Kar! König
Einführung in die psychoanalytische Krankheitslehre
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen
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Inhalt
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Kar! König
Einführung in die psychoanalytische Krankheitslehre
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen
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Inhalt
Vorwort
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Einige Grundbegriffe
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Grundlagen
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme König, Kar!: Einführung in die psychoanalytische Krankheitslehre / Karl König. Göttingen: Vandenho~ck & Ruprecht, 1997 ISBN 3-525-45788-X
© 1997 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages u~zulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Text & Form, Pohle. Druck und Bindearbeiten: Hubert & Co., Göttingen.
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Ist die psychoanalytische Krankheitslehre nützlich? Konflikte und Entwicklungsstörungen Grundkonflikte Neurose und Psychose Psychoanalyse und Lerntheorie Entstehungsbedingungen für Symptome... Ich-Stärke und Einsatz von Abwehrmechanismen Depersonalisation und Derealisation Das Suizidsyndrom Somatische Entstehungsbedingungen psychogener Krankheiten......................... Krankenbeobachtung .
12 15 19 22 27 30 35 41 43
Störungen mit vorwiegend psychischer Symptomatik
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Charakterneurosen Narzißtische und schizoide Struktur Depressive Struktur Zwangsstruktur Angstneurotische und phobische Struktur Hysterische Struktur Borderline-Stärungen
48 52
55 59 65 79 86 101 106
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Inhalt Hypochondrie Sexuelle Appetenzstörungen Perversionen Anmerkungen zur Homosexualität Sadismus und Masochismus Exhibitionismus Störungen in der Paarbeziehung Substanzmißbrauch
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. . . . . .. . ..
111 114
117 120 121 123 123 128
Vorwort
Störungen mit vorwiegend körperlicher Symptomatik .......... 132 Konzepte Konversionssymptome Funktionelle oder psychovegetative Syndrome und somatische Störungen mit psychischer Mitverursachung Psychogene Schmerzen Kopfschmerzen Psychogener Schwindel Psychogene und psychoreaktive Schlafstörungen Sexuelle Funktionsstörungen Hypertonie Asthma bronchiale Adipositas Anorexia nervosa Bulimia nervosa Ulcus ventriculi und Ulcus duodeni Colon irritabile (Colica mucosa, Reizdarm) Colitis ulcerosa lleitis terminalis (Morbus Crohn) Neurodermitis (Endogenes Ekzem) Rheumatische Arthritis und Fibromyalgiesyndrom Coping
. 132 . 141 .. . . . . . . . .. . . . . . . . . ..
144 154 157 160 161 163 169 171 173 175 180 182 184 185 186 187 188 190
Glossar
198
Zitierte Literatur
206
Ergänzende Literatur.............................................................. 215 Register.................................................................................. 249
Dies Lehrbuch will zum Verständnis von Krankheiten hinführen, die psychisch verursacht oder mitverursacht sind. Darüber hinaus wird auch der Einfluß der Persönlichkeit auf die Bewältigung von Krankheiten behandelt. Die häufig vorkommenden Krankheitsbilder werden ausführlich dargestellt, einige seltene, schwer zu verstehende sind ebenfalls aufgenommen worden. Symptome sind in der Regel nicht nur einer einzigen Psychodynamik zuzuordnen, vielmehr können verschiedene Dynamiken zu einem bestimmten Symptom führen. Auch muß nicht jede Psychodynamik, die in der Analyse erkennbar wird, mit den Symptomen zu tun haben, derentwegen eine Patientin oder ein Patient therapeutische Hilfe suchen. Dennoch ist es sinnvoll, sich mit diesen Dynamiken zu befassen, da sie möglicherweise Erlebens- und Verhaltensstörungen bedingen, die bei der Verarbeitung psychogener wie somatisch bedingter Krankheiten hemmend oder fördernd wirken können. Dies Buch beruht auf eigenen und auf in der Supervision gewonnenen Erfahrungen im Krankenhaus für Psychogene und Psychosomatische Erkrankungen, Tiefenbrunn bei Göttingen, am Lou-AndreasSalome-Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie Göttingen, an der Abteilung für Psychiatrie, der Abteilung für Kinderpsychiatrie und der von mir geleiteten Abteilung für Klinische Gruppenpsychotherapie der Georg-August-Universität Göttingen. Weitere Erfahrungen konnte ich dadurch sammeln, daß Kolleginnen und Kollegen in Kliniken und psychotherapeutischen Praxen im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft für die Anwendung der Psychoanalyse in Gruppen, Göttingen, mir von ihren Patienten berichteten. Allen Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich Diagnostik und Therapie von Patienten diskutieren konnte, sei hier gedankt. Beson-
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Vorwort
ders erwähnen möchte ich meine Mitarbeiter JOACHIM BISKUP, FALK LEICHSENRING und HERMANN STAATS. Den größten Teil des Manuskripts hat ERIKA DZIMALLE geschrieben, einen kleineren ELISABETH WILDHAGEN, die mich auch beim Bearbeiten der Texte und beim Korrekturlesen unterstützte. Beiden danke ich für die angenehme Zusammenarbeit. Meiner Frau GISELA und meinem Sohn PETER danke ich wieder für Anregungen, Diskussionen und Geduld.
Einige Grundbegriffe
Die Psychoanalyse geht davon aus, daß sich die Psyche des Menschen im Aufeinandereinwirken von Anlage und Umwelteinflüssen entwickelt. Schon der Säugling verfügt über ein differenziertes Signalinventar im Umgang mit den Pflegepersonen und ist auch in der Lage, deren Signale zu entschlüsseln. Die meisten Einstellungen und Funktionen des späteren Erwachsenen entstehen in der Beziehung zu den Personen in der Primärfamilie, doch entwickeln Menschen sich auch später noch in der Familie, die sie selbst gründen, in Beziehungen am Arbeitsplatz und während der Freizeit. Die Beziehungen mit Menschen sind in unserer inneren Welt in Form von Erinnerungsspuren als innere Objekte gespeichert, die im aktuellen Umgang mit Menschen eine Modellfunktion haben - sie sind Muster dafür, was man von anderen und von sich selbst erwarten und befürchten kann. Diese Erinnerungsspuren gehen bis in die frühe Kindheit zurück. Auch Beziehungen oder Aspekte von Beziehungen, die bewußt nicht erinnert werden, haben unsere Sicht von Menschen beeinflußt und wirken sich in den aktuellen Beziehungen aus. Erinnerungen an frühe Zeiten unserer Entwicklung und an spätere Zeiten liegen gleichsam übereinander. In der Regression treten die früheren wieder in den Vordergrund und bestimmen dann das Erleben und Verhalten, so daß ein Erwachsener nun möglicherweise ähnlich erlebt oder sich ähnlich verhält, wie er das als Kind getan hat, freilich meist unter dem Einsatz der Mittel eines Erwachsenen, zum Beispiel seiner Sprache, seiner Geschicklichkeit und seiner Körperkraft. Unsere Beziehungserfahrungen dienen auch zum Aufbau dessen, was in der Psychoanalyse psychische Instanzen genannt wird. Mit
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Einige Grundbegriffe
Einige Grundbegriffe
diesem Ausdruck bezeichnen wir Teilbereiche der Persönlichkeit. Man spricht von einem Es, das als der Ort angenommen wird, an dem unsere Wünsche und Impulse entstehen. Diese Wünsche und Impulse sind im Es zunächst unbewußt. Sie können jedoch bewußt werden oder zwar unbewußt bleiben, dabei unser bewußtes Wunscherleben und unsere bewußten Impulse aber doch beeinflussen. Das Über-Ich ist der Ort des Gewissens. Handeln wir unserem Über-Ich zuwider, empfinden wir Schuldgefühle. Impulse, die aus dem Es aufsteigen, können dann Angst machen, wenn wir mit ihnen nicht sozialadäquat und im Einklang mit unserem Gewissen umgehen können. Das Ich hat eine Fülle von Funktionen. Es ist der Ort unserer Fähigkeiten und Kompetenzen, die mehr oder weniger gut ausgebildet sein können. In unserem Ich sind die Erinnerungen an frühere Beziehungen gespeichert, das Ich ist der Ort des Bewußtseins und der Außenwahrnehmung, aber auch der Wahrnehmung unseres Körpers und der aus dem Es in das Ich hineindrängenden oder hineingelangten Impulse. Das Ich wird als eine Instanz angesehen, die zwischen Es und Über-Ich ebenso vermittelt wie mit dem Ich-Ideal (das uns eher positiv vorschreibt, wie wir uns verhalten sollen, als daß es uns etwas verbietet) und der Außenwelt. Innerhalb der Instanzen und zwischen den Instanzen kann es zu Konflikten kommen. So können Impulse aus dem Es andrängen, und das Ich kann sie nicht haben wollen. Zwischen dem Es und dem bewußten Teil des Ich befinden sich die Abwehiforrnationen, die das Ich einsetzen kann, um störende Einflüsse aus dem Es zurückzuhalten oder nur in einer verstellten Form in das Bewußtsein zuzulassen. Versagt die Abwehrschranke, kommt es zu sogenannten Symptomen, die einen Kompromiß zwischen Impuls und Abwehr darstellen. Ein stark ausgebildetes Ich muß wenig abwehren, ein schwaches Ich muß viel abwehren. Es gibt aber auch Menschen, bei denen sich die Schwäche des Ich auch auf die Abwehrformationen erstreckt. Die Impulse werden dann relativ ungefiltert zugelassen und erzeugen im Ich Angst, Scham- oder Schuldgefühle. Während wir die Erinnerungsspuren an Menschen, mit denen wir umgegangen sind, die inneren Objekte, als Modelle dafür nehmen, was wir von Menschen erwarten und befürchten können und wie wir mit ihnen umgehen sollen, dient die Vorstellung, die wir von uns selbst haben, die sogenannte Selbstrepräsentanz, als Modell und Maßstab für die Selbsteinschätzung. So kann jemand die Phantasie von sich selbst entwickeln, viel oder wenig zu können, ein guter oder ein schlechter Mensch zu sein. Entspricht seinen eigenen Anforde-
rungen nicht, kann er sich verachten oder verurteilen. Entspricht er ihnen dagegen, fühlt er sich gut. Ein Krankheitssymptom kann, wie gesagt, ein Kompromiß zwischen Impuls und Abwehr sein. Man spricht dann von einer neurotischen Symptomatik. Ist das Ich sehr schwach entwickelt, treten jedoch Symptome auf, die man nicht mehr als einen Kompromiß zwischen Impuls und Abwehr ansehen kann. Zum Beispiel kommt es vor, daß ein Mensch, weil seine Ich-Funktionen für eine differenzierte Betrachtungsweise nicht ausreichen, unrealistische Vorstellungen von sich und von anderen Menschen entwickelt, die er zum Beispiel als gut oder nur böse ansieht, während doch tatsächlich kein Mensch nur ganz gut oder ganz böse sein kann. Hier handelt es sich um Folgen einer Entwicklungsstörung. Im Glossar am Ende des Buches (S. 198ff.) gebe ich eine Übersicht über weitere wichtige Fachausdrücke. Es soll auch beim Nachlesen der zitierten Literatur behilflich sein.
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Ist die psychoanalytische Krankheitslehre nützlich?
Grundlagen
Ist die psychoanalytische Krankheitslehre nützlich? Am Berliner Psychoanalytischen Institut galt vor dem zweiten Weltkrieg die Regel, daß man jeden Patienten »wie einen Eskimo« analysieren solle. Keiner hatte je einen Eskimo analysiert. Gemeint war, daß man keine Erfahnmgen aus dem Umgang mit Patienten in die Analyse anderer Patienten einbringen sollte. Dem entspricht in etwa die Maxime von BrON (1970), der Analytiker solle ohne Vorannahmen und ohne spezielle Absicht in die Analysestunden gehen. Wir wissen nun aber, daß eine solche Einstellung nicht möglich ist, da wir durch unsere Vorerfahrungen immer beeinflußt werden, ob wir es wollen oder nicht. Auch die von FREUD (1912, S. 377) postulierte »gleichschwebende Aufmerksamkeit« gibt es streng genommen nicht. Die Wahrnehmungseinstellung eines Psychoanalytikers ist schon dadurch beeinflußt, daß er mit der psychoanalytischen Theorie vertraut ist, und deshalb wird er immer anders zuhören als Angehörige anderer Berufe, etwa als Juristen oder als somatisch orientierte Mediziner, aber auch anders als ein Verhaltenstherapeut - selbst wenn sich alle bemühen würden, ganz vorurteilslos zuzuhören. Unsere Erfahrungen mit Patienten und deren Krankheitsbildern helfen uns dabei, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden und so aus einer Fülle von Material herauszufinden, was relevant ist. In einem Vergleich aus der somatischen Medizin könnte man es so sagen: Wenn jemand an mehreren Krankheiten leidet, muß jede Krankheit eigens behandelt werden. Zu einer sachgerechten Therapie gelangt man nur, wenn man jedes Krankheitsbild einzeln diagnostiziert und erst in einem zweiten Schritt Zusammenhänge zwischen
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den einzelnen Bildern erwägt und vielleicht überprüft. Zunächst geht es nur darum, die beobachtbaren Symptome den verschiedenen Krankheitsbildern zuzuordnen. Allerdings werden gelegentlich auch neue Krankheitsbilder entdeckt, auf die der Untersucher aufmerksam wird, wenn Symptome nicht so zusammenpassen, daß er eine bestimmte Diagnose stellen kann, oder wenn bisher unbekannte Symptome auftreten. Neue Krankheitsbilder können nur erkannt werden, wenn man die Beobachtungen an Patienten nicht um jeden Preis in das Prokrustesbett bereits bekannter Syndrome hineinzwängen will. In der Psychotherapie ist es ähnlich. Der erfahrene Kliniker sieht vieles, was er schon kennt, und gerade deshalb fällt ihm auf, was er nicht einordnen kann. Nicht immer hat er jedoch schon ein neues Krankheitsbild entdeckt, wenn er Unbekanntes findet. Manche Krankheitsbilder sind nur rudimentär ausgeprägt und wirken deshalb zunächst anders als das Vollbild der Krankheit. Der eben gebrauchte Vergleich mit der somatischen Medizin soll darauf hinweisen, daß es im Umgang mit Kranken bestimmte Grundprinzipien gibt, die auch auf eine analytische Psychotherapie angewendet werden können, ohne daß diese dadurch »medizinalisiert« werden muß. Hier wie dort kommt es darauf an, nicht immer wieder das Rad neu zu erfinden und dennoch für Neues offen zu sein. In der Psychoanalyse gibt es explizit fokussierende Verfahren, mit denen eine Therapie auf jenen Anteil der Psychodynamik eines Individuums ausgerichtet wird, der mit den Symptomen zusammenhängt, unter denen der Patient leidet. Man darf aber nicht übersehen, daß jede Psychoanalyse zumindest zeitweilig fokussierend verläuft. THOMÄ und KÄCHELE (1986) vertreten sogar die Auffassung, jede Analyse sei eine »Fokal therapie mit wechselndem Fokus«. Heute gibt es mehr verschiedene mögliche Foci einer Analyse als zu F'REUDs Zeiten - damals konzentrierte man sich hauptsächlich auf den Ödipuskomplex. Tatsächlich ist ein therapeutisches Vorgehen, bei dem nicht auf bestimmte für relevant gehaltene Konfliktbereiche und Entwicklungsstörungen fokussiert wird, sogar zur Seltenheit geworden. Es gibt kaum noch Analysen, die nicht in irgendeiner Weise »fremdfinanziert« werden, und um diese Finanzierung zu ermöglichen, muß der Therapeut Berichte verfassen und darin darlegen, welche Psychodynamik er bisher gefunden hat und wie er damit umzugehen gedenkt. Schon daß er dies getan hat, bleibt nicht ohne Einfluß
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Grundlagen
auf den späteren Behandlungsverlauf; es beeinflußt seine Wahrnehmung. Soll sich eine Therapie auf die derzeit symptornrelevanten Konflikte beschränken, wird man bei einem mehrfach determinierten Symptom eine Hauptdeterminante und Nebendeterminanten unterscheiden. Aus diesen folgen oft noch weitere, sekundäre Determinanten. Beispielsweise kann sexuelle Lustlosigkeit etwas damit zu tun haben, daß zwischen den Partnern Streit herrscht; das muß aber nicht die Hauptdeterminante sein. Der Streit ist vielleicht selbst erst eine Folge der sexuellen Lustlosigkeit und verstärkt sie wiederum. Der Auslöser des Problems kann aber etwas anderes sein, etwa eine Schwierigkeit beider, zwischen dem Partner und einem Elternobjekt zu unterscheiden. Arbeitet man nun therapeutisch am Streit, beschäftigt man sich zwar mit einer Determinante, die in der Pathodynamik sekundär ist; dennoch muß sie in der Therapie möglicherweise als erste bearbeitet werden, um die Zusammenarbeit der Partner in der Therapie verbessern zu können. Die Erfassung der verschiedenen Determinanten kann Entscheidungshilfen bei der Wahl des therapeutischen Settings geben. Im beschriebenen Fall könnte man sich etwa überlegen, ob hier zunächst eine Zeitlang Paartherapie angezeigt ist, an die sich vielleicht eine Einzeltherapie der Frau und des Mannes oder eine Therapie beider Partner in parallel laufenden Gruppen (KREISCHE 1990, 1992) anschließen sollte, in die beide die nötige Offenheit für die Therapie ihrer primären Schwierigkeiten mitbringen. Zu einem solchen Vorgehen entschließt man sich beispielsweise auch dann, wenn die Partner eine Problematik teilen, die bei dem einen offenen zu Tage tritt, während der andere sie bei sich selbst abwehrt und im Partner bekämpft. Der abwehrende Partner könnte dann die Therapie des anderen behindern, um die Problematik bei sich selbst nicht erkennen zu müssen (KREISCHE 1990). Eine breite Kenntnis der speziellen Neurosenlehre kann es erleichtern, wesentliche Konflikte zu erfassen. Ohne Kenntnis der Befunde anderer Therapeuten an ähnlichen Patienten, wie sie in der speziellen Neurosenlehre niedergelegt sind, hätte man diese Konflikte vielleicht übersehen, denn bei diesem Patienten werden entsprechende Befunde vielleicht erst im Verlauf einer Therapie zugänglich, oder man übersieht sie anfangs oder auch länger aus dem einen oder anderen Grund, etwa wegen einer Gegenübertragung, die sich auf die Wahrnehmung auswirkt.
Konflikte und Entwicklungsstörungen
IS
Die pathogene Relevanz eines Konflikts für eine bestimmte Symptomatik läßt sich auch nicht unbedingt immer am Einzelfall erkennen. Erst die an mehreren Patienten gewonnene Erfahrung, daß bei einer bestimmten Symptomatik immer wieder ein bestimmter Konflikt oder auch nur eine bestimmte Verhaltensweise auftritt, ermöglicht es schließlich, aus vielen möglichen und vorhandenen Verbindungen die relevanten herauszufinden. Erst die Untersuchung einer ganzen Reihe von Patienten führte mich dazu, ein insuffizient ausgebildetes steuerndes Mutterobjekt bei phobischen Patienten anzunehmen (KÖNIG 1981); hinweisend war der Umgang der Patienten mit äußeren Ersatzobjekten. Das insuffizient ausgebildete steuernde Mutterobjekt ist allen phobischen Patienten gemein, es unterscheiden sich aber die Konflikte, mit denen Patienten aus diesem Grund nicht adäquat umgehen können; beispielsweise kann das Ich mit heterosexuellen, homosexuellen oder aggressiven Impulsen im Konflikt stehen. Auch in der somatischen Medizin muß man im übrigen zur Aufklärung eines Krankheitsbildes zunächst immer herausfinden, welche krankhaften Veränderungen des Gesamtorganismus zur Symptomatik beitragen und welche nicht. Weiter ist herauszufinden, ob eine krankhafte Veränderung durch ein zentrales Krankheitsbild begünstigt wird, wie das zum Beispiel für die Arteriosklerose beim Diabetiker gilt. Diabetes begünstigt das Auftreten der Arteriosklerose; soweit man heute weiß, gilt das Umgekehrte nicht. Allerdings können Diabetes (Typ II) und Arteriosklerose gemeinsame begünstigende Ursachen haben, etwa Übergewicht. Ein voraussetzungsloses Vorgehen ist also nicht nur nicht möglich, sondern auch nicht unbedingt wünschenswert. Mißverständnisse sind dadurch entstanden, daß entsprechende Forderungen zu wörtlich genommen wurden. Aphorismen von FREUD, die nur einen Teil eines Sachverhalts berücksichtigen und gar nicht den Anspruch auf umfassende Gültigkeit erheben, erhielten die Dignität von Gesetzen.
Konflikte und Entwicklungsstörungen In der Psychoanalyse spielen die Begriffe Konflikt und Entwicklungsstörung eine große Rolle. Der Konflikt zwischen einem Wunsch und der Abwehr dieses Wunsches durch das Ich ist die häufigste Konfliktart. Aber auch zwei Wünsche können miteinander in Konflikt gera-
Grundlagen
Konflikte und Entwicklungsstörungen
ten; die Abwehr des Ich ist letztlich auch durch Wünsche motiviert, zum Beispiel durch den Wunsch, Angst, Schuldgefühle und Schamgefühle zu vermeiden oder schlicht den Wunsch, die eigene biologische und soziale Existenz zu erhalten - denn diese könnte durch Wünsche aufs Spiel gesetzt werden, die Leben, Gesundheit, Beziehungen oder die Stellung in der Gesellschaft gefährden. Andere Wünsche, die miteinander in Konflikt liegen können, sind der Wunsch nach Triebbefriedigung und der Wunsch, ein »reines Gewissen« zu behalten. Hier handelt es sich um einen Konflikt zwischen Es und Über-Ich. Die Erinnerung an Konflikte in der Kindheit kann sich mit Beziehungen in der Gegenwart verbinden. So kann einem Erwachsenen ein Wunsch unerlaubt erscheinen, gegen den die Eltern zwar einmal ein Verbot ausgesprochen haben, den ihm aber heute niemand mehr verbieten würde. Beispielsweise kann ein Erwachsener mit anderen Erwachsenen sexuellen Umgang haben, ohne das Inzesttabu zu verletzen. Dennoch kann ihm Sexualität verboten vorkommen, da die Eltern gegen die auf sie selbst gerichteten sexuellen Wünsche des Kindes ein Verbot gerichtet hatten, um das Inzesttabu zu wahren. Die Wünsche des Kindes waren nicht frei flottierend, sondern richteten sich auf reale oder phantasierte Personen. Spuren dieser Personen bleiben als bewußte oder unbewußte Erinnerung im Gedächtnis zurück. Wird eine solche Erinnerung nun mit einer Person im aktuellen Beziehungsfeld verknüpft, kommt es zur sogenannten Übertragung: Der Betreffende wird in gewissem Umfang so wahrgenommen wie die frühere Person. Damit werden Konflikte, die in der Beziehung zu dieser früheren Person eine Rolle spielten, reaktiviert und auf die neue Beziehungssituation übertragen. Das heißt, »übertragen« wird nicht nur das Bild einer Person, sondern auch die Art der Beziehung zu ihr. Es gibt nun mehrere Möglichkeiten. Es kann dem Übertragenden zum Beispiel unbewußt bleiben, daß er überträgt. Er weiß also nicht, daß er etwa eine Partnerin wie die Mutter sieht, oder eine Frau weiß nicht, daß sie den Partner wie den Vater sieht - nicht im Sinne einer psychotischen Verkennung, sondern in dem Sinne, daß sie oder er ihm oder ihr bestimmte Eigenschaften zuschreibt und ähnlich auf ihn oder sie reagiert wie früher auf Vater oder Mutter. Möglicherweise ist die Erinnerung an den Vater oder die Mutter aber auch bewußt. Der Betreffende weiß, daß er Frauen oder Männer
nach dem Modell von Mutter oder Vater einschätzt, daß er also zum Beispiel meint, Frauen seien letztlich wie die Mutter oder Männer seien letztlich wie der Vater. Er kann sie aber nicht anders sehen und ist davon überzeugt, daß Frauen und Männer so sind, auch wenn er weiß, warum er so denkt. Er nimmt Frauen und Männer nach dem Modell wahr, das er mit sich herumträgt, und geht mit ihnen entsprechend um. Es kommt vor, daß er sie in dem Sinn beeinflußt, daß sie sich so verhalten wie die Menschen, die ihm als Vorbild für seine Einschätzung dienen. Man nennt das Projektive Identifizierung (KÖNIG 1993a, SANDLER 1987). Projektive Identifizierung kann aus dem Unbewußten heraus stattfinden, aber - wenn jemand keine anderen Beziehungsformen kennengelernt hat - auch aus dem Bewußten heraus. Der Betreffende weiß allerdings nicht, daß er seine Mitmenschen zu einem bestimmten Verhalten bringt - er weiß allenfalls, wer das Vorbild ist für das Bild, das er sich von anderen macht. Als dritte Möglichkeit wäre zu nennen, daß der Betreffende die kausalen Zusammenhänge kennt und außerdem weiß, daß es andere Menschen und andere Beziehungsformen gibt, daß er aber dennoch »nicht anders kann«. Die eigene Geschichte ist stärker als das, was er in der Gegenwart wahrnimmt, selbst wenn es ihm gelingt, anderes wahrzunehmen als das, was ihm vertraut ist. Die Menschen, mit denen man im Lauf seiner Geschichte umgegangen ist, sind nicht nur als Konfliktpartner weiter präsent, vielmehr werden sie auf dem Wege der Identifizierung auch in das eigene Selbst integriert. Es gibt vorübergehende und dauernde Identifizierungen. Vorübergehende Identifizierungen dauern oft nur Minuten oder Tage, im Ausnahmefall vielleicht auch Wochen oder Monate. Eine dauernde Identifizierung findet nicht von selbst ein Ende. Wie wir uns als Männer oder Frauen sehen, hat viel mit unseren Identifizierungen mit den Eltern zu tun. Auch sogenannte Gegenidentifizierungen können auftreten: Man identifiziert sich mit einem Idealbild, das ganz anders ist als die Eltern, oft genau spiegelbildlich anders. Passen die Identifizierungen nicht in die aktuelle Beziehungssituation oder in die aktuelle gesellschaftliche Situation, kommt es zu Schwierigkeiten. Ein neurotisches Syndrom ist Ausdruck eines inneren, meist durch Erlebnisse aus der Kindheit mitbeeinflußten Konflikts, mit dem der nunmehr Erwachsene inadäquat umgeht. In einer Übertragung macht er den inneren Konflikt wieder zu einem interpersonellen, zwischenmenschlichen. Einer adäquateren Konfliktlösung steht oft entgegen,
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Grundlagen
daß Anteile des Konflikts unbewußt bleiben. Unter Umständen bleibt der gesamte Konflikt unbewußt. wirkt sich aber dennoch auf das aktuelle Erleben und Verhalten aus. Auf welchen Wegen das geschieht, läßt sich noch nicht sicher sagen. Entwicklungsstörungen des Ich, man spricht auch von ich-strukturellen Störungen, wirken krankmachend, nicht nur weil das unzureichend entwickelte Ich mit Konflikten nicht adäquat umgehen kann, sondern auch dadurch, daß die Störung Erleben und Ausdruck beeinflußt. Menschen mit ich-strukturellen Störungen können verschiedene Gefühle schlecht auseinanderhalten, können Angst, Scham- und Schuldgefühle nicht beschreiben und nicht benennen. Sie wissen zwar, daß es so etwas gibt, weil sie davon gehört oder gelesen haben, können dieses Wissen aber auf sich selbst und auch auf andere nicht anwenden. Die Wahrnehmung von Personen ist dadurch beeinträchtigt, daß jeder die Sinneseindrücke, die durch eine andere Person hervorgerufen werden, entsprechend den Modellen ordnet, die er in sich trägt. Bei entwicklungsgestörten Personen sind diese Modelle archaisch, es handelt sich etwa um »nur gute« oder »nur schlechte« Menschen, wie sie in Märchen vorkommen. Die Verarbeitung von Wahrnehmungen ist gestört, weil die Affekttoleranz gering ist. Gefühle werden als ~n erträglich empfunden. Sie unterscheiden sich quantitativ und quahtativ von den Gefühlen anderer Menschen und können nicht sozialadäquat handlungsleitend sein. Wenn Gefühle unerträglich wer~en, kommt es oft zu Impulshandlungen, beispielsweise zu aggressIven Handlungen oder zum Gebrauch von Suchtmitteln. Impulsdurchbrüche können dem Patienten Schwierigkeiten bringen. Er »eckt« an, auch weil er soziale Situationen schlecht einschätzen kann. Manche dieser Menschen ziehen sich dann zurück, weil sie in Beziehungen nicht zurechtkommen. Andere entwickeln die Fähigkeit, ihre Mitmenschen zu manipulieren, und kommen dann zumindest eine Zeitlang gut zurecht, oft auch ein ganzes Leben. Es ist wichtig, die krankmachenden Folgen von neurotischen und ich-strukturellen Störungen zu unterscheiden. In diesem Buch beschreibe ich ich-strukturelle Störungen zumindest so weit, wie es zur Differentialdiagnose erforderlich ist. Wer sich in seiner Arbeit mit ich-strukturell gestörten Patienten beschäftigen will, findet über die Angaben in diesem Buch heraus im umfangreichen Schrifttum weitere Informationen, zum Beispiel in den Arbeiten von KERNBERG (z.B. 1975, 1984, KERNBERG et al. 1989) oder in den Veröffentlichungen
Grundkonflikte
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von HEIGL-EvERS und anderen (z.B. HEIGL-EvERS et a1. 1993a, HEIGL-EvERS u. OTT 1994).
Grundkonflikte Vielen Formen psychischer und psychosomatischer Pathologie liegen Konflikte zwischen Abhängigkeitswünschen und Unabhängigkeitsbestrebungen des Selbst gegenüber den Objekten zugrunde. BALINT (1959) beschreibt den oknophilen und den philobatischen Persönlichkeitstyp. Der oknophile Persönlichkeitstyp bleibt nahe an den Objekten, möglicherweise klammert er sich sogar an sie. Der Philobat sucht die »freundlichen Weiten« auf, in denen er sich frei und gleichzeitig geborgen fühlt. Der Phantasie des Philobaten, sich nicht nur frei, sondern auch geborgen zu fühlen, liegt die Übertragung einer allzeit präsenten, aber nicht drängenden und nicht eindringenden Mutter auf jene »freundlichen Weiten« zugrunde; einer idealen Mutter, die Freiheit läßt und dennoch birgt und schützt. Eine solche Phantasie hat oft kompensatorischen Charakter, die wirkliche Mutter kann sich gerade gegensätzlich verhalten haben, kann einengend, zudringlich, eindringend und klammernd gewesen sein. Oknophile dagegen, die sich an den Objekten festklammern, haben vielleicht zu wenig bergendes und schützendes Mutterverhalten erlebt, so daß sie die Phantasie einer bergenden und schützenden Mutter entwickeln. Möglicherweise wurden sie häufig allein gelassen und sind gern bereit, dieses ungewünschte, oft als existenzbedrohend erlebte Alleingelassensein gegen die bergende Nähe eines Objekts zu tauschen, in dessen Gegenwart sie sich nicht mehr allein fühlen. Die beiden Persönlichkeitstypen müssen nicht unbedingt daraus entstehen, daß der Betreffende von dem, was er heute wünscht, in der Vergangenheit zu wenig bekommen hat; möglich ist auch, daß er zu viel davon bekommen hat. So hat jemand vielleicht gelernt, die Nähe der Objekte zu brauchen, weil ihm diese Nähe reichlich zur Verfügung gestellt wurde und er deshalb nicht motiviert war, eigene Aktivitäten zu entfalten; oder er hat gelernt, viel Freiheit zu brauchen, weil man sie ihm ließ. Die Entwicklung eines Kindes beginnt immer mit existentieller Abhängigkeit von der Mutter und zielt auf die Ablösung von ihr. Die
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Grundlagen
Selbständigkeit pflegt aber nicht vollständig zu sein, weil Mutterersatzfiguren an die Stelle der Mutter treten. Es gibt jedoch Menschen, die zumindest glauben, von anderen völlig unabhängig zu sein. Dies sind die Philobaten, die sich von anderen Menschen - und da besonders von Mutterobjekten - ganz unabhängig fühlen und nicht merken, daß für sie die »freundlichen Weiten« das Mutterobjekt bilden. Der Wunsch nach Freiheit muß mit dem Wunsch nach Geborgenheit, der Wunsch nach Funktionslust und Leistung muß mit dem Wunsch nach passivem Versorgtwerden in Konflikt geraten. Es gibt Menschen, die ein Gleichgewicht zwischen Geborgenheit und Freiheit finden, mit dem sie gut leben können. Anderen gelingt es nicht, ein solches Gleichgewicht zu finden, vor allem dann nicht, wenn die Phantasie besteht, die beiden gegensätzlichen Bedürfnisbereiche seien unvereinbar, ein Mensch könne entweder nur unabhängig oder aber nur geborgen sein. Es gibt derartig einseitige Situationen, etwa wenn jemand nach einem schweren Unfall im Krankenhaus liegt und zunächst gar nichts leisten muß. Im Erwachsenenleben sind solche Situationen jedoch selten.. Abhängigsein und Unabhängigsein bedeutet in verschiedenen Phasen der menschlichen Entwicklung Unterschiedliches. Ein Säugling, der nicht erbgenetisch oder durch perinatale Einflüsse geschädigt ist, zeigt früh Wünsche nach Aktivität, und er zeigt, daß er mit den Personen, die ihn betreuen, interagieren möchte. Wie Säuglingsbeobachtungen erwiesen haben (z.B. DORNES 1993a, 1993b), sind die Interaktionsmöglichkeiten des Säuglings von Anfang an sehr differenziert, und er verfügt auch über ein Signalsystem, auf das gesunde, unbeeinträchtigte Mütter ansprechen, selbst wenn sie es kognitiv nicht »verstehen«. So kann es sein, daß eine gesunde Mutter mit ihrem gesunden Säugling zweckmäßig umgeht, daß sie also seine Bedütfnisse befriedigt, ohne daß sie das gelernt hätte. Sie weiß nicht, »woher sie das hat«. Es scheint so zu sein, daß sie angeborene Verhaltensweisen mitbringt, die vom Kind aktiviert werden. Ein Säugling braucht die Mutter notwendig, und man kann auch sagen, daß die Mutter den Säugling »notwendig braucht«, weil sie kaum ohne ihn sein kann und sehr umuhig wird, wenn die Umstände sie einmal von ihm trennen. Allerdings kommt es auch hier schon zu Interessenkonflikten zwischen dem Kind und der Mutter. Das Kind möchte gefüttert werden, sobald es Hunger oder Durst verspürt, die Mutter möchte nachts nicht zu oft geweckt werden, und das gilt
Grundkonflikte
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natürlich auch für einen Vater, der das Kind mit versorgt. Unter den Experten gibt es immer wieder Streit darüber, was man den Müttern nun eigentlich empfehlen soll: »feeding on demand«, also Füttern nach Wunsch, oder das Einhalten eines festen Zeitschemas. Wenn das Kind laufen lernt, tritt die Mutter-Kind-Beziehung in eine neue Phase ein. Die Mutter sollte dem Kind jetzt die Möglichkeit geben, vieles auszuprobieren. Sie sollte es ertragen, daß das Kind hinfällt oder daß es auch dann laufen möchte, wenn es für die Mutter einfacher wäre, das Kind zu tragen oder zu fahren. Es gibt Mütter, die ihr Kind immer an der Hand führen wollen, und Mütter, die sich freuen, wenn das Kind bald selbständig läuft; es gibt Mütter, die Angst empfinden, wenn das Kind hinfällt, und andere, die ein Hinfallen des Kindes als notwendigen Bestandteil des Laufenlernen verstehen und keine Angst um das Kind haben (vorausgesetzt, der Boden, auf dem das Kind läuft und auf den es fällt, ist weich genug). MARGARET S. MAHLER (z.B. 1978) hat diese Entwicklungsphase ausführlich beschrieben. In der ödipalen Phase der Entwicklung kommt es zu einem weiteren Interessenkonflikt zwischen dem Kind und mindestens einem Elternteil. Ein Kind kann natürlich nicht real Partner der Mutter oder des Vaters sein, weder in sexueller Hinsicht noch in der Rolle des »Familienvaters« oder der »Mutter und Haufrau«. Das Verhalten zumindest eines Elternteils kann aber dazu führen, daß das Kind in der Illusion unterstützt wird, eigentlich Partner des Vaters oder der Mutter und damit von beiden nicht mehr kindlich abhängig zu sein. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn ein Vater sich von seiner Frau emotional vernachlässigt fühlt und sich deshalb der Tochter zuwendet, viel Zeit mit ihr verbringt, mit ihr schmust, sie auf ihrem Schoß sitzen läßt und ähnliches. In dieser Entwicklungsphase kommt es darauf an, daß die Eltern sich gegenüber dem Kind ihren Rollen in der Familie gemäß verhalten und die Generationengrenzen nicht auflösen. Zu einem guten Ausgang der ödipalen Entwicklungsphase gehört, daß das Kind einsieht, noch nicht Partner des Vaters oder der Mutter sein zu können. Gleichzeitig sollte es nicht die Hoffnung verlieren, später einmal soweit zu sein, daß es Partnerin oder Partner eines erwachsenen Mannes oder einer erwachsenen Frau sein kann, wenn es erst einmal »groß genug ist«. Die sogenannte Latenzphase - so genannt, obwohl kindliche sexuelle Phantasien in der Latenzphase nicht, wie man lange glaubte, völlig verschwinden - ist, wenn die vorangegangenen Entwicklungen
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Grundlagen
Neurose und Psychose
gut durchlaufen wurden, eine Periode des Lernens, überwiegend vom gleichgeschlechtlichen Elternteil. Erst in der Adoleszenz kann eine wirkliche Ablösung von den Eltern stattfinden. Wenn diese Phase gut bewältigt wird, kann nach anfänglicher Distanzierung eine Wiederannäherung auf einer neuen Ebene erfolgen, der Erwachsenenebene, so daß die Eltern und ihr Kind nun als Erwachsene miteinander umgehen können. Schlägt diese Entwicklung fehlt, bleibt die Distanzierung aus, und lebenslange innere, oft auch äußere Abhängigkeit von den Eltern ist die Folge. Reißt das Kind sich los oder werfen die Eltern es aus dem Haus, kommt es meist zu einer Pseudounabhängigkeit. Der Jugendliche erscheint, von außen betrachtet, unabhängig. Innerlich bleibt er aber an die Eltern gebunden und in seiner Persönlichkeitsentwicklung in der Adoleszenz stecken (KÖNIG 1994).
denen es letztlich jeder Mensch zu tun hat. Anders ist die Art des Umgangs mit diesen Konflikten. Das liegt wohl an aus Erbe und Umwelt resultierenden, unterschiedlichen Voraussetzungen. Bei den Patienten, die später eine Psychose entwickeln, liegt vermutlich eine Kombination ererbter disponierender Faktoren vor, die im Zusammenwirken mit aktuellen Umwelteinflüssen einen bestimmten Stil im Umgang mit den Grundkonflikten nahelegen: Der Realitätskontakt wird aufgegeben. Selbst bei Menschen, die man ohne weiteres als gesund bezeichnen würde, kommt es schon dadurch zu Realitätsverkennungen, daß man Erfahrungen mit prägenden Personen in der Primärfamilie auf Menschen überträgt, die man neu kennenlernt, ohne daß diese Erfahrungen ganz und gar passen. Es kann erheblicher Widerstand dagegen auftreten, die vertrauen Objektbilder als Modelle für den Umgang mit Menschen aufzugeben (KÖNIG 1982), so daß oft versucht wird, die Vergangenheit zu reinszenieren. Durch den interaktionellen Anteil der Übertragung (die projektive Identifizierung vom Übertragungstyp) werden Menschen dazu gebracht, sich wie Personen zu verhalten, die der projektiv Identifizierende früher kannte. Das alles muß dem projektiv Identifizierenden nicht auffallen, im Gegenteil, oft bedarf es erheblicher therapeutischer Arbeit, die Übertragungsverkennungen aufzulösen. Bei Patienten mit einer ausgeprägten Psychose ist die Verkennung der äußeren Realität dagegen meist offensichtlich und auch nicht unmittelbar einfühlbar. Gesunde können sich in Psychosekranke erst einfühlen, wenn sie sich mit deren besonderer Weise des Denkens und Fühlens vertraut gemacht haben. Im Umgang mit Psychosekranken treten oft Verwirrungsgefühle auf, die eine Folge projektiver Identifizierungen sind. Der Patient erzeugt per projektiver Identifizierung vom kommunikativen Typ (KÖNIG 1993) beispielsweise Gefühle im Therapeuten, die den Gefühlen des Patienten in verwirrtem Zustand entsprechen; ist also der Patient verwirrt, erlebt so auch der Therapeut ein Stück Orientierungslosigkeit. Allerdings hat man auch bei bestimmten neurotischen Krankheitsbildern Schwierigkeiten, Denkprozesse und Fühlen des Patienten nachzuvollziehen. So kann man sich nicht unmittelbar in das Fühlen und Denken eines Zwangskranken einfühlen. Am ehesten gelingt das noch bei Kontrollzwängen und bei Zwangsbefürchtungen. Zwangsimpulse ohne Motivationszusammenhang und Zwangsrituale können aber in der Regel nicht unmittelbar eingefühlt werden, dazu ist die Kenntnis der Symbolsprache des Patienten und der eingesetzten Ab-
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Neurose und Psychose Eine vergleichende Betrachtung von Neurose und Psychose erscheint mir nicht nur für das Verständnis der Psychosen fruchtbar. Sie ermöglicht vielmehr auch ein besseres Verständnis der Neurosen, die so in einen größeren Zusammenhang gestellt werden (nicht nur in einen Zusammenhang mit dem Gesunden, wie ich es zum Beispiel in der »Kleinen psychoanalytischen Charakterkunde« 1992 zu zeigen versucht habe). Obwohl die psychotische Symptomatik auf den ersten Blick fremdartig anmutet, erweist sie sich letztlich doch als verstehbar und wilit so ein neues Licht auf die existentiellen Aspekte jener Grundkonflikte, die in der Psychose deutlich zu Tage treten. Deshalb empfiehlt sich eine Beschäftigung mit der Psychodynarnik der Psychosen auch für diejenigen Psychotherapeuten, die keine Psychosekranken behandeln. Voraussetzungen für das Verständnis des oft sehr komplexen Einzelfalles können in diesem einführenden Lehrbuch nicht vermittelt werden; hier sei auf die spezielle Fachliteratur verwiesen (z.B. BENEDETTI 1984, 1987, MENTZOS 1991, 1992, 1995, ROSENFELD 1966). Das von MENTZOS (1991,1992, 1995) vorgeschlagene Verständnis der Psychosen als Fehlverarbeitungen allgemeiner menschlicher Grundkonflikte gestattet es, die Symptombilder von Psychose und Neurose miteinander zu verknüpfen. Beim psychotisch Kranken finden sich Probleme, mit denen es auch der neurotisch Kranke, mit
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wehrmechanismen nötig. Die Motive für das oft bizarr wirkende Handeln, Denken und Fühlen des Zwangskranken sind dem Untersucher häufig nicht nachvollziehbar. Da ist er allerdings oft in der gleichen Lage wie der Patient, dem seine Motive auch unzugänglich sind; der setzt den Abwehrmechanismus Isolierung aus dem Zusammenhang ein, wobei die Motive entweder mit dem Handeln unverbunden erscheinen oder verdrängt sind: Um welche menschlichen Grundkonflikte handelt es sich nun bei der Psychose? MENTZOS benennt bei Patienten mit einer Schizophrenie die »Bipolarität« zwischen selbstbezogenen und objektbezogenen (»also ... zwischen autophilen und heterophilen Tendenzen ... «, 1991, S. 10). Als pathologische Lösungen sieht MENTZOS (1995) den narzißtischen Rückzug oder die Auflösung der Ich-Grenzen und die Fusion mit dem Objekt an. Bei den affektiven Psychosen geht es nach MENTZOS um die »Bipolarität« von Selbstwertigkeit und Objektwertigkeit, als fehlgeleitete Lösungen nennt er ~.ie »absolute Herrschaft des archaischen, strengen, übermächtigen Uber-Ich« (Depression) oder das »Über-Bord-Werfen des Über-Ich, also die Herrschaft des Größenselbst ... «, wie sie bei der Manie vorkommt. Den von MENTZOS für die Schizophrenie angeführten Problemen begegnet man, wie im weiteren noch beschrieben werden wird, auch im Umgang mit schizoiden, nicht psychotischen Menschen. Auch sie empfinden den »Drang zum Objekt hin« (MENTzos 1991, S. 11), der gleichzeitig als Bedrohung der Selbstidentität, Kohärenz und Integrität erfahren wird. Objekte, die als ideal empfunden werden, laden zu einer Verschmelzung ein, die als ungefährlich erlebt wird. Das Selbst wird gern aufgegeben, wenn es zu einer Verschmelzung mit einem idealen Objekt kommen soll. Das kann auch eine idealisierte Gruppe sein, etwa eine religiöse Sekte. Von Objekten, die er als zudringlich, vom eigenen Selbst sehr verschieden oder in irgendeiner anderen Weise als »schlecht« empfindet, zieht der Schizoide sich zurück. Allerdings würde ich den Rückzug anders als MENTZOS ni~ht als narzißtisch bezeichnen, da er nicht in jedem Falle mit einer Uberbewertung des Selbst und einer Abwertung der Objekte einhergeht, wie das beim narzißtischen Menschen zu finden ist (KÖNIG 1992). Das spiegelverkehrte Gegenstück zur Überbewertung des Selbst und der Abwertung der Objekte ist das Verhalten depressiv strukturierter Menschen. Diese werten sich selbst ab, können ohne Objekte nicht sein und oft nur durch die Objekte hindurch leben; bei der altruistischen Abtretung etwa wird eigener Lebensgenuß in den ver-
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schiedensten Formen für den Depressiven selbst prinzipiell als unverdient oder ungehörig betrachtet und ist nur per Identifikation mit anderen Menschen möglich, für deren Wohlergehen der Depressive oft sorgt. Einen Konflikt zwischen der Bewertung des Selbst und der Bewertung des Objekts oder der Objekte sieht nun MENTzos als mitkonstituierend für die manisch-depressive Erkrankung an. Ein stabiles Gleichgewicht kann nicht gefunden werden, es kommt vielmehr zu extremen Ausschlägen zwischen einer Entwertung des Selbst mit Überschätzung der Objekte in der Depression und einer Überschätzung des Selbst mit Abwertung der Objekte in der Manie. In seinem Buch zu Depression und Manie (1995) dehnt MENTzos diese Konzeptualisierung auf das Ich-Ideal aus. In der Manie wird das Selbst zum Größenselbst, das sich nicht nur dem Über-Ich und dem Ich-Ideal überlegen fühlt, sondern allem und jedem. Entsprechend läßt sich die Selbstentwertung des Depressiven nicht ausschließlich als Auswirkung eines strengen und übermächtigen Über-Ich verstehen. Vielmehr sucht das Selbst durch Erfüllung der Forderungen des Über-Ich einen gewissen moralischen Wert zu gewinnen. Dies gelingt jedoch nicht - das Selbst ist den Forderungen des Über-Ich gegenüber insuffizient. Weil es sich nun nicht nur den Objekten gegenüber, sondern auch in dieser Hinsicht als insuffizient erlebt, wertet es sich weiter ab. Eine solche Problematik kann man bei der depressiven Persönlichkeitsstruktur und bei den neurotischen Depressionen noch gut nachfühlen, ebenso bei der hypomanischen Abwehr einer Depression; in der Manie und der Depression zeigt sich jedoch eine neue Qualität, wenn es zu Wahnvorstellungen kommt. Wie in der Schizophrenie scheint der Verzicht auf die Wahrnehmung der Welt in den Kategorien des Gesunden hier ein Anteil der »Lösung« zu sen. Wie auch in der Neurose ist bei der Psychose wohl eine Schwäche und schließlich ein Versagen der Ich-Funktionen als krankmachend anzusehen. Bei der Neurose werden sie durch den Einsatz von Abwehrmechanismen ersetzt, zum Beispiel tritt an die Stelle des Reizschutzes ein Leugnen der Umweltfaktoren, die unangenehme Gefühle hervorrufen könnten. In der Psychose werden auch Abwehrmechanismen eingesetzt, wie schonARLOw und BRENNER (1976) gezeigt haben. Anders als in der Neurose werden sie hier jedoch nicht mit dem Ziel eingesetzt, den Umgang mit der Realität zu verbessern (selbst wenn dazu gehört, daß die Realität nicht in allem richtig wahrgenommen wird, wie das etwa bei der Leugnung der Fall ist). Der psychoti-
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sche Patient gibt den Umgang mit der Realität in bestimmten Bereichen seines Erlebens und Handeins vielmehr völlig auf und ersetzt die Wahrnehmung der Realität durch psychotische Phantasien. Diese Phantasien sind von einem Gefühl der Gewißheit begleitet. Man weiß seit langem, daß manche Patienten mit einer Zwangsneurose später schizophren werden. Hier scheint der zwangsstrukturelleAnteil einen Modus des Umgangs' mit Empfindlichkeiten darzustellen, die mit einer Disposition zur Psychose zusammenhängen. Kliniker sprechen davon, daß die Zwangsstruktur den Patienten stabilisiert, weshalb es untunlich sei, zwangsneurotische Patienten mit starken schizoiden Persönlichkeitsmerkmalen mit einer aufdeckenden Therapie zu behandeln. 'fELLENBACH (1961) beschreibt die Persönlichkeitsstruktur manisch-depressiv Kranker zwischen den Phasen als zwanghaft. Auch hier könnte man annehmen, daß die Patienten durch ihren Zwangsstrukturanteil stabilisiert werden. Die bei der Zwangsstruktur zu findenden Abwehrmechanismen der Isolierung vom Affekt und der Isolierung aus dem Zusammenhang scheinen den Umgang mit Konflikten jeder Art zu erleichtern. Die Isolierung vom Affekt isoliert die Kognitionen von ihren affektiven Auswirkungen und neutralisiert damit deren Konfliktpotential. Die Isolierung aus dem Zusammenhang trennt die Komponenten eines Konfliktes voneinander, und zwar im kognitiven wie im affektiven Bereich. Was nicht miteinander in Berührung gerät, kann nicht konfligieren. Auch ein Teil der Patientinnen mit Anorexia nervosa (s. dazu den entsprechenden Abschnitt) wird schizophren. Ihre Verhaltensstörung (wenig Essen, Erbrechen, Abführmittel) führt zur Gewichtsreduktion. Die Motivation dazu hat - besonders, was das »Fasten« angehtasketische Aspekte, die v