UTB 2668
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UTB 2668
Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Beltz Verlag Weinheim · Basel Böhlau Verlag Köln · Weimar · Wien Wilhelm Fink Verlag München A. Francke Verlag Tübingen und Basel Haupt Verlag Bern · Stuttgart · Wien Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft Stuttgart Mohr Siebeck Tübingen C. F. Müller Verlag Heidelberg Ernst Reinhardt Verlag München und Basel Ferdinand Schöningh Verlag Paderborn · München · Wien · Zürich Eugen Ulmer Verlag Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft Konstanz Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen Verlag Recht und Wirtschaft Heidelberg VS Verlag für Sozialwissenschaften Wiesbaden WUV Facultas Wien
Christian Grethlein
Fachdidaktik Religion Evangelischer Religionsunterricht in Studium und Praxis
Vandenhoeck & Ruprecht
Prof. Dr. Christian Grethlein, geb. 1954; 1973 1978 Studium der Evangelischen Theologie und Philosophie in München, Göttingen und Erlangen; 1978 1980 Vikariat in München; 1980 1984 Religionslehrer in Regensburg; 1983 Promotion; 1984 1988 Wiss. Assistent am Seminar für Praktische Theologie an der Universität Erlangen; 1986 Habilitation; 1988 1992 Professor für Praktische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Berlin; 1992 1997 Professor für Religionspädagogik an der Universität Halle/Wittenberg; seit 1997 Professor für Praktische Theologie an der Universität Münster; Autor und Herausgeber zahlreicher und einschlägiger Publikationen zur Praktischen Theologie, zur Religionspädagogik u.a.
Umschlagabbildung: Nihil sine musa – Nichts ohne Muse! Holzschnitt aus dem „Liber faceti docens“ 1496 (Inc 606 Staatsbibliothek zu Berlin – SPK, Inkunabelsammlung). Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-8252-2668-9 (UTB) ISBN 3-525-03609-4 (Vandenhoeck & Ruprecht) Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. © 2005 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen ISBN 3-525-03609-4 Printed in Germany Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg ISBN 3-8252-2668-9 (UTB Bestellnummer)
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
A. Einführung I.
Kapitel: Schulischer Religionsunterricht als religionspädagogische Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1. 1.1 1.2 2.
Religionsunterricht ein umstrittenes Fach . . . . . . . . 17 Probleme des Religionsunterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Gründe für den Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . . . .20 Religionspädagogik als Rahmentheorie des schulischen Religionsunterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . .23 Religionspädagogik als pädagogische bzw. theologische Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .23 Religionspädagogik als pädagogische und theologische Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .24 Chancen und Grenzen des Religionsunterrichts . . . . .26
2.1 2.2 3. II.
Kapitel: Geschichtliche Perspektiven – Religionsunterricht zwischen theologischen Inhalten und pädagogischen Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30
1. 1.1 1.2
Inhaltliche Einsichten der Reformation . . . . . . . . . . . . 31 Engagement für Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Kleiner Katechismus als Elementarisierung christlichen Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .33 Neue Impulse der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .37 „Entdeckung“ des Kindes bei Rousseau . . . . . . . . . . . . .38 Biografiebezug religiösen Lernens bei Salzmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .39 Didaktische und methodische Konsequenzen . . . . . . . 41
2. 2.1 2.2 2.3
6
Inhalt
3.
3.1 3.2
Politische Auseinandersetzungen zwischen Vertretern theologischer Inhalte und pädagogischer Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Stiehlsche Regulative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Zwickauer Manifest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
B. Heutiger Religionsunterricht – Rahmenbedingungen und Perspektiven III.
Kapitel: Rechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . 50
1. 1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 2. 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
Bestimmungen des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Art. 7,3 des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Spannungen im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Inhaltliche Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Ausgestaltung durch die Bundesländer . . . . . . . . . . . . 60 Ersatz- oder Alternativfächer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Abweichende Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Bremer Klausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Berliner Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 LER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Religious Education . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Islamischer „Religionsunterricht“ . . . . . . . . . . . . . . . . 73
IV.
Kapitel: Schulische Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . 78
1.
Kennzeichen und Funktionen von Schule und Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Kennzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Neue Herausforderungen für Schule . . . . . . . . . . . . . . 90 Veränderungen in der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Verbreitung neuer Medien und Kommunikationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Pluralisierung von Lebensformen und Einstellungen 96
1.1 1.1.1 1.1.2 1.2 1.2.1 1.2.2 2. 2.1 2.2 2.3
Inhalt
2.4
4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.3 4.3.1 4.3.2
Technisierung und Beschleunigung vieler Lebensvollzüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .97 Verunsicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .98 Ansätze zur Schulreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .99 Organisation von Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Neue Zeit-Rhythmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Öffnung von Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Einzelschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Didaktische Ausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Epochaltypische Schlüsselprobleme (Klafki) . . . . . . . 111 „Praxis“ Religion (Benner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Konsequenzen und Herausforderungen für den Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Wichtige Beiträge des Religionsunterrichts für die Schulreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Soziales Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Öffnung von Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Medienpädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .124 Orientierungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .127 Konfessionelle Trennung als Problem für den Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .129 Lösungsversuche in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . .129 Konzepte der Organisation in der Religionsdidaktik 131 Einstellung der Religionslehrkräfte . . . . . . . . . . . . . . 136 Neue Kooperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Religionsunterricht im Schulprogramm . . . . . . . . . . 140 Schulprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Inhaltlicher Beitrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
V.
Kapitel: Kirchliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . 145
1. 1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.3 2. 2.1
Grundsätze evangelischer Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . 146 „Lehre des Evangeliums“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Taufe und Abendmahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Taufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Abendmahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Ertrag für die Didaktik des Religionsunterrichts . . . 152 Herausforderungen für Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Relevanzverlust von Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
2.5 3. 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.2 3.2.1 3.2.2 4. 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.2
7
8
Inhalt
2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2 2.3 3. 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 4. 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.2 4.2.1 4.2.2
Marginalisierung von Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Verkirchlichung des Christentums . . . . . . . . . . . . . . . 158 Konsequenzen für die Religionsdidaktik . . . . . . . . . . 160 Religiöser Pluralismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Religionsproduktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Differenzierung neuzeitlichen Christentums . . . . . . 164 Ansätze zur Kirchenreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Strukturelle Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Inhaltliche Impulse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Gemeindepädagogische Impulse . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Neubestimmung von Kirchenmitgliedschaft . . . . . . . 170 Gottesdienst-Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Leitbild-Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Kasualien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Konsequenzen und Herausforderungen für den Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Impulse der EKD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Auseinandersetzung mit nichtchristlichen Religionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Denkschrift „Identität und Verständigung“ . . . . . . . 178 Spannung zwischen den Grundsätzen evangelischer Kirche und den EKD-Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . 182 Religionspädagogische Impulse . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Pluralitätsfähige Religionspädagogik . . . . . . . . . . . . . 184 Elementare Inhalte des Religionsunterrichts . . . . . . 185
C. Heutiger Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen VI.
Kapitel: Religionslehrer und Schüler . . . . . . . . . . . . . . . 192
1. 1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.3
Religionslehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Institutionelle Einbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Konzeptionelle Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Kirchliches Amt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Begleiter und Therapeut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Inszenator/Regisseur bzw. Moderator von „Religion“ 201 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Einstellung zum Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . . 203
Inhalt
1.4 2. 2.1 2.1.1 2.1.2 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.3 3. 3.1 3.2
Einstellung zu Kirche und Religion . . . . . . . . . . . . . . .208 Schüler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .209 Grundlegende Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Aus erfahrungswissenschaftlicher Perspektive . . . . . 210 Aus theologischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Lebenswelt der Heranwachsenden . . . . . . . . . . . . . . . 216 Situationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Pluralismus als Grundsignatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 „Egotaktik“ als Überlebensstrategie . . . . . . . . . . . . . .221 Verhältnis zu Kirche und Religion . . . . . . . . . . . . . . . .222 Verhältnis zum Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . . .225 Religionsdidaktische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . .228 Zukünftige Aufgaben der Religionslehrer . . . . . . . . .230 In kirchlich-theologischer Perspektive . . . . . . . . . . . .230 In schulisch-pädagogischer Perspektive . . . . . . . . . . .232
VII.
Kapitel: Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts . . . .234
1. 1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 2.
Religionsunterricht in Spannungen . . . . . . . . . . . . . .237 „Das Wort Gottes und der Unterricht“ . . . . . . . . . . . .237 Religionsdidaktischer Ertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .240 Bleibende Spannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .240 Heutige Aktualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .242 Religionsunterricht als Einführung in das Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .244 „Christentum und Schule“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .244 Religionsdidaktischer Ertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .246 Kulturhermeneutische Notwendigkeit . . . . . . . . . . . .246 Heutige Aktualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .247 Religionsunterricht als schülerorientierte Auslegung der Lebenswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .249 „Muß die Bibel im Mittelpunkt des Religionsunterrichts stehen?“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .249 Religionsdidaktischer Ertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .251 Schülerorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .251 Heutige Aktualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .252 Religionsunterricht als Einführung in die Religion 254 Dimension Religion neu entdeckt . . . . . . . . . . . . . .254 Symboldidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .256 Anthropologischer Ansatz (Halbfas) . . . . . . . . . . . . . .256
2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 3. 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 4. 4.1 4.2 4.2.1
9
10
Inhalt
4.2.2 4.2.3 4.3 4.4 4.4.1 4.4.2 5. 5.1
5.3.2
Christologischer Ansatz (Biehl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Anfragen und Einsichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 „Schauplatz Religion“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Religionsdidaktischer Ertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Religions-Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Offene Fragen erste Versuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Religionsunterricht als Befähigung zum Christsein 267 Weiterführung und Abgrenzung von bisherigen Konzepten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Weiterführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Befähigung zum Christsein als Ziel des Religionsunterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Schulrechtliche Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Pädagogische Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Theologische Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Beten und Gesegnet-Werden als grundlegende Formen heutigen Christseins didaktische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Beten und Gesegnet-Werden als elementare Formen christlicher (und religiöser) Praxis . . . . . . . . 276 Beten und Gesegnet-Werden im Religionsunterricht? 277
VIII.
Kapitel: Medien und Methoden des Religionsunterrichts 281
1. 1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 2. 2.1
Religionsunterricht in der Mediengesellschaft . . . . . 283 Mediengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Herausforderungen für Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Neue Verteilung von Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Neues Zeitgefühl und -verständnis . . . . . . . . . . . . . . . 285 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Herausforderungen für den Religionsunterricht . . . 286 Grundlegende Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . 286 Inhaltliche Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Kommunikativer Umgang mit der Bibel . . . . . . . . . . 292 Vorbemerkung: Bibel zwischen personalem und apersonalem Medium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Bibel in der Lebenswelt der Schüler . . . . . . . . . . . . . . 296 Einige methodische Anregungen . . . . . . . . . . . . . . . . 300
5.1.1 5.1.2 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.3
5.3.1
2.2 2.3
Inhalt
2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 3. 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4
Erzählung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .300 Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .302 Bibliolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .304 Texttheater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .306 Islamische Traditionen zwischen Fremd- und Nachbarreligion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .306 Vorbemerkung: Didaktische Grundsätze . . . . . . . . . .308 Religionskundliche Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .308 Existenzieller Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 Islam in der Lebenswelt der Schüler . . . . . . . . . . . . . . 311 Einige methodische Anregungen . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Erzählung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Foto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Religiöse Feiern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
D. Anhang 1. 2. 3. 4.
Schema zur Unterrichtsvorbereitung . . . . . . . . . . . . .321 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .330 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .332 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .335
11
Vorwort
Der Relígionsunterricht ist der Kommunikationsraum, in dem die meisten Deutschen über viele Jahre hinweg christlicher Religion begegnen. In der heutigen Schule bedarf er wie die anderen Unterrichtsfächer auch einer didaktischen Reflexion. Da Inhalte, Ziele, Methoden und Medien eines Unterrichts untrennbar miteinander zusammenhängen, kann diese Aufgabe nur in konkretem Bezug auf den besonderen Gegenstand bearbeitet werden, also in einer Fachdidaktik. Entgegen anderen Unterrichtsfächern hat der Religionsunterricht durch seinen spezifischen Unterrichtsgegenstand eine Besonderheit darin, dass er inhaltlich nicht durch den Staat, konkret die Schulbehörde, sondern durch die Kirche verantwortet wird. Deshalb gibt es keine allgemeine Religionsdidaktik, sondern nur eine jeweils konfessionell bestimmte, im vorliegenden Fall eine Evangelische Religionsdidaktik. Sie hat sich zugleich im Zusammenhang mit anderen Fachdidaktiken sowie der Schultheorie und -pädagogik zu bewähren. Die Inhalte, Ziele, Methoden und Medien des Evangelischen Religionsunterrichts sind demnach sowohl theologisch als auch pädagogisch, also religionsdidaktisch zu verantworten. Erstaunlicherweise fehlt im Angebot der Studienliteratur seit längerem eine Evangelische Religionsdidaktik, die zukünftige Religionslehrer(innen) auf ihre wichtige Aufgabe vorbereiten hilft und erfahrenen Religionslehrer(inne)n einen Anstoß zu einer zusammenhängenden Reflexion eigener Praxis gibt. Zugleich erscheinen mir manche Entwicklungen in der gegenwärtigen religionsdidaktischen Diskussion problematisch. In einigen, mit der Attitüde des Fortschrittlichen auftretenden Publikationen verblasst das christliche Profil; formale pädagogische Gesichtspunkte drohen die theologischen Inhalte zu
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Vorwort
überlagern. Umgekehrt führt eine einseitig theologische Deduktion ebenfalls nicht weiter. Dagegen möchte ich aufzeigen, dass theologische Bestimmtheit und pädagogische Orientierung an den Schülerinnen und Schülern in keinem Gegensatz stehen; im Gegenteil fordern sie sich gegenseitig heraus und ergänzen sich. Denn: Junge Menschen benötigen klare Orientierung, damit sie sich selbstständig und verantwortlich entscheiden können. Schließlich ergeben kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen und Umbrüche, die in der Schultheorie und -pädagogik ihren Niederschlag finden und die Kirchen verändern, eine religionsdidaktische Situation, die nach Neuorientierung ruft. Dem wollte ich mich stellen und inmitten der manchmal unübersichtlichen Veränderungen die Chancen für den (Evangelischen) Religionsunterricht herausarbeiten. Für diejenigen Studierenden, die sich – etwa in einer Arbeitsgruppe – die Religionsdidaktik selbsttätig erarbeiten wollen, habe ich die wichtigsten Sätze hervorgehoben. Diese können gut den Einstieg in das jeweilige Gebiet bieten. So kann es eine Trainingsaufgabe sein, solche Sätze zu begründen, vielleicht auch zu widerlegen. Für schnelle Leser(innen) habe ich am Rande Marginalien und im Text kursiv geschriebene Begriffe vorgesehen. Endlich gilt es zu danken: Frau Gabi Kern versorgte mich unermüdlich mit Literatur, las Korrektur und verbesserte viele flüchtige und manchen ärgerlichen Fehler. Dr. Michael Domsgen und Frau Dipl.-Theol. Katharina StorkDenker lasen das Manuskript kritisch und gaben mir einige wertvolle Hinweise. Prof. Dr. Bernd Schröder bereicherte meine Arbeit durch seine immer scharfsinnigen Anfragen. Frau Claudia Maria Rüdiger besorgte umsichtig die Manuskriptgestaltung. Widmen möchte ich das Buch meinem Vater, Herrn Oberstaatsanwalt a.D. Oberkirchenrat i. R. Dr. jur.utr. Gerhard Grethlein, zur Vollendung seines 80. Lebensjahres. Neben vielem, was ich
Vorwort
ihm verdanke, hat er mir in zahlreichen Gesprächen von Kindheit an die grundlegende Bedeutung des Rechts für menschliches Zusammenleben nahe gebracht. Wer das Buch liest, wird manche Spuren der dadurch gewonnenen Einsichten finden. Münster, den 10. April 2004
Christian Grethlein
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A. Einführung
I. Schulischer Religionsunterricht als religionspädagogische Aufgabe 1.
Religionsunterricht – ein umstrittenes Fach
1.1
Probleme des Religionsunterrichts
Der Religionsunterricht an der Schule ist umstritten und zwar nicht nur in einer Hinsicht. Ein äußeres Zeichen dafür, dass der Religionsunterricht an den Schulen der meisten deutschen Bundesländer zwar ein ordentliches Unterrichtsfach ist, aber trotzdem Besonderheiten und Unsicherheiten aufweist, ist die gesetzlich garantierte Möglichkeit zum Austritt. Der Religionsunterricht ist ein obligatorisches Unterrichtsfach, von dem Schüler(innen)1 sich abmelden können.
Die Abmeldemöglichkeit besteht wie später gezeigt wird seit der Weimarer Republik; das weist darauf hin: Die Selbstver-
1 Da ich keine befriedigende Lösung des Problems kenne, einerseits der Schwierigkeit zu entgehen, bei der grammatikalisch herkömmlichen Inklusion des weiblichen im männlichen Geschlecht die Bedeutung von Frauen unstatthaft zu schmälern, andererseits aber bei ständiger Verdoppelung der Begriffe den Sprachfluss zu stören (und das sog. Berliner I orthographisch falsch ist), wechsle ich im Folgenden die verschiedenen Möglichkeiten ab.
Neue politische Entwicklungen
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A. Einführung
ständlichkeit des Religionsunterrichts hat sich seit dem Ende des Kaiserreiches verändert. Die Öffnung von einer strikten Obligatorik hin zu einer allerdings erst Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts vermehrt wahrgenommenen (Ab-) Wahl hat sich in letzter Zeit strukturell verstärkt: Nach der politischen Vereinigung Deutschlands 1990 führten bis auf Brandenburg alle neuen Bundesländer zwar Evangelischen und Katholischen Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen ein. Doch wurde parallel dazu sog. Ethikunterricht o. Ä. eingerichtet, früher in der Bundesrepublik als Ersatzfach bezeichnet, jetzt z.T. als Alternativfach in einem Wahlpflichtbereich. In manchen dieser Länder wählen die Schülerinnen und Schüler, an welchem Unterricht sie teilnehmen wollen. Noch weiter geht die Regelung in Brandenburg. Das dortige Fach LER (Lebensgestaltung Ethik Religionskunde) ist für alle in der Sekundarstufe I das verbindliche Fach; Jugendliche, die den von den Kirchen angebotenen Religionsunterricht besuchen, können sich hiervon befreien lassen. Manche Politiker(innen) in anderen Bundesländern hätten ebenfalls lieber ein solches allein staatliches Fach als den inhaltlich von den jeweiligen Kirchen verantworteten, konfessionell differenzierten Religionsunterricht (und ein nicht bekenntnismäßig gebundenes Ersatz- bzw. Alternativfach). Für Schulleiter wäre ein gemeinsames Fach für alle organisatorisch einfacher. Ohne die hiermit gegebenen grundsätzlichen schultheoretischen und -pädagogischen Fragen zu bedenken, zeigt diese besondere Stellung des Religionsunterrichts: Das Fach ist nicht ungefährdet. Probleme in der Praxis
Ein genauerer Blick auf aktuelle Diskussionen und konkrete Verhältnisse vor Ort verstärkt diesen Eindruck: So gab es z. B. im Zusammenhang der allgemeinen Forderung nach Reduktion des Berufsschulunterrichts wiederholt Vorstöße, den Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen abzuschaffen. Es ist auch kein Geheimnis, dass mancherorts bei Lehrerknappheit zuerst der Religionsunterricht ausfällt, bisweilen jahrelang. Die Lehrkräfte mit Fakultas in Religion werden in ihrem anderen Fach eingesetzt, das der Schulleitung wichtiger er-
I. Religionsunterricht als religionspädagogische Aufgabe
scheint. Es kommt an solchen Schulen zu einer schleichenden Aushöhlung des Fachs. Ebenfalls für Irritationen sorgen vor allem in der Grundschule die Spannungen zwischen dem Prinzip des Klassenlehrerunterrichts und dem durch die konfessionelle Trennung meist notwendigen Fachunterricht für Religion. Angesichts der zunehmenden Einsicht in die Bedeutung von Integration in der Grundschuldidaktik droht hier der konfessionelle Religionsunterricht in eine pädagogische Außenseiterposition zu geraten. Schließlich stellt die in etlichen Städten und Regionen erhebliche Zahl von Schülerinnen und Schülern mit islamischem Bekenntnis bzw. islamisch geprägten Herkunftsfamilien Schule hinsichtlich des Religionsunterrichts vor neue Herausforderungen; Stichwort: Islamischer Religionsunterricht. In einer solchen Situation und wenn man genauer hinsieht, begegnet grundsätzliche Kritik am konfessionellen Religionsunterricht seit über einhundert Jahren gerät der Religionsunterricht in seiner gegenwärtigen Verfasstheit unter einen unverkennbaren Legitimationsdruck. Dieser erhöht sich dadurch, dass auch im religionsdidaktischen Fachgespräch selbst uneinheitliche Optionen ausgearbeitet werden: Auf der einen Seite begegnen sich progressiv verstehende Vorschläge von Religionspädagogen, die konfessionell bestimmten Formen des Religionsunterrichts in ein gemeinsames Fach auf religionswissenschaftlicher Basis, etwa einen Allgemeinen Religionsunterricht, zu überführen. Unterrichtsformen aus dem Ausland, vor allem der „multi-faith“-Unterricht „Religious Education“ in England, gelten als Vorbilder. Auf der anderen Seite, wenn auch in der religionsdidaktischen Fachdebatte zur Zeit nicht so nachdrücklich vertreten, steht die Klage über die geringe inhaltlich christliche oder konfessionelle Substanz des Religionsunterrichts. Damit ist nicht selten die Kritik an der angeblich zu geringen Verbundenheit vieler Religionslehrer(innen) mit der Kirche, konkret den Ortsgemeinden, verknüpft.
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A. Einführung
1.2
Drei Gründe für den Religionsunterricht
Gewinn für Schüler
Gründe für den Religionsunterricht
Angesichts dieser schwierigen Gemengelage ist manchmal die Frage kaum zu unterdrücken: Lohnt es sich noch, die eigene Arbeitskraft für dieses so umstrittene Fach zu investieren? Für mich gibt es vor allem drei Gründe, den Religionsunterricht in seiner besonderen Konstitution zwischen Staat und Kirche nachhaltig zu vertreten, zu unterstützen und weiterzuentwickeln.2 Alle drei Argumente, das erste ein pädagogisches, das zweite ein theologisches und das dritte ein politisches, das sich auf die äußere Organisation des Fachs bezieht, haben für eine der genannten Anfragen besondere Bedeutung, müssen aber insgesamt aufeinander bezogen werden. Erst gemeinsam verhindern sie problematische Einseitigkeiten und gewinnen eine nachhaltige schulpädagogische und religionsdidaktische Plausibilität. Sie werden hier nur skizzenhaft angedeutet und im Weiteren breiter ausgeführt: Pädagogisch gesehen ermutigen Äußerungen von Schülerinnen und Schülern. So erklärt ein Neuntklässler: „Ich benutze die Religionsstunden ja meistens zum Ausruhen … Aber manchmal, da wache ich auf. Ja, wirklich, da kommt es mir vor, als ob ich eigentlich sonst immer schlafe und dann auf einmal die Augen aufmache.“3 Offensichtlich verbirgt sich hinter dieser jugendlich-schnoddrigen Äußerung pädagogisch gesprochen ein Hinweis auf besondere Bildungsgehalte, auf die der Jugendliche nur im Religionsunterricht stößt. Hierfür spricht auch die Tatsache, dass insgesamt recht wenige Schülerinnen und Schüler von ihrem Austrittsrecht Gebrauch machen, ja umgekehrt viele nichtgetaufte Jugendliche am Religionsunterricht teilnehmen. In der Schulpraxis ist heute wie empirische Umfragen zeigen4 der Religionsunterricht durchaus ein beliebtes Fach. Die grundsätzliche Kritik am Religionsunterricht verdankt sich heute eher allgemein weltanschaulichen Gründen als an den Schülerinnen und Schülern orientierten Argumenten. Nur die Trennung des Klassenverbandes im konfessionellen Religionsunterricht ist in schülerorientierter Perspektive ein Problem.
I. Religionsunterricht als religionspädagogische Aufgabe
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Theologisch gehört zum christlichen Glauben unabtrennbar die Aufgabe, der nachfolgenden Generation die Perspektive des Evangeliums zu eröffnen. Wer erfahren hat, wie sein Leben durch die Hoffnung auf Gottes Güte nicht nur farbiger und interessanter wird, sondern auch eine neue befreiende Ausrichtung erhält, will dies gern anderen mitteilen. Von daher stünde ein Rückzug nur auf eigene kirchliche Bildungsangebote in einer Gesellschaft, in der sich das Leben von Kindern und Jugendlichen zunehmend in und um Schule herum abspielt, in Widerspruch zu einem Grundanliegen christlichen Glaubens. Die grundsätzliche Kritik am Religionsunterricht aus kirchlich-theologischer Sicht, die etwa dessen zu geringe geistliche Substanz beklagt, geht weitgehend auf eine gegenüber dem biblischen Pluralismus verschlossene ekklesiologische Engführung zurück. Sie spielt einseitig Entschiedenheit gegenüber Offenheit aus.
Dynamik des
Politisch ist an die besondere Schulgeschichte in Deutschland zu erinnern. Die Diktaturen des 20. Jahrhunderts haben schnell erkannt, dass der kirchlich verantwortete Religionsunterricht ein Hindernis auf dem Weg zur ideologischen Uniformierung der Schule ist. Deshalb haben sie Nazis und Kommunisten in erstaunlicher Gleichheit der Mittel versucht, dieses ideologisch nicht integrierbare Fach abzuschaffen. So steht der Religionsunterricht als das einzige inhaltlich nicht durch den Staat verantwortete Fach an der öffentlichen Schule für die Einsicht, dass Schule grundsätzlich einen Bereich braucht, der inhaltlich nicht staatlich kontrolliert ist. Ein Blick in die Kultur- und Geistesgeschichte zeigt, dass es sich mit den beiden gebräuchlichen Formen des christlichen Religionsunterrichts um einen vielfach und seit langem mit unserer Kultur vermittelten Freiraum handelt. Die grundsätzliche Kritik am Religionsunterricht aus politischer Perspektive ist auf das große Vertrauen in die Leistungs-
Deutsche
2 Ein interessanter und anregender evangelischer Versuch, für die interessierte Öffentlichkeit allgemein verständlich die Bedeutung des Religionsunterrichts zu erweisen, ist: Wermke (Hg.), Religionsunterricht. 3 Zitiert Wermke (Hg.), Religionsunterricht, 9. 4 S. z. B. Bucher: Religionsunterricht.
Evangeliums
Schulgeschichte
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A. Einführung
kraft des Staates auch hinsichtlich der Normgebung für Lebensgestaltung gegründet. Dabei bleiben die gegenteiligen konkreten Erfahrungen in der deutschen Geschichte ausgeblendet. Aufbau des Buchs
Diese drei Argumente, die in sich differenzierbar und durch weitere zu ergänzen sind, weisen auf die Rahmenbedingungen hin, vor denen sich der Religionsunterricht ausweisen muss: vor der Schule mit ihrem pädagogischen Primat (f Kapitel IV), vor der Kirche mit ihrem theologischen Primat (f Kapitel V) und vor dem Gemeinwesen, das wesentlich durch sein Recht geprägt ist (f Kapitel III). Nur wenn es gelingt, die Förderung der jungen Menschen pädagogisch einsichtig zu machen und zugleich die Bindung an die Kirche als der Kommunikation des Evangeliums gemäß zu erweisen, ist der Religionsunterricht in seiner doppelten Verankerung bei Staat und Kirche sinnvoll.
Allerdings erfordern diese allgemeinen Bezüge klare Konkretionen: hinsichtlich der Ziele und Inhalte (f Kapitel VII) und der Medien und Methoden (f Kapitel VIII) des Religionsunterrichts. Entsprechend der besonderen Bedeutung der im Religionsunterricht kommunizierenden Menschen, der Lehrer(innen) und Schüler(innen) für ihre Förderung wird Schule veranstaltet , sind diese als Grundperspektive immer im Blick zu behalten (f Kapitel VI). Zuvor will ich kurz den theoretischen Rahmen abstecken, innerhalb dessen man sich bewegt, wenn man den schulischen Religionsunterricht begründen und seine Möglichkeiten und Grenzen bestimmen will (f Kapitel II).
I. Religionsunterricht als religionspädagogische Aufgabe
2.
23
Religionspädagogik als Rahmentheorie des schulischen Religionsunterrichts
Der schulische Religionsunterricht ist traditionell das wichtigste Thema der deutschen Religionspädagogik. Ein genauerer Blick auf diese Wissenschaft5 zeigt, dass die eben skizzierten Problemlagen in der Konstitution dieses Fachs selbst angelegt sind bzw. sich hier widerspiegeln. Religionspädagogik ist – systematisch betrachtet – ein Fach „zwischen Theologie und Pädagogik“.6
2.1
Religionspädagogik als pädagogische bzw. theologische Aufgabe
Beide Fächer können aus sich heraus eine eigene Religionspädagogik entwickeln, wobei de facto die Theologie sich hier sehr viel stärker engagiert. Günter R. Schmidt hat für diese beiden Formen der Religionspädagogik die Begriffe „Allgemeine Religionspädagogik“ und „Christliche Religionspädagogik“ vorgeschlagen. Wichtig ist in vorliegendem Zusammenhang, in dem es um die Begründung des schulischen Religionsunterrichts geht:
Religionspädagogik zwischen Theologie und Pädagogik
Sowohl Pädagogik als auch Theologie stehen vor Fragen und Aufgaben, die einer eigenen Behandlung bedürfen auf Hochschulebene in der Religionspädagogik, auf Schulebene im Religionsunterricht. Die Pädagogik stößt in mehrfacher Weise auf die religionspädagogische Aufgabe: bei religiösen Erfahrungen, die Menschen machen, angefangen von der Frage nach dem letzten Warum über Endlichkeitserfahrungen etwa angesichts von Leiden und Tod bis hin zur Freude über das Leben als Geschenk,
5 S. als lehrbuchmäßige Darstellung: Grethlein: Religionspädagogik. 6 Schmidt: Theologie; ausgeführt findet sich dieser Ansatz in: ders.: Religionspädagogik.
Pädagogische Aufgaben
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A. Einführung
bei der Frage nach der Begründung moralischen Verhaltens, also: warum soll ich gut und böse unterscheiden und mich gut verhalten, bei der Begegnung mit religiös motivierten Menschen und dem Verständnis ihrer Einstellungen und ihres Verhaltens, bei der Begegnung mit religiösen Institutionen, angefangen vom Kirchengebäude (bzw. der Moschee) in der Nachbarschaft bis hin zu den Fernseh-Nachrichten über die letzte Papst-Reise. Friedrich Schweitzer spricht eindringlich gegenüber dem in der Pädagogik vorherrschenden verengten Erziehungs- und Bildungsverständnis, das Religion ausblendet, von einem „Recht des Kindes auf Religion“.7 Theologische Aufgaben
Zugleich stellt sich der Theologie die religionspädagogische Aufgabe: die christlichen Symbole sind verständlich zu machen, die ethischen Gehalte des Christentums sind zu erschließen, es gilt, der nachwachsenden Generation Begegnungen mit christlichem Glauben zu ermöglichen, sei es durch Personen, Texte oder andere Medien, die Bedeutung von Kirche für christlichen Glauben ist zu erklären.
2.2
Pädagogische Probleme
Religionspädagogik als pädagogische und theologische Aufgabe
Bei genauerem Hinsehen treten jeweils besondere Probleme auf, die eine Kooperation zwischen beiden Formen der Religionspädagogik erfordern: Eine exklusiv pädagogisch argumentierende Religionspädagogik steht vor dem Problem des Pluralismus der Religionen. „Religion“ ist ja ein Kunstbegriff; in der Lebenswelt gibt es jeweils nur konkrete Religionen, etwa Judentum oder Christentum, wobei sogar dies noch zu grob formuliert ist, weil es nur evangelische oder römisch-katholische Christen gibt usw. Pädagogisch fehlen genauere Kriterien für die Beurteilung einer konkreten Religion. Es kann lediglich auf die der Persönlich-
I. Religionsunterricht als religionspädagogische Aufgabe
keitsentwicklung hinderlichen bzw. förderlichen Vorstellungen oder Glaubenssätze aufmerksam gemacht werden, ohne dadurch die Wahrheitsfrage angemessen bearbeiten zu können. Jedoch ist bei näherem Hinsehen der Begriff der Persönlichkeitsförderung inhaltlich von einem christlichen Kontext geprägt. Und in der Tat ist die Geschichte der Pädagogik wesentlich durch Theologen und Christen bestimmt, was sich in heute teilweise nicht mehr allgemein bewussten christlichen Prägungen pädagogischer Grundannahmen niedergeschlagen hat.8 Umgekehrt fehlen der Theologie Kriterien für die hinreichende Berücksichtigung der Unterschiede von Menschen, deren Orientierung die Religionspädagogik unterstützen soll. Alters-, Geschlechtsdifferenzierungen o. Ä. können im Einzelnen nicht theologisch bestimmt werden, sind aber für die Theorie und Praxis von Erziehung und Bildung von fundamentaler Bedeutung. Bei der Reflexion und Verantwortung des Religionsunterrichts müssen also Theologie und Pädagogik gleichermaßen herangezogen werden, um den sachlich sowie lebensweltlich und anthropologisch gegebenen Anforderungen gerecht zu werden.
Dem entspricht die Konstitution des schulischen Religionsunterrichts, wie er gegenwärtig in Deutschland (weithin) gesetzlich vorgesehen ist. Er unterliegt zum einen der pädagogischen Verantwortung durch die Integration des Religionsunterrichts in die allgemeinen Bildungs- und Erziehungsziele, die Stundentafel und den organisatorischen, etwa altersspezifischen, aber auch unterrichtlichen Rahmen; zum anderen berücksichtigt die Verantwortung der konkreten Religionsgemeinschaften für den Inhalt des Religionsunterrichts die theologische Seite der Religionspädagogik, ermöglicht also die Thematisierung der Wahrheitsfrage in einer für Heranwachsende angemessenen, nämlich zur Teilhabe einladenden Form.
7 Schweitzer: Recht; mit Friedrich Schweitzer: Pädagogik, liegt jetzt eine pädagogische Religionspädagogik in Grundzügen vor. 8 S. hierzu die knappe Skizze bei Schweitzer: Pädagogik, 29–34.
25
Theologische Probleme
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A. Einführung
Im Einzelnen wäre hier genauer zwischen den verschiedenen Altersstufen und Schulformen zu differenzieren. Grundsätzlich gilt, dass bei höherem Alter und stärkerer kognitiver Begabung größere Möglichkeiten zum Lernen aus Distanz gegeben sind. Allerdings gehört grundsätzlich zum Lernen von Heranwachsenden die zumindest zeitweise Übernahme von Einsichten und Verhaltensweisen, also die Partizipation an Vorgegebenem. Nach wie vor ist das Lernen am Modell die eindrücklichste und nachhaltigste Lernform. Zugang zu anderen Religionen
Allerdings bedarf diese wissenschaftstheoretische Bestimmung heute noch einer Ergänzung. Vor allem durch Migration, aber auch durch die massenmediale Erweiterung des Horizontes treten zunehmend nichtchristliche Religionen in das Blickfeld von Kindern und Jugendlichen. Die dadurch geforderten Verstehensprozesse bedürfen religionskundlicher Kenntnisse und hermeneutischer Reflexionen, die in der traditionell auf den christlichen Glauben bezogenen christlichen Theologie so nicht zur Verfügung stehen. Die Aufgabe eines theologisch geklärten Zugangs zu anderen Religionen, der deren Eigenrecht wahrt, ist religionsdidaktisch unabweisbar (f VIII.3.1).9 Zudem stellt die unterrichtliche Behandlung von nichtchristlichen Religionen vor schwierige pädagogische Aufgaben. Denn die für die christliche Religion durch die besondere Konstruktion des Religionsunterrichts ermöglichten partizipatorischen Lernprozesse sind nicht ohne weiteres auf andere Religionen, konkret meist den Islam, übertragbar.
3.
Chancen und Grenzen des Religionsunterrichts
Bisher war bei den Überlegungen nur der Religionsunterricht in der Schule im Blick. Dies entspricht dem Thema dieses Buchs. Doch muss wenigstens kurz darauf hingewiesen werden, dass der schulische Religionsunterricht ein Handlungsfeld neben anderen ist, für das die Religionspädagogik Theorien entwirft.
I. Religionsunterricht als religionspädagogische Aufgabe
Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland seit längerem das religiöse Lernen der meisten Menschen durch diesen Unterricht bestimmt wird, werden nicht selten Religionspädagogik (als die Theorie religiöser, christlicher und kirchlicher Bildung, Erziehung und Sozialisation) und schulische Religionsdidaktik, also die Theorie des schulischen Religionsunterricht, sogar in eins gesetzt. Tatsächlich sind die meisten mit der Lehre beauftragten Religionspädagogen damit beschäftigt, künftige Religionslehrerinnen und -lehrer auszubilden.
27
Religionsdidaktik als ein Teilgebiet der Religionspädagogik
Bei einer Gleichsetzung von Religionspädagogik mit schulischer Religionsdidaktik droht die Gefahr, dass der schulische Religionsunterricht überfordert wird.
Schnell kommt es dann zu dem Kurzschluss, das ganze religiöse Lernen solle sich in der Schule vollziehen. Und dies ist weder dem Gegenstand „Religion“ gemäß, der sich nicht auf die Schule reduzieren lässt, sondern das ganze Leben umfasst, noch berücksichtigt es den tatsächlichen Raum, der „Religion“ als einem meist zweistündig erteilten Fach in der Schule zukommt. Demgegenüber begegnen Menschen christlicher Religion und anderen Daseins- und Wertorientierungssystemen auch anderswo, z.T. sogar in erheblich intensiverer Form: in der Familie, in Kirchengemeinden, in den Massenmedien, in der Gruppe der Altersgleichen. Eine Religionspädagogik, die sich auch diesen Lernorten widmet, kann genauer die Chancen und Grenzen schulischen Religionsunterrichts bestimmen: Gegenüber den anderen genannten Lernorten bietet nur der schulische Religionsunterricht die Gelegenheit zu langjährigen, systematisch aufeinander aufbauenden Lernprozessen.
9 Eine klare und theologisch überzeugende Darstellung und Diskussion der hier zu berücksichtigenden Probleme findet sich bei Feldtkeller: Theologie.
Langjährige Lernprozesse
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Kognitive Ausrichtung
A. Einführung
Von daher greifen didaktische Ansätze, die sich auf die Vorbereitung von Einzelstunden konzentrieren oder die momentane Gestimmtheit von Schülerinnen und Schülern zum Ausgang nehmen, zu kurz. Vielmehr gilt es, sich über langfristige Ziele klar zu werden und den Aufbau einer klaren Begrifflichkeit für die Kommunikation über religiöse Fragen und Inhalte anzustreben. Deshalb erscheinen Bemühungen um eine dekonstruktivistische Religionsdidaktik10, die die Inszenierung des Unmöglichen in den Mittelpunkt der Didaktik stellen, nur insofern sinnvoll, als sie der Tendenz zu großer didaktischer Selbstherrlichkeit wehren. Ansonsten verfehlen sie die durch den Lernort Schule gegebene Besonderheit des religiösen Lernens im Religionsunterricht, wozu wesentlich Zielgerichtetheit und damit Überprüfbarkeit gehören. Nicht nur in den weiterführenden Schulen, also der Sekundarstufe I und II, mit ihrem entsprechenden Profil des Unterrichts ist der Religionsunterricht eher kognitiv ausgerichtet. Schon der 45-Minuten-Takt der Schulstunden begünstigt ein begrifflich orientiertes Lernen. Dies sei keineswegs als Idealzustand für religiöses Lernen verherrlicht und wird auch zumindest in der auf Grund- und Sonderschulen bezogenen Religionsdidaktik korrigiert. Angesichts der Veränderungen in der familiären Sozialisation stellt die kognitive Engführung vor das Problem der Lebensferne religiöser Inhalte. Von daher ist für die Religionsdidaktik ein Blick auf andere Lernorte und das außerunterrichtliche Schulleben unerlässlich.
Lernchancen für Schule und Kirche
Nicht zuletzt bietet der Religionsunterricht wichtige Lernchancen für die in Schule und Kirche tätigen Menschen: Die Beschäftigung mit den über den Raum der Schule hinausreichenden religiösen Fragen führt zu einer wohltuenden Relativierung in einer sonst scheinbar fraglos funktionierenden Organisation. In der Schule kann sich durch ihre Hierarchie und das dichte Netz von Verwaltungsbestimmungen eine problematische Eigendynamik entwickeln, in der die einzelnen Menschen vornehmlich unter funktionalen Gesichtspunkten in den Blick kommen.
I. Religionsunterricht als religionspädagogische Aufgabe
Für in der Kirche Engagierte und Beschäftigte ermöglichen die nicht durch binnenkirchliche Gewohnheiten und parochiale Milieu-Verengung reduzierten Fragen und Überlegungen der Kinder und Jugendlichen eine wichtige Horizonterweiterung vorausgesetzt, es besteht ein Kontakt zwischen Religionsunterricht und Kirchengemeinde.
10 Knapp zusammengefasst z.B. in Zilleßen: Freiheit.
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II. Geschichtliche Perspektiven – Religionsunterricht zwischen theologischen Inhalten und pädagogischen Perspektiven
Der schulische Religionsunterricht trat als eigenes Fach in der deutschen Schulgeschichte erst spät in Erscheinung. Zwar sah schon Melanchthon in der von ihm konzipierten dreistufigen Schule für die beiden fortgeschrittenen „Hauffen“ eigene Zeiten (sonnabends oder mittwochs) für die „christliche Unterweisung“ vor.1 Doch standen in den Elementarschulen christliche Texte, wie Vaterunser, Glaubensbekenntnis, Psalmen o.Ä., im Mittelpunkt schulischen Unterrichts, seitdem die Kirche zur bestimmenden Geistesmacht wurde. Ernst Christian Helmreich konstatiert in seiner nach wie vor als Standardwerk geltenden Geschichte des Religionsunterrichts in Deutschland zu Recht: „Die Geschichte des deutschen Schulwesens wie auch diejenige Westeuropas überhaupt wurzelt in der Geschichte der christlichen Kirche.“2 Wesentliche Impulse gaben die kulturelle Zentren bildenden Klöster, in denen für dort aufwachsende Kinder im Laufe der Zeit eigene Schulen eingerichtet wurden.3 Karl der Große richtete sich 789 deshalb an die Kloster- und Domstifte in seiner lange nicht durchsetzbaren Anordnung (Admonitio generalis), in seinem Reich flächendeckend Schulen zu errichten. Erst langsam führte die wirtschaftliche und politische Entwicklung dazu, dass auch Schulen entstanden, die nicht zum Klerikerberuf führten. Doch selbst hier bildeten die Texte der Bibel u. Ä. die selbstverständlichen Lerngegenstände, anhand derer Lesen und Schreiben gelernt wurden. Besondere Bedeutung kam inhaltlich schon von der Alten Kirche her den Psalmen zu, die als „Komprimat aller biblischen
II. Geschichtliche Perspektiven
31
Schriften“4 galten eine Auffassung, der sich übrigens Luther mit seiner Hochschätzung der „kleine(n) Biblia“ anschloss.5 Entscheidende Impulse bekamen das deutsche Schulwesen und ein eigener Religionsunterricht durch die Reformation. Die Einsichten der Reformatoren sind vor allem theologisch für die Religionsdidaktik bis heute bedenkenswert und sollen deshalb kurz genannt werden. Sodann nahm aber die Spannung zwischen theologischer, an dogmatischer Rechtgläubigkeit orientierter und pädagogischer, vom Kind aus denkender Perspektive zu, die immer wieder zu fatalen politischen Auseinandersetzungen führte. Da sie jedenfalls untergründig noch heute das Gespräch zwischen Theologie und Pädagogik belastet, muss diese Fehlentwicklung kurz dargestellt werden. Dabei interessiert hier nicht die geschichtliche Entwicklung im historischen Detail. Vielmehr geht es darum, problemgeschichtlich Einsichten zu gewinnen, die für heutige Religionsdidaktik von Bedeutung sind
1.
Inhaltliche Einsichten der Reformation
1.1
Engagement für Schule
Die Reformatoren, allen voran Martin Luther und Philipp Melanchthon, haben sich aus verschiedenen Gründen in hohem Maß für die Einrichtung von Schulen und die christliche Erziehung der Kinder engagiert. Die im Folgenden genannten Titel 1 S. den diesbezüglichen Abschnitt aus dem „Unterricht der Visitatoren“, abgedruckt bei Stoodt (Hg.): Arbeitsbuch, 162. 2 Helmreich: Religionsunterricht, 17. Nach wie vor gibt das Buch des Amerikaners einen guten Überblick über die grobe Entwicklung, ist aber in Vielem durch neuere Einzelforschungen überholt und für das 20. Jahrhundert nur sehr eingeschränkt brauchbar. Leider fehlt eine dem heutigen Wissensstand entsprechende Geschichte des Religionsunterrichts in Deutschland. Eine wenig übersichtliche, aber viel einzelnes Material enthaltende kommentierte Quellensammlung findet sich bei Stoodt (Hg.): Arbeitsbuch. 3 Eine erste Information zum didaktischen Konzept der Klosterschulen („Christ werden durch Erfahrung“) gibt Paul: Geschichte, 115–129. 4 Paul: Geschichte, 130. 5 Paul: Geschichte, 133.
Spannung zwischen theologischer und pädagogischer Perspektive
Luthers Hauptschriften zur Erziehung
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A. Einführung
der sog. Schulschriften Luthers lassen dabei schon die grundsätzlichen Probleme und Luthers Lösungsvorschlag ahnen: – „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“ (1520), – „An die Ratsherren aller Städte deutsches Lands, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen“ (1524), – „Eine Predigt, daß man Kinder zur Schulen halten solle“ (1530). Bildungsnotstand
Zuerst sind in heutiger Begrifflichkeit pädagogische Argumente für dieses Engagement zu nennen: Der Bildungsstand in der breiten Bevölkerung war wie ein Blick in die zeitgenössischen Visitationsprotokolle verrät weithin katastrophal. So berichtet ein reformatorischer Visitator aus dem Nürnberger Raum: „Ich hab unlängsten einem alten Mann bei 80 Jahren das Abendmahl reichen sollen. Als ich gefragt, wie viel Götter wären, hat er geantwortet: sechs. Darüber ich ihn erinnere, wo er hingedächte, wäre so alt worden und hätte nit soviel gelernet, daß ein einiger Gott und drei Personen in dreieinig Gottheit wären. Darauf er gesagt: ‚Ei, sollte das nur einer sein, hab ich je gemeint, es sein sechs‘. Eben das ist mir diese Wochen bei einer alten Frau, die noch krank ist, begegnet; die hat mir auch zur Antwort gegeben, es sein drei Götter.“6 Ein wesentlicher Grundpfeiler des damaligen Ausbildungs- und Erziehungswesens, die Klosterschulen, wurde direkt von der reformatorischen Kritik des Mönchtums getroffen. Viele Schulen lösten sich mit den Klostergemeinschaften auf und hinterließen eine empfindliche Lücke im Bildungswesen. An die Seite dieser pädagogischen Gründe trat vor allem folgende theologische Einsicht, die aus der reformatorischen Entdeckung von der Rechtfertigung allein aus Glauben resultierte: Jeder Mensch steht in einer direkten, nur durch Christus vermittelten Beziehung zu Gott, in der er nicht vertreten werden kann. Jeder (und jede) hat deshalb seine (ihre) eigene Verantwortung in Fragen der Religion und bedarf dazu einer entsprechenden religiösen Bildung.
II. Geschichtliche Perspektiven
33
Dazu verstand Luther seine Zeit als einen Endkampf zwischen Gott und dem Teufel. Durch schulische Erziehung, in der das Wort Gottes zu Gehör gebracht wurde, sollte den Menschen geholfen werden, auf der richtigen Seite zu stehen. Dazu mussten die Menschen aber lesen lernen, um die Bibel studieren zu können. Interessant ist, dass Luther trotz dieses Engagements für die Einrichtung von Schulen erst an zweiter Stelle an sie dachte. Zuerst kam nach ihm den Eltern die Aufgabe der christlichen Erziehung zu. Doch in realistischer und bis heute erstaunlich aktueller Sicht der Dinge hielt er sie damit für überfordert: „Aufs erste, sind etliche auch nicht so fromm und redlich, daß sie es täten (sc. die Kinder erziehen und lehren, C.G.), ob sie es gleich könnten, sondern, wie die Strauße, härten sie sich auch gegen ihre Jungen und lassen’s dabei bleiben, daß sie die Eier von sich geworfen und Kinder gezeugt haben … Aufs andere, so ist der größte Haufe der Eltern leider ungeschickt dazu und weiß nicht, wie man Kinder ziehen und lehren soll. Denn sie haben selbst nichts gelernt, außer den Bauch zu versorgen, und gehören sonderliche Leute dazu, die Kinder wohl und recht lehren und ziehen sollen. Aufs dritte, ob gleich die Eltern geschickt wären und wollten’s gern selbst tun, so haben sie vor andern Geschäften und Haushalten weder Zeit noch Raum dazu, also daß die Not zwinget, gemeine Zuchtmeister für die Kinder zu halten, es wollte denn ein jeglicher für sich selbst einen halten.“7
1.2
Probleme mit Eltern
Kleiner Katechismus als Elementarisierung christlichen Glaubens
Luther wandte sich mit seiner religionspädagogisch und -didaktisch größten Leistung, dem Kleinen Katechismus, an die Hausväter. Tatsächlich wurde der Kleine Katechismus lange Zeit für den schulischen Unterricht zur bestimmenden Grund6 Zitiert nach Leder: Kirche, 159. 7 Aus: An die Ratsherren, hier zitiert in der sprachlich etwas geglätteten Fassung der Textsammlung von Nipkow/Schweitzer (Hg.): Religionspädagogik, 46–50, 49.
Luthers Kleiner Katechismus
34
A. Einführung
lage, wobei bis ins 18. Jahrhundert Schule als eine kirchliche Institution galt. Sein großer Erfolg ist inhaltlich nur dadurch zu erklären, dass Luther hier in überzeugender Weise eine Elementarisierung christlichen Glaubens gelungen ist.8 Auf Grund dessen und weil die inhaltliche Struktur bis heute orientierend ist, sei ein etwas ausführlicherer Blick hierauf gerichtet. Der Kleine Katechismus beginnt mit dem Dekalog (Zehn Gebote). Hier erfolgt eine theologisch begründete (1. Gebot!) ethische Grundorientierung. Interessanterweise hat dieser Einsatz bei der Ethik eine lange Tradition. Schon das altkirchliche Taufkatechumenat bestand wesentlich aus ethischer Unterweisung (die Glaubenslehre wurde erst nach der Taufe, also der Geistverleihung, unterrichtet). Es folgt das Glaubensbekenntnis, konkret das Apostolicum. Hier erhält der Mensch Kenntnis von seiner Beziehung zu Gott als seinem Lebensgrund, seinem Erlöser und Erneuerer. Im Vaterunser wird in die persönliche Beziehung zu Gott eingeübt. Dabei kommen die Bedürfnisse und Nöte des Menschen zur Sprache. Es folgen Ausführungen zu Taufe und Abendmahl (und später zur Beichte) als den für christliches Leben grundlegenden Vollzügen. Dann leiten Morgen- und Abendsegen (sowie später ein Tischgebet) zu christlicher Zeiteinteilung an. Dabei ist aus pädagogischer Perspektive interessant, dass sogar Anweisungen zum leibhaften Vollzug Bekreuzigen und eventuell Niederknien gegeben werden. Abgeschlossen wird der Kleine Katechismus durch eine Haustafel, also auf die jeweilige soziale Situation bezogene Verhaltensregeln, die pädagogisch gesprochen eine Differenzierung der Lernenden vorsehen: „Ein jeder lern sein Lektion, So wird es wohl im Hause stohn.“ (BSLK 527) Theologische Inhalte der Religionsdidaktik
In der Tat ist es Luther hier gelungen, elementarisierend die grundlegenden Inhalte jeder religionsdidaktischen Bemühung kurz und für seine damalige Zeit einprägsam (und durch die alltagsnahen Erklärungen verständlich) darzustellen:
II. Geschichtliche Perspektiven
– – – –
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Orientierung christlichen Handelns, Vermittlung wichtiger biblischer Einsichten zum Glauben, Einführung in eine persönliche Gebetsbeziehung zu Gott, Erschließung des Zugangs zu wichtigen Kommunikationsformen christlichen Glaubens, vor allem dem Segen.
Zwar wird nicht in jeder Altersstufe jedes dieser vier Elemente eine gleich große Rolle spielen. Auch wird religionspädagogisch überlegt werden müssen, welcher Lernort für welchen Teil christlichen Lernens besondere Chancen oder bestimmte Hindernisse bietet. So bezieht sich Melanchthon in seinen Ausführungen zur Organisation von Schule im bereits erwähnten „Unterricht der Visitatoren“ interessanterweise nur auf die ersten drei Hauptstücke, nicht auf die in den engeren kirchlich-liturgischen und familiären Bereich gehörenden weiteren Texte.9 Aber eine christliche Religionsdidaktik, in der einer dieser vier Bereiche grundsätzlich ausgeklammert würde, wäre in reformatorischer Perspektive defizitär. Auch aus pädagogischer Perspektive kann man zu einem ähnlichen Urteil kommen. Denn alle vier Teile betreffen Dimensionen menschlichen Lebens, die für die Persönlichkeitsförderung wichtig sind (f V.1.3): – – – –
Pädagogische Inhalte der Religionsdidaktik
Ethische Orientierung, klare Vorstellungen im Bereich der Daseinsorientierung, eine lebenspraktisch wirksame Gestalt hiervon, Fähigkeit zu symbolischer Kommunikation des Lebenssinns.
Wie angedeutet, hat Melanchthon10 die grundsätzlichen Anregungen Luthers schul- und unterrichtspraktisch transformiert und so für den konkreten Unterricht fruchtbar gemacht. Dabei konzentrierte er sich vor allem auf Anregungen und Hinweise 8 Vgl. auch Kaufmann: Luther, der Luthers erzieherischen Ansatz unter der modernen konzeptionellen Perspektive der Elementarisierung anhand seiner Katechismen rekonstruiert. 9 S. zum Quellentext Stoodt (Hg.): Arbeitsbuch, 162. 10 Vgl. als erste Einführung Rupp: Pädagogik. Eine sehr gelungene Einführung und lateinisch-deutsche Präsentation wichtiger Texte von Melanchthon enthält das Bändchen Melanchthon: Glaube.
Melanchthon
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A. Einführung
im Bereich der Lateinschulen, also weiterführender Schulen. Trotz dieses vom Humanismus her stark philologisch orientierten Ansatzes finden sich auch bei ihm Hinweise zur Bedeutung der Elementarisierung, in der die Aufnahmefähigkeit der Schüler hinsichtlich der zu behandelnden theologischen Inhalte im Blick ist und also nicht von feststehenden Stoffen ausgegangen wird. So empfiehlt Melanchthon für den zweiten „Hauffen“, also die Schüler, die lesen und schreiben können und sich vorzüglich mit Grammatik zu beschäftigen haben, als Inhalte der „christlichen Unterweisung“: Vaterunser, Glaubensbekenntnis und Zehn Gebote, dazu „leichte Psalmen“ (wobei er konkrete Beispiele nennt) und das Matthäus-Evangelium. Dann folgt der Hinweis, dass für Ältere auch die zwei Timotheus-Briefe, der 1. Johannesbrief oder die Sprüche Salomos gute Lerninhalte sind. Ausdrücklich rät Melanchthon aber von der Behandlung des Propheten Jesaja, des Römerbriefs und des Johannes-Evangeliums ab: „Denn es ist nicht fruchtbar, die iugent mit schweren und hohen büchern zubeladen“.11 Zentralschriften reformatorischer Theologie werden also ausdrücklich von der Behandlung im Religionsunterricht ausgenommen, weil sie zu „schwer“ erscheinen. Orthodoxie
Leider traten schon bald diese Einsicht in die Bedeutung von und die Fähigkeit zur Elementarisierung zurück. Die von Luther zu den einzelnen Hauptstücken hinzugefügten Erklärungen, die konkret und lebensnah zum Verständnis christlichen Glaubens beitragen sollten, gerannen zu feststehenden Texten und mussten von den Kindern auswendig gelernt werden. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand wurden Luthers auf die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts bezogenen Erklärungen unverständlicher, mussten aber unerklärt memoriert werden. Im Unterricht, häufig durch nicht oder schlecht ausgebildete Lehrer erteilt, gewann das Beharren auf allein deduktiv theologisch begründeter Orthodoxie Oberhand über das Interesse an der Förderung von Menschen bei ihrem christlichen Leben. Dadurch bahnten sich die Spaltung und die später so unfruchtbare Entgegensetzung von Theologie und Pädagogik an.
II. Geschichtliche Perspektiven
2.
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Neue Impulse der Aufklärung
Das einseitige Beharren auf Orthodoxie und entsprechenden, mit dem Alltag der meisten Menschen unverbundenen dogmatischen Distinktionen, die im Unterricht gelernt werden mussten (aber nicht verstanden wurden), führte zu einem zunehmenden Auseinandertreten zwischen kirchlich-obrigkeitlicher Theologie und Frömmigkeit der Menschen bzw. unterstützte diese auch anderweitig geförderte Tendenz. Für den Religionsunterricht besondere Sprengkraft bekamen zwei eng miteinander zusammenhängende Entwicklungen: Während im 16. und 17. Jahrhundert lediglich Auseinandersetzungen über das angemessene Verständnis des christlichen Glaubens und seine kirchliche Organisationsform geführt wurden, begegnen seit dem 18. Jahrhundert Stimmen, die grundsätzlich den Wahrheitsgehalt des Christentums bezweifeln und von daher die Kirche in Frage stellen. Bei Gebildeten, nicht zuletzt Theologen, trat zunehmend eine natürliche Religion ohne Offenbarung und Kirche an die Stelle des kirchlichen Lehrsystems. In diesem Zusammenhang entstand eine sich bewusst nicht kirchlich, sondern autonom verstehende Pädagogik, teilweise durch Aufklärungstheologen entwickelt, teilweise durch sie rezipiert. Sie übernahm den Ansatz beim natürlichen Glauben und fand ihr erstes Kriterium im (angenommenen) Kindeswohl. In einem ersten Schritt werde ich diese neue pädagogische Perspektive, nämlich Lernen und Unterricht vom Kind aus zu reflektieren und zu konzipieren, kurz vorstellen. Sie stellt seitdem einen common sense pädagogischer Arbeit dar, auch in der Religionspädagogik. Allerdings sei vorweg darauf hingewiesen dies wurde und wird in der Pädagogik häufig übersehen , dass die inhaltliche Bestimmung von „Kind“ unvermeidlich normative Vorentscheidungen enthält. Die konkreten Konsequenzen für die Theorie und Praxis des Religionsunterrichts werden dann exemplarisch am Beispiel eines aufgeklärten Religionsdidaktikers erläutert und in ihrem Erkenntnisgewinn, aber auch ihren Problemen diskutiert. 11 Nach Stoodt (Hg.): Arbeitsbuch, 162.
Trennung Theologie – Frömmigkeit
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A. Einführung
2.1 Rousseau
„Entdeckung“ des Kindes bei Rousseau
Allgemein gilt 1762, das Jahr, in dem Jean Jacques Rousseaus „Émile ou de l’éducation“ erschien, als Geburtsstunde der modernen Pädagogik. War bis dahin „Erziehung wesentlich ‚Kinderzucht‘: die Anführung zu einem durch Gehorsam und Fleiß gottwohlgefälligen Lebenswandel“12, so rückte Rousseau in seinem anschaulich geschriebenen Entwicklungsroman den Heranwachsenden mit seinen besonderen Fähigkeiten und Begabungen in den Mittelpunkt. Dabei wird leicht übersehen, dass Rousseau diesen Ansatz religiös (und zugleich zivilisationsund damit kirchenkritisch) begründete: „Alles ist gut, wie es aus den Händen des Urhebers aller Dinge hervorgeht; alles verkommt unter den Händen des Menschen“.13 Rousseaus materiale Ausführungen seines Entwicklungskonzeptes hatten erhebliche, auf die Dauer gesehen ungünstige Konsequenzen für die Religionsdidaktik.
Er ging nämlich in seinen Überlegungen von einem Religionsverständnis aus, das ihm „Religion“ als für Kinder (zumindest Knaben) untauglich erscheinen ließ. Auf Grund ihrer Verhaftung im Sinnlichen sah er für Kinder keine Voraussetzung für diese Religion und empfahl, zumindest bei Knaben von einer religiösen Erziehung vor etwa dem 15. Lebensjahr abzusehen. An deren Stelle sollte moralischer Unterricht treten. Rousseau forderte diese Zurückhaltung nur für Knaben. Mädchen dagegen sollten von Kindheit an religiös unterwiesen werden, da bei ihnen seiner Meinung nach keine Ausbildung von Vernunft und mündigem Glauben wie bei Männern zu erwarten sei. In dem Roman „Julie oder Die neue Héloise“ kommt Rousseaus religionspositiver, keineswegs atheistischer Impetus gut zum Ausdruck. Auf die Frage: „Und warum lernen Ihre Kinder ihren Katechismus nicht?“ wird geantwortet: „Damit sie einst daran glauben …, ich will sie zu Christen erziehen.“14 Damit wies Rousseau zum einen zu Recht auf die Gefahr von Verfrühungen auch im Bereich des religiösen Lernens hin; zum anderen hinterfragte er aber nicht seine ans Erwachsenenalter gebundenen Gottes- und Religionsvorstellungen.
II. Geschichtliche Perspektiven
39
Wirkmächtig wurden Rousseaus Überlegungen zur „Zivilreligion“, zu der er „die Existenz der mächtigen, intelligenten, wohltuenden vorausschauenden und fürsorgerlichen Gottheit, das künftige Leben, das Glück der Gerechten und die Bestrafung der Bösen, die Heiligkeit des Gesellschaftsvertrags und der Gesetze“ sowie das Verbot der „Intoleranz“ rechnete.15 Diese an einem bestimmten, zeitbedingten Religionsverständnis orientierte Auffassung hatte für den Religionsunterricht weit reichende Konsequenzen. Pädagogisch wurde und wird immer wieder zuerst eine moralische Erziehung, abgelöst vom Glauben an Gott, gefordert. Das bis heute gängige Argument, „das Kind soll sich später selbst entscheiden“, ist darin auf Rousseau zurückzuführen, dass es von einem möglichst nicht zu störenden, religionsfreien Naturzustand eines Kindes ausgeht. Die etwa von Mk 10,13 16 ausgehende kritische Frage, ob ein Kinder ausschließendes Religions- und Gottesverständnis überhaupt christlich sei, stellte sich Rousseau nicht, obwohl er nach eigenem Bekunden ein Bewunderer Jesu war.
2.2
Konsequenzen
Biografiebezug religiösen Lernens bei Salzmann
Bis heute wichtige Einsichten, aber auch deutliche Gefährdungen, wie sie die Aufklärung mit sich brachte, lassen sich für die Religionsdidaktik anschaulich am Beispiel von Christian Gotthilf Salzmann (1744 1811) aufzeigen. Schon biografisch16 tritt bei ihm die negative Ausgangsbasis der pädagogischen Zuwendung zu Fragen religiöser Erziehung hervor, die Ablehnung des von ihm in seiner Kindheit als starr und lebensfeindlich emp12 Herrmann: Aufklärung, 196. 13 Zitiert nach Schmidt: Religion, 214. Schmidt rekonstruiert hier einfühlsam auf dem Hintergrund der damaligen religions- und zivilisationskritischen Strömungen die Religionsauffassung Rousseaus. 14 Zitiert nach Schweitzer: Religion, 131. Schweitzers Habilitationsschrift ist mit ihrem historischen Materialreichtum und ihrer klaren systematischen Ausrichtung eine bis heute unübertroffene Sammlung und luzide Auswertung der wichtigsten Positionen zur Frage der Religion des Kindes. 15 Zitiert bei Schmidt: Religion, 216. 16 Die Dissertation von Lachmann: Religionsunterricht, führt gut in Biographie und Werk Salzmanns ein.
Salzmann
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Dogmenfreie Religion
Religionsbücher
A. Einführung
fundenen orthodoxen Religionsunterrichts im thüringischen Sömmerda. Hier mussten Katechismus, großes und kleines Spruchbuch und Psalmen auswendig gelernt werden ohne Erklärung durch den Lehrer. Dazu kamen im kirchlichen Unterricht komplizierte dogmatische Unterscheidungen und Lehrbildungen, etwa zur Erbsünden- oder Satisfaktionslehre. Demgegenüber erlebte Salzmann bei seinem Vater eine ganz andere Form religiösen Lernens, indem er anhand seiner eigenen Lebensgeschichte „auf die unleugbaren Spuren der göttlichen Vorsehung“17 hingewiesen wurde. Religion wurde so für ihn fernab kirchlicher Dogmen zu einer lebensdeutenden Erfahrung. Diese Einsicht, heute spricht man vom Biografiebezug religiösen Lernens, fand im literarischen Opus Salzmanns direkten Niederschlag. U. a. verfasste Salzmann, der selbst zwanzig Jahre lang Religion unterrichtete, Religionsbücher in Romanform.18 Salzmann veröffentlichte 1803: „Erster Unterricht in der Sittenlehre für Kinder von acht bis zehn Jahren“; 1804: „Heinrich Gottschalk in seiner Familie, oder erster Religionsunterricht für Kinder von zehn bis zwölf Jahren“. Für die älteren Kinder, die den kirchlichen Unterricht besuchen mussten, schrieb Salzmann wohl neben allgemeiner Distanz zu den hier üblicherweise vermittelten dogmatischen Inhalten deshalb kein Religionsbuch, weil ihm die kirchliche Obrigkeit das Halten des Konfirmandenunterrichts untersagte. Diese im Religionsunterricht verwendeten Religionsbücher erzählen bis heute als Zeitdokumente lesenswert lebensnah Erlebnisse von Kindern in einer Familie nach. In Nachfolge Rousseaus wird bis etwa zum zehnten Lebensjahr nur von Moralerziehung berichtet; die natürliche Gotteslehre wird erst in dem Religionsbuch für Zehn- bis Zwölfjährige eingebracht. Dabei erteilt ein Hauslehrer den Unterricht; der Zusammenhang zwischen Unterricht und Familie bleibt also gewahrt. Interessanterweise führt nicht der junge Hauslehrer die Kinder zur natürlichen Erkenntnis Gottes, sondern der lebenserfahrene Großvater erklärt den Kindern feierlich, dass hinter allem „der gute Gott“ steht. Nachdem der Hauslehrer mit den Kindern Beobachtungen in Garten und Natur zusammengetragen hat, äußert sich der alte Großvater: „Der gute Gott, der für die Kürbispflanzen, und den
II. Geschichtliche Perspektiven
41
Krebs, den Karpfen und Fischreiher, und alles andere was da ist, so liebreich sorgte, daß er ihnen alles gab, was sie bedurften, schenkte uns auch diese großen Vorzüge, durch welche wir über alle Thiere erhoben werden. O Gott (indem er die Hände faltete und gen Himmel sah) du bist unser Gott unser Vater!“19 „Gott“ wird also in unmittelbarem Zusammenhang mit dem sonstigen (hier: naturkundlichen) Unterricht anschaulich durch einen den Kindern lieben Menschen eingeführt. Kirche oder Gemeinde spielen dabei keinerlei Rolle.
2.3
Didaktische und methodische Konsequenzen
Rainer Lachmann verortet zu Recht bei Salzmann bzw. weiter formuliert bei den pädagogisch arbeitenden Aufklärungstheologen die „Anfänge heutiger religionsunterrichtlicher Fachdidaktik“.20 Denn jetzt geht es nicht mehr wie bisher (weithin) um die Vermittlung von feststehenden Inhalten. Vielmehr stellt sich von der Perspektive der Kinder und ihrem Erlebenshorizont her die Frage nach geeigneten Inhalten, die deren Persönlichkeitsentwicklung fördern. Die Inhalte des Religionsunterrichts können seitdem nicht mehr ohne Berücksichtigung des Entwicklungsstandes und des Alltags der Schülerinnen und Schüler statuiert werden.
Schon Melanchthon wusste wie gezeigt intuitiv um diesen fundamentalen Zusammenhang. Ein Übersehen dieses religionsdidaktischen Grundsatzes führt zu Desinteresse und Überdruss bei den Heranwachsenden. Dazu enthält freilich kaum je bemerkt die Tatsache eine schulkritische Spitze, dass bei Salzmann die erste explizite Begegnung mit Gott, wenn auch im Unterricht, über die Familie erfolgt. Die für religiöses Lernen notwendige Glaubwürdigkeit
17 18 19 20
Aus Salzmanns Autobiographie, zitiert bei Lachmann: Religionsunterricht, 46. Sie sind mittlerweile gut greifbar in einem Faksimile-Druck: Salzmann: Religionsbücher. Zitiert aus „Heinrich Gottschalk“, aus: Grethlein: Kind, 302. Lachmann: Salzmann, 108.
Anfänge der Religionsdidaktik
42
Methodik
A. Einführung
stellt sich durch den langen familiären Kontakt gleichsam von selbst ein. Dahinter steht das religionsdidaktische Problem, ob und inwieweit Schule überhaupt einen angemessenen Rahmen für religiöses und damit den Personkern betreffendes Lernen darstellt. Die pädagogische Bedeutung des gemeinsamen Lebens wird in der Biografie Salzmanns dadurch deutlich, dass er nach einigen Jahren am Dessauer Philanthropinum, der wichtigsten reformerischen Erziehungsanstalt der damaligen Zeit mit seiner Frau im thüringischen Schnepfenthal eine Erziehungsanstalt gründete, in der in familienähnlicher Atmosphäre Kinder aufwuchsen. Methodisch lieferten die Aufklärer durch ihr Eintreten für das in der damaligen Pädagogik geläufige Sokratische Gespräch, also das entwickelnde Unterrichtsgespräch, einen wichtigen Beitrag für einen schülerbezogenen Religionsunterricht. Problematisch erscheint insgesamt, dass in den pädagogischen Konzepten der Aufklärung der Religionsunterricht von Kirche und Gemeinde gelöst wird.
Dies war wie konkret an der Biografie Salzmanns zu studieren ist wesentlich dadurch begründet, dass die auf Orthodoxie fixierten Kirchenvertreter der neuen Perspektive ablehnend gegenüberstanden und z.B. Salzmann daran hinderten, kirchlichen Unterricht zu erteilen. Probleme
Religionsdidaktisch besonders problematisch an dieser Entwicklung ist: Dadurch ging in pädagogisch ausgewiesenen Konzeptionen des Religionsunterrichts der Zusammenhang mit dem kirchlichen Gottesdienst, also dem Ort, an dem christlicher Glauben am deutlichsten zum Ausdruck kommt bzw. kommen könnte, verloren weitgehend bis heute. Schließlich ist auf die Kehrseite der Lebensnähe des aufklärerischen Religionsunterrichts hinzuweisen, die starke moralische Prägung. Damit beginnt eine Tendenz, die im Laufe der Zeit zu der auch heute noch teilweise anzutreffenden Auffassung führt, Religion habe vor allem eine moralische Funktion.
II. Geschichtliche Perspektiven
3.
43
Politische Auseinandersetzungen zwischen Vertretern theologischer Inhalte und pädagogischer Perspektiven
Die schon in der Biografie Salzmanns zu beobachtende politische Auseinandersetzung zwischen Kirchenvertretern, die einseitig theologisch deduktiv die (pädagogisch nicht reflektierten) Inhalte des Religionsunterrichts bestimmten, und Pädagogen, die demgegenüber ebenfalls zunehmend einseitig die von ihnen vertretene (theologisch nicht reflektierte) Auffassung vom Kind zum Maßstab machen wollten, durchzieht das ganze 19. Jahrhundert. Dies soll jeweils eine Streitpartei näher fokussierend an zwei Beispielen veranschaulicht werden. Dabei ist zu betonen zuletzt zeigten dies die Auseinandersetzungen um LER , dass die hier aufgeworfenen Gräben bis heute bestehen und die religionsdidaktische Arbeit in der Spannung zwischen Theologie und Pädagogik erschweren.
3.1
Stiehlsche Regulative
Zuerst möchte ich einen Ort der Auseinandersetzung in den Blick nehmen, der von kaum zu überschätzender Bedeutung für den Religionsunterricht ist: die Ausbildung der Religionslehrer (und später auch -lehrerinnen). Hier, konkret in den Lehrerseminaren, hatten sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts pädagogische Gesichtspunkte ausgebreitet. Am bedeutungsvollsten für die Religionsdidaktik war wohl das Wirken von Friedrich Adolf Wilhelm Diesterweg (1790 1866).21 Diesterweg, der Mathematik und Naturwissenschaften studiert hatte, leitete nach einer Tätigkeit als (Privat-) Lehrer von 1820 bis 1832 das Elementarlehrerseminar in Moers, von 1832 bis 1847 das Berliner Stadtschullehrerseminar. Neben vielerlei allgemein pädagogischen Aktivitäten vor allem für die Etablierung des deutschen Lehrerstandes beschäftigte er sich eingehend mit dem Religionsunterricht. Dabei wies er die Möglichkeit einer Vermittlung von Theologie und Pädagogik schroff zurück. Ein Aufsatz aus dem Jahr 1852, also schon nach 21 Einen guten Einblick in dessen Leben und Werk bietet Rupp: Religion.
Diesterweg
44
A. Einführung
seiner Entlassung aus dem Staatsdienst, trug den programmatischen Titel „Kirchenlehre oder Pädagogik“. Sachlich distanzierte er sich vor allem von der Erbsündenlehre. Dem setzte er eine optimistische Moral entgegen, auf die hin im Religionsunterricht erzogen werden sollte. Dabei hatte Diesterweg anfangs überhaupt die Notwendigkeit eines eigenen Religionsunterrichts in Frage gestellt. Eine der Dogmatik entkleidete vorwiegend moralische Religion galt ihm als Grundprinzip des ganzen Unterrichts. Später befürwortete er dagegen einen eigenen Religionsunterricht. Dieser sollte aber nicht mehr konfessionsgebunden sein, sondern allgemein. Damit war auch der Zusammenhang des Religionsunterrichts mit der Kirche bestritten. Beide Optionen Auflösung des Religionsunterrichts als eigenes Fach und Überweisung von dessen allgemein bildenden Inhalten an die anderen Schulfächer sowie Einführung eines kirchenunabhängigen und damit allein staatlich verantworteten Religionsunterrichts gehören seitdem zum Repertoire der Diskussion um die Zukunft des Religionsunterrichts, zuletzt grundsätzlich nach der politischen Vereinigung Deutschlands in Brandenburg geführt. Antipädagogische Lehrerbildung
Im Gegensatz zu solchen profiliert pädagogischen Vorschlägen veröffentlichte der preußische Ministerialrat Ferdinand Stiehl (1812 1878) 1854 nach der Niederschlagung der Revolution von 1848 in Regulativen strikt antipädagogisch ausgerichtete Maximen für die Lehrerbildung. Alleiniges Ziel der Seminarausbildung ist demnach, dass „die angehenden Lehrer zum einfachen und fruchtbringenden Unterricht in Religion, im Lesen und in der Muttersprache, im Schreiben, Rechnen, Singen, in der Vaterlands- und der Naturkunde sämmtliche Gegenstände in ihrer Beschränkung auf die Grenzen der Elementarschule theoretisch und praktisch befähigt werden.“22 Ausdrücklich angeordnet wird die Entfernung von Fächern wie „Pädagogik, Methodik, Didaktik, Katechetik, Anthropologie und Psychologie“ vom Lehrplan der Seminare. Von neuem wird die grundlegende Bedeutung des Lutherschen bzw. Heidelberger Katechismus eingeschärft. Dementsprechend fordert das 2. Regulativ, in dem es um die Zugangsvoraussetzungen zum Lehrerseminar geht, die Kenntnis des Katechismus, der Sonntagsevangelien,
II. Geschichtliche Perspektiven
45
der messianischen Weissagungen, von 18 Psalmen und 50 Kirchenliedern Zwar konnten sich diese staatlichen Weisungen auf Dauer nicht durchsetzen; schon die industrielle Entwicklung und der daraus folgende Bedarf an gut qualifizierten Arbeitskräften standen dem entgegen. Doch zeigen die von der Kirche zustimmend zur Kenntnis genommenen Regulative die tiefe Kluft, die damals zwischen den durch Diesterweg verkörperten progressiven Pädagogen und den auf dem Memorieren der traditionellen Kirchenlehre beharrenden reaktionären Kräften bestand. Für den Religionsunterricht war diese Situation prekär. Lehrer, die gegen ihre eigene liberale Überzeugung vom Ortspfarrer überwacht und gegängelt die Kinder den Katechismus memorieren ließen, ohne seinen Sinngehalt erklären zu können, waren keine Seltenheit. Kirchenlehre und Unaufrichtigkeit gingen eine pädagogisch verderbliche Koalition ein.
3.2
Zwickauer Manifest
Die Auseinandersetzungen zwischen der auf Weitergabe der theologisch orthodoxen Tradition bestehenden kirchlichen und staatlichen Obrigkeit und den Lehrern, die im Schulalltag erlebten, wie schädlich ein solcher Unterricht war, gingen weiter und kulminierten am Ende des Kaiserreiches. An etlichen Orten protestierten Lehrer (und Lehrerinnen) in ihren Versammlungen: gegen den Religionsunterricht hinsichtlich dessen einseitiger Orientierung an der Kirchenlehre, gegen dessen kirchliche (und damit in der Regel pädagogisch unqualifizierte) Aufsicht, gegen die Dominanz der Memoriermethode. Dass es jedenfalls den meisten Lehrern dabei nicht um die Durchsetzung von Atheismus, sondern darum ging, Religion entsprechend ihrer pädagogischen Einsichten zu unterrichten, geht exemplarisch aus dem sog. Zwickauer Manifest von 1905 hervor, einer kompakten Formulierung von Reformvorschlägen 22 Zitiert aus dem 1. Regulativ nach Stoodt (Hg.): Arbeitsbuch, 85.
Lehrerproteste
46
A. Einführung
der dortigen Lehrerschaft zum Religionsunterricht. Einige der Hauptthesen seien kurz zitiert, weil sie sich so ähnlich in anderen Dokumenten der damaligen Zeit finden und gut die religionsdidaktische Position wohl der Mehrheit der Volksschullehrer(innen) widerspiegeln: „1. Religion ist ein wesentlicher Unterrichtsgegenstand und der Religionsunterricht eine selbständige Veranstaltung der Volksschule. 2. Er hat die Aufgabe, die Gesinnung Jesu im Kinde lebendig zu machen. 3. Lehrplan und Unterrichtsform müssen dem Wesen der Kinderseele entsprechen, und Festsetzungen darüber sind ausschließlich Sache der Schule. Die kirchliche Aufsicht über den Religionsunterricht ist aufzuheben. 4. Nur solche Bildungsstoffe kommen in Betracht, in denen dem Kinde religiöses und sittliches Leben anschaulich entgegentritt. Der Religionsunterricht ist im wesentlichen Geschichtsunterricht. Im Mittelpunkt hat die Person Jesu zu stehen … 5. Die Volksschule hat systematischen und dogmatischen Unterricht abzulehnen. Für die Oberstufe können als geeignete Grundlage für eine Zusammenfassung der in der christlichen Religion enthaltenen sittlichen Gedanken die Zehn Gebote, die Bergpredigt und das Vaterunser bezeichnet werden. Der Katechismus Luthers kann nicht Grundlage und Ausgangspunkt der religiösen Jugendunterweisung sein. Er ist als religionsgeschichtliche Urkunde und evangelisch-lutherische Bekenntnisschrift zu würdigen. 6. Der religiöse Lernstoff ist nach psychologisch-pädagogischen Grundsätzen neu zu gestalten und wesentlich zu kürzen, der Lernzwang zu mildern …“23 Kirchliche Reaktion
Die 1909 hierauf folgende Antwort der sächsischen Synode war ernüchternd. Die Kirchenvertreter ließen sich nicht auf die pädagogischen Argumente ein. Im Verbund mit der staatlichen Macht wurde eine von Laien, also Lehrern durchgeführte Schulaufsicht abgelehnt. Für Jesus wurde betont, dass er vor allem als Heiland und Erlöser, also in dogmatisierter Form gelehrt werden müsse. Luthers Katechismus galt als unersetzlich und zu memorieren. Damit war das Verhältnis zwischen Lehrerschaft und Kirche an einem Tiefpunkt angekommen. Die Kirche zwang, gestärkt durch den Staat, die Lehrer zu einem Religionsunterricht, den diese in seinen Inhalten und Methoden mehrheitlich ablehnten.
II. Geschichtliche Perspektiven
Das fatale Resultat war wie erste empirische Untersuchungen ergaben , dass der Religionsunterricht bei den Kindern ein sehr unbeliebtes Fach war.24 Daraus ergibt sich unschwer als bis heute gültige Einsicht: Die Konzeption des Religionsunterrichts kann nicht erstellt werden, ohne Erfahrungen und Einsichten der Religionslehrerinnen und -lehrer zu berücksichtigen. Dazu gehört, dass die jeweiligen pädagogischen Einsichten hinreichend aufgenommen werden. Mit der Katastrophe des I. Weltkriegs wurde die für den Religionsunterricht so problematische Verbindung zwischen Staat und Kirche gelöst. Die im Folgenden zu skizzierende Rechtsform der Weimarer Republik versuchte, den Anliegen der Lehrerinnen und Lehrer Rechnung zu tragen, beachtete aber zugleich den besonderen Bezug des Inhalts des Religionsunterrichts zu den Kirchen.
23 Zitiert nach Helmreich: Religionsunterricht, 146f. 24 Lobsien: Beliebtheit; Stern: Beliebtheit.
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B. Heutiger Religionsunterricht – Rahmenbedingungen und Perspektiven
Die Diskussion um den Religionsunterricht leidet heute weniger unter zu geringem Einfallsreichtum als vielmehr unter der Einseitigkeit und dem mangelnden Bezug vieler Vorschläge auf die gegenwärtigen Rahmenbedingungen dieses Fachs: Vor allem der durch die Verfassung vorgegebene und durch die Rechtsprechung anhand konkreter Konfliktfälle präzisierte und neu ausgelegte rechtliche Rahmen ist oft nicht oder kaum präsent. So hätten z. B. die konzeptionellen Neubestimmungen des Religionsunterrichts, die diesen religionskundlich bzw. -wissenschaftlich ausrichten wollen, zur Folge, dass seine verfassungsmäßige Garantie nicht mehr bestünde. Oft bleibt die Tatsache unterbelichtet, dass der Religionsunterricht in der Schule stattfindet, einer Institution mit eigenen Zielen und besonderer Prägung. Scheinbar nebensächliche Fragen wie die nach der Benotung im Religionsunterricht bekämen sonst ein anderes Gewicht. Weiter müssen die gegenwärtigen schulpädagogischen Innovationen berücksichtigt werden, wenn das schulische Unterrichtsfach Religion fachdidaktisch angemessen profiliert werden soll. Zugegebenermaßen ist dies mit Unsicherheiten behaftet, da für die zukünftige Entwicklung von Schule nicht nur die schulpädagogische Einsicht, sondern auch die Finanzpolitik der öffentlichen Hand von Bedeutung ist. Doch sollte sich die Theorie des Religionsunterrichts nicht von vornherein den angeblichen ökonomischen Zwängen beugen. Ähnliches gilt für die Tatsache, dass der Religionsunterricht wesentlich an Kirche gebunden ist. Deshalb haben die Veränderungen in der gesellschaftlichen Stellung von Kirche und die kirchlichen Reformbemühungen um eine Konzeption des Reli-
Defizite der Diskussion
50
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
gionsunterrichts nicht zu unterschätzende Bedeutung. Zwar bahnen sich erst langsam Transformationen organisatorischer und auch inhaltlicher Art an theologisch begründete und fiskalische Überlegungen sind eng miteinander verwoben; doch haben diese Entwicklungen direkte Bedeutung für den Religionsunterricht und müssen deshalb wenigstens in ihrer Tendenz berücksichtigt werden.
III. Rechtliche Rahmenbedingungen Kooperation von Staat und Kirche
Ausgleich der Interessen
Die rechtlichen Bestimmungen zum Religionsunterricht sind der Faktor, bei dem die Grunddimension religionsdidaktischer Arbeit, die Ausrichtung auf die Schülerinnen und Schüler, am wenigsten deutlich hervortritt, obgleich der Religionsunterricht juristisch als „in Kooperation von Staat und Religionsgemeinschaften erbrachter Dienst an den Schülern“ verstanden werden kann.1 Insofern erscheinen die rechtlichen Rahmenbedingungen schnell als ein Fremdkörper im sonstigen didaktischen Reflexionsprozess. Deshalb werden sie in der Religionsdidaktik wohl meist übergangen. Umgekehrt ist der rechtliche Rahmen wie noch gezeigt wird durchaus weit und interpretationsfähig. Ein bloßes Beharren auf dem status quo ist also nicht notwendig. Entsprechend der im f II. Kapitel skizzierten Geschichte des Religionsunterrichts in Deutschland spiegelt sich in der Rechtssetzung zum Religionsunterricht das Bemühen um den Ausgleich zwischen den Interessen und Ansprüchen von Staat, Kirche und Eltern. Doch besteht heute Einigkeit darüber, dass die Förderung der Heranwachsenden Priorität bei den Überlegungen zur Gestaltung von Schule und Unterricht haben muss. Der in der Weimarer Reichsverfassung gefundene und ins Grundgesetz übernommene Kompromiss, der heute in den meisten Bundesländern zu zwei konfessionell geprägten Formen des Religionsunterrichts und einem Ersatz- bzw. Alternativfach geführt hat, wird in den folgenden Kapiteln auf seine pädagogische und theologische Tauglichkeit zu überprüfen sein.
III. Rechtliche Rahmenbedingungen
Allerdings hat dieser Kompromiss eine über den didaktischen Bereich hinausgehende Bedeutung. Er ist zugleich Ausdruck der Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates, bei dem Veränderungen durch bestimmte Verfahren legitimiert werden müssen und eben nicht von Einzelnen durchgesetzt werden können. Von daher wohnt dem gegenwärtigen rechtlichen Status durchaus kritische Potenz gegenüber pädagogischen und theologischen Überlegungen inne. Im besten Fall berücksichtigt Religionsdidaktik pädagogische, theologische und rechtliche Gesichtspunkte gleichermaßen und setzt sie in ein konstruktiv-kritisches Verhältnis zueinander. Ziel dabei ist die bestmögliche Förderung der Persönlichkeit der Heranwachsenden, wobei dieses Ziel wiederum nur unter Rückgriff auf pädagogische, theologische und rechtliche Überlegungen inhaltlich bestimmt werden kann. Didaktische Argumentation ist von daher unvermeidlich zirkulär.
1.
Bestimmungen des Grundgesetzes
1.1
Weimarer Reichsverfassung
51
Rechtsstaat
Grundlegende Bedeutung für die heutige rechtliche Verfasstheit des Religionsunterrichts haben die entsprechenden Bestimmungen der 1919 verabschiedeten Weimarer Reichsverfassung,2 insofern sie in das Grundgesetz übernommen wurden.
Martin Heckel konstatiert zu Recht zum allgemeinen staatskirchenrechtlichen Hintergrund: „Die Weimarer Reichsverfassung brachte eine tiefe Epochenwende des deutschen Staatskirchenrechts. Mit ihr endete das tausendjährige … System des ‚christlichen Staates‘, das trotz seiner Einschränkungen durch die liberalen Verfassungen des 19. Jahrhunderts bis zur Novemberrevolution von 1918 die Staatsaufgaben und die Selbstdarstellung des Staates durch Krone, Armee und Beamtenschaft
1 Oebbecke: Reichweite, 340; dieser Aufsatz bietet eine vorzügliche Einführung in das Verständnis des Religionsunterrichts aus verfassungsrechtlicher Perspektive. 2 Zum historischen Entstehungshintergrund s. Kronhagel: Religionsunterricht; vgl. zu den rechtlichen Problemen Landé: Schule.
Neuansatz
52
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
tonangebend bestimmt und durch die staatliche Erziehung und Kulturpflege für die christliche Prägung der Bevölkerung gesorgt hatte.“3 Im Zusammenhang der Schulartikel bestimmt in der Weimarer Reichsverfassung Artikel 149: „Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach der Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen. Seine Erteilung wird im Rahmen der Schulgesetzgebung geregelt. Der Religionsunterricht wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates erteilt. Die Erteilung religiösen Unterrichts und die Vornahme kirchlicher Verrichtungen bleibt der Willenserklärung der Lehrer, die Teilnahme an religiösen Unterrichtsfächern und an kirchlichen Feiern und Handlungen der Willenserklärung desjenigen überlassen, der über die religiöse Erziehung des Kindes zu bestimmen hat. Die theologischen Fakultäten an den Hochschulen bleiben erhalten.“
Politischer Streit
So wurde der in f II.3.2 geschilderte Konflikt zwischen Kirchen und Lehrerschaft gelöst. In der konkreten Diskussion standen sich die Reichstagsabgeordneten des Zentrum und der DNVP (Deutschnationalen Volkspartei), die die (amts)kirchlichen Belange vertraten und vor allem die Bekenntnisschule durchsetzen wollten, und die der Sozialdemokratie, die für die Privatisierung des religiösen Bereichs eintraten und den schulischen Religionsunterricht abschaffen wollten, gegenüber. Die allgemeine Einführung der Gemeinschaftsschule bei gleichzeitiger Einrichtung von Bekenntnisschulen auf Elternantrag und Festschreibung des Religionsunterrichts zeigen, dass beide Seiten Zugeständnisse machten.
Kompromiss
Zuerst ist der Kompromisscharakter in mehrfacher Hinsicht unübersehbar: Schon der zweite Satz weist auf die nachfolgende Schulgesetzgebung hin, die zur Konkretisierung dieser Rahmenbestimmungen für die schulpraktische Umsetzung notwendig gewesen wäre. Auf Grund der Zerstrittenheit der Parteien im Reichstag kam es aber nie zu diesem Gesetz. Dadurch unterblieben in der Praxis die angestrebten Veränderungen, die Bekenntnisschulen blieben die Regel.
III. Rechtliche Rahmenbedingungen
53
Dazu waren sowohl Interessen der Lehrer als auch der Kirchen berücksichtigt: Von den Forderungen der Lehrerschaft setzten sich durch: die Staatsaufsicht über den Religionsunterricht; das Verbot, einen Lehrer gegen seinen Willen zu zwingen, Religion zu unterrichten. Zugleich nahm der Artikel Anliegen der Kirchen auf. Denn die Verfassung bestimmte den Religionsunterricht inhaltlich so eine klassische Formel von Gerhard Anschütz „in konfessioneller Positivität und Gebundenheit“4. Er ist „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft“ zu erteilen.
1.2
Art. 7,3 des Grundgesetzes
Das Grundgesetz von 1949 übernahm in Artikel 7 Absatz 3 diese Bestimmungen fast wörtlich: „Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.“
Da diese Bestimmungen bis heute gültig sind und somit den rechtlichen Rahmen für jeden schulischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in Deutschland abgeben, müssen sie etwas genauer analysiert werden:5 1.2.1 Spannungen im Grundgesetz Sieht man von den besonderen historischen Entstehungsbedingungen ab Notwendigkeit einer Wertorientierung nach dem geistig-moralischen Zusammenbruch der Nazi-Diktatur, großer Zeitdruck beim Erarbeiten des Grundgesetzes durch Alliierte, 3 Heckel: Rechtsstatus, 526; zu dem staatskirchenrechtlichen Rahmen der grundgesetzlichen Bestimmungen zum Religionsunterricht s. Heckel: Rechtsstatus, 526–552. 4 Anschütz: Verfassung, 691. 5 Ausführlicher stellt die kirchenrechtliche Dissertation von Hildebrandt: Grundrecht, sowohl die historischen Entstehungsbedingungen als auch die juristischen Diskussionen dar.
Religionsunterricht im Grundgesetz
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
der bei schwierigen Themen einen direkten Rückgriff auf die Weimarer Reichsverfassung nahe legte u.Ä. , tritt als rechtssystematischer Grund hervor: Der Religionsunterricht in seiner besonderen Form musste in die Verfassung aufgenommen und konnte nicht bloß eventueller Landesgesetzgebung übergeben werden, da er in Spannung zur ebenfalls grundgesetzlichen Bekenntnisneutralität des Staates steht.6 Diese Spannung besteht zwischen der Bekenntnisneutralität des Staates und der aus dem Artikel 4 des Grundgesetzes herleitbaren Verpflichtung des Staates, auf Grund der Glaubens-, Gewissens-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit „ungestörte Religionsausübung“ zu gewährleisten. Zugleich geht es um den Ausgleich zwischen positiver Religionsfreiheit durch Einrichten des Fachs und negativer Religionsfreiheit durch die Abmeldemöglichkeit hiervon. Dazu kommt das Problem, dass der Staat als Träger der öffentlichen Schulen einen Unterricht veranstaltet, für dessen Inhalt er keine Kompetenz hat. 1.2.2 Inhaltliche Interpretation Daraus ergeben sich für den Religionsunterricht mehrere, einander komplementär ergänzende Bestimmungen. 1.2.2.1 Grundlegend ist auf der einen Seite zu beachten: Der Religionsunterricht ist eine staatliche Veranstaltung. Als „ordentliches Lehrfach“ ist er Bestandteil der schulischen Stundentafel und anderen Schulfächern gleichgestellt.
Er darf also nicht gegenüber anderen Fächern benachteiligt werden etwa indem er hinsichtlich notwendiger Gruppengröße oder der Unterrichtszeit grundsätzlich schlechter als andere Fächer gestellt wird. Die Verantwortung für eine ordentliche Erteilung des Unterrichts, einschließlich ausreichender Lehrerstunden, deren Bezahlung, notwendiger Materialien u.Ä. liegt beim Staat. In der konkreten Praxis ist dieses Recht nicht immer leicht durchsetzbar. Bekenntnisfreie Schulen
Die Bestimmung gilt für die „öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen“. Ein Blick in die Rechtsgeschichte und in die gegenwärtige Rechtsdogmatik zeigt, dass diese Regelung nicht beliebig auszulegen ist.
III. Rechtliche Rahmenbedingungen
Im Hintergrund steht die Unterscheidung zwischen drei verschiedenen Typen von öffentlicher Schule, wie sie zur Weimarer Zeit im Blick waren und bis heute jedenfalls teilweise bestehen: die Bekenntnisschule, also eine Schule, die in ihrer Gesamtprägung durch das Bekenntnis zu einer christlichen Konfession gekennzeichnet ist;7 die (christliche) Gemeinschaftsschule (bzw. Simultanschule), in der alle Kinder abgesehen von ihrem Bekenntnis oder ihrer Weltanschauung gemeinsam auf der Grundlage des Christentums als eines „prägenden Kultur- und Bildungsfaktors in der abendländischen Geschichte“8 unterrichtet werden; die bekenntnisfreie bzw. „weltliche“ Schule, in der auf jede Prägung religiöser oder weltanschaulicher Art verzichtet wird. Nach allgemeiner Rechtsauffassung stellen die „bekenntnisfreien Schulen“ nur eine Ausnahme dar. Es kann also kein Bundesland diese weltliche Schulform als die Regelform von Schule bestimmen und so den Religionsunterricht ausschließen.9 Vielmehr ergibt sich aus Grundgesetz Artikel 7 Absatz 3 eindeutig, dass die Verfassung den Religionsunterricht als Pflichtfach an den deutschen öffentlichen Schulen vorsieht. Dies gilt auch für die Gemeinschaftsschulen, die wie in Hamburg10 und in eini-
6 Hildebrandt: Grundrecht, 65. 7 Diese Schulform, die nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend wieder eingeführt wurde, findet sich heute nur noch in Grundschulen Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens (s. genauer zur Rechtsentwicklung Graffmann: Bekenntnisschule; Rees: Bekenntnisschule). Davon sind Schulen in freier Trägerschaft, etwa kirchliche Schulen, zu unterscheiden. Letztere orientieren sich zwar an einem Bekenntnis, sind aber nicht staatlich. 8 Hildebrandt: Grundrecht, 51. 9 Zur einzelnen Begründung s. Hildebrandt: Grundrecht, 52–54. 10 In Hamburg besteht darüber hinaus für den Religionsunterricht eine besondere Situation, weil hier die römisch-katholische Kirche (auf Grund ihrer relativ geringen Größe im Stadtstaat) auf einen eigenen schulischen Religionsunterricht verzichtete. Katholische Schülerinnen und Schüler besuchen entweder von ihrer Kirche getragene Schulen oder nehmen am Evangelischen Religionsunterricht teil. Der seit einiger Zeit in Hamburg propagierte „Religionsunterricht für alle in evangelischer Verantwortung“ ist nur von dieser Sondersituation her verständlich. Seine stark religionswissenschaftliche Ausrichtung gibt allerdings Anlass zu Zweifeln an seiner Kompatibilität mit Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes (vgl. zu den schwierigen hier zu bedenkenden Gesichtspunkten abwägend, wenn auch in der positiven Conclusio nicht ganz überzeugend Link: Rechtsgutachten).
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
gen neuen Bundesländern nicht mehr als „christliche“ bezeichnet werden. Schließlich gibt der Staat den Rahmen vor für das, was als „Religionsunterricht“ im verfassungsrechtlichen Sinn gelten kann. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu folgendermaßen am 25. Februar 1987 entschieden: „Er (sc. der Religionsunterricht, C.G.) ist keine überkonfessionelle vergleichende Betrachtung religiöser Lehren, nicht bloße Morallehre, Sittenunterricht, historisierende und relativierende Religionskunde, Religions- oder Bibelgeschichte. Sein Gegenstand ist vielmehr der Bekenntnisinhalt, nämlich die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Diese als bestehende Wahrheiten zu vermitteln ist seine Aufgabe.“11 Religionskunde
Demnach unterliegen also etwa eine Religionskunde auf religionswissenschaftlicher Basis oder ein allgemeiner Unterricht zur Lebensgestaltung nicht dem Schutz des Grundgesetzes. Solche Formen von Unterricht können von den Ländern auf Grund ihrer Kultushoheit eingerichtet werden, müssen es aber nicht. Janbernd Oebekke formuliert diesen Sachverhalt zugespitzt: „Religionsunterricht erteilt, wer nicht nur sagt, was geglaubt wird, sondern was geglaubt werden soll.“12
So sind eine Reihe von sog. Reformentwürfen zum Religionsunterricht wie der sog. Braunschweiger Ratschlag („Welchen Religionsunterricht braucht die öffentliche Schule?“) oder das Hamburger Memorandum zum Religionsunterricht13 nur unter dem Vorbehalt zu diskutieren, dass deren Verwirklichung zugleich einen Verzicht auf die Verfassungsgarantie des Religionsunterrichts bedeuten würde. „Kirche in der Schule“
Auf der anderen Seite muss verfassungsgemäßer Religionsunterricht wirklicher Unterricht sein. 1973 entschied das Bundesverwaltungsgericht in einem Verfahren zur Versetzungserheblichkeit der Religionsnote, dass das Verständnis von Religionsunterricht als „Kirche in der Schule“ kaum mit dem Charakter des Unterrichts als Bestandteil der öffentlichen Schule vereinbar sei.14
III. Rechtliche Rahmenbedingungen
1.2.2.2 Der Sinn dieses Rahmenverständnisses von Religionsunterricht ergibt sich unmittelbar, wenn in einem zweiten Schritt die Aufgabe der „Religionsgemeinschaften“, zur Zeit de facto der Kirchen, in den Blick kommt:
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Aufgabe der Kirche
Die Inhalte und Ziele des Religionsunterrichts, der ja „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ zu erteilen ist, sind von der jeweiligen Kirche festzulegen.
In der römisch-katholischen Kirche ist dies angesichts ihrer hierarchischen Struktur hinsichtlich der Glaubens- und Sittenlehre einfach möglich. Deren lehramtlich festgesetzte Grundsätze dürfen nicht verletzt werden. In der evangelischen Kirche erarbeitete auf Grund von immer wieder aufbrechenden Konfliktfällen die Kommission 1 der EKD eine Stellungnahme „Zu verfassungsrechtlichen Fragen des Religionsunterrichtes“, die am 7./8. Juli 1971 vom Rat der EKD zustimmend entgegengenommen und in der einschlägigen obergerichtlichen Rechtsprechung rezipiert wurde. Dort heißt es u.a.: „(2) In der heutigen theologischen und kirchlichen Sicht ist das Verständnis des christlichen Glaubens durch folgende Grundsätze gekennzeichnet: a) Die Vermittlung des christlichen Glaubens ist grundlegend bestimmt durch das biblische Zeugnis von Jesus Christus unter Beachtung seiner Wirkungsgeschichte. b) Glaubensaussagen und Bekenntnisse sind in ihrem geschichtlichen Zusammenhang zu verstehen und in jeder Gegenwart einer erneuten Auslegung bedürftig. c) Die Vermittlung des christlichen Glaubens muß den Zusammenhang mit dem Zeugnis und Dienst der Kirche wahren. (3) Die Bindung an das biblische Zeugnis von Jesus Christus schließt nach evangelischem Verständnis ein, daß der Lehrer die Auslegung
11 Zitiert bei Hildebrandt: Grundrecht, 61. 12 Oebbecke: Reichweite, 341. 13 Abgedruckt in: EvErz 45 (1993), 10–22 bzw. 29–34. Dagegen befindet sich das Plädoyer des (katholischen) Deutschen Katecheten-Vereins „Religionsunterricht in der Schule“ (abgedruckt a.a.O. 34–44) eindeutig auf dem Boden der Vorgaben des Grundgesetzes und der Rechtsprechung. 14 Oebbecke: Reichweite, 342.
EKD-Stellungnahme
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
und Vermittlung der Glaubensinhalte auf wissenschaftlicher Grundlage und in Freiheit des Gewissens vornimmt. (4) Die ‚Grundsätze der Religionsgemeinschaften‘ schließen in der gegenwärtigen Situation die Forderung ein, sich mit den verschiedenen geschichtlichen Formen des christlichen Glaubens (Kirchen, Denominationen, Bekenntnisse) zu befassen, um den eigenen Standpunkt und die eigene Auffassung zu überprüfen, um Andersdenkende zu verstehen und um zu größerer Gemeinsamkeit zu gelangen. Entsprechendes gilt für die Auseinandersetzung mit nichtchristlichen Religionen und nichtreligiösen Überzeugungen. (5) Das theologische Verständnis der ‚Grundsätze der Religionsgemeinschaften‘ korrespondiert mit einer pädagogischen Gestaltung des Unterrichts, der zugleich die Fähigkeit zur Interpretation vermittelt und den Dialog und die Zusammenarbeit einübt.“15
Vokation
Wie ein Vergleich mit den Zielen des Religionsunterrichts (f VII. Kapitel) unschwer zeigt, sind hier unterschiedliche Konzeptionen des Religionsunterrichts aufgenommen worden. Zugleich präsentiert sich der Evangelische Religionsunterricht als ein für neue Entwicklungen offenes, gleichwohl eindeutig im biblischen Zeugnis gegründetes Unterrichtsfach. Während in der Weimarer Republik noch die Frage nach dem Zusammenhang von Religionslehrerinnen/-lehrern und ihrer Kirche umstritten war, gilt für das Grundgesetz von Anfang an, dass der Religionsunterricht eine besondere kirchliche Qualifikation bei den Religionslehrkräften voraussetzt. In der römischkatholischen Kirche geschieht die entsprechende Beauftragung durch die sog. missio canonica, in den meisten evangelischen Kirchen durch die sog. vocatio. Grundsätzlich gilt, dass Religionsunterricht nur von Personen erteilt werden darf, denen die zuständige kirchliche Instanz eine Bevollmächtigung dazu erteilt hat. Allerdings verzichten einzelne evangelische Kirchen auf eine förmliche Vokation. Dabei steht mittlerweile weniger die aufsichtliche Funktion von Kirche als vielmehr deren Bereitschaft im Vordergrund, die Religionslehrerinnen und -lehrer bei ihrer Tätigkeit zu unterstützen. Angebote kirchlicher Fortbildung, Produktion von Unterrichtsmaterialien in kirchlichen Instituten u. Ä. zeigen, dass sich die Kirchen dieser Aufgabe stellen und sie sich hier mit beträchtlichem personellen und auch finanziellem Einsatz engagieren.
III. Rechtliche Rahmenbedingungen
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Allerdings kommt es auf katholischer Seite bei Verstößen vor allem gegen die kirchliche Sittenlehre, etwa auf Grund von Wiederverheiratung nach Scheidung, offener homosexueller Lebensweise o. Ä., immer wieder zum Entzug der missio. Angesichts der unleugbaren Tatsache, dass vielerorts solche Verhaltensweisen geduldet werden und in der Praxis Personen ohne kirchliche Beauftragung Religion erteilen, stärken solche Maßregelungen eher antikirchliche Vorurteile als dass sie zur Klärung der Aufgaben des Religionsunterrichts beitragen. Hinsichtlich seines staatlichen Dienstverhältnisses darf es aber auf Grund der genannten Bestimmung von Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes bei Entzug der missio zu keinen Nachteilen für den Lehrer kommen. Vielmehr gilt es, von kirchlicher Seite den Religionslehrerinnen und -lehrern noch intensivere Begleitung anzubieten, damit solche Konfliktfälle möglichst einvernehmlich gelöst werden können. Ob das römischkatholische Kirchenrecht hierzu die notwendige Flexibilität ermöglicht, ist im Einzelfall von Kundigen zu prüfen. Auf jeden Fall müsste aber aus religionsdidaktischer Perspektive die konkrete pädagogische Situation vor Ort Beachtung finden. Für die evangelische Kirche ist die im Vorhergehenden unter (2) c zitierte Formulierung für die Kirchenbindung der Religionslehrerinnen und -lehrer wichtig. Bewusst wurde hier auf enge, etwa den Gemeindegottesdienst am Sonntagvormittag bezogene oder bestimmte Zeittakte der Partizipation festschreibende Wendungen verzichtet. Umfragen ergaben, dass sich bei Lehrkräften für Evangelische Religion z.B. der Deutsche Evangelische Kirchentag großer Beliebtheit erfreut.
Konfessionelle Differenzen bestehen zumindest auf offizieller Ebene hinsichtlich der Frage, ob zur Konfessionalität des Religionsunterrichts gehört, dass die Schülerinnen und Schüler konfessionsgebunden sind. Während die Vertreter der römischkatholischen Kirche in Deutschland auf der sog. Trias beharren konfessioneller Religionsunterricht wird durch die drei Faktoren Konfessionalität der Inhalte, der Lehrer und Schüler gewährleistet , erscheint der evangelischen Kirche die Konfessionalität von Lehrer und Inhalt ausreichend. Das Bundesverfassungsgericht entschied hierzu, dass, weil die Zusammensetzung der Schülerschaft unmittelbare Rückwirkungen auf den Unterricht habe, diese Frage von den Religionsgemeinschaften zu klären sei.16 15 Abgedruckt in: Denkschriften, 60f. 16 Hildebrandt: Grundrecht, 71.
Konfessionalität
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
De facto hat hier die Praxis vor Ort nicht selten die kirchenamtlichen Bestimmungen überholt. So nehmen vielerorts nicht nur Konfessionslose, sondern auch Angehörige einer nichtchristlichen Religion, vor allem Muslime, am Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach teil. Was in der Schulpraxis bisweilen eher vom Gesichtspunkt der Beaufsichtigung von Schülerinnen und Schülern bestimmt ist, hat eigentlich eine klare Rechtsgrundlage: Der jeweiligen Konfession nicht angehörende Schüler(innen) dürfen mit Zustimmung der entsprechenden Kirche, in der Regel durch die Religionslehrkraft vertreten, den Religionsunterricht besuchen. 1.2.3 Ausgestaltung durch die Bundesländer Die skizzierten verfassungsrechtlichen Bestimmungen zum Religionsunterricht erfordern – wie in Weimar – eine konkrete Ausgestaltung, und zwar sowohl auf staatlicher Seite durch die einzelnen Bundesländer als auch auf kirchlicher Seite durch die jeweiligen Landeskirchen und Diözesen.
Angesichts der Unterschiedlichkeit und Vielzahl der einzelnen Probleme und Lösungen ist es unmöglich, hier einen vollständigen Überblick zu geben. Vielmehr nenne ich nur einige besonders wichtige Probleme und mache an dem besonders dringlichen Punkt der ökumenischen Kooperation auf innovative Lösungen aufmerksam: Föderale Lösungen
Unterschiedlich in den einzelnen Ländern geregelt ist die Frage der Lehrpläne. Während z.B. in Baden-Württemberg die Kirchen die Rahmenpläne erstellen und das Kultusministerium diese lediglich veröffentlicht, wird in Nordrhein-Westfalen eine „einvernehmliche Lösung“ angestrebt, in Mecklenburg-Vorpommern werden die Kirchen an der Erarbeitung „beteiligt“.17 Hier wird also die doppelte Verantwortung von Staat und Kirche für das Fach in verschiedener Weise umgesetzt. Auch die Festlegung der Stundenzahl für den Religionsunterricht obliegt den Ländern. Weithin hat sich die Zahl von zwei Wochenstunden, in der gymnasialen Kursstufe z. T. von drei Wochenstunden eingebürgert. Allerdings begegnet in den neuen Bundesländern vielerorts
III. Rechtliche Rahmenbedingungen
ein nur einstündiger Religionsunterricht. Angesichts der immer wieder aus unterschiedlichsten Gründen (Feiertage, Krankheit, Fortbildung, Projekttage, umfangreiche Klassenarbeiten u. Ä.) ausfallenden Stunden sollte solch eine Form des Religionsunterrichts aus pädagogischen Gründen die Ausnahme bleiben. Ein regelrechter, sequentielle Lernprozesse verfolgender Unterricht ist in einer Wochenstunde kaum möglich. Allerdings dies sei hinzugefügt ist dies nicht nur ein Problem des Religionsunterrichts. Die Stundentafeln mancher Bundesländer dokumentieren den Kampf der einzelnen Fächer um ihre Daseinsberechtigung in den Schulen, der angesichts neuer Fächer zu problematischen Stundenkürzungen führt. Ebenfalls differiert die Festlegung der Mindestgröße der Gruppen, die zur Einrichtung einer Religionsklasse erreicht werden muss. Sie schwankt je nach Bundesland zwischen fünf bis zwölf Schüler(inne)n. Oft ist es möglich, jahrgangsübergreifende, ja teilweise auch schulübergreifende Religionskurse zu bilden. Solches Bemühen vor allem in Gegenden, in denen eine Konfession in der Diaspora lebt, ergibt, dass der Auftrag des Grundgesetzes ernst genommen wird. Doch sind zugleich die Grenzen organisatorischer Praktikabilität unübersehbar. Dabei wird oft die Frage der konfessionellen Aufteilung des Religionsunterrichts berührt. Verstärkt durch die Impulse aus der ökumenischen Bewegung nimmt dieses Problem seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts einen prominenten Platz in der schulpädagogischen Diskussion der kirchlichen Schulreferenten, aber auch in der religionsdidaktischen Fachdiskussion18 ein. Während in manchen Bundesländern eine Zusammenlegung von Evangelischem und Katholischem Religionsunterricht unmöglich erscheint, haben sich die Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und die katholischen Bistümer in Niedersachsen auf ein Modell geeinigt, das situationsbezogen konfessionalistisches Abgrenzen überwindet. Gemäß einem
17 S. genauer Hildebrandt: Grundrecht, 89 Anm. 227 und 228. 18 S. hierzu z. B. die Zusammenstellung der verschiedenen didaktischen und konzeptionellen Vorstöße in Richtung eines ökumenischen Religionsunterrichts bei Lachmann: Spuren, 13–85.
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Niedersachsen
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Anfang 1998 ergangenen Erlass „Organisatorische Regelungen für den Religionsunterricht und den Unterricht Werte und Normen“ besteht in Niedersachsen für Schulen die Möglichkeit, einen für evangelische und katholische Schülerinnen und Schüler gemeinsamen Unterricht zu beantragen. Die genauen Bestimmungen finden sich in Absatz 4, der die „Teilnahme am Religionsunterricht“ regelt: „4.1 Wer einer Religionsgemeinschaft angehört, ist grundsätzlich verpflichtet, am Religionsunterricht seines Bekenntnisses oder seiner Religionsgemeinschaft teilzunehmen. Die Verpflichtung zur Teilnahme entfällt bei schriftlicher Abmeldung … 4.2 Die Abmeldung soll möglichst am Ende eines Schulhalbjahres erfolgen. Sie kann widerrufen werden. 4.3 Abweichend von Nr. 5.1 (wo die Teilnahme am Unterricht Werte und Normen geregelt wird, C.G.) kann an einem Religionsunterricht teilnehmen, wer 4.3.1 keiner Religionsgemeinschaft angehört oder 4.3.2 sich vom Religionsunterricht seiner Religionsgemeinschaft abgemeldet hat, falls die Mehrheit der an der Schule tätigen Religionslehrkräfte der aufnehmenden Religionsgemeinschaft nach Beratung in der zuständigen Fachkonferenz zustimmt. 4.4 Ist an einer Schule für die Schülerinnen und Schüler einer Religionsgemeinschaft kein Religionsunterricht eingerichtet, weil 4.4.1 die Voraussetzungen nach Nr. 2 (wo die Einrichtung von Religionsunterricht geregelt wird, C.G.) nicht gegeben sind oder 4.4.2 zeitweise keine Lehrkraft der betreffenden Religionsgemeinschaft zur Verfügung steht, so können diese Schülerinnen und Schüler entsprechend Nr. 4.3 am Religionsunterricht einer anderen Religionsgemeinschaft teilnehmen. Im Falle von Nr. 4.4.2 kann eine solche Regelung über ein Schuljahr hinaus nur mit Genehmigung der Schulbehörde gelten, die hierüber das Einvernehmen mit den zuständigen kirchlichen Stellen herbeiführt. 4.5 Wenn für eine Klasse, eine Lerngruppe oder einen Schülerjahrgang besondere curriculare, pädagogische und damit zusammenhängende schulorganisatorische Bedingungen vorliegen, die einen gemeinsamen Religionsunterricht für Schülerinnen und Schüler verschiedener Religionsgemeinschaften erforderlich machen, so kann die Schulbehörde einen entsprechenden Antrag der Schule im Einvernehmen mit den zuständigen kirchlichen Stellen genehmigen. Wird von den kirchlichen Stellen das Einvernehmen befristet erklärt, so ist auch die Genehmi-
III. Rechtliche Rahmenbedingungen
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gung entsprechend zu befristen. Dieser Religionsunterricht ist schulrechtlich Religionsunterricht der Religionsgemeinschaft, der die unterrichtende Lehrkraft angehört und nach deren Grundsätzen der Religionsunterricht erteilt wird. Voraussetzungen für die Genehmigung sind die Zustimmung der beteiligten Klassenelternschaften und die Zustimmung der in der Klasse, der Lerngruppe oder in dem Schuljahrgang unterrichtenden Religionslehrkräfte nach Beratung der zuständigen Fachkonferenz. 4.6 In Sonderschulen können die Schulbehörden im Einvernehmen mit den zuständigen kirchlichen Stellen auf Antrag der Schule für alle Schuljahrgänge einen gemeinsamen Religionsunterricht im Sinne von Nr. 4.5 genehmigen. Voraussetzungen für die Genehmigung sind die Zustimmung des Schulelternrates, der Gesamtkonferenz und der unterrichtenden Religionslehrkräfte nach Beratung in der zuständigen Fachkonferenz. 4.7 Nr. 4.6 gilt für Berufsschulen entsprechend.“19
Die bisherige Praxis dieses Erlasses zeigt,20 dass nicht wie von manchen befürchtet das konfessionelle Profil des Religionsunterrichts verloren geht. Vielmehr ist eine erfreuliche Aufmerksamkeit für die jeweils in der Minderheit befindliche Konfession zu registrieren. Auch ist eine deutliche Zustimmung der Eltern zu solch einem bewusst in ökumenischem Geist reflektierten Unterricht zu beobachten. In anderen Bundesländern gibt es ebenfalls weiterführende Bestimmungen hinsichtlich der ökumenischen Kooperation. So ist es in Nordrhein-Westfalen z. B. für Schülerinnen und Schüler der 13. Klasse möglich, wenn in ihrer Konfession kein Religionskurs mehr angeboten wird, den der anderen Konfession zu besuchen. Sachsen-Anhalt erprobt an ausgewählten Schulen eine Öffnung des Konfessionalitätsprinzips, wenn dort bisher wegen Lehrermangels nur eine Form des Religionsunterrichts erteilt werden konnte und dieser entsprechend den dortigen gesetzlichen Bestimmungen nicht verpflichtend war. 19 Religionsunterricht in Niedersachsen – Zum Organisationserlaß Religionsunterricht/ Werte und Normen – Dokumentation und Erläuterungen, hg. von der Konföderation evangelischer Kirchen und den katholischen Bistümern in Niedersachsen, Hannover 1998, 8 f. 20 Vgl. den Bericht der beiden für den Religionsunterricht in Niedersachsen kirchlich Bevollmächtigten, Loccumer Pelikan 2002/1, 37f.
Erfolgreiche Kooperation
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Ökumenischer Religionsunterricht
Außerunterrichtliche Formen
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Für die zukünftige didaktische und organisatorische Entwicklung des Religionsunterrichts ist es wichtig, die mit solchen Kooperationsformen gemachten Erfahrungen auszuwerten. Über erste diesbezügliche Untersuchungen wird im folgenden schulpädagogischen Kapitel zu berichten sein. Ich vermute die vielfachen inoffiziellen Zusammenlegungen von Evangelischem und Katholischem Religionsunterricht vor Ort21 legen dies nahe: Hier bahnt sich eine zukünftig bedeutungsvolle Entwicklung an, wenn es gelingt, die Bindung des Religionsunterrichts an die Kirchen aufrecht zu erhalten, zugleich aber dem Rückgang konfessioneller Milieus und damit der Lebenssituation der Heranwachsenden Rechnung zu tragen.22 Die dahinter stehende Frage nach einem von nicht wenigen Religionspädagogen geforderten sog. ökumenischen Religionsunterricht ist rechtlich noch nicht geklärt. Doch spricht vieles dafür, dass ein solcher Unterricht möglich wäre, wenn beide Kirchen erklärten, diese Form von Ökumene gehöre heute zu ihren Grundsätzen.23 Dies ist ja hinsichtlich der Kooperation evangelischer Landeskirchen mit manchen Freikirchen schon Praxis. Schließlich ist noch auf einen Bereich hinzuweisen, der zwar nur mittelbar mit dem Religionsunterricht zusammenhängt, aber pädagogisch von erheblichem Gewicht sein kann: die außerunterrichtlichen Formen religiöser Praxis in der Schule. Sie reichen von Schulgottesdiensten über Klassenandachten bis hin zu sog. Einkehrtagungen bzw. religiösen Klassentagungen. In den einzelnen Bundesländern bestehen auf Ebene der Schulgesetze, z.T. aber auch nur von Erlassen sehr unterschiedliche Regelungen. Z.T. sichern sie sogar das Recht zu, entsprechende Angebote im Raum der Schule zu etablieren, und gewähren dafür z. B. Unterrichtsbefreiung u.Ä. Dahinter steht die unschwer historisch herleitbare und pädagogisch begründbare Einsicht, dass Schule nicht nur aus Unterricht besteht und das Recht auf positive Religionsausübung den Bereich des Schullebens umfasst.
III. Rechtliche Rahmenbedingungen
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1.2.4 Ersatz- oder Alternativfächer Schon mehrfach war kurz vom Ersatz- bzw. Alternativfach zum Religionsunterricht die Rede. Im Grundgesetz wird dieses nicht genannt. Es ist aber eine Konsequenz aus dem Recht der Eltern, ihre Kinder vom Religionsunterricht abzumelden, bzw. der religionsmündigen (also mindestens vierzehnjährigen) Schülerinnen und Schüler, den Religionsunterricht zu verlassen. Dazu kommt zur Zeit der Weimarer Reichsverfassung und des Grundgesetzes noch nicht im Blick die wachsende Zahl von konfessionslosen Kindern und Jugendlichen. Als erste Bundesländer sahen die (katholisch geprägten) Bayern und RheinlandPfalz 1946 bzw. 1947 einen Ethikunterricht in ihren Verfassungen vor.24 Allerdings hatten diese Bestimmungen bis 1967 in der Schulpraxis keine Bedeutung. Ab etwa 1968 begannen im Zuge des damaligen gesellschaftlichen Umorientierungsprozesses vieler Jugendlicher und junger Erwachsener Schüler (und Schülerinnen) der oberen Gymnasialklassen und der berufsbildenden Schulen den Religionsunterricht zu verlassen. Mancherorts kam es zu einer Austrittswelle. Angesichts dessen führten zuerst Bayern und Rheinland-Pfalz, dann Hessen und Baden-Württemberg einen sog. Ethikunterricht ein, dessen Besuch für Schülerinnen und Schüler verpflichtend war, die aus dem Religionsunterricht ausgetreten waren. Zunehmend richtete sich dieses Fach auch an konfessionslose Schüler und Schülerinnen, deren Zahl ebenfalls im Zusammenhang der etwa gleichzeitig um sich greifenden, bis heute fortbestehenden erhöhten Zahl von Kirchenaustritten zu steigen begann. Die Länder hatten wegen der fehlenden grundgesetzlichen Regelung breiten Spielraum bei der Einrichtung und Ausgestal-
21 S. z. B. für den Religionsunterricht an westfälischen Grundschulen Lück: Beruf, 41–55. 22 Nach verschiedenen Versuchen in aufklärerischen Privatschulen wie dem Dessauer Philanthropinum oder der Bremer Bürgerschule der Pastoren Ewald und Häfli, einen überkonfessionellen Religionsunterricht einzuführen, findet sich schon 1817 in Nassau erstmals ein entsprechender (allerdings nur kurz bestehender) Versuch, in den staatlichen Schulen konfessionsübergreifend Religion zu unterrichten. 23 So z. B. Pieroth: Fragen. 24 Gründlich führt Seiferlein: Ethikunterricht, in die rechtlichen und didaktischen Entwicklungen und Probleme des Ethikunterrichts ein.
Abmeldungen
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Verhältnis Religionszu Ethikunterricht
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
tung dieses Faches.25 Niedersachsen führte z. B. 1966 einen religionskundlichen Unterricht ein, für den ebenfalls Befreiungsmöglichkeit bestand. Als Ersatzfach hierfür und für den konfessionellen Religionsunterricht wurde dann 1974 „Werte und Normen“ eingerichtet. Nordrhein-Westfalen verzichtete lange Zeit auf ein Ersatzfach. Nachdem sich in der gymnasialen Oberstufe „Philosophie“ etabliert hat, wird gegenwärtig in der Sekundarstufe I im Schulversuch „Praktische Philosophie“ erprobt. Noch anders heißt der Unterricht in Mecklenburg-Vorpommern: „Philosophieren mit Kindern“. Ebenfalls unterschiedlich ist geregelt, ob der Ethikunterricht nur im Sekundar- oder auch im Primarbereich angeboten wird. Schließlich ist das Verhältnis zwischen den beiden Formen des Religionsunterrichts und dem Ethikunterricht o.Ä. unterschiedlich bestimmt. Während in den meisten alten Bundesländern der Ethikunterricht als Ersatzfach firmiert, nennt die Verfassung von Thüringen 1993 Religions- und Ethikunterricht gleichermaßen ordentliche Lehrfächer.26 In Sachsen-Anhalt besteht darüber hinaus für alle Schülerinnen und Schüler Wahlfreiheit gegenüber den beiden Formen des Religions- und dem Ethikunterricht. Die EKD hat in ihrer Denkschrift „Identität und Verständigung“ die Einrichtung einer Fächergruppe und verschiedene Formen der Kooperation vorgeschlagen (f V.4.1.2.1).27 Allerdings konnte sich dem bislang die römischkatholische Kirche nicht anschließen.
2.
Abweichende Regelungen Der Religionsunterricht nach Artikel 7 Absatz 3 gilt nicht in allen Bundesländern: – in Bremen wird ein bekenntnismäßig nicht gebundener „Unterricht in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage“ erteilt; – in Berlin wird in den Schulen ein nur kirchlich getragener und verantworteter Unterricht angeboten; – in Brandenburg ist das Fach LER (Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde) das Regelfach für (fast) alle Schülerinnen und Schüler.
Alternativen zu Artikel 7,3 GG
Im Folgenden werden diese drei abweichenden Modelle kurz vorgestellt. Denn hier begegnen jeweils andere Optionen für
III. Rechtliche Rahmenbedingungen
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die rechtliche Verfassung und deren Konsequenzen für Didaktik und Praxis, die immer wieder als mögliche Alternativen zum Religionsunterricht nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes genannt werden. Anschließend wird aus demselben Grund ein kurzer Ausblick auf das alternative Modell religiösen Unterrichts in England geworfen. Am Ende dieses Hauptabschnitts nenne ich die wesentlichen rechtlichen Probleme hinsichtlich eines von vielen Seiten geforderten Islamischen Religionsunterrichts. Sie zeigen die zeitliche Begrenztheit der in der Weimarer Republik konzipierten Rechtsform des heutigen Religionsunterrichts. Denn wir leben heute in einer Gesellschaft, in der nicht nur die Selbstverständlichkeit der Mitgliedschaft in einer der beiden großen Kirchen zurückgeht, sondern durch die zunehmende Zahl islamischer Schülerinnen und Schüler eine weitere große Weltreligion in ihrem Anspruch auf schulische Berücksichtigung zu bedenken ist.
2.1
Bremer Klausel
In Artikel 141 des Grundgesetzes findet sich die sog. Bremer Klausel, die eine Befreiung der Geltung von Artikel 7 Absatz 3 vorsieht, wenn am 1. 1. 1949 eine andere landesrechtliche Geltung bestand. Dies trifft neben Berlin auf Bremen zu. Hier bestimmte der Artikel 32 Absatz 1 der bremischen Landesverfassung von 1947: „Die allgemein bildenden öffentlichen Schulen sind Gemeinschaftsschulen mit bekenntnismäßig nicht gebundenem Unterricht in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage.“ Dieser Bestimmung waren etwa 150 Jahre lang verschiedene Versuche vorangegangen, die konfessionelle Differenz zwischen Lutheranern und Reformierten zu überwinden: zuerst analog zu dem zu Salzmann Ausgeführten durch aufgeklärte Pfarrer, dann Lehrer, die sich auf Diesterweg beriefen, dann analog zum Zwickauer Manifest
25 S. zum Einzelnen mit der Angabe der entsprechenden Stellen in den Verfassungen Seiferlein: Ethikunterricht, 102–109. 26 S. die Synopse der diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Bestimmungen in den neuen Bundesländern bei Domsgen: Religionsunterricht, 591f. 27 Kirchenamt der EKD (Hg.): Identität, 73–81.
Historischer Hintergrund
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Probleme
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
1905 Lehrer mit einer „Denkschrift“.28 1916 fand sich erstmals der Begriff „Biblischer Geschichtsunterricht“ im Lehrplan. Doch führt dieses Modell heute in mehrfacher Hinsicht nicht weiter: Es ist in seiner Genese an den spätestens seit der Leuenberger Konkordie beigelegten Differenzen zwischen lutherischer und reformierter Konfession orientiert. Die römisch-katholische Kirche war entsprechend der konfessionellen Diasporasituation (zur Zeit etwa 10 % der Bevölkerung) nicht im Blick. Der Bezug auf das allgemein Christliche des Unterrichtsfachs wird heute durch die Zunahme von Schüler(inne)n nichtchristlicher Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung überholt. Vor allem blieb aber die religionsdidaktisch zentrale Frage nach dem Verhältnis zur Kirche ungeklärt. Der hohe Unterrichtsausfall in Bremen deutet darauf hin, dass ein nicht direkt von der Kirche gestützter Religionsunterricht sich nur schwer dauerhaft im Raum Schule halten kann.
2.2 Historischer Hintergrund
Probleme
Berliner Modell
Die Bremer Klausel ist auch auf Berlin anzuwenden.29 Im Ostteil der Stadt entfiel wie in der ganzen DDR unter der kommunistischen Diktatur in den fünfziger Jahren der Religionsunterricht in den Schulen und wurde von der Kirche zur gemeindlichen Christenlehre transformiert. Im Westteil der Stadt bildete sich auf Grund der besonderen durch den Viermächte-Status gegebenen Situation und der aus der Bekennenden Kirche stammenden Auffassungen zum Verhältnis Staat Kirche eine eigene Form von Religionsunterricht heraus. Religionsunterricht war und ist hier ausschließlich eine kirchliche Veranstaltung. Die ihn erteilenden Katechetinnen und Katecheten gehören nicht zum Lehrerkollegium, die von ihnen erteilten Noten kommen nicht ins allgemeine Schulzeugnis u.Ä. Schon die Bemühungen der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg in den letzten zehn Jahren, in Berlin einen in die allgemeine Stundentafel integrierten Religionsunterricht zu etablieren, zeigen: Der Versuch eines nur kirchlichen Religionsunterrichts ist gescheitert. Z. T. nur geringe Anmeldungszahlen, vor allem in den weiterführenden
III. Rechtliche Rahmenbedingungen
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Schulen, und die von Katechet(inn)en ständig übergroßes Engagement verlangende Ausnahme-Situation eines Unterrichts in der Schule, ohne die sonst üblichen Hilfen, haben den Religionsunterricht in Berlin ins Abseits gedrängt. Dazu kamen als ständiger Begleiter des sog. Berliner Modells Finanzierungsnöte, die heute angesichts leerer staatlicher und kirchlicher Kassen zunehmend den Umfang des nach der Vereinigung auf den Ostteil der Stadt ausgedehnten Unterrichtsangebots in Religion in Frage stellen Religionsdidaktisch ergibt sich aus dieser jetzt gut fünfzig Jahre erprobten Alternative die Einsicht: Ein allein kirchlich getragener, nicht als normales Unterrichtsfach in die Schule und deren Fächerkanon integrierter Religionsunterricht ist keine erfolgversprechende Alternative zum Religionsunterricht nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes.
2.3
LER
Während alle anderen neuen Bundesländer einen wenn auch teilweise durch ein Wahlpflichtmodell modifizierten Religionsunterricht entsprechend Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes einführten, verweigerte sich dem die Brandenburger Landesregierung. Stattdessen installierte sie für alle Schülerinnen und Schüler (der Sekundarstufe I) das verpflichtende Unterrichtsfach LER (in seiner letzten Form: Lebensgestaltung Ethik Religionskunde30). LER in Brandenburg ist nur von der Vorgeschichte des DDR-Schulwesens und seinen Konsequenzen für Kirche und Katechetik her zu verstehen, die hier aber nicht ausgeführt werden können. Nicht zuletzt aus der Perspektive weiter Kreise der ostdeutschen evangelischen Kirche die Ministerin Marianne Birtheler, die LER einführen ließ, war vor der 28 S. hierzu knapp Lott: Bremen; ausführlicher Bloth: Schulstreit. 29 Grethlein: Modell. 30 Die erheblichen Probleme, die dieses Fach mit „R“ hatte, zeigen sich an den unterschiedlichen Deutungen des Buchstabens durch die Landesregierung: zuerst „Religion“, dann „Religionen“, schließlich „Religionskunde“. Zur ersten Information über die Intentionen dieses Fachs (zuerst: Unterrichtsbereichs) aus Sicht der LER-Initiatoren s. Lange: Lebensgestaltung.
Historischer Hintergrund
70
Rechtsstreit
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Wende Katechetin gewesen sollte das gemeinsame Fach „die weltanschauliche Trennung der Schülerinnen und Schüler, insbesondere in einem Lernbereich, in dem es um wesentliche Fragen des Lebens und menschlichen Zusammenlebens geht“31, verhindern. Positiv sollte das Fach „Verständnis und Toleranz für Fremdes und Dialogfähigkeit“ fördern. In vorliegendem Zusammenhang interessiert nur die Bedeutung der Auseinandersetzung um LER hinsichtlich der Konsequenzen für die rechtlichen Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts. Trotz vielfachen Medienechos, breiter politischer Debatte, die zweimal sogar das Plenum des Deutschen Bundestags befasste, und langjährigem Rechtsstreit vor dem Bundesverfassungsgericht ist das rechtliche Ergebnis auf den ersten Blick dünn. Denn nach über fünf Jahren fällte das oberste deutsche Gericht keine Entscheidung, sondern legte im Dezember 2001 einen Vorschlag für eine „einvernehmliche Verständigung“ vor.32 Rechtlich gesehen ist dies nur indirekt bedeutungsvoll. Zwar standen grundlegende Rechtsfragen an: die territorialrechtliche Frage, ob sich Brandenburg zu Recht auf den genannten Artikel 141 des Grundgesetzes berufen kann (am 1. 1. 1949 bestand ja kein Land Brandenburg); die Grundrechtsfrage, ob aus Artikel 7,3 des Grundgesetzes ein positives Recht der Einzelnen auf Religionsunterricht abzuleiten ist; die Frage nach dem Verhältnis von Kirchen und Öffentlichkeit, insofern der Religionsunterricht an der öffentlichen Schule stattfindet, die Christenlehre o.Ä. dagegen im gleichsam privaten Bereich der Kirchengemeinden. Keine dieser Fragen wurde geklärt. Vielmehr gab das Bundesverfassungsgericht u.a. folgende Hinweise zu einer Einigung, ohne selbst eine Entscheidung vorzulegen: Der 1996 festgelegte Rahmen bleibt bestehen, wonach LER das Pflichtfach ist, es jedoch eine Befreiungsmöglichkeit gibt. Der kirchliche Religionsunterricht soll in die Unterrichtszeit integriert werden; zugleich wird empfohlen, darauf zu achten, dass sich der Besuch von LER und kirchlichem Unterricht nicht ausschließen. Wie das angesichts voller Stundenpläne realisiert werden soll, lassen die Karlsruher Richter offen.
III. Rechtliche Rahmenbedingungen
71
Lehrkräfte können sich zu einem gewissen Teil ihres Deputats (bis zu 8 Stunden) die Erteilung des Religionsunterrichts anrechnen lassen. Leistungen im Religionsunterricht sollen benotet werden; dabei bleibt offen, ob wie sonst üblich diese Bewertung versetzungserheblich ist. Schließlich wird eine Beteiligung des Staates an den für den kirchlichen Religionsunterricht anfallenden Kosten gefordert. Das wahrscheinlich wichtigste rechtliche Resultat aus diesem als „Kompromiss“ bezeichneten Vorschlag ist die Erkenntnis: Offensichtlich ist das Bundesverfassungsgericht zur Zeit nicht bereit, den Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes, wie er im Konsens mit der Mehrzahl der Verfassungsrechtler im Vorhergehenden interpretiert wurde, als ein Recht des einzelnen Subjektes zu verstehen. Demgegenüber tritt für die Richter eindeutig der politische Gesichtspunkt des Interessenausgleichs zwischen Staat und Kirche in den Vordergrund. Damit wird zum einen der Privatisierung von Religion Vorschub geleistet, zum anderen der staatliche Zugriff auf die Schule gestärkt. Im schulischen Religionsunterricht bestehende Ansätze zivilgesellschaftlichen Engagements werden zurückgesetzt. Es bleibt abzuwarten, ob in kommenden Konfliktfällen die Karlsruher Verfassungsrichter bei dieser neuen Linie der Rechtsprechung bleiben.
2.4
Problem
Religious Education
In der Auseinandersetzung um LER wurde wiederholt auf die besondere Form von Unterricht mit religiösen Themen in England, das Fach „Religious Education“, hingewiesen. Ohne auf 31 Zitiert aus dem für den Modellversuch grundlegenden Grundsatzpapier des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport: Gemeinsam leben lernen: Modellversuch des Landes Brandenburg zu einem neuen Lernbereich und Unterrichtsfach „Lebensgestaltung – Ethik – Religion“ (15. 10. 1991), EvErz 45 (1993), 25–29. 32 S. knapp und informativ Schweitzer: LER, dem ich im Folgenden wichtige Argumente entnehme. Zu kritischen Fragen aus juristischer Sicht an LER s. Heckel: Religionsunterricht; zu den Argumenten aus Sicht der Befürworter von LER s. Edelstein: Lebensgestaltung.
„multi-faith“Unterricht
72
Probleme
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
die andere politische, soziale, religiös-kirchliche und schulische Ausgangssituation von „Religionsunterricht“ in England und Wales eingehen zu können33 starke Stellung der Church of England, nicht zuletzt als wesentlicher Schulträger bis ins 20. Jahrhundert, zugleich eine Vielzahl von „dissenters“, erhebliche soziale Klassendifferenzen u.Ä. , lassen sich aus dessen Rechtsform anregende Beobachtungen gewinnen: Religious Education ist nur ein Teil der spirituellen und moralischen Erziehung in der Schule. Hinzu kommt die teilweise tägliche „assembly“ (früher „collective worship“), in der sich am Anfang des Schultags die ganze Schulgemeinde bzw. einzelne Schulstufen versammeln und in ritualisierter Form kommunizieren. Die Lehrpläne für Religious Education (sog. „agreed syllabus“) werden auf Bezirksebene („county“) von einem „Standing Advisory Council for Religious Education“ (SACRE) erarbeitet, das aus vier Gruppen gebildet wird: Vertretern der anglikanischen Kirche, Vertretern anderer Kirchen und Religionsgemeinschaften, Vertretern der Lehrerorganisationen, Vertretern der Schulaufsicht. Insgesamt ist der Unterricht durch diese starke regionale Prägung gut in der Lage, flexibel auf die unterschiedlichen Gegebenheiten, vor allem auf die jeweilige Verteilung der Religionsgruppen in einzelnen Gegenden zu reagieren. Zwar soll nach dem Education Act von 1988 Religious Education dadurch bestimmt sein, „that the religious traditions in Great Britain are in the main Christian whilst taking account of the teaching and practices of the other principal religions represented in Great Britain“,34 doch kann in besonderen Fällen auf Antrag auch diese christliche Grundprägung durch die der Religion der Mehrheit der Schülerschaft ersetzt werden. Nachteilig ist bei solch einem angesichts der multireligiösen Situation in nicht wenigen englischen Städten einleuchtenden Konzept, dass Religious Education aus dem Kanon der zentral abgeprüften Hauptfächer herausfällt. Zudem scheint es manchmal zu einem „mish-mash“ zu kommen, also ein systematischer Aufbau klarer religiöser Vorstellungen und eines diesbezüglichen Urteilsvermögens zu misslingen. Vermutlich dürfte in Deutschland einem solchen auf Konsens zwischen den Religionsgemeinschaften abzielenden
III. Rechtliche Rahmenbedingungen
73
Rechtsmodell der starke Anspruch der römisch-katholischen Kirche auf konfessionelle Klarheit entgegenstehen. In England ist sie zahlenmäßig schwach und konzentriert sich pädagogisch auf ihre eigenen Schulen.
2.5
Islamischer „Religionsunterricht“
Ein besonderes Problem stellt die religiöse Erziehung von Muslimen in der Schule dar. Seit Ende der siebziger Jahre wird mit dem Ansteigen der Zahl von Schülerinnen und Schülern aus islamischen Herkunftsfamilien mittlerweile wohl um die 800000 in Deutschland, mit deutlichem Schwerpunkt in einzelnen Regionen die Einrichtung eines islamischen Religionsunterrichts zunehmend diskutiert.35 Es ist Johannes Lähnemann zuzustimmen, dass hiermit eine auch allgemein pädagogische Aufgabe gegeben ist, insofern dabei einerseits eine ethische Desorientierung verhindert werden sollte, zugleich aber die Gefahr einer religiösen Fanatisierung abgewehrt werden muss. Zwar gibt es gegenwärtig wohl keine nennenswerte Kraft in der bildungspolitischen Diskussion, die nicht die Einführung eines solchen Faches fordert,36 doch treten im rechtlichen Bereich erhebliche, nur schwer lösbare Probleme auf: Für einen Islamischen Religionsunterricht nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes besteht gegenwärtig die größte Hürde in der Formulierung „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“.
Dies setzt nämlich eine dem Staat gegenüber deutlich greifbare institutionalisierte Form von Religion voraus, wie sie etwa die ver33 Zur ersten Information: Murphy: Church. 34 Zitiert nach Grethlein: Religionspädagogik, 185; die „other principal religions“ sind: Judentum, Islam, Hinduismus, Sikhismus, Buddhismus, in manchen Regionen treten noch Baha’ismus und Jainismus hinzu. 35 S. auch zum Folgenden die knappen Informationen bei Lähnemann: Religionsunterricht; ausführlicher Siegele: Einführung. 36 Zur Position der evangelischen Kirche s. die Stellungnahme des Kirchenamtes der EKD: Religionsunterricht.
Herausforderung
Probleme
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
fassten Kirchen darstellen. Der Islam kennt jedoch eine solche Organisation mit klarer Mitgliedschaftsregelung und Verwaltung sowie eindeutigen Zuständigkeiten für Lehre und Vertretung nach außen nicht. Die in Deutschland lebenden Muslime gehören, wenn überhaupt, örtlichen Moschee-Vereinen o.Ä. an, die sich jedoch untereinander religiös (und kulturell) teilweise beträchtlich unterscheiden. Bisher sind entsprechende Versuche, zu solchen Zusammenschlüssen zu kommen, dass hier von „Religionsgemeinschaft“ in einem überörtlichen Verständnis gesprochen werden kann, noch wenig erfolgreich.37 Zudem sind inhaltliche Probleme unübersehbar, die darin begründet sind, dass der Staat der „Unternehmer“ der deutschen Schule ist. Demnach muss ein Islamischer Religionsunterricht in seinem Konzept und seinen Lehrkräften den didaktischen und methodischen Anforderungen genügen, die an sonstige Unterrichtsfächer gestellt werden. Das heißt z.B., dass ein solcher Unterricht nicht durch traditionsorientierte, methodisch vor allem durch Memorieren vermittelte Inhalte dominiert werden darf, wenn dadurch die Schülerorientierung vernachlässigt wird. Gravierend ist ebenfalls die Frage, mit welchem Gewicht der sonst für andere Schulfächer gültige historisch-kritische Zugang zu den Inhalten für den Islamischen Religionsunterricht verbindlich gemacht werden kann bzw. muss. Konkret: Kann der Koran in einem ordentlichen Unterrichtsfach der Schule von einer historisierenden (und damit auch relativierenden) Betrachtungsweise ausgenommen werden? Und: Wie steht es mit Inhalten wie der Stellung der Frau oder Formen der Rechtsprechung, die in Widerspruch zum deutschen Recht stehen? Ferner fehlen gegenwärtig Studienplätze zur Ausbildung von islamischen Religionslehrerinnen und -lehrern sowie Professuren für Islam-Didaktik. In dieser schwierigen Situation versuchen einzelne Bundesländer38 von sich aus, einen entsprechenden Unterricht zu installieren, der zwar nicht den rechtlichen Anforderungen von Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes genügt, aber zugleich mehr ist als ein bloß islamisch-religionskundlicher Unterricht. Modellversuch Islamische Unterweisung
Die hierbei entstehenden Spannungen treten z. B. deutlich in der „Islamischen Unterweisung“ als „ordentlichem Fach“ in
III. Rechtliche Rahmenbedingungen
Nordrhein-Westfalen hervor, das sich hier als das Bundesland mit dem höchsten Ausländeranteil besonders engagiert:39 Dieses neue Fach, das seit dem Schuljahr 2001/2002 an 25 Schulen der Primar- und Sekundarstufe I als Schulversuch eingeführt wurde, schließt direkt an die 1978 bzw. 1979 initiierte, seit dem Schuljahr 1987/88 in der Grundschule, seit 1991 in der Sekundarstufe I durchgeführte und vorerst weiter bestehende „Islamische Unterweisung im muttersprachlichen Unterricht“ in türkischer Sprache an. Jetzt findet der Unterricht in deutscher Sprache statt und ist damit für die Schulaufsicht (besser) kontrollierbar. Zudem wird die bisherige nationale Anbindung an die Türkei aufgegeben. Ansonsten sind die Behörden offensichtlich darum bemüht, die Islamische Unterweisung parallel zu den beiden bestehenden Formen des Religionsunterrichts zu konzipieren. Die Teilnahme ist für Schüler und Lehrer grundsätzlich freiwillig; doch verpflichtet die Anmeldung dazu, mindestens ein Jahr diesen Unterricht zu besuchen. Auch Islamische Unterweisung ist versetzungs- und abschlusswirksam. Allerdings gelingt diese Gleichsetzung nur zum Teil. An zwei entscheidenden Stellen sind Probleme unübersehbar: So lautet in dem Ministerialerlass zum Schulversuch „Islamischer Religionsunterricht“ eine Zielformulierung: „Sie (sc. die Islamische Unterweisung, C.G.) soll ihnen (sc. den muslimischen Schülerinnen und Schülern, C. G.) helfen, in einem säkularisierten, von christlicher Kultur geprägten Land als Muslime zu leben.“40 Wenn hier nicht, was höchst problematisch wäre, „Muslime“ als eine kulturelle Zuschreibung gelten kann, handelt es sich eindeutig um einen bekenntnismäßig gebundenen Unterricht. Dessen Inhalt müsste aber zumindest im Einvernehmen mit den Vertretern der entsprechenden Religionsge-
37 Die rechtssystematischen Grundsatzfragen arbeitet knapp heraus: Rohe: Rechtsprobleme. 38 Eine besondere Situation besteht in Berlin (f 2.2), wo auch der evangelische und katholische Religionsunterricht in alleiniger Verantwortung der Kirchen erteilt wird, ohne zur regulären Stundentafel zu gehören. Hier wurde 1998 der „Islamischen Föderation“ der Status einer „Religionsgemeinschaft“ zugebilligt. Sie bietet jetzt an einigen Schulen Religionsunterricht an. 39 S. hierzu Schröder: Unterweisung. 40 Zitiert Schröder: Unterweisung, 164; zum (religions-)pädagogischen Hintergrund des Schulversuchs s. Gebauer: Religionsunterricht.
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
meinschaft erstellt werden. Der Lehrplan ist aber das Produkt des staatlichen Landesinstituts für Schule und Weiterbildung (in Soest), für das von einzelnen islamischen Einrichtungen des Auslands Gutachten eingeholt wurden. Von einer „Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ kann also im bisher üblichen Sinn nicht gesprochen werden. Ein ähnliches Problem besteht hinsichtlich der Lehrenden. Sie sollen laut Erlass „muslimischen Glaubens“ sein. Der bis Anfang 2003 zuständige Ministerialrat erklärte hierzu: „Im Interesse der Akzeptanz der Islamischen Unterweisung bei den Schülerinnen, Schülern und ihren Eltern müssen die Lehrkräfte selbst muslimischen Glaubens sein.“41 Für einen nicht nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes gestalteten Unterricht ist dies eine verfassungsrechtlich unzulässige Voraussetzung. Denn hier wird die Vergabe eines staatlichen Amtes an eine bestimmte Religionszugehörigkeit geknüpft. Dazu verfügen die Lehrer der Islamischen Unterweisung über keine Bevollmächtigung durch eine Religionsgemeinschaft, da es diese für den Islam nicht gibt. Hier taucht als weitere Schwierigkeit die Tatsache auf, dass umgangssprachlich unter der Überschrift „Islam“ verschiedene Gruppierungen zusammengefasst werden, die zumindest hinsichtlich eines schulischen Religionsunterrichts deutlich zu erkennen geben, dass sie sich nicht auf ein Fach einigen werden. Konkret sind in Deutschland zu nennen die Sunniten, bei denen eine Kooperation mit den Schiiten möglich sein könnte, die Aleviten und die Ahmadis.42 Konsequenzen für Religionsunterricht
Für den Evangelischen (oder auch Katholischen) Religionsunterricht haben solche Versuche keine unmittelbaren Folgen. Langfristig sind aber dadurch angestoßene Veränderungen für diese etablierten Unterrichtsfächer zumindest ins konzeptionelle und didaktische Kalkül miteinzubeziehen: Offensichtlich sieht sich das Land Nordrhein-Westfalen beim Islam in der Lage, beraten durch Theologieprofessoren oder ähnliche Fachkundige, eine „Islamische Unterweisung“ zu etablieren, die inhaltlich eindeutig ein religiös gebundener Unterricht ist. Vom Gleichheitsgrundsatz her könnte gefragt werden, ob dieses einfache Procedere nicht ebenfalls für den Evangelischen oder Katholischen Religionsunterricht möglich sei. Zuge-
III. Rechtliche Rahmenbedingungen
spitzt gefragt: Ist nicht die Einführung von „Islamischem Religionsunterricht“ der Einstieg in eine radikal neue Interpretation der „Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ von Grundgesetz Artikel 7 Absatz 3 bzw. ein Schritt in verfassungsmäßiges Neuland? Falls ein Islamischer Religionsunterricht in größerem Umfang eingeführt werden sollte, wird sich der schon anderweitig bestehende Druck auf die konfessionelle Teilung des Religionsunterrichts verstärken.
Denn zum einen wird die Organisationsproblematik größer; es wären dann ja an manchen Schulen vier Fächer Evangelische und Katholische Religionslehre, Ethikunterricht o.Ä. und Islamischer Religionsunterricht gleichzeitig für eine Klasse anzubieten. Zum anderen ist bei einer konfessionellen Differenzierung des christlich ausgerichteten Religionsunterrichts nicht einzusehen, warum eine solche Differenzierungsmöglichkeit nicht auch für den Islamischen Religionsunterricht gelten sollte (etwa zwischen Schiiten und Sunniten, Aleviten und Ahmadis).
41 Pfaff: Situation, 66. 42 Rohe: Rechtsprobleme, 80.
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IV. Schulische Rahmenbedingungen
Schulpädagogische Perspektive
Religionsunterricht findet am Lernort Schule statt. Damit sind bestimmte Rahmenbedingungen gegeben. Dietrich Benner betont zu Recht: „Öffentlicher Religionsunterricht kann nicht aus der Sicht eines Predigers erteilt werden, der zur Ausübung des richtigen Glaubens aufruft und ermahnt. Er verlangt zwingend, dass die Grundüberzeugungen, die Lehrmeinung, die Glaubenspraktiken, die Geschichte und Überlieferung der Religion und die z.T. kontroversen Reflexionen der Theologie in schulische Unterrichtsinhalte transformiert werden. Diese müssen sich auf ein Wissen beziehen, das als solches gelehrt, gelernt, gewusst, beurteilt und überprüft werden kann. Ohne den kategorialen Ausweis eines solchen Wissens ist Religionsunterricht an öffentlichen Schulen nicht legitimierbar.“1 In einem ersten Abschnitt sollen deshalb grundsätzlich wichtige Kennzeichen und Funktionen heutiger Schule genannt und auf ihre Bedeutung für den Religionsunterricht hin bedacht werden. Dabei blende ich die vor allem im Bereich der Grund- und Sonderschulen in Gang kommenden Reformvorhaben aus; sie sind nämlich nur auf dem Hintergrund der auch für diese Schulformen lange üblichen Organisationsformen verständlich und werden später thematisiert. Danach gilt es, die neuen Herausforderungen für Schule durch den gesellschaftlichen und kulturellen Wandel in den Blick zu nehmen und zu klären, welche Anforderungen sich daraus für den Religionsunterricht ergeben. Im dritten Teil skizziere ich vor diesem Hintergrund wesentliche Ansätze zur Schulreform. Abschließend soll gefragt werden, welche Konsequenzen die pädagogisch wünschenswerten Reformen für die organisatorische und didaktische Gestaltung des Religionsunterrichts haben bzw. haben sollten.
IV. Schulische Rahmenbedingungen
1.
Kennzeichen und Funktionen von Schule und Religionsunterricht
Schule erscheint (fast) allen Menschen heute als etwas Selbstverständliches. Sie ist neben der steuerlichen Veranlagung (und für Männer mittlerweile erheblich eingeschränkt der Wehrpflicht) die einzige Zwangsinstitution unseres Staates: Jeder und jede muss zur Schule gehen. Das war nicht immer so. Noch im 19. Jahrhundert gehörte es in manchen Familien zum guten Ton, die Kinder durch einen Hauslehrer erziehen zu lassen bei Salzmann waren wir an pädagogisch prominenter Stelle hierauf gestoßen.2 Heute beginnt zumindest in der Presse die „home schooling“-Bewegung der USA Deutschland zu erreichen. Wegen der scheinbaren Selbstverständlichkeit von Schule und der Alternativen zu ihr, die in Zukunft stärkeres Gewicht bekommen dürften, ist es wichtig, sich kurz über die wichtigsten Kennzeichen heutiger Schulen in Deutschland Rechenschaft abzulegen.
1.1
79
Schule als Zwangsinstitution
Kennzeichen
1.1.1 Schule Der einschlägige Artikel in der elfbändigen Enzyklopädie Erziehungswissenschaft stellt folgende strukturelle Merkmale des Lernens im Schulsystem heraus:3 Raumzeitliche Verselbstständigung des Lernens: Gegenüber früheren Gesellschaften genügt heute offensichtlich nicht mehr die bloße Teilnahme am alltäglichen Leben. Die Heranwachsenden müssen einen eigens dafür konzipierten Ort, die Schule, aufsuchen, um für ihr späteres Leben ausreichend vorbereitet zu werden.
1 Benner: Bildung, 63. 2 Auch Schleiermacher machte z.B. seine pädagogischen Erfahrungen als Hauslehrer und Hofmeister beim Reichsgrafen zu Dohna (s. hierzu knapp Nowak: Schleiermacher, 48–58), die in der Hochschätzung der Familie – gegenüber der Schule – in seinen katechetischen Überlegungen ihren Niederschlag fanden. 3 Herrlitz/Hopf/Titze: Institutionalisierung, 57–60.
Merkmale von schulischem Lernen
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Symbolische Vermittlung des Lernens: Da durch die Absonderung des Raums Schule vom sonstigen Leben ein unmittelbarer Bezug zu den Dingen erschwert wird und manches nicht direkt zur Hand sein kann, ist schulisches Lernen wesentlich durch Zeichensysteme, Schrift und Zahlen, vermittelt. Deshalb begegnen Schulen nur in Kulturen mit Schrift. Allerdings setzt solches symbolisch vermitteltes Lernen praktische Befähigungen vor allem im sozialen Bereich voraus. Zeitbindung des Lernens: Entgegen der Spontaneität des Lernens in der Familie löst die Schule die Heranwachsenden aus solcher Unmittelbarkeit heraus. Es wird in eigens festgesetzten Zeiten auf Zukunft hin gelernt, etwa durch das Lernen einer Fremdsprache (um vielleicht später einmal in diesem Land tätig sein zu können o.Ä.). Dabei ist vorausgesetzt, dass das Bestehen künftiger Anforderungen heute schon vorbereitet werden kann. Professionelle Anleitung des Lernens: Zur Schule gehört, dass Erwachsene im Auftrag anderer, heute meistens des Staates, die Lernprozesse organisieren. Deren Tätigkeit hat sich wie der Ausbau und die jetzt universitäre Prägung der Ausbildung sowie die Standesorganisationen der Lehrer zeigen professionalisiert. Formale soziale Organisation des Lernens: Eng mit der Professionalisierung der Lehrerrolle verbunden ist, dass Schule eine funktional selbstständige Organisation ist. Dies zeigt sich daran, dass sie unabhängig von konkreten Personen funktioniert. Verpflichtung zum Lernen: Schließlich besteht in Deutschland Schulpflicht. Die Schulklasse ist demnach eine Zwangsgemeinschaft. Daraus resultiert die Verpflichtung zu einer gewissen Zurückhaltung, um nicht das elterliche Sorgerecht oder die persönliche Freiheit der Schüler(innen) unzulässig zu tangieren. 1.1.2 Religionsunterricht Geht man diese Kennzeichen unter religionsdidaktischer Perspektive durch, fallen einige Problembereiche heutigen Religionsunterrichts auf:
IV. Schulische Rahmenbedingungen
Die raumzeitliche Verselbstständigung, die symbolische Vermittlung und die Zeitbindung des Lernens sind konstitutiv für die schulische Organisation, können aber zugleich als Ursachen für deren viel beklagte Lebensferne gelten. Dies wird beim Religionsunterricht dadurch zunehmend zu einem Problem, dass früher selbstverständliche außerschulische Vorerfahrungen, die erst solche distanzierten Lernprozesse ermöglichen, heute fehlen.
So wird z.B. das Vaterunser in einer Klasse, in der die meisten Schülerinnen und Schüler in ihrer Herkunftsfamilie beten lernten, anders im Unterricht thematisiert werden können als bei Kindern, die noch nie selbst gebetet haben. Es stellt sich sogar grundlegend die Frage: Kann das Vaterunser in einer solchen Klasse sachgemäß behandelt werden, ohne dass die Schülerinnen und Schüler zuerst elementar in die Kommunikationsform des Betens eingeführt werden? Ebenso ist unter der Perspektive der Zeitbindung die (voraussichtliche) zukünftige Partizipation der Kinder und Jugendlichen an „Religion“ zu beachten. Sollen sie z.B. im Religionsunterricht auf die zukünftige verantwortliche Wahrnehmung der Kirchenmitgliedschaft hin vorbereitet werden oder auf das Zusammenbasteln einer bricolage-Religion (f V.2.2.1)? Die Abtrennung des religiösen Lernens in der Schule von dem kirchlichen Raum, in dem Religion direkt praktiziert wird, wird erst dann ein Problem, wenn eine wachsende Anzahl von Schülerinnen und Schülern keine Erfahrungen mit Kirche mehr hat. Religion droht dann zur „Schulreligion“ zu werden, also einem letztlich an die zwei Unterrichtsstunden gebundenen kulturellen Phänomen, das sich deutlich von der traditionellen Form christlicher Religion als einer das ganze Leben umfassenden Daseins- und Wertorientierung unterscheidet. Schließlich ermöglicht zwar die formale soziale Organisation von Schule Lernprozesse auf Dauer; doch ist für religiöses Lernen die konkrete, begleitende und möglichst symmetrische, also partnerschaftliche Kommunikation unersetzlich.4 Der rasche Wechsel von Lehrkräften kann hier problematisch sein.
4 Grethlein: Kommunikation, 96–102.
81
Probleme
Schulreligion?
82
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
1.2
4 Funktionen
Funktionen
1.2.1 Schule Schule hat in unserer Gesellschaft bestimmte Funktionen zu erfüllen. Dazu haben grundsätzlich alle Unterrichtsfächer beizutragen, wenn auch diese Beiträge zu den verschiedenen Funktionen unterschiedlich gewichtet sein können. Falls sich ein Fach vollständig aus einer Funktion zurückzieht, drohen Irritationen, da die Schüler(innen) Schule als eine kohärente Organisation wahrnehmen. Im Einzelnen sind zu nennen:5 Qualifikationsfunktion: Hier geht es in der Schule um die Vermittlung von Können und Wissen, von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen. Dazu gehört im weiteren Sinn die Berufsvorbereitung bzw. die Befähigung, nach der Schule erfolgreich in spezialisierte Ausbildungsgänge eintreten zu können. Sozialisations- und Erziehungsfunktion: In der Schule sind Werte und Normen sowie soziale Standards zu vermitteln, die für die Bewältigung des Lebens, nicht zuletzt im Zusammenleben der Menschen, erforderlich erscheinen. Allokations- und Selektionsfunktion: In jeder Gesellschaft müssen Arbeitsplätze und Positionen besetzt werden. In einer demokratischen Gesellschaft, in der dies nicht nach Abstammung oder Parteibuch geschehen darf, bleibt nur die Leistung als Auswahlkriterium, etwa in Form von Schulzeugnissen bescheinigt. So können bestimmte Ausbildungsgänge bzw. Berufe nur auf Grund besonderer Schulabschlüsse, etwa Abitur, erreicht werden. Personalisations- und Bildungsfunktion: Schule als wichtiger, viel Lebenszeit in Anspruch nehmender Lebensraum hat zur Persönlichkeitsbildung beizutragen. Die einzelnen Schülerinnen und Schüler mit ihren jeweiligen Begabungen sind individuell zu fördern. 1.2.2 Religionsunterricht Der Religionsunterricht, wenn er zu Recht einen Platz an der öffentlichen Schule beansprucht, hat zu allen vier Funktionen beizutragen. Auch wenn die Praxis vor Ort dem manchmal entgegenzustehen scheint, kann dies unschwer gezeigt werden. Damit gebe ich zugleich ein Beispiel für die Umsetzung der
IV. Schulische Rahmenbedingungen
83
schulpädagogischen Grundlagen in einem konkreten Fach. Bei dem Bezug der genannten vier Funktionen auf konkreten Unterricht wird schnell deutlich, dass es sich eher um unterschiedliche Aspekte als um getrennte Bereiche handelt: 1.2.2.1 In vielem hat der Religionsunterricht hinsichtlich der Qualifikationsfunktion dieselben Aufgaben wie andere Fächer: Das Lesen und Verfassen von Texten, Gespräch und Diskussion über Themen u.Ä. üben wichtige Fertigkeiten. Deshalb haben Religionslehrer(innen) auch auf Rechtschreibung oder klare Ausdrucksformen zu achten. Daneben hat der Religionsunterricht fachspezifische Aufgaben. Denn in einer vom Christentum viele Jahrhunderte geprägten Kultur sind bestimmte Grundkenntnisse christlicher Religion erforderlich, um sich zurechtzufinden, und dazu gehört, verantwortlich zu handeln. Schon die Lektüre von Zeitungsartikeln, in denen auf biblische Zitate angespielt wird, erfordert Wissen in christlicher Religion als eine wichtige Voraussetzung für kulturelle und politische Partizipation. Zudem sind in einer Gesellschaft, in der zunehmend Menschen unterschiedlicher religiöser Orientierung einschließlich der damit verbundenen Lebensgewohnheiten aufeinander treffen, Kenntnisse im religiösen Bereich unerlässlich. Dabei geht es nur zum einen um sachliches Wissen zu den Religionen, etwa bei der Kooperation mit einem frommen Muslim um Kenntnis von Bedeutung und Konsequenzen des Ramadan für den alltäglichen Lebensvollzug. Zum anderen ist es wichtig, grundsätzlich die Dimension zu erfassen, die die religiöse Überzeugung für Menschen haben kann. Ein krasses Beispiel hierzu stammt aus Ostdeutschland:6 Kurz nach der politischen Wende bekam ein in der DDR aufgewachsener älterer Schüler die Gelegenheit, einige Monate in eine Familie in den USA zu gehen. Eifrig bereitete er sich sprachlich auf die Reise vor. Doch musste er seinen Besuch nach einigen Wochen wegen unüberbrückbarer Schwierigkeiten in der Gastfamilie abbrechen. Der junge Mann war in eine fromme amerikanische Familie gekommen, in der Tischgebet, Morgen5 Rupp: Schule, 592. 6 Das Beispiel ist entnommen: Grethlein: Schule, 30 f.
Qualifikationsfunktion
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
und Abendandacht sowie der sonntägliche Kirchgang zur Selbstverständlichkeit gehörten. Zwar hatten die Gastgeber ihren Gast nicht missionieren wollen, aber doch erwartet, dass er sich zu den entsprechenden Gegebenheiten ruhig verhielte. Der Junge hatte sich in diese familiäre Praxis nicht einfügen können. Er hatte beim Tischgebet gelacht, sich im Gottesdienst unangemessen verhalten und so seine Gasteltern tief verletzt. Kurz: der Junge hatte nie gelernt, welche Bedeutung Religion für Menschen haben kann und dass die Missachtung religiöser Gefühle tief verletzen kann. Voraussetzung hierfür ist es, sich die eigene religiöse Prägung bewusst zu machen. Denn erst so werden Reaktionen anders Sozialisierter verständlich und damit die Grundlagen für einen Dialog gelegt. Sozialisations- und Erziehungsfunktion
1.2.2.2 Der Beitrag des Religionsunterrichts für die Sozialisations- und Erziehungsaufgabe der Schule wird von Politikern in der öffentlichen Diskussion immer wieder betont und herausgehoben. Das religionspädagogisch gesehen durchaus ambivalente7 Stichwort ist dabei „Werteerziehung“. Den beiden Formen christlichen Religionsunterrichts kommt hier schon deshalb große Bedeutung zu, weil wichtige Werte heutiger Gesellschaft sich wesentlich christlichen Impulsen verdanken bzw. sogar unmittelbar aus dem Christentum stammen. Während diese Tatsache auf der kognitiven Ebene in einem allein vom Staat verantworteten Fach bearbeitet werden könnte, wird es schwieriger, wenn es um die pädagogisch wichtige Motivation zur gewünschten Wertehaltung geht. Der Staat steht vor einem Dilemma: Pädagogisch grundlegend für Werteerziehung ist die Begegnung mit Menschen, die diesen Werten verpflichtet sind und sie auch begründen können. Denn nur die Einsicht in die Gründe für Werte ermöglicht deren kritische Aneignung und situationsangemessene Anwendung. Doch ist der zu weltanschaulicher Neutralität verpflichtete Staat auf der Begründungsebene zur Zurückhaltung verpflichtet. Hier hilft der nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes konzipierte Religionsunterricht weiter. Denn in diesem Fach wird durch das Thema „Religion“ der Blick vornehmlich auf die Begründungen der Werte gerichtet und durch einen Erwachsenen geleitet, der sich ausdrücklich mit der Perspektive einer bestimmten Reli-
IV. Schulische Rahmenbedingungen
85
gionsgemeinschaft identifiziert und so den Heranwachsenden ein Modell für entsprechende Lebensausrichtung gibt. Die Möglichkeit zur Abmeldung vom Religionsunterricht wahrt die negative Religionsfreiheit. Für den Evangelischen Religionsunterricht besteht noch eine pädagogisch wichtige Besonderheit: Die für den evangelischen Glauben konstitutive Differenz zwischen Religion und Moral eröffnet eine Möglichkeit, trotz unterschiedlicher weltanschaulich-religiöser Positionen die Fragen der Werte konsensbezogen zu erörtern.
Das in der Rechtfertigungsbotschaft begründete Wissen, dass die lebensentscheidende Beziehung zu Gott nicht von einem bestimmten Verhalten abhängt, gibt einen großen Freiraum, der sich z.B. in den divergenten Positionen evangelischer Ethik niederschlägt. Schließlich ist der Religionsunterricht ein Ort, an dem soziales Lernen von den originären Inhalten des Fachs her sowohl pragmatisch als auch reflexiv ein wichtiges Thema ist. Hierauf wird noch zurückzukommen sein, wenn exemplarisch mögliche Beiträge des Religionsunterrichts zur Schulreform genannt werden (f 4.1.1). 1.2.2.3 Hinsichtlich der Allokations- und Selektionsfunktion scheint der Religionsunterricht auf den ersten Blick wenig bzw. nichts beitragen zu können. Die immer wieder aufflammende Diskussion darüber, ob im Religionsunterricht versetzungserhebliche Noten erteilt werden sollen, ist ebenso wie die im Schulalltag anzutreffende, nur den oberen Bereich der Ziffernskala verwendende Notengebung im Religionsunterricht ein Beleg dafür. Angesichts der Bedeutung dieser Funktion für Schule Alternativen wären nur demokratisch unmögliche Vergaben von Berufspositionen ist Nachlässigkeit bei der Notengebung problematisch. Grundsätzlich wird kaum zu bestreiten sein (f 1.2.2.1), dass wesentliche Formen gegenwärtiger Kultur nur in Bezug zu Bibel und christlichem Glauben verständlich sind. Und dies gilt 7 Grethlein: Religionsunterricht.
Allokations- und Selektionsfunktion
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
nicht nur für hochkulturelle Produkte wie die Passionen Bachs oder Romane Thomas Manns u.Ä. Auch in Zeitungsartikeln, Kinofilmen und selbst Soap-Operas im Fernsehen finden sich ständig Anspielungen, kurze Hinweise usw., die Grundkenntnisse in der christlichen Religion erfordern. Diese müssen angeeignet werden, um kulturell auf den unterschiedlichsten Niveaus partizipieren zu können. Dazu kommt, dass in Alltag und Arbeitswelt ethische Probleme begegnen, die ohne ihre religiöse Grundlage und Relevanz kaum verständlich sind. Um diese Aufgaben angemessen zu bearbeiten, bedarf es ethischer und religiöser Grundkenntnisse, die herkömmlich im Religionsunterricht zu erlernen sind. Je nach gesellschaftlicher Position ergeben sich in beiden Bereichen unterschiedliche Anforderungen. Der in der Gentechnik tätige Biologe z. B. steht vor komplexeren Herausforderungen als ein Postbote. Von daher macht ein nach Schularten differenziertes Lernen in Religion guten Sinn. Aber wohl jeder Mensch sieht sich mit Fragestellungen konfrontiert, die mit den Themen Religion und christlicher Glauben und Ethos zusammenhängen, und benötigt zu deren Verständnis und persönlicher Klärung entsprechende Kenntnisse. Von daher ist die Erteilung einer differenzierenden Bewertung in Religion pädagogisch gerechtfertigt und erforderlich, solange Qualifikation und Allokation über Ziffernoten erfolgen, durch eine Religionsnote. In der pädagogischen Diskussion wird seit längerem der Wert der Ziffernoten bezweifelt. Dabei wird auf erhebliche Mängel der üblichen Benotung hingewiesen, u.a.:8 geringe Aussagekraft auf Grund mangelnder Differenzierung, unvermeidliche subjektive Prägung, Förderung eines sozial ungünstigen Konkurrenzverhaltens, bei schlechten Noten Demotivation. Umgekehrt zeigt das weitgehende Beharren auf der Ziffernote, dass die Schule ein einfach zu handhabendes Instrumentarium zur Rückmeldung und Allokation benötigt. In verschiedenen Bundesländern kann inzwischen in Grundschulklassen das Zeugnis mit Noten durch ein Wortgutachten ersetzt werden. Dessen Vorteil ist der höhere Differenzierungsgrad und damit der größere Informationsgehalt. Zudem nötigt ein Wortgutachten zu dem nach der PISA-Untersuchung in
IV. Schulische Rahmenbedingungen
Deutschland unterentwickelten diagnostischen Blick auf die Schülerleistungen. Doch erfordert ein Wortgutachten einen erheblichen Aufwand, der z.B. in Schulformen mit Fachunterricht, bei dem Lehrer(innen) z.T. zweihundert und mehr Schüler(innen) unterrichten, kaum möglich erscheint.9 Die Benotung zeigt deutlich, dass sich der Religionsunterricht als Schulfach den Anforderungen stellt, die für andere Fächer gelten. Karl Ernst Nipkow hat in einem umfangreichen Gutachten zur Versetzungserheblichkeit des Religionsunterrichts10 die für die besondere Konstitution dieses Unterrichtsfachs zu beachtenden Gesichtspunkte sorgfältig in rechtlicher, pädagogischer und theologischer Hinsicht abgewogen. Als Ergebnis empfiehlt er aus diakonischen Gründen, mit dem Religionsunterricht in dem gegenwärtig üblichen Bewertungssystem zu verbleiben, aber zugleich sich an den pädagogisch motivierten Bemühungen um seine Neugestaltung zu beteiligen. Aus religionspädagogischer Perspektive muss dabei besonders auf die theologisch grundlegende Differenz zwischen Person und Werk geachtet werden. Diese kann ebenso wie eine differenziertere Würdigung der Schülerleistung z. B. konkret in ausführlicheren schriftlichen Bemerkungen unter Prüfungsarbeiten zum Ausdruck gebracht werden. Dazu kommt in mittel- bis langfristiger Perspektive, dass im Zuge des Selbstständigerwerdens der Schulen (f 3.1.4) die Bedeutung zentraler Lernstandserhebungen zunehmen wird. Denn nur so kann angesichts der zu erwartenden Vielfalt schulischer Angebote die nicht zuletzt für die Eltern wichtige Qualitätskontrolle durchgeführt werden. Dabei werden die Fächer, die im Zuge solcher Lernstandserhebungen berücksichtigt werden, die entscheidende Bedeutung für die Schule und deren Ansehen haben. In England z.B. kämpfen die Kirchenvertreter seit Jahren darum, dass die Bewertung von Religious Education in die Bewertung der landesweiten Zertifizierungen von GCSE und A-Level aufgenommen wird. Durch die wie erwähnt starke Regionalisierung des in diesem Fach Vermit8 Ausführlich werden die Probleme diskutiert bei Ingenkamp: Erfassung. 9 Den gegenwärtigen Stand von zur Ziffernote alternativen Leistungsbeurteilungen im Sekundarbereich hat zusammengestellt Bohl: Regelungen. 10 Nipkow: Leistungsproblematik.
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Diakonische Aufgabe
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
telten erschien dies bisher nicht möglich, schwächt aber die Bedeutung dieses Unterrichts erheblich.
Arbeitslosigkeit
Personalisationsund Bildungsfunktion
Um hierzu zu gehören, empfiehlt es sich schon heute für die Religionslehrerschaft, der Bewertung in ihrem Fach besondere Aufmerksamkeit zu widmen und die Bedeutung des hier erworbenen Wissens auch für die Allokation nach außen transparent zu machen. Allerdings erfordert die Erteilung von Noten einen Unterricht, in dem klar die hierfür erforderlichen Inhalte erkennbar sind in deutlicher Unterscheidung von den ebenfalls unverzichtbaren Beiträgen des Religionsunterrichts zur Persönlichkeitsbildung. Die Erziehungs- bzw. Sozialisationsfunktion und die Allokations- bzw. Selektionsfunktion haben Überschnittstellen. Dies zeigt ein hier wenigstens kurz anzusprechendes Problem. Zumindest mittelfristig ist damit zu rechnen, dass heutige Schülerinnen und Schüler in ihren späteren Lebensjahren nicht nur erwerbstätig, sondern teilweise arbeitslos sein werden. Auch hierauf muss Schule vorbereiten bzw. qualifizieren. Dies geht aber nur, wenn grundsätzlicher als unter schnellen funktionalen Verwertungszusammenhängen die Bedeutung von Leistung und Arbeit bedacht wird. Diesbezüglich enthält christlicher Glauben, indem er zum einen in der Rechtfertigungsbotschaft jede menschliche Leistung grundlegend relativiert, zum anderen aber im Gebot der Nächstenliebe die soziale Bedeutung von Leistung herausstreicht, eine fruchtbare Spannung. 1.2.2.4 Die religionsdidaktische Bedeutung der Personalisations- und Bildungsfunktion von Schule wird an dem Gewicht offensichtlich, das der Kategorie Bildung seit einiger Zeit in der Religionspädagogik zukommt. Karl Ernst Nipkow hat wiederholt auf die christlichen Wurzeln von „Bildung“ hingewiesen.11 Damit protestiert er inhaltlich gegen jede Bestrebung der Verzweckung pädagogischer Prozesse. Eine besondere pädagogische und religionsdidaktische Pointe bekommt der Bildungsbegriff dadurch, dass Bildung die Eigentätigkeit des Subjekts im Lernprozess betont, die begriffsgeschichtlich in der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, also theologisch, begründet ist.
IV. Schulische Rahmenbedingungen
89
Dadurch wird einer Instrumentalisierung erzieherischer Einwirkung gewehrt, die pädagogisch dem Subjektsein bzw. -werden des Kindes und theologisch seiner besonderen Würde als Geschöpf Gottes widerspricht. Zugleich gewährt das Bildungskonzept Anschluss an reformpädagogische Bemühungen vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Zwar wird der Terminus „Reformpädagogik“ viel verwendet, die genaue Bestimmung des hiermit benannten Sachverhalts ist aber sowohl historisch als auch systematisch schwierig.12 Historisch bezeichnet er in Deutschland pädagogische Ansätze im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, die durch ein sich selbst als neu bestimmendes (wenngleich auf frühere Pädagogen zurückgreifendes) Erziehungsverständnis, Reformen zur Schulorganisation und zur Unterrichtsmethodik gekennzeichnet sind. Pädagogisch ging es den Reformern um eine kind- und jugendgemäße Schule, wobei diese Attribute recht unterschiedlich bestimmt werden konnten.13 Organisatorisch gelang es, Schulen zu gründen, die teilweise nach einer Unterbrechung durch die Nazis bis heute Bestand haben bzw. nach deren jeweiligem Konzept noch heute gearbeitet wird: Jena-PlanSchule von Peter Petersen, Montessori-Schulen, Waldorf-Schulen Rudolf Steiners und modifizierte Nachfolgerschulen, Landerziehungsheime, Odenwaldschule usw. Während es nicht gelang, das System der staatlichen Schulen zu ersetzen, nahmen die staatlichen Schulen manche methodischen Impulse auf. Grundsätzlich wurde dabei entgegen der bisherigen Fixierung auf das Lernergebnis dem Lernprozess selbst größere Bedeutung zugemessen. Dazu wurden Formen der Binnendifferenzierung im Unterricht entwickelt, die etwa in Form der Freiarbeit oder des Wochenplans in den letzten Jahren verstärkte Aufmerksamkeit vor allem in der Grund- und Sonderschuldidaktik fanden.
11 Z. B. Nipkow: Lebensbegleitung, 25–61; dessen pädagogische Relevanz zeigt überzeugend Ladenthin: Bildung. 12 Einen guten Überblick über Probleme und einzelne Lösungsversuche gibt: Koerrenz: Reformpädagogik. 13 Vgl. exemplarisch zur Pluriformität eines reformpädagogischen Ansatzes: Wild: Askese.
Reformpädagogik
90
Methoden
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Konkret hat dieser Ansatz Konsequenzen bis in die unterrichtliche Methodenwahl hinein. Die Selbsttätigkeit fördernden Methoden haben unter dem Gesichtspunkt der Bildung Vorrang vor eher reproduktiven, wobei natürlich Schulart, konkrete Klassensituation und Alter der Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen sind. Den Lehrerinnen und Lehrern kommt demzufolge eher unterstützende und moderierende als dozierende Funktion zu.
2.
Neue Herausforderungen für Schule
Die von vielen Menschen in den letzten Jahrzehnten erlebten Veränderungen in Gesellschaft und Kultur stellen Schule vor neue Anforderungen. Dabei scheint sich zunehmend eine Kluft zwischen der traditionellen Gestalt von Schule mit ihrer festen Organisation und der allgemein wahrgenommenen Pluralisierung und Flexibilisierung aufzutun. War dies schon seit längerem bewusst, haben internationale Vergleichsuntersuchungen zur Leistungsfähigkeit von Schule Zweifel daran geweckt, ob die deutschen Schulen ihrem Bildungsauftrag im erforderlichen Maße nachkommen. Weil es gegenwärtig noch keinen Vergleichstest hinsichtlich des religiösen Wissens gibt, brauchen die entsprechenden Untersuchungen am bekanntesten die Studie PISA 200014 hier nicht eigens dargestellt und analysiert zu werden. In religionsdidaktischem Zusammenhang ist nur wichtig, dass aus solchen Untersuchungen Konsequenzen für die Schulreform gezogen werden. Sie sind im nächsten Abschnitt zu bedenken. Grundlegend sind folgende, teilweise wieder miteinander verbundene Entwicklungen, die den Religionsunterricht nachhaltig betreffen: – Veränderungen in der Familie, – Verbreitung neuer Medien und Kommunikationsformen, – Pluralisierung von Lebensformen und Einstellungen, – Technisierung und Beschleunigung vieler Lebensvollzüge.
IV. Schulische Rahmenbedingungen
2.1
Veränderungen in der Familie
Entgegen manchen Medienberichten präsentiert sich in seriöser empirischer Sozialforschung Familie als Institution gegenwärtig erstaunlich stabil. Dabei übernehme ich den Familienbegriff von Rosemarie Nave-Herz, die Familie durch folgende drei Merkmale definiert sieht: „1. die biologisch-soziale Doppelnatur aufgrund der Übernahme der Reproduktions- und zumindest der Sozialisationsfunktion …, 2. ein besonderes Kooperations- und Solidaritätsverhältnis; (vor allem) … wird in allen Gesellschaften der Familie eine ganz spezifische Rollenstruktur mit nur für sie geltenden Rollendefinitionen und Bezeichnungen (z. B. Vater/Mutter/Tochter/Sohn/Schwester usw.) zugewiesen …, 3. die Generationsdifferenzierung.“15 Die weitaus größte Zahl von Kindern (2000: 83,9 % aller unter 18-Jährigen)16 wächst zwar nach wie vor bei verheirateten Eltern auf. Doch zeigt ein genauerer Blick einige bedeutsame Veränderungen: So nimmt die Erwerbsneigung von Müttern zu. „Waren 1972 nur 44,2 Prozent der Frauen erwerbstätig, deren jüngstes Kind zwischen sechs und 14 Jahren alt war, so erreichte diese Quote im Jahr 2000 die Höhe von 67,6 Prozent.“17 Zwar geht ein Großteil dieser Steigerung auf die Zunahme an Teilzeit-Arbeitsplätzen zurück. Doch hat dies Konsequenzen für Schule, insofern sich vor allem bei jüngeren Kindern die Notwendigkeit einer verlässlichen schulischen Betreuung ergibt. Eine zunehmende Zahl von Kindern erlebt die Scheidung ihrer Eltern: „Es ist damit zu rechnen, dass rund ein Fünftel der in den 1990er Jahren geborenen Kinder von Ehepaaren (einschl. vorehelich geborener Kinder) im Laufe der ersten beiden Lebensjahrzehnte mit der Scheidung der Eltern konfrontiert wird.“18 Pädagogisch bedeutungsvoll ist nicht nur die absolute
14 15 16 17 18
91
Deutsches PISA-Konsortium (Hg.), PISA 2000. Nave-Herz: Familie, 5. Engstler/Menning: Familie, 24 f. Engstler/Menning: Familie, 112. Engstler/Menning: Familie, 84.
Begriff Familie
Erwerbsneigung der Mütter
Scheidung
92
Ein-Kind-Familie
Kinderarmut
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Höhe der tatsächlichen Scheidungsfälle. Vielmehr muss heute davon ausgegangen werden, dass die meisten Kinder im Bereich ihrer Herkunftsfamilie bzw. der ihrer Freunde Ehetrennungen bzw. -scheidungen erleben. Die Stabilität der Familie ist damit für das subjektive Empfinden der Kinder grundsätzlich in Frage gestellt. Häufig wirken Ehekrisen der Eltern durch verändertes Verhalten der davon betroffenen Kinder unmittelbar in die Schule hinein. Weiter scheint sich in letzter Zeit ein Trend zur Ein-KindFamilie abzuzeichnen. Ein wachsender Teil der 6- bis 9-jährigen Kinder hat keine Geschwister.19 Dass dadurch auf die Schule neue Herausforderungen hinsichtlich der Förderung von Sozialkompetenz zukommen, liegt auf der Hand. Besonders die Eingangsklassen der Grundschulen sind hiervon betroffen. Auch später ist zu vermuten, dass bei Einzelkindern der Einfluss der sog. peer-group, also der Gruppe der Altersgleichen, größer sein kann als bei Kindern, in deren Familie noch Geschwister in anderem Alter leben. Ebenfalls gravierend für Schule ist die Verarmung von Kindern. Es besteht in Deutschland eine direkte Korrelation zwischen verfügbarem Einkommen und Kindern in der Familie. Daten des sozioökonomischen Panels 2000 zeigen, „dass das verfügbare Einkommen und die relative Einkommensposition der Familien umso niedriger ist, je jünger das jüngste Kind ist.“20 Eine genauere Analyse der Sozialhilfeempfänger zeigt, dass Schule in überdurchschnittlichem Maß mit Armut konfrontiert ist: Während Ende 2000 3,3 % der in Deutschland Lebenden Sozialhilfe empfingen, betrug deren Prozentsatz bei den 7 11-Jährigen 6,3, bei den 11 15-Jährigen 5,3 und bei den 15 18-Jährigen noch 4,4. Besonders betroffen von Armut sind die nichtdeutschen Kinder. Bei ihnen betrug der entsprechende Prozentsatz in den drei genannten Altersgruppen: 13,2; 12,7; 11,5. Noch höher liegt die Zahl der Sozialhilfeempfänger bei Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern: 24 %.21 Angesichts dieser erheblichen Größenordnungen muss davon ausgegangen werden, dass viele Schulklassen entsprechend betroffene Kinder umfassen, wobei es auf Grund der sozial gestaffelten Siedlungsformen räumliche Konzentrationen gibt. Kinder, deren Familien Sozialhilfe empfangen, sind in mancherlei Hinsicht benachteiligt. Sie sind nicht nur weitgehend
IV. Schulische Rahmenbedingungen
von Vergnügungen wie Kino-, Zoo- oder Schwimmbadbesuch ausgeschlossen, können sich keine Modekleidung leisten, sondern haben auch Probleme damit, scheinbar kleinere Beteiligungen für Materialbeschaffung, Lektüre oder gar den Beitrag für eine Klassenreise aufzubringen. Für den Religionsunterricht bekommen dadurch Themen wie Diakonie oder soziale Gerechtigkeit große Lebensnähe. Religionsdidaktisch bedeutungsvoll sind ebenfalls Veränderungen im Verhältnis der Familien zur Kirche. Inzwischen ist in Deutschland die sog. konfessionsverschiedene Ehe fast der Normalfall geworden. Und es gibt wohl nur noch wenige Familien, in denen die Verwandtschaft konfessionell homogen ist. Zunehmend finden sich in den Familien aus der Kirche Ausgetretene. So begegnen Kinder in ihrem engsten sozialen Kontext einer religiösen Pluralität, die dem selbstverständlichen Hineinwachsen in eine bestimmte Kirche entgegensteht. Dazu kommt, dass bis in die sechziger Jahre hinein noch in vielen Familien anzutreffende christliche Frömmigkeitsformen wie das Mittagsgebet mittlerweile weitgehend verschwunden sind.22 Für den Religionsunterricht bedeutet dies, dass bestimmte spirituelle Erfahrungen nicht mehr allgemein vorausgesetzt werden können. Umgekehrt konnte sich als einzige der sog. neuen Gottesdienstformen die des Familiengottesdienstes23 allgemein durchsetzen. Gerade bei Kindern im Vorschulund Grundschulalter sind Familien durchaus für gottesdienstliche Angebote ansprechbar. Der herkömmliche Gottesdienst am Sonntagmorgen erscheint dagegen wenig attraktiv. Kinder und Jugendliche lernen so eine kirchliche Partizipationspraxis kennen, die weniger als bisher an Traditionen, sondern an den eigenen Bedürfnissen orientiert ist.
19 20 21 22 23
Engstler/Menning: Familie, 27–29. Engstler/Menning: Familie, 151. Engstler/Menning: Familie, 156. Grethlein: Religionspädagogik, 336f. Ratzmann: Familiengottesdienst.
93
Familie und Kirche
Religiöse Praxis
94
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
2.2
Verbreitung neuer Medien und Kommunikationsformen
Tiefgreifende Veränderungen für Schule bahnen sich durch die neuen Medien und Kommunikationstechnologien an.
Neue Lernwege
Neue Aufgaben für Schule
So konstatierte die Denkschrift der Kommission „Zukunft der Bildung Schule der Zukunft“ beim Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen schon 1995: „Die Bedeutung der Schule für die Bildung der Zukunft wird vor allem durch die neuen Technologien und Medien in Frage gestellt.“24 Inzwischen schritt die Entwicklung rasant voran. In unserem Zusammenhang ist besonders wichtig, dass die neuen Kommunikationsmittel neue Lernwege eröffnen, an der Schule vorbei. War dies durch Fernsehen und Radio schon vorbereitet, so steigert das Internet, zu dem mittlerweile die Mehrzahl der weiterführende Schulen besuchenden Jugendlichen Zugang hat, diese Entwicklung. Durch Internet-Recherchen können sich Schüler(innen) Kenntnisse erwerben, die ihren Lehrer(inne)n unbekannt sind, wenn diese sich traditionell durch Lehrerhandbücher und Unterrichtsmodelle vorbereiten. Bei dem aus dem Internet Kopierten handelt es sich aber in der Regel um Detailwissen, das der systematischen Einordnung bedarf. Von daher beginnt sich die Aufgabe von Schule grundlegend zu verändern. Es geht vor allem in den weiterführenden Schulen weniger um die Vermittlung von Informationen, deren Halbwertszeit vor allem im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich drastisch gesunken ist, als vielmehr um Orientierung inmitten der Vielzahl von Einzelinformationen. Dazu kommt die schwierige Aufgabe, mit den Heranwachsenden einen angemessenen Umgang mit den neuen Medien zu erarbeiten. Hier helfen weder kulturpessimistische Pauschalkritik noch euphorische Zukunftsvisionen weiter. Vielmehr gilt es, Kinder und Jugendliche dazu zu befähigen, die Medienangebote kritisch wahrzunehmen und zum eigenen Nutzen in ihr Leben einzufügen. Besonders die Ökonomisierung der Medienprodukte muss durchschaubar gemacht werden, damit es nicht zu realitätsfremden und damit für die Persönlichkeitsentwicklung schädlichen Vorstellungen vom Leben kommt (f 4.1.3).
IV. Schulische Rahmenbedingungen
95
Inhaltlich enthält das Internet eine Vielzahl von Informationen auch im religions- und konfessionskundlichen Bereich, die der reflektierten Bearbeitung bedürfen. Die Rolle der Lehrkraft beginnt sich dabei zu verändern: weg vom Informationsvermittler hin zum Moderator und Begleiter von Lernprozessen, bei denen die systematische Verarbeitung von anderweitig gewonnenen Informationen im Vordergrund steht.
Diese Entwicklung muss auch Konsequenzen für das Lehrerstudium haben. Denn Voraussetzung für eine Anleitung der Schülerinnen und Schüler, der Datenmenge Herr zu werden, ist, dass ihre Lehrerinnen und Lehrer über klare Kategorien zur Systematisierung verfügen. Weiter machen Religionspädagogen auf die teilweise direkte, teilweise nur mittelbare Aufnahme religiöser Motive und Symbole in Medienprodukten, vor allem Filmen, aufmerksam. Allerdings mahnen Erkenntnisse zur Medienwirkungsforschung, die auf die große Bedeutung der Eigenproduktivität der Medienrezipienten aufmerksam machen, zur Zurückhaltung gegenüber zu direkten, inhaltsanalytisch begründeten Thesen und Modellen. Von daher gilt es dabei, besonders darauf zu achten, „wie die Rezeption des Films in weitere Anschlusskommunikation umgesetzt wird und welche Deutungsmuster dabei eine Rolle spielen.“25 Schließlich heben die modernen Medien die noch bis vor kurzem selbstverständlichen Differenzen zwischen den Generationen auf. Es gibt keine Lebensbereiche mehr, die nur den Erwachsenen vorbehalten sind. Traditionell in der Pädagogik übliche Begriffe wie „Verfrühung“ verlieren ihren Sinn allerdings stellt sich das Problem der Überforderung von Kindern und Jugendlichen.
24 Bildungskommission NRW: Zukunft, 32. 25 Laube: Himmel, 17.
Medien und Religion
96
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
2.3
Pluralisierung von Lebensformen und Einstellungen
Die im Vorhergehenden am Beispiel der konfessionellen Mischung von Familien angedeutete Entwicklung einer Pluralisierung hat mittlerweile alle Lebensbereiche erfasst und stellt für die Orientierung von Kindern und Jugendlichen und damit für die Schule eine Herausforderung dar.
Herausforderungen
Verunsicherung
In vielen Grundschulen begegnen sich Kinder mit unterschiedlichem kulturellen, häufig auch religiös differentem Hintergrund. Mittlerweile stammt über ein Viertel der Schülerschaft in den alten Bundesländern aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren wurde.26 Dadurch werden Kinder frühzeitig mit Verhaltensweisen und Einstellungen konfrontiert, die von denen ihrer Herkunftsfamilien abweichen. Im religiösen Bereich wird dies bei kleineren Kindern vor allem beim Feiern von Festen etwa dem christlichen Weihnachten oder dem islamischen Zuckerfest offenkundig. Interviews mit Kindern aus Familien mit einem christlichen und einem islamischen Elternteil lassen erkennen, dass bei ihnen die Symbole und Vorstellungen beider Religionen eigenproduktiv miteinander verbunden werden. Deutlich wird dies z.B. an der Gebetspraxis, in der (der christliche) Gott und Allah gleichermaßen als Ansprechpartner fungieren.27 Es entsteht hier ein selbstproduzierter, direkt alltagsbezogener Synkretismus, von dem fraglich ist, ob er weiter entwicklungsfähig ist oder in einen Agnostizismus etwa der Stufe 3 der Entwicklungstheorie des religiösen Urteils von Fritz Oser mündet (f VI.2.1.1.2). Ich vermute, dass die frühzeitige Begegnung mit Pluralismus im Bereich der Daseins- und Wertorientierung die zu beobachtende Verunsicherung von Kindern im religiösen Bereich (mit)bedingt. Im Religionsunterricht fällt auf, dass früher in der Pubertät auftretende, agnostische bzw. atheistische Anfragen an den Gottesglauben mittlerweile schon am Ende der Grundschulzeit auftauchen. Demnach sind Kinder frühzeitig mit grundlegenden Orientierungsfragen und -problemen beschäftigt. Das Prinzip „anything goes“ liegt dabei nahe, weil die Heranwachsenden kognitiv-strukturell mit der Aufgabe überfordert sind, die erlebte Verschiedenheit zusammenzudenken.
IV. Schulische Rahmenbedingungen
2.4
97
Technisierung und Beschleunigung vieler Lebensvollzüge
Schließlich fordern die Technisierung und die hiermit verbundene Beschleunigung in vielen Lebensbereichen heutige Schule heraus. Denn dadurch haben sich Raum- und Zeitverständnis grundlegend verändert. Neuere Erfindungen, angefangen von der Fotografie über das Auto, den Telegrafen bis hin zu Mobiltelefon und Computer, haben dazu geführt, dass räumliche und zeitliche Distanzen zunehmend überbrückt werden. So nennt Götz Großklaus als Ziel des „Projekt(s) der Moderne …: alles in die Sichtbarkeit des Gegenwärtigen zu überführen.“28 Diese zunehmende Konzentration auf die Gegenwart hat in mehrfacher Hinsicht Bedeutung für Schule: Traditionell ist Schule wie gezeigt auch auf Zukunft hin orientiert. Denn in ihr sollen junge Menschen auf die zukünftige Wahrnehmung ihrer Aufgaben in der Gesellschaft vorbereitet und ausgebildet werden. Von daher gehört zum schulischen Lernen jedenfalls teilweise ein Absehen von der unmittelbaren Aktualität bzw. Verwertbarkeit. Dieses Überschreiten der Gegenwart fällt aber zunehmend schwerer. Die Kritik an der sprichwörtlichen Lebensferne von Schule kann abgesehen von problematischen Abständigkeiten mancher Unterrichtsinhalte auch so gedeutet werden, dass der zeitliche Spannungsbogen für schulisches Lernen geringer wird. Zugleich ist auf Grund der schnellen wissenschaftlichen Fortschritte absehbar, dass heute Gelerntes schneller als früher seine Gültigkeit verliert. Die Vorausschau in die Zukunft scheint von daher kaum möglich. Die von den Menschen empfundene zunehmende Hektik schon gut greifbar in der Diskussion um die Einführung der Eisenbahn ist mittlerweile in die Klassenzimmer eingezogen. Der Siegeszug der Computertechnologie hat diese Tendenz noch gesteigert (f VIII.1.2.2).
26 Die PISA-Studie ergab eindeutig, dass Migrationshintergrund ein erheblicher Risikofaktor hinsichtlich der Lesekompetenz ist. (Deutsches PISA-Konsortium: PISA 2000, 118, 341). 27 Arnold/Hanisch/Orth: Kinder, 59–63; als Kommentar hierzu Orth/Hanisch: Glauben, 17–26. 28 Großklaus: Medien-Zeit, 53.
Konzentration auf Gegenwart
Probleme für Schule
98
Religiöse Probleme
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Auch anderswo prägt Tempo, unterstützt durch ComputerSimulationen, die Wahrnehmung der Heranwachsenden. Das Sehen von zwanzig Minuten Video-Clips auf einem der bei Jugendlichen beliebten Musik-Sender genügt, um einen Eindruck von der Geschwindigkeit zu bekommen, in der hier Bilder und Assoziationen aneinander gereiht werden. Schließlich verändern moderne Techniken die Wahrnehmung von Menschen. Vieles Gesehene oder Gehörte ist durch elektronische Medien vermittelt. Im Gegenzug gehen vor allem durch das heutige Verkehrssystem für viele Kinder und Jugendliche in Städten Möglichkeiten verloren, Wirklichkeit unmittelbar sinnlich wahrzunehmen. So ist es nicht nur eine witzige Begebenheit, dass Berliner Grundschüler bei der Aufgabe, Kühe zu malen, diese in der Farbe einer bekannten Schokoladenfirma ausmalten. Sie kannten eben Kühe lediglich aus der Fernsehreklame. Dass solche Entwicklungen für die Beschäftigung mit christlicher Religion Probleme mit sich bringen, ist angesichts der Bedeutung von Schöpfung für christlichen Glauben schnell einsichtig zu machen (f VIII.1.3.2.1). Das genaue sinnliche Wahrnehmen der Wirklichkeit ist eine wichtige, lange Zeit selbstverständliche Voraussetzung dafür gewesen, Gott als Schöpfer zu loben. Und auch die Fixierung auf Gegenwart behindert religiöse Bildung. Denn christlicher Glauben ist wesentlich wie die Bedeutung der Bibel zeigt auf vergangenes Geschehen bezogen, reicht aber in seinem Hoffnungspotenzial weit über die Gegenwart in die Zukunft Gottes hinein (f VIII.1.3.2.2).
2.5
Verunsicherung
Mustert man die vorgetragenen Herausforderungen für Schule unter religionspädagogischer Perspektive, wird deutlich: Die hier zu bedenkenden Veränderungen sind für die Kinder und Jugendlichen mit Verunsicherungen im Bereich der Daseins- und Wertorientierung verbunden.
Die offensichtlich zu den ökonomischen und funktionalen Anforderungen unserer Gesellschaft in Spannung stehende Fami-
IV. Schulische Rahmenbedingungen
99
lie ist angesichts der Scheidungsraten und der materiellen Probleme kein sicherer Rückhalt; die neuen Medien tragen mit ihrer Informations- und Kommunikationsvielfalt eher zur Verwirrung als zur Stabilisierung junger Menschen bei; die kulturelle Vielfalt erschwert die Persönlichkeitsentwicklung; die technischen Entwicklungen mit ihrem Zug zur Beschleunigung stehen einer notwendigerweise zeitintensiven Selbstvergewisserung entgegen. In dieser Situation kommt in der Schule einem Fach wie dem Religionsunterricht und dem Ethikunterricht große Bedeutung zu, das gegenüber den hier genannten Problemen zumindest eine andere Perspektive eröffnet, die weiter reicht als kurzzeitige ökonomische Verwertung. Allerdings wäre es angesichts der genannten Herausforderungen eine völlige Überforderung, von einem zweistündigen Unterrichtsfach eine Lösung für die ganze Schule zu erwarten. Deshalb gilt es in einem nächsten Schritt, sich zuerst den Versuchen zur allgemeinen Schulreform zuzuwenden.
3.
Ansätze zur Schulreform
Fast könnte man sagen: Seit es Schule gibt, gibt es Schulreform.29 Jedenfalls wurde seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts die deutsche Schule von verschiedenen Reformwellen erfasst, die sich aber jeweils nach etwa zehn bis fünfzehn Jahren ablösten: In den sechziger Jahren wurden aufgeschreckt durch Georg Pichts Warnung vor der „Bildungskatastrophe“30, der einen eklatanten Mangel an hinreichend Ausgebildeten vorhersagte und damit zur Öffnung der Gymnasien für einen größeren Teil eines Jahrgangs beitrug Debatten vor allem um die Strukturreform der Schule geführt. Die Forderung nach schulischer „Bildung als Bürgerrecht für alle“ unterstützte gesellschaftspoli-
29 Sehr anschaulich führt in die Entwicklung von Schule ein: Schiffler/Winkeler: Jahre. 30 Picht: Bildungskatastrophe.
Phasen der Schulreform
100
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
tisch diesen Aufbruch.31 Die Öffentlichkeit wurde vor allem durch den Streit um die Gesamtschule erfasst. Soziologische Argumente bestimmten die Diskussion. Für den Schulalltag wirksamer war 1972 die von der Kultusministerkonferenz beschlossene Oberstufenreform, die zu dem bis heute geltenden Kurssystem führte. Der Religionsunterricht rückte dabei nach heftiger Auseinandersetzung in den Kreis der abiturrelevanten Fächer ein und erfuhr eine Stabilisierung. Ab der Mitte der siebziger Jahre veränderte sich der Schwerpunkt der Reformdebatte hin zu Fragen der Lehrplan-Reform. Das Stichwort hieß Curriculum-Reform.32 Seitdem erscheint in den Schulen eine nicht schülerbezogene Orientierung der Unterrichtsinhalte an einem Kanon obsolet. Gleichsam als Nebenprodukt führte die dem Curriculum-Ansatz inhärente Notwendigkeit ständiger Reform zu einer Profilierung der einzelnen Fachdidaktiken. Die dadurch gewonnene Ausrichtung an den Schülerinnen und Schülern wurde im Religionsunterricht vor allem im später eingehender zu thematisierenden Konzept des thematisch-problemorientierten Unterrichts aufgenommen (f VII.3). Als Preis für die Schülernähe ergab sich zunehmend eine inhaltliche Diffusität, die die vom Religionsunterricht erwartete Orientierung teilweise erschwerte. Traditionell wichtige Formen religiöser Bildung wie die Schulgottesdienste o. Ä. fielen an nicht wenigen Schulen weg, weil sie als überholt galten. In den achtziger Jahren wandte man sich auf diesem Hintergrund einzelnen schulorganisatorischen Veränderungen zu, wobei die Integrationsfähigkeit der einzelnen Schularten an Bedeutung gewann. Dazu traten Fragen der Effizienz von Bildung, nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen. Für den Religionsunterricht war dies nicht unproblematisch, wie besonders die Diskussion um seine Beibehaltung in den berufsbildenden Schulen zeigte. Die offensichtliche Vergeblichkeit der strukturellen Reformversuche führte zu einer deutlichen Ernüchterung. Die vor allem in der Sozialdemokratie propagierte integrierte Gesamtschule erwies sich jedenfalls in Form ihrer zögerlichen Einführung nicht als die Lösung der Probleme. Die mit ihr erstrebte kompensatorische Erziehung, also die besondere Förderung familiär benachteiligter Schülerinnen und Schüler, kam
IV. Schulische Rahmenbedingungen
101
nicht voran. Zugleich ergaben empirische Untersuchungen, dass teilweise die Differenz zwischen einzelnen Schulen ein und derselben Schulform größer ist als die zwischen Schulen unterschiedlicher Typen. Von daher verwundert es nicht, dass sich die Reformdiskussion seit den neunziger Jahren mehr auf die Einzelschule konzentriert. „Nicht zuletzt die tatsächlichen und auch erheblichen Unterschiede zwischen Schulen gleicher Schulform, die in empirischen Studien festgestellt wurden, haben deutlich gemacht, dass die bisher praktizierten zentralstaatlichen Steuerungsformen (z.B. Lehrpläne, Richtlinien, Prüfungsordnungen, Lehrerausbildungsgesetze) weder die Gleichheit der Bildungsangebote in den Schulen garantieren noch eine gleich hohe Qualität schulischer Leistungen sicherstellen.“33 Bei der Diskussion um die sog. gute Schule kam wieder die lange Zeit hintangestellte persönliche Beziehungsebene in den Blick, und zwar sowohl die zwischen Lehrer(inne)n und Schüler(inne)n als auch die im Lehrerkollegium. Die Ausrichtung an soziologischen Theorien wich einem genuin pädagogischen Bemühen.
Die bis heute andauernde Konzentration auf die Einzelschule findet durch das im Vergleich zum Ausland zwar immer noch zögerliche, für Deutschland aber beachtliche Aufkommen von Schulen in nichtstaatlicher Trägerschaft Unterstützung. In solchen sog. Privatschulen sind lange Zeit nur wenig beachtet wichtige Impulse der Reformpädagogik vom Beginn des 20. Jahrhunderts aufbewahrt und weiterentwickelt worden. Besondere Verbreitung fanden dabei die Ideen von Rudolf Steiner in den sog. Waldorfschulen und die pädagogischen Einsichten der italienischen Ärztin und Pädagogin Maria Montessori in den gleichnamigen Schulen. Zahlenmäßig am verbreitetsten waren und sind kirchliche, vor allem römisch-katholische Schulen; dazu kommen noch reformpädagogischen Impulsen folgende Internate wie die Hermann-Lietz-Schulen u.Ä.
31 Dahrendorf: Bildung. 32 Den entscheidenden Impuls gab Robinsohn: Bildungsreform. 33 Fischer: Religion, 254.
Privatschulen
102
Impulse durch Wende
Reformebenen
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Für diese Reformbewegung gab es nicht zuletzt durch die politische Vereinigung Deutschlands einen kräftigen Impuls. Denn aus Misstrauen gegen die staatlichen Schulen, in denen weitgehend die vor der Wende beschäftigten, politisch belasteten Lehrkräfte unterrichteten, wurden in den neuen Bundesländern zahlreiche Schulen durch Elterninitiativen gegründet. Sie übernahmen nicht selten Konzepte wie die der MontessoriPädagogik. Dabei stand oft eine explizit christliche Motivation im Hintergrund. Und auch die beiden großen Kirchen, vor allem die römisch-katholische, engagierten sich mit Schulgründungen für die Erneuerung des zusammengebrochenen DDRBildungswesens. Die evangelischen Kirchen und evangelische Religionspädagogen nahmen diesen Impuls auf und verstärken seit den neunziger Jahren ihre Bemühungen um die Einrichtung und konzeptionelle Ausgestaltung Evangelischer Schulen.34 Auch schon vorher kristallisierten sich in der pädagogischen Arbeit der Evangelischen Schulen einige Reformansätze heraus, die in f 4. berücksichtigt werden, insofern sie dem Religionsunterricht Impulse geben. Entsprechend der Hinwendung zu den einzelnen Schulen kann nicht mehr wie für die Jahrzehnte zuvor von einer eindeutigen Reformrichtung gesprochen werden. Vielmehr gibt es verschiedene Impulse, die gegenwärtig die Entwicklung einzelner Schulen vorantreiben. Einige besonders wichtige seien kurz genannt und dann auf ihre religionsdidaktische Relevanz hin untersucht. Im Einzelnen sind religionsdidaktisch die beiden folgenden Reformebenen zu beachten: Veränderung der Organisation von Schule, didaktische Innovationen. Entsprechend den aktuellen Problemen um die Organisationsform des Religionsunterrichts lege ich dabei den Schwerpunkt auf die integrationspädagogischen Impulse, ohne damit die Bedeutung der anderen Gesichtspunkte mindern zu wollen.
IV. Schulische Rahmenbedingungen
3.1
103
Organisation von Schule
Während das Fachlehrer-Prinzip in den weiterführenden Schulen die Unterrichtsorganisation im 45-Minuten-Takt stabilisiert, haben die Grundschulen dadurch größere Bewegungsfreiheit, dass die Klassenlehrerinnen in der Regel für die meiste Unterrichtszeit verantwortlich sind. Zudem hat die Grundschule, vor allem in der 1. Klasse, Kinder in die Schule einzuführen und steht von daher unter stärkerem Reflexionsdruck hinsichtlich der Organisationsform von Schule als etwa das Gymnasium, in das über mindestens vier Jahre hinweg schulisch sozialisierte Kinder eintreten. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass wesentliche organisatorische Reformvorstöße aus der Grundschule kommen bzw. hier am schnellsten Fuß fassen. Sie stehen im Folgenden im Vordergrund. Historisch ist in diesem Zusammenhang auf die grundsätzliche Bedeutung der Grundschule für die Entwicklung des deutschen Schulsystems hinzuweisen. Im Artikel 146 der Weimarer Reichsverfassung und dem Reichsschulgesetz von 1920 wurde sie nämlich in ihrer vierjährigen Dauer als für alle Schülerinnen und Schüler verbindlich bestimmt. Dies war damals ein wichtiger Fortschritt, weil die durch Progymnasien u.Ä. bestehende Trennung der Kinder von Beginn der Schulzeit an aufgehoben wurde.35 3.1.1 Integration Der bereits am Anfang stehende reformerische Integrationsimpuls der Grundschule wurde nach Versuchen in Kindergärten erstmals ab 1976 in sog. integrativen Grundschulklassen dadurch aufgenommen und weitergeführt, dass die bisherige Aussonderung behinderter Kinder in die Sonderschule(n) auf-
34 Einen guten historischen und systematisch-konzeptionellen Überblick gibt: Schreiner: Spielraum; vgl. Scheilke/Schreiner (Hg.): Handbuch. 2002 wurde eine neue Publikationsreihe „Schule in evangelischer Trägerschaft“ mit dem Band eröffnet: Nipkow/Schweitzer (Hg.): Schule. 35 Die von den Alliierten nach dem II. Weltkrieg angestrebte und eingerichtete Erweiterung der gemeinsamen Schulzeit auf sechs bzw. acht Jahre wurde in der Bundesrepublik – anders als in der DDR mit ihrem zehnjährigen gemeinsamen Unterricht – nicht beibehalten. Lediglich in West-Berlin blieb es bei einer sechsjährigen Grundschule, so noch heute in Gesamt-Berlin.
Reformen in der Grundschule
Gemeinsamer Unterricht in der Grundschule
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
gehoben wurde. Die theoretisch in der Integrationspädagogik und praktisch im Gemeinsamen Unterricht entwickelten Konzepte und Vorstellungen müssen etwas genauer betrachtet werden. Denn sie implizieren weitreichende organisatorische und didaktische Konsequenzen, die die konfessionelle Konstitution des Religionsunterrichts in Frage stellen. Die Religionspädagogik und auch die beiden großen Kirchen in Deutschland waren anfangs eher zögerlich gegenüber dem Anliegen der Integrationspädagog(inn)en. Nicht zuletzt die Tatsache, dass die Kirchen bei der Betreuung von Behinderten in Diakonischem Werk und Caritas über hochspezialisierte Einrichtungen verfügen, dürfte den Zugang zu der integrationspädagogischen Perspektive erschwert haben. Denn hier wurden die gewohnten sonderpädagogischen Differenzierungen und die daraus folgenden Sondereinrichtungen kritisch hinterfragt.36 Dazu kommt speziell für den Religionsunterricht, dass wie später noch genauer diskutiert wird die konfessionelle Differenzierung in Gegensatz bzw. Spannung zum integrativen Anliegen steht. Schließlich gingen wesentliche integrationspädagogische Anstöße von Berlin aus, wo wie berichtet (f III.2.2) der Religionsunterricht nicht in die Stundentafel der staatlichen Schulen integriert ist. Wirksame Impulse zur integrativen Beschulung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf gaben deren Eltern. Sonderpädagog(inn)en korrigierten konzeptionell die bisher vorherrschende, an den Defiziten der Kinder mit einem eingeschränkten Erfahrungshintergrund oder mangelnder intellektueller Vorstellungsfähigkeit orientierte Sichtweise. Empowerment
Die Fähigkeiten und Ressourcen der Kinder wurden – im Konzept des „Empowerment“37 theoretisch formuliert – der Ausgangspunkt für schulisches Handeln.
Orientiert nicht an den Defiziten, sondern an den Fähigkeiten der einzelnen Schülerinnen und Schüler werden seitdem in zunehmender Zahl behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam in einer Klasse unterrichtet. Dabei wird didaktisch im Gegensatz zu dem traditionell zielgleichen Unterricht von Zielverschiedenheit ausgegangen. Allerdings bemüht man sich um die Gleichheit des Lerngegenstandes, der binnendifferen-
IV. Schulische Rahmenbedingungen
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ziert je nach Vorkenntnissen und Möglichkeiten bearbeitet wird. Dazu sind zwei Pädagoginnen, eine Grundschullehrerin und eine Sonderpädagogin, notwendig und entsprechende räumliche Voraussetzungen, die ein ungestörtes Arbeiten ermöglichen. Empirische Untersuchungen ergaben inzwischen, dass die behinderten Kinder bessere Lernerfolge erzielen und die nichtbehinderten im kognitiven Bereich zumindest keinen Nachteil haben, aber erheblich an Sozialkompetenz gewinnen. Viele methodische Innovationen, wie Abkehr vom 45-Minuten-Rhythmus der Schulstunden, Einführung von Epochenbzw. Projektunterricht und Wochenplan, legen sich in Integrationsklassen nahe. Fachlehrerunterricht ist dagegen schon angesichts der Doppelbesetzung eher störend. Während im Primarbereich der Gemeinsame Unterricht als geglückt bezeichnet werden kann, bereitet seine ebenfalls vor allem durch Elterninitiativen angestrebte Einführung im Bereich der Sekundarstufe I größere Schwierigkeiten. Denn hier bestehen grundlegendere Probleme. Angesichts der bei sog. Lern- und Geistigbehinderten wachsenden Differenz im kognitiven Entwicklungs- und Lernniveau wird es aufwändiger, einen gemeinsamen dann freilich different zu bearbeitenden Lerngegenstand zu finden; dazu erschwert die mit den aufsteigenden Klassen zunehmende Differenzierung der Unterrichtsfächer entsprechend der jeweiligen Neigung eine Integration. Je stärker die jeweiligen Sachgehalte, etwa beim Sprachenlernen oder Erarbeiten mathematischer Formeln, an Gewicht gewinnen, ohne dass unmittelbar an die Schülerwirklichkeit angeknüpft werden kann, desto schwieriger wird eine Integration bzw. desto wichtiger werden Modifizierungen bei den in der Grundschule bewährten Integrationsmethoden. Eine mögliche Modifikation, die es auch in Grundschulklassen gibt, kann hier die sog. Unterrichtliche Kooperation sein. Darunter versteht man „eine abgesicherte, regelmäßige Durchführung eines Gemeinsamen Unterrichts von Klassen nichtbehinderter und (geistig-)behinderter Schülerinnen und Schüler 36 Die Positionen der beiden Kirchen stellen kurz dar: Thoma: Menschen, und Spieckermann: Menschen. 37 Theunissen/Plaute: Empowerment.
Sekundarstufe I
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
in einem Fach oder fächerübergreifend in mehreren Lernbereichen“.38 Allerdings muss eine solche Kooperation so „normal“ für die Schülerinnen und Schüler sein, dass sie nicht als Besonderheit empfunden wird. Denn sonst kann es eher zum Gegenteil von Integration, zur Vertiefung der Fremdheit kommen. Integrationsbegriff
Neuer Zeittakt
Schließlich kann der Integrationsbegriff weiter gefasst werden: Dann bezieht er sich „unter anderem auf Leistungsvielfalt, Verhaltensvielfalt, Lebensstilvielfalt, Geschlechtervielfalt, Kulturenvielfalt oder Religionenvielfalt“.39 Hier steht der Begriff Integration für ein allgemeines pädagogisches Konzept, das Zusammenleben und -arbeiten von Kindern unterschiedlichster Herkunft und verschiedener Belastungen in der Schulklasse zu ermöglichen, wozu auch im Sinne von Binnendifferenzierung die besondere Förderung Einzelner in sprachlicher, sozialer o.ä. Hinsicht gehören kann. 3.1.2 Neue Zeit-Rhythmen Den veränderten Familienverhältnissen suchen Grundschulen durch die Ausweitung des Schultags Rechnung zu tragen. Abgesehen von der weit verbreiteten, da billigeren Form der bloßen Betreuung von Kindern, gibt es pädagogisch anspruchsvollere Versuche, die ganze dann zur Verfügung stehende Zeit im Klassenverband unter Leitung einer Lehrkraft zu gestalten. Hier können umfangreichere Übungsphasen sowie vertieftes soziales Lernen im gemeinsamen Spiel o.Ä. Platz greifen. Dazu ergaben empirische Untersuchungen, dass der breitere Zeitraum zur Profilbildung verwendet wird.40 Unterrichtsorganisatorisch wird dabei der traditionelle 45-Minuten-Takt aufgelöst. Die Abgrenzung der Einzelfächer tritt hinter die Sachzusammenhänge und den Lernrhythmus der Kinder zurück. Nicht mehr das Klingeln im vorgegebenen Zeittakt, sondern die Lernphasen der Schülerinnen und Schüler geben den Rhythmus der Arbeit in der Klasse an. Aus der Montessori-Pädagogik gewohnte Wochenpläne, die jedem Schüler ein auf ihn zugeschnittenes, in einer Woche zu bewältigendes Arbeitsvorhaben vorgeben, sind weitere Schritte auf dem Weg zu einer an der Individualität der Kinder orientierten Arbeitsweise. Dabei zeigen nach der MontessoriPädagogik arbeitende weiterführende Schulen, dass solche Re-
IV. Schulische Rahmenbedingungen
formschritte nicht nur auf die Grundschule beschränkt sein müssen. Eine wichtige Ergänzung dieser Innovation ist die Einführung (bzw. Wiedergewinnung) von Ritualen in der Schulkultur.41 So empfiehlt Maria Montessori vor allem Anderen: „Baut Kindern eine aus Orten, Zeiten und Ritualen bezeichnete Welt; diese bezeichnete Welt wird sie die ersten Wichtigkeiten lehren.“ Eine interessante Konkretion liefert der sog. Marchtaler Plan, der „Erziehungs- und Bildungsplan für die Katholischen Freien Grund- und Hauptschulen in der Diözese RottenburgStuttgart“.42 Hier werden u.a. folgende Rituale empfohlen: Morgenkreis am Beginn der Woche, Abschlusskreis am Ende der Woche, Freie Stillarbeit, Mittagsfreizeit (mit gemeinsamem, mit Tischgebet begonnenem Mittagessen usw.). Dazu treten Feiern von Geburts- und Namenstagen, der Aufnahme eines neuen bzw. der Verabschiedung eines abgehenden Schülerjahrgangs, kirchlicher Feiertage usw. 3.1.3 Öffnung von Schule Ein zunehmendes Problem wurde für Schule die Verrechtlichung, weil sie den Spielraum für die Lehrkräfte einschränkt und die Isolation der Schule vom sonstigen Leben verstärkt. Demgegenüber sind seit den achtziger Jahren unterschiedliche Entwicklungen und Vorstöße zu beobachten, die Schulen für ihre Umwelt zu öffnen. Für alle Schulformen wurde z.B. in Nordrhein-Westfalen 1988 das Konzept „Gestaltung des Schullebens und Öffnung von Schule“ erarbeitet,43 das sich in ähnlicher Form in anderen Bundesländern findet. Unter Aufnahme des angelsächsischen Konzepts der „community education“ wird hier die jeweilige 38 39 40 41
Theunissen: Integration, 215. Prengel: Gleichheit, 202. Holtappels: Grundschule. S. auch zum Folgenden Hinz: Schulkultur (das folgende Montessori-Zitat findet sich 18, 20). 42 Zur ersten Information (mit weiterführenden Literaturhinweisen) s. Gerst: Marchtaler Plan. 43 Knapp vorgestellt in: Kaufmann: Nachbarschaft, 18–25.
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Rituale
Schulleben
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Schule in ihrem konkreten kommunalen Kontext gesehen und werden daraus sich ergebende Kooperationen entwickelt. „ Für die Unterrichtsgestaltung gewinnen handlungsbezogene und projektorientierte Verfahren zunehmend an Bedeutung. Das traditionelle Nebeneinander von Fachunterricht, Gesamtunterricht (fächerübergreifender Unterricht) und Projekt(wochen)lernen soll überwunden, und die verschiedenen Arbeits- und Lernformen sollen in ein Unterrichts- und Schulkonzept integriert werden. Eine vielseitige Gestaltung des Unterrichts und die Entfaltung des Schullebens sind die beiden Brennpunkte, die in der Idee von der ‚Schule als Lebensraum‘ zusammengefaßt sind. Die Schule kann sich öffnen und zur Begegnungsstätte werden, als Nachbarschaftsschule, als Forum, als Partner für Eltern, Jugendverbände und Initiativen.“44 Fachunterricht
Der Fachunterricht gewinnt dadurch Konkretion und Anschaulichkeit. Die Schule wird für alle, die Schülerinnen und Schüler und die Lehrkräfte, zu einem bewusst wahrgenommenen Lebensraum. Dabei wird ernst genommen, dass dieselben Heranwachsenden nicht nur in der Schule, sondern auch anderswo aktiv sind und lernen, und dass dementsprechende Kooperationen ihnen zugute kommen. Neue Aufmerksamkeit findet bei solchen Reformversuchen das sog. Schulleben, also die außerunterrichtlichen Vollzüge in der Schule. 3.1.4 Einzelschulen Eine deutliche pädagogische Profilierung der genannten Zuwendung zu den Einzelschulen in der schulpädagogischen Reformarbeit sind die sog. Schulprogramme.
Schulprogramme
„Die Schule formuliert im S. (Schulprogramm, C.G.) ihr Leitbild, umschreibt ihr päd. Konzept und bringt die Grundzüge ihrer Unterrichtsarbeit und die prägenden Elemente ihres Schullebens in einen schlüssigen Zusammenhang. Sie geht methodisch von einer gründlichen Bestandsaufnahme aus, ermittelt Vorzüge und Schwachstellen, erörtert Veränderungsbedarf, verständigt sich über Zielabsprachen, legt eine Reihenfolge der
IV. Schulische Rahmenbedingungen
Entwicklungsvorhaben fest und gibt sich in einer abgestimmten Zeitfolge Rechenschaft über das Erreichte. Der Begriff S. umfasst somit zwei Dimensionen: Er beschreibt einen Vereinbarungsprozeß und das Produkt dieses Prozesses. Insofern hat der Begriff deskriptive Bedeutung. Er bez. aber auch die Programmatik der Schule als Ausdruck der Zielrichtung ihres Handelns. In diesem Sinne hat der Begriff strategische Funktion. Im S. bündeln sich die Lebensäußerungen der Schule als Ort einer eigenen Schulkultur; es hat aber seine eindeutige Mitte im Kernbereich schulischer Arbeit: im Unterricht.“45 In mehreren Bundesländern (2002: Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Bremen) muss mittlerweile jede staatliche Schule ein solches der Profilentwicklung von Schule dienendes Papier verfassen, das zugleich auch Grundlage für die pädagogische Evaluation ist. In anderen Bundesländern werden entsprechende Bestimmungen vorbereitet. Das in Abstimmung mit Schulaufsicht und Elternschaft sowie bei weiterführenden Schulen Schülerinnen und Schülern von den Lehrkräften einer Schule verfasste Schulprogramm gibt Auskunft über: die allgemeine pädagogische Ausrichtung der Schule, die besonderen Profilbildungen und Schwerpunktsetzungen, die Konzepte des jeweiligen Fachunterrichts, die Grundsätze und Ziele für die Gestaltung des Schullebens. Schulprogramm Entwicklung Zusammenhänge
Bestandsaufnahme pädagogisches Konzept Veränderungsbedarf Zielabsprachen Reihenfolge der Entwicklungsvorhaben
Grundzüge des Unterrichts
prägende Elemente des Schullebens
44 So fasst Kaufmann: Nachbarschaft, 19f., die übergreifenden Gestaltungskriterien des Modells zusammen. 45 Böhm: Schulprogramm.
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Dabei sind jeweils die angestrebten Entwicklungsperspektiven zu benennen. In Nordrhein-Westfalen ging die Landesregierung auf dem hier beschrittenen Weg der Profilbildung einzelner Schulen noch durch den seit 2002 aufgelegten Modellversuch der selbstständigen Schule weiter. Hier werden der einzelnen Schule bisher der Schulaufsicht vorbehaltene Rechte übertragen, z. B. die Möglichkeit, Lehrerinnen und Lehrer selbst einzustellen, ein eigenes Budget zu verwalten, bis dahin, dass vom 45-Minuten-Rhythmus der Schulstunden abgewichen und auch die Gewichtung der Stundentafel modifiziert werden kann.
3.2
Didaktische Ausrichtung
Mit den genannten Reformen und Innovationen zur Organisation von Schule sind selbstverständlich didaktische Neuansätze verbunden.46 Das Grundproblem, vor dem die Didaktik schulischen Unterrichts heute steht, ist die Frage: Nach welchen Gesichtspunkten werden die zu unterrichtenden Inhalte ausgewählt? Bildungskanon
Aufgabe der Didaktik
Der lange Zeit selbstverständliche schulische Bildungskanon, der Europa zugleich seine kulturelle Identität gab und sich gleichermaßen aus Antike und Christentum speiste,47 ist aus mehreren Gründen spätestens im 20. Jahrhundert obsolet geworden. U. a. das Aufkommen der Naturwissenschaften, die zunehmend gesellschaftliches und persönliches Leben bestimmende Technik, die traditionskritischen Anfragen in Folge der Aufklärung und nicht zuletzt die auch kulturellen Katastrophen der beiden sog. Weltkriege erwiesen den bisherigen, an festen Inhalten orientierten Kanon als ungenügend. Vor allem die lange Zeit selbstverständliche religiöse und später (alt)philologische Grundausrichtung und Schwerpunktbildung erschienen nicht mehr ausreichend, um die Heranwachsenden auf ihre späteren Aufgaben in der Gesellschaft vorzubereiten. Von daher ist es eine vordringliche Aufgabe der Didaktik, schulischen Unterricht inhaltlich zu orientieren, wobei weder eine nur historische Legitimation noch eine konkret-inhaltliche Bestimmtheit möglich erscheinen. In der Arbeit an dieser
IV. Schulische Rahmenbedingungen
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Aufgabe, die sich der Allgemeinen Didaktik und dann den konkreten Didaktiken der einzelnen Schulfächer stellt, spielt die sog. kritisch-konstruktive Didaktik von Wolfgang Klafki seit dem Erscheinen seiner „Studien zur Bildungstheorie“ (1963) eine hervorragende Rolle. Sie wurde auch bildungspolitisch wirksam, etwa in der Rezeption durch die nordrhein-westfälische Denkschrift „Zukunft der Bildung Schule der Zukunft“. Wichtige Religionspädagogen wie Karl Ernst Nipkow und Peter Biehl nahmen Einsichten von Klafki religionsdidaktisch auf bzw. führten sie kritisch weiter. Deshalb soll Klafkis Konzept kurz vorgestellt werden. Allerdings zeigt sich zunehmend, dass der Themenbereich „Religion“ bei Klafki nicht zufällig unzureichend berücksichtigt wird, sondern an diesem Punkt eine strukturelle Schwäche seines didaktischen Gesamtentwurfs hervortritt. Hier verdienen die grundsätzlichen kritischen Anfragen des Allgemein-Pädagogen Dietrich Benner Aufmerksamkeit, der zugleich einen religionsdidaktisch sehr interessanten Gegenentwurf präsentiert. 3.2.1 Epochaltypische Schlüsselprobleme (Klafki) Wolfgang Klafki hat sein Konzept in mehreren kleineren Einzelstudien, nicht in einem Gesamtkonzept vorgelegt.48 In seinen 1963 erschienenen Studien kritisiert Klafki die früher übliche Betonung angeblich objektiv feststehender Stoffe oder auch Bildungsmächte und ortet das Bildungsgeschehen als doppelseitige Erschließung von Selbst und Welt. Damit wendet er sich gegen eine Trennung von materialer und formaler Bildung, also von einem nur auf objektive Inhalte (materialen) und einem nur auf die Entwicklung des Lernenden zielenden (formalen) Bildungsverständnis. Vielmehr muss beides zusammengedacht werden: Durch den Bezug auf das Subjekt ist im Bildungsbegriff einem Übergewicht von Inhalten gewehrt, umgekehrt steht der Bezug auf Welt und Gesellschaft einem inhaltsleeren Bildungsverständnis entgegen. Diese gegenseitige Erschließung vollzieht sich durch Kategorien (weshalb das Konzept „kategoriale Bil-
46 Zu einem einführenden Überblick in die gegenwärtige didaktische Diskussion s. Gudjons: Didaktik; vgl. Lämmermann: Grundriß, 90–125. 47 Eine altphilologisch akzentuierte Überblicksdarstellung gibt Fuhrmann: Bildung. 48 Ausführlicher bei Lämmermann: Grundriß, 93–97.
Kategoriale Bildung
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
dung“ genannt wird), die die Schnittstellen zwischen Subjekt und Objekt markieren und das Allgemeine mit dem Besonderen vermitteln. Dabei ist Klafki im Weiteren vielfach von anderen Autoren aufgenommen darum bemüht, zu Elementarem vorzustoßen, also zu Sachverhalten, die in ihrer Besonderheit auf Allgemeines hinweisen. Ein Beispiel: Im Religionsunterricht ist demnach bei der Behandlung der alttestamentlichen Propheten darauf zu achten, solche Erzählungen auszusuchen, deren Thema mit der Schülerwirklichkeit in Verbindung gebracht werden kann. Zugleich empfiehlt es sich, im Unterricht die Propheten zu behandeln, an denen für andere Propheten typische Kennzeichen exemplarisch erkannt werden können, um so den Schülern an einem Beispiel das Phänomen Prophetie zu erschließen. In seinen 1985 erstmals erschienenen, in späteren Auflagen erweiterten „Neue(n) Studien zur Bildungstheorie und Didaktik“49 hat Klafki dieses nach wie vor an Bildung als einheitsstiftendem Begriff orientierte Konzept durch erfahrungswissenschaftliche und gesellschaftskritisch-ideologiekritische Einsichten erweitert. Er versucht jetzt, das Kanonproblem durch den Hinweis auf epochaltypische Schlüsselprobleme zu lösen. Ausgangspunkt ist dabei die „Einsicht in den dialektischen Zusammenhang zwischen den personalen Grundrechten, wie sie etwa die Menschenrechtsdeklarationen der Vereinten Nationen und der Grundrechtskatalog unserer Verfassung umschreiben, und der Leitvorstellung einer fundamental-demokratisch gestalteten Gesellschaft, einer konsequent freiheitlichen und sozialen Demokratie. Erst in diesem Rahmen können auch die Herausforderungen, die sich aus der Weiterentwicklung der Industriegesellschaft für die Theorie und Praxis einer neuen Allgemeinbildung ergeben, angemessen interpretiert und konstruktiv beantwortet werden.“50 Schlüsselprobleme
Klafki benannte, vielfach rezipiert, grundlegende Probleme, auf deren Bewältigung Schule Heranwachsende vorbereiten muss. Im Einzelnen waren dies im ersten Entwurf:51 die „Friedensfrage“, die „Umweltfrage“,
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die „gesellschaftlich produzierte Ungleichheit“, die „Gefahren und die Möglichkeiten der neuen technischen Steuerungs-, Informations- und Kommunikationsmedien im Hinblick auf die Weiterentwicklung des Produktionssystems, der Arbeitsteilung …“, die „Subjektivität des einzelnen und das Phänomen der IchDu-Beziehung“. In weiteren Veröffentlichungen erweiterte Klafki auf Grund kritischer Anfragen (f V.4.1.2.2) und tagespolitischer Aktualitäten diese Liste um Hinweise auf die ästhetische und die ethische/religiöse Dimension.52 Didaktisch liegt angesichts der genannten Grundproblematik nach dem Zerbrechen eines inhaltlichen Kanons für schulisches Lernen der Fortschritt darin, dass Klafki mit den epochaltypischen Schlüsselthemen einen Rahmen für die Erstellung von Curricula vorgibt, dessen inhaltliche Näherbestimmung aber offen lässt. Doch kann vor dem Hintergrund der klassischen Bildungstheorien des 19. Jahrhunderts kritisch gefragt werden, ob diese gesellschaftlich orientierte Ausrichtung nicht eine Marginalisierung des Subjekts im Bildungsbegriff zur Folge hat.53 Mit diesem didaktischen Konzept verbindet Klafki Forderungen nach Neuorganisation und -strukturierung von Unterricht, die teilweise schon im letzten Abschnitt begegneten. Dem Ziel, Problembewusstsein zu wecken, steht die Zerstückelung der Zusammenhänge entgegen, die Folge von Fächeraufteilung und 45-Minuten-Rhythmus sind. Deshalb schlägt Klafki einen „Problemunterricht“ vor, der im Sinne des Epochalunterrichts etwa zwei Stunden an jedem Tag umfassen soll und der fächerüberschreitenden Bearbeitung von Problemen gewidmet ist.
49 50 51 52 53
Im Folgenden beziehe ich mich auf Klafki: Studien. Klafki: Grundzüge, 51. Ausgeführt bei Klafki: Grundzüge, 56–63. Klafki: Schlüsselprobleme, 149. So – neben anderen gewichtigen Kritikpunkten – Kunstmann: Selbst- und Mitbestimmungsfähigkeit, 458 f.
Unterrichtsorganisation
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Der Epochen- bzw. Epochalunterricht54 ist eine reformpädagogische Forderung, die von Rudolf Steiner erhoben, aber auch in der Jena-PlanSchule oder der Odenwaldschule praktiziert wird. Dabei wird täglich eine bestimmte Zeitspanne der Bearbeitung eines fächerübergreifenden Themas gewidmet. Dies fördert neben der Einsicht in Zusammenhänge, die im Fachunterricht zu verschwinden drohen die Konzentration(sfähigkeit) auf einen Sachverhalt.
Dazu empfiehlt Klafki die Bildung von Lehrer-Teams, die einen solchen Unterricht konzipieren und durchführen. 3.2.2 „Praxis“ Religion (Benner) Dietrich Benner protestierte heftig gegen den „Schlüsselproblemhumanismus“55, und zwar gerade hinsichtlich der Aufgabenbestimmung des Religionsunterrichts. Grundlegend anders als Klafki setzt er anthropologisch-existentialanalytisch an. Er rekonstruiert sechs Formen von Praxis, die einerseits durch die „Möglichkeit, tätig handelnd, also willentlich, etwas hervorzubringen“, und andererseits durch eine „Notwendigkeit“ bestimmt sind, „auf welche die Praxis antwortet, indem sie eine vom Menschen erfahrene Not zu wenden sucht“:56 Praxen
„Der Mensch muß durch Arbeit, durch Ausbeutung und Pflege der Natur, seine Lebensgrundlage schaffen und erhalten (Ökonomie), er muß die Normen und Regeln menschlicher Verständigung problematisieren, weiterentwickeln und anerkennen (Ethik), er muß seine gesellschaftliche Zukunft entwerfen und gestalten (Politik), er transzendiert seine Gegenwart in ästhetischen Darstellungen (Kunst) und ist konfrontiert mit dem Problem der Endlichkeit seiner Mitmenschen und seines eigenen Todes (Religion). Zu Arbeit, Ethik, Politik, Kunst und Religion gehört als sechstes Grundphänomen das der Erziehung. Der Mensch steht in einem Generationenverhältnis, wird von den Angehörigen der ihm vorausgehenden Generationen erzogen und erzieht Angehörige der ihm nachfolgenden Generationen.“57 Durch diesen Ausgangspunkt bei der konkreten Praxis von Menschen gewinnt Benner einen Zugang, der das bei Klafki begegnende Problem korrigiert, nämlich die ästhetische, ethische und religiöse Dimension nicht angemessen erfassen zu können.
IV. Schulische Rahmenbedingungen
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Praxis von Menschen
Ökonomie Ethik Politik Kunst Religion
Kennzeichen Möglichkeit des Handelns, Hervorbringens Notwendigkeit (Not des Menschen)
Erziehung Für den Religionsunterricht hat dies unmittelbare Konsequenzen bis hin zu dessen Organisation. Das Konzept des an den epochaltypischen Schlüsselthemen orientierten Problemunterrichts führt bei Klafki zu Sympathien für ein allgemein wertorientierendes Fach wie LER.58 Benner drängt dagegen auf eine präzisere Bestimmung des Religionsunterrichts, insofern dieser auf die konkrete Praxis „Religion“ zu beziehen ist: „Im Zentrum des Religionsunterrichts müssen … historisch erinnernde, hermeneutisch problematisierende, die Möglichkeiten und Grenzen des religiösen Weltverhältnisses reflektierende Betrachtungsarten stehen, welche an die Tradition und Überlieferung anschließen, in diese einführen und zu einem offenen Experimentieren mit den in ihr geklärten und ungeklärten Fragen herausfordern.“59
Während also bei Klafki Religion nur abstrakt in funktionaler Hinsicht in den Blick kommt, rekurriert Benner auf die konkrete Praxis von Menschen. Hier begegnet „Religion“ nicht in allgemeinen, sondern vielmehr in christlichen (bzw. zunehmend islamischen) bzw. meist sogar nur in konfessionellen bzw. konfessionell gefärbten Formen. Dem entspricht als Organisationsmodell der konfessionelle Religionsunterricht.
54 55 56 57 58 59
Kamm: Epochenunterricht. Benner: Bildung, 67. Benner: Pädagogik, 30. Benner: Pädagogik, 22f. Klafki: Schule. Benner: Bildung, 69.
Konsequenzen für Religionsunterricht
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Probleme
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Doch sind auch bei Benners Didaktik Probleme unübersehbar. Sein einseitig anthropologischer Zugang erschwert die hinreichende Berücksichtigung der besonderen Herausforderungen durch gegenwärtige Probleme. Die von ihm allgemein herausgearbeiteten Praxen bleiben hinsichtlich der konkreten gegenwärtigen Herausforderungen, im religiösen Bereich etwa die Vielzahl gegenwärtig präsenter Religionsgemeinschaften, merkwürdig blass.60 Von daher tut Religionsdidaktik gut, sowohl Einsichten von Klafki als auch von Benner aufzunehmen: Der didaktische Ansatz Klafkis hält fest, dass Unterricht sich inhaltlich vor den zu lösenden Grundproblemen der Gegenwart ausweisen muss; Benner verhindert durch seinen Hinweis auf grundlegend zum Menschen gehörende Praxen eine oberflächliche Modernität.
Gerade für den religiösen Bereich ist diese Korrektur wichtig, weil sonst die Gefahr besteht, dass wichtige Fragen und Anliegen von Schülerinnen und Schülern, die tiefer liegen als unmittelbare funktionale oder politische Erfordernisse, in der Schule unbeachtet bleiben.
4.
Konsequenzen und Herausforderungen für den Religionsunterricht
Die genannten Herausforderungen für Schule sowie die Versuche zur Schulreform und die didaktischen Neuansätze eröffnen für den Religionsunterricht große Chancen, sich als für die gesamte Schule wichtiges Unterrichtsfach zu profilieren. Schulpädagogische Beiträge des Religionsunterrichts
Der Religionsunterricht kann – im Bereich des sog. Sozialen Lernens – wie bestehende Praxis und vorliegende Konzepte zeigen – Beiträge liefern, – durch seine Verbindung zur Kirche helfen, das Anliegen der Öffnung von Schule zu konkretisieren, – die medienpädagogischen Bemühungen angesichts der vielfältigen religiösen Anspielungen in Medienprodukten fördern, – einen Raum eröffnen, in dem grundlegende Fragen der Orientierung bearbeitet werden.
IV. Schulische Rahmenbedingungen
Zugleich stellen neue organisatorische Ansätze, wie sie vor allem in der Grundschule zu beobachten sind, den herkömmlich konfessionell verfassten Religionsunterricht vor erhebliche Probleme. Steht er nicht durch die konfessionelle Trennung der Schülerinnen und Schüler den vielfältigen pädagogischen Integrationsbemühungen entgegen? Hier gilt es, die Organisationsform des Religionsunterrichts zumindest in manchen Schulformen weiterzuentwickeln. Gleichsam die schulpädagogische Nagelprobe steht dem Religionsunterricht bevor, wenn eine Schule ihr Schulprogramm entwirft. Denn dann ist konkret für die Situation vor Ort der Beitrag des Religionsunterrichts zur Schule zu erweisen.
4.1
Wichtige Beiträge des Religionsunterrichts für die Schulreform
Der Religionsunterricht kann in verschiedener Hinsicht wichtige Beiträge für die Reform einer Schule leisten. 4.1.1 Soziales Lernen Es ist unstrittig, dass der Religionsunterricht in besonderer Form Bemühungen um das Soziale Lernen fördern kann. Denn soziales Verhalten ist wie exemplarisch das Doppelgebot der Liebe zeigt (Mt 22,37 39) ein wichtiges Anliegen christlicher Religion. Angesichts der Veränderungen im Lebensraum Familie, aber auch der anstehenden schulorganisatorischen Reformen wie der zeitlichen Verlängerung des Schultages u. Ä. ist die Förderung sozialen Verhaltens zugleich eine wichtige Aufgabe heutiger Schulen. Konkret wurden in kirchlichen Schulen pädagogische Programme ausgearbeitet, die staatlichen Schulen religionsdidaktische und schulpädagogische Impulse geben können und teilweise dort übernommen werden.
60 Nipkow: Bildung, 102.
117
118
Compassion-Projekt
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
4.1.1.1 1994 wurde erstmals das „Compassion“-Projekt in Katholischen Schulen beschrieben.61 Es verdient deshalb besonderes Interesse, weil es evaluiert wurde und sich hieraus grundsätzliche Einsichten für die Gestaltung von Projekten im Bereich des Sozialen Lernens gewinnen lassen. Der Begriff „compassion“ wurde dem Vokabular der KennedyBrüder entlehnt, „die angesichts der Entsolidarisierungstendenzen der nordamerikanischen Gesellschaft eine Gesellschaft mit ‚compassion‘ forderten, in der Zuwendung und Hilfsbereitschaft im Sozialen selbstverständliche Bürgertugenden sind.“62 Theologisch wurde der Begriff von Johann Baptist Metz aufgenommen, der in der „Empfindlichkeit für das Leid der anderen“ einen Ausdruck der Jesusnachfolge sieht.63 Das Ziel des Projektes ist „die Entwicklung sozialverpflichteter Haltungen wie Solidarität, Kooperation und Kommunikation mit Menschen, die … auf die Hilfe anderer angewiesen sind“.64 Dazu besuchen die Schülerinnen und Schüler in Schulen, die das Compassion-Projekt verfolgen, während eines Schuljahres zwei Wochen lang eine soziale Einrichtung wie Altenheim, Asylbewerberheim, Behinderteneinrichtung, Kindergarten, Krankenhaus, Obdachlosenheim o.Ä. Während es solche Praktika auch sonst gibt, gehört zu diesem Projekt, dass die gemachten Erfahrungen im Fachunterricht aufgenommen werden, und zwar sowohl vor- als auch nachbereitend. Aus dem Vergleich mit anderen Schulen ohne dieses Projekt konnte ein signifikanter Unterschied festgestellt werden: Während bei den Projektteilnehmern die Bereitschaft zu sozialem Engagement etwas anstieg, fiel sie deutlich bei den anderen Gleichaltrigen, die nicht an „Compassion“ teilnahmen. Hier zeigt sich: Soziales Lernen bedarf eines besonderen didaktischen Arrangements. Weder Unterricht noch Praktika allein, sondern nur deren Verbindung fördern soziales Lernen nachhaltig.
Dies ist aus kognitionspsychologischer Sicht nicht überraschend. Die viel beachteten Versuche von Lawrence Kohlberg zum moralischen Lernen weisen in dieselbe Richtung. Erst die Einrichtung von Institutionen zum Besprechen von Konflikten im Schulalltag u.Ä., also die Ermöglichung, sich in aktivem
IV. Schulische Rahmenbedingungen
119
Handeln moralisch zu bewähren, führte zu nachhaltigen moralpädagogischen Erfolgen.65 Allerdings ergab die Evaluation von „Compassion“ auch, dass kirchlich gebundene Jugendliche besonders von dem Projekt profitierten. Dies weist von ökologischer Sozialisationstheorie her unmittelbar einleuchtend auf die Bedeutung des außerschulischen Umfelds für den Erfolg von schulischen Lernprozessen hin, die die Haltung und Einstellung eines Menschen betreffen. 4.1.1.2 In ähnliche Richtung zielen Bemühungen an Evangelischen Schulen um „Diakonisches Lernen“. Hier tritt teilweise die Verbindung zum Religionsunterricht noch deutlicher hervor. So müssen die Schülerinnen und Schüler im sog. Michelbacher Modell66 in der 9. bis 11. Klasse zwischen einem Musikund einem Diakonieprofil wählen. Entscheiden sie sich für das Diakonieprofil, belegen sie ein aus zwei Stunden Religion und drei Stunden Diakonie bestehendes Kernfach Religion/Diakonie. Dabei spielen Praktika in unterschiedlicher, je nach Klassenstufe besonders profilierter Weise eine wichtige Rolle, sind aber zugleich in den Unterricht eingebunden. Während solch ein Modell wohl nur für eine kirchliche Schule möglich ist, kann „Soziales Handeln und Lernen“ an staatlichen Schulen als Gemeinschaftsprojekt unterschiedlicher Fächer, etwa Gemeinschaftskunde, Deutsch und Religion, organisiert werden. Dabei geben diese Fächer Stundenanteile ab, um den Blockunterricht und die Durchführung der Praktika zu ermöglichen. Wichtig ist auf jeden Fall die inhaltliche Verbindung der Praxisphase(n) mit dem sonstigen Fachunterricht. 4.1.2 Öffnung von Schule Wie erwähnt begegnen an staatlichen Schulen seit dem Ende der achtziger Jahre Bemühungen um eine Öffnung von Schulen. 61 S. zum Folgenden: Kuld: Lernfach; ausführlicher ders./Gönnheimer: Compassion, wo eine Evaluation des Projekts vorgestellt wird, auf das ich mich im Folgenden beziehe. 62 Kuld: Lernfach, 381f. 63 Kuld: Lernfach, 382f. 64 Kuld: Lernfach, 381. 65 Kohlberg: High School. 66 Gronbach: Kernfach. S. jetzt auch Hanisch/Schmidt (Hg.): Bildung.
Diakonisches Lernen
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Nachbarschaft von Schule und Gemeinde
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Für die religionspädagogischen Beiträge zu diesem Konzept war günstig, dass seit der Mitte der siebziger Jahre die sog. Gemeindepädagogik67 entwickelt wurde, also ein religionspädagogischer Forschungszweig, der die pädagogischen Möglichkeiten des Lernorts (Kirchen-)Gemeinde auslotet. Konkret für die Schule kam es im Überschneidungsgebiet der Didaktik des schulischen Religionsunterrichts und der Gemeindepädagogik zur Entwicklung des Modells „Nachbarschaft von Schule und Gemeinde“. Hierbei wurde einerseits der am Beginn des f II. Kapitels knapp skizzierten besonderen Verbindung von Kirche und Schule Rechnung getragen. Andererseits standen unmittelbar praktische Berührungspunkte im Hintergrund, wie die Tatsache, dass Schüler(innen) an gemeindlichen Angeboten wie Kindergottesdienst, Konfirmandenunterricht oder Jugendgruppe teilnehmen. Der Begriff „Nachbarschaft“ hält dabei zugleich Nähe und Distanz beider Institutionen fest. Insgesamt gilt als Grundsatz für Kooperationen das Bestreben, die Heranwachsenden möglichst gut zu fördern. Im Zuge von Projekten des Comenius-Instituts, Münster, und des Religionspädagogischen Instituts der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Hannover, Loccum, wurde eine Reihe von konkreten Modellen einer solchen Kooperation begleitet und ausgearbeitet. Dabei begegnet oft der Religionsunterricht in einer Schlüsselrolle. In diesem Unterricht drängen manche Themen zum Überschreiten der Schulgrenzen. So führte z. B. die Behandlung des Themas Asyl in der 8. und 9. Klasse einer Berliner Schule zum Besuch eines direkt neben der Schule gelegenen Asylbewerberheims. Durch weitere Impulse, u. a. eine Weihnachtsfeier, die die Asylsituation spielerisch in Verbindung mit der Weihnachtsgeschichte brachte, kam es zu intensiven Begegnungen mit Asylbewerberinnen und -bewerbern und zur Gründung einer Asyl-AG, die Informationsveranstaltungen, gemeinsame Feste u. Ä. organisierte.68 Besonders hervorzuheben sind hier u.a.: Bibeldidaktisch (f VIII.2) geschah im Zuge dieses Projekts die gegenseitige Erschließung eines Bibeltextes und einer konkreten sozialen Situation. Dadurch wurden sowohl der biblische Text, hier die Weihnachtsgeschichte, als auch die soziale Situa-
IV. Schulische Rahmenbedingungen
121
tion, die Lage der Asylbewerberinnen und -bewerber, besser verständlich. Dass sich daraus konkrete Aktionen ergaben, entspricht dem Aufforderungscharakter des Evangeliums und bringt einen wichtigen Aspekt christlicher Religion angemessen zur Darstellung, der in einer bloßen „Schulreligion“ fehlt. Als zweites Projekt möchte ich eine auf liturgisches Handeln bezogene Initiative erwähnen.69 Kinder einer Vorschulklasse hatten Interesse an der Taufe. Nachdem der Pfarrer und die entsprechende Familie mit einer Teilnahme der Kinder an einer Taufe einverstanden waren, machten die Kinder mit ihrer Erzieherin zur Vorbereitung einen Gang in die Kirche. Beim Besichtigen der Taufschale waren sie besonders begeistert von deren Vergoldung. „Da fuhr einem Kind die Bemerkung heraus: ‚Das Baby bekommt wohl von dem Gold etwas ab.‘“ Dadurch hatte das Kind eine wichtige Einsicht der Tauftheologie, die Partizipation des Täuflings am Geschick Jesu Christi, in kindlicher und zugleich symbolisch verdichteter Form entdeckt. Als dann weitere Kinder nachfragten, „wie das denn mit ihnen sei, dann hätten sie (sc. bei ihrer Taufe, C. G.) ja auch Glanz abbekommen“, konnte dies nur bestätigt werden. Dies wurde dann zum Anlass für eine Tauferinnerung. Die Kinder bastelten sich aus Goldpapier einen Reifen mit Goldsternen, um zu zeigen, dass sie etwas von dem „Glanz“ abbekommen hätten. Hier ist Folgendes bemerkenswert und über den konkreten Vollzug hinausweisend: Die Kinder entdecken theologische Einsichten und formulieren sie selbst. Dazu führt die Begegnung mit einem Gegenstand religiöser Praxis.
Es gehört zu den wichtigsten Erkenntnissen der sog. Kirchenpädagogik, auf die in sakralen Bauten zu entdeckenden Gebrauchsspuren hinzuweisen.70
67 68 69 70
S. zur Einführung Grethlein: Gemeindepädagogik. Das Projekt wird geschildert in: Kaufmann: Nachbarschaft, 97–105. Dokumentiert bei: Kaufmann: Nachbarschaft, 124–129; die Zitate finden sich 125. Hierauf hat nachdrücklich Raschzok: Feier, 112–120, aufmerksam gemacht.
Kindertheologie
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Schulgottesdienste
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
4.1.2.2 Einen wichtigen Beitrag zum sozialen Lernen, jetzt im Schulleben, kann der Religionsunterricht dadurch leisten, dass er Schulgottesdienste initiiert. Im vorliegenden Zusammenhang konzentriere ich mich auf die pädagogischen Gründe. Der Schulgottesdienst kann was kaum bekannt ist an bis heute schulpädagogisch und -theoretisch wichtige Traditionen anknüpfen.71 „Schulleben“ als Begriff taucht, soweit ich sehen kann, erstmals 1826 in der bekannten Schrift des „Vaters“ des Kindergartens Friedrich Fröbel „Menschenerziehung, die Erziehungs-, Unterrichts- und Lehrkunst, angestrebt in der allgemeinen deutschen Erziehungsanstalt zu Keilhau“ auf. Dabei setzt sich Fröbel von der damals verbreiteten Form des Frontalunterrichts und dem bloßen Rezipieren abstrakter Sachverhalte ab: „Wollen wir denn nie aufhören, unsere Kinder, Knaben und Schüler gleich Münzen zu prägen und sie mit fremder Aufschrift und fremdem Bildnisse prangen zu sehen, statt sie als ein Gebilde aus dem von Gott, dem Vater, in sie gepflanzten Gesetz und Leben, mit dem Ausdruck des Göttlichen und als Bild Gottes unter uns wandeln zu sehen?“ Positiv fordert Fröbel mit dieser religiösen Argumentation eine Verbindung von Schule und Leben, eben das Schulleben. Dabei legt er besonderen Wert auf dessen integrierende, einheitsstiftende Funktion. In diesem Zusammenhang spielen im Konzept Schulleben von Anfang an die Schulgottesdienste eine wichtige Rolle. So schrieb 1848 der Schuldirektor Carl Gottfried Scheibert in seinem für die Entwicklung der Realschule grundlegenden Werk „Das Wesen und die Stellung der höheren Bürgerschule“ zur Schulandacht: „sie (sc. die Lehrer, die die jeweilige Andacht halten, C. G.) erheben sich und ihre Schüler hier aus dem Schulstaube auf die reine Tenne, wo man mit jeder Handlung einen Gottesdienst thut; ermuthigen sich und ermuntern die Laschen und Ermüdeten mit der Ueberzeugung, daß es mehr als Lernen gibt, und daß es ein höheres Ziel giebt, als eine Versetzung und alle die gerühmten Schultugenden nur dann den rechten Werth haben, wenn sie in der rechten Gesinnung wurzeln.“
IV. Schulische Rahmenbedingungen
123
Der Schulgottesdienst hat – funktional formuliert – für die Schule die Aufgabe, die Bedeutung der Leistung zu relativieren. Zugleich unterbricht der Schulgottesdienst die sonst für Schule unerlässliche Hierarchie.
Alle Schulangehörigen, vom Schulleiter bis zur jüngsten Schülerin, stehen gleichberechtigt vor Gott. Ein Blick ins Ausland zeigt, dass gemeinsame Feiern für Schule und deren Integration wichtig sind. So beginnt wie erwähnt in England in vielen Schulen jeder Schultag mit einer „assembly“, früher „collective worship“ genannt. Ihre (mögliche) religiöse Ausrichtung gestattet dabei, einen über den Schulalltag hinausgehenden weiteren Horizont zu gewinnen, also eine Öffnung von Schule in einem transzendierenden Sinn. 4.1.2.3 Trotz des anderen Entstehungshintergrundes kann die sog. Kontaktstunde als eine Form der Öffnung von Schule auf Kirchengemeinde verstanden werden.72 In Nordrhein-Westfalen wurde in Analogie zur sog. Seelsorgestunde der römischkatholischen Kirche 1998 als Kompensation für die Streichung der dritten Religionsstunde in der 3. und 4. Klasse den evangelischen Kirchen angeboten, ein sog. Kirchliches Angebot (Evangelische Kontaktstunde) einzurichten. Im Runderlass des Schulministeriums vom 22. 6. 1998 hieß es: „Der evangelischen Kirche wird ermöglicht, durch Pfarrerinnen und Pfarrer oder andere pädagogisch qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihrer Kirchengemeinden über den in der Stundentafel vorgesehenen Religionsunterricht hinaus in Absprache mit den Religionslehrerinnen und Religionslehrern ein kirchliches Angebot (Evangelische Kontaktstunde) als Schulveranstaltung für Schülerinnen und Schüler des 3. und 4. Schuljahres zu machen.“73 Eine Umfrage unter westfälischen Pfarrerinnen und Pfarrern ergab zwar, dass von diesem Angebot zumindest in dieser Region noch zurückhaltend Gebrauch gemacht wird.74 Bei den
71 S. ausführlicher Grethlein: Schulleben; dort werden die Fundstellen der folgenden Zitate im Einzelnen nachgewiesen. 72 S. genauer – auch zum Folgenden – Schröder: Kontaktstunde. 73 Zitiert: Schröder: Kontaktstunde, 3 f.
England
Kontaktstunde
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Chancen
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Gemeinden, die Kontaktstunden anbieten, zeigen sich interessante und ermutigende Resultate. Offensichtlich stellt die Kontaktstunde, die meist im Wochen-Rhythmus erteilt wird, aber auch einem anderen Zeittakt folgen kann, eine gute Möglichkeit dar, die Diskrepanz zwischen gelehrter und gelebter Religion zu mindern. Bernd Schröder resümiert die wichtigsten Ergebnisse der von ihm durchgeführten empirischen Untersuchung: Die Kontaktstunde „vermag Kontakte zu Menschen zu eröffnen, die christliche Religion vielgestaltig präsentieren; sie kann diesen Kontakten durch Begegnungen, erzählte Lebensläufe und Erkundung von Arbeitsfeldern Raum geben. Die Kirchengemeinde vor Ort in Verbindung mit dem Kirchenkreis bietet beste Voraussetzungen, um solche Begegnungen anzubahnen. Diese Art der Begegnung ist eine Facette des religiösen Lernens, die im Grundschulalter entwicklungspsychologisch in aller Regel auf Interesse stößt …; der Brückenschlag zwischen gelehrter und gelebter Religion bearbeitet zugleich eine strukturelle Schwachstelle des professionalisierten, schulisch organisierten Unterrichts in Religion, nämlich die Beziehungslosigkeit zwischen der dort thematisierten (öffentlichen) christlichen Religion und dem kirchlichen sowie dem privat-familialen Christentum.“75 Methodisch fällt zudem auf, dass liturgische Elemente, nicht zuletzt der rituelle Aufbau, ein besonderes Profil vieler Kontaktstunden bilden. Schröder vermutet, dass hier vor allem der Kindergottesdienst das Gestaltungs-Paradigma abgibt.76 4.1.3 Medienpädagogik Es ist unstrittig, dass die Verbreitung der elektronischen Medien neue Herausforderungen an Schule stellt (f VIII.1). Sie können nur fächerübergreifend bewältigt werden. Auf die medienpädagogischen Möglichkeiten und Aufgaben anderer Fächer kann hier nicht eingegangen werden. Auf jeden Fall legt sich die fachübergreifende Kooperation etwa an Projekttagen nahe. Dies gilt besonders, wenn die medienpädagogisch wohl wichtigste Aktionsform durchgeführt wird, das Selbstproduzieren von Medien, etwa das Herstellen von Video-Clips.
IV. Schulische Rahmenbedingungen
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Der Religionsunterricht ist dadurch medienpädagogisch herausgefordert, dass viele Medienprodukte sich religiöser Symbole und Motive bedienen. Eine kritische Auseinandersetzung mit den meist kommerziell funktionalisierten Ausdrucksformen erfordert die Aufdeckung dieses Hintergrunds.
Dazu wird der Religionsunterricht sowohl auf der grundlegenden Ebene der Daseins- und Wertorientierung als auch auf der der Ethik Beiträge liefern können. 4.1.3.1 Die erste medienpädagogische Aufgabe ist es, Schülerinnen und Schüler zur aufmerksamen Wahrnehmung von Medienprodukten anzuregen. Zugleich gilt es, deren gesellschaftlichen und kulturellen Kontext kritisch zu rekonstruieren. Dabei ist vor allem die zunehmende Ökonomisierung z. B. durch Product-Placement, suggerierte Schönheitsideale u.Ä. bewusst zu machen und den Heranwachsenden durch kritische Reflexion ein Freiraum hiervon zu eröffnen. Für Kinofilme, die nach einiger Zeit im Fernsehen gezeigt werden und durch Begleitmedien weite Verbreitung finden, für Video-Clips und Musikstücke liegen religionsdidaktische Vorschläge vor.77 Grundsätzlich gilt: Didaktische Auseinandersetzungen mit Filmen in der Schule unterscheiden sich vom Filmsehen im Kino. Die besondere Atmosphäre des Kinos, die in manchem durchaus kultische Züge trägt (Gang zum Kino, vorbereitende Handlungen, Einstimmung durch Vorfilme, Entrückung aus der Realität, Rückkehr durch Lichtanschalten), geht beim Ansehen einzelner Filmsequenzen in der Schule verloren.78 Positiv ist daran, dass die vielen Jugendlichen geläufige Rolle des blo-
74 Die offensichtlich höhere Verbreitung im Gebiet der Rheinischen Kirche, für die allerdings keine so ausführliche Studie vorliegt, legt den Verdacht nahe, dass dies mit der zurückhaltenden Veröffentlichung durch das Bielefelder Landeskirchenamt zusammenhängt. Inzwischen scheint man hier nach einem personellen Wechsel aufgeschlossener zu sein. 75 Schröder: Kontaktstunde, 140. 76 Schröder: Kontaktstunde, 111. 77 Z. B. Kirsner/Wermke (Hg.): Religion. 78 Aus methodischen Gründen ist das Sehen von Filmen bzw. Filmausschnitten in Schulstunden auf höchstens zwanzig Minuten zu begrenzen (s. Grethlein: Grundkurs, 51–55).
Filme in der Schule
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
ßen Konsumierens, die für die weitere Arbeit ungünstig ist, durch das schulische Arrangement durchbrochen wird. Doch bleibt in schulischen Räumen die suggestive Kraft der Bilder. Deshalb reicht es bei didaktischen Auseinandersetzungen mit Filmen nicht aus, auf einer rein analytischen Ebene stehen zu bleiben. Vielmehr ist es im Interesse der Persönlichkeitsentwicklung unerlässlich, zur Beurteilung des Gesehenen zu führen. Die Orientierung christlichen Glaubens, wie sie im Evangelium zum Ausdruck kommt, ist der Bezugspunkt. Bei Aufnahme von bzw. Anspielung auf biblische(n) Motive(n) ergibt ein Vergleich mit dem ursprünglichen Kontext und seiner Bedeutung ein gutes Instrument für die kritische Reflexion. Ingo Reuter konkretisierte anhand eines Unterrichtsprojekts der gymnasialen Oberstufe das Kriterium „Evangelium“ auf die Frage hin, „wie technische (Massen-)Medien bzw. neue Medien zum Neuwerden, zur Perspektivveränderung von Menschen und damit zur Lösung aus idolatrischen Fixierungen beitragen, oder ob sie Begegnung im Grunde verhindern, ob sie der Befreiung von Menschen aus psychischer und sozialer Gefangenschaft dienen, oder Strukturen von Gefangenschaft und Verkrümmtheit des Menschen in sich selbst verstärken.“79 Dabei gilt es u.a., die Ebene des nur elektronisch Medialen zu durchbrechen und Bezüge zur unmittelbar sinnlich zugänglichen Mitwelt herzustellen. Zugleich veranschaulichen und kontextualisieren mediale Produktionen religiöse Inhalte für Heranwachsende. Ethische Erziehung
4.1.3.2 Eine spezifische medienpädagogische Aufgabe hat der Religionsunterricht auch dadurch, dass in ihm entsprechend der paränetischen Auslegung des Evangeliums schon bei Jesus und im Neuen Testament ethische Fragen reflektiert werden. Denn nicht wenige Medienprodukte enthalten ethische Programme, wie z.B. die bei Heranwachsenden beliebten sog. Soap Operas. Hier werden in komprimierter Form unterhaltsam ethische Probleme und deren Lösung präsentiert, und zwar vor allem hinsichtlich der Lebensführung Jugendlicher. Die folgende Äußerung des für die Serien seines Senders lange verantwortlichen ZDF-Redakteurs Gerhard Bauer zeigt, dass diese ethische und moralische Funktion des Fernsehens bewusst wahrgenommen wird: „… wir konfrontieren die Zu-
IV. Schulische Rahmenbedingungen
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schauer mit Leitbildern, die in sich die Summe aller guten Eigenschaften tragen, und machen dadurch Mut zu menschlichem Verhalten. Lösungen von durchaus realistischen Problemen werden nicht als Patentrezepte angegeben, aber als Lösungsmöglichkeiten entsprechend positiver Verhaltensweisen aufgezeigt. Dadurch werden die Serien wie die Specials zu Mutmachergeschichten, treffen auf ein Bedürfnis und haben dadurch ihren Erfolg. Es sind übrigens nur die guten Eigenschaften des Menschen im ethisch-moralischen Sinn, die für das Publikum mehrheitsfähig sind.“80 Für den Unterricht müssen ethische Problemstellungen herauspräpariert werden, um die in den Soaps verschlungenen Handlungsstränge durch Bearbeitung der Videoaufnahme auseinander zu nehmen und analysefähig zu machen. Praktisch geschieht dies dadurch, dass von den drei bis vier in Soaps zopfartig verschlungenen Handlungssträngen auf dem Video-Band die gelöscht werden, die nichts zu dem im Unterricht behandelten Thema beitragen. Besonders gilt es bei solcher Arbeit darauf zu achten, dass die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Hoffnungen, Wünsche und Ängste in Beziehung zu dem medial Präsentierten setzen können. Schließlich wirft das Medium Internet neue ethische Probleme auf. Als Nebenprodukt der Informationsverarbeitung begegnen Heranwachsende hier sehr problematischen Angeboten, angefangen von gewaltverherrlichenden Spielen über menschenverachtende pornographische web-sites bis zu betrügerischen Annoncen. Es wäre gut, wenn der Religionsunterricht nicht nur Gelegenheit zum Austausch der Jugendlichen hierüber böte, sondern auch didaktisch einen Raum eröffnete, um die menschenfeindlichen Implikationen von manchem „Spaß“ zu entdecken. 4.1.4 Orientierungsprobleme Wie bei den Herausforderungen für Schule an unterschiedlichen Stellen deutlich wurde, werfen Veränderungen in Familie und der allgemeine Pluralismus für Heranwachsende gravie79 Reuter: Medienethik, 457. 80 Zitiert nach Grethlein: Religionspädagogik, 372.
Internet
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
rende Orientierungsprobleme auf. Pädagogisch ist hier die Grundausrichtung christlicher Religion von Bedeutung. Christlicher Glaube als eine daseins- und wertorientierende Praxis hilft zwar nicht, konkrete Einzelentscheidungen zu treffen, gibt aber eine allgemeine Orientierung, die über die kognitive Dimension hinausgeht. Vor allem und dies dürfte heute das Wichtigste sein eröffnet das Evangelium den Zugang zu einem tragfähigen Selbst- und Weltverhältnis. Die Zusage der unbedingten Bedeutung jedes Menschen für Gott, verbunden mit der Öffnung zum Anderen durch das Gebot der Nächstenliebe, hilft eine Identität zu gewinnen, die flexibel auf zukünftige Anforderungen reagieren kann, ohne sich selbst zu verlieren. Begriffliches Lernen
Die nähere inhaltliche und d.h. hinsichtlich des Religionsunterrichts auch didaktisch-elementarisierende Ausgestaltung dieses Verständnisses von Evangelium ist später zu leisten (f VII.5.). Hier ist lediglich noch auf die Bedeutung begrifflichen Lernens hinzuweisen, die Schule für die religiöse Erziehung und Bildung eröffnet. Besonders Helmut Hanisch betont in Rezeption religionspsychologischer Forschung aus den USA diesen Aspekt.81 Zuerst stellt er eine Herausforderung an die Erstellung der Lehrpläne dar. In ihnen sind Gesamt- und Teilbegriffe eines Themas darzustellen und didaktisch in einzelne, im Laufe der Schuljahre zu durchlaufende Schritte zu zerlegen. Beim Gesamtbegriff „Jesus Christus“ geht es z.B. darum, Einzelbegriffe wie „Menschensohn“, „Betlehem“, „Sohn Davids“ usw. so curricular anzuordnen, dass sich bei den Schüler(inne)n im Laufe der Zeit eine klare Vorstellung der christlichen Lehrbildung ergibt. Die in manchen Lehrplänen begegnende Überbetonung des Menschen Jesus genügt einem solchen Anspruch nicht. Auch in Fachkonferenzen und bei der Planung konkreter Unterrichtseinheiten ist es wichtig, sich solche Klarheit zu verschaffen. Erst eine begriffliche, auf den jeweiligen Entwicklungsstand ausgerichtete Elementarisierung ermöglicht es Heranwachsenden, themenbezogen die eigenen Fragen und Probleme zu bearbeiten.
IV. Schulische Rahmenbedingungen
4.2
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Konfessionelle Trennung als Problem für den Religionsunterricht
Wie gezeigt, stehen die vielfältigen integrativen Bestrebungen vor allem im Bereich der Grundschule in Spannung bzw. Widerspruch zur konfessionellen Differenzierung des Religionsunterrichts. In dieser Situation kommt es teilweise in der Schulpraxis zu Veränderungen und neuen Organisationsformen, die zuerst in den Blick genommen werden sollen. Weil auch hier zur Zeit die Grundschule eine gewisse Vorreiterrolle einnimmt, beziehen meine Überlegungen ihre Konkretion aus dem Rekurs auf diese Schulform. Allerdings begegnen die Schwierigkeiten des konfessionell getrennten Religionsunterrichts ebenfalls in anderen Schulformen. Im Bereich der berufsbildenden Schulen und vieler Sonderschulen ist vielerorts die konfessionelle Differenzierung de facto aufgehoben. Zwar wird hier jeweils auch katholischer oder evangelischer Religionsunterricht erteilt, insofern die Konfession der jeweiligen Religionslehrkraft bestimmend ist, doch sind die Schülergruppen meist konfessionell gemischt. Der Mangel an ausgebildeten Religionslehrkräften in diesen Schulformen begünstigt diese Praxis. Dann analysiere ich auf diesem Hintergrund öffentlich diskutierte Vorschläge, dem besonderen Gegenstand Religion und den neueren Entwicklungen in der Schulreform gerecht zu werden. Dabei sind die im f III. Kapitel dargestellten rechtlichen Rahmenbedingungen zu beachten. 4.2.1 Lösungsversuche in der Praxis Eine repräsentative Befragung von westfälischen evangelischen Religionslehrerinnen und -lehrern ergab:82 In den Grundschulen haben sich sehr verschiedene – insgesamt dreißig (!) – Modelle der Organisation von Religionsunterricht hinsichtlich der Konfessionalität entwickelt, die sich aber nur zum kleineren Teil in den gegenwärtigen rechtlichen Rahmen einfügen.
81 Hanisch/Hoppe-Graff: König. 82 S. auch zum Folgenden Lück: Beruf, 41–55.
Grundschule
Berufskolleg, Sonderschule
Ergebnisse einer Umfrage
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Gründe für konfessionsübergreifenden Religionsunterricht
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Im Groben können neben unterschiedlichen Spielarten der Kooperation folgende Organisationsformen hinsichtlich der Konfessionalität unterschieden werden: Klassen, in denen wie schulrechtlich vorgesehen Religion in der Grundschule konfessionell getrennt erteilt wird; Klassen, in denen entweder am Beginn der 1. Klasse oder überhaupt während der 1. Klasse Religion meist von der Klassenlehrerin im Klassenverband erteilt wird; Klassen, in denen in weiteren Schuljahren, meist in der ersten und zweiten Klasse, ein gemeinsamer Religionsunterricht stattfindet. Die beiden letzten, rechtlich bedenklichen Formen begegnen auch in Gegenden, in denen keine extreme Diaspora-Situation einer Konfession herrscht. Untersuchungen in anderen Gegenden Deutschlands83 bestätigen, dass zumindest im 1. Schuljahr, teilweise auch in den beiden ersten Klassen konfessionsübergreifender Religionsunterricht häufiger als konfessionell getrennter stattfindet. Für die konfessionsübergreifenden bzw. eng kooperierenden Formen sprechen verschiedene Gründe: Prinzip Klassenlehrer-Unterricht: Am Beginn der Grundschule ist es wichtig, dass sich die Kinder an Schule und Unterricht gewöhnen. Von daher erklären sich die rechtlich möglichen Eingangsklassen, die im 1. Schuljahr die ersten Wochen (oder bis Weihnachten) gemeinsam auch in Religion unterrichtet werden. Grundsätzlich kommt aber aus pädagogischen Gründen dem Klassenlehrer-Unterricht in der ganzen Grundschule hohe Bedeutung zu. Besonders die genannten Veränderungen im Zeit-Rhythmus des Schultags weg vom 45-Minuten-Takt stehen einem Fachlehrer-Unterricht und damit einer konfessionellen Differenzierung im Religionsunterricht entgegen. Organisationsschwierigkeiten: Auf jeden Fall bereitet der konfessionell getrennte Religionsunterricht für den Stundenplan und die Raumverteilung Schwierigkeiten. Dabei wird für die Zukunft zu bedenken sein, dass sich diese Probleme durch weitere Differenzierungen, konkret: Einführung des Ethikunterrichts und Islamischen Religionsunterrichts, steigern werden. Bei vier parallel anzubietenden Gruppen Evangelische, Katholische Religion, Islamische Religion, Ethikunterricht dürften selbst wohlmeinende Stundenplanmacher an Grenzen stoßen.
IV. Schulische Rahmenbedingungen
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Ähnliches gilt für Integrationsklassen, in denen in der Regel zwei Lehrerinnen gleichzeitig unterrichten. Hier muss auf jeden Fall vermieden werden, dass im Religionsunterricht ein integrationspädagogisch niedrigeres Niveau als in anderen Fächern herrscht. Ökumenisches Engagement: Auch theologische Gründe werden für einen gemeinsamen Religionsunterricht geltend gemacht. Die konfessionelle Trennung widerspricht grundlegenden neutestamentlichen Aussagen, die die Einheit des Leibes Christi betonen. Der Religionsunterricht soll durch gemeinsamen Unterricht die Fortsetzung früherer Spaltungen verhindern. 4.2.2 Konzepte der Organisation in der Religionsdidaktik In der Religionsdidaktik wird die Frage der Organisation des Religionsunterrichts und dabei vor allem der angemessene Umgang mit der bestehenden konfessionellen und religiösen Differenz kontrovers diskutiert.
5 Grundmodelle des Religionsunterrichts
Christhard Lück hat in seiner akribischen Rekonstruktion des (Evangelischen) Religionsunterrichts an Grundschulen fünf organisatorische Grundmodelle eines Primarstufen-Religionsunterrichts herausgearbeitet,84 die auch für andere Schulformen zutreffen. 4.2.2.1 „Konfessioneller Religionsunterricht (konfessionell profilierter und organisierter Religionsunterricht in ‚ökumenischer Gesinnung‘)“: Hier wird der Religionsunterricht als durchgehend nach Konfessionen getrennter und konfessionell profilierter Unterricht konzipiert. Als wesentliches Argument wird darauf hingewiesen, dass „Religion“ nur in konkreter konfessioneller Ausprägung in der Lebenswelt vorkommt. Von daher wäre ein überkonfessioneller Religionsunterricht ein Konstrukt, das pädagogisch die Anschaulichkeit des Lernens gefährdete.
83 Eine knappe Zusammenstellung findet sich bei Lück: Beruf, 50 f. 84 S. auch zum Folgenden Lück: Religionsunterricht, 47–193, der die Literatur der letzten 15 Jahre fast vollständig diskutiert. Die in den folgenden Unterpunkten in Anführungszeichen gesetzten Begriffe sind aus diesem Buch übernommen, die nur angedeuteten weiteren Differenzierungen der einzelnen Konzepte bei Lück unschwer auffindbar.
Religion – ein Abstraktum
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Beheimatung
Katholische Kirche
Kritik
Beheimatung und Begegnung
EKD-Denkschrift
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Als weiterer Grund für das Festhalten an der Konfessionalität des Religionsunterrichts wird die Aufgabe genannt, angesichts der Orientierungsschwierigkeiten die kirchliche Beheimatung zu fördern. Außerdem bestehe die Gefahr, dass es bei zu früher Konfrontation mit dem konfessionellen und religiösen Pluralismus zu einer emotionalen und kognitiven Desorientierung komme. Von daher sei die Grundschule besonders wenig für interkonfessionelle oder gar interreligiöse Projekte geeignet, da hierzu erst ein eigener Standpunkt erforderlich sei. Für die Frage der rechtlichen Bewertung bzw. Weiterentwicklung ist es noch wichtig, dass in letzter Zeit offizielle römischkatholische Stellungnahmen die Erklärung der deutschen Bischofskonferenz „Die bildende Kraft des Religionsunterrichts“ (1996) und der neue „Grundlagenplan für den katholischen Religionsunterricht in der Grundschule“ (1998) nachdrücklich für einen konfessionell getrennten Religionsunterricht eintraten. Erst von hier aus können realistischerweise Kooperationsmöglichkeiten mit dem Evangelischen Religionsunterricht in den Blick genommen werden. In den letzten fünfzehn Jahren wird dieses Konzept verstärkt kritisiert. Es stehe den genannten schulreformerischen, auf Integration zielenden Entwicklungen entgegen, die besonders für die Grundschule von Anfang an typisch seien. Dazu seien die Grundschulkinder kaum mehr konfessionell geprägt; es werde also durch konfessionelle Trennung eine künstliche, nicht kindgemäße Differenzierung in die Schule getragen. Zudem wird auf die zunehmenden schulorganisatorischen Probleme verwiesen. Schließlich wird eine zu starke kirchliche Einflussnahme kritisiert, die die Besonderheiten des Lernortes Schule nicht ernst nimmt. 4.2.2.2 „Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht (konfessioneller Religionsunterricht in ökumenischer Kooperation und Öffnung)“: In diesem in sich wiederum pluriformen Konzept werden die Förderung konfessioneller Beheimatung und die Begegnung mit anderer konfessioneller Orientierung als „komplementäre, wechselseitig aufeinander bezogene Aufgabengrößen eines Lernprozesses“ verstanden.85 Programmatisch hat dieses Anliegen die EKD im Titel ihrer ersten und bisher einzigen Denkschrift zum Religionsunter-
IV. Schulische Rahmenbedingungen
richt aufgenommen: „Identität und Verständigung“ (f V.4.1.2). Pädagogisch steht dahinter die Annahme, dass die Ausbildung eigener Identität die Begegnung mit Anderem, Fremdem benötigt. Unterrichtsorganisatorisch wird dabei eine Verknüpfung von konfessionellem Unterricht und Begegnungsphasen, also von Integrations- und Differenzierungsphasen, vorgeschlagen. Damit soll der Tatsache konfessioneller Differenziertheit und dem Anliegen ökumenischer Verständigung gleichermaßen Rechnung getragen werden. Eine wichtige Voraussetzung für die konfessionelle Kooperation ist neben den konkreten Absprachen vor Ort eine entsprechende Abstimmung der Lehrpläne. So sehen z.B. in Hessen die neuen Lehrpläne für Evangelische und Katholische Religion in der Sekundarstufe I (2002) verschiedene „Evangelisch Katholische Gemeinschaftsprojekte“ vor: In der 5. Klasse soll „Bewahren der Schöpfung“ in einem gemeinsamen Projekt, in der 8. Klasse das Thema „Evangelisch Katholisch“ und in der 9. Klasse „Die Frage des Menschen nach dem Sinn Wofür es sich zu leben lohnt“ konfessionsübergreifend unterrichtet werden. In dem konfessionell-kooperativen Modell kann aus pädagogischen Gründen für einen gemeinsamen Anfangs-Religionsunterricht votiert werden. Insgesamt bewegt sich dieses Konzept im Bereich von Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes, wenn ihm beide Kirchen zustimmen. 4.2.2.3 „Ökumenischer Religionsunterricht (gemeinsam von den christlichen Kirchen verantworteter Religionsunterricht)“: Ausgangspunkt dieses Konzepts ist, dass die konfessionellen Differenzen im Bewusstsein der Schülerinnen und Schüler, aber auch der Gesellschaft insgesamt verblassen. Die traditionellen konfessionellen Milieus haben sich weitgehend aufgelöst. Demgegenüber rücken die gemeinsamen christlichen Glaubensüberzeugungen in den Vordergrund. Dabei tritt die Anbindung des Unterrichts an eine konkrete Kirche gegenüber der Ausrichtung auf Ökumene zurück. „Öku-
85 Lück: Religionsunterricht, 77.
133
Hessen
Situationsanalyse
Ökumenisches Lernen
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Kritik
Situationsanalyse
Lehrer
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
menisches Lernen“,86 wozu neben dem konfessionellen Dialog die Berücksichtigung von Globalisierung, Ökologie und Dialog der Religionen gehört, hat hier didaktisch grundlegende Bedeutung. Hinsichtlich der Identitätsfindung der Schülerinnen und Schüler schlägt dieses Konzept gegenüber dem konfessionellen Religionsunterricht einen umgekehrten Weg ein. Hier stehen Pluralität bzw. ökumenische Gemeinsamkeit von Anfang an im Vordergrund. Über sie soll es dann zu einer eigenen religiösen Identitätsbildung kommen. Demnach wird für die Grundschule eine konfessionelle Differenzierung des Religionsunterrichts abgelehnt. Kritisch wird gegen den Ökumenischen Religionsunterricht eingewendet, dieser reduziere das Christentum auf den kleinsten gemeinsamen Nenner und führe zu einem fachlichen Qualitätsverlust. Außerdem sei der Religionsunterricht ein zweistündiges Fach! als Vorreiter in Sachen Ökumene überfordert. Schließlich ermutigen neuere Entwicklungen wie etwa die Enzyklika „Dominus Jesus“ nicht gerade ein ökumenisches Engagement. Verfassungskonform wäre ein solcher Unterricht nur, wenn die beiden Kirchen erklärten, ein gemeinsamer christlicher Religionsunterricht entspräche jeweils ihren „Grundsätzen“. Angesichts der in f 4.2.2.1 genannten letzten Stellungnahmen der römisch-katholischen Kirche erscheint dies zumindest für diese Konfession in nächster Zeit illusorisch. 4.2.2.4 „Interreligiöser (dialogischer bzw. interkultureller) Religionsunterricht“: Ausgangspunkt dieses wiederum im Einzelnen in sich differenzierten Konzeptes ist die gegenwärtige multikulturelle und -religiöse Situation. Sie erfordert die Fähigkeit zu Dialog und Toleranz. Deshalb soll im Religionsunterricht in die Begegnung verschiedener Konfessionen und Religionen eingeführt werden. Eine Trennung der Schülerinnen und Schüler nach konfessionellen oder allgemein religiösen Gesichtspunkten wäre demgegenüber kontraproduktiv. Die Identitätsbildung soll durch Verständigung erfolgen. Waren in den bisher vorgestellten Konzeptionen ohne dass dies eigens erwähnt wurde die Lehrkräfte immer kirchlich gebunden, so erscheint das in diesem Modell nicht notwendig.
IV. Schulische Rahmenbedingungen
Die Lehrer müssen nur an „Religion(en)“ interessiert sein. Bei den Bezugswissenschaften tritt jetzt die Religionswissenschaft an die Stelle der Theologie. Kritisch wurde gegen dieses besonders in Hamburg entwickelte Konzept eingewendet, es überbetone die multireligiöse Vielfalt. Auch bestehe die Gefahr einer allgemeinen Desorientierung der Schülerinnen und Schüler, weil verschiedene Religionen sich für die Kinder vermischten. Hinsichtlich der Grundschüler wird gefragt, ob hier nicht eine kognitive Überforderung vorliege. Didaktisch sei einzuwenden, dass die angestrebte Behandlung mehrerer Weltreligionen entweder ein zweistündiges Fach völlig überfordere oder zu einer gefährlichen Oberflächlichkeit führe. Insgesamt steht dieses Modell in erheblicher Spannung zum Grundgesetz. Es ist gegenwärtig nicht vorstellbar, dass die beiden großen Kirchen ihm als ihren „Grundsätzen“ entsprechend zustimmen. Auch ist die Frage offen, ob eine Abmeldung von diesem Unterricht möglich sein sollte. 4.2.2.5 „‚Allgemeiner‘, religions- und lebenskundlicher Religionsunterricht“: Dieses Konzept löst die doppelte Verantwortung von Staat und Kirche für den Religionsunterricht endgültig auf. Der gegenwärtige konfessionelle Religionsunterricht erscheint als eine veraltete Privilegierung der Kirchen. Der Religionsunterricht obliege demgegenüber allein dem Staat. Eine irgendwie geartete Anbindung des Unterrichts an die Kirchen oder andere Religionsgemeinschaften sei strikt abzulehnen und auf deren eigene Bildungsangebote zu verweisen. Eine Abmeldungsmöglichkeit von diesem Unterricht erübrige sich, weil die positionelle Ausrichtung wie beim traditionellen Religionsunterricht fehle. Auch hier sind die obersten Ziele Toleranz und Dialogfähigkeit. Dazu sollen verstärkt neben religionskundlichen ethische und lebenskundliche Unterrichtseinheiten dienen. Sie sollen von einer Lehrkraft moderiert werden, deren eigene religiöse Bindung ohne Bedeutung ist. Die Zahl der Bezugswissenschaften vergrößert sich über Religionswissenschaft hinaus durch 86 Zu dem – oft nicht präsenten – Hintergrund dieses Begriffs durch die ökumenische Bewegung s. ausführlich Baier: Lernen.
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Kritik
Alleinverantwortung des Staates
Ziele
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Kritik
Ökumenische Organisation
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
weitere Humanwissenschaften wie vor allem Psychologie und Soziologie. Problematisch an diesem Konzept erscheint gerade in Deutschland das hohe Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Staates. Außerdem droht in diesem Unterricht noch mehr als im letzten Modell eine Überforderung der Kinder und damit deren Desorientierung. Die Vielzahl der Bezugswissenschaften weist auf unzureichende fachliche Anbindung und damit mangelnde Schulförmigkeit hin. Die kulturelle Bedeutung des Christentums wird weitgehend ausgeblendet. Eine Übereinstimmung mit dem Grundgesetz wird hier nicht angestrebt. Die Einrichtung oder Abschaffung des Religionsunterrichts läge allein im Belieben des Staates (und seiner Kassenlage). 4.2.3 Einstellung der Religionslehrkräfte In seinen Forschungen befragte Lück die Religionslehrerinnen und -lehrer an westfälischen Grundschulen hinsichtlich ihrer Einstellung zu den genannten fünf Konzepten. Dieses Ergebnis ist für die weitere konzeptionelle Entwicklung zumindest des Religionsunterrichts an Grundschulen bedeutsam. Denn es macht keinen Sinn, gegen die Einstellung der Lehrerschaft ein Konzept durchsetzen zu wollen. Selbst in den autoritär obrigkeitlichen Zeiten des Kaiserreichs ist dies letztendlich gescheitert wie die Wirkung der erwähnten Lehrerproteste am Beginn des 20. Jahrhunderts zeigt (f II.3.2). Insgesamt ergab sich ein eindeutiges Ergebnis für eine stärkere ökumenische Organisation des Grundschul-Religionsunterrichts. Etwa drei Viertel der befragten Lehrkräfte votierten für einen generellen ökumenischen Religionsunterricht in der Grundschule oder wenigstens in den ersten beiden Klassen. In der religionsdidaktischen Diskussion häufig stark gemachte Modelle wie ein interreligiöser oder allgemeiner Religionsunterricht werden demgegenüber nur von einer kleinen Minderheit präferiert.
Die konkrete Fragestellung lautete: „In weiten Teilen der Grundschulpädagogik und der Religionsdidaktik wird seit einiger Zeit darüber gestritten, ob der Religionsunterricht auch in
IV. Schulische Rahmenbedingungen
Zukunft nach Konfessionen getrennt erteilt werden soll oder nicht. Wie denken Sie persönlich darüber: Sind Sie für die Beibehaltung des Konfessionalitätsprinzips oder wünschen Sie eine andere Form von Religionsunterricht?“ Folgende Verteilung ergab sich auf sechs vorgelegte Alternativen: „Ich plädiere für konfessionellen Religionsunterricht.“ 12,3 % „Ich plädiere für ökumenischen Religionsunterricht.“ 30,7 % „Ich plädiere für eine Mischform: ökumenischer Religionsunterricht in Klasse 1+2 und konfessioneller Religionsunterricht in Klasse 3+4.“ 43,5 % „Ich plädiere für interreligiösen Unterricht, den die verschiedenen Religionsgemeinschaften (Christen, Muslime, Juden, …) gemeinsam verantworten und durchführen.“ 6,1 % „Ich plädiere für einen allgemeinen religions- und lebenskundlichen Unterricht: ohne Anbindung an irgendeine Kirche oder Religionsgemeinschaft.“ 7,1 % „Ich plädiere für eine noch andere Form von Religionsunterricht in der Grundschule.“ 0,3 %87 Interessant sind noch die hierfür angegebenen Gründe. Das Plädoyer für einen konfessionell nicht getrennten Religionsunterricht stützt sich primär auf pädagogische Gründe („z.B. Erteilung von Religionsunterricht als Klassenlehrer/in, keine Teilung der Klassengemeinschaft“; insgesamt 63,2 %), sekundiert von schulorganisatorischen (24,9 %) und theologischen (23,9 %) Gründen sowie dem Hinweis auf geringe Schülerzahl in einer der Konfessionen (24,5 %) und Fachlehrermangel (22,1 %).88 Fast alle, die für einen konfessionell-kooperativen Religionsunterricht plädierten, stellten sich hinter folgende Begründung: „weil speziell jüngere Kinder konfessionelle Unterschiede überhaupt noch nicht begreifen können (1.+2. Schuljahr); der Religionsunterricht aber auch die Aufgabe hat, in einen in einer konkreten Konfession gelebten Glauben einzuführen (3.+4. Schuljahr)“89.
87 Lück: Beruf, 72. 88 Lück: Beruf, 55. 89 Lück: Beruf, 80.
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Ökumenische Ausrichtung
Empirische Einsichten
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
4.2.4 Neue Kooperationen Offensichtlich steht der Religionsunterricht hinsichtlich seiner Organisationsform an einer Wende. Während vermeintlich progressiv erscheinende Religionspädagogen eine Abkehr vom durch Kirche und Staat verantworteten Religionsunterricht und dessen christlicher bzw. konfessioneller Prägung fordern, votiert die Mehrheit der Religionslehrerinnen und -lehrer (an westfälischen Grundschulen) anders. Allerdings wäre es verkehrt, wollte man hinsichtlich der organisatorischen Form alles auf sich beruhen lassen. Es ist deutlich erkennbar, dass eine stärkere ökumenische Ausrichtung gewünscht und zumindest in den Grundschulen praktiziert wird. Die integrativen Tendenzen in dieser Schulart machen offenkundig vor dem Religionsunterricht nicht Halt. Beim kurzen Verweis auf die Integrationspädagogik und den Gemeinsamen Unterricht zeigte sich, dass die Integrationsbemühungen wie im Sekundarbereich bei zunehmendem Eigengewicht der Sachthematik vor erheblichen Problemen stehen. Denn dann ist es schwerer möglich, einen gemeinsamen Lerngegenstand zu konstruieren. Strukturell scheint mir beim Religionsunterricht ein vergleichbares Problem vorzuliegen. Auch hier ist die Konstruktion eines gemeinsamen Lerngegenstandes gleichsam konfessionsfrei teilweise nur schwer möglich. Eine eingehende empirische Untersuchung konfessioneller Kooperation zeigt,90 dass sowohl bei Lehrkräften als auch bei Schülerinnen und Schülern erhebliche, z.T. nicht oder kaum bewusste konfessionelle Prägungen vorliegen, die eine zu schnelle Rede von „ökumenisch“ problematisch machen. Gerade für einen Religionsunterricht, der alltags- und lebensnah ist, wird der Kontakt zu konkreten Kirchengemeinden und Frömmigkeitsformen unverzichtbar sein, und damit sind konfessionelle Differenzierungen unvermeidbar. Für den Bereich der Grundschule konstatiert die Tübinger Forschungsgruppe um (den katholischen Religionspädagogen) Albert Biesinger und seinen evangelischen Kollegen Friedrich Schweitzer: „Kinder brauchen einen Religionsunterricht, der sie zu einem positiv-wertschätzenden Umgang mit kulturell und religiös bzw. konfessionell anders geprägten Kindern befähigt. Zum Teil waren die Kinder bereits im Kindergarten mit deutlich
IV. Schulische Rahmenbedingungen
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anders geprägten Kindern zusammen, so dass wenigstens im besten Falle in der Schule auf einen unbefangenen Umgang der Kinder miteinander zurückgegriffen werden kann. Im Zuge der kindlichen Welterschließung werden Unterschiede aber deutlicher wahrgenommen und muss zum bloßen Umgang auch ein Kennenlernen und Verstehen des anderen hinzukommen. Integrative und interaktiv-verständigungsorientierte Phasen sind deshalb ebenso unerlässlich wie die … identifikationsermöglichenden Differenzierungen. Die Alternative zwischen Unterricht im Klassenverband und in konfessionell getrennten Gruppen erschöpft allerdings keineswegs das Spektrum der didaktisch wünschenswerten Möglichkeiten. Über diese herkömmliche Alternative hinaus sollten zunehmend weitere Sozialformen erprobt werden beispielsweise Erkundungen in Kleingruppen, arbeitsteilige Projekte, klassenstufenübergreifende Aktivitäten usw. Die in der Theorie fixierte Entscheidung zwischen Klassenverband und Konfessionsgruppen entspricht der schulischen Realität nicht mehr bzw. sollte ihr, didaktischschulpädagogisch gesehen, nicht mehr entsprechen.“91 Die vielgestaltigen Ergebnisse der Studien von Lück legen ebenso wie die Tübinger Untersuchung nahe: Für die Organisation des Religionsunterrichts sind nur noch Rahmenbedingungen zu schaffen, die je nach Situation vor Ort – und Schulform – konkret auszugestalten sind. Dabei sind folgende Bedingungen aus pädagogischen Gründen sinnvoll: Der Religionsunterricht behält seine inhaltliche Bindung an Kirche bei, um lebens- und alltagsnah zu sein und den Charakter von Religion als Praxis jedenfalls ansatzweise zum Ausdruck zu bringen. Flexibler als bisher werden identitätsfördernde und der Verständigung über Differenzen dienende Formen des Religionsunterrichts erprobt. Das auch sonst zunehmend schulreformerische Bemühungen prägende Wechselspiel zwischen Integration und Differenzierung ist für den Religionsunterricht aufzunehmen. Die bisherige eindeutige Festlegung der Konfessionalität des Religionsunterrichts wird selbst immer wieder zum Gegenstand kritischer Unterrichtsreflexion. 90 Schweitzer/Biesinger: Gemeinsamkeiten. 91 Schweitzer/Biesinger: Gemeinsamkeiten, 85.
Konzeptionelle Erkenntnisse
140
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Dies gilt besonders dann, wenn wie im Schulalltag manchmal der Fall Schülerinnen und Schüler einer anderen Konfession oder gar Religion am Unterricht teilnehmen. Hierzu bedürfen die Religionslehrerinnen und -lehrer einer sorgfältigen ökumenischen sowie religionsdidaktischen Ausbildung. Ein wünschenswertes Ziel wären zumindest manchmal gemeinsam von evangelischer und katholischer Religionslehrkraft geleitete Unterrichtseinheiten.
4.3
Aufgabe für Religionslehrer
Religionsunterricht im Schulprogramm
4.3.1 Schulprogramm Ausdruck für die stärkere Hinwendung zur Einzelschule ist die Arbeit am Schulprogramm (f 3.1.4). Bei der zu erwartenden weiteren Konzentration auf die Entwicklung der Einzelschule wird es für den Religionsunterricht darauf ankommen, dass die Religionslehrerinnen und -lehrer zum einen die Bedeutung des Fachs für die Schule als ganze und dann auch sein Profil gegenüber den anderen Schulfächern attraktiv darstellen können. Damit fällt hier den Religionslehrkräften zunehmend eine neue Aufgabe zu, die bisher eher auf Ebene von landeskirchlichen bzw. diözesanen Beauftragten, kirchlichen Schulreferenten o. Ä. wahrgenommen wurde. Dies wird in der Regel nur Lehrkräften möglich sein, die stellenmäßig fest an einer Schule verankert sind. Die in manchen Gegenden anzutreffenden kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die neben ihrer gemeindlichen Tätigkeit noch einige Schulstunden erteilen, dürften mit einer Mitarbeit an einem Schulprogramm sachlich sie kennen die Schule zu wenig und zeitlich meist überfordert sein. Die bisherigen Erfahrungen der Schulprogramm-Arbeit zeigen, dass diese konzeptionelle Arbeit auf Schulebene stark von dem jeweiligen Engagement der einzelnen Lehrkräfte abhängt. Von daher beginnt längerfristig gleichsam als Folge einer mit der Schulentwicklung initiierten Professionalisierung des Lehrerberufs die nebenamtliche Tätigkeit kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Schulen problematischer zu werden. Zugleich könnte aber die kirchliche Außenperspektive für die Schulpro-
IV. Schulische Rahmenbedingungen
141
gramm-Arbeit bereichernd sein und die schulische Binnenperspektive durchbrechen. Daraus folgt angesichts der für die Anschaulichkeit und Praxisnähe des Religionsunterrichts bestehenden Bedeutung des Kontakts zu Gemeinde und Kirche die Aufgabe, verstärkt die „Nachbarschaft“ von Schule und Gemeinde (f 4.1.2.1) zu pflegen. Eine wichtige Voraussetzung hierfür sind regelmäßige Begegnungen zwischen Religionslehrkräften und der Mitarbeiterschaft von Gemeinde bzw. Kirchenkreis. 4.3.2 Inhaltlicher Beitrag Wie im Vorhergehenden gezeigt, fördert der Religionsunterricht in verschiedener Hinsicht die Entwicklung von Schule, vor allem hinsichtlich der Aufgabe des sozialen Lernens und der Öffnung von Schule. Mindestens ebenso wichtig ist sein Beitrag zum Schulprogramm, in dem u.a. die Ziele für die Zukunft der Schule formuliert werden. Deshalb sollten sich Religionslehrkräfte an der Formulierung der grundsätzlichen Zielbestimmungen beteiligen. Dabei wird die grundlegende Dimension des Sinns von Lernen zu beachten sein.92 Im Schulalltag taucht sie unmittelbar in Schüleräußerungen auf wie: „Es hat doch keinen Sinn“, mittelbar in sog. Faulheit oder Arbeitsverweigerung. Abgesehen von momentanen Verstimmungen etwa in der Pubertät, konkreten familiären Konflikten o.Ä., die hinter einem solchen Verhalten stehen können, begegnet hier ein grundsätzliches Problem, das nicht nur mit allgemeinen Formulierungen wie „Mündigkeit“ oder „Selbstständigkeit“ zu lösen ist. Richard Sennet diagnostiziert das Problem als in der gegenwärtigen Gesellschaftskonstruktion angelegt. „‚Wer braucht mich?‘ ist eine Frage, die der moderne Kapitalismus völlig zu negieren scheint. Das System strahlt Gleichgültigkeit aus. Es tut dies bei den Ergebnissen menschlichen Strebens ebenso wie auf den Märkten des Alles oder Nichts, wo es kaum noch eine Verbindung zwischen Risiko und Belohnung gibt.“93 Die in 92 Ausführlicher habe ich die im Folgenden angedeuteten Argumente entfaltet in: Grethlein: Sinn. 93 Sennet: Mensch, 201.
Sinn des Lernens
142
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
manchen Gegenden Deutschlands erhebliche Arbeitslosigkeit verschärft das Problem, einen Sinn für das Lernen zu gewinnen. So konstatiert die 12. Jugendstudie: „Die Krisen im Erwerbssektor, Arbeitslosigkeit, Globalisierung, Rationalisierung und Abbau oder Verlagerung von Beschäftigung sind inzwischen nicht mehr ‚bloß‘ eine Randbedingung des Aufwachsens. … Sie haben inzwischen vielmehr das Zentrum der Jugendphase erreicht, indem sie ihren Sinn in Frage stellen.“94 Dazu kommen die schon kleine Kinder ängstigenden, wenig greifbaren Bedrohungen, die Ulrich Beck unter dem Begriff „Risiko“ subsumierte und die sich wie ein Schleier über die sonstigen Lebensvollzüge zu legen drohen. Interessanterweise greift der Soziologe Beck bei der Beschreibung dieses Phänomens auf religiöse Vorstellungen zurück: „Die Bedrohungen der Zivilisation lassen eine Art neues ‚Schattenreich‘ entstehen, vergleichbar mit den Göttern und Dämonen der Frühzeit, das sich hinter der sichtbaren Welt verbirgt und das menschliche Leben auf dieser Erde gefährdet.“ „Die Rolle der Geister übernehmen unsichtbare, aber allgegenwärtige Schad- und Giftstoffe. Jeder hat seine privaten Feindschaftsbeziehungen zu speziellen Untergiften, seine Ausweichrituale, Beschwörungsformeln, seine Wetterfühligkeit, Vorahnungen und Gewissheiten.“95 Suche nach Sicherheit
Gewissheit des Glaubens
Menschen reagieren hierauf wie Beck und aus anderer Perspektive Gerhard Schulze in seinen Untersuchungen zur „Erlebnisgesellschaft“ formulieren mit der Suche nach „Sicherheit“.96 Wenn es zutrifft, dass die Soziologen damit ein grundsätzliches Problem des Lebensgefühls vieler Menschen erfassen und dass die hier zum Ausdruck kommende Unsicherheit die Sinnhaftigkeit des Lernens verdunkelt, so kann an diesem Phänomen programmatisch der inhaltliche Beitrag des Religionsunterrichts zum Schulprogramm und damit auch zu einer Schulkultur gezeigt werden. In der reformatorischen Theologie spielt der Begriff der „Sicherheit“ eine zentrale Rolle, und zwar in einer dem Deutschen so nicht möglichen lateinischen Differenzierung. Hier wird der „Sicherheit“ (securitas) die „Gewissheit“ (certitudo) entgegengestellt. Das Streben nach „Sicherheit“ (securitas) verlässt sich nur auf die eigene Leistungsfähigkeit, etwa technische Hantierungen
IV. Schulische Rahmenbedingungen
143
oder eine funktionierende Schulordnung, doch ist es nach reformatorischer Einsicht letztlich zum Scheitern verurteilt. Denn es übersieht, dass der Mensch sich nicht sich selbst verdankt und sein Leben nicht (ewig) erhalten kann. Demgegenüber besteht die „Gewissheit“ (certitudo) in der Einsicht, dass das für das Leben Wesentliche ein Geschenk Gottes ist, das der Mensch empfangen, aber nicht selbst erwerben kann. Darüber hinaus übersteigt diese Gewissheit den kognitiven Bereich, betrifft vielmehr den Menschen mit allen Sinnen und Ausdrucksformen. Die „Gewissheit“ des Glaubens kann und darf niemandem aufgezwungen werden. Dagegen steht theologisch das Grundverständnis des Glaubens als Geschenk, rechtlich die demokratische Errungenschaft der Religionsfreiheit. Deshalb müssen alle Veranstaltungen und Angebote, in denen diese „Gewissheit“ kommuniziert wird, die Möglichkeit zur Nicht-Teilnahme haben. Aber: Eine Schule, die um die oben unter Rückgriff auf empirische Jugendforschung und wissenssoziologische Analyse erhobene Problematik weiß, benötigt einen Platz, an dem junge Menschen dem Angebot der Glaubensgewissheit begegnen können – denn dabei wird eine Hilfe zur Lösung des schulpädagogisch fundamentalen Problems der Sinnhaftigkeit des Lernens gegeben.
Entsprechend dem die ganze Dimension des Menschen umfassenden Charakter sowohl der Problemstellung als auch des Lösungsangebots erfordert die Darstellung der Glaubensgewissheit symbolische Kommunikation, in der die Beteiligten gleichberechtigt nämlich vor Gott sind. Denn entgegen diskursiver Rede, die sofort zu Unterscheidungen und Ausschlüssen führt, eröffnet die symbolische Kommunikation einen Raum, innerhalb dessen die Einzelnen ihre jeweiligen Vorerfahrungen eintragen können, ohne das Recht anderer Einsichten bestreiten zu müssen. Von daher kommt rituellen Formen vom Schulgottesdienst über gemeinsames Singen von Spirituals97 bis hin zu Jugend94 95 96 97
Fischer/Münchmeier: Krise, 13. Die Zitate entstammen: Beck: Risikogesellschaft, 96 f. bzw. 98. Z. B. Beck: Risikogesellschaft, 65; Schulze: Erlebnisgesellschaft, 72. S. für die Sekundarstufe II konzeptionell und didaktisch eindrucksvoll Jost: Spirituals.
Rituale
144
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Prozessionen schulpädagogisch große Bedeutung zu. Denn hier wird eine jenseits des bloß Kognitiven liegende Gewissheit symbolisch kommuniziert, die den Sinn von Leben und auch Lernen verbürgt. Es sei nicht verschwiegen, dass sich solche Formen symbolischer Kommunikation, indem sie Perspektiven auf den Sinn des Lebens und Lernens eröffnen, in gewisser Hinsicht subversiv gegen Totalitätsansprüche von Schule und Erziehung richten. Denn sie stehen in einem Horizont, der nicht nur die Organisation Schule, sondern auch das Leben der Einzelnen übersteigt. Offensichtlich hatten die Väter des Grundgesetzes den Vorsatz, der Schule solch eine grundsätzliche Infragestellung zuzumuten. Denn durch die verfassungsmäßige Verankerung des Religionsunterrichts ist diese Dimension in der Schule institutionalisiert. Die anspruchsvolle, aber lohnende Aufgabe der Religionslehrkräfte ist es, sie bei der Arbeit am Schulprogramm vermittelt mit den Möglichkeiten und Grenzen der einzelnen Schule Gestalt gewinnen zu lassen. Dieser für das pädagogische Programm einer Schule grundlegende Beitrag setzt ein geschlossenes Auftreten der verschiedenen Formen des Religionsunterrichts voraus, das sich im Schulalltag durch verlässliche Kooperationen bewährt.
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
Wie im Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts gezeigt, kommt den Kirchen große Bedeutung für dieses Fach zu. Denn der Religionsunterricht ist nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ zu erteilen. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass auf evangelischer Seite mit der Kirche zugleich die Bedeutung der Theologie als der sachlich grundlegenden Bezugswissenschaft der Religionsdidaktik (und -pädagogik) eingeschlossen ist. Denn für evangelische Kirche stellt die Theologie eine wesentliche Voraussetzung für die zeitgemäße Kommunikation des Evangeliums dar, insofern hier christlicher Glaube in begrifflicher Weise ausgelegt wird. Dadurch ist aber von vornherein hinsichtlich der „Grundsätze“ eine gewisse Pluralität gegeben. In der römisch-katholischen Kirche hat dagegen das sog. Lehramt, also die Bischöfe und allen voran der Papst, eine gegenüber der Theologie herausgehobene Funktion. Vor allem die rechtsförmig ausgebildete Grundstruktur dieser Kirche bietet eine klare Instanz hinsichtlich der Lehre. Dies kann pädagogisch gesehen den Vorteil der Klarheit haben; gegenwärtig scheint mir aber bei der einseitigen Dominanz der römischen Zentrale über die plurale Struktur der Diözesen der Nachteil mangelnder Flexibilität zu überwiegen. Im Folgenden beziehe ich mich auf die evangelische Kirche. Lediglich bei den im zweiten Abschnitt zu entfaltenden „Neuen Herausforderungen an Kirche“ sind beide Kirchen im Blick, insofern sie in dieselben kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungsprozesse eingebunden sind.
Auf jeden Fall stellt der Faktor „Kirche“ eine Besonderheit der Didaktik des Religionsunterrichts gegenüber anderen Fachdidaktiken dar.
Kirche und Theologie
146
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
In einem ersten Durchgang sind die „Grundsätze“ evangelischer Kirche näher zu bestimmen, weil sie inhaltlich nach der gegenwärtigen Rechtslage für den Religionsunterricht konstitutiv sind. Sodann wende ich mich den Herausforderungen zu, vor denen die Kirchen heute stehen. In einem dritten Abschnitt sind als Antwort hierauf die Reformbemühungen der evangelischen Kirche näher in den Blick zu nehmen, und zwar sowohl hinsichtlich ihrer strukturellen als auch ihrer inhaltlichen Seite. Das Kapitel wird abgeschlossen durch einen Blick auf die offiziellen Stellungnahmen der EKD zum Religionsunterricht sowie neue religionspädagogische Impulse.
1. Confessio Augustana
Grundsätze evangelischer Kirche
Evangelische Kirche kennt im Gegensatz zur römisch-katholischen Schwesterkirche kein Lehramt mit jurisdiktioneller Vollmacht. Die „erste dogmatische Feststellung über das Wesen und die Einheit der Kirche, die jemals in der Christenheit gemacht worden ist“,1 findet sich in Artikel VII der Confessio Augustana (Augsburger Bekenntnis): „Es wird auch gelehret, daß alle Zeit musse ein heilige christliche Kirche sein und bleiben, welche ist die Versammlung aller Glaubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakrament lauts des Evangelii gereicht werden.“ „Item docent, quod una sancta ecclesia perpetuo mansura sit. Est autem ecclesia congregatio sanctorum, in qua evangelium pure docetur et recte administrantur sacramenta.“ (BSLK 61) Diese Bestimmung ist in ihrer Elementarität über die Zeiten hinweg bis heute der allgemein anerkannte Bezugspunkt evangelischer Lehre von der Kirche und soll deshalb im Folgenden als Ausgangspunkt für die vom Grundgesetz der Religionsdidaktik aufgegebene Frage nach den „Grundsätzen“ dienen.
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
1.1
147
„Lehre des Evangeliums“
Der Begriff „Lehre des Evangeliums“ kann leicht missverstanden werden im Sinne einer unveränderlichen Doktrin, mit entsprechend fatalen Konsequenzen für die Methodik des Religionsunterrichts. Wie in den geschichtlichen Perspektiven anhand des Zwickauer Manifests gezeigt (f II.3.2), war das starre Festhalten am Wortlaut des Katechismustextes, methodisch durch Memorieren praktiziert, ein wesentlicher Grund für den Protest der Lehrerschaft gegen den Religionsunterricht (als Katechismusunterricht). Systematisch geht es um die angemessene Formulierung des Vorgangs, wie Menschen in Kontakt zum Evangelium kommen bzw. im Glauben an dessen Leben erschließende Kraft unterstützt werden können. In der Tradition evangelischer Kirche wurden dafür die beiden Begriffe „Lehre“ und „Verkündigung“ verwendet. Sie setzen aber jeweils bestimmte Lebens- und Bildungsverhältnisse voraus, die so nicht mehr gegeben sind. Angesichts der Unmündigkeit der großen Bevölkerungsmehrheit im 16. Jahrhundert, die vor allem Ackerbau und Viehzucht unter einfachsten Bedingungen trieb, ging es in der Reformationszeit primär um Belehrung. Sie erfolgte in der Regel von der Kanzel bzw. vom Katheder aus. Allerdings veränderte der Jahrhunderte dauernde Aufbau eines allgemeinen Schul- und Bildungswesens die Situation grundlegend. Dialogische Kommunikationsformen traten zunehmend an die Stelle einseitiger Belehrung. Der Begriff „Verkündigung“ kam besonders im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit dem Nazi-Regime in Gebrauch. Er inkludiert eine deutliche Distanz zur sog. „Welt“. In der schwierigen Situation des Dritten Reichs bewahrte er vor problematischen Synthesen und damit Verfälschungen christlichen Glaubens.2 Doch kann er unter anderen Verhältnissen Ausdruck einer problematischen Isolierung des Evangeliums von der sonstigen Kultur sein.
1 Sasse: Artikel, 51. 2 Zu den großen Problemen, die eine Übertragung des vornehmlich für die Predigtaufgabe verwendeten Verkündigungsbegriffs in den Bereich der Katechetik und des Religionsunterrichts mit sich brachte, s. Dross: Religionsunterricht.
Lehre und Verkündigung
148
Kommunikation des Evangeliums
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Aus verschiedenen sowohl theologischen als auch erfahrungswissenschaftlichen Gründen erscheint heute der Begriff der „Kommunikation des Evangeliums“ geeigneter: Grundsätzlich trägt er der rezeptionsästhetischen Einsicht Rechnung, dass alle Kommunizierenden an Verständigungsprozessen aktiv beteiligt sind entgegen einem einlinigen Senderund Empfänger-Modell. Hinsichtlich der wirklichkeitserfassenden Dimension hat „Kommunikation“ den Vorteil, dass dieser Begriff die Ebene des verbalen und nonverbalen Austausches umfasst. Ein wichtiger (wenn auch in der weiteren Ausformung einseitiger) Impuls für die Verwendung des Kommunikationsbegriffs und dann auch für die Begriffsbildung „Kommunikation des Evangeliums“ (bzw. Kommunikation des Glaubens) kam aus der Ökumenischen Bewegung. Entgegen dem früher in der Ökumene-Diskussion gebräuchlichen „approach“, der wie das deutsche „Verkündigung“ eine Trennung zwischen „Welt“ und „Evangelium“ voraussetzte, empfahl schon 1956 Hendrik Kraemer die Verwendung von „communication“:3 „Kommunikation setzt eine schon bestehende Solidarität voraus, indem man seinen Standpunkt in der Welt und als Teil der Welt des andern einnimmt, nicht im Gegensatz zu seiner Welt …“4
1964 führte dann Ernst Lange den Begriff „Kommunikation des Evangeliums“ in die deutsche praktisch-theologische Diskussion ein und profilierte damit sein dialogisches Anliegen,5 das der heutigen, durch Gleichberechtigung geprägten Gesellschaftsformation entspricht. Schließlich enthält „Evangelium“ von der ursprünglichen Wortbedeutung her einen positiven Richtungssinn und wehrt durch den impliziten Verweis auf Jesu Wirken und Geschick einer Formalisierung christlicher Inhalte. Religionsbegriff
Der heute in religionspädagogischen und -didaktischen Arbeiten dagegen übliche Religionsbegriff ist inhaltlich (meist) unterbestimmt: Er negiert die Tatsache, dass in einem Land mit über drei Millionen Muslimen „Religion“ nicht mehr selbstverständlich mit Christentum gleichgesetzt werden kann. Zudem weist das begriffliche Schwanken in praktisch-theologischen
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
149
Arbeiten zur Alltagskultur zwischen „religiös“, „religionsaffin“, „religiös valent“ auf einen Klärungsbedarf hin. Genauer lässt sich der Begriff „Evangelium“ von Jesu Wirken und Geschick her fassen.
Evangelium
Jesus wirkte durch mündliche Rede bzw. Gespräch, Mahlgemeinschaften und unmittelbare Hilfeleistungen.
In den sog. Streitgesprächen und Gleichnissen kommt die kommunikative Kraft Jesu zum Ausdruck; das Evangelium erscheint hier als ein kommunikativer Vorgang, der nicht ein für alle Mal doktrinär festgemacht werden kann, sondern jeweils in unmittelbarer personaler Kommunikation neu Gestalt gewinnt. Das vielfältige Hilfehandeln Jesu, in seiner Wirkung oftmals durch die Wunderthematik eher verdunkelt, weist auf den praktischen Aspekt des Evangeliums hin. Er ist im diakonischen Handeln bis heute konstitutiv für Kirche. Die in den Mahlgemeinschaften zum Ausdruck kommende besondere Gemeinschaft wird im Folgenden noch näher zu betrachten sein. Insgesamt fällt am Wirken Jesu auf, dass in den genannten Handlungen die einzelnen kommunikativen Akte und die gesamte Lebensausrichtung bzw. -gestaltung eine Einheit bildeten.6 Inhaltlich zeigt sich die untrennbare Verbundenheit Jesu mit dem Leben in der Botschaft von seiner Auferweckung. Die Nachricht, dass Jesus entgegen dem Anschein nicht im Tod geblieben ist, bestätigte sein Eintreten für das Leben in einmaliger Weise.
1.2
Taufe und Abendmahl
Von Beginn des Christentums an wurden Menschen getauft, um deren besondere Beziehung zu Jesus Christus zur Darstellung zu bringen, und feierten die Getauften das Abendmahl, um sich der besonderen Gemeinschaft mit Jesus Christus und 3 4 5 6
Kraemer: Kommunikation. Kraemer: Kommunikation, 47. S. Bäumler: Kommunikation, 388. S. Becker: Jesus, 100–398, der den Zusammenhang von nahender Gottesherrschaft und entsprechender Lebensgestaltung ausführlich herausarbeitet.
Rituale
150
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
damit auch untereinander zu vergewissern. Kommunikationstheoretisch gesehen handelt es sich dabei um Rituale, in denen Symbole eine vertiefte, den kognitiven Bereich übersteigende Kommunikation ermöglichen. Offensichtlich bedarf die Kommunikation des christlichen Glaubens über verbales Geschehen hinaus solcher ritueller Ausdrucksformen, wobei angesichts der Bedeutung von Worten in den beiden christlichen Grundriten eine Entgegensetzung von verbalen und nonverbalen Zeichen keinen Sinn macht. Diese konstitutiv zum Christentum gehörende rituelle Seite ist didaktisch von hoher Bedeutung und bei jeder Form christlich religiösen Lernens zu beachten. Eine bloße Reduktion auf Gespräch, Vortrag u. Ä. blendete einen grundlegenden Teil christlicher Kommunikation aus und verzerrte die Darstellung christlicher Religion.
Symbole der Taufe
1.2.1 Taufe Grundlegend für christliches Leben ist seit Beginn des Christentums die Taufe. Hier wird die seit dem Ende des irdischen Wirkens Jesu nicht mehr unmittelbar erlebbare Gemeinschaft mit Jesus Christus in neuer Weise, nämlich rituell vermittelt. Dazu bedient sich die Kirche seit alters grundlegender Symbole, die aus pädagogischer Perspektive sehr interessant eine biografiebezogene Einführung in den christlichen Glauben ermöglichen: Das Kreuz, mit dem zu Beginn der Taufhandlung der Täufling bezeichnet wird, weist unmittelbar auf die Verbindung zum Geschick Jesu hin. Die Nennung des Namens im Ritual markiert, dass sich ein personales Kommunikationsgeschehen vollzieht, nicht ein allgemeines Geschehen. Die Verwendung von Wasser, einem religionsgeschichtlich alten Symbol, macht u.a. auf die Ambivalenz des Tod und Leben umschließenden Initiationsvorgangs aufmerksam, wobei die Perspektive des Lebens leitend ist. Die segnende Auflegung der Hand bietet Anschluss an das für die Taufe grundlegende Schöpferhandeln Gottes. Die Kerze, in vielen Kirchen nach der Wasserhandlung entzündet, stammt historisch aus der Feier der Osternacht und weist so noch einmal auf die Verbindung des Täuflings mit Jesus Christus hin.
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
151
Diese Symbole tauchen auch sonst zusammen mit Brot und Wein dort auf, wo christlicher Glauben zur Darstellung gebracht wird. Symboldidaktische Arbeit hat in den letzten Jahren vielfach ihre kommunikative Kraft erwiesen. 1.2.2 Abendmahl Im Abendmahl kommt eine besondere Form der Gemeinschaft zum Ausdruck. Grundlegend ist hier die Gemeinschaft der Kommunizierenden mit Jesus Christus, besser: ihre Teilhabe an seinem Geschick. Dabei ist von der Ursprungssituation her, in der für nicht wenige Menschen Hunger und Durst ständige Gefahren waren, die real-leibliche Tatsache der Mahlzeit nicht vorschnell kultisch-symbolisch zu überspielen. „Diakonein“, der griechische Begriff, der zu unserem heutigen „Diakonie“ führte, „war ursprünglich ein technischer Begriff zur Kennzeichnung von Dienstleistungen, wie sie vor allem im Umkreis des Gastmahls anfielen“.7 Die das Abendmahl Feiernden reihen sich in die Schar derer ein, die unter der Perspektive des alttestamentlich verheißenen eschatologischen Festmahls mit Jesus Tischgemeinschaft hatten. Damit treten sie in dessen Lebensvollzüge ein. Die Rede vom „eucharistischen Lebensstil“8 bringt dies gut zum Ausdruck. Ähnlich wie bei der Taufe stehen beim Abendmahl ebenfalls für menschliches Leben grundlegende Zeichen im Mittelpunkt des Rituals: Brot weist als elementares Lebensmittel auf das hin, was Gott den Menschen für ihren Leib schenkt. Wein als ein Getränk, dessen Herstellung sorgfältige Pflege (lat. „Kultur“) benötigt, weist darüber hinaus auf Lebensfreude und -genuss hin. Schließlich eröffnet sich in der Feier des Abendmahls eine neue Zeitform. Das Abendmahl wird in Erinnerung an Jesu letzte Mahlzeit mit seinen Jüngern und damit an das jüdische Passa-Mahl vor dem Exodus gefeiert, zugleich öffnet es den Ausblick auf die verheißene Gemeinschaft mit Christus am Ende der Zeiten. Dadurch werden das unser sonstiges Leben bestim7 Roloff: Dimension, 204f. 8 Christiansen: Erneuerung.
Gemeinschaft
Symbole des Abendmahls
Neue Zeitform
152
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
mende lineare Zeitverständnis und die mit ihm einhergehende Fixierung auf die Gegenwart nach vorn und hinten geweitet. Kirche und die Kommunikation des Evangeliums vollziehen sich in einem weiten Zeithorizont.
1.3 Evangelische Grundvollzüge
Ertrag für die Didaktik des Religionsunterrichts
„Grundsätze“ der evangelischen Kirche sind in verschiedener Hinsicht auszulegen. Doch zeigt der Rekurs auf den Artikel VII der Confessio Augustana, dass es offensichtlich einige elementare Grundvollzüge gibt, die für christlichen Glauben nach evangelischem Verständnis konstitutiv sind, wobei „evangelisch“ sich nicht nur auf die spezifische Konfession, sondern auch auf die biblische Grundlage christlicher Kirchen bezieht: Situationsbezogene Kommunikation des Evangeliums Jesu Christi; damit untrennbar verbunden die helfende Zuwendung zu Not leidenden Menschen; die rituelle Feier der besonderen Gemeinschaft mit Jesus Christus; die biografiebezogenen Grundsymbole christlicher Religion.
Religiöse Erziehung und Bildung im Bereich evangelischer Kirche, die an Elementarität interessiert ist, lässt sich inhaltlich hieran ausrichten (f II.1.2). Didaktisch sind die konkreten Inhalte nach den einzelnen Lernorten sowie dem Alter und Entwicklungsstand der Lernenden auszuwählen und zu profilieren. Dies entspricht nicht nur pädagogischen Notwendigkeiten, sondern auch der im Neuen Testament unübersehbaren Ausrichtung des Handelns Jesu an konkreten Menschen.
2. Krise
Herausforderungen für Kirche
Die Kirchen in Deutschland scheinen in einer Krise zu stecken. Schon äußerlich deutet die bisher einmalige Höhe der Kirchenaustritte seit Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts, die mittlerweile auch den Bereich der römisch-katholischen Kirche erreicht hat, auf Akzeptanzprobleme hin. Von 1969 bis 2000 haben über 5,5 Millionen Menschen eine evangelische Kir-
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
153
che durch Austritt verlassen (Gesamtzahl der Kirchenmitglieder 2000: 26613 732, davon in westdeutschen Gliedkirchen: 22 845 755; 1969 damals noch ohne die neuen Bundesländer : 29 277 000). Dieser Aderlass, verstärkt durch die allgemeine demografische Entwicklung in Deutschland, führt nicht zuletzt zu erheblichen finanziellen Engpässen, die Synoden und Kirchenleitungen beschäftigen. Stellenreduktionen bis hin zu sog. betriebsbedingten Kündigungen von Mitarbeiter(inne)n, die Schließung ganzer Arbeitsbereiche, der Verkauf von Immobilien usw. werden diskutiert. Und auch Veränderungen für den Religionsunterricht sind bei weiterem Fortschreiten dieses Trends nicht auszuschließen. Bisher taucht explizit m.W. erst im Vertrag zwischen dem Land Schleswig-Holstein und den evangelischen Landeskirchen in Schleswig-Holstein ein direkter Bezug auf die Größenverhältnisse hinsichtlich der Schulen auf. Dort heißt es in Artikel 6 Absatz 1: „Die Vertragsschließenden sind sich im Hinblick auf die Zugehörigkeit des größten Teils der Schüler und Lehrer des Landes zum christlichen Glauben darin einig, daß die in Artikel 6 Absatz 3 der Landessatzung für Schleswig-Holstein genannten Gemeinschaftsschulen christlichen Grundcharakter haben.“9 Doch gelten für den Religionsunterricht je nach Bundesland unterschiedliche Mindestgruppengrößen. Dazu zeigen die Schwierigkeiten, den Religionsunterricht in manchen Gegenden Ostdeutschlands einzurichten, dass ein Zusammenhang zwischen dem Anteil der Kirchenmitglieder an der Bevölkerung und der Akzeptanz des Religionsunterrichts besteht.10
Folgen für Religions-
Im Folgenden sollen vor diesem Hintergrund die Herausforderungen genauer bestimmt werden, denen sich die Kirchen in Deutschland gegenüber sehen: Dabei ist zuerst der Relevanzverlust von Kirche in der Öffentlichkeit näher zu betrachten. Denn er betrifft den Religionsunter-
Herausforderungen
9 Zitat nach Kaufmann: Christen, 55f. Ebd. auch die entsprechenden Passagen aus den Landesverfassungen o. Ä. der anderen (westdeutschen) Bundesländer. 10 Zu den in verschiedener Hinsicht außerordentlich schwierigen Umständen, unter denen der Religionsunterricht in den neuen Bundesländern aufgebaut werden muss, s. die detaillierte Spezialstudie von Domsgen: Religionsunterricht.
unterricht
154
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
richt in seiner rechtlichen Verbindung zur Kirche, aber auch in inhaltlicher Hinsicht. Darüber hinaus gilt es, den zunehmenden Pluralismus auf religiösem Gebiet in den Blick zu nehmen. Diese Entwicklung reicht durch die damit zusammenhängenden Veränderungen in der Schülerschaft direkt und durch die Veränderungen in den Lehrerkollegien indirekt in den konkreten Unterricht hinein. Vor allem betrifft sie die traditionelle konfessionelle Bindung des Religionsunterrichts, die für die Schülerseite jedoch immer häufiger nicht mehr zutrifft. Schließlich möchte ich an die christentumstheoretische Differenzierung der Kommunikation des Evangeliums erinnern. Sie beschreibt wichtige Veränderungen in der Gestaltung christlicher Daseins- und Wertorientierung auf unterschiedlichen Ebenen und stellt für die Religionsdidaktik interessante Einsichten zur Verfügung.
2.1
Relevanzverlust von Kirche
Äußerlich begegnet der Relevanzverlust von Kirche an unterschiedlichen Orten. Spätestens der Verlauf der gerichtlichen Auseinandersetzung um LER (f III.2.3) zeigt, dass diese Entwicklung für den Religionsunterricht bedeutsam ist. Kirchenund Religionssoziologen beschreiben den dahinter liegenden Prozess schon seit einiger Zeit.
Verlust an Öffentlichkeit
2.1.1 Marginalisierung von Kirche 2.1.1.1 Als erster Schritt zum Verlust der Öffentlichkeit kirchlichen Handelns kann die Überführung der staatlich getragenen Bekenntnisschulen in den meisten Bundesländern in sog. Gemeinschaftsschulen interpretiert werden. Dieser angesichts des Rückgangs geschlossener konfessioneller Milieus und durch (integrations-)pädagogische Einsichten gut begründbare Prozess führte in Verbindung mit anderen Entwicklungen wie dem differenzierten Ausbau des Schulwesens dazu, dass sich der über Jahrhunderte hinweg bestehende enge Zusammenhang von Kirchengemeinden und Schulen lockerte und vielerorts verloren ging. In den siebziger Jahren wurden z.B. an vielen Schulen die Schulgottesdienste einge-
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
stellt. Was für manche Pfarrer als Befreiung von ungeliebten Pflichten erschien, war zugleich ein Rückzug von Kirche aus der Öffentlichkeit. Auch die römisch-katholische Kirche hat sich dieser Entwicklung gefügt, allerdings zugleich mit verstärkter Aktivität bei der Gründung kirchlicher Schulen reagiert. Für den Religionsunterricht ist diese mittlerweile von der evangelischen Kirche ebenfalls vermehrt in den Blick genommene Option insofern bedeutungsvoll, als sich Kirche in solchen Schulen pädagogische und didaktische Kompetenz erwirbt, die dann wiederum dem Religionsunterricht zugute kommen kann. Die im f IV. Kapitel 4.1 genannten möglichen Beiträge des Religionsunterrichts zur Schulreform greifen nicht von ungefähr auf Konzepte zurück, die in kirchlichen Schulen entwickelt wurden. 2.1.1.2 1995 fällte das Bundesverfassungsgericht mit seinem sog. Kruzifix-Beschluss ein Urteil, das nicht nur in der allgemeinen Öffentlichkeit, sondern auch bei Staatskirchenrechtlern für Aufsehen sorgte.11 Anlass für den damit zu einem Abschluss gebrachten Rechtsstreit war die Beschwerde von Schülereltern gegen ein Kruzifix im Klassenzimmer einer staatlichen Schule in Bayern. Abgesehen von komplizierten Fragen des Schulrechts ging es systematisch gesehen vor allem darum, die christliche Besonderheit bzw. die kulturelle Adaption des Kruzifix zu beurteilen. Die knappe Mehrheit der Verfassungsrichter entschied sich für die Auffassung, das Kreuz sei ein „spezifisches Glaubenssymbol des Christentums“, wobei sie dies inhaltlich als Symbol für „die im Opfertod Christi vollzogene Erlösung des Menschen von der Erbschuld“ und „den Sieg Christi über Satan und Tod“ usw. bestimmte.12 Damit wird bei der rechtlichen Deutung dieses zentralen Symbols die lange Zeit ins pädagogische Handeln des Staates integrierte kulturelle und erzieherische Bedeutung des Christlichen ausgeblendet. Das Kreuz als Ausdruck für den christ-
11 Umfassend zur Diskussion und zu den einzelnen rechtlichen Fragen informiert aus urteilskritischer Perspektive Heckel: Kreuz. 12 Zitiert bei Heckel: Kreuz, 1094.
155
Kirchliche Schulen
Kruzifix-Beschluss
156
Religion – Kultur
Buß- und Bettag
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
lichen „Kultur- und Bildungsfaktor“13 muss dem einseitig dogmatisch bzw. dogmengeschichtlich bestimmten Glaubenssymbol weichen. Der Zugang der Kirchen zur Öffentlichkeit, der sich wesentlich der Spannung zwischen ihrer besonderen Botschaft und ihrer gleichzeitigen Inkulturation verdankt, wird damit reduziert, insofern sie ausschließlich als Vertreter von Sondermeinungen gelten. Aus juristischer Sicht ist angesichts der Neutralitätsverpflichtung des Staates bemerkenswert: In diesem Urteil bestimmen die Verfassungsrichter inhaltlich den Gehalt des Kreuzes, greifen also massiv in den nach bisheriger Rechtsauffassung nur den Kirchen zustehenden Bereich der inhaltlichen Interpretation religiöser Symbole ein.14 Der Religionsunterricht in seiner verfassungsmäßigen Besonderheit verdankt sich aber genau dieser im Kruzifix-Urteil wohl überschrittenen Zurückhaltung des Staates in religiösen Fragen. Dazu fördert das Urteil durch seine schroffe Distinktion zwischen religiös-dogmatischem und allgemein kulturellem Verständnis indirekt eine Randstellung des Religionsunterrichts in der Schule, insofern dessen Inhalte mit dem sonstigen Unterricht unvermittelt bleiben. Allerdings zeigt die in der bundesrepublikanischen Rechtsgeschichte einmalige kritische Reaktion vieler Juristen, dass eine Verabsolutierung dieses Urteils und seiner Tendenz verfehlt wäre. Vielmehr besteht die Möglichkeit, dass in Zukunft das Bundesverfassungsgericht die eigene Rechtsprechung korrigiert. 2.1.1.3 Eine ebenfalls in der Öffentlichkeit wahrgenommene Marginalisierung der evangelischen Kirche ergibt sich aus der 1996 (außer in Sachsen) vollzogenen Rückstufung des Buß- und Bettags15 vom gesetzlichen zum gesetzlich geschützten Feiertag mit der Möglichkeit der Freistellung zum Gottesdienstbesuch, also der Aufhebung der allgemeinen Arbeitsruhe. Dabei verdient vor allem der konkrete politische Anlass Beachtung. Ökonomische Probleme bei der Finanzierung des 1994 verabschiedeten Pflegeversicherungsgesetzes führten zur Suche nach einer Kompensation der dafür notwendigen Mittel. Die Abschaffung des zwar im konkreten Datum erst spät letztlich 1934 allgemein gewordenen, religionsgeschichtlich aber weit zurückreichenden Feiertages ist also Ausdruck des zunehmenden Gewichts ökonomischer Überlegungen.
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
157
Inhaltlich hat dieser Vorgang besondere Brisanz: Denn der Buß- und Bettag ist mit seinen traditionellen Inhalten der Gewissensschärfung, des Schuldbekenntnisses und der Fürbitte ein klassisches Beispiel für ein kirchliches Angebot an die allgemeine Öffentlichkeit zur Förderung des Gemeinwohls. Vielleicht sind in diesem Zusammenhang die seit Jahren kleinen Gottesdienstgemeinden am Buß- und Bettag noch bedeutungsvoller als die von Politikern beschlossene rechtliche Veränderung. Auf jeden Fall kann beides als Ausdruck des schwindenden öffentlichen Einflusses der Kirchen interpretiert werden. 2.1.1.4 Am unmittelbarsten den Religionsunterricht betrifft der Rechtsstreit um das in Brandenburg eingeführte Fach LER (Lebensgestaltung Ethik Religionskunde), das dort in der Stundentafel den Platz einnimmt, der traditionell dem Religionsunterricht zukommt. Die rechtlichen Probleme und Konsequenzen sind knapp im f III. Kapitel 2.3 dargestellt. Im jetzigen Zusammenhang sei nur noch einmal an die Form der Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht erinnert. Nach jahrelanger Verzögerung eines Urteils zeigte sich das oberste deutsche Gericht nicht bereit, in der Sache eine Entscheidung zu treffen. Es gab lediglich einige Hinweise zur Einigung der Streitparteien. Angesichts des Gewichts, das das Grundgesetz dem Religionsunterricht wohl vor allem auf Grund der Katastrophe des Nazi-Regimes zumaß, zeigt dies eine deutliche Veränderung im gesetzgeberischen Bereich. Mit dem Religionsunterricht als ordentlichem Unterrichtsfach verlieren die Kirchen in Brandenburg den letzten Zugang zum öffentlichen Erziehungs- und Bildungswesen. Da an der Universität Potsdam weder eine Theologische Fakultät noch einzelne Lehrstühle für Theologie bestehen, ist in diesem Bundesland die Jahrhunderte lang Schule und Universität prägende, christliche Thematisierung von Religion aus den staatlichen Bildungseinrichtungen ausgeschlossen ein abge-
13 Heckel: Kreuz, 1100. 14 Heckel: Kreuz, 1104–1109. 15 Zu geschichtlichen, theologischen und liturgischen Hintergründen s. Dienst: Buß- und Bettage.
LER
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
sehen von den Zeiten der Diktaturen einmaliger Vorgang in Deutschland. 2.1.1.5 Insgesamt ist in den letzten Jahren an verschiedenen Stellen ein Rückgang an kirchlichem Einfluss auf öffentliche Belange unübersehbar: – durch politische und gesetzgeberische Maßnahmen bei der Bekenntnisschule und dem Buß- und Bettag, – durch verfassungsgerichtliche Entscheidungen beim Kruzifix-Streit und der Auseinandersetzung um LER. Marginalisierung von Kirche
Dabei geht es hier keinesfalls um eine Schelte an politischen und gerichtlichen Entscheidungen. Vielmehr ist die veränderte, genauer: zunehmend marginalere Stellung der Kirche(n) in Deutschland wahrzunehmen. Denn diese Entwicklung hat zumindest potentiell Auswirkungen auf den Religionsunterricht und seine Prägung. 2.1.2 Verkirchlichung des Christentums Konzeptionell befasst sich die Kirchen- und Religionssoziologie mit den eben an einigen Beispielen angedeuteten Veränderungsprozessen. Es sei nur kurz auf drei Positionen hingewiesen, die jeweils aus anderem Blickwinkel wichtige innerkirchliche Faktoren benennen:
Emigration der Kirche
2.1.2.1 Joachim Matthes machte schon 1964 hellsichtig auf eine Tendenz aufmerksam, die er die „Emigration der Kirche aus der Gesellschaft“ nannte.16 Dabei stellte er fest, dass im Gefolge der sog. Dialektischen Theologie sich konzeptionell eine Entgegensetzung von Kirche und „Welt“ eingebürgert habe, mit in mehrfacher Hinsicht fatalen Konsequenzen: Für die Ortsgemeinde, deren Vorrang in diesem ekklesiologischen Konzept selbstverständlich angenommen wird, ergibt sich eine „soziale Milieuverengung“, d.h. der Kreis derer, die sich von Kirche und ihren Angeboten angesprochen fühlen, wird kleiner. Dies geht Hand in Hand mit einem sozialen Funktionsverlust der Kirchengemeinde. Sie scheint zunehmend „ein in sich selbst ruhendes Eigenleben inmitten ihrer lokalen Gesellschaft zu führen“.17
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
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Zugleich verengt sich die Definition der „Kirchlichkeit“. Damit wächst der „als unkirchlich definierte Bereich“ an, die beklagte Differenz von Kirche zur Gesellschaft vergrößert sich. Auch wenn heute auf der Ebene vieler Kirchenleitungen die Problematik dieser Entwicklung gesehen wird, herrschen entsprechende Normen und Ansichten in nicht wenigen sog. Kerngemeinden vor. Vor allem der Gottesdienst am Sonntagvormittag, traditioneller Mittelpunkt der Gemeinde, erreicht meistens nur noch bestimmte Personengruppen. 2.1.2.2 Zu diesem Emigrationsprozess, der nach Matthes durch die Kirchenpolitik der Nazis forciert wurde und sich in der Nachkriegszeit zunehmend problematischer auswirkte, gehört ein Phänomen, das unmittelbar religionspädagogische Relevanz hat. Der katholische Soziologe Franz-Xaver Kaufmann hat es folgendermaßen unter dem Begriff „Verkirchlichung“ auf den Punkt gebracht: „‚Im Namen Jesu‘ wird ausdrücklich meist nur noch dort gehandelt, wo dazu ein kirchlicher Auftrag gesellschaftlich anerkannt ist.“18 Damit wird auf zweierlei hingewiesen: Zum einen verschwinden christliche Themen zunehmend in den Bereich des Privaten bzw. des Innerkirchlichen. Zum anderen ist die Sprachlosigkeit vieler Menschen hinsichtlich ihres Glaubens bzw. der christlichen Religion unübersehbar. Dies führt u.a. dazu, dass eine explizit christliche bzw. religiöse Erziehung in der Familie heute in weiten Regionen eine Ausnahme darstellt. Erst in einem kirchlichen Kindergarten oder im schulischen Religionsunterricht begegnen die Kinder Vorstellungen christlichen Glaubens. Kirche kann aber nicht die traditionell in der Familie als intimstem Kommunikationsraum vermittelte Einführung in den christlichen Glauben ersetzen. Franz-Xaver Kaufmann konstatiert: „Für die Tradierung des Christentums von einer Generation auf die andere war in der Vergangenheit nie die ‚Amtskirche‘ mit ihren Einrichtungen entscheidend, sondern die Familie und ihr soziales Umfeld der Verwandtschaft, der Nachbarschaft und der Gemeinde.“19
16 17 18 19
Matthes: Emigration; die folgenden Überlegungen sind diesem Band entnommen. Matthes: Emigration, 30 und 31. Kaufmann: Verfassung, 30. Kaufmann: Religion, 222.
Verkirchlichung
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Andreas Feige beschreibt diesen Vorgang als „‚theologische Professionalisierung‘ der Religion“. Dabei ist wichtig, dass der früher in Form von Volksfrömmigkeit bestehende Zwischenraum zwischen den Einzelnen und der Institution Kirche mit ihrer Lehre erodiert ist.20 Es besteht keine Vermittlungsinstanz mehr. Selbstsäkularisierung
2.1.2.3 In den neunziger Jahren hat Wolfgang Huber diese Analysen noch dadurch erweitert und aktualisiert, dass er wiederholt auf die „Selbstsäkularisierung“ des Christentums hinwies.21 Damit bezeichnet er eine Tendenz, dass Kirche in ihren Äußerungen und ihrem Erscheinungsbild die angedeutete Tendenz zur Marginalisierung in der Öffentlichkeit noch forciert. Inhaltlich tritt dabei das Glaubensthema in den Hintergrund, Kirche wird in der Öffentlichkeit dadurch schlechter wahrnehmbar. 2.1.3 Konsequenzen für die Religionsdidaktik Der Religionsunterricht ist von diesen hier nur grob und exemplarisch skizzierbaren Entwicklungen in mehrfacher Weise betroffen:
Veränderung in den Lernvoraussetzungen
Grundlegend verändern sich die Lernvoraussetzungen der Schülerschaft. Es kann nicht mehr bei allen Schülerinnen und Schülern, vielerorts wohl eher nur noch bei einer Minderheit, angenommen werden, dass „Kirche“ eine durch persönliche Erlebnisse gefüllte Größe ist. Damit tritt ein für den Religionsunterricht wichtiger Anschauungsgegenstand zurück.
Wenn es aber wie z.B. der dritte Glaubensartikel nahe legt zutrifft, dass zum Christentum wesentlich Gemeinschaftsformen gehören, kann sich die Religionsdidaktik mit den skizzierten Entwicklungen nicht abfinden. Die in den genannten Programmen zur Öffnung von Schule (f IV.4.1.2) begegnenden Bemühungen verdienen von daher nachhaltige religionsdidaktische und -pädagogische Unterstützung, insofern Anschaulichkeit und Lebensnähe zwei wichtige didaktische Prinzipien sind. Aufgabe der Sprachschulung
Die verbreitete Sprachlosigkeit vieler Menschen hinsichtlich religiöser Themen und wichtiger Inhalte christlichen Glaubens erschwert zum einen den Religionsunterricht. Zum anderen folgt aus ihr die religionsdidakti-
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
161
sche Herausforderung, die Bildung und das Verstehen wichtiger Begriffe christlicher Daseins- und Wertorientierung bei den Heranwachsenden zu fördern. Der Religionsunterricht steht vor der Aufgabe der Sprachschulung, ja mancherorts in der Grundschule vor der Aufgabe religiöser Alphabetisierung
2.2
Religiöser Pluralismus
Die eben skizzierte Lagebeschreibung ist einseitig. Volker Drehsen diagnostiziert zu Recht „das Paradoxon von abnehmender Kirchlichkeit und zunehmender Religiosität“.22 War anfangs nur von einer „invisible religion“23 die Rede, so hat diese Entwicklung inzwischen vielfältige Formen angenommen, ohne dadurch an Übersichtlichkeit zu gewinnen. Vom Tai-Chi-Kurs bis zum Tag der offenen Tür einer Moschee, vom EnneagrammSeminar bis zu charismatischen Gottesdiensten in einer katholischen Kirche reichen die Angebote die entsprechenden Seiten in Stadt-Zeitungen quellen über von Inseraten, Veranstaltungen, Kontaktsuchen usw. Angesichts dieser Fülle kann es im Folgenden nur darum gehen, anhand zweier grundlegender Herausforderungen die Bedeutung des religiösen Pluralismus für den Religionsunterricht zu umreißen. 2.2.1 Religionsproduktivität Schon seit einiger Zeit machen nicht nur sog. Weltanschauungs- und Sektenexperten auf das Phänomen der sog. Religionsproduktivität24 aufmerksam. Die These von der angeblichen Säkularisierung steht in Widerspruch zu dem vielerorts aufbrechenden neuen Interesse an religiösen Fragen und Antworten. Menschen konstruieren sich demnach, von den drängenden Grundfragen ihrer Existenz umgetrieben, eigene religiöse bzw. 20 21 22 23
Feige: Vermittlungssituation, 17. Huber: Kirche. Drehsen: Volkskirche, 10. So der Titel der forschungsgeschichtlich grundlegenden, in New York erschienenen Publikation von Thomas Luckmann aus dem Jahr 1963/1967 (deutsch: Luckmann: Religion). 24 Höhn: GegenMythen.
Zunehmende Religiosität
Patchwork-Religiosität
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
religionsaffine Praktiken und Modelle. Vor allem für Jugendliche machte der Sozialpädagoge Heiner Keupp auf die „patchwork“-Religiosität aufmerksam; dabei werden Versatzstücke unterschiedlicher Provenienz miteinander verbunden, wobei es immer wieder zum Austausch einzelner Elemente kommt je nach konkreter Situation und Notwendigkeit. Artikel in Illustrierten und Zeitungen, Sendungen in den Massenmedien etwa Interviews mit Hollywood-Stars, die sich zum Buddhismus oder zu Christian Science bekennen , Bücher und nicht zuletzt Begegnungen mit Menschen, die bestimmte religiöse Formen praktizieren, geben Heranwachsenden ein breites Reservoir für die Produktion ihrer „eigenen“ Religion. Besonderes Kennzeichen dieser Konstrukte ist nicht deren dogmatische oder systematische Stimmigkeit, sondern die Alltagstauglichkeit. Das pragmatische „Does it work?“ bestimmt auch die Einstellung zu religiösen Angeboten. Der Erfahrbarkeit kommt vor der intellektuellen Kohärenz Vorrang zu. Schülerinnen und Schüler sind demnach im Religionsunterricht keineswegs nur Rezipienten des Lehrstoffes. Sie sind vielmehr als Experten ihrer eigenen Biografie zugleich Konstrukteure ihrer Religion.
Insofern geht es im Klassenzimmer mitunter um einen interreligiösen Dialog, eben zwischen der Religion der Religionslehrkraft und der einzelner Schüler(innen) (f VI.2.1.1.1). Allerdings wirft die extreme Divergenz in den Sprachformen zwischen der traditionellen, konfessionell ausgearbeiteten Religion und der Bricolage-Religion mancher Jugendlicher erhebliche Verständigungsprobleme auf.
Präsenz des Islam
2.2.2 Islam Eine ganz eigene Herausforderung stellt in den letzten dreißig Jahren die Zunahme von Muslimen und damit die Präsenz des Islams in Deutschland dar. Schon im Kindergarten begegnen viele Kinder muslimischen Altersgenossen und Spielgefährten. In einigen Stadtteilen gibt es Klassen, in denen muslimische Schülerinnen und Schüler die Mehrheit bilden; oft sind aber wenigstens einige Muslime in einer Klasse. Da diese Kinder meistens einen Migrationshintergrund haben, ist die religiöse Besonderheit nur im Kontext der sonstigen kulturellen und mi-
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lieubezogenen Sozialisationsbedingungen angemessen zu erfassen. Vielerorts löst sich durch neue Migrationsströme etwa aus Bosnien, der arabischen Welt, Sri Lanka oder anderen Ländern die lange Zeit bestehende Gleichsetzung von „islamisch“ mit „türkisch“ auf und steigert die Komplexität der religiösen Herausforderung. Dabei ist folgende Veränderung zu beachten: Der Islam ist in Deutschland von einer sog. Fremdreligion zu einer „Nachbar-Religion“ geworden.25 D. h. religionsdidaktisch: Es geht hier nicht primär um die Rekonstruktion einer allgemeinen Lehre; vielmehr sind die in der Klasse oder Schule durch konkrete Menschen präsenten religiösen Praxisformen Ausgangspunkt und vorrangiger Gegenstand der Beschäftigung mit dem Islam.
Erst in einem zweiten Schritt sind je nach Altersstufe und Schulart unterschiedlich umfassend Verallgemeinerungen und Vertiefungen angezeigt. Aber der Islam wirft auch spezifisch theologische Probleme auf. Es rückt erst langsam ins Bewusstsein, dass der Islam als einzige nachbiblische Offenbarungsreligion eine Grundlage christlicher Religion, nämlich die Abgeschlossenheit der göttlichen Offenbarung in Jesus Christus, in Frage stellt. Karl Ernst Nipkow weist zu Recht energisch darauf hin, dass dadurch die lange Zeit in der Religionsdidaktik hinter der (persönlichen) Sinnfrage verschwundene (allgemeine) Wahrheitsfrage neue Brisanz erhält.26 Dabei geht es keinesfalls nur um Fragen der Lehre, sondern auch die Ebene der Spiritualität ist hiervon betroffen. Und hier stößt man auf eine erhebliche Differenz zwischen dem Christentum (zumindest in seinen westlichen Formen) und weiten Teilen des Islams. Denn für Muslime „ist die wichtigste Ebene … die des rechten rituellen Verhaltens und sozialen Verhaltens“.27 Von daher gewinnt unter der Perspektive des religionsdidaktisch notwendigen interreligiösen Dialogs die rituelle und soziale Praxis neue Bedeutung. Demnach benötigen christliche 25 So schon Lähnemann: Weltreligionen, 31. 26 Nipkow: Bildung, 406–414. 27 Nipkow: Bildung, 412.
Wahrheitsfrage
interreligiöser Dialog
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Jugendliche zunehmend eine Vergewisserung in diesen in den letzten drei Jahrzehnten oft aus dem Religionsunterricht ausgeblendeten Dimensionen. Gebet und Gottesdienst sind die „erste Sprache des Glaubens“ – gegenüber der „zweiten Sprache des Glaubens“,28 der Lehre und Reflexion. Ohne Beschäftigung mit der „ersten Sprache“ bleibt interreligiöses Lernen an der Oberfläche.
2.3 Christentums-Theorie
Differenzierung neuzeitlichen Christentums
Die genannten politischen und rechtlichen Veränderungen sowie die kirchen- und religionssoziologische Reflexion hierüber wurden in der Praktischen Theologie aufgenommen und konzeptionell verarbeitet. Allgemeine Zustimmung fand dabei die 1986 von Dietrich Rössler als theoretische Grundlage seines Lehrbuchs vorgetragene Theorie des Christentums.29 Er unterscheidet zwischen dem Christentum als kirchlicher, öffentlicher und privater Religion. Ohne jetzt auf die teilweise problematische Zuordnung einzelner Handlungsfelder einzugehen, ist dieses Modell für die Didaktik des Religionsunterrichts attraktiv. Denn dadurch kann in Überwindung der in falsche Gegensätze führenden Säkularisierungstheorie der inhaltliche Gegenstand des Religionsunterrichts in einer Weise differenziert werden, dass Probleme und Aufgaben dieses Unterrichts deutlicher hervortreten. Der Religionsunterricht hat demnach bei seinem Gegenstand „Christentum“ drei Ebenen zu unterscheiden: – die kirchliche, die in der Form der Kirche als Organisation und ihrer Lehre zugänglich ist, – die öffentliche, wo entsprechend der Geschichte und Kultur Deutschlands auf den unterschiedlichsten Gebieten, vom Recht über Erziehung bis zu Literatur und Kunst, Folgen und Ausstrahlungen des Christlichen begegnen, – die individuelle, auf der die Einzelnen sich die ihnen geeignet erscheinenden Angebote des Christlichen für die Bewältigung ihres Lebens komponieren.
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
Es ist eine wichtige Anforderung für den Religionsunterricht, diese drei Ebenen in einen Zusammenhang zu stellen. Falls nämlich eine Ebene sich von den anderen isoliert, kommt es zu Problemen. Bei Absolutsetzung des öffentlichen Christentums droht eine spirituelle Verflachung, umgekehrt zieht die im Vorhergehenden von Franz-Xaver Kaufmann konstatierte Dominanz der kirchlichen Ebene einen Verlust an Lebensnähe und -relevanz nach sich. Und die bei vielen Jugendlichen heute zu beobachtende Abtrennung der individuellen von der kirchlichen und öffentlichen Religion führt zu einem sozialen Defizit und meist zu einer Verflachung der Inhalte, was pädagogisch hinsichtlich der Persönlichkeitsentwicklung bedenklich ist. Denn die in der kirchlichen Religion, vor allem in der Bibel, angelegte Vielgestaltigkeit und Differenziertheit beim Umgang mit menschlichen Nöten und Hoffnungen wird von der Produktivität eines Einzelnen nicht erreicht.
3.
Ansätze zur Kirchenreform
Gegenwärtig sind vielfältige Bemühungen um die Reform von Kirche und Gemeinde zu verzeichnen. Dabei geht es zum einen um Strukturreformen, zum anderen um vielfältige inhaltliche Innovationen. Im Folgenden präsentiere ich diejenigen Impulse, die potentiell für die Didaktik des evangelischen Religionsunterrichts von Bedeutung sind. Die katholischen Reformbestrebungen unterscheiden sich durch die ekklesiologische Betonung der Diözesanebene der Bischof als Inhaber der Lehrautorität und den eklatanten Priestermangel in zwei wichtigen Voraussetzungen von denen der evangelischen Kirchen und bleiben im Folgenden unberücksichtigt.
28 Nipkow: Bildung, 414. 29 Rössler: Grundriß, 79–83.
165
Aufgabe für Religionsunterricht
166
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
3.1 Stärkung der mittleren Ebene
Ebene der Einzelschule
Strukturelle Reformen
Entsprechend der Gliederung evangelischer Kirche in Landeskirchen sind die Reformbemühungen im Einzelnen unterschiedlich. Als gemeinsame Tendenz ist die Stärkung der sog. mittleren Ebene, also der Dekanate bzw. Kirchenkreise zu erkennen. Offensichtlich sind zumindest die größeren Landeskirchen als ausdifferenzierte Großorganisationen zunehmend bindungsschwächer und zugleich zu sehr mit der eigenen Organisation beschäftigt, als dass die notwendigen Veränderungen und Reformen auf dieser Ebene zu erwarten wären.30 Mit der Verlagerung von Verantwortung und Entscheidungskompetenzen auf die mittlere Ebene wird der Tatsache Rechnung getragen, dass sich die Bezirke der Kirchengemeinden und Pfarreien nur noch teilweise, in Großstädten sogar kaum noch mit den Lebensbereichen der Menschen decken. Die Stärkung der mittleren Ebene soll in der durch zunehmende Mobilität der Menschen gekennzeichneten Situation eine direktere Reaktion auf die konkreten Probleme und Bedürfnisse vor Ort ermöglichen, die Einheitlichkeit kirchlichen Handelns erleichtern und eine qualifizierte Schwerpunktbildung in einzelnen Bereichen ermöglichen. Für den Bildungsbereich äußert sich das etwa darin, dass auf Kirchenkreisebene vielerorts sog. Schulbeauftragte oder -dekane fungieren. Sie sind u.a. für die Organisation der religionsdidaktischen Fortbildung auf Regionalebene, die Bereitstellung attraktiver Medien und Materialien sowie als Ansprechpartner der Schulbehörde für die Verteilung der Lehrkräfte zuständig. Angesichts der für den Schulbereich festgestellten Verlagerung sowohl der pädagogischen als auch der administrativen Verantwortung auf die Ebene der Einzelschule (f IV.3.1.4) dürfte sich die zukünftige Bedeutung der kirchlichen Schulbeauftragten verändern. Denn wenn die Schulämter bzw. -dezernate an Bedeutung gegenüber den Einzelschulen verlieren, hat dies unmittelbare Konsequenzen für die kirchliche Struktur in diesem Bereich. Demnach scheinen sich Schul- und Kirchenreform in unterschiedliche Richtung zu bewegen.
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
Den Innovationen auf der Ebene der Einzelschulen steht kirchlich ein vorrangiges Bemühen um die regionale Ebene, etwa in Form von Kirchenkreisen bzw. Dekanatsbezirken, entgegen.
Damit es hier nicht zu Kontaktverlusten kommt, ist die Aufgabe der Schuldekane und -referenten auf Kirchenkreis- bzw. Dekanatsebene neu zu bestimmen. Sie müssen zukünftig vor allem die Religionslehrkräfte in den zunehmend selbstständigeren Schulen darauf vorbereiten und dabei begleiten, dass sie den Religionsunterricht in der Schulprogrammarbeit (f IV.4.3.1) angemessen vertreten können.
3.2
Inhaltliche Impulse
Verschiedene inhaltliche Impulse im Rahmen der Kirchenreform sind wahrscheinlich für die konkrete Unterrichtspraxis in der Schule noch wichtiger als strukturelle Reformen. In unterschiedlicher Weise, vor allem mit großen regionalen Differenzen, finden sie zwar erst ansatzweise und vereinzelt Eingang in die kirchliche Praxis. Vermutlich spiegeln sie aber Tendenzen wider, die die zukünftige Gestaltung von Kirche und Gemeinden prägen werden. Deshalb verdienen sie für eine zukunftsorientierte Religionsdidaktik Beachtung. Sie können ihr nämlich einerseits konkrete handlungsorientierende Anregungen geben und andererseits zur genaueren Bestimmung von Aufgabe und Grenzen des Religionsunterrichts beitragen. Im Einzelnen verdienen religionsdidaktische Aufmerksamkeit: Impulse, die sich in ihrem Zusammenhang unter dem neuen Konzept „Gemeindepädagogik“ beschreiben lassen, ein weiterführender Ansatz zur Frage nach der Kirchenmitgliedschaft, neuere Entwicklungen auf dem Gebiet der Reform des Sonntagsgottesdienstes, Versuche zur Profilierung von Ortsgemeinden, neue Anregungen hinsichtlich der kirchlichen Begleitung von Übergängen im Lebenslauf. 30 Aus systemtheoretischer Sicht Roosen: Kirchengemeinde, 315–416.
167
168
Liturgie
Perspektivenwechsel
Methoden
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Die Durchsicht der genannten Vorstöße zeigt, dass sich gegenwärtig viele inhaltliche Bemühungen um Kirchenreform auf liturgische Themen beziehen. Angesichts der zunehmenden Undeutlichkeit der Konturen des Christlichen in der Öffentlichkeit, aber auch bei kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist dies nicht verwunderlich. Denn gottesdienstliche Handlungen sind symbolisch verdichtete Darstellungen des Evangeliums und damit des inhaltlichen Zentrums christlichen Glaubens. Deshalb erscheint in Zeiten, in denen die Identität als Kirche undeutlich zu werden droht, eine entschiedene Rückbesinnung auf die Liturgie in ihren unterschiedlichen Ausprägungen einleuchtend und erfolgversprechend. 3.2.1 Gemeindepädagogische Impulse Die Entwicklungen auf dem Gebiet des schulischen Religionsunterrichts regten zu Beginn der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts Bemühungen an, Gemeinde als besonderen Lernort zu profilieren.31 Dabei kam es konzeptionell zu einem sog. „Perspektivenwechsel“.32 Öffentlichkeitswirksam wurde er auf der dem Thema „Kinder“ gewidmeten EKD-Synode 1994 in Halle/Saale. Angesichts vielfältiger Belastungen und Bedrohungen des Aufwachsens von Kindern in der Gegenwart forderte die Synode, Gemeindearbeit aus der Perspektive der Kinder zu analysieren und dann so zu gestalten, dass deren Bedürfnissen besser entsprochen wird. Dazu sollten Kinder Raum bekommen, um sich selbst zu äußern. Unter Bezug u.a. auf das sog. Kinderevangelium (Mk 10,13 16) wurde daran erinnert, dass Kindern von Jesus die uneingeschränkte Teilhaberschaft am Reich Gottes zugesprochen wird. Als praktische Konsequenz wurden „Prüfsteine auf dem Weg zu einer kindgerechten Kirche“ formuliert.33 Praktisch wirksamer dürften die vielfältigen methodischen Innovationen sein. Dabei sind für die Grundschule besonders der Kindergottesdienst, für die Sekundarstufe I die Konfirmandenarbeit von Interesse. Hatte man in den siebziger Jahren den Kindergottesdienst stark unter emanzipatorischen Gesichtspunkten pädagogisch zu profilieren versucht, wurde zunehmend die Bedeutung ritueller Vollzüge für Kinder bewusst.34 Liturgische Elemente wie das
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
Anzünden einer Kerze, deren Hereintragen in Form einer Prozession, gemeinsames Singen und Beten, den Schlusssegen erleben Kinder als wohltuend. In einer Zeit, in der Verlässlichkeit für Kinder gefährdet erscheint, kommt solchen Ruhepunkten große Bedeutung zu. Z.T. wegen der anderweitigen Gestaltung des Sonntags in den Familien, aber auch auf Grund der Eigendynamik kreativer Methoden ergänzen bzw. ersetzen vielerorts sog. Kinderbibeltage oder -wochen den Kindergottesdienst. Hier beschäftigen sich Kinder intensiv über mehrere Stunden hinweg mit biblischen Geschichten und/oder Symbolen. Offensichtlich sprengt der ganzheitliche Zugang zu den Inhalten des Evangeliums das enge Korsett des im Sonntagsgottesdienst üblichen Stundentaktes. Für die gemeindepädagogischen Bemühungen um die Älteren ist die Umbenennung von Konfirmandenunterricht zu Konfirmandenarbeit (oder -zeit) typisch und weist in eine ähnliche Richtung. Sie markiert die stärkere Orientierung in Didaktik und Methodik an der Jugendarbeit als wie bisher am schulischen Unterricht. Vor allem die Konfirmandenfreizeiten (bis hin zu den sog. Konfi-Camps) haben sich als eine sowohl aus konzeptionell zeittheoretischen als auch pragmatischen Gründen gut geeignete Form für erfahrungsbezogenes religiöses Lernen erwiesen. Hier ist es gut möglich, jugendliche Verhaltensweisen aufzunehmen und z. B. durch liturgische Formen so zu erweitern, dass die Heranwachsenden Einsichten christlichen Glaubens als Horizonterweiterung erfahren können. Es ist wichtig, dass die Jugendlichen selbst Gelegenheit erhalten, aktiv an der Gestaltung teilzunehmen. Dabei zeigen sie in auf rezeptives Lernen reduzierten Schulstunden oft unterfordert erstaunliche Fähigkeiten und erfreuliches Engagement. Ähnliches lässt sich in der sonstigen Kinder- und Jugendarbeit der Gemeinden beobachten. Religiöses Lernen vollzieht sich am ertragreichsten, wenn es gelingt, kognitive, affektive und prag-
31 Zur Entstehung von Gemeindepädagogik s. Foitzik: Gemeindepädagogik; zur inhaltlichen Ausgestaltung im Einzelnen s. Grethlein: Gemeindepädagogik. 32 Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland: Aufwachsen. 33 Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland: Aufwachsen, 71–74. 34 Vgl. insgesamt die knappe Übersicht bei Bargheer: Kinder.
169
170
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
matische Dimension miteinander zu verbinden und den Heranwachsenden Räume zur eigenen Erprobung zur Verfügung zu stellen und sie zugleich verlässlich zu begleiten.
Formen der Mitgliedschaft
3.2.2 Neubestimmung von Kirchenmitgliedschaft Jan Hermelink hat in einer breit angelegten Studie die Frage der kirchlichen Mitgliedschaft reflektiert.35 Dabei geht er von der Beobachtung aus, dass es heute sehr unterschiedliche Gestalten von Mitgliedschaft gibt. Sie reichen von recht wenigen Gemeindegliedern, die regelmäßig jeden Sonntagmorgen am Gottesdienst teilnehmen, über die Mitglieder sozialethisch orientierter Initiativgruppen bis hin zu den vielen, die neben der Kirchensteuer nur an den Übergängen im Lebenslauf und vielleicht Weihnachten mit Kirche in soziale Berührung kommen. Dazu stellt sich das Problem, in welcher Beziehung zur Kirche sich Menschen befinden, die getauft (und meist auch konfirmiert) wurden, inzwischen aus der Kirche ausgetreten, aber trotzdem an religiösen Fragen interessiert sind und ab und zu gezielt kirchliche Aktionen unterstützen. Analysiert man diese verschiedenen Partizipationsformen an Kirche näher, so tritt, wenn auch in sehr unterschiedlicher Weise, der Gottesdienst als konstitutiv für Kirchenmitgliedschaft zu Tage: sei es als Sonntags-, Kasual-, Weihnachts-, Fürbitt-, Friedens- oder Schulgottesdienst.
Religionsdidaktische Konsequenz
Hermelink folgert: „Es ist die eigene wie die kulturell überlieferte Erfahrung des Gottesdienstes, die die individuelle Beziehung zur Kirche tiefgreifend prägt; und es ist darum die Gestaltung des Gottesdienstes, mittels derer die Kirche ihre Zugehörigkeitsbeziehungen vor allem bestimmt.“36 Von daher wird sich also ein Religionsunterricht, der sich seiner aus rechtlichen und didaktischen Gründen notwendigen Verbundenheit mit Kirche bewusst ist, dem liturgischen Geschehen mehr als bisher üblich zuwenden. Dies bedeutet aber keine Engführung auf traditionelle kirchliche Verhaltensweisen. Denn ein wichtiger kirchlicher Reformimpuls besteht darin, dass die enge Konzentration auf den Sonntagsgottesdienst und dessen wöchentlichen Rhythmus überwunden und die Pluralität der unterschiedlichen liturgischen Formen als gleichberechtigt erfasst wird.
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
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3.2.3 Gottesdienst-Reform Ein wesentliches Reformfeld evangelischer Kirche in Deutschland, das in den letzten Jahrzehnten viele kirchliche Kräfte gebunden hat, ist der Gottesdienst. 1999 wurde nach über dreißigjährigen Vorarbeiten in den meisten evangelischen Kirchen Deutschlands die sog. Agende 1 durch das Evangelische Gottesdienstbuch abgelöst und somit eine neue Ordnung für den Sonntagsgottesdienst eingeführt.37 Grundlegender Impuls für diese Gottesdienstreform war das Bemühen, angesichts der zunehmenden Zahl von sog. Gottesdiensten in neuer Form eine Grundorientierung für die Gestaltung von Gottesdienst zu geben.
Dazu wurde eine Grundstruktur des Gottesdienstes erarbeitet.38 Ohne dass die umstrittene Frage, ob die Grundstruktur sich historisch herleiten lässt oder nicht, gelöst wäre, hat diese sich in praktischen Vollzügen bewährt und kann für die Gestaltung von Schulgottesdiensten hilfreich sein: Teil A umfasst Eröffnung und Anrufung. Dabei wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die aus unterschiedlichen Situationen kommenden Menschen zusammengeführt und auf den Gottesdienst eingestimmt werden müssen. Bewährt haben sich hier Musik und/oder gemeinsames Singen. Ein kurzes Gebet kann zur Konzentration und Sammlung beitragen. Teil B enthält „Verkündigung“ und Bekenntnis. Hier geht es darum, dass die den Gottesdienst Feiernden in die Kommunikation des Evangeliums eintreten. Deshalb ist in diesem Teil eine biblische Lesung unverzichtbar. Die Auslegung muss aber nicht in einer Predigt erfolgen. Bei Schulgottesdiensten kann die Vorbereitungsgruppe hierzu ein Anspiel, Dialoge o. Ä. präsentieren. Auch die Beschäftigung in kleineren Gruppen mit der biblischen Orientierung ist möglich. Sachlich wichtig ist, dass
35 Hermelink: Theologie. 36 Hermelink: Theologie, 348. 37 Schwier: Erneuerung, arbeitet historisch genau und systematisch präzise die wichtigsten Probleme und Entscheidungen beim Prozess der Agendenreform heraus. 38 Gut führt in die damit gegebenen Möglichkeiten, aber auch Probleme ein: Ratzmann: Struktur.
Grundstruktur
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
jeweils die Ermutigung durch das Evangelium deutlich hervortritt etwa durch mediale Unterstützung. Teil C umfasst die Feier des Abendmahls. In den meisten Schulgottesdiensten wird dies angesichts der konfessionellen (bzw. religiösen) Inhomogenität entfallen müssen. Dass dabei eine wichtige Möglichkeit verloren geht, sich einer Gemeinsamkeit zu versichern, die jenseits von Sym- und Antipathie und sonstigen menschlichen Umgangsformen liegt, ist nicht nur theologisch, sondern auch schulpädagogisch zu bedauern. Teil D enthält Sendung und Segen. In diesem Teil des Gottesdienstes geht es besonders um die Öffnung zum sonstigen Alltag. Bei Schulanfänger- oder Schulentlassungsgottesdiensten hat es sich bewährt, den sonst allgemein gespendeten Segen jedem Schüler/jeder Schülerin und jeder Lehrerin/jedem Lehrer persönlich durch Handauflegung und Segensspruch zu applizieren. Kriterien
Dazu wurde mit dem Evangelischen Gottesdienstbuch ein Kriterienkatalog für evangelische Gottesdienste erarbeitet:39 1. Der Gottesdienst wird unter der Verantwortung und Beteiligung der ganzen Gemeinde gefeiert. 2. Der Gottesdienst folgt einer erkennbaren, stabilen Grundstruktur, die vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten offen hält. 3. Bewährte Texte aus der Tradition und neue Texte aus dem Gemeindeleben der Gegenwart erhalten den gleichen Stellenwert. 4. Der evangelische Gottesdienst steht in einem lebendigen Zusammenhang mit den Gottesdiensten der anderen Kirchen in der Ökumene. 5. Die Sprache darf niemanden ausgrenzen. 6. Liturgisches Handeln und Verhalten bezieht den ganzen Menschen ein; es äußert sich auch leibhaft und sinnlich. 7. Die Christenheit ist bleibend mit Israel als dem erstberufenen Gottesvolk verbunden.
Leitkriterium
Es scheint sich zunehmend als Konsens herauszubilden, dass das erste Kriterium das Leitkriterium ist. Demnach ist es wichtige Aufgabe der den Gottesdienst Leitenden, den Mitfeiernden Gelegenheit zu geben, sich zu beteiligen. Je nach Alter wird dies
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
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unterschiedlich aussehen. Angesichts ihres Bewegungsdrangs ist es z.B. ausgeschlossen, in einem Schulgottesdienst die Kinder bzw. Jugendlichen nur in Bänken sitzen zu lassen. Insgesamt gibt also diese Gottesdienstreform durch die Grundstruktur eine gute Hilfe für eine sachgemäße Gestaltung von Schulgottesdiensten an die Hand und ermutigt dazu, nicht nur bei den traditionellen, eher rezeptiven Formen zu verharren. 3.2.4 Leitbild-Entwicklung In der Diskussion um die Entwicklung von Kirche angesichts der neuen Herausforderungen spielt zunehmend die Leitbild-Entwicklung eine wichtige Rolle: „Ein Leitbild zeigt das ‚Gesamtbild der Organisation in der nahen Zukunft mit all ihren Bereichen‘“.40 Dazu gehören zum einen eine Vision, die die Zukunft der gesamten Organisation zeigt, zum anderen aber die Konturen, die diese Vision konkret erscheinen lassen. Das Leitbild verdichtet also die Zukunftserwartung von Kirche und gibt zugleich Hinweise auf die dazu notwendigen Handlungsimpulse. Entsprechend dem Zusammenhang von Leitbild und Umgebung der Organisation ist die Entwicklung und Pflege des Leitbildes eine ständige Aufgabe; zur Formulierung des Leitbildes gehört also der Prozess der Entwicklung und Pflege konstitutiv dazu. Dabei ist vor allem darauf zu achten, dass der Zusammenhang zwischen Leitbild und Alltag präsent bleibt. Einen Vorschlag für das Leitbild evangelischer Kirche hat Herbert Lindner vorgelegt, der hier, obgleich dabei der Prozess der Leitbild-Erstellung ausgeblendet wird, zur Anschauung zitiert sei: „Wir sind als evangelische Kirche Teil der weltweiten Christenheit. Wir sind eine glaubensfördernde und lebensbegleitende Kirche.
39 Zitiert nach: Evangelisches Gottesdienstbuch, 15f. 40 Lindner: Kirche, 53.
Leitbild
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Wir wollen durch die Verkündigung des Evangeliums von der Liebe Gottes vielen Menschen dazu verhelfen, als mündige Christinnen und Christen in Freiheit und Verantwortung zu leben. … Unsere Angebote orientieren sich an den Lebenslagen und Lebensstufen der Mitglieder und übersetzen das Evangelium in Lebenswelten und Lebensräume. Gegenüber unserer Umwelt sind wir offen, kooperativ und leistungsbereit. Unsere Mittel sind Verkündigung, Feier von Gottesdiensten und zeichenhafte Taten. Wir laden Mitglieder ein, ihre Gaben und Begabungen umfassend hauptberuflich oder teilweise in freien Tätigkeiten in den Dienst der Kommunikation des Evangeliums zu stellen. Gemeinsam sind sie als lernende Gemeinschaft wirksam. Wir wollen unseren Auftrag als vielgestaltige Volkskirche mit der Basisgestalt örtlicher Gemeinden erfüllen. Unsere Leitung unterstützt die Aufgabenerfüllung von Mitarbeitenden durch Entwicklung von Personen und Organisationen. Wir suchen langfristige Unterstützung durch eine steigende Zahl freiwillig Mitarbeitender und eine verläßliche Finanzbasis.“41
Religionsunterricht im Leitbild
Durch die Formulierung eines Leitbildes sollen Gemeinden zu einer klaren Ausrichtung ihres Tuns kommen, auch für Außenstehende. Dabei wird an Vorhandenes angeknüpft, zugleich aber eine neue Entwicklungsrichtung angegeben, die Menschen einladen soll, in der ihnen angemessenen Weise in Kontakt zur Gemeinde zu treten. Im Zuge der anzustrebenden, mancherorts bereits praktizierten Nachbarschaft von Schule und Gemeinde (f Kapitel
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
IV.4.1.2.1) liegt es auf der Hand, dass bei der Formulierung eines Leitbildes für eine Kirchengemeinde der Religionsunterricht Berücksichtigung finden muss. Er ist die Bildungsinstitution, in der Kirche die meisten Kinder und Jugendlichen erreicht. Dazu kann die Formulierung eines Leitbildes speziell für den evangelischen Religionsunterricht selbst anregendes Potential haben. Allein die Tatsache, dass in den meisten Schulen der Religionsunterricht mit einem (de facto) Alternativunterricht in Konkurrenz steht, erfordert eine deutliche Profilierung des Fachs. Sie wird bei Erarbeitung eines Schulprogramms unerlässlich, wenn nicht der Religionsunterricht als bedeutungsloses Relikt an den Rand gedrängt werden soll. Hier können evangelische Religionslehrer(innen) von der Diskussion um die Gemeindeentwicklung lernen.42 Das oben abgedruckte Leitbild für die evangelische Kirche kann in seiner Struktur ein Muster für die Formulierung des Leitbildes von Religionsunterricht sein. 3.2.5 Kasualien In den letzten fünfunddreißig Jahren kam es wesentlich initiiert durch Ernst Langes Impulse für eine Neubestimmung der Funktion von Gottesdienst43 zu einer Betonung der sog. Kasualien. Mittlerweile treten sie jedenfalls bei manchen Autoren gleichberechtigt neben den Sonntagsgottesdienst bzw. erscheinen sogar als wichtigste liturgische Veranstaltungen. Dahinter steht die sich nicht zuletzt aus den Statistiken des kirchlichen Lebens ergebende Einsicht, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland vorzüglich anlässlich sog. Kasualien den Weg in die Kirche findet. Der Religionssoziologe Michael Ebertz hat in diesem Zusammenhang einleuchtend die Unterscheidung zwischen einseitigen und zweiseitigen liturgischen Handlungen eingeführt.44 Die auch „ekklesiastische Riten“ genannten „einseitigen“ Gottesdienste sind nur aus kirchlicher Sicht begründet; bei ihnen 41 Lindner: Kirche, 125 (Gliederung entspricht dem Original). 42 In dem genannten Buch von Lindner werden ganz praktische Schritte für die Entwicklung eines Leitbildes aufgezeigt, wobei organisationssoziologische Erkenntnisse Berücksichtigung finden, die unschwer auf die Schule übertragbar sind. 43 Lange: Chancen. 44 Ebertz: Handlungen.
175
176
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
geht wie vor allem am sonntäglichen Gottesdienst sichtbar die Teilnahmezahl zurück. Dagegen finden die sog. „zweiseitigen“ Gottesdienste gleichbleibenden oder sogar wachsenden Zuspruch. Sie sind nicht nur kirchlich-theologisch begründet, sondern den Menschen für die Bewältigung ihres Lebens wichtig, vor allem an Übergängen im Lebenslauf. Schulgottesdienste
Während traditionell der Begriff „Kasualien“ die liturgischen Feiern bei Taufe, Konfirmation, Trauung und Bestattung umfasste, beginnt sich sein Bedeutungsumfang zu erweitern. Entsprechend der Zerdehnung der hinter diesen Gottesdiensten stehenden Übergänge im Lebenslauf, vor allem aber wegen anderer Übergänge, die viele Menschen als prekär empfinden, werden weitere liturgische Feiern unter die „Kasualien“ subsumiert. Dazu gehören die meist sehr gut besuchten Gottesdienste anlässlich des Schulanfangs oder auch der Schulentlassung. An beiden Punkten kulminieren offensichtlich Sorgen und Hoffnungen, so dass hier ein Ritual mit symbolischer Kommunikation attraktiv erscheint. Bei den Schulanfängern vollzieht sich unweigerlich ein wichtiger Schritt weg von der Herkunftsfamilie. Auf Grund des gesetzlichen Schulzwangs müssen die Kinder in den Bereich der Öffentlichkeit treten. Nicht wenige Eltern fragen sich: Werden die Kinder diesen Übergang in eine nicht mehr von den Eltern beschützte Welt ohne Schaden bewältigen? Werden sie in der neuen Welt der Leistungsanforderungen zurechtkommen? usw. Ähnliches kann bei Schulabgängern beobachtet werden. Die Jugendlichen und ihre Angehörigen sehen meist nicht nur hoffnungsfroh in die Zukunft. Arbeitslosigkeit, mancherlei Gefährdungen für Jugendliche drohen. Werden die jungen Menschen es schaffen, ein eigenständiges, verantwortliches Leben zu führen? Es sei nur darauf hingewiesen, dass diese Fragen sich für behinderte Kinder und Jugendliche und deren Eltern verschärft stellen. Werden sie in der Leistungsgesellschaft ihren Weg finden? Angesichts einer solchen prekären Situation verwundert es nicht, dass in vielen Schulanfänger- und -entlassungsgottesdiensten das gemeinsame Gebet und der Empfang des Segens im Mittelpunkt stehen. Die erbetene
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
177
und im Segen verheißene Begleitung Gottes und der Zuspruch seines Schutzes können helfen, diesen Übergang bewusster und zugleich gelassener zu begehen.
4.
Konsequenzen und Herausforderungen für den Religionsunterricht
Der sowohl rechtliche als auch vor allem inhaltliche Bezug des Religionsunterrichts zur Kirche bedingt, dass die im Vorhergehenden genannten Grundsätze evangelischer Kirche, die neueren Herausforderungen an sie sowie die Ansätze zur Kirchenreform den Religionsunterricht betreffen (sollten). Um dies zu entfalten, erinnere ich in einem ersten Durchgang an die Bemühungen der EKD, ihre Verantwortung für den Religionsunterricht wahrzunehmen. Danach sind verschiedene Impulse aus der Religionspädagogik zu bedenken, die den veränderten Umständen Rechnung zu tragen versuchen.
4.1
Impulse der EKD
4.1.1 Auseinandersetzung mit nichtchristlichen Religionen Wie bereits in f Kapitel III.1.2.2.2 dargestellt, kommt den Verlautbarungen der EKD bei der rechtlichen Bestimmung des Fachs große Bedeutung zu. Dabei hatte die Stellungnahme der EKD von 1971 wie zitiert das Gebiet des Religionsunterrichts nicht unerheblich dadurch erweitert, dass sie die „Auseinandersetzung mit nichtchristlichen Religionen und nichtreligiösen Überzeugungen“ als konstitutiv für den evangelischen Religionsunterricht bezeichnete. Damit reagierte die EKD frühzeitig auf die sich durch die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte und sonstige Migranten abzeichnende neue religiöse Situation in Deutschland. Demnach ist die Behandlung außerchristlicher Religionen nicht nur eine aus der Lebenswelt der Heranwachsenden, sondern zugleich eine aus dem Selbstverständnis der evangelischen Kirche begründete Notwendigkeit.
Verlautbarungen der EKD
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Ohne dass das schon von der EKD damals formuliert worden wäre, bringt diese Position neue Anforderungen an die religionsdidaktische Theoriebildung mit sich. Die theologische Perspektive ist um eine (theologische!) Theorie der Religionen zu erweitern, die in enger Kooperation mit der Religionswissenschaft steht. Dieses Anliegen nahmen die 1997 veröffentlichen Empfehlungen der EKD für die Reform des Lehramtsstudiums Evangelische Theologie/Religionspädagogik auf. Unter den Anforderungen, die an Lehramtsstudierende zu stellen sind, wird u.a. die „Fähigkeit zur kundigen Auseinandersetzung mit anderen konfessionellen, religiösen und philosophisch-weltanschaulichen Lebens- und Denkformen“ genannt, wozu auch „Grundkenntnisse an religionswissenschaftlichen Fragestellungen und Themen“ gehören.45 4.1.2 Denkschrift „Identität und Verständigung“ 1994 veröffentlichte die EKD die bislang einzige Denkschrift nur zum schulischen Religionsunterricht. Dieser einmalige Vorgang zeigt, welche Bedeutung die EKD mittlerweile diesem Fach zumisst. Der aktuelle Grund hierfür war die neue Situation, die durch die politische Vereinigung entstanden war. Dadurch ergab sich die innerkirchlich nicht unumstrittene Aufgabe, an den ostdeutschen Schulen Religionsunterricht einzuführen. Aus dem geringen Grad der kirchlichen Bindung in der Bevölkerung des Beitrittsgebiets, deren defizitären Kenntnissen hinsichtlich Religion und Christentum sowie unüberhörbaren Ressentiments aus der Zeit der Atheismus-Propaganda in der DDR resultierten neue Herausforderungen. Dazu gab die Denkschrift, deren Kommission unter dem Vorsitz von Karl Ernst Nipkow gearbeitet hatte und durch dessen Position geprägt worden war, neue Impulse: Fächergruppe
4.1.2.1 Organisatorisch schlug die Denkschrift vor, den Religionsunterricht in einer Fächergruppe zu platzieren.46 Diese sollte Evangelischen und Katholischen Religionsunterricht, (soweit vorhanden) Jüdischen und Islamischen Religionsunterricht sowie den Ethik- bzw. Philosophieunterricht umgreifen. Damit wollte man der im Titel der Denkschrift formulierten Aufgabe „Identität und Verständigung“ entsprechen und diesem dop-
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
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pelten Anliegen eine brauchbare schulische Organisationsform geben. Die jeweiligen Fächer sollten ihre Eigenständigkeit behalten, also die Konfessionalität des Religionsunterrichts bewahrt bleiben. Zugleich sollten aber Öffnungen und Kooperationen zwischen den genannten Fächern institutionalisiert werden, um den notwendigen Verständigungsprozess zu fördern. Bei diesem Vorschlag fällt auf, dass entgegen sonstigen schulischen Gepflogenheiten, in denen man von der „naturwissenschaftlich-technischen“ oder „sozialwissenschaftlichen“ Fächergruppe spricht bei dieser Fächergruppe kein Attribut Verwendung findet. Dies ist keineswegs ein Versehen, sondern markiert ein schwerwiegendes Problem dieses Konzepts. Jedes Attribut etwa „religiös-ethisch“, „ethisch-religiös“, „ethischweltanschaulich-religiös“, „lebenskundlich-ethisch-religiös“ o. Ä. wiese sofort auf die Gefahr einer solchen Fächergruppe hin, nämlich die Funktionalisierung von Religion. Dieses Problem tritt noch deutlicher hervor, wenn man einen Blick in die deutsche Schulgeschichte wirft. Schon einmal sollte der Religionsunterricht einer „Fächergruppe“ zugeschlagen werden, damals mit Deutsch, Philosophie, Geschichte, Erdkunde und Kunst der „deutschkundlichen Fächergruppe“.47 Dem Modell der Fächergruppe dürfte auch deshalb kein Erfolg beschieden sein, weil sich ihm bislang die römisch-katholische Kirche verweigert. Mehr Aussicht auf Realisierung haben die Vorschläge einer konfessionellen Kooperation,48 zumal sie wie in f III.1.2.3 gezeigt teilweise schon Schulrecht und -praxis bestimmen. Besondere Möglichkeiten sieht die EKD für die Sekundarstufe II. Hier wird empfohlen, die Kurse grundsätzlich für Schülerinnen und Schüler der anderen Konfession zu öffnen. Dazu regt die Kommission konfessionelle Kooperation auf unterschiedlichen Ebenen an: Bildung einer gemeinsamen Fachkonferenz aller Religionslehrkräfte,
45 46 47 48
Kirchenamt der EKD (Hg.): Dialog, 71. Kirchenamt der EKD (Hg.): Identität, 73–81. Richert: Bildungseinheit (kritisiert durch Litt: Gedanken). Kirchenamt der EKD (Hg.): Identität, 65–72.
Konfessionelle Kooperation
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Kooperation im Unterricht durch fächerübergreifende Unterrichtseinheiten, Durchführung gemeinsamer Projekte. Kerncurriculum
4.1.2.2 Didaktisch weiter führt der unmittelbar Anregungen von Nipkow aufnehmende Vorschlag eines Kerncurriculums für den Evangelischen Religionsunterricht. Dabei geht man davon aus, dass die „Gottesfrage“ im Zentrum dieses Fachs steht: „Letztlich messen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen Kirchen, Konfessionen und Weltreligionen an der Frage nach Gott und an den Antworten, die auf diese Frage gegeben werden. Von der Gottesfrage kommen sie nicht so leicht los. Sie treibt noch insgeheim um und ist wichtiger als die Kirchenfrage.“49 Daraus leiten die Autoren der Denkschrift sechs Fragen ab, denen jeweils wichtige Glaubenseinsichten korreliert werden: – der Frage nach dem Anfang der Schöpfungsglaube, – der Frage nach dem Ende der Glaube an ein Weiterleben nach dem Tod, – der Frage nach dem Leiden der Kreuzestod Jesu, – der Frage nach Gott die biblischen Geschichten von Jesus von Nazaret, – der Frage nach der Kirche der Hinweis darauf, woran Menschen glauben und wofür sie leben, – der Frage nach der Gerechtigkeit die christliche Ethik.50
Kritik
Hiermit soll einerseits ein klares Profil des Evangelischen Religionsunterrichts beschrieben, andererseits die Offenheit für die Anliegen der Heranwachsenden demonstriert werden. Hinsichtlich der Einordnung des Fachs in das Gesamte der Schule setzt sich die Denkschrift kritisch mit Klafkis Didaktik (f IV.3.2.1) auseinander. Der Ansatz bei epochaltypischen Schlüsselthemen wird gutgeheißen. Es werden aber inhaltlich drei Ergänzungen gefordert: die ethische Grundlagenproblematik, das Pluralismusproblem und Religion als Schlüsselproblem.51 Insgesamt fällt bei der Denkschrift die Distanz zu kirchlicher Praxis, etwa zu den genannten kirchlichen Reformprozessen auf. Die liturgische Dimension bleibt weitgehend ausgeblendet
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
181
bzw. in Form von Stilleübungen u. Ä. auf die Grundschule beschränkt. Die Konzentration auf die abstrakte „Gottesfrage“ fordert hier ihren Tribut. Der didaktische Ansatz von Benner (f IV.3.2.2), der unmittelbar auf menschliche Praxis bezogen ist, wird nicht aufgenommen. 4.1.2.3 In der an die Veröffentlichung anschließenden Diskussion wurde ein weiterer konzeptioneller Vorschlag der Denkschrift nur wenig beachtet, obgleich er ein wichtiges religionspädagogisches Problem markiert: die Zuordnung und Abgrenzung der Angebote religiösen Lernens an unterschiedlichen Lernorten. Konkret brach diese schon lange hinsichtlich des Verhältnisses von schulischem Religions- und gemeindlichem Konfirmandenunterricht diskutierte Frage im Zuge der Vereinigung auf. Denn in der DDR waren als Ersatz für den staatlich zerstörten Religionsunterricht gemeindliche Unterrichts- und Lernformen entwickelt worden, die durch die Einführung des Religionsunterrichts in den Schulen nach der Wende tangiert wurden. In zwei Hinsichten profiliert die Denkschrift die beiden unterschiedlichen Lernorte:52 Den Religionsunterricht sieht sie durch die unterrichtliche Struktur und die Eingebundenheit in die Leistungsschule charakterisiert; dagegen „besitzen die Kirchen mit ihren räumlichen und zeitlichen Variationsangeboten meist größere gestalterische Freiräume, die es ihnen ermöglichen (sollten), stärker als die Schulen ihre Vorhaben situationsspezifisch zu modifizieren“. Der Religionsunterricht ist durch altershomogene Lerngruppen und eine erwachsene Lehrperson gekennzeichnet, wobei der Schulabgang diese Zusammenarbeit beendet. In der Gemeinde sind dagegen intergenerationelle Lernprozesse möglich, die zeitlich wenigstens prinzipiell offen sind. Dazu wird das gegenseitige Aufeinander-Verwiesensein beider Lernorte hervorgehoben. Nicht bedacht wird dagegen die
49 50 51 52
Kirchenamt der EKD (Hg.): Identität, 17. S. ausführlicher Kirchenamt der EKD (Hg.): Identität, 18f. Kirchenamt der EKD (Hg.): Identität, 32f. Kirchenamt der EKD (Hg.): Identität, 47f.
Lernorte
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B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Tatsache, dass die gemeindlichen Angebote abgesehen von der Konfirmandenarbeit nur noch einen recht kleinen Teil der Heranwachsenden erreichen. Für die meisten Jugendlichen ist mittlerweile der Religionsunterricht der Ort, an dem sie am längsten und intensivsten dem Thema Religion begegnen.
Vergleich
4.1.3 Spannung zwischen den Grundsätzen evangelischer Kirche und den EKD-Empfehlungen Vergleicht man die theologischen Grundsätze evangelischer Kirche, wie sie im Artikel 7 der Confessio Augustana formuliert sind, und die Empfehlungen der Denkschrift „Identität und Verständigung“ miteinander, sind nur schwer Zusammenhänge erkennbar. Dies ist aber nicht nur Ausdruck der zeitlichen Differenz und der unterschiedlichen Zielperspektive das eine Mal ein Reichstag des 16. Jahrhunderts, das andere Mal die schulpädagogische Diskussion im Anschluss an die politische Vereinigung Deutschlands. Gravierender erscheint mir, dass der unterrichtlich erfahrene Praeceptor Germaniae Melanchthon die Kirche anhand von zwei konkreten Praxisvollzügen zu bestimmen vermochte, während die Kommissionsmitglieder der EKD sechs Lehrzusammenhänge als charakteristisch für Evangelischen Religionsunterricht herausstellten. Überspitzt formuliert: Während es in der Confessio Augustana um eine konkrete, im Leben und Sterben bewährte Religion geht, die elementarisierend anhand zweier Praxisvollzüge vorgestellt werden kann, begegnet in „Identität und Verständigung“ eine Schulreligion, die sich an der „Gottesfrage“ abarbeitet und wesentlich aus Lehren besteht.
Grundschule?
Gewiss und hierin liegt das Recht der EKD-Bemühungen können theologische Einsichten nicht direkt in den Raum Schule eingetragen werden. Doch stellt sich heute angesichts der skizzierten Veränderungen am Lernort Schule die Frage, ob sich nicht die EKD damit weitgehend dem seit dem Siegeszug der Curriculum-Debatte anhebenden Trend der Verwissenschaftlichung der Schule angeschlossen hat und dabei Gefahr läuft, neuere Entwicklungen zu verfehlen. Man könnte die in „Identität und Verständigung“ vorgetragenen Überlegungen als wesentlich auf die Mittel- und Oberstufe
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
des Gymnasiums konzentriert interpretieren während die wenigen auf Grundschule bezogenen Passagen mehr auf konkrete Praxisbezüge verweisen. Doch wäre damit noch nicht hinreichend erklärt, warum auch bei den Hinweisen zur Grundschule keine konkreten Vollzüge evangelischen Christseins wie das Beten, sondern nur allgemeinere Praktiken wie „Stilleübungen“ oder „Meditation in kindgemäßer Form“ genannt werden. Die in f Kapitel IV.4.2.3 zitierte empirische Studie von Lück lässt vermuten, dass mit dieser abstrakt-distanzierten Haltung zu konkreter evangelischer Glaubenspraxis die Verfasser sich auch in erheblichem Abstand zu der Mehrzahl der Religion unterrichtenden Grundschullehrerinnen befinden. Inzwischen äußerte sich die EKD in einer Stellungnahme zum Religionsunterricht in der Grundschule etwas deutlicher. Im Zusammenhang mit den im Religionsunterricht zu erwerbenden Fähigkeiten werden neben manchem anderen „charakteristische Formen religiösen Lebens … (wie Singen, Beten, Lesen, Danken, Klagen und Bitten)“ genannt.53 In der neuesten Denkschrift der EKD zu Bildungsfragen „Maße des Menschlichen“ wird deutlich, dass ein wesentlicher Grund für diese Differenz zwischen den bekenntnismäßigen Grundsätzen der evangelischen Kirche und ihren gegenwärtigen Stellungnahmen zum Religionsunterricht darin begründet ist, dass die EKD ihre Überlegungen aus einem abstrakten in sich unzureichend geklärten Bildungsbegriff herleitet, nicht jedoch die Glaubenspraxis evangelischen Christseins als konstitutiv für die Gestaltung von Evangelischem Religionsunterricht erachtet.54
4.2
Religionspädagogische Impulse
Die religionspädagogische Diskussion hinsichtlich der kirchlich-religiösen Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts tritt gegenwärtig in zwei Stränge auseinander, nämlich die Bemühungen: 53 Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hg.): Religion, 9. 54 Vgl. hierzu meine kritische Stellungnahme zu Kirchenamt der EKD (Hg.): Maße: Grethlein: Bildung.
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Abstrakter Bildungsbegriff
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Elementarisierung
Pluralität
Inhalte?
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
um eine „pluralitätsfähige Religionspädagogik“ und um die Frage nach den unverzichtbaren Inhalten des Religionsunterrichts. Didaktisch geht es beide Male um die Aufgabe der selbstverständlich auf den jeweiligen Entwicklungsstand der Heranwachsenden zu beziehenden Elementarisierung, wobei einmal die gegenwärtige Situation als grundlegend angesehen wird, das andere Mal die Identitätsmerkmale evangelischen Christseins den Ausgangspunkt religionsdidaktischer Reflexion bilden. 4.2.1 Pluralitätsfähige Religionspädagogik In einer programmatischen Publikation, die zugleich den Beginn einer „Religionspädagogik in pluraler Gesellschaft“ betitelten Buchreihe markiert, stellen je zwei renommierte evangelische und katholische Religionspädagogen fest: Die „gesellschaftliche, kulturelle, religiöse und weltanschauliche Pluralität“ ist „der entscheidende Kontext für religionspädagogisches Handeln“.55 Religionspädagogik hat hier wesentlich die Aufgabe, Menschen ein reflektiertes Verhältnis zu solcher Pluralität zu ermöglichen. Einsatzpunkt der religionspädagogischen Reflexion sind also die wichtigen gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen. In der weiteren Entfaltung dieses Ansatzes werden vor allem dringliche Fragen und Probleme genannt. Die Frage nach positiven Inhalten tritt dagegen deutlich zurück. Und in der Tat scheint Pluralität dadurch gekennzeichnet, dass eindeutige Inhalte nicht zuhanden sind. Wenn die Frage nach den Inhalten doch verfolgt wird, sind drei Entscheidungen bemerkenswert: Die Frage nach den Inhalten wird formal bearbeitet. Vor allem zielt die vorgestellte pluralitätsfähige Religionspädagogik auf etwas, was „am ehesten noch in Kategorien formaler religiöser Kompetenzen (zu) erfassen“ ist. Genauer: „Eine pluralitätsfähige Religionspädagogik in christlich-kirchlicher Verantwortung erkennt also den Anspruch der Menschen heute auf religiöse Autonomie uneingeschränkt an, möchte aber gerade um dieser religiösen Selbstbestimmungsfähigkeit willen das religiöse Orientierungsbemühen von Kindern und Jugendlichen auch in Verbindung bringen mit dem Erbe substantieller religiöser Traditionen.“56
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
Als zweites wird betont, dass eine pluralitätsfähige Religionspädagogik einer „individualisierenden Didaktik“ bedarf.57 Damit soll den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler Rechnung getragen werden. Wichtig ist hierbei hinsichtlich der Inhalte der Hinweis darauf, dass unterrichtlich weniger die sog. Weltreligionen als vielmehr die gelebten Formen von Religion von Interesse sind. Schließlich sind sich die Autoren der Problematik bewusst, die durch die Spannung entsteht zwischen der Aufgabe, in der Schule Religion reflexiv zu bearbeiten, und der zurückgehenden Zahl von Schülern, die Religion „als lebensgestaltende Größe erfahren“.58 Das daraus resultierende Problem einer „Schulreligion“ wird benannt, ohne aber gelöst zu werden. Wichtig ist der Hinweis, dass der Lebensbezug zu den Schülerinnen und Schülern gewahrt bleiben muss. Zusammengefasst bleibt also dieses neue Konzept bei seiner klaren analytischen Erfassung der Situation hinsichtlich der Frage nach den konkreten Inhalten des Religionsunterrichts merkwürdig unbestimmt. Die Kirche kommt, wenn überhaupt, nur indirekt in den Blick. Die Forderung der Berücksichtigung der Individuen und des Lebensbezugs wird von niemandem bestritten werden. Doch sind damit nur wichtige Perspektiven bezeichnet, die bei den Inhalten des Religionsunterrichts zu beachten sind, aber noch keine Inhalte. 4.2.2 Elementare Inhalte des Religionsunterrichts Demgegenüber geht es im nächsten Ansatz genau um die hier offen gelassene Frage. Sie wird sogar provozierend gegenüber der sonst in der Religionsdidaktik heute üblichen indirekten bzw. problematisierenden Terminologie direkt formuliert: „Was muß ein Mensch lernen, um als Christ leben zu können?“59 Damit nimmt dieser Ansatz zum einen die im f III. Kapitel entfaltete rechtliche Situation des Religionsunterrichts auf, die davon ausgeht, dass im Religionsunterricht positiv die 55 Schweitzer/Englert/Schwab/Ziebertz: Entwurf, 11. Im Folgenden beziehe ich mich auf dieses Buch. 56 Englert: Skizze, 96. 57 Schweitzer: Schule, 161. 58 Englert: Dimensionen, 33. 59 Im Folgenden beziehe ich mich auf Grethlein: Inhalt.
185
Kritik
Als Christ leben
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Kommunikation des Evangeliums
Präzisierung
B. Rahmenbedingungen und Perspektiven
Wahrheit des jeweiligen Glaubens vermittelt wird. Wozu sollten sonst die kirchliche Bindung der Religionslehrer oder das Recht auf Abmeldung notwendig sein? Zum anderen impliziert diese Frage die Forderung nach der Elementarisierung des christlichen Glaubens, die die im Ansatz der pluralitätsfähigen Religionspädagogik betonten Gesichtspunkte der Individualität und Lebensnähe berücksichtigt. Ausgangspunkt der genaueren Bestimmung des Inhalts ist die von Ernst Lange aus der allgemeinen ökumenischen Debatte übernommene Formulierung der „Kommunikation des Evangeliums“ (f 1.1). Im Religionsunterricht soll Kindern und Jugendlichen das Evangelium kommunikativ erschlossen werden. Dass dabei offen bleibt, ob sie sich für das eigene Leben diese Perspektive zu eigen machen oder nicht, ist sowohl aus theologischen als auch pädagogischen Gründen selbstverständlich. Die immer noch recht allgemeine Formulierung „Kommunikation des Evangeliums“ wird dann einerseits unter Rückgriff auf die pädagogischen Erkenntnisse Benners (f IV.3.2.2) und andererseits auf die religionssoziologischen Einsichten zur kirchlichen Partizipation (f V.3.2.5) präzisiert. Von Benner her besteht die Notwendigkeit, die Bindung an Kirche in praktischen Handlungsvollzügen zu formulieren; die Religionssoziologie weist auf die große Bedeutung der Kasualien für die meisten Menschen hin. Die beiden religiösen und christlichen Handlungsvollzüge des Betens und Gesegnet-Werdens bzw. Segnens entsprechen genau diesen Anforderungen. Denn sie sind die grundlegenden Formen religiöser und christlicher Praxis und die wesentlichen Elemente der kirchlichen Angebote, die sich gegenwärtig der größten Nachfrage erfreuen. Zusammenfassend kann auf dem Hintergrund dieser theologisch-ökumenischen, pädagogischen und religionssoziologischen Argumente als These formuliert werden: „Beten und Gesegnet-Werden bzw. dann auch Segnen sind die beiden Grundvollzüge christlicher Religion, ohne deren auch den praktischen Vollzug umfassende Kenntnis heute christliche Religion nicht hinreichend zu verstehen ist. Sie sind inhaltlich konzentriert auf die Grundlage christlichen Glaubens, das Evangelium, und in ihrer Lebensnähe offen für die Bedürfnisse heutiger Menschen und die Vielfältigkeit religionspädagogischer Bemühungen.“60
V. Kirchliche Rahmenbedingungen
Allerdings darf der Religionsunterricht als Unterrichtsfach in der Schule nicht mit liturgischen Vollzügen verwechselt werden. Beten und Segnen bezeichnen verdichtend die religiöse Praxis, auf die der konkrete Unterricht zu beziehen ist. Damit soll zum einen der Gewinn der religionsdidaktischen Entwicklung aufgenommen und zum anderen dem damit gegebenen Problem gewehrt werden. Denn seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich der Religionsunterricht thematisch sehr geweitet, was hinsichtlich der Lebensnähe zu begrüßen ist, aber die Gefahr inhaltlicher Diffusität mit sich bringt mitunter in der Schülerfrage begegnend, was dieses oder jenes Thema mit „Religion“ zu tun habe. Die hier vorgeschlagene Konzentration verfolgt als Anliegen eine Überprüfung und Reflexion der Inhalte des Religionsunterrichts unter der Frage: Welchen Beitrag leisten sie dazu, dass den Heranwachsenden die beiden wesentlichen elementaren und alltäglichen Vollzugsformen christlicher Religion zugänglich werden, das Beten und das Gesegnet-Werden bzw. Segnen. Es geht also nicht um eine Reduktion der Themen im Religionsunterricht, sondern um deren neue Akzentuierung unter dem Vorzeichen inhaltlicher Konzentration (f VII.5.3.2). Davon können bessere Übersichtlichkeit und damit günstigere Lernmöglichkeiten erhofft werden. Wegen der grundlegenden Bedeutung von Gebet und Segen in wichtigen nichtchristlichen Religionen legt ein solcher konzeptioneller Ansatz zugleich eine tragfähige Basis für die Begegnung mit den Nachbarreligionen und damit interreligiöse Lernprozesse.
60 Grethlein: Inhalt, 131.
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Inhaltliche Konzentration, nicht Reduktion
C. Heutiger Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Die folgenden Überlegungen zur didaktischen Profilierung des Religionsunterrichts gehen von der unmittelbar einleuchtenden, aber nicht immer in der Geschichte der Religionsdidaktik hinreichend präsenten Tatsache aus: Religionsunterricht ist ein kommunikatives Geschehen.
Dies ist zum einen aus pädagogischer Perspektive evident. In der Schule begegnen sich Lehrer bzw. Lehrerin und Schülerinnen und Schüler und kommunizieren auf verschiedene Weise miteinander. „Alles, was sich zwischen Lehrern und Schülern untereinander ereignet, ist Kommunikation. Dazu zählt das Gesicht der Lehrer, wenn sie die Klasse betreten; die Weise, wie sie Arbeitsaufträge an die Schüler geben; wie Schüler auf Wortbeiträge von Mitschülern reagieren, uvm. … Menschen reagieren aufeinander, und man fühlt oder stellt fest, ob die wechselseitigen Reaktionen gut oder schlecht gelungen sind, was der eine über den anderen denkt, ob man sich versteht oder nicht, ob danach die Atmosphäre aufgelockert oder erst recht vergiftet ist, ob ein Problem gelöst werden konnte oder nicht, usw.“1 Es ist unstrittig, dass den Lehrer(inne)n bei den Kommunikationsprozessen im Unterricht die wichtige Aufgabe zukommt, ein dem Lernen förderliches Klima zu schaffen und die Inhalte des Unterrichts so zu kommunizieren, dass die Schüler sie gut verstehen und sich aneignen können. Zugleich haben aber auch die Schüler(innen) im Rahmen ihrer alters- und milieu1 Hilger/Ziebertz: Ansätze, 92; ebd. 92–97 wird der Gesichtspunkt des Kommunikativen in seiner Bedeutung für die Didaktik ausführlich erörtert.
Pädagogische Perspektive
190
Evangelium
Glauben und Lernen
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
spezifischen Möglichkeiten ihren Beitrag zu einer Atmosphäre zu leisten, in der es zu gegenseitigen Lernprozessen kommen kann. Eine besondere Akzentuierung erhält diese allgemein pädagogisch für jeden Unterricht geltende Anforderung im Religionsunterricht dadurch, dass wie in f Kapitel V.1. gezeigt der wesentliche Inhalt dieses Fachs, das Evangelium, selbst wiederum ein kommunikatives Geschehen ist und zwar mit zwei besonderen Akzenten: „Evangelium“ ist kein jenseits konkreter Kommunikation feststehender Sachverhalt. Vielmehr impliziert „Evangelium“ eine produktive, wechselseitige Aneignung durch die Kommunikationspartner; der in gewisser Hinsicht tautologische Ausdruck „Kommunikation des Evangeliums“ unterstreicht dies. Von daher erfordert der Religionsunterricht in besonderem Maße eine angstfreie, offene Kommunikationsatmosphäre. Deshalb ist es für eine Religionsdidaktik wichtig, die voraussichtlichen Einstellungen von Lehrern und Schülern zum Unterrichtsfach und -gegenstand zu thematisieren (f VI. Kapitel). Denn sie prägen die Kommunikationsprozesse mit, ob man will oder nicht. Dazu lässt sich „Evangelium“ nicht auf verbale Vollzüge beschränken. Es umfasst ethisch-diakonische und rituelle Komponenten mit ihren symbolischen und leiblichen Implikationen (f V.1.1). Von daher gilt es, die Ziele und Inhalte (f VII. Kapitel), aber auch die Medien und Methoden (f VIII. Kapitel) des Religionsunterrichts in den Blick zu nehmen. Alle vier Bereiche hängen zwar miteinander zusammen, insofern sie im konkreten Kommunikationsgeschehen des Unterrichts untrennbar sind, doch stellt ihre Reflexion bei der konkreten Unterrichtsvor- und -nachbereitung unterscheidbare Arbeitsschritte dar. Die Inhaltsimplikationen der Lernziele und der enge Zusammenhang zwischen Wahl der Methoden und Medien legen in der praktischen Unterrichtsvorbereitung deren jeweilige Zuordnung nahe. Dieser kommunikationstheoretische Ansatz der Religionsdidaktik impliziert zugleich eine Antwort auf die alte fundamentalreligionspädagogische Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Lernen. Zwei extreme Lösungsversuche stehen sich hier seit längerem gegenüber:2
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Die pneumatologisch begründete Betonung der Unverfügbarkeit des Glaubens führte immer wieder zu einer schroffen Negierung eines Zusammenhangs von Glauben und Lernen. Das Problem war aber, dass dann die Fragen der Methodik und der Medien in unpraktikabler Weise in den Hintergrund traten bzw. in ihrer unterrichtspraktischen Bedeutung konzeptionell nicht erfasst werden konnten. Klassisch formulierte 1928 Theodor Heckel diese Position: „Die Bitte um den Heiligen Geist, der durch das Wort zum Glauben ruft, ist schlechthin wichtiger als alle Methodik.“3 Dagegen konnte eine an einem allgemeinen Religionsbegriff orientierte Religionspädagogik die von ihr initiierten und reflektierten Lernprozesse ohne Schwierigkeiten unter ein allgemein pädagogisches Lernverständnis subsumieren. Dadurch wurde aber die Besonderheit von Religion, nämlich eine offensichtlich nicht allgemein verfügbare Wahrheit zu kommunizieren, übergangen. Ausführlich begründete Richard Kabisch diese psychologisch argumentierende Position. Dabei versteht er unter „Lehren“, „einen anderen durch planmäßige Einwirkung in den Stand setzen, eine geistige oder körperliche Tätigkeit, die er bis dahin nicht oder nur unvollkommen beherrschte, ganz oder in vollkommenerem Grade auszuüben bzw. einen geistigen Zustand, der ihm sonst ganz oder teilweise fremd war, zu erleben oder zu steigern.“4 Mittlerweile helfen sowohl differenzierte pädagogische Theorien des Lernens als auch fortgeschrittene theologische Theorien des Glaubens aus der falschen Alternative zwischen Glauben und Lernen heraus: Pädagogisch ist heute die Bedeutung des lernenden Subjekts für den Erfolg von Lernprozessen unstrittig. Vor allem Veränderungen in grundlegenden Einstellungen und Haltungen sind kaum dauerhaft gegen den Widerstand von Lernenden durchzusetzen. Von daher ist Lernen in pädagogischer Hinsicht etwas 2 S. zum Folgenden Lachmann: Lehr- und Lernbarkeit; hier wird auch die wichtigste Literatur genannt. 3 Heckel: Methodik, 29. Versuche, die sog. Katechetik wiederzubeleben, tendieren teilweise in diese Richtung. 4 Kabisch: Religion, 19, 56. Religionskundlich ausgerichtete Konzepte eines sog. Allgemeinen Religionsunterrichts stehen bis heute in dieser Tradition.
191
Falsche Alternativen
Differenzierungen
192
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Unverfügbares. Dazu unterliegt es wie andere Kommunikationsprozesse Unwägbarkeiten, die das Modell einer direkten Wissensvermittlung unrealistisch erscheinen lassen. In dieselbe Richtung, nämlich die eines differenzierten Zusammenhangs von Glauben und Lernen, führt die Reflexion eines ähnlichen Problems in der Dogmatik, nämlich des Verhältnisses zwischen Glauben und historischem Wissen, also einem Produkt von Lernprozessen. Eberhard Jüngel formulierte hierzu, „daß das hist. Wissen als unerläßlicher Glaubensanlaß und als ein Aspekt des Glaubensinhalts, nicht aber als Glaubensgrund in Betracht kommt.“5 Demnach könnte für die Religionsdidaktik gelten: Das – pädagogisch zu reflektierende – Lernen wichtiger Sachverhalte der Christentumsgeschichte und heutiger Darstellungen des Christentums ist unerlässlicher Glaubensanlass und ein Aspekt des Glaubensinhalts, kommt aber nicht als Glaubensgrund in Betracht.
Dadurch sind die besondere Würde und zugleich die Grenze des Lernens, auch in der Schule, für die Kommunikation des Evangeliums als Praxis des christlichen Glaubens bestimmt.
VI. Religionslehrer und Schüler Schule ist grundlegend eine Veranstaltung für die Schülerinnen und Schüler. Sie sollen etwas lernen und so zur Gestaltung eines selbstbestimmten und verantwortlichen Lebens in den unterschiedlichsten Bereichen befähigt werden. Von daher legt es sich aus sachlichen Gesichtspunkten nahe, bei einer Darstellung der Kommunikation im Religionsunterricht als einem schulischen Unterrichtsfach bei ihnen zu beginnen. Doch dominieren die Lehrerinnen und Lehrer das für Schule zentrale Unterrichtsgeschehen. Sie machen den Schülern Vorgaben, strukturieren die Lernprozesse, legen im Wesentlichen unterstützt durch die Lehrpläne (und hoffentlich im Austausch mit den Schülern) die Lernziele fest, präsentieren die zu be-
VI. Religionslehrer und Schüler
handelnden Inhalte, sorgen für Ordnung usw. Dazu kommt ihnen im Religionsunterricht aus unterschiedlichen Gründen wachsende Bedeutung zu: Angesichts der zunehmenden Marginalität von Kirche und der massenmedialen Entwicklung konstatiert Renate Köcher zu Recht: „Je weniger die Partizipation am Religionsunterricht durch die Beziehung zum Glauben gestützt wird, desto mehr hängt es von der Person des Lehrers ab und von der Gestaltung des Unterrichts, ob die Schüler für den Religionsunterricht interessiert und an den Unterricht gebunden werden können.“6
Dazu lässt der zunehmende Umfang der elektronisch medialen Kommunikation vermuten, dass die unmittelbare face-to-faceKommunikation, und damit die Beziehung von Lehrern zu Schülern, insofern sie diese Kommunikation (weitgehend) symmetrisch gestalten, an Gewicht gewinnt bzw. gewinnen wird.7 Nicht nur auf Grund dieser herausragenden Rolle will ich im Folgenden mit Überlegungen zu den Religionslehrer(inne)n beginnen; jede Schulreform wird bei ihnen einsetzen, da sie über die Lehrerausbildung und -fortbildung gut zu erreichen sind. Allerdings haben Überlegungen zum Konzept der Lehrerrolle nur Sinn, wenn sie die gegenwärtigen Einstellungen, Interessen und Probleme der Schüler berücksichtigen. Deshalb trete ich in diesem Kapitel in eine spiralförmige Argumentation ein: Ich beginne mit Hinweisen zu den Religionslehrer(inne)n, fahre fort mit der Thematisierung der Schüler(innen), um von dort wiederum zu den Aufgaben der Lehrer(innen) zu kommen. Kommunikativ gesehen handelt es sich dabei um ein Geflecht, das einem Nacheinander entgegensteht doch aus Gründen der übersichtlichen Darstellung ist diese separierende Betrachtung unvermeidlich.
5 Jüngel: Glaube, 973. 6 Köcher: Religionsunterricht, 48. 7 Vgl. ausführlicher Grethlein: Kommunikation, 96–102.
193
194
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
1.
Religionslehrer
In ersten Überlegungen will ich mich dem Thema „Religionslehrer“8 von außen nähern. Kurz skizziere ich ihre institutionelle Einbindung, sodann einige wirkungsmächtige konzeptionelle Bestimmungen ihrer Aufgaben und Rolle. Erst dann werden die Religionslehrer vermittelt über empirische Forschung selbst zu Wort kommen: ihre grundsätzliche Einstellung zum Unterrichtsfach „Religion“ und dann vor allem ihr Verhältnis zu Kirche und Religion.
1.1
Institutionelle Einbindung
Freiheit
Auf den ersten Blick erscheint das Lehrer-Sein als freie ungebundene Tätigkeit. Die für diesen Beruf zentrale Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern findet in der Regel ohne weitere Zuschauer im Klassenzimmer statt. Doch in Konfliktfällen zeigt sich, dass die unabdingbare Freiheit der Lehrer nicht mit Ungebundenheit verwechselt werden darf.9 Inhaltlich ist der Lehrplan Grundlage des Unterrichts. Zwar können aus Aktualitätsgründen Sachverhalte zum Thema werden, die hier nicht vorgesehen sind. Und in den meisten Religions-Curricula ausgenommen die mitunter materialreichen Vorgaben für die gymnasiale Kursstufe sind freie Zeiten hierfür vorgesehen. So können in Übereinstimmung mit der Intention des Lehrplans sowohl tagesaktuelle Fragen als auch aus der speziellen Unterrichtsgruppe erwachsende Probleme aufgegriffen werden. Allerdings bedarf dies im Konfliktfall einer religionsdidaktischen Rechtfertigung. In der Praxis kommt es zu solchen Auseinandersetzungen meist durch Beschwerden von Eltern. Themen wie Sexualaufklärung, soziale Gerechtigkeit, aber vielleicht bei evangelikal eingestellten Eltern auch historisch-kritische Zugangsweise zur Bibel sind hierfür besonders anfällig.
Doppelte, institutio-
Bei solchen Konflikten wird die doppelte institutionelle Eingebundenheit der Religionslehrkräfte deutlich: Sie sind in der Regel als Beamte bzw. Angestellte in das normale schulische Aufsichtswesen integriert. Je nach Schulart ist
nelle Bindung
VI. Religionslehrer und Schüler
dies etwas unterschiedlich geregelt. Auf jeden Fall ist die Schulleitung in einem solchen Verfahren eine wesentliche Instanz, die aber wiederum der Aufsicht von Schulamt, Ministerialbeauftragten usw. unterliegt. Im Religionsunterricht hat die normale Schulaufsicht, also Rektor, Oberstudiendirektor o. Ä., aber nur Zugriff auf die äußere, also die organisatorische Form. Bei inhaltlichen Fragen müssen Vertreter der Kirche hinzugezogen werden. Denn gemäß Grundgesetz Artikel 7,3 sind wie in f Kapitel III.1.2 dargestellt die „Religionsgemeinschaften“ für die inhaltliche Seite des Religionsunterrichts zuständig. Dieser ist „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ zu erteilen. Gerade für die o.g. Konfliktfälle sind die in f Kapitel V.4.1 vorgestellten amtlichen Äußerungen der EKD von Gewicht. Personell steht einem kirchlichen Beauftragten meist dem Superintendenten bzw. Dekan oder einem von ihm Bevollmächtigten das Recht zur Unterrichts-Visitation zu. Es sei nur kurz darauf hingewiesen, dass auf dem Hintergrund der Geschichte des Religionsunterrichts diese Konstruktion auf beiden Seiten Fingerspitzengefühl erfordert. Angesichts der schädlichen Geschichte der sog. „geistlichen Schulaufsicht“, also der teilweise erst 1918 beendeten Aufsicht von Pfarrern über das Schulwesen und konkret über die (Volksschul-)Lehrer, ist auf jeden Fall der Eindruck zu vermeiden, hier käme es zu einer doktrinären Überwachung von Religionslehrern. Vielmehr gilt es, Visitationen als religionsdidaktisch begründete Beratung zu gestalten, wobei in Konfliktfällen eventuell erforderliche Maßnahmen nicht dogmatisch, sondern didaktisch zu begründen sind. Da in der Regel Superintendenten oder Dekane nicht über die notwendigen (religions)didaktischen Kenntnisse verfügen dürften, ist es wichtig, dass die Kirchen wie in etlichen Landeskirchen durch die Schulreferenten o. Ä. auf Kirchenkreis- bzw. Dekanatsebene über entsprechendes Fachpersonal verfügen.
8 Zur historischen Entstehung dieses Berufs s. Lämmermann: Religion. 9 S. ausführlicher zu den hier zu beachtenden Faktoren und Zusammenhängen Ebert: Rolle.
195
196
Spannung
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Hinter den meisten der glücklicherweise seltenen Beschwerden über Religionslehrer stehen wohl Differenzen in der theologischen bzw. religiösen Position von Eltern und Lehrer, also letztlich ein Dissens auf Grund von Pluralismus. Didaktisch resultiert hieraus die Notwendigkeit, folgende Spannung angemessen zu gestalten: Auf der einen Seite gehört zum Religionsunterricht die klare, bis in die eigene religiöse Praxis reichende Position des Lehrers, und zwar sowohl aus Gründen des auf die Personmitte zielenden Wahrheitsanspruchs wesentlicher Inhalte des Religionsunterrichts als auch aus pädagogischen Gründen der Anschaulichkeit. Auf der anderen Seite darf der Religionslehrer seine Position nicht dazu missbrauchen, die eigene Auffassung in religiösen und theologischen Fragen den Schülern aufzuoktroyieren. Vielmehr gilt es, den Heranwachsenden die Möglichkeit zu eröffnen, die ihnen gemäße Einstellung und dann auch Praxis zu finden.
Dem entspricht die Tatsache, dass evangelische Kirche Menschen mit unterschiedlichen Frömmigkeitsformen, Lebensstilen und Einstellungen umfasst.
1.2
Begründungszusammenhänge
Konzeptionelle Bestimmungen
Entsprechend den schon bei der Analyse der Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts begegnenden unterschiedlichen Anforderungen an das Religionslehrer-Sein, aber auch im Gefolge unterschiedlicher theologischer Positionen wurde und wird die Aufgabe der Religionslehrer recht unterschiedlich gefasst. Im Folgenden nenne ich systematisierend drei Grundkonzeptionen, für deren Auswahl die sachliche Bedeutung und die jeweilige Wirkung entscheidend sind.10 Konkret handelt es sich um unterschiedliche Begründungszusammenhänge, von denen aus die Rolle der Religionslehrer bestimmt wird: aus ihrer Anbindung an Kirche, aus ihrem Bezug zu den Schüler(inne)n, aus ihrer Aufgabe, in „Religion“ einzuführen. Diese Hinweise leiten zu den empirischen Befunden über. Denn die Konzeptionen der Lehrerrolle prägen über die Aus-
VI. Religionslehrer und Schüler
197
und Fortbildung vermittelt das Selbstbild der Lehrkräfte und damit auch deren Praxis. Dabei spiegeln sie in professionstheoretischer Zuspitzung den Zeitgeist wider. Die jeweils im Hintergrund stehenden Gesamtkonzeptionen des Religionsunterrichts werden im f VII. Kapitel ausführlicher hinsichtlich der mit ihnen verbundenen Ziele und Inhalte dargestellt. 1.2.1 Kirchliches Amt Auf dem Hintergrund der Theologie Karl Barths und angesichts der besonderen zeitgeschichtlichen Herausforderungen wurde die Aufgabe des Religionslehrers im Kirchenkampf und in der Nachkriegszeit katechetisch als kirchliche „Verkündigung“ profiliert.11 Im Konzept der sog. Evangelischen Unterweisung, mit dem Helmuth Kittel 1947 die Ergebnisse der katechetischen Diskussion der vorausgehenden zwanzig Jahre zusammenfassen wollte12 und das erhebliche Wirkungen in der Praxis nicht zuletzt hinsichtlich des Selbstverständnisses der Religionslehrer hatte, wurde die Aufgabe des Religionslehrers einseitig aus dem Zusammenhang mit der Kirche entwickelt. Der Religionslehrer galt als kirchlicher Amtsträger mit der Aufgabe der Verkündigung in der Schule. Zwar zeigte die Folgezeit und systematisch ein Blick in die rechtlichen und schulischen Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts , dass ein solches Konzept zu kurz greift. Denn es übergeht die Besonderheit des Lernorts Schule und führt so letztlich zu einer praxisfernen Bestimmung der Lehrerrolle. Doch sind einige Einsichten aus diesem Konzept bis heute 10 Vgl. zum Folgenden aus systematisch-theologischer und noch stärker psychologischer Perspektive Barth: Selbstverständnis. 11 Die verschiedenen konzeptionellen Ansätze, die sich um die Rezeption des Verkündigungsbegriffs herausbildeten, fasst zusammen und zeigt ihre Aporetik auf: Dross: Religionsunterricht. Die Konzepte der vorausgehenden liberal-theologischen Praktischen Theologie und Religionspädagogik hatten dagegen die Bedeutung der (religiösen) Persönlichkeit des Lehrers hervorgehoben (z.B. grundlegend Niebergall: Person). 12 Kittel: Religionsunterricht; v. a. 31–34 entwickelt Kittel sein Konzept zum Religionslehrer: „Vom Amt der EU (sc. Evangelischen Unterweisung, C.G.)“. 47 bestimmt er begrifflich: „Es ist also in erster Linie unser neues Verhältnis zum Gegenstand der EU mit dem Wort Katechet zum Ausdruck gebracht. Katecheten sind ‚Religionslehrer‘, die wissen, daß ihnen das Evangelium anvertraut ist, und daß sie keine andere und keine geringere Aufgabe haben, als die, Kindern oder auch Erwachsenen, das Evangelium zu sagen.“
Evangelische Unterweisung
198
Einsichten
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
bedenkenswert, nicht zuletzt weil die kirchliche Anbindung der Religionslehrer konkret zu gestalten ist: So ist die Erinnerung an die Bedeutung der Religionslehrer für christliche Gemeinde durchaus aktuell. Dadurch dass Schul- und Kirchengemeindesprengel nicht (mehr) zusammenfallen und viele Lehrer außerhalb ihres Schulorts wohnen, besteht vielerorts kein Kontakt zwischen Religionslehrern und Pfarrern. Kittel betonte dagegen das gegenseitige Aufeinander-Verwiesensein von Pfarrern und Lehrern: „Die Ämter der EU (sc. Evangelischen Unterweisung, C.G.) und der Predigt müssen auch heute von dieser geistlichen Verwandtschaft der Christen her verstanden werden …“13 Funktional formuliert: Hier wird auf der Ebene der professionell Tätigen der lernorttheoretischen Einsicht Rechnung getragen, dass bei religiöser und christlicher Erziehung und Bildung die Abstimmung der verschiedenen religionspädagogisch Handelnden wichtig ist. Dabei gilt es, das Verhältnis von Religionslehrern zur Kirche so zu bestimmen, dass einerseits die Besonderheit des Lernorts Schule gewahrt bleibt, andererseits aber durch die Person des Religionslehrers den Schülern Religion in ihrer praktischen Dimension begegnen kann. Dies wird in inhaltlicher Perspektive im f VII. Kapitel näher zu entfalten sein. Ein Blick in das Neue Testament sowie die frühe Kirchengeschichte zeigt, dass es schon von Anfang an „Lehrer“ als eine besondere u. a. neben der Gemeindeleitung bestehende Gruppe gab.14 Diese waren wohl wie entsprechende „Schulen“ in altkirchlicher Zeit zeigen nicht institutionell mit den Gemeinden verbunden, leisteten aber für die Präsentation des Christentums in der Öffentlichkeit Erhebliches.15 Dazu wies Kittel auf die Grenzen der Bemühungen von Lehrern hin. Zwar kam es dabei im Anschluss an Theodor Heckels berühmtes, bereits zitiertes Diktum: „Die Bitte um den heiligen Geist, der durch das Wort zum Glauben ruft, ist schlechthin wichtiger als alle Methodik.“16 zu problematischen Prioritäten. Doch wurde etwa im Rekurs auf die Bedeutung des Gebets sowohl für die Lehrer als auch die Schüler einer instrumentellen Verplanung von Unterricht gewehrt. In heutiger Sprache formuliert:
VI. Religionslehrer und Schüler
199
Kittel machte auf die spirituelle Dimension der Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern aufmerksam. So kommt zweifellos auch in pädagogischer Hinsicht dem Beten des Lehrers für Schüler Bedeutung zu. Denn hier erfolgen zugleich Distanzierung von konkreten Konfliktsituationen durch den Kontext des auf Gott gerichteten kommunikativen Horizonts und intensive Zuwendung zum Einzelnen.
Beides im Gebet formuliert dürfte nicht ohne Auswirkungen auf die Kommunikationssituation in der Klasse bleiben. 1.2.2 Begleiter und Therapeut Nachdem die Aufgabe des Religionslehrers einseitig nur kirchlich bestimmt worden war, kam es im Gegenzug zu anderen Konzepten, in denen umgekehrt diese Seite vernachlässigt bzw. bestritten wurde. Dabei wurde nach vorübergehender Betonung von Wissenschaftlichkeit bzw. Gesellschaftsbezug die Person des Religionslehrers/der Religionslehrerin erst wieder ab Ende der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts in ihrer Bedeutung hinreichend erfasst. 1.2.2.1 Vorbereitet war die Abwendung von der einseitig kirchlichen Beheimatung durch das Bemühen, die Stellung des Religionsunterrichts an der öffentlichen Schule zu stabilisieren. Dies geschah wesentlich durch Übernahme allgemein pädagogischer bzw. schulpädagogischer Konzepte. Von der hermeneutischen Pädagogik her, die Schule wesentlich als Institution der Einführung in die Überlieferung sah, wurde der Religionslehrer zunehmend als exegetischer bzw. theologischer Fachmann profiliert. Seine Verbindung zu Kirche trat dabei in den Hintergrund.17 Zutreffend war hierbei gesehen, dass entsprechend dem auch für andere Fächer gültigen Zusammenhang mit den jeweiligen wissenschaftlichen Entwicklungen der Religionsunterricht die Rückbindung an die Theologie benötigt. Denn nur so kann gewährleistet werden, dass die Schüler auf der Höhe der Zeit unterrich-
13 14 15 16 17
Kittel: Religionsunterricht, 39. S. zum Einzelnen belegreich Schürmann: Lehrer. Neymeyer: Lehrer. Zitiert bei Kittel: Religionsunterricht, 21. S. z. B. Otto: Schule, 61.
Stabilisierung des Religionsunterrichts
200
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
tet werden. Dieser Gesichtspunkt hat Bedeutung vor allem für die Religionslehrer in der Sekundarstufe II. Die in heutiger Sicht für die Bestimmung der Lehrerrolle wichtige entwicklungspsychologische Differenzierung war noch nicht im Blick. Therapeutische Dimension
Probleme
1.2.2.2 In der Folge rückte im Zuge der Schülerorientierung des Religionsunterrichts die begleitende, professionstheoretisch formuliert: therapeutische Seite der Religionslehrer in den Vordergrund.18 In einem Unterricht, der seine Themen zunehmend aus den (vermuteten) Problemstellungen der Schüler zu gewinnen suchte, lag diese Entwicklung nahe. Auf jeden Fall ist dabei zutreffend erkannt: Im Religionsunterricht kommen Themen zur Sprache, die eine besondere Zuwendung des Lehrers zu Schülern erfordern. Nicht nur wenn „Tod“, „Sterben“ oder „Glück“, „Freundschaft“ o. Ä., sondern auch wenn biblische Geschichten behandelt werden, die zur Identifizierung einladen, ist es wichtig, dass interessierte bzw. im Einzelfall existentiell betroffene Schülerinnen und Schüler im Religionslehrer einen verlässlichen Gesprächspartner und vielleicht zeitweise auch Begleiter finden. Nicht von ungefähr haben in nicht wenigen Schulen bis heute Religionslehrer die Funktion des sog. Vertrauens- bzw. Verbindungslehrers inne. Allerdings wurde bei der konzeptionellen Ausarbeitung dieses Anliegens in Form des sog. therapeutischen Religionsunterrichts teilweise übersehen, dass die Lehrerrolle sich von der eines Therapeuten unterscheidet, was schon in der unterschiedlichen Ausbildung deutlich wird. Das Verständnis des Religionslehrers als eines Therapeuten macht auf eine Dimension der Religionslehrer-Rolle aufmerksam, die je nach Bedarf Aktualität gewinnt; es leistet aber keine angemessene Rollenbestimmung. Dass mit der Rolle des Religionslehrers als Begleiter oder gar Therapeut auch eine kirchen-, mitunter sogar religionskritische Attitüde verknüpft werden konnte, sei nur kurz erwähnt. Gewiss gehört zur reformatorischen Einsicht in den christlichen Glauben ein kritisches Potenzial gegenüber vorfindlicher Kirche und religiösen Formen. Doch führt wie z.B. an den konzeptionellen Wandlungen von Gert Otto erkennbar wird eine Überbetonung dieses Gesichtspunkts zu einer Auflösung des Religionsunterrichts (in seiner deutschen Rechtsgestalt) und sprengt damit den Rahmen des in einer Religionsdidaktik zu Behandelnden.19
VI. Religionslehrer und Schüler
1.2.3 Inszenator/Regisseur bzw. Moderator von „Religion“ In den letzten Jahren sind zwei auf den ersten Blick gegenläufige Tendenzen bei der Konzeptualisierung des ReligionslehrerSeins oder vielleicht besser: des Lehrerseins in Religion zu beobachten. Sie nehmen die bisherigen theologisch-ekklesiologischen bzw. schulpädagogischen Perspektiven auf, modifizieren sie aber durch eine stärker religionswissenschaftliche Orientierung erheblich. Vor allem stellen sie sich dem Phänomen, dass die Schüler geringere religiös kommunizierbare Vorerfahrungen mitbringen, allerdings auf unterschiedliche Weise: 1.2.3.1 Auf der einen Seite wird orientiert an einem allgemeinen Begriff von „Religion“ oder auch an der konkreten Praxis einer Konfession der Religionslehrer als die Person interpretiert, die die Heranwachsenden in „Religion“ einführt. Dabei soll der Lehrer im Extremfall gleichsam zum Mystagogen werden.20 Hier ist gewiss zu Recht gespürt, dass Religion auch im Religionsunterricht immer wieder des Bezugs auf konkrete religiöse Praxis bedarf; doch ist die Rolle des Mystagogen nicht kompatibel mit der eines Lehrers an der öffentlichen Schule, auch nicht im besonderen Raum Religionsunterricht. Fragen der Leistungsbewertung etwa dürften mit dieser Auffassung von der Religionslehrerrolle unvereinbar sein. Eine das positive Anliegen aufnehmende, zugleich aber schulpädagogisch reflektiertere Position, die den Schülern einen ersten Zutritt zu religiöser Praxis ermöglichen will, greift auf das Vokabular des Theaters zurück. Bei der „Inszenierung“21 religiöser Praxis gilt der Vorbehalt des Probierens. Der Religionslehrer tritt dann das Sprachspiel aus dem Theater weitergeführt als Regisseur auf, der das Spiel arrangiert.
18 Stoodt: Praxis. 19 Zu Ottos Gesamtkonzept s. Grethlein: Theorie. 20 In extremer Konsequenz hat Josuttis: Einführung, 135–151 – unter Rückgriff auf die gestaltpädagogischen Überlegungen Christoph Bizers – diese Position skizziert, wobei er „Unterricht“ unter der Rubrik „Einweihung“ thematisiert. Allerdings weist er selbst auf die Probleme dieses Konzeptes für die Schule hin. Auf katholischer Seite kam schon früher Hubertus Halbfas von seinem mystischen Religionsverständnis her zu ähnlichen An- bzw. Einsichten. 21 S. auch zum theoretischen Hintergrund Klie: Zeichen, v. a. 425–454.
201
Religionswissenschaftliche Orientierung
Mystagoge
Regisseur
202
Moderator
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
1.2.3.2 Auf der anderen Seite wird mit religionskritischer Intention die Rolle des Lehrers in Religion als Moderator bestimmt. Er soll den Schülern Gelegenheit geben, ihre Erfahrungen mit Religion zu besprechen, ohne diesen Austausch in eine bestimmte Richtung zu lenken. Wie die Hinweise zum LERUnterricht in Brandenburg (f III.2.3) zeigen, der sich diesem Verständnis der Lehrer verpflichtet weiß, legt sich dabei eine psychologische Orientierung der Lehrerrolle und dann auch -ausbildung nahe. In beiden Konzepten wird der Religionslehrer als Experte für Religion gesehen, der Schüler entweder probehalber oder distanziert-kritisch in den Umgang mit Religion einführt. Während bei der ersten Position eine Öffnung hin zu einer kirchlichen Anbindung des Religionslehrers möglich erscheint, interessiert diese in der zweiten nicht. 1.2.4 Zusammenfassung Der knappe Durchgang durch die konzeptionelle Bestimmung der Rolle des Religionslehrers seit dem Ende des II. Weltkriegs ergibt folgende bleibende Einsichten: Die einseitig theologische Bestimmung verwies zum einen Kirche bzw. Gemeinde darauf, die Bedeutung der schulischen Religionslehrer wahrzunehmen und mit diesen in Kontakt zu treten. Nicht zuletzt ein Blick ins Neue Testament und in die Kirchengeschichte zeigt, dass Gemeinde von früh an offensichtlich der Tätigkeit von „freien“ Lehrern bedurfte. Zum anderen ergab die theologische Sicht Hinweise zur spirituellen Dimension des Lehrer-Seins. Spirituelle Zuwendung, etwa durch das Beten für einen Schüler, verstärkt kommunikativ gesehen die Zuwendung zu einzelnen Schülern und ermöglicht zugleich Distanz zu konkreten Situationen. Die primär schulpädagogisch argumentierenden Konzepte machten auf die Bedeutung des Bezugs zur Theologie sowie die immer wieder aktuell sich ergebende seelsorgliche Aufgabe der Religionslehrer als Begleiter ihrer Schüler aufmerksam. Neuere Konzeptionen markieren gegenwärtig eher ein Problem, dem sich die Konzeptualisierung der Lehrerrolle stellen muss, als dass sie hierfür schon gültige Lösungen präsentieren.
VI. Religionslehrer und Schüler
203
Offensichtlich erfordert die Tatsache, dass nicht wenige Heranwachsende erstmals und allein in der Schule christlicher Religion in substantieller Weise begegnen, eine grundlegende Neubestimmung der Aufgabe von Religionslehrern. Ihre Charakterisierung als Inszenator/Regisseur bzw. Moderator religiöser Lernprozesse sind erste Versuche hierzu, ohne dass in ihnen schon hinreichend die kirchliche Anbindung und die Schülerorientierung zum Ausdruck kommen.
1.3
Einstellung zum Religionsunterricht
Seit Anfang der siebziger Jahre, verstärkt in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die Einstellung und Berufspraxis von Religionslehrer(inne)n empirisch erforscht.22 Im Folgenden stütze ich mich auf zwei neuere, methodisch und materialiter breit angelegte Forschungsprojekte, die wesentliche Einsichten in die gegenwärtige Selbsteinschätzung der Religionslehrer(innen) gewähren. Die erste Studie, in einer Kooperation des Instituts für Sozialwissenschaften der TU Braunschweig, des Religionspädagogischen Instituts Loccum, des Pastoraltheologischen Instituts der EFH Hannover und des Comenius-Instituts Münster entstanden, befragte in qualitativer und quantitativer Methodik niedersächsische Religionslehrer(innen) aller Schulformen, wobei Repräsentativität angestrebt wurde. Zielpunkt dieses Projekts war, das Verhältnis von „gelebter“ zu „gelehrter“ Religion näher aufzuklären.23 Als Leitfrage wurde verfolgt: „Mit welchen Strukturen und Inhalten ist in den beruflichen Motivations-Komplexen und bei den professionell-stilbildenden Handlungsmustern gegenwärtig bzw. für die nächsten Jahre im Bereich des Schulischen Religionsunterrichts zu rechnen?“24 Diese Untersuchung verdient auch deshalb besonderes Interesse, weil ihr vor etwa 22 Eine soweit ich sehen kann vollständige Zusammenstellung deutschsprachiger, als Buch publizierter empirischer Studien zwischen 1970 und 2001 findet sich bei Lück: Religionsunterricht, 202 f.; vgl. auch Ziebertz: Lehrerforschung. 23 Publiziert wurden die Ergebnisse in: Feige/Dressler u.a.: Religion; wichtige Beiträge der hierauf bezogenen Experten-Diskussionen finden sich dokumentiert in: ZPT 53 (2001) H. 4; Vögele (Hg.), Religion. 24 Feige: Vermittlungssituation, 28.
Empirische Forschungen
204
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
fünfzehn Jahren eine ähnlich ausgerichtete Voruntersuchung bei derselben Population vorausging.25 Ein Vergleich beider Umfragen weist trotz aller Unterschiedlichkeit im Einzelnen auf tendenzielle Veränderungen in der Einstellung der Religionslehrer hin. Das zweite Forschungsprojekt, von Christhard Lück durchgeführt,26 bezog sich ebenfalls in qualitativer und quantitativer Methodik in repräsentativer Weise auf westfälische Grundschullehrer(innen), die Religion unterrichten. Hier ging es vor allem darum, herauszufinden, „wie gegenwärtig praktizierende Religionslehrkräfte die Situation und das Ansehen des Religionsunterrichts einschätzen“,27 wobei u.a. die Organisationsstruktur sowie inhaltlich-didaktische Fragen thematisiert wurden.
Ziel-Faktoren
Insgesamt ergaben beide Studien eine erfreuliche Berufszufriedenheit, die sich je nach Schulform etwas differenziert. Wie auch sonst äußern sich die Grundschullehrer(innen) am positivsten, die Haupt- und Sonderschullehrer(innen) etwas kritischer.28 Grundsätzlich ergab das niedersächsische Projekt eine deutliche Schülerorientierung der Religionslehrer(innen). Unter diesem Gesamtvorzeichen konnten im Einzelnen die Antworten auf fünf Ziel-Faktoren hin systematisiert werden: „theologisches Wissen vermitteln“, „Für religiöse Praxis öffnen/sensibilisieren“, „Für konfessions- und religionsübergreifende Perspektiven öffnen“, „Zur Selbstfindung anleiten und Persönlichkeitsbildung fördern“, „Eher traditionsorientiert-christliche Personenprägung fördern“.29 Die Zustimmung zu diesen Zielen unterschied sich schon dies ein wichtiger Befund je nach Schulform und weniger ausgeprägt auf Grund anderer Faktoren wie vor allem Geschlecht und Lebensalter (bzw. Dienstalter). Während z.B. Gymnasiallehrer(innen) sich besonders interessiert am Ziel der „theologischen Wissensvermittlung“ zeigen, ist dies weniger stark bei Real- und Gesamtschullehrer(inne)n ausprägt; tendenziell lehnen Sonder- und vor allem Grundschullehrer(innen) dieses Ziel für ihren Religionsunterricht sogar ab.
VI. Religionslehrer und Schüler
205
Die umgekehrte Tendenz zeigt sich beim Ziel „Öffnung und Sensibilisierung für religiöse Praxis“. Hier stimmen Primarstufen-Lehrerinnen stärker zu als Gymnasiallehrer, wobei nicht nur die Schulform, sondern auch das (weibliche) Geschlecht einen positiven Einfluss haben. Das Ziel „Zur Selbstfindung anleiten und Persönlichkeitsbildung fördern“ wird vor allem von Hauptschullehrer(inne)n verfolgt, weniger von Lehrkräften an Gymnasien, wobei auch hier eine stärkere Präferenz bei Frauen sowie bei Jüngeren begegnet. Schließlich votieren ältere Lehrerinnen stärker als andere für das Ziel „traditionsorientiert-christliche Personenprägung“.30 Demnach wird eine praxisorientierte Religionsdidaktik, die ernst nimmt, dass die Praktikabilität ihrer Handlungsorientierungen wesentlich auf die Umsetzung durch die konkreten Lehrer(innen) angewiesen ist, bei der genaueren Zielsetzung nach Schulformen zu differenzieren haben. Auf diese Ebene kann ich in vorliegendem, der Einführung und dem Überblick über die gesamte Didaktik des Evangelischen Religionsunterrichts dienenden Buch nicht eingehen. Der hier vorgestellte didaktische Rahmen müsste auf die einzelnen Schularten hin konkretisiert werden.
Die Einzelanalyse der Befunde ergab, dass offensichtlich vor allem das Thema „Spiritualität“ die Religionslehrer(innen) bewegt.
Es spielt mehr oder weniger stark in verschiedenen Themenbereichen eine Rolle: „Hier fokussiert sich das Problem, unter unseren modernen gesellschaftlich-technokratischen Lebensumständen eine Lebens- bzw. Religiositätsdimension zu finden, die nicht ständig die gesellschaftlich hergestellten Bedingungen des Lebens dementieren muss, die aber trotzdem geeignet ist, eben diese Lebensführung zu transzendie25 Feige/Nipkow: Religionslehrer. 26 Das Forschungsprojekt wurde in zwei Bänden publiziert: Lück: Religionsunterricht; ders.: Beruf. 27 Lück: Religionsunterricht, 38. 28 S. zu den Befunden im Einzelnen Feige u. a.: Religion, 290–306. 29 Feige u. a.: Religion, 413 f. 30 Feige u. a.: Religion, 414.
Spiritualität
206
Beten
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
ren.“31 Besonders auffällig im Gegenüber zur früheren Untersuchung ist dabei, dass „spirituell-kirchlich traditionelle“ Gestaltungsformen verstärkt im Primarstufenbereich Beachtung finden. Schulgottesdienste, -andachten und Gebet werden demnach nicht mehr wie noch in der Mitte der achtziger Jahre von der Mehrheit der Lehrer(innen) abgelehnt. Die Untersuchung Lücks bestätigt in vielem die in Niedersachsen gefundenen Tendenzen. Vor allem für das Thema „Spiritualität“ gibt sie noch weiteren interessanten Aufschluss. Hinsichtlich des Betens im Unterricht hatte Lück nämlich etwas modifiziert Items aus der 1984 durchgeführten niedersächsischen Befragung übernommen. Auch wenn man dabei kleinere Formulierungsdifferenzen, die verschiedenen, allerdings aneinander grenzenden Bundesländer sowie die Beschränkung der westfälischen Untersuchung auf Grundschullehrkräfte berücksichtigt, ist die Gesamttendenz unübersehbar: eine erhebliche Öffnung gegenüber dem Beten im Religionsunterricht. Im Folgenden sind die Formulierungen und die Ergebnisse in Klammern der niedersächsischen Untersuchung von 1984 entnommen; sie bilden den Kontrast zu den knapp 15 Jahre später erhobenen westfälischen Daten: Das Beten (Der Vorgang des Betens) gehört nicht in den schulischen Religionsunterricht: 3,2 % (26,0 %) In seltenen Fällen mag es für ein Gebet im Religionsunterricht Gründe geben: 35,3 % (37,5 %) Ich halte es für gut, wenn im Religionsunterricht (wieder) gebetet wird: 54,1 % (14,9 %) Ich bete (regelmäßig) mit den Schülerinnen und Schülern in meinem Unterricht: 20,6 % (14,6 %) Demnach beurteilt gegenwärtig über die Hälfte der westfälischen, Religionsunterricht erteilenden Grundschullehrerinnen und -lehrer das Beten im Religionsunterricht positiv, weitere 35,3 % halten es zumindest für möglich.
VI. Religionslehrer und Schüler
Dieser Befund verdient in zweierlei Hinsicht Aufmerksamkeit:32 Offensichtlich ist die im Zuge der Problemorientierung gewachsene Skepsis gegenüber dem Beten im Religionsunterricht einer neuen Offenheit gewichen. Interessant ist das Ergebnis der differenzierten Analyse dieses Befundes hinsichtlich der Position zur Konfessionalität des Religionsunterrichts: Die Befürworter eines interreligiösen Konzeptes sind am stärksten dem Beten gegenüber aufgeschlossen, dicht gefolgt von denen eines konfessionellen Unterrichts. Ablehnend zeigen sich dagegen mehrheitlich nur die (insgesamt wenigen) Vertreter eines sog. Allgemeinen, also wesentlich religionskundlichen Religionsunterrichts. Zugleich fällt die beträchtliche Diskrepanz zwischen der grundsätzlichen Einstellung und der tatsächlichen Praxis auf. Nicht einmal die Hälfte derer, die das Beten im Religionsunterricht befürworten, praktiziert es. Auch hier verhilft die eben genannte Differenzierung zu einer interessanten Präzisierung des Befundes. Denn genau bei den Anhängern eines interreligiösen Unterrichts, die am stärksten positiv votierten, ist die Diskrepanz am größten. Sie praktizieren abgesehen von den (wenigen) Anhängern eines Allgemeinen Religionsunterrichts am seltensten das Gebet im Unterricht. Ich vermute, dass hier einerseits Stärke und Schwäche des interreligiösen Konzeptes hervortreten. Zum einen zeigt ein unbefangener Blick auf die großen Religionen, dass sich deren Praxis ohne die Beachtung des Gebets nicht erschließen lässt. Zum anderen aber ist es problematisch, „interreligiös“ zu beten. Denn Beten richtet sich an einen konkreten Kommunikationspartner, und zwar Gott, wie er jeweils in den verschiedenen Religionen vorgestellt wird.
31 Feige u. a.: Religion, 421. 32 S. zum Folgenden Lück: Beruf, 371 f.
207
Interreligiöser Religionsunterricht
208
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
1.4
„Problemsymbiotische Kooperation“
Einstellung zu Kirche und Religion
Viel diskutiert wurde in den letzten Jahrzehnten das Verhältnis der Religionslehrer zur Kirche. Dabei erregten vor allem medial günstig platzierte Untersuchungen Aufsehen, die eine deutliche Kirchenferne konstatierten.33 Die beiden genannten Untersuchungen bestätigen dies nicht. Sie ergeben im Einzelnen ein differenziertes Bild, das aber im Ganzen eine entspannte und kooperationsbereite Haltung der Lehrkräfte zur evangelischen Kirche zeigt. 1985 charakterisierte Andreas Feige in der Auswertung der niedersächsischen Vorstudie das Verhältnis zwischen Religionsunterricht und Kirche als eine „symbiotische Distanz“. „Weder könnte man davon reden, daß mit der Institution ‚Kirche‘ und der Institution ‚RU‘ zwei völlig verschiedene Welten angesprochen werden müssten, noch dominieren bei der Lehrerschaft jene, deren kirchengemeindliches Engagement als aktiv zu bezeichnen ist oder die durch ihre Einstellung gegenüber der Präsenz des Kirchlichen im Religionsunterricht als ‚verlängerte(r) Arm der Kirche‘ zu bezeichnen wären.“34 2000 differenzierte Feige diesen Befund dahingehend, dass er von der „Signatur der ‚problemsymbiotischen Kooperation bei gleichzeitiger institutioneller Unabhängigkeit‘“ sprach. Offensichtlich führen die allgemeinen Veränderungen in Schule und Kirche bzw. der Einstellung zu Religion dazu, dass überkommene, Jahrzehnte virulente Spannungen zwischen Religionslehrern und Kirche zurücktreten und einer Kooperation im Interesse der Kinder und Jugendlichen weichen. Die Tatsache, dass zunehmend weniger Heranwachsende in ihren Herkunftsfamilien explizit christlich erzogen werden und sie teilweise nicht mehr über grundlegende Kenntnisse und Erfahrungen mit christlichem Glauben verfügen, stellt Kirche und Religionslehrer vor nur gemeinsam zu bearbeitende neue Herausforderungen.
Kirche als Ressource
Zu Recht mahnt der Religionssoziologe von hieraus an, „dass die Kirche sich überhaupt als eine … Ressource für Schule begreift, wahrnehmbar und darstellbar macht.“35 Der Religionsunterricht benötigt kirchengemeindliches Leben, um christliche Religion als eine lebensrelevante Praxis den Schülern
VI. Religionslehrer und Schüler
anschaulich machen zu können. Zugleich kann der Religionsunterricht zumindest der öffentliche Ort sein, an dem religionsdidaktisch reflektiert die konstatierte Diastase zwischen individueller und kirchlicher Religion bearbeitet wird. Dabei gehen wie in f IV.4.2.3 und 4.2.4 gezeigt zunehmend ökumenische Impulse von den Religionslehrer(inne)n aus. Aus beiden Befragungen geht deutlich das Interesse der Religionslehrer an ökumenischer Kooperation hervor.36 Dabei handelt es sich keineswegs nur um bloße Einstellungen der Lehrkräfte. Vielmehr ergeben die statistischen Befunde in beiden Untersuchungen, dass vielerorts in Niedersachsen zu etwa der Hälfte des Religionsunterrichts „aus organisatorischen Gründen SchülerInnen beider Konfessionen gemeinsam“37 Religionsunterricht erteilt wird.
2.
Schüler
Ich vermute, dass die Bedeutung der Schülerinnen und Schüler für die Didaktik des Religionsunterrichts noch nie so groß war wie gegenwärtig. Dies hat verschiedene Gründe, denen ich in einem ersten Abschnitt etwas näher nachgehen werde. Danach versuche ich, anhand weniger ausgewählter Beispiele auf wichtige Faktoren der Lebenswelt heutiger Kinder und Jugendlicher sowie deren konzeptionelle Deutung aufmerksam zu machen. Von da aus wird deren veränderte Einstellung zu Kirche und Religion plausibel. 33 Auf evangelischer Seite war dies vor allem die Befragung Hamburger Religionslehrer am Gymnasium durch Langer: Religionsunterricht, deren Ergebnisse bei näherem Hinsehen auf Grund suggestiver Fragestellungen, eines unklaren Kirchenbegriffs und methodisch unkontrollierter Verbindung mit Ergebnissen früherer Untersuchungen wenig aussagekräftig sind. Auf katholischer Seite ist vor allem die sog. Allensbacher Umfrage zu nennen: Institut für Demoskopie: Religionsunterricht, die sich auf katholische Religionslehrer bezog und dabei das dogmatische Kirchenverständnis dieser Kirche zu Grunde legte (s. hierzu den Themenband der RPäB 25/1990). 34 Feige: Tradition, 32 f. 35 Feige/Dressler: Zusammenfassung, 468. 36 Zum im Folgenden nicht näher dargestellten niedersächsischen Befund s. Feige u. a.: Religion, 314–323. 37 Feige u. a.: Religion, 322.
209
Ökumenische Impulse
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C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
In einem weiteren Schritt bedarf es noch der entwicklungspsychologischen Differenzierung. Bei diesen Überlegungen wird auf Grund der empirischen Forschungslage ein Schwergewicht beim sog. Jugendalter liegen, also in vorliegendem auf Schule bezogenen Zusammenhang beim Sekundarbereich. Allerdings bahnen sich die hier erhobenen Entwicklungen mittlerweile schon im Grundschulbereich an, so dass diese Schulform indirekt im Blick bleibt.
2.1
Grundlegende Bedeutung
2.1.1 Aus erfahrungswissenschaftlicher Perspektive Schüler waren für den Unterricht immer schon wichtig. Ihretwegen wird Schule veranstaltet. Für heutigen Religionsunterricht ist diese Binsenweisheit genauer zu konturieren. Autonomie-Konzept
2.1.1.1 Die (teilweise) entwicklungspsychologisch bedingte besondere Umgangsweise mit Wirklichkeit bei Heranwachsenden bekommt in Verbindung mit dem allgemein akzeptierten Autonomie-Konzept für religiöse Fragen eine neue Bedeutung. Eine groß angelegte Befragung Jugendlicher zu ihrer religiösen Einstellung in vier Ländern (Deutschland, Wales, Österreich, Holland) ergab als ein übereinstimmendes Ergebnis: „Religion ist ein selbstverständliches Phänomen in der Lebenswelt Jugendlicher, das von Fall zu Fall mehr oder weniger bedeutsam ist.“38 Jugendliche begegnen dem souverän und autonom: „Selbstbestimmung ist das Grunddatum ihrer Religiosität.“ Und weiter: „Für heutige Jugendliche ist es selbstverständlich, dass sie selbst darüber entscheiden, welche religiösen Inhalte und Funktionen für sie von Bedeutung sein sollen“. Die Selbstbestimmung des einzelnen Subjekts hinsichtlich der religiösen Überzeugung, schon länger für Erwachsene rechtlich verankert, hat mittlerweile die Heranwachsenden erfasst.
Dies hat für die Religionsdidaktik weitreichende Konsequenzen. Früher konnte noch eher davon ausgegangen werden, dass im Religionsunterricht den Schülern ein kirchenamtlich approbierter „Stoff“ vermittelt wird, dessen Gültigkeit im Elternhaus und in der Öffentlichkeit selbstverständlich war, oder
VI. Religionslehrer und Schüler
dass sie in das Christentum eingeführt werden. Dagegen sind Kinder heute als Experten bezüglich ihrer eigenen, autonomen „Religion“ zu verstehen (f V.2.2.1). Überspitzt, weil die wechselseitigen Interdependenzen ausblendend, formuliert: Im Religionsunterricht trifft der Religionslehrer als Experte für evangelische Religion auf weitere Experten für ihre jeweils eigene „Religion“ (f V.2.2.1). Der kommunikative Grundcharakter des Evangeliums bietet eine gute Möglichkeit, diese Situation aufzunehmen und didaktisch zu gestalten. Letzteres erscheint notwendig, um zu einer methodisch kontrollierten und somit kommunikationsfähigen Bearbeitung dieser einzelnen „Religionen“ zu kommen. Denn deren geringe Kohärenz erschwert eine zukunftsfähige Orientierung, die auch in schwierigen Situationen tragfähig ist. Solche didaktische Arbeit erfordert gute Kenntnisse der Lebenssituation Heranwachsender, um die Logik ihrer ReligionsKonstruktionen zu verstehen. Unverzichtbar ist hier genaues Hinhören und -sehen; die folgenden Hinweise und Überlegungen können dafür lediglich sensibilisieren. Erst auf diesem Hintergrund kann theologisch an den Konstrukten der (Kinder und) Jugendlichen gearbeitet werden, in klassisch reformatorischem Vokabular: Gesetz und Evangelium, pädagogisch formuliert: Lebensförderndes und -hinderndes unterschieden werden.
211
Religionskonstruktionen Jugendlicher
Der amerikanische Entwicklungspsychologe und Praktische Theologe James W. Fowler konstatiert: „Götzendienst ist … die zutiefst ernste Angelegenheit, daß man sich endlichen Wertund Machtzentren hingibt oder sein Leben für sie einsetzt, als käme von ihnen eine Garantie für Wert und Sinn für den einzelnen oder die Gemeinschaft und als sicherten sie ein lebenswertes Weiterleben.“39 Verkompliziert wird dieser Prozess durch folgendes Phänomen: Der Umgang mit Wirklichkeit beruht bei Heranwachsenden auf einer gegenüber erwachsenen Zugängen häufig differenten kognitiven Verarbeitung von Wahrnehmungen und Erlebnissen. 38 Ziebertz u. a.: Signaturen, 259; auch die beiden nächsten Zitate finden sich ebd. 39 Fowler: Stufen, 39.
Kognitive Differenzen
212
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Georg Hilger und Hans-Georg Ziebertz haben diese in ihrer Bedeutung für den Unterricht kaum zu überschätzende Dimension an einer Brecht-Geschichte von Herrn Keuner deutlich gemacht: „Herr Keuner sah sich die Zeichnung seiner kleinen Nichte an. Sie stellte ein Huhn dar, das über einen Hof flog. ‚Warum hat dein Huhn eigentlich drei Beine?‘ fragte Herr Keuner. ‚Hühner können doch nicht fliegen‘, sagte die kleine Künstlerin, ‚und darum brauchte ich ein drittes Bein zum Abstoßen.‘ ‚Ich bin froh, daß ich gefragt habe‘, sagte Herr Keuner.“40 Diese produktive Form, mit Wirklichkeit umzugehen, findet sich auch hinsichtlich religiöser Vorstellungen. Je weniger im Verfolgen des eben genannten Autonomie-Konzepts davon ausgegangen wird, dass Schülern bestimmte religiöse Kenntnisse beigebracht werden müssen, desto weiter wird der Raum für die Schülerinnen und Schüler, ihre eigenen Einsichten zu präsentieren und zu bearbeiten. Osers Stufentheorie
2.1.1.2 Dafür konstatiert die entwicklungspsychologische Forschung41 in der Tradition der Kognitionspsychologie Jean Piagets bestimmte Gesetzmäßigkeiten. Von den hierzu vorliegenden Konzepten42 hat sich für das bessere Verstehen von Schüleräußerungen und eines Grundproblems heutiger religiöser Erziehung vor allem das Stufen-Modell bewährt, das der Schweizer Pädagoge Fritz Oser gemeinsam mit Paul Gmünder entwickelt hat. Dabei geht es im Folgenden nicht um eine Darstellung dieses theoretisch interessanten, aber auch durchaus kritisierten Konzeptes,43 das seine empirische Grundlage in der Analyse von Antworten auf Fragen zu Dilemma-Geschichten hat. Vielmehr stelle ich nur knapp die drei bzw. vier Stufen aus dem insgesamt fünf Stufen umfassenden Gesamtkonzept vor, die für das Verstehen der Logik von Schüleräußerungen wichtig sein können.
Stufe 1
Die auf die Stufe 044 folgende erste Stufe des religiösen Urteils kann noch in den unteren Grundschulklassen (bzw. in manchen Formen der Sonderschule) begegnen. Oser/Gmünder überschreiben sie mit „Perspektive des Deus ex machina“: „Das Kind nimmt an, daß alles von externalen Kräften geleitet, geführt, gesteuert ist. Die Kräfte des Letztgültigen werden zum ersten Mal klar getrennt von dem, was Erwachsene und Erzieher vermögen. Das Letztgültige ist aktiv, der Mensch reaktiv.“45
VI. Religionslehrer und Schüler
Zu Problemen führt dieses einfache Urteilsschema dann, wenn neue, damit nicht mehr vereinbare Einsichten auftauchen. „So denkt ein Kind plötzlich, daß das Letztgültige, Umgreifende (Gott) nicht einfach macht, daß es schönes Wetter gibt, sondern daß dies von der Konstellation der Wolken, des Windes herrührt und daß man auch etwas tun kann, z.B. das Göttliche gut stimmen muß, damit sich diese Konstellation ändert.“ Gelöst werden solche Schwierigkeiten auf der zweiten Stufe durch die „Do ut des-Perspektive“: „Es gibt jetzt Mittel, das über uns stehende Unbedingte (Schicksal, Geister, Gott) zu beeinflussen. Diese Beeinflussung kann sanktionsmildernden, begünstigenden oder präventiv beruhigenden Charakter haben.“ Mit diesem Schema können Glücks- und Unglücksfälle gleichermaßen erklärt und herbeigeführt werden. Allerdings liegt in Letzterem auch das Problem dieser Denkstufe, die etwa am Ende der Grundschulzeit, aber auch noch später begegnet. „Der Schüler merkt z.B., daß da ein Kleinkind stirbt und daß niemand an diesem Tod schuldig sein kann; Hiob sieht nicht ein, warum er mit Schuld geschlagen wird, obwohl er gerecht gelebt hat.“ Dieses Problem wird auf der dritten Stufe durch die „Perspektive der absoluten Autonomie und des Deismus“ gelöst: „Die Person auf Stufe 3 ist fähig, die beiden Bereiche Letztgültiges und eigenes Ich vollständig zu trennen.“ Diese Stufe kann zum Atheismus führen. Unsere technisch-naturwissenschaftliche Zivilisation stabilisiert durch ihren methodischen Atheismus eine solche Auffassung. Es kann aber auch zu einer strikten Trennung von religiösem und sonstigem Bereich kommen. Angesichts der Vielzahl von Anforderungen auf verschiedenen Gebieten bietet sich dieses Modell für „Egotaktiker“ (f 2.2.3) ge-
40 Hilger/Ziebertz: Adressaten, 153. 41 Vgl. hierzu – schon mit religionsdidaktischem Interesse – Hofmann: Stufentheorien. 42 Die „stages of faith“-Theorie von Fowler: Stufen, ist zwar die integrativste Theoriebildung, indem sie eine Reihe weiterer psychologischer Ansätze aufnimmt, für die konkrete Unterrichtsbeobachtung aber zu komplex und wenig praktikabel. 43 S. Oser: Genese. 44 Auf dieser elementarpädagogisch wichtigen Stufe kann das Kind noch nicht zwischen menschlicher und nichtmenschlicher Verursachung unterscheiden. 45 Oser/Gmünder: Mensch, 81; die folgenden Zitate finden sich 83–89.
213
Stufe 2
Stufe 3
214
Stufe 4
Bedeutung für Religionslehrer
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
radezu an. Die meisten Schüler in den mittleren und höheren Klassen der weiterführenden Schulen dürften sich im Umfeld dieser Stufe befinden viele Menschen verharren in ihr ein Leben lang. Das Problem dieser Stufe ist die mit ihr gegebene Selbstüberlastung des Menschen. Letztlich ist er allein für das ganze Weltgeschehen verantwortlich. Selbstüberforderung, aber auch Fatalismus oder Zynismus können hieraus resultieren. Ein von sonstigen Lebensvollzügen separierter religiöser Sonderraum kann dieses Problem mindern bzw. kanalisieren helfen. Auf der Stufe 4, die wohl nur selten von (meist) Schülerinnen der oberen gymnasialen Klassen ansatzweise erreicht wird, die sich aber in nicht wenigen dort traktierten theologischen Texten findet, werden „Perspektive der religiösen Autonomie und des Heilsplanes“ wieder in Verbindung gebracht: „Eine mögliche Ausdrucksform dieses Konzeptes ist, daß gesagt wird, das Letztgültige trete zeichenhaft in Natur, Kultur und menschlicher Fähigkeit zur Liebe auf. (Oder religionsphilosophisch gesprochen: Gott ist nicht direkt geschichtswirksam: als Grund von Welt und Mensch stellt er die Bedingung für menschliches Handeln dar.).“ Es ist aus mindestens zwei Gründen für Religionslehrer wichtig, um diese Stufen zu wissen: Dadurch kann eine Überforderung von Schülern vermieden werden. Die Behandlung des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1 16) in einer Klasse, deren Schüler sich mehrheitlich auf Stufe 2 befinden, ist von daher z.B. ein klassischer Kunstfehler. Hier bemühen sich nämlich die Schüler vor allem darum zu zeigen, dass der Gleichheitsgrundsatz nicht durchbrochen wird,46 und verfehlen damit von vornherein die Intention dieses Gleichnisses. Zum anderen ermöglicht eine Kenntnis der verschiedenen Stufen und der mit ihnen verbundenen grundsätzlichen Perspektiven, Gespräche in der Klasse angemessener zu leiten. Nicht selten bestehen nämlich Diskussionen darin, dass zwei verschiedene Denkstufen, etwa 2 und 3, aufeinander treffen. Dabei ist kein „richtig“ oder „falsch“ erreichbar, vielmehr haben von der jeweiligen Lebenserfahrung der diskutierenden Schüler her beide Perspektiven ihre Berechtigung. In der Dis-
VI. Religionslehrer und Schüler
215
kussionsleitung kann es hilfreich sein, vorsichtig auf das größere Erklärungspotenzial der höheren Stufe des religiösen Urteils hinzuweisen, um so bei dem entsprechenden Schüler eine Weiterentwicklung anzubahnen. Zugleich macht das Stufenschema Oser/Gmünders auf ein erhebliches religionspädagogisches Problem aufmerksam: In der Regel ist der Religionsunterricht der Ort, an dem die Menschen das letzte Mal in ihrem Leben Zugang zu einem auf religiöse Fragen und damit eine Entwicklung des religiösen Urteils ausgerichteten Bildungsprozess haben. Wichtige Erfahrungen, die aber die Stufe 3 mit ihrer Trennung von eigener Autonomie und Ultimatem bzw. Gott in Frage stellen und zu der stärker integrierenden und damit für die Lebensgestaltung unter komplexen Verhältnissen mehr Erschließungskraft bietenden Stufe 4 führen, liegen (meist) jenseits der Schulzeit und bleiben nicht selten für die religiöse Urteilsbildung unerschlossen: wie z.B. die ersten Jahre einer intimen Partnerschaft, die Geburt eines Kindes oder auch die ersten Jahre der Erwerbstätigkeit. Dass hier eine wichtige gemeindepädagogische Herausforderung liegt, kann im vorliegenden, auf den schulischen Religionsunterricht bezogenen Zusammenhang nur angemerkt werden.47
Grundsätzliches Problem
Allerdings begegnen diese Stufen des religiösen Urteils immer nur im Zusammenhang mit lebensweltlich geprägten Vorstellungen.48 Deshalb ist es wichtig, sich einige Veränderungen im Aufwachsen von Kindern bewusst zu machen. 2.1.2 Aus theologischer Perspektive Vor allem auf dem Hintergrund der in f 2.2 zu thematisierenden lebensweltlichen Situation von Kindern und Jugendlichen, aber auch von Berichten über die wachsende Verarmung be46 Vgl. Schweitzer u. a.: Religionsunterricht, 44–48. 47 Vgl. Schweitzer: Lebenszyklus, 91–113, der zu Recht nachhaltig auf die große Bedeutung der sog. Postadoleszenz für die Stellung zu Kirche und (christlicher) Religion und diesbezügliche Desiderate in religionspädagogischer Forschung und gemeindlicher Praxis hinweist. 48 Hier setzen neuere kritische Rückfragen an die kognitionspsychologischen Stufentheorien an (Streib: Religion), die allerdings noch nicht für die konkrete religionsdidaktische Aufgabe operationalisiert wurden.
Bedeutung der Kinder
216
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
stimmter Gruppen von Kindern entdeckten Theologen und kirchliche Mitarbeiter in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Kinder als wichtiges theologisches und ekklesiologisches Thema (f V.3.2.1). Ausgangspunkt ist dabei wie die EKDSynode von 1994 in Halle/Saale unter Bezug auf Mk 10,13 16 formulierte : „In der Botschaft Jesu haben Kinder uneingeschränkt Vorrang“.49 Kindsein ist demnach keine „Vorstufe“ zum Menschsein. Kinder haben „uneingeschränkt teil an der Gottesherrschaft“.50 Von daher kommt den religiösen Vorstellungen von Kindern eine besondere theologische Dignität zu: „Jesus hat mit seiner Hinwendung zu den Kindern deren Glauben den Erwachsenen zum Vorbild gemacht. Deshalb kann es für uns Christen nicht darum gehen, Arbeitsformen zu entwickeln, mit deren Hilfe wir unseren Erwachsenenglauben den Kindern möglichst effektiv weitervermitteln können. Zuallererst sollten wir Jesu Wort und Verhalten gegenüber den Aufwachsenden als Hinweis verstehen, den sich entwickelnden und verändernden Glauben der Kinder in seiner jeweiligen Ausprägung achten und verstehen zu lernen.“51
Demnach sind also die in 2.1.1 skizzierten Entwicklungen theologisch bedeutsam und keineswegs sofort dem Maßstab konventioneller bzw. entwicklungspsychologisch gesprochen: erwachsener Dogmatik zu unterwerfen. Das Ernstnehmen des Glaubens Heranwachsender führt zur Einsicht in einen gegenseitigen Lernprozess bei der Kommunikation des Evangeliums zwischen den Generationen, der sich im Religionsunterricht ereignen kann.
2.2
Lebenswelt der Heranwachsenden
In einem ersten Schritt mache ich anhand zweier Beispiele darauf aufmerksam, dass allgemeine gesellschaftliche Prozesse wie Pluralisierung, Mobilität u.Ä. direkte Auswirkungen auf die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen haben. In einem zweiten Schritt wird dies dann unter dem Stichwort des „postmodernen Lebenszyklus“ konzeptionell vertieft. Abschließend stelle ich das Konzept des „Egotaktikers“ aus der Jugendfor-
VI. Religionslehrer und Schüler
217
schung vor, insofern es wichtige Einblicke in die Logik der Wirklichkeitskonstruktion gibt, mit der Jugendliche auf die Herausforderungen der Gegenwart reagieren. 2.2.1 Situationen 2.2.1.1 Elsbe Goßmann hat schon in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts anhand von konkreten Fallstudien auf die besonderen Herausforderungen für Kinder aufmerksam gemacht, die aus der Organisation des gesellschaftlichen und persönlichen Lebens resultieren: „Tagesablauf S. 9 Jahre alt: S. geht in die dritte Grundschulklasse. Sie lebt mit ihrer Mutter und ihrem 18jährigen Bruder in einer Stadt. S.’s Mutter ist berufstätig. Jeden Morgen um 7.10 Uhr wird S. von ihrer Mutter mit dem Auto zur Schule gebracht, die eine gute halbe Stunde von der Arbeitsstelle ihrer Mutter entfernt ist. Ihr Tagesablauf sieht ungefähr so aus: … Um 6.30 Uhr wird S. geweckt. Gemeinsam mit Mutter und Bruder frühstückt sie. Das wird nicht immer in Ruhe verlaufen, da S. und ihre Mutter gemeinsam das Haus verlassen. Bevor sie zur Schule fahren, hat S. noch Zeit ca. 10 Min. mit ihrem Hund spazieren zu gehen. Auf dem Weg zur Schule gibt es Gelegenheiten, mit der Mutter zu reden. Sicherlich kann die Mutter S. nicht immer ihre ganze Aufmerksamkeit schenken, da sie auch auf den Verkehr achten muß … Dann ist S. 8 Stunden in der Schule. Dort erlebt sie verschiedene Lehrerinnen und Erzieherinnen und hat viele Kontaktmöglichkeiten mit den Freundinnen. Sie nimmt mit vielen anderen Kindern auch dort das Mittagessen ein. Neben dem Unterricht gibt es Angebote zu freiem und gelenktem Spiel und zur Projektarbeit. Immer wieder andere Kontakte und Entscheidungen. S. liebt besonders ihre Lehrerin, aber sie muß auch erfahren, daß Frau T. auch die anderen Kinder mag. … In der Schule verbringt sie die meiste Zeit des Tages … Wie gehen die Kinder miteinander um? Wie tragen sie ihre Konflikte aus? Wer
49 Kirchenamt der EKD (Hg.): Synode, 12. 50 Kirchenamt der EKD (Hg.): Synode, 50. 51 Kirchenamt der EKD (Hg.): Synode, 67.
Tagesablauf eines Grundschulkindes
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C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
tröstet S., wenn sie traurig ist, wer hilft ihr, wenn sie nicht mehr weiter weiß, wenn sie verletzt ist? … Um 16.00 Uhr holt S. ihre Mutter von der Arbeit ab. Auf dem Nachhauseweg gibt es wieder Gelegenheit zu Gesprächen mit der Mutter. Zu Hause angekommen, geht S. mit ihrer Mutter und dem Hund spazieren oder trifft sich mit den Nachbarskindern. Sie hält sich nun in ihrer nächsten Umgebung auf. Von hier bringt sie Eindrücke und Erlebnisse mit nach Hause. Ab 19.00 Uhr ist dann die Wohnung der Aufenthaltsort. … An verschiedenen Wochentagen und am Wochenende kommen noch andere Kontakte und Orte dazu: am Montag geht S. mit zwei Freundinnen zum Voltigieren. Dienstags und donnerstags trifft sie sich nach der Schule noch mit ihrer Freundin, abwechselnd mal bei S., mal bei der Freundin.“52 Exemplarisch wird hieran deutlich, wie straff organisiert der Tagesablauf vieler Kinder ist. Mehrmals am Tag wechseln sie den Ort bzw. werden per Auto von Ort zu Ort gebracht , begegnen sehr unterschiedlichen sozialen Situationen. Dies weitet auf der einen Seite den Horizont der Kinder über die Herkunftsfamilie hinaus, setzt aber auf der anderen Seite eine hohe Anpassungsfähigkeit und -bereitschaft voraus. Dazu ist nicht zu übersehen, dass die Organisation des Erwerbslebens wie auch das gesamte Verkehrswesen elementaren Bedürfnissen von Kindern wie Spielen und freier Bewegung entgegenstehen.
Lebenswelt Jugendlicher
2.2.1.2 Die hohen sozialen Anforderungen, denen Heranwachsende unterliegen, hat Dionys Zink mit Hilfe der ökosozialen Sozialisationstheorie53 deutlich gemacht. Die folgende Skizze stellt dar, in welchen direkten Beziehungen ein Jugendlicher (hier: „Andreas“) heute steht. Erlebnisse und Eindrücke aus Begegnung und Kontakt mit all diesen Menschen, Institutionen und Orten bringt ein Jugendlicher in den Religionsunterricht mit. Die Konstruktion seiner „Religion“ zielt darauf, ihm in der Fülle dieser Kontakte eine brauchbare Orientierung zu geben oder eine konkrete Problemlage erträglicher zu machen.
VI. Religionslehrer und Schüler
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Lebensnische Jugend licher zwischen 14 und 16 Jahren. In: Katechetische Blätter 117 (1992), 16054
2.2.2 Pluralismus als Grundsignatur Die in der empirischen Sozialforschung, aber auch zunehmend im Alltag begegnende Schwierigkeit der Begriffswahl, wie man Heranwachsende bezeichnen soll, macht auf einen tief greifenden Umbruch aufmerksam, der hinter den im Vorhergehenden skizzierten Phänomenen steht. So wurde es in den von der Deutschen Shell finanzierten Jugendstudien, die von 1953 bis 2002 in 14 groß angelegten Untersuchungen die Situation von Jugendlichen analysieren und damit die grundlegenden Daten für die pädagogische Diskussion liefern, zunehmend schwierig, die Untersuchungsgröße „Jugend“ festzulegen. Mittlerweile werden hier Menschen zwi-
52 Goßmann: Kinder, 95 f. 53 S. als kurze Einführung Grethlein: Religionspädagogik, 253–255. 54 Zink: Religionsunterricht, 160f. Für heutige Jugendliche ist noch im Medienbereich das Internet zu ergänzen.
Begriffsprobleme „Jugend“
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C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
schen 12 und 25 Jahren erfasst, ohne dass die beiden Altersgrenzen überzeugen könnten. Denn schon manche Zehn- oder Elfjährige fühlen sich nicht mehr als Kinder und mancher Endzwanziger ist in seinem Lebensstil von einem Neunzehnjährigen nicht zu unterscheiden. Veränderte Kindheit
Friedrich Schweitzer versucht diese Entwicklung konzeptionell entwicklungspsychologisch dadurch zu erfassen, dass er die Ablösung des modernen durch einen postmodernen Lebenszyklus konstatiert. „Die Kindheit ist nicht mehr die vergleichsweise ruhige Zeit der Stabilität, die im Rahmen einer verlässlichen, auf Dauer angelegten Familie zu erfahren und zu genießen wäre. Die Veränderungen der Familie haben die Kindheit statt dessen zu einer Zeit mit zahlreichen Übergängen und neuen Belastungen, die schon früh und immer wieder neu eintreten, werden lassen.“ „In ähnlicher Weise hat das Jugendalter seine herkömmliche Bedeutung eingebüßt. Es ist nicht mehr die Zeit, in der man eine das ganze Leben bestimmende Verpflichtung auf eine klar umrissene bzw. zumindest stabile Identität oder eine Weltanschauung entwickelt und übernimmt, die dem Leben einen tiefsitzenden Richtungssinn verleihen kann. Vielfach sind solche herkömmlichen Festlegungen durch die Erfahrung eines pluralen Selbst und des Lebens mit pluralen Identitäten abgelöst worden.“55 Grundlegend für die dadurch bezeichnete Veränderung ist: „Heute sind sich die Kinder …, zumindest der Möglichkeit nach, von Anfang an bewusst, daß alles, was sie von ihren Eltern lernen, auch anders gesehen werden kann.“56
Diese Erfahrung bezieht sich auch auf den religiösen Bereich. Von daher erscheint die Diskussion, ob bei religiöser Erziehung am Anfang die Einwurzelung in die eigene Tradition stehen müsse oder nicht, abstrakt. Denn Kinder begegnen, wenn nicht in ihren Herkunftsfamilien, so doch meist spätestens im Kindergarten, unterschiedlichen Formen religiöser Praxis, wozu als eine Position die Negierung religiöser Fragen und Vorstellungen gehört. Besonders deutlich treten die dabei für Heranwachsende entstehenden Anforderungen in Familien zu Tage,
VI. Religionslehrer und Schüler
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in denen die Eltern unterschiedlichen Religionen angehören, in Deutschland meist einem christlichen Bekenntnis und dem Islam. Ein typisches Beispiel hierfür bietet ein Interview mit einem Neunjährigen (Jakob) zu seiner religiösen Praxis,57 dessen Vater Muslim und dessen Mutter Katholikin ist. Hinsichtlich seiner Gebetspraxis konstatieren die beiden Religionspädagogen Gottfried Orth und Helmut Hanisch: „In Jakobs Leben spielt das Gebet eine zentrale Rolle. … Er berichtet von seinen abendlichen Gebeten, von seinen Gebetserfahrungen im (sc. Evangelischen, C. G.) Religionsunterricht sowie dem muslimischen Ritual, das bei ihm zu Haus praktiziert wird. Ob sich Jakob im Gebet an Gott oder Allah wendet oder ob er in muslimischem oder christlichem Zusammenhang betet, macht für ihn keinen Unterschied.“58 Weniger spektakulär stehen viele Kinder heute in strukturell ähnlichen Situationen. Häufig erleben sie bei Mutter und Vater unterschiedliche Einstellung und Praxis zu Religion und Kirche.59 In dieser Situation stellt sich die Aufgabe neu, ein „Gleichgewicht zwischen Zugehörigkeit und Offenheit“60 herauszuarbeiten. Dabei wird es keine allgemein gültigen Lösungen geben; auf jeden Fall sind die konkrete persönliche Situation und das jeweilige Alter zu berücksichtigen. Von daher bekommt der persönliche Kontakt der Religionslehrer zu ihren Schülern und deren Familien bzw. sonstigem sozialen Umfeld große Bedeutung. 2.2.3 „Egotaktik“ als Überlebensstrategie In der repräsentativen 14. Shell-Jugendstudie von 2002 versuchten die Verfasser, die Logik zu rekonstruieren, die hinter den abgefragten Einstellungen und Ansichten der Mehrheit der Jugendlichen steht. Dabei stießen sie beim Bemühen Jugend55 56 57 58 59 60
Schweitzer: Lebenszyklus, 167. Schweitzer: Lebenszyklus, 47. Abgedruckt in: Arnold/Hanisch/Orth: Kinder, 56–69. Orth/Hanisch: Glauben, 22. Klein: Tradierungsprozesse. Schweitzer: Lebenszyklus, 58.
„Bireligiöses“ Gebet
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C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
licher, mit den hohen Anforderungen an die Selbstorganisation bei gleichzeitigen pluralen Orientierungsangeboten fertig zu werden, auf einen „hohen Grad von Selbstzentriertheit“, die die Jugendforscher zur Charakteristik der „Egotaktiker“ führt.61 „ Egotaktikerinnen und Egotaktiker fragen die soziale Umwelt ständig sensibel nach Informationen darüber ab, wo sie selbst in ihrer persönlichen Entwicklung stehen. Die Lebensphase Jugend ist ein lang gestreckter Abschnitt im Lebenslauf, der unklare und teilweise widersprüchliche Strukturen aufweist. Hier gilt es, das Beste aus der Situation zu machen und vorhandene Chancen so wahrzunehmen, wie sie sich anbieten. Zur egotaktischen Grundeinstellung gehört ein Schuss Opportunismus ebenso wie eine Portion Bequemlichkeit, eine abwartende und sondierende Haltung ebenso wie die Fähigkeit, im richtigen Moment bei einer sich bietenden Chance zuzugreifen. Die egotaktische Grundeinstellung ist so gesehen die angemessene Antwort der Struktur der Lebensphase Jugend, deren Ausgang in das verantwortungsvolle Erwachsenenalter ungewiss geworden ist.“
Offensichtlich haben viele Jugendliche so einen Modus gefunden, den anhand der zwei Fallbeispiele (f 2.2.1) exemplarisch skizzierten Anforderungen gerecht zu werden. 2.2.4 Verhältnis zu Kirche und Religion Durchweg zeigen neuere Jugenduntersuchungen ein nicht leicht zu entwirrendes, anscheinend widersprüchliches Bild, wenn es um das Verhältnis von Heranwachsenden zu Kirche und Religion geht. Ambivalente Haltung zu Kirche
2.2.4.1 Es wird zunehmend schwerer, sprachlich religionsbezogene Einstellungen abzufragen bzw. umgekehrt: differenziert zu äußern. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass im allgemeinen Sprachgebrauch der Jugendlichen auf den ersten Blick nicht oder kaum zwischen Kirche und Religion unterschieden wird.62 Doch sieht man genauer hin bzw. wird in Interviews nachgefragt, trennen Jugendliche scharf zwischen ihrem persönlichen Glauben und der Kirche. Dabei schneidet die Kirche schlecht ab. Sie gilt als wenig vertrauenswürdige Erwachsenenorganisation. So landete „Kirchen“ bei einem Ranking von 14 vorgegebenen Organisationen vor „Politische Parteien“ auf dem vorletz-
VI. Religionslehrer und Schüler
223
ten Platz. Spitzenreiter waren „Umweltschutzgruppen“, „Gerichte“, „Menschenrechtsgruppen“ und „Polizei“.63 Aus den schon anderweitig zitierten Befunden der Befragung von Jugendlichen in vier Ländern ergab sich, „dass Jugendliche ihren Glauben unabhängig von religiösen Institutionen entwickeln wollen. Die Kirchen nehmen sie vor allem als hierarchisch gegliederte Organisationen wahr, zu denen der Einzelne kaum Zugang hat.“64 Zugleich sind aber kirchliche Jugendgruppen für Heranwachsende zwischen 12 und 17 Jahren hinter „Verein (z.B. Sport-, Kultur-, Musikverein)“ sowie „Jugendorganisation, -gruppe“ deutlich vor anderen Gruppierungen wie Greenpeace oder Amnesty attraktive und wahrgenommene Angebote zum Engagement.65 2.2.4.2 Ähnlich unklar sieht es hinsichtlich des persönlichen Glaubens aus. Bei der 14. Shell-Jugendstudie bezeichneten 61 % der Befragten „glauben“ als „in“, dagegen landete „Gottesglauben“ bei derselben Befragung hinsichtlich dessen, was „wichtig für die Lebensgestaltung“ ist, bei 25 Vorgaben auf Platz 21, nur noch vor „Geschichtsstolz“, „Politikengagement“, „Althergebrachtes“, „Konformität“.66 Wenn man allerdings die hier präferierten Werte an der Spitze des Rankings stehen „Freundschaft“, „Partnerschaft“, „Familienleben“, „Eigenverantwortung“ genauer ansieht, sind diese zumindest vom christlichen Glaubensverständnis her gut an den Gottesglauben anschlussfähig. Kaum mehr sinnvoll und möglich erscheint es, die religiösen Einstellungen von (Kindern und) Jugendlichen in ein Verhältnis zu traditionellen christlichen bzw. sogar konfessionellen Lehrauffassungen zu setzen. Vieles dürfte hier von den Jugendlichen gar nicht mehr verstanden werden bzw. würde mit einem je individuellen Sinn unterlegt. So wäre es z.B. spannend, von den Befragten zu erfahren, die für die Auffassung der Wiedergeburt votierten, was sie darunter eigentlich verstehen. 61 62 63 64
Hurrelmann u. a.: Generation, 33 (ebd. auch das folgende Zitat). So z. B. Ziebertz: Signaturen, 72f. Fischer: Jugend, 271. Ziebertz: Signaturen, 152; hierbei muss allerdings beachtet werden, dass bei dieser Untersuchung die Mehrheit der Befragten katholisch war. 65 Gensicke: Individualität, 205. 66 Gensicke: Individualität, 77 bzw. 149.
Ambivalente Haltung zu Glauben
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Ursachen
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Dieser komplizierte Befund hat mehrere Ursachen: Zum einen ist der Bereich „Religion“ wohl der Lebensbereich, in dem die Jugendforscher am wenigsten Kenntnisse haben. Sylvia Thonak67 konnte in akribischer Analyse der letzten ShellStudien nachweisen, dass hier immer noch eine weitgehende Gleichsetzung von „Kirche“ mit „Sonntagsgottesdienst“ vorherrscht und die mittlerweile religionssoziologisch und praktisch-theologisch erarbeiteten christentumstheoretischen Differenzierungen nicht rezipiert werden. Besonders eklatant ist abgesehen von der Tatsache, dass in der 12. Shell-Studie 1997 „Religion“ versehentlich vergessen wurde , dass die Selbstdarstellungen der Jugendlichen in sehr viel höherem und differenzierterem Maß religiöse Fragen und Hoffnungen ansprechen, als dies die Jugendforscher in den Interpretationen aufnehmen. Dementsprechend sind die Fragebogenkonstruktionen in diesem Themenbereich unzureichend. Zum anderen spiegeln die Befunde die Unsicherheit und wohl auch Unentschiedenheit der Heranwachsenden wider. Ich vermute: Auch „Religion“ bzw. „Glauben“ wird egotaktisch zur Lebensbewältigung eingesetzt, aber eben nur insoweit ein Nutzen erkennbar ist. Der daraus häufig resultierende „Synkretismus“ kann dann als „eine Anpassungs- bzw. Integrationsleistung angesichts der Heterogenität“68 gelten.
Traditionelles Bekennen oder Engagement für Kirche als Institution der Glaubensverkündigung findet sich, wenn überhaupt, nur noch bei einer ganz kleinen Minderheit. Dazu stößt man bei der Durchsicht von Interviews und schriftlichen Darlegungen auf erhebliche Ausdrucks- und Formulierungsprobleme, gerade wenn es um religiöse Fragen oder die Darstellung des eigenen Glaubens geht. Offensichtlich ist abgesehen von der nach wie vor bestehenden Gleichsetzung von Religion und Kirche im „Kontext religiöser Pluralität nicht eindeutig …, was als religiös gelten kann und was nicht. Letzteres bleibt eine Interpretationsleistung des Individuums.“69
VI. Religionslehrer und Schüler
225
2.2.5 Verhältnis zum Religionsunterricht Im Gegensatz zu der Vielzahl empirischer Untersuchungen zu Einstellungen von Religionslehrer(inne)n gibt es nur verhältnismäßig wenige Studien, die die Einstellung der Schüler(innen) zum Religionsunterricht erforschen. Bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein wurde dabei meist der Religionsunterricht (beider Konfessionen) als „unbeliebtes Fach“ erfasst.70 Die z.T. erheblichen Austrittszahlen von Schülern vor allem der gymnasialen Oberstufe und der berufsbildenden Schulen Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre unterstrichen diese Einschätzung. 2.2.5.1 Mittlerweile zeigen neuere Untersuchungen ein anderes Bild. Vor allem Anton Bucher hat sich in verschiedenen Studien um die Erfassung der Einschätzung des Religionsunterrichts bei Schüler(inne)n und die Aufklärung der hier bestimmenden Faktoren verdient gemacht. Bis auf die leider ausgeblendeten Sonderschulen hat er Daten für alle Schularten erfasst. Weil sich die Untersuchungen entsprechend seiner eigenen Konfession weitgehend auf den Katholischen Religionsunterricht bezogen, macht es wenig Sinn, die auf konkrete Inhalte bezogenen Ergebnisse aufzunehmen. Die Faktoren, die das Verhältnis der Schüler zum Katholischen Religionsunterricht bestimmen, dürften aber weithin auf den Evangelischen Religionsunterricht übertragbar sein. Im Folgenden stütze ich mich auf eine 1998/99 von Anton Bucher in vier Regionen der Bundesrepublik Deutschland durchgeführte Befragung von mehr als 7000 Schülern der Grundschule, Sekundarstufe I (Gymnasium, Hauptschule, Realschule, Gesamtschule), gymnasialen Sekundarstufe II und Berufsschule.71 Grundsätzlich ergibt sich für den Religionsunterricht und hier stimmen die Ergebnisse Buchers mit denen anderer Stu67 68 69 70
Thonak: Religion. Ziebertz: Signaturen, 36. Ziebertz: Signaturen, 256. So der programmatische Titel der auch in methodischer Hinsicht Standards setzenden pädagogischen Dissertation von Havers: Religionsunterricht. 71 Die genauen Ergebnisse sind unschwer nachzulesen in dem gut gegliederten Band von Bucher: Religionsunterricht.
Attraktivität des Religionsunterrichts
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C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
dien überein ein erfreulicheres Bild für die Akzeptanz des Religionsunterrichts als Anfang der siebziger Jahre. In der Grundschule ist der Religionsunterricht sogar nach Sport und Kunst das drittbeliebteste Unterrichtsfach. Allerdings kann er diesen Platz im Sekundar I-Bereich nicht halten. Hier sinkt er zurück auf den viertletzten Platz in einem 12er-Ranking, nur noch vor Geschichte, Physik und Latein. Einen ähnlichen Rang weisen ihm die Schüler in der gymnasialen Oberstufe zu, wogegen er in der Berufsschule wieder etwas beliebter ist. Dabei votieren die Schülerinnen jeweils etwas günstiger als die Schüler. Faktoren
Ökumenischer Religionsunterricht
Ostdeutschland
Der wesentlichste Faktor für die Einschätzung des Religionsunterrichts hinsichtlich Beliebtheit, aber auch Effektivität scheint in der Gestaltung des Unterrichts selbst zu liegen. Vor allem die Möglichkeit zu Eigenaktivität in Verbindung mit lebensnahen Themen fördert Akzeptanz und Zuspruch.
Daneben spielt die Herkunftsfamilie eine Rolle. Je religiöser die familiäre Erziehung und Sozialisation sind, desto beliebter ist der Religionsunterricht und als desto effektiver wird er beurteilt. Disziplinschwierigkeiten sowie mangelnde Anforderungen verschlechtern die Beurteilung des Unterrichts. Interessant ist weiter die in allen Schularten bis auf die Berufsschulen begegnende Zurückhaltung der Schüler gegenüber einem ökumenischen Religionsunterricht. Obwohl für sie im Freundeskreis die Konfession in der Regel keine Rolle spielt, war doch jeweils sogar eine Mehrheit skeptisch gegenüber einem Zusammenlegen der Religionsgruppen. In beigefügten verbalen Äußerungen kommen dabei teilweise erhebliche Vorurteile hier gegenüber den Evangelischen zum Ausdruck, die ihrerseits dringend eine stärkere Berücksichtigung der ökumenischen Thematik aus religionsdidaktischen Gründen nahe legen. Insgesamt wird dies zeigen auch andere Studien der Religionsunterricht von den Schülern nicht als kirchlich verantwortete Einrichtung, sondern als etwas Eigenständiges wahrgenommen. In ihren Äußerungen zum Religionsunterricht spielt nämlich die Kirche keine Rolle.72 2.2.5.2 Ein besonderes Interesse verdient in diesem Zusammenhang die Einschätzung des Religionsunterrichts durch ostdeut-
VI. Religionslehrer und Schüler
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sche Schüler. Für sie war dieses Fach nach der Wende etwas Neues, die Teilnahme ist heute teilweise noch freiwillig. Der Leipziger Religionspädagoge Helmut Hanisch organisierte 1994 gemeinsam mit seinem religionssoziologischen Kollegen Detlef Pollack in drei Regionen Sachsens (Leipzig, Borna, Auerbach) eine Fragebogen-Aktion unter fast 1500 Schülern aus der 5./6. bzw. 9./10. Klasse von Mittelschulen und Gymnasien, die bereits am neu eingeführten Religionsunterricht teilnahmen.73 Hinsichtlich der Konfessionalität ergab sich im Raum Leipzig das auf den ersten Blick erstaunliche, angesichts der kirchenfeindlichen Religionspolitik der SED aber verständliche Resultat, dass etwa nur ein Drittel der Schüler getauft war. In den ländlichen Gebieten (Borna und Auerbach), in denen sich teilweise noch volkskirchenähnliche Strukturen erhalten hatten, gehörte die Mehrzahl der den Religionsunterricht besuchenden Schüler der Kirche an. Die von der Partizipation an der Christenlehre, also dem kirchengemeindlichen Ersatz-Religionsunterricht der DDR, über Kindergottesdienstteilnahme, Besuch des Sonntagsgottesdienstes bis hin zu Teilnahme an Kasualien und zum Besuch des Weihnachtsgottesdienstes reichenden Fragen ergaben insgesamt: „Die überwiegende Mehrheit der Kinder und Jugendlichen, die den Religionsunterricht besuchen, sind am Kirchenraum und damit am Christentum als einem kulturhistorisch bedeutsamen Phänomen interessiert.“74 Inhaltlich war die „Frage nach dem Glauben an Gott“ (nicht die abstrakte „Gottesfrage“!) für die überwiegende Mehrheit der Schüler wichtig. Sie stellt deshalb ein zentrales Thema für einen schülerorientierten Religionsunterricht dar. Ganz ähnliche Ergebnisse wie die Frage nach dem Glauben an Gott ergab die Frage nach der Gebetspraxis. Dabei zeigte sich auch im Osten Deutschlands, dass in keiner Klasse mehr als die Hälfte der Schüler angab, „nie“ zu beten, teilweise in den ländlichen
72 Ziebertz: Signaturen, 222. 73 Die einzelnen Untersuchungsergebnisse finden sich leicht in dem auch eine religionssoziologische Einführung umfassenden Band: Hanisch/Pollack: Religion. 74 Hanisch/Pollack: Religion, 65.
Glauben – Gebet
228
Motive
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Gebieten sogar die Mehrheit bekannte, „oft“ zu beten. Besondere religionsdidaktische Aufmerksamkeit verdient dabei der Einzelbefund, dass sogar einige Schüler, die angaben, nicht an Gott zu glauben, offensichtlich beten.75 Vielleicht kann dies so interpretiert werden, dass hier eine elementare menschliche Kommunikationsform kognitiven Urteilen vorausgeht. Ein Spezifikum der ostdeutschen Anfangssituation dürften die Motive sein, den Religionsunterricht zu besuchen. Neben dem Reiz des Neuen begegneten fast genauso stark die Ablehnung des Ethikunterrichts und etwas schwächer die Akzeptanz der Kirche, der Einfluss von Freunden und der Wunsch der Eltern.76 Es wäre interessant zu erforschen, ob es gelingt, im Lauf der Zeit diese Motive in ein Interesse an den Themen des Religionsunterrichts zu überführen.
2.3
Religionsdidaktische Konsequenzen
Die hier nur exemplarisch und auszugsweise präsentierbaren theoretischen und empirischen Erkundungen zu den Schülerinnen und Schülern im Religionsunterricht können nicht unmittelbar in Handlungsorientierungen umgesetzt werden. Denn bei aller herausgestellter Bedeutung der Schüler(innen) gehören zum Religionsunterricht als Kommunikationsgeschehen noch die Lehrerinnen und Lehrer sowie die von den Kirchen verantworteten Ziele und Inhalte und der durch Schule gegebene Rahmen als Faktoren hinzu. Sie alle sind bei einem Konzept zur Gestaltung des Religionsunterrichts zu berücksichtigen. Allerdings muss solch ein religionsdidaktisches Konzept mit der gegenwärtigen Einstellung der Schülerinnen und Schüler verknüpfbar sein, soll es nicht wegen Unpraktikabilität zum Scheitern verurteilt sein. Grundsätzlich scheint die Situation des Religionsunterrichts im Sekundarbereich problematischer als in der Grundschule. Es gelingt gegenwärtig zu wenig, die Beliebtheit und hohe Akzeptanz, die der Religionsunterricht in der Grundschule genießt, in den weiterführenden Schulen zu bewahren.
VI. Religionslehrer und Schüler
Ich vermute, dass dies sowohl an der didaktischen Weiterentwicklung und stärkeren Integration des Religionsunterrichts im Primarbereich als auch an der schwierigeren entwicklungspsychologischen Situation im höheren Alter liegt. Daraus resultieren Anforderungen an und für eine zukünftige Religionsdidaktik im Sekundarbereich: Die Autonomie der Schüler(innen) ist ein Grunddatum für den Religionsunterricht. Von daher gilt es, die Religionsproduktivität als eigenständigen Versuch der Heranwachsenden ernst zu nehmen, angesichts der disparaten Herausforderungen in der Gegenwart ihrem Leben bzw. einzelnen Lebensbereichen einen Sinn zu unterlegen. Doch dies ergeben die Schülerbefragungen darf diese Erkenntnis nicht dazu führen, den Religionsunterricht als ein gleichsam therapeutisches Forum zum gegenseitigen Sich-Aussprechen zu etablieren. Vielmehr gehört zum Ernstnehmen der durch die Heranwachsenden beanspruchten Autonomie, dass der Religionsunterricht auch kognitive Anforderungen stellt und so eine Weiterentwicklung des religiösen Urteilens ermöglicht. Auf jeden Fall muss der Religionsunterricht die jeweilige kognitive Entwicklung der Schüler(innen) berücksichtigen. Dies gilt sowohl für die Auswahl der Unterrichtsinhalte als auch für die Gestaltung der Unterrichtsstunden. Theologisch ist dazu eine Theologie der jeweiligen Altersstufen notwendig. Sie hätte zugleich die jeweiligen gesellschaftlichen und kulturellen Anforderungen zu beachten, denen die Heranwachsenden ausgesetzt sind. Eine solche Theorie ist ein wichtiges Desiderat für die Kooperation zwischen Religionspädagogik und Systematischer Theologie, die dann nicht mehr so allgemein wie bisher von „dem“ Menschen sprechen könnte. Die Grundsignatur des Aufwachsens heute ist auch in religiöser Hinsicht der Pluralismus. In dieser Situation ist es wichtig, mit den Schülern Beurteilungskriterien zu erarbeiten, mit deren Hilfe sie sich ein begründetes Urteil über an sie herangetragene weltanschauliche, religiöse und ethische Optionen bilden können. Diese Aufgabe wird im f VII. Kapitel genauer bedacht.
75 Hanisch/Pollack: Religion, 70. 76 Hanisch/Pollack: Religion, 78.
229
Religionsdidaktik im Sekundarbereich
230
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Ein offenes Problem markiert die zumindest bei den älteren Schülern durchwegs sehr kritische Sicht der Kirche als Organisation, bei gleichzeitiger Aufgeschlossenheit für konkrete kirchliche Angebote. Von daher sind die Projekte der Kirchenreform kritisch zu reflektieren. Bürokratische kirchliche Organisationsformen sind zu vermeiden. Schließlich wird Religionsdidaktik durch die offensichtliche Voreingenommenheit nicht weniger Schüler gegenüber der anderen Konfession herausgefordert. Die diesbezüglichen empirischen Befunde werfen ein neues Licht auf die Modelle konfessioneller Kooperation bzw. ökumenischer Ausrichtung des Religionsunterrichts (f IV.4.2.4).
3.
Zukünftige Aufgaben der Religionslehrer
Die vorhergehenden Beobachtungen und Hinweise zur Rolle der Religionslehrer(innen) sowie der besonderen Situation, in der sich viele Schüler(innen) heute befinden, machen deutlich: Die bisherigen konzeptionellen Bestimmungsversuche der Aufgaben der Religionslehrer liefern zwar wichtige Gesichtspunkte für die vor uns liegenden Aufgaben, reichen aber nicht aus.
3.1
Problem Kirchentrennung
In kirchlich-theologischer Perspektive
Im kirchlich-theologischen Bereich sind folgende Fragen zu klären: Wie ist unter den Bedingungen einer zunehmenden Marginalisierung der Organisation Kirche, zugleich aber rechtlicher Anbindung des Religionsunterrichts an sie, das Verhältnis der Religionslehrer zu Kirche zu bestimmen? Die nicht nur in Sonder- und Berufsschulen, sondern wie die zitierten niedersächsischen und westfälischen Umfragen zeigen auch in den anderen Schularten verbreitete bzw. um sich greifende ökumenische Organisation des Religionsunterrichts stellt vor neue Anforderungen. Zugespitzt formuliert: Den Religionslehrern kommt die Aufgabe zu, den Schülern die christliche Perspektive zu eröffnen, obgleich die Spaltung der
VI. Religionslehrer und Schüler
Kirche lebensweltlich zeigt, dass das in ökumenischer Allgemeinheit nicht möglich ist. Man kann diesen Befund aber auch umgekehrt interpretieren: Die durch die Organisation Schule gegebene, unmittelbare Anbindung des Religionsunterrichts an lebensweltliche Entwicklungen macht auf die Abseitigkeit der Kirchenspaltung aufmerksam. Die konfessionelle Differenz ist nach genanntem empirischen Befund bei den Schülern primär in Ressentiments präsent und verstellt damit die ursprünglich durch sie aufgeworfene Wahrheitsfrage. Von daher gehören die Fragen der ökumenischen Kooperation im Religionsunterricht ganz oben auf die Tagesordnung der theologischen Ökumene. Interessante Impulse können von den Überlegungen zur Spiritualität der Religionslehrer ausgehen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen Überlegungen dazu, wie die persönliche Spiritualität der Religionslehrerinnen und -lehrer für die Schülerinnen und Schüler erkennbar wird. Die in der schlechthinnigen Abhängigkeit und damit Begrenztheit des Menschen gegründete Beziehung zu Gott kann so für Schülerinnen und Schüler anschaulich werden. Die Auseinandersetzung hiermit steht den auf dem Vormarsch befindlichen Tendenzen zu Ökonomisierung und Funktionalisierung entgegen. Sie setzen die Fiktion der unbegrenzten Steigerung und völligen Verfügbarkeit voraus. Zugleich eröffnet die Begegnung von Heranwachsenden mit dem Bemühen Erwachsener, ihr Leben als Christen zu gestalten, für beide Seiten positive Spielräume. Zugespitzt und zusammengefasst werden solche Überlegungen in der Aufgabe, Schüler(inne)n im und durch den Religionsunterricht eine Begegnung mit religiöser Praxis zu ermöglichen. In den (westfälischen) Grundschulen ist hierzu über die Hälfte der Lehrkräfte bereit; in den traditionell auf kognitive Lernprozesse konzentrierten weiterführenden Schulen begegnet noch eher Zurückhaltung. Doch bleibt unhintergehbarer Ausgangspunkt: Zunehmend lernen die Heranwachsenden in ihren Herkunftsfamilien nicht mehr grundlegende Formen religiöser Kommunikation wie das Beten oder das Segnen kennen. Gewiss hat hier die Grundschule, in der durch das Klassenlehrer-Prinzip ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Religionsunterricht und dem sonstigen Unterricht bzw. auch Schulleben besteht, größere Möglichkeiten. Doch erfor-
231
Spiritualität der Religionslehrer
Begegnung mit religiöser Praxis
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C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
dert die verworrene Situation vieler Jugendlicher, dass sie Gelegenheit erhalten, solche kommunikativen Formen kennen zu lernen, in denen sich Lebensgewissheit erfahren lässt. Von daher kommt den Religionslehrerinnen und -lehrern zunehmend die Aufgabe zu, jungen Menschen Einblick in Formen christlich spirituellen Lebens zu geben.
Dass hierzu zum einen von neuem über die Verbindung der Religionslehrkräfte zu Kirche nachgedacht werden muss, liegt auf der Hand, soll es nicht zu einer Überforderung kommen. Zum anderen ist dies aber eine didaktische Aufgabe hinsichtlich der Auswahl und Profilierung der Inhalte des Religionsunterrichts.
3.2 Offene Fragen
In schulisch-pädagogischer Perspektive
Auch hinsichtlich der schulisch-pädagogischen Bestimmung des Religionslehrer-Berufs bestehen offene Fragen: Offensichtlich darauf weisen empirische Befunde hin reicht eine allgemeine Konzeption für „den“ Religionslehrer nicht mehr aus. Die Unterschiede zwischen den Schularten sind zu gewichtig, als dass nicht diesbezüglich Differenzierungen erfolgen müssten. Dabei verdient der Sekundarbereich besonderes Interesse. Hier gelingt es gegenwärtig zu wenig, den Religionsunterricht als wichtiges und interessantes Schulfach zu präsentieren. Ein erster Schritt wäre eine bessere Kooperation zwischen Grundschule und weiterführenden Schulen. Und dies in doppelter Hinsicht: Für Religionslehrer an weiterführenden Schulen ist es wichtig zu erfahren, welche Faktoren den Grundschul-Religionsunterricht attraktiv erscheinen lassen, um eventuell hieran in altersspezifisch transformierender Weise anknüpfen zu können. Umgekehrt begegnen Religionslehrerinnen in den Grundschulen zunehmend kritischen Anfragen durch Kinder, die früher erst im Umfeld der Pubertät geäußert wurden. Wie ist damit sachgemäß umzugehen? Besondere Profilierungen der Berufsrolle sind für Sonderschulen und berufsbildende Einrichtungen erforderlich.
VI. Religionslehrer und Schüler
Eine wichtige Aufgabe für Religionslehrer ist es nicht zuletzt angesichts der Unsicherheiten im Bereich der Daseinsund Wertorientierung , den pädagogischen Gehalt theologischer Einsichten und Theorien zu erheben. Hier tritt vor allem die Wahrheitsfrage in den Blick. Neben den neuen Herausforderungen, die mit der Zunahme der islamischen Bevölkerung verknüpft sind, bekommt sie motivationspsychologisch neue Bedeutung. Denn Orientierungslosigkeit wirkt demotivierend und verhindert Lernprozesse. Können theologische Unterscheidungen etwa zwischen Gesetz und Evangelium Hilfen geben, um innerhalb des unhintergehbaren Pluralismus verlässliche Orientierungen zu geben? Religionslehrerinnen und -lehrern als theologischen, vor allem systematisch-theologischen Experten kommt hier neue Bedeutung zu.
233
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
Es ist aus politischen, lernpsychologischen und schulpädagogischen Gründen unerlässlich, dass ein schulisches Unterrichtsfach klare Ziele verfolgt und inhaltlich konturiert ist: Denn Schule ist – wie erwähnt – eine Zwangsinstitution, an der jeder Mensch in Deutschland etliche Jahre teilnimmt. Deren Ziele und Inhalte müssen dementsprechend demokratisch kontrolliert werden. Kinder und Jugendliche bedürfen zum Lernen klarer Orientierung, sonst droht Motivationsverlust. Die Komplexität heutiger Kultur und Gesellschaft erfordert sequentielle Lernprozesse, also aufeinander aufbauende Lehrgänge und Kurse, die wiederum klare zielbezogene und inhaltliche Ausrichtung benötigen.
Konvergenz-Konzept
Die zunehmende Autonomisierung von Schulen und der daraus entstehende Druck, allgemeine Qualitätskontrollen durchzuführen, dürfte in Zukunft dieser lernpsychologisch und kulturtheoretisch begründbaren Einsicht Nachdruck verleihen und deren didaktische Gestaltung vordringlich machen. Demnach ist es selbstverständlich, dass in einer Didaktik des Religionsunterrichts die grundlegenden, die konkrete Unterrichtsarbeit leitenden Ziele formuliert und wesentliche Inhalte benannt werden. Herkömmlich wird dies in den sog. Konzeptionen des Religionsunterrichts ausgearbeitet, wobei in Umbruchzeiten ein besonderer Orientierungsbedarf besteht.1 Spätestens seit den um Konvergenz bemühten Beiträgen von Karl Ernst Nipkow ist deutlich: Es geht sowohl aus theoretischen Gründen als auch wegen der handlungsorientierenden Aufgabe weniger darum, einzelne Aspekte auf Kosten anderer hervortreten zu lassen; vielmehr ist es wichtig, die Gesichtspunkte herauszuarbeiten, die von den Religionslehrern bei der Konzipierung und
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
235
Durchführung des Religionsunterrichts zu beachten sind. Dabei sind die genaue Gewichtung und Zuordnung je nach der Schulform und der konkreten Situation vorzunehmen.2 Durch die Zugehörigkeit des Religionsunterrichts zur Schule ist dessen didaktische Theorie eng mit den tagesaktuellen gesellschaftlichen und politischen Problemen verbunden. Dies kann die religionsdidaktischen Diskussionen im 20. Jahrhundert zeigen es schnell zu einem geringen problemgeschichtlichen Bewusstsein führen. Dann wird nur versucht, die gegenwärtig aktuellen Probleme zu bearbeiten. Dadurch wirkt die Religionsdidaktik phasenweise kurzatmig um die jeweiligen theologischen bzw. pädagogischen Trends bemüht: So nahmen die Katechetiker nach dem II. Weltkrieg aus dem Kirchenkampf gewonnene Einsichten auf, indem sie den Religionsunterricht einseitig als von der Kirche her begründete Evangelische Unterweisung profilierten. Warnende Stimmen von der Religionspädagogik freundlich gesinnten Pädagogen wie Erich Weniger, der vor einer Überforderung der Lehrer durch den Verkündigungsanspruch warnte,3 oder später Werner Loch, der eine Berücksichtigung der Kinder forderte,4 wurden lange überhört. Die anschließende Konzeption des sog. Hermeneutischen Religionsunterrichts griff auf die hermeneutische Pädagogik zurück, als deren Zenit in den Erziehungswissenschaften bereits überschritten war. Das sog. thematisch-problemorientierte Konzept mit seiner stark gesellschaftspolitischen Ausrichtung breitete sich dann in den Schulen aus, als viele Schüler bereits auf Grund von Gemeinschaftskundeunterricht und ähnlichen Fächern einen gewissen Überdruss daran fanden, sich dauernd mit (nach Meinung der Lehrer) „ihren“ Problemen zu beschäftigen.
1 Die wichtigsten, hier nicht im Einzelnen vorzustellenden religionsdidaktischen Konzepte sind vor dem jeweiligen politischen und kulturellen Hintergrund dargestellt in: Grethlein: Religionspädagogik, 138–214. 2 Vgl. ähnlich die Überlegungen des katholischen Religionspädagogen Englert: Individualisierung. 3 Weniger: Glaube. 4 Loch: Verleugnung.
Gefährdung der Religionsdidaktik
236
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Schließlich lehnten sich manche Symboldidaktiker eng an psychoanalytische Theorien an, als deren Erklärungskraft in der Psychologie zunehmend bezweifelt wurde. Im Nachhinein muss aber positiv gewertet werden, dass die Religionsdidaktik durch das Bemühen um Zeitgemäßheit wichtige Einsichten gewann. Sie haben über die jeweilige Aktualität hinaus konzeptionell Bedeutung, insofern hier didaktisch über den Tag hinaus Wichtiges erkannt wurde. Allerdings markiert die enge Verflochtenheit mit den jeweils als besonders vordringlich empfundenen Herausforderungen zugleich die Grenzen der konzeptionellen Vorschläge. Deren jeweilige Dominanz ist so im Nachhinein erklärbar, führt aber konzeptionell nicht weiter. Deshalb präsentiere ich im Folgenden die jeweiligen Einsichten durch Rückgriff auf exemplarisch ausgesuchte Konzepte der Theoriegeschichte. Dabei erscheinen mir im Vorgriff auf die folgenden Rekonstruktionen für den Evangelischen Religionsunterricht folgende Ziele und Inhalte unaufgebbar, allerdings mit je nach Situation, Schulform u. Ä. unterschiedlicher Akzentuierung: Grundlegende Ziele
Einführung in die christliche, vor allem die biblische Überlieferung, Begleitung beim Heranwachsen durch Bearbeitung der jeweils dabei auftretenden und begegnenden Probleme in christlicher Perspektive, Begegnung mit den grundlegenden christlichen Ausdrucksformen der Kommunikation mit Gott. Ich konzentriere mich auf die Entwicklung in der evangelischen Religionsdidaktik. Dies hat seinen sachlichen Grund darin, dass durch die traditionell geringere Rückbindung evangelischer religionspädagogischer Theoriebildung an kirchliche Normen und Verlautbarungen hier die jeweiligen Probleme schärfer hervortreten als im Bereich der katholischen Religionspädagogik, in der lange Zeit trotz aller Diskussionen im Detail eher ein Bemühen um Konsens mit synodalen und bischöflichen Erklärungen zum Religionsunterricht begegnete. Erst in den letzten Jahren beginnt der begrifflich durch das Konzept „Korrelationsdidaktik“ auf katholischer Seite5 gewährleistete Konsens brüchig zu werden. Ich sehe nur einen Bereich in der religionspädagogischen Theoriebildung, an dem die katholische Seite weiterführt und deshalb von einer Didaktik des Evangelischen Religionsunterrichts berücksichtigt werden muss: die Aufnahme von befreiungstheologischen Impulsen.6
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
237
Vor Beginn der Reflexion der Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts ist die grundlegende Infragestellung eines schulförmigen Religionsunterrichts zu bedenken, insofern hier ein spezifisch religionsdidaktisches Problem angesprochen wird.
1.
Religionsunterricht in Spannungen
1.1
„Das Wort Gottes und der Unterricht“
Die tiefe Krise, in die 1918 deutsche Intellektuelle durch den Zusammenbruch des Deutschen Reichs geführt wurden, erhielt für evangelische Christen und Theologen eine Verschärfung dadurch, dass das bis dahin herrschende Ineinander von „Thron und Altar“ beendet wurde. Die evangelischen Kirchen mussten ihr Verhältnis zum Staat neu bestimmen. Von beidem war der Evangelische Religionsunterricht nachhaltig betroffen. Die im f III. Kapitel 1.1 erwähnte Umstrittenheit der Bestimmungen in der Weimarer Reichsverfassung zum Religionsunterricht zeigt die bis in konkrete rechtliche Regelungen hineinreichende Unsicherheit hinsichtlich dieses Fachs auch in der politischen Diskussion.
Krise 1918
1929 brachte der Studienrat für Deutsch und Religion (und spätere Professor für Religionspädagogik) Gerhard Bohne (1895 1977) die dadurch aufgeworfenen Probleme viel beachtet in seiner Programmschrift „Das Wort Gottes und der Unterricht“ auf den Begriff.7 Leider wurden nach dem II. Weltkrieg die in diesem Buch skizzierten Grundsatzfragen durch den pädagogisch unterbestimmten und theologisch teilweise oberflächlich argumentierenden Entwurf der sog. Evangelischen Unterweisung Helmuth Kittels in den Hintergrund gedrängt. Doch verdienen die von
Gerhard Bohne
5 Zur ersten Information Hilger: Korrelationsdidaktik; zum kritischen Resümee s. Englert: Korrelation(sdidaktik). 6 So z. B. in prägnanter Vermittlung mit sozialisationstheoretischen Analysen Mette: Religionspädagogik. 7 Knapp verortet Frühling: Streiten, 81–91, Bohnes Position in der damaligen Differenzierung innerhalb der Dialektischen Theologie. Ausführlicher rekonstruiert Bohnes Position: Heidemann: Religionspädagogik; vgl. auch Krotz: Neubesinnung.
238
Ziel
Spannungen
Entscheidung
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Bohne formulierten Probleme als Anfragen an jede Didaktik evangelischen Religionsunterrichts noch heute Gehör. Bohne formuliert als „Ziel“ des Religionsunterrichts: „Das Ziel eines evangelischen RUs (sc. Religionsunterrichts, C. G.), der mit Bewußtsein in der lebendigen Spannung zwischen der menschlichen und der göttlichen Wirklichkeit stehen will, kann es nur sein, daß er das ihm aufgetragene Wort Gottes dem jungen, werdenden Menschen in menschlicher Lebendigkeit und steter psychologischer Anknüpfung an seine Entwicklung sagt und ihn dadurch in die Entscheidung vor Gott stellt oder doch ruft.“8 Diese Zielbestimmung kein operationalisierbares Erziehungsziel ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Ausgangspunkt der Überlegungen Bohnes ist die „Spannung … zwischen der menschlichen und der göttlichen Wirklichkeit“.9 Im Einzelnen konstatiert Bohne weitere für die Konzeption des evangelischen Religionsunterrichts konstitutive Spannungen: Zwischen Religion und Kultur: „Kultur als Wertverwirklichung ist etwas Menschliches. … Deshalb sind auch die gewaltigsten Kulturen menschliche Taten und nie größer als der Mensch selber. Religion aber ist Ergriffensein des Menschen von Gott, und was hier geschieht, ist größer als der Mensch.“10 Zwischen „Religionsunterricht und Gesamtbildung“: „Voraussetzung aller Erziehung aber ist eine positive Bewertung des Menschen und der sog. objektiven Kulturgüter! Gerade hier aber tritt die Religion und mit ihr der RU in Spannung zur Gesamtbildung.“11 Dabei ist Bohne sorgfältig bemüht entgegen den praxisuntauglichen theologischen Deduktionen der sog. Dialektischen Theologen , diese Spannungen nicht einseitig aufzulösen: „Spannung ist Einheit im Gegensatz“.12 Als Schulmann ist ihm deutlich, dass der Religionsunterricht als Teil der Schule unlösbar mit Kultur und Erziehung verbunden ist, als Theologe weiß er zugleich, dass es auf Grund des besonderen Gegenstandes des Religionsunterrichts keine vollständige Synthese zwischen Religion und Kultur, Erziehung und Schule geben kann. Die kulturprotestantischen Versuche einer Synthese waren mit dem Zusammenbruch des Deutschen Reichs obsolet geworden.
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
239
Entgegen der rein kirchlich ausgerichteten Argumentation in der späteren Evangelischen Unterweisung hält Bohne, der mit einer Arbeit bei dem Psychologen Eduard Spranger promoviert worden war,13 an der Bedeutung der Schüler für eine Konzeption evangelischen Religionsunterrichts fest. Allerdings benennt er keine konkreten Fähigkeiten oder Fertigkeiten, die im Religionsunterricht angestrebt werden sollen. Es geht nur darum und selbst dies ist differenziert formuliert , dass der Unterricht „in die Entscheidung vor Gott stellt oder doch ruft“. Und Bohne fährt weiter: „Der (sc. Gott, C.G.) muß ihn (sc. den Schüler, C.G.) dann zu seinem Ziel gestalten.“ Der Begriff der „Entscheidung“, damals angesichts der Notwendigkeit neuer Orientierung nach dem politischen und kulturellen Zusammenbruch allgemein geläufig,14 verhindert also eine Vermengung der theologischen Kategorie der Verkündigung und der pädagogischen Kategorie der Erziehung. Eine Prägung der Schüler wird abgelehnt, einem pädagogischen Funktionalismus damit eine Absage erteilt. Zugleich hält „Entscheidung“ Theologisches und Pädagogisches zusammen, insofern hier Schüler im Zuge des Unterrichts vor Gott gestellt werden. Allerdings ist kritisch einzuwenden, dass ein am Entscheidungsbegriff orientiertes Konzept sich entwicklungspsychologisch vornehmlich auf die Jugendphase beziehen lässt. Denn „Entscheidung“ ist eine Kategorie, die für kleinere Kinder (aber auch für manche geistig behinderten Menschen) wenig Sinn macht. In weiteren Veröffentlichungen gab Bohne diesen Terminus auf und ersetzte ihn durch den wiederum theologisch problematischen Begriff „Mithilfe zur Erlösung“. Die Spannung zwischen dem Wissen um die Bedeutung psychologischer und pädagogischer Kenntnisse und zugleich um deren Nutzlosigkeit im theologischen Bereich durchzieht auch die Überlegungen Bohnes hinsichtlich des Inhaltes des Reli8 9 10 11 12 13 14
Bohne: Wort, 107. Bohne: Wort, 9. Bohne: Wort, 31. Bohne: Wort, 60. Bohne: Wort, 104. Bohne: Entwicklung. Frühling: Streiten, 85.
Inhalte
240
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
gionsunterrichts. Die Ausrichtung des „Wortes Gottes“ bedarf des Religionslehrers: „Denn in dem Sinne ist die Persönlichkeit des Religionslehrers … für den Unterricht entscheidend, daß sie Trägerin jedes dem Schüler im RU begegnenden Wortes ist.“15 Allerdings weiß Bohne zugleich, dass Gott nur selbst sein Wort sagen kann. Bohne bleibt aber nicht bei einer bloßen Diastase stehen, sondern verweist auf die Inkarnation Gottes in Jesus, die wie „die zeigende Hand Johannes des Täufers auf Matthias Grünewalds Kreuzigungsbild“16 ein Hinweisen des Lehrers auf das Wort Gottes ermöglicht. Materialiter bestimmt Bohne das Wort Gottes wesentlich durch „die Norm der Schrift und die durch sie vermittelte Offenbarung Gottes“. Doch auch dies steht in einer Spannung: Zwar findet sich das Wort Gottes in der Bibel, doch es ist zugleich in die Welt der Menschen, also konkret der Schüler zu übersetzen: „All unsere Hinweise auf das Leben der Natur und den gestirnten Himmel, Menschen und Ereignisse, Worte und Taten, in denen Gott auch heute noch zu denen redet, die Ohren haben zu hören, rechnen hierher. Denn in allem lebendigen Menschenwort, das die Seele des anderen sucht und auf Gott hinweist, sucht Gott den Menschen und redet zu ihm.“17 Bohne selbst ist klar, dass er mit diesen Bestimmungen die konkrete Aufgabe, Religionsunterricht zu halten, noch nicht gelöst hat. Insofern sind seine Überlegungen eher ständige Anfragen an Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts als schon deren Bestimmung. Aber die Erinnerung an sein Konzept kann vor Erstarrung in vorgefertigten Schablonen bewahren.
1.2
Religionsdidaktischer Ertrag
1.2.1 Bleibende Spannung Bohne weist im Zuge der nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs notwendigen theologischen Neubesinnung darauf hin, dass eine nahtlose Integration des Religionsunterrichts in Schule und das hier herrschende Bildungsverständnis sachlich nicht möglich ist. Dabei verhindert die Kategorie „Spannung“, dass es zu einer letztlich den Religionsunterricht in der Schule gefährdenden Isolation kommt.
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
Dass die Distanznahme zu Schule während des Kirchenkampfs eine richtige Option sein konnte, lässt sich z.B. an Martin Rangs deduktiv theologisch begründetem und kirchlich ausgerichteten Konzept eines Biblischen Unterrichts studieren.18 Problematische Vereinnahmungsversuche in die „Deutsche Schule“ konnten so wenigstens teilweise abgewehrt werden. Auch in der Nachkriegszeit erschien manchen die Zurückweisung pädagogischer und methodischer Reflexion des Religionsunterrichts sinnvoll, wie die weite Verbreitung des Kittelschen Schlachtrufs „Nie wieder Religionsunterricht!“19 zeigt. Doch stellte sich bald heraus, dass ein solches den Lernort Schule nicht didaktisch reflektierendes Konzept in eine Sackgasse führt. Dem theologisch erhobenen Anspruch „Echte EU (sc. Evangelische Unterweisung, C.G.) bringt gegenüber den anderen Volksschulfächern die Wahrheit zur Geltung“20 stand die Faktizität eines meist zweistündig erteilten Fachs entgegen, das durch die Möglichkeit des Austritts eine gefährliche Labilität hatte. Dazu entspricht ein solches Konzept des Religionsunterrichts nicht den im f III. Kapitel entfalteten rechtlichen Rahmenbedingungen. Mittlerweile hat die durch den Gegenstand „Religion“ gegebene Distanz zu einer nahtlosen Einfügung des Religionsunterrichts in die Schule auch aus pädagogischer Sicht Rückhalt erfahren. Der im f IV. Kapitel 3.2.2 referierte Hinweis des Pädagogen Benner auf die Besonderheit der Praxis „Religion“ gegenüber der Praxis „Erziehung“ markiert dies aus anthropologischer Perspektive. Zudem steht hier der Religionsunterricht nicht allein. Auch andere Fächer wie etwa der Kunstunterricht, die Sprachen usw. verweisen auf Zusammenhänge, die den Rahmen der Schule überschreiten. Trotzdem ist es unerlässlich, sie in den Grenzen zu unterrichten, die durch die Schule gegeben sind.
15 16 17 18 19 20
Bohne: Wort, 192. Bohne: Wort, 195; ebd. auch das nächste Zitat. Bohne: Wort, 198. Rang: Unterricht; s. zu diesem Konzept Meyer-Blanck: Geschichte, 133–155. So die Überschrift des 1. Kapitels bei Kittel: Religionsunterricht, 5. Kittel: Religionsunterricht, 24.
241
Distanz zur Schule
242
Konstruktivistische Didaktik
Werteerziehung
Religion und Werte
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Dazu machen neuere Ansätze konstruktivistischer Didaktik auf die Bedeutung der Selbsttätigkeit der Schüler aufmerksam, die eine funktional-instrumentelle Ausrichtung von Unterricht als bloße Manipulation erscheinen lassen.21 Zwar widerspräche es dem Charakter der Schule als Institution des demokratischen Staates, hieraus eine weitgehende Beliebigkeit von Unterricht zu folgern. Doch ist der Hinweis pädagogisch wichtig, dass Ziele und Inhalte keine starren Vorgaben sind, sondern in einem kommunikativen Prozess gemeinsam mit den Schülern zu verfolgen sind. 1.2.2 Heutige Aktualität Besondere Aktualität erhält die Einsicht in die bleibende Spannung des Religionsunterrichts zum Lernort Schule und zu den allgemeinen staatlichen Erziehungs- und Bildungszielen angesichts der immer wieder in der politischen Diskussion vorgetragenen Hochschätzung des Religionsunterrichts auf Grund seines Beitrags zur Werteerziehung.22 Hieran ist pädagogisch wichtig und zu berücksichtigen, dass der Staat auf einen gewissen Wertekonsens angewiesen und die Schule ein wichtiger Ort ist, diesen zu befördern. Häufig nicht berücksichtigt wird jedoch, dass die Forderung der Werteerziehung ein Dilemma impliziert. Schon ein kurzer Blick auf die Begriffsgeschichte von „Werte“ weist auf schwerwiegende Probleme hin. Denn der ursprünglich aus der Nationalökonomie stammende Begriff „Werte“ wurde erst durch Rudolf Hermann Lotze in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in die ethische Diskussion eingeführt, als eben radikal von Friedrich Nietzsche formuliert kein Konsens über Werte mehr bestand. So führt also der Wertebegriff nicht in einen vom Relativismus verschonten Bereich, sondern ist vielmehr Ausdruck des Versuchs, moralphilosophisch auf den Zusammenbruch traditioneller Metaphysik und Moral zu antworten. Der christlichen Religion kommt in diesem Zusammenhang eine doppelte Stellung zu. Auf der einen Seite das ist anhand einschlägiger biblischer Stellen unschwer zu verifizieren ist das Evangelium von Anfang an, in der Tradition des Judentums stehend, eng mit einem bestimmten Ethos verbunden. Auf der anderen Seite besteht aber in der zumindest für den Protestantismus leitenden paulinischen Interpretation die wesent-
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
243
liche Pointe des Evangeliums darin, dass allein der Glaube entscheidend für das Heil des Menschen ist (Röm 3,28). Der Bereich der Ethik wozu die „Werte“ gehören ist danach sekundär, obgleich keineswegs unwichtig. Besonders scharf hat dies durchaus die Aufgabe der Bildung im Blick Friedrich Schleiermacher in der zweiten seiner „Reden“ herausgearbeitet, in der er strikt zwischen Religion, Moral und Metaphysik unterschied. So zeigt das Beispiel der für Schule wichtigen Werteerziehung, dass die von Bohne herausgearbeitete Spannung nicht als Diastase, sondern als „Einheit im Gegensatz“ noch heute beachtet werden muss, soll der Religionsunterricht nicht unstatthaft funktionalisiert werden. Genau besehen kann der Religionsunterricht der Werteerziehung keinen Primat einräumen, sonst würde er Ethikunterricht. Doch bearbeitet er den für die Werteerziehung grundlegenden Bereich positionell, und damit anschaulich und didaktisch attraktiv, nämlich die Frage nach der Begründung der Werte.
Hier sind der Schule sonst im weltanschaulich neutralen Staat die Hände gebunden, obgleich es pädagogisch wichtig ist, Heranwachsenden konkrete Hinweise zur eigenen Wertsetzung und deren Begründung zu geben. Der Religionsunterricht mit der besonderen Rechtskonstruktion eines ordentlichen Unterrichtsfachs, von dem man sich aus Gewissensgründen abmelden kann bzw. an dem man ohne kirchliche Bindung nicht teilnehmen muss, hilft in diesem Dilemma weiter. Denn hier darf im Gegensatz zur sonstigen Schule positionell den Schüler(inne)n der christliche Glauben als eine tragfähige Begründung wichtiger Werte nahe gebracht werden, ohne gegen die negative Religionsfreiheit zu verstoßen.
21 In der Religionsdidaktik hat v. a. Dietrich Zilleßen diesen Ansatz aufgenommen (s. als knappe Einführung in seinen Ansatz: Zilleßen: Freiheit). 22 Vgl. zum Folgenden Grethlein: Religionsunterricht, wo sich auch Einzelbelege finden.
Begründung der Werte
244
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
2.
Religionsunterricht als Einführung in das Christentum
2.1
„Christentum und Schule“
Erschien es nach dem I. Weltkrieg vielen Menschen, als wären alle Kontinuitäten, auch zwischen Religion und Kultur, zerschlagen und müsste ganz neu begonnen werden, so ist nach dem II. Weltkrieg ein Bemühen um Wiederherstellung zu beobachten. Nach dem Alb des Nazi-Regimes und dessen menschenund kulturfeindlichen Exzessen schien eine Rückbesinnung auf die vorausliegenden Traditionen hilfreich. Schulische Begründung
Ziel
In der Religionsdidaktik wurde seit den fünfziger Jahren sowohl aus kirchensoziologischer als auch aus pädagogischer Sicht zunehmend klarer: Eine einseitige Verortung des Religionsunterrichts als „Kirche in der Schule“23 reicht auf die Dauer nicht aus. Aufmerksamen Zeitgenossen entging nicht, dass der nach Ende des Krieges zu beobachtende Aufschwung der Kirchen, etwa greifbar in großen sonntäglichen Gottesdienstgemeinden, nur eine vorübergehende Erscheinung war. Eine ausschließlich kirchliche Begründung des Religionsunterrichts war deshalb defizitär. Vielmehr bedurfte er, wenn er Bestand haben sollte, einer schulischen Begründung. Mit großer Wirkung trug eine solche der frühere Pfarrer und seit 1948 als Professor Religionspädagogik lehrende Martin Stallmann (1903 1980) in seinem programmatisch betitelten Buch „Christentum und Schule“ vor.24 Dabei ging er kulturgeschichtlich, wie auch sonst Pädagogen in dieser Zeit, von einem drohenden Traditionsverlust aus. Positiv galt demgegenüber: Grundlegend für Schule, deren Bestandteil der Religionsunterricht ist, ist in Übereinstimmung mit wichtigen Vertretern der damaligen Schulpädagogik die Pflege des Überlieferungszusammenhangs. In der Schule soll „das Überlieferungsgut aus(ge)legt“ werden,25 wobei dies vor allem existential zu erfolgen hat. „In der Auslegung wird die Tradition so vergegenwärtigt, daß ihre Frage uns in der Wirklichkeit unserer Geschichte trifft. So geht die Schule mit allem geschichtlich Gewordenen um, weil nichts davon mehr selbstverständlich ist.“
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
245
Die Schüler sollen dadurch „die Offenheit für eine Entscheidung ihr (sc. der Überlieferung, C. G.) gegenüber“ erhalten. Von diesem grundlegenden Ziel von Schule aus begründet sich die Aufteilung des Unterrichts in einzelne Fächer durch die Verschiedenheit von Überlieferungen. Demnach verdankt der Religionsunterricht seine Existenz der Eigenart christlicher Überlieferung. Er verfolgt das Ziel, die Schüler in diese Überlieferung einzuführen. So ist der Religionsunterricht schultheoretisch und -pädagogisch vollständig integriert. Er hat keinerlei Sonderstellung. Die nähere Bestimmung des Christentums als Inhalt dieser Überlieferung ergibt eine didaktisch bedeutsame Besonderheit: „Die Eigentümlichkeit des Christentums besteht … darin, daß es scheinbar einen doppelten Anfang hat, einen historischen zu Beginn unserer Zeitrechnung und einen in der gegenwärtigen Verkündigung der Kirche.“26 Im Religionsunterricht soll deshalb den Schülern verständlich gemacht werden, „daß die höchst anspruchsvolle Tradition des Christentums ihren Anfang und ihren Ursprung in der Verkündigung hat. Es handelt sich … um einen Unterricht über die von der Verkündigung herkommende Tradition.“27 Zwei mögliche Fehlbestimmungen des Religionsunterrichts müssen deshalb zurückgewiesen werden: „Er darf sich weder als ein bloß historisches Fach noch als ein Fach der ‚Lebenskunde‘ verstehen, wenn er auch nach beiden Seiten gewisse Möglichkeiten hat.“28 Demnach hat der Religionsunterricht zwei außerhalb seiner selbst liegende Voraussetzungen: die Bedeutung der christlichen Überlieferung im existentiellen Sinn, vornehmlich
23 So z. B. Rang: Handbuch, 106. 24 S. ausführlicher zu Stallmanns Position, von der in vorliegendem Zusammenhang nur die schultheoretische Grundlegung des Religionsunterrichts, nicht aber die in späteren Publikationen vorgetragene theologische Begründung interessiert: Beckmann: Stallmann; Janzen: Theologie. 25 Stallmann: Christentum, 186; ebd. auch die beiden nächsten Zitate. 26 Stallmann: Christentum, 186f. 27 Stallmann: Christentum, 190. 28 Stallmann: Christentum, 187.
Inhalt
246
Problem
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
durch die Exegese der Bibel aufspürbar, und das Ereignis der Verkündigung, das Stallmann unhinterfragt in der Predigt festmacht. Positiv gelingt mit dieser Ziel- und Inhaltsbestimmung des Religionsunterrichts zweierlei: Mit dem Konzept der „Überlieferung“ wird der Religionsunterricht vollständig in die Schule als normales Unterrichtsfach integriert; zugleich wird durch den Hinweis auf die doppelte Struktur des Christentums dessen außerschulische Anbindung festgehalten. Zudem kann Stallmann zeigen, dass auf Grund der besonderen Struktur des Inhalts „Religion“ der Religionsunterricht nicht in andere Fächer wie etwa Geschichte aufgelöst werden kann. Entsprechende Versuche begegnen in der Diskussion um den Religionsunterricht seit Diesterweg immer wieder. Die Wirkungsgeschichte von Stallmanns Konzept ergab: Die vollständige Integration des Religionsunterrichts in die damalige Schultheorie und die systematische Geschlossenheit dieses Entwurfes führten bald in eine Sackgasse. Mit der sog. empirischen Wende in der Pädagogik und der damit verbundenen Schülerorientierung wurde die Einseitigkeit der hermeneutischen Pädagogik und damit auch der Ziele und Inhalte des Hermeneutischen Religionsunterrichts deutlich. Die im konkreten Unterricht durchaus mit der Evangelischen Unterweisung vergleichbare Konzentration auf biblische Texte erlebten viele Schüler als langweilig; didaktisch erschienen die exegetischen und hermeneutischen Zugänge nur für die gymnasiale Oberstufe brauchbar. Zudem steht heute zunehmend die Selbstverständlichkeit der Voraussetzung „Verkündigung“ in Frage. Dem wird in 2.2.2 noch näher nachgegangen werden müssen.
2.2
Politischer Wandel
Religionsdidaktischer Ertrag
2.2.1 Kulturhermeneutische Notwendigkeit Die in heutiger Begrifflichkeit kulturhermeneutische Legitimation des Religionsunterrichts zeigte ihre nach wie vor bestehende Leistungskraft im Zuge der politischen Vereinigung
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
Deutschlands und der dadurch anstehenden Schulreform in den neuen Bundesländern. Es war unstrittig, dass die ideologisch gewollte Ausblendung von Religion und Christentum aus den DDR-Schulen vielen Menschen den Anschluss an wichtige Teile des kulturellen Erbes verwehrt hatte. Nicht nur die bildende Kunst, Literatur und Musik, sondern auch Recht und andere kulturelle Bereiche bauen in Deutschland selbstverständlich auf Christentum und Bibel auf. Sogar Reformkommunisten konnten deshalb im politischen Übergang ein Schulfach „Religion“ fordern,29 um in der jüngeren Generation die genannten Defizite zu verhindern. Eine nähere Analyse solcher Forderungen ergibt aber einen deutlichen Unterschied zu Stallmanns Konzept. Das Ziel des in der Wende projektierten „Religions“-Unterrichts verblieb auf der Ebene der Sachinformation; es handelte sich genauer um einen Religionskunde-Unterricht. Die von Stallmanns existentialphilosophischem Zugang erschlossene doppelte Struktur der christlichen Überlieferung kam hier nicht mehr in den Blick. Diese Reduktion ließ den Eigenanspruch christlicher Zeugnisse verfehlen. Die Bibel wurde eben nicht von Menschen verfasst, um Literatur vorzulegen, Kirchen wurden nicht gebaut, um Kunstschätze anzuhäufen usw. Vielmehr ging es in der jeweiligen Zeit Menschen darum, den ihnen durch das Evangelium gewonnenen Perspektiven Ausdruck zu geben und sie anderen Menschen nahe zu bringen. Das Ausblenden dieses Anspruchs verwandelte „Religion“ zu Literatur oder Kunstgeschichte. Dass das auch die Fähigkeit zum interreligiösen Dialog unterbände, insofern dieser ein Sensorium für die (mögliche) existentielle Bedeutung von Religion erfordert, zeigt die über religionsdidaktische Fachfragen hinausgehende Brisanz dieses Themas (f IV.1.2.2.1). 2.2.2 Heutige Aktualität Spätestens die die Weltpolitik in den letzten Jahren überschattenden, religiös motivierten Gewalttaten haben allgemein in Erinnerung gerufen, dass die distanzierte Betrachtung von „Religion“ im Sinne der Anhäufung bestimmter Informationen nicht hinreicht. 29 S. die Zusammenstellung dieser Forderungen in: Domsgen: Religionsunterricht, 152–160.
247
Anspruch von Religion
Politische Erschütterungen
248
Religionsunterricht und Verkündigung
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Weniger dramatisch, aber für das alltägliche Leben mindestens ebenso wichtig sind die Probleme und Fragen, die im Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit oder -präferenz bzw. weltanschaulicher Prägung entstehen. Deshalb kann die grundgesetzlich zugesicherte negative Religionsfreiheit nicht bedeuten, dass junge Menschen in den Schulen von einer Beschäftigung mit dem Thema „Religion“ ferngehalten werden, die auch das Selbstverständnis und den Ernst religiöser Praxis umfasst. Von daher hat der bei Stallmann festgestellte Bezug des Religionsunterrichts auf die Verkündigung nach wie vor Bedeutung. Allerdings ist die für ihn noch selbstverständliche Gleichsetzung von „Verkündigung“ mit Predigt in doppelter Weise nicht mehr möglich. Zum einen beginnt in den evangelischen Kirchen Deutschlands die traditionelle Orientierung an Wort und Predigt einer größeren Aufgeschlossenheit für die mannigfaltigen Formen symbolischer Kommunikation zu weichen. Der Gottesdienst am Sonntagvormittag tritt gleichberechtigt in die Reihe anderer liturgischer Feiern, angefangen von den traditionellen rituellen Begleitungen an Übergängen im Lebenslauf über Schulanfängergottesdienste bis hin zu sog. neuen Gottesdienstformen (f V.3.2.5). Von daher erhält der traditionell auf Lektüre und verbale Auslegung beschränkte Umgang mit der Bibel neue Impulse, die didaktisch auszuarbeiten sind. Zum anderen ist „Religion“ nicht mehr einfach mit „Christentum“ gleichzusetzen. Neben Angehörigen vor allem islamischer Gruppen nimmt die Zahl der Menschen zu, die zwar nicht an eine religiöse Organisation gebunden sind, aber entweder bestimmten religiösen Vorstellungen folgen oder ab und an auf ihnen attraktiv erscheinende rituelle Praktiken zurückgreifen. Demnach ist die von Stallmann herausgearbeitete doppelte Struktur der christlichen Überlieferung eine bleibende religionsdidaktische Herausforderung. Allerdings muss sie heute zum einen dadurch erweitert werden, dass „Predigt“ durch den Begriff der Kommunikation des Evangeliums ersetzt wird, und zum anderen dadurch, dass neben die Thematisierung des Christentums die anderer Religionen, vor allem des Islams tritt.
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
3.
Religionsunterricht als schülerorientierte Auslegung der Lebenswelt
3.1
„Muß die Bibel im Mittelpunkt des Religionsunterrichts stehen?“
Die im Konzept des Hermeneutischen Religionsunterrichts verfolgte Zielstellung der Einführung in das Christentum, wesentlich durch Lektüre und Auslegung biblischer Texte, setzte implizit die besondere Autorität der Bibel voraus. Dies wurde in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts in doppelter Weise obsolet: Zum einen wurde die Selbstverständlichkeit von Autoritäten und Traditionen zunehmend lauter in Frage gestellt. Und hier blieb es nicht bei einem akademischen Diskurs, sondern Überkommenes in der Lebenswelt wurde kritisiert und dessen Abschaffung gefordert. Für den Religionsunterricht wirkte sich diese allgemeine gesellschaftliche Entwicklung in Form von „epidemischen Abmeldungen in manchen Gegenden“30 aus. Im Hintergrund stand dabei, dass die Lektüre biblischer Texte den Religionsunterricht vielerorts prägte. Davon fühlten sich die Jugendlichen nicht angesprochen; sie verließen das unbeliebte Fach. Zum anderen hatte 1964 Saul B. Robinsohn aus den USA den Ansatz der Curriculum-Didaktik nach Deutschland importiert.31 Ein wesentliches Charakteristikum dieser den Unterricht lernzielorientiert organisierenden Didaktik war, dass sie sich inhaltlich nicht mehr auf einen feststehenden Bildungskanon bezog. Viel mehr stellt sie sich der Aufgabe, junge Menschen für die Bewältigung konkret zu benennender (gegenwärtiger und zukünftiger) Situationen und Anforderungen zu qualifizieren. Hans Bernhard Kaufmann (geboren 1926), damals neu berufener Rektor des Religionspädagogischen Instituts der EvangelischLutherischen Kirche Hannovers in Loccum, stellte auf diesem Hintergrund 1966 ein neues Konzept des Religionsunterrichts vor.32 30 Kaufmann: Bibel, 23. 31 Robinsohn: Bildungsreform. 32 Dabei war nicht im Blick, dass der problemorientierte Ansatz bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts insofern einen gewissen Vorlauf hat, als damals Religionslehrer (und Praktische Theologen) im Zuge von Reformpädagogik und besonders in Rezeption der Arbeitsschulbewegung schülerorientierten und lebenskundlich ausgerichteten Religionsunterricht projektierten und durchführten (s. monografisch Kling de-Lazzer: Religionsunterricht).
249
Austritte
Curriculum-Didaktik
Thematisch-problemorientiertes Konzept
250
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Dabei fokussierte er in deutlicher Abgrenzung zum Konzept der Evangelischen Unterweisung und des Hermeneutischen Religionsunterrichts seine Überlegungen in der provozierenden Frage: „Muß die Bibel im Mittelpunkt des Religionsunterrichts stehen?“ Konkret schreibt Kaufmann dem Evangelischen Religionsunterricht die „Aufgabe (zu), Erfahrung und Wirklichkeit im Horizont christlichen Glaubens auszulegen und zu eröffnen“.33 Etwas später nennt er „eine optimale Aufgeschlossenheit für den christlichen Glauben, für seine Quellen und für seine Geschichte, für seinen Anspruch und seine weltweiten Perspektiven“ als Zielperspektive. Inhalte
Am meisten Aufsehen erregte die im Titel des Vortrags angekündigte inhaltliche Neubestimmung des Religionsunterrichts. Die erste These beginnt: „Die Mittelpunktstellung der Bibel als Gegenstand und Stoff des Religionsunterrichts ist ein Selbstmißverständnis und weder theologisch noch didaktisch gerechtfertigt.“34 Entgegen einem traditionsgeleiteten materialen Bildungsverständnis und kirchlichem Herkommen gilt curriculardidaktisch die Bedeutung der Bibel „als Material möglicher Selbst- und Weltauslegung angesichts der zu verantwortenden Zukunft“. Die konkreten Inhalte liegen in diesem Religionsunterricht nicht fest, sondern sollen „durch die Ausgangslage des jungen Menschen mitbestimmt werden“.35 Der Unterricht bekommt dadurch „experimentellen Charakter“.36 De facto kristallisierten sich bald Themen heraus, die ein stark gesellschaftspolitisches Profil verrieten: „Angst; Dritte Welt; Entwicklungshilfe; Widerstand; Rassismus; Gastarbeiter; Biologische Manipulation; Liebe und Sexualität; Behinderte Menschen; Umweltschutz; Aggression und Gewalt; Jesus People; Revolution; Stars und Idole; Autoritäre Erziehung; Moderner Strafvollzug; Krieg und Frieden (Vietnamkrieg); Sterben und Tod; gesellschaftliche Außenseiter; Eigentum …“37 Durch diese Aktualisierung gelang es zweifellos, das Interesse der Schüler neu zu gewinnen. Der bald in den Lehrplänen, jetzt meist Rahmenrichtlinien genannt, durchgeführte Anschluss an die Curriculumdidaktik integrierte das Fach in die allgemeine Unterrichtsreform und schulpädagogisch in den Fä-
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
251
cherkanon. Darüber hinaus leistete der Religionsunterricht für die ganze Schule einen Dienst, insofern er einen Ort für die spätestens seit Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre im Zuge der sog. APO (Außerparlamentarischen Opposition) anstehenden gesellschaftlichen Diskussionen bot. Dieser Ansatz erforderte neue Unterrichtsmaterialien. Sog. Unterrichtsmodelle wurden produziert, die vor allem Informationen und Materialien zu den Themen zur Verfügung stellten, die nicht zum traditionellen Bestand der Theologie gehörten.
3.2
Religionsdidaktischer Ertrag
3.2.1 Schülerorientierung Der thematisch-problemorientierte Religionsunterricht wurde bald hart attackiert.38 Viele schnell produzierte Unterrichtsmodelle waren theologisch unzureichend reflektiert. Die in Kaufmanns programmatischen Überlegungen eingebauten theologischen Sicherungen wurden nur wenig beachtet. Die Tatsache, dass die akademische Theologie stark historisch orientiert war, vergrößerte den Graben zwischen Religionsdidaktik und Theologie. Dazu kam bald eine gewisse Ermüdung auf Schülerseite, weil sich manche Themen wiederholten und kein rechter Erkenntnisfortschritt feststellbar war. Die Überlappungen der immer breiter ausufernden Stoffe des Religionsunterrichts mit den Inhalten anderer Fächer führten innerschulisch zum Vorwurf des Dilettantismus. Doch darüber darf nicht vergessen werden: Das Konzept des thematisch-problemorientierten Religionsunterrichts setzte einen seitdem nicht mehr hintergehbaren Standard: die Schülerorientierung. Ziele und Inhalte müssen seitdem auf jeden Fall daraufhin bedacht werden, welche Bedeutung sie für die Schüler haben.
33 34 35 36 37 38
Kaufmann: Bibel, 24. Kaufmann: Bibel, 23. Gloy: Themen, 31. Kaufmann: Bibel, 26. Rickers: Einschnitt, 80. S. z. B. Wegenast: Problem; Halbfas: Defizite.
Probleme
252
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Besonderes Gewicht haben hier die Orientierungsnöte und Verunsicherungen vieler Heranwachsender. Dem Religionslehrer kommt dabei die Aufgabe verlässlicher Begleitung zu, womit zugleich die christliche Perspektive auf Leben in ihrer alltagspraktischen Relevanz dargestellt wird.
Evangelium als Kommunikation
Dazu ist es unerlässlich, dass die Religionsdidaktik über die kinder- und jugendsoziologischen und entwicklungspsychologischen Forschungen informiert ist, der Religionslehrer seine Schüler so gut wie möglich kennt. Vor dem Hintergrund dieser bleibenden Einsichten ist im Religionsunterricht eine einseitig und exklusiv theologisch begründete Herleitung der Ziele und Inhalte schlicht ein Kunstfehler. Die ausführliche Darstellung der Klassensituation und der Schülergruppe sowie einzelner Schüler(innen) ist seitdem fester Bestandteil jeder Unterrichtsplanung und muss bei der Zielformulierung und der Auswahl der Inhalte Berücksichtigung finden. Diese Schülerorientierung, die bis in die inhaltliche Arbeit reicht, nimmt zugleich einen wichtigen, in der Katechetik lange vergessenen Grundzug auf, der schon für das Wirken Jesu charakteristisch war: die kommunikative Bestimmung des Evangeliums.39 Denn im Neuen Testament tritt im Reden und Wirken Jesu keine fixierbare Lehre entgegen; vielmehr wird von kommunikativen Begegnungen erzählt, in denen Jesus das Evangelium jeweils konkret auf seine Gesprächspartner bezogen zur Sprache brachte. Von daher entspricht die Schülerorientierung des Religionsunterrichts einem wesentlichen Grundzug des Evangeliums. 3.2.2 Heutige Aktualität40 Zwar führten die genannten Probleme vieler Unterrichtsmodelle und -stunden, die sich „problemorientiert“ verstanden, dazu, dass Anfang der achtziger Jahre der Ruf nach einer Konzentration auf den besonderen Gegenstand des Religionsunterrichts lauter wurde und zu einer Ablösung des Konzepts führte. Doch in einigem Abstand kam es am Anfang des 21. Jahrhunderts zu einer neuen, nicht nur wissenschaftsgeschichtlich motivierten Beschäftigung mit dem thematisch-problemorientierten Religionsunterricht. Dabei ergaben sich im Rückblick u.a.
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
folgende heute wieder aktuelle Einsichten bzw. Herausforderungen:41 Die Modelle des problemorientierten Religionsunterrichts hatten eine Tendenz zum fächerübergreifenden Unterricht. Viele Themen berührten sich mit Inhalten anderer Schulfächer. Religionsdidaktisch steht dahinter die wichtige Einsicht, dass Evangelium nicht auf einen streng abgrenzbaren Sonderbereich des Lebens namens „Religion“ beschränkt werden kann. Umgekehrt bewahrt die Kooperation mit anderen Fächern den theologisch qualifizierten Lehrer vor Dilettantismus. Die aus der gegenwärtigen Lebenswelt aufgegriffenen Themen weiteten das Spektrum der traditionell im Unterricht behandelten biblischen Texte. So ließ die Beschäftigung mit sozialen Missständen prophetische Texte unterrichtsrelevant werden; die gender-Diskussion führte zum Entdecken biblischer Frauengestalten als Unterrichtsthema usw. Die Ausweitung des religionsdidaktischen Spektrums bereichert auch den Hermeneutischen Religionsunterricht. So können bestimmte Probleme, wie die Umweltproblematik, das Verhältnis Mann Frau o. Ä., einen neuen Zugang zu biblischen Texten eröffnen. Diese werden dann nicht primär als antike Texte gelesen, sondern erfahren in einem hermeneutischen Zirkel zum einen neue Aufmerksamkeit durch das aktuelle Thema, regen zum anderen ihrerseits eine neue Fassung des Ausgangsthemas an. So wird der nicht zuletzt in der akademischen Theologie drohenden historischen Musealisierung christlicher Religion gewehrt. Schließlich befreit der problemorientierte Ansatz bei der Beschäftigung mit anderen Religionen aus möglicher religionskundlicher Sterilität. Religionen werden unter der Perspektive eines bestimmten Problems thematisiert; dabei tritt von vornherein ihre aktuelle Bedeutung in das Gesichtsfeld der Schüler.
39 Grethlein: Kommunikation, 19–24. 40 Eine umfassende, wenn auch einseitig politisch interessierte Rekonstruktion bietet Knauth: Religionsunterricht. 41 Vgl. zum Folgenden Rickers: Einschnitt, 90–95.
253
Fächerübergreifender Unterricht
Ausweitung des Themen-Spektrums
Religionen
254
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
4.
Religionsunterricht als Einführung in die Religion
4.1
Dimension Religion – neu entdeckt
Praxisprobleme
Zwar hatte das Konzept des thematisch-problemorientierten Religionsunterrichts der Religionsdidaktik durch die Schülerorientierung eine neue weiterführende Grundperspektive verschafft. Die Ausführungen im Einzelnen, wie sie sich in einer kaum überschaubaren Vielzahl von sog. (Unterrichts-)Modellen äußerten, zeigten jedoch Schwächen. Das Thema des Religionsunterrichts drohte sich in eine Vielzahl von Einzelproblemen aufzulösen. Zunehmend dringender stellte sich die Frage, wie christliche Religion und Leben didaktisch in einen Zusammenhang gebracht werden könnten, der sowohl die Lebenswelt der Heranwachsenden ernst nimmt als auch die Besonderheit des Evangeliums zur Sprache bringt.
Veränderungen
Neben diesem konzeptionsimmanenten Problem vollzogen sich seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts Veränderungen in Kultur, Pädagogik und Christentum: Die gesellschaftspolitische und kritische Ausrichtung vieler Intellektueller (und damit auch Theologen) wich einem wachsenden ästhetischen Interesse, das sich kultursoziologisch im Stichwort „Erlebnisgesellschaft“ gefasst lebensweltlich auswirkt(e) und die Einstellung der Heranwachsenden prägt. Nicht zuletzt das Bewusstwerden der ökologischen Krise führte zu einer sorgfältigeren Weltwahrnehmung. Nachdem in den sechziger und siebziger Jahren die Didaktik stärker durch umfassende Theoriebildungen geprägt war, entwickelten sich in der folgenden Zeit an praktischen Problemen orientierte, mehr ins Einzelne gehende Vorschläge, die großenteils früher vorgetragene Überlegungen in neuem Kontext präsentierten. Damit war in Aufnahme reformpädagogischer Konzepte das Anliegen verbunden, kognitive Engführungen zu überwinden. Angesichts zunehmender Erfahrungsarmut vor allem städtisch sozialisierter Kinder erforderte zumindest der Unterricht in den Grundschulen stärker praxisbezogene Lernformen (f IV.3). In unterschiedlicher Weise rückte das Thema „Religion“, in Deutschland lange durch eine seltsame Koalition aus dialekti-
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
255
schen Theologen und marxistisch beeinflussten Sozialwissenschaftlern fast tabuisiert, auf die öffentliche Tagesordnung. Zum einen begann sich in Deutschland im Zuge der Anwerbung ausländischer Arbeiter und der allgemeinen weltweiten Migrationsströme die bisherige Gleichsetzung von Religion und Christentum lebensweltlich aufzulösen. Vor allem der Islam ist mit über drei Millionen Anhängern in Deutschland präsent. Zum anderen ist in Aufnahme entsprechender Impulse vor allem aus den USA seit den siebziger Jahren eine verstärkte Hinwendung vieler Menschen zu einzelnen religiösen bzw. spirituellen Praktiken zu beobachten, die ihren Ursprung mehrheitlich im hinduistisch-buddhistischen Bereich haben. Mittlerweile ist diese Bewegung vielfach kommerzialisiert, mit anderen Impulsen wie der Wellness-Bewegung verbunden und dadurch lebensweltlich verankert. Dabei verbreiteten sich mit Islam, New Age-Bewegung u.Ä. im Einzelnen sehr unterschiedliche Religionsformen. Sie haben eine Gemeinsamkeit darin, dass ihnen die traditionell in Deutschland bei Religion übliche kirchliche Organisationsform fehlt. Religiöse Orientierung wird dadurch stärker zu einer individuellen Aufgabe, eine religionsdidaktisch brisante Entwicklung. Der mit diesen Entwicklungen und mit Veränderungen im Erwerbsleben, zunehmender Mobilität, neuen Zeitrhythmen u. a. zusammenhängende Rückgang expliziter religiöser bzw. konfessioneller Sozialisation in den Familien stellt den schulischen Religionsunterricht vor neue Probleme. Früher selbstverständliche Formen religiöser Praxis wie die Teilnahme am Gottesdienst sind in manchen Gegenden und Klassen zur Ausnahmeerfahrung geworden. Die religionsdidaktische Reflexion vor allem dieser unmittelbar in der unterrichtlichen Praxis spürbaren Veränderungen führte zu einem Neuansatz bzw. zu einer Weiterentwicklung der Konzeption des Religionsunterrichts. „Religion“ wurde wieder zu dem zentralen Thema des Religionsunterrichts. Allerdings fand dies konzeptionell unterschiedliche Gestaltungsformen. Im Folgenden stelle ich exemplarisch einige Ansätze vor, die sich jeweils dadurch auszeichnen, dass hier Einsichten formuliert bzw. gewonnen werden, die für die Didaktik Evangelischen
„Religion“ als neues Thema
256
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Religionsunterrichts zukünftig bedeutungsvoll sein dürften. Sie führen in unterschiedlicher Weise die im hermeneutischen bzw. thematisch-problemorientierten Unterricht gewonnenen Einsichten weiter. Dabei werte ich entgegen der bisherigen Konzentration auf die evangelische Religionsdidaktik mit dem Konzept von Hubertus Halbfas auch einen katholischen Ansatz auf Zielstellung und Inhalt hin aus. Dies ist sachlich und wirkungsgeschichtlich begründet: Halbfas hat in Weiterentwicklung des hermeneutischen Ansatzes neue Optionen und Fragestellungen für den Religionsunterricht eröffnet, die auch in der evangelischen Religionsdidaktik beachtet werden müssen. Das Konzept von Halbfas ist für den Unterricht der Primar- und Sekundarstufe I durch Schul- und Lehrerhandbücher vorbildlich und umfassend ausgearbeitet. Dieses Unterrichtswerk erfreut sich deshalb trotz vehementer theoretischer Einsprüche evangelischer Religionsdidaktiker bei evangelischen Religionslehrkräften großer Beliebtheit, besonders in der Grundschule.
4.2
Symboldidaktik
Sowohl auf katholischer als auch evangelischer Seite rückte auf dem Hintergrund der genannten Veränderungen und Entwicklungen der Symbolbegriff Anfang der achtziger Jahre in den Blickpunkt der religionsdidaktischen Diskussion.42 „Symbol“ als „Brücke des Verstehens“43 schien der Schlüssel zu sein, um als Vermittlungskategorie einerseits der veränderten Lebenswelt der Schüler(innen) und andererseits dem Thema Religion gerecht zu werden.
Dieser Ansatz wurde in verschiedener Hinsicht ausgearbeitet, wobei ich im Folgenden zwei bis auf das eben genannte gemeinsame Anliegen weithin konträre Entwürfe vorstelle:
Hubertus Halbfas
4.2.1 Anthropologischer Ansatz (Halbfas) Auf katholischer Seite, wo sich der traditionskritische problemorientierte Unterricht nicht so ausbreiten konnte, knüpfte man vor allem an das Konzept des Hermeneutischen Religionsunter-
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
257
richts an. Hubertus Halbfas (geboren 1932) hatte bereits 1968 mit der „Fundamentalkatechetik“ ein Werk vorgelegt, in dem sich wichtige Kennzeichen seiner späteren Symboldidaktik anbahnten. Zwar bezog er sich hier noch in vielem auf Martin Stallmann und das Konzept des Hermeneutischen Religionsunterrichts,44 doch wiesen die anthropologische Grundlegung und eine weitsichtige Situationsanalyse in eine andere Richtung, insofern sich hierdurch neben der von Halbfas noch geforderten Konzentration auf die Bibel neue Inhalte für den Religionsunterricht ergaben. Anthropologisch geht Halbfas von einem allgemeinen Begriff der „Religiosität“ als anthropologischem Grunddatum aus: „Religiosität ist demnach nicht Glaube an die Existenz Gottes oder göttlicher Numinosa, sie realisiert sich nicht notwendig in kultischen Akten oder institutionellen Einrichtungen etablierter Religionen, sondern gründet im Verhältnis des Menschen zur Transzendenz seines eigenen Wesens. Religiosität kann darum mit Paul Tillich als Erschlossenheit für die Dimension der Tiefe im Menschen bezeichnet werden, als das Ergriffensein von dem, ‚was uns unbedingt angeht‘. Dieses Verständnis von Religiosität ist universal menschlich …“45 Dieser anthropologische Ansatz machte Halbfas sensibel für eine sich damals anbahnende gesellschaftliche Veränderung, nämlich die wachsende Rolle der verschiedenen Religionen. So forderte Halbfas: „Fremdreligionen gehören in den Religionsunterricht um der Wirklichkeit willen, dem dieser Unterricht verpflichtet ist, d.h. um jener anderslebenden Menschen willen, mit denen wir unsere Zeit und unsere Verantwortung für Gegenwart und Zukunft teilen.“46 Einige Jahre später führte dies bei ihm dazu, dass die Religionswissenschaft an die Stelle
42 Gleichsam eine Initialzündung ging von der Veröffentlichung eines evangelischen und eines katholischen Religionspädagogen aus: Biehl/Baudler: Erfahrung; über die systematischen Problemstellungen und die Entwicklung informiert gut Biehl: Symboldidaktik. 43 Oelkers/Wegenast (Hg.), Symbol. 44 S. z. B. Halbfas: Fundamentalkatechetik, 91–109, wo er Schule und Unterricht als durch die Aufgabe der Auslegung von Überlieferung bestimmt vorstellt. 45 Halbfas: Fundamentalkatechetik, 25. 46 Halbfas: Fundamentalkatechetik, 245.
Grundlegung
258
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
der Theologie als Bezugswissenschaft der Religionspädagogik trat.47 Von großer Wirkung war auf diesem Hintergrund die 1983 erschienene symboldidaktische Schrift mit dem zuerst vielleicht kryptisch klingenden, aber auf den zweiten Blick programmatischen Titel „Das dritte Auge“. „Mit dem dritten Auge ist jener Blick gemeint, der hinter die Alltagsgestalten dieser Welt sieht, der den geistigen Sinn der Dinge erfasst, das Licht der Finsternis.“48 Ziel
Ziel des Religionsunterrichts ist es im Gegensatz zu einem primär intellektuell ausgerichteten Unterricht , in die symbolvermittelte Kommunikation einzuüben,49 eben die symbolische Sehfähigkeit mit dem mystischen dritten Auge zu schulen. Bei konkreten Vorschlägen hierzu greift Halbfas auf reformpädagogische Innovationen, vor allem aus der Montessori-Pädagogik, zurück, z.B. mit dem Hinweis auf die Bedeutung einer entsprechenden räumlichen Lernumgebung. So fordert er eine Einrichtung des Klassenzimmers, die eine für religiöse Erfahrungen angemessene Atmosphäre ermöglicht. Die Symbole gelten unter Rückgriff auf Carl Gustav Jungs Archetypenlehre als allgemein menschlich angelegt, müssen aber wegen der ungünstigen Auswirkungen der technischen Zivilisation erst wieder entdeckt werden. Das Kriterium für die Inhalte dieses Religionsunterrichts ist, dass sie den Prozess der „Alphabetisierung des Symbolsinns“50 unterstützen. Besonders hebt Halbfas das aus der indischen Tradition stammende, u.a. unter dem Einfluss der Psychologie Jungs westlich adaptierte und die Götterdarstellungen anikonisch abstrahierende Mandala als Ausdruck der Vollkommenheit hervor. Die Beschäftigung hiermit, etwa durch Malen, unterstützt nach Halbfas die Integration der Persönlichkeit. An diesem unterrichtspraktisch wirksamen Beispiel tritt die Dominanz des Einübens hervor; kritische Reflexion ist demgegenüber zweitrangig.
Kritik
Im Einzelnen wurde dieses Konzept scharf angegriffen:51 Die anthropologische Grundlegung mit der direkten Übernahme der empirisch nie validierten Archetypen-Lehre erschien nicht nur theologisch, sondern auch psychologisch52 problematisch.
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
259
Der Sinn des Einübens in den Umgang mit Symbolen wurde zumindest für Grundschul-Kinder aus kognitionspsychologischen Gründen bestritten,53 da ihnen die Fähigkeit zu mehrdimensionalem Denken fehle. Die religionswissenschaftliche Fundierung entleert das grundgesetzlich vorgeschriebene kirchlich-theologische Fundament des Religionsunterrichts zugunsten einer individuellen mystischen Spiritualität. 4.2.2 Christologischer Ansatz (Biehl) Setzte Halbfas also vom hermeneutischen Konzept herkommend bei einem archetypischen Symbolverständnis ein, das er inhaltlich allgemein religionswissenschaftlich füllte, drehte der evangelische Religionspädagoge Peter Biehl (geboren 1931) gleichsam den Spieß um.54 Bei der Problemorientierung ansetzend nahm er seinen Ausgangspunkt bei der Schülerwirklichkeit. In deren Lebenswelt begegnen durch sie selbst gebildete und z. B. in der Werbung gesellschaftlich vermittelte Symbole, die die persönliche Entwicklung fördern, aber auch blockieren können. Symboldidaktik bezeichnet dabei den gegenseitigen „‚Austausch‘, bei dem den Symbolen neue Bedeutungen zugeschrieben u. die Erfahrungen der Lernenden durch den Verheißungsüberschuss der Symbole vertieft u. erweitert, durchbrochen u. überboten werden.“55 Wegen dieser Ambivalenz der Symbole entwickelte Biehl von Anfang an eine kritische Symbolkunde. Symbole bestimmt er nicht archetypisch, sondern betont ihren christologischen Kontext, durch den eine geschichtliche Prägung der Symbole und damit deren Dynamisierung gelingt. Symboltheoretisch lehnt
47 48 49 50 51 52 53 54
Halbfas: Religionsunterricht. Das Zitat entstammt der Umschlagseite von Halbfas: Auge. Halbfas: Auge, 118. Halbfas: Auge, 118. Vgl. Meyer-Blanck: Symbol, 35f. Saal: Symbol, 228–243. Bucher: Symbol. Biehl: Symbole 1 und 2, v. a. 13–72 bzw. 18–59; inzwischen hat er diesen Ansatz weiterentwickelt: Biehl: Festsymbole. Vgl. zu diesem Ansatz Meyer-Blanck: Geschichte, 249–272. 55 Biehl: Symboldidaktik, 2075.
Peter Biehl
Kritische Symbolkunde
260
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
er sich dabei vor allem an Alfred Lorenzers und Paul Ricoeurs Symboltheorie an.
Semiotische Kritik
4.2.3 Anfragen und Einsichten Mittlerweile wurde gegen beide Positionen aus semiotischer Perspektive der Vorwurf eines kommunikationstheoretisch nicht hinreichend aufgeklärten, ontologischen Symbolverständnisses erhoben. Entgegen dessen zweistelliger Logik das Symbol und das Göttliche, auf das es verweist, sowie der Mensch und seine Beziehung zum Symbol werden je für sich gedacht plädiert Michael Meyer-Blanck für einen dreistelligen Zusammenhang, der semiotisch geschult Zeichengestalt, Zeichenbezug und Deutungsgeschehen zusammensieht.56 Diesen Hinweis auf die Bedeutung der Symbolisierung (bzw. Zeichendeutung) als kommunikativem Vorgang für das Symbol- (bzw. Zeichen-)Verständnis hat Biehl inzwischen in seine eigene Theorie aufgenommen und spricht deshalb von SymbolZeichen. Allerdings kann die semiotische, die geschichtliche Dimension methodisch ausblendende Kritik nicht erklären, warum sich in der Religions- und auch Christentumsgeschichte gewisse Zeichen als besonders hilfreich für die Vermittlung zwischen dem Transzendenten bzw. Gott und den Menschen erwiesen haben. Biehl berücksichtigt diese Dimension dann so, dass er entgegen früherem Ausgreifen in die allgemeine Symbolwelt sich zunehmend auf die mit den Sakramenten verbundenen Zeichen bzw. christliche Feste konzentriert. Vorerst bleibt aber die bei Halbfas und Biehl begegnende Einsicht festzuhalten, die abgesehen von den skizzierten Differenzen im Einzelnen von bleibender Bedeutung für die Religionsdidaktik ist: Religionsunterricht kann angesichts der Veränderungen in der religiösen Sozialisation bei der Mehrzahl der Schüler nicht bei einer kognitiv-reflexiven Haltung gegenüber „Religion“ stehen bleiben, sondern muss auch die Möglichkeit für religiöse Praxis eröffnen.
Die Differenzen zwischen Halbfas und Biehl versucht Gerhard Büttner durch den Hinweis zu erklären, dass die Halbfassche
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
261
Konzeption ihren Ausgangspunkt bei der Primarstufe nahm, Biehls Überlegungen und Vorschläge sich dagegen auf die Sekundarstufe richten.57 Dazu begegnete bei Halbfas bereits vor seiner symboldidaktischen Profilierung ein weiterer wichtiger Hinweis: Die Konzentration auf die christliche Religion bzw. eine christliche Konfession darf nicht dazu führen, dass die lebensweltlich anwachsende Bedeutung anderer Religionen vernachlässigt wird. Von daher sind religionswissenschaftliche Erkenntnisse – durch eine Theologie der Religionen vermittelt – für Religionsdidaktik unentbehrlich.
4.3
„Schauplatz Religion“
Vor allem das ästhetische Anliegen der Symboldidaktik nimmt der sich erst in den letzten Jahren artikulierende Ansatz einer „Performativen Religionspädagogik“ auf: „Die Religion, der ureigenste Gegenstand des Religionsunterrichts, wurde dort (sc. in den Symboldidaktiken, C. G.) neu entdeckt und als ein vielfältiges Formenspiel thematisiert.“58 Bei der Symboldidaktik wird kritisiert, dass die Reduktion der Vermittlung auf Symbole zu einer „religionskundliche(n) Enge“59, ja in der Praxis teilweise zu einer „Folklorisierung von Religion“60 geführt habe. Demgegenüber sollen verschiedene außertheologische Perspektiven den Blick weiten, um neben der kognitiven und affektiven die für Religion unabdingbare pragmatische Dimension hinzuzugewinnen. Konkret rekurrieren die im programmatischen Sammelband „Schauplatz Religion“ versammelten Autoren auf unterschiedliche Theoriezusammenhänge: Gestaltpädagogik, Semiotik,
56 57 58 59 60
Religionen
Meyer-Blanck: Symbol, 26. Büttner: Halbfas. Leonhard/Klie: Religionspädagogik, 9. Leonhard/Klie (Hg.): Schauplatz, 149. Dressler: Darstellung, 162.
Außertheologische Perspektiven
262
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
kulturwissenschaftliche Theorien der Performance u.a.m. Die inhaltliche Vielfalt geht aus den für didaktische Inszenierungen zu beachtenden „Planungsgrößen“ hervor: „die Präsentationsformen (Methoden, Medien), die Lernumgebungen (Raumgestaltung, Lernort-Frage), die Aneignungsmöglichkeiten der jeweiligen Lerngruppe (ästhetische Wahrnehmung, Körperbezogenheit, Mediatisierung der Lebenswelt), der Ereignischarakter des Bibelwortes (Wortgeschehen, Leiblichkeit bzw. Äußerlichkeit biblischer Verheißungen) und nicht zuletzt auch die pädagogische Präsenz der Lehrperson (Lehrerrolle, Inszenierungstechniken).“61
Ziel
Dabei tritt mit dem Interesse an religiöser Praxis die Liturgie in das religionsdidaktische Blickfeld, insofern der Gottesdienst die wesentliche öffentliche Darstellungsform christlicher Religion ist. Bernhard Dressler (geboren 1947), dessen Überlegungen ich hier auf Grund ihres theoretischen Gehalts, der Differenziertheit der Argumentation und gleichzeitigen Praxisnähe herausgreife, hat die hinter den verschiedenen Ansätzen stehende Situationsanalyse knapp formuliert: „Die christliche Religion wird für die meisten Kinder und Jugendlichen zur Fremdreligion.“62 Diesem neuen Ausgangspunkt müssten sich der Religionsunterricht und seine Didaktik nicht nur stellen, sondern sie sollten dies als Chance begreifen. Denn durch die Fremdheit von „Religion“ könne Interesse geweckt werden. Es ist nicht ganz leicht, eine klare Zielformulierung für dieses Konzept zu erkennen. Zwar wird ausführlich beschrieben, dass und wie Religion „gezeigt“ werden soll, doch nur beiläufig teilt Dressler das Ziel dessen hinsichtlich der Schüler mit. Es geht bei religiöser Bildung darum, „den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeiten der praktischen Ingebrauchnahme von Religion zu eröffnen“.63 Bei näherem Hinsehen gilt diese Zurückhaltung bei der Formulierung von Zielen auch den Inhalten. Hier scheint vermittelt durch den Begriff der „Wahrnehmung“64 als religionsdidaktisch grundlegend die Performative Religionspädagogik hinsichtlich der Diffusität der Inhalte das Erbe des thematisch-problemorientierten Religionsunterrichts anzutreten. Die Fülle möglicher Themen von der Arbeit mit Video-Clips über Kirchenbegehungen bis hin zu Psalm-Rezita-
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
tionen ist groß. Themen werden immer nur als Beispiel genannt, ohne dass sie didaktisch begründet und damit von Nicht-Themen abgegrenzt werden. Beides ist sachlich im kommunikationstheoretischen Hintergrund dieses Ansatzes begründet. Aus zeichentheoretischer Perspektive wird die Bedeutung der Schüler für den Deutungsund damit Lernprozess betont: „Für die Requisiten (Methoden, Medien) und die dramatische Vorlage (Unterrichtsstoff) ist der Unterrichtende verantwortlich, für die Lernziele nur bedingt und für die Inhalte nur insofern, als er der Urheber des szenischen Arrangements ist, innerhalb dessen sich ein vorgegebener Stoff prozesshaft als Inhalt konstituiert.“65 Zugleich werden sehr konkrete Lernarrangements beschrieben, die Religion als Praxis präsentieren. Dem entspricht, dass die „Methoden“ (f VIII.2.2.2.4) und andere „Äußerlichkeiten“ des Unterrichts jetzt große Wichtigkeit erlangen, insofern sie für die konkrete Kommunikation von Bedeutung sind. Zu den Unterrichtsinhalten kann z.B. auch das „Beten“ gehören. Dressler macht hieran deutlich, welche spezifische Form von „Religion“ bei der Performance zur Darstellung kommt. Das Beten im Performativen Religionsunterricht darf nicht mit dem früher üblichen gemeinsamen Schulgebet etwa zur Zeit der Evangelischen Unterweisung verwechselt werden. Vielmehr geht es jetzt um die „probeweise Ingebrauchnahme einer religiösen Sprachform“.66 Man probiert aus, was sich verändert, wenn Hoffnungen als Bitten formuliert werden, wenn diese in bestimmten Körperhaltungen vorgetragen werden usw. Dabei zeigt sich ein wesentliches Merkmal dieses Ansatzes: Was auf den ersten Blick wie eine Neuauflage des längst überholten Konzeptes „Kirche in der Schule“ erscheinen könnte, ist tatsächlich der Versuch, für mehrheitlich nicht religiös sozialisierte Schüler(innen) unter den besonderen Bedingungen von Schule „Religion“ praktisch einzuspielen.
61 62 63 64 65 66
Leonhard/Klie (Hg.): Schauplatz, 149. Dressler: Darstellung, 152. Dressler: Darstellung, 158f. So z. B. Bizer: Kirchliches. Leonhard/Klie: Religionspädagogik, 15. Dressler: Darstellung, 165.
263
Religion und Praxis
Beten als Probehandeln
264
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Dressler formuliert: „Der Religionsunterricht hat sich an der Gestaltung der Schule als einer ‚Proberealität‘ zu beteiligen, einem Raum für ‚Probedenken‘ und ‚Probehandeln‘. Eine solche ‚Proberealität‘ trägt der Tatsache Rechnung, dass Religion nicht allein aus einer Außenperspektive verstanden werden kann. Freilich ist der Vollzug einer Religion in der Schule und in unterrichtlichen Lernprozessen wiederum nicht unmittelbar möglich, nicht ohne reflexive Distanzspielräume. … weder nur Teilnahme mit Haut und Haaren, noch nur Beobachtung aus sterilem Abstand.“67
4.4
Religionsdidaktischer Ertrag
4.4.1 Religions-Unterricht Angestoßen durch die Symboldidaktik und weitergeführt durch verschiedene Vorstöße, die sich unter dem Begriff „Performative Religionspädagogik“ zu sammeln beginnen, wird für den Religionsunterricht die explizit religiöse Dimension wiedergewonnen. Damit reagieren Religionsdidaktiker(innen) entschlossen auf eine Situation, in der die Schüler zunehmend keine explizite religiöse Erziehung in der Familie erhalten und „Religion“ im substantiellen Sinn zu einem lebensweltlichen Abstraktum zu verkommen droht.
Erweiterung
Religionsdidaktiker(innen) nehmen unter diesen neuen (Lern-) Voraussetzungen Einsichten aus den sonstigen Kulturwissenschaften auf, in denen die Bedeutung von Symbolen und Ritualen sowie Performanzen für das Verstehen erkannt wird, also von Handlungen, in denen sich das Ausgedrückte zugleich ereignet. Insofern führt das Konzept des Performativen Religionsunterrichts das Anliegen des Hermeneutischen Religionsunterrichts weiter. Die im f VI. Kapitel 1.3 referierten empirischen Befunde zeigen, dass hier an die Einstellungen einer großen Zahl von Religionslehrkräften angeknüpft werden kann. Dies verwundert nicht, da sich der neue Ansatz einem in der Praxis begegnenden Problem stellt. Weiterführend ist dabei, dass wesentliche Darstellungsformen von Religion, die im hermeneutischen und problemorien-
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
265
tierten Konzept (weitgehend) ausgeblendet waren, wie Symbole, Rituale und andere Formen religiöser Praxis, wieder Eingang in den Religionsunterricht finden. 4.4.2 Offene Fragen – erste Versuche Wie schon angedeutet, fällt bei der Lektüre verschiedener Vorschläge zum Performativen Religionsunterricht, aber auch schon zur Symboldidaktik auf: Konkrete Ziel- und Inhaltsangaben finden sich eher beiläufig. Gewiss trägt dies Einsichten in die Bedeutung der Schüler für die Lernprozesse Rechnung und fügt sich gut in das allgemeine Bildungsziel ein, Heranwachsende in der Schule zu Mündigkeit und Selbstständigkeit zu erziehen. Dazu tritt die Einsicht in die Eigendynamik von möglichen religiösen Inhalten. Allerdings weist der zugleich erhobene Anspruch, „Religion“ als Praxis im Unterricht erfahrbar zu machen, auf ein theologisches und didaktisches Problem hin: Theologisch bedarf der Begriff der „Religion“ genauerer Klärung. Schon in den beiden wichtigen Spielarten der Symboldidaktik, den Konzepten von Halbfas und von Biehl, zeigt sich hier eine beträchtliche Diskrepanz. Einem inhaltlich durch mystische Frömmigkeitsformen gefüllten, allgemeinen Religionsbegriff bei Halbfas steht ein christologisch konturiertes, die Spannung von Gesetz und Evangelium als hermeneutische Grundkategorie enthaltendes Religionsverständnis bei Biehl gegenüber. Grundsätzlich erscheint in einem Land wie Deutschland, in dem in nicht wenigen Regionen aus islamischen Familien stammende Schüler zumindest eine bedeutende Minderheit bilden und Formen nichtorganisierter Religiosität um sich greifen, die Verwendung des Begriffs „Religion“ präzisierungsbedürftig.
Auch der Versuch, religiöse Praxis im Unterricht als „Probehandeln“ zu deklarieren, kommt um die Aufgabe einer klaren inhaltlichen Bestimmung von „Religion“ nicht herum. Denn zumindest die Auswahl der „Requisiten“, also der Materialien, 67 Dressler: Darstellung, 159.
Theologisches Problem
266
Didaktisches Problem
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
die im Unterricht eingespielt werden, muss geklärt werden. Sollen z. B. wie bei Halbfas Mandalas Verwendung finden oder nur Worte aus der Bibel? Hier müsste geprüft werden, welche Bedeutung die rechtlichen Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts haben. Vielleicht kann der Unterricht eben doch nicht nur aus den jeweils aktuellen Situationsanalysen bzw. konkreten Lerngruppen und ihren Interaktionen heraus begründet und erklärt werden? Diese Faktoren sind didaktisch ohne Zweifel wichtig; aber zugleich findet der Religionsunterricht an der Schule eines demokratischen Gemeinwesens statt, bewegt sich also in einem Rahmen, der die konkrete Unterrichtsgruppe übersteigt. Didaktisch besteht vor allem Klärungsbedarf hinsichtlich der Rezeption des im Unterricht Behandelten, seien es Symbole oder sonstige religiöse Praxis. Dressler markiert präzise die Gratlinie auf der einen Seite „Kirche in der Schule“, auf der anderen Seite ein Religionsunterricht ohne anschaulichen Gegenstand. Hilft hier die Kategorie des Probehandelns und der Probewirklichkeit weiter? Wird mit ihr ernst genommen, welche Bedeutung Schule für die Mehrzahl der Kinder und Jugendlichen hat? Dies ist eben für sie kein Raum didaktischer Probe-Arrangements, sondern konkreter Lebensraum. Schon durch die Freunde und Freundinnen ist der außerschulische Bereich im Klassenzimmer mit anwesend. Zugleich gilt aber, dass sich in unserer Kultur Kindheit und Jugend in einem gewissen Moratorium vollziehen, wozu auch Freiräume bis hin zum Strafrecht gehören. Dies ist aber nichts für den Religionsunterricht Spezifisches. Demnach gehören Ernst und Vorläufigkeit gleichermaßen zur Religion von Kindern und Jugendlichen. Der Versuch, die Spezifik religionsunterrichtlichen Umgangs mit Religion durch die Unterscheidung von „vermittelt“ und „unvermittelt“ zu beschreiben, erscheint mir nicht angemessen. Harald Schroeter-Wittke68 wendet dagegen zu Recht ein, dass es ein Kennzeichen der christlichen Religion ist, keinen „unvermittelten“ Zugang zu Gott zu kennen. In der Christologie wird dies lehrmäßig entfaltet. Er schlägt stattdessen die Unterscheidung von „doing“ und „performing“ vor, wobei die Praxis von Religion im Sinne von „performing“ im Religionsunterricht das Bewusstsein von dieser Handlung mitumfasst.
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
Reflexion könnte eine Unterscheidungskategorie zwischen schulischem und außerschulischem Handeln sein. Sie ist zwar nicht trennscharf, insofern außerhalb der Schule religiöse Praxis reflektiert werden kann (wenn auch nicht muss); doch benennt sie deren didaktische Bedeutung für die Praxis Religion im Klassenzimmer. Schließlich ist zu fragen, ob die schroffe Situationsanalyse bei Dressler und anderen Vertretern des neuen Ansatzes tatsächlich zutrifft. Die Tatsache, dass z.B. das Abendgebet nach wie vor in Kinderzimmern stattfindet, die meisten deutschen Familien an Übergängen im Lebenslauf um Gottesdienste nachsuchen, die Kirchen an Weihnachten seit etwa dreißig Jahren wieder voller werden usw. bleibt dabei unberücksichtigt. Für die weiterführenden Schulen wird zudem die Tatsache übersprungen, dass die Schüler in der Regel mindestens vier Jahre den Religionsunterricht besuchten und mehrheitlich am Konfirmandenunterricht teilnehmen.
5.
267
Situationsanalyse
Religionsunterricht als Befähigung zum Christsein
Während in den ersten drei Abschnitten dieses Kapitels (weitgehend) abgeschlossene Diskurse auf ihren bleibenden Ertrag hin zu durchsuchen waren, betrat ich im 4. Abschnitt einen Diskussionszusammenhang, der konzeptionell noch in Bewegung ist. Dementsprechend vorläufiger ist das hier Dargestellte. Im jetzt folgenden 5. Abschnitt skizziere ich meine eigene Position zur Weiterentwicklung der Didaktik des Religionsunterrichts hinsichtlich der zentralen Fragen nach Zielen und Inhalten. Dazu nehme ich wichtige Einsichten der vorausgegangenen Rekonstruktionen auf. Neue Impulse möchte ich in drei Richtungen geben: Konzeptionell sind die rechtlichen Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts ernst zu nehmen. Pointiert formuliert: Evangelischer Religionsunterricht ist keine Privatveranstaltung mehr oder weniger origineller Didaktiker, sondern eine Einrichtung an der öffentlichen Schule, von daher auch demokra68 Schroeter-Wittke: Performance, 58.
Neue Impulse
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C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
tisch legitimiert und in seiner grundlegenden rechtlichen Konstitution nicht zur Disposition Einzelner gestellt. Weiter will ich die Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts genauer bestimmen. Bei aller Berechtigung einer den Unterricht als lebendigen Kommunikationsprozess verstehenden Didaktik sind klare Zielvorgaben wichtig, soll es nicht zu wenig zusammenhängenden Aktionen kommen, die die besondere Chance des Lernorts Schule verspielen, nämlich sequentielle Lernprozesse zu fördern. Schließlich ist es mir wichtig, weniger pauschal als in den letzten Jahren die Voraussetzungen der Schüler(innen) zu analysieren. Das in der Symboldidaktik und noch stärker im Performativen Religionsunterricht festgestellte Zurücktreten schülerorientierter Zielbestimmungen hängt vermutlich damit zusammen, dass in religiösen Dingen wie das Zitat aus den Überlegungen Dresslers zeigte (f 4.3) eine allgemeine tabula rasa bei den meisten Schülern angenommen wird. Dies trifft m.E. in den meisten Gegenden Deutschlands nicht zu, sondern ist eher Ausdruck zu geringer Aufmerksamkeit und/oder zu hoher dogmatischer Anforderungen.
5.1
Weiterführung und Abgrenzung von bisherigen Konzepten
5.1.1 Weiterführung Der vehemente Einspruch Gerhard Bohnes gegen die funktionale Eingliederung des Religionsunterrichts in die Schule bleibt auch für künftige religionsdidaktische Konzepte eine Anfrage. Religion als eigene Praxis
Gewiss ist Religionsunterricht ein Unterrichtsfach an der öffentlichen Schule und hat von daher einen Beitrag zur Bildung und Erziehung zu leisten, auf die Schule hinzielt. Doch darf dies nicht zu einer Reduktion von „Religion“ auf Ethik oder Moral führen. Vielmehr – und hier liegen die wichtigen Impulse des performativen Konzepts – kommt „Religion“ eine Eigenbedeutung zu, die als wichtige Praxis menschlichen Lebens einen Platz als Unterrichtsfach an der öffentlichen Schule verdient. Denn zu gelingendem Leben gehört ein angemessener Umgang mit der Tatsache eigener Endlichkeit.
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
Bohne macht darüber hinaus darauf aufmerksam, dass eine inhaltliche Näherbestimmung von „Religion“ als „Evangelium“ einen Horizont eröffnet, der Schule weit übersteigt. Von daher wird ein Religionsunterricht, der um diese für christliche Religion unaufgebbare Dimension weiß, immer wieder über den Raum des Unterrichts hinausweisen. Die im f IV. Kapitel 4.1.2 genannten Formen der Öffnung von Schule verdienen religionsdidaktisch besonderes Interesse. In ähnliche Richtung orientiert der bei Martin Stallmann begegnende Hinweis auf die doppelte Struktur des Christentums als Überlieferung. Neben die geschichtliche Dimension tritt bei ihm die der „Verkündigung“. Hier ist Religionsunterricht bei aller pädagogischer Verortung in der Schule ebenfalls durch seinen wesentlichen Inhalt das Christentum auch (!) auf ein Geschehen außerhalb des Unterrichts verwiesen. Zugleich öffnet das Konzept des Hermeneutischen Religionsunterrichts den Blick für die kulturelle Bedeutung des Christentums. Diesem Gesichtspunkt kommt nach wie vor große Bedeutung zu, insofern er lebensweltliche Relevanz hat. Denn die Schüler begegnen heute und zukünftig kulturellen Konsequenzen des Christentums in den verschiedensten Wissens- und Darstellungsbereichen, die erst angemessen, d.h. kritisch (im wörtlichen Sinn: unterscheidend) begreifbar sind, wenn ihr christlicher Hintergrund präsent ist. Einen neuen Akzent steuerten die Vertreter des thematischproblemorientierten Religionsunterrichts bei, insofern hier die Orientierung an den Problemen, bzw. offener formuliert: der Lebenswelt der Schüler(innen) als Konstitutivum für Religionsdidaktik herausgestellt wurde. Später erweiterten entwicklungspsychologische und kultursoziologische sowie ästhetische Einsichten den zuerst stark auf die soziale Wirklichkeit bezogenen Blick. Damit zog angesichts nicht zu übersehender Motivationsprobleme mit einem nur „sachlich“ begründeten Religionsunterricht ein wohltuender Realitätssinn in die konzeptionelle Diskussion um den Religionsunterricht ein. Inhaltlich führte dieses Konzept zu einer erheblichen Erweiterung des Themenspektrums, ohne aber zu einer inhaltlich konzentrierenden Zielsetzung vorzustoßen. Die Bemühungen um die Symboldidaktik und dann einen Performativen Religionsunterricht ergaben, dass die besondere
269
Inhaltliche Bestimmung von Religion
Lebensweltbezug
Symbole als Sprache der Religion
270
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Sprache der Religion, nämlich die Symbole, und die pragmatische Dimension als für den Religionsunterricht wichtig erkannt wurden. So gewinnt der Religionsunterricht seinen besonderen Gegenstand profiliert zurück. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die Eindeutigkeit von „Religion“ als Synonym für Christentum, wie sie lange Zeit in Deutschland vorherrschte, nicht mehr besteht.
Defizite in den Konzeptionen
5.1.2 Kritik Grundsätzlich fällt bei den skizzierten Konzepten auf, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts keine Rolle spielen. Die im f III. Kapitel skizzierten, eine klare Ausrichtung des Religionsunterrichts ergebenden Vorgaben von Verfassung und diese auslegender Rechtsprechung finden bisher keinen Eingang in die religionsdidaktische Theoriebildung. Dazu ist seit dem problemorientierten Konzept die Unbestimmtheit der Religionsdidaktik hinsichtlich klarer Inhalte und Ziele auffällig. Bernd Schröder machte aus religionsvergleichender Sicht auf die Besonderheit dieser Unsicherheit im christlichen Bereich aufmerksam. So herrscht z.B. unter islamischen Erziehern Einigkeit darüber, „dass die Kenntnis des Koran, damit auch das Erlernen des Hoch-Arabischen und das Verwirklichen der sog. fünf Säulen der Kern muslimischer Bildung ist.“ Ähnliches lässt sich hinsichtlich der Torah und der Praxis bestimmter Gebräuche für das Judentum zeigen.69 Der problemorientierte Unterricht öffnete das Themenspektrum ganz weit, ohne dies aber vom besonderen Gegenstand des Fachs „Religion“ her zu reflektieren. Dazu spiegelt die „Schülerorientierung“ mancher problemorientierter Unterrichtsmodelle mit ihrer soziologischen Ausrichtung eher die Interessen der Lehrer als die Fragen und Nöte der Schüler wider. Die Symboldidaktik führte ähnlich in ein weites und diffuses Feld und auch beim Performativen Religionsunterricht sind keine klaren inhaltlichen Konturen zu erkennen. Ein Rückgriff auf den Hermeneutischen Religionsunterricht hilft in dieser Situation nicht weiter. Denn hier wurden zwar klare Ziele anhand deutlich umgrenzter Inhalte verfolgt; diese waren aber existentialtheologisch hergeleitet, nicht jedoch mit den empi-
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
271
risch zugänglichen Interessen und Problemen der Schüler vermittelt. Schließlich fällt auf, dass die jeweilige Einschätzung der Schülerinnen und Schüler und ihrer Lernvoraussetzungen wenig differenziert vorgenommen wurde. Gewiss klaffen hier wie im f VI. Kapitel 2.2 gezeigt auf Grund der speziell hinsichtlich Religion defizitären Kinder- und Jugendforschung erhebliche Lücken; doch die Rede vom Christlichen als Fremdreligion ist zu pauschal und trifft die Lebensrealität der meisten (deutschen) Heranwachsenden nicht.
5.2
Befähigung zum Christsein als Ziel des Religionsunterrichts
Das Ziel des Religionsunterrichts muss gleichermaßen anschlussfähig sein: – an die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler, – die allgemeinen Bildungs- und Erziehungsziele der Schule und dem besonderen Gegenstand „Religion“ entsprechen: – wie er theologisch bestimmt – und rechtlich in einen verfassungsgemäßen Rahmen eingefügt ist.
Bei Letzterem ist vorausgesetzt, dass der bestehende rechtliche Rahmen Raum für einen dem Sachgegenstand adäquaten schulischen Unterricht lässt. Darüber hinaus kann das Ziel des Religionsunterrichts nur allgemein formuliert werden; seine didaktische Konkretisierung muss angesichts der Unterschiedlichkeit der Schulformen, der Verschiedenartigkeit der Altersgruppen und der in religiöser Hinsicht gegebenen pluralen Situation an deutschen Schulen jeweils spezifisch erfolgen. Dies kann im Folgenden nur an wenigen ausgewählten Fällen exemplarisch skizziert werden.
69 Ich beziehe mich hier auf die Einleitung des Vortrags „Mindeststandards religiöser Bildung und Förderung christlicher Identität. Überlegungen zum Zielspektrum religionspädagogisch reflektierten Handelns“, den Bernd Schröder am 12. 9. 2003 auf der Jahrestagung des Arbeitskreises für Religionspädagogik hielt.
Ziel des Religionsunterrichts
272
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Vor diesem Hintergrund schlage ich als pädagogisches Ziel eines zeitgemäßen Religionsunterrichts vor: die Befähigung zum Christsein. Das bedeutet nicht, dass die Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht zu Christen werden sollen, was weder pädagogisch noch theologisch zu bewerkstelligen ist. Religionsunterricht eröffnet den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, Christsein als eine attraktive, das Leben in umfassender Weise erschließende Praxis kennen zu lernen. Dadurch werden sie zum einen befähigt, sich verantwortlich hinsichtlich ihrer Daseins- und Wertorientierung zu entscheiden, zum anderen andere Menschen zu verstehen, die ihr Leben wesentlich aus christlichen, ja im weiteren Sinne religiösen Motiven gestalten.
Diese Zielbestimmung ist entsprechend der Konstitution des Religionsunterrichts zuerst in mehrfacher Hinsicht, von den rechtlichen Rahmenbedingungen, vor allem aber aus pädagogischer und theologischer Hinsicht zu begründen. Sodann erfolgen exemplarische inhaltliche Vorschläge zu ihrer didaktischen Gestaltung.
Praktische Probleme mit konfessioneller Trennung
5.2.1 Schulrechtliche Begründung Es herrscht juristisch Einigkeit darüber, dass der von Grundgesetz Artikel 7 Absatz 3 vorgesehene Religionsunterricht kein allgemeiner, nur informierender religionskundlicher Unterricht ist, sondern positionell durch die jeweiligen „Grundsätze der Religionsgemeinschaften“ bestimmt wird. Daraus entwickelte sich die Form konfessionell getrennten Religionsunterrichts. In den letzten Jahren ergaben aber empirische Untersuchungen (f IV.4.2), dass die Differenzierung nach Konfessionen nicht mehr überall durchgeführt wird. Neben organisatorischen Gründen, die sich durch einen eventuell hinzukommenden Islamischen Religionsunterricht noch verschärfen dürften, werden pädagogische Gründe hierfür namhaft gemacht. So steht in der Grundschule die konfessionelle Trennung in Spannung zu dem integrativen Grundanliegen dieser Schulform; in Sonderschulen und berufsbildenden Schulen ist eine solche Trennung häufig nicht nur wegen zu wenig ausgebildetem Personal, sondern ebenfalls aus pädagogischen Gründen vielerorts
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
aufgehoben. Hier geht es offensichtlich jeweils auf einer den konfessionellen Differenzen vorausliegenden grundsätzlichen Ebene darum, Schülern die religiöse bzw. christliche Dimension für ihr Leben zu erschließen. In Niedersachsen (f III.1.2.3) haben sich inzwischen die beiden großen Kirchen auf rechtliche Regelungen geeinigt, die in besonderen Fällen einen „gemeinsamen Religionsunterricht“ möglich machen. Vor diesem Hintergrund ist meine Zielsetzung mit dem Begriff „Christsein“ zu verstehen. Sie soll einerseits der grundgesetzlich vorgesehenen und wie im Folgenden gezeigt pädagogisch und theologisch sinnvollen positiven Bestimmtheit dieses Unterrichts Rechnung tragen; andererseits nimmt sie die Veränderungen in der Lebenswelt auf, hier das Zurücktreten der konfessionellen Differenzen, verbunden mit einer Tendenz zur Marginalisierung der Konfessionskirchen. In der gegenwärtigen Situation sind die Kirchen gut beraten, die inhaltliche christliche Ausrichtung als ihre gemeinsame Aufgabe zu begreifen. Die gegenüber „Evangelisch-“ oder „Katholisch-Sein“ elementarere Formulierung „Christsein“ will auch der zumindest im Umfang gegenüber der Entstehungszeit des Grundgesetzes neuen Tatsache Rechnung tragen, dass konfessionslose Schüler, teilweise sogar Angehörige nichtchristlicher Religionen am Religionsunterricht (beider Konfessionen) teilnehmen. Wie im nächsten Abschnitt zu zeigen ist, kommt bildungstheoretisch der christlichen Religion eine ungleich wichtigere Bedeutung als den jeweils partikularen Kirchentümern zu. Von daher ist für die zu keiner Kirche gehörenden Schüler, die nicht von ihrem Recht auf negative Religionsfreiheit Gebrauch machen, das Kennenlernen des „Christseins“ die schulisch adäquatere Begegnung mit Religion als die unterrichtliche Einführung in eine bestimmte Konfession. „Christsein“ inkludiert heute schließlich eine interreligiöse Komponente. Denn die lebensweltlich vielerorts gegebene Konvivenz erfordert eine dialogisch gestaltete Auslegung christlicher Religion (f VIII.3.). 5.2.2 Pädagogische Begründung Für die pädagogische Begründung des Ziels von Religionsunterricht ist es wichtig, sich die Voraussetzungen näher anzusehen, die Schüler in den Unterricht mitbringen. In ihrer Lebenswelt
273
Christsein
Lernvoraussetzungen
274
Teilnahme an Kasualien
Gebetspraxis Heranwachsender
Fernsehen
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
begegnen die meisten Kinder und Jugendlichen öfter christlicher Religion als häufig behauptet: Die meisten deutschen Familien lassen wichtige Übergänge im Lebenslauf durch einen Gottesdienst begleiten. Im Zuge dieser stark auf Familie bezogenen Gottesdienste, angefangen von der Taufe über Konfirmation (bzw. Firmung), Trauung und Bestattung, begegnen die meisten Heranwachsenden liturgischen und damit symbolisch verdichteten Formen christlicher Religion. Im Zentrum dieser sog. Kasualien stehen rituell (meist) Gebet und Segen. Angesichts der konfessionellen Mischung in den meisten Familien kann dabei die Konfessionskirche durchaus wechseln etwa katholische Bestattung der (katholischen) Großmutter, evangelische Trauung des (evangelischen) Onkels usw. Liturgisch ist weiter an die wachsenden Gemeinden am Heiligabend und an regional unterschiedlich wichtige Termine wie Erntedank, Osternacht usw. zu erinnern, an denen viele Menschen, auch Schüler(innen) den Weg in die Kirche finden. Die Schulanfängergottesdienste, Schulandachten u.Ä. gehören ebenfalls in diesen Zusammenhang. Umfragen ergeben: Viele Kinder und Jugendliche praktizieren meist unregelmäßig das Gebet als Kommunikationsform, teilweise beten sogar Heranwachsende, die ansonsten angeben, nicht an Gott zu glauben. Interviews mit Kindern und Jugendlichen zeigen zugleich nicht selten, dass sie Probleme haben zu beten. Sie möchten in bestimmten Situationen gerne beten, aber es fällt ihnen schwer, angemessene Worte zu finden bzw. solche Gebete in ihr sonstiges Leben zu integrieren. Kaum beachtet wird bisher, dass christliche Religion über das Fernsehen als dem Leitmedium unserer Kultur zu den Selbstverständlichkeiten beim Aufwachsen von Kindern gehört. Schülerinnen und Schüler begegnen angefangen vom TagesschauBericht über eine Papst-Reise über die Sendung eines Gottesdienstes angesichts einer Katastrophe bis hin zum Reverend in einer amerikanischen Serie christlicher Religion. Dadurch entstehen einzelne Eindrücke, die der systematischen Bearbeitung bedürfen, um die Heranwachsenden urteilsfähig zu machen. Schule hat hier jetzt den Begriff der „Überlieferung“ (Stallmann) zu „Lebenswelt“ transformiert eine wichtige Aufgabe, zu entsprechenden Klärungen beizutragen.
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
Darüber hinaus hat wie im f IV. Kapitel 3.2.2 anhand des pädagogischen Entwurfs von Dietrich Benner gezeigt das Ziel „Befähigung zum Christsein“ allgemein anthropologische Bedeutung. Denn die allgemein menschliche Praxis „Religion“, also der Umgang mit der Endlichkeit, lässt sich differenziert und dem mit ihr verbundenen Wahrheitsanspruch entsprechend nur in der Auslegung historisch begegnender Ausdrucksformen didaktisch erschließen. Dazu sind sequentielle Lernprozesse, wie sie in der Schule möglich sind, gut geeignet. 5.2.3 Theologische Begründung In der Perspektive reformatorischer Theologie ist „Christsein“ die entscheidende Kategorie. Schon das Augsburger Bekenntnis, wirkungsgeschichtlich eine grundlegende Bekenntnisschrift evangelischer Kirchen, wurde von Melanchthon aus ökumenischer Intention verfasst, um die gemeinsamen Grundlehren des Christentums zu formulieren. Die in der berühmten Kirchendefinition von Artikel VII dieses Bekenntnisses genannten Kennzeichen von Kirche, Lehre des Evangeliums und Feier der Sakramente, benennen nicht nur einen christlichen Minimalkonsens, sondern zugleich das Fundament für Christsein. In f Kapitel V.1.3 wurde gezeigt, dass hierzu vier Faktoren gehören: Situationsbezogene Kommunikation des Evangeliums Jesu Christi; damit untrennbar verbunden die helfende Zuwendung zu Not leidenden Menschen; die rituelle Feier der besonderen Gemeinschaft mit Jesus Christus; die biografiebezogenen Grundsymbole christlicher Religion. Der dabei implizierte Rückbezug auf das Neue Testament weist zugleich auf den ökumenischen Charakter dieses Verständnisses von Christsein hin.
275
276
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
5.3
Beten und Gesegnet-Werden als grundlegende Formen heutigen Christseins – didaktische Konsequenzen
5.3.1 Beten und Gesegnet-Werden als elementare Formen christlicher (und religiöser) Praxis Das Ziel „Befähigung zum Christsein“ bedeutet nicht, dass jetzt wieder „Kirche in der Schule“ stattfinden soll. Es will vielmehr – auch aus pädagogischen Gründen – den Heranwachsenden ermöglichen, Religion in einer lebensbezogenen und damit kognitive, affektive und pragmatische Dimension umfassenden Weise kennen zu lernen. Elementarisierung
Beten und Segnen
Es geht didaktisch darum, den theologisch in Artikel VII des Augsburger Bekenntnisses formulierten wesentlichen Inhalt des Christseins für den Lernort Schule zu elementarisieren. Dabei ist es pädagogisch unerlässlich, die in f 5.2.2 genannten lebensweltlichen Bezüge der Heranwachsenden zur christlichen Religion zu beachten. Die lebensweltlichen Partizipationsformen an christlicher Religion lassen sich auf zwei Grundformen religiöser und christlicher Praxis zurückführen: Beten und Gesegnet-Werden (bzw. Segnen). Vor allem in den sog. Kasualgottesdiensten, der verbreitetsten Form kirchlicher Partizipation bei Evangelischen und Katholiken (und sogar teilweise bei Konfessionslosen), stehen Beten in seinen verschiedenen Formen des Bittens, Fürbittens, des Dankens und teilweise auch Klagens sowie Gesegnet-Werden im Mittelpunkt. Die große Attraktivität der Kasualgottesdienste zeigt: Bei vielen Menschen besteht an prekär empfundenen Übergängen im Lebenslauf ein Bedürfnis nach Gebet und Segen. Schülerorientierter Unterricht hat die wichtige Aufgabe, Heranwachsenden eine verantwortliche Partizipation an Kultur und Gesellschaft zu ermöglichen. Für die Praxis Religion heißt dies konkret, Heranwachsende dazu zu befähigen, an solchen Gottesdiensten mit Gewinn teilnehmen zu können. Zugleich kann mit Gebet und Segen der ökumenische Impuls der Confessio Augustana aufgenommen werden. Denn die genannten Kennzeichen von Kirche nach dem Augsburger Bekenntnis implizieren als praktische Kommunikationsformen Beten und Segnen (bzw. Gesegnet-Werden).
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
Diese beiden elementaren Formen christlichen Lebens finden sich zugleich in den meisten anderen Religionen. Von daher ist eine Begegnung mit ihnen auch aus Gründen des interreligiösen Dialogs unerlässlich. So befähigt die Beschäftigung hiermit nicht nur zum Christsein, sondern führt zugleich im Sinne interreligiösen Lernens zum vertieften Verstehen nichtchristlicher Religionspraxis. 5.3.2 Beten und Gesegnet-Werden im Religionsunterricht? Die inhaltliche Bestimmung der Zielsetzung von Religionsunterricht kann nur dann handlungsorientierend sein, wenn sie die gegenwärtige Praxis im Blick hat und hieran anknüpft. Die durch das problemorientierte und dann symboldidaktische Konzept und die performativen Ansätze gewonnene Fülle von Themen und Gegenständen des Religionsunterrichts hat zu einer inhaltlichen Vielfalt in vielen Religionsstunden geführt. Sie ist auf der einen Seite ein großer Reichtum des Fachs:
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Interreligiöses Lernen
Vielfalt der Themen
Sie ist theologisch zu begrüßen, insofern der die ganze Wirklichkeit umfassende Anspruch des Evangeliums zum Ausdruck kommt, und pädagogisch, weil ein Beitrag zur Integration der verschiedenen Lebenswelten, an denen Menschen partizipieren, geleistet wird. Auf der anderen Seite kann sie zu Verwirrungen und Unklarheiten führen: Theologisch droht eine Ethisierung (bzw. Moralisierung) christlicher Religion, pädagogisch kann die Vielzahl von Einzelthemen die auf klare Kriterien angewiesene Urteilsbildung verhindern. In dieser Situation soll der Hinweis auf Beten und Gesegnet-Werden (bzw. Segnen) als den elementaren praktischen Vollzügen des Christseins eine auf Alltag und Praxis Religion gleichermaßen bezogene Grundausrichtung ermöglichen. Sie akzentuiert die traditionellen biblischen und thematischen Inhalte des Religionsunterrichts neu und verhilft ihm zu größerer Kohärenz. Dadurch wird auch das Lernen erleichtert. Es geht also nicht darum, den Religionsunterricht thematisch auf Beten und Gesegnet-Werden zu reduzieren oder gar zu einer Betstunde umzufunktionieren. Dem stehen pädagogische und theologische Gründe entgegen, weil „Beten“ auf ein Werk reduziert würde.
Elementarisierung und Konzentration
278
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Demgegenüber betont Martin Luther in der Weihnachtspostille von 1522 in seiner Auslegung von Lk 2,33 40: „Und wird durch Gebet auch verstanden nicht allein das mündliche Gebet, sondern alles, was die Seele schafft in Gottes Wort: zu hören, zu reden, zu dichten, zu betrachten.“ (WA 10/I 1,435,8 10) Eine genauere Analyse des zum Christsein Notwendigen, also des Betens und Gesegnet-Werdens (bzw. Segnens) zeigt, dass hierzu zumindest drei Voraussetzungen gehören: – gewisse Kenntnisse der christlichen Überlieferung, vor allem der Bibel, – die lebensfördernde Erschließung des Alltags mit seinen Problemen durch die christliche Perspektive, – die Kommunikation mit Gott als Grund und Ziel des eigenen Lebens.
Je nach Altersstufe und Schulform werden diese drei Dimensionen unterschiedliches Gewicht erhalten. Allerdings kann auf Dauer nicht vollständig auf eine von ihnen verzichtet werden, da dadurch Christsein bzw. die Vorstellung vom Christentum grundlegend verzerrt würde. Grundschule
Als Beispiel aus der Grundschule: Viele der hier traditionell behandelten biblischen Geschichten lassen sich zugleich als Einführung in das Beten lesen: Anhand der Abrahams- und Sarah-Erzählungen kann in das Bittgebet eingeführt werden. Die Mose-Geschichten lassen sich als Erzählungen zum Fürbittengebet verstehen. Im Buch Hiob begegnet das Gebet als Klage. Psalmen, etwa zur Schöpfung, sind zugleich Dankgebete. Werden diese biblischen Geschichten und Texte jeweils als Einführungen in bestimmte Gebetsformen didaktisch gestaltet, kommt es pädagogisch gesehen zu einer Vergegenwärtigung der biblischen Geschichte, genauer: zu deren persönlicher Aneignung in der Formulierung eines eigenen Gebets. Dabei erarbeiten sich die Kinder im Laufe der Zeit einen Fundus an konkreten Gebetsformen, auf die sie in ihrem Leben zurückgreifen können. Besondere Bedeutung hat dabei wie die genannte Unfähigkeit Heranwachsender, die richtigen Worte zum Beten zu finden, zeigt die Gebetsanrede. Sie gibt nämlich den Richtungssinn für die weitere Kommunikation vor. Die in vielen
VII. Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts
279
Gottesdiensten begegnende blasse Anrede „Gott“ beim Gebet kann dann durch die konkrete Erinnerung an die biblische Erzählung überwunden werden und etwa im Zusammenhang mit den Abrahams- und Sarah-Erzählungen werden zu: „Gott, der Du mich bisher begleitet hast“ o. Ä. In den weiterführenden Schulen können auf solch einem Fundament Fragen der Gebetserhörung, der Zukunftsunsicherheit (Bin ich gesegnet?) und des Religionsvergleichs im Vordergrund stehen. Als Beispiel hierzu aus einer höheren Klasse der Sekundarstufe I bzw. einem Sekundarstufen II-Kurs das Thema Sterben und Tod: Entgegen verbreiteter Lektüre von Texten über Sterben und Tod bietet es sich an, den konkreten praktischen Vollzug näher zu analysieren, in dem Menschen Sterben und Tod symbolisch kommunizieren: also den Ritus der Bestattung am besten eingeleitet durch die Teilnahme am kirchlichen Ritual. Anhand der verschiedenen Segensformen angefangen vom Segen beim Empfang des Abendmahls auf dem Sterbebett über die Aussegnung beim Abtransport der Leiche bis hin zu den verschiedenen Segensformen bei der Bestattung selbst kann gut die besondere Ausrichtung von Christen angesichts des Todes eines Mitmenschen herausgearbeitet werden. Strittige Fragen der Liturgie, wie etwa ob im Bestattungsgottesdienst der verstorbene Mensch noch einmal segnend angesprochen werden soll oder nicht, führen schnell in grundsätzliche Fragen des Konzepts von Tod und Auferstehung jetzt aber nicht abstrakt, sondern anhand tatsächlicher Praxis. Ähnliches lässt sich für die verschiedenen Gebetsformen zeigen, die im Verlauf des Sterbens und beim rituellen Abschied gesprochen werden können. Ein Vergleich von evangelischen mit katholischen Bestattungsbräuchen und dann mit Formen der Grablegung in anderen Religionen lässt sich gut anschließen und fördert das Urteilsvermögen der Heranwachsenden hinsichtlich des Umgangs mit Sterben und Tod durch Differenzierungen und Unterscheidungen, die in der Lebenswelt zu bewähren sind.
Sekundarstufen
Es erscheint mir in Aufnahme des in f 4.4.2 Ausgeführten fraglich, ob für einen solchen Religionsunterricht der Begriff
Probehandeln?
280
Nachbarschaft von Schule und Gemeinde
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
„Probehandeln“ als religionsdidaktische Kategorie angemessen ist. Sein Recht liegt darin, dass die Praxis von Religion im Religionsunterricht von der Lehrkraft inszeniert werden muss. Und er hebt implizit ins Bewusstsein, dass solche Unterrichtssequenzen einer besonderen räumlichen und atmosphärischen Gestaltung bedürfen. Aber er berücksichtigt auf der einen Seite unzureichend, dass schulischer Unterricht für die Kinder und Heranwachsenden (und Lehrkräfte) ein Stück ihrer Lebenswelt ist, auf der anderen Seite, dass Heranwachsende auch außerhalb der Schule Freiräume benötigen, um Einstellungen und Verhaltensweisen zu erproben. Das Handeln hier, etwa beim Formulieren eines Gebets, aber auch in anderen Lernformen, ist unmittelbares Leben ohne doppelten Boden und Absicherung. Zugleich gilt aber das gesellschaftlich eingeräumte Moratorium für Heranwachsende, was schnelle Änderungen ermöglicht. Ähnliches trifft für das Gesegnet-Werden zu. Hier ist der schon bei Bohne und Stallmann begegnende Verweisungszusammenhang auf Gemeinde noch stärker ausgeprägt. Zugleich zeigen aber nicht zuletzt Phänomene am Rande der Kirchen, welche Attraktivität diese religiöse Kommunikationsform in einer Gesellschaft hat, deren Zukunft als unsicher erlebt wird. Organisatorisch ist mit dem Ziel „Befähigung zum Christsein“, das seine inhaltliche Konzentration im Beten und Gesegnet-Werden findet, ein enger Zusammenhang zu Projekten von Nachbarschaft von Schule und Gemeinde gegeben (f IV.4.1.2.1). Dabei ist aber am Lernort Schule die Gelegenheit zur kritischen Reflexion gegenüber den praktischen Erfahrungen unerlässlich.
VIII. Medien und Methoden des Religionsunterrichts
Für den konkreten Unterricht haben die Medien und Methoden große Bedeutung. Klare Ziele und sinnvolle Inhalte können Langeweile und damit Erfolglosigkeit des Unterrichts nicht verhindern, wenn dieser methodisch einfallslos ist oder gar Methoden verwendet, die den Inhalten des Unterrichts widersprechen, und unattraktive Medien einsetzt. Zwei Beispiele hierzu: Das Ziel, dass die Schülerinnen und Schüler das Vaterunser in seinem Perspektiven erweiternden und Lebensmut gebenden Charakter entdecken, würde z.B. dadurch konterkariert, wenn dieses Gebet als Hausaufgabe auswendig gelernt werden müsste und in angstbesetzter Atmosphäre abgefragt würde. Methodisch gilt es vielmehr zu überlegen, wie die Heranwachsenden die einzelnen Bitten in ihrer Bedeutung für heutiges Leben und vielleicht für sich selbst entdecken können. Dies könnte z. B. in einer wenig störanfälligen Religionsklasse der Sekundarstufe I durch eine arbeitsteilige Gruppenarbeit geschehen, in der jeweils eine Bitte des Vaterunsers pantomimisch zu gestalten ist. Bei der in der Reihenfolge der Bitten im Gebet vollzogenen Vorführung der Gruppenergebnisse hätten dann die NichtSpielenden die Aufgabe, die jeweils dargestellte Bitte während der Pantomime als Chor zu sprechen. Dadurch würden die meisten Schüler den Text des Vaterunsers, falls noch nicht anderweitig memoriert, „inwendig“ lernen (englisch: „learning by heart“), also ihn sich in einer methodisch dem Lernziel angemessenen Art und Weise aneignen. Hinsichtlich der Medien ist u. a. darauf zu achten, dass diese die Schüler nicht auf Nebengedanken bringen. So kann z.B. ein schon etwas älterer Film durch die andere Mode, die die Dar-
Methoden
Medien
282
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
steller tragen, Schüler vom beabsichtigten Thema ablenken. In einem solchen Fall muss aber nicht auf das Medium verzichtet werden. Vielmehr sind die Schüler vorweg auf das mögliche Problem hinzuweisen, das dann damit in der Regel erledigt ist. Also z.B.: „Wir sehen jetzt einen Film zum Thema: ‚…‘. Dieser Film wurde schon vor einigen Jahren gedreht. Damals das werdet ihr gleich sehen war die Mode anders als heute; die Menschen hatten andere Frisuren, die Röcke waren kürzer, manche Jungs trugen Krawatten. Ich bin sicher, dass ihr euch davon nicht ablenken lasst. Das Thema ‚…‘ ist zu wichtig, als sich an solchen Nebensächlichkeiten aufzuhalten.“ Vieles im Bereich Medien und Methoden kann nur in einem unterrichtspraktischen Training gelernt werden. Auch ist in diesem Buch kein Raum für detaillierte methodische Hinweise1 oder gar eine Medienkunde im umfassenden Sinn. Im Folgenden beschränke ich mich auf einige grundlegende Hinweise zu didaktischen Gesichtspunkten, die bei Medien- und Methodenwahl zu berücksichtigen sind. Dazu konzentriere ich mich exemplarisch auf zwei Themenbereiche des Religionsunterrichts, anhand derer ich wichtige methodische und medienbezogene Überlegungen veranschaulichen will: Grundlegend für evangelischen Religionsunterricht war und ist die Behandlung biblischer Texte. Weil sich dabei besondere methodische und medientheoretische Probleme stellen, die in abgeschwächter Form auch sonst bei der Bearbeitung von Texten begegnen, sollen Hinweise zur Bibeldidaktik gegeben werden. Eine neue Herausforderung für den Religionsunterricht stellt wie erwähnt die zunehmende Zahl von Muslimen in Deutschland dar. An der methodischen und medialen Präsentation des Islam kann exemplarisch die in einer sozial und kommunikativ eng vernetzten Welt wichtige Aufgabe eingeübt werden, angemessen mit religiös Fremdem umzugehen. Bevor ich diese beiden Themenbereiche hinsichtlich der hier zu verwendenden Medien und Methoden reflektiere, ist grundsätzlich eine neue Entwicklung zu thematisieren, für die der Begriff „Mediengesellschaft“ steht. Denn durch die Verbreitung der elektronischen Medien haben sich in den letzten Jahrzehnten und Jahren die Bedingungen für die Rezeption von Medien und Methoden auf Seiten der Schülerschaft erheblich verändert.
VIII. Medien und Methoden des Religionsunterrichts
1.
Religionsunterricht in der Mediengesellschaft
1.1
Mediengesellschaft
Es ist unstrittig. Wir leben in einer „Mediengesellschaft“:2 Mittlerweile verfügen fast alle deutschen Haushalte über Radio, Fernsehen, Telefon, ein wachsender Anteil über Computer und Mobil-Telefone. Die Nutzung von elektronischen Medien, vor allem Radio und Fernsehen, zunehmend auch Internet, steigt stetig. So sehen Jugendliche (14 bis 19 Jahre) laut Statistik täglich etwa 172 Minuten fern, hören noch länger Radio usw. Ein durchschnittlicher Deutscher nutzte 2000 etwa 502 Minuten des Tages solche Medien. Das Angebot der einzelnen Medien wächst teilweise explosionsartig. Die Zahl der Radio- und Fernsehsender ist kaum, die der Web-Sites im Internet nicht mehr zu überblicken. Die einzelnen Medien sind immer stärker untereinander vernetzt. Exemplarisch kann dies an den für Jugendliche attraktiven Soap-Operas im Vorabendprogramm des Fernsehens gezeigt werden, für die es SMS-Dienste, Zeitschriften, Web-Sites, FanClubs u.v.a.m. gibt. Früher übliche Unterscheidungen zwischen öffentlicher und privater Sphäre oder zwischen Arbeits- und Freizeitwelt werden durch den Medienverbund relativiert. Die jeweils neuen Medien verbreiten sich schneller: „Das Radio brauchte 38 Jahre, das Fernsehen 13 Jahre, das Kabelfernsehen 10 Jahre, das Internet gerade 5 Jahre, um 50 Millionen Rezipienten beziehungsweise User zu erreichen.“3
1 Eine erste strikt praxisorientierte Einführung gibt Grethlein: Grundkurs. Ausführlicher: Adam/Lachmann (Hg.): Kompendium Bd. 1 und 2. Sehr praxisnah sind die Ausführungen zur Methodik in: Bosold/Kliemann (Hg.): Religion, 138–262. 2 Zur ursprünglichen Prägung des Begriffs s. Habermas: Strukturwandel; aus praktischtheologischer Sicht s. Grethlein: Kommunikation. Die im Folgenden genannten Daten beziehen sich, wenn nicht anders angegeben, auf das Jahr 2001 bzw. 2002 und stammen aus der Zeitschrift „Media Perspektiven“, die zuverlässig die neuesten statistischen Daten zur Mediennutzung publiziert und eingehend analysiert. 3 Hörisch: Sinn, 374.
283
Empirische Befunde
284
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
1.2
Herausforderungen für Schule
Die Mediengesellschaft führt zu Entwicklungen, die unmittelbar die Schule und hier den Bereich von Methoden und Medien im Unterricht betreffen: die Verteilung von Wissen und der Umgang mit Zeit verändern sich.
Verhältnis Heranwachsende – Erwachsene
1.2.1 Neue Verteilung von Wissen4 Traditionell war Erwachsen-Sein in der Regel mit einem Wissensvorsprung vor Kindern verbunden. Zum einen gab es in früheren Gesellschaftsformationen bestimmtes Wissen, das nur klar voneinander abgegrenzten Personengruppen zugänglich war: etwa Wissen für bestimmte Berufe, für ein Geschlecht usw. Dieses Wissen wurde mündlich in personaler Kommunikation weitergegeben. Kinder mussten, insofern sie in die jeweilige Personengruppe sozialisiert wurden, warten, bis ihnen ein Erwachsener dieses Wissen mitteilte. Später und hier beginnt eine gewisse Öffnung wurde solches Wissen zunehmend auch durch Bücher vermittelt. Mit der Verbreitung von Radio und Fernsehen fielen weitere Beschränkungen des Zugangs zu Wissen etwa durch die Lesefertigkeit weg, weil (fast) jeder Mensch Radio hören oder fernsehen kann. Eine nochmalige Steigerung der allgemeinen Verfügbarkeit von Wissen vollzieht sich gegenwärtig durch das Internet. Mit dem allgemeinen Zugang vieler Kinder und der meisten Jugendlichen zum Internet ist für diese grundsätzlich alles in diesem Medium gespeicherte Wissen verfügbar. Zum anderen kommt es heute zur teilweise dramatischen Verschiebung zwischen dem Wissen der Erwachsenen und der heranwachsenden Generation. Am greifbarsten ist dies im Bereich der Computer. Während es bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts weitgehend selbstverständlich war, dass Eltern in der Regel mehr wissen als ihre Kinder, gilt dies heute manchmal nicht einmal mehr für das Lehrer-Schüler-Verhältnis. Durch Internet-Recherche kann sich etwa eine Dreizehnjährige in kurzer Zeit zu einem Unterrichtsthema so viel Wissen zugänglich machen, dass sie ihren Lehrer erheblich übertrifft, der sich konventionell auf den Unterricht mittels Lehrerhandbuch und Unterrichtsmodellen vorbereitet. Die traditionell für Schule wichtige Funktion der Wissensvermittlung
VIII. Medien und Methoden des Religionsunterrichts
285
verändert sich dadurch. Allerdings ist das durch Internet-Recherchen gewonnene Wissen recht spezialisiert und detailliert; es fehlt häufig der systematische Kontext, um Bedeutung und Begrenzung dieses Wissens zu erfassen. Kurz: Es droht eine Anhäufung zusammenhangloser fragmentarisierter Wissensbestände. Die Herausforderungen für die Schule liegen auf der Hand: Es gilt nicht nur, die Lehrer-Rolle neu zu bestimmen. Das Informationsangebot des Internet – und anderer Massenmedien – ist in den größeren Kontext von Lehrgängen zu integrieren. Dabei ist methodisch besonders darauf zu achten, dass Hilfen zur Systematisierung und Relativierung (im wörtlichen Sinne des In-Beziehung-Setzens) von Einzelwissen gegeben werden.
1.2.2 Neues Zeitgefühl und -verständnis Eine weitere Herausforderung für Schule und deren methodische und mediale Arbeit ist durch die hohe Geschwindigkeit gegeben, die die moderne Kommunikationstechnologie vorgibt. Bereits ganz am Anfang der Computer-Ära äußerte ein Neunjähriger: „Atari-Programme sind dufte! Sie kommen auf den Monitor und sagen, was du tun sollst. Sie machen es einfach. Lehrer reden langsamer als Atari, manchmal machen sie mich wütend. Ich denke: ‚Na, los, ich will zu Atari zurück. Er sagt mir die Sachen schneller als du.‘“5 Die Video-Clips der bei Jugendlichen beliebten Musiksender reihen in atemberaubender Geschwindigkeit Bilder und Assoziationen aneinander. Hier wird ein anderer Denkstil als der in der Schule übliche gefördert: Assoziatives Denken tritt an die Stelle systematischer Überlegungen. Zugleich lässt die Geschwindigkeit elektronischer Simulationen Vergangenheit und Zukunft verschwinden. Alles erscheint nur gegenwärtig, im unmittelbaren Augenblick der sinnlichen Rezeption. Diese Entwicklungen unterstützt durch eine allgemeine Steigerung von Geschwindigkeit in gegenwärtiger Gesellschaft können schädliche Konsequenzen haben. Oberflächlichkeit 4 Zu dem hier verwendeten wissenssoziologischen Begriff von Wissen s. Berger/Luckmann: Konstruktion, 81–83. 5 Zitiert nach Rifkin: Uhrwerk, 41.
Steigerung der Geschwindigkeit
Verlangsamung
286
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
wird hier unterstützt, tiefergehende, für die Persönlichkeitsentwicklung wichtige Prozesse der Auseinandersetzung und des Durcharbeitens werden eher behindert. In dieser Situation ist es wichtig, in der Schule Phasen der Verlangsamung zu inszenieren. Dies geschieht durch Methoden und Medien, die die Selbsttätigkeit der Schüler fördern. Es wäre dagegen Unsinn wie es durch die Anhäufung von sog. „Stoff“ geschieht , das Tempo im Unterricht zu erhöhen, um noch mehr Einzelwissen zu präsentieren. 1.2.3 Zusammenfassung Demnach wird im schulischen Unterricht unter den Bedingungen der Mediengesellschaft vor allem auf Folgendes zu achten sein: Die fragmentarisierten Wissensbestände aus den Massenmedien, die Schüler in den Unterricht mitbringen, sind in einen größeren Zusammenhang einzufügen. Erst so können sie in ihrem Aussagegehalt und ihren Grenzen begriffen werden. Dazu sind Medien wichtig, die die Schüler dazu animieren, größere Zusammenhänge wahrzunehmen bzw. Vernetzungen aufzuspüren. Prozesse der Verlangsamung machen eine eingehendere, intensivere Beschäftigung mit Themen möglich. Hierzu sind Methoden wichtig, die sorgfältiges Wahrnehmen und abwägendes Urteilen fördern; dazu passen Medien mit einer Tiefenschärfe, die sich erst im Laufe des Lernprozesses umfassender erschließen lässt.
1.3
Herausforderungen für den Religionsunterricht
1.3.1 Grundlegende Herausforderungen Der Religionsunterricht ist – über das eben Ausgeführte hinaus – in mehrfacher Weise direkt von der Entwicklung zur Mediengesellschaft berührt: In den Medien finden sich religiöse Symbole und Motive; durch Sendungen und Bilder werden ethische Programme vermittelt; teilweise finden sich explizit religiöse bzw. religionsaffine Veranstaltungen in den Medien.
VIII. Medien und Methoden des Religionsunterrichts
287
Hier besteht wie im f IV. Kapitel 4.1.3 skizziert die wichtige medienpädagogische Aufgabe, einen kritischen und konstruktiven Umgang mit den massenmedialen Bildern und Botschaften zu ermöglichen. Angesichts der Breite massenmedialer Präsenz dürfte es kaum ein Thema im Religionsunterricht geben, das nicht unter medienpädagogischer Perspektive Aufmerksamkeit verdient. Über diese den konkreten Unterricht betreffenden und medienpädagogisch im Verbund mit anderen Schulfächern zu bearbeitenden Herausforderungen hinaus stellt sich grundsätzlich die Frage: Welche Bedeutung können und sollen Medien für den evangelischen Religionsunterricht haben? Um sie differenziert zu beantworten, ist es unerlässlich, den Begriff „Medien“ näher zu bestimmen. In pädagogischem Zusammenhang hat sich die Unterscheidung von personalen und apersonalen Medien bewährt.6 Von personalen Medien spricht man bei einer face-to-face geführten Kommunikation zwischen Personen, bei apersonalen Medien wird durch materiale Träger wie Papier, Fernsehen usw. kommuniziert. Der Begriff des personalen Mediums beinhaltet besondere Partizipationsmöglichkeiten der Kommunizierenden, vor allem eine große Dichte bei der Wechselseitigkeit der Verstehens- und Aneignungsprozesse. Hier findet nicht nur über den Gehör- und Gesichtssinn, sondern auch durch die weiteren Sinne in einer bestimmten Umgebung und Atmosphäre ein ständiger Austausch von Eindrücken, Aktionen und Reaktionen statt. Dagegen ist die Kommunikation mit apersonalen Medien erheblich einfacher und weniger interaktiv; doch kann sich hier durch die grundsätzlich mögliche Orts- und Zeitunabhängigkeit eine größere Zahl von Menschen beteiligen. Durchmustert man von dieser Unterscheidung her die drei grundsätzlichen Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts (f Einführung zu Kapitel VII), zeigt sich: Beide Formen medialer Kommunikation sind wichtig. Die Einführung in die christliche Überlieferung ist wesentlich an die Bibel gewiesen, also ein apersonales Medium. Medientheoretisch ermöglichte nur die Verschriftlichung der Erfahrungen 6 Wokittel: Medienbegriff, 26.
Personale und apersonale Medien
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C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
früher lebender Menschen mit Gott die Ausbreitung und Kontinuität des Christentums. Apersonalen Medien kommt damit eine grundsätzlich integrierende Funktion zu.7 Zugleich und dies wird bei den bibeldidaktischen Überlegungen genauer zu bedenken sein erfordert das apersonale Medium Bibel personale Medien, wenn die Bibel nicht nur als ein historisches, sondern für die Bewältigung gegenwärtigen Lebens wichtiges Buch gelesen werden soll (f 2.3.1). Noch stärker rückt die Bedeutung personaler Medien, im schulischen Religionsunterricht also der Lehrer und Lehrerinnen, aber auch der Schülerinnen und Schüler, in den Blickpunkt, wenn das Ziel der Begleitung beim Heranwachsen aus christlicher Perspektive fokussiert wird. Lebenshilfe kann zwar durch apersonale Medien wie Hinweise auf Gedrucktes, Filme, WebSites u. Ä. unterstützt werden; grundlegend ist aber ein verlässlicher personaler Kontakt. Dabei sind mitunter Begegnungen außerhalb des Unterrichts von großer Bedeutung. Ähnlich gilt der Primat personaler Medien für das dritte Ziel, die Begegnung mit den grundlegenden evangelischen Ausdrucksformen der Kommunikation mit Gott. Hier können apersonale Medien ebenfalls wichtige Hilfen geben, doch entscheidend sind bei der Inszenierung der für evangelisches Christsein tragenden Kommunikationsvollzüge von Beten und Gesegnet-Werden (bzw. Segnen) die personal vermittelte Hinführung und der personale Austausch über das Erlebte. Von daher sind apersonale Medien im Religionsunterricht zwar wichtig, sie können zeit- und raumübergreifend wichtige Informationen und Einsichten in den Unterricht einspielen; aber grundlegend ist für einen Religionsunterricht, der nicht nur religionskundliche Ziele verfolgt, sondern den Schüler(inne)n die Möglichkeit zur Kommunikation des Evangeliums eröffnen will, die personale Kommunikation. Die tritt ebenfalls hervor, wenn man sich auf dem Hintergrund der gegenwärtigen Mediengesellschaft wichtige Inhalte christlichen Glaubens ansieht.
Spannung Christsein – Gegenwartskultur
1.3.2 Inhaltliche Herausforderungen Als grundlegendes Ziel für den Religionsunterricht bestimmte ich die „Befähigung zum Christsein“ (f VII.5.2). Wenn man Christsein nicht nur hinsichtlich konkreter religiöser Vollzüge,
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289
sondern auch deren elementarer Inhalte beschreibt, treten erhebliche Spannungen zu Begleiterscheinungen und Wirkungen der Mediengesellschaft zu Tage. Um dies möglichst konkret zu skizzieren, orientiere ich mich als inhaltlichem Leitfaden am Apostolischen Glaubensbekenntnis. Es ist durch seinen liturgischen Ort im Taufritual elementarer Ausdruck des Christseins und enthält komprimiert die Grundaussagen christlichen Glaubens. 1.3.2.1 Ambivalent verhalten sich Erscheinungen der Mediengesellschaft zu dem im ersten Artikel bekannten Glauben an Gott als Schöpfer. Positiv bietet der raumübergreifende Charakter vor allem des Fernsehens, aber auch von Illustrierten und Büchern die Möglichkeit für Heranwachsende, Schöpfung in einem umfassenderen Sinn kennen zu lernen als das bisher möglich war. Bei jüngeren Kindern stehen oft Erfahrungen mit Tieren im Vordergrund, vielleicht verbunden mit Berichten aus fernen Ländern; im Sekundarbereich kann das z.B. in Wissenschaftssendungen anschaulich aufbereitete Eindringen in die Mikro- und Makrostruktur der Welt zum Staunen über die Schöpfung Gottes führen. Hier bietet die Kooperation des Religionsunterrichts mit naturwissenschaftlichen Fächern, insofern diese sich nicht nur auf einen mathematisch abstrahierten Zugang zur Natur beschränken, sondern zu unmittelbarer sinnlicher Wahrnehmung anleiten, interessante Möglichkeiten. In manchen Äußerungen von Naturwissenschaftlern kommt ein Staunen über die Ordnung des Kosmos zum Ausdruck, das sie nicht selten religiös auf Gott hin interpretieren. Darüber sind aber nicht die negativen Auswirkungen der Massenmedien zu übersehen. Schon die hohe Nutzungszeit der Medien verringert bei den Heranwachsenden drastisch die Möglichkeiten, unmittelbare Erfahrungen mit ihrer Mitwelt zu machen. Kommt dann noch eine wenig anregende Umgebung dazu, fehlen Kindern bisher selbstverständliche Erfahrungen mit Schöpfung (f IV.2.4). 7 Diesen Gesichtspunkt entfaltet Luhmann: Veränderungen.
1. Artikel
290
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Nachdenklich stimmt folgende Begebenheit: Eine Schulklasse sollte eine Sonnenfinsternis beobachten. Mit der Lehrkraft waren geschwärzte Gläser vorbereitet worden. Als sich der Zeitpunkt des Naturereignisses näherte, wurden die Schüler, die auf dem Pausenhof warteten, unruhig. Sie wollten in den Fernsehraum, wo die Life-Übertragung der Sonnenfinsternis angesehen werden konnte. Offensichtlich war für die Jugendlichen das im Fernsehen Gesehene „wirklicher“ als das mit eigenen Augen durch die geschwärzten Gläser unmittelbar Wahrgenommene. Hier verdrängt also das massenmedial Wahrgenommene den unmittelbaren Kontakt zur Mitwelt, wenn es um das geht, was „wirklich“ ist. Theologisch gesprochen: Die Werke von Menschen treten an die Stelle von Gottes Schöpfung. Aus dieser Problemlage folgt als methodischer und medialer Grundsatz für den Religionsunterricht: Direkte, unmittelbar sinnliche Wahrnehmung hat Vorrang vor apersonalen Medien.
Das bedeutet z. B., dass Ausflüge oder Klassenfahrten von besonderer religionsdidaktischer Bedeutung sein können. 2. Artikel
1.3.2.2 Im zweiten Glaubensartikel steht das Geschick Jesu Christi im Mittelpunkt. Angesichts des hier didaktisch zu überwindenden historischen Grabens ist in Jesus-Lehrgängen der Einsatz von Medien unersetzlich, angefangen von den biblischen Texten bis hin zu Kunstwerken in Malerei, Musik, Dichtung und Film. Die künstlerische Beschäftigung mit Jesus Christus kann dabei helfen, der gegenwärtigen Bedeutung des Christus-Geschehens zumindest für den Künstler auf die Spur zu kommen. Allerdings ist kritisch darauf zu achten, dass sich seit einigen Jahren die Werbung auf Jesus als Werbeträger besinnt und wichtige christliche Symbole zu verschleißen droht. Grundsätzlichere Bedeutung hat die bereits angedeutete Veränderung im Zeitverständnis und -gefühl der Menschen. Die vielerorts in den Medien beobachtbare Beschleunigung bei gleichzeitiger Reduktion des Vergangenen und Zukünftigen auf die Gegenwart lässt wichtige Dimensionen undeutlich werden, die für die Begegnung mit Jesus Christus, seinem Geschick und Anspruch, wichtig sind. Denn zum einen ist für die Men-
VIII. Medien und Methoden des Religionsunterrichts
291
schen in der Bibel ein an konkretem Erleben orientiertes Zeitverständnis selbstverständlich.8 Zum anderen eröffnet das Christus-Geschehen einen weiten zeitlichen Horizont, für den Geschehenes und Zukünftiges konstitutiv sind. Die Gegenwartsfixierung und der Beschleunigungsdrang lassen dafür keinen Raum. Von daher ist es für den Religionsunterricht wichtig, den Schülerinnen und Schülern immer wieder Frei-Zeiten zu ermöglichen, also Zeiträume ohne direkte Verzweckung.
Eine liturgiedidaktische Reflexion von Gottesdienst zeigt zugleich, dass die hierzu wichtigen Verhaltensweisen zugleich grundlegend für die gottesdienstliche Feier sind: gemeinsames Schweigen, Zuhören, Träumen als Ausdruck der Transzendierung von Wirklichkeit.9 1.3.2.3 Schließlich stellt der dritte Glaubensartikel die Gemeinschaft in den Mittelpunkt. Auch hier ermöglichen die neuen Medien wichtige Erfahrungen. Die kommunikative Verbindung zwischen Menschen an unterschiedlichen Orten ist durch Nachrichtensendungen, Telefon- und E-Mail-Kontakte so dicht vernetzt wie noch nie.
3. Artikel
Religionsdidaktisch bieten die Medien Möglichkeiten, den faszinierenden Gesichtspunkt der Ökumene anschaulich zu machen.
Ökumene
Die Tatsache, dass nach dem Zusammenbruch des Kommunismus das Christentum die Gemeinschaft mit der größten Verbreitung über den „bewohnten Erdkreis“ (so wörtlich übersetzt: Ökumene) ist, ist in ihrem Potenzial didaktisch noch nicht annähernd ausgeschöpft. Viele Themen des Religionsunterrichts gewönnen an Farbe, wenn sie in ihrer Bedeutung bzw. Ausdrucksform in anderen Ländern in den Unterricht eingespielt würden. 8 S. zu den grundlegenden, hiermit verbundenen Problemen der Gotteslehre Dalferth: Gott. 9 S. ausführlicher zum zeittheoretischen und literarischen Hintergrund: Grethlein: Momo.
292
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Zugleich können die Massenmedien aber die für das Heranwachsen von Menschen wichtige Gemeinschaft gefährden. Fernsehen und Internet erleichtern Kindern und Jugendlichen mit Kontaktschwierigkeiten einen Rückzug vom Austausch mit anderen. Dazu enthält die starke Ökonomisierung der elektronischen Medien sozialschädliche Tendenzen. Die für die Finanzierung von Funk und Fernsehen und noch mehr des Internets unerlässliche Werbung propagiert Standards hinsichtlich Kleidung und sonstiger Konsumgüter, die Ärmere leicht in die soziale Isolation treiben. Die erwähnte wachsende Kinder-Armut (f IV.2.1) lässt erwarten, dass dieses Problem noch zunehmen wird. Im Religionsunterricht ist angesichts dieser Entwicklung darauf zu achten, dass es nicht zu einer unbedachten Wiederholung der in der Werbung gezeigten Bilder und suggerierten Lebenskonzepte kommt. Der in der katholischen Religionsdidaktik vertretene befreiungstheologische Ansatz ist eine Möglichkeit, theologisch fundiert auf ein Christsein hinzuweisen, das sich nicht mit der Kluft zwischen Reich und Arm abfindet.10 1.3.3 Zusammenfassung Die apersonalen, elektronischen Medien bieten also einerseits neue Möglichkeiten, Bereiche und Erfahrungen in den Religionsunterricht einzuspielen, die sich der unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung entziehen. Dadurch kann der Unterricht an Anschaulichkeit gewinnen. Andererseits verstellen die Massenmedien und manche ihrer Wirkungen wichtige Voraussetzungen für die Kommunikation des Evangeliums und damit religiöse Lernprozesse. Denn diese setzen unmittelbare sinnliche Kontakte mit der Mitwelt voraus, spannen einen weiten, bis zum Eschaton reichenden Zeithorizont auf und verheißen eine Gemeinschaft zwischen den Menschen abseits von ökonomischen und sonstigen Distinktionen.
2.
Kommunikativer Umgang mit der Bibel
Da die Bibel selbst ein Medium ist, bestimme ich in einer Vorbemerkung zuerst ihren medialen Status. Danach ist entsprechend dem hier vertretenen didaktischen Ansatz der Schüler-
VIII. Medien und Methoden des Religionsunterrichts
293
orientierung zu untersuchen, wo und inwiefern die Bibel in der Lebenswelt heutiger Schüler vorkommt. Auf diesem Hintergrund kann dann eine altersmäßige Spezifizierung des methodischen Umgangs mit der Bibel im Unterricht erfolgen.
2.1
Vorbemerkung: Bibel zwischen personalem und apersonalem Medium
Schon der meist pejorativ gebrauchte Begriff „Biblizismus“ lässt ahnen, dass die Verwendung der Bibel nicht ganz problemlos ist. Ein kurzer Blick in die Christentumsgeschichte macht auf ihre mediale Doppeldeutigkeit aufmerksam, die nicht einseitig aufgelöst werden darf. Zuerst fällt auf:11 Jesus von Nazareth, der für Christen grundlegende Mittler zu Gott, wirkte nur in der personalen Begegnung. Er hinterließ nichts Schriftliches. Damit ist das Grundmedium christlichen Glaubens, und zwar sowohl im historischen als auch sachlichen Sinn, ein personales, eben Jesus Christus. Doch geschah sein Wirken nicht ohne Bezug auf schriftliche Überlieferung. Die hebräische Bibel war für den Juden Jesus selbstverständlicher Hintergrund für sein Wirken und Leben. So beeindruckend das nur auf face-to-face-Kommunikation beschränkte Wirken Jesu war, nach seinem Tod stellte sich unausweichlich die Frage, wie seine Botschaft weiterkommuniziert werden könne. Denn personale Medien haben zwar ihr besonderes Leistungsvermögen darin, dass sie durch die unmittelbare, alle Sinne umfassende Begegnung beeindrucken können und im Falle gelungener Kommunikation besonders glaubwürdig erscheinen, sie haben aber nur einen an enge Grenzen in Raum und Zeit gebundenen Verbreitungsgrad. Die doppelte Bedeutung von „Evangelium“ zeigt, dass die ersten Christen sich diesem Problem stellten: Zum einen bezeichnet „Evangelium“ eine Botschaft, die mündlich zuerst von den Aposteln, später von anderen zum Glauben Gekommenen weitergegeben wird. Evangelium ist 10 Schreijäck: Religionspädagogik. 11 Ausführlicher in: Grethlein: Kommunikation, 19–24.
Jesus – ein personales Medium
Evangelium
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Bibel als personales Medium
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
dann ein personales Medium, ein Übertragungsmedium. Dadurch werden die Lebendigkeit und der unmittelbare Situationsbezug der Botschaft Jesu jedenfalls teilweise bewahrt. Zum anderen steht „Evangelium“ für ein literarisches Werk etwa: Evangelium nach Matthäus. Evangelium bezeichnet ein apersonales Medium, ein Speichermedium. Dadurch wird eine größere räumliche und zeitliche Verbreitung ermöglicht. Dies gewährleistet u. a. die Kontinuität der Kommunikation des Evangeliums eine wichtige Funktion, wie die ausgedehnten Auseinandersetzungen mit sog. Ketzern im Laufe der Christentumsgeschichte zeigen. Interessant ist noch, dass das Speichermedium „Evangelium“ lange Jahrhunderte für die meisten Menschen durch personale Medien präsentiert wurde. Denn bis ins 18. Jahrhundert hinein war der Besitz von Bibeln nur wenigen vorbehalten, so dass die Mehrzahl der Christen von dem Inhalt dieses Buchs nur durch die Lesungen im Gottesdienst erfuhr. Die Lektoren in der Alten Kirche oft Kinder, deren helle, klare Stimmen der Lauterkeit des Evangeliums besonders gut zu entsprechen schienen12 trugen das biblische Wort als personales Medium vor. Die beiden Formen des „Evangeliums“, das Übertragungsmedium der personalen Kommunikation und das Speichermedium der apersonalen Bücher, dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Denn im Fall einer Überbetonung des Übertragungsmediums droht der Verlust des Zusammenhangs mit dem geschichtlichen Jesus – von Späteren Erdachtes breitet sich aus und verdeckt Jesu Botschaft; im Fall der Überbetonung des Speichermediums besteht die Gefahr einer Historisierung und Musealisierung von Jesu Botschaft – das Evangelium wird zu einem Objekt historischer Forschung.
Taufe und Abendmahl
Dazu ist weiter auf eine Entwicklung aufmerksam zu machen, die die Bedeutung der Bibel für Christsein relativiert, also in eine weitere Beziehung setzt. Offensichtlich reichte die bloß verbale Weitergabe des von Jesus Gehörten und mit ihm Erlebten nicht aus. Zwei Riten, Taufe und Abendmahl, traten bei der Kommunikation des Evangeliums an die Seite der mündlichen Predigt und Lektüre der Bibel. Damit wird ein wichtiger Grundzug des Wirkens Jesu aufgenommen, das sich nicht nur in Pre-
VIII. Medien und Methoden des Religionsunterrichts
295
digten und Gesprächen, sondern auch im helfenden Handeln und in gemeinsamen Mahlzeiten mit seinen Mitmenschen vollzog. Insgesamt kann medientheoretisch konstatiert werden: Das Evangelium wurde von seinen Ursprüngen an über Schriftlesung, Predigt, Glaubensgespräch sowie Taufe und Abendmahl bis heute wesentlich durch personale Medien vermittelt. Zur Glaubenskommunikation sind personale Medien unverzichtbar: zum einen wegen des spezifischen Ineinanders von einzelnen kommunikativen Akten und der gesamten Lebensausrichtung und -gestaltung, wie es bereits bei Jesus hervortrat, und zum anderen wegen der Notwendigkeit von grundsätzlich alle Lebensbereiche umfassender Glaubwürdigkeit, insofern es um eine grundlegende Neuausrichtung der ganzen Daseins- und Wertorientierung geht. Allerdings waren schon von Beginn der Ausbreitung des Christentums an die Kontinuität der Überlieferung und damit die Integration der regional, kulturell und sozial unterschiedlichen Gruppierungen nur durch schriftliche Aufzeichnungen zu gewährleisten. Der konkrete Umgang mit der Bibel im schulischen Religionsunterricht ist aus diesen Einsichten nicht direkt abzuleiten. Der Lernort Schule hat wie im f IV. Kapitel ausgeführt seine eigenen, besonderen Bedingungen. Doch macht der knappe medientheoretische Durchgang deutlich, dass die Beschäftigung mit der Bibel nicht einfach mit dem Lesen eines Buchs gleichzusetzen ist. Vielmehr hat das Buch Bibel eine unverzichtbare Funktion für die Kommunikation des Evangeliums, die sich aber grundlegend im Kommunikationsgeschehen zwischen Personen vollzieht. Von daher gilt es darauf zu achten, dass in der Bibeldidaktik die Kommunikation des Evangeliums als Ziel im Blick bleibt. Eine rein historisch oder kulturgeschichtlich orientierte Lektüre steht in Widerspruch zur Intention der Bibel. Der Umgang mit der Bibel ist als personale Interaktion zu gestalten.
12 Bottermann: Beteiligung, 42–47.
Bibeldidaktik
296
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
2.2
Bibel in der Lebenswelt der Schüler
Eine wichtige Voraussetzung für einen kommunikativen Umgang mit der Bibel im Unterricht stellt die Klärung der Frage dar, welche Bedeutung diesem Buch bzw. seinen Inhalten in der Lebenswelt der Schüler zukommt. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich: In der Lebenswelt heutiger Schüler hinterlässt die Bibel zahlreiche Spuren. Beispiele
Biblische Namen
Im Folgenden kann ich dies nur anhand einiger Beispiele andeuten, in der Hoffnung, dass sich Leserinnen und Leser in ihren Klassen auf die Spurensuche begeben. Denn es ist religionsdidaktisch sehr fruchtbar, wenn im Alltag der Schüler biblische Inhalte entdeckt werden. Der garstige historische Graben ist dann nämlich lebenspraktisch bzw. biografisch überbrückt. Mediendidaktisch kann so teilweise auf apersonale Medien verzichtet und eine dichtere personale Interaktion angebahnt werden: Die biblischen Bezüge beginnen bei vielen Vornamen von Schülerinnen und Schülern. Zwar sind explizit religiöse Gründe nur noch selten bei der Auswahl von Namen anzutreffen, trotzdem ist es religionsdidaktisch von Bedeutung, dass sich seit dem Ende des II. Weltkriegs in Deutschland eine „Wiederbelebung christlicher und antiker Namen hebräisch-griechisch-lateinischen Ursprungs“ beobachten lässt.13 Dazu gehören viele biblische Namen, von Daniel über Hanna bis zu Markus und Rebekka u.v.a.m. Es ist z. B. bei der Behandlung einer biblischen Geschichte darauf zu achten, ob der Name einer Schülerin bzw. eines Schülers genannt wird. Besonders in der Pubertät setzen sich Heranwachsende im Zuge ihrer Identitätsfindung mitunter intensiv mit ihrem (Vor-)Namen (englisch: Christian name) auseinander. Im Rahmen von Taufelternseminaren14 ergab sich das hohe Interesse an der Bedeutung von Namen. Manchmal kann für den Träger eines biblischen Namens die Begegnung mit der entsprechenden Figur sogar einen neuen Horizont eröffnen, vielleicht sogar für das bisher noch nicht bewusst wahrgenommene Handeln Gottes im eigenen Leben.
Teilweise ist Namenkunde ein Thema des Deutschunterrichts,15 so dass sich unterrichtliche Kooperationen nahe legen.
VIII. Medien und Methoden des Religionsunterrichts
Weiter sind die wichtigsten Zeit-Rhythmen heutiger Gesellschaft (und damit der Schule) biblischen Ursprungs bzw. durch biblische Geschichten geprägt: Die Siebentage-Woche mit einem Ruhetag geht auf das alte Israel zurück und wurde mit einer gewissen Verschiebung zwischen Sabbat und Sonntag im Christentum übernommen. Biblische Geschichten prägen wenigstens indirekt den Rhythmus der Jahreszeiten, der über die Schulferien für Kinder und Jugendliche bestimmend ist. Weihnachts-, Oster- und Pfingstferien weisen direkt auf biblische Geschichten. Nicht nur in der Grund- und manchen Formen der Sonderschule ergibt sich hier ein wichtiger Bezugspunkt für den Religionsunterricht. Sachlich kommt in den beiden Festkreisen des Kirchenjahres, der Oster- und Weihnachtszeit, das Zentrum christlichen Glaubens elementar und pädagogisch formuliert handlungsorientierend zur Darstellung. Von daher gehört die immer wiederkehrende, aber methodisch abwechselnde Beschäftigung mit den biblischen Grundtexten dieser Feste zum unverzichtbaren Themenbestand heutigen Religionsunterrichts:16 Bei Weihnachten steht die Evangeliumslesung der Christvesper bzw. des Christfestes im Mittelpunkt: Luk 2,1 20. Die sonstigen gottesdienstlichen Lesungen u. a. Jes 9,1 6 und Micha 5,1 4a eröffnen den breiten biblischen Horizont, in den dieser Text traditionell gestellt wird. An Ostern werden sowohl die Lesungen des Karfreitags, Joh 19,16 30, als auch des Osterfestes, Mk 16,1 8 bzw. Luk 24,13 35, zu berücksichtigen sein. Einen gesamtbiblischen Interpretationsrahmen eröffnen die biblischen Lesungen in der Osternacht, u.a. Gen 1; 6 8; Ex 14; Hes 37; Röm 6. Didaktisch wichtig und methodisch durch Schulgottesdienste und -andachten im Schulleben sowie Meditationen und Stilleübungen im Unterricht vermittelbar ist die liturgische Einbettung der entsprechenden biblischen Texte. Dadurch gewinnen in der Alltagswelt der Schüler(innen) begegnende Elemente durch die Erinnerung an ihren Ursprung eine Ver13 14 15 16
Seibicke: Vornamen, 144. Gäbler/Schmid/Siber: Kinder, 98–112. Koß: Namenforschung, 107–111. S. hierzu die entsprechenden Textangaben in: Lutherische Liturgische Konferenz Deutschlands (Hg.), Perikopenbuch.
297
Zeit
Kirchenjahr
298
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
tiefung und ermöglichen so eine bewusstere Gestaltung der entsprechendeng Zeiten. Kultur
Kasualien
Weiter begegnen Heranwachsende in Literatur, Film und bildender Kunst vielfältigen Anspielungen auf und Zitaten von biblischen Texten. Wichtige biblische Textzusammenhänge haben immer wieder Schriftsteller zum Nacherzählen animiert von Thomas Manns „Joseph und seine Brüder“ bis zu Stefan Heyms „KönigDavid-Bericht“ oder Luise Rinsers „Mirjam“. Diese Texte bzw. Ausschnitte daraus sind manchmal Lektüre im Deutschunterricht. Die Bildende Kunst ist bis ins 20. Jahrhundert hinein voll von biblischen Themen. Von daher kann kunstgeschichtlicher Unterricht ein wichtiger Kooperationspartner für den Religionsunterricht sein. Neuerdings lassen sich über Namengebung, Symbolverwendung, sogar die Anlage ganzer Plots Wirkungen biblischer Erzählungen auf Filme nachweisen, von der „Weihnachtsgeschichte“ des „Terminator 2“17 bis zur Nachstellung der Kreuzigung in einem Albtraum in „The Cell“. Auch hier erschließen sich die Aussagen in ihrer Tiefe erst, wenn den biblischen und religiösen Spuren gefolgt wird.18 Ferner ist an die zahlreichen Sprichwörter biblischen Ursprungs zu erinnern, die sich in der Umgangssprache finden: angefangen von dem, der eine Grube gräbt und selbst hineinfällt (Spr 26,27), bis zum Kamel, das (nicht) durch ein Nadelöhr geht (Mt 19,24). Noch wichtiger dürfte die Begegnung der Heranwachsenden mit Menschen sein, die sich zur besseren Bewältigung ihres Lebens mit der Bibel auseinander setzen. Im Zuge der allgemeinen Privatisierung religiöser Praxis macht wohl eher eine Minderheit von Schülern solche Begegnungen; sie können aber prägen auch im Sinn der Abschreckung bei zwanghaftem Schriftgebrauch und sind deshalb im Unterricht zu berücksichtigen. Schließlich stoßen Kinder und Jugendliche immer wieder in liturgischen Zusammenhängen auf biblische Worte: bei als Familienfeiern begangenen Kasualien, im Heiligabend-Gottesdienst usw. Nach den hierin seit dreißig Jahren übereinstimmenden EKD-Mitgliedschaftsumfragen tritt die überwiegende Mehrzahl der evangelischen Getauften vor allem bei den Kasualien in
VIII. Medien und Methoden des Religionsunterrichts
299
direkten Kontakt zu ihrer Kirche. Für eine schülerorientierte Religionsdidaktik ist es wichtig, die Heranwachsenden auf eine angemessene, d.h. Lebensperspektiven erweiternde bzw. eröffnende liturgische Partizipation an diesen Gottesdiensten vorzubereiten. So müssten die in den liturgischen Formularen stehenden biblischen Texte in einem Religionsunterricht, der sich aktueller religiöser Praxis und damit Lebensnähe verpflichtet weiß, einen hervorragenden Platz einnehmen: Der sog. Taufbefehl, Mt 28,16 20, sowie das sog. Kinderevangelium, Mk 10,13 16, sind grundlegend für evangelische Taufgottesdienste. Mt 19,4 6 ist ein für evangelische Trauung grundlegender Text, der gut in die Spannungen und Verheißung christlicher Ehe einführt. Bei der Bestattung sind ein Bezug auf die Taufe und die für das Osterfest zentralen Texte konstitutiv. Dazu werden hier oft Psalmen wie Ps 23 gebetet und als Auferstehungswort 1 Kor 15,42 f. verlesen. Eine gegenwärtiger religiöser Praxis verpflichtete Bibeldidaktik wird diese Texte nicht abstrakt behandeln. Vielmehr sucht sie deren konkreten Ort in heutiger religiöser Praxis, also in den konkreten liturgischen Vollzügen und damit deren aktuellen Sitz im heutigen Leben auf. Exkursionen zu einer Taufe (f IV.4.1.2.1) oder Bestattung nach Absprache mit dem Pfarrer und den entsprechenden Familien sind dazu unverzichtbar. In manchen dieser alltagsweltlich vermittelten Formen der Begegnung mit der biblischen Wirkungsgeschichte tritt die Bibel als Buch nicht direkt hervor. Sie ist in andere Kommunikationszusammenhänge transformiert und integriert. Dies eröffnet eine wichtige religionsdidaktische Chance, insofern schon das Medium Buch für viele Heranwachsende, vor allem (aber nicht nur) Schüler der Sonder- und Hauptschulen abschreckend wirkt. Hier gilt es didaktisch zu entscheiden, ob die Zielsetzung, Schüler zu einer eigenständigen Lektüre der Bibel zu befähigen, realistisch und für das Hauptziel, mit den Schülern das Evangelium zu kommunizieren, notwendig ist. Die Lesefertigkeit der 17 Wolf: Bausteine. 18 Zu den hermeneutischen Problemstellungen s. Laube: Himmel.
Liturgische Exkursionen
Problem Buch
300
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Schüler sowie deren Fähigkeit, sich in einem umfangreichen Buch zurechtzufinden, sind dabei zu berücksichtigen.
2.3
Einige methodische Anregungen
Wie bei anderen Inhalten ist hinsichtlich der Methode und der eingesetzten Medien bei der Beschäftigung mit biblischen Texten alters- und schulformspezifisch zu differenzieren. Im Folgenden stelle ich exemplarisch vier wichtige Methoden vor, die nach dem ansteigenden Alter der Schüler geordnet sind, für die sie mir besonders geeignet erscheinen. Dabei bleiben viele gebräuchliche und wichtige Methoden ungenannt, angefangen vom Malen biblischer Szenen über Rollenspiele, Pantomimen, Standbilder bis hin zur Gestaltung von Hörspielen, Theaterstücken und Videofilmen. Mir kommt es bei den folgenden Beispielen darauf an, exemplarisch die methodischen Konsequenzen meines religionsdidaktischen Ansatzes zu zeigen. 2.3.1 Erzählung Die Standardmethode für die Beschäftigung mit biblischen Texten in der Grundschule und den ersten zwei bis drei Jahren der Sekundarstufe I ist die Erzählung.19 Sie ist gerade unter den Bedingungen der Mediengesellschaft eine vorzügliche Methode, denn: mit ihr können größere Zusammenhänge dargestellt werden; sie kann durch entsprechende Dramatisierung intensivere Wahrnehmung fördern; sie ist eine Methode, in der personal vermittelte Kommunikation geschieht. Hermeneutische Grundregel
Selbstständige Aneignung
Grundsätzlich ist bei biblischen Erzählungen für Kinder zu beachten, dass die Bibel antike Texte für Erwachsene enthält. Es ist also eine zweifache hermeneutische Transformation notwendig, um die Texte heutigen Kindern nahe zu bringen.
Meist steht die Erzählung am Anfang der Beschäftigung mit einem biblischen Text. An sie können sich verschiedene andere Methoden zur Weiterarbeit anschließen. Dabei ist darauf zu achten, dass diese Methoden den Schülerinnen und Schülern
VIII. Medien und Methoden des Religionsunterrichts
eine selbstständige Aneignung ermöglichen. (Vorbereiten eines) Rollenspiel(es), Einzelarbeit in Form von Malen, kurzem Aufschreiben eigener Eindrücke oder Formulieren eines Gebets, das eine Figur in einer bestimmten Phase gesprochen haben könnte, haben sich hier bewährt; sie lassen den Schülern Zeit, noch einmal für sich die Erzählung zu rekapitulieren, für sie Wichtiges herauszustellen und sich so das Erzählte kreativ anzueignen. Für die konkrete Erzählung ist es wichtig, sich die Vorkenntnisse der Klasse ins Gedächtnis zu rufen. Eventuell notwendige Sacherklärungen werden am besten vor der Erzählung gegeben, damit der Spannungsbogen nicht zerreißt. Sodann ist es wichtig, sich die Atmosphäre deutlich zu machen, in die die Erzählung hineinführt; dabei ist das sinnlich Wahrnehmbare (Gerüche, Geräusche, Farben, Luftfeuchtigkeit, Temperatur) von besonderer Bedeutung. Für den Aufbau einer biblischen Erzählung hat sich folgendes im Einzelfall selbstverständlich modifizierbares Schema bewährt (das sich übrigens in den meisten Kriminalromanen findet): Erste Phase: Einführen in die räumliche und zeitliche Situation, in der die Erzählung spielt; zweite Phase: Vorstellen des „Helden“ und seines Problems; dritte Phase: Zuspitzen des Konflikts; vierte Phase: Retardieren der Handlung durch fehlgeschlagene Lösungsversuche oder Blick auf einen Nebenschauplatz, dadurch Steigerung der Spannung; fünfte Phase: Lösung des Problems. Wichtig ist bei einem solchen Aufbau der Spannung, dass der Schluss knapp gehalten ist wenn die Lösung da ist, ist nämlich der Spannungsbogen vorbei. In der Erzählung selbst muss das sachlich Wichtige ausführlicher und anschaulicher dargestellt werden als Nebensächliches. Dies ist das entscheidende Kriterium für die Frage, inwieweit die biblische Erzählung durch Phantasie-Produkte angereichert werden soll und kann. Es ist darauf zu achten, dass nicht die eigenen Phantasie-Figuren oder Ausschmückungen die Re19 Ausführlicher in: Grethlein: Grundkurs, 38–50. Nach wie vor die beste Erzählschulung geben Neidhart/Eggenberger (Hg.), Erzählbuch (mittlerweile ergänzt durch weitere Bände mit Erzählbeispielen).
301
Aufbau
302
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
zeption bestimmen, weil sonst ein Zurückkommen auf diese biblische Geschichte in späteren Schuljahren erschwert wird.
Direkt Erzählen
Zeitlicher Rahmen
Zentrale Wortwechsel oder ein Satz können direkt aus der Bibel vorgelesen werden, wenn man die Bedeutung des biblischen Bezugs der Erzählung herausstellen will. Dazu kommt: Jede biblische Erzählung lebt von der direkten Zuwendung des Erzählers zu seinem Publikum; deshalb ist es günstiger, frei zu erzählen als etwas abzulesen (Bedeutung personaler Medien für die Kommunikation des Evangeliums!). Der freie, in unmittelbarem Blickkontakt mit seinen Zuhörern stehende Erzähler beglaubigt mit seiner Person das Erzählte. Plastische (Kontrollfrage: Kann der Zuhörer etwas sinnlich wahrnehmen?) und von Verben (Kontrollfrage: Wird etwas getan?) bestimmte Erzählweise fördert die Anschaulichkeit. Indirekte Rede ist weitgehend zu vermeiden; wörtliche Rede kurz zu halten. Zeitlich sollte eine biblische Erzählung nicht weniger als fünf bis sieben Minuten und nicht (viel) mehr als etwa fünfzehn Minuten dauern. Denn nur innerhalb dieses Zeitrahmens kann ein guter Spannungsrahmen aufgebaut und von normalbegabten Lehrer(inne)n gehalten werden. Und auch nur bei einem solchen zeitlichen Ansatz kann in Einzelstunden gewährleistet werden, dass den Schülern noch hinreichend Zeit bleibt, in die Geschichte tiefer einzudringen und sie sich persönlich anzueignen. Bei Schülern mit guter Lesefertigkeit kann es sich empfehlen, nach der Erzählung und ihrer Bearbeitung abschließend den erzählten Text in der Kinderbibel (in der Grundschule) oder Bibel gemeinsam zu lesen. 2.3.2 Film In der Sekundarstufe I, wenn etwa ab der 7. oder 8. Klasse die Methode des Erzählens als kindisch empfunden wird, können biblische Inhalte durch den Einsatz von Filmen20 (f IV.4.1.3.1) auch in Klassen vermittelt werden, die ungern lesen. Dabei wird ein für Heranwachsende attraktives Medium in den Unterricht eingeführt. Die Video-Technik ermöglicht dies mittlerweile ohne großen technischen (und zeitlichen) Aufwand, wenn ein leicht erreichbares Video-Gerät zur Verfügung steht.
VIII. Medien und Methoden des Religionsunterrichts
303
Filme können an unterschiedlichen Stellen im Unterricht gezeigt werden: am Anfang zur Motivation, in der Mitte einer Unterrichtseinheit zur Vertiefung oder am Ende zur Zusammenfassung des bisher Erarbeiteten. Grundsätzlich ist darauf zu achten, dass es nicht zu einem bloß passiven Konsumieren eines Films kommt – wie es vielen Schülern vom häuslichen Fernsehen vertraut ist. Beobachtungsaufgaben vor dem Sehen (u.U. als Vorbereitung einer arbeitsteiligen Gruppenarbeit), Unterbrechen des Films an Höhepunkten u. Ä. können hierzu ebenso dienen wie die zeitliche Beschränkung.
Wenn man den methodischen Grundsatz beachtet, dass bei jedem Filmsehen wegen möglicher Identifikationen mit Figuren ausreichend Zeit zum Austausch bzw. zur sonstigen Nacharbeit bleiben muss und eventuell eine erklärende Einführung notwendig ist , erscheint eine zeitliche Begrenzung der im Unterricht gezeigten Filmausschnitte auf fünfzehn bis höchstens zwanzig Minuten angezeigt. Da die meisten Bibel-Filme das Format von Kino-Filmen haben, ist es wichtig, sich bei vorhergehendem Sehen die genauen Passagen zurechtzulegen (bzw. zu schneiden), die gezeigt werden sollen. Eine besondere bibeldidaktische Chance für den Religionsunterricht in der Sekundarstufe I stellen die Filme der sog. Kirch-Bibel dar, genauer der Kirch/Turner/Lux-Gruppe. Diese von dem Medienmanager Leo Kirch initiierten, für das Fernsehen gedrehten Filme, die vor allem an den hohen kirchlichen Feiertagen gezeigt werden, sind durchweg mit bekannten Schauspielern bestückt und halten gut das filmerische Niveau von Spielfilmen. Inzwischen wurde das Gesamtwerk abgeschlossen; folgende Titel liegen damit vor: Genesis Die Schöpfung (1993; 94 min.), Abraham (1993; 180 min.), Jakob (1994; 92 min.), Josef (1994; 180 min.), Moses (1995; 177 min.), Samson und Delila (1996; 168 min.), David (1997; 170 min.), Salomon (1997; 171 min.), Jeremia (1998; 90 min.), Esther (1998; 94 min.), Jesus (1999; 173 min.), Paulus (2001; 172 min.), Apokalypse (2002; 89 min.).
20 Ausführlich: Grethlein: Grundkurs, 51–55.
Methodischer Grundsatz
Zeitlicher Rahmen
„Kirch“-Bibel
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C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
Zwar ist am Gesamtprojekt und im Einzelnen immer wieder Kritik vorgebracht worden. Insgesamt liegt aber hier eine Verfilmung wichtiger Teile der Bibel vor, die exegetisch fundiert und sogar interreligiös bewusst gestaltet ist so sind in den alttestamentlichen Teilen die jüdischen Perspektiven berücksichtigt, an einigen Stellen sogar Fortschreibungen des Koran. Filmerisch war der Anspruch auf Unterhaltung leitend, so dass keine trockenen Lehrfilme entstanden sind. Einzelne Filme, wie vor allem der erste von Ermanno Olmi zur Genesis gedrehte, werden hohen künstlerischen Ansprüchen gerecht, andere bedienen sich eher des Genre der Historienverfilmung. Sehr gut in Sequenzen kann z.B. der Paulus-Film zerlegt werden. In der Sekundarstufe I eröffnen die in der Regel ab 12 Jahren von der Freiwilligen Selbstkontrolle freigegebenen Filme in Klassen, die ungern lesen oder sonstige Aversionen gegen die Bibel als Buch haben, einen Zugang zu wichtigen biblischen Inhalten. In anderen Unterrichtsgruppen bietet sich ein Wechsel aus Filmsehen und Bibellektüre an. In der Sekundarstufe II können die Filme auf Grund des jeweils im Hintergrund stehenden theologischen Programms in Ausschnitten auf deren Angemessenheit dem biblischen Text gegenüber hin analysiert werden und Anlass für eine Diskussion der exegetischen und systematischen Stimmigkeit der einzelnen filmerischen Entscheidungen geben. Auf jeden Fall sollten sich Religionslehrer darüber informieren, wann welcher dieser Filme im Fernsehen ausgestrahlt wird. Dass sie sich selbst bei der Unterrichtsvorbereitung mit dem Film vertraut machen, gehört zum grundlegenden methodischen Handwerkszeug. Der Einsatz eines Films, den der Lehrer nicht selbst vorher mindestens (!) einmal gesehen hat, ist ein gravierender Kunstfehler. 2.3.3 Bibliolog Es ist ein Grundproblem der Bibeldidaktik, dass ihr Inhalt für die Schüler zu einem „Lesetext“ wird. In der gemeindepädagogischen Arbeit hat sich das Bibliodrama als eine Methode bewährt, die zu einer lebensgeschichtlich relevanten Auslegung führt, also den Anspruch der Bibel wahrt, ein „Lebenstext“ zu sein. Allerdings ist das Bibliodrama in der Regel für einen Einsatz in der Schule zeitlich und räumlich zu aufwändig. Eine ver-
VIII. Medien und Methoden des Religionsunterrichts
305
kürzte und damit in einer 45-Minuten-Stunde im Klassenzimmer praktizierbare Form stellt der sog. Bibliolog dar.21
Hier wird der rezeptionsästhetische Zugang zu Texten für die unterrichtliche Methodik fruchtbar gemacht. Dabei nimmt die Methode Anregungen aus der jüdischen Exegese auf, aus der Peter A. Pitzele eine Form des Bibliodramas entwickelt hat. Hierbei wird bei einem biblischen Text zwischen dem sog. schwarzen und weißen Feuer unterschieden, den geschriebenen Worten des Textes und den Leerstellen zwischen ihnen, die inhaltlich ergänzt werden können. „The black fire is fixed for all the time; the white fire is forever kindled by fresh encounters between changing times and the unchanging words.“22 Im Bibliolog wird ein biblischer Text von einem „facilitator“ eingeführt. Dann wird ein Satz oder kurzer Abschnitt aus dem Text gelesen mit deutlichem „weißem Feuer“, also einer Lücke, die nach Ergänzung ruft. Den Schülern wird eine Frage gestellt, die sich aus dem Text ergibt, aber dort unbeantwortet ist („enroling“). Dabei ist es günstig, wenn die Antwort in der ersten Person Singular erfolgt. Uta Pohl-Patalong gibt als Beispiel einen Bibliolog zur Erzählung vom Sündenfall. Nach einer Einführung in die Situation fragt der „facilitator“, also der Lehrer: „Ihr seid die Schlange. Schlange, warum sprichst du die Frau an und sagst ihr, dass sie von der Frucht essen kann, ohne zu sterben. Was willst du damit? Wer möchte, antwortet aus dieser Rolle heraus, wobei diese immer mit persönlichen Erfahrungen gefüllt wird, die Lebensgeschichte sich also eng mit der biblischen Geschichte verbindet. …“23 Die Lehrerin nimmt solche Antworten auf („echoing“) bzw. fragt noch einmal nach („interviewing“). Nach einem vertieften Durcharbeiten der angegebenen Stelle wird bis zur nächsten Stelle mit „weißem Feuer“ weitergelesen usw. Diese Methode eignet sich für höhere Klassen der Sekundarstufe I und II, in denen eine gute Atmosphäre herrscht, also ein 21 S. auch zum Folgenden Pohl-Patalong: Bibel. 22 Pitzele: Scripture, 23 f. 23 Pohl-Patalong: Bibel, 308.
Weißes und schwarzes Feuer
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auch ins Persönliche gehender Austausch möglich ist. Sie verlangsamt die Textlektüre. Dazu macht sie einen oberflächlich schon bekannten Text spannender, indem die produktiven Ergänzungen zu seiner Verfremdung führen. Besonders dürften Lehrer mit eigenen Bibliodrama-Erfahrungen einen raschen Zugang zum Bibliolog gewinnen.
Performance
2.3.4 Texttheater Vor allem für die gymnasiale Oberstufe eignet sich die im Rahmen des Konzeptes Performativer Religionsunterricht (f VII.4.3) erprobte Methode des Texttheaters: „Texttheater setzt Sprache in Vollzug um. Es kommt ohne Requisiten und mit einem Minimum an (panto)mimischem Aufwand aus. Als wichtigste Spielregel gilt, dass dem Wortlaut des Textes nichts hinzugefügt, aber dass er durch die Art des Vortrags variiert, neu akzentuiert oder verfremdet wird. Der Text wird (im Wechsel von Chor und Einzelstimmen) rezitiert, moduliert (geflüstert, geschrieen …), rhythmisiert, neu montiert, collagiert. Einzelne Wörter oder Textpassagen können ausgelassen oder wiederholt werden.“24 Damit wird eine distanzierte Lektüre des biblischen Textes verhindert; von Anfang an nehmen die Lesenden persönlich Stellung und modellieren sich ihren Text. Die an den jeweiligen Vortrag sich anschließende Diskussion über die Inszenierung verhilft gleichsam als retardierendes Moment zu einer tieferen Wahrnehmung des Textes. Es kann sich die Kooperation mit einer Theater-Arbeitsgemeinschaft an der Schule nahe legen. Insgesamt ist es wichtig, wie ebenfalls bei den im Vorhergehenden genannten Methoden, dass der Lehrer sich in seiner Vorbereitung historisch-kritisch mit dem Text beschäftigt hat,25 um Fehldeutungen zu vermeiden.
3.
Islamische Traditionen zwischen Fremd- und Nachbarreligion
In diesem Abschnitt geht es nicht um die dringende Frage eines Islamischen „Religionsunterrichts“ (f III. 2.5), sondern um die Aufgabe, islamische Traditionen im Evangelischen Religionsunterricht zu behandeln. Mit dem etwas umständlich klingen-
VIII. Medien und Methoden des Religionsunterrichts
307
den „islamische Traditionen“ soll von vornherein festgehalten werden: „Der evangelische Religionsunterricht kann sich nicht in ein paar Wochen mit ‚dem‘ Islam oder dem Hinduismus als ‚Weltreligion‘ beschäftigen. Er kann sich mit einzelnen Aspekten der großen Traditionen im Islam und im Hinduismus und mit einzelnen Blickrichtungen beschäftigen, nicht viel mehr.“26
Dazu machte ich an anderer Stelle (f V.2.2.2) auf die theologische27 und didaktische Herausforderung durch die zunehmende Präsenz von Muslimen in (West-)Deutschland aufmerksam. Vor allem die Wahrheitsfrage gewinnt dadurch neue Brisanz. Deshalb ist es abgesehen von den lebensweltlichen Notwendigkeiten aus fachspezifischen Gründen unerlässlich, islamische Traditionen im Evangelischen Religionsunterricht ausführlich darzustellen und zu reflektieren.28 Kirchenamtlich wurde dies bereits 1971 (f V.4.1.1) von Seiten der EKD nahe gelegt. Exemplarisch wird dabei zugleich für die meisten Schülerinnen und Schüler der Umgang mit religiös und kulturell Fremdem eingeübt. Von daher erfordert Unterricht zu diesem Themenbereich besondere Sorgfalt und Umsicht. Die fachlich und didaktisch günstigste Situation einer direkten Kooperation von den christlichen Formen des Religionsunterrichts mit einem Islamischen Religionsunterricht dürfte mittelfristig nur in Ausnahmefällen möglich sein und wird deshalb nicht weiter verfolgt. Nur angemerkt sei, dass die unterrichtliche Einführung in die Traditionen einer nichtchristlichen Religion bei den Lehrkräften religionstheologische und religionswissenschaftliche bzw. konkret: islamwissenschaftliche Kenntnisse erfordert, die bis 24 Dressler: Darstellung, 164. 25 Eine gute exegetische Basisinformation mit didaktischer Zielsetzung geben die Beiträge in: Lachmann/Adam/Reents (Hg.), Bibeltexte, in denen die wichtigsten Textarten und -korpora für den heutigen Religionsunterricht präsentiert werden. 26 Mayer: Zeugnisse, 18. 27 Zu den hier anstehenden religionstheologischen Problemen s. Hüttenhoff: Pluralismus. 28 Umfassend hat dies begründet und an lebensnahen Beispielen didaktisch ausgeführt Lähnemann: Religionspädagogik.
Grundproblem
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C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
heute an kaum einer Ausbildungsstätte für Religionslehrer (hinreichend) erworben werden können. Hier ist dringend durch religionstheologische Lehrveranstaltungen in der Systematischen Theologie und die Einrichtung von religionswissenschaftlichen Professuren mit didaktischer Ausrichtung Abhilfe zu schaffen. Dies gilt ebenso für die Ausbildung der zukünftigen Ethiklehrkräfte.
3.1
Vorbemerkung: Didaktische Grundsätze
Der Gegenstand einer nichtchristlichen Religion hat in einem konfessionell bzw. konfessorisch bestimmten Religionsunterricht eine besondere Stellung. Während sonst als Ziel gilt, die Heranwachsenden zu befähigen, als Christen leben zu können (f VII.5.), kann es nicht die Absicht im Evangelischen Religionsunterricht sein, dazu zu befähigen, als Muslim zu leben o.Ä.
Religionskundliche Aufgabe
Didaktische Grundregel
3.1.1 Religionskundliche Aufgabe Zu einem Teil übernimmt der Evangelische Religionsunterricht wie parallel dazu der Ethikunterricht hier für Schule eine religionskundliche Aufgabe, die grundsätzlich durch ein anderes Schulfach wie etwa Geschichte wahrgenommen werden könnte. Am besten dürfte man ihr dadurch gerecht werden, dass von konkreten Gegenständen ausgegangen wird und von dort aus perspektivisch größere Zusammenhänge der jeweiligen Tradition erschlossen werden.29 Damit ist zum einen eine größere Lebensnähe gegeben, zum anderen aber auch der Gefahr begegnet, durch zu starke Systematisierung eine praxisferne Gestalt einer Religion wie „den“ Islam zu konstruieren. Auf jeden Fall hat Evangelischer Religionsunterricht die Aufgabe, möglichst zutreffend die Schüler zu informieren. Dabei gilt als didaktische Grundregel: Die islamischen Traditionen sind so zu behandeln, dass ein Muslim ohne Anstoß am Unterricht teilnehmen könnte.
Allerdings und dies kann in der konkreten Situation ein großes Problem sein gibt es in Deutschland islamische Gruppierungen, die sich einem Dialog mit Menschen anderer Religion
VIII. Medien und Methoden des Religionsunterrichts
verweigern bzw. entziehen. Hier wird z.B. schon die Beschäftigung mit dem ins Deutsche übersetzten Koran für verwerflich gehalten. Falls vor Ort solche Kreise vorherrschen, kann freilich die notwendige religionskundliche Orientierung nicht unterbleiben. Doch muss im Evangelischen Religionsunterricht auf deren Anfragen und Einwände eingegangen werden, um den Schülerinnen und Schülern diese Position in ihrer Eigenlogik verständlich zu machen. Dabei kann die Erinnerung eine Hilfe sein und vor falschen Überlegenheitsgefühlen schützen , dass die christliche Tradition ebenfalls (bis heute) nicht wenige Gruppierungen hervorgebracht hat, die sich einem Austausch mit Anderen über grundlegende Inhalte ihres Glaubens verweigern. Offensichtlich begegnet bei solchen umgangssprachlich als fundamentalistisch bezeichneten Gruppen eine Gefährdung nicht nur einer bestimmten Religion. Grundsätzlich hängt die konkrete Gestaltung eines Unterrichts zu islamischen Traditionen noch mehr als sonst von der konkreten Klassensituation und dem sozialen und kulturellen Kontext vor Ort ab. Wenn wie in nicht wenigen Klassen Evangelischen Religionsunterrichts ein oder mehrere Schüler aus islamischen Herkunftsfamilien bzw. mit einem islamischen Elternteil am Unterricht teilnehmen, besteht eine andere Ausgangssituation als in christlich oder konfessionell homogenen Unterrichtsgruppen. Ähnliches gilt für das schulische und sonstige kommunale Umfeld. In Gegenden, in denen eine beträchtliche Zahl von Muslimen lebt, stellen sich für den Religionsunterricht andere Anforderungen als in Gegenden mit christlicher bzw. in weiten Gegenden Ostdeutschlands atheistischer Dominanz. Didaktisch günstig wäre es, wenn ein oder zwei Schulstunden ein gesprächsfähiger Muslim den Schülerinnen und Schülern zum Gespräch zur Verfügung stehen könnte, um einen Einblick in die tatsächliche islamische Praxis zu geben. Hier begegnete dann den Schülern der „Islam“ als Nachbarreligion, nicht mehr als exotische Fremdreligion.
29 Mayer: Zeugnisse, 304.
309
Kultureller Kontext vor Ort
310
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
3.1.2 Existenzieller Bezug Evangelischer Religionsunterricht ist weder in seinem Selbstverständnis noch in seiner rechtlichen Konstruktion eine Religionskunde. Dies hat für die didaktische und methodische Behandlung von islamischen Traditionen Folgen. Das vordringliche Ziel ist auch hier, Heranwachsende zur Möglichkeit eines christlichen Lebens zu befähigen, jetzt konkret im Miteinander und Gegenüber zu Muslimen.
Anthropologischer Ausgangspunkt
Religionstheologisch ist dabei für die Klasse erkennbar zwischen Innen- und Außenperspektive zu unterscheiden und deutlich zu machen, dass eine dritte, sozusagen neutrale Position gegenüber Religionen eine Fiktion ist.30 Zugleich interessiert aber die Schülerinnen und Schüler ein Vergleich zwischen den verschiedenen Religionen. Um diesem unabweisbaren Wunsch und der eben genannten religionstheologischen Differenz gerecht zu werden, ist es hilfreich, von der anthropologischen Basis religiöser Inhalte auszugehen. Die verschiedenen Religionen haben in anthropologischer Perspektive darin eine Gemeinsamkeit, dass in ihnen die Menschen grundlegend bewegenden Fragen nicht nur bedacht, sondern auch in konkreten Vollzügen kommuniziert und lebenseröffnend verarbeitet werden. So kommt in der im Islam wie im Christentum gleichermaßen begegnenden Praxis des Betens die tiefe Bedürftigkeit und Angewiesenheit der Menschen zum Ausdruck. Hier lässt z. B. ein Vergleich zwischen islamischen31 und christlichen Gebeten die anthropologische Basis sowie die gemeinsamen und differenten Formen, mit ihnen vor Gott umzugehen, zu Tage treten.32 Dabei kann der Rückgriff auf die den Menschen gemeinsamen Nöte und Herausforderungen einen kurzgeschlossenen Vergleich von „dem“ Christlichen und „dem“ Islamischen verhindern (f VII.5.3.2). Bei einer solchen Beschäftigung mit der islamischen Tradition kommt es neben den unverzichtbaren religionskundlichen Kenntnissen und der jedenfalls andeutungsweisen Einsicht in die existenzielle Dimension zu einer tieferen Klärung des christlichen Selbstverständnisses. Diese letzte Dimension ist zumindest intentional unerlässlich, soll die Beschäftigung
VIII. Medien und Methoden des Religionsunterrichts
311
mit islamischen Traditionen nicht ein Fremdkörper innerhalb des sonst konfessionell bzw. konfessorisch ausgerichteten Religionsunterrichts sein.
3.2
Islam in der Lebenswelt der Schüler
Wie schon angedeutet, kommen islamische Traditionen recht unterschiedlich in der Lebenswelt der Schüler vor, die den Evangelischen Religionsunterricht besuchen: Konkreter Ausgangspunkt für die verstärkte Aufnahme dieses Themenbereichs ist zweifellos die wachsende Zahl von Muslimen in Deutschland. Ein wichtiges Datum markiert hier 1961. In diesem Jahr wurde eine bilaterale Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei zur Beschäftigung türkischer Arbeitskräfte (sog. Gastarbeiter) in Deutschland getroffen, die ab Beginn der siebziger Jahre sich spürbar im Alltag vor allem industriell geprägter Regionen auszuwirken begann. Allerdings findet sich schon früher die Behandlung islamischer Traditionen im christlichen Religionsunterricht. So sieht z. B. das 1658 erstmals publizierte Lehrbuch „Orbis pictus“ des Johann Amos Comenius eine kurze Vorstellung des „Mahometischen Glaubens“ vor33 und steht damit für eine wichtige Tradition großen Weitblicks in den Bildungsbemühungen evangelischer Theologen. In nicht wenigen Regionen leben die Heranwachsenden unmittelbar mit Menschen islamischer Religionspraxis zusammen. Der Islam ist hier im wörtlichen Sinn eine „Nachbarreligion“. Dies hat didaktisch erhebliche Konsequenzen. Denn dann steht die tatsächliche Religionspraxis der vor Ort wohnenden Menschen im Vordergrund und bildet den Ausgangspunkt einer Beschäftigung mit islamischen Traditionen. Besonders das Begehen bestimmter Zeiten wie Ramadan oder das Feiern 30 Feldtkeller: Theologie, 45 f. 31 S. Khoury u. a. (Hg.): Gebete. 32 Vgl. hierzu die sowohl religionsgeschichtlich und -wissenschaftlich sowie theologisch reflektierten Überlegungen zum Gebet als responsorischer Sprachhandlung bei Riedl: Modell, 62–82. 33 Leicht zugänglich in: Goßmann/Schröer (Hg.), Spuren, 144f.
„Gastarbeiter“
Nachbarreligion
312
Islam im Alltag
Andere Fächer
Regionalisierung
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
von Festen wie dem Zuckerfest prägen unmittelbar die Lebenswelt der muslimischen Familien. Teilweise werden schon im Kindergarten diese Feste entsprechend den christlichen Festen gemeinsam begangen. Didaktisch ist bei solchem Eingehen auf die religiöse Praxis vor Ort die ebenso im Christentum bestehende Differenz zwischen gelebter und gelehrter Religion zu beachten. Aber auch in Regionen mit einem geringen Anteil von Muslimen an der Bevölkerung reichen islamische Traditionen in den Alltag der Heranwachsenden hinein. In den Tageszeitungen, in den Nachrichten des Radios oder Fernsehens ist das Thema „Islam“ präsent nicht selten in verzerrter Perspektive. Dabei gehen Tendenzen der Globalisierung, Probleme von Migration und unbefriedigende Staatenbildungen des 20. Jahrhunderts eine gefährliche Mischung ein, die sogar als Zusammenstoß von christlich geprägtem Abendland und dem Islam interpretiert wird. Angesichts der latent islamkritischen Ausrichtung vieler Medienberichte und Reportagen, die sich auf das spektakuläre Phänomen des Terrorismus und sog. Islamismus konzentrieren, tut religionskundlich korrekte Information Not. Hier hat der Religionsunterricht eine bis in die Tagespolitik hineinreichende Aufgabe der Klärung. Teilweise begegnen die Schüler islamischen Traditionen auch im Erdkunde- und Geschichtsunterricht, wenn entsprechende Länder bzw. Epochen behandelt werden. Eine Kooperation mit diesen Unterrichtsfächern ist für den Religionsunterricht interessant, weil sie die oft vernachlässigte Dimension der Religionsgeografie sowie eine wichtige historische Tiefenschärfe in die Behandlung islamischer Traditionen einbringen können. Der regional unterschiedliche Lebensbezug zu Muslimen erfordert ein differenziertes Angehen der Aufgabe, islamische Traditionen im Evangelischen Religionsunterricht zu behandeln. Damit wird die in anderem Zusammenhang erhobene Forderung (f IV.4.2.4) nach stärkerer Regionalisierung des Religionsunterrichts unterstrichen (ohne dass aber dessen Status als Abiturfach in Frage gestellt werden darf).
VIII. Medien und Methoden des Religionsunterrichts
3.3
313
Einige methodische Anregungen
Karlo Mayer, der ausgearbeitet in einem interessanten Vergleich zwischen deutschem und englischem Religionsunterricht eine fundierte Einzelstudie zum Umgang mit „fremden Religionen“ im Religionsunterricht vorgelegt hat, gibt drei wichtige methodische Hinweise: „1. Der erste Baustein besteht darin, der Wahrnehmung der Individualität des Gegenstandes Raum zu geben, ihn in seiner eigenen Form und Ausdrucksweise genau zu betrachten, zu riechen oder zu fühlen und die Individualität in Balance zu halten mit dem, was hier an Allgemeinem über den Glauben einer fremden religiösen Tradition deutlich werden kann. 2. Der zweite Baustein ist die Verwendung von Ritualen der Begegnung, die dem fremden religiösen Zeug-nis seinen besonderen Status im evangelischen Unterricht zuweisen können und sowohl Schülerinnen und Schüler als auch dieses Zeug-nis vor Vereinnahmung schützen … 3. Der dritte Baustein besteht in Raum und Zeit zur Findung und Vertiefung eines Themas, das weiter verfolgt werden soll und das den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit läßt, für sich selbst Fragen zu Positionen neu zu bestimmen und untereinander auszutauschen.“34 Die aus meinem religionsdidaktischen Konzept sich ergebende Zielstellung des Religionsunterrichts, durch die Behandlung islamischer Traditionen den Schülern die Möglichkeit zum Christsein im Miteinander mit und Gegenüber zu Muslimen zu eröffnen, wird hierdurch methodisch aufgenommen: Der Ansatz bei einem Konkretum ermöglicht Praxisnähe und Anschaulichkeit. Die für die Schüler erkennbare methodische Absetzung vom sonstigen Unterricht ermöglicht einen angemessenen Umgang mit dem nicht christlich Religiösen. Das tiefere Eindringen eröffnet Raum für eine existentielle Auseinandersetzung, die den Horizont christlicher Daseins- und Wertorientierung erweitert, ohne synkretistische Tendenzen zu fördern.
34 Mayer: Zeugnisse, 304; zur besonderen Schreibweise von „Zeug-nis“ s. 19 f.
Methodische Grundlage
314
Differenzen
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
3.3.1 Erzählung Vor allem der Religionswissenschaftler Udo Tworuschka weist nachdrücklich auf die große Bedeutung von Erzählungen hin, insofern diese die Möglichkeit bieten, „die Religionen … selbst zu Worte kommen zu lassen“.35 Dabei können Stimmungen transportiert, innere Spannungen veranschaulicht sowie der Alltags- und Lebensbezug islamischer Traditionen deutlich gemacht werden. Aus religionstheologischen Gründen erscheint es mir wichtig, dass hier für Schülerinnen und Schüler methodisch die Differenz zu biblischen Erzählungen (f 2.3.1) hervortritt. Während ich angesichts der Wichtigkeit personaler Kommunikation in der Mediengesellschaft für biblische Erzählungen das freie Vortragen empfehle, ist dies für Erzählungen etwa aus dem Leben Mohammeds unangemessen. Sie sollten von der Lehrkraft vorgelesen werden. Dadurch würde wenn dies als methodisches Prinzip durchgehalten wird für die Schüler der unterschiedliche Zugang zu christlichen und islamischen Traditionen deutlich. Während beim biblischen Text die evangelische Religionslehrerin direkt und kommunikativ unmittelbar den Inhalt an ihre Schüler authentisch weitergibt, ist ihr dies bei Erzählungen zum Islam nicht möglich. Hier kann sich die Lehrkraft nur auf Grund vorliegenden Materials, also vermittelt äußern, was im Vollzug beim Vorlesen aus einem Buch bzw. Manuskript offenkundig wird. Solches Vorgehen ist nicht zuletzt Ausdruck des Respekts vor anderen religiösen Traditionen, deren Wahrheitsanspruch nicht geteilt, aber auch nicht bestritten werden kann. Mayer weist in diesem Zusammenhang auf Empfehlungen aus dem englischen „multi-faith“-Unterricht Religious Education hin: „In ‚A Gift to the Child‘ (sc. von John Hull, C.G.) beginnt eine Erzählung mit dem Entzünden einer Kerze, dem Läuten einer Glocke.“36 Dadurch soll gewiss für Kinder eindrücklich die Besonderheit einer religiösen Erzählung und die in ihr ausgedrückte Dimension des Heiligen in der Differenz zum sonstigen Unterricht markiert werden. Für Evangelischen Religionsunterricht wäre dies beim Vorlesen einer Erzählung zum Islam problematisch. Denn hier sollte keine, die sachliche Distanz atmosphärisch überbrückende besondere Nähe und Eindrücklichkeit des fremdreligiösen Inhalts geschaffen werden.
VIII. Medien und Methoden des Religionsunterrichts
315
Von daher sind alle Methoden in Unterrichtseinheiten zu islamischen Traditionen problematisch, die zu Identifikationen einladen, wie Rollenspiele, Pantomimen o. Ä.
3.3.2 Foto In der Spannung zwischen dem Wahrnehmen des religiösen Gegenstandes und dem existenziellen Bezug hat sich die Arbeit mit Fotos als eine sehr gute Methode herausgestellt. Im englischen Religionsunterricht führt das sog. Westhill-Project in verschiedene religiöse Traditionen vor allem durch Fotos ein.37 „In Photographien charakteristischer Situationen einer religiösen Tradition versuchen die Autoren, auf allen Menschen gemeinsame Erfahrungen in diesem Ritual, dieser Situation auf dem Bild aufmerksam zu machen. Von diesen gemeinsamen Erfahrungen aus können Klärungen der Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler erfolgen.“38 Methodisch tritt hier die besondere Möglichkeit eines Fotos gegenüber anderen Medien zu Tage. Gegenüber dem Film, der vom schnellen Ablauf der Szenen geprägt ist und durch gute Schauspieler zu direkter Identifikation einlädt, zwingt das Foto zu langsamer Betrachtung und verschafft zugleich mehr Distanz. Gegenüber einem mündlich vorgetragenen Text ist es beständiger, gegenüber einem schriftlich vorliegenden Text anschaulicher. Diese Besonderheiten des Fotos kommen nur zum Tragen, wenn den Schülerinnen und Schülern genügend Raum zum ruhigen Betrachten gegeben wird. Dem sollte eine Phase der genauen Beschreibung folgen, die nur das direkt Sehbare benennt. Vor eine weitere Deutungsphase können eventuell noch Erläuterungen durch die Lehrkraft treten. Erst nach diesen Schritten ist es sinnvoll, eine Phase der persönlichen Begegnung zu eröffnen.
35 Udo Tworuschka: Ernstnehmen, 278. 36 Mayer: Zeugnisse, 295. 37 Grundlegend: Read/Rudge/Teece/Howarth: RE; dazu: Ashraf: Islam, und die beiden dazugehörigen Schülerhefte „Muslims“; Montagu: Judaism, und die beiden dazugehörigen Schülerhefte „Jews“. 38 Mayer: Zeugnisse, 217.
Westhill-Project
Methodische Hinweise
316
Praxissituationen
Vorbereitung
Aufbau
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
3.3.3 Religiöse Feiern Eine besondere Herausforderung stellen Feiern in Schulen mit religiös unterschiedlich orientierter Schülerschaft (und in Zukunft vielleicht auch Lehrerschaft) dar. Denn Schulfeiern sind traditionell oft mit Gottesdiensten (bzw. Andachten) verbunden, teilweise auf der Ebene der gesamten Schule, teilweise auf Ebene der Klassenstufen bzw. von Einzelklassen. Zwei scheinbar nahe liegende Lösungen befriedigen dabei nicht: Zum einen könnten alle religiösen Bezüge ausgeblendet werden. Doch es hat einen guten Sinn, dass zu manchen Anlässen ein Gottesdienst gefeiert wird (f IV.4.1.2.2). So übersteigen z. B. bei der Einschulung der Erstklässler die bei manchen Eltern und Kindern ausgelösten Emotionen, Ängste und Hoffnungen den Bereich dessen, was durch allgemein übliches „Alles-Gute“Wünschen abgedeckt wird. Nicht umsonst erweist sich hier die Segnung der Menschen als ein für viele hilfreicher Ritus. Auch sog. Weihnachtsfeiern ohne explizit christlichen Bezug sind nach meiner Erfahrung meist erschreckend trivial und von daher auch pädagogisch abzulehnen. Zum anderen könnten nach Religionen getrennte Gottesdienste gefeiert werden. Dadurch würde aber die Schulgemeinde bzw. die Klassengemeinschaft in problematischer Weise auseinander dividiert. Der gemeinsame Anlass zum Zusammenkommen träte zurück. So stehen Schulen, die die religiöse Dimension nicht ausblenden wollen, vor einer schwierigen Aufgabe. Folgende Hinweise sollen einen gangbaren Weg weisen: Um eine pädagogisch sinnvolle und theologisch verantwortbare religiöse Feier zu veranstalten, bedarf es bereits in der Vorbereitung einer sorgfältigen Abstimmung. Selbstverständlich müssen Repräsentanten der an der Schule bzw. in der konkreten Klasse(nstufe) vertretenen Religionsgemeinschaften bei der Vorbereitung mitwirken. Wie sonst bei Schulgottesdiensten ist es wichtig, dass Schülerinnen und Schüler, jetzt der verschiedenen Religionen, an der Vorbereitung und Durchführung beteiligt werden. Der für christliche Gottesdienste (ohne Abendmahl) übliche Dreischritt Eröffnung und Einstimmung, Verkündigung/Hören
VIII. Medien und Methoden des Religionsunterrichts
auf Gottes Wort und Segen/Sendung kann die Grundstruktur für solche religiöse Feiern abgeben. Er entspricht der Grundstruktur der Kommunikation mit Gott in Christentum und Islam. Inhaltlich sind mehrere Probleme zu meistern: Grundsätzlich gilt: Es darf weder zu einer Vermischung noch zu einem beziehungslosen Nebeneinander der Äußerungen der verschiedenen Religionen kommen. Um Letzterem zu wehren, ist es unerlässlich, den gemeinsamen Bezugspunkt deutlich, und d.h. auch medial zu profilieren. Deutungsoffene Zeichen eignen sich hier im Gegensatz zu diskursiver Sprache besonders gut. Sie können von den Menschen jeweils von ihrer Herkunft her ausgedeutet werden. Naturale Zeichen wie eine Blume oder ein Stein sind in der Regel konsensfähiger als eindeutig in einer Religion inhaltlich geprägte Zeichen wie das Kreuz im Christentum. Verbunden mit dem Anlass, etwa der Einschulung, kann ein solches Symbol die Auswahl der Lesung aus Bibel und Koran leiten. Bei der jeweiligen Lesung ist deutlich zu markieren, aus welcher Tradition der verlesene Text stammt. Ein gemeinsames Gebet ist angesichts der Differenzen im Gottesbild zwischen Islam und Christentum schwierig. Denn zum Gebet gehört wesentlich die Anrede, die zumindest potenziell an das vorausgehende Handeln Gottes erinnert. Allerdings ist das Gebet in beiden Religionen ein grundlegender Vollzug, mit großen inhaltlichen Überschneidungen. So werden in einer solchen Feier jeweils die Christen und die Muslims nacheinander ein Gebet ihrer Tradition sprechen. Es ist wichtig, darauf zu achten, dass die jeweilige Gebetssprache nicht die Angehörigen der anderen Religion verletzt oder ihnen ein Dabeisein während des Gebets der anderen Religion erschwert. Ähnliches gilt für Lieder. Auch Musikstücke sollten, wenn möglich, aus beiden religiösen Traditionen stammen.39 Die Teilnahme an solch einer religiösen Feier stellt besondere Anforderungen an die Versammelten. Denn sie erfordert eine Differenzierung in der Beteiligung. Phasen des aktiven Teilnehmens z. B. beim Gebet der eigenen Religion wechseln mit Phasen des solidarischen Dabei-Seins ab, wenn die Angehörigen der anderen Religion beten. Für den Religionsunterricht er39 Zur ersten Einführung s. El-Mallah: Musik.
317
Inhalt
Gebet
Differenzierte Teilnahme
318
C. Religionsunterricht als kommunikatives Geschehen
wächst hieraus die Aufgabe, die Heranwachsenden zu einer differenzierten Teilnahme zu befähigen. Besonderes Augenmerk verdient dabei die jeweilige Körperhaltung als Ausdruck der aktiven Beteiligung oder des solidarischen Dabei-Seins.
Zweifellos hebt solche Differenzierung nicht das Dilemma der verschiedenen Religionen auf. Aber solche religiösen Feiern können den Heranwachsenden zum Zeichen für die besondere religiöse Würde jedes Menschen werden. So bereiten sie auf ein Zusammenleben in einer religiös pluralistischen Gesellschaft vor, in der die für Menschsein seit langem konstitutiven religiösen Fragen nicht ausgeblendet, sondern in den Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten der Lösungsversuche zur Darstellung kommen. Um dies zu erfahren, müssen die Schüler und Schülerinnen die Gelegenheit bekommen, nicht nur oberflächliche Erscheinungsformen von Religion im Religionsunterricht kennen zu lernen, sondern der grundlegenden religiösen Praxis ansichtig zu werden und diese ansatzweise zu verstehen. Von daher ist ein am roten Faden des Betens und Gesegnet-Werdens (bzw. Segnens) ausgerichteter Religionsunterricht auch eine gute Vorbereitung für religiöse Feiern.
3.4
Offene Fragen
Es sei nicht verhohlen, dass die Behandlung der islamischen Traditionen im Religionsunterricht als einem vom Staat veranstalteten Unterrichtsfach vor inhaltliche Probleme stellt. Besonders genannt seien hier: die Frage nach dem historischen Zugang zum Koran, die Frage nach der Gleichberechtigung der Geschlechter, die Frage nach dem Verhältnis von Rechtssystem und Religion, die Frage nach der für den deutschen Staat grundlegenden Unterscheidung zwischen Politik und Religion. Schnell können zu diesen auch in der Öffentlichkeit diskutierten Fragen einschlägige Koranstellen oder Äußerungen führender islamischer Geistlicher gefunden werden, die die islamischen Traditionen als unvereinbar mit der verfassungsmäßigen
VIII. Medien und Methoden des Religionsunterrichts
Ordnung und den kulturellen Standards der deutschen Gesellschaft erscheinen lassen. Allerdings wäre es verfehlt, wenn im Evangelischen Religionsunterricht solche Aussagen unkommentiert weitertransportiert würden. Vielmehr ist es eine wichtige Aufgabe der Religionslehrer, die intensive innerislamische Diskussion zu diesen Fragen in Deutschland zu beobachten. Nicht wenige gebildete Muslime bemühen sich engagiert, die islamischen Traditionen kontextuell in die bestehende deutsche Gesellschaft und Kultur hinein auszulegen. Ob dies für die Mehrzahl der Muslime in Deutschland gelingen wird, ist gegenwärtig offen. Gegen verständliche Ungeduld nicht zuletzt aus pädagogischen, an der Integration der Kinder aus muslimischen Herkunftsfamilien interessierten Gründen ist aber an die Länge der Zeit zu erinnern, die in Mitteleuropa die christlichen Kirchen gebraucht haben bzw. teilweise noch brauchen, um das Evangelium in der Gegenwart verständlich und angemessen zu kommunizieren.
319
D. Anhang
1.
Schema zur Unterrichtsvorbereitung 1
Aus den vorhergehenden Ausführungen ist hoffentlich deutlich geworden: Die Gestaltung von Evangelischem Religionsunterricht ist eine kommunikative Aufgabe, für die es kein allgemein gültiges Patent-Rezept gibt. Die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen in den einzelnen Klassen, teils durch die konkreten Schülerinnen und Schüler, teils durch regionale Besonderheiten bedingt, erfordern unterschiedliche Akzentuierungen im religionsdidaktischen Handeln. Ebenso kommt der Persönlichkeit der Lehrerin bzw. des Lehrers grundlegende Bedeutung in einem Religionsunterricht zu, der die Kinder und Jugendlichen zur Kommunikation des Evangeliums führen will, um ihnen so die Möglichkeit zu eröffnen, als Christen leben zu können. Es ist eine wichtige Bildungsaufgabe für (künftige) Lehrerinnen und Lehrer, die ihrer Persönlichkeit mit den jeweiligen Begabungen und Schwächen adäquate Form der Unterrichtsgestaltung zu finden. Kollegiale Beratung erscheint mir hierzu unersetzlich (obgleich nach wie vor wenig geübt). Trotzdem ist die Vorbereitung der konkreten Unterrichtsstunden auch ein handwerklicher Vollzug, für den sich im Laufe meiner eigenen Tätigkeit als Religionslehrer und später als Leiter von religionsdidaktischen Seminaren das im Folgenden skizzierte Schema des Vorgehens herausgebildet und bewährt hat. So sollen die im Folgenden skizzierten Schritte zur Unterrichtsvorbereitung für Studierende, die sich auf die Tätigkeit als Religionslehrer vorbereiten, eine Hilfe sein, ihren eigenen Stil der Unterrichtsvorbereitung zu finden. 1 Die folgenden Überlegungen verdanken sich vor allem der Auseinandersetzung mit den Vorschlägen zur Unterrichtsvorbereitung bei Foitzik/Harz: Religionsunterricht; Lachmann: Wege.
322
Lernzielorientierte Didaktik
Zirkulärer Prozess
D. Anhang
Dabei orientiere ich mich an einer lernzielorientierten Didaktik (f Einführung zu Kapitel VII). Bei aller Bedeutung der unplanbaren Prozesse im Religionsunterricht erscheint es mir unabdingbar, sich über die verfolgten Ziele Rechenschaft abzulegen. Das bedeutet nicht, dass die geplanten Ziele auf jeden Fall durchgesetzt werden müssen. Ihre genaue Fixierung verleiht vielmehr der Lehrkraft die Freiheit, ungeplante Exkurse zuzulassen; denn eine Rückkehr zum vorbereiteten Unterricht ist bei klaren Zielen leicht(er) möglich. Als Konsequenz dieser Lernzielorientierung nehme ich die auf Herbart zurückgehende Gliederung des Unterrichts nach Formalstufen (wie Vorbereitung bzw. Motivation, Darbietung bzw. Erarbeitung, Verknüpfung, Zusammenfassung, Anwendung o.Ä.) nicht auf. Sie hat ihr Recht darin, dass jeder Unterricht einer gewissen Dramaturgie folgt. Eine Ausrichtung des Unterrichts nach Formalstufen kann jedoch zur Gleichförmigkeit des Aufbaus der Unterrichtsstunden und damit zur Langeweile bei den Schülern führen. Das hier vorgelegte Schema will zuerst verhindern, dass wichtige Gesichtspunkte vergessen werden. Für bereits seit längerem tätige Kolleginnen und Kollegen kann es dazu dienen, die eigene Routine der Unterrichtsvorbereitung kritisch zu hinterfragen und eventuellen Einseitigkeiten auf die Spur zu kommen. Grundsätzlich gilt, dass die Vorbereitung von Religionsunterricht als einem kommunikativen Geschehen ein zirkulärer Prozess ist. Ihm wird man am besten dadurch gerecht, dass man während der Arbeit am Schreibtisch einen Notizzettel bereit hat, auf den spontane Einfälle notiert werden, um sie dann später an ihrer Stelle wieder aufzunehmen. Die von mir vorgeschlagene Reihenfolge der einzelnen Schritte ist idealtypisch. Die ausführliche Skizze der Unterrichtsplanung hat einen wichtigen Sinn auch darin, dass der gehaltene Unterrichtsversuch durchsichtiger und besser diskutierbar wird. Nur vom gehaltenen Unterricht her ist die Unterrichtsvorbereitung sachgemäß zu beurteilen. Unterricht ist eben ein Experiment. Von daher erscheint es mir erforderlich, im religionsdidaktischen Seminar den Studierenden die Möglichkeit zu eigenen Unterrichtsversuchen zu ermöglichen.
1. Schema zur Unterrichtsvorbereitung
Schließlich zum Umfang: Nach meiner Erfahrung ist eine aussagekräftige, und d.h. ein vertieftes Gespräch nach Abschluss der Unterrichtsvorbereitung und des Unterrichtsversuchs ermöglichende Arbeit kaum unter 15 Seiten zu schaffen (zuzüglich eventueller Medien im Anhang); mehr als 20 Seiten sind aber in der Regel auch nicht notwendig.
1.1
Umfang
Persönliche Begegnung
Entsprechend dem Charakter des Evangelischen Religionsunterrichts als eines Unterrichtsfachs an der staatlichen Schule stammen die Ziele und wichtige Inhalte des Unterrichts meist aus den entsprechenden Lehrplänen. Oft bleibt im Schuljahr noch Zeit, die Fragen der Schülerinnen und Schüler aufzunehmen und damit situationsspezifische Ziele und Inhalte zu verfolgen. Auf Grund der Bedeutung der Person der Religionslehrkraft für den Unterricht als einem kommunikativen Geschehen ist es wichtig, sich zuerst selbst Rechenschaft über das eigene Verhältnis zu den Zielen und Inhalten des vorzubereitenden Unterrichts zu geben. Vorurteile dürfen nicht unreflektiert in den Unterricht eingehen; umgekehrt können eigene Erfahrungen für die Schülerinnen und Schüler von Interesse sein und ihnen eine tiefere Dimension der Inhalte erschließen. Diese erste selbstkritische Reflexion kann recht knapp gehalten werden (Richtwert: nicht mehr als 1 Seite).
1.2
323
Analyse des didaktischen Bedingungsfeldes
Bei der Analyse des didaktischen Bedingungsfeldes sind vier Faktoren zu berücksichtigen (Richtwert: 2 bis 3 Seiten): 1.2.1 Situation der Schule Hier ist knapp die Situation der Schule (Einzugsbereich, Auffälligkeiten bei der Schülerschaft, z. B. hoher Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund, Besonderheiten durch Akzentuierungen in Schulfächern, Arbeitsgemeinschaften oder im sonstigen Schulleben, z.B. regelmäßige Schulgottesdienste) zu skizzieren.
Klärung von Vorurteilen
324
D. Anhang
Für den Religionsunterricht verdienen etwaige Kooperationen mit Kirchengemeinden, kirchlichen Werken o. Ä. besondere Aufmerksamkeit. Eine gute Quelle für die Abfassung dieses Abschnittes ist neben Beobachtung und Befragung von erfahrenen Lehrkräften das Studium des Schulprogramms bzw. von Jahresberichten.
Statistik
Direkte Beobachtungen
Entwicklungspsychologie
1.2.2 Situation der Klasse Hier ist am besten mit einer grafischen Skizze die Proportion des Klassenraums einschließlich der Sitzordnung mitzuteilen. Dazu gehören allgemeine statistische Daten: Schülerzahl, Verteilung der Geschlechter, Religionszugehörigkeit (nehmen Konfessionslose, Angehörige anderer Konfessionen oder Religionen am Unterricht teil? als Gäste oder der Benotung unterliegende Schüler?), Platzierung des Unterrichts im Stundenplan. Schließlich ist zu erwähnen, welche technischen Geräte (von der Tafel bis zum Beamer) im Klassenraum zur Verfügung stehen, welche eventuell herangeschafft werden können. 1.2.3 Beobachtungen zu einzelnen Schülerinnen und Schülern Hier haben die in der Hospitation vor dem eigenen Unterrichtsversuch gewonnenen Beobachtungen ihren Ort. Dabei ist es wichtig, die Ebene der Beschreibung zu wahren, nicht vorschnell zu werten. Beispielsweise ist es wenig erhellend, wenn ein Schüler als „Störer“ abqualifiziert wird. Sehr viel informativer ist die Mitteilung der hinter diesem Urteil stehenden Beobachtung, z.B.: Der Schüler … bleibt nur kurzzeitig bei der Sache. Vor allem wenn ein Mädchen aufgerufen wird, ruft er immer wieder dazwischen usw. Diese Beobachtungen können durch entwicklungspsychologische Theorien interpretiert werden. Dabei kommt es aber nicht auf ein Referat der entsprechenden Theorie an, sondern auf deren möglichen Erklärungswert für das beobachtete Verhalten. Besondere Aufmerksamkeit verdienen nach meiner Erfahrung stark dialektgefärbte Äußerungen; oft zeigen sich hier die
1. Schema zur Unterrichtsvorbereitung
325
Gefühle und innere Einstellung des Sprechenden. Es kann sich lohnen, einen solchen Satz wörtlich zu protokollieren, um ihn in der Nacharbeit genauer zu analysieren. 1.2.4 Vorhergehender Unterricht Jede Unterrichtsstunde steht in einem bestimmten Kontext. Zum einen prägt der vorhergehende Unterricht (Wurde eine Klassenarbeit geschrieben? War Sport?) die jeweilige Religionsstunde. Dies gilt ebenso für den vorhergehenden Religionsunterricht. Deshalb ist zu erkunden, welche Methoden in der Klasse eingeführt sind, wie die Klasse geführt wird usw. Dies ist der Ausgangspunkt, von dem aus man den eigenen Unterricht gestalten kann. Ein vollkommen anderes Lehrerverhalten als es die Klasse bisher in Religion gewohnt war, kann zu Irritationen führen.
1.3
Kontext
Theologische Orientierung
Das generelle Ziel dieses Schrittes ist die eingehende Erläuterung des Unterrichtsgegenstandes. Dabei steht im Hintergrund, was die Schülerinnen und Schüler möglicherweise besonders interessiert. Nicht alles, was hier vorbereitet wird, findet direkt Eingang in den Unterricht. Allerdings erleichtert eine gründliche fachliche Vorbereitung, auch die unvermuteten Fragen interessierter Schülerinnen und Schüler sachgemäß zu beantworten. Zudem ist diese Vorbereitungsarbeit für die Lehrkräfte ein wichtiger Teil ihrer eigenen Fortbildung und hilft, die theologische Kompetenz zu verbessern. (Richtwert: 5 bis 6 Seiten). 1.3.1 Bei biblischen Texten Die Exegese hat sich an der im Unterricht verwendeten Textgestalt zu orientieren. Ein Blick in die ursprachlichen Ausgaben kann nicht nur für den Unterricht in der gymnasialen Oberstufe wichtige Einblicke eröffnen. Konkret ist zu leisten: Klärung der historischen Situation, die der Text voraussetzt; Stellung im (gesamtbiblischen) Kontext; Begriffsklärungen (einschließlich Traditionsgeschichte).
Schülerinteresse
Fortbildung
Exegese
326
Wirkungsgeschichte
Hausdogmatik
D. Anhang
Besondere Bedeutung hat religionsdidaktisch die Wirkungsgeschichte, weil hier Modelle vorliegen, die Distanz zwischen dem antiken Text und der jeweiligen Zeit zu schließen. Eingehendere Aufmerksamkeit verdient dabei die Rezeption des Textes in der Literatur, bildenden Kunst und Musik. Als Nebenprodukt kann man hier schon auf Medien für den Unterricht stoßen. Schließlich sind die durch den Text gegebenen Einsichten bzw. aufgeworfenen Fragen systematisch-theologisch zu orten. Hier empfiehlt sich auf Dauer die Arbeit mit einer guten „Hausdogmatik“, die ein ausführliches Sachregister hat und so eine schnelle Verortung des jeweiligen Themas ermöglicht. Dadurch wird der Lehrer auf mögliche Zusammenhänge innerhalb der christlichen Daseins- und Wertorientierung aufmerksam. Dazu kann die Einbeziehung von Erkenntnissen aus nichttheologischen Wissenschaften notwendig sein. 1.3.2 Bei Themen Hier sind grundsätzlich ähnliche Schritte, jedoch in anderer Reihenfolge als in 1.3.1 zu gehen. Die Arbeit beginnt mit einer systematisch-theologischen Verortung („Hausdogmatik“ bzw. ein ethisches Lehrbuch) und häufig der Aufbereitung erfahrungswissenschaftlicher Erkenntnisse. Bei Letzterem stößt man immer wieder auf Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Fächern. Sodann ist nach dem biblischen Bezug bzw. den biblischen Bezügen des Themas zu fragen.
1.4 Lernmöglichkeiten
Didaktische Orientierung
Jetzt gilt es die verschiedenen, aus der theologischen Orientierung resultierenden Lernmöglichkeiten zu benennen. Dabei ist es wichtig, sich nicht vorschnell auf nur einen didaktischen Zugang festzulegen, der vielleicht schon frühzeitig in den Blick kam, sondern sich ein möglichst breites Spektrum vor Augen zu führen. Dabei können folgende Fragen hilfreich sein: Welche Bedeutung hat das Thema für die Gegenwart und Zukunft der Schülerinnen und Schüler (hier kann die Geschlechterdifferenz zu beachten sein)?
1. Schema zur Unterrichtsvorbereitung
327
Welche (vermutlichen) Vorerfahrungen bringen die Schülerinnen/Schüler mit? Wofür steht der Lerninhalt exemplarisch? Oft werden die unter 1.6 genannten möglichen Materialien bei der genauen thematischen Profilierung eine Rolle spielen. Entscheidende Bedeutung hat der Rückbezug des hier Erarbeiteten auf das in 1.2 Analysierte. Es geht ja darum, für eine konkrete Unterrichtsgruppe an einer konkreten Schule Unterricht zu gestalten. (Richtwert: 2 bis 3 Seiten).
1.5
Didaktische Entscheidungen (Lernziele)2
Die gewählte Lernmöglichkeit ist jetzt zielbezogen zu formulieren. Dabei zwingt die Formulierung des Lernziels im Sinne eines Lernendzustandes dazu, noch einmal die Schülerperspektive einzunehmen (Ist es wirklich wichtig, dass die Schüler dies wissen, benennen können usw.? Für das Bestehen welcher Lebenssituation qualifiziert sie das neue Wissen?). Hier ist zu klären, ob das Lernziel operationalisierbar, also überprüfbar ist. Denn nur so kann der Eindruck verhindert werden, im Religionsunterricht werde „Glauben“, also NichtÜberprüfbares bewertet. Die Lernziele sollen auf einer Sprachebene formuliert werden, die den jeweiligen Schülern ohne Erklärung verständlich ist. Dies verhindert, dass noch nicht hinreichend elementarisierte Ziele in den Religionsunterricht gelangen. Schließlich hat sich die Differenzierung zwischen kognitiven, affektiven (emotiven) und psychomotorischen (auch pragmatischen) Lernzielen bewährt. Sie kann die Lehrkraft auf eventuelle Einseitigkeiten des Unterrichts aufmerksam machen. Eine möglichst gleichmäßige Berücksichtigung dieser im Einzelnen allerdings nicht immer leicht unterscheidbaren Lernzielebenen kann einer Monotonie des Unterrichts wehren. (Richtwert: 2 Seiten). 2 Zu den formalen Aspekten der Lernzielbestimmung s. knapp und präzise Ziebertz: Erziehung, 148–152.
Lernendzustand
Operationalisierbarkeit
Lernzieldimensionen
328
D. Anhang
1.6 Medien, Methoden
Methodische Entscheidungen
Hier ist der gesamte Aufbau der Stunde, einschließlich der vorgesehenen Medien und Methoden vorzustellen. Dabei ist es nicht zuletzt hinsichtlich der Auswertung nach dem Unterrichtsversuch wichtig, kurz auf mögliche Alternativen und die Gründe hinzuweisen, die zur Nicht-Berücksichtigung führten. Die Heranziehung von Unterrichtsmodellen, Schulbüchern u. Ä. hat hier ihren Ort. Wichtige Impulse und Fragen sind wörtlich zu fixieren (was nicht heißen muss, dass sie im konkreten Unterricht so zur Anwendung kommen). Die konkreten Medien (z.B. Arbeitsblätter, Bilder, Erzählungen o. Ä.) sind im Anhang beizugeben. (Richtwert: 2 bis 3 Seiten).
1.7
Verlaufsplanung
Den Abschluss der Vorbereitung bildet die sog. Verlaufsplanung. Hier wird in folgendem Schema stichpunktartig die Unterrichtsvorbereitung in ihren Ergebnissen gebündelt. Zeit
Ziele
Überprüfung der Interdependenzen
Inhalte
Methoden
Medien
(Sozialformen)
Kommentar
Dies eröffnet die Möglichkeit, zu überprüfen, ob die Interdependenz von Zielen, Inhalten, Methoden und Medien (und Sozialformen) angemessen gestaltet ist. Die mögliche Spalte Sozialformen kann darauf aufmerksam machen, dass Umstellungen in der Sozialform, etwa von einem Hufeisen zum Stuhlkreis Zeit benötigen und entsprechend eingeplant werden müssen. Falls die Sozialform in der Unterrichtsstunde gleich bleibt, kann diese Spalte entfallen. Dazu bietet die Durchsicht dieser Verlaufsplanung als CheckListe beim Packen der Büchertasche die Gewähr, dass nichts Wichtiges (etwa an Materialien) vergessen wurde.
1. Schema zur Unterrichtsvorbereitung
Schließlich gibt sie die Möglichkeit zur Orientierung in der Unterrichtsstunde selbst. Am besten wird diese Funktion erfüllt, wenn die Verlaufsplanung auf 1 Seite steht.
1.8
Kritische Reflexion
Entsprechend dem Experimentalcharakter jeden Unterrichts kommt der kritischen Reflexion nach gehaltenem Unterricht große Bedeutung zu. Hier sollte zuerst kurz der Unterrichtsverlauf skizziert werden (deskriptiv!). Dem schließen sich kritische Überlegungen über mögliche Fehleinschätzungen und Vorschläge zu Verbesserungen an. (Richtwert: 1 Seite).
1.9
Anhang
Literaturverzeichnis; Arbeitsblätter; Medien.
329
330
D. Anhang
2.
Sachregister
Das Sachregister soll primär zur Erschließung von Zusammenhängen und zum Hinweis auf vertiefte Darstellungen dienen. Deshalb ist es an Themen, nicht an Stichworten orientiert und strebt keine Vollständigkeit an. Sehr häufig vorkommende, die gesamte Argumentation tragende Begriffe wie Kirche, Pädagogik, Religion, Religionsunterricht, Schüler, Schule, Staat, Theologie, werden aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht aufgenommen. Bei besonderen Formen des Religionsunterrichts wird dieser mit RU abgekürzt. Bei Behandlung des Themas auf zwei Seiten steht hinter der ersten Seitenzahl f., bei Behandlung auf drei Seiten ff., ansonsten wird der Textumfang in Zahlen angegeben. Abendmahl 34, 151, 172, 294f. Abmeldung 17 f., 20, 65, 135, 225, 249 Allgemeiner RU 19, 135f., 207 Allokation 82, 85–88 Arbeitslosigkeit 88, 142 Aufklärung 37–42 Autonomie 210f., 214, 229 Befreiungstheologie 236, 292 Bekenntnisfreie Schule 54f. Bekenntnisneutralität 49, 85–88 Bekenntnisschule 52, 55 Beliebtheit des RU 20, 47 Benotung 68 f. Berufskolleg 18, 63, 129, 226, 232 Beschleunigung 97ff., 285 Bibel(didaktik) 83, 249f., 257, 278, 282, 292–306, 317 Bibliolog 304 ff. Bildung 82, 88 f., 100, 111 f., 183 Bildungskanon 110 Brandenburg 157f. Bremer Klausel 67f. Bricolage-Religion 161f. Christentumstheorie 164f., 224 Compassion 118f. Confessio Augustana 146f., 152, 182, 275 f. Curriculumdidaktik 100, 182, 249f. Dekalog 34, 46 Dekonstruktivismus 28, 242 Diakonisches Lernen 119 Dialektische Theologie 158 Egotaktik 213, 221f. EKD-Stellungnahmen 57f., 132 f., 177–183, 216
Elementarisierung 34ff., 152, 184, 277 Eltern 33, 52 Empowerment 104f. England 19, 71 ff., 87 f., 123 Entscheidung 239 Entwicklung(spsychologie) 41, 211–214, 229, 252 Epochenunterricht 113f. Erbsünde 44 Erzählung 300 ff., 314 f. Erziehung 82, 84f. Ethikunterricht (Ersatzfach) 18, 65f., 228, 243 Evangelische Unterweisung 197ff., 235, 237–243 Evangelium 149, 190, 293ff. Fächergruppe 178f. Familie 28, 40, 42, 80, 91ff., 106, 159, 208, 226, 255 Film 125 f., 281 f., 298, 302 ff. Foto 315 Gebet 81, 96, 164, 176, 186f., 198 f., 206 f., 221, 227 f., 231, 263, 274, 276–280, 288, 310, 318 Gemeindepädagogik 120, 168ff., 215 Gemeinsamer Unterricht 103ff. Gemeinschaft 151 Gemeinschaftsschule 52, 55 Gesamtschule 100 Gewissheit 142ff. Glauben 191f., 223 Glaubensbekenntnis 34, 36, 289–292 Gottesdienst 42, 93, 159, 164, 170–173, 175 ff., 262, 291, 299 Grundgesetz 53–59, 65ff., 69 ff., 136 Grundschule 103ff., 129–138, 204, 206f., 226, 228, 261, 278f.
Sachregister
Hamburg 55, 135 Hauptschule 204 Hauslehrer 40, 79 Hermeneutischer RU 199f., 235, 244–248, 256 f., 264, 269 f. Inhalte (des RU) 41, 43, 100, 110–116, 184–187, 234, 236, 239f., 250 f., 265 f., 276–280, 310 Integration 103–106, 131, 262f. Internet 94, 127, 285 Interreligiöser RU 134ff., 207 Islam 162 ff., 221, 255, 265, 306–319 Islamischer RU 19, 73–76, 178 Jugendalter 210f., 218ff., 221–225, 239, 252 Kasualien 175 f., 274, 276, 298 ff. Katechismus(unterricht) 38, 40, 44 Kerncurriculum 180 Kind 37, 39, 41, 168, 216ff., 220, 294 Kinderarmut 92 f. Kindergottesdienst 124, 168f. Kindertheologie 121 Kirchenaustritt 152f. Kirchenjahr 297 f. Kirchenpädagogik 121 Kirchenreform 165–177 Kirchentheorie 158ff. Kirchliche Schulen 102, 118f., 155 Kleiner Katechismus 33f., 44, 46 Kloster(schule) 30, 32 Kognitionspsychologie 212ff. Kommunikation des Evangeliums 148, 150, 186, 190, 216, 248, 252, 288, 292 Konfessionalität des RU 19f., 59 f., 63, 104, 129–140, 272 f. Konfirmandenunterricht 40, 169 Kontaktstunde 123 f. Kooperation der Konfessionen 61ff., 132 f., 137–140, 179 f., 230 Koran 74, 309, 317 f. Kruzifix-Beschluss 155 f. Lehrplan 60, 76 Leitbild 173 ff. LER 18, 69 ff., 115, 157, 202 Lernorte 27, 181f. Medien(pädagogik) 94f., 99, 124 ff., 274, 281, 283–292, 293f.
Memorieren 45 Methoden 90, 168f., 198, 281, 300–306, 313–318 Missio canonica 58 f. Moderator 201 f. Montessori-Pädagogik 89, 101, 106f., 258 Moralerziehung 40, 42, 44, 243 Nachbarschaft Schule – Gemeinde 120 f., 141, 174 f., 280 Nachbarschaftsreligion 163, 187, 309, 311 f. Niedersachsen 61ff., 209 Ökonomie 100, 125, 153, 156, 231, 292 Ökumenischer RU 61, 64, 133f., 136, 209, 226, 230 f., 291 Ökumenisches Lernen 133f. Orthodoxie 36, 40, 42 Ostdeutschland 153, 178, 181, 226ff., 247 Performativer RU 201f., 261–267, 269f. Personalisation 82 Philanthropinum 42 Pluralismus/Pluralität 24, 93, 96, 99, 106, 154, 161, 184 f., 196, 219 ff., 229, 318 Praxis 114 f., 231 f., 260, 263 f., 268, 275 Privatschulen 101 f. Probehandeln 263, 265, 279f. Problemorientierter RU 200, 235, 249–253, 259, 269 f. Psalmen 30 f., 36, 45 Qualifikation 82 ff. Rechtfertigung(slehre) 32, 85, 87f., 243 Rechtsstaat 51, 318 Reformation 31–36 Reformpädagogik 89, 254 Regionalisierung 72, 87, 139, 309, 312 Religionsdidaktik 27, 145 Religionsfreiheit 54, 64 Religionskritik 200 Religionskunde 56, 308 Religionslehrer 43, 45, 47, 53, 90, 95, 136f., 140, 167, 193–209, 230–233, 240, 263, 307f Religionspädagogik 23ff., 27 Religionsproduktivität 161f., 211, 229
331
332
D. Anhang
Religionswissenschaft 26, 49, 56, 135, 178, 257 ff., 261, 307 Religious Education 71ff. Rituale 107, 143f., 149 f. Schlüsselprobleme 111ff., 180 Schöpfung 98, 289f. Schulgottesdienst 64, 100, 122f., 143 f., 154 f., 173, 176, 297 f., 316 ff. Schulkritik 41, 123, 241 Schulleben 64, 107f., 122 Schulprogramm 108f., 117, 140 f., 167, 175 Schulreform 99–110, 117–128 Schulreligion 81, 121, 182, 185 Segen 34, 172, 176f., 186 f., 231, 276–280, 288, 318 Sekundarstufe 105f., 226, 228 ff., 232, 261, 278 Selektion 82, 85–88 Semiotik 260 f. Sicherheit 142 ff. Sinnfrage 141 ff. Soaps 126 f. Sonderschule 63, 129, 204, 232 Sozialdemokratie 52 Soziales Lernen 117ff. Sozialisation 82, 84f., 218 f. Spiritualität 205 ff., 231, 255
3.
Spirituals 143 Sprachschulung 161 Stiehlsche Regulative 43ff. Stundentafel 60f. Symboldidaktik 236, 256–261, 269f. Symbole 150 f., 156, 256, 259f., 269 f., 290, 317 Taufe 34, 121, 150f., 294 f. Texttheater 306 Therapeut 199 f. Überlieferung 245f., 248 Unterrichtliche Kooperation 105 f. Unterrichtsgespräch 42 Vaterunser 34, 36, 46, 81, 281 Verkündigung 147, 197, 248 Vokation 58 f. Wahrheitsfrage 25, 163f., 233, 307 Waldorf-Pädagogik 89, 101, 114 Weimarer Reichsverfassung 50–53, 65 Werteerziehung 84 f., 242 f. Zeittakt 106f., 110, 113, 169, 297 Ziele (des RU) 236, 238, 258, 265, 268, 271 f., 276–280, 310 Zwickauer Manifest 45f.
Personenregister
Herausgeber und biblische Personen bleiben unberücksichtigt.
Anschütz, G. 53 Arnold, U. 97, 221 Ashraf, S. 315 Bach, J. 86 Baier, K. 135 Bargheer, F. 169 Barth, K. 197 Baudler, G. 257 Bauer, G. 126 Bäumler, C. 149 Beck, U. 142 f. Becker, J. 149 Beckmann, K. 245
Benner, D. 78 f., 111, 114 ff., 181, 186, 241, 275 Berger, P. 285 Biehl, P. 111, 257, 259 f., 265 Biesinger, A. 138 f. Bizer, C. 201, 263 Bloth, P. 69 Bohl, T. 87 Böhm, G. 109 Bohne, G. 237–241, 243, 268f., 280 Bottermann, M. 295 Bucher, A. 21, 225 Büttner, G. 260 f.
Personenregister
Christiansen, R. 151 Comenius, J. 311 Dahrendorf, R. 101 Dalferth, I. 291 Dienst, K. 157 Diesterweg, F. 43 ff. Domsgen, M. 67, 153, 247 Drehsen, V. 161 Dressler, B. 203, 209, 261–267, 307 Dross, R. 147, 197 Ebert, K. 195 Ebertz, M. 175 Edelstein, W. 71 El-Mallah, I. 317 Englert, R. 185, 235, 237 Engstler, H. 91, 93 Feige, A. 160 f., 203, 205, 207 ff. Feldtkeller, A. 27, 311 Fischer, A. 143, 223 Fischer, D. 101 Foitzik, K. 169, 321 Fowler, J. 211, 213 Fröbel, F. 122 Frühling, F. 237, 239 Fuhrmann, M. 111 Gäbler, C. 297 Gebauer, K. 75 Gensicke, T. 223 Gerst, H. 107 Gloy, H. 251 Gmünder, P. 212 f., 215 Gönnheimer, S. 119 Goßmann, E. 217, 219 Gronbach, R. 119 Großklaus, G. 97 Gudjons, H. 111 Habermas, J. 283 Halbfas, H. 201, 251, 253, 256–261, 265 f. Hanisch, H. 97, 128f., 221, 227, 229 Harz, F. 321 Havers, N. 225 Heckel, M. 51, 53, 71, 155, 157 Heckel, T. 191, 198 Heidemann, R. 237
Helmreich, E. 30f., 47 Hermelink, J. 170 f. Herrlitz, H. 79 Herrmann, U. 39 Heym, S. 298 Hildebrandt, U. 53, 55, 57, 59, 61 Hilger, G. 189, 212 f., 327 Hinz, A. 107 Hofmann, B. 213 Höhn, H. 161 Holtappels, H. 107 Hopf, W. 79 Hoppe-Graff, S. 129 Hörisch, J. 283 Howarth, R. 315 Huber, W. 160 f. Hull, J. 314 Hurrelmann, K. 223 Hüttenhoff, M. 307 Ingenkamp, K. 87 Janzen, W. 245 Jost, G. 143 Josuttis, M. 201 Jung, C. 258 Jüngel, E. 192 f. Kabisch, R. 191 Kamm, H. 115 Karl der Große 30 Kaufmann, F. 159, 165 Kaufmann, H. 35, 107, 109, 121, 153, 249 ff. Keupp, H. 162 Kirch, L. 303 Kittel, H. 197 ff., 237, 241 Klafki, W. 111–116, 180 Klein, S. 221 Klie, T. 201, 261, 263 Kling de-Lazzer, M. 249 Knauth, T. 253 Köcher, R. 193 Koerrenz, R. 89 Kohlberg, L. 118f. Koß, G. 297 Kraemer, H. 148 f. Kronhagel, K. 51 Krotz, F. 237 Kuld, L. 119 Kunstmann, J. 113
333
334
D. Anhang
Lachmann, R. 39, 41, 61, 191, 321 Ladenthin, V. 89 Lähnemann, J. 73, 163, 307 Lämmermann, G. 111, 195 Landé, W. 51 Lange, C. 69 Lange, E. 148, 175, 186 Langer, K. 209 Laube, M. 95, 299 Leimgruber, S. 327 Leonhard, S. 261, 263 Lindner, H. 173, 175 Link, C. 55 Litt, T. 179 Lobsien, M. 47 Loch, W. 235 Lorenzer, A. 260 Lott, J. 69 Lotze, R. 242 Lück, C. 65, 129, 131, 133, 136f., 139, 183, 203–207 Luckmann, T. 161, 285 Luhmann, N. 289 Luther, M. 31–36, 46, 278 Mann, T. 86, 298 Matthes, J. 158 f. Mayer, K. 307, 309, 313ff. Melanchthon, P. 30 f., 35 f., 41, 182, 275 Menning, S. 91, 93 Mette, N. 237 Meyer-Blanck, M. 241, 259ff. Montagu, S. 315 Montessori, M. 101, 107 Münchmeier, R. 143 Murphy, J. 73 Nave-Herz, R. 91 Neymeyer, U. 199 Niebergall, F. 197 Nietzsche, F. 242 Nipkow, K. 87 ff., 111, 117, 163, 165, 178, 180, 205, 234 Nowak, K. 79 Oebbecke, J. 51, 56 f. Olmi, E. 304 Orth, G. 97, 221 Oser, F. 96, 212 f., 215 Otto, G. 199 ff.
Paul, E. 31 Petersen, P. 89 Pfaff, U. 77 Piaget, J. 212 Picht, G. 99 Pieroth, B. 65 Pitzele, P. 305 Plaute, W. 105 Pohl-Patalong, U. 305 Pollack, D. 227, 229 Prengel, A. 107 Rang, M. 241, 245 Raschzok, K. 121 Ratzmann, W. 93, 171 Read, G. 315 Rees, W. 55 Reuter, I. 126 f. Richert, H. 179 Rickers, F. 251 Ricoeur, P. 260 Riedl, G. 311 Rifkin, J. 285 Rinser, L. 298 Robinsohn, S. 101, 249 Rohe, M. 75, 77 Roloff, J. 151 Roosen, R. 167 Rössler, D. 164 f. Rousseau, J. 38 f. Rudge, J. 315 Rupp, H. 35, 43, 83 Saal, H. 259 Salzmann, C. 39–43, 79 Sasse, H. 147 Scheibert, C. 122 Schiffler, H. 99 Schleiermacher, F. 79, 243 Schmid, C. 297 Schmidt, G. 23, 39 Schreijäck, T. 293 Schreiner, M. 103 Schröder, B. 75, 123 ff., 270 f. Schroeter-Wittke, H. 266 f. Schulze, G. 142 f. Schürmann, H. 199 Schwab, U. 185 Schweitzer, F. 24 f., 39, 71, 138f., 185, 215, 220 f. Schwier, H. 171
Literaturverzeichnis
Seibicke, W. 297 Seiferlein, A. 65, 67 Sennet, R. 141 Siber, P. 297 Siegele, A. 73 Spieckermann, M. 105 Spranger, E. 239 Stallmann, M. 244–248, 257, 269, 274, 280 Steiner, R. 89, 114 Stern, W. 47 Stiehl, F. 44 Stoodt, D. 201 Streib, H. 215 Teece, G. 315 Theunissen, G. 105, 107
4.
Thoma, R. 105 Thonak, S. 224 f. Tillich, P. 257 Titze, H. 79 Tworuschka, U. 314 f. Wegenast, K. 251 Weniger, E. 235 Wild, F. 89 Winkeler, R. 99 Wokittel, H. 287 Wolf, S. 299 Ziebertz, H. 185, 189, 203, 211ff., 223, 225, 227, 327 Zilleßen, D. 29, 243 Zink, D. 218 f.
Literaturverzeichnis
In den Fußnoten werden nur Kurztitel genannt, die im Folgenden durch Kursive gekennzeichnet sind. Adam, Gottfried/Lachmann, Rainer (Hg.): Methodisches Kompendium Bd. 1, Göttingen 42002. –: Methodisches Kompendium Bd. 2, Göttingen 2002. Anschütz, Gerhard: Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, Berlin 141933 (Neudruck Aalen 1987). Arnold, Ursula/Hanisch, Helmut/Orth, Gottfried: Was Kinder glauben. 24 Gespräche über Gott und die Welt, Stuttgart 1997. Ashraf, Syed Ali: Islam. Teacher’s Manual, Birmingham 1988 (1995). –: Muslims, Birmingham 21994. Baier, Klaus A.: Ökumenisches Lernen als Projekt, Münster 2001. Bargheer, Friedrich-Wilhelm: Kinder und Gottesdienst, in: C. Grethlein/G. Ruddat (Hg.), Liturgisches Kompendium, Göttingen 2003, 153–175. Barth, Hans-Martin: Das Selbstverständnis des evangelischen Religionslehrers. Systematisch-theologische Erwägungen, EvErz 39 (1987), 144–160. Bäumler, Christoph: Art. „Kommunikation / Kommunikationswissenschaft“, TRE 19 (1990), 384–402. Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt 1986. Becker, Jürgen: Jesus von Nazaret, Berlin 1996. Beckmann, Karl-Heinz: Martin Stallmann (1903–1980), in: H. Schröer/D. Zilleßen (Hg.), Klassiker der Religionspädagogik, Frankfurt 1989, 266–277. Benner, Dietrich: Allgemeine Pädagogik. Eine systematisch-problemgeschichtliche Einführung in die Grundstruktur pädagogischen Denkens und Handelns, Weinheim 42001. –: Bildung und Religion. Überlegungen zu ihrem problematischen Verhältnis und zu den Aufgaben eines öffentlichen Religionsunterrichts heute, in: A. Battke/T. Fitzner/R. Isak/U. Lochmann (Hg.), Schulentwicklung – Religion – Religionsunterricht, Freiburg 2002, 51–70.
335
336
D. Anhang
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