MARTIN HEIDEGGER
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GESAMTAUSGABE
ERLÄUTERUNGEN ZU HÖLDERLINS DICHTUNG
1. ABTEILUNG: VERÖFFENTLICHTE S...
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MARTIN HEIDEGGER
MARTIN HEIDEGGER
GESAMTAUSGABE
ERLÄUTERUNGEN ZU HÖLDERLINS DICHTUNG
1. ABTEILUNG: VERÖFFENTLICHTE SCHRIFTEN 1910-1976
BAND 4 ERLÄUTERUNGEN ZU HOLDERLINS DICHTUNG
VITTORIO KLOSTERMANN
VITTORIO KLOSTERMANN
FRANKFURT AM MAIN
FRANKFURT AM MAIN
52
» Wie
»Wie wenn am Feiertage . .. ce
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erste Strophe öffnet siCh der zweiten. Dem» Wie wex:m ... « Beginn der ersten Strophe entspriCht das »So«, mit dem. die zweite anhebt. Das »Wie wenn ... : So ... « deutet auf emen Vergleich, der als Klamm.er die Eingangsstrophe mit der zweiten oder gar mit allen folgenden in der Einheit hält. Wie ein Landmann auf seinem Gang, froh ob der Behütung seiner Welt, in der Feldmark verweilt, »So stehn sie unter günstiger Witterung« - die DiChter. Und welChe Gunst vergönnt ihnen das Günstige zu wittern? Die Gunst, Jene zu sein, ... die kein Meister allein, die wunderbar Allgegenwärtig erziehet in leichtem Umfangen Die mächtige, die göttlichschöne Natur. Die innere Bewegung dieser drei Verse strebt auf das Wort »die Natur« zu und schwingt darin aus. Was Hölderlin hier noch »Natur« nennt, durChstimmt das ganze GediCht bis in sein letztes Wort. Die Natur» erziehet« die DiChter. MeistersChaft und Lehre können nur etwas »beibringen«. Aus sich allein vermögen sie niChts. Ein Anderes muß anders erziehen als mensChliCher Eifer zu mensChlichem Machen. Die Natur »erziehet« »wunderbar allgegenwärtig«. Sie ist in allem WirkliChen anwesend. Die Natur west an in MensChenwerk und·VölkergesChick, in den Gestirnen und in den Göttern, aber auCh in den Steinen, GewäChsen und Tieren, aber auCh in den Strömen und in den Wettern. »Wunderbar« ist die Allgegenwart der Natur. Sie läßt siCh niemals irgendwo innerhalb des WirkliChen als ein vereinzeltes WIrkliChes antreffen. Das Allgegenwärtige ist auCh nie das Ergebnis der Zusammenstellung des vereinzelten Wirklichen. AuCh das Ganze des Wirklichen ist höchstens die Folge des Allgegenwärtigen. Dieses selbst entzieht siCh jeder Erklärung aus dem WirkliChen. Nicht einmal andeuten läßt siCh das Allgegenwärtige durCh ein WirkliChes. SChon gegenwärtig verwehrt es unmerkliCh jeden gesonderten Zudrang zu ihm. Wenn mensChliche MaChe dies unternimmt oder göttliches Wirken dazu bestellt wird, zerstören sie nur das Einfache des Wunderbaren. Dieses
wenn am Feiertage . .. ce
53
entzieht sich allem Herstellen und durchzieht doCh Jegliches mit seiner Anwesenheit. Deshalb erzieht die Natur »in leiChtem Umfangen«. Das Allgegenwärtige kennt niCht die Einseitigkeit der Schwere des bloß Wirklichen, das den MensChen bald nur fesselt, bald nur fortstößt, bald nur stehenläßt, jedesmal aber preisgibt 52 in das Verzwungene alles Zufälligen. Das »leichte Umfangen« der Natur deutet jedoCh auch nicht auf ein Unvermögen des SChwachen. Die »Allgegenwärtige« heißt ja »die mächtige«. Woher aber nimmt sie die Macht, wenn sie das in allem zuvor Gegenwärtige ist? Die Natur hat nicht irgendwoher noch eine Macht zu Lehen. Sie ist das Machtende selbst. Das Wesen der Macht bestimmt siCh aus der Allgegenwart der Natur, die Hölderlin »die mächtige, die göttlichschöne« nennt. Mächtig ist die Natur, weil sie göttlichschön ist. Also gleicht die Natur einem Gott oder einer Göttin? Wäre dies, dann würde aber» die Natur«, die doch in allem, auch in den Göttern, gegenwärtig ist, wieder und noch am »Göttlichen« gemessen und wäre nicht mehr »die Natur«. Diese heißt die »schöne«, weil sie »wunderbar allgegenwärtig« ist. Die Allheit ihrer Gegenwart meint nicht das mengenmäßig vollständige Umgreifen alles Wirklichen, sondern die Weise des Durchwaltens gerade auch des Wirklichen, das seiner Art naCh gegenwendig siCh auszusChließen scheint. Die Allgegenwart hält die äußersten Gegensätze des höchsten Himmels und des tiefsten Abgrundes einander entgegen. Dergestalt bleibt das Zueinander-siCh-Haltende in seine Widerspenstigkeit aus einandergespannt. So erst kann das Gegensätzliche in die äußerste Schärfe seiner Andersheit herauskommen. Das solcherart zu »äußerst« Erscheinende ist das Erscheinendste. Das so ErsCheinende ist das Berückende. a Zugleich aber sind die Gegensätze durch die Allgegenwart in die Einheit ihres Zusammengehörens entrückt. Diese Einheit läßt das Widerspenstige nicht in den matten Ausgleich verlöschen, sondern nimmt es zu jener a ERD 2. Auflage 1951: tll.lpaVE?-Ca-COV ,
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»Andenken«
Strophe, ist wie ein Atemholen zum. höchsten Begegnenlassen dessen, was der grüßende Nordost dem Dichter zuweht. Zwar »geht« dieser Wind vom Dichter fort. Aber das ist eines der Geheimnisse des An-denkens, daß es zum. Gewesenen hindenkt, daß dieses Gewesene selbst jedoch im Hindenken zu ihm auf den Hindenkenden in der Gegenrichtung zurückkommt. Dies freilich niCht, um. jetzt als eine Art von Gegenwärtigem in der Gegenwart einer bloßen Vergegenwärtigung stehen zu bleiben. Wenn das Denken an das Gewesene diesem sein Wesen läßt und sein Walten durch eine übereilte Verrechnung auf eine Gegenwart nicht stört, dann erfahren wir, daß das Gewesene bei seiner Rückkunft im Andenken über unsere Gegenwart siCh hinausschwingt und als ein Zukünftiges auf uns zukommt. Plötzlich muß das Andenken das Gewesene als ein Nochnicht-Entfaltetes denken. Das Grüßen wird dessen inne, daß es das, was sich ihm zudenkt, grüßend wohl bedenken muß: das schon Gegrüßte und wie Die breiten Gipfel neiget Der Ulmwald, über die Mühl', Im Hofe aber wächset ein Feigenbaum. An die Mühle und den Hof ist gedacht. Das Tagwerk und die Wohnstatt ~es ländlichen Menschen sind gegrüßt. Warum. aber die Mühle? Gehört ihr eine Vorliebe des Dichters? Der heimgekehrte Wanderer grüßt in der Elegie >Der Wanderer< (IV, 104) gerade sie: Fern rauscht die immer geschäftige Mühle, Die gegrüßte Mühle in der Fremde hat noch das Mahnen an die Heimat behalten. Aber ist es nur der ruhelose Fleiß ihres Ganges, was der Dichter vernimmt, ist es nicht auch das, womit die immer geschäftige besChäftigt ist? Die Mühle bereitet das Korn (»die Frucht«) und dient der Bereitung des Brotes. Um des Brotes willen denkt der DiChter, der die Himmlischen denken muß, an diese Werkstatt menschlicher Sorge (>Brod und WeinWie wenn am Feiertage . . .