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(--) N: und des is (--) nach meiner erfahrung in jeder kultur anders? (--) die eine kultur reagiert (--) oder fast alle reagieren auf GELD, (---) und des is (--) meistens des mittel was uns net (--) am wenigsten zur verfügung steht. (1.0) ja? (--) des heißt (-) also mitarbeiter durch: (--) äh finanzielle anreize zu motivieren ist eigentlich (1.0) nebensächlich; (---) sa=mal SO; (-) und (---) jetzt ist die frage (--) äh:: (-) welche (1.5) sa=mal welche fettnäpfchen gibt=s in die man auf keinen fall reintreten darf weil ma ansonsten bei den mitarbeitern verlor=N hat und sie überhaupt nim=mer motivieren kann? (--) des isch=es wichtigste, (--) damit ma (---) von anfang an net gleich irgendwelche sachen zerstört, (1.0) und zum andern (---) äh: we=ma jetzt vermieden hat in fettnäpfchen zu treten w (.) W (.) W:IE kann ma jetzt dann mitarbeiter (---) von neuen ideen oder von (1.0) äh:: sa=mal (---) implementierten (---) äh:: ideen der geschäftsleitung überzeugen, (1.5) letztendlich- (---) von denen ja (-) von vorn=herein (-) keiner so ganz genau weiß:=äh ob der:=erfolg dann wirklich so positiv oder (--) weniger positiv eintritt. F: hm=m; (---) N: des=n heikle themen. (--) schwierige themen. (1.5) und DA is die frage [hat=s da (-)] möglicherweise in den E: [((räuspern) ] N: vergangenen ZWEI jahren=n denen du da warst (-) schon:: (-) solche fälle AUCH sicher gegeben und wie wie (---) wie sind deine erfahrungen da (--) in dem zusammenhang;
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3. Empirische Studie und Datenkorpus
Kommentar: Der Ausschnitt folgt unmittelbar auf die Gesprächseinleitung durch die Forscherin. In 6.2.1 werde ich ihn ausführlich analysieren im Hinblick auf die Einführung und Relevantsetzung bestimmter Themen durch die Gesprächspartner. Hier möchte ich lediglich diejenigen Aspekte hervorheben, die zeigen, dass N in dem Ausschnitt für sich und den Gesprächspartner eine authentische Gesprächssituation und authentische Handlungsziele etabliert. In Z. 1-2 übernimmt N zunächst das von F eingeführte Thema der kulturellen besonderheiten. Sehr schnell geht er dabei von einer neutralen Perspektive (3.Ps.Sg: was interessiert is) zu einer individualisierten Darstellung über (1.Ps.Pl: wir sind beides führungskräfte, wir ham mit dem problem zu kämpfen wie motivier=ma die mitarbeiter). Die Verwendung des Personalpronomens wir bzw. ma deutet bereits darauf hin, dass er individuell für sich und den Gesprächspartner eine Herausforderung im Handeln sieht. In Z. 7 weist er darauf hin, dass er selbst in dem genannten Problemkontext Erfahrungen in anderen Kulturen gemacht hat, die ihm gezeigt haben, dass dieses Thema relevant sein kann (des is nach meiner erfahrung in jeder kultur anders). Im folgenden (Z. 9-16) formuliert N für sich ein authentisches Handlungsziel, nämlich die Motivation der Mitarbeiter durch andere als finanzielle Mittel. In Z. 17-24 bzw. 25-35 formuliert N zwei weitere authentische Handlungsziele, nämlich die Vermeidung von Fettnäpfchen, die das Verhältnis zu den Mitarbeitern stören können, und die Überzeugung der Mitarbeitern von Ideen der Geschäftsleitung. In beiden Fällen entsteht zwar wieder eine gewisse Distanz durch die Verwendung der 3.Ps.Sg. und des neutralen Personalpronomens man. Aber die relativ ausführlichen Formulierungen deutet darauf hin, dass N bei der Äußerung einen Reflexionsprozess vollzieht, in dem er sich über den Zusammenhang zwischen authentischen Handlungszielen und Gesprächskontext bewusst wird. Nach einer resümierenden Bewertung des Gesprächsgegenstands auf einer Metaebene (Z. 36-37), spricht N in Z. 39-43 (erstmals!) explizit den Gesprächspartner E an (du, deine erfahrungen) und fragt diesen nach seinen bisherigen Erfahrungen. Nachdem in dem Ausschnitt bisher nur F zweimal ein Rückmeldesignal geäußert hat (Z. 6 und 34), erfolgt in Z. 40 außerdem erstmals eine Reaktion von E. Beide Aspekte deuten darauf hin, dass sich N zunehmend von F, die unmittelbar zuvor in das Gespräch eingeführt hat, abwendet und E, mit dem er das folgende Gespräch führen wird, zuwendet. Die Formulierung der Frage wie sind deine erfahrungen da in dem zusammenhang (Z. 42-43) trägt damit zur Konstitution der Gesprächssituation und eines authentischen Gesprächsziels bei, nämlich der Weitergabe von Erfahrungen von E an N.
Anhand des Ausschnitts konnte also gezeigt werden, dass N das von F in der Gesprächseinleitung eingeführte Thema der kulturellen besonderheiten übernimmt, es aus seiner Perspektive reformuliert und dabei für sich und den Gesprächspartner authentische Handlungsziele und eine authentische Gesprächssituation konstituiert. Dies ist ein Kriterium dafür, dass man laut Schank von einem ‘natürlichen’ Gespräch sprechen kann:
3.1 Übersicht der erhobenen Daten
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Von natürlichen Gesprächen [...] kann man sprechen, wenn für das Gespräch echte Sprechanlässe in der Alltagswelt vorliegen, die von den Teilnehmern wahrgenommen und bewältigt werden müssen. [...] Gespräche, die aus echten Sprechanlässen entstehen, werden nicht um ihrer selbst willen geführt, sondern zum Zwecke der Verfolgung von Handlungszielen in der Alltagswelt. (Schank 1979b: 74)
Auch wenn die Bezeichnung des ‘natürlichen’ Gesprächs in unserem Fall vielleicht nicht ganz angemessen ist, kann man von einem authentischen Gesprächskontext und damit einer Authentizität der Daten ausgehen (zum Problem der Authentizität gesprächsanalytischer Daten vgl. Schu 2001, Lalouschek/Menz 1999). Die Gespräche während der Entsendung fanden vor Ort in Spanien auf dem Werksgelände statt. In der Regel nahm ein neuer und ein erfahrenerer Auslandsentsandter an den Gesprächen teil (in einem Fall zwei erfahrenere Auslandsentsandte). Die neuen Auslandsentsandten waren jeweils seit ein bis drei Monaten in Spanien, die erfahreneren (bis auf eine Ausnahme) seit ein bis acht Jahren. Insgesamt wurden neun Gespräche während zweier Aufenthalte in Madrid im Oktober 2004 und Februar 2005 aufgezeichnet (vgl. Tabelle 3.1). Tabelle 3.1: Gespräche während der Entsendung (~10 Stunden) Name
Kürzel LÄRM
Erfahrene(r): Zeit in Spanien 1 Jahr
Neue(r): Zeit in Spanien 2 Monate
LÄRM ENTSENDUNGSZIEL
ENTSZIEL
1 Jahr
1¾ Monate
IMPROVISATION
IMPRO
½ Jahr
3 Monate
ANMELDUNG
ANM
1¾ Jahre
1½ Monate
LOCKERHEIT
LOCKER
1 Jahr
1 Monat
UMZUG
UMZ
2 Jahre
2 Monate
KOLLEGIALE BERATUNG
KOLBER
2½ Jahre
2½ Monate
STANDORT
STAND
5 Jahre, 4 ½ Jahre
2½ Monate
FREUNDSCHAFT
FREUND
8 Jahre
1½ Monate
3.1.2 Primärdaten-2: Gespräche im Vorbereitungstraining (in Deutschland) Eine Erfahrungsweitergabe unter Auslandsentsandten kann von Unternehmen nicht nur vor Ort, sondern auch im Rahmen von Auslandsvorbereitungsseminaren organisiert werden (vgl. 1.3). Für unser Datenkorpus konnten neben den in
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3. Empirische Studie und Datenkorpus
Spanien organisierten Expatriategesprächen auch Gespräche aufgezeichnet werden, die im Rahmen der firmeninternen interkulturellen Vorbereitungstrainings in Deutschland stattfanden. In diesen Trainings organisiert das Unternehmen regelmäßig Einzel- oder Kleingruppengespräche zwischen neuen Auslandsentsandten und Repatriates desselben Entsendungslandes. Repatriates sind Firmenangehörige, die als Expatriate im Ausland waren und inzwischen wieder zurück in Deutschland sind (vgl. 1.2). In den Gesprächen sollte jeweils ein Repatriate (evtl. mit Lebenspartner), der in einem bestimmten Land war, seine Erfahrungen an einen oder mehrere Expatriates weitergeben, die kurz vor der Entsendung in dasselbe Land standen. Teilweise haben die Repatriates an einem speziellen Training teilgenommen, das das Unternehmen für diejenigen anbietet, die sich bereit erklären, ihre Erfahrungen an Neuentsandte weiterzugeben. Dieses Training soll die Repatriates auf die Weitergabe von Erfahrungen an Neuentsandte vorbereiten. Ziel des Trainings ist insbesondere eine Reflexion der eigenen Erfahrungen sowie eine Aufbereitung derselben für die Erfahrungsweitergabe. Auf die Gespräche im Rahmen der Vorbereitungstrainings hatte die Forscherin keinen direkten Einfluss. Sie war nicht an der Organisation der Gespräche beteiligt und führte nicht in die Gespräche ein. Teilweise war sie bei den Gesprächen anwesend. Im Rahmen der Vorbereitungstrainings konnte ein Gespräch für Spanien aufgezeichnet werden. Um auf einer größeren Basis Unterschiede zwischen den Gesprächen im Entsendungsland und den Gesprächen im Rahmen der Vorbereitungstrainings herausarbeiten zu können, wurden außerdem je ein Trainingsgespräch für Frankreich und Italien aufgezeichnet (vgl. Tabelle 3.2). Tabelle 3.2: Gespräche im Vorbereitungstraining (~ 7½ Stunden) Name
Kürzel SPTRAIN
Erfahrene(r): Zeit im Ausland 3 Jahre
Neue(r): Zeit bis Entsendung 2 Monate
SPANIEN-TRAINING FRANKREICH-TRAINING
FRTRAIN
1 Jahr
½ Monat, ½ Monat
ITALIEN-TRAINING
ITTRAIN
3½ Jahre, 3½ Jahre
1 Monat, 1 Monat, 2 Monate
3.1.3 Sekundärdaten: Nachgespräche und Interviews Als Ergänzung zur Analyse der Primärdaten wurden neben diesen zwei Formen von Sekundärdaten erhoben. Dabei handelt es sich zum einen um Nachgespräche mit den Gesprächsteilnehmern der in Spanien durchgeführten Expatriategesprä-
3.1 Übersicht der erhobenen Daten
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che, zum anderen um Interviews mit deutschen Auslandsentsandten in Spanien, die nicht an den übrigen Gesprächen teilgenommen haben. In all diesen Gesprächen konnten Informationen über typische Kontexte, Zeitpunkte und Inhalte einer Weitergabe kultureller Erfahrungen unter Auslandsentsandten gewonnen werden sowie Einschätzungen der Auslandsentsandten bezüglich der Bedeutung solcher Gespräche am Anfang und im Verlauf der Auslandsentsendung. Der Rückgriff auf ethnographische Daten war für die vorliegende Arbeit in dreierlei Hinsicht gewinnbringend: Erstens ermöglichte es das ethnographische Hintergrundwissen, den Status der aufgezeichneten Gespräche einzuschätzen. Wie typisch sind die erhobenen Gespräche für die Praxis der Weitergabe kultureller Erfahrungen unter Auslandsentsandten? Wie häufig kommt eine solche Erfahrungsweitergabe im Alltag der Auslandsentsandten vor? Welchen Stellenwert besitzt sie aus Sicht der Auslandsentsandten für deren Integration? Zweitens konnten die Kontextinformationen die Datenauswertung an einzelnen Stellen unterstützen und verbessern, indem sie die Forscherin auf bestimmte Phänomene aufmerksam machten oder ihre Analyse der Gespräche berichtigten, konkretisierten oder vertieften. Schließlich ergaben die Nachgespräche und Interviews interessante Erkenntnisse für die Umsetzung solcher Gespräche in der Unternehmenspraxis (z.B. Motivationen und Hemmschwellen), die in die Ausarbeitung der Praxiskommentare eingeflossen sind.63 Die Tabelle 3.3 gibt eine Übersicht über das gesamte Datenkorpus: Tabelle 3.3: Übersicht Datenkorpus Primärdaten Gespräche während der Entsendung (im Ausland)
9 Gespräche
~ 10 Stunden
Gespräche im Vorbereitungstraining (in Deutschland)
3 Gespräche
~ 7½ Stunden
Nachgespräche
5 Nachgespräche
~ 2 Stunden
Interviews
3 Interviews
~ 2 Stunden
Sekundärdaten
63
Zum allgemeinen Nutzen ethnographischen Kontextwissens für die Gesprächsanalyse vgl. Deppermann 2000: 105-106 und 108-113.
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3. Empirische Studie und Datenkorpus
3.2 Aufbereitung der Daten Für alle aufgezeichneten Gespräche (Primär- und Sekundärdaten) wurden zunächst ausführliche Gesprächsprotokolle erstellt. Dabei wurden ausgewählte Formulierungen der Gespräche in die Protokolle übernommen. Die Gesprächsprotokolle gaben einen ersten Überblick über die Gespräche, erlaubten eine inhaltliche Analyse (vgl. 3.4) sowie eine Auswahl der für die Fragestellung der Arbeit besonders relevanten Gesprächsausschnitte. Die Primärdaten, die ja Gegenstand der gesprächsanalytischen Untersuchung werden sollten, wurden anschließend detailliert nach gesprächsanalytischen Standards transkribiert. Für die detailliertere Transkription wurden zunächst fünf Gespräche der spanischen Primärdaten ausgewählt, die nach Durchsicht des Materials als repräsentativ für den Gesprächstyp eingeschätzt wurden, da in ihnen primär kulturelle Erfahrungen thematisiert, auf vielschichtige Weise dargestellt und interaktiv ausgehandelt werden. Es handelt sich hierbei um die Gespräche ENTSENDUNGSZIEL, ANMELDUNG, LOCKERHEIT, KOLLEGIALE BERATUNG und FREUNDSCHAFT. Innerhalb dieser Gespräche wurden zunächst diejenigen Gesprächsausschnitte ausgewählt, fein transkribiert und sequenzanalytisch bearbeitet, in denen kulturelle Erfahrungen auf besonders aufwändige und auffällige Weise dargestellt und weitergegeben wurden. Ausgehend von diesen Analysen wurden erste Hypothesen über linguistische Auffälligkeiten formuliert. Darauf aufbauend wurden weitere Gesprächsausschnitte ausgewählt und transkribiert, bis schließlich ein Großteil der fünf Gespräche (in unterschiedlichem Feinheitsgrad) transkribiert war. Zunehmend wurden dann vergleichende Analysen zwischen Gesprächsausschnitten bzw. Gesprächen durchgeführt. Dazu wurde schließlich auch das übrige Primär- und Sekundärmaterial gesichtet, teilweise transkribiert und zur Verfeinerung der erarbeiteten Analyseergebnisse herangezogen. Die Gespräche sind durchschnittlich rund eine Stunde lang und umfassen jeweils etwa 35 DIN-A4-Seiten Transkript. Im Text der vorliegenden Arbeit können daher keine ganzen Gespräche wiedergegeben und analysiert werden. Die Kapitel enthalten vielmehr einzelne Gesprächsausschnitte, die im Bezug auf einen systematischen Aspekt kommentiert werden. In 4.1 wird ein längerer Gesprächsausschnitt ausführlich zitiert und analysiert, um das sequenzanalytische Vorgehen der Gesprächsanalyse beispielhaft zu illustrieren. In der Darstellung in dieser Arbeit geht jedem Transkriptausschnitt eine Titelzeile voran, die den Namen des Gesprächs enthält, dem der Ausschnitt entstammt, ein Zitat als Titel für den Ausschnitt sowie den Zeitpunkt des Beginns
3.2 Aufbereitung der Daten
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des Ausschnitts innerhalb des Gesamtgesprächs (mm:ss bzw. hh:mm:ss) und die Zeile im Gesamttranskript.64 Ein Beispiel: KOLLEGIALE BERATUNG: „n=wie war=n so jetzt die ersten erfahrungen” (06:13, Z.120)
Es folgt der Gesprächsausschnitt sowie jeweils ein Kommentar, der den Ausschnitt gesprächsanalytisch im Hinblick auf die relevanten Aspekte beschreibt. Die Kommentare zu den Gesprächsausschnitten sind etwas kleiner gesetzt als der ‘normale’ Text und von diesem deutlich abgehoben.65 Im laufenden Text wird auf einzelne Gespräche mit deren Titel in Kapitälchen verwiesen (z.B. KOLLEGIALE BERATUNG). Wenn im Text oder in Tabellen kurze Zitate aus den Gesprächen angeführt werden (z.B. eine Zeile oder Formulierung), so wird jeweils in Klammer das Kürzel der Gespräche in Kapitälchen sowie die entsprechende Zeile im Gesamttranskript angegeben (z.B. KOLBER Z. 244). 66 Auf die Nachgespräche wird lediglich mit dem Titel des Gesprächs, ohne Zeit- oder Zeilenangabe verwiesen (z.B. E im Nachgespräch zu KOLLEGIALE BERATUNG). Die Transkriptionen erfolgten mit wenigen Änderungen nach den Konventionen des gesprächsanalytischen Transkriptionssystems (vgl. Selting et al. 1998). Als Sprechersiglen wurde jeweils E für den erfahreneren Auslandsentsandten (bzw. E1, E2... bei mehreren Sprechern), N für den neuen (bzw. N1, N2...) und F für die Forscherin verwendet. Selbstverständlich sind alle Namen sowie Firmen- und Ortsnamen innerhalb der Gespräche verändert und durch Pseudonyme ersetzt worden. Um eine gute Lesbarkeit der Transkripte zu erreichen, orientieren sich GAT-Transkriptionen an der traditionellen Orthographie. Lediglich besonders auffällige umgangssprachliche oder dialektale Färbungen wurden in den vorliegenden Transkripten kenntlich gemacht (z.B. ham statt haben, net statt nicht, schwäbisch nehmet se statt nehmen sie). Transkribiert wurden neben dem reinen Wortlaut Überlappungen und Verschleifungen, Stimmhöhenbewegungen am Einheitsende, Pausen, Dehnungen, Akzente, paraverbale Elemente (z.B. Lachen, Husten) sowie (wenn besonders auffällig) Veränderungen der Sprechlautstärke oder Sprechgeschwindigkeit. Prosodische Elemente wie Stimmhöhenbewegun64
65 66
Bei den Transkriptausschnitten wird auf das Gesamtgespräch zusätzlich zur Zeilen- mit einer Zeitangabe verwiesen, da dies dem Leser einen besseren Eindruck gibt, wann innerhalb des Gesprächs ein bestimmter Ausschnitt anzusiedeln ist. Diese Information kann für die Analyse eines Ausschnitts aufschlussreich sein. Eine Ausnahme stellt die Beispielanalyse in 4.1 dar. Da die gesprächsanalytischen Kommentare hier den eigentliche Inhalt des Abschnitts darstellen, sind sie normal gesetzt. Aus Datenschutzgründen können die Gesamttranskripte der Gespräche nicht öffentlich zugänglich gemacht werden.
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3. Empirische Studie und Datenkorpus
gen innerhalb einer prosodischen Einheit wurden nicht transkribiert, da sie für unsere Fragestellung nicht oder kaum relevant sind. Tabelle 3.4: Transkriptionskonventionen (nach Selting et al. 1998) ( ) (solche) (solche/welche) ((...)) [ ] [ ] = und=äh (.) (-), (--), (---) (2.0) :, ::, ::: akZENT ak!ZENT! ? , ; . mhm, ja, nee hm=hm
((hustet)) .h, .hh, .hhh h, hh, hhh ich hebe hervor *peter*, *industria*
unverständliche Passage vermuteter Wortlaut mögliche Alternativen Auslassung Überlappungen und Simultansprechen schneller Anschluss neuer Turns oder Einheiten Verschleifungen innerhalb von Einheiten Mikropause kurze, mittlere, längere Pausen (ca. 0.25 - 0.75 Sek.) geschätzte längere Pause (bei mehr als ca. 1 Sek. Dauer) Dehnung (je nach Dauer) Akzent extra starker Akzent stark steigende Intonation am Einheitsende leicht steigende Intonation am Einheitsende gleichbleibende Intonation am Einheitsende leicht fallende Intonation am Einheitsende stark fallende Intonation am Einheitsende einsilbige Rezeptionssignale zweisilbige Rezeptionssignale forte, laut piano, leise allegro, schnell lento, langsam tiefes Tonhöhenregister hohes Tonhöhenregister Kommentar sprachbegleitendes Lachen Einatmen (je nach Dauer) Ausatmen (je nach Dauer) Hervorhebung von Auffälligkeiten, die kommentiert werden Pseudonyme für Namen, Firmennamen, Ortsnamen etc.
3.3 Vorstellung ausgewählter Gespräche
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3.3 Vorstellung ausgewählter Gespräche Im Text der vorliegenden Arbeit können immer nur kurze Ausschnitte aus einzelnen Gesprächen zitiert und kommentiert werden. Um dem Leser einen Überblick über die gesamten Gespräche zu ermöglichen und die einzelnen Ausschnitte in einen Kontext einzubetten, werde ich im Folgenden kurz die fünf Gespräche vorstellen und charakterisieren, aus denen ein Großteil der zitierten Gesprächsausschnitte stammt. 3.3.1 ENTSENDUNGSZIEL (ENTSZIEL) Gesprächspartner des ca. einstündigen Gesprächs ENTSENDUNGSZIEL sind zwei Führungskräfte, die in zwei verschiedenen Werken des Unternehmens arbeiten. Das Gespräch fand gegen Ende des Arbeitstags auf dem Werksgelände in Madrid statt. Der erfahrenere Auslandsentsandte (E) ist seit einem Jahr in Spanien und war vorher noch nie längere Zeit im Ausland tätig. Der neue Auslandsentsandte (N) ist seit eindreiviertel Monaten in Spanien. Er war zuvor als Expatriate in Frankreich und China, worauf er auch gleich zu Beginn des Gesprächs hinweist. Dadurch kommt es allein aufgrund der Vorerfahrungen zu einer problematischen Rollenkonstellation, denn E hat zwar schon mehr Erfahrungen in Spanien, N jedoch mehr Auslandserfahrungen insgesamt. Verlauf des Gesprächs: Nachdem sich die Auslandsentsandten zu Beginn des Gesprächs über ihre konkrete Tätigkeit, über bisherige Auslandserfahrungen sowie über die Anfangszeit in Spanien ausgetauscht haben (Sprachkurs, Ankunft, Wohnungssuche etc.), thematisieren sie unterschiedliche Aspekte, die sie in Spanien als auffällig erfahren haben (v.a. die Delegation von Aufgaben an Mitarbeiter, die Kommunikation unter Deutschen und Spaniern, die Übernahme von Verantwortung und das Einhalten von Terminen). Dabei kommen immer wieder auch typische Probleme von Auslandsentsandten zur Sprache (z.B. Probleme der Familie, Kommunikation mit den Chefs in Deutschland, Sprachbarrieren). Gegen Ende des Gesprächs tauschen sich die Gesprächspartner auf einer relativ emotionalen Ebene darüber aus, welche Vorteile und Lebensqualitäten mit einer Auslandsentsendung in Spanien und China jeweils verbunden sind. Auffälligkeiten: Das Gespräch zeichnet sich dadurch aus, dass sich E wiederholt als institutioneller und Auslandsexperte und teilweise auch als kultureller Experte inszeniert und die Vorschläge N’s, wie man mit der Situation in Spanien umgeht, nur bedingt akzeptiert (vgl. Kapitel 5). In der Beschreibung der kulturellen Besonderheiten und Unterschiede sind sich die Gesprächspartner relativ einig. In Bezug auf die Aufgabe der ‘Darstellung kultureller Prägungen’ findet man daher auf repräsentative Weise bestimmte Darstellungsverfahren realisiert.
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3. Empirische Studie und Datenkorpus
Bereits die Bewertung der kulturellen Besonderheiten unterscheidet sich jedoch bei den Gesprächspartnern. E bewertet die Erfahrung in Spanien insgesamt als schöne Erfahrung und betont, dass er mit den Spaniern gut klarkommt, während N die Erfahrung als nich so angenehm empfindet, da er unter einem starken Erfolgsdruck steht und vielmehr die Erfahrungen in China als hervorragend und herrlich bezeichnet. In Bezug auf die Frage nach dem Umgang mit den Unterschieden ergeben sich erhebliche Differenzen. Der Gesprächspartner E verweist in dem Gespräch wiederholt auf seine berufliche Aufgabe (er muss junge Leute aufbauen, die Firma muss neu aufgebaut werden etc.) bzw. auf die Aufgabe von Auslandsentsandten insgesamt hin (der Job ist, die Mitarbeiter anzuleiten) und wirft dem Gesprächspartner N mangelnde Durchsetzungsfähigkeit und Effizienz vor. Dies führt an einigen Stellen des Gesprächs zu Kompetenz- und Rollenkonflikten und infolge dessen zu erheblichen Gesichtsbedrohungen (vgl. hierzu Kapitel 5). 3.3.2 ANMELDUNG (ANM) Auch das Gespräch ANMELDUNG dauerte insgesamt ca. eine Stunde. Es fand während des Arbeitstags auf dem Werksgelände bei Madrid statt. Gesprächspartner sind wieder zwei Führungskräfte. Der erfahrenere Auslandsentsandte des Gesprächs (E) ist seit eindreiviertel Jahren in Spanien, der neue (N) seit eineinhalb Monaten. Er war zuvor als Expatriate in China und führt während des Gesprächs verschiedene Vergleiche mit seinen Erfahrungen in China an bzw. leitet aus seinen Erfahrungen in China Fragen zu Spanien ab. Die Gesprächspartner kannten sich vor dem Gespräch. Sie sind sich bereits in Deutschland innerhalb des Unternehmens begegnet und haben sich dann vor allem bei der Inforeise67 N’s kennen gelernt. E hat dem neuen Auslandsentsandten N auch schon in einigen pragmatischen Dingen weitergeholfen. Vor dem Gespräch waren die Gesprächspartner daher etwas skeptisch, da sie glaubten, schon viele Erfahrungen ausgetauscht zu haben und in dem Gespräch keine neuen Aspekte thematisieren zu können. In dem Nachgespräch stellte sich jedoch heraus, dass sie über Fragen nach der mentalität am arbeitsplatz noch nicht gesprochen haben (N: mir ham jetzt mehr zu reden gehabt als ich eigentlich gedacht hab am anfang – E: ja wir ham=uns konkret über die themen eigentlich im wesentlichen noch net unterhalten – N: ja richtig). Sie halten es für sehr interessant, über solche Themen zu reflektieren, und wertvoll, sich für solche Gesprä67
Im Entscheidungsprozess für eine Auslandsentsendung bekommen potenzielle Auslandsentsandte von dem Unternehmen eine sogenannte ‘Inforeise’ oder eine ‘Look-and-see-Trip’ angeboten (mit Partner bzw. Familie), bei dem sie sich über Arbeits- und Lebensbedingungen vor Ort ein Bild machen können (vgl. z.B. Kühlmann 2004: 43).
3.3 Vorstellung ausgewählter Gespräche
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che Zeit zu nehmen (E: auch für mich ganz interessant mal zu reflektieren, beide profitieren davon we=ma sich einfach die zeit nehmen würde, ma müsste des vielleicht gezielter planen). Verlauf des Gesprächs: Da sich die Gesprächspartner vor dem Gespräch bereits kannten, steigen sie relativ schnell in die kulturelle Thematik ein. Auf die Gesprächseinleitung durch die Forscherin folgt lediglich eine Anmerkung N’s dahingehend, dass pragmatische Aspekte im Vergleich zu kulturellen Aspekten für ihn zur Zeit eine große Rolle spielen, denn er hat große Probleme mit den Anmeldeformalitäten in Spanien. Der Gesprächspartner N steigt dann mit der Formulierung einer ausführlichen Frage nach kulturellen Fettnäpfchen und Motivationsstrategien für Führungskräfte in das Gespräch ein (dieser Ausschnitt wird in 3.1.1 und 6.2.1 kommentiert). Auch das Gesamtgespräch ist vor allem durch immer wiederkehrende Fragen N’s strukturiert (vgl. hierzu 7.3.1). Themen, die die Gesprächspartner nach und nach bearbeiten, sind vor allem Mitarbeitermotivation und Führungsstil, die Rolle der Familie, Ehrlichkeit und Verantwortungsbewusstsein, Mitarbeitergespräche, außerbetriebliche Aktivitäten und die Bürokratie in Spanien. Auffälligkeiten: Das Gespräch zeigt in exemplarischer Weise, wie kulturelle Erfahrungen mithilfe allgemeiner und erzählerischer Verfahren dargestellt werden können und wie sich daran erfahrungsbasierte Ratschläge für den Umgang mit kulturellen Unterschieden bzw. mit Spaniern anschließen können. In dem Gespräch lässt sich sehr gut ein Reflexionsprozess der Gesprächspartner im Sinne eines Prozesses der allmählichen Entwicklung von Hypothesen über die spanische Kultur nachvollziehen. Außerdem wird sehr gut deutlich, wie dabei das Wechselspiel von Generalisierung und Relativierung funktioniert (vgl. 7.3.1.2). Charakteristisch für das Gespräch ist, dass sich in den Äußerungen der Gesprächspartner relativ wenig Emotionalität und individuelle Betroffenheit zeigt. Das Gespräch zeichnet sich vielmehr durch einen eher formellen Charakter aus. Die Gesprächspartner gehen sehr pragmatisch an das Gespräch heran und in allen Aspekten schnell zur Frage nach dem Umgang mit kulturellen Unterschieden über. Auffällig ist außerdem, dass das klassische Rollenverhältnis NeuerErfahrener in dem Gespräch auf sehr repräsentative Weise realisiert wird. Möglicherweise dadurch, dass sich die Gesprächspartner bereits kennen, hat der neue Auslandsentsandte offenbar keine Probleme damit, seine Unerfahrenheit einzugestehen. Er stellt kontinuierlich Fragen und Nachfragen an den erfahreneren Auslandsentsandten und nimmt dessen Erläuterungen und Ratschläge an.
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3. Empirische Studie und Datenkorpus
3.3.3 LOCKERHEIT (LOCKER) Das Gespräch LOCKERHEIT dauerte insgesamt ebenfalls ca. eine Stunde und fand während des Arbeitstags auf dem Werksgelände in Madrid statt. Gesprächspartner sind eine Führungskraft (E) und eine Mitarbeiterin (N). Der erfahrenere Auslandsentsandte des Gesprächs ist seit einem Jahr in Spanien, die Neue seit einem Monat. Sie war jedoch zuvor für vier Monate in Singapur und verweist im Verlauf des Gesprächs mehrfach auf diese Asienerfahrung, die sie als deutlich schwieriger als die Erfahrung in Spanien empfunden hat (Z. 598: also des is mal ne interkulturelle herausforderung) Verlauf des Gesprächs: Nach einem Austausch über pragmatische Probleme zu Beginn der Auslandsentsendung (v.a. Wohnungssuche, Zurechtfinden in der Stadt) sprechen die Gesprächspartner über verschiedene kulturelle Besonderheiten und Unterschiede. N hebt vor allem immer wieder die Lockerheit der Arbeitskultur und der spanischen Mentalität insgesamt hervor, die sich in verschiedenen Aspekten widerspiegelt (Arbeitseinstellung, Abendaktivitäten, Umgang miteinander etc.). Weitere Themen, die behandelt werden, sind Probleme mit der Termineinhaltung, der Umgang mit normativas (Regeln) im Arbeitsalltag, die Vermischung von privatem und beruflichem Kontext, der Aufbau von Kontakten zu Spaniern, die Rolle persönlicher Beziehungen und persönlichen Engagements, die mangelnde Detailgenauigkeit der Spanier etc. Auffälligkeiten: Das Gespräch zeichnet sich insgesamt dadurch aus, dass die neue Auslandsentsandte für sich stellenweise einen gewissen Expertenstatus etabliert und es insofern an einigen Stellen eher zu einem Erfahrungsaustausch als einer Erfahrungsweitergabe kommt (vgl. 5.3.3). Allerdings macht N immer wieder deutlich, dass sie weniger Erfahrungen hat als N (z.B. Z. 795: ich arbeite ja noch nich so lange) und auch E verweist die Gesprächspartnerin N an einzelnen Stellen auf ihre Grenzen (z.B. Z. 1855f: jetzt wart mal ab...du bisch ja noch=e paar tage da). Allerdings stoßen die Gesprächspartner wiederholt auf Aspekte, in denen sie unterschiedliche Einschätzungen haben. Dabei ist auffällig, dass sie diese an mehreren Stellen auf ihre unterschiedliche familiäre Situation, die Arbeit in unterschiedlichen Abteilungen und Aufgabenbereichen etc. zurückführen. Damit wird eine Erklärung für die unterschiedlichen Erfahrungen oder Einschätzungen gegeben, und eine konkrete Rollenaushandlung sowie eine mögliche Gesichtsverletzung des Gesprächspartners wird vermieden. 3.3.4 KOLLEGIALE BERATUNG (KOLBER) Das Gespräch KOLLEGIALE BERATUNG fand am Ende des Arbeitstags auf dem Werksgelände in Madrid statt. Gesprächspartner sind wieder eine Führungskraft
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(E), die seit zweieinhalb Jahren in Spanien ist, und ein Mitarbeiter (N), der seit zweieinhalb Monaten in Spanien ist. Allerdings ist seine Freundin Spanierin, so dass er gewisse Vorerfahrungen mit Spanien und den Spaniern im privaten Kontext hat. Diese Vorerfahrungen werden von der Gesprächspartnerin E wiederholt als wertvoll anerkannt (Z. 1272: durch diesen familiären kontakt auch is für dich ja spanien...hat sich schneller geöffnet). Verlauf des Gesprächs: Die Gesprächspartnerin E befragt N in dem Gespräch zunächst systematisch nach seinem Tätigkeitskontext (Tätigkeitsbereich, Aufgabenstellung, Anzahl und Art der Kontakte zu Spaniern etc.). Anschließend fragt sie nach den ersten Erfahrungen N’s. Das Gespräch ist insgesamt dadurch strukturiert, dass N nach und nach thematisiert, was ihm bisher aufgefallen ist, und E die jeweiligen Aspekte anschließend kommentiert und weitergehend erläutert. Gegen Ende des Gesprächs bringt sie zunehmend auch eigene Themen ins Gespräch ein. Thematisiert werden insgesamt die Arbeitsorganisation in Spanien, Sprachprobleme, Akzeptanzprobleme, Feedback-Kultur, Emotionalität in Besprechungen, Arbeitszeiten in Spanien, Geburtstagsfeiern am Arbeitsplatz, Familieleben und Tageplanung, Führungsstil und Hierarchie sowie die Frage nach der Akzeptanz einer Frau als Vorgesetzte. Gegen Ende des Gesprächs gibt E dem Gesprächspartner N auch Ratschläge im Bezug auf die Eingewöhnung als Auslandsentsandter, das Privatleben etc. Die Gesprächspartner unterhalten sich insgesamt ca. eine Stunde über kulturelle Besonderheiten und Unterschiede. Anschließend gehen sie zu einem privaten Smalltalk über (z.B. Freizeitaktivitäten in Madrid) und bitten irgendwann darum, das Aufnahmegerät abzustellen, da sie zunehmend über sehr persönliche Dinge sprechen. Auffälligkeiten: Auffällig ist in dem Gespräch die klare Struktur, die sich durch das von E initiierte Muster (ggf. Frage E’s – Darstellung von Auffälligkeiten durch N – weitergehende Erläuterungen von E) ergibt (vgl. hierzu 5.4.3, 6.4.2). Die Gesprächspartnerin E ist die einzige in dem Korpus, die Notizen zum Gespräch mitbringt und die im Nachgespräch deutlich macht, dass sie sich auf das Gespräch vorbereitet hat (ich hab echt überlegt wie ich mich vorbereiten kann). In dem Gespräch entsteht durch die konsequente Realisierung des Musters und die Verwendung formelhafter Formulierungen zunehmend der Eindruck, dass E eine bestimmte Gesprächsstrategie verfolgt (den Gesprächspartner nach seinen Erfahrungen fragen, dann eigene Erfahrungen und Erläuterungen anschließen). In dem Nachgespräch beschreibt und begründet sie tatsächlich, dass sie sich dieses Vorgehen überlegt hat. Sie berichtet von ihrer Befürchtung, lediglich Äußerungen im Sinne von goldenen regeln zu formulieren (ich hatte so=n bisschen sorge dass das dann so kommt n=jetzt goldene regel merke und das wollt ich halt auf gar kein fall). Daher hat sie als Gesprächsvorbereitung ein Brainstorming gemacht, was für sie selbst Schlüsselerlebnisse am Anfang der
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3. Empirische Studie und Datenkorpus
Auslandsentsendung waren, um diese im Gespräch als Reaktion auf Äußerungen E’s anzubringen (wenn dann so stichworte von dir kommen dass ich das dann irgendwie bringen kann). Das Gespräch zeichnet sich außerdem dadurch aus, dass sich zunehmend ein Vertrauensverhältnis zwischen den Gesprächspartnern entwickelt. Dies zeigt sich während des Gesprächs in einer zunehmenden Offenheit im Bezug auf private und berufliche Probleme sowie in dem langen informellen Small-Talk am Ende des Gesprächs. Zudem sind die Kommentare der Gesprächspartner in dem Nachgespräch äußerst positiv, und sie visieren ein mögliches zweites Treffen an. Die Tatsache, dass N im Verlauf des Gesprächs ausführliche Rückmeldungen, Kommentare und Reflektionen zu den dargestellten Inhalten äußert (z.B. Z. 410: des=s=n guter hinweis, Z. 906: also richtig aufgefallen is=s mir jetz nich; aber dass=es lauter zu geht als bei uns,... des=s mir aufgefallen) lässt auch darauf schließen, dass eine erfolgreiche Erfahrungsweitergabe stattgefunden hat. Als Metaäußerungen interessant sind die Erläuterungen E’s zu Gesprächen, die sie selbst zu Beginn ihrer Auslandsentsendung mit Kollegen organisiert hat, die auch neu als deutsche Auslandsentsandte in Spanien waren. Sie bezeichnet diese Gespräche als „kollegiale Beratungen“. Für die Gespräche hat sie sich mit zwei Kollegen ca. ein Jahr lang regelmäßig getroffen, um sich über berufliche Erfahrungen und Probleme auszutauschen. Sie hat diese kollegialen Beratungen als sehr positiv empfunden (Z. 1431ff: da hab ich mich gefragt passiert=des jetzt nur mir oder passiert des ander=n auch, am anfang hat mir das sehr geholfen, war=ne sehr gute starthilfe, damit hat man vielleicht auch noch mal dinge reflektiert die man sonst aufgrund der arbeitsfülle schnell ad=acta gelegt hätt oder verdrängt hätte). 3.3.5 FREUNDSCHAFT (FREUND) Das Gespräch FREUNDSCHAFT dauert mit eindreiviertel Stunden deutlich länger als die anderen Gespräche. Es fand am Ende des Arbeitstags auf dem Werksgelände in Madrid statt. Gesprächspartner sind zwei Mitarbeiter aus zwei unterschiedlichen Unternehmensbereichen. Der erfahrenere Auslandsentsandte des Gesprächs (E) ist seit acht Jahren in Spanien und mit einer Spanierin verheiratet. Der neue (N) ist seit eineinhalb Monaten in Spanien und ebenfalls mit einer Spanierin bzw. Halbspanierin verheiratet, allerdings ist sie in Deutschland aufgewachsen. N hat als neuer Auslandsentsandter auch an dem Gespräch SPANIENTRAINING im Rahmen des interkulturellen Vorbereitungstrainings in Deutschland teilgenommen . Verlauf des Gesprächs: Nachdem die Gesprächspartner zu Beginn ihre unterschiedlichen Vorerfahrungen deutlich gegenüber stellen, erzählt E in dem
3.3 Vorstellung ausgewählter Gespräche
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Gespräch relativ unstrukturiert von seinen Erfahrungen in Spanien. Er hebt zunächst die enorme Erfahrung hervor, die er in Spanien gemacht hat (Z. 240: bitter bitter böse erfahrungen hier, Z. 963: i hab hier sehr viel gelernt...brutal viel) und äußert sich dann zum Umgang mit Kritik in Spanien, zur Freundlichkeit der Spanier, zur Bedeutung von Freundschaft, zu Problemen beim Sprachenlernen, zum Siezen und Duzen, zu den Problemen der Spanier im Umgang mit deutschen Namen etc. N greift insgesamt relativ wenig und vor allem in zwei Aspekten in den Erzählfluss E’s ein. Zum einen betont er gleich zu Beginn, dass er das Vorurteil, Spanier seien unzuverlässig und man müsse immer nachhaken, auf der Basis seiner bisherigen Erfahrung nicht bestätigen kann, und widerspricht E auch im Verlauf des Gesprächs in dieser Hinsicht. Zum anderen fragt er wiederholt nach dem Unterschied zwischen Freundschaft und Bekanntschaft in Spanien und nach den Konsequenzen, die dieser für die Herstellung von Kontakten mit Spaniern hat. Auffälligkeiten: Das Gespräch ist insgesamt geprägt durch starke, fast übertrieben generalisierende Aussagen E’s (z.B. Z. 318ff: die spanier sind...extrem neidisch können !HAUPT!nicht mit kritik umgehn, Z. 1449: alles was sie net kontrollieret wird !NIE!mals realität werde, vgl. 7.3.1.2), mit denen dieser seine Erfahrungen verallgemeinernd darstellt. Die übertriebene Generalisierung und starken Emotionalisierungen (vgl. z.B. Akzente) deuten auf nationale Stereotypisierungen hin, die nur wenig abgeschwächt werden. In Kombination mit der starken expliziten Selbstinszenierung E’s als Experte (z.B. Z. 235: inzwischen weiss ich aber wos langgeht, vgl. 5.2.3, 6.3.2) wirken diese offenbar nicht glaubwürdig (dabei handelt es sich grundsätzlich um Aspekte, die auch in der Literatur zur deutsch-spanischen Kommunikation thematisiert werden). N reagiert nur sehr verhalten auf die Aussagen E’s. An einzelnen Stellen widerspricht er vorsichtig (z.B. Z. 961: naja so würd ich des aber glaub ich auch nicht sehen oder), insgesamt zeigt er durch sein Rückmeldeverhalten Desinteresse bzw. keine Zustimmung an (lediglich Aufmerksamkeit anzeigende Partikel wie mhm, hm, vgl. 5.4.1, 7.4.2). Hinzu kommt, dass der Gesprächspartner E in dem Gespräch gegenüber N eine deutlich überlegene Rolle einnimmt. Dies zeigt sich in der Hervorhebung des Erfahrungsvorsprungs zu Beginn des Gesprächs (Z. 32ff: N: ich bin jetzt seit sechs wochen hier – E: ich seit acht jahren, vgl. 5.2.2) sowie in wiederholten Einschätzungen des Gesprächspartners, in expliziten Ratschlägen und Prophezeiungen im Verlauf des Gesprächs (vgl. z.B. 9.3.1). Das Gespräch ist also ein Beispiel für ein Gespräch, in dem die Gesprächspartner Schwierigkeiten haben, eine gemeinsame Darstellungsmodalität für die Darstellung kultureller Verhaltensweisen etc. zu finden, und in dem sich kein positives Verhältnis zwischen den Gesprächspartnern entwickelt. Trotzdem wer-
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3. Empirische Studie und Datenkorpus
den Themen und Aussagen formuliert, die auch in den übrigen Gesprächen zur Sprache kommen und in der Literatur zu deutsch-spanischen Unterschieden hervorgehoben werden. In einigen Reaktionen N’s zeigt sich, dass möglicherweise gerade aufgrund der Stereotypisierungen bei ihm ein Reflexionsprozess angeregt wird.
3.4 Spanische Kultur als Gesprächsthema Insgesamt besteht in den Gesprächen des Korpus eine große Homogenität im Hinblick auf die Themen, die von den Gesprächspartnern behandelt werden, und die Inhalte, mit denen sie diese füllen. Die Gesprächsthemen und -inhalte sind für die Gespräche zentral und bedingen wesentlich den Zusammenhalt des Korpus. Daher soll an dieser Stelle anhand von Ausschnitten aus den Gesprächen ein Überblick über die von den Gesprächspartnern behandelten Themen gegeben werden. Nach einem kurzen Gesamtüberblick über die behandelten Themen (3.4.1) werde ich insbesondere auf Themen eingehen, die die deutsch-spanische Zusammenarbeit betreffen. Dazu fasse ich zunächst Anknüpfungspunkte in der deutsch-spanischen Forschungsliteratur zusammen (3.4.2) und stelle anschließend konkrete Themen und Inhalte der Gespräche zur deutsch-spanischen Zusammenarbeit dar (3.4.3). 3.4.1 Überblick über die behandelten Themen Zur Erarbeitung des Themenspektrums wurden für alle Gespräche inhaltliche Verlaufsschemata erstellt, die alle behandelten Themen sukzessive verzeichnen. Die Tatsache, dass es in vielen Gesprächen deutliche Themengrenzen und -übergänge gibt und zudem in einigen Fällen Themen explizit benannt werden (vgl. 6.3.1), begünstigte dieses Vorgehen. Insgesamt konnten folgende Themenkomplexe herausgearbeitet werden: 1.
2.
Den größten Raum nehmen innerhalb der Gespräche Aussagen über die spanische Kultur und deutsch-spanische Unterschiede ein. Da sich auch das Forschungsprojekt primär für Aussagen zu diesen Aspekten interessiert, werde ich im Folgenden auf die einzelnen in dieser Hinsicht behandelten Themen genauer eingehen. Pragmatische Fragen zum Alltag in Spanien treten in den meisten Gesprächen gegenüber der Darstellung kultureller Auffälligkeiten zurück. Allerdings findet man vor allem in den Gesprächen im Rahmen der interkulturellen Vorbereitungstrainings, aber auch in anderen Gesprächen Smalltalk-
3.4 Spanische Kultur als Gesprächsthema
3.
113
Passagen, in denen Aspekte wie zum Beispiel die Wohnungssuche, Anmeldung, Einkaufsmöglichkeiten oder das Kulturprogramm in Madrid zur Sprache kommen. Ebenfalls in deutlich geringerem Umfang thematisiert werden Aspekte der Auslandsentsendung insgesamt wie zum Beispiel Symptome eines ‘Kulturschocks’, Probleme der Familie oder beim Erlernen der Fremdsprache, das Verhältnis zur Unternehmenszentrale oder Akzeptanzprobleme als Deutscher im Ausland.
Da die Themen zur deutsch-spanischen Zusammenarbeit (Punkt 1) den wesentlichen Teil der Gespräche ausmachen, werde ich auf sie genauer eingehen. 3.4.2 Themen der deutsch-spanischen Forschungsliteratur In Abschnitt 1.5.1 wurde bereits ein Überblick über die Forschungsliteratur zur deutsch-spanischen Kommunikation gegeben. Um bei der Darstellung der Gesprächsinhalte direkt darauf zurück greifen zu können, fasse ich im Folgenden noch einmal die Ergebnisse der zentralen Studien zu deutsch-spanischen Unterschieden im Managementkontext zusammen: 1.
Keim (1994) beschreibt in ihrer linguistischen Studie zur deutsch-spanischen Wirtschaftskommunikation Unterschiede in folgenden Bereichen: Alltäglicher Ablauf von Geschäftsbeziehungen Umgang mit Kritik/Reklamationen (z.B. imagewahrende Gesprächsstrategie) Gesprächsführung/Verhandlungsführung (z.B. Rolle der Person, Emotionalität) Zeitauffassung Soziale und psychologische Distanz (z.B. Empathie, Freundlichkeit, Du/Sie) Auf der Basis der Analyse von Verhandlungssimulationen erfasst sie insbesondere Unterschiede im Hinblick auf kommunikative Aspekte: Aspekte des Interaktionsverlaufs Rederechtorganisation Fokussierung/ Fokuswechsel Imagearbeit/Facework
114
3. Empirische Studie und Datenkorpus
2.
Herbrich (1994) hat für seinen Culture Assimilator für deutsche Manager, die mit Spaniern zusammenarbeiten, folgende spanische Kulturstandards herausgearbeitet: Personenorientierung (persönliche Beziehungen und Amigoismo) Hierarchieorientierung (Autorität und Machtposition) Entscheidungsprozesse (Zentralisation und Entscheidungsfindung) Verantwortungsorientierung (Flexibilität und Indirektheit) Ehrgefühl (Stolz und Gesichtsverlust) Polychrones Zeitverständnis Gelassenheit (Arbeitsbereich und Privatsphäre)
3.
Dunkel (2001) beschreibt zentrale spanische im Vergleich zu deutschen und österreichischen Kulturstandards: Personenorientierter Umgang Amigowirtschaft Polychrones Zeitgefühl Saving Face und Ehrgefühl Autorität Stellenwert der Kommunikation Geschlechterverhältnis, Familie und Freundschaften
Daneben werde ich im Folgenden auf einige Arbeiten zu spezifischen Aspekten der spanischen Kultur aus deutscher Perspektive zurückgreifen (v.a. auf verschiedene Aufsätze in Collado Seidel/König 2002). 3.4.3 Thematisierung deutsch-spanischer Zusammenarbeit in den Gesprächen Die meisten der von den Gesprächspartnern behandelten Themen zur spanischen Kultur oder deutsch-spanischen Unterschieden betreffen entweder direkt Abläufe des Arbeitsalltags (z.B. Führung, Termineinhaltung) oder Aspekte, die indirekt einen Einfluss auf den Arbeitskontext haben (z.B. Rolle der Familie: Fragt man als Chef nach dem Wohlergehen von Frau und Kindern?). Im Folgenden werde ich die einzelnen Themen aufführen und jeweils kurz erläutern, welche Aussagen die Gesprächspartner zu diesen machen. Zu jedem Thema soll zumindest ein Teilaspekt durch einen Gesprächsausschnitt illustriert werden. Um zu zeigen, welche Relevanz das Thema in dem Korpus insgesamt besitzt, wird in Klammer hinter jeder Themenbenennung angegeben, in wie vielen der zehn SpanienGespräche es behandelt wird. Da das Ziel der Arbeit primär die Beschreibung der kommunikativen Prozesse der Erfahrungsweitergabe unter Auslandsentsandten ist, kann der inhaltli-
3.4 Spanische Kultur als Gesprächsthema
115
che Überblick in diesem Kapitel nur kurz ausfallen und ist daher gezwungenermaßen pauschalisierend. In den Analysen innerhalb der einzelnen Aufgabenkapitel wird jedoch detaillierter deutlich, welche konkreten Situationen Gesprächspartner zu bestimmten Themen erlebt haben, welche Zusammenhänge sie wahrnehmen und welche konkreten Aussagen sie machen. Teilweise verweise ich daher am Ende der Darstellung der Themen in diesem Abschnitt auf längere Gesprächsausschnitte, die in dieser Arbeit zitiert werden und in denen das jeweilige Thema eine Rolle spielt. Weitere Verweise stellen einen Bezug zu Forschungsarbeiten her, um zu illustrieren, dass die Gesprächspartner tatsächlich relevante Themen der deutsch-spanischen Zusammenarbeit behandeln. Führungsstil und Hierarchie (7) In den Gesprächen, in denen die Gesprächspartner Führungsverantwortung in Spanien haben, wird häufig die Aussage gemacht, dass Führungskräfte in Spanien stärker hierarchieorientiert sind. Dies impliziert, dass Mitarbeiter tendenziell weniger in Entscheidungen eingebunden werden, dass weniger Verantwortung delegiert wird und eher konkrete Anweisungen formuliert werden und dass auch die Umsetzung von Anweisungen stärker kontrolliert wird. Ein Beispiel: KOLLEGIALE BERATUNG: „patrialistischer führungsstil” (34:21, Z.888) 01 02 03 04 05 06 07 08 09
E: also was für MICH halt noch so=n bisschen der PUNKT war; is also was wir schon grade besprochen hatten; einmal (--) äh=das=s des kontrollieren: (--) der arbeit (.) Äh der mitar[beiter, N: [a=des=n wichtiger PUNKT. des [is=ähm was was ich NICH-] E: [und=äh (1.0) ] patrialistischer:: führungsstil, is eigentlich noch das normale. (---)
Weitere Ausschnitte: z.B. KOLBER 06:13, vgl. 4.1 – FREUND 44:08, vgl. 6.3.2 – ANM 06:53, vgl. 7.3.1.3 – ANM 06:53, vgl. 9.2.1 – KOLBER 34:42, vgl. 9.3.1 Literatur: König 2002a, Dunkel 2001, Herbrich 1994
Verantwortungsbewusstsein (7) Auch das Thema Verantwortungsbewusstsein wird vor allem in den Gesprächen unter Führungskräften ausführlich behandelt. Diese kritisieren die vermeintlich mangelnde Eigenverantwortung der spanischen Mitarbeiter und schließen daraus, dass sie die Umsetzung bestimmter Aufgaben entsprechend kontrollieren müssen (vgl. Führungsstil/Kontrolle). Zum anderen stört einige Deutsche, dass
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3. Empirische Studie und Datenkorpus
insbesondere bei Problemen keine Verantwortlichen bzw. Schuldigen benannt werden. Dieser Aspekt hängt eng mit dem Thema ‘Facework’ zusammen. Das folgende Beispiel illustriert sowohl den Aspekte der mangelnden Verantwortung als auch den des Facework: ENTSENDUNGSZIEL: „genauso des thema ich bin schuld” (29:30, Z.840) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13
E: genauso des thema (-) ich bin SCHULD. (--) ((...)) des wäre (---) für viele meiner kollegen wäre das=n !GANZ! schlimmes eingeständnis zu sagen ICH persönlich [(--) hab] N: [hm=m. Ja.] E: an irgendeiner stelle nich aufgepasst; (--) ((...)) E: und man wundert sich manchmal (--) wie bestimmte dinge einfach nich klar ausgesprochen werden.=ne? N: [hm=m; E: [nämlich WER hat die schuld? wer hat jetzt die verantwortung? wer wird die aufgabe erledigen.
Weitere Ausschnitte: z.B. ENTSZIEL 13:41, vgl. 5.2.2 – ENTSZIEL 29:30, vgl. 5.3.3 – ANM 28:13, vgl. 7.3.1.2 Literatur: König 2002a, Herbrich 1994
Flexibilität, Kreativität und Arbeitseinsatz (6) Auf der anderen Seite werden der hohe Arbeitseinsatz und die Kreativität der Mitarbeiter gelobt, die diese entwickeln, wenn es einem gelingt, sie entsprechend zu motivieren. Damit hängt auch die Bereitschaft zusammen, flexibel auf kurzfristige Bedürfnisse und Änderungen zu reagieren (vgl. das folgende Beispiel), sowie der grundsätzliche Ideenreichtum der spanischen Mitarbeiter. ENTSENDUNGSZIEL: „wenn sie kurzfristige aktionen brauchen” (16:54, Z.438) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11
E: sie werden hier IMmer freunde finden wenn sie KURZfristige akTIOnen [brauchen; (--) N: [klar. E: und da sind sie !VIEL! besser als wir in [deutschland. N: [hm; E: und vie:l (--) problemLOser. wenn=s [drum geht irgendwas [MAL zu machen. (--) N: [hm; [hm; E: wir kriegen hier verSUCHSaufträge oder so. des MAchen die; (--) des MAchen die (--) äh=we’ wenn se die motiVIEren können
3.4 Spanische Kultur als Gesprächsthema 12 13
117
bestimmte s=Ding mit ihnen (-) DURCHzuziehen; (---) äh:m:: (-) sind die SEHR innovativ.
Weitere Ausschnitte: z.B. KOLBER Z. 24:08, vgl. 5.3.2 – LOCKER 30:35, vgl. 7.3.2.1 Literatur: Dunkel 2001a, 2001b
Beziehungsorientierung (10) In allen Gesprächen wird die Relevanz persönliche Beziehungen für die Zusammenarbeit in Spanien hervorgehoben. Als Verhaltensweisen werden beschrieben, dass man sich auch über private Themen austauscht, dass man auch mal ein gemeinsames Abteilungsessen macht, dass man Mitarbeiter persönlich anspricht und sich persönlich für sie interessiert und dass man insgesamt versucht, ein Vertrauensverhältnis zu Kollegen oder Mitarbeitern aufzubauen. Im Zusammenhang mit der Relevanz persönlicher Beziehungen wird häufig auch darauf hingewiesen, dass sich Spanier im Arbeitskontext meist duzen. LOCKERHEIT: „von den kollegen geschätzt” (25:05, Z.830) 01 02 03 04 05 06 07 08
N: un wie siehst du des (-) also ich hab den eindruck dass man (.) je !MEHR! man (.) per!SÖN!lich? (--) von den kollegen geschätzt wird? (--) E: mhm, N: desto !MEHR! (--) MAchen=se auch für dich. oder [HELfen dir auch: [und- (--) E: [absolut. [ja; N: !VIEL! stärker als in DEUTSCHland.
Weitere Ausschnitte: z.B. LOCKER 17:35, vgl. 7.2.2 – LOCKER 28:28, vgl. 7.3.2.1 – LOCKER 25:52, vgl. 9.3.2 Literatur: König 2002a, Dunkel 2001, Herbrich 1994, Keim 1994
Flexibles Zeitverständnis und Termineinhaltung (9) Meist negativ bewertet wird das flexible Zeitverständnis und die mangelnde Termineinhaltung der Spanier, vor allem wenn Termine gegenüber dem Kunde nicht eingehalten werden und vom deutschen Chef entsprechend verantwortet werden müssen (vgl. Beispiel). An manchen Stellen wird jedoch, wie schon im Zusammenhang mit dem Thema Flexibilität angemerkt, positiv hervorgehoben, dass auch mal ein kurzfristiger zeitintensiver Arbeitseinsatz möglich ist. LOCKERHEIT: „termineinhaltung isch e biss=l problematisch” (34:27, Z.1175) 01 02
E: nur wie gesagt die terminEINhaltung isch isch e biss=l probleMAtisch. (1.0)
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3. Empirische Studie und Datenkorpus dann eben au oder auch RÜCKmeldungen zu kriegen. zu sagen wir ham da=en KUNde in deutschland, der brauch des=un=des bis da=un=da HIN, (--) un=da wird dann halt=en TAG vorher sagen die dann vielleicht MIR noch bescheid, also des kriegen ma net hin. (---) statt und des wussten die aber LETSCHte woche schon. (--) statt dass die LETSCHte woche schon sagen. ACHtung. (--) n NÄGSCHte woche des kriegen=ma net HIN. SAG DA mal beSCHEID.
Weitere Ausschnitte: z.B. FREUND 46:21, vgl. 7.3.2.3 – LOCKER 34:27, vgl. 8.3.1 Literatur: König 2002a, Dunkel 2001, Herbrich 1994, Keim 1994
Lockerheit, Humor und Gelassenheit (5) Insgesamt fällt den Gesprächspartnern die Lockerheit und der lockere Umgangston der Spanier auf. Dazu gehört auch deren Freundlichkeit und Fröhlichkeit, eine Lebenseinstellung, die als ‘relaxed’ beschrieben wird, sowie eine Lebensfreude, die sich unter anderem in vielfältigen und ausgedehnten Abendaktivitäten zeigt. LOCKERHEIT: „die sind da viel lockerer drauf” (08:13, Z.111) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16
E: ah die spanier sin=da: (-) sehr geLÖST;=ne?= =was des angeht. die sind da viel LOCkerer drauf wie- (--) ((...)) N: sie sind halt=ähm: (--) des is sehr entSPANNT.=ja? ((...)) E: ich denk auch sie arbeiten des im prinzip des gleiche pensum wie wir in deutschland vielleicht auch, sie arbeiten=s halt in zwei=o=drei stunden LÄNger.=ne? aber (--) sie arbeiten=s=e bissl geLÖSter ab.=e? (--) N: aber ich [weiß nich ob=s nichE: [die sin=net so verBISsen. [die sin net so verBISsen. N: [ja. ob=s ihnen nich auch besser GEHT; weil sie sind auch (--) ICH hab den eindruck sie sind auch viel FRÖHlicher;
Literatur: Braun 2002, Dunkel 2001, Herbrich 1994
Emotionalität (v.a. in Besprechungen) (8) Ebenfalls fast in jedem Gespräch hervorgehoben wird die Emotionalität in Diskussionen oder Besprechungen. Der spanische Kommunikationsstil wird als
3.4 Spanische Kultur als Gesprächsthema
119
lauter, hitziger und emotionaler charakterisiert. In mehreren Gesprächen wird die Szene beschrieben, dass sich zwei spanische Kollegen in einer Besprechung laut und emotional beschimpfen und anschließend am Kaffeeautomat (dieser wird immer in diesem Zusammenhang genannt!) wieder eine positive Beziehung herstellen. KOLLEGIALE BERATUNG: „es geht teilweise auch sehr emotional zu” (22:46, Z.532) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16
E: es geht teilweise auch sehr emotioNAL zu. (--) N: JA ja.
E: [(hm/so) ich erinner mich noch an meine (--) ERSte besprechung hier als wirklich jemand anfing RUMzuschreien; (-) und dem andern VORhaltungen zu machen; (-) er hätte da seine ARbeit nicht ordentlich gemacht;= =
DAS denn; ((lacht)) ((...)) und hab DANN irgendwann geSEhen, (-) dass die leute NACH der besprechung zusammen KAFfee getr’ ge’ g=tru’ trinken gegangen sin. (--) ((...)) n=danach macht man so dieses ähm ICH bin okay DU bist okay, des heißt man geht zum KAFfeeautomaten und unterhält sich über die faMIlie,
Weitere Ausschnitte: z.B. ANM 06:53, vgl. 9.2.1 Literatur: Dunkel 2001, Keim 1994
Ehrgefühl und Facework (9) Als weiterer Aspekt wird der Stolz und das Ehrgefühl der Spanier beschrieben, die im beruflichen Kontext ihre Konsequenz darin finden, dass man vermeidet, andere offen und vor allem vor anderen zu beschuldigen (vgl. Thema Verantwortungsbewusstsein) oder zu kritisieren. Für solche tendenziell gesichtsbedrohenden Sprechhandlungen wird ein indirekterer Kommunikationsstil gewählt. Umgekehrt haben die Gesprächspartner die Erfahrung gemacht, dass Lob äußerst positiv und als motivierender Faktor aufgenommen wird. FREUNDSCHAFT: „du hast das nicht gemacht” (10:14, Z.339) 01 02 03 04 05 06
E: wenn sie=n einer beSPREechung zum beispiel zu einem SPAanier sagen (--) !DU! (.) hast (.) DAS (.) NICHT (.) geMACHT; in SPAanisch; (--) dann LÄchelt der sie AN. (-) und sie ham=en FREUND fürs
120
3. Empirische Studie und Datenkorpus
07 08 09 10 11 12 13 14
LEben.> (---) N: mhm, E: des verSPRECH=i=ihne. (---) nein (--) sie sind einfach (---) er weiß GANZ genau aus der gesprächsfolge weiß er GANZ genau dass (-) er gemMEINT ist. ((...)) ihn dann noch mit NAmen anzusprechen; (---) des (--) kommt GANZ bös Rüber.
Weitere Ausschnitte: z.B. FREUND 09:51, vgl. 7.2.3 Literatur: König 2002a, Dunkel 2001, Herbrich 1994, Keim 1994
Machismo (3) Thematisiert wird auch der Aspekt des ‘Machismo’, insbesondere die Frage, wie Frauen im Unternehmenskontext und als Vorgesetzte akzeptiert werden. KOLLEGIALE BERATUNG: „ne frau als vorgesetzte” (37:06, Z.987) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13
N: un=wie (-) wie akzeptier=n (-) spanier als (.) ne frau als vorgesetzte? (--) E: hm; da hab ich anfang::s: (-) ähm gedacht dass des SCHWIErig wird? (-) N: ja, (--) E: WEI:L man mir auch in DEUTSCHland das so eingeredet hat; ja maCHISmo::. und so [WEIter. N: [mhm, E: des heißt also ich hab gedacht (.) !DAS! wird das HAUPTproblem. (--) und das war am ende !GAR! (--) kein problem. (-)
Literatur: Kattermann 2002, Dunkel 2001
Rolle der Familie (8) In vielen Gesprächen wird die Bedeutung der Familie in Spanien hervorgehoben. Für den beruflichen Kontext impliziert dies gemäß der Erfahrungen der Gesprächspartner, dass es den Aufbau einer Beziehung unterstützen kann, auch mal nach der Familie des Mitarbeiters zu fragen und seine familiäre Situation zu berücksichtigen. Die Rolle der Familie hat zum Beispiel auch die Konsequenz, dass die Mitarbeiter wenig flexibel im Verlegen ihrer Urlaubszeiten sind, da diese häufig mit der Großfamilie abgestimmt sind.
3.4 Spanische Kultur als Gesprächsthema
121
ANMELDUNG: „die familie hat=n sehr hohen stellenwert” (19:27, Z.638) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12
N: wie s:ehr (--) nee ich hab gehört es=is (-) es=is wichtig beim spanier is die familie hat=n SEHR hohen stellenwert;= =und es=is wichtig dass ma IRgendwo (--) net nur die MITarbeiter als MITarbeiter sieht sondern dass ma den auch als (--) familien VAter (.) oder (.) MUTter (.) oder was weiß ich also en TEIL einer faMIlie (--) beTRACHtet, (--) und die irgendwo in=s gespräch auch mal mit EINbezieht. (-) indem=ma zum beispiel fragt was weiß ich wie=s der FRAU geht; wie=s den KINdern geht; ob se in der SCHUle mitkommen; und so weiter;
Literatur: Izquierdo Martín/Sánchez León 2002, Dunkel 2001, Herbrich 1994
Kontakte und Freundschaften knüpfen (6) Insgesamt halten es die Gesprächspartner für nicht so einfach, in Spanien Kontakte zu knüpfen (was u.a. mit der Bedeutung der Familie zusammen hängt). Hier handelt es sich um ein Thema, dass insgesamt im Zusammenhang mit Auslandsentsendungen relevant wird. In den Gesprächen zeigt sich aber auch, dass das Verständnis von Freundschaft in Spanien anders ist als das in Deutschland. FREUNDSCHAFT: „freundschaft gibt=s in spanien gar nicht” (14:05, Z.454) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10
E: freundschafts gibt=s in spanien GAR nicht. es gibt nur faMIlie, (-) und was die FREUNde nennen sind beKANnte; (--) diese wort FREUNschaft in deutschland hat ne (.) !GANZ! andre n ganz andern:: wert (--) wie in SPAnien. (--) N: mhm, (--) E: sie können sich eme spanier bis zum=e GANZ bestimmte punkt NÄhern; (1.0) über diesen punkt geht der mit ihne NET naus. !AU!ßer (--) sie werden faMIliemMITglied. (1.0)
Weitere Ausschnitte: z.B. FREUND 44:08, vgl. 6.3.2 Literatur: König 2002a, Herbrich 1994
Lärm und körperliche Nähe (5) Eher im privaten, aber auch im beruflichen Kontext relevant ist der Lärmpegel (v.a. Straßenlärm) und die körperlichen Nähe (auf der Straße, bei Begrüßungen), die manche deutsche Gesprächspartner als unangenehm empfinden.
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3. Empirische Studie und Datenkorpus
KOLLEGIALE BERATUNG: „körperkontakt is schnell hergestellt” (29:59, Z.733) 01 02 03 04 05 06 07 08
E: KÖRperkontakt is schnell (--) HERgestelltalso irgendwie durch ANfassen, wenn man (.) sich unterHÄLT,= =dann (-) fasst man(=en) auf die SCHULter kurz, oder an den ARM=n, einfach um zu=s: zu signalisieren also ich (.) bin BEI dir; ich hör die ZU, so um ne verBINdung herzustellen,
Literatur: König 2002a, Keim 1994
Zusammenfassung: Insgesamt hat die inhaltliche Analyse gezeigt, dass das Spektrum der Themen, die von den Gesprächspartnern behandelt werden, sehr homogen ist. Dabei handelt es sich insgesamt umd Themen, die auch in der deutsch-spanischen Forschungsliteratur behandelt werden. Die Tabelle 3.5 gibt einen Überblick, welche Themen in den einzelnen Gesprächen auftauchen. Tabelle 3.5: Gesprächsthemen in den einzelnen Gesprächen LÄRM ENTSZIEL 1. Führungsstil/ Hierarchie 2. Verantwort.bewusstsein 3. Flexibilität/ Arbeitseinsatz 4. Beziehungsorientierung 5. Zeitverständnis/Termine 6. Lockerheit/ Humor 7. Emotionalität 8. Ehrgefühl/ Facework 9. Machismo 10.Rolle der Familie 11.Kontakte/ Freundschaft 12.Lärm/körperliche Nähe
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KOL- STAND FREUND BER
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SPUMTRAIN ZUG
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4 Beispielanalyse und Modellbildung
Die Kapitel 5 bis 9 stellen systematisch die Ergebnisse der Analysen der aufgezeichneten Gespräche zur Weitergabe kultureller Erfahrungen unter Auslandsentsandten dar. Um einen ersten Einblick in die Daten zu geben und das sequenzanalytische Vorgehen der Gesprächsanalyse zu illustrieren, werde ich in diesem Kapitel zunächst einen etwas längeren Ausschnitt aus einem der Gespräche vorstellen und sequenzanalytisch beschreiben (4.1). Anschließend gehe ich kurz darauf ein, wie aus solchen Sequenzanalysen ein systematisches Beschreibungsmodell entwickelt wurde und wie dieses Modell aufgebaut ist (4.2). Die Kapitel 5 bis 9 stellen dann systematisch die fünf kommunikativen Aufgaben dar, die sich Auslandsentsandten gemäß den Analysen bei der Erfahrungsweitergabe stellen, sowie kommunikative Verfahren und Formen, die sie zu ihrer Bewältigung verwenden.
4.1 Exemplarische Analyse eines Gesprächsausschnitts Der Gesprächsausschnitt, den ich im folgenden analysieren werde, entstammt dem Gespräch KOLLEGIALE BERATUNG. Gesprächspartner sind eine Gruppenleiterin, die bereits seit zweieinhalb Jahren in Spanien ist (im Folgenden E für Expertin oder Erfahrene), sowie ein Mitarbeiter, der erst seit zweieinhalb Monaten in Spanien ist (N für Novize oder Neuer). Die Teilnehmer des Gesprächs kannten sich vor dem Gespräch nicht. Das Gespräch kam über Vermittlung anderer Auslandsentsandter zustande, ein konkreter Termin wurde von der Forscherin arrangiert. Das Gespräch fand gegen Ende des Arbeitstags in einem Besprechungsraum auf dem Werksgelände statt. Neben den beiden Auslandsentsandten war die Forscherin anwesend. Die Gesprächsteilnehmer unterhielten sich insgesamt ca. eine Stunde über ihre Auslandsentsendung und Erfahrungen im Umgang mit Spaniern und der spanischen Kultur. Anschließend gingen sie zu einem informellen Small Talk über (Tipps zum Ausgehen in Madrid etc.). Der Gesprächsausschnitt entstammt der Anfangsphase des Gesprächs. Während der vorausgehenden ca. sechs Minuten führte die Forscherin kurz in das Gespräch ein, dann befragte E den Gesprächspartner N ausführlich über seinen konkreten Tätigkeitskontext (Tätigkeitsbereich, Aufgabenstellung, Anzahl und
124
4. Beispielanalyse und Modellbildung
Art der Kontakte zu Spaniern etc.). In dem gewählten Ausschnitt werden zum ersten Mal in dem Gespräch kulturelle Erfahrungen und Unterschiede thematisiert. KOLLEGIALE BERATUNG: „wie war=n so jetzt die ersten erfahrungen” (06:13, Z.120) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43
E: n=wie war=n so jetzt die ersten erFAHrungen? ich meine gut deZEMber is ja auch sch=etz schon (.) fast drei MOnate.=ne? oder ZWEI, (--) jenachdem wann man im dezember angefangen hat; N: ende (.) MITte dezember. (--) E: mhm, (--) ((39 sec. Auslassung)) N: aber (--) TROTZdem die ARbeitsweise (-) is SCHON=ne umstellung. (1.0) in MEIn augen. (---) E: zum BEIspiel? (--) (1.0) N: ja zum beispiel (.) es is (-) ä:hm: (1.0) alles sehr vie:l=äh (1.0) Oberflächlich gesagt chaOtischer? (--) aber des is so des SCHLAGwort was ma=eben IMmer (--) geBRAUCHT, (--) = =sondern es is (--) äh d’ d’ die LEUte (.) s=geht (-) SEHR viel mehr diREKter. (-) ja:=es kommt (.) jemand (-) so kenn ich des in MEI=m umfeld. (-) SCHAU mal da kurz was NACH. (-) JETZT sofort. (--) oder MEEtings werden ständig unterBROchen weil grad jemande REIN kommt, und eben was (-) GLEICH soFORT klären will; (--) (-) E: (--) N: und DESwegen (.) is auch ne bestimmte (-) en bestimmtes CHAos da, deswegen kann man auch bestimmte sachen einfach (-) nich zuENde machen;= =weil (.) s=kommt STÄndig (.) was NEUes dazu was man nich KENNT. (-) ja, (--) und man kann auch sehr schlecht (---) PLA:nen; sein=n TAG planen; bei MIR is=es zumindest ich hab des gefühl (-) am Anfang: (-)
4.1 Exemplarische Analyse eines Gesprächsausschnitts 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94
E: N:
E:
N: E:
N: E: N: E: N: E:
N: E: N: E:
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vor allem dass mein (1.0) ARbeitstempo nich von MIR bestimmt wird, sondern von=den ANderen. (--) hm=hm, (---) und=des hat sich jetzt=n bisschen geBESsert, wenn man eben dann (.) anfängt zu FILtern, und (--) dann=auch (.) entsprechende (.) dinge hinterher erledigt (1.0) aber (.) DES is schon (.) en (-) RIEsen (--) WECHsel, (--) zu dem wie ich VORher gearbeitet habe. (-) hm=hm? (--) das hab ich damals auch so empfunden.= =als ich hier ANgefangen habe, (--) äh::m: also bei meiner FRÜheren tätigkeit hab ich sehr struktuRIERT arbeiten können;= =des heißt also ich (-) hab mir MORgens (.) n PLAN gemacht was will ich heute MAchen, genau. und hab den ABgearbeitet, natürlich gab=s dann mal=n teleFONanruf, SO: also (.) aber die störungen war=n (.) eher (.) geRING. (--) u:nd (.) also hier is des tagesgeschäft sehr stark geprägt durch (.) äh: (.) FREMde störungen also irgendjemand WILL etwas; und es ist schon irgendwie- (--) ja; sechs wochen ÜBERfällig; und deshalb muss=es alles jetzt ganz SCHNELL [geh=n; [GEnau und so weiter;] genau genau ] genau. (--) äh:m: (---) das (-) äh (-) FÜHRT (-) DAzu (-) gemäß MEI=n erfahrungen dass (.) also natürlich diese erfahrung die man SELber macht, (-) die is (.) allgeMEIN verBREItet, das heißt die mitarbeiter machen diese erfahrung geNAUso? (---) ä:hm: (-) und die geFAHR is so=n bisschen dass da so die (---) ähm die ZIEle (.) aus den augen verloren [werden; [mhm, weil man IMmer wieder abgelenkt wird undja; (--) äh:: (--) DINge tun: äh:m: SOLL ganz schnell die=jetz eigentlich nicht zum eigentlichen geplanten gehören die man das man sich VORgenommen hat; (--) ähm (--) so dass=es (--) !DA!rauf hinausläuft dass äh viel STÄRker (-) kontrolLIERT WIRD,
126
4. Beispielanalyse und Modellbildung
95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127
N: E: N: E:
N: E:
durch den VORgesetzten als (.) in (-) DEUTSCHland. das heißt der vorgesetzte (--) KUCKT nach relativ (-) KURzen abständen immer, (-) MACHT der mitarbeiter noch das (---) in die richtung was wir uns VORgenommen haben, oder is der=jetzt schon völlig (--) AUFgesaugt durch ein ANderes thema. (--) mm (-) das ist mir am anfang=n bisschen SCHWERgefallen; weil ich gedacht hab etz=ch steh ich hier als der Oberkontrolleur,= =das war ich auch nich so geWOHNT, (-) ja; (--) ähm (-) hab aber dann a=die erFAHrung gemacht dass die mitarbeiter das erWARten. (--) mhm, also dass=sie erWARten dass ich (.) NACHfrage wie die dinge LAUfen? (--) dass (.) äh: ich geZIELT auch also (.) ANspreche gibt es proBLEme? (-) wo kommst du jetz nicht WEIter? (---) und (.) äh:m: (.) dass ich das regelmäßig überwache. (--) weil äh:m: SONST kann=es eben halt nach nem JAHR, wenn das em a GE, wenn der zeitraum UM is, (--) äh:m: (.) we=man dann sich zuSAMmensetzt kann=des einfach ma (gro’) m=böse überRAschungen geben.= =also dieses (.) sich darauf verLASsen dass der mitarbeiter das schon (.) im AUge beHÄLT, (--) ähm (-) das is hier (--) DEUTlich WEniger stark ausgeprägt.= =und wird auch vom (.) vorgesetzten eher erWARtet. (-) [mhm; [kontrollelemente;
Der Gesprächsausschnitt lässt sich in drei Interaktionseinheiten einteilen, wobei die letzte noch einmal drei deutlich abgrenzbare Sequenzen umfasst. Die folgende Analyse ist gemäß dieser Einteilung gegliedert. 1. 2. 3.
Frage nach dem Erfahrungshintergrund des Neuentsandten (Z. 1-7) Darstellung erster kultureller Erfahrungen durch den Neuentsandten (Z. 9-53) Interkulturelle Erläuterungen der erfahreneren Entsandten (Z. 54-126) Bestätigung und Reformulierung kultureller Unterschiede (Z. 54-76) Weitergehende Erläuterung der Unterschiede (Z. 77-101) Darstellung eigener Reaktionen und Handlungsstrategien (Z. 102-127)
4.1 Exemplarische Analyse eines Gesprächsausschnitts
127
4.1.1 Abschnitt-1: Frage nach dem Erfahrungshintergrund des Neuentsandten (Z. 1-7) Nachdem E den Gesprächspartner N zuvor hinsichtlich seines Tätigkeitskontextes befragt hat, leitet sie in Z. 1 des vorliegenden Gesprächsausschnitts mit einer fast formelhaft wirkenden Floskel zur Frage nach N’s bisherigen Erfahrungen über. Dass es sich um eine Frage nach kulturellen Erfahrungen bzw. Erfahrungen in Spanien handelt, wird zum einen aus dem globalen Gesprächskontext deutlich (in der Gesprächseinleitung wurde der Fokus der Gespräche auf die Weitergabe kultureller Erfahrungen gelegt). Zum anderen verweist der lokale Gesprächskontext auf den Kulturbezug, denn voraus geht dem Absatz eine Diskussion zu der Frage E’s wie spanisch is denn das umfeld. Diese beendet N unmittelbar vor dem hier betrachteten Abschnitt mit der Äußerung des heißt da is des umfeld schon relativ spanisch. Die Frage N’s schließt an diese Äußerung an (vgl. die Verbindung durch die nebenordnende Konjunktion n/und) und ist daher als Frage nach kulturellen Erfahrungen zu verstehen. Mit der Konkretisierung der Erfahrungen als erste Erfahrungen schreibt E dem Gesprächspartner N eine spezifische Erfahrungskompetenz zu. Er hat zwar gewisse, aber eben auch nur erste Erfahrungen. E rekonstituiert damit die für N in der Gesprächseinleitung schon konstituierte Rolle des ‘neuen’ Auslandsentsandten. Zu einer Art allgemeinen und neutralen Formel wird die Frage E’s durch die Verwendung einer unpersönlichen Satzkonstruktion (wie war=n), des bestimmten Artikels die (anstatt des Personalpronomens deine) sowie der Modal- oder Abtönungspartikel so und jetzt. Diese Formelhaftigkeit könnte ein Hinweis auf die Orientierung an einer etablierten Gesprächssituation sein und, vor allem angesichts der Tatsache, dass E auch im bisherigen Gespräch systematisch bestimmte Fragen abgearbeitet hat, auf die Verwendung einer bestimmten Gesprächsstrategie durch E, bei der sie sich an einer Art Frageraster orientiert. Diese Hypothese ist im weiteren Verlauf des Ausschnitts im Blick zu behalten. Eine Konsequenz der potenziellen Gesprächsstrategie ist, dass E mit ihrer Frage dem Gesprächspartner N die Aufgabe zuweist, Kulturdifferenz erstmals zu thematisieren und einen ersten Darstellungsmodus für die Beschreibung kulturspezifischer Eigenschaften oder Verhaltensweisen zu etablieren. In Z. 2-5 differenziert E die für N postulierte eingeschränkte Erfahrungskompetenz. Mit der Modalisierung ich meine gut nimmt sie die vorhergehende Äußerung, mit der sie N eine bestimmte Rolle zuwies, teilweise zurück. Sie geht nun individueller auf die Situation N’s ein. Dennoch bleibt die folgende Äußerung einem neutralen Darstellungsmodus verhaftet (vgl. die unpersönliche Satzkonstruktion dezember is, unpersönliches Pronomen man). Die individuelle Si-
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4. Beispielanalyse und Modellbildung
tuation N’s wird in eine Art Kategorisierungsraster für Auslandsentsandte im Hinblick auf deren Vorerfahrungen eingeordnet. N wird der Kategorie derjenigen Auslandsentsandten zugeordnet, die seit zwei oder drei Monaten in Spanien sind. N geht auf diese Kategorisierung ein und präzisiert in Z. 6, wie er konkret einzuordnen ist (ende mitte dezember). Mit der Rückmeldung in Z. 7 bestätigt E, dass mit dieser Angabe die Kategorisierung N’s, die verbunden ist mit der Zuschreibung einer bestimmten Erfahrungskompetenz, abgeschlossen ist. Zusammenfassung: Im ersten Absatz des Gesprächsausschnitts bewältigen E und N interaktiv die kommunikative Aufgabe, für N spezifische Erfahrungskompetenzen zu etablieren, über die zugleich seine situative Rolle als neuer Auslandsentsandter rekonstituiert wird. Zum anderen wird eine bestimmte Gesprächsstrategie E’s deutlich, deren Konsequenzen im weiteren Verlauf des Gesprächs im Blick zu behalten sind. Es folgt nun ein Exkurs N’s zu seinem konkreten Erfahrungshintergrund (Z. 8), der hier nicht genauer betrachtet wird.68 N bringt in dem Absatz weitere relevante Faktoren für die Einschätzung seiner Vorerfahrungen ins Spiel: Seine Freundin ist Halbspanierin, und er hatte dadurch bereits vor der Auslandsentsendung einige Erfahrungen mit Spanien, insbesondere da sie häufiger gemeinsam die Eltern in Spanien besuchten. N unterscheidet verschiedene Erfahrungsniveaus je nach Lebensphase (vorher wenig erfahrungen mit dem land, dann schon mehr). Damit übernimmt er das Vorgehen E’s, seinen Erfahrungshintergrund neutral bzw. kategorial zu beschreiben, und etabliert für sich selbst ebenfalls eine gewisse aber nicht besonders große Erfahrungskompetenz. 4.1.2 Abschnitt-2: Darstellung erster kultureller Erfahrungen durch den Neuentsandten (Z. 9-53) Im Anschluss an den Exkurs zu seinem Erfahrungshintergrund reagiert N ab Z. 9 konkret auf die Frage E’s nach seinen ersten Erfahrungen. Mit der Aussage aber trotzdem die arbeitsweise is schon=ne umstellung thematisiert er einen Aspekt, den er in Spanien als anders erfahren hat (die arbeitsweise). Er fokussiert mit dem Begriff deutlich auf den beruflichen Kontext. Eine kulturelle Differenzerfahrung wird durch die Vokabel umstellung angedeutet. Widergegeben wird nicht eine konkrete Erfahrung (im Sinne einer Einzelerfahrung), sondern vielmehr eine resümierende Einschätzung und Bewertung der bisherigen Erfahrungen (im Sinne der Verbalphrase ‘die Erfahrung gemacht haben dass’). Dabei macht N zunächst auch keine konkrete Aussage über die spanische Kultur (über die arbeitsweise), sondern beschreibt vielmehr, welche Konsequenz sich für ihn 68
Den Ausschnitt werde ich in 5.3.1 im Zusammenhang mit der Etablierung von Erfahrungskompetenzen behandeln.
4.1 Exemplarische Analyse eines Gesprächsausschnitts
129
persönlich ergibt (ne umstellung), wie er individuell betroffen ist. Die Aussage enthält eine (leicht) negative Bewertung, die in der Vokabel umstellung enthalten ist und grundsätzlich auf problematische Erfahrungen im Zusammenhang mit Kulturdifferenz hindeutet. Die Intensität der Differenzerfahrung wird dadurch hervorgehoben, dass die Aussage als kontrastive Fokussierung zu N’s vorheriger Aussage weil ich schon einiges kannte vom land (diese Aussage ist Teil des ausgelassenen Absatzes) formuliert ist (vgl. aber, stark betontes trotzdem und schon). In seiner Formulierung rekurriert N auf Schlagwörter (arbeitsweise, umstellung) und eine Floskel (is schon ne umstellung), die typischerweise im Zusammenhang mit Auslandsentsendungen und interkulturellen Kontaktsituationen verwendet werden. Die Formulierung ist durch die 3.Ps.Sg.-Konstruktion und das Fehlen jeglicher Personalpronomen neutral gehalten. Die floskelartige Antwort N’s erscheint als Reaktion auf die floskelartige Frage E’s in Z. 1. N und E tauschen sich bisher eher nicht auf einer persönlichen Ebene aus, sondern vielmehr in ihrer sozialen Rolle als Auslandsentsandte mit einem bestimmten Erfahrungshintergrund.69 Der Rückgriff auf eine formelhafte Formulierung N’s in Z. 9-10 kann jedoch auch auf seine Unsicherheit damit zurückgeführt werden, dass er als Neuer zuerst Erfahrungen mit der spanischen Kultur darstellen soll. Die Pause in Z. 10 unterstützt die Vermutung, dass N unsicher ist. Er wartet möglicherweise auf eine Zustimmung, vielleicht auch eine konkretere Stellungnahme oder einen Erfahrungsbericht E’s. Nachdem keinerlei Reaktion erfolgt, subjektiviert N in Z. 11 nachträglich seine vorhergehende Äußerung (in mein augen). Er stellt seine soziale Rolle damit vorübergehend in den Hintergrund und eine individuelle Sichtweise in den Vordergrund. Die folgende Pause in Z. 12 sowie die Reaktion E’s in Z. 13 machen deutlich, dass offenbar auch die nachträgliche Subjektivierung ihre Erwartung nicht erfüllt. Mit ihrer Frage nach einem Beispiel beharrt sie auf der Eingangsfrage nach ersten erfahrungen und zeigt zugleich an, dass sie damit konkrete Erfahrungen und nicht Verallgemeinerungen aus Erfahrungen meinte. Unerwartet und fast unnatürlich wirkt das Lachen E’s im Anschluss an die Nachfrage (Z. 14). Die Pause zwischen Frage und Lachen deutet darauf hin, dass es sich bei dem Lachen um eine Remodalisierung der vorherigen Äußerung handelt. E’s forderndes, beharrendes Nachfragen nach Beispielen erscheint im Kontext eines Erfahrungsaustauschs unangemessen. E besitzt nicht – wie das beispielsweise in einem Beratungsgespräch der Fall wäre – das Recht, N konsequent auszufragen. Mit dem Lachen nimmt sie der vorhergehenden Aussage ihre Schärfe und 69
Hier ist allerdings anzumerken, dass diese Distanziertheit relativ zu Beginn des Gesprächs möglicherweise auch auf die Gesprächseinführung durch die Forscherin und die Aufnahme zurückzuführen ist.
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4. Beispielanalyse und Modellbildung
schwächt die Beanspruchung der Rolle einer Beraterin gewissermaßen ab.70 Mit dem Lachen gesteht E außerdem N zu, dass es nicht einfach ist, konkrete Erfahrungen zu beschreiben. Im Folgenden stellt N zunächst zwei allgemeine Charakterisierungen der Arbeitsweise in Spanien dar (Z. 16-17 und 21-22), die dann zu zwei generalisierenden Erlebnisdarstellungen (Z. 23ff und 27ff) hinführen. In Z. 16 reagiert N zwar auf E’s Nachfrage tatsächlich mit einem Beispiel. Er interpretiert die Frage jedoch nicht als Frage nach einem konkreten Beispielerlebnis, sondern nennt einen Beispielaspekt für die genannte These, dass die Arbeitsweise eine Umstellung sei. Die Beschreibung der Arbeitsweise in Spanien bleibt trotz der Rahmung als Beispiel abstrakt (vgl. die Charakterisierung der Situation durch das Adjektiv chaotischer), neutral (vgl. 3.Ps.Sg: es is) und stark generalisierend mit Tendenz zur Stereotypisierung (vgl. Allquantor + verstärkende Gradpartikel: alles sehr viel). Durch die Wortwahl (chaotischer) und übertriebene Generalisierung (alles sehr viel) erhält die Aussage eine negativ wertende Tendenz. Durch die unpersönliche Partizipialkonstruktion oberflächlich gesagt wird die Generalisierung jedoch zugleich abgeschwächt. Auch das vorausgehende Zögern (vgl. mehrfache Pausen, insb. eine Sekunde Pause vor der konkreten Charakterisierung) wirkt relativierend. Außerdem konstatiert N in Z. 18 selbst, dass er auf einen stereotypen Begriff (schlagwort) zurückgreift und relativiert mit dieser Rahmung seine Aussage explizit. In einer nachgestellten Bemerkung macht er deutlich, dass er nach alternativen Begriffen oder Beschreibungen sucht. Die Formulierungsprobleme N’s (Pausen, ähm) zeigen nicht nur eine anhaltende Unsicherheit bei der Formulierung kulturbezogener Aussagen sowie bezüglich der Gesprächssituation an, sondern sein Zögern deutet möglicherweise auch darauf hin, dass er noch nach einem konkreten Beispiel(erlebnis) bzw. nach Beispiel(erlebniss)en sucht. Auch der zweite Ansatz zu einer Darstellung kultureller Erfahrungen (Z. 21ff) bleibt abstrakt (direkter), neutral (es is, die leute, es geht) und stark generalisierend (sehr viel mehr). In beiden Aussagen steht durch die Verwendung eines Komparativs (chaotischer, direkter) deutlich eine Vergleichsperspektive im Vordergrund, auch wenn nicht explizit das Vergleichsobjekt genannt wird. Im ersten Fall wird außerdem durch die Wortwahl (chaotischer) eine negative Be-
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Schwitalla (2001b: 337) beschreibt als eine Funktion des Lachens die Demonstration, „dass man sich bewusst über gemeinhin übliche Normalitätserwartungen, Höflichkeitsmaximen und gesellschaftliche Regeln des Anstands hinwegsetzt“. Hier verweist er auch auf ein Beispiel bei dem ein Sprecher gegen die ‘Regeln’ des Beratungsgesprächs verstößt und diesen Verstoß durch Lachen markiert. Das lachende Sprechen erlaubt es laut Schwitalla in diesem Fall, „eine Verfehlung zwar zuzugeben, aber sich nicht entschuldigen zu müssen“ (ebd.: 338).
4.1 Exemplarische Analyse eines Gesprächsausschnitts
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wertung angezeigt, im zweiten Fall (direkter) wird allenfalls durch den Kontext eine negative Konnotation deutlich. In Z. 23 bis 26 folgt nun eine erste konkretere Darstellung des Arbeitsalltags in Spanien. Allerdings erzählt N noch immer kein konkretes Erlebnis, sondern stellt vielmehr eine wiederkehrende, generalisierte Erfahrung dar (vgl. die 3.Ps.Sg.-Konstruktion es kommt, die neutrale Personalreferenz durch jemand und die leute sowie die Verwendung des generischen dein). Er verwendet jedoch einen szenischen Darstellungsmodus (vgl. die szenische Inszenierung kommen an dein schreibtisch in Z. 24 sowie die Redewiedergabe in Z. 24-26). Durch den eingeschobenen Verweis auf eigene Erfahrungen (so kenn ich des in mei=m umfeld) schränkt N einerseits die Reichweite seiner Aussage ein (Relativierung), andererseits legitimiert er sie durch die Authentizität der eigenen Erfahrung. Das Verb kennen besitzt – wie zum Beispiel die Verbalphrasen die erfahrung machen, erlebt haben auch – einen deutlich höheren Legitimitätsanspruch als zum Beispiel Verbalphrasen wie sehen, glauben, den eindruck haben, das gefühl haben etc. Damit etabliert N wieder eine gewisse Erfahrungskompetenz für sich. Es folgt schließlich eine zweite Konkretisierung der Charakterisierung der Arbeitsweise als chaotischer bzw. direkter (Z. 27-32). Diese ist wieder neutral formuliert, stellt eine generalisierte Erfahrung dar (vgl. jemand, da wird gewartet, wird gemacht, des wird gemacht) und ist stark generalisierend mit Tendenz zur Übertreibung (vgl. ständig, gleich sofort, alles gleich sofort), was auch hier auf eine negative Bewertung hindeutet. Eine vergleichende Perspektive wird durch die verneinende Darstellung deutlich, die als Gegenbild die Erwartungshaltung N’s anzeigt (wird nicht erst gewartet, wird keine terminabsprache gemacht). Nachdem E die Darstellung N’s durch ihr Lachen und ein Rückmeldesignal bestätigt hat, äußert N wieder eine allgemeinere Darstellung der Situation (Z. 34ff). Er greift hier ohne Einschränkungen auf den Begriff des chaos zurück, den er zuvor als schlagwort abgetan und abgelehnt hat und zeigt damit eine deutlich negative Bewertung der Situation an. Z. 36-42 enthält eine Konkretisierung dieser allgemeinen Beschreibung bzw. Bewertung im Sinne zweier Beispielaspekte (Z. 36-17: man kann Sachen nicht zuende machen, Z. 41: man kann sehr schlecht planen). Die negative Bewertung wird in diesen Zeilen wie schon zuvor durch die Darstellung einer nicht erfüllten Erwartung deutlich (kann man nicht zuende machen, man kann sehr schlecht planen). Wieder ist die Darstellung außerdem neutral (is da, 3x man) und generalisierend mit Tendenz zur Übertreibung (ständig, sehr schlecht) formuliert. Ab Z. 43 geht N erstmals – wenn man einmal von den eingeschobenen Perspektivierungen in mein augen (Z. 11) und so kenn ich des in mei=m umfeld (Z. 23) absieht – zu einer individualisierten Darstellungsweise über. Er beginnt seine
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4. Beispielanalyse und Modellbildung
Aussage mit zwei Ausdrücken, die die folgende Aussage vorausgreifend individualisieren (bei mir is=es zumindest ich hab des gefühl). Mit dem gefühl wird eine neue Ebene der Wahrnehmung bzw. Erfahrung eingeführt (bisher angesprochene Ebenen: bildliche Wahrnehmung/augen (11), Erfahrung/kennen (23)). Es folgt die Darstellung einer individuellen Empfindung bzw. Reaktion auf die erfahrenen Unterschiede bezüglich der Arbeitsweise, die eine negative Bewertung bzw. allgemein eine problematische Erfahrung anzeigt. Erneut wird die eigene Erwartung in der Darstellung qua Negation mit angezeigt (dass mein arbeitstempo nicht von mir bestimmt wird). Die Rückmeldung E’s in Z. 47 deutet darauf hin, dass E ähnliche Erfahrungen gemacht hat und die Empfindungen und Bewertungen N’s teilt. In Z. 48 bis 51 bewertet N seine Erfahrung insgesamt und zeigt noch deutlicher an, dass er Probleme mit den beschriebenen Situationen bzw. Unterschieden hat (das Verb bessern deutet darauf hin, dass die Situation schlecht war). Der erneute Wechsel zur 3.Ps.Sg. (hat sich gebessert) bzw. neutralen Personenreferenz (man) deutet darauf hin, dass es N nicht ganz leicht fällt, individuelle Probleme einzugestehen. Nach einer Reflexionspause hebt N in Z. 52-53 noch einmal resümierend seine prinzipielle kulturelle Differenzerfahrung im Hinblick auf das Thema Arbeitsweise hervor (vgl. die Vokabel wechsel in Analogie zu umstellung). Auch hier fokussiert er mit dem Verb arbeiten wieder deutlich auf den beruflichen Kontext (vgl. auch das Vokabular in dem gesamten Absatz, Z. 9: arbeitsweise, Z. 24: schreibtisch, Z. 31: terminabsprache, Z. 44: arbeitstempo). Die Kontrastkontexte werden auch hier nicht explizit benannt (also etwa als Wechsel von Deutschland nach Spanien), sondern nur implizit und dabei nicht wie zu erwarten durch lokale Referenzausdrücke verankert, sondern durch temporale (vorher). Damit verweist N zunächst allein auf eine Differenzerfahrung durch den Wechsel des Arbeitsplatzes. Allerdings ist aus dem (globalen und lokalen) Gesprächskontext klar, dass dieser von Deutschland nach Spanien erfolgte und dass kulturelle Aspekte wohl eine Rolle spielen. Eine nur implizite kulturelle Verankerung lässt sich auch rückblickend für den gesamten Absatz feststellen. N verweist in dem gesamten analysierten Redebeitrag (Z. 9-53) kein einziges Mal auf einen konkreten kulturellen Kontext (Deutschland, Spanien, das spezifische Werk o.ä.). Selbst wenn eine Vergleichsperspektive angezeigt wird (umstellung, chaotischer, direkter etc.), wird nie eine Vergleichsgruppe oder ein Vergleichskontext genannt. Allein durch den Gesprächskontext (auch dadurch, dass in dem hier nicht analysierten Exkurs N seinen Bezug zu Spanien differenziert beschreibt und dabei auch mehrmals explizit auf spanien verweist) versteht man N’s gesamte Aussage vor dem Hintergrund seines Arbeitsplatzwechsels von Deutschland nach Spanien. Hier kommt auch die Tatsache zum Tragen, dass es
4.1 Exemplarische Analyse eines Gesprächsausschnitts
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sich um Gespräche unter Auslandsentsandten handelt, die aus der gleichen Kultur kommen und im gleichen Unternehmen sowie (meist) im gleichen Auslandsstandort arbeiten. Dieser gemeinsame Erfahrungshintergrund ist für die Gespräche äußert prägend und zeigt sich unter anderem darin, dass eine explizite kulturelle Verankerung häufig nicht nötig ist und vermieden werden kann. Zusammenfassung: Folgende Interaktionssequenzen bzw. kommunikative Aufgaben konnten innerhalb des Absatzes herausgearbeitet werden: Nachdem N einleitend ein konkretes Thema aus dem Arbeitsalltag einführt (Z. 9: die arbeitsweise) und seine individuelle kulturelle Differenzerfahrung hervorhebt (Z. 8: umstellung), stellt er anschließend in mehreren Anläufen Besonderheiten der Arbeitsweise in Spanien dar. Er beginnt zunächst in kontrastierender Darstellungsweise mit zwei allgemeinen Beschreibungen (Z. 16-20: chaotischer, Z. 2122: direkter). Diese fungieren gewissermaßen als vorgreifende Verdeutlichung der anschließenden Konkretisierungen, die in Form zweier (mehr oder weniger stark) generalisierter Erfahrungen erfolgen (Z. 23-26: es kommt jemand, Z. 2732: meetings werden ständig unterbrochen). Es folgt eine weitere allgemeine Charakterisierung der Situation (Z. 34: chaos) mit zwei Konkretisierungen im Sinne der Beschreibung konkreter Verhaltensweisen oder Zustände (Z. 36-39: man kann bestimmte sachen nich zuende machen, Z. 41-42: man kann sehr schlecht planen). N schließt mit einer individualisierten Bewertung der Differenzerfahrung (Z. 43-51: ich hab des gefühl), gefolgt von einer resümierenden Aussage, die die Hervorhebung der kulturellen Differenzerfahrung zu Beginn des Absatzes reformuliert (Z. 52: des is en riesen wechsel). Vereinzelt eingestreut in die Sequenzen findet man Verweise auf den eigenen Erfahrungshintergrund (z.B. Z. 23: so kenn ich des in mei=m umfeld), die die Behauptungen subjektivieren bzw. relativieren und mit denen N zugleich für sich bestimmte Erfahrungskompetenzen etabliert. 4.1.3 Abschnitt-3: Interkulturelle Erläuterungen der erfahreneren Entsandten (Z. 51-126) 4.1.3.1 Bestätigung und Reformulierung kultureller Unterschiede (Z. 54-76) Nachdem N durch seine resümierende Aussage in Z. 52-53 angezeigt hat, dass sein Redebeitrag abgeschlossen ist, übernimmt E den Turn zunächst mit einer grundsätzlichen Bestätigung der Aussage N’s (hm=hm und das hab ich damals auch so empfunden). Sie schließt dabei an N’s Darstellung individueller Betroffenheit und Emotionen an. Durch die Verwendung des Verbs empfinden, das einen relativ unmittelbaren Wahrnehmungsmodus anzeigt (im Gegensatz zum Beispiel zu die Erfahrung gemacht haben, kennen), und die Hervorhebung der
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4. Beispielanalyse und Modellbildung
Vergleichbarkeit ihrer Erfahrungen (vgl. auch, Hinweis auf Beginn der Auslandsentsendung) begibt sie sich auf eine Ebene mit N. Eine solche Herstellung einer gemeinsamen Problemsicht und Solidarisierung hinsichtlich bestimmter Bewertungen und Emotionen bewirkt primär eine Stärkung und gegenseitige Rückversicherung der Gesprächspartner bezüglich der individuellen und sozialen Identität als deutscher Auslandsentsandter in Spanien. In der vorliegenden Stelle distanziert sich E allerdings gleichzeitig durch die Darstellung in der Vergangenheit und das rückschauende Tempusadverb damals bzw. den temporalen Nebensatz als ich hier angefangen habe von der Situation N’s und deutet einen individuellen Lernfortschritt und Erfahrungsvorsprung an. Damit konstituiert sie lokal für sich die Rolle einer ‘Erfahrungsexpertin’, die N Erfahrungen und Erfahrungswissen weitergeben kann. Die Hervorhebung der gemeinsamen Problemsicht ist aus dieser Perspektive als emotionale und psychologische Unterstützung gegenüber N zu interpretieren. E geht zunächst nicht weiter auf den Erfahrungsvorsprung ein, sondern stellt aus ihrer Sicht kontrastierend die Arbeitsweise in Deutschland und Spanien dar (Z. 57-74). Auch sie zeigt in dem gesamten Absatz durch das verwendete Vokabular einen deutlichen Bezug zum beruflichen Kontext an (z.B. Z. 57: tätigkeit, Z. 38: arbeiten, Z. 66: tagesgeschäft, Z. 81: mitarbeiter, Z. 95: vorgesetzten). Im Gegensatz zu N beginnt E nicht mit einer verallgemeinernden Charakterisierung und Bewertung, sondern mit einer individualisierten Beschreibung der eigenen Arbeitsweise (vgl. die Verwendung der Pronomen ich, meine, mir). Ihre frühere Arbeitsweise (temporale Referenz!) stellt sie zunächst über eine Handlungsprädikation mit Verstärkung dar (Z. 57-58: hab ich sehr strukturiert arbeiten können), auf die eine Konkretisierung folgt (Z. 59-62: hab mir morgens n plan gemacht...). Der Hinweis auf Ausnahmen (Z. 63: natürlich gab=s dann mal=n telefonanruf) bestätigt die grundsätzliche Normalität der beschriebenen Abläufe. Die Verwendung der 3.Ps.Sg. bei dieser Einschränkung deutet auf eine grundsätzliche Generalisierbarkeit der eigenen Arbeitsweise hin. E schließt die Darstellung ihrer Arbeitsweise mit einer resümierenden allgemeinen Charakterisierung in unpersönlicher Satzkonstruktion (Z. 64: die störungen war=n eher gering), die durch das komparative Grad-Adverb eher bereits zur Darstellung eines Kontrasts überleitet. Die Beschreibung der Situation hier (lokale Referenz!) ist von vornherein neutral formuliert (vgl. hier is, irgendjemand, es ist, muss es). Sie erfolgt ebenfalls als allgemeine Charakterisierung in unpersönlicher Satzkonstruktion (Z. 6667: is geprägt durch fremde störungen) mit anschließender Konkretisierung (Z. 67-68: irgendjemand will etwas...). Sowohl allgemeine Darstellung als auch Konkretisierungen enthalten Generalisierungen mit Tendenz zur Stereotypisierung und bewertender Konnotation (sehr stark, alles jetzt ganz schnell). Aller-
4.1 Exemplarische Analyse eines Gesprächsausschnitts
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dings ist E’s Darstellung sowohl in Bezug auf die ‘deutsche’ als auch die ‘spanische’ Arbeitsweise deutlich weniger kategorisierend als die N’s (keine Eigenschaftsprädikationen), weniger bewertend und eher sachlich beschreibend. Letzteres zeigt sich in der Wortwahl und den Formulierungen (z.B. strukturiert arbeiten, einen Plan machen, Störungen waren gering, das Tagesgeschäft ist geprägt durch fremde Störungen) sowie in den Satzkonstruktionen (lange Projektionen, lange Satzketten, insgesamt Tendenz zur Schriftsprache). Für die Konkretisierungen verwendet E eher einen berichtenden als erzählenden Stil (kein inszenierender Darstellungsmodus, keine Redewiedergabe etc.). Diese Darstellungsmodalität, gerade im Kontrast zu der N’s, unterstützt die Konstitution einer Erfahrungskompetenz für E. Durch die rückblickende neutrale und sachliche Beschreibung wird deutlich, dass E ihre Erfahrungen verarbeitet hat. Die persönliche Betroffenheit N’s deutet eher auf eine Unerfahrenheit hin und trägt daher zur Konstitution der Rolle eines ‘unerfahrenen Neuen’ bei. Auch der gegensätzliche argumentative Aufbau der beiden Beiträge unterstützt diese Rollenkonstitution. N beginnt seinen Redebeitrag mit Verallgemeinerungen und Bewertungen (Z. 922), schließt dann illustrierende Beispielerfahrungen an (v.a. Z. 23-32) und zeigt, nach erneuten Verallgemeinerungen (Z. 34-42), erst am Schluss eine individuelle Perspektive an (Z. 43-53). E geht von der Darstellung individueller Erfahrungen und Empfindungen aus (Z. 55-64) und schließt darauf aufbauend auf mögliche Verallgemeinerungen (ab Z. 66). Die eher logisch strukturierte Argumentation deutet auf eine reflektiertere Sichtweise auf die kulturellen Unterschiede hin. Auffällig ist in der Darstellung E’s außerdem der Wechsel zwischen lokalund temporal-deiktischen Ausdrücken zur kulturellen Verankerung der Aussagen. Auf den ‘eher spanischen’ Arbeitsstil wird durch lokale Referenz Bezug genommen (Z. 56: hier angefangen, Z. 66: hier is des tagesgeschäft), auf die ‘eher deutsche’ Arbeitsweise durch temporale Referenz (Z. 57: bei meiner früheren tätigkeit). Die Verwendung lokaler Deixis macht deutlicher kulturelle Einflüsse für bestimmte Verhaltensweisen relevant (diese können sowohl die Nationalkultur als auch Unternehmens-, Werkskultur etc. betreffen). Temporale Deixis kann grundsätzlich nur in bestimmten Fällen für die Kontextualisierung kultureller Erfahrungen verwendet werden, nämlich dann, wenn die Überschreitung kultureller Grenzen an einem bestimmten Zeitpunkt festgemacht werden kann. Temporal-deiktische Ausdrücke bleiben vager und verweisen (allein von der Formulierung her) weniger unmittelbar auf kulturelle Kontexte. Sie deuten außerdem an, dass allein ein Wechsel der Tätigkeit zu Problemen führen kann. Die Verwendung lokaler bzw. temporaler Deixis in dem vorliegenden Absatz spiegelt möglicherweise die häufig zu beobachtende Tendenz wider, fremde Eigenschaften und Verhaltensweisen schnell verallgemeinernd einer bestimmten Kul-
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4. Beispielanalyse und Modellbildung
tur zuzuschreiben, eigene Verhaltensweisen eher individualisiert und die eigene Kultur eher differenziert wahrzunehmen. In dem hier nicht analysierten Abschnitt N’s lässt sich eine ähnliche Verwendung lokaler und temporaler Referenzausdrücke feststellen. Erfahrungen in Spanien verankert N hauptsächlich mithilfe lokal-deiktischer Ausdrücke (in spanien, hierher), Erfahrungen in Deutschland temporal-deiktisch (vorher). In dem analysierten Absatz macht N allein temporale Aspekte relevant (umstellung, wandel, vorher). Diese besitzen im Vergleich zu lokaler oder gar personaler Referenz die Funktion einer Abschwächung kultureller Stereotype. Die Äußerungen E’s werden von N mehrfach und zunehmend nachdrücklich bestätigt (Z. 61, 70, 73, 75). Diese Bestätigungen deuten darauf hin, dass E erfolgreich die Erfahrungen und Eindrücke N’s reformuliert hat und die Gesprächsteilnehmer damit zu einer geteilten allgemeinen Charakterisierung und Bewertung der spanischen Kultur und entsprechender Kulturunterschiede gefunden haben. 4.1.3.2 Weitergehende Erläuterung der Unterschiede (Z. 77-101) Nachdem E und N zu einer gemeinsamen ersten Einschätzung der spanischen Kultur gefunden haben, beginnt E eine neue Sequenz (vgl. die abschließende Floskel und so weiter sowie die Pausen und den Zögerungspartikel In Z. 76 und 77). Sie gibt nun weitere Erläuterungen bezüglich der spanischen Kultur, bei denen sie für sich eine größere Erfahrungskompetenz und damit im Verhältnis zu N einen Erfahrungsvorsprung beansprucht (Z. 77-101). Gleich zu Beginn in Z. 77-78 verweist E darauf, dass die folgenden Aussagen auf eigenen, tatsächlichen Erfahrungen basieren, legitimiert diese damit vorausgreifend und etabliert für sich eine bestimmte Erfahrungskompetenz. Sie verwendet den Erfahrungsbegriff im Plural, das heißt ihre Aussage basiert auf mehreren Erfahrungen. Auf ihren fortgeschrittenen Erfahrungsstand deutet auch die Tatsache hin, dass sie nicht mehr erste erfahrungen darstellt, sondern vielmehr Schlussfolgerungen (das führt dazu). Auffällig und durch die Verwendung des Erfahrungsbegriffs zunächst verwunderlich ist die Aussage die mitarbeiter machen diese erfahrung genauso (Z. 80). Denn E’s Beschreibung und vor allem Bewertung der Arbeitsweise ergibt sich ja gerade aus der Erfahrung kultureller Differenz. Wenn mit die mitarbeiter die spanischen Mitarbeiter gemeint sind (und E’s Mitarbeitern sind fast ausschließlich Spanier, wie sie an anderer Stelle des Gesprächs berichtet), dann kann lediglich gemeint sein, dass deren Arbeitsprozesse vergleichbar verlaufen, nicht jedoch, dass sie diese ebenso empfinden bzw. erfahren. Die Darstellung der Konsequenzen aus dem spanischen Arbeitsstil erfolgt in zwei Sequenzen (Z. 77-92 und 93-101), die jeweils mit einer Schlussfolgerungs-
4.1 Exemplarische Analyse eines Gesprächsausschnitts
137
floskel eingeleitet werden (das führt dazu bzw. so dass=es darauf hinausläuft). Beide Sequenzen sind neutral formuliert (vgl. 3.Ps.Sg.: die gefahr is, Passivkonstruktion: verloren werden, kontrolliert wird, neutrales Personalpronomen: man) und zunehmend generalisierend (vgl. Frequenzadverb immer in Z. 87 und 97) mit Tendenz zur Übertreibung (vgl. die Verwendung der Gradpartikel Z. 90: ganz schnell, Z. 93-94: viel stärker, Z. 100: völlig). In der ersten Sequenz wird die allgemeine Situation negativ bewertend als gefahr bezeichnet, das heißt tatsächliche negative Konsequenzen aus der bisher nur negativ empfundenen Arbeitsweise werden dargestellt (vgl. auch die weitere Wortwahl: ziele aus den augen verloren, abgelenkt sowie die Andeutung eines Kontrasts qua Negation: nicht zum eigentlichen geplanten gehören). Mit der zweiten Sequenz geht E über von einer Beschreibung der Arbeitsweise zur Darstellung von Konsequenzen für den Führungsstil. Es wird erstmals ein Vergleich mit explizitem Verweis auf eine Bezugskultur (stärker ... als in deutschland) vorgenommen. In dieser Sequenz findet man wieder eine allgemeine Charakterisierung mit Vergleich (Z. 93-95) und anschließender Konkretisierung, hier eingeleitet mit der Konkretisierungs-Floskel das heißt (Z. 96-101). Die Konkretisierung erfolgt in diesem Fall über die Darstellung einer generalisierten Ablauf- bzw. Handlungsbeschreibung. Es werden konkrete Akteure genannt (vgl. Verwendung des Singulars mit bestimmtem Artikel und des Personalpronomens wir), allerdings werden diese als Typen aufgefasst (vgl. die Bezeichnung über die sozialen Rollen: der vorgesetzte bzw. der mitarbeiter). Ein szenischer Darstellungsmodus zeigt sich in der Redewiedergabe (Z. 98-101). Auffällig ist in den Schlussfolgerungs-Sequenzen insgesamt der Kontrast zwischen einem abgeklärten Sprechen (lange Projektionen, lange Satzketten, argumentativer Darstellungsmodus), mit dem E für sich einen gewissen Expertenstatus etabliert, und generalisierenden Ausdrücken andererseits (s. oben), die emotionale Bewertungen anzeigen und auf Stereotypisierungen hindeuten. Innerhalb des Absatzes tritt die generalisierende Darstellungsweise zunehmend in den Vordergrund (vgl. auch explizite Konkretisierung, Redewiedergabe). Dem entspricht auch die vermehrte Verwendung von Formen der personalen Referenz in diesem Absatz (Z. 87 und 91: man, Z. 95 und 96: vorgesetzter, Z. 81 und 98: mitarbeiter). Allerdings bleiben diese alle implizit. E verwendet in dem Absatz lediglich einen expliziten Referenzausdruck, der jedoch lokal ist (Z. 95: in deutschland). Implizite Formen der Referenz sowie Formen der lokalen im Vergleich zur personalen Referenz bleiben insgesamt vager im Bezug auf die Zuschreibung kultureller Eigenschaften und Verhaltensweisen. Sie bewirken damit tendenziell eine Abschwächung kultureller Zuschreibungen bzw. Stereotypisierungen.
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4. Beispielanalyse und Modellbildung
4.1.3.3 Darstellung eigener Reaktionen und Handlungsstrategien (Z. 102-127) Die fallende Intonation in Z. 101 sowie die anschließende Pause und der Zögerungspartikel mm in Z. 102 deuten wieder auf den Beginn einer neuen Sequenz hin. In dieser Sequenz (Z. 102-127) thematisiert E vor allem die eigenen Reaktionen und den individuellen Umgang mit den beschriebenen kulturellen Differenzen. Sie beschreibt noch einmal explizit ihre eigene Betroffenheit und Empfindung zu Beginn der Auslandsentsendung. Die Aussage in Z. 102 (das ist mir am anfang=n bisschen schwergefallen) stellt zunächst eine Art Reformulierung der individuellen Einschätzung in Z. 55-56 dar (das hab ich damals auch so empfunden als ich hier angefangen habe). Allerdings liegt der Fokus in diesem Fall nicht auf der reinen Wahrnehmung und Bewertung der Unterschiedlichkeit, sondern vielmehr auf der Frage nach Konsequenzen aus den beschriebenen Kulturdifferenzen für das eigene Handeln. Das Verb schwer fallen zeigt Schwierigkeiten beim eigenen Handeln an. Auch in der folgenden Äußerung (Z. 103-104) steht die individuelle Handlungsperspektive im Vordergrund. Der etwas ironische Begriff oberkontrolleur impliziert zwar auch eine negative Bewertung des spanischen Führungsstils, den E implizit mithilfe dieses Begriffs beschreibt. Die eigentlich angesprochene Schwierigkeit besteht jedoch darin, dass sich E selbst genötigt sieht, als solcher zu handeln. Mit dieser Darstellung von Problemen für das eigene Handeln im beruflichen Kontext wird implizit die Frage aufgeworfen, wie man als deutscher Auslandsentsandter in Spanien handeln kann oder sollte, das heißt wie man auf die kulturellen Differenzen reagiert. In Z. 105 wird noch einmal explizit die kulturelle Differenzerfahrung E’s hervorgehoben und das Neue als ‘ungewohnt’ charakterisiert (das war ich auch nich so gewohnt). In Z. 107-120 stellt E dann eine Erwartungshaltung der Spanier gegenüber der deutschen Führungskraft dar. Einleitend verweist sie noch einmal auf ihren Erfahrungshintergrund bzw. durch die Verwendung des Sequenz-Adverbs dann sogar auf einen Erfahrungs- bzw. Lernfortschritt (hab aber dann die erfahrung gemacht) und etabliert damit wieder für sich einen Erfahrungsvorsprung. Der Erfahrungsbegriff wird hier im Singular mit bestimmtem Artikel verwendet. Er verweist damit auf ein Erfahrungswissen, das auf der Basis von Verallgemeinerungen aus Einzelerfahrungen gewonnen wurde. Auf die verallgemeinernde Darstellung der Erwartungshaltung (Z. 107-108) folgt, eingeleitet durch das Nexus-Adverb also, eine Konkretisierung (Z. 110-115) im Hinblick auf konkretes Handeln, das heißt den Umgang mit kultureller Differenz (vgl. die Verwendung der Handlungsverben nachfragen, ansprechen, überwachen sowie der Redewiedergabe in Z. 112-114). Die Erwartungen werden individualisiert als Erwartungen an das eigene Handeln dargestellt (vgl. die Verwendung des Personalpronomens ich). Dadurch bleibt E der Ebene des Erfahrungsberichts verhaftet.
4.1 Exemplarische Analyse eines Gesprächsausschnitts
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Es folgt schließlich eine Darstellung der zu vermeidenden negativen Konsequenzen, die sich aus einem anderen (vgl. das Konjunktionaladverb sonst, das auf zwei sich ausschließende Alternativen hindeutet) Handeln ergeben könnten (Z. 116-120). Das ‘andere’ Handeln wird nicht näher konkretisiert, es ist jedoch zu erwarten, das im Gegensatz zu dem ungewohnten, eher ‘spanischen’ Führungsstil (stärkere Kontrolle), das gewohnte, also ein eher ‘deutsches’ Handeln gemeint ist (weniger Kontrolle). Die Darstellung der negativen Konsequenzen eines ‘deutschen’ Handelns in Spanien stuft die beschriebene ‘spanische’ Handlungsweise im spanischen Kulturkontext als vorteilhaft ein. Der Absatz enthält damit eine implizite Handlungsempfehlung für den neuen Auslandsentsandten, die durch die Darstellung einer eigenen Handlungsstrategie in Form von Handlungsprädikationen (dass ich nachfrage...) in Kombination mit der Darstellung möglicher Konsequenzen, die zu vermeiden sind (weil sonst...), realisiert wird. Dabei steht deutlich die Frage nach dem beruflichen Handeln und der beruflichen Aufgabe als Vorgesetzter im Vordergrund (vgl. dass die mitarbeiter erwarten...). E schließt ihren Redebeitrag, eingeleitet durch das Nexus-Adverb also, mit einer Zusammenfassung der dargestellten Erfahrung vorerst ab (Z. 121-127). Die Aussage resümiert sowohl den Führungsstil der Spanier (Z. 121-124) als auch die Erwartungshaltung, die dadurch gegenüber dem Handeln deutscher Vorgesetzter besteht (Z. 125-127). Die Charakterisierung der Situation in Spanien erfolgt erneut über die Negation gewohnter, deutscher Verhaltensweisen. Dazu wird (erstmals!) eine explizite Charakterisierung des deutschen Führungsstils formuliert, und zwar in Form einer Substantivierung einer relativ langen Verbalphrase mit dass-Adjunkt (dieses sich darauf verlassen dass der mitarbeiter das schon im auge behält). Durch den Minderungs-Komperativ in der Formulierung weniger stark ausgeprägt zeigt E eine Vergleichsperspektive an. Die Darstellung der Erwartungshaltung der spanischen Mitarbeiter scheint mit der Verwendung des komparativen Grad-Adverb eher an diese Formulierung eines Vergleichs anzuschließen. Bezogen auf das Subjekt des ersten Satzteiles (diese sich darauf verlassen...) macht der Satz jedoch keinen Sinn, denn er würde genau das Gegenteil dessen ausdrücken, was zuvor gesagt wurde. In Z. 126 wird die problematische Satzkonstruktion repariert, das Substantiv kontrollelemente wird als Subjekt des zweiten Satzteils ‘nachgeliefert’. Die allgemeine Charakterisierung der Situation in Spanien sowie der Erwartungshaltung zeichnet sich auch hier insgesamt durch eine neutrale Darstellung (ist hier, wird) und Generalisierungen (deutlich weniger stark) aus. Auf den deutschen und spanischen Kulturkontext wird nicht mithilfe expliziter Referenzausdrücke verwiesen. Allerdings zeigt der deiktische Ausdruck hier (wie bereits in Z. 56 und 66) eine lokale Verankerung der Aussage und damit einen Bezug zum kulturellen Kontext an.
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4. Beispielanalyse und Modellbildung
Zusammenfassung: Innerhalb von E’s Redebeitrag konnten verschiedene Interaktionssequenzen bzw. kommunikative Aufgaben herausgearbeitet werden. Nachdem E einleitend ihre individuelle Differenzerfahrung bewertet und damit N in seinen Empfindungen emotional unterstützt (das hab ich damals auch so empfunden), stellt sie aus ihrer Perspektive kontrastierend typische Verhaltensweisen bzw. Charakteristika der deutschen und spanischen Arbeitsweise dar (strukturiert arbeiten vs. geprägt durch fremde störungen) und entwickelt dadurch eine gemeinsame Problemsicht und Einschätzung der Situation (Z. 54-75). Bereits in diesem Absatz und noch einmal explizit zu Beginn des nächsten beanspruch E für sich einen deutlichen Erfahrungsvorsprung und erläutert N aus dieser Position heraus Konsequenzen aus der erfahrenen Arbeitsweise für den Verlauf von Arbeitsprozessen (Z. 77-92: Gefahr des aus den Augen Verlierens) und den Umgang mit Mitarbeitern (Z. 93-101: es wird stärker kontrolliert). Schließlich leitet E durch die Darstellung eigener Probleme mit dem spanischen Führungsstil (is mir am anfang=n bisschen schwergefallen) zur Frage nach dem Umgang mit den beschriebenen Unterschieden über (Z. 102-120). Sie empfiehlt N implizit, den spanischen Führungsstil zu übernehmen. Dazu betont sie zum einen, dass eine entsprechende Handlungsweise (Kontrolle) von spanischen Mitarbeitern erwartet wird, zum anderen dass ein anderer (wohl eher deutscher) Führungsstil zu Problemen führen (böse überraschungen geben) kann. Abschließend (Z. 121-126) resümiert E verallgemeinernd den konstatierten Unterschied bezüglich des Führungsstils (is hier deutlich weniger stark ausgeprägt) sowie die Handlungserwartung bzw. Handlungsempfehlung (wird auch eher erwartet).
4.2 Systematisierung der Analyseergebnisse In der Beispielanalyse in 4.1 wurde illustriert, wie in einer gesprächslinguistischen Sequenzanalyse Schritt für Schritt kommunikative Auffälligkeiten in den Äußerungen der Gesprächspartner sowie deren Funktionen im Gesprächskontext beschrieben werden. Im Folgenden möchte ich kurz auf die im Rahmen des Methodenkapitels (2.1 und 2.2) behandelte Frage zurückkommen, wie aus solchen Sequenzanalysen ein systematisches Beschreibungsmodell entwickelt wurde (4.2.1). Anschließend erläutere ich die Systematik des Modells zur Erfahrungsweitergabe unter Auslandsentsandten (4.2.2) und gebe einen Überblick, wie die Ergebniskapitel aufgebaut sind (4.2.3).
4.2 Systematisierung der Analyseergebnisse
141
4.2.1 Analyseprozess und induktive Modellbildung Im Zusammenhang mit der Darstellung des methodischen Vorgehens der Gesprächsanalyse in 2.1.2 wurden die einzelnen Schritte erläutert, die Gesprächsanalytiker gehen, um von der sequenzanalytischen Bearbeitung einzelner Gesprächsausschnitte zu einer systematischen Modellbildung zu gelangen. Diese waren auch für unser Projekt maßgebend: 1.
2.
3.
Mithilfe des Instruments der Sequenzanalyse wurden Gespräche bzw. Gesprächsausschnitte aus dem Korpus wie in der Beispielanalyse in 4.1 illustriert bearbeitet (Einzelfallanalysen). Anschließend führten vergleichende Analysen zwischen einzelnen Gesprächsausschnitten zu Verallgemeinerungen im Hinblick auf die Verwendung bestimmter kommunikativer Formen und deren Funktionen (vergleichende Analysen). Schließlich wurden aus den Ergebnisse aus den Sequenzanalysen und den vergleichenden Analysen ein systematisches Beschreibungsmodell entwickelt (Modellbildung).
Zur Systematisierung der Analyseergebnisse wurde auf ein Modell von Hausendorf (2000a, Hausendorf/Quasthoff 1996) zurückgegriffen, das die Rekonstruktion kommunikativer Aufgaben, Verfahren und Formen bestimmter Kommunikationspraktiken anstrebt. Kommunikative Aufgaben sind gemäß diesem Modell Anforderungen, die Gesprächsteilnehmer (bewusst oder unbewusst) bewältigen müssen, um eine mündliche Weitergabe kultureller Erfahrungen zu realisieren. Die einzelnen kommunikativen Aufgaben werden als interaktive Aufgaben aufgefasst, das heißt beide Gesprächspartner leisten einen Beitrag zu ihrer Bewältigung. Die Analysen des Datenmaterials haben ergeben, dass sich den Auslandsentsandten bei der Erfahrungsweitergabe fünf kommunikative Aufgaben stellen:
Aufgabe-1: ‘Erfahrungskompetenzen etablieren’ (Kapitel 5) Aufgabe-2: ‘Relevante Themen einführen’ (Kapitel 6) Aufgabe-3: ‘Kulturelle Prägungen darstellen’ (Kapitel 7) Aufgabe-4: ‘Individuelle Betroffenheit aufzeigen’ (Kapitel 8) Aufgabe-5: ‘Interkulturelle Ratschläge formulieren’ (Kapitel 9)
Das Beschreibungsmodell geht davon aus, dass die Gesprächspartner zur Realisierung dieser Aufgaben verschiedene linguistische Formen verwenden. Der Begriff der ‘linguistischen Form’ bezieht sich auf die Ebene konkreter sprachli-
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4. Beispielanalyse und Modellbildung
cher Realisierungen, meint also syntaktische, lexikalische und semantische Auffälligkeiten in den Gesprächen. Diese linguistischen Formen lassen sich wiederum zu kommunikativen Verfahren zusammenfassen. ‘Verfahren’ sind formenübergreifende kommunikative Wege oder Lösungen, die der Bewältigung bestimmter Aufgaben dienen. Zum Beispiel ist das ‘Erzählen einer Einzelerfahrung’ ein Verfahren zur Darstellung kultureller Eigenschaften oder Verhaltensweisen, die ‘Benennung von Themen’ ein Verfahren zur Einführung relevanter Themen. Die Ebene der Verfahren stellt damit die Verbindung zwischen den konkreten sprachlichen Formen und den kommunikativen Aufgaben her. Sie leistet gewissermaßen eine Binnenklassifizierung der zu einer Aufgabe gehörigen Formen (zu einer ausführlicheren Darstellung des Modells vgl. 2.2.2). Die in den folgenden Kapiteln dargestellten kommunikativen Aufgaben, Verfahren und Formen wurden mithilfe der Sequenzanalyse induktiv aus dem Datenmaterial heraus entwickelt. Bei der Präsentation der Analyseergebnisse kann dieser Prozess der induktiven Modellbildung nicht im Detail nachvollzogen werden. Ziel ist es vielmehr, die im Verlauf des Analyseprozesses entwickelten Aufgaben und ihre Realisierungsformen in systematischer Form zu präsentieren und anhand von Ausschnitten aus dem Datenmaterial zu illustrieren (zum Verhältnis zwischen Analyseprozess und Ergebnispräsentation in der Gesprächsanalyse vgl. 2.1.2). 4.2.2 Systematik der Aufgaben, Verfahren und Formen Zur Systematisierung der für die fünf Aufgaben verwendeten Verfahren und Formen erwies es sich als sinnvoll, diese auf einer Skala mit den Polen der ‘Explizitheit’ und ‘Implizitheit’ zu ordnen. Das heißt die einzelnen Verfahren wurden im Hinblick darauf unterschieden, wie explizit oder implizit die jeweilige Aufgabe durch sie bearbeitet wird. Eine Aufgabe wird stärker ‘explizit’ bearbeitet, wenn die entsprechenden Aussagen zur Bearbeitung der Aufgabe semantische oder syntaktische Informationen enthalten, die deutlich auf die Bearbeitung dieser Aufgabe schließen lassen. Beispielsweise wird in der Aussage „Ich rate Ihnen, geben Sie einem Spanier immer zwei Tage mehr als einem Deutschen.“ explizit deutlich, dass der Sprecher hier einen Ratschlag formuliert. Eine Aufgabe wird eher ‘implizit’ bearbeitet, wenn die sprachliche Äußerung eines Gesprächspartners nur indirekt auf die Bearbeitung einer bestimmten Aufgabe verweist. Der Hörer muss auf Kontextwissen und -informationen zurückgreifen, um die Aussage als Teil der Bearbeitung einer entsprechenden Aufgabe zu interpretieren. Macht zum Beispiel ein Gesprächspartner die Äußerung „Ich persönlich habe hier in Spanien meist auf diese Weise gehandelt und war damit auch recht
4.2 Systematisierung der Analyseergebnisse
143
erfolgreich.“, so enthält diese Äußerung auf der sprachlichen Ausdrucksebene keinen Ratschlag. Aus dem Gesprächskontext lässt sich jedoch schließen, dass hier die Aufgabe ‘Interkulturelle Ratschläge formulieren’ bearbeitet wird. Die Auffassung der expliziten und impliziten Aufgabenbearbeitung ist nicht absolut, sondern vielmehr relativ zu verstehen. Das heißt die einzelnen Verfahren lassen sich auf einer Skala von einer eher expliziten hin zu einer eher impliziten Aufgabenbearbeitung ordnen. Ein Verfahren ist insofern als Verfahren einer ‘stärker expliziten’ oder ‘expliziteren Aufgabenbearbeitung’ oder einer ‘stärker impliziten’ oder ‘impliziteren Aufgabenbearbeitung’ zu bezeichnen. Auch einzelne Formen innerhalb eines Verfahrens können Ausdruck einer expliziteren oder impliziteren Aufgabenbearbeitung sein (vgl. zum Beispiel die Kommentare zum Verfahren des ‘expliziten Aussprechens von Handlungsempfehlungen’ in 9.3.1). Ohne dass auf die linguistische Tradition der Begriffe ‘explizit’ und ‘implizit’ im Detail eingegangen werden kann, sollen hier einige wichtige Bezugspunkte für die verwendete Terminologie dargestellt werden: Die Auffassung der Begriffe geht insgesamt zurück auf das Konzept direkter und indirekter Sprechakte bei Austin (1975) und Searle (1982). Beide Autoren unterscheiden zwischen ‘expliziten’ oder ‘direkten’ Sprechakten auf der einen Seite und ‘impliziten’ oder ‘indirekten’ Sprechakten auf der anderen Seite.71 Dabei hat Austin (1975) deutlich gemacht, dass die direkte, explizite Verwendung von Sprechhandlungen im Gesprächsalltag eher die Ausnahme darstellt. Er widmet sich insbesondere der Beschreibung explizit performativer Sprechakte. Das Konzept impliziter oder indirekter Sprechakte wird bei ihm lediglich durch das Fehlen einer explizit performativen Formel gefasst. Explizit performative Sprechakte finden wir laut Austin vor allem in institutionellen Kontexten, da hier die äußeren Bedingungen häufig eine eindeutige Formulierung verlangen. Das Konzept der indirekten Sprechakte wird genauer charakterisiert bei Searle (1982). Searle versteht unter indirekten Sprechakten Äußerungen, die zwei Illokutionen (kommunikative Handlungen) implizieren, die sprachlich ausgedrückte und die intendierte. Entsprechend sind die impliziten Verfahren in unserer Systematik konzeptualisiert: Beispielsweise werden mit dem impliziteren Verfahren des ‘Demonstrierens des individuellen Erfahrungshintergrunds’ (mindestens) zwei sprachliche Handlun-
71
Die Begriffe ‘explizit’ und ‘direkt’ bzw. ‘implizit’ und ‘indirekt’ können nach unserer Auffassung gleichgesetzt werden. Auch in der Forschungsliteratur werden sie häufig alternativ bzw. in ähnlicher Bedeutung verwendet. Austin (1975) spricht eher von explizit performativen Verben, Searle (1982) dagegen definiert indirekte Sprechakte. Harras (1983) setzt diese Konzepte zueinander in Beziehung und konzeptualisiert indirekte Sprechakte in Rückgriff auf Austins Konzept der explizit performativen Verben.
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4. Beispielanalyse und Modellbildung
gen realisiert, die eigene Erfahrungskompetenz wird hervorgehoben und die Aussage des Gesprächspartners bewertet (vgl. 5.3.3). Zentrale Bedeutung erlangen die Begriffe der ‘Implizitheit’ bzw. ‘Indirektheit’ und ‘Explizitheit’ bzw. ‘Direktheit’ in der linguistischen Höflichkeitsforschung (z.B. Haferland/Paul 1996, Held 1995, 1992, Brown/Levinson 1987). Die genannten Autoren fassen implizite oder indirekte Formulierungen als tendenziell höflicher auf als explizite oder direkte Formulierungen. Haferland/Paul (1996: 21) weisen dabei allerdings darauf hin, dass der Begriff der Indirektheit nicht unmittelbar von Searle übernommen werden kann. Denn nur eine bestimmte Gruppe der indirekten Sprechakte im Sinne Searles hat mit Höflichkeit zu tun. Beispielsweise handelt es sich bei der Äußerung „Da ist die Tür!“, die nach der Auffassung Searls als indirekter Sprechakt aufzufassen ist (sprachlich ausgedrückte Illokution: „Ich zeige Dir, wo die Tür ist“, intendierte Illokution: „Geh raus!“), keineswegs um eine höfliche Äußerung. Laut Haferland/Paul (1996) muss man unterscheiden zwischen der Indirektheit von Sprechakten im Sinne Searles und dem Phänomen der kommunikativen Indirektheit, das für den Höflichkeitsgrad von Äußerungen relevant ist. Relevant für den Aspekt der Höflichkeit ist, inwiefern in einer Äußerung „kommunikativ indirekt[e] und elliptisch[e]“ Sprechakte (ebd.: 23) verwendet werden. Gemeint sind damit Sprechakte, „bei deren wörtlicher Interpretation Hintergrundwissen ergänzt werden muss, um sie rekonstruieren zu können“ (ebd.: 23) und bei denen dem Gesprächspartner ein Handlungs- und Entscheidungsspielraum zugestanden wird (ebd.: 22). Ein Beispiel für eine höfliche Formulierung durch kommunikative Indirektheit ist die Äußerung „Kannst Du mir einen Bleistift geben?“. Der Satz formuliert wörtlich eine Frage, impliziert jedoch (indirekt) eine Bitte. Die Äußerung ist elliptisch, denn der Adressat muss eine Handlungsaufforderung ergänzen, um die Aussage als Bitte zu interpretieren. Ihm wird dabei ein größerer Handlungsspielraum offen gelassen als bei der expliziten Aufforderung „Gib mir einen Bleistift!“. Darin liegt die Höflichkeit der Aussage begründet. Der Aspekt der kommunikativen Indirektheit spielt auch für einige unserer Verfahren eine zentrale Rolle. Beispielsweise unterscheiden sich die Verfahren zur Formulierung interkultureller Ratschläge darin, wie deutlich der Sprechakt des Ratschlagens in der Äußerung wird, wie viel Hintergrundwissen ergänzt werden muss und wie viel Handlungsspielraum dem Gesprächspartner gelassen wird (vgl. 9.3). Alternativ zum Begriff der ‘Indirektheit’ oder ‘Implizitheit’ verwendet von Polenz (1988) den Begriff des ‘hintergründigen Satzinhalts’. Darunter versteht er „Satzinhalte bzw. Satzinhalts-Teile, die nicht ‘auf den ersten Blick’ zu erkennende Inhalte der tatsächlich geäußerten Wörter und Satzkonstruktionen sind, Inhalte, die im sprachlichen Ausdruck unberücksichtigt sind, aber zu ihm hinzuge-
4.2 Systematisierung der Analyseergebnisse
145
dacht werden müssen“ (von Polenz 1988: 302). Das Konzept des ‘hintergründigen Satzinhalts’ steht dem der indirekten Sprechhandlung sehr nahe. Hausendorf (2000a) greift für seine Klassifikation linguistischer Mittel und Formen auf die Begriffe der interaktiven Vorder- und Hintergründigkeit zurück. Er unterscheidet, „ob die durch ein jeweiliges Mittel [= Verfahren] geleistete Aufgabenerledigung (stärker) im Vordergrund oder (stärker) im Hintergrund der Interaktion stattfindet“ (Hausendorf 2000a: 127). Hinter- und Vordergrund stehen für ihn dabei „für die Pole einer Skala zunehmender interaktiver ‘Relevanz’“ (ebd: 128).72 Steht die Aufgabenerledigung bei einer Formulierung stärker im Vordergrund, so besitzt sie an dieser Stelle größere interaktive Relevanz. Hausendorf weist darauf hin, dass Vordergrund und Hintergrund der Interaktion häufig mit der Explizitheit und Implizitheit der Aufgabenerledigung einhergeht. In unseren Gesprächen hängt die Verwendung eines bestimmten Verfahrens bei einigen Aufgaben mit der Frage nach einem angemessenen Höflichkeitsniveau zusammen (insbesondere bei den Aufgaben ‘Erfahrungskompetenzen etablieren’, ‘Interkulturelle Ratschläge formulieren’, ‘Kulturelle Prägungen darstellen’). Daher erscheint es sinnvoll im Gegensatz zu Hausendorf die Begriffe der ‘Explizitheit’ und ‘Implizitheit’ zu verwenden, die einen Zusammenhang zur linguistischen Höflichkeitsforschung herstellen. 4.2.3 Aufbau der einzelnen Aufgabenkapitel Ziel der Kapitel 5 bis 9 ist eine systematische Darstellung der Analyseergebnisse zu den fünf zentralen kommunikativen Aufgaben der Erfahrungsweitergabe unter Auslandsentsandten. Anhand von Gesprächsausschnitten sollen die Verfahren und Formen erläutert und diskutiert werden, die die Gesprächspartner zu ihrer Realisierung verwenden. Die fünf Aufgabenkapitel sind nach der folgenden Struktur aufgebaut: 1.
2.
72
Im ersten Abschnitt wird jeweils die Aufgabe definiert, und es werden relevante linguistische Forschungsbezüge aufgezeigt. Dies ergänzt die Darstellung des Forschungsüberblicks in Kapitel 1 um linguistisch-theoretische Bezüge, die für die einzelnen Aufgaben relevant sind. Der zweite Abschnitt geht auf spezifische Aspekte der jeweiligen Aufgabe ein. Dabei werden zum Beispiel Begrifflichkeiten der Aufgabenbenennung genauer in den Blick genommen, gesprächsexterne Einflüsse, die sich in
Hausendorf orientiert sich dabei grundlegend an der innerhalb der Textlinguistik geprägten unterscheidung von ‘Horizont’ und ‘Fokus’ bzw. ‘Thema’ und ‘Rhema’ (vgl. Hausendorf 2000a: 127ff).
146
3.
4.
73
4. Beispielanalyse und Modellbildung
den Gesprächen zeigen, herausgearbeitet oder bestimmte Definitionsaspekte der Aufgabe anhand von Gesprächsausschnitten erläutert. Im dritten Abschnitt werden systematisch die kommunikativen Verfahren und linguistischen Formen vorgestellt, die die Gesprächspartner zur Realisierung der jeweiligen Aufgabe verwenden. Der Abschnitt ist nach den einzelnen Verfahren gegliedert. Für jedes Verfahren werden anhand von Gesprächsausschnitten linguistische Realisierungsformen dargestellt. Entsprechend dem in 4.2.2 dargestellten Systematisierungsschema werden die Verfahren in der Reihenfolge ihrer zunehmender Implizitheit dargestellt. Das heißt zunächst werden die eher expliziten und dann zunehmend implizitere Verfahren dargestellt. Die Aufgabenkapitel schließen mit einem Praxiskommentar, der die zentralen Aspekte der Aufgabe zusammenfasst und dabei insbesondere diejenigen Aspekte herausgreift, von denen man annehmen kann, dass sie aus Sicht der Unternehmenspraxis für das Gelingen einer Weitergabe kultureller Erfahrungen unter Auslandsentsandten relevant sind. Es handelt sich um Aspekte, die aus Sicht der Praxis einen gewissen Handlungsspielraum eröffnen, der potenziellen Gesprächspartnern in einem vorbereitenden Training oder Briefing aufgezeigt werden kann. Es werden aus Sicht der Praxis die kommunikativen Herausforderungen formuliert, die sich den Gesprächspartnern in Bezug auf die jeweilige Aufgabe stellen, sowie kommunikative Strategien73 beschrieben, die sie zu deren Bewältigung verwenden. Aufgrund ihres zusammenfassenden Charakters enthalten die Praxiskommentare keine detaillierten Analysen einzelner Gesprächsausschnitte. Sie greifen vielmehr auf die Analysen aus den vorherigen Abschnitten zurück oder betrachten globale Gesprächsverläufe.
Der Begriff der ‘Strategie’ wird in der vorliegenden Arbeit im Gegensatz zu dem des ‘Verfahrens’ für praktisch anwendbare Gesprächsstrategien verwendet. Die beschriebenen Strategien sind entweder mit einem bestimmten Verfahren deckungsgleich, oder es handelt sich um eine Kombination verschiedener Verfahren oder um eine übergeordnete Strategie, die auf einzelne Elemente aus den Verfahren zurückgreift.
5 Aufgabe-1: Erfahrungskompetenzen etablieren
5.1 Definition und Forschungskontext Eine Voraussetzung dafür, dass man von einer Erfahrungsweitergabe unter Auslandsentsandten sprechen kann, ist, dass die Gesprächspartner interaktiv eine Erfahrungsasymmetrie zwischen sich aufbauen. Dies impliziert, dass sie einem Gesprächspartner im Hinblick auf ein bestimmtes Gesprächsthema einen umfangreicheren Erfahrungshintergrund und damit eine größere Erfahrungskompetenz zuschreiben als dem anderen. Die aufgezeichneten Gespräche wurden organisiert mit dem Ziel einer interaktiven Erfahrungsweitergabe von demjenigen Auslandsentsandten, der schon länger in Spanien ist, an den, der noch relativ neu ist. Allerdings findet nicht in allen Gesprächen bzw. nicht über die gesamten Gesprächsverläufe hinweg eine solche Erfahrungsweitergabe statt. Teilweise gehen die Gesprächspartner jedoch lokal zu einem Erfahrungsaustausch über, oder das Teilnehmerverhältnis kehrt sich sogar um. So kommt es beispielsweise an einigen Stellen dazu, dass der neue Auslandsentsandte im Hinblick auf ein bestimmtes Thema eine Erfahrungskompetenz für sich beansprucht, die dem Gesprächpartner gleichwertig oder sogar überlegen ist. Infolgedessen kann er einen Erfahrungsaustausch einleiten oder sogar eine umgekehrte Erfahrungsweitergabe, das heißt von dem neueren an den erfahreneren Auslandsentsandten. Unabhängig von dem konkreten Teilnehmerverhältnis und der Frage, ob eine Erfahrungsweitergabe oder ein Erfahrungsaustausch stattfindet, haben die Analysen ergeben, dass in allen Gesprächen eine zentrale Aufgabe für die Beteiligten darin besteht, für sich oder den Gesprächspartner Erfahrungskompetenzen (oder -defizite) im Hinblick auf bestimmte Gesprächsthemen zu etablieren und dadurch ein spezifisches Kompetenzverhältnis zwischen sich zu konstituieren. Es hat sich gezeigt, dass die Gesprächspartner für diese Aufgabe einen erheblichen Formulierungsaufwand betreiben und dass die Aufgabe meist relativ zu Beginn der Gespräche relevant wird. Ich nenne diese erste Aufgabe der Erfahrungsweitergabe unter Auslandsentsandten ‘Erfahrungskompetenzen etablieren’. Gemäß der gesprächsanalytischen Grundüberzeugung ist davon auszugehen, dass Erfahrungskompetenzen nicht als Gesprächsvoraussetzung bestehen, sondern ein Faktor der Kommunikation sind, der im Gesprächsvollzug aktualisiert bzw. erst produziert wird. Das heißt Erfahrungskompetenzen werden von
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5. Aufgabe-1: Erfahrungskompetenzen etablieren
den Gesprächspartnern jeweils lokal und in Bezug auf aktuelle Gesprächsthemen etabliert. Die Etablierung von Erfahrungskompetenzen ist eine interaktiv zu bewältigende Aufgabe, das heißt beide Gesprächspartner leisten einen Beitrag zu ihrer Realisierung. Wie bereits angedeutet, kann man prinzipiell unterscheiden zwischen der Etablierung von Erfahrungskompetenzen für sich selbst (Selbstzuschreibung) und für andere (Fremdzuschreibung). Zeigt ein Gesprächspartner in einer Formulierung an, dass er schon einige Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Spaniern gemacht hat, so steht die Selbstzuschreibung von Erfahrungskompetenzen im Vordergrund. Verweist er hingegen darauf, dass der Gesprächspartner immerhin schon drei Monate in Spanien ist, so schreibt er dadurch vor allem dem anderen gewisse Erfahrungskompetenzen zu. Weiterhin ist zu unterscheiden zwischen der Etablierung vorhandener Erfahrungskompetenzen und derjenigen von Erfahrungsdefiziten im Sinne fehlender Kompetenzen. Beispielsweise kann ein Gesprächspartner darauf verweisen, dass er schon lange in Spanien ist, was auf vorhandene Erfahrungskompetenzen schließen lässt. Oder er betont, dass erst wenige Monate seiner Auslandsentsendung in Spanien vergangen sind, und weist damit auf eigene Erfahrungsdefizite hin. Zwischen den genannten Möglichkeiten bestehen vielfältige Wechselwirkungen. Die Selbstzuschreibung von Erfahrungskompetenzen (ich bin schon relativ erfahren) geht häufig mit der Fremdzuschreibung von Erfahrungsdefiziten einher (der andere ist nicht so erfahren) – und umgekehrt.74 Durch die Kombination der genannten kommunikativen Handlungen entsteht die Teilnehmerkonstellation einer Erfahrungsasymmetrie. Dabei können die Fremdzuschreibung von Erfahrungskompetenzen und die Selbstzuschreibung von Erfahrungsdefiziten in seperaten Äußerungen realisiert werden (z.B. „Ich bin ja jetzt schon seit drei Jahren hier. – Sie erst seit drei Monaten, richtig?“). Einige kommunikative Verfahren oder sprachliche Formen implizieren aber auch gleichzeitig eine Zuschreibung von Erfahrungskompetenzen für die eigene Person und von Erfahrungsdefiziten für die andere Person (z.B. eine Bewertungen der Aussage des Gesprächspartners: „Sie sagen’s richtig.“, vgl. hierzu 5.3.3). Auch umgekehrt können bestimmte Verfahren und Formen gleichzeitig eine Selbstzuschreibung von Erfahrungsdefiziten und eine Fremdzuschreibung von Erfahrungskompetenzen darstellen (z.B. Erkundungsfragen: „Gibt es Unterschiede zwischen Deutschland und Spanien im Hinblick auf die Führung vom Mitarbeitern?“, vgl. hierzu 5.3.3). Meist steht bei den Verfahren und Formen jedoch einer der beiden Aspekte im Vordergrund. Für die einzelnen im Folgenden beschriebenen Verfahren und Formen ist daher zu diskutieren, inwiefern sie primär für eine Selbst- oder 74
Dass Selbst- und Fremddarstellung eng ineinander verwoben sind, zeigen auch Spiegel/SpranzFogasy (1999: 219) und Schwitalla (1996: 332).
5.1 Definition und Forschungskontext
149
eine Fremdzuschreibung von Erfahrungskompetenzen oder für beides verwendet werden und inwiefern durch sie vor allem Erfahrungskompetenzen oder -defizite etabliert werden oder beides. Die beschriebenen alternativen Aspekte der Kompetenzetablierung werden in der Aufgabenkonzeptualisierung alle unter der Bezeichnung der ‘Etablierung von Erfahrungskompetenzen’ zusammengefasst. Der Begriff der Kompetenz bezieht sich dabei also sowohl auf vorhandene als auch auf fehlende Kompetenzen, und mit der Kompetenzetablierung ist sowohl die Selbst- als auch die Fremdzuschreibung von Erfahrungskompetenzen gemeint. Durch die Kombination der beschriebenen Optionen und in Anwendung der noch zu beschreibenden kommunikativen Verfahren können die Gesprächspartner somit auf vielfältige Weise ein asymmetrisches (oder auch vorübergehend symmetrisches) Teilnehmerverhältnis herstellen. Das Spektrum derjenigen Bereiche, für die die Gesprächspartner Erfahrungskompetenzen etablieren, ist nicht allzu breit. In den Gesprächen wird insbesondere auf Aspekte der kulturellen bzw. interkulturellen Kompetenz, der institutionellen Kompetenz sowie der Auslandsentsendungs-Kompetenz Bezug genommen (vgl. 5.2.1). Die einzelnen Kompetenzen werden an unterschiedlichen Stellen der Gespräche relevant und teilweise in Konkurrenz zueinander gestellt. Die Etablierung von Erfahrungskompetenzen hängt eng mit der lokalen Konstitution von Teilnehmerrollen im Gespräch zusammen. Diese Teilnehmerrollen stehen jedoch in Wechselwirkung mit sozialen und situativen Rollen und Identitäten der Beteiligten, die diese im Gespräch aktualisieren und bearbeiten. Bevor die Verfahren zur Etablierung von Erfahrungskompetenzen in 5.3 im Einzelnen dargestellt werden, soll daher in 5.2.2 und 5.2.3 anhand von Beispielen gezeigt werden, inwiefern in den Gesprächen auf soziale und/oder situative Rollen als Beteiligungs- und Kompetenzvoraussetzungen zurückgegriffen wird. Linguistische Forschungsbezüge Innerhalb der Linguistik gibt es relativ wenig Forschung zu Verfahren der Etablierung von Kompetenzen und Kompetenzunterschieden im Gespräch. Für die Experten-Laien-Kommunikation (vgl. z.B. Brünner 2005, Busch 1994, Wichter 1994) sind Kompetenzunterschiede zwar grundlegend, jedoch werden hier meist Gesprächskontexte betrachtet, in denen die Kompetenzunterschiede durch soziale und institutionelle Rollen geprägt sind (z.B. Arzt-Patient, Lehrer-Schüler), so dass ein geringerer Formulierungsaufwand für die Etablierung von Kompetenzen nötig ist. Als Experte gilt in der linguistischen Experten-Laien-Forschung meist jemand, der aufgrund seiner Ausbildung über ein bestimmtes Spezialwissen verfügt (vgl. z.B. Brünner 2005: 90). Eine wichtige Frage ist, wie solches Spezi-
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5. Aufgabe-1: Erfahrungskompetenzen etablieren
alwissen verständlich an Laien weitergegeben werden kann. Es werden vor allem Einflüsse der Kompetenzunterschiede auf das Sprachverhalten beschrieben (vgl. Fachsprachenforschung), weniger umgekehrt die Konstitution von Kompetenzunterschieden durch kommunikatives Verhalten. Ausführliche gesprächsanalytische Analysen zu Kompetenzunterschieden in der Interaktion hat Furchner (1997) durchgeführt. Sie interessiert sich für Verfahren zur Relevantsetzung von Kompetenz und Kompetenzunterschieden im Gespräch, unabhängig vom jeweiligen Kompetenzbereich (sie selbst konzentriert sich dabei allerdings auf Sprach- und Sachexpertise in Gesprächen zwischen Erst- und ZweitsprachensprecherInnen) und unabhängig von der Gesprächssituation (alltäglich oder institutionell). Furchner unterscheidet grundsätzlich zwischen global zugeschriebenen Kompetenzen und der lokalen Zuschreibung von Wissen bzw. Nichtwissen. Einige der von ihr beschriebenen Verfahren finden sich auch in den Gesprächen zur Weitergabe kultureller Erfahrungen wieder. Schmitt/Heidtmann beschäftigen sich mit Verfahren zur Konstitution von Hierarchieunterschieden in Arbeitsgruppen (Schmitt 2002, Schmitt/Heidtmann 2002). Zwar basieren Hierarchieunterschiede nicht immer auf Kompetenzunterschieden, aber beide implizieren ein asymmetrisches Verhältnis zwischen den Gesprächspartnern, das im Gespräch (re)konstituiert werden muss und bestimmte Rechte und Pflichten mit sich bringt. Schmitt/Heidtmann beschreiben, wie Gesprächspartner im Gespräch eine Hierarchieorientierung anzeigen und ein asymmetrisches Verhältnis zwischen den Teilnehmern konstituieren oder rekonstituieren (z.B. durch Äußerungsmodalisierungen und Relativierungen, Reformulierungen, prosodische Mittel etc.). Dabei unterscheiden sie zwischen Formen der „kommunikativen Selbstbeschränkung“ (Hierarchieorientierung der Mitarbeiter) und des „kommunikativen Voluntarismus“ (Hierarchieorientierung der Vorgesetzten). Es finden sich dabei Parallelen zu den im Korpus der vorliegenden Arbeit verwendeten Formen und Verfahren. Anhaltspunkte für die Beschreibung von Verfahren zur Etablierung von Erfahrungskompetenzen findet man weiterhin in der linguistischen Forschung zur Selbst- und Fremddarstellung im Gespräch.75 Selbst- bzw. Fremddarstellung meint kommunikatives Handeln, mit dem Menschen sich selbst oder anderen Persönlichkeitseigenschaften zuschreiben. Kompetenz kann ein Aspekt davon sein. In einem engen Zusammenhang zu dem vorliegenden Gesprächskontext stehen die Ausführungen von Spiegel/Spranz-Fogasy (1999) zur Selbstdarstellung im öffentlichen und beruflichen Gespräch. Sie unterscheiden drei verschiedene Arten der Selbstdarstellung in öffentlichen Gesprächen: explizite Selbstaus75
Diese Phänomene wurden laut Spiegel/Spranz-Fogasy (1999: 216) vor allem im Bereich der Stilistik- bzw. Stilisierungsforschung, im Zusammenhang mit Beziehungsaspekten, mit der Gestaltung sozialer Beziehungen sowie mit sozialen Stilen beschrieben.
5.1 Definition und Forschungskontext
151
sagen (z.B. ich als realist), Eigenschaften sprachlicher und sprachbegleitender Aktivitäten (z.B. alltagssprachlicher, nüchterner Gesprächsstil) und übergreifende Eigenschaften des Gesprächshandelns (z.B. Übernahme einer bestimmten Interaktionsrolle). Die Etablierung von Erfahrungskompetenzen hängt bei der Erfahrungsweitergabe unter Auslandsentsandten eng zusammen mit der Frage nach der Rollenund Beziehungskonstitution.76 Für die vorliegende Untersuchung heißt dies, dass die Weitergabe kultureller Erfahrungen spezifische Teilnehmerrollen (die Rolle des ‘Erfahreneren’ und die Rolle des ‘Neuen’) und ein spezifisches Rollenverhältnis zwischen den Gesprächspartnern (Asymmetrie) impliziert. Die Rollen definieren sich hauptsächlich über die Kompetenzen und die Kompetenzunterschiede der Beteiligten. Wird für einen Gesprächspartner an einer bestimmten Stelle eine Erfahrungskompetenz (z.B. im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Spaniern) etabliert, so übernimmt er lokal die Rolle des kulturellen ‘Erfahrungsexperten’77, der dem ‘Neuen’ seine Erfahrungen weitergibt. Allerdings implizieren Relevantsetzungen von Kompetenzen und Kompetenzunterschieden nicht immer spezifische Gesprächsrollen. Furchner (1997: 57, 89) unterscheidet zwischen Kompetenz-Positionen (die nicht zwangsläufig mit entsprechenden Rollen verbunden sind) und Kompetenz-Rollen (wenn die Teilnehmer die Kompetenz für die Interaktion relevant setzen und für konkrete Zwecke nutzen). KompetenzPositionen deuten also allein auf die Existenz von Kompetenzunterschieden hin, während Kompetenz-Rollen Interaktionsrelevanz besitzen (ebd.: 59). Umgekehrt werden die Gespräche beeinflusst durch soziale und situativ-funktionale Rollen, die den Gesprächspartnern jeweils zukommen. Diese haben auch einen Einfluss auf die Prozesse zur Etablierung von Erfahrungskompetenzen (vgl. 5.2.2 und 5.2.3).
76
77
Auch für Furchner (1997: 331) steht die Relevantsetzung von Kompetenzunterschieden in einem engen Zusammenhang mit der Rollenkonstitution. Sie nennt als Gegenstand ihrer Arbeit das „Rollenhandeln von InteraktantInnen in bezug auf Kompetenz“. Spranz-Fogasy (1997: 37) betont, dass vor allem die Etablierung von Handlungsschemata (und die Erfahrungsweitergabe unter Auslandsentsandten wird hier als sprachliche Aktivität oder Handlungsschema aufgefasst) mit bestimmten Beteiligungsrollen verbunden ist. Der Begriff ‘Experte’ wird hier gemäß eines wissenssoziologischen Begriffsverständnisses betrachtet nicht als „(professioneller) Sachverständiger“, sondern als „jemand, der auf dem in Frage stehenden Gebiet besonders gut Bescheid weiß. Und was ‘besonders gut Bescheid wissen’ heißen soll, bestimmt sich nach dem jeweiligen sozialen Kontext“ (Eberle 1994: 138-139). Hitzler/ Honer/Maeder (1994a: 6) betonen, dass ‘Experte’ eine „soziale Etikettierung“ ist, „die aufgrund spezieller Kompetenzansprüche und/oder Kompetenzunterstellungen vorgenommen wird“. Die Rolle des Experten basiert bei dieser Auffassung nicht auf einer institutionellen Zugehörigkeit, sondern jemand gilt als Experte, wenn er „glaubhaft zu machen versteht“, dass er über Wissen verfügt.
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5. Aufgabe-1: Erfahrungskompetenzen etablieren
Gesprächsanalytische Ansätze zu Rollen und Beteiligungsrollen im Gespräch (z.B. Schwitalla 2001a, 1996, 1992, Spranz-Fogasy 1997, 1993, Kallmeyer/Schmitt 1996) gehen im Gegensatz zur Soziologie davon aus, dass im Gespräch nicht allein soziale Rollen und Identitäten (z.B. Unternehmensberater, Vater) und situative Rollen (z.B. Interviewer im Radio, geladener Gast in einer Diskussionsrunde) aktualisiert werden, sondern dass die Gesprächspartner lokal bestimmte Beteiligungsrollen für sich etablieren. Diese können zwar auf soziale oder situative Rollen verweisen, werden jedoch erst im konkreten Gesprächskontext und durch das interaktive Handeln der Gesprächsteilnehmer hergestellt. Sie tragen umgekehrt selbst dazu bei, soziale Identitäten und Beziehungen zu definieren (vgl. z.B. Spranz-Fogasy 1997: 37). Die lokal konstituierten Rollen der Gesprächspartner implizieren typische Gesprächshandlungen (z.B. Fragen stellen) sowie bestimmte Rechte und Pflichten im Gesprächsverlauf (z.B. das Recht zu einer bestimmten Redezeit, die Pflicht zur Auskunft) (vgl. z.B. Schwitalla 2001a: 1358, Spranz-Fogasy 1997, 1993). Linguistisch-gesprächsanalytische Ansätze zu Beziehungsdynamiken im Gespräch betonen den Zusammenhang zwischen dem Phänomen der Selbst- und Fremddarstellung und der Konstitution von Rollen. Für sie basiert Beziehungsund Identitätskonstitution auf der Selbst- und Fremddarstellung von Gesprächsteilnehmern in Interaktionen (vgl. z.B. Spranz-Fogasy 1997: 18, Schwitalla 1996). In diesem Sinne etablieren die Gesprächspartner in den aufgezeichneten Gesprächen durch Verfahren der Selbst- und Fremddarstellung nicht nur Kompetenzen und Kompetenzunterschiede im Bezug auf kulturelle Erfahrungen, sondern sie konstituieren für sich die gesprächsspezifischen Teilnehmerrollen des ‘Erfahreneren’ und des ‘Neuen’. Im Folgenden werde ich zunächst anhand von Beispielen aus den Gesprächen drei Aspekte betrachten, die für die Definition und Konzeptualisierung der Aufgabe der Etablierung von Erfahrungskompetenzen von zentraler Bedeutung sind (5.2). Eingehen werde ich auf die Frage, innerhalb welcher Kompetenzbereiche die Gesprächspartner in den Gesprächen Erfahrungskompetenzen etablieren (5.2.1), sowie auf die Fragen, inwiefern soziale (5.2.2) und situativfunktionale Rollen (5.2.3) einen Einfluss auf die Aushandlung von Kompetenzen in den Gesprächen haben. Anschließend werde ich drei kommunikative Verfahren beschreiben, mithilfe derer die Gesprächspartner Erfahrungskompetenzen etablieren (5.3): das Beschreiben (5.3.1), das Anzeigen (5.3.2) und das Demonstrieren (5.3.3) des individuellen Erfahrungshintergrunds. Dabei fasse ich das Beschreiben als das expliziteste Verfahren der Kompetenzetablierung auf, das Anzeigen und das Demonstrieren als zunehmend implizitere Verfahren. Im Praxiskommentar (5.4) fasse ich die Analyseergebnisse zu der Aufgabe zusammen
5.2 Aufgabenspezifika
153
und gehe insbesondere auf kommunikative Herausforderungen und Strategien ein, die für die Praxis relevant sind.
5.2 Aufgabenspezifika 5.2.1 Kompetenzbereiche Der folgende Abschnitt gibt einen Überblick über die Kompetenzbereiche, auf die die Gesprächspartner bei der Kompetenzetablierung Bezug nehmen. Eine Tabelle am Ende des Abschnitts führt kurze Beispiele aus den Gesprächen auf, bei denen die Gesprächspartner für die einzelnen Kompetenzbereiche jeweils ein bestimmtes Kompetenzniveau etablieren (im Sinne von Erfahrungskompetenzen oder -defiziten) (vgl. Tabelle 5.1). Auf häufigsten beziehen sich die Gesprächspartner auf den Bereich der kulturellen bzw. interkulturellen Kompetenz.78 Die wissenschaftliche und praktische Diskussion um den Begriff der interkulturellen Kompetenz zeigt, dass es sehr schwer ist, Faktoren dafür zu bestimmen, wann jemanden als interkulturell kompetent gilt.79 Da es in den Gesprächen jedoch primär um die Frage nach der (inter-)kulturellen Kompetenz der Teilnehmer geht, ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Gesprächspartner zur Etablierung dieser Kompetenz einen hohen Aufwand betreiben. Die Fremdsprachenkompetenz der Beteiligten wird in den Gesprächen thematisiert, allerdings hat sie nur selten einen Einfluss auf die interaktiven Beteili78
79
‘Kulturelle Kompetenz’ (oder auch ‘Kulturkompetenz’) meint allein das Wissen über eine bestimmte Kultur und die Kompetenz, auf der Basis von Wissen und/oder Erfahrungen Aussagen über die fremde Kultur zu machen (vgl. Rathje 2006, Vester 1996). Der Begriff wird vor allem im Kontext des Sprachlernens und der praktischen Arbeit (z.B. Wirtschaftstrainings, Migrationsarbeit) verwendet. Im Bereich der Wissenschaft ist der Begriff der ‘interkulturellen Kompetenz’ verbreiteter (z.B. Rathje 2006, Thomas 2003, Bolten 2002, Volkmann/ Stierstorfer/Gehring 2002, Herbrand 2000, Lustig/Koester 1999, Kühlmann/Stahl 1998, Moosmüller 1996, Hinz-Rommel 1994, Müller 1993b, Wiseman/Koester 1993). ‘Interkulturelle Kompetenz’ bezieht sich auf die kompetente Interaktion mit Angehörigen der fremden Kultur. Im Kontext dieser Arbeit werden beide Begriffe verwendet, da viele Äußerungen der Gesprächspartner lediglich zeigen, dass sie sich (mehr oder weniger kompetent) über die fremde Kultur äußern können, andere zugleich darauf hindeuten, dass sie in konkreten interkulturellen Kontaktsituationen kompetent handeln. Vgl. hierzu z.B. die Diskussion um das Konzept der interkulturellen Kompetenz in der Zeitschrift „Erwägen, Wissen, Ethik“ (2003) zwischen Alexander Thomas und dreißig anderen Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Disziplinen. Diskutiert wird die Frage nach relevanten Faktoren für die Bestimmung von interkultureller Kompetenz auch im Zusammenhang mit der Entwicklung von Instrumenten zur Diagnose interkultureller Kompetenz (z.B. Kühlman/Stahl 1998).
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5. Aufgabe-1: Erfahrungskompetenzen etablieren
gungsrollen und impliziert kaum bestimmte Rechte oder Pflichten der Gesprächspartner.80 Mit der Relevantsetzung der Fremdsprachenkompetenz (oder mangelnder Fremdsprachenkompetenz) werden also gemäß der Unterscheidung Furchners hauptsächlich Kompetenz-Positionen, nicht Kompetenz-Rollen etabliert (Furchner 1997: 57, 89, vgl. auch S. 151 dieser Arbeit). Neben der (inter-)kulturellen Kompetenz setzen die Gesprächspartner in den Gesprächen vor allem ihre Auslandsentsendungs- und institutionelle Kompetenz relevant. Für die Auslandsentsendungs-Kompetenz zählt, wie lange und in wie vielen verschiedenen Ländern jemand insgesamt (als Expatriate) im Ausland war. Sie berechtigt zu Aussagen über typische Empfindungen, Erfahrungen und Probleme während einer Auslandsentsendung. Für beide Gesprächspartner wird aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum selben Unternehmen eine bestimmte institutionelle Kompetenz vorausgesetzt. Auf sie wird nur selten explizit verwiesen. Institutionelle Kompetenz meint die Kompetenz im Bezug auf das Handeln in einer bestimmten Institution und impliziert ein Wissen über Strukturen, Abläufe, Ziele, Werte etc. Institutionelle Kompetenz umfasst auch die Kompetenz, eine bestimmte Funktion innerhalb der Institution zu erfüllen (z.B. Kompetenz als Führungskraft). Auch aus der Auslandsentsendungs- und institutionellen Kompetenz leiten die Teilnehmer bestimmte Rechte und Pflichten für sich ab. Von der institutionellen Kompetenz ist die fachliche Kompetenz zu unterscheiden. Sie meint die Kompetenz in Bezug auf ein bestimmtes Fach- oder Arbeitsgebiet (z.B. Marketing, Einkauf, Produktion). Fachliche Kompetenzen werden in den Gesprächen nur selten relevant gemacht und wenn dann nur im Sinne von Kompetenz-Positionen. Sie haben keinen Einfluss auf die interaktiven Beteiligungsrollen der Gesprächspartner. Tabelle 5.1: Bereiche der Kompetenzetablierung Kompetenzbereich
Beispiele aus den Gesprächen
Kulturelle bzw. interkulturelle Kompetenz
- N: ich bin auch nicht ganz unbeleckt was spanien angeht, meine frau is spanierin (FREUND Z. 48ff) - N: ich muss dazu sagen dass meine freundin spanierin is... ich hatte vorher wenig erfahrungen mit dem land aber jetzt dann schon mehr (KOLBER Z. 127ff)
80
Bei den unten aufgeführten Beispielen ist das nur im letzten Ausschnitt der Fall, bei dem E dem Gesprächspartner N eine Besonderheit der spanischen Sprache erklärt. Der Metakommentar des wissen sie vielleicht von ihrer frau bereits zeigt an, dass E einen Wissens- bzw. Kompetenzvorsprung vor N hat, der ihn zu einer Belehrung berechtigt, und ihm damit lokal die Rolle eines Experten der spanischen Sprache zuweist.
5.2 Aufgabenspezifika
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- E: des isch meine erfahrung hier dass sehr über vorschriften gearbeitet wird (LOCKER Z. 260ff) - N: ich hab die unterschiedliche erfahrung in china (ANM Z. 896f) Fremdsprachenkompetenz
- N: ich sprech immer noch sehr schlecht spanisch (KOLBER Z. 337f) - E: die phase des beginns wo du des problem hast dass du sprachlich nicht in der lage bist des zu machen (ANM Z. 661ff) - E: nach einem jahr konnte ich el pais lesen aber noch nicht verstehen (FREUND Z. 594f) - E: wenn sie in der spanischen sprache des wissen sie vielleicht von ihrer frau bereits, die spanische sprache machtn brutalen unterschied...zwischen du und sie (FREUND Z. 820ff)
AuslandsentsendungsKompetenz
- E: warn sie schon häufiger im ausland? – N: fast die ganze zeit meines *industria*lebens im ausland gewesen (ENTSZIEL Z. 62ff) - N: is natürlich schwierig für die familie ich mein sie werdens mit der zeit dann merken (ENTSZIEL Z. 189f) - E: i kann des bestätige was sie erscht gsagt ham des hoch und runter. mir sin die erschte anderhalb jahre hema uns gfühlt wie generalmanager...und dann gings nach unten (FREUND Z. 2187ff)
Institutionelle Kompetenz
- E. ich hatte den eindruck ich hab viele risikofaktoren mitgebracht weil ich halt sprache nicht kannte, ich kannte das werk nich, äh ich kannte die aufgabe hier nich genau, war meine erste führungsposition hier (KOLBER Z. 398ff) - N: ich denke mal dass ihr job ist die mitarbeiter anzuleiten damit se irgendwann die aufgabe übernehmen können oder ja des wissen transferieren in neue projekte die sie hoffentlich irgendwann bekommen (ENTSZIEL Z. 336ff)
Fachliche Kompetenz
- E: was mich gerettet hat am anfang war das wissen was ich transferiert habe aus deutschland...ich glaub wenn ich das nich mitgebracht hätte des heißt wenn ich au noch vom fachfremden bereich gekommen wär dann wärs echt schwierig geworden (KOLBER Z. 404ff)
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5. Aufgabe-1: Erfahrungskompetenzen etablieren
5.2.2 Soziale Rollen und Identitäten In der Aufgabendefinition wurde bereits deutlich, dass die Etablierung von Erfahrungskompetenzen in den Gesprächen eng mit der Konstitution von Teilnehmerrollen zusammenhängt und dass dabei sowohl soziale als auch situativfunktionale Rollen einen Einfluss haben. In diesem Abschnitt (5.2.2) werde ich genauer erläutern, inwiefern die Gesprächspartner in den Gesprächen auf soziale Rollen zurückgreifen, im nächsten auf den Einfluss situativ-funktionaler Gesprächsrollen eingehen (5.2.3). Im Rahmen einer gesprächsanalytischen Rollenauffassung (z.B. Schwitalla 2001a, Spranz-Fogasy 1997, Kallmeyer 1985) kann man davon ausgehen, dass in alle Interaktionen soziale Identitäten und Beziehungen als Voraussetzungen eingehen. Die Beteiligungsrollen der Gesprächspartner sind an bestimmte soziale Identitäten und Beziehungen gebunden, die wiederum mit bestimmten Handlungen, Rechten und Pflichten verbunden sind. Soziale Rollen werden Gesprächspartnern unabhängig von einer bestimmten Gesprächssituation zugeschrieben. Sie basieren auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen oder gesellschaftlichen Gruppe. Soziale Rollen und Identitäten, die in den Gesprächen relevant werden, sind zum Beispiel die des Unternehmensvertreters, der Führungskraft oder des Auslandsentsandten, aber auch die des Familienvaters und des Ehemanns. Die Gesprächspartner nehmen häufig auf solche sozialen Rollen Bezug, ohne dass sich daraus bestimmte Rechte oder Pflichten für den Gesprächsverlauf ergeben. Das folgenden Beispiel zeigt jedoch, dass soziale Rollen einen unmittelbaren Einfluss auf den Interaktionsverlauf haben können. In dem Gespräch fragt N nach E’s Erfahrungen mit der Delegation von Aufgaben an Mitarbeiter. E stellt daraufhin seine Erfahrungen im Team und im Werk insgesamt dar. Er schließt mit folgender Einschätzung: ENTSENDUNGSZIEL: „das ziel ihrer entsendung” (13:41, Z.313) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12
E: und sie sehen HIER, (--) in (-) in diesen büros, sehen sie abens ab sieben fast nur noch DEUTsche = N: =hm=m; E: und sie sehen HIER, (--) in (-) in diesen büros, sehen sie abens ab sieben fast nur noch DEUTsche = N: =hm=m; (---) E: viele praktiKANten,
5.2 Aufgabenspezifika 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43
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aber auch eben leute wie MICH, N: klar; (--) E: die die dann AUFräumen und das versuchen zu bearbeiten was einfach (-) unbedingt geMACHT werden muss;=[ne? N: [hm=m; E: ich glaub des ist der job (-) da brauchen wir uns nichts VORmachen. der bleibt LIEgen. (---) [ne? N: [.hh E: [den müs (-) den müssen wir dann ABfangen. N: [(da/des) E: dafür SITzen wer hier. (1.0) N: gut (--) ich mein (---) ziel ihrer entSENdung denn=äh- (--) E: n:::ee [das ist nicht des ziel; N: [ich denke mal dass ihr job ist die die mitarbeiter ANzuleiten damit se irgendwann die aufgabe überNEHmen können oder im (---) ja des wissen transferieren in neue proJEKte die (--) sie HOFfentlich irgendwann beKOMmen, (--) E: [ja? N: [und nicht hier den Edelsachbearbeiter zu machen (-) denn äh (1.0) beide etwas zu TEUer. ((...)) E: ähm:: (1.5) die erfahrung die ich hier gemacht hab ist dass es wesentlich MEHR bringt, (1.5) den: leuten na=gut (-) wie soll man des SAgen; (1.0) so wie in deutschland AUCH, sich mit den leuten versuchen zu arranGIER=N, (-)
Kommentar: In Z. 1-12 beschreibt E die Arbeitsituation in seinem Bereich: Dringende Arbeiten werden meistens nur von Deutschen bis in den Abend hinein aufgearbeitet. N bestätigt die Aussage E’s dreimal (Z. 5, 9, 13), nicht nur durch einfache Rückmeldesignale (hm=m), sondern auch durch das stärkere Rückmeldesignal klar, das deutlich eine Zustimmung zur Situationsdarstellung ausdrückt. Es folgt eine Bewertung E’s, in der er die Situation akzeptiert (Z. 14-16) und eine mögliche Hoffnung oder Behauptung, man könne die Situation ändern, zurückweist (da brauchen wir uns nichts vormachen). Die Pause in Z. 16 mit folgendem Fragepartikel ne? zeigt an, dass E offenbar eine erneute Zustimmung erwartet. Diese bleibt jedoch aus. Vielmehr setzt N zu einer eigenen Aussage an (vgl. sein Einatmen in Z. 17). E reformuliert daraufhin seine Überzeugung und geht in seiner Bewertung sogar noch einen Schritt weiter, indem er das Aufarbeiten unerledigter Aufgaben als eine seiner Aufgaben, seiner jobs darstellt (den müs den müssen wir dann abfangen) und, nachdem N noch einmal zu einer Gegenaussage ansetzt (Z. 19), letztlich als ein Ziel seiner Auslandsentsendung (dafür sitzen wer hier). Das Personalpronomen wir (Z. 14, 18, 20) verweist darauf, dass er diesen Job bzw. dieses Ziel nicht nur für sich selbst, sondern für eine Gruppe von Leuten bestimmt. Es bleibt offen, ob mit wir er und andere Mitarbeiter im Büro gemeint sind
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5. Aufgabe-1: Erfahrungskompetenzen etablieren
(vgl. die Formulierung leute wie mich, Z. 8) oder er und der Gesprächspartner N oder insgesamt die deutschen Auslandsentsandten im Werk. Die relativ lange Pause in Z. 21 deutet auf eine Unstimmigkeit zwischen den Gesprächspartnern hin. Es erfolgt keine Bestätigung durch N und keine Rücknahme oder Einschränkung der Aussage durch E. Ab Z. 22 formuliert N dann eine deutliche Kritik an der Aussage E’s. Er schwächt seine Aussage zunächst ab durch ein einleitendes Zögern, die modalisierenden Floskeln gut und ich mein sowie einen ironischen Darstellungsmodus (lachender Tonfall). Die Kernaussage s=ja eigentlich nicht das ziel ihrer entsendung stellt jedoch einen Vorwurf gegenüber E dar und impliziert eine erhebliche Gesichtsbedrohung (und zwar in Form einer relativ direkten Bedrohung des ‘positive face’ im Sinne von Brown/Levinson 197881). Der Verweis auf das ziel ihrer entsendung verschiebt die Diskussion von der Frage nach kulturspezifischen Verhaltensweisen hin zu der Frage nach einem angemessenen, unternehmenskonformen Verhalten im Arbeitskontext. N wirft E vor, dass seine Sichtweise nicht der des Unternehmens entspreche und dass er nicht im Sinne des Unternehmens handle. E reagiert auf die Gesichtsbedrohung mit einer Zustimmung (nee das ist nicht das ziel), die streng genommen einen Widerspruch zu seiner Aussage in Z. 20 darstellt (dafür sitzen wer hier). Dies lässt sich damit erklären, dass E hier versucht, sein Ansehen als Führungskraft wieder herzustellen. Der Widerspruch könnte darauf hindeuten, dass E die Aussage in Z. 20 nicht ganz ernst gemeint hat. Wie beschrieben enthält die Argumentation E’s in Z. 1-20 ja eine gewisse Steigerung (Situationsdarstellung, Bewertung als unvermeidlich, Bewertung als Ziel der Entsendung). Möglicherweise lässt sich N zu dieser Steigerung und letztlich der Aussage in Z. 19 vor allem durch eine fehlende Bestätigung durch N verleiten. In Z. 25-28 setzt N seine (gesichtsbedrohende) Kritik an E fort, indem er E’s Aufgabe (job) aus seiner Sicht definiert. Durch die Verwendung des Possessivpronomens in der 3.Ps.Sg. (ihr job, Z. 23, 25, im Gegensatz zu wir, Z. 14, 18, 20) distanziert sich N deutlich von der Sichtweise und dem Handeln E’s. Auffällig ist die gehäufte Verwendung von positiv konnotierten Ausdrücken und Floskeln aus dem Unternehmens- und Führungskräftejargon (ihr job ist, die mitarbeiter anzuleiten, aufgaben übernehmen, wissen transferieren in neue projekte, vgl. auch Z. 23: ziel ihrer entsendung), mit denen N implizit auf seine soziale Rolle als Unternehmensvertreter und Führungskraft verweist. Mit seiner Aussage stellt er sich selbst als Führungskraft dar, die die Werte und Ziele des Unternehmens vorbildlich verinnerlicht hat, er betreibt also ‘positive facework’ für sich selbst (vgl. Brown/Levinson 1978, Goffman 1967, 1955). 81
Brown/Levinson (1978) gehen unter Rückgriff auf Goffman (1967, 1955) davon aus, dass jedes Individuum über ein bestimmtes ‘face’ oder Image verfügt, das in der Interaktion mit anderen geschaffen bzw. bearbeitet wird. Sie unterscheiden zwischen zwei Arten des ‘face’: dem ‘positive face’ als dem eigenen Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung und dem ‘negativ face’ im Sinne eines Bedürfnisses nach einem Schutz der persönlichen Privatsphäre. Gesichtsbedrohungen (sogenannte ‚face-threatening acts’) können nach Brown/Levinson beide Aspekte des ‚face’ betreffen. Sie unterscheiden weiterhin zwischen verschiedenen Graden der Direktheit von Gesichtsbedrohungen (‘baldly on record’, ‘on record with redressive action’, ‘off record’). Strategien der ‘positive politeness’ dienen der Wahrung des ‘positive face’, Strategien der ‘negative politeness’ der Wahrung des ‘negative face’.
5.2 Aufgabenspezifika
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Nach einer Pause und einer Verlegenheitsrückmeldung E’s (ja?), steigert N in Z. 31-32 noch einmal seine Kritik, indem er das Verhalten E’s mit einer Negativfloskel aus dem Unternehmensjargon beschreibt (den edelsachbearbeiter zu machen) und auf die mangelnde Kompetenz E’s als Führungskraft hinweist. Die Kritik wird dabei durch eine herauszögernde Pause, den lachenden Tonfall und floskelartig-ironisch eingeschobene Partikel (nicht hier, etwas zu teuer) verstärkt. Die abschließende Verwendung des Personalpronomens wir verweist explizit darauf, dass die Situation für beide Gesprächspartner gleich ist, N jedoch im Gegensatz zu E als Führungskraft angemessen zu reagieren weiß. Nachdem E seine Einstellung vorgestellt hat, lehnt E diese Strategie zum Umgang mit Spaniern deutlich ab und schlägt erneut eine alternative Strategie vor (sich mit den leuten versuchen zu arrangier=n). Der Verweis auf den eigenen Erfahrungshintergrund (die erfahrung die ich hier gemacht hab ist dass) ist hier als Reaktion auf den Widerspruch und die Infragestellung seiner Kompetenz und damit auf die Gesichtsbedrohung zu sehen und besitzt eine deutlich legitimierende Kraft. E verweist implizit auf die Erfahrungskompetenz, die er über die situative Rolle zugewiesen bekam.
N stellt also in dem Abschnitt für die Einschätzung, wie mit der Situation in Spanien umzugehen ist, die institutionelle Kompetenz über die kulturelle Kompetenz. Durch den Verweis auf seine soziale Rolle als Führungskraft etabliert er für sich eine institutionelle Kompetenz, die ihn lokal dazu berechtigt, sich kritisch gegenüber E zu äußern. Der Ausschnitt enthält mehrere direkte Gesichtsbedrohungen N’s gegenüber E (‘face-threatening acts’, vgl. Brown/Levinson 1978). Er etabliert für sich die interaktive Beteiligungsrolle des erfahrenen und vorbildlichen Unternehmensmitarbeiters, der den weniger kompetenten Gesprächspartner belehren und kritisieren darf. Zusammenfassung: Anhand eines Gesprächsausschnitts wurde gezeigt, wie in den Gesprächen soziale Rollen (z.B. Unternehmensvertreter, Führungskraft, Auslandsentsandter) als Beteiligungsvoraussetzung mit geringem Formulierungsaufwand aktualisiert werden können. Diese Aktualisierung sozialer Rollen kann zur Etablierung von Kompetenzen und Teilnehmerrollen beitragen, die wiederum bestimmte Rechte für die entsprechende Person mit sich bringen (z.B. Kritik am Gesprächspartner). 5.2.3 Situativ-funktionale Gesprächsrollen Nicht nur soziale Rollen beeinflussen als Beteiligungsvoraussetzungen die Etablierung von Erfahrungskompetenzen in den Gesprächen, sondern auch situativfunktionale Gesprächsrollen. Dies sind Rollen, die den Gesprächspartnern für ein bestimmtes Gespräch oder Gesprächsthema aufgrund einer spezifischen Eignung oder Funktion zukommen. Sie sind nicht an eine institutionelle Zugehörigkeit oder soziale Rolle gebunden, sondern meist an ein spezielles Wissen oder eine spezielle Erfahrung (z.B. Fachexperte bei einer Podiumsdiskussion, Interviewer
160
5. Aufgabe-1: Erfahrungskompetenzen etablieren
im Radio, Augenzeuge eines bestimmten Vorfalls) (vgl. z.B. Schwitalla 2001a: 1358). Auch situativ-funktionale Rollen kovariieren mit interaktiven Beteiligungsrollen in Gesprächen und implizieren bestimmte Handlungen, Rechte und Pflichten für die Interaktion (z.B. das Recht, länger oder öfter zu sprechen, Themen einzuführen, Gesprächsbeiträge anderer zu bewerten etc.) (Schwitalla 2001a: 1358). Während der Gesprächsvorbereitung und in der Gesprächseinleitung wurden für die Gesprächspartner der aufgezeichneten Gespräche bestimmte situativfunktionale Rollen etabliert. Bestimmte Personen wurden aufgrund ihres individuellen Wissens ausgewählt, nämlich deutsche Auslandsentsandte, die bereits seit mindestens einem Jahr in Spanien sind. Ihnen kommt für die Gespräche die situativ-funktionale Gesprächsrolle des Erfahrungsexperten (für die Zusammenarbeit mit Spaniern) zu, der seine Erfahrungen an neue Auslandsentsandte weitergeben soll. Den jeweils anderen Gesprächspartnern wird für die Gespräche aufgrund ihres (vermeintlichen) Nicht-Wissens im Bezug auf die Arbeit in Spanien und mit Spaniern die Rolle des Neuen, Unerfahrenen zugeschrieben. Anhand von zwei Gesprächsausschnitten möchte ich im Folgenden zeigen, wie in dem Gespräch FREUNDSCHAFT zunächst in der Gesprächseinleitung die situativ-funktionalen Rollen der Beteiligten etabliert werden (Ausschnitt 1) und diese unmittelbar anschließend durch die Teilnehmer rekonstituiert werden (Ausschnitt 2). Die Beteiligungsrollen des ‘Neuen’ und des ‘Erfahreneren’ wurden in den Gesprächseinleitungen jeweils auf vergleichbare Weise durch die Forscherin eingeführt. Der folgende Ausschnitt (1) zeigt repräsentativ anhand eines Gesprächs, wie eine solche Rollenetablierung realisiert wurde. FREUNDSCHAFT: „wenn man neu ist im ausland” (00:07, Z.6) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16
F: die iDEE (.) ist einfach bei der SAche dass es für jemand (--) kennt jeder wenn man NEU ist im ausland (--) ähm (--) intresSANT sein kann mit jemandem zu SPREchen der schon LÄNger da ist.= =der einfach schon mehr erFAHrungen (-) HAT, (--) vor ORT, (-) GRAD=i’ speziell im WERK jetzt AUCH, (1.0) ((...)) was SIE glauben was erFAHrungen sind die (--) ähm (-) für jemand der eben relativ NEU da is (--) vielleicht WERTvoll sein können um (--) EFfektiv ARbeiten zu KÖNnen- (-) oder (--) sachen die DU jetzt auch schon in den ERSten (---) WOchen (--) ähm (-) hattest wo du gesagt hast da wärs vielleicht interesSANT mal noch mal mit jemand drüber zu SPREchen-
5.2 Aufgabenspezifika
161
Kommentar: In dem Ausschnitt erläutert F den beiden Gesprächspartnern, warum das Gespräch zwischen ihnen organisiert wurde (die idee ist einfach bei der sache). In Z. 2-4 werden dabei zunächst auf allgemeiner Ebene, das heißt nicht in Bezug auf die konkreten Interaktionspartner (vgl. das Indefinitpronomen jemand), zwei komplementäre Gesprächsrollen konstituiert, die sich über die Länge der bisherigen Auslandserfahrung in Spanien definieren. Einem Gesprächspartner kommt die Rolle desjenigen zu, der neu ist im ausland, dem anderen die von jemandem...der schon länger da ist der einfach schon mehr erfahrungen hat vor ort. Die Hauptakzente des Satzes heben die zentralen Bestimmungskriterien für die Rollen hervor (NEU, LÄNger, erFAHrungen vor ORT). Das Kriterium der Länge der Auslandserfahrung und der Menge an Erfahrungen wird relevant gesetzt und bestimmt die Rollen, die den Gesprächspartnern situativ für das Gespräch zukommen. In Z. 9-16 bezieht F die Rollen konkret auf die Gesprächspartner und reformuliert noch einmal deren Spezifik bzw. leitet aus ihnen konkretere Aufgaben und Funktionen für das Gespräch ab. In Z. 9 wird mit dem betonten Personalpronomen SIE dem einen Gesprächspartner die Rolle des Erfahreneren zugewiesen, in Z. 13 mit dem betonten DU dem anderen Gesprächspartner die des Neuen.82 Dem Erfahreneren wird die Aufgabe zugeschrieben, Erfahrungen zu identifizieren, die für den Neuen vielleicht wertvoll sein können. Aufgabe des Neuen ist es, zu überlegen, über welche ersten Erfahrungen er gerne einmal sprechen würde (da wärs vielleicht interessant mal noch mal mit jemand drüber zu sprechen). Dabei wird auf die beiden Rollen noch einmal in neutraler Weise verwiesen (jemand der eben relativ neu da is bzw. jemand). Gerade die neutralen Formulierungen machen deutlich, dass es um eine funktionale Rolle geht (der Erfahrene), nicht um eine individuelle Gesprächsbeteiligung.
Zwar handelt es sich bei den Rollen des Erfahrenen und des Weniger-Erfahrenen nicht um institutionelle oder soziale Rollen, aber die Rollen sind als situative Gesprächsrollen allgemein verbreitet und bekannt (z.B. aus dem Kontext der Erfahrungsweitergabe von älteren an jüngere Arbeitskräfte im Unternehmen oder auch aus privaten Gesprächen, bei denen beispielsweise Reiseerfahrungen weitergegeben werden), so dass sie mit einem relativ geringen Formulierungsaufwand konstituiert werden können. Vor allem zu Beginn aber auch im Verlauf der Gespräche verweisen die Gesprächspartner selbst stellenweise auf die situativ-funktionalen Gesprächsrollen und leiten daraus teilweise bestimmte Rechte oder Pflichten für sich ab. Der folgende Ausschnitt (2) zeigt, wie die Gesprächspartner in dem gleichen Gespräch unmittelbar nach der Gesprächseinleitung die situativ-funktionalen Gesprächsrollen für sich rekonstituieren und wie dabei erhebliche Kompetenzunterschiede etabliert werden.
82
Die unterschiedliche Adressierung (Sie bzw. du) hängt damit zusammen, dass F den neuen Auslandsentsandten vor dem Gespräch bereits aus einem interkulturellen Vorbereitungstraining kannte, den erfahreneren Auslandsentsandten jedoch nicht.
162
5. Aufgabe-1: Erfahrungskompetenzen etablieren
FREUNDSCHAFT: „ich bin jetzt seit sechs wochen hier” (00:58, Z.34) 01 02 03 04
F: [( )] N: [also ICH muss ich muss sagen,] ich mein=jetz ich bin jetzt seit (-) SECHS wochen hier. (---) E: (1.0)
05 06
N: [aha, (-) (hehe)]= F: [((lachen)) (hehe)]
07 08
N: [=also die zeit die zeit STIMmt fast, (-)] F: [((lachen ))]
09 10 11
N: [s=fast GLEICH, ] E: [((leises lachen))] F: [(hehe) ]
12 13
N: [aber (-)] nur was daHINter steht; F: [hh=ja, ]
14 15
N: [des stimmt nich GANZ. (1.0)] F: [j=genau. ((hehe))]
16 17
N: [aber=ich] bin auch nicht ganz UNbeleckt was spanien angeht, F: [hm; ]
18 19 20 21
N: meine FRAU is spanierin. (---) [oder(--)] E: [ (-)] N: AUCH; (-)
22 23 24
E: [((leises lachen)) ] F: [ ] N: MENSCH. (---)
Kommentar: N setzt in Z. 2 zu einer individuellen Einschätzung an. Bevor er seine eigentliche Aussage formuliert, modalisiert er diese in einem Einschub durch einen Verweis auf die Zeit, die er bisher in Spanien ist. Die Zeitspanne wird nicht bewertet (z.B. durch ein schon oder ein erst), so dass der Einschub entweder als Legitimierung der folgenden Aussage verstanden werden kann (im Sinne von ‘ich bin ja immerhin schon seit sechs Wochen da’) oder als Einschränkung (im Sinne von ‘ich kann natürlich nur eine vorläufige Aussage machen, da ich erst sechs Wochen da bin’). Auch die Einleitungsmodalisierung ich mein lässt beide Interpretationen zu. E reagiert, indem er darauf verweist, dass er schon sehr viel länger in Spanien ist (Z. 4). Er bestimmt die Aussage N’s damit eindeutig als einschränkende Floskel. Der ausgesprochen große Gegensatz zwischen sechs Wochen und acht Jahren (E ist innerhalb des Korpus derjenige Auslandsentsandte, der mit Abstand am längsten in Spanien ist) verleiht der Aussage E’s eine besonders starke, fast ironische Wirkung. Hinzu kommt, dass die große Differenz nicht nur (wie bei einer kleineren Differenz anzunehmen) in den Zahlen, sondern vor allem auch in der Zeiteinheit (Wochen, Jahre) liegt. Die Wirkung der Aussage wird unterstützt durch die Intonation in tiefem Tonhöhenregister, die kurze, präzise Formulierung sowie die syntaktische Parallelkonstruktion (die Satzkonstruktion N’s wur-
5.2 Aufgabenspezifika
163
de lediglich verkürzt: ich bin jetzt seit sechs wochen hier – ich [bin jetzt] seit acht jahren [hier]). Mit seiner Aussage inszeniert sich E selbst(herrlich) als Experte. Zugleich wirkt die Aussage deutlich gesichtsbedrohend für N. N und F reagieren auf die Gesichtsbedrohung mit einem Lachen, das hier eine gesichtswahrende bzw. konfliktabschwächende Funktion besitzt.83 N formuliert daraufhin in Z. 7-14 explizit einen Aspekt der bereits beschriebenen Erklärung dafür, warum die Aussage E’s eine so starke Wirkung hat (die Differenz liegt vor allem in der Zeiteinheit, nicht in den Zahlen). Diese Explizierung deutet auf eine Unsicherheit seinerseits hin. Mit seiner expliziten Beschreibung der Wirkung der Aussage schwächt er zugleich ihr gesichtsbedrohendes Potenzial ab. Das begleitende Lachen und die Zustimmungen F’s (Z. 8, 11, 13, 15) unterstützen ihn dabei und besitzen ebenfalls eine gesichtswahrende Funktion. In Z. 14 lacht auch E leise. Dieses Lachen wirkt jedoch, auch aufgrund der unterschiedlichen Intonation, fast ‘hämisch’.84 In Z. 16-18 hat N seine Unsicherheit überwunden und setzt zu einem (erneuten) Versuch an, eine gewisse Erfahrungskompetenz für sich zu etablieren. Im Gegensatz zu dem selbstbewussten Darstellungsmodus E’s beschreibt N seinen Erfahrungshintergrund vorsichtiger (vgl. die modalisierenden Partikel und die Negativformulierung in auch nicht ganz unbeleckt). Wieder reagiert E kurz und präzise, diesmal mit kürzerer Pause und in Unterbrechung N’s (er zieht das Rederecht regelrecht an sich). Wieder stellt seine Reaktion eine verkürzte Parallelkonstruktion zu der Aussage N’s dar (meine [frau is] auch [spanierin]), und wieder spricht er in tieferem Tonhöhenregister. Auch diese Reaktion impliziert eine deutliche Gesichtsbedrohung gegenüber N. Die kurze Reaktion N’s in Z. 21 (auch), sein anschließendes Schweigen sowie die Verlegenheitsfloskel mensch (wie schon zuvor das auch mit Akzent) deuten auf eine anhaltende Unsicherheit N’s hin.
Der Ausschnitt illustriert also den zweimaligen Versuchs N’s, eine Aussage zu formulieren und dabei für sich eine individuelle Erfahrungskompetenz zu etablieren, die gerade nicht den vorgegebenen situativen Rollen entspricht (sechs Wochen heißt immerhin nicht ganz neu, die Frau ist Spanierin). In beiden Fällen geht E nicht auf diese individuelle Erfahrungskompetenz N’s ein, sondern aktualisiert vielmehr die in der Gesprächseinleitung schon vorgezeichneten situativfunktionalen Gesprächsrollen. Durch die beschriebene Darstellungsmodalität (kurze Aussagen, Parallelkonstruktionen zu N, tiefes Tonhöhenregister, Lachen) hebt er die extremen Erfahrungsunterschiede und damit die Rollenungleichheit der Gesprächspartner hervor. Er realisiert mehrere direkte Gesichtsbedrohung gegenüber N (‘face-threatening acts baldly on record’, Brown/Levinson 1978). Was in dem Gesprächsausschnitt nicht mehr nachvollzogen werden kann, in dem 83
84
Auch Furchner (1997: z.B. 31, 65, 205) beschreibt Lachen als typische imagewahrende Maßnahme im Kontext der Konstitution von Kompetenzunterschieden. Insgesamt wird die imagewahrende Funktion von Lachen vielerorts hervorgehoben (z.B. Schwitalla 2001b: 33f bzw. 336f sowie die Verweise dort). Dass Lachen sowohl zum Schutz als auch als Bedrohung des fremden Face eingesetzt werden kann, zeigt auch Schwitalla (2001b).
164
5. Aufgabe-1: Erfahrungskompetenzen etablieren
gesamten Gespräch jedoch deutlich wird, ist, dass E aus seinem Erfahrungsvorsprung erhebliche Rechte für sich ableitet (z.B. das Recht, Gesprächsthemen einzuführen, sehr viel länger als der Gesprächspartner zu sprechen, Persönlichkeitsmerkmale des Gesprächspartners einzuschätzen, Prophezeiungen aufzustellen etc.), die eher auf eine Belehrung hindeuten als eine Erfahrungsweitergabe (vgl. hierzu 5.4.2). Zusammenfassung: Anhand von zwei Ausschnitten aus dem Gespräch FREUNDSCHAFT wurde gezeigt, wie die Forscherin in den Gesprächseinleitungen bestimmte situativ-funktionale Rollen für die Gesprächspartner etabliert (die Rolle des ‘Erfahreneren’ und des ‘Neuen’) und inwiefern die Gesprächspartner diese im Verlauf des Gesprächs aufnehmen und rekonstituieren. Sie verweisen vor allem dann auf ihre situativ-funktionalen Rollen, wenn sie aus ihnen bestimmte Rechte für das Gespräch ableiten (z.B. Rederecht) oder ihre Erfahrungskompetenz hervorheben möchten (z.B. um ihre Einschätzung gegenüber der des Gesprächspartners aufzuwerten).
5.3 Verfahren zur Etablierung von Erfahrungskompetenzen Bisher wurde in diesem Kapitel zunächst die Aufgabe der Etablierung von Erfahrungskompetenzen definiert und linguistische Forschungsbezüge wurden aufgezeigt (5.1). Das Unterkapitel der Aufgabenspezifika ging darauf ein, für welche Kompetenzbereiche die Gesprächspartner Erfahrungskompetenzen etablieren (5.2.1) und welchen Einfluss soziale (5.2.2) und situativ-funktionale (5.2.3) Rollen auf die Kompetenzetablierung haben. Im Folgenden werden nun drei kommunikativen Verfahren dargestellt, die die Gesprächspartner zur Etablierung von Erfahrungskompetenzen verwenden: 1. 2. 3.
Beschreiben des individuellen Erfahrungshintergrunds (5.3.1) Anzeigen des individuellen Erfahrungshintergrunds (5.3.2) Demonstrieren des individuellen Erfahrungshintergrunds (5.3.3)
Das ‘Beschreiben des individuellen Erfahrungshintergrunds’ meint die explizite Darstellung des Erfahrungshintergrunds eines der Gesprächspartner (z.B. ich bin jetzt seit drei Wochen hier). Das ‘Anzeigen‘ erfolgt vor allem über Äußerungsmodalisierungen (z.B. ich glaube, meine, habe die Erfahrung gemacht dass) und ist dabei deutlich impliziter. Das impliziteste Verfahren ist schließlich das ‘Demonstrieren des individuellen Erfahrungshintergrunds’ durch bestimmte beziehungsdynamische kommunikative Handlungen (z.B. eine Bewertung der Aussage des Gesprächspartners). Im Sinne des in 4.2.2 dargestellten Systematisie-
5.3 Verfahren zur Etablierung von Erfahrungskompetenzen
165
rungsschemas werden die Verfahren damit in der Reihenfolge ihrer zunehmenden Implizitheit dargestellt.85 Durch das Etablieren (geringerer oder größerer) Erfahrungskompetenzen konstituieren die Gesprächspartner in den Gesprächen lokal für sich bestimmte Rollen im Hinblick auf die Weitergabe kultureller Erfahrungen. Bei der Darstellung der einzelnen Verfahren wird daher auch darauf einzugehen sein, welche Rollen die Gesprächspartner etablieren und welche Rechte und Pflichten sie daraus ableiten. Eine Tabelle am Ende des Unterkapitels gibt einen Überblick über die dargestellten Verfahren mit Beispielen aus allen Gesprächen. 5.3.1 Beschreiben des individuellen Erfahrungshintergrunds Im Zusammenhang mit der Erläuterung der Rekonstitution situativ-funktionaler Rollen in 5.2.3 habe ich an einem Gesprächsausschnitt aus dem Gespräch FREUNDSCHAFT gezeigt, dass eine explizite Beschreibung des konkreten Erfahrungshintergrunds in Spanien bzw. mit Spaniern zur Etablierung von (vorhandener) Erfahrungskompetenz beiträgt. N verweist in dem Ausschnitt zunächst neutral darauf, wie lange er schon in Spanien ist (ich mein=jetz ich bin jetzt seit sechs wochen hier) und etabliert dann durch den Verweis auf biographische Umstände (ich bin auch nicht ganz unbeleckt was spanien angeht, meine frau is spanierin) für sich eine gewisse Erfahrungskompetenz. E beansprucht jedoch für sich eine größere Kompetenz, indem er die situativ-funktionalen Gesprächsrollen aufgreift. Die Etablierung einer (wenn auch geringen) Erfahrungskompetenz in der ersten Aussage N’s macht er mit dem Verweis auf den enormen Unterschied der Länge des bisherigen Aufenthalts in Spanien zunichte (ich seit acht jahren). Das zweite Argument N’s schaltet er durch Gleichziehen aus (meine auch). Damit zählt als Kriterium lediglich der unterschiedlich lange Aufenthalt in Spanien. Der individuelle Erfahrungshintergrund wird hier also durch eine lokale Angabe (ich bin hier) mit temporaler adverbialer Bestimmung (seit sechs wochen) sowie durch ein Gattungsprädikat in Bezug auf eine nahestehende Person (meine frau is spanierin) bestimmt. Auch in der Beispielanalyse in 4.1 wurde gezeigt, inwiefern die explizite Beschreibung des konkreten Erfahrungshintergrunds N’s zur Etablierung von Erfahrungskompetenzen beiträgt. Die Frage nach ersten erfahrungen sowie der Verweis auf die konkrete Länge des bisherigen Aufenthalts (schon fast drei mo85
Eine ähnliche Systematik, die deutliche Parallelen zu den hier vorgestellten Verfahren der Kompetenzetablierung aufweist, schlagen Spiegel/Spranz-Fogasy (1999: 220) vor. Sie unterscheiden drei Arten der Selbstdarstellung im Gespräch: (a) explizite Selbstaussagen, (b) Eigenschaften sprachlicher und sprachbegleitender Aktivitäten und (c) übergreifende Eigenschaften des Gesprächshandelns.
166
5. Aufgabe-1: Erfahrungskompetenzen etablieren
nate=ne? oder zwei) dient der Etablierung einer gewissen, aber noch geringen Erfahrungskompetenz für N und deutet zugleich auf die Diskrepanz zum Erfahrungshintergrund E’s hin. In dem Ausschnitt, der bei der Beispielanalyse ausgelassen wurde, erläutert N seinen biographischen Erfahrungshintergrund im Bezug auf Spanien etwas genauer: KOLLEGIALE BERATUNG: „dass meine freundin spanierin is” (06:22, Z.127) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
N: also die’ (-) die ers’ (-) ich muss (-) dazu sagen dass meine FREUNdin spanierin is. (--) E: ah okay. [((lacht)) ((lacht)) ] N: [des heißt sie is HALB spanierin halb deutsche.] (-) E: (--) N: ähm (-) ((räuspert sich)) und ich hab=se:: (-) IN spanien KENnengelernt,= =hab aber (---) VORher des war vor drei: vor v’: (-) drei=n=halb jahr=n;= =hab=ber vorher noch NIE=n fuß in SPAnien (---) nach spanien (-) in spanien gesetzt ( ) (--) auf sp’ nee in
(1.0) ähm: (-) also ich hatte vorher WEnig erfahrungen=mit dem land. aber jetzt (-) natürlich dann schon MEHR, auch (-) beVOR ich hierher kam weil (---) wir öfters dann (-) zu ihr=n eltern gefahr=n sind (--) die IN spanien wohn=n. (--) E: hm=hm,
Kommentar: Zuvor wurde nur die Frage thematisiert, wie lange N schon in Spanien ist. In Z. 1-2 führt N nun, nachdem er zunächst zu einer Antwort ansetzt, als weiteren relevanten biographischen Aspekt die Tatsache an, dass meine freundin spanierin is (Gattungsprädikat86 im Bezug auf eine nahestehende Person). Er unterbricht sich dabei in seiner Aussage und verwendet die modalisierende Einleitungsfloskel ich muss dazu sagen. Die Formulierung deutet darauf hin, dass er einen Aspekt anführt, den E vermutlich nicht erwartet (und der auch nicht der für ihn konstituierten situativ-funktionalen Gesprächsrolle des Neuen, Unerfahrenen entspricht). Mit ihrer Rückmeldung (ah okay mit anschließendem Lachen) bekräftigt E, dass der Aspekt relevant, auffällig und erwähnenswert ist. E erkennt damit außerdem eine höhere Erfahrungskompetenz für N an. In Z. 4 nimmt N die etablierte Erfahrungskompetenz wieder etwas zurück. E’s gemäßigtere Rückmeldung (hmhm) deu-
86
Zum Begriff des Gattungsprädikats vgl. von Polenz 1988: 164.
5.3 Verfahren zur Etablierung von Erfahrungskompetenzen
167
tet jedoch darauf hin, dass sie dieser Einschränkung weniger Gewicht gibt als der grundsätzlichen Tatsache, dass N’s Freundin spanischen Ursprungs ist. In Z. 8 zögert N zunächst, gibt dann jedoch weitere Erläuterungen, inwiefern der biographische Umstand, dass seine Freundin Halbspanierin ist, ihm eine bestimmte Erfahrungskompetenzen verleiht. In zwei Absätzen (Z. 8-14 und Z. 16-21) stellt er jeweils einen fördernden und einen einschränkenden Aspekt im Hinblick auf seine Erfahrungskompetenz gegenüber. Beide Absätze sind als Fokusoppositionen strukturiert (vgl. aber in Z. 10 und 17).87 Dabei entwirft er über die beiden Absätze hinweg ein zeitliches Raster zur Unterscheidung mehrerer Kompetenzlevel. Folgende Zeitpunkte bzw. Phasen werden unterschieden: Im ersten Absatz wird dem Zeitpunkt des Kennenlernens (Z. 8-9, 10: des war vor drei... vor drei=n=halb jahr=n) die Zeit vor dem Kennenlernen gegenüber gestellt (Z. 10-14: vorher). Zum Zeitpunkt des Kennenlernens war N in spanien, was eine gewisse Vorerfahrung mit Spanien (und damit Erfahrungskompetenz) impliziert. Diese schränkt er jedoch mit der Angabe, dass er vorher noch nie in Spanien war, sofort wieder ein. Im zweiten Absatz wird der Zeit vor dem Kennenlernen (Z. 16: vorher) die Zeit zwischen Kennenlernen und Auslandsentsendung in Spanien gegenüber gestellt (Z. 18: jetzt, 19: bevor ich hierherkam). Hier sagt N explizit, dass er vorher wenig erfahrungen hatte, jetzt natürlich dann schon mehr. E erkennt das von N für sich etablierte Kompetenzlevel mit ihrer Rückmeldung in Z. 23 wieder an.
N etabliert also für sich in dem Ausschnitt durch die explizite Beschreibung seines Erfahrungshintergrunds eine gewisse Erfahrungskompetenz. Trotzdem erhält er (durch verschiedene Einschränkungen) eine Erfahrungsasymmetrie im Verhältnis zu E aufrecht. Auffällig ist, dass Erfahrungskompetenzen in beiden Absätzen, obwohl es eigentlich um den Kontakt zu Spaniern geht, an dem Aufenthalt in spanien, also an einer lokalen Präsenz festgemacht werden (Z. 8: in spanien, 12-13: in spanien, nach spanien, in spanien, 18: zu ihr=n eltern, 20: in spanien). Auch wenn N in Z. 15 explizit den Begriff ‘Erfahrung’ verwendet, bezieht er sich auf das Land als lokale Größe, nicht auf Personen (vgl. die Personifizierung Spaniens in der Formulierung erfahrungen=mit dem land). Der personale Kontakt zu Spaniern (zur Freundin, zu den Eltern) wird implizit deutlich, N verleiht jedoch der lokalen Präsenz in Spanien eine größere Bedeutung als dem persönlichen Kontakt. Der Verweis auf eine lokale Präsenz in Spanien steht auch bei dem folgenden Beispiel im Vordergrund:
87
Fokusoppositionen sind zweiteilige Äußerungsformate, bei denen jeweils ein relevanzabgeschwächter Teil einem relevanzhochgestuftem Teil gegenüber gestellt wird (vgl. Kallmeyer/Schmitt 1996). Relevanzhochgestuft wird hier im ersten Absatz die völlig fehlende Spanienerfahrung vor dem Kennenlernen der Freundin, im zweiten Absatz der Erfahrungshintergrund durch die spanische Freundin.
168
5. Aufgabe-1: Erfahrungskompetenzen etablieren
ENTSENDUNGSZIEL: „war=n sie schon häufiger im ausland” (04:54, Z.62) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16
E: war=n (-) wa (.) war=n sie schon HÄUfiger im ausland?= [oder is-] N: [ja. (-) ] JA ja. (-) E: [(ja.)] N: [fast ] die ganze zeit meines *industria*lebens im AUSland gewesen. ich war lange in CHIna, ich war in FRANKreich, (--) ich war zuletzt in OSTdeutschland, F: [hmhmhm. N: [ hahaha (1.0) und sage und SCHREIbe, (1.0) DREI=nhalb JAHre in *produkTIONSstadt*. (-) des war meine zeit (.) bei in deutschland. ((lacht))
Kommentar: Auf die Frage E’s nach N’s bisheriger Auslandserfahrung (Z. 1) reagiert N zunächst mit einer dreifachen Bejahung (Z. 3-4). Es folgt eine allgemeine Aussage, bei der N die lokale adverbiale Bestimmung aus der Frage (im Ausland) aufnimmt und diese mit einer temporalen adverbialen Bestimmung (fast die ganze zeit meines industrialebens) beantwortet (Z. 6-7). Das Fehlen von Subjekt und Prädikat (ich bin) verleiht der Aussage eine besondere Schärfe und unterstützt damit die Etablierung von Erfahrungskompetenz für N. Anschließend führt N vier Orte auf, an denen er bereits war, teilweise mit temporaler adverbialer Bestimmung, wie lange er dort war (Z. 8: lange, Z. 14: drei=n halb jahre). Die Parallelkonstruktion der ersten drei Angaben (ich war [ggf. Tempusadverb] in [Land/Stadt]), die Ironie in Z. 12 und 15-16 sowie die verstärkende Floskel sage und schreibe (Z. 13) unterstützen die Wirkung der Aussage.
Auch in diesem Ausschnitt etabliert N für sich Erfahrungskompetenzen durch den Verweis auf die lokale Präsenz in Spanien (ggf. mit temporaler adverbialer Bestimmung). Zusammenfassung: Anhand der Analyse der Beispiele konnte gezeigt werden, wie die Gesprächspartner durch die explizite Beschreibung von Vorerfahrungen mit der spanischen Kultur Erfahrungskompetenzen etablieren.88 Für diese 88
Furchner (1997: 308, 313) führt aus, dass explizite Zuschreibungen von Kompetenz in ihrem Korpus eher die Ausnahme darstellen. Wenn sie auftauchen, werden sie häufig strategisch eingesetzt und besitzen vor allem eine lokale Wirkung (ebd.: 314, 335). Sie beschreibt konkreter lokale Präzisierungen des Wissensstands, die für die Erledigung der jeweils anstehenden Aufgaben erforderlich sind (z.B. Verweis auf Auslandsaufenthalt) (ebd.: 310), explizite Kompetenzzuschreibungen, die auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kategorie beruhen (z.B. berufliche, institutionelle Position, Nationalität etc.) (ebd.: 308-309) sowie explizite Kompetenzzuschreibungen in Form von ‘formulations’, die einen Kenntnisstand zum Ausdruck brin-
5.3 Verfahren zur Etablierung von Erfahrungskompetenzen
169
Erfahrungskompetenzen wird vor allem die lokale Präsenz in Spanien relevant gemacht (lokale + ggf. temporale adverbiale Bestimmung), sekundär ein intensiver Kontakt zu Spaniern (z.B. Gattungsprädikat in Bezug auf nahestehende Person: meine freundin ist spanierin). Meist etablieren die Gesprächspartner mit dem Verfahren für sich selbst Erfahrungskompetenzen, seltener auch für den Gesprächspartner (vgl. Beispielanalyse in 4.1: ich meine gut dezember is ja auch sch=etz schon fast drei monate.=ne?). Mit dem Verfahren werden hauptsächlich vorhandene Erfahrungskompetenzen etabliert, gelegentlich auch Erfahrungsdefizite (vgl. du bisch ja noch=e paar tage da, LOCKER Z. 1541). Das Verfahren dient häufig der Rekonstitution der situativ-funktionalen Gesprächsrollen, wobei vor allem Abweichungen von den mit den Rollen verbundenen Erwartungen dargestellt werden. In den betrachteten Beispielen wurde das Verfahren jeweils in Bezug auf die Rolle N’s verwendet. Dies ist kein Zufall, denn die Rollendefinition von N ist deutlich präziser (keine Erfahrungen) als die E’s (mehr Erfahrungen). Daher sind Abweichungen von den Rollenerwartungen durch individuelle Umstände häufiger und erläuterungsbedürftig. 5.3.2 Anzeigen des individuellen Erfahrungshintergrunds Ein weiteres Verfahren neben dem Beschreiben des individuellen Erfahrungshintergrunds besteht darin, dass die Gesprächspartner anzeigen, dass sie ‘Erfahrung haben’ bzw. dass ihre Aussagen auf eigenen Erfahrungen basieren. ‘Anzeigen’ meint im Gegensatz zum ‘Beschreiben’ eine implizitere Form des Verweises auf den individuellen Erfahrungshintergrund. Es erfolgt vor allem durch die Verwendung entsprechender Äußerungsmodalisierungen (z.B. ich hab die Erfahrung gemacht, gemäß meiner Erfahrung, so kenn ich das, ich hab das Gefühl, ich finde etc.).89 Eine bestimmte Modalisierung von Aussagen sagt etwas über die beanspruchte Erfahrungskompetenz des Sprechers aus. Wenn zum Beispiel ein Sprecher sagt ‘ich habe den Eindruck, dass...’, dann beansprucht er weniger Erfahrungskompetenz für sich als wenn er sagt ‘ich habe die Erfahrung gemacht, dass...’ oder ‘inzwischen weiß ich, dass...’.
89
gen, der von den kategoriengeleiteten Kompetenzzuschreibungen abweicht und insofern nicht erwartbar ist (ebd.: 313). Auch Spiegel/Spranz-Fogasy (1999: 221) betonen, dass mit expliziten Selbstaussagen häufig soziale Kategorien aufgerufen werden. In der traditionellen Grammatik beschreibt der Bereich der ‘Modalität’ die Einstellung des Sprechers zur Aussage. Es kann grundsätzlich unterschieden werden zwischen Sprechhandlungstypen bzw. Verben, die ein ‘Für-Wahr-Halten’ ausdrücken (z.B. behaupten, wissen, überzeugt sein, hinweisen, mitteilen), und solchen, die kein ‘Für-Wahr-Halten’ beanspruchen (z.B. fragen, vermuten, annehmen, glauben, für wahrscheinlich halten). In der Sprechakttheorie wird dieser Bereich als ‘propositionale Einstellung’ diskutiert, in der deutschsprachigen Sprachpragmatik ist der Begriff der ‘Sprechereinstellung’ üblich (von Polenz 1988: 212-215).
170
5. Aufgabe-1: Erfahrungskompetenzen etablieren
Auch Furchner (1997: 54 und 57-58) betont, dass Gesprächspartner „durch die Modalität ihrer Äußerungen unterschiedliche Kompetenzen hinsichtlich [bestimmter] Sachgebiete“ markieren. Sie unterscheidet zwischen der Darstellung von Fakten/Wissen, Vermutungen, Einschätzungen, Nicht-Wissen etc. Dabei geht sie jedoch nicht näher darauf ein, mit welchen Modalisierungsformen welches Kompetenzniveau angezeigt wird. Schmitt/Heidtmann (2002) arbeiten die Bedeutung von Äußerungsmodalisierungen für die Konstitution von Hierarchie heraus. In der Beispielanalyse in 4.1 wurden bereits Aussagen betrachtet, bei denen mithilfe von Modalisierungen, die den Erfahrungsbegriff enthalten, Erfahrungskompetenzen etabliert wurden (z.B. gemäß meinen erfahrungen). An folgendem Beispiel lässt sich gut zeigen, wie unterschiedliche Modalisierungen (durch die Verwendung unterschiedlicher Verben bzw. Verbalphrasen) ein unterschiedliches Erfahrungs- bzw. Kompetenzniveau anzeigen können, da in dem Abschnitt der Lernprozess und damit Erfahrungsfortschritt E’s nachvollzogen wird. Ich werde im Folgenden ausschließlich die Formulierungen kommentieren, die der Modalisierung von Aussagen über kulturspezifische Verhaltensweisen, Eigenschaften, Abläufe, Zustände etc. dienen. Diese sind in dem Abschnitt durch Unterstreichung hervorgehoben. KOLLEGIALE BERATUNG: „was mir übrigens auch aufgefallen is” (24:08, Z.586) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
N: was mir übrigens AUCH aufgefallen is is dass (---) aber des LIEGT viellL:EICHT an unser=m geSCHÄFTSbereich.= =des WEISS ich nich, (---) is dass=ähm (-) HIER sehr LANge gearbeitet wird. ((...)) E: ICH sehe hier einen ziemlich starken generaTIOn=nterschied. (---) N: [hm=m; E: [also (-) bisschen ABhängigkeit w’ auch von den verTRÄgen die die leute haben. (--) ich SEhe viele junge LEUte, (--) die sich !SEHR! sehr engagieren.= =also die MORgens früh ANfangen; (--) bis [SPÄT abends ARbeiten; N: [((räuspert sich)) E: und (-) also ECHT so: (--) ALles GEben, (-) N: [hm=m, E: [und (.) aber ich sehe auch EInige leute (-) die halt also (--) beQUEme verTRÄge haben; und die dann also SCHON: auch sagen okay jetzt is::t=äh acht stunden UM, jetzt stempel ich AUS. (--) N: hm=m.
5.3 Verfahren zur Etablierung von Erfahrungskompetenzen 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72
171
E: also (--) insgeSAMT war ich über die ANzahl der stunden das=s vierzig STUNden war=n pro woche (--) auch am anfang=n bisschen überRASCHT, das kam mir VIEL vor, (---) ähm (--) aber mit der ZEIT wurde der blick en differenz’ (-) en bisschen differenZIERter, und=s ham=m: (-) sich (--) viele LEIStungsträger heRAUSkristallisiert,= =aber die ANderen wurden dann irgendwann AUCH sichtbar. (--) die sieht man am ANfang vielleicht NICH so. weil die gehen so STILL nach hauseoder- (-) N: hm=m; E: die nimmt man vielleicht nich so WAHR, (--) so dass ich am anfang AUCH gedacht habe
(-) hart geARbeitet; und LANge un so; aber ich GLAUbe es konzentriert sich auf [(---) EInige. N: [(-) n=paar wenige. E: vielleicht=s der bereich MARketing:, sehr stark mit jungen LEUten: (.) durchsetzt dass der eindruck da vielleicht STÄRker is. (--) ((...)) E: aber das=s=ähm (-) hab ich am anfang auch stark geSEH=N. ha’ also: v=r=allendingen mit=m falschen BILD hergekommen. (--) ((...)) un ich HAB mir schon so ich hab scho=n verDACHT gehabt dass des so GANZ nich stimmen KANN, N: [hm=m; E: [aber (.) ähm (.) dann (.) also die realiTÄT hat mich dann doch noch mal überRASCHT. [also (-) N: [hm=m mich AUCH ja, (--) E: und zumal: eben die erWARtungshaltung dann bei den DEUTschen die=HERkommen=dann IS okay also (--) verDIENT halt mehr,= =kann man auch=n bisschen mehr verLANgen; das [heißt also die erWARtungshaltung IS (--) dass du auf N: [mhm; E: JEden fall zu DEnen: (-) geHÖRST (.) die NICH pünktlich heimgehen; ((...)) N: ja aber sonst is=es GANZ schwierig mit=der akzeptanz. (--) E: [
N: [sonst=ähm (---) kommt daHER, kann kein SPAnisch, und geht früh HEIM, (--) [des:=is: (-) glaub ich GAR nich [gut. E: [mhm, [
, MACH mer so; (---) un=na=ter irgendwann mich MITgezogen. (he=mer) mit dem vorher geredet ha,= =hat=er g=sagt also pass AUF; ich (--) stell mir des so und so VOR; (--)
7.3 Verfahren zur Darstellung kultureller Prägungen 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77
273
N: hm=m; (--) E: was hälsch=n du da davon. (-) u:nd der war dann: irgendwo weil=er g=sagt hat JA des PASST so des kann=ich mir gut VORstellen. (--) un=na ha=mer des gemeinsam erLEdigt, (--) na war des KLASse.=ne? na hat der !UN!heimlich mitgezogen. des war WELTklasse. für MICH war des=e RIEsen erFAHrung, (--) wo ich am anfang so mit der VORstellung daher kam der: (1.0) der ähm: (--) denkt jetzt naja da kommt jetzt WIEder so einer.=ne? um GOTtes willen. (1.0)
Kommentar: In dem Ausschnitt erzählt E, wie sich die Beziehung zu einem Kollegen von einer anfänglich negativen Einstellung auf beiden Seiten zu einer positiven Zusammenarbeit entwickelt hat. Der Ausschnitt lässt sich in folgende Abschnitte einteilen: a. b. c. d. e. f. g.
Einleitung und Situationsbeschreibung (Z. 1-6) Hintergrundinformationen zu dem zentralen Interaktionspartner (Z. 7-13) Darstellung eines zwischenmenschlichen Konfliktpotenzials, das kulturell bedingt ist (Z. 14-22) Darstellung der eigenen Reflektionen und der Erwartungen bezüglich der Zusammenarbeit mit dem Interaktionspartner (Z. 23-27) Bericht über die tatsächliche Entwicklung der Zusammenarbeit (unerwarteter Wandel) (Z. 28-38) Konkreter Nachvollzug und szenische Darstellung der tatsächlichen Zusammenarbeit (Z. 39-71) Zusammenfassung und Resümee (72-76)
E rahmt seine Darstellung als Einzelerfahrung (vgl. Z. 1-2: also was meine persönliche erfahrung war, Z. 71: für mich war des=e riesen erfahrung). Innerhalb des Rahmens rekonstruiert er ein konkretes Erlebnis, eine Folge von Ereignissen in ihrer chronologischen Reihenfolge (vgl. die Temporaladverbien dann bzw. und dann in Z. 16, 23, 28, 34), „die im Verhältnis zum Zeitpunkt des Erzählens zurückliegen“ (Gülich/ Hausendorf 2001: 373). Der Ausschnitt enthält typische erzählerische Darstellungsmittel: Verwendung des Präteritums, Wiedergabe direkter Rede bzw. Gedanken (Z. 19-22, 23-27, 34-35, 52-60, 63-68), deiktische Ausdrücke (z.B. damals in Z. 15; hier in Z. 3, 11, 30, 40 etc.), Verwendung erzählerischer Floskeln und Partikel (als ich..., ja und der..., also, na sagt=er etc.).162 Auch die ‘spezifizierenden Kriterien’, die Gülich/Hausendorf (2001: 374) für die Definition einer Erzählung aufführen, werden erfüllt:
162 Die Literatur zu erzählerischen Darstellungsmitteln ist sehr umfassend. Einen Überblick über typische Strukturelemente des Erzählens gibt z.B. Quasthoff (2001: 1294).
274
7. Aufgabe-3: Kulturelle Prägungen darstellen
Singularität des Ereignisses: Im vorliegenden Fall wird offenbar eine einmalige Erfahrung dargestellt, was sich insbesondere in dem abschließenden Resümee (für mich war des=e riesen erfahrung) widerspiegelt. Erzählwürdigkeit: E formuliert zweimal, warum er die dargestellten Ereignisse für erzählwürdig hält. In Z. 28-30 und 75-77 hebt er jeweils hervor, dass sich die Ereignisse anders entwickelt haben, als er erwartete. Das Kriterium der Unerwartetheit wird in der Erzählforschung häufig für die Begründung der Erzählwürdigkeit eines Ereignisses angeführt (z.B. Ehlich 1983: 140ff, Quasthoff 1980: v.a. 54-59). Emotionalität: Gerade in dem unerwarteten Moment der Erzählung spiegeln sich Emotionen des Sprechers wider. Dies zeigt sich zum einen in den, im Vergleich zur übrigen Erzählung, ausgeprägten Akzentuierung an den Stellen, an denen E auf die unerwartete Entwicklung hinweist (vgl. Z. 28-29: was dann aber !VÖLlig! (--) ANdersch sich entWICkelt hat). Die Wahl des umgangssprachlichen, verstärkenden Partikels völlig sowie dessen Hervorhebung durch die anschließende Pause unterstützt die Emotionalität in der Aussage. Auch am Schluss der Erzählung sowie im Resümee spiegeln sich Emotionen wider (Z. 70-73). Auffällig ist auch hier der Wechsel zu einer dichteren Akzentsetzung sowie ein besonders starker Akzent auf einem die Darstellung des Wandels verstärkenden Adverb (!UN!heimlich). Insgesamt werden mit unheimlich, weltklasse und riesen erfahrung umgangssprachliche, starke, beinahe übertreibende Ausdrücke verwendet. Die Erzählung besitzt in dem Gesprächszusammenhang, eine konkrete Funktion. Voraus geht dem Ausschnitt eine Diskussion über die Bedeutung persönlicher Beziehungen in Spanien. E stellt die Hypothese auf, dass die Spanier, wenn man eine gute Beziehung aufbaut und sich auch selbst engagiert, bereit sind, einen großen Arbeitseinsatz zu zeigen. N unterstreicht diese Hypothese und schließt daran die allgemeine Hypothese an, dass die Spanier zwar viel arbeiten, aber auch das Leben genießen (sie wissen dann auch wenn=s irgendwie zum feiern is).
E erzählt in dem Gesprächsausschnitt also eine konkrete Einzelerfahrung. Der Ausschnitt weist typische Darstellungsmittel und Merkmale des Erzählens auf. Die Erzählung E’s kann als illustrierende und belegende Erzählung für seine vorausgehende Hypothese aufgefasst werden, dass man mit Spaniern gut zusammen arbeiten kann, wenn man selbst Engagement zeigt. Sie dient damit auch der Abschwächung der vorausgehenden allgemeinen Aussage. Dies wird dadurch unterstützt, dass E insbesondere im Bezug auf die Beschreibung der konkreten Zusammenarbeit und Abstimmung sehr detailliert erzählt (Z. 49-67).163
163 Für Gülich (1980: 349) ist ein ungleiches Detaillierungsniveau ein typisches Kennzeichen für eine funktionale Erzählung, das heißt eine Erzählung, die eine konkrete kommunikative Funktion für das übergeordnete Handlungsschema (z.B. den Argumentationszusammenhang) besitzt.
7.3 Verfahren zur Darstellung kultureller Prägungen
275
Unmittelbar im Anschluss an die Erzählung zieht E selbst noch einmal allgemeine Schlüsse aus der Erzählung im Hinblick auf seine vorherige Argumentation: LOCKERHEIT: „aber we=ma die leute einbindet” (30:35, Z.1036) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
E: aber we=ma die leute EINbindet, (--) früh EINbindet, (---) und sagt wir wollen des (---) so oder so oder SO machen WEIL, (1.0) und die des dann auch EINsehen; und sagen na KLAR. macht ja total SINN; (--) dann sind die SO:: (-) RAsend SCHNELL daBEI; da gibt=s kein formaLISmus mehr wie in DEUTSCHland.=ne? da wo man dann NOCHmal NACHhaken müsste. (--) ja köm=ma des WIRKlich so machen. müss ma noch drei ANdre fragen.=ne? sondern da haben WIR dann g=sagt, (-) WIR ZWEI beSCHLIEßen jetzt des MAchen wir so. (-) N: [mhm; E: [und dann ham=er des auf der NÄGSCHten (-) äh ähm reuNION ha=ma des so VORgestellt. (--) un na war des erLEdigt;=ne? na ging des DURCH. (---) also die erFAHrung war da schon: für MICH war da KLASse.=ne?
Kommentar: Die allgemeinen Schlüsse E’s aus der Erzählung weisen typische Merkmale allgemeiner Darstellungsverfahren auf: neutrale Personenreferenz (Z. 1: die leute, Z. 5, 8: die), neutrale 3.Ps.Sg.-Konstruktion (Z. 9: da gibt=s), Verwendung des Präsens, Wenn164 (Z. 1 bzw. 8). Allerdings fließen in die allgemeine Darstellung Dann-Konstruktion noch erzählerische Momente ein, vor allem durch die wiederholte Redewiedergabe (Z. 34, 6-7, 11-12, 14) und die erzählerische Reformulierung eines Handlungsausschnitts aus der Erzählung in Z. 13-20 (da haben wir dann g=sagt wir zwei beschließen jetzt das machen wir so und dann ham=er des auf der nägschten äh ähm reunion ha=ma des so vorgestellt). Auch hier ist der Detaillierungsgrad im Bezug auf die Beschreibung der Zusammenarbeit mit dem Kollegen besonders hoch.
Trotz der funktionalen Einbettung der Erzählung in einen Argumentationszusammenhang, geht ihre Bedeutung (allein durch die Länge) deutlich über den Beleg der Hypothese hinaus. E erläutert durch die Erzählung weiter gehender, wie der Aufbau einer persönlichen Beziehung in Spanien ablaufen kann. Die 164 Kesselheim (2003: 235) beschreibt Wenn-Dann-Konstruktion als ein Füllverfahren, bei dem häufig Kategorisierungsregeln der Wir-Gruppe vorgeführt werden.
276
7. Aufgabe-3: Kulturelle Prägungen darstellen
Erzählung besitzt damit auch die Funktion der Illustration und der weitergehenden Erläuterung. Sie kann an sich (ohne rahmende Hypothese) einen Aspekt der spanischen Kultur verdeutlichen, und dies vielleicht sogar besser als eine abstrakte Darstellung. Durch die Erzählung eines realen Erlebnisses wird außerdem eine Authentizität hergestellt, die die Überzeugungskraft der Aussage unterstützt, die sie für die Zuhörerin leichter zugänglich und besser memorierbar macht und zu weitergehenden Reflexionen anregen kann (zu Funktionen des Erzählens vgl. insb. Quasthoff 2001, 1980, Ehlich 1983, Rath 1982, Gülich 1980). 7.3.2.2 Rekonstruktion wiederkehrender Einzelerfahrungen Im Zusammenhang mit den Erläuterungen zur Verwendung des Erfahrungsbegriffs im Sinne von Einzelerfahrungen (vgl. 7.2.1) wurde bereits gezeigt, dass in den Gesprächen oft nicht tatsächliche Einzelerfahrungen rekonstruiert werden, sondern dass vielmehr angezeigt wird, dass ähnliche Erfahrungen häufiger erlebt wurden. Dargestellt werden damit wiederkehrende Einzelerfahrungen.165 Auch hier möchte ich die entsprechenden Merkmale des erzählerischen Verfahrens anhand des Gesprächsausschnitts erläutern, der in Abschnitt 7.2.1 zum Erfahrungsbegriff zitiert wurde. KOLLEGIALE BERATUNG: „ma bekommt sehr schnell sehr direktes feedback” (21:22, Z.470) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18
E: das GUte is,= =so hab ICH=s jedenfalls empfunden hier,(--) äh (--) ma beKOMMT (---) !SEHR! schnell (-) !SEHR! direktes FEEDback. (---) N: [mhm; E: [weiß nich ob du auch schon solche erFAHrungen gemacht hast? (1.0) also bei mir kam schon gleich in den ersten tagen: MITarbeiter die erst mal so=n paar sachen KLARstellen wollten [mit der N: [hm. E: [neuen=. N: [hm. E: =ne also die [dann (---) ] vor mein SCHREIBtisch N: [] E: gestellt haben und mir (--) !SO! klar das gesagt haben dass das ich mi=mein=m WEnigen spanisch verSTEhen konnte,= =was die mir SAgen wollten, (--)
165 Czyzewski et al. (1995: 78) verwenden im Bezug auf die Darstellung solcher wiederkehrenden Erfahrungen den Begriff der „generalisierenden Handlungsrekonstruktion“, Kesselheim (2003: 238) spricht von „generalisierten Situationen“, Hausendorf (2000a: 369) von „rekonstruktiven Konkretisierungen“ (allerdings ist dieses Verfahren bei ihm etwas weiter gefasst).
7.3 Verfahren zur Darstellung kultureller Prägungen 19 20 21 22 23 24 25 26 27
N: E: N: E:
277
wie SIE meinen wie die dinge (--) LAUfen. (--) [mhm; [IHrer meinung nach. (--) mhm; (-) und wie sie ihre eigene STELle sehen, und wie sie (.) SICH (.) in (.) diesem: (.) geFLECHT sehen. und das WAR am anfang=n bisschen UNgewohnt, ((...)) hast du auch ähnliche erfahrungen gemacht?=
Kommentar: In 7.2.1 wurde gezeigt, dass die Erzählung hier als unmittelbarer Beleg für die Hypothese ma bekommt sehr schnell sehr direktes feedback angeführt wird. Die Rahmung als solche bzw. ähnliche erfahrungen (Z. 6 bzw. 27) verweist darauf, dass eine typische Erfahrung dargestellt wird, die mehrfach so erlebt wurde. Die Darstellung weist deutlich erzählerische Merkmale auf (vgl. die Einleitungsfloskel also bei mir, die zeitliche Fixierung in den ersten tagen und die Verwendung des Präteritums: kam). Die neutrale Personenreferenz in Z. 9 (mitarbeiter, ohne Artikel oder Konkretisierung) deutet möglicherweise bereits darauf hin, dass es sich um eine wiederkehrende Erfahrung handelt. Es bleibt allerdings zunächst offen, ob E mehrere ähnliche Einzelerfahrungen mit je einem Mitarbeiter gemacht hat oder ob es sich um eine einzelne Erfahrung handelt, bei der mehrere Mitarbeiter anwesend waren. Die szenische Darstellung in Z. 14-16 (die dann vor mein schreibtisch gestellt haben...) ist wieder typisch für eine erzählerische Darstellungsweise. Allerdings verwendet E weiterhin unspezifische Ausdrücke zur Referenz auf die handelnden Personen (die bzw. sie). Eher berichtend als erzählend ist die Wiedergabe der Äußerungen der Mitarbeiter in indirekter Rede.166 Allerdings spiegeln die Aufzählungen mit Wiederholungen bzw. syntaktische Parallelkonstruktionen (Z. 18: was die, 19: wie sie, 23 und wie sie, 24: und wie sie) gewissermaßen den Redefluss der Mitarbeiter wider.
Der Gesprächspartnerin weist also deutlich erzählerische Merkmale auf. Sowohl die Verwendung des Erfahrungsbegriffs im Plural mit Adjektiven, die auf eine Gruppe von Erfahrungen hindeuten (solche, ähnliche), als auch die neutrale Personenreferenz in der Erzählung (mitarbeiter, die, sie) verweisen aber darauf, dass eine wiederkehrende Erfahrung dargestellt wird. In dem Gesprächszusammenhang erhöht sich dadurch die belegende Wirkung der Erzählung. Wenn eine Erfahrung mehrmals erlebt wurde, so macht dies eine allgemeine Aussage um so überzeugender bzw. glaubwürdiger. Kesselheim beschreibt die Struktur Ausgangsthese–Demonstration–Verallgemeinerung als typisch für die Darstellung generalisierter Situationen (Kesselheim 2003: 240). Im Korpus der vorliegenden Arbeit konnte die Struktur auch schon bei konkreten Erzählungen von Einzelerlebnissen festgestellt werden (vgl. 7.3.2.1). 166 Für Quasthoff (1980: 57) ist die direkte Rede ein deutliches Unterscheidungskriterium zwischen Erzählung und Bericht.
278
7. Aufgabe-3: Kulturelle Prägungen darstellen
7.3.2.3 Prophezeiung hypothetischer Einzelerfahrungen Eine spezifische Form des Erzählens verwendet E in dem Gespräch FREUNDSCHAFT. Er erzählt an mehreren Stellen des Gesprächs konkrete Erlebnisse, allerdings nicht rückblickend als Rekonstruktionen vergangener Ereignisse, sondern vorausblickend als Prophezeiungen hypothetischer Erfahrungen des neuen Auslandsentsandten in Spanien. Der folgende Ausschnitt enthält eine solche Erzählung einer hypothetischen Einzelerfahrung. FREUNDSCHAFT: „da kann ihne folgendes passiern” (46:21, Z.1530) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33
E: äh:m:: (--) die SPAnier, (---) da kann ihne FOLgendes passiern; sie sagen’ (.) sie SAgen demdiese un diese un diese AUFgabe bitte (.) ARbeit sie mir AB; bitte SEI so nett; ich BRAUche dieses ergebnis bis mOrgen. (-) morgen !ZEHN! uhr; (-) dann rufen sie um NEUN uhr fünf äh=äm um NEUN uhr an; und sagen (.) wie siehts aus, alles in ORdnungja (-) dann haben SIE irgend=en termin, sie müssen irgendwo kurz HINgehen, und kommen um ZEHN uhr EINS WIEder; (--) un=um zehn uhr eins ruft sie ihr VORgesetzter und sagt (.) AUF gehts. wie siehts AUSund dann sagen sie entSCHULdigung, ich hab des noch net beSCHAFfe könne; oder was weiß I, wie se mit ihm au IMmer SPREchetsag=se kuck den RUfe ma sofort rei. (--) un=na sag=se EY juan REI da; (-) jetz was is=n da LOS mensch; na sagta=ihn EY da isch=s, (1.5) mir=scho OFT passiert. N: mhmE: da müss=se LÄChle. und dann sage juan du bisch der GRÖSCHte. (-) obwohl se innerlich was GANZ andres DENketn=DES müsse=se sich gwöhne. DES passiert hier.
Kommentar: E erzählt in dem Absatz ein konkretes singuläres Erlebnis als mögliches Erlebnis N’s in der Zusammenarbeit mit Spaniern. Die Erzählung wird durch das Verb ‘passieren’ gerahmt (Z. 2: da kann ihne folgendes passiern, Z. 27: mir=scho oft passiert
7.3 Verfahren zur Darstellung kultureller Prägungen
279
bzw. Z. 33: des passiert hier). Der Absatz enthält deutliche Hinweise auf einen erzählerischen Darstellungsmodus (vgl. die Verwendung des Tempusadverbs dann in Z. 8, 13, 19, die gehäufte Redewiedergabe in Z. 4-7, 9-11, 17-18, 19-20, 23-26, die Verwendung eines konkreten Namens für den zentralen Interaktionspartner juan, Z. 24, 30). Die Handlung wird als unerwartet bzw. ungewohnt charakterisiert (vgl. Z. 32: n=des müsse=se sich gwöhne), und in den Formulierungen zeigt sich eine gewisse Emotionalität (vgl. zum Beispiel den Wechsel zu einem stark umgangssprachlichen Ton in der Redewiedergabe un=na sag=se ey juan rei da jetz was is=n da los mensch, Z. 24, oder die auffällige Betonung in dem Satz obwohl se innerlich was GANZ andres DENket, Z. 31). Auffällig ist der hohe Detaillierungsgrad der Erzählung, der vermutlich dazu dient, die Erzählung möglichst real erscheinen zu lassen.167 Allein in den rahmenden Sätzen entwickelt sich die Darstellungsperspektive vom Konkreten zum Allgemeinen: Zunächst stellt E die Erzählung als Prophezeiung, das heißt als möglich, dar (Z. 2: da kann ihne folgendes passiern). Nachdem die eigentliche Erzählung abgeschlossen ist (vgl. Höhepunkt in Z. 26 und anschließende Pause), verweist E darauf, dass er die erzählte Begebenheit persönlich erlebt hat und zwar mehrfach (Z. 27: mir=scho oft passiert). Damit verleiht er seiner Erfahrungsdarstellung Authentizität und Glaubwürdigkeit. Die Betonung, dass er das scho oft erlebt hat, legitimiert auch gewissermaßen seine Prophezeiung. Die Allgemeingültigkeit der Erfahrung und damit Legitimierung der Erfahrungsprophezeiung wird durch den zweiten, noch allgemeiner formulierten Nachtrag (Z. 33: des passiert hier) verstärkt.
Auffällig ist in dem Gesprächsausschnitt also der Kontrast zwischen der konkreten Darstellung einer Einzelerfahrung in der Erzählung und der nachträglichen Einstufung der Erfahrung als wiederkehrend bzw. allgemeingültig. Dieser Kontrast ist offenbar nötig, um eine Prophezeiung einer Einzelerfahrung auf der Basis des erworbenen Erfahrungswissen aufzustellen. Hier kommen also beide in 7.2.1 erläuterten Auffassungen von Erfahrung zusammen. Einzelerfahrungen werden dargestellt und zunehmend über den Erfahrungsbegriff im Sinne eines Erfahrungswissens (bzw. alternativ hier: des passiert hier) gerahmt, um die Prophezeiung zu legitimieren und glaubwürdig erscheinen zu lassen.168 Doch welche Funktion haben solche Prophezeiungen hypothetischer Erfahrungen? Als Beleg können sie höchstens durch den Nachtrag fungieren, dass es sich um eine tatsächlich erlebte Erfahrung handelt (mir=scho oft passiert). Eine hypothetische Einzelerfahrung dient eher dazu, einen allgemein dargestellten 167 Auch Kesselheim (2003: 237) betont, dass bei hypothetischen Situationen der formulatorische Aufwand dazu dient, die Situation als real zu präsentieren. 168 Kesselheim (2003: 237-238) bezeichnet solche Entwürfe hypothetischer Situationen als „Szenarien“. Sie unterscheiden sich von generalisierten Situationen dadurch, dass sie in der Zukunft (nicht in der Vergangenheit) angesiedelt sind. Szenarien besitzen für Kesselheim vor allem die Funktion, „die kategoriengebundenen Merkmale der Wir- oder Fremdgruppe anhand von prototypischen Situationen zu illustrieren.“ Er betont, dass sich die Gesprächspartner dabei ständig bemühen, die Situation als möglichst real zu präsentieren (ebd.: 237).
280
7. Aufgabe-3: Kulturelle Prägungen darstellen
Sachverhalt zu illustrieren. Durch die Prophezeiung für N wird zudem die emotionale Beteiligung und Involviertheit N’s und damit die Wirkung und Memorierbarkeit der Erzählung erhöht. Die folgenden beiden Ausschnitte, auf die jeweils eine Erzählung einer hypothetischen Einzelerfahrung in Form einer Prophezeiung für N folgt, weisen explizit auf die Funktion der Erzählung hin. Dem ersten Beispiel gehen Erläuterungen E’s über die Bedeutung von Freundschaft in Spanien voraus, auf die N mit einer skeptischen Nachfrage nach dem Unterschied zwischen Bekanntem und Freund reagiert. Darauf äußert sich E folgendermaßen: FREUNDSCHAFT: „ein bekannter von ihnen aus der arbeit” (33:31, Z.1109) 01 02 03 04 05 06 07 08 09
E: der UNterschied is des wort REgelmäßig. (---) N: ja, (---) E: ich verSUCH=s ihne mal ANdersch zu erKLÄRN. (2.0) ä:hm: (-) wenn sie=n sp’ (1.0) ähm (---) FOLgendes (3.0) ein (-) ein (-) beKANnter von ihnen aus der ARbeit, (---) SAGT zu IHnen, (1.5) ich TREFfe mich heute Abend (--) mit (--) FÜNF (--) FREUNden (---) in DIEser GASTstätte. (--) WArum KOMMST du nicht (-) EINnfach (-) AUCH; (1.0)
Kommentar: Der Ausschnitt gibt den Anfang einer (relativ ausführlichen) Erzählung über den Aufbau von Kontakten zu Freunden eines Arbeitskollegen wieder. Vor der Erzählung formuliert E zunächst eine allgemeine Aussage (Z. 1). Er gibt dann in Z. 3 explizit den Grund an, warum er eine konkrete (hypothetische) Erfahrung darstellt, nämlich um N seine Aussage, die N zunächst nicht akzeptiert (oder verstanden?) hat, mal andersch zu erklärn.
Die Funktion der Erzählung besteht in dem Gesprächsausschnitt also in der Erklärung und Erläuterung einer allgemeinen Aussage auf eine andere Weise als bisher. Im folgenden Beispiel erläutert E dem Gesprächspartner N, dass in Spanien viel häufiger Schimpfwörter im alltäglichen Umgang benutzt werden. N reagiert auch hier skeptisch, indem er nicht akzeptiert, dass die Schimpfwörter als normal und nicht als Beschimpfung aufgefasst werden. Im Folgenden die Reaktion E’s: FREUNDSCHAFT: „was läuft denn zwischen diesen zwei menschen ab” (51:54, Z.1714) 01 02 03 04
E: NIEmals würden sie=n spanier hörn der=n andern beschImpft; ((...)) aber jetzt schaun=si mal an die situaTION=i wei’ (---) verSUCH ma=s jetz mal kurz zu erKLÄRN was da pasSIERT.
7.3 Verfahren zur Darstellung kultureller Prägungen 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
N: E:
N: E:
281
was läuft denn zwischen diesen zwei menschen AB. (---) SIE sind mein vorgesetzter; (---) [HIER sitzt (--) ] HIER sitzen (-) fünf andere; [((Handy klingelt)) ] sie sind mein [VORgesetzter; ] [((Handy klingelt))] mhm; sie machen einen VORschlag, (---) und (-) der (-) ich denke jetzt grad (--)
(1.0) (--) idiotisch. [mhm, [na sag=ich=s (---) , (--)
Kommentar: Auch hier (re-)formuliert E zunächst eine allgemeine Aussage und leitet dann eine Erzählung ein mit dem Hinweis, dass diese die allgemeine Aussage erklärn soll. Interessant ist, dass auch hier die Erzählung als Reaktion auf eine skeptische Nachfrage N’s angeführt wird. Dies deutet darauf hin, dass die Erzählung neben der erklärenden auch eine überzeugende Funktion besitzt. Diese kann sie allerdings nicht durch die Authentizität einer tatsächlich erlebten Erfahrung erlangen, sondern allein dadurch, dass eine konkrete Handlung schlüssig und überzeugend dargestellt wird. Insofern ist verständlich, dass die Erzählungen E’s sehr ausführlich und teilweise ausschweifend sind. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Erzählung durch die Prophezeiung N in das Geschehen involviert, was die emotionale Wirkung und Überzeugungskraft der Erzählung erhöht.
Die beiden letzten Gesprächsausschnitte machen also deutlich, dass hier die Funktion der Prophezeiung einer hypothetischen Einzelerfahrung in der Erklärung eines bestimmten Sachverhalts und der Überzeugung der Gesprächspartners liegt. 7.3.2.4 Zusammenfassung Anhand verschiedener Gesprächsausschnitte wurde gezeigt, dass das Erzählen ein wichtiges Verfahren zur Darstellung kultureller Erfahrungen ist. Nicht nur Rekonstruktionen von Einzelerfahrungen (7.3.3.1), sondern auch Rekonstruktionen wiederkehrender Einzelerfahrungen (7.3.3.2) und Prophezeiungen hypothetischer Einzelerfahrungen (7.3.3.3) dienen in den Gesprächen der impliziten Darstellung kultureller Prägungen Häufig werden Erzählungen als Belegerzählungen in folgender Struktur präsentiert (vgl. hierzu die Kommentare zu den Ausschnitten aus den Gesprächen LOCKERHEIT in 7.3.2.1 und KOLLEGIALE BERATUNG in 7.3.2.2):
282
1. 2. 3.
7. Aufgabe-3: Kulturelle Prägungen darstellen
Allgemeine Aussage (häufig in kondensierter Form) Belegerzählung (mehr oder weniger ausführlich) Ggf. verallgemeinernde Schlüsse aus der Erzählung
Auch Müller-Jacquier (2007: 28f), Kesselheim (2003: 240ff) und Hausendorf (2000a: 361ff) stellen für unterschiedliche Gesprächskontexte fest, dass Erzählungen in ethnischen Diskursen meist als illustrierende Belegerzählungen im Anschluss an verallgemeinernde Aussagen angeführt werden. Müller-Jacquier (2007: 41) merkt im Bezug auf ‘fremdkulturelle Erfahrungsberichte’ zurecht kritisch an, dass diese Struktur dem Rezipienten keinen Nachvollzug des konkreten Erfahrungsprozesses „vom fremdkulturellen Situationserleben über die Auswahl und Bestimmung generalisierbarer Sachverhalte bis hin zur generalisierten Weitergabe der Erfahrung“ ermöglicht. Die Weitergabe kultureller Erfahrungen im Gespräch scheint also eine andere kommunikative Struktur zu besitzen als die des kommunikativen Nachvollzugs von Primärerfahrungen. Die Analysen in 7.3.2.1 bis 7.3.2.3 haben gezeigt, dass Erzählungen in den Gesprächen nicht nur die Funktion des Belegs allgemeiner Aussagen über die spanische Kultur besitzen. Vielmehr können durch sie einzelne Aspekte konkreter dargestellt, illustriert und erläutert werden. Das Erzählen besitzt also neben der verallgemeinernden Darstellung eine eigenständige Funktion für die Darstellung kultureller Eigenschaften und Verhaltensweisen. Zudem wird durch die Darstellung tatsächlich erlebter Ereignisse bzw. durch die Involvierung des Gesprächspartners in die Erzählung eine Authentizität hergestellt, die den Gesprächspartner auf emotionaler Ebene anspricht, die Aussage überzeugender und besser memorierbar macht und zu eigenen Reflexionen anregen kann. Durch das Erzählen authentischer Erlebnisse können Stereotype abgeschwächt bzw. relativiert werden. In den Analysen wurde außerdem deutlich, dass die Erzählungen in den vorliegenden Gesprächen häufig in einen Argumentationszusammenhang eingebettet werden (vgl. v.a. 7.3.2.1). Gülich (1980: 335) bezeichnet solche Erzählungen, „die aufgrund des Inhalts der erzählten Geschichte eine bestimmte kommunikative Funktion in einem übergeordneten Handlungsschema erfüllen“ (z.B. Beleg, Illustration, Erläuterung) als funktionale Erzählungen. Nicht-funktionale Erzählungen „[erfüllen] keine solche handlungsschematische Funktion [...]. Auch solche Erzählungen haben zwar eine Funktion, aber sie ergibt sich eher aus der Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern, und der Inhalt der Geschichte ist für sie nicht oder nur in geringem Maße relevant“ (z.B. Selbstdarstellung, Aufrechterhaltung des kommunikativen Kontakts, Unterhaltung, spielerische Funktion) (ebd.: 335, 356). Viele Erzählungen in den vorliegenden Gesprächen besitzen gemäß der Definition Gülichs aufgrund ihres Inhalts eine kommunikati-
7.3 Verfahren zur Darstellung kultureller Prägungen
283
ve Funktion in den Gesprächen. Hierfür spricht auch das ungleiche Detaillierungsniveau in den Erzählungen sowie das häufige Anknüpfen der Gesprächspartner an den Argumentationsrahmen am Ende einer Erzählung in einer Art Resümee, was laut Gülich typische Charakteristika funktionaler Erzählungen sind. Dagegen bemühen sich die Gesprächspartner weniger um eine sprachliche Gestaltung, ein ‘gutes’ Erzählen, die Erzeugung von Spannung, eine stark episodische Darstellung etc., das heißt Merkmale nicht-funktionaler Erzählungen.169 Obwohl also der Beleg, die Illustration und die Erläuterung von Aussagen im Argumentationszusammenhang der Gespräche im Vordergrund steht, kann die Darstellungsform des Erzählens in den Gesprächen durchaus weitere Leistungen erbringen. Das Erzählen wird in den Gesprächen als Möglichkeit genutzt, Aussagen lebendig, glaubwürdig und memorierbar zu präsentieren und damit einen spezifische Darstellungsform für die Weitergabe kultureller Erfahrungen zu entwickeln. 7.3.3 Zusammenfassung Es wurden zwei übergeordnete Verfahren herausgearbeitet, die die Gesprächspartner zur Darstellung kultureller Prägungen verwenden: die ‘verallgemeinernde Darstellung’ und die ‘erzählerische Veranschaulichung kultureller Prägungen’. Innerhalb beider übergeordneter Verfahren konnten weitere spezifischere Verfahren unterschieden werden. Aufgrund der entsprechenden Vielfalt der Verfahren und Formen, befindet sich eine Übersicht innerhalb der einzelnen Abschnitte, und zwar im Falle der ‘verallgemeinernden Darstellung’ am Ende jedes Einzelverfahrens (d.h. in 7.3.1.1 bis 7.3.1.4), im Falle der ‘erzählerischen Veranschaulichung’ am Ende dieses übergeordneten Verfahrens (d.h. in 7.3.2.4).
169 Zu den Merkmalen funktionaler und nicht-funktionaler Erzählungen vgl. Gülich 1980: 349 bzw. 362-370. Die Begriffe ‘funktional’ und ‘nicht-funktional’ erscheinen angesichts der Tatsache, dass ‘nicht-funktionale’ Erzählungen laut Gülich auch eine Funktion, wenn auch keine ‘handlungsschematische’ haben, problematisch. Begrifflich überzeugender ist die Unterscheidung Quasthoffs (1980) zwischen verschiedenen kommunikativen und interaktiven Funktionen von Erzählungen. Innerhalb der kommunikativen unterscheidet sie primär kontext-orientierte Funktionen (z.B. Beleg, Erläuterung), hörer-orientierte Funktionen (z.B. Belustigung, Unterhaltung, Information) sowie sprecher-orientierte Funktionen (z.B. Selbstdarstellung, kommunikative/psychische Entlastung). Interaktiven Funktionen liegen dagegen in der „interaktiven Wirksamkeit der gewählten Repräsentationsform“ (z.B. Definition einer Situation als privat) (ebd.: 146). Die Art der Einteilung ist jedoch für die Argumentation in unserem Zusammenhang weniger hilfreich.
284
7. Aufgabe-3: Kulturelle Prägungen darstellen
7.4 Praxiskommentar 7.4.1 Aufgabenüberblick und Bezug zur Praxis Die Darstellung kultureller Prägungen ist die zentrale Aufgabe der Erfahrungsweitergabe unter Auslandsentsandten. Sie nimmt auch innerhalb der Gespräche den größten Raum ein. Die Analysen haben gezeigt, dass es für die Gesprächspartner offenbar nicht immer einfach ist, angemessene Verfahren für die Darstellung kultureller Prägungen zu finden. Ein Grund hierfür ist, dass es sich bei dem Wissen um kulturelle Unterschiede um implizites Wissen handelt. Dieses ist meist nicht reflektiert und kann daher nur schwer verbalisiert werden (vgl. 1.3.1). Entsprechend verwenden die Gesprächspartner ein relativ großes Spektrum an allgemeinen und erzählerischen Darstellungsverfahren. Es wurden zunächst die zentralen Begriffe der ‘Erfahrung’ und der ‘Kultur’ in den Blick genommen. Für den Erfahrungsbegriff wurde gezeigt, dass er von den Gesprächspartnern in zwei Bedeutungsdimensionen verwendet wird: erstens im Sinne einer konkreten Einzelerfahrung und zweitens zum Verweis auf ein synthetisiertes Erfahrungswissen (7.2.1). Der Kulturbegriff taucht in den Gesprächen nur selten explizit auf. Insgesamt konstituieren die Gesprächspartner einen relativ statischen Kulturbegriff, der jedoch auf vielfältige Weise relativiert wird, was ihn dynamischer erscheinen lässt (7.2.2). Auch auf konkrete Kulturen verweisen die Gesprächspartner nur selten explizit. Sie benutzen vielmehr Formen der impliziten Referenz, lokale Referenzausdrücke und Vorgangs- und Zustandsprädikate, um ihre Aussagen auf bestimmte Kulturen zu beziehen (7.2.3). Zwei übergeordnete Verfahren zur Verbalisierung kultureller Prägungen wurden unterschieden: erstens die verallgemeinernde Darstellung (7.3.1) und zweitens die erzählerische Veranschaulichung kultureller Prägungen (7.3.2). 1.
2.
‘Verallgemeinernde Darstellung kultureller Prägungen’: Zum einen formulieren die Gesprächspartner explizit allgemeine Aussagen über Eigenschaften und Verhaltensweisen der Angehörigen bestimmter Kulturen (z.B. die spanier können überhaupt nicht mit kritik umgehen). Diesem Verfahren liegt die Auffassung von Erfahrung als synthetisiertes Erfahrungswissen zugrunde (vgl. 7.2.1). Als (Unter-)Verfahren wurden beschrieben: Prädikation (7.3.1.1), Generalisierung und Relativierung (7.3.1.2), Konkretisierung (7.3.1.3), Kontrastierung (7.3.1.4) ‘Erzählerische Veranschaulichung kultureller Prägungen’: Im Rahmen konkreter Erzählungen machen die Gesprächspartner kulturelle Eigenschaften und Verhaltensweisen auf implizite Weise deutlich. Dabei werden Erfahrungen im Sinne von Einzelerfahrungen dargestellt (vgl. 7.2.1). Als (Unter-)
7.4 Praxiskommentar
285
Verfahren wurden beschrieben: Rekonstruktion von Einzelerfahrungen (7.3.2.1), Rekonstruktion wiederkehrender Einzelerfahrungen (7.3.2.2), Prophezeiung hypothetischer Einzelerfahrungen (7.3.2.3) Bei der verallgemeinernden Darstellung wurde insgesamt deutlich, dass die Herausforderung für die Gesprächspartner offenbar darin besteht, allgemeine Aussagen zu machen, ohne dabei in den Verdacht der Stereotypisierung zu geraten (vgl. v.a. 7.3.1.2). Verallgemeinernde Darstellungen kultureller Besonderheiten oder Unterschiede geraten schnell in den Verdacht der Stereotypisierung, und Stereotype werden in unserer Kultur allgemein negativ bewertet (vgl. z.B. Nazarkiewicz 2002). Die Gesprächspartner weisen an mehreren Stellen der Gespräche allzu starke Generalisierungen explizit zurück (z.B. des is so des schlagwort was ma=eben immer gebraucht möcht=ich eige=n=ich=jetz gar nicht gebrauchen, KOLBER Z. 163ff). Auf der anderen Seite müssen sie immer wieder auf sie zurückgreifen, um bestimmte kulturelle Tendenzen darzustellen. Um Generalisierungen abzuschwächen und zu belegen entwickeln die Gesprächspartner unterschiedliche Strategien, die im Rahmen der einzelnen Verfahren herausgearbeitet wurden. In 7.4.2 werde ich auf das Problem des Vorbehalts gegenüber Stereotypisierungen und Strategien zur Abschwächung von Stereotypisierungen noch einmal genauer eingehen. Insgesamt wurde deutlich, dass es für die Gesprächspartner offenbar nicht ganz einfach ist, Erfahrungen überhaupt zu verbalisieren. Diese Herausforderung wird in der Aufgabendefinition der ‘Darstellung kultureller Prägungen’ formuliert. Die zwei übergeordneten Verfahren stellen zwei in der Praxis umsetzbare Strategien zum Umgang mit dieser Herausforderung dar. Dabei verdient insbesondere das zweite Verfahren, die erzählerische Veranschaulichung, Beachtung. Denn es wird im Managementkontext zunehmend unter dem Begriff des ‘Storytelling’ diskutiert und angewendet (vgl. hierzu 7.4.3). 7.4.2 Das Problem des Vorbehalts gegenüber Stereotypen und Strategien zur Abschwächung von Stereotypen Stereotype werden allgemein als negativ angesehen. Da es sich um „ungerechtfertigt vereinfachende und generalisierende“ Zuschreibungen handelt (vgl. Quasthoff 1973), versucht man, sie zu vermeiden und wirft es anderen vor, wenn sie Stereotypisierungen formulieren. In den Gesprächen wurde an verschiedenen Stellen deutlich, dass die Gesprächspartner sich bemühen, keine Stereotypisierungen zu formulieren bzw. Steoreotypen abzuschwächen (vgl. z.B. die Analysen zu den Ausschnitten aus den Gesprächen KOLLEGIALE BERATUNG, ANMELDUNG und ENTSENDUNGSZIEL in 7.3.1.2). Dies führt häufig zu Formulierungs-
286
7. Aufgabe-3: Kulturelle Prägungen darstellen
schwierigkeiten oder einem stockenden Sprechen bei der Formulierung kultureller Prägungen (äh i würds (-) i möchts net pauschal beantworten weil: (-) i möchte ei’ (--) weder möchte=i äh:: (--) die: (--) die spanier: (-) als volk jetzt..., ANM Z. 748ff). Selbstverständlich können Generalisierungen in den Gesprächen nicht komplett vermieden werden. Hausendorf (2007: 15) spricht vom ‘Stereotypisierungsdilemma’, mit dem Gesprächspartner bei der Darstellung kulturspezifischen Wissens oder kultureller Unterschiede konfrontiert werden (vgl. 7.3.1.2). Eine Befürchtung aus Unternehmensperspektive ist daher, dass sich Manager in Gesprächen wie denen des Korpus unseres Projekts hauptsächlich über Stereotype austauschen und diese nur verstärken. In der Stereotypenforschung wird heute jedoch betont, dass Stereotype nicht nur negativ zu bewerten sind. Stereotype können sowohl in interkulturellen Kommunikationssituationen als auch in ethnisch-kulturellen Diskursen durchaus positive Funktionen und Auswirkungen haben (vgl. 7.3.1.2). In den Gesprächen unseres Korpus erleichtern Generalisierungen prinzipiell die Orientierung des neuen Auslandsentsandten (kognitive Funktion), unterstützen seine Identitätsbildung (affektive Funktion) und bewirken an einigen Stellen eine Solidarisierung unter den Gesprächspartnern (soziale Funktion, zu der Unterscheidung zwischen diesen drei Funktionen von Stereotypen vgl. Quasthoff 1989). Außerdem kann gerade die Auseinandersetzung mit oder gar Abschwächung von Stereotypisierungen des Gesprächspartners einen Reflexions- und Lernprozess auslösen. Nazarkiewicz (2002, 1999) zeigt für interkulturelle Trainings, dass sich bei der Bearbeitung von Stereotypen häufig aufgrund von gruppendynamischen Prozessen eine automatische Entwicklung hin zu Relativierungsaktivitäten und zur Rehabilitierung der Opfer beobachten lässt. Ebenso konnte auch in den vorliegenden Gesprächen die Beobachtung gemacht werden, dass allein die Formulierung generalisierender Aussagen und die Thematisierung von Stereotypen einen Reflexions- und Bearbeitungsprozess bei den Teilnehmern anstößt (häufig gerade bei dem anderen Gesprächspartner), der zu einem reflektierten Bild der fremden Kultur führen kann. An verschiedenen Stellen der Gespräche zeigt sich, dass die Gesprächspartner Stereotype gegenseitig abschwächen bzw. relativieren. In 7.3.1.2 wurde ein Ausschnitt aus dem Gespräch ENTSENDUNGSZIEL kommentiert, in dem N ein verbreitetes Stereotyp über die Spanier aufruft (man hält sich nicht immer an Vorschriften). E lehnt das Stereotyp ab und schwächt es in seiner folgenden Äußerung durch den expliziten Verweis auf die Irrelevanz der kulturellen Zugehörigkeit der Person, über die etwas ausgesagt wird, ab (auch menschen auch deutsche). In dem Gespräch FREUNDSCHAFT relativiert N mehrfach Äußerungen des Gesprächspartners E (z.B. Z. 961: na ja so würd ich des aber glaub ich auch nicht sehen oder, vgl. 9.3.2).
7.4 Praxiskommentar
287
Unabhängig vom Generalisierungslevel besteht in den Gesprächen die Herausforderung für die Gesprächspartner, eine gemeinsame Darstellungsmodalität, eine Art gemeinsames Generalisierungsniveau zu finden. Gelingt dies nicht, so kann es in den Gesprächen zu Problemen kommen. Dies ist vor allem in dem Gespräch FREUNDSCHAFT der Fall. E stellt hier durchaus ähnliche Hypothesen wie andere Gesprächspartner auf. Allerdings formuliert er sie auf derart generalisierende und stereotypisierende Weise (vgl. z.B. 7.3.1.2), dass N die Aussagen offenbar nicht akzeptiert. An einigen Stellen äußert er Widerspruch oder Skepsis (z.B. naja so würd ich des aber glaub ich auch nicht sehen oder ((lacht)), FREUND Z. 884f). Insgesamt deuten die äußerst geringen und eintönigen Rückmeldesignale darauf hin, dass er relativ wenig dessen aufnimmt bzw. akzeptiert, was E ihm weitergeben möchte (zu dem Rückmeldeverhalten N’s vgl. 5.4.2). Umgekehrt ermöglicht es die Strategie E’s in dem Gespräch KOLLEGIALE BERATUNG, die darin besteht, N zuerst zu einer Darstellung kultureller Eigenschaften und Verhaltensweisen aufzufordern, dass sie ihre Darstellungsmodalität an diejenige N’s anpasst (vgl. 5.4.3 und 6.4.3). Die Analysen in diesem Kapitel konnten zeigen, dass die Gesprächspartner vielfältige Formen zur Abschwächung von Stereotypisierungen entwickeln. Folgende Strategien wurden im Zusammenhang mit den kommunikativen Verfahren herausgearbeitet: Explizite Relativierung oder Differenzierung einer vorausgehenden Stereotypisierung (z.B. da gibt=s halt auch äh unterschiede von person zu person) (vgl. 7.3.1.2) Begleitende Relativierung von Stereotypisierungen durch perspektivierende Rahmungen/Modalisierungen (z.B. ich glaube, hab den Eindruck), durch Modalpartikel (z.B. relativ, bisschen, vielleicht) oder paraverbale Merkmale (z.B. Lachen) (vgl. 7.3.1.2) Präferenz lokaler vor personaler Referenz und impliziter vor expliziter Formen der Referenz (z.B. des isch meine erfahrung hier dass sehr über vorschriften gearbeitet wird im Gegensatz zu die spanier können überhaupt nicht mit kritik umgehn) (vgl. 7.2.3) Verwendung von Zustands- und Vorgangsprädikaten statt Eigenschafts- und Handlungsprädikaten (z.B. hier is des tagesgeschäft sehr stark geprägt durch äh: fremde störungen im Gegensatz zu spanier sind wirklich relativ neidisch) (vgl. 7.2.3) Vermeidung allzu starker Generalisierungen (z.B. es is alles immer sehr viel..., die mitarbeiter sind grundsätzlich...) (vgl. 7.3.1.2)
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7. Aufgabe-3: Kulturelle Prägungen darstellen
Verwendung erzählerischer, episodischer Darstellungsverfahren und Erzählung authentischer Erlebnisse (z.B. Erzählung einer Einzelepisode, Konkretisierung durch Redewiedergabe) (vgl. 7.3.1.3 und 7.3.2) Formulierung vergleichender statt absoluter Aussagen (z.B. ich finde sie haben schon einen härteren ton wenn sie miteinander sprechen) (vgl. 7.3.1.4) 7.4.3 Die Herausforderung der Verbalisierung von Erfahrungen und die Strategie des Storytelling Die zentrale Herausforderung der Aufgabe besteht für die Gesprächspartner darin, angemessene Darstellungsverfahren zu finden, mit denen dem Gesprächspartner kulturelle Prägungen auf der Basis eigener Erfahrungen präsentiert und verständlich gemacht werden können. Die zwei übergeordneten Verfahren stellen zwei Strategien dar, mithilfe derer diese Herausforderung bewältigt werden kann: Entweder man formuliert verallgemeinernde Aussagen über kulturelle Prägungen und verweist dabei mithilfe von Äußerungsrahmungen auf den Erfahrungshintergrund (vgl. 7.3.1 bzw. auch 5.3.2). Oder man erzählt eine konkrete Erfahrung und lässt den Gesprächspartner dabei implizit den Schluss auf allgemeine kulturelle Prägungen nachvollziehen (vgl. 7.3.2). Neben dem verallgemeinernden Darstellungsverfahren erbringt also das Erzählen eine besondere Leistung für die Weitergabe kultureller Erfahrungen. Durch Erzählungen können Aussagen sowohl belegt als auch illustriert werden. Es wurde gezeigt, dass Erzählungen allgemeine Aussagen beleben und konkretisieren, aber auch bestimmte Aspekte eigens darstellen und erläutern können. Erzählungen sind aufgrund ihrer Authentizität und Erlebnisstruktur besonders eindringlich und werden von Zuhörern leichter behalten als allgemeine Aussagen (vgl. hierzu die Analysen in 7.3.2). Erzählungen können außerdem helfen, Probleme des Umgangs mit Stereotypen zu bewältigen, denn je ausgeprägter der episodische Charakter einer Darstellung ist, desto geringer ist der Anspruch auf Allgemeingültigkeit (vgl. Czyzewski et al. 1995: 60). Schließlich regen Geschichten in hohem Maße zu Reflexionen an (Meuter 2004) und können damit auch über die Gespräche hinaus einen Prozess der Auseinandersetzung mit der fremden Kultur anstoßen. In 7.3.2 wurden verschiedene konkretere Verfahren des Erzählens präsentiert und hinsichtlich ihrer Funktionen erläutert: ‘Rekonstruktionen konkreter Einzelerfahrungen’: Als Funktionen wurden die Herstellung von Authentizität, der Beleg verallgemeinernder Aussagen, die Illustration und Erläuterung abstrakter Zusammenhänge und die Abschwächung von Stereotypisierungen herausgearbeitet (vgl. 7.3.2.1).
7.4 Praxiskommentar
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‘Rekonstruktionen wiederkehrender Einzelerfahrungen’: Sie können dieselben Funktionen besitzen, wenn sie ausführlich und in ‘szenisch-dramatischer Form’ erzählt werden. Allerdings steht die Beleg- und Illustrationsfunktion im Vordergrund, und sie stehen leicht im Verdacht der unzulässigen Verallgemeinerung (vgl. 7.3.2.2). ‘Prophezeiungen hypothetischer Einzelerfahrungen’: Sie dienen nur sekundär dazu, Sachverhalte lebendiger zu verdeutlichen. Ihre Funktion besteht vor allem in der Herstellung einer individuellen Betroffenheit des Zuhörers (vgl. 7.3.2.3). Die Leistung des Erzählens für den Unternehmenskontext wurde in den letzten Jahren von der Managementforschung wie auch der Unternehmenspraxis zunehmend erkannt. In der Folge erschien – zunächst in den USA, später auch in Europa und Deutschland – eine Reihe von Publikationen zum ‘Storytelling’ als Managementmethode für unterschiedliche Unternehmenskontexte (z.B. Frenzel/Müller/Sottong 2006a, 2006b, Thier 2006, 2004, Schreyögg/Koch 2005, Loebbert 2003). Ein Anwendungsbereich für die Methode des Storytelling, der bei vielen Ansätzen im Zentrum steht, ist das Wissensmanagement.170 Der Vorteil von Geschichten zur Weitergabe von Wissen besteht laut Frenzel/Müller/Sottong (2006a: 26-27) darin, dass diese nie allein Faktenwissen, sondern immer ein ‘Zusammenhangswissen’ vermitteln, dass sie Bewertungen und Emotionen auslösen, dass man sie sich gut merken und sie gut weitererzählen kann und dass sie anschauliche Informationen liefern. Thier beschreibt die positiven Effekte von Erzählungen folgendermaßen: Erzählungen sprechen die emotionale Seite in uns an. Mit ihnen können selbst komplexe Sachverhalte auf anschauliche, nachvollziehbare Weise vermittelt werden. Sie liefern uns Hintergründe und zeigen Protagonisten auf, mit denen wir uns identifizieren können. Dies ist auch der Grund, warum Geschichten nachhaltiger im Gedächtnis haften bleiben als nüchterne Fakten. (Thier 2006: 2)
Die in der Literatur zum Storytelling herausgearbeiteten Funktionen und Leistungen des Erzählens decken sich mit den Aspekten, die in diesem Kapitel anhand von Gesprächsausschnitten herausgearbeitet wurden.
170 Weitere Anwendungsbereiche sind beispielsweise das Changemanagement, die Analyse und Veränderung der internen Unternehmenskultur, die Projektdokumentation und -auswertung sowie das Qualitätsmanagement (vgl. Thier 2006). Weitere Erläuterungen zum Storytelling finden sich in 1.3.2.
8 Aufgabe-4: Individuelle Betroffenheit aufzeigen
8.1 Definition und Forschungskontext Die Aufgabe ‘individuelle Betroffenheit aufzeigen’ nimmt einen Aspekt von Erfahrung in den Blick, der im Rahmen der bisher vorgestellten Aufgaben noch nicht bearbeitet wurde. In Abschnitt 7.2.1 wurde im Zusammenhang mit der Unterscheidung der zwei Verwendungsweisen des Erfahrungsbegriffs in den Gesprächen auf zwei Forschungstraditionen Bezug genommen, die den Erfahrungsbegriff verwenden und alternativ konzeptionell fassen. Die linguistische Erzählforschung betrachtet Erzählen als kommunikative Rekonstruktion und Vermittlung von Erfahrungen (z.B. Gülich/Hausendorf 2001). Erfahrung meint in diesem Kontext eine Einzelerfahrung oder ein Einzelerlebnis, das sich durch eine Folge von Ereignissen auszeichnet und dabei emotional gefärbt ist (vgl. Gülich/ Hausendorf 2001, speziell zum Aspekt der Emotionalität ebd.: 374). Im Wissensmanagement und auch in der linguistisch geprägten Forschung der Transferwissenschaften (Antos/Pfänder 2001) wird der Erfahrungsbegriff im Zusammenhang mit Erfahrungswissen verwendet. Erfahrungswissen meint hier eine Form des impliziten oder Handlungswissens für den Umgang mit bestimmten Situationen, das auf der Basis vielfältiger (Handlungs-)Erfahrungen erworben wurde (vgl. Haugk 2006, Nonaka/Takeuchi 1997, Polanyi 1985). Die beiden Forschungstraditionen heben also einerseits den Erlebenscharakter und die Emotionalität von Erfahrungen hervor (Erzählforschung), andererseits ihren Handlungsfokus (Wissensmanagement/Transferwissenschaften). Der Begriff der ‘Betroffenheit’ bezieht sich in der Aufgabenkonzeption auf beide Komponenten. Er meint zum einen, dass die Gesprächspartner von bestimmten Erfahrungen emotional betroffen sind, andererseits, dass diese ihr individuelles Handeln beeinflussen.171 Die Aufgabe des Aufzeigens individueller 171 Der Begriff der ‘Betroffenheit’ wird also verwendet im Sinne von ‘etwas betrifft mich’, hat Konsequenzen für mich, weniger im Sinne von ‘etwas macht mich betroffen’, löst bei mir ein Gefühl der Betroffenheit aus. Entsprechend verwendet auch Spiegel (1995: 205ff) aufbauend auf Kallmeyer (1979: 77ff) den Begriff. Sie unterscheidet zwischen Betroffenheit im Sinne einer „generellen Situationsbetroffenheit“ oder Involviertheit, einer „emotionalen Betroffenheit“, einer „Problembetroffenheit“ und einer Betroffenheit in der aktuellen Gesprächssituation. Dabei hebt sie auch hervor, dass Betroffenheit explizit oder implizit artikuliert werden kann.
292
8. Aufgabe-4: Individuelle Betroffenheit aufzeigen
Betroffenheit besteht also für die Gesprächspartner darin zu verbalisieren, inwiefern die kulturellen Besonderheiten und Unterschiede, auf die sie in der Fremde stoßen, emotionale und/oder handlungsbezogene Konsequenzen für ihre Person haben. Die Analysen haben gezeigt, dass die Gesprächspartner in den Gesprächen nicht bei einer verallgemeinernden oder erzählerischen Darstellung kultureller Prägungen (Aufgabe-3) stehen bleiben. Sie bemühen sich vielmehr auch darum, dem anderen zu vermitteln, welche Emotionen bestimmte kulturelle Unterschiede bei ihnen auslösen (z.B. das hat mich sehr überrascht) und welche Konsequenzen sie für ihr individuelles Handeln mit sich bringen (z.B. dann ham ma oft probleme). In den Gesprächen stellen die Gesprächspartner ihre individuelle Betroffenheit auf unterschiedliche Weise dar. Dabei treten Emotionen und Konsequenzen für das eigene Handeln unterschiedlich stark zutage. Auf die Frage nach dem konkreten Zusammenhang zwischen dem Aufzeigen individueller Betroffenheit, der Manifestation von Emotionen und der Darstellung von Handlungskonsequenzen im Gespräch werde ich in 8.2.1 genauer eingehen. Im weiteren Verlauf ist insbesondere zu fragen, in welchen Kontexten Emotionen und Handlungskonsequenzen in den Gesprächen in den Vordergrund treten. Deutlich wurde in den Analysen auch, dass im Zusammenhang mit dem Aufzeigen individueller Betroffenheit häufig Solidarisierungen festzustellen sind. Offenbar haben die Gesprächspartner ein Bedürfnis, insbesondere schwierige Erfahrungen und Empfindungen mit einem anderen ‘Betroffenen’ zu teilen (vgl. 8.2.2). Insgesamt unterscheide ich drei Verfahren, die die Gesprächspartner zum Aufzeigen individueller Betroffenheit verwenden. Die Verfahren unterscheiden sich wie bei den anderen Aufgaben im Hinblick auf den Grad ihrer Implizitheit: Das ‘Thematisieren von Betroffenheit’ (8.3.1) stellt das expliziteste Verfahren zur Darstellung individueller Betroffenheit dar. Es umfasst sowohl das Thematisieren von Emotionalität als auch das von Konsequenzen für das eigene Handeln. Das ‘Anzeigen von Betroffenheit’ (8.3.2) ist deutlich impliziter. Bei ihm wird die Betroffenheit in der Äußerung von Bewertungen kultureller Eigenschaften und Verhaltensweisen mitkommuniziert. Das ‘Demonstrieren von Betroffenheit’ (8.3.3) schließlich meint den para- und nonverbalen Ausdruck von Emotionen und ist das impliziteste der drei Verfahren.172 Im Hinblick auf alle drei Verfahren ist die Rolle von den beiden Aspekten der Emotionalität und der Handlungskonsequenzen sowie das Wechselspiel zwischen beiden zu diskutieren. Mit der Fokussierung auf die Erlebens- und Handlungskomponente des Erfahrungsbegriffs stellt die Aufgabe des Aufzeigens individueller Betroffenheit 172 Die Systematik ist in bestimmten Teilen an Fiehlers (1990) Systematik unterschiedlicher Verfahren zur Manifestation von Emotionalität im Gespräch angelehnt (vgl. hierzu 8.3).
8.1 Definition und Forschungskontext
293
den zweiten Schritt der Verbalisierung kultureller Erfahrungen dar. Der erste Schritt war die Darstellung kultureller Prägungen (Aufgabe-3, vgl. Kapitel 7), der dritte Schritt betrifft die Diskussion der Frage nach dem eigenen Umgang mit kulturellen Unterschieden (Aufgabe-5, vgl. Kapitel 9). Die drei Aufgaben bauen logisch aufeinander auf, was nicht heißt, dass sie in der Interaktionspraxis sequenziell aufeinander folgen müssen. Sie können durchaus in einer anderen Reihenfolge oder auch gleichzeitig bearbeitet werden. Ablaufslogisch leitet jedoch das Aufzeigen individueller Betroffenheit von der Darstellung kultureller Prägungen (Aufgabe-3) zur Formulierung interkultureller Ratschläge (Aufgabe-5) über. Denn dadurch, dass die Gesprächspartner von den kulturellen Besonderheiten und Unterschieden betroffen sind, und insbesondere dann, wenn sich negative Konsequenzen für ihr Handeln ergeben, entsteht ein Handlungszwang und damit das Problem, wie sie mit den kulturellen Unterschieden umgehen können. Die zentrale Bedeutung der Aufgabe der Darstellung individueller Betroffenheit zeigt sich in den Gesprächen darin, dass die Gesprächspartner häufig schnell von der reinen Darstellung kultureller Besonderheiten oder Unterschiede zur Frage nach der individuellen Betroffenheit übergehen. Insbesondere die neuen Auslandsentsandten beginnen ihre Ausführungen häufig sogar mit der Wiedergabe individueller Empfindungen und schließen erst daran Hypothesen über kulturspezifische Eigenschaften und Verhaltensweisen oder über kulturelle Unterschiede an (vgl. z.B. N in dem Ausschnitt der Beispielanalyse in 4.1). Linguistische Forschungsbezüge Linguistische Anknüpfungspunkte für die Aufgabe des Aufzeigens individueller Betroffenheit finden sich angesichts der unterschiedlichen Komponenten, die die Aufgabe umfasst, in verschiedenen Forschungsrichtungen. Zum Thema der Manifestation von Emotionen im Alltagsgespräch gibt es bisher relativ wenige gesprächsanalytisch-empirische Arbeiten (Fiehler 2001a: 1426). Einschlägig sind die empirisch basierten Arbeiten Fiehlers (2001a, 1990).173 Er unterscheidet drei zentrale Kommunikationsaufgaben im Hinblick auf die Bearbeitung von Emotionen im Gespräch: die Manifestation, die Deutung und die Prozessierung von Emotionen (Fiehler 2001a). Für unseren Kontext interessieren vor allem die Verfahren zur Manifestation von Emotionen im Gespräch. Für alle drei Aufgaben beschreibt Fiehler kommunikative Verfahren, die die Gesprächspartner zu deren Bearbeitung oder Lösung verwenden. Im Hinblick auf die Manifestation 173 Dass Bewertungen und Emotionalität aus linguistischer Perspektive eng zusammen hängen, konstatiert auch Fiehler (2001a: 1429): „Wird nun in der Interaktion eine Emotion kommuniziert, so ist dies gleichbedeutend mit der Kommunikation einer bewertenden Stellungnahme oder allgemeiner: einer Bewertung“.
294
8. Aufgabe-4: Individuelle Betroffenheit aufzeigen
von Emotionen differenziert er zwischen Verfahren des Thematisierens von Erleben und Emotionen (z.B. begriffliche Erlebens- oder Emotionsbenennung, Erlebens- oder Emotionsbeschreibung, Benennung oder Beschreibung erlebensrelevanter Ereignisse oder Sachverhalte) und Formen des Ausdrucks von Erleben und Emotionen (z.B. para- oder nonverbale Merkmale wie Intonationskontur, Stimmcharakteristika, Sprechgeschwindigkeit). Insgesamt hebt Fiehler den Zusammenhang von Emotionalität und Erleben hervor und geht davon aus, dass es bestimmte Gesprächstypen gibt, bei denen Emotionalität eine besonders wichtige Rolle spielt (z.B. Streitgespräche, Therapiegespräche, Arzt-Patientengespräche, Erzählungen). Ein spezifischer Forschungskontext, in dem das Thema der Manifestation von Emotionalität im Gespräch eine Rolle spielt und der auch aus anderen Gründen für unseren Gesprächskontext relevant ist (vgl. 7.1), ist die linguistische Stereotypenforschung. Sie zeigt, dass insbesondere stark verallgemeinernde negative Zuschreibungen mit Emotionen verbunden sind. So betont die bereits zitierte grundlegende Definition von Quasthoff (1973: 38), dass es sich bei Stereotypen um Zuschreibungen „mit emotional wertender Tendenz“ handelt. Allerdings wird in der Stereotypenforschung vor allem hervorgehoben, dass Emotionen und Bewertungen zentrale Aspekte von Stereotypisierungen sind, nur wenige Autoren zeigen, wie dabei Emotionen konkret ausgedrückt werden. Eine linguistische Beschreibung von Emotionalität im Zusammenhang mit Stereotypisierungen findet sich allerdings bei Nazarkiewicz (2002, 1999). Für Nazarkiewicz (2002: 6f) sind emotionsgeladene Entrüstungen ein wesentliches Erkennungsmerkmal von Stereotypenkommunikation. Sie greift zu ihrer Charakterisierung auf die Beschreibung von Entrüstungssequenzen durch Christmann/ Günthner (1999) zurück. Laut Christmann/Günthner zeichnen sich Entrüstungssequenzen durch drei zentrale Strukturelemente aus: 1. einleitende moralisierende Klammer, 2. Dramatisierung mittels rhetorischer Techniken, 3. Konstruktion von Disproportionalität. Sie arbeiten auch charakteristische Kommunikationsmerkmale von Entrüstungen heraus (z.B. erhöhte Lautstärke, dichte Akzentuierung, rhythmische Sprechweise, schnelles Sprechen, Sing-Song-Intonation, moralisch negativ wertende Begriffe, Exempel und Beispielgeschichten, Extremformulierungen, Modalpartikel, Formulierungsschwierigkeiten). Nazarkiewicz (2002: 7) stellt für interkulturelle Trainings die These auf, dass sich „[i]nsbesondere, wenn sich einige Beteiligte über den verurteilungswerten Zustand einig sind, die Inszenierung der gemeinsamen Empörung mit hoher Emotionalität hin zu einem Höhepunkt [steigert], auf dem die Stereotypisierung explizit und wertend formuliert wird“. Neben der Manifestation von Emotionen spielt für die Darstellung individueller Betroffenheit das Aufzeigen konkreter Konsequenzen für das eigene Han-
8.1 Definition und Forschungskontext
295
deln eine Rolle. Da es hier vor allem um handlungspragmatische Probleme geht (vgl. 8.2.1), kann in bestimmten Aspekten auf die Literatur zur Problempräsentation im Beratungsgespräch zurückgegriffen werden (z.B. Kallmeyer 2001, Hartog 1996, Kallmeyer 1985, Nothdurft 1984). Da die Literatur zum Thema der Beratung jedoch vor allem für die nächste Aufgabe (‘Interkulturelle Ratschläge formulieren’, vgl. Kapitel 9) relevant ist, werde ich dort einen Überblick über die entsprechende Literatur geben und hier nur innerhalb der Darstellung der Verfahren auf einzelne Aspekte zurückgreifen. Das zweite Verfahren des Aufzeigens individueller Betroffenheit, das ‘Anzeigen’, definiert sich über die Äußerung von Bewertungen kultureller Eigenschaften und Verhaltensweisen. Linguistische Grundlagen zum Phänomen der Bewertung kultureller oder sozialer Gruppen bzw. gruppenbezogener Eigenschaften findet man im Rahmen der sozialen Kategorisierungsforschung. Allerdings werden hier Verfahren des Bewertens nur von wenigen Autoren gesondert behandelt. Vor allem Hausendorf (2000a) hebt den Stellenwert des Bewertens als eigenständige Aufgabe der Kommunikation von Zugehörigkeit hervor. Bewerten meint laut Hausendorf (2000a: 411) „die Aufgabe, Einstellungen darzustellen, die sich auf eine soziale Gruppe bzw. auf Einzelne als Vertreter dieser Gruppe beziehen“.174 Als Verfahren des Bewertens beschreibt Hausendorf das Signalisieren von Einstellungen (z.B. durch bestimmte Adjektive, lexikalische Konnotationen), das Vorführen/Demonstrieren von Einstellungen (durch adjektivische, verbale oder substantivische Prädikatsausdrücke, die Gemütsbewegungen bezeichnen, durch metaphorische Veranschaulichungen, hyperbolische Umschreibungen und nichtsprachliche Merkmale) sowie die ausdrückliche Feststellung von Einstellungen (durch Einstellungsprädikate). Das Bewerten besitzt in unserem Gesprächskontext eine spezifische Rolle, die ihr einen anderen Stellenwert gibt als in der ‘allgemeinen’ Kommunikation von Zugehörigkeit (vgl. 8.3.2). Einige der beschriebenen Formen finden sich allerdings auch in unseren Gesprächen. Kesselheim (2003) behandelt Bewertungen im Rahmen der Aufgabe des Füllens einer Kategorie. Er betrachtet Bewertungen neben Eigenschaften, Aktivitäten, Einstellungen etc. als eines der Merkmale, die bestimmten sozialen oder kulturellen Gruppen zugeschrieben werden können. Grund für die Unterordnung von Bewertungen unter Zuschreibungen ist für ihn, dass sich „die Zuschreibung von Bewertungen von der konversationellen Technik her nicht wesentlich von 174 Auch Hausendorf (2000a) hebt allerdings hervor, dass das Bewerten eng mit den beiden anderen von ihm beschriebenen Aufgaben zusammen hängt: „Das Bewerten ist [...] häufig schon im Zuschreiben und Zuordnen impliziert und deshalb im Kontext sozialer Kategorisierungen nahezu allgegenwärtig. Zuordnungen und Zuschreibungen lassen sich entsprechend kaum ‘wertneutral’ vollziehen“.
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8. Aufgabe-4: Individuelle Betroffenheit aufzeigen
der Zuschreibung anderer Merkmale unterscheidet“ (ebd.: 97). Da Bewertungen in meinem Korpus eine andere Funktion besitzen, ist eine eigene Diskussion der zu ihrer Realisierung verwandten Formen erforderlich. Welche Formen und Verfahren verwenden nun die Gesprächspartner zum Aufzeigen individueller Betroffenheit? Bevor ich auf diese Frage genauer eingehe, werde ich in 8.2.1 den Zusammenhang zwischen dem Aufzeigen individueller Betroffenheit, der Manifestationen von Emotionen und der Darstellung von Konsequenzen für das eigene Handeln genauer erläutern und in 8.2.2 auf die Rolle von Solidarisierungen im Zusammenhang mit dem Aufzeigen von Betroffenheit eingehen. In 8.3 stelle ich sukzessive die drei Verfahren des Aufzeigens individueller Betroffenheit vor: das ‘Thematisieren’ (8.3.1), das ‘Anzeigen’ (8.3.2) und das ‘Demonstrieren individueller Betroffenheit’ (8.3.3). Der abschließende Abschnitt gibt wieder einen Überblick über die Ergebnisse im Bezug auf die Aufgabe und diskutiert Herausforderungen und Gesprächsstrategien, die für die Praxis relevant sind (8.4).
8.2 Aufgabenspezifika 8.2.1 Individuelle Betroffenheit, Emotionalität und Problemdarstellung Im Zusammenhang mit der Aufgabendefinition wurde bereits deutlich, dass die individuelle Betroffenheit in der vorliegenden Arbeit im Hinblick auf zwei Komponenten definiert wird: Erstens meint sie die ‘emotionale Betroffenheit’ des Individuums und zweitens die ‘handlungsbezogene Betroffenheit’. Im Folgenden möchte ich nun anhand von Gesprächsausschnitten etwas genauer zeigen, inwiefern die Aufgabe für die Gesprächspartner diese beiden Facetten hat und was sie konkret unter den beiden Komponenten verstehen. Der folgende Ausschnitt aus dem Gespräch FRANKREICH-TRAINING macht deutlich, dass der Gesprächspartner E die beiden Komponenten der Betroffenheit explizit als zentrale Gegenstände der Gespräche beschreibt. Die Diskussion der Verfahren in 8.3 wird deutlich machen, dass die Gesprächspartner im Gesprächsverlauf ihre Betroffenheit im Hinblick auf beide Aspekte aufzeigen. In dem FRANKREICH-TRAINING thematisiert der Gesprächspartner E auf sehr explizite Weise Ziele und Inhalte des Gesprächs. Der folgende Gesprächsausschnitt gibt seine einleitenden Erläuterungen hinsichtlich des Gesprächsziels wider (voraus geht dem lediglich eine gegenseitige Vorstellung der Gesprächspartner):
8.2 Aufgabenspezifika
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FRANKREICH-TRAINING: „wie hab ich frankreich empfunden” (15:17) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15
E: also ich HAB jetzt hier kein (--) strikten terMINplan irgendwie:: DURCHgeplant äh was man machen möchte, und=äh ich geh davon aus (-) für sie war=s auch schon=n etwas LÄNgerer tag, und=äh: (--) wir machen des jetzt nich so dass ich jetz ein punkt nach dem nächsten AB[arbeite, (--) N: [mhm, E: sondern (-) ähm (--) ich würd einfach=äh:: n=bisschen (1.5) in DER form anfangen, (--) dass ich so MEIne erfahrung (--) von FRANKreich, (1.0) n=der form ver!SU!che mal ers mal RÜberzubringen, (--) äh wie hab ich frankreich empFUNden, was WAR [MEIN problem, N: [mhm, E: als ich damals ANgefangen hab äh::, (--)
Kommentar: Der Ausschnitt enthält insgesamt einen Vorschlag oder eine Ankündigung E’s im Bezug auf die Gestaltung des Gesprächs. E beginnt in Z. 1-6 mit einer expliziten Darstellung, wie das Gespräch aus seiner Perspektive nicht verlaufen soll. Er lehnt eine strukturierte und formelle Abhandlung einzelner Punkte ab (strikten terminplan, durchgeplant, ein punkt nach dem nächsten). Dabei nimmt er mit den gewählten Formulierungen implizit auf die Situation des Trainings, in das das Gespräch eingebettet ist, Bezug (v.a. terminplan). Von dem organisierten Seminar- oder Trainingsgespräch grenzt er in Z. 8-11 die Weitergabe kultureller Erfahrungen als alternative Gesprächsform ab (vgl. die adversative Konjunktion sondern). Seine Aussage bezüglich der Gesprächsaufgabe oder des Gesprächsziels in Z. 10-11 (dass ich so meine erfahrung von frankreich n=der form versuche mal ers mal rüberzubringen) enthält bzw. reformuliert in prägnanter Weise die zentralen Begriffe der Weitergabe (rüberzubringen) und der Erfahrung (meine erfahrung) und verweist dabei auf eine konkrete Nationalkultur (frankreich). Zur Erläuterung der Gesprächsaufgabe bzw. des Gesprächsziels formuliert er in Z. 12 und Z. 13 zwei Fragen: wie hab ich frankreich empfunden und was war mein problem. Die Ergänzung der Frage(n) in Z. 15 kann als Ergänzung zu beiden oder nur der zweiten Frage verstanden werden (wie hab ich frankreich empfunden als ich damals angefangen hab und/oder was war mein problem als ich damals angefangen hab). Die Aufgabe des Aufzeigens individueller Betroffenheit greift diese zwei Aspekte, über die E hier die Erfahrungsweitergabe konkretisiert, auf: es geht zum einen um Emotionen und Empfindungen (wie hab ich frankreich empfunden), zum anderen um Konsequenzen im Handeln (was war mein problem). Die Individualität der Erfahrung wird dabei in der Fülle an Personal- und Possessivpronomen in der 1.Ps.Sg. deutlich (Z. 10: ich, meine, Z. 12: ich, Z. 13: mein, Z. 15: ich). Die Konsequenzen im Handeln werden in E’s Frage deutlich als negative Konsequenzen für das eigene Handeln dargestellt (problem). Auf die Frage, welche Rolle dieser Problemfokus in den Gesprächen insgesamt spielt, ist noch genauer einzugehen.
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8. Aufgabe-4: Individuelle Betroffenheit aufzeigen
In dem Gesprächsausschnitt, in dem E aus seiner Perspektive Gesprächsziel und -aufgabe formuliert, wurde deutlich, dass die kommunikative Handlung der Weitergabe kultureller Erfahrungen für den Gesprächspartner zwei zentrale Komponenten umfasst: die Vermittlung individueller Emotionen und Empfindungen (wie hab ich frankreich empfunden) und die Vermittlung individueller Konsequenzen für das eigene Handeln (was war mein problem).175 Im Bezug auf die Handlungskomponente wurde in dem kommentierten Ausschnitt deutlich, dass der Gesprächspartner insbesondere negative Konsequenzen für das eigene Handeln und Probleme für relevant hält. Wie sieht dies in den übrigen Gesprächen aus? Die Analysen haben gezeigt, dass die Gesprächspartner nur selten positive Konsequenzen für das eigene Verhalten konkret ausführen. Im positiven Fall beschränken sie sich allenfalls auf eine positive Bewertung der Situation insgesamt oder konkreter Eigenschaft oder Verhaltensweisen (z.B. das gute is, so hab ich=s jedenfalls empfunden hier, ma bekommt sehr schnell sehr direktes feedback, KolBer Z. 470ff, vgl. hierzu 9.3.2). Sehr viel ausführlichere und explizitere Darstellungen findet man im Zusammenhang mit Problemen (z.B. ja und dann ham ma oft probleme weil dann einer sagt ja=ha=ha, mo=ho=homent mal..., LOCKER Z. 268ff). Die Problemdarstellung stellt entsprechend ein wichtiges Verfahren zum Aufzeigen individueller Betroffenheit dar, das ich in 8.3.1 genauer erläutern werde. Offenbar besteht in den Gesprächen also eine gewisse Tendenz, vor allem auf problematische Aspekte im eigenen Handeln einzugehen, das heißt auf Erfahrungen, die für den Auslandsentsandten problematisch waren. Dies ist auch interessant, wenn man an den Zusammenhang mit den anderen Aufgaben denkt: Die Darstellung eines Problems eröffnet zugleich die Perspektive für die Darstellung von Handlungsstrategien zum Umgang mit kulturellen Unterschieden (vgl. Aufgabe-5 ‘Interkulturelle Ratschläge formulieren’). 8.2.2 Solidarisierungen in der Darstellung von Betroffenheit Bei der Aufgabe des Aufzeigens individueller Betroffenheit liegt der Fokus insgesamt auf der Darstellung individueller Betroffenheit, das heißt der Betroffenheit der einzelnen Person. In den Gesprächen zeigt sich allerdings, dass gerade im Zusammenhang mit dem Aufzeigen von Betroffenheit häufig Solidarisierungen auftauchen. Die Gesprächspartner scheinen eine Präferenz zu haben, be-
175 Auch Spiegel (1995: 205ff) unterscheidet zwischen diesen beiden Komponenten der Betroffenheit. Sie verwendet die Begriffe der „emotionalen Betroffenheit“ und der „Problembetroffenheit“ (ebd.: 207 bzw. 208) und beschreibt insbesondere Formen der Manifestation von emotionaler Betroffenheit.
8.2 Aufgabenspezifika
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stimmte emotionale und handlungsbezogene Erfahrungen mit anderen ‘Betroffenen’ zu teilen. Solidarisierungen tauchen in den Gesprächen insbesondere im Zusammenhang mit der Beschreibung von Emotionen der Differenzerfahrung und mit Problemdarstellungen auf.176 Linguistisch drückt sich eine Solidarisierung vor allem in der Verwendung des Personalpronomens wir aus (seltener auch man). In dem folgenden Gesprächsausschnitt hebt der Gesprächspartner E durch die Verwendung des Personalpronomens wir hervor, dass die Gesprächspartner eine bestimmte Erfahrung teilen. LOCKERHEIT: „sie ham=s net so verbissen” (09:30, Z.163) 01 02
E: also=sie ham=s net so verBISsen (.) wie (.) wie: denk=ich mal wie wir des aus deutschland geWOHNT sind.
Kommentar: Der Ausschnitt enthält zunächst ein Eigenschaftsprädikat in Bezug auf eine fremdkulturelle Gruppe (die ham=s net so verbissen). Die (behauptete) Eigenschaft dieser Gruppe wird implizit einer Eigenschaft der eigenen Gruppe gegenübergestellt (vgl. Kontrastierung durch Negation mit Nennung des Vergleichsobjekts: nicht so... wie wir). Durch die Kontrastdarstellung und den Verweis auf die Erfahrung von etwas Ungewohntem, nimmt der Sprecher auf die Differenzerfahrung im Zusammenhang mit der Auslandsentsendung Bezug. Durch die Verwendung des Personalpronomens wir hebt er dabei hervor, dass beide Gesprächspartner diese Differenzerfahrung gewissermaßen teilen.
In dem folgenden Beispiel stellt die Gesprächspartnerin E durch den konkreten Verweis auf eine geteilte Empfindung eine Solidarisierung her: KOLLEGIALE BERATUNG: „das hab ich damals auch so empfunden” (08:13, Z.200) 01 02
E: das hab ich damals auch so empfunden.= =als ich hier ANgefangen habe, (--)
Kommentar: In dem Ausschnitt thematisiert E durch die Verwendung des Emotionsverbs empfinden deutlich ihre emotionale Betroffenheit. Der Verweis darauf, dass sie mit dem Gesprächspartner eine Emotion im Bezug auf die Differenzerfahrung teilt (das hab ich damals auch so empfunden), impliziert eine Solidarisierung und dabei emotionale Unterstützung für den Gesprächspartner.
176 Hausendorf (2000a: 448ff) beschreibt in seinem Korpus insbesondere moralisierende Solidarisierungen. Moralische Bewertungen sind in unserem Kontext insgesamt selten (vgl. 8.3.2), so dass auch Solidarisierungen in diesem Zusammenhang kaum festgestellt werden konnten.
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8. Aufgabe-4: Individuelle Betroffenheit aufzeigen
Solidarisierungen tauchen also zum einen im Zusammenhang mit der Darstellung der Differenzerfahrung und damit verbundener Emotionen auf. Solche Hervorhebungen geteilter Erlebnisse oder Emotionen deuten auf ein Bedürfnis der Auslandsentsandten hin, schwierige Erfahrungen mit einer anderen Person zu teilen. Nach dem Motto ‘geteiltes Leid ist halbes Leid’ scheinen solche Solidarisierungen Auslandsentsandten bei der Verarbeitung problematischer Situationen zu helfen. Die folgenden beiden Gesprächsausschnitte enthalten kommunikative Solidarisierungen im Rahmen von Problemdarstellungen: ANMELDUNG: „wie motivier=ma die mitarbeiter” (04:44, Z.194) 01 02
N: und (--) des heißt (--) wir ham mit dem problem zu kämpfen wie motivier=ma die MITarbeiter; (--)
ENTSENDUNGSZIEL: „dafür sitzen wer hier” (13:55, Z.325) 03 04 05 06 07 08 09
E: ich glaub des ist der job (-) da brauchen wir uns nichts VORmachen. der bleibt LIEgen. (---) [ne? N: [.hh E: [den müs (-) den müssen wir dann ABfangen. N: [(da/des) E: dafür SITzen wer hier.
Kommentar: In dem ersten Ausschnitt führt N ein Thema bzw. Problem ein, mit dem Auslandsentsandte seiner Ansicht nach in Spanien zu kämpfen haben (Z. 1f: wie motivier=ma die mitarbeiter). In dem zweiten verweist E auf eine problematische Situation (Z. 3f: des ist der job...der bleibt liegen, den müssen wir dann abfangen). In beiden Ausschnitten hebt die Verwendung des Personalpronomens wir (Z. 1, 3, 7, 9) bzw. der umgangssprachlichen Variante ma (Z. 2) den Aspekt hervor, dass die Gesprächspartner diese Erfahrung teilen. Sie haben jeweils mit dem gleichen Problem zu kämpfen.
Zusammenfassung: Sowohl im Zusammenhang mit der Darstellung der Differenzerfahrung als auch in Problemdarstellungen tauchen in den Gesprächen gehäuft Solidarisierungen auf. Dies deutet auf ein Bedürfnis der Gesprächspartner hin, problematische Erfahrungen und Empfindungen mit einer anderen Person zu teilen. Aus der Perspektive der erfahreneren Auslandsentsandten kann die Formulierung einer Solidarisierung auch der emotionalen Unterstützung des Gesprächspartners dienen.177 177 Kühlmann (2004: 24-25) weist auf die Rolle sozialer Beziehungen und Netzwerke für die Integration von Auslandsentsandten insgesamt hin. Dabei hebt er insbesondere den „emotionalen Rückhalt“ hervor, den die Gemeinschaft mit anderen bieten kann.
8.3 Verfahren zum Aufzeigen individueller Betroffenheit
301
8.3 Verfahren zum Aufzeigen individueller Betroffenheit Die Analysen haben drei verschiedene Verfahren ergeben, die Gesprächspartner zur Darstellung individueller Betroffenheit verwenden: 1. 2. 3.
Thematisieren individueller Betroffenheit (8.3.1) Anzeigen individueller Betroffenheit (8.3.2) Demonstrieren individueller Betroffenheit (8.3.3)
Die Verfahren werden auch innerhalb dieser Aufgabe in der Reihenfolge ihrer zunehmenden Implizitheit vorgestellt. Die Systematisierung weist gewisse Parallelen zu der Einteilung der Verfahren zur Manifestation von Emotionen bei Fiehler (1990) auf. Wie schon in dem Forschungsüberblick zu Beginn dieses Kapitels dargestellt, unterscheidet Fiehler zwischen dem Thematisieren von Betroffenheit (z.B. durch begriffliche Erlebens- oder Emotionsbenennung, Erlebens- oder Emotionsbeschreibung, Benennung oder Beschreibung von erlebensrelevanten Ereignissen oder Sachverhalten) und dem Ausdruck von Emotionen (z.B. durch para- oder nonverbale Merkmale wie die Intonationskontur, Stimmcharakteristika, Sprechgeschwindigkeit). Diese beiden Aspekte spiegeln sich in unserer Systematik in dem Thematisieren individueller Betroffenheit und dem Demonstrieren individueller Betroffenheit wider. Das Thematisieren umfasst allerdings neben der Benennung oder Beschreibung von Emotionen auch die Benennung oder Beschreibung von Problemen (vgl. 8.3.1). Das Demonstrieren von Betroffenheit erfolgt in den Gesprächen ausschließlich durch Emotionsausdruck, ist allerdings insgesamt relativ selten (vgl. 8.3.3). Das Verfahren des Anzeigens von Betroffenheit kommt im Vergleich zu der Systematik Fiehlers hinzu. Betroffenheit wird in unserem Datenkorpus auch über Bewertungen dargestellt, die damit in unserem Gesprächskontext eine spezifische Bedeutung erlangen. Das Verfahren umfasst gleichzeitig eine emotionale sowie eine Handlungskomponente (vgl. 8.3.2). 8.3.1 Thematisieren individueller Betroffenheit Das Thematisieren von Betroffenheit das expliziteste Verfahren zum Aufzeigen individueller Betroffenheit. Die Gesprächspartner thematisieren ihre individuelle Betroffenheit, indem sie mithilfe bestimmter linguistischer Formen hervorheben, dass sie die kulturellen Besonderheiten oder Unterschiede auf eine bestimmte Weise erlebt haben, dass diese bestimmte Emotionen bei ihnen wachgerufen haben oder dass sie zu Problemen in ihrem Handeln geführt haben. Die Gesprächspartner thematisieren also beide Komponenten der Betroffenheit, die
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8. Aufgabe-4: Individuelle Betroffenheit aufzeigen
emotionale und die handlungsbezogene. Welche linguistischen Formen verwenden sie nun, um ihre emotionale oder handlungsbezogene Betroffenheit zu thematisieren? Insbesondere greifen sie auf Emotionsverben, Substantive und metaphorische Wendungen zur Beschreibung oder Benennung von Erleben und Emotionen zurück sowie auf Begriffe aus dem Wortfeld ‘Problem’, an die sich teilweise ausführlichere Problemdarstellungen anschließen. Emotionsbenennende Verben Ein Beispiel für ein Verb, das die Gesprächspartner zur Thematisierung von emotionaler Betroffenheit verwenden, ist überraschen. LOCKERHEIT: „dieser harsche ton” (19:03, Z.573) 01 02
N: und dieser HARsche TON (-) hat mich wirklich auch überRASCHT;
KOLLEGIALE BERATUNG: „die anzahl der stunden” (25:13, Z.624) 03 04 05 06
E: also (--) insgeSAMT war ich über die ANzahl der stunden das=s vierzig STUNden war=n pro woche (--) auch am anfang=n bisschen überRASCHT, das kam mir VIEL vor, (---)
LOCKERHEIT: „die erfahrung war da klasse” (31:07, Z.1055) 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16
E: also die erFAHrung war da schon: für MICH war da KLASse.=ne? s=war=n richtig ALter n alter SPAnier, n=echter alter SPAnier, (1.0) a=des war GUT; (---) weil die viel OFfener sin wie die:: (---) nicht so verBISsen wie die (--) wie die gerMAnen, (---) al=des hat mich SEHR: (--) äh sehr überRASCHT eigentlich. (1.0) weil: ich mir des scho SCHWER vorgestellt habe. (--)
Kommentar: In allen drei Beispielen wird eine kulturelle Besonderheit bzw. ein kultureller Unterschied dargestellt (Bsp 1: dieser harsche ton, Bsp 2: vierzig stunden...pro woche, Bsp 3: weil die viel offener sin, nicht so verbissen wie die germanen). Das Verb überraschen wird in den Verbalphrasen etwas hat mich überrascht (erstes und drittes Beispiel) bzw. ich war über etwas überrascht (zweites Beispiel) verwendet und hebt hervor, dass der jeweilige Aspekt für den Gesprächspartner unerwartet und neu war und eine bestimmte Emotion ausgelöst hat. In allen drei Beispielen wird durch verstärkende bzw. abschwächende Adverbien angegeben, wie stark die Emotion der Überraschung jeweils war (wirklich, bisschen, sehr).
8.3 Verfahren zum Aufzeigen individueller Betroffenheit
303
Ein weiteres Verb, mit dem die Gesprächspartner eine Emotion im Zusammenhang mit der Auslandsentsendung benennen, ist wundern. KOLLEGIALE BERATUNG: „sich da so reporten zu lassen immer regelmäßig” (10:29, Z.280) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11
E: (weil/aber) in spanien is des sehr stark AUSgeprägt. (1.0) N: mhm, (1.0) E: sich da so so (--) rePORten zu lassen immer regelmäßig, und sich das dann anzuschauen und dann wieder NEU in KLEInen schritten die aufgaben weiterzugeben also- (---) ((...)) also (--) da hab ich mich am anfang n bisschen geWUNdert und hatte einige mitarbeiter überSCHÄTZT, (--) hab sie=n bisschen zu:: LANge zu selbständig (--) ähm arbeiten lassen und dann war=ma am ende dann=n bisschen beide nicht so zufrieden damit.
Kommentar: E schreibt hier den Spaniern eine typische kulturelle Verhaltensweise zu (sich da so so reporten zu lassen immer regelmäßig). Nach einigen Erläuterungen und einer Rückmeldung durch N bennent E mithilfe einer Verbalphrase das Gefühl der Verwunderung, die dieser Aspekt bei ihr ausgelöst hat (da hab ich mich am anfang n bisschen gewundert). Die Intensität der Emotion wird abgeschwächt durch das Adverb n bisschen. E betont explizit, dass sie diese Emotion vor allem am anfang der Auslandsentsendung empfunden hat (vgl. auch das zweite Beispiel zu dem Verb überraschen). Damit zeigt sie zum einen an, dass es charakteristisch für die Emotion ist, dass man sie am Anfang der Auslandsentsendung empfindet. Zum anderen weist sie durch die Formulierung darauf hin, dass sie inzwischen einen Lernfortschritt gemacht hat (vgl. Aufgabe ‘Erfahrungskompetenzen etablieren’, 5.3.2).
Die genannten Verben (überraschen, wundern) benennen Emotionen, die der jeweilige Gesprächspartner im Zusammenhang mit der Auslandsentsendung in Spanien empfunden hat. Auch Fiehler (2001a: 1431, 1990: 115ff) fasst solche Vokabeln aus dem Erlebens- oder Emotionswortschatz, mit denen das Erleben und die Emotionen von Individuen begrifflich benannt werden (z.B. auch Angst, Freude, Faszination), als Formen der expliziten Thematisierung im Gegensatz zum reinen Ausdruck von Emotionen auf. Dabei fällt in dem Korpus auf, dass die Gesprächspartner kaum Emotionen benennen, die eine starke Bewertung implizieren (z.B. Ärger, Wut, Hass, Liebe). Statt dessen benennen oder beschreiben sie eher Emotionen mit schwacher Bewertung, die spezifisch für die Differenz- und Fremdheitserfahrung sind (z.B. Überraschung, Wundern, Befremden). Was meint konkret ‘Differenz-’ oder ‘Fremdheitserfahrung’?
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8. Aufgabe-4: Individuelle Betroffenheit aufzeigen
Zum Thema der Differenz- und Fremdheitserfahrung gibt es insgesamt kaum linguistisch-empirische Forschung. Die Begriffe der ‘Fremdheit’ und der ‘Fremderfahrung’ wurden im Rahmen der interkulturellen Germanistik auf theoretischer Ebene beschrieben und definiert (z.B. Albrecht 2003, Wierlacher/Albrecht 2003, Wierlacher 2001, 2000, 1985, Krusche/Wierlacher 1990). Fremdheit wird hier als spezifische Form der Differenz aufgefasst, die erst durch die Abweichung des Anderen von eigenen Normen, das heißt in der Interpretation aus der Andersheit entsteht (vg. Albrecht 2003: 236, Wierlacher/Albrecht 2003: 284, sie definieren Fremdheit als „Interpretament der Andersheit und Differenz“). In diesem Zusammenhang wird auch betont, dass der Begriff der Fremdheit häufig über Negationen konstituiert wird (zur Negation als Verfahren der Kontrastierung vgl. 7.3.1.4) sowie dass er stark emotional geladen ist (vgl. Albrecht 2003: 235: Der Begriff Fremdheit „hat starke emotive Bedeutungsanteile.“). Auf den Zusammenhang zwischen der Darstellung von etwas Unerwartetem und der Manifestation von Emotionen geht die Erzählforschung ein. Sowohl die Erzählwürdigkeit qua Unerwartetheit eines Ereignisses (vgl. Ehlich 1983: 140ff, Quasthoff 1980: v.a. 52-57) als auch Emotionalität werden als Kriterien für die Definition des Erzählens herangezogen (Gülich/Hausendorf 2001, vgl. hierzu 7.3.2). Dabei wurde in 7.3.2 schon deutlich, dass die Emotionalität in Gesprächen häufig gerade im Zusammenhang mit dem unerwarteten Moment einer Erzählung zutage tritt. An einigen Stellen der Gespräche liegt der Fokus der Darstellung genau auf diesem Moment der Unerwartetheit in der Erfahrung. Erlebensbeschreibende Substantive Dass auch Substantive der Thematisierung der Differenzerfahrung und damit Betroffenheit dienen, wurde in der Beispielanalyse in 4.1 deutlich. N benennt auch hier nicht konkret eine Emotion, er beschreibt jedoch seine Differenzerfahrung, wodurch die Aussage eine emotionale Komponente enthält. Die Aussage steht an der Grenze zu der anderen Komponente der Betroffenheit, denn sie impliziert auch bestimmte Konsequenzen für das Handeln N’s. KOLLEGIALE BERATUNG: „die arbeitsweise is schon=ne umstellung” (07:02, Z.154) 01 02 03 04 05 06
N: aber (--) TROTZdem die ARbeitsweise (-) is SCHON=ne umstellung. (1.0) in MEIn augen. ((...)) aber (.) DES is schon (.) en (-) RIEsen (--) WECHsel, (--) zu dem wie ich VORher gearbeitet habe. (-)
8.3 Verfahren zum Aufzeigen individueller Betroffenheit
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Kommentar: In der einleitenden Formulierung beschreibt N seine Differenzerfahrung als ne umstellung. Durch die nachgestellte Subjektivierung (in mein augen) hebt er hervor, dass zumindest er individuell diese Differenzerfahrung gemacht hat. Diese Subjektivierung deutet auf die Tatsache hin, dass eine Differenz- bzw. Fremdheitserfahrung und auch die Frage, wie stark diese empfunden wird, grundsätzlich individuell sind. Die Differenzerfahrung wird hier (noch) abschwächend gewertet durch den Gradpartikel schon. Der Begriff der umstellung impliziert, dass die erfahrene Differenz Konsequenzen für das eigene Handeln hat. N muss sein Verhalten ändern. Das heißt, die Differenzerfahrung wird nicht nur als solche charakterisiert, sondern es wird impliziert deutlich, dass daraus bestimmte Herausforderungen für das Handeln N’s entstehen, dass der Aspekt also Konsequenzen für ihn hat. Abschließend beschreibt N die Differenzerfahrung als en wechsel. Dieses Substantiv deutet (zwar weniger aber auch noch) auf Implikationen für das eigene Handeln hin. Die Differenzerfahrung wird hier besonders hervorgehoben und verstärkt durch das Adjektiv riesen. Außerdem wird der Bezugspunkt der Differenzerfahrung, nämlich die Arbeitsweise vorher (das heißt vor der Auslandsentsendung), hervorgehoben.
Ein weiteres Substantiv, das deutlich eine emotionale Betroffenheit im Zusammenhang mit der Differenzerfahrung hervorhebt, ist kulturschock (FREUND Z. 813). Der Begriff ist gewissermaßen der Fachbegriff der Interkulturellen Kommunikation für die Differenzerfahrung eines Auslandsentsandten und impliziert deutlich eine emotionale Komponente. Metaphorische Wendung Schließlich möchte ich anhand eines Beispiels noch erläutern, inwiefern auch umgangssprachliche metaphorische Wendungen zur Thematisierung von Erleben und Emotionen verwendet werden. Dem folgenden Ausschnitt gehen Erläuterungen E’s dahingehend voraus, dass man in Spanien vor allem bei Ämtern viel Geduld aufbringen muss. FREUNDSCHAFT: „haut=s di von di socke” (58:00, Z.1945) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12
E: s:::=sie sin net sehr kunden (-) sie sin net net sehr KUNdenorientiert die ÄMter((...)) E: also (---) WENN se was machet machet se=s mit einer mit einer (---) mit (.) äm (.) äh (.) ähN: ja (-) ich WEIß schon; E: mit einer HÄRte, (--) N: [ach so; (hm) (ja) E: [haut=s di von di !SOC!ke ey- (--) ((...)) E: HAUTS di von de SOcke. (1.0) des isch IRre; (-)
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8. Aufgabe-4: Individuelle Betroffenheit aufzeigen
Kommentar: E stellt eine in dem Gesprächsausschnitt kulturelle Eigenschaft dar (sin net net sehr kundenorientiert die ämter), die er konkreter erläutert (also wenn se was machet machet se=s...mit einer härte). Die Differenzerfahrung und die Emotionen, die er dabei empfindet, hebt er durch die umgangssprachliche metaphorische Verbalphrase haut=s die von di socke ey (Z. 9) hervor, die er einige Zeilen später (Z. 11) noch einmal wiederholt. Diese metaphorische Wendung deutet auf eine intensive emotionale Reaktion auf den dargestellten Sachverhalt hin.178 Sie drückt eine Überraschung aus, die mit starken Emotionen verbunden ist. Die Stärke der Überraschung wird durch weitere Emotionalität anzeigende Aspekte unterstützt (vgl. den starken Akzent auf !SOC!ke sowie die Interjek179 tion ey).
Zwischenresümee: Die Gesprächspartner verwenden also unterschiedliche Verben (z.B. überraschen, wundern), Substantive (z.B. ne umstellung, en riesen wechsel, der kulturschock) und metaphorische Wendungen (z.B. da hauts di von de socke), um ihr Erleben und ihre Emotionen im Zusammenhang mit der Auslandsentsendung zu thematisieren. Dabei fällt auf, dass es sich meist um Emotionen handelt, die charakteristisch für die Differenzerfahrung sind, dabei jedoch eher gemäßigt und kaum mit starken negativen Bewertungen verbunden sind (wie z.B. Ärger, Wut, Hass, Liebe). Häufig wird die Intensität der Emotionalität bzw. Differenzerfahrung hervorgehoben (z.B. hat mich sehr überrascht, is en riesen wechsel). Substantive und Adjektive aus dem Wortfeld ‘Problem’ Bei einigen Beispielen wurde bereits deutlich, dass bei der Thematisierung von Erleben und Emotionen häufig auch Konsequenzen für das eigene Handeln deutlich werden. Häufig thematisieren die Gesprächspartner konkrete Probleme im eigenen Handeln und verwenden dazu Begriffe aus dem Wortfeld ‘Problem’. Ein Beispiel hierfür enthält der folgende Ausschnitt aus dem Gespräch LOCKERHEIT, den ich schon in Abschnitt 7.2.1 zum Erfahrungsbegriff und in Kapitel 5 zur 178 Auch Fiehler (1990: 122) fasst solche festen metaphorische Wendungen (z.B. es kocht in mir, das haut mich aus den schuhen, du treibst mich auf die palme) unter dem Überbegriff der Erlebens- und Emotionsbeschreibungen als typische Formen der Thematisierung von Erleben und Emotionen auf. Hausendorf (2000a: 453, 461, 481) beschreibt ähnliche metaphorischen Wendungen (z.B. da geht einem das messer in der tasche auf, die könnt ich an die decke werfen, wie n eimer wasser kriegt man ins gesicht) als Versprachlichung und Vorführung moralisch gefärbter Gemütsbewegungen, die auf einen starken emotionalen Erregungszustand (Affekt) hindeuten. Allerdings implizieren die metaphorischen Wendungen, die Hausendorf erläutert, deutlich negative Bewertungen (Entrüstung, Empörung), während die hier zitierte Wendung eher auf eine neutral bewertete Betroffenheit (Überraschung) hindeutet. 179 Diese Aspekte werden an verschiedener Stelle als Formen der Manifestation von Emotionen betrachtet (Christmann/Günthner 1999: 250, Fiehler 1990: 96-97).
8.3 Verfahren zum Aufzeigen individueller Betroffenheit
307
Etablierung von Erfahrungskompetenzen erläutert habe. Im Zusammenhang mit seinen Erläuterungen, dass in Spanien sehr viel über normativas (vorschriften) läuft, beschreibt E Konsequenzen dieser Tatsache für sein eigenes Handeln. LOCKERHEIT: „die normativa sagt das is so und so” (11:51, Z.260) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15
E: des des isch hier se:hr (--) des ha’ (.) isch MEIne erfahrung hier, (--) dass SEHR (--) über vorschriften gearbeitet wird. ((...)) E: ja und dann ham ma oft problEme: (-) ähm weil dann einer sagt ja=ha=ha. (---) MO=ho=homent mal. die normativa sagt das is so und so-= =und da sag ich [des hat jetzt aber kein WERT, (--) N: [aber vielleicht is des=n UNterschied; E: [wir brauchen des jetz=e bissl SCHNELler, N: [von derE: wir können jetzt hier nicht die normativa(res) sondern- (--) ja=ha=ha da muss ich aber erscht mal da muss=i erscht mal den ANdern fragen;
Kommentar: Im Anschluss an seine Hypothese, dass sehr über vorschriften gearbeitet wird (Z. 3), beschreibt E probleme (Z. 5), die daraus resultieren und die ihn unmittelbar betreffen (vgl. ham ma oft). Das Problem wird szenisch in Form eines Dialogs zwischen E und einem spanischen Kollegen in direkter Rede dargestellt (Z. 6ff). Der konkrete Problempunkt wird in der wiedergegebenen Aussage E’s deutlich des hat jetzt aber kein wert wir brauchen des jetz=e bissl schneller (Z. 9-11), auf die der Gesprächspartner, von dem berichtet wird nicht eingeht.
In dem folgenden Beispiel stellt E die Konsequenzen für sein Handeln noch konkreter dar. LOCKERHEIT: „termineinhaltung isch e biss=l problematisch” (34:27, Z.1175) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12
E: nur wie gesagt die terminEINhaltung isch isch e biss=l probleMAtisch. (1.0) dann eben au oder auch RÜCKmeldungen zu kriegen. zu sagen wir ham da=en KUNde in deutschland, der brauch des=un=des bis da=un=da HIN, (--) un=da wird dann halt=en TAG vorher sagen die dann vielleicht MIR noch bescheid, also des kriegen ma net hin. (---) statt und des wussten die aber LETSCHte woche schon. (--) statt dass die LETSCHte woche schon sagen. ACHtung. (--) n NÄGSCHte woche des kriegen=ma net HIN.
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8. Aufgabe-4: Individuelle Betroffenheit aufzeigen
N: E: N: E:
((...)) da gibt=s un ich hab dann=a ich muss dann den des immer biss=l Abpuffern.=ne? weil die:: (--) [KUNden dann in DEUTSCHland natürlich (-) [klar. des eben (.) erWARten am dienstag.=ne? und ich HAB=s dann nicht am dienschtag.(--) ((lacht kurz leise)) n=muss denen dann versuchen des zu verklickern warum wir=s jetzt NICHT am dienschtag hatten.
Kommentar: Wieder wird in einer einleitenden Aussage eine Verhaltensweise (Z. 1: die termineinhaltung) als Problem eingestuft (Z. 1-2: isch e biss=l problematisch). Die Negativbewertung wird dabei (wie schon häufiger festgestellt) durch den Modalpartikel biss=l abgeschwächt. Im Anschluss beschreibt E konkrete negative Konsequenzen für sein eigenes Handeln. Ein Konflikt besteht für ihn zwischen dem deutschen Kunde, der ein Produkt zu einem bestimmten Termin einfordert, und den spanischen Mitarbeitern, die nicht rechtzeitig Bescheid sagen, wenn sie einen Termin nicht einhalten können. Sein Problem besteht darin, dass er dann aufgefordert ist, die Nichteinhaltung des Termins gegenüber dem Kunde zu rechtfertigen (Z. 14ff: ich muss dann den des immer biss=l abpuffern...n=muss denen dann versuchen des zu verklickern warum wir=s jetzt nicht am dienschtag hatten). Um darzustellen, dass sich E zu Handlungen genötigt sieht, die er als problematisch empfindet, verwendet er umgangssprachliche, negativ konnotierte Handlungsverben (Z. 15: abpuffern, Z. 21: verklickern). Die individuelle Betroffenheit zeigt sich darin, dass E alle Konsequenzen für das eigene Handeln unter Verwendung von Pronomen der 1.Ps.Sg. formuliert (Z. 7: mir, Z. 14, 19: ich).
Weitere Formulierungen, die die Gesprächspartner zum Anzeigen negativer Konsequenzen für das eigene Handeln verwenden, sind zum Beispiel das is schwierig (ENTSZIEL Z. 189, 522, 842, ANM Z. 63, LOCKER Z. 687), das ist mir bisschen schwergefallen (KOLBER Z. 246), ich fand mich immer sehr unter druck gesetzt (ENTSZIEL Z. 752), da bin ich am anfang bissl drauf gstoße (FREUND Z. 887-888), ich brauch natürlich viel viel länger (LOCKER Z. 1248), das war am anfang n=bisschen kritisch (KOLBER Z. 429). Neben diesen relativ kurzen Hinweisen auf negative Handlungskonsequenzen oder Probleme, die im Rahmen der Darstellung kultureller Prägungen gegeben werden, findet man an einigen Stellen ausführlichere Darstellungen konkreter problematischer Situationen oder problematischer Rahmenfaktoren für das eigene Handeln. Das folgende Beispiel aus dem Gespräch ENTSENDUNGSZIEL steht zunächst nicht im Zusammenhang mit der Darstellung einer kulturellen Eigenschaft oder Verhaltensweise. Ihm geht lediglich die Aussage E’s voraus, dass es einige Spanier gibt, die Deutschen (leuten wie mir) gute Ratschläge geben können (an der richtigen stelle den tipp geben können was ich lieber nicht tun sollte). Zur Erläu-
8.3 Verfahren zum Aufzeigen individueller Betroffenheit
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terung stellt E eine Situation dar, die er als problematisch empfunden hat und bei der ihm ein spanischer Kollege einen Rat gegeben hat. ENTSENDUNGSZIEL: „es gab lieferprobleme” (27:57, Z.752) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45
E: =ich fand mich immer sehr unter druck gesetzt wenn wir (---) ich KAM, es gab LIEferprobleme, es gab QUAlitätsprobleme ALles. N: [hm=m; E: [es gab !TÄG!liche sItzungen; N: hm=m; (---) E: u:nd (--) ich war DA, (--) has=ch hab ich TEILgenommen, ich hab des mehr als SCHUlungsveranstaltung gesehen,= N: =hm=m;= E: =und ab dem ZWEIten tag hab ich AUFgaben gekriegt. (-) N: hm=m; E: ham mich die leute Angekuckt ham gesagt d=s=musst DU doch wissen. N: ((lacht)) E: und beim ERsten tag hab ich noch genIckt, und am dritten tag mal (.) hab ich gesagt NÖ:, (--) WEISS ich nicht. (--) N: hm=m; (--) E: kann ich jetzt NICHTS zu SAgen. so wie [WIR das vielleicht in deutschland MAchen würden. N: [mhm; E: SORry kann ich nichts zu SA[gen;= N: [mhm; E: =muss ich mir erst mal ANkucken. (---) und mir hat de:r: (--) der kolLEge über den ich da gesprochen hab (.)
(--) N: hm=m. (--) E: MACH das nicht mit denen. wenn du des zweimal machst (.) dann (.) GLAUbe die dir GAR nichts; (--) N: [hm=m; E: [die sagen der hat AUCH keine ahnung. (-) N: klar. (1.0) E: ne?=[und (-) es [is schizoPHREN; (--) N: [hm=m; [hm=m;
310 46 47 48 49 50 51
8. Aufgabe-4: Individuelle Betroffenheit aufzeigen E: ich MÖCHte nichts sagen was ich MÖCHte nichts sagen von [(1.5) ((lässt Hand auf den N: [((lacht)) E: keine (-) keine AHnung habe funktioNIEren,
ich nich WEISS; dem ich überhaupt nichTisch fallen)) waRUM (-) besimmte dinge NICHT
Kommentar: Mit der Formulierung ich fand mich immer sehr unter druck gesetzt (Z. 1) leitet E die Darstellung einer problematischen Situation ein, und zwar einer interkulturellen Interaktionssituation, die er als problematisch empfunden hat. In Z. 2-8 stellt er zunächst (äußerst kurz und durch die Parallelkonstruktionen prägnant) dar, wie er seinen Arbeitsbereich zu Beginn seiner Auslandsentsendung wahrgenommen hat (es gab lieferprobleme es gab qualitätsprobleme alles es gab tägliche sitzungen). Die zweimalige Verwendung des Begriffs ‘Problem’ (Z. 3 und 4) deutet auf eine deutlich negative Bewertung der Situation hin. In Z. 9-12 erläutert E, wie er seine Rolle in dieser Situation gesehen hat (ich hab des mehr als schulungsveranstaltung gesehen). Aus dieser Perspektive waren bestimmte Verhaltensweisen der Spanier (hab ich aufgaben gekriegt) für ihn unerwartet, er reagierte entsprechend abweisend (beim ersten tag hab ich noch genickt, und am dritten tag mal hab ich gesagt nö weiß ich nicht kann ich jetzt nichts zu sagen). In Z. 30-41 gibt E den Ratschlag wieder, den der spanische Kollege ihm in dieser Situation gegeben hat. Der Rat bestand darin, sich anders als gewohnt zu verhalten und eine Aufforderung zur Stellungnahme nicht zurückzuweisen (mach das nicht mit denen). Die Verhaltensgewohnheiten der Spanier haben hier deutliche Konsequenzen für das Handeln E’s. Der Kollege forderte E gewissermaßen auf, sein Verhalten umzustellen. Sowohl die Darstellung der Sichtweise E’s als auch die Wiedergabe des Ratschlags des Kollegen ist von einem erzählerischen Darstellungsmodus geprägt (vgl. die deutliche Handlungsfolge mit konkreten Zeitangaben: ab dem zweiten tag, beim ersten tag, am dritten tag, nach zwei stunden sowie die direkte Rede in Z. 16-17, 20-21, 24, 27, 29, 3233, 36-38, 41). Dieser erzählerische Darstellungsmodus deutet auf eine emotionale Betroffenheit des Sprechers im Zusammenhang mit der Situation hin. (Diese zeigte sich auch schon in den starken Akzentuierungen und dem rhythmischen Sprechen in Z.3-6.) Ab Z. 44 bewertet E den Ratschlag des Kollegen bzw. die vermeintlich spanische Verhaltensweise explizit (is schizophren) und weist darauf hin, dass er diese Verhaltensweise für sich selbst ablehnt (2x ich möchte nichts). Die Situation führt also auf einen deutlichen Konflikt zwischen der in Spanien erwarteten bzw. empfohlenen Verhaltensweise und eigenen Verhaltenspräferenzen hinaus. Das Adjektiv schizophren ist negativ konnotiert und deutet auf eine moralische Bewertung hin. Zudem deutet die Sprechweise E’s auf einen emotionalen Gehalt der Äußerung mit Tendenz zur Entrüstung hin (vgl. rhythmisches Sprechen, Wiederholungen, Akzentuierungen, Gestik, Extremformulierungen: überhaupt nich, keine ahnung, zum Ausdruck von Betroffenheit in dieser Äußerung vgl. 9.3.3).180 180 Christmann/Günthner (1999: 250) arbeiten folgende typische prosodische Merkmale von Entrüstung heraus: rhythmisches Sprechen, dichte Akzentuierung, schnelles Sprechen, stei-
8.3 Verfahren zum Aufzeigen individueller Betroffenheit
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In dem Beispiel wurde deutlich, wie sich an die Darstellung von Problemen in den Gesprächen unmittelbar Ratschläge anschließen können. In diesem Sinne stellt auch die Aufgabe des ‘Aufzeigens individueller Betroffenheit’ die Überleitung von der ‘Darstellung kultureller Prägungen’ (Aufgabe-3) zur ‘Formulierung interkultureller Ratschläge’ (Aufgabe-5) dar. Schaut man sich die Literatur zum Handlungsschema der Beratung an, so werden als grundlegende Aufgaben des Beratens das Anzeigen, die Darstellung, die Analyse und die Bewertung eines Problems genannt (z.B. Nothdurft 1994: Problem-Definition; Kallmeyer 1985: 1. Problempräsentation, 2. Entwicklung einer Problemsicht). Zwar handelt es sich bei den Gesprächen zur Weitergabe kultureller Erfahrungen nicht um klassische Beratungsgespräche (vgl. 9.2.1). Eine explizite Problemdarstellung in den Gesprächen fungiert jedoch in Analogie zum Handlungsschema der Beratungsgespräche als ‘Auslöser’ bzw. Ausgangspunkt für die Formulierung von Ratschlägen. Zusammenfassung: Die Gesprächspartner thematisieren in den Gesprächen also individuelle Betroffenheit, indem sie ihr individuelles Erleben und Emotionen benennen oder beschreiben (z.B. durch die Verwendung emotionsbenennender Verben wie überraschen, wundern oder erlebensbeschreibender Substantive wie umstellung, kulturschock) oder indem sie konkrete Konsequenzen für das eigene Handeln (meist Probleme) darstellen. Die Manifestation von Emotionen und die Problemdarstellung können dabei durchaus zusammenkommen. Das Thematisieren ist das expliziteste Verfahren der Darstellung individueller Betroffenheit. Insbesondere im Zusammenhang mit der Problemdarstellung realisiert es den Übergang von der Darstellung kultureller Prägungen (Aufgabe-3) zur Formulierung interkultureller Ratschläge (Aufgabe-5). 8.3.2 Anzeigen individueller Betroffenheit Die Gesprächspartner implizit in den Gesprächen auch implizit an, dass die Differenzerfahrung für sie mit bestimmten Emotionen und Handlungskonsequenzen verbunden ist. Dies erfolgt insbesondere im Rahmen von Bewertungen. Welche konkrete Funktion besitzen Bewertungen in diesem Kontext? Dass die Kommunikation über Kulturen (fast) immer auch Bewertungen impliziert, wird innerhalb der sozialen Kategorisierungsforschung hervorgehoben (z.B. Kesselheim 2003, Hausendorf 2000a). Hausendorf (2000a) beschreibt dass ‘Bewerten’ als eine zentrale Aufgabe des sozialen Kategorisierens (neben dem ‘Zugend-fallende und/oder fallend-steigende Intonation (Sing-Song-Intonation), veränderte Lautstärke, Wechsel in den unteren oder oberen Bereich des Gesamttonumfangs, Variation der Stimmqualität. Eine weitere Bedingung für Entrüstungssequenzen ist die Verwendung moralisch negativ wertender Begriffe (ebd.: 251).
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8. Aufgabe-4: Individuelle Betroffenheit aufzeigen
ordnen’ und dem ‘Zuschreiben’). In unserem Gesprächen besitzen Bewertungen jedoch eine zusätzliche Funktion im Vergleich zu der ‘reinen’ Kommunikation über Kultur und damit einen anderen Stellenwert. Sie sind nicht nur eine Teilaufgabe des sozialen Kategorisierens, sondern im Zusammenhang der Weitergabe kultureller Erfahrungen sind Bewertungen funktional, das heißt sie dienen (sekundär) der Bearbeitung einer übergeordneten Aufgabe. Sie werden daher als Verfahren des Anzeigens individueller Betroffenheit behandelt. Wie gestaltet sich nun konkret der Zusammenhang zwischen Bewertungen und der Darstellung individueller (emotionaler und handlungsbezogener) Betroffenheit in den Gesprächen? Verschiedene Studien zeigen, dass man davon ausgehen kann, dass die Manifestation von Emotionen und die Bewertung im Gespräch eng zusammenhängen (vgl. z.B. Hausendorf 2000a: 424ff, Fiehler 2001a: 1428-1429). Hausendorf (2000a) zeigt, dass durch Emotionen im Gespräch Bewertungen ausgedrückt werden können (vgl. v.a. das Verfahren des ‘Vorführens von Einstellungen’). Auch Fiehler (2001a: 1428) argumentiert, dass die Manifestation von Emotionen als eine Lösung für die kommunikative Aufgabe der Bewertung im Gespräch aufgefasst werden kann. Inwiefern gilt dies auch umgekehrt? Im Zusammenhang mit der Aufgabe der Darstellung individueller Betroffenheit wird die These aufgestellt, dass in den aufgezeichneten Gesprächen auch umgekehrt durch die Formulierung von Bewertungen Emotionalität und damit individuelle Betroffenheit angezeigt wird. Dies gilt auch für die andere Komponente des Betroffenheitsbegriffs. Durch bestimmte Bewertungen können auch positive oder negative Konsequenzen für das eigene Handeln angedeutet werden. Wenn zum Beispiel ein Gesprächspartner über eine Verhaltensweise der Spanier sagt „das finde ich gut“ oder „die Arbeitsweise ist super“, so zeigt er damit an, dass er positive Emotionen im Zusammenhang mit dieser Verhaltensweise hat und dass sie positive Konsequenzen für sein Handeln mit sich bringt. In einigen Gesprächsausschnitten wird explizit ein Zusammenhang zwischen der (positiven oder negativen) Bewertung und dem Emotionscharakter (z.B. das gute ist, so hab ichs zum Beispiel empfunden, KOLBER Z. 470f) bzw. den Handlungskonsequenzen (z.B. was mich stört manchmal isch eben termine, also termineinhaltung isch ein echtes problem, LOCKER Z. 1121ff) hergestellt. Wie formulieren die Gesprächspartner nun in den Gesprächen Bewertungen, und inwiefern drückt sich darin ihre emotionale oder handlungsbezogene Betroffenheit aus?
8.3 Verfahren zum Aufzeigen individueller Betroffenheit
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Einstellungsprädikate Zum einen realisieren die Gesprächspartner Bewertungen in Form von Einstellungsprädikaten.181 LOCKERHEIT: „termineinhaltung isch ein echtes problem hier” (33:04, Z.1121) 01 02 03
E: was mich stört MANCHmal isch eben dass:: (--) dass (-) terMIne. also terMINeinhaltung isch ein ECHtes proBLEM hier.=e? (--)
Kommentar: E bewertet in dem Gesprächsausschnitt die Terminhaltung der Spanier (vgl. lokale Referenz: hier) negativ mithilfe eines Einstellungsprädikats, das er neutral in der 3.Ps.Sg. formuliert (etwas stört mich statt z.B. ich empfinde etwas als störend). Unmittelbar auf das Einstellungsprädikat folgt eine Bewertung der Verhaltensweise der Spanier als problem. Das Wort problem deutet explizit auf negative Konsequenzen für das eigene Handeln hin und stellt insofern eine Thematisierung individueller Betroffenheit dar.
In dem Gesprächsausschnitt wird die individuelle Betroffenheit des Sprechers durch ein Einstellungsprädikat mit negativer Bewertung angezeigt. Unmittelbar im Anschluss an das Einstellungsprädikat werden explizit negative Konsequenzen für das eigene Handeln thematisiert (termineinhaltisch isch ein echtes problem). Darin deutet sich an, dass sich die Bewertungen in dem Korpus der vorliegenden Arbeit von einfachen Einstellungsbewertungen zum Beispiel in dem Korpus von Hausendorf (2000a) unterscheiden. Bewertungen führen hier sehr häufig zu Beurteilungen der Konsequenzen für das eigene Handeln, die wiederum zur Frage nach dem Umgang mit Problemen überleiten (vgl. Aufgabe-5). Explizit wertende Adjektive (v.a. gut/schlecht) In dem Korpus findet man außerdem viele (sowohl positive als auch negative) explizite Bewertungen konkreter Eigenschaften und Verhaltensweisen der Spanier. Häufig verwenden die Gesprächspartner dazu die klassischen positiv- bzw. negativ-wertenden Adjektive gut und schlecht.
181 Auch Hausendorf (2000a: 419ff) beschreibt Einstellungsprädikate als Formen der Bewertung, und zwar im Rahmen des Mittels der ‘ausdrücklichen Feststellung von Einstellungen’. Beispiele, die er aufführt sind ich bin dem russischen Volk zugetan, was ich gegen wessis habe.
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8. Aufgabe-4: Individuelle Betroffenheit aufzeigen
KOLLEGIALE BERATUNG: „ma bekommt sehr schnell sehr direktes feedback” (21:22, Z.470) 01 02 03 04
E: das GUte is,= =so hab ICH=s jedenfalls empfunden hier,(--) äh (--) ma beKOMMT (---) !SEHR! schnell (-) !SEHR! direktes FEEDback. (---)
Kommentar: E bewertet in diesem Beispiel die (vermeintlich spanische) Verhaltensweise, schnell und direkt Feedback zu geben, positiv. Das Verb empfinden bzw. die Einschränkung so hab ich=s jedenfalls empfunden hier deutet darauf hin, dass ihre Bewertung mit Emotionen zusammenhängt und dass sie ihre Einschätzung als individuell sieht.
In folgendem Beispiel verwendet N das entsprechende negative Adjektiv schlecht. KOLLEGIALE BERATUNG: „man kann auch sehr schlecht planen” (07:49, Z.186) 01 02
N: und man kann auch sehr schlecht (--) PLA:nen, sein=n TAG planen,
Kommentar: N charakterisiert mit dem Adjektiv schlecht nicht direkt eine Eigenschaft oder Verhaltensweise der Spanier, sondern gewissermaßen die Konsequenz, die das Verhalten der Spanier für sein Handeln hat.
Das folgende Beispiel enthält noch einmal eine positive Bewertung einer spanischen Eigenschaft. LOCKERHEIT: „super disziplin in den besprechungen” (33:33, Z.1142) 01 02 03 04
E: aber trotzdem hasch dann nachher (-) e super disziPLIN in den besprechungen. also eine aus MEIner sicht (---) zum TEIL (-) LETZTlich (-) !BES!sere disziplin wie ich des in DEUTSCHland erlebt habe;
Kommentar: E bewertet hier die Disziplin in Besprechungen als super, was eine Steigerung gegenüber dem Adjektiv gut darstellt. Weiterhin verwendet E das Adjektiv gut in komparativer Form, indem er eine vergleichende Bewertung mit Deutschland vornimmt (bessere disziplin). Auch hier wird die Individualität der Bewertung angezeigt (aus meiner sicht, wie ich des in deutschland erlebt habe) und der Zusammenhang zwischen Bewertung und Erleben (Z. 4: erlebt) wird deutlich.
Neben den Adjektiven gut und schlecht verwenden die Gesprächspartner auch differenziertere bewertende Adjektive wie zum Beispiel klasse (ich fin=des klas-
8.3 Verfahren zum Aufzeigen individueller Betroffenheit
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se, die erfahrung da war da schon für mich war da klasse, LOCKER Z. 563 bzw. 1055), erschreckend (meine mitarbeiterin...die hat ne diplomatie des is=äh erschreckend, KOLBER Z. 508ff), netter (dann is des ne nettere art des zu sagen, LOCKER Z. 225) etc. Insgesamt fällt in dem Korpus auf, dass es kaum stark wertende Begriffe enthält (z.B. schrecklich, furchtbar, unerträglich). Dies lässt sich (wie der nur gemäßigte Emotionsausdruck, vgl. 8.3.3) mit dem institutionellen Gesprächskontext erklären, in dem sich die Gesprächspartner offenbar starke Emotionalisierungen vermeiden. Adjektive mit positiven/negativen Konnotationen Man findet in dem Korpus weiterhin Bewertungen konkreter Eigenschaften und Verhaltensweisen durch Adjektive oder Verbalphrasen, die positive oder negative Konnotationen enthalten (z.B. chaotisch, langsam, unfokussiert, können überhaupt nicht mit kritik umgehn vs. freundlich, innovativ, offen etc.). Das folgende Beispiel entstammt wieder dem Ausschnitt der Beispielanalyse in 4.1. KOLLEGIALE BERATUNG: „oberflächlich gesagt chaotischer” (07:10, Z.161) 01 02 03 04 05 06 07
N: ja zum beispiel (.) es is (-) ä:hm: (---) alles sehr viel=ähm (---) oberflächlich gesagt chaOtischer? (--) aber des is so des SCHLAGwort was ma=eben IMMER (--) gebraucht, (--) = =sondern es is (--) äh d’ d’ die LEUte (-) es geht (-) SEHR viel mehr diREKter. ja,=
Kommentar: N charakterisiert die Arbeitsweise in Spanien zunächst als chaotischer, das heißt er verwendet ein Adjektiv mit deutlich negativer Konnotation. Die negative Bewertung nimmt er jedoch gleich wieder mit einer expliziten Relativierung zurück. Solche Einschränkungen machen deutlich, dass negative Bewertungen deutlich dispräferiert sind und offenbar vermieden werden.182 Als alternativen Begriff verwendet N das Adjektiv direkter. Dieses ist nicht prinzipiell negativ konnotiert. Allerdings wird aus dem Gesprächskontext eine leichte negative Bewertung deutlich.
Im folgenden Ausschnitt weist nicht nur ein Adjektiv auf die negative Bewertung hin.
182 Auch Hausendorf (2000a: 421-423) zeigt anhand seines Materials, dass ausdrückliche Feststellungen negativer Einstellungen vermieden bzw. aufwändig abgeschwächt werden. Zum Verfahren der Relativierung vgl. 8.3.1.2).
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8. Aufgabe-4: Individuelle Betroffenheit aufzeigen
LOCKERHEIT: „einfach so langsam” (11:19, Z.247) 01 02 03 04 05 06 07 08
N: aber MANCHmal find ich is=es auch einfach so LANGsam; E: [hm; N: [wenn man sagt HIER wir wollen des jetzt MAchen, , (--) aber DES find ich dann auch manchmal so (--) bisschen UNfokussiert.
Kommentar: N beschreibt das Verhalten der Spanier zunächst als langsam. Im Kontext eines effektiven Arbeitsumfelds ist dieser Begriff sicherlich negativ konnotiert (wenn auch nur schwach). Die folgende Konkretisierung der Aussage stellt eine konkrete Beispielsituation dar. Auf eine negative Bewertung deutet die betonte und gedehnte Stimmqualität sowie die monotone Satzkonstruktion in Z. 4-6 hin (Z. 5-6: