentliche zur Zukunft –, weithin entfallen, besitzt das junge Mädchen die Festigkeit eines Ich, von dem her sich seine Eigenschaften folgerichtig ableiten lassen. Gretchen ist selbstlos in der Sorge für die kleine Schwester und dabei unbesorgt um das eigene Selbst in der Liebe zu Faust; der Vergleich mit Lenz’ Marie Wesener und Wagners Evchen Humbrecht zeigt die natürliche Sicherheit ihres Wesens, das sich mit keinem Wort und keiner Geste dem privilegierten Partner anzupassen bemüht. Wie Egmonts Klärchen achtet sie ständische Grenzen gering, die anfängliche menschliche Distanz ist durch ihre kümmerliche Ausbildung bedingt. Nicht sie stilisiert sich – der bedrückende Alltag ist ihr zu genau bekannt (vgl. V. 3147) –, sondern Fausts Werbungsrhetorik überhöht sie. Nirgends verleugnet sie ihre Naivität, nicht ihr einfaches Gemüt noch ihren ungeschulten Verstand. Ihre Unwissenheit lässt sie staunen, wo sie stutzen müsste; ihre Unerfahrenheit macht sie ratlos; ihre heimliche Liebe hebt sie heraus und isoliert sie zugleich. Zwar reicht ihr Verstand nicht hin, Fausts Glaubensbekenntnis einzuordnen, doch genügt ihr © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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hellsichtiges Gefühl, Mephistos wahres Wesen zu erahnen. »Sie ist nichts« – sie ist zunächst wie die anderen Mädchen dieser Bevölkerungsgruppe auch, doch macht ihre unbedingte Empfindung sie Faust ebenbürtig. Wer von ihr ein reflektiertes Gefühl fordert, hebt sie als Person auf: Ihre Naivität könnte sie nur um den Preis des Verlusts durchschauen. Selbstvergessen und ohne Besitzanspruch, fraglos und klaglos gegenüber dem vagabundierenden Mann begibt sie sich jeder Sicherheit und lässt die kleinbürgerliche Ordnung hinter sich, die jedes intensive Leben beengt, die aber im 18. Jahrhundert keine unverheiratete Frau allein und ohne Schaden zu nehmen übertritt. Die Gefühlsbereitschaft des kleinen Mädchens erleichtert es dem großen Faust, ihre Liebe zu gewinnen; ihre Opferbereitschaft begünstigt die Aufopferung durch den Mann. Auch wenn diese Haltung wenig Lebensklugheit und viel Rollenverpflichtung verrät, so ist doch festzuhalten, dass die junge Frau über ihren Stand hinauswächst und ihre Leidensfähigkeit ihren menschlichen Rang bestimmt. Werthers tragische Erfahrung besteht darin, dass sein Glück und Unglück demselben Grund entstammen: Was den Menschen erhebt, seine Liebe, zerstört ihn auch.31 Die Leidenschaft bringt ihre Unerfüllbarkeit als tödlichen Gegenspieler hervor. »Doch – alles, was dazu mich trieb, / Gott! war so gut! ach war so lieb!« (V. 3585 f.; vgl. auch V. 3518): Gretchen muss den Widerspruch zwischen ihrem reinen Willen und dem schrecklichen Resultat – die Verkehrung der Motive in der Realität – hinnehmen. Dass Liebe in Leid umschlägt, ist eine so allgemeine wie traurige Erfahrung; dass sich Liebe, obwohl sie nichts als sich selbst will, unversehens in ungeheuerliche Schuld verstrickt, ist die bitterste Form des Tragischen für den Gefühlsenthusiasmus der Generation um 1770. Die »Getriebene« distanziert sich nicht, um sich zu entlasten, von ihrem übermächtigen Gefühl, als hätte es sie wider Willen und Zutun bestimmt; sie spricht vielmehr das neue Schicksalsverständnis des »Sturm und Drang« aus: In der großen Leidenschaft durchdringen sich persönliches Wollen und überpersönliches Sollen. Um © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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1770 dachte man, es verkleinere die Würde des Menschen, wie in der Antike verfügbares Objekt transzendenter Mächte zu sein. In der Dichtung wie in der Theorie – man denke an die Anmerkungen übers Theater von Lenz – wird daher das überpersönliche Schicksal, personalisiert und psychologisiert, hereingenommen in das menschliche Innere, so dass Charakter und Schicksal ununterscheidbar eins werden. Beider Übereinstimmung erhöht das Selbstgefühl; wer sich ihm überlässt, folgt seiner Bestimmung. Die leidenschaftliche Getriebenheit ersetzt die schicksalhafte Determinante. Für Faust hebt das Naturrecht der Sinne die moralischen Normen auf. Die Konsequenz einer tragischen Konstellation: Die selig gesprochene Leidenschaft führt zu einem unseligen Ende, das der Mensch nicht wollte und dennoch zu verantworten hat. In dem zitierten Verspaar äußert Gretchen ihr Erschrecken vor einer Welt, in der Leid und Schuld hervorbringt, was »gut« und »lieb« war. Sie büßt für ihre Verschuldung aus Liebe und sühnt die größere Schuld des anderen – auch ihrer Umwelt. Der Extremfall des Kindesmords bot Bürger und Wagner, Lenz und Schiller die Gelegenheit zur Kritik an der damaligen Gesellschaft, in der die unverheiratete Mutter ihr Kind verleugnen oder – in ihrer Ausweglosigkeit – umbringen zu müssen meinte. Die Normen der Familienehre, des Stands und der Zeit rekapituliert Valentin, der seine Schwester aus gedemütigtem Kleinbürgerstolz verstößt. Die kirchliche Sündenvorstellung verschlimmert die öffentliche Ächtung. Auch wer Brecht nicht beipflichtet, in der »Dom«-Szene werde Gretchen »durch die Kirche zum Mord angestiftet«32 – nach der familiären Geborgenheit verliert sie hier den für das Bürgertum des 18. Jahrhunderts entscheidenden religiösen Halt. Nie zuvor in der deutschen Literatur wurde die Verlassenheit einer jungen Frau von Mensch und Gott ergreifender dargestellt als in diesen Szenen, die allesamt dem Urfaust entstammen. Wie zuvor die Liebe werden
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Schmerz und Schuld in ihrer Unbedingtheit erlebt, so dass Gretchens Bewusstsein darüber seine Orientierungskraft verliert. In der »Kerker«-Szene – der Wahn ist in Phasen mit wachen Erinnerungs- und Zukunftspartikeln zerlegt – schlägt die Verurteilte die Fluchtmöglichkeit aus: Ihre Schuld ist es, die sie nirgends freiließe. Da sie sich ihrer Erziehung, ihrer unreflektierten Jenseitshoffnung gemäß dem »Gericht Gottes« (V. 4605) übergibt, kann es sich Goethes Versöhnungsglaube in Übereinstimmung mit Luk. 7,47 schon am Ende von Faust I erlauben, die strenge Realität für die begnadende »Stimme von oben« zu öffnen. Die irdische Tragik wird nicht ungeschehen gemacht, doch die Faust-Tragödie erweitert sich dadurch zum Mysterienspiel. Goethe hat Gretchen, das Mädchen aus dem Volk, im Leben erhöht und im Tod verklärt. Sie ist mehr als nur eine Episode in Fausts Leben oder eine Station auf seiner Weltfahrt. In der Eingangsszene des 4. Akts von Faust II versinnlicht sich ihr Erinnerungsbild in der geistigsten Form der Materie, der Zirruswolke, zu deren Bedeutungskonstanz die transzendierende Bewegung gehört. Die allbekannte Schluss-Szene von Faust II wird hier antizipiert, in der die Verführte für den Verführer bittet. Aus der Sakralisierung des Eros folgt beim späten Goethe die Mythisierung der Agape, der vermittelnden Frauenliebe. Und Faust? Gewinnt sein Charakter durch seine Liebesbeziehung neue Züge hinzu, die eine Veränderung bewirken und seine Handlungsweise bestimmen? Die anfängliche Besitzgier des Mannes verwandelt sich in Gretchens Zimmer (V. 2721 ff.); der sublimierende Eros beginnt die junge Frau und ihre kleine Welt zu spiritualisieren (»Die Hütte wird durch dich ein Himmelreich«; V. 2708). Von Anfang an fehlt es Faust an Wirklichkeitssinn. Aus realer Unkenntnis oder, was das Gleiche ist, aufgrund seiner literarischen Bildung – die Zivilisationskritik entdeckt seit Rousseau das einfache »Volk« – romantisiert er die kleinbürgerlichen Verhältnisse. Gretchens Naivität erregt seine Sentimentalität. Faust liebt, wie er lebt – sein hingerissenes Werben, seine © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Geständnisse und Bekenntnisse sind nie ohne die ihn charakterisierende Zweideutigkeit. Sein deklamatorisches Pathos feiert wirklichkeitsvergessen sich selbst und stellt damit seine Aufrichtigkeit in Frage. In der Augenblickserregung der Sinne glaubt er trotz Teufelsbündnis und Hexenküche und trotz Mephistos ironischem Vorbehalt (vgl. V. 3055) seinen Schwüren und überredet sich, von der Liebe zu fordern, was er ihr nie geben kann – nämlich Dauer: »eine Wonne / Zu fühlen, die ewig sein muß! / Ewig! – Ihr Ende würde Verzweiflung sein.« (V. 3191 ff.) Faust kennt also den alternativen Ausgang. Der werbende Taktiker verdrängt seine Erfahrung der menschlichen Endlichkeit und überlässt sich der Hyperbolik seiner Liebeswunschwelt, als hätte er nie eine Wette über das Ungenügen des Augenblicks abgeschlossen. Faust liebt die junge Frau, doch noch mehr liebt er sein Liebesgefühl. Seine mangelnde Vorsorge für Gretchen offenbart seine Liebesegozentrik, den Selbstgenuss der hochgetriebenen Emotion. Wenn, wie Arthur Schnitzler behauptet, die Liebe immer ein »Symbol« für etwas anderes ist – für Faust bedeutet sie »Entselbstigung«, in der Terminologie der mit der Geniezeit verwandten Expressionisten: Allheit in der Form der Selbstheit. Wie fest die widerwärtige Bindung an Mephisto ist, beweist die zweite Hälfte der »Wald und Höhle«-Szene, die, anders als im Fragment eingeordnet, die Intimbeziehung zu Gretchen einleitet. Einem erratischen Block gleich, ragt der so bedeutsame wie irritierende Monologteil, der eher dem Weltverständnis des italienischen Goethe als dem ungezügelten Charakter des Teufelsbündners zu Gesicht steht, in die GretchenHandlung hinein. Der Bildtradition gemäß bedeutet die Höhle bergende Rückkehr zur Natur und Einkehr in sich selbst: Man erinnere sich an die Minnegrotte in der Odyssee, an Tristan und Isolde; in Faust I versinnlicht die Höhle den Zustand der Transparenz von Zeit und Raum. Fausts Dankgebet an den vielumrätselten »erhabnen Geist« bestätigt, dass er in der Abgeschiedenheit der Höhle den Zusammenhang des © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Geschaffenen – die Bruderschaft alles Lebendigen, die Einheit des Gewesenen und Gegenwärtigen – und den entwirrten Grund der eigenen Existenz visionär »schauen« kann. Faust, »den Göttern nah« (V. 3242), anerkennt erstmals das Gesetz, dass der Geist nicht ohne Stoff, das Gute nicht ohne das Böse sein kann – und entschuldigt damit seine Abhängigkeit von Mephisto, der ihn dorthin drängt, wohin er zögernd will: in »Liebchens Kammer« (V. 3343). Fausts hymnisches »Credo« (V. 3432 ff.) dient Agnostikern und Synkretisten, Pantheisten und allen jenen, die ein schöngeistiges Verhältnis zur Religion pflegen, als Glaubensformel, doch sollte man nicht übersehen, dass Fausts Gefühl für das Unendliche auch werbestrategisch eingesetzt und in einer Szene ausgesprochen wird, in der er Gretchen bewusst über Mephisto täuscht. Sein Bekenntnis ist nicht unreligiös, wohl aber unkirchlich, dennoch kann sich seine Confessio nicht nur auf Rousseaus savoyardischen Vikar und Herders Johannes, sondern auch auf die Kirchenväter berufen: Von alters her trägt der Unsagbarkeitstopos am angemessensten dem Problem Rechnung, wie Gott zu nennen, sprachlich zu »definieren« sei. Auch Origenes und Gregor von Nyssa wussten, dass das endliche Wort des Menschen die Unendlichkeit Gottes nicht ausdrücken kann. Fausts Sprachskepsis ist allerdings zweideutig: Seine Worte sind mehr Surrogate des nicht objektivierbaren Allgefühls als Umschreibungsversuche der das konkrete menschliche Handeln bestimmenden Transzendenz. Sein Wortreichtum lässt die Ohnmacht des Wortes vergessen und demonstriert, dass seine Sehnsucht ins Ungebundene die Unverbindlichkeit des »Allumfassers« und »Allerhalters« voraussetzt. Die alte Einsicht, Gott sei unaussprechlich, nimmt Faust auf, doch ist er von einer neuen mehr angetan: Individuum est ineffabile – das »innere Universum« des (großen) Menschen ist sprachlich nicht auszuschöpfen (vgl. u. a. V. 3059 ff.). Vers für Vers formuliert damit das »Credo« Grundüberzeugungen der Geniezeit. Für die Religionsgeschichte markiert © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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es den Übergang zur innerweltlichen Transzendenz, die Gott zur seelischen Potenz deklariert (vgl. die wichtigen Verse 1566 ff.). Von da aus ist es nur noch ein Schritt zu Feuerbachs These, die Religion sei das Produkt psychischer Kräfte und das Gefühl habe seinen Gott »in sich selbst«.33 Die Entgrenzung in der Leidenschaft bedarf, soll ihr Ende nicht Verzweiflung sein, der Begrenzung aus Liebe zum anderen. Faust ist dazu weder willens noch fähig, so dass er nach der Ermordung Valentins den Konflikt zwischen Bindung und Untreue nicht voll empfindet. Dass er in der Walpurgisnacht seine Liebe verraten kann, setzt seine Enttäuschung von ihr voraus: In der »Entselbstigung« ist eine neue Grenze spürbar; der beschworene »ewige« Augenblick enthüllt sich als vergänglich; das Wechselspiel von »Begierde« und »Genuß« (vgl. V. 3249 f.) verlangt nach immer neuen Erfahrungen und Objekten. Fausts Treulosigkeit hat die Interpreten, zumal wenn sie ihn entschuldigen wollten, viel beschäftigt. Gundolf schreibt von der Beichte des jungen Goethe und identifiziert damit den Autor und seinen Protagonisten,34 wovor schon Carl Gustav Carus gewarnt hatte.35 Gundolfs These: Der geniale Mensch müsse aus Treue zu sich untreu gegen die Frau werden. Lukács dagegen unterwirft das Verhalten des treulosen Liebhabers dem sattsam bekannten Deutungsschema: Für die Liebe in der Klassengesellschaft ist – »selbst in ihrer erhabensten Form«36 – das Ineinander von Wahrheit und Betrug, Treue und Untreue charakteristisch. Zwar konzentriert sich die Adelskritik Lessings und der »Stürmer und Dränger« auf das Thema der Verführung des bürgerlichen Mädchens, doch spart Goethes Drama den expliziten Sozialkonflikt aus: Faust repräsentiert den »strebenden«, nicht aber den ständisch privilegierten Menschen, und Gretchen wächst, vom Autor durch ihre Natürlichkeit gleichsam geadelt, als Liebende ungewollt über ihre Standesgrenze hinaus. Gewiss, Faust und Gretchen gehören verschiedenen Lebenskreisen an, die sich nur kurz berühren, doch über das Ende ihrer Beziehung © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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entscheidet mehr als die Herkunft der Ort, von wo sie kommen – Gretchen war in der Kirche, Faust in der Hexenküche –, und das entgegengesetzte Sehnsuchtsziel, das sie leitet. Faust, vorgeblich der Mann der Tat, bedient sich überdies bei seiner Eroberung der Kupplerdienste des Bösen. Das Gesetz, dem er gehorcht – »Er, unbefriedigt jeden Augenblick!« (V. 11452) –, schließt das »Verweilen«, den Willen zur Dauer, aus. Daher ist eine Verurteilung Fausts zwar folgerichtig, doch nur bedingt zutreffend: Was Amoral ist für den Zuschauer, ist für Faust lediglich Immoral. »Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an« (V. 4406) – Faust gewinnt durch sein Mitgefühl an Menschlichkeit, aber es regt sich zu spät. Er will Gretchens Rettung, doch kann er keine Lebensgemeinschaft mit ihr wollen, denn er gäbe leichter sein Leben als sich. »O wär’ ich nie geboren!« (V. 4596) – der uralte Topos, durch das Buch Hiob und Sophokles’ Oidipus auf Kolonos vermittelt, enthüllt Fausts Verzweiflung: Faust ist fähig, Tragik zu erleben, doch es ist die Tragik – seines Opfers. Goethes Gattungsbezeichnung von 1808 – Faust. Eine Tragödie – bezieht sich nicht nur auf Gretchens Geschick, sondern mehr noch auf Fausts Existenzweise, die, indem sie stets das ihr Gemäße will, das Böse – Unglück und Leid – notwendig »schafft«. Wer Faust versteht, begreift nicht mehr, dass er Generationen von Deutschen als Identifikationsmuster dienen konnte. Faust und Gretchen – der Dritte im Bunde ist immer der Teufel. Stört Gretchens Lauterkeit Mephistos Pläne (vgl. V. 2626)? Sie ist Mephistos hilflose Gegenspielerin, während Faust ihn zwar anklagt, verabscheut und verflucht, aber ihm zur Walpurgisnacht folgt. Das Teuflische am Teufel ist, dass er Gretchen, sein Opfer, nicht nur unglücklich, sondern auch schuldig macht. Die »Walpurgisnacht« unterbricht die weitläufige Gretchen-Handlung. Die doppelte Funktion dieser Szene: Goethe will mit dem Teufelsreich die »verkehrte Welt«, den mundus perversus, darstellen, den phantastischen Gegenentwurf zur organischen Schöpfung, das zerstörerische Elementare, die Natur gleichsam im Fieberzustand. Die © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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totale Verkehrung besteht darin, dass auf dem Gipfel des Harzgebirges die niedrigste Sinnlichkeit wartet. Die vom Volksaberglauben gespeiste »Traum- und Zaubersphäre« (V. 3871) meint ganz sich selbst, bedeutet indes noch mehr: Ihre Bildersequenz spiegelt Fausts wilde Lüsternheit und vergegenständlicht seine innere Wüstenei. Faust strebte zum Innersten der Natur; angekommen ist er – während Gretchens tiefster Verlassenheit – in der gegenchristlichen Welt der Teufelsmesse, in der vom Mammon und Sexus beherrschten Triebregion (vgl. V. 4115 ff.). Die unterste Schicht im Menschen ist, isoliert, von teuflischer Art. Mit der Phantasie eines Hieronymus Bosch, eines Höllen-Breughel hat Goethe diese Szene kontrapunktisch zur »Klassischen Walpurgisnacht« in Faust II gestaltet, in der sich das Naturorganische über viele Entwicklungsstufen hinweg zum MenschlichSchönen in Helena steigert. Im Herrschaftsbereich des nordischen Teufels löst sich Fausts gespaltenes Ich in ein Bündel von Es-Trieben auf. Mit der Einheit des Charakters verliert sich auch seine menschliche Bindung ans Anonyme. Doch im Augenblick des drohenden Selbstverlusts erbildet sich seine Imagination außen, was unbewusst in ihm vorgeht (V. 4183 ff.). Die Vision des todgeweihten Gretchen bedeutet Rückkehr zu seinem besseren Selbst.
Die Sprache der Form und die Formen der Sprache In einem Brief an Schiller vom 7. Dezember 1796 tadelte Goethe an den Deutschen, dass sich ihr Formverständnis nicht über das Silbenmaß hinaus erstrecke, und am 30. Oktober 1808 klagte er Zelter, niemand wolle begreifen, »daß die höchste und einzige Operation der Natur und Kunst die Gestaltung sei«. Nun ist die Form der Dichtung, wie man weiß, untrennbar eins mit dem, was nach unzulänglichem Sprachgebrauch Gehalt © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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genannt wird, und bekannt ist auch, dass die Wechselwirkung von Form und Gehalt nachzuweisen ist, wenn Evidenz für die Schlüssigkeit einer Interpretation erreicht werden soll: Jeder Gehalt bedingt seine individuelle Form, jede Form gewinnt gehaltliche Bedeutung. Auf den folgenden Seiten können lediglich einige exemplarische Hinweise gegeben werden, die sich aus Raumgründen auf die sprachliche und szenische Bildlichkeit der Gretchen-Partien beschränken. Die Wahrheit des einfachen Lebens gewinnen diese Szenen nicht allein durch ihre sinnliche Sprache, die sich sogar versifiziert ihre Natürlichkeit bewahrt, sondern vornehmlich durch die Archetypik der Vorgänge und Zustände, die in den Szenenpartikeln »eingefangen« ist. Im »Garten« ist beispielsweise ein Auftritt lokalisiert, ein anderer »Am Brunnen«. Seit dem Hohelied, seit dem sublimen Marienkult des Mittelalters steht der mauerumgebene, verschlossene Garten als allbekanntes, von den englischen Romanciers des frühen 18. Jahrhunderts, die den Urfaust beeinflussten, oft verwandtes Sinnbild der Virginität; in Goethes Werk dagegen ist der Garten offen, so dass er zur Stätte der ersten Liebesbegegnung werden kann. Das Gegenbild zum Garten ist die Wildnis, in der – wie im »Harzgebirg« – die Hexen und das Obszöne heimisch sind. Natürliche Reinheit und widernatürliche Unreinheit, der Garten und der Brocken: Die Extreme der Gesittung stehen als Landschaftsformen einander entgegen. Der Brunnen ist schon im Alten Testament der Ort, an dem man freite und gefreit wurde, und in der Odyssee tritt Athene mädchengleich, mit dem Wassergefäß, Odysseus entgegen.37 Die Variabilität des Brunnenbilds ist überreich, und man muss mit den Augen der Tradition sehen, die erst durch die Technisierung des 19. Jahrhunderts ihre Geltung verlor, um zu bemerken, warum Goethe den Brunnen (des Lebens) als bewusstes Urbild38 und die Geste des Wasserschöpfens wie die Gebärde des Wassertragens als zeitlose Form des menschlichen Daseins verstand. Der urbildliche Sinn bleibt präsent und zwar als Kontrast, wenn die neidische Selbstgerechtigkeit des © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Mädchens »am Brunnen« über den Leumund eines Menschen verfügt. An dieser Szene lässt sich, wie am »Osterspaziergang«, Goethes wichtige Spiegelungstechnik ablesen: Bärbelchens Geschick deutet auf Gretchens Schicksal vor. Das nämliche Thema wird auf divergierenden Spielebenen abgehandelt. Das Bildwissen vermittelt dem Zuschauer überdies die frühe Einsicht, dass das böse Ende im Anfang beschlossen ist: Man trifft sich im Garten, doch im Garten der kupplerischen Frau Marthe, findet im »Gartenhäuschen« zueinander, doch dringt Mephisto dort ein. Die alten Topoi wie Garten und Brunnen, die sogar dem Volkslied vertraut sind, in dessen Geist der junge Goethe dichtet, werden durch Dingsymbole ergänzt – durch das Goldkästchen beispielsweise (vgl. V. 2783 ff.), dessen vielfältige Bedeutung im zweiten Faust-Teil noch zunimmt. Im Gold materialisiert sich die Vitalkraft und auch die pure Geschlechtlichkeit der walpurgisnächtigen Teufelsbrut, in ihm ist der menschliche Besitztrieb, zugleich aber auch die Armut an Menschlichkeit verdinglicht (vgl. V. 2802 ff.). Das Kästchen lässt sich mit Hilfe der Wanderjahre überdies als erwachende Libido deuten, die geheime Schuld weckt, sein Inhalt, den Gretchen zögernd weggibt, als Anreiz zur unzeitigen Verführung. Lebenshaltungen verbildlichen sich in »Hütte« (V. 2708) und »Hüttchen« (V. 3353), dem systolischen Korrelat zum »Wanderer«, der das expansive Schweifen, Fausts Ausbreitungstendenz, verkörpert. Die »Hütte« steht für Gretchens bejahte Beschränkung im umgrenzten Lebenskreis. Es ist Faust, der die sprachbildliche Verbindung zieht zwischen dem geborgenen Dasein Gretchens und seiner zerstörerischen Existenz, die er als »Wassersturz« charakterisiert (V. 3350), und es ist wieder Faust, der »Unbehauste« (V. 3348), dem gegen Ende seines Lebens Philemons und Baucis’ »Hütte« zum Opfer fällt. »Fluß« und »Strom« sind im »Sturm und Drang« Metaphern für das Genie. Faust, als »Wassersturz« verbildlicht, besitzt demnach eine destruktive Genialität: Der Gegensatz des diastolischen und des systolischen Lebensprinzips ist für ihn unversöhnbar. © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Die Faust-Dichtung will die Totalität der Welt darstellen, die vom Himmel bis zur Hölle reicht und das weite Geisterreich einschließt. Da sich aber die Welt in ihrer extensiven Fülle nicht wiedergeben lässt, führt sie der Dichter – der »Epitomator der Natur«39 – konzentriert und intensiviert auf ihre (bildhafte) Archetypik zurück. Prägnante szenische Momente – »Zwinger« – werden herausgehoben, schaubare Bühnenaktionen wie der Tod Valentins nur ausnahmsweise zugelassen: Der Zuschauer als Mitspieler kann die in die Szenenfugen verlegten Vorgänge erschließen. Jahrzehntelang stritten sich Faust-Interpreten – »Unitarier« und »Fragmentarier« – um die Stil- und Handlungseinheit dieses komplexen Dramas, da man früher die lineare Geschlossenheit als Qualitätskriterium ausgab. Doch der strengen Funktionalität der Szenenreihung entzieht sich die dargestellte Wirklichkeitsbreite, und die szenisch komprimierten Erfahrungskreise widerstreben der zielgerichteten Finalstruktur. Die Jahresringe von Faust I sind nicht wegzudisputieren: Die »charakteristische« Kunst des »Sturm und Drang«, die auf konkrete Situationen, herausgehobene Charaktere und individuelle Schicksale in shakespearisierender Manier aus ist, prägt den Gretchen-Part; im »Prolog« dann herrscht die Symbolisierungstendenz der Klassik, die den Einzelfall auf seine gattungsrepräsentative Bedeutung hin behandelt; auch die um die Jahrhundertwende entstandene »Walpurgisnacht« untersteht einem der Kunstgesetze dieser Zeit: in die Außenwirklichkeit das Gegenbild des unaussprechlichen Innern mit seinen präzisen, doch schwankenden Emotionen einzuarbeiten. Die »offene« Form des Faust werten wir heutzutage – von den atektonischen Stücken Büchners und Strindbergs, Hauptmanns und Brechts belehrt – eher als Vorzug denn als Mangel. Nicht der Akt dominiert, sondern die autarke Szene, in Gruppen gereiht oder schroff gegeneinander gearbeitet, durch vielfache Korrespondenzen – Antizipationen und nachfolgende Präsentationen – wie Ruf und Echo verbunden. Die revuehaften Massenszenen gehorchen dem Bauprinzip des Reigens; wie in der alten Tragikomödie © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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werden Gegensatzpaare auf verschiedenen Stilebenen angesiedelt: Der Kontrast zwischen den Figurenpaaren im »Garten« steigert den Ernst und die Ironie der Situation. Die Kontrapunktik der Lebensformen strukturiert und qualifiziert die Personengruppierung; Nebenfiguren wie Wagner erfüllen sich in dienender Antithetik. Die form- und sprachgeschichtliche Bedeutung des Faust lässt sich nur durch den historischen Vergleich ermessen. Die Lebenswirklichkeit, die mit sinnenhafter Unmittelbarkeit dargestellt werden soll, fügt sich nicht länger der vorgeschriebenen stilistischen Einheit, das Freiheitsverlangen des Protagonisten erwidert die Unbekümmertheit des Autors gegenüber jedem Gattungspurismus. Gewiss, dem nachitalienischen Goethe missfiel die »barbarische Komposition«, wie er sie Schiller gegenüber (am 27. Juni 1797) nennt, doch der Reichtum der Themen und Motive, der Gedanken und Stimmungen bedarf der angemessenen Vielfalt der Formen und Maße: Im Knittelvers lebt die Zeit des Hans Sachs, in den chorischen Kurzzeilen die frühkirchliche Hymnik auf. In den sogenannten freien Rhythmen äußert sich das Unabhängigkeitsbedürfnis der »Sturm und Drang«-Generation, und die variable Länge des Madrigalverses gehorcht den wetterwendischen Deklamationen und Wortduellen, den Pointen und Gefühlsnuancen. Die Verse tragen, wie »Wald und Höhle« zeigt (vgl. V. 3217–50), zur individuellen Charakterisierung der Kontrahenten bei. Man müsste fortfahren und das Spiel der Klänge und Rhythmen bestimmen, den genauen, oft symmetrischen Bau einzelner Szenen, die Bedeutung der strukturbildenden Vierzahl, doch ergäbe sich das immergleiche Resultat: Faust I gewann der deutschsprachigen Literatur neue Provinzen hinzu. Die Skepsis gegen den Protagonisten berührt nicht die schwervergleichliche Qualität des Kunstwerks. Die ursprüngliche Sinnlichkeit der Sprache, der Volkston, wird geweckt; die Extreme berühren sich – das Zarte und Derbe, das Kräftige und Innige; die von der ästhetischen Tradition geschiedenen Gattungen – das Dramatische und das Epische, das Lyrische © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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und Rhetorische – lösen einander ab und gehen ineinander über. Die Wirkung auf den Zuhörer wird der balladesken Verdichtung aufgetragen: »Stumm liegt die Welt wie das Grab!« (V. 4595).
Statt einer Zusammenfassung Auf den vorangehenden Seiten wurde wiederholt versucht, die Faust I implizite Geschichtlichkeit zu bestimmen und die ästhetische Qualität zu beschreiben, die von der historischen Dimension nicht ablösbar ist. Ein Ergebnis der Interpretation: Dem subjektivistischen »Stürmer und Dränger« genügt der aufklärerische Intellektualismus nicht mehr. Hatte noch 1730 für Albrecht von Haller gegolten: »Ins Innere der Natur dringt kein erschaffner Geist« – Goethes Faust will nicht weniger als eben die visionäre Erkenntnis dieses »Innersten« der Welt. Engagiert bekennt er sich nach seinem Scheitern zum Irdischen in seiner Polarität und Totalität, seine Wendung zum säkularisierten Diesseits spiegelt facettenartig die geschichtliche Entwicklung eines Gutteils jener umwälzenden emanzipatorischen Kräfte, die, konkretisiert und politisiert, die Revolution von 1789 mitbedingten. Reflexe des damaligen öffentlichen Lebens lassen sich überdies indirekt – man denke an die Gretchen-Handlung – erschließen: Die Familie, die Kirche und die Justiz verwalten die tradierten und generalisierenden Normen und tragen in ihrer Erstarrung zur Verschuldung des ihnen entwachsenen Individuums ungewollt bei. Vielfältig sind auch die expliziten Zeitbezüge von Faust I: Die »Hexenküche« beispielsweise verbildlicht im Spiel der Meerkatzen mit der Krone das selbstmörderische Treiben des Ancien Régime mit der adligen Würde und der staatlichen Macht; die »Xenien« der »Walpurgisnacht« und des »Walpurgisnachtstraums« gehen mit den © 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Nachfahren einer abgewirtschafteten Epoche und mit literarischen Zeitgrößen satirisch ins Gericht. Der alte Goethe fand nur selten gute Worte für seinen ersten Faust-Teil: »Das Teufels- und Hexenwesen machte ich nur einmal«, äußerte er Eckermann gegenüber (am 16. Februar 1826), und noch am 17. Februar 1831 tadelte er das »Subjektive« des Werks, die Selbstreflexionen des Protagonisten und seine Selbstbezogenheit, die nur sich sucht und entdeckt. Daher wird in Faust II die weite Wirklichkeit des Lebens – in den Objektivationen von Staat, Natur und Kunst – zum handelnden Subjekt bestellt. Indes, wie repräsentativ Faust, der Willensmensch, angelegt ist, konstatierte Goethe eindrücklich, als er in seiner Abhandlung über Shakespeare und kein Ende den Charakter der neuzeitlichen Dramenfiguren – im Gegensatz zu den antiken dramatis personae – durch ihr unbedingtes Wollen und ihr unzureichendes Vollbringen bestimmte: Das Wollen »ist der Gott der neuern Zeit«.40 Doch diesem vergotteten oder auch vergötzten subjektiven Wollen fehlt zur Balance die Verpflichtung des handelnden Menschen gegenüber einem vernunftorientierten, überpersönlichen Sollen. Da sich die singuläre Rezeptionsgeschichte von Faust I, der die Anschauungs- und Gefühlskategorien späterer Generationen mitbildete, nur auf vielen Seiten skizzieren ließe, mag seine anfängliche Wirkung durch Hegel bescheinigt werden, der in seiner Ästhetik an Goethes »absolute philosophische Tragödie« erinnert, »in welcher einerseits die Befriedigungslosigkeit in der Wissenschaft, andererseits die Lebendigkeit des Weltlebens und irdischen Genusses, überhaupt die tragisch versuchte Vermittlung des subjektiven Wissens und Strebens mit dem Absoluten, in seinem Wesen und seiner Erscheinung, eine Weite des Inhalts gibt, wie sie in ein und demselben Werke zu umfassen zuvor kein anderer dramatischer Dichter gewagt hat«.41
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Wiese, Benno von: Faust als Tragödie und Mysterienspiel. In: B. v. W.: Die deutsche Tragödie von Lessing bis Hebbel. Bd. 1. Hamburg 1948 [u. ö.]. S. 143–201. Wilkinson, Elizabeth M.: Goethe’s Faust: Tragedy in the Diachronic Mode. In: Publications of the English Goethe Society 42 (1972) S. 116–174. Williams, John R.: Goethe’s Faust. London 1987. Zabka, Thomas: Dialektik des Bösen. Warum es in Goethes »Walpurgisnacht« keinen Satan gibt. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 72 (1998) S. 201–226. Zezschwitz, Eberhard von: Komödienperspektive in Goethes Faust I: dramentechnische Integration eines Sturm-und-Drang-Fragments in den Ideenzusammenhang der Klassik. Bern / Frankfurt a. Main / New York 1985. Zimmermann, Rolf Christian: Das Weltbild des jungen Goethe. Bd 2: Interpretation und Dokumentation. München 1979. Bes. S. 235–286.
© 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Anmerkungen 1
Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, Bd. 1, Wien 1918, und Bd. 2, München 1922 [u. ö.]; bes. Bd. 1, S. 254 ff., 405 ff.; Bd. 2, S. 357 ff., 627 ff. Zitiert wird nach der 48.–52. Aufl., München 1923, S. 138. 2 Thomas Mann, »Über Goethes Faust«, in: Th. M., Gesammelte Werke, Bd. 9, Frankfurt a. M. 1960, S. 599. 3 Johann Wolfgang von Goethe, Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, hrsg. von Erich Trunz, Hamburg 1948–64 (im Folgenden zit. als: HA) Bd. 9, S. 413. 4 Bertolt Brecht, Gesammelte Werke in 20 Bänden, Bd. 17, Frankfurt a. Main 1975, S. 1280. 5 Faust-Fragment, V. 249 f., in: Johann Wolfgang Goethe, Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, hrsg. von Ernst Beutler, Bd. 5, Zürich 1950. 6 HA 3,427. 7 Der Text wird mit der Angabe der Verse in Klammern zitiert nach der Ausgabe: Johann Wolfgang Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, Stuttgart 1986 [u.ö.] (Reclams Universal-Bibliothek, 1), und J.W.G., Faust. Der Tragödie zweiter Teil, Stuttgart 1986 [u.ö.] (Reclams Universal-Bibliothek, 2). 8 Vgl. HA 12, Hamburg 1953, S. 365, Nr. 6. 9 HA 12,227. 10 Vgl. zum ganzen Themenkreis: Will-Erich Peuckert, Pansophie. Ein Versuch zur Geschichte der weißen und schwarzen Magie, Stuttgart 1936; zudem Rolf Christian Zimmermann, Das Weltbild des jungen Goethe, Bd. 1, München 1969, S. 47 ff., 220 ff. [u. ö.]. 11 Goethes Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe, 40 Bde. und 1 Reg.-Bd., hrsg. von
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Eduard von der Hellen, Stuttgart/Berlin [1902–12] (im Folgenden zit. als: JA) Bd. 33, S. 16. 12 HA 13,45 ff. 13 HA 3,427. 14 HA 9,352. 15 HA 13,46. 16 HA 12,396 f., Nr. 228. 17 Vgl. HA 12, Hamburg 1953 ,S. 520, Nr. 1117. 18 Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden, hrsg. von Karl Schlechta, Bd. 1, München 1960, S. 232. 19 Vgl. Johann Gottfried Herder, »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit«, in: J. G. H., Sämtliche Werke, hrsg. von Bernhard Suphan, Bd. 13, Berlin 1887 (reprogr. Nachdr. Hildesheim 1967-68) S. 339 f. 20 HA 9,350. 21 HA 12,513, Nr. 1049. 22 Vgl. HA 9,353. 23 Vgl. Zur Farbenlehre, § 739 (HA 13,488). 24 HA 7,573. 25 Vgl. u. a. JA 39,335. 26 Thomas Mann (Anm. 2) S. 605. 27 Faust. Dramentexte (von Marlowe, Mountfort, Lessing, Simrock, Goethe [Urfaust], Weidmann, Maler Müller und Lenz), hrsg. und mit einem Vorw. von Margret Dietrich, München/Wien 1970. S. 51 f. 28 Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Ästhetik, hrsg. von Friedrich Bassenge, Bd. 1, Berlin/Weimar 21965, S. 219.
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Vgl. Friedrich Theodor Vischer, »Kritische Bemerkungen über den ersten Theil von Göthe’s Faust, namentlich den Prolog im Himmel« (1857), in: Aufsätze zu Goethes »Faust I«, hrsg. von Werner Keller, Darmstadt 1974 (Wege der Forschung, 145) S. 192–214. 30 Peter Hacks, »Faust-Notizen«, in: P. H., Die Maßgaben der Kunst. Gesammelte Aufsätze, Berlin 1978, S. 80. 31 Vgl. HA 6,51. 32 Bertolt Brecht, Arbeitsjournal. Zweiter Band 1942–1955, hrsg. von Werner Hecht, Frankfurt a. M. 1973, S. 903 (Notiz vom 7. Mai 1949). 33 Ludwig Feuerbachs Sämtliche Werke, neu hrsg. von W. Bolin und F. Jodl (mit Erg.Bdn. von H.-M. Saß), Bd. 6, Stuttgart 1960, S. 12 f. – Zur Vorstellung von der Unaussagbarkeit des Individuums, die sich bereits im Thomismus finden soll, vgl. den wichtigen Brief Goethes an Lavater vom 20. September 1780. 34 Friedrich Gundolf, Goethe, Berlin 51918, S. 141 ff. 35 Carl Gustav Carus im ersten seiner Briefe über Goethes Faust, wiederabgedr. u. a. in: C. G. C., Goethe – zu dessen näherem Verständnis, hrsg. von Ernst Merian-Genast, Zürich 1948, S. 233. 36 Georg Lukács, Goethe und seine Zeit, Berlin 1953, S. 232. 37 Odyssee, 7. Ges., V. 19f. 38 Vgl. HA 7,541. 39 HA 12,297. 40 HA 12,293. 41 Hegel (Anm. 28) Bd. 2, S. 574.
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© 1992, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart. Erstdruck: Interpretationen. Goethes Dramen. Hrsg. von Walter Hinderer. Stuttgart: Reclam, 1992. (Reclams Universal-Bibliothek. 8417.) S. 258–329.
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