Conditio Judaica 65 Studien und Quellen zur deutsch-jdischen Literatur- und Kulturgeschichte Herausgegeben von Hans Ott...
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Conditio Judaica 65 Studien und Quellen zur deutsch-jdischen Literatur- und Kulturgeschichte Herausgegeben von Hans Otto Horch in Verbindung mit Alfred Bodenheimer, Mark H. Gelber und Jakob Hessing
Martin A. Hainz
Entgçttertes Leid Zur Lyrik Rose Ausl,nders unter Bercksichtigung der Poetologien von Theodor W. Adorno, Peter Szondi und Jacques Derrida
Max Niemeyer Verlag Tbingen 2008
n
Meinen Eltern in Liebe und Dankbarkeit zugeeignet
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://www.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-484-65165-4
ISSN 0941-5866
+ Max Niemeyer Verlag, Tbingen 2008 Ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzul>ssig und strafbar. Das gilt insbesondere fr Vervielf>ltigungen, ?bersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbest>ndigem Papier. Druck und Einband: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten
Inhalt
ERSTER TEIL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Rose Ausländer – grundsätzliche Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Biographische Schlaglichter: Wer war Rose Ausländer? . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Wege der Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 ZWEITER TEIL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Theodor W. Adornos Antwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Instanzen des Nein – Lyotard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 DRITTER TEIL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Szondis Antwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Metapherntheorie und Gedichtstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Poetik der Mehrsprachigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwei Sprünge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersetzungen Rose Ausländers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rose Ausländer als Übersetzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einflüsse und Einschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Czernowitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kleine Literaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65 65 152 162 163 174 189 192 196 201
VIERTER TEIL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jacques Derridas Antwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text im Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 1: als ob . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 2: Anbindung an Nietzsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
209 209 212 230 232
FÜNFTER TEIL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Engführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Engführung mit Adorno . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Engführung mit Szondi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 3: Gadamers Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Engführung mit Derrida . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
319 319 327 341 350 352
RÉSUMÉ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
VI
Inhalt
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schriften Rose Ausländers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachlaß Rose Ausländers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schriften Theodor W. Adornos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schriften Peter Szondis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schriften Jacques Derridas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
399 404 405 408 410 411 414
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461
Erster Teil
Vorwort Auschwitz est aus.1
Ich beginne unvermittelt mit einem Satz, der als Provokation empfunden werden mag, doch meines Erachtens eine präzise Benennung des Problems, mit dem gegenwärtig umzugehen ist, darstellt. Auschwitz ist aus, es ist uns fern, ein Terrain jenseits des Verstehbaren. Jedoch ist, was den Namen Auschwitz trägt, Folge eines Denkens, das alle Vernunft unendlich kompromittiert hat. Was aus ist, wirft einen gewaltigen Schatten. Der Schluß, der zu ziehen ist, wäre, daß Auschwitz gerade darum wie ein unzugänglicher Monolith vor uns liegt, da wir geistige Erben sind, und Auschwitz deshalb aus ist, weil es fortdauert.2 Das Übersehen einer Kontinuität ist Herzstück der Rede von Bewältigung, nach der zugänglich und als Dämon doch gebannt ist, was zu jener Zeit wirkte; was aber auch gegenwärtig wirkt – was machte, so ist zu fragen, machtvoll, wenn nicht der Schein von Absenz? Unsere unendliche Distanz führt zu bedrückender Nähe, so könnte man das Unbehagen pointiert formulieren. Welche Beschreibungen aber der Deformation von Vernunft und Sprache sind denkbar, wenn das Instrumentarium der Untersuchung es ist, dessen Beschädigung so sicher wie undefiniert besteht? Wie ist Zeugnis abzulegen von Unbeschreiblichem und dem Unzureichen des Mediums? Schreiben und Schweigen sind gleichermaßen geradezu Blasphemie, da in beiden Fällen das Scheitern unterschlagen zu werden droht, diffus bleibt, was Anstoß zur Krise sei. Schließlich sollte transparent gemacht werden, wieso die »Behauptung, diese Worte seien irgendwo im Grunde noch dieselben«,3 verlogen und gefährlich ist. Der Intention, dies klar darzulegen, soll diese Arbeit folgen, die den Weg der Interpretation von Adorno bis Derrida beschreitet. Eines der meistbefehdeten und doch schärfsten Instrumentarien, unsere Worte und unser Gedenken zu 1 2 3
Alexis Nouss: Mémoire et survie: une lecture de Paul Celan. In: Études françaises 34 (1998), H. 1, S. 87–104, hier S. 87. Vgl. Michel Serres: Hermes. Übersetzt von Michael Bischoff. Hg. von Günther Rösch. Bd III: Übersetzung. Berlin: Merve 1992, S. 98. Paul Celan: Gesammelte Werke in fünf Bänden. Hg. von Beda Allemann, Stefan Reichert und Rolf Bücher. Bd 3: Gedichte III. Prosa. Reden. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1986 (Suhrkamp-Taschenbuch; 1331), S. 157.
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Erster Teil
sezieren, ist die Lyrik, hier: die Lyrik von Rose Ausländer, die Sprache wie Vernunft Spiegel – »Quecksilbereis«4 – sein soll. Wo das Denken selbst nicht unbeschadet blieb, ist Vorsicht in der Beschreibung geboten – vielleicht ist nur zu leisten, was »une phénoménologie inversée«5 genannt werden kann. Ein Lesen der Phänomene mag unmöglich geworden sein wie die Begründung dieser Konstellation – doch es scheint möglich geblieben zu sein, zu sabotieren und desavouieren, was an diesem Umstand keinerlei Anstoß nehmen will. Zu schreiben sind »Gedichte, die das Geschehen nicht mehr zu benennen, sondern die Wunden an den Wörtern aufzudecken such[t]en«.6 Insofern wird das Dunkel »une condition et un mode d’écriture«,7 wobei zu ergänzen ist, was sich später zeigen wird: Das Dunkel ist nicht allein »absence«.8 Dem Geschehenen, so schreibt Marquard, folgt »Philosophie als prolongierte Schrecksekunde«;9 dann jedoch folgen die Projekte der Sinn-Stiftung, es wird bewältigt oder Bewältigung simuliert. Der Dämon des Guten versucht, was zu versuchen ihm gemäß ist, die Leistung von Distanz. Diese verzweifelte Anstrengung, das Böse auszutreiben, ist freilich zuletzt bloß Verdrängung um jener Reinheit willen, die zu wollen das ausgeschlossene Böse bereits getrieben haben mag. »Ist das nicht nur Terror und Gegenterror«?10 Derlei ist selbst nach dem – vorläufigen – Ende des Konflikts, von dem Burger dies schreibt, eine nicht unplausible Darstellung. Natürlich ist das Desaströse unserer Kultur nicht erst seit Auschwitz wahrzunehmen – wahrnehmbar und zur Wahrnehmung aufgegeben. Und im selben Atemzug ist zu konstatieren, daß wahrhaftige Kunst, über deren Bestand frei4
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Rose Ausländer: Gesammelte Werke in sieben Bänden und einem Nachtragsband mit dem Gesamtregister. Hg. von Helmut Braun. Bd 7: Und preise die kühlende Liebe der Luft. Gedichte 1983–1987. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1988, S. 162. Nouss, Mémoire et survie (Anm. 1), S.94. Amy D. Colin: »Wo die reinsten Worte reifen«. Zur Sprachproblematik deutschjüdischer Holocaust-Lyriker aus der Bukowina. In: Die Bukowina. Studien zu einer versunkenen Literaturlandschaft. Hg. von Dietmar Goltschnigg, Anton Schwob und Gerhard Fuchs. Tübingen: Francke 1990 (Edition Orpheus; 3), S. 225–242, hier S. 228; die Frage einer Heilung der Sprache, wie sie als poetologisches Programm Rose Ausländers diskutiert wird, führt natürlich sogleich in heikle Gefilde ... – vgl. ebd., S. 227f. u. S. 234f. sowie Birgit Schmitz: Die Spur der Leiderfahrung in der Lyrik Rose Ausländers. Magisterarbeit, Bonn 1995, S. 89. Nouss, Mémoire et survie (Anm. 1), S. 96. Ebd., S. 98. Die bei Nouss geleistete Umkehr von »l’absence de lumière« (ebd., S. 102) zu »la lumière de l’absence« (ebd.) erscheint mir darum sehr klug. Odo Marquard: Einwilligung in das Zufällige. In: »... was die Welt im Innersten zusammenhält«. 34 Wege zur Philosophie. Hg. von Christine Hauskeller und Michael Hauskeller. Hamburg: Junius 1996, S. 55–59, hier S. 57; vgl. auch Ruth Wolf: Wandlungen und Verwandlungen. Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts. In: Deutsche Literatur von Frauen. Hg. von Gisela Brinker-Gabler. München: Beck 1988, Bd 2, S. 334–352, hier S. 349. Rudolf Burger: Der Dämon des Guten. In: wespennest, Nr 115, 3. Quartal 1999, S. 19– 23, hier S. 22; der gute Wille ist dem Schlechten in der Kunst bereits nahe (vgl. ebd., S. 20).
Vorwort
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lich zu diskutieren ist, dafür nicht blind sein wollte oder konnte: »Nach der ›Zauberflöte‹ haben ernste und leichte Musik sich nicht mehr zusammenzwingen lassen.«11 Nach einer anderen Datierung, die Adornos Unwillen gegen die »Positivität der Aussage [...] Auschwitz als Grenzsituation«12 und den gesuchten »Schutz bei Texten«13 zeigt, ist es der alte Goethe, der sein »Wort [...] dissonierend noch inmitten des äußersten Überschwangs«14 zum Zeugen erhebt: »Das Unzulängliche, hier wird’s Ereignis, in der Sprache.«15 Längst muß klar sein, daß also das Problem der angemessenen Darstellung – und damit verbunden der angemessenen Trauer – zentral ist, wo Kunst nicht bloß Anästhetikum zu sein gedenkt, sondern gerade Korrektiv dessen wird, woraus sie erwächst, längst auch, daß dies es ist, was Adorno datierte.16 Bohrers Theorie 11
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Theodor W. Adorno: Dissonanzen. Musik in der verwalteten Welt. In: ders., Gesammelte Schriften in zwanzig Bänden. Hg. von Rolf Tiedemann u. a. Bd 14: Dissonanzen. Einleitung in die Musiksoziologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997 (SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft), S. 7–167, hier S. 17; doch auch hier ist »Dissonanz zum Dissonierenden und hat es zur Substanz. Das ist Mozarts Trauer.« – Theodor W. Adorno: Ist die Kunst heiter? In: ders., Noten zur Literatur. Hg. von Rolf Tiedemann. 4. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 355), S. 599–606, hier S. 601; »über die Schatten / ins Mozartlicht« – Rose Ausländer: Gesammelte Werke in sieben Bänden und einem Nachtragsband mit dem Gesamtregister. Hg. von Helmut Braun. Bd 6: Wieder ein Tag aus Glut und Wind. Gedichte 1980–1982. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1986, S. 370. Theodor W. Adorno: Zur Schlußszene des Faust. In: ders., Noten zur Literatur (Anm. 11), S. 129–138, hier S. 129 (Hervorhebung von mir); »Verleugnung, der offizielle Nihilismus« (ebd.). Ebd. Ebd., S. 135. Ebd., S. 131; vgl. Johann Wolfgang von Goethe: Faust-Dichtungen. Faust. Eine Tragödie (Faust I – Faust II). Faust in ursprünglicher Gestalt (Urfaust). Paralipomena. Hg. von Ulrich Gaier. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 1992 (Universal-Bibliothek; 8837 – Jubiläums-Edition), S. 420, V. 12106f. Vgl. etwa Burkhardt Lindner: Was heißt: Nach Auschwitz? Adornos Datum. In: Deutsche Nachkriegsliteratur und der Holocaust. Hg. von Stephan Braese, Holger Gehle und Hanno Loewy. Frankfurt a. M., New York: Campus 1998 (Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts; 6), S. 283–300, hier S. 283 u. S. 297; vgl. zu solcher Datierung allgemein auch Hartmut Böhme: Das Steinerne. Anmerkungen zur Theorie des Erhabenen aus dem Blick des »Menschenfremdesten«. In: Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn. Hg. von Christine Pries. Weinheim: VCH, Acta Humaniora 1989, S. 119–141, hier S. 125f., passim; freilich ist dort noch die Möglichkeit vorausgesetzt, in der ästhetischen »Simulation des Chaos und der Unermeßlichkeit« (ebd., S. 126) das zu beherrschen, was jeweils nicht zu bezeugende Grenzbrüche schuf, wobei an unbeherrschte Natur zuallererst zu denken ist, welche sub-lim erst einer Sprache zugänglich wird ... Als Beispiel wählt Böhme den Stein: Wo »der wilde Stein schön, pittoresk, ja idyllisch wird, ist der Sieg des Menschen vorauszusetzen« (ebd., S. 130). Freilich ist damit die »metamorphisierte Braut« (ebd., S. 134) dessen, der sich einer Stilistik bedienend betrachtet, eine fast getötete: »die letzte Vergeistigung [...] [ist] auch ihr Tod« (ebd., S. 140). Wird dereinst auch vom äußerlichen Datum Adornos so zu sprechen sein?
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Erster Teil
der Trauer etwa schließt nicht an Sachs, Ausländer, Kolmar oder Celan an, sondern an Baudelaire und bereits an Goethe. Dichtung aber ist in der Sprache es allemal, die – durch sie kompromittiert – das Sensorium zur Verfügung stellt, einen Mangel erahnen zu lassen, der vorm Maßstab jenes sich zum Thron bewegenden Denkens »Theorieunfähigkeit«17 sein soll und doch hierin sich nicht erschöpfen will. Wie kann wesentlich sein, wovon ein Wesen anzugeben dem Denken versagt ist? Die Antwort der Lyrik konvergiert dem, was man mit Kant als Hinweis aufs unendliche Urteil zu verstehen hat.18 Das Nichtwesentliche ist offenbar vom Unwesentlichen zu scheiden.19 So bleibt etwas zu denken gerade hier aufgegeben, wo die Sprache vom Datum sich scheinbar entfernt; ist gerade hier, wo oftmals das Gefühl umschreiben soll, was sich als »Unbestimmtheitszone«20 Annäherungen entzieht, situiert, was das schlechte Gewissen der Vernunft, »das erwachte und unruhige Bewußtsein des modernen Wissens«21 sein oder treiben mag. Das Datum – es ist mit Derrida noch als zentrales Problem zu verhandeln – ist Selbstdistanz, was die unvereinbar scheinenden Formulierungen, Rose Ausländers Dichtung eigne »Dinglichkeit«,22 sie sei aber auch datumslos erinnerungsbezogen,23 nachvollziehbar erscheinen läßt: »Die bewältigte Fremdheit schlägt nach innen auf die Formen ihrer Aneignung zurück.«24 17
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Renate Homann: Theorie der Lyrik. Heautonome Autopoiesis als Paradigma der Moderne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999, S. 19. Die Fronten freilich sind so einfach nicht zu ziehen – Lyrik selbst greift in Begrifflichkeiten ein, die wiederum ihr eigen sind – es wird sich hier ein inniges Verhältnis abzeichnen, zumal Theorie selbst »Theoriefetische aufzulösen« sich stets anschicken muß ... (Hartmut Scheible: Theodor W. Adorno. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. 3. Aufl., Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1993 [Rowohlts Monographien; 400], S. 90) Vgl. Immanuel Kant: Werkausgabe in 12 Bänden. Hg. von Wilhelm Weischedel. Bd III/IV: Kritik der reinen Vernunft 1/2. 12. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 55), S. 112f., B 97f., A 72f. Vgl. zum unvergeßlichen Vergessen, das am Nichtwesentlichen die Unwesentlichkeit durchkreuzt, Michel Serres: Le Tiers-Instruit. Paris: Gallimard 1991 (Folio Essais; 199), S. 216, wo auch schon die Gerechtigkeit als Synonym dieses Aktes genannt wird, eines Aktes, der »miséricorde« als Verpflichtung jenseits einer / ohne Vorschrift würdigt. Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie. Hg. von Gretel Adorno und Rolf Tiedemann. 13. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 2), S. 194; vgl. zu Fühlen und Denken auch Günther Anders: Ketzereien. München: Beck 1982, S. 261. Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Übersetzt von Ulrich Köppen. 5. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp (SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft; 96), S. 260; vgl. auch ebd., S. 15f. Karl Krolow: Erinnerte Landschaften. In: Rose Ausländer. Materialien zu Leben und Werk. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1997 (Fischer-Taschenbücher; 6498 – Informationen und Materialien zur Literatur), S. 228– 229, hier S. 229. Karl Krolow: Schreiben ist ein Trieb. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. Juli 1978. Bernhard Waldenfels: Sinnesschwellen. Studien zur Phänomenologie des Fremden 3. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 1397), S. 32.
Vorwort
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Verständlich ist die »Bitte um Verlust der Erinnerung«,25 doch das Ausbleiben dieses Glücks völligen Vergessens Teil der conditio humana, von der großzügig abzusehen Verleugnung bedeutete. Ein gewisses, behutsames Engagement dieser Studie abseits der scheinbar bloß exotischen poetologischen Fragestellungen sollte sich somit abgezeichnet haben. Zu danken habe ich vielen Menschen, die mir mit Rat und Tat zur Seite standen, zuallererst den Betreuern meiner Dissertation, Wendelin Schmidt-Dengler und Karl Wagner, die jederzeit ein offenes Ohr für meine Fragen hatten und mir zugleich alle Freiheiten ließen. Für anregende Gespräche und Hilfe bin ich ich weiters Stella Avni, HansDieter Bahr, Mark Belorussez, Mayotte und Jean Bollack, Helmut Braun, Amy D. Colin, Andrei Corbea-Hoisie, Jean Daive, Wolfgang Emmerich, Georges Ferenczi, Werner Hamacher, Wilhelm Hemecker, Roland Innerhofer, Lydia Koelle, Gaby Köster – fürs Heinrich-Heine-Institut –, Konrad P. Liessmann, Winfried Menninghaus, Herta Müller, Alexis Nouss, Leonard M. Olschner, Klaus Reichert, Petro Rychlo, Ilana Shmueli, Edith Silbermann, Thomas Sparr und vielen anderen zu Dank verpflichtet; er gebührt aber auch meiner geistigen Heimat, der Universität Wien, zumal deren Projektstipendium mir Arbeiten im Umfeld der Dissertation ermöglichte. Eine Form der Verbeugung ist manche Fußnote; das – schmerzliche – Geschenk, nicht zuletzt, sogar zuvörderst durch bestimmte Schriften vielleicht geworden zu sein, was Geoffrey Hartman einen intellektuellen Zeugen26 geheißen hat, soll durch sie gewürdigt werden. Auch sei die familiäre Unterstützung nicht verschwiegen.
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Karl Heinz Bohrer: Der Abschied. Theorie der Trauer: Baudelaire, Goethe, Nietzsche, Benjamin. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag, 2. Auflage, 1997, S. 410. »Dieser Terminus bezeichnet all diejenigen als Zeugen, die mit der ersten Generation noch in Kontakt stehen oder die Shoah nicht als in der Vergangenheit eingeschlossen betrachten, sondern als eine aktuelle Angelegenheit, deren Darstellung einer Intensität bedarf, die der Aussage des Augenzeugen so nahe wie möglich kommt.« Geoffrey Hartman: Intellektuelle Zeugenschaft und die Shoah. Übersetzt von Andrea Dortmann. In: »Niemand zeugt für den Zeugen«. Erinnerungskultur nach der Shoah. Hg. von Ulrich Baer. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2000 (Edition Suhrkamp; 2141), S. 35–52, hier S. 36 (Hervorhebung von mir); vgl. ebd., S. 52. Damit ist der Satz von Nouss, es sei gerade für den Zeugen »Auschwitz [...] aus« (Nouss, Mémoire et survie [Anm. 1], S. 87), in seiner unabschließbaren Beunruhigung sinnvoll geworden. Vgl. zu dieser Versiegelung und jener, die tatsächlich zum barbarischen Resultat zu gelangen sucht, auch Jean-François Lyotard: Vortrag in Wien und Freiburg. Heidegger und »die Juden«. Übersetzt von Clemens Pornschlegel und Werner Rappl. Wien: Passagen Verlag 1990, S. 29f., passim.
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Erster Teil
Rose Ausländer – grundsätzliche Probleme Ehe ich mich daran mache, von Rose Ausländer und ihrer Lyrik zu sprechen, möchte ich von den Problemen sprechen, die sich dem bieten, der sich mit dieser Dichterin ernsthaft beschäftigt. Diese Probleme sind zum einen einfache Hindernisse, zum anderen aber philosophisch-poetologischer Natur, womit man schon mitten in die Deutung selbst gelangt. Zunächst seien die banaleren Hemmnisse angeführt. Rose Ausländers Leben ist wie ihr Werk nicht ausreichend beleuchtet. Zur Vita liegen Studien sowie größere Biographien von Helmut Braun, dessen Verdienste in diesem Gebiet kaum zu überschätzen sind,27 und Cilly Helfrich vor. Die Lücken aber sind groß, die es zu schließen gälte, auch sind einige Geschehnisse im Lebenslauf in ihrer Relevanz sehr schwer zu beurteilen – so wird die Bedeutung von Helios Hecht, einer großen Liebe Rose Ausländers sehr unterschiedlich bewertet. Auch ist die Dichterin, indem sie sich beispielsweise sukzessive jünger machte, denen, die nun ihr Leben aufarbeiten, keine große Hilfe gewesen ...28 Die Gedichte liegen in Editionen vor, mit denen man so ganz nicht glücklich sein kann. Neben einem Auswahlband bei Reclam gibt es Gesamtausgaben, die nicht den Maßstäben philologischer Gründlichkeit entsprechen, zugleich jedoch durch ihren Umfang erschlagend wirken – zumal die Qualität des darin zu findenden Werks stark schwankt.29 Hinzukommt, daß durch die stur chronologische Anordnung nach erstmaligen Versionen zum Teil die Gedichtbände ins Ungreifbare rücken, auf denen die Edition beruht – hier muß freilich gesagt werden, daß deren Komposition oftmals gar nicht durch die Dichterin gestaltet wurde.30 Mittlerweile ist eine historisch-kritische Ausgabe in Sicht oder zumindest geplant, wobei, wie am Rande vermerkt sei, die von der Dichterin verwendete, heute jedoch unübliche Gabelsberger Stenoschrift die Herausgeber gehörig plagen wird.31
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Vgl. etwa Kristina Held: Evas Erbe: Mythenrevision und weibliche Schöpfung in der Lyrik Rose Ausländers. Ann Arbor: UMI Dissertation Services 1997. S. 15f., Anm. Vgl. Helmut Braun: »Ich bin fünftausend Jahre jung«. Rose Ausländer. Zu ihrer Biographie. Stuttgart: Radius-Verlag 1999 (Radius-Bücher), S. 7f. und ders., »Es bleibt noch viel zu sagen«. Zur Biographie von Rose Ausländer. In: Rose Ausländer. Materialien zu Leben und Werk. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1997 (Fischer-Taschenbücher; 6498 – Informationen und Materialien zur Literatur), S. 11–34, hier S. 11. Vgl. Sabine Werner-Birkenbach: »Durch Zeitgeräusch wandern von Stimme zu Stimme ...«. Die Lyrikerin Rose Ausländer. In: German Life and Letters XLV (Oktober 1992), Nr 4, S. 345–357, hier S. 355ff. Vgl. ebd., S. 356; vgl. zur Edition auch Wulf Segebrecht: Rose Ausländer. In: Germanistik 4 (Oktober 1986), S. 933. Vgl. Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (Anm. 28), S. 12 u. S. 187, Anm.
Rose Ausländer – grundsätzliche Probleme
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Ein weiteres Hemmnis ist der Mangel an Publikationen zum Thema – bei Interesse muß man sich nach Köln bemühen, wo manche nicht veröffentlichte Arbeit aufliegt. Vor allem aber stößt, wer hier Literatur recherchiert, auf Rezensionen und andere Zeitungsartikel; deren Qualität ist mäßig und allzu oft ein nostalgisches Schwelgen angesichts der Bukowina, wie es kaum angebracht ist,32 oder nichtssagendes Lob auf die – ewig wiederkehrendes Standardzitat – »schwarze[n] Sappho«.33 In der Tat ist die angesprochene Nostalgie ein Übel für sich. Kaum eine Arbeit erspart dem Leser, auf jene Idylle, »Oase der Völkerverständigung«34 hinzuwiesen, in der es allerdings »für jüdische Schüler und Studenten [...] etwas keineswegs Ungewöhnliches« war, »verprügelt zu werden«35 ... Gong schreibt etwa: Auch hatte Czernowitz, wie Sie vielleicht nicht wissen, eine Universität, an der zu jedem Semesterbeginn die jüdischen Studenten von den rumänischen heroisch 36 verprügelt wurden.
Von einem »Nebeneinander«37 zu sprechen ist also eher zutreffend, sei auch eingestanden, daß Czernowitz »Grenzgängerstadt und ein Zufluchtsort«38 vorm größeren Übel in unmittelbarer Nähe39 war; eine Stadt auch, die bestimmte 32
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Vgl. Winfried Menninghaus: »Czernowitz/Bukowina« als literarischer Topos deutschjüdischer Geschichte und Literatur. In: Merkur 600 (März/April 1999), S. 345–357, hier S. 345ff., vor allem S. 351. Alfred Margul-Sperber: Rede über die Dichterin Rose Scherzer-Ausländer. In: Rose Ausländer (Anm. 28), S. 71–73, hier S. 71. Amy D. Colin: Einleitung. In: Versunkene Dichtung der Bukowina. Eine Anthologie deutschsprachiger Lyrik. Hg. von Amy D. Colin und Alfred Kittner. München: Fink 1994, S. 13–24, hier S. 21. Menninghaus, »Czernowitz/Bukowina« als literarischer Topos deutsch-jüdischer Geschichte und Literatur (Anm. 32), S. 352; vgl. auch Andrei Corbea-Hoisie: Das Bild vom Anderen: Identitäten, Mentalitäten, Mythen und Stereotypen in der Bukowina zur Jahrhundertwende. In: Habsburger Aporien? Geisteshaltungen und Lebenskonzepte in der multinationalen Literatur der Habsburger Monarchie. Hg. von Eva Reichmann. Bielefeld: Aisthesis 1998, S. 41–58, hier S. 41f. – »Die Czernowitzer Juden konnten nie auf eine allzu freundliche Gesinnung der anderen Stadtbewohner bauen.« (Andrei Corbea-Hoisie: Czernowitz. Bilder einer jüdischen Geschichte. In: Czernowitz. Jüdisches Städtebild. Hg. von Andrei Corbea-Hoisie. Frankfurt a. M.: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 1998, S. 7–26, hier S. 18) Alfred Gong: Topographie. In: Das Buch der Ränder – Lyrik. Hg. von Karl-Markus Gauß und Ludwig Hartinger. Klagenfurt u.a.: Wieser 1995, S. 119–120, hier S. 119. Lutz Musner: Czernowitz als Paradigma. Kultureller Pluralismus und Nationalitätenfrage. In: IFK-news 1 (2000), S. 6–7, hier S. 7. Ebd. Auch und vor allem zeitlich zu sehen ist »die heile Welt des Czernowitz vor dem Ersten Weltkrieg [...] rückwärtsgewandt«. Joseph P. Strelka: Die österreichische Exilliteratur seit 1938. In: Geschichte der Literatur in Österreich. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hg. von Herbert Zeman. Bd 7: Das 20. Jahrhundert. Graz: Akademi-
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Ambitionen prägten: Die »deutsch-jüdische Kultur schuf [...] ein spezifisches Binnenmilieu, das sich nach außen hin an den Zentren Berlin und Wien orientierte und im Spannungsfeld von Zentrum und Peripherie gleichermaßen gegen ein Zuspätgekommensein aufbegehrte wie die innovativen Leistungen der kulturellen Zentren im Westen nachzuahmen versuchte«.40 Überspitzt ist die Nichterwähnung von Czernowitz dennoch fast als Qualitätsmerkmal aufzufassen, da nur in wenigen der angestellten Überlegungen die geistige Lebensform, die darunter jeweils verstanden wird, Erkenntnisgewinn einbringen kann.41 In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, daß die Eigenart im Œuvre der Dichterin in der Rezeption vom Blick aufs Thema allein erdrückt wird. Ein österreichischer Essayist mit Lust an der Provokation schrieb, Literatur werde gegenwärtig in der Regel »zu einem Beistelltischchen der Talk-Shows« »degradiert«.42 Es ist dies in der Tat ein Zug, der jedenfalls diesem Werk droht, zumal die Einmütigkeit und Uninspiriertheit endgültig die Differenz zum Gegenstand verschüttet. In Deutschland scheint hierbei das Übermaß an Konsens (Erbauungsliteratur) zu sein, was in Österreich das Schweigen sein mag.43 Nur am Rande sei schon hier festgehalten, daß gerade die erdrückende Tendenz, bestimmte Texte auf die eine oder andere Weise in einer für angemessen gehaltenen Tradition aufgehen zu lassen, was man nicht zuletzt als Ausbleiben des »einsamen Neuanfang(s)« lesen muß,44 auch jene Äußerungen miterklärt,
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sche Druck- und Verlagsanstalt 1999, S. 221–429, hier S. 329; vgl. ebd., passim; vgl. auch Maria Kłańska: Zu Rose Ausländers Ostergedichten. In: »Moderne«, »Spätmoderne« und »Postmoderne« in der österreichischen Literatur. Beiträge des 12. Österreichisch-Polnischen Germanistensymposions Graz 1996. Hg. von Dietmar Goltschnigg, Günther A. Höfler und Bettina Rabelhofer. Wien: Dokumentationsstelle für neuere Literatur 1998 (Zirkular, Sondernummer 51, Mai 1998), S. 101–116, hier S. 103, Anm. Musner, Czernowitz als Paradigma (Anm. 37), S. 7. Vgl. auch Menninghaus, »Czernowitz/Bukowina« als literarischer Topos deutschjüdischer Geschichte und Literatur (Anm. 32), S. 345. Interessant ist nebenbei, daß Czernowitz sozusagen erst nach seinem Untergang erstand ... Vgl. Jean Firges: Den Acheron durchquert ich. Einführung in die Lyrik Paul Celans. Vier Motivkreise der Lyrik Paul Celans: die Reise, der Tod, der Traum, die Melancholie. Tübingen: Stauffenburger 1998 (Ludwigsburger Hochschulschriften; 18), S. 20; vgl. auch Theo Bucks Nachwort Eine leise Stimme zu Weißglas. In: Immanuel Weißglas: Aschenzeit. Gesammelte Gedichte. Aachen: Rimbaud 1994 (Texte aus der Bukowina; 2), S. 138ff. Konrad Paul Liessmann: Verteidigung der Lämmer gegen die Schafe. Ein Spaziergang über die österreichische Literaturweide. In: Deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Wider ihre Verächter. Hg. von Christian Döring. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995 (Edition Suhrkamp; 1938), S. 82–107, hier S. 96. Die Verzerrung durch die Rezeption schildert etwa Sparr, wenn er »die Überhöhung [...] in eine kryptopoetische Sphäre am Werk« (Thomas Sparr: Zeit der Todesfuge. Rezeption der Lyrik von Nelly Sachs und Paul Celan. In: Deutsche Nachkriegsliteratur und der Holocaust [Anm. 16], S. 43–52, hier S. 45) sieht; vgl. ebd., S. 44ff., S. 51, passim. Wilhelm Heinrich Pott: Die Philosophien der Nachkriegsliteratur. In: Literatur in der Bundesrepublik Deutschland bis 1967. Hg. von Ludwig Fischer. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1986 (Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart; 10 – dtv; 4352), S. 263–278, hier S. 265.
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welche Denker wie Adorno zuweilen unmäßig erscheinen läßt, wobei natürlich daran erinnert werden muß, wie wenig ein Maß gestattet, was zu denken aufgegeben ist. »Nach der Nullstunde«45 ist sozusagen nicht geschrieben worden, denn sie war so unmöglich wie unversucht – »Trümmerarbeit statt [...] Trauerarbeit« etablierte,46 woran manches Sprechen nochmals zerbrechen mußte. Ebenso ist zur Zeit die feministische Literaturtheorie in diesem Gebiet etwas überrepräsentiert. Wer als Interpret nur noch sich selbst in Versen sucht und dann auch noch findet, der ist – es überrascht nicht allzusehr – für das blind, was seinen Erwartungen nicht entspricht, jedoch das genuin Poetische am Werk sein mag.47 So sei nicht in Abrede gestellt, daß Gender Studies – wie überall – auch hier notwendig und wichtig sind, doch zugleich betont, daß manche Arbeit letztlich darauf hinausläuft, einen Phallozentrismus durch einen Omphalozentrismus oder Gynozentrismus zu ersetzen,48 der kaum reflektierter, unproblematischer ist als das Übel, das aus der Welt soll. Die spezifische Konstruktion von Weiblichkeit und femininer Körperlichkeit bei Rose Ausländer ist ein Thema, nicht das alleinige – und wäre durchaus nicht nur nachzuvollziehen, sondern auch zu kritisieren, wo Geschlechterrollen in neuen Clichés wiederzukehren drohen, was übrigens eher in der Umschreibung vom Gedicht zur These durch manche(n) Interpret(inn)en geschieht.49 Als Ausnahme sei die Arbeit von Kristensson lobend hervorgehoben. Sie versucht in der Tat zu zeigen, was in der Lyrik der Dichterin als »Dekonstruktion [...] tradierter literarischer Topoi [...] Geschlechterverhältnisse«50 aufdeckt – in der »Femininisie45
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Rose Ausländer: Gesammelte Werke in sieben Bänden und einem Nachtragsband mit dem Gesamtregister. Hg. von Helmut Braun. Bd 8: Jeder Tropfen ein Tag. Gedichte aus dem Nachlaß. Gesamtregister. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1990, S. 169. Pott, Die Philosophien der Nachkriegsliteratur (Anm. 44), S. 265. Vgl. etwa Held, Evas Erbe (Anm. 27), S. 27, wiewohl auch dieser Arbeit die beschriebene Tendenz teils eigen ist ... Vgl. Susanne Schulte: Drei Grundpositionen feministischer Literaturwissenschaft. In: Am Ende der Literaturtheorie? Neun Beiträge zur Einführung und Diskussion. Hg. von Torsten Hitz und Angela Stock. Münster: Lit Verlag 1995 (Zeit und Text; 8), S. 98–114, hier S. 102; vgl. auch Jacques Derrida: Nietzsche – Politik des Eigennamens. Wie man abschafft, wovon man spricht. Übersetzt von Friedrich Kittler. Berlin: Merve 2000 (Internationaler Merve Diskurs; 225), S. 59ff., wo Derrida den Nabel als Zentrum etabliert, das – hierin liegt die Qualität der Passage nicht zuletzt – doch von der Versehrtheit (»die Frau [...] erscheint nie [...], an keiner Stelle der Nabelschnur« – ebd., S. 62; vgl. ebd., S. 59) erzählt ... Vgl. Schulte, Drei Grundpositionen feministischer Literaturwissenschaft (Anm. 48), S. 110; auf die an jener Stelle zitierte Festlegung wird indirekt noch Bezug zu nehmen sein; zu Gender Studies als Widerlegung eines Essentialismus vgl. auch Doris Feldmann / Sabine Schülting: Gender Studies. In: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, Hg. von Ansgar Nünning. Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler 1998, S. 185–187, hier S. 185ff. Jutta Kristensson: Identitätssuche in Rose Ausländers Spätlyrik. Rezeptionsvarianten zur Post-Schoah-Lyrik. Frankfurt a. M. u. a.: Lang 2000 (Beiträge zur Literatur und Literaturwissenschaft des 20. Jahrhunderts; 19), S. 154.
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rung patriarchaler Schöpfungsmythen«.51 Vor allem aber gewährt sie der notwendigen Frage Raum, ob und inwieweit eine bestimmte Fortschreibung von derlei Schemata selbst oder sogar gerade in der »Überhöhung«52 des Prinzips Frau ein subtil Konservatives beinhalte, also mit Theweleit »Unterdrückung durch [...] Entwirklichung«.53 Der Platzmangel des Rose Ausländer-Archivs ist schließlich eine eigene Not; wer sich in Zirkular nach Nachrichten zu Rose Ausländer umsieht, findet nicht zuletzt zahlreiche Hinweise auf Umzüge ...54
Biographische Schlaglichter: Wer war Rose Ausländer? Rose Ausländer wurde 1901 in Czernowitz geboren.55 Es überrascht wenig, daß ihr Name wenigstens einen Grenzfall des Pseudonyms darstellt, der sich aus Beibehaltung des Namens von Ignaz Ausländer nach der Scheidung und einer Verkürzung eines ihrer Vornamen, Rosalie ergibt. Rosalie Beatrice Scherzer wird als »Lückenbüßer«56 geboren – das erste Kind ihrer Eltern, ein Sohn ist kurz vor ihrer Geburt im Alter von 18 Monaten tödlich verunglückt.57 1906 folgt die Geburt eines weiteren Kindes, eines Sohnes.58 Rose Ausländer wird umhegt, in jüdischer Tradition erzogen, muß aber mit 14 Jahren bereits Bekanntschaft mit Krieg und Flucht machen – die »folgenden 54 Jahre ihres Lebens werden von Flucht, Vertreibung und häufigen Ortswechseln geprägt sein«.59 1920 stirbt der Vater, der für Rose Ausländer stets eine zentrale Figur gewesen ist.60 Die Mutter, die von der Lyrikerin schon zuvor ambivalent erlebt wird, drängt die Tochter aufgrund der wirtschaftlichen Lage zur Auswanderung in die USA, was von dieser, die sich um die Liebe ihre Mutter zuletzt in extremer 51 52 53
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Ebd. Vgl. auch etwa ebd., S. 65. Ebd., S. 161, Anm. Klaus Theweleit: Männerphantasien. Bd 1: Frauen, Fluten, Körper, Geschichte. Frankfurt a. M.: Roter Stern 1977, S. 359; vgl. ebd., S. 358ff., passim. Vgl. Kristensson, Identitätssuche in Rose Ausländers Spätlyrik (Anm. 50), S. 161, Anm.; auf Derridas Essay »Die Politik der Freundschaft« und das daran anschließende Buch Politik der Freundschaft ist schon hier hinzuweisen, ich greife diese beiden Texte später auf. Vgl. etwa Zirkular, Nr 25, 1996. Vgl. Cilly Helfrich: Rose Ausländer. Biographie. Zürich, München: Pendo 1998 (Pendo Pocket; 6), S. 44. Ebd., S. 46. Vgl. Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (Anm. 28), S. 7. Vgl. ebd., S. 10. Ebd., S. 15. Vgl. Rainer Hoffmann: Auf einer Luftschaukel. Ausstellung zum Leben Rose Ausländers in Düsseldorf. In: Neue Zürcher Zeitung, Nr 82, 7. April 1995, S. 34. Vgl. Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (Anm. 28), S. 26ff.
Biographische Schlaglichter: Wer war Rose Ausländer?
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Weise bemühen wird61 – Lanser spricht von einer »Nichtabnabelung«62 –, als Verstoßung verstanden wird.63 »Sie erwartet Mutterliebe als einen Impuls, ein Kind an sich zu ziehen [...]; statt dessen wird sie weggestoßen.«64 Es folgen eine Ehe und die Beziehung mit Helios Hecht, der ihre große Liebe gewesen sein dürfte.65 Bei der Rückkehr nach Czernowitz müssen die weiteren Impressionen jenen, die Paul Celan widerfahren und zustoßen, ähneln.66 Bei aller Liberalität bleibt man »der jüdischen Tradition immer verbunden«.67 Die »Wahrung der jüdischen Tradition«68 bedeutet Heimat im Kosmopolitentum des immer schon Vertriebenen, im Falle Rose Ausländers Staatenlosen.69 Ihre erste Publikation als Lyrikerin fällt in eine ungünstige Zeit: »Das Buch einer Jüdin wird in Deutschland nicht mehr zu Kenntnis genommen.«70 Freilich muß man hinzufügen, daß schon zuvor – bedingt durch die sukzessive Rumänisierung nach dem Habsburgischen Ansinnen, »dieses Gebiet zu germanisieren«71 – »deutschschreibende Angehörige einer Minderheit mit kaum vorhandenen Publikationsmöglichkeiten [...] kaum Chancen [hatten], von der binnendeutschen Kritik bemerkt zu werden«72 – sie »veröffentlichten ihre Bände im Eigenverlag und liehen sich, um diese Tatsache zu kaschieren, den Namen der Buchhandlung, die den Vertrieb ihrer Bücher übernahm, oder der Druckerei, die sie herstellte«.73 Ich setze hier eine Zäsur, um der Versuchung nicht zu erliegen, angemessen über das schreiben zu wollen, was die Lyrik einer Rose Ausländer, einer Nelly 61 62 63 64 65 66
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Vgl. ebd., S. 28, S. 42 u. S. 58 zur Rückkehr aus den USA in die Bukowina unter Lebensgefahr. Günter Lanser: Ein ungelebtes dennoch gelebtes Leben. Zum Tode der Dichterin Rose Ausländer. In: Der Literat, Nr 2, 1988. Vgl. Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (Anm. 28), S. 27. Ebd., S. 28. Vgl. ebd., S. 28ff. Freilich divergiert die Wahrnehmung von Czernowitz, da Rose Ausländers Kindheitsstadt verhältnismäßig unversehrt ist. Vgl. Rita Breit: In inständig klaren Bildern. Über die Dichterin Rose Ausländer, die Anfang dieses Jahres im Jüdischen Altersheim in Düsseldorf starb. In: die tageszeitung, Nr 2468, 26. März 1988, S. 9. Israel Chalfen: Paul Celan. Eine Biographie seiner Jugend. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1983 (Suhrkamp-Taschenbuch; 913), S. 34. Helfrich, Rose Ausländer (Anm. 55), S. 50. Vgl. Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (Anm. 28), S. 51. Ebd., S. 54. Vgl. auch Kristensson, Identitätssuche in Rose Ausländers Spätlyrik (Anm. 50), S. 26, passim; und in Czernowitz hat die Romanisierung eingesetzt – vgl. Edith Silbermann: Begegnung mit Paul Celan. Erinnerung und Interpretation. Aachen: Rimbaud 1993, S. 10f.; Rainer Stöckli: Ich verständige mich mit vier Worten. In: Grenzpost am Zürichsee, 12. Okt. 1983. Alfred Kittner: Spätentdeckung einer Literaturlandschaft. Die deutsche Literatur der Bukowina. In: Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur. Hg. von Wilhelm Solms. Marburg: Hitzeroth 1990, S. 181–202, hier S. 198. Ebd., S. 194. Ebd.
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Erster Teil
Sachs und eines Paul Celan zu Grenzphänomenen des Sprechens treibt.74 Erwähnt sei allerdings, daß es in dieser Zeit zur ersten Begegnung von Ausländer und Celan kommt.75 1947 verstirbt die Mutter, was zum psychischen und physischen Zusammenbruch der Tochter führt; dies, weil eine »Einheit unwiederbringlich verloren« ist;76 dies auch, weil sie ihre Mutter in ihrer letzten Stunde nicht begleitet hat, erst hier (und aus diesem Ereignis zu interpretieren, wie Bower es versucht) geht die Dichterin der Muttersprache verlustig.77 Witte liest plausibel noch die Metapher von »schwarzer Milch«78 auf das Verhältnis der Mutter bezogen.79 Ihr ist zunächst das »Dichten in ihrer Muttersprache [...] verwehrt«.80 Die Frage, ob in der Abwendung von der Mördersprache gelöst ist, was mit Adorno noch zu diskutieren bleibt, sei hier beiseite gelassen.81 Die Frage, welchen Einfluß Celan auf das Schaffen Rose Ausländers genommen hat, ist hingegen biographisch ein wenig zu erhellen. Der Grund meines Interesses liegt auf der Hand: Eine Arbeit, die Rose Ausländers Schaffen mit den Konzeptionen Adornos, Szondis und Derridas in Beziehung setzt, muß sich rechtfertigen, denn was auch sonst gilt, wird hier augenfällig – das Wurzeln von Ordnung im Geist des Archivars: »Ohne die Imagination gäbe es keine Ähnlichkeit zwischen den Dingen.«82 74
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Vgl. hierzu neben den Biographien Klaus Werner: Fäden ins Nichts gespannt. In: Wortreiche Landschaft. Deutsche Literatur aus Rumänien – Siebenbürgen, Banat, Bukowina. Ein Überblick vom 12. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Hg. von Renate Florstedt. Leipzig: BlickPunktBuch 1998, S. 128–131, hier S. 130. »Über die erste Begegnung gibt es widersprüchliche Angaben.« (Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« [Anm. 28], S. 68) Ebd., S. 82; zur Einheit Mutter – Heimat – Bukowina vgl. ebd. Vgl. Kathrin Bower: »Aus dem Ärmel der toten Mutter hol ich die Harfe«. Das Echo der Mütterlichkeit in Rose Ausländers Dichtung. In: Jüdischer Almanach 1997/5757 des Leo Baeck Instituts. Hg. von Jakob Hessing. Frankfurt a. M.: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 1996, S. 84–95, hier S. 86. Vgl. auch Kathrin Bower: In the Name of the (M)other? Articulating an Ethics of Memory in the Post-Holocaust Poetry of Nelly Sachs and Rose Ausländer. (Diss.) Winsconsin-Madison 1994, S. 120. Wenig überzeugend ist freilich, was im Anschluß an Bowers bedenkenswerter Akzentuierung über das Schweigen formuliert wird – vgl. Kathrin Bower: Vatertreue/Muttertraum. Die Dialektik der Erbschaft in den Gedichten von Rose Ausländer. In: »Mutterland Wort«. Rose Ausländer 1901–1988. Hg. von der Rose Ausländer-Stiftung. 2. Aufl., Köln: Rose AusländerStiftung 1999 (Schriftenreihe der Rose Ausländer-Stiftung; 7), S. 141–156, hier S. 144. Rose Ausländer: Gesammelte Werke in sieben Bänden und einem Nachtragsband mit dem Gesamtregister. Hg. von Helmut Braun. Bd 1: Die Erde war ein atlasweißes Feld. Gedichte 1927–1956. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1985, S. 66. Vgl. Bernd Witte: Rose Ausländer. In: Kritisches Lexikon zur Gegenwartsliteratur. Hg. von Heinz Ludwig Arnold. München: edition text + kritik 1978ff., 40. Nachlieferung (Stand: 1. Januar 1992), S. 5. Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (Anm. 28), S. 84. Vgl. ebd., S. 85. Foucault, Die Ordnung der Dinge (Anm. 21), S. 104; vgl. ders., Dies ist keine Pfeife. Mit zwei Briefen und vier Zeichnungen von René Magritte. Übersetzt von Walter
Biographische Schlaglichter: Wer war Rose Ausländer?
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Das zwischen den genannten Denkern und der Lyrikerin zu knüpfende Band rührt nicht zuletzt von einer vagen Verbindung her. In Paul Celan, der mit der Lyrikerin bekannt gewesen ist,83 ist eine Brücke vom relativ – von der Philologie – unbeachteten Œuvre der Dichterin zu genialen Ansätzen der Deutung gegeben. Freilich muß dabei bedacht werden, daß Rose Ausländer »sich gern mit Paul Celan zusammen« »nennt«84 und eine Nähe, die für die stilistische Eigenständigkeit, wie etwa Diedrich schreibt, nicht ungefährlich sein mag, sucht85 – also jenes Band, das nicht als verquere Aufwertung86 der Lyrik Rose Ausländers mißverstanden werden sollte, von der Dichterin (auch wegen dieses Mißverständnisses) mitgeflochten worden ist ... Wie ist dieses Band zu beurteilen? Den Anstoß zum entscheidenden Wandel erhält Rose Ausländer von Paul Celan bei einem Treffen im Mai 1957 in Paris. Celan kritisiert vor allem den Endreim und die gebundene Form der Texte, die ihm die Lyrikerin aus der Schaffenszeit zwischen 1940 und 1950 vorgelegt hatte. Daraufhin ändert Rose Ausländer ihren Stil radikal 87 und verwendet nun nahezu keinen Endreim und kein festes Metrum mehr.
So formulierte es Gabriele Köhl 1992 – heute ist man in diesem Punkt bereits vorsichtiger.88 Zwar ist ein Bruch mit Altem in dieser Zeit zu konstatieren: Kein antikisierendes Vokabular findet sich mehr in den Versen der Poetin.89 Personen- und Ortsnamen erscheinen in den Gedichten.90 Die Eindeutigkeit der Syntax wird teils aufgelöst, hypotaktische Strukturen schwinden.91 Festes
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Seitter. Frankfurt a. M., Berlin, Wien: Ullstein 1983 (Ullstein-Buch; 36073 – Ullstein KunstBuch), S. 43, 46 u. 49 sowie Paul de Man: Epistemologie der Metapher. Übersetzt von Werner Hamacher. In: Theorie der Metapher. Hg. von Anselm Haverkamp. 2. Aufl., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1996, S. 414–437, hier S. 430. Vgl. Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (Anm. 28), S. 68ff.; Helfrich, Rose Ausländer (Anm. 55), S. 161ff., passim. Heinz Politzer: Gesänge der Fremdlingin. In: Rose Ausländer (Anm. 28), S. 224– 227, hier S. 226. Waldemar Diedrich: »Doppelspiel«. In: Der Wegweiser (November 1988), S. 32. Zu diesem Phänomen innerhalb der Sekundärliteratur zu Rose Ausländer; vgl. WernerBirkenbach, »Durch Zeitgeräusch wandern von Stimme zu Stimme ...« (Anm. 29), S. 352. Gabriele Köhl: Die Bedeutung der Sprache in der Lyrik Rose Ausländers. Pfaffenweiler: Centaurus-Verlagsgesellschaft 1993 (Reihe Sprach- und Literaturwissenschaft; 32), S. 128, vgl. auch ebd., S. 329f.; vgl. weiters Braun, »Es bleibt noch viel zu sagen« (Anm. 28), S. 25; Kristensson, Identitätssuche in Rose Ausländers Spätlyrik (Anm. 50), S. 21. Vgl. beispielsweise Held, Evas Erbe (Anm. 27), S. 18. Köhl, Die Bedeutung der Sprache in der Lyrik Rose Ausländers (Anm. 87), S. 156. Vgl. ebd., S. 156f. Davor kennt das Œuvre Rose Ausländers nur biblische Namen sowie eine Gestaltung des Orpheusmythos – vgl. Ausländer, Gesammelte Werke (Anm. 78), Bd 1, S. 240 u. 283; Köhl, Die Bedeutung der Sprache in der Lyrik Rose Ausländers (Anm. 87), S. 156, Anm. Vgl. Köhl, Die Bedeutung der Sprache in der Lyrik Rose Ausländers (Anm. 87), S. 211 u. 215.
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Erster Teil
Metrum und Endreim fallen weg und hinterlassen Freiräume, deren Gestaltung im präziseren und nüchterneren Text zudem an Gewicht gewinnt: »Als der Endreim und das feste Metrum, beide sehr auffällige Stilistika der Dichtung, ab 1957 wegfallen, werden die anderen klanglichen Mittel unweigerlich bedeutsamer.«92 Die Treffen jedoch fallen zu dieser Zeit nicht wie jene eines gütigen Lehrers und einer Schülerin aus, was manche Beschreibung suggeriert93 – »Celan reagiert mit Verstörung auf den ›Menschen aus der Heimat‹, kann die Besucherin nur kurz ertragen«.94 Erst bei einem zweiten Treffen kommt es zum Meinungsaustausch. In diesem »empfängt [Rose Ausländer] [...] durch Celan Eindrücke, die sie nachhaltig darin bestärken, ihren neuen Stil konsequent weiterzuentwickeln«.95 Freilich könnte dies auch ein »creative misreading«96 seitens der Dichterin gewesen sein, so mutmaßt Colin. Kurz darauf jedenfalls präsentiert sie ihm »Texte[n], die in den letzten Monaten entstanden sind oder ihre neue Form gefunden haben [...]. Er akzeptiert diese Texte.«97 Allerdings beantwortet er ein Jahr darauf Versuche einer Korrespondenz, wie ich in der Bibliographie unter den Anmerkungen zum Nachlaß genauer schildere, nicht mehr.98 Rose Ausländer akzeptiert sein Schweigen und sucht ihrerseits den Kontakt nicht mehr. Sehr wohl aber verfolgt sie sein Dichten, kauft seine Bücher und bewahrt Zei99 tungsartikel über ihn und sein Werk auf.
»Es geht nicht darum, Rose Ausländer an Paul Celan zu messen. Es gilt, sie aus seinem Schatten herauszuholen«,100 so sei schließlich zu jener Verbindung vermerkt. 1965 erscheint in Wien Rose Ausländers zweiter Gedichtband, Blinder Sommer. Die Kritik akklamiert, was das Publikum ignoriert – 100 Exemplare wer92 93
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Ebd., S. 129; teils ist das feste Metrum schon zuvor nicht mehr gegeben. Vgl. ebd., S. 313. »›Kürzer schreiben mußt du, Rose‹, soll er ihr geraten haben, die noch weitgehend mit gebundenen Reimen arbeitete.« Michael B. Berger: Die Lyrikerin Rose Ausländer wird in Hannover ausgezeichnet. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 10. Mai 1986. »Celan war ihr befreundet, Berater und Vorbild.« Georg Drozdowski: Die Dichterin Rose Ausländer. In: Die Furche 31 (5. August 1977). Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (Anm. 28), S. 94. Ebd. (Hervorhebung von mir). Vgl. Jürgen P. Wallmann: Gespräche mit der Atemzeit. In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 17. Oktober 1978 sowie Breit, In inständig klaren Bildern (Anm. 66). Amy D. Colin: Paul Celan. Holograms of Darkness. Bloomington, Indianapolis: Indiana University Press 1991 (Jewish Literature and Culture), S. 29; vgl. ebd., S. 29ff. Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (Anm. 28), S. 97. Vgl. ebd., S. 98. Ebd., S. 100. Walter Hinck: Viersprachig verbrüderte Lieder. Rose Ausländers gesammelte Werke. In: Rose Ausländer (Anm. 28), S. 240–243, hier S. 243.
Biographische Schlaglichter: Wer war Rose Ausländer?
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den auch aufgrund des hier wenig ambitionierten Verlags verkauft.101 1967 ist im Droste-Preis eine erste medienwirksame Auszeichnung gegeben, »die geeignet ist, der Dichterin die dringend nötige Publizität zu verschaffen«.102 Es folgt ein Rückfall durch Hoffmann & Campe.103 Ende Juli 1971 Die Selbsttötung Paul Celans ist für Rose Ausländer ein Schock. Sie weiß, daß er an Erlebnissen zu Grunde ging, die auch sie immer noch bedrängen. Während er, der eine Generation Jüngere, an der vermeintlichen »Schuld des Überlebens« zerbricht, ist ihr nicht nur das Glück des Überlebens zuteil geworden, sondern auch die Gnade 104 des Weiterlebenkönnens und des Heimischwerdens in ihrer Muttersprache.
Es ist ungemein schwierig, dieses Heimischwerden weder – in einer mir abstrus erscheinenden Sicht – als Defizit Celans noch als »überlebensnotwendige[n] Kälte«105 oder Ausbleiben eines bestimmten Blicks seitens der Dichterin zu lesen: jenes Blicks, »der das Leben nicht mehr versteht, weil er es verstanden hat«.106 Es folgt Ausländers sukzessiver Rückzug ins Schreiben und – damit verbunden – ins Nelly-Sachs-Haus.107 Die Bekanntschaft mit Helmut Braun zu einer Zeit, da von der 74jährigen Dichterin »sicher nicht mehr als 2000 Bücher 101 102 103 104
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Vgl. Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (Anm. 28), S. 110f. Ebd., S. 128. Vgl. ebd., S. 130f. Ebd., S. 140. Vgl. auch Köhl, Die Bedeutung der Sprache in der Lyrik Rose Ausländers (Anm. 87), S. 264f. Die Passage ist auch wegen der Datierung eher obskur, da Celans Tod zu diesem Zeitpunkt über ein Jahr zurückliegt und etwas irreführend unter dem Datum, da Rose Ausländer Edith Silbermann trifft und Celans Tod bespricht, erwähnt wird. Vgl. auch Paul Celan / Franz Wurm: Briefwechsel. Hg. von Barbara Wiedemann und Franz Wurm. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995, S. 243, 250f. u. 303; Silbermann, Begegnung mit Paul Celan (Anm. 70), S. 69; Wolfgang Emmerich: Paul Celan. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1999 (rororo; 50397 – Rowohlt Monographie), S.166f. u. 178. Emmerich, Paul Celan (Anm. 104), S. 168 – in Anlehnung an Theodor W. Adorno: Negative Dialektik. 7. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 113), S. 355f. Peter Szondi: Schriften. Hg. von Jean Bollack u. a. Bd 1: Theorie des modernen Dramas (1880–1950). Versuch über das Tragische. Hölderlin-Studien. Mit einem Traktat über philologische Erkenntnis. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1978 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 219), S. 259; zum Kranken dieses Blicks vgl. auch Hugo Huppert: »Spirituell«. Ein Gespräch mit Paul Celan. In: Paul Celan. Hg. von Werner Hamacher und Winfried Menninghaus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988 (Suhrkamp-Taschenbuch Materialien; 2083), S. 319–324, hier S. 323f. Vgl. Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (Anm. 28), S. 141 u. S. 147; dies nach einem Sturz (auch) aus gesundheitlichen Gründen – denn Rose Ausländer durchreiste zwar Europa, doch: »Deutschland mied sie.« – Braun, »Es bleibt noch viel zu sagen« (Anm. 28), S. 25; vgl. ebd., S. 28f. Vgl. auch Harald Vogel / Michael Gans: Rose Ausländer – Hilde Domin. Gedichtinterpretationen. 2. Aufl., Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren 1997, S. 108.
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Erster Teil
die Leser erreicht«108 haben, der steile Aufstieg,109 der Wechsel vom Literarischen Verlag Braun zu S. Fischer110 und schließlich 1981 der Vertrag für die Gesamtausgabe folgen.111 Letzte Gedichte werden von Rose Ausländer, die an Arthrose leidet, diktiert.112 Es kommen 1981 »komaähnliche Zustände«113 durch eine falsche Medikation hinzu; Folge ist eine etwa einjährige Schaffenspause, ehe die Dichterin »wieder mit ganz einfachen fragmentarischen Atemworten zu schreiben« beginnt.114 Sie wird in dieser Zeit mit Preisen geradezu überhäuft, die sie als Repräsentantin amerikanischer Moderne und »deutsch-jüdischer Literatur zwischen Traditionsanbindung und sprachlichem Experiment« würdigen.115 Zu dieser Zeit jedoch ist Rose Ausländer kaum mehr in der Öffentlichkeit – Ilse Aichinger ist der letzte Besuch, den sie empfängt.116 »Die Dichterin erreicht die totale Isolation.«117 Sie legt allerdings mit Ich spiele noch einen vielbeachteten »absoluten Höhepunkt ihrer Kunst« noch 1987 vor.118 Ein Jahr darauf stirbt Rose Ausländer. Der letzte Band ihrer Gesammelten Werke in 8 Bänden erscheint 1992: »Ein beispielloses lyrisches Werk liegt damit nachvollziehbar vor.«119 Das Verhältnis dieser Dichtung zum Autobiographischen betreffend sei mit Michael Hamburgers Essay »The Poetry of Private Life«, der auch Rose Ausländer eine längere Passage widmet, abschließend vermerkt, daß wohl die Kenntnis des Lebens manches Motiv erhellt, solche Konnexe aber – gerade auch bei dieser Dichterin – nicht über Gebühr zu strapazieren sind: All the phases of her life, from her youth in a part of Europe that was Austrian, then Romanian, then Russian, to the war in which most of her relatives and friends were exterminated, and the years in New York, have left a residue in her poems, though 120 few of them are directly autobiographical.
Ohnehin ist nicht aus der Kontinuität einer Vita zu erfahren, wer dichtet – was dennoch gerne Motiv der biographischen Recherche ist; es ist jedoch der 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120
Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (Anm. 28), S. 151. Vgl. ebd., S. 152ff. Vgl. ebd., S. 162. Vgl. ebd., S. 167. Vgl. ebd., S. 168. Vogel / Gans, Rose Ausländer – Hilde Domin (Anm. 107), S. 45. Ebd. Urkunde zum Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, zit. bei Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (Anm. 28), S. 174. Vgl. ebd., S. 177. Ebd., S. 176. Ebd., S. 179. Ebd., S. 184. Michael Hamburger: The Poetry of Private Life. In: Times Literary Supplement, 7. Oktober 1977, S. 1161–1162, hier S. 1162. Vgl. hierzu auch Johann Holzner: IkarusVariationen. Gedichte von Rose Ausländer. In: Die Bukowina. Studien zu einer versunkenen Literaturlandschaft. Hg. von Dietmar Goltschnigg, Anton Schwob und Gerhard Fuchs. Tübingen: Francke 1990 (Edition Orpheus; 3), S. 265–273, hier S. 266.
Wege der Annäherung
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»wahre Dichter [...] alles, was [...] in seine Gedichte Eingang fand«,121 wobei man den Modus der Aufnahme freilich eingerechnet denken muß. Und erst recht nicht ist jene bange Frage des Verhältnisses zu jenem aus der Erhellung des Lebens zu verstehen, woran sich Lyrik bindet, nämlich einem Ausbleiben im Vollzug von Leben wie Schreiben.122 Wer bin ich wenn ich nicht 123 schreibe? Oder haben wir fremde Tode getrunken und liegen begraben 124 im blutlosen Mond?
Wege der Annäherung Die Frage ist hier und jetzt für mich: Wie soll man sich diesem beachtlichen Œuvre annähern? Mein Versuch besteht, wie ich schon sagte, in seiner Konfrontation mit den Konzeptionen Adornos, Szondis und Derridas. Meine Hoffnung oder These wäre, man könnte in dieser Auslieferung der bislang etwas stiefmütterlich oder wenigstens oft uninspiriert behandelten Dichtung an drei der wichtigsten Theoretiker des 20. Jahrhunderts, in dieser Reizung also die Rose erblühen lassen. Den Ausgangspunkt einer Untersuchung am Wort der Dichterin stellt wie bei fast allen poetologischen Fragestellungen post Auschwitz die Frage dar, was Lyrik nun sein könne, vielleicht sogar, ob Lyrik nun sein dürfe. Adornos Diktum, worin die Ratlosigkeit sich höchst präzise artikuliert findet, ist oft und zuweilen falsch zitiert worden: Nach »Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch«.125 121
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Michael Hamburger: Gedanken zur Identitätsfrage. In: »Wir tragen den Zettelkasten mit den Steckbriefen unserer Freunde«. Acta-Band zum Symposion »Beiträge jüdischer Autoren zur deutschen Literatur seit 1945« (Universität Osnabrück, 2.–5. 6. 1991). Hg. von Jens Stüben, Winfried Woesler und Ernst Loewy. Darmstadt: Häusser 1994, S. 23–30, hier S. 28; vgl. ebd., S. 23. Zur Frage, was das meinen könne, vgl. Adorno, Negative Dialektik (Anm. 105), S. 355f. Rose Ausländer: Gesammelte Werke in sieben Bänden und einem Nachtragsband mit dem Gesamtregister. Hg. von Helmut Braun. Bd 4: Im Aschenregen die Spur deines Namens. Gedichte und Prosa 1976. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1984, S. 162. Vgl. auch Franz Richter: Heimkehr ins Wort. In: Die Furche, 5. September 1984. Ebd., Bd 1 (Anm. 78), S. 156. Theodor W. Adorno: Kulturkritik und Gesellschaft. In: Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft. Hg. von Rolf Tiedemann. 3. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1987 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 178), S. 7–26, hier S. 26.
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Erster Teil
Hinzugesetzt hat Adorno, was den durch die Shoa aufgerissen scheinenden Abgrund negativ bestimmt – unbestimmbar und grundlos zu sein. Nicht zuletzt nämlich ist das Denken allgemein, ob es sich nun versöhnlich oder im Bekenntnis zu Dissonanz Auschwitz nähert, befleckt, es kann die kulturelle Praktik des Gedichts nicht von einem unbeschadeten Punkt der Vernunft aus als angebracht oder unangebracht diskutieren, die Distanz zum Problem nicht leisten, das in seinem Kern wurzelt; das Gewicht von Adornos Nachsatz, einem gewissermaßen bitteren Witz, der oftmals unterschlagen oder vergessen wird126, wohl auch eine treffende dialektische Volte von Neumann – »Schönheit des Grauens« / »Greuel der Schönheit«127 – bestimmt, ist also nicht zu unterschätzen. In der Tat herrscht ohne ihn ein Pathos vor, welches das Tragikomische einer scheiternden Angemessenheit der Rede vergessen macht. Man kann hier auf Nietzsche verweisen, der festhält: Der »Mensch muss von Zeit zu Zeit glauben, zu wissen, warum er existirt, seine Gattung kann nicht gedeihen ohne ein periodisches Zutrauen zu dem Leben! Ohne Glauben an die Vernunft im Leben! Und immer wieder wird von Zeit zu Zeit das menschliche Geschlecht decretiren: ›es giebt Etwas, über das absolut nicht mehr gelacht werden darf!‹«128 Dieser Überlegung schließt er – freilich erst in Jenseits von Gut und Böse – die prägnante Formulierung an: »Niemand lügt soviel als der Entrüstete.«129 126
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Zuletzt beispielsweise in der Nelly Sachs-Kurzinterpretation von Gerhard Schulz: Schönheit und Gewalt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung – Bilder und Zeiten, Nr 302, 28. Dezember 1996, S. IV. Kurios mutet dementsprechend an, was ein anderer Interpret schreibt: »Die Jüdin Rose Ausländer hat den berühmten Satz von Theodor W. Adorno, nach Auschwitz könne man keine Gedichte mehr schreiben, geradezu ins Gegenteil gekehrt.« Günter Krall: »Ich bin mit meinem Wort verlobt«. Rose Ausländer: »Gedichte 1980–1987«. In: Die Rheinpfalz – Ludwigshafener Rundschau, 19. November 1988. Vgl. auch die redlichen Versuche eines Weiterdenkens (verfaßt in Unkenntnis der Selbstproblematisierung von Adornos Satz) bei Walter Gebhard: Von der Thanatologie des Tones zur Zwitschermaschine? Zum Verhältnis von Avantgarde und Postmoderne. In: Avantgarde und Postmoderne. Prozesse struktureller und funktioneller Veränderungen. Hg. von Erika Fischer-Lichte und Klaus Schwind. Tübingen: Stauffenburg 1991 (Stauffenburg Colloquium; 19), S. 45–96, hier S. 66f. Peter Horst Neumann: Zur Lyrik Paul Celans. Eine Einführung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1990 (Kleine Vandenhoeck-Reihe; 1286), S. 99. Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden. Hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München, Berlin, New York: Deutscher Taschenbuch Verlag/de Gruyter 21988 [31993] (dtv; 2221–2235), Bd III, S. 372. Ebd., Bd V, S. 45. Vgl. zur Kategorie des Unangemessenen – es »gibt kein verantwortungsvolles Schreiben nach-Auschwitz-über-Auschwitz«. James R. Watson: Die Auschwitz-Galaxy. Reflexionen zur Aufgabe des Denkens. Übersetzt von Erik Michael Vogt. Wien: Turia + Kant 1998 (Neue amerikanische Philosophie; 2), S. 29; vgl. ebd., S. 78. Vgl. zu Scheitern / Unangemessenheit als Stilprinzipien Peter Bürger: Ursprung des postmodernen Denkens. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2000, S. 151.
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Wer derlei behauptet, rehabilitiert den Witz der Formulierung Adornos, die als Wendung jenes Gedankens gegen sein falsch erhabenes Moment die Legitimität jedweden Denkens durchkreuzt. Man könnte übrigens auch auf Benjamin verweisen, der schrieb: »Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein.«130 Adorno also formuliert seinen Einspruch vollständig derart: Nach »Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frißt auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben«.131 Die Alternative zum Dichten oder zur Philosophie, deren Solidarität zu einer stürzenden Metaphysik sich von metaphysischen Anklängen nicht frei fühlen kann,132 als allzu beredten Formen des Zeugnisablegens ist Schweigen; diese Stille zum Unaussprechlichen aber reduzierte die Rede nur scheinbar um alle Vermessenheit, wenn der Verdacht nicht unberechtigt ist, daß Auschwitz das Denken nicht äußerlich affiziere, sondern der Vernunft als ihr Werk eingeschrieben sei, pointiert formuliert in seiner Irrationalität dem zuzurechnen, was die Vernunft sich selbst zum endlosen Problem und nicht querbaren Terrain werden läßt. Schweigen wäre die makabre Simulation jener Stille, die mit den Opfern allein zu assoziieren ist, denen die Stimme genommen ist. Der Satz Wittgensteins, wonach ein Schweigen zu all jenem – genauer: über all das – geboten sei, wovon »man nicht sprechen kann«,133 ist darum nicht überraschend für Adorno »von einer unbeschreiblichen Vulgarität«134 – das von ihm proklamierte Verstummen zugleich eines, das seiner Widerlegung harrt, seiner Aufhellung, eines Denkens und Schreibens, das nicht verwischte und verdunkelte, sondern eine restlose Konfrontation der Vernunft mit ihrer Unvernunft ermöglichte. Kurios ist, daß Adornos Fehllektüre Wittgensteins, auf 130
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Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte. In: ders., Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann u. a. Bd I: Abhandlungen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 931), Bd I.2, S. 691–704, hier S. 696. Adorno, Kulturkritik und Gesellschaft (Anm. 125), S. 26. Vgl. Adorno, Negative Dialektik (Anm. 105), S. 400. Hierauf ist vor allem mit Derrida einzugehen; er dringt ins Herz dessen, was freilich auch Adorno treibt: Es »kreist [...] wohl eine jede« »Philosophie [...] um den ontologischen Gottesbeweis« (ebd., S. 378). Ludwig Wittgenstein: Werkausgabe. Bd 1: Tractatus logico-philosophicus. Tagebücher 1914–1916. Philosophische Untersuchungen. Hg. von Joachim Schulte u. a. 9. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 501), S. 85, § 7. Theodor W. Adorno: Philosophische Terminologie. Zur Einleitung. Hg. von Rudolf zur Lippe. 7. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 23), Bd 1, S. 56. Vgl. Adorno, Negative Dialektik (Anm. 105), S. 21; vgl. hierzu Herbert Schnädelbach: Wittgenstein über die Philosophie: »Sie läßt alles, wie es ist«. In: Internationale Zeitschrift für Philosophie (1995), H. 2, S. 216–229, hier S. 216ff. sowie Albrecht Wellmer: Endspiele: Die unversöhnliche Moderne. Essays und Vorträge. 2. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 1095), S. 247.
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Erster Teil
die ich noch zu sprechen komme, unter anderen Vorzeichen ihm zuteil wurde. Nicht nur sein Verbot, auch dessen paradoxes Pendant, die Affirmation von Wahrheit in der Kunst wird nur ungern gesehen, etwa von Seel, der die Konvergenz von Wahrheit mit »der Gelungenheit ästhetischer Objekte«135 als Postulat Adornos nicht goutiert, da ihm Gelingen als Plausibilität, nicht aber als Transparenz von Unangemessenheit eingelöst erscheint. Dieser Verschiebung entspricht die Differenz von Erkennen und »Aufgehen[s] im Bekannten«;136 zweifelsohne nämlich ist alles, was bedeutungslos bleibt, ästhetisch verfehlt, doch auch Trivialität »ästhetisch falsch«.137 Wider willen rehabilitiert Seel also die Möglichkeiten des verworfenen Postulats und schreibt zuletzt von der das Andenken übersteigenden Kunst,138 was auch für ihr geschmähtes Schweigen nicht unzutreffend ist; nämlich, daß sie doch einem Sprechen oder Schreiben zugewiesen ist, das »zu denken geben« muß.139 Wenn »Erfahrungen einsetzen mit der Nötigung, sich neu zu besinnen, dann folgt aus dem Willen zur Erfahrung die Bereitschaft, den Sinn aufs Spiel setzen«.140 Wenn überhaupt von Wahrheit zu sprechen ist, so erscheint es doch hier angemessen, wo der Stil die Vernunft zu sich bringt – zur »Überschreitung der Rationalität« sozusagen.141 Dann gilt freilich ein Satz, der von Adorno stammen könnte: »Kunst ist ästhetische Avantgarde.«142 Zu Rose Ausländer wird indes geschrieben: Ob Rose Ausländer mit dem letzten vielzitierten Satz Wittgensteins aus dessen »Tractatus logico-philosophicus« Umgang gepflegt hat? Ihre Dichtung, die diese Stille 143 und diese Musik ausströmt, scheint es zu bestätigen.
Die Frage nach Formalem im weiten Felde der Kunst ist auf der Suche nach der Schrift demgemäß gewichtig, ist doch die Frage nach der Form auch eine Frage nach all dem, was dem in der Frage Ausgeklammerten zuzurechnen zu sein scheint, wenn man einen Satz von Bohrer beherzigt: »Stil ohne Erkenntnisqualität wird zum Kunstgewerbe.«144 135 136 137 138 139 140 141 142 143
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Martin Seel: Die Kunst der Entzweiung. Zum Begriff der ästhetischen Rationalität. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 1337), S. 29. Ebd., S. 267. Ebd., S. 195; vgl. ebd., S. 278f. Vgl. ebd., S. 215. Ebd. Ebd., S. 172. Ebd., S. 321. Ebd., S. 217. Beatrice Eichmann-Leutenegger: Dichtung aus dem Unvertrauten. Zum siebten Band der gesammelten Werke Rose Ausländers. In: Neue Zürcher Zeitung, Nr 256, 3. November 1988, S. 41–42, hier S. 42. Vgl. auch Bower, Vatertreue/Muttertraum (Anm. 77), S. 144 u. S. 154. Karl Heinz Bohrer: Ausfälle gegen die kulturelle Norm. Erkenntnis und Subjektivität – Formen des Essays. In: Literaturmagazin 6. Die Literatur und die Wissenschaften. Hg. von Nicolas Born und Heinz Schlaffer. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1976
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Betrachtungen zur Logik der Formen und dem Stil einer Lyrik sind also nicht Weltflucht und Meiden von Problemen; eine Flucht in den Elfenbeinturm nur im Versuch, den Überlegungen Rechnung zu tragen, welche nicht ohne Grund empfehlen, die sich heute bietenden Probleme der Ethik auch als solche der Ästhetik aufzufassen; der viel gescholtene Elfenbeinturm, den Adorno 1969 in einem Gespräch bekanntlich nicht scheute, ist heute ein Ort, der zwar keinen angemessenen Blick, doch die Frage, wie und ob dieser zu gewinnen sei, gewährt ... Ob man will oder nicht, es gilt: Wer über Rose Ausländer schreibt – vielleicht auch grundlegend: wer schreibt, ohne sich über den Charakter von Schrift zu betrügen –, schreibt ebenso über Auschwitz, präziser: über Oświęcim.145 »Zum besseren Verständnis der dort Werksamen [...] wurde [...] [der] Name verdeutscht.«146 Auschwitz als gewaltsam deformierter Name für einen Ort der gewaltsam deformierten Vernunft ist fremd und doch viel zu vertraut. Die Frage läßt sich auch auf die Ebene der Formel bringen, die bei einer Olympiade der Ideen, deren Name hier unpassend klingt, Tsoclis in Lettre International vorstellte: »Kulturelle Pyramide oder kultureller Vulkan?«147 Gibt es eine Vernunft und Kultur, so sie im nicht schlechtesten Fall vernünftig ist, immanente Logik, die entweder auf ein prinzipielles Scheitern oder aber ein prinzipielles Glücken von Kultur zumindest in der Möglichkeitsform weist? Der Vorzug einer Lyrik und Philosophie, die sich mit der Beschreibung der Annahme befassen, der Vulkan, das Desaster sei es, das am Ende steht, ist leicht zu ersehen; wer die Vorstellung der Pyramide affirmiert, überläßt sich dem Den-
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(das neue buch; 77), S. 15–29, hier S. 19. Vgl. zu Poetischem und Poetologischem in diesem Sinne auch Uwe Japp: Sinnkrise und Sinnverstehen – hermeneutische Probleme mit Valérys Cimetière Marin. In: Text und Applikation. Theologie, Jurisprudenz und Literaturwissenschaft im hermeneutischen Gespräch. Hg. von Manfred Fuhrmann, Hans Robert Jauß und Wolfhart Pannenberg. München: Fink 1981 (Poetik und Hermeneutik; IX), S. 323–340, hier S. 325 passim. Allerdings könnte ein Gegensatz zwischen dem Schreiben aufgrund von und – naiv – über Auschwitz bestehen, da ersteres gerade zweiteres verunmöglicht oder fragwürdig erscheinen läßt. Vgl. auch Hans Ulrich Gumbrecht: Interpretation jenseits ihres Endes? Dekonstruktivistische Celan-Lectüren. In: Kulturlandschaft Bukowina. Studien zur deutschsprachigen Literatur des Buchenlandes nach 1918. Hg. von Andrei Corbea-Hoisie und Michael Astner. Iaşi: Universitatii »Alexandru Ioan Cuza« 1992 (Jassyer Beiträge zur Germanistik; V), S. 102–114, hier S. 114. Peter Weiss: Meine Ortschaft. In: Exil – Asyl. Tatort Deutschland. Texte von 1933 bis heute. Hg. von Henning Müller. Gerlingen: Lambert Schneider 1994 (Serie S), S. 200–211, hier S. 202. Federico Coen u. a.: Olympiade der Ideen. Mehr als hundert Vorschläge zur Preisfrage aus aller Welt. In: Lettre International 39 (Winter 1997), S. 6–14, hier S. 9; hinzugesetzt sei gegen das Plakative des Bilds, daß das Desaströse in Gestalt jener Stille der Pyramide zu kommen vermag, womit das Funktionieren von »Auschwitz [...] ein Gipfel der Zivilisation war« (Dietmar Kamper u. a.: Schuld und Geschichte – aufs Spiel gesetzt. In: Schuld. Hg. von Gerburg Treusch-Dieter, Dietmar Kamper und Bernd Ternes. Tübingen: konkursbuchverlag Claudia Gehrke 1999 [Konkursbuch; 37], S. 21–32, hier S. 22) oder auf einen solchen wies.
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ken als einem, das einmal losgelassen allen Widerstand Schall und Rauch werden läßt, sorglos. Im anderen Falle, im Fall eines grundsätzlichen Mißtrauens gegen das Denken ist es freilich kaum plausibel zu machen, daß die Prämisse der gelingenden Beschreibung die Möglichkeit eines glückenden, gewaltlosen Denkens ist, was das Beschriebene zugleich als Voraussetzung in beträchtliche Ferne rückt. Auszugehen wäre dann von einer Rationalität, zu deren rationalem Charakter es gehörte, sich nicht in ein Bild oder Muster ihrer selbst zu fügen, obgleich eine finale Revision der Verfehlung immer aufgeschoben wäre. Zu denken wäre eine insofern paranoide Vernunft, deren Paranoia man als rationale Schwundstufe einer nicht zu leistenden Transzendenz – »Vergessen der Vernunft (gen. subj.)« / »Vergessen der Vernunft (gen. obj.)«148 – begreifen müßte. Zu denken wäre ein abseits dogmatischer Abbrüche unumgängliches Umschlagen von Metanoia in Paranoia, worin, um es nochmals deutlich zu machen, Paranoia jene Vernunft wäre, die am wenigsten reduzierte – beste aller möglichen Vernunftkulturen. Was, wenn nicht Paranoia, kann es denn sein, was das Nichts – in unserem Denken ein Schweigen? – zum Gegenstand einer Spekulation zu machen drängt? In seiner Monographie des Nichts – vielleicht auch wäre von einer Oudenographie weit eher zu sprechen – schreibt Lütkehaus, ein bestimmtes Denken und Dichten könne zeigen, »wie fragil, wie wenig selbstverständlich, wie gebrochen in ihrer scheinbar [...] tautologischen Selbigkeit [...] [die »Nichts-, die Niemandsrose«] ist«.149 Das Nichts, das von sich nicht zeugt, ist gewissermaßen ein Anderes par excellence; man muß schon von einer »Atopie« sprechen,150 da es nicht an einem unzureichend beschriebenen Ort ist, sondern jedes Koordinatensystem einer begrifflichen Topographie verläßt und unhörbar Lügen strafen muß. Es ginge in der Folge um ein »nichtsiges Nichts«,151 das in seinem Verhältnis zum Sein noch nicht einmal als herausfordernder Mangel interpretatorisch abgetan werden könnte ... »Es sprengt die Seinsordnung so sehr, daß es in keinem Sinn mehr in sie integrierbar ist, ohne ihr auch nur entgegenzustehen.«152 Freilich ist der These, das Nichts könne als Anderes par excellence des Denkens gelten, kurz zu widersprechen, denn es ist ein Anderes, das gedacht als Datierung ohne Seiendes auch das Gegenteil des Anderen darstellt, die so sehr innerliche Struktur, deren Präsenz es wäre. Nichts ist undatierbar, da nichts als undatierbar kenntlich zu werden vermochte – doch nichts (also, was Nichts 148 149 150
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Axel Hutter: Adornos Meditationen zur Metaphysik. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 46 (1998), H. 1, S. 45–65, hier S. 52. Ludger Lütkehaus: Nichts. Abschied vom Sein. Ende der Angst. Zürich: Haffmans Verlag 1999, S. 424. Bernhard Waldenfels: Antwort auf das Fremde. Grundzüge einer responsiven Phänomenologie. In: Der Anspruch des Anderen. Perspektiven phänomenologischer Ethik. Hg. von Bernhard Waldenfels und Iris Därmann. München: Fink 1998 (Übergänge; 32), S. 35–49, hier S. 38. Lütkehaus, Nichts (Anm. 149), S. 742. Vgl. auch die geistreiche Hazadeurs-Ontologie bei Hans Blumenberg: Die Vollzähligkeit der Sterne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997, S. 288 u. 290. Lütkehaus, Nichts (Anm. 149), S. 742.
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entspräche) ist immerhin undatierbar, da ansonsten, was Präsenz Bedingung ist, in den Stand der Wirkung seiner selbst träte, präsent würde. Vor allem von dieser Unmöglichkeit zeugt die Kaskade von Beschwörungen, mit denen Lütkehaus’ Werk schließt: Nichts ist nichts. Nichts entgeht nichts. »Im Nichts« vergeht nichts. Nichts ist nichts. Gar nichts. 153 nichts ...
In der Tat ist einer solchen Überlegung gerecht zu werden, die des der Spekulation Entzogenen als eines gewichtigen obwohl und da grundlosen Einspruchs gedenkt. Die Aufforderung, das Nichts in seine Rechte zu setzen, ergeht so an Vernunft.154 Derlei treibt »jenseits von Sinn und Regel«155 zu einer Verantwortung des Stils – der »Fremdheitsstile«156 –, womit man schon im zerspringenden Herzen des Denkens ist, im Namen, der als Maske vor allem oder sogar nur von unhintergehbarer Not erzählt – es sei »painfully difficult [...] to become an object«157... Immer erweist sich das Datum als eine Art getauftes Nichts, womit freilich schon zu weit gegangen ist. Doch sei aufs Paranoische und seinen Anspruch zurückkommend eingemahnt: Wir erfinden, was wir antworten, nicht aber das, worauf wir antworten und was unserm Reden [...] Gewicht verleiht.158 Der Herkunftsbereich der Antwort ist keine »Eigenheitssphäre«; jede Antwort hat 159 etwas von einem Einfall, der nicht erst kommt, wenn wir ihn rufen. 153
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Ebd., S. 758; Lütkehaus hat in diesem Hintersinn Gründe, Derrida nicht zu erwähnen. Das Positiv zu diesem Poem (?) Lütkehaus’ verspottet Adorno an Hegels rhetorischem Duktus: »Sein, Sein, Sein.« Theodor W. Adorno: Der Begriff der Philosophie. Vorlesung Wintersemester 1951/52. Mitschrift von Kraft Bretschneider. Red. von Christoph Gödde. In: Frankfurter Adorno Blätter II (1993), S. 9–91, hier S. 54. Vgl. Serres, Le Tiers-Instruit (Anm. 19), S. 210. Es geht um eine »connaissance pacifiée« (ebd., S. 206), die sich mit der (durch Derridas Datum noch zu unterwandernden) Opposition »de l’universalité rationnelle et de la singularité douloureuse« (ebd., S. 116) nicht abzufinden gedenkt – die rechte »philosophie n’évite pas le centre ou la périphérie« (ebd.), löst diese Begrifflichkeit der Wunde letztlich auf. Waldenfels, Antwort auf das Fremde (Anm. 150), S. 43. Ebd., S. 38. Jacques Derrida: Logic of the Living Feminine. Übersetzt von Avital Ronell. In: The Derrida Reader. Writing Performances. Hg. von Julian Wolfreys. Edinburgh: Edinburgh University Press 1998, S. 184–195, hier S. 186; vgl. ebd., S. 187 u. 189. Waldenfels, Antwort auf das Fremde (Anm. 150), S. 49; responsabilité als »impératif de la résponse« – Jacques Derrida: Du droit à la philosophie. Paris: Éditions Galilée 1990 (Collection La philosophie en effet), S. 397. Bernhard Waldenfels: Antwortregister. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1994, S. 250.
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Erster Teil Die Verfertigung von Gedanken [...] läßt eine gleichzeitige Inter-aktion und Inter160 passion aufkommen, in der Eigenes und Fremdes sich verflechten.
Zu denken wäre eine Vernunft, der die Logik immanent wäre, daß es unvernünftig wäre, in der ihr immanent scheinenden Logik zu verbleiben, da das Postulat einer solchen Logik, eines solchen Wesens für das nicht zutreffen kann, was als Instanz Basis einer solchen Logik oder eines solchen Wesens ist – nach einem bestimmten Maßstab ist am »Grund [...] das Delirium«.161 Aufgegeben ist, so könnte es gleichfalls formuliert werden, ein Denken, »das auf fremde Ansprüche antwortend sich selbst überrascht«.162 Hierin liegt denn auch ein Motiv fürs prinzipielle Advozieren der Avantgarde seitens Adornos – es soll nicht mehr um die »Aktualisierung eines Musters« gehen,163 wenngleich das Neue zu fordern immer ein Schielen nach einem blinden Fleck ist: »Die Wahrheit des Neuen [...] hat ihren Ort im Intentionslosen.«164 Darum sieht Adorno zugleich das Neue immer Altem, woraus es sich etablieren muß, verschwistert – es bedarf der Tradition, um mit dieser durch ihre konzise gedankliche Fortführung beredt zu brechen, würde sonst im Schein der Aura versinken, deren Schwinden auch auf ein sich klärendes Verhältnis von Autonomie des Formgesetzes und Magie weist. Adorno beschreibt in einem Brief an Benjamin vom 18. März 1936, wie »gerade die äußerste Konsequenz in der Befolgung des [...] Gesetzes von autonomer Kunst diese verändert und sie anstelle der Tabuisierung und Fetischisierung dem Stand der Freiheit [...] annähert«.165 160
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Bernhard Waldenfels: Jenseits des Subjektprinzips. In: Tod des Subjekts? Hg. von Herta Nagl-Dokecal und Helmuth Vetter. Wien, München: Oldenbourg 1987 (Wiener Reihe; 2), S. 78–85, hier S. 82. Gilles Deleuze: Differenz und Wiederholung. Übersetzt von Joseph Vogl. München: Fink 1992, S. 287. Der es denkt, ist gewiß »a drunken rabbi«. Jean-Luc Nancy: Elliptical Sense. Übersetzt von Peter Connor. In: Derrida. A Critical Reader. Hg. von David Wood. Oxford, Cambridge: Blackwell Publishers 1992, S. 36–51, hier S. 40. Zur damit angesprochenen Religiosität vgl. auch Emmanuel Lévinas: Gespräch mit Christian Descamps. Übersetzt von Otto Pfersmann. In: Philosophien. Gespräche. Hg. von Peter Engelmann. Graz, Wien: Böhlau 1985 (Edition Passagen; 6), S. 100– 114, hier S. 113. Derridas wunderbare Verkehrung, nicht er kenne den Talmud, dieser aber vielleicht ihn, verlangte eine breite, hier nicht mögliche Auslegung ... Vgl. Jacques Derrida: Gespräch mit Christian Descamps. Übersetzt von Astrid Wintersberger. In: Philosophien. Gespräche. Hg. von Peter Engelmann. Graz, Wien: Böhlau 1985 (Edition Passagen; 6), S. 51–70, hier S. 54f. Waldenfels, Antwortregister (Anm. 159), S. 636. Vgl. zur Fraglichkeit auch ebd., S. 168. Günter Figal: Absolut modern. Zu Adornos Verständnis von Freiheit und Kunst. In: Mit den Ohren denken. Adornos Philosophie der Musik. Hg. von Richard Klein und Claus-Steffen Mahnkopf. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998 (SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft; 1378), S. 21–36, hier S. 34. Adorno, Ästhetische Theorie (Anm. 20), S. 47. Vgl. Figal, Absolut modern (Anm. 163), S. 30, passim. Theodor W. Adorno: Briefe und Briefwechsel. Hg. vom Theodor W. Adorno Archiv. Bd 1: Theodor W. Adorno und Walter Benjamin: Briefwechsel 1928–1940. Hg.
Wege der Annäherung
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So kann jener Hang zum Neuen – es sei den Blick zur Seite beschließend festgehalten – letztlich nicht als Preisgabe an irrationale Hoffnung gelesen werden.166 Erst die Tangente vom Neuen (scheinbar Magischen) zum Sinn (seiner Genealogie) aber führt zu jener Hermetik, der doch ein »stets erneute Interpretation Begehrende[s]«167 beigesellt ist ... »Über die Dichtung weiß man, daß sie eine ungeteilte, allen angebotene, nicht instrumentelle Sprache erkundet, ein Sprechen, das die Generizität selbst begründet.«168 Nicht unähnlich verhält es sich mit der Philosophie als »Denken des Generischen als solchen«,169 wie Badiou festhält. Philosophie als Praxis in ihr eigenes Prokrustesbett zu zwingen – dies ist zumindest unschicklich; die Frage nach dem Ursprung des Denkens und seinem Wesen beiseite zu lassen jedoch ist nicht minder fatal, zumal solche Bescheidenheit trügt.170 Undenkbarkeit und ein Ausbleiben der Möglichkeit sinnvoller Integration sind wohl zweierlei.171 Jedenfalls zweierlei sind Rettung und Aufatmen heute, da Rettung und Kritik die eingelöste Versöhnung – Aufatmen – tilgen: Schon bei Adorno sind jene »in der spannungsgeladenen Gleichzeitigkeit von auseinanderstrebenden Absichten«172 einander verschwistert, was die Hoffnung in die Differenz versetzt.173 Vom »Klinkerspiel gegen den Tod«174 spricht denn auch Celan, Rose Ausländer legt den schon erwähnten Gedichtband Ich spiele noch vor. In diesem Sinne ist denn auch der Tod in der Sprache nicht lokalisierbar – er ist letztlich die finale Lokalisierung, das Ende aller Plurivozität selbst.175 »Warum soll
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von Henri Lonitz. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1994, S. 170 (Hervorhebung von mir); vgl. ebd., S. 168ff. Beeinsprucht ist damit Benjamins Verständnis vom Echten der Kunst im Verhältnis zur Logizität. Vgl. Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1963 (Edition Suhrkamp; 28), S. 12, passim. Vgl. Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. 22. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1994 (Bibliothek Suhrkamp; 236), S. 298, Aph. 143. Auch empfiehlt sich die Rede von der »abgedungene[n] Untat« (ebd., S. 142, Aph. 72). Ebd. Alain Badiou: Manifest für die Philosophie. Übersetzt von Jadja Wolf und Eric Hoerl. Wien: Turia + Kant 1997, S. 120. Ebd. Vgl. ebd., S. 11ff. Vgl. ebd., S. 12. Alexander García Düttmann: Darf auch ruhig einmal schiefgehen. Metaphysik, öffne dich: Adorno beschwört in seinen Vorlesungen den Mut der Philosophen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr 119, 25. Mai 1998, S. 12. Vgl. Adorno, Negative Dialektik (Anm. 105), S. 374. Vgl. auch Düttmann, Darf auch ruhig einmal schief gehen (Anm. 172), S. 12. Paul Celan: Gesammelte Werke in fünf Bänden. Hg. von Beda Allemann, Stefan Reichert und Rolf Bücher. Bd 2: Gedichte II. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1986 (Suhrkamp-Taschenbuch; 1331), S. 59. Vgl. Jacques Derrida u. a.: Deconstruction in a Nutshell: A Conversation with Jacques Derrida. Hg. von John D. Caputo. New York: Fordham University Press 1997 (Perspectives in Continental Philosophy; 1), S. 158.
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Erster Teil
man dem Zentrum nachtrauern? Ist das Zentrum, das Fehlen des Spiels und der Differenz nicht ein anderer Name für den Tod?«176 Jean-Luc Nancy schreibt: Es ist gewiß weder falsch noch übertrieben zu sagen, daß jede Hervorbringung eines Sinns – eines Sinns, der in diesem Sinne Sinn macht – ein Werk des Todes ist.177 178
Der Tod ist das [...] Verschließen des Sinns. Er ist das Nomen.
Derrida nimmt diese Konstellation an anderer Stelle wieder auf, wenn er formuliert, das Ausbleiben der Wiedererfindung dessen, was immer schon seine Inauguration erfahren hat, sei ein Synonym für das Sterben.179 Serres’ Forderung sei beigefügt: Wir »müssen [...] mit mehreren Sprachen sprechen«.180 Wir »müssen [...] mit mehreren Eingängen«181 schreiben. In diesem Sinne meint schließlich Sloterdijk, den ich vor der Konzentration auf die mit Adornos Namen zu assoziierenden Probleme noch erwähnen möchte: »Die Schlaflosigkeit ist die Dekonstruktion ohne Dekonstruktivisten.«182 Trotz der Eindeutschung ist heute der Name Auschwitz eine Insel im Denken, eine Insel jedoch, die sozusagen unterhalb der Wasserfläche enger mit diesem Denken verwoben sein mag, als es diesem lieb sein kann. Eine Integration des in den deutschen Lagern geschehenen Grauens in sinnvolle Sinn- und Denkstrukturen ist so vergeblich wie das Ansinnen, sich in vordergründiger territorialer Scheidung von jenem maroden und wohl infektiösen Teil der Vernunft zu trennen. Kein Text zu / über / nach Auschwitz ist etwas anderes denn eine »narrative Ruine«,183 als solche und nichts sonst zu lesen; für [...] den theoretischen Schriftsteller Theodor W. Adorno spricht die Wahl eines Ortsnamens, um das Grauen, das bezeichnet werden soll, unverwechselbar zu machen. [...] Mit Auschwitz wird unverwechselbar, sperrig gegenüber jedem rationalisieren176
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Jacques Derrida: Die Schrift und die Differenz. Übersetzt von Rodolphe Gasché und Ulrich Köppen. 6. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1994 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 177), S. 446. Jean-Luc Nancy: Entstehung zur Präsenz. Übersetzt von Oliver Vogel. In: Was heißt »Darstellen«? Hg. von Christiaan L. Hart Nibbrig. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1994 (Edition Suhrkamp; 1696), S. 102–106, hier S. 104. Ebd. Vgl. etwa auch Byung-Chul Han: Todesarten. Philosophische Untersuchungen zum Tod. München: Fink 1998, S. 140ff., passim. »If tomorrow you do not reinvent today’s inauguration, you will be dead.« Derrida u. a., Deconstruction in a Nutshell (Anm. 175), S. 28. Michel Serres: Der Parasit. Übersetzt von Michael Bischoff. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1987 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 677), S. 15. Ebd. Peter Sloterdijk: Der selbstlose Revanchist. Notiz über Cioran. In: Emile M. Cioran: »Cafard«. Originalaufnahmen 1974–1990. Hg. von Thoman Knöfel und Klaus Sander. Köln: c + p supposé 1998, S. 65–73, hier S. 69. Vgl. Rolf Seeliger: Die Vergangenheit hat mich gedichtet. In: tz Bayern, 9. April 1984. Hans Werner Zerrahn: Der Holocaust und die Aporien des Erzählens: Zu Sarah Kofmans Essay Erstickte Worte. In: Das Vergessen(e). Anamnesen des Undarstellbaren. Hg. von Elisabeth Weber und Georg Christoph Tholen. Wien: Turia + Kant 1997, S. 239–257, hier S. 257.
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Wege der Annäherung
den Begriff, pars pro toto das Universum der Konzentrations- und Vernichtungs184 lager bezeichnet. Auschwitz »bezeichnete das, was in der Spekulation keinen Namen hat, das Namen185 lose. Und für die Spekulation das Namenlose schlechthin. 186
In jedem Namen gibt es einen störenden Namen: Auschwitz.
Auschwitz meint eine Krise des Denkens, das zur Katastrophe führen konnte, diese zu fassen oder angemessen zu betrauern nun jedoch nicht imstande ist. Marquard formuliert das sich erst in Konturen zeigende Problem, indem er in unserer Zeit »Philosophie als prolongierte Schrecksekunde«187 umschreibt: »Alle Wege führen nach Auschwitz.«188 Und all diese Wege sind Sühne vereitelnde, da unerkannte Sackgassen.189 Schon vor aller kulturindustriellen Praktik und deren Fragwürdigkeit – die »Todesfuge« etwa wird nicht ganz unberechtigt als »lesebuchzerschlissen[e]« bezeichnet,190 wobei auch an ein Wortspiel Michels zu denken ist, der auf das Verfälschende von Blütenlesen wies; in New York kursiert der bitterböse Witz »there is no business like Shoah-business«191 – sind die Illusionen des künstlerischen Schaffens angetan, das Schwinden von Gedenken zu befördern. 184
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Detlev Claussen: Nach Auschwitz kein Gedicht? In: Impuls und Negativität. Ethik und Ästhetik bei Adorno. Hg. von Gerhard Schweppenhäuser und Mirko Wischke. Hamburg, Berlin: Argument-Verlag 1995 (Argument-Sonderband – N. F.; 229), S. 44–51, hier S. 49; vgl. zu diesem Problemkreis auch Rudolf Burger: Denken und Gedenken. In: Lektüre. Ein Wespennest-Reader zum Welttag des Buches. Hg. von Walter Famler und Bernhard Kraller. Wien: wespennest 1999 (edition wespennest), S. 6–11, hier S. 11. Jean-François Lyotard: Streitgespräche, oder: Sätze bilden nach »Auschwitz«. Übersetzt von Andreas Pribersky und Elisabeth Weber. In: Das Vergessen(e) (Anm. 183), S. 18–50, hier S. 23. Vgl. auch Julie Rivkin und Michael Ryan: The Class of 1968 – Post-Structuralism par lui-même. In: Literary Theory. An Anthology. Hg. von Julie Rivkin und Michael Ryan. Malden, Oxford: Blackwell Publishers 1998, S. 333–357, hier S. 353. Edmond Jabès: Der vorbestimmte Weg. Übersetzt von Monika Rauschenbach. Berlin: Merve 1993 (Internationaler Merve Diskurs; 181), S. 51. Marquard, Einwilligung in das Zufällige (Anm. 9), S. 57. Günther Anders: Besuch im Hades. Auschwitz und Breslau 1966. Nach »Holocaust« 1979. 2. Aufl., München: Beck 1985 (Beck’sche Schwarze Reihe; 202), S. 108. Die Sackgasse als poetologisches Prinzip sieht Winnfried Menninghaus: Paul Celan. Magie der Form. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1980 (Edition Suhrkamp; 1026), S. 33. Otto Lorenz: Paul Celan. In: Kritisches Lexikon zur Gegenwartsliteratur, Bd 2. Hg. von Heinz Ludwig Arnold. München: edition text + kritik 1978ff. – 44. Nachlieferung (Stand: 1. April 1993), S. 10. Vgl. John Felstiner: Paul Celan. Eine Biographie. Übersetzt von Holger Fliessbach. München: Beck 1997, S. 299. Zit. in: Detlev Claussen: Veränderte Vergangenheit. Über das Verschwinden von Ausschwitz. In: Shoa. Formen der Erinneung. Geschichte, Philosophie, Literatur, Kunst. Hg. von Nicolas Berg, Jess Jochimson und Bernd Stiegler. München: Wilhelm Fink Verlag 1996, S. 77–92, hier S.77, vgl. S. 89.
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Erster Teil
Wie aber ist zu schreiben, wenn Sprache und Denken an morbus Auschwitz leidend das Schweigen und das Dichten nicht mehr in jener Umstandslosigkeit möglich sind, die ihnen zuzumuten man einst geneigt war?192
192
»Barbarei der unmittelbaren Größe« – Adorno, Minima Moralia (Anm. 166), S. 163, Aph. 81, vgl. dagegen ebd., S. 240, Aph. 116.
Zweiter Teil
Theodor W. Adornos Antwort Adornos Arbeit ist vielleicht am ehesten »Wider die Systemphilosophie«1 zu betiteln; man könnte auch vom Versuch sprechen, »das Erbe der Dialektik anzutreten, ohne Siegerphantasien zu spinnen«.2 Damit ist der Anspruch gemeint, einerseits nicht autistische Begriffs-Koketterien zu betreiben, andererseits aber ebensowenig der Versuchung zu erliegen, das Andere als theoretisch zu verstehende Instanz gleich in Vermitteltem als unvermittelt gegeben zu sehen – man könnte mit Lyotard von der – versuchten – Rettung der »Ehre des Namens« sprechen.3 Mit welchem Ingrimm Adorno bei aller Eleganz in seinen Werken dieser komplexen Intention vorgeht, läßt ein Pseudonym des Philosophen erahnen: Hektor Rottweiler.4 Auschwitz bestätigt das Philosophem von der reinen Identität als dem Tod.5
Ein Reden jenseits einer sich totalitär gerierenden Vernunft, die aufs Ideal finaler Identität zu verzichten nicht gewillt ist, sucht seinen Ort. Dieser Ort, der freilich nicht zu lokalisieren, ohne Zentrum6 ist, ist vom Fehlen semantischer Kompatibilität7 belebt, hermetisch, eine Negation, die als bleibender Anstoß auch in sich wandelnder Gestalt nicht im Sinn aufzulösen ist. Wo Adorno sich der Lyrik Paul Celans widmet, bedient er sich also jenes Worts, das nicht allein mißverständlich, sondern höchst problematisch zu nennen ist: 1
2
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Olaf Müller: Theodor W. Adorno. In: Philosophie der Gegenwart in Einzeldarstellungen von Adorno bis von Wright. Hg. von Julian Nida-Rümelin. Stuttgart: Kröner 1991 (Kröners Taschenbuchausgabe; 423), S. 1–9, hier S. 3. Peter Sloterdijk: Kritik der zynischen Vernunft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1983 (Edition Suhrkamp; 1099), S. 687. Vgl. auch Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit. München, Wien: Hanser 1994, S. 460, passim. Jean-François Lyotard: Beantwortung der Frage: Was ist postmodern? Übersetzt von Dorothea Schmidt. In: Postmoderne und Dekonstruktion. Texte französischer Philosophen der Gegenwart. Hg. von Peter Engelmann. Stuttgart: Reclam 1990 (Universal-Bibliothek; 8668), S. 33–48, hier S. 48. Vgl. Ulrich Gmünder: Kritische Theorie. Horkheimer, Adorno, Marcuse, Habermas. Stuttgart: Metzler 1985 (Sammlung Metzler; 220), S. 13. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 355. Vgl. Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 446. Vgl. Hans-Dieter Bahr: Die Sprache des Gastes. Eine Metaethik. Leipzig: Reclam 1994 (Reclam-Bibliothek; 1500), S. 362, wo zu einem »Tableau von Worten« (ebd.), zur »Denominalisierung« (ebd.) und noch weiter abgestiegen wird.
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Zweiter Teil
»hermetisch«.8 Hermetisch ist Lyrik, die vor der subtilen Gewalt des Begreifens zurückweicht, in scheinbarer Aggression gegen die Stacheln des Denkens die eigenen Stacheln9 präsentiert; unzugänglich sind die Gedichte somit in »der prästabilierten Niederlage ihres Betrachters«.10 Zweifelsohne besteht das Dilemma der Vereinnahmung jener Reserviertheit – Bürger weist darauf hin, daß die zunächst beachtliche Geste allzu rasch akzeptiert und von Phrasen überdeckt zum zahnlosen Klassiker oder Kuriosum wird.11 Poetische Qualität könnte in diesem Sinne damit begründet werden, daß sich durch eine stete Neuentfachung des Anstoßes immer neue Antworten finden, deren Unstimmigkeit in bezug aufs Werk sich mit der Formulierung von Beschwichtigungen findet, was immer neue Ausgangspunkte und immer neue Verfehlungen produzierte. Denn mit jeder Antwort »ändert sich die Fragerichtung«12 – »die Rechnung [geht] für den Leser nie in einer letzten Antwort auf«13... Bis zu einem gewissen Grad will Kunst das Geschick, Spiel zu sein, das nicht ernst genommen wird, sie läßt sich darauf ein, Unfug und eben nicht Ernst zu sein, wobei sie ernst zu sein gerne vorgibt.14 Hinzuzufügen bleibt, daß selbst ihr Spiel Maskerade ist, da die in ihr gestellten Fragen und vollzogenen Querverbindungen nicht nur ung ehört, sondern auch un erhört sein können. Feststeht aber, daß der Raum von Schweigen, der zunächst etabliert wird, von Belang ist – und dies fordert eine exaktere Umschreibung von Hermetik. Offenkundig folgt die Zurückweisung selbst genau den Regeln, die sie widerlegt. Wenn Hermetik zum Streit anstiftet, Präambel neuer Sichtweisen ist, so muß sie dies doch in zwar kaum zu definierendem, aber unvermindert bestehendem Bezug auf bestimmte Konstruktionen des Verstehens sein. Marquard schreibt: Wenn zwei sich streiten, tun sie dasselbe: sie streiten sich. Und vielleicht tun sie nicht nur dasselbe, vielleicht sind sie auch dasselbe: aber warum streiten sie sich dann? Sie tun es in einem solchen Fall womöglich, um ihre Gemeinsamkeit zu verdecken, [...] der Streit ist manchmal nur die komplizierte Form, eine Identität zu leben.15 8 9 10 11
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Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 475. Vgl. ebd., S. 25. Ebd., S. 184. Vgl. Hans Robert Jauß: Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1982, S. 324, S. 824, passim; Peter Bürger: Theorie der Avantgarde. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1974 (Edition Suhrkamp; 727), S. 71. Jauß, Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik (Anm. 11), S. 432 (Zitat bezogen auf Celan). Ebd. »Kunst kann nur frei sein, weil und solange sie vom Ernst [...] frei ist, d. h. frei gehalten wird und sich selber frei hält. Sie mag mit diesem Ernst spielen, [...] aber auch das gehört zum Spiel.« – Rudolf Burger: Über den Begriff des Kulturellen und die Freiheit der Kunst. Eine Elementarbetrachtung. In: wespennest 111 (1998), S. 92–98, hier S. 96; vgl. auch ebd., S. 97, Anm. Odo Marquard: Über positive und negative Philosophien. Analytiken und Dialektiken, Beamte und Ironiker und einige damit zusammenhängende Gegenstände. In: Positio-
Theodor W. Adornos Antwort
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Die Formulierungskunst des Philosophen mag den Ernst des kultivierten Streits verdecken und versöhnlich erscheinen lassen, was unversöhnlich ist – doch die Widmung »Ganz und gar nicht hermetisch«16 von Paul Celan läßt derlei Vereinfachung nicht zu. Der ohne Zweifel es sich mit den hier zu diskutierenden Problemen nicht leicht machende Dichter betont mehrfach, nicht dunkel, unverständlich, der Wirklichkeit verschlossen zu dichten.17 »Lesen Sie [...], das Verständnis kommt von selbst.«18
Offenkundig bedarf die »Abgeschlossenheit«19 als zentrale These Adornos im knappen Material zur Thematik einer Lyrik wie der hier zu verstehen aufgegebenen – statt des geplanten Essays zu Sprachgitter und Engführung stehen dem Leser bedauerlicherweise nur wenige Seiten aus Adornos letzter Schrift zur Verfügung,20 auch besteht nur bedingt Anlaß zur Hoffnung, in Adornos Nachlaß noch weitere Schlüsse erlaubendes Material zum Thema zu finden21 – einer genauen Erkundung der Bedeutung sowie der daran geknüpften Implikationen, ist doch das Urteil von Janz, Adorno sei Celan ein »kongeniale[r] Interpret[en]«,22 wie die Vermutung, es gebe Korrespondenzen in den Werken von Rose Ausländer und Paul Celan, durchaus nicht unbegründet.
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nen der Negativität. Hg. von Harald Weinrich. München: Fink 1975 (Poetik und Hermeneutik; VI), S. 177–199, hier S. 177. Vgl. Adorno, Der Begriff der Philosophie (wie Kap. 1, Anm. 153), S. 74. Paul Celan in Michael Hamburgers Widmungsexemplar; zit. in Uta Werner: Das Grab im Text. Paul Celans Lyrik im Imaginationsraum der Geologie. In: Shoa. Formen der Erinnerung. Geschichte, Philosophie, Literatur, Kunst. Hg. von Nicolas Berg, Jess Jochimson und Bernd Stiegler. München: Fink 1996, S. 159–182, hier S. 159. Vgl. z. B. Jean Bollack: Voraussetzungen zum Verständnis der Sprache Paul Celans. Übersetzt von Christiane Bohrer und Jean Bollack. In: Paul Celan: »Atemwende«. Materialien. Hg. von Gerhard Buhr und Roland Reuß. Würzburg: Königshausen & Neumann 1991, S. 319–343, hier S. 340; Gerhart Baumann: Erinnerungen an Paul Celan. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992 (Suhrkamp-Taschenbuch; 1985), S. 83ff. Chalfen, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 67), S. 7; hinzugesetzt sei, daß Celan den Kommentar dann doch durchaus nicht verweigerte, solange die noch zu bedenkende Differenz von derlei Anmerkungen zur Interpretation gesehen wurde – Gespräch mit Klaus Reichert, 1. Juli 2000. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 475. Vgl. Marlies Janz: Vom Engagement absoluter Poesie. Zur Lyrik und Ästhetik Paul Celans. Frankfurt a. M.: Syndikat 1976, S. 222. Adornos Exemplar von Sprachgitter weist zwar »zahlreiche Annotationen auf« (Rolf Tiedemann: Editorische Nachbemerkung. In: Theodor W. Adorno: Noten zur Literatur. Hg. von Rolf Tiedemann. 4. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989 [SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft; 355], S. 695–708, hier S.700), doch unterblieb eine »Niederschrift« (ebd.). Vgl. auch Holger Mathias Briel: Adorno und Derrida. Oder Wo Liegt Das Ende Der Moderne? New York, Berlin u. a.: Lang 1993 (American University Studies; Ser. 1: Germanic Languages and Literature; 102), S. 90. Janz, Vom Engagement absoluter Poesie (Anm. 20), S. 8.
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Zweiter Teil
Den »hermetischen Charakter der Kunst«23 setzt Adorno prinzipiell als gegen ein totales Begreifen dessen gewandt, was begriffen sich zum Zerrbild des Begehrten wandelte; die Not der korrumpierten Vernunft wird in der »Tugend des Hermetismus«24 abgefangen. Die hermetischen Werke [...] heben [...] das Moment der Hinfälligkeit an ihrem Gehalt hervor.25
Mit Menke wäre dies die »Nichtaussagbarkeit [...] ästhetischer Zeichen«26 zu nennen; »was sie bedeuten, [ist] nicht ihr Essentielles«.27 Dementsprechend gilt: Kunstwerke, die der Betrachtung und dem Gedanken ohne Rest aufgehen, sind keine.28
Dies bezeichnet zugleich auch schon die Provokation, die an Kunstwerken empfunden wird – Rätsel wollen für gewöhnlich gelöst sein: Daß ein Text hermetisch sei, zieht zugleich die Forderung nach sich, ihn zu entschlüsseln, genauer: ihm die Hermetik zu nehmen.29
Genau diese Lösung aber bleibt – mag auch das Rätsel auf den Rat verweisen30 – vorenthalten, was ein nicht geringes Unbehagen bedeutet, und die Kunst selbst Rätsel, der »Anspruch liegt fern, das Rätsel zu lösen. / Zur Aufgabe steht, das Rätsel zu sehen.«31 Schurz’ Bestimmung des philosophischen Werks 23 24
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Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 115. Karl Markus Michel: Abschied von der Moderne? Eine Komödie. In: ders., Von Eulen, Engeln und Sirenen. Frankfurt a. M.: Athenäum 1988, S. 484–521, hier S. 496. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 159f. Christoph Menke: Die Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 958), S. 101. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 192. Ebd., S. 184. Vgl. auch George Steiner: Der Garten des Archimedes. Essays. Übersetzt von Michael Müller. München, Wien: Hanser 1997 (Edition Akzente), S. 58. Thomas Sparr: Celans Poetik des hermetischen Gedichts. Heidelberg: Winter Universitätsverlag 1989 (Probleme der Dichtung; 21), S. 14. Vgl. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 193; Claudia Rademacher: Schön und gut! Zur Dialektik von ethischer und ästhetischer Erfahrung in Adornos essayistischer Philosophie. In: Impuls und Negativität. Ethik und Ästhetik bei Adorno. Hg. von Gerhard Schweppenhäuser und Mirko Wischke. Hamburg, Berlin: Argument-Verlag 1995 (ArgumentSonderband; N. F. AS 229), S. 52–65, hier S.59, passim. Vgl. Erhart Kästner: Rede für Paul Celan bei Verleihung des Bremer Literaturpreises. In: Über Paul Celan. Hg. von Dietlind Meinecke. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1970 (Edition Suhrkamp), S. 35–42, hier S. 39. Zur Kritik Kästners vgl. Otto Pöggeler: Lyrik als Sprache unserer Zeit? Paul Celans Gedichtbände. Opladen, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 1998 (Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften; G 354), S. 32f. Martin Heidegger: Der Ursprung des Kunstwerkes. Mit einer Einführung von HansGeorg Gadamer. Stuttgart: Reclam 1960 (Universal-Bibliothek; 8446), S. 83; der
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Adornos »als Manifest gegen erzwungene Versöhnungen«,32 erlogene Konsonanzen, wie man an seine Terminologie anschließend sagen könnte, ist nicht die schlechteste. Adorno assoziiert mit der Vorenthaltung der Interpretierbarkeit den »Todestrieb der Details«,33 deren Bestehen wider den Sinn des Ganzen dessen Idee und Gehalt gefährdet, in Einzelheit, was darauf weist, daß der Todestrieb »nicht nur anarchisch, anarchontisch [...], kein Prinzip ist«,34 zersplittern läßt: Ist die Synthesis nicht länger eine von etwas, so wird sie nichtig.35
Der somit bestehende »Rätselcharakter«,36 der Kunstwerke nach Adorno also auszeichnet, eröffnet auch diese zweite Seite der verschlossenen Dichtung: die »Fragegestalt«,37 die eine Art von Sinn erwarten läßt. Dieser Sinn aber ist dem Bild des »Kaleidoskop[s]«38 vergleichbar – er ist nicht statisch, obschon »die Dimension des Verlaufs«39 eine vielleicht voreilige Benennung ist. Die gescholtene Unverständlichkeit der hermetischen Kunstwerke ist das Bekenntnis des Rätselcharakters aller Kunst.40
Also opponieren Werke, die Adorno als unzugänglich bestimmt, nicht der Sinnhaftigkeit, sondern simpler Univozität: Erkenntnis hat keinen ihrer Gegenstände ganz inne.41
Diesen Umstand verschärft Kunst, macht ihn als Fremdheit fühlbar, läßt ein unendliches Feld unausgeschöpfter Deutung spüren, weshalb »es nicht die Aufgabe einer philosophischen Interpretation von Kunstwerken sein [kann], ihre Identität mit dem Begriff herzustellen, sie in diesem aufzuzehren«.42 Mit »ge-
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Adornianern kaum zuzumutende Blick aufs Œuvre Heideggers ist hier – trotz allen Unbehagens – zu rechtfertigen. Vgl. Theodor W. Adorno: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1967 (Edition Suhrkamp; 201), S. 184; vgl. ferner Volker Kaiser: Das Echo jeder Verschattung. Figur und Reflexion bei Rilke, Benn und Celan. Wien: Passagen 1993 (Passagen Literatur), S. 14. Robert Schurz: Negative Hermeneutik. Zur sozialen Anthropologie des NichtVerstehens. Opladen: Westdeutscher Verlag 1995, S. 61. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 450. Jacques Derrida: Dem Archiv verschrieben. Eine Freudsche Impression. Übersetzt von Hans-Dieter Grondek und Hans Naumann. Berlin: Brinkmann & Bose 1997, S. 23. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 450. Ebd., S. 184. Ebd. Menke, Die Souveränität der Kunst (Anm. 26), S. 142. Ebd. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 186. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 25. Ebd.
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fälltem Visier«43 verschließt sich Lyrik wider Willen, aus Notwendigkeit vor illegitimer Ausschöpfung und Bemächtigung, da jedwede Legitimation von Interpretation an einen Himmel, der nicht in »Trümmern«44 liegt, geknüpft wäre. Die Verweigerung »formaler Konzilianz«,45 ein »Abgebrochensein«46 sind also wesentlich, auch wenn mit Szondi zugleich zu bemerken sein wird, wie sehr formal vollendete Kunst gebraucht werde, wo es um Authentizität geht;47 die aus der inneren Logik der Werke erstehenden »objektiv verbindliche[n] Verbote«,48 die sich zur Verunmöglichung »ungeschmälerte[r] Einheit«49 formieren, verdienen Beachtung, während klare Gehalte sich als verfügt verraten.50 So präzisiert Adorno, was Hermetik meine: Celans Gedichte wollen das äußerste Entsetzen durch Verschweigen sagen.51 Als der Beredte sich entschuldigte Daß seine Stimme versage Trat das Schweigen vor den Richtertisch Nahm das Tuch vom Antlitz und Gab sich zu erkennen als Zeuge.52
Das Entsetzen wird zum Sediment, prägt das mehr oder minder offene Zeichen, das nicht länger eindeutiger Verweise mächtig sein kann,53 prägt die Gestalt, »die Form, die [...] selber sedimentierter Inhalt ist«.54 Läßt sich derlei auch von Rose Ausländer behaupten? In einem böswilligen und darum hier nur en passant angeführten Sinn gilt es zunächst für das Früh43
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Paul Celan: Gesammelte Werke in fünf Bänden. Hg. von Beda Allemann, Stefan Reichert und Rolf Bücher. Bd 1: Gedichte I. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1986 (SuhrkampTaschenbuch; 1331), S. 11. Ebd. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 218. Ebd., S. 191. Durchaus mit polemischem Unterton gegen die bittere Erkenntnis, die er nichtsdestotrotz zur Kenntnis nimmt, formuliert Szondi: »das Konzessive wird gleichsam zur Kausalität« – Peter Szondi: Studienausgabe der Vorlesungen. Hg. von Jean Bollack u. a. Bd 2: Poetik und Geschichtsphilosophie I. Antike und Moderne in der Ästhetik der Goethezeit. Hegels Lehre von der Dichtung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1974 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 40), S. 45. Er findet in der Folge zur Disund Konjunktion »obwohl (oder eben: weil)« – ebd. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 456. Ebd., S. 160. Vgl. ebd., S. 430 – »Gestaltung heißt Nichtgestalt« (ebd.). Ebd., S. 477. Bertolt Brecht: Die Gedichte. Hg. von Elisabeth Hauptmann u. a. 8. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995, S. 503. Vgl. Günter Figal: Gibt es hermetische Gedichte? Ein Versuch, die Lyrik Paul Celans zu charakterisieren. In: Paul Celan: »Atemwende«. Materialien. Hg. von Gerhard Buhr und Roland Reuß. Würzburg: Königshausen & Neumann 1991, S. 301–310, hier S. 301. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 217.
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werk, sofern von einem solchen gesprochen werden kann, entdeckt doch die Lyrikerin die Dichtung als ihren Lebensweg – »Schreiben war Leben«55 – verhältnismäßig spät.56 Glenn umschreibt die ersten bekannten Gehversuche als »quite traditional in form and content«.57 Mit dem Hereinbrechen dessen, was die Verse eines Celan und einer Ausländer erst erahnen lassen, bleibt die Form vorerst eine unreflektiert übernommene. Die Krise in Leben, Kultur und Denken zeitigt keine Spuren im Sinne einer Krise der Form, deren etwas anachronistischer Charakter durch den alsbald ganz und gar nicht konventionellen Inhalt umso stärker auffällt. Eine spätromantische Poesie taumelt durch eine Welt, die sich in dieser Weise kaum beschreiben lässt.58 Just das, was später Dichtung neue Form abnötigt, lässt dabei Formales zunächst auch sekundär erscheinen.59 In diesem Sinne ergäbe sich die Qualität der Lyrik gewissermaßen unter der Hand des Lesers, erstünde in einer kritischen Interpretation, die das Versagen zum Kalkül erhöbe. Das Grauen wäre in der Inkongruenz von Endreim und Endlösung aufzuspüren. 55
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Rose Ausländer: Gesammelte Werke in sieben Bänden und einem Nachtragsband mit dem Gesamtregister. Hg. von Helmut Braun. Bd 3: Hügel aus Äther unwiderruflich. Gedichte und Prosa 1966–1975. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1984, S. 286. Zwar sieht die Lyrikerin Dichtung bald als ihr »Lebenselement« an (ebd., S. 285), es kommt jedoch spät zu Veröffentlichungen. Vgl. Helfrich, Rose Ausländer (wie Kap. 1, Anm. 55), S. 156ff. u. S. 357; Braun, »Es bleibt noch viel zu sagen« (wie Kap. 1, Anm. 28), S. 14ff. Jerry Glenn: Blumenworte / Kriegsgestammel: The Poetry of Rose Ausländer. In: Modern Austrian Literature 12 (1979), No. 3/4, S. 127–146, hier S. 128. Zur spätromantischen Poetik der jungen Rose Ausländer vgl. Jürgen P. Wallmann: Rose Ausländer. Zu Leben und Werk. In: »Wir tragen den Zettelkasten mit den Steckbriefen unserer Freunde«. Acta-Band zum Symposion »Beiträge jüdischer Autoren zur deutschen Literatur seit 1945« (Universität Osnabrück, 2.–5. 6. 1991). Hg. von Jens Stüben, Winfried Woesler und Ernst Loewy. Darmstadt: Häusser 1994, S. 260–279, hier S. 276; Jürgen P. Wallmann: [Rez.] Rose Ausländer: Gesammelte Werke in sieben Bänden. In: Literatur und Kritik (September/Oktober 1984), H. 187/188, S. 432–434, hier S. 432; Amy D. Colin: Ausländer. In: Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Hg. von Israel Gutman u. a. 2. Aufl., München, Zürich: Piper 1998 (Serie Piper), S. 129; Witte, Rose Ausländer (wie Kap. 1, Anm. 79), S. 2 u. S. 4f.; Klaus Weißenberger: Rose Ausländer. In: Critical Survey of Poetry – Supplement. Hg. von Frank N. Magill. Pasadena: Salem Press 1987, S. 15–21, hier S. 19; Carola Opitz-Wiemers: Ausländer, Rose. In: Metzler Autorinnen Lexikon. Hg. von Ute Hechtfischer u. a. Stuttgart, Weimar: Metzler 1998, S. 28–29, hier S. 29. Kritisch hierzu Motzan, der schreibt: Die »poetischen Heimstätten erwiesen sich angesichts der heraufziehenden Katastrophen als fragwürdig.« – Peter Motzan: Die vielen Wege in den Abschied. Die deutsche(n) Literatur(en) in Rumänien (1919–1989). In: Wortreiche Landschaft. Deutsche Literatur aus Rumänien – Siebenbürgen, Banat, Bukowina. Ein Überblick vom 12. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Hg. von Renate Florstedt. Leipzig: BlickPunktBuch 1998, S. 108–116, hier S. 110 (Hervorhebung von mir). Vgl. Witte, Rose Ausländer (wie Kap. 1, Anm. 79), S. 6.
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Jüngst hat Lehmann die These riskiert, bis zu einem gewissen Grade bleibe Rose Ausländer poetologisch obsolet. Gerade der Zug, bis zuletzt »die allzeit latente Negativität und Trauer wortreich zu verdrängen«,60 zeichne die »Gedichte mit ihrer Vielfalt an oberflächlichen Impressionen« aus.61 So interessant und lesenswert die poetologischen Vorspiele Lehmanns auch sind, diese Vermutung muß sich doch auch dem Umstand verdanken, daß die Interpretin Arbeit am Text nicht riskiert, da durchaus nicht verschiedene Texte oder Texturen zu einem bloß in Variation vorgestellten »semantischen Gerüst«62 führen können oder sollen. Unterschätzt wird – wiewohl die Poetologie der Lyrikerin als in ihren Versen je aktualisiert gesehen wird – der Umstand, daß jedes gelungene Gedicht durch die Suggestivität seiner rhetorischen Potenz seine Begriffe und deren Gravitationen neu ordnet und die Exegese, die sich vielleicht in der Tat stets mit den selben Kategorien den Texten annähert, festzustellen hätte, daß ihr Werkzeug vorm poetischen Gebilde nicht unverwandelt bleibt, ihre Terminologie einer inneren Oszillation folgt, was erst später – mit Derrida – zu präzisieren sein wird.63 Was aber unterschlagen bleibt, ist nicht zu erahnen; mit Unterschlagungen der Sprache ist zu rechnen, doch gescheitert ist der Versuch, den dunklen Untergrund zum Räsonieren zu bringen, zu zeigen, was die Verfehlungen verursache oder sogar erzwinge. Nun wäre es lächerlich, darum diese Verse nicht ernstzunehmen und sich zu Sätzen hinreißen zu lassen, wie sie Helfrich in ihrer Biographie unterlaufen: »Jetzt erst ist die 55jährige Frau wirklich erwachsen«,64 heißt es von der Zeit nach einer Krise der Dichterin ... Zitiert seien einige Verse, die die künstlerische Potenz Rose Ausländers doch deutlich erahnen lassen: Nur aus der Trauer Mutterinnigkeit strömt mir das Vollmaß des Erlebens ein. Sie speist mich eine lange, trübe Zeit mit schwarzer Milch und schwerem Wermutwein.65
Es trifft zu, daß diese Poesie, was den Umgang mit Rhythmus und Endreim, allgemeiner: mit der Struktur betrifft, von einer gewissen Naivität ist. Doch 60
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Annette Jael Lehmann: Im Zeichen der Shoah. Aspekte der Dichtungs- und Sprachkrise bei Rose Ausländer und Nelly Sachs. Tübingen: Stauffenburg 1999 (Stauffenburg Colloquium; 47), S. 228. Ebd. Ebd., S. 206; vgl. ebd., S. 20, 39, 63, aber auch S. 226 u. 228f. Vgl. ebd., S. 200ff. u. 226ff. Dies, obwohl Lehmann es vom zitierten Foucault (vgl. ebd., S. 227) wissen könnte: »Literatur unterscheidet sich mehr und mehr vom Diskurs der Vorstellungen« – »völlig auf den reinen Akt des Schreibens bezogene Form. Die Literatur ist die Infragestellung der Philologie (deren Zwillingsgestalt sie gleichwohl ist): sie [...] trifft [...] das wilde und beherrschende Sein der Wörter.« – Foucault, Die Ordnung der Dinge (wie Kap. 1, Anm. 21), S. 365. Helfrich, Rose Ausländer (wie Kap. 1, Anm. 55), S. 220. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap.1, Anm. 78), Bd 1, S. 66.
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ebenso trifft zu, daß schwarze Milch – in zugegebenermaßen ungleich raffinierterem Kontext – zum Emblem einer endgültig zerstörten Ordnung der Dinge und des Geistes avancierte.66 Man könnte als Zeugnis der Begabung der jungen Poetin auch unzählige andere Verse heranziehen; so heißt es von den gewissermaßen gekappten Gedankensträngen in einer Welt bizarrer Muster von Ordnung: Fäden ins Nichts gespannt: wir liegen wund verwoben in das Material der Qual, ein Muster lückenlos auf grauem Grund wie es ein schwarzer Wille anbefahl. Das Rot, das Blau, Orange, das Grün versagt.67
Es fällt auch hier trotz der traditionellen Komposition schwer, sich den Bildern zu entziehen, zu denen die Dichterin findet. »Die Unze Wahrheit tief im Wahn«68 als Residuum eines Verstandes, der als Oszillograph des ordnenden Geistes dessen, also auch sein Reißen gleichsam protokolliert, wird – unsicher, zögerlich und noch unscharf – geborgen in Worten. Zu suchen aber ist nach kalkulierten Brüchen mit dem Duktus von Sprache. Diese Brüche mit althergebrachten Formeln des Denkens sind zuallererst durch den Rückzug zur Form zu gewinnen. Wieso aber bleibt die Form, wieso ist die Chance der Kunst jene der Form?69 Wie kann sie erhellen, daß der Sinn, der keinen Plural kennen will, desavouiert ist, sich selbst demontiert hat? Zu kritisieren ist der Umstand, daß »das Gleichmachen eines jeglichen Ungleichen«70 der Kern von Vernunft ist, doch er, der den Sinn fragwürdig erscheinen läßt, durchstreicht zugleich die Möglichkeit, Kritik in konventioneller Weise zu ventilieren; aus der »Totalität des Begriffs«71 folgt, daß auf der Ebene des Begriffs schwerlich Einhalt geboten werden kann ... Ist »Interpretation ein Mittel [...], um Herr über etwas zu werden«,72 so ist Sinn potentiell Reduktion, weshalb dem scheinbar Beiläufigen, dem Akzidentiellen das Wichtigste anvertraut werden muß. Doch als »Schatten des aller 66
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Vgl. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (Anm. 43), Bd 1, S. 41f. bzw. (wie Kap. 1, Anm. 3) Bd 3, S. 63f.; vgl. auch Ernest Wichner / Herbert Wiesner: In der Sprache der Mörder. Eine Literatur aus Czernowitz, Bukowina. Berlin: Literaturhaus Berlin 1993 (Texte aus dem Literaturhaus Berlin; 9), S. 162ff.; Renate Wiggershaus: »Es war eine unendliche Sonnenfinsternis«. Ein Porträt der Dichterin Rose Ausländer. In: Rose Ausländer. Materialien zu Leben und Werk. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1997 (Fischer-Taschenbücher; 6498 – Informationen und Materialien zur Literatur), S. 93–105, hier S. 98f. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 78), Bd 1, S. 152. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 128. Vgl. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 213. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 174. Ebd. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd XII, S. 140.
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Form Heterogenen«73 ist auch hier der Wille nicht geschwunden, der Bemächtigung und Gestaltung innewohnt. Dies ist die lauernde »Amoralität«74 des Schaffens auch von Kunst, dessen Ideal also zu umreißen wäre: Die Gestalt aller künstlerischen Utopie heute ist: Dinge machen, von denen wir nicht wissen, was sie sind.75
Dies widerspricht nicht der Beobachtung, Poeten – und als Beispiel sei wiederum Celan angeführt – haben in ihrer »Gedächtnisfähigkeit [...] etwas von einem hochdifferenzierten Datenspeicher«;76 »die detailgetreue Darstellung des Mörders [...], wo der Todesschütze ein Auge zukneifend [...] abdrückt«77 ist zweifelsohne als Beleg der Präzision Celans geeignet, auch wenn damit allein die mörderische Blauäugigkeit als jene »des eisblauen nordischen Auges«78 und der Naivität brutaler Bauernburschen,79 aber auch der »abgedroschene[n] Reim«80 und vieles mehr unberücksichtigt bleiben. Wichtiger aber sind wohl die Deformationen, die die Sprache erlitten hat, welche zugleich dessen gewahr wird, daß die Uhren falsch gehen, die Stunde aber nicht dem Uhrwerk entspringt, um den Irrtum, das Unrecht zu korrigieren oder zu beweisen.81 Ist Identität unmöglich geworden, bleibt »die Bahn vom Entsetzen zum Verstummen«:82 Der Lyrik »Wahrheitsgehalt selbst wird ein Negatives«.83 Man wird an den ordo inversus zu denken haben, um Bruch und Lauterkeit in 73 74 75
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Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 161. Ebd., S. 271. Theodor W. Adorno: Vers une musique informelle. In: ders., Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann. Bd 16: Musikalische Schriften I–III. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1978, S. 493–540, hier S. 540. Theo Buck: Muttersprache, Mördersprache. Aachen: Rimbaud 1993 (Celan-Studien; I), S. 38. Ebd., S. 82; »sein Auge ist blau« – Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (Anm. 43), Bd 1, S. 42 und (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 64. Felstiner, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 190), S. 68. Vgl. Theodor W. Adorno: Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie [1964]. In: ders., Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann u. a. Bd 6: Negative Dialektik – Jargon der Eigentlichkeit. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997 (SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft), S. 413–526, hier S. 430. Felstiner, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 190), S. 68; auch: ein Reim der Betonung – vgl. z. B. Christoph Perels: Erhellende Metathesen. In einer poetischen Verfahrensweise Paul Celans. In: Paul Celan. Hg. von Werner Hamacher und Winfried Menninghaus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Taschenbuchverlag 1988 (Suhrkamp Taschenbuch Materialien; 2083), S. 127–138, hier S. 129. Vgl. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 164. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 477. Ebd. Dagegen argumentiert Jean-François Lyotard: Intensitäten. Übersetzt von Lothar Kurzawa und Volker Schäfer. Berlin: Merve 1978 (Internationaler Merve Diskurs; 75), S. 41ff., vor allem S. 46.
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dieser Weise vermählt zu verstehen.84 Was bleibt, sind »Gedankenschatten«,85 »Denkschatten«, »Schmerz, als Wegschneckenschatten«.86 Wahr spricht, wer Schatten spricht.87
In einem sehr präzise zur Doppeldeutigkeit hin gestalteten Gedicht von Rose Ausländer, das eine ausgedehnte Deutung verdiente, heißt es zur »Todfeindin Sonne«:88 Kein Schatten führt hinters Licht ...89
Die Bewegung des Gedichts ist gegen die Phrase des Hinters-Licht-Führens gewandt, die den Schatten als Moment des lügenhaften Dunkeln abstempelte; schon die Negation ebendessen läßt vermuten, daß dies nicht Schilderung eines lichten Orts sondern eines getreulichen Dunkels ist; vor allem aber ist die Wahrheit in der Topographie zweier Zeilen hinters Licht verschoben und die offene Frage, ob sich ein Schatten finde, der sozusagen erhellt, was sich dem grellen Scheinen entzieht – »la lumière de l’absence«90 ... Das »Gedicht zeigt [...] eine starke Neigung zum Verstummen«,91 ist mit fundamentalen Verneinungen konfrontiert, die freilich kaum explizit in der Lyrik formuliert werden, weshalb, wie am Rande bemerkt sei, die kategorisierende Fahndung nach nirgends, nie und niemand keine Poetologie,92 sondern die Beleuchtung allerdings nicht unwichtiger Details bedeuten dürfte. Wie aber wird ein Schweigen hörbar, wie vernehmlich, daß der Schweigende deshalb schweigend vortritt, da er etwas zu sagen hat? Gerade in diesem Punkt zeigt sich, wie bedauerlich und verfehlt die gegen Adorno gewandten beharrlichen Unterstellungen sind, er habe sein Diktum als Herabwürdigung oder Entwertung jüdischer Dichtung geschrieben und sei in der Folge hierin widerlegt worden.93 84 85 86 87 88 89 90
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Vgl. hierzu Werner Hamacher: Die Sekunde der Inversion. Bewegungen einer Figur durch Celans Gedichte. In: Paul Celan (wie Anm. 80), S. 81–126, hier S. 86, passim. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 66. Ebd., S. 116. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (Anm. 43), Bd 1, S. 135. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 4), Bd 7, S. 42. Ebd. (Anm. 45), Bd 8, S. 58. Nouss, Mémoire et survie: une lecture de Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 1), S. 102. Zum Konvergieren von Hinzutreten (vgl. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 226ff.) und Sichentziehen vgl. Peter Strasser: Journal der letzten Dinge. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998 (Edition Suhrkamp; 2051), S. 46. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 197. Vgl. Margrit Schärer: Negationen im Werke Paul Celans. Zürich: Juris 1975, S. 13. Zu derlei Versuchen vgl. etwa ebd., S. 5, 34 und 37. Vgl. Buck, Muttersprache, Mördersprache (Anm. 76), S. 12 sowie ders., Paul Celan. In: Deutsche Dichter. Leben und Werk deutschsprachiger Autoren. Hg. von Gunter E. Grimm und Frank Rainer Max, Bd 8: Gegenwart. Stuttgart: Reclam 1990 (UniversalBibliothek; 8618 [7]), S. 239–254, hier S. 239 und 244f.
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Es ist dieses billige Ausspielen zweier Positionen, die in dieser Form nicht bestehen, wohl vor allem geeignet, den überaus unangenehmen und kaum auszuräumenden Verdacht, mit dem Holocaust habe sich etwas gezeigt und bleibe zurück, zu diskreditieren; ein Bemühen, die Wogen zu glätten, da Dichter wie Ausländer, Sachs und vor allem Celan ja die Aufgabe das Deutsche reinzuwaschen bestens oder zumindest hinreichend erfüllt haben – diese Poeten mögen in gewisser Hinsicht Sprache gerettet haben, kaum ist plausibel zu machen, daß dies »die Ehre der deutschen Sprache rettete«,94 retten sollte oder in der oftmals unterstellten Weise auch nur könnte. Im Œuvre der großen Dichter jüdischer Provenienz ist das Bewußtsein der Problematik von Lyrik nach Auschwitz diffizilst entfaltet. Diese Dichtung gewinnt ihre Legitimität, Präzision und – man entschuldige das abgedroschene Wort – Tiefe nicht zuletzt daraus, Konfrontation mit dem Unzulangen zu sein, das als Bedrohung von Sprache und Vernunft von Adorno scharf umrissen worden ist. Helfrich schreibt zu einer Lyrik, die ihres Erachtens nicht so sehr trotz Auschwitz, vielmehr trotz Adorno zu bestehen scheint: Viele Intellektuelle in Westdeutschland verstanden [Adornos] [...] Satz als ein Darstellungsverbot, und viele von ihnen schienen bereit, einem solchen Verbot zu folgen. Die Wirkung, die von diesem Satz ausging, war tiefste Kulturskepsis – was denn sollten und konnten Gedichte noch sein oder bedeuten nach dem Holocaust? Adornos Verbot, das übergroße Leid und das unvorstellbare Sterben des jüdischen Volkes nicht einmal in Gedichten nennen zu dürfen, errichtet ein Tabu, gerade dort, wo nicht Verstummen, sondern das Reden über all dies Entsetzliche notwendig wäre, um eine Wiederholbarkeit auszuschließen. Und gerade die Lyrik, die von den jüdischen Autoren nach Auschwitz geschrieben wurde, und darunter ist auch die von Rose Ausländer zu sehen, hat diesen Satz von Adorno ins Unrecht gesetzt. Die Sprache überdauerte Auschwitz in einigen ihrer erhabensten Gedichten. Und sie blieb stimmhaft, wenn auch fast stumm, vor allem als die Sprache der Opfer. [...] Gerade den Überlebenden darf die Darstellung von Schmerz, Leid und Trauer auf keinen Fall verwehrt werden, denn wo wären die Millionen Toten zu begraben, wenn nicht auch in Gedichten?95
Man findet in diesem kurzen Abschnitt nahezu jede gedankliche Ungenauigkeit der Rezeption Adornos; zunächst hat Adorno nicht Lyrik verboten, sondern auf Züge von Dichtung hingewiesen, die sich als fatal erweisen; weiters hat 94 95
Otto Pöggeler: Spur des Worts. Zur Lyrik Paul Celans. Freiburg, München: Alber 1986 (Alber-Broschur Philosophie), S. 101. Helfrich, Rose Ausländer (wie Kap. 1, Anm. 55), S. 221; nicht unähnlich schreibt Laermann: »Adornos Satz hat den Opfern der Lager sowie denen, die sie überlebten, und nicht zuletzt denen, die wie Celan das Überleben nicht überlebten, Unrecht getan. Ihnen kann, ja darf die Darstellung von Schmerz, Leid und Trauer auf keinen Fall verwehrt bleiben.« Klaus Laermann: »Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch ...« Überlegungen zu einem Darstellungsverbot. In: Kunst und Literatur nach Auschwitz. Hg. von Manuel Köppen u. a. Berlin: Erich Schmidt Verlag 1993, S. 11–15, hier S. 14; vgl. ebd., S. 14f.
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Adorno eine Form von Widerlegung seiner selbst durch den erwähnten Nachsatz der berühmten Formel bereits eingeschrieben; und fraglich ist, ob eine Renaissance des Erhabenen Auschwitz gerecht werde, eine Sprache der Opfer aber ist, wie noch darzulegen ist, gewiß nicht gefunden. Adornos Überlegungen sprechen viel eher die Notwendigkeit von Ausländers oder Celans Dichtung aus, genauer: die Notwendigkeit einer Poetik, die leistet, was diese Worte als Zerwürfnis der Vernunft mit sich leisten. Spätestens in Szondis Formulierung, die an jene Adornos anschließt, wird dies deutlich: Nach Auschwitz ist kein Gedicht mehr möglich, es sei denn auf Grund von Auschwitz.96
Was es bedeutet, wenn dieses auf Grund von Auschwitz nicht einfach durch über Auschwitz zu substituieren ist,97 man sich im Schatten dieses Impetus durch die Schreibung auf dem Terrain befindet, das von Auschwitz durchsetzt ist, läßt sich an einem Gedicht von Rose Ausländer, dessen Möglichkeiten unausgetragen verbleiben, erahnen. Drei Buchstaben Ich gehe ihm aus dem Weg laufe ihm in den Weg der lebenslang um mich wirbt mit schwarzer Magie Ich verwandle ihn in ein Wort drei Buchstaben der Wohlklang tut weh98
– so schreibt die Dichterin. Er, der – wie im später zu interpretierenden »Bis an den Nagelmond« der Schmerz – wörtlich absent ist, nur die Spur seines Wohlklangs beließ, ist vielerlei. Er ist, was im Palindrom »Lieb – Reiz«99 droht; ist, 96
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Peter Szondi: Schriften. Hg. von Jean Bollack u. a. Bd 2: Essays: Satz und Gegensatz. Lektüren und Lektionen. Celan-Studien. Anhang: Frühe Aufsätze. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1978, S. 384. Eher befremdlich ist ein anderer Vorschlag – »that only poetry is possible after Auschwitz« (Christopher Frynsk: The Realities at Stake in a Poem. Celan’s Bremen and Darmstadt Addresses. In: Word Traces. Readings of Paul Celan. Hg. von Aris Fioretos. Baltimore, London: The John Hopkins University Press 1994, S. 159–184, hier S. 164). Vgl. ebd., S. 164f. In gewissem Sinne bilden über und auf Grund von eine Antithese. Vgl. auch Klaus Werner: Czernowitz. Zur deutschen Lyrik der Bukowina im 20. Jahrhundert. In: Kulturlandschaft Bukowina. Studien zur deutschsprachigen Literatur des Buchenlandes nach 1918. Hg. von Andrei Corbea-Hoisie und Michael Astner. Iaşi: Universitatii »Alexandru Ioan Cuza« 1992 (Jassyer Beiträge zur Germanistik; V), S. 42–66, hier S. 62. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (Anm. 55), Bd 3, S. 159. Rose Ausländer: Gesammelte Werke in sieben Bänden und einem Nachtragsband mit dem Gesamtregister. Hg. von Helmut Braun. Bd 2: Die Sichel mäht die Zeit zu Heu. Gedichte 1957–1965. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1985, S. 195.
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was immer im eigenen Namen lauert: »Unterschrift eidlich // [...] drei eigene Kreuze / Amen«;100 ist auch, worauf der Name (mit Konsonanten verschriftlicht101) sich stützt – Jehova oder Jahwe: Vater unser nimm zurück deinen Namen ...102
In einer der Welt destruierter geregelter Bezüge sind drei Buchstaben nicht einfach durch die natürlich keineswegs unzutreffende Lösung (»Das gesuchte Wort ist Tod.«103) erklärt, das gesuchte Wort ist tot. Es gilt für die Verse in einer noch schärfer zu umreißenden Weise, was Hamacher jüngst formuliert hat: Jede Darstellung wäre unvollkommen, die nicht zugleich auch die Darstellung noch [...] der Endlichkeit und Hinfälligkeit der Darstellung wäre.104 Das Gedicht wird nicht stimmen [...] am Himmel stehn andere Zeichen ...105
Szondi also schreibt, es sei »kein Gedicht mehr möglich, es sei denn auf Grund von Auschwitz«.106 Demgemäß hat Adorno gewiß nicht »aufgrund seiner CelanLektüre [–] dieses Verdikt abgeschwächt«107 oder zurückgenommen;108 vielmehr erfuhr das Urteil Präzisierungen, die es keineswegs sanfter erscheinen lassen.
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Ebd. (Anm. 55), Bd 3, S. 229. Im Buch der Schöpfung heißt es: »Er nahm drei Buchstaben von den einfachen. Er siegelte Hauch auf die drei und heftete sie in seinen großen Namen JHV« (Das Buch der Schöpfung – Die zehn Zahlen [I]). Vgl. auch Gershom Scholem: Judaica 3. Studien zur jüdischen Mystik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1970 (Bibliothek Suhrkamp; 333), S. 23. Zugleich ist jeder Buchstabe wie die Gesamtheit der Lettern Name Gottes (vgl. ebd., S. 38), »die verborgene Signatur in Gott« (ebd., S. 53), dessen – und eines jeden? – »Name [...] ansprechbar, aber nicht aussprechbar« (ebd., S. 270) ist: Name ist, was »nichts mitteilt als sich selber« (ebd., S. 19; vgl. zu dem Namen auch ebd., passim) ... »Der Name entzieht sich der Erinnerung. Er ist selbst Gedächtnis.« – Edmond Jabès: Ein Fremder mit einem kleinen Buch unterm Arm. Übersetzt von Jürgen Ritte. München, Wien: Hanser 1993 (Edition Akzente), S. 93. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 11), Bd 6, S. 274. Held, Evas Erbe (wie Kap. 1, Anm. 27), S. 191. Werner Hamacher: Das Ende der Kunst mit der Maske. In: Sprachen der Ironie – Sprachen des Ernstes. Hg. von Karl Heinz Bohrer. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2000 (Edition Suhrkamp; 2083 – Aesthetica), S. 121–155, hier S. 121. In diesem Sinne auch Wolfgang Welsch: Adornos Ästhetik: eine implizite Ästhetik des Erhabenen. In: Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn. Hg. von Christine Pries. Weinheim: VCH, Acta Humaniora 1989, S. 185–213, hier S. 195. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 208. Szondi, Schriften (Anm. 96), Bd 2, S. 384. Lorenz, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 190), S. 2. Vgl. Helfrich, Rose Ausländer (wie Kap. 1, Anm. 55), S. 221.
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Im elf Jahre nach Kulturkritik und Gesellschaft publizierten Essay Engagement schreibt Adorno: Den Satz, nach Auschwitz noch Lyrik zu schreiben, sei barbarisch, möchte ich nicht mildern; negativ ist darin der Impuls ausgesprochen, der die engagierte Dichtung beseelt.109
Nur am Rande sei der Versuch kritisiert, in dieser Sache Adorno und Szondi gegeneinander auszuspielen und ersteren widerlegt zu heißen, da mit Celan »unserer Befangenheit eine Sprache gegeben«110 sei, der man sich nun bedienen und »wieder unbefangene Gedichte«111 schreiben könne – solche Argumentation läßt spüren, daß die hinter solcher Sensibilität gehegte Hoffnung Gewalt verschwistert ist.112 Adornos und Szondis Wendung gegen Kontinuität des Sinns entspricht dagegen die überaus präzise Umschreibung des Dilemmas bei Sarah Kofman: »Über Auschwitz und nach Auschwitz ist keine Erzählung möglich, wenn man unter Erzählung versteht: eine Geschichte von Ereignissen erzählen, die Sinn ergeben.113
Nichtsdestotrotz »besteht doch die Pflicht zu sprechen, ohne Unterlaß für jene zu sprechen, die nicht sprechen konnten, weil sie das wahre Wort bis zum Äußersten bewahren wollten, ohne es zu verraten«.114 Es ist »ein Zeugnis abzule-
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Theodor W. Adorno: Engagement. In: ders., Noten zur Literatur. Hg. von Rolf Tiedemann. 4. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 355), S. 409–430, hier S. 422. Harald Weinrich, zit. in Silbermann, Begegnung mit Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 70), S. 17. Harald Weinrich, zit. ebd. Die angesprochene Opposition allerdings konstruiert doch vor allem Edith Silbermann (vgl. ebd., S. 16ff.). Bei ihr findet sich denn auch die krude Behauptung, nun gebe es eine »Scham, [...] daß Kunst außerstande sei, das Leiden zu [...] zu sublimieren« (ebd., S. 18). Glenn lobt in seinen Rezensionen sozusagen folgerichtig an Rose Ausländers Dichtung deren »noble simplicity. [...] The cry of pain is [...] controlled and therefore muted« (Jerry Glenn: [Rez.] Rose Ausländer: Ich spiele noch. In: World Literature Today, Spring 1988). Vgl. ders., [Rez.] Rose Ausländer: Noch ist Raum. In: Journal of German-American Studies 12.4 (Oktober 1977), S. 98–99, hier S. 99; solcher Übergang karikiert Trauer: »Schon wird das Abschiedsweh der Gluten / Zu Asche, und die Asche Lied.« (Immanuel Weißglas: Aschenzeit. Gesammelte Gedichte. Aachen: Rimbaud 1994 [Texte aus der Bukowina; 2], S. 82). »Wem übergebe ich jetzt mein Vermächtnis? / Dem Wind? Dem Tod? Dir? Du vergißt mich schon.« (ebd., S. 111) Dies vor »Auschwitzasche« (ebd., S. 74). Vgl. Hans-Dieter Bahr: Tropisches Denken. Entwürfe phänomenologischer Landschaften. Wien: Turia + Kant 1994, S. 120; vgl. auch ebd., S. 88 u. 101. Sarah Kofman: Erstickte Worte. Übersetzt von Birgit Wagner. Hg. von Peter Engelmann. Wien: Passagen 1988 (Edition Passagen; 19), S. 31. Vgl. auch Lütkehaus, Nichts (wie Kap. 1, Anm. 149), S. 519. Kofman, Erstickte Worte (Anm. 113), S. 53.
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gen«,115 doch »ein Ersticktwerden«116 bedroht diese Notwendigkeit; es bleibt ein »Sprechen [...] ohne Macht«.117 Das perennierende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie der Gemarterte zu brüllen; darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe kein Gedicht mehr sich schreiben. Nicht falsch aber ist die minder kulturelle Frage, ob nach Auschwitz noch sich leben lasse, ob vollends es dürfe, wer zufällig entrann und rechtens hätte umgebracht werden müssen.118
Es besteht ein »Skandalon des Weiterdichtens, [...] Weitererzählens«,119 so wäre also festzuhalten, ein Skandalon, der das Denken Adornos wie Kofmans bei allen Differenzen prägt.120 Erzählen und Dichten zu müssen, zugleich jedoch dies versuchend verpflichtet zu sein, inmitten der Sprache zu finden, was nicht der Sprache ist – »Was einen Namen hat / ist schon verloren«,121 schreibt Rose Ausländer –, in dieser Konstellation von »Schreiben als Widerspuch«122 treffen sich ihre Gedanken. Ansonsten wird, so steht zu fürchten, »indem wir schweigend ins Gespräch vertieft sind, die Shoah das, was sie immer war: Unwirklich. / Denn sie geschah«.123 Es ist auch diese Äußerung Schindels zweifelsohne ein Anschließen an Adorno; verboten ist, was sich für möglich hält, die Erzählung nämlich, die des Schweigens im Inneren heutiger Sprache nicht innezuwerden imstande und damit statt eines auch schweigenden Gesprächs beredte Ignoranz ist, was Burger »moralische Sekundärausbeutung der Opfer«124 genannt hat. Zugleich muß man sich, da jede Rede hiervon kompromittiert zu sein droht, vergegenwärtigen: In der Verurteilung und Kritik an der Sprache zeigt sich deren Unhintergehbarkeit.125
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Ebd. Ebd., S. 56. Ebd., S. 27. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 355. Birgit R. Erdle: Sarah Kofman, Paroles suffoquées. Eine Lektüre mit Adorno. In: Flaschenpost und Postkarte. Korrespondenzen zwischen Kritischer Theorie und Poststrukturalismus. Hg. von Sigrid Weigel. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 1995 (Literatur – Kultur – Geschlecht. Kleine Reihe; 5), S. 73–89, hier S. 77. Vgl. ebd., S. 74f., 84 und 88f. Erika Kaldemorgen: Sarah Kofman. In: Philosophinnen II. Von der Romantik bis zur Moderne. Hg. von Marit Rullmann. Dortmund: edition ebersbach im eFeF-Verlag 1995, S. 279–286, hier S. 282 und Zerrahn, Der Holocaust und die Aporien des Erzählens (wie Kap. 1, Anm. 183), S. 241ff. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (Kap. 1, Anm. 4), Bd 7, S. 200. Kaldemorgen, Sarah Kofman (Anm. 120), S. 279. Robert Schindel: Schweigend ins Gespräch vertieft. Anmerkungen zu Geschichte und Gegenwart des jüdisch-nichtjüdischen Verhältnisses in den Täterländern. In: text + kritik (Oktober 1999), H. 144: Literatur und Holocaust, S. 3–8, hier S. 8. Burger, Denken und Gedenken (wie Kap. 1, Anm. 184), S. 10. Wendelin Schmidt-Dengler: Bruchlinien. Vorlesungen zur österreichischen Literatur 1945 bis 1990. 2. Aufl., Salzburg, Wien: Residenz 1996, S. 146.
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Die deformierende Rezeption Adornos aufgreifend muß man wohl sagen: Der Satz Adornos machte Karriere, nicht der Gedanke.126
»Wenn Adorno die poetische Sprache Paul Celans würdigt, so deshalb, weil sie eine Schockwirkung in der Sprache selbst und in der Lektüre erzeugt«,127 so wäre überzuleiten. Unmöglichkeit und Anstoß der Lyrik Celans wie der Philosophie Adornos sind einander verschwistert. Von Adorno schreibt Koltan, [...] daß der Wunsch, Adorno möge unrecht haben, keineswegs illegitim ist: Adorno will widerlegt werden. Allerdings, und darauf ist mit aller Nachdrücklichkeit hinzuweisen, nicht in der Theorie, sondern in der Praxis.128
Das, was dichterische Sprache vermag, ist mit Schweigen und Delegitimierung verbunden; der »Triumph, das Unmittelbare sei durchaus vermittelt«,129 ist verunmöglicht oder wenigstens sabotiert, »die scheinbar minimale Differenz«130 vereitelt ihn. Sie verfaßt »Umweg- / Karten«.131 126 127 128
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Claussen, Nach Auschwitz kein Gedicht? (wie Kap. 1, Anm. 184), S. 47. Vgl. Lindner, Was heißt: Nach Auschwitz? (Kap. 1, Anm. 16), S. 284. Erdle, Sarah Kofman, Paroles suffoquées (Anm. 119), S. 81. Michael T. Koltan: Adorno, gegen seine Liebhaber verteidigt. In: Kritische Theorie und Poststrukturalismus. Theoretische Lockerungsübungen. Hg. von Jochen Baumann, Elfriede Müller und Stefan Vogt. Hamburg: Argument-Verlag 1999 (Argument-Sonderband; N. F. 271), S. 14–29, hier S. 14. Vgl. auch Schnädelbach, Wittgenstein über die Philosophie (wie Kap. 1, Anm. 134), S. 217. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 174. Ebd. Ihr gegenüber steht eine »bestimmte minimale Abstraktion [...] [als] Beginn [...] allen Denkens« (Hent de Vries: Das Schibboleth der Ethik. Derrida und Celan. Übersetzt von Michael Scholl. In: Ethik der Gabe. Denken nach Jacques Derrida. Hg. von Michael Wetzel und Jean-Michel Rabaté. Berlin: Akademie Verlag 1993 [Acta humaniora], S. 57–80, hier S. 79). Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 120. Eine Karte der Umwege machte augenfällig, daß, was das Wort voraussetzt – einen direkten Weg –, nicht gegeben ist, was schon auf Derrida weist ... Vgl. zur »zerbrochenen Unmittelbarkeit« Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 441: Eine Interpretation, die nach einem in letzte Begriffe gegossenen Resultat als direktem Ausdruck dessen fahndet, womit Literatur bloß spielte, »erlebt die Notwendigkeit der Interpretation gleich einem Exil« (ebd.), ist scheinbar jenseits des Möglichen, in Wahrheit aber hinter ihm – in einem beliebigen Status quo – angesiedelt ... Vgl. auch Bettine Menke: Sprachfiguren. Name – Allegorie – Bild nach Benjamin. München: Fink 1991 (Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste; 81 – Reihe A: Hermeneutik – Semiotik – Rhetorik; 5), S. 11, wo derlei zuletzt zu Benjamins reinem Mittel fortgeführt wird (vgl. ebd., S. 43), das ja, indem es Abwendung von einem bestimmten Bilde des angemessenen Mittels ist, in ähnliche Konstellationen führt: Es sei jenes Mittel als »Insignium und Siegel, niemals Mittel heiliger Vollstreckung« zu verstehen aufgegeben und »als ein reines Mittel gewaltlos« (Walter Benjamin: Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann u. a. Bd II/1: Aufsätze, Essays, Vorträge. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1977 [Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 932], S. 203 u. 194). Verwandt bestimmt sind
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Was in dieser Konstellation nicht möglich sei, ist dabei die erste Frage. Zunächst ist die Darstellung von Auschwitz ein Unding. Die Unmöglichkeit, das Undarstellbare darzustellen, ohne es durch inadäquate Repräsentationen als etwas Identifizierbares und also der Ordnung Einzuverleibendes vorzustellen, verpflichtet zu Bescheidenheit und Resignation – Anders mahnt, es sei »die einzige wahre, die einzige der Millionen Entwürdigten würdige Rede [...] die zynische«.132 »Lyrik ist folgenlos.«133 Freilich ist man versucht, hier die Gedichte von Anders selbst zu erwähnen, die den Rang der Lyrik Celans zweifelsohne nicht haben, aber – wiewohl eher bieder gereimt scheinend – vor allem durch ihre Gedankenschärfe sowie Resignation und daraus erwachsenden Sarkasmus auffallen.134
Instanzen des Nein – Lyotard Wie ist ein »Raum für das Schweigen«135 im Schreiben aus theoretischer Sicht zu etablieren? Adorno hat sich einer Theorie der Verneinung insofern enthalten, als er ihr ein Fundament zu geben suchte, ihre Notwendigkeit aus ihrer Möglichkeit schlüssig ableitete, ihre Symptome aber unbeschrieben beließ. In der Tat ist dies auch als Vorsicht zu verstehen – allzu leicht wandelte sich die Negation vermessen und katalogisiert in ein Positives ... Es wäre dies eine Praxis, die den »Dichter einer
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der Stil und die Forderung, die von ihm an Interpretation ergeht: »Überwindung des Sinnes.« (ebd., Bd II/2, S. 618); »Kultur besteht in Umwegen.« Günther Anders: Lieben gestern. Notizen zur Geschichte des Fühlens. München: Beck 1986, S. 114. Günther Anders: Philosophische Stenogramme. 2. Aufl., München: Beck 1993 (Beck’sche Reihe; 36), S. 53. Zum Zynismus eines Celan, in dessen Werk gerade dieser Zug gerne übersehen wird, sei auf Baumann verwiesen, der zuweilen den Rückzug des Dichters »hinter den Vorhang von schwarzem Humor« bemerkte (Baumann, Erinnerungen an Paul Celan [Anm. 17], S. 116). Anders, Ketzereien (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 208. »Hohn und Härte entstammen der Menschenliebe!« (ebd., S. 211). Zur Hoffnung einer Theorie, die n i c h t an Praxis orientiert ist vgl. Konrad-Paul Liessmann: Hänschen klein. Von der ohnmächtigen Kraft des Gedankens. Hommage à Theodor W. Adorno. In: ders., Der gute Mensch von Österreich. Essays 1980–1995. Wien: Sonderzahl 1995, S. 200– 210, hier S. 203ff. Vgl. etwa Günther Anders: Tagebücher und Gedichte. München: Beck 1985, S. 385, wo im Poem »Die Meldung« Wesentliches zum Sprechen nach und über Auschwitz vorweggenommen ist; Kunert schreibt zu Anders: »Ausgehend von der Überzeugung, Gedichte seien nur Schaumgebäck, muß einem das Dichten schwerfallen, weil dazu die permanente Überwindung solcher Geringschätzung gehört.« Günter Kunert: Das längst Gewesene steht uns noch bevor. »Tagebücher und Gedichte« des Philosophen und Schriftstellers Günther Anders. In: Ein Büchertagebuch. Buchbesprechungen aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 1986, S. 8–9, hier S. 9. Sarah Kofman, zit. in Kaldemorgen, Sarah Kofman (Anm. 120), S. 282.
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Literaturtheorie [ge]opfert«136 – grotesk mutet an, daß dies Adorno selbst unterstellt worden ist. Jener hat, so muß man heute sehen, dem Ansinnen einer Lyrik unserer Tage durchaus gerade in seiner Gegenrede, die als interessierter Einwand Rose Ausländer, glaubt man dem Brief an Wolfgang Ratjen, nicht unwillkommen war,137 entsprochen.138 Freilich wurde er auch, was man in dieser Intensität nicht erwartete, von jenen nicht bloß skeptisch beäugt, deren Poetologie einer latenten Selbstanklage des gedenkenden Poems mit seinen Einwänden konvergiert.139 Ich denke an ein Gedicht Celans, worin derlei aufbricht, es entstammt dem Nachlaß und sei hier nachträglich als Ruhestörung zitiert: Vor die Messer schreiben sie dich, kulturflott, linksnibelungisch, [...] nicht ab-, nein wiesengründig, schreiben sie, die Aber-Maligen, dich vor die Messer.140
Welcher Art nun formal die nötige Verneinung im Sprechen wäre, das diese Probleme – und als Forderung nach Schärfe ist der Verse Celans gegen Adorno zweifelsohne eingedenk zu sein – in sich austrüge, ist nur im AnSchluss an, jedoch nicht mit Adorno zu formulieren. Ihm ist allerdings ein allgemeiner und weitreichender Anstoß zu verdanken: 136 137
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Pöggeler, Spur des Worts (Anm. 94), S. 257. Vgl. Rose Ausländer / Ursula Ratjen / Wolfgang Ratjen: Meine liebe Frau Ratjen ... Grüße auch an Wolfi. Briefwechsel. Hg. von der Rose Ausländer-Stiftung. Köln: Rose Ausländer-Stiftung 1997 (Schriftenreihe der Rose Ausländer-Stiftung; 8), S. 108. Vgl. etwa Colin, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 96), S. XVII, 157, ferner – zur Adornianerin Janz – ebd., S. 184, Anm., wo die sonst feinsinnige Autorin eine etwas platte Opposition Adorno versus Celan suggeriert, was vor allem in einer unzureichenden Lektüre Adornos (vgl. ebd., S. 170) und der Verwechslung des Denkers mit jenen, die ihn zitieren (vgl. ebd., S. 184, Anm., zu begründen sein dürfte. Adorno ist es zu verdanken, daß »der deutschsprachigen Literatur [...] Sparten- und Themengedichte [...] zu Auschwitz« (Hermann Korte: »Es ist in aller Trauer der tiefste Hang zur Sprachlosigkeit«. Der Holocaust in der Lyrik nach 1945. In: text + kritik [Oktober 1999], H. 144: Literatur und Holocaust, S. 25–47, hier S. 46, Anm.; vgl. ebd., S. 25) – die auch Celan sozusagen nicht lege artis schienen (vgl. Emmerich, Paul Celan [wie Kap. 1, Anm. 104], S. 12) – mehr oder minder erspart geblieben sind ... Paul Celan: Die Gedichte aus dem Nachlaß. Hg. von Bertrand Badiou, Jean-Claude Rambach und Barbara Wiedemann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997, S. 104. Vgl. Celan / Wurm, Briefwechsel (wie Kap. 1, Anm. 104), S. 136. »Prof. Adorno [...], von dem ich dachte, daß er Jude sei ...« Barbara Wiedemann u. a.: Paul Celan – Die Goll-Affäre. Dokumente zu einer »Infamie«. Hg. von Barbara Wiedemann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2000, S. 567, Anm. Vgl. ebd., S. 564, passim.
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Zweiter Teil Celans Gedichte [...] ahmen eine Sprache unterhalb der hilflosen der Menschen, ja aller organischen nach, die des Toten von Stein und Stern.141
»Die Sprache des Leblosen«142 doch vorsichtig zu umschreiben scheint Lyotards Der Widerstreit geeignet, ein Werk, das wie Adornos Schriften ein »Redigieren einiger Charakterzüge, die die Moderne für sich in Anspruch genommen hat«,143 versucht, was auch verlangt, »die Durcharbeitung noch dem Gesetz des Begriffs [...] [zu] entziehen«:144 Der Satz, der das Schweigen vertritt, wäre negativ. Er negierte wenigstens eine der vier Instanzen, die ein Satz-Universum entwerfen: den Empfänger, den Referenten, die Bedeutung und den Sender.145
Man sieht, schon ehe man ins Detail dringt, daß also ein Dichter des Schweigens sich nicht so sehr »immer mehr dem Verstummen zu[schreibt], vielmehr dem, was in der Sprache schweigt«,146 was freilich nicht bedeutet, man könne die Aufhebung der als Schweigen eingeführten Negation einer Instanz so punktuell betreiben, daß zuletzt solche »Gedichte [...] als ein einziges in sich geschlossenes Wort zu lesen«147 wären, als »skripturale Krone [...], ein einziges in sich geschlossenes Zeichen«,148 woraus Heilung erwüchse. Vielmehr wird sich bei Lyotard im Fortschreiten der präzisen Definition hermetischer Bezirke deren Relevanz fürs sie Umgebende zeigen, so daß auch die Antithese, die Bogumil suggeriert, nicht sinnvoll ist – beredte Lyrik oder Verstummen »als eine abrupte Unterbrechung«149 ... Die Bedeu tung sei als ignotum x gewissermaßen übergangen; diese Instanz in Lyrik als rein gegeben zu suchen, bedeutete letztlich, zu übersehen, daß »Kunstwerke [...] an Gestaltung und allein dadurch an tendenzieller Versöhnung tragender Widersprüche des realen Daseins ihr Wesen haben«150 – 141 142
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Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 477. Ebd.; »tief verwundet und nahe am Verstummen« (Wolf, Wandlungen und Verwandlungen [wie Kap. 1, Anm. 9], S. 352) – doch ohne den gerne unterstellten Durchbruch zum »einzig richtigen, [...] Wirklichkeit spiegelnden und verwandelnden Wort« (ebd.), das immer schon das falsche wäre ... Jean-François Lyotard: Die Moderne redigieren. Übersetzt von Christine Pries. Bern: Benteli 1988, S. 25. Ebd., S. 27. Zum Bezug auf Adorno vgl. ebd., S. 22. Jean-François Lyotard: Der Widerstreit. Übersetzt von Joseph Vogl. 2. Aufl., München: Fink 1989 (Supplemente; 6), S. 34, Nr 24. Sieghild Bogumil: Celans Wandern im Wort. Entwicklungslinien in der Lyrik Paul Celans II. In: Neue Rundschau (1983), H. 1, S. 88–105, hier S. 89. Ebd., S. 91. Ebd., S. 92. Ebd., S. 90. Theodor W. Adorno: Rede über Lyrik und Gesellschaft. In: ders., Noten zur Literatur. Hg. von Rolf Tiedemann. 4. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989 (SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft; 355), S. 49–68., hier S. 51.
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verwiesen sei auf »das verborgene Gesetz der ästhetischen Gegenstandslosigkeit«.151 Die Betrachtung des Werdens ist ebenso als »Generalschlüssel«152 unbrauchbar, »denn Kunstwerke folgen ihrem Formgesetz, indem sie ihre Genesis verzehren«.153 Der Versuch schließlich, statt dessen des Geschehenen – zum Vergleich gewissermaßen – habhaft zu werden, ist ohnehin absurd.154 Der S end er kann sich selber in seiner Dichtung tatsächlich zuweilen geradezu ausstreichen. Adorno beschreibt »ein Gefühl des nicht ganz Dabeiseins, nicht Mitspielens«155 – die »drastische Schuld des Verschonten«156 bringt Leben und Lyrik des Entkommenen zum Stocken, an den Rand der »Entmündigung«,157 die Klaus Voswinckel zum Beispiel aus Assonanzen an Sprüche liest.158 Das »Weiterleben bedarf schon der Kälte, des Grundprinzips der bürgerlichen Subjektivität, ohne das Auschwitz nicht möglich gewesen wäre«,159 und dieser Umstand erzwingt ein Mißtrauen dessen, dem – weder ermordet noch unbeschadet – eine deformierte Existenz aufgenötigt ist, gegen sich selbst und sein Sprechen.160 Interessant ist an diesem Punkt das Resonieren eines Problems, das Geoffrey Hartman vernimmt: Wie macht man Poesie aus der verlorenen Freude am Sprechen?161 151 152 153 154
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Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 325. Ebd., S. 267. Ebd. Vgl. Dorothee Kimmich: Kalte Füße. Von Erzählprozessen und Sprachverdikten bei Hannah Arendt, Harry Mulisch, Theodor W. Adorno, Jean-François Lyotard und Robert Schindel. In: Shoa. Formen der Erinnerung. Geschichte, Philosophie, Literatur, Kunst. Hg. von Nicolas Berg, Jess Jochimson und Bernd Stiegler. München: Fink 1996, S. 93–106, hier S. 101ff., wo die Ähnlichkeit diesbezüglicher Argumentationen Adornos und Lyotards betont wird. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 356. Ebd. Klaus Voswinckel: Paul Celan. Verweigerte Poetisierung der Welt. Versuch einer Deutung. Heidelberg: Lothar Stiehm Verlag 1974 (Poesie und Wissenschaft; 36), S. 64. »Seine Gedichte, die dem, was geschah, eingedenk sein wollen, geben sich selber als entmündigte, der Versöhnung entzogene zu erkennen« (ebd.). Vgl. ebd., S. 64f. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 355f. Auch das Überleben wäre zu nennen; vgl. Chalfen, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 67), S. 120; Felstiner, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 190), S. 38f. Vgl. zum Beispiel Nelly Sachs’ Brief vom 5. Dezember 1960 an Paul Celan in: Paul Celan / Nelly Sachs: Briefwechsel. Hg. von Barbara Wiedemann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1996 (Suhrkamp-Taschenbuch; 2489), S. 66f., Brief 70. Geoffrey Hartman: Der längste Schatten. Erinnern und Vergessen nach dem Holocaust. Übersetzt von Axel Henrici. Berlin: Aufbau-Verlag 1999, S. 235. Wenn der Dichtende nicht zu einer wie immer gearteten Katharsis zu gelangen hoffen darf,
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Wie spricht man, wenn Sprache zum Spott wider den Sender gerät?162 Hartman schreibt von einem »Trauma im Trauma selbst«,163 das im Kollaps des Zeugen und des Zeugens begründet ist. »Lichtverzicht«164 ist, was »dem Glanz einer Erzählerstimme«165 widerfahren soll, die angesichts des Aufgetragenen – einer »disaster notation«166 – bricht. Doch dieses Zersplittern der Instanz des Senders oder Zeugen ist zugleich ein Korrodieren der Idee der Quelle, der »Inspirationsquelle«,167 des Unsichtbaren, Gottes.168 Das Licht der Quelle offenbart nur noch seine Absenz, die Finsternis.169 Es bleibt freilich zu fragen, ob gerade Gott eine »isolierbare Instanz des sprachlichen Prozesses«170 sein soll ... Auch Schweigen wider den Emp fäng er wird man zum Teil finden können, die Möglichkeit, »daß [...] der Fall [...] den Empfänger nicht betrifft«171 – es wäre dies die Kehrseite des Selbstzweifels.172 Jerry Glenn sieht in diesem Sinne etwa bei Celan die Reduktion des Ausdrucks und »a movement away from communication and toward silence«,173 die Negation von Gemeinschaft174 in jenen Versen, die aus »Bosheit oder der möglichen geistigen Verwirrung des Autors«175 sinnlos zu werden scheinen.
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verfällt notwendigerweise die »Macht der kathartischen Lust« (Jauß, Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik [Anm. 11], S. 176). Vgl. Hartman, Der längste Schatten (Anm. 161), S. 235. Vgl. auch Jean Bollack: Herzstein. Über ein unveröffentlichtes Gedicht von Paul Celan. Übersetzt von Werner Wögerbauer. München, Wien: Hanser 1993 (Edition Akzente), S. 55. Hartman, Der längste Schatten (Anm. 161), S. 236. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 142. Hartman, Der längste Schatten (Anm. 161), S. 237. Ebd., S. 238. Eine »écriture du désastre« statt »der überkommenen Sprache moralischer Anteilnahme – nämlich jener des bürgerlichen Humanismus« (ebd., S. 70). Ebd., S. 287, Anm. Vgl. ebd., S. 287f., Anm. Das »Licht [bricht] nicht in die Finsternis ein, um sie zu tilgen: Es offenbart diese« (ebd., S. 193). Werner Hamacher: Afformativ, Streik. In: Was heißt »Darstellen«? Hg. von Christiaan L. Hart Nibbrig. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1994 (Edition Suhrkamp; 1696), S. 340–371, hier S. 362, Anm. Lyotard, Der Widerstreit (Anm. 145), S. 35, Nr 26. Ebd., S. 35, Nr 27: »wir, die Davongekommenen, sind nicht befugt, darüber zu sprechen«. Jerry Glenn: Paul Celan. Eine Bibliographie. Wiesbaden: Harrassowitz 1989 (Studien der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund; 5), S. 143. Vgl. ebd., S. 141. Dorothee Kohler-Luginbühl: Poetik im Lichte der Utopie. Paul Celans poetologische Texte. Bern, Frankfurt a. M., New York: Verlag Peter Lang 1986 (Züricher germanistische Studien; 5), S. 254, Anm. Die Verfasserin gibt in dieser Passage Thesen Glenns wieder.
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An Details wie dem substantivischen Gebrauch des Nein zeigt sich solche Reserviertheit gleichfalls.176 Allerdings ist der Lyriker nicht zuletzt auf »die sprachschöpferische Potenz des einzelnen Lesers«177 angewiesen, soll die Stille in seinen Versen sich entfalten, das »Gelausche«178 den Schatten einer Gestalt gewinnen. Es muß Notiz genommen werden vom »Blick, mit dem die Kunstwerke den Betrachter anschauen«;179 Dichtung braucht den Leser, besteht auch die Gefahr, sie könne dem »falschen Publikum in die Hände«180 geraten. Das Gedicht ist einsam.181
Es ist einsam, doch »es braucht ein Gegenüber«,182 was auch heißt: es braucht seinen Leser. »Eigengesetzlichkeit – nicht Selbstgenügsamkeit«,183 so beschreibt Jean Bollack, worin die vordergründig totale Abschottung von Celans Werk begründet ist. Man kann – den Text qua intentio operis als Sender auffassend – in diesem Zusammenhang auch auf Blumenbergs Interpretation eines Brüchigwerdens Gottes hinweisen, der (wie oben dargelegt) als Inbegriff der vollkommenen Quelle doch allein durch den Mangel dessen, in das er strömt, desavouiert ist, vor allem aber dadurch, daß er ohne diese seltsame Opposition der Nichtigkeit anheimfiele: Schöpfung als »Kompensation eines göttlichen Evidenzmangels«184 ... Die zentral betroffene Instanz aber scheint der R e fe r en t zu sein, »die Fähigkeit der Sprache, die Gaskammern (eine unausdrückbare Absurdität) zu bezeichnen«,185 ist fraglich, Sprache ist verwundend und verkürzend, wo sie auf eine völlige begriffliche Erfassung von Wirklichkeit abzielt, wird in dieser Tendenz Prokrustes verwandt.186
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Vgl. Schärer, Negationen im Werke Paul Celans (Anm. 92), S. 9. Dietlind Meinecke: Wort und Name bei Paul Celan. Zur Widerruflichkeit des Gedichts. Bad Homburg v. d. H., Berlin, Zürich: Gehlen 1970 (Literatur und Reflexion; 2), S. 18. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 334. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 185. Rolf Wiggershaus zum Geschick der Todesfuge zit. in: Arno Orzessek: Grab in den Lüften. In: Süddeutsche Zeitung, Nr 71, 26. März 1997, S. 16. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 198. Ebd. Bollack, Voraussetzungen zum Verständnis der Sprache Paul Celans (Anm. 17), S. 319. Hans Blumenberg: Matthäuspassion. 4. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993 (Bibliothek Suhrkamp; 998), S. 126; vgl. ebd., S. 17, passim. Lyotard, Der Widerstreit (Anm. 145), S. 35, Nr 27. Sind die anderen Momente des Schweigens nur bedingt nachzuweisen, sind Bedeutung und Referent als ausgestrichene Instanzen nachgerade omnipräsent; nebenbei bemerkt können natürlich »mehrere dieser Negationen zusammen« wirken (ebd., S. 35, Nr 26). Das System der Instanzen in seiner Komplexität wird auch bei Derrida aufgegriffen.
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Zweiter Teil Kein Zeichen, heute, bezeichnet.187 Die wahre Sprache der Kunst ist sprachlos, ihr sprachloses Moment hat den Vorrang vor dem signifikativen.188
Diese Notiz wird man bedenken müssen, wenn in der Folge nachzudenken ist, was Sprache und Zeichen dann seien; offensichtlich ist Reibung ins sich glatt präsentierende System der Sprache geraten.189 Und man wird zu fragen habe: Wie ist diese Notiz und das an sie Geknüpfte angesichts der verdichteten Krise des Denkens aufzugreifen, in der Darstellung jenes Orts, wo »nichts von dem, was dort »verausgabt« wurde, erhalten bleibt, [...] die Forderung nach einem Resultat [...] enttäuscht wird«?190 Beiseite gelassen sei noch die Frage, ob die Aufgliederung von Sprache in Instanzen voraussetze, daß diese auch definierbar und isolierbar seien. Einerseits funktioniert, was Lyotard umreißt, offenkundig nur in Wechselwirkung; andererseits ist eine Formel – zumal der Negation – durch die Unschärfe ihrer Komponenten wohl nicht widerlegt. Im Werk von Rose Ausländer sind die vier Möglichkeiten von Dunkel sämtlich – so dies kein immanenter Widerspruch ist – auszumachen. Was die B e d eu tung angeht, ist zwar festzuhalten, daß die Dichterin ihr Lebtag ein sozusagen versöhnlicheres Verhältnis als manche ihrer Zeitgenossen zur Sprache entwickelt hat – von einem »Versagen der verbalen Sprache«191 findet sie rasch zum Bruch mit der Dominanz der »Sprachskepsis«192 –, zugleich jedoch zu durchaus dunklen Versen gelangt, deren Potential auszuloten keine geringe Aufgabe sein sollte. 187
188 189
190
191 192
Paul Celan, zit. in: Monika Schmitz-Emans: Paul Celan und die schriftmetaphorische Tradition. In: »Der glühende Leertext«. Annäherungen an Paul Celans Dichtung. Hg. von Christoph Jamme und Otto Pöggeler. München: Fink 1993, S. 87– 112, hier S. 97. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 171. Es hat »eben jedes System[,] ein Loch« (Heimito von Doderer: Die Merowinger oder Die totale Familie. München: Biederstein 1975, S. 21). Auf die These, daß »any [...] system must remain essentially open« (Geoffrey Bennington und Jacques Derrida: Jacques Derrida. Übersetzt von Geoffrey Bennington. Chicago, London: The University of Chicago Press 1993 [Religion and Postmodernism], S. 1), wird später zurückzukommen sein. Es wird sich dann zeigen, daß das Loch nicht benennbar, statisch oder singulär sein kann. Dr. Schajo und Schnippedilderich erweisen sich bei Doderer denn auch gleichermaßen als solches (vgl. Doderer, Die Merowinger oder Die totale Familie [Anm. 189], S. 21 u. S. 83). Lyotard, Streitgespräche, oder: Sätze bilden »nach Auschwitz« (wie Kap. 1, Anm. 185), S. 23. Vgl. Jean-François Lyotard: Discussions, or Phrasing »after Auschwitz«. Übersetzt von Georges Van Den Abbeele. In: The Lyotard Reader. Hg. von Andrew Benjamin. Oxford, Cambridge: Basil Blackwell 1989, S. 360–392, hier S. 364; ders., Der Widerstreit (Anm. 145), S. 152ff., Nr 152ff. Köhl, Die Bedeutung der Sprache in der Lyrik Rose Ausländers (wie Kap. 1, Anm. 87), S. 66. Ebd., S. 84f. (Anm.).
Theodor W. Adornos Antwort
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Der S end er ist in diesem Sinne angegriffen, verstummt jedoch nicht; er stammelt, was kaum Bedeutung haben kann, da all das, was es zu bedeuten hätte, Sprache inkongruent sein muß. Nicht die Verstorbenen sind am Leben erhalten in diesen Versen, es »ist ihr Tod lebendig in uns«,193 ihr Blut fließt in sie im Gedenken unablässig klärenden und darum versehrenden »Dornenadern«.194 »Mit dem Maulwurf [...] verbrüdert«,195 so nennt sich das lyrische Ich in einem der früheren Gedichte. Es schafft im Dunkeln, es kann nicht trösten: Der Geist, der kein Tröster mehr sein kann, wird zum Wühler.196
Die Lyrikerin, so müßte man vielleicht noch mit einem Blick auf ihre Vita ergänzen, war nicht geringe Zeit auch im täglichen Leben von ihrer Umwelt getrennt – zunächst von ihrer Leserschaft durch die ungünstigen Umstände zur Zeit ihrer ersten Publikationen197, später, wie Braun im Vorwort zu Jeder Tropfen ein Tag festhält, im Nelly-Sachs-Haus, wo sie »in selbstgewählter Isolation« »lebte [...] und schrieb«.198 Dem Em p fäng er begegnen die Worte Rose Ausländers sozusagen in höflicher Reserviertheit. Und sie erinnern: Propria Poesia.199 Sie bleiben in ihrer Intimität unzugänglich, die Suche nach der »Phönixgespielin«200 vollzieht sich, so könnte man sagen, nicht innerhalb der Leserschaft, wenngleich – vermittelter – natürlich auch hier nach einem Du gelauscht wird, das verstünde.201 Der private Charakter einiger Gedichte, die dann auch nicht unbedingt den Ansprüchen genügen, welche man an Lyrik zu stellen geneigt ist,202 ist damit nicht gemeint, ebensowenig das eine oder andere biographisch aufzuschlüsselnde Detail.203 193 194 195 196 197 198 199
200
201 202 203
Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (Anm. 99), Bd 2, S. 264. Ebd., S. 273. Ebd., S. 285. Hans Blumenberg: Höhlenausgänge. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989, S. 645. Vgl. Helfrich, Rose Ausländer (wie Kap. 1, Anm. 55), S. 156ff. u. S. 357; Braun, »Es bleibt noch viel zu sagen« (wie Kap. 1, Anm. 28), S. 14ff. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 45), Bd 8, S. 5. Vgl. Peter Waterhouse: Propria Persona (Propria Poesia). On the work of Michael Hamburger. In: Der Prokurist 1.2 (April 1990): Was Sprache ist?, S. 359–379, hier S. 359. Rose Ausländer: Gesammelte Werke in sieben Bänden und einem Nachtragsband mit dem Gesamtregister. Hg. von Helmut Braun. Bd 5: Ich höre das Herz des Oleanders. Gedichte 1977–1979. 2. Aufl., Frankfurt a. M.: S. Fischer 1984, S. 125. Vgl. auch Kristensson, Identitätssuche in Rose Ausländers Spätlyrik (wie Kap. 1, Anm. 50), S. 43 u. S. 56. Vgl. Werner-Birkenbach, »Durch Zeitgeräusch wandern von Stimme zu Stimme ...« (wie Kap. 1, Anm. 29), S. 357. Hier wäre an die Hinweise von Helfrich die Beziehung der Dichterin zu Helios Hecht betreffend zu denken (vgl. Helfrich, Rose Ausländer [wie Kap. 1, Anm. 55], S. 103, passim), die leider in etwas gewagte Schlüsse übergehen. Vgl. die Lesezeichen von Harald Vogel und Michael Gans in: Rose Ausländer: Rose Ausländer
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Zweiter Teil Fremdwort [...] es liegt mir auf der Zunge ein Fremdwort für dich ...204
Die Dichterin stößt nur selten vor den Kopf, läßt aber manche Idee fast programmatisch unklar, wobei die Tendenz zum Dunkeln zuletzt der Schöpferin der Verse und dem, was es zu erzählen gilt, zugeschrieben wird: Du sprichst mich an Hat dein Wort mich erkannt? Ich bin ein Fragezeichen kein Punkt ...205
Der R e f er en t ist, wie sich erraten läßt, stets betroffen – ob ironisiert, ob der Bedeutung beraubt oder in die Leere gesprochen, im Gedicht als einem oszillierenden und springenden Ort der Verwandlung ist der Referent nie, was er zu sein vorgibt; repräsentiert, was nicht präsent sein kann. Köhl schreibt zu dieser Instanz im Werk der Dichterin: Die Frage nach dem Erkenntniswert des »Zeichens« wird meistens gar nicht gestellt. Im Zusammenhang mit letzterem steht fast immer die mangelnde Bedeutung im Vordergrund [...]. Solange dem »Zeichen« die Bedeutung fehlt, kann es auch nicht Erkenntnisträger sein. Eine Diskussion um die Erkenntnis durch das »Zeichen« und ihr Verbot erübrigt sich folglich in Rose Ausländers Lyrik.206
Bei aller Akkuratesse der Studie von Köhl macht diese Passage doch stutzig. Ausgehend von der These, ein Mangel an Referenz entspreche einem gänzlichen Fehlen von Erkenntnis, wird hier aus einer beschädigten Sprache eine, die nicht nur verstümmelt, vielmehr ausgelöscht zu sein scheint. Nun ginge es an, derlei allgemein zu behaupten, wenngleich man im Bereich der Selbstreferentialität solcher Aussagen in nicht geringe Schwierigkeiten käme; nur noch abstrus aber machen sich die Sätze aus, sind sie auf Rose Ausländer bezogen, die – auch nach Köhl – das Scheitern von Sprache als Schlußpunkt nicht setzt.207 Folgt man der Zergliederung des Referenten in diesen Gedichten, wird man weiters feststellen, daß die Grammatik hier nur geringen Schaden nimmt:
204 205 206 207
lesen. Lesewege – Lesezeichen zum literarischen Werk. Hg. von Harald Vogel und Michael Gans. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 1997 (Leseportraits; 2), S. 56f. u. 117. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (Anm. 55), Bd 3, S. 161. Ebd. (Anm. 200), Bd 5, S. 132. Köhl, Die Bedeutung der Sprache in der Lyrik Rose Ausländers (wie Kap. 1, Anm. 87), S. 80, Anm. Vgl. ebd., S. 84f., Anm.
Theodor W. Adornos Antwort
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Anders als Celan löst Ausländer [...] die vertrauten grammatischen und syntaktischen Strukturen nicht auf, sondern fügt die »Sterne« ihrer frühen Verse in immer neue und ungewöhnliche Sprachkonstellationen ein.208
Metaphern und Metonymien sind das bevorzugte Terrain der Lyrikerin, neue Kontextualisierungen, das geglückte Spiel mit Zitaten und Infinitivkonstruktionen,209 die zu Zweideutigkeit führen, kommen hinzu und zeichnen ihr Œuvre aus. Insofern hintertreibt Rose Ausländer die Grammatik nur vorsichtig, »Auslassung«210 ist nicht wirklich die Regel, auch wenn so etwas wie ein Grammatikalischer Herbst einsetzen mag.211 Alles in allem kann man sagen, daß also das Zeichen und die Frage nach seiner Tragfähigkeit hier keinesfalls einfach entfallen. Vielmehr kommt Bewegung ins Sprechen, wird an den Rand dessen, was Sprache vermag, gegangen, wobei die Legitimation der Lyrik darin begründet ist, zum einen neue Modi des Schreibens zu erfinden, zum anderen aber dadurch auch genau das zu tun, was Köhl verneint: die Frage nach der Zulässigkeit des Erkenntnisträgers Sprache zu stellen, Sensibilität für den »Mangel an Armut«212 in Sprache zu entwickeln. Von »Quecksilberworten«213 schreibt die Lyrikerin und extrapoliert damit überaus exakt, was Schrift ist, sein muß und sein kann: Diese Zeichen sind trotz einer gewissen Viskosität im Fluß,214 hell und glänzend (»Wortglanz«,215 was sogleich heilsames Dunkel, »Schatten«216 evo208
209 210 211
212 213 214 215
Colin, Ausländer (wie Kap. 2, Anm. 58), S. 129. Vgl. zur Grammatik Hartman, Der längste Schatten (Anm. 161), S. 237 und Bernhard Böschenstein: Leuchttürme. Von Hölderlin zu Celan. Wirkung und Vergleich. Studien. Frankfurt a. M.: Insel 1977, S. 318. Zu Wörtern und Worten vgl. Köhl, Die Bedeutung der Sprache in der Lyrik Rose Ausländers (wie Kap. 1, Anm. 87), S. 52 und Maria Kłańska: »Ich Überlebende des Grauens schreibe aus Worten Leben«. Zur Problematik von Sprechen und Schweigen bei Rose Ausländer. In: »... wortlos der Sprache mächtig«. Schweigen und Sprechen in der Literatur und sprachlicher Kommunikation. Hg. von Hartmut Eggert und Janusz Golec. Stuttgart, Weimar: Metzler 1999 (M & P – Schriftenreihe für Wissenschaft und Forschung), S. 133–158, S. 147. Köhl, Die Bedeutung der Sprache in der Lyrik Rose Ausländers (wie Kap. 1, Anm. 87), S. 75. Kristensson, Identitätssuche in Rose Ausländers Spätlyrik (wie Kap. 1, Anm. 50), S. 17. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (Anm. 55), Bd 3, S. 61. Vgl. Kristensson, Identitätssuche in Rose Ausländers Spätlyrik (wie Kap. 1, Anm. 50), S. 220f. Überraschend ist übrigens, daß diese durchaus dezent formulierende Interpretin vor der These nicht zurückschreckt, Rose Ausländer finde mit Celan zur »Lösung aus dem Dilemma«, »Sprache von negativen Konnotationen« durchsetzt als Mittel gebrauchen zu müssen (ebd., S. 21). Böschenstein, Leuchttürme (Anm. 208), S. 318. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 11), Bd 6, S. 270. Vgl. auch Köhl, Die Bedeutung der Sprache in der Lyrik Rose Ausländers (wie Kap.1, Anm. 87), S. 75. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 163.
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Zweiter Teil
ziert), von Gewicht und schließlich giftig, wobei dieser destruktive Zug in der Interpretation bislang heruntergespielt worden sein mag.217 Doch es hilft nichts: Schriftzeichen sind Giftleichen.218
Diese letzte Charakterisierung wird vor allem in der Arbeit mit Derrida zutage treten, für dessen Denken das pharmakon bekanntlich nicht unwichtig ist. Hinzukommt, daß mit der steten Veränderung auch die Lektüre nicht statisch bleiben darf. Immer noch und in Ewigkeit sind »die Zeichen [zu] erlernen«219... Ehe ich das Terrain der Negation von Sender, Empfänger, Referent und Bedeutung verlasse, möchte ich noch kurz auf die Darstellung des sukzessiv zu zerfallen scheinenden Bandes bei Bahr verweisen – nach der Transzendenz als Bürgen einer Einlösung fällt der Dritte, woran die Aberrationen im Zaum zu halten waren, sodaß der verbleibende »Bote zugleich die Instanz [ist], durch welche die Abspaltung von Signal und Botschaft selber erfahrbar wird«.220 Und zu diesem Boten wird bereits jeder, dem Sprache überliefert wurde, um sie weiter zu überliefern.221
Indem der Bote zum Schreiber wird, radikalisiert sich das Bild, es bleibt ein sozusagen toter Träger der Botschaft – durch ihn wird »die Form der Aussage«222 und somit auch ihr vom Boten Vermitteltes bestimmt; durch die Ikonographie, die Bildlichkeit wird sogleich eine Authentizität suggeriert, deren kaschiertes Schwinden die Klüfte nochmals zu weiten scheint.223 Freilich ist dies, zumal die Kluft nie hinreichend zu überbrücken war, als Wendung nicht nur ins Negative festzuhalten: All diese Einschnitte in die Zwiegespräche »vermehren die Umstände, durch welche die Vielartigkeit ihrer Impulse dann als komplexere Botschaften interpretiert werden können«,224 eben auch ... Nur en passant ist vorerst, wo den Zeichen Befremden zugesellt ist, vom Problem des Fremdworts zu sprechen; vom Erscheinen von Wohlbekannten an 216 217 218 219
220
221 222 223 224
Ebd. »Wahr spricht, wer Schatten spricht.« Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (Anm. 43), Bd 1, S. 135. Vgl. z. B. Köhl, Die Bedeutung der Sprache in der Lyrik Rose Ausländers (wie Kap. 1, Anm. 87), S. 75, Anm. Andreas Okopenko: Immer wenn ich heftig regne. Lockergedichte. Wien: Edition Falter/Deuticke 1992, S. 11. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (Kap. 1, Anm. 11), Bd 6, S. 270. Vgl. auch Jacques Derrida: Adieu. Nachruf auf Emmanuel Lévinas. Übersetzt von Reinold Werner. München, Wien: Hanser 1999 (Edition Akzente), S. 144. Hans-Dieter Bahr: Medien und Philosophie. Das Problem der Mitte. Vermittlung – Medium – Netzwerk. Hg. von Florian Petsch. 4. Aufl., Wien: institutsgruppe philosophie 1997, S. 9; vgl. ebd., S. 6f. Ebd, S. 9. Ebd., S. 15. Vgl. ebd., S. 10, 11ff. u. 14. Ebd., S. 21.
Theodor W. Adornos Antwort
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neuem Orte, was sogleich zur Metapher als einem Mittel sprachlicher Authentizität führt; vom Neologismus, der auch da gegeben ist, wo einem Wort ganz offensichtlich jene Bedeutung nicht gerecht wird, die Konversationslexika für es anführen. Dabei ist ein Bogen vom Schock über ein Feld neuer – etwa lautlicher – Assoziationen bis hin zur Einschreibung zu spannen. Immer gilt für diese fremden Wörter, was Adorno formulierte: Fremdwörter sind die Juden der Sprache.225
Allerdings wird sich beim unvermeidlichen Kreisen um die angesprochenen Fragen im Laufe meiner Studie zeigen, daß die Bedeutung dieses Kommentars selbst keineswegs stabil sein kann, er in einem immer wieder neuen Sinn zutreffend ist ...226 Was all die Brüche eint, die vorm Leid der schlechthinnigen Opfer entstehen, da »der Satz der Zeugenaussage selbst seines Geltungsanspruches beraubt«227 ist, läßt sich also aus den Brüchen bedingt lesen – es ist der Umstand zuallererst, daß mit dem Tod des Opfers zur Unaussprechbarkeit verdammt sein muß, was zu artikulieren wäre. Darum wird dieses Leid verschwiegen – Opfer sein bedeutet, nicht nachweisen zu können, daß man ein Unrecht erlitten hat.228
Lyotard, der dies schreibt, ist hier Adorno durchaus nahe,229 der »Verschweigen«, »Sprache [...] des Toten«230 als Charakteristika einer Dichtung nennt, die nicht kunsthandwerklicher Rückgriff auf tradierte Formensprache sein soll; auf Auschwitz angewandt bedeutet Lyotards These:
225 226
227 228
229
230
Adorno, Minima Moralia (wie Kap. 1, Anm. 166), S. 141, Aph. 72. Vgl. auch Martin Hainz: Masken der Mehrdeutigkeit. Celan-Lektüren mit Adorno, Szondi und Derrida. Wien: Braumüller 2001 (Untersuchungen zur österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts; 15). Lyotard, Der Widerstreit (Anm. 145), S. 20, Nr 7. Ebd., S. 25, Nr 9. Derrida ergänzt, der Begriff des Opfers sei zugleich in der abendländischen Tradition mit dem Anspruch verknüpft, prinzipiell zum Widerstreit, zu einer Sprache in der Lage zu sein. Vgl. Jacques Derrida: Gesetzeskraft. Der »mystische Grund der Autorität«. Übersetzt von Alexander García Düttmann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991 (Edition Suhrkamp; 1645), S. 37 und Jean Baudrillard: Der symbolische Tausch und der Tod. Übersetzt von Gerd Bergfleth, Gabriele Ricke und Ronald Vouillé. München: Matthes & Seitz 1982 (Batterien; 14), S. 196ff., passim. Vgl. Gerhard Schweppenhäuser: Theodor W. Adorno zur Einführung. Hamburg: Junius 1996 (Zur Einführung; 132), S. 182, Anm.), wo die Nähe der gleichermaßen »spätmoderne[n]« Ästhetiken Adornos und Lyotards diskutiert wird. Vgl. Peter V. Zima: Moderne / Postmoderne. Gesellschaft, Philosophie, Literatur. Tübingen, Basel: Francke 1997 (UTB für Wissenschaft: Uni-Taschenbücher; 1967), S. 176ff. u. 209ff., der Lyotards Philosophie als »in mancher Hinsicht adornianische« beschreibt (S. 209). Vgl. Wolfgang Welsch: Ästhetisches Denken. 3. Aufl., Stuttgart: Reclam 1993 (Universal-Bibliothek; 8681), S. 145 u. 155. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 477.
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Zweiter Teil Als Toter kann man nicht bezeugen, daß man in einer Gaskammer umgekommen ist.231
Es ist zu bedenken, »daß über das Erschrecken selbst nicht anders gesprochen werden kann, als wenn dieses selbst ausbleibt, so daß hier gerade das Aussagen des Schreckens unterbleibt«.232 Ähnliches gilt für den Abschied, der »keine teleologischen Rahmenbedingungen gültig«233 läßt. Wenn alledem so ist, bedeutet Affirmation in der Kunst zugleich Suspension ihrer selbst; Dichtung ist Rede, die sich selbst ins Wort fällt und in dieser Bewegung einen Widerspruch beredt werden läßt. Jean Bollack schreibt in Herzstein: Der immergleiche Bezugspunkt – Asche, Verbrennung, Gräue, Tod – verwandelt das Ich [...] in einen Spieler, der sich in das Netz des eigenen Spiels verstrickt, in den Widerspruch zwischen seiner emphatischen Rolle und seiner eigenen Unangemessenheit; er macht die sich selbst in Frage stellende Kunst zu einem fatalen Spottgebilde.234
Also ist es nicht falsch, von einem »Destruktionsprozeß, den der Künstler gegen sich selbst führen muß«,235 zu sprechen. Kunst zu zerstören, so müßte man attribuieren, was Kunst nach Auschwitz sein kann: Ars negandi – Ars neganda. Wie kann eine solch beunruhigende Kunst bestimmt werden? Sie ist abgeschlossen, sie ist, und hier verweist Adorno auf Szondi – nicht unverständlich.236 Neben den allgemeinen Argumentationen von Menke, der die »Nichtaussagbarkeit und Nichtverstehbarkeit ästhetischer Zeichen«237 scheidet, ist 231
232 233 234
235
236 237
Lyotard, Der Widerstreit (Anm. 145), S. 18, Nr 2. Vgl. ders., Die Rechte des Anderen. Übersetzt von Michael Bischoff. In: Die Idee der Menschenrechte. Hg. von Stephen Shute und Susan Hurley. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1996 (Fischer Taschenbuch; 12995), S. 179 u. 182. Bahr, Tropisches Denken (Anm. 112), S. 42. Bohrer, Abschied (wie Kap. 1, Anm. 25), S. 59; vgl. ebd., S. 79. Bollack, Herzstein (Anm. 162), S. 55. Vgl. zu dieser Dialektik von ererbtem Schauer und Clownerie auch Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 180f. Vgl. zu diesem Bezugspunkt Rose Ausländers auch Ursula Homann: »Raum, wo man atmen kann«. Rose Ausländer erhält den Buchpreis evangelischer Büchereien. In: Der Weg 12 (1986), S. 14. Voswinckel, Paul Celan (Anm. 157), S. 50, freilich ohne die Baudelaires Werk eigenen »Wonnen des Satanischen« (ebd.). Vgl. auch Terry Eagleton: Ästhetik. Die Geschichte ihrer Ideologie. Übersetzt von Klaus Laermann. Stuttgart, Weimar: Metzler 1994, S. 375, wo Adornos Philosophie nicht unähnlich umrissen wird. Vgl. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 475. Menke, Die Souveränität der Kunst (Anm. 26), S. 101. Vgl. auch Albrecht Wellmer: Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne. Vernunftkritik nach Adorno. 5. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 532), S. 13, zur »nicht-diskursive[n] und diskursive[n] Erkenntnis« (ebd.); zu den Möglichkeiten endlicher Sinnsysteme, die »ihr Ende für sich selbst nicht erst am Ende« (Alois Hahn: Unendliches Ende: Höllenvorstellungen in soziologischer Perspektive. In: Das Ende. Figuren einer Denkform. Hg. von Karlheinz Stierle und Rainer Warning. München: Fink 1996 [Poetik und Hermeneutik; 16], S. 155–182, hier S. 159) und somit (stets?) zu perpetuieren sind, vor der Unendlichkeit. Vgl. ebd. sowie ebd., S. 156, passim.
Theodor W. Adornos Antwort
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auch eine begriffliche Differenzierung Buhrs hier zu erwähnen. In seiner Studie wird »das zu Verstehende vom Erklärbaren unterschieden«.238 Dadurch ist die »Negativität der Kunst und Dunkelheit der Dichtung«239 widerspruchsfrei mit dem »Eingedenken – entgegen [...] der Annullierung des Vergangenen – «240 vereinbar. Die Konstellation der ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten gehorchenden Dichtung und dessen, was in sie »eingegangen ist«,241 eingeschrieben, wenn man es mit Derrida formulieren will, ist indes eine, welche Buhr an die Grenzen seines Zugangs treibt; sein Modell der Polysemie,242 das jedoch zugleich »nicht einfach [...] [auf] das Subjekt des Sprechenden«243 bezogen bleibt, ist tragfähig bis zur Eindämmung der so gezeitigten Effekte mittels der arbiträr scheinenden Klassifikation der Metaphern in relative und absolute, mit Buhr: absurde.244 Ähnlich ergeht es Meinecke; die »Unmöglichkeit eines adäquaten Bezugssystems«245 führt hier schlüssig zur (schon erwähnten) »sprachschöpferische[n] Potenz des einzelnen Lesers«,246 wobei gleichfalls das Wirken der Worte dann durch eine legitimiert scheinende Fortführung der dichterischen Anfänge Unterdrückung erfährt.247 Es ist, so schreibt Wellbery in einer Darlegung zur Auflösung der Metapher, die im steten Bruch mit Vorstellungssystemen besteht, welcher die spezifische Benennung der Metaphorik in der infiniten Ausdehnung des ihr zugerechneten Repertoires von Effekten verunmöglicht, »kein Begriff der Metapher, der nicht seinerseits metaphorisch wäre«.248 Ein Diskurs über die Metapher kann sich nur entfalten, wenn man das Feld der zu untersuchenden Phänomene – eben der Metaphern – definitorisch festzulegen vermag. [...] Jede Definition der Metapher jedoch operiert ihrerseits mithilfe einer Metapher, die daher einen doppelten Status erhält. Einerseits gehört sie – als Metapher – dem 238 239 240 241 242 243 244 245 246 247
248
Gerhard Buhr: Celans Poetik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1976, S. 10. Buhr weist auf Szondis Einsichten hin (vgl. ebd., S. 13). Ebd., S. 14. Ebd. Ebd., S. 87. Vgl. ebd., S. 40f. Ebd., S. 105; vgl. ebd., S. 104f. Vgl. ebd., S. 158. Meinecke, Wort und Name bei Paul Celan (Anm. 177), S. 12. Ebd., S. 18. Vgl. ebd., S. 66: »Das Fehlen des archimedischen Punktes [...] läßt die Sehnsucht nach der letztgültigen [...] Sprache leer ausgehen.« Vgl. auch ebd., S. 142, Anm. u. S. 146f. Scharfsinnig richtet Menninghaus sich gegen diesen eher zweifelhaften »Begriffs-Dualismus« (Menninghaus, Paul Celan [wie Kap. 1, Anm. 189], S. 134, vgl. ebd., S. 134 u. 279, Anm. David E. Wellbery: Retrait / Re-entry. Zur poststrukturalistischen Metapherndiskussion. In: Poststrukturalismus. Herausforderung an die Literaturwissenschaft. Hg. von Gerhard Neumann. Stuttgart, Weimar: Metzler 1997 (DFG-Symposion 1995 – Germanistische Symposien Berichtsbände; 18), S. 194–207, hier S. 198.
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Zweiter Teil Feld der Metaphern an; andererseits entzieht sie sich diesem Feld, um es als Gesamtheit aufzufassen. [...] Das Problem [...] besteht also darin, daß die Rede über die Metapher zumindest einer zusätzlichen Metapher bedarf, um ihre Gegenstandsdomäne zu bestimmen. Damit aber setzt sie sich unvermeidlich selbstreferentiellen Verstrickungen aus: ein Element [...] umfaßt die ganze Menge, schwebt unentscheidbar zwischen Objekt- und Metasprache, mit dem Ergebnis, daß Äußerungen über die Metapher metaphorischen Status annehmen.249
Verantwortbar ist somit kaum mehr denn die allgemeine Umschreibung des Metaphorischen bei Ricœur, der zuallererst darauf verweist, daß es das unmaskierte Wort, das Wort ohne metaphorische Grundierung nicht gebe – wenngleich diese oft nicht mehr wahrgenommen und »der Wortschatz ein Friedhof ausgelöschter, aufgehobener, »toter« Metaphern«250 sei; er schreibt: In »der Erzeugung eines neuen Satzes, in einem Akt unerhörter Prädizierung entsteht die lebendige Metapher wie ein Funke, der beim Zusammenstoß zweier bisher voneinander entfernter semantischer Felder aufblitzt. In diesem Sinne existiert die Metapher nur in dem Augenblick, in dem das Lesen dem Zusammenstoß der semantischen Felder neues Leben verleiht und die impertinente Prädikation erzeugt.«251 Die Metapher [...] [ist] ein Hiatus in der Bedeutung der Worte.252
Man müßte hier auf die Differenzen zwischen Ricœur und Nietzsche, aber auch dessen eher legitim scheinenden Erben Derrida detaillierter eingehen, als es im Rahmen meiner Studie angebracht scheint. Doch kann man in bezug auf Ricœurs Rede vom Friedhof doch pointiert exponieren, worin die Geister sich scheiden. Jener geht davon aus, daß es Begriffe gibt, deren Kern einigermaßen erhärtet an seiner Position ruht, wobei um jede »Bedeutung ein Dunstkreis«253 verbleibt, wie es in den Philosophischen Untersuchungen Wittgensteins heißt. Das philosophische Bemühen wäre darum dadurch gekennzeichnet, in bezug auf die Lage präziser zu werden, dem Ideal des Kristalls sich anzunähern.254 Mag nun auch dieses Ideal verfehlt sein und auf ein Terrain führen, dessen Idealität in Verflüchtigung und Glätte umschlägt oder liegt (»Zurück auf den
249
250
251 252 253 254
Ebd., S. 200; vgl. auch Umberto Eco: Die Grenzen der Interpretation. Übersetzt von Günter Memmert. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1995 (dtv; 4644 – dtv wissenschaft), S. 212. Paul Ricœur: Die lebendige Metapher. Übersetzt von Rainer Rochlitz. 2. Aufl., München: Fink 1991 (Übergänge; 12), S. VI. Ein Klassiker dieses Ansatzes ist die Schrift Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne (vgl. Nietzsche, Sämtliche Werke [wie Kap. 1, Anm. 128], Bd I, S. 880ff.) Ricœur, Die lebendige Metapher (Anm. 250), S. VI. Ebd., S. 8. Wittgenstein, Werkausgabe (wie Kap. 1, Anm. 133), Bd 1, S. 300, § 117. Vgl. ebd., S. 292, § 91 und S. 294, § 97.
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rauhen Boden!«255), bleibt doch alles in diesem System stabil – man könnte an verwitternde Grabinschriften denken, die aber zumindest Lagebestimmungen erlauben, mag auch die Lebensgeschichte des einen oder anderen Beerdigten teils unklar, lückenhaft, im Dunkel bleiben. Bei Derrida jedoch ist der Epitaph per se nahezu unleserlich geworden, da er durch den unendlichen Umfang der angeführten Abstammungen und Freundschaften sowie seinen teils schlechten Zustand jedes philologische und historische Ansinnen überfordert; die Lagepläne lassen keinen Schluß darauf zu, daß ein bestimmter Begriff an einem bestimmten Punkt in Frieden ruht, die Totengräber – Archivare, Dichter, Philosophen ... – sind permanent mit verschiedensten Intentionen am Werk und lösen selbst nahe Verwandtschaften – Familiengrüfte sozusagen – auf, um manch neuer Idee von Genealogie Platz zu verschaffen: Grabrede und Grabinschrift kommen nicht erst nach dem Tod; sie bearbeiten das Leben ... 256
Dieser Friedhof kann nur invers dem entsprechen, wovon er gescheiterte Umsetzung sein mag, wie eine Bemerkung Celans zeigt: Das Gedicht ist [...] der Friedhof aller Synonymik.257
Im Gedicht erweist sich die Unsäglichkeit des Synonyms, von dem Spuren wie Epitaphe verblieben sind, die Unsäglichkeit einer endgültigen Topographie, die eher als die Metaphern requiescat in pace – »Begegnung mit der Sprache ist Begegnung mit Unsichtbarem«.258 Ricœur kennt eine Art von Aufhebung durch die Wiederaneignung dessen, wovon die »Metapher [...] Umweg«259 ist: Am Ende steht Ordnung verbürgend eine »Selbstrekurrenz der Metapher«.260 Derrida sieht – darin Nietzsche näher261 –, wie die von ihm beobachteten und produzierten Effekte der Schrift die indirekte Ordnung der Polysemie sprengen und in diesem Friedhof für eine Unruhe sorgen, die ungebührlich erscheinen mag:
255 256 257 258 259 260 261
Ebd., S. 297, § 107. Jacques Derrida: Mémoires. Für Paul de Man. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek, hg. von Peter Engelmann. Wien: Passagen 1988 (Edition Passagen; 18)., S. 42. Paul Celan: Der Meridian. Endfassung – Vorstufen – Materialien. Hg. von Bernhard Böschenstein u. a. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999 (Tübinger Ausgabe), S. 118. Ebd., S. 105. Ricœur, Die lebendige Metapher (Anm. 250), S. 266. Ebd. Vgl. ebd., S. 266f., passim. Vgl. Derridas Schriften, die besessen um diese Konstellationen kreisen, sowie Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd I, S. 880ff.; Manfred Frank: Das Sagbare und das Unsagbare. Studien zur deutsch-französischen Hermeneutik und Texttheorie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1990 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 317), S. 146f., S. 224, S. 433, passim.
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Zweiter Teil Ich sage [...] nicht Tod, weil ich an das, was man heutzutage den Tod [...] zu nennen pflegt, ganz und gar nicht glaube ([...] um so mehr als, wie jeder weiß, dem Toten immer eine ganz besondere Wirkung eigen ist).262
Detailliert ist von Adorno, zu dem ich damit zurückkehre, darauf, was letztendlich ein Zeichen sei, das nicht allein verweise oder aber auf Verweisfunktion beschränkt sei, in bezug auf eine Lyrik wie jene Ausländers oder Celans nicht geantwortet worden. Allerdings sind Grundüberlegungen getroffen, auf die im zweiten Teil meiner Arbeit zurückzugreifen möglich scheint; die Geltung der philosophischen Reflexionen Adornos für mehrere Erscheinungen, vielleicht sogar Grundzüge poetischer Praxis der Lyrik Rose Ausländers dürfte kaum zu leugnen sein, auch wenn es heikel scheint, die Bezüge zwischen Denker und Dichterin zu eng zu knüpfen. Immerhin ist die Annahme solcher Verbindungen gewiß eher zutreffend als die These, Adorno habe sich durch Poesie widerlegt sehen müssen, deren Worte dem Grauen in ihrer Angemessenheit ein Ende, das unmöglich und in gewissem Sinne ein widersinniges Ziel bleibt, bereiteten.263 Offen bleibt an dieser Stelle, wie weit Irrlitz’ Formulierung der Grundidee der Postmoderne, daß alles »Sein [...] verhängt sei«,264 auch auf Adornos Philosophie zu beziehen wäre – und ob Adorno, der so gerne zwischen Spät- und Postmoderne herumgerückt wird, in letzter Konsequenz diesem Gedanken Rechnung trägt.265 Offen bleibt gleichfalls, ob es nicht ein wenig kurios anmutet, daß im Sprung zu eben diesem postmodernen Denken, einem Denken des Mannigfal262
263
264
265
Jacques Derrida: Positionen. Gespräche mit Henri Ronse, Julia Kristeva, Jean-Louis Houdebine, Guy Scarpetta. Übersetzt von Dorothea Schmidt u. a. Hg. von Peter Engelmann. Graz, Wien: Böhlau 1986 (Edition Passagen; 8), S. 37. Vgl. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 123), Bd 4, S. 106. »Der authentische Lyriker mag in der Ästhetik Adornos durchaus eine Apologie des Gedichtschreibens finden: Es scheint, daß Paul Celan das ähnlich gesehen hat, warum sonst hätte er so insistierend von Adorno sich eine Arbeit über seine Gedichte wünschen sollen.« Rolf Tiedemann: »Nicht die Erste Philosophie sondern eine letzte«. Anmerkungen zum Denken Adornos. In: Theodor W. Adorno: »Ob nach Auschwitz noch sich leben lasse«. Ein philosophisches Lesebuch. Hg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997 (Edition Suhrkamp; 1844), S. 7– 27, hier S. 12 u. 25, Anm. Gerd Irrlitz: Postmoderne-Philosophie, ein ästhetisches Konzept. In: Postmoderne – globale Differenz. Hg. von Robert Weimann, Hans Ulrich Gumbrecht und Benno Wagner. 2. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 916), S. 133–165, hier, S. 134. Vgl. Schweppenhäuser, Theodor W. Adorno zur Einführung (Anm. 229), S. 182, Anm.; Zima, Moderne / Postmoderne (Anm. 229), S. 176ff. u. 209ff.; Johannes Bauer: Seismogramme einer nicht-subjektiven Sprache. Écriture und Ethos in Adornos Theorie der musikalischen Avantgarde. In: Impuls und Negativität. Ethik und Ästhetik bei Adorno. Hg. von Gerhard Schweppenhäuser und Mirko Wischke. Hamburg, Berlin: Argument-Verlag 1995 (Argument-Sonderband; N. F. 229), S. 82– 102, hier S. 102, Anm. und Lyotard, Die Moderne redigieren (Anm. 143), S. 25.
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tigen der Erzfeind Moderne in einem »merkwürdig kühnen Kollektivsingular«266 beschworen und zum Erscheinen gebracht werden soll, der – zumal seitens jenes gerühmten Patchwork-Denkens – nicht ganz gerechtfertigt ist.
266
Frank, Das Sagbare und das Unsagbare (Anm. 261), S. 364. Vgl. Richard Münch: Die Kultur der Moderne. Bd 2: Ihre Entwicklung in Frankreich und Deutschland. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1986. Bd 2, S. 848f.
Dritter Teil
Peter Szondis Antwort Welcher Wandel ist in jenen Studien zu konstatieren, mit denen Peter Szondi an die Vorüberlegungen anschließt, die zu porträtieren Anliegen eines ersten Kreisens um die Verse von Rose Ausländer war? In dieser Frage ist, wie sich erraten läßt, unterstellt, daß das Schreiten von den frühen Entwürfen zu den späten, von den Thesen der Kritischen Theorie zu den Strategien der Dekonstruktion nicht allein chronologischer Natur ist.1 Meine Arbeit kann eine Einleitung in Denken und Schaffen oder gar Leben der vier in ihr vor allem diskutierten Persönlichkeiten nicht leisten. Man könnte sich bestenfalls um treffende Skizzierungen bemühen, beispielsweise: »Adorno, Anwalt des Nicht-Identischen«.2 Zunächst sei auch auf eine Gemeinsamkeit der Philosophen hingewiesen, die der nach Blumenberg aller Philosophie eigenen und bei Adorno, Szondi und Derrida höchst lebendigen »Urgestalt der Enttäuschung«.3 Die »Bestimmung der Unmöglichkeit des Verweilens im Vollzug der Logik«4 eint sie, wobei sich zunächst ein Unbehagen ethischer Provenienz ästhetisch etabliert, die Furcht vor der Macht des Begriffs. Wiederum von Blumenberg stammt die Beobachtung: Jede Geschichte macht der blanken Macht eine Achillesferse.5
Die Kunst als »ein Stück hochkarätiger Arbeit des Logos«6 ist nicht zuletzt darum für Adorno so gewichtig, obgleich auch sie zur verstümmelten, kraftlosen Beschwichtigung oder Einschwörung verkümmern kann.7 Bei Derrida ist keine Hoffnung auf Umwege gegeben – es gibt nur noch sie, was sie zugleich auf- und abwertet. Auch ist das Andere dahin; mit der Destabilisierung der Begriffsstrukturen fällt es wie der Impetus, der im Negativ gelegen ist – in 1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Hainz, Masken der Mehrdeutigkeit (wie Kap. 2, Anm. 226). Wellmer, Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne (wie Kap. 2, Anm. 237), S. 135. Blumenberg, Höhlenausgänge (wie Kap. 2, Anm. 196), S. 615. Ebd., S. 757. Hans Blumenberg: Arbeit am Mythos. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1996, S. 22. Ebd., S. 18 (bei Blumenberg ist die Schaffenskraft des Mythos gemeint). Vgl. ebd., S. 382 zum künstlerischen Ausdruck als »eine der Provinzen des Logos« (ebd.) – der »Grenzbegriff der Arbeit am Mythos [...], diesen ans Ende zu bringen« (ebd. S. 295), ist stets schon ins Auge gefaßt, als Erreichtes wohl nur simuliert und verdorben.
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Dritter Teil
einer Entwicklung, die ich vor allem im Vergleich der theoretischen Hintergründe der praktizierten Lektüren darlegen will. Bei Szondi, dessen Theorie gewissermaßen in der Schwebe zwischen zwei durch Details in Unvereinbarkeit gekippte Positionen situiert ist, ist trotz strukturalistischer und anderer Einflüsse die Wirkung Adornos auf sein Schaffen schwerlich zu bestreiten. Nicht zuletzt ist dabei an das Beibehalten eines leeren Zentrums zu denken, an den wenigstens spätmodernen Ansatz, welchen Szondi sehr dezent darin entwickelt, daß er zeigt, wie Benennungen scheitern, da sie mit anderen in einer Art Agon konkurrieren, der unentscheidbar bleibt und letztlich zur Krise der Interpretation erwächst, die benennend beim Namen »frei [...] von der Schande der Arbeit«8 nicht sein kann. Die Strukturen der Dialektik, so könnte man auch sagen, werden beibehalten, ihr Anspruch aber ist gewandelt und eine »Kluft«9 zwischen dem Modell Hegels und jenem, das Hegel verpflichtet doch nicht den Weg seiner Phänomenologie des Geistes zu beschreiten gewillt oder fähig ist. Kunst wird zur Möglichkeit von Klage, indem sie diese nicht integrierend beruhigt, mundtot macht, sondern dem Identifikationsdenken die Stirn bietet:10 Die Idee der unversöhnlichen Anstrengung von Kunst ist Versöhnung als ihr Ende.11 12
Kunst ist der Notschrei jener, die an sich das Schicksal der Menschheit erleben.
Dies wird sie durch eine Verschiebung, die Szondi vornimmt, eine Akzentuierung, die, indem ihr ein Mangel an Konsequenz anzuhaften scheint, fast wider Erwarten die Interpretation zu einer großen Nähe zum Material führt. Wo Adorno von Hermetik schreibt, gelangt man mit seinem Denken in eine fragwürdige Position: Das Dilemma, daß eine Dialektik, die mit Grund sich selbst widerstrebt, schwierig zu denken ist, ist nicht zuletzt eben damit zu erklären, daß die Abgründe der negativen Dialektik von ihr selbst geschaffen werden müssen, die an Kants Problem in Hegelscher Atmosphäre erinnern sollen. Konstruierte Abgründe jedoch sind nicht allzu tief ...13 Die Aufgabe einer stringenten Formulie8
9 10 11
12 13
Norbert Bolz: Die Utopie des Besonderen – Zum ästhetischen Nominalismus Th. W. Adornos. In: Die unvollendete Vernunft: Moderne versus Postmoderne. Hg. von Dietmar Kamper und Willem van Reijen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1987 (Edition Suhrkamp; 1358), S. 497–513, hier S. 510. Szondi, Studienausgabe der Vorlesungen (wie Kap. 2, Anm. 47), Bd 2, S. 415; vgl. ebd., S. 415f. Vgl. Bolz, Die Utopie des Besonderen – Zum ästhetischen Nominalismus Th. W. Adornos (Anm. 8), S. 498. Theodor W. Adorno: Valérys Abweichungen. In: ders., Noten zur Literatur. Hg. von Rolf Tiedemann. 4. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 355), S. 158–202, hier S. 202. Severin Hansbauer: Augen.Blick. Eine Skizze zu Bildern Arnold Schönbergs und Texten Theodor W. Adornos. Wien: Passagen 1994 (Passagen Philosophie), S. 34. Demgemäß ist Kant (was man leicht übersieht) durchaus schalkhaft – vgl. Gernot Böhme: Kants Kritik der Urteilskraft in neuer Sicht. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 1420), S. 12.
Peter Szondis Antwort
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rung solcher Abgründe aber führt zu etwas, was an anderem Orte als Erscheinung so beschrieben wird: Die »Philosophie verweigert sich jedem System, möglich ist nur noch die Äußerung [...] möglichst kurzer Aphorismen«.14 Freilich herrscht kein breiter Konsens über diesen Weg von Adornos somit vielleicht im doppelten Wortsinne ästhetischer Theorie.15 Man könnte jedenfalls sagen, daß in Adornos Versuch ursprünglich eine Integration des Nicht-Findens ins Finden gelingen soll, ein Index des Scheiterns, wobei das Konzept der so gearteten Abgrenzung des Findens unter anderem im Bild des Tastens zu erkennen ist: Durchgeführte Kritik an der Identität tastet nach der Präponderanz des Objekts.16
Diese Konstellation jedoch kippt in eine andere, sozusagen inverse Formel von Erkenntnis, worin »Finden nur ein Teil des Nichtfindens ist.«17 Dies meint gerade den Kniefall von Theorie vorm »Produkt ihrer eigenen Verstümmelung«18 freilich nicht, der aller Vernunftkritik als lächerlicher Gestus droht. Szondi wendet den Kniff an, nun ernsthafte Interpretation auf einer irreduziblen Mehrdeutigkeit zu begründen. Wo bei Adorno ein Abbrechen der Stimme gemeint ist, meint Szondi ein Aufsplittern. An Serres’ Forderungen – durchaus in Szondis Sinne – sei erinnert.19 Damit ist – auch wenn die (nicht einer Synthese entsprechende) Position außerhalb des Spiels etwas fragwürdig bleibt, die das Gewahrwerden von Dissonanz und Interferenz gewähren soll – gewonnen, daß sich erhellt, womit Kunst vor den Kopf stößt, wer / wen ihre Deutung versucht. 14 15
16
17 18
19
Schmidt-Dengler, Bruchlinien (wie Kap. 2, Anm. 125), S. 184. Ich gehe hierauf später ein ... vgl. einstweilen Karl Markus Michel: Versuch, die »Ästhetische Theorie« zu verstehen. In: Materialien zur ästhetischen Theorie Theodor W. Adornos. Konstruktion der Moderne. Hg. von Burkhardt Lindner und W. Martin Lüdke. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1980 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 122), S. 41–107, hier S. 41; vgl. Hartmut Scheible: Geschichte im Stillstand. Zur Ästhetischen Theorie Theodor W. Adornos. In: Theodor W. Adorno. Hg. von Heinz Ludwig Arnold. München: edition text + kritik 1977 (text + kritik – Sonderband), S. 92– 118, hier S. 104; Hauke Brunkhorst: Theodor W. Adorno. Dialektik der Moderne. München, Zürich: Piper 1990 (Serie Piper; 1149), S. 114, 136 u. 138. Vgl. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 184; vgl. auch Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 360; zur plötzlichen Nähe in einer bestimmten Form des Erkennens vgl. Walter Benjamin: Einbahnstraße. 12. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992 (Bibliothek Suhrkamp; 27), S. 18. Ilse Aichinger, Kleist, Moos, Fasane (Anm. 17), S. 72. Rudolf Burger: Vermessungen. Essays zur Destruktion der Geschichte. Wien: Sonderzahl 1989, S. 236; zum Problem der Wendung ins Positive einer – etwa dialektischen – Formulierung des Negativen vgl. auch Maurice Blanchot: Das Unzerstörbare. Ein unendliches Gespräch über Sprache, Literatur und Existenz. Übersetzt von Hans-Joachim Metzger, Bernd Wilczek und Hans-Horst Henschen. München, Wien: Hanser 1991 (Edition Akzente), S. 204. Vgl. Serres, Der Parasit (wie Kap. 1, Anm. 180), S. 15.
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Dritter Teil Das Dunkle an den Dichtungen, nicht, was in ihnen gedacht wird, nötigt zur Phi20 losophie.
Adorno weist aufs Dunkle, den Riß im Sinn, der dem Gewahrwerden freilich diffus oder entzogen bleibt. Bei Szondi könnte man dem Bild gemäß von einer zu starken Lichtquelle sprechen, was das archaische Moment der Ästhetik, das Adorno selbst moniert hat, aus der Arbeit seriöser Deutung weist.21 Im ersten Fall nämlich bedeutete das Scheitern der Lektüre, daß dem, der sie betrieben hat, all das, was er nicht zu würdigen imstande gewesen ist, wie Sand durch die Finger läuft – bestenfalls fühlbar, doch nicht zu einem Sinn zu komprimieren, der die Deutung durch Reste Lügen strafte. Die Idee des »Spiel[s] der Figuren«22 dagegen weist auf etwas, das die zuverlässige Referenz des Symptoms Text untergräbt, wobei die Unzugänglichkeit, die sekundär folgt, in ihrer Gewichtigkeit als Moment der Verweigerung schwer abzuschätzen ist: Auch diese Verweigerung kann ja, wenn Kunst zuallererst Form, zum Beispiel sich verweigernde Form sein soll, »die spezielle Sinnsteigerung des hermetischen Gedichts«23 darstellen, die es als Forderung an seine Gestalt von einem schlicht unklaren Stil unterscheidet.24 Indem Kunst sprengt, was ihr appliziert wird, erfüllt sie als radikale Kritik an der radix, der Wurzel – ohne sich als hintersinnige Demontage selbst in Stillstand zu versetzen – exakt die Bedingung eines Überschusses, wo Japp beispielsweise den Mangel allein betrachtet.25 Wenn Adornos These stichhaltig ist, daß der Sinn von Kunst nicht zuletzt in »Askese gegen den Sinn«26 gelegen ist, also darin, zur Sprache und zum Sprechen zu bringen, was dem Sinn, der vom Totalen zum Totalitären sich wandelt, entgleitet und – auch als Widerstand und Einspruch – verloren wäre, so ist es daher Szondi, der wie kaum ein anderer Interpret umsetzt, was an diese Forderung an Raffinement im Umgang mit Literatur angeschlossen ist.27 Szondi erweist sich als Schüler Adornos, der doch alsbald deutlich aus dem Schatten dessen tritt, indem er zu unerhörter Sensibilität und Präzision findet, in seinen Schriften daran erinnert, welch tiefe Liebe zum Wort Philologie meint, wo sie wahrhaftig einzulösen sucht, was ihr Versprechen ist. Was die gegenseitige Beeinflussung des Philosophen und des Philologen betrifft, ist eine Äußerung Szondis zu vergegenwärtigen: 20 21 22 23 24 25 26 27
Theodor W. Adorno: Parataxis. Zur späten Lyrik Hölderlins. In: ders., Noten zur Literatur (Anm. 11), S. 447–491, hier S. 450. Vgl. Adorno, Valérys Abweichungen (Anm. 11), S. 159. Japp, Sinnkrise und Sinnverstehen (wie Kap. 1, Anm. 144), S. 329. Ebd., S. 324. Es ist somit fraglich, ob Japp mit seinen Betrachtungen gegen oder mit Adorno argumentiert (vgl. ebd.). Vgl. ebd. Theodor W. Adorno: Voraussetzungen. Aus Anlaß einer Lesung von Hans G. Helms. In: ders., Noten zur Literatur (Anm. 11), S. 431–446, hier S. 446. Vgl. Adorno, Parataxis (Anm. 20), S. 450; der Essay ist Szondi zugeeignet – vgl. ebd., S. 447.
Peter Szondis Antwort
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Obwohl ich leider nie bei [...] Adorno [...] habe studieren können, würde ich auf die Frage, wessen Schüler ich bin, keine Minute zögern, mich zu ihm auch in diesem akademischen Sinn zu bekennen.28
Doch auch ein Einfluß Szondis auf Adorno ist gegeben; er wird gerade dort, wo Celan Thema philosophischer Reflexion ist, namentlich genannt,29 wird auch sonst von Adorno geschätzt und beachtet. Die Wertschätzung für einander und Berufung aufeinander stehen also außer Zweifel.30 Was sie eint, findet sich in Szondis Briefen und scheint umfassender gemeint, als der Kontext es nahelegen mag – ihm ist wie Adorno ein spezifisches Denken und Schreiben eigen, »weil ich es verlernt habe, zu Hause zu sein (ich war es [...] in anderem Sinn [...] nie) «.31 Peter Szondis Celan-Studien, die vor allem Ausgangspunkt dieses Abschnitts meiner Arbeit sind, teilen das Geschick von Adornos Ästhetischer Theorie, durch den Tod des Verfassers unvollendet geblieben zu sein. Das Projekt eines Buches über Paul Celan, von dem Peter Szondi seit langem sprach, hat erst zu Beginn des Jahres 1971 eine konkretere Gestalt angenommen, nachdem er die beiden ersten Aufsätze dieses Bandes geschrieben hatte.32
Das Jahr 1971 aber ist zugleich das Todesjahr des schwer einzuordnenden Denkers.33 Einiges blieb Fragment, doch die Materialien, die zum Thema verfügbar sind, sind weitaus größeren Umfangs als jene aus Adornos Feder hierzu. Szondis umfangreichster Text zu Celan ist Durch die Enge geführt,34 wor28
29 30
31
32 33
34
Peter Szondi, zit. in: Andreas Luther: »Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben ist barbarisch ...« Zur Möglichkeit von Lyrik nach Auschwitz am Beispiel Paul Celans. Diss., Berlin 1987, S. 84; vgl. ebd., S. 367 (Anm.); allerdings schreibt Szondi 1952 in einem Brief: »Daß Adorno dich anekelt, verstehe ich natürlich sehr gut. [...] Auf deinen Brief hin habe ich die ersten 40 Seiten der Minima Moralia jetzt wieder gelesen, manches erscheint krankhaft und verzerrt« (Peter Szondi: Briefe. Hg. von Christoph König und Thomas Sparr. 2. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1994, S. 17); er setzt immerhin jedoch hinzu: »manches [...] ist mir im Ganzen aber sehr vertraut.« (ebd.) Vgl. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 475. Vgl. Stefan Greif: Szondi, Peter. In: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Hg. von Ansgar Nünning. Stuttgart, Weimar: Metzler 1998, S. 523–524, hier S. 524. Szondi, Briefe (Anm. 28), S. 303; durch Arrangements aus Biographischem und Formulierungen schafft Karen Diehl ein nicht uninteressantes Porträt des Philologen – vgl. Karen Diehl: Lassen wir das nicht. Peter Szondi. In: http://userpage.fu-berlin.de/~tln/ Fassungen/ (16.12.1996). Jean Bollack: Vorwort. In: Peter Szondi: Celan-Studien. Hg. von Jean Bollack u. a. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1972 (Bibliothek Suhrkamp; 330), S. 7–11, hier S. 7. Davon zeugt schon der Klappentext der Schriften Szondis: »Szondi [wird] von Germanisten in der Regel für einen Romanisten, von Romanisten für einen Philosophen gehalten.« Vgl. Bollack, Vorwort (Anm. 32), S. 10, wonach dieser Essay auch als der längste konzipiert war.
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Dritter Teil
in, wie der Titel unschwer erkennen läßt, der Versuch unternommen wird, Celans Engführung zu verstehen oder die Grenzen möglicher Interpretation auszuleuchten und ihrerseits einem Deutungsversuch zu unterziehen. Er wird hier vorrangig behandelt, wobei auch versucht wird, die Einflüsse Adornos und Derridas zu erschließen, ebenso aber zu zeigen, wo Wege von Szondi wiederum zu diesen führen; der Rekonstruktion des theoretischen Hintergrundes Szondis ist freilich immer die Frage nach der Praktikabilität im Umgang mit dem dichterischen Material beigesellt. Szondi beginnt seine Arbeit, indem er das Gedicht voranstellt, als erratischer Block belegt es seine postulierte Fremdartigkeit gewissermaßen, denn es zeigt sich »die Schwierigkeit des Verständnisses«,35 woraus die Vermutung, »daß die traditionellen Mittel der Lektüre versagen«36 müssen, abzuleiten berechtigt scheint. Die Studie nimmt also ihren Anfang mit einer gewichtigen Negation37: Was hier steht, ist fremd, »Parallelstellen heranzuziehen«38 zwecklos, [...] denn was die Worte bedeuten, ergibt sich gerade erst durch den besonderen Ge39 brauch, der sich zunächst dem Verständnis entzieht.
Den »Mortifikationsprozeß des Zeichens«40 vor allem im Gedicht hat Celan so umschrieben: Das Gedicht ist [...] der Friedhof aller Synonymik.41
In diesem Sinne reiht sich im Gedicht – in einem anderen Sinne bei jedem Text, so sei auf Derrida vorgegriffen42 – Wortschöpfung an Wortschöpfung, wie man mit Neumann festhalten könnte: Streng genommen genügt die semantische Differenz bereits, um ein bestimmtes 43 Wort einen Neologismus nennen zu können.
35 36 37 38 39
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Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 345. Ebd. Vgl. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 65; vgl. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 175. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 345. Ebd.; vgl. Jean Bollack: Paul Celan sur la langue. In: Argumentum e silentio. International Paul Celan Symposium. Hg. von Amy D. Colin. Berlin, New York: de Gruyter 1987, S. 113–153, hier S. 116 zu Kontext und »parole démiurgique« (ebd.). Jacques Derrida: Die Stimme und das Phänomen. Ein Essay über das Problem des Zeichens in der Philosophie Husserls. Übersetzt von Jochen Hörisch. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1979 (Edition Suhrkamp; 945), S. 94. Celan, Der Meridian (wie Kap. 2, Anm. 257), S. 118. »Writing is the endless displacement of meaning« – Christopher Norris: Deconstruction. Theory and Practice. 2. Aufl., London, New York: Routledge 1988 (New accents), S. 29. Neumann, Zur Lyrik Paul Celans (wie Kap. 1, Anm. 127), S. 9.
Peter Szondis Antwort
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Die Frage des Verständnisses, des Spiels von Datierung und Begriffsstruktur, der Derrida ingeniös nachgeht, unterbleibt bei Szondi – und also vorerst auch hier.44 Unlesbarkeit dieser 45 Welt. Alles doppelt.
Diese Worte Celans scheinen einen Anhaltspunkt zu geben, was mit den Bedeutungen hier geschieht. Überdeutlich besteht hier Differenz zur Frage, »ob der Negation des Sinns im Kunstwerk Sinn innewohnt«,46 was bei Adorno für die Qualität künstlerischen Schaffens entscheidend ist. Viel eher ist der Sinn, auf den das Werk vorerst – und sei’s noch so vage – zu verpflichten wäre, zunächst schlicht suspendiert. Bei Adorno ist eine das Denken in all seiner Unversöhnlichkeit beflügelnde »Hoffnung auf Versöhnlichkeit«47 am Werke, die Hierarchien revidiert, aber unter Betonung der differentia specifica, dem »hilflos Vereinzelten«48 sein Gewicht wieder verleihend diese als unumgänglich nicht ihrer eigenen Zerstörungskraft überantwortet: Die kleinsten innerweltlichen Züge hätten Relevanz fürs Absolute, denn der mikrologische Blick zertrümmert die Schalen des nach dem Maß des subsumierenden Oberbegriffs hilflos Vereinzelten und sprengt seine Identität, den Trug, es wäre bloß Exem49 plar. Solches Denken ist solidarisch mit Metaphysik im Augenblick ihres Sturzes.
Eine nicht verfrüht zu exekutierende Vollendung der Vernunft also scheint an einen Horizont verlagert, der unendlich fern ist, dem sich zu nähern sozusagen zu einer Limesfunktion führt, die, was sie im Auge hat, nicht ganz zu erreichen in der Lage ist. »Schauer«50 wider »den totalen Bann«51 führte zu dieser nicht okkupierenden Weise von Interpretation, worin »Eros und Erkenntnis« »vermählt«52 wären: Erkenntnis hat kein Licht, als das von der Erlösung her auf die Welt scheint.53 44
45 46 47 48
49 50 51 52 53
Zu Vorverständnis und Verständnis-Verständnis vgl. vorerst Richard Shusterman: Vor der Interpretation. Sprache und Erfahrung in Hermeneutik, Dekonstruktion und Pragmatismus. Übersetzt von Barbara Reiter, hg. von Peter Engelmann. Wien: Passagen 1996 (Passagen Philosophie), S. 91f. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 338. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 231. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 31. Ebd., S. 400; vgl. Briel, Adorno und Derrida (wie Kap. 2, Anm. 21), S. 151: Adorno agiert im Belassen einer verläßlich-statischen Dialektik mit »Sicherungsseil« (ebd.) – vgl. ebd., S. 106, 123 u. 150f. zur differenzierteren Beurteilung. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 400; vgl. Hutter, Adornos Meditationen zur Metaphysik (wie Kap. 1, Anm. 148), S. 64. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 490. Ebd. Ebd. Adorno, Minima Moralia (wie Kap. 1, Anm. 166), S. 333, Aph. 153.
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Dritter Teil
Leicht entgeht man der »Herrschaft der Abstractionen«54 freilich nicht; Identität ist im Denken omnipräsent, aber zugleich »Urform der Ideologie«55 und das Grundprinzip der von Barthes benannten fatalen »Mechanik der Gleichheiten«,56 gegen die zu denken der Kern auch von Adornos Philosophie ist. Gibt es aber einen »begriffsfeindlichen Begriff«57? Ist zu entscheiden, welcher der beiden Aphorismen: Das Dickicht ist kein heiliger Hain.58 59
Das Ganze ist das Unwahre.
wo, wann, woran zu bevorzugen ist? In der Tat verläßt jeder der beiden Sätze das Terrain des Begriffs, der sich selbst genügte. Dem zweiten Zitat ist dabei nachzuweisen, wie mittels Stilistik Widerspruch in Sinnfälliges zu wandeln ist. Das Interessante an dieser Äußerung zwischen Essay und Aphorismus ist der Bezug zur Logik, der stilistisch gebrochen wird, wobei sich keine Opposition einstellt, die Konstellation vielmehr gerade darum interessant bleibt, da die aneinander gebundenen Kontrahenten gleichermaßen die Waffen nicht strecken. Selbst die Tautologie wird so zum Erkenntnismittel, da die Formulierung Gedanke geworden ist, welcher ein neues Gesetz zu fordern scheint: Man hat nicht das Ganze erwischt, stets bleibt ein Rest [...]. Und [...] in Wahrheit ist, was man erwischt hat, nur ein Rest.60
Hier ist eine Tautologie im Stande ihrer objektiven Unmöglichkeit gegeben. Natürlich ist, wo von einem Ganzen ein Teil (Rest) abgezogen wird, was bleibt: Teil (Rest). Doch die Akzentuierung wandelt die Idee vom prinzipiellen Glücken, das korrekturbedürftig sein mag, korrigierbar aber auch ist, hin zum Scheitern, worin die Beliebigkeit von Konvergenz mit dem Material jeden Begriff von Wahrheit ad absurdum führt; worin, es sei – nun präzisiert – wiederholt, »Finden nur ein Teil des Nichtfindens ist.«61
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Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd I, S. 881. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 151. Roland Barthes: Mythen des Alltags. Übersetzt von Helmut Scheffel. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1996 (Edition Suhrkamp; 3309 – Sonderausgabe), S. 50; alles Offensichtliche verdankt sich der imaginären Verbindung, die Effekt der Ideologie allein ist – vgl. Louis Althusser: Ideology and Ideological State Apparatuses. In: Literary Theory: An Anthology. Hg. von Julie Rivkin und Michael Ryan. Malden, Oxford: Blackwell Publishers 1998, S. 294–304, hier S. 294 u. 300. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 299. Adorno, Minima Moralia (wie Kap. 1, Anm. 166), S. 106, Aph. 51. Ebd., S. 57, Aph. 29; vgl. auch Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd VI, S. 63. Leopold Federmair: Die Gefahr des Rettenden. Wien: Deuticke 1992, S. 81. Aichinger, Kleist, Moos, Fasane (Anm. 17), S. 72.
Peter Szondis Antwort
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Von diesem Scheitern ist nicht Zeugnis abzulegen – es kulminiert in paradoxer Formel: Das Wahre ist das Ganze.62 63
Das Ganze ist das Unwahre.
Das Ganze ist nie das Ganze.
64 65
Das Unwahre ist nie das Unwahre ...
Schon der erste Satz läßt Signifikat und Signifikant zu einer Wahrheit verschmelzen, die mit dem Signifikanten als Residuum einer artikulierbaren Wahrheit unvereinbar Ausdruck einer grundlegenden Widerständigkeit gegen den von ihr zu machenden Begriff ist. So erweist sich bereits Hegels Formulierung als Exposition des Umstands, »weder eine Antwort noch eine Antwort«66 zu wissen, wo gefragt ist, was wie die Erinnerung an einen Traum in all den Sätzen in seiner Uneinlösbarkeit nur schärfere Konturen zu erlangen scheint. Solches Schreiben, das Kursive erforderte, sogleich jedoch diese als Unding erweist, da das Unterschlagen der typographischen Klärung vorm Ausfall der Metasprache – vor Erkenntnistheorie oder Metaphysik im Zeichen ihrer Dissonanz – nicht mehr zu beanstanden ist, vermag, was gefordert ist und im Arrangement doch nicht eingelöst ist: »das andere Glück im Glück des anderen.«67 Kunst wäre hier »als Theorievorschlag«,68 der sich freilich zur Idee von Theorie wesentlich quer befinden dürfte, zu diskutieren, wobei ich nicht verhehlen will, daß Burger, der sich hier von Schmatz kritisiert findet, womöglich klüger argumentiert, wenn er von »Interpretationsaskese«69 abrät, da nun einmal erst Interpretation solchen Theorien oder Konzepten zu Evidenz verhilft, die als Absolutes wie die Ehrlichkeit dessen, der aufs unmittelbare Erleben 62
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Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in 20 Bänden, auf der Grundlage der Werke von 1832–1845. Hg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Bd 3: Phänomenologie des Geistes. 3. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993 (SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft; 603), S. 24. Adorno, Minima Moralia (wie Kap. 1, Anm. 166), S. 57, Aph. 29. Federmair, Die Gefahr des Rettenden (Anm. 60), S. 89. »Nur die absolute Lüge hat noch die Freiheit, irgend die Wahrheit zu sagen.« – Adorno, Minima Moralia (wie Kap. 1, Anm. 166), S. 139, Aph. 71; vgl. auch ebd., S. 204ff., Aph. 99 u. S. 215, Aph. 103. Jacques Derrida: Randgänge der Philosophie. Übersetzt von Günther R. Sigl u. a., hg. von Peter Engelmann. Wien: Passagen 1988, S. 18. Hans-Dieter Bahr: Das Kompliment. In: Bewußtsein, Sprache und die Kunst. Metamorphosen der Wahrheit. Hg. von Michael Benedikt und Rudolf Burger. Wien: Edition S – Österreichische Staatsdruckerei 1988, S. 222–230, hier S. 230. Ferdinand Schmatz: Moderne Kunst: Ich fordere Sie auf, zurückzutreten! In: wespennest 114 (2. Quartal 1999), S. 7–14, hier S. 11. Rudolf Burger: Die Heuchelei in der Kunst. In: wespennest 113 (1. Quartal 1999), S. 10–20, hier S. 18.
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Dritter Teil
erst setzte, wenig vertrauenerweckend sind. Das andere Glück im Glück des anderen findet sich bei Bahr im Zusammenhang mit dem Kompliment, das stilvoll zeigen soll, wie der Eindruck des Gegenübers die Gelassenheit eines stilistischen Kalküls an oder über den Rand seiner Möglichkeit drängt. Sosehr »das Kompliment sich im Rahmen einer förmlichen Höflichkeit bewegt, sosehr wird es nur zum Kompliment, wenn es über diese hinausgeht«.70 Sind die »guten Manieren«71 in ihrem Zusammenhang mit Kunst und Theologie unterschätzt? Man ist so zu fragen versucht. Nur gescheiterte »Höflichkeit ist geregelte Gleichgültigkeit«72 – wenigstens in den Augen des Hofierten. »Geschmack macht annehmbar«73 ... Aufs Aggressive der »konventionellurbane[n] Phrase«74, die sich – etwa in Celans Ansprache anläßlich der Entgegennahme des Literaturpreises der freien Hansestadt Bremen: »Erlauben Sie mir, Ihnen von hier aus zu danken.«75 – nicht als solche verhüllen will, verweist Wertheimer. Förmlichkeit und Form sind einander also nicht allzu fern. Ähnliches ließe sich von der Höflichkeit des Interpretierenden formulieren. Arnolds Schilderung Peter Szondis läßt die Vermutung zulässig erscheinen, wiewohl ich mich auf diesem Terrain des Anekdotischen nur für einen Moment aufzuhalten gedenke: Im »Gespräch verbarg Peter Szondi seine stets entschiedene Meinung hinter vorsichtigen Fragen oder bedeutungsvollem Schweigen«.76 Man kann, muß aber nicht vom Cliché sprechen, wenn es heißt, er und Celan haben ihre »Meinung mit sanfter Freundlichkeit« »[ge]schützt[e]«.77 Es scheint jedenfalls, das andere Glück im Glück des anderen widerstrebe dem Moment des In-sich-Ruhens, das einen »begriffsfeindlichen Begriff«78 70 71 72
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Bahr, Das Kompliment (Anm. 67), S. 223. Burger, Die Heuchelei in der Kunst (Anm. 69), S. 20. Paul Valéry: Windstriche. Aufzeichnungen und Aphorismen. Übersetzt von Bernhard Böschenstein, Hans Staub und Peter Szondi. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995 (Bibliothek Suhrkamp; 1172), S. 27. Ludwig Wittgenstein: Vermischte Bemerkungen. Eine Auswahl aus dem Nachlaß. Hg. von Georg Henrik von Wright, Heikki Nyman und Alois Pichler. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1994, S. 117; »in meinen künstlerischen Tätigkeiten [...] gute Manieren« – ebd., S. 60; vgl. auch ebd., S. 80 u. passim. Jürgen Wertheimer: »Die Silbe Schmerz«. Paul Celans Sprachsuche nach der Shoah. In: Einige werden bleiben. Und mit ihnen das Vermächtnis. Der Beitrag jüdischer Schriftsteller zur deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. Hg. von Ortwin Beisbart und Ulf Abraham. Bamberg: BVB Bayerische Verlagsanstalt 1992, S. 105– 123, hier S. 106; aggressiv mag hier zu stark klingen. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 185. Fritz Arnold: Paul Celan und seine Übersetzung der »Jeune Parque« von Paul Valéry. In: Celan wiederlesen. Hg. von Ursula Haeusgen u. a. 2. Aufl., München: Lyrik Kabinett München 1999 (Lyrik Kabinett München; I), S. 67–82, hier S. 69. Ebd.; vgl. Yves Bonnefoy: Die rote Wolke. Essays zur Poetik. Übersetzt von Michael von Killisch-Horn. München: Fink 1998 (Bild und Text), S. 260. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 299.
Peter Szondis Antwort
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ausmachte, der hier als Aporie erhalten ist. Mag auch »verstockte Naturwüchsigkeit«79 den Rückfall in eine Tyrannei der abgestumpftesten Vernunftformen bedeuten, bleibt doch fraglich, ob man »von innen [...] heraus[kommt]«,80 das Denken durch Meta-meta-Umkrempelungen schließlich zu jenem Punkt bringt, der als vage Möglichkeit vorausgesetzt ist, zur konkreten Wahrnehmung, die sich als tendenziell unerreichbares Ziel der Vernunft-, Erkenntnis- und Sinnkritik definiert: »Der Sache von Unmittelbarkeit nimmt einzig noch die behutsamste Reflexion sich an.«81 Der Versuch, so der Vernunft selbst Rationalität einzuhauchen, ist verzweifelt; die Spürbarkeit dieser Verzweiflung, mehr als »das schlimme Spiel«82 mit dem »ungeheure[n] Gebälk [...] der Begriffe«83 zu wollen, aber zugleich zu ahnen, daß das, was zu begreifen der Geist trachtet, zuletzt »unterm mikrologischen Blick verdampft«,84 macht die Schriften Adornos ihre Spannungen, die Adorno denn auch nicht zuzukitten sucht, ins Unermeßliche steigernd so ungemein interessant und wertvoll. Szondi fragt nicht auf diese Weise; er beruft sich an diesem Punkt auf Derrida85, hat den wohl radikaleren und monströseren Zugang86 gewählt, da hier nicht so sehr mehr ein Unbegreifliches drohend ins Denken ragt (das lateinische immineo vereint dies), sondern im Denken selbst sich etwas findet oder regt, das »durch die dialektische Methode niemals ohne Rest aufgehoben wird«87. Die Brüchigkeit der Vernunft selbst, welche sich fremd bleibt, hat auch und gerade Adorno wahrgenommen, er weist auf diese mehrfach, ist ihr verpflichtet – beispielsweise, wenn er das, was dem Denken scheinbar fremd doch in diesem ruht, als »Giftstoff«88 benennt – es ist geradezu plump, hier auf Derridas pharmakon89 zu verweisen ...90 79 80 81 82 83 84 85 86
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Ebd., S. 411. Ebd. Adorno, Minima Moralia (wie Kap. 1, Anm. 166), S. 240, Aph. 116. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd V, S. 133. Ebd., Bd 1, S. 888. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 155. Szondi soll es nach Briel gewesen sein, der »als erster Germanist Derrida rezipierte«. – Briel, Adorno und Derrida (wie Kap. 2, Anm. 21), S. 130 (Anm.). Vgl. Reiner Ansén: Defigurationen. Versuch über Derrida. Würzburg: Königshausen & Neumann 1993 (Epistemata: Reihe Philosophie; 140), S. 12: »Derrida ist ein Denker des Monströsen wie nur wenige sonst, und Derrida ist zweifellos auch ein monströser Denker, wie sonst vielleicht niemand.« (ebd.). Jacques Derrida: Dissemination. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Hg. von Peter Engelmann. Wien: Passagen 1995 (Passagen Philosophie), S. 23; man philosophiert »als [...] künstlerisch schaffendes Subjekt« – Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd I, S. 883. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 340. Dieses erscheint auch als »Tinte« (Derrida, Dissemination (Anm. 87), S. 170), initiiert also S c h r i f t, darum die Andersheit der Bestimmung und den Vatermord. (vgl. ebd., S. 182).
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Dritter Teil
Und doch meidet Adorno den Ritt »auf dem Rücken eines Tigers«,91 den Derrida als virtuosen Akt zu gestalten gesucht haben wird; »prästabilierter Disharmonie«92 ist ihm der Bezug des Denkens aufs Seiende, während Derridas Rede vom »präetablierten«93 Schema eine hintersinnigere oder doch wenigstens bösere Abwandlung der Leibniz’schen Konstruktion sein dürfte. Szondi nun sucht das Einmalige im Denken durch seine Lokalisation, die es seines singulären Charakters ja nicht beraubt, zu beschreiben – er präpariert das Spannungsverhältnis der Strukturen heraus, die sich im Punkt des Poems treffen. Man muß hier freilich den Abschied vom Punkt, wenn dieser das ἄ-τοµος, das nebenbei bemerkt auch ἄ-τοκος, unfruchtbar ist, meint, kurz erwähnen,94 einen Abschied, den Szondi nicht in jeder Hinsicht vollzieht, wie sich später zeigen wird. »Ich würde [...] nicht von Punkten sprechen [...], zumindest wenn Punkt für Teilbarkeit steht; es sei denn, der Punkt ist unmittelbar geteilt«,95 formuliert Derrida es. An diesem Punkt setzt Szondis Lektüre an, indem sie mehrfache durchaus widersprüchliche Einbindungen darlegt, deren Ärgernis in ihrer Unauflösbarkeit sowie der unmittelbaren Teilung des Punktes, der eben noch stabil schien, zu begründen ist. In diesem Vorgehen ist Szondi zumindest seinen Anspruch betreffend allerdings Adorno durchaus nicht fern, denn auch er gibt »den Grund [...] der Unlösbarkeit«96 des Rätsels Kunst an. Das Rätsel zu sehen, dies meint ein Weiterspinnen der Sinnverbindungen, die in Lyrik eröffnet werden, ein Zeugnisablegen aber auch von den Grenzen jener rigiden Ordnungen, aus denen der Punkt entstammt, aus dem sich das zu 90
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Stattdessen verweise ich auf Kant als kaum zu überschätzenden Einfluß auf Adornos Arbeiten; so setzt sich Adorno von Kants Ambition einer Fixierung der Grenzen der Vernunft (vgl. hierzu Kant, Werkausgabe in 12 Bänden [wie Kap. 1, Anm. 18], Bd III/ IV, S. 90, B 63, A 46 und passim) zwar vorsichtig ab, ist aber andererseits im Postulat des Anderen dessen Denkmodell durchaus verpflichtet – vgl. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 172ff.; vgl. Theodor W. Adorno: Nachgelassene Schriften. Hg. vom Theodor W. Adorno Archiv. Abt. IV: Vorlesungen. Bd 4: Kants »Kritik der reinen Vernunft« (1959). Hg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995, S. 209ff., vor allem jene Passagen zur gegenseitigen Bedingtheit von Constituens und Constitutum – vgl. ebd., S. 223ff.; vgl. auch Schweppenhäuser, Theodor W. Adorno zur Einführung (wie Kap. 2, Anm. 229), S. 8, 20f., 58ff. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd I, S. 887 und Foucault, Die Ordnung der Dinge (wie Kap. 1, Anm. 21), S. 389. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 25. Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 45; der hier nur en passant erwähnte Umgang Adornos und Derridas mit Leibniz’ Monadologie wird an anderer Stelle ausführlicher zu diskutieren sein Die unmittelbare Teilung des Punktes bei Derrida wird an anderer Stelle diskutiert; vgl. auch Jacques Derrida: Interview mit Florian Rötzer (22.2.1986). In: Florian Rötzer: Französische Philosophen im Gespräch. Mit einem Vorwort von Rainer Rochlitz. 2. Aufl., München: Boer 1987, S. 67–87, hier S. 72. Ebd. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 185.
Peter Szondis Antwort
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deutende Poem ausbreitete und verästelte. Etwas kapriziös und unbestimmt heißt es in einer Studie zu solcher Lyrik und Auslegung: Im Überleben der Metapher [...] markiert die Sprache den Abschied von sich selbst.97
Derart starr und vertrocknet – als verknöchertes System – wird Sprache nicht zu denken sein, doch ist klar, was es mit dem Adieu auf sich habe. Es ist ein steter Abschied von der Sprache, der sich in der Metapher vollzieht, wie es eine stete Ankunft von Sprache ist, ein Geschehen, worin – im Felde der Rhetorik überraschend – vor die Geste gegangen wird.98 Über das Verhältnis von Sprachschöpfung und Selbstaufklärung von Sprache schreibt sachlicher und treffender als Kaiser Blumenberg: Der faktische Verlauf ist, daß der Leser nicht bei seiner ursprünglichen Interpretation der Sprache bleiben kann, wenn er im Verständnis der Mitteilungen voranschreitet, sondern ständig Rückschlüsse auf Teile der Grammatik ziehen muß, die er bis 99 dahin auf sich beruhen ließ.
Zu schreiten ist also zu einer Lektüre, die zuallererst parallel Ordnungen entwickelt, diese aber weder hemmt, noch absolut setzt, sondern zueinander in Beziehung setzt und die zutage tretenden Spannungen, Dissonanzen und Antithesen bestimmt, welche in Stimmigkeit – »Form ist die wie immer auch antagonistische und durchbrochene Stimmigkeit der Artefakte«100 – zusammengezwungen erst zu entwickeln waren: Sein Programm nennt Szondi einmal »begriffliche Wiedergabe der Stimmigkeit, die einem aufgegangen ist«.101 Erst solches Lesen garantiert, daß nicht bloß wieder(v)erkannt wird, was in den Versen als einmalig angelegt und geborgen ist, als originäre Erfahrung und Erkenntnis gewürdigt wird; erst solches Lesen garantiert aber auch, daß ein vorangestelltes Nicht-Verstehen nicht zum »Ort der Beliebigkeit«102 wird, wovon das dann lähmende Erhabene ja permanent bedroht ist.103 97 98 99 100 101
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Kaiser, Das Echo jeder Verschattung (wie Kap. 3, Anm. 31), S. 103. Vgl. Derrida, Adieu (wie Kap. 2, Anm. 219), S. 44. Hans Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1981, S. 75. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 213; vgl. auch ebd., S. 160. Szondi, Briefe (Anm. 28), S. 24; nun ist dieser Satz jenen zuzurechnen, die nicht im wissenschaftlichen Diskurs und zudem unvorsichtig formuliert sind, auch war Szondi, als er sich so äußerte, nicht unbedarft, aber doch jung – eine Wandlung des Standpunktes ist zuzugestehen; dennoch ist auch für Szondi meines Erachtens das Ganze der Kunst ein nicht begriffliches, doch eben unvermindert Ganzes – vgl. auch Peter V. Zima: Die Dekonstruktion. Einführung und Kritik. Tübingen, Basel: Francke 1994 (UTB für Wissenschaft: Uni-Taschenbücher; 1805), S. 125 (Anm.). Michael Braun: In aufgerissenen Sprachräumen. Eine Begegnung mit Gedichten der neunziger Jahre. In: Deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Wider ihre Verächter. Hg. von Christian Döring. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995 (Edition Suhrkamp; 1938), S. 271–286, hier S. 282; zur gegenwärtig vielleicht gegebenen »Renaissance der hermetischen Lyrik« (ebd., S. 281) schreibt mit und gegen Botho Strauß und seinen »in seiner Formelhaftigkeit ins Kunsthandwerkliche« (ebd., S. 282)
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Nur am Rande sei an dieser Stelle in bezug auf die Koinzidenz in Disparatem eine Bemerkung Zeyringers erwähnt, der zur Montage totalitären Sprechens, das als unstimmige Darstellung von Stimmigkeit bricht, kluge Beobachtungen formuliert, doch das fast spiegelbildliche Funktionieren einer Poesie, die, wie Szondi darlegt, stimmige Darstellung von Unstimmigkeit ist, verkennt, um schließlich – namentlich gegen Celan – in gedanklicher Fahrlässigkeit von einer »Ent-Metaphorisierung des Holocaust«104 zu träumen.105 Wie nun ist in der Arbeit am konkreten Material dem gerecht zu werden, was Szondi als Forderungen originären Sprechens an die Interpretation skizziert? Hierzu sei zu einem Essay Hamburgers geschritten, der, indem er die Nöte des Übersetzers umreißt, sehr exakt benennt, was schon am einzelnen Wort den Lesenden vor unendliche Probleme stellt. Vom Wort Kolben106 ausgehend schreibt er: Was Celans spätere Gedichte so schwierig macht, ist, daß sie nicht hermetisch sind, daß jedes Wort, jedes Bild, jeder Reim, jeder Hiatus oder jede Stille in ihnen nicht nur bedeutungsvoll sondern auch verständlich ist, daß jede Dunkelheit bei ihm ihre lichte Entsprechung hat, daß es für alles in ihnen, das verschlossen scheint, einen 107 Schlüssel gibt, wenn man ihn nur finden kann.
Eine endgültige Entscheidung unter den Bedeutungen zu fällen und in einer Hierarchie die eine zu tilgen, die andere zum Generalschlüssel zu erheben, dieser Versuchung ist zu widerstehen; vielmehr ist in der Folge zu erfragen, was notwendigerweise das zusammengeführt hat, was nun neben- und ineinander steht. Serres’ ignorierend schreibt Boelderl von einem »hermetischen Phänomen«,108 das somit als Initialzündung der Lektüre klarer wird, wenngleich auch
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kippenden »lyrischen Imperativ« (ebd.) Braun: »»Zurück ins Nicht-Verstehen!« So raunt der Esoteriker, ungeachtet der Tatsache, daß [...] das »Nicht-Verstehen« ein Ort der Beliebigkeit sein kann.« (ebd.). Vgl. Christine Pries: Einleitung. In: Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn. Hg. von Christine Pries. Weinheim: VCH, Acta Humaniora 1989, S. 1–30, hier S. 12. Klaus Zeyringer: Österreichische Literatur 1945–1998. Überblicke, Einschnitte, Wegmarken. Innsbruck: Haymon 1999, S. 211. Vgl. ebd., S. 207ff.; man könnte Celans Werk als Ent-Metaphorisierung lesen, wenn man Poesie die Kraft »zu neuen Definitionen« zugesteht (Ingeborg Bachmann: Frankfurter Vorlesungen. Probleme zeitgenössischer Dichtung. 4. Aufl., München, Zürich: Piper 1995 [Serie Piper; 205], S.40). Vgl. Michael Hamburger: Das Überleben der Lyrik. Berichte und Zeugnisse. Hg. von Walter Eckel. München, Wien: Hanser 1993 (Edition Akzente), S. 87; das zu übersetzende Wort stammt von Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 83. Hamburger, Das Überleben der Lyrik (Anm. 106), S. 97. Artur R. Boelderl: Literarische Hermetik. Die Ethik zwischen Hermeneutik, Psychoanalyse und Dekonstruktion. Düsseldorf, Bonn: Parerga 1997, S. 130; etwas mühselig ist das Wortspiel, mit dem Boelderl die Ansprüche an Philologie benennt: »HermEthik« (ebd., S. 7 u. passim).
Peter Szondis Antwort
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bei einem veritablen dialektischen Überbau es natürlich heikel bleibt, sich dieser Worte zu bedienen, und schließt doch geradezu an die Worte des Verfassers einer ganzen Philosophie Hermes’ an, wenn er schreibt: Der arme Hermes hat ein Ohr zuviel.109
Wer sich im Raum eines Verstehens bewegt, muß Plurivokem gerecht werden. Insofern also ist das Problem der »Sackgassen«110 eines der Kreuzungen geworden; viele Wege sind zu gehen, deren Zusammen- und Engführung zum Sprechen zu bringen ist, da sie konstituiert, was als Gehalt des Poems vage zu benennen ist, da sie zugleich es ist, deren Wesen jene rhetorische Mittel sind, die sie als Nexus geschaffen haben. Dichtung ist vorrangig nicht Glaubensbekenntnis, sondern – wie Ebeling notiert – ein Aufmerken.111 Schreibt Celan in Zürich, zum Storchen »von / der Trübung durch Helles«,112 so ist also nicht allein an ein Lichten zu denken, das zerstört, was dunkel Hort von Wahrheit sein mag, es schwingt auch ein poetisches Verfahren hierin wohl mit, von dem zu Rose Ausländers poetologischem Text Alles kann Motiv sein zu schreiten ist: Erklärungen sind nur ein kleiner Bruchteil der Wahrheit.113
Man könnte riskieren, zu sagen, daß sie es sind, weil sie an den Funken der Assoziation anknüpfen, ihn klarer erscheinen lassen, aber nicht tun, was von Interpretation gefordert ist, will sie dem Spiel entsprechen, das Rose Ausländer treibt: Ich lege Rechenschaft ab, über [...] Zusammenhänge.114
Es ist einladend, näher die Natur dessen zu beschreiben, was hier zu Versen kumuliert – es sind gewissermaßen Satzuniversen, deren Regelhaftigkeit insofern suspendiert ist, als die Bewegung der Lyrik »ein Sprechen, das die Generizität selbst begründet«,115 darstellt. Es ist also eines in keiner Weise ausgemacht, was jedoch Grundlage eines Satzuniversums ist, nämlich der mögliche Gebrauch, die mögliche Position der Worte, die verkettet werden. Lapidar bemerkt bekanntlich Wittgenstein in seinen Philosophischen Untersuchungen:
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Ebd., S. 218; vgl. Serres, Der Parasit (wie Kap. 1, Anm. 180), S. 15; »Das Trommelfell schielt.« – Derrida, Randgänge der Philosophie (Anm. 66), S. 17; »der das dritte Ohr hat« (ebd.). Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 358; vgl. auch Menninghaus, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 189), S. 33. Vgl. Hans Ebeling: Ästhetik des Abschieds. Kritik der Moderne. Freiburg, München: Karl Alber 1989 (Alber – Reihe Philosophie), S.124. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 214. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 285. Ebd., S. 284. Badiou, Manifest für die Philosophie (wie Kap. 1, Anm. 168), S. 120.
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Dritter Teil Was [...] [die Wörter] bezeichnen, wie soll ich das zeigen, es sei denn in der Art ihres 116 Gebrauchs? 117
Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.
Weiters hält Wittgenstein zwei Beobachtungen fest. Zum einen gibt es »unzählige solcher Arten« »der Sätze«,118 die ein immer neues Universum sinnvoller und möglicher Formulierungen eröffnen – und selbst »diese Mannigfaltigkeit ist nichts Festes«.119 Und zum anderen ist es keine geringe Aufgabe, festzustellen, in welchem dieser Universen man sich bewegt120 – dies, da es sich im Sprechen oder Schreiben erst konfiguriert. Mit Lyotard ist fortzufahren: Verketten ist notwendig, eine Verkettung nicht.121
Ich möchte, zumal Adornos Schmähung noch im Ohr des Lesers klingen mag, eine rudimentäre Würdigung jener Differenz versuchen, die Wittgensteins Satz, wonach ein Schweigen zu all jenem geboten sei, wovon »man nicht sprechen kann«,122 nicht in jener »Vulgarität«123 münden läßt, die zu vermuten dem Fehler jener ähnelt, die in den Schriften just Adornos einen fragwürdigen Imperativ dieses Sinnes, man möge das Denken in seinen gewagteren Formen zum Schweigen bringen, beanstanden. Es sei »gegen Wittgenstein zu sagen, was nicht sich sagen läßt«,124 bemerkt Adorno – doch schon Wittgenstein mutet der Sprache zu, gerade im Vermeiden von Hybris dem gerecht zu werden, was unsagbar sein mag. Zuallererst wird auch Wittgensteins Philosophieren darum zu einer Frage des Stils – man bedenke etwa, daß sich mehrfach Äußerungen zum Tempo der Lektüre finden: Im Rennen der Philosophie gewinnt, wer am langsamsten laufen kann.125
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Wittgenstein, Werkausgabe (wie Kap. 1, Anm. 133), Bd 1, S. 242, § 10; zum Sprachspiel – vgl. ebd., S. 241, § 7. Ebd., S. 262, § 43. Ebd., S. 250, § 23. Ebd. Vgl. ebd., S. 243, § 11. Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 142, § 136; vgl. Jean-François Lyotard: L’ange qui nage. Ein Engel, der schwimmt. Übersetzt von Peter Keicher, red.von Thomas Bedorf und Peter Keicher. In: tacho, N° 5, 1995: Jean-François Lyotard, S. 1–81, hier S. 47; dort und an anderer Stelle rehabilitiert Lyotard gewissermaßen Wittgenstein – vgl. ebd., S. 13 u. passim; vgl. auch Thomas-Michael Seibert: Vom Nutzen und Nachteil des forensischen Modells für die Philosophie des Diskurses. In: Rhetorik und Philosophie. Hg. von Helmut Schanze und Josef Kopperschmidt. München: Fink 1989, S. 249–273, hier S. 263f. Wittgenstein, Werkausgabe (wie Kap. 1, Anm. 133), Bd 1, S. 85, § 7. Adorno, Philosophische Terminologie (wie Kap. 1, Anm. 134), Bd 1, S. 56. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 21. Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen (Anm. 73), S. 76; vgl. ebd., S.113 u. 152.
Peter Szondis Antwort
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Diese Langsamkeit verbürgt nicht, ermöglicht mit Glück aber »Einsicht [...] in das, was vor aller Augen liegt«126 – und dies permanent tut, was zu einer falschen Univozität führt, in der an der Unmöglichkeit einiger Sätze der Ausdruck für das zerbricht, was allein möglich sein soll. Nur was wir uns auch anders vorstellen könnten, kann die Sprache sagen.127
Philosophie hat also zum Programm, nicht etwa den Ritt »auf dem Rücken eines Tigers«,128 den das Pathos nachgerade verlangt, zu absolvieren – Wittgensteins Bild ist dies: Ich sitze auf dem Leben, wie der schlechte Reiter auf dem Roß. Ich verdanke es nur 129 der Gutmütigkeit des Pferdes, daß ich [...] nicht abgeworfen werde.
Die gemäße Praxis Wittgensteins ist, sich von den Wendungen in der Möglichkeit des Denkens überraschen zu lassen, wie nicht zuletzt die diskontinuierlichen Mäander seiner Schriften belegen. Raum geschaffen wird nicht für ein Bestimmtes – doch dafür, daß eine Unabsehbarkeit in ihre Rechte gesetzt wird, interessiert doch die berühmte Leiter Wittgensteins ihn selbst nicht allzusehr.130 Allenthalben ist es jene Unabsehbarkeit, die nicht durch eine etwaige Nachlässigkeit im Versuch der Skizze des Absehbaren131 zum Leben erwacht, welche Wittgenstein treibt. Man hat zu bedenken, daß es weit eher wird, wo Schärfe sich gegen eine falsche Auffassung von Dichtung wendet.132 Nicht zu halten ist damit, was bestimmte Begriffe suggerieren: Die Wahrheit eines Satzes [...] liegt nie in ihm so daß er nur das Zeichen wäre das 133 auf etwas Vorhandenes hinweist. Der Gedanke hat [...] nur eine Außenseite und kein Innen.134
Philosophie wird so zur in keinem Moment substituierbaren Schreibpraxis, deren Telos es ist, sich nicht an den Moment ihres Aussetzens und die Endgül-
126 127
128 129 130 131 132 133 134
Ebd., S. 124. Ludwig Wittgenstein: Wiener Ausgabe. Hg. von Michael Nedo u. a. Bd 2: Philosophische Betrachtungen. Philosophische Bemerkungen. Wien, New York: Springer 1994, S. 132. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd I, S. 887 und Foucault, Die Ordnung der Dinge (wie Kap. 1, Anm. 21), S. 389. Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen (Anm. 73), S. 79. Vgl. Wittgenstein, Werkausgabe (wie Kap. 1, Anm. 133), Bd 1, S. 85, § 6.54 u. Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen (Anm. 73), S. 31. Vgl. Wittgenstein, Wiener Ausgabe (Anm. 127), S. 96 u. 249. Man suche »das Undichterische, [...] auf’s Konkrete gehende« – Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen (Anm. 73), S. 29. Wittgenstein, Wiener Ausgabe (Anm. 127), S. 285. Ebd., S. 286.
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Dritter Teil
tigkeit der »halbe[n] Wirklichkeit«,135 die genau diese halbe Wirklichkeit nicht ist, preiszugeben.136 Philosophie will – immer und immer wieder – ein Wort: Die Aufgabe der Philosophie ist es, das erlösende Wort zu finden.137
Die unendliche Relevanz (trotz jenes Beiklangs eines von Mal zu Mal) des Wortes ist: Wenn »man andres anstückeln will, muß man’s nach einem andern Prinzip tun«.138 Man muß nicht erklären, daß so die erlösende Konnexion der Philosophie zugeschrieben wird, welche als Programm unvermindert aufs Unsagbare bezogen ist, aber zugleich weiß, daß jenes als »Zeichen [...] allein tot«139 ist – »der Gebrauch [ist] sein Atem«,140 es so zu formulieren legt Wittgensteins Frage nahe. Durchaus stimmig ist darum zuletzt die folgende Behauptung, die Adornos Kritik, so könnte man nebenbei bemerken, gewissermaßen endgültig gegen ihn selbst wendet: 141
Philosophie dürfte man eigentlich nur dichten.
Philosophie, so könnte man es auch formulieren, ist in der unendlichen Differenz zwischen Grund- und Bodenlosigkeit gelegen.142 Dies legt auch der wieder aufzugreifende Satz Lyotards nahe: Verketten ist notwendig, eine Verkettung nicht.143
Es sprechen allenfalls mehr oder minder triftige Gründe dafür, ein Sprachspiel im Gange befindlich zu vermuten und es fortzusetzen.144 Es ist also einigermaßen klar, daß Benennen (und man wird diese Idee bei Derrida wieder antreffen) 135 136
137 138 139 140 141 142 143 144
Ebd., S. 180. Vgl. etwa ebd., S. 281, Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen (Anm. 73), S. 23 u. Ludwig Wittgenstein: Letzte Schriften über die Philosophie der Psychologie. Das Innere und das Äußere (1949–1951). Hg. von Georg Henrik von Wright, Heikki Nyman und Joachim Schulte. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993, S. 55. Wittgenstein, Wiener Ausgabe (Anm. 127), S. 68; vgl. Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen (Anm. 73), S. 91. Wittgenstein, Letzte Schriften über die Philosophie der Psychologie (Anm. 136), S. 20. Wittgenstein, Werkausgabe (wie Kap. 1, Anm. 133), Bd 1, S. 416, § 432; vgl. Wittgenstein, Wiener Ausgabe (Anm. 127), S. 319. Wittgenstein, Werkausgabe (wie Kap. 1, Anm. 133), Bd 1, S. 416, § 432. Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen (Anm. 73), S. 58. Vgl. auch Jacques Derrida: Glas. Übersetzt von John P. Leavy, Jr. und Richard Rand. Lincoln, London: University of Nebraska Press 1986, S. 105. Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 142, § 136; vgl. Lyotard: L’ange qui nage (Anm. 121), S. 47. Vgl. zu den genannten Passagen – vor allem Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 142, § 136 u. passim – auch die Überlegungen zur richtigen Auslegung und Fortsetzung bei Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd XII, S. 39.
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als Einordnen »Taufe eines Gegenstandes«145 ist; unbeantwortet bleibt, welcher – um beim Bild zu bleiben – Konfession das Benannte eingemeindet sei.146 Und diese seltsame Konfiguration ist weiterzuspinnen zur Bewegung der Liebe (darunter: Philologie), worin Begehren(des) und Begehrtes gerade nicht sich ihrem Streben gemäß ineinander auflösen, sondern »der reinen Zwei getreu, die sie begründet«,147 verbleiben. Das Verblüffende ist nun, daß etwas, das Hegel nicht bloß affirmierte, sondern als Problem wahrnahm, überlistet scheint: jenes Konstrukt einer »Schädelstätte des absoluten Geistes«,148 eines Golgotha, dem eine abstrakte Geistigkeit in concreto eignet, jenes Konstrukt, das doch mehr als bloßes Konstrukt ist – »Wirklichkeit, Wahrheit und Gewißheit seines Throns«.149 Nicht erst für Adorno gilt zweierlei, so schreibt Gerhardt: Er weiß keinen Ausweg aus dem Omnium des Wissens.150 Der Logos erscheint so schlüssig, daß die wirkliche Welt wie ein zu Ende erzählter 151 Mythos erscheint.
Doch das Gedicht als Gabelung zwischen Satzuniversen eröffnet die Möglichkeit wenn schon nicht eines Außen, so doch eines Neuen im Denken. Kann es dies? Mein Satzuniversum scheint mir nahezulegen, daß gerade dieser Übergang von Universum zu Universum noch höchst fragwürdig zu denken bleibt – wie auch die exakte Topographie jener Knotenpunkte, an denen Welten einander berühren. Derrida, dessen Einwand hier nicht übergangen noch aufgeschoben werden kann, geht von der zu streifenden Überlegung aus, man habe eine Sprache – und noch nicht einmal diese als eigene.152 Indem das Satzuniversum die Anlagen bestimmt, die Übergänge ermöglichen, ist der Übergang zugleich vereitelt, die Strukturen des ersten Idioms infizieren das zweite und ordnen es ins erste ein. Desgleichen ist – doch dies ist schon erläutert worden – nicht auszumachen, wie das erste Idiom genau funktioniert. Man spricht und schreibt ins Ungewisse, ohne Land zu gewinnen.
145 146 147 148 149 150 151 152
Wittgenstein, Werkausgabe (wie Kap. 1, Anm. 133), Bd 1, S. 260, § 38. Zur Frage der Beliebigkeit einer bestimmten Ordnung – vgl. ebd., S. 432, § 497. Badiou, Manifest für die Philosophie (wie Kap. 1, Anm. 168), S. 120. Hegel, Werke in 20 Bänden (Anm. 62), Bd 3, S. 591. Ebd.; gerade diese Inthronisierung rettet virtuell den Geist davor, sich – auch – als »das leblose Einsame« (ebd.) zu erkennen ... Volker Gerhardt: Die Größe Hegels. In: Merkur 602 (Juni 1999), S. 530–543, hier S. 536. Ebd., S. 531. Vgl. Jacques Derrida: Die Einsprachigkeit des Anderen oder die Prothese des Ursprungs. Übersetzt von Barbara Vinken. In: Die Sprache der Anderen. Übersetzungspolitik zwischen den Kulturen. Hg. von Anselm Haverkamp. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1997 (Fischer-Taschenbücher; 12783 – ZeitSchriften), S. 15–41, hier S. 15.
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Dritter Teil
Doch ehe all dem nachzugehen ist, soll gezeigt werden, in welcher Weise Szondi seine durch die Einwände angesichts seiner unvermindert bestehenden Nähe zum Text nicht entkräftete Lektüre vorantreibt. Wie bringt Szondi die scharfen Konturen von Ordnungen hervor, die in der Folge im Rahmen des Kunstwerks in singulärer Weise zum Ganzen verflochten oder zumindest in eine auszulegende Karambolage verstrickt werden? Szondi beginnt, wie schon festgehalten wurde und nun hoffentlich auch umrißhaft begründet ist, seine Arbeit, indem er das Gedicht voranstellt.153 Er läßt diesem Schritt einen eingehenden Blick auf Positionen und Strukturen folgen, erarbeitet Stilmittel und enthält sich dessen, was seine Methode wie das Material verbieten – zudringlichen Kommentars, voreiliger Benennung, verfrühter Interpretation. Nachgelassene Materialien belegen nicht zuletzt Szondis Procedere.154 Zunächst wird (von Lévi-Strauss und Jakobson nicht unbeeinflußt155) festgehalten, ob Ellipsen, lexikalische Wörter und Funktionswörter, Pronomen sowie Komposita gegeben sind. Die Korrelation von Satz- und Strophen- oder Versende wird untersucht. Wechsel des grammatischen Tempus werden heraus gearbeitet, Zäsuren und Brüche, Reime und deren Ausbleiben.156 Schließlich wird die Aufhellung oder Verdunklung durch Vokale erarbeitet.157 Erst in einem zweiten Schritt werden Konstellationen festgehalten, die etwa von Gegenständen zueinander eingenommen werden.158 Ich möchte meinen Blick zu Beginn auf ein Gedicht richten, das mich als eines der ersten aus Rose Ausländers Œuvre faszinierte, wenngleich man dies als objektives Kriterium schwerlich akzeptieren kann: Bis an den Nagelmond aus dem Zyklus 36 Gerechte (1967). Bis an den Nagelmond Bis an den Nagelmond denk ich an dich wenn die Nacht mich nimmt Sie haben dich begraben im Feuer 153 154
155 156 157
158
Vgl. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 345. Vgl. ebd., S. 428ff. u. passim; Axel Gellhaus u. a.: »Fremde Nähe«. Celan als Übersetzer. 2. Aufl., Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft 1997 (Marbacher Kataloge; 50), S. 448ff., bes. S. 454f. Vgl. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 430f. Unter die Äquivalenz rechnet Szondi als besonders intensive Form auch die Iteration – vgl. ebd., S. 435. Dies wäre in etwa die Vorgangsweise Szondis in einem Seminar des Sommersemesters 1970, wobei die Vorgehensweise natürlich auch durch die (nicht) erbrachten Beiträge der Studenten und Szondis Korrekturen beeinflußt ist. (vgl. ebd., S. 430ff., vor allem S. 432ff.) Vgl. etwa ebd., S. 429.
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Ich halte den Gedanken deiner Asche im Blutgefäß das rastlos zum Herzen führt deinen Namen Wie schön Asche blühn kann 159 im Blut
Der »mit Dornenfragen / blutarmer Sonne«160 aufwartende Band, in dem sich diese Verse finden, fand »einen breiten positiven Widerhall in den Medien«,161 wie Braun kommentierend vermerkt. Allerdings ist dieser Band den Verkauf betreffend der schon vermerkte Rückfall der Dichterin durch Hoffmann & Campe.162 Vielleicht auch aufgrund eines Überdrusses in bezug auf die Thematik in Westdeutschland – der »Problemkreis [...] wurde durch neue Themen, neue Autoren, neue Stile neue gesellschaftliche Veränderungen verdrängt«163 – geschah es, daß von der ohnehin bescheidenen Auflage (701 hergestellte Exemplare) bloß 360 Stück verkauft wurden ... Den lautlichen Aufbau des Gedichts, um in medias res zu gehen, kann man als sich leicht zum U hin verdunkelnd bezeichnen: Blut und Blüte beschließen das Gedicht, das freilich zu einem Ende nicht kommt. Interessant ist ganz ohne Zweifel die Serie Nagelmond – Nacht – (nimmt) – Namen; auch die Parallele von Gedanken und (Blut)gefäß ist unübersehbar; der Gedanke kehrt in denk – dich – dich – (Ge)danken – deiner – deinen wieder. Eher dezent klingen Wortenden aneinander an, wobei der Reim jedoch nicht eintritt; so klar die Stabreime Ketten bilden, so verhalten bleibt, was man vage Homoioteleuton nennen könnte – die Waisen überwiegen in diesen Versen gewissermaßen, was auch darin begründet sein mag, daß das Gedicht, dessen Zentrum ein wörtlich absenter164 Schmerz ist, angesichts der Zusammenführung von medizinischem Fachausdruck (Blutgefäß) und Herz von Reimabnutzung unmittelbar bedroht wäre ...165 Vor allem aber ist die Signalwirkung zweier dann doch deutlich aufeinander bezogener Wörter gesteigert: begraben – Gedanken. 159 160 161 162 163 164
165
Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 36. Ebd., S. 25. Ebd., S. 7. Vgl. Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (wie Kap. 1, Anm. 28), S. 130f. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 7. Und gerade darum dominanter – Vgl. Gerhart Pickerodt: Sprache – Leben, Traum und Tod. Zum Tode der Lyrikerin Rose Ausländer. In: Deutsche Volkszeitung, 15.1.1988. Immerhin ist Herz / Schmerz bei Wilpert Paradebeispiel für den »Verschleiß des Reims durch Verwendung allzu abgegriffener Reime« – Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur. 7. Aufl., Stuttgart: Kröner 1989 (Kröner Taschenausgabe; 231), S. 756.
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Dritter Teil
Der Bau der Sätze – zweimal greift Rose Ausländer zur Hypotaxe – ist von eher schlichter Unauffälligkeit. Dafür fällt die Omnipräsenz der Pronomina auf. Zwei Komposita finden sich und bilden zwei Pole der Bewahrung, die in ihrer Tiefe versehren, worin sie ruhen. Nagelmond und Blutgefäß sind die am wichtigsten erscheinenden Angaben zur Topographie der Trauer im Gedicht und eröffnen seine Hälften. Es fällt sehr früh ein Wort, das unvertraut klingt oder einst unvertraut geklungen haben muß,166 wo von Liebe die Rede ist: Asche; es wird einerseits präsentiert und andererseits diachron variiert, wobei die synchrone Latenz all der Konnotate die Einzigartigkeit des Ausdrucks sein sollte, sein »Dröhnen«,167 um mit Celan zu sprechen. Da ist ein »Objekt = x«,168 doch da sind ebenso stets »divergierende Serien [...], in denen dieses zirkuliert«.169 Diese so eröffneten Spiele benötigen das leere Feld, ohne das nichts voranginge [...]. Das Objekt = x unterscheidet sich nicht von seinem Ort, doch gehört zu diesem Ort, daß er sich be170 ständig verschiebt, wie es zum leeren Feld gehört, daß es unablässig springt.
Das, was hier das Selbe ist, ist nicht zugleich das Gleiche, wogegen »es sich wesentlich sträubt«.171 Es ist ein – wie die Redewendung andeutet – nicht unwichtiger punctum saliens ... Man könnte durchaus plausibel folgern, der Text zerfalle in Fragmente oder Partien, wie Szondi dies in der Arbeit an dem Gedicht Engführung nebenbei bemerkt gleichfalls tut.172 Jedenfalls anagrammiert sich Asche sozusagen zur Achse des Poems, vielleicht auch zur Achse all jener Poesie, die nach Auschwitz – aufgrund von Auschwitz173 – entstehen mußte. Man kann hier auf Derrida vorgreifen, der angesichts der dreifachen Anrufung der Asche und der Nacht bei Celan174 zunächst notiert: 166
167 168
169 170 171
172 173 174
Freilich ist bis heute das Bild oder Wort wirksam, wenn es sich etwa bei Friederike Mayröcker aktualisiert findet: »(›blühende Asche –‹)« – Friederike Mayröcker: Ausgewählte Gedichte. 1944–1978. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1986 (SuhrkampTaschenbuch; 1302), S. 72. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 89. Gilles Deleuze: Woran erkennt man den Strukturalismus? Übersetzt von Eva Brückner-Pfaffenberger und Donald Watts Tuckwiller. Berlin: Merve 1992 (Internationaler Merve Diskurs; 166), S. 42. Ebd. Ebd., S. 45; vgl. auch Eckhard Lobsien: Wörtlichkeit und Wiederholung. Phänomenologie poetischer Sprache. München: Fink 1995, S. 16f., 176 (Anm.) u. passim. Deleuze, Woran erkennt man den Strukturalismus? (Anm. 168), S. 51; »Gewiß ist in jeder Strukturordnung das Objekt = x keineswegs ein Unerkennbares, ein reines Unbestimmtes [...]. Es ist einfach nur nicht zuweisbar«. Vgl. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96) Bd 2, S. 351ff.; dies soll nicht unterstellen, man könne oder dürfe hier weitreichende Analogien finden ...! Vgl. ebd., S. 384. Vgl. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 199; »Soviel / zu segnende Asche.« (ebd., S. 227).
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Asche ist nicht mehr hier.175
»Nicht immer gelingt es Rose Ausländer, [...] die Asche fortzuwischen«,176 so schreibt eine Interpretin, die letztlich verkennt, daß Asche ein Nie implizierte. Asche ist weder Schrift noch Gegenstand derselben allein. Sie ist hierin »Phantom«177 – und dies schmerzlich augenfällig, »eingeäschert« ...178 Neumann hat sehr früh in diesem Sinne gefragt, »ob [...] Asche [...] noch als Asche das Bild des Verbrannten bewahrt«?179 Und so fragt Derrida: Wer hätte noch den Mut, sich an ein Gedicht über die Asche zu wagen?180
Und er setzt sogleich hinzu, daß es auf die Möglichkeit eben dieses Gedichts ankommen könnte.181 Celan wußte es, man kann Asche lobpreisen oder segnen.182
»Asche als Haus des Seins«183 – mit dieser Formel bindet Derrida Schrift und Asche endgültig aneinander, schwingt doch ein nicht unbekanntes Zitat Heideggers hierin mit: Die Sprache ist das Haus des Seins.184
An dieser Stelle ist einem Surren nachzugehen, denn ganz offensichtlich geht es dieser Dichtung um nichts, das wesentlich erscheinen könnte ...185 175 176 177 178 179 180 181 182
183 184
185
Jacques Derrida: Feuer und Asche. Übersetzt von Michael Wetzel. Berlin: Brinkmann & Bose 1988, S. 15. Maria Denise Amon: Hoffnung und Erinnerung in der späten Lyrik der Rose Ausländer. Magisterarbeit, Köln 1998, S. 12. Derrida, Feuer und Asche (Anm. 175), S. 17. Ebd., S. 19; sie ist dies in einer »verletzlichen Zartheit« (ebd.) Neumann, Zur Lyrik Paul Celans (wie Kap. 1, Anm. 127), S. 52. Derrida, Feuer und Asche (Anm. 175), S. 15. Vgl. Voswinckel, Paul Celan (wie Kap. 2, Anm. 157), S. 189, wo es heißt, es sei nur Asche zu segnen – »in bitterer Abwandlung des Poetisierungsgedankens«. Jacques Derrida: Schibboleth. Für Paul Celan. Übersetzt von Wolfgang Sebastian Baur, hg. von Peter Engelmann. 2. Aufl., Wien: Passagen 1996 (Edition Passagen; 12), S. 81; vgl. auch Jacques Derrida: Schibboleth. Pour Paul Celan. Paris: Éditions Galilée 1986 (Collection La philosophie en effet), S. 111. Derrida, Feuer und Asche (Anm. 175), S. 25. Martin Heidegger: Das Wesen der Sprache. In: ders., Unterwegs zur Sprache. 10. Aufl., Stuttgart: Neske 1993, S. 157–216, hier S.166; unvermeidlich und unmöglich ist, worauf dies zielte: »Als die existentiale Verfassung der Erschlossenheit des Daseins ist die Sprache konstitutiv für dessen Existenz.« – Martin Heidegger: Sein und Zeit. 17. Aufl., Tübingen: Niemeyer 1993, S. 161, § 34; »was nur möglich ist – wenn es das gibt – als das Unmögliche« (Jacques Derrida: Aporien. Sterben – Auf die »Grenzen der Wahrheit« gefaßt sein. Übersetzt von Michael Wetzel. München: Fink 1998, S. 126): Tod, écriture... – vgl. ebd., S. 115f. u. passim. Avram Andrei Baleanu: Ausländer, Rose. Übersetzt von Hans Joachim Kemper. In: Jüdische Frauen im 19. und 20. Jahrhundert. Lexikon zu Leben und Werk. Hg.
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Dritter Teil
Heißt es, Asche könne blühen, so gemahnt dies nicht nur ans Irrlichtern des Verbrannten in der Asche, sondern auch daran, daß, wer schreibt, immer mit solcher Asche schreibt. Nicht zufällig ist bei Derrida vom »Brennpunkt [...] aller Metaphorizität«186 die Rede. Zum einen ist ganz naheliegend zu assoziieren, daß Asche zur Erzeugung von Farben und Tinte beigezogen wurde. Zum anderen ist, was geschrieben wurde, Asche des Vorbilds – eine Art Schwundstufe der Mimesis vorm Unbeschreiblichen. Zuletzt jedoch ist von Asche der Asche zu sprechen. Die Zitate anderer Texte glosen, wo kein erstes Bild geblieben ist, womit man schon genug gesagt hätte, die Asche multipel geworden der Konstellation gemäß wäre. In den Wind gestreut erforderte sie, die Trauer als Unmöglichkeit ihrer selbst in den Wind zu schreiben ...187 Man muß nicht, doch ich will einige Aschen finden, und dies ausgerechnet von jenem Wort, das als Motivkomplex vorzeichnet, was heute seinen uneinlösbaren Fokus in Asche hat. Das Oxymoron blühende Asche kann so zuallererst als Wiederaufnahme eines biblischen Stoffes verstanden werden, was wiederum, da die dort gegebene Transzendenz im Poem nicht realisiert wird, nicht realisiert werden darf, durchaus Erkenntnisqualität hat: Dort erschien [...] [Mose] der Engel des Herrn in einer Flamme, die aus einem Dornbusch emporschlug. Er schaute hin: Da brannte der Dornbusch und verbrannte doch nicht. (Ex 3·2)
In der Bibelstelle sind ungebrochene Bezüge initiiert, denen Rose Ausländer sozusagen ein Ende bereitet, indem sie zur Inversion greift, »geläufiges Reden [...] auf den Kopf gestellt wird«188 – nur Asche ist geblieben, doch diese blüht
186 187 188
von Jutta Dick und Marina Sassenberg. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1993 (rororo; 6344 – Handbuch), S. 41–43, hier S. 42: »bis ins Extreme auf das Wesentliche verdichtete[n] Sprache«. Jenes Wesentliche bleibt als Gefühl »großer Menschlichkeit und Wärme« (ebd.) erwartungsgemäß diffus; »Asche ist nicht das, was ist.« – Derrida, Feuer und Asche (Anm. 175), S. 23. Derrida, Dissemination (Anm. 87), S. 90 (Hervorhebung M. H.). Vgl. Jacques Derrida: Die Wahrheit in der Malerei. Übersetzt von Michael Wetzel. Hg. von Peter Engelmann. Wien: Passagen 1992 (Passagen Philosophie), S. 252. Elisabeth Axmann: Plagen und Wunder. In: Rose Ausländer. Materialien zu Leben und Werk. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1997 (Fischer-Taschenbücher; 6498 – Informationen und Materialien zur Literatur), S. 212–216, hier S. 213; Lehmann weist vor allem bei Nelly Sachs auf die »dekonstruktive Verarbeitung vieler Felder der religiösen Tradition« (Lehmann, Im Zeichen der Shoah (wie Kap. 2, Anm. 60), S. 72) hin und bleibt, was Rose Ausländer angeht, trotz der klugen Eröffnungszüge in der Folge unscharf. Falsch ist, daß die Dichterin keinen »explizite[n] Rekurs auf magisch-mystische Traditionen« (ebd., S. XVII) pflegt – worunter wohl auch Anspielungen auf Religion und Mythos zu rechnen wären. Naiv wäre noch die Rede von gebrochenen Bezügen, bedenkt man, daß der Mythos sein etwa dichterisches Aufgegriffen-Werden beinhaltet – oder ist. »Im Mythos geschieht das Totale und das Endgültige nicht« (Blumen-
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durchs Blutgefäß der Trauer. Als Beleg der Wichtigkeit jener Utopie, welche in den Versen jenseits jeder Topographie liegt – »die Heimat / ausgewandert / in stachlige Räume«189 –, kann man die Verse des Gedichts Der Dornbusch anführen: Der Dornbusch wartet auf die Flamme 190 die nicht verbrennt ...
Das Poem wird zur nicht unironischen und schmerzvollen Reminiszenz. Was aber ist, wo Asche bleibt, zu lesen? Zunächst steht sie pars pro toto für das, wovon sie nur Folge sein sollte, so gebraucht Kleist sie als Metonymie (hier sozusagen Erzeugnis für Erzeuger) in der Kette: Gift! Asche! Nacht! Chaotische Verwirrung!191
Freilich ist somit das Bild des Vernichteten schon gegeben, das aber, und dies scheint mir bemerkenswert, in den Texten, seien sie von Bettina von Arnim oder Johann Wolfgang von Goethe, oftmals nicht zur Ruhe kommt: Und dein Herz, Aus Aschenruh Zu Flammenqualen Wieder aufgeschaffen, 192 Bebt auf!
So freilich geschieht’s vor allem mit dem reuigen Herz, dem ein Tag des Zorns zuteil ward – verloren aber ist, was Asche diesem Herzen dann ist. Diese Asche erweist sich als bindend, dem, der gedenkt, als – ewiger – Ort der Ruhe. Das Feuer geht empor in freudigen Gestalten, aus der dunklen Wiege, wo es schlief, und seine Flamme steigt und fällt [...]; was übrig ist, ist Asche. 193 So gehts mit uns. In Kalaureas Wäldern? – Ja! im grünen Dunkel dort, wo unsre Bäume, die Vertrauten unsrer Liebe stehn, wo, wie ein Abendrot, ihr sterbend Laub auf Diotimas Urne
189 190 191 192 193
berg, Arbeit am Mythos [Anm. 5], S. 296) ... »Der Mythos ist immer schon in Rezeption übergegangen, und er bleibt in ihr« (ebd., S. 299). Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 123), Bd 4, S. 102. Ebd. (wie Kap. 2, Anm. 200), Bd 5, S. 40. Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Hg. von Siegfried Streller u. a. Frankfurt a. M.: Insel 1986 (Insel Taschenbuch; 981–984), Bd II, S. 218. Goethe, Faust I (wie Kap. 1, Anm. 15), S. 141f., V. 3803–3807; vgl. Goethe, Urfaust (wie Kap. 1, Anm. 15), S. 473, V. 1338–1342. Friedrich Hölderlin: Werke. Geschenkausgabe in vier Bänden. Hg. von Friedrich Beißner und Jochen Schmidt. Bd 2: Gedichte, Bd 3: Hyperion oder Der Eremit in Griechenland. 2. Aufl., Frankfurt a. M.: Insel 1986, Bd 3, S. 43.
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Dritter Teil fällt und ihre schönen Häupter sich auf Diotimas Urne neigen, mählich alternd, bis auch sie zusammensinken über der geliebten Asche, – da, da könnt ich wohl nach 194 meinem Sinne wohnen!
Asche wird so zur Befindlichkeit dessen, der die Liebe als unmittelbare Präsenz immer schon verloren weiß. Asche ist bei Heine in der Tat, was bleibt. Sag’, wo ist dein schönes Liebchen, Das du einst so schön besungen, Als die zaubermächt’gen Flammen Wunderbar dein Herz durchdrungen? Jene Flammen sind erloschen, Und mein Herz ist kalt und trübe, Und dies Büchlein ist die Urne 195 Mit der Asche meiner Liebe.
Spöttisch und heute durch die unvermeidbaren Assoziationen nicht recht zu lesen ist das, was in der Folge als Assoziationsstrang einen Perspektivenwechsel bewirkt – Hatem spricht: Findet sie ein Häufchen Asche, 196 Sagt sie: »Der verbrannte mir.«
Man erahnt, daß solche Rede die Bindung ans Verbrennen und Verbrannte nicht lockert, nicht lockern kann. Gerade die mutwillige Zerstörung – vielleicht soll in ihr, was zu nahe und zu fremd schien, erlöschen – wird Emblem der Unmöglichkeit, im Abschied zu einem Ritus der Trennung zu finden, der sich als tragfähig erwiese. Plötzlich aber [...] warf er die Blumen den Briefen nach. Ein Aufflackern noch, und nun war alles vorbei, verglommen. »Ob ich nun frei bin? ... Will ich’s denn? Ich will es nicht. 197 Alles Asche. Und doch gebunden.« Das wechselseitige Sich-Sehen und Sich-Ansehen samt der Existenzanerkennung, die darin liegt, ist das wichtigste Element des Sich-Zugewandtseins. Deshalb ist es nur zu verständlich, daß Abschiedsrituale vor allem dazu da sind, die bevorstehende 194 195
196
197
Ebd., S. 146. Heinrich Heine: Buch der Lieder. Hamburg 1827. Hg. von Joseph KiermeierDebre. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1997 (dtv; 2614 – Bibliothek der Erstausgaben), S. 241, LXXXVIII. Johann Wolfgang von Goethe: Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Bd 2: Gedichte und Epen II. Hg. von Erich Trunz. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1982, Bd 2, S. 75. Theodor Fontane: Taschenbuch-Ausgabe in 15 Bänden. Hg. von Kurt Schreinert und Annemarie Schreinert. Bd 9: Irrungen Wirrungen. Stine. München: Nymphenburger 1969, Bd 9, S. 146.
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Abwendung nicht als das erscheinen zu lassen, was sie im Kern doch ist: ein Ver198 achtung bekundendes und darin tief verletzendes Verhalten.
Doch solche Schuld kann nicht abgegolten werden, zumal sie nicht in Szene zu setzen ist, wo nicht einem Vergessen anheimfällt, daß der Gegenstand jedes Satzes, der Trauer artikuliert, sein kann, wer vergeben nicht mehr kann, wer zugleich – Asche – unter jene nicht mehr zu zählen ist, von denen Abwendung möglich wäre. Indem ich mich umdrehe, sage ich meinem Gegenüber, daß er für mich aufgehört hat, zu existieren.199
Diese Geste ist schier unmöglich, wo jenes Gegenüber im Blutgefäß nur noch für den, der es bewahrt, ist, wo zugleich eine Abkehr von sich selbst und eine Tilgung der Spur, die das Selbst wesentlich konturiert, gegeben wäre. Solches Scheitern und ein Fühlen desselben mag die Bedingung lyrischer Rede sein, die weiß: Dichten selbst ist schon Verrat.200 201
Quid sum miser tunc dicturus?
– so schwingt es in jener mit. In Eichendorffs Schlimme Wahl wird so Asche der poetischen Grundbefindlichkeit beigesellt und zugrunde gelegt. Doch streift beim Zug dich aus dem Walde eben Der Freye Blick und brennt dich nicht zu Asche: 202 Fahr wohl, bist nimmer ein Poet gewesen!
Asche bleibt Asche, indem sie ein Doppelleben führt, Verlorenes und Spur des Verlorenen (auch im begehrend am Entzogenen Verglühten) zu sein – und dies für den umrissenen Motivkomplex so schon geraume Zeit. Darum »fällt [es] wie Asche auf die Schrift«.203 Es sei noch kurz auf die Möglichkeiten eines Fortdichtens eingegangen, die nach Rose Ausländer, welche Asche mit anderen Poeten zur Zentralmetapher erhob, verbleiben.204 Was folgt auf die Formel der Mayröcker, die »(›blühende
198 199 200 201 202 203 204
Manfred Sommer: Sammeln. Ein philosophischer Versuch. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999, S. 262. Ebd. Goethe, Werke (Anm. 196), Bd 2, S. 97. Goethe, Faust I (wie Kap. 1, Anm. 15), S. 142, V. 3833; vgl. Goethe, Urfaust (wie Kap. 1, Anm. 15), S. 474, V. 1370. Joseph von Eichendorff: Gedichte. Leipzig: Max Hesses Verlag o. J., S. 80. Theodor Storm: Sämtliche Werke in vier Bänden. Hg. von Peter Goldammer. Bd 4: Novellen. Kleine Prosa. 5. Aufl., Berlin, Weimar: Aufbau 1982, S. 20. Vgl. Ilse Brehm: Das Lied überm Staub. Notizen zu Autoren der Gegenwart. Lahnstein: Calatra Press Willem Enzinck o. J, S. 48.
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Dritter Teil
Asche –‹)«205 kennt? Es folgt zum Beispiel eine nicht anders als skandalös angelegte Schilderung von Menasse, der in Selige Zeiten, brüchige Welt schildert, wie Asche seinem Protagonisten Leo Singer sozusagen widerfährt – just, als er auslöschen will, was ihm nun in Augen, Mund, jede Pore dringt: Er spuckte und schnaufte, er wollte erbrechen [...]. Wie ihn ekelte. Er wagte es nicht zu schlucken. Immer wieder räusperte er sich, spuckte den Speichel aus, der sich in 206 seinem Mund ansammelte.
Zur conditio humana vereint dagegen Danto in einer eigenwilligen Passage die Metaphorik von Schöpfung, von Stern, von Asche. Er, der zuletzt konsultiert sei, schreibt: Wir sind [...] nicht wie Adam [...] aus einer Handvoll Staub geschaffen worden. Sehr 207 wohl aber können wir aus der Asche explodierter Sterne bestehen.
So nüchtern, wie es auf den ersten Blick vielleicht scheint, wird dies wohl niemals zu lesen sein... Wie segnet oder besingt Rose Ausländer Asche? Sie tut dies, indem sie um den im Feuer – also »in den Lüften«208 – Begrabenen eine gegenläufige Bewegung inauguriert. Denn das Bewahrte affiziert, wie zu zeigen ist, das Bewahrende und vice versa. Die »überlebende / Asche / nach der Feuerflut«209 ist im Wort unzureichend geborgen, doch schädigt sie die Blutgefäße ganz ohne Zweifel. »Die bewältigte Fremdheit schlägt nach innen auf die Formen ihrer Aneignung zurück«210, schreibt Waldenfels von jenem, was »als Gleichzeitigkeit von Selbst- und Fremdreferenz«211 Datum, als Ineinander von Wunde und Sensorium, das heil zu bleiben sucht, Narbe wird. Man könnte ans Auskunftsbüro der Angst (Robert Schindel) verweisen – »Angst ist eingesperrt im Wort, verdichtet, [...] da kommt es geworfen aus einem dunklen Grund, ist selber dunkel, der Grund aber ist undunkler geworden«.212 205 206
207 208 209 210 211 212
Mayröcker, Ausgewählte Gedichte (Anm. 166), S. 72. Robert Menasse: Selige Zeiten, brüchige Welt. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1994 (SuhrkampTaschenbuch; 2312), S. 225; vgl. zu Szene und Kontext Hannes Stein: Schm’a Jisruel, kalt is ma in die Fiß. Die neue deutschsprachige jüdische Literatur. In: Deutsche Nachkriegsliteratur und der Holocaust. Hg. von Stephan Braese, Holger Gehle und Hanno Loewy. Frankfurt a. M., New York: Campus 1998 (Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts; 6), S. 401–411, hier S. 408f. Arthur C. Danto: Wege zur Welt. Grundbegriffe der Philosophie. Übersetzt von Peter Michael Schenkel. München: Fink 1999, S. 54 (Grammatik verbessert, M. H.). Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 41 u. (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 63. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 133. Waldenfels, Sinnesschwellen (wie Kap. 1, Anm. 24), S. 32. Ebd., S. 65; vgl. ebd., S. 98f. u. S. 184. Robert Schindel: Literatur – Auskunftsbüro der Angst. In: Tendenz Freisprache. Texte zu einer Poetik der achtziger Jahre. Hg. von Ulrich Janetzki und Wolfgang Rath. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992 (Edition Suhrkamp; 1675), S. 188–201, hier S. 193.
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Mit einer sich entfremdet vorfindenden Phänomenologie ist zu formulieren: »Ästhetisch wäre eine Kunst, die ihre Herkunft aus der Fremde verleugnet.«213
Dagegen schreibt Kłańska, es sei, was Rose Ausländer aktualisiert, eine Form von reiner Versöhnung, was an die anderen Orts geäußerte und in dieser Form reichlich abstrakte These, die Dichterin glaube noch ans Wunder,214 anschließt. Dies sieht die Interpretin an dem Poem Nachher belegt, worin »unser verwundetes / geheiltes / Deutsch«215 sich findet. Durch das Wort »unser« wird die Kluft zwischen den Opfern des Holocausts und den Tätern überbrückt, das Ausschlaggebende ist die deutsche Muttersprache, die die Deutschen und Juden verbindet. Diese Sprache ist verwundet worden, durch die Verunreinigung im Dritten Reich, durch ihren Mißbrauch, dadurch, daß es die Mördersprache geworden war. Aber sie ist wieder geheilt, die Wunden sind verheilt, man darf sie wieder als ein Heiligtum betrachten und in dieser Sprache dichten. Wieviel Versöhnungs- und Vergebungsbereitschaft ist in diesen knappen Worten enthalten! Die jüdische Dichterin, die von »unserem« Atem und »unserem« Deutsch spricht, kann zwar nicht vergessen, aber großzügig verzeihen (natürlich nur im eigenen Namen, nicht in dem der jüdischen Nation), weil sie Deutsch schreiben und sonst kommunizieren kann und an die Macht der Sprache glaubt, die sich erneuern 216 und wie ein Phönix aus der Asche steigen kann.
Sieht man von der Wunde, die gegen Kłańskas Intention Heiligtum wird, ab, gerinnt hier alles zu einer desaströsen Sprache der Indifferenz. So präsent ist jene Versöhnung nicht. Ein Status unseres Deutsch ist für mich kaum auszumachen, allenfalls ist hierin dieses Deutsch bindend und verbindend, als es Medium dessen ist, worin Lyrik zeigt, wie wenig derlei Formeln einer letzten Versöhnung aufgehen. Man muß an dieser Lyrik, deren Einsatz beträchtlich ist, sehen, wie wenig sie verspricht, um zu sehen, wie ungeheuer viel sie zu halten vermag. Selbst in den Versen, die von Kłańska nicht absichtslos gewählt demonstrieren sollen, es sei hier endlich Friede, was ja gegen den Grundzug der Ausländerschen Poetik denkbar ist – man kann nicht alle lyrischen Ich-Konstruktionen über den Kamm einer Poetologie einer Autorin scheren –, geht nicht auf, was sie behauptet. Deutet unser wirklich eine Kontinuität an, ist eine Versöhnung, was ein Auftauen der »gefrorenen Worte«217 besagt? »Nach der Nullstunde«218 ist schwerlich zu übersehen, daß mit Altem in neuer Weise gearbeitet wird, dieser neue Modus jedoch das Material, das auch 213 214 215 216 217 218
Waldenfels, Sinnesschwellen (wie Kap. 1, Anm. 24), S. 147. Vgl. Kłańska, Zu Rose Ausländers Ostergedichten (wie Kap. 1, Anm. 39), S. 103 u. 107. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 45), Bd 8, S. 169. Kłańska, »Ich Überlebende des Grauens schreibe aus Worten Leben« (wie Kap. 2, Anm. 208), S. 147. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 45), Bd 8, S. 169. Ebd.
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geheilt Narben tragen mag, grundsätzlich wandelt. Ungebrochen ist auch hier nichts geblieben; frommer oder doch unfrommer Wunsch dagegen, eine Vereinigung derer zu sehen, in deren Namen in »unkomprimittierten Ausdrucksmöglichkeiten«219 ein Band zu jenen geflochten wird, die das »Fragen Adornos und Celans«220 als Ruhestörung schon empfunden haben mögen – zu den Tätern und manchen Eichmannsöhnen, die ein ganz anderes Wir ergäben.221 Ein Interpret schreibt mit Recht, Rose Ausländer habe »Dunkelheiten nicht wegretuschiert«,222 wenngleich man zur von Wallmann im selben Atemzug genannten Aufhebung fragen möchte, ob zutreffend vom Versuch des Bewahrens oder unzutreffend vom geglückten Ästhetisierungsbemühen die Rede ist.223 Jene problematischen Prozesse, worin die »Söhne der Mörder [...] die Leichen der von ihren Eltern Ermordeten« »beklatschen«,224 die Nachkommen der Täter mit den Ermordeten applaudierend sich identifizieren, ist skizziert worden. auch hitler war ein österreicher 225 nicht nur christus ...
Sinnvoll kann es nicht erscheinen, durch Tränen der Rührung zu substituieren, was wirklich eine Frage der Identifikation wäre – ob wir »unter dem geistigen Erbe Hitlers gelebt haben und immer noch leben«.226 Schon 1949 jedenfalls wußte oder fühlte Adorno, ein bestimmtes Gefühl von Nähe seitens der Nachkommen sei unangebracht, die Würdigung doch nicht zuletzt daran gebunden, daß jener, der zu ehren sich bemüht, auch »um die Unmöglichkeit dieser Begegnung«227 weiß: 219
220 221
222 223 224
225 226 227
Kłańska, »Ich Überlebende des Grauens schreibe aus Worten Leben« (wie Kap. 2, Anm. 208), S. 146; »nur im eigenen Namen« (ebd., S. 147) u n d – nur ein paar Zeilen weiter – doch »im Namen [...] der Ermordeten«, deren »Vermächtnis« (ebd.) sich Kłańska sogleich erhellt ... Ebd., S. 146. Freilich sind die Eichmannsöhne ein diffiziles Problem für sich ... – vgl. auch Günther Anders: Wir Eichmannsöhne. Offener Brief an Klaus Eichmann. 2. Aufl., München: Beck 1988 (Beck’sche Reihe; 366), S. 7ff. Wallmann, [Rez.] Rose Ausländer: Gesammelte Werke in sieben Bänden (wie Kap. 2, Anm. 58), S. 434. Vgl. ebd. Anders, Ketzereien (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 69; »Wiedergutmachungsapplaus« – ebd.; vgl. auch Konrad Paul Liessmann: Ohne Mitleid. Zum Begriff der Distanz als ästhetische Kategorie mit ständiger Rücksicht auf Theodor W. Adorno. Wien: Passagen 1991 (Passagen Philosophie), S. 280 u. passim. Ernst Jandl: lechts und rinks. gedichte statements peppermints.Wien: Donauland Kremayr & Scheriau o. J., S. 17. Serres, Hermes (wie Kap. 1, Anm. 2), Bd III, S. 98. Amy D. Colin: Der Weg der Lyrik Paul Celans. In: Literatur und Kritik (September/Oktober 1984), H. 187/188, S. 340–351, hier S. 349; interessant ist an dieser mit Derrida formulierten Passage in Colins Essay, daß der Bezug des französischen Denkers zu Celan kurz vor Derridas erster Wendung zum Schibboleth (Ende 1984) sozusagen vorweggenommen wird ...
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Mein Seminar gleicht einer Talmudschule – [...] wie wenn die Geister der ermordeten jüdischen Intellektuellen in die deutschen Studenten gefahren wären. Leise unheimlich.228
Es erscheint nicht erst auf den zweiten Blick bedenklich, allzu generös von Versöhnung zu sprechen.229 Asche erinnert beständig an das, was, wenn man die Ambivalenz von Odysseus’ Wortspiel (»Οὖ͒τις«230) auch bei Rose Ausländer noch ausfindig macht, die Dichterin so umschreibt: Mein Pseudonym Niemand 231 ist legitim. Niemand zeugt für den 232 Zeugen. 228
229
230
231
232
Theodor W. Adorno: Brief an Leo Löwenthal vom 3. Januar 1949. In: Leo Löwenthal: Schriften. Hg. von Helmut Dubiel. Bd 4: Judaica, Vorträge, Briefe. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1990 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 904), S. 172–174, hier S. 174; vgl. zum Problem auch Rolf Wiggershaus: Diskrete Radikalität. Über Schwierigkeiten der Kunst nach Auschwitz. In: Vernunft und Subversion. Die Erbschaft von Surrealismus und Kritischer Theorie. Hg. von Dietrich Voß und Heinz Steinert. Münster: Westfälisches Dampfboot 1997, S. 184–199, hier S. 189f. Verantwortbar sind dagegen Weißenbergers Darlegungen zu Rose Ausländers Versen als an Celan gebildeter »Kontrafraktur« – Klaus Weißenberger: Paul Celans hermetische Dichtung – immanente Transzendenz eines extremen Weltbezugs. In: Die österreichische Literatur. Ihr Profil von der Jahrhundertwende bis zur Gegenwart (1880–1980). Hg. von Herbert Zeman. Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1989, Teil 2, S. 1313–1333, hier S. 1321 (Anm.) u. S. 1322 (Anm.). Homer: Odyssee. Griechisch und deutsch. Übersetzt von Anton Weiher, mit einer Einführung von Alfred Heubeck. 9. Aufl., München, Zürich: Artemis 1990 (Sammlung Tusculum), IX. Gesang, V. 336; vgl. auch Theodor W. Adorno / Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1988 (Fischer-Taschenbücher; 7404 – Fischer Wissenschaft), S. 71ff. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 132 (Hervorhebung M. H.); zu Odysseus bei Rose Ausländer vgl. ebd., S. 284 u. (wie Kap. 2, Anm. 200), Bd 5, S. 67 sowie Held, Evas Erbe (wie Kap. 1, Anm. 27), S. 256. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 72; vgl. hierzu auch Irving Wohlfarth: Das Unerhörte hören. Zum Gesang der Sirenen. In: Jenseits instrumenteller Vernunft. Kritische Studien zur Dialektik der Aufklärung. Hg. von Manfred Gangl und Gérard Raulet. Frankfurt a. M., Berlin, u. a.: Lang 1998 (Schriften zur politischen Kultur der Weimarer Republik; 3), S. 225– 274, hier S. 226ff., wo Verbindungen zum Bilde der »Flaschenpost« (Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 186; Theodor W. Adorno: Philosophie der neuen Musik. In. Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann. Bd 12: Philosophie der neuen Musik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 1997 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft), S. 126; ferner Felix Philipp Ingold: Der Autor im Text. Bern: Benteli Verlag 1989, S. 27) entwickelt werden ...
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Hier ist zumindest kurz auf die Möglichkeit zu verweisen, die Schrift als List und Anklage gegen den – entschwundenen – Schöpfer zu lesen; andererseits ist das Erbe des Zeugnisses, das im Datum wiederkehren und sich wohl als Erbsünde erweisen wird – »der Tod beinhaltet Mord [...], der [...] mich angeht, mich als Überlebenden«233 –, angesprochen: Niemand knetet uns wieder aus Erde und Lehm, niemand bespricht unsern Staub, Niemand. 234
Gelobt seist du, Niemand. Bete, Herr, bete zu uns, 235 wir sind nah.
Auch Rose Ausländer eröffnet einen Dialog – vor allem aber seine Unmöglichkeit – zwischen Ihm und Ihnen.236 Ihre Verse schließen mit dem Imperativ: Hör / den erwürgten / Widerhall237...
Das Dilemma wird vor allem in einer Kette des Gedichts deutlich: Nagelmond – Nacht – Namen; diese Serie ist der Weg vom tiefen Schnitt (»a metaphorical nail-biting«238) sowie einem düsteren Gestirn zum Datum, über das noch zu sprechen ist, und zurück. Steffens wählt in seiner Poetik der Welt das Wort »Doppelspiel«239 als Einsatz für die Beobachtung, daß Beschreibung des Lebens und Leben aufeinander verweisen, durch einander jedoch in ihrem Treffen verunmöglicht sind.240 Das Ergebnis, zu dem Rose Ausländer auch mittels der alternierend gebauten Verse gelangt241, ist als Pendelbewegung zwischen den beiden Teilen, 233
234 235 236 237 238 239
240 241
Emmanuel Lévinas: »Die Menschheit ist biblisch«. In: Jüdisches Denken in Frankreich. Gespräche. Hg. und übersetzt von Elisabeth Weber. Frankfurt a. M.: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 1994, S. 117–131, hier S. 117; »ohne dieses Risiko des Wahnsinns erstarrt die Bedeutung« – ebd., S. 124; vgl. ebd., passim. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 225. Ebd., S. 163. Vgl. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 81f. Ebd., S. 82. Bower, In the Name of the (M)other? (wie Kap. 1, Anm. 77), S. 179. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 200), Bd 5, S. 26; Rose Ausländer stellt beim Doppelspiel – typographisch deutlich abgesetzt – nebeneinander »Worte Scheiterhaufen« (ebd.) ... Vgl. Andreas Steffens: Poetik der Welt. Möglichkeiten der Philosophie am Ende des Jahrhunderts. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1995, S. 17. Diese sind als Spiel mit dem Unangemessenen von einer gewissen Erkenntnisqualität – vgl. Roman Jakobson: Der Doppelcharakter der Sprache und die Polarität
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die rund um die Achse das Gedicht konstituieren, zu beschreiben. Es ist ein infinites Pendeln zwischen Trauer und lyrischer Suspension, wobei ein Pol dem anderen verpflichtet ist – ohne Worte verstummt die Trauer, die zugleich verbürgt, daß kein Redefluß die Bewegung beendet, die im Gedicht wie im Blutkreislauf immer wieder aufs Neue beginnt. Schönheit des Ausdrucks und Ruhe kommen so gleichermaßen nicht zu ihrem Recht und ermöglichen zugleich die Präzision eines Sprechens, das doch keinen der Pole auflöste. Das Obsessive des Bewahrens tritt zutage, da ihm ein Vergessen beigesellt ist ...242 Dieser paradoxen Konstellation entspricht, daß der Sinn des Gedichts sich aufzuhellen scheint, doch die Verdunkelung der Vokale dieses Schwinden des Schmerzes fraglich erscheinen läßt. Wo die Aufnahme des Fremden sein Eindringen ersetzt, die Aktivität eine Verlagerung erfährt, da die Fronten des Leidens und Trauerns in eine Sprache, in der das Gedenken geschieht, mündet, dort also kommt es nicht zur Synthese – was angesichts der 13 Zeilen, die noch die Ordnung des Dutzend sprengen, kaum verwundern mag. Kurz sei hier auf Lehmann verweisen, deren generöses Formulieren von Thesen an beispielsweise eben diesem Gedicht scheitert. Es gibt die von der Interpretin eher in Abrede gestellten »Indizien für einen fundamentalen Sprachzweifel«243 – nicht dagegen kann allein von der als Interpretament umfassend vorbereiteten »Tendenz zum Verlöschen«,244 was immer ihre »stumme Fortsetzung«245 sei, die Rede sein, da gerade auch die unmögliche Transparenz des Vergessensaktes »vergangenes Leid als ein Unabgeschlossenes erfahren«246 läßt, wie es bei Lehmann selbst – mit Bolz – heißt. Ein Text mag immer auch die Unmöglichkeit seines Datums nicht bloß sein, sondern ebenso darlegen, doch ist in ihm eine neue absolute Singularität gleichfalls zugegen, was in ihm den rückgewendeten Blick auf den Fokus der Negation unterminiert, da die Frage jeweiliger Formationen von Schrift es ist, die jene nachzuzeichnenden Konturen des Verlöschenden und des Verlöschens triftig und infinit erst werden läßt.247
242
243 244 245 246 247
zwischen Metaphorik und Metonymik. Übersetzt von Georg Friedrich Meier. In: Theorie der Metapher. Hg. von Anselm Haverkamp. 2. Aufl., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1996, S. 163–174, hier S. 174. Vgl. hierzu auch Harald Weinrich: Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens. 2. Aufl., München: Beck 1997, S. 224; das Schicksal Celans beschreibt in diesem Zusammenhang Weinrich als zwischen Seine und Lethe situiert – vgl. ebd., S. 227. Lehmann, Im Zeichen der Shoah (wie Kap. 2, Anm. 60), S. XVII. Ebd., S. 230; vgl. ebd., S. 6ff., 190 u. passim. Ebd., S. 230. Norbert Bolz, Stop Making Sense, zit. ebd., S. 42. Vgl. auch Petra Gehring: Innen des Außen – Außen des Innen. Foucault – Derrida – Lyotard. München: Fink 1994 (Phänomenologische Untersuchungen; 1), S. 170; »sinnverlängernde Umgangsweisen mit der Schrift« (ebd., S. 174), aus ihr und durch sie ... – vgl. auch Derrida, Mémoires (wie Kap. 2, Anm. 256), S. 59.
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Trauer also ist bis zu einem gewissen Grade – wie die Liebe – dadurch charakterisiert, ein Scheitern zu sein; im Blutgefäß / das rastlos zum Herzen führt / deinen Namen wird sie getragen, also in der Vene ... deine wachgerissene Vene 248 knotet sich aus. Die Vene läßt sicherer als die Arterie, die sich wieder verschließt, das Blut verströ249 men.
Das Betrauerte ist nicht in den Stand der Präsenz im Geiste zu holen, das Glück der unschuldigen Immanenz ist verloren, Residuum seiner Überbleibsel ist eine unmögliche Transzendenz, die in Erinnerungen dämmert, Erinnerungen an das, worauf nun unzureichend gedeutet und gewiesen wird. Was umarmt – in den folgenden Zeilen auch grammatisch –, wenn alles verfällt, noch ein ins Selbstgespräch verlorenes lyrisches Ich? Lieben wird dich die Einsamkeit 250 wird dich umarmen ...
Das in einen Chiasmus gebettete Subjekt zerreißt keinen der beiden Sätze zur Ellipse, die Einsamkeit ist, was universal geblieben ist. Konsequenz sind – diese Formel nun ist gegen die Intention der Dichterin gelesen – »verwachsne Verse«.251 Trauer [...] kennt keine Grenzen und keine Repräsentation. Sie ist Tränen und 252 Asche.
Sie kreist ums Geschick des »nichtrepräsentierten Toten«253, dessen Präsenz unendlich fern ist, denn die »Präsenz kommt nicht, ohne die Präsenz auszulöschen«.254 Was bleibt? Es bleibt ein Sprechen, das darum weiß und seine Poetik darin begründet, daß die Hypothek des zu Berichtenden den Zeugen ins Verstummen 248 249
250 251 252 253 254
Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 243. Pöggeler, Lyrik als Sprache unserer Zeit? (wie Kap. 2, Anm. 30), S. 35; Celans Verse werden hier als auf einen Selbstmordversuch bezogen interpretiert – vgl. ebd. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 123), Bd 4, S. 93. Ebd., Bd 2, S. 24. Nancy, Entstehung zur Präsenz (wie Kap. 1, Anm. 177), S. 104. Ebd. Ebd., S. 105; vgl. Jacques Derrida: – Kraft der Trauer. Die Macht des Bildes bei Louis Marin. Übersetzt von Michael Wetzel. In: Der Entzug der Bilder. Visuelle Realitäten. Hg. von Michael Wetzel und Herta Wolf. München: Fink 1994, S. 13– 35, hier S. 20 u. passim; vgl. auch Nancy, Elliptical Sense (Anm. 161), S. 36.
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oder aber ins endlose Sprechen treibt. Nicht grundlos entfällt das Rufzeichen, das frühere Versionen von Bis an den Nagelmond beschließt. Vielleicht ist darin begründet, was in der Melancholie als »Apotheose des Umsonst«255 bei Rose Ausländer »Leichtigkeit«256 schafft: Was sich manchmal wie poetischer Singsang anhört, hat einen harten, bitteren Kern.257
Der Einspruch gegen die Melancholie als eine Bilanz, die vorm Unmöglichen ins Reich des Meta flieht, als »›Melancholie‹ [...] das Scheitern der sogenannten Arbeit unterschreiben würde«,258 als Melancholie freilich, der es an Schwärze und Galle in der unterstellten Ontologie – nicht Dynamologie259 – gleichermaßen gebräche, sei erwähnt; es »geht um den absoluten Verzicht auf das Absolute der Kraft in dem, was sie an Unvermeidbarem und Unmöglichem hat: zugleich ebenso unerreichbar wie unausweichlich.«260 In der Tat ist, was so zu denken aufgegeben wäre, jene Klage, die substanzlos geworden vom Reservoir metaphysischer Tränen abgeschnitten ist: Man hat das Leid entgöttert, wenn Sie den poetischen Ausdruck verzeihen.261
Ein notwendig zu kurzer Blick auf ein Poem Celans sollte helfen, diese Überlegung klarer zu konturieren, die kaum wahrnehmbaren Gravitationslinien dieser Poetik in ihrer Umsetzung zu erkennen.
255 256
257 258 259 260
261
Cioran, »Cafard« (wie Kap. 1, Anm. 182), Nr 28. Hans Bender: Ausländer, Rose. In: Neues Handbuch der deutschen Gegenwartsliteratur seit 1945. Begr. von Hermann Kunisch, hg. von Dietz-Rüdiger Moser u. a. München: Nymphenburger 1990, S. 32–33, hier S. 33; ihre »Gedichttexte [...] sind schwerelose Gebilde« – Ferdinand van Ingen: [Rez.] Rose Ausländer: Ich spiele noch. In: Deutsche Bücher XX (4/1990), S. 262–263, hier S. 263; vgl. Böschenstein, Leuchttürme (wie Kap. 2, Anm. 208), S. 308; vgl. auch Pöggeler, Lyrik als Sprache unserer Zeit (wie Kap. 2, Anm. 30), S. 12; überzogen wirkt, was Lorenz schreibt: Rose Ausländer überwinde – anders als Celan – »das Stagnieren in Leiderfahrung« – Otto Lorenz: Gedichte nach Auschwitz oder: Die Perspektive der Opfer. In: Bestandsaufnahme Gegenwartsliteratur. Bundesrepublik Deutschland, Deutsche Demokratische Republik, Österreich, Schweiz. Hg. von Heinz Ludwig Arnold. München: edition text + kritik 1988 (text + kritik – Sonderband), S. 35–53, hier S. 42. Lore Schaumann: Düsseldorf schreibt. 44 Autorenporträts. Düsseldorf: Triltsch 1974, S. 10–13, hier S. 12. Derrida, Kraft der Trauer (Anm. 254), S. 15. Vgl. ebd., S. 16. Ebd.; vgl. ebd., passim; vgl. weiters zu einer wie bei Derrida »gar nicht so sanft[en]« »Melancholie« – Jean-François Lyotard: Das Undarstellbare – wider das Vergessen. Ein Gespräch zwischen Jean-François Lyotard und Christine Pries. Übersetzt von Christine Pries. In: Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn. Hg. von Christine Pries. Weinheim: VCH, Acta Humaniora 1989, S. 319–347, hier S. 326; vgl. ebd., S.326f. u. passim. Benjamin, Gesammelte Schriften (wie Kap. 2, Anm. 131), Bd II·1, S. 19.
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Adornos Rede von einer »Krisis der Verständlichkeit«,262 einem Fehlen der Pointe, die jene heile Welt erneut erstehen ließe, die zugegebenermaßen nie bestanden hat, wird hier so entsprochen, daß kein heiler Bezirk erhalten bleibt. Die Erbitterung über eine unerreichbare Stelle unseres Wesens reißt so das Ganze 263 zur Selbstvernichtung hin.
Hiermit freilich korrespondiert nicht ganz frei von Tragik eine bestimmte Qualität: Was dir am besten gelingt, wird dir unweigerlich zur Falle.264 265
Das Leben und nicht der Tod trennt die Seele vom Körper.
Im Federstrich wird man sich und dem eigenen Denken zum »eigenen Henker«:266 Wie du dich ausstirbst in mir: noch im letzten zerschlissenen Knoten Atems steckst du mit einem Splitter 267 Leben.
Dieses Gedicht entstammt dem Band Lichtzwang aus dem Jahr 1970, der durch Celan »selbst noch in den Druck gegeben worden«268 ist, ehe er in den Tod ging.269
262 263 264 265
266 267 268 269
Adorno, Voraussetzungen (wie Kap. 3, Anm. 26), S. 432. Valéry, Windstriche (Anm. 71), S. 15. Ebd., S. 34. Ebd., S. 122; zugleich wird die Flucht vor der Falle dem Unglücklichen untersagt – vgl. ebd.; en passant sei darauf verweisen, daß sich Szondi unter den Übersetzern findet ... Christian Morgenstern: Galgenlieder. Der Gingganz. 2. Aufl., München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1963 (dtv; 124), S. 24. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 261; unter dem Titel Kein Ende mit Rändern habe ich das Gedicht ausführlich diskutiert. Editorisches Nachwort – Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 422. Vgl. ebd.; zur Rezeption dieses Gedichts – vgl. Glenn, Paul Celan (wie Kap. 2, Anm. 173), S. 330 u. Christiane Bohrer: Paul Celan-Bibliographie. Frankfurt a. M., Paris, New York: Lang 1989 (Literaturhistorische Untersuchungen; 14), S. 403; verheerend ist die Besprechung einer der wenigen längeren Studien hierzu – vgl. Theo Buck: [Rezension zu Brierley: »Der Meridian«]. In: Germanistik 26 (1985), S. 692, Nr 4571, hier S. 692, Nr 4571; vgl. weiters Glenn, Paul Celan (wie Kap. 2, Anm. 173), S. 244 (T2098), S. 261 (T2249), S. 263f. (T2275), S. 278 (T2421).
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Seine Sprache ist verschlungen, verknotet, um bei Celans Wort zu bleiben. Sie rollt sich ein und entfaltet eine Dialektik zwischen den plötzlich zweideutig werdenden Polen Sterben und Leben, die einander nicht nur gegenübergestellt verbleiben. Das Weiterleben, und sei’s in Splittern, besteht; es ist ein Leben des Toten, der nicht vergessen wird. Jenes ihm widerfahrene Unrecht, das beund eingeklagt wird, wird stets nur in Bruchstücken bewahrt. Nur Bruchstücke sind versöhnt und verwahrt – scharfkantig ihres fragmentarischen Charakters wegen. Celan sammelt Scherben, dem Bewahrer widerfahren Schnitte. Er ist ein Diener der Toten, doch verdammt, ein schlechter Diener zu sein.270 Der Zeuge ist immer ein schlechter Zeuge, ein Verräter.271
So umschreibt Lyotard, was Celan nur allzu gut weiß, unablässig in seinem Wort hört. Man wird das Sich-Aussterben, das dem Ende des Sterbens zustrebt, schwerlich als eine Annäherung ans Leben lesen dürfen. Ich erinnere an Rose Ausländers Wendung »Asche / im Blutgefäß«:272 Das Tote, auch Geschändete, da die Verbrennung als Verstümmelung im jüdischen Glauben wie das Vorenthalten des Grabes inakzeptabel ist,273 es tritt in einen Zirkel mit dem lyrischen Ich sowie dem Dichter, der mit Asche in den Adern vom Sterben infiziert zu sein scheint. Zuletzt ist die Rede von Wiedergutmachung274 läppisch – der Mord frißt das Archiv, worin er unzureichend verwahrt ist, an. Das begriffliche Denken schwindelt; Vexierbild, Rätsel und Schauer treten ihre Herrschaft an.275 Ein Splitter / Leben – diese Formel von der Dichte der berühmt-berüchtigten Genetivmetaphern Celans allein ist schwindelerregend. Die Zusammenstellung macht Sinn, auflösbar aber ist, was Celan gestaltet hat, nicht.
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Vgl. hierzu auch: Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 138. Jean-François Lyotard: Kindheitslektüren. Übersetzt von Ronald Vouillé. Wien: Passagen 1995 (Edition Passagen; 41), S. 81 (Hervorhebung M. H.). Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 36. Vgl. hierzu Werner, Das Grab im Text (wie Kap. 2, Anm. 16), S. 160f.; Hermann Burger: Paul Celan. Auf der Suche nach der verlorenen Sprache. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1989 (Fischer-Taschenbücher; 6884 – Literaturwissenschaft Fischer), S. 119; Derrida, Schibboleth (Anm. 182), S. 26. Bzw. »Wiederschlechtmachung« – Erich Fried: Wer sind wir wieder? In: Feuerharfe. Deutsche Gedichte jüdischer Autoren des 20. Jahrhunderts. Hg. von Josef Billen. Leipzig: Reclam 1997 (Reclam-Bibliothek; 1598), S. 191–193, hier S. 192. Vgl. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 182ff. u. passim; Rentsch spricht in der Folge von einem »nach allen Seiten ausgefransten Hegelianismus« – Thomas Rentsch: Vermittlung als permanente Negativität. Der Wahrheitsspruch der »Negativen Dialektik« auf der Folie von Adornos Hegelkritik. In: Zur Verteidigung der Vernunft gegen ihre Liebhaber und Verächter. Hg. von Christoph Menke und Martin Seel, Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 1993 (Edition Suhrkamp 1893), S. 84–102, hier S.88.
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Im Sinne einer destruktiven Dialektik276 sowie eines behutsamen Methodenpluralismus277 wäre immerhin die weitere Bewegung zu skizzieren: Liest man den Gedichtanfang, wird man feststellen, daß man in Daktylen fallen will; der Rhythmus wandelt die Worte zum gedrängten Stoßseufzer,278 wobei der Iktus auf der letzten Silbe – mir – im Absenken der Tonhöhe diesen Eindruck unterstreicht. Dieser Einleitung folgt Verknappung, der Fluß der Sprache verebbt. Zwei Trochäen, deren erster verschleppt klingt, folgen, dann steht zerschlissenen als Verszeile, worauf zwei Daktylen angedeutet, aber durch die Zäsur des Zeilenwechsels vereitelt werden. Es folgen Trochäen, ein Daktylus und ein weiterer Trochäus schließen an. Zuletzt stehen in zwei Zeilen nochmals zwei Trochäen, nun zerrissen. Man sieht die Periodizität deutlich, desgleichen ist die Verkürzung unübersehbar. Neben den finalen Worten ist vor allem Knoten Atems ein einzelnes Stocken – eben ein Stocken des Atems. Nach ungehemmtem Drängen fällt das Poem den Versfüßen ins Laufen, um dann die Trochäen mit einem regelrechten Riß zu vereinen. Wo das Gedicht Worte durch die Lautfolge (z. B. Knoten – Atem) bindet, unterbleibt doch Dynamisierung; Reime, sogar Assonanzen werden gemieden, die Kürzestzeilen, die von den Sätzen überlappt werden, persiflieren das Enjambement allenfalls.279 Lautmalerei ist dagegen sehr wohl gegeben: Das spitze i ist dem Wort zerschlissenen zugeordnet, taucht in der Atemlosigkeit des wunden Ichs auf, schwindet in der Beruhigung und dringt im Splitter zuletzt doch ins Leben. Die Analogie von zerschlissenen und Splitter strukturiert auch die Verse, wobei die übliche Opposition von geschmeidigem Leben und kristallinem Tod nochmals ad absurdum geführt wird. Deutlich wird angesichts der Betrachtung vor allem, daß das Leben nicht einem unbeschadeten und souveränen Block gleich das Gedicht beschließend triumphiert – vielmehr hat ein Prozeß mehrfacher Zerreißung zu seiner quasi insularen Position geführt. Es ist, so könnte man sagen, der Splitter schon fast, welcher in ihm steckt.280 276
277 278
279
280
Vgl. Peter Szondi: Schriften. Hg. von Jean Bollack u. a. Bd 5: Einführung in die literarische Hermeneutik. 3. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988 (SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft; 124), S. 305. Vgl. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 129. Zunächst hat Celan hier auch ein Ausrufungszeichen gesetzt – vgl. Paul Celan: Werke. Historisch-kritische Ausgabe. 1. Abteilung: Lyrik und Prosa. Bd 9: Lichtzwang. Hg. von Rolf Bücher, Andreas Lohr und Axel Gellhaus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997, Bd 9.2, S. 118f. Vgl. auch David Brierley: »Der Meridian«. Ein Versuch zur Poetik und Dichtung Paul Celans. Frankfurt a. M., u. a.: Lang 1984 (Europäische Hochschulschriften: Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur; 809), S. 282f., obschon hier die Folgerungen andere sind. Konzentriert auf jeweils allein ein Wort (die »skripturale Krone, ein einziges in sich geschlossenes Zeichen« – Bogumil, Celans Wandern im Wort [wie Kap. 2, Anm. 146], S. 92; vgl. ebd., S. 91f.) jenseits angelegter Strukturen sieht eine Interpretin dagegen, daß Celan wegen jenes hoffnungsspendenden Splitters Leben »zö-
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Das Du ist als Totes und Todbringendes genauer zu differenzieren.281 Es ist zerbrochen und verletzt. Zugleich kommt ihm alle Aktivität des Gedichts – nicht viel – zu, es ist in Formen, die man im Griechischen medial nennen könnte, bestimmend, während das Ich leidend bleibt. Das Ich ist Austragungsort. Ruft Celan Gott an? Gewiß ist Gott als Bürge für einen gerechten Weltlauf bezweifelt, vom Zugelassenen vielleicht sogar versehrt, auch steckt er vielleicht solcherart in des lyrischen Ichs Brust.282 Sinnvoller aber schiene mir als Variante, das Du dem Ich anzunähern, wie dies im berühmten Gedicht Du liegst283 in der Genese nachvollziehbar ist: Nicht ein Du, ein Ich liegt zunächst im großen Gelausche.284 Auch bei Wie du besteht große Nähe der ersten und der zweiten Person. Sie verdanken sich quasi einander, denn das Du ist allein im Ich, worin es situiert ist, mehr oder weniger lebendig erhalten, während das Ich seinen alleinigen Impetus im Du zu haben scheint, die ans Du gerichtete Rede grenzt an einen Monolog. Allerdings ist von Beginn an hier mit sozusagen traumtänzerischer285 Sicherheit ein Du gesetzt, das in seinem Verhältnis zum Ich von Beginn an notwendig erst in der fünften Zeile die Dialektik der beiden Protagonisten betreffend von Celan überdacht wurde.286 Das Du stirbt sich im Ich aus. Man verbindet Reflexiva, die mit einem ausanheben, meines Erachtens mit wie auch immer gearteter Ausweitung. Was sich sterbend ausbreitet und dabei zur Noxe wird, das ist eine Verwundung wider Willen, die an sich selbst krankt – ist krebsartig; es ist von einem Bezug des Leidens zum Du zu sprechen. Das so nahe, doch zugleich bedrohlichdunkle Gegenüber, das einen temporalisierten Tod darstellt, ist auch der dem Du widerfahrene Tod, der vermittelt wirkt – er wurde dem Gedenkenden vererbt.287 Die Geschehnisse, von denen zu schreiben ist, lassen eine Art vita beata nicht zu; sie treiben den, der zu dichten genötigt ist, dem Tod zu. Jener Tod, der in seiner Sanftheit »der Kuß«288 genannt worden ist, ist kaum mehr
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gerte« (ebd., S. 103), als fände sich noch nicht jene Bereitschaft: »In der fernsten / Nebenbedeutung [...] / bereit, / das Tödlichste in uns zu tauschen.« – Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 77. Zu Fremdem und Anderem vgl. ebd., S. 196. Vgl. die heikle Deutung von Brierley, »Der Meridian« (Anm. 279), S. 282. Vgl. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 334. Vgl. Paul Celan: Werke. Historisch-kritische Ausgabe. 1. Abteilung: Lyrik und Prosa. Bd 10: Schneepart. Hg. von Rolf Bücher, Andreas Lohr-Jasperneite und Axel Gellhaus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997, Bd 10.2, S. 60. Vgl. Celan, Werke (Anm. 278), Bd 9.2, S. 118. Vgl. ebd.; diese lautet zunächst: »steckt ein«. Zu kurz greift, zu arglos ist die Deutung, hier sei eine »als Krebs auftretende Selbstmordlust« (Anders, Ketzereien [wie Kap. 1, Anm. 20], S. 14; vgl. ebd., S. 13f.) gegeben ... Encausse Gérard Papus, u. a.: Die Kabbala. Übersetzt von Julius Nestler. 14. Aufl., Wiesbaden: Fourier 1996, S. 167.
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vorzustellen: Seit »Auschwitz heißt den Tod fürchten, Schlimmeres fürchten als den Tod.«289 »Auschwitz« ist das Verbot des schönen Todes.290
Der Tod ist allerdings gegen sich selbst gewandt – er hat zwar das Leben zu Splittern gewandelt und mit sich infiziert, zugleich jedoch eine Verpflichtung den Toten gegenüber, die ein Weiterleben einfordert, auferlegt. »Du warst, also bin ich«.291
Aber dieser Descartes entgegengesetzte Quasi-Imperativ bleibt stets unauflösbar ...: Niemand zeugt für den Zeugen. Und dennoch wählen wir uns stets einen Gefährten: nicht für uns, sondern für etwas in uns, außerhalb unser, das dessen bedarf, daß wir 292 uns selbst verfehlen, um die Linie zu überschreiten, die wir nicht erreichen werden. Das Sich [...] entsteht als unauflösbare Verknüpfung in einer Verantwortung für die Anderen. An-archische Verstrickung [...] ist [...] Schwangerschaft des Anderen im Selben [...]. In der Ausgesetztheit [...], im Empfinden der Verantwortung ist das Sich als unersetzbar herausgerufen, als einer, der den Anderen geweiht ist, ohne sich ent293 ziehen zu können, [...] wie in sich aus dem Sein vertrieben.
289 290
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Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 364. Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 173, Nr.157; zur Entpersönlichung des Todes und dem Schwinden der ars moriendi vgl. allerdings auch Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. Leipzig 1910. Hg. von Joseph Kiersmeier-Debre. München: Deutscher Taschenbuchverlag 1997 (dtv 2619, Bibliothek der Erstausgaben), S. 11f.; vgl. schließlich Edmond Jabès: Die Schrift der Wüste. Übersetzt von Hans Ulrich Brunner und Felix Philipp Ingold, hg. von Felix Philipp Ingold. Berlin: Merve 1989 (Internationaler Merve Diskurs; 150), S. 139f. u. 148. Peter Waterhouse: Die Geheimnislosigkeit. Ein Spazier- und Lesebuch. Salzburg, Wien: Residenz 1996, S. 197; diese Verschärfung meint auch, daß ein Poem von Celan »nicht von Celan« »spricht [...], sondern er ist, ganz spurhaft« (ebd., S. 199) – was Waterhouse zur Formulierung ausweitet: »Kontamination ist die Quelle.« (ebd., S. 250) Wunde und Wunder werden so einander vermittelt (vgl. ebd., S. 204), das Bild wird zu neuen Konstellationen herausfordern / neue Konstellationen sein (nämlich des Parasiten) – die Frieden, »Nemesis divina-traumatica« (ebd., S. 197; vgl. ebd., S. 253) neu entdecken ... als Zitat etwa: in »Rückkehr-Zitaten [...]. Das Unverletzte ist das Verletzte.« (Ebd., S. 142) Maurice Blanchot: Le dernier à parler / Der als letzter spricht. Übersetzt von Makoto Ozaki und Beate von der Osten. Berlin: Gatza 1993, S. 11; vgl. ebd., S. 10f.; vgl. auch Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 72. Emmanuel Lévinas: Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht. Übersetzt von Thomas Wiemer. 2. Aufl., Freiburg, München: Alber 1998 (Alber Studienausgabe), S. 234; vgl. ebd., S. 219 zu Celan – sowie zur Gerechtigkeit (»Alles aber zeigt sich um der Gerechtigkeit willen.« – ebd., S. 354), »Weisheit der Liebe« (ebd, S. 353) vorm »Es-gibt« (ebd., S. 356), passim.
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Eine Verschärfung der Krise des Gedenkens durch die Mortalität des Zeugen ist somit zu konstatieren, was sich auch im Œuvre Rose Ausländers zeigt.294 Man könnte versuchen, sich an eine Achse des Textes zu begeben – zu Benns Nur zwei Dinge; dort heißt es: es gibt nur zwei Dinge: die Leere 295 und das gezeichnete Ich.
In einer Interpretation dieses Poems heißt es recht unvermittelt: Paul Celan mochte diese Formel nicht.296
Celan, so berichtet Hans Mayer, »wollte der Anti-Benn sein«.297 Die Aversion ist nicht darin begründet, daß, wie Rose Ausländers Interpret Wallmann in den Essays Bekenntnis zum Menschen, Ich will wohnen im Menschenwort, Heimat wurde ihr das Wort und Wohnen im Wort immer wieder nahe legt (und Hinck in seinem Essay Genug Herz verschleudert beeinsprucht),298 Monolog hier gegen Dialog ausgespielt wäre; vielmehr darin, daß diese Formel es ist, worauf das Gedicht Celans zuzufallen droht, sie spricht aus, was Celan ängstigt, die Leere und ein Ich, das als sein eigener Entwurf zugleich lakonisch kommentierte Ruine ist. Doch Celan schreibt im Namen derer, denen die Geschichte die Sprache verschlagen hat. Eine Benennung steht in und über den Versen von Wie du: die Lautgestalt von ausstirbst. Wie sich sinnfällige Ketten des Klangs auch sonst bei Celan bilden,299 weist hier die Lautkomposition AU-S-I-ST/TZ doch recht eindeutig auf Auschwitz, das Jean Bollacks feines Gehör schon aus der Silbe au an anderer Stelle zu hören vermochte.300 294 295
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Vgl. Steffens, Poetik der Welt (Anm. 240), S. 84. Gottfried Benn: Gedichte. In der Fassung der Erstdrucke. Hg. von Bruno Hillebrand. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1996 (Fischer-Taschenbücher; 5231), S. 427. Jürgen Schröder: Destillierte Geschichte. Zu Gottfried Benns Gedicht »Nur zwei Dinge«. In: Gedichte und Interpretationen. Hg. von Walter Hinck. Bd 6: Gegenwart. Stuttgart: Reclam 1982 (Universal-Bibliothek; 7895), S. 20–28, S. 28. Hans Mayer: Interview zu Paul Celan. Gespräch von Jürgen Wertheimer mit Hans Mayer über Paul Celan am 11. März 1997. In: arcadia, Nr. 32, Heft 1, S. 298–300, hier S. 299. Vgl. Walter Hinck: Genug Herz verschleudert. Gedichte aus Rose Ausländers letzten Lebensjahren. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr 247, 22.10.1988, passim. Vgl. Manfred Geier: Poetisierung und Bedeutung. Zu Struktur und Bedeutung des sprachlichen Zeichens in einem Gedicht von Paul Celan. In: Paul Celan. Hg. von Werner Hamacher und Winfried Menninghaus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988 (Suhrkamp-Taschenbuch Materialien; 2083), S. 239–271, hier S. 253f. – Verkettung »zu einem über-strukturierten Text« (ebd., S. 254). Vgl. Jean Bollack: Vor dem Gericht der Toten. Paul Celans Begegnung mit Martin Heidegger und ihre Bedeutung. Übersetzt von Werner Wägenbauer [sic]. In: Neue Rundschau 109 (1998), H. 1, S. 127–156, hier S. 127; interessant ist der Hinweis,
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Auschwitz steht diesem Gedicht auf die Stirn geschrieben: Die Stirn gehört zu den Körperregionen, die dem Einzug des Unbewußten besonders offenzustehen – denn Stirnen ist es eigentümlich, sich selbst nie zu sehen. Sie sind das schlechthin den anderen Zugekehrte [...]. Was ich selbst nicht anschaue, ist a priori den anderen ausgesetzt.301
Das gilt auch fürs Gedicht, für dieses und für jedes Gedicht in gewisser Weise: Die Zeichen wandern 302 von Stirn zu Stirn,
schreibt Rose Ausländer. Es wird nicht gelingen, Auschwitz aus dem Modus verdunkelter Präsenz jenseits des Sprechens, dem auch Celans Poem noch zugehört, ins Denken zu holen, nichtsdestotrotz (vielleicht sogar: deshalb) ist es ein Schatten, der dem Gedicht fast unverbunden, da unmittelbar zugehörig voransteht. Die Asche in den Lüften [...] liegt derart zerstreut, daß sie sich einer Verengung, ei303 ner Wahrnehmung, einer Ästhetik entzieht.
Sie ist einem wie immer geschaffenen »verschließbaren Sarg«304 entzogen; dies wäre nach Rother die ungewollte, von Celan beschriebene »Schenkung«305 – »er schenkt uns ein Grab in der Luft«.306 Man sieht, daß die Bewegung zunächst nicht unähnlich, aber in ein Stocken führend gestaltet ist. Das Gedicht ist das sich buchstäblich zu-Tode-Sprechende.307
In der Tat ist die Weise der Verdichtung programmatisch – durchaus spitz ist die Bemerkung von Rose Ausländer zu einer Lyrik, deren Bewegung ins Schweigen führt, das als unvermeidlich sich auch negativen Kategorien permanent entziehen will. Ihr »Erinnerungsgebot«308 lautet: Lyrik kann zwar nicht
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daß »das Wort ›Auschwitz‹ [...] in Celans Gedichten kein einziges Mal vor[kommt]« – Emmerich, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 104), S. 12. Peter Sloterdijk: Zur Welt kommen – zur Sprache kommen. Frankfurter Vorlesungen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988 (Edition Suhrkamp; 1505), S. 25. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 4), Bd 7, S. 167; »Stirnwunde« – ebd., S. 269. Ralf Rother: Beschneidungen – Exilierungen. Das Politische und die Juden. Wien: Turia + Kant 1995, S. 50; vgl. Welsch, Ästhetisches Denken (wie Kap. 2, Anm. 229), S. 9ff. Rother, Beschneidungen – Exilierungen (Anm. 303), S. 50. Ebd., S. 48. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 42 u. Bd 3 (wie Kap. 1, Anm. 3), S. 64. Celan, Der Meridian (wie Kap. 2, Anm. 257), S. 113; vgl. ebd., S. 200; auf Ruinen, die Halt am Tod finden, verweist auch Böschenstein, Leuchttürme (wie Kap. 2, Anm. 208), S. 171, 284 u. 300; vgl. auch Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 45), Bd 8, S. 108. Claudia Rugart: Der Holocaust in der Lyrik Rose Ausländers. Genese einer poetischen und poetologischen Auseinandersetzung. In: »Mutterland Wort«. Rose Aus-
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gelehrtes Spiel mit Bildungsballast sein, darf in ihrer Konzentration aufs Formale jedoch auch nicht exzessiv verfahren.309 Somit ist ihre Art, »ein schallendes Schweigen«310 des Todes zu realisieren, das auch bei ihr natürlich »nicht die Abwesenheit des Todes bedeutet«,311 eine Bewegung, die nicht auf ein Herabsinken von Halt zu Halt zielt, sondern die Opposition zu bewahren trachtet, die Schrecken und Heil bilden.312 Celans Gedicht ist einmal gelesen und zuletzt Nachhall seiner Gründe für das Verstummen;313 Ausländers Gedicht setzt kaum ein und als Perpetuum mobile ebensowenig aus. Beide dichten im Zeichen der Verse Celans, die sich und das Verklingen der sie tragenden Stimme sprechen – wir sind bereit, 314 das Tödlichste in uns zu tauschen.
Trotz der aschenen Blutkoagula dieser Herzurne schwingt das Pendel unvermindert. Vielleicht kann man aber die These riskieren, daß dieses beständige Pendeln in seiner Leichtigkeit nicht weniger resignativ als Celans Annäherung ist – selbst die sich in Ewigkeit und von Sprachebene zu Sprachebene entziehende Hoffnung, mittels Echo und darin Negation zur Versöhnung zu gelangen, ist geschwunden, nichts aufgehoben.315 Die poetische Landschaft Rose Ausländers ist (– auch –) gekennzeichnet durch das 316 [...] Echo von dem, [...] was sie weder erleben noch begreifen kann«... Celans Welt ist [...] eine der vollkommenen Schändlichkeit.317
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länder 1901–1988. Hg. von der Rose Ausländer-Stiftung. 2. Aufl., Köln: Rose Ausländer-Stiftung 1999 (Schriftenreihe der Rose Ausländer-Stiftung; 7), S. 211– 247, hier S. 211. Vgl. Ausländer, Rose Ausländer lesen (wie Kap. 2, Anm. 203), S. 130; die kursiv geschriebenen Wörter sind im dort abgedruckten Brief Rose Ausländers von 1965 zu finden; unter den exzessiven Dichtern ist auch Celan ... vgl. ebd. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 99), Bd 2, S. 334. Rugart, Der Holocaust in der Lyrik Rose Ausländers (Anm. 308), S. 220. Vgl. ebd., S. 221. Vgl. hierzu auch Walter Hinck: Magie und Tagtraum. Das Selbstbild des Dichters in der deutschen Lyrik. Frankfurt a. M., Leipzig: Insel 1994, S. 296. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 77. Vgl. dagegen Hans Lehmann: Dunkle Sappho aus der Bukowina. Zum Tod der Lyrikerin Rose Ausländer – »Schreiben war Leben. Überleben«. In: Kölnische Rundschau, 5. Januar 1988. Leslie Morris: [I have 〈never〉 been in Jerusalem:]: Wiederholung, Übersetzung und Echo der jüdischen Identität in Rose Ausländers Lyrik. In: »Weil Wörter mir diktieren: Schreib uns.« Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 1999. Hg. von Helmut Braun. Köln: Rose Ausländer-Stiftung 2000 (Schriftenreihe der Rose Ausländer-Stiftung; 10), S. 199–213, hier S. 211. Hamacher, Die Sekunde der Inversion (wie Kap. 2, Anm. 84), S. 88.
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Ihr Negativ ist die unmögliche Utopie, die »Poetisierung des Mangels«318 ist nach Hamacher Celans Programm, insofern die gebannte Häßlichkeit der gegenwärtigen Welt in der Mimesis überwunden ist. Radikale Kunst heute heißt soviel wie finstere, von der Grundfarbe schwarz.319
Bekannt ist die Begründung Adornos hierfür: Echo versöhnt.320
Zumindest nimmt sie die Versöhnung, die Heilung nicht vorweg, so könnte man etwas vorsichtiger sagen – und betonen, daß das Echo als Nachhall sich zugleich triftiger Einwand gegen die Auflösung im Sinne von Adornos Formel bleibt.321 Die Attraktion der Versöhnung ist der Nährboden falscher Modelle und Meta322 phern ...
Hamacher weist auf »die Haltlosigkeit der transzendentalen Formen unsres Vorstellens selber«323 hin, welche als Prinzip bei Celan »in den späten fünfziger und den sechziger Jahren«324 zusehends an Gewicht gewinnt. Vom Nichts, vom »Tod gleichsam infiziert«325 sind die Worte des Gedichtes – und jene, die diese zu bestimmen trachten, die Absenz im Kern der angekränkelten Präsenz ist Symptom einer Schwebe, die auch Rose Ausländer prägt.326 318 319 320
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Ebd., S. 90. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 65; vgl. auch Adorno, Ist die Kunst heiter? (wie Kap. 1, Anm. 11), S. 603ff. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 188; vgl. ebd., S. 202; vgl. auch Stéphane Mosés: »Wege, auf denen die Sprache stimmhaft wird«. Paul Celans »Gespräch im Gebirg«. In: Argumentum e silentio. International Paul Celan Symposium. Hg. von Amy D. Colin. Berlin, New York: de Gruyter 1987, S. 43– 57, hier S. 50. Vgl. Jean-François Lyotard: Philosophie und Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens. Übersetzt von Marianne Karbe. Berlin: Merve 1986 (Internationaler Merve Diskurs; 129), S. 138. Paul de Man: Allegorien des Lesens. Übersetzt von Werner Hamacher und Peter Krumme. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988 (Edition Suhrkamp; 1357), S. 33. Hamacher, Die Sekunde der Inversion (wie Kap. 2, Anm. 84), S. 96. Ebd. Ebd. Durchaus ähnlich bestimmt die Inversion – Hamacher kritisierend, der allem Anschein nach weniger gründlich als Celan gelesen worden ist – auch Joel Golb: Allegorie und Geschichte: Paul Celans Bahndämme, Wegränder, Ödplätze, Schutt. In: Lesarten. Beiträge zum Werk Paul Celans. Hg. von Axel Gellhaus und Andreas Lohr. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 1996, S. 81–117, hier S. 114ff. (Exkurs 3); nur drollig ist die Idee, in der Unlesbarkeit von Schrift und Buch könne man – nach dem Schema verdreht × verdreht = fast gerade – die Wahrheit doch noch finden (vgl. Rolf Bücher: Welt-Buch bei Celan. In: »Der glühende Leertext«. Annäherungen an Paul Celans Dichtung. Hg. von Christoph Jamme und Otto Pöggeler. München: Fink 1993, S. 113–125, S. 116ff., vor allem S. 118) ...
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»Verse, in denen die Treue zum Verlorenen aufflammt«,327 hat sie immer und immer wieder verfaßt, so schreibt auch Renate Wiggershaus. Dies gilt nicht auf dem – ohnehin als thematisch bloß sekundären? – Terrain der Trauer, sondern ist auch in der Liebeslyrik der Dichterin nachzuweisen: Weil du ein Mensch bist weil ein Mensch eine Muschel ist die manchmal tönt weil du in mir tönst als wär ich eine Muschel weil wir uns kennen ohne Namen und Samen weil das Wort Welle ist weil du Wort und Welle bist weil wir strömen weil wir manchmal zusammenströmen 328
Wort Welle Muschel Mensch
Das Gedicht entstammt der Zeit des schon erwähnten Bandes 36 Gerechte, es wurde ein Jahr nach ihm, also 1968 verfaßt.329 Es läßt sich plausibel machen, daß das Pendeln zwischen Wort und Welle in der Welle selbst seine Entsprechung hat – selbst wenn die zwischenmenschlichen Wellen nicht immer Sinus327 328 329
Renate Wiggershaus: Botschaften aus der Finsternis. Zum Tod der Lyrikerin Rose Ausländer. In: Kölner Stadt-Anzeiger, 5. Januar 1988. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 73. Zu diesem weniger produktiven Zeitraum – vgl. ebd., S. 309; zur Datierung der Gedichte und zu den resultierenden Problemen bei Untersuchungen etwa zur stilistischen Entwicklung und Kontinuität – vgl. Rugart, Der Holocaust in der Lyrik Rose Ausländers (Anm. 308), S. 212 u. Helmut Brauns Editorische Notiz in Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 78), Bd 1, S. 349.
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Dritter Teil
wellen sein mögen, selbst wenn Interferenzen bestehen, es gibt Indizien dafür, daß in der Liebe jene Bewegung bestimmend ist, die an der Trauer (immerhin um Geliebtes) wahrzunehmen war. Was vereitelt das Glück der Liebe, dem schon das kleine Wort manchmal ein Schatten von unerträglicher Distanz ist? Vor allem zwei Punkte laden ein, sich ins »Skandalon des Zirkels«330 zu begeben. Zum einen ist es das weil, das acht Male (den Titel eingerechnet) wiederkehrt und insofern als strukturierendes Element nicht leicht zu übergehen ist. Immerhin macht es das ganze Poem zu einer Antwort, die sich zuletzt auf vier Nomina zusammenzieht. Dahingestellt sei, wenn man schon konzediert, es mag eine Frage sein, die am Beginn zu stehen hat, welche Frage es sei.331 Zum anderen kann man besehen, welche Dimensionen das Netz hat, das Wort Welle Muschel Mensch aufspannen oder auch als Knoten der Vereinigung beschließen. Nur die zentral positionierten einzig exponierten Reimwörter können mit dem Viergespann an Gewichtigkeit gewissermaßen konkurrieren: Namen und Samen. Beginnt man mit dem weil, so ist augenscheinlich, daß es einleitet, was als Antwort typographisch abgesetzt folgt. Warum erfolgt diese Absetzung? Man könnte von der Vorwegnahme jener Extraktion sprechen, die in der letzten Zeile den Vers in ein Gestammel wandelt, worin die Frage unstellbar geworden geschwunden ist.332 Jedenfalls ist es ein Ansatz von zwei Stimmen, der zu vernehmen ist, in der monotonen Wiederholung des weil findet sich ein Ringen nach Antwort, die in gewisser Weise nicht an dessen logisches Muster anschließt. Es ist eine seltsame »Fast-Gleichzeitigkeit«,333 die das an eine Partitur gemahnende Gedicht prägt. Neben der Begründung, die ansetzt, der aber nur teils entsprochen wird, liegt »eine Kunst des ›Nicht-Wählens‹«,334 ein Finden zu einer eigenen Grammatik – schon in der Anordnung des Versatzstückes weil alter Ordnung. 330
331
332 333 334
Szondi, Schriften (Anm. 276), Bd 5, S. 13; ein Skandalon: kommt man doch gerade zur Kenntnis der Verstehensbedingungen gerade nicht, weshalb der Zirkel gewiß kein »Beruhigungsmittel« (ebd.) sein kann oder darf ... »Warum Liebe?« (Wiggershaus, »Es war eine unendliche Sonnenfinsternis« [wie Kap. 2, Anm. 66], S. 104; wortident (!) bei Helfrich, Rose Ausländer [wie Kap. 1, Anm. 55], S. 145) – das wirkt in den Raum gestellt etwas dünn und ist noch keine Interpretation ... Seltsam ist auch, daß diese Verse bei Helfrich ohne weitere Begründung als Beschreibung der Jahre nach 1930 zitiert werden, was ja weder Wort noch Leben nennenswert erhellt. – Vgl. Helfrich, Rose Ausländer (wie Kap. 1, Anm. 55), S. 145; vgl. allerdings Gabriele Köhl: Rose Ausländers lyrische Landschaften. Darstellung der Heimatlosigkeit und Versuch ihrer Bewältigung. In: Worte stark wie der Atem der Erde. Beiträge zu Leben und Werk der jüdischen Dichterin Rose Ausländer (1901–1988). Hg. von Rainer Zimmer-Winkel. Trier: Kulturverein AphorismA 1994 (Kleine Schriftenreihe, H. 9), S. 84–103, hier S. 84. Zum Einzug verbindender Wörter – vgl. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 340. Ebd., S. 351. Hélène Cixous: Weiblichkeit in der Schrift. Übersetzt von Eva Duffner. Berlin: Merve 1980 (Internationaler Merve Diskurs; 94), S. 20.
Peter Szondis Antwort
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Die neue Sprache, eine neue Sprache der Liebe, die man mit Botticellis Darstellung der Venus (klassisch: schaumgeboren – Άφρογένϵια) assoziieren darf, entsteigt der Muschel, die ganz ohne Zweifel hier nicht am Rande steht. Die tönende Muschel, die schon in Vorstufen des Gedichts, das sich ansonsten erheblich wandelt, als Konstante findet,335 weist auf folgende Wege, die sich im Gedicht auch verfolgen lassen und sie zu einem Fokus der Verse machen: Neben dem Tier ist auf Hör- und Sprechmuschel zu verweisen, auf das Gehör und auf die Sexualität, wobei an die Vagina und an sexuelle Leidenschaft gleichermaßen zu denken ist.336 Gehör und Eros entsprechen demnach in Schallwelle und Gefühlswallung – Welle – Tönen und Strömen. Der Mensch, der fremd ist, wird zum Menschen, dessen Vergehen Bedingung von Liebe und Gesang ist, da seine Fremdheit niemals Eingang findet in die Sprache. Die Sprache, die von allem Akzidentiellen, aller Resonanz rein halten soll, was darum in ihr auf ewig aufgehen kann, scheitert, da sie verstummt und verstümmelt; in mehr als einem Sinne ist »die Unsterblichkeit als Koma der Erzählungen«337 zu denken. Als Affirmation des Mischens, was Preisgabe dessen zu bedeuten scheint, woraus sich das Gedicht speist, verlassen die Worte den Duktus logischer Verbindung und führen zu einer Intimität, für die nur der Klang, nur die Alliteration, nur eine Transzendenz grammatischer Devianz einstehen. Ohne Begriff und ohne (genealogische) Herleitung ist dieses Gedicht: ohne Namen und Samen. Freilich müßte man überlegen, ob diese Konstellation so leicht auflösbar ist. Bei Szondi heißt es: Reimt Celan zusammenschmieden auf geschieden, so nähert er zwei signifiants, die nicht nur verschiedene, sondern gegensätzliche signifiés haben (trennen-einen), einander an. Er drückt die Opposition mehr noch oder doch nicht minder als durch den semantischen Gegensatz e contrario, durch die phonologische Fastidentität, die Pa338 ronomasie, aus.
Sollte gemäß dem Satz pater semper incertus mit Derrida hier auch eine Opposition gelesen werden, der Samen als das verstanden werden, was gerade nicht in Genealogien führt – sondern zum »Skandalon der Semiotik«,339 zur Polysemie ...?340 Das Gedicht läßt – was man als Einwand formulieren könnte – nicht klar werden, ob seine Achse seine Liebe gegen begriffliche Hierarchie allein oder nicht doch auch gegen die Unverbindlichkeit der Streuung abschirmen will.
335 336 337 338 339 340
Vgl. Ausländer, Rose Ausländer lesen (wie Kap. 2, Anm. 203), S. 186 u. 189. Vgl. ebd., S. 190 – die Herausgeber konsultieren vor allem den Duden. Bahr, Die Sprache des Gastes (wie Kap. 2, Anm. 7), S. 196. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 338. Ebd. Vgl. ebd.
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Dritter Teil
Klar dagegen ist das Programm des Gedichts: Sollte in der Tat die Frage, die ihm vorausgeht, »Warum Liebe?«341 lauten, so verschwindet sie als gar nicht sinnvoll stellbar und obskur in der Kaskade Wort Welle Muschel Mensch. Nach der Betrachtung der Partitur, der ein gewisser Vorrang zugesprochen werden kann,342 sei noch rasch auf die Art und Weise eingegangen, in der die Dichterin Weil liest. Allgemein ist von einer schwebenden und dezenten Stimme zu sprechen, die dem sehr viel Raum läßt, was gewöhnlich nur in der Diskretion der Schrift zutage tritt.343 Sie ist »sonor[e], rollend[e], auch grollend[e]«.344 Das Alternieren der Verse betont die Lyrikerin unauffällig; Pendel und Welle leben in dieser Stimme. »Honig / von bitteren Bienen«345 schenken die Verse, wie es im Gedicht Phönix heißt. Wort Welle Muschel Mensch beschließt ruhig und unbefragbar die Verse. Wo in der Schrift der Rhythmus Wort und Mensch verklammert, die an dem in der Mitte Stehenden (Welle Muschel) partizipieren müssen, um wirklich Wort und Mensch zu sein, schummelt Rose Ausländer gewissermaßen, sie setzt abschwächende Pausen, wo die Jamben gestört wären.346 Von hier will ich zu einem seltsamen Gedicht schreiten, das einem Denker gewidmet ist, dessen Versuche in eine Richtung zielen, welche unvereinbar scheint mit dem poetisch-poetologischen Programm der Rose Ausländer – und doch ist belegt, daß die Dichterin früh als zentral für ihr Denken empfand, was er vorbrachte. Dieses Dichters Name ist Spinoza, zu dem sie einst eine begeisterte Festschrift verfaßte, worin sie »den kalten, unpersönlichen Gott Spinozas«347 erwähnt, doch letztlich am strebenden Menschen Spinoza, der nicht 341 342
343
344 345 346
347
Wiggershaus, »Es war eine unendliche Sonnenfinsternis« (wie Kap. 2, Anm. 66), S. 104 bzw. Helfrich, Rose Ausländer (wie Kap. 1, Anm. 55), S. 145. Vollständigkeit und Beachtung der Besetzungsarrangements sind Bedingung angemessener Rezeption im Bereiche der Musik (vgl. Adorno, Dissonanzen [wie Kap. 1, Anm. 11], S. 28f. u. passim); hinzu kommt die Kenntnis der Partitur, eine Zumutung, auf die Adorno nicht unelegant anspielt – vgl. ebd., S. 32. Allenfalls Rezitationen mit Musikbegleitung kommt dies mit Einschränkungen zu – vgl. Rose Ausländer: Es bleibt noch viel zu sagen. Rose Ausländer liest eigene Gedichte. Köln: Rose Ausländer-Stiftung o. J., Nr 13. Sigrid Süß: Heimat ohne Ende. Helmut Braun sprach über Rose Ausländer. In: Rheinische Post, 6. Juni 1986. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 222. Vgl. Ausländer: Es bleibt noch viel zu sagen (Anm. 343), Nr 45; nebenbei sei erwähnt, daß von Interesse ist, wie der Wegfall der genannten Konnexe in einer Übersetzung des Gedichts just ins klanglich diesem Poem sozusagen entsprechende Italienische unvermeidlich Schaden anrichtet – vgl. Giuseppe Farese: »Vaghiamo pei viali del respiro ...« La poesia di Rose Ausländer e la tradizione ebraico-culturale di Czernowitz. In: Ebrei e mitteleuropa. cultura – letteratura – società. Hg. von Lucia Bonardi. Brescia: Shakespeare & Company 1984, S. 236–245, hier S. 245. Rose Ausländer: Zur Spinoza-Festschrift. In: Rose Ausländer. Materialien zu Leben und Werk. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1997 (Fischer-Taschenbücher; 6498 – Informationen und Materialien zur Literatur), S. 58–60, hier S. 59.
Peter Szondis Antwort
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bloß »als der Denker«348 von Interesse ist, Gefallen findet. Interessant ist hierbei die in einem Essay von Rose Ausländer ventilierte Negativität des Formalen an der Sprache – »Rhetorik [...] als die bloß äußere Form der Rede, ohne philosophisches Rückgrat und ethischen Gehalt«349 droht, wo es in den Vordergrund tritt, so meint die Dichterin 1920. Wie ist der Wohlgefallen an begrifflicher Innerlichkeit zu erklären? Immerhin ist in einem Zeitungsartikel zur Lyrikerin – obzwar unter Anführungszeichen gesetzt – von »Philosophiehörigkeit«350 die Rede.351 An diesem Punkt sei zitiert, was nicht geringe Spannungen bietet: Spinoza II Mein Heiliger heißt Benedikt Er hat das Weltall klargeschliffen Unendlicher Kristall aus dessen Herz 352 das Licht dringt
so schreibt Rose Ausländer 1979 im Band Ein Stück weiter. Es braucht nicht allzu große Belesenheit, um zu sehen, daß die Beschäftigung des Linsenschleifers Spinoza zur Metapher einer Philosophie wird, die klarschleifen will, wo Unklares ist. Dieses Spiel hat die Dichterin schon früher getrieben: Vom »Mei348 349
350
351
352
Ebd. Rose Ausländer: Phaidros. In: Rose Ausländer. Materialien zu Leben und Werk. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1997 (Fischer-Taschenbücher; 6498 – Informationen und Materialien zur Literatur), S. 37– 57, hier S. 50 (ein grammatischer Fehler wurde verbessert – M. H.). Helmut Braun: Rose Ausländer in Czernowitz und New York. In: Ich fliege auf der Luftschaukel Europa – Amerika – Europa. Rose Ausländer in Czernowitz und New York. Hg. von der Rose-Ausländer-Gesellschaft. Üxheim/Eifel: Rose-AusländerDokumentationszentrum 1994 (Schriftenreihe der Rose-Ausländer-Gesellschaft; 3), S. 117–141, hier S. 122. Vgl. auch Hans Bender: Eisrosen im Gettofenster. Zum Tode der Lyrikerin Rose Ausländer. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr 3, 5. Januar 1988, S. 17; einen Überblick zur philosophischen Struktur im Œuvre Rose Ausländers bietet in seinem Essay Gerhard Reiter: Das Eine und das Einzelne. Zur philosophischen Struktur der Lyrik Rose Ausländers. In: Rose Ausländer. Materialien zu Leben und Werk. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1997 (Fischer-Taschenbücher; 6498 – Informationen und Materialien zur Literatur), S. 154–197, hier S. 154ff., vor allem S. 170ff. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 392), Bd 5, S. 263.
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ster«353 schreibt sie, »der sein Werk so klar und rein / geschliffen hat wie einen Edelstein«,354 wobei der unbedarft gebrauchte Endreim allein verrät, daß diese Verse früher entstanden sind ...355 Und das Motiv findet sich auch andernorts, fern von Spinoza ist etwa vom »neugeschliffenen Weltall«356 die Rede. Ist es aber, so muß man fragen, tatsächlich eine glückliche Idee, Spinoza als einen zu porträtieren, der das Weltall klargeschliffen hat? Und welcher Gestalt ist eine Lyrik, die dieser Idee auch selbst folgt? Zunächst ist zu bemerken, daß »der V e r s t a n d [...] g e r e i n i g t«357 werden soll, wenn man Spinozas Worten aus der Abhandlung über die Läuterung des Verstandes folgt. Das heißt, daß für uns klargeschliffen worden sein müßte, was an sich als trüb, allgemein unzulänglich nicht zu denken ist, da dies nicht zuletzt dem Gottesbegriff Spinozas zuwiderliefe. Vollkommenheit besteht im Verhältnis von Tätigkeit und Leiden (»eo magis agit & minus patitur«358) sowie »Realität«,359 was angesichts der Unteilbarkeit der Substanz (es ist »nulla[m] substantia[m] [...] divisibil[em](is)«360) und dem Schluß, außer Gott könne es also keine Substanz geben,361 zu Problemen führte, würde nun negiert, daß die Attribute dieser bestehen und zu begreifen sind.362 Bekannt ist das Zitat »omnis determinatio est negatio«,363 das Vorsicht einmahnt, wenn nun das Weltall unklar sein und dem Leiden – dem Schleifen – ausgesetzt werden soll, mag auch die Idee der Existenz im Wesen dessen nicht eingeschlossen sein, was Gott geschaffen hat.364 Unsere Macht (jedenfalls jene unseres Denkens) ist gering.365 Daß das Sein ist – bei Spinoza: daß die Substanz ist –, das ist für ihn nicht nur ein Gedanke [...], sondern sogleich der überwältigende, alles umgreifende, unendlich er366 füllte Gottesgedanke. 353 354 355 356 357
358 359 360 361 362 363 364 365 366
Ebd. (wie Kap. 1, Anm. 78), Bd 1, S. 294. Ebd. Allerdings ist eine genaue Datierung des unveröffentlichten Gedichts nicht leicht zu bewerkstelligen – vgl. ebd., S. 371. Ebd. (Anm. 291), Bd 2, S. 269. Benedictus de Spinoza: Die Ethik. Lateinisch und Deutsch. Übersetzt von Jakob Stern und Irmgard Rauthe-Welsch. Stuttgart: Reclam 1977 (Universal-Bibliothek; 8519), S. 315; vgl. auch Weißenberger, Paul Celans hermetische Dichtung – immanente Transzendenz eines extremen Weltbezugs (Anm. 229), S. 1321. Spinoza, Die Ethik (Anm. 357), V, Lehrs. 40, S. 692. Ebd., II, Def. 6, S. 113 – »Per realitatem, & perfectionem idem intellego« – ebd., II, Def. 6, S. 112. Ebd., I, Lehrs. 13 – Zus., S. 32. Vgl. ebd., I, Lehrs. 14, S. 32. Vgl. ebd., I, Lehrs. 9f., S. 20. Ebd., S. 743 (Anm.) – dort wird auch auf den problematischen Satz eingegangen – vgl. ebd. (Anm.). Vgl. ebd., I, Lehrs. 24, S. 64. Vgl. ebd., IV, Lehrs. 3, S. 451. Karl Jaspers: Spinoza. 2. Aufl., München, Zürich: Piper 1986 (Serie Piper; 172), S. 15.
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Also wird der Verstand geschliffen: Quicquid est, in Deo est, & nihil sine Deus esse, neque concipi potest.367
Nach diesem Exkurs erscheint, was Rose Ausländer schreibt, in bereits anderem Lichte. Ins Wort ist also die Klärung gedrungen, das sich ordine geometrico entwickelt.368 Nicht zufällig wählt die Dichterin wohl die Anrede Benedikt: Das Sagen und sein Glücken sind in ihm zur Assoziation gegeben. Wie sind die Verse des Poems verbunden, welchem Bauplan folgen die Worte? Lautlich basiert der Text auf einem Teil, in dem e und i vorherrschen, dem ein Teil mit e und a folgt; im letzten Abschnitt werden diese Vokale gemischt, hinzu kommt ein einzelnes u, das auf einer rhythmischen Unregelmäßigkeit liegt, da die Betonungen ansonsten alternierend gesetzt sind. Die Achse des Gedichts liegt, wenn man von der Einbeziehung der Überschrift absieht, im Leeren, doch auch so ist das leicht neben der Achse liegende Weltall betont – während sonst kaum ein Wort präzise Assonanz an ein zweites ist, entspricht ihm (trotz anderer Betonung) der Kristall. Gerade darum wäre es vielleicht zu fragen, ob dessen Betonung nicht anders, nämlich analog zu Weltall lautend ein Christ-All evoziere. Freilich wäre diese Behauptung am Rande oder jenseits des Seriösen, zumal sie das nicht einfach zu übergehende Judentum der Dichterin vergäße ...369 Immerhin läßt die Nähe ahnen, daß seit Spinoza das eine zum anderen geworden ist, für uns erst ins Sein getreten zu sein scheint.370 Auch der Stern als absentes Bindeglied aus der Kabbala – Bild etwa der Krone371 – wäre zu bedenken.372 Das [...] Gestirn [...] betrifft das Geheimnis des Obersten Quells, welcher der Quell des Wollens ist, [...] von wo die Wasser des Wollens und des Willens herabtriefen. 373 Das ist das »Gestirn«, von dem alle Dinge abhängen, selbst eine Thora-Rolle.
367 368 369
370 371 372
373
Spinoza, Die Ethik (Anm. 357), I, Lehrs. 15, S. 34. Vgl. ebd., S. 3. Vgl. hierzu Sabine Brandt: Wohnen im Wort. Dreihundert Seiten Gottesdienst: Eine Biographie zu Rose Ausländer. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. November 1995, S. 42. Vgl. Spinoza, Die Ethik (Anm. 357), I, Lehrs. 14, S. 32. Vgl. Johann Maier: Die Kabbalah. Einführung. Klassische Texte. Erläuterungen. München: Beck 1995, S. 134. Der Stern tritt bei Rose Ausländer in unzähligen Komposita auf – vgl. Paul Konrad Kurz: »Ich Überlebende des Grauens schreibe aus Worten Leben«. Rose Ausländers letzter Gedichtband. In: Süddeutsche Zeitung, Nr 26, 1. Februar 1989, S. 36; Hinck, Genug Herz verschleudert (Anm. 298); Baleanu: Das Rätsel Rose Ausländer (Anm. 185), S. 340ff.; Kristensson, Identitätssuche in Rose Ausländers Spätlyrik (wie Kap. 1, Anm. 50), S. 71. Maier, Die Kabbalah (Anm. 371), S. 177; vgl. auch ebd., S. 289, 291 u. 364f. sowie Papus, Die Kabbala (Anm. 288), S. 77.
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Dritter Teil
Dann aber zaudert, wer Celans Werk kennt, beim so raschen Schreiten zum heilvollen Kristall. In Celans Engführung ist bekanntlich gerade hierin ein Scheitern angelegt, wie so oft Schreiten und Scheitern (immerhin Anagramme) bei ihm ineinander übergehen. Nach dem Zerfall noch des »Partikelgestöber[s]«374 zu »Par- / tikelgestöber«375 ersteht bei ihm eine neue Welt: Welt, ein Tausendkristall, schoß an, schoß an. * Schoß an, schoß an. Dann – Nächte entmischt. Kreise, grün oder blau, rote Quadrate: die Welt setzt ihr Innerstes ein im Spiel mit den neuen Stunden. – Kreise, rot oder schwarz, helle Quadrate, kein Flugschatten, kein Meßtisch, keine 376 Rauchseele steigt und spielt mit.
Diese Genesis trügt, wie ich mit einem Blick auf Szondi darzulegen gedenke; erst nach einigem Raum und einem – nicht dem letzten – zersplitterten »Ho, ho- / sianna«377 folgt ein Licht, das in der Tat Hoffnung trägt: Ein Stern hat wohl noch Licht. Nichts, 378 nichts ist verloren.
Von dieser Genesis zu ihrem Abschluß kommt es in hohem – forciertem, wie sich zeigen sollte – Tempo; auch entfaltet sich, womit »die Progression abgeschlossen ist«,379 eine »wiedergefundene[n]«, »eigene[n] Zeitdimension«.380 Freilich fragt sich, so das Gedicht nicht völlig abgeschottet in Schönheit schwelgt, was diese Zeit auszeichne, was die Existenz, den harten Stein, das 374 375 376 377 378 379 380
Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 200. Ebd., S. 201. Ebd., S. 202f. Ebd., S. 203. Ebd., S. 204. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 372. Ebd.
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trockene Auge abhebe von der Ohnmacht ihrer Gegenüber. Der Wechsel in »geometrische Elemente«381 ist da zunächst in jener Strophe, die die zu gebende Antwort verspricht, zu konstatieren. Das Gestöber endet, Ordnung – »ursprüngliche«?382 – kehrt wieder ein. »Ambiguitäten und Polysemien«383 schleichen sich in den Text und seine »Sprache, in der der Dichter den Wörtern die Initiative überläßt«,384 ein; die Welt, ein Tausendkristall, / schoß an, schoß an – die Assoziation des später erscheinenden »Kugelfang[s]«385 macht martialische Konnotate unvermeidbar.386 Die schon angesprochene Zeitlichkeit wird in der Folge affirmiert »im Spiel mit den neuen / Stunden«,387 das zunächst verunmöglicht schien.388 Ein Kennzeichen des Neuen ist eine Art Reinheit, »Entmischung«;389 auch ist da dreifache Negation: »Flugschatten«, »Meßtisch«, »Rauchseele«390 sind getilgt, was nicht zuletzt als »Leere«391 interpretierbar ist, mag auch das Getilgte – ohne die Dunkelheit dessen zu ignorieren, was plötzlich fehlt – einer Sphäre des Grauens angehören.392 381 382 383 384
385 386 387 388 389
390 391 392
Ebd., S. 373. Ebd. Ebd. Ebd., S. 374; vgl. Hendrik Birus: Celan – wörtlich. In: Paul Celan: »Atemwende« Materialien. Hg. von Gerhard Buhr und Roland Reuß, Würzburg: Königshausen & Neumann 1991, S. 125–166, hier. S. 153. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 203. Vgl. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 374; ist auch ans T a us e n d jährige Reich zu denken? Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 202. Vgl. ebd., S. 197 und Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 374. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 375; vgl. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 202; ein interessanter Vergleich mit Zbigniew Herbert, der gleichfalls den Kiesel als rein charakterisiert, doch einen gänzlich anderen Weg einschlägt, böte sich an (vgl. Zbigniew Herbert: Inschrift. Gedichte. Übersetzt von Karl Dedecius. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1973 (Bibliothek Suhrkamp; 384), S. 16). Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 203. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 375 – oder sogar »Mangel« (ebd.). »Vermessen, entmessen, verortet, entwortet« (Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden [wie Kap. 2, Anm. 43], Bd 1, S. 123); dies wäre Ausdruck »eines Befreiens von negativen Formen äußerlicher Erfassung und Markierung (man denke z. B. an die »Vermessung« der Juden vom Judenstern bis zur KZ-Nummer).« Menninghaus, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 189), S. 66. Ob man, wie Menninghaus es will, nicht nur entmessen und entworten zusammenrücken, sondern auch verortet hinzurechnen soll, »im Sinne der Überwindung einer [...] arbiträr-instrumentellen Sprachlichkeit« (ebd.), wie der Interpret hinzufügt, sei dahingestellt. Die Verlockung, einen Parallelismus zu sehen, der Vermessung und Verortung zusammenrückt, ist nicht weniger begründet. Es sei an Foucaults Charakteristik erotischer Betrachtungsweise erinnert: »Es handelt sich um ein Vervielfältigen und Knospentreiben des Körpers, um eine gewissermaßen autonome Steigerung seiner kleinsten Partien, der geringsten Möglichkeiten eines seiner Bruchstücke. Dabei vollzieht sich eine Anarchisierung des
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Zur Ungenauigkeit bemerkt Szondi, sie sei – anders als jene zu Beginn des Gedichts – frei von vorausgesetzter Kenntnis; es »findet sich kein Hinweis dafür, daß der Leser genau wissen müsse, worum es sich handelt«.393 Darum gilt, daß »die Rücksicht auf die Präzision Zurückhaltung gebietet«,394 weshalb sich Szondi lediglich dazu durchringt, den »Akzent [...] auf der Negation«395 zu betonen und daraus über diese kühne, neue Welt zu folgern: Es fehlt ihr vielleicht etwas Wesentliches.396
In der Rückkehr zu den Wörtern Flugschatten und Rauchseele eröffnet Szondi in der Folge die Frage, wie die Mehrdeutigkeit beschaffen sei, welche Celans Komposita auszeichnet. Nicht allein sind hier Wörter gegeben, die auf mehrere Bedeutungen verweisen, es werden weiters die so begonnen Begriffsketten in die Dynamik miteinbezogen; »es geht also nicht um einfache Polysemie«.397 Eher wäre von einer »Selbstsubversion der Signifikantenbildung«398 zu sprechen, die Celan in Gang setzt oder sich in Gang setzen läßt, deren Latenz und Weiterwirken von eigenen Gesetzen bestimmt werden. Adornos Wendung »der intentionslosen Sprache«399 ist die Ahnung dieser Eigenbewegung, welche die Begriffe nicht unbehelligt beläßt, beigemengt, obgleich diese erst bei Derrida quasi ungebremst entwickelt wird. Szondi, der sich und Adorno unter »die destruktiven Dialektiker«400 rechnet, verweist hier jedenfalls auf Derridas Denken, wendet sich also von einer Konzeption ab, in
393
394 395 396 397 398 399 400
Körpers, in der die Hierarchien, die Verortungen und Benennungen [...] in Auflösung begriffen sind.« (Michel Foucault: Von der Freundschaft als Lebensweise. Übersetzt von Marianne Karbe und Walter Seitter. Berlin: Merve o. J. [Internationaler Merve Diskurs; 121], S. 62, Hervorhebung M. H.) In diesem Zusammenhang sei auf die Photographien Gilles Cohens verwiesen: »Es gab keinen Namen mehr, es gab nur noch dies eine: nur eine Nummer.« (Gilles Cohen: N°. Les matricules tatoues des camps d’Auschwitz-Birkenau. Übersetzt von Arno Gisinger. In: Eikon. Internationale Zeitschrift für Photographie und Medienkunst (1995), H. 14/15: Darstellung des Unvorstellbaren, S. 69–72, hier S. 71; vgl. ebd., S. 70ff.) Die Entwortung – gipfelnd in der höchst expressiven »Wortruine« (Menninghaus, Paul Celan [wie Kap. 1, Anm. 189], S. 66) »entwo« (Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden [wie Kap. 1, Anm. 174], Bd 2, S. 123) – wäre also Antwort auf den »Meßtisch« (Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden [wie Kap. 2, Anm. 43], Bd 1, S. 203), ohne freilich das Vergessen desselben zu beinhalten oder gar zu intendieren. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 375; vgl. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 167: »Dieser Sprache geht es, bei aller Vielstelligkeit des Ausdrucks, um Präzision.« Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 376. Ebd. Ebd. Ebd. Menke, Die Souveränität der Kunst (wie Kap. 2, Anm. 26), S. 65. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 274; vgl. ebd.: »jedes Kunstwerk ist ein System von Unvereinbarkeit.« Szondi, Schriften (Anm. 276), Bd 5, S. 305.
Peter Szondis Antwort
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welcher die Mehrdeutigkeit bloß ornamentaler Natur wäre, aber auch von jener Konzeption, die in der Vielfalt der Sinnstiftungen eine Herausforderung der Begriffskonstruktionen sähe, diese Begriffssysteme jedoch nicht wiederum ins Spiel miteinbezöge, vielleicht anfräße, sicherlich wandeln müßte.401 In »der Kondensierung von Syntagmen«402 also ist eine Mehrdeutigkeit entwickelt, die mehr als das elegante Spiel mit einer endlichen Zahl von Bedeutungen nach sich zieht.403 Die Sprache ist nur insofern das, was sie ist, nämlich Sprache, als sie die Polysemie unter Kontrolle bringen und analysieren kann. Restlos. Eine nicht kontrollierbare Streuung (dissémination) ist nicht einmal eine Polysemie, sie gehört dem Außerhalb der Sprache an. [...] Jedes Mal, wenn die Polysemie irreduzibel ist, wenn eine Sinneinheit ihr nicht einmal in Aussicht gestellt ist, befindet man sich außerhalb der 404 Sprache. Infolgedessen außerhalb des Menschlichen.
So »sind noch Lieder zu singen jenseits der Menschen.«405 Derart ist beispielsweise Rauchseele die »zu Rauch gewordene Seele«406 ebenso wie »Seele des Rauchs«;407 die Konzentration aufs Wort vor linearer Ausdeutung gewinnt an Gewicht, obschon das Verfolgen der verschiedenen Wege erst die Kräfte der rückwirkenden und entbundenen Polysemie freisetzt. Der umrissenen Welt der Engführung fehlt all das. Kreis und Quadrat bleiben Kreis und Quadrat: Diese Welt ist zu rein.408
Kann dies für das Gedicht von Rose Ausländer nicht gelten? Fehlt hier nicht die Stimme, die zugleich resonierend stört?409 Was überspannen Worte, die sich der Welt aussetzen, aber auch die Welt zum Aussetzen bringen? A dead name I write 410 To bridge a lull. Den toten Namen schreibe ich 411 Stille zu überspannen. 401 402 403 404 405 406 407 408 409 410 411
Vgl. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 377 (Anm.). Ebd., S. 377. Szondi schreibt »von den (zwei oder mehr) Elementen des Wortes« (ebd.); vgl. Derrida, Randgänge der Philosophie (Anm. 66), S. 238f. Ebd., S. 239. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 26. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 377. Ebd. Ebd.; zu Szondis Lektüre der Engführung und Einwänden anderer Interpreten – vgl. Hainz, Masken der Mehrdeutigkeit (wie Kap. 2, Anm. 226). Zum Ruach als solche Instanz – vgl. Papus, Die Kabbala (Anm. 288), S. 140. Michael Hamburger: Todesgedichte. Zweisprachige Ausgabe. Übersetzt von Peter Waterhouse. Wien, Bozen: folio 1998 (Transfer Europa; XVII), S. 10. Ebd., S. 11.
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Dritter Teil
Vielleicht ist die Übertragung der Verse Michael Hamburgers von Peter Waterhouse, indem sie auch eine Erhöhung der Spannung mitdenken läßt – der tote Name ist ja nichts, das Sinn stiftete, Licht spenden könnte – abgründiger als das Original. Man könnte auch auf einen poetologischen »Einschub«412 verweisen, wiewohl die darin vorgeschlagene Lektüre sich hier nicht aufdrängt: »spannen« – Imperfekt des Verbums spinnen und zugleich Präsens des [...] Verbums spannen; Vergangenheit und Gegenwart zugleich, aber im unscheinbarsten Splitter, 413 in einer lautlichen Beiläufigkeit, Mini-Übersetzung.
Es geht bei Rose Ausländer, zu der ich damit zurückkehre, wiewohl ich sie nicht verlassen zu haben glaube, in der Tat ums Unendliche, dessen lautliche Sonderstellung in Spinoza II schon angesprochen wurde. Dieses Unendliche liegt in infiniter Brechung, was auch die Klarheit nun betrifft; von einem klargeschliffenen Weltall war bei Rose Ausländer die Rede, vom unendlichen Kristall, aus dessen Herz das Licht dringt. Klar liegt offen, so könnte man sagen, daß jenes Glas, das zunächst einen speculum mundi ahnen ließ, in Wahrheit genau dieses Modell widerlegt. Klar liegt offen, daß Spannung Residuum dessen ist, was vielleicht nicht Wahrheit, doch Memento derselben ist. In der nicht unterschlagenen, sondern ausgetragenen »Spannung [...] gedeiht die Wahrheit des Ausdrucks«.414 Will man noch vom Kristall sprechen, so ist es einer, der dem Diffusen und Komplexen Rechnung trägt, also – ohne die Lüge von Spiegelebenen oder Rotationsebenen – in Auflösung gerät; sein Kristallgitter wäre das Gitter des Rhizoms. In »den Eingeweiden der Wurzeln / Dämonen brauen / Lethetrank / mächtig / im Vergessen«,415 schreibt Rose Ausländer. Auflösung der Erinnerung und Erinnerung selbst sind zur Einheit verschmolzen, eine Emulsion von Ordnung und Geordnetem wird evoziert. Von Celan zu Leben erweckt ist der »Gedankenkäfer«,416 ein »schwarzblaue[s]«417 Tierchen, das in diesem Milieu, diesem Bio- oder Nekrotop haust. Er krabbelt hier eigenwillig und beharrlich seiner eigenen Wege. »Der Käfer klettert unermüdlich-emsig«418 und bahnt sich seinen Weg. Ich denke bei diesem Wesen an den Buchdrucker, Ips typographus, der seine Pfade dem Auge in mehr oder minder regelmäßigen Gängen offenlegt. Diese geben ihrer Schriftähnlichkeit wegen dem Insekt seinen 412 413 414
415 416 417 418
Waterhouse, Die Geheimnislosigkeit (Anm. 291), S. 58. Ebd. Theodor W. Adorno: Drei Studien zu Hegel. Hg. von Gretel Adorno und Rolf Tiedemann. 4. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 110), S. 98. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 17. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 46. Ebd. Joachim Ringleben: »Engholztag«. In: Paul Celan: »Atemwende«. Materialien. Hg. von Gerhard Buhr und Roland Reuß. Würzburg: Königshausen & Neumann 1991, S. 73–83, hier S.77.
Peter Szondis Antwort
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Namen. Der Gedankenkäfer ist ein possierliches Tierchen mit subversiven Tendenzen; er schreibt, seine Gänge aber bilden rhizomatische Strukturen, welche sich, während der seltsame Sechsbeiner sich grübelnd weiterbohrt, entwickeln – kein Netz-Bauplan geht dem Treiben des blanken, düsteren Denkers voraus, die Muster werden, wo sie entstehen, alsbald durch neue Linien widerrufen. Was ist das damit zweifach angesprochene Rhizom? Deleuze und Guattari, die es zur Beschreibung jener Strukturen, die weder »der Ariadne-Faden [...] [ihrer] selbst«419 sind, noch als »barock-manieristische[s] Labyrinth, [...] eine Art Baum, ein Gebilde mit zahlreichen Ästen und Zweigen aus toten Seitengängen«420 beschreibbar wären, heranziehen, charakterisieren es, das zunächst das Gestrüpp der Wurzelknolle benennt, als Abkehr vom »Nebenwurzel-Chaosmos«,421 als Wendung zu »Mannigfaltigkeiten [...] und Segmentaritäten«.422 Das Rhizom ist durch das »Prinzip der Konnexion und der Heterogenität«423 bestimmt – falls es klug ist, hier von Prinzipien zu sprechen. Hinzu kommt das »Prinzip der Mannigfaltigkeit: [...] Mannigfaltigkeiten sind rhizomatisch und entlarven die Pseudo-Mannigfaltigkeit der Bäume«.424 Auch ist das Rhizom nicht in Strukturen auflös- und gliederbar, sondern durch das »Prinzip des asignifikanten Bruchs«425 bei aller Sinnfälligkeit mittels »Deterritorialisierungslinien«426 vor der Dominanz der »Segmentierungslinien«427 bewahrt, was an die Einschreibung und die daraus folgenden Verschiebungen der des Punkts verlustig gegangenen Logik bei Derrida erinnert. Insofern gilt: Das Rhizom ist eine Art Anti-Genealogie.428
Nicht Kopien können im Rhizom gemacht werden, doch besteht die Möglichkeit »der Kartographie«,429 obgleich die Karten in der Schaffung des Rhizoms entstanden und ständigen Permutationen unterzogen nicht in eine Meta-Ebene auszulagern sind; hingegen gilt für den Baum, daß er »immer wieder das Mannigfaltige imitiert«,430 wiederholt sich doch im Kleinen das Große, was Kartographie der Redundanz wegen zur Karikatur ihrer selbst machte. 419 420 421
422 423 424 425 426 427 428 429 430
Umberto Eco: Nachschrift zum »Namen der Rose«. Übersetzt von Burkhart Kroeber. 8. Aufl., München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1987 (dtv; 10552), S. 65. Ebd. Gilles Deleuze / Félix Guattari: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie. Übersetzt von Gabriele Ricke und Ronald Voullié. Hg. von Günther Rösch. Berlin: Merve 1992, S. 15. Ebd., S. 13. Ebd., S. 16. Ebd., S. 17f. Ebd., S. 19. Ebd. Ebd. Ebd., S. 21. Ebd., S. 23. Ebd., S. 28.
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Dritter Teil
Ein Rhizom hat weder Anfang noch Ende, es ist immer in der Mitte [...], ein Zwi431 schenstück, Intermezzo.
Als Textur ist ihm der ausständige Abschluß ins Herz, in »die futuristische Partizipialkonstruktion des »text-urus««432 eingeschrieben ... Foucault hat dem Denken von Deleuze – bezogen auf Différence et répétition – folgende »Fabel«433 gewidmet: Ariadne war es müde, auf Theseus’ Wiederkehr aus dem Labyrinth zu warten [...]. Ariadne hat sich erhängt. An der aus Identität, Erinnerung und Wiedererkennung verliebt geflochtenen Schnur dreht sich ihr Körper nachdenklich um sich selber. Der Faden ist gerissen, und Theseus kommt nicht wieder. Er rennt und rast, taumelt durch Gänge, Tunnel, Keller, Höhlen, Kreuzwege, Abgründe [...]. Er bewegt sich nicht in der gelehrten Geometrie des wohlzentrierten Labyrinths – sondern treibt einen abschüssigen Steilhang entlang. [...] Der berühmte und so fest gedachte Faden ist zerrissen; Ariadne ist verlassen worden, ehe man es glauben mochte. Und die ganze Geschichte des abendländischen 434 Denkens ist neu zu schreiben.
Das Rhizom scheint dem Wort »netznervig[em]«435 fast zuzugehören – auch in Celans Gedicht ist Leere (sogar wörtlich!) zu entdecken.436 Und doch hat der Gedankenkäfer, der den »Urnenwesen«437 verbunden zu sein scheint, Sinnesorgane, die ihm einen Weg – trotz »[t]ierblütige[r] Worte [...] vor seine[n] Fühler[n]«438 – weisen. Gelangt er auch nicht zu »einem letzten Signifikat«,439 was nicht nur auf Deleuze, sondern auch und vor allem Derrida weist, der »ein System von Wurzeln: und zwar ein solches, das zugleich den Begriff des Systems und den der Wurzel streicht«,440 [be]schreibt, ist er also doch nicht in einem sinnlosen, sein Gekrabbel zur absurden Operation machenden Labyrinth, wobei die unabsehbaren Strukturen desselben auf seinen Wegen freilich erst entstehen. 431 432
433
434 435 436 437 438 439
440
Ebd., S. 41. Aage A. Hansen-Löve: Entfaltungen der Gewebe-Metapher. Mandelstam-Texturen. In: Der Prokurist, Nr 16/17, 1996/99: Anschaulichkeit | Bildlichkeit, S. 71–151, hier S. 79. Michel Foucault: Der Ariadnefaden ist gerissen. Übersetzt von Walter Seitter. In: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Hg. von Karlheinz Barck u. a. 5. Aufl., Leipzig: Reclam 1993 (Reclam-Bibliothek; 1352), S. 406–410, hier S. 406. Ebd. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 46. Vgl. ebd. Ebd., S. 59. Ebd., S. 46. Sarah Kofman: Derrida lesen. Übersetzt von Monika Buchgeister und Hans-Walter Schmidt. Hg. von Peter Engelmann. Wien: Passagen/Böhlau 1988 (Edition Passagen; 14), S. 113. Ebd., S. 47.
Peter Szondis Antwort
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Wenn Deleuze und Guattari nur die »Konjunktion ›und ... und ... und ...‹«441 im Rhizom sehen wollen, ist das wohl überzogen, ein Umschlagen ins Dogmatische zudem; es ist nicht abwegig, auf die wohlbegründeten Einwände gegen die Dominanz gerade dieser Konjunktion bei Anders oder auch Sloterdijk zu verweisen.442 Von der »Totalsynthese – freilich auf dem Nullpunkt der Intelligenz, in Gestalt einer Totaladdition«443 – ist dort die Rede. Doch ist es der Literatur, zu der ich hier zurückkehre, als »Gefüge«444 sicher eigen, »das Verb ›sein‹ zu erschüttern und zu entwurzeln«.445 Deshalb hat ein Buch auch kein Objekt.446
Celans Lyrik ist also, so wäre zu folgern, eine des desintegrierenden Gedankenkäfertums; dieser »Käfer im Farn«447 hat quasi ein »Unstetes Herz«448 und macht sich aufs Brett in der Vitrine des Insektenforschers gespießt und fixiert nicht gut. Und nicht anders verhält es sich mit Rose Ausländers Lyrik, wiewohl in ihrem Bestiarium gerade Insekten eher mit Utopien unter negativem Vorzeichen (»Manhattan«449) in Beziehung gesetzt sind – als geometrischer Alptraum mechanischer Sklaverei.450 Anders zu sein freilich wäre dann gerade die Quintessenz, die Aberrationen der Metaphysik zwingen zum Blick auf jenes Kippbild, worin Metaphysik und Cogito einander gegenübergestellt sind, das Ich oder sein Schatten ruht. Aberration ist bis in den Namen gedrungen, auf den noch einzugehen ist.451 Wenn das rechte Wort zum kristallenen Kosmos von Licht führt, der zeigt, daß freilich gar nichts an seinem Platze ist, so ist zu fragen, wie das Ich beschaffen ist, worin die Stimme ihren Ursprung hat. Mein Heiliger / heißt Benedikt – wessen Heiliger, so lautet die Frage an die autobiographischen Poeme der Lyrikerin, ist er? Es ist ein Ich, das – trotz der »wohlwollende[n] Warnung vor künstlerischen Exzessen«452 und der diesen schrecklichen Warnungen folgenden Beschwich441 442
443 444 445 446 447 448
449 450
451 452
Deleuze / Guattari, Tausend Plateaus (Anm. 421), S. 41. Vgl. Günther Anders: Mensch ohne Welt. Schriften zur Kunst und Literatur. München: Verlag C. H. Beck 1984, S. XXV u. Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft (wie Kap. 2, Anm. 2), Bd 2, S. 571. Ebd., S. 570f. Deleuze / Guattari, Tausend Plateaus (Anm. 421), S. 13. Ebd., S. 41. Ebd., S. 13. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 71. Ebd.; »Am Ufer / wandelt vermummt der Gedanke und lauscht: / denn nichts / tritt hervor in eigner Gestalt, / und das Wort, das über dir glänzt, / glaubt an den Käfer im Farn.« (Ebd.) Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 99), Bd 2, S. 244. Vgl. etwa ebd. (wie Kap. 1, Anm. 11), Bd 6, S. 166 oder (wie Kap. 2, Anm. 99), Bd 2, S. 244; zum »Böse[n] ohne Schuld [...] am Ort des Insekts« – Strasser, Journal der letzten Dinge (wie Kap. 2, Anm. 90), S. 67. Vgl. auch Lehmann, Dunkle Sappho aus der Bukowina (Anm. 315). Adorno, Dissonanzen (wie Kap. 1, Anm. 11) S. 66.
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Dritter Teil
tigungen, die Lyrik etwa einer Rose Ausländer sei durchaus leicht zu lesen453 – den Exzeß sucht, insofern es herausschreiten will: Schreiben ist für Rose Ausländer auch transzendierende Geburtsarbeit.454
Ihre Geburten sind nicht leicht; wer dies meint und allzu leicht vom Dialogischen spricht, was meint, hier sprudle der Sinn ungehemmt von Form hervor, der irrt – auch wenn es andererseits ebenso falsch wäre, nicht zu sehen, daß das, was an den Versen liegt, die Form bedingt. Darum ist auch die Kritik, die Dichterin schreibe »goldschnitthaft«,455 fragwürdig oder sogar unstatthaft. Die Opposition zwischen jenen, die wie Wallmann schreiben, diese Lyrik suche »den Gesprächspartner«,456 und jenen, die das Gewählte der Worte, da Monologische betonen457 – der genaue Leser bemerkt: Grenzgänger gibt es hier gleichfalls ... – ist jedenfalls unzutreffend. Klüger erscheint es, zunächst jene Interpretationen zu konsultieren, die das Dilemma in einigermaßen ausreichender Schärfe zeigen, was auch heißt, daß das Postulat einer der beiden Positionen entfallen muß.458 Hier schreibt ein Ich, das, indem es schreibt, »aus der Qual des Lebens sublime Kunst«459 wohl weder macht noch machen will, aber eine Existenz sucht, die zunächst Standortsuche ist – denn der Standpunkt ist, wie Sloterdijk einmal bemerkt hat, Gegenpart zu Heimat.460 Sie schreibt 1976 durchaus verklärend: 453
454
455 456
457 458 459 460
Nicht wenige Rezensionen betonen dies und pauschal die Eignung des Gebiets für wenig versierte Leser ... – vgl. etwa Effi Horn: In allen Traumworten. In: Münchner Merkur, 5. Januar 1988 oder Magda Scheiblbrandner: Leben im Wort. In: an.schläge (März 1996), S. 38. Paul Konrad Kurz: Ortlos – im Wort. Literaturpreis der Akademie der Schönen Künste an Rose Ausländer. In: Bayerische Staatszeitung und Bayerischer Staatsanzeiger, 29. Juni 1984. Jürgen P. Wallmann: Einst Bibliophiles jetzt im Taschenbuch. In: Der Tagesspiegel, 3. Juli 1988. Jürgen P. Wallmann: Bekenntnis zum Menschenwort. Zum Tode von Rose Ausländer. In: Der Tagesspiegel, 5. Jan. 1988; Jürgen P. Wallmann: Heimat wurde ihr das Wort. Zum Tode der Dichterin Rose Ausländer. In: Saarbrücker Zeitung, 5. Januar 1988; Jürgen P. Wallmann: Wohnen im Wort. Zum Tod der Dichterin Rose Ausländer (1901–88). In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 10. Januar 1988; Jürgen P. Wallmann: Ich will wohnen im Menschenwort. Zum Tod der jüdischen Lyrikerin Rose Ausländer. In: Schwäbische Zeitung, 5. Januar 1988. Vgl. Hinck, Genug Herz verschleudert (Anm. 298); Krall, »Ich bin mit meinem Wort verlobt« (wie Kap. 1, Anm. 126). Allerdings ist hier die Qualität der durchaus differenzierten Betrachtungen etwa von Hinck doch zu betonen – vgl. Hinck, Genug Herz verschleudert (Anm. 298). Walther Beilhack: Identifikation. In: Badische Neueste Nachrichten, 15. Jan. 1989. Dies im Zusammenhang mit Auschwitz ...! (vgl. ebd.). Vgl. Peter Sloterdijk: Philosophische Aspekte der Globalisierung. In: Wohin führt der globale Wettbewerb? Dokumentation von Deutsche Fragen, 2. Symposion des Bundesverbandes deutscher Banken und der Universität Hohenheim (3. März 1999), S. 50–71, hier S. 59.
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Fliegend auf einer Luftschaukel Europa Amerika Europa461
– solcherart sei ihr Dasein. Wer sich die Erde nicht zum Maßstab machen kann, der wird vom Geometer zum »Uranometer«,462 so könnte man mit Sloterdijk hier eine Referenz zum Stern, der schon angesprochen wurde, leisten. Auf vielen Flüssen 463 meine Jahre gefahren
So beginnt die Autobiographie in Flüssen, die – 1966 entstanden – 1969 Eingang in die Anthologie Deutsche Lyrik aus Amerika (1969) fand.464 Die Flüsse sind Pruth (»Nicht geglückt das Ertrinken / man zog mich heraus / die Heimat versank«465), Donau, ein zweites Mal Pruth, Atlantik und zugleich – »Hadesfahrt«466 – Lethe, im Traum mit Donau und Pruth Jordan, Rhein (»sucht ich die ertrunkene Lorelei«467), Hudson ...468 Diese Heimatlosigkeit im realen Leben, die Vogel und Gans kartographierten,469 ist nicht zu suspendieren im Wort, auch als die Dichterin in einem allerdings nicht heilbaren Kosmos zur Ruhe kommt – im Alter, das Sicherheit brachte, wurde, so schreibt Wiggershaus, »der Schatten, den Krieg und Faschismus auf Rose Ausländers Leben warfen, [...] länger und dunkler«.470 »Traumdichtung«471 bleibt, die »offen für die Möglichkeiten der Sprache und mit ihnen arbeitend«472 ist. »Nichteinrichtung ist das Stigma dieser Biographie«.473 Immer wieder ist Fremdheit, Fremdheit, die, weil Sprache nicht angemessen darstellen und in angemessener Darstellung Geschehenes nicht tilgen kann, in Permanenz besteht, ist doch ohne alle Ordnung auch der eigene Ort unauffindbar, keine Harmonie möglich, wo die Schöpfung absurd geworden zu sein scheint. 461 462 463 464 465 466 467 468 469 470 471 472 473
Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 123), Bd 4, S. 212; vgl. auch Hoffmann, Auf einer Luftschaukel (wie Kap. 1, Anm. 59), S. 34. Sloterdijk, Philosophische Aspekte der Globalisierung (Anm. 460), S. 55. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 15. Vgl. ebd., S. 307. Ebd., S. 15. Ebd., S. 16. Ebd. Vgl. ebd., S. 15f. Vgl. Ausländer, Rose Ausländer lesen (wie Kap. 2, Anm. 203), S. 177. Renate Wiggershaus: Revolte unter Wörtern. Postume Gedichte von Rose Ausländer. In: Frankfurter Rundschau, 22. September 1990. Wolfgang Kopplin: Mutterland Wort. Rose Ausländer †. In: Bayernkurier, 16. Januar 1988. Viola Bolduan: Im Mutterland des Wortes. In: Wiesbadener Kurier, 5. Januar 1988. Gisela Lindemann, zit. in: Hans-Peter Klausenitzer: »Ich wohne nicht – ich lebe ...« Roswitha-Gedenkmedaille für Rose Ausländer. In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 19. Oktober 1980.
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Dritter Teil
Die Sprache verzeichnete es.474
Klassisch ist der Verlust von Schönheit durch den Verlust unschuldiger Ordnung, dem Heilung nicht folgt, bei Kleist formuliert worden, wobei das Postulat unschuldiger Ordnung trotz seiner Fragwürdigkeit übergangen sei: Grazie [...] findet sich [...] in dem Gliedermann, oder in dem Gott. Mithin [...] müßten wir wieder von dem Baum der Erkenntnis essen, um in den Stand der Unschuld zurückzufallen? 475 Allerdings, [...] das ist das letzte Kapitel von der Geschichte der Welt.
Das Korrodieren allen Darstellens, das getreulich einklagen und heilen nicht mehr kann, wurde gleichfalls in einem berühmten Text notiert: Mein Fall ist, in Kürze, dieser: Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgendetwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen. [...] Allmählich aber breitete sich diese Anfechtung aus wie ein um sich fressender 476 Rost.«
Eine »Sprache, in welcher die stummen Dinge zu mir sprechen, und in welcher ich vielleicht im Grabe vor einem unbekannten Richter mich verantworten werde«,477 drängt in Chandos’ bis zu jener Zeit unbeschadet und unversehrt wirkende Sprache.478 Das Ich, das Cogito also findet nur zu sich, indem es jenseits einer Authentizität, deren Selbstverständnis ungebrochen war, sich selbst in den Spuren seiner Sprache findet – und damit den Schatten der Welt, wie das Kippbild von Denken und Metaphysik nahelegt, dessen Achse oder Ursprung bei Derrida klarere Konturen gewinnen sollte. Es findet sich »mit subtilen stilistischen Mitteln«,479 was nicht nur artistisches Treiben seiner selbst ist. Immerhin ist selbst die Muttersprache neu zu finden, die zugleich Mördersprache ist, die Dichterin, die »the mother’s and murderer’s tongue«480 zu verwenden genötigt ist, ist doch »Dichtung [...] das schicksalhaft Einmalige der Sprache«,481 dichtet in einer Sprache, verdichtet eine Sprache, deren Sinn durch diesen Prozeß in jene Schwebe zu geraten scheint, die ihm allerdings – unterdrückt – stets eigen sein muß.482 Nicht ganz frei von Pathos heißt es bei Lewy: 474 475 476
477 478 479 480 481 482
Bender, Eisrosen im Gettofenster (Anm. 351), S. 17. Kleist, Werke und Briefe in vier Bänden (Anm. 191), Bd III, S. 480; Schönheit und Präzision des Textes leiden bedauerlicherweise unter den gebotenen Kürzungen. Hugo von Hofmannsthal: Poesie und Leben. Erfahrungen mit Menschen und Wörtern. Hg. von Günther Busch. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1987 (Fischer Bibliothek), S. 43f. Ebd., S. 53. Vgl. hierzu Strasser, Journal der letzten Dinge (wie Kap. 2, Anm. 90), S. 23f. Wiggershaus, Botschaften aus der Finsternis (Anm. 327). Colin, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 96), S. 50. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap.1, Anm. 3), Bd 3, S. 175. Nach Theo Bucks Mutter- wie Mördersprache – vgl. auch Wiggershaus, Botschaften aus der Finsternis (Anm. 327).
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Rose Ausländers Worte kommen wie heißglühende Lava [...] und legen ihre Gedanken frei.483
Dem schiefen Bild gemäß ist über das Glücken der Freilegung zu sprechen, wenn das lyrische Ich sich aus Worten bestimmt. Das heißt auch, das über das Verschweigen zu sprechen ist.484 Doch zugleich ist über die Polyvalenz, das Resonieren zu sprechen, darüber, was Klarheit an einer poetischen Stimme meinen kann.485 Kurz sei an dieser Stelle ein Gedicht Rose Ausländers zum Gegenstand der Interpretation gemacht, worin denn auch zweierlei sich findet: Das Loch Feuer brannte ein Loch in die Welt weltweit Im Loch leben wir halten uns fest am Rand aus Wurzeln Noch 486 nähren sie uns
Jenes Loch, das mit der Welt noch verzehrt, was als Begriff von Ordnung jenen Rand finden ließe, dessen Wurzeln uns nähren, ist in den Typoskripten der Dichterin sukzessive zu jenem Paradoxon geworden, das schlagartig alle Rede Lügen zu strafen scheint. Zunächst ist ein Loch in die Zeit gebrannt, das erst in einer handschriftlich gezogenen Klammer zum Wort weltweiten (von Rose Ausländer unterstrichen) durch Welt ersetzt wird. Hier findet auch der Wandel der Ränder zum Rand statt, der kartographisch nicht zu erfassen ist.
483 484 485
486
Hermann Lewy: Versöhnung war ihr Lebensmotiv. Zum Tode der Lyrikerin Rose Ausländer. In: Berliner allgemeine jüdische Wochenzeitung, 15. Januar 1988. Vgl. Eichmann-Leutenegger, Dichtung aus dem Unvertrauten (wie Kap. 1, Anm. 143), S. 42. »In all ihrer Knappheit mehrdeutig und vielschichtig sind die Gedichte der [...] Dichterin Rose Ausländer.« – Helmut Sturm: Unerforschte Bezirke des Sagbaren. In: Salzburger Nachrichten, 12. November 1988, S. 28. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 45), Bd 8, S. 13.
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Dritter Teil
Das Loch Feuer brannte ein Loch in die Zeit (Welt) ? diesem Im weltweiten Loch leben wir
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| | /
halten uns fest anm Räandern / aus Wurzeln die nähren uns noch
Gleichfalls in der Entstehung findet sich schließlich in einem anderen Typoskript die handschriftliche Verkehrung: die nähren uns noch noch nähren sie uns
Exponiert verbleibt das noch, das Ausdruck der dichterischen Obsession ist, nicht etwa aller Mittel von Sprache, jedoch der Verbindlichkeit jener Strategien sich verlustig gegangen sehen zu müssen. »Vom Schweigen besessen sein«487, so leitet Rose Ausländer Wenn Worte ein, um darauf Das Verschwiegene anzusprechen: Stimme 488 bewohnt unser Wort.
Da dies Gedichte aus dem Nachlaß sind, deren Veröffentlichung nur vorbereitet war, ist der Hinweis auf die Nachbarschaft des Zitierten verlockend, doch nicht allzu tragfähig.489 Ein »unentbehrlicher / Anfang«490 steht jedenfalls am Beginn und ist darin begründet, genau dieser Anfang nicht zu sein, was den Raum jenes Sprechens erst eröffnet. »Dennoch Rosen / sommerhoch«,491 trotz der »eingebrannten Jahre«,492 so schreibt Rose Ausländer, zumal »Stachelträume«493 noch Freiheit gewähren. 487 488 489 490 491 492
Ebd., S. 184. Ebd., S. 185. Hierzu gibt die Editorische Notiz Auskunft – vgl. ebd., S. 233. Ebd., S. 231. Ebd. (wie Kap. 1, Anm. 4), Bd 7, S. 261. Ebd.
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Bekenntnis II Ich bekenne mich zu dir den ich nicht kenne Ich habe dich erkannt als wir im Stein zusammen 494 schwiegen
Das Schöne dieses Bekenntnisses ist zunächst seine ganz und gar nicht bekenntnishafte Form; was seine Intensität ausmacht, verdankt sich nicht der Konfession. Erst aus der Verklammerung von bekenne – kenne – erkenne ergibt sich, wozu sich das lyrische Ich bekennt, wohin es sich wendet, was es als ihm ein- und zugeschrieben aber auch umgekehrt definiert. Denn auch wenn, wozu sich das Ich bekennen will, thematisiert ist, die Aktivität des Ichs fundiert (als Rhema) die Bewegung des Gedichts und das Selbst der Verse. Die Bewegung erinnert an Celans Shakespeare-Übertragung, der Szondis Essay Poetry of Constancy – Poetik der Beständigkeit gewidmet ist. Auch dort ist zuletzt kein Zweifel daran belassen, daß, wofür der Freund gepriesen wird, sich in den Versen aktualisiert, wobei die Koketterie der Verse umschlägt: Zuletzt ist »ein Gedicht gesetzt, [...] das nicht mehr von sich selbst spricht, sondern dessen Sprache in dem geborgen ist, was es seinem Gegenstand, was es sich selber zuschreibt: in der Beständigkeit«.495 Wie bei Celan ist ein »Melancholieschleier«496 auch hier freilich gegeben, etwas Banges den Versen eigen, die somit trotz »Distanz zum Moment der Subjektivität«497 gerade auch das Ich als fragil erscheinen lassen: zu dir / den ich nicht kenne, drängt Vers um Vers. Interessant ist an der schon erwähnten Kette, daß sie nicht bloß strukturierend wirkt, sondern auch drei Momente in sich zum Fokus bündelt. Bekenntnis, Intimität des Kennens und Erkennen, das wohl nicht völlig frei von erotischen Anflügen zu denken ist, man denke an den Wortgebrauch der Bibel, werden eine Einheit.498 Demgemäß folgt dem Personalpronomen im Singular der ersten Person der Plural: als w i r im Stein / zusammen / schwiegen. Der Stein ist, so kann man folgern, ein Bild des in sich vollkommen verschlossenen Seins, der in seiner Selbstgleichheit noch die Rede von Harmonie problematisch erscheinen läßt:
493 494 495 496 497 498
Ebd. (wie Kap. 1, Anm. 11), Bd 6, S. 166. Ebd. (wie Kap. 1, Anm. 45), Bd 8, S. 89. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 344. Ebd., S. 344 (Anm.). Ebd. Zum gerne unterdrückten Erotischen in den Versen auch eines Celan – vgl. Firges, Den Acheron durchquert ich (wie Kap. 1, Anm. 41), S. 179.
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Dritter Teil
Der kiesel ist als geschöpf vollkommen sich selber gleich [...] ich spür einen schweren vorwurf halt ich ihn in der hand weil dann seinen leib 499 die falsche wärme durchdringt ...
Wie kann man vom Stein und einem gemäßen Wir sprechen, wenn »Kiesel [...] sich nicht zähmen« »lassen«?500 Das Bekenntnis, das gerade jene Harmonie ausspräche, sorgt für ein Oszillieren. Weder sich noch das Wir oder eine Welt finden die Verse, auch wenn sie Protokoll eines Scheiterns am allerwenigsten sein wollen. Dies gilt, wobei das Scheitern eines des Bekenntnisses bleibt, das all das Genannte an einander schlösse – übrigens ist diese Ambivalenz am »Stein [...] – er / war gastlich, er / fiel nicht ins Wort«501 – kein Einzelfall. Da Szondi bei dieser Rhetorik, die sich »von der überlieferten (im buchstäblichen Sinn:) prinzipiell unterschieden«502 wissen will, auf Derrida verweist,503 sei auch in meiner Studie ein Blick zur Seite eingefügt. Derrida schreibt, das Jüdische sei ohne Wissen über Bekenntnisse;504 die Beschneidung vergleicht Derrida mit dem Versuch, »to [...] cultivate [...] hell«505 – und alles Fremde muß in seiner Totalität eine Hölle für die Vernunft506 sein, wobei an die paranoide Imagination noch gar nicht gedacht ist. Nur wahre Hände schreiben wahre Gedichte.507
Doch wer erkennt wahre Hände, die bestenfalls bekennend lügen – indem sie ihren Gebilden Daten einschreiben, die den Sinn gefährden wie dieser sie? Erkennen wahre Hände sich selbst? Bekennen wahre Hände – oder ist der Wille allen Bekennens, was bekennende Hände zu unwahren machte? Hierzu sei zu einem anderen Gedicht von Rose Ausländer gesprungen, worin sich gleichfalls das Bekennen ereignen will:
499 500
501 502 503 504 505 506 507
Herbert, Inschrift (Anm. 389), S. 16. Ebd. Diese poetische Korrespondenz erschiene selbst, wenn man Rose Ausländers Nachlaßbibliothek nicht konsultierte, in der sich eben dieser Band findet, plausibel, so glaube ich ... Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 201. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 329. Vgl. ebd. (auch Anm.). Vgl. Bennington / Derrida, Jacques Derrida (wie Kap. 2, Anm. 189), S. 187. Ebd., S. 103. Vgl. Derrida, Schibboleth (Anm. 182), S. 99. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 177.
Peter Szondis Antwort
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Gib Kunde vom Traum der dich gebar 508 der dich geträumt
Der Geträumte soll bekennen, was ihn erträumt hat, was eine Radikalisierung bedeutet; doch das Uneinlösbare folgt unmittelbar der Aufforderung, die eine Anrufung des Magischen im Alphabet schon sein muß und in der Tat ist.509 Gib Kunde wie träumst du die Ordnung der Buchstaben die Anordnung Ja Nein Trauer Gesang Weit der Weg zu den zwei Buchstaben 510 J A
– so affirmiert und negiert das Gedicht sich und seinen Gegenstand. Das – zumal sich – schreibende Ich zerfällt, wo es nichts anderes als seine Identität gesichert wissen will. Ja und Nein Ich behaupte alles und leugne alles denn Ja und Nein sind wahr und ich liebe 511 die Wahrheit. Sprich auch du [...] Sprich – 512 Doch scheide das Nein nicht vom Ja.
508 509 510 511 512
Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 45), Bd 8, S. 210. Vgl. ebd. Ebd. Ebd. (wie Kap. 1, Anm. 4), Bd 7, S. 161. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 135.
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Dritter Teil
Es gibt Gründe dafür, daß J und A sukzessive Absetzung erfahren, typographisch zunächst durch einen Bindestrich getrennt später durch einen Zeilenumbruch (»j / a«) geschieden sind, ehe sie ihre letzte Position erreichen, wie auch Ja und Nein – im Typoskript noch ohne Hervorhebung, die erst handschriftlich erfolgt – sich und ihren Zerfall in Buchstaben inszenieren; ein Gedicht des selben Titels dagegen bleibt unveröffentlicht, doch auch in ihm – obschon blasser – ist der Zerfall der Welt in Namen und Lettern, die das Blickfeld aufspreizen, thematisiert: Ja und Nein II Ich sage ja und nein zu Dingen die mich blenden Blume die blüht und welkt ein Brief der die Wunder der Welt öffnet ein Brief der sie schließt Am Himmel steht ein Name geschrieben ich bemühe mich ihn zu buchstabieren aber er ist weiter als mein Augen reicht Ich warte auf den Traum der ihn deuten kann
Wort das
entziffern
[Typoskript mit Kugelschreiber]
Auch ist das Ausbleiben dessen, was Rose Ausländer einen »Maskensturz«513 heißt, Bedingung, die erst die Sicht auf jenen Umstand ermöglicht, daß hinter den Masken etwas ist, was von aller Deutung differiert. Zurecht setzt die Dichterin für das Wort Ur-Kunde abschwächend »Urkunde«514... Ich will an dieser Stelle zum Ich in nuce zurückkehrend an Aichingers Vers erinnern: Denn was täte ich, wenn die Jäger nicht wären, 515 meine Träume
513 514 515
Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 45), Bd 8, S. 213. Ebd., S. 210. Ilse Aichinger: Verschenkter Rat. Gedichte. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1996 (Fischer Taschenbuch 11048), S.13; dieser Gedichtband findet sich – mit handschriftlicher Widmung der Autorin versehen – nebenbei bemerkt auch in Rose Ausländers Nachlaßbibliothek
Peter Szondis Antwort
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– so fragt dort das lyrische Ich, das sich – heterogen – über das befragt, was ihm Anstoß sei, wobei freilich Wesentliches ungesagt zu bleiben hat, was auch für meine Behandlung dieser wunderbaren Lyrik an dieser Stelle gelten muß. Muß man an die Schlitzohrigkeit gar eines kaum übersetzbaren »Franzos«516 Villon erinnern, dessen Gedicht nicht eben unbekannt ist? Je suis François, dont il me poise, Né de Paris emprès Pontoise, Et de la corde d’une toise 517 Saura mon col que mon cul poise.
Die Doppelbödigkeit dieses Verses, die beim Namen François beginnt und sich bis auf die Topographie erstreckt, führt zu einer verkehrten Welt, die zuletzt so unbegründet doch nicht ist ...518 »Mandelbaum, Bandelmaum«,519 so schreibt Celan, was als Bitterkeit der Mandel aus anderen Versen bekannt sein mag: Mache mich bitter. 520 Zähle mich zu den Mandeln.
Man gelangt freilich durch jenes Moment, das alles Be- und Erkennen sowie Benennen hoffnungslos untergräbt, aus dem, was immer nur scheinbar bestehen konnte, jenem, was Adorno die [...] Auswüchse der Systeme seit der Cartesianischen Zirbeldrüse und den Axiomen und Definitionen Spinozas, in die schon der gesamte Rationalismus hineingepumpt 521 ist, den er dann deduktiv herausholt [...]
nennt – oder kürzer: »Irres.«522 Alles Schreiben und alle Lektüre beginnen also zumindest bei jenen Texten, die in Schreibweise und Schriftverhältnis vom üblichen Duktus abweichend eine gewisse Devianz pflegen, am dunklen, bedrohlichen und gerne gemiedenen Orte »Kanitverstan«.523 Und sie enden dort, 516
517 518
519 520 521
522 523
François Villon: Sämtliche Werke. Zweisprachige Ausgabe. Übersetzt von Carl Fischer. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1992 (dtv; 2304 – dtv klassik), S. 231. Ebd., S. 230. Vgl. etwa Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 229f. u. den an diesen Versen entlang eine Poetologie skizzierenden Firges, Den Acheron durchquert ich (wie Kap. 1, Anm. 41), S. 38. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 229. Ebd., S. 78. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 33; offensiv formuliert Blumenberg: »Philosophie [...] sei ein konsistenter Zusammenschluß unwiderlegbarer Sätze« (Blumenberg, Die Vollzähligkeit der Sterne (wie Kap. 1, Anm. 151), S. 525.) – der Irrsinn (auch: Sinn fürs Irre) bleibt hörbar ... Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 33. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 123), Bd 4, S. 57; »Kannitverstan« – Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm.
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Dritter Teil
was freilich an einen Vorgriff auf Derrida grenzt, dessen feu sacre längst in all seinen obskuren Zügen schon – omnilatent gewissermaßen – schwelt. Ehe aber vom – vergeblichen – Wunsch die Rede sein kann, sich und darin die Welt zu finden, ist auf eine nicht zu glättende, doch zu präzisierende Spannung einzugehen. Im zitierten Gedicht Spinoza II schreibt Rose Ausländer: »Er hat / das Weltall / klargeschliffen«.524 Dieses emphatisch affirmierende Portrait eines als zutiefst human empfundenen Denkers (»Der Mensch / ist dem Menschen / ein Gott / sagte Spinoza«525) ist mit Adornos Rede von irren Auswüchsen nicht gerade leicht in Übereinstimmung zu bringen. Wollte man es beim Hinweis belassen, ein Poem müsse bei der Rezeption nicht in so strenger Weise wie etwa eine philosophiegeschichtliche Abhandlung vorgehen,526 Adorno wiederum neige zum generösen Verdikt über seine Kollegenschaft, so bliebe unscharf, was zu den völlig unterschiedlichen, nicht ganz affektlosen Urteilen geführt hat. Adorno schreibt, ihm mißbehage das »animal rationale, das Appetit auf seinen Gegner hat«,527 zur Welt wie ein »Raubtier[e]«528 stehe, sich aber zugleich in dieser Rolle verkläre: Die abendländische Metaphysik war, außer bei Häretikern, Guckkastenmetaphysik. Das Subjekt – selber nur beschränktes Moment – ward von ihr für alle Ewigkeit in 529 sein Selbst eingesperrt, zur Strafe seiner Vergottung.
In den Mäandern von Adornos Vorlesungen zur Metaphysik wird dies nochmals klarer auf Spinoza bezogen. »Als Gedanke, der Tendenzen aufzeichnet, ist der philosophische Gedanke ein offener, ein versuchender und experimen-
524 525
526
527 528 529
43), Bd 1, S. 263; vgl. Adorno, Philosophische Terminologie (wie Kap. 1, Anm. 134), Bd 1, S. 7ff., wo derart vor allem Philosophie und Lyrik bestimmt werden; zu Kannitverstan ist auch der so überschriebene Text Johann Peter Hebels (Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes) zu berücksichtigen Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 200), Bd 5, S. 263. Ebd. (Anm. 123), Bd 4, S. 146; vgl. zu Spinoza – Ausländer auch Claudia Beil: Sprache als Heimat. Jüdische Tradition und Exilerfahrung in der Lyrik von Nelly Sachs und Rose Ausländer. München: tuduv-Verlagsgesellschaft 1991 (tuduvStudien –Sprach- und Literaturwissenschaft; 30), S. 399ff. Vgl. zu Spinoza auch Ausländer: Zur Spinoza-Festschrift (Anm. 347), S. 58ff.; wollte man den philosophischen Lektüren und Arbeiten der Dichterin hinreichend Raum schenken, müßte von Spinoza zu Constantin Brunner geschritten werden, dem sie zwar dankend die Einsicht zuschreibt, es müsse »das Geheimnis nicht gelüftet, sondern vertieft« (Rose Ausländer: Zum 28. August 1943. In: Rose Ausländer. Materialien zu Leben und Werk. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1997 [Fischer-Taschenbücher; 6498 – Informationen und Materialien zur Literatur], S. 61–63, hier S. 62.) werden, was – auch poetologisch – von Interesse ist, der aber heute selten als großer Philosoph beurteilt und auch als Spinoza-Exeget kaum herangezogen wird. Vgl. auch Köhl, Die Bedeutung der Sprache in der Lyrik Rose Ausländers (wie Kap. 1, Anm. 87), S. 59). Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 33. Ebd. Ebd., S. 143.
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tierender«,530 schreibt Düttmann mit Adorno – von dessen Philosophieren es dann heißt: Jeder neue Satz kann eine für den Autor selber unerwartete Wendung enthalten, die Möglichkeit eines überraschenden Gedankens, der angezeigt, aber nicht immer ent531 wickelt wird.
Eben diese Option des Unabsehbaren, Ausdruck der Lebendigkeit, die aus dem Ungewissen gezogen ist, entfällt nach Adorno bei Spinoza: »Am Anfang der abendländischen Metaphysik steht also bereits der Satz, daß das, worauf sich alles zu stützen habe, wovon alles abzuhängen habe und woran sich die Erkenntnis zu orientieren habe, das Unmittelbare sei [...]«,532 wofür Adorno bei Spinoza die Substanz nimmt.533 Allerdings konzediert Adorno, hier wie bei anderen Metaphysikern sei der Nominalismus, die Absolutsetzung bestimmter (und in der Folge aller) Begriffe doch nicht bloß fortgesetzt, sondern ein erster Einspruch ventiliert: Die Übertreibungen der spekulativen Metaphysik sind Narben des reflektierenden 534 Verstandes.
Unvermindert – trotz der konterkarierenden Hybris – bleibt es allerdings beim »nominalistische[n] Protest«535... In der Tat führt Spinoza unübersehbar Momente in sein rigide scheinendes System ein, die, indem sie als der Definitionskunst entzogen eingeführt werden, ihr System letztlich suspendieren, dessen Starrheit dann als Ermöglichungsbedingung ihres Erscheinens zu denken ist. Von Sloterdijk stammt [...] das Zugeständnis an die mystische Tradition, daß es für den Eingedrungenen tatsächlich unvermeidlich ist, die unübersteigbare Höhlenwahrheit zu wiederholen: 536 daß hier das Eine alles sei.
Der Sprengkraft eben dieses Gedankens, der theologische Höhle und aufklärerische Lichtung gleichermaßen schrecken muß, wird Sloterdijk erst ein paar hundert Seiten später gerecht, wenn er schreibt: Es waren die klügsten Theologen, die Gott getötet haben, als sie es nicht mehr unter537 lassen konnten, ihn als den aktuell und extensiv unendlichen zu denken. 530 531 532
533 534 535 536 537
Düttmann, Darf auch ruhig einmal schief gehen (wie Kap. 1, Anm. 172), S. 12. Ebd. Adorno: Nachgelassene Schriften. Hg. vom Theodor W. Adorno Archiv. Abt. IV: Vorlesungen. Bd 14: Metaphysik. Begriff und Problem (1965). Hg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998, S. 48. Vgl. ebd., S. 47f. u. S. 245 (Anm.) Adorno, Minima Moralia (wie Kap. 1, Anm. 166), S. 166, Aph. 82. Adorno, Nachgelassene Schriften (Anm. 532), Bd 14, S. 95 (Hervorhebung M. H.). Peter Sloterdijk: Sphären. Bd I: Blasen. Mikrosphärologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998, S. 292. Ebd., Bd II, S. 131; vgl. auch ebd., S. 552.
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Dritter Teil
Unbehagen und Verehrung liegen somit insofern beieinander, »in resonante[r] Nähe«,538 als, was verdammenswert erscheint, allein Bedingung dessen sein mag, was gerade diesen bedenklichen Zug des Denkens überführt und widerlegt. Man könnte abschließend auf die Dialektik von Aufnahme und Infragestellung von theologischen Problemexpositionen seitens Adorno verweisen, der die Bewegungen so fremd nicht sind, die er andererseits an Spinozas Deduktionen und Destruktionen wahrgenommen und abgeurteilt hat.539 Ich sein zu wollen, dieser Wunsch also steht für Heimatlosigkeit, die – durch die Lebensumstände der Rose Ausländer verschärft – der menschlichen Grundbefindlichkeit beigesellt ist: ich wohne nicht 540 ich lebe ...
Auf die Frage, ob sie nicht doch Heimatgefühle für Deutschland, wo sie zu jener Zeit lebte, hege, antwortete die Dichterin ihrem Interviewer Paul Assall recht schroff, sie habe nie Sehnsucht nach der Bundesrepublik gehabt, was sozusagen biographisch zeigt, wie wenig Heimat und Ich umzusetzen (und vereinbar) sind: Durchaus nicht. Nur nach der deutschen Sprache. Und da ging ich nach Deutschland, nach Düsseldorf, weil hier einige Bekannte [...] waren. [...] Also ich sage: ich 541 wohne nicht, ich lebe hier.
Von Kierkegaards Menschen ausgehend, der zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit als mißglückte Synthesis steht und hieran verzweifelt,542 schreibt Liessmann, der Wahn hänge damit zusammen, »alle Grenzen überschreiten«543 zu wollen, sich nicht mit jener Position abzufinden, die in ihrer Zerrissenheit schon keine mehr sei. Dieser Wunsch – Anklage dessen, der sich behaglich an eben jenem Ort einzurichten gedachte544 – ist in seiner Lauterkeit einmal exekutiert »Ver-rückung, das Hängenbleiben [...] bei fixen Ideen«,545 zugleich jedoch nicht aufzugeben und in der Suche nach künstlerischer Expression, die den Autismus durchbräche, mehr denn trotzige Rebellion gegen das Ende der Kunst allein.546 538 539 540 541
542 543 544 545 546
Ebd., S. 532. Vgl. Adorno, Nachgelassene Schriften (Anm. 532), Bd 14, S. 235 (Anm.). Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 123), Bd 4, S. 212. Rose Ausländer, zit. in Assall: »Ich wohne nicht, ich lebe« – Rose Ausländer. Red. von Paul Assall. Sendung Südwestfunk Baden-Baden, 1. Januar 1978.Typoskript, S. 39; vgl. ebd., S. 1. Vgl. Konrad Paul Liessmann: Wahnsinn als Verzweiflung. Philosophische Reflexionen über die Erfahrung der Grenze. In: wespennest 110 (1998), S. 90–95, hier S. 92. Ebd., S. 95. »Das wahnsinnig gewordene Genie [...] spricht durch seine pure Anwesenheit sein Urteil über den anderen.« – ebd., S. 92. Ebd., S. 94. Vgl. ebd., S. 95: »Verzweifelt noch einmal Kunst sein zu wollen.«
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Exekution des Wunsches gerät so zum Verrat desselben, der allenfalls von außen betrachtet – in seiner Absurdität bei doch bestehenden Analogien zur behaglichen Einrichtung – Wahrheit in sich bärge: »Der Verdacht, daß die Logik der Vernunft und die des Wahns sich nur in ihren Prämissen unterscheiden«,547 ist nicht auszuräumen. Es verbleibt ein Problem, das in Liessmanns Wahl des Untertitels übersehen und angesprochen zugleich sein mag: Philosophische Reflexionen über die Erfahrung der Grenze sind ein nicht ganz von Paradoxien freies Unterfangen, wenn die Grenze als erfahrbare nicht zum adretten Rüschenrand der Theorie verharmlost werden soll. Zugleich ist darüber zu verhandeln, ob Lyrik nun in der Tat innerhalb nicht näher benannter Grenzen sozusagen zirkuliere, darüber, ob, was Liessmann entwickelt, nicht doch übersieht, daß Transzendenz beschadet, nicht getilgt ist.548 Auf diese Frage ist hier nur halbherzig zu antworten – mit Oskar Pastior, dessen Lyrik nicht zuletzt die Auflösung des Selbst auch auf organischem Terrain ist;549 er schreibt von »eine[r] / anderthalbe[n] / schlanke[n] / schere«,550 die nicht bloß ganz offenkundig sogleich die im Gedicht vormals deutlich längeren Verszeilen durchtrennt, sondern eben auch nie zur Gabelung oder Achse ihrer selbst zurückkehren kann, Überschuß oder Mangel stören ihre Symmetrie. Wo bei Pastior »Lunten, et nulla / telos«551 sind, die, wenn sich ihr Feuer »dem schwärenden Eros«552 naht, doch in die Ziellosigkeit führen, dort treiben auch die Verse Rose Ausländers in einen Bereich, der sich dem Wort verdankt und dementsprechend bei aller Präzision nie auf einen Punkt in einem semantischen System zu bringen ist. Wenn Sloterdijk behauptet, der Blick des schon erwähnten Uranometers zu den Sternen sei die Geburt des von Ausdehnung freien, den Raum negierenden Punktes, so muß auch dies nicht Schlampigkeit sein, sondern kann ebenso als hintersinnige Anspielung darauf gelesen werden, daß das Projekt Punkt scheitert, wo es der Sprache bedarf.553 Und was bedürfte nicht der Sprache? Platon, dem die Idee der Präsenz lieb war, hat die Mathematik zum Bekenntnis derer erklärt, die in seine Akademie eintreten wollten – und »die Poesie [muß] durch die Hintertreppe verschwinden«:554 Da in der Mathematik 547 548
549 550 551 552 553 554
Ebd., S. 91. Kierkegaard selbst ist hier vorsichtiger und in der Folge wohl präziser als sein essayistisch gestimmter Exeget: Seine Rede von Synthese ist überaus bedacht und vermeidet das Assoziieren der Grenze oder der Einheit – vgl. Søren Kierkegaard: Die Krankheit zum Tode. Werke 4. Hg. und übersetzt von Liselotte Richter. 3. Aufl., Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1996 (eva-Taschenbuch; 24), S. 27ff. Vgl. etwa Oskar Pastior: Das Hören des Genitivs. Gedichte. München, Wien: Hanser 1997, S. 36. Ebd., S. 32. Ebd., S. 77. Ebd., S. 76. Vgl. Sloterdijk, Philosophische Aspekte der Globalisierung (Anm. 460), S. 55. Alain Badiou: Philosophie und Poesie: am Ort des Unnennbaren. Übersetzt von Isabelle Vodoz. In: Bildstörung. Gedanken zu einer Ethik der Wahrnehmung. Hg. von
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Dritter Teil
keine Referenz besteht und Präsenz nirgends beansprucht wird, sondern die Stimmigkeit von Regeln alleiniges Kriterium dieser Disziplin ist, ist in ihr nichts, das beunruhigen könnte, woran Benjamin denn auch Anstoß nimmt: Die Theorie darf sich freilich nicht auf die Wirklichkeit beziehen, aber sie muß mit 555 der Sprache zusammenhängen. Hier liegt ein Einwand gegen Mathematik.
Von der Kunst, der Lyrik ist dagegen zu sagen: Das Poem ist ein undenkbares Denken.556
In ihm ist das Undarstellbare – sozusagen im Zentrum:557 In diesem Sinne ist die Philosophie [...] das immer lückenhaft bleibende Denken des 558 Vielen des Denkens.
This is the »point« of no return – keine Punkte bleiben, die tragfähig oder allgemeiner gesprochen stabil wären, zulässige Beschreibungen zuließen: Wie wie und was im daß verlaufen. Daß überhaupt, wenn überhaupt, der Text sich 559 liest als Daß-Organ.
Wenn man zur Negation der Instanzen als Vorkehrung gegen die Hybris verzerrter und verzerrender Zeugenschaft bei Lyotard zurückblickt, ist festzustellen, daß also die Dinge sich kompliziert zu haben scheinen.560 Die Not, Reverenz ohne Referenz nur bedingt erweisen zu können, hat das Poem als jenen Bereich, der die zu durchstreichenden Instanzen erst aktualisiert, insgesamt erfaßt. Insofern ist, was ein Problem einzelner Mitspieler schien, ins Spiel eingegangen, dessen Ernst nicht eigens betont werden muß – und die Grammatik ist nur vordergründig mit geringen Schäden561 konfrontiert, schon der minimale Sprung bedeutet unendliche Relativierung dessen, wovon Nietzsche als von einem in der Tat Absoluten schrieb: Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben ...562
555 556 557 558 559
560 561 562
Jean-Pierre Dubost. Leipzig: Reclam 1994. (Reclam-Bibliothek; 1499), S. 39–54, hier S. 42. Benjamin, Gesammelte Schriften (wie Kap. 2, Anm. 131), Bd II/2, S. 601f.; vgl. auch Adorno, Jargon der Eigentlichkeit (wie Kap. 2, Anm. 79), S. 441. Badiou, Philosophie und Poesie: am Ort des Unnennbaren (Anm. 554), S. 42. Vgl. ebd., S. 48. Ebd., S. 53. Oskar Pastior: Resümee mesuré. In: Tendenz Freisprache. Texte zu einer Poetik der achtziger Jahre. Hg. von Ulrich Janetzki und Wolfgang Rath. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992 (Edition Suhrkamp; 1675), S. 169–175, hier S. 171; Pastiors Poetik(en) bestehen vielleicht »im Kopf einiger Leser und Hörer.« (ebd., S. 169). Zum zu vertretenden Opfer – vgl. Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 25, Nr 9. Vgl. Colin, Ausländer (wie Kap. 2, Anm. 58), S. 129. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd VI, S. 78; nicht ohne Grund schreibt Hansen-Löve, Derrida verfahre »von Buchstaben zu Buchstaben anagram-
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Vergißt man dies, ist Sprachrevision darauf beschränkt, eher kokett Begriffe zu revidieren, so wird man, was zu sein Böhme in seiner Lektüre der Kritik der Urteilskraft Lyotard unterstellt: »prämoderner Theologe.«563 Eng verbunden hiermit ist die schon erwähnte Krise von Adornos negativer Dialektik, was zu literarästhetischen Strategien des Philosophen geführt hat. Was aber bedeutet es, sind die Zeichen in so grundsätzlicher Art neu zu schreiben, neu zu lesen, kurz: zu »erlernen«?564 Es bedeutet, daß zum einen zu fragen ist, wo und in welcher Form sich Rose Ausländer chiffrierter Daten bedient hat, wo also ihre Biographie Hilfe beim Lesen bedeuten kann, wobei die Unterscheidung von Kommentar und Auslegung näher zu bedenken ist; es bedeutet, daß zum anderen eine bestimmte Form der Metapherntheorie ins Zentrum des Interesses rückt, die vom Fokus des Gedichts sprechen zu können meint, aber, wenn man schon beim Bild bleiben möchte, die Linse vergißt, also die undurchdringliche Abhängigkeit des Brennpunkts Metapher von den Worten, die ihn nicht bloß umgeben. Dazu sei zunächst die Ausländer-Biographie von Cilly Helfrich konsultiert, worin zu dem Verhältnis der Dichterin mit Helios Hecht und den Spuren dieser Beziehung im Œuvre der Liebenden und später Enttäuschten zu lesen ist: Rose Ausländer hat nie ein Gedicht über [...] [die] Liebe zu Ignaz [Ausländer] geschrieben, während sie wenige Jahre später ihre Liebe zu Helios Hecht in Gedichte, in Worte fließen läßt.«565
So lautet die – durch die wohl in der Tat Bände sprechende Photographie gestützte566 – Beschreibung des wenig »euphorische[n] Liebesverhältnis[ses]«567 zum Gemahl, die als Folie einer Ankündigung herhält. Dieser Langeweile568 folgt also Helios Hecht – Ignaz Ausländer verblaßt neben ihm, so berichten die Biographen. In Seliger Abend zeigen sich Spuren dieser Liebe, so schreibt Helfrich: Das düstere Bild der Vereinigten Staaten wird aufgehellt.569 Neuer Frühling ist ein anderes Gedicht, an dem sich erraten läßt, daß es um Liebe geht, was angesichts der Naivität der frühen Verse Rose Ausländers keine allzu große Vereinfachung darstellt.570 Soll ich dir glauben, kecker Überwinder?571
563 564 565 566 567 568 569 570 571
matisch oder eher schon paragrammatisch« – Hansen-Löve, Entfaltungen der Gewebe-Metapher (Anm. 432), S. 115 (Anm.). Böhme, Kants Kritik der Urteilskraft in neuer Sicht (Anm. 13), S. 65; vgl. ebd., S. 82. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 11), Bd 6, S. 270. Helfrich, Rose Ausländer (wie Kap. 1, Anm. 55), S. 103. Vgl. ebd., S. 104. Ebd., S. 103. Vgl. ebd., S. 118. Vgl. ebd., S. 123f. Vgl. ebd., S. 124f. Rose Ausländer: Schattenwald. Gedichte. Gesamtregister. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1995 (Fischer-Taschenbücher; 11166), S. 11.
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Dritter Teil
Kann dies allein etwas anderes als die Frage einer Umworbenen und schon Überwundenen an ihren Geliebten sein, erhellen sich die Verse, wenn man weiß, daß sie eine Art von Entsprechung – die Begegnung mit Helios Hecht – haben? Dies scheint mir wenig plausibel zu sein ... Interessanter ist dagegen Liebe V, das wesentlich später, 1980 entstanden ist. Fast ein halbes Jahrhundert nach der Liebesbeziehung zu Hecht schreibt die Dichterin: Liebe V Wir werden uns wiederfinden im See du als Wasser ich als Lotosblume Du wirst mich tragen ich werde dich trinken Wir werden uns angehören vor allen Augen Sogar die Sterne werden sich wundern: hier haben sich Zwei zurückverwandelt in ihren Traum 572 der sie erwählte.
Der Kommentar von Helfrich hilft in der Tat: Nicht nur Rose Ausländer war verheiratet, als sie die Liebe ihres Lebens kennenlernte; auch ihr Geliebter war ehelich gebunden, »Lucie Hecht-Preminger [...] ist schon längst seine Frau«,573 er hat sich nicht erst nach der Trennung von Rose Ausländer mit ihr vermählt, wie vor Helfrichs Spurensuche meist angenommen wurde.574 Der Wunsch, wir mögen uns angehören vor allen Augen, ist verständlich, wenn man in Rechnung stellt, daß eine Beziehung wie diese nicht eben den gesellschaftlichen Konventionen entspricht. Es kommt hinzu, daß die Gemahlin von Hecht um ihren Mann mit besonderem Engagement gekämpft haben dürfte, was die Reise des Paars in die USA wie eine Flucht erscheinen läßt.575 Er schreitet – anders als seine Geliebte – nicht zur Scheidung.576 Es folgt nach nicht allzu lan572 573 574 575 576
Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 11), Bd 6, S. 54. Helfrich, Rose Ausländer (wie Kap. 1, Anm. 55), S. 126. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 127. Vgl. hierzu wie zu den Gesetzen, die dies (mit) verursachen ebd., S. 128; zur Asymmetrie der Beziehung ist freilich auch darauf zu verweisen, daß es schon zuvor in Ausländers Ehe kriselt; hierzu und zur ersten Begegnung mit Hecht – vgl. Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (wie Kap. 1, Anm. 28), S. 34 u. S. 38.
Peter Szondis Antwort
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ger Zeit ein Zerwürfnis mit Hecht, der eine Charakteranalyse von Rose Ausländer veröffentlicht und damit ihr Vertrauen schwerst erschüttert, die Dichterin »entsetzt«577 hat. So sehr Lebenssituation und Gedicht hier aufeinander bezogen sind, so sehr reizt es, die Verse einer gründlicheren Lektüre zu unterziehen und dabei Szondis Studie Eden Beobachtung zu schenken, wenn zuletzt die Frage zu beantworten ist, welcher Gewinn aus der (vermeintlichen) Entschlüsselung der Chiffren der Dichterin zu ziehen ist.578 In der Tat erscheinen die Verse nicht eben unzugänglich. Zwei, die einander und darum wohl auch sich verloren haben und den Weg nach vorn zum Weg zurück wandeln, sich in der Zeit zurückverwandeln, wollen einander und sich wiederfinden. Sie wollen, was treibender Wunsch eines nicht geringen Teil des Œuvres Rose Ausländers sein mag, der Zeit Trauer und Liebe entgegensetzend zu etwas kommen, das »die Furie des Verschwindens«579 beschwichtigt, um das Glück nicht von ihr zerrissen sehen zu müssen. Der Bezug vom See, worin sie untrennbare Teile des Ganzen, das auszumachen es ist, worin sie aufgehen, sind, soll auch sichern, daß sie einander zum letzten Mal suchen müssen, kein neuer Verlust Wasser und Lotosblume voneinander löst. Zwei lautlich und grammatisch als Parallelismus gestaltete Verszeilen, deren letztere Achse des Gedichts ist, fokussieren die Synthese: Du wirst mich tragen ich werde dich trinken
Man muß freilich sehen, daß das Bild ein einseitiges ist; das lyrische Ich zeigt sich als abhängig von einem Du, dem es – sanft von ihm getragen und getränkt – im Grunde nichts schenken kann. Das Wasser ist in einer seltsamen Indifferenz zum lyrischen Ich in der Tat Bild jenes Geliebten, der vielleicht nicht gleichgültig, doch noch in der geschilderten Vermählung unerreichbar wirkt. Dann folgt das Bekenntnis zur Beziehung – angehören / vor allen Augen –, wofür abgesehen von Anekdotischem zu sagen ist, daß der Blick auf die verzweifelt herbeigesehnte Einheit in den Stand der Objektivität zu rücken scheint, was auf Umwegen das Gesehene absolut setzen soll. Die Sterne werden 577
578
579
Ebd., S. 48; vgl. auch Cilly Helfrich: Nur die Liebe erlaubt mir, ein Mensch zu sein. Rose Ausländer und Helios Hecht. In: Worte stark wie der Atem der Erde. Beiträge zu Leben und Werk der jüdischen Dichterin Rose Ausländer (1901–1988). Hg. von Rainer Zimmer-Winkel. Trier: Kulturverein AphorismA 1994 (Kleine Schriftenreihe, H. 9), S. 51–83, hier S. 60 u. passim. »Celan chiffrierte, sie nicht« (Eberhard Seybold: Rose Ausländer lebte in ihrem Mutterland Wort. In: Frankfurter Neue Presse, 5. Januar 1988) – das zu behaupten ist absurd – so heißt es bei Rose Ausländer: »Auf Seite 117 / lese ich / was nicht geschrieben steht« (Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden [wie Kap. 1, Anm. 4], Bd 7, S. 65), was ohne Kenntnis des gelesenen Buches nicht ganz verstehbar sein dürfte ... Hegel, Werke in 20 Bänden (Anm. 62) Bd 3, S. 436.
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Dritter Teil
sich wundern; prominent ist die Zeugenschaft, die Rose Ausländer bemüht ... Was als Quelle von Wahrheit gesehen werden kann, es sieht, was zu sehen aufgegeben ist, und kann davon sozusagen berichten. Zu sehen ist: Hier haben sich Zwei / zurückverwandelt / in ihren Traum / der sie erwählte. Die Essenz der Verse exponiert die sonst mit Satzzeichen geizende Dichterin denn auch, indem sie einen Doppelpunkt setzt. Interessant ist dabei, daß es der Traum ist, der die Wahl hat, der zuletzt erwählt. Auf nicht unelegante Weise rückt der grammatische Modus von Freiheit ab, wo Liebe und Passion, Obsession das zusammenführen, was einer mythischen Einheit entsprungen zu sein scheint.580 Verlangen wird Geschick, doch was ausgeblendet wird, rumort im Untergrund fort: – ἀλλ ̓ οὐ ϵὺς ἄνδρϵσσι νοήµατα πάντα τϵλϵυτᾷ 581
Zeus aber gibt nicht allen Gedanken der Menschen Erfüllung.
Verlangen mag Geschick werden, seine Erfüllung ist eine im Raum der Metapher, die insofern Gegenwelt wird, in ihrer Vollendung resoniert die Nichtigkeit ihrer Wirkungsmacht mit. Nur kurz sei hier auf ein frühes Gedicht Celans verwiesen, dem mehr zu gelingen scheint, wo Liebe im Stande ihrer Unmöglichkeit Wort wird: Ein Garn fing ein Garn ein: 582 wir scheiden umschlungen.
Solcher Liebe ist die Trennung eingeschrieben – doch diskreditiert dies das verschlungene Garn nicht, das vielmehr dem Scheiden einen Beiklang von Illegitimität, Beliebigkeit und Vorläufigkeit gibt. Die »Garne der Fischer der Irrsee« »leben«,583 sie leben durch den zufälligen Umstand der beschriebenen Verschlingung, deren Einschreibung ins einst geordnete Muster des Netzes es vermag, nun im Rückblick eine Notwendigkeit im Geliebten, im Datum, so könnte man vorgreifen, zu sehen und sehen zu lassen. Abtrünnig erst bin ich treu. Ich bin du, wenn ich ich bin. [...] Ein Garn fing ein Garn ein: wir scheiden umschlungen. 580
581 582 583
Zu denken ist an Platons Mythos vom Kugelmenschen – vgl. Platon: Symposion. Griechisch und deutsch. Hg. und übersetzt von Franz Boll, bearbeitet von Wolfgang Buchwald. 8. Aufl., München, Zürich: Artemis 1989 (Sammlung Tusculum), 189d–193d, S. 98ff. Homer: Ilias. Mit Urtext, Anhang und Register. Übersetzt von Hans Rupé. 9. Aufl., München, Zürich: Artemis 1989 (Sammlung Tusculum), XVIII. Gesang, V. 328. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 33. Ebd.
Peter Szondis Antwort
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Im Quell deiner Augen erwürgt ein Gehenkter den Strang.584
Zweierlei ist zum schicksalhaften Zug im Gedicht Rose Ausländers zum Du zu sagen. Zum einen ist, wie angedeutet wurde, an Liebende zu denken, die ohne einander weniger als jene Hälften zu sein scheinen, die im Ganzen Eines werden: »του̑ ὅλου οὖν τῇ̑ ϵπιϑυµίᾳ καὶ διώξϵι ἔρως ὄνοµα«,585 so lautet die klassische Umschreibung. Immerhin ist bekannt, daß die Dichterin Platon schätzte.586 Im Anschluß an Constantin Brunner, einen anderen Denker, der einen tiefen Eindruck auf sie machte, heute aber weitgehend unbekannt ist,587 schreibt sie: Er zeigt mir: [...] [Diese Zeit im Ghetto] ist ein Traum, ein langer schwarzer – aber 588 es kommt das Erwachen deiner Selbst, zur Helligkeit, zur Zeitlosigkeit!
Diese Zeitlosigkeit ließe sich nun nicht nur im Gefilde literarischer Tradition suchen, sondern auch im Leben der Rose Ausländer, was freilich als Blick auf die Vita Untreue gegen die Auslegung sein mag. Es ist kaum wahrscheinlich, daß das zwiespältige Verhältnis zur Mutter erahnt werden soll, wo es heißt: ich werde dich trinken, was ebensogut Rede vom Stillen des Durstes sein mag ...589 Immerhin heißt es – wenngleich an anderem Orte – im Œuvre der Lyrikerin: »Die Mutter strömt mir ins Gefühl«,590 was vager Anhaltspunkt sein kann ... Die Frage, was zu wissen sei, muß in der Folge den beschäftigen, der getreuliche Annäherung ans Wort dieser Dichtung sucht. Dabei ist auf Szondis dritten Essay zu verweisen; Eden ist eine »Anti-lecture [...], mais pour cause.«591 Er widmet sich dem Gedicht Du liegst und ist zweifach bemerkenswert – einerseits, weil hier der Vorgang der Dichtung im Material beobachtbar scheint, da im Gedicht Integriertes sichtbar wird; andererseits, weil eine Frage darin formuliert ist, die vielfach übersehen und später ausgerechnet diesem Text vorwurfsvoll entgegengehalten wurde:
584 585 586 587 588
589 590 591
Ebd. Platon, Symposion (Anm. 580), 192e, S. 58. Was nicht undelikat ist: der Feind aller Kunst als Patron ihrer Lyrik? – vgl. zur Sicht der Dichterin Ausländer, Phaidros (Anm. 349), S. 37ff. Von Präsenz zu sprechen ist insofern Übertreibung – vgl. Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (wie Kap. 1, Anm. 28), S. 21. Ausländer, Zum 28. August 1943 (Anm. 526), S. 63 (Hervorhebung M. H.); vgl. zu Brunners Einfluß auch Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (wie Kap. 1, Anm. 28), S. 21ff. Zur Rolle der Eltern vgl. Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (wie Kap. 1, Anm. 28), S. 10ff., S. 26ff. u. passim, vor allem S. 28. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 78), Bd 1, S. 27. Peter Szondi, zit. in: Bollack, Vorwort (Anm. 32), S. 9 bzw. Szondi, Briefe (Anm. 28), S. 336.
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Dritter Teil
Zu fragen wäre, ob der Fremdbestimmung, den realen Bezügen, nicht eine Selbstbestimmung die Waage hält: die Interdependenz der einzelnen Momente im Gedicht, 592 die auch jene realen Bezüge nicht unverwandelt läßt.
So lohnend nun die Lektüre der Angaben ist, sie sei hier – obschon vorausgesetzt – übersprungen; statt dessen beginne ich mit Szondis Gedankengang erst, wo »eine nicht auf subjektive Zufälligkeiten reduzierte Wirklichkeit«593 zu sehen versucht wird. Dies setzt ein mit der Bemerkung, daß Eden von höchster »Doppeldeutigkeit«594 sei, und dies nicht zufällig. »Die Einheit von Paradies und Vorhölle«595 ist hierin aufgenommen: Das Paradies, ein nach ihm benanntes Hotel, wo Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ihre letzten Stunden verbrachten, ein Luxusappartmenthouse gleichen Namens am Platz »jenes zur Vorhölle gewordenen Hotels«,596 sie sind mehr oder minder Zufall, doch, indem sie in jener Weise im Geflecht des Gedichts angesprochen und in Relation zueinander gesetzt sind, zu Notwendigkeit gewandelt. Das Zusammenfallen dreier Benennungen in seinem schwerlich zu überbietenden Zynismus zeugt nun sicherlich von den grotesken, absurden »Gegensätz[e] dieser Welt«597 – doch ist gerade dies wahrnehmbar, wenn man ahnungslos ist? Die Frage der Bestimmung des Textes durch seine Daten ist eine andere als die des Diktats der Lektüre durch ihre Kenntnis. Es ist Celans Intention, »die Motive des Mordes und des Weihnachtsfestes zum Ärgernis [zu] verknüpfen«,598 wobei Szondis Wortwahl die Heftigkeit der Verse Celans gelinde gesagt dämpft: geh zu den Fleischerhaken, zu den roten Äppelstaken 599 aus Schweden.
Es ist ein wortwörtlich mörderischer Kontrast, in den die roten Äppelstaken geraten – sie sind höchst geschickt den Fleischerhaken angenähert, welche, wie Felstiner erklärt, »zur Hinrichtung der gescheiterten Hitler-Attentäter von 1944« »dienten«.600 Abseits äußerlicher Ähnlichkeit, welche zufällig sich ergäbe, bilden die Wörter notwendig den auf Verwandtschaft weisenden Reim, dem die 592
593 594 595 596 597 598 599 600
Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 395; vgl. Szondi, Briefe (Anm. 28), S. 24: »Die Interpretation sollte ja nicht ein wissenschaftliches Befragen des Gedichtes sein, ob es stimmt oder nicht.« Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 396. Ebd. Ebd., S. 397. Ebd. Ebd. Ebd. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 334. Felstiner, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 190), S. 322; vgl. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 395.
Peter Szondis Antwort
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Attributionen des Rot der Äpfel wie des Blutes und des Staken, das »von ›stechen‹ abgeleitet ist und auch ›Pfahl‹, ›Pranger‹ bedeuten kann«,601 entsprechen. Aber auch dies ist nur wahrzunehmen, wenn man über Kenntnisse – nun der Historie – verfügt. Szondis Dezenz versucht den heiklen Grenzgang, nun Material nicht auszublenden, aber auch zu unterlassen, was als implizit schon widerlegter Vorwurf an ihn – er habe hier Kommentar und Interpretation vermischt – besteht; namentlich Zons schreibt: Bemächtigt sich [...] allzu guter Wille paradoxal eines Textes, statt ihn seinen Lesern zu lassen? Ist es eine Scham, die mich zögern läßt, diese Frage zu bejahen? Vermut602 lich ist sie es.
Die Scham scheint unangebracht, simples Nachlesen hätte es auch getan, da Szondi mehrfach betont, hier nicht die Dichtung »auf die Daten und Fakten zurück[zu]führen [zu wollen], aus denen die vierzehn Verse zusammenschossen«,603 um dann das Gedicht als in seinem Potential erschöpft beiseite zu legen, wie Zons’ Formulierung nahelegt, das Gedicht durch sie quasi zu ersetzen:604 Dieser biographische Bericht [...] soll keine Interpretation [...] begründen. Zu fragen 605 ist vielmehr, ob er einer solchen überhaupt zu Grunde gelegt werden könnte. Jede materielle Realität [...] ist poetologisch gesehen in ihrem kruden Zustand untauglich, weil sie das Gedicht in seinem Wort blockiert.606
Zuletzt bewahrheitet sich, daß das Gedicht autonom bleibt und gerade jene Daten zugänglich macht, die man in ihm verborgen wähnt. Nichts
607
stockt.
Szondi vermerkt hierzu auf einem Zettel: Darüber, daß nichts stockt, stockt das Gedicht. 608 Daß nichts stockt, macht das Gedicht stocken. 601 602
603 604 605
606 607 608
Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 398. Raimar Zons: Nichts stockt. Atemwenden bei Paul Celan. In: »Der glühende Leertext«. Annäherungen an Paul Celans Dichtung. Hg. von Christoph Jamme und Otto Pöggeler. München: Fink 1993, S. 143–162, hier S. 155. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 392. Vgl. die pointierte Darstellung bei Doderer, Die Merowinger oder Die totale Familie (wie Kap. 2, Anm. 189), S. 123. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 395; vgl. Colin, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 96), S. 132; ein anderer schöner Fall ist das scheinbar lächerliche Detail, das Benjamin Anstoß zum Ursprung des deutschen Trauerspiels gewesen sein soll – vgl. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 290. Meinecke, Wort und Name bei Paul Celan (wie Kap. 2, Anm. 177), S. 28. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 334. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 429.
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Dritter Teil
Diese Dialektik beschließt, was Lucile bei Büchner wünscht: Es regt sich alles, die Uhren gehen [...] – nein, [...] ich will mich auf den Boden set609 zen und schreien, daß erschrocken alles stehn bleibt, alles stockt ...
Szondi hat die kürzestmögliche Conclusio des Funktionierens des Gedichts geboten, einen im Grunde unüberbietbar brillanten Schlußsatz. Was hier dem Fluß Einhalt gebietet, das ist zugleich, was Sprechen fordert, da die Stille nicht zu ertragen ist, Sprechen verbietet, da die Unerträglichkeit des Schweigens wahrgenommen sein will: Dès qu’on n’en parle pas, le silence retentit, angoisant.610
Diese Stille bricht ein in die Kontinuität, nicht Sprache, sondern Hauch widersetzt sich: La résistance du souffle est celle de la fragilité même.611
Und so ist auch zu sagen, daß der Text Celans und seine Zäsur nicht begrifflich fixiert (oder durch die Autorität eines Sprechenden vordergründig gebannt) sind, es bleibt dem »philologischen Wissen [...] ein dynamisches Moment eigen, [...] weil es nur in der fortwährenden Konfrontation mit dem Text bestehen kann«:612 Das philologische Wissen darf also gerade um seines Gegenstands willen nicht zum 613 Wissen gerinnen.
Das Gedicht bleibt sprechend / hauchend, ist nicht Gesprochenes.614 Jede Interpretation scheint einzusetzen, sieht man vom Problem des Vorverständnisses einmal ab;615 keine kann letztlich enden.616 Das Gedicht – »selbst allein gelassen und ohne Zeugen« – »wird aus einer gewissen Notwendigkeit heraus [...] zu sprechen anfangen«617 und »ohne Lotsen auskommen«618 müssen.619 609 610
611 612 613 614 615 616
617 618
Georg Büchner: Dantons Tod. Ein Drama. Stuttgart: Reclam 1991 (Universal-Bibliothek; 6060), S. 76, 4. Akt, 8. Szene (Hervorhebung M. H.). Jean-Luc Nancy: Un Souffle / Ein Hauch. Übersetzt von Bernd Stiegler. In: Shoa. Formen der Erinnerung. Geschichte, Philosophie, Literatur, Kunst. Hg. von Nicolas Berg, Jess Jochimson und Bernd Stiegler. München: Fink 1996, S. 122–129, hier S. 124. Ebd., S. 128. Szondi, Schriften (wie Kap. 1, Anm. 106), Bd 1, S. 265. Ebd., S. 266. Vgl. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 196. Vgl. Shusterman, Vor der Interpretation (Anm. 44), S. 54f. Vgl. Hans-Jost Frey: Palinurus. Die Unerfahrbarkeit des Endes. In: Texte und Lektüren. Perspektiven in der Literaturwissenschaft. Hg. von Aleida Assmann. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1996 (Fischer-Taschenbücher; 12375 – Philosophie der Gegenwart), S. 67–75, hier S. 68 und passim. Derrida, Schibboleth (Anm. 182), S. 39. Ebd.
Peter Szondis Antwort
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Hier nur angerissen sei eine Frage, die in der Literatur zu Celans Poems wie Szondis Auslegung meines Wissens ungestellt blieb: Du liegst entstand »in der Nacht vom 22. auf den 23. Dezember 1967«;620 Szondi berichtet, eine Woche zuvor sei Celan in Berlin eingetroffen621 und habe sich ein Buch Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht betitelt von ihm geborgt.622 Eden als »Brennpunkt«623 von Geschichte und Gedicht wird ihm hier bewußt,624 wobei die Rückführbarkeit dessen, was in Celans Wort Eden kulminiert, macht, daß eben dieses Wort Metapher und nicht Metonymie ist.625 Rätselhaft aber bleibt dann doch die im Gedichtband Niemandsrose von 1963 zu findende Fügung »Eis, Eden«,626 der ein schon seiner Endreime wegen auffallendes Ineinander von Kälte – »Verloren / [...] erfroren«627 – und Auferstehung628 folgt ... Die Frage, wie präzise sich dem Unwissenden aktualisiert, was das Gedicht gerade als seine Daten zugänglich macht, bleibt jedenfalls bestehen. Sie ist, es ist angedeutet worden, mit der Wahrnehmbarkeit dessen verbunden, was sich erst im Gedicht als geschehen lesen läßt, was zuvor stumm oder sinnlos vorlag. Man kann hier zur Frage der Änderung von Topographie und Ordnung dringen, welche die gar nicht so stabilen Daten und so auch Neues gebiert.629 Groys, der die Frage Kunst ohne Geschichte? trocken mit Der Tod steht ihr gut beantwortet hat, schreibt zur Frage, was es heiße, wenn etwas neu ist, es sei dies nur »in bezug auf die kulturellen Archive«,630 wo es nicht erstmals, sondern an neuem Orte zu finden sein wird; es ist damit freilich insofern neu, als sein Platz mit der Frage verbunden ist, welcherart seine Bedeutung oder Essenz – im Moment – sei. Das Netz bedingt die Position des Knotens, der es mit anderen bildet. Insofern spricht Groys vom bloß strategischen Unterschied zwischen Authentizität und Nicht-Authentizität, wobei Authentizität als Ort der Wahr-
619
620 621 622 623 624 625 626 627 628 629 630
Zu Vorstufen des Gedichts – vgl. Andreas Lohr: Kleine Einführung in die Bonner Celan-Ausgabe. »Ich höre, die Axt hat geblüht«, »Du liegst«. In: Lesarten. Beiträge zum Werk Paul Celans. Hg. von Axel Gellhaus und Andreas Lohr. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 1996, S. 11–47, hier S. 45ff. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 390. Vgl. ebd., S. 392; es ist sein erster und einziger Aufenthalt in der Stadt – vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 393. Ebd., S. 396. Vgl. ebd., S. 397. »nicht metonymisch, sondern metaphorisch« – ebd., S. 398. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 224. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. Boris Groys: – Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie. München, Wien: Hanser 1992 (Edition Akzente), S. 44. Ebd.; vgl. Boris Groys: Strategien der künstlerischen Askese. In: Im Rausch der Sinne. Kunst zwischen Animation und Askese. Hg. von Konrad Paul Liessmann. Wien: Zsolnay 1999 (Philosophicum Lech; 2), S. 145–170, hier S. 148.
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heit im Grunde »sekundär erscheint«,631 geradezu pervertiertes Moment jenes Spiels ist, in welchem Datum und Erzählung oder Gedicht einander finden.632 Eden als Para-Paradies633 ist nun zweifelsohne ein heikleres Terrain als die Verse der Rose Ausländer, in denen all diese Spannung von Protokolliertem und daraus gebildeter Metaphysik der Sinnlosigkeit, so derlei kein immanenter Widerspruch ist, ausbleibt... Nichtsdestotrotz gilt die Frage Gadamers: Wieviel also muß man wissen?634
Es gibt zweifelsohne Gedichte, die zu verstehen es keiner Erläuterungen in bezug auf das Leben der Dichterin jenseits der Umstände ihrer Vita, die als Allgemeinbildung vorausgesetzt werden können, bedarf. Wo Kommentare Sinn machen, ist zu fragen, ob jener Sinn, den sie machen, nicht verführt, jene Richtung zu übersehen, die von den Versen gegeben nicht anders wahrzunehmen ist. Mein Kind Ich habe mein Kind begraben das ich nicht gebar Es war 635 vollkommen
schreibt Rose Ausländer. Aus der Biographie läßt sich sagen, daß die Dichterin gerne ein Kind geboren hätte; Helios Hecht aber kann nicht ihrem Wunsch folgend sein Vater sein.636 Ist damit eine Auslegung geleistet – oder ihre Aberration begründet? Ist so bruchlos anzuschließen, wo das Wort und viele Jahre trennend liegen?637 Verschüttet wird zunächst das Paradoxe des Gedichts, zu begraben, was auf der Erde niemals wandelte. Dabei sind lautlich begraben und gebar zueinander gestellt, einander zugesellt. Die Schlichtheit jener Verse, die ein Ende ohne 631 632 633
634
635 636 637
Groys, Über das Neue (Anm. 629), S. 172 (Anm.). Vgl. ebd., S. 173 (Anm.). Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 429: »der zweideutige, bittere Wortkern des Gedichts, [...] eingebettet in die Reimsequenz Schweden-Eden-jeden. Eingebettet um so mehr, als die beiden anderen Wörter das Wort Eden selber enthalten.« Hans-Georg Gadamer: Wer bin Ich und wer bist Du? Ein Kommentar zu Paul Celans Gedichtfolge »Atemkristall«. 3. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995 (Bibliothek Suhrkamp; 352), S. 126; vgl. ebd. zum »biographische[n] Spezialwissen Szondis« (ebd.) und einem »fiktive[n] Nullpunkt der Uninformiertheit«. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 200), Bd 5, S. 245. Helfrich, Rose Ausländer (wie Kap. 1, Anm. 55), S. 130f., vor allem S. 131. Vgl. ebd. u. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 200), Bd 5, S. 335.
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den Kreislauf des Lebens konstruieren, verbindet jedoch auch die beiden Wörter, die alleine stehen – begraben und vollkommen. Der Umstand der vorenthaltenen Geburt, der im Zentrum der Verse plaziert ist, steht den beiden Wörtern gegenüber, die wie ein steinerner Epitaph und seine Inschrift kein Wort neben sich dulden. Aber auch die Bedingung für Vollkommenheit schwingt im Poem mit – der Irrealismus sozusagen. Das Ausbleiben der Geburt erst ermöglicht es, beim Begräbnis nur dies eine Wort zu gebrauchen, womit das Gedicht endigt. Soll man Inkomparables nebeneinanderstellend hier auf Jandls Gedicht verweisen, worin die Welt zur Schönheit entstellt und das Ekelhafte als dem Ästhetischen verwandt vorgestellt wird? »schneid ab der amsel beide bein / amsel darf immer fliegend sein / [...] das müßt ein wahrer vogel sein / dem niemals fiel das landen ein«638 ... Die Wendung, die Amsel dürfe nun – mittels »schere zart und fein«639 zur Schönheit befreit – immer fliegen, ist ja von besonders erlesener Malice, zu der freilich Rose Ausländer nicht das Talent (und hier: einen Anlaß) hat. Die seltsame Ambivalenz des späten Gedichts der Lyrikerin bleibt, so kann man abschließend sagen, ja auch aus, wenn sie – zu jener Zeit, da sie zu verschmerzen hat, was später Wort ward – schreibt: »So blieb mein Kind in allen Farbenspielen / des Traumes.«640 Dieses Schreiben ist so nah an der Stimme der empörten und verletzten Dichterin, daß die Schrift sich – anders als im zuerst zitierten Gedicht von 1979 – der Stimme gegenüber kaum zu etablieren vermag.641 Wer von Chiffren und Wiederaufgenommenem spricht, der kann sich freilich nicht damit begnügen, Lebensdaten mehr oder minder gebrochen mit Dichtung in Verbindung zu setzen – desgleichen ist eine Poetik des Zitats zu entwickeln, das ja ebenfalls als Fremdkörper im Gedicht zu ruhen scheint. Was genau ein Zitat sei, ist freilich nicht ausgemacht. Enthalten ist die Anspielung auf Gelesenes, dessen Sinn als im Gedicht verschoben anzunehmen ist – »ich »lese [...] / was nicht geschrieben steht«.642 Enthalten ist die Formulierung, die man wiederfinden wird, wobei ihr Sinn stets auf das Ensemble der anderen Worte bezogen ist; zu beachten ist dabei das Wort der Literatur wie das Sprichwort:
638 639 640 641
642
Jandl, lechts und rinks (Anm. 225), S. 132. Ebd. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 78), Bd 1, S. 302. Zu einem ähnlichen Effekt von authentischem Telephon versus Brief vgl. etwa Manfred Schneider: Liebe und Betrug. Die Sprachen des Verlangens. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1994 (dtv; 4638 – dtv wissenschaft), S. 263ff., vor allem S. 265; eine weitere Einschreibung von H. Hecht wird herausgearbeitet bei Gabriele Köhl: Der Schaffensprozeß Rose Ausländers. In: »Mutterland Wort«. Rose Ausländer. 1901–1988. 2. Aufl., Köln: Rose Ausländer-Stiftung 1999 (Schriftenreihe der Rose Ausländer-Stiftung; 7), S. 185–209, hier S. 189. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 4), Bd 7, S. 65.
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Dritter Teil
Ratlos gehen wir weiter 643 in Redensarten.
Zu berücksichtigen ist, was später noch verfolgt werden soll, die Spur der Mehrsprachigkeit jenes Orts, an dem die Dichterin aufwuchs, eine Mehrsprachigkeit, auf die sie selbst nicht selten verwies, die aber auch in ihrer Tätigkeit als Übersetzerin Bestätigung findet: Warum schreibe ich? Vielleicht weil ich in Czernowitz zur Welt kam, weil die Welt in Czernowitz zu mir kam. [...] Das viersprachige Czernowitz war eine musische 644 Stadt. Hier begegneten und durchdrangen sich vier Sprachen und Kulturen.645
Die Funktion der schlichten Suspension des Gesagten646 ist ebenso in die Überlegungen einzuschließen wie der Versuch, sich in bezug auf Worte anderer präzise abzusetzen oder weitere Dimensionen des Spiels zu erschließen. Hinzutreten mag zur bekannten Ironie des Zitats jene, die auch dem Dichter selbst entging, was zu Derrida führte, dessen Texte diese unschuldigen Brechungen zeigen, sich aus ihr speisen. Erst dieses Zitat gleicht jener Zikade, die als nicht genau zu lokalisierendes Surren dem Text Leben gibt, ihn aber auch der Sicherheit der Auslegung entzieht.647 Grillenlied, aus Uhren tickend, 648 Flüstern einer Fieberglut ...
Hier springt die bloße Strategie im Umgang etwa mit Fußnoten, Appendices und anderen Supplementen um ins Schreiben eines einzigen Buches, das jedoch »kein Buch mehr ist«,649 wie Kofman bemerkt und Derrida, wäre das möglich, geradezu seinem Werk voranstellte: Dies hier (also) wird kein Buch gewesen sein.650 643 644 645 646 647
648
649 650
Ebd. (wie Kap. 1, Anm. 11), Bd 6, S. 185. Ebd. (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 285 (Hervorhebung M. H.). Ebd., S. 289. Vgl. Voswinckel, Paul Celan (wie Kap. 2, Anm. 157), S. 64f. Man ist versucht, entgegen der Gepflogenheit den Nachweis, welcher Große in der literarischen Tradition der Moderne das Bild der Zikade prägte, zu unterschlagen: »Das Zitat ist kein Exzerpt. Das Zitat ist eine Zikade. Daß sie verstummen, ist Eigenart beider.« – Ossip Mandelstam: Das zweite Leben. Späte Gedichte und Notizen. Übersetzt von Felix Philipp Ingold. München, Wien: Hanser 1991 (Edition Akzente), S. 69 (dort teils kursiv). Ossip Mandelstam, übersetzt von Paul Celan: Gesammelte Werke in fünf Bänden. Hg. von Beda Allemann, Stefan Reichert und Rolf Bücher. Bd 5: Übertragungen II. Zweisprachig. 2. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992, S. 99. Kofman, Derrida lesen (Anm. 439), S. 28; vgl. ebd., S. 97 u. 102. Derrida, Dissemination (Anm. 87), S. 11.
Peter Szondis Antwort
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Allenfalls mit Jabès ließe es sich so nennen, dem Schreiben bedeutet, sich noch immer über oder an dem Buch zu befinden, das, wird es geschrieben, sich auch jener Frage stellt: Welches Wort könnte dem Buch entwischen? [...] 651 Ein einziges: dasjenige, das sich selbst entwischt ...
Es ist dies, was denn auch bei Derrida (mit) im Gange ist. Man ist am Punkt, der in Erinnerung ruft, als Negation des Raums keinem Terrain zuzugehören, auf dessen Grenzlinie er läge. Derrida wird etwas, das sich wie ein »unmittelbar geteilt[er]«652 Punkt gestaltet, dementsprechend sehen, etwas, das einem Gottesbegriff nahestehen könnte,653 Szondi erinnert nicht unähnlich daran, daß, was zufällig scheint, als Datum der Schrift Gewicht hat und Gewicht verleiht – als »Inzitament«654 ... Die »Potenz [...] der Besonderheit«655 führt zu der nüchternen Feststellung, [...] daß das Nichtbedingte, d. h. das Absolute, sich in der Erscheinung als Zufälligkeit darstellt, [...] [was], wenn in einer Interpretation von Zufall die Rede ist, berück656 sichtigt werden sollte.
Szondi kennt also den Punkt, auf dem alles ruht, wie Derrida als – in seiner Position, nicht etwa in einer ihm fremden Kategorie der Ausdehnung – »elastischen Punkt«.657 Ein ihm gemäßes Wort aber, das in einem sehr präzisen Sinne anspricht, was seine lexikalische Bedeutung nicht ist, ein Wort, das sich von der wie auch immer überlieferten Bedeutung löst, auf die es nur im Untergrund noch anspielt, ein solches Wort leitet den Leser ins reiche Feld der Metapherntheorie. Vorweggenommen sei für diesen Brückenschlag ein Blick auf Wellberys Essay übers Gedicht: zwischen Literatursemiotik und Systemtheorie, worin zuallererst nach einem reichlich generös gehaltenen Blick auf den Bestand gegenwärtiger Literaturwissenschaft zum Zeichen als Referenz geschritten wird, das freilich, wo es funktioniert, »niemals [...] eine Aussage über das Jenseits«658 seines Systems zu geben vermag.659 651
652 653 654
655 656 657 658
Jabès, Die Schrift der Wüste (Anm. 290), S. 130; vgl. ebd., S. 132 u. passim; diese Unklarheit wird mit dem unmöglichen, doch auch nicht völlig vermeidbaren absoluten Gedicht schärfer konturiert werden ... Derrida, Interview mit Florian Rötzer (22.2.1986) (Anm. 94), S. 72. Vgl. Jabès, Die Schrift der Wüste (Anm. 290), S. 23, 28, 92 u. passim. Peter Szondi: Studienausgabe der Vorlesungen. Hg. von Jean Bollack u. a., Bd 3: Poetik und Geschichtsphilosophie II. Von der normativen zur spekulativen Gattungspoetik. Schellings Gattungspoetik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1974 (SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft; 72), S. 248. Ebd., S. 271. Ebd., S. 280. Ebd., S. 248; vgl. auch ebd., S. 29. David E. Wellbery: Das Gedicht: zwischen Literatursemiotik und Systemtheorie. In: Systemtheorie der Literatur. Hg. von Jürgen Fohrmann und Harro Müller. München: Fink 1996 (UTB für Wissenschaft: Uni-Taschenbücher; 1929), S. 366–383, hier S. 369.
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Dritter Teil
Wo aber eine Autoreferentialität660 es ermöglicht, anscheinend arbiträre »Verhältnisse[s] der Isomorphie«661 ins Spiel zu bringen, eröffnet sich das Feld des Poetischen. Poesie also ist Zitat, so schreibt Wellbery – ein Zitat, das nicht mehr in der Funktion (etwa der Demonstration von Belesenheit) aufgeht, ein Zitat, das an Dysfunktion erinnert, zu einem gewissen Teil auch Dysfunktion ist ... Man wird einwenden, Zitate kommen überall vor, ohne daß man es deswegen mit Gedichten zu tun habe. [...] Im Gedicht jedoch saturiert der Zitatcharakter die ganze 662 Äußerung.
Hinzuzufügen ist, daß dieser Umstand Gegenteil dessen bleibt, was im Wort saturiert mitschwingen mag. Ist auch »das Gedicht sein eigenes Echo«,663 ist es zugleich doch auch ein Memento dessen, was sich einer Bezeichnung entzieht, in der Zikade der Sprache abseits allfälliger Topographie surrt und zwingt, das Sein als Zitat erst ernst-, wenngleich nicht wahrzunehmen.664 Das Zitat will sein, was seinem Wesen nicht gemäß ist: Der Treue ist man es schuldig zu zitieren – [...] und der Treue ist man es nicht 665 schuldig, [...] sich allein mit dem Zitieren zu begnügen.
Metapherntheorie und Gedichtstruktur Der metaphorischen Verknüpfung haftet der Ruch des Ungenügens an, so ist zuallererst festzuhalten, wo die Begriffe herrschen sollen;666 das zunächst Diffuse an ihr, das freilich nicht auf Unschärfe hinauslaufen muß, irritiert eine bestimmte Form des Sprechens, worin das Ja vom Nein geschieden sein soll. Wenn die Interpretation jenen Texten angehören soll, worin der Begriff herrscht, wenn eine Interpretation nicht wiederum ihrer Exegese bedürfen soll, so ist freilich kaum zu beantworten, wie sie bei einer Sprache vorgehen soll, deren Pointe sie in einen Sinn bannend zu Grabe trüge ... Sprich – 667 Doch scheide das Nein nicht vom Ja. 659 660 661 662 663 664 665 666
667
Vgl. ebd., S. 366ff. Vgl. ebd., S. 380. Ebd., S. 374. Ebd., S. 383. Ebd. Vgl. auch Julian Wolfreys: Deconstruction – Derrida. Houndmills u. a.: MacMillan Press, St. Martin’s Press 1998 (Transitions, S. 56). Derrida, Mémoires (wie Kap. 2, Anm. 256), S. 72. Vgl. Max Black: Die Metapher. Übersetzt von Margit Smuda. In: Theorie der Metapher. Hg. von Anselm Haverkamp. 2. Aufl., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1996, S. 55–79, S.55 Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 135.
Peter Szondis Antwort
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Die Metapher als Ärgernis verleitet nun dazu, neben ihrer Devianz auch Wortgebrauch zu sehen, der regelgerecht und konventionell ist, dies zum einen beim Wort selbst, dessen eigentliche Bedeutung es geben soll, zum anderen bei den Worten, die die Metapher umschließen. Man kann von Fokus und Rahmen sprechen, wenn sodann das Wort, das in seinem Umfeld neuer Deutung bedarf, erklärt werden soll.668 Sogleich erscheint alles ruhig, substituiert man das metaphorisch gebrauchte Wort durch jenes, das hier – im Sinne des Rahmens eigentlich stehen hätte sollen: Die Metapher stopft die Lücken im Vokabular der wörtlichen Bedeutungen (oder 669 deckt wenigstens den Bedarf an geeigneten Abkürzungen).
Metaphern schwinden somit – entweder durch Substitution, oder aber, indem sie als Metaphern nicht mehr gesehen werden. Die »Metapher schafft Ähnlichkeit«,670 aufgrund derer sie verlischt. Gewonnen ist so nichts, fast schon im Vergessen verloren hingegen, was hinsichtlich des Eigentlichen nahegelegt ist – seine Nähe zur Metapher, seine schon erwähnte Bestimmung als Metapher, die ihr Leben ausgehaucht hat ... Was scheidet die Flüssigkeit der Metapher von der Starrheit des Eigentlichen?671 Ist es, was Ricœurs Rede, die Metapher blitze als »ein Funke«672 auf, nahelegt, eine Sache der Wärme, so daß die Achtsamkeit aufs Bedeuten in der Sprache mit der Präzision den Grad des Metaphorischen steigere? Wäre jene Sprache metaphorisch, die aus Umsicht auf das Eigentliche nicht bauen kann; müßte man festhalten, daß somit gerade dort die Worte in Bewegung geraten, wo sie nicht hohl an Sprachregeln entlang klappern? Dies wäre nicht nur selbst metaphorisch, was Bedenken erregt, es wäre auch nicht zureichend genau. Und es deutete vielleicht auch ein ungebrochenes Verhältnis zum Metaphysischen an ...673 Mich interessiert, ob nicht die Metapher auch am Rahmen etwas ändere. Es springt ein Funke über, weil ein Wort in ungewöhnlicher Weise zugleich deplaziert erscheint, aber auch einen Sinn nahelegt; bedeutet dann die Metapher, was sie in wenigstens einer Bedeutung auch sonst bedeutet, während der Rahmen vom Spiel nicht einbezogen ist? In der Tat ändert sich der Rahmen, da, was die Worte bedeuten – besonders, aber nicht ausschließlich im Feld der Lyrik – sich dadurch erklärt, in welcher Relation sie sich zu ihrem Umfeld befinden. Ich erinnere an Szondis Mahnung, nicht von einem Absoluten der Bedeutung auszugehen, das in der Folge nicht den Text zu erschließen, sondern allein sich selbst zu inthronisieren helfen könnte. 668 669 670 671 672 673
Vgl. Black, Die Metapher (Anm. 666), S. 58. Ebd., S. 63; sie ist insofern der Katachrese untergeordnet oder wenigstens verwandt, die »neuen Sinn in alte Wörter« »bringt« (ebd.). Ebd., S. 68. Vgl. Philip Wheelwright: Semantik und Ontologie. In: Theorie der Metapher (Anm. 666), S. 106–119, hier S. 110. Paul Ricœur, Die lebendige Metapher (wie Kap. 2, Anm. 250), S. VI. Zu Blitz und Gewitter – vgl. Szondi, Schriften (wie Kap. 1, Anm. 106), Bd 1, S. 294.
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Dritter Teil
Nelson Goodman schreibt in Sprachen der Kunst: In der Tat könnte man eine Metapher [...] als eine glückliche und belebende, wenn 674 auch bigamistische zweite Ehe »ansehen«.
Dies ist, so salopp gesagt es zu sein scheint, sehr präzise, da nun auch klarer wird, daß beim Eroberungsfeldzug namens Metapher ein »Organisationsapparat [...] ein neues Territorium« »übernimmt«,675 der hierin durch nichts als seine Stimmigkeit legitimiert ist, der außerdem in einem ähnlichen Prozeß gebildet ist, der schließlich ersetzbar sein mag, doch die Kriterien der Substitution selbst zu einer weiteren Leistung der Metapher macht – der Metapher selbst ist der Maßstab nicht eingeschrieben, nach dem all das, was sie bereits getan hat, es scheinbar zurücknehmend (ordnungsstiftend) fixiert werden mag. Das Motiv der Untreue der Metapher gegen ihre Eroberung sowie ihre Wurzel ist in Goodmans Worten offensichtlich. Und der Hinweis, nicht ihre Wahrheit allein entscheide über ihre Wirksamkeit, ist insofern fast ironisch zu lesen – die Wirksamkeit entscheidet umgekehrt wohl in bezug auf die mögliche Akzeptanz für einen Ausdruck.676 Es geht nicht um eine Neuetikettierung, die nur alten Mustern entspricht – dies ergibt »moribunde Metaphern«.677 Eine Metapher ist dann am durchschlagendsten, wenn das transferierte Schema eine 678 neue und bemerkenswerte Organisation [...] bewirkt.
Das heißt, daß die Metapher das ändert, was eben noch um sie buchstäblich zu gelten schien. Wenn nun Ricœur die Metapher als einen »Hiatus in der Bedeutung der Worte«679 bezeichnet, so ist dies in der Tat irreführend, da Umweg und Selbstrekurrenz der Metapher im Hintergrund stehen.680 Diese Ungenauigkeit findet sich, wenn von kontextueller Bedeutungsveränderung die Rede ist, die zu wiederholen ist, woraus Ricœur ableitet:681 »Nur echte Metaphern sind gleichzeitig ›Ereignis‹ und ›Bedeutung‹.682 In einem Kontext kann streng genommen nur einmal erscheinen, was in der Wiederholung eben wiederholt oder zitiert wird; der Sprung aus dem Kontext dagegen wird nicht leicht gelingen. Was immer eine falsche Metapher sein mag, sie erscheint insofern als unmöglich, ist doch einem Wort es kaum mög674
675 676 677 678 679 680 681 682
Nelson Goodman: Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. Übersetzt von Bernd Philippi. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 1304), S. 77. Ebd. Vgl. ebd., S. 83. Ebd. Ebd. Ricœur, Die lebendige Metapher (wie Kap. 2, Anm. 250), S. 8. Vgl. ebd., S. 266f. u. passim. Vgl. Paul Ricœur: Die Metapher und das Hauptproblem der Hermeneutik. In: Theorie der Metapher (Anm. 666), S. 356–375, hier S. 361f. Ebd., S. 362.
Peter Szondis Antwort
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lich, ohne Kontext als reines Denotat seiner selbst aufzutreten, während die Bedeutungslosigkeit nicht zuletzt von einem Mangel der Interpretationskategorien herrühren dürfte. Erst die Formulierung Ricœurs, eine Metapher sei zuallererst eine »semantische Innovation«,683 stimmt versöhnlich ... Freilich ist man damit wieder ganz am Anfang. Denn dies besagt, daß Projektion aufs Kunstwerk und De- oder Neuformation der Kategorien des Verstehens, Aneignung des Fremden und Distanzierung des Eigenen vor der Metapher nicht zu trennen mehr sind, mag auch der Wunsch bestehen, es gäbe eine Unterscheidung von Aneignung und Erschließung.684 Was die Qualität der Metapher selbst angeht, so könnte man die These riskieren, es sei die Sicherheit, mit der neue Ordnungen, seien sie noch so gewagt, eingeführt werden, bis selbst die Frage nach ihrer Begründung vor den ästhetischen Strategien unmöglich geworden scheint. Nicht die Metapher, die sich um hundert Ecken entwickelt, ist denn auch nach Weinrichs bekanntem Essay von Interesse, sondern jene, die kühn ist – »kühn, nicht weil sie so weit von der alltäglichen Beobachtung abweicht, sondern weil sie so gering abweicht«.685 Unvereinbares wird vor den Augen des Lesers darin unvermeidlich ... Kann Milch nach Celan, auf den Weinrich hier verweist,686 dessen Bild zudem als eines von Rose Ausländer (oder doch nicht?) noch von Interesse sein wird, wieder weiß sein?687 Die Sicherheit aber, mit der sich gestaltet, was fast schon widersinnig und doch nicht beeinspruchbar ist, rührt nicht aus dem Fokus her, sondern aus der Struktur, deren Element er ist – und so bleibt gar keine andere Möglichkeit als jene, nach der Ricœur fragt, erlaubt: »Darf man ein Werk, etwa ein Gedicht, als eine ausgedehnte Metapher ansehen?«688 Man muß das gesamte Werk, insofern es auf der wechselseitigen Definition seiner Elemente beruht, als Metapher lesen. Gerade die kleinen Wörter wirken allenthalben, weshalb es Sinn macht, einen Gedichtband passim zu betiteln, wie Peter Waterhouse es tat ... Geradezu programmatisch heißt es bei ihm ja, es sei das »gewöhnlichste Wort [...] das unvergeßlichste«.689 »Taumelnde Luft und geheimnislose Worte«690 ergeben, was Dichtung ist, so formuliert er, denn sie sind »in alle Wirklichkeit offen«.691 Dies ist denn auch wiederum der Grund, warum Dichtung nicht dem Zitierbaren angehört, ihre Wörter als Metaphern-Fragmente nicht entlassen: »Man kann Gedichte [...] nicht zitieren; 683 684 685 686 687 688 689 690 691
Ebd., S. 366. Vgl. ebd., S. 371f.; Ricœur zitiert hier Gadamer – vgl. ebd., S. 371. Harald Weinrich: Semantik der kühnen Metapher. In: Theorie der Metapher (Anm. 666), S. 316–339, hier S. 328. Vgl. ebd., S. 326ff. Vgl. ebd. u. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 41f. u. (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 63f. Ricœur, Die Metapher und das Hauptproblem der Hermeneutik (Anm. 681), S. 358. Waterhouse, Die Geheimnislosigkeit (Anm. 291), S. 11. Ebd., S. 14. Ebd., S. 11.
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Dritter Teil
man kann sie nur ganz lesen.«692 »Gedichte sind nicht wirklich zitierbar, sie sind zu leicht, um eine Position und Bedeutung zu behaupten, [...] der Atem ist nicht zitierbar –«693 Auch bei Rose Ausländer sind es nicht selten kleine Wörter, etwa Konjunktionen, die zwar nicht Gedichtbänden, aber Gedichten vorangestellt sind, wie schon ein kurzer Blick ins Register belehrt: Aber, zweimal Anders, Bald, Bis I–II, Damit, Dann, Daran, Dazwischen, Denn, Fast, Hier, Hinauf, Hinaus, Ja nein, Ja und Nein, Nachher, Nein, Nie, Noch, Ohne, Rückwärts, So, Und, Vorbei, dreimal Wann, Was, Weil, Wenn, Wo I–III, Zu kurz, Zu viel, Zuvor, Zuweilen, so lauten einige der von ihr gewählten Titel.694 All das, so schreibt Ricœur, ohne darum vom Versuch abzuraten, »greift unsere ganze Bestrebung, die lebendige Metapher zu entdecken, im Rücken an«.695 Denn ist die Metapher überall, ist sie bloß zuweilen abgenutzt und daher nicht wahrgenommen, dann verfällt der Versuch, das Metaphorische zu begrenzen, dem Urteil, »von uneingestandener Metaphysik«696 zu zehren: »Damit wird die Neubelebung der Metapher zur Entlarvung des Begriffs.«697 So fällt auch Blumenbergs Versuch eines Porträts der Metapher aus, worin er die Dezenz hat, denn auch selbst offensiv ins Metaphorische zu tauchen: »Die Metapher ist nur die Übertragung einer Übertragung.«698 Folglich ist der Rahmen der Metaphorik oder des Schiffbruchs, den sie darstellt, entschwunden.699 Blumenberg kehrt das Verhältnis zum Schiffbruch, der sie darstellt, um, und schildert dann mit Neurath, wie das Uneigentliche nach der Epoche eines scheinbar Eigentlichen aussehe: Wie Schiffer sind wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne es jemals 700 in einem Dock zerlegen und [...] neu errichten zu können.
Den Schluß, es erstürbe also die Metaphysik,701 zieht Blumenberg schon andernorts freilich nicht: Metaphysik erwies sich uns oft als beim Wort genommene Metaphorik; der Schwund 702 der Metaphysik ruft die Metaphorik wieder an ihren Platz.
692 693 694 695 696 697 698
699 700 701
Ebd., S. 84. Ebd., S. 184. Vgl. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 45), Bd 8, S. 252ff. Ricœur, Die lebendige Metapher (wie Kap. 2, Anm. 250), S. 260. Ebd. Ebd., S. 262. Hans Blumenberg: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. 4. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 289), S. 46. Vgl. ebd., S. 70. Otto Neurath, zit. ebd., S. 73. Vgl. ebd.
Peter Szondis Antwort
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Mit solcher Demontage ist kein das Metaphysische zermalmender Zirkel – der Fall der Metaphysik bringe Metaphorik als ihre fortschreitende Korrosion mit sich – eröffnet. Vielmehr ist offenkundig jede Metaphorik zunächst wörtlich zu nehmen, gründet also, was sie zu zerstören, zumindest aber durchschaubar zu machen scheint, neu. Man ist »ohne [...] Mutterschiff«,703 aber ein Zehren von »früheren Schiffbrüchen«704 bleibt ... Was die Qualität der Auslegung (oder allgemeiner: Lektüre) betrifft, so ist am Begriff der Eingrenzung der Verschiebung fortzusetzen – man kommt zur Frage, wie Verkettung plausibel zu machen ist, aber auch zur Frage, auf welche Weise Interpretation funktionieren kann: als Festschreibung der Aberrationen wohl kaum, was bedeutet, sie könne vor allem ein Fortschreiben sein, das fortsetzt, zugleich jedoch – den Effekten der Schrift ja noch immer unterworfen – die Gesetzmäßigkeiten seines Gegenstandes fort-schreibt. Derlei zeigt sich drastisch bei der Diskussion Lyotards mit Derrida, worin die Standpunkte beider Denker durchaus plausibel erscheinen. Ich möchte an dieser Stelle das Streitgespräch nach einem Protokoll zitieren: In der Frage der Nostalgie sagt Lyotard zu Derrida: »Ich werde darauf nicht eingehen, weil Sie das zur stilistischen Eigenheit erklärt haben.« Derrida: »Zu etwas ähnlichem.« Lyotard: Also wäre es indiskret, in Ihre Nostalgie zu dringen, ebenso indiskret wie Ihr Eindringen in meine Entschlossenheit.« Derrida: »Ich bin ein wenig über den Vergleich von stilistischen Eigenheiten hinausgegangen ... im entschiedenen Bruch mit der Nostalgie tritt eine [...] starre, schlecht geregelte Beziehung (auf); bei Ihnen tritt vielleicht noch mehr Nostalgie auf als bei mir. Das ist der in der Stilfrage verdeckte Verdacht.« Lyotard: Sie haben also die goldene Regel?« Derrida: »Nein.« [...] Derrida [...] wiederholt [...], daß »es bei Ihnen nur die Oberfläche ist, 705 die mit der Nostalgie bricht«.
Was erregt die Gemüter der Denker? Es ist der unendlich tiefe Abgrund zwischen Verknüpfen, wie Lyotard es tut, und Hinzufügen, worauf Derrida sich zu beschränken sucht.706 Die Verknüpfung ist eine, die trotz des suggestiven Namens – Lyotard selbst konzediert es – vielfältige Anschlußmöglichkeiten zuläßt.707 Dem Duktus der Sprache wiederum ist es eigen, in der Tat manche Fortsetzungen als besser denn andere gelungen zu empfinden, was wohl auch für die Unterschwelligkeit jener weißen Tinte gilt, womit schreibt, wer die Schrift zugleich zu entmachten trachtet: »Gibt es eine Metapher im philosophischen Text?«708 Derrida bejaht dies, nicht jedoch ihre Wahrnehmbarkeit. 702 703 704 705
706 707 708
Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 1301), S. 193. Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauer (Anm. 698), S. 74. Ebd. Jean-François Lyotard u. a.: Streitgespräche, oder: Sprechen »nach Auschwitz«. Hg. und übersetzt von Andreas Pribersky. Grafenau/Württ. Trotzdem Verlag 1998 (impuls), S. 66f. (Orthographie verbessert M. H.). Vgl. ebd., S. 62. Vgl. Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 142, § 136. Derrida, Randgänge der Philosophie (Anm. 66), S. 205.
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Dritter Teil
Die Grundbedeutung [...] stellt nicht ganz genau eine Metapher dar. Sie ist eine Art transparenter Figur, [...] wird zur Metapher, sobald sie vom philosophischen Diskurs in Umlauf gebracht wird. Gleichzeitig geraten die erste Bedeutung und die erste Verschiebung in Vergessenheit. Man nimmt die Metapher nicht mehr wahr und hält sie für den reinen Sinn. Doppelte Auslöschung. Die Philosophie wäre dann dieser Prozeß der 709 Metaphorisierung, der seinerseits ständig durch sich selbst vorangetrieben wird.
Daraus, daß die Metapher überall ist, folgt, daß sie als Verschiebung in bezug auf ein Eigentliches nirgends, nicht greifbar ist. Es gilt: »Metaphysik – weiße Mythologie«710 ... Aus diesem Grunde fehlen Linien, denen zu folgen, Grenzen, die wahrzunehmen wären: Die Geschichte der Metapher gleicht im wesentlichen nicht einer Verschiebung mit Brüchen, mit Wiedereinschreibungen in ein heterogenes System, mit Mutationen, Abweichungen ohne Ursprung, sondern einer progressiven Erosion, eines regelmäßigen semantischen Verlustes, eines ununterbrochenen Ausschöpfens der ursprünglichen Bedeutung.711 Wollte man alle metaphorischen Möglichkeiten der Philosophie erfassen und klassifizieren, so bliebe mindestens eine Metapher immer ausgeschlossen, [...] außerhalb des Systems: Zumindest diese, ohne die der Begriff der Metapher nicht konstruiert werden 712 könnte, oder, um eine ganze Kette zusammenzuziehen, die Metapher der Metapher. Die Konsequenz daraus ist eine doppelte und widersprüchliche. Einerseits ist es unmöglich, die philosophische Metaphorik als solche von außen in den Griff zu bekommen, indem man sich eines Metaphernbegriffes bedient, der ein philosophisches Produkt bleiben wird. [...] Andererseits aber, aus dem gleichen Grund, versagt sich die Philosophie das, was sie sich zu geben vermag. Indem ihre Werkzeuge ihrem Bereich angehören, ist sie außerstande, ihre allgemeine Tropologie und Metaphorik zu beherrschen. Sie würde sie nur im Umfeld eines blinden Fleckens oder eines Zen713 trums von Taubheit wahrnehmen.
Der verbindliche Knotenpunkt ist einer Interpretation kaum mehr gegeben, ein Anschließen, das in der schon erwähnten Doppeldeutigkeit trotz der zwei Bewegungen vorsichtigen Lesens714 ein Fort-Spinnen sein muß, alles, was zu leisten ist. Wenn wir Freude an Neologismen hätten, können wir die Texttheorie als eine Hypho715 logie definieren (hyphos ist das Gewebe und das Spinnetz). 709 710 711 712 713 714
715
Ebd., S. 207. Ebd., S. 209. Ebd., S. 211. Ebd., S. 214. Ebd., S. 221. »Interpretation als Sammlung des Sinns« – Paul Ricœur: Die Interpretation. Ein Versuch über Freud. Übersetzt von Eva Moldenhauer. 4. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 76), S. 41; »Interpretation als Übung des Zweifels« – ebd., S. 45. Roland Barthes: Die Lust am Text. Übersetzt von Traugott König. 8. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1996 (Bibliothek Suhrkamp; 378), S. 94; vgl. Hansen-Löve, Entfaltungen der Gewebe-Metapher (Anm. 432), S. 71ff.
Peter Szondis Antwort
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Immerhin aber ist auch die »Innengeburt«,716 die letztlich keinen Anker werfen kann, Fragen des Stils noch unterworfen. Selbst dort, wo die Verbindung nach stilistischer Analyse an rhetorischen Effekten hängt, nichts als ästhetische Strategie ein Wort nahelegt, kann und muß man die Frage stellen, wohin man in Fortsetzung der solcherart etablierten Nachbarschaft, und sei sie von der Gestalt eines Oxymorons, gelange. Auch wer ein Spiel spielt, dessen Regeln er nicht ändern kann, da sie nicht klar vorliegen, kann auf »gut pastiorisch: ›Subversion durch Zusatzregeln‹«717 einführen. Diesen Wegen zu folgen wäre Verpflichtung einer Lektüre, wobei die getreue Beobachtung zuletzt nicht Affirmation meinen muß – im Zeitalter, da Moderne und Kritik ins Schwanken geraten sind, ihr Schwanken zumindest sich bemerkbar zu machen scheint, ist dies ja einer ihrer Rückzugsorte: »Beobachtung und Beschreibung (keineswegs affirmativ, denn genaue Beobachtung kann die höchste Form der Verachtung sein)«718 ... Es ist also dem durchaus Handfesten der Dichtung zu folgen – Rose Ausländer schreibt: »Grammatik / meine Alchimie«719 – was bekanntlich heißt, sie sei »fäustig«.720 Eine exakte Beschreibung der Wege ist dann noch nicht der zum Scheitern verurteilte Versuch die Fäden wieder zu ordnen, die anders geflochten jenem Muster nicht einzufügen sind, dem sie zunächst begegnen. An dieser Stelle ist es angebracht Wellbery zu Wort kommen zu lassen, der eben dieser Doppeldeutigkeit, fort-, aber nicht rückführen zu können, folgenden Kommentar widmet: Es ist, so schreibt Wellbery in einer Darlegung zur Auflösung der Metapher, die im steten Bruch mit Vorstellungssystemen besteht, welcher die spezifische Benennung der Metaphorik in der infiniten Ausdehnung des ihr zugerechneten Repertoires von Effekten verunmöglicht, »kein Begriff der Metapher, der nicht seinerseits metaphorisch wäre«.721 Man gerät in einen Schwebezustand »zwischen Objekt- und Metasprache, mit dem Ergebnis, daß Äußerungen über die Metapher metaphorischen Status annehmen«.722 Die »Rhetorik ist zurückgekehrt.«723 Die Fundamente dessen, was sie auszusper716 717
718
719 720 721 722 723
Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 4), Bd 7, S. 43. S. Müller-Brömsel: Den Wörtlichnehmern verpflichtet. Oskar Pastiors Sestinen: dekorative Behältnisse einer poetischen Erfahrung. In: die tageszeitung, Nr 4256, 5. März 1994, S. 15. Norbert Bolz: Die hofierten Störenfriede. In: die tageszeitung, Nr 5456, 12. Februar 1998, S. 13; eine andere ihrer Optionen ist die Dekonstruktion der Rahmen, was, wie Bolz selbst schreibt, »eine schöne unendliche Aufgabe [ist], denn Dekonstruktion ›ist‹ die Dekonstruktion des ›ist‹« ... Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 11), Bd 6, S. 337. Friederike Mayröcker: Benachbarte Metalle. Ausgewählte Gedichte. Hg. von Tomas Kling, Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 1998 (Bibliothek Suhrkamp; 1304), S. 23. Wellbery, Retrait/Re-entry (wie Kap. 2, Anm. 248), S. 198. Ebd., S. 200. John Bender / David E. Wellbery: Die Einschränkung der Rhetorik. Übersetzt von Dagmar Buchwald. In: Texte und Lektüren. Perspektiven in der Literaturwissen-
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ren schien, sind zerbrochen, ihre Energien sind wie die störenden von ihr hervorgerufenen Tremoli in der verbindlichen Argumentation wieder wahrgenommen, wiewohl man sagen muß: Sie wären immer wahrzunehmen gewesen. Die Moderne verfügt über keinen verläßlichen Maßstab für Darstellungstransparenz 724 mehr ...
Sie wurde »Zeuge«725 ihrer eigenen Auflösung, einer Auflösung durch die Oszillation ihrer Begriffe – doch ihre Beobachtungen »können [...] niemals in einer totalisierenden Theorie der Rhetorik kulminieren«,726 die ja ruhestiftend auch Totenschein des Beobachteten wäre. Wo die »Unmöglichkeit eines adäquaten Bezugssystems«727 zur Auflösung der Verknüpfungen führt, da läßt das »Fehlen des archimedischen Punktes [...] die Sehnsucht nach der letztgültigen [...] Sprache leer ausgehen.«728 Und letztlich fehlt dieser Punkt immer – die h e l i o t r o p e Metapher ist ein einziger Irrtum;729 absolute und relative Metapher bieten eine trügerische Sicherheit,730 wie auch Menninghaus darlegt.731 Alle Metaphern zeigen den Zug zur Uneinholbarkeit – und entwickeln dem geschlossenen System gegenüber eine Dynamik, die schon angerissen wurde: Es waren die klügsten Theologen, die Gott getötet haben, als sie es nicht mehr unter732 lassen konnten, ihn als den aktuell und extensiv unendlichen zu denken.
Warum kam es so? Weil die Metaphorik »Sprengmittel«733 gegen jenes System begrifflicher Harmonie wird, das Theologie heißt: Wer »könnte sich mit diesem theo-mathematischen Monstrum in Beziehung denken?«734 Welche Metapher wäre dem Denken andererseits erträglicher? Blumenberg schreibt in seinen Paradigmen zu einer Metaphorologie von der »Metaphorik der ›nackten‹ Wahrheit«,735 die noch ihr eigenes Erscheinen ohne Entstellung nicht bewäl-
724 725 726 727 728 729 730 731 732 733 734 735
schaft. Hg. von Aleida Assmann. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1996 (Fischer Taschenbuch 12375, Philosophie der Gegenwart), S. 79–104, hier S. 84. Ebd. Ebd. Ebd., S. 102. Meinecke, Wort und Name bei Paul Celan (wie Kap. 2, Anm. 177), S. 12. Ebd., S. 66. Vgl. Hugh J. Silverman: Textualitäten. Zwischen Hermeneutik und Dekonstruktion. Übersetzt von Erik Michael Vogt. Wien: Turia + Kant 1997, S. 330. Vgl. ebd., S. 142 (Anm.). Vgl. Menninghaus, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 189), S. 134 u. 279 (Anm.). Peter Sloterdijk: Sphären. Bd II: Globen: Makrosphärologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999, S. 131; vgl. auch ebd., S. 552 u. Bd I, S. 69. Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie (Anm. 702), S. 180. Sloterdijk, Sphären (Anm. 732), Bd II, S. 553. Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie (Anm. 702), S. 61; vgl. ebd., S. 61ff.
Peter Szondis Antwort
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tigt.736 Die »Metaphorizität ist absolut unbeherrschbar.«737 Eine Theorie ihres Wesens wäre sogleich Verweis aufs Metaphorische der Theorie selbst.738 Zusammenfassend ist zu Metapher und Lektüre zu sagen: Die Möglichkeit der Paraphrase, die gegeben sein müßte, wo »Erkenntniswert«739 besteht, trügt; der Sprung von einem Vorstellungssystem zum anderen ist nicht rückgängig zu machen.740 Dann ist die Erzählung von jenem Ort, an den man von der Metapher entführt wurde, eine von der Vielzahl der Wege, die sie eröffnet741 – oder ein ver(w)irrter Abschiedsbrief: Der Name der Sprache heißt: Abwesenheit. [...] Alles flieht. Die Hintergründe sind nicht mehr unsere Gründe. Ganz vorne stehen wir, im 742 unmittelbaren nichts, guten Tag.
Du mußt dein Leben immer schon geändert haben, so spräche die Schrift heute.743 Der Anspruch von Philosophie in dieser Konstellation könnte sein, »daß nur die Philosophie es sein kann, von der die Intelligenz erfährt, wie ihre Leidenschaften zu Begriffen kommen«.744 Dabei erhebt sich die Frage, ob Passion und Ästhetik in eine Philosophie geraten sollen, die dadurch an der Erkenntnisqualität ihrer Sprödheit verlieren könnte, welche Burger – somit gleichfalls nicht unästhetisch verfahrend – advoziert, wenn er über das sonst drohende Zerrbild von Theorie schreibt: »Ihr Ideal ist eine Schönheit des Schreckens, [...] doch riecht ihr Stil nach Parfum.«745 Die falsche Vereinigung im Namen einer wohl gegebenen Konvergenz vernichtet, worin der Impetus gesehen ward.746 Solcherart »löst Philosophie sich auf in Schein«,747 so lautet Burgers Befund, mit dem ich, was dieses Problem an-
736 737 738 739 740 741 742 743 744 745 746 747
Folgerichtig wurde der Modus ihres Erscheinens portraitiert / persifliert – vgl. Anders, Ketzereien (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 61. Ricœur, Die lebendige Metapher (wie Kap. 2, Anm. 250), S. 263. Vgl. ebd. Eco, Die Grenzen der Interpretation (wie Kap. 2, Anm. 249), S. 212. Vgl. ebd., S. 212f. Vgl. ebd., S. 213. Peter Waterhouse: passim. Gedichte. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1986, S. 8. Vgl. Rainer Maria Rilke: Die Gedichte. Hg. von Ernst Zinn. 9. Aufl., Frankfurt a. M.: Insel 1997, S. 503. Sloterdijk, Sphären (Anm. 536), Bd I, S. 82. Burger, Vermessungen (Anm. 18), S. 218. Vgl. ebd., S. 217 u. S. 226 u. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 148 u. passim. Burger, Vermessungen (Anm. 18), S. 236.
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geht, vorerst schließen möchte. Es wird Raum für die Blamagen der Deckungsungleichheit zu lassen sein ...748
Zur Poetik der Mehrsprachigkeit Fremd- und Mehrsprachigkeit Rose Ausländers sind ein interessantes Problem im Rahmen des Versuchs, das Verständnis des Werks der Dichterin zu vertiefen oder zu präzisieren. Dabei sind genaugenommen drei Bereiche der Interpretation aufgegeben, nämlich der Sprachenwechsel, den die Lyrikerin für einige Zeit vollzog, die Übersetzung – ihre Tätigkeit als Übersetzerin und ihr Geschick als Übersetzte –, die in interessante Gefilde führt, sowie die Frage nach den schon erwähnten Einflüssen einer Landschaft, von der es heißt: Viersprachig verbrüderte Lieder 749 in entzweiter Zeit
habe es dort gegeben, und Vier Sprachen Viersprachenlieder Menschen 750 die sich verstehen. Czernowitz Silberne Pruthsprache Buchen – Weidengespräche Zarter und derber Viersprachenklang von Deutsch beherrscht Jiddische deutsche Dichter 751 heimattreu, 748
749 750
Zum Scheitern von Wort – Welt – Philosophie vgl. Schmidt-Dengler, Bruchlinien (wie Kap. 2, Anm. 125), S. 177 u. passim; »Umspringtexte[n]« – ebd., S. 178, vgl. auch ebd., S. 465ff.; es gibt hier sozusagen »nur ein relativ Schlechteres« – ebd., S. 316. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 123), Bd 4, S. 72. Ebd., S. 130.
Peter Szondis Antwort
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so lautet ein Porträt der Heimat der Dichterin, einer Heimat, die Celan etwas weniger prätentiös in einer Rede so charakterisierte: »Es war [...] eine Gegend, in der Menschen und Bücher lebten.«752 Selbst die Vögel singen in diesen Gefilden des vielsprachigen Ineinander »Vogelschaum«,753 wie es in einem etwas überladenen Gedicht der Dichterin heißt. Freilich ironisiert die Dichterin, was als Nostalgie in Erscheinung tritt, in manchen Gedichten auch – etwa im Bilde jenes Tieres, dessen Bezug zu jenem Ort und seiner Vielsprachigkeit einerseits Czernowitz evoziert, andererseits jedoch zur Demontage des Pathos führen kann. Ihm geht der »Amsel unverfälschtes Vokabular«754 voraus, doch dann heißt es: Der Spiegelkarpfen in Pfeffer versulzt 755 schwieg in fünf Sprachen ...
Zwei Sprünge Begonnen sei jedoch mit der Frage, was aus dem plötzlichen Sprung der Lyrikerin ins Englische zu lesen sei – immerhin füllen die Texte jener Zeit einen eigenen Band, The Forbidden Tree. Was kann die Dichterin zu diesem Sprung – und zum Sprung zurück – bewogen haben? War Czernowitz von Deutsch beherrscht, von der Muttersprache auch ihr Dichten geprägt, so kam es doch, daß Rose Ausländer, als sie nach einer Zäsur 1947 wieder zu schreiben begann, die englische Sprache für ihre Arbeit wählt: »Das Dichten in ihrer Muttersprache ist ihr vorläufig verwehrt.«756 Unter die Arbeiten jener Zeit fallen auch die später zu untersuchenden Übersetzungen etwa Else Lasker-Schülers und Paul Celans. Die Angaben zu ihren Gründen sind spärlich: »Nach mehrjährigem Schweigen überraschte ich mich eines Abends beim Schreiben englischer Lyrik.«757 Mehr schreibt sie in einem ihrer wenigen poetologischen Texte758, Alles kann Motiv sein nicht zum Wesen des nicht geringen Schritts. Auch zum zweiten Schritt heißt es nur: Warum schreibe ich seit 1956 wieder deutsch? Mysteriös, wie sie erschienen war, 759 verschwand die englische Muse.
751 752 753 754 755 756 757 758 759
Ebd. (wie Kap. 1, Anm. 11), Bd 6, S. 346. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 185. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 99), Bd 2, S. 21. Ebd., S. 16. Ebd. Braun, Rose Ausländer in Czernowitz und New York (Anm. 350), S. 135. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 287. Poetik und Poetologie sind einander bei Rose Ausländer immanent – vgl. auch Michaela Keßner: Die Lyrik Rose Ausländers. (Magisterarbeit) München 1990, S. 74. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 287.
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Daraus wird man nicht eben klüger, was freilich im Sinne der Dichterin sein mag, wie sich zu bestätigen scheint, wirft man einen Blick auf den Fragebogen der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur. Da wird etwa gefragt: »Von welchen Vor- und Leitbildern, Lehrern, Werken sind Sie [...] bestimmt worden«?760 Ehe Rose Ausländer Goethe, Rilke, Trakl, Lasker-Schüler, Kafka, Spinoza, Hölderlin und Celan nennt, streicht sie eine Formulierung: »bestimmt → besonders angeregt«.761 Dies nun ist zweifelsohne verständlich und erinnert an ein Treffen, bei dem Hans Werner Richter Paul Celan vorstellen wollte, was zu folgendem Dialog geführt haben soll: »Und das ist Herr Celan, der macht Gedichte wie ... Nun, sagen Sie schon, wie Sie dichten.« Celan machte Richters Geste nach [...]: »[...] Nun, doch hoffentlich wie 762 ich.«
Deutlicher wird das Sich-Verwahren der Dichterin gegenüber jedwedem Einfluß, wenn die Frage fällt, was für Konzepte oder Techniken sie bevorzuge: Kein theoretisches Konzept – ich schreibe aus »schöpferischem« Impuls und Drang.« Ich schreibe Lyrik in freien Versen: [...] Keine besonderen »Arbeitstechniken«. Keine besonderen (»Formprobleme« bewegen mich): Es gilt, immer das richtige Wort, die passende Metapher zu finden.763
Die Antworten beschließt die Lyrikerin mit einer Bitte – »keine weiteren Fragen zu stellen.«764 Schon erhellender ist eine Notiz aus dem Nachlaß, die in Helmut Brauns Biographie zitiert wird, eine Notiz, der eine poetologische Anmerkung Celans zur Seite zu stellen passend erscheint.
760 761
762
763 764
Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, Rose Ausländer, Eingang November 1976. Ebd. Allerdings entspricht diese Ersetzung der Wahrheit, da Einflüsse nur anklingen: »die starke Eigenprägung [schirmt] ihre Verse weitgehend gegen das fremde Echo ab.« – Walter Hinck: Die Neonaugen des Broadway. Rose Ausländers Gedichte 1957–1965. In: Ein Büchertagebuch. Buchbesprechungen aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 1985, S. 16–18, hier S. 17; vgl. auch Walter Hinck: Und Meer und Sterne. Frühe und späte Lyrik der Rose Ausländer. In: Rose Ausländer. Materialien zu Leben und Werk. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1997 (Fischer-Taschenbücher; 6498 – Informationen und Materialien zur Literatur), S. 244–247, hier S. 245. Hermann Lenz: Erinnerungen an Paul Celan. In: Paul Celan. Hg. von Werner Hamacher und Winfried Menninghaus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988 (Suhrkamp-Taschenbuch Materialien; 2083), S. 315–318, hier S. 316. Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, Rose Ausländer, Eingang November 1976. Ebd.
Peter Szondis Antwort However, there is also a third category of poets and writers who lead a double life: While they remain deeply rooted in their original language, they have also absorbed the new language, English, its ideomatic flavor, rhythms, imagery, wordmagic to the extent of identifying themselves with this language-world. As a natural result, this poet is moved to express his poetic experiences also in English ... I am 765 afraid I belong to this category ...
165 An Zweisprachigkeit in der Dichtung glaube ich nicht. Doppelzüngigkeit – ja, das gibt es, auch in diversen Wortkünsten bzw. -kunststücken, zumal in solchen, die sich in freudiger Übereinstimmung mit dem jeweiligen Kulturkonsum, genauso polyglott wie polychrom zu etablieren wissen. Dichtung – das ist das schicksalhaft Einmalige der Sprache. Also nicht [...] 766 das Zweimalige.
In Zurückweisung des »Polychrome[n]«767 verweigert Celans Sprache, was »manches geneigte Ohr immer noch von ihr zu erwarten scheint«.768 Mit Lec könnte man sagen: »Es gibt Gedanken, die nur der einen Sprache eigen sind.«769 Rose Ausländer dagegen scheint einen Ausweg gefunden zu haben, der nicht nur es zu erlauben scheint, daß gesprochen wird, wo die schon erwähnte Mördersprache Schweigen gebietet; es ist auch die allem Anschein nach geglückte Reaktion auf Heimatverlust, ein Moment von Selbstbehauptung und logische Folge des Umstands, daß sonst Gedichte für die Schublade entstünden.770 Darum ist sie nicht, was sie zur first category zählt – eine Dichterexistenz, die sich des Englischen im Alltag, nicht im Bereich der Sprachkunst bedient.771 Ein kurzer Einschub ist unausweichlich: ein Zitat Mandelstams – in Übersetzungen von Ingold und Dutli –, das daran gemahnen kann, daß, wie der scheinbar widerlegte Celan oftmals in seiner Dichtung gezeigt hat, »das schicksalhaft Einmalige der Sprache«772 nicht im Sinne einer Aneignung verfügbar ist, sondern sich durchaus aus einem Verhältnis zur Sprache ergibt, 765 766
767 768 769 770
771 772
Rose Ausländer: Unveröffentlichtes Manuskript, zit. in Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (wie Kap. 1, Anm. 28), S. 85. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 175; vgl. hierzu Olschner, der »in der Muttersprache [...] die eigene Wahrheit« (Paul Celan, zit. in Chalfen, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 67), S. 148) ausmacht und – an Chalfen präziser anschließend – hierfür den Begriff der Datierung, des »Hervorkehren[s] privater Ablagerungen« findet (Leonard Moore Olschner: Der feste Buchstab. Erläuterungen zu Paul Celans Gedichtübertragungen. Göttingen, Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht 1985, S. 46; vgl. ebd., S. 45f.). Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 167. Ebd. Stanisław Jerzy Lec: Alle unfrisierten Gedanken. Übersetzt und hg. von Karl Dedecius. München, Wien: Hanser 1982, S. 238. Vgl. Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (wie Kap. 1, Anm. 28), S. 84ff., Braun, Rose Ausländer in Czernowitz und New York (Anm. 350), S. 135f. sowie Leslie Morris: Nachwort. In: Rose Ausländer: The Forbidden Tree. Englische Gedichte. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1995 (Fischer-Taschenbücher; 11153), S. 221–225, hier S. 221ff., vor allem S. 225. Vgl. Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (wie Kap. 1, Anm. 28), S. 86. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 175.
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welches aus seiner Vertrautheit empfindet, daß selbst meine Sprache meine Sprache nicht ist: Die fremde Sprache wird mich schützen, kleiden Wie eine Haut – eh mich die Welt gesehen hatte, War ich ein Zeichen, Schrift- und Traubenzeile, 773 Ich war ein Buch, war euer Traum und Schatten. Die fremde Sprache wird mir einst zur Hülle, Und lang bevor ich’s wagte, das Geborensein, Da war ich Letter, war ich Traubenzeilen-Fülle. 774 Ich war das Buch, das euch im Schlaf erscheint. Meine Einsprachigkeit ist absolut, unüberschreitbar und unbezweifelbar, aber diese einzige Sprache, die ich sprechen muß, solange ich sprechen kann, ist nicht meine. 775 Ich habe nur eine, und das ist nicht meine.
Ehe auf die Qualität auch im Sinn der allgemeinen Beschaffenheit der Poeme dieser Zeit einzugehen ist, soll doch gefragt werden, ob in der Tat der Sprachwechsel heute als angemessene Strategie gesehen werden kann, wo Auschwitz das umstandslose Sprechen als zugleich verfehltes endgültig ausgewiesen zu haben scheint. In der Tat steht man hier vor einer Frage, deren poetisch-poetologischer Charakter in vorschneller Übersetzung in die Sprache zu vorschneller Antwort verführte: »Comment pourrait-on bénir des cendres en allemand?«776 Auf diese Frage ist noch nicht einzugehen, indes auf einen – von Derrida nicht begangenen777 – Fehler. Dieser läge im Versuch, sich in ähnlichen Formulierungen zur Bewahrung einer selbstbewußten, von den Greueln quasi unbefleckten Sprache jenseits des Deutschen von jenen abzuschotten, welche dieser »aus dem Nationalsozialismus ererbten Sprache«778 sich bedienen müssen; ich denke hier unter anderem an George Steiner: For let us keep one fact clearly in mind: the German language was not innocent of the horrors of Nazism. [...] A language in which one can write a »Horst Wessel 779 Lied« is ready to give hell a native tongue. 773 774 775
776 777
778 779
Mandelstam, Das zweite Leben (Anm. 647), S. 45. Ossip Mandelstam: Im Luftgrab. Ein Lesebuch. Hg. und übersetzt von Ralph Dutli. Zürich: Ammann 1988, S. 52. Derrida, Die Einsprachigkeit des Anderen oder die Prothese des Ursprungs (Anm. 152), S. 15; vgl. auch ders., Auslassungspunkte. Gespräche. Übersetzt von Karin Schreiner, Dirk Weissmann und Kathrin Murr. Hg. von Peter Engelmann. Wien: Passagen 1998 (Passagen Philosophie), S. 216f. Jacques Derrida: Schibboleth. Pour Paul Celan. Paris: Éditions Galilée 1986 (Collection La philosophie en effet), S. 111. Vgl. z. B. Jacques Derrida: Zeugnis, Gabe. In: Jüdisches Denken in Frankreich. Gespräche. Hg. und übersetzt von Elisabeth Weber. Frankfurt a. M.: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 1994, S. 63–90, hier S. 84f., vor allem S. 85. Bollack, Herzstein (wie Kap. 2, Anm. 162), S. 16. George Steiner, zit. in: Dennis J. Schmidt: Black Milk and Blue. Celan and Heidegger on Pain and Language. In: Word Traces. Readings of Paul Celan. Hg. von Aris
Peter Szondis Antwort
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Ehrenrettungsversuche für die deutsche Sprache780 halte ich für einigermaßen sinnlos, doch ist zu beeinspruchen, daß, wer Steiner gleich argumentiert, vorgibt, sich nicht gleichfalls in einer Sprache voller Erblasten zu bewegen, was problematisch scheint ... Ist ausgemacht, daß sich im Englischen nichts findet, das dem Vokabular des Nationalsozialismus in erschütternder Weise gliche? Wird von der letzten Großmacht im moralischen Anspruch gerade dies nicht immer häufiger vergessen, was als Unvermögen der Geschichtsschreibung zu einem gefährlichen Unvermögen im Schreiben politischer Zukunft zu geraten droht, wie auch im Merkur (Nr 603) unlängst bemerkt wurde? Verwiesen sei auch auf Sloterdijks Vorgriff auf Blasen III, worin Auschwitz »als eine sterbetechnische Installation«781 vorgestellt wird, was auf eine im Ersten Weltkrieg eröffnete Geschichte der automatisierten Tötung im »Angriff auf das Lebenselement schlechthin«782 weist – dies entlastet nicht, was in Auschwitz zu denken aufgegeben ist, bedeutet aber ein weiteres Moment fragwürdiger Reinheit außerhalb des Reichs des Todes ... Die Frage bleibt offen, ob im Sprachenwechsel allein den Nöten des Worts entsprochen worden ist. Zu untersuchen ist also, ob die Lyrik Rose Ausländers schon hier Spuren zeigt, die ihren nicht schlechten Ruf rechtfertigten. Wer ihre englischsprachigen Arbeiten (großteils in The Forbidden Tree) liest, wer außerdem Kenntnis der Biographie der Dichterin hat, der kann zumindest zwei Aussagen bald treffen. Zum einen ist da nicht der plötzliche Bruch des Stils, an den glauben muß, wer nur die deutschen Gedichte kennt; hier läßt sich eine Kontinuität steigenden Drucks sehen, welcher der eine oder andere kleine, dann größer werdende Sprung folgt – »experimentelle Tendenzen (kommen) hinzu«.783 Das Mysterium des stilistischen Sprungs weicht also achtjähriger Entwicklung im sprachlichen Exil, dessen erste Gedichte nicht eben avantgardistisch sind.784 Zum anderen bekommt, wer nach dem plötzlichen Beherrschen der englischen Sprache amerikanischer Ausprägung fragt, mit den unterschlagenen Jahren der Dichterin, die einst kaum bekannt waren, Antwort.785 Insofern versteht sich, daß zusammenfassend gesagt werden kann, der Gedichtanfang »Looking for a final start«786 sei Wunsch und Programm gewesen,
780 781 782 783 784 785 786
Fioretos. Baltimore, London: The John Hopkins University Press 1994, S. 110–129, S.125 (Anm.) – dort breiter referiert; nachvollziehbarer argumentiert ein essayistischer Text von Steiner: An den deutschen Leser, S. 244. Vgl. hierzu die schon erwähnte Passage bei Pöggeler, Spur des Worts (wie Kap. 2, Anm. 94), S. 101. Peter Sloterdijk: »Die Klimaanlage ist unser Schicksal«. Interview. In: Format, Nr 11, 14. Dezember 1998, S. 143. Ebd. Bender, Ausländer, Rose (Anm. 256), S. 33. Vgl. auch Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (wie Kap. 1, Anm. 28), S. 86. Vgl. ebd., S. 7f. u. S. 28ff. Ausländer, The Forbidden Tree (wie Anm. 770), S. 200.
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fand sich aber nicht zur Gänze umgesetzt, zumal die Frage »What am I?«787 noch zahllose Antworten in deutscher Sprache evozierte. Einige jener Gedichte, die vor der Ausgabe der gesammelten Werke übrigens nur zum Teil publiziert worden sind788 – eine Datierung, die der Darstellung einer Entwicklung entsprechend zur Seite gestellt werden könnte, ist somit nicht leicht zu leisten – seien hier als Übergang von Stil zu Stil einer Untersuchung unterzogen. »Nobody was prepared when it came«,789 so beginnt ein Gedicht, das dem weiten Feld der Anti-Atomtod-Lyrik zuzuordnen ist und dessen Verse von der Dichterin 1959 als »the most gruesome and nihistic ones I have ever written«790 vorgestellt wurden. Kaum Zweifel bleiben jedenfalls angesichts des Titels After the World Was Atombomded, der engagierte Lyrik erwarten oder befürchten läßt. Doch es gelingt Rose Ausländer, das Thema, das 1959 in den USA wohl auch noch nicht durch Floskeln verschüttet, sondern Gegenstand eines mit Bestimmtheit vorgetragenen Schweigens gewesen sein mag, vom spektakulären Szenario in der Tat zum Gegenpart der Schöpfung zu erheben. So heißt es in den Versen, deren Endreim sich in Auflösung befindet:791 Everyone hurried to look for his name under the ashes. Dead mothers washed their eyes to recognize 792 the dust of their children.
Man sieht einen Bezug, der in der Folge als Weltenbrand über den konkreten Anlaß, den der Titel nennt, weist. Elemente, aber auch Geister (»spirits from the Old and the New Testament«793) sind nicht mehr am Ort, den ihnen, was man als göttliche Topologie beschreiben könnte, zuweist. Die Körper sind »immaterial«794 geworden, der Name ohne Gegenstand reißt Überlegungen zur Trauer an, die kein Ende finden werden. Und Zeugenschaft wird stets ein Scheitern beinhalten – oder das Bezeugen dessen sein, was der Stimme beraubt ist. 787 788 789 790
791
792 793 794
Ebd. So Braun in seiner Editorischen Notiz – vgl. ebd., S. 262f. Ebd., S. 9. Rose Ausländer: Die Nacht hat zahllose Augen. Prosa. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1995 (Fischer-Taschenbücher; 11165), S. 154. Am Vers »Mary washed her eyes to see clear / the Resurrection beneath the smear.« (Ausländer, The Forbidden Tree [Anm. 770], S. 9) streicht Rose Ausländer beispielsweise in einer Vorstufe clear aus. Auch experimentiert die Dichterin mit der typographischen Anordnung etwa von strange change und His whole / Immortal Soul. Ebd. Ebd. Ebd., S. 10.
Peter Szondis Antwort
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An ashen soldier kept vigil and slept.795
Hier wird meine Interpretation allem Anschein nach unnötigerweise lückenhaft. Ich möchte an dieser Stelle eine von Janz gegebene Interpretation zu Celan näher anführen, die in ähnliche Bereiche führt – zu einem allerdings sublimeren Gedicht. Der Gedanke, die Atombombe sei hier zentral, wäre denn als eine Ergänzung des in einer Verlegenheit Befindlichen zu verstehen.796 Sind also Celans »Orkane, [...] Partikelgestöber«797 tatsächlich die Folgen »atomarer Explosionen«?798 Man wird diese Komponente nicht leugnen, obschon der Schatten »eines Bombers«799 in der Folge der Grundidee zuliebe gesehen worden sein mag ... Die »Flugschatten«800 sind aber der »Rauchseele«801 wohl doch weitaus näher; mögen auch »Auschwitz und Hiroshima«802 als Einflüsse auf Celans Werk feststehen, des Dichters »Schatten / des Wundenmals in der Luft«803 ist doch eher mit dem Rauch Verbrannter in Verbindung zu sehen – auch hier.804 Die Wiederaufnahme des Gedenkens an das »Grab in den Lüften«805 und an die »Unbestattbaren«806 ist gemeint, das einen Gedanken eher simulierende Schlagwort »Anti-Atomtod-Lyrik«807 nicht nur allgemein reichlich plakativ, sondern an dieser Stelle schlicht deplaziert. Den Umstand, »daß Menschen wie Rauch in die Luft steigen«808 mußten, hat Janz freilich nicht übersehen; auch dürfte der Hinweis auf die »Schatten an den Häuserwänden«,809 welche die Menschen – »augenblicklich verbrannt«810 – in Hiroshima und Nagasaki hinterließen, wenn man schon auf diesen Einfluß insistiert, für Flugschatten und Rauchseele eher von Bedeutung seien. Tatsäch795 796 797 798 799 800 801 802 803 804
805 806 807 808 809 810
Ebd. Janz, Vom Engagement absoluter Poesie (wie Kap. 2, Anm. 20), S. 75ff. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 200. Janz, Vom Engagement absoluter Poesie (wie Kap. 2, Anm. 20), S. 75. Ebd. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 203. Ebd. Buck, Muttersprache, Mördersprache (wie Kap. 2, Anm. 76), S. 24. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 23. Vgl. auch Pöggeler, Spur des Worts (wie Kap. 2, Anm. 94), S. 205f.; »Schatten [...], den der Rauch der Vernichtungslager mit den Verbrennungsöfen warf.« (ebd., S. 205); vgl. weiters die Schilderung des Synagogen-Brands in Celans Heimatort bei Chalfen, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 67), S. 115. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 41 u. (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 63. Ebd., (Anm. 174), Bd 2, S. 227; vgl. Werner, Das Grab im Text (wie Kap. 2, Anm. 16), S. 160ff. Janz, Vom Engagement absoluter Poesie (wie Kap. 2, Anm. 20), S. 74. Ebd., S. 40 (die deutsche Sprache verlangte statt des wie eher ein als). Ebd., S. 74. Ebd., S. 73f.
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Dritter Teil
lich will es mir jedoch scheinen, daß Szondis Verzicht auf solche Bestimmung in seinem Essay zur Engführung ein Vorzug seiner Interpretation ist. Während Theo Buck erstaunt bedauert, daß Szondi trotz der »glückliche[n] Wendung«811 »Atom-Gestöber«812 nicht jenen Pfad, den Janz wählt, nimmt, ist doch festzustellen, daß die allgemein gehaltene Variante das Problem des Verschwimmens jenseits der »totale[n] Vernichtungsmaschinerie«813 besser trifft. Die Hoffnung, im Bewußtsein steten Verlöschens der so dringlichen Erinnerung dem Verschwinden Einhalt zu gebieten, wird man auch aus einem Aphorismus Celans lesen können, der kaum auf Nuklearwaffen beziehbar scheint: »›Alles fließt‹: auch dieser Gedanke, und bringt er nicht alles wieder zum Stehen?«814 Freilich weiß Celan um die geringe Tröstlichkeit einer argumentativ suspendiert scheinenden Zeit, die als Augenblicksmoloch alles in sich zieht – und als Gedanke von Jabès so umschrieben wird: Die Zeit zu denken bedeutet, den Trennungsschmerz zu denken.815 816
Die Mutter der Weisheit [...] ist der Schmerz.
So eröffnet Lévinas, womit alles anhebt (Trauer) und wohl endet (Trauer im Futurum exactum). Ist nicht – trotz der klaren Titelworte – bei Rose Ausländer ein ähnlicher Weg anzuempfehlen? »Pretty silvercrisp angels«817 und die schon erwähnten »spirits from the Old and the New Testament«818 können nur ihres Platzes verlustig gehen und »into deeper nothingness«819 versinken, wenn abseits der ersten Zerstörung der Raum des Gedenkens selbst beschadet ist – vom »spaceless cemetery«820 ist die Rede. Ich will also nicht dem Pfad zu Günther Anders’ Protest folgen, mit dessen Œuvre man »Denken nach Hiroshima«821 assoziiert; er schreibt bekanntlich, es sei »Auschwitz [...] moralisch ungleich entsetzlicher [...] als Hiroshima«,822 doch der Satz lautet unvermindert und in einem klaren Futurum: 811 812 813 814 815 816
817 818 819 820 821
822
Buck, Muttersprache, Mördersprache (wie Kap. 2, Anm. 76), S. 132. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 366. Buck, Muttersprache, Mördersprache (wie Kap. 2, Anm. 76), S. 132; vgl. ebd. (Anm.) zu Szondi, der trotz seiner Formulierung hier »bei seiner Deutung [...] bleibt«. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 165. Jabès, Der vorbestimmte Weg (wie Kap. 1, Anm. 186), S. 52. Emmanuel Lévinas: Die Spur des Anderen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Sozialphilosophie. Hg. und übersetzt von Wolfgang Nikolaus Krewani. 3. Aufl., Freiburg, München: Alber 1998 (Alber Studienausgabe), S. 203. Ausländer, The Forbidden Tree (Anm. 770), S. 9. Ebd. Ebd. Ebd. Ludger Lütkehaus: Philosophieren nach Hiroshima. Über Günther Anders. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1992 (Fischer-Taschenbücher; 11248 – Philosophie), S. 18. Anders, Besuch im Hades (wie Kap. 1, Anm. 188), S. 203; vgl. ebd., S. 203ff.
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Auschwitz ist trotz der Tatsache, daß die Welt nicht durch Auschwitzs, sondern durch Hiroshimas zugrundegehen wird, moralisch ungleich entsetzlicher [...] als Hiroshima.823
Die japanische Stadt mag dafür zeugen, daß es einen Schiffbruch ohne Zuschauer geben könnte.824 Schon eher wäre Günther Anders’ These nachzugehen, es gebe eine »negative Protzerei«825 der Dinge. Dies bedinge »Realismus als Phantastik«826 und (allenfalls) »Phantastik als Realismus«827 – es ist kurz gefaßt das Problem, »daß man der Bombe nicht ansieht, was sie ist«.828 Ihr Aussehen »vertuscht« somit bereits ihr Sein. Wenn Sie sie malen wollten, würden Sie diese Vertuschung mitmalen müssen. Ob sie wollen oder nicht. Jedes noch so realistische Bild der A-Bombe würde dadurch auf eine Verniedlichung hinauslaufen.829
Dem folgt die berühmte These, wir können »uns also Dinge ausdenken, die wir nicht ausdenken können«,830 wir seien »kleiner als wir selbst«.831 Und diesem Unvermögen, aus, also zu Ende oder »zu Tode [zu] verstehen«,832 was ausgedacht werden konnte, tragen die Verse von Rose Ausländer in der Tat Rechnung – man muß gestehen, daß vor dieser Einsicht der Schluß naheliegt, die seltsame Ausweitung der Atombombe ins Mystische stehe am Rande zum Kitsch. So aber ist es eine phantastische (also realistische ...?) Destruktion der Transzendenz selbst, welche die Dichterin skizziert. Formal fällt auf, daß Reim und Ungereimtes sich finden. Gerade dort, wo alles auseinanderfällt, in einem Augenblick korrodiert, entfallen die Reime, die sonst Sinnfälliges oder Folgen in der Zeit binden. Kommen der Katastrophe; die Suche nach den Namen; Augen und Erkennen; Firmament und Altes sowie Neues Testament; die sieben Himmel; versuchte Klärung der Schlieren, all dies reimt sich, während die Asche, die Kinder, das ortlose Begräbnis, der Zusammenbruch der himmlischen Ordnung dem Reim entzogen sind.833 Es folgt ein 823 824 825
826 827 828 829 830 831 832 833
Ebd., S. 203 (Hervorhebung M. H.). Ähnlich paraphrasiert Lütkehaus Blumenberg – vgl. Lütkehaus, Philosophieren nach Hiroshima (Anm. 821), S. 56. Günther Anders: Die Antiquiertheit des Menschen. Bd. 2: Über die Zerstörung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen Revolution. München: Beck, 4. Aufl. 1988 (Beck’sche Reihe 320), S. 35. Ebd., S. 321; bzw. »Eskapismus« – ebd., S. 326. Ebd., S. 316. Ebd., S. 322. Ebd., S. 323. Ebd., S. 324. Ebd. Anders, Mensch ohne Welt (Anm. 442), S.122. Vgl. Ausländer, The Forbidden Tree (Anm. 770), S. 9; »und sich die raunenden / Reime erkennen« – Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 78), Bd 1, S. 178.
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Dritter Teil
zweiter Kollaps der himmlischen Ordnung – nun nicht durch ihr Versagen, den Verlust der Überschneidung, sondern gerade durch Partizipation: But her son had undergone a strange 834 change,
so heißt es auf den Blick Marias hin.835 In der Folge gibt es Kontinuität des Reims nur noch im Paradoxen – in der sich mit dem Verwüsteten verbindenden »whole / [...] Soul«836 und im Wächter, der schläft.837 Fast fühlt man sich hier an ein Gedicht einer anderen jüdischen Dichterin der Bukowina erinnert, deren Umgang mit den Formtraditionen gleichfalls nicht ungebrochen sich doch nicht entfalten durfte838 – an Selma MeerbaumEisingers Poem. Ist auch sein Inhalt drastisch, wirkt dieses Gedicht zunächst harmlos: Warum brüllen die Kanonen? Warum stirbt das Leben 839 für glitzernde Kronen?
Trotz des bis zuletzt erhaltenen Endreims gelingt schließlich der Einbruch dessen, was gerade mit dem Endreim sich schwerlich vereinbaren läßt, indem zuletzt ein postponiertes Satzstück als Ellipse in der Wiederholung die Auflösung des Festgefügten gestaltet: Nie und 840 nie.
Bei Rose Ausländer fällt schließlich die bewußte Kontrastierung auf: Bloß »annoyed«,841 also nicht viel mehr als verärgert oder belästigt sind die Engel, die mit Gesangstunden ausgelastet sind. Es ist nicht zuletzt dies, was sie der Nichtigkeit überantwortet. Erst das schon erwähnte Zerbrechen der Seele des Gottes834 835 836 837 838
839 840 841
Ausländer, The Forbidden Tree (Anm. 770), S. 9. Vgl. ebd. Ebd., S. 10. Vgl. ebd. »Ich habe keine Zeit gehabt zu Ende zu schreiben ...« Selma Meerbaum-Eisinger: Ich bin in Sehnsucht eingehüllt. Gedichte eines jüdischen Mädchens an seinen Freund. Hg. von Jürgen Serke. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1994 (Fischer-Taschenbücher; 5394), S. 93, eine Notiz, welche sich bei einem der letzten Gedichte Meerbaum-Eisingers findet, erweist sich als wohl ahnungslose Benennung eben dieses Umstands. Ebd., S. 51. Ebd., S. 52; vgl. zu Meerbaum-Eisingers mehrsprachiger Existenz Gellhaus u. a.: »Fremde Nähe« (Anm. 154), S. 111. Ausländer, The Forbidden Tree (Anm. 770), S. 9.
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sohnes, die sich nicht lösen kann oder will vom Gegenstand liebender Betrachtung, ist angemessen – und devastiert, was als Heiles etwas zeugen hätte können: His whole Immortal Soul mingled with the immaterial 842 material.
Den Weg vom einigermaßen konkreten Szenario zum kosmologischen Modell einer unheilen Welt beschreitet Rose Ausländer auch in anderen Gedichten – etwa, wenn sie die Augäpfel eines blinden Bettlers, dessen Leben sich in einer »capsuled world«843 vollzieht, in Blind Beggar als ein Paar von dead suns remembering light before eternity 844 became a shade
erscheinen läßt, woraus sich geradezu selbstverständlich eine Welt entwickelt, deren Götter vergangen sind – »gone down in time / with unidentified dust«.845 Die neue Welt erlebt »Aspirin Days«846 und das Zeitalter des Kobalt.847 In dieser unheilen Welt, die meine Studie als Thema durchzieht, ist wahre Schönheit oder schöne Wahrheit vereitelt, bleibt aber als Nostalgie im Erleben das Gespann erhalten, das unmöglich geworden ist: We cannot fathom what compels us to Say »Beauty«, and to feel it to be true.848
Und demgemäß gestalten sich die Gedichte formal immer mehr zur Frage, wie das glatte Ineinandergleiten von Worten noch redlich zu nennen sei, wo Brüche die Welt durchziehen. Diese Brüche führen zu Kürzestzeilen, deren Endreim schon an Akrobatik grenzt ...849 Doch erst in wenigen Anfängen schwindet das elegante Alternieren der Verse, wird der Reim gemieden und zuletzt auch ausgelotet, was uns zur »Schönheit« bewege, was nicht so sehr den Glauben an sie, doch sie selbst diskreditiere. Mountains are lonely thinkers standing between sky and earth.850 842 843 844 845 846 847 848 849 850
Ebd., S. 10. Ebd., S. 22. Ebd. Ebd. Ebd., S. 13. Ebd., S. 11: »our cobalt age«. Ebd., S. 17. Vgl. etwa ebd., S. 171. Ebd., S. 113.
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Dritter Teil
Doch die Spitzen, die zu den Sternen weisen, bleiben Stein; was ihr Faszinosum indes ausmacht, ist, daß sie »height and depth«851 ahnen, doch ihre Mittelstellung annehmen: They do not bow 852 to anything.
Auch hier ist es eine Ausweitung zur Kosmologie, die einer phantastischen Naturbeschreibung folgt – Apollo und Moses beschließen ein Bild, das freilich nicht mehr das Desaster oder die Idylle beschreiben möchte, sondern Rückzug zu einem Punkt ist, der summum bonum und summum malum allenfalls ahnt und Installation des lyrischen Ich genau zu sein sucht: am Parnaß oder auf dem Berg Sinai.853 Übersetzungen Rose Ausländers Rose Ausländer als Übersetzerin und Übersetzte stellt den Leser vor viele Fragen, nicht zuletzt jene, ob man dann das Gedicht als Nexus zwischen Satzuniversen zu verstehen habe. In anderer, allgemeiner zu formulierender Weise bleibt dies zu beantworten. Sicherlich gilt von jeder geglückten Übertragung, daß sie zwar im ständigen Bezug aufs Original »essentially a non-essence«854 ist, dies jedoch in keiner anderen Weise als jener, welche allem Dichten eignet. »To translate is to speak second-hand«,855 schreibt Frey, doch alsbald zeigt sich, woraus in der Folge der Anspruch an die Kunst der Translation sich ergibt: The translation does not become an object of reflection for the reader for whom it is intended. He reads it like an original. The translation can only become a problem for someone who does not need it. [...] The difference between original and translation can only be seen when they are simultaneously present. When the texts are available at the same time, their [...] priority – in every sense of the word – of one to the other is called into question. [...] 856 The original is not something that is established once and for all« ... 851 852 853 854
855 856
Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Hans-Jost Frey: The Relation between Translation and Original as Text. [The Example of Celan’s Version of Shakespeare’s Sonnet 137]. Übersetzt von Georgia Albert und Hans-Jost Frey. In: Word Traces. Readings of Paul Celan. Hg. von Aris Fioretos. Baltimore, London: The John Hopkins University Press 1994, S. 345–352, hier S. 345. Ebd., S. 346. Ebd., S. 347; was das Original dann sei, formuliert Waterhouse, Die Geheimnislosigkeit (Anm. 291), S. 61: »Übersetzen: [...] eine fremde Sprache in der deutschen finden, das ungesprochene Deutsch vielleicht, das unbekannte, das vergessene. Das Deutsche wieder unbekannter machen.« Dies führt Leavy fort: »One Tongue in the mouth of the other [...]: such is translation.« – John P. Leavy: French Kissing. Whose Tongue Is It Anyway? In: The French Connections of Jacques Derrida. Hg. von Julian Wolfreys, John Brannigan und Ruth Robbins. Albany: State University of New York Press 1999, S. 149–163, hier S. 149; damit ist gesagt, was aufzugreifen bleibt ...
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Böschenstein liest in diesem Sinne der Fortschrift statt einer Vorschrift des Originals eine Passage Celans, die Valéry über diesen hinaus folgt – so spricht die Übersetzung: Das »›ich brauch dich nicht, du bist / entbehrlich‹ ist hier in mehr als einem Sinne gültig, nicht thematisch nur, auch sprachlich.«857 »In der Poesie [...] gibt es nichts Fertiges.«858 Freilich ist Vorsicht geboten, wo solche Formulierungen nahelegen, man müsse selbst eine zeitliche Priorität ins Wanken gebracht sehen – was Archaik und Qualität mit einander assoziierte, wo Benjamins treffender Ausdruck der »Nachreife«859 anderes, nämlich Qualität als Forcierung des Formalen und also sozusagen Modernität plausibel erscheinen läßt. So sei auch Böschensteins Formulierung zitiert, wonach es das Ziel einer Übersetzung nicht sein dürfe, einfach zur Nachahmung des Originals, das ja vor allem Impetus zu sein scheint, zu schreiten: Vielmehr gibt [...] [der Akt der Vermittlung] sich als der zweite Text zu einem er860 sten zu erkennen.
Der textuelle Bezug861 läßt jedenfalls somit sagen: As [...] long as the two poems in their correlation are read as text, the first is as much 862 »transferred« into the second as the second »afflicts« the first.
Diese Gedanken werden im Verlauf der Arbeit wiederaufzunehmen sein. Zuallererst ist aufs zur Verfügung stehende Material einzugehen. Die veröffentlichten Gedichtübertragungen entsprechen bei weitem nicht dem Umfang der von der Dichterin geleisteten Übersetzungen; in einer Anmerkung zur Gesamtausgabe heißt es: Rose Ausländers Übersetzungstätigkeit war umfangreicher als hier ersichtlich. Unter anderem hat sie 60 Gedichte von Christian Morgenstern übersetzt. Einen Nachweis 857
858
859
860 861 862
Bernhard Böschenstein: Übersetzung als Selbstfindung. George, Rilke, Celan zwischen Nachgesang und Gegengesang. In: Vom Übersetzen. Zehn Essays. Hg. von Martin Meyer. München, Wien: Hanser 1990 (Edition Akzente), S. 37–57, hier S. 55; vgl. Paul Celan: Gesammelte Werke in fünf Bänden. Hg. von Beda Allemann, Stefan Reichert und Rolf Bücher. Bd 4: Übertragungen I. Zweisprachig. 2. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992, S. 121. Mandelstam, Das zweite Leben (Anm. 647), S. 66; vgl. ebd., S. 70; »Ein Gedicht / beginnt nicht / hört nicht auf« – Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 45), Bd 8, S. 183. »Nachreife auch der festgelegten Worte« – Walter Benjamin: Die Aufgabe des Übersetzers. In: Walter Benjamin: Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann u. a. Bd IV: Kleine Prosa. Baudelaire-Übertragungen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 934), Bd IV/1, S. 9–21, hier S. 12; »Nachreife des fremden Wortes« (ebd., S. 13). Böschenstein, Leuchttürme (wie Kap. 2, Anm. 208), S. 309. Vgl. Frey, The Relation between Translation and Original as Text (Anm. 854), S. 348. Ebd., S. 352.
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über die Veröffentlichung dieser Übersetzungen gibt es bisher jedoch nicht, so wur863 de auch auf die Wiedergabe dieser Texte verzichtet.
Im abschließenden Band der Taschenbuchausgabe sind einige Übertragungen wiedergegeben, auf die ich näher eingehen möchte, zumal sich hier unter den Übersetzten Lasker-Schüler, Shakespeare und Celan finden.864 Ich möchte mit der Übertragung eines Gedichts von Else Lasker-Schüler beginnen: Gebet beziehungsweise Prayer; die Übersetzung erschien in The New Orlando Poetry Anthology 1958.865 Im Gegensatz hierzu handelt es sich bei vielen anderen Texten um Manuskripte.866 Gebet
Prayer
Ich suche allerlanden eine Stadt, Die einen Engel vor der Pforte hat. Ich trage seinen großen Flügel Gebrochen schwer am Schulterblatt Und in der Stirne seinen Stern als Siegel. Und wandele immer in die Nacht... Ich habe Liebe in die Welt gebracht – Daß blau zu blühen jedes Herz vermag, Und hab ein Leben müde mich gewacht, In Gott gehüllt den dunklen Atemschlag. O Gott, schließ um mich Deinen Mantel [ fest; Ich weiß, ich bin im Kugelglas der Rest, Und wenn der letzte Mensch die Welt [ vergießt, Du mich nicht wieder aus der Allmacht [ lässt, Und sich ein neuer Erdball um mich 867 [ schließt.
I seek a city everywhere having an angel at the gate. I wear his great and broken wing heavily on my shoulder blade and on my brow his star as seal. I always wander into night. For every heart to blossom blue I brought my love into the world and all of my life I stayed awake my dark breath wholly wrapped in God. O God, enfold me in your robe. I know I am a speck in crystal ball and when the last man sheds the globe, your allmight will not let me fall 868 a new earthsphere encircling me.«
Es ist evident, daß nun eine Übertragung nicht damit sich begnügen kann, verständlich zu machen – diese Limitation würde zuletzt das tilgen, was in den Versen zu bergen war. Mich interessiert also hier wie im folgenden die Frage, was sich geändert habe, wobei der Bezug auf Walter Benjamins Thesen zur 863
864 865 866 867 868
Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 78), Bd 1, S. 369; zum Umfang des gesamten Nachlasses vgl. Köhl, Der Schaffensprozeß Rose Ausländers (Anm. 641), S. 185. Vgl. Ausländer, Schattenwald (Anm. 571), S. 35ff., 32, 37f. Vgl. ebd., S. 59. Vgl. ebd. Else Lasker-Schüler: Sämtliche Gedichte. Hg. von Friedhelm Kemp. München: Kösel 1966 (Die Bücher der Neunzehn; 134), S. 167. Ausländer, Schattenwald (Anm. 571), S. 36.
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Aufgabe des Übersetzers hinzuzudenken ist. Benjamins Gedanken sind bekannt, der Anspruch, der aus ihnen resultiert, ist klar zu formulieren. »Gilt eine Übersetzung den Lesern, die das Original nicht verstehen?«869 Es kann dies nur zum Teil gelten, erklärt, wo es allein zutrifft, »den Rangunterschied im Bereiche der Kunst zwischen beiden«870 ... Was eine Übertragung in der Tat sein soll, ist freilich zum Original schon aufgrund des Aufschubs auch »das Stadium ihres Fortlebens«.871 Bekannt ist ja Benjamins Bemerkung: »Das Werk ist die Totenmaske der Konzeption.«872 Und so berühmt wie treffend ist angesichts des Abbruchs im Kunstwerk an einem bestimmten Punkte873 auch Benjamins Ausdruck der »Nachreife des fremden Wortes«.874 »Der übersetzte Text ist ein weitergeschriebener Text.«875
Jedes Kunstwerk, so schreibt Adorno, sagt, wiewohl seine Sehnsucht diametral hierzu sein mag: »non confundar«.876 Doch so unverwechselbar oder lauter es sein mag, unausgetragene Tendenzen in ihm erlauben zugleich, es nach seinem Muster und dem Progreß der Kunst fortzuschreiben, ohne es bloß zu entstellen.877 Freys Behauptung, das Original sei »not something that is established once and for all«,878 sei in Erinnerung gerufen. Auch Szondi denkt in dieser Tradition, die er explizit nennt.879 Dies ist nicht zuletzt durch den Nachlaß belegt, worin seine Arbeit an Übersetzungen nicht überraschend gerade dort 869 870
871 872 873 874
875
876 877
878 879
Benjamin, Die Aufgabe des Übersetzers (Anm. 859), S. 9. Ebd. Vgl. auch Lydia Koelle: Paul Celans pneumatisches Judentum. Gott-Rede und menschliche Existenz nach der Shoah. Mainz: Grünewald 1997 (Theologie und Literatur; 7), S. 129. Benjamin, Die Aufgabe des Übersetzers (Anm. 859), S. 11. Benjamin, Einbahnstraße (Anm. 16), S. 49; vgl. auch Menke, Sprachfiguren (wie Kap. 2, Anm. 131), S. 197. Vgl. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 191. Benjamin, Die Aufgabe des Übersetzers (Anm. 859), S. 13; diese poetische Umschreibung eines wahrlich nicht technischen Aktes führt zum Wunder der Übersetzung: »unübersetzbar übersetzt!« – Notiz Paul Celans, zit. in Gellhaus u. a.: »Fremde Nähe« (Anm. 154), S. 508. Felix Philipp Ingold: Üb er’s: Übersetzen. (Der Übersetzer; die Übersetzung). In: Vom Übersetzen. Zehn Essays. Hg. von Martin Meyer. München, Wien: Hanser 1990 (Edition Akzente), S. 144–167, hier S. 149; ein Fortschreiben der Zeugenschaft – in »der maßlosen Übertragung einer Verantwortung« (Jacques Derrida: Politik der Freundschaft. Übersetzt von Stefan Lorenzer. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2000, S. 312), die jene Verantwortung der Übertragung, die das Datum (zu übertragende Verantwortung wiederum) bewahrt, gleichfalls ist. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 199. Zum Gewicht der Idee des Fortschreitens in der Kunst sei aufs Register der Ästhetischen Theorie verwiesen – vgl. ebd., S. 553; zu Fortschritt und Augenblick – vgl. vor allem ebd., S. 17 u. 131. Frey, The Relation between Translation and Original as Text (Anm. 854), S. 347. Vgl. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 325.
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einsetzt, wo es zu Abweichungen kommt.880 Übersetzen als Veränderungsstrategie, so betitelt Friedmar Apel einen Essay, der nicht bloß analytisch gehaltene Schilderung, sondern Plädoyer vor »der Ebene der Sprache als Unübersetzbarkeit von Sätzen verschiedener Ordnung ineinander«881 sein möchte. Es wird sich ebenso bei Derrida, der sein Augenmerk nicht zuletzt auf die »origine à une non-origine«882 richtet, ein solcher Weg zeigen lassen, der freilich hier zur Verspätung als dem Anheben führt ... »Die Verspätung ist [...] das philosophisch Absolute«,883 formuliert Derrida, dessen Bezug zum Übersetztwerden nebenbei bemerkt wert wäre, Gegenstand einer Untersuchung zu werden.884 Ist Rose Ausländer den formulierten Ansprüchen gewachsen? Zuallererst fällt ihre Kürzung im Versmaß auf. Von zwei Versen abgesehen verwendet Else Lasker-Schüler fünfhebige Jamben, nur im dritten und im sechsten Vers entfällt eine Hebung. Dagegen sind in der Übersetzung außer dem zwölften Vers, einem fünfhebigen Jambus alle Zeilen zu vierhebigen Jamben verkürzt, wobei – z. B. im neunten Vers: all of my life – zuweilen auch zum Anapäst gegriffen worden ist, sich außerdem beispielsweise in der zweiten Zeile ein Trochäus findet. Das strikte Reimschema jeder Strophe (A–A–B–A–B) Lasker-Schülers ist bei Rose Ausländer aufgegeben; zu mehr als einem Kreuzreim kommt es hier nicht (gate – blade; robe – ball – globe – fall). Dem entspricht die Vielzahl von Assonanzen im Original, so sind Stirne und Stern, blau zu blühen und andere Wortpaare entwickelt, die nun allerdings Eingang auch in die Übertragung gefunden haben, etwa in blossom blue. Auffällig ist außerdem, daß in Gebet vor allem weiche, stimmhafte Konsonanten gebraucht sind, sieht man von Stirne und Stern ab; weit härter ist schon der Klang von I seek a city everywhere. Was nun das Vokabular oder auch grammatische Ordnungen betrifft, besteht in der Übersetzung ein Zug zur Eindeutigkeit. Gebrochen kann bei LaskerSchüler der Flügel ebensogut wie jener, der ihn trägt, sein. Dagegen weiß man in Prayer, daß es his broken wing ist. Auch das Wachen zu Müdigkeit ist nun ein 880 881
882 883
884
Vgl. Gellhaus u. a.: »Fremde Nähe« (Anm. 154), S. 454f. Friedmar Apel: Übersetzen als Veränderungsstrategie. In: Der Prokurist, Nr 1.2, April 1990: Was Sprache ist? S. 222–248, hier S. 222; Apel schließt: »Falls man überhaupt noch daran glaubt, daß die Literatur etwas bewegen kann, so wäre solcher Mut zur Veränderungsstrategie [...] vonnöten.« (Ebd., S. 248) Derrida, Du droit à la philosophie (wie Kap. 1, Anm. 158), S. 314; vgl. ebd., S. 309. Jacques Derrida: Husserls Weg in die Geschichte am Leitfaden der Geometrie. Übersetzt von Rüdiger Hentschel und Andreas Knop. München: Fink 1993 (Übergänge; 17) am Leitfaden der Geometrie, S. 202. Vgl. etwa Jacques Derrida: Babylonische Türme. Wege, Umwege, Abwege. Übersetzt von Alexander García Düttmann. In: Übersetzung und Dekonstruktion. Hg. von Alfred Hirsch. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997 (Edition Suhrkamp; 1897 – Aesthetica) S. 119–165, hier S. 145; Werner Stegmaier: »Die Dekonstruktion ist die Gerechtigkeit«: Jacques Derrida. In: Zeitgenössische französische Denker: eine Bilanz. Hg. von Joseph Jurt. Freiburg im Breisgau: Rombach 1998. (Rombach Wissenschaft: Reihe Litterae; 61), S. 163–185, hier S. 165.
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lebenslanges Wachen; und sogar die Liebe erfährt eine Zuordnung – davon, daß es des lyrischen Ichs Liebe ist, die es bringt, steht zunächst bei Lasker-Schüler nichts ... Nebenbei sei vermerkt, daß Rest mit speck übertragen ist, was dann doch eine interessante Wendung, nämlich eine des lyrischen Ichs ins Negative ist – die Assoziationen machen dem Rest den Vorwurf, mehr als ein Fleck, ein Rest, ein Spritzer nicht zu sein, doch gerade dieses Flöckchen, das die Ordnung seiner Schöpfung zu stören scheint, bewahrt Gott. Die allgemein nichtsdestotrotz zu konstatierende Tendenz hin zu einer Eindeutigkeit ist, so muß man sagen, nicht eine zu Präzision.885 Der Bezug nämlich von Gebet und Angebetetem selbst ist nicht so ungebrochen und univok, wie meinen könnte, wer allein die Übersetzung läse. Es ist jene menschliche Grundbefindlichkeit, von der Celan in seiner Rede Der Meridian spricht, die sich auch hier findet: »Wer auf dem Kopf geht, [...] der hat den Himmel als Abgrund unter sich.«886 Dieser Satz selbst ist längst nicht allein Verweis auf Schrecken und Majestät dessen, was dem Verkehrten schon entzogen ist. Auch der »Abgrund des Menschen«887 ist zu bedenken, das »Außermenschliche«888 des Menschlichen par excellence, des Gedichts, das »Schroffe der Dichtung«;889 zu bedenken ist die Hierarchie, die solche Verkehrung bewirkt.890 Und zu bedenken ist das »Enthoffen«.891 Wer betet, fühlt wohl die »transzendentale[n] Heimatlosigkeit«;892 längst ist argumentiert worden, daß das Säkulare und Aufgeklärte sakraler Praktiken kaum zu unterschätzen ist: »Alle menschlichen Opferhandlungen, planmäßig betrieben, betrügen den Gott, dem sie gelten: sie unterstellen ihn dem Primat der menschlichen Zwecke, lösen seine Macht auf«,893 so schreibt Adorno. Opfern ist Handel, der Camouflage zum Trotz eine Art profaner Handlung. Im Bild vom in einem Unwetter verlorenen Schiffchen, dessen Mannschaft Fracht ins Meer wirft, sind das Opfern und die Gewichtsreduktion für eine Handlung plausible Motivationen.894 Ist 885 886 887 888 889 890 891 892
893 894
Vgl. auch Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 167. Ebd., S. 195. Celan, Der Meridian (wie Kap. 2, Anm. 257), S. 89. Ebd. Ebd., S. 90. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 91. Georg Lukács: Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik. Mit dem Vorwort von 1962. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1994 (dtv; 4624 – dtv wissenschaft), S. 52. Adorno / Horkheimer, Dialektik der Aufklärung (Anm. 230), S. 57; die Idee des »ungläubigen Priester[s]« (ebd.) sei nur erwähnt. Vgl. Hans Blumenberg: Die Sorge geht über den Fluß. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988 (Bibliothek Suhrkamp; 965), S. 45f.
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Dritter Teil
erkennbar, »daß die symbolische Kommunikation mit der Gottheit durchs Opfer nicht real ist«?895 Ein Augenzwinkern, ein Achselzucken, ein Fußwippen, ein flüchtiges Erröten, ein Anfall von Herzklopfen können Sätze sein. – Und das Schwanzwedeln eines Hundes, die gespitzten Ohren einer Katze? – Und ein Regenschauer, der von Westen 896 über das Meer aufzieht? Du hörsts regnen und meinst, auch diesmal 897 sei’s Gott.
Kommt es zum Opfer, müßte man den »fluktuierenden Zusammenhang mit der Natur«898 voraussetzen, der durch die »Konstitution des Selbst«899 bedroht ist. Eine eindeutige Ordnung der Verhältnisse bleibt noch wie beim subtilen Opfer von Zeit und Gedanke im Gebet aus, ist doch eine Epiphanie noch Bedingung für den Blick auf »das Gottverlassene der Welt« ...900 Fast ist es müßig, nach dieser theoretischen Teichoskopie zu Safranskis Satz zu gelangen, der das Böse selbst als das, »was einen [...] [am Weltvertrauen] hindern kann«,901 aber auch als das, was das »Weltvertrauen auf Kredit«902 nicht erbringen will, bezeichnet und in der Folge einen so kuriosen wie scharfsinnigen kategorischen Imperativ versucht: Man »kann [...] immerhin versuchen, so zu handeln, als ob ein Gott oder unsere eigene Natur es gut mit uns gemeint hätten.«903
In der Tat müßte man auch so lesen und übersetzen, was von Rose Ausländer in ein seltsam idyllisches Bild gewandelt worden ist. Das lyrische Ich mag Liebe gebracht und sich müde gewacht haben, dunkel bleibt sein Atemschlag; sein Flügel ist der Flügel eines Engels und gebrochen wie das Ich vielleicht auch selbst. Der Stern in der Stirne ist wohl nicht nur Siegel himmlischer Ordnung, sondern auch Mal dessen, der den ungebrochenen Bezug zum Gott des Paradieses im Ackerbau suchte und verstoßen wurde – das Mal Kains.904 895 896
897 898 899 900 901 902 903 904
Adorno / Horkheimer, Dialektik der Aufklärung (Anm. 230), S. 58. Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 125, Nr 110; Serres’ Gleichung: »Das Rationale ist ein [...] Blitz plus ein Gedächtnis.« – Michel Serres: Hermes. Übersetzt von Michael Bischoff, hg. von Günther Rösch. Bd IV: Verteilung. Berlin: Merve 1993, S. 85. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 269. Adorno / Horkheimer, Dialektik der Aufklärung (Anm. 230), S. 58. Ebd. Lukács, Die Theorie des Romans (Anm. 892), S. 79. Rüdiger Safranski: Das Böse oder Das Drama der Freiheit. München, Wien: Hanser 1997, S. 316. Ebd. Ebd., S. 330. Vgl. Gen 4,1–16; das Mal dessen, dessen Schuld im Verstoß gegen die Ordnung auch des Begehrens besteht – vgl. Elisabeth Bronfen: Nur über ihre Leiche. Tod,
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Der Stirn als Ort eines Mals905 gesellt sich ein weiterer zu, vielleicht von Flügeln herrührend, deren Erinnerung ein Heilen nicht zuläßt ... Der Dichter ist derjenige, der im Unmöglichen selbst das Wirkliche sucht. Darum verliert er erneut das Liebesobjekt, um dessentwillen die Hadesfahrt unternommen wurde. Dies läßt ahnen, daß der Dichter und Totenweltfahrer auch der exemplarische Tätowierte ist. Ihm steht eine Todeserfahrung zwischen die Schulterblätter geschrieben, die ihn für immer zwingt, von etwas Verlorenem zu singen. [...] Für uns bleibt die Aufgabe, zu begreifen, daß das Verbot, sich umzudrehen, nur die Unmöglichkeit umschreibt, sich selbst zwischen die Schulterblätter zu schauen, wo die Feuerzeichen der unwiderruflichen Trennungen stehen. [...] Aber zwischen dem Verlorenhaben und dem erneuten Verlieren öffnet sich Raum [...]. Diesen Raum eröffnet die Poesie, indem sie sich ins Ungewisse aussetzt. [...] Aus der Unversöhnlichkeit der 906 Trennungen erwächst der Traum neuer Verbindungen, die das Fatum vertagen.
En passant sei auf die Tätowierung in Gedichten der Lyrikerin hingewiesen907 – und darauf, daß die Zeichen auf der Haut der Trauer auch historisch verbunden sind.908 Und man muß auf ein Poem Celans verweisen, das die gezeichnete Haut als conditio humana versteht, wenn es von ihm heißt: seine erste muttermalige, geheimnisgesprenkelte 909 Haut.
Es ist auch der Gott Kains und dieser Verse einer, in dessen Mantel fest zu ruhen zwiespältig ist, läßt er doch nicht wieder aus der Allmacht, was ihn als Übervater, dessen Geschöpf im Kugelglas so behütet wie gefangen ist, nicht allein zum Inbegriff etwa der Güte, freilich noch weniger der Malice machte.
905 906
907 908 909
Weiblichkeit und Ästhetik. Übersetzt von Thomas Lindquist. München: Kunstmann 1994, S. 460 u. 463. Vgl. Sloterdijk, Zur Welt kommen – Zur Sprache kommen (Anm. 301), S. 25. Ebd., S. 28f.; vgl. ebd., passim; »Der Philosoph, [...] der Künstler scheinen vom Land der Toten zurückzukehren.« – Gilles Deleuze / Felix Guattari: Was ist Philosophie? Übersetzt von Bernd Schwibs und Joseph Vogl. 2. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1996, S. 239; der Philosoph bringt vom »Chaos [...] Variationen, die unendlich bleiben, aber untrennbar geworden sind« (ebd.), der Künstler bringt durch »Varietäten« (ebd., S. 240), was ans »Sein des Sinnlichen« führt, »das Unendliche zurückzugeben vermag [...]: Es geht immer darum, das Chaos durch eine Schnittebene zu überwinden, die es durchquert.« (Ebd.) Vgl. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 99), Bd 2, S. 312 und (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 232 u. (wie Kap. 1, Anm. 4), Bd 7, S. 162. Vgl. etwa Cohen, N° (Anm. 392), S. 69ff.; vgl. auch Beil, Sprache als Heimat (Anm. 525), S. 331f. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 234; just diese Zeichnung ist eine nachträgliche – vgl. Celan, Werke (Anm. 278), Bd 9.2, S. 56.
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Dritter Teil
Das bedeutet, daß es kaum ratsam ist, das Polyvalente der Verse, wie Rose Ausländer es tut, zu glätten; und es wäre, so möchte man sagen, einiges möglich gewesen, hätte sich vielleicht sogar aufgedrängt. Ich möchte nicht den hemdsärmeligen Eindruck dessen machen, der zuletzt die Verse der zu Interpretierenden verschlimmbessert, aber die lautliche Fastidentität von wear und bear, die in Prayer ungenutzt bleibt, wäre beispielsweise geeignet gewesen, das Tragen des großen Flügels exakter, nämlich unter Berücksichtigung seiner Polysemie zu erfassen ... Ganz glücklich kann man mit dieser Übertragung wohl nicht sein.910 Für wesentlich besser halte ich Rose Ausländers zweite Übersetzung von Else Lasker-Schüler, wobei man versucht ist, die Beziehung zur Mutter in ihrer Ambivalenz für beide Dichterinnen als einen der Gründe hiefür anzunehmen911 – es erstaunt ja, daß gerade dieses Nebeneinander von Behüten und Unter-, ja Erdrücken in Prayer so schwachen Ausdruck findet. Meine Mutter
My Mother
War sie der große Engel, Der neben mir ging?
Was she the great angel who walked at my side? Or is my mother buried under the sky of smoke?
Oder liegt meine Mutter begraben Unter dem Himmel von Rauch – Nie blüht es blau über ihrem Tode. Wenn meine Augen doch hell schienen Und ihr Licht brächten. Wäre mein Lächeln nicht versunken im [ Antlitz, Ich würde es über ihr Grab hängen. Aber ich weiß einen Stern, Auf dem immer Tag ist; Den will ich über ihre Erde tragen.
O that my eyes could shine bright and bring her light. Were my life not drowned in my face, I should hang it over her grave. But I know a star where there is always day – – I will carry it over her soil. I shall always be alone now as the great angel 913 who walked at my side.
Ich werde jetzt immer ganz allein sein Wie der große Engel, 912 Der neben mir ging. 910
911 912 913
Zur Schwebe in Lasker-Schülers Sprache, die zuletzt auch die Einfachheit Gottes nicht unbeeinflußt beläßt – vgl. Meike Ningel: Die Unzugänglichkeit des Eigenen. Zur Logik von Else Lasker-Schülers Umgang mit Sprache. In: Die Fremdheit der Sprache. Hg. von Jochen C. Schütze. Hamburg: Argument-Verlag 1988 (Literatur im historischen Prozeß N. F.; 23 – Argument-Sonderband; 177), S. 103–116, hier S. 103, 109 u.112f. Vgl. etwa Held, Evas Erbe (wie Kap. 1, Anm. 27), S. 205. Lasker-Schüler, Sämtliche Gedichte (Anm. 867), S. 162. Ausländer, Schattenwald (Anm. 571), S. 35.
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Auch wenn Ausländers Übersetzung deutlich kürzer als das Poem LaskerSchülers zu sein scheint, ist es genau e i n e Zeile, die bei ihr entfällt – und die ersten Zeilen werden zu einem Block zusammengezogen. Ist auch der Satz, der die eigentümliche Frage beschließt, einer, der das Offenstehen der Fragen zu Worten verdichtet – nie blüht es blau über ihrem Tode –, als Entfallen allein ist, was in der Übertragung vollzogen ist, nicht zu verstehen. Vielmehr sind Wunder und Vergänglichkeit des bewahrenden Wesens, mit dem Heimat zu erstehen und zu verfallen scheint, dichter geknüpft. Zu Drastik greift die Übersetzung denn auch, wo nicht Lächeln, sondern life nicht versunken, sondern drowned ist. Ertrunken oder gar ertränkt ist das Leben selbst. So ist »die Klage [Lasker-Schülers] über den Verlust ihrer mystischen Gemeinschaft mit der Mutter und also über die Zerstörung ihres Schöpferglücks eine Klage über den Untergang einer ganzen Welt«.914 Diese Welt klingt auch in Gedichten wie Mein blaues Klavier ja an, worin die Dichterin um Einlaß bittet, da verschlossene Türen zur conditio humana werden: Ach liebe Engel öffnet mir – Ich aß vom bitteren Brote – Mir lebend schon die Himmelstür – 915 Auch wider die Verbote. Das Wort »Verbot«, mit dem das Gedicht ausklingt, macht stutzen. Die Flüchtlinge kannten die verschlossenen Türen der Landesgrenzen nur zu gut. Hier soll nun ein 916 allerhöchstes und unumstößliches Einreiseverbot aufgehoben werden.
Wo, was möglich schiene, nicht ist, muß das Unmögliche die »letzte Steigerung [...] irdischer Verbote«917 vereiteln, so könnte man hier – vielleicht nicht ganz d’accord mit Klüger – weiterdenken ... Der Engel aus Meine Mutter entspricht, es läßt sich zuletzt erahnen, also dem Gott, an den seine Kreatur, selbst Engel nicht mehr, sich wendet: O God, enfold me in your robe. [...] your allmight will not let me fall 918 a new earthsphere encircling me.
Solche Anrufung wird »zu einer offenen Wunde am Leib der Sprache.«919 914 915 916
917 918 919
Peter von Matt: Die verdächtige Pracht. Über Dichter und Gedichte. München, Wien: Hanser 1998, S. 195. Lasker-Schüler, Sämtliche Gedichte (Anm. 867), S. 199; vgl. ebd., S. 198f. Ruth Klüger: Die drei Türen der Verbannung. In: Frauen dichten anders. 181 Gedichte mit Interpretationen. Hg. von Marcel Reich-Ranicki. Frankfurt a. M., Leipzig: Insel 1998, S. 188–190, hier S. 189. Ebd. Ausländer, Schattenwald (Anm. 571), S. 36. Matt, Die verdächtige Pracht (Anm. 914), S. 192; vgl. auch ebd., S. 196.
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Dritter Teil
Die meisten Varianten, so ist hier zurückzugehen, sind an Prayer metrisch begründet. Man kann sehen, wie aus and all of my life die im Versmaß alternierende Formel Throughout my life (Vorstufe aus einem bei Max Scherzer belassenen Koffer, dessen Inhalt im Besitz von Helmut Braun ist) wird, wie in drei Stufen eine Verszeile sich formt: 1. O God, fold firm round me your robe. 2. O God, fold round me tight your robe. 3. O God, enfold me in your robe.
Doch setzt hier auch eine Schwächung des Belastenden jener metaphysischen Instanz ein, der entspricht, daß das zunächst gesetzte enclasping durch encircling in den Typoskripten handschriftlich ersetzt ist. Schwingt in der zweiten Version die Rundung der Sphäre mit, so ist zudem die Umfassung erst in zweiter Linie eine Einkesselung, während in clasp das Schließen, Umklammern, der kaum zu lösende (Metallspange) Griff gegeben sind. Freilich kann man an dieser Stelle Benjamins Gedanken zur Rettung nicht abtun: »Zum Bilde der »Rettung« gehört der feste, scheinbar brutale Zugriff.«920 Das Retten aber ist auch, was dem großen Engel zugehört, womit der Kreisgang getan ist; denn to clap one’s hands together heißt auch die Hände falten, was nun zweifelsohne nicht Gottes, sondern der – betenden – Engel ist. Eine Welt, die der Rettung – und sei’s durch Engel – bedarf, ist keine intakte, doch ist sie ungleich erträglicher als eine Welt, der die Spuren solcher Heimat noch fehlen. Dieses Entlassen-Sein aus einer nicht heilen Welt in eine sozusagen unheile setzt Rose Ausländer überzeugend um. Der Verfall des rettenden Zugriffs als Residuum eines geahnten ordo verträgt denn auch die Atemlosigkeit, die sich die Übersetzung herausnimmt, deren Qualität kurioserweise darin sich zu zeigen beginnt, daß sie keine gründliche, auf den zweiten Blick erst: keine mechanische Arbeit darstellt. Noch der Reim, der nicht bemüht wirkend eingeführt wird, zeugt von der Beschleunigung ins Atemlose, die unternommen worden ist. Metrisch ist hier wenig geschehen, auch wenn die Jamben der Lasker-Schüler im ersten Vers gelungener als jene der Übersetzung sind, da hierin Hebungen aneinanderprallen, doch das reimhafte Anklingen bis hin zu bright – light ist nicht fehl am Platze. Die Erbfolge als Engel schließlich beeindruckt bereits beim wunderbaren, zurecht nicht unbekannten Gedicht Lasker-Schülers. Hier ist nur zu sagen, daß mittels der Sprache jener Schritt angedeutet und letztlich vollzogen ist, der in der Einsamkeit eines unvollkommenen Retters unvollkommener Geschöpfe in unvollkommener Welt schreitet. Man weiß, wie tief die Unmöglichkeit solcher Rettung 920
Walter Benjamin: Zentralpark. In: ders., Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann u. a. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1980 (Edition Suhrkamp – Werkausgabe), Bd I/2, S. 655–690, hier S. 677; vgl. auch ders., Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann u. a. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 935), Bd V: Das Passagenwerk, S. 592.
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im Wort von Rose Ausländer empfunden wurde; zum Sprachwechsel schreibt Bower: »Mit der Mutter schien ihr auch die Muttersprache entglitten zu sein.«921 Nicht erst diese Dichterin schreibt »vom Mutterland«.922 Es bleibt der Stil »als Staudamm gegen den Pessimismus«,923 dem inzwischen ein massives Durchsikkern anzumerken ist – das Scheinbare des Stils ist dem Scheinbaren seines Materials gewichen, wovor er seine Eigentlichkeit gewissermaßen erfährt.924 Die Rede von »der Katastrophe in Permanenz«,925 sie läßt nur als Traum eine Welt bestehen, die mehr denn ein »Bild der erstarrten Unruhe«926 wäre. Der Grübler, dessen Blick, aufgeschreckt, auf das Bruchstück in seiner Hand fällt, 927 wird zum Allegoriker.
Diese Welt, nicht mehr, was sie einst zu sein schien, äfft unwillentlich, darum tragisch Heimat – Und glaube unserm Monde, Gott, Denn er umhüllte mich mit Schein, Als wär ich hilflos noch und klein, 928 – Ein Flämmchen Seele. 929
Die Rettung hält sich an den kleinen Sprung in der kontinuierlichen Katastrophe.
Wie behandelt Rose Ausländer Paul Celans Mit zeitroten Lippen?
921 922 923 924 925 926 927 928 929 930
Mit zeitroten Lippen
With Time-red Lips
Im Meer gereift ist der Mund, dessen Worte der Abend hier nachspricht im Angesicht seiner Länder. Murmelnd spricht er sie nach, mit zeitroten Lippen.
Matured in the sea is the mouth whose words the evening here mimics in the face of its lands. Murmuring it repeats them with time-red lips.
Mund, gezeitigt vom Meer, vom Meer, wo der Thun schwamm im Glanze, der menschenher strahlt.
Mouth seasoned by sea, by the sea where the Thun swam in brilliance that radiates mankindward.
Bower, »Aus dem Ärmel der toten Mutter hol ich die Harfe« (wie Kap. 1, Anm. 77), S. 86. Lasker-Schüler, Sämtliche Gedichte (Anm. 867), S. 161. Benjamin, Zentralpark (Anm. 920), S.657 Vgl. ebd., S. 659. Ebd., S. 660. Ebd., S. 666. Ebd., S. 676. Lasker-Schüler, Sämtliche Gedichte (Anm. 867), S. 199. Benjamin, Zentralpark (Anm. 920), S. 683; vgl. ebd., S. 677; Benjamin, Gesammelte Schriften, Bd V/1 (Anm. 920), S. 592. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 136f.
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Dritter Teil
Silber des Thuns, den der Strahl traf, Spiegelsilber des Thuns: aufscheint den Augen die zweite, die wandernde Glorie der Stirnen.
Thun hit by the ray, Thunsilver, mirror-silver of Thun: The second, the wandering glory of temples illumines the eye.
Silber und Silber. Doppelsilber der Tiefe.
Silver and silver. Double-silver of depth.
Rudre die Kähne dorthin, Bruder. Wirf deine Netze danach, Bruder.
Row the boats out there, brother. Throw your nets for it, brother.
Zieh es herauf, wirf es uns in die Häuser, wirf es uns auf die Tische, wirf es uns auf die Teller –
Pull it up, throw it into our houses, throw it on our tables, throw it in our dishes.
Sieh, unsre Lippen schwellen, zeitrot auch sie wie der Abend, murmelnd auch sie – und der Mund aus dem Meer taucht schon empor 930 zum unendlichen Kusse.
See, our lips are swelling: Time-red they too like the evening, murmuring they too – and the mouth from the sea emerges 931 for the infinite kiss.
Um die Akkuratesse dieser Übertragung würdigen zu können, ist zunächst zu sehen, welche poetischen Strategien Celan entfaltet, um in den Versen stabile Assoziationen zu gestalten. Der Abend mit zeitroten Lippen spricht die Worte des Mundes nach, der das Meer schon geküßt hat – denn dieses Poem ist derart dem Moment verhaftet, daß es, ist es gelesen, schon fast nicht mehr wahr sein kann. Auf dieser Ebene ist nicht nur das Meer dem Mund, sondern dieser wiederum dem Mond zuzuordnen; zuletzt ist es der Kuß von Himmel und Erde im Mondaufgang, der erinnert und in scheinbarer Naivität erzählt wird, der Kuß von Οὐρανός und Γαῖα der wiederum für eine Begegnung auf sexueller Ebene steht, aus der bekanntlich Κρόνος hervorgeht. Daraus wiederum erhellt sich, wieso die Zeit betont ist – nicht allein ist Abend-Rot eine ephemere Erscheinung, nicht nur verweisen die verborgenen Akteure auf uralte Zeiten, für die das Griechische bezeichnenderweise das Wort κρονικός kennt, es ist aufgrund der Namensähnlichkeit schließlich in den orphischen Spekulationen der Fruchtbarkeitsgott Κρόνος zum Gott der Zeit (χρόνος) geworden. Das Wort ge z e i t igt fällt also, wie man es in einem Gedicht Celans anders auch nicht vermuten sollte, nicht zufällig; Celans Gedichte kreisen gerade hierum, um ihren und der Sprache »Zeitigungscharakter«.932 931 932
Ausländer, Schattenwald (Anm. 571), S. 37f. Hamacher, Die Sekunde der Inversion (wie Kap. 2, Anm. 84), S. 94.
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Bekannt ist, daß einiges, was bis zu diesem Punkt gefunden ist, sich auch bei Eichendorff findet; wo Celan eine eigene Kosmologie aus genial gestreuten Assoziationen entwickelt, spielt jener mit dem Motiv der Mythologie, um schließlich über die Heimat zu träumen, deren Bestand zwischen schon fast metaphysischer Größe und Ironie noch zu bedenken sein wird: Es war, als hätt’ der Himmel 933 Die Erde still geküßt –
so beginnt er sein bekanntes Gedicht Mondnacht, über das zu sprechen freilich in der gebotenen Kürze nicht möglich ist.934 Nicht allzu gewagt ist es immerhin, auf »die »als ob«-Figur«935 zu verweisen – auf »die Schutzlosigkeit seines Gestus«:936 Mondnacht »trägt das Gefühl der absoluten Heimat nur darum, weil es nicht unmittelbar die beseligte, sondern mit einem Akzent unfehlbaren metaphysischen Takts bloß gleichnishaft ausgesprochen wird«.937 Was verbringt in diese poetische Atmosphäre den Thun, jenen Fisch, der als gejagtes Tier ebenso wie als Raubfisch vorzustellen ist? Zu denken ist an den Rhythmus des Lebens, worin die Größen Fruchtbarkeitsgott und Gott der Zeit einander berühren; an seine Doppelexistenz, die sich aus dem Spiegelsilber für den Mondstrahl ergibt, und auch ans Doppelsilber – schon längst ist der Thun nicht mehr heil, da er die Idylle spiegelnd zugleich Quecksilber in sich trägt ... Vielleicht ist zudem ans mittels Paronomasie in den Stillstand des Augenblicks gerufene Tun zu denken, womit der Zeit der Lyrik – wiederum nicht in strikter Opposition – eine andere Zeit beigesellt wird. Celan taucht die ganze Szenerie in ein Silber, das überaus zweideutig ist, fortführt, was schon das Auseinanderfallen des poetischen Zeugungsakts in Mythos und Spiel beginnt, wobei freilich schon die Mythologie Terror und Spiel (Titel des vierten Poetik und Hermeneutik-Bandes) in sich schließt. Zu beobachten ist in diesen Versen die Ratlosigkeit vor der endlosen Streuung des Blickes, die das Beobachtete verlangt, die zugleich der Vernunft geschuldet ist, die sich um die Ökonomie ihrer Ordnung hier beständig geprellt sieht. Sagen Sie, worin sehen Sie bei einem Wahnsinnigen den unheimlichen Ausdruck seines Wahnes? In den erweiterten Pupillen – weil sie blicklos sind, auf nichts Spezielles 938 gerichtet [...]? [...] Der Dichter gerät unter den Verdacht wahnsinnig zu sein. 933 934 935
936 937 938
Eichendorff, Gedichte (Anm. 202), S. 120. Vgl. Theodor W. Adorno: Zum Gedächtnis Eichendorffs. In: ders., Noten zur Literatur (Anm. 11), S. 69–94, hier S. 91. Wolfgang Frühwald: Zur Erneuerung des Mythos. Zu Eichendorffs Gedicht Mondnacht. In: Gedichte und Interpretationen. Bd 3: Klassik und Romantik. Hg. von Wulf Segebrecht. Stuttgart: Reclam 1984 (Universal-Bibliothek; 7892[5]), S. 395–407, hier S. 399. Adorno, Zum Gedächtnis Eichendorffs (Anm. 934), S. 84. Ebd., S. 73. Ossip Mandelstam: Vom Gegenüber. Übersetzt von Dierk Rodewald. In: Paul Celan. Hg. von Werner Hamacher und Winfried Menninghaus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988 (Suhrkamp-Taschenbuch Materialien; 2083), S. 201–208, hier S. 201.
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Dritter Teil
»Die Furcht vor dem konkreten Gegenüber«939 meint Zuhörer wie Gegenstand, wobei letzterer vielleicht gerade in seiner Macht Erweiterung ins Diffuse als Gegenteil von Blicklosigkeit erzwingt. Wo weicht Rose Ausländer nun in ihrer Übertragung, die sich als Manuskript im Nachlaß fand,940 vom Gedicht Celans ab? Bei aller Präzision gehen einige Referenzen, die aus dem Klang erstehen und ein doppeltes oder sogar multiples Band zeitigen, verloren; mouth ist von moon nicht allzuweit, aber deutlich weiter als Mund von Mond entfernt. Das Wort seasoned gibt nur eine Sinnebene von gezeitigt wieder, sein reizvolles Assonieren mit sea kann nur bedingt trösten. Gelungen ist dagegen das fast unvermeidliche Doppeldeutige im Wort second, das zweite übersetzt, aber auch ans Flüchtige des Geschilderten erinnert, an die Tangenten oder sogar Sekanten, die zwei Zeiten im Gedicht sind. Ansonsten ist zu beobachten, daß der exakten Entsprechung an einigen Stellen der Fluß der Worte zum Opfer fällt – Thun hit by the ray etwa beginnt mit zwei Hebungen, wo Celan in Daktylen gerade das Gegenteil sucht, den ungehemmten Fluß. Allein in der Wendung zur second, deren Ambiguität sich darum als betont erweist, erfolgt eine deutliche Abkehr von Celan, dem an dieser Stelle Vorzüge der anderen Sprache entgegengesetzt werden, weshalb diese Passage von With Time-red Lips nicht die uninteressanteste ist. Im Überblick scheint diese Übertragung zu leisten, was an einer Dichtung möglich ist, die auf »das schicksalhaft Einmalige der Sprache«941 baut, darauf, daß »Kein Name, der nennte«,942 ist. In Rose Ausländers Werk finden sich noch einige Übersetzte mehr – ein Dichter sei darunter besonders hervorgehoben, da diese Texte erst vor kurzem für ein breiteres Publikum geborgen wurden: Christian Morgenstern. Sie wurden lange Zeit lediglich als Auslassung der Gesammelten Werke in 8 Bänden genannt, sind noch nicht einmal als solche in der Taschenbuchausgabe vermerkt und wurden erst jetzt von Helmut Braun und mir (nach einer ersten Vorstellung einiger Texte im Rahmen des Bukarester Rose Ausländer-Symposions 2001) veröffentlicht – dies, da die Gedichte zwar dem Nachlaß angehören, jedoch ihre Veröffentlichung als Komplex offenbar sehr konkret geplant war, ehe sich die Dichterin so abrupt dem Deutschen wieder zuwandte, wie sie sich Jahre zuvor dem Englischen verschrieben hatte.943 Bestehende Möglichkeiten für englischsprachiges Material ignorierend lagerte Rose Ausländer diese Übersetzungen bei Max Scherzer in einem der beiden Koffer ein, die in New York verblieben – heute befinden sich die Manuskripte im Besitz von Helmut Braun. Unter dem Titel von Morgenstern entlehnten Titel Lunovis ips’albumst sind die nicht immer, doch oft 939 940 941 942 943
Ebd., S. 205. Vgl. Ausländer, Schattenwald (Anm. 571), S. 59. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 175. Ebd. (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 226. Vgl. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 78), Bd 1, S. 369.
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kongenialen Übertragungen Rose Ausländers gesammelt: 18 Gedichte und 33 Aphorismen, die in Rekonstruktionen einer letztgültigen Fassung sowie einer Darstellung der Genese in Bälde vorgestellt werden – eingebettet in übersetzungskritische und interpretatorische Fragen behandelnde Annotationen meinerseits.944 Rose Ausländer als Übersetzte Nicht allein als Übersetzende, auch als Übersetzte ist Rose Ausländer zu lesen. Ich möchte aus der Fülle in Anthologien und Zeitschriften, aber auch eigenen Bänden erschienener Versuche die Selected Poems kurz betrachten, die Ewald Osers 1977 veröffentlicht hat. Dort finden sich – nicht ganz überraschend – Gedichte, die angloamerikanische Tangenten aufweisen, womit vor allem die Themen gemeint sind. Chinatown und 100 Fahrenheit lasse ich jedoch beiseite, um mit Unvollendet, bei Osers Unfinished zu beginnen. Dieses Gedicht, das mit Gründen nochmals ins Blickfeld kommen wird, zeigt das Problem, den getragenen Ton der Dichterin zu bewahren, recht deutlich. »Liebeslinie Lebenslinie«,945 schreibt Rose Ausländer, die Übersetzung lautet: »love line life line«.946 Natürlich ist es nicht auszuräumen, daß der Stabreim schon im Original die Zeile bindet; nichtsdestotrotz ist es problematisch, mit den zerrissenen Worten diesen Effekt so stark zu betonen. Und noch heikler ist die Verkürzung, die eintritt, hier wird ein vierhebiger Trochäus sozusagen halbiert in die englischsprachige Welt entlassen. Die nächste Zeile – »ein Kreuz«947 – entfällt im zweisprachigen Band in Original und Übertragung; dann folgt der Vers »viele Striche«,948 wofür sich die Formulierung »many lines«949 nur bedingt eignet, hat doch die Dichterin schwerlich ohne Grund den Ausdruck variiert. Der Strich weist aufs Ungeordnete, woraus die Linien quasi extrahiert vorm Betrachter freigelegt scheinen. Mit dem Schwung des Pinsels – stroke – gezogen, gerichtet gegen den Strich (pile, nap, direction of growth), gegen das noch kaum geschaffene »A«,950 das im Begriff ist, von eben diesen Strichen zugleich gezogen zu werden, kann das Wort nicht leicht übertragen werden, so sei konzediert. Für den Strich selbst gilt sozusagen, ich muß hier einer Überlegung vorgreifen, die Durchstreichung: 944
945 946 947 948 949 950
Martin A. Hainz: Lunovis ips ’albumst. Christian Morgenstern als UnübersetzbarÜbersetzter bei Rose Ausländer. Essay (Erstveröffentlichung der Übertragung von 18 Gedichten und 33 Aphorismen von Christian Morgenstern ins Englische durch Rose Ausländer). Köln: Schriftenreihe der Rose Ausländer Stiftung [2006] Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 110. Rose Ausländer: Selected Poems. Übersetzt von Ewald Osers. London: London Magazine Editions 1977, S. 33. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 55), Bd 3, S. 110. Ebd. Ausländer, Selected Poems (Anm. 946), S. 33. Ebd.; Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 110.
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Dritter Teil
Der Strich hat jene wunderbare Eigenschaft, niemals preiszugeben, was er aus951 streicht.
Die Schwierigkeiten im Treffen des rechten Tons sind offensichtlich – sie sind wohl auch darin begründet, daß diese Lyrik nicht ungern den rechten Ton schon an sich, dem Poem mit gebrochenen Flügeln952 unterwandert. Wie aber trifft man, worum sich Meine Nachtigall dreht, ein Poem, das die Nostalgie als uneinlösbare, unmögliche sogar, doch auch unvermeidliche Bewegung zu seinem Spiel macht? Meine Nachtigall
My Nightingale
Meine Mutter war einmal ein Reh Die goldbraunen Augen die Anmut blieben ihr aus der Rehzeit
My mother once was a doe. Her golden-brown eyes her grace remain from that time.
Hier war sie halb Engel halb Mensch – die Mitte war Mutter Als ich sie fragte was sie gern geworden sagte sie: eine Nachtigall [ wäre
Here she was half angel half human – the centre was mother. When I asked her what she’d have she said: A nightingale. [ liked to be
Jetzt ist sie eine Nachtigall Nacht um Nacht höre ich sie im Garten meines schlaflosen Traumes Sie singt das Zion der Ahnen sie singt das alte Österreich sie singt die Berge und Buchenwälder der Bukowina Wiegenlieder singt mir Nacht um Nacht meine Nachtigall 953 im Garten meines schlaflosen Traumes
Now she is a nightingale. Night after night I hear her in the garden of my sleepless dream. She sings of her ancestor’s Zion she sings of the old Austria she sings of the hills and the beech-woods of Bukowina. Cradle-songs sung to me night after night by my nightingale 954 in the garden of my sleepless dream.
Das Mutterbild des Textes ist wesentlich durch magisch gestimmte Verschmelzungen geprägt – so ist zuallererst nicht ratsam, durch Interpunktion dieses Fließen zu einem poetischen Amalgam zurückzunehmen.955 Die Logik aber, die in den Zeilen dieses lyrischen Ichs herrscht, ist eine träumerische, auch traumhaft sichere. Der schlaflose Traum ist Retrospektive in ferne Zeiten, durch die Gesänge, wie man sieht, gedehnt, da das Erbe – das Zion der Ahnen – nicht allein jener Nachtigall zuzuweisen ist, wiewohl her ancestor’s Zion 951 952 953 954 955
Jabès, Der vorbestimmte Weg (wie Kap. 1, Anm. 186), S. 125. Vgl. auch Trost I – Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 207. Ebd., Bd 2 (wie Kap. 2, Anm. 99), S. 317. Ausländer, Selected Poems (Anm. 946), S. 21. Vgl. ebd., S. 20f.
Peter Szondis Antwort
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genau diese Verschiebung realisieren möchte. Die Retrospektive begründet das Rätsel des Traums, in seiner Verunklärung, im Schlaf der Vernunft, der er nie ist, in seiner Entstellung lesbar zu machen, wobei nicht unterschlagen sei, daß diese Behauptung die Frage nach einem nicht entstellenden Blick im Grunde aufwürfe. Immerhin kann mit Adorno festgehalten werden: Zwischen »es träumte mir« und »ich träumte« liegen die Weltalter. Aber was ist wah956 rer? So wenig die Geister den Traum senden, so wenig ist es das Ich, das träumt.
Der Traum aber zeigt so, was im schon besprochenen Gedicht Else LaskerSchüler ein lyrisches Ich fragen ließ: War sie der große Engel, 957 Der neben mir ging?
Unzweifelhaft ist der große Engel Statthalter eines Heils, doch mußte man schon hier die Zweischneidigkeit eines Wesens erfahren, dessen Rettung sowohl Hilflosigkeit des lyrischen Ichs als auch eine beschädigte Welt voraussetzt. Und hier nun ist die schöne, anmutige Mutter gegeben, die als Engel und scheue wie ästhetische Kreatur ihren Entzug vorm lyrischen Ich impliziert. Doch darüber hinaus ist zu fragen, wieso in diesem Traum das Wort Wiegenlieder so spät fällt, zudem wie eine Präzisierung, deren Notwendigkeit erst mit der Nennung evident wird – was, wenn nicht Wiegenlieder singt eine Mutter, die zeitlebens Engelhaftes an sich hat? Man könnte auch fragen, ob nicht das Lied der Mutter erst den Traum schlaflos macht, in dem zurückkehrt, was gerade der wache Geist so nicht sähe. Ist die Mutter Nachtigall, die in den Schlaf singt, oder Engel, der in Schlaflosigkeit singt? Im Garten meines schlaflosen Traumes höre ich sie – das heißt, daß der Traum hören läßt, vielleicht auch Mahnungen, in einer Inversion dagegen die Wirklichkeit etwas für diejenigen, die den Traum nicht aushalten können, ist. Wer zweifelte daran, daß der Ruf nach einem Erwachen – auch – ein Weiterschlafen verspricht? »Lügen haben lange Beine«,958 so schreibt Adorno: »Nur die absolute Lüge hat noch die Freiheit, irgend die Wahrheit zu sagen.«959 Den Träumen von der Mutter beigesellt ist nicht allein die Tröstlichkeit eines Engels, sondern auch das Trauma, vor dem die falsche Alternative, »auch ein Erwachsener zu werden oder ein Kind zu bleiben«,960 nicht mehr gestellt zu werden vermag. Ist all das, was in diesem Gedicht herein-, vielleicht auch aufbricht, in der Übersetzung erhalten? Ich möchte behaupten, schon die Interpunktion verhin956
957 958 959 960
Adorno, Minima Moralia (wie Kap. 1, Anm. 166), S. 252, Aph. 122; zu lesen wäre heute zwischen Wirklichkeit und Traum auch die Unentscheidbarkeit, ob ein »überspannter Verdacht paranoisch sei oder realitätsgerecht« – ebd., S. 215, Aph. 103. Lasker-Schüler, Sämtliche Gedichte (Anm. 867), S. 162. Adorno, Minima Moralia (wie Kap. 1, Anm. 166), S. 139, Aph. 71. Ebd. Ebd., S. 174, Aph. 86.
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Dritter Teil
dere dies – hinzukommen Details wie das deplazierte Possessivpronomen, das schon erwähnt wurde, vielleicht müßte man auch fragen, ob die merkwürdig fern der Achse, aber im Mittelpunkt der zweiten Strophe denn doch liegende Rede von der Mitte (die Mitte war Mutter) mit centre zu übersetzen ist, da diese Mitte eines Wesens und einer Welt doch ist, worin Linien von Polen der Bestimmung einander schneiden. Ist das Zerrissene der Mütterlichkeit, die tiefe Ambivalenz in einer Mitte anzusiedeln, so in ein Zentrum doch nicht zu bannen. Man soll nicht unbedingt aus der Mitte das Mittel (average) machen, moderat ist dieser Engel nicht, indes wäre zu überlegen, ob middle als Ausdruck hier nicht Vorzüge hätte, vielleicht auch in between. Alles in allem bewahrheitet sich an dieser Übersetzung meines Erachtens zweierlei. Zum einen erweist sich der Duktus Rose Ausländers als ein schwer zu treffender. Andererseits verleitet diese Lyrik, sie nicht in ihrer tieferen Zerrissenheit wahrzunehmen – allzuoft sieht man ein Verständnis dieser Gedichte, das sie zu netteren Versen für Postkarten verzerrt. Doch gerade das Träumerische lauert darin: Sag’ mir, ob [...] in Nächten Deine Seele schreit, 961 Wenn sie aus bangem Schlummer auffährt ...
Einflüsse und Einschlüsse Die vielleicht interessanteste Fragestellung im Bereich des Übergangs lautet: Welcher Natur ist, was Czernowitz in Rose Ausländer hinterließ, wie ist das Erbe zu umschreiben, welches die Sprachen jener Gegend – umrissen von Köhl als »Situation des sprachlichen und kulturellen Schmelztiegels«962 – ins Wort der Dichterin ritzten? Voranzustellen ist die Frage, welche Folgen solche Einschreibungen hinterlassen, welchen Gewinn das Fremdwort für das eigene Wort bedeuten kann – wozu ich die Theorien von Baudrillard, Adorno und Derrida kurz querlesen will. Werden – wie bei der Metapher ist dies fragwürdig – bloß Lücken im Vokabular gestopft? Werden die Worte andere? Kann zuletzt der ganze Text eines Gedichts als Fremdkörper gelesen werden, vielleicht auch nur er, da die Wahrnehmung von Widerstand an komplexe Prämissen gebunden ist? Der letzten Frage ist ein Intermezzo beim Schritt zu Derrida gewidmet, die anderen Fragen zur Poetik des Heterogenen sollen ebenso wie einige spezifische Motive dieser wortreichen Landschaft (Richard Wagner) in einer Präambel der genaueren Behandlung einiger Fälle geboten werden. Fremdwörter sind die Juden der Sprache.963
961 962 963
Lasker-Schüler, Sämtliche Gedichte (Anm. 867), S. 16. Köhl, Rose Ausländers lyrische Landschaften (Anm. 331), S. 86ff. Adorno, Minima Moralia (wie Kap. 1, Anm. 166), S.141, Aph. 72.
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Dieser Aphorismus Adornos, der dem Gebrauch nachgerade exotischer Wörter nicht abhold war, bedeutet nicht zuletzt: Heilsam [...] ist immer nur der Einbruch des Fremden, das Identifikation erst gar 964 nicht zuläßt.
Dies weist bereits auf eine Notwendigkeit – den wohlvertrauten Kontext, worin sich der Kontrast entfalten kann; »Ge- / bentscht«965 hat diesen Sinn nur in einem Text, der überwiegend nicht jiddisch ist. Dieser Idee folgend wären Fremdwörter »als mahnende Fremdkörper«966 – wie die gesamten »Werke [...] Sperbers, Ausländers und Celans Akte der Erinnerung«967 – zu verstehen. Das Fremdwort [...] macht sich zum Sündenbock der Sprache, zum Träger der Dissonanz, die von ihr zu gestalten ist, nicht zuzuschmücken.968
Dieser Satz Adornos erklärt wohl unübertroffen, daß nicht zuletzt die Bereitschaft zu Heterogenität aus dem Fremdwort spricht, mag dieses auch der Präzision wegen gewählt sein. Die Eigenschaft, »konzessionsloser«969 als manche Übertragung zu sein, charakterisiert es also trefflich. »Hoffnungslos wie Totenköpfe«970 sind Fremdwörter – und das, ist es wahrgenommen, ist ihnen nach Adorno eigen wie der Philosophie971 und der Kunst.972 Die Verlockung einer »Art Exogamie der Sprache«973 wäre eine Sehnsucht nach dem Fremden, das – unbekannt – allein Eros zu entfachen imstande sein sollte.974 Fremdwörter sind »winzige Zellen des Widerstands« ...975
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Liessmann, Ohne Mitleid (Anm. 224), S. 109. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 250. Rüdiger Görner: In der »Schlittenspur des Verlornen«. In: Maurice Blanchot: Le dernier à parler / Der als letzter spricht. Übersetzt von Makoto Ozaki und Beate von der Osten. Mit einem Vorwort von Rüdiger Görner. Berlin: Gatza 1993, S. 5– 8, hier S. 5. Görner engt diese These auf »jiddisch[e] Wörter« ein (ebd.). Dieter Lamping: Von Kafka bis Celan. Jüdischer Diskurs in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1998 (Sammlung Vandenhoeck), S. 77. Theodor W. Adorno: Wörter aus der Fremde. In: ders., Noten zur Literatur (Anm. 11), S. 216–232, hier S. 221. Ebd., S. 225 Ebd., S. 224 Vgl. etwa Theodor W. Adorno: Wozu noch Philosophie. In: Eingriffe. Neun kritische Modelle. Hg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1963 (Edition Suhrkamp; 10), S. 11–28, hier S. 25. »Das Tröstliche der großen Kunstwerke liegt [...] darin, daß es ihnen gelang, dem Dasein sich abzutrotzen. Hoffnung ist am ehesten bei den trostlosen.« – Adorno, Minima Moralia (wie Kap. 1, Anm. 166), S. 299, Aph. 143. Adorno, Wörter aus der Fremde (Anm. 968), S. 218. Adorno selbst spricht die geradezu erotische Komponente von Wörtern aus der Fremde an; diese Liebe »ähnelt« dem »Drang [...] zu ausländischen, womöglich exotischen Mädchen« (ebd); zu Eros – vgl. Rolf Grimminger: Eros und Kultur.
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Auf nicht unähnliche Weise interpretiert Baudrillard »das jähe Hereinbrechen der Graffiti«976 in die »Semiokratie«977 »als Einwurf, als Anti-Diskurs«978 gegen bloße Weiterführung eines stabilen Codes, der Garant für Ordnung wäre.979 Ein wesentlicher Unterschied freilich ist, daß Graffiti nicht auch bezeichnen, gewissermaßen sinnlos sind; »Unbestimmtheit«980 schreibt Baudrillard den »Graphismen«981 zu, was die Wand bedeckt, das ist quasi »das linguistische Ghetto«.982 Es scheint somit hier besonders angebracht, sich davor zu hüten, durch den Anti-Diskurs bloß aufs Terrain der »pittoresken Jargons«983 zu gelangen. Dem beugt Baudrillard durch ein subtiles Changieren der Begriffe vor, das er in Von der Verführung vollführt. Man kennt das Bedeutungslose oder in seiner Semantik auf zugleich unschuldige und schreckliche Weise Irreführende, woraus das Schicksal Ödipus’ herrührt, weiß um Montaignes Bericht von jenem, »den man vor dem Einsturz eines Hauses gewarnt hatte«: [...] mochte er sich noch so sehr im Freien aufhalten – aus heitrem Himmel erschlägt 984 ihn der Panzer einer Schildkröte, die einem Adler im Flug aus den Krallen glitt!
Aus einer nicht unähnlichen Konstellation entwickelt Baudrillard eine Theorie der »Macht des insignifikanten Signifikanten«,985 die um das »Rendezvous«986
975
976 977 978 979 980 981 982
983
984
Über Verschmelzen, Zerstören und Verzichten. In: Kursbuch (März 1996), H. 123: Erotik, S. 101–118, hier S. 113. Adorno, Wörter aus der Fremde (Anm. 968), S. 218; vgl. Theodor W. Adorno: Über den Umgang mit Fremdwörtern. In: ders., Noten zur Literatur (Anm. 11), S. 640ff., vor allem S. 645f.; vgl. auch Doris Kolesch: Das Schreiben des Subjekts. Zur Inszenierung ästhetischer Subjektivität bei Baudelaire, Barthes und Adorno. Wien: Passagen 1996 (Passagen Philosophie), S. 186f. Jean Baudrillard: Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen. Übersetzt von HansJoachim Metzger. Berlin: Merve 1978 (Internationaler Merve Diskurs; 79), S. 23. Ebd. Ebd., S. 26. »Die Geometrie des Codes jedoch, sie bleibt fix und zentralisiert.« (Ebd., S. 22) Weiters ist von einem Monopol« (ebd.), welches bestehe, die Rede. Ebd., S. 25. Ebd., S. 24; »es sind bloß Namen« (ebd.). Ebd., S. 28; zur Frage, ob auch stumme Zeichen, »winzig-lodernde Satzzeichen« Sinn entfalten können, vgl. Friedrich Strack: Wortlose Zeichen in Celans Lyrik. In: Paul Celan: »Atemwende«. Materialien. Hg. von Gerhard Buhr und Roland Reuß. Würzburg: Königshausen & Neumann 1991, S. 185 u. S. 167ff. sowie – zu Intonation sowie Strukturierung Theodor W. Adorno: Satzzeichen. In: ders., Noten zur Literatur (Anm. 11), S. 106–113, hier S. 106ff.; vgl. Meinecke, Wort und Name bei Paul Celan (wie Kap. 2, Anm. 177), S. 261. Roland Barthes: Am Nullpunkt der Literatur. Übersetzt von Helmut Scheffel. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1982 (Bibliothek Suhrkamp; 762), S. 92; Schmuck (vgl. ebd.) »des Sicherheitssystems der Literatur«, ebd., S. 40; vgl. ebd., S. 38ff. Michel de Montaigne: Essais. Übersetzt von Hans Stilett. Frankfurt a. M.: Eichborn 1998 (Die Andere Bibliothek), I·20, S. 47.
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kreist – das letztlich der Schrift gleicht und die angedeutete »umgekehrte Semiologie«987 vor ihrer Unsinnigkeit bewahrt.988 Fremdwörter jedenfalls sind, um nochmals zu Adorno zu kommen, nicht sinnlos und dennoch nur unzureichend übersetzbar; ihre Eindeutschung – »der Schimäre des Urtümlichen zuliebe«989 – ist notwendig »gewaltsamer«990 Natur, also trotz des nicht zu leugnenden Bedeutens zum Scheitern verurteilt. Adorno schließt daraus, »die Kritik des Anspruchs der Begriffe«991 wohne darum der »Terminologie«992 – »Inbegriff der Fremdwörter«993 – inne; die Leere der »toten Hülsen«994 zeige sich an Fremdwörtern. Die Setzung dieses Wortes scheint also ein poetischer Akt zu sein; vorzustellen sind formulierbare Konnotate, deren Kulminieren in einem Wort aber einmalig ist. Das Lesen dieses fremden Wortes ist ein tendenziell der Lyrik gemäßes Lesen, worin durch die Einbettung jedes vertraute Wort fremd und singulär wird.995 Es zeigt sich all dies am Wort Authentizität, welches – im Gebrauch seit Adorno noch übelst geschunden – doch nicht verzichtbar geworden ist, wie Adorno notiert.996 Der Text, der also nicht bloß einen fixierten Sinn zu transportieren verfaßt ist, ist zugleich auf Worte gegründet, die er eben darum ungreifbar werden läßt, wie sie auch ihn ihrer Unschärfe unterwerfen, was sich besonders an den angesprochenen Exoten, die sich in der Folge wohl vor allem in Phrasen herausstellen lassen, zeigt. Der Text ist also Ausdruck des »Unangemessene[n] und Unausgeglichene[n]«,997 »die irreduktible Vielfalt des Sprechens«998 ist in ihm zu erahnen. Diese wiederum bedeutet Überschuß und zugleich eine Tendenz zur inneren Auflösung – »Gift-gift«999; das Problem des Fremdkörpers, der sich eingeschlichen hat und untilgbar geworden ist, hat sich ins Zeichen, das Sinn ermöglicht und diskreditiert, verlagert: »Es gibt einzig den Buchstaben«1000 – und diese Bindung oder Verschmelzung von Bedeutung und Referent, zweier Pole, die fast 985 986 987 988 989 990 991 992 993 994 995 996 997 998 999 1000
Jean Baudrillard: Von der Verführung. Übersetzt von Michaela Messner. München: Matthes & Seitz 1992 (Batterien; 48), S. 105. Ebd., S. 103. Ebd., S. 144. Vgl. zur Geschichte der unschuldigen Verführung durch eine unschuldige Geste just des Todes ebd., S. 101ff. Adorno, Wörter aus der Fremde (Anm. 967), S. 221. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Vgl., S. 232. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 345. Vgl. Adorno, Wörter aus der Fremde (Anm. 968), S. 232. Derrida, Babylonische Türme (Anm. 884), S. 119. Ebd. Ebd., S. 121; vgl. Jacques Derrida: Falschgeld. Zeit geben I. Übersetzt von Andreas Knop und Michael Wetzel. München: Fink 1993, S. 23. Derrida, Babylonische Türme (Anm. 884), S. 162.
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wie bloße Hilfskonstrukte anmuten, macht Sinn »übersetzbar und unübersetzbar«.1001 Welcher Größe der Fremdkörper sein kann, bleibt offen. Immerhin folgt, daß das Element Zeichen in seiner Setzung schon fortgerissen wird, da »es gerade keine Punkte im Text gibt«;1002 keine Knoten, was, um beim Bild zu bleiben, das Gewebe aufzulösen droht oder, da bei Derrida so etwas wie ein »unmittelbar geteilt[er]«1003 Punkt zulässig wäre, wenigstens verheddert und zerzaust ...1004 Ehe dem weiter nachgegangen wird, sei den Exkurs beschließend darauf hingewiesen, daß in überzufälliger Häufigkeit nicht-romanische Fremdwörter1005 es sind, die bei Derrida Reflexion initiieren – Pharmakon, Hymen, Aporien, Geschlecht und nicht zuletzt Schibboleth. Czernowitz Wie ist in der Folge von Czernowitz zu sprechen? Rose Ausländers Lyrik kann nicht in jener Weise, die ein Sprechen hiervon allein schon suggerieren mag, durch den Ort annektiert werden – zumal jene Nationen, die sich auch eines Paul Celan anheischig machen, zum Ungemach der poetischen Existenz, so könnte man unendlich untertreibend schreiben, nicht wenig beitrugen.1006 Allenfalls der Umstand, daß Österreich »Identitätsprobleme«1007 quasi als fixe Assoziation beigesellt sind, die Dichterin zudem in einem Poem, das 1975 in Andere Zeichen veröffentlicht worden ist, bedauert, »in der österreichlosen Zeit«1008 zu leben, rechtfertigt somit eine Zuordnung von Czernowitz zum alten Österreich, erklärt Celans Grabinschrift (poète autrichien),1009 rechtfertigt etwa die Betitelung einer Anthologie österreichischer Poesie mit den Worten Noch ist das Lied nicht aus.1010 1001 1002 1003 1004
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Ebd. Derrida, Interview mit Florian Rötzer (Anm. 94), S. 72. Ebd. In einer weiteren Wendung freilich gibt es den schon bei Szondi wahrgenommenen Knoten der Einzigartigkeit, der zur Einzigartigkeit der Verknüpfung führt, die Verpflichtung auf poetische und philosophische Qualität sein mag: »Der Knoten der Einzigartigkeit ist die Verantwortung.« – Lévinas, Gespräch mit Christian Descamps (wie Kap. 1, Anm. 161), S. 107. Zu der Durchdringung gallischer und römischer Sprache im Französischen sowie dem Kontrast zum archaischen Deutschen – vgl. Adorno, Wörter aus der Fremde (Anm. 968), S. 218; vgl. auch Derrida, Positionen (wie Kap. 2, Anm. 262), S. 23. Vgl. zu diesem Problem etwa Schmidt-Dengler, Bruchlinien (wie Kap. 2, Anm. 125), S. 317. Ebd., S. 330; vgl. ebd., S. 330ff. u. passim. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 224; vom Buchenland heißt es weiters: »vielleicht dichtet dort / das Erbe / für mich« (ebd.). Vgl. Georg Patzer: Ruderschläge eines Dichters. Wortfracht, in andere Sprachen »über-gesetzt«: Die Jahresausstellung im Deutschen Literaturarchiv in Marbach zeigt Paul Celan als Übersetzer. In: die tageszeitung, Nr 5230, 20. Mai 1997, S. 16. Vgl. zum Titel des von Ulrich Weinzierl herausgegebenen Buches, worin auch Celan eingemeindet ist, Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 78), Bd 1, S. 181.
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Einen Einblick in die Vielfalt der hier einander überschneidenden und anregenden Traditionen, Kulturen, Sprachen gibt das von Andrei Corbea-Hoisie herausgegebene Jüdische Städtebild, das Czernowitz gewidmet ist.1011 Freilich ist, aber das wurde bereits angerissen, nicht ganz unzutreffend, was der Rumäne Nicolae Iorga in einem Text dieses Czernowitz-Lesebuchs 1938 über einen intellektuellen Fokus der Stadt schreibt: Eine Universität muß eine bestimmte Ausprägung haben, insbesondere an solchen Orten. Welche ist die Ausprägung [...] dieser Universität? Sie ist deutsch, deutsch 1012 wie in Graz, deutsch wie in Innsbruck.
Doch ist es zugleich – wie auch Iorgas Vita nahelegt – eben verfehlt. Czernowitz ist als Ort der Randexistenz zu denken; Randexistenz – man weiß, wie anders sich dieses Wort vorm Hintergrund des Heimatverlusts, nach dem von Rose Ausländer zu sagen ist, wer Heimat sage,1013 der habe Heimat verloren, akzentuiert findet. Hier waren poetische Heimstätten. Doch die poetischen Heimstätten erwiesen sich angesichts der heraufziehenden Ka1014 tastrophen zusehends als fragwürdig.
Das Glücken einer Kulturtradition, so müßte man sich vergegenwärtigen, hinge an ihrer bis zu einem Grade bestehenden Unverfügbarkeit.1015 Vielleicht ist der Umstand, daß dies trotz des gutbürgerlichen Klimas an jenem Orte eingeübt ward, der gerade diese Landschaft zur Heimat jener werden ließ, die die Heimatlosigkeit in Welt und Wort besonders scharf zu artikulieren vermochten. Die versuchte Kompensation des Minderwertigkeitsgefühls – »›Buko-wiener‹ Deutsch«1016 –, 1011 1012
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Auch findet sich dort eine Darstellung, die das Stückwerk verflicht – vgl. CorbeaHoisie, Czernowitz (wie Kap. 1, Anm. 35), S. 7ff., vor allem 18ff. Nicolae Iorga: Czernowitz. Übersetzt von Markus Fischer. In: Czernowitz. Jüdisches Städtebild. Hg. von Andrei Corbea-Hoisie. Frankfurt a. M.: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 1998, S. 119–125, hier S. 122. Vgl. hierzu Meredid Hopwood: Von Pol zu Pol. In: Wortreiche Landschaft. Deutsche Literatur aus Rumänien – Siebenbürgen, Banat, Bukowina. Ein Überblick vom 12. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Hg. von Renate Florstedt. Leipzig: BlickPunktBuch 1998, S. 135–136, hier S. 136. Motzan, Die vielen Wege in den Abschied (wie Kap. 2, Anm. 58), S. 110; zur Mobilisierung des lyrischen Ichs, das sozusagen durch die Technik des Reisens (vor allem durch die Eisenbahn) zum Voyeur vorm Abschied werden muß, vgl. auch Johannes Mahr: »Tausend Eisenbahnen hasten ... Um mich. Ich nur bin die Mitte!« Eisenbahngedichte aus der Zeit des Deutschen Kaiserreichs. In: Technik in der Literatur. Ein Forschungsüberblick und zwölf Aufsätze. Hg. von Harro Segeberg. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1987 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 655), S. 132–173, hier S. 137f.; vgl. zur Landschaft der Herkunft auch Kristensson, Identitätssuche in Rose Ausländers Spätlyrik (wie Kap. 1, Anm. 50), S. 131ff. Vgl. auch Schmidt-Dengler, Bruchlinien (wie Kap. 2, Anm. 125), S. 331. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 290; zum Spiel mit Buk-, darunter Buko-W i e n-a – vgl. Thomas Schestag: buk. Paul Celan. O. O.: Bour 1994, S. 16ff.
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so meine These, führte mit der Zerrüttung der sinnvollen Geschichte in jener »Literatur der [...] ›sprachverunsicherten Zone‹[,] der Bukowina«1017 zu Phänomenen der Anreicherung im Werk von Rose Ausländer, zu einer produktiven Poetik post Babel.1018 Es tritt schon früher hinzu, was Jacques Le Rider festhält, wenn er die Moderne als Ende regionaler Vorrechte und zugleich conditio sine qua non für den »Anspruch auf kulturelle Autonomie (Lemberg, Czernowitz)«1019 anführt. Aber kulturelles Aufleben bis zur Avantgarde speist sich auch aus dem, was es ganz und gar nicht ist, etwa aus der Behäbigkeit Wiens, dem, wie Müller-Funk bemerkt, zur »kulturelle[n] Kapitale«,1020 als die es erschien, etwas fehlte – auch derlei stärkt Emanzipation in und um (also auch von) Wien. Dieser Pluralismus hat zugleich »die jüdische Utopie einer ›deterritorialisierten‹ nationalen Identität«1021 gestärkt, welche zweifelsohne fürs Erblühen eines anregenden kulturellen Klimas eine zentral Rolle spielte. Man müßte an dieser Stelle durchaus umfangreich auf Serres’ Beschreibungen eingehen, der »kein Zentrum, [...] sondern eher einen Knotenpunkt«1022 in dem sieht, was seine Provinzen fortan bindet, doch nicht in Relation aufhebt – in unserem Falle Wien. Das Zentrum »verliert [...] die Macht, um die Universalität zu gewinnen«,1023 so heißt es vom zwiespältigen Projekt. Derlei ist nicht ausformuliert in den wie gesagt raren Äußerungen der Dichterin zu ihrem Programm; auch funktioniert dieses Spiel nicht – wie bei Celan oder Pastior, der etwa selbst in einem mehr oder weniger theoretischen Text plötzlich die rumänische Wendung »un lucru crez«1024 gebraucht – als offen1017
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Jörg Lau: Sprachkleider. In: die tageszeitung, Nr 4724, 16. September 1995, S. 15, vgl. auch Theo Buck: Czernowitz als geistige Lebensform. In: Literatur und Regionalität. Hg. von Anselm Maler. Frankfurt a. M., Berlin, u. a.: Lang 1997 (Studien zur neueren Literatur; 4), S. 201–209, hier S. 202, 204 u. passim. Vgl. Lau, Sprachkleider (Anm. 1017), S. 15; vgl. auch Köhl, Rose Ausländers lyrische Landschaften (Anm. 331), S. 86ff. Jacques Le Rider: Die Erfindung regionaler Identität: Die Fälle Galiziens und der Bukowina. In: Metropole und Provinzen in Altösterreich (1880–1918). Hg. von Andrei Corbea-Hoisie und Jacques Le Rider. Wien u. a.: Böhlau/Polirom 1996 (Colectia Ex Libris Mundi), S. 11–16, hier S. 12. Wolfgang Müller-Funk: Das Ende des avantgardistischen Jahrhunderts. Thesen zur »Dialektik« avantgardistischer Bewegungen. In: Schloß Lind. Das andere Heimatmuseum – 3. Abteilung. Ein Bilderbuch. Hg. von Aramis und Wolfram Orthakker. Knittelfeld: Gutenberghaus o. J., S. 48–53, hier S. 48; vgl. ebd., S. 48f. Le Rider, Die Erfindung regionaler Identität (Anm. 1019) S. 15; »Nationalität ohne Nationalismus« (ebd.). Michael Serres u. a.: Elemente einer Geschichte der Wissenschaften. Hg. von Michel Serres. Übersetzt von Horst Brühmann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998 (SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft; 1355), S. 607. Ebd. »Um die Wende zum neunzehnten Jahrhundert spricht Europa [...] Universalistisch.« (Ebd.) Pastior, Resümee mesuré (Anm. 559), S. 171; die Pointe ist, daß somit der Text wird, was un lucru crez bedeutet: ein krauses Ding ... – vgl. ebd.
Peter Szondis Antwort
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kundiger Bruch.1025 Umso dringender bedurfte ich darum der Hilfe von Kollegen, die der als Spuren anzunehmenden Sprachen mächtig mir gewissermaßen das Material für eine Reflexion lieferten; ich bedurfte der Hilfe und fand sie. Zur Frage, ob rumänische Wendungen sich finden ließen, konsultierte ich mit Horst Schuller und Andrei Corbea-Hoisie zwei international ausgewiesene Kenner der Problemstellung. Fürs Ukrainische wandte ich mich an Petro Rychlo, der nicht nur als Professor der Universität Czernowitz theoretische Arbeiten zum Buchenland verfaßt, sondern sich zudem als Übersetzer Rose Ausländers (Phönixzeit) ums Weiterleben jenes Erbes der Bukowina verdient gemacht hat.1026 Indes findet sich kaum eine Spur des Rumänischen, ist also die Nutzung fremder Syntax ebensowenig nachweisbar wie jene der kraftvollen Bilder, die das Rumänische bereithielte. Man versichert dem, der Rose Ausländer glaubend Mehrsprachigkeit in ihren Versen vermutend fragt, daß dies zumindest fürs Rumänische nicht in Frage komme, wiewohl Berührungen mit jener Sprache schwerlich zu vermeiden waren. Allerdings, so sei vermerkt, hegte Rose Ausländer Interesse für jene, die ihr Werk ins Rumänische übertragen – Abschriften solcher Versuche sind im Nachlaß zu entdecken, etwa Portretul unui poet (Enric Fortuna). Kaum anders verhält es sich bei der zweiten Sprache, dem Ukrainischen. Petro Rychlo, mit dem ich mehrere Gespräche führte, vertritt die Ansicht, Rose Ausländer sei höchstwahrscheinlich des Ukrainischen kaum mächtig gewesen. Während Paul Celan die Sprache zumindest passiv beherrschte, ist dies bei der Dichterin – auch aus biographischen Gründen, genannt seien die Aufenthalte in Wien und in Amerika1027 – kaum wahrscheinlich. Aus dem slawischen Bereich, vor allem dem Russischen lassen sich vereinzelt Wörter ausfindig machen, nicht jedoch Redewendungen, wobei einige der Wörter zumindest heute international nicht ungebräuchlich sind – Rychlo verweist als Bespiel auf Wodka. Die westlichste Stimme der Bukowina nennt nicht ohne Grund Helmut Braun in einem Brief auf meine Frage hin die Dichterin – und verweist auf den natürlich unübersehbaren Einfluß von Marianne Moore und Edward Estlin Cummings. Was somit sich ergibt, ist zum einen eine Revision dessen, was sich auch in sehr gründlichen Arbeiten des Themenkreises geradezu als Topos findet, denn Czernowitz mag Rose Ausländer – unter Vorbehalten – in der Tat Anregung geboten haben, doch zählt sie nicht zu jenen Existenzen, die in jener 1025
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Allerdings ist auch auf subtile Mittel bei Celan zu verweisen; es ist z. B. belegt, daß er sehr subtil hebräische Einflüsse verarbeitete – vgl. Klaus Reichert: – Hebräische Züge in der Sprache Paul Celans. In: Paul Celan. Hg. von Werner Hamacher und Winfried Menninghaus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988 (Suhrkamp-Taschenbuch Materialien; 2083), S. 156–169, hier S. 156ff u. Klaus Reichert: Fragendes Verstehen. Zu Paul Celans Gedicht »Psalm«. In: Literaturwissenschaft. Ein Grundkurs. Hg. von Helmut Brackert und Jörn Stückrath. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1992 (rororo; 3290 – Rowohlts Enzyklopädie), S. 210–225 hier S. 216 u. passim. Vgl. Joseph P. Strelka: Mitte, Maß und Mitgefühl. Werke und Autoren österreichischer Literaturlandschaft. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1997 (Literatur und Leben; 49, S. 36ff. u. Buck, Czernowitz als geistige Lebensform (Anm. 1016), S. 209. Vgl. Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (wie Kap. 1, Anm. 28), passim.
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Weise den mehrsprachigen Polylog als Feld der Wortfindung suchen, sieht man von einer noch zu nennenden Ausnahme einmal ab; zum anderen ist nichtsdestotrotz der Versuch aufgegeben, einige Züge dessen herauszuarbeiten, was der Dichtung der Bukowina bestimmte Qualitäten zu entwickeln half, wie es scheint. Von dem Knotenpunkt »zwischen Rumänien, Polen und Rußland«1028 und der »besondere[n] Qualität des in Czernowitz gesprochenen Deutsch«1029 jedenfalls ist mit großer Vorsicht zu sprechen. Derlei ist fester Bestand der Dichtung vieler Lyriker der Gegend, die sich »weniger morphosyntaktisch als semantisch im Bereich der Metaphern«1030 ihre Randexistenz zum poetischen Gewinn wandeln. In »höchst originellen Verbindungen und Interferenzphänomenen«1031 wird so eine Methode greifbar, die »in den Tropen und Bildern Celans [...] ihren absoluten Höhepunkt«1032 erreicht. Was sich bei Rose Ausländer, um zur Ausnahme in ihrer Lyrik zu kommen, in der Tat findet, sind Absorptionen von Hebräischem und Jiddischem. Dieser Ansicht auch Rychlos kann, wer Gedichte wie Der Vater oder Pruth liest, die sich in seinem Übersetzungsband Phönixzeit finden, kaum widersprechen.1033 Da die möglichen Funktionen des Fremdworts bereits diskutiert worden sind und sich Metaphernbildungen in Anlehnung ans Hebräische und Jiddische in ihrer Bedeutung aufgrund einiger dabei vermerkter Notizen durchaus deuten lassen, außerdem auf die Arbeit mit der Kabbala als Quelle der Anregung bereits hingewiesen wurde, bleibt an dieser Stelle wenig zur Fragestellung zu sagen.1034
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Joachim Seng: Auf den Kreis-Wegen der Dichtung: Zyklische Komposition bei Paul Celan am Beispiel der Gedichtbände bis »Sprachgitter«. Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter 1998 (Beiträge zur neueren Literaturwissenschaft, Folge 3; 159), S. 49. Ebd. Gerade hierfür nennt Seng als Beispiel Rose Ausländer – vgl. ebd. u. ebd., S. 49f. Kurt Rein: Politische und kulturgeschichtliche Grundlagen der »deutschsprachigen Literatur der Bukowina«. In: Die Bukowina. Studien zu einer versunkenen Literaturlandschaft. Hg. von Dietmar Goltschnigg, Anton Schwob und Gerhard Fuchs. Tübingen: Francke 1990 (Edition Orpheus; 3), S. 27–47. hier S. 45. Ebd., vgl. ebd., S. 44f. Ebd., S. 45. Vgl. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 99), Bd 2, S. 318 u. 324; vgl. Rose Ausländer: – Phönixzeit / Час Фенікса. Ausgewählte Gedichte. Übersetzt von Peter Rychlo. Czernowitz: Molodyj Bukowynez 1998, S. 40 u. 44; vgl. ferner Peter Rychlo: »Der Jordan mündete damals in den Pruth«. Aspekte des Judentums bei Rose Ausländer. In: Ein Leben für Dichtung und Freiheit. Festschrift zum 70. Geburtstag von Joseph P. Strelka. Hg. von Karlheinz F. Augenthaler, Hans H. Rudnick und Klaus Weißenberger. Tübingen: Stauffenburg 1997, S. 175–194, passim. Ich möchte mich an dieser Stelle nicht nur Czernowitz und Rose Ausländer betreffend Buck anschließen, der Peter Rychlo »einen ebenso engagierten wie kompetenten Sachverwalter der Bukowiner Literatur« (Buck, Czernowitz als geistige Lebensform [Anm. 1017], S. 209) geheißen hat. Es sei gestattet, auf die Versuche Jacob Allerhands hinzuweisen, die sich – bemüht, die Judaistik als Beitrag zum Verständnis von Dichtern wie Celan zu etablieren – allerdings etwas offensiv gestalten ...
Peter Szondis Antwort
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Kleine Literaturen Wollte man abschließend die Betrachtungen zum Sprachraum zu einer Theorie zusammenfassen, wäre also jenseits des Griffs zum Spruch, der entlastet, indem er entmündigt,1035 jenseits der Anklage durch das Aufgreifen von Verschüttetem und Devastiertem, jenseits der Präzisierung oder Auffrischung des Wortschatzes, der um weitere Dimensionen des Spiels zu bereichern ist, zu erschließen gesucht, was jene Gegend dem Dichtenden nahelegt, so wären mehrere Punkte zu formulieren. Zuallererst wäre zu vermerken, daß man den Topos des kreativen Durcheinanders beiziehen kann; in einem Essay zu Pastior wird von einer Autorin, deren Provenienz der seinen gleicht, allgemein die interessante Beobachtung in Worte gefaßt, daß Improvisation in dem Maße das Extraordinäre unsichtbar macht, wie es dasselbe fordert und fördert: Kommt man aus einem armen, durch und durch nicht funktionierenden Land, [...] gibt es keine noch so kleine Bewegung, deren Lauf ohne Improvisationen möglich 1036 ist. [...] Surreales gibt es nicht, wo es alles zu improvisieren gilt.
Natürlich ist es verlockend, den Ausnahmezustand etwa des wilden Osten auch dort zu sehen, wo er nicht zu konstatieren ist, eine Versuchung, der zu erliegen zu Verzerrungen führte. Und doch sei vorsichtig weitergeschritten. So wohlorganisiert Czernowitz während der Zeiten der Monarchie auch war, schon zu jener Zeit war das Interkulturelle Ausgangspunkt von Reibungen, Spannungen und Mißverständnissen, die sich, wie schon festgehalten wurde, nicht immer in Wohlgefallen auflösten. Das, was jene (und vielleicht die) Provinz ausmacht, ist also möglicherweise ein sich bietender Grundstein jenes Wirrwarrs verfügbarer, scheinbar unvereinbarer Inhalte, woraus die wunderbaren Worte jener Gegend sich fügten. Es sind jene Gegenstände – etwa eine Schnur –, deren Zweck noch nicht bestimmt ist, welche zum Sinnbild einer bestimmten Poesie im schon zitierten Essay mit fremdem Blick werden: Solche »Gedichte bestehen aus dieser von einem Atemzug zum anderen anders werdenden Schnur, aus Auswegen, die sich vor dem Eintreten selber noch nicht kennen [...], aus dem zufälligen, sich selber nicht geheuren Ausweg«.1037 Die Montage ist für mich wichtig, die Montage bringt mir so einen Geschmack oder einen Geruch oder irgendetwas her von etwas ganz Fremdem, das nicht in mir ist, 1038 und das fließt dann ein [,] und kann sich zu etwas Neuem kristallisieren.
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Vgl. Voswinckel, Paul Celan (wie Kap. 2, Anm. 157), S. 64f. Herta Müller: Ist aber jemand abhanden gekommen, ragt aber ein Hündchen aus dem Schaum. Die ungewohnte Gewöhnlichkeit bei Oskar Pastior. In: wespennest 110 (1998), S. 80–86, hier S. 81. Ebd., S. 86. Friederike Mayröcker: Vereinigungen des Disparaten. Bausteine zu einer Poetik. Red. von Norbert Hummelt und Friederike Mayröcker. In: Tendenz Freisprache. Texte zu
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Mit den Worten Friederike Mayröckers wird aus dem Bild Herta Müllers eine präzise Theorie, sofern dies in einer Poesie, die auch Poetologie ist, einer Poetologie, die Poetisches in sich trägt, möglich ist.1039 Derlei ist in die Terminologie von Deleuze und Guattari transkribiert ein Sprechen von kleiner Literatur,1040 in welche »die Wurzeln der Familie Scherzer [...] tief« »reichen«;1041 solch kleine Literatur ist freilich nicht als isoliertes Idiom zu beschreiben, sondern Produkt einer Interferenz, die sich in partieller Überführung eines Sprachmusters ins Gewebe einer anderen Sprache neue Möglichkeiten der Grammatik, vielleicht auch Metaphern-Bestände sucht. Insofern ist gleich von Beginn an darauf hinzuweisen, daß kleine Literatur nur eine mögliche Übertragung von littérature mineure ist.1042 Mehrheit impliziert eine ideale Konstante, ein Standardmaß.1043 Es gibt kein mehrheitliches Werden, Mehrheit ist niemals ein Werden. Das Werden 1044 ist immer minderheitlich.
Aber die Minderheit bliebe bedeutungslose Devianz, gelänge ihr es nicht auch, in »indirekte[r] freie[r] Rede«1045 zu betreiben, was in littérature mineure noch mitschwingt, sich im Untergrund zu bewegen, nur scheinbar minoritär zu unterminieren – als das schlechte Gewissen unausgeschöpfter Möglichkeiten von Finden und Verwerfen einer großen Sprache. Klaus Werner zeichnet so das Bild jener Stadt, indem er sie als Terrain mehrerer Kulturerbe faßt,1046 »Interferenzbereiche und Affinitäten«1047 betont Peter Motzan. Wie eine forcierte Dekonstruktion, die in einem gewissen Rahmen jedem Sprechen und Schreiben beigesellt von Derrida ja vor- und fortgeführt wird, sie ist ja nicht Projekt und
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einer Poetik der achtziger Jahre. Hg. von Ulrich Janetzki und Wolfgang Rath. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992 (Edition Suhrkamp; 1675), S. 109–116, hier S. 110. Vgl. auch Schmidt-Dengler, Bruchlinien (wie Kap. 2, Anm. 125), S. 507. Auch Lehmann sieht die Virulenz des Konzepts für Rose Ausländer – vgl. Lehmann, Im Zeichen der Shoah (wie Kap. 2, Anm. 60), S. XX u. – mit Flusser statt Deleuze und Guattari – ebd., S. 157. Helmut Britz: Da zirpten die Kiesel im Pruth. In: Kulturlandschaft Bukowina. Studien zur deutschsprachigen Literatur des Buchenlandes nach 1918. Hg. von Andrei Corbea-Hoisie und Michael Astner. Iaşi: Editura Universităţii »Alexandru Ioan Cuza« 1992 (Jassyer Beiträge zur Germanistik; V), S. 179–183, hier S. 179. Jabès nimmt das kleine Wort als Synonym der différance – vgl. Edmond Jabès: Es nimmt seinen Lauf. Übersetzt von Felix Philipp Ingold. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1981 (Bibliothek Suhrkamp; 766), S. 61. Gilles Deleuze: Kleine Schriften. Übersetzt von K. D. Schacht. Berlin: Merve 1980 (Internationaler Merve Diskurs; 95), S. 27. Ebd., S. 28. Ebd., S. 28. Werner, Czernowitz (wie Kap. 2, Anm. 97), S. 50. Peter Motzan: Der Lyriker Alfred Margul-Sperber. Ein Forschungsbericht nebst einer kurzen Nachrede. In: Kulturlandschaft Bukowina (Anm. 1041), S. 88–101, hier S. 95.
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kaum Programm, nimmt sich aus, was lyrische Produktion begünstigt haben mag.1048 Diese beginnt ja im Chiasmus »der wechselseitigen Verschränkung«:1049 »So vollzieht die literarische Schreibweise [...] eine Pluralisierung der Zeichenformen selbst, die nicht nur verschiedene Interpretationsweisen provozieren, sondern die Intentionalität des Subjekts selbst hintergehen [...]. Entsprechend ist Literatur nicht nur Abweichung [...], sondern fortlaufende [...] Variation«,1050 so schreibt Vogl in einem Kurzporträt des Philosophen Gilles Deleuze. Und man ahnt, daß die Variation das Variierte nie unbehelligt gelassen haben wird. Man ahnt, daß dieses Resonieren und Dröhnen der in Schwingung geratenen Begriffe nicht nur ein Schweigen ist, mag auch jedes »Dröhnen [...] als Schweigemetapher«1051 mitgelesen werden, da auch hier »nicht mehr der direkte Bezug«1052 ist. Im Rhizom sind Sackgassen sozusagen von einem anderen Unbehagen.1053 Denn nicht ins Freie führt der gesuchte Weg, »einen Seitenweg«1054 darf man allein noch erhoffen. Ob die Verschärfung dieser Umstände einen »relative[n] Talentmangel«1055 und darauf sogleich ein Kollektives zeitige, sei nicht gefragt, auch wenn der Begriff der Meisterschaft heute vielleicht nicht mehr unbefangen gebraucht werden mag. Immerhin kann davon die Rede sein, daß alle Literatur, indem sie Formen zerbricht, das geschlossene System, worin meisterliche Qualität sich zeigte, nicht gänzlich zuläßt. Deleuze zeigt, daß hierin auch erst vom Begehren gesprochen werden kann, dessen Einlösung scheinbar geschieht und letztlich »den Prozeß, der dem Begehren immanent ist, zu unterbrechen« »scheint«.1056 Begehren und Fluchtlinie desselben führen auf Wegen oder Linien, die »weder Disjunktion noch Konjunktion«1057 sind, zum »Gegenteil eines Verzichts oder einer Resignation – ein neues Glück?«1058 Immanenz wird insofern sozusagen transzendent, da ein Selbstsein wie der reine Bezug zum Objekt unmöglich ist. Vom Begehren indessen kommt man 1048 1049
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Vgl. Werner, Czernowitz (wie Kap. 2, Anm. 97), S. 50f. u. passim. Michael Wetzel: Jacques Derrida. In: Ästhetik und Kunstphilosophie von der Antike bis zur Gegenwart. Hg. von Julian Nida-Rümelin und Monika Betzler. Stuttgart: Kröner 1998 (Kröner Taschenausgabe; 375), S. 205–215, hier S. 209. Vgl. Joseph Vogl: Gilles Deleuze. In: ebd., S. 198–205, hier S. 201. Caroline Neubaur: Schweigen, Stille, Reverie. Erscheinungsformen einer sakralen und psychoanalytischen Kategorie. In: Merkur 608 (Dezember 1999), S. 1155–1171, hier S. 1169. Ebd., S. 1159. Vgl. Gilles Deleuze / Félix Guattari: Kafka. Für eine kleine Literatur. Übersetzt von Burkhart Kroeber. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1976 (Edition Suhrkamp; 807), S. 8. Ebd., S. 13. Ebd., S. 26. Gilles Deleuze: Lust und Begehren. Übersetzt von Henning Schmidgen. Berlin: Merve 1996 (Internationaler Merve Diskurs; 198), S. 32. Deleuze / Guattari, Tausend Plateaus (Anm. 421), S. 282. Ebd.
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zum schon angesprochenen Modell des Gefüges: »Das Begehren ist nichts anderes als ein bestimmtes Gefüge, ein gemeinsames Funktionieren.«1059 Form einerseits und damit Inhalt andererseits sind hierin nur gebrochen – durch einander – erhalten.1060 Transzendenz, so könnte man sagen, zielt auf (ihre) Notwendigkeit, nicht mehr auf Wahrheit: Sie wird, man konnte es erraten, immanent – nichts als ihre Verkündung.1061 Ist es verwunderlich, daß von Wucherung die Rede ist?1062 Das Gefüge indessen führt zusammen, was bei Derrida wie bei Deleuze letztlich als sinnlose Extrapolation virtueller Widerspiele erscheint, »einerseits der diffuse und parzelläre Charakter [...], aber andererseits auch das Diagramm oder die abstrakte Maschine, die die Gesamtheit [...] überzieht«.1063 Vorm Gefüge ist nicht zu sagen, was eine Ordnung und ihr Material vermögen, in welcher Form, was Immanenzplan und Immanenzplan eint, funktionieren wird – »ihr wißt nicht im voraus, was ein Körper oder eine Seele in dieser Begegnung, in jener Verkettung, in jener Kombination vermag.«1064 Vorm Gefüge ist unsagbar, was (etwas) ist – immer und nicht in der Einschränkung einer Sprache, die noch nicht, aber bald Bestimmtes zu sagen, zu tun vermag.1065 Hier entsteht Ordnung, hier ergibt sich, was sie organisiert – umgekehrt: Hier entsteht das Material, an dem sich Strukturen entwickeln lassen. »Es muß also das komplexe Gefüge gefunden werden«1066 – so beginnt der Text, worin er endet. Denn eine abstrakte Maschine oder Funktion, als welche sich der Text begreifen läßt, ist »aktuell, aber noch nicht verwirklicht«.1067 Der »Funktion K.«1068 entspräche dann hier die Funktion R. A., der man freilich verlustig ginge, würde man sich in der Tat darauf einlassen, den Immanenzplan nur als Vollzug oder nur als Konzept zu sehen. Über die Funktion C. als räumliche Begünstigung der Funktion R. A. ließe sich aber zumindest sagen, daß die ständige Not der Translation und -duktion dem förderlich gewesen sein mag, was als Lebendigkeit im Schaffen und Aufheben von Ordnung1069 eine der wenigen Konstanten sein mag, deren Bestehen in der Lyrik oder Literatur (Funktion L.?) einigermaßen gesichert ist.1070 1059 1060 1061 1062 1063 1064 1065 1066 1067 1068 1069 1070
Deleuze, Lust und Begehren (Anm. 1056), S. 20. Vgl. Deleuze / Guattari, Kafka (Anm. 1053), S. 40. Vgl. ebd., S. 62. Vgl. etwa ebd., S. 86. Deleuze, Lust und Begehren (Anm. 1056), S. 35. Deleuze, Kleine Schriften (Anm. 1043), S. 79. Vgl. dagegen Deleuze, Guattari, Kafka, (Anm. 1053), S.126. Deleuze, Lust und Begehren (Anm. 1056), S. 36. Deleuze / Guattari, Tausend Plateaus (Anm. 421), S. 707. Deleuze / Guattari, Kafka (Anm. 1053) S. 122. Vgl. ebd., S. 100. Zum Bezug auf Prag, das Deleuze und Guattari ja als Raum (mit)diskutieren, sei auf Hinck verwiesen: »Also Czernowitz ein Klein-Prag in der Bukowina? Das wäre wohl übertrieben. Aber ein Beispiel für das kometenhafte Auftauchen von Provinzstädten zwischen den [...] Kapitalen der Literatur [...] bleibt Czernowitz doch.« – Hinck, Viersprachig verbrüderte Lieder (wie Kap. 1, Anm. 100), S. 240.
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Man kann und muß hier auf die Formulierung Derridas verweisen, wonach Kultur, die sich einen Begriff von sich zu machen trachtet, durch dieses Streben, das am Rande eines Kulturraums intensiviert sein mag, ihre Stabilität als Unmögliches sehen muß, des in ihrer Eigenart angelegten Plural innewird: Es ist einer Kultur eigen, daß sie nicht mit sich selber identisch ist.1071
Derrida schreibt dies von Europa, von dem zu fragen ist, ob »das Monströse abschütteln«1072 kann, was verglichen mit der Bukowina wohlgeordnet wirkt ... Jener, der daran erinnert, ist der somit stets deplazierte Literat, den zu würdigen Jacques Derrida einen Appell formuliert hat, den ich an dieser Stelle ausführlich zitieren will: Ihren Ort zu wählen, sich frei zu bewegen: das ist ein Recht, das unsere Welt den Schriftstellern mehr und mehr verweigert. Noch einmal wollen wir, gegen das Verbot, den Ort der Literatur sagen, ihren Ort in eben diesem Moment. [...] Was bedeutet heute für so viele Autoren, bekannte ebenso wie unbekannte, diese Verschiebung, die oft genug darin besteht, keinen Ort mehr zu haben? Sie bedeutet, in den Tod geschickt [...] oder des Landes verwiesen zu werden, bedroht mit Einsperrung, Folter, 1073 Hinrichtung oder Ermordung.
Es ist der Anspruch, ans Beliebige und Rhetorische der absoluten Wahrheiten zu erinnern, an denen das »menschliche Denken erstickte«,1074 der den subtilen Austausch jener Pluralität mit sich selbst der Selbstvergessenheit der Macht nicht wünschenswert erscheinen läßt: Man »hat immer jene Literatur schlecht toleriert, die, mindestens teilweise, einen solchen Status [...] in Frage stellt, als ob sie nur dort stattfinden wollte, wo ihr ein Platz verweigert wird, jedenfalls [...] Seßhaftigkeit, Geselligkeit, Verwurzeltsein. Daher so viele Phänomene, die gerade für die Literatur der Moderne typisch sind: Literaturen im Exodus, Literaturen im Exil, Literaturen in der Fremde, Literaturen, die fremd in ihrer eigenen Sprache sind, klandestine Literaturen, Literaturen im Widerstand, verbotene Literaturen, Literaturen außerhalb des Gesetzes und ortlose Literaturen.«1075 Und Derrida fragt, ehe er die Kehre zu einer Ethik der écriture versucht: »Warum finden wir unter den auserwählten Opfern so viele Schriftsteller?«1076 1071
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Jacques Derrida: Das andere Kap. Die vertagte Demokratie. Zwei Essays zu Europa. Übersetzt von Alexander García Düttmann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992 (Edition Suhrkamp; 1769), S. 12. Ebd., S. 10. Jacques Derrida: Deplazierte Literaturen. Für einen internationalen Widerstand der Schriftsteller jenseits des alten Weltbürgertums. Übersetzt von Jörg Lau. In: die tageszeitung, Nr 4461, 5. November 1994, S. 20–21, S. 20. Ossip Mandelstam: Über Dichtung. Essays. Übersetzt von Alfred Frank, Marga Erb und Roland Erb. Hg. von Pawel Nerler. Leipzig, Weimar: Gustav Kiepenheuer 1991 (Kiepenheuer Bücherei; 4), S.79. Derrida, Deplazierte Literaturen (Anm. 1072), S. 20. Ebd., S. 21.
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Die Existenz des Zeugen des Wortes und seines Anspruchs fordert den Tyrannen heraus – und unter anderem Vorzeichen jene, die dieses Erbe oder Zeugnis nicht verraten sehen wollen: Wir »appellieren an ein(en) anderen Begriff von Gastfreundschaft«. Die beste Würdigung, die man den großen Zeugen der Vergangenheit erweisen kann, ist, sich nicht damit zufriedenzugeben, sie zu feiern. Es gibt eine andere 1077 Dringlichkeit. Wir müssen (aber werden wir es können?) antworten ...
Lyotards nicht unähnliche Konstellation eines Archipels, worin sich in steter Übersetzungstätigkeit ein armer Fischer oder ein »Engel [...], der schwimmt«,1078 bewegt, der achtet, was er plural erfährt, sei en passant angeführt.1079 Und doch ist es notwendig ratsam, nicht gleich vom »homo bucoveniensis«1080 zu sprechen, dem »Celan-Kompetenz zugetraut«1081 wird, da er aus jener Gegend kommt. Auch ist das Postulat der Interferenz heikel, da eine solche sich auf mehrerlei Ebenen entwickelt. »Man übertreibt, glaube ich, die Interferenzen zwischen den verschiedenen nationalen Gruppen«,1082 schreibt Kittner – und setzt fort: »Die entwickelten sich eigentlich parallel zueinander.«1083 Widerlegt solche Rede – oder Ilana Shmuelis mit Mauthner formulierte Überlegung bei einem Gespräch Mitte April 2000, sie trage von jener Zeit Sprachleichen in sich – die Ideen, die referiert wurden? Ist keine Interferenz – nicht in der Gesellschaft (Kittner), nicht im Menschen (Shmueli)? Davon einmal abgesehen, daß Interferenz sich, wo sie zustande kommt, jenen, denen sie widerfährt, nicht zeigt, Ilana Shmuelis Bericht über Celan beim Formulieren in deutscher und hebräischer Sprache verschieden ausfiel, was Änderungen bei1077 1078
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Ebd. Lyotard, L’ange qui nage (Anm. 121), S. 41; vgl. ebd., S. 33ff.; vgl. zu diesem Bild auch Michel Serres: Die Legende der Engel. Übersetzt von Michael Bischoff. Frankfurt a. M., Leipzig: Insel 1995, S.9, 29f. u. passim. »Man muß sich [...] ein Vermögen [puissance] vorstellen, das eine Beziehung zwischen demjenigen schafft, zwischen dem es keine Beziehung gibt.« – Lyotard, L’ange qui nage (Anm. 121), S. 35; das bedeutet, »das Recht zu sprechen [ist jemandem] in dem Augenblick, in dem er das Vermögen zu sprechen hat« (ebd., S. 27), zu gewähren – und dies meint der nichtsdestotrotz nicht (etwa als Programm) zu erfüllende und jede Kultur eröffnende und dem Plural – also der Ahnung von Beliebigkeit, deren Ahnung sie zugleich nicht nur kontingent erscheinen läßt, – preisgebende Imperativ »›Seid gerecht!‹« – ebd., S. 51; vgl. ebd., S. 49ff. u. passim. Rein, Politische und kulturgeschichtliche Grundlagen der »deutschsprachigen Literatur der Bukowina« (Anm. 1030), S. 27. Ebd. Celan selbst hörte einen pejorativen Beiklang, wo seine poetischen Möglichkeiten in einer bestimmten – durchaus nicht pejorativ gemeinten – Weise auf seine Herkunft rückbezogen wurden – vgl. etwa Arnold, Paul Celan und seine Übersetzung der »Jeune Parque« von Paul Valéry (Anm. 76), S. 70. Kittner, Spätentdeckung einer Literaturlandschaft (wie Kap. 1, Anm. 71), S. 198. Ebd; entsprechend seine Schilderung des kulturellen Klimas – vgl. ebd., S. 182f.
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der Fassungen – durch einander – nach sich zog, was die Rede von Sprachleichen in Frage stellt, ist hier auf den Umstand zu verweisen, daß zugleich gerade dies schon in der ersten Sprache widerfährt: ihr ein Fremder zu sein, sie zum Leben nicht gänzlich erwecken zu können.1084 Der bereits zitierte Beitrag Kurt Reins sei als sehr klare Wendung gegen homo bucoveniensis- und anderen Kitsch jedenfalls empfohlen – auch, da dem Einspruch einigermaßen präzise Beschreibungsversuche zu jenem folgen, was etwa als buchenländisch zumeist unscharf bleibt.1085 Da kein Zweifel an der deutschen Ausrichtung jener Gegend wie ihrer Literatur bestehe, plädiert Rein – nicht minder deutsch ausgerichtet freilich – dafür, vor allem die Region, nicht so sehr ihre Kultur durch derlei Beiworte ausgedrückt zu sehen.1086 Interessant ist dabei auch, was schon anklang – das Zusammenfallen von Höhepunkt und Ausklang jener Bukowina, was freilich Blüten und Nachblüten 1876–1918 und 1920–1940 (»Initialphase bedeutsamer bukowinischer Dichtung«1087) nicht gering erscheinen lassen soll.1088 Hier ist nicht der Ort, diesem Umstand weiter nachzugehen, doch sei darauf verweisen, daß gerade der Untergang einer Kultur ihrer Identität schärfere Konturen zu verleihen scheint, überdies ihr Heimatliches mit einer Transformation von Zeitlichkeit in Räumlichkeit zu tun hat, wie in einer Untersuchung zu kollektiver Identität dargelegt wird.1089
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Vgl. Derrida, Die Einsprachigkeit des Anderen oder die Prothese des Ursprungs (Anm. 152), S. 15ff. Vgl. Rein, Politische und kulturgeschichtliche Grundlagen der »deutschsprachigen Literatur der Bukowina« (Anm. 1030), S. 37. Vgl. ebd., S. 38; das Dasein »von Übergangs- bzw. Mischgebieten« verstärkt eher die Wendung zur »kulturgeographischen Einheit« (ebd., S. 43) des Deutschen oder Österreichischen ... Klaus Werner: Thesen zur deutschsprachigen Lyrik des Buchenlandes seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. In: »Weil Wörter mir diktieren: Schreib uns.« Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 1999. Hg. von Helmut Braun. Köln: Rose Ausländer-Stiftung 2000 (Schriftenreihe der Rose Ausländer-Stiftung; 10), S. 215– 228, hier S. 216. Vgl. zusammenfassend die (tendenzielle) Darstellung bei Rein, Politische und kulturgeschichtliche Grundlagen der »deutschsprachigen Literatur der Bukowina« (Anm. 1030), S. 41 u. 46f.; vgl. auch Menninghaus, »Czernowitz/Bukowina« als Topos deutsch-jüdischer Geschichte und Literatur (wie Kap. 1, Anm. 32), S. 357. Vgl. Charlotte Uzarewicz / Michael Uzarewicz: Kollektive Identität und Tod. Zur Bedeutung ethnischer und nationaler Konstruktionen. Frankfurt a. M., Berlin, u. a.: Lang 1998 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 22: Soziologie; 316), S. 74 u. 223ff.; freilich ist die logische Fortführung des ersten Strangs eine Identität von geglücktem Kollektiv und Tod – vgl. ebd., S. 267.
Vierter Teil
Jacques Derridas Antwort Falls es möglich ist, hier anzuschließen; falls es möglich ist, hier einen Neubeginn zu machen; falls es möglich ist, hier in Derridas Namen zu schreiben; falls es schließlich möglich ist, seiner Methode zu entsprechen – all diese Einsätze des Denkens können nicht leisten, was zu leisten wäre. Die Frage nach der Verknüpfung, die lege artis wäre, ist bereits gestellt worden.1 Derrida als Autor stellt bei einer angemaßten Statthalterschaft vors Problem der Bemerkung: »Autorennamen« sind hier nur Indizien.2
Und Derridas Dekonstruktion und différance benennen keine Methode, wiewohl dies zuweilen nahegelegt wird.3 Vielmehr ist in seiner Praxis eine Philosophie der Schrift zu sehen, die ihrer Grundidee wechselseitiger Bestimmung 1 2
3
Vgl. Lyotard et al., Streitgespräche, oder: Sätze bilden nach »Auschwitz« (wie Kap. 1, Anm. 185), S. 62. Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 46; nichtsdestotrotz ist Derridas Texten zu folgen – und mancher tatsächlichen oder durch (etwa meine) Zitat-Montage suggerierten Allianz zu mißtrauen; Paul de Man etwa hat – als Vertreter der Dekonstruktion – doch anders als Derrida gelesen, ist etwa als Denker des Datums schwerlich vorzustellen – vgl. auch Anja Köpper: Dekonstruktive Textbewegungen. Zu Lektüreverfahren Derridas. Wien: Passagen 1999 (Passagen Philosophie), S. 14; vielleicht ist hierüber, über die Koinzidenz, die Freundschaft kraft der Schrift – »im Prozeß des Denken seine ›ewige Mitspielerin‹« (Heinz Kimmerle: Die Auto-Erotik des Schreibens. Denken und Schrift bei Derrida. In: der blaue reiter 6 [2/1997]: Eros des Denkens, S. 50–53, hier S. 51) – zu sagen, was Schmitz-Emans aus einem Schreiben Derridas zitiert, wonach derlei »eine Aufforderung zur Lektüre dar[stelle]« – Jacques Derrida, zit. in Monika Schmitz-Emans: Poesie als Dialog. Vergleichende Studien zu Paul Celan und seinem literarischen Umfeld. Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter 1993 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte, Folge 3; 122), S. 61 (Anm.); vgl. ebd., S. 60f. (Anm.); Es sind »die Anderen dieser Texte über Derrida hinaus zu beachten. [...] Wer [...] nur Derrida zu lesen versucht, kann [...] Derrida nicht lesen.« – Uwe Dreisholtkamp: Jacques Derrida. München: Beck 1999 (Beck’sche Reihe; 550 – Denker), S. 156. Derridas différance ist nicht als »Methode« (Briel, Adorno und Derrida [wie Kap. 2, Anm. 21], S. 103) zu bezeichnen, wie Briel richtig bemerkt. Unsinnig ist dann auch die Frage der Anwendbarkeit dieses von Derrida sichtbar gemachten Effekts von Verschiebung. Vgl. Zima, Die Dekonstruktion (wie Kap. 3, Anm. 101), S. 200 und passim.
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Vierter Teil
von Datiertem und logischer Struktur folgend diese als Verschiebung auf sich und behandelte Texte wirken läßt.4 Was ich Dekonstruktion nenne, kann natürlich Regeln, Verfahren, Techniken hervorbringen, aber im Grund genommen ist sie keine Methode und auch keine [...] Kritik, weil eine Methode eine Technik des Befragens oder der Lektüre ist, die ohne Rücksicht auf die idiomatischen Züge in anderen Zusammenhängen wiederholbar 5 sein soll. Die Dekonstruktion ist keine Technik.
Derridas Methode also widerspricht sozusagen jeder Methode, indem sie zeigt, wie jene Teil des Interpretierten wird und zugleich wandelt, wozu sie in bestimmter Weise zu rechnen ist. Mit gutem Grund finden sich in Arbeiten, welche auch Derridas Arbeit miteinbeziehen, nicht Quintessenzen desselben, sondern – meist so verlegene wie vage – Verweise auf »problems of poetic representation« ...6 Wie verlockend wäre es, ausweichend mit Nebensächlichem zu beginnen, würde es nicht Personenkult bedeuten – zu erzählen, daß Derrida Tee mit Milch trinkt,7 daß Derridas Erscheinung gewöhnungsbedürftig ist: Jacques Derrida hat rote Socken an. Das etwas Unseriöse der Erscheinung gehört zu seiner Strategie. Ich erinnere mich, wie er vor ein paar Jahren einen Vortrag im überfüllten Audimax der FU hielt, mit einer irgendwie irritierend kurzen und breiten blauen Krawatte überm lachsfarbenen Hemd. Ein Modefriseur sprach über Kafka, Nasenhaare und das Gesetz. Das Publikum verharrte zwei Stunden wie hypnotisiert, obwohl man ziemlich sicher sein kann, daß viele ihn nicht verstanden, denn er 8 sprach französisch.
Burger bemerkt recht scharf, man gelange so zum »Niederschlag eines verwahrlosten Denkens«,9 worin der Schreibende bloß noch »auf Metaphern rutscht«.10 Das Problem der Metapher in der Philosophie, zu der Burger – hierauf wurde schon verwiesen – trotz allen Unbehagens nicht ungern greift, ist damit nicht ausgeräumt. Zumindest aber enthalte ich mich also dem Spiel mit Nebensächlichem, mag sich auch zeigen, daß zwar nicht mit Unwesentlichem, doch Nichtwesentlichem durchaus Umgang zu pflegen bleibt.11 Ich will statt dessen die Frage stellen, wie Text und Text zueinander stehen, womit im ersten Fall der ausformulierte, nach stilistischen Regeln exakt kalku4
5 6 7 8 9 10 11
Eagleton schreibt angesichts dieser paradoxen Konstellation von »Verrücktheit und Metaphysik« (Eagleton, Ästhetik [wie Kap. 2, Anm. 235], S. 399), Derridas Philosophie sei nichts als ein »Oxymoron«. Derrida, Interview mit Florian Rötzer (22.2.1986) (wie Kap. 3, Anm. 94), S. 70. Colin, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 96), S. 196; vgl. ebd., S. XXVI und 95. Vgl. Jacques Derrida: Die Signatur aushöhlen – eine Theorie des Parasiten. Übersetzt von Peter Krapp (1994). In: http://www.hydra.umn.edu/derrida/par2.html. Thierry Chervel: Erst mal ein Begriff. Philosophen beim Straßburger »Carrefour«: die Stube von innen verriegelt. In: die tageszeitung, Nr. 3860, 14. November 1992, S. 21. Rudolf Burger: Überfälle. Interventionen und Traktate. Wien: Sonderzahl 1993, S. 137. Ebd. Vgl. Kant, Werkausgabe in 12 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 18), Bd III, S. 112f., B 97f., A 72f.
Jacques Derridas Antwort
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lierte Text gemeint ist, im zweiten Fall der endlose Fluß der Worte, der, wenn man dieses Wort nicht als Tautologie fürs namenlose Gewebe empfindet, Hypertext. Denn der Anfang ist – mitsamt dem ihm verbundenen von Derrida Bedachten – anscheinend nicht theoretisierbar, keiner Theorie als Vorwegnahme seiner selbst in falscher Präzision (prae-cisio ...) einzufügen: Wie eröffnet man eine den Leser stets ins Unrecht setzende und doch unerläßliche Lektüre? Man beschneidet: Ein einziges Mal: die Beschneidung findet nur ein einziges Mal statt.12
Derrida beschreibt in einem Bild von so extravaganter wie erlesener Erotik den Schnitt, der »zwischen der Liebe und dem Mord«13 das Hymen, dessen Spiel »todbringend und geheiligt«14 sein muß, einerseits durchtrennt, andererseits erst »die Jungfräulichkeit [...] als Jungfräulichkeit markiert«.15 Dieser Schnitt findet statt, wenn »das Papiermesser die Lippen (lévre) des Buches (livre) spreizt«.16 Zu vermerken bleibt, daß in einem gewissen Sinne die Jungfräulichkeit wie »vor dem geschwungenen Messer«17 besteht; daß zugleich in der Lektüre »die Willkür [...] des Papiermessers, das unterschiedslos hier und da die Lektüre eröffnet«,18 zu bedenken ist.19 An anderer Stelle schreibt Derrida von der »Notwendigkeit einer endlosen, aktiven Interpretation, die mit der Genauigkeit eines Skalpells zugleich gewalttätig und textgetreu vorgeht ...«20 Also sind incipit und incisio21 getan. Die Beschneidung findet ein einziges Mal statt und hinterläßt zugleich ein Mal, wovon »une fois«22 nicht weiß, das im Homophon wiederum an den Glau12
13 14 15 16 17 18 19
20 21
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Derrida, Schibboleth (wie Kap. 3, Anm. 182), S. 9; »Ein Mal und nichtmehr. [...] Nie wieder [...], [...] nicht widerrufbar.« – Rilke, Die Gedichte (wie Kap. 3, Anm. 743), S. 661. Derrida, Dissemination (wie Kap. 3, Anm. 87), S. 237. Ebd., S. 242. Ebd., S. 291. Ebd. Ebd., S. 292. Ebd., S. 338. Dies ist solcherart zu denken, da »das Hymen[,] Vereinigung zwischen dem Gegenwärtigen und dem Nicht-Gegenwärtigen mit all den Indifferenzen« (ebd., S. 236) ist – und so in der Lage, »allen Ontologien, allen Philosophemen, den Dialektiken aller Ränder einen Strich durch die Rechnung« (ebd., S. 241) zu machen. Jacques Derrida, Gespräch mit Christian Descamps (wie Kap. 1, Anm. 161), S. 59. Ein »stets fiktiver Anfang« – Derrida, Dissemination (wie Kap. 3, Anm. 87), S. 338; »Derrida [...] is trying to be ahead of himself.« – Nico van Sijde: Jacques Derrida and the »Mime« of Otherness. In: Mimesis. Studien zur literarischen Repräsentation. Hg. von Bernhard F. Scholz. Tübingen, Basel: Francke 1998, S. 201–212, hier S. 210; »Philosophy [...] comes before itself and substitutes for itself.« – Derrida, Glas (wie Kap. 3, Anm. 142), S. 95; »Dies hier (also) wird kein Buch gewesen sein.« – Derrida, Dissemination (wie Kap. 3, Anm. 87), S. 11. Derrida, Schibboleth pour Paul Celan (wie Kap. 3, Anm. 776), S. 11.
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Vierter Teil
ben (ungerechtfertigt wie unerschütterlich: la foi du charbonnier) geschmiedet ist. Dieses eine Mal, das verschiedene Assoziationen weckt, im Englischen die Zeit beschwören kann,23 es weist bereits auf die Unübertragbarkeit, indem es eine »semantisch breite Fächerung [...] [der] Idiome«24 zeigt. Es ist im Sinne des Einzigartigen, das in Logik nicht aufgeht, von dieser aber im Sinne singulärer Bedeutung als HALT, der zugleich unkalkulierbar EinHALT gebietet, beschworen wird, bereits ein Ort oder Nicht-Ort der différance, der sich so gestaltet.25 All diese ausgesparten Fragen nach dem Neubeginn sollen sogleich über die Bande, die Flüchtigkeit und »Überschärfe [...] der Spur«,26 die verpflichtet, doch diese bleibende Schuld »zum Unvordenklichen«27 macht, angespielt werden ...
Text im Text Wie ist in sinnvoller Weise eine Verbindung zwischen jenem begrenzten Text, der mittels strategischer Verknüpfungen als Kunstwerk zum Problem wird, und dem endlosen Fluß der Worte, dem endlosen Text herzustellen? Einleitend möchte ich auf das Verhältnis von System oder Macht und Widerstand verweisen. Zu den verbreiteten Vorurteilen zählt die Idee, das eine sei dem anderen opponiert; schon Foucault freilich schreibt: Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand. Und doch oder vielmehr gerade deswegen liegt der Widerstand niemals außerhalb der Macht.28
Macht ist nicht, wogegen ein ihr äußerlicher Widerstand sich zu regen vermag – schon deshalb, weil Macht nicht ist. Sie geht, wie sich andeuten wird, dem voran, was sie als ihr Fundament suggeriert, nämlich einem auch von ihr diktierten Sein, das zuallerletzt natürlich dem attribuiert wird, was das Sein oder seinen Anschein zeitigte. 23
24 25 26 27
28
Vgl. Derrida, Schibboleth (wie Kap. 3, Anm. 182, S. 10; ursprünglich in Englisch verfaßt, beinhaltet der Text das diesbezogen sozusagen leere »once« – vgl. ebd., S. 7 und 10 sowie Derrida, Shibboleth (wie Kap. 3, Anm. 182), S. 3f. Ebd., S. 10. Vgl. de Vries, Das Schibboleth der Ethik (wie Kap. 2, Anm. 130), S. 58. Claudia Fahrenwald: Spur. In: der blaue reiter 6 (2/1997): Eros des Denkens, S. 85– 86, hier S. 85. Paul Ricœur: Das Rätsel der Vergangenheit. Erinnern – Vergessen – Verzeihen. Übersetzt von Andris Breitling und Henrik Richard Lesaar. Göttingen: Wallstein 1998 (Essener Kulturwissenschaftliche Vorträge; 2), S. 155; Ricœurs Bestimmung ist darin begründet, daß der Abdruck – sein Wort für die Spur – »als hinterlassener anwesend« (ebd., S. 29) ist, was eine Entzifferung oder allgemeiner Übertragung des Maßstabs beraubt: auf ein Selbst ist die wahrhaftige mehr denn wahre Spur nicht zu beziehen ... (vgl. ebd., S. 32, 35 u. 40) Michel Foucault: Sexualität und Wahrheit. Übersetzt von Ulrich Raulff und Walter Seitter. Bd 1: Der Wille zum Wissen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1983 (SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft; 716), S. 116.
Jacques Derridas Antwort
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Es gibt Macht, es gibt Macht-Effekte, aber die Macht existiert nicht. Sie ist nichts.29
Barthes unterscheidet in diesem Zusammenhang vor der »Teufelei [...] Sprache [...] Formen ihrer Leere«30 von dem Gegenteil, »ihrer Hohlheit«.31 Auch hier ist Macht nicht ... In Verkennung dieses Umstands wird fest geglaubt, daß die aufs System angewiesene Präzision eines Berichts als Authentizität Gegensatz des Spiels mit den Regeln sei, Authentizität und Metapher kurzum Erzfeinde seien. Das scheinbare Gegensatzpaar ist in der Folge etwa mit einzubeziehen, wenn man sich auf die Spur des Wortes begibt, auf das es noch ankommen kann – Derrida verweist auf »die wesentlichen Fragen, die richtige Frage«32 Philippe Lacoue-Labarthes: Ich weiß nicht, welches Wort Celan hätte erwarten können. Welches Wort, für ihn, genug Kraft gehabt hätte, ihn der Bedrohung von Aphasie und Idiom (des Fehlens der Wörter), in die das Gedicht, gegen die Stille gestammelt, versinken mußte, wie man ins Moor geht, zu entreißen. Welches Wort, unvermittelt, Ereignis hätte werden können. Ich weiß es nicht. Irgendetwas aber sagt mir, daß es das geringste und schwerste Wort ist, weil es »das Hinaustreten aus dem Ich« fordert, – dieses Wort, das das ganze Abendland, in seinem Pathos der Erlösung, nie hat sagen können, das zu lernen uns aufgegeben bleibt, und ohne das wir es sind, die zugrunde gehn: das Wort Verzeihung. 33 Was Celan uns zu denken gibt, ist dieses Wort.
Verzeihung weist auf die Gabe eher denn auf den Verzicht, wenn man im Original liest: »le mot pardon«.34 Und über den Bezirk der Gabe, die jenseits der Erwartung wirkt, läßt sich tatsächlich die scheinbar unerbittliche Opposition passieren, welche eben noch zwischen Rhetorik und poetischem Kalkül sowie dem authentischen Bericht bestand. Es drängt sich der zunächst paradoxe Eindruck auf, ästhetische Strategie und Authentizität seien einander nicht nur nicht diametral entgegengesetzt zu denken, sondern einander vielmehr verschwistert. Dies meint nicht allein, daß die Authentizität von Gedenken auch dadurch charakterisiert ist, daß es beschädigt ist, folglich zu keinem Résumé kommt:
29 30
31 32 33
34
Derrida, Kraft der Trauer (wie Kap. 3, Anm. 254), S. 32; vgl. zu beiden Gedankensträngen auch Derrida, Gespräch mit Christian Descamps (wie Kap. 1, Anm. 161), S. 62. Roland Barthes: Leçon/Lektion. Antrittsvorlesung im Collège de France (7. Januar 1977). Übersetzt von Helmut Scheffel. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1980 (Edition Suhrkamp; 1030), S. 55. Ebd. Derrida, Schibboleth (wie Kap. 3, Anm. 182), S. 149 (Anm.). Philippe Lacoue-Labarthe: Dichtung als Erfahrung. Übersetzt von Thomas Schestag. Stuttgart: Edition Patricia Schwarz 1991, S.53f.; es könnte dies die richtige Frage unter vielen scharfsinnigen Betrachtungen Lacoue-Labarthes sein; ob die Antwort gerade hier nicht rasch erfolgt, gebe ich auch darum zu bedenken, da von Anbeginn nie eine solche »unbekannte Invariante« (Silverman, Textualitäten [wie Kap. 3, Anm 729], S. 67) zu erwarten stand. Philippe Lacoue-Labarthe: La poésie comme expérience. Paris: Christian Bourgois Editeur 1986 (Collection »Détroits«), S. 58; vgl. ebd., S. 57f.
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Vierter Teil
»Vergangenheit, die nicht vergehen will.«35 Auch der allgemeine Umstand, daß das Erscheinen von etwas, sei es sakral oder profan, immer von der Erscheinung oder eben Formulierung abhängig bleibt, die darum bedacht zu werden verdient, ist nicht vordringlich angesprochen. Ich ziele auf die Obsession der Sprache gegenüber, deren Mittel den Dichter nicht nur zu ihrem Liebhaber, sondern ebensosehr zu ihrem Hasser machen. Was nämlich sich der Auflösung in Sprache verweigert und sperrt, ist meines Erachtens der Impetus von Lyrik, wenn man nicht davon ausgeht, Ausklammerungen an den Rändern der Sprache seien klar zu umreißen, was nicht zuletzt allfällige Meta-Ebenen betrifft. Wer korrekt über die Ordnung spricht, ist selbst innerhalb der Ordnung, oder aber 36 seine Sprache ist nicht korrekt gebildet.
Wie aber kann authentisch gesprochen werden, wenn der Gehalt eines solchen Sprechens entweder regelrecht und regelgerecht verstümmelt oder sprachlos bleibt? Montaigne schreibt über ein Denken und damit eine Sprache, die vom Unzureichen ihrer selbst zeugten: Ich sehe, wie die pyrrhonischen Philosophen ihre Grundkonzeption in keinerlei Redeweise ausdrücken können, denn dazu brauchten sie eine neue Sprache. Die unsere ist 37 aus lauter affirmativen Sätzen gebildet, die mit ihrer Lehre völlig unvereinbar sind.
Gilt dies in gewisser Weise auch für den Versuch, dem Nicht-Identischen gedanklich gerecht zu werden, wo es Sprachlosigkeit, Aphasie nahelegt, nach ihm, in seiner Spur zu denken, so ist zu fragen: Wie ist es möglich, sich intellektuell jenseits der Irrungen zu bewegen, wenn das Feinsäuberliche einer Negation wider das Denken durchs sie ventilierende Denken mitsamt seinem Neuanfang vereitelt ist? Meine provisorische Antwort lautete, daß der Kanal der Authentizität in dieser Deutung gerade die Metapher, die ästhetische Brechung sein muß. Man könnte sagen, daß es gerade die parasitären Effekte38 des Hintergrundrauschens sind, die in der Bildung künstlerischer Sprachführung als Strategien authentischer Zeugenschaft genutzt werden, Manipulationen des Systems mittels der Regelhaftigkeit des Systems selbst die Sprache dorthin treiben, wohin zu gehen ihr nicht bestimmt zu sein schien.39 35 36 37
38 39
Hartman, Der längste Schatten (wie Kap. 2, Anm. 161), S. 180. Michel Serres: Hermes. Übersetzt von Michael Bischoff, hg. von Günther Rösch. Bd II: Interferenz. Berlin: Merve 1992, S. 22. Montaigne, Essais (wie Kap. 3, Anm. 984), II·12, S. 263; Gadamer wendet dies genial in ein Plädoyer für die Triftigkeit des skeptischen Anliegens – vgl. Hans-Georg Gadamer: Gesammelte Werke. Bd 1: Hermeneutik I. Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. 5. Aufl., Tübingen: Mohr 1986, S. 350. »Es gibt schwarze Stellen in der Sprache.« – Serres, Der Parasit (wie Kap. 1, Anm. 180), S. 33. Vgl. hierzu Firges, Den Acheron durchquert ich (wie Kap. 1, Anm. 41), S. 11.
Jacques Derridas Antwort
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Keiner versteht es, zu schreiben. Jeder, selbst und vor allem der »Größte« schreibt, um durch den Text und im Text etwas einzufangen, das er nicht schreiben kann. Das sich nicht schreiben läßt, wie er weiß.40
Man schließt dichtend an die Sprache an, was augenscheinlich nicht angeschlossen werden sollte, doch zugleich als Möglichkeit ihr schon immanent war, etwas, das anderer Logik, aber von rudimentärer Kompatibilität ist – einen Parasiten. Dieser Parasit ist, was »eine [...] kontextuelle Bedeutungsveränderung«41 einleitet, die ohne Kontext freilich niemals vonstatten geht und letztlich als Veränderung nicht wahrzunehmen ist, weist eine Metapher doch präzise auf sich selbst – und macht ihr Uneigentliches vergessen, das dafür am eben noch stabilen Eigentlichen des Wortes aufscheint. Dieser Parasit ist scheinbar wenigstens partiell zu korrumpieren, doch dies trügt, da auch der kleinste Effekt, und dieser tritt irgendwann – allzu bald – auf, bereits alles in Gang setzt; die Bestechung bindet nicht völlig, also gar nicht: Mit einer Symbiose hat es angefangen, doch die hat nur die Flitterwochen gedauert. Und schon ist der Parasit wieder da.42
Er »ist dem Kanal aufgepfropft«.43 Er ist ein ständiger Bewohner des Hermes’schen Systems.44 Der Parasit ist immer da, [...] Gott oder Dämon, Vernunft oder Rauschen.45
Er spaltet auf, was fest und eindeutig verknüpft schien, infiziert mit jener unvermeidlichen Unentscheidbarkeit, welche die knappen Poeme der hier behandelten Dichterin, mag es auch gerne übersehen werden, auszeichnet.46 Er ist als »Interferenz [...] Metapher und [...] ars inveniendi«.47 Er ist als Kurzschluß
40
41 42 43 44
45 46 47
Lyotard, Kindheitslektüren (wie Kap. 3, Anm. 271), S. 11; vgl. auch Pries, Einleitung (wie Kap. 3, Anm. 103), S. 28 (Anm.); an dieser Stelle sei auf Wittgensteins Formulierungskunst vor dieser Verlegenheit – es wurde behauptet, was »sich nicht sagen [...] läßt« (Ludwig Wittgenstein, zit. in Manfred Frank / Gianfranco Soldati: Wittgenstein. Literat und Philosoph. Pfullingen: Neske 1989 [Opuscula; 49], S. 19), sage sich allenfalls selbst – zurückgeblickt ... Ricœur, Die Metapher und das Hauptproblem der Hermeneutik (wie Kap. 3, Anm. 681), S. 361. Serres, Der Parasit (wie Kap. 1, Anm. 180), S. 61. Ebd., S. 65; »Parasit: Er [...] ist nicht auf der Sache, sondern auf der Beziehung.« – Ebd., S. 64. Vgl. ebd., S.72; dieses ist der allgemeine Fall zum Sonderfall einer Referenz, deren Klarheit fast schon immanenter Widerspruch zur Referenz ist ... Vgl. Deleuze / Guattari, Tausend Plateaus (wie Kap. 3, Anm. 421), S.13 u. passim sowie Michel Serres: Hermes. Übersetzt von Michael Bischoff. Hg. von Günther Rösch. Bd I: Kommunikation. Berlin: Merve 1991, S.10 u. passim. Serres, Der Parasit (wie Kap. 1, Anm. 180), S. 97. Vgl. auch Sturm, Unerforschte Bezirke des Sagbaren (wie Kap. 3, Anm. 485), S. 28. Serres, Der Parasit (wie Kap. 1, Anm. 180), S. 110.
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Vierter Teil
Beschleuniger,48 vielmehr jedoch, was Bedingung des Kurzschlusses ist, nämlich nicht nur, was in der Vermittlung ist, sondern noch die Vermittlung selbst.49 Die dritte Person geht den beiden ersten voraus.50
Das, was Serres in Der Parasit andeutet, führt er – unter neuer Leitmetapher – in Die Legende der Engel fort. Auch hier wird ein Modell der Uneigentlichkeit entworfen, wobei der Ernst im Umgang mit den geflügelten Boten, der dennoch besteht, zugleich Reaktion auf die Frage ist, wofür Metapher metaphorisch stehe, womit ja gleichfalls der Vermittlung eine Rolle von nicht geringem Gewicht zukommt.51 Insofern ist denn auch die Legende betont, die auf eine officio oder religio legendi weist.52 Nicht mehr also ist so leicht von einem Abweichen von der Grammatik, das interpretierbar bleibt, zu sprechen, das Vermögen der Engel oder Parasiten ergibt vielmehr die entfremdende Konfrontation, die der Raum der Grammatik sein sollte, die »Neigung zur Desontologisierung«53 erweist sich, auch so kann man es formulieren, desgleichen als Reontologisierung in Permanenz.54 Der Vermittler tritt hinter die Botschaft zurück. [...] Deshalb sehen wir die Engel nicht 55 [...], die schlechteren Engel lassen sich blicken, die besseren bleiben unsichtbar.
Man müßte nach Foucault »zeigen, wie unsichtbar die Unsichtbarkeit des Sichtbaren ist«.56 Engel sind »Widerhall des ganzen Raumes«,57 lassen ihn finden, werden zum Raum selbst, denn das »Geflecht dieser Ströme bildet [...] das Universum«,58 wie Serres schreibt. Interessant ist schließlich die Beschreibung dessen, was die Mission eines Engels (oder eines Dichters, eines Parasiten, einer Metapher – sie alle sind sozusagen zu Recht »niemals unschuldig« ...59) glücken läßt. Immerhin arbeiten wir mit den Engeln und ihnen gemäß.60 Das Glücken hängt daran, die Devianz nicht zu meiden, also nicht vom Engel zum notwen48 49
50 51 52 53 54 55 56
57 58 59 60
Vgl. ebd., S. 148f. Am Anfang ist gewissermaßen die Metamorphose. – vgl. ebd., S. 152; es ließe sich sagen, das Parasitäre entspreche dem Prinzip des Organs – vgl. Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 287. Serres, Die Legende der Engel (wie Kap. 3, Anm. 1078), S. 113. Vgl. Benjamin Biebuyck: Die poietische Metapher. Ein Beitrag zu einer Theorie der Figürlichkeit. Würzburg: Königshausen & Neumann 1998 (Epistemata; 204), S. 54. Vgl. Serres, Die Legende der Engel (wie Kap. 3, Anm. 1078), S. 9 u. 40; vgl. auch ebd., S. 67 zum Weltbuch. Biebuyck, Die poietische Metapher (Anm. 51), S. 278. Vgl. auch ebd., S. 58, 70, 206, 226, 278 u. 298. Serres, Die Legende der Engel (wie Kap. 3, Anm. 1078), S. 102. Michel Foucault: Von der Subversion des Wissens. Übersetzt und hg. von Walter Seitter. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1993 (Fischer-Taschenbücher; 7398 – Fischer Wissenschaft), S. 52. Serres, Die Legende der Engel (wie Kap. 3, Anm. 1078), S. 29. Ebd., S. 30 Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 31. Vgl. Serres, Die Legende der Engel (wie Kap. 3, Anm. 1078), S. 43ff. u. 96.
Jacques Derridas Antwort
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dig scheiternden Kopisten abzusinken, zugleich jedoch auch nicht aufzusteigen zur Sichtbarkeit vor der Botschaft; die eifersüchtige Bewahrung dessen, was mit dem zu Verlautbarenden in Einklang bleiben soll, macht häßlich, »Eifersucht macht häßlich«.61 Pointiert hat Derrida festgehalten: Das Schlechte ist noch mehr ohne Wesen als das Gute.62
Wer spricht, hat also allerlei, doch immer den Parasiten Vermittlung, der das Bild des Anfangs eitel, das meint auch hinfällig oder wohl schon gefallen erscheinen läßt; wer spricht, hat allerlei – »außer vielleicht das großgeschriebene nichts«.63 Den »Parasiten zu vertreiben«64 heißt: Das Draußen draußen halten.65
Der Parasit rettet – nur zum Beispiel – das Draußen vor der Bedeutungslosigkeit seiner Reinheit. Und er ist doch auch, was sich und sein – das durch ihn befallene – System zugrunde richten kann: ein Versinken »im Unsinn, im blanken Rauschen, in der Unordnung; das System bricht zusammen, alles stirbt«.66 Der Parasit ist ein Agent infinitesimaler Veränderung.67 61
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Ebd., S. 202; vgl. zur Kunst und Moral des rechten Falschspiels ebd., S. 87, 101f., 104, 120f. u. passim; nur am Rande sei auf die Nöte dessen verwiesen, der sich der Metaphorik Serres’ bedient und von Engeln spricht – ein Gott bleibt gerade hier doch, der nicht bloß als Inbegriff des Experten ein Terrain beherrscht (vgl. ebd., S. 240f. u. 257), und mit ihm ist die Pluralität der Engel (vgl. ebd., S. 293) zuletzt gefährdet, einer Essenz doch Platz machen zu müssen; man beachte Serres’ Mühen, die aber in der bedenkenswerten Konstellation münden, es sei dieses Denken, das den Denkenden verschwinden läßt (vgl. ebd., S. 240f. u. 262f.), als Gerechtigkeit ein paradoxer Fokus: ein »Gericht, das nur über die Richter urteilt« (ebd., S. 230), ist ein wahrhaft jüngstes Gericht ... – so gelingt es zuletzt doch, den Engel einen auteur und augmenteur sein zu lassen (vgl. ebd., S. 270) und damit nicht zum Knoten, zum bloßen Übergangsvermögen (vgl. Wolfgang Welsch: Vernunft. Die zeitgenössische Vernunftkritik und das Konzept der transversalen Vernunft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995, S. 48, 367, 696, 748ff., 906 u. 913ff.) verkommen zu lassen, zu etwas, wovor das Universum statisch bleiben muß – der Engel Serres’ schafft, was er schreibt, ist »Universalschlüssel« (Serres, Die Legende der Engel (wie Kap. 3, Anm. 1078), S. 293ff.) und diese Welt, die er bloß zu erschließen scheint (vgl. ebd. u. ebd., S. 9ff.) ... Jacques Derrida: Wie nicht sprechen. Verneinungen. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek, hg. von Peter Engelmann. Wien: Passagen/Böhlau 1989 (Edition Passagen; 29), S. 75 (Hervorhebung M. H.); vgl. Jacques Derrida: Acts of Literature. Hg. von Derek Attridge. New York, London: Routledge 1992, S. 41. Oswald Wiener: Schriften zur Erkenntnistheorie. Wien, New York: Springer 1996 (Computerkultur; X), S. 57. Derrida, Dissemination (wie Kap. 3, Anm. 87), S. 144. Ebd. Serres, Der Parasit (wie Kap. 1, Anm. 180), S. 283. Ebd., S. 302; in diesem Sinne assoziiert Glissant die Praxis des Dichtens mit dem Bild des Virus – vgl. Edouard Glissant: Die Information des Gedichts. Übersetzt von Beate Thill. In: Minima Poetica. Für eine Poetik des zeitgenössischen Gedichts. Hg.
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Vierter Teil
Er verändert nichts, bringt aber, was er infiziert, dazu sich zu verändern, im Gang der Dinge andere Dinge einen anderen Gang nehmen zu lassen.68 Er bringt die Dinge scheinbar stets zu sich. Sein Nichts, seine Asche sind, was zu Herzen geht – jenem Organ, das nur fühlt, wer dieses Innen als fremd, als das sprichwörtlich gebrochene Herz in seiner Brust trägt: Diese Fremdheit bringt mich zu mir, macht mein Verhältnis zu mir selber aus. »Ich« 69 bin, weil ich krank bin. Die K r a n k h e i t brachte mich erst zur Vernunft.70
Diese so nicht zu heißende71 Krankheit macht den, der an ihr leidet, zum Leiden oder Eindringling seiner selbst, der »Eindringling ist kein anderer als ich selber – als der Mensch selbst«.72 Übrigens formuliert Derrida andererseits das »Prinzip des Ruins im Herzen des allerneuesten Neuen«,73 das – eingedrungen – datiert wird. Welche Veränderung es sein soll, dies ist nicht ausgemacht, Kontrakte sind des Parasiten Sache nicht, zumal er in der Relation an der Macht selbst partizipiert, die »Joker, die Vieldeutigkeit«74 selbst, »Polyvalenz«75 ja ist. Wahr und nicht wahr – er ist die Trope, die sich als »Transformationssystem[e]«76 in Vergessenheit geraten läßt. Er kündigt der Eigentlichkeit, woran seine Rolle zu bemessen wäre, ist »das wesentliche Parasitäre«77, zumal alles Schrift zu sein scheint ...
68 69
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von Joachim Sartorius. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1999, S. 149–155, hier S. 150; »Nicht falschspielen heißt gar nicht spielen.« – Serres, Die Legende der Engel (wie Kap. 1, Anm. 1077), S. 121. Vgl. Serres, Der Parasit (wie Kap. 1, Anm. 180), S. 293. Jean-Luc Nancy: Der Eindringling. Das fremde Herz. Übersetzt von Alexander Garcia Düttmann. Berlin: Merve 2000 (Internationaler Merve Diskurs; 226), S. 17; vgl. auch Watson, Die Auschwitz-Galaxy (wie Kap. 1, Anm. 129), S. 263; dieses Erbe – als conditio humana (vgl. ebd., S. 49) –, das in seiner Unsäglichkeit die Aggression wider die »unfreiwilligen Zeugen des vergessenen Ereignisses« (Lyotard, Vortrag in Wien und Freiburg (wie Kap. 1, Anm. 26), S. 23; vgl. Jean-François Lyotard / Eberhard Gruber: Ein Bindestrich. Zwischen »Jüdischem« und »Christlichem«. Übersetzt von Eberhard Gruber. Düsseldorf, Bonn: Parerga 1995, S. 32), erregt; das als »l’obligation de justice« (Lyotard, Vortrag in Wien und Freiburg [wie Kap. 1, Anm. 26], S. 57), als »Verpflichtung zur Gerechtigkeit« (ebd., S. 32) besteht, es wird uns, so hoffe ich, stets begleitet haben ... Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd VI, S. 283. Vgl. Nancy, Der Eindringling (Anm. 69), S. 17. Ebd., S. 49. Derrida, Politik der Freundschaft (wie Kap. 3, Anm. 875), S. 101. Serres, Der Parasit (wie Kap. 1, Anm. 180), S. 329; vgl. Serres, Le Tiers-Instruit (wie Kap. 1, Anm. 19), S. 15. Serres, Der Parasit (wie Kap. 1, Anm. 180), S. 374. de Man, Allegorien des Lesens (wie Kap. 3, Anm. 322), S. 114 (Anm.); vgl. ebd., S. 182; vgl. auch de Man, Epistemologie der Metapher (wie Kap. 1, Anm. 82), S. 424 u. 435. Derrida, Die Wahrheit in der Malerei (wie Kap. 3, Anm. 187), S. 22 (Hervorhebung M. H.); »monstre courant« – Serres, Le Tiers-Instruit (wie Kap. 1, Anm. 19), S. 16.
Jacques Derridas Antwort
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Der Gott der Schrift [...] läßt sich keinen festen Platz im Spiel der Differenzen anweisen. Listig, ungreifbar, maskiert [oder die unmaskierte Maskerade selbst seiend, M. H.], wie Hermes ein Hintertreiber und Grimassenschneider, ist er weder König noch ein Diener; eher eine Art Joker, [...] eine neutrale Karte, die dem Spiel Spiel78 raum gibt.
Es ist wahr und falsch, hinter der unvermeidbaren Unkenntlichkeit der Pfropfung eine Strategie zu sehen.79 Das Parasitentum »ist das Wesen der Relation, [...] geht ihr voraus«,80 während es dem System folgt. Celan umschrieb in Unter der Flut den Akt des Dichtens als ein Setzen von Selbstzündblumen 81 an allen Kabeln ...
Es sei auf Nietzsches allen zuvorkommenden Satz hingewiesen, daß sich der Wert eines Systems nicht zuletzt daran bemesse, wie gut es Parasitismen ertrage ... Noch »hat kein Denker den Muth gehabt, die Gesundheit [...] [eines Systems] darnach zu bemessen, wie viel Parasiten [...] [es] ertragen kann«.82 Was sich vererbt, das ist nicht die Krankheit, sondern die K r a n k h a f t i g k e i t . 83
Und – »Gedanken, die mit Taubenfüßen kommen, lenken die Welt«.84 Um die Provokation der Terminologie zu mildern und zu klären, in welcher Form hier die Assoziationen zum Parasiten führen, sei darauf hingewiesen, daß parasitage ganz allgemein ein Bild des Interferierens evoziert.85 Wittgenstein hat darauf verwiesen, daß an solcher Terminologie hängen mag, ob das Fremde als »Anomalie«86 abgetan werden kann. Die Begrifflichkeit führt in den Problembereich von Sprache und Denken als Systemen des Austauschs, worin »Schnitt,
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Derrida, Dissemination (wie Kap. 3, Anm. 87), S. 104; vgl. Serres, Hermes (wie Kap. 1, Anm. 2), Bd III, S. 215, Serres, Le Tiers-Instruit (wie Kap. 1, Anm. 19), S. 15 u. Serres, Der Parasit (wie Kap. 1, Anm. 180), S. 329. Vgl. hierzu Bürger, Ursprung des postmodernen Denkens (wie Kap. 1, Anm. 129), S. 73f. u. passim. Serres, Der Parasit (wie Kap. 1, Anm. 180), S. 97. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 315. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd III, S. 178. Ebd., Bd XIII, S. 250. Ebd., Bd IV, S. 189; vgl. ebd., Bd VI, S. 259; man könnte noch darauf verweisen, daß bis zu einem gewissen Grade das Gesetz selbst parasitär ist und sein muß, indem es jene Frage der erlaubten Konnexion selbst anvisiert, also ausschließend schon dem sekundären Anschluß verhaftet ist ... – vgl. auch Waldenfels, Antwortregister (wie Kap. 1, Anm. 159), S. 307; vgl. weiters Homann, Theorie der Lyrik (wie Kap.1, Anm. 17), S. 19. Vgl. Derrida: ChÇra. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Hg. von Peter Engelmann. Wien: Passagen Verlag 1990 (Edition Passagen 32), S. 61 u. 90 (Anm.). Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen (wie Kap. 3, Anm. 73), S. 43.
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Vierter Teil
Intervention, Anzapfen«87 omnipräsent und wesentlich sind, während die Idee des festgeschriebenen Wesens selbst sich verliert.88 Nicht unbedingt ist auch schon ein Segen, wovon der pejorative Beiklang so unüberhörbar wie unangebracht sein mußte. Es sind freilich nur bedingt »Wege [...], die eine neue Rehabilitierung des Rhetorischen zu bringen scheinen«89 – wenngleich ein neues Interesse am Geschehen in der Schrift fast zwingend dem Beobachteten folgt. Wertungsfrei könnte man das Bild des Gastes, der als ignotum x (ξένος) gleichfalls ein stets unheimlicher ist, bemühen.90 Der Gast, »der den Gruß getauscht mit dem Dunkel«,91 hätte als eine Erscheinung, »die Ein- und Ausschlüsse« »durchquert«,92 »sogar das Eigene und das Andere zu vertauschen scheint«,93 in diesem Kontext zudem den Vorzug, auf die Notwendigkeit von Gastlichkeit auch seinerseits zu verweisen, denn jenes an ihm gebildete Attribut wandelt ihn vom Schmarotzer zu einem Wesen oder Unwesen, dem »das Empfangen und Aufnehmen des Anderen«94 seinerseits zuzumuten ist – ansonsten erst wäre auch nach Bahr ein Parasit gegeben, der mittels Gewalt »das Selbstsein des Anderen für sich zum Verschwinden«95 bringt. Somit ist er ein geladener Gast, der parasitus. Man könnte auch von allen Gästen sagen, sie seien Parasiten – nehmen Sie den Propheten Elijah, für den immer ein Platz gedeckt ist. [...] Da man niemals auf ihn wartet, ihn zugleich aber erwartet [...] [,] kann man vom Propheten sagen, daß er zum Parasiten bestimmt ist, durch Vorbe96 stimmung. Der Messias ist ein Parasit. 87
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Serres, Hermes (wie Kap. 4, Anm. 36), Bd II, S. 8; es ist von einer »Philosophie der Duktion« (Serres, Hermes [wie Kap. 1, Anm. 2], Bd III, S. 7) zu reden – von der Transduktion bis zur Seduktion – vgl. ebd., passim; vgl. auch John D. Caputo: The Prayers and Tears of Jacques Derrida. Religion without Religion. Bloomington, Indianapolis: Indiana University Press 1997 (The Indiana Series in the Philosophy of Religion), S. 211. Vgl. Bahr, Die Sprache des Gastes (wie Kap. 2, Anm. 7), S. 355. Otto Pöggeler: Gadamers philosophische Hermeneutik und die Rhetorik. In: Rhetorik und Philosophie. Hg. von Helmut Schanze und Josef Kopperschmidt. München: Fink 1989, S. 201–216, hier S. 211; es besteht nicht nur hier ein systematisches Mißverstehen »der philologischen Redlichkeit« – ebd., S. 213; vgl. ebd., S. 204, 214 u. 216. Vgl. Derrida, Adieu (wie Kap. 2, Anm. 219), S. 40ff. u. passim sowie Hans-Dieter Bahr: Der Gast. In: »Herzlich willkommen!« Rituale der Gastlichkeit. Hg. von Ulrike Kammerhofer-Aggermann u. a. Salzburg: Salzburger Landesinstitut für Volkskunde 1997 (Salzburger Beiträge zur Volkskunde; 9), S. 35–46, hier S. 44. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 102. Bahr, Der Gast (Anm. 90), S. 39. Bahr, Die Sprache des Gastes (wie Kap. 2, Anm. 7), S. 76. Bahr, Der Gast (Anm. 90), S. 39. Ebd., S. 42; Besetzen des gesamten Terrains als Imperialismus – vgl. Michel Serres: Gespräch mit Jean-Claude Guillebaud. Übersetzt von Elisabeth Madlehner. In: Philosophien. Hg. von Peter Engelmann. Graz, Wien: Böhlau 1985 (Edition Passagen; 6), S. 156–174, hier S. 163. Derrida, Die Signatur aushöhlen – eine Theorie des Parasiten (Anm. 7).
Jacques Derridas Antwort
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Auf das Moment des Spiels und Widerspiels um ein Unbekanntes weist Leavy hin, wenn er auf dem Terrain der Übertragung das Bild des Kusses bemüht, der gegeben und entgegengenommen zugleich wird. Mit einem Wortspiel, das im Englischen vielleicht weniger bemüht als etwa im Deutschen wirkt, schreibt er: One Tongue in the mouth of the other [...]: such is translation.97
Schreibt ein Poet als »trauriger Dichter teutonischer Zunge«,98 der »Zungenspäße«99 noch kennt, so heißt das auch: »a French kiss: such is translation«.100 Solch ein rechter Kuß zweier Idiome, deren Differenz variieren mag: auch vom Deutschen ins Deutsche zu übersetzen ist aufgegeben,101 gelingt nur, wo des einen Zunge in Ewigkeit »in another’s«102 ist. Die »Zungen der Sehnsucht«103 – in der minimalen Differenz sind sie immer auch »Zangen«104 – finden in jenem, das weder eigene, noch fremde Zunge mehr ist, zum Poem – und zum Abschied, zum Tod, der einer bestimmten Metaphysik als Unding erscheint ...105 Denn »the first word«106 spricht »plus d’une langue«.107 Es entstammt also meiner Sprache, »aber diese einzige Sprache, die ich sprechen muß, solange ich sprechen kann, ist nicht meine. Ich habe nur eine, und das ist nicht meine«.108 Diese selbst ist in unabsehbarer Weise ja vielleicht eine langue de vipère, die Lästerzunge, die ich mir werde ...
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Leavey, French Kissing (wie Kap. 3, Anm. 856), S. 149. Paul Celan, zit. in: Felstiner, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 190), S. 82. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 147. Leavey, French Kissing (wie Kap. 3, Anm. 856), S. 149. Übersetzung »vom Deutschen ins Deutsche« – Ingold, Üb er’s: Übersetzen (wie Kap. 3, Anm. 875), S. 164; vgl. ebd., S. 164f.; das macht Sinn, da auch Ingold die Formel »Ich habe nur eine, und das ist nicht meine.« (Derrida, Die Einsprachigkeit des Anderen oder die Prothese des Ursprungs [wie Kap. 3, Anm. 152], S. 15) kennt und die »Muttersprache [...] eigentliche Fremdsprache«, »unsre erste« (Ingold, Üb er’s: Übersetzen [wie Kap. 3, Anm. 875], S. 148) heißt; »das Idiom Celans [...], des Dichter-Übersetzers, der in der Sprache des Anderen [...] schrieb« – Derrida, Die Einsprachigkeit des Anderen oder die Prothese des Ursprungs (wie Kap. 3, Anm. 152), S. 40; zu Übersetzung und »Exil innerhalb der Sprache« – Derrida, Auslassungspunkte (wie Kap. 3, Anm. 775), S. 216; vgl. ebd., S. 216f. Leavey, French Kissing (wie Kap. 3, Anm. 856), S. 150. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 130. Ebd. Vgl. Leavey, French Kissing (wie Kap. 3, Anm. 856), S. 152f. u. 156; war einst der sanfteste Tod mit dem Kuß zu assoziieren (vgl. Papus, Die Kabbala [wie Kap. 3, Anm. 288], S. 167), ist heute die selbe Verkettung eine andere – noch im süßesten Kuß muß Bitterkeit zu schmecken sein (vgl. etwa Lyotard, Der Wiederstreit [wie Kap. 2, Anm. 145], S. 173, Nr. 157) ... Leavey, French Kissing (wie Kap. 2, Anm. 856), S. 154. Ebd. Derrida, Die Einsprachigkeit des Anderen oder die Prothese des Ursprungs (wie Kap. 3, Anm. 152), S. 15.
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Vierter Teil
»Man spricht nie eine einzige Sprache«109, so lautet das »Gesetz [...] der Doppelzüngigkeit«110. Wenn nun zwei Idiome um einander züngeln, ist dies der Moment, in dem sich öffnet, was seinem momentanen Nichts verpflichtet ist: La raison venge le néant.111 112
To French kiss can be the bitter taste of the cinder [...] on the tongue.
The cinder ruins philosophy; its taste opens the mouth of philosophy; cinder is the 113 other in its mouth.
Also nimmt seinen Anfang, was weit eher auf einen Anfang weist, der sich durchstreicht und damit »the most passionate kiss«114 wird: Whose Tongue Is It Anyway?,115 so lautet der Untertitel von Leaveys Essay. Nur am Rande sei das Bild der Gastmarke, deren Bruchstücke auf eine Einheit verweisen, in der sie nicht aufgehen, in Erinnerung gerufen. Auch diese gebrochene Münze läßt es legitim erscheinen, den Gast und den Schriftzug der Poesie als »Bild einer topischen Aufspreizung«116 in einer gewissen Verwandtschaft zu denken.117 Aber auch die Münze als Kapital ist im Spiel ... Pierre Klossowskis Die lebende Münze bedenkt nicht zuletzt dies, daß nämlich die Münze des Gastes es zugleich ist, die auch den Austausch ermöglicht, da der, der nicht geben kann, auch nur bedingt zu empfangen vermag: Wer gibt, um nicht zu empfangen, nimmt jedes Mal Besitz von dem, der [...] nicht zurückgeben kann.118
Nur die Möglichkeit, sich auf eine Äquivalenz zu einigen, die fremde Münze, deren Wert vielgestaltig sein kann – besonders, wenn man das Bild auf die Schrift zurückbezieht –, einzulassen, eröffnet Gastlichkeit als mittelbare, also nicht belanglose.119 An der griechischen Sprache ließe sich spielerisch vorm 109 110 111 112 113 114
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Ebd., S. 17. Ebd. Serres, Le Tiers-Instruit (wie Kap. 1, Anm. 19), S. 210. Leavey, French Kissing (wie Kap. 3, Anm. 856), S. 160. Ebd. Ebd.; das Ephemere des Kusses und der Kuß als Möglichkeit, nicht Wirklichkeit (»Das Wunder der Übersetzung findet nicht jeden Tag statt [...]. Und das nennt man häufig [...]: Unlesbarkeit.« Derrida, Die Einsprachigkeit des Anderen oder die Prothese des Ursprungs (wie Kap. 3, Anm. 152), S. 41) seien hervorgehoben. Vgl. auch das Bild des Austauschs bei Serres, Die Legende der Engel (wie Kap. 3, Anm. 1077), S. 171. Bahr, Der Gast (Anm. 90), S. 45; vgl. auch Bahr, Die Sprache des Gastes (wie Kap. 2, Anm. 7), S. 92. Der Gast ist wie ein bestimmtes Schreiben schwerlich zu einer Einheit zu reduzieren – vgl. Bahr, Die Sprache des Gastes (wie Kap. 2, Anm. 7), S. 60 u. 70. Pierre Klossowski: Die lebende Münze. Übersetzt von Martin Burckhardt. Berlin: Kulturverlag Kadmos Berlin 1998, S. 66. Vgl. ebd., S. 67; »Der absolute Eigentümer denkt nicht daran, das, was ihm gehört [...], auszutauschen.« – ebd., S. 64; Wenzel moniert dies an einem Denken des An-
Jacques Derridas Antwort
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Tausch des offenbar Ungleichen die zumindest lautlich bestehende Ähnlichkeit von ξένος und ξῦνός hervorkehren. Wohin der Mehrwert führt, der vom Gedicht als Gast ausgeht, ist unvermindert von vornherein nicht auszumachen.120 Was also begründet, um zu einem provisorischen Résumé in dieser Frage zu gelangen, die Authentizität von Lyrik und ihrer Lektüre, die auch ein Weiterdichten121 sein mag? – – – Und sie ist gewiß ein Weiterdichten: 122
Dichtung ist die avancierteste und verfeinertste Form der Dekonstruktion. 123
Der Semiologe wäre im Grunde ein Künstler.
Michel Serres schreibt von seiner – des Philosophen – Profession: Mit Hilfe der Worte tanze ich den sprachlosen Gedanken ...124
Man gerät hier ins »Glutbecken des Sinnes«125, das unvermeidlich wird, wo überm brüchigen Sein der Macht das Kalkül ersteht, wonach »das Begehren des Unmöglichen für vernünftig«126 zu halten ist. – – –
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deren: »Das »Fremde« verliert seinen Nimbus, wo es in kleiner Münze zirkulieren muß.« (Uwe Justus Wenzel: Zugang zum Unzugänglichen. Bernhard Waldenfels’ Phänomenologie des Fremden. In: Neue Zürcher Zeitung, Nr 117, 23./24. Mai 1998, S. 53, hier S. 53) Die eingeforderte »Dignität« »der Fremdheit« (ebd.) freilich ist Preis der skizzierten Wirksamkeit ... Vgl. auch Hans-Dieter Bahr: – Eine obszöne Ökonomie des Wissens. In: Was macht das Denken nach der großen Theorie? Ökonomie, Wissenschaft und Kunst im Gespräch. Hg. von Christian Matthiessen. Wien: Passagen 1991 (Passagen Philosophie), S. 87–91, hier S. 89. Schibboleth, das »auch so etwas wie ein philosophisches Prosagedicht sein soll« – Gumbrecht, Interpretation jenseits ihres Endes? Wie Kap. 1, Anm. 145, S. 108. Nicht uninteressant sind in diesem Zusammenhang Adornos Ausführungen zur philosophischen Sprache, die »ein wesentlich deutsches Phänomen ist [...]. Anders in Frankreich, wo die philosophische Sprache sich nicht losgelöst hat, damit aber auch das nicht hat, was wir an den größten Stellen von Kant, auch Marx und Nietzsche besitzen.« (Adorno, Der Begriff der Philosophie [wie Kap. 1, Anm. 153], S. 26f.) In der Folge schreibt er vom sich eines eleganten Deutsch bedienenden Philosophen: »Er würde in den ›flüssigen‹ Stil verfallen und hoffentlich in ihm ertrinken.« (Ebd., S. 32) Zugleich rät er: »Man lasse sich nicht von der Forderung nach Klarheit terrorisieren, jeder Schritt müsse nachprüfbar sein.« (Ebd., S. 34) de Man, Allegorien des Lesens (wie Kap. 3, Anm. 322), S. 48; vgl. Derrida, Acts of Literature (Anm. 62), S. 60ff. Barthes, Leçon/Lektion (Anm. 30), S. 59; vgl. auch Roland Barthes: Das semiologische Abenteuer. Übersetzt von Dieter Hornig. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988 (Edition Suhrkamp; 1441), S. 8 u. passim. Serres, Die Legende der Engel (wie Kap. 3, Anm. 1078), S. 219. Roland Barthes: Fragmente einer Sprache der Liebe. Übersetzt von Hans-Horst Henschen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988 (Suhrkamp-Taschenbuch; 1586), S. 59. Barthes, Leçon/Lektion (Anm. 30), S. 33.
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Zu denken ist eine »Form von Authentizität an das [...], was nicht wahr ist«.127 Man könnte pointiert sagen, daß sie im Verzicht auf sich selbst ihren Anfang nimmt.128 Derrida charakterisiert Treue folgerichtig als Untreue + Untreue, als die Vereinigung des Verrats jenes reinen Zitats, das den Akt der Datierung scheut, und des Verrats, der im Meiden des Einschlusses besteht; welche Strategie der Treue man auch wählt, »es bringt den Tod zum Tod zurück«:129 Bleibt nur übrig, beides gleichzeitig zu machen und nicht zu machen ...130
Barthes, dessen Leçon / Lektion schon Erwähnung gefunden hat, entwickelt in diesem Raum ein Modell von Poesie, das mit jenen Fragen der Macht verknüpft ist, welche ein Sein zeitigt. Und er schreibt in der Folge: Dieses heilsame Überlisten [...], das es möglich macht, die außerhalb der Macht ste131 hende Sprache [...] zu hören, nenne ich: Literatur.
Der Parasit ist bei Barthes, wenn er dies festhält, schon genannt und das Außerhalb der Macht zweifelsohne damit immer schon zerstoben.132 Die Folge des Parasiten ist, daß man »die Sprache in ihrem Innern selbst [...] umgelenkt«133 sieht, daß Epistemologie Dramatik weicht, wie Barthes es überspitzt formuliert, daß ein Diskurs gegeben ist, »qui n’est plus épistémologique, mais dramatique«.134 Das Bild, das Barthes letztlich findet, hat skandalöse Züge – er denkt an die an der Kreuzung dreier Wege befindliche, also »in trivialer Position im Verhältnis zur Reinheit der Doktrinen«135 befindliche Prostituierte.136 Und ist man schon bei den Vordenkern des Parasiten, sei auch Foucault zitiert, der von einem Spiel spricht – von »dem Kalligramm, welches das Gesagte und das Gezeigte ineinander übergehen läßt, damit sie sich gegenseitig maskieren«,137 woraus eine Unauflösbarkeit von Artikulation und Reproduktion 127 128
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Blanchot, Das Unzerstörbare (wie Kap. 3, Anm. 18), S. 67. Vgl. etwa Jauß, Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik (wie Kap. 2, Anm. 11), S. 788 u. 852, der die Metapher als Prämisse eines wahren Sprechens und seines Funktionierens charakterisiert; zur Gefährdung durch Bewahrung und vice versa sei Ingolds kluge Arbeit, worin er auf celare (verbergen, verwahren) als Schlüssel zu Celan hinweist, erwähnt – vgl. Ingold, Der Autor im Text (wie Kap. 3, Anm. 232), S. 43. Jacques Derrida: Die Tode von Roland Barthes. Übersetzt von Gabriele Ricke und Ronald Vouillé, hg. von Hubertus von Amelunxen. Berlin: Nishen 1987 (Das FotoTaschenbuch; 10), S. 22. Ebd.; vgl. auch ebd., S. 7f., 20, 47, 50 u. passim. Barthes, Leçon/Lektion (Anm. 30), S. 23. Ebd., S. 17. Ebd., S. 25. Ebd., S. 28. Ebd., S. 39; vgl. zur Trivialität Wiener, Schriften zur Erkenntnistheorie (Anm. 53), S. 220 u. passim, v.a. S. 222. Vgl. Barthes, Leçon/Lektion (Anm. 30), S. 39. Foucault, Dies ist keine Pfeife (wie Kap. 1, Anm. 82), S. 16.
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nicht zuletzt auch insofern entsteht, als Sprache eben Schrift mit deren Hinfälligkeit und Suggestivität, vor allem aber Stabilität, die doch darin besteht, daß die Krümmung der Ordnung der Lettern ohne Maß bleibt, wird. Das Kalligramm hat »die Souveränität, die zur Erscheinung bringt«,138 »eröffnet ein Spiel von Übertragungen, die [...] einander antworten, ohne etwas zu affirmieren oder zu repräsentieren«.139 In diesem Spiel verliert nur die Maske nicht ihr Gesicht – »Übertragungen ohne Getragenes und ohne Träger«.140 Schließlich sei auf Benjamin verwiesen, der nicht zufällig seine »Zitate [...] Räuber am Weg, die bewaffnet hervorbrechen und dem Müßiggänger die Überzeugung abnehmen«,141 heißt. Sie unterminieren den Duktus der Sprache, wie allerdings auch jener, der sie in seine Rede bindet, die Worte nicht immer nur konsultieren, verwenden mag – Benjamins gewissermaßen nicht allzu hohe »philologische[n] Moral«142 wird zuweilen beanstandet oder wenigstens vermerkt. Freilich ist die Beanstandung naiv, stellt man in Rechnung, welchen Wahrheitsbegriff schon die räuberischen Zitate – vielleicht bloß ihrer Entführung wegen ergrimmte Worte? – darlegen: Es gibt nichts Ärmeres als eine Wahrheit, ausgedrückt, wie sie gedacht ward.143
Sie ist »noch nicht einmal eine schlechte Photographie«,144 da sie entstellt von einem ihr fremden Duktus in einen mehr schlechten denn rechten Ausdruck gepreßte Skurrilität bleibt. Die Furcht, dies könne geschehen, und die nicht verhehlte stilistische Praxis nun müssen die Rede von philologischer Moral verkehren; man mag die etablierten Zitierstandards als »kaum zu ersetzen[de]«145 verteidigen, muß jedoch zugleich festhalten, »daß das Zitieren bei Benjamin nie eine sekundäre Bearbeitung von Sprache ist«.146 Das »autoritäre Zitat«147 steht nicht im Ruch »des Autoritären«;148 was sich »aus eigener Autorität [nicht] zu behaupten vermöchte«,149 findet in ihm nicht den Ausdruck, der ein Neues in alter Manier träfe. Freilich kann, wer die sekundäre Bearbeitung ausstreicht, also 138 139 140 141 142
143 144 145 146 147
148 149
Ebd., S. 43. Ebd., S. 46. Ebd., S. 49; zur Maske ist noch zu kommen. Benjamin, Einbahnstraße (wie Kap. 1, Anm. 16), S. 108. Pierre Missac, zit. in Manfred Voigts: Zitat. In: Benjamins Begriffe. Hg. von Michael Opitz und Erdmut Wizisla. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2000 (Edition Suhrkamp; 2048), Bd 2, S. 826–850, hier S. 829; vgl. ebd., S. 828ff. Benjamin, Einbahnstraße (wie Kap. 1, Anm. 16), S. 107. Ebd. Voigts, Zitat (Anm. 142), S. 828. Ebd., S. 833. Walter Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels. In: ders., Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann u. a. Bd I: Abhandlungen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 931), Bd I.1, S. 203–409, hier S. 208. Voigts, Zitat (Anm. 142), S. 833. Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels (Anm. 147), S. 208.
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Vierter Teil
vermeinen, das Zitat verbleibe wohlbehalten, richtig ist auch, daß die ironische Vorführung von Montiertem hier nicht gegeben sein muß, doch ist, so meine ich, keinesfalls zu übersehen, daß, was nicht sekundär ist, primär kann – und bei Benjamin ist. Es geht ihm um eine neue Lesbarkeit, die gerade darin gründet, daß »die Dinge [...] eng mit den Worten verbunden sind«,150 nota bene die Worte nicht mit jenen, die sie einmal geschrieben haben, und deren Intention ... »Schreiben« heißt nichts anderes als sie in Funktion setzen.151
Sie, die in Funktion zu setzen ist – gemeint sind hiermit die Worte und ihre Wahrheit, die sich je ergibt, vielleicht im Weiterschreiben, im Ernstnehmen der Lettern gelegen ist, was später auszuführen bleibt.152 Als weitere Verzweigung sei auf die Interpretation des Denkens als einer »Bewegung von Anti-Körpern des Wissens«153 verwiesen. Das Denken löst auf, was ihm Anstoß ist, so schreibt Watson, was einerseits an Cioran gemahnt – der Geist sei »allem Intensiven feind«154 –, andererseits nochmals verschärft, daß noch die Aggression des Anderen Spuren einer Auto-Aggression der Interpretation in sich tragen mag.155 Riskiert sei, ehe vom Topos des Störenfrieds zu jenem des Kranken geschritten wird, der Blick auf die Beobachtung Baudrillards, wonach das starre System nicht nur – wie dargelegt – erst das Bedrohliche des Parasiten ausmacht, der im überraschenden Befolgen von Regeln hier destruktiv sein muß; nach Baudrillard ist es die Rigidität des Systems, die in die Krise schon immer führt, da seine totalisierende Tendenz zur umfassenden Indifferenz, worin Tautologien ausgetauscht werden, es schon zum maroden Spottgebilde formt. Jedes System, das sich einer perfekten Operationalität annähert, ist seinem Untergang nahe. Wenn das System sagt »A ist A« [...], geht es zugleich seiner absoluten 156 Macht und einer totalen Lächerlichkeit entgegen ... 150 151 152
153 154 155 156
Voigts, Zitat (Anm. 142), S. 832; vgl. ebd., S. 829. Benjamin, Einbahnstraße (wie Kap. 3, Anm. 16), S. 107. Eine Affirmation dieser eigenwilligen Wahrheit der Worte, die im Wandel ihrer selbst gelegen ist, ist zugleich auch das Ausschließen der Unschuld – bloß »Dekkung« (ebd., S. 50) dessen, der außerhalb zu stehen glaubt –: »Wer nicht Partei ergreifen kann, der hat zu schweigen.« – Ebd., S. 51. Watson, Die Auschwitz-Galaxy (wie Kap. 1, Anm. 129), S. 147. Emile M. Cioran: Lehre vom Zerfall. Übersetzt von Paul Celan. 3. Aufl., Stuttgart: Klett-Cotta 1994, S. 39. Vgl. Watson, Die Auschwitz-Galaxy (wie Kap. 1, Anm. 129), S. 147 u. 222. Baudrillard, Der symbolische Tausch und der Tod (wie Kap. 2, Anm. 228), S. 12; »Ontologie der Anwesenheit als potentielle Selbstanklage« Paul de Man: Die Ideologie des Ästhetischen. Übersetzt von Jürgen Blasius, hg. von Christoph Menke. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993 (Edition Suhrkamp; 1682), S. 198; vgl. auch Watson, Die Auschwitz-Galaxy (wie Kap. 1, Anm. 129), S. 67 u. 162 sowie Jean-Luc Nancy: Das Vergessen der Philosophie. Übersetzt von Horst Brühmann, hg. von Peter Engelmann. Wien: Passagen 1987 (Edition Passagen; 16), S. 77 u. passim.
Jacques Derridas Antwort
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Eine solche Anordnung wäre gewissermaßen approximativ tot, indem sie »das Phantasma der totalen Programmierung«157 wird, das System Meta ihrer selbst158 – und das zeigt die Kehrseite des Parasiten, der eben Bedingung dessen ist, was er zu vereiteln scheint. Mit guten Gründen widerspricht Baudrillard der Ansicht, Sprache sei auch in ihren avancierten Formen noch »ein Prozeß der Identifizierung«.159 Das Datum ruft die Struktur des Parasiten herbei, dessen destruktive Wirkung eine andere Zerstörung ablenkt.160 Desgleichen ruft die Ordnung besagte Struktur des Parasiten herbei, auf daß er als ihr autoaggressives Implikat jene andere Zerstörung ablenken möge. Unter Berufung auf Derrida zeichnet Baudrillard den Tod doppelt – als Einschluß in sich selbst jedoch in beiden Fällen, als Unfähigkeit zum Parasiten, der »immer da«161 ist, wo von einem Denken die Rede sein soll – »es gibt kein Signifikat, das dem Kreislauf ein Ende setzt«.162 Der Wille, eine bestimmte Destruktion zum Schweigen zu bringen, ist es letztlich, der sich somit als tödlich erweist, Tode weichen d e m Tod – denn die Lebendigkeit der Schrift ist dem Ansinnen des Parasiten verschwistert, »jedem Signifikat eine Chance zu geben«,163 was nicht bloß »eine Zersetzung [...] des repressiven Logos«164 meint: Wenn der Friedhof nicht mehr existiert, so deshalb, weil die modernen Städte als Gan165 ze diese Funktion übernommen haben: sie sind tote Städte und Städte des Todes. Tod: indem er ausgelaugt, ausgetrocknet [...] und fortgescheuert, verneint und verdammt wird, geht er in alle Dinge [...] über.166 Die ganz großen [...] destruktiven Kräfte werden offenbar freigesetzt durch metaphysi167 sche Todesüberwindungssprachen. 157 158
159 160
161 162 163 164 165 166 167
Baudrillard, Der symbolische Tausch und der Tod (wie Kap. 2, Anm. 228), S. 293. »Das Monströse kündigt sich in den Rissen [...] des Systems Meta an, [...] die Geschlossenheit des Systems ist nichts als eine These des Systems« (Ansén, Defigurationen [wie Kap. 3, Anm. 86], S. 9) ... Baudrillard, Der symbolische Tausch und der Tod (wie Kap. 2, Anm. 228), S. 317. Das Datum unterwandert die zum Verstummen bringende Opposition »de l’universalité rationnelle et de la singularité douloureuse« – Serres, Le TiersInstruit (wie Kap. 1, Anm. 19), S. 116. Serres, Der Parasit (wie Kap. 1, Anm. 180), S. 97. Baudrillard, Der symbolische Tausch und der Tod (wie Kap. 2, Anm. 228), S. 319; vgl. ebd., S. 318. Ebd., S. 319 (Anm.). Ebd., S. 348; vgl. zu diesem Logoklasmus Blumenberg, Die Vollzähligkeit der Sterne (wie Kap. 1, Anm. 151), S. 89. Baudrillard, Der symbolische Tausch und der Tod (wie Kap. 2, Anm. 228), S. 198. Ebd., S. 285; »Unsere ganze Kultur ist hygienisch« (ebd.); »Hygiene ist gefährlich.« (Serres, Hermes [wie Kap. 3, Anm. 896], Bd IV, S. 189) Peter Sloterdijk u. a.: Wissenschaft. Diskussion. In: Was macht das Denken nach der großen Theorie? Ökonomie, Wissenschaft und Kunst im Gespräch. Hg. von Christian Matthiessen. Wien: Passagen 1991 (Passagen Philosophie), S. 93–116, hier S. 105,
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Vierter Teil
Das Motiv der Krankheit ist an dieser Stelle für den Moment eines Nachtrags nochmals aufzunehmen. Zu verhandeln ist der moribunde »Blick, der das Leben nicht mehr versteht, weil er es verstanden hat«.168 In Szondis Formel wird eine Verkehrung der Melancholie vorgeführt, worin der Kranke nur der Erkennende ist, der ausruft: Wie scheint doch alles Werdende so krank!169
Natürlich läßt die Dezenz des lyrischen Ausdrucks offen, ob ein gleichsam evidentes Schimmern des Verfalls oder das Urteil des Betrachters sie zuletzt zeitigte. Doch die Verschiebung ist einmal Sprache geworden nicht mehr aus der Ontologie zu verbannen. Dämmerung und Verfall sind als Einheit und Ausdruck der Ahnung ihrer selbst Grundzug einer jeden zu denkenden Seinslehre.170 Eng verbunden ist dabei das Konstatierte dem Denken, dem alles zerfällt. Produktion ist Objekt- und Subjektvernichtung ineins.171
Mit Produktion ist die wie immer geartete Annexion des Gegenübers gemeint, also die Schuld des Begriffs, die uneinlösbar verbleibt, da sie ihrer auf dem Terrain des Gleichwertigen, eben des Begreifens, nicht innewird; indes stellt sich die Frage nach dem Topos der Lyrik als einer der Krankheit nicht fernen Rede somit neu. An die Welt lassen sich nur zwei Wünsche richten: sie zu haben, oder, sie los zu sein. [...] Wer in der Welt ist, kann sich nicht für den einen oder anderen Wunsch entscheiden. In ihr zu sein, ist gleichbedeutend damit, beide hegen zu müssen [...]. In ihr le172 ben läßt sich aber nur unter der Bedingung, daß keiner sich erfüllt.
Ist dem Denken es also aufgrund seiner Natur gleichermaßen unmöglich, dem Gegenüber Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, was zuletzt die Auflösung der opponierenden Konstellation wäre, ebenso aber nur ein Denken post mortem frei vom steten Anwachsen der Schuld der Annexion, so ist Verzweiflung
168 169
170 171
172
mit dieser Bemerkung greift Sloterdijk die Frage von Kamper auf, wie, an welchem Punkt Theorie als »Abmilderungsstrategie« (ebd., S. 104) zerstörerisch werde. Szondi, Schriften (wie Kap. 1, Anm. 106), Bd 1, S. 259. Georg Trakl: Das dichterische Werk. Hg. von Walther Killy, Hans Szklenar und Friedrich Kur. 14. Aufl., München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1995 (dtv; 2163 – dtv klassik), S. 29 u. 199. Vgl. ebd., S. 260. Wulff D. Rehfus: Pathognostik versus Illusionstheorie. In: Kontiguitäten. TexteFestival für Rudolf Heinz. Hg. von Christoph Weismüller und Ralf Bohn. Wien: Passagen 1997 (Passagen Philosophie), S. 129–133 hier, S. 131. Andreas Steffens: Die Unverfügbarkeit der Welt. Reflexionsminiaturen über den Doppelsinn von Weltlosigkeit. In: Kontiguitäten. Texte-Festival für Rudolf Heinz. Hg. von Christoph Weismüller und Ralf Bohn. Wien: Passagen 1997 (Passagen Philosophie), S. 65–74, hier S. 65.
Jacques Derridas Antwort
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Grundzug jeder noch möglichen metaphysischen Bemühung, die nicht das Ansinnen einer Auslotung der conditio humana an die Intention, eine behagliche Existenz im Haben der verfügbaren Welt zu gestalten, verkauft: Verzweiflung [...] ist die äußerste mögliche Anerkennung des Unzumutbaren.173
Der Schritt zur Pathognostik bleibt fragwürdig, wie sogleich einzuräumen ist, da diese fast schon als Synonym der porös gewordenen »negativen Ontologie«174 genannt wird. In diesem Sinne etwa heißt es: Der Kranke nimmt [...] den objektiven Zustand der Welt wahr, den der Gesunde verdrängt hat. Insofern ist der Kranke der Erkennende. Nicht der Kranke ist krank, 175 vielmehr sind es die Dinge.
Das aber ist der Punkt, wo ein Topos, dem man Erkenntnisqualität nicht gänzlich absprechen kann, in intellektuellen Kitsch zu kippen droht. Eine Dysfunktion der Sprache muß in ihr angelegt sein, die ihr das Begehren aufbürdet, ihr Spiel über sich hinaus treiben zu wollen, doch eine Pathognostik, die mehr zu sagen wüßte, wäre bald Flucht in die Phrase, die zugleich vorgäbe, in der Hypostasierung des Anderen dieses in seine Rechte gesetzt zu haben. Nur en passant ist auf die Differenz zwischen Melancholiker und melancholischem Analytiker zu verweisen, die Theunissen zeigt. Moderne verdankt ihre Modernität der steten Überschreitung ihres Status Quo, mit Welsch: dem Umstand, daß »sie der Struktur des Erhabenen«176 zu folgen bereit ist; da die Folge eine Selbstdurchstreichung in Permanenz ist, ist es legitim, eine »vergoldet[e]« »Traurigkeit«177 zu sehen. Allgemein sei zur Frage der Krankheit bei einem Aphorismus Adornos verblieben, der, was er nicht austragen zu können vorgibt, als Beunruhigung seinem Leser vererbt: Der Splitter in deinem Auge ist das beste Vergrößerungsglas.178
173 174 175 176 177
178
Ebd., S. 66. Ebd., S. 73. Rehfus, Pathognostik versus Illusionstheorie (Anm. 171), S. 132. Welsch, Adornos Ästhetik: eine implizite Ästhetik des Erhabenen (wie Kap. 2, Anm. 104), S. 204 (Anm.). Michael Theunissen: Melancholie und Acedia. Motive zur zweitbesten Fahrt in der Moderne. In: Entzauberte Zeit. Der melancholische Geist in der Moderne. Hg. von Ludger Heidbrink. München, Wien: Hanser 1997. (Edition Akzente), S. 16–41, S. 32; vgl. ebd., passim, vor allem S. 17, 28 u. 39; vgl. zu solcher Melancholie auch Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 217. Adorno, Minima Moralia (wie Kap. 1, Anm. 166), S. 57, Aph. 29; vgl. hierzu beispielsweise auch Derrida, Die Stimme und das Phänomen (wie Kap. 3, Anm. 40), S. 117 und Derrida, Auslassungspunkte (wie Kap. 3, Anm. 775), S. 224f.
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Vierter Teil
Exkurs 1: als ob Um zu präzisieren, was eine »Authentizität an das [...], was nicht wahr ist«,179 sein könnte, sei George Steiner konsultiert, der ein grundlegendes Problem der Philologie benennt, doch in der Folge – ich unterstelle, dies geschehe nicht absichtslos – verzerrt. Eine reflexiv kaum einzuholende Formulierung macht den Anfang: »Wir müssen lesen als ob«180 – der exponierte und abbrechende Satz überschattet jede Weise, an ihn anzuschließen. Indes kann er wohl nur zweierlei meinen, ein Lesen von Sinnlosem zum einen, ein Lesen anderen Sinnes zum anderen. Einer Lektüre dessen, was bar jeder Bedeutung ist, folgten Versuche, Sinn zu konstruieren, was eine Deutung nur mehr oder minder ästhetisch geglückt heißen ließe, aber eines in der Exegese nicht zuließe, wovon Steiner dann spricht, nämlich die Möglichkeit, den Rest, den eine Auslegung belassen muß, als triftig zu verstehen. Nur schwache Gedichte können erschöpfend interpretiert oder ganz verstanden werden.181
Es wäre, so muß man entgegensetzen, eine schon respektable Leistung, einen Text zu verfassen, worin nichts einem gewollten182 Sinn widerspräche, jedes Detail so aufginge, daß es in der Tat zu einem vielleicht auch trivialen Gehalt glatt beitrüge. Aber hierauf zielt Steiner dann auch nicht, vielmehr wird die Kategorie des Sinns beibehalten und zum Ausdruck eines Orts, der sich in der Topographie der Rede anders nicht verortet findet, da er im Spiel von mehr als einer einzigen Bedeutung gewissermaßen definiert ist.183 Nur ein Rest, der suggeriert, mehr als ein Schönheitsfehler, ein bedeutungsloses Mißgeschick im entdeckten Muster zu sein, erhebt das Werk und sich aus der Trivialität. Das aber bedeutete, ein Lesen als ob wäre nicht, was Steiner behauptet, nämlich die Gelassenheit des privilegierten Zeugen, der sich zuweilen sogar als einzig Erwählter begreifen soll,184 vorm Denken, das scheitert, indem es sich unterläßt, ist sein Irren doch bereits Postulat. Vielmehr wäre in größerer Intensität denn zuvor ein Lesen als ob eine Lektüre, die betreibt, was Steiner hier wohlweislich unterschlägt, sich aber – auch mir bereits – in ihre Grundlegung drängt. Spiel ist der letztliche Quell des Wider-sagens.185 179 180 181 182 183 184 185
Blanchot, Das Unzerstörbare (wie Kap. 3, Anm. 18), S. 67. Steiner, Der Garten des Archimedes (wie Kap. 2, Anm. 28), S. 58. Ebd. Opportunistisch – vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Georg Steiner: Von realer Gegenwart. Hat unser Sprechen Inhalt? Übersetzt von Jörg Trobitius. München, Wien: Hanser 1990 (Edition Akzente), S. 176.
Jacques Derridas Antwort
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Das Spiel läge dann im Aufspüren der einander bestreitenden und anfechtenden, aber durch den Kontrakt des Werks aneinandergebundenen Kontrahenten, welche die Bedeutungen darstellen. Punktuell wird der Text [...] zugeschweißt [...]. Punktuell wird Text zu keinem Text.186
Erst im Betreiben stringenter Exegese würde deutlich, daß weder sinnlos noch einem herangetragenen Diskurs völlig kompatibel wäre, was Kunst zum Erscheinen bringt, wodurch Solidarität mit einem bestimmten Typus des Interpretierens im Augenblick seines Sturzes erst geglückte Auslegung als Solidarität mit ihrem Stoff ermöglichte.187 Ausgesprochen ist damit die Relevanz einer Demaskierung des philosophischen Begriffs für sein Material, wie die Dekonstruktion sie betreibt. Dies zu leugnen ist mehr als problematisch, wiewohl die Antwort auf jene Frage eines legitimen Verstehens sich damit gerade darin ergibt, daß der Schlußstein der errichteten Bögen der Übersetzung in Begriffe bei aller Spannung ungesetzt bleibt. Die Klassiker der Dekonstruktion, so etwa Derrida oder Paul de Man, sind »Fehldeutungen« nicht von Literatur, sondern von Philosophie; sie richten sich an [...] die Theorie der Sprache. Die Köpfe, denen sie die Maske vom Gesicht zu reißen suchen, sind die Platos, Hegels, Rousseaus, Nietzsches oder de Saussures. Die Dekonstruktion hat 188 uns nichts über Aischylos oder Dante, über Shakespeare oder Tolstoi zu sagen.
Sieht man einmal von der eigenwilligen Darstellung des Gestus, der Praxis und des Ansinnens der Dekonstruktion ab, ist derlei an Irrsinn grenzende Vermessenheit, so will mir scheinen, die freilich Preis dessen ist, der das dunkle Raunen nicht eines, sondern des Lesens sucht und für sich beansprucht. Es geht um »transzendente[r] Autorität«189 – wer sie beansprucht und das Terrain des Rationalen190 eher mutwillig verläßt, kann unschwer erraten werden. Das Ende ist trotz der Nennung zahlloser Gewährsleute, die möglicherweise irritiert wären, von »autistischer Referenz«191 – jener, welcher Steiner die Heerscharen der nicht Erwählten zeiht ... Das als ob gerinnt zum Vorwand, anstatt Anstoß zu bleiben.
186
187 188 189 190 191
Oskar Pastior: Text. In: Bausteine zu einer Poetik der Moderne. Festschrift für Walter Höllerer. Hg. von Norbert Miller, Volker Klotz und Michael Krüger. München, Wien: Hanser 1987, S. 287–288, hier S. 287; präzise setzt Pastior hinzu: »d. h. genau so nicht.« – ebd. Vgl. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 400. Steiner, Von realer Gegenwart (Anm. 185), S. 172. Steiner, Der Garten des Archimedes (wie Kap. 2, Anm. 28), S. 61. Nicht ohne Kritik der Elision des logos ... – vgl. ebd., S. 58. Steiner, Von realer Gegenwart (Anm. 185), S. 173; genannt wird u. a. Celan, dessen Unbehagen an derlei Geraune vorstellbar ist – vgl. Steiner, Der Garten des Archimedes (wie Kap. 2, Anm. 28), S. 62.
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Vierter Teil
Exkurs 2: Anbindung an Nietzsche Gerade auf diesem Terrain empfiehlt es sich, nochmals kurz auf Nietzsche zu verweisen, dessen Zitate nicht zum Ornament jenes Gespensts, das der Provokateur der Metaphysik par excellence bleiben wird, verkommen. Man kennt dieses Denken als Delirium, doch sehr schnell zeigt sich, daß der Progreß aus diesem Delirium Regreß wird – in ein »Denken, das der Funktion des Denkens untergeordnet ist«.192 Nietzsches Einbuße an Möglichkeiten der Rede ist der Spiegel eines kaschierten »Sprachverlust[es]«193 oder -mangels, dem er entgegensetzt, was mit Serres schon erwähnt worden ist: Wir »müssen [...] mit mehreren Sprachen sprechen.«194 Es giebt viel mehr Sprachen, als man denkt: und der Mensch verräth sich viel öfter als er wünscht.195 196
Wir sind im Anfange!
Not und opponierende Strategie sind funktionale Einheit, wie sich zeigt. Nicht Anspruch, sondern Unumgänglichkeit einer polyphonen Rede ist umschrieben, deren Stimmen, indem sie zu demselben Referenz leisten, zuletzt gerade die Instabilität erzeugen, gegen die Benennung wirken soll. Der Vernunft folgt »eine Sprache, die sich auf Kosten der Vernunft verständlich machen will«,197 wie diese es ihr befahl ... Zweierlei widerfährt der Sprache zugleich: der Zerfall der Begriffe, das Gerinnen aber auch des Diskontinuierlichen, etwa des Datums.198 Und hier findet nun Klossowski zu einem Satz, den man lesen, wenden und verändern muß: Das Vergessen verschleiert das ewige Werden und das Verschwinden aller Identitä199 ten im Sein.
Zugleich verschleiert das Sein wohl, was hier sein Vergessen geheißen wird. Und das Vergessen ergibt das Sein, das wiederum sein Gedacht- und Vergessen-Werden zeitigt. Das Vergessen i s t das (Werden und Verschwinden im)
192
193
194 195 196 197 198 199
Pierre Klossowski: Nietzsche und der Circulus vitiosus deus. Mit einem Supplement, übersetzt von Ronald Vouillé. München: Matthes & Seitz 1986 (Batterien; 24), S. 24; vgl. ebd., S. 10ff. Ebd., S. 15; vgl. auch Peter Wiechens: Entmachtung des Diskurses. Eine postmoderne Denkfigur. In: Am Ende der Literaturtheorie? Neun Beiträge zur Einführung und Diskussion. Hg. von Torsten Hitz und Angela Stock. Münster: Lit Verlag 1995 (Zeit und Text; 8), S. 43–58, hier S. 43 u. passim. Serres, Der Parasit (wie Kap. 1, Anm. 180), S. 15. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd X, S. 262. Ebd., S. 264. Klossowski, Nietzsche und der Circulus vitiosus deus (Anm. 192), S. 52. Vgl. ebd., S. 71f. Ebd., S. 95.
Jacques Derridas Antwort
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Sein – so wäre wohl zuletzt ebensogut zu sagen. Vergessen und Sein sind ein Defizit des »Zeichen[s]« »ein für allemal«.200 Dieser Zusammenhang von Signifikation und Chaos201 führt zur Einsicht in ein Dichten und Philosophieren, das – eben schon bei Nietzsche – als Einschreibung vollzogen wird, die ihre Möglichkeit und ihre Tragik ahnt. Jede Schaffung eines neuen Typus erzeugt einen Zustand der Unsicherheit. Die Schöpfung ist nicht länger ein Spiel außerhalb der Realität. Der Schöpfer reprodu202 ziert das Reale nicht mehr, er produziert es.
Der Wunsch zwischen »Entmystifizierung und Remystifizierung«,203 Korrektur und Neuordnung freilich, der zum Datum zumindest als seinem unkenntlichen Nachhall führte, kann nun von einem nicht mehr herrühren – vom Nachhall jenes Datums, des »u n e n d l i c h k l e i n e [n] A u g e n b l i c k [s]«.204 Vielmehr beginnt das Datum in jener Struktur zu wirken, die es – nicht zufällig belasse ich hier unklar, was Nominativ, was Akkusativ sei – am Gewissen haben wird. Und so etabliert das Schreiben jene, die in polarer Konstellation aneinander zu zehren scheinen.205 Schreiben erscheint geradezu als Synonym der Macht,206 von der es dann heißt: Die Macht würde allem widerstehen, wenn sie nicht sich selber widerstehen würde.207
Doch indem die Sprache nicht über ihre Möglichkeiten verfügt, verbleibt ihr etwas, woran sie zu leiden vermag – es wirkt natürlich zynisch, zu schreiben: Das »Denken des Leidens [wird] – als Unmöglichkeit des Denkens – als höchster Genuß empfunden«.208 Von der Schrift bei Nietzsche ließe sich sagen: Alle 200 201 202 203 204 205 206
207 208
Ebd., S. 98; vgl. zum Vergessen auch ebd., S. 69. Vgl. ebd., S. 102, 110, 156 u. 290f. Ebd., S. 203. Ebd., S. 208. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd IX, S. 502. Vgl. Klossowski, Nietzsche und der Circulus vitiosus deus (Anm. 192), S. 385. Dieser Weg von der Macht zu (der Schrift als) Hermeneutik und Kunst wird auch von Vattimo angedeutet, wobei im rezeptionsgeschichtlichen Anhang auf Derridas Exposition der Textualität solcher Metaphysik verwiesen wird – vgl. Gianni Vattimo: Friedrich Nietzsche. Eine Einführung. Übersetzt von Klaus Laermann. Stuttgart, Weimar: Metzler 1992 (Sammlung Metzler; 268), S. 81, 88, 96, 127 u. passim; auch weist Vattimo mehrfach auf die Bedeutung der Philologie für die Philosophie Nietzsches hin, der das Philosophieren mit dem Hammer beispielsweise nicht allein destruktiv verstanden wissen wollte – vgl. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd VI, S. 57f. u. Vattimo, Friedrich Nietzsche, S. 5 u. 29; vgl. auch Hendrik Birus: Apokalypse der Apokalypsen. Nietzsches Versuch einer Destruktion aller Eschatologie. In: Das Ende. Figuren einer Denkform. Hg. von Karlheinz Stierle und Rainer Warning. München: Fink 1996 (Poetik und Hermeneutik; XVI), S. 32–58, hier S. 53 u. passim. Klossowski, Nietzsche und der Circulus vitiosus deus (Anm. 192), S. 139. Ebd., S. 49.
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»B e w e g u n g e n s i n d a l s G e b ä r d e n a u f z u f a s s e n , als eine Art Sprache, wodurch sich die Kräfte verstehn«.209 Darin ist schon angelegt, daß zuletzt in Umkehrung zu sagen sein wird, es seien die Kräfte erst in der Sprache oder Schrift, worin sie sich verstehen, das, wovon als Datum einerseits und Ordnung andererseits, die einander zu interpretieren und zu schaffen vorgeben, nichts bliebe. Diese Bezogenheit gebiert das Bezogene – denn lediglich »das Interpretiren selbst, als eine Form des Willens zur Macht, hat Dasein [...] als ein P r o z e ß« ...210 Dieses Schreiben ist es, das zur nicht metaphysisch zu interpretierenden Passage211 führt, worin die später aufzunehmende Frage nach Gott gestellt wird. Die Antwort erfolgt in einer Weise, die erahnen läßt, daß dieses Denken die Undenkbarkeit dessen nahelegt, der hier ob seines gleichfalls undenkbaren Todes beklagt wird: Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet!212
Nietzsche hat diesen Satz sogleich suspendiert und damit erst seiner Wirksamkeit stattgegeben – denn der »t o l l e M e n s c h«213 ist es, der so spricht ... Unter diesen Vorzeichen zeigt sich auch, wie die auf den ersten Blick nicht unkluge Rede von einem »welthaltig[n] Ich«,214 das sich prägen läßt und zu einem Ausdruck jenseits der Dämonisierung findet, notwendig ins Leere geht.215 Dergleichen gilt auch für das Negativ der Formulierung solcher Unmittelbarkeit rasch – etwa, wenn die moralisch getönte Forderung, ein Schweigen müsse als präsent wahrgenommen werden, in den Glauben, daß, was sein solle, auch sei, umschlägt:216 Zu schreiben sind »Gedichte, die das Geschehen nicht mehr zu benennen, sondern die Wunden an den Wörtern aufzudecken such[t]en«.217 Die Wunden aber entstehen im Schreiben selbst, noch immer;218 in dem also, 209 210 211 212 213 214 215 216
217 218
Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd XII, S. 16. Ebd., S. 140. Vgl. auch Vattimo, Friedrich Nietzsche (Anm. 206), S. 50, 56, 79 u. passim. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd III, S. 481. Ebd., S. 480. Andrea Magdalena Sperling: Suche – erfinde das atmende Wort. Rose Ausländers Gedichte über die Sprache. Magisterarbeit, Freiburg 1987, S. 12. Vgl. ebd., S. 15 u. 56; als Lyriker der Dämonisierung wird Celan genannt ... – vgl. ebd., S. 56. Vgl. hierzu Rugart, Der Holocaust in der Lyrik Rose Ausländers (wie Kap. 3, Anm. 308), S. 21f. u. passim; wie die »Präsenz von Schweigen« (ebd., S. 22) – ein (nicht wahrgenommenes) Anwesen von Mangel – aussähe, will man sich gar nicht ausmalen ... Colin, »Wo die reinsten Worte reifen« (wie Kap. 1, Anm. 6), S. 228. Vgl. Schmitz, Die Spur der Leiderfahrung (wie Kap. 1, Anm. 6), S. 83 u. 89; Colin unterstellt Ausländer, wovon Schmitz sich denn auch explizit absetzt (vgl. ebd., S. 89), um statt dessen eine Poetologie der Schwebe zu skizzieren (vgl. ebd., S. 92), daß sie sich eines aus dem Glauben »an die Existenz eines heilen, reinen Sprachbereichs« (Colin, »Wo die reinsten Worte reifen« [wie Kap. 1, Anm. 6], S. 227f.) her-
Jacques Derridas Antwort
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was als »blurring of distinctions between subject and object«219 in der Lyrik allgemein und Rose Ausländers Dichtung speziell zugleich als Gegenbewegung angelegt wahrgenommen worden ist. In den Rezensionen der Früchte des Bemühens ist so vom tröstlichen wie vom bitteren Kern – beides ist unwahr – die Rede ...220 Die Frage, wie nun in diesem Sinne das Problem des Weiterknüpfens am Text sich vollziehen solle, ist unbeantwortbar. Stimmig erscheint Hamachers Versuch, ahnen zu lassen, wie just die Aberration Zeugenschaft im lyrischen Schöpfungsakt erst denkbar macht. Er führt in einem klugen Text die Wahrheit und ihren Vollzug im Wort »perverformativ«221 zusammen – »performativ«222 um eines »verum«223 willen wird Poesie zur skandalös-authentischen Schrift. Darum ist, woraus und was (sich) Lyrik schafft, »Substanz im Verschwinden«,224 bloß von einer »Parapraxis«225 noch zu reden, die sich keines Bezugs mehr entsinnen kann.226 Diese Zeugenschaft ist auf jene Asche bezogen, die das Datum ist; nur das Zeugnis – der Akt des Zeugens – ohne Bürgen und ohne ein faßliches Bezeugtes ist verblieben:
219
220
221 222 223 224 225 226
rührenden »herkömmlichen Sprachgebrauchs« (ebd., S. 227) bedient: Sie »hoffte [...], manche Lieblingsmetaphern ihrer frühen Dichtung zu neuem Leben wiederzuerwecken, indem sie diese in ungewöhnliche Sprachkonstellationen einbettete« (ebd., S. 235 – Hervorhebung M. H.). In der Tat ist unklar, wie das aufzufassen ist, da eine Metapher von ihrem Umfeld schwerlich zu lösen ist; auch widerspricht die Passage gewissermaßen der These, Ausländer habe sich nur konventioneller Formen befleißigt, die behauptete Kontinuität von früher, naiver und später, avancierter Dichtung (vgl. ebd., S. 234) ist nicht nur fragwürdig, sondern immanenter Widerspruch ... Zutreffender erscheint Helmut Brauns editorische Anmerkung: »Stilistisch finden wir die Rose Ausländer der frühen Jahre in ihren späteren Gedichten nicht mehr.« – Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 78), Bd 1, S. 13; vgl. auch Dobson: [Rez.] Amy D. Colin, Paul Celan: Holograms of Darkness (wie Kap. 1, Anm. 96), S. 214f., vor allem 215; vgl. zu Tradition und Moderne bei Rose Ausländer auch Holzner, Ikarus-Variationen (wie Kap. 1, Anm. 120), S. 273. Jerry Glenn: [Rez.] Rose Ausländer: Ohne Visum und Rose Ausländer: Andere Zeichen. In: books abroad 50.1 (Winter 1976), S. 154–155, hier S. 155; vgl. auch ders., [Rez.] Rose Ausländer: Gesammelte Gedichte. In: World Literature Today 51.2 (Februar 1977), S. 277. Vgl. etwa Jacob Erhardt / Lotte Erhardt: Rose Ausländers neue Lyrik. In: Zeitschrift für Deutschamerikanische Literatur 3.2 (Dezember 1976), S. 1–4, hier S. 4 u. Peter Jokostra: Untermieter in der Hölle. In: Rheinische Post, 21. Juni 1975. Hamacher, Das Ende der Kunst mit der Maske (wie Kap. 2, Anm. 104), S. 127. Ebd. Ebd. Ebd., S. 122; vgl. ebd., S. 131. Ebd., S. 129. Vgl. ebd., S. 123, 138 u. 150ff.
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Vierter Teil
Niemand zeugt für den 227 Zeugen. Ich bin [...] der, den es nicht gibt.228
Am Zeugen, der über seine Authentizität nicht wie über eine Ressource verfügt, ist das Zeuge-Sein nicht entscheidend. Man könnte auch an Celan erinnernd sagen, daß sein Bestehen durch sein Zeugnis gefährdet ist, zumal in einem theologischen Rahmen das Danaergeschenk der Zeugnis- und Zeugungsfähigkeit die Erbsünde ist, der Umstand, zur schuldhaften Überschreitung als noch nicht moralisches Wesen veranlaßt worden zu sein229, wie es die Metaphorik der Bibel will, um nun in einer unbegleichbaren Schuld – der Gabe, die zur Gastlichkeit befähigt und verpflichtet – aus dem Wissen um eine Gabe deren Unmöglichkeit, also die Gabe, die es nicht gibt, immer wieder zu schenken.230 Der Zeuge jedenfalls ist nicht ... Meine Frage ist nicht: »Wer bist du?«, sondern: »Was bringst du mir?«231
Und der Zeuge bringt den Text, also die Bruchlinie des Berichts, das Ganze – abzüglich des letzten Worts –, ist »Entzifferer und Leumundszeuge des Buches«232. Der Zeuge, der sein Datum behütet und verrät, sein Datum ist – das »Buch zitierend[,] zitiert der Jude sich selbst«233 –, erinnert an den steten und konturlosen Impetus des Adieu, vor dem selbst dem »Einen [...] Schatten Seines Doppels«234 widerfährt. Der Zeuge »macht eine gewisse Grenze des MetaZeugnis möglich und unmöglich zugleich, nämlich das absolute Zeugnis«,235 227 228 229
230
231 232 233 234 235
Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 72. Paul Celan, zit. in Emmerich, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 104), S. 117. Vgl. Hans-Dieter Bahr: Die selbstverschuldete Sterblichkeit. In: Schuld. Hg. von Gerburg Treusch-Dieter, Dietmar Kamper und Bernd Ternes. Tübingen: konkursbuchverlag Claudia Gehrke 1999 (Konkursbuch; 37), S. 59–75, hier S. 61; vgl. zum Geschenk, das den Gebenden zu einem Schuldiger machen kann, auch Lütkehaus, Nichts (wie Kap. 1, Anm. 149), S. 268ff.: »Diktat der Geburt« – ebd., S. 269; so macht das Erzittern Gottes vor Adam zweifach Sinn ... – vgl. Jabès, Es nimmt seinen Lauf (wie Kap. 3, Anm. 1042), S. 41. Erst der keinem Programm gemäße Tod als Abbruch ermöglicht zugleich paradox die Vollendung der Gabe, die »»Schuld« [...] ohne Vergeltung tilgen zu lassen« – Bahr, Die selbstverschuldete Sterblichkeit (Anm. 229), S. 72. Jabès, Ein Fremder mit einem kleinen Buch unterm Arm (wie Kap. 2, Anm. 101), S. 12. Ebd., S. 67; vgl. ebd., S. 24 u. 30. Ebd., S. 79. Ebd., S. 148. Jacques Derrida: »A Self-Unsealing Poetic Text«. Zur Poetik und Politik des Zeugnisses. Übersetzt von K. Hvidtfelt Nielsen. In: Zur Lyrik Paul Celans. Hg. von Peter Buhrmann. Kopenhagen, München: Fink 2000 (Text & kontexT, Sonderreihe; 44), S. 147–182, hier S. 152.
Jacques Derridas Antwort
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so heißt es in einer neueren Celan-Lektüre Derridas. Man kann nicht für den Zeugen zeugen, insofern dies ein noch in der Schrift absolutes Datum – ohne Maske, die es lesbar macht – suggeriert: Niemand kann es, denn es ist verboten.236
Das »für [ist] das entscheidendste Wort, ist zugleich das am wenigsten entscheidbare«.237 Es ist das Datum, mit Jabés der Kern einer Selbstreferenz, die schon angeklungen ist: »Das Buch zitierend[,] zitiert der Jude sich selbst«238 – als Zeugen, der jener Schrift des Schicksals »die Weiße, auf die sich unser Schicksal schreibt«,239 indem er es schreiben läßt, schenkt. Das Gedicht, so heißt es bei Celan, »spricht ja! Es bleibt seiner Daten eingedenk [...] – es spricht«240 – Derrida setzt fort: Es offenbart seine Maske als Maske [...] seiner Un-Vorstellbarkeit; nur so kann es vom Zeugnis [...] sprechen, aber vor allem von dem Gedicht, das es selber ist, von sich sel241 ber in seiner Einmaligkeit und von dem Zeugnis, von dem jedes Gedicht zeugt.
Das erinnert an einen Maskentanz, in dem nicht nur / bloß Masken zu sehen sind – sondern nur / ausschließlich Masken. Die ganze Literatur kann sagen: »Larvatus prodeo«, auf meine Maske zeigend, 242 schreite ich voran.
Ich erinnere an die Formulierung Benjamins: Das Werk ist die Totenmaske der Konzeption.243
Also ist »eine Kunst, die mit ihrer Totenmaske, aber allein der ihren, noch spielt«.244 Ihre Verpflichtung des gemäßen Schreibens ist nicht ans Datum gebunden, dessen Artikulation Preisgabe ist, sondern an den Umstand, daß etwas ist, woran sich bildet, was immer ausschließlich Maske oder Form ist.245 Sie ist eine »Atheologie«246 um die »Totenmaske des gestorbenen Gottes«,247
236 237 238 239 240 241 242 243 244 245 246 247
Ebd., S. 171. Ebd., S. 174. Jabès, Ein Fremder mit einem kleinen Buch unterm Arm (wie Kap. 2, Anm. 101), S. 79. Ebd., S. 93. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 196. Derrida, »A Self-Unsealing Poetic Text« (Anm. 235), S. 180 Barthes, Am Nullpunkt der Literatur (wie Kap. 3, Anm. 983), S. 49; »Ihre Aufgabe ist, Maske zu sein und gleichzeitig [...] auf diese Maske zu zeigen.« – ebd., S. 43. Benjamin, Einbahnstraße (wie Kap. 3, Anm. 16), S. 49; vgl. auch Menke, Sprachfiguren (wie Kap. 2, Anm. 131), S. 197. Hamacher, Das Ende der Kunst mit der Maske (wie Kap. 2, Anm. 104), S. 144. Vgl. ebd., S. 136. Ebd., S. 151. Ebd., S. 152.
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Vierter Teil
eine Praxis, die auf eine poetologische Bemerkung vorausweist.248 Masken als Ausschließliches führen zu einer Mimesis, die freilich gebrochen ist: »Nicht die Herstellung des Gleichen, sondern die Erzeugung des Ähnlichen ist Ziel«249 – so versucht eine scheinbar abgeklärte Vernunft zu artikulieren, daß, was ihr Ziel geblieben ist, bestenfalls für einen Moment als ephemere wie beliebige Konvergenz noch aufscheint. Es ist, da die Sprache kein in sich endgültig geschlossenes System ist und demgemäß zum Spiel und zur Aberration nicht einlädt, sondern diese erzwingt, vielleicht ihnen entspricht, indem sie Spiel und Abweichung fast schon in den Stand einer Regel versetzt, jedenfalls zu etwas macht, das der Definition entzogen ist, nicht vielmehr festzuhalten als dies, daß der Versuch oder die Versuchung von Verbindlichkeit desavouiert ist.250 Und die als Aberration vorgestellte Sprache der Dichtung ist – soviel kann sogleich hinzugefügt werden – allein das Ansinnen, das auf »die volle Funktionalität der Sprache«251 abzielt. Das lebendige Präsens entspringt aus einer Nicht-Identität mit sich und aus der Mög252 lichkeit der retentionalen Spur. Es ist allemal eine Spur.
Allein kraft der Zeichen ist gegeben, was zugleich deren Ende bewirkt, den »Mortifikationsprozeß des Zeichens«253 und also seiner selbst betreibt. Freilich ist es diese Verschlingung, die dann Illusion und Simulation der Verknüpfung unterscheiden läßt.254 Erst in der Wendung des Bezeichneten gegen das Zeichen, ohne das es nicht ist, erst in dieser Todessehnsucht auf semantischem Terrain nämlich zeigt sich die Besessenheit fürs Zeichen und die Möglichkeiten des je Datierten, also Verlorenen, die Besessenheit für die Verbindlichkeit, die sich mit der Schrift, die sie immer zerrissen haben wird, erst entwickelt.255 So wahr wie bedeutungslos ist, was der Einschreibung harren mag, nicht im »Schwarm von Bedeutungen«256 sich findet ...257
248 249
250
251 252 253 254 255 256 257
Vgl. Huppert, »Spirituell« (wie Kap. 1, Anm. 106), S. 321. Gunther Gebauer / Christoph Wulf: Mimesis. Kultur – Kunst – Gesellschaft. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1992 (rororo; 2480 – Rowohlts Enzyklopädie; 497), S. 373; vgl. ebd., S. 406f., 420 u. passim. Vgl. auch Manfred Frank: Textauslegung. In: Erkenntnis der Literatur. Theorien, Konzepte, Methoden der Literaturwissenschaft. Hg. von Dietrich Harth und Peter Gebhardt. Stuttgart: Metzler 1989, S. 123–160, hier S. 131 u. passim. Jauß, Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik (wie Kap. 2, Anm. 11), S. 788. Derrida, Die Stimme und das Phänomen (wie Kap. 3, Anm. 40), S. 142. Ebd., S. 94. Vgl. ebd., S. 66. Vgl.ebd., S. 137 Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 95, Nr 82. Vgl. Derrida, Die Stimme und das Phänomen (wie Kap. 3, Anm. 40), S. 103 u. Lyotard, Der Widerstreit (Anm. 337), S. 299, Nr 264.
Jacques Derridas Antwort
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So bliebe denn übrig, zu sprechen und die Stimme in den Gängen widerhallen zu lassen, um den Mangel an Präsenz zu supplementieren.258 Es kommt darauf an, die Kunst wie ihr Ende als Ablegung der Maske zu denken, als Freigabe eines Stoffs ohne Kontur und eines Denkens ohne Schema, als eine Entlassung, in der sich mit der Kunst immer noch etwas anderes als Kunst verspricht und 259 exponiert.
Die Maske wird zu der Ahnung des von Maskierung zu Maskierung Gleitenden – nämlich der Möglichkeit wie dem Imperativ von Formgebung, die aufs im/als Datum Versehrte nicht sich stützen will, doch zu hoffen wagt. Man kann behaupten, daß die ästhetische Konzentration paradox und in übersteigender Weise noch immer aus dem sprießt, was in einem beeindruckenden Panoptikum der scheinbaren Referenzen zu den Produktionsbedingungen Bohrer so skizziert: Das Schöne in seiner absoluten Form sei eine Erscheinung des zwanzigsten Jahrhunderts gewesen? Der Gedanke mag unmittelbar Erstaunen [...] provozieren. [...] Man erwartet angesichts solcher Realität genau das gegenteilige Phantasma: eine 260 künstlerische Elefantiasis des Häßlichen.
Interessant vor allem ist die Wendung des Essays, der zuletzt vorm avancierten Ästhetischen zur Formel findet, dieses habe dem Guten und Wahren sozusagen »doch heimlich ein Gastrecht gewährt«,261 was zur Denkfigur im Fokus der so Vereinten führen soll ...262 Auf die Konfrontation Lyotards und Derridas wurde hierbei schon hingewiesen – das Dilemma liegt zwischen der Zuverlässigkeit und dem Raffinement der Fortsetzung (»daß jede Oberfläche in bestimmter Weise provoziert«263), was sich in den Worten der Philosophen – eben Verknüpfen und Hinzufügen264 – ausdrückt. Es ist nebenbei bemerkt interessant, daß nichtsdestotrotz Lyotard auch in exzellenten Arbeiten wie Burghart Schmidts kluger Polemik Postmoderne – Strategien des Vergessens der Wille zur Beliebigkeit vorgeworfen wird, 258 259 260
261 262
263
264
Derrida, Die Stimme und das Phänomen (wie Kap. 3, Anm. 40), S. 165. Hamacher, (Das Ende der Kunst mit der Maske) (wie Kap. 2, Anm. 104), S. 155. Karl Heinz Bohrer: Das absolut Schöne und die Häßlichkeit. Warum die Moderne die Realität nicht spiegelte. In: Das 20. Jahrhundert. Welt der Extreme. Hg. von Michael Jeismann. München: Beck 2000 (Beck’sche Reihe; 4120 – Das Jahrtausend), S. 74–88, hier S. 74. Ebd., S. 88 (Hervorhebung M. H.). Hier zitiere ich die längst fällige Formulierung des Tractatus logico-philosophicus, wonach es »keine Sätze der Ethik geben« könne ... (Wittgenstein, Werkausgabe [wie Kap. 1, Anm. 133], Bd 1, S. 83, § 6.42) – vgl. ebd., S. 83, § 6.421. Burghart Schmidt: Postmoderne – Strategien des Vergessens. Ein kritischer Bericht. Darmstadt, Neuwied: Luchterhand 1986 (Sammlung Luchterhand; 606), S. 11. Vgl. Lyotard u. a., Streitgespräche, oder, Sätze bilden nach »Auschwitz« (wie Kap. 1, Anm. 185), S. 62; vgl. zur Restriktion auch Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 41f., Nr 31 u. passim sowie zur Addition etwa Derrida, Die Stimme und das Phänomen (wie Kap. 3, Anm. 40), S. 144.
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Vierter Teil
wenngleich gerade in diesem kritischen Bericht sogleich die Unsicherheit des Urteils eingestanden und die bei Lyotard bestehende Spannung als gewissermaßen sympathisches Moment hervorgehoben wird.265 Jedenfalls scheint am Parasiten in der Sprache kein Weg vorbei zu führen; allein die Qualität seiner Wendung wird entscheiden ... Freilich ist er, insofern er auf einen aktualisierten anderen Sinn zu beziehen wäre, welcher per definitionem nicht besteht, immer auch, was – nachträglich konform scheinend – gerade nicht existent zu sein scheint.266 Er löst sich in seinem Wirken auf und ist doch omnipräsent; es ist ihm eigen, »Sinnwirkungen zu erzielen, ohne Sinn zu intendieren«.267 Er wird der Text selbst.268 Gebraucht Derrida auch das Wort parasitage, verweist er doch darauf, daß die Opposition »›normal‹ et ›parasitaire‹«269 im Grunde das Unwesen beider Pole verkennt. Zentral ist demgemäß, doch auch das Wort zentral müßte hier gemieden werden, in Derridas Formulierungen der Gast, der schon genannt wurde; in einem der Interviews des Philosophen heißt es: Die unbedingte Gastfreundschaft, die untrennbar mit einem Denken der Gerechtigkeit verbunden ist, ist als solche nicht anwendbar. Man kann sie weder in Regeln noch in eine Gesetzgebung einfach einschreiben. Wenn man sie unmittelbar in Politik übersetzen würde, könnte das ganz entgegengesetzte Folgen haben. Aber wenn wir wachsam sind, dann können und sollten wir nicht darauf verzichten, uns auf Gastfreundschaft ohne jeden Vorbehalt zu beziehen. Gastfreundschaft ist ein unabdingbarer Bezugspunkt. Außerhalb dieses Bezugspunkts hätten der Wunsch nach Gastfreundschaft, ihr Begriff und ihre Erfahrung keinen Sinn. Nicht einmal das 270 Denken der Gastfreundschaft hätte einen Sinn.
265 266
267
268 269 270
Vgl. in dieser Reihenfolge Schmidt, Postmoderne – Strategien des Vergessens (Anm. 263), S. 69, 38f. u. 22f. Erst ein Satz, der schon da ist, ist aus einem anderen gefolgt (vgl. Ludwig Wittgenstein: Werkausgabe. Bd 4: Philosophische Grammatik. Hg. von Rush Rhees. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1984 [Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 504], S. 250) – und seine bloße Möglichkeit hierbei nicht als »eine Art schattenhafter Wirklichkeit« (ebd., S. 281) zu verstehen ... Bernhard Waldenfels: Phänomenologie in Frankreich. 2. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 644), S. 546; vgl. Ulrich Tewes: Schrift und Metaphysik. Die Sprachphilosophie Jacques Derridas im Zusammenhang von Metaphysik und Metaphysikkritik. Würzburg: Königshausen & Neumann 1994 (Epistemata, Reihe Philosophie; 156), S. 132. Zur Engführung dieser Begriffe, die sich oder einander bei Waldenfels wie Tewes hier kreuzen vgl. ebd. Derrida, Du droit à la philosophie (wie Kap. 1, Anm. 158), S. 427; vgl. auch ebd., S. 432 u. 453. Jacques Derrida: Ich mißtraue der Utopie, ich will das Un-Mögliche. Übersetzt von Andreas Niederberger, red.von Thomas Assheuer, Thomas Mießgang und Andreas Niederberger. In: Die Zeit, Nr 11, 5. März 1998, S. 47–49, hier S. 49; vgl. auch Derrida, Du droit à la philosophie (wie Kap. 1, Anm. 158), S. 113 u. passim.
Jacques Derridas Antwort
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Eines jener Elemente, mit denen man einsetzen könnte, die man einsetzen könnte, wäre vorzufinden in einer Tradition, genauer gesagt in mehreren Traditionen, die von einer einzigen Stelle, an der dieses Element – auch – in Erscheinung trat, verdeckt ist: schwarze Milch. Hierzu sei zunächst eine – unrichtig zitierte und in der zweiten Auflage ausgesprochen halbherzig korrigierte271 – Bemerkung von Rose Ausländer bei Chalfen wiedergegeben: Daß Paul Celan die Metapher »schwarze Milch«, die ich in meinem 1925 geschriebenen, jedoch erst 1939 veröffentlichten Gedicht »Ins Leben« geschaffen habe, für die »Todesfuge« gebraucht hat, erscheint mir nur selbstverständlich, denn der Dichter darf alles Material für die eigene Dichtung verwenden. Es gereicht mir zur Ehre, daß ein großer Dichter in meinem frühen Werk eine Anregung gefunden hat. Ich habe die Metapher nicht so nebenhin gebraucht, er jedoch hat sie zur höchsten dichte272 rischen Aussage erhoben. Sie ist ein Teil von ihm geworden.
Im Gedicht Ins Leben, worin die Metapher sich erstmals findet, heißt es: Nur aus der Trauer Mutterinnigkeit strömt mir das Vollmaß des Erlebens ein. Sie speist mich eine lange, trübe Zeit 273 mit schwarzer Milch und schwerem Wermutwein.
Man muß kaum zitieren, wo sich die Metapher schwarze Milch wiederfindet: Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts 274 wir trinken und trinken ...
Sie findet sich in einem Poem, das – »aus den ernstesten Gründen«275 – »ein literaturbesessenes Gedicht [ist], das eine durchgängige Zitatstruktur aufweist«.276 Lamping nennt es »verweisungsmächtig[es]«,277 was auch schon auf jenes Problem anspielt, vor dessen Hintergrund wirklich nur eine »vermeintliche ›Abhängigkeit‹«278 der Verse besteht – wiederum aus den ernstesten Gründen wäre allerdings doch falsch, dieses Gedicht im Zeichen der Zeugenschaft als unabhängig begreifen zu wollen. 271
272 273 274 275 276 277 278
Vgl. Vogel / Gans, Rose Ausländer – Hilde Domin (wie Kap. 1, Anm. 107), S. 36; Chalfen zitiert Rose Ausländer nach Gedächtnisprotokollen (Mitteilung von Helmut Braun). Rose Ausländer, zit. in ebd. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 78), Bd 1, S. 66. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 41; vgl. ebd., S. 41f. u. Bd 3 (wie Kap. 1, Anm. 3), S. 63f. Emmerich, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 104), S. 51. Ebd. Lamping, Von Kafka bis Celan (wie Kap. 3, Anm. 967), S. 103. Ebd.
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Vierter Teil
Später wird die berühmte Metapher – nun zweifelsfrei ein Teil Celans – von Rose Ausländer in ein Gedicht eingearbeitet, das ihm denn auch gewidmet ist, wobei an die These Köhls vom »großen Gesamttext«279 zu erinnern ist, wonach »keine strengen Textgrenzen«280 innerhalb ihres Œuvres bestehen, was sich in Momenten der zitathaften Replik als Prinzip ausweitet: Man könnte also Klammern setzen und behaupten, »daß man alle Gedichte [des Ausländerschen Werks] überhaupt als ein großes poetisches Gesamtgefüge betrachten kann«281 und »die Gesamtheit der Gedichte als ein einziges Geflecht aufzufassen vermag«.282 Freilich ist derlei nur mit Vorsicht zu entfalten – auch in der Umkehr, der Aufnahme von durch Paul Celan geprägter Metaphorik bei Rose Ausländer etwa. Interessant hierfür sind die dem Gedicht Jerusalem entstammenden Gedichtzeilen: wir haben ein Spiel 283 in der Luft ...
Es erscheint fraglich, ob sie umstandslos als »leichte und leise Antwort auf die bleischwere Verzweiflung ihres Freundes«284 gelesen werden können oder gar sollen, ob nicht der Vers »keine / Rauchseele steigt und spielt mit«285 zudem etwas vorwegnimmt, das dem Interpreten entgeht. Damit aber ist zur Wiederaufnahme der schwarzen Milch, der geheiligten / verfluchten Nahrung286 zu schreiten:
279 280 281 282
283 284
285 286
Köhl, Die Bedeutung der Sprache in der Lyrik Rose Ausländers (wie Kap. 1, Anm. 87), S. 273. Ebd. Ebd., S. 310. Ebd., S. 322; vgl. auch das Zitat der Dichterin zu ihrer Verfahrensweise bei Helmut Braun: Nachwort. In: Rose Ausländer: Der Traum hat offene Augen. Unveröffentlichte Gedichte 1965–1978. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1987 (Fischer Taschenbuch; 9172), S. 130. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 123), Bd 4, S. 77. Goergen, Theologisch gelesen · Rose Ausländer: Jerusalem. In: Imprimatur, Heft 7, 16. Dezember 1997; korrespondieren soll diese Zeile dann mit dem »Grab in der Luft« (Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden [wie Kap. 2, Anm. 43], Bd 1, S. 42 u. [wie Kap. 1, Anm. 3], Bd 3, S. 64), das wohl anklingt, aber nicht in einer Antithese zu Rose Ausländer steht, bei ihr ist »der Abgrund selber [...] zum Tanz der Sprache geworden« – Horst Krüger: Ein Spiel in der Luft. In: Frauen dichten anders. 181 Gedichte mit Interpretationen. Hg. von Marcel Reich-Ranicki. Frankfurt a. M., Leipzig: Insel 1998, S. 336–338, hier S. 336; vgl. zum Anklingen auch ebd., S. 338; sinnvoll ist der Beitrag zu solcher Kontrafaktur bei Weißenberger, Paul Celans hermetische Dichtung – immanente Transzendenz eines extremen Wirklichkeitsbezugs (wie Kap. 3, Anm. 229), S. 1321f.. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. Anm. 43), Bd 1, S. 203. Vgl. Kaldemorgen, Sarah Kofman (wie Kap. 2, Anm. 120), S. 280.
Jacques Derridas Antwort
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In Memoriam Paul Celan »Meine blonde Mutter kam nicht heim« Paul Celan Kam nicht heim die Mutter nie aufgegeben den Tod vom Sohn genährt mit Schwarzmilch die hielt ihn am Leben das ertrank im Tintenblut Zwischen verschwiegenen Zeilen das Nichtwort im Leerraum 287 leuchtend
Nur kurz seien die Entwicklungsschritte dieses Gedichts – ursprünglich Requiem für Paul Celan betitelt – angesprochen; so wird die erste Verszeile (zunächst: Nicht heimgekommen / die Mutter) Celans Dichtung seine Formulierung aufgreifend angeglichen.288 Auch die Formulierung Nichtwort / im Leerraum hat ihre Entsprechung: tief im glühenden 289 Leertext ...
Die Verszeile Zwischen verschwiegenen Zeilen wird in früherer Fassung vorweggenommen – zwischen den Zeilen / nie aufgegeben den Tod. Interessant ist Rose Ausländers Versuch, die Verschlingung von Ertrinken und Schreiben, die natürlich auch die Schrift nicht unbehelligt läßt, poetisch zu entwickeln; so heißt es in der zweiten Fassung im Typoskript in handschriftlicher Korrektur (kursiv): mit Schwarzmilch die hielt ihn am Leben bis es ertrank
287 288
289
das ertrank im Tintenblut das mit ihm ertrank
Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 138. Zum vorangestellten Zitat vgl. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 19; zu Celans Gedenken der Mutter vgl. auch Firges, Den Acheron durchquert ich (wie Kap. 1, Anm. 41), S. 31. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 104.
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Vierter Teil
Worum es hier nun im Erhellen des Topos schwarze Milch nicht gehen kann, ist der fragwürdige Triumph dessen, der für ein Plagiat hält, was – ein Blick genügte, um es zu erkennen – nicht mehr das ist, was es ein Gedicht zuvor noch war.290 Gleichfalls unfruchtbar ist es, die Schöpferin der Metapher zwar zu nennen, dann aber flugs in grotesker Weise zur mehr schlechten als rechten Schülerin Celans herabzuwürdigen – ich denke an die gehässige Beschreibung Schülkes: Bis zu ihrem Wiedersehen (mit Celan) 1957 hatte die Poetin aus der Bukowina mit Vers und Reim hantiert, als wäre die Zeit im Biedermeier stehengeblieben, in einer 291 Romantik ohne Heine.
Allerdings soll doch über die Feststellung hinausgegangen werden, es sei eben der ähnliche kulturelle Kontext, der das Bild bei zwei Dichtern provozierte, wie Wallmann im Symposions-Band »Wir tragen den Zettelkasten mit den Steckbriefen unserer Freunde« schreibt.292 Nicht zu übersehen ist dabei zum einen die Frage, inwieweit Rose Ausländer sich in Celans Schatten begab, der weit früher als sie Beachtung fand.293 Zum anderen ist darauf zu achten, daß dies ihre Lyrik in einen mächtigen Schatten verbringt. Zu beginnen ist »mit schwarzer Milch und schwerem Wermutwein«.294 Was ist in den bieder kreuzgereimten / kreuzbieder gereimten Versen ausgesagt? Es ist noch kaum mehr als eine – immerhin klangvolle – Fortführung der Tradition melancholischer Rede. Zu den obskuren Zusammenhängen, die zwischen – vor allem dunklem – Wein, milchigen Substanzen und Melancholie konstruiert worden sind, finden sich in Quellen wie dem Pseudo-Aristoteles Hinweise;295 Weinrich schreibt: Man darf wissen, daß die schwarze Milch nach einer alten Überlieferung die Melan296 cholie ist. 290
291 292 293 294 295
296
Vgl. die abstoßend-dummen Formulierungen bei Hans-Günther Bleisch: Schwarze Milch dabei. Lyrikerin Rose Ausländer wird 80 Jahre alt. In: Münchner Merkur, 11. Mai 1987; differenzierter geht Hermann Kurzke vor (vgl. Hermann Kurzke: Marxismus ohne Pfiff. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. August 1986); zum Zitat sei zuletzt auf jene Zikade als unvermeidliches Surren eines Anderen nochmals verwiesen – vgl. zu jener Tradition in bezug auf Celan auch Firges, Den Acheron durchquert ich (wie Kap. 1, Anm. 41), S. 36. Claudia Schülke: Grüne Mutter Bukowina. Ein Abend über Rose Ausländer. In: Frankfurter Allgemeine S[Ausschnitt beschädigt], 27. Sept. 1993. Vgl. hierzu Wallmann, Rose Ausländer (wie Kap. 2, Anm. 58), S. 270. Mündliche Mitteilung von Helmut Braun; vgl. auch Politzer, Gesänge der Fremdlingin (wie Kap. 1, Anm. 84), S. 226. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 78), Bd 1, S. 66. Vgl. Pseudo-Aristoteles: Problem XXX,1. Übersetzt von Christa Buschendorf. In: Melancholie oder Vom Glück, unglücklich zu sein. Ein Lesebuch. Hg. von Peter Sillem. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1997 (dtv; 12467), S. 21–28, hier S. 23f. Weinrich, Semantik der kühnen Metapher (wie Kap. 3, Anm. 685), S. 327.
Jacques Derridas Antwort
245
»Ihre jungen Männer waren [...] weißer als Milch [...]. Schwärzer als Ruß sehen sie aus«,297 so heißt es in den Klageliedern des Alten Testaments. Bei Burton findet sich das Bild zur medizinischen Herangehensweise geronnen. Der schwarz gewordene Lebenssaft – nigrescitur hic humor – ist hier sozusagen Faktum, dem durch den Molkentrunk beizukommen ist.298 Anders als in den späteren Versen ist dies auch alles, was sich in den Versen der jungen Ausländer tradiert – kaum abgewandelt – findet. Man müßte an dieser Stelle darauf verweisen, daß die Metapher auch vor Rose Ausländer in der Gegend um Czernowitz fast gebräuchlich war. Ohne hier allzu sehr ins Detail zu gehen, sei auf die Dokumentation von Wichner und Wiesner verwiesen, deren Suche fast zur Toposforschung gerät.299 Es findet sich »dunkle[n] Milch«300 und »Milch des Abends«,301 es findet sich »bitter[e] Milch«.302 »Schwarze Milch des Elends«303 und »Milch der Finsternis«304 sind von Yvan Goll erst später formuliert worden – nach Rose Ausländer und wohl so spät, daß auch Celan den Text nicht gekannt haben kann.305 Ein Gedicht, dessen Korrespondieren mit der Todesfuge allgemein zu diskutieren wäre, worin aber auch speziell die Milch auffällt, wäre Trakls in manchen Aufstellungen unberücksichtigt gebliebener Psalm: Es ist ein Raum, den sie mit Milch getüncht haben.306 297 298
299
300 301 302 303 304 305
306
Klgl 4·7–9; vgl. Emmerich, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 104), S. 51. Vgl. Robert Burton: Die Anatomie der Melancholie. Übersetzt von Werner von Koppenfels und Peter Gan. Mainz: Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung 1988, S. 86f. u. 172 (auch Anm.) sowie 112f. u. 255. Vgl. Wichner / Wiesner, In der Sprache der Mörder (wie Kap. 2, Anm. 66), S. 165 u. passim; vgl. auch Lamping, Von Kafka bis Celan (wie Kap. 3, Anm. 967), S. 103ff., vor allem aber die klugen, auch ins Poetologische gehenden Untersuchungen von Emmerich, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 104), S. 51ff. Alfred Margul-Sperber, zit. in Wichner / Wiesner, In der Sprache der Mörder (wie Kap. 2, Anm. 66), S. 165. Alfred Margul-Sperber, zit. ebd. Isaac Schreyer, zit. ebd. Yvan Goll, zit. ebd., S. 176. Yvan Goll, zit. ebd. Vgl. ebd.; Rose Ausländer antwortet auf Glenns Anfrage, daß Celan gewiß nicht ein Heuchler war, die Metapher zu jener Zeit gewissermaßen kursierte – Rose Ausländer: Brief an Jerry Glenn, 11. Januar 1972; vgl. auch Edith Silbermann: Paul Celan im Kontext der Bukowiner Dichtung. In: Die Bukowina. Studien zu einer versunkenen Literaturlandschaft. Hg. von Dietmar Goltschnigg, Anton Schwob und Gerhard Fuchs. Tübingen: Francke 1990 (Edition Orpheus; 3), S. 309–331, hier S. 318; Colin, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 96), S. 43; in »Wir tragen den Zettelkasten mit den Steckbriefen unserer Freunde« Wallmann, Rose Ausländer (wie Kap. 2, Anm. 58), S. 270. Trakl, Das dichterische Werk (Anm. 169), S. 32; vgl. ebd., S. 200; auch ist hier die Rede von des Magiers Spiel »mit seinen Schlangen« – ebd., S. 33; vgl. allerdings Böschenstein, Leuchttürme (wie Kap. 2, Anm. 208), S. 273.
246
Vierter Teil
Gleichfalls wäre auf Colins Befund zu verweisen: Ausländer hatte von Celan gelernt, daß die dichterische Sprache das Stigma des Holocaust trägt. Im Gegensatz zu Celan jedoch, oder vielleicht aus einem fruchtbaren Mißverständnis heraus, hoffte Ausländer, manche Lieblingsmetaphern ihrer frühen Dichtung zu neuem Leben wiederzuerwecken, indem sie diese in ungewöhnliche Sprachkonstellationen einbettete. Auf diese Weise glaubte sie, die angesammelten negativen Konnotationen zu reinigen und das Dilemma zu lösen, das ein Dichten in 307 Mutter- und Mördersprache zur Folge hatte.
Entsprechend könnte man noch behaupten, die Dichterin sei poetologisch »vorsichtiger und langsamer«308 denn Celan gewesen; schlicht kurios ist es, wenn Horst Krüger schreibt, daß Rose Ausländers Lyrik »sich nie festlief in dunkler Trauer wie die Lyrik Celans oder die der Nelly Sachs«309 – gerade ein Sich-Festlaufen läßt Rose Ausländer unter diesem Aspekt, der in der frühen Lyrik besonders zutage tritt, weiterschreiben ... Der Sprung der Bedeutung, der in der Todesfuge entsteht, kann kaum überschätzt werden. Nun ist dies nicht der Ort, eine Auslegung derselben zu versuchen, die sie wohl auch vom zuweilen geäußerten Vorwurf falscher Feierlichkeit rehabilitieren könnte – gerade der Umstand, daß über dieses Poem so viel und so schlecht geschrieben wurde, würde nebenbei bemerkt eine präzise Interpretation durchaus nicht unnötig erscheinen lassen.310 Was hier geleistet werden kann und muß, ist eine kurze Reflexion über die »Zentral-Metapher«.311 Das wir der Todesfuge trinkt – sie »trinken, was sie eigentlich schätzen, in vergifteter Form und in ein Folterinstrument verwandelt, verzweifelt und mit dem Erstickungstod kämpfend«.312 Das ungeheuer Perfide des Dargestellten ist im »Angriff auf das Lebenselement schlechthin«313 gelegen – hierdurch wird die Ordnung nicht verrückt, nicht umgekehrt, sondern an sich zerstört; welche Kosmologie könnte hier noch geschrieben werden, in der das Wohlgeordnete und die Sinnhaftigkeit dem Wort gemäß noch ihr Bestehen bestätigt fänden? Schwarze Milch wird vom bloßen Ausdruck eines schon Bekannten zur Signatur einer Ordnung, deren Zerrüttung so umfassend geworden ist, daß die Male der Zerrüttung selbst sich einer Darstellung entziehen. »Zu Asche, und die Asche Lied«314 – undenkbar, 307 308
309 310 311 312 313 314
Colin, »Wo die reinsten Worte reifen« (wie Kap. 1, Anm. 6), S. 235. Harald Hartung: Im Königreich der Luft. In: Rose Ausländer. Materialien zu Leben und Werk. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1997 (Fischer-Taschenbücher; 6498 – Informationen und Materialien zur Literatur), S. 235–237, hier S. 235. Krüger, Ein Spiel in der Luft (Anm. 284), S. 233. Vgl. hierzu auch Hainz, Masken der Mehrdeutigkeit (wie Kap. 2, Anm. 226). Wichner / Wiesner, In der Sprache der Mörder (wie Kap. 2, Anm. 66), S. 176. Wiggershaus, Diskrete Radikalität (wie Kap. 3, Anm. 228), S. 189. Sloterdijk, »Die Klimaanlage ist unser Schicksal« (wie Kap. 3, Anm. 781), S. 143. Weißglas, Aschenzeit (wie Kap. 2, Anm. 111), S. 82.
Jacques Derridas Antwort
247
daß ein solcher Abschied noch mehr als der Versuch wäre, seine Unangemessenheit zu erahnen; bei Mandelstam heißt es: O Himmel, Himmel, du kommst wieder, wieder im Traum! Dies kann nicht sein: daß du erblindet bist, daß hier der Tag, ein weißes Blatt, ganz niederbrannte, nieder 315 zu diesem bißchen Rauch, zu diesem Aschenrest!
Unbeteiligt ist festzuhalten, daß die Auslöschung der Ermordung diese in ihrem Schrecken steigert – es bleibt nichts, »das den Tod des Deportierten in sich aufnehmen und verewigen könnte«.316 Dementsprechend ist der theoretische Diskurs von der Blässe, die er begründet; von Anders stammt die Einsicht, daß »eine Möglichkeit von Sinn und Versöhnung«317 vorzugaukeln »eine tödliche Entwürdigung des Monströsen«318 bedeutete. Das »Vorkommnis [...] ist in der Tat kein Zeichen«,319 der »dichterische Stoff hat keine Stimme«320 und muß also bearbeitet werden, wenn schon das Verarbeiten nicht möglich ist.321 Also ist zu beantworten, wieso Celans Œuvre und im Speziellen der Todesfuge, worin überaus kunstvoll das Unfaßbare dargestellt zu sein scheint, nicht Pietätlosigkeit anhaftet, ist doch noch seine Ketzerei322 in den Dienst getreulichen Gedenkens gestellt. Sie liegt darin, gerade nicht das Grauen zu beschreiben, mag es auch den Anschein haben und insgeheimer Wunsch jedes Worts sein. Was aber wäre dann das Spiel »mit den Schlangen«,323 das Ausheben von »Gräbern in den Lüften«,324 die makabre Musikbegleitung,325 was wäre all das, wenn nicht eben ein Bild des Grauens? Es ist nur mehr das Bild einer gestörten Ordnung, einer Ordnung, die nicht nur nicht unschuldig ist, sondern sich ganz der Lüge verschrieben hat. »Schwarze Milch der Frühe«326 ist das Emblem zynischer Totalität, die im Namen der Lüge das Außerordentliche destruiert, wobei auch der Akt der Zerstörung noch durch Selbstverständlichkeit zum Verschwinden gebracht wird. Sonst nämlich träte irgendwann »die Kehrseite des Sagbaren, Sichtbaren, Hörbaren, Tunlichen [...] als Außerordentliches hervor«327... 315 316 317 318 319 320 321 322 323 324 325 326 327
Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 3, Anm. 648), Bd 5, S. 69. Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 173, Nr 157. Anders, Philosophische Stenogramme (wie Kap. 2, Anm. 132), S. 53. Ebd. Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 299, Nr 264. Mandelstam, Das zweite Leben (wie Kap. 3, Anm. 647), S. 62. Vgl. Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 155, Nr 152. Vgl. Celan / Sachs, Briefwechsel (wie Kap. 2, Anm. 160), S. 41. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 41f. u. (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 63f. Ebd. Vgl. ebd. Ebd. Bernhard Waldenfels: Ordnung im Zwielicht. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1987, S. 182; es kommt zum Vorschein, »wenn eine bestehende Ordnung ihre Grenzen und Lücken zeigt« (ebd.).
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Vierter Teil
So ist das einstmals Begehrenswerte verloren – und der unbeschreiblich vulgär erscheinende Terror dessen Folie; »Sulamith«328 ist das Fragile par excellence, noch im Material poröser Asche vermag Paul Celan die Würde der Jüdin als neben jener ordinären Robustheit, die selbst das »golden[e] Haar«329 der Deutschen charakterisiert, außergewöhnlich zu zeigen. Die Todesfuge schildert nicht so sehr das unfaßbare Grauen, sondern die Trauer dessen, der überlebend nicht mehr lieben kann, bitter ist, sein muß und will.330 Sie schildert ein Leben, »das nur noch für eines aufnahmefähig«331 zu sein scheint, »für die Schwarzmilch, an der es starb«332 und weiterstirbt. In wessen »Augen« »Quell [...] erwürgt ein Gehenkter den Strang«,333 wenn nichts geblieben ist als »dein aschenes Haar[,] Sulamith«?334 Die Todesfuge schildert die Trauer dessen, dem die Welt zu einem Indifferenten gerinnen mußte.335 Sie ist das Problem des Zeugen, der, indem er fort-zeugt, von der Authentizität fort-schreitet, erscheint als Impetus, der sich als einen klar konturierten, ein Programm legitimierenden Anstoß freilich nicht kennt: Inmitten der Trauer [...] dieser Punkt: Aber die Metonymie ist kein Irrtum, keine Lüge, sie sagt nicht die Unwahrheit. Und buchstäblich gibt es vielleicht gar kein punctum. Was die ganze Aussage möglich macht, den Schmerz aber durchaus nicht verringert; es ist im Gegenteil eine Quelle, die Quelle des Schmerzes, unpunktuell, 336 unbegrenzbar.
Zu verweisen wäre nebenbei auf Sarah Kofmans Sacrée nourriture, einen kurzen Text, der ganz andere Erfahrung beschreibt, welche doch in einer Hinsicht mit jener schwarzer Milch konvergieren mag. Die Unvereinbarkeit des Gebots, nicht alles, vielmehr Koscheres zu essen, und der Notwendigkeit, unter bestimmten Umständen um des Überlebens willen doch auch Unreines 328 329 330 331 332 333 334 335 336
Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 41f. u. (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 63f. Ebd.; nicht blond – vgl. ebd., Bd I, S. 19; vgl. auch Anders, Philosophische Stenogramme (wie Kap. 2, Anm. 132), S. 52f. Vgl. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 78. Wiggershaus, »Es war eine unendliche Sonnenfinsternis« (wie Kap. 2, Anm. 66), S. 99. Ebd. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 33. Ebd. (Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 41f. u. (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 63f. Vgl. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 397. Derrida, Die Tode von Roland Barthes (Anm. 129), S. 50; vgl. ebd., S. 7f. u. 24; Trauer: »von dem zu sprechen [...], was nicht wesentlich ist« – Martin Hainz: Schrift der Hinfälligkeit. In: Unverloren. Trotz allem. Paul Celan-Symposion Wien 2000. Hg. von Hubert Gaisbauer, Bernhard Hain und Erika Schuster. Wien: Mandelbaum 2000, S. 206–242, hier S. 206; vgl. ebd., passim; darum – »aus den ernstesten Gründen« (Emmerich, Paul Celan [wie Kap. 1, Anm. 104], S. 51) – ist die Todesfuge jenes »literaturbesessene[s] Gedicht, das eine durchgängige Zitatstruktur aufweist« (ebd.).
Jacques Derridas Antwort
249
zu sich zu nehmen, wird der zu Kriegsende elfjährigen unerträglich – und wohl nicht nur dem Kind, dessen Vater – als Rabbiner für das Einhalten der Sabbatruhe ermordet: »zusammengeschlagen und lebendig begraben«337 – sagt: Laß die Kinder [das Unreine] essen, [...] es ist Krieg.338
Die Wiederaufnahme der Metapher schwarzer Milch bei Rose Ausländer ist in der Akzentuierung dem angeglichen und auf das konzentriert, worum Celans Todesfuge kreist. Es ist die Unmöglichkeit der Trauer, die das Trauern potenziert und in sich selbst treibt, da die Unangemessenheit eines jeden Worts zuletzt das beweinte Objekt aufzulösen scheint. Kam nicht heim / die Mutter, so heißt es im Poem der Dichterin. Die Schwarzmilch ist geworden, womit der Sohn sie genährt hat – sein Gedenken vergiftet sie, derer gedacht wird. Und dieses Gedenken und Vergiften, diese Gabe, die ein Danaergeschenk wider willen ist, hält am Leben, das es zerstört, das ertrinkt im Tintenblut; auf die »Asche / im Blutgefäß«,339 deren Blühen340 wohl auch nicht frei von Ambivalenz – Entstellung und Bewahrung – ist, wurde bereits verwiesen. Man weiß es, daß gerade jenes Minimale, jenes Nichts, das zu substantivieren vielleicht schon verfehlt ist, es ist, was im Gedenken abhanden kommend es schließlich zur absurden Geste geraten läßt, da der Sinn, auf dem es fußt, »niemals nur das eine von beiden Gliedern einer Dualität ist«.341 Immer schon bestimmt das Gedenken, wessen gedacht wird, was erdacht wird; immer schon verurteilt das Gedenken sein Objekt, dem Phantasma sich anzunähern: 342
Die Keimzelle [...] ist der Riß. Nichts verloren in der Urne 344 die Asche atmet
337 338
339 340 341 342 343 344
Nichts, 343 nichts ist verloren.
Kaldemorgen, Sarah Kofman (wie Kap. 2, Anm. 120), S. 281; vgl. Kofman, Erstickte Worte (wie Kap. 2, Anm. 113), S. 13 u. passim. Sarah Kofman, zit. in Kaldemorgen, Sarah Kofman (wie Kap. 2, Anm. 120), S. 280; vgl. ebd. u. ebd., S. 281; vgl. Kofman, Erstickte Worte (wie Kap. 2, Anm. 113), S. 28 u. 29f., wo die Listen auszugsweise abgedruckt sind, auf denen sich auch Berek Kofman, der Vater der Philosophin findet (vgl. ebd., S. 28 und 30); vgl. auch Ursula I. Meyer: Kofman, Sarah. In: Philosophinnen-Lexikon. Hg. von Ursula I. Meyer und Heidemarie Bennent-Vahle. Leipzig: Reclam 1997 (Reclam-Bibliothek; 1584), S. 321– 325, hier S. 321f. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 36. Vgl. ebd. Gilles Deleuze: Logik des Sinns. Übersetzt von Bernhard Dieckmann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993 (Edition Suhrkamp; 1707 – Aesthetica), S. 48. Ebd., S. 386; vgl. ebd., S. 385ff. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 204. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 54.
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Vierter Teil
Unendlich ist der Abgrund der Verse wie jener zwischen den Versen. Das Atmen der Asche in der Urne deutet aber jene Utopie an, von welcher Celans Verse Abschied nehmen, die sie sozusagen nun auch zur Uchronie erklären, zu dem, was nicht nur nirgends, sondern auch niemals ist. Das Nichts als Residuum des Gedenkens ist somit, wo es verloren ist, Ausdruck der Hoffnungslosigkeit, während die kleinste Differenz in Ingeborg Bachmanns Gedicht Enigma, dessen Gestus zwei Verszeilen trennt und aufeinander bezieht, gerade dies beeinsprucht, in der zweifachen Negation eines wie immer gearteten Pfingsten doch gerade dem Wort eine Ankunft zuweist: Nichts mehr wird kommen [...] – 345 es wird nichts mehr kommen.
Der Weg bei Rose Ausländer ist für die Schwarzmilch somit zwischen verschwiegenen Zeilen das Nichtwort im Leerraum,
es ist leuchtend gerade dort, wo es das Nichts in seine Rechte setzt. Sätze ins Nichts (Hans-Dieter Bahr) folgen dem Schrecken; Sätze a n s Nichts folgen ihm desgleichen. Und erst in den Sätzen, die ihm folgen, kann jenes Nichts mehr denn nichtig sein. Ent-setzt kann nur das Gesetzte werden.346
Man ist beim Dilemma, daß Wahrheit und Unrecht einander verschwistert sind, angelangt – Wahrheit als Darlegung ihres eigenen Unrechts ist conditio sine qua non dessen, was immer schon porös, Asche geworden ist. Wie heikel der Begriff der Hermetik ist, hat sich in den Vorüberlegungen meiner Arbeit gezeigt... Und doch muß hier das Wort wieder fallen, denn Celan – nie aufgegeben / den Tod – wird von Rose Ausländer in einem anderen Gedicht gerade an diesen Platz wieder gestellt, der freilich nicht unbedingt noch der selbe ist ... Paul Celan In hermetischer Stille begraben sein blutendes Wort aus der Herzkapsel gepreßt 345
346
Ingeborg Bachmann: Sämtliche Gedichte. Hg. von Christine Kochel, Inge von Weidenbaum und Clemens Münster. München, Zürich: Piper 1998 (Serie Piper; 2644), S. 181. Hans Dieter Bahr: Sätze ins Nichts gesprochen. Versuch über den Schrecken. Tübingen: konkursbuchverlag Claudia Gehrke 1985, S. 140.
Jacques Derridas Antwort
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von sternschwarzen Flügeln getragen entfaltet stechendes Licht dessen Schatten ihn schrecklich 347 erleuchtete
so schreibt die Poetin vom Dichter der Verzweiflung,348 dessen Melancholie sie mit einem Ritus der Trauer – der Silbermünze auf der davon dunkel verfärbten Zunge – engführt, indem sie den auf Paul Celans Grab gepflanzten »KlatschMohn / schwarzzüngig«349 heißt. Man könnte hier auch den Nachhall einer Genealogie vernehmen, die auf Hölderlins Stille wiese: Von »furchtbarer Stille«, »todverhöhnender Ruhe«350 ist bei jenem die Rede, aber auch von dieser Stille: Und »auf die Wellen leuchtet’ / [...] / Aus blauer Luft das stille Mondlicht nieder« ...351 All das klingt in den Versen über jenen Dichter, von dem Rose Ausländer in einem poetologischen Text sagt: Der Tod hatte seinen besten Dichter ins Leben gerufen.352
Die Hermetik freilich ist eine, die vor allem darum die Grenze in sich sucht, um der Einsamkeit zu entgehen, die gerade das Gegenteil von Hermetik ist: Grenzenlosigkeit, reine Immanenz, die, es ist angedeutet worden, gerade in ihrer Ordnung sukzessive nichts und darum auf einen Schlag alles verliert.353 Man vergleiche Celans Formulierung: Die Kunst erweitern? 354 Nein. Sondern geh mit der Kunst in deine allereigenste Enge. Und setze dich frei.
Hier ersteht »das Gegenwort«,355 hier ist ein bestimmter Ort: Das »Gedicht wäre somit der Ort, wo alle Metaphern und Tropen ad absurdum geführt werden wollen«.356 Es ist dem Gedicht daran gelegen, seine ästhetischen Strategien noch zu durchdringen, gerade aus seiner Herzkapsel ins Nichts zu dringen. Die nächste 347
348 349 350 351 352 353 354 355 356
Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 123), Bd 4, S. 39; die offenbar parallel verbesserten Typoskripte zeigen nur geringe Veränderungen, etwa die Ersetzung In hermetischer Kapsel Stille / begraben, die lediglich eine Wortwiederholung vermeidet ... Vgl. ebd., S. 38. Vgl., (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 242. Hölderlin, Werke (wie Kap. 3, Anm. 193), Bd 2, S. 156. Ebd., S. 200. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 287. Hierzu wäre vielleicht auf Eine Stunde Vergessen zu verweisen – vgl. (wie Kap. 2, Anm. 200), Bd 5, S. 213. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 200. Ebd., S. 189. Ebd., S. 199.
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Vierter Teil
Frage wäre somit jene nach dem Punkt, von dem gesagt worden ist, er sei Nostalgie. Zugleich nämlich gibt es, was einen Punkt bedingt, ein Kreisen: Um etwas zu kreisen bedeutet, davon besessen zu sein, aber auch, ihm auszuweichen 357 [...]. Es liegt also ein Widerspruch darin, um etwas zu kreisen.
Bedenkt man, daß zudem eine Wunde es ist, worum man kreist, ist man (wo nicht bei Derrida?) inmitten »einer unmöglichen Geometrie« ...358 Man sucht einen Punkt, der das Fremde im Suchenden selbst markiert und zugleich je nach Vereinnahmung qua Nennung springt, was schon Glück verlangt, immerhin eine Gabe, da den καιρός nur der ergreifen kann, den oder dem er passiert; das erinnert auch eine Rose Ausländer-Lektüre Krolows: Obwohl bei Rose Ausländer Orte genannt werden, sind ihre Gedichte von einer trau359 rigen Ortlosigkeit. Überall könnte ihr Ort liegen und nirgends.
In Nähe des Ortes oder des Punkts gelangt nur, wessen Textgewebe gut gekettet (καιρόϵις) ist... Hier ist das Denken wie das Datum verrückt – in seiner Offen- und Verschlossenheit: Ein Datum ist verrückt, das ist die Wahrheit!360
Es ist wörtlich ein Akt des Verrückens, der in ihm wirkt. Une date est folle, voilà la verité.361
Es ist albern, ein Kobold ist in ihm; wo Asche ist, ist ein Feuer assoziierbar. Ein feu follet irrlichtert im Datum. Ein »verrückter Zauber«362 regiert im / das Datum. Macho bemerkt zu Derridas Celan-Lektüre, »Daten erinnern [...] das Vergessen«363 – und nichts sonst. Das Datum ist ein Zeuge [...]. Aber es zeugt von nichts.364
357 358 359
360 361 362 363 364
Derrida, Zeugnis, Gabe (wie Kap. 3, Anm. 777), S. 63f. Ebd., S. 64. Karl Krolow: Mohn und Gedächtnis. In: Frauen dichten anders. 181 Gedichte mit Interpretationen. Hg. von Marcel Reich-Ranicki. Frankfurt a. M., Leipzig: Insel 1998, S. 344–346, hier S. 344. Derrida, Schibboleth (wie Kap. 3, Anm. 182), S. 81. Derrida, Schibboleth pour Paul Celan (wie Kap. 3, Anm. 776), S. 68. Derrida, Schibboleth (wie Kap. 3, Anm. 182), S. 82. Thomas Macho: Der 9. November. Kalender als Chiffren der Macht. In: Merkur 611 (März 2000), S. 231–242, hier S. 233. Ebd.; vgl. ebd., S. 234; als solches Scharnier ließe auch der Name, der die Nomenklatur begründet und als Singularität zugleich untergräbt, sich einführen – vgl. Jean-François Lyotard: Le nom et l’exception. In: Tod des Subjekts? Hg. von Herta Nagl-Dokecal und Helmuth Vetter. Wien, München: Oldenbourg 1987 (Wiener Reihe; 2), S. 43–53, hier S. 47 u. passim.
Jacques Derridas Antwort
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An dieser Stelle ist innezuhalten; es stellt sich die Frage, was das Gespenst, das Monster, der Minotauros oder die Monstrosität seien. Eine Monstrosität zeigt sich niemals als solche, oder, wenn sie das lieber wollen, sie zeigt sich nur [...], indem sie sich auf das reduzieren läßt, was erkennbar ist, das heißt auf eine Normalität, eine Legitimität, die sie nicht ist; also zeigt sie sich nur, indem sie sich nicht als das erkennen läßt, was sie ist, eine Monstrosität. Eine Monstrosität kann nur verkannt werden. Sie kann nur im Nachhinein erkannt werden, 365 wenn sie normal oder zur Norm geworden ist.
»Man wird nicht fragen können[,] was das Monströse«366 sei; es ist eine paradoxe Gestaltwerdung dessen, was (noch) amorph ist. Eine »lastende Fülle« »in einer Absenz«,367 welche »präsent in einer Anwesenheit, die den verstörenden Eindruck einer Abwesenheit erzeugt«,368 ist – solcherart sind Gespenster. Es ist dies, was sie zur Beunruhigung macht; »wir fürchten uns vor Gespenstern nämlich nicht trotz der Tatsache, daß sie nicht existieren – sondern genau wegen der Tatsache, daß sie nicht existieren«.369 Genau besehen ist [...] [wovor wir uns fürchten,] das Eindringen von etwas radikal anderem, etwas Unbekanntem und Fremdem in unsere Welt. Und dieser Angst könnten wir entkommen, wenn wir sicher sein könnten, daß die Gespenster wirklich 370 existierten.
Man sieht – von der Rückkehr zum ver-rückten Gräberfeld371 einmal abgesehen –, daß ein Hauch von Paranoia, worauf wie auf die Monstrosität des Zukünftigen zurückzukommen ist, diesem Denken innewohnt. Nicht ganz überraschend ist daher die Verrücktheit, die Derrida in der Folge im Akt der Datierung – nicht allein in dieser selbst also – sieht: Und wir sind verrückt nach Daten.372 365
366 367 368 369 370 371
372
Jacques Derrida: Einige Statements und Binsenweisheiten über Neologismen, NewIsmen, Post-Ismen, Parasitismen und andere kleine Seismen. Übersetzt von Susanne Lüdemann. Berlin: Merve 1997 (Internationaler Merve Diskurs; 202), S. 35; vgl. Serres, Le Tiers-Instruit (wie Kap. 1, Anm. 19), S. 16; vgl. auch Watson, Die Auschwitz-Galaxy (wie Kap. 1, Anm. 129), S. 94 u. Hartwig Frank: Logik der Dekonstruktion? Derrida als Logiker. In: Fremde Vernunft. Zeichen und Interpretation IV. Hg. von Josef Simon und Werner Stegmaier. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 1367), S. 103–112, hier S. 111. Ansén, Defigurationen (wie Kap. 3, Anm. 86), S. 109. Sarah Kofman: Melancholie der Kunst. Übersetzt von Birgit Wagner, hg. von Peter Engelmann. Graz, Wien: Böhlau 1986 (Edition Passagen; 9), S. 15. Ebd. Miran Božovič: Gespenster. In: Ligaturen. Turia + Kant. Aus dem 7. Jahr. Hg. von Ingo Vavra. Wien: Verlag Turia + Kant 1995, S. 29–32, hier, S. 30. Ebd. Dies in Anspielung auf vorangegangene Überlegungen, denen sich Wörter zugesellen: »Wörter: Steine, von schwermütigen Geistern auf den Marmor nichtexistenter Gräber gelegt« – Jabès, Die Schrift der Wüste (wie Kap. 3, Anm. 290), S. 124. Derrida, Schibboleth (wie Kap. 3, Anm. 182), S. 81.
254
Vierter Teil
Auf diesen Irrsinn kommt Hans-Dieter Bahr zu sprechen; sein Essay Die Gabe der Erinnerung ist in seinem Herzen situiert und zeigt, wie die Daten in einer illusionslosen und darum vielleicht reicheren Schreibpraxis vom »Martyrium der Memoria«373 fortzuführen wären. Und »wenn sie das schon Erlebte ins Gedächtnis ruft, dann genau dorthin, wo dieses zuvor noch nie war: ins Denken, ins Gedenken, ins Bedenkliche und Erdenkliche einer Zeit, die weder jetzt anwesend ist noch jetzt fehlt«.374 Nicht mehr ist Ersatz als Echtes darzubieten – und sei’s auf der subtilen und verzweifelten Ebene der Repräsentation.375 Es geht hier nicht um eine nur verlängerte Gegenwart [...]. Die Musen erinnern vielmehr an das, was sich erst im Erinnern ereignet: die Er376 öffnung einer künftigen Gewesenheit ...
Freilich ist das Verzweifelte aufgreifend gegen Bahrs Text vorsichtig einzuwenden, daß auch solchem Gedenken manches »Mal [...] eingebrannt«377 ist, dieses Eingedenk-Sein zwar erst dessen inne wird, daß das Bewahrte, wenn es unteilbar und in scheinbar stabiler Tautologie seines Gehalts vorliegt,378 nur noch Schatten seiner Hinfälligkeit ist, doch unvermindert versucht, gerade dieser Einsicht im Detail zu entgehen: umgekehrt, es sei mir erlaubt, dies anzuregen, ist eine gewisse sensibilität für den aberglauben vielleicht kein unnützer stachel für das begehren nach dekonstruktion.379
»Das-wunderbare-Übertreffen-sagen-wollen«,380 so definiert Derrida das Philosophieren vorsichtig – und folgert: Ich philosophiere [...] im eingestandenen Schrecken, wahnsinnig zu sein.381
Wann ist ein Textgewebe καιρόϵις? Ich möchte hier nach einigen Vorüberlegungen auf zwei Formulierungen von Sloterdijk verweisen, die das mögliche Glücken einer Rede umreißen, die andererseits eine alte Gewohnheit des Philosophierens abstreift – Zweifel freilich sind, wie in einer Rückkehr zur Schwarzmilch sich zeigen soll, darob angebracht, daß diese Tradition nicht traditionell Erfindung war. 373
374 375 376 377 378 379 380 381
Hans Dieter Bahr: Die Gabe der Erinnerung. In: Kontiguitäten. Texte-Festival für Rudolf Heinz. Hg. von Christoph Weismüller und Ralf Bohn. Wien: Passagen Verlag 1997 (Passagen Philosophie), S. 39. Ebd. Vgl. ebd., S. 42. Ebd., S. 44. Ebd., S. 39. Vgl. Jacques Derrida: Meine Chancen. Rendez-vous mit einigen epikureischen Stereophonien. Übersetzt von Elisabeth Weber. Berlin: Brinkmann & Bose 1994, fol. 12 v. Ebd., fol. 20 v.; vgl. ebd., fol. 16 r. u. passim. Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 100; vgl. Silverman, Textualitäten (wie Kap. 3, Anm. 729), S. 294f. Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 100; vgl. auch Bürger, Ursprung des postmodernen Denkens (wie Kap. 1, Anm. 129), S. 112.
Jacques Derridas Antwort
255
Es ist nach Derrida kein Punkt außer jenem, den die Textur als sich auflösenden Knoten flicht.382 Das Datum ist, sobald es eingesponnen ist, entstellt; zugleich jedoch ist gerade jenes Einspinnen auf einem stabilen Punkt unmöglich – jede Wiederkehr erinnert durch ihren Weg, der als Wiederholung eben nicht sich gestalten kann, daran, daß hier ein Kreisen geschieht, in dessen Zentrum, auch das ist nicht unterschlagen worden, liegt, wohin das Denken gezogen wird, was jedoch ihm einmal erreicht das Ende sein müßte. In der Wieder- und Immer-Wiederkehr mißglückt, was Telos war. Eine »Krypta, um eifersüchtig sein Geheimnis im Moment der größten Zurschaustellung zu bewahren«,383 dies ist das Datum, ein Erhabenes, wenn man darunter »eine Negativität ohne Negativität (Ohne ohne Ohne)«384 versteht.385 Das Datum hat kurzum zwei einander widersprechende Eigenschaften: Datierung fordert Wiederholung und um der Eindeutigkeit willen zugleich Einmaligkeit; schon im Ehering ist jede der beiden Attributionen in gewisser Weise artikuliert, erst in der Datierung aber sind sie – und zwar, was paradox erscheint, zugleich – in ihr Recht gesetzt.386 Hier zitiert Derrida Celan, »unwiederholbar«387 ist, wovon Celan eine »inscription«388 versucht, die das Einmalige sichert, indem es dieses aufnimmt; es zugleich deutet, lesbar macht, indem es dieses Singuläre einem Eigenen, das als Hilfskonstruktion zu verstehen ist, gleich registriert; es auch als inscrutable bewahrt. Allgemein beschreibt Derrida die Nöte der Schrift folgendermaßen: Im Augenblick, wo ein Zeichen entsteht, beginnt es damit, sich zu wiederholen. Sonst wäre es kein Zeichen, es wäre nicht, was es ist, das heißt dieser Mangel an Selbstidentität, der regelmäßig auf dasselbe verweist. Das heißt auf ein anderes Zeichen, das seinerseits aus seiner Aufteilung geboren wird. Dadurch, daß sich das Graphem in dieser 389 Weise wiederholt, hat es keinen natürlichen Ort (und kein natürliches) [...] Zentrum.
Dies bedeutet, daß das Einmalige als Forderung seines Punkts in Widerspruch mit den zu ihm gesponnen Fäden gerät, die den Punkt zum Knoten degradieren... Und es bedeutet, daß ein aufmerksames Lesen dem Projekt des Einspin382 383 384 385
386 387 388 389
Vgl. Derrida, Interview mit Florian Rötzer (22.2.1986) (wie Kap. 3, Anm. 94), S. 72. Derrida, Die Wahrheit in der Malerei (wie Kap. 3, Anm. 187), S. 233; vgl. Derrida, Wie nicht sprechen (Anm. 62), S. 46. Derrida, Die Wahrheit in der Malerei (wie Kap. 3, Anm. 187), S. 156; vgl. zur Krypta bei Celan Derrida, Auslassungspunkte (wie Kap. 3, Anm. 775), S. 214. »Das Datum (la date) selbst wird den Ort der Krypta einnehmen, das einzige, was bleibt, außer dem Herzen (fors de la cœur). Datieren sagt man mit Recht vom Ort der Schrift oder der Signatur für [...] die Sendung und das Testament.« – Derrida, Die Wahrheit in der Malerei (wie Kap. 3, Anm. 187), S. 285. Vgl. Derrida, Schibboleth (wie Kap. 3, Anm. 182), S. 11. Derrida, Schibboleth pour Paul Celan (wie Kap. 3, Anm. 776), S. 13. Ebd.; zu Beschneidung, Gabe und Wort oder Schrift – vgl. Derrida, Zeugnis, Gabe (wie Kap. 3, Anm. 777), S. 67ff. Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 446.
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Vierter Teil
nens folgt – wie auch die Spinne in ihrem Netz auf die Resonanzen achtet, welche die Netzstrukturen ums Opfer, ums Datum ergeben. Das Einmalige [...] zieht das ganze Gedicht an sich, richtet es auf sich selbst, [...] saugt es 390 in absoluter Dissymmetrie mitten hinein ins Zentrum seiner selbst.
Die »Dissemination [...] [kommt] nicht, wie man allzu leicht glaubte, zwischen dem Vielzähligen, Zerstreuten, Zersplitterten ins Spiel [...], nicht zwischen Vielheit und Einheit, sondern zwischen dem Einmaligen und ihm selbst«.391 Es gibt präferierte Linien und Punkte, was mit der Obsession des fehlschlagenden Kreisens in Verbindung steht, wobei Einbindung und Stabilisierung von einander bestimmt wären. Nicht die Punkte, die den Anschein großer Gefestigtheit machen, sind dicht eingesponnen; man könnte gerade diese an den – allerdings nicht gegebenen – Rand setzen. Die besonders instabilen Punkte sind am meisten umgarnt, was eine Fixation jedoch nur simuliert; an ihnen läßt sich die virtuelle Arbeit der Verschiebung vollziehen. Hier ist »das erste Mal zur ›n-ten‹ Potenz«392 erhoben. Hier ist »Schrecken oder Paradox«393 der Vernunft. Hier ist das Spiel der Masken, wobei zu vermerken ist: Die Masken verdecken nichts, nur andere Masken.394 395
Alles, was tief ist, liebt die Maske ...
Hinter den Masken findet sich kein Name; »Masken oder plurale[n] Namen«396 gleiten von Ersetzung zu Ersetzung. »Mehrdeutigkeit ohne Maske«397 ist Traum dessen, was geschrieben ist; aber es bedarf der Larve, um Deutung zu beginnen. Demaskiert und unbegriffen ist Schrift so unversehrt wie unverstanden:
390 391
392 393 394
395 396 397
Derrida, Schibboleth (wie Kap. 3, Anm. 182), S. 127. Jacques Derrida: Gestade. Übersetzt von Monika Buchgeister, Hans-Walter Schmidt und Friedrich A. Kittler, hg. von Peter Engelmann. Wien: Passagen 1994 (Passagen Philosophie), S. 102. Deleuze, Differenz und Wiederholung (wie Kap. 1, Anm. 161), S. 16. Ebd. Ebd., S. 34; vgl. ebd., passim; vgl. Foucault, Dies ist keine Pfeife (wie Kap. 1, Anm. 82), S. 16; Foucault bemerkt, das Eigentliche sei – eigentlich – verfehlt gedacht, bloß »der Unterschied der Masken« – Michel Foucault: Archäologie des Wissens. Übersetzt von Ulrich Köppen. 7. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 356), S. 190; vgl. Michel Foucault: Botschaften der Macht. Reader Diskurs und Medien. Übersetzt von Peter Gente u. a., hg. von Jan Engelmann. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1999, S. 216 u. passim. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd V, S. 57. Derrida / Kittler, Nietzsche – Politik des Eigennamens (wie Kap. 1, Anm. 48), S. 25. Paul Celan, zit. in Huppert, »Spirituell« (wie Kap. 1, Anm. 106), S. 321; vgl. die scheinbar gegensätzliche Überlegung bei Hamacher, Das Ende der Kunst mit der Maske (wie Kap. 2, Anm. 104), S. 155.
Jacques Derridas Antwort
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Im Maskensturz 398 das fünfsinnige Hier ...
Man muß sogleich in diesen Versen einen fünffachen und darüberhinaus jeden – ein unkalkulierbar Mehr – Sinn als Maske begreifen; bar jeden Schleiers ist allenfalls das Rätsel jenes Nebeneinanders unterschiedlicher Vor- und Entstellungen kraft der Schrift vorgelegt – »zwei Masken statt einer«.399 Fahlstimmig [...]: kein Wort, kein Ding, 400 und beider einziger Name ...
Masken zeigen den Anspruch von Negation und Identität, den »logischen Monstren«,401 gegen welche gegenwärtige Philosophie – »Umkehrung des Platonismus«402 – argumentiert. Was dem Gesetz zu folgen scheint, »steht gegen das Gesetz«403, die Rhetorik der Wiederaufnahme führt mit einem Wort zum Ursprung, der sich freilich unerwartet gestaltet: Die Ursprungslosigkeit ist es, die ursprünglich ist.404
Dahingestellt sei, ob die dichte Verknüpfung in jenen Punkten begründet ist, deren Tod im Zentrum besonders weit reichte, oder die ungewollt scheinende Dynamisierung in einer untauglichen Strategie der Beruhigung, der Wiederholung, »[w]here the mis takes place«,405 liegt.406 Und eben hier setzt – wie angekündigt – Sloterdijk ein, den ich in der Tat als einen begabten Schöpfer von Bildern mehr denn als Philosophen konsultiere;407 sein Bild einer weiteren aus der Bahn geworfenen Geometrie führt zur 398 399 400
401 402 403 404
405
406 407
Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 45), Bd 8, S. 213; vgl. auch (wie Kap. 1, Anm. 11), Bd 6, S. 309. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 303. Ebd., S. 307; »wunder Gewinn / einer Welt« (ebd.) – im Ansingen als einem Zerbrechen des Ansingens in »maskengerecht [...] die Spur und die Spur« (ebd., S. 245). Deleuze, Differenz und Wiederholung (wie Kap. 1, Anm. 161), S. 75. Ebd., S. 87. Ebd., S. 17. Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 312; vgl. Derrida, Die Stimme und das Phänomen (wie Kap. 3, Anm. 40), S. 122; vgl. auch Deleuze, Differenz und Wiederholung (wie Kap. 1, Anm. 161), S. 164 (Anm.). Jacques Derrida: Limited Inc a b c ... Übersetzt von Samuel Weber. In: Limited Inc. Übersetzt von Samuel Weber und Jeffrey Mehlman. Evanston: Northwestern University Press 1988, S. 29–110, hier, S. 40. Vgl. Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 446. Zum episodischen Denken des »metaphorisch hochbegabte[n] Grübler[s]« (Karl Heinz Bohrer: Mythologie, nicht Philosophie. Das Phänomen Sloterdijk. In: Merkur 607 [November 1999], S. 1116–1121, hier S. 1116) ist in der Tat zu sagen, es sei
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Vierter Teil
Idee »resonante[r] Nähe«,408 Sloterdijks Assoziation von Sprache wie Erotik (»Resonanz als Glückskontakt«409) ist dann naheliegend. Von der Metapher, deren »subtile Eskalation«410 zuletzt ihre geordneten Referenzen sprengt, war bereits die Rede.411 In einer Abwendung von Derrida, die sich letztlich als gewollt erweist, da dessen Schatten weiterreicht, als Sloterdijk lieb sein kann, schreibt er – soll man sagen, es seien verschämte Klammern, die ums Mißverständnis gesetzt sind? –: (Im zeitgenössischen Denken war es vor allem Jacques Derrida, der mit Formen eines radikal offenhaltenden Diskurses experimentiert hat [...]. Aber dieses Immer-schonnicht-Ankommen zeigt wiederum nur das Kehrbild des Immer-schon-am-Ziel-Seins 412 der klassischen Metaphysik.)
So präzise Sloterdijk die wechselseitige Auflösung der Opponenten Draußen und Drinnen faßt,413 so unpräzise verfährt er mit jenem Denker, zu dem er fast schon einem Erbschleicher gleich zu stehen scheint ... Die Resonanz aber, die gegen ein Denken als System von »Onto-Immunologien«414 gesetzt ist, führt zu Sloterdijks Weltfremdheit. »Das sonore Cogito und der [...] Versuch, klanglos zu denken«,415 stehen hier gegeneinander; um des Absoluten willen, das nicht von seiner rhetorischen Erzeugung entweiht werden soll, geht das Denken den Weg eines Verlusts von »Sichfinden und [...] Sicherzeugen«,416 da es sich als unerschütterlichen Anfang setzt – doch »ich bin kein fundamentum inconcussum, sondern ein medium percussum«,417 schreibt Sloterdijk. Denken wird somit als Schwingen der Punkte erfaßt, das von der Schrift ausgeht – sie entscheidet über den Gang der Resonanz, die erst die Verbindung, der Sinn des Punktes ist. Ein Textgewebe ist 6’’4D’,4H, wenn es ihm, so könnte man auf die in Schwebe befindliche Frage antworten, gelingt, in überzeugender Weise neue Verbindungen in gemeinsame Schwingung zu verbringen. Das freilich beinhaltet auch, was überm suggestiven
408 409 410 411 412 413 414 415 416 417
»Inszenierung riesiger Gedankenkomplexe« (ebd., S. 1120) nicht um eines Neubeginns, sondern eines Résumés willen, das immerhin bei architektonischer Beliebigkeit (vgl. ebd.) in seinen Formulierungen auch Probleme in den avanciertesten Begriffskonstellationen der Gegenwart andeutet. Insofern ist Bohrers Rede vom »Gerücht, es gehe hier um Philosophie« (ebd., S. 1121), vielleicht doch nicht ganz zutreffend ... Sloterdijk, Sphären (wie Kap. 3, Anm. 732), Bd II, S. 532. Ebd., Bd I (wie Kap. 3, Anm. 536), S. 175. Ebd., Bd II (wie Kap. 3, Anm. 732), S. 593. Vgl. ebd., S. 131 u. 552. Ebd., S. 376. Vgl. etwa ebd., S. 207, 366, 664, 960, 974. Ebd., S. 366. Peter Sloterdijk: Weltfremdheit. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993 (Edition Suhrkamp; 1781), S. 308. Ebd., S. 312. Ebd., S. 313.
Jacques Derridas Antwort
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Bild rasch in Vergessenheit geraten ist, nämlich die Kritik alter Schwingungen durch die bloße Anwesenheit überzeugender(er) neuer. Serres, der darauf hinweist, daß die resultierende Unwahrscheinlichkeit von Identität Unwahrscheinlichkeit bleibt, nicht Unmöglichkeit wird,418 ruft angesichts der Hochkonjunktur philosophisch weitsichtiger Kombinatoriker in Erinnerung, daß es auch philosophisch kurzsichtige Analytiker brauche ...419 Ansonsten bliebe nur mehr die sich ausweitende Interferenz, deren Gewicht in der Sinnstiftung und -destruktion schon dargelegt worden ist. Entgegen Sloterdijk freilich ist längst bekannt, daß, was er als Irrtum sieht, Strategie ist – welche Schrift machte sich nicht vergessen, ist es darüber hinaus nicht ihr Gebot, sich mehrfach sich selbst zu entziehen?420 Die von ihm präsentierte Tradition eines Irrtums ist also in der Tat jene Erfindung mit Tradition.421 Und genau hier ist Schwarzmilch – »Milch aus Mond und Mohn«.422 Sie ist Emblem der Trauer ohne Grund; darüberhinaus Emblem eines Schreibens, das nach einem Punkt (hier bloß einem scheinbaren Absoluten, einem Trabanten unserer selbst; andererseits: »Geniale Mondsüchtige brauchen keinen Mond.«423) schielt, sich berauscht; doch zwischen der Trauer, die ihren Boden schwinden sieht und sich in Schwärze hüllt, und Rausch der Konstruktion, die ihr Irren und ihre Rhetorik verschwimmen sieht, entsteht eine Welt. Die Pole, auf die angespielt wird, sind zu erraten: Radikale Kunst heute heißt soviel wie finstere, von der Grundfarbe schwarz.424
Und da ist die Idee »weißer und stummer Schrift«.425 In der Tat ist derlei nicht umzusetzen, der beiden Formulierungen in grundverschiedenen Ausprägungen wohl innewohnende »Nihilismus [...] sein eigenes Dementi«,426 »ein passageres Phänomen«,427 was Moderne zu ihrem Ende bringen will, doch modernisiert – »brutalisiert«?428 – entläßt. Gesteht man ein, daß jene Radikalität, auf die Adorno weist, in der Kunst kaum zu postulieren ist, treffen einander Schwarz und Weiß ganz folgerichtig auf dem Terrain der grauen Schraffur. Adorno schreibt vom »Grau neuer
418 419 420 421 422 423 424 425 426 427 428
Vgl. Serres, Hermes (Anm. 44), Bd I, S. 9. Vgl., ebd., S. 165 (Anm.). Vgl. Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 109. Vgl. auch Tympanon in Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 13ff. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 78), Bd 1, S. 302. Lec, Alle unfrisierten Gedanken (wie Kap. 3, Anm. 769), S. 36. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 65 (Hervorhebung M. H.). Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 167 (Hervorhebung M. H.). Burger, Überfälle (Anm. 9), S. 159. Ebd., S. 142. Ebd.
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Vierter Teil
Kunst«;429 es geht heute um »eine »grauere« Sprache«,430 um »Graugrätiges hinter / dem Leuchtschopf / Bedeutung«,431 wie Celans Formel der Konterminierung (und Kontaminierung) des Sakralen durch seine brachial-phallische Resonanz lautet. Lyrik als »dying words«432 zu definieren ist also verfehlt, wiewohl man konzedieren kann, sie sei der Ort, wo die Worte noch nicht tot sind ... Es ist eine Welt, die der Eule gehört.433 429 430 431
432 433
Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 204. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 167. Ebd., Bd 2 (wie Kap. 1, Anm. 174), S. 297; nicht uninteressant ist das nach »Schwimmhäute zwischen den Worten« (ebd.) entfallende Synonym (?) »Mohnblätter« – Celan, Werke (wie Kap. 3, Anm. 278), Bd 9·2, S. 185. Simon Critchley: Very Little ... Almost Nothing. Death, Philosophy, Literature. London, New York: Routledge 1997 (Warwick Studies in European Philosophy), S. 154. Ein reiches Feld – vgl. Hegel, Werke in 20 Bänden (Anm. 62), Bd 7, S. 28; »Schwermüthig scheu, solang du rückwärts schaust, / Der Zukunft trauend, wo du selbst dir traust: Oh Vogel, rechn’ ich dich den Adlern zu? / Bist du Minerva’s Liebling U-hu-hu?« – Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd III, S. 365; vgl. auch Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 203 und hierzu Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 379; vgl. weiters Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 123), Bd 4, S. 96; interessant ist Blochs Rehabilitationsversuch des Vogels – dies beginnt in der Glosse Fragen: »Nichts wirkt als Antwort, was nicht vorher gefragt gewesen ist. Daher bleibt soviel Helles ungesehen, als wäre es nicht da.« (Ernst Bloch: Werkausgabe, Bd 8: Subjekt – Objekt. Erläuterungen zu Hegel. Erweiterte Ausgabe. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1985 [Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 557], S. 17) Von diesem »dunklem Gefühl« (ebd.) gelangt Bloch zum Bilde des Traums: »Das Tier kennt nirgends dergleichen; nur der Mensch, obwohl er ungleich wacher ist, wallt utopisch auf. Sein Dasein ist gleichsam weniger dicht [...]. Das menschliche Dasein hat [...] gärendes Sein, [...] Dämmerndes an seinem oberen Rand und Saum.« (ebd., Bd 5·1, S. 225) Konsequenz dessen, was auch der Kunst als Traum eignet, ist, daß hier eine Sphäre der »Nicht-Illusion« (ebd., S. 248) etabliert wird. Dieses »Utopische ist das Paradox in der ästhetischen Immanenz, das ihr selber am gründlichsten immanente« (ebd., S. 255). In Kunstwerken »geht [...] die dauernde Implikation des Plus ultra um« (ebd., S. 143). Allgemeinere Formel dieser ästhetischen Vernunft ist: »Denken heißt Überschreiten.« (Ebd., S. 2) Und die Eule wird somit »die feurige Eule« (ebd., Bd 5·2, S. 548), ist »schon in der Nachtigall und umgekehrt« (ebd., Bd 8, S. 20; vgl. auch ebd., S. 246f.) ... Zugleich ist also der Entzug des feurigen Auges Gelesenen, auch falsch Gelesenen und in der Schrift erst im Lesen Aktualisierten zu bedenken, woraus sich ergibt: »Das Nachttier Eule als Symbol der »Wahrheit« flüchtet als Spur in die Spur« (Bernhard Paha: Die »Spur« im Werk Paul Celans. Eine »wiederholte« Lesung Jacques Derridas. Giessen: Kletsmeier 1997 [Wissenschaftsskripten; 1: Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft; 4], S. 111) – man kreist bei / mit diesem Vogel ... »Wir sind Störer. Wir sind [...] die Rotte der Eulen. Die sich [...] zurückziehen und des Nachts schreien.« – Serres, Hermes (Anm. 36), Bd II, S. 328f.; vgl. schließlich Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 439.
Jacques Derridas Antwort
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Aufs Moment des Erhabenen der Trauer und eine Bemerkung eher des Dichters als des Interpreten Waterhouse kann nur en passant verwiesen werden. Er nimmt in seiner Lektüre schließlich den Weg über Celans Mandorla. Leere Mandel, königsblau.434
So schließt er mit dem Verweis auf »blaue Milch«.435 Vom Grau in Grau ist zu einer interessanten Genetivmetapher der Rose Ausländer zu kommen, die mit dem Sirren von Augenblick und Sinn zu tun hat, was sich klärt, wenn Celan vorweg zitiert wird: Wenn der Eisvogel taucht, 436 sirrt die Sekunde.
Nach einem Darlegen des Zerfalls von die Sekunde in sich und diese Kunde und dem Verweis darauf, daß der Augenblick der Sekunde noch sich dem Schnitt verdanke, schreibt Hamacher: Die Sekunde – diese Kunde: es ist die Zeit als schneidende, die sich in der Inversion der Bilderwelt bekundet, aber diese Kunde vollzieht die Inversion nur so, daß die Sekunde selbst – das zeitliche Atom – ihrem eigenen Teilungsprinzip unterworfen 437 und die Einheit ihrer Bekundung zerspalten ist.
Durch eine verweigerte oder offene Syntax438 versucht auch Rose Ausländer, ihr Wort in die Schwebe zu bringen, wenngleich sie zu solcher Dichte kaum findet, wie sie hier realisiert ist. Man könnte als Beispiel die Verse »Besuch / zwischen Tür und Angel / bleibt das Wort«439 nennen – das Wort wird in der Tat in die im Vers verheißene Schwebe eines Nicht-Ortes versetzt, Poetik und Poesie verschmelzen. Was Celan überaus präzise in der Paronomasie440 verbindet, findet sich – zugegebenermaßen weniger subtil – bei Rose Ausländer auch in der Genetivmetapher »Augenblicksmoloch«:441 »Was du schreibst verschluckt der / Au434
435
436 437 438 439 440
441
Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 244; hier sei auch die noch mögliche Sexualität der »Mandelhode« (vgl., (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 311), die »gewittert / und blüht« (ebd.), erwähnt. Peter Waterhouse: Im Genesis-Gelände. Versuch über einige Gedichte von Paul Celan und Andrea Zanzotto. Basel, Weil am Rhein, Wien: Urs Engeler Editor 1998, S. 74. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 147. Hamacher, Die Sekunde der Inversion (wie Kap. 2, Anm. 84), S. 98. Vgl. Köhl, Die Bedeutung der Sprache in der Lyrik Rose Ausländers (wie Kap. 1, Anm. 87), S. 211. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 123), Bd 4, S. 33. Vgl. hierzu Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 338; allgemeiner bei Hamacher, Die Sekunde der Inversion (wie Kap. 2, Anm. 104), S. 96 u. 121f. (Anm.). Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 200), Bd 5, S. 139.
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Vierter Teil
genblicksmoloch / er reißt dir / die Sätze vom Finger«,442 so schreibt die Dichterin in einem längeren Gedicht, dessen Titel Pakt auf einen »Pakt mit Mephisto«443 verweist. Zweierlei ist auch von diesem Augenblicksmoloch zu sagen, er entreißt dem Schreibenden den Prozeß des Schreibens und ist damit einerseits Zerstörer, andererseits aber Herausforderung der flüchtigen Form an den – so scheint es – ewigen Gedanken oder Sinn.444 Es wäre lohnend, hier allgemeiner darauf einzugehen, daß die Essenz eines Kunstwerks einer Präsenz nachhängt, beider Absenz in der Existenz des Kunstwerks zugleich ist – unbeschadetes Bestehen einer Essenz wäre insofern Zeichen eines Defizits, was allgemein bei Adorno formuliert ist,445 für die wechselseitige Osmose von Kunst und Welt als Bedingung der ästhetischen Provokation Groys skizziert hat446 und schließlich bei Strasser im scheinbar schlichten Satz kulminiert: Der Sinn ist eine Kategorie des Mangels.447
Bei Rose Ausländer findet sich, um den roten Faden wieder aufzunehmen, also die interessante Metaphernbildung zur Frage von Zeit und Augenblick, dessen Stillstand zugleich der Fixierung der Begriffe zu entsprechen und alle Ordnung durch Singularität zu desavouieren scheint. Der Augenblicksmoloch ist die Drohung des Moments, der – nicht in Kontinuität oder Sinn eingebunden – doch in die Vernunft ragt, gerade so weit, daß er sie ohne greifbar zu werden dennoch ritzt. Die Kategorie des Augenblicks ist Ausdruck einer Einmaligkeit, die nur als theoretischer Verdacht ins Denken dringt, das nur den Sinn, also das NichtSinguläre gewinnt. Der Moment bleibt eine Irritation; Nietzsche sieht in ihm die Herausforderung par excellence an die Vernunft, die ihrer eigenen Gründlichkeit448 sich noch einmal entzieht; er hat das Bild der Siegesgöttin auf der Schwelle des Augenblicks gestaltet: Wer sich nicht auf der Schwelle des Augenblicks, alle Vergangenheit vergessend, niederlassen kann, wer nicht auf einem Punkte wie eine Siegesgöttin ohne Schwindel und Furcht zu stehen vermag, der wird nie wissen, was Glück ist und noch 449 schlimmer: er wird nie etwas thun, was Andere glücklich macht.
442 443 444 445 446
447 448 449
Ebd. Ebd. »Augenblick [...] einer Ewigkeit von Sinn ausgesetzt« – Nancy, Das Vergessen der Philosophie (Anm. 156), S. 24. Vgl. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), passim, vor allem S. 182ff. »Das Kunstwerk oder die Theorie müssen also die Spannung zwischen höchstem kulturellem Wert und profanstem Objekt, dem dieser Wert zugemessen wird, erzeugen, um in die kulturellen Archive aufgenommen zu werden.« – Groys, Über das Neue (wie Kap. 3, Anm. 629), S. 92; vgl. ebd., S. 92f. u. passim. Strasser, Journal der letzten Dinge (wie Kap. 2, Anm. 90) , S. 137. »Man geht zu Grunde, wenn man immer zu den Gründen geht.« – Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd XIII, S. 10. Ebd., Bd I, S. 250.
Jacques Derridas Antwort
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Nun ist nicht allein der kühle, starre – an Sacher-Masochs unerbittlich strenge Herrin aus Marmor erinnernde – Moment zu denken, der, wie sich zeigt, ein Sog im Denken ist.450 Der Augenblicksmoloch hat eine zweite Schicht, eine Drohung, die ihn vom Faszinosum zur Monstrosität macht. Diese Drohung ist die Verlockung,451 den Augenblick doch zu greifen, den Wunsch erfüllt zu sehen. Was bliebe, wenn nicht Auflösung? Die subtilere und größere Drohung ist, daß die Sinnlosigkeit des Jetzt in die Verzweigungen dringen könnte, die sich (noch eben) sinnvoll um es schmiegten.452 Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hin453 ein.
Die Identität von Denken und Datum, womit sogleich jede Faser des Denkens infiziert sein müßte, bedeutete den Tod, das Unerfahrbare schlechthin bräche herein ... Die Leiche ist eine verschlossene, eine negative Synthesis zwischen Identität und Differenz, [...] etwas und nichts. [...] Die Verhüllung offenbart sich durch die Augen. [...] Und zu den ersten Handlungen, die am gestorbenen Menschen verrichtet werden, 454 zählt, daß ihm die Augen zugedrückt werden.
Auf die assoziativ naheliegende Frage zu Tod, Text und Datum, ob der Selbstmörder jene Identität, vor der der Suizid Flucht sein soll, endgültig affirmiert, oder dieses Band der Interpretation der Selbstmorde etwa Celans und Szondis zu eng geknüpft und in seiner Ambition verfehlt ist, kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden.455 Einzugehen ist in aller Kürze dagegen auf die hier 450
451 452 453 454
455
Vgl. Leopold von Sacher-Masoch: Venus im Pelz. Mit einer Studie über den Masochismus von Gilles Deleuze. Frankfurt a. M.: Insel 1980 (Insel Taschenbuch; 469), S. 9ff. u. passim, vor allem S. 19f., 22f. u. 40. Vgl. zum Vertrag mit dem Schönen wiederum auch Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 114. Man könnte hier (Die Drohung ist die Verlockung.) abbrechen – vgl. Pries, Einleitung (wie Kap. 3, Anm. 103), S. 12. Vgl. zur unendlichen Wirksamkeit dieses Ritzers auch vgl. Frank, Das Sagbare und das Unsagbare (wie Kap. 2, Anm. 261) , S. 431. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd V, S. 98. Thomas Macho: Wir erfahren Tote, keinen Tod. In: Der Tod. Ein Lesebuch von den letzten Dingen. Hg. von Rainer Beck. München: Beck 1995 (Beck’sche Reihe; 1125), S. 293–298, hier S. 298; dieser Text entstammt Machos Studie zur Logik der Grenzerfahrung, Todesmetaphern, auf die hiermit verwiesen sei; vgl. auch Sloterdijk, Sphären (wie Kap. 3, Anm. 536), Bd I, S. 48f.; die Gesten, die den Tod mittels Ästhetisierung verhüllen sollen, inszenieren ihn ...– vgl. Bronfen, Nur über ihre Leiche (wie Kap. 3, Anm. 904), S. 132 u. 463. Vgl. zum Problem Derrida, Schibboleth (wie Kap. 3, Anm. 182), S. 40; Derrida, Die Tode von Roland Barthes (Anm. 129), S.7ff.; Pöggeler, Lyrik als Sprache unserer Zeit? (wie Kap. 2, Anm. 30), S.44; Hans Jürgen Scheuer: Parallel = Stellung. Paul Celan – Peter Szondi. In: Am Ende der Literaturtheorie? Neun Beiträge zur Einführung und Diskussion. Hg. von Torsten Hitz und Angela Stock. Münster: Lit Verlag 1995 (Zeit und Text; 8), S. 1–15, hier S. 1ff.; Mandelstam, Im Luftgrab
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Vierter Teil
fallenden Worte »ich werde [...] meine Daten nicht preisgeben«456 – aufs Schweigen, das nicht etwa Folge der Freundschaft ist: Die Freundschaft wahrt nicht das Schweigen, sie wird durch das Schweigen be457 wahrt.
Nicht das Schweigen, das dem Sprechen opponierte, sondern jenes, das der Rede innewohnt, ist gemeint, ein Schweigen, um das zu wissen ist, ein Schweigen im Eigennamen (»bedeutet [...], einen eigennamen kennen, jemanden kennen?«458), der es in seiner Selbstgenügsamkeit scheinbar tilgt, doch in Wahrheit affirmiert. Es gibt keinen Freund, er ist nicht zuhanden – »er trägt keinen Eigennamen«.459 Er führt durchs »Siegel des Testaments« – »Ur-Freundschaft«460 – ins Herz der Zeugenschaft und jenseits des Kalküls.461 Zum Selbstmord sei immerhin Nietzsches bitterer Satz nachgereicht, wonach, wer sich das Leben nimmt, »die achtungswürdigste Sache, die es giebt [thut]: man verdient beinahe damit, zu leben ...«462 »Keinmaligkeit«463 aber zeugt nicht nur von strenger oder hintersinniger Drohung, etwas anderes, das dem Wort vom Augenblicksmoloch gleichfalls eignet, ist hier zu notieren. Je nach Lektüre ist der Augenblick ja als Genetivus subiectivus oder Genetivus obiectivus zu verstehen – ein Moloch, der er ist, ein Moloch, der ihm droht, solcher Zweideutigkeit ist das Determinatum dieses Kompositums. Der Zeit-Punkt als Anvertrautes ist so fragil464 wie jener Zeit-Punkt reiner Immanenz aggressiv.465 Es gilt – zu wessen Ungunsten auch immer:
456 457 458 459 460 461
462 463
464
465
(wie Kap. 3, Anm. 774), S. 33; Bonnefoy, Die rote Wolke (wie Kap. 3, Anm. 77), S. 256. Derrida, Schibboleth (wie Kap. 3, Anm. 182), S. 40. Derrida, Politik der Freundschaft (wie Kap. 3, Anm. 875), S.85. Derrida, Meine Chancen (Anm. 378), fol. 1 v. Derrida, Politik der Freundschaft (wie Kap. 3, Anm. 875), S. 416; es »bleibt eine bestimmte Singularität unabdingbar« – ebd.; vgl. auch ebd., S. 315. Ebd., S. 50. Vgl. ebd., S. 33, 39, 42, 50, 384f., 416, 454 u. passim; Derridas Überlegungen münden in die »Wahrheit des vielleicht« (ebd., S. 76), die im Glauben an die Gabe gedeiht. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd VI, S. 135. »Solitär / aus verdichteter Keinmaligkeit.« – Günter Kunert: Gedichte. Hg. von Franz Josef Görtz. Stuttgart: Reclam 1987 (Universal-Bibliothek; 8380), S. 28; vgl. zu einer Wissenschaft des Singulären auch Timothy Clark: Derrida, Heidegger, Blanchot. Sources of Derrida’s notion and practice of literature. Cambridge: Cambridge University Press 1992, S. 150ff. »Die Bedeutung ist [...] der Dämon eines Augenblicks.« – Gabriele Hirsch: Pierre Klossowski: Erotik und Dekonstruktion. (Diss.) Wien 1992, S. 138; vgl. ebd., S. 74 (Anm.). Vgl. Strasser, Journal der letzten Dinge (wie Kap. 2, Anm. 90), S. 49; an die AutoAggression dieses Ortes ist gleichfalls zu erinnern – vgl. ebd.
Jacques Derridas Antwort
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Im Augenblick waltet eine Dauer, die das Auge verschließt.466
Diese Dauer, die aus der Maßgabe fällt – »Unendlichkeit / der Sekunde«467 –, weist aufs Datum, »auf den Verlust des ursprünglichen philein«:468 469
Der Augenblick [...] ist ein Schnitt durch die Zeit, der nicht blutet. 470
There is something secret.
Auch solcherart macht Derrida beredt, was ein Schweigen, das sein soll (»Let us say that there is a secret here.«471), zu sagen hat. Es ist sein Geheimnis plaziert, wo Derrida Asche setzte, der Ort aber typographisch quasi entsetzt – ein Datum, das seiner, indem es sein Geheimnis (»there« is a secret) wird, nicht inne sein kann. Es ist der Ort des Lebens in der Struktur, die es ermöglicht, der es aber nicht gemäß antwortet: The secret never allows itself to be captured or covered over by the relation [...], by 472 being-with ...
»Das wird beispiellos geblieben sein«,473 so schreibt Derrida (konsequenterweise) nicht einmal. In der Poesie, so lehrt dieser unabsehbare Zerfallsprozeß einer festen Größe, entsteht ein Geräusch. Es nennt sich und wir nennen es in diesem Fall ja ganz be474 sonders das Hören des Genetivs; double-bounden, wie es sich gehört.
Zu berücksichtigen ist, daß dieser Genetiv gehört wird – und hört, was er dem Denken anvertraut, so getreulich man dies zu tun vermag. So ist auch der Drohung gewahr zu werden, daß das Einmalige des Augenblicks nicht mehr als unklare Assoziation im Nebel auftaucht, wenn das Datum angesprochen wird. Die Auflösung des Moments durch die ihn umlagernden Strukturen ist so reale Bedrohung an ihn wie seine an das Denken. Die zweifache Drohung des janusköpfig erscheinenden Augenblickmolochs, der doch aus einem e i n z i g e n Wesenszug beide Effekte gegen die Vernunft 466 467 468 469 470
471 472 473 474
Derrida, Die Stimme und das Phänomen (wie Kap. 3, Anm. 40), S. 120; vgl. Friedrich A. Kittler: Aufschreibesysteme 1800/1900. 2. Aufl., München: Fink 1987, S. 171. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 4), Bd 7, S. 140. Derrida, Politik der Freundschaft (wie Kap. 3, Anm. 875), S. 454. Lévinas, Die Spur des Anderen (wie Kap. 3, Anm. 816), S. 227. Jacques Derrida: Passions: »An Oblique Offering«. Übersetzt von David Wood. In: Derrida. A Critical Reader. Hg. von David Wood. Oxford, Cambridge: Blackwell Publishers 1992, S. 5–35, hier S. 20. Ebd. Ebd., S. 24; vgl. ebd. u. passim. Derrida, Die Wahrheit in der Malerei (wie Kap. 3, Anm. 187), S. 221 u. 223. Pastior, Das Hören des Genitivs (wie Kap. 3, Anm. 549), S. 129; »Genitivmetapher = Nein, ein unter Herzensnot Zueinander-Geboren-Werden der Worte« – Celan, Der Meridian (wie Kap. 2, Anm. 257), S. 158 (dort mit Hervorhebung).
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sowie sein Gedachtwerden, also sich selbst zu entfalten droht, führt zu einer Suspendierung der Effekte, die gleichermaßen am Eintreten sind. Es ist die Schrift, die dieses Monster – selbstreferentiell – benennt. Sie ist Gewebe von Einzigkeit und Verstehbarkeit. Sie ist sich Bedrohung wie Rettung – und dem, der sich ihrer bedienend ihr verschreibt, jenes Geflecht, das, wo es den Tod verspricht, auch Unsterblichkeit gibt, dort aber, wo es Unsterblichkeit sagt, auch Tod meint: Duft von Lilien oder Leichen?475
Es bleibt hierzu – zum Umstand, daß »ein permanenter Verlust an Präsenz, an Wahrnehmung des Augenblicks als eines schon immer sich Auflösenden«476 besteht, daß sich zuletzt die poetische Melancholie darum verdoppelt477 – viel zu sagen. Allerdings sei, um eine aufgesetzte Dramatik zu meiden, darauf verwiesen, daß all die Gesten von Drohung und Melancholie letztlich auf Dauer durch die Schrift suspendiert zu denken sind, als Potentiale sekundärer Effekte gewissermaßen virulent sind, doch virtuell bleiben. Man ist am Jenseits des Punktes, dort, wo sich nichts mehr in einer Einheit bündeln läßt oder gar in eine solche zusammenströmt, dort, wo »ein undefinierbares Unbehagen«478 in seine Rechte gesetzt ist.479 Ohne ein Wort zu Rose Ausländers Pakt gesagt zu haben, dessen Metapher ich einigen Überlegungen eher voranstellte, glaube ich, seine Lektüre müßte sich geändert haben. Kurz sei indessen darauf eingegangen, daß sich im Material selbst jene Verdoppelung zeigt, welche behauptet ward.
475 476
477 478 479 480
Pakt
Schreib
Pakt mit Mephisto er gibt dich den Hexen preis die tanzen dich ins blendende Nichts Was du schreibst verschluckt der Augenblicksmoloch
Pakt mit dem klugen Spötter er gibt dich den Hexen preis sie tanzen dich ins blendende Nichts Was du schreibst verschluckt der Augenblicksmoloch
Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 78), Bd 1, S. 267. Karl Heinz Bohrer: Die Negativität des Poetischen und das Positive der Institution. In: Merkur 598 (Januar 1999), S. 1–14, hier S. 2; unter Bohrers Referenzen findet sich Adornos Ästhetische Theorie wie die Dekonstruktion – vgl. ebd., passim; vgl. auch Burghart Schmidt: BILD IM AB-WESEN. Zu einer Kunsttheorie des Nahezu-Negativen im schwierigen Schein des »Bilderverbots«. Wien: Edition Splitter, 2. Aufl., 1998, S. 98. Vgl. Bohrer, Die Negativität des Poetischen und das Positive der Institution (Anm. 476), S. 14. Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 145. Darum ist bei Derrida in einer Zurückweisung vom »absoluten Anderssein der Augenblicke« (ebd., S. 140) die Rede ... Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 200), Bd 5, S. 139.
Jacques Derridas Antwort er reißt dir die Sätze vom Finger Deine Feder sträubt sich beim Schreiben der heiligen Namen sie wollen ruhn in ihren Atomen In Atem gehalten von Metamorphosen Engel haben nicht Zeit deine Fragen zu beantworten Am Himmel stehn unverständliche [ Zeichen vielleicht auch deine Handschrift der Text von wem diktiert Schreib es bleibt dir nichts übrig schenk deinen Atem 480 dem Echo
267 er reißt dir die Sätze vom Finger Deine Feder sträubt sich beim Schreiben der heiligen Namen sie wollen ruhen in ihren Atomen In Atem gehalten von Metamorphosen die Toten haben nicht Zeit deine Fragen zu beantworten Am Himmel stehn unverständliche [ Zeichen vielleicht auch deine Handschrift der Text diktiert von wem Schreib es bleibt dir 481 nichts übrig
Die beiden Gedichte sind, wie unschwer zu erkennen ist, Abwandlungen eines ersten Entwurfs, der fast unüberblickbar gewandelt zunächst die Titel Schreib und Schreiben trug. Entwicklungen wie diese treten, wenngleich nicht allzu häufig, bei Rose Ausländer doch zuweilen auf. Leider erschwert die fehlende Datierung das Feststellen gewisser Entwicklungen, man muß auf ein Stemma also verzichten. So ist festzustellen, daß mit dem klugen Spötter durch Mephisto in einem Typoskript handschriftlich ersetzt wird, das Ersetzte aber parallel erhalten bleibt. Eine Tendenz, Raffung zu versuchen, zugleich Resignatives, das dann doch gerade durch die Kürzungen wiederkehrt, zu bannen, zeigt sich einigermaßen deutlich. Insofern geschieht, was das Gedicht thematisiert, in den Stufen des Gedichts, seine eigene Tröstlichkeit schreibt es sich fort, wofür die Bedrohung des Augenblicks als Moloch noch zu kreatürlich beschrieben erscheint – in einer Variante wird das Kompositum mit einem Fragezeichen versehen. Zugleich schwindet, was zu abstrakter Ausdruck ist. Die Zeile Dein bestürzend blühend-welkes Dasein eines Typoskripts wird schon darin durchgestrichen, ist in einem weiteren Typoskript mitsamt dem ursprünglichen Anfang offenbar abgerissen worden und bleibt schließlich ersatzlos getilgt. Die Verknappung, der Rose Ausländer zuletzt den Vorzug gibt, beginnt sozusagen rein thematisch damit, daß die Elemente, die dem Leser verschlungen werden, sich verkleinern – in einer Version sind es noch Sätze, die fortgerissen werden; zugleich taucht in diesem Typoskript der Ausdruck Verzichtworte auf. Auch entfällt hier ein Vers: Deine Feder sträubt sich beim Niederschreiben der heiligen Namen die ruhen / wollen in ihren Atomen von Tinte / nicht angeschwärzt 481
Ebd., Bd 8 (wie Kap. 1, Anm. 45), S. 195.
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Drastisch ist der Wechsel von »Engel haben nicht Zeit«482 zu die »die Toten haben nicht Zeit«,483 der in den Endfassungen erhalten zu finden ist. Hier könnte man freilich sagen, daß es die Eigenart von Schrift ist, das, was in sich zu ruhen bestimmt gewesen sein mag, eben so erst darstellen zu können – in einem Wirbel von Metamorphosen. Ob man vom Tod zu sprechen habe, ist fraglich, wie eine theologische Überlegung Lyotards nahelegt: Die Thora ist nicht die Stimme, vielmehr ihr in Verwahrung gegebener (déposée) 484 Buchstabe. Die Sprache des Anderen ist, statt tot, fremd.
Als Entschluß zu einem lakonischen Grundton ist auch folgender Wandel wohl zu lesen: Am Himmel stehn unverständliche Zeichen vielleicht auch deine Handschrift (wer weiß) von welchem Wesen diktiert der Text
→ wem
Auch entfällt, was als tröstliche Wendung in zwei Varianten der fünften Gedichtfassung von Schreib (Typoskript; Handschriftliches kursiv) beigefügt ist: * Schreib es bleibt dir nichts übrig verschreib deinen Atem dem Echo Rose Ausländer I
II
Ich schreibe mich ins Nichts Es wird mich ewig aufbewahren
(hinein)
Ich schreibe mich ins All Es wird mich ewig [neu] gebären
Was bleibt, ist bekannt – jene Wendung, die Geschick und Vergeblichkeit des Lyrikers zugleich in Worte faßt: Schreib es bleibt dir 485 nichts übrig (Ab)Schließen als solches ist zu einem Vorurteil geworden, zu einer Gefahr: siehe 486 Adorno. 482 483 484 485 486
Ebd., Bd 5 (wie Kap. 2, Anm. 200), S. 139. Ebd., Bd 8 (wie Kap. 1, Anm. 45), S. 195. Lyotard / Gruber, Ein Bindestrich (Anm. 69), S. 48. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 45), Bd 8, S. 195. Lyotard / Gruber, Ein Bindestrich (Anm. 69), S. 99.
Jacques Derridas Antwort
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In »der subatomaren Nadelspitze des Augenblicks«487 ist angedeutet, was so nicht zum Problem werden kann, aber immer schon Problem ist – die Leere der Koordinatensysteme, ohne die freilich die Inspiration in eine Blindheit strömte.488 Genau hierauf weist ein Gedicht der Dichterin, das mehr denn Fortschreibung des Topos der Musenanrufung ist, diese selbst skizziert: Erbarme dich Herr meiner Leere Schenk mir das Wort das eine Welt 489 erschafft,
so lautet das Gedicht, das bar eines Titels ist, da es bar dessen zu sein vorgeben muß, worum es bittet.490 In den Zeilen dieses späten Gedichts – es entstammt dem Zyklus Ich zähl die Sterne meiner Worte von 1985, wurde aber in der Zeit schon 1983 abgedruckt491 – fällt nicht wenig zusammen. Das Gebet ist aus der Leere in die Leere gesprochen. Es ist der Beginn jenes Spiels, das allein durch ein beachtliches Defizit an Regeln zu definieren wäre.492 Das ideale Spiel, von dem die Rede ist, vermag kein Mensch und kein Gott zu 493 spielen.
487
488 489 490 491 492 493
Serres, Hermes (Anm. 36), Bd II, S. 198; hier ist nicht, womit Serres’, wie schon der Titel des Bandes sagt, spielt: Interferenz; nur am Rande sei vermerkt, daß solche Formulierungen sich wenigstens in der Nähe dessen, was jüngst als eleganter Unsinn gebrandmarkt wurde, befinden, wobei freilich aufs Problem philosophischer Metaphernbildung zu verweisen ist – vgl. auch Christian Delacampagne: 1968–1983: Fünfzehn Jahre französische Philosophie. Übersetzt von Birgit Wagner. In: Philosophien. Hg. von Peter Engelmann. Graz, Wien: Böhlau 1985 (Edition Passagen; 6), S. 9–24, hier S. 15f.; »Typische Karriere: als Metapher anfangen und in einer DIN-Definition enden.« – Sommer, Sammeln (wie Kap. 3, Anm. 198), S. 419; vor anderen hat Frank dafür plädiert, aus Respekt vor Derrida und seinem Poststrukturalismus Distanz zu »jenen wirrsinnigen Gegenaufklärern in (vorgeblich) Foucaults Fußstapfen und vor allem von den intellektuellen Kalibanen des ›AntiÖdipus‹« (Frank, Das Sagbare und das Unsagbare [wie Kap. 2, Anm. 261], S. 34 [Anm.]; vgl. ebd., S. 15) einzunehmen, wobei ich gewiß Franks Respekt für Derrida teile, aber nicht sicher bin, ob seine Grenzlinie gut gezogen ist; immerhin wird Deleuze von Frank an anderer Stelle durchaus konsultiert (vgl. etwa ebd., S. 562) ... Vgl. Kant, Werkausgabe in 12 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 18), Bd III, S. 98, B 75 / A 51. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 4), Bd 7, S. 70. »Ich sehe / diese Blindheit / mit nackten Augen« – ebd., S. 71. Vgl. ebd., S. 401 u. Bd 8 (wie Kap. 1, Anm. 45), S. 282f. Vgl. Deleuze, Logik des Sinns (Anm. 341), S. 83ff. Ebd., S. 85.
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Es wäre jenes Spiel kunstvoll, indem es wäre, was das Kunstvolle und seine Regeln folgen läßt, deren Reiz im zufälligen Zusammenfall zweier bestimmter Vorgänge besteht.494 Es wäre jenes Spiel, »wodurch das Denken und die Kunst wirkliche sind und die Wirklichkeit [...] der Welt stören«,495 »das Unbewußte des reinen Denkens«,496 wie Deleuze an anderer Stelle schreibt ... Darum ist es aus der Leere und in der Tat i n die Leere geschrieben, was angesichts des Adressaten ja verwunderte. Erbarme dich / Herr / meiner Leere, so heißt es. Was ist, wenn es hierzu – kraft des Worts – kommt? Die Position der Empfänger (der Heiligen, der Leser, der Dichter) wird immer dann kritisch, wenn sich ihr schriftbasiertes eigenes Imaginäres als Nachricht von außen einstellt: Plötzlich sucht sie ein Geist oder Dämon oder eine Stimme heim, auf die sie im stillen immer schon gehört haben. Dennoch ist es ein Schrecken, wenn die Paranoia die undenkbaren Versprechungen oder Befehle der Bücher erfüllt. Das ist der Augenblick des Wahns, doch bringen solche paranoischen Zustände keine Heiligen 497 ins Irrenhaus, solange ihr Besessensein [...] im Text der Kultur vorgesehen ist.
Zweifelsohne läßt sich der Schrecken des penetranten Außen beruhigen, indem all seine Formen als Phantasmen des Ich vorgestellt werden – »alles, was Gott schickt, sind Träume«.498 Und doch stehen wir vor der Schrift, deren »Doppelcharakte[r]«499 zweierlei Formen des Schreckens nach sich zieht. Ihr erster Zug ist jener zur Unnahbarkeit, die den Interpreten in die Rolle eines schmachtend sich verzehrenden Werbers drängt. Es ist jener Zug der devastierenden Majestät der Schönheit, der sich schließlich bei Rilke findet: Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, 500 uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.
Ein »introvertierte[r] Gedankenarchitekt«,501 versucht der Lesende nach Adorno sich infolgedessen an einem behutsameren Denken, insistiert auf »Undurchsichtigkeit [...] [der] Gegenstände«502 des Denkens. Entsprechend wichtig 494 495 496 497 498 499 500 501 502
Zum Zufall, zur Unendlichkeit und unendlichen Teilbarkeit der Zeit – vgl. ebd., S. 86ff. Ebd., S. 85. Ebd. Schneider, Liebe und Betrug (wie Kap. 3, Anm. 641), S. 292. Ebd., S. 293. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 171. Rilke, Die Gedichte (wie Kap. 3, Anm. 743), S. 629. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 15. Eagleton, Ästhetik (wie Kap. 2, Anm. 235), S. 351; Eagleton fragt: »Muß der Geist seinen Gegenstand nicht gerade dann verraten, wenn er ihn besitzt?« (ebd.) – dieses
Jacques Derridas Antwort
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ist das Erhabene, das in Adornos Ästhetik zu einem Zentralbegriff avanciert,503 in diesem Zusammenhang: Es fügt sich nicht in die Ordnung der Begriffe, entfacht ein Gef(l)echt der Logiken, das modern zu nennen ebenso wie die Attribuierung postmodern Unbehagen bereitet. Es verbleibt in einem Status der Desintegration und Verweigerung – ein »negative[s] Vergnügen [...] eines drohenden Schmerzes«.504 Im Ethos einer Bereitschaft, sich dem Schrecken auszusetzen, das Andere nicht mit Wachs in den Ohren zu depotenzieren, schwingt freilich ein moralischer Anspruch mit: Jeder Engel ist schrecklich. Und dennoch, weh mir, 505 ansing ich euch, fast tödliche Vögel der Seele –
Lyotard schreibt über das Gutes und Schönes einende Opfer: Ästhetisch. Steck das Schöne in Brand, damit dir aus seiner Asche das Zeichen des Guten 506 zuteil wird. [...] Das erhabene Interesse beschwört ein solches Sakrileg herauf.
Der »erhabenen Deregulierung«507 eignet, in einer Asymmetrie von Einsatz und »Lust am Schönen«508 doch das Opfer zu fordern. Vor den Begriffen etwa ist die Kunst verrückt nach Formen und verrückt vor Formen – und in der Entsagung der Überführung in Identität und auch Präsenz ist die »negative Darstellung [...] das Zeichen der Präsenz des Absoluten, und sie ist oder gibt das Zeichen nur dadurch, daß sie den Formen des Darstellbaren entzogen ist«.509 Die Tragik der sich so gestaltenden Lage ist freilich nicht so sehr, wie Welsch schreibt, die verschwiegene Todesdrohung in einer Ästhetik, die in Wahrheit genau diese im Auge hat, dennoch in der Aufgabe einer blinden und verstümmelnden Denkweise à la Prokrustes das Gelesene als fremd wahrzunehmen sucht.510 Adorno geht nicht bona fide ins Unheil verachteter Rationalität, sondern kultiviert diese im Bemühen, vernünftig von den Eingriffen des Denkens ins Interpretierte, den unendlichen Ellipsen Zeugnis abzulegen. Die
503 504 505 506
507 508 509 510
Problem dürfte sich in dieser Form erst gar nicht ergeben, so man nicht hinter Kant zurückfällt, der festhält, was bis heute schwerlich zu bestreiten ist: Das »transzendentale Objekt [...] bleibt uns unbekannt« (Kant, Werkausgabe in 12 Bänden [wie Kap. 1, Anm. 18], Bd III, S. 90, A 46, B 63). Vgl. Aguado Peña / María Isabel: Ästhetik des Erhabenen. Burke, Kant, Adorno, Lyotard. Wien: Passagen 1994 (Passagen Philosophie), S. 85. Lyotard, Philosophie und Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens (wie Kap. 3, Anm. 321), S. 16. Rilke, Die Gedichte (wie Kap. 3, Anm. 743), S. 633. Jean-François Lyotard: Die Analytik des Erhabenen. Kant-Lektionen, Kritik der Urteilskraft §§ 23–29. Übersetzt von Christine Pries. München: Fink 1994 (Bild und Text), S. 210. Ebd., S. 89. Ebd. Ebd., S. 172; vgl. zum Erhabenen auch Lyotard, Beantwortung der Frage: Was ist postmodern? (wie Kap. 2, Anm. 3), S. 43f. Vgl. Welsch, Vernunft (Anm. 61), S. 89ff.
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von Welsch hervorgehobene Tragik besteht zwar zweifelsohne, wovor Adorno denn auch seine Augen nicht verschlossen hat; doch ist auch die Versöhnung an der dialektischen Hintertür eben nicht mehr möglich, auf welche Adorno abzielt.511 Sie verbliebe »im gleichen theologischen Dispositiv«,512 »eine Logik des konkreten Allgemeinen«513 wäre in ihr gut verborgen zu finden, verwinkelt und komplex die grundlegende Illusion, welche als »Passion des Sinns«514 zu bezeichnen wäre. Eine ihr Scheitern exakt registrierende Vernunft widerspricht der »niemals wieder zu kittende[n] Fragmentisierung«,515 die ihrem Unterfangen als These vorangeht, »das Negative im Schoße der Negativität«516 hat seinen Ursprung, wird – subtiler als der positiv formulierte Griff zwar – doch nur unwesentlich weiter gelangen, da Totalität ihm eingeschrieben ist. Adorno ist am Rande;517 Lyotard umschreibt dies so: Welchen anderen Platz als den des Teufels könnte Adorno einnehmen, da Gott ein518 mal schweigt? Kein schlechter Platz, wenn das Böse auf Seiten Gottes ist.
Die Idee, Adorno, den Philosophen allgemein oder auch jeden die heile Welt in Zweifel Ziehenden in solcher – fast schmeichelhafter – Manier Mephistopheles zuzugesellen, ist nicht neu. Lukács etwa schreibt: Die Ironie des Dichters ist die negative Mystik der gottlosen Zeiten.519
Und Adorno betreffend ist nur darauf zu verweisen, daß Adrian Leverkühn, dessen Arbeit er gewissermaßen übernimmt, auch nicht eben schnurstracks in den Himmel aufsteigt ...520 Doch dieser Ort am Rande, an des Teufels Seite ist 511 512 513 514 515 516 517 518 519
520
Vgl. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 31. Lyotard, Intensitäten (wie Kap. 2, Anm. 83), S. 46. Lyotard, Philosophie und Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens (wie Kap. 3, Anm. 321), S. 72. Ebd., S. 75. Lyotard, Intensitäten(wie Kap. 2, Anm. 83), S. 53. Ebd. Vgl. auch Voswinckel, Paul Celan (wie Kap. 2, Anm. 157), S. 220f. Lyotard, Intensitäten (wie Kap. 2, Anm. 83), S. 54 Lukács, Die Theorie des Romans (wie Kap. 3, Anm. 892), S. 79; zum Verhältnis Adornos zu jenem vgl. Wiggershaus: Theodor W. Adorno. München: Verlag C. H. Beck 1987 (Beck’sche Reihe; 510, Große Denker), S. 16, Zima, Die Dekonstruktion (wie Kap. 3, Anm. 101), S. 195 sowie Adornos Brief an Erika Mann, worin sich Adorno der gleichen Formulierung – negative Mystik – bedient – zit. in: Rolf Tiedemann: »Mitdichtende Einfühlung«. Adornos Beiträge zum Doktor Faustus – noch einmal. In: Frankfurter Adorno Blätter I (1992), S. 9–33, hier S. 33 (Anm.). Thomas Mann: Doktor Faustus. Die Entstehung des Doktor Faustus. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1997, S. 665: »dem lieblichen Instrument des Satans abgehört« – vgl. Tiedemann, »Mitdichtende Einfühlung« (Anm. 519), S. 25; vgl. auch Sylvelie Adamzik: Philosophie im Stand ihrer objektiven Unmöglichkeit. Zur Figur der ästhetischen Suspension bei Adorno. In: Impuls und Negativität. Ethik und Ästhetik bei Adorno. Hg. von Gerhard Schweppenhäuser und Mirko Wischke. Hamburg, Berlin: Argument-Verlag 1995, S. 66–81, hier S. 77 zu Adornos Interesse an Mephistopheles.
Jacques Derridas Antwort
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trügerisch; eine an ihren Grenzen sich zerfransende und verfeinernde Vernunft, die zurückweicht und adäquate Interpretationen versucht, später aber zeigt, wo diese abzubrechen seien, ist noch totalitär und – Kerstin Decker äußert diesen Verdacht – ontologisch:521 Was wird aus einem Teufel, der aufhört, an Gott zu glauben?522
Aber Gott soll nicht schweigen. Schenk mir / das Wort, so bittet Rose Ausländer; und Gott, wenn man es so nennen will, schweigt nicht – das Erhabene ist nicht artikulierbar, aber zugleich nicht unverstanden, sein Idiom etwa ist bekannt, »auch wenn [sein Gegenüber, der Interpret] [...] dessen Anforderungen mit den Mitteln [...] [seines] eigenen Idioms nicht genügen kann«.523 Man gelangt, Eagletons Befund ist treffend, ins Reich der Oxymora ...524 Doch auch der Widerpart schrecklichen Schweigens, auf das noch einzugehen bleibt, erinnert stets daran, daß »das Schöne [...] im Häßlichen entsprungen«525 sein mag. Nicht ganz geglückt erscheint darum jene Spiegelung Rilkes, die Heiner Müller versucht: Denn das Schöne bedeutet das mögliche Ende der Schrecken.526
Ungleich interessanter erscheint eine Notiz Benjamins: Gaben müssen den Beschenkten so tief betreffen, daß er erschrickt.527
Mit Grund soll der noch Nüchterne nicht über seine Träume sprechen ...528 Manche Gaben auch des Schönen und Verzauberten verschließen sich nicht, sie dringen zu tief. Was aber zu tief dringt, das weist auf den Ekel. Unzutreffend ist, wie man spätestens seit Menninghaus’ Buch, das eine breit angelegte Studie zum Ekel und der Geschichte seiner Theorie ist, weiß, der Befund, es habe der »Ekel [...] es zu keiner zentralen reflexiven Dignität gebracht«.529
521
522 523 524 525 526 527 528 529
»Man meint, Adorno eine Ontologie zu unterstellen, ist absurd und nicht nur, weil er selbst es gesagt hat. [...] Doch man sollte nicht leichtfertig genug sein, das zu glauben. Braucht nicht solch ausgestellte Haltlosigkeit einen ganz ungewöhnlich starken Halt, einen Hinter-Halt [...]?« – Kerstin Decker: Adornos Ontologie. Ein Versuch, das Unerhörte zu denken, nicht ohne moralphilosophische Rück(an)sichten. In: Impuls und Negativität (Anm. 521), S. 152–168, hier S. 153; vgl. ebd., passim. Lec, Alle unfrisierten Gedanken (wie Kap. 3, Anm. 769), S. 29. Lyotard, Die Analytik des Erhabenen (Anm. 506), S. 172. vgl. Eagleton, Ästhetik (wie Kap. 2, Anm. 235), S. 351. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 81. Heiner Müller: Werke. Hg. von Frank Hörnigk. Werke 1: Die Gedichte. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998, Werke 1, S. 14. Benjamin, Einbahnstraße (wie Kap. 3, Anm. 16), S. 58. Vgl. ebd., S. 8f. Konrad Paul Liessmann: »Ekel! Ekel! Ekel! – Wehe mir!« Eine kleine Philosophie des Abscheus. In: Kursbuch (September 1997), H. 129: Ekel und Allergie, S. 101– 110, hier S. 101.
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Vierter Teil
Was zuallererst am Ekel auffällt, ist daß es einen ekelt. Der Ekel ist so sehr der eigene, daß die Entscheidung, wovor es ekeln solle, niemand zu obliegen scheint. Ekel ist aber nicht Ekel vor etwas, vielmehr »ursprünglich Ekel vor dem Berühren«530 von etwas, wie es in Benjamins Text Handschuhe heißt. Also ekelt es mich, eine Handlung zu setzen, die mich dem als ekelhaft empfundenen annähert, die das Selbst dem scheinbar Ekelhaften verbände – wobei es fast zu spät ist: Das Ekelhafte ist kein Gegenüber, sondern es [...] dringt ein, nistet sich ein, ist ganz 531 nah. Das elementare Muster des Ekels ist die Erfahrung einer Nähe, die nicht gewollt 532 wird.
Zugleich ist zu bemerken, daß eine gewisse Faszination des Ekelhaften besteht, eine Affinität zum Begehrten,533 sei’s in der Erotik, sei’s bei der Süße, die nicht nur dem Duft etwa von Honig, sondern auch dem Geruch von Verwesung534 eigen ist, ich verweise nochmals auf den Vers Rose Ausländers: Duft von Lilien oder Leichen?535
Wenn uns der Ekel zurückreißt, ist er nie nur Ekel vor einem Objekt, sondern vorm begierigen Subjekt – jedweder Ekel ist auch Selbstekel. Ekel kann als Abgrenzung gegen in uns vorhandene Regungen verstanden werden, gegen Regungen, die unsere Integrität bedrohten. Insofern ist der Ekel, zeitigt er auch nicht primär Fluchtreflexe und dergleichen, der Angst doch näher, als Liessmann meint.536 Was ist dagegen schön? Eine brauchbare Antwort hält Burke bereit: Kleinheit537 zeichnet das Schöne aus – »man [spricht] [...] von den Objekten der 530
531 532 533
534 535 536 537
Vgl. Benjamin, Einbahnstraße (wie Kap. 3, Anm. 16), S. 18; vgl. zu diesem Bild – allerdings bei Nietzsche – auch Konrad Paul Liessmann: Der verstorbene Freund. Friedrich Nietzsche und Ferdinando Galiani. In: Neue Rundschau (1/2000), H. 111.1: ... und Nietzsche und ..., S. 30–36, hier S. 34. Liessmann, »Ekel! Ekel! Ekel! – Wehe mir!« (Anm. 529), S. 108. Winfried Menninghaus: Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999, S. 7. Ein nicht zuletzt temporäres Verhältnis – Kippen des Begehrens durch scheinbare Erfüllung in Abscheu: »Errungenschaft [...] Beginn des Ekels« – Ambrose Bierce: Des Teufels Wörterbuch. Übersetzt von Gisbert Haefs. München: Goldmann Verlag 1996, S. 34. Zum Ineinander von Leben und Tod – vgl. Menninghaus, Ekel (Anm. 532), S. 7 u. passim u. Liessmann, »Ekel! Ekel! Ekel! – Wehe mir!« (Anm. 529), S. 106. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 78), Bd 1, S. 267. Vgl. Liessmann: »Ekel! Ekel! Ekel! – Wehe mir!« (Anm. 529), S. 107. Edmund Burke: Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen. Übersetzt von Friedrich Bassenge, hg. von Werner Strube. 2. Aufl., Hamburg: Meiner 1989 (Philosophische Bibliothek; 324), S. 152f.
Jacques Derridas Antwort
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Liebe mit Diminutiven«.538 »Glätte«539 ist dem Schönen zuzuordnen. »Allmähliche Änderung«540 charakterisiert es – man denke an die Eleganz der Linienführung. Und Schönes ist von einer gewissen »Zartheit«.541 Weiters ist es »rein und hell«,542 die Farben sind von »sanfteren Töne[n]«543 und Ausgewogenheit.544 All das wird als schön empfunden – und ist durch Harmlosigkeit gekennzeichnet. Also lassen diese Grundsätze545 ein Negativ erkennen, das sich längst nicht in Häßlichkeit erschöpfte. Viel eher ist der Ekel dem Erhabenen verblüffend nahe, denn ihm eignet Anziehung und Drohung, eine Macht, die darum fast schon hassenswert ist, weil sie die Impertinenz hat, sich zu zeigen, nicht aber so weit zu offenbaren, daß sie sich selbst ein Ende bereitete. Burke schreibt über das Erhabene, es reize, obschon es gefährde: Ich »kenne [...] nichts Erhabenes, das nicht eine gewisse Modifikation von Macht wäre«.546 Man kann parallel Menninghaus’ Arbeit zu einer starken Empfindung, dem Ekel und Bohrers Studie zu den Grenzen des Ästhetischen lesen, um dies zu belegen. An die Stelle des Schönen rückt das Besondere,547 dessen Anspruch auf Einlaß und bedrohliche Nähe einerseits sowie Verwahrung vor Okkupation und bedrückende Ferne die gleiche Konstellation erreicht.548 Vorweg sei bemerkt, daß in einer anderen Studie Bohrers, die eine Ästhetik des Schreckens entwirft und damit auch in den Bereich des Erhabenen dringt, unter den reichen Beispielen etwa Baudelaires oder auch Jüngers nicht wenig angeführt wird, das eher anwidert, ein sublimes Erhabenes aber kaum erkennen läßt: Alle Geheimnisse des Grabes lagen offen in einer Scheußlichkeit, vor der die tollsten Träume verblichen. [...] In schwülen Nächten erwachten geschwollene Kadaver 549 zu gespenstischem Leben ...
Auf der einen Seite ist die »Potenz der Nacht«,550 worin ästhetische und diskursive Rede einander entfremdet bleiben – selbst in theologischer Begrifflichkeit, die bei aller Ordnung ja kaum als nüchtern gelten kann.551 Diese Poe538 539 540 541 542 543 544 545 546 547 548 549 550 551
Ebd., S. 152. Ebd., S. 154. Ebd. Ebd., S. 156. Ebd., S. 157. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. die Zusammenfassung, ebd., S. 158. Ebd., S. 99. Vgl. Karl Heinz Bohrer: Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk. München, Wien: Hanser 1978, S. 59ff. Von einer Hypostasierung »zu metaphysischen Dimension« (ebd., S. 61) könnte gesprochen werden. Ernst Jünger, zit. ebd., S. 90. Karl Heinz Bohrer: Die Grenzen des Ästhetischen. München, Wien: Hanser 1998 (Edition Akzente), S. 74. Vgl. ebd.
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Vierter Teil
tik des Erhabenen kulminiert in einer »stilistisch-grammatische[n] Verunklärung«,552 Zentrum und Enigmatisches fließen bei diesem Gegenüber ineinander.553 Dies, was gegen den in Adorno oftmals (hinein)gelesenen Integrationismus554 steht, führt zu einer Ästhetik des Schreckens, die in keinerlei Symmetrien mehr zur Ruhe kommen kann.555 Doch das Verlangen danach, die Symmetrie doch zu schaffen und beredt zu machen, wessen Stimme nicht nur durch ihre Unverständlichkeit bedrohlich ist, besteht und ängstigt. Nicht weniger stark ist die Angst, die das erregt, was schon da, präsent, im Ich ist: Im Ekel scheint nie weniger als alles auf dem Spiel zu stehen.556
Was anekelt, ist »»unrettbar« aus der symbolischen Ordnung ›gefallen‹«,557 abjekt.558 Es kann geschrieben, nicht gesprochen werden.559 Es widerlegt die Ordnung und im selben Atemzug das, worin sie hervorgebracht ist – die Integrität des Ichs, dessen Verunreinigung als vorweggenommene im Ekel sozusagen hallt.560 »Das [...] Herausfallen aus der Objektwelt (als Unding) bleibt nicht spurenlos; es hinterläßt einen Riß«,561 schreibt Michel Chaouli. Und dieser Riß ist einer, der das Fremde ins tiefste Innere treibt. »Im 20. Jahrhundert [...] schickt [der Ekel] sich an, die Position der Wahrheit selbst einzunehmen«, 562 so formuliert es Menninghaus überspitzt ... Schuf mein Ekel selber mir Flügel und quellenahnende Kräfte?563
Ein Blick zu Adorno zeigt, daß das Hermetische und das Penetrante so ferne auch ihm zueinander nicht zu stehen scheinen. Er schreibt, nicht das Unverständnis, das Verständnis der modernen Kunst, hier speziell der Musik führe zum Widerwillen des Publikums – ihre (und somit ihrer Hörer) »Einsicht in den katastrophischen Zustand, dem die anderen bloß ausweichen können«564 oder ausweichen zu können vermeinen. Das Erhabene zeigt ein Moment der Anstößigkeit ...565 552 553 554 555 556 557 558 559
560 561 562 563 564 565
Ebd., S. 75. Vgl. ebd., S. 76. Vgl. ebd., S. 168; Bohrer nennt Wellmer, Welsch, Seel, Menke und andere. Vgl. ebd., S. 170. Menninghaus, Ekel (Anm. 532), S. 7. Ebd., S. 528 (zu Kristeva in kritischer Distanz argumentiert – vgl. ebd., S. 518ff.). Vgl. ebd., S. 518ff. »Das Gefühl des Ekels, wenn wir ein erfundenes Wort [...] aussprechen. [...] Ein bloß geschriebenes Zeichensystem würde uns nicht so anekeln.« – Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen (wie Kap. 3, Anm. 73), S. 105. Vgl. auch Menninghaus, Ekel (Anm. 532), S. 528. Michel Chaouli: Ekel. In: Die Zeit, Nr 29, 15. Juli 1999, S. 45. Menninghaus, Ekel (Anm. 532), S. 546. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd IV, S. 125. Adorno, Dissonanzen (wie Kap. 1, Anm. 11), S. 50. Vgl. Bohrer, Die Grenzen des Ästhetischen (Anm. 550), S. 146.
Jacques Derridas Antwort
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Man könnte auf Gigers Geschöpf Alien aus der gleichnamigen Folge von Filmen weisen. Es ist nie präsent, immer nur huschender Schatten, es ist nicht groß. Es ist nicht nur Popanz, da es so ist, während die Präsentation des dann – es wurde dargelegt – nicht mehr Monströsen, sondern allenfalls LächerlichGigantomanischen scheitern muß. Im Opfer ist dieses Alien, mit dessen Körperform sein Schöpfer deutlich auf einen erigierten Penis anspielt, zunächst im Bauch eines Mitglieds der Crew, das nicht zentral ist, später im Leib der Heldin selbst – es ist so nah, daß es nicht zu entdecken ist, im dritten Teil dem Aids-Erreger gleich lange Zeit quasi latenter Fremdkörper,566 im vierten Teil als Sprößling der Heldin tatsächlich von unerhörter, intimer Nähe. Das Ekelhafte und Unheimliche dieses Unwesens ist, daß es die Grenzziehung unterbindet; es »ist nur logisch, daß in Teil 4 die Heldin Ripley aus Molekülen und Dna wieder ganz neu zusammengesetzt wird und selbst nicht weiß, wer oder was sie ist, Untier oder Mensch«.567 Das Unterbinden der Ausschließung, das so eine Klimax erreicht, ist schon von Anfang an, als Ripley dem Alien noch fern zu sein scheint, gegeben. Nicht zuletzt drückt sich dies im Namen des Raumschiffes aus, das die Struktur eines komplexen Organismus zu haben scheint, worin das Alien durch Gänge, Röhren, Adern rast: Nostromo, eine unübersehbare Anspielung aufs lateinische noster.568 Das Eindringen des Fremden in Form von Asche – »Asche im Blutgefäß«569 – ist hier nochmals zu betonen. »Im Aschenregen / die Spur deines Namens«570 zu suchen bricht das lyrische Ich auf, doch zugleich besteht der Wunsch, die Asche »von Wange und Mund«571 zu fegen. »Sternenasche«,572 deren Spur zu verraten wäre, was immer auch Verrat sein könnte, ist zu betrauern.573
566
567 568
569 570 571 572 573
Vgl. Florian Rötzer: Wenn Sie das lesen, sind Sie schon infiziert. In: Die Presse – Spectrum, 7. März 1998, S. I–II, S. If., wo Gigers Kreaturen zum Bild des eindringenden Außen schlechthin werden, das Rötzer fortspinnt bis zur Idee und zum Datum, welche als Meme das Subjekt selbst infizieren. Elfriede Jelinek: Ritterin des gefährlichen Platzes. In: Frankfurter Rundschau – Zeit und Bild, Nr 284, 6. Dezember 1997, S. 3. Zu Ausschließung und Definierbarkeit des Schreckens – vgl. Bohrer, Die Ästhetik des Schreckens (Anm. 547), S. 68; vgl. auch Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 11), Bd 7, S. 86 u. Cioran, Lehre vom Zerfall (Anm. 154), S. 75f. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 36. Vgl. ebd., Bd 4 (wie Kap. 1, Anm. 123), S. 97. Vgl. ebd. Bd 7 (wie Kap. 1, Anm. 4), S. 169. Ebd., S. 369. »Kein Engel / verrät / ihre Spur« – vgl. ebd. Bd 6 (wie Kap. 1, Anm. 11), S. 81; freilich verraten die Engel nicht, wovon sie zeugen: Loyalität kann sich in der Lüge zeigen – eine »anspruchsvolle Moral des unmoralischen Falschspiels«– Serres, Die Legende der Engel (wie Kap. 3, Anm. 1078), S. 121; vgl. ebd., S. 120f.; ein »leichter Fehltritt, [...] eine schwierige Ethik« (ebd., S. 101) ...
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Vierter Teil
Nach dem Feuertanz die Asche scharfer Sensenschnitt nie wieder tanzen nie sehen die Toten wann kommen sie 574 wieder,
so fragt ein lyrisches Ich. Was bleibt vor Asche als Möglichkeits- und Unmöglichkeitsbedingung von Trauer (»Babylon / schwarz-weiß«575) zu wünschen? An die Welt lassen sich nur zwei Wünsche richten: sie zu haben, oder, sie los zu sein. [...] Beider Erfüllung wäre schrecklich. Daß sie ausbleiben mögen, muß der Kern je576 der Hoffnung [...] auf Existenz sein.
Zurückgekehrt zur zunächst simpel erscheinenden Musenanrufung ist diese unendlich verworren: Erbarme dich Herr meiner Leere Schenk mir das Wort das eine Welt 577 erschafft
Dies ist ein Gedicht im Futurum exactum – worum es betet, mag geschehen sein, ist die Feder abgesetzt. Es ist in der Position, die anbetet, was unendlich fern scheinend schon in die Leere dringt. In einer nicht unähnlichen Position ist der Leser der Zeilen; er wird ihre Leere verstanden haben, wenn sie erfüllt sind. Das Futurum exactum der Musenanrufung, Derrida bedient sich eben dieser Zeitform häufig, macht auch Hans-Jost Frey zum Charakteristikum an jenem Versatzstück, das Züge des schon erwähnten Parasiten aufweist. Das Gedicht kann nicht anders anfangen als mit dem ersten Wort, das in die Weiße des Unbekannten vordringt. Aber mit dem ersten Wort hat es den Anfang schon hin574 575 576 577
Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden, Bd 7 (wie Kap. 1, Anm. 4), S. 311. Ebd., Bd 4 (wie Kap. 1, Anm. 123), S. 76. Steffens, Die Unverfügbarkeit der Welt (Anm. 172), S. 65. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden, Bd 7 (wie Kap. 1, Anm. 4), S. 70.
Jacques Derridas Antwort
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ter sich und verpaßt. Dem begegnet es dadurch, daß es von den Wörtern, die jetzt 578 schon da sind, als von noch bevorstehenden spricht ...
Dieses Versäumen ist aus dem Umstand zu erklären, daß erst der zweite Vers den ersten zur Einheit bringt, denn den »Vers gibt es immer erst, wenn es zwei gibt«.579 Der Anfang ist also nicht abrupt erst, wenn er als Teil eines Rhythmus, einer Struktur wahrzunehmen ist, gesetzt.580 Und das Gedicht selbst ist gänzlich von jenem Umstand heimgesucht, da es »Ausschnitt«581 ist, solange das – gleichfalls abrupte – Ende nicht zum Ganzen fügt, was, glückte sein Abbruch völlig, nicht mehr interpretierbar wäre, so aber als Totale vor Augen tritt, die sich fortschreiben (also auch von jener vorläufigen Totale fort schreiben) ließe. Ich habe behauptet, dieses eine Gedicht sei im Futurum exactum – worum es betet, mag geschehen sein, ist die Feder abgesetzt. Man kann dies als die durch Rose Ausländer augenfällig gewordene allgemeine Beschreibung poetischer Gebilde nehmen. Nimmt man das ernst, gelangt man zum Parasitismus als Norm von Verstehen und muß schließlich konzedieren, daß die »Ineinsbildung von Unendlichem und Endlichem im Endlichen«582 nie aufgeht – oder genauer gesagt: vielleicht, doch in diesem unwahrscheinlichen Fall in nicht wahrzunehmender Weise aufgeht.583 Hemmungsloser Hemmungslos wie Wasserfälle oder wie die heiße Quelle, hemmungsloser die Dämonen, die in meinen Träumen wohnen: Gärten nach dem Ebenbilde der elysischen Gefilde, doch verstrickt mit den Gestrüppen unterirdischer Wurzellippen. Mütter mit der Mondesmilde nach Maria’s [sic] Ebenbilde, schon verfolgt von Werwolfsweibern mit zentaurisch wüsten Leibern. Säuglinge mit runden Blicken, 578 579 580 581 582 583
Hans-Jost Frey: Der Gang des Gedichts. In: Der Prokurist 19/20 (1998): Rhythmus. Wiener Vorlesungen zur Literatur 1996/97, S. 259–322, hier, S. 267. Ebd., S. 271. Vgl. ebd., S. 283. Ebd., S. 299. Szondi, Studienausgabe der Vorlesungen (wie Kap. 2, Anm. 47), Bd 2, S. 226; vgl. ebd., S. 223. Die Bestimmung Hegels durch Szondi läßt den Schluß zu, auch er mißtraue dieser Fügung – so äußert sich Szondi zum Problem, Hegel finde nicht zu einer Würdigung profaner Kunst, und läßt Adornos berühmte Wendung gegen Hegel nicht unerwähnt. – vgl. ebd., S. 358 u. 416.
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Vierter Teil
schwarz umschwirrt von giftigen Mücken. Moses mit dem weißen Stabe: Eine Stange und ein Rabe. Feuer: Sonne oder Hölle? Tiefe: Abgrund oder Quelle? Duft von Lilien oder Leichen? Sterne oder Fragezeichen? Hemmungslos wie Wasserfälle oder wie die heiße Quelle – hemmungsloser: die Dämonen, 584 die in meinen Träumen wohnen.
In diesem frühen Gedicht, dessen Paarreim wie der brave, wenig expressive Aufbau wohl nicht überzeugen, zumal die alternierenden Verse zwingen, beim Lesen etwa unterirdischer durch Elision zu entstellen, kreist alles um die Einheit der Wahrnehmung, die permanent an sich oder ihren Möglichkeiten zerbirst. Stört es auf den ersten Blick, daß dem Gedicht zwar ein überdeutlicher Rahmen, doch keine Achse vergönnt ist, so muß man darum sagen, daß gerade dies nicht unangemessen ist. Die Verse 17–20 wären indessen durchaus als Achse zu verstehen – exzentrische Achse eines Poems, das ja nicht zuletzt von der Überschreitung, vom Exzessiven träumt. Was Zentrum nicht nur der heilen Welt ist, wird plötzlich zum Ort der Verdammung; die nicht auszulotende Tiefe vereint in sich den letzten Grund und die Grundlosigkeit; Lilien und Leichen führen vor, wie der Ekel der falschen Ordnung ins Wort kriecht; und die Sterne, die Antwort verheißen, sind vielleicht erst, was Antwort verlangt. Seinen Anfang aber nimmt alles, wie der Rahmen versichert, in der Innerlichkeit: hemmungsloser: die Dämonen, / die in meinen Träumen wohnen ... Hier wurzelt, was, wie man es aus der Wurzelknolle kennt, Gärten nach dem Ebenbilde / der elysischen Gefilde zeugen mag, aber als Gestrüpp unterirdischer Wurzellippen immer im Status der Möglichkeit beläßt. Nicht das Häßliche, aber das Ungeordnete ist zentrale Kategorie des poetischen Denkens. Freilich ist es allein das Schweben der Häßlichkeit, das Schönheit authentisch erscheinen lassen kann: Nein, das Häßliche bleibt häßlich, es mißfällt uns nach wie vor – aber gerade deswegen müssen wir dem Häßlichen einen prominenten Platz in unserer Kunst einräumen, weil dadurch die Wahrheit der Subjektivität gegen ihre Vereinnahmung 585 durch den schönen Schein verteidigt wird. Das Schöne wird als das ontologisch Ohnmächtige gezeigt: Seine Durchsetzung ist unmöglich, auch wenn sie mit der letzten terroristischen Härte durchgeführt wird. Der totalitäre Versuch der ästhetischen Beherrschung der Welt scheitert an der un584 585
Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden, Bd 1 (wie Kap. 1, Anm. 78), S. 267. Boris Groys: Außerirdische, Vampire & Co. Die Rettung des Häßlichen durch die Kunst. In: Kursbuch (Sept. 1997), H. 129: Ekel und Allergie, S. 137–144, hier S. 137.
Jacques Derridas Antwort
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endlichen Häßlichkeit der Totalität. So läßt sich das Schöne in seiner [...] Ohnmacht 586 erneut und ironisch genießen.
In diesen Versen, so müßte man korrigierend hinzufügen, ist allerdings selbst das Häßliche nur mächtig genug, das Schöne zu unterwühlen, wie auch das Schöne das Häßliche als Supplement zuletzt substituiert. Und jeder dieser Aufund Umbrüche verwirft das Alte. Der »Verzicht auf das Alte ist der Grundgestus der Moderne.«587 Das Neue wird nicht mehr hinzu addiert, es setzt sich an des Alten Platz.588 Gerade darum freilich gibt es die radikale Innovation nicht ... Insofern kann man alle Kunst und alles Denken immer schon »als Sache der Vergangenheit«589 verstehen. Ungeschichtlich und unendlich ist dagegen nur, was Sache des Denkens und Schaffens nicht ist – dies gilt par excellence für den Tod. Allenfalls darin werden Denken und Schaffen gleichfalls entgrenzt, daß sie in kleinen Dosen das Alte gegen sich selbst wenden; »die moderne [...] Kunst ist als Figur des Todes unendlich«,590 schreibt Groys. In einem bestimmten Sinne ist so die Einheit von Verzicht und Neugründung zwar allenthalben gegeben, doch nie gänzlich umzusetzen. Das Neue ist rein nie gegeben, das Alte wiederum bleibt als Ursprung aus, erscheint allenfalls als jene Schrift, die immer schon Struktur und Neues ineinander verschmolzen vor sich sieht – als Folge dessen, dem sie scheinbar Quellen sind. Wir verzichten nicht auf [...] Sprache – sondern wir verlieren sie.591
Wir haben – und Blumenberg beschreibt – »die Schrift auf der Wand des Nichts, die auf den Weg um die Ecke herum verweist, hinter der das unbekannte Endgültige sich verbirgt oder durch weitere Schriften wiederum nur auf sich verweist«.592 Wenn es so schien, als ob der Interpret es im Umkreis des Erhabenen immer mit einer Art femme fatale zu tun habe, so zeigt sich beim Bilde der Erotik bleibend, daß Dichtung und ihre Lektüre auch mit dem Ekel der Innerlichkeit oder weniger allgemein der Onanie zu schaffen habe.593 Verloren wird, und damit komme ich zu einer versprochenen Kehre, wenn die Schrift in stets neue Beredsamkeit ohne finale Referenz gerät, nicht nur diese, sondern auch das Schweigen. An die Stelle eines horror silentii als speziellere Form des horror vacui tritt ein Reden aus Ratlosigkeit, denn Lesender und Schrift finden keinen Grund mehr – schon gar nicht einen gemeinsamen: 586 587 588 589 590 591 592 593
Ebd., S. 144. Groys, Strategien der künstlerischen Askese (wie Kap. 3, Anm. 630), S. 148. Vgl. ebd.; vgl. auch Groys, Über das Neue (wie Kap. 3, Anm. 629), S. 44. Groys, Strategien der künstlerischen Askese (wie Kap. 3, Anm. 630), S. 149. Ebd., S. 150. Ebd., S. 153. Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt (wie Kap. 3, Anm. 99), S. 16. Vgl. Kimmerle, Die Auto-Erotik des Schreibens (Anm. 2), S. 50ff., vor allem 53 u. Schneider, Liebe und Betrug (wie Kap. 3, Anm. 641), S. 296ff.
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Vierter Teil
Man befindet sich niemals auf derselben Ebene.594
So führt ein Weg von scheinbarer Innerlichkeit und Ekel, der auch Zweckoptimismus des Deutenden sein kann, hin zu einer Konstellation, worin die Furcht des Leeren nicht eine Furcht vorm Nichtigen bezeichnet, sondern ein Bangen des Schweigens um sich und das in ihm bewahrte. Das Schweigen erlaubt ein Abhorchen des Wortes.595
Kann man dies gegen die beschriebenen Wortwege unter ebensolchem Titel wenden?596 Ist es nicht ein Unterschlagen dessen, was Derrida fragt und dringlich mit Derrida zu fragen ist? Welches ist – in der Kreuzung von Geheimnis und Nicht-Geheimnis – das Geheimnis? [...] Wie ein Geheimnis nicht verbreiten? Wie nicht sagen? Wie nicht sprechen? Widersprüchliche und instabile Bedeutungen geben eine derartige Frage einer Oszillation ohne Ende preis: wie / was tun (comment faire), damit das Geheimnis geheim bleibt? Wie es wissen lassen / bekanntgeben, damit das Geheime des Geheimnisses 597 – als solches – nicht geheim bleibt?
Fromm ist der Wunsch, das Geschwätz möge enden; fromm ist der Wunsch, man möge einer neuen Sprache Platz verschaffen, sie lesen und verstehen. Doch noch weniger als die Frage, ob nun nicht selbst avanciertestes Sprechen im Bereich der Barbarei angesiedelt sei, ist der Verdacht, was bleibe, sei dann im Spiel der inadäquaten Wörter zu finden, zu entleeren.598 Feuer: Sonne oder Hölle? Tiefe: Abgrund oder Quelle? Duft von Lilien oder Leichen? Sterne oder Fragezeichen?
594 595
596
597 598 599
Ruhe sanft, kleine Aster!«599
Deleuze / Guattari, Was ist Philosophie? (wie Kap. 3, Anm. 906), S. 36. Jabès, Die Schrift der Wüste (wie Kap. 3, Anm. 290), S. 120; vgl. zum immer wiederkehrenden »Schweigegrund« (ebd., S. 25) des Weiß (»Das Buch der Schöpfung bleibt – als letztes der Bücher – weiß.« – ebd., S. 46; »Das Geschriebene schwindet im Geschriebenen. Die Schwärze wird weiß in der Schwärze. Die Weiße bleibt.« – ebd., S. 163), das bei Jabès zum es schreibt führt, also a n d e r e als die (allzu) leicht assoziierten Wege gestaltet und memoriert, neben den zitierten Passagen auch ebd., S. 122f., 125, 127 u. passim. Vgl. Rüdiger Görner: Wortwege. Zugänge zur spätmodernen Literatur. Tübingen: Klöpfer & Meyer 1997 (Promenade; 9), S. 106f., vor allem S. 107, wo Jabès zitiert wird. Derrida, Wie nicht sprechen (Anm. 62), S. 46. Vgl. dagegen Amir Eshel: Das Gedicht im Angesicht. Jüdische Lyriker und die Shoah. In: Merkur 600 (März/April 1999), S. 358–366, hier S. 366. Benn, Gedichte (wie Kap. 3, Anm. 295), S. 21.
Jacques Derridas Antwort
283
Ist mehr zu sagen, als dies, daß die Leichen die Lilien trügerisch wirken lassen? Es ist interessant, daß Benns Vers, der das Abstoßende schön werden läßt, indem ein »ersoffener Bierfahrer [...] Vase«600 des Fragilen wird, das ihn mit seiner Schönheit quasi infiziert, provozierender ist. Freilich wäre dies eine Vereinfachung jener Verse, die ja zudem nicht mehr die Erscheinung des Schönen, sondern die Erscheinung als Schönes feiern, wie Bohrer bemerkt601 – von Baudelaire, als dessen Schüler Benn hier auftritt, zitiert er Ein Aas herbei, worin ein Tierkadaver sehr rasch zur obszön-erotischen Geste – »comme une femme lubrique«602 – gewandelt wird, worauf der Dichter kühn verfährt, indem er die Assoziationskette zur verblichenen Geliebten und ihrer Blüte im Gedenken schafft: Alors, ô ma beauté! dites à la vermine Qui vous mangera de baisers, Que j’ai gardé la forme et l’essence divine 603 De mes amours décomposés!
Bohrer bemerkt, was nicht übersehen werden darf: Die Verwandlung ist [...] polemisch ausgesprochen: Nicht die Geliebte wird der Häßlichkeit des Todes entrissen, sondern die dichterische Kapazität zur Schönheit 604 gefeiert!
Es liegt die Vermutung, mit der ich endigen möchte, nahe, daß solche Einsicht erst den Raum zur Trauer eröffnet, die vor den »Zeichen schöner Intensität«605 ihres resignativen Moments, jenseits der Präsenz sozusagen Mortifikationen zu Ketten aufzufädeln, nicht verlustig gehen kann – und gehen will. Man kann aufs »Charakteristikum der Unangemessenheit«606 verweisen, das dem Erhabenen, wie Szondi in Poetik und Geschichtsphilosophie betont, eigen ist – und dieses zum tragfähigen »Gegenbegriff«607 einer bestimmten Auffassung von Schönheit aufsteigen läßt. Blaß bleibt selbst an der gelungenen Passage von Hemmungsloser jedenfalls das Fragen nach Schönheit, wo Benn das Morbide in seine ästhetischen Rechte setzt. Kein Schweigen kann sein, was es sein will; und der Widerpart Schrei ist vielleicht angemessen oder jedenfalls als Recht nicht auszuräumen608 – unsere 600 601 602
603 604 605 606 607 608
Ebd. Vgl. Bohrer, Das absolute Schöne und die Häßlichkeit (Anm. 260), S. 76 u. 78. Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen. Les Fleurs du Mal. Übersetzt von Friedhelm Kemp. 5. Aufl., München: Deutscher Taschenbuchverlag 1993 (dtv; 2173 – dtv klassik) S. 64. Ebd., S. 66. Bohrer, Das absolute Schöne und die Häßlichkeit (Anm. 260), S. 81. Ebd., S. 82. Szondi, Studienausgabe der Vorlesungen (wie Kap. 2, Anm. 47), Bd 2, S. 387. Ebd. vgl. ebd., S. 242. Vgl. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 355.
284
Vierter Teil
»erste Antwort auf die Welt ist ein Schrei«,609 bemerkt Peter von Matt –, aber per definitionem unartikuliert kann auch er nicht sein, woran man Hoffnungen knüpfen sollte. Sicher ist: ich kann den Schrei nicht schreiben. Die Schrift versagt vor ihm.610
Genau von der Schrift hängt allerdings ab, so überlegt Kittler, daß ein Schrei »poetische Würde«611 erlangt: »Den Unsinn mit System [...] gibt es nur in Schrift«,612 so formuliert er – das Entsetzte bedarf also der Letter, die ohne den Irrsinn des Schreis allerdings auch nur schwerlich von der erwähnten Dignität sein mag.613 Von diesem Skandalon ausgehend eine Typologie und Phänomenologie des Schreis kurz entfaltend schreibt Peter von Matt schließlich, daß der Schrei alles entsetzt, doch jenseits der Entwicklung eines semantisch komplexen Ensembles zuletzt den »Körper der schreienden Gestalt« – »bloße[n] Hülle um den leeren Mund«614 – allein, nicht, was an Unrecht zu beklagen sei, zum Fokus hat. Not und Möglichkeit des Schreis als »Ereignis am Rande der Sprache«615 sind, daß er dem Einmaligen – sofern er nicht gespielt zum Topos, zum Zeichen wird616 – entspricht, also letztlich stumm, in seiner Immanenz bedeutungslos bleibt.617 Ich möchte an dieser Stelle vom Schweigen noch nicht schweigen, ist es doch allem Anschein nach das elegantere Geschwister des Schreis. Wenn alles Ungebrochene, was nicht heißt: Geglückte, sich gleicht, so ist jedes unglückliche Sprechen und Schweigen unglücklich auf seine eigene Art. Im Repertoire des Stilistischen ist das Schweigen, dies ist ausgeführt worden, Ausdruck einer Krise, die durchs Kalkül an Diffusion verliert, also durch jene Satzkette, der es angeschlossen ist.618 Der Schrecken [...] säuselt auf den verschlossenen Lippen. [...] Das Nichts läßt sich 619 nicht artikulieren, an ihm hat man nichts zu kauen. 609 610 611 612 613 614 615 616
617 618 619
Matt, Die verdächtige Pracht (wie Kap. 3, Anm. 914), S. 305. Ebd. Kittler, Aufschreibsysteme 1800/1900 (Anm. 466), S. 189. Ebd., S. 217. »Dichtung hebt an mit einem Seufzer.« – ebd., S. 11. Matt, Die verdächtige Pracht (wie Kap. 3, Anm. 914), S. 318; vgl. auch Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 119. Waldenfels, Antwortregister (wie Kap. 1, Anm. 159), S. 377. »Ist die Sprache eine parasitäre Folge, die den Atem hindert, laminar zu sein? Der Schrei ist laminar [...]. Und dann das Halleluja [...]: behindert, zerschnitten, fragmentiert, intermittierend [...], in kleine Laute zerlegt.« – Serres, Gespräch mit JeanClaude Guillebaud (Anm. 95), S. 156–174, Michel Serres: Hermes. Übersetzt von Michael Bischoff, hg. von Günther Rösch. Bd V: Die Nordwest-Passage. Berlin: Merve 1994, S. 145 (Hervorhebung M. H.). Vgl. Waldenfels, Antwortregister (wie Kap. 1, Anm. 159), S. 377. Vgl. Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 58, Nr 40. Jean-François Lyotard: Postmoderne Moralitäten. Hg. von Peter Engelmann. Wien: Passagen 1998 (Passagen Philosophie), S. 193.
Jacques Derridas Antwort
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Genau diese Angemessenheit macht vielleicht die Eleganz des Schweigens aus – wo sich alles entzieht, entzieht sich die Sprache, begibt sich scheinbar ihrer Strategien. Und sie muß sich ihrer begeben.620 Sie tut es im Gestus der Melancholie, wo der Schrei trotzt. Auch des Schreis Verhältnis zur Wahrheit ist nicht ungebrochen, doch als das »Ungestalte«621 pocht er darauf, irgendwann sozusagen gestalt zu sein, wovon man beim Schweigen nicht ausgehen kann. Ist beim Satz nie völlig auszuräumen, er gehöre einer anderen Ordnung an, derer es unendlich viele geben mag, wenngleich nicht alle Ordnungen mit allen Sätzen in Übereinstimmung zu bringen sind,622 so kann das Schweigen letztes und unverknüpfbar sein – und als Raum ebendieses Umstands ist es nur noch metaphorisch mit dem Schrei zu verknüpfen: Die Kunst ist der Schrei der verwundeten Erde.623 »Wir« sind recht weit davon entfernt, dieses Schweigen im Satz eines Resultats zu bedeuten, und halten es für gefährlicher, es zum Sprechen zu bringen, als es zu re624 spektieren.
Es gibt, so schreibt Lyotard in einem der Mäander des Widerstreits, ein Schweigen, das sich den handhabbaren Arten von Schweigen, die freilich als der »Ordnung des Rechtsstreits«625 dienlich nicht zu schmähen sind, nicht einordnen läßt: [...] ein anderes Schweigen. Das sich nicht auf eine Instanz in einem SatzUniversum erstreckt, sondern auf das Vorkommnis eines Satzes. [...] Daß man verketten muß, daß es aber nichts zu verketten gibt. Das »und« ohne 626 Anschluß. Also [...] das Schwindelgefühl des letzten Satzes.
Wenn Ahnung einer Krise, Präzision und Vielfalt in der Sprache einander verschwistert sind, so kann das Schweigen als eminente Krise der Artikulation nicht stets von der selben Gestalt sein – grade es nicht, von dem man es zunächst vielleicht annähme.627 So seien zwei Wege ins Schweigen an dieser Stelle begangen. 620 621 622 623 624 625 626
627
Vgl. Groys, Strategien der künstlerischen Askese (wie Kap. 3, Anm. 630), S. 153. Matt, Die verdächtige Pracht (wie Kap. 3, Anm. 914), S. 305. Vgl. zu dieser Seitenüberlegung Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 125, Nr 111. Matt, Die verdächtige Pracht (wie Kap. 3, Anm. 914), S. 319. Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 179, Nr 160. Lyotard, Postmoderne Moralitäten (Anm. 619), S. 132; dagegen letztlich »Unordnung des Widerstreits« (ebd.). Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 134, Exkurs; vgl. Kai Haucke: Zwischen Skepsis und Kritik. Lyotard im Widerstreit. In: Aufklärung und Kritik, Nr 1/1996, S. 41–70, hier S. 53. Vgl. etwa Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden, Bd 8 (wie Kap. 1, Anm. 45), S. 188; vgl. auch Matt: Die verdächtige Pracht (wie Kap. 3, Anm. 914), S. 305 u. passim.
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Vierter Teil
Schweigen
Schweigen II
Hinter allen Worten das Schweigen Die Welt geht unter wenn die Nacht das Licht verschlingt die Erleuchtung einschläft und kein Taubentraum erwacht Ein blinder Engel küßt 628 deine Stirn
Eine verschwiegene Hand löscht die Lampe im Fenster Unsre Stimmen schlafen Ich lege mein Schweigen auf deine Lippen du gibst es wortlos meinem Mund zurück Sternfedern fallen uns in die Rede verbrennen Wir blasen ins Aschengefieder Um unsern Atem verstärkt Sternphönix steigt aus der Stille Verstohlene Hand zündet im Fenster 629 die Lampe an
Es ist ein spätes Schweigen – Schweigen stammt aus dem Jahre 1980 (Einverständnis), Schweigen II findet sich im letzten Band der Gesammelten Werke in 8 Bänden.630 Während das erste der beiden Poeme in seinen Vorstufen als Veränderung nur die Ersetzung von Die Welt geht unter / wenn der Abend / das Licht verschlingt durch Die Welt geht unter / wenn die Nacht / das Licht verschlingt erfährt, ist das zweite doch auf einen Kern zurückzuführen, der lautet: Schweigen Oft schlafen unsre Stimmen wir führen ein Atemgespräch Ich lege mein Schweigen auf Deine Lippen du gibst es wortlos meinem Mund zurück
Die spätere Fortsetzung (Sternfedern / fallen uns in die Rede / verbrennen ...) findet sich erst in der zweiten Variante, wo sie sogleich mit Kugelschreiber gestrichen ist, sowie in der dritten Variante, worin sie nochmals beigefügt wiederum nachträglich mit einem Fragezeichen versehen wird.
628 629 630
Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden, Bd 6 (wie Kap. 1, Anm. 11), S. 44. Ebd., Bd 8 (wie Kap. 1, Anm. 45), S. 23. Zum letzten Band der Gesammelten Werke in 8 Bänden vgl. ebd., S. 233.
Jacques Derridas Antwort
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Erst spät folgt die Passage, die – wegen des Rahmens – zwischenzeitlich auch die erste Verszeile des Texts affiziert, ehe diese Analogien dezenter gestaltet werden. Eine verschwiegene Hand [...] Verstohlene Hand zuendet im Fenster die Lampe an. → Verstohlene Hand im Fenster zuendet die Lampe an.
Im ersten der beiden Gedichte findet sich eine interessante Verkehrung dessen, was Blanchot fürs Denken befindet – in einer Frage: Warum dieser Imperialismus des Lichts?631
Auch bei Rose Ausländer findet ein Imperialismus statt, doch es ist das Dunkel, das dieses Invadierens geziehen wird. Freilich hat in beiden Fällen ein »Scheitern des Ganzen«632 das letzte Wort. Mit Derrida stellt sich die Frage, was Klarheit und Dunkelheit hier verbinden mag.633 Und fast unmöglich scheint es, eine befriedigende Antwort zu finden. Es ist, so könnte man am ehesten dem Problem genügen, der Umstand, daß das Licht nicht sich selbst erhellt, also ein dunkles Herz trägt, wie auch das Schweigen, das zu schützen die Dichterin antritt, hinter allen Worten – sozusagen inmitten seiner Todfeinde – situiert ist. Nur ein Licht, das sich selbst nicht aufgegangen ist, kann von der Nacht verschlungen werden, deren es nicht inneward. Ohnehin ist es Nacht und Licht eigen, in Nominativ und Akkusativ gleich zu lauten, was trotz der einigermaßen klaren Anordnung der Nomina den Satz unversehens in Oszillation versetzt. Die Schlaflosigkeit ist die Dekonstruktion ohne Dekonstruktivisten.634
Sloterdijks schon zitierter Satz aus einem Portrait Ciorans findet beim Vorgestellten in Bewußtsein als Verhängnis eine Präzisierung. Nicht Licht noch Nacht – »weder Gott noch [...] Nicht-Schöpfer«635 – ist der Mensch jenes Wesen, dem, wenn man die von der Poetin benannten Pole anagrammiert, das Nicht(s) lacht: 631
632 633 634 635
Maurice Blanchot: Nietzsche und die fragmentarische Schrift. In: Nietzsche aus Frankreich. Essays von Maurice Blanchot u. a. Hg. von Werner Hamacher. Frankfurt a. M., Berlin: Ullstein 1986 (Ullstein-Buch; 35238 – Ullstein Materialien), S. 47–73, hier S. 63. Ebd., S. 54. Vgl. ebd., S. 61, wo Blanchot Derrida sozusagen als Zeugen aufruft. Sloterdijk, Der selbstlose Revanchist (wie Kap. 1, Anm. 182), S. 69. Cioran, »Cafard« (wie Kap. 1, Anm. 182), S. 62; vgl. zu Cioran auch Herta Müller: Zungenspäße und Büßerschnee. Wie Helmut Böttinger mich durch »Orte Paul Celans« führte. In: Die Zeit – Literatur, Nr 50, 6. Dezember 1996, S. 3.
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Vierter Teil
Der »Mensch [ist] ein im Grunde wachendes Wesen und die Schlaflosigkeit im Grunde die Strafe für [...] [den] philosophischen Instinkt«.636 Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Thier und Übermensch, – ein Seil über 637 einem Abgrunde.
In Schweigen II ist der Kuß, der in Schweigen als Schwundstufe sprachlicher Erkenntnis schon anklingt, was im Dunkle geschieht. Ich lege mein Schweigen / auf deine Lippen / du gibst es wortlos / meinem Mund zurück, so heißt es hier. Es ist ein Blasen ins Aschengefieder, eine Resurrektion (Sternphönix) vom Rande der Sprache her, woher die Sternfedern stammen mögen, die in der Rede diese beleben, indem sie in sie fallen, verbrennen. Freilich vergißt, wer vom Rand spricht, allzuviel – nur ein ruinöser Stumpf jener Ordnung, die Ränder zu kennen vermeinte, ist verblieben. Die Sprache ist noch nicht festgestellt, wie eine Formulierung Nietzsches nahelegt, dergleichen gilt genauer gesagt für Poesie und lyrisches Ich.638 Der Dichter-Philosoph ruft zwar: Ja! Ich weiss, woher ich stamme!639
Verrät aber sein Imperativ »V e r w e c h s e l t m i c h v o r A l l e m n i c h t !«640 dem Leser indes nicht, daß es mehr Trotz als Stabilität ist, was ihn dies schreiben läßt? Es steht jedenfalls fest, daß es eine Krise ist, die aus dem Ausfall des Denkens ein Auseinanderfallen werden läßt, gleichsam ein Kollabieren ins Diffuse. Auf die Beziehung von Grammatik und Metaphysik ist en passant zu verweisen.641 Die »Metapher [...] ist niemals unschuldig«.642 Doch auch Schuld ist nicht das rechte Wort; bedient man sich, wie ich es getan habe, des Bildes des Virus, muß man bedenken, daß jene Worte, die dahinfließen, ohne ihren Hiatus sogleich spüren zu lassen, bloß sozusagen orthodoxe Viren sind, also zumindest nicht die Folie des Lauteren abgeben, die das Infame der Aberration eines Wortes brauchte. Es liegt nahe, darum etwas zu befragen, das, wer Rose Ausländer liest, ständig vor Augen hat, jedoch zu Unrecht als invariant von der Befragung des Textes ausklammert. Es ist der Name Rose Ausländer, der an Poetologie grenzt, ihr Ich, das lyrischer Akt ist, trotz all dessen, was Derrida das »irreduzible Privileg des Nomens«643 – Main-
636 637 638 639 640 641 642 643
Cioran, »Cafard« (wie Kap. 1, Anm. 182), S. 62; vgl. auch Cioran, Lehre vom Zerfall (Anm. 154), S. 180. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd IV, S. 16. Der Mensch »ist das noch nicht festgestellte Thier.« – ebd., Bd XI, S. 125; »Tier auf Umwegen« – Cioran, Lehre vom Zerfall (Anm. 154), S. 34. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd III, S. 367. Ebd., Bd VI, S. 257. Vgl. ebd., S. 77f. Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 31. Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 108.
Jacques Derridas Antwort
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berger fragt an Derrida orientiert nicht unähnlich: »Woher kommt dem Indikativ Präsens eine privilegierte Stellung zu?«644 – nennt. Wer Rose sagt oder schreibt, hat das triftige Problem, ein ganzes Zeichenbündel geschaffen zu haben. Eine Rose ist eine Rose; ein Text ist ein Text. Genau weil dies nicht so ist, gibt es 645 die Hermeneutik.
Die ersten Assoziationen lassen an das Seltene, das Schöne, das Fragile646 denken – doch es grenzte an interpretatorische Unredlichkeit, auf die Stabilität dieser ersten Verweise zu pochen, eine Sicherheit, die nicht besteht, herbeizulügen. Gedächtnis und Verdacht (»verdächtnis«647) aber fördern weiteres zutage; Zeichen, die in ihrer Spannung zueinander und zum Zeichen Ausländer ein Geflecht, eine Vieldeutigkeit bilden. Zu denken ist an die »Ghetto-Rose«648 oder eine andere Blume wie die »Kluftrose«,649 an jene, die als »Fahrtenkompaß« »Orientierung«650 verheißt, an die »Weisheitsrose«,651 an die Gattung der »Blutrosen«652 und jene der »Feuerrosen«,653 die Dornen hat: Dorn Ich wollte dir eine Rose dichten es wurde ein Dorn Ein Gedicht 644
645
646 647 648 649 650 651 652 653
Gonsalv K. Mainberger: Rhetorische Vernunft. Oder: Das Design in der Philosophie. Hg. von Helmut Holzhey und Jürg Scheuzger. Wien: Passagen 1994 (Passagen Philosophie), S. 119; ein weiterer Impetus Derridas: »Im Grenzfall wäre die [...] gewaltlose Sprache eine solche, die dem Verbum sein, [...] jeder Prädikation entsagen würde.« – Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 225; vgl. hierzu auch Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen (wie Kap. 3, Anm. 73), S. 49f.; vgl. zu den Konvergenzen von Wittgenstein und Derrida Wellmer, Endspiele (wie Kap. 1, Anm. 134), S. 215 u. passim. Uwe Japp: Über Kontext und Kritik. In: Text und Applikation. Theologie, Jurisprudenz und Literaturwissenschaft im hermeneutischen Gespräch. Hg. von Manfred Fuhrmann, Hans Robert Jauß und Wolfhart Pannenberg. München: Fink 1981 (Poetik und Hermeneutik; IX), S. 547–549,S. 547. Vgl. Ausländer, Rose Ausländer lesen (wie Kap. 2, Anm. 203), S. 198. Herbert J. Wimmer: das offene schloss. ambivalenz roman. zwei mal siebenundsiebzig textfelder. Wien: Sonderzahl 1998, S. 101 (dort fett gedruckt). Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 271. Ebd., (Anm. 174), Bd 2, S. 28. Gadamer, Wer bin Ich und wer bist Du? (wie Kap. 3, Anm. 634), S. 97. Friederike Mayröcker: ich lese in heiszen Sprüngen. In: wespennest, Nr 109/1997, S. 25–29, hier S. 25. Ausländer, Rose Ausländer lesen (wie Kap. 2, Anm. 203), S. 199. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden, Bd 7 (wie Kap. 1, Anm. 4), S. 261 u. Ausländer, Rose Ausländer lesen (wie Kap. 2, Anm. 203), S. 199.
290
Vierter Teil
wollt ich dir blühen wurde ein Dornwort 654 die Rose ... Du säst Dornen. 655 Rose in moll.
Die Rose steht nicht allein für jene Assoziationen, die die Blume weckt, man wird auch die Erysipel, Rose, W u n d rose ins Kalkül ziehen müssen, welche einer inneren Verwundung Symptom ist, das wandernd bis zum brandigen Gewebszerfall reicht, auch stets (mit verminderter Heftigkeit) wieder hervorbrechen kann.656 Doch kann diese Rose als Zauberwort ausgesprochen im Handumdrehen zur »Stütze«657 werden, zur Pfingstrose, die eine Ankunft verspricht. Die »Rose ist eine Symbolfigur von so vielfältiger Bedeutung, daß sie fast keine mehr hat«,658 schreibt Umberto Eco. In jedem Falle ist diese Rose, die, ehe sie liebt und dichtet, von Helfrich eine »schlafende Rose«659 genannt wird, affiziert von der Fremde und Ferne, die ihr paradoxerweise wesentlich ist – als ihre eigene Andersheit ohne ein Wesen, auf die sie zu beziehen und zur Ruhe zu bringen wäre.660 Diese Rose meint nicht sich, wenn ihr ein »Ich« über die Lippen gleitet – »in der Ordnung liegt die größte Schönheit«,661 eine Schönheit, deren Idylle unmöglich und vor dieser Unmöglichkeit zuletzt unschön geworden ist. Diese Rose ist nur in ihrer tragischen Distanz zur Welt und zu sich noch schön. Sie ist schön, sofern sie die Häßlichkeit transparent werden läßt. Der Name Rose Ausländer korrespondiert mit jener schon erwähnten Titulierung, die Alfred Margul-Sperber für die Dichterin wählt: Er spricht von einer »schwarzen Sappho«.662
654
655 656
657 658 659 660 661 662
Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden, Bd 8 (wie Kap. 1, Anm. 45), S. 168; erst der Bruch mit dem analogen Bau der beiden Strophen (in den Vorstufen) eint die Dichterin Rose und Wort. Mayröcker, Ausgewählte Gedichte (wie Kap. 3, Anm. 166), S. 10. Vgl. Pschyrembel Klinisches Wörterbuch mit klinischen Syndromen und Nomina Anatomica. Bearb. von der Wörterbuchredaktion des Verlags unter der Leitung von Christoph Zink, begründet von Otto Dornblüth. 256. Aufl., Berlin, New York: de Gruyter 1990, S. 477. Hilde Domin: Nur eine Rose als Stütze. Gedichte. Frankfurt: Fischer Taschenbuch Verlag 1997 (Fischer-Taschenbücher; 12207), S. 55. Eco, Nachschrift zum »Namen der Rose« (wie Kap. 3, Anm. 419), S. 11; zu einigen Linien – vgl. auch Menninghaus, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 189), S. 126f. Helfrich, Rose Ausländer (wie Kap. 1, Anm. 55), S. 134. Vgl. Politzer, Gesänge der Fremdlingin (wie Kap. 1, Anm. 84), S. L2. Elfride Jelinek: er ist nicht als er (zu, mit Robert Walser). Ein Stück. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 1998, S. 15; vgl. ebd., S. 39f. Margul-Sperber, Rede über die Dichterin Rose Scherzer-Ausländer (wie Kap. 1, Anm. 33), S. 71.
Jacques Derridas Antwort
291
Zur Assimilation aber gehören immer zwei, wie Gershom Sholem einmal polemisch bemerkte, und auch in der Vielvölkerstadt Czernowitz fehlte dieser Zweite immer.663
Vereint stehen so Eros und Thanatos. Eros, dem die Rose vor allem zuzuordnen ist, ist ein Bezug auf Fremdes, das im Begehren zu einem – (noch) vorenthaltenen – Eigenen wird. Der Tod, der aus der fatalen Ausschließung zu sprechen scheint, ist unser Ureigenstes, obgleich er schwerlich uns vertraut geheißen werden kann: Das Ziel unserer Laufbahn ist der Tod – auf ihn sind unweigerlich unsre Blicke gerichtet.664 Der Tod ist stets und überall unserm Leben beigemischt und verschmilzt mit ihm; der Abstieg geht der Stunde des Sterbens voraus und schleicht sich bereits in unse665 ren Aufstieg. Beim Sterben freilich, das die größte Aufgabe ist, die wir zu bewältigen haben, ver666 mag uns keine Einübung zu helfen.
Im verschränkten Ausgreifen zweier Pole des Lebens erscheinen diese verwandt – das Begehren, dessen Suspension den Reiz des Fremdartigen durch Gewalt oder Anästhesie zerstört, und der Tod, der ein Einswerden des Ich und seiner Bedingung, eine Vereinigung von Wille und Mortalität verspricht, aber doch ein Schwinden bleibt.667 Zweifach wird der Auslöschung, einer »tödlichen Affektion«668 zugestrebt. Einmal kollabiert das Andere in den idealen Punkt eines Ichs, einmal diffundiert das Ich ins Unbekannte, beide Male ist eine totale Identität die Folge, die in ihrer Undenkbarkeit freilich nicht bloß schrecklich erscheint.669 Man hat es also mit einem Paar von Nomina zu tun, die frei von jedweder Syntax aneinandergereiht ihre Metaphorik schon durch fehlende semantische Kompatibilität670 allein entfalten, wobei sich die Vereinbarkeit des Angesprochenen erahnen läßt, aber diese Ahnung oder Stimmigkeit nicht in einer Synthese aufgeht. Am ehesten geht die disparate Rose in einem Weg auf, der sich bei Šteger findet: 663 664 665 666 667
668 669 670
Richard Reichensperger: Aus der Zeit der Vernichtung: Die Lyrikerin Rose Ausländer. In: Der Standard, 22. Januar 1999, S. 13. Montaigne, Essais (wie Kap. 3, Anm. 984), Bd I 20 S. 46. Ebd., III·13, S. 557. Ebd., II·6, S. 184. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit (wie Kap. 3, Anm. 184), § 53, S. 260ff. u. Hans Ebeling: Martin Heidegger. Philosophie und Ideologie. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1991 (Rowohlts Enzyklopädie; 520), S. 17 u. passim: in Heideggers Philosophie ist der »eigene[n] Untergang schon programmiert« – ebd., S. 50. Deleuze, Differenz und Wiederholung (wie Kap. 1, Anm. 161), S. 151. Vgl. etwa Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 355. Vgl. Bahr, Die Sprache des Gastes (wie Kap. 2, Anm. 7), S. 362.
292
Vierter Teil
Denn in der Rose ist Wasser, und Wasser 671 Bedeutet Verdoppelung.
Der Widerspruch im Namen findet sich auch nicht unklug bei Politzer dargelegt, der Rose Ausländer lesend sieht, wie der Pfeil des Todes die Rose verfehlt, ihre Schwester jedoch trifft, als das lyrische Ich einen Apfel – wohl des Paradieses, der Heimat stehlen will – denn der Jud, du weißts, was hat er schon, das ihm auch wirklich gehört, das nicht 672 geborgt wär, ausgeliehen und nicht zurückgegeben? Durch eine Hintertür schlich ich ins Paradies Ein Pfeil holte mich ein als ich den Apfel stahl drang in eine Rose meine Schwester 673 brach ihr Genick,
so schreibt die Dichterin. Ist es das rechte Wort, das – durchaus mit sexueller Anspielung (das Gedicht heißt zunächst Tabu) – in die Rose dringt, die nach Politzer nicht meine Schwester, sondern das lyrische Ich wäre?674 Auch wenn das Fehlen von Satzzeichen die Verse sich nicht ganz auflösen läßt, ist die Deutung plausibel – und ebenso die angeschlossene Frage, ob vielleicht die Ausländer dann die Schwester der Rose wäre, die im rechten Wort ihre Fremdheit verlöre.675 Es gibt [...] kein anderes Cogito als ein gescheitertes, kein anderes Subjekt als ein 676 larvenhaftes.
Wo aber ist in einer solchen Welt – »au nom et à l’être détruits«677 –, so darf man sich fragen, Heimat zu situieren? Once a month the parents took the children to Schönbrunn. 678 So schön! 671 672 673 674 675 676 677
678
Aleš Šteger: Der Kreis. In: Lektüre. Ein Wespennest-Reader. Hg. von Werner Famler und Bernhard Kraller. Wien: wespennest 1998 (edition wespennest), S. 69. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden, Bd 3 (wie Kap. 1, Anm 3), S. 169. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden, Bd 3 (wie Kap. 2, Anm. 55), S. 123. Vgl. Politzer, Gesänge der Fremdlingin (wie Kap. 1, Anm. 84), S. 225 Vgl. ebd. Deleuze, Differenz und Wiederholung (wie Kap. 1, Anm. 161), S. 147 Jean Daive, in: Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden, Bd 4 (wie Kap. 3, Anm. 857) und Bd 5 (wie Kap. 3, Anm. 648), hier Bd 4, S. 828; Celans Übertragung lautet: »Sprache, / namenzerstört, seinszerstört« – ebd., S. 829. Ausländer, The Forbidden Tree (wie Kap. 3, Anm. 770), S. 210; vgl. auch Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden, Bd 8 (wie Kap. 1, Anm. 45), S. 31.
Jacques Derridas Antwort
293
Das für englischsprachige Leser wie ein Echo aus der Ferne klingende So schön! tilgt sich selbst als ein So fern!, das kaum noch wahr, kaum noch verstehbar sogar ist;679 man muß von der Bitternis des Aufenthalts Rose Ausländers in Wien gar nichts wissen, um zu sehen, daß diese Heimat nicht ungebrochenen Bestand hat.680 Ein bedrohlicher Zauber ist es, von dem das Gedicht Wiedersehen mit dem Wiener Wald erzählt: »Wirbst um mich / junigrün / Erlkönig Wald ...681 Und abseits jener Orte der Kindheit ist die Lage vollends trist; Rose Ausländers Vater »Sigmund Scherzer hat[te] sich drei Jahre lang vergeblich bemüht, in Wien eine Existenz aufzubauen«,682 ehe es zum Aufbruch gen Czernowitz kommt. Der typische Wiener ist [...] fast höfisch höflich, solange man ihm mit der gleichen Galanterie begegnet [...]. Wird das usuelle Zeremoniell nicht eingehalten, sträubt er – ein getarntes Igelgeschöpf – seine Stacheln, greift an, wird grob, rabiat. Der typische Wiener ist ein Januswesen [...]. Der typische Wiener [...] schließt sich gesellschaftlich hermetisch ab. Nein, der »typische« Wiener ist eine Abstraktion – er ist 683 so, aber auch anders.
Wärme spendet Heimat nicht, nicht einmal der weitere Begriff Kultur vermag dies; in einem Essay zur falschen Wärme dieser Wörter schreibt vom Kosmopoliten, der als wahrhaftiger Repräsentant von Kultur gerne genommen wird, Rudolf Burger scharfzüngig, daß jener »sich selber in jeder Gesellschaft [–] ein Fremder«684 bleibt. Die Behauptung, etwas sei bekannt, ist so sinnlos wie jene, es sei unbekannt – der Anfang, den ein solcher Satz brauchte, wird unterschlagen, da Selbstidentität als solcher nicht recht gelten kann, wie auch die Behauptung, keine Attribut träfe ein Unbekanntes, schon viel zu viel sagt, als daß ein Einsetzen noch glücken könnte.685 Schnell geht vorüber, was zur Begegnung des Fraglichen bedarf ...686 Man müßte hier zwei Stränge verfolgen, die sich in der Frage nach Rückbindung berühren. Durchaus wäre zum Entfallen der metaphysischen Unternehmungen einer Stabilisierung zu rekurrieren. Gerade wer betet, ich schrieb 679
680 681 682 683 684
685
686
Doch ist die Macht der Erinnerung hier darum, was die Macht tradierter Zentralbegriffe zu sein sonst vorgib – vgl. Anselm Haverkamp: Allegorie, Ironie und Wiederholung (zur zweiten Lektüre). In: Text und Applikation. Theologie, Jurisprudenz und Literaturwissenschaft im hermeneutischen Gespäch. Hg. von Manfred Fuhrmann, Hans Robert Jauß und Wolfhart Pannenberg. München: Fink 1981 (Poetik und Hermeneutik; IX), S. 561–565, hier S. 564. Vgl. Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (wie Kap. 1, Anm. 28), S. 15. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden, Bd 2 (wie Kap. 2, Anm. 99), S. 222. Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (wie Kap. 1, Anm. 28), S. 18. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden, Bd 3 (wie Kap. 2, Anm. 55), S. 268f. Burger, Überfälle (Anm. 9), S. 115; vgl. auch Gisela Ecker: »Heimat«: Das Elend der unterschlagenen Differenz. In: Kein Land in Sicht. Heimat – weiblich? Hg. von Gisela Ecker. München: Fink 1997, S. 7–31, hier S. 26. Vgl. auch Hans-Dieter Bahr: Begegnung des Fremden. In: Neue Heimaten – neue Fremden. Beiträge zur kontinentalen Spannungslage. Hg. von Wolfgang MüllerFunk. Wien: Picus 1992, S. 191–203, hier S. 196. Vgl. ebd., S. 191.
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Vierter Teil
es schon, fühlt wohl die »transzendentale[n] Heimatlosigkeit«;687 so wäre die Frage nach Heimat auch Frage nach Gott. Was freilich zu diesem Sein, das ein In-der-Klemme-sein688 geworden ist, vor allem zu sagen ist, ist in der Folge dies, daß in der Tat eine Dialektik zwischen zwei möglichen Lektüren gerade jener Frage nach Heimat oder Gott nicht übersehen werden kann. Durchaus gleichberechtigt nämlich stehen nebeneinander das Temporaladverbiale, wonach solche Fragen in eine gottlose Zeit fallen, und das Objekt, nach dem arglos gefragt ist. Zu trennen ist indes nicht, was nach Gott fragt. Sinnlos ist die Frage nach Gott vor seiner Präsenz; solange Er mehr als der Wunsch schlechthin ist, also Siegel einer Absenz, ist er omnipräsent und als etwas, dessen Ferne undenkbar ist, nur dem Paranoiker anzurufen, der schon fühlt, daß auch, was als fundamentale conditio nicht nur humana, sondern mundi verstanden unsere Blindheit gegen es impliziert, vergehen mag. Der Name, der der Anrufung vorangeht, kündet vom Vergehen. Der »Eigenname an sich«689 »schreibt dem Leben den Tod ein.«690 Er ist »das einzigartige Verschwinden des Einzigartigen« ...691 »Zu sagen, ›ich bin gestorben‹, ›ich bin tot‹, ist [...] die befremdliche Zeit der Lektüre.«692 Gott aber benennt noch in pessimistischster Deutung den »Terrorismus [...] der Kontinuität« ...693 Gott ist Gottes Ende, so müßte man sagen, und dies betrifft, da Gott auch Ewigkeit meint, zuletzt seinen Namen, der (s)eine Unmöglichkeit anriefe.694 O du verlorener Gott! Du unendliche Spur!695
Nicht Rilke, Hölderlin aufgreifend schreibt auch Heidegger in seinem Essay Wozu Dichter? – und unterstellt 1946, so sei nebenbei angemerkt, man ver687 688 689 690 691 692 693
694 695
Lukács, Die Theorie des Romans (wie Kap. 3, Anm. 892), S. 52. »Sein heißt in der Klemme sein.« – Emile M. Cioran: Gevierteilt. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991 (Suhrkamp-Taschenbuch; 1838), S. 90. Han, Todesarten (Anm. 178), S. 167. Ebd., S. 171. Derrida, Die Tode von Roland Barthes (Anm. 129), S. 7; also »alle Tode in einem« – ebd.; vgl. ebd., S. 24. Derrida, Kraft der Trauer (wie Kap. 3, Anm. 254), S. 28. Hans-Dieter Bahr: Über den Umgang mit Maschinen. Tübingen: konkursbuchverlag Claudia Gehrke 1983, S. 104; diese Behauptung ist, da vom Bilde der Maschine die Rede ist, welche diesen neben dem »Terrorismus [...] der Katastrophe« (ebd.) etabliert, nur sinnvoll, wo zur machina ex deo (vgl. ebd., S. 149) schreitend die »Sinnhaftigkeit der Maschine [...], um in den Raum eines experimentum machinarum vordringen zu können« (ebd., S. 324), zerbirst, was zur Schlußformel einer Kontinuität der Diskontinuität führt – in Bahrs Worten: »Authentizität als Maske aller Masken« (ebd., S. 197; vgl. auch Blanchot, Das Unzerstörbare [wie Kap. 3, Anm. 18], S. 67) ... Zu Tod und Aberration: »Dog ist die umgekehrte Wahrheit von God« – Lyotard, Kindheitslektüren (wie Kap. 3, Anm. 271), S. 43. Rilke, Die Gedichte (wie Kap. 3, Anm. 743), S. 692.
Jacques Derridas Antwort
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stünde »heute kaum die Frage« ...696 – in diesem Sinne von Gott, dessen »Fehl [...] als Fehl zu merken«697 die Zeit zu dürftig geworden ist: Spuren sind oft unscheinbar und immer die Hinterlassenschaft einer kaum geahnten Weisung. Dichter sein in dürftiger Zeit heißt: singend auf die Spur der entflohenen 698 Götter achten. Darum sagt der Dichter zur Zeit der Weltnacht das Heilige.
Man kann hier auf Gadamers Bemerkung verweisen, ein Gebet werde e r hört, indem es g e hört wird, indem das Bedürfen Referenz zu ontologischem Halt ist.699 Erhörung des Gebetes ist das Gehört-Werden des Gebetes selber, das Dasein dessen, 700 zu dem man im Gebet ruft.
Jeder anderen Anrede wäre zu erwidern: Hohe Valorisierung und Verwahrlosung eines Begriffs bilden eben durchaus keinen Widerspruch ...701 Mit Blasphemie also hebt alle Theologie (oder Patriologie) an, wobei diese Unterminierung theologischer Begrifflichkeiten freilich nicht nur keinen metaphysischen Status hat und haben soll – noch das Wort vom Tod Gottes weist darauf, daß wir des Sensoriums ermangeln, von diesem – oder von Ihm – zu sprechen.702 Diese Geschichte beginnt mit Gott und endet mit der différance – sie beginnt mit dem absoluten Vertrauen und endet mit dem [einzig theologisch zu verstehenden – 703 M. H.] absoluten Mißtrauen.
Freilich ist auch die Rede nicht unhaltbar, der Weg ins Mißtrauen sei jener zu Gott, da, wann immer sein Zeichen gesetzt ist, »das Wesen des Zeichens [...] 696 697 698
699 700
701 702 703
Martin Heidegger: Holzwege. Hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann.7. Aufl., Frankfurt a. M.: Klostermann 1994, S. 269. Ebd. Ebd., S. 272; vgl. hierzu auch Schmidts Essay Black Milk and Blue, worin mit Celan und Heidegger der Frage eben dieser Spur nachgegangen wird, deren Schweigen im Sprechen als »axis of its own idiom« (Schmidt, Black Milk and Blue [wie Kap. 3, Anm. 779], S. 110) ins Selbstgespräch um des je Verlorenen willen mündet (vgl. ebd., S. 116), woraus sich die Möglichkeit von »dating« – »writing is dating through and through« (ebd., S. 118) – als »arrival« (ebd., S. 124) ergibt: »memory of [...] mortality« (ebd.) ... »Das Werk hält das Offene der Welt offen.« – Heidegger, Holzwege (Anm. 696), S. 31; vgl. auch Derrida, Meine Chancen (Anm. 378), fol.13 r. Vgl. allerdings auch Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 79. Hans-Georg Gadamer: Gedicht und Gespräch. Essays. Frankfurt a. M.: Insel 1990, S. 141; so sind die »letzten Worte Jesu das Gebet schlechthin« – ebd., vgl. auch Derrida, Politik der Freundschaft (wie Kap. 3, Anm. 875), S. 301. Vgl. Rudolf Burger: Ein neues Zentralgebiet? Kultur als Zivilreligion. In: Merkur 605/606: nach Gott fragen (September/Oktober 1999), S. 922–935, hier S. 922. Vgl. etwa Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd III, S. 467 u. 480ff. Boris Groys: Die Wiedererschaffung des Autors nach seinem Tode. Ein Gespräch mit Torsten Hitz. In: Am Ende der Literaturtheorie? Neun Beiträge zur Einführung und Diskussion. Hg. von Torsten Hitz und Angela Stock. Münster: Lit Verlag 1995 (Zeit und Text; 8), S. 150–163, hier S. 155.
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Vierter Teil
die Tilgung des Zeichens«704 ist – und hinter der in der Schrift unvermeidlichen Durchstreichung seines Namens Gott als Trauer um Gott den heiligen Schriften näher rückt. Ein Gott der Schrift also verbleibt als unendlich wirksames Minimum seiner selbst ...705 Und mit ihm ist – es wurde dies vorweggenommen – ein »Gericht, das nur über die Richter urteilt«,706 was nun nicht ganz überraschend der Bestimmung entspricht, daß dieses Göttliche »durch Enthaltung vom Urteil urteilt«,707 was wiederum nach Adorno der Kunst eigen ist. Gott als Inbegriff des Senders zeigt, so ist auf Lyotards Rede von den Kategorien des Schweigens zu rekurrieren,708 bereits die Krise des Sprechens oder Schreibens. Gibt es eine Verpflichtung, so schreibt – einmal mehr das scheinbar naive Ordnen von Sätzen übersteigend – Lyotard, so betrifft sie die Rede von Gott: Die Vorschrift: »Du sollst Widerstand leisten (insofern Du denken oder schreiben sollst)« impliziert [...] [als] eigentliche Frage [...], was diese Vorschrift voraussetzt: Wer oder was ist der Autor (der Sender) dieses Gebots? Worin besteht seine Legitimität? Es wäre zu bedenken, daß dieser Befehl befehlen könnte, die Frage offenzulassen, wenn es wahr ist, daß dieses »Du sollst« die Ankunft einer unerwarteten Zu709 kunft bewahrt und verwahrt.
Die Rede von Gott ist, was auch das Wort Gottes umfaßt, doch hierzu ist später zu schreiben. Ähnlich jedenfalls, aber dieser Gedankenstrang ist nicht gänzlich zu entwickeln, muß vom Tod des Autors (Roland Barthes) in einer sich verschriftlichenden Welt710 wohl formuliert werden: Der »Schriftsteller ist nur noch die Einmaligkeit seiner Abwesenheit; er muß die Rolle des Toten im Schreib-Spiel übernehmen.«711 704 705 706 707 708 709
710
711
Klaus Englert: Frivolität und Sprache. Zur Zeichentheorie bei Jacques Derrida. Essen: die blaue eule 1987 (Genealogica; 14), S. 176 (Anm.). Vgl. Menke, Sprachfiguren (wie Kap. 2, Anm. 131), S. 60 (Anm.). Serres, Die Legende der Engel (wie Kap. 3, Anm. 1078), S. 230; vgl. Serres, Le Tiers-Instruit (wie Kap. 1, Anm. 19), S. 216. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 188. Vgl. Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 35, Nr 26 u. passim. Jean-François Lyotard: Zeit heute. Übersetzt von Christine Pries und Heinrich Meier. In: Zur Diagnose der Moderne. Hg. von Heinrich Meier. München, Zürich: Piper 1990 (Serie Piper; 1143 – Veröffentlichungen der Carl Friedrich von Siemens Stiftung; 3), S. 149–172, hier S. 172; ähnlich schreibt Derrida von diesem Gebot ohne Autorität (»Er wird verpflichtet haben.« – Jacques Derrida: Eben in diesem Moment in diesem Werk findest du mich. Übersetzt von Elisabeth Weber. In: Lévinas. Zur Möglichkeit einer prophetischen Philosophie. Hg. von Michael Mayer und Markus Hentschel. Gießen: Focus 1990 [Parabel; 12], S. 42–83, hier S. 43), es schreibe im verschwiegenen »›da bin ich‹« (ebd., S. 50; vgl. ebd., S. 77) Verhandlung angesichts der »Fatalität des Sagens« (ebd., S. 76) vor: Zitat ohne Befehlsgewalt ... (vgl. ebd., S. 56, 68 u. passim). Vgl. Barthes, Die Lust am Text (wie Kap. 3, Anm. 715), S. 45 u. Roland Barthes: S/Z. Übersetzt von Jürgen Hoch. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1976, S. 141, 152 sowie 173f. Michel Foucault: Schriften zur Literatur. Übersetzt von Karin von Hofer und Anneliese Botond. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1993 (Fischer-Taschen-
Jacques Derridas Antwort
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Mehr als einer schreibt wahrscheinlich wie ich und hat schließlich kein Gesicht mehr. Man frage mich nicht, wer ich bin, und man sage mir nicht, ich solle der gleiche bleiben: das ist eine Moral des Personalstandes; sie beherrscht unsere Papiere. 712 Sie soll uns frei lassen, wenn es sich darum handelt, zu schreiben.
Diese Drastik der Formulierung braucht man, wie Bürger bemerkt, »nicht zu teilen, um einzugestehen, daß jedes Buch viele heimliche Mitarbeiter hat«.713 Freilich ist andererseits eine solche Geste des Danks, denn darum handelt es sich bei Bürger, nicht, womit es ein Ende haben kann; vielmehr geht es um den Fokus, der fragwürdig erscheint, seit der Autor nicht den schon erwähnten Welten-Verfasser zur Seite hat, für ihn zutrifft, was Lukács formuliert hat.714 Also ist die Rede vom Toten im Schreib-Spiel wohl doch nicht bloß Kitsch – und fortzufahren: »In einem Wort, man möchte sich gänzlich der ›Dinge‹ enthalten; sie ›entgegenwärtigen‹«715, heißt es an anderer Stelle vom Autor, der sich in seiner Scheu vor alten Kategorien in einen »›Wahnsinn ohne Delirium‹«716 verflüchtigt. Gewiß ist dennoch, daß der »Autorname [...] eine Geste, ein Fingerzeig«,717 »in diesem Spiel [...] ein Kunstmittel«718 bleibt. Des Autors Tod ist jener des verpflichtenden Namens (der »Eigenname kann nicht mehr geschrieben werden«719), einer Technik des Univoken720 – verlangt wird eine neue Konstellation der Begriffe, die nicht vergißt, daß der Autor über eine klare Referenz hinaus »Bildungsgesetze für andere Texte«721 schafft, allgemein im Geschaffenen »Raum [...] für etwas anderes [...] begründet«.722 »Als eine Sprachkreatur ist der Schriftsteller immer in den Krieg der Fiktionen (der Redeweisen) verwickelt, aber er ist dabei immer [...] ein Spielball«723...: Das »Buch macht den Sinn«.724
712
713 714
715 716 717 718 719 720 721 722 723
bücher; 7405 – Fischer Wissenschaft), S. 12; vgl. Heidegger, Das Wesen der Sprache (wie Kap. 3, Anm. 184), S. 215. Foucault, Archäologie des Wissens (Anm. 394), S. 30; ich, der ich mir »mit etwas fiebriger Hand das Labyrinth bereitete, wo ich umherirre, meine Worte verlagere, [...] an ihm Vorkragungen finde, die seine Bahn zusammenfassen und deformieren, wo ich mich verliere« (ebd.). Bürger, Ursprung des postmodernen Denkens (wie Kap. 1, Anm. 129), S. 11f. Vgl. Lukács, Die Theorie des Romans (wie Kap. 3, Anm. 892), S. 52; vgl. zu diesen und den folgenden Überlegungen – auch gegen sie – Peter Bürger: Das Verschwinden des Subjekts. Eine Geschichte der Subjektivität von Montaigne bis Barthes. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998, S. 13, 32, 191, 203, 208ff., 211, 223 u. passim. Foucault, Archäologie des Wissens (Anm. 394), S. 72. Ebd., S. 73. Foucault, Schriften zur Literatur (Anm. 711), S. 15; vgl. auch Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 46. Foucault, Die Ordnung der Dinge (wie Kap. 1, Anm. 21), S. 38. Barthes, S/Z (Anm. 710), S. 99. »Tod der Rhetorik« – Barthes, Das semiologische Abenteuer (Anm. 123), S. 15. Foucault, Schriften zur Literatur (Anm. 711), S. 24. Ebd., S. 25; vgl. ebd., S. 103. Barthes, Die Lust am Text (wie Kap. 3, Anm. 715), S. 51.
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Vierter Teil
Und zwar deshalb, weil [...] Schreiben nicht mehr länger eine Tätigkeit des Registrierens, des Konstatierens, des Repräsentierens [...] bezeichnen kann, [...] der mo725 derne Schreiber den Autor begraben hat. 726
Das Buch ist voller Leben – [...] wie ein Ameishaufen.
727
Das Schreiben tritt genau dort auf, wo [...] es zu sprechen beginnt.
Mit dem Sich-Schreiben des Wortes hält noch die Wahrheit Einzug.728 Es sei als Einschub gestattet, auf Celans Wort, wonach das Gedicht »spricht«729 – »ein Sprechen für die eigene Form und die eigenen poetischen Mittel«,730 wie Colin nicht unzutreffend bemerkt – hinzuweisen. Rätselhaft erscheint ja die Behauptung just dieses vollendeten Lyrikers: Das absolute Gedicht – nein, das gibt es gewiß nicht, das kann es nicht geben!731
Genau im Sinne eines Sich-Schreibens ergibt das einen präzisen Sinn, das Gedicht, das »einsam und unterwegs«732 seinen Verfertiger wie seinen Leser733 als »mitgegeben«734 zur Seite hat, gibt es nicht, da es sich gibt, allerdings in Permanenz – kein Rahmen läßt sich bilden, der die Rede vom finalen und in diesem Sinne absoluten Gedicht nicht zur Farce machte ... »Schreib unmögliche Gedichte«,735 so lautet Mandelstams Imperativ, der in der selbstverständlichen Forderung des Unmöglichen von Ästhetik bei Adorno Nachhall gefunden haben wird. Dieses Handwerk [der Dichtung, M. H.] hat ganz bestimmt keinen goldenen Boden, 736 wer weiß, ob es überhaupt einen Boden hat.
Das Gedicht lebt fort, indem es mit Sinn und Rhetorik, die einen Rahmen zu geben sich anschicken, auf den Rede subtil verpflichtet wäre, bricht und einer 724 725
726 727 728
729 730 731 732 733 734 735 736
Ebd., S. 54; vgl. Barthes, Das semiologische Abenteuer (Anm. 123), S. 149 u. Barthes, S/Z (Anm. 710), S. 141 u. 152. Roland Barthes: Der Tod des Autors. Übersetzt von Matias Martinez. In: Texte zur Theorie der Autorschaft. Hg. von Fotis Jannidis u. a. Stuttgart: Reclam 2000 (Universal-Bibliothek; 18058), S. 185–193, S. 189. Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen (wie Kap. 3, Anm. 73), S. 122. Barthes, Das semiologische Abenteuer (Anm. 123), S. 297; vgl. Ingold, Üb er’s: Übersetzen (wie Kap. 3, Anm. 875), S. 146. Vgl. Jabès, Die Schrift der Wüste (wie Kap. 3, Anm. 290), S. 125ff.; Adorno bemerkt, nur der Gedanke, der sich nicht versteht, nicht in seiner Schuld aufgeht, könne wahr sein – vgl. Adorno, Minima Moralia (wie Kap. 1, Anm 166), S. 254, Aph. 122. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 196. Colin, Der Weg der Lyrik Celans (wie Kap. 3, Anm. 227), S. 348. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 199. Ebd., S. 198; vgl. ebd., S. 186. »Die Geburt des Lesers ist zu bezahlen mit dem Tod des Autors.« – Barthes, Der Tod des Autors (Anm. 725), S. 193. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 198. Mandelstam, Über Dichtung (wie Kap. 3, Anm. 1074), S. 14. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 177.
Jacques Derridas Antwort
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Bestimmung – noch »ist kein einziges Wort da, aber das Gedicht klingt bereits«737 – stattgibt, die sich daraus speist, »daß die Möglichkeit einer Konvergenz von Strenge und Lust Täuschung ist«.738 Das klingt harmlos, wenn man vergißt, daß Lust hier durchaus als Erkenntnisqualität aufzufassen ist; auch muß sogleich betont werden, daß Präzision dann doch dieser Lust beizugesellen ist. Solche Lust braucht es, was freilich eine unbehagliche Konstellation ergibt, versteht sich doch von selbst, daß, wer auf Ordnung bedacht ist, »gegen die Rhetorik solange Nachsicht üben kann, wie man weiß, wohin sie gehört«.739 Solange jedoch diese Zugehörigkeit gegeben ist, ist keine Rhetorik oder eben ihre zur Manier verkommene Ruine. Paul de Man aber sieht klar, daß diese Ruine ein Unding ist, deren Nomenklatur die Tropen (Parasiten) nicht faßt, die schon sozusagen orthodoxer als ihre Ausschließung erscheinen: Gebrauch und Mißbrauch der Sprache lassen sich voneinander nicht streng scheiden. »Mißbrauch« der Sprache ist selbstverständlich selbst der Name einer Trope: 740 Katachrese.
Muß man das etwas Spöttische der nachgesetzten Bemerkung hervorheben? Jedenfalls herrscht – wohl nicht immer in jener Deutlichkeit des hingeschleuderten »Fehdehandschuh[s]«741 – in »der Poesie [...] ständig Krieg«,742 Vatermord in Permanenz. Dies ist es, was den »Text [...] alterslos«743 macht und die Dichtung »durch die Zeit hindurchzugreifen«744 befähigt und veranlaßt, sie aber auch verblassen läßt, öffnet sie sich doch dem Kommenden: Das Buch der Schöpfung bleibt – als letztes der Bücher – weiß.745 Das Geschriebene schwindet im Geschriebenen. Die Schwärze wird weiß in der 746 Schwärze. Die Weiße bleibt.
737
738 739 740 741 742 743 744
745 746
Mandelstam, Über Dichtung (wie Kap. 3, Anm. 1074), S. 14; Olschner scheidet akribisch das Pathos der dichterischen Existenz Celans vom Pathos der Macht der Sprache bei Mandelstam – wohlwissend, daß beide Topoi nicht unwahr sind – vgl. Olschner, Der feste Buchstab (wie Kap. 3, Anm. 766), S. 66. de Man, Epistemologie der Metapher (wie Kap. 1, Anm. 82), S. 437. Ebd., S. 416f. Ebd., S. 424; vgl. ebd., S. 435. Mandelstam, Über Dichtung (wie Kap. 3, Anm. 1074), S. 88. Ebd., S. 49. Jabès, Die Schrift der Wüste (wie Kap. 3, Anm. 290), S. 121. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 186: »– durch sie hindurch, nicht über sie hinweg« – vgl. auch Umberto Eco u. a.: Zwischen Autor und Text. Interpretation und Überinterpretation. Übersetzt von Hans Günter Holl. München, Wien: Hanser 1994 (Edition Akzente), S. 133. Jabès, Die Schrift der Wüste (wie Kap. 3, Anm. 290), S. 46. Ebd., S. 163; auch dies weist auf die différance: »Sprache ohne Ursprung und Namen« – ebd., S. 120.
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Vierter Teil
Durch eine auf begrifflicher Ebene scheinbar unwirksame Operation vermag Sloterdijk Schrift an sich als Plädoyer für die Wahrnehmung eines Terrains, das nicht mehr Terrain sein kann, zu lesen – die »Grenzen meines Übertragungsvermögens sind die Grenzen meiner Welt«747... Zwei Formulierungen, die des absoluten Gedichts eingedenk sein Fortdauern von Zeile zu Zeile beschreiben, sollen den Einschub beschließen: Die »Literatur wird zur Utopie der Sprache«.748 Das Buch wird Schrift, indem es sich als das zu lesen gibt, was es sein wird.749
Mit Benjamin und Ingold wurde aufs Weiterschreiben – ein Zulassen des SichWeiterschreibens bei Ingold – verwiesen.750 Ingold endigt folgerichtig mit einem sozusagen gewichtigen »Etc.«751... Dies ist die Rückkehr dorthin, »wo [...] es zu sprechen beginnt«,752 sozusagen in den Schoß der Sprache, wo »sie [...] ein Paradies [wiederholt], das verloren ist«,753 schon immer – »Unschuld der Schuld«754... Ich- und Dingvergessenheit machen diese Sprache möglich.755 756
Die Rhetorik (der Blumengarten) ist [...] auch die »Blüte« des Atheismus.
Ein Seitenweg lockt – zum Zeugen, der unbezeugt spricht.757 Ihm konvergiert das Datum, die Unterschrift, das, was im »vorgeblich eigenen Namen«758 liegt, schließlich Gott.759 Hier ist der schon erwähnte verzweifelte Imperativ – 747 748 749 750
751 752 753
754 755
756
757
Sloterdijk, Sphären (wie Kap. 3, Anm. 536), Bd I, S. 14 (Hervorhebung M. H.); vgl. Wittgenstein, Werkausgabe (wie Kap. 1, Anm. 133), Bd 1, S. 67, § 5·6. Barthes, Am Nullpunkt der Literatur (wie Kap. 3, Anm. 983), S. 101. Jabès, Es nimmt seinen Lauf (wie Kap. 3, Anm. 1042), S. 14; »unhaltbare Totalität« – ebd., S. 16. Vgl. Benjamin, Die Aufgabe des Übersetzers (wie Kap. 3, Anm. 859), S. 10ff.; vgl. auch Ingold, Üb er’s: Übersetzen (wie Kap. 3, Anm. 875), S. 149 u. 167; Ingold kennt auch die Übersetzung »vom Deutschen ins Deutsche« – ebd., S. 164; vgl. ebd., S. 164f. Ebd., S. 167. Barthes, Das semiologische Abenteuer (Anm. 123), S. 297. Gerburg Treusch-Dieter: Schuld hoch fünf – fünf Fragen. In: Schuld. Hg. von Gerburg Treusch-Dieter, Dietmar Kamper und Bernd Ternes. Tübingen: konkursbuchverlag Claudia Gehrke 1999 (Konkursbuch; 37), S. 9–10, hier S. 10. Ebd. Waterhouse, Die Geheimnislosigkeit (wie Kap. 3, Anm. 291), S. 176; vgl. auch ebd., S. 236 u. Barthes, S/Z (Anm. 710), S. 16ff.; dies ist auch als Ausblick auf Heimat und Heimatlosigkeit zu lesen – von »der Heimatlosigkeit kann einer überhaupt nur ohne Wörter erzählen« (Waterhouse, Die Geheimnislosigkeit [wie Kap. 3, Anm. 291], S. 18) ... Blanchot, Das Unzerstörbare (wie Kap. 3, Anm. 18), S. 253; vgl. ebd., S. 266 u. passim; vgl. etwa auch die Häresie bei Anders, Ketzereien (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 5, 9, 76 u. passim. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 2.
Jacques Derridas Antwort Verwechselt mich vor Allem nicht!
301 760
– dem eigen, das des Namens bedarf: nicht, um für sich zu stehen, sondern um den »Augenblick ohne Schatten«761 zu bewahren, also das Nichtige, das im Datum der Schrift überantwortet und erhalten wie verraten wird. Die Macht liegt beim Und, das die Ruine des Datums an das bindet, was das Datum und nicht mehr es ist – also ans Spiel, in dem das Datum nur noch jener Schatten ist, der zum Weiterlesen und -schreiben treibt. Und ist Gott.762 Gott [...] ist [...] die einzige Unmittelbarkeit, von der die Rede sein kann: die der 763 Mittelbarkeit schlechthin.
Dieser Gott ist das Essentiell-Werden der Absenz, dessen, was kein unwesentliches Unwesen treibt – Derrida setzt solche »Allo- und Thanatographie«764 als Impetus ohne konturiertes Programm, das sich ihm anschlösse, an den Beginn des Textes wie eines Textes.765 Der Tod Gottes ist, was die Stilsicherheit Gottes in seiner Exegese belegte – ein Stattgeben gegenüber dem, was ein Gerinnen in einem Fokus als weitgefaßt ästhetisches Scheitern vermeidet, Gott als »Undenkbares, das einen dazu zwingt, die Befragung immer weiter voranzutreiben«,766 in Textualität auflöst. Man könnte an die Formulierungen Barthes und Foucaults erinnern, wonach Gott scripteur767 würde, Textgenerator, der sich als »riesige[s] Wörterbuch«768 allein offenbarte – entgegen der aus ihm geformten »ideolgische[n] Figur, mit der man die Art und Weise kennzeichnet, in der wir die Vermehrung von Bedeutung fürchten«.769 Der Interpret (Theologe oder Philologe) steht in der Schuld des Textes, der nicht aufs von Gott ge-
758 759 760 761 762 763
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Derrida / Kittler, Nietzsche – Politik des Eigennamens (wie Kap. 1, Anm. 48), S. 10. Vgl. ebd., S. 9f., 13, 17, 25, 30, 40 u. 54. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd VI, S. 257. Derrida / Kittler, Nietzsche – Politik des Eigennamens (wie Kap. 1, Anm. 48), S. 30; vgl. ebd., S. 28f. Ebd., S. 16. Hamacher, Afformativ, Streik (wie Kap. 2, Anm. 170), S. 362; demgemäß ist seine Offenbarung in der Heiligen Schrif »übersetzbar schlechthin«. – Benjamin, Die Aufgabe des Übersetzers (wie Kap. 3, Anm. 859), S. 21. Derrida / Kittler, Nietzsche – Politik des Eigennamens (wie Kap. 1, Anm. 48), S. 40; vgl. ebd., S. 25. »Die Zukunft des Textes Nietzsche ist nicht abgeschlossen.« – ebd., S. 54. Edmond Jabès, zit. in Schmitz-Emans, Poesie als Dialog (Anm. 2), S. 74 (Anm.). Barthes, Der Tod des Autors (Anm. 725), S. 189. Ebd., S. 191. Michel Foucault: Was ist ein Autor? Übersetzt von Karin von Hofer, Anneliese Botond und Fotis Jannidis. In: Texte zur Theorie der Autorschaft. Hg. von Fotis Jannidis u. a. Stuttgart: Reclam 2000 (Universal-Bibliothek; 18058), S. 198–229, hier S. 229; vgl. ebd., S. 228f. u. Foucault, Schriften zur Literatur (Anm. 711), passim.
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Vierter Teil
machte Bild rückbezogen werden soll; gemahnt sei an die ungenaue Übermittlung eines unwesentlichen Inhalts«770... Nicht nur von den Hörenden ist zu sagen, was mit Lyotard formuliert worden ist – die Berücksichtigung des »›Du sollst‹«,771 das »Gott außerhalb«772 nicht länger sieht, nämlich; Jabès unterstellt Gott: »Gott existiert nicht, aber Sein Wort existiert.«773 »Gott radierte Seinen Namen aus« ...774 Gott verpflichtet zu einer »Atheologie«775 um die »Totenmaske des gestorbenen Gottes«.776 Es ist schon gesagt worden: Ich sage [...] nicht Tod, weil ich an das, was man heutzutage den Tod [...] zu nennen 777 pflegt, ganz und gar nicht glaube ...
Was also bleibt, ist gewissermaßen Gott als Übergang von Gott zu Gott, womit der »Begriffsgott [...] in s e i n e r Sphäre«778 gemeint ist, der nur bis zum Eingedenken und der rhetorischen Metamorphose jener Ordnung, die eben noch seine zu sein schien, »zwiefach eine Lüge«779 ist, die immer unmerklich durchs diskrete Einbrechen eines Spuks ihr Ende findet. Dieser Spuk des »instance« – »that there is«780 – ist und schafft das Sein, dem er sich, der er als Spuk kein Element781 ist, entzieht, das er also in Philosophie zwingt, welche die Überraschung nicht abtut noch zur Ordnung ruft, sondern zu den »Masken oder pluralen Namen«782 findet und von einer »surprise essential to the concept«783 zu schreiben sich nicht scheut. Das Datum ist ein Zeuge [...]. Aber es zeugt von nichts.784
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Benjamin, Die Aufgabe des Übersetzers (wie Kap. 3, Anm. 859), S. 9. Lyotard, Zeit heute (Anm. 709), S. 172; vgl. zu den Verbindungslinien zu Nomade und différance ebd., S. 169. Ebd., S. 152. Jabès, Der vorbestimmte Weg (wie Kap. 1, Anm. 186), S. 20. Ebd., S. 32; »Und so verliert sich unablässig Gott in Gott.« – Jabès, Es nimmt seinen Lauf (wie Kap. 3, Anm. 1042), S. 23. Hamacher, Das Ende der Kunst mit der Maske (wie Kap. 2, Anm. 104), S. 151. Ebd., S. 152. Derrida, Positionen (wie Kap. 2, Anm. 262), S. 37. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd I, S. 882. »›Alle Wahrheit ist einfach.‹ – Ist das nicht zwiefach eine Lüge? –« – ebd., Bd VI, S. 59. Jean-Luc Nancy: The Surprise of the Event. Übersetzt von Lynn Festa und Stuart Barnett. In: Hegel After Derrida. Hg. von Stuart Barnett. London, New York: Routledge 1998, S. 91–104, hier S. 95. Vgl. ebd., S. 97. Derrida / Kittler, Nietzsche – Politik des Eigennamens (wie Kap. 1, Anm. 48), S. 25. Nancy, The Surprise of the Event (Anm. 780) , S. 96. Macho, Der 9. November (Anm. 363), S. 233; vgl. auch ebd., S. 234; Derrida, Schibboleth (wie Kap. 3, Anm. 182), S. 81; Derrida, Schibboleth pour Paul Celan (wie Kap. 3, Anm. 776), S. 68.
Jacques Derridas Antwort
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Sie, die Sprache, blieb unverloren, ja, trotz allem ...785
Man muß die Präzision der Melancholie jener Worte verstehen. Es sei nicht unterschlagen, daß verborgene Theologie oder Mystik und Elternlosigkeit sich beim in meiner Arbeit stets befragten Celan zu einer »Gottist-tot-Theologie«786 verdichten, die noch in seinen Lesespuren etwa bei Benjamin und Bernhard nachzuweisen ist.787 Am Rande sei auf eine böse Pointe, die Kamper hier entwickelt, verwiesen: Die Schlange im Paradies hat recht behalten. Ihr werdet sein wie Gott, wissend das Gute und das Böse. Aber Gott ist tot [...]. Die Menschheit hängt an einer toten Kette ...788
Der Ort des Teufels nach Gott789 bleibt zu bedenken – immerhin: Gott ist widerlegt, der Teufel nicht.790
Heimat, um es nochmals mit dem Wort zu versuchen, ist »etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war«791... 785 786 787 788
789 790
791
Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 185. Koelle, Paul Celans pneumatisches Judentum (wie Kap. 3, Anm. 870), S. 184; vgl. ebd., S. 184ff. u. passim. Vg. ebd., S. 55 (Anm.), 64 (Anm.), 173, 184ff., 228. Dietmar Kamper: Die Gegenstandslosigkeit der Geisteswissenschaften und die neuen Brennpunkte der Industriegesellschaft: Körper, Sprache, Bild, Zeit. In: Die Geisteswissenschaften im Spannungsfeld zwischen Moderne und Postmoderne. Hg. von Helmut Reinalter und Roland Benedikter. Wien: Passagen 1998 (Passagen Philosophie), S. 25–31, hier S. 29; Sloterdijk bemerkt in einer Diskussion (u. a. mit Kamper), Denken sterbe keineswegs an der Lüge des großen Blicks, sondern an der Pseudomorphose »an einen Gott, von dem behauptet wird, er sei nicht.« – Sloterdijk u. a., Wissenschaft (Anm. 167), S. 104. Vgl. Lec, Alle unfrisierten Gedanken (wie Kap. 3, Anm. 769), S. 29. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd XII, S. 36; Adorno hat festgehalten, daß die magere Hoffnung der Theodizee, »daß [...] [Verzweiflung] im Sinne des Absoluten selber gelegen sein könne, auf dessen eigene Verteufelung hinausläuft« – Adorno, Nachgelassene Schriften (wie Kap. 3, Anm. 532), Bd 14, S. 189; dies, Verzweiflung: »lies: Auschwitz oder die Atombombe« – ebd., S. 279 (Anm.); vgl. ebd., S. 181. Ernst Bloch: Werkausgabe, Bd 5: Das Prinzip Hoffnung. In fünf Teilen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1985 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 554) Bd 5·3, S. 1628; vgl. zur Wendung ins Utopische die Rede von etwas, »das von seinem Nicht-Sein nicht widerlegt wird« (ebd., S. 1415); vielleicht wäre desillusionierter von Heimat als von etwas, das allen in d e r Kindheit scheint und worin noch niemand war, zu schreiben ... Heimat gehörte dann zu jenen »Bilder[n], die wir nie sahen, ehe wir uns ihrer erinnerten.« – Benjamin, Gesammelte Schriften (wie Kap. 2, Anm. 131), Bd II·3, S. 1064; vgl. ebd., Bd II·1, S. 311; Adorno umschreibt so das Schöne: als »vertrautes Zitat des nie Gesehenen.« – Adorno, Minima Moralia (wie Kap. 1, Anm 166), S. 143, Aph. 72; »staunen die alten / Bilder sich nach« – Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 314; Celan
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Vierter Teil
Am Rande jedoch wird die Begegnung als Spur eines befremdlichen Geschehens 792 vernehmbar.
Man müßte hier (theologisch und erotisch) auf die Deutung verweisen, daß, wo eine immer neue Statthalterschaft im Zentrum steht, die Spur allein zur Anbetung und -rufung verbleiben kann, von einem »generalized fetishism«793 gesprochen werden kann: If the Ersatz is originary there would no longer be an opposition Ersatz/non-Ersatz.794
Gott ist somit in einer Inversion nicht nur, was Gott nicht genügt, sondern unter den Vorzeichen, daß Gott nicht sein kann, ein Ausdruck für diese Unmöglichkeit – Derrida sieht darin keinen transzendentalen Schlüssel, aber zumindest die Möglichkeit eines Denkens, das seine Gespenster ahnt,795 für »a religious man sans theism«.796 Eine poetische Herbergsuche kennt man aus Eichendorffs Mondnacht, die hier nochmals kurz ins Blickfeld gerückt sei: Es war, als hätt’ der Himmel Die Erde still geküßt [...]. Und meine Seele spannte Weit ihre Flügel aus, Flog durch die stillen Lande, 797 Als flöge sie nach Haus.
Auch hier hat ein Irrealis das letzte Wort, worauf bereits öfters hingewiesen wurde.798 Das Heim, das es geben mag, wird nimmermehr zu Heimat, das -at als Residuum einer gehörigen Überhöhung bleibt unklar ...799
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schreibt in einem früheren Poem auch vom nahen »Nirgends der Nester« – ebd., Bd 1, S. 116; vgl. zur Heimat bei Rose Ausländer Martin Koch: Wunder aus Verlust. Zum Tod der Lyrikerin Rose Ausländer. In: Stuttgarter Zeitung, 5. Januar 1988; vgl. auch Paul Konrad Kurz: – Ortlos atmend im Wort. Zum Tode von Rose Ausländer. In: Süddeutsche Zeitung, 5. Januar 1988. Bahr, Begegnung des Fremden (Anm. 685), S. 191. Sarah Kofman: »ÇA CLOCHE«. Übersetzt von Caren Kaplan. In: Derrida and Deconstruction. Hg. von Hugh J. Silverman. New York, London: Routledge 1989 (Continental Philosophy; II), S. 108–138, hier S. 118. Ebd., S. 122. Jacques Derrida, zit. in ebd., S. 134: »the thing itself is [...] the mother’s penis«. Vgl. Derrida, Falschgeld (wie Kap. 3, Anm. 999), S. 10 sowie Barthes, Die Lust am Text (wie Kap. 3, Anm. 715), S. 70; »Göttin: // Wo du dich auftust, im Kniesitz, / dreht sich ein wissendes Messer / um seine Achse, / im Gegenblut- / Sinn.« – Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 290. Caputo, The Prayers and Tears of Jacques Derrida (Anm. 87), S. 304; vgl. ebd., S. 332 u. passim. Eichendorff, Gedichte (wie Kap. 3, Anm. 202), S. 120f. Vgl. Adorno, Zum Gedächtnis Eichendorffs (wie Kap. 3, Anm. 934), S. 73.
Jacques Derridas Antwort
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A l t e L a n d k a r t e. – In einer Liebe suchen die meisten ewige Heimat. Andere, sehr wenige aber, das ewige Reisen.800
In einer neueren Landkarte wären Reise und Heimat, vielleicht auch Liebe Synonyma. Freilich bedeutet dies ein Lager, vor dem Nietzsche warnt.801 Nicht unpointiert schreibt vom Zentrum Waldenfels, es zeitige, wo es gefaßt werden soll, dieses Bemühen »einen Kometenschweif von Epizentren«.802 Das Subjekt, »dieser untertänige Herrscher sieht sich ständig bedroht von dem, was er zu besitzen [...] trachtet, und außerdem treten andere Epizentren auf, die seine Einzigkeit in Frage stellen«.803 Man könnte somit die paradoxe Formel riskieren, gerade jenes letzte Wort, allgemeiner: Schrift könne Heimat sein. Nicht gemeint ist damit die Idee des bloßen Rückzugs in Tagebuch und dergleichen.804 Ehe die Frage beantwortet werden kann, was es mit der Schrift auf sich habe, sei rekapituliert; kein Ich ist, auf das man sich stützen dürfte, der Name ist durchgestrichen zu denken, mit ihm auch die Rose als Stütze; keine Heimat ist, die sich als tragfähiger Begriff bewährte; keine Hoffnung auf einen »metaphysischen Stammbaum«,805 wie Sloterdijk es in einer Diskussion nannte, es führte schließlich die Seele zum Einen als letztem Rückhalt. Eine Entwurzelung also ist zu denken, die trotz der Affinität der Dichterin zu Platon oder Spinoza besteht. Wie ein Wahn macht sich die Obsession aus, hier noch ein Denken einsetzen zu lassen, dessen Assoziationen irgendeine Verbindlichkeit eignete. 799
800 801 802
803 804 805
Vgl. Pastior, Das Hören des Genitivs (wie Kap. 3, Anm. 549), S. 82f. u. Müller, Ist aber jemand abhanden gekommen, ragt aber ein Hündchen aus dem Schaum (wie Kap. 3, Anm. 1036), S. 80f.; vgl. auch Ecker, »Heimat«, Das Elend der unterschlagenen Differenz (Anm. 684), S. 27 Benjamin, Einbahnstraße (wie Kap. 3, Anm. 16), S. 67. Vgl. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd IV, S. 134. Waldenfels, Antwortregister (wie Kap. 1, Anm. 159), S. 210; in einem frappierenden Plural schreibt von »absoluten Ursprüngen« Derrida: Husserls Weg in die Geschichte am Leitfaden der Geometrie (wie Kap. 3, Anm. 883), S. 114; zu Phänomenologie und Dekonstruktion – auch als Verteidigung Husserls, der manchen Einwand seiner Kritiker vorwegnahm, indem er etwa das Ich mit dem Fremden anheben ließ, mit dem, was »mein Modifikat, anderes Ich« (Edmund Husserl: Arbeit an den Phänomenen. Ausgewählte Schriften. Hg. von Bernhard Waldenfels. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1993 [Fischer-Taschenbücher; 11750 – Philosophie], S. 162; vgl. ebd., S. 161 u. passim), Auflösung der Erscheinung und / durch Auflösung dessen, dem sie erscheint, ist; indem er vor »radikal verschiedener Art und Herkunft« (ebd., S. 122) der scheinbaren Urgründe wie Derrida von einem Wandel (warum nicht in steter écriture?) dessen, was »unendlich vielfältig unbestimmt« (ebd., S. 117) durch seine Einschreibung von Ordnung zu Ordnung, seine »Umschaffung« (ebd.) zu bleiben scheint, schreibt – vgl. Lobsien, Wörtlichkeit und Wiederholung (wie Kap. 3, Anm. 170), S. 68, 222 u. passim. Waldenfels, Ordnung im Zwielicht (Anm. 327), S. 128. Vgl. etwa Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (wie Kap. 1, Anm. 28), S. 15. Harald Weinrich u. a.: 41. Baden-Badener Disput. Kulturgespräche zur Zeit: »Erinnern und Vergessen«. Mod. von Gertrud Höhler. Baden-Baden: Südwestfunk 1997.
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Vierter Teil
Immer wieder spielen Unbekannte ins Denken, die jenes auch mittels Ironie oder Inversion nicht zu beherrschen imstande ist; der Tod etwa, dem zweifelsohne eine gewisse Prominenz zukommt, läßt sich nicht »ins Angesicht schauen«,806 wie Hamacher schreibt, wobei er mittels Attributsatz eine Unterminierung aller Attributionen des Todes betreibt – der »Tod, wenn wir jene Unwirklichkeit so nennen wollen« ...807 Vom Ansinnen, legitim zu dichten und zu denken, spricht darum Anders nicht ohne Selbstironie, indem er es »morbus metaphysikus«808 heißt. Derlei führt zu Schlaflosigkeit, die – während sich die Auflösung, die noch sich selbst dem Kalkül vermutlich konsequent entzieht, als durchaus omnilatent erahnen läßt – als auch konkret gegeben, als biographisches Faktum also sich erweist. Freilich reizt dies gleich zur Umdeutung der mit Cioran ins Spiel gebrachten Insomnia: Schlaflosigkeit, die Wachheit der Erkenntnis, ist der Segensfluch der Ausländer, er 809 macht sie hellsichtig.
Diese Schlaflosigkeit der Dichterin wird zum moralisch-ästhetischen Imperativ, so möchte man meinen: »Du sollst nicht schlafen!« rief mit Feuerzunge 810 der Engel im Docht,
der den Erynnien gleich zuletzt Ruinen einer Metaphysik vertritt, in die keine Zuflucht ist. »Aus zerrütteten Träumen / erwachend / im Nessellager«811 schreibt Rose Ausländer. Dünn ist die Hoffnung, das, was »Menschen [...] verschlingt«,812 finde »Lyrik unverdaulich«.813 »O die sorglosen Ungeborenen im Nichtsein, ohne Ruhestörung, ohne Unruhestörung«,814 so erhebt die Dichterin in einem Proastück, einem einzigen Ausruf die Stimme. Gerade in jenen Jahren, die sie Ohne Visum (1974) betitelt, in denen sie, ehe Lethe (1966) sie ereilt, ihr Inventar (1972) ordnet, kreisen nicht wenige Verse darum:
806 807 808 809 810
811 812 813 814
Hamacher, Die Sekunde der Inversion (wie Kap. 2, Anm. 84), S. 84. Ebd. Anders, Philosophische Stenogramme (wie Kap. 2, Anm. 132), S. 5. Politzer, Gesänge der Fremdlingin (wie Kap. 1, Anm. 84), S. 225. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 123; in Vorstufen ist der Ruf versuchsweise noch durch eine Drohung ersetzt; auch überlegt die Dichterin die im Typoskript sogleich gestrichene Formel mit feuriger Zunge, auch das Kompositum Feuerzunge findet sich – gegen beide spricht wohl die Assonanz von Dolch und Docht. Ebd., S. 124. Ebd., S. 190. Ebd. Ebd., S. 176.
Jacques Derridas Antwort
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Aufgehoben im Schlaf 815 Erwachen tut weh,
so heißt es im ersten der drei genannten Bände. Und hier fällt die Frage nach der Schrift, worin der »Anschlußlosigkeit«816 entsprochen werden soll, die als negative Bestimmung freilich ihrerseits »zersetzt«817 werden kann. Gerade Schrift wird kraft der Technik, die die Obdachlosigkeit, welche freilich zuvor bloß übersehen worden sein mag, ins Bild oder die Absenz eines rechten Bildes rückte, zum Raum einer »Verlustanzeige«.818 Wo liegt, was verloren ist? Hans-Dieter Bahr beschreitet in Die Sprache des Gastes eine Degrammatisierung, die zu jenem Punkt sehr exakt führt, wo der Punkt fragwürdig wird. Und würde man die Buchstaben ins Unaussprechliche zerlegen, wer wollte behaupten, solche Ikone, Grapheme, Traumchiffren entzögen sich jedem Sinn? Man wird nur dann von »Unsinn« reden können, wenn man an einem bestimmten Sinn festhält, 819 obwohl bereits ein anderer Geltung beansprucht.
Man kann diesen Sinn als den Impetus eines Ungleichgewichts – und im »Augenblick, da wir das Gleichgewicht verlieren, mögen wir erschrecken«,820 wiewohl es konkret nicht zu sagen ist, was »notwendig mit Schrecken verbunden ist«821 – zu ignorieren suchen. Doch geht dann der Schrecken in die Praxis seiner Ausschließung über, die das Spiel scheut – »wo wir [...] den Schrecken herausfordern«,822 »die Erwartung der Unterbrechung«823 hegen. Bekannt ist der Schrecken einer durchaus grotesk sich entwickelnden »Befangenheit in einer bestimmten Onto-Logik«,824 die schon deshalb in Sein und Sinn zerfällt, da sie beider verlustig zu gehen im Begriff ist. Der Punkt, worin also sich ein Sinn – etwa als »Maske des Schreckens«825 zu benennen – aktualisiert, immer wieder und immer schon aktualisiert haben wird, ist es, dem es nachzuspüren gilt. In welchem Punkt, der von Referenz zu Referenz augenfällig bei jedweder Zuordnung gleitet, indem er sich der »›Absenz der Absenz‹«826 nicht schuldig macht und sich vollends zerteilt, kulmi815 816 817 818 819 820 821 822 823 824 825 826
Ebd., S. 143; vgl. auch ebd., (wie Kap. 1, Anm. 11), Bd 6, S. 67 – Schreiben wird Schlaflosigkeit. Schmidt, Bild im Ab-wesen (Anm. 476), S. 181. Ebd. Ebd., S. 60. Bahr, Die Sprache des Gastes (wie Kap. 2, Anm. 7), S. 362; vgl. zur Agrammatikalität auch Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 304. Bahr, Sätze ins Nichts (Anm. 346), S. 19. Ebd. Ebd., S. 28. Ebd. Ebd., S. 334; vgl. ebd., S. 330ff. u. passim. Ebd., S. 32. Bahr, Die Sprache des Gastes (wie Kap. 2, Anm. 7), S. 396.
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Vierter Teil
niert, was hier zu denken ist, läßt sich erraten. Es ist das A der différance, das in der »Denominalisierung«827 wartet. Der Buchstabe übersetzt sich nun aus sich – in sich selber.828 Unvollendet Auf meiner Handfläche geschrieben Licht- und Schattenlinien Liebeslinie Lebenslinie ein Kreuz viele Striche kreuz quer der Buchstabe A 829 unvollendet A Vom A zum B ist ein endloser Weg Zwischenraum Atome Der Atem ein Zug durch die Luft es geht von Adam zu Ade Äonenweg letztes Alibi 830 Amen Gib Kunde [...] wie träumst du die Ordnung der Buchstaben die Anordnung Ja Nein Trauer 827 828 829 830
Ebd., S. 362. Derrida, Babylonische Türme (wie Kap. 3, Anm. 884), S. 163. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 110. Ebd., (wie Kap. 1, Anm. 4), Bd 7, S. 22; einzige Überlegung, die im Nachlaß zu finden ist, ist die Frage, ob Zwischenraum Atome eine glückliche Wendung sei ... Rose Ausländer klammert die Worte ein, versieht sie mit einem Fragezeichen – in der Tat ist die Zergliederung jenes Raums in die Statthalter der Punkte, deren Isoliertheit und Separation skizziert wird, vielleicht zu überdenken.
Jacques Derridas Antwort
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Gesang Weit der Weg zu den zwei Buchstaben J A Wie erreichst du die magische Stelle im Alphabet den geheimen Buchstaben 831 den eingeträumt tödlichen Anfang –
der Frage nach dem Buchstaben, worin – nicht als in einem Punkt – die Fragestellung fokussiert werden soll, aus der diese Lyrik gespeist ist, ist also nachzugehen. Wie fange ich es an, von dem a der différance zu sprechen? Selbstverständlich kann sie nicht exponiert werden. Man kann immer nur das exponieren, was in einem bestimmten Augenblick anwesend, offenbar werden kann, was sich zeigen kann, sich als ein Gegenwärtiges präsentieren kann, ein in seiner Wahrheit gegenwärtig Seiendes, in der Wahrheit eines Anwesenden oder des Anwesens des Anwesenden. Wenn aber die différance das ist (ich streiche auch das »ist« durch), was die Gegenwärtigung des gegenwärtig Seienden ermöglicht, so gegenwärtigt sie sich nie als solche. Sie gibt sich nie dem Gegenwärtigen hin. [...] Indem sie sich zurückhält und nie exponiert, übersteigt sie genau in diesem Punkt und geregelterweise die Ebene der Wahrheit, ohne sich indessen, wie etwas, wie ein mysteriöses Seiendes, im Dunkel eines NichtWissens oder in einem Loch zu verbergen, dessen Ränder bestimmbar wären [...]. In jeder Exposition wäre sie dazu exponiert, als Verschwinden zu verschwinden. [...] Es war bereits zu vermerken, daß die différance nicht ist, nicht existiert, kein gegenwärtig Seiendes (on) ist, was dies auch immer sei; und wir müssen ebenfalls alles vermerken, was sie nicht ist, das heißt alles; und daß sie folglich weder Existenz noch Wesen hat. Sie gehört in keine Kategorie des Seienden, sei es anwesend oder abwesend. Und doch ist, was derart mit différance bezeichnet wird, nicht theologisch, nicht einmal im negativsten Sinne der negativen Theologie, welche bekanntlich stets eifrig darum bemüht war, über die endlichen Kategorien von Wesen und Existenz, das heißt von Gegenwart, hinaus, eine Supraessentialität herauszustellen und daran zu erinnern, daß Gott das Prädikat der Existenz nur verweigert wird, um ihm einen Modus höheren, unbegreiflichen, unaussprechlichen Seins zuzuerkennen. Hier geht es nicht um eine solche Bewegung, und dies wird sich zunehmend bestätigen. Nicht nur läßt sich die différance auf keine ontologische oder theologische – onto-theologische – Wiederaneignung zurückführen, sondern, indem sie selbst den Raum eröffnet, in dem die OntoTheologie – die Philosophie – ihr System und ihre Geschichte produziert, umfaßt sie diese, schreibt sich in sie ein und übersteigt sie unwiederbringlich. Aus demselben Grunde weiß ich nicht, auf welchem Wege anzufangen, um das Bündel oder die Linienführung der différance zu zeichnen. Denn was hier gerade in Frage steht, ist die Forderung nach einem rechten Anfang [...]. Die Problematik der Schrift wird mit der Infragestellung des Wertes der arche eröffnet. Was ich hier vortrage, wird sich also nicht einfach wie eine philosophische Rede entwickeln, die nach einem Prinzip, nach Postulaten, Axiomen oder Definitionen verfährt und sich 831
Ebd., (wie Kap. 1, Anm. 45), Bd 8, S. 210; in den Vorstufen sind J und A unter anderem durch einen Zeilenbruch getrennt.
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Vierter Teil
entlang der diskursiven Linearität einer Ordnung von Begründungen verschiebt. Alles in der Zeichnung der différance ist strategisch und kühn. Strategisch, weil keine transzendente und außerhalb des Feldes der Schrift gegenwärtige Wahrheit die Totalität des Feldes theologisch beherrschen kann. Kühn, weil diese Strategie keine einfache Strategie in jenem Sinne ist, in dem man sagt, die Strategie lenke die Taktik nach einem Endzweck, einem Telos oder dem Motiv einer Beherrschung, einer Herrschaft und einer endgültigen Wiederaneignung der Bewegung oder des Feldes. Eine Stra832 tegie schließlich ohne Finalität; man könnte dies blinde Taktik nennen. 833
Die différance ist der nicht-volle, nicht-einfache Ursprung ...
Freilich ist Vorsicht geboten, wird das A als eine Art von Insignie der différance nun einfach ins Werk Rose Ausländers getragen – nicht allein der Umstand, daß dieses A überaus instabil ist, spräche dagegen, auch ist das A der Dichterin ein erkennbarer Laut, nicht wie Derridas – aufs Französische angewiesenes – Wortspiel der Versuch, die Maske als Bedingung und Wesen dessen zu zeigen, was ohne jene erste Zweideutigkeit nicht bloß verschwände, sondern erlosch. Wofür aber steht das A der Verse von Unvollendet? Auf meiner Handfläche geschrieben der Buchstabe A unvollendet – es gibt auch hier viele Varianten. Man könnte es mit einer Initiale zu tun haben, Ausländer stünde als Autorin hinter den Worten, die zugleich eine Heimatlosigkeit beschreiben, also das, wofür das Pseudonym gesetzt ist. Hat man es mit gerade jenem Anfang Alpha zu tun, der – da bar jeder Finalität – zuletzt des Omegas entbehrt, worin er zum rechten Anfang erst würde? In einer schönen Rezension findet sich die Bemerkung, »das Aleph in Adonoi, dem Namen des Herren«834 sei in den Versen der Lyrikerin nicht zu vergessen. Laß es laufen auf der Erinnerungswalze von A bis her [...] Von hier bis Z sind deine Tage und Träume 835 gespannt ...
Der Eindruck entsteht, daß die Spur zu Derrida zuletzt doch nicht die schlechteste ist und sich die Verweigerung einer Abrundung zum univoken Ende des Poems darum als so stimmig erweist, weil es in der Tat genau jene Streuung, in der die Auslöschung des lyrischen Ichs zu seiner Befindlichkeit wird, ist, die skizziert wird. Das Kreuz, das man als Anspielung auf eine Sphäre des Reli832 833 834 835
Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 31ff.; vgl. auch Welsch, Vernunft (Anm. 61), S. 267 (Anm.). Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 37. Politzer, Gesänge der Fremdlingin (wie Kap. 1, Anm. 84), S. 227. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 123), Bd 4, S. 219.
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giösen verstehen mag, ist zuletzt, was kreuz und quer liegt; im Chiasmus, der bei Derrida wiederzufinden ist: Als Konsequenz: das philosophische Ohr luxieren und das Prinzip des loxos (schräg gespannt) im logos in Bewegung setzen, bedeutet, den frontalen und symmetrischen Streit zu vermeiden, alle sich als Anti- gebärdenden Formen von Opposition [...] in ei836 ne völlig andere Art von Hinterhalt, von lochos, von Textmanövern einzuschreiben.
Der Fall der Opposition freilich zwingt dann, doch zu erkennen, daß hier auch auf der »zerrissenen metaphysischen Saite« »ein Miterklingen«837 ist, Lichtund Schatten- / linien / Liebeslinie Lebenslinie nicht in Ironie allein gelesen werden; dies wird Bedingung dessen sein, daß ein geheimer Buchstabe den eingeträumt tödlichen Anfang machen kann ... Das A, das im zweiten der zitierten Gedichte gleich den Titel bildet, beschreibt gleichfalls einen Weg, vor dessen Endlosigkeit mit dem B auch der Anfang verloren ist838 – obwohl A und B wohl in kürzestmöglicher Verbindung zu denken sein mögen. Ein endloser Weg vom A zum B ergibt sich nicht aus der Distanz allein, sondern auch aus dem Zwischenraum – Atome sind, wie schon angedeutet wurde, allem Verketten und Verbinden feind, eine Utopie von Heimat, die zuletzt durch ihren Entzug aus aller Strukturierung erstickt, was sie umgibt. Es ist insofern wohl kein Zufall, daß ein Atem ein Zug erwähnt wird. Ihm folgt wieder eine vom Alphabet bestimmte Geschichte des Abschieds, von Adam zu Ade gelangen die Verse, was fast schon an Foucaults Beobachtung erinnert, »daß der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand«.839 All dies ist nochmals in Gib Kunde gebündelt, wo das A zum J gesellt wird, Affirmation dessen ist, was mit ihm anhebt. Paul Celans »Give the word«840 rückt wie das Poem Rose Ausländers die Trauer ins Zentrum, das sich selbst verloren gibt; bei der Dichterin ist es der Griff zu Majuskeln, der das Buchstäbliche schon vor der Zergliederung des Ja mit Gewichtigkeit in Szene setzt – Trauer. Man weiß von der Zersetzung der Trauer gerade dort, wo sie sich der Majuskeln bedient, denn die »Geschichte [ist der:] Rahmen, innerhalb dessen die Majuskeln in Staub zerfallen« ...841 Weltapfelgroß die Träne neben dir842
– so lautet die Formel Celans. 836
837 838 839 840 841 842
Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 17; so werden λόγoς, λoξός (schräg) und λόχoς (Hinterhalt) zum Zeichenbündel – λόφoς (Schopf)? –, obschon nicht zur Einheit. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd II, S. 145. Vgl. hierzu Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 99), Bd 2, S. 39. Foucault, Die Ordnung der Dinge (wie Kap. 1, Anm. 21), S. 462; vgl. ebd., S. 410ff. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 93. Cioran, Lehre vom Zerfall (Anm. 154), S. 149; vgl. ebd., S. 202. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 93.
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Heimat wird hier Inbegriff für ein Stocken, die erträumte Ordnung der Buchstaben, die Anordnung läßt in einem Imperativ nicht das Fließen, aber auch nicht die Stabiltät mehr zu – es ist der Imperativ der Lettern oder der Wörter843, jener Imperativ, der das lyrische Ich zum weiten Weg zu den zwei Buchstaben / J A bewegt. Nach einer in einem eigentümlichen Chiasmus gebildeten Wortkaskade – Ja / Nein / Trauer / Gesang, die naheliegende Zuordnung von Bejahung und Gesang sowie Negation und Trauer führt zu der behaupteten Struktur – wird diese Entschleunigung und Konzentration fortgesetzt. Zuletzt soll eine magische Stelle Destination der Worte sein. Nur en passant kann hier auf eine aus »Mangel an Ruhe«844 entstehende »Barbarei«845 verwiesen werden; jedenfalls ist es ein Innehalten vorm zu Lesenden, das hier bestimmend wird. Eine Hemmung unseres Herzschlags: der Lauf der Welt gerät ins Stocken. Ohne un846 sere Glut erstarren die Räume zu Eis.
Diese unbestimmte Trauer – von ihr ist noch zu sprechen – ist exakt Heimatlosigkeit.847 Ohne Verklärung läßt sich das Wort »Heimat« gar nicht gebrauchen. [...] Seine 848 Identitätsstiftung war eine Täuschung. Wenn ich mich zu Hause fühle, brauche ich keine »Heimat«. Und wenn ich mich nicht zu Hause fühle, auch nicht. [...] Das ist »Heimat«.849
Diese allgemeine Formulierung dessen, wovon als von Heimat nicht zu sprechen ist, konvergiert mit deren Bilde bei Rose Ausländer: Heimat war ihr fortan einzig und allein [...] die poetische Figur.850 843 844 845 846 847 848 849
850
Vgl. etwa Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 284. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd II, S. 232. Ebd. Cioran, Lehre vom Zerfall (Anm. 154), S. 20. Vgl. ebd., S. 43. Herta Müller: Heimat oder Der Betrug der Dinge. In: Kein Land in Sicht. Heimat – weiblich? Hg. von Gisela Ecker. München: Fink 1997, S. 213–219, hier S. 214. Ebd., S. 219; Herta Müller hat jüngst eine gewissermaßen durch den »Fremden Blick« (Herta Müller: Der Fremde Blick oder Das Leben ist ein Furz in der Laterne. Göttingen: Wallstein 1999 [Göttinger Sudelblätter], S. 11) bestimmte Poetologie vorgelegt, wobei dieser die durch den Verlust des Vertrauten – »nichtige Dinge mit wichtigen Schatten« (ebd., S. 9) bleiben – entstandenen biographischen Narben meint – vgl. ebd., S. 12, 21 u. 22; vgl. zur regressiven Idyllik auch Rolf Grimminger: Die Ordnung, das Chaos und die Kunst. Für eine neue Dialektik der Aufklärung. Mit einer Einleitung zur Taschenbuchausgabe (1990). Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1990 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 885), S. 148 u. passim. Edith Silbermann: Rose Ausländer – die Sappho der östlichen Landschaft. Zum Tode der Dichterin. In: Südostdeutsche Vierteljahresblätter 37.1 (März 1988), S. 19–25,
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Freilich kann man in Abwandlung dieses Befundes von Silbermann auch behaupten, Heimat sei poetische Figur allein schon immer gewesen. Die Flucht vor ihr, die unprätentiös als Langeweile auftreten mag, hat Cioran eindrücklich beschrieben, wobei sich vieles als Exegese Nietzsches verstehen ließe.851 Heimat als Anrufung von etwas, das per definitionem absent ist, kann die Kategorie des Witzes herausfordern. Solcher Witz ist nicht Heiterkeit – diese als Leitbegriff wiese zwar darauf, daß die Kunst als »eine Quelle von Lust«852 längst erloschen wäre, wenn sie in jener Weise der Realität gerecht würde, die mancher erwartet und erhofft, entbehrte aber ansonsten der aggressiven Wendung noch gegen sich selbst, die dem Witz eigen sein kann. In der zeitgenössischen Kunst zeichnet ein Absterben der Alternative von Heiterkeit 853 und Ernst, von Tragik und Komik, beinahe von Leben und Tod sich ab.
Und gerade in dieser Konstellation, da Heiterkeit verlogen, Ernst jedoch immer schon Heuchelei ist, bedarf es des zersetzenden Unernstes zuweilen, der immer auch daran erinnert: Es brauchte längere Wege. Witz kann vor Kitsch bewahren, der eben dies bekanntlich vergessen lassen will.854 Witz raubt Heimat; Heimat raubt Witz – nur en passant sei auf die Verkitschung von Kunstwerken verwiesen, die mit deren vorgeblicher Kenntnis schon einsetzt: Kitsch ist das, was man an sich schon kennt.855
Wer aber für das Ungekannte taub ist, rezipiert Kunst allenfalls als mißlungenen Kitsch, arbeitet daran mit, daß sie »vielleicht doch zu Kitsch würde«.856 Ein Gedicht Rose Ausländers nun montiert Allgemeinplätze zu solcher Trauer, die durchs Moment ihres Einbrechens authentisch bleibt: in bitterer Absurdität. Das Gedicht – es hat sich in seiner Form in der Entstehung kaum verändert – trägt den Titel Rückblick. Und es findet sich darin etwas abgekürzt die folgende Formel zur conditio humana: Schön der Mensch wer leugnets [...] Sein Drang zu schaffen Menschen zu schaffen Menschen aus der Welt zu schaffen
851 852 853 854 855 856
hier S. 22; vgl. auch Gabriele Köhl: Heimat und Exil im Leben und Werk Rose Ausländers. In: Südostdeutsche Vierteljahresblätter 37.1 (März 1988), S. 25–29, hier S. 28 u. passim. Vgl. Cioran, Lehre vom Zerfall (Anm. 154), S. 128ff. u. passim, vor allem S. 208. Adorno, Ist die Kunst heiter? (wie Kap. 1, Anm. 11), S. 600. Ebd., S. 605. Vgl. ebd., S. 601 u. Burghart Schmidt: Kitsch und Klatsch. Fünf Wiener Vortragsessays zu Kunst, Architektur und Konversation. Wien: Edition Splitter 1994, S. 21. Ebd., S. 12. Ebd., S. 15.
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Mit schönen Händen Städte bauend 857 Häuser mit mächtigen Öfen ...
Aus dem Schönen bricht die Dichterin zu jenem durch, das zuletzt in einer barbarischen Ästhetik immer schon vorweggenommen zu sein scheint, womit Heimat hier als entzogene angesprochen ist – wer wollte heil davongekommen in den Häusern sich behaglich einrichten, deren Nähe zu den mächtigen Öfen nicht vergessen werden kann? Man kann an dieser Stelle rückverweisen auf die bittere Pointe als Extrem des angemessenen Sprechens, das adäquat ist, wo es zu seiner Unangemessenheit durchbricht. Solcherart rehabilitiert zeigte sich der Witz der Formulierung Adornos, es sei »barbarisch«, »nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben«,858 die als Wendung jenes Gedankens gegen sein falsch erhabenes Moment die Legitimität jedweden Denkens durchkreuzt. Man könnte auch an anderen Passagen jene Schwärze zeigen, etwa an der philosophischen Humoreske Uromi, die Adorno aufbietet, um zuletzt das Lachen gefrieren zu lassen: Weil die Sprache die Scham verlernt hat, versagt sie sich der Trauer.859
Erbarmungslos wendet sich diese Formel noch gegen den Rückzug, der eben angeboten schien, bleibt der Trauer treu, deren prinzipielles Verfehlen sie zugleich konterkariert. Man könnte hier auch Adornos Bloßstellen der Phrase, wonach die Welt einstmals heil scheinen hätte können oder gar sollen, verweisen ...860 Es gilt jedenfalls: Etwas im Kitsch verweist auf Heimat und Vertrautsein, ein Bedürfen, das man nicht ablehnen kann, dem man aber mißtrauen muß.861
Und demgemäß heißt es bei Rose Ausländer: Wie erreichst du die magische Stelle im Alphabet den geheimen Buchstaben den eingeträumt tödlichen Anfang ...
857 858 859 860
861
Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 200), Bd 5, S. 163. Adorno, Kulturkritik und Gesellschaft (wie Kap. 1, Anm. 125), S. 26. Theodor W. Adorno: Uromi [1967]. In: Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann u. a. Bd 20.2: Vermischte Schriften II. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1986, S. 571. »Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung ... Adorno: Mir nicht.« Theodor W. Adorno: »Keine Angst vor dem Elfenbeinturm«. Ein »Spiegel«Gespräch [1969]. In: Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz. Bd 20.1: Vermischte Schriften I. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1986, S. 402–409, hier S. 402. Schmidt, Kitsch und Klatsch (Anm. 854), S. 23.
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Es ist dies der Buchstabe und das Wort, worin Heimat ihren schon umrissenen Nachhall hat.862 Es ist das Zeichen, dem »keine Bedeutung gegeben«863 ist, wie Wittgenstein im Tractatus logico-philosophicus schreibt, das aber trotz seiner Bedrohlichkeit nicht als »unsinnig«864 sich abtun ließe; es ist das Zeichen jenseits dessen, was den »logischen Koordinaten«865 des Satzes entspräche. Seine Spur ist auch bei Wittgenstein gegeben, wenn er schreibt, ein Satz könne einem Ding nur ein Wie attribuieren, scheitere jedoch beim Schreiben des Was.866 Was bleibt, ist also jene Heimat, die den geheimen Buchstaben als ihre Position und Negation zugleich versteht; die Behutsamkeit einer Schrift, die darum weiß, aufgreifend wäre nochmals an die weiße Tusche zu erinnern – in einem Bild der Friederike Mayröcker: »Füllfedern, [...] mit warmer Milch gefüllt«.867 Diese diffuse Tröstung, diese »Schmerzmilch«,868 diese »Meermilch«869 bleibt. Und es bleibt die Signatur. Wiewohl sich das Pseudonym Rose Ausländer in keiner Ordnung an seinem / seinen Platz hielte, bleibt sie. »Meinen Namen verloren«,870 so heißt es in einem Gedicht der Lyrikerin, die zwischen »Feuerrosen«871 einerseits und »Rosentrost«872 oder »Blumenkuß«873 andererseits steht. Wiewohl Derrida die Signatur als nichts anderes denn jenes Zeichen sieht, woran nicht anzuschließen ist – »ein schriftliches Zeichen [enthält] die Kraft eines Bruches mit seinem Kontext, das heißt mit der Gesamtheit von Anwesenheiten, die das Moment seiner Einschreibung organisieren«874 –, bleibt wie die Heimat auch die Signatur. Die große Fremdheit 875 in der eigenen Haut 862 863 864 865 866
867
868 869 870 871 872 873 874 875
»Ich bin wehrlos / wie meine Heimat« – Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 4), Bd 7, S. 185. Wittgenstein, Werkausgabe (wie Kap. 1, Anm. 133), Bd 1, S. 85, § 6.53. Ebd., S. 26, § 4.003; freilich ist eine Zurücknahme ebd. formuliert. Ebd., S. 25, § 3.41; das Satzzeichen freilich als Statthalter der Struktur wäre interessanter Gegenstand weiterer Überlegungen; vgl. hierzu auch ebd. u. ebd., S. 18, § 3.14. Vgl. ebd., S. 19, § 3.221; die Spur zeugt gegen die Behauptung, daß in der Tat ein Satz, der die »Grenzen meiner Sprache« (ebd., S. 67, § 5.6) anspricht, – ohne Kursivdruck – zutreffen könnte ... Friederike Mayröcker: Lection. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1994, S. 224; auch mit dem »Blutstropfen Mohn« – Mayröcker, Benachbarte Metalle (wie Kap. 3, Anm. 720), S. 149. Friederike Mayröcker: Gute Nacht, guten Morgen. Gedichte 1978–1981. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1982, S. 39. Mayröcker, Benachbarte Metalle (wie Kap. 3, Anm. 720), S. 61. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden, Bd 4 (wie Kap. 1, Anm. 123), S. 217. Ebd., Bd 7 (wie Kap. 1, Anm. 4), S. 261. Ebd., Bd 4 (wie Kap. 1, Anm. 123), S. 181. Ebd., Bd 7 (wie Kap. 1, Anm. 4), S. 126. Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 300. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden, Bd 7 (wie Kap. 1, Anm. 4), S. 86; zum Aufsplittern des Ichs bei Rose Ausländer – vgl. Ingrid Spörk: Rose Ausländers
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findet zum Zeichen, zur »Form der unwahrscheinlichsten Unterschrift«,876 denn dies ist Schrift: Schreiben »bedeutet letztlich, nach der Quelle im Präfix zu suchen, das die Worte Exil, Exodus, Existenz, Exteriorität, Fremdartigkeit (étrangeté) in verschiedenen Arten von Erfahrung entfalten sollen«.877 Eine [...] Sendung mußte also unterzeichnet werden. Was ich gemacht habe und hier 878 nachmache. Wo? Da. J. D.
Zuletzt gelangt die Lektüre Derridas zu einem Punkt, an dem es scheint, man könne sich hier zu Adorno wenden, denn die Nostalgie Derridas, mit der er auch durchaus sein Spiel treibt,879 wird zuletzt bestimmt von jenem Gedanken, der bei Adorno nicht unklug formuliert sich findet: Die Gestalt aller künstlerischen Utopie heute ist: Dinge machen, von denen wir nicht 880 wissen, was sie sind.
Hinzuzugesellen ist die Scham, die – wie schon festgehalten wurde – Trauer als Ahnung ums Moment ihrer Unangemessenheit conditio sine qua non ist.881 Ohne hier eine Antithetik oder Opposition zu behaupten, deren trügerischer Charakter bekannt ist882, könnte man im Anschluß an Nietzsche doch sagen: »Kein Innen und Außen in der Welt«883 beruhigte jene Trauer, von der hier die Rede ist. Es ist zu monieren, daß die Trauer nicht zuletzt darum Trauer ist, da sie sich dem Kalkül entzieht, nach welchem ein weniger diffuser Begriff dessen zu bilden wäre, was als Scham bei Adorno nebulös bleibt. Trauer und ihr ent-
876 877 878
879 880 881 882 883
»Mutterland«. In: Die Bukowina. Studien zu einer versunkenen Literaturlandschaft. Hg. von Dietmar Goltschnigg, Anton Schwob und Gerhard Fuchs. Tübingen: Francke 1990 (Edition Orpheus; 3), S. 253–263, hier S. 262f.; es geht um das »Ich, das [...] stets Züge eines namenlosen Niemand an sich trägt« – Waldenfels, Antwort auf das Fremde (wie Kap. 1, Anm. 150), S. 39; Bahr findet für den Bruch im cogito, der Bedingung auch noch der wahrgenommenen Perforation und Fraktur des Ichs wird, die Formel: Es sei das »Fremde des Eigensten [...] der Satz »Ich denke«.« – Bahr, Sätze ins Nichts (Anm. 346), S. 242; vgl. ebd., S. 238 u. passim. Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 314. Blanchot, Das Unzerstörbare (wie Kap. 3, Anm. 18), S. 189. Derrida, Randgänge der Philosophie, (wie Kap. 3, Anm. 66) S. 314; Derridas Signatur findet sich hier gleichfalls – vgl. ebd; vgl. auch Birus, Apokalypse der Apokalypsen (Anm. 206), S. 53; zum Umstand, daß der Autor durch das an ihm zunächst Profanste – seinen Namen, den er mit anderen in den meisten Fällen teilt – unverwechselbar wird / sich macht, da er das Profane zitiert und darin einmalig dem Imperativ Sei wie alle Schriftsteller! genügt, vgl. Groys, Die Wiedererschaffung des Autors nach seinem Tode (Anm. 703), S. 154: »Es handelt sich bei einem solchen Zeichen um einen Joker – und dieser Joker bin ich.« (ebd.). Vgl. etwa Bennington / Derrida, Jacques Derrida (wie Kap. 2, Anm. 189), S. 330. Adorno, Vers une musique informelle (wie Kap. 2, Anm. 75), S. 540. Vgl. Adorno, Uromi (Anm. 859), S. 571; zur Scham des Schreibenden vgl. auch Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd II, S. 164. Vgl. etwa Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 17. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd II, S. 35.
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sprechende Kunst, man kann hier auf Adorno selbst pochen, sind mit Bewegungen des Denkens verbunden, derer innezuwerden der Dialektik mißlungen zu sein scheint, was ein bestimmtes Ansinnen Adornos zugleich gehörig unterminiert. Vielleicht soll Cioran, der gerade das Versagen vor der Trauer der sogenannten klassischen Philosophie vorwarf,884 darin im Recht bleiben, daß die Trauer, der Ekel, das Entsetzen mit ihrer Undeutlichkeit an Intensität wachsen oder erst werden, als was sie (nicht) zu denken sind.885 Wo Derrida versucht, genau zu zeigen, daß es ein unendliches Regredieren bedeutet, zu einem Letzten zu gehen, tut er dies aus genau jenem Grund, von dem Adornos Werk resoniert, ohne ihn hinreichend ernstzunehmen, im Gestus einer unschuldigen Ironie, die zu denken aufgegeben bleibt. Unschuldige Ironie wäre vielleicht als anderer Name dessen zu verwenden, was Derrida als Spur bezeichnet: Die Spur ist nicht nur das Verschwinden des Ursprungs, sondern besagt hier [...], daß der Ursprung nicht einmal verschwunden ist, daß die Spur immer nur im Rückgang auf einen Nicht-Ursprung sich konstituiert hat und damit zum Ursprung des Ursprungs gerät. Folglich muß man, um den Begriff der Spur dem klassischen Schema zu entreißen, welches ihn aus einer Präsenz oder einer ursprünglichen Nicht-Spur ableitete, von einer ursprünglichen Spur oder Ur-Spur sprechen. Und doch ist uns bewußt, daß dieser Begriff seinen eigenen Namen zerstört und [...] es, selbst wenn 886 alles mit der Spur beginnt, eine ursprüngliche Spur nicht geben kann.
Es scheint möglich, hier wenigstens zum Provisorium einer Theorie der poetischen Existenz vorzurücken, ehe die unsichtbaren Gravitationslinien der philologisch-philosophischen Entwürfe Adornos, Szondis und Derridas gleichsam eine Engführung erfahren. Zu schreiben ist einem Geist verpflichtet, der Sinn zu erfinden, zu installieren und als einzulösenden darzulegen Skrupel hat – im Anschluß an Adorno formuliert wäre zu sagen: Nach Auschwitz kann man nicht mehr aussichtsreich von »Sinn« reden.887
Seit jenem Punkt – und gewiß auch schon zuvor – erscheint dem, der dem Sprechen lauscht, die Rede von geglückter Existenz ein Oxymoron, ist doch nicht mehr klar einem »Seinsglauben«888 das Wort zu reden, also jenem Minimum, daß Sein einem Nichtsein zuletzt vorzuziehen sei.889 Schal ist das Sein, an dem das Bedürfen einzige und überaus schwache Referenz auf ontologischen Halt ist.890 884 885 886
887 888 889 890
Vgl. Cioran, Lehre vom Zerfall (Anm. 154), S. 61ff. Vgl. ebd., S. 75ff. Jacques Derrida: Grammatologie. Übersetzt von Hans-Jörg Rheinberger und Hanns Zischler. 6. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1996 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 417), S. 107f. Lütkehaus, Nichts (wie Kap. 1, Anm. 149), S. 519. Ebd., S. 523 – was »Verzweiflung [...] fragen darf« (ebd.). Vgl. ebd. Vgl. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 79; »wenn das Denken Danken wird, so hat es auch schon abgedankt.« – Lütkehaus, Nichts (wie Kap. 1, Anm. 149), S. 430.
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Vierter Teil
Im Leben eines Dichters kann es keinerlei Erfüllung geben.891 Denn Leben ist nur bei Nichtbeachtung des Lebens möglich.892
891 892
Cioran, Lehre vom Zerfall (Anm. 154), S. 124. Ebd., S. 198.
Fünfter Teil
Engführung Es wäre unbefriedigend, hier die Lektüren abzubrechen, ohne die Frage nochmals zu stellen, in welcher Weise eine Schrift sich zu ihrem Gegenstand verhalte, in welcher Weise sich aber auch Schrift zu sich selbst verhalte, was aufs Verhältnis von Poesie und Poetologie anspielt und eine Positionierung der Theorien Adornos, Szondis und Derridas eröffnet. Es ist dies weiters wohl eine Frage nach der Genealogie der Denker, was die Frage nach dem Bestehen und der Beschaffenheit einer solchen natürlich nicht ausklammert.1 In der Schrift droht der »tod durch musen«,2 was zweierlei meint, einerseits die Auslöschung dessen, was im Aufschreiben dem Vergessen überantwortet ist, andererseits, daß Schrift eben gegen jenen Prozeß sich stemmt und »Ungültigkeitsbescheinigung, [...] Totenschein«3 ihrer selbst wird. Schreiben ist Interpretation und damit nicht nur, wie de Man zu bedenken gibt, »nichts anderes als die Möglichkeit des Irrtums«4 – sie ist nichts anderes als die Unumgänglichkeit des Irrtums. Authentizität ist Rückläufigkeit ... Schrift bietet somit nicht ihrem Gegenstand und ebensowenig jenem, der ihr Urheber ist, Heimat, was freilich vergißt, daß Heimat zu schreiben schon bedeutet, einzig in der Schrift jenen Nachhall derselben zu haben, der nachgetrauert wird, als sei sie je gewesen.5 Mit der Frage nach Schrift ist mithin auch jene nach Welt und Ich gestellt und abschlägig beantwortet. Keiner [ist] er selbst.
6 7
»Ich« ist eine Fiktion, bei der wir bestenfalls Miturheber sind. 8
Meine einzige Identität ist die des Schreibens. 1 2 3 4 5 6 7
Vgl. hierzu etwa Jauß, Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik (wie Kap. 2, Anm. 11), S. 58. Mayröcker, Benachbarte Metalle (wie Kap. 3, Anm. 720), S. 98. Schmidt-Dengler, Bruchlinien (wie Kap. 2, Anm. 125), S. 507; zu Verständigungs-, Mißverständigungs- und Unverständigungstext – vgl. ebd., S. 507f. de Man, Die Ideologie des Ästhetischen (wie Kap. 4, Anm. 156), S. 226. Vgl. Müller, Heimat oder Der Betrug der Dinge (wie Kap. 4, Anm. 848), S. 214 u. passim. Heidegger, Sein und Zeit (wie Kap. 3, Anm. 184), S. 128, § 27. Imre Kertész: Ich ein anderer. Übersetzt von Ilma Rakusa. Berlin: Rowohlt – Berlin Verlag 1998; »Nur meine Sünden gehören mir« (ebd., S. 50).
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Fünfter Teil
Es ist die Frage nach Identität, wie sich erahnen läßt, eine Frage, welcher verschiedene Antworten folgen, denen freilich gemein ist, daß aus dem literaturtheoretischen Triumvirat Adornos, Szondis und Derridas niemand ihre Fragilität übersähe, eine Instabilität, die zuletzt die Identität selbst substantiell angreift. Das Dasein ist seine Erschlossenheit.9
Das Sein jedoch – und mit ihm der Name, der ihm aufs engste verbunden ist10 – ist allenfalls durchgestrichen zu schreiben, da es nicht zu retten ist vor dem, was Heidegger »Zersplitterungstendenzen«11 nennt; man steht vor dem Problem eines Sprungs, der nicht »Sprung über den Abgrund«12 ist, weshalb »Heideggers Angst [...] nicht das Vorspiel dieses Sprungs«13 ist; man steht vor »Sein«14 und »Name«15 ... Schreibt Derrida, er »streiche [...] das »ist« durch«,16 so weiß er freilich, daß, was durchgestrichen und als Strategie durchkreuzt wird, hinter der feinen Linie nicht verschwindet. Was allein die Linien vermögen, schreibt Han in einer Lektüre Adornos: Diese kreuzweise Sperre verbietet es, daß der Name angeeignet, zu einem eindeutigen Vorstellungsinhalt wird. [...] 17 Hinter ihr erscheint erst die eigennamentliche Landschaft . 18
Sein kann daher unbegriffen sein, aber es ist nie völlig unverstanden.
Nicht unähnlich operiert Derrida mit dem Begriff des Geistes, der »wie der Geist in der Flasche«19 zwischen Anführungszeichen als sein Spottgebilde doch präsent gewesen sein wird:
8 9 10 11 12 13 14
15 16 17 18 19
Ebd., S. 56. Heidegger, Sein und Zeit (wie Kap. 3, Anm. 184), S. 133, § 28. Vgl. etwa ebd., S. 161, § 34. Ebd., S. 351, § 69. Safranski, Ein Meister aus Deutschland (wie Kap. 2, Anm. 2), S. 177. Ebd. Martin Heidegger: Zur Seinsfrage. Frankfurt a. M.: Klostermann 1956, S. 30; vgl. ebd., S. 30f., 34f., 41, 43 u. passim; vgl. Jacques Derrida: Sporen. Die Stile Nietzsches. Übersetzt von Richard Schwaderer und Werner Hamacher. In: Nietzsche aus Frankreich. Essays von Maurice Blanchot u. a. Hg. von Werner Hamacher. Frankfurt a. M., Berlin: Ullstein 1986 (Ullstein-Buch; 35238 – Ullstein Materialien), S. 129–168, hier S. 164f. Han, Todesarten (Anm. 178), S. 30. Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 31. Han, Todesarten (Anm. 178), S. 30. Heidegger, Sein und Zeit (wie Kap. 3, Anm. 184), S. 183, § 39; vgl. ebd., S. 221f., § 44. Hassan Givsan: Eine bestürzende Geschichte: Warum Philosophen sich durch den »Fall Heidegger« korrumpieren lassen. Würzburg: Königshausen & Neumann 1998, S. 104.
Engführung
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Etwas, was das in Anführungszeichen gesetzte Wort »Geist« nennt, läßt sich retten. Der Geist kehrt wieder.20
Kurz sei hier darauf eingegangen, inwieweit Hassan Givsans Einwand vor allem gegen Heidegger ins Schwarze trifft, wo er gegen die bestürzende Rezeption des »Falls Heidegger« als kompromittierenden Akt polemisiert. Der große Denker, so die Kritik, habe sich und sein Denken mit seinen Avancen an den frühen Nationalsozialismus diskreditiert – selbst wenn diese Episode nur ein iTüpfelchen wäre, müßte man gestehen, daß »das Pünktchen zum i gehört, daß es sich nicht wegdenken läßt«21 ... Und gewiß ist es nicht abwegig, hinzuzusetzen, die Konzentration auf diesen Ausrutscher der Hochkultur könnte noch verdecken, daß schon in der Heideggerschen Philosophie selbst vielleicht das Scheitern in Form der »Entmenschung des Menschen«22 angelegt ist.23 Immerhin muß man bedenken, daß Heidegger über »den Holocaust [...] nicht geschwiegen« »hat«,24 also die These, ein Lapsus sei gegeben, der vor allem durch seine Verdrängung zunehmend auch auf philosophischem Terrain problematisch werde, ein Topos der Rede von Heidegger ist, der eher mit Bequemlichkeit als mit Aufarbeitung und Sichtung der Schriften zu tun hat: »Das bäuerliche Tun fordert den Ackerboden nicht heraus; es gibt vielmehr die Saat den Wachstumskräften anheim; es hütet sie in ihr Gedeihen. [...] Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagern [...], das Selbe wie die Fabrikation von Wasserstoffbomben«,25 so formuliert der Meisterdenker 1949 seine Sicht der Seinsvergessenheit im Technischen – und so muß man wohl in der Akte Heidegger zustimmen: Das Ungeheuerliche und das Grauenhafte ist Heideggers Seindenken selbst. Heidegger hat nicht geschwiegen, auch nicht über den Holocaust.26
Und dies gilt unvermindert, auch wenn zu konzedieren ist, daß eine Stimmigkeit der Klage Heideggers, das Ding sei bloß, was der verordnete Diskurs je gestatte, aber nicht mehr »das Ding als Ding«27 – vom Mal zu Mal: »Verhand20
21 22 23 24 25
26 27
Jacques Derrida: Vom Geist. Heidegger und die Frage. Übersetzt von Alexander García Düttmann. 2. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 995), S. 32. Givsan, Eine bestürzende Geschichte (Anm. 19), S. 10. Ebd. Mehrfach wird der (auch nach Heidegger) untrennbare Zusammenhang von Person (oder Denker) und Denken betont – vgl. etwa ebd., S. 37. Ebd., S. 82. Martin Heidegger: Einblick in das was ist. Bremer Vorträge 1949. Hg. von Petra Jaeger. In: ders., Gesamtausgabe. III. Abteilung: Unveröffentlichte Abhandlungen – Vorträge – Gedachtes. Bd 79: Bremer und Freiburger Vorträge. Frankfurt a. M.: Klostermann 1994, S. 1–77, hier S. 27. Givsan, Eine bestürzende Geschichte (Anm. 19), S. 83. Heidegger, Einblick in das was ist (Anm. 25), S. 9; vgl. ebd., S. 8f.
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lung einer Angelegenheit«28 –, gegeben ist; das Sein auch als Gedacht-Sein wird in der Tat zur »Verwahrlosung des Dinges als Ding«,29 was die eigenwillige Logik der in ihrem Wesen zugleich gescholtenen Gleichsetzungsmechanik freilich nicht entschuldigt. Also nimmt Givsan den Versuch auf, nicht nur Heideggers Arbeit, sondern in einer Vielzahl von beschwörenden Wiederholungen und begrifflichen Unschärfen mit ihr leider auch gleich die Repliken Adornos, Lyotards, LacoueLabarthes, Derridas, Habermas’, Pöggelers und vieler anderer auf nicht einmal 150 Seiten zu widerlegen, was eher hybrid als löblich ist. Vorgestoßen wird gegen die Entrationalisierung des Wahrheitsbegriffs.30 Was dieser sei, bleibt diffus. Dann wird Lacoue-Labarthes These, jedes Denken trage in sich metaphysische Anleihen, die ein illegitimes Engagement provozieren, nicht diskutiert, sondern zu den Datierungen, wann Heidegger geirrt habe, übergegangen.31 Auf den nächsten Seiten entdeckt Givsan, daß »Lyotard [...] eine ›Ausnahme‹ in der postmodernen Schar«32 sei, »weil es ihm ernst ist«33 ... Weil aber Lyotard die Möglichkeiten von Sprachspielen bedenkt, also der Spontaneität des Subjekts entgegenstellt, daß seine Verpflichtung zur Gerechtigkeit sich erst sinnvoll formiert, wo es der Möglichkeit und Unmöglichkeit bestimmter Sätze innewird, weshalb das Spiel der Gerechtigkeit in einem nachträglich so nicht zu bezeichnenden Trans- und Progredieren gegenüber der vom homo ludens erkundeten Ordnung von Verknüpfungsregeln besteht, wittert sein schlechter Leser ein Problem: Der Satz »Heidegger schweigt« setzt eine andere Ontologie voraus als die Lyotardsche, in der das Wort »Subjekt« schlechterdings keinen Ort hat. [...] Eben weil der Satz es ist, der sich ereignet, ist die Rede von »Heidegger« und daß »er« geschwie34 gen hätte, schlicht [...] sinnlos.
So sehr dies Unsinn ist, weil die Frage der Gerechtigkeit unberücksichtigt bleibt, an der sich Sprachspiele herauskristallisieren,35 in denen bestimmte Formationen von Sätzen zusehends unwahrscheinlich werden, weil eben das Subjekt der Kunst der Verknüpfung entspricht, so sehr stimmt kurioserweise, was Givsan als finalen Schlag gegen Lyotard versucht:
28 29 30 31 32 33 34 35
Ebd., S. 14; »das Angehende« – ebd. Ebd., S. 47. Vgl. Givsan, Eine bestürzende Geschichte (Anm. 19), S. 30f. Vgl. ebd., S. 85. Ebd., S. 86. Ebd. Ebd., S. 91. Vgl. Lyotard, Das Undarstellbare – wider das Vergessen (wie Kap. 3, Anm. 260), S. 324, 327, 328 u. 330; die Gerechtigkeit entzieht sich als Voraussetzung einer Theorie etwa des Erscheinens, also der Ästhetik – vgl. ebd., S. 329.
Engführung
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Der vermißte Satz [etwa – hier vor allem – Heideggers, M. H.] gehört zu einem anderen Satz-Universum.36
Aber genau dies ist ein triftiger Einwand gegen jene Philosophie, die, falls das Urteil zutrifft, nicht hochartifizielles Sprachspiel, sondern dessen maschinenhafte Karikatur ist: Maschinen funktionieren mit Verlust. Das Spekulative ist eine gewinnbringende Maschine, also gestört.37
Diese Störung ist – es wurde (mit einem surrenden Insekt) schon angedeutet – das Zitat. Der normative Satz enthält formal das Zitat eines präskriptiven [...]. Dieser wird autonymisiert. Der normative Satz ist ein Satz über einen Satz, Metasprache, allerdings nicht deskriptiv. Sein Spieleinsatz ist nicht die Wahrheit, sondern die Gerechtigkeit.38
So kann denn auch Lyotard schreiben, es gebe »in diesem Sinne kein Sprachspiel«39 – was zweifelsohne eine überraschende Bemerkung ist. Sprachspiele wir erbten sie 40 von der Sprache
so ließe sich sagen – sie sind nicht erhöhtes oder minderwertiges Refugium des Artifiziellen um seiner selbst willen. Nur en passant ist zu erwähnen, daß dieser Umstand den Schiffbruch derer bewirkt, die in einer Kette von Zeichen doch Regeln zu erkennen geneigt sind, welche von einer Eindeutigkeit wären, die jene der Sprache nicht ist.41 Es mag faltende Strukturen geben, doch ebenso triviale Strukturen, welche für Momente der Ordnung sich angeglichen zu haben scheinen – und jener Hauch von Trivialität, der das letzte Wort nicht kennen läßt und verunmöglicht, ist schließlich schwerlich auszumerzen. Man hat es mit einer in den Begriffen angelegten Verunklärung ihrer selbst zu tun, die Oswald Wieners Bemerkung nicht unbehelligt läßt: Zwei Zeichenketten sind gleich, wenn sie von einer trivialen Struktur akzeptiert oder erzeugt werden.42
36 37
38 39 40 41 42
Givsan, Eine bestürzende Geschichte (Anm. 19), S. 92. Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 166, Exkurs Hegel (Hervorhebung M. H.); vgl. Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 345. Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 239, Nr 207; vgl. ebd., S. 61ff., Nr 45f. Ebd., S. 229, Nr 188. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 123), Bd 4, S. 159. Vgl. Wiener, Schriften zur Erkenntnistheorie (wie Kap. 4, Anm. 53), S. 83. Ebd., S. 121; vgl. ebd., S. 222.
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Wiener fragt an anderer Stelle, ob bei einer Täuschung »die Welt ihren Irrtum blitzschnell repariert«43 habe ... Ähnlich verhält es sich mit der Zeichenordnung, die, während sie aktualisiert wird (also ewig), potentielle Dysfunktion ihres vorläufigen Schemas ist und bleibt.44 Lyotards Äußerung indessen führt dahin, wo Derrida Heidegger liest.45 Derrida, der nicht zu Unrecht versucht, die Umstandslosigkeit einer Absolution für das, was als Aberration nicht triftig zu sein scheint, zu unterwandern, läßt sich »von den Anführungszeichen und deren Wegfall in Anspruch«46 nehmen, was – trotz Givsans spöttischen Untertons – tatsächlich zur Wiederentdeckung der Schrift führt. Es führt zur Verantwortung des Stils, nicht bloß zu funktionieren, sondern seinen Geist als »das Gespenst, das Phantom« – »wiederkehrende[r] Geist«47 – zu verpflichten, sich und sein Sein in Kursiven zu bewahren, worin sich auch bewahrt, daß die Regeln und ihr Verknüpftes einander forttreiben. Der Geist, der wacht, indem er zurückkehrt, wird sich immer um den Rest kümmern. 48 Durch die Flamme oder die Asche, aber als ganz Anderes, unvermeidlich.
Leider vermeint Givsan, es müsse zur Diskussion des Verhältnisses von Seinsdenken und Nazismus anders vorgegangen werden, man brauche »einen anderen Sinn [...] als den für die Anführungszeichen«,49 notiert er. Man sieht, so will mir scheinen, hier deutlich das Problem, daß eine unterschwellig zupackige Revision der Vernunftkritik letztlich zur sorgsamen und Einsprüche formulierenden Lektüre einer unterschwellig zupackigen Ontologie nicht gerade prädestiniert sein dürfte. Was aber bleibt zu Heidegger zu sagen? Sein Verdienst wird von Ebeling mit der Formulierung umrissen, er habe das »Subjekt [...] detranszendentalisiert. Es geht in seine eigene [...] Nichtigkeit ein«.50 So wichtig nun der Sturz des Meta- auch ist, der zugleich damit eingeführte Vorrang der »Mortalität« »vor aller Rationalität«51 ist problematisch, verkennt er doch, daß einer avancierten Vernunft gerade die Ahnung eingeschrieben ist, hinfällig zu sein – die Unmöglichkeit, dieser Hinfälligkeit ihrer selbst noch Herr zu werden, erfordert, daß Ontologie (es wurde gesagt) die kursiven Lettern nicht verschmäht. Just durch Heideggers Versuch einer Radikalisierung jedoch kommt es zu einer Nichtigkeit, die jenes Seinsvergessen einem »Negationssyndrom«52 opfert. Die-
43 44 45 46 47 48 49 50 51 52
Ebd., S. 56 (Anm.). Vgl. ebd., S. 76. Vgl. Derrida, Vom Geist (Anm. 20), S. 32. Givsan, Eine bestürzende Geschichte (Anm. 19), S. 108. Derrida, Vom Geist (Anm. 20), S. 107. Ebd., S. 132. Givsan, Eine bestürzende Geschichte (Anm. 19), S. 108. Ebeling, Martin Heidegger (wie Kap. 4, Anm. 667), S. 19. Ebd., S. 22. Ebd., S. 33.
Engführung
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ses Philosophieren hat »seinen eigenen Untergang schon programmiert«,53 da seine Abwendung von der Philosophie zum Ereignis eine zum »Ort einer [...] komplementären Ideologie ist«,54 die nun nicht aus dem kritisierten Versuch gespeist ist, die Architektur der Vernunft am Irrationalen zum erlogenen Umweg zu führen, sondern von einer »Aversion gegen alle Rationalitätspotentiale«55 getragen wird. Unter diesen Vorzeichen erklärt sich Heideggers Zug, die Inszenierung geringschätzend, worin sich Rationalität und Mortalität aneinander bewährten, alles zu verbauern.56 Ebeling schreibt von »Heideggers Mangel an Stil«,57 um dann daran zu erinnern, daß dieses Eigentliche uns der Möglichkeit beraubt, vor ihrer Hinfälligkeit Vernunft und Heimat, Identität als die jeweilige Abfolge der Maskenwechsel in Kunst und Philosophie zu erhalten. Das Eigentliche bringt den »Übergang ins Kunsthandwerk«.58 Bodenständigkeit plustert sich auf.59
Festzuhalten bleibt freilich, daß man jene, die in der Nachfolge Heideggers denken, durch diese Einwände nicht zwingend diskreditiert. Man muß hier nicht an die zuweilen suggerierte Genealogie Heidegger-Derrida denken – Marquards Bemerkung, »Gadamer [...] habe das Sein zum Tode durch »das Sein zum Text« ersetzt«,60 ist nicht unzutreffend, aber keine gelungene Widerlegung jener Hermeneutik, da in der Tat Textualität es ist, was Vernunft und Endlichkeit ihren Raum zu geben scheint.61 In ihr entsteht die unabsehbare, doch nachvollziehbare »a-kausale Logik der Spur«.62 Kurz ist darauf hinzuweisen, daß sich hier ein Verdacht bestätigt. Das berühmt-berüchtigte »Sein zum Tode«63 zielt auf ein Denken der Möglichkeit, das nicht durch Kalkulation dessen, was möglich ist, darum betrügt, daß Dasein – »konstituiert durch die Erschlossenheit«64 – hier endet. Also wird, was nur unter der Bedingung seines Ausbleibens, seiner Unmöglichkeit in Begriffe zu fügen ist, zur Möglichkeit: zur »eigenste[n] Möglichkeit des Daseins«.65 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65
Ebd., S. 50. Ebd., S. 53. Ebd., S. 61. Heidegger, so schreibt Ebeling, »verbauert [...] die Hölderlinsche Welt durch Regionalisierung und Herstellung einfachster Harmonien des Gleichmaßes.« – ebd., S. 98. Ebd., S. 117. Ebd., S. 116. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit (wie Kap. 2, Anm. 79), S. 449. Marquard, zit. in Ebeling, Martin Heidegger (wie Kap. 4, Anm. 667), S. 100; vgl. ebd., S. 100f. Vgl. etwa Adorno, Jargon der Eigentlichkeit (wie Kap. 2, Anm. 79), S. 441. Englert, Frivolität und Sprache (wie Kap. 4, Anm. 704), S. 12. Heidegger, Sein und Zeit (wie Kap. 3, Anm. 184), S. 260, § 53 u. passim. Ebd., S. 260, § 53. Ebd., S. 263, § 53.
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Wenn dem so ist – und »Tod ist je nur eigener«,66 wo er in solcher Weise die Begrifflichkeiten ritzt –, so bleibt »Sein zum Tode [...] wesenhaft Angst«.67 Da Heidegger in der Folge diese wie manche herauspräparierte Brüchigkeit dahin wendet, daß sich das Selbst als Eigentliches nicht etwa verliert, sondern findet und behauptet, nicht also eine Art Morbus ohne Antipoden es ist, was bleibt, sondern jener »Trotz«, »verzweifelt man selbst sein zu wollen«,68 der im Vergessen dieser Erfahrung von Selbst paradox gipfelt,69 da all dies zu konstatieren ist, ist von der Textvergessenheit Heideggers durchaus als von einer »Gesundheit zum Tode«70 zu sprechen ... Nachzugehen ist jedenfalls dem Umgang mit der Spur und der Tragfähigkeit der Theorien, wo sie aufs Werk von Rose Ausländer in Anschlag gebracht werden. Wohin dieser Weg auch führt, läßt sich ermessen, da Impetus und Stil einander hier berühren. Der »Tod ist überfüllt«71 ... Der Tod birgt als der Schrein des Nichts das Wesende des Seins in sich.72
Von »Lebens-Samen und Todes-Samen«73 spricht Derrida, zu denken ist der zweifache Entzug, nicht zu sein, nicht nicht zu sein. Daß das Signifikat ursprünglich und wesensmäßig [...] Spur ist, daß es sich immer schon in der Position des Signifikanten befindet – das ist der scheinbar unschuldige Satz, in dem die Metaphysik des Logos, der Präsenz und des Bewußtseins die 74 Schrift als ihren Tod und ihre Quelle reflektieren muß.
Zum rätselhaften Begriff der Spur sei an dieser Stelle auf Heidegger, der Derrida hier nahestehen dürfte, – wiederum in sträflicher Kürze, zugegebenermaßen – verwiesen: Sein ist [...] keineswegs dem Nicht-mehr-sein und Noch-nicht-sein entgegengesetzt; 75 diese beiden gehören selber zum Wesen des Seins.
66 67 68 69
70 71 72 73
74 75
Ebd., S. 265, § 53. Ebd., S. 266, § 53. Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode (wie Kap. 3, Anm. 548), S. 65. Vgl. zur Selbsterfahrung auch ebd., S. 125 u. passim; »Nicht ich bin also der Herr meines Lebens, ich bin auch nur ein Faden, der mit in den Kattun des Lebens hineingesponnen werden soll.« – Søren Kierkegaard: Entweder – Oder. Teil I und II. Übersetzt von Heinrich Fauteck, hg. von Hermann Diem u. a. 2. Aufl., München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1993 (dtv; 2194 – dtv klassik), S. 41. Adorno, Minima Moralia (wie Kap. 1, Anm. 166), S. 68, Aph. 36. Mayröcker, Ausgewählte Gedichte (wie Kap. 3, Anm. 166), S. 151. Martin Heidegger: Vorträge und Aufsätze. 7. Aufl., Stuttgart: Neske 1994, S. 171. Derrida, Dissemination (wie Kap. 3, Anm. 87), S. 186; mit dem Bild des Löwenzahns spielt Rose Ausländer, wenn sie vom »besamte[n] Wort« (Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden [wie Kap. 2, Anm. 55], Bd 3, S. 59) spricht: »Wortall / jedes Wort / in der Kugel / ein Samen« (ebd.) ... Derrida, Grammatologie (wie Kap. 4, Anm. 886), S. 129. Heidegger, Vorträge und Aufsätze (Anm. 72), S. 176.
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Ist dem Umgang mit der Spur nachzugehen, wie schon gesagt wurde, der Tragfähigkeit der Theorien in literaturwissenschaftlicher Praxis nachzugehen, so, und damit sei eine letzte Assoziationskette nur angerissen, im Schein des »dunklen Lichtes«,76 im Schein dessen, was Celan mit Mohn und Gedächtnis skizziert, was Ausländer in folgende Worte faßt: Mohnflaum im Kissen [...] aber du weißt: der Kreis hat keine 77 Lücke.
Engführung mit Adorno Wie nun läßt sich bei Adorno zu einer Darlegung philologischer Grundsätze kommen, die aus jener Befindlichkeit abzuleiten sind, welche seine Philosophie umkreist? Sein Ort ist am Rande, wie schon festgehalten wurde, ein Sein am Rande seiner selbst, doch dieser Ort am Rande, an des Teufels Seite ist trügerisch; eine an ihren Grenzen sich zerfransende und verfeinernde Vernunft, die zurückweicht und adäquate Interpretationen versucht, später aber zeigt, wo diese abzubrechen seien, ist noch totalitär und ontologisch, was nochmals zur Frage führt: Was wird aus einem Teufel, der aufhört, an Gott zu glauben?78 In Adornos Ästhetik [dem Fluchtpunkt seiner Philosophie, M. H.] erscheint das Un79 mögliche[,] als wäre es das einzig Selbstverständliche.
Philosophie als notwendiges wie unmögliches Denken zu verstehen ist aufgegeben. Der Ernst des Unterfangens ist Zeugnis des zu hohen Anspruchs, der indes nicht unbegründet ist; nicht »un mort libre et joyeux«80 ist zu denken, 76 77 78 79
80
Hölderlin, Werke (wie Kap. 3, Anm. 193), Bd 1, S. 201. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 11), Bd 6, S. 333. Lec, Alle unfrisierten Gedanken (wie Kap. 3, Anm. 769), S. 29. Scheible, Geschichte im Stillstand (wie Kap. 3, Anm. 15), S. 118; Scheible spielt mit Adornos Bemerkung, es sei zur »Selbstverständlichkeit [...] (geworden), daß nichts, was die Kunst betrifft, mehr selbstverständlich ist, weder in ihr noch in ihrem Verhältnis zum Ganzen, nicht einmal ihr Existenzrecht« (Adorno, Ästhetische Theorie [wie Kap. 1, Anm. 20], S. 9) – woran ihr Existenzrecht nach Scheible gebunden sein mag, läßt sich erahnen... – vgl. hierzu – mit Derrida, dem, so formuliert es Ansén nicht ganz ohne Überschwang, »Denker der unmöglichen Möglichkeiten« – Reiner Ansén: Die Phantome der Ökonomie. Jacques Derrida über die Bedingungen der Möglichkeit von Gabe und Vergeben. In: die tageszeitung, Nr 4005, 11. Mai 1993, S. 14. Baudelaire, Die Blumen des Bösen / Les Fleurs du Mal (wie Kap. 4, Anm. 602), S. 148.
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»das Verbot des schönen Todes«81 lastet ein »Klinkerspiel gegen den Tod«82 fordernd und nahezu verunmöglichend auf dem Projekt, die Vernunft, deren Scheitern in Auschwitz gipfelt, neu zu denken, nicht bloß zu restaurieren, sondern sich selbst auszusetzen, um das Andere in einer Denkfigur unendlicher Problematisierung zu wahren. Kein schwaches Denken ist die Folge, kein Gestus zurückgezogener Hände und unausgetragener Interpretationskonflikte,83 die unter den Tisch fallen zu lassen keine wirklich gute Idee sein dürfte;84 zunächst ist Adornos Weg einer der grenzenlosen Konkretisierung, der Detailgetreue im Denken, welche dessen Tendenzen und Intentionen widerstreben solle – »die Wahrheit sitzt im Detail«.85 Gott wohnt im Detail ...86
Theologie im Augenblick ihres Sturzes, so lautet der Titel einer Untersuchung zu Adorno, die unübersehbar an dessen Negative Dialektik angelehnt ist: »Denken[,] [...] solidarisch mit Metaphysik im Augenblick ihres Sturzes«,87 mit dieser scharfen Formulierung tut Adorno nochmals seinen Anspruch, sein Programm darin dar.88 Diesem Weg bleibt Adorno nicht völlig treu, und mit gutem Grund, denn der phänomenologische Kern desselben widerspräche den denkerischen Konsequenzen eines Mißtrauens gegen Hegels Konzeption zutiefst. Der Impetus des Wegs verlangt Aberration. Also spürt Adorno Grenzen nach, wohl wissend, daß diese nur indirekt aufzuspüren seien, nicht vermeßbar, sondern Figuren einer Annäherung.89 Die Negation des Ganzen bleibt am Detail nicht zu 81 82
83 84 85
86
87 88 89
Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 173, Nr 157. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 59; vgl. Michael Jakob: Das Andere Paul Celans oder Von den Paradoxien relationalen Dichtens. München: Fink 1993, S. 187; interpretiert auch als Gedicht auf den Tod hin bei Zürcher: Das Gedicht als Genicht, S. 14f. Vgl. Welsch, Vernunft (wie Kap. 4, Anm. 61), S. 209f. zu Vattimos Schwachem Denken. Vgl. Michel, Abschied von der Moderne? (wie Kap. 2, Anm. 21), S. 518f. Paul Celan: Briefe an Gottfried Bermann Fischer. In: Paul Celan. Hg. von Werner Hamacher und Winfried Menninghaus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988 (SuhrkampTaschenbuch Materialien; 2083), S. 20–24, hier S. 24. Theodor W. Adorno: Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker 1959–1969. Hg. Von Gerd Kadelbach, Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 1971 (Suhrkamp Taschenbuch 11), S. 7. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 400. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd VI, S. 176: »deutsche Philosophie [...] ist – eine hinterlistige Theologie ...« Vgl. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 286 (Anm.); für verfehlt halte ich die Kritik, Adorno strebe ängstlich (»Angst vor dem Nicht-Identischen« – Dolf Oehler: Charisma des Nicht-Identischen, Ohnmacht des Aparten. Adorno und Benjamin als Literaturkritiker: Am Beispiel Proust. In: Theodor W. Adorno. Hg. von Heinz Ludwig Arnold. München: edition text + kritik 1977 [text + kritik – Sonder-
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exemplifizieren, das unverbunden keines Widerstands mächtig ist, da es nur als Appendix oder Funktion eines großen gedanklichen Zugs erscheint. Der gewagteste und wohl auch avancierteste Versuch Adornos ist schließlich jener einer Aufgabe des logischen Gerüsts, das sich ums Nichtidentische schlösse und dieses in permanenter Annäherung einerseits spezifisch als uneinholbar würdigte und andererseits zu begreifen trachtete, ohne darum Unbegriffenes zum Rest verkommen zu lassen, dessen Nichtaufgehen dem Rest sogleich als Mangel angelastet würde.90 Das »Nichtidentische leuchtet nur auf, wo das Sichanstrengen des Identifizierens«91 doch vielmehr – im besten Falle – ein wörtlich bedeutungsloses Dunkel außerhalb des Wohlgeordneten feststellt oder zeitigt, so könnte man die natürlich in der Sache nicht unrichtige Gedankenführung wenden. An die Stelle dieses Modells tritt die Konstellation: Konstellation ist nicht System. Nicht [...] geht alles auf in ihr, aber eines wirft Licht aufs andere, und die Figuren, welche die einzelnen Momente mitsammen bilden, 92 sind bestimmtes Zeichen und lesbare Schrift.
Das »Moment des Nichtaufgehenden, das in [...] [der Dialektik] mitgesetzt ist, vermag sie nicht ohne Münchhausenkunststück wegzuschaffen«.93 Deutlicher als hier, wo Relationen in einer »Schaukelbewegung«94 Punkte definieren, die sich die Bezugnahmen diktierend auflösen, zeigt sich das kaum einmal. Das Fremde verbleibt nicht als undefiniertes Überbleibsel, wird nicht zum Namen für Lücken, die folgen- und harmlos für die Klage wider die Deutung und ihre Gewaltsamkeit stünden. Es muß auf anderem Wege sich »als Sprengsatz innerhalb der Ästhetischen Theorie«95 erhalten und erweisen. Es wirkt hier schon als von Adorno noch einmal beschwichtigte Verschiebung, die sich durch die gesamte Vernunft zieht. Aber ist Beschwichtigung das rechte Wort, bedarf etwas, das sprengt, nicht eines Gegendrucks? Adornos »Subjekt [...] ist
90
91 92 93 94 95
band], S. 150–158, hier S. 158) – was wohl heißen soll: unangemessen ängstlich, als gebe es in der Angst vor jenem Nicht-Identischen (und um es) Angemessenheit – eine falsche Statik an, was sich nicht zuletzt an seinem Unvermögen zu Witz zeige ... – vgl. ebd.; vgl. hierzu auch Theodor W. Adorno: Motive. In: Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann u. a. Bd 16: Musikalische Schriften I–III. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft), S. 259–283, hier S. 281. Vgl. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 340; das, was »die Herrschaft des Identitätsprinzips an Nichtidentischem toleriert, ist seinerseits vermittelt vom Identitätszwang, schaler Rest« (ebd.). Burghart Schmidt: Am Jenseits zu Heimat. Gegen die herrschende Utopiefeindlichkeit im Dekonstruktiven. Ein Essay mit Anhang. Wien: Deuticke 1994, S. 175. Adorno, Drei Studien zu Hegel (wie Kap. 3, Anm. 414), S. 100. Ebd., S. 133; also eine sich als solche leugnende Unmöglichkeit gegenüber jener der Kunst – vgl. Adorno, Minimalia Moralia (wie Kap. 1, Anm. 166), S. 298, Aph. 143. Menke, Die Souveränität der Kunst (wie Kap. 2, Anm. 26), S. 21; vgl. Briel, Adorno und Derrida (wie Kap. 2, Anm. 21), S. 12 u. 39 (Anm.). Welsch, Adornos Ästhetik: eine implizite Ästhetik des Erhabenen (wie Kap. 2, Anm. 104), S. 194.
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[...] Kern einer Interpretation [...] der Kunst als deren gequälter Zeuge«,96 was eine Ganzheit anklingen läßt, in der eine Spannung zwischen ihrer Versöhnungsidee und der Ahnung von deren Uneinlösbarkeit besteht. Das Erhabene führte für sich nicht zu jener Spannung, deren Erkenntnisqualität Adornos Stilistik prägt, es führte, wie die mißlungenen Postmodernismen mancher Denker belegen, ins Diffuse. So aber ist die Trauerarbeit niemals für abgeschlossen zu befinden, welche bei Adorno noch am Werk ist.97 Ich verweise auf Tiedemanns Betonung jener Differenz Adornos zu manchem seiner Nachfolger, die als »Nuance [...] ums Ganze [...] der Adornoschen Philosophie essentiell«98 und nicht zu überwindender Fehler in derselben ist. Als unumgängliche Blendung der philosophischen Bemühung hat Adorno diese Nuance durchaus nicht ungedacht belassen: »Philosophie, wie sie im Angesicht der Verzweiflung einzig noch zu verantworten ist, wäre der Versuch, alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlösung aus sich darstellten. Erkenntnis hat kein Licht, als das von der Erlösung her auf die Welt scheint«,99 schreibt er – und setzt dann fort: Aber es ist auch das ganz Unmögliche, weil [...] jede mögliche Erkenntnis [...] mit der 100 gleichen Entstelltheit und Bedürftigkeit geschlagen ist, der sie zu entrinnen vorhat.
Nicht Resignation, aber auch nicht falsches Pathos folgt: Gegenüber der Forderung [...] ist aber die Wirklichkeit oder Unwirklichkeit der Er101 lösung selber fast gleichgültig.
Insofern ist Adorno – wider Willen – zuweilen, was man Derrida hieß, ein »Undenker«.102 Brumlik bemerkt durchaus mit Adorno, es habe, was Adorno als Unmögliches beginnt, in einer »disziplinierten Philosophie kein Heimatrecht«.103 Man bedenke auch, daß sich dies in der Verweigerung eines festste96 97
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Lyotard, Intensitäten (wie Kap. 2, Anm. 83), S. 36. Vgl. Silvio Vietta: Was Postmoderne heißen soll. Jean-François Lyotard und andere Philosophen. In: Ein Büchertagebuch. Buchbesprechungen aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 1986, S. 356–358, hier S. 357; vgl. ebd., S. 358. Rolf Tiedemann: Begriff, Bild, Name. Über Adornos Utopie der Erkenntnis. In: Frankfurter Adorno Blätter II. Hg. vom Theodor W. Adorno Archiv. München: edition text + kritik 1993, S. 92–111, hier S. 94. Adorno, Minima Moralia (wie Kap. 1, Anm. 166), S. 333, Aph. 153. Ebd., S. 334, Aph. 153. Ebd. Mainberger, Rhetorische Vernunft (wie Kap. 4, Anm. 644) S. 113; zur sich ergebenden Rolle der Mimesis, die ja nicht erkenntnistheoretischer Lückenbüßer der Rationalität, sondern dieser immer schon immanent ist, sei sowohl auf Derrida verwiesen, als auch auf Stefan Hübsch: [Rez.] Martin Asiáin: Theodor W. Adorno. Dialektik des Aporetischen. In: Philosophische Rundschau 46 (März 1999), H. 1, S. 75–79, hier S. 77; Derrida wird in diesem Sinne auch »Denker des Monströsen [...] und [...] monströser Denker« (Ansén, Defigurationen [wie Kap. 3, Anm. 86], S. 12) geheißen ... Micha Brumlik: Trauerarbeit an der Moderne und melancholischer Messianismus. In: Entzauberte Zeit. Der melancholische Geist in der Moderne. Hg. von Ludger
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henden Resultats ventiliert findet; daß für ihn etwa »Ethik aus moralischen Gründen unakzeptabel«104 ist, wie Kohlmann mit Adornos Moralphilosophievorlesung von 1956 pointiert bemerkt. Ungehemmte Entwicklung erfährt dies vor allem, wo sich Adorno aphoristischer Redeweise bedient, um die Paradoxien der Vernunft zutage treten zu lassen, ohne ihnen sie vollendende Fortführung angedeihen lassen zu müssen: Der Aphorismus ist ein Einfall zu etwas Größerem, durch keine Ausführung verdorben.105
Es ist offenkundig und wird mit Derrida nochmals zu untersuchen sein, daß also Adornos Sprache mit ihren postponierten Reflexiva, französischen Anklängen und Metaphern »nicht [...] eine bloße Marotte«,106 ein beliebiges Konglomerat des Absonderlichen ist, sie ist vielmehr der vorm Unvereinbaren bestehende Versuch, »immer wieder, wie Tantalus, nach der blauen Blume des Nichtidentischen zu tasten«,107 Tiedemann behält kurzum Recht, wenn er Adornos Wendung aus einem unveröffentlichten Manuskript zu Benjamin auf seinen Verfasser bezieht: Der »fragmentarische Charakter ist der unabdingbare Preis, den [...] Philosophie dafür zu zahlen hat, daß sie vom Absoluten nicht ablassen möchte«.108 Auch Benjamin hat – am deutschen Trauerspiel – derlei gesehen, geschrieben, es sei »als Bruchstück konzipiert von Anfang an. Wenn andere herrlich wie am ersten Tag erstrahlen, hält diese Form das Bild des Schönen an dem letzten fest«.109 Muß man noch darauf verweisen, daß Adornos opus magnum zur Ästhetischen Theorie – wie Benjamins Passagenwerk – »Zerfall [...], auf den es [...] angelegt«110 ist, darstellt, also das Unvollendete an zwei zentralen Werken, die
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Heidbrink. München, Wien: Hanser 1997 (Edition Akzente), S. 210–230, hier S. 211; vgl. ebd., S. 210; vgl. zu dem, was leider möglich war, ebd., S. 211f. Gerhard Schweppenhäuser / Mirko Wischke / Ulrich Kohlmann: Adorno als Denker zwischen den Stühlen? In: Information Philosophie 3 (August 1998), S. 56–59, hier S. 58f. Wiesław Brudziński: Katzenköpfe. In: Bedenke, bevor du denkst. 2222 Aphorismen, Sentenzen und Gedankensplitter der letzten hundert Jahre. Übersetzt und hg. von Karl Dedecius. 2. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1985 (Polnische Bibliothek), S. 263–286, hier S. 286. Scheible, Theodor W. Adorno (Kap. 1, Anm. 17), S. 136. Irving Wohlfahrt: Dialektischer Spleen. Zur Ortsbestimmung der Adornoschen Ästhetik. In: Materialien zur ästhetischen Theorie Theodor W. Adornos. Konstruktion der Moderne. Hg. von Burkhardt Lindner und W. Martin Lüdke. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1980 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 122), S. 310–347, hier S. 319. Theodor W. Adorno, zit. in Tiedemann, Begriff, Bild, Name (Anm. 98), S. 104 – vgl. ebd., S. 110f. (Anm.). Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels (wie Kap. 4, Anm. 147), S. 409. Peter Schünemann: Παιδϵία. Kindheitszeichen bei Adorno. In: Frankfurter Adorno Blätter II (1993), S. 129–145, hier S. 140.
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die beschriebene Philosophie betreiben, nicht nur durch die Umstände ihres Entstehens sich erklären lassen mag? Adornos Bemerkungen zum Aufbau seines letzten Buchs sind bekannt.111 Ihnen gemäß ist der Satz vom Ephemeren noch der Formulierung, die gleichwohl einzig Raum der Philosophie sein soll: Das Schicksal der philosophischen Denkgebilde ist es, zu zerfallen.112
Ähnlich sind auch hier Benjamins Formulierungen.113 Man kann von einer in ihnen mitschwingenden Trauerarbeit gewiß sprechen, die freilich zuletzt wenigstens die Trauer, die nicht bewältigt sein will, nicht aufgibt: Die Aufgabe der Melancholie aber indizierte nichts mehr und nichts minder als den 114 Aufbruch in eine neue Barbarei.
Die Spannung also wird nicht suspendiert, keine finale Synthese im Sinne Hegels in Angriff genommen, der bei Adorno – wie an den folgenden Antipoden ausgeführt worden ist – trotz dessen Verehrung nicht nur auf Gegenliebe stößt: »Das Wahre ist das Ganze.«115 – »Das Ganze ist das Unwahre.«116 Nicht unähnlich lassen sich in einem anderen Zitat Adornos die Begriffe changieren – wenn es heißt, Wahrheit habe »Kunst als Schein des Scheinlosen«.117 Wird hier, was bar jeder Artikulation gewesen sein mag, sprachmächtig; wird der Umstand, daß Artikulation Privileg ist, fürs Nicht-Identische sozusagen prinzipiell als Anflug von produktiver Paranoia zum Scheinen gebracht; oder ist statt des Scheinens – man knüpfte an die berühmte Fragestellung um Mörikes Auf eine Lampe an – der Anschein angesprochen, weshalb, was nicht bloß scheint, sondern ein Sein beansprucht, mitsamt dem Akt des Etablierens seiner einer Destruktion oder Dekonstruktion unterzogen wird? Es ist dies, was fragen läßt, ob überall dort, wo er moniert wird, in der Tat ein naiver »Kern [...] versöhnungsphilosophischer Interpretation des Kunstschönen«118 jener Leser harrt, die Adorno an Raffinement zu überbieten su111 112 113
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Vgl. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 541. Adorno, Der Begriff der Philosophie (wie Kap. 1, Anm. 153), S. 49. »Dialektiker sein heißt den Wind der Geschichte in den Segeln haben. Die Segel sind die Begriffe. Es genügt aber nicht, über die Segel zu verfügen. Die Kunst, sie setzen zu können, ist das Entscheidende.« – Benjamin, Gesammelte Schriften (wie Kap. 3, Anm. 920), Bd V·1, S. 592, N 9·8; »In den Gebieten, mit denen wir es zu tun haben, gibt es Erkenntnis nur blitzhaft. Der Text ist der langnachrollende Donner.« – Ebd., S. 570, N 1·1; man könnte weitere Zitate anführen ... Brumlik, Trauerarbeit an der Moderne und melancholischer Messianismus (Anm. 103), S. 230; vgl. zur Ästhetischen Theorie Adornos als Trauerarbeit auch Schünemann, Παιδϵία (Anm. 110), S. 142. Hegel, Werke in 20 Bänden (wie Kap. 3, Anm. 62), Bd 3, S. 24. Adorno, Minima Moralia (wie Kap. 1, Anm. 166), S. 57, Aph. 29. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 199; vgl. wiederum Hegel, Werke in 20 Bänden (wie Kap. 3, Anm. 62), Bd 13, S. 17. Wellmer, Endspiele (wie Kap. 1, Anm. 134), S. 178; vgl. ebd., S. 181.
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chen. Es ist dies, was Adornos letztes und unvollendetes Werk »wunderschön«119 macht, »eigensinnig und rätselhaft«.120 Die Theorie wird selbst zum Kunstwerk.121
Rätselhaftigkeit ist denn auch eine zentrale Charakteristik der Herausforderung par excellence an die Vernunft bei Adorno – der Kunst: Alle Kunstwerke, und Kunst insgesamt, sind Rätsel [...]. Daß Kunstwerke etwas sagen und mit dem gleichen Atemzuge es verbergen, nennt den Rätselcharakter un122 term Aspekt der Sprache.
»Jedes Kunstwerk ist ein Vexierbild«,123 denn trotz »seine[r] konstitutive[n] Verdunklung«124 ist es nicht Unsinn, sondern in die Ratio ragende Provokation, deren Sinnfälligkeit besteht und doch nicht den angetragenen Bedeutungsmustern entspricht, sich der Integration, der Transformation in Begriffe verweigert. Dementsprechend ist nicht das in der Vernunft Aufgehende es, das Adorno interessiert, sondern das Einmalige, das eingangs diskutierte Hermetische; man wird auch an die Kategorie des Erhabenen nochmals zu denken haben. Zweifelsohne ist die Verneinung dabei als Beschreibung unzureichend. Sparr, der sich am Begriff der Hermetik sowie Adornos Schriften hierzu orientierend Celan nähert, kann darum, indem er gewissermaßen »stets verneint«,125 wichtige Vorbehalte gegen frühere Interpretationen ventilieren – doch der Weisheit letzter Schluß ist »Celans poetischer Sarkasmus«126 und das Postulat von »autonomen Zeichen«,127 die als »Negierung ihrer Funktion«128 Löcher in den verbindlichen Duktus von Kommunikation reißen und formal an Lücken im Denk- und Vermittelbaren erinnern, wohl nicht. Einwände sind kaum zu vermeiden, unterdrückt Sparr auch nicht ganz ungeschickt die evidente Krise, indem er Derrida in Bausch und Bogen verdammt, der 119 120 121
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Michel, Versuch, die »Ästhetische Theorie« zu verstehen (wie Kap. 3, Anm. 15), S. 41. Ebd. Scheible, Geschichte im Stillstand (wie Kap. 3, Anm. 15), S. 104; ich sehe Michel und Scheible trotz einiger Einsprüche (vgl. etwa Brunkhorst, Theodor W. Adorno [wie Kap. 3, Anm. 15], S. 136 u. 138ff.) damit im Recht; vgl. auch Peter von Haselberg: Wiesengrund-Adorno. In: Theodor W. Adorno. Hg. von Heinz Ludwig Arnold. München: edition text + kritik 1977 (text + kritik – Sonderband), S. 7–21, hier, S. 17, Liessmann, Ohne Mitleid (wie Kap. 3, Anm. 224), S. 28ff. sowie Hermann Schweppenhäuser: Aspekte eines aufgeklärten Kunstbegriffs. In: Frankfurter Adorno Blätter II. Hg. vom Theodor W. Adorno Archiv. München: edition text + kritik 1993, S. 112–128, hier S. 112 u. 127 (Anm.) Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 182. Ebd., S.184. Ebd., S.185. Goethe, Faust I (wie Kap. 1, Anm. 15), S. 58, V.1338. Sparr, Celans Poetik des hermetischen Gedichts (wie Kap. 2, Anm 29), S. 143. Ebd., S. 59. Ebd., S. 106.
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das Bestehen und die Virulenz der Probleme, die Sparr als gelöst unterschlägt, auf anderen Gebieten längst nachgewiesen hat. Zunächst ist an Sparrs Arbeit ein Rückschritt hinter Adorno festzuhalten, wenn argumentiert wird, es gebe hier Zeichen, die nicht verwiesen. Wie wäre dies festzustellen? Wäre an blanken Unsinn zu denken, müßte man sich fragen, wieso die Vernunft von diesem Notiz nehmen solle. Ebenso ist ein Brechen mit einem konventionellen Sprechen, einem etablierten Diskurs schwerlich auf ein isoliertes Zeichen zu münzen. Hermetik, so es sie denn gibt, ist eher dann gegeben, wenn, was in des Gedichtes »Richtung liegt und wodurch es seinen Sinn hat, [...] im Gedicht selbst nicht präsent«129 ist. Wie aber ist dieses dann als Negativ artikulierbar – und: in welcher Form affiziert das Ausgesparte die Ränder, an denen es zu ahnen ist? Es ist artikulierbar, wenn es zum leeren Zentrum, zur Heimat »des Unzuhause«130 wird, um das sich widersprüchlich Sinn gestaltet; die Unvereinbarkeit etwa von Form und wortwörtlichem Sinn wäre ein Beispiel; auch wäre innerhalb einer Phrase – Rose Ausländer bedient sich, wie schon erwähnt wurde, zuweilen bekannter Sprüche131 – ein neuer Wortlaut oder eine offensichtliche Aussparung ein probates Mittel: Das Gedicht kann naturgemäß nicht schweigen, aber es kann partiell verstummen, 132 wo vorher gesprochen werden konnte.
Man spürt den verbliebenen sehnsüchtigen Zug zum Nicht-Identischen an sich, der f a s t wiederum aus der Konstellation führt, außerhalb derer freilich das Versprechen getreuen Gedenkens dem völligen Vergessen sich anschmiegt: Das letzte Absurde ist, daß die Ruhe des Nichts und die von Versöhnung nicht aus133 einander sich kennen lassen.
Was aber geschieht mit den Teilen, die wohl nicht unverwandelt diese Abgründigkeit um sie gruppiert ankündigen? Es ist zu fragen, in welcher Weise jene Figur des Mangels das Denken, welches das, wozu absolute Differenz besteht, 129 130 131
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Figal, Gibt es hermetische Gedichte? (wie Kap. 2, Anm. 53), S. 303. Heidegger, Sein und Zeit (wie Kap. 3, Anm. 184), S. 189, §40. Vgl. hierzu Voswinckel, Paul Celan (wie Kap. 2, Anm. 157), S. 64f., aber auch 110ff., 124 und passim; vgl. auch Jakob, Das Andere Paul Celans oder Von den Paradoxien relationalen Dichtens (Anm. 82), S. 150 und Winfried Menninghaus: Zum Problem des Zitats bei Celan und in der Celan-Philologie. In: Paul Celan. Hg. von Werner Hamacher und Winfried Menninghaus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988 (Suhrkamp-Taschenbuch Materialien; 2083), S. 170–190, S. 170ff. Armin Burkhardt: »als die Lippe mir blutet’ vor Sprache«. Zum Problem des Sprachzerfalls in Büchners Lenz und Celans Gespräch im Gebirg. In: Die Fremdheit der Sprache. Hg. von Jochen C. Schütze. Hamburg: Argument-Verlag 1988 (Literatur im historischen Prozeß N. F. 23 – Argument-Sonderband; 177), S. 135–155, hier S. 154, Anm.; vgl. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 197. Theodor W. Adorno: Versuch, das Endspiel zu verstehen. In: ders., Noten zur Literatur. Hg. von Rolf Tiedemann. 4. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989 (SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft; 355), S. 281–321., S. 321.
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noch nicht einmal ahnen kann, nur in einer Art Paranoia als einen Verdacht zu formulieren imstande ist, affiziert. Adorno verweist im Gespräch mit einem verblüfften Ernst Bloch darauf, daß man »merkwürdig nahe herangekommen an den ontologischen Gottesbeweis«134 ist: Nicht daseiendes ist schwer feststellbar.135
Das bedeutet, daß nichts wäre, das »die Differenz gleichsam im Gleichgewicht hält«136, welche nicht definierbar ist. Hier ist des Methexis-Mythos zu gedenken, der Idee, daß nur schon Gewußtes verständlich und lesbar sein könne; die Integration von Fremdem ins entzifferbare Eigene umschreibt Sokrates in Platons Menon mit der Aporie, daß »nämlich ein Mensch unmöglich suchen kann, weder was er weiß, noch was er nicht weiß«.137 Es überrascht nicht, daß dieser Gedanke vor dem Hintergrund der Lehre Platons knapp als unschön138 sowie »streitsüchtig[en]«139 bezeichnet und abgetan wird ... Jenseits dieser im adornianischen Denken noch sinnvollen, in EROS und / oder ERIS gelagerten Argumentation heißt es aber auch, daß eine Spur des Geschwundenen besteht, die zwar nicht notwendigerweise zu diesem führt, doch das, was »durch Verschweigen [zu] sagen«140 sein soll, in Relation zum Präsenten setzt, in eine Relation der gegenseitigen Definition, wie hinzuzusetzen bleibt. Dies 134
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Ernst Bloch / Theodor W. Adorno: Etwas fehlt ... Über die Widersprüche der utopischen Sehnsucht. Ein Rundfunkgespräch (6.5.1964). Red.von Horst Krüger. In: Ernst Bloch: Viele Kammern im Welthaus. Eine Auswahl aus dem Werk. Hg. von Friedrich Dieckmann, Jürgen Teller und Elke Uhl. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1994 (Edition Suhrkamp; 1827), S. 687–703, hier S. 702; vgl. Hutter, Adornos Meditationen zur Metaphysik (wie Kap. 1, Anm 148), S. 59; vgl. weiters Scholem, Judaica 3 (wie Kap. 2, Anm. 101), S. 268; den Versuch, diesen Anspruch ohne zwingende Einlösung jener Hoffnung zu artikulieren, stellt Bahr ins Licht einer philosophischen Praxis, die durchs noch nicht als Antrieb jener Theorie, als die sie sich – »TheoriePraxis« (Hans-Dieter Bahr: Ontologie und Utopie. In: Materialien zu Ernst Blochs »Prinzip Hoffnung«. Hg. von Burghart Schmidt. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1977 [Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 111], S. 291–305, hier S. 298) – gebiert, aufzufassen ist, also als messianische Selbstaufhebung in Permanenz wider jene »Wirklichkeitsstruktur [...], die immer wieder auf Auschwitz zugehen muß« (ebd., S. 300; vgl. ebd., S. 295 u. passim) ... Vgl. schließlich Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 378. Anders, Besuch im Hades (wie Kap. 1, Anm. 188), S. 81; hier sei rückverwiesen auf Lütkehaus, Nichts (wie Kap. 1, Anm. 149), S. 742. Alexander García Düttmann: Zwischen den Kulturen. Spannungen im Kampf um Anerkennung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997 (Edition Suhrkamp; 1978), S. 75. Platon: Sämtliche Werke in zehn Bänden. Griechisch und Deutsch. Übersetzt von Friedrich Schleiermacher, ergänzend übersetzt von Franz Susemihl u. a., hg. von Karlheinz Hülser. Frankfurt a. M.: Insel 1991 (Insel Taschenbuch; 1401–1410), Bd III, S. 43, 80e. Vgl. ebd., S. 43, 81a. Ebd., S. 43, 80e; Sokrates nennt ihn einen »ἐριστικὸν λόγον« – ebd., S. 42, 80e. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 477.
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führt meines Erachtens nahezu zwingend dazu, nicht allein das Nichts und das Andere, sofern dies gedacht wird, als vom Sein und vom Identischen bestimmt zu sehen, sondern auch dem Vertrauten in diesem Rahmen das Fremde eingeschrieben vermuten zu müssen. Adornos »Metaerzählung [...] von [...] Negativität und Unversöhntheit«,141 so von Zima benannt und umschrieben, ist nicht der Weisheit letzter Schluß; man könnte, wie angedeutet wurde, so perfide sein, auch sie einem »absolut Ersten, Zweifelsfreien«142 zustreben zu sehen. Es ist dies demnach die Konsequenz von Adornos Denken: Eine »metakritische Wendung«143 mündet in Selbstproblematisierung, für deren Dauer allein die Schuld des Begreifens ausgesetzt scheint; noch nicht einmal »von innen kommt man heraus«.144 Adorno selbst verbindet die Definition von Kunst mit dieser währenden Fremdheit;145 und gerade darum »opfert er [...] nicht die Idee der Andersheit«.146 Im Rahmen des Denken eines Anderen ist freilich gesondert darauf einzugehen, was es für drei Philosophen und ihren Leser bedeutet, daß eine Dichterin im Mittelpunkt stehen soll, das Schreiben wie eine Frau ein Problem ist. Sich damit zu begnügen, den Phallozentrismus und den Omphalozentrismus als Opposition naiv zu heißen, wäre als Kritik so dürftig wie das Kritisierte ... Einleitend ist festzuhalten, daß die strikte Unterscheidung der Geschlechter eine nach der Körperlichkeit ist; nicht umsonst fragt Judith Butler: »Was ist aber dieses ›Fleisch‹?147 Und man sieht hierin bereits, daß ein angeblicher maskuliner und patriarchalischer Geist zum Maßgeblichen stilisiert worden ist, vor dem all das, was vermuten läßt, eine Frau schreibe, das Weibliche des Geistes als seine Aberration erscheinen läßt. Der Logos greift, die Welt wird ergriffen, da die Frau nicht reiner Logos sein soll, ist sie mehr denn der Mann also Objekt, in einer Passion, Cixous schreibt in der Tat analog zur Opposition Mann/Frau »Logos/Pathos«148 ... 141
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Zima, Die Dekonstruktion (wie Kap. 3, Anm. 101), S. 234; auch Welsch sieht hierin die Erzählung Adornos, die sich allerdings »mehr implizit als explizit« (Welsch, Adornos Ästhetik: eine implizite Ästhetik des Erhabenen [wie Kap. 2, Anm. 104], S. 186) entfaltet, da im Vordergrund die »restriktiven Auflagen des Versöhnungsgedankens« (ebd.) wirken ... Adorno, Jargon der Eigentlichkeit (wie Kap. 2, Anm. 79), S. 443 – ist auch Adornos Erstes nicht »terroristischer« (ebd.) Natur. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 25. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 411; vgl. Menke, Die Souveränität der Kunst (wie Kap. 2, Anm. 26), S. 65 (zur Selbstsubversion der Signifikantenbildung) und S. 226. Vgl. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 182ff., vor allem S. 184. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 185. Judith Butler: Sexuelle Differenz als eine Frage der Ethik. In: Macht – Geschlechter – Differenz. Beiträge zur Archäologie der Macht im Verhältnis der Geschlechter. Hg. von Wolfgang Müller-Funk. Wien: Picus 1994, S. 91–111, hier, S. 102. Hélène Cixous: Sorties. In: Literary Theory: An Anthology. Hg. von Julie Rivkin und Michael Ryan. Malden, Oxford: Blackwell Publishers 1998, S. 578–584, hier S. 578; vgl. auch ebd., passim.
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So residiert das Weibliche metaphysisch als diffuses »Fleisch der Dinge«.149
Weiblichkeit wäre mithin – allerdings im Objektstatus verbleibend – als Insignie der Unordnung aufzufassen, wird, indem man ihr das scheinbare Privileg, dem schändlichen und schändenden Sinn Korrektiv zu sein, zuschreibt, freilich erst festgeschrieben und in ihr eigenes Sinnbild einer Befreiung eingemauert. »Sprache, die den Angesprochenen ausgrenzt«,150 wird durch eine Sprache substituiert, die sich als Rand in Erinnerung ruft, doch dabei ihre Möglichkeiten und sich verschluckt, nur als lapsus linguae an der Peripherie verbleibt. Das Moment von Gewalt in der wohl gar nicht unberechtigten Verurteilung des Geistes, dessen Fleischlosigkeit Männlichkeit genannt sein mag, schlägt aufs Fleisch zurück, das sich per Dekret die Möglichkeit versagt, dem schändlichen und schändenden Sinn mehr denn ein Anstoß zu sein, der als solcher ein Außen bleibt. Der Übergang also von der Opposition zu einem Versuch, mehr denn Antipoden wahrzunehmen, ist nicht nur aus der Sicht des Mannes, dessen Rolle im ersten Modell nicht eben sympathisch ist, anzustreben, sondern desgleichen für die Frau, so sie nicht mit stummer Anklage, Ruine einer Ausbeutung gleichzusetzen ist. Sie ist es nicht, wie die durchaus beredten Ausfälle im Namen der Frau zeigen, die eben diese in ihrer voreiligen Identität tilgen wollen. Eine »Nicht-Übereinstimmung«151 ist genauer gesagt zu schreiben. Eine Möglichkeit dieses Übergangs wäre der Blick nicht auf den Phallus, sondern den Omphalos; Bronfen schlägt vor, man könnte zu sehen versuchen, »daß am Epizentrum oder Nabel aller menschlichen Traumata [...] das Erkennen und die Anerkennung der Mortalität liegt«.152 Und der Nabel verwiese auf die Absenz, wie dies in einer langen Tradition der Fall ist, würde also zuletzt auf die Wirkungskraft dessen deutlich verweisen, was in der Mortalität ausgedrückt ist, aufs Unbegriffliche, Hinfällige; aufs Objekt und noch mehr das, wovon es Deformation ist. All dies verdeckt das Omnipotenzphantasma des Phallus, unter »der Schirmherrschaft des Phallus«153 verfällt der Geist sozusagen der Barbarei jenseits von Verlust und Verwundbarkeit.154 Der Nabel steht [...] auch dafür, daß im Zentrum sich eine Leere, eine Spaltung be155 findet.
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Butler, Sexuelle Differenz als eine Frage der Ethik (Anm. 147), S. 106. Ebd., S. 107. Ebd., S. 110. Elisabeth Bronfen: – Vom Omphalos zum Phallus. Weibliche Todesrepräsentanzen als kulturelles Symptom. In: Macht – Geschlechter – Differenz. Beiträge zur Archäologie der Macht im Verhältnis der Geschlechter. Hg. von Wolfgang MüllerFunk. Wien: Picus 1994, S. 128–151, hier S. 135 (Hervorhebung M. H.). Ebd., S. 138. Vgl. ebd; vgl. auch die Deutung von Lévinas, Gespräch mit Christian Descamps (wie Kap. 1, Anm. 161), S. 108f. Bronfen, Vom Omphalos zum Phallus (Anm. 152), S. 140.
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Man sieht, wie diese Negation bereits auf Zersplitterung oder Spaltung dessen weist, was registriendes Sensorium seiner Leere sein soll. Hierüber hilft die Rede vom delphischen Nabelstein »als Fetisch [...] der Negation«156 nur wenig. Man kommt an den Ort der Sünde, jenes Punktes, der seine Koordinaten verzehrt. Aber wäre es auch noch Sünde? Auf ihrem Höhepunkt wird die Hirnlust platonisch.157
Ist es nicht absehbar, daß, wer vom Weibe spricht, von Minotauren und anderen Ungeheuern, zuletzt von den »Turbulenzen im Pandaimonion des Eros«158 spricht? Ist es allerdings nicht auch absehbar, daß in anderer Weise gerade dies die in der Folge nicht abfällig zu besehende Sünde ist, nicht platonisch zu sein, nicht zu Phantomen159 in Metaphysik geronnener Einfälle und Einfältigkeiten verkommen zu lassen, was vielleicht nicht als Außen, doch ebensowenig als Innen anzusprechen ist?160 An der Eva Rose Ausländers, so schreibt Billen, fallen ihr »Sündenfall und ihre fortwährende Bereitschaft zur Sünde«161 auf, im angedeuteten Sinne die Wendung also des unheilvoll erscheinenden Objekts einer Ordnung zum Bruch mit deren Kosmos, zum beredten Ausbleiben exakter Koordinaten ... Der Punkt wird gemacht, ohne fixiert zu werden, und seine Nicht-Fixierbarkeit gehört gerade zum Punkt. Das Schreiben selbst ist eine Art der Anrede, eine gestellte Frage, das eine Reihe von nicht vollständig vorhersagbaren Aneignungen initiiert und 162 erwartet.
Man ist hier einem Vorgriff auf Derrida nahe – seiner »bunte[n] Typologie«,163 die im Grunde Nietzsches Typologie ist. Vor allem ist man es auch im Ineinander von Schrift und Eros,164 das zu bedenken ist: Man kann nicht separaterweise lieben und man kann nur separaterweise lieben, in 165 der [...] Dispaarität [!].
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Ebd., S. 142. Markus Michel: Die Kopfgeburt. In: Kursbuch 123: Erotik (März 1996), S. 73–90, hier S. 77. Ebd., S. 78. Vgl. ebd., S. 80. »wir lieben uns / einer im andern«– Rose Ausländer, zit. in Jürgen P. Wallmann: Träumer der wahren Wirklichkeit. In: Rheinische Post, 28. Mai 1988; vgl. dagegen Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 55), Bd 3, S. 99. Josef Billen: Ausländer, Rose. In: Metzler Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur. Jüdische Autorinnen und Autoren deutscher Sprache von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Hg. von Andreas B. Kilcher. Stuttgart, Weimar: Metzler 2000, S. 23– 26, hier S. 25 (Hervorhebung M. H.). Butler, Sexuelle Differenz als eine Frage der Ethik (Anm. 147), S. 110. Derrida, Sporen (Anm. 14), S. 152; vgl. Welsch, Vernunft (wie Kap. 4, Anm. 61), S. 296ff. Vgl. Philippe Lacoue-Labarthe: Die Abtreibung der Literatur. In: Über das Weibliche. Übersetzt von Eberhard Gruber, hg. von Mireille Calle. Düsseldorf, Bonn: Parerga 1996, S. 19–36, hier S. 23
Engführung
339
Eine dialektische Liebe, die sich sozusagen gegenteilig, also gerade aus der benannten Unmöglichkeit konstituiert gestaltet, findet sich schon bei Anders’ Mariechen, wo Liebe und (räumliche) Distanz einander nicht zu bestimmen vermögen: Aber Liebste, wahre Liebe zeigt sich völlig anders. Wie? Natürlich dialektisch. Wenn man nämlich wirklich liebt, dann sehnt man sich, obwohl der andre nebenan sitzt (ganz als wär er schrecklich weit verreist), zu Tode – während man, auch wenn er fort ist, dennoch spürt, er ist zu Hause. Ja, das ist das einzig ernste 166 und solide Barometer.
Barthes bemerkt, Liebe sei bedeutungslos – nicht unbedeutend –, was er so formuliert: Ich-liebe-dich ist kein Satz ...167
Denn diese »Holophrase (ein nicht zerlegbarer Satz)«168 ist Ausdruck seines Brechens mit dem, was seinen Sinn anzubahnen scheint:169 Die Atopie der Liebe, ihr Eigenstes [...] wäre [...], daß es in letzter Instanz unmöglich 170 ist, anders von ihr zu sprechen als im Sinne einer strengen Bestimmtheit der Anrede.
Immer ist da die »passion de l’origine«,171 die Passion, welche nicht bloß eine des Ursprungs ist, sondern zugleich eine Leidenschaft für den Ursprung, der 165 166
167
168 169 170
171
Jacques Derrida: Die Geschlechtsdifferenz lesen. In: Über das Weibliche (Anm. 164), S. 85–96, hier S. 91; vgl. Derrida: Falschgeld (wie Kap. 3, Anm. 999), S. 10. Günther Anders: Mariechen. Eine Gutenachtgeschichte für Liebende, Philosophen und Angehörige anderer Berufsgruppen. München: Beck 1993 (Beck’sche Reihe; 1013), S. 76. Barthes, Fragmente einer Sprache der Liebe (wie Kap. 4, Anm. 125), S. 137; das gälte auch vom Denken – vgl. Derrida, Grammatologie (wie Kap. 4, Anm. 886), S. 170 u. Derrida, Positionen (wie Kap. 2, Anm. 262), S. 100; »In diesem Sinne kann man nur das Unmögliche denken, begehren und sagen, nach dem Maß ohne Maß des Unmöglichen.« – Derrida, Falschgeld (wie Kap. 3, Anm. 999), S. 44. Barthes, Fragmente einer Sprache der Liebe (wie Kap. 4, Anm. 125), S. 137. Zur Beschwörung und den ihr folgenden Schatten vgl. ebd., S. 107f. Ebd., S. 162; vgl. ebd., S. 44ff.; vgl. auch Walter van Rossum: Nach der Willkür des Alphabets. Roland Barthes: »Fragmente einer Sprache der Liebe«. In: Ein Büchertagebuch. Buchbesprechungen aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 1984, S. 264–265, hier S. 265. Nancy, Elliptical Sense (wie Kap. 1, Anm. 161), S. 38.
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stets entzogen geschrieben wird, darstellt.172 Als je geschriebener freilich wird er zuletzt, was nach ihm trachtet: Thus writing is [...] »passion of and for the origin« [...] is the origin itself.173
So möchte man zur Kette zusammenziehen, was Nancy vorführt, was Nancy vollführt. Jener – deutlich Spurenleser Derridas – schreibt, man könne also sagen, daß, wer schreibt, den Gegenstand, den Körper, das Fleisch der Schrift gewinnt, indem er all dies verliert. Was ist aber dieses »Fleisch«? Die Frage wird eine von Verlust, Trauer, Abschied – wovon etwa Barthes schreibt, das ist: Die Sprache ist eine Haut: ich reibe meine Sprache an einer anderen. So als hätte ich 174 Worte anstelle von Fingern oder Finger an den Enden meiner Worte.
Das ist »ein einzigartiges Signifikat«175 – keine Auflösung. This »corps perdu« [...] is the passion of writing. [...] It is the presence which [...] is 176 [...] its ellipsis.
»Abschied ist Einssein, dessen einziges Thema die Entzweiung ist«,177 die immer schon geschehen sein wird. Nicht nur wird eine gewisse Innigkeit mit ihrem Ausbleiben als ihrer conditio sine qua non verbunden, nicht nur wird »Literatur [...] gerade das [...], unsere Geburt«,178 also Schrift Schauplatz einer Liebe, die im Stande ihrer falschen Versprechung gebiert, es wird auch daran erinnert, daß Liebe nicht Vertrauen ist, womit Frau zugegebenermaßen einseitig geprägter Ausdruck des Unheimlichen im Eros zu werden scheint. Es wird eingemahnt, [...] daß die Liebe nur zur Ordnung des Glaubens und Bezeugens zu gehören ver179 möchte, keineswegs jedoch zu der von Gewißheit oder Beweis.
»Meine Mutter ist / mein Beichtvater«,180 so rückt Rose Ausländer die Confessiones dem Männlichen zu, das (auch biographisch) hinter der Mutter nebulös wird und verschwindet.181 172 173 174 175 176 177 178 179 180
Liebe – als Treue Tod: »Der Liebende, der nicht manchmal vergißt, stirbt« (Barthes, Fragmente einer Sprache der Liebe (wie Kap. 4, Anm. 125), S. 28). Nancy, Elliptical Sense (wie Kap. 1, Anm. 161), S. 38. Barthes, Fragmente einer Sprache der Liebe (wie Kap. 4, Anm. 125), S. 162. Ebd.; vgl. ebd., S. 137 und vor allem S. 217 Nancy, Elliptical Sense (wie Kap. 1, Anm. 161), S. 50f. Szondi, Schriften (wie Kap. 1, Anm. 106), Bd 1, S. 179. Lacoue-Labarthe, Die Abtreibung der Literatur (Anm. 164), S. 36. Derrida, Die Geschlechtsdifferenz lesen (Anm. 165), S. 91. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 11), Bd 6, S. 211; zum Vater sind einige Referenzen nicht zu unterschlagen. Vgl. François Dosse: Geschichte des Strukturalismus. Bd 1: Das Feld des Zeichens. 1945–1966. Übersetzt von Stefan Barmann. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1999 (Fischer-Taschenbücher; 13475), S. 220 u. 223 sowie Derrida, Auslassungspunkte (wie Kap. 3, Anm. 775), S. 130; Jacques Derrida: Der Entzug der Metapher [1978].
Engführung
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Es drängt sich auf, eine Kindheitserinnerung der Dichterin zu erwähnen, die dem Vater gewidmet ist, anzuführen: Warum? Weil er herrlich war. Der herrlichste.182
Papa, der mit Gott in fester Assoziation steht, ist jedoch sein Enden schon anzusehen, wenn es in einer Traumsequenz heißt: »Paß auf, Papa – lieber Gott, paß auf, daß du nicht auf die Erde fällst« ...183
Was aber ist Frau? Ihre Schleier flattern in der Ferne, der Todestraum beginnt, es ist die Frau.184
Frau wird zum oszillierenden Schatten eines Punktes in der – notwendig zu denkenden – Pluralität der Stile.185 Frau wird, was Freundschaft ausschließt ...186
Engführung mit Szondi Szondis Versuch einer via regia, womit ich zur Frage der verwandtschaftlichen Verhältnisse der den Interpretationspraktiken zugrundeliegenden Theorien zurückkomme, beruht auf einem von Adornos Philosophie – in Fragen scheinbar bloß des Details – abweichenden Verhältnis zum Anderern. Auf Seite 117 lese ich 187 was nicht geschrieben steht
so schreibt Rose Ausländer, was einer Frage nach der Chiffre, wie schon bemerkt wurde, geradezu entspricht, da diese Verse ohne Kenntnis des gelesenen Buches nicht ganz verstehbar sein dürften ... Helmut Braun verdanke ich den Hinweis, hierbei könne, wenngleich dies seines Erachtens ein nicht recht zu erhärtender Verdacht sei, Thomas Manns Joseph und seine Brüder gemeint
181 182 183 184 185 186
187
Übersetzt von Alexander G. Düttmann und Iris Radisch. In: Die paradoxe Metapher. Hg. von Anselm Haverkamp. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998 (Edition Suhrkamp; 1940 – Aesthetica), S. 197–234, hier S. 214; Derrida, Dissemination (wie Kap. 3, Anm. 87), S. 84ff. u. passim Vgl. auch Braun, »Ich bin fünftausend Jahre jung« (wie Kap. 1, Anm. 28), S. 26ff. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 247), Bd 3, S. 278. Ebd., S. 279. Derrida, Sporen (Anm. 14), S. 147. Vgl. Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 140. Im doppelten Sinne – vgl. hierzu Derrida, Politik der Freundschaft (wie Kap 3, Anm. 875), S. 195ff.; der Ankündigung gemäß – vgl. ebd., S. 179 (Anm.) – ist dieser Essay zu einem Buch geworden, das auch dieses Motiv fortspinnt – vgl. Derrida, Politik der Freundschaft (wie Kap. 3, Anm. 875), S. 346, 366, 377, 387 u. passim. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 4), Bd 7, S. 65.
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sein. Zu schön, so ist das Gedicht betitelt, dessen Titel zugleich in Verklammerung als Schlußvers wiederkehrt.188 Ist der fremde Einschluß ein Schlüssel, den in Händen zu halten schon ein Fehler wäre? Dem ungenierten Zugriff hätte wohl Adorno ebenso wie Szondi widersprochen. Jaakob befand sich damals in besonders gehobener Stimmung, und zwar auf Grund seiner Bildung, der Bedeutsamkeit seiner Seele, vermöge seiner Neigung zu weit189 ausgreifender Ideenverbindung.
Diese Figur des Romans ist es nun, welche dem Verhalten von »Gesindel, Ungenannte[n] und Niemandssöhne[n]«190 Ehre entgegenstellt. Ist jener Adel es, der als nostalgisch und zu schön abzutun ist, da, was beschrieben ist, heute Siegel der Heimatlosigkeit ist? Ist es Spott, statt des Stoffes ohne Referenz, wie Thomas Mann sie vorführt, der sich nur ungern Bruchstellen erlaubte, Referenz ohne Stoff zu bieten, also nicht alles in den Text zu bannen, sondern den Text als Schreckgespenst eben dessen zu gestalten, worin zuletzt nur die vagen Spuren des Außen liegen, das sich der Harmonie eines geordneten Textes entzöge?191 Dies gilt umso mehr, da in der unvollständigen Ausgabe Rose Ausländers von Joseph und seine Brüder eine Seite 117 gar nicht vorhanden ist – was vielleicht zeigt, daß noch das Kollabieren der interpretativen Ordnung sie paradox zu stützen vermag. (Das Buch indessen hielt die Dichterin in einer Art Ritual, wenn Helmut Braun, der es ihr geschenkt hatte, sie besuchte, – immer auf der selben, nun ganz abgegriffenen Seite, die eine andere Ziffer trägt – aufgeschlagen; doch dies sei nur am Rande erwähnt.) Man erahnt, wohin, in welche Tradition solche Lektüre führte ... Eine solche Tradition der »destruktiven Dialektiker«192 einte Adorno und Szondi. Auch Szondis – mehr am Text orientierte – Arbeit beginnt bei der Frage, welcher Art der zunächst als der Vernunft integrierbar vorausgesetzte Sinn der Worte sich deren Einverleibung entzieht. Inwiefern gibt der Dichter zu erkennen, »im Sprechen behindert«193 zu sein? Es ist ein Auseinanderstreben der Ausdrucksmittel, eine Forcierung der Doppeldeutigkeit; Worte, die Sinn geben, werden der Phrase angenähert oder abgebrochen, sobald eine zwingend scheinende Fortführung zu erahnen ist, sinnlos Scheinendes wird durch die Struktur kontextualisiert.
188 189 190 191
192 193
vgl. ebd. Thomas Mann: Joseph und seine Brüder. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1964, S. 117. Ebd. In eben dieser irrlichternden Konstellation von Trauer »nach / der Vor-Schrift, / unüberholbar« (Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden [wie Kap, 1, Anm. 174], Bd 2, S. 328) schreibt Paul Celan ... »In der Blasenkammer« (ebd., S. 292) – einer Versuchsanordnung moderner Physik – werden Spuren des Unsichtbaren lesbar. Szondi, Schriften (wie Kap. 3, Anm. 276), Bd 5, S. 305. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 385.
Engführung
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Und der Wert einer Methode beruht vielleicht auf ihrer Fähigkeit, in [...] Schweigen eine Frage aufzudecken.194
Hierfür braucht es zunächst Auslegungen, die bewußt unfertig zur Opposition, zum Spiel der Versatzstücke dienen. Szondi unterläßt nicht, was allein freilich zur Beschreibung von »einzelne[n] Stellen, Elemente[n], Details des Werkes als objektiv erkennbare Fakten«195 und damit zu einem plumpen Positivismus ausartete. Der Hermeneut ist ein Dolmetscher, ein Vermittler, der auf Grund seiner Sprachkenntnis das Unverstandene [...] verständlich macht.196
»Abgeschlossenheit«197 bleibt; das Vermittelte wird nicht zum Unmittelbaren, die Ausdeutung nimmt dem Fremden nichts von seiner Schroffheit, seinem Anderssein. So kommt Szondi zu sehr klaren Benennungen, schreibt etwa in seinen Studien zu Celan, dessen Dichtung sei »fast ausschließlich dem Gedenken der Toten gewidmet«,198 unternimmt Gleichsetzungen und Ausdeutungen,199 die geradezu unvorsichtig sind. Nur am Rande möchte ich auf die Wendung Hamburgers verweisen, wonach dies, was Szondis Procedere nahelegt, die Hermetik Celans in der Tat zeitige: »daß [...] [seine Gedichte] nicht hermetisch sind, daß jedes Wort [...], jeder Hiatus oder jede Stille in ihnen nicht nur bedeutungsvoll sondern auch verständlich ist, daß jede Dunkelheit bei ihm ihre lichte Entsprechung hat«,200 was in die einzigartige Zusammen- oder Engführung mündet, die dem Gedicht seinen unauflösbaren, doch nicht sinnlosen Weg gibt.201 Diesen Weg zeigend und zeitigend bedient sich das Poem einer Sprache, die scheinbar all ihre Daten enthüllt – im Wissen, daß sie notwendigerweise »nicht zur Schau stellt, woher sie kommt und wohin sie geht.«202 Zugleich geht Szondi so ominöser Wege und entwirft eine Art Binnengrammatik der Gedichte Celans, untersucht ihre Lesbarkeit (die er allerdings unter Anführungszeichen setzt) ,203 spürt ihrer Struktur nach. Dabei bestimmt die Struktur wesentlich die Möglichkeiten von
194
195 196 197 198 199 200 201 202 203
Gérard Genette: Strukturalismus in der Literaturwissenschaft. Übersetzt von Erika Höhnisch. In: Strukturalismus in der Literaturwissenschaft. Hg. von Heinz Blumensath. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1972 (Neue wissenschaftliche Bibliothek; 43), S. 71–88, hier S. 86. Menke, Die Souveränität der Kunst (wie Kap. 2, Anm. 26), S. 36. Szondi, Schriften (wie Kap. 3, Anm. 276), Bd 5, S. 15. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 475. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 349. Vgl. ebd., S. 357, aber auch S. 328 und 362. Hamburger, Das Überleben der Lyrik (wie Kap. 3, Anm. 106), S. 97 (Hervorhebung M. H.). Vgl. auch ebd., S. 20 u. 88 zur Polyvalenz sowie 84 zum Einzigartigen. Ebd., S. 244. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 389.
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Sinnstiftung, wie Szondi gegen eine Ausdehnung der theoretisch darzustellenden Spracharchitektonik Celans gewandt hinzufügt.204 Dominanz eines Zugangs besteht nichtsdestotrotz: Das letzte Wort hat bei Szondi die Struktur der Verse und Lautgestalten, die die Wörtlichkeit Lügen straft und tatsächlich noch am ehesten ungebrochen Gehalte trägt – ganz gemäß Adorno: Kunst hat soviel Chance wie die Form, und nicht mehr.205
Man kann dabei Adornos Zusatz schwerlich widersprechen: Form ist die wie immer auch antagonistische und durchbrochene Stimmigkeit der 206 Artefakte.
Nicht zuletzt besagt er jedoch, daß – und Szondis expliziten Ausführungen innerhalb der Celan-Studien ist das so nicht zu entnehmen – auch die Struktur als Gestaltungsmittel nicht heil ist, selbst wenn sie sich suspekt erscheinen läßt. Szondi beherzigt dies hauptsächlich erst in der konkreten, sehr reflektierten Lektüre selbst, worin Semantik und Form akribisch auf einander bezogen werden und auch der Aufbau der Gedichte als wenigstens zum Teil ironisch aufgefaßt wird.207 Bis zu einem gewissen Grad also ist Szondis auf Wortbedeutungen, Klang und Strukturen lauschender Zugang, da es die »Gerade in der Philologie nicht gibt«,208 welche »vom Faktischen stracks zur Erkenntnis führen«209 könnte, einer des Methodenpluralismus, der sich jedoch nicht damit begnügt, eine Vielzahl von Detailübersetzungen, widersprächen sie einander noch so sehr, zu produzieren – Szondi geht es vielmehr um ein Ganzes, das sich in seiner Vagheit den ausgetragenen Spannungen unter den disparaten Resultaten verdankte:210 Es müssen [...] nicht nur die Wörter und Sätze, sondern auch und besonders die Relationen, wie sie durch Wiederholung, Umwandlung und Widerspruch entstehen, ge211 lesen werden.
Dies gilt auch für Relationen von Relationen sowie die sie formal zwar bildenden, jedoch mit diesen Strukturierungen durchaus nicht harmonisierenden Wörter in ihrer Klanggestalt. Man wird bei Szondis Negation eines letzten Sinns (das nicht nur bleibt notwendigerweise unaufgelöst) an den Adorno so wichtigen Begriff der Dissonanz zu denken haben, daran, daß ein gewisses Moment der 204 205 206 207 208 209 210 211
Vgl. ebd., S. 345; zum Celansch – vgl. Rüdiger Görner: Lippe schweigt es zu Ende. In: Die Presse – Spectrum, Sa., 10.05.1997, S. V. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 213. Ebd. Vgl. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 430; vgl. ebd., S. 435ff. u. Gellhaus, »Fremde Nähe« (wie Kap. 3, Anm. 154), S. 453ff. Szondi, Schriften (wie Kap. 1, Anm. 106), Bd 1, S. 279. Ebd. Vgl. Szondi, Schriften II (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 129. Ebd., S. 354
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Kunst nicht, wenn sie »ihrem Einfall immanent«212 bleibt, sondern vielmehr »durch dessen Liquidation«213 zutage tritt. Gadamer, der in seiner Studie Wer bin Ich und wer bist Du? leider nicht immer große Dezenz in der Ausdeutung walten läßt, schreibt in diesem Sinne: Ein Maulwurf ist tätig.214
In dieser nicht zu beruhigenden, subversiv-wühlenden Bewegung ist freilich an eine weitere Frage zu denken, jene der zweifachen Bestimmung, denn nicht allein sind mit strategischem Raffinement angelegte Diskrepanzen der Artikulationsweisen zu bedenken, es ist ebenso festzustellen, daß die getätigten Verknüpfungen selbst nicht ruhen, die »Mittel der Erkenntnis geworden(e)« »Mehrdeutigkeit«215 ihren eigenen Effekten unterliegt – »es geht also nicht um einfache Polysemie«.216 Dies ist denn auch der Punkt ausdrücklicher Hinwendung zu Derridas Theorien217 – das Zeichen wird zu einem Hilfsbegriff, der genau betrachtet nicht länger adäquat, »sinnvoll und angebracht«218 scheint. Da nämlich das Bezeichnete / die Einschreibung / das Fremde definiert, was als klassisches Zeichen zunächst unberührt sein sollte, kommt es zu einer nicht einzudämmenden Verschiebung, der Sinn, der alles um sich akzidentiell wirken lassen sollte, wird zum supplementären Element, verdankt sich selbst dem, das er charakterisiert: Im Anfang ist das Zitat, die Wiederholung, die Kopie.219 Die Abwesenheit von Präsenz geht einher mit einer Anwesenheit dessen, was bezeichnet vertreten, also nicht präsent ist. Schrift wird zur Verschmelzung von Mangel und Fülle, jedes Zeichen beschwört, was nicht vorhanden zur Spur wird, doch zugleich das Zeichen als partiell nichtig prägt. Es bleibt kein Erstes oder Letztes, kein Fundament, kein Zentrum, kein Punkt: Der Text ist kein Zentrum. Der Text ist diese Offenheit ohne Grenzen der differenti220 ellen Verweisung. 212 213 214 215 216 217 218 219
220
Adorno, Philosophie der neuen Musik (wie Kap. 3, Anm. 232), S. 98. Ebd. Gadamer, Wer bin Ich und wer bist Du? (wie Kap. 3, Anm. 634), S. 21; vgl. Blumenberg, Höhlenausgänge (wie Kap. 2, Anm. 196), S. 645. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 389. Ebd., S. 376. Vgl. ebd., S. 329, 338, 348 und 377; vgl. Menninghaus, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 189), S. 258 (Anm.). Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 338. Anführungszeichen empfehlen sich ... – vgl. Robert Menasse: Phänomenologie der Entgeisterung. Geschichte des verschwindenden Wissens. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995 (Suhrkamp-Taschenbuch; 2389), S. 87. Jacques Derrida, zit. in: Engelmann: Positionen der Differenz: Jacques Derrida und Jean-François Lyotard. In: Jenseits des Diskurses. Literatur und Sprache in der Postmoderne. Hg. von Albert Berger und Gerda Elisabeth Moser. Wien: Passagen 1994 (Passagen Literatur), S. 103–120, hier S. 117.
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Hier allerdings bremst Szondi die Eigendynamik der Folgen jener Aufhebung eines obsoleten Zeichenbegriffs, wie sie Derrida betreibt, um der klaren Benennung willen: »Der Interpret, der die Tatsachen mißachtet, mißachtet auch die Gesetze der Interpretation«,221 schreibt Szondi – doch w e l c h e Tatsachen böten Rückhalt, wenn jedes Wort vom Kontext regiert wird, den es generiert, wenn »der Name, insbesondere der Eigen-Name, immer von einer Kette oder einem System von Differenzen umgeben ist«?222 Tatsächlich bleibt diese Frage bei Szondi unbeantwortet, er sieht die den Polysemie-Begriff übersteigenden Phänomene der Verschiebung, meidet aber letztlich bei aller Vorläufigkeit der Sinnkonstruktionen eine Transformation der Interpretationskategorien, versucht in transparent gemachter Sprödheit der lyrischen Gebilde des geistesverwandten Dichters jene Leere zu würdigen, die unbenannt bleiben muß. Da Szondi »die begriffliche Wiedergabe der Stimmigkeit, die einem aufgegangen ist«,223 als Ziel der Interpretation setzt, ist dieser Verzicht möglich; wollte er Zeugnis davon ablegen, welcherart Präsenz und Absenz in der Dichtung Celans, in der Dichtung überhaupt sind, bedeutete dies eine kaum zu überschätzende Krise seiner Interpretamente, welche als Form ums Überlegte sich legen, es jedoch nie aus den Begriffskonstellationen schwinden lassen, als Einschreibungen wahren. Die Einschreibung, so könnte man ein Bild Derridas bemühen, rollt sich dem, der sich ihrer annimmt, ein – und stellt vor die Wahl, die aufgestellten Stacheln als Zeichen dessen zu nehmen, was jeder anderen, also vor allem der eigenen Sprache fremd bleibt. Redet man vom Kunstwerk und von der Dichtung als einem solchen Igel, so ist es einer, der offenbar sein Geheimnis nur als Umstand zeigt, es sei etwas Unvereinbares, dessen Einschreibung scheitert, aber, da keine Ordnung sich letzten Endes dem Igel widmen muß, als Scheitern nicht zustande kommen muß. Man mag einen unendlichen Verlust darin sehen, doch zuletzt ist das Datum es, das gefährdet ist, wenn sich keine Ordnung ihrer Verwundung aussetzen mag. Er kann sich überfahren lassen, mit Recht, genau deshalb, der Igel ...224
Man weiß um die emotionsgeladenen Reaktionen auf Derridas Philosophie, ist auch die Vermutung, »mancher sähe Derrida gern zum Trinken des Schierlingsbechers verurteilt«,225 geringfügig übertrieben ... Brunkhorst etwa formuliert den Vorwurf, daß »Derrida die [...] Erfahrung des Negativen [...] aufbläst«,226 worüber Brunkhorst denn auch strauchelt, wenn er die aufgeblasene Negation 221 222 223
224 225 226
Szondi, Schriften (wie Kap. 1, Anm. 106), Bd 1, S. 268. Derrida, Grammatologie (wie Kap. 4, Anm. 886), S. 162. Szondi, Briefe (wie Kap. 3, Anm. 28), S. 24; vgl. auch Szondi, Schriften (wie Kap. 1, Anm. 106), Bd 1, S. 75 zu der wesentlichen und ursprünglichen Identität von Subjekt und Objekt sowie der zentralen Kategorie Stimmung. Derrida, Auslassungspunkte (wie Kap. 3, Anm. 775), S. 299. Kofman, Derrida lesen (wie Kap. 3, Anm. 439), S. 17. Brunkhorst, Theodor W. Adorno (wie Kap. 3, Anm. 15), S. 140.
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mit »bestimmter Negation«227 vergleichend von dieser scheiden will.228 Auch Szondi, der »Derrida sehr gern«229 hat, fühlt ein gewisses Unbehagen angesichts der Radikalisierung des (nicht bloß) Negativen. Es scheint nicht im Interesse Celans sein zu können, daß Auschwitz nicht länger scharf zu umreißen ist, nicht als d i e Krise der Worte wirkt, welche als zunächst unversehrt scheinender Rahmen das krasse Hereinbrechen des Unbenennbaren erst wahrnehmbar machen sollten, sondern als leeres Zentrum eine Einschreibung unter anderen wäre; es scheint nicht in Szondis Interesse sein zu können, der über ein Dreivierteljahr Bergen-Belsen erleben mußte;230 auch Adorno231 und schließlich Derrida232 sind mit antisemitischen Maßnahmen, mögen diese auch nicht jenen in Celans sowie Szondis Vita vergleichbar sein, konfrontiert worden. Die Wirkung des abrupten Abreißens der Sprache ist geschwächt, der Text nicht tragfähig, worin Auschwitz als verloren bewahrt ist, in der Bewahrung aber in jenem Maße, in dem es integriert ist, nicht dem entspricht, wofür es steht, also verloren sein muß. Ecos halbherziger Ausweg, ein Text könne sehr wohl simpel meinen, was er sagt, ohne »zu argwöhnischen Mutmaßungen darüber veranlassen«233 zu wollen, hilft wenig, das Bestimmte Derridas provokativer lecture entgegen zu retten und in der punktuell verweigerten Integration eine inverse Versöhnungsfigur zu schaffen; Ge- oder Mißbrauch eines Textes ist sicherlich eine Dimension des Lesens, die nicht zu leugnen und seit langem von Verfassern gefürchtet ist: Die schlechtesten Leser sind die, welche wie plündernde Soldaten verfahren: sie nehmen sich Einiges, was sie brauchen können, heraus, beschmutzen das Uebrige und lästern auf das Ganze.234
Doch die Betonung der von Intentionen jenseits des Textes gelenkten Auslegung gibt vor, eine legitime Ausformulierung der intentio operis wäre abseits solcher Praktiken (falls intentionsloses Interpretieren nicht allein schon eine
227 228
229 230 231
232
233 234
Ebd. Vgl. ebd. und ebd., S. 123; zur Frage bestimmter Negation und der »Verneinung des Urteils selbst« (Jacques Derrida: Préjuges. Vor dem Gesetz. Übersetzt von Detlef Otto und Axel Witte, hg. von Peter Engelmann. Wien: Passagen 1992 (Edition Passagen; 34), S. 20) – vgl. ebd., S. 19f. Szondi, Briefe (wie Kap. 3, Anm. 28), S. 318. Vgl. ebd., S. 355. Vgl. Scheible, Theodor W. Adorno (Kap. 1, Anm. 17), S. 70ff., wo auch auf den unberechtigt scheinenden und etwas billigen Vorwurf, Adorno habe sich gleichgeschaltet, eingegangen wird (vgl. ebd., S. 71). Bennington / Derrida, Jacques Derrida (wie Kap. 2, Anm. 189), S. 326 und passim; nicht ganz nachvollziehbar argumentiert hierzu Mainberger, Rhetorische Vernunft (wie Kap. 4, Anm. 644), S. 115f. Eco, Die Grenzen der Interpretation (wie Kap. 2, Anm. 249), S. 41. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd II, S. 436; vgl. ebd., S. 223.
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contradictio in adiecto ist235) möglich. Das eigentliche Problem aber ist, daß jedwedes Gedenken, sei es reflektiert und poetisch ausgestaltet oder naiv, fehlschlägt, dieses Fehlschlagen selbst verhüllt und dem versöhnlichen Ende sozusagen ein unversöhnliches bereitet. Natürlich geht es nicht darum, deshalb jeden virtuellen Punkt der unendlichen Re-Definition des Denkens auszusetzen und auf die Frage nach dem Namen mehr oder weniger originell Metaphysik zu erwidern.236 Die différance ist ein unendliches Spiel, kein Projekt mit abgesteckten Grenzen, als verborgenes Potential der Schrift im Gedächtnis zu bewahren, doch nicht stets auszutragen, was aufgrund der stets notwendigen lokalen Begrenzung der Anfänge (man versetzt Punkte in Bewegung in bezug auf etwas ...!) auch theoretisch gar nicht möglich wäre. Nun schreibt Eco: Ich glaube, es besteht ein Unterschied zwischen diesem philosophischen Spiel [...] und der Entscheidung, seine Methode auf die literarische Kritik anzuwenden – oder 237 diese Methode zum Kriterium für jeden Interpretationsakt zu machen.
Doch da die différance überall latent besteht, ist zu fragen: Kann man sich es aussuchen, wo sie ihre Wirkung entfalten soll? Ist sie nicht stets schon den von ihr rein gewähnten Text konstituierend notwendigerweise am Werke? Die »Dekonstruktion ist keine nachträglich von außen her eines schönen Tages sich ereignende Operation, sie ist immer schon am Werk im Werk«,238 so formuliert es denn auch Derrida ... Szondi aber schreibt: An unserem Seminar [...] macht sich immer mehr eine Esoterik à la Derrida breit (ich sage es ungern, weil ich Derrida sehr gern habe), man phantasiert über Texte 239 wie Liszt über Bachsche Themen. Die Philologie steht derweil in der Ecke.
Ist diese Passage an Rücknahmen in den Formulierungen – à la, ich sage es ungern ... – auch reich, weiters hinzuzusetzen, daß tatsächlich Derrida mit großer Stringenz operiert240 und zwar philosophische wie literarische Texte ähnlich 235 236
237
238 239 240
Vgl. ebd., Bd XII, S. 139f.; dieser »Fallstrick« (ebd., Bd V, S. 85) bleibt zu bedenken ... Vgl. Jacques Derrida: Die Postkarte von Sokrates bis an Freud und jenseits. 1. Lieferung. Übersetzt von Hans-Joachim Metzger. Berlin: Brinkmann & Bose 1982, S. 241. Eco, Die Grenzen der Interpretation (wie Kap. 2, Anm. 249), S. 55; »Derrida ist klarsichtiger als der Derridismus« (ebd.); vgl. auch Klaus Wiegerling: Jacques Derrida. In: Philosophie der Gegenwart in Einzeldarstellungen von Adorno bis von Wright. Hg. von Julian Nida-Rümelin. Stuttgart: Kröner 1991 (Kröners Taschenbuchausgabe; 423), S. 138–143, hier S. 142. Derrida, Mémoires (wie Kap. 2, Anm. 256), S. 103. Szondi, Briefe (wie Kap. 3, Anm. 28), S. 318. Vgl. Richard Rorty: Is Derrida a Transcendental Philosopher. In: Working through Derrida. Ed. by Gary Brent Madison. Evanston: Northwestern University Press 1993 (Northwestern University Studies in Phenomenology and Existential Philosophy), S. 137–146, hier S. 143.
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behandelt, doch zugleich in seinem Vorgehen Poesie und Philosophie nicht durcheinanderwürfelt,241 ungemildert bleibt bestehen, was Szondi und Derrida bei aller Nähe trennt. Es ist der Umstand, daß »es [...] keinen Ausgang aus Derridas Welt der Zeichen [gäbe]. Demzufolge werde auch die philosophische Idee der Wahrheit aufgegeben«,242 wie es in einer Zusammenfassung der Kritik an Derrida heißt. In einer sehr vermittelten, avancierten Weise sucht aber Szondi durchaus die Erschließung des poetischen Wortes von einem unerschütterlichen Fundament aus, die Erhellung dessen, woran gedacht wird, und des Gedenkens selbst; Derridas These eines unabdingbaren Taumels der Vernunft widerspricht dem unabschließbaren, doch der Richtung nach klar definierten Bemühen des Philologen.243 Nicht uninteressant ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, daß Szondi im Gegensatz zu Derrida die löbliche »detaillierte Einzelinterpretation«244 sucht, dabei aber auf Kategorien setzt, die ihn eher ans Frühwerk Celans binden, während Derrida »Atemwende und Die Niemandsrose aus dem mittleren Werk«245 untersucht. So ist denn auch Szondi von Derrida sowie dessen Einfluß auf sein eigenes Denken, seinen eigenen Stil (»mi-Szondi, miDerrida«246) fasziniert und betrachtet ihn doch zugleich als »dangereux«.247 Wollte man also Szondis Vorgehen auf eine kurze Formel konzentriert wiedergeben, es wäre zu sagen, es bestehe im Vollzug bis zum Exitus jener »Küchenphilosophie: / ›alles beziehe sich ja aufeinander!‹«248 Sein Credo könnte Baumann treffend gefaßt haben: 241 242 243
244
245 246 247 248
Vgl. auch Hegel, Werke in 20 Bänden (wie Kap. 3, Anm. 62), Bd 3, S. 64; dagegen Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd I, S. 350ff. Wiegerling, Jacques Derrida (Anm. 237), S. 141. Vgl. Szondi, Schriften (wie Kap. 3, Anm. 276), Bd 5, S. 12f., 75; zur Fragwürdigkeit des »Primats der Sache gegenüber dem Wort« (ebd.), S. 93, 113 sowie 131. Meines Erachtens schwingt in den Problematisierungen, die ja keinesfalls Verwerfungen sind, die vage Hoffnung auf infinite Präzisierung mit, etwa, wenn Metaphorik genannt wird, obwohl diese zugleich »schon Teil der Interpretation ist« (ebd., S. 131), was eine Hermeneutik klassischer Ausprägung insofern verunmöglicht, als die immer auch vorausgesetzte Abgrenzung der Begriffe zum in ihnen Auszudrükkenden hier fehlt – vgl. auch David Martyn: Dekonstruktion. In: Literaturwissenschaft. Ein Grundkurs. Hg. von Helmut Brackert und Jörn Stückrath. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1992 (rororo; 3290 – Rowohlts Enzyklopädie), S. 664–677, hier S. 664ff. und Dietmar Peil: Metapherntheorien. In: Metzler Lexikon Literaturund Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Hg. von Ansgar Nünning. Stuttgart, Weimar: Metzler 1998, S. 364–366, hier S. 365. K. Hvidtfelt Nielsen: Anläßlich der Lyrik Paul Celans – eine sprachtheoretische Überlegung. In: Zur Lyrik Paul Celans. Hg. von Peter Buhrmann. Kopenhagen, München: Fink 2000 (Text & Kontext – Sonderreihe; 44), S. 31–61, hier S. 42. Ebd.; vgl. ebd., S. 42f. u. 54 (Anm.). Szondi, Briefe (wie Kap. 3, Anm. 28), S. 326. Ebd.; »intéressant et dangereux« (ebd.); »das gespenstische Eigenleben der Begriffe« – Szondi, Studienausgabe der Vorlesungen (wie Kap. 3, Anm. 654), Bd 3, S. 29. Mayröcker, Gute Nacht, guten Morgen (wie Kap. 4, Anm. 868), S. 116.
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Die Wahrheit gehört zur Rhetorik der Macht. Sie ergibt nur Sinn im Kontext einer 249 Opposition – sie zeigt nur in der Situation des Widerstreits, was in ihr steckt ...
Der Weg zu Derridas Politik der Freundschaft ist hier nicht weit, auch wenn sie nicht auf das Wahre (und gar einer Opposition) verweist; er affirmiert die Front, die sich selbst in der Verständigung hintergeht, affirmiert die Partei, die es nicht Bewegung zu werden gelüstet, affirmiert den Austausch – gerichtet gegen »die Feinde des Politischen, die letzten Feinde, die schlimmsten, die schlimmer als Feinde sind«.250
Exkurs 3: Gadamers Position Eine kurze Positionierung Gadamers sei ihrer Erkenntnisqualität wegen hier angeschlossen. Bekannt ist, daß jener – wie Szondi – in seiner Hermeneutik Raum für die Anliegen der Dekonstruktion zu geben sucht. Er formuliert sozusagen ein mea culpa dessen, der um seine Befangenheit weiß.251 Und stellt er die Frage: »Bleiben nicht Begriff und Urteil in das Bedeutungsleben der Sprache eingebettet, die wir sprechen und in der wir zu sagen wissen, was wir meinen?« ,252 so fügt er an, der Protest Derridas sei ihm bei dieser »rhetorischen Frage«253 gewiß. Kurzum ist zu sagen, Gadamer halte »die Opposition der Theorie der Dekonstruktion gegen die Hermeneutik«254 für nachvollziehbar. Indem jedoch eine Opposition von Auslegung und deren Fragwürdigkeit aufscheint, ist zum einen die Frage berechtigt, ob das, was hier als Derridas Philosophie präsentiert wird, so zu heißen ist, sind zum anderen die Ausführungen Gadamers als Einleitung einer Kritik an Derrida zu lesen. Im Zentrum jener Polemik steht die gefährdete »Sinnidentität eines Textes«,255 die als von »Befangenheit in der Metaphysik«256 zu scheidende zu retten 249
250 251 252 253 254
255 256
Zygmunt Bauman: Unbehagen in der Postmoderne. Übersetzt von Wiebke Schmaltz. Hamburg: Hamburger Edition 1999, S. 200; Wahrheit hat nur »doppelte Wahrheit: das Aushalten der Entzweiung« – Bürger, Ursprung des postmodernen Denkens (wie Kap. 1, Anm. 129), S. 168; ist Wahrheit ohne den Widerstreit rasch Dummheit, die Idiotie der Totale, bedarf es des Streits – als »Motor der Dummheit« (Serres, Hermes (wie Kap. 4, Anm. 616), Bd V, S. 133) ... Derrida, Politik der Freundschaft (wie Kap. 3, Anm. 875), S. 125; vgl. auch ebd., S. 184, 462 u. passim. Vgl. Hans-Georg Gadamer: Gadamer Lesebuch. Hg. von Jean Grodin. Tübingen: Mohr Siebeck 1997 (UTB für Wissenschaft: Uni-Taschenbücher; 1972), S. 146. Ebd., S. 265. Ebd., S. 265 (Anm.). Hans-Georg Gadamer: Gesammelte Werke, Bd 2: Hermeneutik II. Wahrheit und Methode. Ergänzungen. Register. Tübingen: Mohr 1986, S. 114 u. Gadamer, Gadamer Lesebuch (Anm. 251), S. 54. Gadamer, Gesammelte Werke (Anm. 254), Bd 2, S. 7. Ebd.
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ist. Angelehnt an die Bestimmung künstlerischer Arbeit als Rätsel schreibt Gadamer, dies sei »Literatur: Texte, die nicht verschwinden«,257 die vielmehr als Einspruch gegen jede sich um sie legende Rhetorik für eine Unverwechselbarkeit – und sei’s jener der Formulierung – einstehen. Doch allzu gut weiß jener, der so schreibt: Alles Gesagte hat seine Wahrheit nicht einfach in sich selbst, sondern verweist nach 258 rückwärts und vorwärts auf Ungesagtes.
Das klingt nach einer ontotextologischen Abwandlung Heideggers, der dem »Sein [...] Nicht-mehr-sein und Noch-nicht-sein«259 beigesellt; und es heißt nicht nur, daß sich die Logik von Schrift weitertreiben lasse, woraus sich die Triftigkeit erst ergebe, die Schrift innewohnt, es läßt auch erahnen, daß sehr wohl Schrift, die sich also fortschreibend anschließt, verändern muß, um Sinn zu gestalten, also die Instanz der Sinnidentität auf der Hinfälligkeit ihrer selbst fußt. 260
In diesem Zwischen ist der wahre Ort der Hermeneutik.
Sehr treffend ist die Bestimmung, die daraus für jenen, der einer Kunst der Auslegung mächtig ist, folgt: Die Lage des Übersetzers und die Lage des Interpreten ist also im Grunde die gleiche.261
Man muß auch auf eine Fußnote hinweisen, worin bemerkt wird, daß ebenso die Produktion von Poeten (Kategorie: Wort) und Philosophen (Kategorie: Sinn) vergleichbar und Nüchternheit als Programm der Begriffsakrobatik gleichermaßen redlich und uneinlösbar ist, daß kurzum ein methodischer Gleichschritt von Rhetorik und Philosophie durchaus nicht die Ausnahme sein mag.262 Dies hat Gadamer andernorts bekräftigt: Aber die Rhetorik ist doch keine philosophische Methode [...]? 263 GADAMER: Das weiß ich nicht. Vielleicht ist sie tatsächlich die einzige!
Verständnis und Umformulierung, also minimales Mißverstehen sind nicht zu scheiden.264 Sinn ist, was sich aktualisiert – es finden sich nicht wenige Passagen bei Gadamer, die so untergraben, was unstimmig geworden nichtsdesto257 258 259 260
261 262 263 264
Ebd., S. 351. Ebd., S. 152. Heidegger, Vorträge und Aufsätze (Anm. 72), S. 176. Hans-Georg Gadamer: Gesammelte Werke, Bd 1: Hermeneutik I. Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. 5. Aufl., Tübingen: Mohr 1986, S. 300. Ebd., S. 390. Vgl. ebd., S. 33 (Anm.). Hans-Georg Gadamer: Wir müssen lernen, Gespräche zu führen. Red. von Thomas Sturm. In: der Standard – Album, 24. Dez. 1998, S. 52, hier 52. Vgl. Gadamer, Gesammelte Werke (wie Kap. 4, Anm. 37), Bd 1, S. 392.
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trotz als nostalgische Reminiszenz auch bei Derrida wohlverwahrt erhalten ist.265 Es bleibt allein hinzuzufügen, daß es eine Nostalgie ist, ein »atopon«,266 das also Philologie antreibt und Lügen straft, die Auslegung immer wieder erinnert, ihre Einschreibungen (jene, die sie hinterläßt, jene, die ihr widerfahren) aufs Zwischen zurückzuführen ...
Engführung mit Derrida Derridas Lektüren gehen von Pfropfung und Belebung aus, die sich grob gesprochen der Aufgabe des Zentrums verdanken. Da der Sinn von Einschreibungen diktiert wird, die zugleich durch diesen nicht etwa bloß beeinflußt, sondern gewissermaßen als Lesbares erst generiert werden, ist der Anfang einer immer schon vollzogenen Wiederholung gewichen, einer steten Dezentrierung, die nicht wahrnehmbar und keinem Kalkül zu unterziehen ist. Man kann auf Celan verweisen, dessen Texte zwar von »unendliche[r] Belesenheit«267 zeugen, aber gewiß gerade als solche Zeugnisse, die in ihre Quellen zerfielen, nicht zu lesen sind.268 Statt eines A sind also – mit Nietzsche formuliert – unendlich zahlreiche »Kraft-Quanta«269 zu denken, »Kraft-Quanta, deren Wesen darin besteht, auf alle anderen Kraft-Quanta Macht auszuüben«.270 Man kann, wie es getan worden ist, freilich ebenso das A als das etablieren, was einzig und allein bleibt, in dessen Oszillation das sein Symbol findet, was, indem immer wieder die Schrift den Ursprung vereitelt, zuletzt Symbol oder Referenz ohne letzte Verweiskraft ist. »Zwischen dem Eigenen des Anderen und dem Anderen des Eigenen«271 also ist situiert, was die Philosophie treibt. Man könnte auf die Formel »ahnungslos, wen du lebst«272 verweisen. Die Spiele, die von der Philosophie getrieben werden, aber auch die Spannungen, die die Philosophie antreiben, sie sind durch die différance geprägt, welche als »die erste oder letzte Spur, könnte hier noch von Ursprung und Ende die Rede sein«,273 beschreibbar wäre.
265
266 267 268 269 270 271 272 273
»Der Sinn des Wortes ist vom Geschehen der Verkündigung nicht ablösbar. Der Geschehenscharakter gehört vielmehr zum Sinne selbst.« – ebd., S. 431; vgl. ebd., S. 445 u. 450. Ebd., Bd 2, S. 185. Böschenstein, Leuchttürme (wie Kap. 2, Anm. 208), S. 318. Vgl. ebd., S. 302; allerdings: »Paul Celan war ein poeta doctus.« – Gadamer, Wer bin Ich und wer bist Du? (wie Kap. 3, Anm. 634), S. 137. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd XIII, S. 261; vgl. ebd., Bd XII, S. 92. Ebd., Bd XIII, S. 261. Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 14. Benn, Gedichte (wie Kap. 3, Anm. 295), S. 468. Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 84.
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»Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien«274 und dergleichen mehr ersetzt die Begriffe, deren Sinn in seiner Fixiertheit und Isoliertheit nicht zu halten ist; und ebensowenig kann die Struktur eine Stabilität gegen die Einschreibung gewährleisten, sie / Gott muß gleichfalls stürzen.275 Wir »verlesen uns in dieser scheinbar deutlichsten Buchstabenschrift unseres Selbst«.276 Nietzsches Satz zum Eigenen ist lakonisch. Die Philologie ist gerade von ihm herausgefordert, das nirgends in Erscheinung tritt, da jenes Eintreten – in der Schrift – immer schon geschehen (und verpaßt worden) ist; Kittler schreibt in einem Geleitwort zu Foucault von dessen Bruch mit der »Einfältigkeit philosophischer Nichtzitiertechniken«,277 vom Bruch mit der Eigentlichkeit als Eröffnung möglichen Erkennens. Äußeres als Gift verhilft zum Sinn, an dem es ihn widerlegend und schwächend frißt, der es gleichfalls als scheinbar nahezu bedeutungsloses Supplement in sich aufnimmt, das ohne ihn unlesbar, also gleichsam gar nicht ist. Cioran kehrt das übliche Verhältnis von Körper oder allgemeiner Organismus und Fremdkörper entsprechend um: Die Theorie lauert unseren Giften auf, bemächtigt sich ihrer und macht sie weniger schädlich. Das ist die Destillierung von oben her: der Geist [...] ist allem Intensiven 278 feind.
In der Tat ist hier der Ort, sich zu fragen, was das pharmakon Derridas denn, da es ja nicht allein Gift ist, heilen solle. Warum bedarf es einer »pharmacopoétique«?279 Sie ist eine Form der Signatur, die auf eine Ordnung nicht exakt verweist: »Signature du mort«280 wäre ein solcher Schriftzug im Zentrum seiner selbst. Ist das Zentrum, das Fehlen des Spiels und der Differenz nicht ein anderer Name für 281 den Tod?
Das der Signatur konvergierende pharmakon dagegen ist diesem Zug Antidot dessen, was vice versa ihr als andere Einschreibung Antidot ist und ohne sie wie jedes Antidot ohne Gift zu einer Noxe führte.282 Das Datum selbst, dessen Irrlichtern erwähnt worden ist – »Une date est folle, voilà la verité.«283 – ist auf diese Einschreibungen angewiesen, die plural als Oszillation erhalten, was zeugt: 274 275 276 277 278 279 280 281 282 283
Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd I, S. 880. Vgl. ebd., Bd VI, S. 78 Ebd., Bd III, S. 108; zur Philologie – vgl. ebd., S. 17. Foucault, Botschaften der Macht (wie Kap. 4, Anm. 394), S. 7. Cioran, Lehre vom Zerfall (wie Kap. 4, Anm. 154), S. 39. Jacques Derrida: Signéponge. Paris: Éditions du Seuil 1988 (Fiction & Cie; 98), S. 62; vgl. zu Gift auch Derrida, Falschgeld (wie Kap. 3, Anm. 999), S. 23. Derrida, Signéponge (Anm. 279), S. 88. Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 446. Vgl. ebd. u. Derrida, Signéponge (Anm. 279), S. 67. Derrida, Schibboleth pour Paul Celan (wie Kap. 3, Anm. 776), S. 68.
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Non plus simplement la natura rerum dont il nous parle bien, mais la loi de la chose. Non pas la loi qui règle l’ordre des choses, celle dont connaisent les sciences et les 284 philosophies, mais la loi dictée.
Das auferlegte Gesetz oder Gebot, dessen Anspruch weder einlösbar noch vermeidbar ist, »intraitable«285 und »non saturable«286 vorliegt, bezieht sich auf die Aggression, die durchs Erkennen, das ihr ja entspricht, zu suspendieren ist, was – wie gesagt – eher die Notwendigkeit als die Möglichkeit der Suspension meint.287 Man hätte hier zweifelsohne Anlaß, zu Programm und Projekt bei Derrida zu sprechen, die nicht als ineinander übersetzbare Ordnungen vorzustellen sind.288 Das Programm Derridas wäre ein je überraschtes Erwarten weiterer Einschreibungsversuche, während das Projekt – es gibt somit in diesem Sinne kein philosophisches Projekt – seiner Applikation nicht innewerden kann.289 Philosophie spielt auf eine Verpflichtung zur steten Überschreitung an, auf eine Ethik, die sich nur in »trans-éthiques«290 ihrer »exigence de responsabilité«291 gemäß entfaltet.292 Die »Unentscheidbarkeit [ist] als Geschick des philosophischen Denkens und als Sache philosophischer Verantwortung [...] zu bejahen und ins Werk zu setzen«.293 Jedenfalls erklärt sich so die Rede vom pharmakon als einer unbestimmbaren Struktur, die besser als die von ihr unterminierten Ordnungen nicht ist – und nie so präzise gegeben wird, daß das Datum 284 285 286 287
288
289
290 291 292 293
Derrida, Signéponge (Anm. 279), S. 16. Ebd. Ebd. Vgl. auch ebd., S. 12; den Tod beschreibt Firges als »die Mitgift des Lebens« – Firges, Den Acheron durchquert ich (wie Kap. 1, Anm. 41), S. 63 (Hervorhebung M. H.); vgl. auch die prinzipiellen Ausführungen von Manfred Fuhrmann: Dichtung als Normtext. In: Text und Applikation. Theologie, Jurisprudenz und Literaturwissenschaft im hermeneutischen Gespäch. Hg. von Manfred Fuhrmann, Hans Robert Jauß und Wolfhart Pannenberg. München: Fink 1981 (Poetik und Hermeneutik; IX), S. 429–433, hier S. 429ff. Vgl. Derrida, Zeugnis, Gabe (wie Kap. 3, Anm. 777), S. 75, Derrida, Interview mit Florian Rötzer (22.2.1986) (wie Kap. 3, Anm. 94), S. 81 u. passim u. Derrida, Du droit à la philosophie (wie Kap. 1, Anm. 158), S. 142. Vgl. hierzu ebd. sowie Hans Robert Jauß: Zur Abgrenzung und Bestimmung einer literarischen Hermeneutik. In: Text und Applikation. Theologie, Jurisprudenz und Literaturwissenschaft im hermeneutischen Gespräch. Hg. von Manfred Fuhrmann, Hans Robert Jauß und Wolfhart Pannenberg. München: Fink 1981 (Poetik und Hermeneutik; IX), S. 459–481, hier S. 463 u. passim. Derrida, Du droit à la philosophie (wie Kap. 1, Anm. 158), S. 113. Ebd., S. 108. Vgl. auch Celan, Der Meridian (wie Kap. 2, Anm. 257), S. 221. Rudolf Bernet, Vorwort zu Derrida, Husserls Weg in die Geschichte am Leitfaden der Geometrie (wie Kap. 3, Anm. 883), S. 30; »The blindness here is [...] caused by [...] the absolute ambivalence of [a] language.« – Paul de Man: – Blindness and Insight. Essays in the Rhetoric of Contemporary Criticism. 2. Aufl., Minneapolis: University of Minnesota Press 1995 (Theory and History of Literature; 7), S. 185.
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seinen Platz auch nur kurz einnähme. Doch das Irrlichtern des Datums ist Ausdruck seiner Chance. Könnte man die Genealogie eines Denkens, das seines Scheiterns negativ inne zu werden trachtet, dann sein unendliches Scheitern als poetische Erfahrung zu definieren sucht und schließlich darlegen muß, daß dieses Poetische immer und überall schon die Zeichen verrückt haben wird, nicht weiterhin dialektisch heißen? Folgte der negativen die destruktive Dialektik, ehe sich das Denken als immer schon gordische Dialektik erahnt ...? Die Theorie lauert – als pharmakon – unseren Giften auf ... Sein besteht somit »im Spiel von Telos und Tod«.294 Es gibt das Ende [...] als Vollendung und [...] als Endlichkeit, es gibt die Finalität 295 und die Mortalität.
Dieses Spiel ist, und damit ist zu den Auswirkungen auf die Interpretation in Derridas Schibboleth überzugehen, freilich selbst »von einer Substantialisierung der différance meilenweit entfernt«296 zu denken, ohne Nostalgie, denn: Die différance ist ursprünglicher als die diversen Besetzungen des Ursprungs. Aber 297 ihre Ursprünglichkeit ist nicht von der Art eines Grundes.
Es ist eine rechte Hölle, die so entworfen ist, eine Hölle, in der das gemäß einem Motto der Minima Moralia zu kennende Schlechteste298 abhanden gekommen ist, der Teufel, weshalb auch eine dialektische Bewahrung des Geschundenen und Vergessenen, eine Synthese der unmöglichen Synthese, eine Versöhnung im Sinne der Definition ihres Unzulangens vereitelt ist299 – es ist »the destruction of »homo dialecticus«.300 Schibboleth ist zunächst mit dem Problem konfrontiert, auch in negativen Kategorien wie jener des Schweigens dem nicht gerecht werden zu können, was gefordert wäre. Es spürt der zu leichten Tröstung nach, ohne zuletzt in der wenig ehrbaren Rolle dessen zu sein, was noch über den Verdacht der zu leichten Tröstung wiederum tröstete ...301 Auschwitz ist in dieser Weise nicht minder absent; das Schweigen kommt noch ins Stocken, da kein Schattenriß von Begriffen möglich ist, der es als Scheitern der intellektuellen Instrumentarien erkennbar machte, andererseits, was fremd scheint, partiell in Dimensionen des 294 295
296 297 298 299 300 301
Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 138. Odo Marquard: Finalisierung und Mortalität. In: Das Ende. Figuren einer Denkform. Hg. von Karlheinz Stierle und Rainer Warning. München: Fink 1996 (Poetik und Hermeneutik; XVI), S. 467–475, S. 467 (Hervorhebung M. H.) – und, nicht oder ... Welsch, Vernunft (wie Kap. 4, Anm. 61), S. 267. Ebd; vgl. Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 51f. Vgl. Adorno, Minima Moralia (wie Kap. 1, Anm. 166), S. 103. Vgl. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd XIII, S. 488. Roy Boyne: Foucault and Derrida. The Other Side of Reason. London, Boston, Sydney, Wellington: Unwin 1990, S. 78. Vgl. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd II, S. 322.
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Vertrauten beschreibbar sein muß, um nicht als Undenkbares zur abstrakten Denkfigur paranoider Prägung allein zu verkommen, deren Krisenhaftigkeit ja darin besteht, der Vernunft nicht zum Stein des Anstoßes, zur Krise also werden zu können.302 »Das Unwiederholbare kann [...] nur als Entschwindendes in Erscheinung treten«303 – schreibt Samuel Weber einen Übergang von Adorno zu Derrida (hierzu komme ich später) versuchend; zu ergänzen ist, daß man eben nicht nur das Singuläre »durch Benennung [...] verrät«,304 sondern zugleich davon auszugehen hat, daß das Projekt einer negativen und sukzessiven Erschließung zugleich daran krankt, nicht mit einer Struktur beginnen zu können, welche frei vom Fremden, frei von Einschreibungen wäre, analysierbar im Übergriff, der als solcher den vermittelt-negativen Blick aufs Andere freigäbe. Die zweite Frage, die an Derrida vorsichtig gestellt wird, ist, ob und wie seine Verschiebungen Interpret und Interpretiertem förderlich und nicht bloß unsinnige Verfälschungen sind.305 Indessen ist hier vorzubringen, daß eine Verfälschung zu behaupten kühn scheint, wenn man sich in der avancierten Literatur- und Erkenntnistheorie Derridas bewegt; sie setzte einen ursprünglichen Sinn voraus, wie er auch bei Autoren von höchster Authentizität und nüchternstem Stil nicht vorauszusetzen ist – also »kultiviert«306 Derrida nicht Verfälschungen, sondern läßt dem immer schon begonnen Spiel der Wandlungen und Verkettungen auf produktive Weise ihren Lauf, was seinen zuweilen mißbilligten Stil wesentlich beeinflußt.307 Der schon erwähnte Vorwurf, Derrida verwässere die Negation und das Andere in seiner Theorie, die diese überall am Werke sieht, ist oftmals an Adorno erinnernd oder erinnern wollend vorgebracht worden. Wird Derrida »Unbestimmtheit zum mythischen Panzer«?308 Hätte Adorno mit dem Werk des Poststrukturalisten konfrontiert einen Jargon der U n eigentlichtkeit verfaßt? »Irra302
303
304 305 306 307
308
Zu diesem Problem in adornianischer Sicht vgl. Anke Thyen: Negative Dialektik und Erfahrung. Zur Rationalität des Nichtidentischen bei Adorno. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989, S. 198ff. Samuel Weber: »Einmal ist Keinmal«. Das Unwiederholbare und das Singuläre. In: Poststrukturalismus. Herausforderung an die Literaturwissenschaft. Hg. von Gerhard Neumann. Stuttgart, Weimar: Metzler 1997 (DFG-Symposion 1995 – Germanistische Symposien Berichtsbände; 18), S. 434–448, S. 436. Ebd.; unklar bleibt, worin also die »nicht ganz dialektisierbare Einsicht« (ebd., S. 437) liege ... Vgl. Briel, Adorno und Derrida (wie Kap. 2, Anm. 21), S. 98. Ebd; natürlich muß kultivieren nur in pejorativer Bedeutung hier verfehlt klingen. Derrida zeigt nach Briel, »daß Sprache immer falsch benutzt werden muß« (ebd., S. 101) ... Vgl. auch Sabine Wilke: Zur Dialektik von Exposition und Darstellung. Ansätze zu einer Kritik der Arbeiten Martin Heideggers, Theodor W. Adornos und Jacques Derridas. New York, Bern u. a.: Lang 1988 (Stanford German Studies; 24), S. 206. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 83.
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tionalität inmitten des Rationalen«309 ist in Derridas Konzeption nicht zu leugnen; »edel und anheimelnd«310 geben sich seine Worte nicht, doch das Gegenteil der Beschreibung trifft, die Lust an Provokation und Bizarrem bei Derrida abzustreiten ist schwerlich möglich; »prästabilierte Harmonie zwischen wesentlichem Gehalt und heimeligen Geraune«311 – Adornos Umschreibung von Heideggers eigenwilliger Stilistik, die den »metaphysischen Lyrismen«312 Adornos so fern auch nicht ist – ist wohl ähnlich abzuwandeln. Derrida hat sich nie ausführlich zu Adorno geäußert,313 Adorno zu Derrida ebensowenig. Scheint mir auch Derridas Philosophie in vielem das, was bei Adorno seinen Anfang nimmt, fortzuspinnen, andererseits ein Unbehagen von Adornos Seite angesichts Derridas Treiben denkbar,314 ist hier nicht der Ort, Fiktionen zu entwickeln. Es fragt sich vielmehr zunächst, wieso in Hut und Mantel315 schlüpfend Philosophen und Literaturtheoretiker für Adorno die Stimme erheben können, oder genauer: zu können vermeinen.316 Eine in der Folge – hier natürlich nicht einmal ansatzweise zu beantwortende – Frage wäre, ob und wie Adorno, Derrida und Heidegger einander verbunden seien. »Von Heidegger führt über Adorno ein an Windungen reicher Weg zu Derrida«;317 was ist mit diesem Satz gewonnen ...? Die Verwandtschaft wird wohl eher in bestimmten Denkbewegungen zu untersuchen sein, aus denen man etwa eine teils bestehende Nähe Adornos und Heideggers, die gleichermaßen in einer alles verstümmelnden Karikatur von Vernunft einen gefährlichen Amoklauf des Denkens sehen, zu schließen hat.318 Wie bei Adorno 309 310 311 312 313
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Adorno, Jargon der Eigentlichkeit (wie Kap. 2, Anm. 79), S. 445. Ebd., S. 416. Ebd., S. 448. Safranski, Ein Meister aus Deutschland (wie Kap. 2, Anm. 2), S. 478; vgl. zu Heidegger und Adorno auch ebd., S. 470ff. Vgl. Heinz Kimmerle: Derrida zur Einführung. 3. Aufl., Hamburg: Junius 1992 [Zur Einführung; 70], S. 149 (Anm.); vgl. allerdings auch Derrida: Zeugnis, Gabe (wie Kap. 3, Anm. 777), S. 72 u. passim, Derrida, Acts of Literature (wie Kap. 4, Anm. 62), S. 273, Derrida, Vom Geist (Anm. 20), S. 95... Vgl. Claudia Rademacher: »Nach dem versäumten Augenblick«. Zur Konstruktion des Utopischen in Adornos essayistischer Sozialphilosophie. Opladen: Westdeutscher Verlag 1997, S. 214ff.; bei Rademacher ist von überaus »erstaunliche[r] Nähe« (ebd., S. 219) sowie der »Ehe zwischen Adorno und Derrida« (ebd., S. 214, Anm.) einerseits und »ganz anderen Pfaden« (ebd., S. 219) andererseits gleichermaßen die Rede. Vgl. Regina Becker-Schmidt: Wenn die Frauen erst einmal Frauen sein könnten. In: Geist gegen den Zeitgeist. Erinnern an Adorno. Hg. von Josef Früchtl und Maria Calloni. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991 (Edition Suhrkamp; 1630), S. 206– 224, hier S. 223f. Vgl. beispielsweise Rademacher, »Nach dem versäumten Augenblick« (Anm. 315), S. 234f. Peter V. Zima, zit. ebd., S. 233. Vgl. Adorno, Philosophische Terminologie (wie Kap. 1, Anm. 134), Bd 2, S. 108f.: »Selbstverständlich bedarf es [...] [der logischen] Fähigkeit [...]; sie darf nur ge-
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gilt auch bei Heidegger, wenngleich als Befund mehr denn als Forderung, daß dem Objekt ein neuer Status zukommt: Heidegger holt das Subjekt vom Podest herunter.319
Indessen bedeutet die folgende Ortlosigkeit des Denkens bei Adorno, wo es ums Verständnis des »nicht auf einen archimedischen Festpunkt«320 Rückgebundenen geht, anders als bei Heidegger321 vor allem Spannung: Der Vorrang des Objekts, als eines doch selbst Vermittelten, bricht die Subjekt322 Objekt-Dialektik nicht ab.
Derrida nun schreibt über Heidegger, da sei einerseits Heideggers ontischontologische Differenz, aber andererseits eine Präsenz im Sinne der Metaphysik.323 Angesichts des Mangels expliziter Äußerungen von Adorno zu Derrida und vice versa scheint mir ein prinzipiell gangbarer Weg, aus einer freilich wesentlich enger zu knüpfenden Heidegger-Adorno-Derrida-Konstellation324 heraus zu erarbeiten, welche Wege die Problematisierung des Draußen geht, inwiefern diese Pfade ableit- oder auch verweigerbar sind, vor allem aber, ob eine begriffliche Logik solch jenseitige Fragen zu diskutieren vermag (»Ob der Tod der Dialektik unterliegt?«325), was auf die Frage vorausweist, ob Derridas Texte sinnlos barock verschnörkelte Gebilde seien, worin das logische Moment hinter reine Rhetorik – »falls es dergleichen überhaupt geben sollte«326 – zurücktrete. Freilich wird dabei auch mit dem Begriff der Weiterentwicklung vorsichtigst umzugehen sein, da Philosophie nicht so sehr als System bestimmt ist, sondern durch das, »was in ihr sich zuträgt«.327
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wissermaßen nicht Amok laufen.« (ebd., S. 109); vgl. dazu Josef Früchtl: Mimesis. Konstellation eines Zentralbegriffs bei Adorno. Würzburg: Königshausen & Neumann 1986 (Epistemata: Reihe Philosophie; 28), S. 98f.; vgl. weiters Kimmerle, Derrida zur Einführung (Anm. 313), S. 149 (Anm.). Ralph Buchenhorst: Das Problem der Metaphysik ist das Problem der Sprache ist das Problem der Kunst. Zum Verhältnis von Seins-, Sprach- und Kunstdenken bei Martin Heidegger unter Berücksichtigung der Bestimmung von Kunst und Dichtung durch die Poetik Paul Celans. (Diss.) Wien 1991, S. 147. Ebd., S. 338; vgl. Lacoue-Labarthe, Dichtung als Erfahrung (wie Kap. 4, Anm. 33), S. 71ff., v.a. S. 75. Nebenbei von »Heideggers [...] Pseudofrage« (Brunkhorst, Theodor W. Adorno (wie Kap. 3, Anm. 15), S. 9) zu sprechen zeugt allerdings von nicht geringem Selbstvertrauen und ebensolcher Dummheit ... Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 187. Vgl. Derrida, Positionen (wie Kap. 2, Anm. 262), S. 43. Vgl. zu dieser grundsätzlich: Thomas McCarthy: Ideale und Illusionen. Dekonstruktion und Rekonstruktion in der kritischen Theorie. Übersetzt von Joachim Schulte, Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 1993, S. 124ff. und 158ff. Lec, Alle unfrisierten Gedanken (wie Kap. 3, Anm. 769), S. 173. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 376. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 44.
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»Sie muß sich in ihrem Fortgang unablässig erneuern«;328 es ist darum unsinnig, sich daran zu versuchen, eine Genealogie der Philosophien zu entwerfen, die allesamt in Bewegung und sie belebender Spannung, vor allem aber nicht gänzlich im Rahmen des schlüssig Ableitbaren zu denken sind. Denken ist außerdem – lästigerweise? – stets mit Denkern verbunden: Das Zufällige entfernen: das hieße zum Beispiel, aus der Philosophie den Philoso329 phen entfernen; es gibt aber keine Philosophie ohne Philosophen ...
Zum Vorwurf der aufgeblähten Negation, wie ihn Brunkhorst gegen Derrida vorbringt,330 wird etwas differenzierter zu fragen sein: Ist hier einerseits eine »Verwischung der Grenzen zwischen Philosophie und Literatur«331 festzustellen? Ist hier andererseits in »theoretischen Vorentscheidungen«332 bestimmt, daß die Kraft der Benennung als Korrektiv zur Lüge früherer Benennung ohne Notwendigkeit aufgegeben, die Philosophie dieser Prägung und eine in ihrem Sinne interpretierte Literatur also entmachtet sei, was Derrida, Lyotard und andere Postmoderne zu Neokonservativen machte?333 Eine Verwischung zweier grundverschieden scheinender Genre würde ich bei Derrida nicht behaupten. Die Einsicht, »daß der Signifikant niemals – wie die Metaphysik es erträumte – bloße Hülle eines ursprünglichen Signifikats ist«,334 das Ende »der Vorstellung des absoluten, verkörperungsfreien Sinns«,335 dies ist zwar idealiter nicht zu denken; dennoch ist ein Modell der Kontextberücksichtigung336 nicht der Literatur oder allgemeiner der Kunst zuzurechnen, mag es auch, indem es dieser ähnlich verfährt, in unorthodoxer Weise artikuliert sein. Einerseits sind hier Geltungsansprüche zu berücksichtigen, welche Literatur, auch wenn sie Welt-, Denk- und Schreibmodelle schafft, nicht stellt und nicht erfüllt. Dann aber ist auch festzuhalten, daß Kunst nicht vermittelnd und erst recht nicht integrierend allein verfährt: 328 329 330 331 332 333
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Ebd.; vgl. zur Autodestruktion von Philosophie auch Danto, Wege zur Welt (wie Kap. 3, Anm. 207), S. 22 u. 40. Marquard, Einwilligung in das Zufällige (wie Kap. 1, Anm. 9), S. 55. Vgl. Brunkhorst, Theodor W. Adorno (wie Kap. 3, Anm. 15), S. 140. Welsch, Ästhetisches Denken (wie Kap. 2, Anm. 229), S. 101. Rademacher, »Nach dem versäumten Augenblick« (Anm. 315), S. 234. Vgl. Lyotard, Beantwortung der Frage: Was ist postmodern? (wie Kap. 2, Anm. 3), S. 34; vgl. Antje Giffhorn: In der Zwischenzone. Theodor W. Adornos Schreibweise in der »Ästhetischen Theorie«. Würzburg: Königshausen & Neumann 1999. (Epistemata, Reihe Literaturwissenschaft; 297), S. 30 u. 89; Koltan, Adorno, gegen seine Liebhaber verteidigt (wie Kap. 2, Anm. 128), S. 14; vor allem aber Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 189 – das Problem ist nochmals aufzunehmen ... Welsch, Ästhetisches Denken (wie Kap. 2, Anm. 229), S. 211; vgl. auch Giffhorn, In der Zwischenzone (Anm. 333), S. 235. Welsch, Ästhetisches Denken (wie Kap. 2, Anm. 229), S. 212 Rike Felka: Psychische Schrift. Freud – Derrida – Celan. Wien, Berlin: Turia + Kant 1991, S. 52.
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Die Crux eines Kunstverständnisses, das darauf aus ist, aus den Werken über die Welt etwas zu erfahren, liegt letztlich in seiner Mißachtung des Kunstwerks als einer Wirk337 lichkeit sui generis.
»Die Mimesis der Kunstwerke«338 nennt Adorno denn auch in seiner Ästhetischen Theorie eine »Ähnlichkeit mit sich selbst«.339 In der Einschreibung mag Kunst Kategorien der Welterklärung Veränderungen aussetzen; keinesfalls ist Kunst jedoch der Vernunft in jener Weise verpflichtet, wie es die Versuche Derridas letztendlich sind.340 Diese nämlich sind dadurch bestimmt, daß die Begriffe, welche zur Beschreibung der Verschiebungs- und Einschreibungseffekte herangezogen werden, erst in ebensolchen einen Sinn bekommen. Deshalb wird zwar Derridas Stil in gewisser Weise aufgewertet,341 auch die Übersetzbarkeit als problematisch erkannt, die philosophischen Texten allgemein und Derridas Schriften besonders eigen ist.342 Ebenfalls aber ist Derridas Werk in sehr striktem Sinne darum Philosophie, eine Philosophie der Schrift, auch der eigenen also,343 und nichts sonst.344 Es ist eine Philosophie, die dem Phantasma der »Metametapher«,345 die Bestand hätte, abschwört – die Metapher kann überspitzt formuliert auf alles (auch sich damit freilich) verzichten, nichts aber auf die Metapher.346 Es ist eine Philosophie, die sich in Dekonstruktionen auflöst, welche sich im Schreiben Derridas nicht als Technik den Weg zurück zu einer Philosophie bewahren, sondern hier, in diesen Texten wie in anderen unter »zufallsbedingten Gegebenheiten«347 wirksam werden. Kurz sei hier auf die Kritik oder doch eher Ratlosigkeit eingegangen, die sich gerade aus dem Gebrauch einer bei Derrida jedenfalls nicht zentralen 337 338 339 340
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Liessmann, Ohne Mitleid (wie Kap. 3, Anm. 224), S. 226. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 159. Ebd.; vgl. ebd., S. 325. Vgl. auch Theodor W. Adorno: Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen. In: Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann. Bd 2: Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1979, S. 7–213, hier S. 9. Vgl. Welsch, Ästhetisches Denken (wie Kap. 2, Anm. 229), S. 212. Vgl. Derrida, Positionen (wie Kap. 2, Anm. 262), S. 23; »Es ist weder das Beste, noch das Schlechteste an einem Buche, was an ihm unübersetzbar ist.« (Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd II, S. 163). Vgl. Mark Edmundson Mark: Literature against Philosophy, Plato to Derrida. A Defence of Poetry. Cambridge: Cambridge University Press 1995, S. 75: »aimed to undo all illusions about stability, including one’s own« (ebd.) Vgl. Welsch, Vernunft (wie Kap. 4, Anm. 61), S. 295: Es wäre eher bedenklich, wenn »Derridas Thesen sich nicht auch in seinem Schreiben in einer Affinität [...] zwischen Philosophie und Literatur niederschlügen«. (ebd.); vgl. auch Felka, Psychische Schrift (Anm. 336), S. 15 u. Briel, Adorno und Derrida (wie Kap. 2, Anm. 21), S. 66f. Jacques Derrida, Der Entzug der Metapher (Anm. 180), S. 199. Vgl. ebd.; in extremis: Verzicht aufs Metaphorische des sich. Derrida, Auslassungspunkte (wie Kap. 3, Anm. 775), S. 361; vgl. ebd., S. 360ff.
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Metaphorik zu seiner Auslegung ergibt. Jüngst – ich habe diese Möglichkeit in meiner Parallellektüre Derridas und Serres’ für mich entdeckt – ist auch von Lagemann der Parasit als Inbegriff philosophischer Schrift bemüht worden. Nach einer langen und brauchbaren Einführung ins Problem, Derrida nur bedingt in philosophische Terminologie überführen zu können,348 was nebenbei bemerkt für viele hieße: Derrida in philosophischer Terminologie überführen zu können, nach einer breiten Begründung des philosophischen Gewichts von Derridas Stil also gelangt der Interpret zur Einsicht: »Parasitärer Charakter«349 ist gegeben – und dies »beinhaltet [...] keinerlei pejorative Komponente«.350 Bedauerlicherweise ist jedoch alsbald, wiewohl die Behauptung eines Sinns jenseits des je realisierten und gelesenen elegant ausgeräumt wird,351 von einer Stabilität des Bezeichnens die Rede, was Derridas »Akzeptanz einer semantisch unproblematischen ersten Bedeutungsschicht«352 andeuten soll. Die Metaphorik, so ist zu entgegnen, ist wohl kein Absolutes, zugleich an einem solchen aber auch nicht zu bemessen; der Parasit ist, wo er geglückt ist, ganz im Sinne der Ordnung, die nach und mit ihm jenes, worauf sie ursprünglich angespielt haben mag, vorerst – zum Beispiel bis zum nächsten Parasiten – abwegig erscheinen lassen wird. Was die Brücke bildet, ist gleichzeitig auch das, was sie zerstört.353
So ist die Stabilität, die zu vergessen den »Zusammenbruch [...] unserer ganzen Welt und unserer ganzen Sprache bedeutete«,354 eine, die nur das eine meint, daß der Übergang von Satz zu Satz bleibt, das Denken oder die »Dekonstruktion [...] immer auf bestimmte Weise durch ihre eigene Arbeit vorangetrieben«355 wird. Sie können einfach nicht nicht verketten, denn es gibt keinen letzten Satz.356
Die Frage gezielter Benennung betreffend schreibt Zima:
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Vgl. zu dem, was sich bei Derrida scheinbar dafür ausgibt, Dreisholtkamp, Jacques Derrida (wie Kap. 4, Anm. 2), S. 9 u. 155ff. Jörg Lagemann: Dem Zeichen auf der Spur. Hg. von Jörg Lagemann und Klaus Gloy. Aachen: ein-Fach-verlag 1998 (Hochschulschriften zur Philosophie und Sprachtheorie; 3), S. 45; vgl. ebd., S. 12f. u. passim. Ebd., S. 46. Vgl. ebd., S. 50 (Anm.). Ebd., S. 67; vgl. ebd., S. 49ff. Lyotard, L’ange qui nage (wie Kap. 3, Anm. 121), S. 37; dies wohl vor allem in dem Sinne, daß der Brückenschlag die Ufer nicht unbeschadet läßt – aber auch die Brücke ist immer kompromittiert – vgl. ebd. Derrida, Grammatologie (wie Kap. 4, Anm. 886), S. 29. Ebd., S. 45; zugegebenermaßen mit den stets diffusen »Mittel(n) der alten Struktur« (ebd.). Lyotard, L’ange qui nage (wie Kap. 3, Anm. 121), S. 47.
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Die Poststrukturalisten [...] übersehen das Individuelle keineswegs – vielleicht aber 357 den Begriff.
Zersplittert die Kraft der Negation in der Unterminierung der Begriffe? Fällt mit den Begriffen der Blick aufs Andere, wie Jakob gegen das poststrukturalistische »Rauschen«358 vorbringt? Werden diese als sinnstiftend gegenüber dem Fremden, das sie erst diktiert, wenn es in der Struktur vermittels der geschundenen Begriffe seinen Punkt hat, vernachlässigt? Die Fragestellung entspricht einer Antwort, denn die Poststrukturalisten, unter die auch der explizit genannte Derrida ja fällt359, leisten sich derart zumindest, was Vertreter vom Rang des Genannten betrifft, nicht; Agamben schreibt Derridas Philosophie durchdenkend etwa: Derrida verzichtet auf die Benennungskraft des Denkens nicht, obwohl er dessen poetisch-terminologisches Moment hinterfragt.360
Was den Verdacht dennoch nähren könnte, ist, daß Derrida kein Rationalist ist, was in den Ohren mancher schon wie Irrationalist klingt. Dieser aber ist, wie Derrida es einmal formuliert, »ein symmetrisches Zusammenschrumpfen des Rationalismus«.361 So kann von einer vordergründigen Abkehr von der Vernunft, deren Macht dann freilich ungehemmt wucherte, ebensowenig wie von einer nach Habermas, dessen Einwände Welsch in Vernunft kritisch wiederzugeben sucht, »unbefangene[n] Reprise der Ursprungsphilosophie«362 jenseits aller Vernunftreflexion die Rede sein. Vielmehr macht Derrida »dem konventionellen Univozitätsideal der Philosophie«363 den Garaus; da darüber hinaus zuweilen nach einer langen Tradition der Überbetonung der als statisch betrachteten Begriffe das, was sie – von ihnen erhellt – diktiert, vermehrt hervorgehoben wird, dieser Seite der Effekte der Einschreibung in der différance mehr Beachtung als jener des Sinns geschenkt wird, ist das Mißverständnis, 357 358
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Zima, Moderne / Postmoderne (wie Kap. 2, Anm. 229), S. 279. Jakob, Das Andere Paul Celans oder Von den Paradoxien relationalen Dichtens (Anm. 82), S. 7; vgl. ebd., S. 9, wonach das, was nach der dezentrierenden Interpretation übrig bleibt, nicht mehr als »individuelle Spuren« (ebd., S. 9, Anm.) darstellt – statt des Anderen ... »Dezentrieren und Antithetik als extrem destabilisierende Erscheinungen« (ebd., S. 121) in Celans Lyrik nennt Jakob später, wobei er hier die Relation von Sinn und Rest zu klären schuldig bleibt. Vgl. Zima, Moderne / Postmoderne (wie Kap. 2, Anm. 229), S. 279. Giorgio Agamben: Pardes. Die Schrift der Potenz. Übersetzt von Giorgio Giacomazzi. In: Ethik der Gabe. Denken nach Jacques Derrida. Hg. von Michael Wetzel und Jean-Michel Rabaté. Berlin: Akademie Verlag 1993 (Acta humaniora), S. 3– 17, hier S. 7; vgl. ebd., S. 12 u. 15. Derrida, Interview mit Florian Rötzer (wie Kap. 3, Anm. 94), S. 70; vgl. Derrida, Positionen (wie Kap. 2, Anm. 262), S. 28. u. Derrida, Gespräch mit Christian Descamps (wie Kap. 1, Anm. 161), S. 56 u. 60. Welsch, Vernunft (wie Kap. 4, Anm. 61), S. 268. Ebd., S. 291.
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die Arbeiten der »Postmodernisten«364 folgten bloß dem (!) »partikularistischen Trend«,365 zwar nachvollziehbar, doch nichtsdestotrotz Anzeichen grober Nachlässigkeit in der Lektüre. Auch auf Edmundson wäre zu verweisen, der »the ascetic priesthood of Derridean deconstruction«366 nicht unklug charakterisiert, doch dann zwecks lustvollen Schwelgens in Unverstandenem zurückweist.367 Frappierenderweise ist dies ein Vorwurf, der jenem Zimas, Derrida opfere »die begriffliche Kritik einer Rhetorik der Tropen«,368 diametral entgegensteht – und zugleich entspricht. Die Lust am Begreifen ist es nicht, welche Edmundson verloren sieht, es sind die »wordly things«,369 die konkreten Genüsse sozusagen, welche jener »complex aggression«,370 die sogar »inquisitorial«371 sein soll, angeblich geopfert werden. Das Mißverständnis Edmundsons, dessen Einsprüche eher hanebüchen sind, ist deshalb nicht völlig uninteressant, weil es auch auf den Verlust der legitimen Begriffe zielt. Solange jene dem als Heimstatt galten, was sie bildet, aber nun auch als sie zerstörend erkannt werden muß, schien die Welt heil in bezug auf ihren Sinn und das Detail – von abstrakten Verdachtsmomenten einmal abgesehen. Indem jedoch Derrida mehr denn »iconoclasm«372 leistet, die »Bastille of logocentrism«373 nicht so sehr stürmt, aber doch als gestürmt zeigt – »ein [...] Auflösen des längst Aufgelösten [...] vorspielt«374 –, ist Auslegung Wandlung (auch der Auslegung) und der Griff nach einem Unmittelbaren, einem Ersten unmöglich. Edmundsons Verabschiedung ist dementsprechend ein Kuriosum: We lose too much pleasure and vitality when we turn away from all vision and join 375 the ascetic priesthood of Derridean deconstruction.
Kann man es sich aussuchen? Kann man um der »Wollust«376 willen vom Tisch fegen, was der Totalität der Hierarchien der Vernunft widerspricht, sie als Illusionen zeigt? Sarah Kofman schreibt, daß die Katze trotz ihrer feinen Sinne nicht 364 365 366 367 368 369 370 371 372 373 374 375 376
Zima, Moderne / Postmoderne (wie Kap. 2, Anm. 229), S. 386. Ebd. Edmundson, Literature against philosophy (Anm. 343), S. 237. Vgl. ebd. und ebd., S. 111. Zima, Die Dekonstruktion (wie Kap. 3, Anm. 101), S. 220. Edmundson, Literature Against Philosophy (Anm. 343), S. 111 Ebd., S. 7. Ebd., S. 15. Ebd., S. 88. Ebd., S. 114. Irrlitz, Postmoderne-Philosophie (wie Kap. 2, Anm. 264), S. 139. Edmundson, Literature Against Philosophy (Anm. 343), S. 237. Jochen C. Schütze: Aporien der Literaturkritik – Aspekte der postmodernen Theoriebildung. In: Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels. Hg. von Andreas Huyssen und Klaus R. Scherpe. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1986 (Rowohlts Enzyklopädie; 427), S. 196–218, hier S. 212.
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in der Lage ist, den »Blick [...] einer ästhetischen Kontemplation«377 schweifen zu lassen – denn sie »kann [...] ihren Appetit nicht zügeln«;378 auch wenn Edmundson es nicht wahrhaben will: Damit aber fangen Poesie und Philosophie, die so billig gegen einander doch nicht auszuspielen sind, wohl an. Der ähnlich argumentierende Vorschlag Umberto Ecos, die Dekonstruktion in Anwendung zu bringen, wo es vielversprechend sei, aber ansonsten um der Ökonomie willen ruhen zu lassen, ist damit gleichfalls als unsinnig abzutun. Ich glaube, es besteht ein Unterschied zwischen diesem philosophischen Spiel [...] und der Entscheidung, seine Methode auf die literarische Kritik anzuwenden – oder 379 diese Methode zum Kriterium für jeden Interpretationsakt zu machen.
Schon in der Absetzung von Szondi zu Derrida ist diese Äußerung Ecos erwähnt worden. Sie klingt auch an, wenn die Frage gestellt wird, wie denn Zustimmung zu Derridas Procedere denn ohne Rückgriff auf nach Derrida Unmögliches zu bewerkstelligen sei.380 Aber auch hier wird eine bestimmte Ordnung von Ebenen schon angenommen. Culler, dessen Einwurf in Ecos Band die vielleicht interessantesten Passagen bereithält, sieht dies sehr klar und schreibt gegen dessen Ansinnen, »Interpretation [...] [sei] wie die meisten anderen Geistestätigkeiten [...] nur ins Extrem getrieben interessant«.381 Damit verabschiedet er die Methode, die vor allem ihre Brüchigkeit und das Bewußtsein ihres rhetorischen Moments vergessen lassen will, worin doch ein Gutteil ihrer Erkenntnisqualität liegen mag. Plötzlich ist – die Entgegnung Derridas, die Dekonstruktion sei nicht sekundär, da es kein Primäres gebe, sie sei vielmehr »immer schon am Werk im Werk«,382 sie wurde angeführt – die Interpretation ästhetische Verfahrensweise, welcher »eine Prise Paranoia unerläßlich ist, um die Dinge wirklich schätzen zu können«.383 Das heißt, »daß man irgendeine Methode der »Überinterpretation« braucht«,384 weil der Text jener immer schon stattgegeben haben mag. 377 378 379
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Kofman, Melancholie der Kunst (wie Kap. 4, Anm. 367), S. 101. Ebd., S. 103; vgl. auch ebd., S. 100ff. Eco, Die Grenzen der Interpretation (wie Kap. 2, Anm. 249), S. 55; brauchbar ist die Darstellung eines systematischen Lesefehlers Ecos, der zu einer überraschenden Beliebigkeit seitens des Kritikers führte, da zwar die Verknüpfung entfällt, doch das Signifikat gerade darum unbeschadet wie unverknüpft sich aus seiner Möglichkeit entlassen findet, bei Lagemann, Dem Zeichen auf der Spur (Anm. 349), S. 124ff. vgl. auch Zima, Die Dekonstruktion (wie Kap. 3, Anm. 101), S. 200 u. passim. Vgl. Zwischen Autor und Text (wie Kap. 4, Anm. 744), S. 150 u. passim. Ebd., S. 120f. Derrida, Mémoires (wie Kap. 2, Anm. 256), S. 103. Zwischen Autor und Text (wie Kap. 4, Anm. 744), S. 124. Ebd., S. 133; zur »Sünde gegen die Vernunft« (Jonathan Culler: Dekonstruktion. Derrida und die poststrukturalistische Literaturtheorie. Übersetzt von Manfred Momberger. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1994 [rororo; 2690 – Rowohlts Enzyklopädie; 474], S. 102), die das Wortspiel darstellt, hat Culler in diesem Sinne geschrie-
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Wir »müssen [...] die Gewichte neu verteilen«,385 genauer gesagt neu verteilt ahnen. Von einer Methode ist jedenfalls nicht zu sprechen, übrigens auch bei jenen Denkern nicht, deren Stilistik eine solche eher nahelegt. War etwa vom Schweigen die Rede, mußte klar sein, daß der Versuch, es zu systematisieren, vor allem dazu gedient haben würde, die Risse im Terrain als einer Topographie fremd verbleibend zu erahnen – »ihr Sinn sei Sinnlosigkeit«.386 Schweigend nur ist der Name des Unheils auszusprechen.387
Ich habe schon auf Derridas Einspruch verwiesen: Die Dekonstruktion ist keine Technik.388 Derrida [sagte] auf die Frage, ob das, was er mache, Wissenschaft sei [...]: Nein, 389 aber es könnte dazu werden.
Man bedenke angesichts des zweiten Zitats, daß Wissenschaft – obschon nicht frei vom Regulativen – ein anderes, der Idee einer Anerkennung wohl offeneres Feld als Technik umfaßt ... Immerhin, so legt eine augenzwinkernd vorgetragene Anmerkung Lévinas’ nahe, hat Derridas Neigung zum Neologismus das Mißverständnis wohl mitprovoziert, er schaffe Termini – für geregelte Vorgehensweisen, Methoden, Techniken: Wir wagen nicht, »essance« zu schreiben, so wie Jacques Derrida – dessen Werk aus den verschiedensten Gründen von hier aus gegrüßt sei – »différance« schreibt.390
Derridas Methode widerspricht aber – trotz seines Mitverschuldens einer Fehllektüre – sozusagen jeder Methode, indem sie zeigt, wie jene Teil des Interpretierten wird und zugleich wandelt, wozu sie in bestimmter Weise zu rechnen
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389 390
ben, sie bestehe als solche wegen der »Furcht, Signifikanten könnten das Denken infizieren« (ebd.), was freilich, wie Culler anklingen läßt, weder vermeidbar noch derart schrecklich ist ... Vgl. auch ebd., S. 99ff. Frank, Das Sagbare und das Unsagbare (wie Kap. 2, Anm. 261), S. 146; vgl. ebd., S. 209. Adorno, Versuch, das Endspiel zu verstehen (Anm. 133), S. 293. Ebd., S. 290. Derrida, Interview mit Florian Rötzer (wie Kap. 3, Anm. 94), S. 70; vgl. Derrida u. a., Deconstruction in a nutshell (wie Kap. 1, Anm. 175), S. 9 – dort wird später Gerechtigkeit als »the relation to the other« (ebd., S. 17) gezeigt, die kraft der wahrzunehmenden Forderung des Datums einen technischen Bezug verbietet ... Jacques Bouveresse, zit. in Dosse, Geschichte des Strukturalismus (Anm. 180), Bd 1, S. 433; vgl. ebd., S. 598 (Anm.). Lévinas, Die Spur des Anderen (wie Kap. 3, Anm. 816), S. 303 (Anm.); vgl. zu Lévinas wiederum Derrida, Adieu (wie Kap. 2, Anm. 219), S. 9; als Zentralbegriff freilich ist die différance zu verstehen, folgt man Hirsch, die ans »Zeichen ›Null‹« (Hirsch, Pierre Klossowski [wie Kap. 4, Anm. 464], S. 155) denkt – »ein Zeichen für das Undenkbare, und doch setzen wir die Null in den Schnittpunkt unseres Koordinatensystems« (ebd.).
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ist. »Derridas [...] Traumgarten der Worte«391 verträgt sich nicht mit der getreuen Fortführung eines unterstellten Weges, der wohl der »Diktatur des Offiziösentums der Wörter«392 nahe stünde, einem Wortgebrauch, der Begriffe »wie tödliche Pfeile«393 erscheinen läßt, was sie eben bei Derrida auch, aber nicht ausschließlich sind, einem Wortgebrauch also, der Derridas Ideen schlicht zuwiderliefe. Zu meiden ist jener Stil der Wahrheitspolitik, durch welchen »alle tradierten affirmativen oder positiven Thesen der Metaphysik einfach zur Blasphemie«394 verkommen, wie es Adorno in seiner 16. Metaphysik-Vorlesung formuliert. Philosophie als eine, die manchen Aufbruch nicht zu leisten vermag – »der versäumte Augenblick«395 beruht nicht auf Nachlässigkeit allein – steht bei Derrida zuletzt im Zeichen der Formel »dislocation is deconstruction«.396 Es bleibt, gut zu lesen und dem letzten Wort keinen Glauben zu schenken.397 Zur Frage des Anwendungsgebiets sei allerdings zugestanden, daß, was Derrida treibt, besonders anschaulich dort ist, wo nicht schon die Begriffe in Bewegung gebracht sein sollen. An Gumbrechts Deutung erinnernd,398 die mit Roland Barthes aufgegriffen werden kann, sei auf Olesens Darstellung verwiesen: Die philosophisch relevante Bedeutung von Dekonstruktion wird am besten deut399 lich, wenn man sich an das Arbeitsgebiet der Philosophie hält.
Der Reiz und das Gewicht solcher Lektüre kann sich freilich auch an dem entfalten, was jedem Dichter als Vereinnahmung zuteil wird, – sozusagen in Form einer Wiedererweckung, einer Rettung aus dem gläsernen Sarg, der alles zu zeigen scheint und wohl auch darzulegen vermeint, aber vor allem mit der nekrophilen Neigung einer bestimmten Philologie verschwistert ist.400 Clark 391 392 393 394 395 396 397 398 399
400
Irrlitz, Postmoderne-Philosophie (wie Kap. 2, Anm. 264), S. 149. Ebd. Ebd. Adorno, Nachgelassene Schriften (wie Kap. 3, Anm. 532), Bd 14, S. 189. Adorno, Versuch, das Endspiel zu verstehen (Anm. 133), S. 290. Wolfreys, Deconstruction · Derrida (wie Kap. 3, Anm. 664), S. 58; vgl. ebd., S. 14 u. 59. Vgl. ebd., S. 9 u. 185; vgl. auch Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 142, § 136 u. Lyotard: L’ange qui nage (wie Kap. 3, Anm. 121), S. 47. Vgl. Gumbrecht, Interpretation jenseits ihres Endes? (wie Kap. 1, Anm. 145), S. 108 u. passim. Søren Gosvig Olesen: Die neuere französische Philosophie. Übersetzt von Ulli Zeitler. In: Philosophie im 20. Jahrhundert. Hg. von Anton Hügli und Poul Lübcke. Bd 1: Phänomenologie, Hermeneutik, Existenzphilosophie und Kritische Theorie. 3. Aufl., Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1998 (Rowohlts Enzyklopädie; 55455), S. 537–570, hier S. 541; etwas irritiert ist denn auch über eine bestimmte Rezeption Derridas und natürlich vor allem seiner selbst Lyotard. Vgl. Lyotard, L’ange qui nage (wie Kap. 3, Anm. 121), S. 13. Vgl. zum unvermeidlichen Diminutiv im Mord am Zeichen auch Derrida, Falschgeld (wie Kap. 3, Anm. 999), S. 26, wo als Bedingung des Tauschs sozusagen die
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hält fest, daß schon vor der Dekonstruktion das, was in ihr erwacht, gewissermaßen also die Dekonstruktion vor der Dekonstruktion am Werk ist, von Derrida, der wohl zustimmte, getauft, nicht aber erfunden wurde.401 Schlicht mit Saving the Text hat Geoffrey Hartman eine Studie betitelt, die, so verrät der Untertitel, Literature, Derrida, Philosophy verhandelt. Es hat Gründe, warum ich manche Konstellationen bei Rose Ausländer zum Anlaß nehme, mich auf dem Terrain philosophischer Traditionen zu bewegen, die als Ausgangspunkt manch problematischen Brückenschlags herhalten, der freilich als stililstische Relevanz einerseits und Relevanz des philosophischen Begriffs andererseits auch nicht einfach ausbleiben kann. Hier ist noch die Frage zu erwähnen, welche im Rahmen des Objekts von Dekonstruktion von der anderen Seite Wilke versucht: Wie verhält sie sich zu »Texten, die den emphatischen Gestus der Entzifferungsarbeit mit Hohn zurückweisen«?402 Ihr ist zu entgegnen, daß, wer diese Frage stellt, darzulegen hätte, wie ein Text, der solcherart rauschte – eine Koketterie mit dem Unsinn noch ist ja nicht, wie Wilkes Gedankenexperiment es verlangte, frei von Referenz – überhaupt sein und in der Folge lesend aufgegriffen werden könnte. Wie heikel die Feststellung ist, eine Zeichenkette sei völlig trivial oder auch von totaler Entropie, wurde bereits diskutiert. Man kann an dieser Stelle in Wittgensteins Philosophische Untersuchungen blicken, wo zweierlei Sprachspiel gekannt wird – so heißt es im § 7: Ich werde auch das Ganze: der Sprache und der Tätigkeiten, mit denen sie verwoben 403 ist, das »Sprachspiel« nennen.
Das Ganze sowie das darin vorkommende Genre sind Sprachspiel, im Sprachspiel fluktuiert das Wort von Sprachspiel zu Sprachspiel. Es überrascht, daß dieses Sprachspiel einerseits klassifizierbares Terrain der Rede ist, die sich seiner bedient,404 andererseits jedoch benennend umreißt, wovon, wie sich mit Wittgenstein argumentieren läßt und teils in dieser Arbeit argumentiert wurde, Regeln nicht aufzustellen sind.405 Die terminologische Wirrnis mag in der Tat vor der unvermeidlichen Verlegenheit erstanden sein, daß das letzte Wort, das
401 402 403 404 405
ausgebliebene Rezeption oder eine, die jene Gestalt des Parasiten nicht zur Arabeske wandelt, formuliert wird; so »kündigt sich [...] an, was die Unterscheidung zwischen geben und nehmen außer Spiel setzt« (ebd., S. 12), denn die »Gabe darf nicht zirkulieren« (ebd., S. 17), kann es nicht – vgl. auch ebd., S. 44 u. Kittler, Aufschreibesystem 1800/1900 (wie Kap. 4, Anm. 466), S. 108. Vgl. Clark, Derrida, Heidegger, Blanchot (wie Kap. 4, Anm. 463), S. 1. Wilke, Zur Dialektik von Exposition und Darstellung (Anm. 307), S. 96. Wittgenstein, Werkausgabe (wie Kap. 1, Anm. 133), Bd 1, S. 241, § 7. Vgl. etwa ebd., S. 250, § 23. »Aber was ein System ist, dafür habe ich keine Definition.« – Ludwig Wittgenstein, zit. in Wilhelm Beermann: Die Radikalisierung der Sprachspiel-Philosophie. Wittgensteins These in »Über Gewißheit« und ihre aktuelle Bedeutung. Würzburg: Königshausen & Neumann 1997, S. 118.
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eine Zeichenkette, die sich lege artis gestaltet, zeigt, ausbleibt, daß, wer von der Ordnung eines Genres ausgeht, »in einem Wahn befangen sein«406 mag, der sich mit der Genese einer aktuellen Ordnung permanent aufhebt (und doch nur wandelt407) ... Also treibt der eine Begriff des Sprachspiels in den anderen. Ungebrochen ist vor der Konstellation, daß Philosophie »der rekonstruktiven Verwendung der Sprachspiele«408 wenigstens zum Teil entspricht, mag dies auch im Stande der geschwundenen Evidenz geschehen. Ist die Transgression von Genre zu Genre, d a s Sprachspiel nicht definierbar, so verblassen auch d i e Sprachspiele: Du mußt bedenken, daß das Sprachspiel sozusagen etwas Unvorhersehbares ist.409
Das Nebeneinander von Rekonstruktion und ihrer Unsinnigkeit, Destruktion führt in die Gefilde Derridas, in die »Sprache, die allein ich verstehe«:410 Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.411
Was zur Unverfügbarkeit meines Idioms für mich zu sagen ist, ist gesagt worden;412 die Notwendigkeit des Poetischen läßt sich erahnen, welches das Problem nicht löst, doch vorantreibt und formuliert: Man befindet sich niemals auf derselben Ebene.413
Prosagedichte seien die Texte Derridas, so hieß es, was zu einer Passage nochmals führt, die schon besehen wurde. In ihr läßt sich erhellen, wie Sinn zu denken verbleibt, wo Burghart Schmidt bei aller sonst waltenden Umsicht nur noch »Unstrukturen«414 sieht, die das Andere von aller provisorischen Identität abschneidend »dingfest«415 zu machen sich anschicken: Dichtung ist die avancierteste und verfeinertste Form der Dekonstruktion.416
Barthes, der ähnlich von Semiologie geschrieben hat,417 erklärt das Procedere einer Literaturwissenschaft in seinem Sinne, also im Sinne der Lektüre selbst, so möchte 406 407 408 409 410 411 412 413 414 415 416 417
Wittgenstein, Über Gewißheit (Anm. 405), S. 169, § 658. Vgl. ebd., S. 162, § 627; vgl. auch Danto, Wege zur Welt (wie Kap. 3, Anm. 207), S. 22. Beermann, Die Radikalisierung der Sprachspiel-Philosophie (Anm. 405), S. 93. Wittgenstein, Über Gewissheit (Anm. 405), S. 144, § 559. Wittgenstein, Werkausgabe (wie Kap. 1, Anm. 133), Bd 1, S. 67, § 5.62. Ebd., S. 67, § 5.6. Vgl. Derrida, Die Einsprachigkeit des Anderen oder die Prothese des Ursprungs (wie Kap. 3, Anm. 152), S. 15 u. passim. Deleuze / Guattari, Was ist Philosophie? (wie Kap. 3, Anm. 906), S. 36 – »Darum hat der Philosoph recht wenig Hang zum Diskutieren.« (ebd., S. 35). Schmidt, Am Jenseits zu Heimat (Anm. 91), S. 72. Ebd., S. 179; vgl. ebd., S. 69. de Man, Allegorien des Lesens (wie Kap. 3, Anm. 322), S. 48. Vgl. Barthes, Leçon / Lektion (wie Kap. 4, Anm. 30), S. 59; vgl. auch Deleuze / Guattari, Was ist Philosophie? (wie Kap. 3, Anm. 906), S. 96 u. passim.
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ich fast sagen, folgendermaßen: Es wäre »nutzlos, im Werk das zu suchen, was es sagen würde, ohne es zu sagen, und in ihm ein höchstes Geheimnis zu vermuten, dem, sobald es entdeckt wäre, [...] nichts mehr hinzuzufügen wäre«.418 Das heißt nicht bloß, es sei immer wieder im »literarischen Werk [...] Absenz«.419 Es heißt, daß ein Werk, dessen Zentrum nicht mehr ein Sinn ist, »sich unaufhörlich dem nähert, was die Sprache selbst in ihrem Wesen ist«420, wovon zu zeugen, was heißen kann: seine Devianz zu entwickeln, der gute Leser antritt: Der Kritiker kann die Metaphern des Werkes allenfalls fortsetzen, nicht aber sie auf 421 etwas zurückführen.
Ein Einwand von Wood, der der Formulierung wegen zunächst nicht leicht zu widerlegen zu sein scheint, lautet, daß Derrida die Erklärung schuldig bleibe, wie seine Verschiebungen ohne die Idee der Identität denkbar sei. Für die Differenz gilt dies, nicht aber für die graphisch verunstaltete différance, die genau das benennt, was wirklich nicht gedacht, vermessen oder registriert werden kann. Es ist eine Halbwahrheit, daß »neither difference nor différance can be thought except in relation to identity and presence«.422 Die différance ist – wie die Schreibung ja erkennen läßt – nicht bloß das Identitäts-Pendant Differenz, ein Phänomen vielmehr, das Aufgabe der Opposition wie der Gleichheit meint; sie geht als Wechselwirkung von Struktur und Einschluß, die einander in der Schrift diktieren, Sinn und Erscheinung einhauchen, dem voraus, worunter sie die Kritik Woods rechnen will – sie ist, was die Rede von Identität und Differenz, die niemals rein erscheinen, sozusagen erst erlaubt. Auch infiltriert Derrida diesen Effekt nicht der zuvor intakten Syntax,423 wie Wood behauptet – Irrlitz’ Rede vom »Auflösen des längst Aufgelösten«424 sei in Erinnerung gerufen. Hinzuzufügen ist die Bemerkung Derridas, daß es nicht darum gehen kann – und auch unmöglich wäre –, »dem Logozentrismus einen Graphozentrismus entgegenzustellen«;425 Wood scheitert nicht zuletzt an seinem falschen Verständnis des Verhältnisses der différance und der logischen Formen, die er herbeizitiert.
418 419
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423 424 425
Roland Barthes: Kritik und Wahrheit. Übersetzt von Helmut Scheffel. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1967 (Edition Suhrkamp; 218), S. 84. Ebd. Zur teils bestehenden Nähe von Barthes und Derrida vgl. Zima, Moderne / Postmoderne (wie Kap. 2, Anm. 229), S. 276f.: »daß Derrida Barthes’ Betrachtungsweise radikalisiert« (ebd., S. 277). Foucault, Die Ordnung der Dinge (wie Kap. 1, Anm. 21), S. 118. Barthes, Kritik und Wahrheit (Anm. 418), S. 84 (Hervorhebung M. H.). David Wood: Différance and the Problem of Strategy. In: Derrida and Différance. Hg. von David Wood und Robert Bernasconi. Evanston: Northwestern University Press 1988, S. 63–70, hier S. 63. Vgl. ebd., S. 64. Irrlitz, Postmoderne-Philosophie (wie Kap. 2, Anm. 264), S. 139. Derrida, Positionen (wie Kap. 2, Anm. 262), S. 47.
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Ein eher trotzig wirkender Vorwurf wird von Markus Gasser an »Derrida und andere selbsternannte Außenseiter«426 gerichtet, »die im Zentrum unserer sekundären Diskurse stehen und sich beeilen, unseren Erwartungshorizont zu enttäuschen«.427 Was sonst tun Denker? Selbst sogenannte Konservative stehen niemals ganz auf seiten des Tradierten, weshalb eine gewisse Dezentriertheit den Standpunkt betreffend nicht recht geeignet scheint, eine philosophische Richtung zu definieren. Da es zum Wesen der Philosophie wohl auch gehört, Ideen zu artikulieren, ist die Selbsternennung als weitere Bestimmung gleichfalls nicht allzu markant. Den Begriff Postmoderne selbst als »Schibboleth«428 aufzufassen, worin »definitive Vorläufigkeit«429 ausgedrückt sein sollte, dürfte dagegen weniger bemüht und treffender sein; hier aber geht Gasser schon zu Autoren über, die letzten Endes eher spätmodern sein dürften. Die Konzentration auf Adorno430 und die Behauptung, die Postmoderne sei – ohne allen philosophiegeschichtlichen Zusammenhang? – »aus der« »Studentenrevolte von 1968 [...] hervorgegangen«,431 welche eher neomarxistischer Prägung gewesen sein dürfte, nähren diesen Verdacht. Die Ferne Derridas zum Geschehen ist in der Tat nicht gering; wiewohl er an den Demonstrationen teilnahm, war er »zurückhaltend und sogar besorgt«432 über den Jubel ums eher unglaubwürdige Spontane. Schön ist die Fehlleistung in der tageszeitung, wo just in jener Passage ein lapsus typographi die Demonstrationen zu »Protestmärchen«433 deformiert ... Daraus resultiert wiederum der Vorwurf, Derrida sei bloß ein Esoteriker, dessen Kunstworte diffus bleiben, dessen Anhängerschaft in steter Mehrung freilich dem Bild des Exklusiven nicht entsprechen.434 Setzt man Philosophie als endlose Tätigkeit des Geistes ohne Botschaft,435 so versteht es sich freilich 426 427 428 429 430 431 432 433
434
435
Markus Gasser: Die Postmoderne. Stuttgart: M & P Verlag für Wissenschaft und Forschung 1997, S. 17. Ebd. Ebd., S. 41. Ebd. Vgl. beispielsweise ebd., S. 275. Ebd., S. 412. Derrida, Auslassungspunkte (wie Kap. 3, Anm. 775), S. 351f.; vgl. auch Derrida, Du droit à la philosophie (wie Kap. 1, Anm. 158), S. 171 u. passim. Jacques Derrida: Wahn muß übers Denken wachen. Red. von François Ewald, übersetzt von Werner Kolk. In: die tageszeitung, Nr 3389, 24. April 1991, S. I–II, hier S. I; vgl. Derrida, Auslassungspunkte (wie Kap. 3, Anm. 775), S. 351. Vgl. Monika Noll: »Radikalisierung des Marxismus«. Derridas dekonstruktive Lektüre der Wertformanalyse. In: Kritische Theorie und Poststrukturalismus. Theoretische Lockerungsübungen. Hg. von Jochen Baumann, Elfriede Müller und Stefan Vogt. Hamburg: Argument-Verlag 1999(Argument-Sonderband; N.F. 271), S. 108– 120, hier S. 108f. »Gibt es eine Philosophie von Jaques Derrida? Nein. Es gibt also keine Botschaft. Nein.« – Derrida, Auslassungspunkte (wie Kap. 3, Anm. 775), S. 351; vgl. auch ebd., S. 127.
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von selbst, daß der Aufschub von Definitionen zumal dessen, was das Schreiben und in der Folge das Denken anbetrifft, unvermeidlich ist; und dafür, daß Derrida nicht von jedem seiner Leser verstanden wird, was auch nicht hieße, »ihm gehorsam [...] zu folgen und ihn als unersetzbaren Initiator in sein Denken anzuerkennen«,436 dies ist ihm ebenso wie die Dummheit theoretischer Lockerungsübungen unter seinen Gegnern nicht vorzuwerfen. Und vielleicht, so wäre dies beschließend zu sagen, ist der Esoteriker doch nicht jener, dem man »gemeines Denken [...] [,] Anmaßung von Autorität«437 vorwirft, sondern die Statthalterschaft des Komplexen, Elitären, Mühsamen – und den Stil als Verweigerung, die Gipfel zur Begehbarkeit zu verunstalten: »nobis invident apertam veritatem«438 ... Gesondert ist Felkas Großangriff, ein Einwand gegen Schibboleth zu diskutieren, der sich gegen die »mangelnde[n] Strenge«439 des Textes richtet, welche einer »Schwäche [...] der grammatologischen Theorie«440 entsprechen soll: »Schibboleth« macht den Eindruck eines vorzeitig veröffentlichten, nicht ausreichend elaborierten Rohmanuskripts. Es handelt sich um den vielleicht am wenigsten »gelungenen« Text Derridas. Die Darstellung wirkt intransigent, auf strapaziöse Weise verschwommen und unnötig redundant. Versprochen wird eine Initiation. Doch tritt gerade aufgrund der mangelnden Strenge der Analyse, der Ungenauigkeit des Bezugs auf die Gedichte und des ungehemmt beschwörenden Tons eine bestimmte Schwäche oder Problematik der grammatologischen Theorie, die den unausgesprochenen Hintergrund der Lektüre bildet, besonders deutlich zutage: die gleichzeitige Überhöhung und Entqualifizierung ihres Gegenstandes, der »psychischen Schrift«, die, in Gestalt einer Camouflage, auch diesmal das Interesse Derridas leitet. Variiert 441 wird immer wieder dieselbe Denkfigur. Derrida wählt aus, was ihm gefällt oder ihm entgegenkommt. Versen gegenüber, die dem Kommentar zuwiderlaufen, besteht eine Wahrnehmungsunschärfe.442
Hierzu ist vielerlei einzuwenden. Zunächst wäre von Redundanz nur zu sprechen, wenn sich Teile des Textes als überflüssige Reprisen erwiesen; die Darstellung Felkas legt nahe, die Wiederholungen verdankten sich der ursprünglichen Form eines Vortrags, der in einen Essay gewandelt plump geworden sei.443 Tatsächlich jedoch ist dies eine sträfliche Simplifizierung. Derrida gibt der Datierung, die er theoretisch charakterisiert, zugleich statt und also Raum / Zeit, die Begriffe, welche der Datierung einen Sinn einhauchen, nach dem
436 437 438 439 440 441 442 443
Noll, »Radikalisierung des Marxismus« (Anm. 434), S. 108. Derrida, Auslassungspunkte (wie Kap. 3, Anm. 775), S. 189. Ebd., S. 190. Felka, Psychische Schrift (Anm. 336), S. 145. Ebd. Ebd. Ebd., S. 147. Vgl. ebd., S. 145.
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Prinzip der Einschreibung simultan Verschiebungen zu unterziehen444 – dieses Spiel initiiert Bezüge ohne Ende, doch vor allem auch ohne Anfang.445 Nicht also »Wissenschaft in Pantoffeln«446 hat Derrida mit seinem Essay in die Welt gesetzt, sondern Philosophie, die stilistische Konsequenzen aus ihren Überlegungen gezogen hat, sich hütet, »denn ein (vermeintlich) ganz erfaßtes Ding verliert mit einem Male seinen Umfang und schmilzt zu einem Begriff ein«.447 Kann man Schibboleth kürzen? Es würde nicht allein an Gehalt verlieren, es verschwände im Sinne eines radikal neuen Sinns quasi vollends, da die Sinnstrukturen bis ins Herz448 von jenen Supplementen, die sie zum sinnhaften Erscheinen bringen, diktiert werden; verschwände: in einer Begradigung (SHORT CUT), die – Aufgabe von Daten und Sinnstiftung zugleich – im Text nichts an seinem Platz ließe.449 Die Initiation betreffend ist zu bedenken, daß sie in der einem Schnitt gleichenden Eröffnung des Textes durchaus vollzogen wird. Sollte Felka einen Schlüssel erwartet haben, sei auf Von Schwelle zu Schwelle verwiesen, wo nicht nur ein Gedicht, sondern ein ganzer Abschnitt des Bandes Mit wechselndem Schlüssel betitelt ist: Mit wechselndem Schlüssel schließt du das Haus auf, darin der Schnee der Verschwiegenen treibt. [...] 450 Wechselt dein Schlüssel, wechselt das Wort.
Das Versprechen einer Initiation von Bezügen451 indessen wird eingehalten, wobei aus diesen das Wesen der Dichtung erhellt, diese Relationen in den Sinn, der durch sie in diesem Akt des Einwebens verschoben wird, eingebunden werden. Selbst wenn Derrida angesichts der Unabschließbarkeit des Vorgehens weniger explizit wäre, »die Verwegenheit hätte, [...] [sich] damit zu begnügen und damit zu vergnügen, [...] [die Leser] mit dem eben Gesagtem 444 445 446
447 448 449
450 451
Vgl. Derrida, Schibboleth (wie Kap. 3, Anm. 182), S. 32 und passim; vgl. Silverman, Textualitäten (wie Kap. 3, Anm. 729), S. 262. »Derridas Schrift [...] initiiert Bezüge, ohne sie festzuschreiben.« – Welsch, Vernunft (wie Kap. 4, Anm. 61), S. 300. Robert Musil: Gesammelte Werke in neun Bänden. Hg. von Adolf Frisé. Bd 7: Kleine Prosa. Aphorismen. Autobiographisches. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1978, S. 1223. Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Erstes und zweites Buch. Hg. von Adolf Frisé. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1995 (rororo; 13462), S. 250. Vgl. Derrida, Schibboleth (wie Kap. 3, Anm. 182), S. 131f. So dumm wie verfehlt ist der Vorwurf, Schibboleth gehorche »dem Wiederholungszwang« (Jakob, Von den Paradoxien relationalen Dichtens [wie Anm. 82], S. 9 (Anm.)). Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 112. Vgl. Welsch, Vernunft (wie Kap. 4, Anm. 61), S. 300.
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(= Le t-i-t-r-i-e-r) allein zu lassen«452 – die Initiation wäre getan, das Versprechen kann aufgeschoben, quasi metasprachlich umspielt werden,453 es erfüllt sich als »wahrer falscher Titel«,454 der »eine Ökonomie in Erwartung ihrer Bestimmung«455 ist, doch – Derrida schließt Titel (noch zu bestimmen) so: Ist [...] [der Titel] derselbe, jetzt? Habe ich ihn noch bestimmt? Über welchen Titel habe ich zu ihnen gesprochen? Und unter welchen Titel? Es ist recht spät, um mich das zu fragen, aber vielleicht werden Sie es sich noch weiter fragen. Umso mehr als der Titel da ist (le titre y est). Sie werden es mir zugeben, er fehlte 456 nicht.
Von Verschwommenheit und beschwörendem Ton kann, es lohnt sich kaum, das hier akkurat auszuführen, keine Rede sein. Die »bestimmte Schwäche oder Problematik der grammatologischen Theorie, die den unausgesprochenen Hintergrund der Lektüre bildet [...]: die gleichzeitige Überhöhung und Entqualifizierung ihres Gegenstandes«,457 dies ist schließlich der wesentliche Vorwurf Felkas.458 Davon einmal abgesehen, daß Derridas Text natürlich mit seiner Grammatologie zu tun hat (»Es gibt Wahrheiten, durch deren Entdeckung man beweisen kann, daß man keinen Geist hat.«459), schreibt Felka an anderer Stelle selbst: Das, was dem Sprachsystem und jeder Äußerung virtuell innewohnt – Verzeitlichung, Unauslotbarkeit der Bedeutungsvalenzen, Insistenz, Ursprungslosigkeit usw. 460 – hebt der poetische Text auf eine höhere Deutlichkeitsstufe.
Die Folge dessen ist, daß das Gedicht von einer gewissen, nicht von vornherein »verkitscht[en]«461 Einsamkeit und darin bezogen auf den Sinn durch Mangel und Überfluß zugleich charakterisiert ist. Im Versuch, den Phänomenen 452 453 454 455 456 457 458
459
460 461
Derrida, Gestade (wie Kap. 4, Anm. 391), S. 221. Vgl. ebd., S. 222ff. – z. B.: »Da ist der Titel [...]. Was ich damit sagen will, werde ich Ihnen gleich sagen - habe ich eben versprochen.« (ebd., S. 224) Ebd., S. 228. Ebd., S. 232. Ebd., S. 244. Felka, Psychische Schrift (Anm. 336), S. 145. Nicht unähnlich argumentiert de Man, Die Ideologie des Ästhetischen (wie Kap. 4, Anm. 156), S. 196f., doch ist hier die Zurücknahme schon impliziert, wird doch »Ontologie der Anwesenheit [...] potentielle Selbstanklage« (ebd., S. 198) geheißen und d’accord mit dem somit Rehabilitierten formuliert, nur das zeige sich dem Licht, was »aufgrund seiner bereits bestehenden Blendung die Stärke dieses Lichts nicht mehr zu fürchten braucht« (ebd., S. 189) – es ist, was immer zu lesen und zu schreiben gewesen sein wird: »Derrida ist im vollen Sinne des Wortes »literarisch« zu nennen« (ebd., S. 225f.) ... Karl Kraus: Aphorismen und Gedichte. Auswahl 1903–1933. Hg. von Dietrich Simon. Wien, Köln, Graz: Böhlau 1985 (Österreichische Bibliothek), S. 90, Aph. 487. Felka, Psychische Schrift (Anm. 336), S. 160. Ebd., S. 153.
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gerecht zu werden, die sich bei und durch Celan dartun, kann man sagen, es sei erst ein Ernstnehmen eines Dichters, wenn man ihm weiter folgt, als dieser es vielleicht kalkuliert hat, auch dem Beachtung schenkt, was beiseite zu lassen letztlich zur von Felka gefürchteten Herabwürdigung führte, das im konkreten Fall zu überhöhen dagegen nicht leicht geschehen kann.462 Dies sollte zur Entkräftung der Angriffe Felkas genügen, wobei dies auch erklärt, wieso nicht alles in einer Lektüre zu berücksichtigen ist. Aus dem Umstand schließlich, daß Derrida Celans Œuvre in bezug auf seine eigenen philosophischen Konzeptionen deutet, ist ihm schwerlich ein Strick zu drehen, zumal das auch heißt, daß er dieses nicht als »literarische[s] Exempel«463 mißbraucht, sondern – bei aller Verstehbarkeit als Voraussetzung – doch als fremd würdigt. Derrida, der darum weiß, daß ein völliger Ungrund stumm und machtlos bleibt, endigt nicht nur hier mit der Bemerkung, es gebe »debris of [débris de]«,464 Trümmer, deren heiles Wovon verschwiegen werden muß. Allgemeiner sind die Deutungen von Dosse, die nichtsdestotrotz im Aufbau an jene Felkas wohl erinnern; und ähnlich ist auch die Kritik, die in dieser Deutung ihren Anfang nimmt. Ultrastrukturalismus465 sei, was Derrida betreibe. Dieser bestehe in einer Radikalisierung des strukturalistischen Ansatzes, wobei das »Denken Heideggers [...] ihm als Kriegsmaschine der Strukturalismuskritik dient«;466 zweifelsohne verblüffend ist diese Wendung. Sich ans Wort klammernd wäre bereits hier abzubrechen, denn Derrida selbst gebraucht eben dieses für eine Methode, die dem Strukturalismus das Leben nimmt, da sie ihn aus seinen Totalitätsträumen reißt, deren ausbleibende Einlösung keine Niederlage ist, stand sie doch stets fest: Wenn es Strukturen gibt, dann sind diese aufgrund jener fundamentalen Struktur möglich, durch die die Totalität sich öffnet und absticht, um im Vorgriff auf ein Te467 los, das hier in seiner unbestimmtesten Gestalt zu verstehen ist, Sinn anzunehmen.
Was man nun »›ultra-strukturalistisch‹«468 heißen könnte, wäre gerade jene Hybris, welche zu tilgen sie vorgibt; der Versuch, schon von Anfang an die Schatten zu etablieren, die Unmöglichkeit der Metasprachen übersehend aus der einfachen Lektüre treten zu wollen, wäre zuletzt, was im Lesen aufs wahre 462 463 464
465
466 467 468
Vgl. de Man, Ideologie des Ästhetischen (wie Kap. Kap. 4, Anm. 156), S. 196 und 198, weiters S. 189. Felka, Psychische Schrift (Anm. 336), S. 147. Derrida, Glas (wie Kap. 3, Anm. 142), S. 262; vgl. auch ebd., S. 105; vgl. weiters Derrida, Dissemination (wie Kap. 3, Anm. 87), S. 415 u. Derrida, Feuer und Asche (wie Kap. 3, Anm. 175), S. 5 u. passim. Vgl. François Dosse: Geschichte des Strukturalismus. Bd 2: Die Zeichen der Zeit. 1967–1991. Übersetzt von Stefan Barmann. Hamburg: Junius 1997, S. 30ff.; vgl. dagegen Frank, Das Sagbare und das Unsagbare (wie Kap. 2, Anm. 261), S. 435. Dosse, Geschichte des Strukturalismus (Anm. 465), Bd 2, S. 32. Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 47. Ebd., S. 46.
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Ganze zielend den Sinn, aber eben auch sein Schwinden verlöre. Der Versuch des Ultrastrukturalismus ist das zum Scheitern verurteilte Projekt, im Verzicht auf Metapher und Metaphysik – sich immer neu von Matrix zu Matrix einrollend – zuletzt zu einer Gewißheit zu gelangen, welche sich jedoch beiden verdankt: zu einer »heliozentrischen Metaphysik«469... Doch ist hier zu fragen, was bei Dosse denn das Ultra- meine, da hierfür ein Forttreiben des Ansatzes über sich hinaus mitschwingen mag, ebenso aber die dogmatische Pose dessen, der ein Jenseits in Erinnerung ruft, das – seiner Stimme gänzlich beraubt – freilich vage bliebe. In der Tat kann von schlichter Opposition nicht die Rede sein: Der Erfolg des Wortes Dekonstruktion ist zweifellos auf die Tatsache zurückzuführen, daß man die Dekonstruktion offenbar wie einen Antistrukturalismus empfunden hat, einen Poststrukturalismus, wie man in den Vereinigten Staaten oft sagt. Ich habe 470 mich niemals dieses Wortes bedient.
Es »ist klar, daß [...] das Hervorbringen von Differenzen, die différance, nicht a-strukturell ist«.471 Also gilt, daß der Strukturalismus von Derrida nicht den Totenschein ausgestellt bekommt oder bekommen soll. Vielmehr wäre es richtig zu sagen, daß dessen Obsessionen die »Unruhe der Sprache«472 mit zur Erscheinung bringen, welche im Werk Derridas gewissermaßen zentral sind, also als ständig neu sich ziehende Gravitationslinien dem Zentrum zu Leibe rücken. Gerade darum jedoch wirkt er »destruktiv [...], entstrukturierend also«,473 und dies weist bereits den Weg aus diesem Netz von Fehlinterpretation und Vorwurf, der folgen muß – es sei der Theorie Derridas Gebrechen, die Spielregeln der Sprache, welche nur beschränkt Züge gestatten, zugunsten des Wortes und seiner Bedeutung zu vernachlässigen.474 Derrida hat, so formuliert es Dosse mit Jacques Bouveresse, »keinerlei wirkliche Theorie der Proposition«.475 In der Tat ist eine solch rigide Formel der rhetorischen Ersetzung, wie sie hier gewünscht zu sein scheint, nicht möglich. Es ist, auch wenn Derrida gerade die Möglichkeit der Metaebene bestreitet, bezeichnend, daß er sie rhetorisch und damit unumgänglich einführt, wo seine Grammatologie sich entfaltet: De 469 470 471 472 473 474 475
Ebd., S. 48. Derrida, Interview mit Florian Rötzer (wie Kap. 3, Anm. 94), S. 72. Derrida, Positionen (wie Kap. 2, Anm. 262), S. 68. Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 10. Ebd., S. 13. Dosse, Geschichte des Strukturalismus (Anm. 465), Bd 2, S. 59. Ebd., S. 59; vgl. auch ebd., S. 34 u. 51 sowie 561 (Anm.); vgl. dagegen Frank, Logik der Dekonstruktion? (wie Kap. 4, Anm. 365), S. 103ff.: der nicht mehr unschuldige Formalismus sei Unterminierung seiner unbedingten Tragfähigkeit: »Dekonstruktion läßt das Denken schutzlos werden« (ebd., S. 105), sich als schutzlos erahnen ... – vgl. auch Jacques Derrida: Die Archäologie des Frivolen. Übersetzt von Joachim Wilke. Berlin: Akademie Verlag 1993 (Acta humaniora), S. 129f.
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Fünfter Teil
la grammatologie ist jene Schrift im Original betitelt, was nicht übersehen werden sollte.476 Ein Anfang, mit dem noch nichts angefangen werden kann, da er auf ein im Gespräch von Hans-Dieter Bahr und Jacques Derrida benanntes Ultratranszendentales477 weist, läßt nicht zu, daß eine »wirkliche Theorie der Proposition«478 entstehen könnte. Dies sieht auch Waldenfels, wenn er zwar ein gewisses Unbehagen formuliert, das in Verbindung mit der reich entfalteten Semantik und der ein Schattendasein fristenden Syntax bei Derrida nachvollziehbar ist, zugleich jedoch festhält, daß eine bestimmte Einheit von Betrachtung hier in der Tat nicht zu leisten ist oder sein soll.479 Ebenso gut oder schlecht wie von einem Ultrastrukturalismus könnte schließlich von einem Ultranominalismus gesprochen werden – die Besessenheit, dem Namen zu entsprechen, was bedeuten könnte, daß zuletzt »der Nicht-Sinn die Totalität der Welt besetzt hat«,480 treibt ebenso wie die Besessenheit der Matrix über sich hinaus. Und dieses Hinaustreiben vereitelt zuletzt die Einlösung seiner Intention, wovon etwa das Verschwinden der Namen trotz ihrer fast manischen Nennung zeugt.481 Man weiß, daß nicht bloß Derridas »Verhältnis zu Eigennamen [...] fast erotische Züge« »hat«482 ... Und Derrida läßt die Liebe zu jenem, das in der Struktur nicht aufgeht, durchaus erkennen: The discursive forms we have available to us, the resources in terms of objectivizing archivation, are so much poorer than what happens (or fails to happen, whence the 483 excesses of hyper-totalization).
476 477
478 479
480 481
482
483
Vgl. auch Welsch, Vernunft (wie Kap. 4, Anm. 61), S. 254 (Anm.) Vgl. Jacques Derrida u. a.: Podiumsdiskussion. Red. von Michael Benedikt und Rudolf Burger. In: Die Krise der Phänomenologie und die Pragmatik des Wissenschaftsfortschritts. Hg. von Michael Benedikt und Rudolf Burger. Wien: Edition S – Österreichische Staatsdruckerei 1986, S. 168–179, hier S. 172f. Dosse, Geschichte des Strukturalismus (Anm. 465), Bd 2, S. 59. Vgl. Waldenfels, Antwortregister (wie Kap. 1, Anm. 159), S. 593 (Anm.); und in einem gewissen Sinne wird bei Derrida andererseits gerade der Syntax Rechnung getragen – vgl. Marian Hobson: Jacques Derrida. Opening Lines. London, New York: Routledge 1998 (Critics of the Twentieth Century), S. 59. Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 90. Vgl. etwa Derrida, Auslassungspunkte (wie Kap. 3, Anm. 775), S. 130 u. den um eine zugespitzte Darstellung von Lyotards Widerstreit sich bemühenden Essay von Haucke, Zwischen Skepsis und Kritik (wie Kap. 4, Anm. 626), S. 64. Han, Todesarten (wie Kap. 1, Anm. 178), S. 29; vgl. Bolz, Die Utopie des Besonderen (wie Kap. 3, Anm. 8), passim; Thomas Schestag: Parerga. Zur literarischen Hermeneutik. O. O.: Boer 1991, S. 168; Gehring, Innen des Außen – Außen des Innen (wie Kap. 3, Anm. 247), S. 284; Bonnefoy, Die rote Wolke (wie Kap. 3, Anm. 77), S. 125; Rose Ausländer betreffend vgl. hierzu Held, Evas Erbe (wie Kap. 1, Anm. 27), S. 108 (Anm.); zur Nostalgie: »J. D. often speaks of his ›nostalgeria‹.« – Bennington / Derrida, Jacques Derrida (wie Kap. 2, Anm. 189), S. 330; vgl. auch Derrida, Das andere Kap (wie Kap. 3, Anm. 1071), S. 11. Derrida, Acts of Literature (wie Kap. 4, Anm. 62), S. 35.
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Aber es ist eben der Schrecken der alles aufzehrenden Ordnung wie des alles petrifizierenden Namens, der ihn zur Schrift bewegt, worin ein virtueller Pol um des anderen willen aufgehoben ist, worin freilich gerade darum ein jeder der Pole den anderen zu generieren scheint. Es ist dies die Schrift des schon erwähnten Buchstabens, der im Wort »A-Metapher«484 wiederkehrt. Nicht nur suggeriert dieses, daß somit seinen Anfang alles findet, wo der Rückgriff situiert schien, auch das Metaphorische als Ametaphorisches wird in die Kette des Assoziierten gefügt.485 Es bewahrt Schrift in sich, was den »Mortifikationsprozeß des Zeichens«486 verlangt. Derridas Bild vom »bodenlose[n] Schachbrett«487 der Sprache ist für diese Konstellation wohl nicht das schlechteste ... Es ist vielmehr überaus treffend für jene Konstellation, die mit dem Wort Parasit schon umschrieben worden ist, dessen Bild jedoch präzisierend kurz aufzugreifen ist. Vom Parasiten wurde festgehalten, daß er – immer anwesend – aufspaltet, was fest und eindeutig verknüpft schien, alles mit unvermeidlicher Unentscheidbarkeit infiziert.488 Er ist als »Interferenz [...] Metapher und [...] ars inveniendi«.489 Er ist die Vermittlung selbst.490 Das aber heißt, daß die Opposition von Parasitärem und Nicht-Parasitärem sich zuletzt als Unding erweist, die Grenzlinie sich als auf dem errichtet erweist, was eine Nostalgie ans Unmögliche über sie drängen will. Das Zeichen verdankt seine Bedeutung von vorgeblicher Stabilität dem, was es vergessen machen möchte, wiewohl es genau an ihm Anteil hat; es wird zum eigenen Grenzfall, zum Parasiten oder Double seiner selbst. The mark is re-markable in that it »is« also its margin. [...] It divides [...] its unity ...491
Man könnte hier auch auf eine eindrucksvolle Formel bei Bataille verweisen, deren Disjunktion sich paradox aufgehoben sieht: Entweder »die Sprache wird mit der Erotik fertig, oder die Erotik wird mit der Sprache fertig werden«.492 Erotik als Grenzerscheinung legt schon bei Bataille nahe, daß eine solche Opposition die Verschlingung nicht verleugnen kann, welche ihr vorangeht und sie als nachträgliche Inszenierung demaskiert:
484 485 486 487
488 489 490 491 492
Derrida, Babylonische Türme (wie Kap. 3, Anm. 884), S. 145. Vgl. auch ebd., S. 164 (Anm.). Derrida, Die Stimme und das Phänomen (wie Kap. 3, Anm. 40), S. 94. Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 48; vgl. Welsch, Vernunft (wie Kap. 4, Anm. 61), S. 265; »wenn das Schachbrett [...] gänzlich weiß ist« (Jabès, Es nimmt seinen Lauf [wie Kap. 3, Anm. 1041], S. 58). Vgl. Serres, Der Parasit (wie Kap. 1, Anm. 180), S. 97. Ebd., S. 110. Am Anfang ist gewissermaßen die Metamorphose – vgl. ebd., S. 152. Derrida, Limited Inc (wie Kap. 4, Anm. 405), S. 70; zum Parasiten vgl. ebd., S. 34, 70f., 84 u. 90. Georges Bataille: Die Erotik. Übersetzt von Gerd Bergfleth. München: Matthes & Seitz 1994 (Batterien; 43), S. 275.
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Fünfter Teil 493
Die Erotik ist das Jasagen zum Leben bis in den Tod.
Da sie auf das gerichtet ist, was ihr fremd ist, ist sie eine Art »Gleichgewichtsstörung«:494 Die Erotik ist im Bewußtsein des Menschen das, was das Sein in ihm in Frage stellt.495 Ich kann mir sagen, daß das Widerstreben, daß der Schrecken das Prinzip meines Verlangens ist; daß sein Objekt in dem Maße, als es in mir eine Leere eröffnet, die nicht weniger tief ist als der Tod, dieses Verlangen erregt, das zunächst aus seinem Ge496 genteil besteht, nämlich dem Schrecken.
Alles dreht sich somit im Begehren um eine »Gewaltsamkeit, die von der Vernunft nicht mehr überwacht wird, [...] während [man könnte überraschenderweise auch schreiben: da – M. H.] der Wille abwesend ist«.497 Die Erotik öffnet einen Abgrund.498
Dieser besteht darin, daß nicht etwa die kleinsten Distanzen unüberwindlich sind, was die halbe Wahrheit wäre, sondern darin, daß zugleich – in der Schrift – die größten Distanzen immer schon überschritten sind und sich, wer schreibt, ins Kalkül des Möglichen nicht zurückziehen kann. Batailles Erotik findet zu Formeln, die entsprechend arrangiert zeigen, daß sich ein Begriff ihrer nicht halten läßt, der nicht sogleich eingesteht, daß das Begehrte auch das Okkupierte ist, keine Konnexion außer dieser, Ausdruck der Verpflichtung (oder »maßlose[r] Überspanntheit [...] – das ist die menschliche Existenz«499), wie Derrida einmahnt, einem Spiel der Schrift entzogen ist. Freilich ließe sich hier ein letzter Einwand machen, der von Nietzsche zu kommen scheint, was schmerzlich wäre, bedenkt man, daß Derrida jenen schont, der »Wiedereingliederung Nietzsches in die Geschichte der okzidentalen Metaphysik«500 etwa durch Heidegger stets entgegenwirkt. »Zwischen dem Eigenen des Anderen und dem Anderen des Eigenen«501 also ist situiert, was die 493 494 495 496
497 498 499
500 501
Ebd., S. 287; vgl. Ebd., S. 56: »Das Leben geht immer aus der Zersetzung des Lebens hervor.« Ebd., S. 31. Ebd. Ebd., S. 59; dementsprechend poetisch sind Gebeine, da »ohne die aktive, exzessive Virulenz der Verwesung« (ebd., S. 56) eine Schönheit des Vergehens sich in ihnen zeigt, wobei andererseits auf den Ekel zurückzuverweisen ist, der im Hintergrund doch verbleiben mag ... Ebd., S. 90; die Rede ist von »erotische[r] Konvulsion« – ebd. Ebd., S. 280. Ebd., S. 272; vgl. auch Wiechens, Entmachtung des Diskurses (wie Kap. 4, Anm. 193), S. 57 u. passim; vgl. zu Bataille und Derrida auch Bürger, Ursprung des postmodernen Denkens (wie Kap. 1, Anm. 129), S. 73ff. Jacques Le Rider: Nietzsche in Frankreich. Übersetzt von Heinz Jatho. München: Fink 1997, S. 141; vgl. ebd., S. 140ff. Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 14.
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Philosophie treibt, so wurde mit Derrida behauptet – eine Art Gerechtigkeit ist bei Derrida am Werk, die herausfordert, ein Zitat gegen sie in Anschlag zu bringen, das aus der Fußnote lange drängte: »Die Erkenntnis um ihrer selbst willen« – das ist der letzte Fallstrick, den die Moral 502 legt: damit verwickelt man sich noch einmal völlig in sie.
Die Erkenntnis, die der Einschreibung folgt, also dem stattgibt, was gewissermaßen sie ist, muß nun in der Tat um ihrer selbst willen geheißen werden. Und Lyotard, der hier Derrida so fern nicht zu sein scheint, pocht durchaus aufs Ethische, das dem »Anti-Prinzip des Widerspruchs«503 beigesellt ist. Im »wirklichen (?) Schreiben«,504 das Lyotard, wie das Fragezeichen belegt, so problematisch wie sich selbst erscheint, soll das Unmögliche vollzogen werden, ein Urteil zu schaffen, welches in seiner Gültigkeit nicht auf das Repressive einer Methode gestützt sein darf – und dieses ist der Imperativ der »Achtung«,505 der allein »›Präsenz‹«506 zukommen darf. All dies stützt sich auf jenen Fallstrick der Moral, der nach Nietzsche nicht zu trauen sein sollte. Was aber drängt als Intention in dessen Aphorismus? Es ist eine Wahrhaftigkeit, die sich erahnt, wo sie sich verbietet, eine Gerechtigkeit, die für ihre Fadenscheinigkeit Formulierungen findet ... Kann man daraus schließen, daß in subtiler Weise auch advoziert wird, was als Lüge aufscheint? Zumindest ist nicht von der Hand zu weisen, daß Nietzsche eine »P h i l o s o p h i e d e s v e r b o t e n e n W i s s e n s«507 zu schreiben gedachte; jene mochte auch Philosophie im Zeichen des verbotenen Wissens gewesen sein, also eine Absage an die sich rein dünkende Finalität des Denkens, die das Monströse an sich erweckt, indem sie desselben nicht mehr innewird, und darum die Engel, Parasiten und Gespenster verliert, die einem Denken einhauchen, was es zu sich selbst führt. Der Mensch »i s t d a s n o c h n i c h t f e s t g e s t e l l t e T h i e r«,508 »Tier auf Umwegen«509 mit »Umweg- / Karten«.510 All diese schon erwähnten Bestimmungen treten hier hervor, verdichten sich zur »zerbrochenen Unmittelbarkeit«.511 Und unwiderruflich ist jene in die Natur vorgedrungen, welche der Gerechtigkeit als Widerlegung entgegenzustellen möglich schien – aber vorgeführt worden ist. Gerechtigkeit wird mit den Bemerkungen in Verbindung zu setzen sein:
502 503 504 505 506 507 508 509 510 511
Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd V, S. 85. Jean-François Lyotard: Streifzüge. Gesetz, Form, Ereignis. Übersetzt von David Carroll und Hans-Walter Schmidt. Wien: Passagen 1989 (Edition Passagen; 25), S. 96. Ebd., S. 42. Ebd., S. 73. Ebd.; vgl. ebd., S. 62. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd XII, S. 36. Ebd., Bd XI, S. 125. Cioran, Lehre vom Zerfall (wie Kap. 4, Anm. 154), S. 34. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 120. Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 441.
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»›Wille‹ – eine falsche Verdinglichung«;512 »die Bestie in uns will belogen werden« ...513 Damit möchte ich zu einem Zitat kommen, das in der Ästhetischen Theorie zu finden ist; es bestärkt mich in der Vermutung, daß Derridas Denken als geniale und zugleich stimmigste Fortführung jener Ideen zu lesen nicht verfehlt ist, welche Adornos Werk charakterisieren und jener Spannung aussetzen, die ein Scheitern und zugleich die Bedeutsamkeit (und in Adornos Werk: Darstellung der Notwendigkeit) dieses Scheiterns bedeutet: In jüngeren Debatten [...] ist der Begriff der écriture relevant geworden [...]. Jene Kategorie der Moderne wirft als Scheinwerfer Licht über Vergangenes; alle Kunstwerke sind Schriften, nicht erst die, die als solche auftreten, und zwar hieroglyphenhafte, zu denen der Code verloren ward und zu deren Gehalt nicht zuletzt beiträgt, daß er fehlt. Sprache sind Kunstwerke nur als Schrift. [...] 514 Der Rätselcharakter überlebt die Interpretation, welche die Antwort erlangt.
Solche Rede vom Schriftcharakter dringt ins philosophische Programm, das in seiner Stilistik erfaßt die Widerlegung der philosophischen Theorie durch poetische Praxis ankündigt. Diese Widerlegung freilich ist eine, die der Möglichkeit von Kritik schon immanent gewesen sein muß, welche Adorno einem verfehlten Denken angedeihen läßt – kurzum ist also zur in Frage gestellten und so sich in ihren Möglichkeiten erahnenden Vernunft zu sagen: Adorno leugnet theoretisch, was er praktisch beweist ...515
Die »›Ästhetische Theorie‹ Adornos als Textwerk [...] ist in diesem Sinne immer schon literarisiert ebenso wie die Literatur ›philosophiert‹ ist«.516 Es ist, so schreibt Adorno selbst, die Differenz zwischen der rein begrifflichen Bedeutung der Worte und dem, was die Sprache mit ihnen ausdrückt, in Wahrheit das Medium, in dem erst der philosophische Gedanke gedeiht. [...] In diesem Sinne ist in der Philosophie die Sprache oder der Stil [...] nicht ein der 517 Sache Äußerliches, sondern gehört zu der Sache wesentlich hinzu.
Der Schritt von solcher Bestimmung der Fremdartigkeit sowie der Schrift zu Derridas Theorie, Schrift sei, da sie Intelligibilität wie Fremdheit in sich trage, Widerlegung einer Synthese, aber auch einer Antithese der virtuellen Pole 512 513 514 515 516 517
Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd XII, S. 26. Ebd., S. 76; also ist »Moral [...] Notlüge« – ebd.; vgl. auch ebd., Bd XI, S. 92 u. 108. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 189; Adorno kann etwa L’écriture et la différence (1967) gekannt haben. Giffhorn, In der Zwischenzone (Anm. 333), S. 30; vgl. auch Koltan, Adorno, gegen seine Liebhaber verteidigt (wie Kap. 2, Anm. 128), S. 14. Giffhorn, In der Zwischenzone (Anm. 333), S. 89. Adorno, Philosophische Terminologie (wie Kap. 1, Anm. 134), Bd 1, S. 56.
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ihres Erscheinens, scheint einleuchtend.518 Nicht mehr stehen Tanz und Schrift getrennt.519 Die Synthese ist auch Adorno schon suspekt und jenes Moment der Philosophie Hegels, das er unermüdlich in seinen Denkbewegungen problematisiert; die Antithese aber könnte der Entscheidung zwischen Adornos und Derridas Philosophie geradezu entsprechen, denn während sich der eine Denker ihrer gerne bedient, ist beim anderen an einen Aphorismus Nietzsches zu denken. Die Antithese ist die enge Pforte, durch welche sich am liebsten der Irrthum zur Wahr520 heit schleicht. 521
Dreiviertel aller Lügen sind durch die Antithese in die Welt gekommen.
Derrida weiß, daß es ratsam und letztlich unumgänglich ist, »den frontalen und symmetrischen Streit zu vermeiden, alle sich als Anti- gebärdenden Formen von Opposition«522 ... Die Schrift, daß also »das Zeichen [...] oder der Repräsentant zu Kräften werden, mit deren Hilfe »die Welt in Bewegung gesetzt« wird, das ist der Skandal«.523 »Das ist in der Tat nicht nur eine andere Art von Rhetorik, sondern auch etwas Anderes als Rhetorik; das ist keine philosophisch reflektierte Rhetorik, sondern Philosophie unter anderem Namen«,524 schreibt Kopperschmidt und setzt auf Nestle anspielend fort: Der Weg vom Mythos zum Logos beschreibt jedenfalls keine irreversible Prozeßdy525 namik.
Und im selben Band zu Rhetorik und Philosophie notiert Mainberger: Die »Rhetorik war schon immer und ist [...] heute die Statthalterin des nichtdeduktiven, des vermutenden und das Andersseinkönnen [nicht zuletzt auch ihrer selbst, M. H.] schützenden Vernunftgebrauchs«. 518
519 520 521 522 523 524
525
Vgl. auch Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 185 sowie Derrida, Die Postkarte von Sokrates bis an Freud und jenseits (Anm. 236), 2. Lfg, S. 267ff. u. passim. Zum ähnlichen Verhältnis von Offenbarung und Verschwinden des Briefs bei Poe; vgl. hierzu auch Wellmer, Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne (wie Kap. 2, Anm. 237), S. 13. Vgl. Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 51 u. Serres, Die Legende der Engel (wie Kap. 3, Anm. 1078), S. 219. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd II, S. 163. Ebd., Bd VIII, S. 337. Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 17; vgl. auch Barthes, Kritik und Wahrheit (Anm. 418), S. 52f. Derrida, Grammatologie (wie Kap. 4, Anm. 886), S. 254. Josef Kopperschmidt: Philosophie und Rhetorik – das Ende einer Konfliktbeziehung? Anmerkungen zum Rahmenthema der Tagung. In: Rhetorik und Philosophie. Hg. von Helmut Schanze und Josef Kopperschmidt. München: Fink 1989, S. 341–364, hier S. 348. Ebd., S. 360; vgl. auch Ernesto Grassi: Rhetorischer Humanismus: Die Liebe zum Wort, Philologie. In: Rhetorik und Philosophie. Hg. von Helmut Schanze und Josef Kopperschmidt. München: Fink 1989, S. 159–168, hier S. 164 u. 168.
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Sie ist es als Techne und Theoria.526
Derrida formuliert somit, was eine Philosophie des Supplements wäre: Die äußerliche Ergänzung kann weder von der Natur noch von der Vernunft toleriert 527 werden.
Schrift oder Supplement oder Einschreibung und so fort sind nicht nur Ende der Idee des integrativen Zusammenschlusses zu Sinn, sondern auch jener des Anderen, wo es mehr denn eine Einschreibung und damit verbundene Verdächtigung der Vernunft ist; bei Derrida wird sie zum Signum des Menschen, der Adorno »als die Persönlichkeit an sich, ein protestantisch Innerliches, noch sich selbst Entrücktes«528 – Kants gescholtene Bestimmung der dem Menschen konstitutiven Freiheit als »eine Unabhängigkeit [...] [der] Vernunft«529 wird von Adorno umgeformt zur nicht wesentlich präziseren oder originellen Bestimmung der »Idee von Freiheit als Möglichkeit von Nichtidentität«530 – eine Grenzerscheinung sein muß, die Unbehagen bereitet. Derrida hingegen schreibt: So ermöglicht also die Supplementarität all das, was das Eigentliche des Menschen ausmacht [...]. Aber: was ist dies Eigentliche des Menschen? Es ist einerseits etwas, dessen Möglichkeitsbedingung vor dem Menschen und außerhalb seiner gedacht werden muß. Die Selbstbekundung des Menschen ist seit der (und durch die) Supplementarität möglich, die somit weder ein akzidentielles noch ein essentielles Attribut des Menschen darstellt. Denn andererseits, da die Supplementarität nichts, weder Präsenz noch Absenz ist, kann sie auch weder eine Substanz noch eine Essenz des Menschen sein. Sie ist just das Spiel von Präsenz und Absenz, die Eröffnung dieses Spiels, das kein Begriff der Metaphysik oder der Ontologie zu erfassen vermag. Und so kommt es, daß jenes Eigentliche des Menschen nicht das Eigentliche des Menschen ist: sondern gerade die Dislozierung des Eigentlichen überhaupt, die Unmöglichkeit – und also der Wunsch – des Bei-sich-Seins; die Unmöglichkeit und 531 damit der Wunsch nach der reinen Präsenz.
Die Fragen, ob diese Bestimmung (der Unbestimmtheit) des Menschen und seiner Entäußerung hilft, Ausländers Werk in dessen Sinn oder allgemein ad526
527 528 529 530
531
Gonsalv K. Mainberger: Die Rhetorik in der Philosophie. In: Rhetorik und Philosophie. Hg. von Helmut Schanze und Josef Kopperschmidt. München: Fink 1989, S. 319–339, hier S. 332; vgl. auch ebd., S. 319 u. 325. Derrida, Grammatologie (wie Kap. 4, Anm. 886), S. 256. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 290. Kant, Werkausgabe in 12 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 18), Bd IV, S. 675, B 831, A 803. Adorno, Negative Dialektik (wie Kap. 1, Anm. 105), S. 266; zur Bestimmung von Philosophie und Freiheit vgl. Foucault: Der Philosoph mit der Maske (Michel Foucault): Gespräch mit Christian Delacampagne. Übersetzt von Birgit Wagner. In: Philosophien. Gespräche. Hg. von Peter Engelmann. Graz, Wien: Böhlau 1985 (Edition Passagen; 6), S. 27–40, hier 39. Derrida, Grammatologie (wie Kap. 4, Anm. 886), S. 420.
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äquater aufzufassen, aber auch, ob / wie diese Frage der Entsprechung dann noch zu stellen ist, wenn Derridas Thesen nicht bloß Abstrusitäten ohne Folgen sind, die Urschrift als contradictio in adiecto das Enden des Anfangs, des Prinzips, des Ersten umschreibt,532 sollen im Finale meiner Arbeit mitklingen, das aus leicht ersichtlichen Gründen kein Ende des Fragens zum dichterischen Werk Rose Ausländers, zu Auschwitz und zur Poesie heute sein kann.
532
Vgl. Schmitz-Emans, Paul Celan und die schriftmetaphorische Tradition (wie Kap. 2, Anm. 187), S. 103; vgl. auch Derrida, Die Schrift und die Differenz (wie Kap. 1, Anm. 176), S. 100; »Den Kopf zu verlieren, nicht mehr zu wissen, wo einem der Kopf steht, dergestalt ist vielleicht die Wirkung der Dissemination« (Derrida, Dissemination (wie Kap. 3, Anm. 87), S. 29), die noch ihr wahnsinniges Licht schwärz (vgl. Derrida, Gestade (wie Kap. 4, Anm. 391), S. 237); vgl. zu einem solchen Urgrund auch Manfred Weinberg: Das Gedächtnis der Dekonstruktion. In: Poststrukturalismus. Herausforderung an die Literaturwissenschaft. Hg. von Gerhard Neumann. Stuttgart, Weimar: Metzler 1997 (DFG-Symposion 1995. Germanistische Symposien Berichtsbände; 18), S. 34 u. passim.
Résumé
Kein Ende ist, das sich nicht gewaltsam gestaltete oder als bloßer Schein erwies. Palinurus kommt nicht ans Ziel, und doch ist für ihn die Reise zu Ende.1
An kaum einem Problem ist das Unzureichen, mit dem man sich bescheiden muß, wohl so drastisch zu fühlen wie hier, ich breche die Lektüren ab und sehe die Arbeit beschlossen, die Fragen aber offen.2 Welche interpretative Methode hat sich am ehesten bewährt, jene Adornos, jene Szondis, jene Derridas? Es ist eine andere Frage als jene der Avanciertheit der philosophischen Konzeptionen, wo, wie ich darzulegen suchte, eine Entwicklung trotz der nicht zu leugnenden Eigenständigkeit der einzelnen Positionen nachvollziehbar sein dürfte. Im Falle der möglichst getreulichen Anwendung der Zugänge auf die Dichtung Rose Ausländers will es denn auch nicht so scheinen, als wäre ein steter Progreß von Arbeit zu Arbeit gegeben. Es sind verschieden gelagerte Vorzüge, die ich erkenne. Adornos Texte beziehen ihre Kraft aus dem, was im Text nicht ist,3 Auschwitz ist in Analogie zu einer Darstellung Anders’ von Lütkehaus die »negative[n] Muse seiner Philosophie«;4 Verse und Wege schlängeln sich zum Holocaust, doch dieser selbst ist nicht in Begriffen einholbar, allenfalls dem Gefühl eines amputierten Glieds vergleichbar, wie Klaus Reichert schreibt, wobei er nicht einer Nostalgie der heilen Sprache huldigt;5 nicht zu leugnen und undarstellbar, weil jede Darstellung löge – Auschwitz hat göttliche Attribute, wie Liessmann einmal bemerkt.6 Ordnung als »Tarnwort des Monströsen«7 ist dieses nochmals, wenn 1 2 3
4 5 6
Frey, Palinurus (wie Kap. 3, Anm. 616), S. 67. Immerhin tröstet eine Einsicht: »Das vollkommenste Lesen ist das unvollkommene. Das Ideal des Lesens ist das Fast-Verstehen.« (Ebd., S. 75) Vgl. Wellmer, Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne (wie Kap. 2, Anm. 237), S. 164: »Adornos Obsession war die Überwindung des Identitätszwanges. Diese Obsession hat ihn scharfsichtig und zugleich blind gemacht.« (ebd.) – ob Wellmers Fortführung viel sehender ist, sei an dieser Stelle bezweifelt. Lütkehaus, Philosophieren nach Hiroshima (wie Kap. 3, Anm. 821), S. 18. Reichert, Fragendes Verstehen (wie Kap. 3, Anm. 1024), S. 213; vgl. ebd., S. 210. Vgl. Konrad Paul Liessmann: »Das Prinzip Auschwitz«. Reflexionen zur Leichenproduktion im 20. Jahrhundert. In: ders., Der gute Mensch von Österreich. Essays 1980– 1995. Wien: Sonderzahl 1995, S. 158–171, hier S. 160f. Ähnlich verhält es sich prinzipiell mit dem Bösen – vgl. Wendelin Schmidt-Dengler: Herr Satan persönlich: Der Teufel und seine Brüder in der Literatur. In: wespennest 109 (1997), S. 52–58, hier S. 52.
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Résumé
die entstellt scheinende Vernunft der Judenvernichtung interpretiert werden soll: Pathos, das Darstellbarkeit vorgaukelt, ist schon fast »Entschuldigung«.8 Folgerichtig ist es die Darstellung, die dem Dargestellten gegenüber an Gewicht in einem Maße gewinnt, das die Frage der adäquaten Darstellung ad absurdum führt. Das Dargestellte – »das verborgene Gesetz der ästhetischen Gegenstandslosigkeit«9 ist damit nicht vergessen, die Konstellation »Abbild des Abbildes des Abbildes«10 allein führte bekanntermaßen »an den Rand der Afterpoesie«11 – aber ist nicht Auschwitz, sondern das Leben post Auschwitz, wenn das Geliebte in einer Ordnung ausgelöscht wurde, die in ihren Spuren, den gebliebenen Lücken nachwirkt, nicht beeinspruchbar ist, weil es, wie dargelegt wurde, keine beredten Opfer geben kann,12 sondern nur Tote, deren Verlust den der Hinterbliebenen überschattet und nichtig wirken läßt. Und bist mir doch das Schönste, das Eine, 13 um das ich sie trage, die Einsamkeit
so schreibt Selma Meerbaum-Eisinger eine Formel des damals noch Ungeschehenen, wonach »kein Licht uns blieb[e]«.14 Und das schöne, das du rauftest, und das Haar, das du raufst: welcher Kamm 15 kämmt es wieder glatt, das schöne Haar?
Stotternd16 läßt Celan erscheinen, was nicht mehr ist, wobei das Stocken Variation schafft: das schöne Haar ist abgeschnitten, das verbliebene, so könnte man mutmaßen, bald darauf in der Hitze des Verbrennungsofens kraus geworden.17 Kein Kamm kann glätten, was die nationalsozialistische Ordnung zerfurcht und gekrümmt hat. In dieser Interpretationsweise ist das Geschehene ein Schatten – es schwände im Sprechen –, was den Zynismus und die Kälte, die direkte Rede verlangte,18 erübrigt: 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
18
Anders, Philosophische Stenogramme (wie Kap. 2, Anm. 132), S. 54. Ebd., S. 53. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 325. Liessmann, Ohne Mitleid (wie Kap. 3, Anm. 224), S. 222. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 110. Vgl. Lyotard, Der Widerstreit (wie Kap. 2, Anm. 145), S. 25, Nr 9. Meerbaum-Eisinger, Ich bin in Sehnsucht eingehüllt (wie Kap. 3, Anm. 838), S. 92. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 99), Bd 2, S. 332. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 115. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 349: »Die nachzustotternde Welt«. Vgl. Miklos Nyiszli: Sonderkommando. In: Auschwitz. Zeugnisse und Berichte. Hg. von Hans Günther Adler, Hermann Langbein und Ella Lingens-Reiner. 6. Aufl., Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1995 (eva-Taschenbuch; 223), S. 64–73, hier S. 68. Vgl. Anders, Philosophische Stenogramme (wie Kap. 2, Anm. 132), S. 53.
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Das Sprechen über Auschwitz ist ein Schweigen über das, was geschah.19
Nichtsdestotrotz ist auch die Strategie einer scheinbar herzlosen Rede überaus authentisch zu gebrauchen – ich erinnere an die in ihrem Scheitern und ihrer nicht geringen Kühle treffende Beschreibung der Greuel durch Foucault: Krankenhaus plus Hühnerstall: da haben wir das Phantasma, das hinter den Konzentrationslagern steckt.20
»Der Tod träumt in mir / sein graues Leben«,21 so schreibt Rose Ausländer – »noch / rot und blau und grün«22 zu sein suchend. Szondi versucht eine kalkulierte Dynamisierung der Deutung, um gerade dieser Schattierungen, welche Gründe des Abgründigen sein mögen, nicht verlustig zu gehen. Sein Gewinn trägt sich auf der Ebene der Struktur zu – diese wirkt als sinnstiftende Dimension, die ein Spiel ermöglicht, das das Bild wandelt. Sie beeinflußt die Rede, da die Worte, die sie bilden, in ihrer Formierung zugleich gewandelt werden, was eine Abweichung von der klassischen Polysemie bedeutet.23 Erst im Spiel wird es trotz ungeminderter Negativität, welche Auschwitz quasi umflort, möglich, einerseits in der Kollision von Repräsentanzen und Bedeutungen das, was negativ bleibt, als nicht artikulierbar erahnen zu lassen, dem Blick vor den Augen aller Betrachter zu entziehen, andererseits aber nicht die Hermetik bis zum Unsinn zu treiben. Das Gelesene wird so davor bewahrt, sich in »Artistik, Sprachmagie und Hermetik«24 zu erschöpfen. Das Kunstwerk ist nicht länger ein Punkt, wo das Andere – unwesentlich und sein Unwesen treibend – lokalisierbar wäre; tatsächlich scheint das Werk in Diskursen auflösbar, und erst darin, daß diese begrifflichen Auflösungen, die gleichermaßen sinnvoll scheinen und doch widerspruchsvoll zu einander stehen, verdüstert sich die scheinbare Klärung erneut. Das Dunkle an den Dichtungen, nicht, was in ihnen gedacht wird, nötigt zur Philo25 sophie.
Dieser berühmte Satz Adornos ist nun auf das Verhältnis von strukturellem und wörtlichem Gehalt zu beziehen, was freilich zeigt, daß hier sehr wohl das Gedachte Gegenstand der Philosophie sein muß; ein planvolles Kalkül treibt
19 20 21 22 23 24 25
Adamzik, Philosophie im Stand ihrer objektiven Unmöglichkeit (wie Kap. 4, Anm. 520), S. 70. Foucault, Von der Freundschaft als Lebensweise (wie Kap. 3, Anm. 392), S. 65; vgl. auch Adorno, Horkheimer: Dialektik der Aufklärung (wie Kap. 3, Anm. 230), S. 158. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 99), Bd 2, S. 172. Ebd. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 376: »es geht also nicht um einfache Polysemie«. Otto Knörrich: Die deutsche Lyrik seit 1945. 2. Aufl., Stuttgart: Kröner 1978 (Kröners Taschenbuchausgabe; 401), S. 370. Adorno, Parataxis (wie Kap. 3, Anm. 20), S. 450; vgl. ebd., S. 477.
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die Oppositionen in ein dann freilich unkalkulierbares Spiel.26 Pepper nennt, was Dichtung hier gemäß ist, »hyperformalized textual aestheticism«.27 Das Ganze, welches nur noch ein Gebilde benennt, das restlos in Widerspruch zerfällt, aber nichtsdestotrotz gedacht zu werden aufgegeben ist, da es verwandelt doch besteht, ist so, was an den dichterischen Worten unikal ist und bleibt. Dies ist zunächst, da die Annahme schwindet, [...] daß Wirklichkeit sich eben nur als Gegenständlichkeit zeige, daß diese Gegenständlichkeit sich in ihrer Gegenwart erfülle und daß unter den Bedingungen ihrer nach dem Bilde solcher gegenwärtigen Gegenständlichkeit entworfenen Abwesenheit die Sprache ins Mittel trete, um entweder als Substitut oder als Prototyp die 28 Möglichkeit der Gegenständlichkeit zu bewahren oder zu gewähren
das Ende der »Idee einer transzendentalen Semantik«.29 Und doch bleiben Punkte der Sichselbstgleichheit, Sinn-Atome30 bestehen, »Begriffsatome[n]«,31 welche die Deutungen diktieren und im schlechteren Fall an den Gedichten Schändungen vollziehen, im besseren selbst zuschanden gehen. Der Kern dieser Interpretationsweise ist nicht mehr, Zeugnis davon abzulegen, wo behutsam sich vortastende Interpretationen innehalten müssen; es ist ein Spiel der Deutungen, die produktiv, also auch zu Lasten ihrer selbst in Konflikt geraten. Man müßte sich hier ausführlich einem überaus interessanten Gedankengang widmen, der sich bei Kierkegaard findet. Jener schreibt dem Maieutiker den unerhörten Anspruch des Zeugen zu, der berichtet, was nicht jedem, noch keinem bekannt bestünde.32 Genau darum legt er Zeugnis davon ab, was er liest, aber erst recht davon, wo die Schrift verschwimmt. Daraus erklärt sich die Notiz: Das Dialektische daran, daß der Mitteiler sich selbst entgegenarbeiten muß.33
Selbst Ernsthaftigkeit des Ausdrucks ist dem, welcher nicht des Betrugs ums Ernste sich schuldig machen will, nicht gestattet, so deutet Kierkegaard an ...34 Man könnte an das Programm von Robert Schurz’ Negativer Hermeneutik, die sich nicht zuletzt an Szondi orientiert, denken: »Das Nicht-Verstehen ist dem Verstehen nicht äußerlich.«35 Es unterbleibt allerdings die dringliche Frage, ob 26 27
28 29 30 31 32 33 34 35
Vgl. auch Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 182 und passim. Thomas Pepper: Er, or, Borrowing from Peter to Pay Paul. Further Notes on Celan’s Translation of Shakespeare’s Sonnet 105. In: Word Traces. Readings of Paul Celan. Ed. by Aris Fioretos. Baltimore, London: The John Hopkins University Press 1994, S. 353–368, hier S. 354. Hamacher, Die Sekunde der Inversion (wie Kap. 2, Anm. 84), S. 82. Ebd. Vgl. Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 108. Derrida, Positionen (wie Kap. 2, Anm. 262), S. 156. Vgl. Søren Kierkegaard: Die Dialektik der ethischen und ethisch-religiösen Mitteilung. Hg. und übersetzt von Tim Hagemann. Bodenheim: Philo 1997., S. 24. Ebd., S. 29. Vgl. ebd., S. 78. Schurz, Negative Hermeneutik (wie Kap. 2, Anm. 32), S. 205.
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nicht der vagen Lesbarkeit zum Trotz eine Art Hermetik installiert werde, die sich vor allem dem Umstand verdankt, daß die Begriffe absolut gesetzt außerhalb des Spiels der Bedeutsamkeiten verbleiben.36 In Hamachers von Derrida gelobtem Essay Die Sekunde der Inversion37 wird diese Logik diskutiert – etwa, wenn die Überführung des Todes in Termini des Lebens überdacht wird, welche eine Karikatur des Todes schüfe, aus der als Negativ der Sensenmann höchstpersönlich vielleicht doch nicht abzulesen wäre38 –, sie ist aber auch am Werk. Sie ist – ein Rekurs auf Gesagtes ist unvermeidlich – es zunächst bei Celan: Celans Welt ist [...] eine der vollkommenen Schändlichkeit.39 40
Utopische Bilder können nur als inverse überwintern.
41
Radikale Kunst heute heißt soviel wie finstere, von der Grundfarbe schwarz.
Eine Begründung bleibt Adorno nicht schuldig: Echo versöhnt.42
Zumindest exekutiert (im zweifachen Wortsinn) es die Versöhnung nicht.43 Hamacher aber weist außerdem auf »die Haltlosigkeit der transzendentalen Formen unsres Vorstellens selber«44 hin, welche als Prinzip bei Celan »in den späten fünfziger und den sechziger Jahren«45 zusehends an Gewicht gewinnt.
36
37 38 39 40
41 42 43 44 45
Vgl. Michel Foucault: Der »Anti-Ödipus« – eine Einführung in eine neue Lebenskunst. Übersetzt von Hans-Joachim Metzger. In: ders., Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Übersetzt von Hans-Joachim Metzger u. a. Berlin: Merve 1978 (Internationaler Merve Diskurs; 77), S. 225–230, hier S. 225ff., vor allem 227ff.: »Verweigere den alten Kategorien des Negativen (Gesetz, Grenze, Kastration, Mangel, Lücke), die das westliche Denken so lange [...] geheiligt hat, die Gefolgschaft!« (Ebd., S. 229) Vgl. Derrida, Schibboleth (wie Kap. 3, Anm. 182), S. 137 (Anm.). Vgl. Hamacher, Die Sekunde der Inversion (wie Kap. 2, Anm. 84), S. 81ff. Ebd., S .88. Willem van Reijen: Konservative Rhetorik in der »Dialektik der Aufklärung«. In: Jenseits instrumenteller Vernunft. Kritische Studien zur Dialektik der Aufklärung. Hg. von Manfred Gangl und Gérard Raulet. Frankfurt a. M., Berlin, u. a.: Lang 1998 (Schriften zur politischen Kultur der Weimarer Republik; 3), S. 187–206, hier S. 206. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 65; vgl. auch Adorno: Ist die Kunst heiter? (wie Kap. 1, Anm. 11), S. 603ff. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 188; vgl. Mosés, »Wege, auf denen die Sprache stimmhaft wird« (wie Kap. 3, Anm. 320), S. 50. Vgl. Lyotard, Philosophie und Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens (wie Kap. 3, Anm. 321), S. 138. Hamacher, Die Sekunde der Inversion (wie Kap. 2, Anm. 84), S. 96. Ebd.; zu solcher Sprengung der Inversion vgl. Jaques Derrida: Feu la cendre. Paris: des femmes 1987, S. 30: »Inversion panique, sans limite« – ebd. (formuliert mit Glas); vgl. Derrida, Feuer und Asche (wie Kap. 3, Anm. 175), S. 32.
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Vom Nichts, vom »Tod gleichsam infiziert«46 sind die Worte des Gedichtes – und jene, die diese zu bestimmen trachten, die Absenz im Kern der angekränkelten Präsenz ist Symptom der Schwebe in der wechselseitigen Definition der Sinn-Atome, welche als solche nicht mehr bestehen können, und der Einschreibungen, des Fremden. Eine Sprache, die im Versagen sich noch des allzu beredten Negativs enthält, ist an Rose Ausländer bereits vorgeführt worden. Es ist jene Sprache, von der ausgehend eine ganze Poetik der Milch zu verfassen wäre: »Milk of mourning [Lait de deuil]«47 schreibt Derrida, man möchte fast nochmals in Assonanz zur black milk of morning (»Black milk of daybreak«48) gelangen ... Die Trostlosigkeit des Weißen, das Verschwinden der Spur im Weißen, die Fütterung von oder mit Weißem,49 man käme zu keinem Ende und zuletzt zum schon erwähnten Bild, worin in scheinbarer Prosa das Nächtige und warme Milch einander in der Schrift finden.50 Auch eine andere Flüssigkeit freilich könnte hier besprochen werden, jene des Blutes, das sich in einem eigenwillig ums Vergessen kreisenden Gedicht findet: Mich trösten kindliche Träume und manchmal ein bißchen Musik das Walzerblut ist schon geronnen die Mutter sagt Liebling 51 Vergiß ...
Jenes Vergessen, das lockt und droht, jene Erinnerung, die aufgegeben ist – dieses Oszillieren ist im Walzerblut, das noch hier, aber nicht mehr es selbst ist, wiedergegeben; Derrida schreibt in Circumfession: »a drop of blood, one date«52 ... Auch die Tränen müßte man hier schließlich nennen und in die Reihe dessen stellen, das Begriffe zum Zerfließen bringt ...53 46 47 48
49 50 51
52 53
Hamacher, Die Sekunde der Inversion (wie Kap. 2, Anm. 84), S. 96. Derrida, Glas (wie Kap. 3, Anm. 142), S. 201; vgl. ebd., passim Paul Celan: Death Fugue. Übersetzt von John Felstiner. In: Argumentum e silentio. International Paul Celan Symposium. Hg. von Amy D. Colin. Berlin, New York: de Gruyter 1987, S. 395–396, hier S. 395f.; vgl. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 41f. u. (wie Kap. 1, Anm. 3), Bd 3, S. 63f. Vgl. Mayröcker, Lection (wie Kap. 4, Anm. 867), S. 120. Vgl. ebd. , S. 224 Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 1, Anm. 4), Bd 7, S. 304; Änderungen in den Vorstufen betreffen das zuletzt isoliert gestellte vergiß der letzten Zeile und die kaum erklärungsbedürftige Ersetzung kindische / kindliche, auch die Teilung in drei Blöcke erfolgt nachträglich. Bennington / Derrida, Jacques Derrida (wie Kap. 2, Anm. 189), S. 250. Ebd., S. 309: »Lacrimae ergo amantur«; vgl. ebd., passim.
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Szondi versucht, diese »semantische Destabilisierung«54 zu zügeln, einzudämmen, welche in der Lyrik wenigstens der Gegenwart fast überall sich finden oder vermuten läßt; kurioserweise ist er trotz dieser Unstimmigkeit – Menninghaus etwa lobt Szondis traditionelle Betrachtungen, zeiht ihn aber der Unreflektiertheit oder Unausgegorenheit, wo er mit dem Begriff der lecture Derridas arbeitet55 – dem poetischen Ausdruck ungemein nahe. Während Adornos Interpretation sich auf die schwarze Mitte der Texte besinnt, während Derrida seine Texte ihre Praxis weiterführend zuletzt passagenweise als Spiel ohne den ungeheuren Einsatz des Gedenkens erscheinen läßt, gelingt Szondi gerade in seiner teils durchaus unstimmigen Position, das generelle Verrücken und die generelle Verrücktheit der Gedichte wie ihr sozusagen omnilatentes Zentrum, Auschwitz zu würdigen, eine Interpretation zu schaffen, die das Spiel u n d das Erhabene berücksichtigt. Derridas Text macht sich in der Arbeit an innerer – durch die Struktur bestimmter – und äußerer – durch die Referenzen diktierter – Sinnstiftung(en) der Kunst, die einander verschieben und dekonstruieren56, neben jenen Ästhetiken fast frivol57 aus, die ihre Gewichtigkeit von außen beziehen; das »Unbestimmte als Wunsch nach Präsenz [...] [,] das Erhabene«58 drängt in jenen, eine Mischung von »Melancholie«59 und »Mystik«.60 Eine Rebellion gegen »das Scheinhafte und Gewaltsame [...] traditioneller Sinn-Totalitäten«61 betreibt auch Derrida – nicht zuletzt, indem er zeigt, wie das nebulöse Draußen durch das Drinnen, das wiederum im Inbegriff des Integrierten, dem integrierenden Sinn und den Begriffen selbst noch voller supplementärer Einschlüsse, die es diktieren, ist, determiniert ist: Zu behaupten, daß es kein absolutes Text-Außerhalb gibt, heißt nicht, eine ideale Immanenz, die unablässige Wiederherstellung einer Selbstbeziehung der Schrift zu postulieren. Es geht nicht mehr um eine idealistische und theologische Operation, die nach Hegelscher Manier das Draußen des Diskurses, des Logos, des Begriffs, der Idee aussetzt und aufhebt. Der Text bejaht das Draußen, markiert die Grenze der spekulativen Operation, dekonstruiert und reduziert alle Prädikate, worüber die Spekulation sich das Draußen aneignet, auf »Effekte«. Wenn es nichts gibt außerhalb des Textes, so impli54 55 56
57 58 59 60 61
Hamacher, Die Sekunde der Inversion (wie Kap. 2, Anm. 84), S. 97. Vgl. Menninghaus, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 189), S. 258f. (Anm.); vgl. auch Pöggeler, Spur des Worts (wie Kap. 2, Anm. 30), S. 119. Vgl. Michael Wetzel: Referenz und Kontext. Randgänge einer »Pragrammatologie«. In: Textualität der Philosophie. Philosophie und Literatur. Hg. von Ludwig Nagl und Hugh J. Silverman. Wien, München: Oldenbourg 1994 (Wiener Reihe; 7), S. 205–217, hier S. 210: »doppelte[n] Dekonstruktion von Referenz und Kontext«. Vgl. ebd., S. 215. Derrida, Die Archäologie des Frivolen (Anm. 475), S. 95: »die frivole Kleinigkeit [...], die die Operation des Ersetzens mit Notwendigkeit produziert«. Aguado, Ästhetik des Erhabenen (wie Kap. 4, Anm. 503), S. 113. Ebd. Ebd. Wellmer, Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne (wie Kap. 2, Anm. 237), S. 103.
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ziert das zusammen mit der Umwandlung des Textbegriffs im allgemeinen, daß dieser eben nicht mehr das abgedichtete Drinnen einer Innerlichkeit oder einer Identität mit sich selbst sei (wiewohl das Motiv des »Draußen um jeden Preis« mitunter eine beruhigende Rolle spielen kann: ein gewisses Drinnen kann fürchterlich sein), sondern eine 62 andere Anbringung von Effekten der Öffnung und der Schließung.
Das bedeutet zunächst, daß Auschwitz nicht mehr als gewaltiger Schatten63 die Richtung der Worte bestimmt; es erinnert daran, daß jede Schrift Grund, sei’s begrifflicher, sei’s äußerer, widerlegt – nicht nur in Wortspielen, die rasch in logische Strukturen (oder: in logischen Strukturen) überführt sind.64 Der Schnitt und sein Material sind untrennbar und dem gegenseitigen Einfluß unterworfen, einem Spiel, das die idealen, nie präsenten Pole erst erscheinen läßt. Jede Deutung wird gehaltlos ohne das sie widerlegende Material; jedes Gedenken bleibt unverstümmelt stumm. Kunst, deren Verhältnis zum Leiden bei Adorno äußerst innig ist, ist somit, wie Adorno denn auch nicht unterschlägt, obschon sie das Leiden zeigt und beredt werden läßt, jenen Mächten verwandt, die es verschulden:65 Die Verfeinerung der Grausamkeit gehört zu den Quellen der Kunst.66
Derridas Thesen sind – sensibel, doch nicht sentimental, falls nicht auch diese Opposition sich verzehrt haben wird – eine Absage an das, was an Hoffnungen in den Deutungen anderer Interpreten gegeben ist; er läßt der Trauer schließlich, wo sie des Betrauerten noch verlustig gegangen ist, nicht einmal das Schwarz – eine Konstellation, worin freilich in ungeahnter Intensität Auschwitz zu wirken beginnt.67 Hamacher umschreibt folgendermaßen im Anschluß an Adorno und Szondi68 ein Trauern, dem Grund und Legitimität abhanden gekommen sind: Es ist deren Verdikten [...] hinzuzufügen, daß [...] der Grund des Gedichtes ein Abgrund, daß er nicht die Bedingung seiner Möglichkeit, sondern die seiner Unmöglichkeit ist und daß das Gedicht nur noch zu sprechen vermag, weil es sich der Unmöglichkeit seines Sprechens aussetzt. Es spricht nicht mehr die Sprache eines Geschlechts, das Grund, Zentrum, Ursprung, Vater und Mutter sein könnte, sondern es spricht, deradiziert, 62 63
64 65 66 67 68
Derrida, Dissemination (wie Kap. 3, Anm. 87), S. 43. Zum Wandel von Auschwitz im Übergang von adornianischen / lyotardschen Denkfiguren zu jenen Derridas vgl. Avital Ronell: Formen des Widerstreits. Übersetzt von Michael Scholl und Georg Christoph Tholen. In: Das Vergessen(e). Anamnesen des Undarstellbaren. Hg. von Elisabeth Weber und Georg Christoph Tholen. Wien: Turia + Kant 1997, S. 51–70, hier S. 53ff.; Habermas, der in meiner Arbeit fast eine Auslassung darstellt, wird in diesem Essay einer intelligenten Kritik unterzogen – vgl. ebd., S. 59 (auch Anm.!). Vgl. Welsch, Ästhetisches Denken (wie Kap. 2, Anm. 229), S. 51, der mit dem verunstalteten Slogan »München wird módern« (ebd.) ein immerhin amüsantes Beispiel gibt. Vgl. Adorno, Ästhetische Theorie (wie Kap. 1, Anm. 20), S. 80f. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd 11, S. 510. Vgl. Derrida, Schibboleth (wie Kap. 3, Anm. 182), S. 112. Vgl. Hamacher, Die Sekunde der Inversion (wie Kap. 2, Anm. 84), S. 105.
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dematernisiert, die des gemordeten. Deswegen wird ihm Auschwitz nicht zum historisch begrenzten Faktum, der Mord nicht zum unproblematischen Gegenstand seines Sprechens, sondern zum Vorwurf eines Fragens, das sich als unberedt und darin selbst von jenem Mord betroffen bekennt.69
Ohne »Grund, Zentrum, Ursprung«;70 ohne die reinen Ketten »Ursprung-LebenSüden-Sommer-Wärme-Leidenschaft-Akzentuierung-Vokal-Metapher-Gesang usw.«71 einerseits und andererseits »Niedergang-Krankheit-Tod-Norden-WinterKälte-Vernunft-Artikulation-Konsonant-Angemessenheit-Prosa-Schrift«72 ist diese Schrift, »sobald sie in den Prozeß des axiologischen und semantischen Austausches eintritt (und sie tut es immer)«73 ... Asche ist – als denkbar schlechter – ein guter Anhaltspunkt, die Differenzen von Derrida und Szondi oder auch Adorno zu beleuchten. Für den (Meta-) Grammatologen ist sie nicht völlig unlesbar; Szondi hingegen schreibt: Zwischen der Welt des Wortes [...] und der Welt der Asche [...] ist nichts als Gegensatz.74
Szondis Isolierung der Asche und des Dunkels aus allem Sinn erfolgt nicht grundlos.75 Derridas semantische Einbindung aber ist dieser gegenüber von größerer Stimmigkeit76, denn wie dargelegt sickern das Nichts, das Vergessen, die Leere und der Tod in die sich hybrid gerierenden Begrifflichkeiten, die dem Diktat dieser bedrohlichen Dezentrierungen, welche sie sinnstiftend zügeln wollen, was sie aber nur sehr bedingt zu tun vermögen, unterstehen.77 So ergibt sich die ungeheure Nähe von Sinn, Mangel, Blut und Asche (»sans, sens, sang [...] DRE«78), welche Derrida festhält. Asche ist weit mehr denn ein Heraustreten aus dem Territorium der Begriffe, welche in ihren Definitionen der philosophischen Traditionen gesichert scheinen; wollte man sehen, daß ein zuvor unphilosophisches Wort nun in jene zweifelhafte Ehre einer Inauguration käme, müßte man sagen: Das ist wahr und falsch.79
69 70 71 72 73 74 75
76 77 78 79
Ebd. Ebd. Derrida, Randgänge der Philosophie (wie Kap. 3, Anm. 66), S. 151. Ebd. Ebd., S. 213. Szondi, Schriften (wie Kap. 2, Anm. 96), Bd 2, S. 363. Vgl. Kimmich, Kalte Füße (wie Kap. 2, Anm. 154), S. 102, wo mit Lyotards Heidegger und »die Juden« das notwendig Rhetorische einer Integration der Asche und des Leids in die Vernunft untersucht wird. Trotz zunächst inkommensurabel scheinender Poetologien – vgl. Felka, Psychische Schrift (Anm. 336), S. 17. Vgl. auch Colin, Paul Celan (wie Kap. 1, Anm. 96), S. XXVI. Derrida, Feu la cendre (Anm. 577), S. 59 und Derrida, Feuer und Asche (wie Kap. 3, Anm. 175), S. 61. Derrida, Auslassungspunkte (wie Kap. 3, Anm. 775), S. 223; vgl. ebd., S. 222ff.
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Es geht vielmehr um »eine Neustrukturierung des philosophischen Diskurses«80 als »Philosophie der Asche«,81 welche zu lesen sich schon geraume Zeit anbietet. Was aber soll Asche sein? Das absolute Unglück – [...] Asche [...] ist das Verschwinden des Zeugen. Die Asche ist eine Zerstörung des Gedächtnisses. [...] Sobald man von der Asche spricht, sobald man über sie schreibt, [...] fährt man fort, die Asche selbst einzuäschern. [...] In der Asche ist alles vernichtet. Die Asche ist die Figur dessen, wovon nicht ein82 mal, gewissermaßen, Asche übrigbleibt. Nichts bleibt übrig. Alle die Namen, alle die mitverbrannten Namen. Soviel 83 zu segnende Asche. 84
Il y a la cendre, peut-être, mais une cendre n’est pas.
Diese Diskontinuität findet sich auch in der Rede von »the debris of [débris de]«85 ... Asche ist Impetus und Unterminierung, unhörbar, doch Lügen strafend, wer für sie zu sprechen sich anschickt. Der Dichter wird zum Sachwalter des Staubs.86
Hartnäckig hält sich auch das Gerücht, Gott sei (nicht, wie behauptet worden ist, tot, vielmehr:) leise.87 Alle Liebe ist hier vergeblich, und doch nur hier situiert: Die Liebe besteht vielleicht in der Über-benennung.88 Aber, frage ich mich: ist Schreibbarkeit gleich Lesbarkeit? 80 81 82 83
84
85 86 87 88
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89
Ebd., S. 223. Ebd. Ebd., S. 393ff. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 2, Anm. 43), Bd 1, S. 227; vgl. Jacques Derrida: Die Postkarte von Sokrates bis an Freud und jenseits. 1. Lieferung. Übersetzt von Hans-Joachim Metzger. Berlin: Brinkmann & Bose 1982, S. 53. Derrida, Schibboleth pour Paul Celan (wie Kap. 3, Anm. 776), S. 77; vgl. Derrida, Dissemination (wie Kap. 3, Anm. 87), S. 415 u. Derrida, Feuer und Asche (wie Kap. 3, Anm. 175), S. 23. Dies betrifft das Schreiben über Asche wie die Asche selbst: »Die Asche, das alte düstere Wort, dieses staubige Thema der Menschheit, das uralte Thema hatte sich von selbst aufgelöst; Metapher oder Metonymie ihrer selbst – so ist das Schicksal aller Asche, abgeschieden, aufgezehrt zu sein als Asche aus Asche.« (Ebd., S. 15) Derrida, Glas (wie Kap. 3, Anm. 142), S. 262. Böschenstein, Leuchttürme (wie Kap. 2, Anm. 208), S. 304. Vgl. 1 Kön 19·11–13a; einzig sinnvolle Anrufung abendländischer Tradition: »Einem unbekannten Gott.« (Apg 17·23) Derrida, Auslassungspunkte (wie Kap. 3, Anm. 775), S. 394; »Sur-nommer. Surnommer bedeutet ›einen Beinamen geben‹« (ebd., S. 427, Anm.); zur Erinnerung daran in poetischer Kryptik – vgl. ebd., S. 214. Friederike Mayröcker: Magische Blätter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1983 (Edition Suhrkamp; 1202), S. 28. Was es bedeutet, daß jene Nähe sich ergibt, sei dahingestellt – und
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(Du erinnerst Dich, daß ich Dir mal am Telephon gesagt hatte, wir sprachen, glaube ich, von Celan, laß mir dieses Wort in Ruhe, und Du hattest ja gesagt; was ich noch machen wollte mit ihm, indem ich mich nehmen oder durchdringen ließ, ich kann’s Dir nicht sagen [...])90
Diese Klammer, welche nach den Stilgesetzen Derridas gewiß nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist,91 ist reichlich befremdlich. Sie ist eine wichtige Ergänzung, da hier zunächst daran erinnert wird, daß Gedenken auch Vergessen und Lesen auch Übersehen meint: Aus Treue [...] hast Du aufbewahren wollen, bewahren, ich auch, und jetzt sind wir 92 alles los.
Die sorgsamste Bewahrung – zu erhalten etwa selbst »den Namen Gottes«93 – »weiht [...] der Vernichtung in der Asche«,94 was ihr anvertraut ward. Die Sprache, die immer ein Lesen bedeutet, »vergiftet«,95 das Opfer artikulieren wollend läßt man es in die Kümmerlichkeit des Restes zerfallen, der seiner Auslöschung mit jedem Zusatz an Integration, Vernünftigkeit und Ordnung zustrebt: Sprache – »man muß ihr noch sein eigenes Opfer opfern«.96 »Worüber man nicht sprechen kann, darüber muß man schreiben«,97 paraphrasiert Derrida in einem Interview Wittgenstein. Nur in der Lektüre ist es offensichtlich möglich, der Logik der Einschreibung zu entsprechen, die sich weder der begrifflichen Verstümmelung noch dem blinden Blick aufs Fremde zuneigt, sondern gewissermaßen einem Wort Glauben schenkt – »Mehrdeutigkeit ohne Maske«.98 Ein letztes Wort wäre zuletzt zu setzen, ein Punkt. Doch dieser Punkt ist einer Arbeit, die von ihrem Autor stets als erster Versuch gesehen worden ist, im Bewußtsein geschrieben wurde, daß Auschwitz ein Thema ist, unter dem einen bilanzierenden Strich zu ziehen immer verfrüht und voreilig bleiben wird, in einer ernstzunehmenden Poetik wie jener Rose Ausländers die Inferiorität der bannenden begrifflichen Kategorien deutlich und unüberwindbar ist, Adorno, Szondi und Derrida schließlich Denker sind, aus deren Theorien die Unmöglichkeit eines solchen finalen Punktes nicht die geringste zu ziehende Lehre ist, nicht vergönnt.
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auf McCorkle verwiesen, der fragt, ob (z. B. Lyrik) postmodern geschrieben oder gelesen werde. Vgl. James McCorkle: The Inscription of Postmodernism in Poetry. In: International Postmodernism. Theory and Literary Practice. Hg. von Hans Bertens und Douwe Fokkema. Amsterdam, Philadelphia: John Benjamins 1997 (A Comparative History of Literatures in European Languages; XI), S. 43–50, hier S. 43f. und 49. Derrida, Die Postkarte von Sokrates bis an Freud und jenseits (Anm. 83), S. 226. Vgl. Kofman, Derrida lesen (wie Kap. 3, Anm. 439), S. 97 und 102. Derrida, Die Postkarte von Sokrates bis an Freud und jenseits (Anm. 83), S. 32. Derrida, Schibboleth (wie Kap. 3, Anm. 182), S. 107. Ebd. Derrida, Die Postkarte von Sokrates bis an Freud und jenseits (Anm. 83), S. 270. Ebd. Jacques Derrida, zit. in Bettina Steiner: »Worüber man nicht sprechen kann ...« In: Die Presse, 23. Juni 1995, S. 23 Paul Celan, zit. in: Huppert, »Spirituell« (wie Kap. 1, Anm. 106), S. 321.
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Aus einer Hoffnung, welche mit der messianischen Struktur99 von Sprache verbunden ist, entspringt der Impetus perpetuierten Schreibens, das zunächst von der Hoffnung getragen ist und zehrt, ein begriffliches Denken könne jene Wundmale seines Scheiterns, die sonst sein Gegenstand trägt, in sich aufnehmen. Fürs Denken wird Schrift Hieroglyphe und immer mehr Präsenz dessen, wofür sie steht, indem sie auch Statthalterschaft dessen wahrnimmt, was sie zu verlieren droht: Deconstruction is a passion and a prayer for the impossible, a defense of the impossible against its critics, a plea for / to the experience of the impossible, which is the 100 only real experience. deconstruction is a matter of buts101
Könnte man derlei nicht auch von Adorno oder Szondi schreiben? Ist nicht auch bei ihnen jenes, wovon geschrieben wird, auch, woran geschrieben wird?102 Doch Derrida ist der hierin desillusionierte Denker, der nüchtern genug, von der Permanenz eines bestimmten Rauschs auszugehen, schreibt, um zuletzt zu zeigen, daß, worauf gewartet wird, immer schon, doch nie vollends eingetreten ist. Indem Schrift beständig generiert, was sie bewahrt und ihr sich selbst abverlangt, wird sie zum Ort jener Wahrheit, die nicht zur Verzerrung vorgeblichen Wiederholens von heiligen Worten verkommt. Lüge wird Synonym einer Mißachtung der Verpflichtung von Stil und Philologie. Hobson etabliert sehr überzeugend eine Kette, die »eidos« – »adequatio« – »minimal idealization«103 entgegengestellt »writing« »aletheia«, »restance non-présente«104 werden läßt. Iterability [...] is a process [...] of change – [...] »iter«, again, and »alter«, other, are [...] related.105
Darum ist jener Punkt nicht zu setzen, der auf ein wiederholbares, in sich konsistentes, stilistisch oder philologisch zu verantwortendes letztes Wort verpflichtete, das zum Machtwort sogleich geronnen sein müßte. Der Wille zum System ist ein Mangel an Rechtschaffenheit.106
Ich wähle gebührlicher darum als Abschluß, der seinem Prinzip ein Schnippchen schlägt, ein »Fragezeichen für Solche, die Antwort haben«,107 eine Art
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Vgl. Hobson, Jacques Derrida (Anm. 479), S. 245 (Anm.). Caputo, The Prayers and Tears of Jacques Derrida (wie Kap. 4, Anm. 87), S. XX. Ebd., S. 94. Vgl. ebd., S. 38 u. 289; daher die Furcht, es im gebündelten Licht zu verbrennen – vgl. ebd., S. 103. Hobson, Jacques Derrida (Anm. 479), S. 68, 73 u. 100. Ebd. Ebd., S. 99. Nietzsche, Sämtliche Werke (wie Kap. 1, Anm. 128), Bd VI, S. 63. Ebd., S. 393; vgl. auch Jean-François Lyotard: The Sublime and the Avant-Garde. Übersetzt von Lisa Liebmann u. a. In: The Lyotard Reader. Hg. von Andrew Ben-
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von Fragezeichen, das Adorno insofern verpflichtet ist, als er in Ad Klage Fausti von der »Idee, daß das fragend Negative als Allegorie der Hoffnung steht«,108 schreibt; ein Fragezeichen, das auch gedeckt ist durch das Attribut, das sich Rose Ausländer selbst wählt, um es zu werden, wenn sie schreibt, sie sei nicht Punkt, sondern eben jenes;109 ein Fragezeichen, wie es auf diesem Terrain jede Arbeit abschließen müßte, angesichts der Rätsel Rose Ausländers sowie der nicht geringen Last der damit verbundenen Krisen des Denkens ist mehr schwerlich zu verantworten; ein Fragezeichen, das sich somit zuletzt Imperativ wird: Es »sind / noch Lieder zu singen jenseits / der Menschen«,110 bleibt viel zu schreiben111 – »ins Ungewisse, nicht ins Ungefähre«.112 Auch wenn mittlerweile neue Wege des Denkens in der Rose AusländerForschung beschritten wurden (einige der Impulse faßt mein Essay »Ein Résumé – zu Rose Ausländers unrundem Geburtstag« zusammen113), bleibt es dennoch bei der Frage: Kann etwas anderes als das Schreiben – auch als Nachhall der Dignität jener philosophischen Nomenklatur, die enden zu können vermeinte – bleiben ...?
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jamin. Oxford, Cambridge: Basil Blackwell 1989, S. 196–211, hier S. 197: »a question mark »before« [...] a question.« Adorno, zit. in: Tiedemann, »Mitdichtende Einfühlung« (wie Kap. 4, Anm. 519), S. 27. Vgl. Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden (wie Kap. 2, Anm. 200), Bd 5, S. 132. Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden (wie Kap. 1, Anm. 174), Bd 2, S. 26; vgl. zum hier bedingten Einklang zwischen Rose Ausländer und Paul Celan Weißenberger, Paul Celans hermetische Dichtung – immanente Transzendenz eines extremen Wirklichkeitsbezugs (wie Kap. 3, Anm. 229), S. 1321f. »Diese Lichtgeburt / im Wimpernschoß // Lippen / ja / es bleibt noch / viel zu sagen« (Ausländer, Gesammelte Werke in 8 Bänden [wie Kap. 1, Anm. 123], Bd 4, S. 111; vgl. auch ebd., S. 13) aus in meiner Dissertation konturierten Gründen habe ich den Begriff der Schrift hier eingeführt: »Der gesagte Logos hat das letzte Wort, das allen Sinn beherrscht« (Lévinas, Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht [wie Kap. 3, Anm. 293], S. 366) und sich durch die Praxis der Schrift, welche diesen Umstand nicht vergessen läßt, als in seinem Wesen diskreditiert, wo er das Resultat nennt, gleichsam selbst durchstreicht; Schrift bewahrt eine unkalkulierbare »Nicht-Indifferenz für den Anderen – die Philosophie: Weisheit der Liebe« (ebd., S. 353), Liebe der Weisheit der Liebe ... Vgl. auch Steiner, »Worüber man nicht sprechen kann...« (Anm. 629), S. 23. Hans Thill: 33 intime Maximen zur Verbesserung der Poesie. In: Das verlorene Alphabet. Deutschsprachige Lyrik der neunziger Jahre. Hg. von Michael Braun und Hans Thill. Heidelberg: Verlag Das Wunderhorn 1998, S. 213–217, hier S. 216; vgl. Jabès, Die Schrift der Wüste (wie Kap. 3, Anm. 1041), S. 175. Martin A. Hainz: Ein Resumé – zu Rose Ausländers unrundem Geburtstag. In: Stundenwechsel. Neue Lektüren zu Rose Ausländer, Paul Celan, Alfred Margul-Sperber und Immanuel Weißglas. Hg. von Andrei Corbea-Hoisie, George Guţu und Martin A. Hainz. Iaşi u. a.: Editura Universitǎţii »Al. I. Cuza« u. a. 2002 (Jassyer Beiträge zur Germanistik; IX / GGR-Beiträge zur Germanistik; IX), S. 461–467, passim.
Literaturverzeichnis
Dem Literaturverzeichnis voranzustellen ist, daß es – wie vorliegende Arbeit insgesamt – wesentlich im Jahr 2000 abgeschlossen wurde. Darum seien hier kurz die Wege skizziert, welche die Rose Ausländer-Forschung seitdem nahm; dies ist umso dringlicher vonnöten, da ins Jahr 2001 die Feiern und Symposien zum hundertsten Geburtstag der Lyrikerin fielen. Auch sei der Bibliographie ein Abriß dessen vorangestellt, was sich als Problem innerhalb der Rose Ausländer-Forschung herauskristallisierte. Bei der Edition der Gedichte, deren stark schwankende Qualität bekannt ist, läßt sich zunächst feststellen, daß von den Maßstäben philologischer Gründlichkeit nicht ausgegangen werden kann, die bei einer Gesamtausgabe vorauszusetzen man geneigt ist; ich gehe auf dieses Problem und den Umstand, daß hier auch Mißverständnisse bestehen, in meinen Bemerkungen zum Nachlaß ein.1 Das Bemühen um Verbesserung ist mit Sicherheit zu erkennen; schon im abschließenden Band der ersten Ausgabe sind Revisionen verzeichnet, auch beim Schritt zur Taschenbuch-Edition wurde ergänzt, was etwa an englischsprachigen Texten zunächst unberücksichtigt geblieben war. Deutlich wird dies auf den ersten Blick bei den Divergenzen in der Numerierung gleichnamiger Gedichte. Hinzu kommt, daß eine historisch-kritische Ausgabe erscheinen soll, wie schon eingangs erwähnt wurde. Auf eine Darstellung jener Werkstatt Lyrik zielten einige Beiträge des Symposions »Wörter stellen mir nach / Ich stelle sie vor« (Ludwigsburg und Marbach, 4.–6. Februar 2001) – der Arbeitskreis zur Arbeit an der Textgenese umfaßte Maria Ivanitzka, Maria Kłańska, Leslie Morris und meine Wenigkeit. Ich habe in meiner Arbeit, soweit dies möglich war, der gebundenen Ausgabe den Vorzug gegeben, in der ich mich eher heimisch fühle – freilich wurde, wo etwa Fehler und Lücken dies nahe legen, der Griff zum Taschenbuch nicht gescheut. Da beide Editionen mit einem Gesamtindex versehen sind, dürfte es demjenigen, der sich auf die neue Ausgabe beschränkt, nicht schwer fallen, die zitierten Passage auch dort ausfindig zu machen. Gänzlich aus den Bänden The 1
Vgl. ferner Sabine Werner-Birkenbach: »Durch Zeitgeräusch wandern von Stimme zu Stimme …«. Die Lyrikerin Rose Ausländer. In: German Life and Letters XLV/4 (Oktober 1992), S. 345–357, hier S.355ff. und Jürgen P. Wallmann: Träumer der wahren Wirklichkeit. In: Rheinische Post, 28. Mai 1988; vgl. Rainer Hoffmann: Auf einer Luftschaukel. Ausstellung zum Leben Rose Ausländers in Düsseldorf. In: Neue Zürcher Zeitung, Nr 82, 7. April 1995, S. 34.
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Forbidden Tree und Schattenwald zitiere ich Englischsprachiges, mag es auch teils in den Gesammelten Werken in 8 Bänden vorliegen.2 Was meine Forschungen anbetrifft, sei vorweg festgehalten, daß jedes derartige Unterfangen auch eine Wendung gegen nichtsdestotrotz achtbare Leistungen Früherer ist – wortwörtlich ist jedes Projekt Vorwurf.3 Zur Sekundärliteratur ist so vom schon beklagten Kitsch einmal abgesehen, der sich darin findet, festzuhalten, daß ein großer Teil des Verfaßten in Zeitungsredaktionen entstand – in der Gründlichkeit, die man somit befürchtet. Freilich sind auch seriöse Arbeiten vor Fehlern und schlicht Unangemessenem nicht gefeit, wie Murray G. Hall in Eine Literaturgeschichte Österreichs an einer der von mir konsultierten Studien mit Nachdruck darlegt.4 Solche Fehlerlisten könnte man auch den meisten anderen Arbeiten auf dem Terrain meiner Studie wohl beifügen – und sei’s, da manche Darstellung eine Präzision in Zahlen vorgibt, die schlicht nicht zu leisten ist. Aber auch im Bereich der Begriffsbildung und grundlegender poetologischer Probleme ist vielerlei zu beklagen – ich denke hier unter anderem an jene Passagen, in denen Rose Ausländer einer spätromantischen Poetik geziehen wird, was ich in der Auseinandersetzung mit diesem Einwand zunächst als das, was gemeint sein mag, lese, also als eine Romantik im Sinne dessen, was Benjamin »Traumkitsch« hieß: Es träumt sich nicht mehr recht von der blauen Blume. Wer heut als Heinrich von Ofterdingen erwacht, muß verschlafen haben.5
Freilich gibt es dennoch viele Publikationen, die zu lesen sich lohnt, wovon nicht zuletzt meine Konsultationen mancher Studien zeugen – und die Zahl dieser qualitativ befriedigenderen Arbeiten wächst. Hierbei ist zuallererst die Frage deutlicher gestellt worden, ob nicht in der Vergangenheit manche Gedichte den Rose Ausländer-Freunden gleicher als andere sind, daß die Dichterin, indem sie immer mehr Leser findet, unkenntlich statt kenntlich wird, da es beispielsweise nicht die polemischen Texte sind, die ins Zentrum des Interesses rückten. Ebenso marginalisiert und unterschätzt war das Frühwerk Rose Ausländers – wogegen Guţus Befund, wonach die »moderne«6 Prägung schon der Verse des Regenbogens betont werden solle, 2
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Vgl. Rose Ausländer: Gesammelte Werke in 8 Bänden. Hg. von Helmut Braun. Bd 1: Die Erde war ein atlasweißes Feld. Gedichte 1927–1956. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1985, S.321ff. Vgl. auch Hans-Dieter Bahr: Tropisches Denken. Entwürfe phänomenologischer Landschaften. Wien: Turia + Kant 1994, S.7 und 179ff. Vgl. Murray G. Hall: Eine Literaturgeschichte Österreichs. Erste unvollständige Fehlerliste. In: Literatur und Kritik (November 1996), H. 309/310: Blumenstrauß, S. 83–85. Walter Benjamin: Gesammelte Schriften. Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann u. a. Bd II·2: Aufsätze, Essays, Vorträge. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1977 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 932), S. 620. George Guţu: »… aus dem Traum … reißt mich diese dürre Wirklichkeit.« Zu Rose Ausländers früher Lyrik. In: »Gebt unseren Worten / nicht euren Sinn«. Rose Aus-
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sehr zu begrüßen ist. Ein anderes Randthema sind die englischen Texte und Übersetzungsarbeiten Rose Ausländers; wie sehr dies zu Unrecht der Fall ist, zeigen unter anderem die von Helmut Braun und mir unter dem Titel Lunovis ips’ albumst edierten Morgenstern-Übertragungen, die ich mit einem umfangreichen Kommentar versehen habe. Als einen weiteren entscheidenden Schritt möchte ich die zunehmend differenzierte Darstellung des Kontextes bezeichnen, was auch heißt: die zunehmend präzise Darstellung dessen, was Czernowitz und die Bukowina gewesen seien. Diese Frage ist schon vor dem Gedenkjahr natürlich gestellt und beantwortet worden. Vielbeachtet war etwa ein provozierender wie luzider Vortrag Menninghaus’, den jener im Sommer 1998 in Czernowitz hielt.7 Unter dem Titel »Deutschsprachige Judendichtung« aus Czernowitz trug Corbea-Hoisie beim Paul Celan-Symposion Wien 2000 hierzu Überlegungen vor, eine der besten Einführungen ins Thema, was Czernowitz (gewesen) sei, findet sich als Vorwort zum Jüdischen Städtebild zur bukowinischen Kapitale.8 Klaus Werner hat einige geradezu klassische Texte zum Thema verfaßt und jüngst in dem Aufsatz »Waren die Bukowina und Galizien ›inter‹kulturell?« seine Thesen überaus pointiert zusammengefaßt.9 Zweifelsohne ein zentrales Thema der Rose Ausländer-Forschung wurde die Erkundung der Textgenese. Innerhalb des erwähnten Arbeitskreises zur Textgenese befaßten sich Maria Ivanitzka, Maria Kłańska, Leslie Morris und ich mit den aus den Vorstufen abzuleitenden Fragen der Poetologie und (wenigstens implizit) einer möglichen historisch-kritischen Edition. Die Essays hierzu finden sich sämtlich im Symposienband »Wörter stellen mir nach / Ich stelle sie vor« (Baltmannsweiler 2002). Nicht unwichtig ist die Arbeit an einigen zentralen Motiven der Poesie Rose Ausländers; Engel, Asche, Mutter und Heimat wurden hier unter anderem bedacht. Den Engeln – in literarischer Hyperbolik unzählige zu heißen – widmete sich unter anderem Maria Kłańska.10 Einen besonders auffälligen Engel dis-
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länder Symposion Düsseldorf 2001. Hg. von Walter Engel und Helmut Braun. Köln: Rose Ausländer-Stiftung 2001 (Schriftenreihe der Rose Ausländer-Stiftung; 11), S. 49–76, hier S. 57. Vgl. Winfried Menninghaus: »Czernowitz/Bukowina« als literarischer Topos deutschjüdischer Geschichte und Literatur. In: Merkur 600 (März/April 1999), S. 345–357, passim Vgl. Andrei Corbea-Hoisie: Czernowitz. Bilder einer jüdischen Geschichte. In: Czernowitz. Jüdisches Städtebild. Hg. von Andrei Corbea-Hoisie. Frankfurt a. M.: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 1998, S. 7–26. Vgl. Klaus Werner: Waren die Bukowina und Galizien »inter«kulturell? Anmerkungen zu einer Debatte. In: Literatur und Kritik 353·354 (Mai 2001): Drei Orte in Europa, S. 39–51. Vgl. Maria Kłańska: »Ausgestorbene Wesen / Engel«. Zum Motiv des Engels in der Lyrik Rose Ausländers. In: Stundenwechsel. Neue Lektüren zu Rose Ausländer, Paul Celan, Alfred Margul-Sperber und Immanuel Weißglas. Hg. von Andrei Corbea-
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kutierte Klaus Werner. Sein Düsseldorfer Vortrag begibt sich – am Motiv des Engels der Geschichte sich entlangbewegend – tatsächlich in das Herz der Dichtung Rose Ausländers. Dieser Janusengel gleicht dem Engel der Geschichte, wie Benjamin ihn dachte; der ist Ausdruck eines »Fortschritt[s] in Anführungszeichen«,11 wie Werner annotiert.12 Das zweite Motiv ist jenes der Asche. Asche ist, was – etwa in Bis an den Nagelmond – zu Herzen geht; sie geht zu Herzen, so die These, die ich auf dem Wiener Paul Celan-Symposion 2000 an Paul Celan und Rose Ausländer entwickelte, weil sie ihr Unwesen als Unwesentliches treibt.13 Eine ganze Ästhetik des uneinklagbaren Verlusts, aber auch biblische Implikationen schließen an die Asche an – dem zweiten Aspekt widmete sich Jacques Lajarrige höchst lesenswert.14 Mutter und Heimat sind zwei der Motive, an denen sich diese Aschen-Trauer, die gegen sich selbst zu polemisieren nicht vermeiden kann, entfacht. Der Ambivalenz der Mutter spürte in Berlin Maria Kłańska nach, wobei sie auch betonte, daß der oftmals zu leicht unternommene Schritt vom lyrischen Ich und dessen Muttergestalt zu Rose Ausländer und deren Mutter, so schwierig sich auch diese Beziehung gestaltete, mehr als fragwürdig ist – Katharina Scherzer ob der Obsession ihrer Tochter für die Mutter, die so vieles sein konnte oder aber sein müßte, nicht die von manchem aus den Versen gelesene Rabenmutter war. Dem Motiv der Heimat als einem hartnäckig rekurrenten widmete sich in Wien Leonard Olschner in seinem Essay »›Heimathungrig‹ – Überlegungen zu einem hartnäckigen Motiv bei Rose Ausländer«; seine These lautet, daß, wer von Heimat spricht, Heimat als vorsprachlichen Bezug schon verloren haben muß, zumal im Falle dessen, der es so nachgerade besessen wie Rose Ausländer tut. Die Heimat ist dann ein Datum – das aber an seine Sprache gebunden bleiben mag: »Hervorkehren privater Ablagerungen«15… Es wäre all dies breiter auszuführen – und auf eine Vielzahl weiterer Studien und Essays hinzuweisen. Hochkarätig besetzte Symposien in Berlin, Bu-
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Hoisie, George Guţu und Martin A. Hainz. Iaşi, Konstanz, Bucureşti: Editura Universitatii »Al. I. Cuza«: Hartung-Gorre Verlag, Editura Paideia 2002 (Jassyer Beiträge zur Germanistik IX – GGR-Beiträge zur Germanistik; IX), S. 94–109. Klaus Werner: Im Zeichen der Ambivalenz. Rose Ausländers »Engel der Geschichte«. In: »Gebt unseren Worten / nicht euren Sinn«. Rose Ausländer Symposion (Anm. 6), S. 7–30, hier S. 12. Vgl. auch Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte. In: ders., Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann u. a. Bd I: Abhandlungen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 931), Bd I.2, S. 691–704, hier S. 697f. Vgl. Martin A. Hainz: Schrift der Hinfälligkeit. In: Unverloren. Trotz allem. Paul Celan-Symposion Wien 2000. Hg. von Hubert Gaisbauer, Bernhard Hain und Erika Schuster. Wien: Mandelbaum 2000, S. 206–242, passim. Vgl. Jacques Lajarrige: Auferstehung aus der Asche. Zu einem Leitmotiv in der Lyrik Rose Ausländers. In: Stundenwechsel (Anm. 10), S. 110–126. Leonard Moore Olschner: Der feste Buchstab. Erläuterungen zu Paul Celans Gedichtübertragungen. Göttingen, Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht 1985, S. 46; vgl. ebd., S. 45f.
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karest, Czernowitz, Düsseldorf, Ludwigsburg, Marbach und Wien, um nur einige zu nennen, wären wiederzugeben. Es ist mir in der gebotenen Kürze nur möglich, auf bestehende Berichte hinzuweisen.16 Zur Einsicht in wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit dem Œuvre Rose Ausländers befassen, muß man sich in manchen Fällen nach Köln bemühen, wo manche nicht veröffentlichte Arbeit aufliegt. Kaum nötig ist dies freilich bei der Literatur, die Lyrik nach Auschwitz behandelt; auch die Arbeiten zu Szondi, vor allem aber Adorno und Derrida sind unüberblickbar; einen Eindruck vermittelt die Derrida-Bibliographie von 36 Seiten in Benningtons und Derridas Jacques Derrida.17 Verwiesen sei noch auf Bibliographien, die – neben den bekannten Werken (etwa Germanistik. Internationales Referatenorgan mit bibliographischen Hinweisen) – als exzellente Quellen bei der Arbeit mit der Lyrik von Rose Ausländer dienten: Bohrer, Christiane: Paul Celan-Bibliographie. Frankfurt a. M., Paris, New York: Lang 1989 (Literaturhistorische Untersuchungen; 14). Glenn, Jerry: Paul Celan. Eine Bibliographie. Wiesbaden: Harrassowitz 1989 (Studien der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund; 5).
Die Arbeit von Glenn ist in diesem Feld kontinuierlich. Inzwischen findet sich im Internet die Fortführung Paul Celan: Die zweite Bibliographie.18 Auch zu Rose Ausländer selbst ist demnächst eine Bibliographie im Internet abrufbar.19 Abschließend sei darauf hingewiesen, daß die Genauigkeit und Vollständigkeit der Angaben meiner Bibliographie den Standards der benutzten Archive entspricht.
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Vgl. Martin A. Hainz: Von Ghettomotiven und ihrem Ungenügen. Zur Gedichtwerkstatt »In Memoriam Paul Celan«. In: »Wörter stellen mir nach / Ich stelle sie vor«. Dokumentation des Ludwigsburger Symposiums 100 Jahre Rose Ausländer. Hg. von Michael Gans, Roland Jost und Harald Vogel. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2002 (Ludwigsburger Hochschulschriften; 23), S. 93–101 und ders., Ein Résumé – zu Rose Ausländers unrundem Geburtstag. In: Stundenwechsel (Anm. 10), S. 461–467. Vgl. Geoffrey Bennington / Jacques Derrida: Jacques Derrida. Übersetzt von Geoffrey Bennington. Chicago, London: The University of Chicago Press 1993 (Religion and Postmodernism), S. 373ff. Unter der Adresse: http://polyglot.lss.wisc.edu/german/celan/biblio2/biblio.html. Geplant – unter der Adresse: www.roseauslaender-stiftung.de.
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Literaturverzeichnis
Schriften Rose Ausländers Rose Ausländer: Die Nacht hat zahllose Augen. Prosa. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1995 (Fischer-Taschenbücher; 11165). – Gesammelte Werke in sieben Bänden und einem Nachtragsband mit dem Gesamtregister. Hg. von Helmut Braun. Bd 1: Die Erde war ein atlasweißes Feld. Gedichte 1927–1956. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1985. Bd 2: Die Sichel mäht die Zeit zu Heu. Gedichte 1957–1965. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1985. Bd 3: Hügel aus Äther unwiderruflich. Gedichte und Prosa 1966–1975. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1984. Bd 4: Im Aschenregen die Spur deines Namens. Gedichte und Prosa 1976. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1984. Bd 5: Ich höre das Herz des Oleanders. Gedichte 1977–1979. 2. Aufl., Frankfurt a. M.: S. Fischer 1984. Bd 6: Wieder ein Tag aus Glut und Wind. Gedichte 1980–1982. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1986. Bd 7: Und preise die kühlende Liebe der Luft. Gedichte 1983–1987. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1988. Bd 8: Jeder Tropfen ein Tag. Gedichte aus dem Nachlaß. Gesamtregister. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1990. – »Ich wohne nicht, ich lebe« – Rose Ausländer. Red. von Paul Assall. Sendung Südwestfunk Baden-Baden, 1. Januar 1978, Typoskript. – Es bleibt noch viel zu sagen. Rose Ausländer liest eigene Gedichte. Köln: Rose Ausländer – Stiftung o. J. – / Ursula Ratjen / Wolfgang Ratjen: Meine liebe Frau Ratjen … Grüße auch an Wolfi. Briefwechsel. Hg. von der Rose Ausländer-Stiftung. Köln: Rose AusländerStiftung 1997 (Schriftenreihe der Rose Ausländer-Stiftung; 8). – Notizen zur Situation des alternden Schriftstellers. In: Rose Ausländer. Materialien zu Leben und Werk. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1997 (Fischer-Taschenbücher; 6498 – Informationen und Materialien zur Literatur), S. 64–68. – Phaidros. In: Rose Ausländer. Materialien zu Leben und Werk. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1997 (Fischer-Taschenbücher; 6498 – Informationen und Materialien zur Literatur), S. 37–57. – Phönixzeit / час Фенікса. Ausgewählte Gedichte. Übersetzt von Peter Rychlo. Czernowitz: Molodyj Bukowynez 1998. – Rose Ausländer lesen. Lesewege – Lesezeichen zum literarischen Werk. Hg. von Harald Vogel und Michael Gans. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 1997 (Leseportraits; 2). – Schattenwald. Gedichte. Gesamtregister. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1995 (Fischer-Taschenbücher; 11166). – Selected Poems. Übersetzt von Ewald Osers. London: London Magazine Editions 1977. – The Forbidden Tree. Englische Gedichte. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1995 (Fischer-Taschenbücher; 11153). – Zum 28. August 1943. In: Rose Ausländer. Materialien zu Leben und Werk. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1997 (Fischer-Taschenbücher; 6498 – Informationen und Materialien zur Literatur), S. 61–63.
Schriften und Nachlaß Rose Ausländers
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– Zur Spinoza-Festschrift. In: Rose Ausländer. Materialien zu Leben und Werk. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1997 (FischerTaschenbücher; 6498 – Informationen und Materialien zur Literatur), S. 58–60.
Nachlaß Rose Ausländers Der Nachlaß Rose Ausländers befindet sich nahezu ausnahmslos im HeinrichHeine-Institut in Düsseldorf;1 wo weitere Angaben fehlen, nehme ich auf diese Bestände Bezug, die sich durch Kataloge mittlerweile einigermaßen rasch erschließen lassen, eine EDV-Erfassung der Texte ist außerdem in Ludwigsburg im Gange. Die Zahl vorhandener Varianten und Vorstufen zu Veröffentlichtem schwankt naturgemäß stark; hinzukommt die serielle Arbeit der Dichterin, Xerokopien parallel fort gesponnen zu haben, wobei zuweilen die gleiche Wieterentwicklung dann auf verschiedenen Bögen die Zahl der Varianten größer, als dies der Fall ist, scheinen läßt. Der Betrachtung der Genese, so sei an dieser Stelle erwähnt, zielt natürlich nicht aufs unbewußt-unverdeckte Original, einen solchen Ursprungsort des Schöpfungsakts zu suchen fußte auf falscher Erwartung. Es ist nicht uninteressant, daß sich gerade früh entstandene Achsen in dieser Lyrik oft in den Gedichtbänden ausmachen lassen, da Rose Ausländer eher beim ersten Einfall denn in der zuweilen etwas leger erscheinenden Ausarbeitungen gelingt, was die Qualität ihres Dichtens ausmacht. Ihrem Talent für Metaphern ist nicht so sehr beigesellt, wovon Valéry wie von einer via regia zum geglückten Poem spricht: Jeder Dichter wird schließlich soviel taugen, wie er als Kritiker (seiner selbst) getaugt hat.2 1
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Weitere Schriftstücke finden sich u. a. bei Helmut Braun sowie im Margul-SperberNachlaß in Bukarest (vgl. auch George Guţu: Eine Oase rumäniendeutscher Literatur: Der Alfred-Margul-Sperber-Nachlaß in Bukarest. In: Wortreiche Landschaft. Deutsche Literatur aus Rumänien – Siebenbürgen, Banat, Bukowina. Ein Überblick vom 12. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Hg. von Renate Florstedt. Leipzig: BlickPunktBuch 1998, S. 201–205, hier S. 202), ferner im Bukarester Archiv des Zentrums für die Erforschung der Geschichte der Juden in Rumänien, woraus George Guţu in den Jassyer Beiträgen (Bd IX) Briefe Rose Ausländers an Alfred Kittner aus den 70er Jahren publizierte. Paul Valéry: Windstriche. Aufzeichnungen und Aphorismen. Übersetzt von Bernhard Böschenstein, Hans Staub und Peter Szondi. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995 (Bibliothek Suhrkamp; 1172), S. 107; die Poetologie Rose Ausländers ist schwer zu bestimmen, da Zeugnisse rar sind und sich als unstimmig erweisen – da ist der nicht unreflektierte Text zu Rhetorik und Wahrheit, die in Dialektik einander begegnen (vgl. Rose Ausländer: Phaidros. In: Rose Ausländer. Materialien zu Leben und Werk. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1997 [FischerTaschenbücher; 6498 – Informationen und Materialien zur Literatur], S. 37–57, hier S. 50), da ist ein an Celan teils naive Fragen stellender Brief, der hier kurz wiedergegeben sei: »Was Sie ueber das Schoene und Wahre in der Dichtung sagten, hat mir viel zu denken gegeben. […] Aber sind die Grenzen hier, im Raum der Kunst, denn
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Verwiesen sei auf den ablehnenden Brief des Verlags Die Fackel, worin »Spuren einer starken Sprachbegabung« »neben vielem Ungestalteten«3 gesehen werden, was als Charakterisierung auch späterer Gedichte zuweilen brauchbar erschiene. Öfters scheint die erste Variante eines Poems der Lyrikerin bereits druckreif. Verteidigend ist die Bemerkung von Amy D. Colin anzufügen, daß die Dichterin sehr früh in die Rolle derer gedrängt wurde, die – »totally incompetent and even incapable of proofreading her own texts«4 – gar nicht die Möglichkeit hatte, sich der Qualität ihrer Verse jenseits der väterlich vorgetragenen »›bitter pills‹ of criticism«5 zu versichern. Um eine Zusammenfassung von Erkenntnissen aus dem Nachlaß bemüht, müßte man ansonsten sagen: Überschriften sind meist nachträglich gesetzt; man könnte auch die These vertreten, sie seien oftmals Schwachstellen der Poeme – im Spätwerk entfallen sie bekanntlich. In einigen Gedichtbänden sind die Titel von den Herausgebern gewählt. Da die Herausgeber zuweilen sogar die Komposition der Gedichtbände übernahmen, ist es auch auf diesem Terrain einigermaßen heikel, allzu weitreichende Schlüsse zu wagen. Durch verschiedene Umstände, darunter ihr mehrfaches Aufsteigen zu Bekanntschaft, das sich aus den zahllosen Zäsuren ihrer Vita ergibt, sind Entstehungs- und Veröffentlichungszeit einander oft fern, generell ist ja zu sagen, daß »Nicht-Einrichtung […] das Stigma dieser Biographie«6 ist; da die nachgelassenen Schriften überdies kaum einmal datiert sind, können nur Ereignisse und
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scharf gezogen? Ist nicht in jedem Kunstwerk eine […] Verstrickung beider Elemente zu finden? […] Ich glaube Ihren Einwand zu hoeren, daß in der Gegenwartskunst […] die Trennung von Wahrheit und Schoenheit bewusst vorgenommen wird. Ich aber glaube, daß der Schoenheitsbegriff nur verschoben, nicht aufgehoben wurde. Ich finde, daß wir ein Kunstwerk als Erleuchtung, ja als Wunder erleben, eben weil es viele Assoziationen, nach vielen Richtungen, in uns weckt. Wir sind eben sinnlich-aesthetisch-ethisch-metaphysische Geschoepfe. Ist nicht das Schoene in der Kunst (eine besondere, uns aesthetisch befriedigende Anordnung) Symbol fuer das metaphysische Wahre? Ich habe Ihre Dichtung immer […] als Schoenheit UND Wahrheit empfunden. Ihre Schoenheit bezaubert mich, ihre Wahrheit verzaubert mich – und beide Wirkungen sind eben das magische Erleben, das visionaere Versetztwerden in die Welt der Wesenheiten und intuitiven Einsichten.« (Brief vom 18. März 1958 an Celan – Nachlaß; Hervorhebung M. H.) Celan antwortet hierauf nicht. (cf. auch Helmut Braun: »Ich bin fünftausend Jahre jung«. Rose Ausländer. Zu ihrer Biographie. Stuttgart: Radius-Verlag 1999 [Radius-Bücher], S. 98ff.) Brief des Verlags Die Fackel, zit. in Helmut Braun: »Es bleibt noch viel zu sagen«. Zur Biographie von Rose Ausländer. In: Rose Ausländer (Anm. 21), S. 11–34, hier S.15. Amy D. Colin: Writing from the Margins. German-Jewish Women Poets from the Bukovina. In: Studies in Twentieth Century Literature 21/1 (Winter 1997), S. 9–40, hier S. 14; vgl. auch ebd., S.10. Ebd., S. 15. Gisela Lindemann: Verse aus der Galgenzeit. In: Die Zeit, Nr 43, 17. Oktober 1980, S. 54.
Schriften und Nachlaß Rose Ausländers
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schließlich die Publikation helfen, eine grobe Schätzung zum Zeitrahmen der Entstehung abzugeben.7 Auf das Übergehen eines Poems oder einiger seiner Motive in andere Texte und die parallele Weiterentwicklung einer Idee, also das Provisorische von Gedichtgrenzen wurde hingewiesen. Nicht selten verändert Rose Ausländer auch Gedichte, die bereits veröffentlicht sind. Hieraus erklärt sich, daß die Gesammelten Werke (in der Fassung letzter Hand) nicht immer mit den Einzelbänden übereinstimmen. Dies wurde oft genug zum Anlaß – unberechtigter – Kritik genommen, da die allerersten Bände der Werkausgabe, die mit den Bänden Hügel aus Äther / unwiderruflich (Bd 3) und Im Aschenregen / die Spur deines Namens (Bd 4) begonnen wurde, den Verweis auf diesen Umstand schuldig blieben. Einen ganzen Sündenkatalog legt Wallmann vor – mit »Abweichungen, die nirgends erwähnt oder erklärt sind«.8 Dieser Kritik stimmt Herausgeber Helmut Braun durchaus zu, der die Einwände auch bewundernswert rasch berücksichtigte. Nebenbei ist zu bemerken, daß Wallmann irrt, wenn er ausschließt, was bei Rücknahmen typographischer Gestaltung oder auch einer Korrektur, die aus einer interessanten eine »höchst banale«9 Gedichtzeile macht, der Fall ist – der besagte, nicht zwingend geglückte Eingriff der Autorin selbst. Diesen berücksichtigte Braun nicht immer leichten Herzens. Gesondert ist darauf hinzuweisen, daß im Spätwerk die Genese der Gedichte schwerlich zu skizzieren ist – auf die Bedingungen der Produktion jener Arbeiten, die Rose Ausländer aus gesundheitlichen Gründen diktieren mußte, geht unter anderen Maria Kłańska näher ein.10 Ganz umstandslos ist ihre Gedichtproduktion freilich nie verlaufen, obschon sich in der Arbeit mit der Poesie der Dichterin manche ihrer Gedichte als auf die eine oder andere Weise nicht wirklich elaboriert erweisen …11 Dies ergibt sich – in geringerem Ausmaß schon früher – auch aus dem erwähnten grundsätzlichen Mangel an Selbstlek7
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Vgl. auch Helmut Braun: Rose Ausländer – Das lyrische Werk. In: Kindlers neues Literatur-Lexikon. Hg. von Walter Jens. München: Kindler 1996, Bd 1, S. 880–881, hier S. 881. Jürgen P. Wallmann: [Rez.] Rose Ausländer: Gesammelte Werke in sieben Bänden. In: Literatur und Kritik (September/Oktober 1984), H. 187/188, S. 432–434, hier S. 434. Ebd.: »sicher keine Korrektur der Autorin, sondern ein Fehler des Herausgebers«. Vgl. Maria Kłańska: »Ich Überlebende des Grauens schreibe aus Worten Leben«. Zur Problematik von Sprechen und Schweigen bei Rose Ausländer. In: »… wortlos der Sprache mächtig«. Schweigen und Sprechen in der Literatur und sprachlicher Kommunikation. Hg. von Hartmut Eggert und Janusz Golec. Stuttgart, Weimar: Metzler 1999 (M & P – Schriftenreihe für Wissenschaft und Forschung), S. 133– 158, hier S.155f. Vgl. dagegen Kurt Klinger: Lyrik in Österreich seit 1945. In: Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart. Bd 6: Die zeitgenössische Literatur Österreichs II. Hg. von Hilde Spiel. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1980, S. 1–292, hier S.77; vgl. zum Frühwerk auch Eberhard Seybold: Rose Ausländer lebte in ihrem Mutterland Wort. In: Frankfurter Neue Presse, 5. Januar 1988.
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türe wie der die Strukturen fast prinzipiell stiefmütterlich behandelnden Poetologie Rose Ausländers: Welche »Formprobleme« bewegen Sie? – Keine besonderen. Es gilt, immer das richtige Wort, die passende Metapher zu 12 finden.
Man kann dafür, daß somit manche – der Poetologie zum Trotz gottlob bei weitem nicht alle – Verse von einer Metapher leben, mit Hinck zuletzt eine positive oder eine negative Formulierung finden: Solche Bilder sind von einer Eindringlichkeit, die auf das ganze Gedicht ausstrahlt.13 14
Manche Gedichte zehren von einem einzigen treffsicheren Bild.
Schriften Theodor W. Adornos Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie. Hg. von Gretel Adorno und Rolf Tiedemann. 13. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 2). – Brief an Leo Löwenthal vom 25. November 1942. In: Leo Löwenthal: Schriften. Hg. von Helmut Dubiel. Bd 4: Judaica, Vorträge, Briefe. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1990 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 904), S. 158–159. – Brief an Leo Löwenthal vom 3. Januar 1949. In: Leo Löwenthal: Schriften. Hg. von Helmut Dubiel. Bd 4: Judaica, Vorträge, Briefe. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1990 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 904), S. 172–174. – Briefe und Briefwechsel. Hg. vom Theodor W. Adorno Archiv. Bd 1: Theodor W. Adorno und Walter Benjamin: Briefwechsel 1928–1940. Hg. von Henri Lonitz. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1994. – Der Begriff der Philosophie. Vorlesung Wintersemester 1951/52. Mitschrift von Kraft Bretschneider, red. von Christoph Gödde. In: Frankfurter Adorno Blätter II (1993), S. 9–91. – Der Essay als Form. In: Theodor W. Adorno: Noten zur Literatur. Hg. von Rolf Tiedemann. 4. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 355), S. 9–33. – / Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1988 (Fischer-Taschenbücher; 7404 – Fischer Wissenschaft). – Dissonanzen. Musik in der verwalteten Welt. In: ders., Gesammelte Schriften in zwanzig Bänden. Hg. von Rolf Tiedemann u. a. Bd 14: Dissonanzen. Einleitung in die Musiksoziologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft), S. 7–167.
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Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, Rose Ausländer, Eingang November 1976. Walter Hinck: Viersprachig verbrüderte Lieder. Rose Ausländers gesammelte Werke. In: Rose Ausländer (Anm. 21), S. 240–243, hier S. 242. Walter Hinck: Und Meer und Sterne. Frühe und späte Lyrik der Rose Ausländer. In: Rose Ausländer (Anm. 32), S. 244–247, hier S. 247.
Schriften Theodor W. Adornos
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– Drei Studien zu Hegel. Hg. von Gretel Adorno und Rolf Tiedemann. 4. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 110). – Editorische Nachbemerkung. In: ders., Noten zur Literatur. Hg. von Rolf Tiedemann. 4. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 355), S. 695–708. – Engagement. In: ders., Noten zur Literatur. Hg. Von Rolf Tiedemann. 4. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 355), S. 409–430. – Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker 1959–1969. Hg. von Gerd Kadelbach, Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 1971 (Suhrkamp Taschenbuch; 11). – Ist die Kunst heiter? In: ders., Noten zur Literatur. Hg. von Rolf Tiedemann. 4. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 355), S. 599– 606. – Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie [1964]. In: ders., Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann u. a. Bd 6: Negative Dialektik – Jargon der Eigentlichkeit. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft), S. 413– 526. – »Keine Angst vor dem Elfenbeinturm«. Ein »Spiegel«-Gespräch [1969]. In: ders., Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz. Bd 20.1: Vermischte Schriften I. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1986, S. 402–409. – Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen. In: ders., Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann. Bd 2: Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1979, S. 7–213. – Kulturkritik und Gesellschaft. In: ders., Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft. Hg. von Rolf Tiedemann. 3. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1987 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 178), S. 7–26. – Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. 22. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1994 (Bibliothek Suhrkamp; 236). – Motive. In: ders., Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann u. a. Bd 16: Musikalische Schriften I–III. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft), S. 259–283. – Nachgelassene Schriften. Hg. vom Theodor W. Adorno Archiv. Abt. IV: Vorlesungen. Bd 4: Kants »Kritik der reinen Vernunft« [1959]. Hg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995. Bd 14: Metaphysik. Begriff und Problem [1965]. Hg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998. – Negative Dialektik. 7. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 113). – Ohne Leitbild. Parva Aesthetica. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1967 (Edition Suhrkamp; 201). – Parataxis. Zur späten Lyrik Hölderlins. In: ders., Noten zur Literatur. Hg. von Rolf Tiedemann. 4. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 355), S. 447–491. – Philosophie der neuen Musik. In: ders., Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann. Bd 12: Philosophie der neuen Musik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 1997 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft). – Philosophische Terminologie. Zur Einleitung. Hg. von Rudolf zur Lippe. Bd 1. 7. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 23).
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Schriften Peter Szondis Peter Szondi: Briefe. Hg. von Christoph König und Thomas Sparr. 2. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1994. – Schriften. Hg. von Jean Bollack u. a. Bd 1: Theorie des modernen Dramas (1880–1950). Versuch über das Tragische. Hölderlin-Studien. Mit einem Traktat über philologische Erkenntnis. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1978 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 219). Bd 2: Essays: Satz und Gegensatz. Lektüren und Lektionen. Celan-Studien. Anhang: Frühe Aufsätze. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1978. – Studienausgabe der Vorlesungen. Hg. von Jean Bollack u. a. Bd 2: Poetik und Geschichtsphilosophie I. Antike und Moderne in der Ästhetik der Goethezeit. Hegels Lehre von der Dichtung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1974 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 40).
Schriften Jacques Derridas
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Bd 3: Poetik und Geschichtsphilosophie II. Von der normativen zur spekulativen Gattungspoetik. Schellings Gattungspoetik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1974 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 72). Bd 5: Einführung in die literarische Hermeneutik. 3. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 124).
Schriften Jacques Derridas Jacques Derrida: Acts of Literature. Hg. von Derek Attridge. New York, London: Routledge 1992. – Adieu. Nachruf auf Emmanuel Lévinas. Übersetzt von Reinold Werner. München, Wien: Hanser 1999 (Edition Akzente). – Aporien. Sterben – Auf die »Grenzen der Wahrheit« gefaßt sein. Übersetzt von Michael Wetzel. München: Fink 1998. – »A Self-Unsealing Poetic Text«. Zur Poetik und Politik des Zeugnisses. Übersetzt von K. Hvidtfelt Nielsen. In: Zur Lyrik Paul Celans. Hg. von Peter Buhrmann. Kopenhagen, München: Fink 2000 (Text & kontexT, Sonderreihe; 44), S. 147–182. – Auslassungspunkte. Gespräche. Übersetzt von Karin Schreiner, Dirk Weissmann und Kathrin Murr. Hg. von Peter Engelmann. Wien: Passagen 1998 (Passagen Philosophie). – Babylonische Türme. Wege, Umwege, Abwege. Übersetzt von Alexander García Düttmann. In: Übersetzung und Dekonstruktion. Hg. von Alfred Hirsch. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997 (Edition Suhrkamp; 1897 – Aesthetica) S. 119–165. – Chōra. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek, hg. von Peter Engelmann. Wien: Passagen 1990 (Edition Passagen; 32). – Das andere Kap. Die vertagte Demokratie. Zwei Essays zu Europa. Übersetzt von Alexander García Düttmann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992 (Edition Suhrkamp; 1769). – u. a.: Deconstruction in a Nutshell. A Conversation with Jacques Derrida. Hg. von John D. Caputo. New York: Fordham University Press 1997 (Perspectives in Continental Philosophy; 1). – Dem Archiv verschrieben. Eine Freudsche Impression. Übersetzt von Hans-Dieter Grondek und Hans Naumann. Berlin: Brinkmann & Bose 1997. – Deplazierte Literaturen. Für einen internationalen Widerstand der Schriftsteller jenseits des alten Weltbürgertums. Übersetzt von Jörg Lau. In: die tageszeitung, Nr 4461, 5. November 1994, S. 20–21. – Der Entzug der Metapher [1978]. Übersetzt von Alexander G. Düttmann und Iris Radisch. In: Die paradoxe Metapher. Hg. von Anselm Haverkamp. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998 (Edition Suhrkamp; 1940 – Aesthetica), S. 197–234. – Die Archäologie des Frivolen. Übersetzt von Joachim Wilke. Berlin: Akademie Verlag 1993 (Acta humaniora). – Die Einsprachigkeit des Anderen oder die Prothese des Ursprungs. Übersetzt von Barbara Vinken. In: Die Sprache der Anderen. Übersetzungspolitik zwischen den Kulturen. Hg. von Anselm Haverkamp. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1997 (Fischer-Taschenbücher; 12783 – ZeitSchriften), S. 15–41. – Die Geschlechtsdifferenz lesen. In: Über das Weibliche. Übersetzt von Eberhard Gruber, hg. von Mireille Calle. Düsseldorf, Bonn: Parerga 1996, S. 85–96. – Die Politik der Freundschaft. Übersetzt von Katja Körner und Geert-Lueke Lueken. In: Philosophie der Freundschaft. Hg. von Klaus-Dieter Eichler. Leipzig: Reclam 1999 (Reclam-Bibliothek; 1669), S. 179–200.
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Schriften Jacques Derridas
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Weitere Literatur
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Ein Schnitt, der beliebig wie kein anderer zu sein scheint, ist zugleich unvermeidlich: jener in der Zeitachse. Dieses Buch reißt 2000 gleichsam ab – anders als Denken und Lektüre des erhofften Lesers. Schon ist Geoffrey Hartmans Das beredte Schweigen der Literatur erschienen, ein Buch, das in mancher Fragestellung zu helfen und anzuregen imstande ist. Selbst seine Erwähnung an dieser Stelle findet in ihm luzide Erklärung, ist doch die Beschwörung des Versäumnisses eine stets literarische und Literatur umgekehrt wesentlich, was sie unterließ, das, was an ihr unterlassen ward – die »Paradoxie in dem Ausdruck ›sich die Gegenwart vergegenwärtigen‹«* sucht die Seriosität, worin sich meine Worte bescheiden wollen, heim. Auslassungen sind unvermeidlich; sie im voraus zu konturieren ist natürlich unmöglich, mag der Verfasser sich auch manche Studie wünschen. Es bleibt zu schreiben, es bleibt zu lesen.
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Geoffrey Hartman: Das beredte Schweigen der Literatur. Über das Unbehagen an der Kultur. Übersetzt von Frank Jakubzik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 2000, S. 125.
Personenregister
Adamzik, Sylvelie 272, 387 Adorno, Theodor W. 1, 3–4, 9, 12, 15, 17–21, 23–26, 28–63, 65–77, 80, 82– 83, 94–95, 100–101, 104, 108, 112, 118, 120, 123, 133–136, 138–139, 161, 177, 179–180, 187, 191–196, 209, 223, 229, 231, 259–260, 262– 263, 266, 268, 270–273, 276, 279, 283, 291, 295–296, 298, 303–304, 313–314, 316–317, 319–320, 322, 325–336, 341–345, 347, 355–360, 365–366, 370, 380–382, 385–389, 391–393, 395–397 Agamben, Giorgio 362 Aguado, Peña 271, 391 Aichinger, Ilse 16, 67, 72, 132 Aischylos 231 Allerhand, Jacob 200 Althusser, Louis 72 Amon, Maria Denise 87 Anders, Günther 4, 27, 46, 94, 103, 123, 161, 170–171, 247–248, 306, 335, 339, 385–386 Ansén, Reiner 75, 227, 253, 327, 330 Apel, Friedmar 178 Aristoteles 244 Arnim, Bettina von 89 Arnold, Fritz 74, 206 Assall, Paul 136 Ausländer, Ignaz 10, 139 Avni, Stella 5 Axmann, Elisabeth 88 Bach, Johann Sebastian 348 Bachmann, Ingeborg 78, 250 Badiou, Alain 25, 79, 83, 137–138 Bahr, Hans-Dieter 5, 29, 43, 56, 58, 73– 74, 111, 220, 222–223, 236, 250, 254, 291, 293–294, 304, 307, 316, 335, 376
Baleanu, Avram Andrei 87, 115 Barthes, Roland 72, 158, 194, 213, 223–224, 237, 296–298, 300–301, 304, 339–340, 366, 368–369, 381 Bataille, Georges 377–378 Baudelaire, Charles 4, 58, 275, 283, 327 Baudrillard, Jean 57, 62, 192, 194–195, 226–227 Bauer, Johannes 62 Bauman, Zygmunt 349–350 Baumann, Gerhart 31, 46 Becker-Schmidt, Regina 357 Beermann, Wilhelm 367–368 Beil, Claudia 134 Beilhack, Walther 124 Belorussez, Mark 5 Bender, Hans 99, 113 Bender, John 126, 159, 167 Benjamin, Walter 19, 24–25, 45, 67, 99, 138, 145, 175–177, 184–185, 225– 226, 237, 273–274, 300–303, 305, 331–332 Benn, Gottfried 105, 282–283, 352 Bennington, Geoffrey 52, 130, 316, 347, 376, 390 Berger, Michael B. 14 Bernet, Rudolf 354 Biebuyck, Benjamin 216 Bierce, Ambrose 274 Billen, Josef 338 Birkenbach, Werner 13 Birus, Hendrik 117, 233, 316 Black, Max 152–153 Blanchot, Maurice 67, 104, 224, 230, 287, 294, 300, 316 Bleisch, Hans-Günther 244 Bloch, Ernst 260, 303, 335 Blumenberg, Hans 22, 51, 53, 65, 77, 89, 133, 156–157, 160, 171, 179, 227, 281, 345
462 Böhme, Gernot 66, 139 Böhme, Hartmut 3 Boelderl, Artur R. 78 Böschenstein, Bernhard 55, 99, 106, 175, 245, 352, 394 Bogumil, Sieghild 48, 102 Bohrer, Christiane 100 Bohrer, Karl Heinz 3, 5, 20, 58, 239, 257–258, 266, 275–277, 283 Bolduan, Viola 125 Bollack, Jean 5, 31, 50–51, 58, 69–70, 105, 143, 151, 166 Bollack, Mayotte 5 Bolz, Norbert 66, 97, 159, 376 Bonnefoy, Yves 74, 376 Botticelli, Sandro 111 Bouveresse, Jacques 365, 375 Bower, Kathrin 12, 20, 96, 185 Boyne, Roy 355 Božovic, Miran 253 Brandt, Sabine 115 Braun, Helmut 5–6, 10–16, 85, 109, 112–113, 140, 143, 163–165, 167– 168, 184, 188, 199, 235, 242, 244, 293, 305, 341–342 Braun, Michael 77–78 Brecht, Bertolt 34 Brehm, Ilse 91 Breit, Rita 11 Briel, Holger Mathias 31, 71, 75, 209, 329, 356, 360 Brierley, David 100, 102–103 Britz, Helmut 202 Bronfen, Elisabeth 180, 263, 337 Brudziński, Wiesław 331 Brumlik, Micha 330, 332 Brunkhorst, Hauke 67, 333, 346, 358– 359 Brunner, Constantin 134, 143 Buchenhorst, Ralph 358 Buck, Theo 8, 38–39, 100, 126, 169– 170, 198, 199–200 Bücher, Rolf 108 Büchner, Georg 146 Bürger, Peter 18, 30, 219, 297, 378 Buhr, Gerhard 59 Burger, Hermann 101 Burger, Rudolf 2, 27, 30, 44, 67, 73– 74, 161, 210, 259, 293, 295 Burke, Edmund 274–275 Burkhardt, Armin 331, 334
Personenregister Burton, Robert 245 Butler, Judith 336–338 Caputo, John D. 220, 304, 396 Celan, Paul 1, 4, 11–15, 25, 29–31, 34– 35, 37–43, 45–52, 55–56, 59, 61–62, 69–71, 74, 78–79, 86–87, 92, 94–108, 111, 114, 116–120, 122–123, 126, 129–131, 133, 141–142, 144–147, 150, 152, 155, 160, 163–166, 169–170, 175–177, 179–181, 185–188, 193, 196, 198–200, 206, 209–211, 213, 219–221, 224, 226, 231, 234–237, 241–252, 255–257, 260–261, 263, 265, 289, 292, 295, 298–300, 303–304, 311, 327–328, 333–334, 342–344, 346–347, 349, 352–354, 362, 372, 374, 379, 386, 389–390, 393–395, 397 Chalfen, Israel 11, 31, 49, 165, 169, 241 Chaouli, Michel 276 Chervel, Thierry 210 Cioran, Emile M. 99, 226, 277, 287– 288, 294, 306, 311–313, 317–318, 353, 379 Cixous, Hélène 110, 336 Clark, Timothy 264, 366–367 Claussen, Detlev 27, 45 Coen, Federico 21 Cohen, Gilles 118, 181 Colin, Amy D. 2, 5, 7, 14, 35, 47, 55, 94, 126, 138, 145, 210, 234–235, 245–246, 298, 393 Corbea-Hoisie, Andrei 5, 7, 197, 199 Critchley, Simon 260 Culler, Jonathan 364–365 Cummings, Edward Estlin 199 Daive, Jean 5, 292 Dante Alighieri 231 Danto, Arthur C. 92, 359, 368 Decker, Kerstin 273 Delacampagne, Christian 269, 382 Deleuze, Gilles 24, 86, 121–123, 181, 202–204, 215, 249, 256–257, 263, 269–270, 282, 291–292, 368 Derrida, Jacques 1, 4, 9–10, 12, 17, 19, 23–26, 29, 33, 36, 45, 51–52, 56–57, 59–62, 65, 70–71, 73, 75–77, 79, 82– 83, 86–88, 94, 97–99, 101, 111, 118– 119, 121–122, 126, 130, 134, 138, 146, 150–152, 157, 166, 177–178,
Personenregister 192, 195–196, 202, 204–205, 207, 209–327, 330–331, 333, 338–341, 345–350, 352–383, 385, 388–396 Descamps, Christian 337, 362 Descartes, René 104 Diedrich, Waldemar 13 Diehl, Karen 69 Doderer, Heimito von 52, 145 Domin, Hilde 290 Dosse, François 340, 365, 374–376 Dreisholtkamp, Uwe 209 Drozdowski, Georg 14 Düttmann, Alexander García 25, 135, 178, 321, 335 Eagleton, Terry 58, 210, 270, 273 Ebeling, Hans 79, 291, 324–325 Ecker, Gisela 293, 305 Eco, Umberto 60, 121, 161, 290, 299, 347–348, 364 Edmundson, Mark 360, 363–364 Eichendorff, Joseph von 91, 187, 304 Eichmann-Leutenegger, Beatrice 20, 127 Emmerich, Wolfgang 5, 15, 47, 106, 236, 241, 245, 248 Engelmann, Peter 345 Englert, Klaus 296, 325 Erdle, Birgit R. 44–45 Erhardt, Jacob 235 Erhardt, Lotte 235 Eshel, Amir 282 Fahrenwald, Claudia 212 Farese, Giuseppe 112 Federmair, Leopold 72–73 Feldmann, Doris 9 Felka, Rike 359–360, 371–374, 393 Felstiner, John 27, 38, 49, 144, 221 Ferenczi, Georges 5 Figal, Günter 24, 34, 334 Firges, Jean 8, 129, 133, 214, 243–244, 354 Flusser, Vilém 202 Fontane, Theodor 90 Foucault, Michel 4, 12, 36, 76, 81, 117–118, 122, 212, 216, 224, 256, 269, 296–297, 301, 311, 353, 369, 382, 387, 389 Frank, Hartwig 253, 375 Frank, Manfred 61, 63, 215, 238, 263, 269, 365, 374
463 Frey, Hans-Jost 146, 174–175, 177, 278–279, 385 Fried, Erich 101 Früchtl, Josef 357–358 Frühwald, Wolfgang 187 Frynsk, Christopher 41 Gadamer, Hans-Georg 148, 155, 214, 289, 295, 325, 345, 350–352 Gans, Michael 16, 53, 125, 241 Gasser, Markus 370 Gebauer, Gunther 238 Gebhard, Walter 18 Gehring, Petra 97, 376 Geier, Manfred 105 Gellhaus, Axel 84, 102, 172, 177–178, 344 Genette, Gérard 343 Gerhardt, Volker 83 Giffhorn, Antje 359, 380 Givsan, Hassan 320–324 Glenn, Jerry 35, 43, 50, 100, 235, 245 Glissant, Edouard 217 Gmünder, Ulrich 29 Goergen, Peter 242 Görner, Rüdiger 193, 282, 344 Goethe, Johann Wolfgang 3–4, 89–91, 164, 333 Golb, Joel 108 Goll, Yvan 245 Gong, Alfred 7 Goodman, Nelson 154 Grassi, Ernesto 381 Greif, Stefan 69 Grimminger, Rolf 193, 312 Groys, Boris 147–148, 262, 280–281, 285, 295, 316 Gruber, Eberhard 218, 268 Guattari, Félix 121, 123, 181, 202–204, 215, 282, 368 Guillebaud,. Jean-Claude 220, 284 Gumbrecht, Hans Ulrich 21, 366 Habermas, Jürgen 322, 362, 392 Hahn, Alois 58 Hamacher, Werner 5, 39, 42, 50, 107– 108, 186, 235, 237, 239, 256, 261, 301–302, 306, 388–392 Hamburger, Michael 16–17, 31, 78, 119–120, 343 Han, Byung-Chul 26, 294, 320, 376
464 Hansbauer, Severin 66 Hansen-Löve, Aage A. 122, 138–139, 158 Hartman, Geoffrey 5, 49–50, 55, 214, 357 Hartung, Harald 246 Haselberg, Peter von 333 Haverkamp, Anselm 293 Hebel, Johann Peter 134 Hecht, Helios 6, 11, 53, 139–141, 148– 149 Hecht-Preminger, Lucie 140 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 23, 66, 73, 83, 141, 231, 260, 279, 328, 332, 349, 381 Heidegger, Martin 29, 32–33, 87, 291, 294–295, 297, 319–326, 334, 351, 357–358, 374, 378 Heine, Heinrich 90, 244 Held, Kristina 6, 9, 13, 42, 95, 182 Helfrich, Cilly 6, 10–11, 13, 35–36, 40, 42, 53, 110, 112, 139–141, 148, 290 Hemecker, Wilhelm 5 Herbert, Zbigniew 117, 130 Hinck, Walter 14, 105, 107, 115, 124, 164, 204 Hirsch, Gabriele 264, 365 Hitler, Adolf 94, 144 Hobson, Marian 376, 396 Hölderlin, Friedrich 89, 164, 251 Hoffmann, Rainer 10, 125 Hofmannsthal, Hugo von 126 Holzner, Johann 16, 235 Homann, Renate 4, 219 Homann, Ursula 58 Homer 95, 142 Hopwood, Meredid 197 Horkheimer, Max 95, 179–180 Horn, Effi 124 Hübsch, Stefan 330 Huppert, Hugo 15, 238, 256, 395 Husserl, Edmund 305 Hutter, Axel 22, 71, 335 Ingen, Ferdinand van 99 Ingold, Felix Philipp 95, 165, 177, 221, 224, 298, 300 Innerhofer, Roland 5 Iorga, Nicolae 197 Irrlitz, Gerd 62, 363, 366, 369
Personenregister Isabel, María 271 Jabès, Edmond 27, 42, 104, 151, 170, 190, 202, 236–237, 253, 282, 298– 299, 300–302, 377 Jakob, Michael 328, 334, 362, 372 Jakobson, Roman 84, 96 Jandl, Ernst 94, 149 Janz, Marlies 31, 47, 169–170 Japp, Uwe 21, 68, 289 Jaspers, Karl 114 Jauß, Hans Robert 30, 50, 224, 238, 319, 354 Jelinek, Elfride 277, 290 Jokostra, Peter 235 Jünger, Ernst 275 Kästner, Erhart 32 Kafka, Franz 164, 210 Kaiser, Volker 33, 77 Kaldemorgen, Erika 44, 46, 242, 249 Kamper, Dietmar 21, 228, 303 Kant, Immanuel 4, 66, 76, 210, 223, 253, 269, 271, 382 Kertész, Imre 319 Keßner, Michaela 163 Kierkegaard, Søren 136–137, 326, 388 Kimmerle, Heinz 209, 281, 357–358 Kimmich, Dorothee 49, 393 Kittler, Friedrich A. 256, 265, 284, 301–302, 353, 367 Kittner, Alfred 7, 11, 206 Kłańska, Maria 8, 55, 93–94 Klausenitzer, Hans-Peter 125 Kleist, Heinrich von 72, 89, 126 Klossowski, Pierre 222, 232–233, 264 Klüger, Ruth 183 Knörrich, Otto 387 Koch, Martin 304 Köhl, Gabriele 13, 15, 52, 54–56, 110, 134, 149, 176, 192, 242, 261, 313 Koelle, Lydia 4, 177, 303 Köpper, Anja 209 Köster, Gaby 5 Kofman, Berek 249 Kofman, Sarah 43–44, 46, 122, 150, 248–249, 253, 304, 346, 363–364, 395 Kohler-Luginbühl, Dorothee 50
Personenregister Kohlmann, Ulrich 331 Kolesch, Doris 194 Kolmar, Gertrud 4 Koltan, Michael T. 45, 359, 380 Kopperschmidt, Josef 381 Kopplin, Wolfgang 125 Korte, Hermann 47 Krall, Günter 18 Kraus, Karl 373 Kristensson, Jutta 9–11, 13, 53, 55 Kristeva, Julia 276 Krolow, Karl 4, 252 Krüger, Horst 242, 246 Kunert, Günter 46, 264 Kurz, Paul Konrad 115, 124, 304 Kurzke, Hermann 244 Lacoue-Labarthe, Philippe 213, 322, 338, 340, 358 Laermann, Klaus 40 Lagemann, Jörg 361, 364 Lamping, Dieter 193, 241, 245 Lanser, Günter 11 Lasker-Schüler, Else 163–164, 176, 178–179, 182–185, 191–192 Lau, Jörg 198 Le Rider, Jacques 198, 378 Leavy, John P. 174, 221–222 Lec, Stanislaw Jerzy 165, 259, 273, 303, 327, 358 Lehmann, Annette Jael 36, 88, 97, 123, 202 Lehmann, Hans 107 Leibniz, Gottfried Wilhelm 76 Lenz, Hermann 164 Lévinas, Emmanuel 24, 96, 104, 170, 196, 265, 337, 365, 397 Lévi-Strauss, Claude 84 Lewy, Hermann 127 Liebknecht, Karl 144 Liessmann, Konrad Paul 5, 8, 46, 94, 136, 137, 193, 273–274, 333, 360, 385–386 Lindemann, Gisela 125 Lindner, Burkhardt 3 Liszt, Franz 348 Lobsien, Eckhard 86, 305 Löwenthal, Leo 95 Lohr, Andreas 147 Lorenz, Otto 27, 42, 99
465 Lütkehaus, Ludger 22–23, 43, 170– 171, 236, 317, 335, 385 Lukács, Georg 179, 180, 272, 294, 297 Luther, Andreas 69 Luxemburg, Rosa 144 Lyotard, Jean-François 5, 27, 29, 38, 46, 48–52, 57, 58, 62, 80, 82, 99, 101, 104, 108, 138–139, 157, 180, 206, 209, 215, 218, 221, 238–240, 247, 252, 268, 271–273, 284–285, 294, 296, 302, 322–324, 328, 330, 359, 361, 366, 376, 379, 386, 389, 393, 396 Macho, Thomas 252, 263, 302 Mahr, Johannes 197 Maier, Johann 115 Mainberger, Gonsalv K. 289, 330, 347, 381–382 Man, Paul de 13, 108, 209, 218, 223, 226, 231, 299, 319, 354, 368, 373– 374 Mandelstam, Ossip 150, 165–166, 175, 187, 205, 247, 263, 298–299 Mann, Erika 272 Mann, Thomas 272, 341–342 Margul-Sperber, Alfred 7, 245, 290 Marquard, Odo 2, 27, 30, 325, 355, 359 Martyn, David 349 Marx, Karl 223 Matt, Peter von 183, 284–285 Mauthner, Felix 206 Mayer, Hans 105 Mayröcker, Friederike 86, 91–92, 159, 201–202, 289–290, 315, 319, 326, 349, 390, 394 McCarthy, Thomas 358 McCorkle, James 395 Meerbaum-Eisinger, Selma 172, 386 Meinecke, Dietlind 32, 51, 59, 145, 160, 194 Menasse, Robert 92, 345 Menke, Bettine 45 Menke, Christoph 33–32, 58, 118, 226, 237, 276, 296, 329, 336, 343 Menninghaus, Winfried 5, 7–8, 15, 27, 59, 79, 117–118, 160, 207, 273–276, 290, 328, 334, 345, 391 Meyer, Ursula I. 249
466 Michel, Karl Markus 27, 32, 67, 328, 333, 338 Missac, Pierre 225 Montaigne, Michel de 194, 214, 291 Moore, Leonard 165 Moore, Marianne 199 Morgenstern, Christian 100, 175, 188 Morris, Leslie 107, 165 Mosés, Stéphane 108 Motzan, Peter 35, 197, 202 Müller, Heiner 273 Müller, Herta 5, 201–202, 287, 305, 312, 319 Müller, Olaf 29 Müller-Brömsel, S. 159 Müller-Funk, Wolfgang 198 Münch, Richard 63 Musil, Robert 372 Musner, Lutz 7–8 Nancy, Jean-Luc 24, 26, 98, 146, 218, 226, 262, 302, 339–340, 381 Neubaur, Caroline 203 Neumann, Peter Horst 18, 70, 87 Neurath, Otto 156 Nielsen, K. Hvidtfelt 349 Nietzsche, Friedrich 18, 37, 60–61, 72, 75–76, 81–82, 138, 218–219, 223, 231–234, 256, 260, 262–264, 274, 276, 288, 295, 301–303, 305, 311– 313, 316, 328, 338, 347, 349, 352– 353, 355, 360, 378–381, 392, 396 Ningel, Meike 182 Noll, Monika 370–371 Norris, Christopher 70 Nouss, Alexis 1, 2, 5, 39 Nyiszli, Miklos 386 Oehler, Dolf 328 Okopenko, Andreas 56 Olesen, Søren Gosvig 366 Olschner, Leonard M. 5, 165, 299 Opitz-Wiemers, Carola 35 Osers, Ewald 189 Paha, Bernhard 260 Papus, Encausse Gérard 103, 115, 119 Pastior, Oskar 137–138, 198, 201, 231, 265, 305 Patzer, Georg 196
Personenregister Peil, Dietmar 349 Pepper, Thomas 388 Perels, Christoph 38 Pickerodt, Gerhart 85 Platon 137, 142–143, 231, 305, 335 Poe, Edgar Allen 381 Pöggeler, Otto 32, 40, 47, 98–99, 167, 169, 220, 263, 322, 391 Politzer, Heinz 13, 244, 290, 292, 306, 310 Pott, Wilhelm Heinrich 8–9 Pries, Christine 78, 215, 263 Rademacher, Claudia 32, 357, 359 Ratjen, Ursula 47 Ratjen, Wolfgang 47 Rehfus, Wulff D. 228–229 Reichensperger, Richard 291 Reichert, Klaus 5, 31, 199, 385 Reijen, Willem van 389 Rein, Kurt 200, 206–207 Reiter, Gerhard 113 Rentsch, Thomas 101 Richter, Hans Werner 164 Ricœur, Paul 60–61, 153–156, 158, 161, 212, 215 Rilke, Rainer Maria 104, 161, 164, 211, 270–271, 273, 294 Ringleben, Joachim 120 Rivkin, Julie 27 Rötzer, Florian 76, 210, 255, 277, 354, 362, 365, 375 Ronell, Avital 392 Rorty, Richard 348 Rossum, Walter van 339 Rother, Ralf 106 Rousseau, Jean-Jacques 231 Rugart, Claudia 106–107, 109, 234 Ryan, Michael 27 Rychlo, Petro 5, 199–200 Sacher-Masoch, Leopold von 263 Sachs, Nelly 4, 12, 18, 49, 246–247 Safranski, Rüdiger 180, 320, 357 Saussure, Ferdinand de 231 Schärer, Margrit 39, 51 Schaumann, Lore 99 Scheible, Hartmut 4, 67, 327, 331, 333, 347 Scherzer, Max 184, 188
467
Personenregister Scherzer, Sigmund 293 Schestag, Thomas 197, 376 Scheuer, Hans Jürgen 263 Schindel, Robert 44, 92 Schmatz, Ferdinand 73 Schmidt, Burghart 239–240, 266, 307, 313–314, 329, 368 Schmidt, Dennis J. 166, 295 Schmidt-Dengler, Wendelin 5, 44, 67, 162, 196–197, 202, 319, 385 Schmitz, Birgit 2, 209, 234 Schmitz-Emans, Monika 52, 209, 301, 383 Schnädelbach, Herbert 19, 45 Schneider, Manfred 149, 270, 281 Scholem, Gershom 291, 335 Schreyer, Isaac 245 Schröder, Jürgen 105 Schülke, Claudia 244 Schünemann, Peter 331–332 Schütze, Jochen C. 334, 363 Schulte, Susanne 9 Schülting, Sabine 9 Schulz, Gerhard 18 Schurz, Robert 32–33, 388 Schweppenhäuser, Gerhard 32, 57, 62, 76, 331 Schweppenhäuser, Hermann 333 Seel, Martin 20, 276 Seeliger, Rolf 26 Segebrecht, Wulf 6 Seibert, Thomas-Michael 80 Seng, Joachim 200 Serres, Michel 1, 4, 23, 26, 67, 78–79, 94, 180, 198, 206, 214–220, 222– 223, 227, 232, 253, 259–260, 269, 277, 284, 296, 377 Seybold, Eberhard 141 Shakespeare, William 129, 176, 231 Shmueli, Ilana 5, 206 Shusterman, Richard 71, 146 Sijde, Nico van 211 Silbermann, Edith 5, 11, 15, 245, 312– 313 Silverman, Hugh J. 160, 213, 254, 372 Sloterdijk, Peter 26, 29, 106, 123–125, 135, 137, 160–161, 167, 181, 227– 228, 246, 254, 257–259, 263, 287, 300, 303, 305 Sokrates 335
Soldati, Gianfranco 215 Sommer, Manfred 91, 269 Sparr, Thomas 5, 8, 32, 333, 334 Sperber, Manès 193 Sperling, Andrea Magdalena 234 Spinoza, Baruch de 112–115, 120, 133–136, 164, 305 Spörk, Ingrid 315 Steffens, Andreas 96, 105, 228, 278 Šteger, Aleš 292 Stegmaier, Werner 178 Stein, Hannes 92 Steiner, Bettina 395 Steiner, George 32, 166–167, 230, 231, 397 Stöckli, Rainer 11 Storm, Theodor 91 Strack, Friedrich 194 Strasser, Peter 39, 126, 262, 264 Strauß, Botho 77 Strelka, Joseph P. 7, 199 Sturm, Helmut 127, 215 Süß, Sigrid 112 Szondi, Peter 15, 17, 34, 41–43, 58– 59, 65–207, 228, 260–261, 263, 279, 283, 317, 319–320, 340–350, 358, 364, 385, 387–388, 391–393, 395– 396 Tewes, Ulrich 240 Theunissen, Michael 229 Theweleit, Klaus 10 Thill, Hans 397 Thyen, Anke 356 Tiedemann, Rolf 31, 38, 48, 62, 272, 330–331, 397 Tolstoi, Leo 231 Trakl, Georg 164, 228, 245 Treusch-Dieter, Gerburg 236, 300 Uzarewicz, Charlotte 207 Uzarewicz, Michael 207 Valéry, Paul 74, 100 Vattimo, Gianni 233–234 Vietta, Silvio 330 Villon, François 133 Vogel, Harald 16, 53, 125, 241 Vogl, Joseph 181, 203 Voigts, Manfred 225–226
468 Voswinckel, Klaus 49, 58, 87, 150, 201, 272, 334 Vries, Hent de 45, 212 Wagner, Karl 5 Waldenfels, Bernhard 4, 22–24, 92–93, 219, 223, 240, 247, 284, 305, 316, 376 Wallmann, Jürgen P. 14, 35, 94, 105, 124, 244–245, 338 Waterhouse, Peter 53, 104, 120, 155, 161, 174, 261, 300 Watson, James R. 18, 218, 226, 253 Weber, Samuel 356 Weinberg, Manfred 383 Weinrich, Harald 31, 43, 97, 155, 244, 305 Weinzierl, Ulrich 196 Weiss, Peter 21 Weißenberger, Klaus 35, 95, 114, 242, 397 Weißglas, Immanuel 8, 43, 246 Wellbery, David E. 59, 151–152, 159 Wellmer, Albrecht 19, 65, 276, 289, 332, 381, 385, 391 Welsch, Wolfgang 42, 57, 217, 229, 271–272, 276, 310, 328–329, 336, 338, 355, 359–360, 362, 372, 376– 377, 392 Wenzel, Uwe Justus 222–223 Werner, Klaus 12, 41, 101, 169, 202– 203, 207 Werner, Uta 31
Personenregister Werner-Birkenbach, Sabine 6, 53 Wertheimer, Jürgen 74 Wetzel, Michael 203, 391 Wheelwright, Philip 153 Wichner, Ernest 37, 245–246 Wiechens, Peter 232, 378 Wiegerling, Klaus 348–349 Wiener, Oswald 217, 224, 323 Wiesner, Herbert 37, 245–246 Wiggershaus, Harald 246, 248, 272 Wiggershaus, Renate 37, 109–110, 112, 125–126 Wiggershaus, Rolf 51, 95 Wilke, Sabine 356, 367 Wilpert, Gero von 85 Wimmer, Herbert J. 289 Wischke, Mirko 331 Witte, Bernd 12, 35 Wittgenstein, Ludwig 19, 20, 60, 74, 79–83, 215, 219, 239–240, 276, 289, 298, 300, 315, 367–368 Wohlfahrt, Irving 95, 331 Wolf, Ruth 2, 48 Wolfreys, Julian 152 Wood, David 369 Wulf, Christoph 238 Wurm, Franz 15, 47 Zerrahn, Hans Werner 26 Zeyringer, Klaus 78 Zima, Peter V. 57, 77, 145, 209, 272, 336, 357, 361–364, 369 Zons, Raimar 145