Einfuhrung in das Betreuungsrecht
Jurgen Seichter
Einfiihrung in das Betreuungsrecht Ein Leitfaden fiir Praktiker des Betreuungsrechts, Heilberufe und Angehorige von Betreuten Dritte, aktualisierte und uberarbeitete Auflage
^ S
Jiirgen Seichter c/o Amtsgericht Nidda Schlossgasse 23 63667 Nidda
[email protected] ISBN-10 3-540-23680-5 Springer Berlin Heidelberg New York ISBN-13 978-3-540-23680-1 Springer Berlin Heidelberg New York ISBN 3-540-00038-0 2. Auflage Springer Berlin Heidelberg New York
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Vorwort zur 3. Auflage
Das Erscheinen der 3. Auflage hat sich verzogert, weil zunachst das Inkrafltreten des 2. Betreuungsrechtsanderungsgesetzes abgewartet werden musste. Die durch dieses Gesetz eingetretenen Anderungen haben die Arbeit an dieser Auflage ganz mafigeblich bestimmt. Daneben und von der Bedeutung her noch hoherrangig gait es, den Grundsatzbeschluss des Bundesgerichtshofs vom 17.03.2003, betreffend die Rechtslage bei dem Abbruch lebenserhaltender und -^verlangernder Mafinahmen einzuarbeiten. Dies machte die vollstandige Umarbeitung der jetzt in S. 147 bis 165 enthaltenen Ausfiihrungen erforderlich. Der BGH-Beschluss markiert nicht das Ende der Diskussion, stellt aber einen wichtigen Meilenstein auf dem weiteren Weg der Rechtsentwicklung dar. Auf dem Hintergrund der hierzu in dem Buch gemachten Ausfiihrungen kann es nur begriiBt werden, dass das Bundesjustizministerium seinen Entwurf eines 3. Betreuungsrechtsanderungsgesetzes, der das Ziel der unverrtickbaren Verbindlichkeit von Patientenverfiigungen hatte, zuriickgezogen hat. Eine solche Vereinheitlichung hatte zwar den Vorteil der Rechtsklarheit, wiirde aber der Vielschichtigkeit der hiervon betroffenen Fragen und letztlich der Individualitat des Einzelfalls nicht gerecht. Im Ubrigen sind auch weitere Fallbeispiele aufgenommen worden. Fall 47 S. 148 schildert einen Sachverhalt, in dem aufgrund des BGH-Beschlusses die Arzte in eigener Verantwortung, ohne Entscheidung des Betreuers und des Betreuungsrichters, zur Entscheidung, nicht weiter zu behandeln, befugt waren. Der Fall Franziska Salver (Fall 49 S. 156) zeigt, wie es auch bei Vorsorgebevollmachtigung einer engen Vertrauten zu Problemen kommen kann. In Fall 41 S. 133 war die Genehmigung einer Amputation entbehrlich, weil aufgrund des (ganz ausgezeichneten!) Berichts der Betreuers deutlich wurde, dass die Betreute, ungeachtet ihrer Beeintrachtigungen, aufgrund derer ihr ein Betreuer bestellt war und ist, in der konkreten Situation selbst entscheidungsfahig war. Fall 9 S. 27 schlieBlich zeigt einen Verlauf, an dessen Ende es zum Widerruf der Vollmacht durch eine vom Gericht eingesetzt Kontrollbetreuefin kam.
VI
Vorwort zur 3. Auflage
Bei der Darstellung der VorsorgevoUmacht, S. 20 wurde ein Hinweis eingefugt, dass und weshalb einer nicht an eine Bedingung gekniipften GeneralvoUmacht der Vorzug zu geben ist und wie sich das damit einhergehende Risiko des Vollmachtgebers begrenzen lasst. Zu Beginn des Sachverzeichnis wurde das Stichwort „2. BtAndG" eingefugt, die Untereintrage erschlieCen die in dem Buch behandelten Auswirkungen dieses Gesetzes. Unter dem Stichwort „Abktirzungen" wurden weitere Gesetzesabktirzungen aufgenommen, an den angegebenen Fundstellen fmdet sich jeweils die vollstandige Bezeichnung des Gesetzes. Aufgrund der Bezugnahme in § 5 VBVG wurde in die abgedruckten Gesetzestexte § 1 Heimgesetz eingefiigt. Im Obrigen wurden die Zitatstellen uberpriift und angepasst sowie Fehler, die sich eingeschlichen hatten, behoben. Das Grundanliegen des Buches bleibt bestehen, und Ruckmeldungen von den Lesern zeigen, dass es gut aufgenommen wird: das Betreuungsrecht soil verstandlich und umfassend dargestellt werden. Verstandlich meint hier nicht nur leicht fasslich, sondem vor allem, dass der Leser, auch wenn er kein Jurist ist, die gesetzlichen Regelungen nicht nur kennenlemen, sondern ihren Hintergrund und ihren Sinn verstehen konnen soil. Es gab auch kritische RUckmeldungen, diese wurden, wie schon bei der Vorauflage, sorgfaltig Uberpriift, die meisten fiihrten zu Verbesserungen. In diesem Sinn sieht der Verfasser Reaktionen auch auf diese Auflage erwartungsvoll entgegen. Nidda, im Juli 2005 Jiirgen Seichter
Vorwort zur 1. Auflage
Noch fast zehn Jahre nach dem Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes am 1. Januar 1992 wird der Betreuungsrichter in Krankenhausem und Pflegeheimen wie auch von Angehorigen immer wieder angesprochen: „Da gibt es doch dieses neue Betreuungsrecht, da ist jetzt ja alles anders?" In dieser Frage kommt eine allgemeine Unsicherheit zum Ausdruck, die trotz vieler Informationsveranstaltungen und Veroffentlichungen zu diesem Thema kaum zurtickgegangen ist. Diese Unsicherheit stellt eine zusatzliche Last dar gerade fiir die, die sich am intensivsten um solche Kranken und Behinderten kummem, die ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln konnen und die durch diesen Dienst ohnehin schon hochbelastet sind. Rechtliche Unsicherheit fiihrt aber gerade bei Heil- und Pflegeberufen schnell zu Angsten: Da ist die Sorge des Arztes, der, „ohnehin immer mit einem Bein im Gefangnis", nicht versteht, weshalb eine medizinisch unzweifelhaft indizierte Behandlung von einem anderen genehmigt werden muss und auch noch von einem Richter, also einem Nichtmediziner. Da ist die Stationsleitung, die zur Sicherung gegen folgenschwere Sturze Bettgitter und Sitzgurte anbringt und vom Versorgungsamt nach einer richterlichen Genehmigung gefragt und auf den Straftatbestand der Freiheitsberaubung (!) hingewiesen wird. Da ist aber auch die Stadtverwaltung, die einen Alkoholiker mit gravierenden Verwahrlosungstendenzen einer ordnungsgemafien Versorgung zugefiihrt wissen will - und vom Betreuungsrichter erfahrt, dass es keine Moglichkeit gibt, einzugreifen.
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Vorwort zur 1. Auflage
Und da sind die Angehorigen, die im Umgang mit ihrem verhaltensauffalligen altersstarrsinnigen Angehorigen Hilfe durch Einrichtung einer Betreuung erhoffen - und vom Vormundschaftsgericht darauf hingewiesen werden, dass dies bei vollig fehlender Bereitschaft des Betroffenen, die Hilfe durch eine Betreuung hinzunehmen, die Situation kaum bessem wird, so lange die Voraussetzungen einer geschlossenen Unterbringung nicht vorliegen. SchlieBlich ist da auch noch der angefragte ehrenamtliche Betreuer, dem als Freund oder Nachbar des Betroffenen die Ubernahme einer Betreuung angetragen wird, der aber davor zuriickschreckt, diese in Veroffentlichungen vielfach uberhoht dargestellte Rolle selbst ausfiillen zu sollen. Das vorliegende Buch mochte den genannten und weiteren Angsten dadurch entgegenwirken, dass es mit klaren und - wie der Verfasser hofft - auch fur Nichtjuristen verstandlichen Worten aufzeigt •
was der Rechtsbegriff „Betreuung" iiberhaupt genau bedeutet,
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was von einem Betreuer erwartet wird - und was nicht,
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dass die Einrichtung einer Betreuung zunehmend nicht nur als schwerer Eingriff in das Personlichkeitsrecht verstanden wird, sondem auch als sehr willkommene Hilfe und
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dass die Einrichtung einer Betreuung eine wesentliche Entlastung fur den Arzt darstellen kann, weil diesem mit dem Betreuer ein rechtlich legitimierter Ansprechpartner zur Verfiigung steht und damit zu Gunsten des Arztes Sin erhebliches Mehr an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit eintritt.
Entstanden ist das Buch aus der Berufspraxis des Verfassers, der seit (iber 11 Jahren Betreuungssachen (vor 1990 Pflegschaftssachen genannt) bearbeitet. Bei jahrlich ca. 500 Anhorungen „vor Ort" kam es zu zahlreichen Kontakten mit Arzten, Pflegern und - in Behinderteneinrichtungen - Heilerziehern. Fragen, die aus diesem Berufsgruppen immer wieder gestellt wurden, sind in dieses Buch eingeflossen. Das Betreuungsrecht flihrt auch den Richter immer wieder in Spannungen: Spannungen zwischen offensichtlichen Notwendigkeiten, denen man sich verniinftigerweise nicht entziehen kann und der Gesetzeslage, die hier immer wieder keine passende Antwort gibt. Spannungen auch in der Abgrenzung der richterlichen Verantwortung von der eigenen Verantwortung von Arzten, Pflege- und Heilberufen, in die der Richter nicht hineinregieren soil und darf.
Vorwort zur 1. Auflage
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Das Buch verschweigt diese Spannungen nicht, sondem stellt sie dar, erlautert sie aus richterlicher Sicht und macht Losungsvorschlage, die sowohl mit den Bedurfnissen der Praxis als auch mit den gesetzlichen Vorgaben in Ubereinklang zu bringen sind. Zur Verdeutlichung sind uber 50 Fallbeispiele, fast ausnahmslos aus der Praxis des Verfassers, eingearbeitet. Wiederholt wird auch darauf hingewiesen, dass andere Gerichte anders entscheiden. Das ist bei einem so hochpersonlichen Rechtsgebiet wie dem Betreuungsrecht auch nachvollziehbar. Insofem bietet das Buch nicht „die" Losung an, sondem Losungsvorschlage des Verfassers, wobei aber jeweils deutlich wird, aus welchen Grtinden der Verfasser zu diesem Ergebnis kommt. Es geht dem Verfasser nicht nur um die Vermittlung des - natiirlich auch erforderlichen - Grundwissens, sondem auch und vielleicht vor allem um die Fahigkeit, das betreuungsrechtliche Instrumentarium denkerisch durchdringen zu konnen. Wo das gelingt, werden die Leser dem Gesprach mit „ihrem" Betreuungsrichter besser folgen und ihm da und dort auch Altemativvorschlage machen konnen, Der typische Richter unserer Tage, der Betreuungsrichter zumal, ist dialogfahig! Richterkollegen, die dieses Buch lesen, mogen die zahireichen darin enthaltenen DenkanstoBe reflektieren. Vielleicht werden sie das eine oder andere ubemehmen. Aber auch wenn die Lekture des Buches sie in ihren bisherigen Standpunkten bestarkt oder zu neuen, aber wiederum anderen Einsichten fiihrt, hat dieses Buch seinen Sinn erfiillt. Literatur und Rechtsprechung konnten bis Abschluss des Manuskripts im April 2001 berticksichtigt werd'^" Fur Korrekturen oder Erganzungen ist der Verfasser dankbar. Gie6en,im Mai 2001 Jurgen Seichter
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zur 3. Auflage
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Vorwort zur 1. Auflage
VII
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Was bedeutet Betreuung?
XI
1
1. Heutige Betreuung und fruhere Vormundschaft/ Pflegschaft 2. Das Wesen der Betreuung
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Kapitel 2
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Notwendigkeit einer Betreuung
1. Krankheitsbedingte Unfahigkeit, selbst zu entscheiden a) Die zugrunde liegende Krankheit (1) Geistig Behinderte (2) Psychisch Erkrankte und Behinderte (3) Bestellung eines Betreuers allein wegen korperlicher Erkrankung (4) Zwangsbetreuung b) Betreuungsgutachten oder -attest c) Die Beurteilung der Erforderlichkeit der Betreuung durch den Richter (l)Grundsatz (2) Keine Betreuung bei Geschaftsungewandtheit oder mangelnder Bildung (3) Weigerung des Betroffenen, sich betreuen zu lassen d) Teilweise oder vollstandige, voriibergehende oder (voraussichtlich) endgiiltige Unfahigkeit, selbst zu entscheiden
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XII
Inhaltsverzeichnis
2. Subsidiaritat der Betreuung gegenuber Vollmacht und anderen Hilfen a) Entbehrlichkeit der Betreuung aufgrund Vollmachtserteilung b) Entbehrlichkeit der Betreuung aufgrund tatsachlicher Hilfen, die auch ohne wirksame rechtliche Vertretung erfolgen 3. Vermeidung einer Betreuung durch Vorsorgeverfiigung in gesunden Tagen a) Die Betreuungsverftigung b) Die Vorsorgevollmacht c) Die Generalvollmacht d) Formerfordernisse von Vorsorgeverfugungen und Vollmachten 4. Der Kontrollbetreuer 5. Der Verfahrenspfleger
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Kapitel 3
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Der Aufgabenkreis der Betreuung
1. Allgemeines zum Aufgabenkreis a) Der Grundaufgabenkreis: Vermogenssorge, Aufenthaltsbestimmungsrecht und Gesundheitsfursorge b) Die sinnvollen Erganzungen: Vertretung gegenuber Heim und Behorden sowie Postvollmacht c) Das Korrektiv: Der Erforderlichkeitsgrundsatz 2. Einzelne Aufgabenbereiche a) Die Vermogenssorge b) Das Aufenthaltsbestimmungsrecht c) Die Wohnungsauflosung d) Wohnungsauflosung ohne Mitteilung an die Betroffene e) Genehmigungsbedurftige Erklarungen des Betreuers f) Der Aufgabenkreis „alle Angelegenheiten" g) Angelegenheiten, die dem Betreuer nicht tibertragen werden konnen 3. Einwilligung in die Sterilisation eines Betreuten 4. Der Einwilligungsvorbehalt Kapitel 4
Wer wird Betreuer?
1. Zur Person des Betreuers a) Angehorige b) Sonstige ehrenamtliche Betreuer und ehrenamtliche Vereinsbetreuer c) Berufsbetreuer d) Hauptamtliche Vereins- und Behordenbetreuer e) Betreuungsverein f) Betreuungsbehorde 2. Ausschluss von Heimmitarbeitem als Betreuer 3. Mehrere Betreuer a) Eltem behinderter Kinder; sonstige Betreuung durch Angehorige b) Mehrere Betreuer fur getrennte Aufgabenbereiche
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Inhaltsverzeichnis
c) Verhinderungs- und Gegenbetreuung (1) Verhinderungsbetreuung (2) Erganzungsbetreuung (3) Gegenbetreuung Kapitel 5
Die Amtsfiihrung des Betreuers
XIII
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1. Beginn der Betreuung 2. Einzelheiten zur Amtsfiihrung des Betreuers a) Aufgaben zu Beginn der Betreuung b) Besuchsdichte und Kontaktpflege im weiteren Verlauf der Betreuung c) Inhaltliche Richtlinien fiir die Amtsfiihrung des Betreuers d) Entscheidungsbedarf beiNichterreichbarkeit des Betreuers e) Gegenlaufige Willenserklarungen des Betroffenen und des Betreuers f) Unterstiitzung des Betreuers g) Aufsicht des Vormundschaftsgerichts iiber den Betreuer 3. Betreuungsrecht und nichtbetreuende Angehorige 4. Die Beendigung der Betreuung a) Aufhebung der Betreuung (1) Wiederherstellung der Gesundheit des Betroffenen (2) Teilweise Wiederherstellung der Gesundheit mit ausreichender Restkompetenz (3) Erledigung des Betreuungsauftrages (4) Anhaltende Betreuungsunwilligkeit des Betroffenen (5) Aufhebungsantrag des Betroffenen b) Beendigung der Betreuung durch Fristablauf? c) Entlassung des Betreuers d) Tod des Betroffenen e) Tod des Betreuers
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Kapitel 6
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Berufsbetreuer
1. Berufsbetreuer friiher und heute 2. Voraussetzungen der Anerkennung als Berufsbetreuer a) Wie wird man Berufsbetreuer? b) Die Ubertragung von Berufsbetreuungen c) Erster Regelfall: Mehr als zehn Betreuungen d) Zweiter Regelfall: Gesamtbetreuungsaufwand mehr als 20 Wochenstunden e) Anerkennung einer Berufsbetreuung uber die gesetzlichen Regelfalle hinaus f) Beteiligung der Betreuungsbehorde 3. Zur Abrechnung des Berufsbetreuers a) Anzahl der zu vergutenden Stunden b) Hohe des Stundensatzes
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XIV
Inhaltsverzeichnis
c) Nachqualifikation von Berufsbetreuem zur Erreichung eines hoheren Stundensatzes 4. Kosten der Betreuung fur das Vermogen des Betroffenen bzw. seiner AngehOrigen a) Gerichtskosten b) Kosten der Betreuer c) Regressanspriiche der Staatskasse 5. Besonderheiten fiir die Amtsfiihrung des Berufsbetreuers a) Ubersendung eines Aktenauszuges b) Ubemahme von Betreuungen ohne Vorankiindigung; schneller Erstkontakt; umgehender Erstbericht c) Sicherstellung der Erreichbarkeit durch Fax, Anrufbeantworter, Handy, eMail d) Besondere Selbstandigkeit in der Amtsfiihrung und deren Grenzen (1) Das Recht und die Pflicht zur selbstandigen Amtsfiihrung (2) Fristenuberwachung (3) Mitteilung der eigenen Auslastung des Berufsbetreuers an das Vormundschaftsgericht e) Zur Haufigkeit der Besuche des Betreuers bei dem Betreuten f) Konflikte des Berufsbetreuers mit Angehorigen 6. Hilfen fur Berufsbetreuer a) Berufsbetreuertreffen der Betreuungsbehorden und der Betreuungsvereine b) Berufsbetreuerverbande c) Die Unterstutzungsangebote des Vormundschaftsgerichts gelten grundsatzlich auch fiir Berufsbetreuer Kapitel 7
Betreuungsrecht und Bankgeschafte
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1. Die Vertretungsbefugnis des Betreuers a) Grundsatz b) Nachweis der Vertretungsbefugnis c) Richterliche Genehmigungen von Verfiigungen des Betreuers 2. Einander widersprechende Verfiigungen des Betreuers und des Betroffenen 3. Aufsichtsfunktion des Vormundschaftsgerichts 4. Grenzen der Wirkung vormundschaflsgerichtlicher Beschlusse
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Kapitel 8
105
Betreuungsrecht und Sozialstation
1. Haufig erste Hinweisgeber auf die Notwendigkeit einer Betreuung 2. Zusammenarbeit mit dem Betreuer und dem Vormundschaftsgericht
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105 106
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 9
Betreuungsrecht und Heim
XV
109
1. Vorgegebene Spannungen 2. Beispiele fiir schwierige Entscheidungen 3. Hinweise fiir die Praxis des Betreuers a) Grundsatzlich vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Heim b) Wiinsche oder Beanstandungen des Betreuers, Missstande c) Mediation durch das Vormundschaftsgericht (1) Probleme des Heims mit dem Betreuer (2) Probleme des Betreuers mit dem Heim (3) Betreuungsrichter oder Rechtspfleger?
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Kapitel 10
117
Betreuungsrecht und Arzt/Krankenhaus
1. Arzthaftungsprobleme im betreuungsfreien Raum 117 a) Anforderungen an eine wirksame Behandlungseinwilligung 117 (1) Langjahriges Vertrauen in den Hausarzt kein Einwilligungssurrogat 117 (2) Undifferenziertes „Ja ja" als wirksame Einwilligung? 118 b) Gefahren fiir den Arzt bei Behandlung ohne wirksame Einwilligung 119 2. Schweigepflicht des Arztes 120 a) Arztliche Schweigepflicht gegeniiber dem Betreuer? 120 b) Arztliche Schweigepflicht gegeniiber Angehorigen 121 c) Arztliche Schweigepflicht gegeniiber dem Betreuungsrichter 121 (1) Bestellung eines „Vorbetreuers" zur Entbindung von der Schweigepflicht 122 (2) Nichtgeltung der arztlichen Schweigepflicht gegeniiber dem Betreuungsrichter 122 (3) Durchbrechung der arztlichen Schweigepflicht durch mutmal31iche Einwilligung oder rechtfertigenden Notstand 123 (4) Resume 124 3. Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter des Betroffenen 124 a) Umfang und Bedeutung der Vertretungsbefiignis des Betreuers 124 b) Die fur den Arzt wichtigen Aufgabenkreise 125 c) Zusammenarbeit von Betreuer und Arzt 125 d) Der nicht erreichbare Betreuer 129 4. Behandlung gegen den Willen des Betroffenen 130 5. Genehmigungspflicht fiir gefahrliche arztliche MaBnahmen (§1904BGB) 133 a) Feststellung des Grades der Gefahrlichkeit der MaBnahme 135 b) Feststellung der Schwere des drohenden gesundheitlichen Schadens 135 c) Genehmigungskriterien 136 d) Das Legen einer PEG-Sonde, eine genehmigungsbediirftige MaBnahme gemal3§ 1904BGB? 136 e) Sachverstandigengutachten; keine einstweilige Anordnung 138
XVI
6. 7.
8.
9.
Inhaltsverzeichnis
f) „Negativattest" des Betreuungsrichters zur Feststellung der Genehmigungsfreiheit Sterilisation Das Unterlassen lebensverlangernder MaBnahmen zur Sterbeerleichterung a) Grundsatzliches b) Unklarheit wer letztlich zu entscheiden hat c) Bisherige Losungsansatze aus der Praxis des Verfassers (1) Vorrang des Willens des Betroffenen (2) Ermittlung des mutmal31ichen Willen des Betroffenen (3) Entscheidung durch den Arzt? d) Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17.03.2003 (1) Darstellung der Entscheidung (2) Todlicher Verlauf auch vor „unmittelbarer Todesnahe"? (3) Unzulassige Beschneidung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten? (4) Unmittelbare Geltung des in der Patientenverfiigung erklarten Willens? (5) Grenzen des auf Lebensbeendigung hin gerichteten Selbstbestimmungsrechts e) Stellungnahme zu dem BGH-Beschluss (1) Behandlungsablehnung durch einen Patienten in der aktuellen Situation (2) Behandlungsablehnung durch einen Patienten fiir eine ktinftige Situation (3) Losungsvorschlage Patientenverfiigung a) Wesen und Bedeutung der Patientenverfiigung b) Hinweise zum Inhalt von Patientenverfiigungen c) Form und Aufbewahrung von Patienten verfiigungen d) Verbindung von Patientenverfiigung, Betreuungsverfiigung und (Vorsorge-)Vollmacht Organentnahme und-spende a) Gesetzliche Definition des Todeszeitpunktes b) Einwilligung und Widerspruch des moglichen Organspenders c) Entscheidung durch den nachsten Angehorigen d) Sonstige Regelungen
Kapitel 11
Betreuungsrecht, offentiiche Ordnung und zivilrechtliche Anspriiche
1. Betreuung zur Behebung von Storungen der offentlichen Ordnung 2. Wer ist fiir die Bestattung zustandig? a) Regelung der Bestattung b) Wer tragt die Kosten der Bestattung?
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Inhaltsverzeichnis
XVII
3. Gefahr des Missbrauchs des betreuungsrichterlichen Eilverfahrens
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Kapitel 12
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Unterbringungssachen
1. Abgrenzung Unterbringung und unterbringungsahnliche Mafinahme 2. Zur Unterbringung gemaB § 1906 I BGB im Einzelnen a) Die Einwilligung des Betroffenen macht einen Gerichtsbeschluss entbehrlich b) Die Unterbringungsgriinde Eigengefahrdung und Fremdgefahrdung (1) Eigengefahrdung (2) Fremdgefahrdung (3) Unterbringungsziel: Abwehr von Gefahren flir Leib oder Leben (4) Unterbringungsvoraussetzung: Geistige oder seelische Storung c) Der dritte Unterbringungsgrund: Notwendigkeit arztlicher Untersuchung oder Behandlung d) Missbrauchliche Unterbringungsantrage 3. Zur unterbringungsahnlichen MaBnahme gemal3 § 1906 IV BGB im Einzelnen a) Bettgitterfalle (1) Einwilligung des Betroffenen (2) Fehlende Fortbewegungsmoglichkeit auch ohne Bettgitter (3) Fehlender Fortbewegungsimpuls b) Gurtfixierungen c) Sedierende Medikamente d) Fixierungen in Allgemeinkrankenhausern bei Unruhezustanden nach einer Narkose e) Genehmigung unterbringungsahnlicher MaBnahmen im Interesse Dritter f) Genehmigungsfreiheit unterbringungsahnlicher MaBnahmen bei Familienpflege 4. Keine Anwendung unmittelbaren Zwangs uber § 1906 BGB hinaus a) Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 11.12.2000 b) Folgen der Entscheidung des Bundesgerichtshofs fur die Praxis c) Das Betreten der Wohnung durch den Betreuer gegen den Willen des Betroffenen 5. Der Verfahrenspfleger in Unterbringungssachen 6. Die Abgabe von Unterbringungssachen
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Kapitel 13
Die Haftung des Betreuers
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1. Die Haftung des Betreuers gegenuber dem Betreuten 2. Die Haftung des Betreuers gegenuber Dritten a) § 1833 BGB b) Vertragliche Anspruche c) Haftung des Betreuers als Sachwalter
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XVIII
Inhaltsverzeichnis
d) Aufsichtspflichtverletzung e) Haftung des Betreuers aus allgemeinem Deliktsrecht f) Haftung des Betreuers bei Unterlassung des Stellens eines Sozialhilfeantrags 3. Haftpflicht-und Unfallversicherung der Betreuer
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Kapitel 14
211
Arztliche Atteste und Gutachten in Betreuungssachen
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1. Inhaltliche Anforderungen an ein arztliches Attest (1) Allgemeines (2) Formular ftir ein hausarztliches Betreuungsattest (3) Formular flir ein hausarztliches Attest zu unterbringungsahnlichen MaBnahmen 2. Anforderungen an das Betreuungsgutachten a) Wer kommt als Sachverstandiger in Betracht? b) Inhaltliche Anforderungen an das Betreuungsgutachten c) Zwangsbegutachtung 3. Anforderungen an das Unterbringungsgutachten 4. Gutachten in Sonderfallen a) Genehmigung gefahrlicher Eingriffe gemal3 § 1904 BGB b) Sterilisationsgutachten (1) Der gynakologische Gutachtensauftrag (2) Der psychologisch/(sexual-)padagogische Gutachtensauftrag c) Weitere Einzelfalle
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Kapitel 15
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Anmerkungen ftir Betreuungsrichter
1. Die Anhorung des Betroffenen a) Pladoyer ftir die Erstanhorung b) Zur Anhorung im Einzelnen (1) Anhorung in der tiblichen Umgebung des Betroffenen (2) Anmeldung; Vorbereitung der Anhorung (3) Durchftihrung der Anhorung c) Beschlusse ohne vorherige Anhorung der Betroffenen? (1) Bettgitter-ZSitzgurtfalle (2) Vorlaufige Betreuungen bei Patienten in neurologischen Kliniken (3) Zwangseinweisungen psychiatrieerfahrener Patienten (4) Verzicht auf Voranhorung bei plausibel mitgeteilter Einwilligung des Betroffenen (5) Kein Verzicht auf Voranhorung bei Ersteinweisungen in die Psychiatric und bei Wohnungsauflosung (6) Nachholung der Anhorung d) Entbehrlichkeit von Folgeanhorungen?
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Inhaltsverzeichnis
XIX
2. Falle der Entbehrlichkeit von Gutachten, Sozialbericht und Verfahrenspfleger a) Entbehrlichkeit eines Gutachtens b) Entbehrlichkeit von Sozialberichten c) Entbehrlichkeit von Verfalirenspflegschaft 3. Unterbringungsfragen a) Abgrenzung Unterbringung und unterbringungsahnliche Mal3nahme b) Zu unterbringungsalinlichen MaBnahmen c) Vollzug des unmittelbaren Zwangs 4. Die Betreuung durch Angehorige oder sonstige ehrenamtliche Betreuer a) Angehorigenbetreuungen b) Sonstige ehrenamtliche Betreuer 5. Berufsbetreuerpflege durch das Gericht 6. Erleichterung des Geschaftsgangs a) Betreuungsbeschlusse nicht formlich zustellen b) Abgabe und Ubemahme und Beendigung von Betreuungsverfahren
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Kapitel 16
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Der Weg zum Zweiten Betreuungsrechtsanderungsgesetz
1. Zwischenbericht der Bund-Lander-Arbeitsgruppe „Betreuungsrecht" a) Betreuungsvermeidung durch Vorsorgevollmacht b) Einfiihrung einer gesetzlichen Vertretungsbefugnis fiir Ehegatten, Lebenspartner und erwachsene Kinder c) Vergiitung von Berufsbetreuem d) Verfahrensrecht e) Erforderlichkeit f) Veranderung in den Betreuungsstrukturen 2. Stellungnahme zu dem Zwischenbericht der Bund-LanderArbeitsgruppe a) Stetige Zunahme der Zahlen anhangiger Betreuungen und der staatlichen Aufwendungen fur die Berufsbetreuungen b) Kritik an den Vorschlagen der Arbeitsgruppe (1) Zur Starkung der Vorsorgevollmacht (2) Gesetzliche Vertretungsbefugnis fiir Angehorige (3) Verscharfung des Erforderlichkeitsgrundsatzes (4) Pauschalen fiir Vergiitung und Auslagenersatz der Berufsbetreuer (5) Ubertragung der Betreuerbestellung auf die Betreuungsbehorden c) Eigene Reformvorschlage (1) Aufhebung der zwingenden Beteiligung von Sachverstandigen und Verfahrenspflegern (2) Zwingende Durchfiihrung einer Erstanhorung in der gewohnten Umgebung des Betroffenen (3) Schaffling gesetzlicher Grundlagen fur Zwangsbehandlung und Betreten der Wohnung des Betroffenen
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XX
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 17
Das Zweite Betreuungsrechtsanderungsgesetz vom 21.04.2005
281
1. Die Pauschalierung der Vergutung a) Darstellung der neuen Rechtslage (l)Problemstellung (2) Die Hohe des zu Grunde legenden Stundensatzes (3) Die Anzahl der vergutungsfahigen Stunden b) Stellungnahme (1) Das Pauschalierungssystem, ein Sparmodell (2) Vorteile flir die Gerichte (3) Vorteile flir die Betreuer (4) Nachteile der Pauschalierung 2. Einzelfragen zum neuen Verglitungssystem flir Berufsbetreuer a) Zum Heimbegriff b) Berechnung der Laufzeit der Betreuung c) Ausnahmsweise Erhohung des Stundensatzes bei vermogenden Betreuten d) „Pramie" flir Abgabe der Betreuung an einen ehrenamtlichen Betreuer e) Unzulassigkeit der Bestellung mehrerer Berufsbetreuer nebeneinander f) Vergutung des beruflichen Erganzungs- und Sterilisationsbetreuers g) Vergutung des Verhinderungsbetreuers h) Vergutung des Behordenbetreuers und der Betreuungsbehorde 3. Anderungen beim Verfahrenspfleger a) Der ehrenamtliche Verfahrenspfleger b) Entschadigung des Verfahrenspflegers 4. Weitere Neuerungen; nicht tibernommene Anderungsvorschlage a) Weitere Neuerungen b) Nicht tibernommene Anderungsvorschlage
288 289 289 290 290 290 291 291 292 292 292 293
Anhang 1
295
1. 2. 3. 4. 5.
Gesetzestexte
Materielles Betreuungsrecht (§§ 1896ff BOB) GemaB § 1908 i BGB entsprechend anwendbare Bestimmungen Formelles Betreuungsrecht (§§ 65 ff FGG) Vormiinder- und Betreuervergiitungsgesetz (VBVG) UQimgesQtz-Auszug-
Anhang 2
Grundsatze der Bundesarztekammer zur arztlichen Sterbebegleitung
281 281 281 283 283 284 284 285 285 286 286 286 287
295 304 320 338 344
347
Inhaltsverzeichnis
XXI
Literaturverzeichnis
339
1. 2. 3. 4. 5. 6.
339 340 340 340 341 342
Kommentare Monographien Zeitschriften und Entscheidungssammlungen Zeitschriftenbeitrage Gesetzestexte Internet
Sachverzeichnis
343
Kapitel 1
1.
Was bedeutet Betreuung?
Heutige Betreuung und friihere Vormundschaft/ Pflegschaft
Durch das am 1. Januar 1992 in Kraft getretene Betreuungsgesetz' wurden die bisher nebeneinander bestehenden Rechtsinstitute „Pflegschaft" und „Vorniundschaft", letzteres untrennbar verkntipft mit angstbesetzten Vokabein wie „Entmiindigung" und „Bevormundung", zu einer einheitlichen neuen Rechtsfigur verschmolzen, die den Namen „Betreuung" erhielt. Diese neue Bezeichnung, in Verbindung mit weiteren mit dem Betreuungsgesetz eingeftihrten Begriffsveranderungen, soUte schon von der Wortwahl her die durch die Reform bezweckte (und auch tatsachlich eingetretene) erhebliche Starkung der Rechtsposition der Betreuten hervorheben. Den Angsten der „Pflegebefohlenen" bzw. „Mtinder' (jetzt einheitlich Betroffene/r genannt) vor der „Allmacht" des „Vormundes" bzw. „Pflegers" (jetzt einheitlich Betreuer/in genannt) sollte, auch durch diese Umbenennungen, die Grundlage entzogen werden. Uber 13 Jahre nach Einfiihrung des neuen Betreuungsrechts kann aus Sicht der Praxis bestatigt werden, dass sowohl die Wahl der neuen Begriffe als auch die vorgenommenen Rechtsanderungen in der Tat zu einer nennenswerten Entkrampfimg im Umgang der Betroffenen mit dem Betreuungsrecht und zu einer deutlich erhohten Akzeptanz gegeniiber der Bestellung eines Betreuers geftihrt haben. Dies wird etwa deutlich, wenn bei einer richterlichen Anhorung angstvoll gefragt wird, ob man jetzt denn „entmUndigt" werden solle und einen „Vormund" bekomme. Die Vemeinung dieser Frage und der Hinweis, dass die Bestellung eines Betreuers, anders als die friihere Entmiindigung, nicht mehr zur Geschaftsunfahigkeit
Betreuungsgesetz vom 12. September 1990 (Bundesgesetzblatt-ktinftig: BGBl. - I , 2002).
Kapitel 1 Was bedeutet Betreuung?
fuhrt, hat regelmaBig grofie Erleichterung bei den Betroffenen zur Folge, sowie eine deutlich entspannte Atmosphare im weiteren Anhorungsgesprach. Tabelle 1: Wichtige Unterschiede zwischen Pflegschaft, Vormundschaft und Betreuung Pflegschaft
Entmiindigung
Schrankt kraft Richterspruchs Geschaftsfahigkeit ein
nein
ja
Periodische Uberprufung
nein
nein
Recht des Betroffenen auf richterliche Anhorung
ja
ja
nein
nein
Wille des Betroffenen bei der Auswahl/Amtsfiihrung des PflegersA^ormundes/ Betreuers zu beachten
2.
Betreuung Nein
Ja, spatestens alle 7 Jahre, § 69 I Nr. 5 FOG [seit dem 2. BtAndG] ja ja, so we it dem Betreuer zumutbar und dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderlaufend |
Das Wesen der Betreuung
Gleichwohl kann die Wahl der Bezeichnungen Betreuung und Betreuer nicht als glucklich bezeichnet werden. Denn sie sind im alltaglichen Sprachgebrauch mit anderen Inhalten gefiillt. „Eine neue Entwicklung in der Messevorbereitung ist die Planung (iber Internet: Messeteilnehmer laufen durch ein Model! ihres geplanten Messestandes oder bestellen per Mausklick passende Betreuer." (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. Januar 2001, S. 25) Nach Abfahrt des ICE erfolgt eine Lautsprecherdurchsage: „Das Team des ICE begruBt die neu hinzugekommenen Fahrgaste. Mein Name ist Karl Weber, ich bin der Zugflihrer. Mein Betreuer ist Otto Muller." Landlaufig ist der Begriff „Betreuung" vor allem mit pflegerischen und unterstiitzenden Tatigkeiten verbunden, wie sie etwa pflegende Angehorige oder Sozialstationen erbringen: das Aufschutteln des Kopfkissens und neues Betten, Hilfen bei Einkauf, Zubereitung und Einnahme der Mahlzeiten. Ab und an wird bei der Anktindigung, einen Betreuer einzusetzen, von Betroffenen, aber auch von Abgedruckt S. 308 (§§ 65 ff FGG).
2 Das Wesen der Betreuung
Nachbam und Angehorigen, weiter die Erwartung geauBert, hierdurch werde der zunehmenden sozialen Vereinsamung des Betroffenen entgegengewirkt werden. Beides, die pflegerische und die soziale Betreuung, sind jedoch nicht Aufgabe des gerichtlich bestellten oder, wie man ihn auch nennen kann, des „gesetzlichen" Betreuers. Die Aufgabe des gesetzlichen Betreuers ist im Gesetz klar definiert: er hat innerhalb des ihm vom Gericht ubertragenen Aufgabenkreises den Betroffenen gerichtlich und auBergerichtlich zu vertreten, §§ 1897 I^ 190II, 1902 BGB^ Das Wesen der gesetzlichen Betreuung - im Unterschied zur pflegerischen und sozialen Betreuung - besteht also in der rechtlichen Vertretung des Betroffenen. Der Betreuer ist gesetzlicher Vertreter des Betroffenen, § 1902 BGB. Der Betreuer hat im Rahmen seines Aufgabenkreises das Recht (und die Pflicht!), im Interesse des Betroffenen Willenserklarungen mit Wirkung fur und gegen diesen abzugeben. Der Betreuer gleicht damit einem durch normale rechtsgeschaftliche Vollmacht ermachtigten Vertreter: Auch dieser .kann Willenserklarungen mit bindender Wirkung fiir und gegen das Vermogen des Vertretenen abgeben. Das Vermogen des Vertreters selbst wird dagegen, ebenso wie das Vermogen des Betreuers, von kraft Vertretung (bzw. kraft Betreuung) abgegebenen Willenserklarungen nicht beriihrt. Wahrend die Vollmacht aber der Vertretene selbst erteilt, wird der Betreuer vom Gericht bestellt, weil im Betreuungsfall der Betroffene zur Vollmachtserteilung ja eben nicht (mehr) in der Lage ist. Grundsatz 1: Der Betreuungsbeschluss entspricht von seiner Bedeutung und von seinen Wirkungen her einer durch gerichtliche Entscheidung entstandenen Vollmacht. Das am 1. Januar 1999 in Kraft getretene Betreuungsrechtsanderungsgesetz^ hat ausdriicklich durch eine Neufassung der Uberschrift vor § 1896 BGB sowie der §§ 1897 I und 1901 I BGB noch einmal klargestellt, dass das Wesen der gerichtlich angeordneten Betreuung in der rechtlichen Betreuung des Betroffenen liegt. Die vorgenommenen Anderungen sind in Tabelle 2, S. 4, aufgeftihrt.
Die romischen Ziffern nach Paragraphenbezeichnungen bedeuten den Absatz des betreffenden Paragraphen, die arabischen Ziffern den Satz des betreffenden Absatzes. § 1897 I 2 BGB liest sich also: § 1897 Absatz 1 Satz 2 BGB. Abgedruckt S. 283ff (§§ 1896ff BGB)und S. 292ff (GemaB § 1908 i BGB entsprechend anwendbare Bestimmungen). Gesetz vom 3. April 1998 (BGBl. I, 1580).
Kapitel 1 Was bedeutet Betreuung?
Tabelle2: Anderung von §§ 1897 I, 1901 I BGB durch das Betreuungsrechtsanderungs gesetz Uberschrift alt vor ^$ 1896ff. BGB
Uberschrift neu vor $$ 1896ff BGB
Betreuung
Rechtliche Betreuung
$ 1897 I BGB alter Fassung.:
$ 1897 I BGB neuer Fassung:
Zum Betreuer bestellt das Vormundschaftsgericht eine naturliche Person, die geeignet ist, ... die Aufgaben des Betroffenen zu besorgen und ihn hierbei im erforderlichen Umfang personlich zu betreuen.
Zum Betreuer bestellt das Vormundschaftsgericht eine naturliche Person, die geeignet ist, ... die Aufgaben des Betroffenen rechtlich zu besorgen und ihn hierbei im erforderlichen Umfang personlich zu betreuen.
$1901 I BGB alter Fassung:
$ 1901 1 BGB neuer Fassung:
Der Betreuer hat die Angelegenheiten des Betroffenen so zu besorgen, wie es dessen Wohl entspricht.
Die Betreuung umfasst alle Tatigkeiten, die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betreuten ... rechtlich zu besorgen.
Zwar gilt weiterhin, dass der Betreuer geeignet sein muss, den Betroffenen „auch" personlich zu betreuen. Diese personliche Betreuung darf jedoch nur insoweit stattfinden, als dies zur Wahrnehmung der rechtlichen Betreuung erforderlich ist. Fall 1:
Der Betroffene lebt mit seinem Einverstandnis seit langerem in einem Altenheim. Seine fruhere Wohnung ist aufgelost, die Klarung, wer die Heimkosten zu tragen hat, abgeschlossen. Der Betroffene ist maBig altersdement, hat aber mit seiner jetzigen Situation seinen Frieden. Sein korperliches Befinden ist altersentsprechend, psychisch ist er unauffallig.
In Fall 1 sind periodische Besuche des Betreuers bei dem Betroffenen von dem Auftrag der rechtlichen Betreuung ohne weiteres mitumfasst. Denn ob etwas zu regeln anliegt, wird der Betreute nur durch personliche Nachfrage und Erkundigung vor Ort feststellen konnen. Der Betroffene ist wegen seiner Altersdemenz nicht mehr in der Lage, von sich aus mitzuteilen, wenn er den Betreuer benotigt. Zu Besuchshaufigkeit und -dauer vgl. S. 64. Anders verhalt es sich in den folgenden Fallen: Fall 2:
Bin Betreuer legt ein arztliches Attest vor, wonach es fur die Gesundheit des zu Depressionen neigenden Betroffenen hilfreich oder vielleicht sogar erforderlich sei, dass der Betreuer ihn wochentlich aufsucht.
Fall 3:
Der Betreuer mochte die Betroffene auf die Adventsfreizeit des Altenheims begleiten.
2 Das Wesen der Betreuung
In Fall 2 und Fall 3 soil die sachliche Begrtindetheit der Besuche bzw. der Begleitung nicht in Frage gestellt werden. Es handelt sich hierbei aber nicht urn Aufgaben im Rahmen der rechtlichen Betreuung des Betroffenen, sondern urn eine therapienahe (Fall 2) oder allgemeine soziale (Fall 3) Hilfe. Derartige iiber die rechtliche Betreuung hinausgehende personliche und soziale Hilfeleistung ist vom Auftrag des gerichtlich bestellten Betreuers nicht umfasst. Die Notwendigkeit, die Grenzen der rechtlichen Betreuung einzuhalten, ergibt sich aus folgendem Beispiel: Bsp. 1:
Eine alte Dame, die noch ausreichend orientiert ist und fiir die deshalb kein Betreuer bestellt wird, ist der Gefahr der Vereinsamung und vielleicht sogar Depression ausgesetzt. Sie muss mit dieser Situation ohne jegliche Unterstutzung durch einen Betreuer zurechtkommen. Ihre ebenfalls vereinsamende und depressionsnahe Nachbarin, die aber zusatzlich mittelgradig altersdement ist, erhalt aufgrund ihrer Demenz einen Betreuer.
Die rechtliche Betreuung soil lediglich die krankheitsbedingte Unfahigkeit der dementen Seniorin, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, ausgleichen. Es ware ein ungerechter Akt der Ungleichbehandlung, wollte man die demente Patientin im Rahmen der rechtlichen Betreuung iiber den Ausgleich des demenzbedingten Kompetenzverlusts hinaus sozial, pflegerisch oder vielleicht sogar therapeutisch versorgen, wahrend die noch orientierte, im Ubrigen aber mit den gleichen Problemen kampfende Seniorin ohne jegliche Hilfestellung bleibt. Die Sinnhaftigkeit oder sogar Erforderlichkeit solcher weitergehender Versorgung steht nicht in Frage. Sie zu erbringen ist aber kraft gesetzlicher Aufgabenzuweisung nicht Auftrag des gerichtlich bestellten Betreuers. Dieser Gesichtspunkt war bislang von hoher Bedeutung bei Berufsbetreuungen, die aus dem Justizhaushalt fmanziert werden. Denn tiber die Grenzen der gesetzlich bestimmten und auch begrenzten Aufgaben der Justiz hinaus stehen im Justizressort Mittel nicht zur Verfiigung. Es ist Sache der Politik, weitergehende Versorgung iiber den Sozialetat oder durch die Krankenkassen zu gewahren^. Auch wenn dieser Aspekt nach Einftihrung der Pauschalierung der Vergiitung der Berufsbetreuer durch das 2. BtAndG seine fiskalische Brisanz weitgehend verloren hat, ist er doch fur das grundsatzliche Verstandnis vom Wesen der Betreuung weiterhin von Bedeutung.
Ahnlich Bienwald BtPrax 1999, 179, Abschnitt Ziff 2 Buchstabe f).
Kapitel 2
1.
Notwendigkeit einer Betreuung
Krankheitsbedingte Unfahigkeit, selbst zu entscheiden
Ein Betreuer kann bestellt werden, wenn „ein Volljahriger^ aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer korperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann" (§ 1896 I BGB). a) Die zugrunde liegende Krankheit In der Praxis beruht die Unfahigkeit, die eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln, in den meisten Fallen auf einer geistigen Behinderung und/oder einer psychischen Erkrankung oder Behinderung. (1) Geistig Behinderte Zu den geistig Behinderten gehort etwa der Kreis der am Down-Syndrom Erkrankten (friiher ubliche Bezeichnung: Mongoloide) und der Menschen mit fruhkindlichen oder nachtraglich durch Unfall erworbenen Himschadigungen.
Bei Minderjahrigen ist diese Hilfe aufgrund der ohnehin bestehenden elterlichen Sorge oder Vormundschaft nicht erforderlich; allerdings kann bei klarer Notwendigkeit eine Betreuung bereits ab dem 17. Geburtstag eingerichtet werden, die dann erst, aber auch sofort mit Eintritt der Volljahrigkeit wirksam wird, § 1908a BGB.
Kapitel 2 Notwendigkeit einer Betreuung
(2) Psychisch Erkrankte und Behinderte Unter den psychisch Erkrankten, die der Hilfe durch einen Betreuer bedurfen, gehort der groBte Teil zur Gruppe die Altersverwirrten. Danach kommen Patienten, die an chronischen schweren psychischen Erkrankungen - vor allem manischdepressiven Zustanden oder Schizophrenien - leiden. SchlieBlich sind hier noch diejenigen zu nennen, bei denen, etwa nach langjahrigem Alkoholmissbrauch, massiver Himleistungsabbau eingetreten ist. Die Abgrenzung zwischen psychischer Erkrankung und psychischer Behinderung wird in der Psychiatrie nicht verwendet und ist fiir die Anwendung des Betreuungsrechts ohne praktische Bedeutung^. (3) Bestellung eines Betreuers allein wegen korperlicher Erkrankung Es kommt nur selten vor, dass allein wegen einer korperlichen Behinderung ein Betreuer bestellt werden muss. In diesen Fallen wird der Betroffene oft in der Lage sein, selbst einen Vertreter zu bevollmachtigen und zu Uberwachen, so dass mangels Erforderlichkeit dass die Einsetzung eines Betreuers zu unterbleiben hat, § 1896 II 2 BGB. Trotz dieses Erforderlichkeitsgrundsatzes sieht § 1896 I 1 BGB aber ausdrilcklich die Bestellung eines Betreuers auch bei (nur) korperlicher Behinderung vor. In vielen Fallen liegen aber aul3er der Korperbehinderung zusatzlich geistige oder psychische Defekte vor, die dann den eigentlichen Grund fur die Einsetzung eines Betreuers bilden. Bei Blindheit oder lahmungsbedingter Unfahigkeit zu schreiben kann jedoch auch ohne seelisch/geistige Beeintrachtigungen des Betroffenen dessen Vertretung durch einen Betreuer erforderlich sein. Soweit ein Betreuer allein wegen korperlicher Erkrankung bestellt werden soil, ist das nur mit Zustimmung des Betroffenen^ moglich, § 1896 I 3 BGB. (4) Zwangsbetreuung Gegen den freien Willen des Betroffenen darf eine Betreuer nicht bestellt werden, § 1896 Abs. la BGB. Diese erst durch das 2. BtAndG eingefligte Vorschrift kodifiziert die bereits bislang bestehende entsprechende einheitliche Rechtsauffassung^^. Bei geistiger Behinderung und psychischer Erkrankung/Behinderung kommt aber eine Betreuung auch gegen den erklarten Willen des Betroffenen („ZwangsbetreuMunchener Kommentar-5'c/zwa6 § 1896 BGB Rdnr. 15. o
§ 1896 I 3 BGB formuliert „auf Antrag" des Betroffenen. Palandt-Diederichsen Einfiihrung vor § 1896 BGB Rdnr. 11.
1 Krankheitsbedingte Unfahigkeit, selbst zu entscheiden
ung") in Betracht und zwar dann, wenn der Betroffene aufgrund seiner Behinderung bzw. Erkrankung nicht in der Lage ist, in freier Willensentscheidung das Fur und Wider der Notwendigkeit der Bestellung eines Betreuers abzuwagen'\ Wenn ein grundsatzlich krankheitseinsichtiger und behandlungswilliger Schizophrener plotzlich jede arztliche Hilfe ablehnt und die Einnahme der Medikamente verweigert, ist das oft nicht Ausdruck einer Willensentscheidung, sondern Symptom des Wiederaufflammens der Erkrankung. Nach Zwangsbehandlung und Abklingen der Symptome sind die Patienten dann haufig fiir das ohne und gegen ihren Willen erfolgte Eingreifen von Betreuer und Betreuungsrichter regelrecht dankbar. Eine andauemd gegen den erklarten Willen des Betroffenen bestehende Betreuung ist in der Praxis (Gott sei Dank) selten. Meist sehen die Betroffenen zumindest in den symptomarmen Phasen ihrer Krankheit die Notwendigkeit der Betreuung ein. Haufiger dagegen ist Widerstand des Betroffenen gegen die Person des Betreuers, vgl. hierzu S. 76. Per definitionem vorgegeben ist der Widerstand des Betroffenen gegen seine zwangsweise Unterbringung in einem Psychiatrischen Krankenhaus'^. Abgesehen von diesem Sonderfall ist eine Betreuung gegen den andauemden Widerstand des Betroffenen vielfach nicht erfolgversprechend und dann aufzuheben^^. Soweit Betreuungen fiir langere Zeit zwangsweise aufrechterhalten werden, sind die Betroffenen (geistig Schwerstbehinderte; psychisch Kranke in einem sehr fortgeschrittenen Stadium) meist gar nicht mehr in der Lage, sich Qberhaupt fiir Oder gegen etwas zu entscheiden, so dass vom Brechen eines gegen das Bestellen eines Betreuers gerichteten Willens nicht gesprochen werden kann. Betreuung ohne den Willen des Betroffenen, aber auch ohne dessen Widerstand gegen die Betreuung, kommt dagegen in der Praxis immer wieder vor'"^. b) Betreuungsgutachten oder -attest Die zugrunde liegende Krankheit ist durch ein Gutachten festzustellen, § 68b I 1 FGG (Gesetz liber die Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit). Die Auswahl des Gutachters hat der Betreuungsrichter'^ zu treffen. Im allgemeinen wird meist ein Psychiater, bei neurologisch bestimmten Krankheitsbildem II 12 13 14 15
Palandt-Diederichsen Rdnr. 11 vor § 1896 BOB. Vgl. S. 183. Vgl. S. 73. Vgl. S. 75. Der Begriff „Betreuungsrichter" kommt im Gesetz, das weiterhin vom „Vormundschaftsrichter" spricht, nicht vor. In dem vorliegenden Buch wird im Sinne der neuen Begrifflichkeiten trotzdem diese Bezeichnung verwendet. Soweit nicht vom „Rich-
10
Kapitel 2 Notwendigkeit einer Betreuung
altemativ auch ein Neurologe beauftragt. Manche Gerichte vergeben Gutachtensauftrage auch an niedergelassene Arzte ohne besondere Facharztqualifikation. Das ist vom Gesetz her ohne weiteres moglich. Es liegt in jedem Einzelfall in der Verantwortung des Betreuungsrichters, welche Anforderungen er an die Qualifikation des Gutachters stellt. In Zweifelsfallen kann er den Gutachter auch darauf hinweisen, dass er den Gutachtensauftrag abzulehnen hat, wenn nach seinem fachlichen Ermessen eine hohere oder andere Qualifikation erforderlich ist. Die in der Gerichtspraxis vielfach anzutreffende Auffassung, das Gutachten musse in jedem Fall von einem Facharzt erstattet werden, fmdet im Gesetz keine Stutze (vgl. § 68b FGG „eines Sachverstandigen"^^). In bestimmten Fallen, insbesondere bei Einwilligung des Betroffenen oder wenn sich bereits ein Gutachten bei der Akte befmdet, reicht ein einfaches Attest, §§ 68b I 2, 69i VI 2 FGG. Wegen der Anforderungen an den Inhalt des Gutachtens bzw. Attests vgl. S. 21 Iff c)
Die Beurteilung der Erforderiichkeit der Betreuung durch den Richter
(1) Grundsatz Angesichts der Bedeutung, die das Gesetz dem Gutachten bzw. Attest beimisst, stellt sich die Frage, ob dem Richter uberhaupt noch nennenswerter Beurteilungsspielraum verbleibt, oder ob uber die Frage, ob ein Betreuer zu bestellen ist, nicht faktisch bereits der Gutachter entscheidet. Die Auffassung, dass die Betreuungsentscheidung letztlich in den Handen des Gutachters liegt, trifft jedoch nicht zu. Dabei soil selbstverstandlich in keiner Weise ubersehen werden, dass der Richter, der keine arztliche Ausbildung hat, die arztliche Beurteilung an sich nicht uberprtifen kann. Es ist aber Aufgabe des Gutachtens darzulegen, wie der Gutachter zu dem von ihm fur richtig gehaltenen Ergebnis kommt. Diese Erwagungen mussen so gefasst sein, dass auch der Nichtmediziner sie nachvollziehen kann. Dieses Erfordemis der Nachvollziehbarkeit ermoglicht es dem Richter dann sehr wohl, in entsprechenden Grenzfallen mit dem Sachverstandigen zu problematisieren, ob nicht auch diese oder jene Alternative denkbar erscheint oder ob vom Sachverstandigen aufgeworfene Alternativen anders gewichtet werden konnen, als es der Sachverstandige getan hat.
ter", sondem vom „Gericht" die Rede ist, bleibt es aber bei dem vom Gesetz verwendeten Begriff „Vormundschaftsgericht". In der Tendenz ebenso Oberloskamp BtPrax 1998, 18; entschieden anderer Ansicht Hartmann BtPrax 1999, 60.
1 Krankheitsbedingte Unfahigkeit, selbst zu entscheiden
Fall 4:
11
Der Betreuungsrichter wird zu einer uber 80-jahrigen Frau gerufen, die wegen einer internistischen Erkrankung in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Sie ist blind und lebt allein. Nach Auffassung des Stationsarztes kann aus arztlicher Sicht nicht verantwortet werden, sie wieder in ihre Wohnung zuruckzulassen, eine Verlegung in ein Heim sei unumganglich. In der richterlichen Anhorung zeigt sich die Betroffene als doch noch in nennenswertem Umfang orientiert. Sie bringt vor, wenn sie wieder in ihre Wohnung zuruck konne, dann habe sie „Mut", weiterzuleben. Im Heim werde sie doch gar nicht zurechtkommen. Nach Erorterung mit dem Arzt entscheidet der Richter, dem Wunsch der Betroffenen zu entsprechen. Da die Sozialstation ohnehin schon tatig und auch ein Notrufsystem installiert ist, verzichtet er zunachst darauf, einen Betreuer zu bestellen, sucht die Betroffene aber innerhalb der folgenden vier Wochen zweimal in ihrer Wohnung auf, um einen Eindruck zu gewinnen, ob sie dort tatsachlich zurechtkommt. Als sich dies bestatigt, wird von der Bestellung eines Betreuers auf Dauer abgesehen.
An Fall 4 wird deutlich, dass die Frage der Erforderlichkeit nicht nur Ergebnis einer rein medizinischen Beurteilung ist, die der Richter nur sehr eingeschrankt Uberprufen kann. Gerade bei Betroffenen, die noch eigene Orientierung haben, spielen soziale Gesichtspunkte hinein, fiir die der Richter eine eigenstandige Beurteilungskompetenz hat, die er auch einsetzen muss. Selbstverstandlich kann und wird auch der Arzt solche Gesichtspunkte oftmals in seine Gutachten einflieBen lassen. Unterlasst er dies aber oder kommt er, vielleicht auch aus arzthaftungsrechtlichen Erwagungen, zu einem restriktiveren Vorschlag, als es dem Richter angebracht erscheint, kann, darf (und manchmal muss) sich der Richter Uber das Votum des Arztes hinwegsetzen. Denn im Kern geht es hierbei um Eingriffe in die von den Grundrechten, Artikel (Art.) Iff. Grundgesetz (GG), garantierten personlichen Freiheitsrechte. Die Entscheidung liber solche Eingriffe steht aber, abgesehen von den Fallen des sogenannten ubergesetzlichen Notstands (s. S. 120), nicht dem Arzt zu, sondem ist dem Richter vorbehalten und daher von ihm zu treffen und zu verantworten. Sehr vereinzelt kommt es auch vor, dass der begutachtende Arzt nach dem Ergebnis der richterlichen Anhorung von seiner anfangs gefassten Auffassung abrlickt. Fall 5:
Die Betroffene war nach einem Schlaganfall fiir langere Zeit bewusstlos gewesen. Die Computertomographie (CT) lieB eine ausgepragte Hirnatrophie erkennen. Die Neurologische Klinik, in der sich die Betroffene - fiir die wahrend der Zeit der Bewusstlosigkeit ein Betreuer bestellt worden war - befand, beantragte anzuordnen, dass die Betroffene, die die Klinik verlassen wollte, zwangsweise zum Verbleib in der Klinik angehalten werden sollte, da weitere Behandlungsnotwendigkeit bestehe. Bei der ersten uber 30-minutigen Anhorung erschien die Betroffene ein wenig absonderlich, aber in alien Qualitaten orientiert. Nach Einschatzung des Richters lagen keinerlei Anhaltspunkte fiir eingeschrankte Kritikfahigkeit vor. Der
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Kapitel 2 Notwendigkeit einer Betreuung
Stationsarzt fiihrte aus, nach dem CT-Bild musse von gravierender Einschrankung der Kritikfahigkeit ausgegangen werden. Die Betroffene erklarte sich daraufhin bereit, zunachst freiwillig in der Klinik zu bleiben. Bei einer zweiten Anhorung am ubernachsten Tag bestatigte sich der Eindruck des Richters aus der ersten Anhorung. Fragen die erste Anhorung betreffend wurden von der Betroffenen problemlos beantwortet, so dass eine Storung des Kurzzeitgedachtnis nicht festzustellen war. Auf Bitte des Richters wurde ein neues CT gefertigt, das bei einer dritten Anhorung vorlag und einen unveranderten Befund ergab. Des ungeachtet bestatigte auch die dritte Anhorung ca. vier Tage nach der ersten Anhorung die voile Orientiertheit der Betroffenen und lieB keinerlei Anhaltspunkte flir Kritikschwache erkennen. Nunmehr hielt der Stationsarzt seine Einschatzung, die Voraussetzungen einer Zwangsbehandlung lagen vor, nicht mehr aufrecht. Der Betroffenen wurde freigestellt, die Klinik auf eigene Verantwortung zu verlassen, was sie auch tat. (2) Keine Betreuung bei Geschaftsungewandtheit oder mangelnder Bildung Ohne das Vorliegen einer Krankheit oder Behinderung darf ein Betreuer gar nicht bestellt werden, auch w^enn durchaus Hilfebedarf bestehen mag. So darf z. B. kein Betreuer bestellt werden darf, wenn auch ein Gesunder fachliche Hilfe, z. B. einen Rechtsanwalt in Anspruch nehmen wiirde, es sei denn, der Betroffene ist krankheitsbedingt auch zum Aufsuchen der entsprechenden Hilfsmoglichkeiten auBerstande. Ebenso reichen etwa bloBe Geschaftsungewandtheit, Weltfremdheit oder auch Analphabetismus ohne geistige Behinderung als Grund flir die Bestellung eines Betreuers nicht aus. Allerdings sind bei intellektuellen Defiziten die Grenzen zur geistigen Behinderung flieBend, so dass es auch in derlei Fallen erforderlich sein kann, einen Sachverstandigen beizuziehen. Liegen die Voraussetzungen fiir das Bestellen eines Betreuers nicht vor, bleibt den Betroffenen nur die Inanspruchnahme der rechtsberatenden Berufe oder von Einrichtungen wie Mietervereinen und Schuldnerberatungsstellen. Leben sie in wirtschaftlich beengten Verhaltnissen, konnen sie fur auBer oder vorgerichtliche Streitigkeiten Beratungshilfe*^ oder, falls die Sache gerichtshangig wird, Prozesskostenhilfe^^ beantragen. Ftir Beratungs- und Prozesskostenhilfe vor den ordentlichen Gerichten sind erste Anlaufstelle die Amtsgerichte, Prozesskostenhilfe ist aber auch in Verfahrensordnungen der anderen Gerichtszweige vorgesehen'^ und muss dann jeweils dort beantragt werden. 17 18
Vgl. Beratungshilfegesetz, Schonfelder Nr. 98b. Vgl. §§ 114ff Zivilprozessordnung (ZPO), Schonfelder Nr. 100; § 14 FOG, Schonfelder Nr. 112; §§ 379a, 397a, 406g Strafprozessordnung (StPO), Schonfelder Nr. 90. Vgl. § 1 la Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG), Schonfelder Nr. 83; § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO);§ 142 Finanzgerichtsordnung (FGO), § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG), §§18, 129ff Patentgesetz (PatG).
1 Krankheitsbedingte Unfahigkeit selbst zu entscheiden
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(3) Weigerung des Betroffenen, sick betreuen zu lassen Die Weigerung eines Betroffenen, eine Betreuung zu akzeptieren, macht eine Betreuung vielfach unmoglich. Auch Unmoglichkeit ist aber ein Unterfall der fehlenden Erforderlichkeit der Betreuung. Da diese Variante der Nichterforderlichkeit aber im allgemeinen erst nach dem Bestellen eines Betreuers deutlich wird, ftihrt sie nicht zur Nichtbestellung eines Betreuers, wohl aber zur Aufhebung der bereits bestehenden Betreuung und ist deshalb in diesem Zusammenhang behandelt^^ Der seltene Fall der Betreuungsverweigerung ist zu trennen von den in der Praxis haufigen Fallen, in denen die Betroffenen uberhaupt nicht mehr erklarungsfahig sind, so dass sie zu einer Zustimmung nicht in der Lage sind. In diesen - meist unproblematischen - Fallen kommt es dann zu einer Betreuung ohne ausdriickliche Zustimmung, aber auch ohne Widerstand des Betroffenen. d) Teilweise oder vollstSndige, vorubergehende oder (voraussichtlich) endgiiltige Unfahigkeit, selbst zu entscheiden Kann der Betroffene nur einen Teil seiner Angelegenheiten nicht besorgen, darf ein Betreuer nur fiir die Aufgaben bestellt werden, bei denen dies erforderlich ist, § 1896IIBGB). Bsp. 2:
Die auf dem Hintergrund einer Zerebralsklerose an Konzentrationsstorungen leidende Betroffene ist mit Unterstutzung durch die Sozialstation noch in der Lage, ihren Haushalt zu fiihren und auch bei der Bankfiliale ihre Rente abzuholen. Aber mit der Verwaltung ihres Mietshauses und ihrer Steuererklarung ist sie tiberfordert.
Grundsatz 2: Der Aufgabenkreis der Betreuung darf sich nur auf Angelegenheiten erstrecken, in denen die Betreuung erforderlich ist, § 1896 II RGB („Erforderlichkeitsgrundsatz"). Der Erforderlichkeitsgrundsatz hindert aber nicht, einen Betreuer zu bestellen, weil dies aktuell notwendig ist, auch wenn schon bei Bestellung des Betreuers moglich oder sogar zu erwarten ist, dass die Notwendigkeit der Betreuung nur vorUbergehend ist. Fall 6:
^^
Der Patient befmdet sich nach einem Schlaganfall mehrere Wochen im Koma. Nach Auskunft der Arzte kann derzeit noch nicht gesagt werden, ob er wieder so weit genesen wird, dass die Einwilligungsfahigkeit vol! wiederhergestellt wird.
Vgl. S. 73.
14
Kapitel2 Notwendigkeit einer Betreuung
Fall 7:
Der Betroffene ist Alkoholiker. Er wurde in vollig betrunkenem Zustand in seiner Wohnung aufgefunden und von der Polizei in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen. Dort befindet er sich derzeit in der Entgiftung. Der Stationsarzt kennt den Patienten bereits von friiher. Nach seiner Einschatzung wird er nach der Entgiftung ungeachtet seiner Alkoholerkrankung wieder geschaftsfahig sein.
Auch in Fall 7 ist es ohne weiteres moglich, fur die aktuelle Situation einen Betreuer zu bestellen und die Betreuung nach Wegfall der Betreuungsbediirftigkeit wieder aufzuheben^^ Grundsatz 3: Nahezu alle betreuungsrichterlichen Entscheidungen sind jederzeit wieder abanderbar, wenn sich die der Entscheidung zugrunde liegenden Umstande geandert haben, §§ 69i, 70i FGG^^ Ausnahmen von diesem Grundsatz gelten nur flir die Anordnung oder Ablehnung eines Einwilligungsvorbehalts, fur die Zurlickweisung einer Weigerung, sich als Betreuer bestellen zu lassen und flir die Entlassung eines Betreuers gegen dessen Willen, § 69g IV 1 FGG. Da es sich hierbei nicht urn Unterbringungsentscheidungen handelt, ist § 70i I 1 FGG nicht anwendbar, so dass es bei dem Abanderungsverbot des § 18 II FGG bleibt. Es ware also falsche Zuriickhaltung, in derlei Fallen von einem Betreuungsantrag abzusehen. Denn in Fall 6 wahrend des Komas und in Fall 7 wahrend der Entgiftung ist schon wegen der erforderlichen Einwilligungen in die arztliche Behandlung und ggf. Verlegung in ein anderes Krankenhaus die Bestellung eines Betreuers angezeigt. Nach Wiederherstellung der Einwilligungsfahigkeit kann die Betreuung sofort wieder aufgehoben werden.
2.
Subsidiaritat der Betreuung gegeniiber VoUmacht und anderen Hilfen
Eine weitere Folge des Erforderlichkeitsgrundsatzes ist, dass ein Betreuer nicht bestellt werden darf, wenn die Angelegenheiten des Betroffenen a) durch einen von diesem selbst zu einem Zeitpunkt, in dem er zur Vollmachtserteilung noch in der Lage war, Bevollmachtigten oder
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Wegen der Unzulassigkeit einer Zwangsbetreuung zur Durchsetzung der im AnschluB an die Entgiftung anstehenden Entzugsbehandlung vgl. S. 74 Bsp. 15. Das gilt kraft der Spezialnorm § 70i I 1 FGG entgegen § 18 II FGG auch fur Unterbringungsentscheidungen, obwohl diese der sofortigen Beschwerde unterliegen.
2 Subsidiaritat der Betreuung gegenuber Vollmacht und anderen Hilfen
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b) durch rein tatsachliche Hilfeleistung, ohne dass es einer rechtlichen Vertretung bedarf, „ebenso gut" geregelt werden konnen, § 1896 11 2 BGB. a) Entbehrlichkeit der Betreuung aufgrund Vollmachtserteilung Eine Betreuung kann entbehrlich sein, wenn der Betroffene „in guten Tagen" einer Vertrauensperson Vollmacht erteilt hat. Derm mit dem Bevollmachtigten steht dann ja ein Vertreter des Betroffenen zur Verfiigung, der fur diesen im Umfang der Vollmacht die erforderlichen Erklarungen abgeben kann, so dass es der Einsetzung eines Vertreters durch das Gericht nicht bedarf Es kommt vor, dass der Umfang der Vollmacht nicht ausreicht. So wird vielfach Vollmacht nur fiir die Vermogensangelegenheiten erteilt. 1st dann der Betroffene nicht mehr in der Lage, seine Arztangelegenheiten selbst wahrzunehmen, wird insoweit zusatzlich zu der Vollmacht die Bestellung eines Betreuers erforderlich. Im allgemeinen wird dann der vom Betroffenen Bevollmachtigte vom Gericht auch als Betreuer fiir die von der Vollmacht nicht umfassten Angelegenheiten eingesetzt. Wegen der Einzelheiten zu Fragen der Vollmacht wird auf Abschnitt 3 dieses Kapitels (S. 17) verwiesen. b) Entbehrlichkeit der Betreuung aufgrund tatsachlicher Hilfen, die auch ohne wirksame rechtliche Vertretung erfolgen Fall 8:
Die seit langem nicht mehr einwilligungsl^hige alte Frau wird von der Sozialstation ausreichend versorgt, die auf entsprechenden Hinweis der Tochter ohne weiteres kommt, obwohl die Betroffene selbst gar nicht mehr in der Lage ware, ihr einen entsprechenden Auftrag zu erteilen. Im Ubrigen hilft die Tochter, die auch bei der Bank, die die personlichen Verhaltnisse kennt. Geld vom Konto der Betroffenen erhalt, obwohl sie keine schriftliche Vollmacht vorweisen kann. Der Hausarzt, der die Familie ebenfalls seit langem kennt, behandelt die Betroffene „in deren wohlverstandenen Interesse" weiter; soweit er es fiir erforderlich halt, bespricht er seine MaBnahmen mit der Tochter, die aber auch hierftir weder eine Vollmacht hat, noch als Betreuerin eingesetzt ist.
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob in derlei Fallen in der Tat auf eine Betreuung verzichtet werden konnte. Derm alle erforderliche Hilfe ist auch ohne Bestellung eines Betreuers gewahrleistet. Und trotzdem sind die Angelegenheiten der Betroffenen nicht „ebenso gut" (§ 1896 II 2 BGB) gelost, wie bei Mitwirkung eines gerichtlich bestellten Betreuers. Die geleistete Hilfe findet namlich in einem vollig rechtsfreien Raum statt. Die daraus folgende Rechtsunsicherheit ist jedoch sehr problematisch oder kann es doch jederzeit werden.
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Kapitel 2 Notwendigkeit einer Betreuung
Ein wirksamer Schutz der Interessen der Betroffenen setzt namlich voraus, dass eben nicht im rechtsfreien Raum agiert wird, sondem dass ihre Belange rechtswirksam vertreten werden konnen. Und daftir ist, wo es an einem Bevollmachtigten fehlt, im Falle der eingetretenen Einwilligungsunfahigkeit ein Betreuer unverzichtbar. Das gilt hier zunachst fur die Gesundheitsfiirsorge. Die Betroffene ist nicht mehr in der Lage, im GroUen und Ganzen^^ iiber das Ob und Wie ihrer arztlichen Behandlung zu entscheiden. Damit wird sie ohne wirksame Einwilligung behandelt. Ihr „wohlverstandenes Interesse", vielleicht auch ihr „mutmal31icher Wille" ersetzen ihre Einwilligung im Notfall. Aber als Dauerlosung muss hier die vom Gesetz fur derlei Falle vorgesehene Vertretungsregelung getroffen, eben ein Betreuer bestellt werden. Hinzu kommt, dass sich der behandelnde Arzt, mag er auch in bester Absicht handeln, erheblichen Haftungsrisiken wegen arztlicher Behandlung ohne wirksame Einwilligung des Patienten aussetzt. Auch aus diesem Grund sollte von Angehorigen ein solches Ansinnen nicht an den Arzt herangetragen und ein etwa vom Arzt ausgehendes entsprechendes Angebot abgelehnt werden. Arztliches Handeln im rechtsfreien Raum sollte auf wirkliche Notstandssituationen beschrankt bleiben. Ist aber der erste Notstand bewaltigt, sollte im Interesse allseitiger Rechtssicherheit der rechtliche Rahmen hergestellt werden, der bei fehlender Einwilligungsfahigkeit vorgesehen ist, eben die Bestellung eines Betreuers. Und auch fur die Vermogenssorge ware es rechtlich sicherer, einen Betreuer zu bestellen. Dann wiirde die Vermogensbetreuerin namlich, und auch das ist im Interesse der Betroffenen, in der Vermogensverwaltung vom Vormundschaftsgericht tiberwacht. Im Erbfall kann ein Hinweis auf ebendiese erfolgte Uberwachung auch fiir die Tochter von Vorteil sein und eventuelle Erbstreitigkeiten moglicherweise von vornherein erst gar nicht aufkommen lassen. Als Musterbeispiel fiir eine „andere Hilfe, bei der kein gesetzlicher Betreuer bestellt wird", § 1896 II 2 BGB, gilt die Sozialhilfe. Dabei ist es richtig, dass sie keinen formlichen Antrag erfordert, sondern vom Sozialhilfetrager auch ohne Antrag gewahrt wird, wenn dieser vom Hilfebedarf Kenntnis erlangt. Gleichwohl bestehen fugliche Zweifel, ob das bei einem selbst nicht mehr ausreichend Handlungsfahigen „eben so gut" funktioniert, wenn kein Betreuer mitwirkt. Wie erfahrt der Sozialhilfetrager vom Hilfebedarf? Und wird er die Rechte des Bedurftigen mit solchem Engagement wahmehmen, wie ein auBenstehender Betreuer - im Zeitalter leerer Staatskassen?
Palandt-Sprau § 823 BGB Rdnr. 151.
3 Vermeidung einer Betreuung durch Vorsorgeverftigung in gesunden Tagen
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Im Zehnten Buch des Sozialgesetzbuches SGB X - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - § 15 I Nr. 4 fmdet sich folgende Bestimmung: „Ist ein Vertreter nicht vorhanden, hat das Vormundschaftsgericht auf Ersuchen der Behorde einen geeigneten Vertreter zu bestellen flir einen Beteiligten, der infolge einer psychischen Krankheit oder korperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht in der Lage ist, in dem Verwaltungsverfahren selbst tatig zu werden." Gleichwohl werden entsprechende Ersuchen nie gestellt, denn in diesem Fall hatte der auf das Ersuchen hin vom Vormundschaftsgericht bestellte Vertreter VergUtungsanspruche gegen die ersuchende Behorde, SGB X § 15 III. Es wird also allenfalls die Bestellung eines Betreuers angeregt, denn der ist jedenfalls fiir die Sozialbehorde kostenfrei. Das soil ja auch gar nicht angegriffen werden. Aber immerhin geht auch das SGB davon aus, dass ein selbst nicht mehr zureichend handlungsfahiger Beteiligter eines geeigneten Vertreters bedarf. Es wurde lange vertreten, und manchmal geschieht das auch heute noch, dass die Bestellung eines Betreuers als Rechtseingriff angesehen wird, der so lange es irgend geht unterbleiben sollte. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass das Unterlassen der Anordnung einer Betreuung in derartigen Fallen aus den genannten Grunden eine schwerere Rechtsbeeintrachtigung darstellt, als die Herstellung rechtlich klarer und geordneter Verhaltnisse durch die Bestellung eines Betreuers. Es sollte daher auch in solchen Fallen ein Betreuer bestellt werden. Dies braucht kein schwerer Eingriff zu sein, weil ja vielfach einfach der bisher formlos Helfende nur legitimiert wird, so dass sich flir den Betroffenen selbst praktisch gar nichts andert, er oftmals die Betreuungssituation gar nicht wahmimmt. Da die Betreuung in diesen Fallen ehrenamtlich gefiihrt wird, sind auch die durch sie ausgelosten Kosten gering. Im Konfliktfall noch zu Lebzeiten der Betroffenen und im Erbfall kann es aber von ganz erheblicher Bedeutung sein, dass die Hilfestellung den passenden rechtlichen Rahmen hat.
3.
Vermeidung einer Betreuung durch Vorsorgeverfiigung in gesunden Tagen
Die Betreuung entspricht einer durch Entscheidung des Gerichts entstandenen Vollmacht, weil der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, selbst Vollmacht zu erteilen. Daraus folgt ohne weiteres, dass eine Betreuerbestellung verhindert werden kann, indem man „in gesunden Tagen" selbst Vollmacht erteilt oder
Kapitel 2 Notwendigkeit einer Betreuung
vergleichbare Regelungen trifft. Zur Wahl stehen die Betreuungsverfiigung, die VorsorgevoUmacht und die Generalvollmacht^'^. a) Die Betreuungsverfiigung Die Betreuungsverfiigung, § 1897 IV 3 BGB, § 1901a BGB, zielt nicht auf die Vermeidung der Betreuerbestellung ab, sondem will fiir diesen Fall Anordnungen treffen. Bsp. 3:
Fiir den Fall, dass ein Betreuer fiir mich bestellt werden muss, mochte ich, dass meine Nichte Lisa meine Betreuerin wird. Wenn sie die Aufgabe nicht wahrnehmen kann oder will, soil mein Sohn Jan Betreuer werden. Auf keinen Fall mochte ich, dass mein Bruder Hans Betreuer wird.
Die Regelungsmoglichkeiten sind aber keineswegs auf die Person des Betreuers beschrankt. Man kann praktisch alles in eine Betreuungsverfiigung hineinnehmen, was man bei deren Niederlegung fur regelungswiirdig oder -bediirftig erachtet. Bsp. 4:
Wenn ich in ein Heim muss, dann in das Luisenheim. Wenn das nicht geht, ein anderes Heim, aber auf gar keinen Fall in das Theresienstift. Ich mochte, dass mein Enkel von meinem Geld jedes Jahr 50 € zu Weihnachten bekommt. Meinen Garten soil mein Schwager pflegen und dafiir im Jahr 200 € erhalten. So lange es irgend geht, mochte ich weiterhin jedes Jahr mit meiner Schwester einmal im Jahr fiir drei Wochen nach Osterreich in Urlaub fahren und wie bisher alle Kosten dafiir ubernehmen. Ich mochte alle 14 Tage von einem Friseur (von einer Kosmetikerin) gepflegt werden.
Das Wichtigste bei einer Betreuungsverfiigung ist, dass sie zu gegebener Zeit denjenigen, die es angeht, bekannt ist. Um das sicherzustellen, kann man sie bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk man wohnt, hinterlegen. Sie wird dann dort fiir bis zu 10 Jahre aufbewahrt. Bei Eingang eines Betreuungsantrages prtift das Gericht, ob eine Betreuungsverfiigung hinterlegt ist. Wenn man allerdings in einen anderen Amtsgerichtsbezirk umzieht, etwa in ein Altenheim oder zu Kindem, muss man darauf achten, dass das jetzt zustandige Amtsgericht ebenfalls die Betreuungsverfiigung erhalt. Daneben ist es sehr zweckmaBig, der Person oder den Personen, die man als Betreuer haben mochte, ebenfalls eine Ausfertigung der Betreuungsverfugung auszuhandigen. Jedermann ist verpflichtet, eine Betreuungsverfiigung bei Gericht abzuliefern, wenn er erfahrt, dass ein Betreuer bestellt werden soil, § 1901a BGB. Abzugrenzen hiervon ist die Patientenverfiigung, die Wunsche fiir die letzte Phase des Lebens enthalt, hierzu vgl. S. 160.
3 Vermeidung einer Betreuung durch Vorsorgeverfiigung in gesunden Tagen
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Im Sinne der Starkung der Vorsorgevollmacht zur Vermeidung von Betreuungen wurde durch eine mit dem 2. BtAndG erfolgten Erweiterung des § 1901a I BGB diese Ablieferungspflicht auch auf Vorsorgevollmachten erstreckt. Wie die Beispiele zeigen, konnen die Anordnungen in der Betreuungsverfiigung sich entweder an den Richter wenden oder an den kunftigen Betreuer. Der Richter soil den Anordnungen in der Betreuungsverfiigung entsprechen, es sei denn, dass entscheidende Griinde dagegen sprechen, § 1897 IV 3 BGB. Die Betreuungsverfiigung ist fiir den Richter also nicht absolut bindend. Grund fiir diese Regel ist, dass sich ja seit Niederlegung der Betreuungsverfiigung die ihr zugrunde liegenden Umstande geandert haben konnen. Bsp. 5:
In Bsp. 3 hat sich der Betroffene inzwischen mit seiner Nichte Lisa heillos zerstritten, der Sohn Jan, den er fiir die Vermogenssorge eingesetzt haben wollte, ist wegen Untreue und Betruges verurteilt worden. Mit seinem Bruder Hans hat er sich kurz vor dem Schlaganfall, der jetzt zur Notwendigkeit der Bestellung eines Betreuers fiihrt, vollig ausgesohnt.
Unter diesen Umstanden wurde die Bestellung von Lisa oder Jan den Interessen des Betroffenen zuwiderlaufen, so dass sie nicht als Betreuer in Betracht kommen, § 1897 IV 1 BGB. Was den Bruder Hans angeht, ist anzunehmen, dass der Betroffene an seinen frtiheren Erklarungen nicht mehr festhalten will, § 1897 IV 2 und 3 BGB, so dass gegen dessen Einsetzung als Betreuer nunmehr keine Bedenken mehr bestehen. Damit ist der Richter berechtigt, entgegen der Betreuungsverfiigung die darin vorgeschlagenen Lisa und Jan zu ubergehen, den darin ausdrucklich ausgeschlossenen Hans aber einzusetzen. Das groBte Problem fiir den Richter ware in einem solchen Fall die Beweislage: er miisste die voile Uberzeugung gewinnen, dass der Betroffene sich mit Lisa heillos zerstritten und mit Hans vollstandig ausgesohnt hat. Eine griindliche Beweisaufnahme ware unerlasslich. Das wahrscheinlichste Ergebnis ware wohl, dass wegen unklaren Ergebnisses der Beweisaufnahme gar keiner der Benannten und unter Umstanden ein ganz auBenstehender Betreuer eingesetzt wurde. Bei den Anordnungen, die sich an den Betreuer richten, verhalt es sich ahnlich. Er ist krafl Gesetzes verpflichtet, den Anordnungen Folge zu leisten, es sei denn, sie seien unzumutbar oder sie liefen den Interessen oder auch dem mutmal31ich geanderten Willen des Betroffenen zuwider, § 1901 III BGB. Bsp. 6:
In Bsp. 4 darf die Betroffene wegen einer zwischenzeitlich eingetretenen Allergieerkrankung auf arztlichen Rat hin nicht mehr nach Osterreich reisen. Und den Enkel hat sie enterbt, weil sie seine ihrer Auffassung nach unstandesgemafie Verehelichung missbilligt.
Dann wird der Betreuer dem in der Betreuungsverfiigung niedergelegten Reisewunsch nach Osterreich nicht entsprechen, weil dies nunmehr dem Wohl der Betroffenen zuwiderlaufen wtirde, § 1901 II 1 BGB. Und dem Enkel wird er die
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Kapitel 2 Notwendigkeit einer Betreuung
50 € zu Weihnachten auch nicht mehr zukommen lassen, weil die Betroffene an dieser Bestimmung erkennbar nicht mehr festhalten will, § 1901 II 2 BGB. Die Betreuungsverfiigung kann selbstverstandlich jederzeit abgeandert oder auch ganz aufgehoben werden. Das wurde etwa bei Konstellationen wie in Bsp. 5 und Bsp. 6 die dort bestehenden Beweisprobleme naturlich am besten losen. Auf der anderen Seite gibt es bislang, soweit es bei Gericht bekannt wird, kaum Betreuungsverfiigungen, deren Aufhebung Oder Abanderung ist aber noch seltener. Es besteht also in der Tat Bedarf lur die dargestellten Befugnisse flir Richter und Betreuer, von der Betreuungsverfiigung abzuweichen. Beispiele flir die inhaltliche Gestaltung einer Betreuungsverfiigung sind in den vorstehenden Bsp. 3 und Bsp. 4 (beide S. 18) enthalten. Wegen der moglichen Formulierung einer solchen Verfiigung vgl. das Muster „Verfugungen fiir die letzte Phase meines Lebens" (S. 166). b) Die Vorsorgevollmacht Wahrend die Betreuungsverfiigung ihre Rechtswirkung erst durch die gerichtliche Einsetzung eines Betreuers entfaltet, handelt es sich bei der Vorsorgevollmacht um eine echte VoUmacht des Betroffenen. Sie wird also ohne Bestellung eines Betreuers wirksam, ja, sie trachtet, die Notwendigkeit einer Betreuung dadurch vollstandig entbehrlich zu machen, dass der Betreute in guten Tagen vorsorglich fiir den Fall, dass er selbst seine Angelegenheiten nicht mehr zu regeln vermag, einem oder auch mehreren anderen Vollmacht erteilt. Allerdings geschieht diese Bevollmachtigung nur „vorsorgIich". Das heiBt, die Vollmachtserteilung wirkt nicht sofort, sondem erst im Bedarfsfall. Die Vollmacht ist, juristisch gesprochen, „aufschiebend bedingt". Eben diese Bedingtheit ist es, die die Vorsorgevollmacht schwer praktikabel macht. Wer sie prasentiert, wird automatisch gefragt, inwieweit die Bedingung denn eingetreten ist und wie das nachgewiesen werden soil. Ein hausarztliches Attest ist immer gefahrdet, als Gefalligkeitsattest abgetan zu werden. Aus diesem Grund sollte, wenn immer moglich, statt einer Vorsorgevollmacht eine nicht bedingte Generalvollmacht erteilt werden. Das Risiko des Vollmachtgebers lasst sich begrenzen. So kann er etwa die Vollmacht unter Verschluss halten. Dann muss er naturlich daftir Serge tragen, dass der Bevollmachtigte „im Ernstfall" weiB, wo sich die Vollmacht befindet und auch auf sie zugreifen kann. Er kann den BevelImachtigten im Innenver-
3 Vermeidung einer Betreuung durch Vorsorgeverfiigung in gesunden Tagen
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haltnis auch anweisen, von der Vollmacht erst Gebrauch zumachen, wenn der Vorsorgefall eingetreten ist^^. Da die Vollmacht erst bei Eintritt einer bestimmten Bedingung wirksam werden soil, muss sie zum einen die Bedingung nennen, von deren Eintritt die Wirksamkeit der Vollmacht abhangen soil. Zum anderen sollte sie angeben, auf welche Weise der Eintritt dieser Bedingung festgestellt sein muss, bevor die Vollmacht in Kraft treten kann. Als Bedingung ist ublich und zu empfehlen: „Eintritt eines Zustands, in dem ich nicht mehr in der Lage bin, eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen." Es ist unbedenklich, ausdriicklich hinzuzufiigen, dass die Vollmacht auch fiir den Fall des nur teilweisen Verlustes der Entscheidungsfahigkeit fiir die Angelegenheiten gelten soil, die vom Verlust der Entscheidungsfahigkeit betroffen sind. Ebenso wenig Bedenken bestehen gegen eine Bestimmung, dass die Vollmacht auch in Fallen moglicherweise nur vortibergehenden Verlusts der Entscheidungsfahigkeit gelten soil. Ein solcher Zusatz ist vielmehr ausdriicklich zu empfehlen. Denn im Krankheitsfall, vor allem aber nach einem Unfall, kann es durchaus geraume Zeit fraglich sein, ob die Fahigkeit, selbst zu entscheiden, wiederkehrt. Um flir diesen Zeitraum Rechtsunklarheit zu vermeiden, die dann unter Umstanden doch die Bestellung eines Betreuers erforderlich machen wiirde, die durch die Vorsorgevollmacht ja gerade vermieden werden soil, sollte die Vorsorgevollmacht auch fur Falle moglicherweise vortibergehenden Verlusts der Entscheidungsfahigkeit wirksam geschrieben werden. Als Nachweis, dass Entscheidungsunfahigkeit eingetreten ist und fiir den Fall des teilweisen Verlusts der Entscheidungsfahigkeit fiir deren Umfang sollte in der Vorsorgevollmacht die Vorlage eines entsprechenden psychiatrischen oder neurologischen Attests gefordert werden. Wenn eine solche Bestimmung fehlt, konnen namlich Unklarheiten auftreten, ob der Vorsorgefall jetzt eingetreten ist Oder nicht, oder von wessen Urteil diese Feststellung abhangen soil. Was den Inhalt der Vorsorgevollmacht, ihre Widerruflichkeit und ihre Geltungsfortdauer bei geistigem Verfall und uber den Tod hinaus angeht, gelten die nachfolgenden Ausflihrungen fur die Generalvollmacht entsprechend. Als Beispiel fur die Moglichkeit der Gestaltung einer Vorsorgevollmacht kann das nachfolgend abgedruckte Muster dienen.
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Palandt-Diederichsen Einfiihrung vor § 1896 BOB Rdnr. 7.
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Kapitel 2 Notwendigkeit einer Betreuung
Vorsorgevollmacht: Ich,
(Name, Vomame, Geburtsdatum)
(Anschrift) bestelle hiermit FUR DEN FALL,
DASS ICH VORUBERGEHEND
ODER AUF DAUER
NICHT MEHR IN DER LAGE BIN, EIGENVERANTWORTLICHE ENTSCHEIDUNGEN ZU TREFFEN
(Name und Vomame, Geburtsdatum)
(Anschrift) ZU meinem Bevollmachtigten. ALS
NACHWEIS,
DASS ICH
NICHT MEHR IN DER LAGE BIN, EIGENVERANT-
WORTLICHE ENTSCHEIDUNGEN ATTEST
FINES ARZTES
ZU TREFFEN, MUSS ER EIN
FUR PSYCHIATRIE
DEM SICH AUCH ERGEBEN
MUSS,
ODER NEUROLOGIE
ENTSPRECHENDES VORLEGEN, AUS
FUR WIF LANGE DIESER ZUSTAND
FACHARZTLICHER EINSCHATZUNG VORAUSSICHTLICHANDAUERN
NACH
WIRD.
1. Die Vollmacht soil nicht mit meinem Tod erloschen, sie ist jedoch jederzeit widerruflich. 2. Der BevoUmachtigte soil mich in alien Angelegenheiten, soweit dies rechtlich zulassig ist, gerichtlich und auBergerichtlich vertreten durfen. 3. Insbesondere berechtigt die Vollmacht den/die Bevollmachtigte(n) auch dazu, meine Rechte gegenuber Arzten, Krankenhausem, Pflegeheimen, Kostentragem und Behorden an meiner Stelle fiir mich wahrzunehmen. Die Genannten sind gegenuber dem Bevollmachtigten von einer etwa bestehenden Schweigepflicht befreit.
3 Vermeidung einer Betreuung durch Vorsorgeverfiigung in gesunden Tagen
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4. Diese Vollmacht erstreckt sich auch auf die Einwilligung in arztliche MaBnahmen wie eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung Oder einen arztlichen Eingriff und zwar auch dann, wenn die begriindete Gefahr besteht, dass ich aufgrund dieser MaBnahme sterbe oder einen schweren und langer andauernden gesundheitlichen Schaden erieide, § 1904 BOB. 5. Die Vollmacht berechtigt auch dazu, meinen Aufenthalt zu bestimmen. Dabei ermachtigt sie den/die Bevollmachtigte(n) auch dazu, in eine Unterbringung einzuwiliigen, die mit einer Freiheitsentziehung verbunden ist, § 1906 I BOB und, auch wenn ich nicht untergebracht werde, in die langerdauemde oder regelmafiige Entziehung meiner Freiheit durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise einzuwiliigen, § 1906 I BOB. 6. Der Bevollmachtigte ist auch befugt, die fiir mich bestimmte Post entgegenzunehmen und zu offnen. 7. Weitere Bestimmungen:
(Ort, Datum)
(Unterschrift)
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Kapitel 2 Notwendigkeit einer Betreuung
Hinweise zu dent vorstehenden Muster einer Vorsorsevollmacht: Der Inhalt kann selbstverstdndlich den eigenen Wunschen entsprechend abgewandelt werden. Wichtig ist dabei nur, dass die Erkldrungen klar und allgemeinverstdndlich formuliert sind. Soil der Bevollmdchtigte, wie im Muster vorgesehen, auch in gefdhrliche drztliche Mafinahmen, § 1904 BGB, einwilligen konnen, damit auch insoweit die Bestellung eines Betreuers vermieden werden kann, muss dies ausdriicklich und schriftUch bestimmt werden, § 1904 II BGB. Zusdtzlich muss en diese Mafinahmen vormundschaftsgerichtlich genehmigt werden, § 1904II BGB. Soil der Bevollmdchtigte, wie im Muster vorgesehen, auch in Unterbringungen, § 19061 BGB und unterbringungsdhnliche Mafinahmen, § 1906IV BGB gefdhrliche drztliche Mafinahmen, § 1904 BGB, einwilligen konnen, damit auch insoweit eine Betreuung entbehrlich wird, muss dies ausdriicklich und schriftUch bestimmt werden, § 1906 V BGB. Zusdtzlich miissen diese Mafinahmen vormundschaftsgerichtlich genehmigt werden, § 1906 V BGB. Es wird nochmals darauf hingewiesen, dass man dafur sorgen sollte, dass die Vorsorgevollmacht im Ernstfall von den mafigeblichen Personen auch aufgefunden wird. c)
Die GeneralvoUmacht
Die GeneralvoUmacht unterscheidet sich von der Vorsorgevollmacht ausschlieBlich dadurch, dass ihre Wirksamkeit nicht vom Eintritt eines bestimmten Ereignisses abhangt, dass sie also sofort gilt. Was den Inhalt der General- wie auch der Vorsorgevollmacht angeht, hat der VoUmachtgeber im Rahmen der Gesetze und der guten Sitten vollig freien Gestaltungsspielraum. Wenn er - was nahe liegt und daher durchaus zu empfehlen ist - Vorsorge auch fur den Fall treffen mochte, dass er Uber •
seine Gesundheitsfiirsorge,
•
sein Aufenthaltsbestimmungsrecht,
•
die Frage seiner eigenen geschlossenen Unterbringung und/oder ihn betreffender freiheitsentziehender Mafinahmen wie zum Beispiel Sicherung mit Gurten im Bett oder auf dem Stuhl oder
•
die Entgegennahme und das Bearbeiten seiner Post
3 Vermeidung einer Betreuung durch Vorsorgeverfiigung in gesunden Tagen
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nicht mehr selbst entscheiden kann, sollte aus Griinden der Klarheit und der Rechtssicherheit darauf geachtet werden, dass diese „hochstpersonlichen" Bereiche ausdrticklich in der Vollmacht aufgefiihrt werden. Vonmachten sind jederzeit widerruflich^^ Sie gelten auch bei Eintritt geistigen Verfalls und auch ohne weiteres liber den Tod hinaus fort^^. Der haufig anzutreffende Zusatz, die Vollmacht gelte auch uber den Tod hinaus, ist daher an sich nicht erforderlich. Er hat aber zur Klarstellung gegenuber Dritten und zur Beruhigung des Bevollmachtigenden wie auch des Bevollmachtigten durchaus seine Berechtigung. Als Beispiel fiir die Moglichkeit der Gestaltung einer Generalvollmacht kann das Muster fur die Vorsorgevollmacht (S. 22) dienen, wobei, damit aus der Vorsorgevollmacht eine sofort gtiltige Generalvollmacht wird, die auf S. 22 in KAPITALCHEN gesetzten Textteile gestrichen werden miissen; diese Streichung sollte am Rand durch Datum und Unterschrift bestatigt werden. d) Formerfordernisse von Vorsorgeverfiigungen und VoUmachten Betreuungsverfiigung, Vorsorge- und Generalvollmacht unterliegen grundsatzlich keinem Formzwang. Obschon sie gelegentlich auch als „Alterstestament" bezeichnet werden, mussen sie, anders als privatschriftliche Testamente^^, auch nicht vollstandig eigenhandig niedergeschrieben werden^^. Wichtig sind eine klare Uberschrift, eindeutige Inhalte und eigenhandige vollstandige Unterschrift unter Angabe von Unterschriftsort und -datum. Abweichend hiervon sind VoUmachten, die ermachtigen •
zur Zustimmung zu Unterbringungen bzw. unterbringungsahnlichen Mal3nahmen und/oder
•
zur Zustimmung zu arztlichen Eingriffen, die die Gefahr begriinden, dass der Betroffene durch sie stirbt oder einen schweren und langer dauemden gesundheitlichen Schaden erleidet
nur wirksam, wenn sie schriftlich erteilt sind und die genannten Bereiche ausdrucklich auffuhren, §§ 1906 V, 1904 11 BGB.
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Zur Widerruflichkeit sogenannter unwiderruflicher VoUmachten s. S. 102. Palandt-Heinrichs § 168 BGB Rdnr. 4. Diese miissen vollstandig handschriftlich erstellt sein, § 2247 BGB. Auch aus diesem Grund sollte die Bezeichnung als „Alterstestament" unterbleiben.
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Kapitel 2 Notwendigkeit einer Betreuung
Weitere Ausnahmen von der fur Vollmachten bestehenden grundsatzlichen Formfreiheit konnen dann gelten, wenn sie zur Vomahme von Rechtsgeschaften ermSchtigen, die notariell beurkundet werden mussen, zum Beispiel zu Grundstiicksgeschaften, Kommt dies in Betracht, sollte man sich von einem Notar beraten lassen, ob es aus Rechtsgrunden erforderlich ist, die vorgesehene Vollmacht notariell zu beurkunden. Dariiber hinaus ist es sinnvoll, notariellen Rat einzuholen, wenn die Vollmacht fiir groBere Vermogen gilt, da eine notarielle Vollmacht im Rechtsverkehr praktisch nicht in Zweifel gezogen werden kann, was bei einer privatschriftlich erstellten Vollmacht schon einmal passiert. Wird nicht nur die Unterschrift unter der Vollmacht notariell beglaubigt, sondem die Vollmacht insgesamt vom Notar erstellt, enthalt sie in aller Regel auch einen Hinweis darauf, dass der Notar sich in einem Vorgesprach uberzeugt hat, dass der Vollmachtgeber voll geschaftsfahig ist. Diese Klausel kann nachtraglichen diesbezuglichen Zweifeln von vornherein jeden Boden entziehen. Banken und Sparkassen erkennen privatschriftliche Vollmachten vielfach nur an, wenn sie auf entsprechenden von ihnen vorgehaltenen Vordrucken abgegeben werden. Um spater unnotige Auseinandersetzungen zu vermeiden, sollte man dann eben die entsprechenden Vordrucke einsetzen. Eine notarielle Beglaubigung oder Beurkundung wird von den Banken regelmafiig nicht verlangt und ist, wenn es nur um alltagliche Bankgeschafte geht, im allgemeinen nicht erforderlich. Soweit es um Postempfangsvollmacht geht, insbesondere ftir eingeschriebene oder sonst nachzuweisende Briefsendungen, ist bei der Post nachzufragen, ob dort die Verwendung bestimmter Formulare vorgesehen ist.
4.
Der KontroUbetreuer
Die Moglichkeit, durch, auch entsprechend umfassende, Vollmachten die Bestellung eines Betreuers zu vermeiden, ist allerdings nicht absolut. Denn wenn der Betroffene, etwa wegen geistigen Verfalls, nicht mehr in der Lage ist, den BevoUmachtigten sachgerecht zu uberwachen, kann vom Gericht ein sogenannter KontroUbetreuer bestellt werden, § 1896 III BGB. Dessen Aufgabe besteht dann darin, anstelle des hierzu nicht mehr fahigen Betroffenen den Bevollmachtigten zu uberwachen. Diese Uberwachung schlieBt die Beftignis ein, die Vollmacht zu widerrufen^^. In diesem Fall wird in aller Regel die Bestellung eines „normalen" Betreuers erforderlich werden.
^0
Palandt-Diederichsen § 1896 BGB Rdnr. 21.
4 Der Kontrollbetreuer
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Als Beispiel hierzu folgender, redaktionell leicht nachbearbeitete, Beschluss aus der Praxis des Verfassers"^ \ Hierbei war die Bevollmachtigte zunachst als Betreuerin eingesetzt worden, weil das Gericht von der Vollmacht keine Kenntnis hatte. Fall 9:
In dem Betreuungsverfahren fur Frau A. S. wird hiermit die derzeit bestehende Betreuung aufgehoben. Zugleich wird als Kontrollbetreuerin der bisherigen Betreuerin und jetzigen Bevollmachtigten der Betroffenen eingesetzt Frau Rechtsanwaltin S. Die Kontrollbetreuerin fuhrt diese Kontrollbetreuung berufsmafiig. Die mit Beschluss vom 18.06.2003 eingerichtete Erganzungsbetreuung wird ebenfalls aufgehoben. Grunde: I. Fur die jetzt 91-jahrige Betroffene wurde unter dem 20.10.1999 mit ihrer ausdriicklichen Zustimmung ihre Nichte als Betreuerin bestellt. Der Aufgabenkreis der Betreuung umfasst u. a. die Vermogenssorge. Die Betroffene hat zu der Betreuerin ein besonders enges Vertrauensverhaltnis: sie hat sie aufgezogen, sieht sie noch heute wie ein eigenes Kind, untersttitzt sie seit jeher fmanziell und hat schriftlich verfugt, dass diese Unterstiitzung andauern soil, so lange sie, die Betroffene, lebt. Da die Betreuerin gerichtliche Berichtsanforderungen im Rahmen der Betreuung beharrlich ignoriert, hatte das Gericht zu priifen, ob sie ungeachtet des engen Vertrauensverhaltnisses der Betroffenen zu ihr aus dem Amt der Betreuerin zu entlassen ist. Zur Wahrung der Interessen der Betroffenen hatte das Gericht mit Beschluss vom 18.06.2003 eine Erganzungsbetreuerin bestellt mit dem Aufgabenkreis „Vertretung der Betroffenen imVerfahren zum eventuellen Wechsel in der Betreuung". II. An sich ware die bisherige Betreuerin zu entlassen. Denn es hat sich herausgestellt, dass sie fur dieses Amt ungeeignet ist. Sie wurde vom Amtsgericht unter dem 15.08.2002 zur Vorlage von Unterlagen uber das Vermogen der Betroffenen aufgefordert. Nachdem sie hierauf unter dem 20.08.2002 mitgeteilt hatte, derzeit aus beruflichen Griinden am Erscheinen bei Gericht wahrend der ublichen Offnungszeiten verhindert zu sein, war sie unter dem 27.08.2002 auf die Moglichkeit hingewiesen worden, die Unterlagen per Post zu Ubersenden oder in den Nachtbriefkasten des Gerichts einzuwerfen. Unter dem 26.09.2002 wurde sie an die Erledigung erinnert. Unter dem 29.10.2002 erfolgte eine als „letztmalig" bezeichnete Erinnerung. Unter dem 18.12.2002 antwortete die bisherige Betreuerin aus familiaren Grunden und weil die angeforderten Unterlagen derzeit anderwarts benotigt wurden, sei ihr derzeit eine Ubersendung nicht moglich. In der Folgezeit geschah weiterhin nichts. Unter dem 13.02.2003 wurde die bisherige Betreuerin abermals und wieder erfolglos an die Erledigung der gerichtlichen Aufforderung erinnert. In der Folgezeit wurde die bisherige Betreuerin unter dem 04.06.2003 schriftlich darauf hingewiesen, dass aufgrund ihrer Missachtung der gerichtlichen An-
Veroffentlicht in BtPrax 2004, 118.
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Kapitel 2 Notwendigkeit einer Betreuung
In der Folgezeit wurde die bisherige Betreuerin unter dem 04.06.2003 schriftlich darauf hingewiesen, dass aufgrund ihrer Missachtung der gerichtlichen Anforderungen von Vermogensunterlagen beabsichtigt sei, die Vermogenssorge einem anderen Betreuer zu tibertragen. Hierauf reagierte die bisherige Betreuerin mit Schreiben vom 15.06.2003 mit mannigfaltigen Erklarungen, aber weiterhin ohne Vorlage der angeforderten Belege. Jetzt wurde der bisherigen Betreuerin ein Anhorungstermin fiir den 17.10.2003 gegeben. Diesen sagte sie mit einem am 16.10.2003 bei Gericht eingehenden Schreiben vom 15.10.2003 ab. Eine als nachstes ergehende Aufforderung des Gerichts zur Rechnungslegung vom 17.10.2003 blieb trotz einer Erinnerung vom 24.11.2003 unbeachtet. Auch eine Aufforderung der vom Gericht eingesetzten Erganzungsbetreuerin, Rechnung zu legen, war erfolglos geblieben. Einen nach Dezernatswechsel von dem nunmehr zustandigen Richter anberaumten neuen Anhorungstermin fur den 23.01.2004 sagte die bisherige Betreuerin mit einem am selben Tag bei Gericht eingegangenen Schreiben vom 22.01.2004 ab. Zu dem daraufhin fur den 27.02.2004 anberaumten weiteren Anhorungstermin ist die bisherige Betreuerin unentschuldigt nicht erschienen. Dieses Gesamtverhalten der bisherigen Betreuerin wurde ihre Entlassung erfordern, ohne dass es weiterer Worte bedtirfte. III. Die bisherige Betreuerin hat aber unter dem 06.09.2003 eine kurz zuvor aufgefundene umfassende Vollmacht der Betroffenen vom 14.09.1991 (also acht Jahre vor der erstmaligen Betreuerbestellung) vorgelegt, so dass die gesamte Betreuung jetzt nicht mehr erforderlich und daher aufzuheben ist. IV. Eine Verstandigung mit der Betroffenen zu Betreuungsfragen ist nach dem Ergebnis der richterlichen Anhorung vom 03.06.2003 nicht mehr moglich. Das Gericht hatte deshalb auch mit Beschluss vom 18.06.2003 eine Erganzungsbetreuerin mit dem Aufgabenkreis „Vertretung der Betroffenen im Verfahren zum eventuellen Wechsel in der Betreuung" eingesetzt, was von der Aufgabenstellung her einer Verfahrenspflegschaft entspricht. Auch die Erganzungsbetreuerin/ Verfahrenspflegerin ist, wie sie mit Schreiben vom 12.08.2003 mitteilt, zu dem Ergebnis gekommen, dass die bisherige Betreuerin als Betreuerin ungeeignet ist. Die Umstande, a) dass mit der Betroffenen keine Verstandigung in Betreuungsfragen mehr moglich ist, so dass b) zur Wahrung ihrer Interessen eine Verfahrenspflegschaft eingerichtet werden musste und dass c) die jetzt als Bevollmachtigte agierende bisherige Betreuerin sowohl vom Gericht als auch von der Erganzungsbetreuerin/Verfahrenspflegerin als als Betreuerin ungeeignet eingestuft wurde, erfordern jedoch gemaB § 1896 III BGB die Bestellung eines Kontrollbetreuers, der die Uberwachungs- und Rechnungslegungsrechte der Betroffenen gegen-
4 Der Kontrollbetreuer
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uber der Bevollmachtigten fiir diese wahrnimmt, well diese selbst dies, wie ausgefiihrt, nicht mehr selbst tun kann. Es erschien sachgerecht, diese Aufgabe der bisherigen Erganzungsbetreuerin/ Verfahrenspflegerin zu ubertragen, die mit der Angelegenheit vertraut und dem Gericht seit vielen Jahren als erfahrene Berufsbetreuerin bekannt ist. Die Kontrollbetreuerin wird ausdrucklich darauf hingewiesen, dass sie, soweit die Bevollmachtigte sich weiterhin der Zusammenarbeit verweigert, berechtigt und gegebenenfalls auch verpflichtet ist, die von der Betroffenen erteilte Vollmacht zu widerrufen [BayObLG FamRZ 1994, 1550, zitiert bei PalandtDiederichsen 63. Auflage, § 1896 BOB Rdnr. 21]. Da dann wieder eine Betreuung einzurichten ware, musste ein solcher Widerruf umgehend dem Gericht mitgeteilt werden. Nachdem die Bevollmachtigte in der Folgezeit beharrlich die Zusammenarbeit auch mit der Kontrollbetreuerin verweigerte, widerrief diese die VoUmacht und wurde sodann vom Gericht als Betreuerin eingesetzt. Die Kontrollbetreuung vvirkt vielleicht auf denjenigen befremdlich, der durch Vollmachtserteilung eine Betreuung vollstandig vermeiden wollte. Durch sie soil aber verhindert werden, dass eine bei Verfall des Vollmachtgebers ja ganzlich uberwachungsfreie VoUmacht missbraucht wird. Der Kontrollbetreuer tritt auch nicht an Stelle des Bevollmachtigten, er kann insbesondere nicht an dessen Stelle Verfugungen tiber die Angelegenheiten des Betroffenen treffen. Ein korrekter Bevollmachtigter wird durch den Kontrollbetreuer auch durchaus entlastet. Denn wenn nach dem Tod des Betroffenen dann Erben den Bevollmachtigten des Vollmachtsmissbrauchs bezichtigen, kann der Kontrollbetreuer ftir ihn eine nicht unwichtige Hilfe sein. In ganz krassen Missbrauchsfallen kommt die Einsetzung eines gerichtlichen Betreuers trotz bestehender VoUmacht in Betracht, der dann kraft seiner Befugnis, den Betroffenen zu vertreten, sogar die VoUmacht widerrufen kann. Diese Moglichkeit besteht, wenn durch die bestehende VoUmacht die Angelegenheiten nicht „eben so gut" wie durch einen Betreuer geregelt werden konnen, § 1896 II 2 BGB. Das ist bei konkreter Missbrauchsgefahr der Fall. Allerdings fuhrt die Einsetzung des Betreuers selbst nicht zum Erloschen der VoUmacht. Dies setzt den Widerruf der VoUmacht voraus. Ansonsten kommt es namlich lediglich zu einer Nebeneinander-Vertretungs-Befugnis zwischen Bevollmachtigten und Betreuer, der Bevollmachtigte kann also weiter verfiigen - und die Missbrauchsgefahr besteht fort. In dem nachfolgend geschilderten Fall kam es sogar zu Widerruf einer von der Betroffenen erteilten VoUmacht unmittelbar durch den Richter: Fall 10:
Ein Altenheim ruft bei Gericht an. Eine Angehorige, die auch im Besitz einer VoUmacht sei, habe sich angemeldet und aufgrund der VoUmacht die Abholung der uber mehrere 10.000 DM lautenden Sparbucher der Betroffenen angekun-
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Kapitel 2 Notwendigkeit einer Betreuung
digt. Mit der Betroffenen selbst war keine Verstandigung mehr moglich. Es war nicht ersichtlich, weshalb die Angeliorige die Sparbiiclier wollte und inwieweit das den Interessen der Betroffenen etwa hatte dienen sollen. Es erschien unabweisbar, bis zur Klarung des Hintergrundes das Vermogen der Betroffenen wirkungsvoll zu sichern. Aufgrund der Eilbedurftigkeit war es nicht mehr moglich, einen Betreuer einzusetzen. Damit war die Notvertretungsbefugnis des Richters gemafi § 1846 BGB gegeben, die es ihm gestattet, selbst als gesetzlicher Vertreter der Betroffenen tatig zu werden. In Ausubung dieser Vertretungsbefugnis widerrief in diesem Fall der Richter die von der Betroffenen erteilte Vollmacht. Die genannte Angehorige bestellte einen An wait, der auch Auskunft erhielt. Weder der Anwalt noch die Angehorige haben sich in dieser Sache wieder bei Gericht gemeldet. In der 1. Auflage wurde ein derartiger Sachverhalt noch als einzig in der langjahrigen Praxis des Verfassers bezeichnet. Inzwischen sind (allerdings immer noch sehr wenige) vergleichbare Falle hinzugekommen, z. B. Fall 29, S. 101. Eine Kontrollbetreuung ist umstandlich: der Kontrollbetreuer tiberwacht den Bevollmachtigten, das Vormundschaftsgericht uberwacht den Kontrollbetreuer. Eine Moglichkeit, die Sache zu vereinfachen, besteht darin, den Bevollmachtigten zusatzlich noch als Betreuer einzusetzen. Dies diirfte dann doch dem Willen des Vollmachtgebers recht nahe kommen, unterstellt den Bevollmachtigten aber wenigstens einer gewissen, namlich der fur jeden Betreuer geltenden, vormundschaftsgerichtlichen Uberwachung. Dieser Vorschlag steht zwar in Widerspruch zu § 1896 II 2 BGB, wird aber, wenn der Bevollmachtigte damit einverstanden ist, trotzdem zulassig sein. Zusatzliche Aufwendungen fur den Betroffenen entstehen nicht, weil die ehrenamtliche Betreuung fiir ihn keine hoheren Kosten ausl5st als die ehrenamtliche Kontrollbetreuung. Bei einfach gelagerten Vermogensverhaltnissen hat das Vormundschaftsgericht nach der ersten Rechnungslegung die Moglichkeit, fiir die Zukunft Rechnungslegung nur noch alle drei Jahre anzuordnen, § 1840 IV BGB. Das vermindert die Belastung des als Betreuer eingesetzten Bevollmachtigten noch weiter. Der Ehegatte, die Eltern und die Abkommlinge des Betroffenen im Betreueramt sind von der allgemeinen Rechnungslegungspflicht vollstandig befreit, §§ 1908i II 2, 1857a, 1854 BGB . Sie mussen aber in Abstanden von 2 Jahren dem Vormundschaftsgericht ein Vermogensverzeichnis vorlegen; das Vormundschaftsgericht kann diesen Zeitraum auf 5 Jahre verlangern. Zur Erteilung der
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Das Vormundschaftsgericht kann im Einzelfall diese Befreiung auftieben, § 19081II 2 BGB.
5 Der Verfahrenspfleger
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Schlussrechnung sind allerdings auch die genannten Angehorigen verpflichtet". Vielfach wird die Meinung vertreten, bei einfach gelagerten Vermogensverhaltnissen ohne Anhaltspunkte far irgendeinen Missbrauch, sei auch (iber die in § 1854 BGB aufgefiihrten engsten Verwandten hinaus eine Kontrollbetreuung schlechterdings „nicht erforderlich", ebenso bei zwei Bevollmachtigten, die sich gegenseitig uberwachen^"^. Folgt man dieser Auffassung, wird in diesen Fallen auf jede Kontrollbetreuung oder Bestellung des oder der Bevollmachtigten zusatzlich als Betreuer verzichtet werden konnen. Die Kontrollbetreuung ist iibrigens die einzige Betreuungsart, die nicht vom Richter, sondem vom Rechtspfleger angeordnet wird, § 14 I Nr. 4 Rechtspflegergesetz (RPflG).
5.
Der Verfahrenspfleger
Personen, fur die ein Betreuer bestellt werden muss, sind haufig nicht mehr in der Lage, selbst dem Betreuungsverfahren zu folgen, dem Gericht gegentiber Antrage zu stellen oder sonst ihre Rechte ausreichend wahrzunehmen. Aus diesem Grund hat das Gericht als Sachwalter der Interessen des Betroffenen im Betreuungsverfahren einen Verfahrenspfleger zu bestellen, „soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist", § 67 I 1 FGG. Nach § 67 I 2 FGG ist das insbesondere der Fall, (l)wenn von der personlichen Anhorung des Betroffenen durch den Richter abgesehen werden soil, weil von einer solchen Anhorung nach arztlichem Gutachten erhebliche Nachteile ftir den Betroffenen zu erwarten sind (§ 68 II Nr. 1 FGG) oder weil der Betroffene nicht in der Lage ist, seinen Willen kundzutun (§ 68 II Nr. 2 FGG) oder (2) wenn ein Betreuer flir alle Angelegenheiten bestellt werden soil. Auch in den letztgenannten Fallen kann das Gericht aber von der Beteiligung eines Verfahrenspflegers absehen, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung eines Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht, § 67 I 3 FGG; in diesem Fall ist jedoch in der betreffenden Entscheidung zu begrunden, warum von der Bestellung eines Verfalirenspflegers abgesehen wurde, § 67 I 4 FGG.
" ^"^
Palandt-Diederichsen § 1857a BGB Rdnr. 1. Vgl. Palandt-Diederichsen § 1896 BGB Rdnr. 21; eingehend hierzu Erman-Holzhauer § 1896 BGB Rdnr. 46.
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Kapitel 2 Notwendigkeit einer Betreuung
In diesem Sinne kann z. B. von der Beteiligung eines Verfahrenspflegers abgesehen werden, wenn mit dem Betroffenen dauerhaft keinerlei Verstandigung mehr moglich ist und keinerlei Verwandte bekannt oder erreichbar sind. Ebenso kann die Bestellung eines Verfahrenspflegers unterbleiben, wenn die Familienverhaltnisse geordnet sind und Familie und Betroffener (mit seinem Restwillen) der Betreuung zustimmen. SchlieBlich kann auf einen Verfahrenspfleger verzichtet werden, wenn die zu treffende Entscheidung mit solcher Evidenz geboten ist und auch keine Entscheidungsalternativen bestehen, dass auch die Beteiligung eines Verfahrenspflegers zu keiner anderen Entscheidung fiihren konnte. Ist uber die Genehmigung einer Sterilisation zu entscheiden, ist ohne jede Ausnahme stets ein Verfahrenspfleger zu bestellen, § 67 I 5 FGG. Der Verfahrenspfleger hat eine ahnliche Stellung, wie der Pflichtverteidiger im Strafprozess: er soil als Vertreter des Betroffenen darauf achten, dass die gesetzlichen Rechte des Betroffenen eingehalten werden. Er kann Anregungen ftir bestimmte Ermittlungen des Gerichts geben und soil die Wunsche des Betroffenen sachgerecht vortragen. Um die Interessen des Betroffenen wirkungsvoll wahrnehmen zu konnen, kann der Verfahrenspfleger auch Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen einlegen, § 67 II FGG. Da es fiir die sachgerechte FUhrung der Verfahrenspflegschaft entscheidend auf Rechtskenntnisse und die Fahigkeit zum sachgerechten Vortrag bei Gericht ankommt, werden grundsatzlich nur Rechtsanwalte als Verfahrenspfleger bestellt, obwohl das Gesetz selbst keine Vorgaben dazu enthalt, wer als Verfahrenspfleger eingesetzt werden kann. Wenn der Betroffene selbst einen Rechtsanwalt oder eine andere geeignete Person als Bevollmachtigten bestellt, soli die Bestellung eines Verfahrenspflegers unterbleiben oder eine bereits bestehende Verfahrenspflegschaft aufgehoben werden, § 67 I 6 FGG. Denn in diesen Fallen ist die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen auch ohne Verfahrenspflegschaft gewahrleistet.
Kapitel 3
1.
Der Aufgabenkreis der Betreuung
AUgemeines zum Aufgabenkreis
a) Der Grundaufgabenkreis: Vermogenssorge, Aufenthaltsbestimmungsrecht und Gesundheitsfiirsorge Vor dem Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes fanden sich haufig nur zwei Aufgabenkreise (damals Wirkungskreise genannt): die Vermogenssorge und die Personensorge. Dabei betraf die Vermogenssorge die Geldangelegenheiten und die Personensorge alles andere. Diese Zweiteilung grtindet in § 1626 I BGB, wo die elterliche Sorge in diese beiden Bestandteile Vermogens- und Personensorge aufgeteilt ist. Im Betreuungsrecht ist der Begriff der Personensorge nicht mehr ublich, man findet ihn aber gelegentlich noch vor. Grund fiir die Preisgabe dieses Begriffs ist seine Undifferenziertheit: Ein Universalbegriff, der mit Ausnahme der Geldangelegenheiten alles andere umfasst ist mit dem Erforderlichkeitsgrundsatz^^ und dem daraus abgeleiteten Verbot der Vorratsbetreuung^^ nicht vereinbar. Auf der anderen Seite haben sich Bemiihungen, enge, moglichst konkrete Aufgabenkreise zu definieren, um dem Erforderlichkeitsgrundsatz zu gentigen, nicht bewahrt. Aufgabenkreise wie „Versorgung des Betroffenen mit Grundnahrungsmitteln" oder „Vertretung des Betroffenen gegentiber dem Krankenhaus, in dem er gerade behandelt wird" sind unpraktikabel. Besteht der Bedarf, Heizoi zu bestellen oder im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt den Hausarzt einzuschalten muss der Betreuer entweder uber seinen Aufgabenkreis hinaus tatig werden oder ^^ ^^
Vgl. S. 13Grundsatz2. Vgl. S. 73.
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Kapitel 3 Der Aufgabenkreis der Betreuung
das Gericht sieht sich unentwegt mit der Notwendigkeit, Erweiterungsbeschlusse zu fassen, konfrontiert. In den meisten Fallen, in denen der Betreute je entweder nicht mehr auBerungsfahig oder aber mit der Hilfe durch einen Betreuer auBerst einverstanden ist, wurde solche Entftihrung zu erheblichem btirokratischen Aufwand bei vorhersehbarem Ergebnis fuhren, Aufwand, von dem insbesondere der Betreute nichts hat. Die reine Lehre des Erforderlichkeitsgrundsatzes ist in der Praxis nicht durchhaltbar. Es hat sich daher weitgehend durchgesetzt, den Aufgabenkreis des Betreuers mit drei Teilaufgabenkreisen zu umschreiben („betreuungsrechtlicher Dreiklang"), wobei in den meisten Fallen alle drei Teilaufgabenkreise angeordnet werden: Vermogenssorge, Aufenthaltsbestimmungsrecht und Gesundheitsfursorge. Wenn man dann uberlegt, woflir der Betreuer eigentlich noch unzustandig ist, bleibt nicht mehr viel ubrig und der Erforderlichkeitsgrundsatz geht dahin. Dies gilt erst recht, wenn der Betreuungsrichter unter Vermogenssorge alles versteht, was irgendwie mit Geld und Vermogen zu tun hat: Miet- und Arbeitsrecht, Rentenangelegenheiten, Vertretung im Scheidungsverfahren werden dann ohne weiteres als Teil der Vermogenssorge aufgefasst und werden bei der Beschreibung des Aufgabenkreises nicht besonders erwahnt. Andere Gerichte erwahnen jeden dieser einzelnen Bereiche gesondert. Aufgrund dieser so unterschiedlichen Praxis der einzelnen Gerichte ist im Zweifelsfall Ruckfrage bei dem Gericht, bei dem die betreffende Betreuung geftihrt wird, erforderlich.
Auch was das Aufenthaltsbestimmungsrecht angeht, sehen einige Gericht darin ohne besonderen Ausspruch zugleich die Zustandigkeit auch fur Unterbringungsund unterbringungsahnliche Mafinahmen gemaB § 1906 BGB mitenthalten, andere fiigen das eigens hinzu. Am einheitlichsten wird der Begriff der Gesundheitsfursorge aufgefasst, aber auch hier fugen einige Gericht eigens hinzu 'einschliel31ich der Zustimmung zu arztlichen HeilmaBnahmen', wobei sich dann schon die Frage stellt, was eigentlich Gesundheitsfursorge ohne die Befugnis zur Zustimmung zu arztlichen HeilmaBnahmen sein soil. b) Die sinnvollen Erganzungen: Vertretung gegeniiber Heim und Behorden sowie PostvoUmacht Auch bei weiter Auslegung der Grundaufgaben Vermogenssorge, Aufenthaltsbestimmungsrecht und Gesundheitsfursorge lasst sich der Bereich „Vertretung des Betroffenen gegenuber dem Heim" darin schwer einordnen. Der Betreuer eines Heimbewohners sollte deshalb darauf achten, dass die Vertretung des Betroffenen gegenuber dem Heim in seinen Aufgabenkreis aufgenommen wird.
1 Allgemeines zum Aufgabenkreis
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Bei Auseinandersetzungen mit Heimen ist es namlich schon passiert, dass diese mit dem Hinweis, die Vertretung des Betroffenen in Heimangelegenheiten sei nicht vom Aufgabenkreis des Betreuers umfasst, darauf beharrten, der Betreuer sei gar nicht legitimiert, insoweit flir den Betroffenen zu handeln. Dabei kann dieser Aufgabenbereich fiir einen Heimbewohner der wesentlichste uberhaupt sein. Um derlei Unklarheiten gar nicht erst aufkommen zu lassen, ist daher dringend anzuraten, auf die ausdriickliche Aufnahme dieses Aufgabenbereiches in den Betreuungsbeschluss hinzuwirken. Ebenso sinnvoll ist die Aufnahme des Aufgabenbereichs der Vertretung des Betroffenen gegenuber Behorden. Passangelegenheiten, Steuererklarungen, Ummeldungen, Briefwahlantrage, all das kann kaum als von der Vermogenssorge umfasst angesehen werden, ist aber ohne weiteres in der „Vertretung gegentiber Behorden" enthalten. Die PostvoUmacht, oft auch bezeichnet als „Befugnis, die Post des Betroffenen anzuhalten, zu offnen und zu bearbeiten", muss angesichts des hohen Ranges des Briefgeheimnisses kraft ausdriicklicher gesetzlicher Regelung stets als eigener Aufgabenbereich aufgefuhrt werden, § 1896 IV BGB. Dieser an sich honorige Respekt vor dem Briefgeheimnis fuhrt aber dazu, dass dieser Aufgabenbereich viel zu selten eingesetzt wird. Die verfassungsrechtlich weit fragwurdigere Folge dieser Unterlassung in der Praxis ist dann aber, dass Heimmitarbeiter, Angehorige Oder auch der Betreuer unbefugt die Post erledigen, weil es eben nicht anders geht. Aus diesem Grund sollte in entsprechend klaren Fallen der Betreuer vor einem Antrag, den Aufgabenkreis auf die PostvoUmacht zu erstrecken, ebenso wenig zuriickschrecken wie der Betreuungsrichter vor einer diesem Antrag stattgebenden Entscheidung. Hier gilt ein weiteres Mai, dass das Unterlassen einer sachgemafien Erweiterung des Aufgabenkreises eine schwerwiegendere Beeintrachtigung der Rechte des Betroffenen bedeuten kann als deren Anordnung. Bei Betreuten, die noch in der Lage sind, private Post selbstandig zur Kenntnis zu nehmen, hat sich aber folgende Einschrankung bewahrt: Der Aufgabenkreis der Betreuung umfasst ... die Entgegennahme und das Offnen der an den Betroffenen adressierten Post mit Ausnahme von Post erkennbar rein privaten Inhalts. Nach einigen Monaten verliert die betreuungsrechtliche PostvoUmacht meist ihre Bedeutung: der Betreuer hat sich in dieser Zeit den Absendern relevanter Post gegenuber legitimiert und daftir gesorgt, dass die Post nicht mehr an den Betroffenen, sondem an den Betreuer direkt als gesetzlichen Vertreter des Betroffenen adressiert wird. Derlei Post darf der Betreuer ohne weiteres entgegennehmen und offnen, der betreuungsrechtlichen PostvoUmacht bedarf es nicht mehr. Vereinzelt gibt es Amter und Versicherungen, die diesen Weg ablehnen. Diese Weigerung entspricht zwar nicht der Rechtslage, man wird aber schwerlich ei-
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Kapitel 3 Der Aufgabenkreis der Betreuung
nen Rechtsstreit dariiber flihren. In diesen Fallen mag es dann bei der betreuungsrechtlichen Postvollmacht bleiben. c)
Das Korrektiv: Der Erforderlichkeitsgrundsatz
Ungeachtet der Unpraktikabilitat des Erforderlichkeitsgrundsatzes dieser im Bewusstsein von Gericht und Betreuem nicht untergehen.
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sollte
Zwar ist in der Vielzahl der Betreuungsfalle ist der Betroffene ja tatsachlich nicht mehr in der Lage, Angelegenheiten, die Uber Kleineinkaufe hinausgehen, selbst zu regeln. Er kann weder Behordengange erledigen, noch dem Aufklarungsgesprach des Arztes uber zur Debatte stehende medizinische MaBnahmen folgen. Er hat keinen Uberblick mehr uber seine finanziellen Angelegenheiten und konnte weder einen Heimplatz suchen, noch dessen Finanzierung regeln. In diesen Fallen - und es ist bei weitem die Uberzahl! - gilt, dass ein zu eng gefasster Aufgabenkreis dem Betroffenen nichts nutzt, aber zu Rechtsunklarheit fiihrt sowie dazu, dass der Betreuer und die helfenden Berufe genotigt sind, standig im rechtsfreien und damit auch im - fur den Betreuten, aber auch fur sie - rechtsschutzfreien Raum zu agieren. Allein die Einschrankung des Aufgabenkreises des Betreuers lasst die Entscheidungsfahigkeit des Betroffenen in keiner Weise anwachsen. Sie fiihrt in den genannten Fallen aber dazu, dass zentrale Lebensbereiche des Betroffenen weder von ihm, noch von einem rechtswirksam bestellten Vertreter kontrolliert werden konnen. Darin liegt eine unerwtinschte und auch nicht gerechtfertigte gravierende Verkilrzung des Rechtsschutzes selbst nicht mehr einwilligungsfahiger Menschen. Es soil aber nicht unerwahnt bleiben, dass in einzelnen, besonders sensiblen Bereichen der Erforderlichkeitsgrundsatz seinen Sinn und auch einen Wert fiir den Betroffenen hat. Der Aufgabenkreis „Wohnungsauflosung" sollte nicht automatisch von der Vermogenssorge umfasst sein, sondem im Einzelfall konkret bestimmt werden - wenn es notig ist und erst dann! Dadurch ist die Entscheidung, ob es zu einer Wohnungsauflosung kommt, auch formal unter den Vorbehalt einer ausdriicklichen richterlichen Entscheidung gestellt. Bei Anlass tenoriere man ruhig „die Vermogenssorge mit Ausnahme des Rechts der Kundigung der Wohnung des Betroffenen in ...". Natiirlich gibt es zusatzlich den Genehmigungsvorbehalt des § 1907 BOB, aber wenn zusatzlich und fiir den Rechtsverkehr erkennbar die Wohnungsktindigung aus der Zustandigkeit des Betreuers herausgenommen ist, starkt das die in § 1907 BOB unter Schutz gestellte Position des Betroffenen zusatzlich und zwar erheblich. Der Rechtsverkehr hat im allgemeinen keine Ahnung, dass die Kundigung der Mietwohnung eines Betreuten dem Vorbehalt Vgl. S. 13Grundsatz2.
1 Allgemeines zum Aufgabenkreis
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der gerichtlichen Genehmigung untersteht und wenn erst einmal vollendete Tatsachen geschaffen sind, ist das kaum je wieder riickgangig zu machen. Auf den Teilaufgabenkreis der Vermogenssorge kann vielfach verzichtet werden, wenn entsprechende Vollmachten bestehen, mittels derer dieser Bereich „eben so gut" wie durch eine Betreuung geregelt werden kann, § 1896 II 2 BGB. Auch der Aufgabenkreis des Aufenthaltsbestimmungsrechts sollte nicht routinemafiig, uniiberlegt, iibertragen werden. Auch wenn er rein rechtlich keine eigentlichen Zwangsbefugnisse verleiht^^, ist seine psychologische Bedeutung sowohl bei dem Betreuten selbst als auch im Rechtsverkehr nicht zu unterschatzen. SchlieBlich gibt es durchaus auch Betreuungen, wo der Aufgabenkreis des Betreuers in sinnvoller Weise auf bestimmte und genau abgrenzbare Bereiche beschrankt werden kann, so etwa Bsp. 2 (S. 13). Weitere Beispiele: Bsp. 7:
Eine noch recht gut orientierte Seniorin erbt, es stellt sich die Frage der Erbausschlagung oder auch der Auseinandersetzung des Nachlasses. Mit diesen Angelegenheiten ist sie aufgrund altersbedingten Abbaus uberfordert. In diesem Fall wird man die Betreuung auf „Erbangelegenheiten" beschranken und nach Abwickelung des Erbfalls wieder aufheben konnen.
Bsp. 8:
In Behinderteneinrichtungen reicht es gelegentlich aus, fiir die Bereiche „Vertretung gegenuber dem Wohnheim und der beschutzenden Werkstatt" einen Betreuer zu bestellen.
Bsp. 9:
Bei chronisch psychisch Kranken, die auBerhalb der akuten Krankheitsschube allein zurechtkommen, kann eine Betreuung fiir Gesundheitsflirsorge und Aufenthaltsbestimmungsrecht ausreichend sein.
Diese Beispiele mogen verdeutlichen, dass hier nicht einem unreflektiert angeordneten Maximalaufgabenkreis das Wort geredet werden soil. Aber wer krank ist, wird nicht dadurch gesunder, dass er den Arztbesuch unterlasst und wer seine Angelegenheiten nicht mehr alleine zu regeln vermag, gewinnt diese Fahigkeit jedenfalls nicht dadurch zurtick, dass diese Angelegenheiten betreuungsfrei gestellt bleiben. Grundsatz 4: Der Erforderlichkeitsgrundsatz kann nicht nur bedeuten, dass der Aufgabenkreis die wirklichen Erfordernisse nicht zu iiberschreiten hat, sondern auch, dass er nicht dahinter zuruckbleiben darf.
^^
Vgl. S. 39.
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2.
Kapitel 3 Der Aufgabenkreis der Betreuung
Einzelne Aufgabenbereiche
a) Die Vermogenssorge Die Anordnung einer Betreuung fiir die Vermogenssorge wird von den Betroffenen meist ais gar kein so schwerwiegender Eingriff empfunden, sei es, dass Uberhaupt kein „Verm6gen" im landlaufigen Sinne vorhanden ist, sei es, dass die Geldgeschafte auch ohne formliche Vollmacht ohnehin schon von Angehorigen wahrgenommen werden. Im typischen Betreuungsfall regelt der Betroffene seine Geldangelegenheiten, vielleicht mit Ausnahme der Verfugung uber sein Girokonto, schon seit langerem nicht mehr selbst und ist dazu auch gar nicht mehr in der Lage. Wenn die Dinge so liegen, fiihrt der Betreuungsbeschluss also entweder dazu, dass ein bisher g^nzlich ungeregelter Zustand einer vernunftigen und rechtlich einwandfreien Regelung unterstellt wird, oder dass die bereits bestehende Wahmehmung dieser Angelegenheiten durch einen anderen in den passenden rechtlichen Rahmen, eben den einer Betreuung, gestellt wird. Beides kann den Betroffenen gut klargemacht werden. Vielfach reagieren diese dann sogar durchaus erleichtert auf die Erlauterung, dass diese Aufgaben kiinftig zuverlassig von einem anderen besorgt werden. Und der Hinweis des Richters, dass zum einen der Betreuer dem Gericht gegentiber rechenschaftspflichtig ist und zum anderen der Betreuungsbeschluss nicht mehr geschaftsunfahig macht, tut ein tibriges. Anlass fiir die Bestellung eines Betreuers fiir die Vermogenssorge ist in Fallen, wo diese bislang ohne formliche Rechtsgrundlage, meist von Angehorigen, manchmal auch von Nachbam, einfach miterledigt wurde, ein auBeres Ereignis, das mit einem Mai zum formlichen Nachweis der Vertretungsbefugnis zwingt, so etwa in Bsp. 7 (S. 37). Zwei weitere Falle hierzu: Fall 11:
Ein Wohnungsbrand erfordert Schriftwechsel mit Versicherungen und Behorden sowie Auftrage an Handwerker und Neubeschaffung von Inventar in groBerem Umfang. Unter Umstanden wird auch eine Kreditaufnahme, mogiicherweise mit Beleihung des Hausgrundstuckes notig.
Fall 12:
Bei nicht mehr zu umgehender Verlegung des Betroffenen in ein Altenheim mussen ein Heimplatz gesucht, die Finanzierung der Heimkosten unter Einschaltung der Pflegeversicherung und gegebenenfalls auch des Sozialamts sichergestellt und die bisherige Wohnung aufgelost werden.
Die Notwendigkeit, diese Aufgaben durch einen anderen erledigen zu lassen und hierfiir einen geeigneten Rechtsrahmen zu schaffen, erschlieBt sich den Betroffenen, soweit mit ihnen eine Verstandigung hierzu noch moglich ist, im allgemeinen selbst und wird von ihnen daher regelmaBig auch akzeptiert.
2 Einzelne Aufgabenbereiche
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b) Das Aufenthaltsbestimmungsrecht Die Bedeutung und der Umfang des Aufenthaltsbestimmungsrechts werden vielfach tiberbewertet. Fall 13:
Die Tochter der Betroffenen beantragt eine Betreuung liir das Aufenthaltsbestimmungsrecht, um die Mutter, die zu Besuch bei der zweiten Tochter fahrt, wieder zurtickholen zu konnen, falls diese Tochter die Mutter dort behalten mochte.
Fall 14:
Die Angehorigen beantragen das Aufenthaltsbestimmungsrecht, um so eine Handhabe zu erhalten, die widerstrebende Mutter in ein Altenheim bringen zu konnen.
Fall 15:
Eine andere Familie mochte das Aufenthaltsbestimmungsrecht tiber den alkoholkranken GroBvater zugesprochen bekommen, um diesen daran hindem zu konnen, ins Wirtshaus zu gehen.
In all diesen Fallen hilfl das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein aber nicht weiter. Es gibt dem Betreuer zwar das Recht, den Aufenthaltsort des Betroffenen zu bestimmen, es verleiht ihm aber keine Befugnis zur Anwendung unmittelbaren Zwangs. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs als Brechen des Willens eines Menschen stellte sich im Rechtssinn als Freiheitsentziehung dar. Die Anordnung einer Freiheitsentziehung ist aber als gravierendster Eingriff in das Grundrecht der Personlichkeitsfreiheit kraft Verfassung allein dem Richter vorbehalten, Art. 104 II 1 GG. Auch dieser kann unmittelbaren Zwang im Rahmen des Betreuungsrechts nur anordnen, wenn die Voraussetzungen einer Unterbringung oder einer unterbringungsahnlichen MaBnahme gemal3 § 1906 I oder IV BGB vorliegen. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht des Betreuers hat fur Unterbringungssachen insoweit Bedeutung, als grundsatzlich er, der Betreuer, in die Unterbringung einwilligen muss, bevor eine richterliche Genehmigung erfolgen kann. Der Betreuer kann die Unterbringungsentscheidung auch jeder Zeit und ohne Einschaltung des Gerichts aufheben, § 1906 III 1 BGB. Allerdings muss der Betreuer die Aufhebung der Unterbringung dem Gericht mitteilen, § 1906 III 2 BGB. Der betreuungsrechtliche Unterbringungsbeschluss des Richters hat also keine anordnende, sondern nur genehmigende Bedeutung. Der Unterbringungsbeschluss nach einem der Unterbringungsgesetze der Lander hat dagegen anordnende Bedeutung, bedarf also der Aufhebung durch den Richter. AuBerhalb der Unterbringungssachen ist das Aufenthaltsbestimmungsrecht fiir den Betreuer im wesentlichen nur dann von Bedeutung, wenn der Betroffene entweder
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Kapitel 3 Der Aufgabenkreis der Betreuung
einverstanden ist oder jedenfalls keinen Widerstand leistet, so dass seine Ausubung keine freiheitsentziehende Bedeutung hat. Ansonsten ermoglicht es dem Betreuer, den Betroffenen beim Einwohnermeldeamt umzumelden. Aber eine melderechtliche Eintragung andert an den in den vorstehenden Beispielen genannten Problemen nichts. c)
Die Wohnungsauflosung
Der Bereich „Wohnungsaufl6sung" spielt im wesentlichen dann eine Rolle, wenn die Ubersiedlung aus der eigenen Wohnung in ein Altenheim ansteht. Dieser Einschnitt wird im Bereich der Altersbetreuungen von den Betroffenen regelma13ig als der schwerste Eingriff iiberhaupt empfunden. Fall 16:
Gelegentlich eines Besuches bei anderen Heimbewohnern trifft der Betreuungsrichter auf eine neu hinzugekommene Seniorin. Sie wirkt subdepressiv, eine Verstandigung ist gut moglich. Eine Betreuung besteht nicht und erscheint nach dem ersten Eindruck auch nicht unbedingt erforderlich. Sie berichtet, die Angehorigen batten sie zu einem „Sonntagnachmittagsausflug" ins Auto geladen und hierher gebracht. Die Wohnung sei aufgelost. Sie sei mit alledem nie einverstanden gewesen und auch jetzt nicht einverstanden. Dieser Frau ist schweres Unrecht geschehen. Sie ist, obschon noch selbst einwilligungsfahig, ohne und gegen ihren Willen in ein Heim verfrachtet werden, ohne und gegen ihren Willen wurde auch ihre Wohnung aufgelost. Die Angehorigen haben in unerlaubter Eigenmacht gehandelt und dabei auf die „normative Macht des Faktischen" gesetzt: Ist die Frau erst einmal im Heim und die Wohnung aufgelost, wird sich das Ganze nicht mehr zuriickdrehen lassen. Und im Ergebnis ist diese Rechnung leider auch aufgegangen.
Dieses Beispiel verdeutlicht abermals, dass das Absehen von einer Betreuung die Rechte des Betroffenen bei weitem mehr beeintrachtigen kann, als das Bestellen eines Betreuers. Ein ordnungsgemaB arbeitender Betreuer hatte die Angelegenheit zumindest eingehend mit der Betroffenen besprochen. Vielleicht ware dabei ein Weg zur Vermeidung des Wechsels in ein Heim gefunden worden, vielleicht hatte ein solches Gesprach zumindest die Zustimmung der Betroffenen zu diesem Schritt erleichtert. Wenn eine auch nach Auffassung des Betreuers angebrachte Zustimmung nicht zu erlangen gewesen ware, hatte er gemaB § 1906 BGB eine Genehmigung des Betreuungsrichters beantragen mUssen. Die Wohnungsauflosung hatte gemaB § 1907 BGB in jedem Fall der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedurft. Das rechtlich Pikante ist, dass die alte Dame ja auf den ersten Blick noch durchaus orientiert war, also die Frage, ob ein Betreuer uberhaupt hatte bestellt werden dUrfen, durchaus problematisch ist. Sie ist einfach uberrumpelt worden und hatte nicht genug Kraft, ihren Willen ausreichend zu vertreten und durchzusetzen. Hier enthalt das Betreuungsrecht LUcken, die der Betreuungsrichter durch mutige
2 Einzelne Aufgabenbereiche
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Einzelfallentscheidungen uber den Wortlaut des Gesetzes hinaus, aber nach dessen eindeutiger Zielsetzung, tiberbriicken kann und soll^^. Der genannte Fall ist fiir den Verfasser Anlass, in den Heimen seines Bezirks immer wieder darauf hinzuweisen, dass beim Abschluss von Heimvertragen mit Bewohnern, die nicht eindeutig einwilligungsfahig und -bereit(!) sind, beim Gericht eine Priifung zu beantragen ist, ob nicht ein Betreuer bestellt werden sollte. Immerhin sind Falle wie der zuvor dargestellte die Ausnahme - zumindest, soweit sie bei Gericht bekannt werden. Haufig dagegen ist folgende Situation: Bsp. 10:
Eine alte nur noch teilorientierte Frau bricht sich den Oberschenkelhals und wird in das Krankenhaus eingeliefert. Sie wurde bisher von Nachbarn in ausreichendem MaBe so weit mitversorgt, dass sie in ihrer Wohnung bleiben konnte. Doch der Einschnitt, den der jetzige Krankenhausaufenthalt bedeutet, hat der Nachbarschaft signalisiert, dass das jetzt ein Ende haben muss. Die Betreffende solljetzt in ein Heim.
Objektiv und nach dem „wohlverstandenen Interesse" der Betroffenen, das das patemalistische Denken des Vormundschaftsrechts der 50er Jahre bestimmt hat, ware die Verlegung der Betroffenen in ein Altenheim durchaus sachgerecht. Aber das Betreuungsrecht hat neben oder sogar liber das wohlverstandene Interesse des Betroffenen das „Selbstbestimmungsrecht", dessen eigenen Willen, gesetzt. Wie den Fall losen, wenn die Betroffene auch nach eingehender Besprechung der Angelegenheit einfach nicht in das Heim will? Eine Moglichkeit besteht darin, sie zu bewegen, „zur weiteren Stabilisierung ihres Zustands" vortibergehend in ein Heim zu wechseln. Das sollte der Richter aber nur dann tun, wenn er absehen kann, dass zumindest ein Versuch, die alte Dame wieder in ihre Wohnung zuriickzulassen, realistisch ist. Soviel Wahrhaftigkeit muss sein. Scheidet die Ruckkehrmoglichkeit ersichtlich vollig aus, soUten keine Eventualversprechungen abgegeben werden, die von vomherein nicht eingehalten werden konnen. Parallel ware ein Betreuer zu bestellen mit dem Aufgabenkreis „Sicherstellung ausreichender ambulanter Pflege und Versorgung der Betroffenen zum Zeitpunkt deren Rtickkehr in ihre Wohnung". In nicht wenigen Fallen, in denen so verfahren wurde, gewohnen sich die Betroffenen bei ihrem vorubergehenden Heimaufenthalt dort so gut ein und lernen die Annehmlichkeiten des Bedientwerdens so zu schatzen, dass sie den Aufenthalt freiwillig in einen dauernden umwandeln. Das ist dann auch gut. Und dann, aber
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Vgl. S. Ill Fall 31.
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Kapitel 3 Der Aufgabenkreis der Betreuung
erst dann, kann die Wohnungsauflosung angegangen werden. Die Kostentrager mtissen fur mindestens 3 Monate die Kosten der Wohnungsbeibehaltung neben den Kosten des Altenheimaufenthalts tragen"*^. Die andere Moglichkeit besteht darin, die Betroffene, ebenfalls versuchsweise, unmittelbar in ihre Wohnung zurtickkehren zu lassen, wiederum unter Bestellung eines Betreuers, der die Herstellung des erforderlichen Versorgungsumfelds sichert. Misslingt dieser Versuch, akzeptieren das die Betroffenen dann oft auch selbst und konnen vor diesem Hintergrund, sei es auch schweren Herzens, ein Ja zum Wechsel in ein Heim finden. In jedem Fall war es wenigstens ein Versuch, dem Willen des Betroffenen zu entsprechen. Er kann sich in dieser Zeit auch noch innerlich von seiner Wohnung verabschieden, so dass wenigstens ein vollig ubergangsloser Wechsel vom Krankenhaus direkt ins Altenheini vermieden werden kann. Als ultima ratio gibt es auch die Moglichkeit, einen Betroffenen auch gegen seinen Willen in einem Heim unterzubringen. Das ware eine UnterbringungsmaBnahme gemaB § 1906 BOB, die der Genehmigung des Betreuungsrichters bedarf. Diese Genehmigung muss spatestens alle 2 Jahre uberpriift werden. Voraussetzung ware etwa, dass der Verbleib in der Wohnung zu erheblicher(!) nicht anders abwendbarer(!) Eigen(!)-gefahr ftir den Betroffenen ftihren wurde. Wenn es dann schlieBlich zur Wohnungsauflosung kommt, bedarf diese aufgrund ihrer vorstehend dargestellten Bedeutung flir den Betroffenen stets der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung, § 1907 BGB^^ d) Wohnungsauflosung ohne Mitteilung an die Betroffene Entscheidungen des Vormundschaftsgerichts sind dem Betroffenen stets selbst bekannt zu machen, § 69a I 1 FGG. Dieser wichtige Grundsatz ist Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen. Wenn in dieses schon eingegriffen wird, soil er es wenigstens mitgeteilt bekommen. Eine Ausnahme ist vom Gesetz lediglich hinsichtlich der Mitteilung der Entscheidungsgriinde vorgesehen, wenn dies nach arztlichem Zeugnis wegen erheblicher Nachteile ftir seine Gesundheit erforderlich ist, § 69a I 2 FGG. Eine Ausnahme von der Mitteilung zumindest des Entscheidungstenors ist im Gesetz nicht vorgesehen. Angesichts der dargestellten Bedeutung der Entscheidung uber die Wohnungsauflosung ftir den Betreuten muss dieser Grundsatz gerade auch fiir Entscheidungen uber die Wohnungsauflosung gelten.
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§§ 70 und 71 Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Vgl. ListeS. 45,dortZiff. 3.
2 Einzelne Aufgabenbereiche
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Gleichwohl ist der Verfasser in folgendem Fall von diesem Grundsatz auf dringlichen Rat des behandelnden Psychiaters und mit der Zustimmung der eigens fiir diese Entscheidung eingesetzten Verfahrenspflegerin abgewichen und hat die Entscheidung der Betroffenen lediglich ihrer Richtung nach mundlich mitgeteilt. Vorausgegangenen war ein Ruckfiihrungsversuch der Betroffenen, die sich bereits seit langerem im Pflegeheim befand, in ihre Wohnung, der jedoch katastrophal endete. Nachfolgend der Wortlaut von Beschlusstenor und Entscheidungsgrunden: Fall 17:
In pp. wird hiermit die Auflosung der vormaligen Wohnung der Betroffenen in ... vormundschaftsgerichtlich genehmigt. Dieser Beschluss ist einschlieBlich Tenors der Betroffenen nicht bekannt zu machen. Griinde: Die Entscheidung ergeht, weil die Betroffene aufgrund eines dementiellen Abbauprozesses bei gleichwohl gut erhaltener Personlichkeitsfassade nicht mehr in ihre vormalige Wohnung zurtickkehren konnen wird. Dies ergibt sich aus dem psychiatrischen Sachverstandigengutachten vom .... Die eigens zu dieser Frage eingesetzte Verfahrenspflegerin hat der Wohnungsauflosung in ihrem Bericht vom ... zugestimmt. Ein auf diesem Hintergrund gleichwohl vom Gericht geforderter Versuch einer Ruckfuhrung in die Wohnung ist ausweislich des Berichts des Betreuers vom ... gescheitert. An sich sieht das Gesetz ausnahmslos vor, dass zumindest der Tenor eines jeden Beschlusses stets dem Betroffenen mitzuteilen ist. Das Wohl der Betroffenen gebietet es jedoch, im vorliegenden Fall von diesem Gebot abzuweichen. Die Betroffene hatte sich bei alien richterlichen Anhorungen gegen die Wohnungsauflosung ausgesprochen. Nach ihrer Ruckkunft im Altenheim im Anschluss an den gescheiterten Ruckfiihrungsversuch in ihre Wohnung wirkte sie auf das Pflegepersonal dort sichtlich froh und hat auch keine Ruckkehrwunsche in ihre Wohnung mehr geauBert. Bei der ca. 1 Monat nach Ruckkunft im Altenheim vorgenommenen letzten richterlichen Anhorung wirkte die Betroffene auch auf den Richter frohlicher als bei den Voranhorungen, sie wurde in angeregtem Kontakt mit anderen Heimbewohnerinnen angetroffen. Nach Eroffnung, dass aufgrund des missgltickten Ruckftihrungsversuchs in die Wohnung diese nunmehr aufgelost werden solle, beharrte die Betroffene nun aber wieder darauf, doch in die Wohnung zuruck zu wollen. Gelegentlich eines weiteren Besuchs in dem Heim, in dem die Betroffene lebt, am 19.06.2002 teilte die Pflegedienstleiterin dieses Helms, Frau B., auf Befragen des Richters mit, auch nach dem letzten Besuch des Richters bei der Betroffenen am 04.06.2002 habe die Betroffene ihre Wohnung und Ruckkehrwunsche dorthin nicht mehr erwahnt. Das Gericht zieht daraus den Schluss, dass bei der Betroffenen die Erinnerung an ihre vormalige Wohnung und ihre Ruckkehrwunsche dorthin im Verblassen begriffen sind. Unterdiesen Umstanden aber konnte es die Betroffene aus-
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Kapitel 3 Der Aufgabenkreis der Betreuung
schlieftlich belasten, wenn ihr auch nur der Tenor des vorliegenden Beschlusses mitgeteilt wiirde. Vor allem die Schriftlichkeit einer solchen Mitteilung mit der zwangslaufig sich daraus ergebenden Moglichkeit, die Entscheidungsformel immer wieder lesen zu konnen, ware geeignet, den genannten Prozess des Verblassens in einer Weise aufzuhalten, die der Betroffenen nichts einbrachte als weiteres Herzeleid. Die Richtung der vorgesehenen Entscheidung wurde der Betroffenen bei der letzten Anhorung am ... mtindlich mitgeteilt, auch wenn das Gericht von einer definitiven Verkiindung Abstand nahm. Im Ubrigen sind die Rechte der Betroffenen durch die Einsetzung der Verfahrenspflegerin gewahrt. e)
Genehmigungsbediirftige Erklarungen des Betreuers
Der Betreuer benotigt auch fur weitere im Gesetz einzeln aufgeftihrte Entscheidungen die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Die wichtigsten sind in nachfolgender Liste aufgefiihrt.
2 Einzelne Aufgabenbereiche
Liste: Wichtige genehmigungsbedurftige Erklarungen des Betreuers 1. Zustimmung zur Unterbringung des Betreuten in einer geschlossenen Einrichtung sowie zu unterbringungsahnlichen MaBnahmen (z. B. Fixierung mit Gurten). Der Betreuer hat aber das Recht und sogar die Pflicht, von sich aus, also ohne Einschaltung des Gerichts, eine solche MaBnahme zu beenden, wenn ihre Voraussetzungen, etwa nach Auskunft des Arztes, weggefallen sind. 2. Zustimmung zur Einwilligung in die Untersuchung des Gesundheitszustands, in die Heilbehandiung oder in einen arztlichen Eingriff bei dem Betreuten, wenn die begrtindete Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrund der MaBnahme stirbt oder einen schweren oder langer dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. 3. Zustimmung zur Ktindigung eines Mietverhaltnisses uber Wohnraum, den der Betreute (oder fiir ihn sein Betreuer) gemietet hat, sowie fiir andere Erklarungen, die auf die Aufhebung eines solchen Mietverhaltnisses gerichtet sind (z.B. Aufhebungsvertrag zwischen Vermieter und Betreuer). 4. Zustimmung zu einem Miet- oder Pachtvertrag, wenn das Vertragsverhaltnis langer als 4 Jahre dauem oder vom Betreuer Wohnraum vermietet werden soil. 5. Zustimmung zu Rechtsgeschaften tiber ein Grundstuck (Wohnungseigentum, Erbbaurecht) oder ein Recht an einem Grundstuck, z.B. tiber den Kauf oder Verkauf eines Grundstucks und die Belastung eines Grundstticks mit Grundpfandrechten (Hypothek, Grundschuld). 6. Zustimmung zur Ausschlagung einer Erbschaft oder eines Vermachtnisses und zu einem Erbauseinandersetzungsvertrag. 7. Zustimmung zur Verftigung tiber eine Forderung des Betreuten (z.B. Entgegennahme einer fallig gewordenen Lebensversicherungssumme). 8. Zustimmung zur Aufnahme eines Darlehens far den Betreuten. 9. Zustimmung zu einem Vergleich, wenn der Wert des Streitgegenstands 3.000 6 ubersteigt. (Dies gilt nicht, wenn ein Gericht den Vergleich schriftlich vorgeschlagen oder protokolliert hat). Diese Aufstellung ist nicht vollstandig. Bei Zweifeln empfiehlt es sich, Auskunft beim Vormundschaftsgericht einzuholen.
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Kapitel 3 Der Aufgabenkreis der Betreuung
Der Aufgabenkreis „alle Angelegenheiten"
Der „betreuungsrechtliche Dreiklang" Vermogenssorge, Aufenthaltsbestimmungsrecht und Gesundheitsfursorge umfasst nahezu alles, was im Leben eines Betreuten uberhaupt zu regeln ist. Und wenn dann, wie vorstehend empfohlen, noch die Vertretung des Betroffenen gegeniiber dem Heim und gegentiber Behorden sowie PostvoUmacht hinzugenommen werden, ist der Unterschied zu einer Betreuung fiir „alle Angelegenheiten" kaum mehr von praktischer Bedeutung. Gleichwohl hat der Gesetzgeber, an die Bestellung eines Betreuers „fur alle Angelegenheiten" eine bedeutsame Rechtsfolge geknupft: sie fiihrt zum Verlust des Wahlrechts des Betroffenen, § 13 II Bundeswahlgesetz'*^. Diese in der Tat gravierende Folge hat in der Praxis dazu gefiihrt, dass eine erhebliche Scheu festzustellen ist, einen Betreuer „fur alle Angelegenheiten" zu bestellen. Man weicht auf einen Aufgabenkreis aus, der durch Aufzahlung aller erforderlichen Aufgabenbereiche die Regelung alles dessen, was notwendig ist, gewahrleistet. Faktisch ist der Unterschied zu einer Betreuung „fur alle Angelegenheiten" oft kaum mehr wahrnehmbar, gleichwohl wird hierdurch die gravierende Rechtsfolge des Wahlrechts vermieden. Fall 18:
Wenige Wochen vor der Bundestagswahl 1998 ruft ein Altenheim bei Gericht an. Ein als Betreuer seiner GroBmutter eingesetzter Mann sei aufgetaucht und babe mit massivem Druck die Herausgabe der Wahlbenachrichtigungskarte der alten Dame erwirkt. Da er sich partout nicht babe abweisen lassen, haben man seinem Willen entsprochen. Er sei ja immerhin der Betreuer. Der Richter, der die Betroffene aufgrund eigener Kenntnis fur nicht mehr wahlfahig einstuft, erweitert noch am selben Tag durch Hauptsacheentscheidung"^"^ den Aufgabenkreis der Betreuung auf „alle Angelegenheiten" und teilt diesen Beschluss per Telefax dem zustandigen Wahlerverzeichnis mit dem Ersuchen um Eintragung eines Sperrvermerks mit. Sodann setzt er eine in Betreuungssachen erfahrene Rechtsanwaltin als Verfahrenspflegerin fur die genannte Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung ein. Als diese nach vorherigem Besuch bei der Betroffenen berichtet, auch sie halte diese fiir vollstandig auBerstande, ihr Wahlrecht auszuuben, bleibt die Erweiterung des Aufgabenkreises „alle Angelegenheiten" bestehen.
Die Zuruckhaltung bei der Anordnung des Aufgabenkreises „alle Angelegenheiten", um den Betroffenen nicht das Wahlrecht zu nehmen und ihnen so ein, sei es auch theoretisches, Stuck Burgerrecht zu erhalten, kann also die Gefahr massiven Missbrauchs zur Folge haben. Aus diesem Grund sollte man sich in wirklich 42 43
Entsprechende Regelungen fmden sich in den Wahlgesetzen der Lander. Die Erstreckung des Aufgabenkreises auf „alle Angelegenheiten" nur durch einstweilige Anordnung fiihrt nach dem klaren Wortiaut des § 13 II Bundeswahlgesetz nicht zum Erloschen des Wahlrechts.
3 Einwilligung in die Sterilisation eines Betreuten
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klaren Fallen nicht scheuen, beim Betreuungsrichter darauf hinzuwirken, dass er die Betreuung auf alle Angelegenheiten erstreckt. Denn in diesen klaren Fallen beriihrt der Wahlrechtsverlust den Betroffenen in Wirklichkeit iiberhaupt nicht mehr, so dass eine Beeintrachtigung seiner Befindlichkeit hierdurch gar nicht eintritt. Daher sollte insoweit der Schutz des Wahlrechts vor Missbrauch Vorrang haben. Unvermeidlich, aber letztlich hinzunehmen ist diese Gefahr in den nicht ganz klaren Fallen, wo es dann auch ohne weiteres bei der restriktiven Anwendung des Aufgabenkreises „alle Angelegenheiten" bleiben kann und muss. g) Angelegenheiten, die dem Betreuer nicht iibertragen werden konnen Sogenannte „h6chstpersonliche" Angelegenheiten konnen dem Betreuer nicht iibertragen werden, soweit dies im Gesetz nicht eigens vorgesehen ist (wie in § 1904 - 1906 BGB) Dies betrifft die EheschlieBung, die Errichtung eines Testaments, den Austritt aus der Kirche, das Recht der elterlichen Sorge, die Ausiibung des politischen Wahlrechts"*"^. Das hat die durchaus sinnvolle Folge, dass der Geschaftsunfahige keine Ehe eingehen kann, §§ 1304 BGB, 2229 IV BGB. Bei partieller Geschaftsunfahigkeit"^^ kommt es darauf an, ob der erhaltene Teil der Geschaftsfahigkeit fiir die gewiinschte Willenserklarung ausreicht. Bei erhaltener Geschaftsfahigkeit konnen im Gegenzug weder ftir die EheschlieBung, noch ftir die Errichtung eines Testaments aber auch kein Einwilligungsvorbehalt angeordnet werden, § 1903 11 BGB. Die Regelung der elterlichen Sorge ist erforderlichenfalls uber Entzug derselben und Einsetzung eines Vormundes durch das Familiengericht zu treffen, §§ 1666, 1666 a, 1773 I BGB.
Einwilligung in die Sterilisation eines Betreuten Grundsatzlich konnen auch Manner nach den betreuungsrechtlichen Bestimmungen sterilisiert werden (vgl. S. 49). Da in der Praxis aber, soweit ersichtlich, ausschliefilich Antrage auf Sterilisation Frauen betreffend gestellt werden, werden in diesem Abschnitt die Betroffenen mit der weiblichen Form bezeichnet.
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Palandt-Diederichsen § 1896 Rdnr. 23. Palandt-Heinrichs § 104 BGB Rdnr. 6.
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Kapitel 3 Der Aufgabenkreis der Betreuung
Auf dem Hintergrund des Missbrauchs im nationalsozialistischen Deutschland hat der Gesetzgeber die Schranken fur eine Sterilisation bei Betreuten in § 1905 BGB auBerordentlich hoch gesetzt. Eine Zustimmung durch den Betreuer ist schlechterdings unzulassig, wenn die Betroffene auf irgendeine Weise zu erkennen gibt, dass sie einen solchen Eingriff nicht wtinscht, § 1905 I 1 Nr. 1 BGB. Und sie ist nach dem Erforderlichkeitsgrundsatz, § 1896 II 1 BGB uberfliissig und damit ebenfalls unzulassig, wenn die Betroffene selbst im GroBen und Ganzen versteht, worum es bei einer Sterilisation geht und selbst einwilligt"^^. Dann kann die Sterilisation namlich aufgrund dieser Einwilligung der Betroffenen vorgenommen werden, ohne dass es eines Votums des Betreuers bedurfte. Es bleiben also lediglich die Falle ubrig, in denen die Betroffenen dauerhaft, § 1905 I 1 Nr. 2 BGB zu keinerlei eigener Stellungnahme, sei sie jetzt zustimmend Oder ablehnend, in der Lage sind. Und das sind nicht viele. Fall 19:
Bei dem Amtsgericht Nidda, das derzeit einen Betreutenbestand von etwas uber 1.300 und jahrliche Neuzugange von knapp 500 zu verzeichnen hat, kam es seit 1992 zu fiinf Antragen auf Genehmigung einer Sterilisation. In zwei Fallen konnten die Betroffenen selbst zustimmen und in den anderen drei Fallen ergab das gynakologische Gutachten, dass eine praktikable Moglichkeit zur Empfangnisverhtitung bestand
Soil gleichwohl eine Sterilisation erfolgen, der die Betroffene selbst nicht zustimmen kann, ist fur die Zustimmung stets ein eigener Betreuer einzusetzen, § 1899 II BGB, und stets ein Verfahrenspfleger zu bestellen, § 69d III FGG. Die Einsetzung eines Vereins oder einer Betreuungsbehorde als Sterilisationsbetreuer ist unzulassig, § 1900 V BGB. Es ist ein gynakologisches Gutachten"^^ einzuholen, ob die gewunschte Verhutung einer Schwangerschaft nicht auch ohne Sterilisation sichergestellt werden kann; zusatzlich ist ein sonder- und sexualpadagogisches Gutachten'*^ zur Frage erforderlich, inwieweit uberhaupt sexuelle Kontakte, die zu einer Schwangerschaft fiihren konnten, zu erwarten sind, § 69d III 3 FGG. Der begutachtende Arzt darf nicht personengleich mit dem Arzt sein, der die Sterilisation vomehmen soil, § 69d III 5 FGG. Die Sterilisation ist subsidiar, das heifit, wenn eine Schwangerschaft auch ohne Sterilisation ausreichend sicher verhtitet werden kann, darf eine Sterilisation nicht vorgenommen werden, § 1905 I 1 Nr. 5 BGB.
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Palandt-Sprau § 823 BGB Rdnr. 151. Formulierungsvorschlag hierfur s. S. 224. Formulierungsvorschlag hierfur s. S. 225.
3 Einwilligung in die Sterilisation eines Betreuten
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Hierbei wird man durchaus in Ansatz bringen durfen, dass orale Kontrazeptiva (die „Pille") grol3e RegelmaBigkeit in der Anwendung erfordem, die nicht ohne weiteres gewahrleistet werden kann. Auf diesem Grund haufig angewandt wird die „Dreimonatsspritze". Eventuelle belastende Nebenwirkungen dieser Mittel konnen ihre Anwendung fiir die Betroffene so belastend machen, dass ihr Vorhandensein einer Sterilisation nicht schlechthin entgegenstehen. Auch hierzu miissen die einzuholenden Gutachten Stellung nehmen. Ein von der Betroffenen selbst ausgehender Wunsch nach Sexualkontakt wird heute durchweg respektiert, so dass die sexuelle Enthaltsamkeit als Alternative zur Sterilisation ausscheidet. Sexuelle Kontakte gegen und auch ohne den Willen der Betroffenen konnen, diirfen und sollen dagegen sehr wohl unterbunden werden, so dass diese Moglichkeit die Vornahine einer Sterilisation nicht rechtfertigt. SchlieBlich schreibt das Gesetz noch vor, dass moglichst derjenigen Sterilisationsmethode der Vorzug zu geben ist, bei der die Sterilisation auch wieder rtickgangig gemacht werden kann, § 1905 II 3 BGB. Dies ist zunachst eine arztliche Frage. Im Anhorungsgesprach mit Betroffenen sollten diese gleichwohl vorsorglich stets darauf hingewiesen werden, dass sie von einer Unumkehrbarkeit ausgehen mussen. Wie bereits anfangs dieses Abschnitts erwahnt konnen im Prinzip auch Manner nach betreuungsrechtlichen Grundsatzen sterilisiert werden. Gesetzliche Regelindikation fiir die betreuungsrechtliche Sterilisation ist aber, dass die Schwangerschaft, die durch die Sterilisation vermieden werden soil, dazu fiihrt, dass die Mutter das Kind (wegen eigener geistiger oder seelischer Behinderung) nicht selbst groBziehen kann, § 1905 I 2 BGB. Die Sterilisation eines Mannes nach Betreuungsrecht kommt damit nur in Fallen in Betracht, in denen auch die Partnerin entsprechend behindert ist. In diesem Fall sollte dann allerdings auch stets gepriift werden, ob nicht die Voraussetzungen der betreuungsrechtlichen Sterilisation auch fiir den Mann vorliegen. Denn die Sterilisation bei einem Mann ist medizinisch erheblich einfacher als die bei einer Frau. Und es ware eine unerlaubte Diskriminierung wegen der Geschlechtszugehorigkeit, wtirde eine auch beim Mann zulassige Sterilisation nach Betreuungsrecht unterlassen und statt dessen bei der Partnerin vorgenommen werden, allein weil eben nur sie es ist, die schwanger werden kann. Angesichts der ubermachtigen Verfahrensgarantien zur Vermeidung betreuungsrechtlicher Sterilisationen mutet es eigenttimlich an, dass betreuungsrechtliche Schwangerschaftsabbriiche nirgendwo geregelt und damit keiner besonderen Restriktion unterstellt sind. Nach Palandt-Diederichsen § 1904 BGB Rdnr. 9 soil ein Schwangerschaftsabbruch auch gegen den Willen der Betroffenen zulassig sein. Allerdings geht in der
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Kapitel 3 Der Aufgabenkreis der Betreuung
64. Auflage auch Palandt-Diederichsen davon aus, dass der Eingriff genehmigungsbedurftig gemafi § 1904 BGB sein kann (anders noch die 63. Auflage). Angesichts der damit einhergehenden psychischen Folgen wird ein Schwangerschaftsabbruch, iedenfalls wenn er gegen den Willen der Betroffenen erfolgt regelmafiig der Genehmigung des § 1904 BGB bedurfen. Zum Schwangerschaftsabbruch gegen den Willen der Schwangeren vgl. auch S. 133.
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Der Einwilligungsvorbehalt
Die Bestellung eines Betreuers fiihrt, anders als die fruhere Entmundigung, nicht zur Geschaftsunfahigkeit des Betroffenen. Das heiBt nicht, dass es Geschaftsunfahigkeit von Volljahrigen nicht mehr gibt. Es gibt sie, wenn sie aufgrund einer Krankheit einiges („partielle" Geschaftsunfahigkeit) oder alles („totale" Geschaftsunfahigkeit,) nicht mehr selbst regeln konnen, § 104 Nr. 2 BGB. Beispiele flir die totale Geschaftsunfahigkeit sind Morbus Down (friiher: Mongolismus) sowie fortgeschrittener Morbus Alzheimer. Beispiel fiir partielle Geschaftsunfahigkeit ist das Demenzsyndrom im Alter, wenn der Betroffene wohl noch in der Lage ist, seine alltaglichen Geschafte zu besorgen, nicht mehr aber, die Steuererklarung zu erstellen oder sein Aktienvermogen zu verwalten. Selbst bei Geschaftsunfahigkeit gemafi § 104 Nr. 2 BGB bestimmt der zum 01.08.2002 neu geschaffene § 105a BGB, dass der Geschaftsunfahige Geschafte des taglichen Lebens selbst tatigen kann, soweit dies „mit geringwertigen Mitteln" erfolgt. Diese Vorschrift soil zur Verbesserung der Stellung geistig Behinderter beitragen. Bei erheblicher Gefahr ftir die Person oder das Vermogen des Geschaftsunfahigen gilt diese punktuelle Durchbrechung der Geschaftsunfahigkeit aber nicht, § 105a Satz 2 BGB. Die Moglichkeit eines Eintritts von Geschaftsunfahigkeit aufgrund richterlicher Entscheidung ist durch das Betreuungsgesetz jedoch ausnahmslos aufgehoben worden. Diese Rechtslage kann nun dazu fiihren, dass ein Betroffener am Betreuer vorbei unuberlegt Vertrage abschlieBt oder Bestellungen tatigt und sich dadurch erheblichen Forderungen ausgesetzt sieht. Fall 20:
Ein an einer chronifizierten Psychose Erkrankter, der von jeher „Autonarr" war, schlieBt Vertrage tiber den Kauf neuer teurer Autos ab, obwohl er gar nicht mehr Auto fahren darf
Fall 21:
Ein geistig behinderter leicht beeinflussbarer junger Mann lasst sich von seiner Mutter immer wieder dazu bewegen, ihr groBere Geldbetrage von seinem Gehaltskonto abzuheben. Als der Betreuer dies bemerkt und zu intervenieren
4 Der Einwilligungsvorbehalt
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versucht, verweist die Bank darauf, dass der Betroffene ja nicht geschaftsunfahig sei und auch seine Auftrage, unabhangig von Weisungen des Betreuers, fiir die Bank verbindlich seien. Man konnte diese Falle dahin losen, dass man sich auf den Standpunkt stellt, die entsprechenden Vertrage seien aufgrund krankheitsbedingter Geschaftsunfahigkeit ohnehin unwirksam, so dass der Schutz des Betroffenen insoweit ausreichend gewahrleistet sei. Das hat auch weitgehend Erfolg. Es bleibt aber ein Risiko fiir den Betroffenen, der im Prozessfall fiir jedes einzelne Geschaft den Nachweis fiihren mtisste, er sei insoweit geschaftsunfahig gewesen. Ein bei partieller Geschaftsunfahigkeit nicht einfaches Unterfangen mit teilweise unklarer Erfolgsaussicht. Vor allem aber hat der Betreuer, selbst wenn er weiB, dass der Betroffene zu derlei Geschaften neigt, keinerlei Handhabe, etwas dagegen zu untemehmen. Dabei ware es in Fall 21 (S. 50) ein leichtes, die Bank anzuweisen, Auszahlungsauftragen des Betroffenen nicht mehr zu entsprechen. Und auch bei dem Autonarr, Fall 20 (S. 50) ware es sinnvoll, die Autofirmen im Umkreis rechtswirksam unterrichten zu konnen, dass der Betroffene keine derartigen Vertrage mehr abschliefien kann. Das ware nicht zuletzt auch im Interesse der betroffenen Firmen sinnvoll. Fiir solche Falle halt das Gesetz die Moglichkeit der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts, § 1903 BGB, bereit. Der Einwilligungsvorbehalt hat zur Folge, dass der Betroffene, soweit Einwilligungsvorbehalt angeordnet ist, Rechtsgeschafte nur noch mit Zustimmung des Betreuers tatigen kann. Ohne Zustimmung des Betreuers erfolgte Rechtsgeschafte sind kraft der Anordnung des Einwilligungsvorbehalts unwirksam. Damit kommt das Rechtsinstitut des Einwilligungsvorbehalts den Rechtsfolgen der frliheren Entmundigung nahezu gleich. Die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalt erfordert immer die Einholung eines Gutachtens. Ein arztliches Attest reicht nicht, weil § 68b II FGG nur auf § 68b I 1, 4 und 5 FGG verweist. Fragestellung fur das Gutachten ist, ob der Betroffene hinsichtlich der Bereiche, fiir die Einwilligungsvorbehalt angeordnet werden soil, aufgrund einer psychischen Erkrankung zur Bildung eines freien Willens auBerstande ist. Denn nur dann ist die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts zulassig."^^ Die im Gesetz nicht ausdriicklich aufgefiihrte Einschrankung, ein Einwilligungsvorbehalt diirfe nur bei zumindest partieller Aufhebung der Willensbildungsfahigkeit wegen einer psychischen Erkrankung angeordnet werden, wird auf den in der Verfassung verankerten Verhaltnismal3igkeitsgrundsatz gestutzt.^^
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Palandt-Diederichsen § 1903 BGB Rdnr. 5. BayObLG FamRZ 1993, 851; vgl. auch S. 130 „Recht auf Krankheit"
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Kapitel 3 Der Aufgabenkreis der Betreuung
Auf diesem Hintergrund bleibt allerdings fiir die Meinung, ein Einwilligungsvorbehalt konne auch dann angeordnet werden, wenn der Betroffene in dem Bereich, der unter Einwilligungsvorbehalt gestellt werden soil, noch geschaftsfahig ist, nur noch in den Fallen Raum, in denen der Betroffene mit der Anordnung des Einwilligungsvorbehalts einverstanden ist. Damit lauft die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gegen den Willen des Betroffenen ins Leere, well insoweit ohnehin partielle Geschaftsunfahigkeit gemaB § 105 I BOB vorliegt^^ Die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts dient damit in diesen Fallen nur noch der Rechtsklarheit. In den bislang vom Verfasser entschiedenen Fallen waren die Betroffenen allerdings mit der Anordnung des Einwilligungsvorbehalts stets einverstanden, so dass die dargestellte Einschrankung nicht Platz griff
Wegen der einschneidenden Wirkungen des Einwilligungsvorbehalts wird er nur zuruckhaltend angeordnet. Da, wo er angebracht ist, sollte man vor seinem Einsatz aber auch nicht zurtickschrecken. Der Einwilligungsvorbehalt schiitzt nicht nur den Betroffenen, er schafft auch den betroffenen Geschaftsleuten Rechtssicherheit. Grundsatzlich gilt er zwar auch dann, wenn die Vertragspartner von seiner Bestehen keine Kenntnis haben. Insoweit verhalt es sich genauso wie mit dem Minderjahrigenschutz bei einer 17-jahrigen, die wie 19 aussieht. In der Praxis aber gibt der Einwilligungsvorbehalt dem Betreuer die Moglichkeit, die Geschafte, die der Betroffene aufzusuchen pflegt, von dem Einwilligungsvorbehalt in Kenntnis zu setzen oder auch die Bank entsprechend zu unterrichten. Aufgrund des Einwilligungsvorbehalts hat diese Unterrichtung nun ganz andere rechtliche Kraft. Im Versandhandel und bei Geschaften im Internet wird sich in bestimmten Fallen kaum vermeiden lassen, dass der Betroffene ungeachtet des Einwilligungsvorbehalts weiter agiert, ohne dass der Betreuer die Moglichkeit hat, die Geschaftspartner zu wamen. Dieses Risiko haben dann die Anbieter von Fernabsatzgeschaften als typische Folge derartiger Geschafte allein zu tragen. Hier konnen allenfalls die Entfernung des Modems oder die Durchsicht der Post des Betroffenen durch den Betreuer helfen. Aber in geeigneten Fallen ist der Einwilligungsvorbehalt als Instrument des Schutzes des Betroffenen wie der Geschaftsleute ein wirksames Korrektiv der gesetzlichen Regelung, dass allein die Bestellung eines Betreuers die Geschaftsfahigkeit unberiihrt lasst.
Palandt-Diederichsen § 1903 BOB Rdnr. 5.
Kapitel 4
Wer wird Betreuer?
Zur Person des Betreuers a)
Angehorige
Es gibt eine weit verbreitete Meinung, dass bei durch Unfall oder Krankheit eintretender eigener Einwilligungsunfahigkeit die nachsten Angehorigen automatisch den Erkrankten zu vertreten befugt sind: ein Ehegatte fiir den andern, erwachsene Kinder fur ihre alt gewordenen Eltem, Eltem fiir ihre erwachsenen Kinder in gewissermal3en wieder auflebender elterlicher Serge. Das hatte der Gesetzgeber auch so regeln konnen, er hat es aber nicht getan. Es gibt auch tatsachlich Grunde, die gegen eine solche Regelung sprechen: Ehegatten konnen entzweit sein, auch sonst konnen unter Angehorigen Zerwtirfhisse bestehen; gelegentlich stehen Interessenkollisionen im Raum, wenn etwa der verarmte Angehorige, der auf ein reiches Erbe hofft, vor der Frage steht, in eine langdauemde kostspielige Behandlung einzuwilligen; manchmal sind Angehorige, etwa wegen weit entfernten Wohnsitzes, Uberlastung oder auch eigener Gebrechlichkeit nicht bereit oder in der Lage, eine Betreuung zu fiihren. Wie auch immer, im geltenden Recht gilt ausnahmslos der Grundsatz 5:
Es gibt auch innerhalb des engsten Familienkreises keinerlei von selbst eintretende gesetzliche Vertretung fiir einen Volljahrigen. Rechtswirksam vertreten kann ihn nur ein von ihm Bevollmachtigter oder ein gerichtlich bestellter Betreuer.
An einer Betreuung fuhrt also, wenn nicht eine VoUmacht vorliegt, kein Weg vorbei.
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Kapitel 4 Wer wird Betreuer?
Bei der Frage, wer denn Betreuer werden soil, enthalt das Gesetz allerdings dann schon ein Angehorigenprivileg: nahe Angehorige, die zur Ubemahme der Betreuung bereit sind, diirfen nur dann ubergangen werden, wenn konkrete Grunde gegen sie sprechen, § 1897 V BGB. Die Grunde, die gegen die Einsetzung eines ubemahmebereiten Angehorigen sprechen, liegen meist in den Bereichen familiare Zerwiirfiiisse oder Interessenkollision. Ein zu weit entfernter Wohnsitz, eigene Gebrechlichkeit oder sonstige eigene Ungeeignetheit (z. B. Analphabetismus) veranlasst die betreffenden Angehorigen im allgemeinen, sich von vomherein von sich aus nicht fUr das Betreueramt zur Verfligung zu stellen. Wenn aber keine Negativ-Griinde vorliegen, wird der Richter in Ubereinstimmung mit dem Gesetz Angehorigen den Vorzug geben. Denn das Gesetz will ja die Angehorigen keineswegs vom Betreueramt fernhalten. Ihre Einsetzung soil eben nur nicht automatisch, sondem durch Einzelfallentscheidung erfolgen, um zu erreichen, dass vor der Einsetzung wenigstens eine gewisse Uberprtifung stattfindet. Insbesondere bei den Altersdemenzen hat sich haufig schon lange vor der Beantragung der Betreuung ein Angehoriger des Betroffenen angenommen. Wenn er dazu bereit ist und keine Gegengrunde vorliegen, wird er dann natUrlich auch als Betreuer eingesetzt. Fur den Betroffenen selbst andert sich durch die Betreuerbestellung in solchen Fallen gar nichts, allerdings hat die schon bisher gewahrte Hilfe nun den passenden rechtlichen Rahmen. Die Mehrbelastung, die dem jetzt zum Betreuer Eingesetzten durch seine Rechenschaftspflicht gegeniiber dem Gericht entsteht, ist im allgemeinen nicht groB. Wie bereits in dem Abschnitt uber die Betreuungsverftigung dargestellt, sind sowohl Positiv- als auch Negativwunsche des Betroffenen in der Betreuungsverftigung tunlichst zu beriicksichtigen, aber fur das Gericht nicht bindend, § 1897 IV 3 BGB. Das gilt natiirlich ebenso, wenn der Betroffene, ohne eine Betreuungsverftigung getroffenen zu haben, bei der richterlichen Anhorung einen Wunsch auBert, wen er als Betreuer wiinscht oder wer auf gar keinen Fall sein Betreuer werden soil, § 1897 IV 1 und 2 BGB. b) Sonstige ehrenamtliche Betreuer und ehrenamtliche Vereinsbetreuer Neben dem Angehorigenprivileg ist im Gesetz bestimmt, dass die Einsetzung einer Einzelperson als Betreuer Vorrang haben soil vor der Einsetzung eines Vereins, § 1897 I BGB, § 1900 I BGB. Damit soil die personliche Betreuung des Betroffenen betont und eine verwaltungsmaBige Betreuung vermieden werden. Und durch weitere gesetzliche Regelung hat die Einsetzung eines ehrenamtlichen Betreuers Vorrang vor der eines Berufsbetreuers, § 1897 VI BGB.
1 Zur Person des Betreuers
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Ungeachtet des Anwachsens der berufsbetreuerlichen Tatigkeit ist die ehrenamtliche Betreuung also weiterhin der vom Gesetzgeber gewollte Regelfall, vgl. § 1836 I BGB^l Die meisten ehrenamtlichen Betreuer sind Angehorige des Betroffenen. Es gibt aber auch ehrenamtliche Betreuer, die die Betreuung fur einen Freund, Kollegen Oder Nachbam wahmehmen. Und es gibt ehrenamtliche Betreuer, die bereit sind, auch fiir vollig Fremde eine Betreuung zu fiihren. Es diirfte heute in jedem Landkreis mindestens einen der durch das Betreuungsgesetz eingefuhrten Betreuungsvereine geben, deren wichtigste Aufgabe es ist, ehrenamtliche Betreuer zu gewinnen, zu begleiten und fortzubilden. Welche Voraussetzungen muss ein ehrenamtlicher Betreuer, gleich ob Angehoriger, Bekannter oder Fremder, erfiillen? Betreuungen mit erheblichen Schwierigkeiten und umfangreiche Vermogensverwaltungen werden heute regelmal3ig Berufsbetreuem ubertragen und kommen damit auf ehrenamtliche Betreuer nicht zu. FUr die Betreuungen, die ehrenamtlichen Betreuern angetragen werden, gilt uneingeschrankt der Grundsatz 6:
Wer seine eigenen Angelegenheiten regeln kann, kann auch die Angelegenheiten eines anderen regeln.
Auf die Amtsfuhrung des Betreuers wird in dem folgenden Kapitel im Einzelnen eingegangen werden. An dieser Stelle nur der Hinweis, dass die Betreuung als rechtliche Vertretung den Betreuer auf keinen Fall verpflichtet, alle Angelegenheiten des Betroffenen eigenhandig zu besorgen, ebenso wenig wie er dies bei seinen eigenen Angelegenheiten tut. Bsp. 11:
Wenn der Betreute korperliche Pflege braucht, ist es nicht Sache des Betreuers, diese zu erbringen, wohl aber, den Arzt und die Sozialstation oder sonstige Pflegedienste einzuschalten.
Bsp. 12:
Wenn das Dach des Hauses des Betroffenen undicht ist, muss und sollte der Betreuer, wenn er nicht gerade selbst Dachdecker ist, nicht selbst Hand anlegen, wohl aber einen entsprechenden Handwerker beauftragen, wie er es fur sein eigenes Haus ja auch tate.
Bsp. 13:
Wenn der Betroffene mit einem Prozess uberzogen wird, kann und sollte der Betreuer den Rat eines Rechtsanwaits einholen.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch noch einmal der Hinweis, dass der Betreuer als Vertreter des Betroffenen weder fur die Schulden noch fur von ihm fur den Betroffenen erteilte Auftrage mit seinem eigenen Vermogen haflet, ebenso
Soweit §§ des BGB zitiert werden, in denen von „Mundel" oder „Vormund" die Rede ist, gelten diese gemaU § 19081 BGB auch im Betreuungsrecht; aus Grunden der leichteren Lesbarkeit wird davon abgesehen, § 19081 BGB jeweils mitzuzitieren.
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Kapitel 4 Wer wird Betreuer?
wenig wie er an der Arbeitsstelle fiir Vertrage einzustehen hat, die er im Namen seiner Firma abschlieBt. Allerdings muss der Betreuer bei der Vergabe von Auftragen darauf achten, dass deutlich wird, dass er die Auftrage nicht im eigenen Namen, sondern fiir den Betroffenen erteilt. Jeder ehrenamtliche Betreuer hat gegeniiber dem Betroffenen und bei dessen Vermogenslosigkeit gegeniiber der Staatskasse einen gesetzlichen Anspruch auf Erstattung seiner ihm fiir die Amtsftihrung angefallenen Auslagen. Ohne Einzelnachweis steht ihm hierfiir eine pauschale Aufwandsentschadigung zu, die derzeit bei 323 € pro Jahr liegt § 1835a I BGB in Verbindung mit § 22 Justizvergutungsund -entschadigungsgesetz. Liegen seine Auslagen niedriger, darf er diese Aufwandsentschadigung gleichwohl behalten, mochte er hohere Auslagen geltend machen, muss er sie ordnungsgemal3 belegen. c)
Berufsbetreuer
Berufsbetreuer flihren Betreuungen berufsmaBig, also gegen Entgelt. Wegen des gesetzlichen Vorrangs der ehrenamtlichen Betreuung sollen sie nur eingesetzt werden, wenn kein geeigneter ehrenamtlicher Betreuer zur Verfligung steht, § 1897 VI BGB. Das ist vielfach dann der Fall, wenn entweder eine Betreuungssache so umfangreich ist, dass die ehrenamtliche Fiihrung des Betreueramts billigerweise nicht gefordert werden kann, oder aber, wenn eine Betreuung besondere Fachkenntnisse verlangt, wie es im Einzelfall bei der Betreuung fiir groBe Vermogen vorkommt. In der Praxis werden Berufsbetreuer aber iiber diese beiden Falle hinaus vielfach auch in an sich einfach gelagerten Fallen eingesetzt, die sich ihrer Art nach auch fur einen ehrenamtlichen Betreuer eignen wiirden. Das hat sich eingespielt, als es nach Einfiihrung des Betreuungsrechts zu wenige ehrenamtliche Betreuer gab. Inzwischen, dies muss (auch selbst-)kritisch angemerkt werden, neigen die Richter dazu, Berufsbetreuer einzusetzen, weil es fiir die Gerichte einfacher ist: Mit den Berufsbetreuem arbeiten sie teilweise jahrelang zusammen, man ist aufeinander eingespielt. Der Berufsbetreuer weiB, was er zu tun hat, er macht den Gerichten daher weniger Arbeit. Und ein auBenstehender Betreuer, der sich in „professioneller Distanz" abzugrenzen vermag, ist fiir das Gericht als Ansprechpartner manchmal auch einfacher, als ein Angehoriger, dem die eigene unmittelbare Betroffenheit zu schaffen macht. Das Problem des uber die wirklich notwendigen Falle hinausgehenden Einsatzes von Berufsbetreuem ist, dass man eben das bekommt, was man bezahlt. Wer Berufsbetreuer einsetzt und damit bezahlt, wird immer neue Berufsbetreuer hervorbringen. Die Berufsbetreuungen kosten aber viel Geld, was besser den
1 Zur Person des Betreuers
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Betreuungsvereinen fur die Gewinnung und Schulung ehrenamtlicher Betreuer zur Verfugung gestellt wurde. AuBerdem kommt es durch den schnellen Einsatz eines Berufsbetreuers auch in Fallen, die sich fiir eine ehrenamtliche Betreuung eignen wiirden, dazu, dass ehrenamtliche Betreuer, die bereitstehen, nicht eingesetzt werden. Die Bereitschaft zu ehrenamtlicher Mitarbeit kann jedoch nicht konserviert werden: wird sie nicht nachgefragt, wird sie verkiimmem und die zur ehrenamtlichen Mitarbeit Bereiten suchen sich, oft schwer enttauscht, eine andere Aufgabe. Dabei kommt es ausgesprochen haufig vor, dass eine Betreuung nur in ihrer Anfangsphase so viel Arbeit macht, dass der Einsatz eines Berufsbetreuers erforderlich ist und sie in der Folgezeit gut einem ehrenamtlichen Betreuer Ubertragen werden kann. Als typisches Beispiel hierftir ist die Verlegung in ein Altenheim Fall 12 (S. 38) zu nennen. In diesen Fallen sollte dann zu gegebener Zeit die Sache vom Berufsbetreuer wieder weggenommen und auf einen ehrenamtlichen Betreuer Ubertragen werden. Der Berufsbetreuer ist gesetzlich verpflichtet, dem Gericht von sich aus mitzuteilen, wenn die Betreuung sich nunmehr flir einen ehrenamtlichen Betreuer eignet, § 1897VI2BGB. d) Hauptamtliche Vereins- und Behordenbetreuer Den hauptamtlichen Mitarbeitem der Betreuungsvereine^^ („Vereinsbetreuer") und der Betreuungsbehorde^"* („Beh6rdenbetreuer") konnen ebenfalls Betreuungen ubertragen werden, §§ 1897 II, 1900 BGB. Sie sind „automatisch" Berufsbetreuer, eines besonderen Ausspruchs bedarf es hierzu nicht, § 7 I 1 VBVG (Vormtinderund Betreuervergutungsgesetz^^). Der Betreuungsverein kann fiir seine Vereinsbetreuer nach den fiir Berufsbetreuer geltenden Grundsatzen abrechnen, ohne dass es auf die Zahl der von ihnen gefiihrten Betreuungen ankommt, § 7 I VBVG. Dem Vereinsbetreuer selbst steht kein Vergiitungsanspruch zu, § 7 III VBVG. Fiir einen Behordenbetreuer kann (!) der Betreuungsbehorde Vergiitung bewilligt werden, wenn es das Gericht in besonderen Fallen fiir angemessen erachtet und wenn hierfur Vermogen des Betroffenen zur Verfiigung steht, §§ 8 I VBVG in Verbindung mit § 1836 II BGB. Ein unmittelbarer Anspruch des Behordenbetreuers selbst ist aber auch hier ausgeschlossen, § 8 III, 7 III VBVG. Auch Aufwendungsersatz steht der Betreuungsbehorde nur bei einem vermogenden Betreuten zu, §8IIVBVG.
^^ ^^ ^^
Vgl. S. 69. Vgl. S. 69. Abgedruckt S. 325.
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e)
KapiteU Wer wird Betreuer?
Betreuungsverein
Nur wenn keine bestimmte Person.56 , seien es eine oder mehrere, seien es Verwandte, Bekannte oder auBenstehende, seien es ehrenamtliche oder berufsmaBige, seien es unorganisierte oder Vereinsbetreuer, die Betreuung ubemehmen kann, darf ein Betreuungsverein als solcher zum Betreuer bestellt werden, § 1900 I BGB. Und selbst hier ist dann noch vorgeschrieben, dass der Betreuungsverein seinerseits das Ftihren der Betreuung einer bestimmten Person oder bestimmten Personen zu ubertragen hat, § 1900 II BGB. In der Praxis wird deshalb kaum je ein Verein als Betreuer bestellt. Vor Erlass des Betreuungsbeschlusses wird mit dem Verein abgeklart, welcher ehrenamtliche oder berufsmaBige Betreuer des Vereins die betreffende Betreuung tibernehmen kann. Dann wird der- oder diejenige unmittelbar bestellt. In diesen Fallen sollte allerdings der Zusatz „als (ehren- oder hauptamtlicher) Mitarbeiter des Betreuungsvereins pp." nicht fehlen, damit die Anbindung an den Verein deutlich wird. Dem Verein ist dann auch jeweils eine Ausfertigung von Beschlussen, durch die von ihm vermittelte Betreuer eingesetzt werden, zu tibersenden.
Grund fur diese Regelung ist das das neue Betreuungsrecht bestimmende Leitbild der Betreuung durch eine nattirliche Person im Gegensatz zu der bei den frtiheren Vereinsvormundschaft bzw. -pflegschaft. Durch diese Neuorientierung sollte eine personlichere Wahmehmung der Amtsfiihrung erreicht und die anonyme Verbandsbetreuung mit haufigem Wechsel der tatsachlichen Betreuungsperson zuruckgedrangt werden^^. f)
Betreuungsbehorde
Als ultima ratio, also noch nach der ja auch bereits unerwunschten Einsetzung eines Betreuungsvereins, betrachtet das Gesetz die Einsetzung der Betreuungsbehorde als Betreuer, § 1900 IV BGB. Insoweit gelten die vorstehend zur Einsetzung eines Betreuungsvereins gemachten Ausfuhrungen entsprechend.
56 57
In der Gesetzessprache „naturliche" Person, § 1900 I 1 BGB. Bienwald BQtrQuungsrQcht § 1897 BGB Rdnr. 2 und 3.
3 Mehrere Betreuer
2.
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Ausschluss von Heimmitarbeitern als Betreuer
Ein besonderer Fall von Interessenkollision, welche die Einsetzung zum Betreuer schlechthin ausschlieBt, ist in § 1897 III BGB geregelt: Mitarbeiter von Heimen Oder sonstigen Einrichtungen, in denen der Betroffene wohnt oder untergebracht ist, durfen nicht Betreuer des Betroffenen sein. Das gilt auch fiir andere Personen, die in einem Abhangigkeitsverhaltnis oder sonstigem engen Verhaltnis zu dem Heim oder der Einrichtung stehen. Damit fallen etwa auch Angehorige der Mitarbeiter des Heims oder der Einrichtung unter dieses Verbot. Um eine Umgehung zu vermeiden, ist weiter geregelt, dass die Bevollmachtigung einer aufgrund dieser Vorschrift vom Amt des Betreuers ausgeschlossenen Person durch den Betroffenen entgegen dem sonst geltenden Grundsatz nicht zur Entbehrlichkeit der Betreuung fuhrt, § 1896 II 2 BGB. SoUte also eine entsprechende Vollmacht vorliegen, ware gleichwohl ein Betreuer zu bestellen. Soweit der Betreuer erst nach seiner Bestellung in eine entsprechende Beziehung zu dem Heim oder der Einrichtung tritt, ist ohne weiteres vom Vorliegen eines wichtigen Grundes fur seine Entlassung auszugehen, der zwingend zur Einsetzung eines neuen Betreuers fuhrt, § 1908b I BGB.
3.
Mehrere Betreuer
Gesetzlicher Regelfall ist die Einsetzung nur eines Betreuers^^. Das Gesetz ermoglicht es dem Betreuungsrichter aber, diese Regel zu durchbrechen, § 1899 BGB. In der Praxis kommt das in folgenden Fallen vor: a) Eltern behinderter Kinder; sonstige Betreuung durch Angehorige Fur Eltern eines behinderten Kindes, fur das infolge Eintritts der Volljahrigkeit nunmehr ein Betreuer bestellt werden muss, stellt sich die Betreuung als Fortfiihrung der elterlichen Sorge dar. Dem kommt ihre gemeinsame Einsetzung als Betreuer am nachsten^^. Auch sonst wird bei einer Betreuung fiir einen Angehorigen immer wieder der Wunsch geauBert, dass etwa mehrere der erwachsenen Kinder des zu Betreuenden oder eines oder mehrere der Kinder neben dem Ehegatten gemeinsam als Betreuer ^^ ^^
§ 1897 I BGB; Palandt-Diederichsen § 1899 BGB Rdnr. 1. Ebenso Palandt-Diederichsen § 1899 BGB Rdnr. 2.
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Kapitel 4 Wer wird Betreuer?
eingesetzt werden. Derartigen Wunschen kann im allgemeinen ohne weiteres entsprochen werden. Im Normalfall empfiehlt es sich dann, alle Mitbetreuer fur denselben Aufgabenkreis einzusetzen, was angesichts der dann nebeneinander bestehenden Vertretungsbefugnis als Nebenbetreuung bezeichnet werden kann. AuBerdem hat es sich bewahrt, jedem der Betreuer Einzelvertretungsbefugnis zuzusprechen, § 1899 III BGB. Unterlasst man das, sind die Betreuer grundsatzlich nur zur gemeinsamen Vertretung befugt, § 1899 III BGB, was bei Abwesenheit auch nur eines der Betreuer problematisch werden kann. Damit ist diese Regelung fur die Eltem sogar einfacher, als die vorausgegangene elterliche Sorge, die sie im Prinzip nur gemeinsam ausuben konnten, § 1626 I BGB^^, aber gleichwohl bei intakten Familienverhaltnissen gut vertretbar. b) Mehrere Betreuer fiir getrennte Aufgabenbereiche Ansonsten kommt die Einsetzung mehrerer Betreuer in Betracht, wenn es aus bestimmten Grtinden sinnvoll erscheint, dass ein Betreuer einen Teil der Aufgaben erledigt, ein anderer einen anderen. In diesem Fall muss das Gericht, um Unklarheiten in der Zustandigkeit zu vermeiden, genau festlegen, welcher Betreuer fur welche Aufgaben zustandig sein soil. (§ 1899 I BGB) Bsp. 14:
Der Sohn der in Frankfurt lebenden Betroffenen lebt in Munchen und mochte von dort aus die Vermogenssorge fuhren. Die Arztangelegenheiten soil die in der Nahe von Frankfurt lebende Tochter wahrnehmen. Die Verantwortung ftir ein dem Betroffenen gehorendes groBeres Hotel wird einem entsprechend qualifizierten Berufsbetreuer ubertragen, Aufenthaltsbestimmungsrecht und Gesundheitsfiirsorge bleiben bei der Familie.
c)
Verhinderungs- und Gegenbetreuung
(1) Verhinderungsbetreuung § 1899 IV BGB ermoglicht, fur den Fall der tatsachlichen Verhinderung des Hauptbetreuers einen Verhinderungsbetreuer einzusetzen. Die Verhinderungsbetreuung ist insoweit problematisch, als im allgemeinen die beweiskraftige Feststellung der Verhinderung des Hauptbetreuers schwierig ist. Eine hochformliche Vertretung, etwa bei einem notariellen Vertrag, wird der Verhinderungsbe-
In alltaglichen Angelegenheiten und in Eilfallen konnen aufgrund unterschiedlicher Rechtskonstruktionen die Elternteile auch jeweils allein vertreten; dies weiter darzustellen ist nicht Gegenstand des vorliegenden Buches.
3 Mehrere Betreuer
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treuer daher kaum wahmehmen konnen^^ Desungeachtet funktioniert sie im Alltag vielfach reibungslos. Die Mher daneben bestehende Moglichkeit der Einsetzung eines Delegationsbetreuers, an den der Hauptbetreuer die Betreuung ganz oder teilweise delegieren konnte, ist durch die Anderung des § 1899 IV BGB durch das 2. BtAndG abgeschafft worden. Sie hatte in der Praxis ohnedies kaum eine Rolle gespielt. (2) Erganzungsbetreuung Ein Unterfall der Verhinderungsbetreuung ist die Erganzungsbetreuung. Wahrend ein Verhinderungsbetreuer eingesetzt wird, wenn der Hauptbetreuer aus tatsachlichen Griinden verhindert ist, wird ein Erganzungsbetreuer bei Verhinderung des Hauptbetreuers aus rechtlichen Griinden eingesetzt. Fall 22:
Ein Grundstiick des Betroffenen soil an die Tochter des Betreuers verkauft warden. Der Betreuer ist gemaB § 1795 I Nr. 1 BGB fur diesen Verkauf an der Vertretung des Betroffenen verhindert.
Als Erganzungsbetreuer sollte, jedenfalls wenn der Gegenstand, um den es geht, einen gewissen Wert hat, kein Verlegenheitsbetreuer eingesetzt werden (nicht der Nachbar, auch nicht eine Angestellte des beurkundenden Notars, wie dies von den Notaren haufig vorgeschlagen wird), sondem ein Berufsbetreuer oder ein zuverlassiger Rechtsanwalt. Ansonsten ist die Erganzungsbetreuung blol3er Formalismus und fuhrt nicht zu dem doch eigentlich damit bezweckten Schutz der Interessen des Betroffenen. Durch das 2. BtAndG hat die Abgrenzung zwischen Verhinderungs- und Erganzungsbetreuer insoweit zusatzliche Bedeutung erlangt, als sich nunmehr ihre Vergutungsregelungunterscheidet^^. (3) Gegenbetreuung Als letzter Fall der Einsetzung mehrerer Betreuer ist noch die Einsetzung eines Gegenbetreuers gemaB § 1792 BGB zu nennen. Er ubemimmt bei Betreuungen tiber groBe Vermogensmassen einen Teil der Kontrollfunktionen des Gerichts in eigener Verantwortung. Es ist daher wichtig, dass hierfur eine ausreichend kompetente und zuverlassige Betreuungsperson eingesetzt wird. Der Gegenbetreuer soil der Entlastung des Vormundschaftsgerichts dienen. Seine Hauptaufgabe liegt in der Uberwachung des Hauptbetreuers, § 1799 BGB. Bei
62
Munchener Kommentar-^c/zwaZ? § 1899 BGB Rdnr. 25ff halt jegliche Ersatzbetreuung gemaB § 1899 IV fiir uberflussig und rat mit beachtlichen Grunden von ihrer Anordnung generell ab. Vgl. S. 277 Absatze f) und g).
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KapiteU Wer wird Betreuer?
bestimmten vom Gesetz der Genehmigungsbedurftigkeit unterstellten Geschaften des Hauptbetreuers kann die Genehmigung durch den Gegenbetreuer an die Stelle der sonst erft)rderlichen Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht treten, §§ 1809,812, 1813 BGB. In der Praxis wird Gegenvormundschaft nur selten angeordnet. SchlieBlich liegt auch bei der Bestellung eines Sterilisationsbetreuers cine Betreuung mit mehreren Betreuern vor. Aus Grunden des sachlichen Zusammenhangs ist dieser Sonderfall in vorstehender S. 47, dargestellt.
Kapitel 5
1.
Die Amtsfiihrung des Betreuers
Beginn der Betreuung
Die Betreuung oder Anderungen an der Betreuung werden wirksam mit Zugang des entsprechenden Beschlusses bei dem Betreuer, § 69a III 1 FGG. In Eilfallen wird der Beschluss, soweit moglich per Telefax, ubermittelt. Bei Eilbedtirftigkeit kann das Gericht die sofortige Wirksamkeit anordnen, § 60a III 2 FGG. Dann wird die Entscheidung insbesondere auch durch Bekanntgabe gegeniiber dem Betroffenen wirksam, § 69a III 3 FGG. Bis zur Aushandigung des Betreuerausweises durch den Rechtspfleger kann noch einige Zeit vergehen. In diesem Zeitraum kann der ubersandte Beschluss dem Betreuer in Verbindung mit einem amtlichen Lichtbildausweis als provisorischer Ausweis dienen. Die Verpflichtung des Betreuers erfolgt mtindlich durch den Rechtspfleger, § 69b I FGG. Hierbei ist der Betreuer in seine Aufgaben zu unterrichten und erhalt den Betreuerausweis, § 69b II FGG. Wo es erforderlich erscheint, kann das Gericht auch ein Einfuhrungsgesprach gemeinsam mit dem Betroffenen und dem Betreuer fuhren, § 69b III FGG.
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Kapitel 5 Die Amtsfiihrung des Betreuers
Einzelheiten zur Amtsfuhrung des Betreuers a) Aufgaben zu Beginn der Betreuung Der Betreuer sollte sich baldmoglichst dem Betreuten vorstellen. Bei Betreuten, die ihm Heim wohnen, sollte er sich auch seinen Ansprechpartnern im Heim (Heim-/Pflegedienst-/Stationsleitung) bekannt machen. Ist dem Betreuer die Gesundheitsfiirsorge ubertragen, sollte er auch ein Vorstellungsgesprach mit dem behandelnden Arzt vereinbaren. Heim und Arzt sollten auch die Telefonnummer des Betreuers mitgeteilt bekommen. Betreuer, deren Aufgabenkreis die Vermogenssorge umfasst, bekommen vom Rechtspfleger ein Formblatt „Vermogensverzeichnis". Dieses sollten sie umgehend ausflillen und ausgefiillt an den Rechtspfleger zurtickleiten. b) Besuchsdichte und Kontaktpflege im weiteren Verlauf der Betreuung Nach dem Vorstellungsbesuch wird der Betreuer den Betroffenen aufsuchen, wenn hierzu Anlass besteht. Aber auch ohne Anlass soil er den Betroffenen in regelmaBigen Abstanden aufsuchen. Denn der „typische" Betroffene ist meist nicht mehr in der Lage, dem Betreuer mitzuteilen, wenn er ihn braucht. Um andererseits die Grenze von der (bloB) rechtlichen zur sozialen Betreuung nicht zu uberschreiten, soil auch ein Zuviel an Besuchen ohne bestimmten Anlass vermieden werden. Im Normalfall, also wenn alles, was geregelt werden muss, erst einmal geregelt und der Betroffene psychisch unauffallig ist, ist ca. alle sechs Wochen ein Besuch von je etwa 30 Minuten das rechte MaB. Bei jedem Besuch von Heimbewohnem sollte der Betreuer sich auch beim Heimpersonal erkundigen, ob etwas anliegt. Bei auBerhalb eines Heims lebenden Betreuten, die von der Sozialstation versorgt werden, gehort es zu den Aufgaben des Betreuers, sich auch dort vorzustellen, seine Telefonnummer zu hinterlassen und in der Folgezeit losen Kontakt zu halten. Auch Angehorigen des Betreuten sowie Bekannte und Nachbarn, die zu ihm Kontakt halten, sollten den Betreuer kennen und gegebenenfalls auch wissen, wie sie ihn erreichen konnen. c)
Inhaltliche Richtlinien fiir die Amtsfuhrung des Betreuers
Richtlinien fur die Amtsfuhrung des Betreuers enthalt § 1901 II - IV BGB. Dass die Amtsfuhrung, wie es dort heiBt, dem Wohl des Betroffenen entsprechen muss, hatte wohl kaum einer besonderen Erwahnung bedurft, wohl aber, dass zum Wohl des Betroffenen auch eine Lebensgestaltung gehort, die sich weitestmoglich nach
2 Einzelheiten zur Amtsfuhrung des Betreuers
65
den Wunschen und Vorstellungen des Betroffenen richtet, § 1901 II BGB. In dieser Regelung wird der Wandel vom fruheren „wohlverstandenen Interesse des Betroffenen" zum „Interesse des Betroffenen, wie er es versteht", deutlich. Grundsatz 7: Das neue Betreuungsrecht ist ganz wesentlich dadurch bestimmt, dass dem Betroffenen ungeachtet seiner Einschrankungen grundsatzlich ein Recht auf selbstbestimmtes Leben zusteht, soweit das eben geht („Willensvorrang des Betreuten")' Als Folge hieraus hat der Betreuer auch den Wunschen des Betroffenen zu entsprechen, soweit diese (a) dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderlaufen und (b) dem Betreuer zumutbar sind (§ 1901 III 1 BGB). Wie in dem Abschnitt uber die Betreuungsverfligungen^"^ ausgefuhrt, gilt dies bei einem Betroffenen, der jetzt keine Wunsche mehr au6em kann, grundsatzlich auch ftir friiher geauCerte Wunsche(§ 1901 III 2 BGB). Bei vermogenden Betroffenen besteht in diesem Zusammenhang Anlass zu dem Hinweis, dass es nicht oberste Aufgabe des Betreuers ist, moglichst sparsam mit dem Vermogen des Betroffenen umzugehen. Fur vermogende Betreute darf von ihrem Geld durchaus liber das notwendige MaB hinaus ausgegeben werden, wenn dadurch dem Betreuten objektiv oder auch nur subjektiv Amiehmlichkeiten verschafft werden konnen. Ziel der Vermogenssorge bei vermogenden Betreuten ist nicht, so wenig wie moglich auszugeben, sondern auch dafiir zu sorgen, dass aus dem Vermogen des Betreuten das beschafft wird, was ihm jetzt noch Freude bereiten oder sonst helfen kann. Dazu konnen auch Geschenke an Angehorige gehoren. Bei vermogenden Betreuten ist dabei die Beschrankung auf Anstandsschenkungen §§ 19081II 1, 1804 2 BGB gelockert: Wenn der Betroffene es wUnscht und es nach seinen Lebensverhaltnissen ublich ist, sind auch Uber Anstandsschenkungen hinausgehende Gelegenheitsgeschenke zulassig, § 19081 II IBGB. Es kommt auf der anderen Seite ebenso vor, dass der Betroffene selbst unbedingt so wenig Geld wie nur moglich ausgeben will, um das Vermogen fur die Erben zu bewahren. Einem solchen Sparsamkeitswunsch des Betroffenen ist, aufgrund des Vorrangs des Willen des Betroffenen soweit vertretbar, zu entsprechen, auch wenn dem Betreuten dadurch Annehmlichkeiten, die er sich an sich leisten konnte, entgehen. Wichtige Angelegenheiten soil der Betreuer zuvor mit dem Betroffenen besprechen, soweit dies noch moglich ist, § 1901 III 3 BGB. Die in der letztgenannten Bestimmung genannte Einschrankung „sofem dies dessen - des Betroffenen -
Vgl. Abschnitt uber die Betreuungsverfiigung, S. 18ff
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Kapitel 5 Die Amtsfiihrung des Betreuers
Interesse nicht zuwiderlauft" bezieht sich etwa auf Betroffene, die mit derartigen Besprechungen psychisch uberfordert waren. Als letzte Leitlinie fur die Amtsfiihrung des Betreuers verpflichtet ihn § 1901 IV BGB, innerhalb seines Aufgabenkreises dazu beizutragen, dass die Moglichkeiten genutzt werden, die Krankheit oder die Behinderung des Betroffenen zu beseitigen, zu bessem, ihre Verschlimmerung zu verhtiten oder wenigstens ihre Folgen zu mildem (Rehabilitationsgrundsatz, s. S. 72). Die vorstehend immer wiederkehrenden Einschrankungen, Wunsche des Betroffenen seien nur zu beachten, wenn sie dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderlaufen, machen deutlich, dass zwischen Wunsch und Wohl des Betroffenen ein Spannungsverhaltnis besteht. War dieses Spannungsverhaltnis friiher unter fiirsorglichen Gesichtspunkten bis hin zum „fursorglichen Zwang" fast ausschlieBlich auf das Wohl, das „wohlverstandene Interesse des Betroffenen" aufgelost worden, hat das neue Betreuungsrecht dem den Wunsch des Betroffenen als Gegenkraft gegeniibergestellt. Aber die Wunsche des Betroffenen haben eben gleichwohl ihre Grenze da, wo sie seinem Wohl zuwiderlaufen. Nun bedeutet nicht jeder VerstoB gegen das „wohlverstandene" Interesse ein vollstandiges Zuwiderlaufen gegen das Wohl des Betroffenen. Manches objektiv Unsinnige oder sogar Falsche wird um des neu hinzugekommenen Gesichtspunktes des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen willen hinzunehmen sein. Eine vollstandige Auflosung des Spannungsverhaltnisses Wunsch und Wohl des Betroffenen hin ausschlieBlich zum Wunsch des Betroffenen wird es auch nach dem neuen Betreuungsrecht nicht geben konnen. Als Hilfe fiir die Ausfiillung des unbestimmten Rechtsbegriffs „dem Wohl des Betroffenen zuwiderlaufen", ist dem Betreuer die Formel des Handelns wie ein ^^pater dlligens", wie ein liebender Vater, anzuempfehlen: Der liebende Vater lasst seinen Kindem manche Unvernunfl durchgehen. Aber im Einzelfall muss er dann doch seinen Willen durchsetzen. Dieses Durchsetzen des Willens des Betreuers geschieht dabei gelegentlich auch mittels Uberredung und Suggestion, wie es ja auch Eltern ihren Kindem gegeniiber tun. Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Denn da der Betreuer die Beflignis zum Durchsetzen seines Willens hat, darf er diese auch mit dem sanften „mittelbarem" Zwang psychologischer Beeinflussung umsetzen. Er sollte dabei nur zwei Grenzen einhalten: •
Er sollte den Betroffenen nicht anlugen (Wahrhaftigkeitsgebot, s. S. 41).
•
Und die Genehmigung der Anwendung unmittelbaren Zwangs ist dem Richter vorbehalten (s. S. 39 „Freiheitsentziehung" und S. 132 „Zwangsbehandlung").
2 Einzelheiten zur Amtsfiihrung des Betreuers
67
Die Amtsfiihrung auch des ehrenamtlichen Betreuers ist sehr selbstandig. Ist der Betreuer erst einmal bestellt, hat im Regelfall flir lange Zeit allein er personlichen Kontakt zum Betroffenen. Aus diesem Grund legt ihm das Gesetz die Pflicht auf, von sich aus dem Gericht mitzuteilen, wenn er den Eindruck hat, dass die Betreuung aufgehoben werden kann oder der Aufgabenkreis der Betreuung einzuschranken oder auch zu erweitem ist, § 1901 V BOB. d) Entscheidungsbedarf bei Nichterreichbarkeit des Betreuers Es kann vorkommen, dass, etwa bei plotzlicher Erkrankung, dringend Entscheidungen des Betreuers benotigt werden und der Betreuer nicht erreichbar ist. Ist dies fur den Betreuer absehbar, kann die Bestellung eines Verhinderungsbetreuers in Betracht gezogen werden. Insoweit und wegen der gegen die Verhinderungsbetreuung bestehenden Bedenken vgl. S. 60. Vielfach erteilen vor allem Berufsbetreuer, etwa bevor sie in Urlaub fahren, einem anderen, meist ebenfalls einem Berufsbetreuer, eine Vollmacht. Diese Praxis ist aber aus rechtlicher Sicht bedenklich. Zwar entspricht die Betreuung ihrem Wesen nach einer Vollmacht, so dass man wie bei der Erteilung von UntervoUmacht auch an die Ubertragung der aufgrund Betreuung bestehenden Vertretungsbefiignis durch Willenserklarung des Betreuers denken konnte. Auch eine rechtsgeschaftliche Vollmacht kann aber nicht ohne weiteres auf einen Dritten ubertragen werden^"^. Ungeachtet der entgegenstehenden Praxis steht es daher dem Betreuer nicht zu, die Betreuung als Ganzes an einen Unterbevollmachtigten zu Ubertragen.^^. Dagegen hat der Betreuer die Moglichkeit, fiir einzelne Geschafte Vollmacht zu erteilen, etwa bei Einschaltung eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters fiir eine Angelegenheit des Betroffenen.
Sind mehrere Betreuer eingesetzt, kann im Verhinderungsfall bei Gefahr im Verzug jeder Mitbetreuer den Verhinderten vertreten, auch wenn der entsprechende Aufgabenbereich ihm nicht ubertragen ist, § 1899 III BGB. Bei Nichterreichbarkeit des Betreuers und auch, wenn eine Betreuung noch nicht besteht, ist schlieBlich, wenn es die Interessen des Betroffenen erfordem, auch der zustandige Betreuungsrichter zur Vertretung beftigt, § 1846 BGB^^.
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Palandt-Heinrichs § 167 BGB Rdnr. 12. So auch Palandt-Diederichsen § 1897 BGB Rdnr. 2 und § 1836 BGB Rdnr. 18; anderer Ansicht wohl Erman-Holzhauer § 1902 Rdnr. 22. Vgl. S. 129.
68
Kapitel 5 Die Amtsfiihrung des Betreuers
Dabei wird dieser aber eben nur als Vertreter des Betreuers tatig mit der Folge, dass der Betreuer die Entscheidung des Richters ohne weiteres abandern kann .
e)
Gegenlaufige Willenserklarungen des Betroffenen und des Betreuers
Da die Bestellung eines Betreuers als solche nicht geschaftsunfahig macht, kann es vorkommen, dass der Betreuer kraft seiner gesetzlichen Vertretungsbefiignis „A" und der Betreute „B" sagt. Bei der Frage, welche der beiden Erklarungen dann gilt, ist zunachst zufi*agen,ob der Betroffene hinsichtlich der betreffenden Frage geschaftsfahig ist. Es gibt zwar keine Geschaftsunfahigkeit aufgrund Betreuungsbeschlusses mehr, wer sich aber aufgrund einer krankhaften Storung der Geistestatigkeit dauerhaft in einem diefi-eieWillensbildung ausschliefienden Zustand befmdet, ist vollig unabhangig vom Vorliegen eines Betreuungsbeschlusses kraft Gesetzes geschaftsunfahig, § 104 Nr. 2 BGB. Dabei gibt es auch die sogenannte partielle Geschaftsunfahigkeit. Die Frage, ob Geschaftsunfahigkeit vorliegt, ist also im wesentlichen vom entsprechenden Votum eines Sachverstandigen abhangig. Ist der Betroffene geschaftsunfahig, so sind fur den von der Geschaftsunfahigkeit umfassten Bereich seine samtlichen Willenserklarungen ausnahmslos und ohne dass es einer richterlichen Entscheidung hierzu bedurfte, nichtig, § 105 I BGB. Ist die Geschaftsfahigkeit dagegen erhalten, ist bei einander widersprechenden Willenserklarungen des Betroffenen und des Betreuers nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsatzen die wirksam, die bindend geworden ist. Hat der Betroffene also verbindlich einen Vertrag abgeschlossen, so ist der Vertrag wirksam, auch wenn der Betreuer dem Vertrag widerspricht. Vertrage sind einzuhalten. Sieht der Vertrag eine Rucktrittsmoglichkeit vor, kann der Betreuer aber fur den Betroffenen zurucktreten.
Kommt es haufiger und kommt es in wichtigeren Angelegenheiten zu solchen Divergenzen, muss der Betreuer zunachst versuchen, mit dem Betreuten eine Verstandigung zu erzielen, wie der Punkt denn nun geregelt werden soil. Erforderlichenfalls kann er dabei das Vormundschaftsgericht um Vermittlung bitten. Kommt eine solche Verstandigung nicht zustande oder erweist sie sich als nicht tragfahig, bleiben nur zwei Moglichkeiten: Entweder muss die Betreuung fiir die Vermogenssorge hinsichtlich des in Divergenz geratenen Teilbereichs aufgehoben werden. Dann mag in Zukunft unmittelbar entsprechend den Erklarungen des Betroffenen gehandelt werden und der Betreuer ist von der Last der Mitverantwortung in diesem Bereich befreit. ^"^
OLG Zweibrucken BtPrax 2003, 184.
2 Einzelheiten zur Amtsflihrung des Betreuers
69
Oder aber es ist, falls die Voraussetzungen hierfiir vorliegen, ein Einwilligungsvorbehalt fiir die betreffenden Teilbereiche anzuordnen^^. Dann erlischt die Fahigkeit des Betroffenen zur Abgabe den Erklarungen des Betreuers zuwiderlaufender Erklarungen. In der betreuungsrichterlichen Praxis ist das vorstehend umschriebene Problem allerdings selten. f)
Unterstutzung des Betreuers
Benotigt der Betreuer Unterstutzung, kann er sich jederzeit an das Gericht, von dem er eingesetzt wurde, wenden, § 1837 I BGB. Das Vormundschaftsgericht hat in bezug auf den Betreuer in erster Linie eine Unterstiitzungs- und Beratungs- und erst in zweiter Linie eine Aufsichtsfunktion^^ Ansprechpartner bei Gericht ist zunachst der Rechtspfleger, auf Wunsch des Betreuers wird aber auch der Betreuungsrichter fiir einen Rat oder eine Auskunft zur Verfiigung stehen. AuBer bei dem Gericht, das ihn eingesetzt hat, kann sich der Betreuer auch Rat holen bei der Betreuungsbehorde, § 4 des Betreuungsbehordengesetzes (BtBG)^^. Diese hat ihren Sitz bei dem Landratsamt, in dessen Bezirk der Betreute wohnt, wohnt der Betreute in einer kreisfreien Stadt, bei dieser. Auch die Betreuungsvereine stehen fiir die Beratung von Betreuern zur Verfiigung, ohne dass diese Mitglied sein mtissten, § 1908f BGB. Im Sinne einer Starkung der Vorsorgevollmacht zur Vermeidung von Betreuungen wurde der Beratungsauftrag sowohl der Betreuungsbehorde als auch der Betreuungsvereine durch das 2. BtAndG auch auf die Beratung von Bevollmachtigten erstreckt, § 4 BtBG, § 1980f I Nr. 2 BGB. Wo immer der Betreuer Rat sucht, stets empfiehlt sich eine vorherige telefonische Terminsvereinbarung.
68 69
Vgl. S. 50. Entsprechend auch die Gesetzesiiberschrift vor § 1837 BGB: Fiirsorge und Aufsicht des Vormundschaftsgerichts. Betreuungsbehordengesetz (BtBG) vom 12. September 1990 (BGBl. I, 2002), zuletzt geandert durch das Betreuungsrechtsanderungsgesetz vom 25. Juni 1998 (BGBl. I, 1580).
70
Kapitel 5 Die Amtsfiihrung des Betreuers
g) Aufsicht des Vormundschaftsgerichts uber den Betreuer Die Aufsichtsfunktion des Vormundschaftsgerichts, § 1837 II 1 BGB, erschopft sich in den meisten Fallen in der jahrlichen Ubersendung eines Berichtsvordrucks, § 1840 BGB. Betreuer, denen die Vermogenssorge ubertragen ist, mussen dartiber hinaus jahrlich Rechnung legen, § 1841 BGB. Im Einzelfall kann das Gericht aber jederzeit auch weitere Auskiinfte anfordern. Der Betreuer ist ihm gegentiber zur Auskunftserteilung verpflichtet, § 1839 BGB. Bei entsprechendem Anlass hat das Vormundschaftsgericht aber auch die Moglichkeit zum harteren Eingreifen bis hin zur Erteilung geeigneter Gebote und Verbote, § 1837 II 1 BGB. Anstelle solcher MaBnahmen oder bei grober Missachtung der Weisungen des Gerichts kann der Betreuer auch, sogar gegen seinen Willen, entlassen werden, weil dann ohne weiteres davon auszugehen ist, dass er ftir das Amt nicht mehr geeignet ist, § 1908b I BGB. So hart kommt es aber nur selten. Die Anforderungen der Vormundschaftsgerichte an die Betreuer sind so, dass sie gut bewaltigt werden konnen. Und sollte das Vormundschaftsgericht einmal eine Weisung erteilen, die der Betreuer ftir einfach nicht sachgerecht halt, sollte er das Gesprach mit dem Rechtspfleger oder Richter suchen. Wichtig ist, dass der Betreuer auf Anfragen des Gerichts binnen 3 Wochen reagieren sollte, soweit ihm nicht eine noch kiirzere Frist gesetzt wird. Kann er nicht fristgerecht antworten, sollte er das wenigstens mitteilen, notfalls auch nur telefonisch, es dabei kurz begriinden und angeben, bis wann die Antwort erfolgen wird.
3.
Betreuungsrecht und nichtbetreuende Angehorige
In den meisten Fallen lauft eine Betreuung durch Familienangehorige ohne Probleme. Gelegentlich gibt es aber innerfamiliare Spannungen, die dazu ftihren, dass der Familienangehorige, der als Betreuer eingesetzt ist, von einem anderen Familienangehorigen mehr oder minder hart attackiert wird. Hintergrund sind dann im allgemeinen entweder •
innerfamiliare Rivalitaten und manchmal jahrzehntelang zuriickliegende, nicht aufgearbeitete Verletzungen,
•
Angst, dass der Betreuer durch seine Amtsfiihrung das ganze Erbe „durchbringt",
•
Eifersucht, dass der andere und nicht man selbst als Betreuer eingesetzt wurde.
In solchen Fallen sollte als erstes der als Betreuer eingesetzte Familienangehorige versuchen, die Spannungen so weit zu mindern, dass eine vernunftige Betreuungsarbeit moglich bleibt. Nach erfolglosem Versuch eines ertragh'chen einvernehmli-
3 Betreuungsrecht und njchtbetreuende Angehorige
71
chen Ausgleichs kann der Betreuer sich als zweites darauf zurtickziehen, dass ihn das Gericht eingesetzt hat und er damit dem Gericht und sonst niemandem Verantwortung schuldet. Die Folge ist dann, dass der Beschwerdefuhrer sich bei Gericht meldet. Das Vormundschaftsgericht wird nun entweder einen Mediationsversuch unternehmen und, wenn auch dieser erfolg- oder von vorneherein aussichtslos erscheint, einen Betreuerwechsel, dann oft zu einem Berufsbetreuer, anordnen. Einem auBenstehenden ehrenamtlichen Betreuer wird man eine solche Aufgabe kaum je zumuten konnen, es sei denn, die Kontrahenten hatten sich auf einen ubereinstimmenden Vorschlag verstandigt. Da wegen des Vorrangs ehrenamtlicher Betreuung ein Berufsbetreuer nur eingesetzt werden soli, wenn es wirklich nicht anders geht, sind auch hier manchmal ungewohnliche Losungen vorzuziehen. Fall 23:
Der Betroffene hatte zwei Sohne mittleren Alters. Es bestand Einvernehmen, dass der eine Betreuer werden sollte. Der andere bestand aber darauf, dass der Bruder ihm jahrlich Rechnung legen solle. Dieser Wunsch war nicht unplausibel, der als Betreuer vorgesehene Bruder aber gleichwohl nicht dazu bereit. Im Rahmen einer gemeinsamen richterlichen Anhorung beider Bruder traf man einen Kompromiss dahin, dass der kunftige Betreuer einwilligte, dass seine jahrliche Rechnungslegung gegenuber dem Gericht vom Gericht (!) in Kopie dem nicht als Betreuer eingesetzten Bruder ubersandt werden sollte. Nur durch diesen Kompromiss konnte die Einsetzung eines auBenstehenden (und dann wohl Berufs-)Betreuers vermieden werden.
Gelegentlich trifft man dabei auch auf Probleme, die sich der Regelung durch das Betreuungsrecht entziehen und wo es eher eines Pfarrers oder eines Therapeuten bedurft hatte. Fall 24:
Die inzwischen fast 100-jahrige verwitwete Bauerin hatte die Hofreite der von ihr weniger(!) geliebten Tochter ubergeben und sich ein Einsitzrecht vorbehalten. Von ihrem Einsitz aus schikanierte sie die Tochter und deren Ehemann nach Kraften und berichtete hieruber brieflich ihrer Lieblingstochter, die 60 km entfernt wohnte. Die (auch schon uber 60-jahrige) „Jung"-bauerin beantragte eine Betreuung, well die Mutter die Scheibengardinen ihres der Strasse zugewandten Fensters zerschneide und so die Familie dem Spott aussetze.
Es wurde eine gemeinsame Anhorung mit einem Psychiater und einer Rechtsanwaltin als Verfahrenspflegerin anberaumt. Die Durchfuhrung der Anhorung war durch die Schwerhorigkeit der alten Dame sehr erschwert. Die Sache mit den Vorhangen konnte nicht aufgeklart werden. Im Verlauf der Anhorung entspann sich ein Streit Uber die Hohe des von der alten Dame zu leistenden Unterhaltsgelds. Da trotz allem Willensbildungsstorungen nicht festzustellen waren, wurde schlussendlich gefragt, ob vielleicht ein Betreuer zwecks Fiihrung eines Zivilstreits uber die Hohe des Unterhaltsgelds bestellt werden sollte. Denn hierfur hatte
72
Kapitel 5 Die Amtsfdhrung des Betreuers
die Altenteilerin dann wohl doch der UnterstUtzung durch einen Betreuer bedurft. Diese Frage wurde aber von den Beteiligten ubereinstimmend verneint. In der Tat hatte hier auch ein Zivilurteil kaum wirkliche Befriedung schaffen konnen... Die ubernehmende Tochter hatte wohl schon bei Ubernahme gewusst, welche Schwierigkeiten auf sic zukommen wurden. Aber sie hatte nicht vorhergesehen, welches Alter die Mutter erreichen wurde. Die Mutter ist erst mit 99 Jahren gestorben.
4.
Die Beendigung der Betreuung
Das Amt des Betreuers endet durch Aufhebung der Betreuung, durch Entlassung des Betreuers, durch Tod des Betroffenen und natlirlich auch durch Tod des Betreuers. a) Aufhebung der Betreuung Bei Wegfall der Erforderlichkeit der Betreuung ist die Betreuung aufzuheben, § 1908d 11 BGB. Da das Gericht, das den Betroffenen ja oftjahrelange nicht sieht, von sich aus nicht erkennen kann, dass eine Aufhebung der Betreuung in Betracht kommen kann, ist der Betreuer, der ja laufenden Kontakt zu dem Betroffenen halt, gesetzlich verpflichtet, dem Gericht Mitteilung zu machen, wenn er merkt, dass moglicherweise eine Betreuung nicht mehr notig ist, § 1901 V 1 BGB. (1) Wiederherstellung der Gesundheit des Betroffenen Die Erforderlichkeit der Betreuung entfallt, wenn der Gesundheitszustand des Betroffenen sich soweit bessert, dass er seine Angelegenheiten wieder selbst regeln kann. Die Aufhebung der Betreuung wegen Wiederherstellung der Gesundheit des Betroffenen ware das positivste denkbare Ende einer Betreuung. Das Gesetz raumt diesem dem Gedanken der Rehabilitation einen hohen Rang ein; es verpflichtet den Betreuer daher ausdrucklich, die Betreuung so zu fiihren, dass dieses Ergebnis moglichst eintreten kann, § 1901 IV BGB. In der Praxis ist eine vollstandige Wiederherstellung der Einwilligungsfahigkeit des Betroffenen (restitutio ad integrum) jedoch selten. Aber es kommt, zum Beispiel bei Schlaganfallpatienten, durchaus vor, dass sie nach einer Zeit vollstandiger Einwilligungsunfahigkeit wieder so weit genesen, dass die Betreuung vollstandig aufgehoben werden kann.
4 Die Beendigung der Betreuung
73
(2) Teilweise Wiederherstellung der Gesundheit mit ausreichender Restkompetenz Die Erforderlichkeit der Betreuung kann auch entfallen, wenn zwar nur eine teilweise Wiederherstellung der Gesundheit eintritt, der Betreuer aber zwischenzeitlich die schwierigeren Aufgaben erledigt hat und den verbleibenden Rest der Betroffene auch mit seiner nur teilweise wiederhergestellten Gesundheit selbst erledigen kann. Fall 25:
Eine allein in ihrer Wohnung lebende altersverwirrte Frau erhalt einen Betreuer, der ihre Ubersiedlung in ein Altenheim veranlasst. Dort wird darauf geachtet, dass sie genugend trinkt. Allein dadurch kehrt ihre Orientierung nicht vollstandig, aber doch zu erheblichen Teilen zuriick. Sie fuhit sich wohl im Altenheim, der Betreuer lost mit ihrer Zustimmung die Wohnung auf und stellt die erforderlichen Antrage fiir die Ubernahme der Kosten des Heimaufenthalts durch Pflegeversicherung und Sozialamt. Was jetzt noch bleibt - Regelung ihrer laufenden hausarztlichen Behandlung, Abrechnung des Taschengeldkontos mit dem Heim - schafft die Betroffene, jedenfalls bis auf weiteres, allein. Die Betreuung ist daher aufzuheben. Im Bedarfsfall kann spater erneut ein Betreuer bestellt werden.
Hierhin gehoren auch Fall 6, S. 13, (Wiederherstellung nach Schlaganfall) und Fall 7, S. 14, (Aufhebung der Betreuung nach Entgiftung),. Es ware unzulassig, die Betreuung „vorsorglich" weiterbestehen zu lassen. Eine derartige „Vorratsbetreuung" sieht das Gesetz nicht vor, sie ware mit dem Erforderlichkeitsgrundsatz, § 1896 II 1 BGB, nicht vereinbar. (3) Erledigung des Betreuungsauftrages In gleicher Weise kommt die Aufhebung einer Betreuung in Betracht, wenn bei nur teilweise reduzierter Einwilligungsfahigkeit ein Betreuer nur fur eine bestimmte Aufgabe bestellt worden war. Beispiel hierfur ist eine Erbschaft, der Betroffenen, vgl. Bsp. 7 (S. 37). Nach Erledigung der Aufgabe ist die dann ja nicht mehr erforderliche Betreuung aufzuheben, (4) Anhaltende Betreuungsunwilligkeit des Betroffenen Die Notwendigkeit einer Betreuung setzt im allgemeinen auch die Bereitschaft des Betroffenen voraus, sich betreuen zu lassen. Denn auBer in Fallen geistiger Behinderung oder massiven Krankheitsschuben beziehungsweise einem ausgepragten Residualzustand bei psychischen Erkrankungen ist eine sinnvolle Betreuung gegen den erklarten Widerstand des Betroffenen nicht moglich. Dies folgt vor allem daraus, dass der Betreuungsbeschluss dem Betreuer ja keine Zwangsbefug-
74
Kapitel 5 Die Amtsfiihrung des Betreuers
nisse verleiht^^ Entzieht sich der Betroffene beharrlich der Betreuung und liegen die Voraussetzung zu seiner beschlossenen Unterbringung nicht vor, ist daher die Betreuung als aussichtslos und damit nicht erforderlich auszuheben. Fall 26:
Wer in einer vermullten Wohnung lebt, dem kann nicht geholfen werden, wenn er nicht bereit ist, sich helfen zu lassen. Fine gewaltsame Entmullung wie auch eine zwangsweise Herausnahme aus der Wohnung scheiden schon mangels massiver Eigengefahrdung aus. AuBerdem verspricht sie bei einem unkooperativen Betroffenen keinen Erfolg; die Neuvermullung der Wohnung ist nur eine Frage der Zeit.
Bsp. 15:
Fin Alkoholkranker kann gegen seinen Willen zwar entgiftet und hierzu auch zwangsweise in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen werden. Fine Fntzugsbehandlung, die ja erst nach der Entgiftung beginnt, ist aber aus psychiatrischer Sicht ohne Kooperationsbereitschaft nicht moglich .
Fall 27:
Dem Obdachlosen, der sich einfach nicht vorstellen kann, unter normalen Wohnbedingungen zu leben, kann ein Betreuer nur sehr eingeschrankt helfen.
Wo wegen anhaltenden Fehlerjs der Bereitschaft, sich betreuen zu lassen, eine Betreuung keinen Erfolg verspricht, ist sie nicht (mehr) erforderlich und damit mangels Erforderlichkeit aufzuheben. Ob das der Fall ist, wird sich unter Umstanden nur mit Hilfe (fach-)arztlicher Beratung klaren lassen. Bringt aber auch diese kein anderes Ergebnis, bleibt letztlich nur abzuwarten, bis der Betroffene sich unter Leidensdruck doch zur Mitarbeit bereit erklart, bis durch weiteren Abbau seiner Personlichkeit der Widerstand in ihm zusammenbricht oder bis er sich in einem derart selbst- oder fremdgefahrdenden Zustand befmdet, dass er auch gegen seinen Willen geschlossen untergebracht werden kann. Bis es aber soweit ist, bleibt es dabei, dass man niemanden zu seinem GlUck zwingen kann und dass das oft emporte Umfeld derlei durchaus unerfreuliche Existenzen eben aushalten muss. Daraus folgt, dass eine Betreuung gegen den andauemden erklarten Widerstand des Betroffenen im betreuungsrichterlichen Alltag die grol3e Ausnahme darstellt. Zwangseinweisungen in die Psychiatric kommen demgegeniiber haufiger vor: bei Alkoholexzessen, in akuten psychopathologischen Krisen, bei Eigen- oder Fremdaggressivitat. Ist die betreffende Krise aber abgeklungen, dann verspricht die Bestellung eines Betreuers oder auch die weitere Tatigkeit eines fiir die Dauer der Krise bestellten Betreuers gegen den Widerstand des Betroffenen nur selten Erfolg.
Vgl. S. 39, „Freiheitsentziehung". So auch fiir psychiatrische Behandlungen schlechthin Schleswig-Holsteinisches OLG BtPrax 2000, 92.
4 Die Beendigung der Betreuung
75
Betreuung ohne den Willen des Betroffenen, das geht und ist, etwa im Bereich der Altersdemenzen und auch der geistig Behinderten, gar nicht so selten. Aber Betreuungen gegen den erklarten Willen des Betroffenen, das bedeutet ja im Ergebnis ein langfristig angelegtes und nachhaltiges Brechen seines Willens bis hin zur dauemden EinschlieBung. Dies kommt nur in wenigen Einzelfallen in Betracht. (5) Aufhebungsantrag des Betroffenen Eine nur wegen korperlicher Behinderung bestehende Betreuung, die ja grundsatzlich auch nur auf Antrag des Betroffenen zulassig ist, § 1896 I 3 BGB ist auf Antrag des Betroffenen ohne weiteres aufzuheben, § 1908d II BGB. Das natiirlich gilt nicht, wenn inzwischen auch die Voraussetzungen einer Betreuung ohne Antrag vorliegen, etwa weil eine psychische Erkrankung hinzugekommen ist. b) Beendigung der Betreuung durch Fristablauf? Das Uberschreiten der Uberprufungsfrist fur die Verlangerung oder Aufhebung eines auf Dauer (also nicht nur durch einstweilige Anordnung vorlaufig) bestellten Betreuers ist ohne rechtliche Wirkung, fiihrt insbesondere nicht etwa zur Beendigung der Betreuung. Vorlaufige Betreuungen und Genehmigungen zu Unterbringungen oder unterbringungsahnlichen MaBnahmen (gleich ob durch einstweilige Anordnung oder durch Hauptsacheentscheidung) laufen dagegen mit Fristablauf an. Eine - durch einstweilige Anordnung getroffene - vorlaufige Regelung, sei es vorlaufige Betreuung oder vorlaufiger Unterbringungsgenehmigung, endet im Ubrigen ohne weiteres durch Erlass der entsprechenden Hauptsacheentscheidung. Es ist also nicht notig, in der Hauptsacheentscheidung die vorlaufige Regelung ausdrticklich aufzuheben. Wo dies geschieht, vielleicht auch zur Klarstellung, ist dies natiirlich auch nicht schadlich. c)
Entlassung des Betreuers
Die Voraussetzungen, unter denen ein Betreuer aus dem Amt entlassen werden kann, sind in § 1908b BGB geregelt. Das Gericht muss den Betreuer entlassen, wenn seine Eignung nicht mehr gewahrleistet ist, wenn ein anderer wichtiger Grund fiir seine Entlassung vorliegt und wenn ein Berufsbetreuer durch einen ehrenamtlichen Betreuer ersetzt werden kann, § 1908b I BGB.
76
Kapitel 5 Die Amtsflihrung des Betreuers
Durch das 2. BtAndG wurde in § 1908b I BGB ein Zusatz eingefiigt, wonach ein wichtiger Grund fur die Entlassung des Betreuers auch vorliegt, wenn dieser eine erforderliche Abrechnung vorsatzlich falsch erteilt. Das Gericht kann den Betreuer entlassen, wenn der Betreute eine andere gleich geeignete und zur Amtsubemahme bereite Person als neuen Betreuer vorschlagt, § 1908b III BGB. Angesiclits des Grundsatzes des Betreuungsrechts, dem Wunsch des Betroffenen moglichst breiten Raum zu geben, vgl. § 1897 IV BGB, ist dieses „kann" zu lesen als „muss, falls nicht erhebliche sachliche Griinde dagegen sprechen."^^ Ohne Vorschlag eines neuen Betreuers kommt dem Wunsch Betroffener auf Betreuerwechsel dagegen keine den Richter bindende Bedeutung zu. Ware das der Fall, musste man be! bestimmten Betroffenen allmonatlich einen Betreuerwechsel vornehmen. Zwar kann auch einem solchen Wunsch des Betroffenen entsprochen werden. Dabei ist aber zu beriicksichtigen, dass hinter der vorgebrachten Aversion gegen den Betreuer oftmals eine Aversion gegen die Betreuung schlechthin steckt. Dagegen aber hilft ein Betreuerwechsel nicht. Es hat sich bewahrt, bei Antragen von Betroffenen auf einen Betreuerwechsel, diesem Ansinnen einmal zu entsprechen, damit es eine neue Chance fur eine beiderseits gedeihliche Zusammenarbeit gibt. Zugleich sollte dabei aber klar gemacht werden, dass ein weiterer Wechsel ohne wirklich triftige Grunde, nur wegen allgemeiner Aversion, nicht angeordnet werden wird. Auch auf eigenen Wunsch des Betreuers kann dieser entlassen werden, wenn, etwa aufgrund andauemden ungedeihlicher Zusammenarbeit mit dem Betreuten und/oder dessen Angehorigen, ihm das Fuhren der Betreuung nicht mehr zugemutet werden kann, § 1908b II BGB. Hier sollte allerdings zunachst ein Vermittlungsversuch unter Einschaltung des Betreuungsrichters unternommen werden. Auch liber diesen Fall hinaus sollte einem Entlassungswunsch eines Betreuers im allgemeinen entsprochen werden. Denn mit einem aus dem Amt strebenden Betreuer ist dem Betroffenen wenig gedient. Eine grundsatzliche gesetzliche Verpflichtung zur Ubemahme einer ehrenamtlichen Betreuung als „Burgerpflicht" besteht nicht mehr^"*. Berufsbetreuer sollen auch entlassen werden, wenn die Betreuung auch durch einen oder mehrere ehrenamtliche Betreuer erfolgen kann, § 1908b I 3 BGB.
73 74
Palandt-Diederichsen § 1908b BGB Rdnr. 8. Vgl. § 1908i I BGB, der nicht auf den damit nur noch fiir Vormundschaften uber Minderjahrige geltende § 1785 BGB verweist, in dem eine allgemeine Burgerpflicht zur Amtsubemahme kodifiziert ist.
4 Die Beendigung der Betreuung
77
Fiir die Entlassung von Vereins- und Behordenbetreuern enthalten § 1908b IV und V weitere Bestimmungen, auf die hier lediglich hingewiesen werden soil. Fiir jede Entlassung eines Betreuers gilt, dass, urn einen betreuungslosen Zustand zu vermeiden, gleichzeitig ein neuer Betreuer eingesetzt wird, es sei denn, dass die Betreuung ganz aufgehoben werden kann, § 1908c BGB. Die Entlassung des Betreuers erfolgt durch Beschluss des Gerichts, nicht durch Erklarung des Betreuers. Ebenso wenig, wie der Betreuer sich selbst einsetzen kann, kann er sich selbst entlassen. Eine „Kundigung" des Betreuers ist daher als Entlassungsantrag zu werten, flihrt aber aus sich selbst nicht zur Beendigung des Betreueramts. Es versteht sich, dass ein Betreuer, der entlassen werden soil, zuvor (im allgemeinen schriftlich) angehort werden muss. Dem Betreuer steht bei Entlassung ohne eine Zustimmung gegen seine Entlassung das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu, § 69g IV Nr. 3 FGG. d) Tod des Betroffenen Mit dem Tod des Betreuten endet, obschon dieser Fall im Gesetz unerwahnt geblieben ist, nach einhelliger Meinung die Betreuung; zugleich erlischt die betreuungsrechtliche Befugnis des Betreuers, den Betroffenen zu vertreten^^. Einer fbrmlichen Entlassung des Betreuers bedarf es hier nicht, sie ist auch in der Praxis nicht ublich. Ungeachtet des WegfaHs der Befugnis, fiir den Betroffenen aufzutreten, bleiben nach dessen Tod fiir den Betreuer noch einige Aufgaben, zu deren Wahrnehmung er stets verpflichtet ist oder im Einzelfall verpflichtet sein kann. So muss der Betreuer den Betreuerausweis zuruckzugeben, ein fur die Vermogenssorge eingesetzte Betreuer hat nach dem Tod des Betroffenen dem Vormundschaftsgericht gegentiber Schlussrechnung zu legen. Ist eine einwandfreie Ubergabe an den Erben nicht moglich, sei es, dass der Betreuer ihn gar nicht kennt, sei es, dass die Erbfolge unklar ist, hat der Betreuer die Geschafte des verstorbenen Betroffenen, die keinen Aufschub dulden, so lange weiter zu besorgen, bis der Erbe anderweitig Fursorge treffen kann, §§ 1893 I, 1698b BGB. Ist es hierzu erforderlich, dass er Verfugungen Uber das Nachlassvermogen trifft, etwa Geld abhebt oder umschichtet, wird man annehmen konnen, dass die ihm als Betreuer ubertragene gesetzliche Vertretungsmacht ebenso wie eine rechtsgeschaftliche Vollmacht angesichts des gesetzlichen Geschaftsbesorgungsauftrags liber den Tod des Betroffenen hinaus so lange fortgilt, bis der Erbe oder der Nachlasspfleger sie ihm entziehen. In diesem Fall steht dem Betreuer fiir
^^
Bienwald BtPrax 2000, 107.
78
Kapitel 5 Die Amtsfuhrung des Betreuers
die von ihm zu fuhrenden Eilgeschafte die ubliche Betreuungsvergutung zu. Der Betreuer kann sich aber auch selbst gegentiber dem Nachlassgericht als Nachlasspfleger §§ 1960 und 1961 BGB anbieten, um auf diesem Weg eine neue Legitimation fiir die Sorge fiir den Nachlass zu erhalten. Diese Legitimation ist dann rechtlich unabhangig von der Betreuung und auch nicht auf schlechterdings unaufschiebbare Angelegenheiten beschrankt. Wegen der Frage der Zustandigkeit fiir die Bestattung s, S. 178. e)
Tod des Betreuers
Stirbt der Betreuer, erlischt seine Befugnis, den Betroffenen zu vertreten aus § 1902 BGB, die Befugnis geht nicht etwa auf seine Erben uber^^. Die Betreuung selbst bleibt bestehen^^. Der Betreuungsrichter hat schnellstmoglich einen neuen Betreuer einzusetzen, § 1908c BGB.
^^
Ebenfalls einhellige Meinung, obgleich wiederum im Gesetz nicht ausdrucklich erwahnt. Palandt-Diederichsen § 1908c BGB Rdnr. 1.
Kapitel 6
1.
Berufsbetreuer
Berufsbetreuer friiher und heute
Das entgeltliche Fuhren rechtlicher Vertretungen fiir Behinderte und Kranke gab es schon vor dem Inkrafttreten des Betreuungsrechts als Berufspflegschaften oder -vormundschaften. Hierftir eingesetzt wurden vor allem Rechtsanwalte und soziale Vereine, die oftmals -zig dieser Falle ubemahmen. Dies ftihrte dazu, dass die Pflegebefohlenen vielfach nurmehr verwaltet wurden, ein personlicher Kontakt zu dem Berufsvormund oder -pfleger wurde dabei bis auf Null reduziert. Gerade diese unpersonliche Amtsfiihrung hatte bei der Einftihrung des Betreuungsrechts dazu gefiihrt, dass die „personliche" Betreuung in den Vordergrund gestellt und zum Gesetzesziel erklart wurde^^, wie es sich aus der anfanglichen Fassung des § 1897 I BOB ergibt: „Zum Betreuer bestellt das Vormundschaftsgericht eine naturliche(!) Person, die geeignet(!) ist, in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenkreis die Angelegenheit des Betroffenen zu besorgen und in hierbei im erforderlichen Umfang personlich(!) zu betreuen." In der Anfangszeit des Betreuungsrechts waren die Richter in der misslichen Lage, auch nicht ansatzweise Uber geniigend ehrenamtliche Betreuer zu verfugen. Nach altem Recht war es Aufgabe der Rechtspfleger gewesen, Personen zu finden und einzusetzen, die als Betreuer in Betracht kamen. Sie forderten ihrerseits die politischen Gemeinden um Benennung geeigneter Manner und Frauen auf Nun musste der Richter selbst Betreuer suchen und die Gemeinden nutzten die Rechtsanderung, sich aus der Benennung von Betreuern zuruckzuziehen mit der BegrUndung, dafiir sei jetzt schlieBlich die Betreuungsbehorde zustandig. Die Betreuungsbehorden wurden von den Landern aber erst im Laufe des Jahres 1992 eingerichtet, zuletzt in Thuringen mit Gesetz vom 19. Juli 1994(!)
78
Bienwald BQtrQuungsrQcht § 1897 BGB Rdnr. 2 und 3.
80
Kapitel 6 Berufsbetreuer
(GVBl. 905). Auch die vom Betreuungsgesetz gewiinschten Betreuungsvereine waren vielerorts noch nicht vorhanden oder jedenfalls noch nicht arbeitsfahig. Die vormaligen Berufsvormtinder und -pfleger schreckten vielfach vor der Erbringung der ihnen jetzt abverlangten personlichen Betreuung zuriick. Es war auch schwer, ehrenamtliche Betreuer zu gewinnen: Das Profil des in den Veroffentlichungen zum neuen Betreuungsrecht dargestellten „neuen Betreuers" war teilweise so uberhoht, dass sich die Meinung ausbreitete: „Ist ja was ganz Grol3artiges, aber ich jedenfalls kann dieser Aufgabe nicht gerecht werden." Die teilweise sehr druckvoll betriebenen Bemuhungen von Betreuungsrichtern, durch offentliche Vortrage neue ehrenamtliche Betreuer zu gewinnen, zeigten daher anfangs nur magere Erfolge. Sie waren teilweise stark von dem Bemtihen bestimmt, Angste vor der Obernahme abzubauen, den neuen, idealisierten, Berufsbetreuertyp soweit zu reduzieren und zu entmythologisieren, dass ein durchschnittlicher Burger sich die Ubernahme einer solchen Aufgabe wieder zutrauen konnte. Diese Bemuhungen kulminierten in der Formel „Wer seine eigenen Angelegenheiten regeln kann, kann auch die eines anderen regeln". Die Misserfolge bei der Gewinnung neuer ehrenamtlicher Betreuer gingen zuriick, als ihre Gewinnung durch die Arbeit der inzwischen installierten Betreuungsbehorden und Betreuungsvereine unterstutzt und teilweise vollstandig iibemommen wurde. So blieben als „neue" Berufsbetreuer zunachst doch wieder Rechtsanwalte, die sich bereit erklart batten, Betreuungen auch nach den neuen Anforderungen zu fiihren. In dieses Betreuervakuum stiel3en nun etwa ab 1994 mit einem Mai ganze Scharen von Interessenten, meist Sozialarbeiter oder Sozialpadagogen, die sich, oft mit einer ausflihrlichen Bewerbungsmappe, wie sie im Arbeitsrecht iiblich ist, um eine „Stelle" als Berufsbetreuer bewarben. Die neuen Berufsbetreuer wurden von den Gerichten schnell akzeptiert, teilweise unter Vemachlassigung des Einsatzes der inzwischen aufgrund der Offentlichkeitsarbeit der Betreuungsbehorden und -vereine verstarkt zur Verfiigung stehenden ehrenamtlichen Betreuer^^. Von den im Jahre 1999 bundesweit insgesamt 184.121 neuen Betreuerbestellungen wurden 54.645 = 29,68 % zur berufsmafiigen Ausfiihrung ubertragen. Allerdings ist der Berufsbetreueranteil von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich (vgl. nachfolgende Tabelle 3).
vgl. hierzu auch die Austuhrungen S. 56, Abschnitt Berufsbetreuer.
81
1 Berufsbetreuer fruher und heute
80
Tabelle 3: Neue Betreuungen in 1999 und Anteil von Berufsbetreuungen Bundesland
neue Betreuungen Hiervon Berufsbetreuungen in 1999
1 Baden1 Wiirttemberg
13.737
3.735
= 27,12%
1 Bayern
33.775
8.298
= 24,57 %
1 Berlin
6.394
2.927
= 45,78 %
1 Brandenburg
6.790
2.310
= 34,02 %
1.211
638
= 52,68 %
1.223
124
= 10,14%
16.285
4.062
= 24,94 %
MecklenburgVorpommern
4.355
1.382
= 31,37%
1 Niedersachsen
16.769
5.055
= 30,14%
NordrheinWestfalen
41.058
14.072
= 34,27 %
RheinlandPfalz
10.140
2.411
= 23,78%
Saarland
2.312
389
= 16,83%
Sachsen
12.420
3.864
= 31,11%
SachsenAnhalt
5.660
1.883
= 33,27 %
SchleswigHolstein
6.120
1.517
= 24,79 %
Thiiringen
5.836
1.978
= 33,89%
184.121
54.645
= 29,68 %
Bremen Hamburg 1 Hessen
1 Deutschland
^
1
1
Quelle fiir die Zahlen: Bundesministerium der Justiz, veroffentHcht bei Deinert in Verbandszeitung des Bundesverbandes der Berufsbetreuer/-innen BdB, Heft Dezember 2000, Seite 11.
Wegen aktuellerer Zahlen vgl. Tabellen 6 und 7 S. 260 und 260.
82
Kapitel 6 Berufsbetreuer
Dabei spielte sich relativ schnell eine Gerichtspraxis ein, die, ungeachtet der durchlaufenen Ausbildung, einen einheitlichen Stundensatz von 75 DM vergutete. Das war erheblich, zumal ja auch Fahrt- und Wartezeiten vergutet wurden. Der Umstand, dass die neuen Berufsbetreuer ganz uberwiegend nicht aus rechtsberatenden, sondem sozialen Berufsrichtungen kamen, fiihrte in der Folgezeit dazu, dass immer mehr Betreuungsarbeit geleistet (und abgerechnet) wurde, die bei Licht betrachtet keine rechtliche Betreuung, sondem soziale oder sogar therapeutische Hilfestellung war. Der in § 1897 I BGB enthaltene Zusatz „im erforderlichen Umfang" und der Umstand, dass die Einfiihrung des Betreuungsrechts das Wesen der Betreuung als (nur) rechtliche Vertretung unbertihrt gelassen hatte, blieben vollig auBer Acht. Die Ausgaben der Gerichte fur die Vergutungen der Berufsbetreuer wuchsen sprunghaft an^^ Vor diesem Hintergmnd ist das Betreuungsrechtsanderungsgesetz zu sehen, durch das die Beschrankung des Auftrags der Betreuer auf die rechtliche Vertretung hervorgehoben wurde (zu den Einzelheiten hierzu vgl. Kapitel 1). Das Betreuungsrechtsanderungsgesetz hat nun, neben der Hervorhebung des Wesens der Betreuung als (nur) rechtliche Vertretung, wenn auch mit personlicher Amtsfuhmng, in § 1836 BGB ansatzweise Voraussetzungen fiir die Anerkennung von Bemfsbetreuern aufgestellt {seit Inkrafttreten des 2. BtAndG: in Verbindung mit § 1 I VBVG). In § 1 des BVormVG (Berufsvormtindervergutungsgesetz Vorlaufergesetz des jetzt geltenden § 4 VBVG) wurden auBerdem nach Ausbildung des Berufsbetreuers gestaffelte Vergutungsgruppen eingefiihrt. Wegen der nach Inkrafttreten des 2. BtAndG geltenden Stundensatze fur Berufsbetreuungen im allgemeinen s. Tabelle 8 S. 271 und fur beruflich geftihrte Erganzungs- und Sterilisationsbetreuungen sowie Berufsverfahrenspflegschaften Tabelle 10 S. 277. Die Hohe der Berufsbetreuern zu pauschal zu erstattenden Stunden je Monat ist dargestellt in Tabelle 9 S. 271. In dem ebenfalls neu eingeflihrten § 1897 VII BGB und in § 1908k BGB (jetzt: § 10 VBVG) werden die Berufsbetreuer einer gewissen Kontrolle durch die Betreuungsbehorde unterstellt.
2.
Voraussetzungen der Anerkennung als Berufsbetreuer
Die Anerkennung als Berufsbetreuer erfolgt gemal3 § 1836 I 2 BGB dadurch, dass in jedem Einzelfall in den Beschluss, durch den der Betreuer eingesetzt wird, ein Zusatz etwa folgenden Wortlauts aufgenommen wird: „Die Betreuung wird berufsmaBig gefuhrt."
Wegen der letzten Zahlen hierzu vgl. Tabelle 7, nachfolgend S. 260.
2 Voraussetzungen der Anerkennung als Berufsbetreuer
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a) Wie wird man Berufsbetreuer? Berufsbetreuer wird man, indem man einem Gericht oder einer Betreuungsbehorde seine Vorstellungsunterlagen schickt, die im wesentlichen einer Bewerbungsmappe fur eine Bewerbung um eine Arbeitsstelle entsprechen. In dem Begleitschreiben bittet man zweckmaftigerweise gleich um ein personliches Vorstellungsgesprach. Da im allgemeinen jeder Berufsbetreuer kontinuierlich mindestens 11 Berufsbetreuungen iibertragen bekommen muss , kann es passieren, dass man nicht berucksichtigt werden kann, well derzeit kein zusatzlicher Betreuer benotigt wird. Da es in dem Stamm der bereits tatigen Berufsbetreuer aber immer wieder Abgange gibt, kann es ich in diesem Fall lohnen, ein oder zwei Jahre spater nochmals anzufragen. In dem Vorstellungsgesprach wird der Berufsbetreuer mit den Erwartungen des Gerichts an ihn sowie damit, was er vom Gericht erwarten kann, vertraut gemacht. Teilweise werden ein Fiihrungszeugnis oder eine Auskunft aus dem gerichtlichen Schuldnerverzeichnis eingeholt. Wird der Bewerber als Berufsbetreuer grundsatzlich akzeptiert, wird die Betreuungsbehorde ihn dem Gericht oder den Gerichten ihres Bezirks brieflich vorstellen. Fand der Erstkontakt bei dem Betreuungsrichter statt, ist dieser durch das zum 1. Januar 1999 in Kraft getretene Betreuungsrechtsanderungesetz gehalten, der Betreuungsbehorde vor dem ersten Einsatz des neuen Berufsbetreuers Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (s. S. 86). Der Betreuungsrichter sollte darauf achten, dass neue Berufsbetreuer „in absehbarer Zeit", nach Ansicht des Verfassers: innerhalb etwa eines Jahres, nach dessen erstmaliger Einsetzung die vom Gesetz in § 1 II VBVG Nr. 1 geforderten 11 Betreuungen fuhrt - u. U. auch ftir andere Gerichte. In gleicher Weise sollte er regelmaBig priifen, dass jeder einzelne seines Berufsbetreuerstammes nicht unter diese Mindestzahl absinkt. Es gibt Betreuungsrichter, die keine eigene Berufsbetreuerpflege betreiben, sondem dies der Betreuungsbehorde iiberlassen und sich dann auch von dieser den jeweils einzusetzenden Berufsbetreuer benennen lassen. In diesen Fallen muss die Betreuungsbehorde das baldige Erreichen und die Einhaltung der Mindestzahl der berufsmaBig zuftihrendenBetreuungen iiberwachen.
Vgl. S. 84.
84
Kapitel 6 Berufsbetreuer
b) Die Ubertragung von Berufsbetreuungen Der vom Gericht in den Betreuungsbeschluss aufzunehmende Zusatz „Die Betreuung wird berufsmal3ig gefiihrt." ist fiir die Stellung des Betreuers als Berufsbetreuer konstitutiv^^. Das heiBt er ist fur das Vorliegen einer Berufsbetreuung notwendig, aber auch hinreichend. Durch ihn und nur durch ihn wird die Betreuung zur Berufsbetreuung. Wenn das Gericht diesen Zusatz weglasst, obwohl offensichtlich eine Berufsbetreuung gewoUt war, etwa, weil der betreffende Betreuer ausschlieBlich Berufsbetreuungen fuhrt, kommt eine nachtraglich Erganzung des Beschlusses im Wege der Berichtigung mit ruckwirkender Kraft in Betracht. Das Gericht muss (!) die Feststellung der berufsmaBigen Fiihrung der Betreuung aussprechen, wenn dem Betreuer Betreuungen in einem solchen Umfang Ubertragen sind, dass er sie nur im Rahmen seiner BerufsausUbung fiihren kann, oder wenn anzunehmen ist, dass dieser Zustand in absehbarer Zeit eintreten wird, § 1 I 1 VBVG. Das heiBt, dass, wenn das Gericht ausgesprochen hat, dass die Betreuung berufsmafiig gefiihrt wird, der Betreuer ab sofort wie ein Berufsbetreuer abrechnen kann, auch wenn er den erforderHchen Umfang an Betreuungen erst in absehbarer Zeit erreicht . c)
Erster Regelfall: Mehr als zehn Betreuungen
Gesetzlicher Regelfall fur einen solchen Umfang von Betreuungen, dass deren berufsmaBige Fiihrung anzuerkennen ist, ist die Zahl von „mehr als zehn" Betreuungen. Diese Bestimmung flndet sich nunmehr in § 1 I Nr. 1 des durch das 2. BtAndG neu eingefuhrten VBVG, das uber §§ 190811 , 1836 I 3 BGB auch ftr Berufsbetreuer gilt. d) Zweiter Regelfall: Gesamtbetreuungsaufwand mehr als 20 Wochenstunden Als zweiter gesetzlicher Regelfall ist in § 1 I Nr. 2 VBVG aufgefthrt, dass BerufsmaBigkeit anzuerkennen ist, wenn der voraussichtliche Zeitaufwand voraussichtlich 20 Wochenstunden nicht unterschreiten wird. Dieser Mafistab ist ftr die Berufsbetreuer nach Einfthrung der Vergutungspauschale obsolet. Er bleibt wohl von Bedeutung ftr die Falle, in denen nach Stunden abgerechnet wird,
^^
Palandt-Diederichsen § 1836 BGB Rdnr. 8. Palandt'Diederichsen § 1836 BGB Rdnr. 6 am Ende.
2 Voraussetzungen der Anerkennung als Berufsbetreuer
85
so beim Berufsverfahrenspfleger, beim Erganzungs- und beim Sterilisationsbetreuer^^. In der Praxis hat sich dieser vormals in § 1836 I 4 Buchstabe b) BGB enthaltene MaBstab ohnehin nicht durchgesetzt. Zum einen macht der Richter sich im Normalfall keine Gedanken, wie viele Stunden wohl anfallen werden. Es ist auch bei der Unterschiedlichkeit der einzelnen Betreuungsfalle und der im Wesen der Betreuungsaufgabe liegenden Unwagbarkeiten schwer, wenn nicht sogar unmoglich, zu Beginn der Betreuung den voraussichtlich erforderlichen Zeitaufwand abzuschatzen. Zum andem andert sich der Zeitaufwand im Verlauf der Betreuung unter Umstanden erheblich, so zum Beispiel, wenn die Arbeiten zu Beginn einer Heimverlegung erledigt sind (vgl. Fall 12, S. 38). e)
Anerkennung einer Berufsbetreuung iiber die gesetzlichen Regelfalle hinaus
Die beiden vorgenannten Fallgruppen sind nur gesetzliche Regelfalle fiir die Anerkennung einer Berufsbetreuung. Eine Anerkennung ist aber auch dariiber hinaus moglich, wenn dem Betreuer weniger als elf Betreuungen ubertragen sind und werden sollen, (im Einzelfall sogar nur eine^^), diese wenigen oder diese eine Betreuung aber einen solchen Umfang haben, „dass er sie nur im Rahmen seiner Berufsausubung fuhren kann", § 1 I VBVG. Ein besonderer Umfang an Betreuungsarbeit kann aber unabhangig von der Anzahl der gefiihrten Betreuungen auch dann vorliegen, wenn der Betreuer fiir einen besonders schwierigen Fall gerade aufgrund einer entsprechenden besonderen Qualifikation ausgewahlt wurde^^, wobei die Schwierigkeiten sowohl in den zu erledigenden Aufgaben als auch im Umgang mit dem Betroffenen begrtindet sein konnen^^ Der Anerkennung als Berufsbetreuer steht es dabei im Einzelfall auch nicht entgegen, wenn der Betroffene neben der Betreuung einer Vollzeitbeschafligung nachgeht^^.
85 86 87 88 89
Vgl. S. 277 und 279. BayObLGBtPraxl999,29. OLG Zweibrucken BtPrax 2000, 223. BayObLG NJW-RR 1999, 517. Bundesverfassungsgericht (kunftigiBVerfO) NJW 1999, 1621.
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f)
Kapitel 6 Berufsbetreuer
Beteiligung der Betreuungsbehorde
GemaB dem durch das Betreuungsrechtsanderungsgesetz eingefiigten § 1897 VII BGB soil das Gericht die Betreuungsbehorde anhoren, wenn es einem bisher innerhalb des Gerichtsbezirks noch nicht als Berufsbetreuer eingesetzten Betreuer erstmals das berufsmaBige Fuhren einer Betreuung tibertragen will. Die Betreuungsbehorde soil die Moglichkeit haben, sowohl zu der personlichen Eignung des vorgesehenen Berufsbetreuers Stellung nehmen konnen als auch zu der Frage, ob zu erwarten ist, dass er in absehbarer Zeit Betreuungen in einem Umfang ubertragen erhalten wird, dass die Anerkennung der BerufsmaBigkeit gerechtfertigt ist. Ein VerstoB gegen diese Vorschrift ist folgenlos^^. Die praktische Bedeutung dieser Bestimmung ist von Gericht zu Gericht sehr unterschiedlich. Es gibt Betreuungsrichter, die selbst eine sorgfaltige Berufsbetreuerpflege betreiben und damit den erforderlichen Uberblick auch ohne Beteiligung der Betreuungsbehorde haben. Vom fachlichen her ist zumindest ein erfahrener Betreuungsrichter der Betreuungsbehorde an Sachkunde nicht unterlegen. Es gibt aber ebenso, insbesondere in groBen Stadten, Betreuungsrichter, die die Vermittlung von Betreuern vollstandig durch die Betreuungsbehorde erledigen lassen. Auch die Beteiligung der Betreuungsbehorde bietet allerdings keinen absoluten Schutz vor Fehlbesetzungen. Bei dem Gericht, dem der Verfasser angehort, erwies sich ein von der Betreuungsbehorde vorgeschlagener Berufsbetreuer als katastrophaler Missgriff, was aber auch die Betreuungsbehorde nicht vorher erkennen konnte.
Zur Abrechnung des Berufsbetreuers a) Anzahl der zu vergiitenden Stunden Seit Inkrafttreten des 2. BtAndG ist die Zahl der monatlichen Betreuungsstunden, die der Berufsbetreuer geltend machen kann, pauschaliert. Wegen der Einzelheiten dieser Pauschalierung wird verwiesen auf S. 269 ff. Die Hohe der zu pauschal zu erstattenden Stunden je Monat ist dargestellt in Tabelle 9 S. 271. BerufsmaBige Erganzungs- und Sterilisationsbetreuer sowie Berufsverfahrenspfleger rechnen auch weiterhin nach Zeitaufwand ab, Einzelheiten hierzu S. 277 und 279. Zu dem hierbei anzuwendenden Stundensatz und Ersatz von Mehrwertsteuer und Auslagen S. Tabelle 10 S. 277.
^^
Palandt-Diederichsen § 1897 BGB Rdnr. 25.
3 Zur Abrechnung des Berufsbetreuers
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b) Hohe des Stundensatzes Bei der Hohe des Stundensatzes werden weiterhin 3 Vergiitungsgruppen unterschieden, §§ 3 I und 4 I VBVG. •
Wer gar keine Berufsausbildung hat, erhalt einen Stundensatz nach Vergutungsgruppe 1.
•
Wer eine abgeschlossene Lehre oder einen vergleichbaren Berufsabschluss hat, erhalt einen Stundensatz nach Vergtitungsgruppe 2.
•
Wer ein abgeschlossenes Hochschul- oder Fachhochschulstudium vorweisen kann, einen Stundensatz nach Vergtitungsgruppe 3. Wegen der nach Inkrafttreten des 2. BtAndG geltenden Stundensatze fiir Berufsbetreuungen im allgemeinen S. Tabelle 8 S. 271 und fur beruflich gefiihrte Erganzungs- und Sterilisationsbetreuungen sowie Berufsverfahrenspflegschaften Tabelle 10 S. 277.
Die genannten Ausbildungen mussen allerdings fiir das Betreueramt auch von Nutzen sein: ansonsten bleibt es bei Vergtitungsgruppe 1, § 1 I VBVG. Wer etwa ein Archaologiestudium abgeschlossen hat, kann damit also nur nach Vergtitungsgruppe 1 abrechnen, nicht einmal nach Vergtitungsgruppe 2! Dagegen lasst sich jedoch einwenden, dass der Abschluss eines Studiums gleich welcher Richtung aufgrund der dabei generell erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten zumindest einem Lehrberufsabschluss gleichwertig zu erachten ist. Daher soUte in diesen Fallen jedenfalls Vergtitungsgruppe 2 angewendet werden. Genauso verhalt es sich mit dem erfolgreichen Abschluss einer Lehre, die von ihrem Gegenstand her keine unmittelbar der fiir die Aufgabe eines Betreuers erforderlichen Kenntnisse vermittelt. Deshalb sollte tiber den Wortlaut des Gesetzes hinaus jedweder Lehrabschluss zur Anwendung von Vergtitungsgruppe 2 fiihren. Dieser Einwand ist, soweit ersichtlich, von Rechtsprechung oder Literatur bisher noch nicht erhoben worden. Wegen der Hohe der Stundensatze in den einzelnen Vergtitungsgruppen vgl. fur die pauschalierte Abrechnung Tabelle 8 S. 271 und fiir die Falle, in denen noch nach Stunden abgerechnet werden kann, (berufsmaBige Erganzungs- und Sterilisationsbetreuer sowie Berufsverfahrenspfleger) Tabelle 10 S. 277. Wegen der Ausnahmeregelung einer Erhohung des Stundensatzes bei vermogenden Betreuten vgl. S. 276. Diese Erhohung betrifft allerdings nur den Stundensatz, bei der Stundenanzahl ftihrt diese Ausnahmeregelung an der Pauschalierung nicht vorbei. Berufsbetreuer sind verpflichtet, der Betreuungsbehorde, in deren Bezirk er sein Buro oder seinen Wohnsitz hat, kalenderjahrlich eine Aufstellung der von ihm
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Kapitel 6 Berufsbetreuer
gefiihrten Betreuungen zu melden, aufgeschlusselt nach Betreuten, die in einem Heim wohnen und solchen, die noch zu Hause leben, § 10 I Nr. 1, II VBVG. Sie mussen auch den Gesamtbetrag ihr im Kalenderjahr erhaltenen Betreuervergiitungen erklaren, § 10 I Nr. 2, II VBVG. Die Betreuungsbehorde ist berechtigt, diese Mitteilungen dem Vormundschaftsgericht zu ubermitteln, § 10 III VBVG. GemaB § 1897 VIII BOB muss eine Erklarung tiber Zahl und Umfang der bisher berufsmaBig gefiihrten Betreuungen auch bei jeder weiteren Bestellung zum Berufsbetreuer abgegeben werden. Diese Vorschrift erscheint angesichts der Erklarungspflichten nach dem VBVG uberzogen. c)
Nachqualifikation von Berufsbetreuern zur Erreichung eines hoheren Stundensatzes
In § 11 VBVG ist, wie bisher, den Landem die Moglichkeit eingeraumt, Regelungen zu treffen, die es Berufsbetreuern, die nach Vergutungsgruppe 1 oder 2 abrechnen mussen, durch praktische Bewahrung und Fortbildung eine Anhebung ihrer Vergutungsgruppe zu erreichen.
Kosten der Betreuung fur das Vermogen des Betroffenen bzw. seiner Angehorigen a)
Gerichtskosten
Die Gerichtsgebuhren fur Betreuungen sind gering. Grundsatzlich ist die Tatigkeit des Vormundschaftsgerichts kostenfrei, § 91 Kostenordnung. Soweit das Vermogen des Betroffenen nach Abzug des im Sozialhilferechts geltenden Schonvermogens 25.000 € Ubersteigt, fallen jahrliche GebUhren von 15€ je angefangene 5.000 6 des Vermogens an, § 92 Kostenordnung. Selbst bei einem Vermogen von 250.000 € waren das pro Jahr nur 250 €. Die Hohe des fur Betreute geltenden Schonvermogens belauft sich auf 2.301 € . Die bislang teilweise vertretene Auffassung, derjenige, fiir den ein Betreuer bestellt sei, stehe allein hierdurch einem Schwerstpflegebediirftigen gleich, so dass der Schonbetrag sich auf 8.000 DM erhohe, ist vom BGH verworfen worden .
91
^^
Palandt-Diederichsen § 1836 c BGB Rdnr. 10. BGH BtPrax 2002, 75.
4 Kosten der Betreuung fur das Vermogen des Betroffenen bzw. seiner Angehorigen
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b) Kosten der Betreuer Ist der Betroffene mittellos, ubemimmt die Staatskasse die Kosten der Betreuung und zwar gemaB § 1835 IV BGB die dem Betreuer entstandenen Auslagen, gemaB § 1835a III BGB die Aufwandsentschadigung^^ eines ehrenamtlichen Betreuers und gemafi § 1 II 2 VBVG auch die VergUtung eines Berufsbetreuers. Die Frage der Mittellosigkeit ist nach den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) zu beurteilen, § 1836c BGB. Hat der Betroffene uber das Schonvermogen des BSHG hinausgehendes Einkommen oder Vermogen gilt er gleichwohl so lange als mittellos, als er den Aufwendungsersatz des ehrenamtlichen Betreuers Oder die Vergutung des Berufsbetreuers nur teilweise oder in Raten zahlen konnte, § 1836dNr. 1 BGB. Der Betroffene gilt weiter auch dann als mittellos, wenn er Unterhaltsansprtiche gegen Angehorige hat, diese aber gerichtlich geltend machen mtisste. Von dieser im allgemeinen sehr belastenden Verpflichtung stellt ihn das Gesetz ausdrucklich frei, § 1836dNr.2BGB. c)
Regressanspriiche der Staatskasse
Allerdings kann die Staatskasse ihre Aufwendungen in gleicher Weise wie bei der Sozialhilfe, aber auch mit den fiir Regress nach Sozialhilfe geltenden Einschrankungen^"* gegebenenfalls im Wege des Regresses in das Vermogen des Betroffenen geltend machen. Fallt dem Betroffenen wahrend der Dauer der Betreuung Vermogen zu, kann die Staatskasse mit Rtickwirkung von bis zu 10 Jahren die von ihr an die Betieuer ausgezahlten Gelder vom Betroffenen zuriickfordem, § 1836e I 1 und 2 BGB. Praktisch bedeutsamer ist der Fall, dass die Staatskasse, allerdings ebenfalls auf bis zu 10 Jahre zuruck beschrankt, den Nachlass des Betroffenen in Regress nehmen (Nachlassregress), § 1836e I 1 und 2 BGB. Allerdings haften die Erben dabei nur mit dem Wert des Nachlasses, nicht mit ihrem eigenen Vermogen. Liegt der Wert des Nachlasses unter 1.619,26 €, entfallt der Regressanspruch des Staates, § 1836e I 3 BGB in Verbindung mit § 92c III BSHG. Nach den zuletzt genannten Vorschriften entfallt der Regress auBerdem, wenn (1) der Wert des Nachlasses unter 15.340 € liegt und (2) der Erbe als Ehegatte oder Verwandter des Betroffenen mit diesem in hauslicher Gemeinschaft gelebt und diesen bis zu seinem Tod gepflegt hat. Als dritte Moglichkeit des Wegfalls des Nachlassregresses enthalt § 92c III BSHG eine Harteklausel. ^^ 04.
Vgl. S. 56. Palandt-Diederichsen § 1836e BGB Rdnr. 2 und 3.
90
5.
Kapitel 6 Berufsbetreuer
Besonderheiten fiir die Amtsfuhrung des Berufsbetreuers
Ftir die Amtsfuhrung des Berufsbetreuers gelten zunachst die fiir die Amtsfuhrung des ehrenamtlichen Betreuers (Kapitel 5, S. 63) dargestellten Grundsatze entsprechend. Der Berufsbetreuer genieBt, weil ihn der Betreuungsrichter kennt und tiberprtift hat und er sich im Verlauf der Zeit auch (hoffentlich!) bewahrt hat, besonderes fachliches und personliches Vertrauen. Auf der anderen Seite sind die Erwartungen an ihn auch hoher, als die an einen ehrenamtlichen Betreuer. SchlieBlich ist ihm typischerweise der Betroffene bei Ubernahme der Betreuung ganzlich unbekannt. Diese Umstande fiihren zu den nachfolgend dargestellten Besonderheiten bei der Einsetzung und der Amtsfuhrung eines Berufsbetreuers. a) Ubersendung eines Aktenauszuges Der Berufsbetreuer erhalt bei Ubernahme einer Betreuung einen Aktenauszug, damit er die fur Fuhrung der Betreuung erforderlichen Hintergrundkenntnisse tiber den Betroffenen hat. In den Aktenauszug gehoren Kopien des (bei mehreren: zumindest des jUngsten) Betreuungsgutachtens oder -attests und, soweit eingeholt, des (bei mehreren: zumindest des jungsten) Sozialberichts der Betreuungsbehorde. Ubemimmt der Berufsbetreuer eine bereits bestehende Betreuung, kommen hinzu der letzte Bericht des vorherigen Betreuers und das jungste Vermogensverzeichnis. b) Ubernahme von Betreuungen ohne Vorankiindigung; schneller Erstkontakt; umgehender Erstbericht Der ehrenamtliche Betreuer wird stets vor Ubernahme der Betreuung gefragt, ob er zur Amtsubemahme bereit ist. Bei auBenstehenden ehrenamtlichen Betreuem fmdet vielfach sogar vor Ubertragung der Betreuung ein erstes Kennenlemen statt. Soweit auBenstehende ehrenamtliche Betreuer zu einem Betreuungsverein gehoren, gehort es zu dem Angebot der Betreuungsvereine, diese Kennenlembesuche im Beisein eines hauptamtlichen Mitarbeiters des Betreuungsvereins vorzunehmen und dabei den kunftigen Verlauf der Betreuung zu besprechen. Auch hier kommt es erst nach positivem Bericht uber den Erstkontakt zur Einsetzung als Betreuer. Demgegenuber gehort es zu den Erwartungen an einen Berufsbetreuer, dass er sich, insbesondere in Eilfallen, bei manchen Gerichten aber auch ganz allgemein, Betreuungen auch ohne vorherige Anfrage ubertragen lasst. Der ubersandte
5 Besonderheiten fiir die Amtsfiihrung des Berufsbetreuers
91
Aktenauszug tritt hier an die Stelle des vorherigen Kennenlernens. Wenn es wirklich eilt, wird der Betreuungsbeschluss per Telefax ubermittelt, was fur die Wirksamkeit der Einsetzung des Betreuers ausreicht^^, der Aktenauszug folgt einige Tage spater per Briefpost nach. Als Ausgleich sollte der Berufsbetreuer bei einer auf diesem Weg ihm zugewachsenen Betreuung zugebilligt bekommen, nach Kennenlernen des Betroffenen die Betreuung ohne groBe Begrtindung wieder zuruckgeben zu durfen. Der Erstkontakt sollte dann langstens innerhalb zweier Wochen stattfmden, in Eilfallen noch am selben oder spatestens am nachsten Tag. Ein Berufsbetreuer muss auch, wo es notig ist, die Betreuung griindlicher dokumentieren, als dies von einem ehrenamtlichen Betreuer verlangt werden kann. Dazu gehort ein Erstbericht an das Vormundschaftsgericht innerhalb zweier Wochen nach dem Erstkontakt. Dieser Erstbericht braucht nicht unbedingt lang zu sein, soil dem Vormundschaftsgericht aber bestatigen, •
dass die Betreuung aufgenommen wurde,
•
dass der Berufsbetreuer zur Ubemahme der Betreuung bereit ist und
•
dass bei dem Erstkontakt auch seitehs des Betroffenen keine massiven Vorbehalte gegen die Person des Betreuers hervorgetreten sind.
c)
Sicherstellung der Erreichbarkeit durch Fax, Anrufbeantworter, Handy, eMail
Um kurzfristig erreichbar zu sein, muss ein Berufsbetreuer ein funktionstiichtiges Telefaxgerat sowie einen Anrufl^eantworter besitzen. Zusatzlich zu empfehlen ist ein Handy, das liber die Mailboxfunktion zugleich als Anrufbeantworter dienen kann. Bei einem Telefaxgerat muss gewahrleistet sein, dass dieses rund um die Uhr empfangsbereit ist (u. U. schwierig bei PC-Telefax); Betreuungsrichter haben manchmal ungewohnliche Arbeitszeiten. Bei eMail, Telefax, Anrufbeantworter und Mailbox ist sicherzustellen, dass diese, auch wenn der Berufsbetreuer selbst ortsabwesend ist, mindestens einmal am Tag auf Eingange uberpruft und natiirlich, dass diese Eingange auch beantwortet werden.
Vgl. S. 63.
92
Kapitel 6 Berufsbetreuer
d) Besondere Selbstandigkeit in der Amtsfiihrung und deren Grenzen Schon fiir den ehrenamtlichen Betreuer wurde die hohe Selbstandigkeit in der Amtsfiihrung hervorgehoben, dies gilt beim Berufsbetreuer in noch hoherem Mal3. (1) Das Recht und die Pflicht zur selbstdndigen Amtsfiihrung Die Betroffenen stellen an den (Berufs-)Betreuer so unterschiedliche und vielfaltige Anforderungen, wie eben die Menschen vielfaltig und unterschiedlich sind: •
Altersdemente sind oft gar nicht mehr in der Lage, irgendwelche Wunsche zu auBem. Hier muss der Betreuer „fiir den Betroffenen" denken, dessen Bedurfnisse erkennen und diese gegenuber Arzt und Heim durchsetzen. Das konnen zum Beispiel sein ordentliche Korperpflege, Rasieren, Haareschneiden, Schutz gegen Sonneneinstrahlung, ausreichendes Luften, zu laute Musik aus dem Radio des Zimmernachbam, die Angehorigen um einen Besuch bitten, Vermittlung von Krankenabendmahl und seelsorgerlichem Beistand. Psychisch Kranke machen besonders enge Zusammenarbeit mit dem Arzt erforderlich. Bei starken Nebenwirkungen von Medikamenten sollte nach Alternativen gefragt, die Herabsetzung der Dosierung erortert werden. Notwendige FixierungsmaBnahmen sind zu akzeptieren, aber: Sind sie wirklich notwendig, gibt es weniger einschneidende Alternativen, ist die Durchfuhrung der Fixierung so schonend wie moglich?
•
Bei geistig Behinderten erfordert es oft viel Einfiihlungsvermogen und Phantasie, bei unerfiillbaren Wunschen des Betroffenen das dahinter stehende Kembediirfiiis herauszufmden, um so vielleicht wenigstens eine befriedigende Teilerfiillung herbeifiihren zu konnen.
•
Dem unerfiillbaren Wunsch nach einem Einzelzimmer kann durch einen einfachen Zimmerwechsel und/oder Wechsel des Mitbewohners teilabgeholfen werden, Spannungen in der Wohngruppe oder in der beschiitzenden Werkstatt durch einen Wechsel in der Person des Bezugsbetreuers in der Einrichtung.
Diese Beispiele sollen zeigen dass das Betreuungsrecht dem Betreuer (wie auch dem Vormundschaftsgericht!) auBerordentlich viel Spielraum bietet. Es gilt, diesen Spielraum mit sozialer und praktischer Phantasie, manchmal auch viel Geduld, zu nutzen. Fall 28:
Ein Senior, der noch in einer eigenen Wohnung lebte, lieB aus Gewohnheit von innen den Wohnungsschlussel stecken. So kam er teilweise selbst nicht mehr in die Wohnung zuriick, war er aber innerhalb der Wohnung, hatten Sozialstation
5 Besonderheiten fur die Amtsfuhrung des Berufsbetreuers
93
und Betreuer, obwohl im Besitz eines eigenen Schlussels, keine Mogliclikeit, sich Eintritt zu verschaffen. Die aufgrund des hierdurch eingetretenen Pflegenotstands drohende Verlegung in ein Heim gegen den erklarten Willen des Betroffenen konnte durch Einbau eines SchlieBzylinders, der auch zu schlieBen war, wenn auf der anderen Seite ein Schliissel steckte, vermieden werden. Die Frage, wann von einem Berufsbetreuer selbstandiges Handeln erwartet wird und wann auch er das Vormundschaftsgericht urn Rat fragen darf, lasst sich nicht einheitlich beantworten und hangt auch einerseits von der Praxis bei dem betreffenden Vormundschaftsgericht und andererseits von der Erfahrung des Berufsbetreuers ab. Die Grenze der Selbstandigkeit des Berufsbetreuers ist aber jedenfalls da erreicht, wo das Gesetz gerichtliche Genehmigungen^^ vorschreibt und insbesondere bei dem Brechen des Willens des Betroffenen durch unmittelbare Gewalt^^. (2) Fristeniiberwachung Auch wenn nattirlich das Gericht eine eigene Fristenkontrolle ftihrt, sollte der Berufsbetreuer die ftir seine Betreuten bestehenden Fristen selbstandig uberwachen und das Gericht rechtzeitig vor Fristablauf an eine etwa erforderliche Verlangerung erinnern. „Rechtzeitig" heil3t •
bei Uberprufting der Verlangerung einer bereits auf Dauer bestehenden (also nicht mehr nur vorlaufigen) Betreuung 6 Monate vor dem hierfur festgesetzten Zeitpunkt,
•
bei einer vorlaufigen Betreuung 2 Monate vor deren Ablauf,
•
bei vorlaufiger Unterbringung aufgrund einstweiliger Anordnung oder kurzfristiger Unterbringung von wenigen Wochen, etwa in einem psychiatrischen Krankenhaus, 2 Wochen vor Fristende,
•
und bei langerfi-istiger Unterbringung, etwa auf der geschlossenen Station eines Altenheims, 3 Monate vor Ablauf der Unterbringungsfrist.
Wichtig: Das Uberschreiten der Uberpriifungsfrist fiir die Verlangerung Oder Aufhebung einer auf Dauer bestehenden Betreuung ist ohne rechtliche Wirliung, fiihrt insbesondere nicht etwa zur Beendigung der Betreuung. Vorlaufige Betreuungen und jegliche Unterbringungsgenehmigungen laufen dagegen mit Fristablauf aus.
^^
Siehe Liste S. 45. Vgl. S. 39 „Freiheitsentziehung".
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Kapitel 6 Berufsbetreuer
(3) Mitteilung der eigenen Auslastung des Berufsbetreuers an das Vormundschaftsgericht Es kann passieren, dass Gericht und Betreuungsbehorde den Oberblick verlieren, wie viele Betreuungen der einzelne Berufsbetreuer eigentlich fiihrt. Soweit dies dazu fiihrt, dass der Betreuer unter die Mindestzahl von 11 Betreuungen absinkt^^, ist es angebracht, dass er, ohne zu drangen, Betreuungsbehorde oder Betreuungsrichter auf diesen Umstand hinweist, urn zusatzliche Betreuungen zugewiesen zu erhalten. Im umgekehrten Fall, also bei der Zuweisung zu vieler Betreuungen, sollte eine Uberlastungsanzeige erfolgen. Diese kann je nachdem dahin lauten, dass bis auf weiteres von der Ubertragung neuer Betreuungen Abstand genommen werden m5ge, oder auch, dass um die Entpflichtung von einzelnen Betreuungen, die dann aber konkret angegeben werden miissen, gebeten wird. Wer eine Uberlastung nicht anzeigt, kann fiir durch die Uberlastung etwa eingetretenen Pflichtverletzungen in Haftung genommen werden. e)
Zur Haufigkeit der Besuche des Betreuers bei dem Betreuten
An dieser Stelle fanden sich in den Vorauflagen Ausfuhrungen zu einer vernunftigen Begrenzung der Haufigkeit anlassfreier Besuche des Berufsbetreuer bei dem Betroffenen. Bin wesentliches Motiv dieser Uberlegungen war, und das war auch nicht verheimlicht worden, die durch die Berufsbetreuungen insbesondere der Staatskasse entstehenden Kosten zu regulieren. Dieser Aspekt ist durch die Einfiihrung der Vergiitungspauschalierung durch das 2. BtAndG tiberholt. Da der Kostenfaktor keine Rolle mehr spielt kann nunmehr auch fiir den Berufsbetreuer auf die Ausfuhrungen S. 64 verwiesen werden. An den Berufsbetreuer richtet sich allerdings nunmehr der Appell, gemeinsam mit anderen Wege zu suchen, um den sich aus der Pauschalierung zwangslaufig ergebenen Wegfall von Ftirsorge fiir den Betreuten wenigstens zu kompensieren, vgl. die diesbezuglichen Ausfiihrungen S. 273 „Nachteile der Pauschalierung" wird Bezug genommen.
Vgl. S. 84 Abschnitt c).
6 Hilfen ftir Berufsbetreuer
f)
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Konflikte des Berufsbetreuers mit Angehorigen
Wenn trotz Vorhandenseins von Angehorigen ein Berufsbetreuer eingesetzt wird, deutet schon das darauf hin, dass innerhalb der Familie Spannungen bestehen und gerade diese Spannungen die Einsetzung eines auBenstehenden Berufsbetreuers erforderlich gemacht haben. Der Betreuer sollte auf diese Spannungen eingestellt sein und versuchen, hier mit Fingerspitzengefiihl und Einfuhlungsvermogen zu klaren. Gelingt das nicht, gelten die Hinweise S. 70 entsprechend.
Hilfen fur Berufsbetreuer a) Berufsbetreuertreffen der Betreuungsbehorden und der Betreuungsvereine Die Berufsbetreuer sollten Kontakt zur Betreuungsbehorde haben, auch diese flihrt gelegentlich Veranstaltungen durch, die auch fur Berufsbetreuer von Interesse sein konnen, unter Umstanden auch Veranstaltungen speziell fur Berufsbetreuer. Dasselbe gilt fiir Betreuungsvereine entsprechend. Gelegentlich fmden sich Berufsbetreuer auch zu Treffen untereinander zusammen, etwa zu einem gemeinsamen regelmal3ig oder in loser Folge stattfindenden ^Berufsbetreuerstammtisch". b)
Berufsbetreuerverbande
SchlieBlich haben sich in den letzten Jahren auch Berufsverbande von Berufsbetreuem gebildet^^. Diese geben Zeitschriften heraus, die uber aktuelle Entwicklungen im Betreuungsrecht informieren und beteiligen sich an der Diskussion uber bevorstehende oder auch aus Sicht der Berufsbetreuerschaft zu fordemde Anderungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung. Die Berufsbetreuerverbande bieten auch Nachqualifikationsveranstaltungen zur Erzielung eines hoheren Stundensatzes an^^^. Hierbei ist allerdings darauf zu achten, dass diese Veranstaltungen erhebliche Kosten verursachen, so dass der betroffene Berufsbetreuer uberschlagen muss, ab wann die hohere Eingruppierung diesen Aufwand rechtfertigt. In jedem Fall sollte vor Anmeldung zu einer solchen Veranstaltung uberprtift werden, ob sie von dem Bundesland, in dem der Berufs-
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Bundesverband der Berufsbetreuer/-innen, Behnstr. 69, 22767 Hamburg; Verband freiberuflicher Betreuer/innen e.V., Sachsendorfer Str. 7, 03058 GroB Gaglow. '^^ Vgl. S 88.
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Kapitel 6 Berufsbetreuer
betreuer arbeitet, anerkannt wird und dann auch zu der angestrebten Erhohung des Stundensatzes flihrt. c)
Die Unterstiitzungsangebote des Vormundschaftsgerichts gelten grundsatzlich auch fiir Berufsbetreuer
AbschlieBend zu diesem Punkt ist noch darauf hinzuweisen, dass die Unterstiitzungsangebote des Vormundschaftsgerichts fur ehrenamtliche Betreuer*^' grundsatzlich auch den Berufsbetreuern zur Verfiigung stehen.
Vgl. S. 69 Abschnitt f).
Kapitel 7
Betreuungsrecht und Bankgeschafte
Die Vertretungsbefugnis des Betreuers a)
Grundsatz
Innerhalb seines Aufgabenkreises vertritt der Betreuer den Betroffenen gerichtiich und auBergerichtlich, § 1902 BGB. Der fiir die Bankgeschafte maBgebliche Aufgabenkreis ist die Vermogenssorge. Ein Betreuer mit diesem Aufgabenkreis tritt der Bank gegenuber als gesetzlicher Vertreter fur den Betroffenen und damit fiir das Vermogen des Betroffenen auf Insoweit hat er die gleiche Stellung wie der Vorstand einer Aktiengesellschaft. b) Nachweis der Vertretungsbefugnis Aus Sicht der Banken etwas unglucklich ist die Frage nach dem Nachweis dieser Vertretungsberechtigung. Bei Vereinen und Firmen, die in ein Register eingetragen sind, erfolgt der Nachweis der Vertretungsbeftignis durch einen aktuellen Registerauszug, der auch noch beglaubigt werden kann. Der Betreuer hat einen vom Gericht ausgestellten Betreuerausweis. Dieser ist unter Umstanden schon Jahre alt und vor allem: er tragt - wenn der Betreuer auf Dauer bestellt ist - kein Ablaufdatum. Grund fur das fehlende Ablaufdatum ist, dass die Bestellung eines Betreuers auf Dauer nicht ablauft. Im Betreuungsbeschluss ist zwar angegeben, bis wann das Gericht uberpriift, ob die Betreuung aufgehoben oder verlangert wird. Ein Uberschreiten dieser Frist (was in der Praxis gar nicht so selten ist) lasst jedoch die weitere Wirksamkeit der Betreuung unbertihrt.
98
Kapitel 7 Betreuungsrecht und Bankgeschafte
Damit stellt sich flir die Bank die Frage, ob und wie sie uberpriifen muss und kann, ob der vorgelegte Betreuerausweis (noch) wirksam ist. Zu Beginn der Zusammenarbeit mit dem Betreuer ist das aber meist unproblematisch. Denn der Betreuer kommt im allgemeinen sehr schnell nach Aushandigung des Betreuerausweises zur Bank, so dass der Ausweis ahnlich „frisch" ist wie ein aktueller Registerauszug. Noch vor Aushandigung des Betreuerausweises bekommt der Betreuer eine Ausfertigung des Betreuungsbeschlusses per Post ubersandt. Wenn es eilt, kann dieser mit dem Dienstsiegel des Gerichts versehene Beschluss in Verbindung mit einem amtlichen Lichtbildausweis von der Bank durchaus als vorlaufiger Ausweis behandelt werden. 1st die erstmalige Legitimation des Betreuers erfolgt, braucht die Bank im weiteren Verlauf der Geschaftsbeziehung ohne Anlass nicht nach einer Aktualisierung zu fragen, ebenso wie sie im laufenden Firmengeschaft nicht unentwegt einen neuen Registerauszug verlangt. Sie kann aber durchaus bei jedem Schalterbesuch um Vorlage des Betreuerausweises bitten. Dadurch hat sie ausreichende Sicherheit, dass die Betreuung noch besteht und auch kein Betreuerwechsel stattgefunden hat. Denn bei Aufhebung der Betreuung oder Entlassung des Betreuers wird der Betreuerausweis umgehend vom Gericht eingezogen. Ebenso werden Anderungen im Aufgabenkreis umgehend nachgetragen oder durch Einziehung des bisherigen und Ausgabe eines neuen Betreuerausweises amtlich dokumentiert. Aus diesem Grund darf die Bank auch auf die Richtigkeit eines alteren Betreuerausweises vertrauen. Bestehen im Einzelfall Zweifel, kann sie bei dem Gericht, das den Betreuerausweis ausgestellt hat, Nachfrage halten. Nachfragen bei Gericht sollten grundsatzlich schriftlich erfolgen. Dies dient zum einen der Absicherung der Bank. Zum anderen kann das Gericht auf telefonische Anfrage ohnehin oft nicht antworten, wenn die Akte nicht vorliegt. Aber Achtung: Die Bestellung eines vorlaufigen Betreuers ist befristet und lauft mit Ablauf dieser Frist aus. c)
Richterliche Genehmigungen von Verfiigungen des Betreuers
Einzelne Verfiigungen des Betreuers sind nur mit richterlicher Genehmigung wirksam (§§ 1812, 1813, 1821, 1822 BGB). Die meisten dieser Falle betreffen die Banken nicht oder kommen jedenfalls im Bankalltag kaum vor (z. B. Aufnahme eines Kredits auf den Namen des Betrpffenen oder Abgabe einer Btirgschaftserklarung fiir den Betroffenen). Praktisch am bedeutsamsten ist die Notwendigkeit einer Genehmigung bei Auszahlung aus einem Guthaben von iiber 3.000 €. Der friihere Streit, ob sich dieser Wert auf die Hohe des einzelnen abgehobenen Betrages bezieht oder auf die Hohe des Gesamtguthabens des Kontos, von dem die Abhebung erfolgt, ist durch
2 Einander widersprechende Verfligungen des Betreuers und des Betroffenen
99
Entscheidungen der OLG Koln und Karlsruhe inzwischen dahin beantwortet, dass die Hohe des Gesamtguthabens auf dem betreffenden Konto maftgeblich ist^^^. Es sollte selbstverstandlich sein, dass auf der schriftlichen Vorlage der Genehmigung bestanden wird. In der Praxis des Verfassers ereignete sich ein Fall, in dem uber 10.000 DM ausgezahlt wurden und das betroffene Kreditinstitut sich auf eine telefonische Genehmigung der Rechtspflegerin berief, die diese aber in Abrede stellte. Das Vormundschaftsgericht kann dem Betreuer aber eine allgemeine Ermachtigung fur derartige Geschafte erteilen, § 1825 BGB, was in der Praxis auch haufig geschieht. Legt der Betreuer die Ausfertigung einer solchen Ermachtigungs entscheidung vor, ist eine Genehmigung der betreffenden Verfiigung durch das Vormundschaftsgericht nicht mehr erforderlich.
2.
Einander widersprechende Verfligungen des Betreuers und des Betroffenen
Einander widersprechende Verfligungen von Betreuer und Betroffenem sind ein in der Praxis erfi*eulicherweise seltenes Problem. Denn wer einen Betreuer fiir die Vermogenssorge hat, geht meist nicht mehr selbst zur Bank, ja ist haufig dazu gar nicht mehr in der Lage. Der Betreuungsbeschluss als solcher macht nicht geschaftsunfahig. Es gibt allerdings weiterhin die Geschaftsunfahigkeit wegen Storungen der Willensbildung, etwa bei Geisteskrankheit, § 104 Nr. 2 BGB. Wer sich in einem solchen Zustand befindet, ist „automatisch" geschaftsunfahig, ohne dass dies vom Gericht ausgesprochen werden musste oder auch nur ausgesprochen werden konnte. Und wer dergestalt geschaftsunfahig ist, bleibt es naturlich auch dann, wenn ihm ein Betreuer bestellt wird. Aber konstitutiv fiir die Geschaftsunfahigkeit ist sein Geisteszustand, nicht der Betreuungsbeschluss. Es ware also falsch zu sagen, wer einen Betreuer hat, ist nicht geschaftsunfahig. Die Geschaftsunfahigkeit tritt aber - anders als bei der fruheren Entmtindigung - nicht mehr durch die Bestellung eines Betreuers ein. Das Vorliegen von Geschaftsunfahigkeit ist im allgemeinen leicht zu erkennen, z. B. bei schwerer geistiger Behinderung oder Down-Syndrom (friiher: Mongolismus). Aber es gibt auch unerkannte Geschaftsunfahigkeit. Gegen die ist man machtlos. Aber sie ist eher selten und findet sich als „unerkannte Geisteskrank-
Palandt-Diederichsen § 1813 BGB Rdnr. 3 unter Bezugnahme auf OLG Koln FamRZ 1995, 187 und OLG Karlsruhe FamRZ 2001, 786. Anderer Ansicht noch Palandt-Diederichsen 60. Auflage § 1813 BGB Rdnr. 3 sowie AG Emden FamRZ 1995, 1081 und AG Herborn FamRZ 1999, 1690.
100
Kapitel 7 Betreuungsrecht und Bankgeschafte
heit" in erster Linie in der juristischen Ausbildungsliteratur zum Erlernen der Rechtslage bei der Rtickabwicklung von Vertragen.
Dies vorausgeschickt kann es schon einmal passieren, dass Betreuer und Betroffener widerspriichliche Verfugungen treffen. Wenn die Bank von der Betreuung weil3, erkennt sie dann meist die Verfiigung des Betroffenen einfach nicht an. Das ist zwar pragmatisch und fuhrt im allgemeinen zu einem vemtinftigen Ergebnis, entspricht aber - bei erhaltener Geschaftsfahigkeit des Betroffenen - nicht der Rechtslage. Von Rechts wegen verhalt es sich in diesen Fallen genauso wie bei der Erklarung einer Firma, die von der ihres Anwalts abweicht: Sofern die fruhere Erklarung nicht verbindlich geworden ist, gilt die zuletzt abgegebene Erklarung. Eine Vertragsannahme schafft Bindungswirkung und kann damit von dem Annehmenden nicht ohne weiteres widerrufen werden. Damit bleibt eine Annahmeerklarung des Betreuers bei einer spateren Widerrufserklarung des Betroffenen bestehen. Aber es gibt ja auch jederzeit rticknehmbare Erklarungen, wie etwa die Einrichtung eines Dauerauftrags. Bei diesen gilt nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsatzen die zuletzt erteilte.
Wenn die Bank von der Betreuung Kenntnis hat, bleibt ihr nur, den Betreuer von der entgegenstehenden Erklarung zu unterrichten, damit dieser die Sache klaren kann. Wenn es auf Dauer zu derlei widerspriichlichen Handlungen kommt, bleibt nur, entweder die Betreuung aufzuheben oder aber fiir Erklarung des Betroffenen Einwilligungsvorbehalt anzuordnen'^^ Dann sind im Umfang des Einwilligungsvorbehalts Erklarungen auch eines an sich geschaftsfahigen Betroffenen nur noch mit Einwilligung des Betreuers wirksam.
3.
Aufsichtsfunktion des Vormundschaftsgerichts
Das Vormundschaftsgericht fuhrt die Aufsicht tiber die Tatigkeit des Betreuers. Besteht der Verdacht, dass der Betreuer unkorrekt handelt, sollte daher dem Vormundschaftsgericht Mitteilung gemacht werden. Als Beispiel wird hier zunachst auf Fall 10, oben S. 29, und Fall 21, oben S. 50, verwiesen. Ein entsprechendes Handeln wie dort seitens des Heims kame auch fur die Bank in Betracht. Das Bankgeheimnis steht einer entsprechenden Meldung nicht entgegen. Denn zum einen schutzt das Bankgeheimnis den Kontoinhaber und nicht seinen Vertreter. Zum anderen braucht die Bank ja gar keine Einzelheiten mitzuteilen, die besonders sensibel im Sinne des Bankgeheimnisses sind. Ein halbwegs substantiierter Hinweis, dass der Verdacht einer UnregelmaBigkeit bestehe, reicht aus. Schon ein solcher Hinweis bietet namlich eine ausreichende Grundlage fur eigene MaUnahmen des Vormundschaftsgerichts.
'^^
Vgl. oben S. 68.
3 Aufsichtsfunktion des Vormundschaftsgerichts
101
Unter dem Aspekt ihrer in erster Linie dem Betroffenen und nicht dem Betreuer geltenden vertraglichen Schutzpflicht kann die Bank zu einem solchen Hinweis sogar verpflichtet sein. GemaB § 1846 BGB ist bis zur Bestellung eines Betreuers das Vormundschaftsgericht in Eilfallen gesetzlicher Vertreter jedes Hilfebedtirftigen und damit zur Abgabe jedweder Erklarung ftir diesen befugt. Das kann im Einzelfall sehr weit
gehen: Fall 29:
So erging in einer Betreuungssache folgender Beschluss: In der Betreuungssache pp. wird durch einstweilige Anordnung Herr B. B. zum vorlaufigen Betreuer bestellt. Als Aufgabenkreis wird bestimmt die Vermogenssorge. Zugleich wird fur den Teilaufgabenkreis „Erteilung von Vollmachten" vorlaufiger Einwilligungsvorbehalt angeordnet Damit kann der Betroffene Vollmacht nur noch mit Einwilligung des vorlaufigen Betreuers erteilen. Die vorlaufige Bestellung und der vorlaufige Einwilligungsvorbehalt enden am ... . Die am ... vor der Notarin Frau N. N. zu deren UR-Nr. 9999/2002 von dem Betroffenen erteilte Vollmacht wird hiermit vom Gericht gemaB § 1846 BGB widerrufen. Jegliche von dem Betroffenen bei der A-Bank erteilten Bevollmachtigungen, uber sein Konto oder liber seine Konten zu verfiigen, werden hiermit vom Gericht gemaB § 1846 BGB widerrufen. Soweit rechtlich moglich werden samtliche Konten des Betroffenen bei der A-Bank vom Gericht gemaB § 1846 BGB dergestah gesperrt, dass uber die Konten nur noch der Betroffene personlich oder der vorlaufige Betreuer verfiigen konnen. Die sofortige Wirksamkeit des vorliegenden Beschlusses wird angeordnet. Grunde: Der Betroffene hat dem Gericht gegeniiber vorgetragen, er habe die notarielle Vollmacht gar nicht erteilen wollen. Er sei von seinem Sohn hierzu genotigt worden; dieser habe so geschrieen. Der Sohn habe nun die Bankunterlagen an sich genommen. Wunsche nach Geld sowie nach Auskunft uber seine finanzielle Situation blieben unbeachtet. Ahnlich hatte er sich ausweislich der Betreuungsakte bereits gegeniiber dem Betreuungsrichter des vormals als Eilgericht zustandigen Amtsgericht in X sowie gegenuber der Betreuungsbehorde in Y geauBert. Unter den gegebenen Umstanden besteht noch erheblicher Aufklarungsbedarf Zum Schutz der Interessen des Betroffenen war jedoch vorab die vorliegende einstweilige Anordnung zu treffen. Der Betroffene erschien bei seiner richterlichen Anhorung gut orientiert. Da er jedoch nicht mehr ausreichend durchsetzungsstark ist, seine Interessen gegeniiber seinem Sohn zu behaupten, erschien es unabweislich, ihm Unterstutzung durch einen auBenstehenden Betreuer zukommen zu lassen.
102
Kapitel 7 Betreuungsrecht und Bankgeschafte
Der Betroffene hat bei seiner Anhorung dem Erlass der vorliegenden einstweiligen Anordnung in alien Punkten zugestimmt. Diese sich selbst erklarende einstweilige Anordnung soil zeigen, in welchem Umfang das Vormundschaftsgericht in die Geschafte eines Hilfebedurftigen eingreifenkann. Die Bezeichnung einer Vollmacht als „unwiderruflich" steht bei im Rahmen der betreuungsrechtlichen Praxis vorkommenden VoUmachten einem Widerruf im allgemeinen nicht entgegen. Unwiderrufliche VoUmachten konnen Berechtigung und ihre Zulassigkeit haben im allgemeinen Geschaftsleben, zum Beispiel bei EmpfangsvoUmachten im Falle langerer Abwesenheit des Vollmachtgebers. Hier kann ein anzuerkennendes rechtliches Interesse bestehen, Unwiderruflichkeit zuzulassen. Die im Betreuungsrecht herrschenden Vorsorge- und Generalvollmachten sind demgegentiber von einer gerade erschreckenden Allwirksamkeit. Der Bevollmachtigte wird hier in der Regel zu allem ermachtigt, was es eben gibt: Einwilligung in FixierungsmaBnahm.en, Aufenthaltsbestimmungsrecht, Zustimmung zu jedweden, auch lebensbedrohenden arztlichen Untersuchungen und Eingriffen, Entscheidungen iiber den Behandlungsabbruch. Auch wenn die entsprechenden Erklarungen teilweise der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung unterliegen: Es ist unzulassig und damit rechtlich unwirksam, eine derart umfassende Vollmacht, durch die sich der Vollmachtgeber praktisch vollig der Disposition eines anderen unterwirft, unwiderruflich zu erteilen'^"^. Bedauerlicherweise findet sich gleichwohl solche Unwiderruflichkeit auch immer wieder in notariell beurkundeten VoUmachten.
4.
Grenzen der Wirkung vormundschaftsgerichtlicher Beschliisse
In einem Fall aus der Praxis des Verfassers woUte der Betreuer aufgrund eines Vergtitungsbeschlusses des Gerichts den entsprechenden Betrag vom Konto des Betroffenen abheben. Die Bank zahlte aus, obwohl ihr ein Arrestbeschluss hinsichtlich der Konten des Betroffenen zugestellt war und dessen Anspriiche gepfandet waren. Dabei war sie irrtiimlich davon ausgegangen, dass der gerichtliche Vergutungsbeschluss den doch gleichfalls gerichtlichen Arrestbeschluss suspendiere. Im Sinne der Geltung der letztergangenen Entscheidung beim Vorliegen einander widersprechender Entscheidungen des Betreuers und des noch geschaftsfahigen Betroffenen (oben S. 100) ist dieser Gedanke sogar nachvollziehbar.
104
Ebenso Palandt-Heinrichs § 168 RGB Rdnr. 6 mit weiteren Nachweisen.
4 Grenzen der Wirkung vormundschaftsgerichtlicher Beschliisse
103
Die Auszahlung hatte gleichwohl nicht erfolgen dUrfen. Denn vormundschaftsgerichtliche Entscheidungen mit Wirkung auf das Vermogen des Betroffenen flnden ihre Grenze da, wo der Betroffene selbst in seiner Verfiigungsbefugnis beschrankt ist. Auszahlungen zu Lasten eines gepfandeten Kontos an den Kontoinhaber sind unzulassig, weil ja zentraler Zweck der Pfandung das fiir den Inhaber der gepfandeten Forderung geltende Verfugungsverbot ist. Bin fiir einen Betroffenen geltendes Verfugungsverbot gilt aber ohne weiteres auch fur dessen Betreuer. Der Betreuer handelt ja nicht aus eigenem Recht, sondem aus dem Recht des Betroffenen, das er in dessen Namen und mit Wirkung fiir und gegen ihn wahrnimmt. Daher konnen die Verfiigungsrechte des Betreuers niemals Uber die Verfiigungsrechte des Betroffenen hinausgehen, Verfiigungsbeschrankungen, die fiir den Betroffenen gelten, beschranken immer in gleicher Weise auch die Verfiigungsbefugnis des Betreuers. Der Grundsatz des Vorrangs der zuletzt getroffenen Entscheidung kommt also nicht zum Tragen. Anderes gilt dann, wenn das den Pfandungsbeschluss erlassende Gericht, also das Vollstreckungsgericht, die Pfandung aufhebt Oder der Titel, aufgrund dessen die Pfandung erfolgt, wegfallt. Beides kann aber nie durch das Vormundschaftsgericht erfolgen.
Kapitel 8
1,
Betreuungsrecht und Sozialstation
Haufig erste Hinweisgeber auf die Notwendigkeit einer Betreuung
In Deutschland gibt es mittlerweile flachendeckend Einrichtungen der ambulanten Alten- und Krankenpflege, meist unter der Bezeichnung Diakonie- oder Sozialstation. Diese ambulanten Dienste organisieren zum Beispiel „Essen auf Radem" und ubemehmen Korper- und Krankenpflege sowie Uberwachung der regelmaBigen Einnahme der arztlich verordneten Medikamente. In diesem Rahmen werden bis zu drei Hausbesuche taglich angeboten. Die Finanzierung erfolgt zum groBten Teil iiber die Pflegeversicherung, soweit erforderlich erganzend durch Zuzahlung des Betroffenen selbst oder durch die Sozialhilfe. Ein wesentliches Fundament dieser Einrichtungen ist die Moglichkeit des Einsatzes von Zivildienstleistenden. Der Dienst der Sozialstationen geschieht vielfach auch „rechtsformfrei", also ohne rechtsverbindliche Beauftragung durch den Betroffenen. Anlass der Aufnahme des Dienstes fur den Betroffenen ist dann eine Nachricht etwa von Angehorigen, von Nachbam oder durch die Stadtverwaltung. Er handelt sich bei den Sozialstationen also um eine der „anderen Hilfen, bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird", § 1896 I" 2 BGB. Aus diesem Grund wird weithin vertreten, dass die Hilfe einer Sozialstation auch bei einem Betroffenen, der diese selbst nicht mehr anfordem oder in sie einwilligen kann, die Bestellung eines Betreuers entbehrlich macht. Denn durch diese Hilfe wtirden doch die Angelegenheiten des Betroffenen „ebenso gut" besorgt wie durch einen Betreuer. Ungeachtet der Verankerung im Gesetz verkennt diese Auffassung aber den Unterschied zwischen tatsachlicher Hilfestellung und der Notwendigkeit ordnungsgemaBer rechtlicher Vertretung. Die Notwendigkeit der Einwilligung eines
106
Kapitel 8 Betreuungsrecht und Sozialstation
Pflegebedtirfligen in seine sachgerechte Pflege entfallt nicht dadurch, dass diese Pflege auch ohne wirksame Einwilligung erbracht wird (s. oben S. 15). Bedeutung fiir die Betreuungsarbeit haben die Sozialstationen und entsprechende Dienste dadurch, dass sie nach dem Hausarzt oft als erste auBenstehende Stelle erfahren, dass die Notwendigkeit der Bestellung eines Betreuers besteht. Sie sind es dann, die den Angehorigen empfehlen, eine Betreuung zu beantragen. Bei entsprechender Notwendigkeit, etwa bei Verweigerung offensichtlich erforderlicher Hilfeleistung, treten sie auch von sich aus direkt an das Vormundschaftsgericht heran mit der Bitte, zu prtifen, ob nicht ein Betreuer bestellt werden sollte. SchlieBlich erkennen die ambulanten Pflegedienste oft als erste, wenn ein Betreuer sich nicht kiimmert oder fiir den Pflegedienst standig unerreichbar ist. Da die ambulanten Pflegedienste durch ihre Tatigkeit in standigem Kontakt mit bereits Betreuten oder mit solchen stehen, die die Hilfe durch einen Betreuer benotigen konnten, sollten sie einen „kurzen Draht" zum Betreuungsrichter haben. In entsprechenden Fallen wird der Betreuungsrichter sie ohnehin bitten, bei einer richterlichen Anhorung des Betroffenen in dessen Wohnung mit anwesend zu sein, um dadurch iiber das Ergebnis der Anhorung hinaus weitere Angaben tiber den sozialen und pflegerischen Hintergrund des Betroffenen zu gewinnen. Aus den vorgenannten Griinden sollte der Leiter einer Sozial-ZDiakoniestation oder eines ambulanten Sozial-ZPflegedienstes sich bei den fiir seinen Bezirk zustandigen Betreuungsrichtern vorstellen.
2.
Zusammenarbeit mit dem Betreuer und dem Vormundschaftsgericht
Die ambulanten Hilfsdienste sollten, sobald sie erfahren, dass eine Betreuung besteht, mit dem Betreuer Kontakt haben und wissen, wie sie ihn im Notfall erreichen konnen. Ebenso sollte der Betreuer den Ansprechpartner des Dienstes und dessen Telefon-ZHandynummer kennen. Der Betreuer sollte von dem ambulanten Dienst wissen, welche Leistungen dieser erbringt und welche nicht. Soweit Entscheidungsbedarf besteht, ist, auch wenn mit dem Betroffenen eine Verstandigung noch moglich ist, stets der Betreuer zu beteiligen. Zum einen ist bei einem Betreuten im allgemeinen fraglich, ob er noch in der Lage ist, seine pflegerische Versorgung soweit zu uberblicken, dass er noch wirksam in sie einwilligen kann. Schon zur Absicherung des ambulanten Dienstes ist daher auch bei einem noch absprachefahigen Betroffenen stets auch dem Betreuer zumindest Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Dass die Beteiligung des Betreuers zwecks wirksamer Einwilligung Absprachen mit dem Betroffenen, die ja auch therapeutischen Sinn haben, nicht entbehrlich macht, sondem neben ihnen steht, ist selbstverstandlich.
2 Zusammenarbeit mit dem Betreuer und dem Vormundschaftsgericht
107
In vielen Fallen wird der Betreuer berechtigterweise die Sachentscheidungen ohnehin dem Pflegedienst ilberlassen. Soweit der Betreuer Entscheidungen trifft, die dem Pflegedienst schlechthin unvertretbar erscheinen, kann und sollte er ebenfalls den Betreuungsrichter einschalten, damit dieser den Sachverhalt Uberpriifen und gegebenenfalls den Betreuer zu einer anderen Entscheidung veranlassen kann. Erforderlichenfalls kann das Vormundschaftsgericht dem Betreuer Ge- und Verbote erteilen, § 1837 II BGB, ihm ftir bestimmte Entscheidungen die Vertretungsmacht entziehen, § 1796 BGB, oder im schlimmsten Fall den Betreuer entlassen, § 1908b BGB. Zu einem aufsichtlichen Eingreifen des Vormundschaftsgericht gegen einen Betreuer kommt es jedoch nur auBerst selten. Im Normalfall ist die Zusammenarbeit der Pflegedienste mit dem Betreuer beiderseits reibungslos moglich. Das Wichtigste ist, dass man voneinander weiB und miteinander in Kontakt treten kann und tritt.
Kapitel 9
1.
Betreuungsrecht und Heim
Vorgegebene Spannungen
Insbesondere in Behinderteneinrichtungen, aber auch bei sonstigen Heimbewohnem, ist ein Spannungsverhaltnis zwischen dem Heim und dem Betreuer vorprogrammiert: •
Die Mitarbeiter der Einrichtung bzw. des Heims sind die Hauptbezugspersonen des Betreuten. Bei schwierigen Bewohnem ist es das Heim, das auch am meisten unter dem Betroffenen leidet und seinen Auffalligkeiten und Aggressionen ausgesetzt ist. Den Pflegem und Erziehern der Einrichtung obliegt es - auch im Interesse der anderen Bewohner, fiir die sie ja auch Verantwortung tragen - eine tragfahige Losung zu fmden.
•
Der gerichtlich bestellte Betreuer ist dagegen im Vergleich mit den Heimbetreuem jeweils nur relativ kurz mit dem Betroffenen zusammen. Wenn etwa der Betreuer beim Wiederaufflammen einer psychischen Erkrankung seine Anordnungen getroffen hat, kann er sich entfemen, die Heimbetreuer bleiben mit dem psychotischen Bewohner und der Schwierigkeit, mit ihm umgehen zu mussen, zuruck.
•
Die rechtliche Entscheidungsgewalt liegt jedoch im Ernstfall bei dem gerichtlich bestellten Betreuer und nicht bei den Heimmitarbeitern.
Pfleger und Erzieher wollen und mussen helfen, der Betreuer (und hinter ihm der Betreuungsrichter) haben das Recht und die Pflicht, zu entscheiden, ob die von der Einrichtung gewtinschte Form der Hilfe in Ubereinstimmung mit der Rechtsordnung steht. In der Polaritat von Wunsch und Wohl des Betroffenen haben die Heime und Einrichtungen primSr das Wohl des Betroffenen, der anderen Bewohner und auch ihrer Mitarbeiter im Blick, wahrend es dem Betreuer (und dem
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Kapitel 9 Betreuungsrecht und Heim
Betreuungsrichter) obliegt, dem Wunsch des Betroffenen zur Geltung zu Verhelfen - wenn auch nicht jedem Wunsch und nicht um jeden Preis. Es ist nicht moglich und auch nicht wiinschenswert, diese Spannung nachhaltig und dauerhaft aufzulosen. Denn eine solche Auflosung hatte letztlich unausweichlich die Preisgabe der Polaritat Wunsch und Wohl des Betroffenen zur Folge. Der richtige Umgang mit dieser Spannung setzt voraus, dass beide Seiten um die Unterschiedlichkeit ihres Auftrags wissen, damit sie verstehen konnen, worin und weshalb die andere Seite im Einzelfall zu einem abweichenden Ergebnis kommt. Auf dieser Grundlage muss es dann immer wieder neu gelingen, eine tragfahige Synthese zu fmden. Dabei werden auf der einen Seite Pfleger und Erzieher immer wieder akzeptieren mtissen, wenn einzelne ihrer Konzepte sich aus Griinden des Personlichkeitsrechts des Betreuten nicht verwirklichen lassen. Auf der anderen Seite werden Betreuer und Betreuungsrichter von Sachzwangen und Vorgaben, die im Gesetz unberiicksichtigt geblieben sind, immer wieder zu Konzessionen gefiihrt, die sich gefahrlich weit vom Buchstaben des Gesetzes entfernen, im Einzelfall aber gleichwohl nicht umgangen werden konnen.
2. Fall 30:
Beispiele fiir schwierige Entscheidungen Die Behinderteneinrichtung kommt mit dem Betreuten gut klar, weil er leicht suggestibel ist. Sie vermeidet daher, Entscheidungen des Betreuers herbeizufiihren und lasst sich die von ihr gewunschten Einwilligungen vom Betreuten direkt unterschreiben, ohne den Betreuer hieruber auch nur zu unterrichten. Der Betroffene sei ja schlieBlich nicht geschaftsunfahig.
Es ist schon einmal durchaus fraglich, ob der Betroffene geschaftsfahig ist. Der Betreuungsbeschluss als solcher flihrt zwar nicht mehr zur Geschaftsunfahigkeit. Soweit der Betroffene aber die von ihm unterzeichneten Erklarungen (konnte er sie iiberhaupt lesen?) nicht verstanden hat, sind sie zumindest (ggf auch durch den Betreuer!) anfechtbar, sei es wegen Irrtums gemal3 § 119 BGB oder sogar wegen arglistiger Tauschung gemaB § 123 BGB. Soweit der Betroffene aufgrund seiner Behinderung schlechterdings aul3erstande war, zu verstehen, worum es denn da ging, ist er auch nach dem Inkrafttreten des neuen Betreuungsrechts geschaftsunfahig, § 104 Nr. 2 BGB. Die Willenserklarung eines Geschaftsunfahigen ist unheilbar nichtig, § 105 BGB, sie kann auch nicht, etwa durch Genehmigung eines gesetzlichen Vertreters nachtraglich wirksam werden. Nicht die Geschaftsunfahigkeit wurde abgeschafft, sondem die geschaftsunfahig machende Wirkung des Betreuungsbeschlusses. Wer auch ohne Betreuungsbeschluss in alien Dingen oder auch nur teilweise geschaftsunfahig ist, bleibt es, auch wenn ein Betreuungsbeschluss ergeht. Die Einrichtung hat sich mit ihrem Vorgehen damit zunachst in den Bereich groBter Rechtsunsicherheit begeben und damit eine der Intentionen des Rechts-
2 Beispiele fiir schwierige Entscheidungen
111
instituts Betreuung, namlich im Interesse aller Beteiligter, also nicht nur des Betroffenen, Rechtsklarheit zu schaffen, unterlaufen. Die Einrichtung hat aber auch das Gebot der fairen Zusammenarbeit mit dem Betreuer groblich verletzt. Auf der Grundlage eines gezielten Umgehens des Betreuers kann die im Interesse des Betroffenen, dem doch Einrichtung wie Betreuer in gleicher Weise verpflichtet sind, erforderliche vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht gedeihen. Grundsatz 8: Erklarungen in Angelegenheiten, fiir die ein Betreuer bestellt ist, sollten daher stets bei dem Betreuer eingeholt werden. Lasst die Einrichtung sich Erklarungen unmittelbar von dem Betroffenen ein abgeben, hat es eine Kopie dieser Erklarungen des Betroffenen umgehend dem Betreuer zuzuleiten. Fur die Juristen unter den Lesem: Diese Auffassung findet eine Stiitze in § 53 ZPO (Zivilprozessordnung), der eine Partei, die im Prozess von einem Betreuer vertreten wird, ungeachtet ihrer etwa fortbestehenden Geschaftsfahigkeit fiir prozessunfahig erklart Es besteht Anlass zu dem Hinweis, dass die Einwilligung in arztliche MaBnahmen nicht vom Heim, sondern vom Betreuer erteilt werden muss (vgl. S. 125 Abschnitt c), die ersten beiden Absatze). Fall 31:
Die geistig schwerstbehinderte Betreute ist nachtaktiv, geht zur Nachtzeit in Zimmer anderer Bewohner und lasst sie nicht schlafen. Nach einem entsprechenden Versuch, der erfolgreich und insbesondere ohne nennenswerten Widerstand der Betroffenen verlauft, beantragt das Heim, die EinschlieBung der Betroffenen zur Nachtzeit richterlich zu genehmigen.
Hier ging es nicht um eine Spannung mit dem Betreuer, der war namlich ganz einverstanden. Die Frage ist, ob die EinschlieBung, die als Freiheitsentziehung der richterlichen Genehmigung bedarf, § 1906 BGB, hier genehmigt werden konnte. Das Gesetz sieht eine solche Genehmigung nur zur Vermeidung „erheblicher Gesundheitsgefahrdung" vor. Eine solche war aber nicht festzustellen. Gleichwohl genehmigte das Gericht die EinschlieBung mit der Begriindung, dass eine unterbringungsahnliche MaBnahme gemaB § 1906 IV BGB schon von ihrer Bezeichnung her weniger schwer wiege als eine Unterbringung gemal3 § 1906 I BGB. Die Betroffene fmde sich mit der MaBnahme ohne groBeren Widerstand ab, die Freiheit werde ihr nur fiir einen Zeitraum entzogen, innerhalb dessen sie durch die EinschlieBung nun doch zum Schlaf fmde, so dass die Rechtsbeeintrachtigung gering sei. Damit konnten die Genehmigungsvoraussetzungen fiir diesen Fall niedriger als vom Gesetz vorgesehen angesetzt werden. Eine vom Heim vorgeschlagene Alternative sei die Verabreichung eines Schlafmittels gewesen, das bei der Betroffenen aber auch tagstiber so stark nachwirkte, dass es faktisch zu
112
Kapitel 9 Betreuungsrecht und Heim
standiger Sedierung gekommen ware. Demgegentiber sei die Einschliel3ung zur Nachtzeit der geringere Eingriff. Angesichts der Bedeutung des eigenen Schlafes fur die Gesundheit der Betroffenen hatte man die Sicherstellung dieses Schlafes auch als medizinisch gebotene Heilbehandlung auffassen und dann die EinschlieBung gemaB § 1906 I Nr. 2 BGB genehmigen konnen, eine kaum weniger ktihne Konstruktion. Fall 31 ist ein Beispiel flir die Anforderung an den Betreuungsrichter, in zunachst unlosbar erscheinenden Fallen mit Phantasie, Mut und Entschlossenheit Losungen innerhalb des Gesetzessinns (der ratio legis), neben dem Gesetzeswortlaut und uber diesen hinaus {praeter et supra legem) zu fmden^^^. Fall 32:
Das Heim verlegt einen Bewohner, mit dem eine Verstandigung nicht mehr moglich ist, ohne Ruckfrage von einem Einzelzimmer in ein Mehrbettzimmer, weil das Einzelzimmer flir einen Neuzugang benotigt wird.
Eine klare unzulassige Ubergehung eines Betreuers bei einem Wechsel des gewohnten Zimmers, also einem fiir den Betroffenen meist auBerst bedeutsamen Punkt^^^. So eilbedlirflig, dass aus zwingenden Grtinden eine Entscheidung des Betreuers, oder bei Nichterreichbarkeit des Gerichts, § 1846 BGB, nicht vorher hatte erholt werden konnen, war diese Entscheidung nicht. Fall 33:
Die alte nicht mehr orientiert alte Dame beschmiert sich und ihre Umgebung insbesondere zur Nachtzeit mit ihren Exkrementen. Das Heim beantragt, die Fixierung ihrer Hande zu genehmigen.
Ein Fall von sehr fragwiirdige Genehmigungsfahigkeit denn der Vorfall ist zwar unappetitlich und unhygienisch, aber wohl nicht erheblich gesundheitsgefahrdend. Die Genehmigung gemaB § 1906 IV BGB wurde nach Beratung mit dem Arzt und dem Betreuer unter Zurtickstellung von Bedenken gleichwohl erteilt. Fall 34:
Der Betreuer beantragt, die Unterbringung der an einer Psychose erkrankten und alkoholabhangigen Betroffenen auf der geschlossenen Station des Pflegeheims zu genehmigen. Ansonsten werde sie sich weiterhin exzessiv Alkohol beschaffen und den muhsamst gefundenen Heimplatz verlieren. Ohne Heimplatz miisse sie jedoch auf der StraBe leben, was nach dem Urteil des hinzugezogenen Arztes eine ganz erhebliche Gefahrdung der Gesundheit und unter Umstanden sogar des Lebens fiir sie darstellen wurde.
Vergleichbar mit Fall 31 abermals zweifelhafle Genehmigungsbedurftigkeit; die Genehmigung wurde auch hier nach Beratung mit Betreuer und Psychiater erteilt, allerdings nur fiir wenige Monate, um die weitere Entwicklung abzuwarten und mit der Auflage, der Betroffenen taglich zwei Stunden begleiteten Ausgang zu
Vgl. S. 40, Stichwort „mutige Einzelfallentscheidungen". Vgl. Rechtsgedanke des § 1907 BGB der die Wohnungsauflosung unter besonderen Schutz stellt, weil sie den Betroffenen seines gewohnten Umfelds beraubt.
3 Hinweise fur die Praxis des Betreuers
113
ermoglichen. Unter dem Eindruck der Unterbringung anderte die Betroffene ihr Verhalten, so dass die Unterbringung zunachst stundenweise und inzwischen vollstandig wieder aufgehoben werden konnte. Fall 35:
Der auBerhalb der Schreiphasen durchaus noch ansprechbare Betroffene schreit halbstundenlang anhaltend und mit groBer Lautstarke. Die Belange der anderen Heimbewohner sind nachhaltig gestort. Das Heim beantragt eine Unterbringung in einem Psychiatrischen Krankenhaus, ersatzweise solle der Heimvertrag auf irgendeine Weise aufgelost werden. Die Betreuerinnen, Tochter des Betroffenen konnen sich zu keiner der beiden Alternativen entschlieBen.
Eine auBerst schwierige Situation. Wahrend einer Schreiphase fand eine Anhorung mit dem behandelnden Psychiater statt. Nach dessen Beurteilung versprachen Medikamente keine Abhilfe, man mtisse abwarten, vielleicht werde es besser. Eine Indikation fur eine stationare Behandlung in einem Psychiatrischen Krankenhaus liege nicht vor. Zum (gut verstandlichen) Entsetzen des Heimes wurde weder die Verlegung in ein Psychiatrisches Krankenhaus, noch eine Auflosung des Heimvertrags genehmigt. Nach wenigen auBerst aufreibenden Wochen wurde es deutlich besser, inzwischen ist das Problem verschwunden. Aber fiir Monate hatte man den Zustand wohl nicht bestehen lassen konnen und dann wohl die Auflosung des Heimvertrages genehmigen mtissen. Dann aber ware es schwierig geworden, ein anderes aufnahmebereites Heim zu fmden.
Hinweise fiir die Praxis des Betreuers a) Grundsatzlich vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Heim Zentralauftrag des Betreuers ist die Wahmehmung der Interessen des Betroffenen. Zu den Interessen des Betroffenen gehort aber auch und nicht zuletzt eine stabile vertrauensvolle Beziehung des Betreuers zu dem Heim und dessen Mitarbeitem. Eine solche Beziehung gedeiht aber nur auf der Grundlage fairer und partnerschaftlicher Zusammenarbeit des Betreuers mit dem Heim. Dies setzt voraus, dass der Betreuer sich nicht, wie es gelegentlich anzutreffen ist, in erster Linie als Aufsichtsbeamter des Heims geriert. Grundsatzliches Misstrauen des Betreuers dem Heim gegenuber und ein daraus entstehender standiger Rechtfertigungsdruck des Heims dem Betreuer gegentiber sind keine Basis fur eine gegluckte Zusammenarbeit. Der Betreuer soil und darf davon ausgehen, dass die Mitarbeiter des Heims ein positives Berufsverstandnis haben und, ebenso wie der Betreuer, dem Heimbewohner dienen und ihm helfen wollen. Uber gelegentli-
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Kapitel 9 Betreuungsrecht und Heim
che Missgeschicke und Unzulanglichkeiten sollte der Betreuer in diesem Sinne hinweggehen, mogliche Missverstandnisse zum Besten des Heims auslegen. Im Sinne dieser Zusammenarbeit ist es zum Beispiel ohne weiteres zulassig, dass, wie weithin ublich, das Heim das Taschengeld der Heimbewohner verwaltet. Der Betreuer kann dies erlauben, mochte er es nicht, muss das das Heim auch akzeptieren. Dann muss der Betreuer aber die Taschengeldversorgung des Betroffenen auf andere Weise sicherstellen. Auch wenn die Taschengeldverwaltung beim Heim bleibt, sollte der Betreuer die Fuhrung des Taschengeldkontos regelmaBig uberprlifen. Dies ist kein Ausdruck des Misstrauens, sondern ordnungsgemaBer Wahrnehmung des Betreueramts. Von Seiten des Heims ist fiir eine gelingende Zusammenarbeit mit dem Betreuer unabweisbar erforderlich, dass es den Betreuer mit seinen Rechten und Pflichten voll und ganz akzeptiert. Da heiBt vor allem, dass es nicht am Betreuer vorbei „uber seinen Kopf hinweg" Entscheidungen trifft, vielleicht sogar mit dem Ziel, dadurch Tatsachen zu schaffen, die der Betreuer dann nachtraglich kaum mehr andem kann'^^. b) Wunsche oder Beanstandungen des Betreuers, Missstande Dieses Grundanliegen einer stets vertrauensvollen Zusammenarbeit des Betreuers mit dem Heim darf aber nicht dergestalt absolut gesetzt werden, dass „um des lieben Friedens willen" begrtindete Beanstandungen nicht erhoben oder verniinftige Wunsche des Betroffenen nicht vorgebracht werden sollten. Ein solcher auf einem falschen Harmoniebedurfnis und Konfliktscheue beruhender fauler Friede ist nicht im Interesse des Betroffenen. Der Betreuer soil die Auseinandersetzung mit dem Heim nicht suchen, wo sie geboten ist, darf er ihr aber im Sinne einer richtig verstandenen Zivilcourage auch nicht ausweichen. Bei dem Weitergeben von Wunschen oder Beanstandungen darf der Betreuer dann auch durchaus parteiisch sein. Er handelt nicht wie ein der Uberparteilichkeit verpflichteter Richter, sondern als parteilicher Vertreter und Sachwalter der Interessen des Betroffenen. Das heiBt, dass er, auch wenn ihm die Argumente des Heims plausibel erscheinen, im Einzelfall auf seinem Standpunkt beharren darf und vielleicht sogar sollte, wenn ihm dies bei Gesamtwtirdigung flir den Betroffenen gtinstiger erscheint. Bei einigermaBen wichtigen Beanstandungen, denen das Heim trotz entsprechenden Vortrags nicht abhilft, kann der Betreuer das Vormundschaftsgericht bitten, sich einzuschalten. In krassen Fallen des hartnackigen Ignorierens von erheblichen Beanstandungen (zum Beispiel wiederholtes Entscheiden des Heims am Betreuer vorbei, Pflegemissstande, gravierende GesetzesverstoBe) kommt eine Benachrich-
Negatives Beispiel hierzu S. 112 Fall 32.
3 Hinweise fiir die Praxis des Betreuers
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tigung der Heimaufsicht in Betracht. Eine vorherige Einschaltung des Vormundschaftsgerichts ist nicht erforderlich, kann aber zweckmaBig sein. c)
Mediation durch das Vormundschaftsgericht
(1) Probleme des Helms mit dem Betreuer Halt das Heim eine Sachentscheidung des Betreuers fur unvertretbar oder vollig unpraktikabel und weigert sich der Betreuer, den Bedenken des Heims zu entsprechen, kann das Heim das Vormundschaftsgericht um Hilfe bitten. Dieses wird dann zunachst den Betreuer um Stellungnahme bitten und erforderlichenfalls ein gemeinsames Gesprach mit dem Betreuer und dem Vertreter des Heims fiihren. Kommt auch dabei eine Einigung nicht zustande, hat das Vormundschaftsgericht die Moglichkeit, dem Betreuer eine Weisung zu einer bestimmten Sachentscheidung zu erteilen, § 1837 II BGB. Im Sinne der dem Betreuer zugestandenen und auch von ihm geforderten Selbstandigkeit wird von dieser Moglichkeit allerdings nur selten Gebrauch gemacht. (2) Probleme des Betreuers mit dem Helm Hat der Betreuer seinerseits mit dem Heim Probleme, etwa weil es ihn notorisch ubergeht oder seine Entscheidungen nicht respektiert, hat er die Moglichkeit, das Vormundschaftsgericht um Beratung zu bitten, § 1837 I BGB. In diesem Fall wird das Vormundschaftsgericht ebenfalls zunachst versuchen, unter Anhorung beider Seiten zu vermitteln. Anders als gegeniiber dem Betreuer steht dem Vormundschaftsgericht zwar eine Weisungsbefugnis gegeniiber dem Heim nicht zu. Es kann aber, wenn eine einvernehmliche Losung nicht zustande kommt, den Betreuer dahin beraten, die Heimaufsicht einzuschalten oder auch mit Hilfe eines Rechtsanwalts zivilrechtliche Schritte gegen das Heim einzuleiten. Bei entsprechendem Anlass kann die Einschaltung der Heimaufsicht auch unmittelbar vom Vormundschaftsgericht vorgenommen werden. (3) Betreuungsrlchter oder Rechtspfleger? Wenn hier und an anderen Stellen vom „Vormundschaftsgericht" die Rede ist, stellt sich die Frage, ob die entsprechende Aufgabe dem Betreuungsrlchter oder dem Rechtspfleger obliegt. An sich sind die Vormundschafts- und damit auch die Betreuungssachen grundsatzlich dem Rechtspfleger tibertragen, soweit nicht ausdriicklich die Entschei-
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Kapitel 9 Betreuungsrecht und Helm
dung durch den Richter vorgeschrieben ist^^^. Damit ware auch die Beratung der Betreuer Sache des Rechtspflegers. Auf der anderen Seite obliegt die Auswahl des Betreuers dem Richter *^^, es ist der Richter, der im Rahmen seiner Anhorungen haufig in die Heime kommt und deren Situation und Mitarbeiter kennt. Aus diesem Grund nimmt der Verfasser die Beratung der Betreuer bei Problemen mit den Heimen als „untrennbar zu richterlichen Aufgaben gehorend"*^^, selbst wahr. Die Beratung der Betreuer im Rahmen der Vermogenssorge bleibt dagegen bei dem Rechtspfleger. Diese Aufgabenverteilung kann jedoch bei anderen Amtsgerichten anders geregelt sein, so dass im Einzelfall eine entsprechende Anfrage angebracht ist.
'^^ § 3 Nr. 2 Buchstabe a), § 14 1 Nr. 4 Rechtspflegergesetz (RPflG), Schonfelder Nr. 96. '^^ § 141Nr.4RPflG. ^ ^^ § 5 I Nr. 2 RPflG; vgl. auch § 8 1 RPflG.
Kapitel 10 Betreuungsrecht und Arzt/Krankenhaus
1.
Arzthaftungsprobleme im betreuungsfreien Raum
Gerade in Angelegenheiten der Gesundheitsfursorge kommt es gar nicht selten vor, dass ein, etwa im Rahmen einer Altersdemenz, einwilligungsunfahig gewordener Patient vom langjahrigen Hausarzt ohne weiteres weiterbehandelt wird, obwohl mangels Einwilligungsfahigkeit weder der Patient selbst dieser Behandlung wirksam zustimmen kann, noch ein ordnungsgemaf5 bestellter Vertreter zur Verftgung steht (vgl. Fall 8, S. 15). a) Anforderungen an eine wirksame Behandlungseinwilligung Eine wirksame Einwilligung eines solchen Patienten liegt weder darin, dass er in langjahriger Praxis mit den Behandlungen des Hausarztes stets einverstanden war, noch darin, dass er jetzt noch ein unkritisches: „Ich bin ja mit allem, was Sie tun, einverstanden" von sich zu geben in der Lage ist. (1) Langjahriges Vertrauen in den Hausarzt kein Einwilligungssurrogat Eine „Generaleinwilligung" in jedwede kiinftige Behandlung des Hausarztes ist mangels Bestimmtheit unwirksam, zumindest aber rechtlich uberaus fragwurdig, so dass sie als Grundlage einer arztlichen Behandlung nicht ausreicht. Denn ein langjahriges uneingeschranktes Ja zur hausarztlichen Behandlung im allgemeinen lasst sich nicht ausreichend sicher als ein Ja auch zu der jetzt etwa unvermutet erforderlichen Amputation der Brust oder beider Oberschenkel oder zu der aktuell erstmals erforderlich gewordenen stationaren Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus einschlieBlich FixierungsmaBnahmen deuten. Hinzu kommt dass solche Ein will igungen im allgemeinen nicht schriftlich vorliegen und dadurch in noch hoherem MaBe unsicher sind.
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Kapitel 10 Betreuungsrecht und Arzt/Krankenhaus
Anders kann es sich verhalten, wenn der Patient in dem Wissen urn eine schwere Erkrankung, die absehbar auch den Verlust der Einwilligungsfahigkeit zur Folge hat, noch im Vollbesitz seiner geistigen Krafte Anordnungen ftir die Zeit nach Verlust der Einwilligungsfahigkeit trifft. Hierbei handelt es sich nicht um eine amorphe Generaleinwilligung, sondem um eine konkrete Willenserklarung im Hinblick auf eine absehbare Entwicklung, die als Patientenverfiigung^'' vom Arzt zu beachten ist. Wer fur den Fall der Einwilligungsunfahigkeit Vollmacht'^^ erteilen mochte, muss beachten, dass eine solche Vollmacht ftir UnterbringungsmaBnahmen im Sinne § 1906 I - IV BGB und lebensgefahrliche oder folgenschwere arztliche Eingriffe im Sinne § 1904 BGB nur wirksam ist, wenn sie schriftlich erteilt wurde und die genannten MaBnahmen oder Eingriffe ausdrticklich auffiihrt, §§ 1906 V, 1904 II BGB. (2) Undifferenziertes „Jaja*' als wirksame Einwilligung? Wenn der Patient noch in der Lage ist, beim Eintreffen des Hausarztes mit einem undifferenzierten ,ja ja" sein Einverstandnis zu dessen Behandlung zu erklaren, ist das jedenfalls bei komplizierteren und folgenschwereren Eingriffen ebenfalls keine wirksame Einwilligung. Denn wirksam ist eine Behandlungseinwilligung nur, wenn der Patient nach sachgerechter Aufklarung durch den Arzt in der Lage ist, das Ftir und Wider der vom Arzt vorgeschlagenen Behandlung und der Folgen dieser Behandlung im GroBen und Ganzen selbst abzuwagen''^ Ist die Fahigkeit zu einer solcherart differenzierten Beurteilung nicht mehr vorhanden, ist der Patient nicht mehr einwilligungsfahig. Sofern dieses ,ja ja" allerdings wenigstens noch als Ausdruck des grundsatzlichen Vertrauens zu dem Arzt gelten kann, wird darin im Einzelfall auch ein wirksamer Verzicht auf die arztliche Aufklarung zu sehen sein. In diesem Fall konnte die AuBerung zugleich eine wirksame Einwilligung mit dem „naturlichen Willen" darstellen und ware dann trotz aufgehobener Einwilligungsfahigkeit wirksam. Aus Grunden der Rechtsklarheit sollte aber gleichwohl ein Betreuer bestellt werden, mit der der Betroffene im allgemeinen ohne weiteres einverstanden sein wird.
'''
Vgl. S. 160Abschnitt8. Vgl. zur Vorsorgevollmacht S. 20 und zur General vollmacht S. 24. ' '^ Palandt-Sprau § 823 BGB Rdnr. 151. '^"^ ZumBegriffs. S. 184.
1 Arzthaftungsprobleme im betreuungsfreien Raum
119
b) Gefahren fiir den Arzt bei Behandlung ohne wirksame Einwilligung Abgesehen davon, dass bei einem ohne wirksame Einwilligung behandelten Betroffenen dessen Rechte verletzt werden, ist dieses Vorgehen auch fiir den Arzt hochprobleniatisch und arzthaftungsrechtlich gefahrlich. Denn allein eine fehlende Einwilligung kann eine Arzthaftung auslosen und zwar auch dann, wenn keinerlei Behandlungsfehler vorliegt. Bsp. 16:
In einem vom Oberlandesgericht (OLG) Mtinchen entschiedenen Fall' war es bei einer operativen Weisheitszahnextraktion ohne Verschulden des Zahnarztes zu einer Durchtrennung des nervus lingualis gekommen. Es handelt sich hierbei um eine Komplikation mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 bis 2 Promille, uber deren Moglichkeit der Zahnarzt die (voll einwilligungsfahige) Patientin nicht aufgeklart hatte. Nach erfolglosen Reanastomisierungsversuchen bleiben als Dauerschaden eine Gefuhllosigkeit der linken Zungenhalfte mit der Folge haufiger Bissverletzungen sowie Behinderungen beim Essen und Sprechen sowie Storungen des Geschmackssinns in diesem Bereich. Das Oberlandesgericht erkannte der Patientin wegen Missachtung ihres Selbstbestimmungsrechts durch die unzureichende Aufklarung ein Schmerzensgeld von 20.000 DM zu. Denn bei ordnungsgemafier Aufklarung hatte sich die Patientin insoweit in einem Entscheidungskonflikt befunden, dass sie den Eingriff moglicherweise erst spater und womoglich auch von einem Kieferchirurgen als Spezialisten oder in einer klinischen Einrichtung hatte vornehmen lassen, zumal der Zahn aktuell keine erheblichen Schmerzen verursacht habe.
Ebenso der Bundesgerichtshof (BGH)^'^, der auch noch ausdriicklich auf seine Rechtsprechung hinweist, wonach selbst bei vitaler Indikation eines Eingriffs das Selbstbestimmungsrecht des Patienten es verlange, dass der Arzt es ihm uberlasse, uber den Eingriff zu entscheiden und ihn gegebenenfalls auch abzulehnen, selbst wenn ein solcher Entschluss medizinisch unvernunftig ware. Die vorstehenden Beispiele aus der Rechtsprechung sollen verdeutlichen, welche arzthaftungsrechtliche Bedeutung einer ordnungsgemaBen Aufklarung des Patienten zukommt. Grundsatz 9: Erfolge von Patienten in Arzthaftungsprozessen haben ihren Grund haufiger in Aufklarungsmangeln als in Behandlungsfehlern. Die Bestellung eines Betreuers fiir die Gesundheitsfiirsorge kann also bei fraglicher Einwilligungsfahigkeit des Patienten aulier dessen Interessen auch den Interessen des Arztes in hochstem Mafie dienlich sein.
''^ OLG Mtinchen NJW-RR 1994, 1308. ^^^ BGHNJW 1994, 799.
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Kapitel 10 Betreuungsrecht und Arzt/Krankenhaus
Reicht die Verstehensfahigkeit eines Patienten nicht mehr aus, aufgrund ordnungsgemaBer und allgemeinverstandlicher Aufklarung durch den Arzt Vor- und Nachteile des in Rede stehenden Eingriffs im Grol3en und Ganzen zu begreifen und damit selbstverantwortlich uber ein Ja oder Nein zu dem Eingriff entscheiden zu konnen^^^, sollte ein Betreuer fur die Gesundheitsfursorge bestellt werden. Der Vollstandigkeit halber soil noch darauf hingewiesen werden, dass in Notfallen der Arzt auf der Grundlage des sogenannten ^iibergesetzlichen Notstands", nunmehr gesetzlich geregelt in § 34 Strafgesetzbuch (StGB), naturlich ohne jede Einwilligung tatig werden kann und dies ja, auch bei Patienten, deren prinzipielle Einwilligungsfahigkeit nicht in Frage steht, regelmaBig tut und auch tun muss.
2.
Schweigepflicht des Arztes
Die Schweigepflicht des Arztes ist gesetzlich verankert in § 203 I Nr. 1 StGB, in dem ein VerstoB mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht ist. Sie schtitzt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, der einerseits die Freiheit haben muss und soil, sich dem Arzt gegenuber riickhaltlos zu offenbaren. Diese Freiheit setzt aber voraus, dass im Rahmen des mit Verfassungsrang garantierten „Rechts auf informationelle Selbstbestimmung"''^ des Patienten dieser allein entscheiden kann, ob und wem der Arzt das ihm anvertraute Wissen weitergeben darf a) Arztliche Schweigepflicht gegenuber dem Betreuer? Soweit der Betreuer den Aufgabenkreis „Gesundheitsfursorge" ubertragen bekommen hat, ist er gesetzlicher Vertreter des Betroffenen dem Arzt gegenuber. Damit besteht eine Schweigepflicht des Arztes gegenuber dem Betreuer so viel und so wenig wie gegenuber dem Betroffenen selbst. Denn der Betreuer handelt ja nicht aus eigenem Recht, sondem aus dem Recht des Betroffenen. Er hat kein eigenes Auskunftsrecht, nimmt aber das Auskunftsrecht des Betroffenen fiir diesen wahr. Fur eine Geltung der Schweigepflicht ist damit von vorneherein kein Raum.
^ ^^ Palandt-Sprau § 823 BOB Rdnr. 151. ^^^ BVerfGE65, 1,43.
2 Schweigepflicht des Arztes
121
b) Arztliche Schweigepflicht gegenuber Angehorigen Nicht ganz so einfach gelagert ist es bei der Frage, ob die arztliche Schweigepflicht gegenuber Angehorigen gilt. Denn die Angehorigen sind, so lange sie nicht als Betreuer eingesetzt sind, nicht gesetzliche Vertreter''^. Grundsatzlich gilt die Schweigepflicht des Arztes auch gegenuber dem Ehepartner. In Not- und Betreuungsfallen wird man allerdings ohne weiteres von einer mutmafilichen Einwilligung des Patienten zur Unterrichtung des Ehegatten durch den Arzt ausgehen konnen. Eine Ausnahme von dieser Regel wird dann gelten, wenn die Ehegatten dauerhaft getrennt oder sogar in Scheidung leben. Wenn allerdings der Patient ausdriicklich wunscht, dass keinem seiner Angehorigen Auskunft erteilt wird, schlieOt dieser Wunsch von Rechts wegen auch die Auskunftserteilung an den Ehegatten definitiv aus. Da es mithin eine gesetzlich kodifizierte oder sonst rechtlich klar definierte Durchbrechung der Schweigepflicht gegenuber dem Ehegatten nicht gibt, ist auch die neugeschaffene eingetragene Partnerschaft fiir gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft fiir diese Frage ohne konstitutive (d. h. rechtsbegrundende) Bedeutung. Auch ohne eingetragene Partnerschaft wird man bei Lebensgemeinschaften von der mutmaBlichen Einwilligung der Unterrichtung des Ehepartners ausgehen konnen. Allerdings wird der Umstand der formlichen Eintragung den Nachweis des Bestehens einer Lebensgemeinschaft erleichtem. c)
Arztliche Schweigepflicht gegenuber dem Betreuungsrichter
Im betreuungsrichterlichen Alltag erhalt man laufend von Hausarzten Atteste ubersandt mit der Anregung, einen Betreuer zu bestellen. Dies geschieht in bester Absicht, ist meist begrundet und wird auch von den Betroffenen selbst, soweit eine Verstandigung mit ihnen hierzu noch moglich ist, kaum je beanstandet. Sowohl Arzte als auch Patienten und deren Angehorige gehen offenbar ohne weiteres davon aus, dass die Schweigepflicht des Arztes gegeniiber dem Betreuungsrichter allgemein nicht gilt. Eine solche Suspendierung der Schweigepflicht gegeniiber dem Betreuungsrichter ware zweifellos sinnvoll, vor allem zur rechtlichen Absicherung der Arzteschaft. Die schiitzenswerten Interessen der Betroffenen sind durch die Amtspflicht des Betreuungsrichters und durch die Rechtsgarantien innerhalb des Betreuungsrechts ausreichend gewahrt. Gleichwohl ist im geltendem Recht eine solche Einschrankung der Schweigepflicht jedoch nicht gesetzlich festgeschrieben.
^'^ Vgl. S. 53 Grundsatz 5.
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Kapitel 10 Betreuungsrecht und Arzt/Krankenhaus
Vom Ergebnis her steht aul3er Frage, dass es entweder generell oder aber zumindest in krassen Fallen moglich sein muss, dass der Arzt den Betreuungsrichter einschaltet. Unklar ist, wie diese Durchbrechung der Schweigepflicht rechtsdogmatisch begriindet werden kann. (1) Bestellung eines „ Vorbetreuers'* zur Entbindung von der Schweigepflicht Rein theoretisch bestlinde die Moglichkeit, in einer Art Vorschaltverfahren einen Betreuer zur Ausubung des Schweigepflichtsverzichts fiir den Betroffenen zu bestellen, um so dem behandelnden Arzt freie Hand zu geben'^^. Aber selbst fiir die Bestellung dieses „Vorbetreuers" ware ein arztliches Attest erforderlich. Und wenn der Hausarzt nichts sagen darf, erfahrt das Gericht ja nicht einmal, dass es eines solchen Vorbetreuers bedarf. Diese Moglichkeit ist daher von Coeppicus^^^ zutreffend als lebensfremd verworfen worden. (2) Nichtgeltung der drztlichen Schweigepflicht gegeniiber dem Betreuungsrichter Bester Ansatzpunkt fiir die aus praktischen Grtinden unverzichtbare Durchbrechung der Schweigepflicht des Arztes gegeniiber dem Vormundschaftsgericht'^^ ist die Annahme, dass die Benachrichtigung des Betreuungsrichters durch den Arzt der Schutzzweck des § 203 I 1 StGB nicht bertihrt v/ird, so dass schon der Tatbestand der Schweigepflichtverletzung nicht erftillt ist. Denn entscheidend ist hier auf den „sozialen Sinn und Bedeutungsgehalt" '^^ des Verhaltens des die Schweigepflicht durchbrechenden Arztes insgesamt abzustellen. Ein Anhaltspunkt fiir diese Auffassung ergibt sich aus § 1846 BGB, wonach vor Bestellung eines Betreuers das Vormundschaftsgericht die im Interesse des Betroffenen erforderlichen MaBnahmen zu treffen hat („Ersatzkompetenz" des Vormundschaftsgerichts^^"^). Diese Vorschrift gibt dem Vormundschaftsgericht das Recht und die Pflicht, bei Gefahrdung der Interessen des Betroffenen eilbediirftige Entscheidungen selbst zu treffen. Darunter konnen auch irreversible Entscheidungen sein, wie etwa die Einwilligung in eine Operation. Im Ergebnis 120 121 122
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124
So Saage/Goppinger-Volckart Rdnr. 59 vor § 70 FOG und § 70e FOG Rdnr. 13. Coeppicus Seite 118. Innerhalb des Vormundschaftsgerichts zustandig der Rechtspfleger, § 3 Nr. 2 Buchstabe a), § 14 I Nr. 4 RPflG; die Befugnis des Betreuungsrichters folgt aus dessen „auch-Kompetenz" § 8 I RPflG. So Trondle/Fischer Randnummer 23 vor § 211 StGB zur der umstrittenen Frage, wie die in bestimmten Fallen vom Ergebnis her unstreitig gewunschte Straffreiheit der Beendigung lebenserhaltender MaBnahmen bei Schwerstkranken dogmatisch zu begriinden ist. Erman-Holzhauer § 1846 BGB Rdnr. 3.
2 Schweigepflicht des Arztes
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ist das Vormundschaftsgericht also vor Bestellung eines Betreuers kraft Gesetzes im Notfall gesetzlicher Vertreter des Betroffenen. Damit besteht ihm gegenuber ebenso wenig eine Schweigepflicht wie gegeniiber dem Betroffenen selbst. Das Vormundschaftsgericht nimmt also mit der Entgegennahme eine arztlichen Attests das Auskunftsrecht des Betroffenen dem Arzt gegenuber an Stelle des Betroffenen wahr. Das Vorliegen eines Notfalls folgt ohne weiteres aus der Benachrichtigung des Betreuungsrichters durch den Arzt. Bei den nachfolgenden Ermittlungen sind die Rechte des Betroffenen durch die Verfahrensvorschriften des Betreuungsrechts umfassend geschutzt. Insbesondere steht ihm auch das Recht zur Seite, krank sein zu dtirfen, ohne sich behandeln zu lassen, wenn er das mochte und so lange er das noch einigermaBen eigenverantwortlich entscheiden kann. (3) Durchbrechung der arztlichen Schweigepflicht durch mutmafiliche Einwilligung oder rechtfertigenden Notstand Folgt man den Erwagungen in vorstehendem Abschnitt (2) nicht, kann der Ruckgriff auf den mutmaBlichen Willen des Betroffenen helfen. In nicht wenigen Fallen wird der Betroffene aber ausdrucklich erklart haben (oder wtirde auf Befragen erklaren), eine Benachrichtigung des Vormundschaftsgerichts nicht zu wiinschen. Dieser Wille wird, auBer bei schwersten Storungen der Willensbildung der Annahme eines betowortenden mutmaBlichen Willens entgegenstehen. Es geht auch nicht an, an die Stelle einer Befragung des Patienten dessen mutmaBlichen Willen zu behaupten und so unter Umgehung des tatsachlichen Patientenwillens dessen wohlverstandenes Interesse durchzusetzen. Da mithin der mutmaBliche Wille oft auch nicht weiterhilft, bleibt als einzige Rechtsgrundlage dann (wieder einmal) nur der Ruckgriff auf den (friiher iibergesetzlichen) rechtfertigenden Notstand in § 34 StGB. Danach darf der Arzt die Schweigepflicht durchbrechen, wenn eine nicht anders abwendbare Gefahr fiir Leib und Leben des Patienten besteht. Die hierbei vorzunehmende Abwagung zwischen der Rechtsgutverletzung und der drohenden Gefahr wird angesichts der Begrenztheit der Verletzung der Schweigepflicht in aller Regel ftir die Offenbarungsbefiignis des Arztes sprechen^^^.
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Vollig anderer Ansicht wohl Saage/Goppinger-Volckart § 70e FOG Rdnr. ohne jedoch eine praktikabie Alternative aufzuweisen.
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Kapitel 10 Betreuungsrecht und Arzt/Krankenhaus
(4) Resume Soweit der Verfasser in Betreuungsverfahren, auch anderer Gerichte, Einblick hat, ist die anfangs zitierte Benachrichtigung des Gerichts durch den Hausarzt Rechtsalltag, wobei die Frage nach dem genauen Rechtsgrund der Durchbrechung der arztlichen Schweigepflicht offenbar vielfach unklar bleibt. Ftir diese Einschatzung spricht auch, dass Veroffentlichungen zu diesem Problemkreis rar sind. Arzte und Angehorige der Heilberufe, die damit konfrontiert werden, sollten mit dem zustandigen Betreuungsrichter das Vorgehen abstimmen und ihn gegebenenfalls auch auf die hier vertretene Auffassung hinweisen. Juristen und (Ober-)Gerichte sind aufgefordert, ihrerseits in Veroffentlichungen Oder Urteilen Losungen zur Ausgangsfrage anzubieten.
3.
Der Betreuer als gesetziicher Vertreter des Betroffenen
a) Umfang und Bedeutung der Vertretungsbefugnis des Betreuers Der Betreuer ist im Rahmen seines im Betreuungsbeschluss festgelegten und im Betreuerausweis genau aufgefiihrten Aufgabenkreises gesetziicher Vertreter des Betroffenen. Damit gelten Erklarungen des Betreuers gegeniiber dem Arzt wie auch Erklarungen des Arztes gegeniiber dem Betreuer (Aufklarungsgesprach!) als unmittelbar von dem Betroffenen bzw. als unmittelbar diesem gegeniiber abgegeben. Eine Aufklarung des Betroffenen selbst ist ebenso wenig erforderlich wie, dass dieser Erklarungen des Arztes versteht. Der Betreuer handelt nicht neben dem Betroffenen, er genehmigt nicht nur dessen Erklarungen, er handelt vollig eigenstandig an Stelle des Betroffenen. Seine Rechtsposition ist dieselbe wie die von Eltern bei minderjahrigen Kindern. Selbstverstandlich sollte und wird der Arzt, mit dem Betroffenen in dem Umfang, in dem mit diesem (ungeachtet seiner Bin will igungsuniahigkeit) eine Verstandigung noch moglich ist, auch diesem seine MaBnahmen erlautern. Aber diese Erlauterung hat psychologische, therapeutische Funktion; zur Bestatigung der vom Betreuer abgegebenen Einwilligungserklarung geboten ist sie nicht.
3 Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter des Betroffenen
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b) Die fiir den Arzt wichtigen Aufgabenkreise Der fur arztliches Handeln zentrale Aufgabenbereich wird in Betreuungsbeschluss und Betreuerausweis als „Gesundheitsfursorge", gelegentlich auch als „Vertretung des Betroffenen bei der Zustimmung zu arztlichen HeilmaBnahmen" bezeichnet^^^. 1st die HeilmaBnahme mit einer Veranderung des Aufenthaltsortes verbunden, etwa bei Verlegung in ein Krankenhaus, ist zusatzlich der Aufgabenbereich ,,Aufenthaltsbestimmungsrecht'' erforderlich. Soweit der Arzt nicht mit einer Krankenkasse abrechnet, sondem privat, hat seine Beauftragung unmittelbare Auswirkung auf das Vermogen des Betroffenen. Im allgemeinen wird eine Betreuung sich ohnehin auch auf insoweit erforderliche Vermogenssorge erstrecken. Ist das nicht der Fall, umfasst die „Gesundheitsfursorge" ohne weiteres auch die fur die Wahmehmung der Gesundheitsfursorge erforderlichen Vermogensverfiigungen. Es ist daher nicht unbedingt erforderlich, den Aufgabenkreis der Betreuung eigens hierfiir auf die Vermogenssorge zu erweitern, kann aber um der Rechtsklarheit willen sinnvoll sein. Vor allem bei psychischen Erkrankungen mit langeren einigermafien stabilen symptomfreien oder -armen Phasen wird in Anwendung des Erforderlichkeitsgrundsatzes der Aufgabenkreis der Betreuung gelegentlich dahin beschrankt, dass er sich nur auf „die Gesundheitsfursorge bei Wiederaufflammen der schizoaffektiven Psychose des Betroffenen" erstreckt, manchmal noch mit dem Zusatz „soweit eine stationare Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderlich ist". Diese Einschrankung muss der Arzt naturlich beachten. Es ist daher zu empfehlen, dass der Arzt den Betreuer um Uberlassung einer Ablichtung des Betreuungsbeschlusses und nach dessen Aushandigung auch des Betreuerausweises sowie etwaiger kiinftiger Abanderungsbeschliisse bittet. c)
Zusammenarbeit von Betreuer und Arzt
Der Arzt muss sich stets bewusst sein, dass eigentlicher Trager des Einwilligungsrechts des Betreuten der Betreuer ist und nicht etwa, wie es in der Praxis oft gehandhabt wird, das Heim oder die Einrichtung, in der der Betreute lebt. Wird ihm, etwa gelegentlich eines Heimbesuchs in anderer Sache, ein neuer Patient vorgestellt, fur den eine Betreuung besteht, sollte er sich durch Ruckfrage bei dem Pflegepersonal vergewissern, dass der Betreuer mit seiner Konsultation einverstanden ist. Bei Unklarheiten sollte der Arzt von sich aus an den Betreuer herantreten.
Vgl. S. 34 „Gesundheitsfursorge".
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Kapitel 10 Betreuungsrecht und Arzt/Krankenhaus
Als Beispiel fiir die Moglichkeit einer brieflichen Kontaktaufhahme (hier: eines hinzugezogenen Psychiaters) mit dem Betreuer kann das nachfolgend abgedruckte Muster dienen:
3 Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter des Betroffenen
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Musterbrief zur Beteiligung des Betreuers durch den Arzt An
als Betreuer(in) des/ der Herm/ Frau
Betreff:
Information uber die psychiatrische Mitbehandlung durch mich
Sehr geehrte Frau Betreuerin, sehr geehrter Herr Betreuer, Ich wurde von dem Hausarzt/ der Heimleitung urn psychiatrische Untersuchung und Mitbehandlung Ihres/ Ihrer oben genannten Betreuten gebeten. Aufgrund des Untersuchungsbefundes halte ich es fur erforderlich, Medikamente einzusetzen und zwar das Praparat/ die Praparate
Das Praparat/ die Praparate gehort/gehoren zu der Gruppe der
und kann/ konnen auch Nebenwirkungen hervorrufen. Wenn Sie es wiinschen, kann ich Sie gern naher dariiber informieren. Sie konnen sich unter meiner o. a. Anschrift und Telefonnummer an mich wenden. Wenn ich keine anderslautende Nachricht von Ihnen erhalte, gehe ich davon aus, dass Sie mit der Weiterbehandlung durch mich und der genannten Medikation einverstanden sind. Sollten eine gravierende Anderung der Medikation oder der Behandlungsstrategie erforderlich werden werde ich Sie unterrichten. Selbstverstandlich haben Sie auch sonst jederzeit die Moglichkeit, Ihrerseits mit mir Kontakt aufzunehmen. Mit freundlichen GrtiBen
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KapitellO BetreuungsrechtundArzt/Krankenhaus
Entsprechend wie in dem Abschnitt uber die Zusammenarbeit zwischen Heim bzw. Einrichtung und Betreuer^^^ ausgefuhrt sollen sowohl Arzt als auch Betreuer urn eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im gemeinsamen Interesse des ihnen anvertrauten Betroffenen bemtiht sein. Das bedeutet fiir den Betreuer zum Beispiel, dass er die ihm ubertragene Wahmehmung der Interessen des Betroffenen emstnehmen sollte. Konkret kann das heiBen, bei einem arztlichen Aufklarungsgesprach vorhandene Unklarheiten und Zweifel bis zur erschopfenden Beantwortung durchzusprechen und Folgen, mogliche Komplikationen sowie etwaige Alternativen sorgfaltig abzufragen. Im Einzelfall kann die Entscheidung eines Betreuers flir oder gegen eine arztliche MaBnahme eine schwere Last bedeuten. Hat er sich sorgfaltig aufklaren lassen, muss er die Entscheidung dann eben nach bestem Wissen und Gewissen treffen. Als Orientierung wird er hierbei nach dem tatsachlichen oder mutmaBlichen Willen des Betreuten forschen, wobei ihn dieser nicht zwingend bindet, § 1901 II und III BGB, Ofl allerdings werden sich flir die Feststellung dieses Willens keine ausreichenden Anhaltspunkte finden. In ethischen Konfliktfallen kann der Betreuer als Hilfserwagung heranziehen, wie er im Fall eigener Betroffenheit oder der Betroffenheit des eigenen Elternteils oder auch des eigenen Kindes handeln wurde'^^. Auch wenn die Entscheidung zu keinem positiven Ergebnis fiihrt, war sie dann richtig und ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Der ethische Grundsatz, dass der Mensch nicht Herr Uber Leben und Tod ist, wirkt in diesen Fallen nicht imperativ, sondem entlastend: der Betreuer braucht nicht die letzte Verantwortung flir den ihm anvertrauten Betreuungsbediirftigen zu tragen. Fiir den Arzt bedeutet die Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Betreuer, dass er diesen genauso sorgfaltig aufzuklaren und zu beraten hat, wie er es (hoffentlich) ansonsten unmittelbar dem Patienten gegenliber tut. Er hat das Entscheidungsrecht des Betreuers genauso emst zu nehmen wie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, von dem sich das Entscheidungsrecht des Betreuers ja ableitet. Bei uniiberbriickbaren Gegensatzen zwischen Arzt und Betreuer gelten die vorstehend zu dem Thema „Probleme zwischen Betreuer und Heim bzw. Einrichtung"^^^ gemachten Ausfuhrungen entsprechend. So kann und sollte der Arzt den Betreuungsrichter einschalten, wenn er mit einer offensichtlichen Fehlentschei-
^^^ Vgl. S. 109. Vgl. auch hier der Begriff des „pater diligens", vgl. S. 66. ^^^ Vgl. S. 115.
3 Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter des Betroffenen
129
dung oder dem Verdacht missbrauchlicher Amtsfuhrung des Betreuers konfrontiert wird^^^. d) Der nicht erreichbare Betreuer In Fallen der Nichterreichbarkeit des Betreuers oder wenn trotz zweifelhafter Einwilligungsfahigkeit ein Betreuer noch nicht eingesetzt ist, ist der Betreuungsrichter befiigt, die erforderlichen MaBnahmen selbst zu treffen, § 1846 BGB. Dabei wird dieser aber eben nur als Vertreter des Betreuers tatig mit der Folge, dass der Betreuer die Entscheidung des Richters ohne weiteres abandern kann'^'. In diesen Fallen handelt dann unmittelbar der Betreuungsrichter an Stelle des unerreichbaren oder noch nicht bestellten Betreuers als gesetzlicher Vertreter des Betroffenen. Fur die ihm dann zustehende Vertretungsmacht gelten die fur die Vertretungsmacht des Betreuers gemachten Ausfiihrungen (S. 124) entsprechend. Das heiBt unter anderem, dass der Richter sich dann vom Arzt auch ebenso aufklaren lassen, wie es vom Betreuer gefordert wird (vgl. S. 125). Fiir die Einwilligungserklarung bedarf es keines formlichen Beschlusses. Der Richter kann den Aufklarungsbogen an den fiir den Patienten vorgesehenen Stellen unterzeichnen und auBer Gerichts- und Dienstbezeichnung sowie dem Aktenzeichen beifiigen „als gesetzlicher Vertreter gemaB § 1846 BGB". In die Gerichtsakte gehort dann der Vermerk uber die Anhorung des Betroffenen, die Aufklarung durch den Arzt oder die Arzte und die erfolgte Einwilligungserklarung. Die Vertretungsbefugnis des Betreuungsrichters gemaB § 1846 BGB gilt entsprechend, wenn auch nur nicht ausreichend sicher geklart werden kann, ob eine Betreuung besteht, wer als Betreuer eingesetzt ist oder ob der Aufgabenkreis des Betreuers fur die zu treffende Entscheidung ausreicht. Da in derlei Fallen im allgemeinen Eilbedurftigkeit vorliegen wird, stehen die genannten Befiignisse sowohl dem hauptzustandigen Betreuungsrichter, in dessen Bezirk der Betroffene wohnt, als auch dem eilzustandigen Betreuungsrichter, in dessen Bezirk sich der Betroffene derzeit aufhalt, zu; die Zustandigkeit beider Gerichte besteht also, solange die EilbedUrftigkeit andauert, nebeneinander. Dem hauptzustandigen Gericht kommt aber insoweit Vorrang zu, also von ihm ergangene Entscheidungen, soweit sie dem Eilgericht bekannt werden, fur eine Entscheidung durch dieses keinen Raum mehr lassen.
'^'
Ebenso Ziffer IV der Grundsatze der Bundesarztekammer zur arztlichen Sterbebegleitung, abgedruckt auf S. 333. OLG Zweibrucken BtPrax 2003, 184.
130
Kapitel 10 Betreuungsrecht und Arzt/Krankenhaus
Ist die Angelegenheit so eilbediirftig, dass der Richter nicht beteiligt werden kann, bleibt dem Arzt nur noch, nach Notstandsgesichtspunkten selbst zu entscheiden (vgl. S. 120).
4.
Behandlung gegen den Willen des Betroffenen
Was tun, wenn zur arztlichen Behandlung der Betreuer ,ja" und der Betroffene „nein" sagt? Ein in der Praxis erfreulicherweise recht seltener Konflikt. Derm ein Betreuter ist haufig nicht mehr in der Lage, einen eigenen Willen zu bilden oder zu bekunden. Soweit dieses Problem doch einmal auftritt, gelten grundsatzlich zunachst die Ausfuhrungen oben S. 68 entsprechend. Speziell in dem hochstpersonlichen Bereich der Gesundheitsfiirsorge hat die Rechtsprechung aber fiir eine Behandlung gegen den Willen des Betroffenen sehr hohe Schranken aufgestellt. Im Rahmen des verfassungsrechtlich gewahrten und geschtitzten Selbstbestimmungsrechts hat jeder ein „Recht auf Krankheit", also das Recht, krank zu sein und sich gleichwohl nicht arztlich behandeln zu lassen^^^. Dieses Recht tritt nur dann zuriick, wenn die Fahigkeit zur Willensbildung so stark beeintrachtigt ist, dass von einer wirklichen Entscheidung, sich trotz Krankheit nicht arztlich behandeln lassen zu wollen, nicht mehr gesprochen werden kann. Das kann etwa bei weitestgehendem Verlust der Fahigkeit einer differenzierten Willensbildung oder einer ausgepragten Wahnsymptomatik der Fall sein. Therapiemtidigkeit ist dagegen auch bei einem psychisch kranken Betroffenen jedenfalls in weniger gravierenden Fallen innerhalb gewissen Grenzen zu beachten. Allerdings hat der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 11.12.2000^^^ die Moglichkeit der Erzwingung einer ambulanten Behandlung des Betroffenen gegen dessen erklarten Willen fur weitgehend unzulassig erklart. Der Beschluss ist im Zusammenhang mit unterbringungsrechtlichen Fragestellungen auf S. 197 ausfuhrlich dargestellt und besprochen. Hier zunachst einige Beispiele: Fall 36:
Ein selbstandiger Kaufmann wird mit einem „Raucherbein" notfallmaftig in das Krankenhaus eingeliefert. Er verweigert auch auf Vorhalt, ohne Operation werde er sterben, seine Einwilligung in die Operation. Er woUe lieber sterben als einer Amputation zustimmen. Anhaltspunkte fiir eine Willensbildungsstorung liegen nicht vor.
Bei diesem auf einer Fortbildungsveranstaltung referierten Fall hatte der Bereitschaftsrichter, der keine Erfahrung im Betreuungsrecht [damals noch: Pflegschaftsrecht] hatte, wegen Lebensgefahr im Verzug die Amputation auch gegen ^^^ BVerfG NJW 1992, 691; BVerfG NJW 1998, 1774. ^^^ NJW 2001,888 = BtPrax 2001,32.
4 Behandlung gegen den Willen des Betroffenen
131
den Willen des Patienten angeordnet. Eine in Ansehung der in FuBnote 132 zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zumindest problematische Entscheidung. Fall 37:
Der Betreuungsrichter wird zu einer tiber 80-jahrigen Frau gerufen, bei der ein Tumor in der Brust festgestellt wurde. Sie weigert sich, einer Brustamputation zuzustimmen. Bei der richterlichen Anhorung erklart sie, sie habe absehbar ja ohnehin nicht mehr lange zu leben. Der Tumor mache ihr keine Beschwerden. Nach einer Amputation aber musse sie mit einer nassenden, schlecht heilenden Wunde rechnen. Da solle der Tumor doch lieber drinbleiben.
Hier war Wille der Patientin ohne weiteres zu respektieren. Die von ihr herangezogenen Erwagungen waren nachvollziehbar und lieBen keinerlei Storungen der Entscheidungsfahigkeit erkennen. Als der Richter auf der Station mitteilte, dass eine Operation nicht erfolgen werde, weil ihr Wille zu respektieren sei, reagierte man erleichtert. Die Anforderung einer betreuungsrichterlichen Entscheidung war nicht erfolgt, weil man selbst von der Notwendigkeit des Eingriffs so uberzeugt gewesen ware, sondem um eine beftirchtete Arzthaftung auszuschlieBen („Rechtfertigungsmedizin"). Fall 38:
Die alte Dame, mit der keinerlei Verstandigung mehr moglich ist, hat ebenfalls einen Tumor in der Brust, der aber so groB ist, dass er durchzubrechen droht. Die Tochter, die Betreuerin ist, scheut davor zuriick, in die ihr angetragene und auch indizierte Brustamputation einzuwilligen. Die Beratung durch die Arzte ergab, dass die Nichtamputation der Brust voraussichtlich keine erheblichen Nachteile fur den Zustand der Patientin ergeben werde, eine solche Operation sei auch nach einem eventuellen Durchbruch noch moglich. Ein Durchbruch gehe aber mit gravierendem Gestank einher, der die Pflege massiv erschweren werde. Dem wolle man durch eine Operation im jetzigen Zeitpunkt begegnen.
Der Verfasser entschied damals, die Haltung der Tochter, die die Operation nicht wollte, zu akzeptieren. Der Fall liegt einige Jahre zurtick, heute wtirde der Verfasser wohl doch einer Operation zuneigen und, um der Tochter die Entscheidung abzunehmen, insoweit mit deren Zustimmung einen zweiten Betreuer einsetzen. Denn die ablehnende Haltung der Tochter beruhte nicht auf einer rationalen Abwagung und auch nicht auf dem mutmaBlichen Willen der Mutter. Sie war vielmehr Ausdruck eigener Unsicherheit und einer psychischen Scheu, einem so schweren Eingriff in den Korper der Mutter, die sich zwar nicht im fmalen Stadium befand, deren Lebensende aber doch absehbar war, einzuwilligen. Objektiv hatte die Operation aber fur die Mutter wohl doch eine gewisse korperliche Entlastung bedeutet, wahrend eine seelische Belastung angesichts der bereits erloschenen Verstandigungsfahigkeit nicht mehr zu befurchten war. Da jedoch die Ablehnung durch die Tochter psychologisch nachvollziehbar und ethisch zumindest vertretbar erschien, ware die Einsetzung des Zweitbetreuers fiir die Operati-
132
KapitellO BetreuungsrechtundArzt/Krankenhaus
onseinwilligung von ihrer Zustimmung abhangig zu machen gewesen. Diese Zustimmung ware auch voraussichtlich erteilt worden. Auch gestandene Erwachsene, die als Betreuer ihrer Eltern eingesetzt werden, empfinden es in solchen Situationen vielfach als Entlastung, wenn sie die eigentliche Entscheidung nicht selbst treffen mussen. Fall 39:
Der Betroffene hat einen Embolus (Blutgerinnsel) im Arm, der mit fatalem Ausgang in die Himschlagader geschleudert zu werden droht. Der Embolus konnte nach einem kleinen Einschnitt in den Arm entfernt werden. Hierzu verweigert der Betroffene die Einwilligung. Dem herbeigerufenen Richter erklart er, er sei an Hodenkrebs erkrankt gewesen und habe in diesem Zusammenhang so tible Operationen uber sich ergehen lassen mussen, dass er sich geschworen habe, keinerlei Operation mehr an sich zuzulassen.
Der Eingriff wurde analog § 1906 IV BGB betreuungsrichterlich genehmigt. Zur Begrtindung wurde ausgefuhrt, der von den Arzten vorgeschlagene Eingriff sei minimal, sein Unterbleiben konne aber zu unabweisbaren sehr viel schwereren Eingriffen fiihren und damit genau zu dem, was der Betroffene eigentlich vermeiden wolle. Nur durch den Minimaleingriff, der ja kaum als Operation anzusehen sei, konne seinem Wunsch, eigentlichen Operationen nicht mehr ausgesetzt zu werden, entsprochen werden. Fall 40:
Der Patient verweigert wiederum eine allein lebenserhaltende Beinamputation bei ausgedehntem Gangran. Der Chirurg halt ihn fiir einwilligungsfahig, mochte aber aus Haftungsgriinden eine Entscheidung des Betreuungsrichters herbeigefuhrt haben, wonach eine Zwangsamputation nicht in Betracht komme.
Noch am Nachmittag desselben Tages fand die richterliche Anhorung im Beisein eines Psychiaters statt. Hierbei erklarte der Patient von sich aus, er habe sich jetzt den ganzen Tag mit der Entscheidung herumgequalt und stimme nunmehr der Amputation zu. Daraufhin wurde das Bein noch am gleichen Tage amputiert. Auf Bitte des Chirurgen machte der Richter aktenkundig, dass er und der Psychiater zu der ubereinstimmenden Einschatzung gekommen waren, dass diese Einwilligung wirksam gewesen sei. Denn der Patient war nicht schreibfahig, so dass der Chirurg durch entsprechenden Vermerk in der Gerichtsakte den Nachweis der Einwilligung und deren Wirksamkeit festgehalten haben wollte. Diesem Wunsch wurde entsprochen, zu einer formlichen Entscheidung kam es nicht. In der Praxis spielen Zwangsbehandlungen vor allem bei Zwangseinweisungen in stationare psychiatrische Behandlung eine Rolle. Auf diesen Themenkreis wird in Kapitel 12 gesondert eingegangen werden. Eine Zwangsbehandlung stellt per se den Bruch des der Behandlung entgegenstehenden Willens des Betroffenen dar. Sie bedarf daher als Unterfall der Freiheitsentziehung nach Art. 104 GG stets der richterlichen Genehmigung. Genehmi-
5 Genehmigungspflicht flir gefahrliche arztliche MaBnahmen (§ 1904 BGB)
133
gungsnorm ist § 1906 BGB'^"^. Angesichts der erheblichen Einschrankungen der Moglichkeiten zur Zwangsbehandlung (vgL hierzu S. 199 erscheint ein Schwangerschaftsabbruch gegen den Willen der Schwangeren einzig vertretbar, um deren Leben zu retten.
5.
Genehmigungspflicht fur gefahrUche arztliche MaBnahmen (§ 1904 BGB)
In § 1904 BGB ist bestimmt, dass arztliche MaBnahmen, •
die konkret lebensbedrohlich sind
•
Oder die konkrete Gefahr einer schweren und langerdauernden gesundheitlichen Schadigung mit sich bringen,
auBer der Einwilligung des Betreuers auch noch der Zustimmung des Betreuungsrichters bedtirfen. Dieses Erfordemis gilt gemal3 § 1904 II BGB auch, wenn nicht ein gerichtlich bestellter Betreuer, sondem ein vom Betroffenen selbst eingesetzter Bevollmachtigter zustimmt. Sie gilt dagegen nicht, wenn der noch Betroffene selbst zustimmt, vorausgesetzt, er ist noch einwilligungsfahig'^^. Dieser Aspekt kann leicht ubersehen werden. Dies soil an einem weiteren Beispiel aus der Praxis verdeutlicht werden: Fall 41:
Ein Betreuer beantragt die Genehmigung der Amputation des linken FuBes der Betreuten gemaB § 1904 BGB. Die Betroffene babe vor 17 Jahren bei einem Unfall eine Triimmerfraktur des linken FuBes erlitten, die nie ganz verheilt sei. Es seien immer wieder Entziindungen und offene Wunden aufgetreten. Die Neuinfektionen seien uber die Jahre immer haufiger, langer anhaltend und schwerwiegender geworden. Inzwischen belle die Wunde seit fast einem Jabr nicbt mebr ab und sprecbe auf die frtiber wirksame Antibiotikabebandlung kaum nocb an. Daber sei nacb arztlichem Ermessen eine Amputation unausweicblicb. Aufgrund des extrem boben Ubergewicbts der Betroffenen einerseits und ibrer kognitiv eingescbrankten Aufnabme- und Lernfabigkeit andererseits stebe in Frage, ob die Betroffene nacb der Amputation je lernen werde, mit Hilfe einer Protbese zu laufen. Die Betroffene selbst babe groBe Angst vor einer Amputation. Sie sprecbe dabei stets von ibrer Mutter, die am Oberscbenkel amputiert worden sei, nie gelernt babe mit einer Protbese zu geben, unter Pbantomscbmerzen gelitten „und immer gew^eint" babe. Anscbeinend, so der Betreuer weiter, verbinde die Betroffene die Amputation aucb mit der Ebesituation ibrer Eltern, dass ibr Vater ibre Mutter verlassen babe. Andererseits empfmde die Betroffene ibre von der
Vgl. bierzu aucb S. 39 Sticbwort „Freibeitsentziebung". 135
Zur Einwilligungsfabigkeit vgl. S. 118.
134
Kapitel 10 Betreuungsrecht und Arzt/Krankenhaus
Erkrankung bestimmte Lebenssituation seit langem als unertraglich. Auf den drangenden Rat in der Klinik, verbunden mit dem Verweis auf den zu erwartenden Krankheitsverlauf - die weitere Ausdehnung der Infektion -, habe sie ihre Zustimmung zur Amputation gegeben„wenn es denn nicht anders geht" Sie habe dabei fast erleichtert gewirkt, dass die Entwicklung der Infektion ihr, da ihr kaum noch eine Wahl bleibe, abgenommen habe.'"^^ Die hier geschilderte Entscheidungsnot der Betroffenen unterscheidet sich in nichts von der Entscheidungsnot eines einwilligungsfahigen Patienten in solcher Situation. Die Betroffene war somit einwilligungsfahig - und hatte bereits eingewilligt^^^! Grundlage der Amputation war also die Einwilligung der Betroffenen selbst, nicht die des Betreuers. Anders als die Einwilligung des Betreuers bedarf aber die der (beachte: einwilligungsfahigen) Betroffenen selbst keiner Genehmigung gemal3 § 1904 BGB. Dies wurde dem Betreuer so mitgeteilt, der Ausspruch einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung gemaB § 1904 BGB unterblieb. Insoweit liegen die Dinge hier ebenso wie bei dem Betroffenen, der in die Ver138
wendung von Bettgittern selbst einwilligt . Im Unterschied zu diesen wird allerdings bei Einwilligung in arztliche Eingriffe der „naturliche" Wille meist nicht ausreichen. In dem dargestellten Fall aber lag eine Abwagung vor, die uber die Qualitat eines (nur) natiirlichen Willens weit hinausging. Die Notwendigkeit der richterlichen Genehmigung gilt gemaB § 1904 I 2 BGB auch nicht bei Gefahr im Verzuge. Sinn dieser gesetzlichen Vorschrift ist, in diesem Bereich von vitaler Bedrohung den Schutz der Gesundheit und des Lebens des Betroffenen nicht durch das zusatzliche Erfordernis einer richterlicher Genehmigung zu gefahrden. Angesichts des fur die Umsetzung des Betreuungsrechts typischen Partikularismus^^^ wird die Frage, ob eine arztliche MaBnahme nach § 1904 BGB der richterlichen Genehmigung bedarf, von Gericht zu Gericht hochst unterschiedlich gehandhabt. Es ist daher anzuraten, sich bei dem jeweils zustandigen Betreuungsrichter uber die von diesem vertretene Auffassung zu unterrichten. Verschiedentlich werden •
alle Narkosen einschlieBlich der Periduralanasthesie,
• jegliche Operation einschlieBlich des Legens einer PEG-Sonde •
136 137 138 139
und auch korperliche Eingriffe unterhalb von Operationen wie etwa Magenund Darmspiegelungen
AG Nidda 6 XVII 423/00. Zur Einwilligungsfahigkeit vgl. S. 118. Vgl. S. 192. Vgl. S. 246.
5 Genehmigungspflicht fiir gefahrliche arztliche MaBnahmen (§ 1904 BGB)
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fur so gefahrlich gehalten, dass diese ausnahmslos der richterlichen Genehmigung bedurfen. Diese sehr weitgehende Betrachtungsweise wird jedoch vor allem in ihrer typisierenden Vereinheitlichung § 1904 BGB nicht gerecht. Sie berucksichtigt zum einen nur unzureichend, dass diese Norm Ausnahmecharakter hat und damit einer Analogic nicht zuganglich und restriktiv auszulegen ist. Zum anderen aber ist § 1904 BGB auf eine im Einzelfall zu treffende Entscheidung angelegt und entzieht sich weitgehend der Festlegung „stets" genehmigungsbedurftiger Eingriffe. So mag es zum Beispiel Allgemeinzustande geben, bei denen das Narkoserisiko so hoch ist, dass die Narkose der richterlichen Genehmigung bedarf. Fur die Narkose schlechthin gilt dies nicht. Natiirlich wird es auch Eingriffe geben, die generell als genehmigungsbedtirftig gelten konnen. Eingriffe am offenen Herzen Oder chirurgische Eingriffe mit Gehirnbeteiligung gehoren dazu. Das Gebot, § 1904 BGB restriktiv und weitgehend einzelfallbezogen auszulegen, notigt aber zu Zuriickhaltung bei der Einstufimg als „ausnahmslos genehmigungsbedtirftig". a) Feststellung des Grades der Gefahrlichkeit der Mafinahme Im Gesprach mit Arzten hat sich die Frage bewahrt, ob bei einem Patienten mit normalem Allgemeinzustand die geplante MaBnahme als lebensgefahrlich angesehen wird oder eine so konkrete Gefahr langanhaltender und (!) schwerer gesundheitlicher Schaden mit sich bringt dass dies mit einem einwilligungsfahigen Patienten zu erortern ware. Die zweite Frage ist, ob im konkreten Fall dieses allgemeine Risiko signifikant erhoht ist. Werden beide Fragen verneint, ist der Eingriff genehmigungsfrei. Allein der Umstand etwa, dass der Patient nach dem Eingriff prophylaktisch auf der Intensivstation behandelt wird und/oder apparatemedizinisch versorgt wird, macht den Eingriff noch nicht gefahrlich im Sinne des § 1904 BGB. Und bei einem hochbetagten oder dem Tode nahen Patienten ist schon zu fragen, ob die Gefahr in dem Eingriff griindet, oder ob nicht sein Zustand schlechthin lebensgefahrlich ist. b) Feststellung der Schwere des drohenden gesundheitlichen Schadens Bei der Beantwortung der Frage, ob ein drohender gesundheitlicher Schaden „schwer" ist, wird zu Recht eine Beurteilung anhand des Straftatbestandes der „schweren" Korperverletzung aus § 226 StGB, der auf Verlust eines wichtigen Korperteils, eines Sinnesorgans, der Zeugungsfahigkeit, abstellt, abgelehnt'"^^. Es gibt aber praktisch keine veroffentlichte Rechtsprechung zu der Frage, welche drohenden gesundheitlichen Schaden so „schwer" sind, dass die sie womoglich
^"^^ Palandt-Diederichsen § 1904 BGB Rdnr. 10.
136
Kapitel 10 Betreuungsrecht und Arzt/Krankenhaus
auslosende arztliche MaBnahme der Genehmigung gemaB § 1904 BGB bedarf. Die hierzu veroffentlichten Entscheidungen betreffen meist entweder den Sonderfall der Genehmigungsbedurftigkeit des Abbruchs arztlicher MaBnahmen oder die Frage der arztlichen Zwangsbehandlung. Es bleibt nur, auch hier unter arztlicher Beratung am Einzelfall zu entscheiden. In den Vorauflagen war an dieser Stelle beispielhaft ausgefiihrt, der Verlust eines Beines durch Oberschenkelamputation sei fiir einen an den Beinen Gelahmten ebenso wenig eine schwere Folge, wie eine Penisamputation wegen hochschmerzhaften Peniskarzinoms bei einem Altersdementen, der, soweit feststellbar, seit Jahren keine sexuelle Aktivitat mehr entfaltet hat (und, dies sei hier erganzt, wegen der Hochschmerzhaftigkeit der Erkrankung dazu weder in der Lage ist, noch Neigung versptirt). An dieser Auffassung halt der Verfasser allerdings nicht mehr uneingeschrankt fest. Uber die rein korperlichen Folgen hinaus kann eine Amputation namlich auch psychische Auswirkungen haben. So kann die Abnahme grol3er Korperteile (Oberschenkel) oder fiir die personliche, insbesondere auch sexuelle Identitat bestimmender Organe (Penis, Brust) eine so starke Beeintrachtigung der korperlichen Integritat und der Psyche mit sich bringen, dass Uber diesen Aspekt doch wieder eine „schwere" Folge des Eingriffs im Sinne des § 1904 BGB erwogen werden muss. c)
Genehmigungskriterien
Bei der Frage, ob die Genehmigung zu erteilen ist, sind, wie stets, das Wohl des Betroffenen sowie etwa bekannt gewordene Wunsche zu berticksichtigen. Die Genehmigung ist schon zu versagen, wenn die beabsichtigte MaBnahme weder eine Heilung, noch eine Besserung verspricht; im Zweifel haben das Leben des Betroffenen sowie Leidenslinderung oder zumindest die Verhinderung von Leidensverstarkung Vorrang^'^^ d) Das Legen einer PEG-Sonde, eine genehmigungsbediirftige MaOnahme gemafi § 1904 BGB? Eine „PEG-Sonde" (Perkutane Endoskopisch kontrollierte Gastrostomie) dient der Einleitung der taglich erforderlichen Kalorienmenge incl. erforderlicher Flussigkeit unter Umgehung von Mund und Speiserohre durch die Bauchdecke unmittelbar in den Magen. Einsatzgebiete der PEG-Sonde sind vor allem •
Patienten, bei denen eine erhohte Gefahr des Verschluckens und damit verbunden des Einatmens von Speiseteilen (Aspiration) mit der moglichen Folge einer Lungenentzundung (Aspirationspneumonie),
"' ^^ Palandt-Diederichsen § 1904 BGB Rdnr. 11.
5 Genehmigungspflicht fiir gefahrliche arztliche MaBnahmen (§ 1904 BGB)
•
137
Patienten, die zur Aufnahme von Nahrung Uber den Mund voriibergehend oder auf Dauer nicht (mehr) in der Lage sind oder die Aufnahme der Nahrung verweigem.
Auch wenn eine PEG-Sonde gelegt ist, ist weiterhin die Nahrungsaufnahme liber den Mund moglich. Darin liegt ein gravierender Vorteil der PEG-Sonde gegeniiber der nachfolgend dargestellten Nasensonde. Als Alternative zur PEG-Sonde kann auch eine Nasensonde gelegt werden, bei der die Emahrungssonde durch Nasenhohle und Speiserohre gefuhrt wird um ebenso wie die PEG-Sonde in den Magen einzumiinden. Die Nasensonde fuhrt im Gegensatz zur PEG-Sonde zu einem Fremdkorpergefiihl. Daher neigen Patienten, die dazu in der Lage sind, dazu, sich diese Sonde zu ziehen. Auch sonst ist das Legen und auch das Uberwachen der Nasensonde verhaltnismal3ig komplikationstrachtig'"^^, so dass die Nasensonde, vor allem bei langerer Verweildauer, zunehmend von der PEG-Sonde verdrangt wird, die, nachdem sie mit einem kleinen komplikationsarmen Schnitt in die Bauchdecke gelegt ist, erheblich weniger Uberwachung verlangt und eben den Patienten nicht stort. Nach dem bisher Gesagten bedarf das Legen einer PEG-Sonde nicht der richterlichen Genehmigung, denn eine konkrete Gefahr des Todes oder eines schweren und langer anhaltenden gesundheitlichen Schadens, § 1904 BGB, ist mit ihr nicht verbunden'«. Gleichwohl wird gelegentlich vertreten, das Legen einer PEG-Sonde sei gemaB § 1904 BGB genehmigungsbedlirftig^'^'^. Begrlindet wird diese Auffassung mit den moglichen Femwirkungen der PEG-Sonde bei langfristiger Anwendung: •
Auch wenn zusatzliche Emahrung iiber den Mund im Prinzip moglich sei, unterbleibe dies oft aus Zeitmangel, der Patient vereinsame.
•
Durch die standig tropfende Sondennahrung komme es zu einem Vollegefiihl bei gleichzeitigem Verlust des natiirlichen Hungergefiihls; trotz Vollegeflihls entstehe so die Angst, zu verhungem.
•
Die Darmtatigkeit verkummere angesichts der leicht verdaulichen Sondennahrung, der Mund trockne mangels Benutzung aus.
•
Die Mund-, Zungen- und Kiefemmuskulatur verkummere, die Sprache werde verwaschen und schwer verstandlich.
•
Es komme zu Zwangsernahrung.
Hierzu im einzelnen vgl. Muller-Bohlen, BtPrax 1997, 22. '"^^ Ebenso Muller-Bohlen, FuBnote 130. ' Hubert-FehlerlHollmann, BtPrax 1996, 210; die nachfolgende Aufzahlung der negativen Femwirkungen der PEG-Sonde geht auch auf diesen sehr lesenswerten Aufsatz zuriick.
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Kapitel 10 Betreuungsrecht und Arzt/Krankenhaus
Diese gegen die PEG-Sonde vorgebrachten Bedenken mtissen unbedingt ernst genommen werden. Sie haben Auswirkungen auf das Handeln des Betreuers zum Wohl des Betroffenen. Sie flihren allerdings nicht zur Genehmigungsbedurftigkeit gemaB§ 1904 BGB. Die Durchsetzung der weiteren Emahrung liber den Mund ist in den Fallen, in denen dies moglich ist erforderlich, wird aber durch das Liegen der PEG-Sonde nicht behindert. Diese Durchsetzung ist aber Sache des Betreuers und nicht des Gerichts. Ein Genehmigungsbeschluss gemaB § 1904 BGB erleichtert diese Durchsetzung nicht. Psychologisch kann er eher Gegenteil bewirken: Wenn das Gericht schon genehmigt hat, kann der Betreuer doch keine Einwendungen mehr haben. Wenn der Betreuer in diesem Punkt keine Ubereinstimmung mit dem Heim findet, kommt die Herbeifiihrung eines vermittelnden Gesprachs mit dem Betreuungsrichter in Betracht, vgl. S. 115, zu dem dieser unter Umstanden auch den behandelnden Arzt hinzu laden wird. Wenn ausschliefiliche Emahrung uber den Mund ausreicht, kommt schon eine Einwilligung des Betreuers in die PEG-Sonde nicht in Betracht, so dass sich in diesen Fallen die Frage der richterlichen Genehmigung nicht stellt. Wo aber aus medizinischen Griinden keine Emahrung durch den Mund mehr moglich oder diese nicht ausreichend ist, sind die aufgefuhrten korperlichen Ruckbildungen nicht Folge der PEG-Sonde, sondem Folge der Storung der Nahrungsaufhahme uber den Mund, unter Umstanden auch Folge mangelhafter Pflege nach dem Eingriff, nicht aber des Eingriffs selbst. Die Frage der Zwangsemahrung ist dogmatisch nicht in § 1904 BGB, sondem in § 1906 BGB angesiedelt^'^^ Denn die Genehmigungsbedurftigkeit gefahrlicher Eingriffe gemal3 § 1904 BGB kntipft nicht an das Brechen des Willens des Betroffenen an, sondem an die Gefahrlichkeit des Eingriffs. e)
Sachverstandigengutachten; keine einstweilige Anordnung
GemaB § 69d II 1 FGG ist vor einer Genehmigung die Einholung eines Sachverstandigengutachtens vorgeschrieben. Der begutachtende und der den Eingriff vomehmende Arzt sollen „in der Regel" nicht personengleich sein, § 69d II 2 FGG. Daraus folgt, dass in Eilfallen Personengleichheit jedenfalls nicht ausgeschlossen ist. Die Begutachtung kann auch mlindlich erfolgen. Eine einstweilige Anordnung kommt begrifflich nicht in Betracht, da sie ja die endgUltige Entscheidung vorwegnehmen wiirde. An ihrer Stelle sieht § 1904 I 2 BGB vor, dass bei Eilgefahr die Genehmigungsbedurftigkeit entfallt. Ist also ein Eingriff so eilbedtirftig, dass keine Zeit mehr fiir das Genehmigungsverfahren '^^ Vgl. hierzuS. 130.
7 Das Unterlassen lebensverlangernder MaBnahmen zur Sterbeerleichterung
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bleibt, ist die MaBnahme genehmigungsfi*ei. Die Genehmigung muss in diesen Fallen auch nicht nachgeholt werden. Die Notwendigkeit der Einwilligung des Betreuers bleibt jedoch bestehen. f)
„Negativattest" des Betreuungsrichters zur Feststellung der Genehmigungsfreiheit
Aufgrund des verstandlichen und zu respektierenden Wunsches der Arzteschaft nach Rechtssicherheit sollte in Fallen, in denen die MaBnahme vom Betreuungsrichter als genehmigungsfi*ei eingestuft wird, eine entsprechende Verfiigung zu den Akten genommen und auf Wunsch auch abschriftlich dem Arzt zugeleitet werden.
6.
Sterilisation
Die ebenfalls erforderliche betreuungsrichterliche Genehmigung flir die Vomahme einer Sterilisation ist aus Grtinden des Sachzusammenhangs oben S. 47 dargestellt.
7.
a)
Das Unterlassen lebensverlangernder MaBnahmen zur Sterbeerleichterung Grundsatzliches
Die Begriffe „Behandlungsabbruch" oder „Therapiebeendigung" gilt in der Arzteschaft weithin als unkorrekt. Die Grundsatze der Bundesarztekammer zur arztlichen Sterbebegleitung^"^^ sprechen von Anderung des Bezahlungsziels weg von MaBnahmen der Lebensverlangerung und Lebenserhaltung hin zu palliativ-medizinischer Versorgung einschlieBlich pflegerischer MaBnahmen. Gegen den Begriff „Behandlungsabbruch" wenden sich aus arztlicher Sicht vehement auch Borasio/Putz/Eisenmenger^'^^. Eine palliativmedizinische Behandlung am Lebensende stelle weder eine Minimaltherapie, noch gar einen Therapieabbruch dar, sondem die Fortfiihrung der flir diesen Patienten optimalen Therapie mit geandertem Therapieziel. Die Lebensverlangerung werde dabei ^^^ AbdrucktS. 333. ^^"^ In einem Aufsatz zu dem Beschluss des BGH vom 17.03.2003 (Fn. 164), in Deutsches Arzteblatt Jg. 100 Heft 31 - 32, vom 4. August 2003, A 2062.
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Kapitel 10 Betreuungsrecht und Arzt/Krankenhaus
durch die Maximierung der Lebensqualitat als Therapieziel abgelost. Bei einem bewusstlosen Patienten, liege nun eine Patientenverfiigung vor oder nicht, seien lebensverlangemde MaBnahmen (zum Beispiel Intubation und Beatmung bei respiratorischer Insuffizienz, PEG bei Schluckunfahigkeit, aber auch die Gabe von Antibiotika bei Pneumonie) nicht schon deswegen „per se" indiziert, weil sie mit Wahrscheinlichkeit das biologische Leben des Patienten verlangerten. Die Auswahl der im Einzelfall richtigen von im allgemeinen mehreren Therapieoptionen miisse tunlichst im Konsens mit den engsten Familienmitgliedem/Bezugspersonen erfolgen. Die Patientenverfiigung sei dabei dann verbindliche Grundlage, wenn sie sich eindeutig auf die aktuelle Situation des Patienten beziehen lasse. Konne ein Konsens nicht erzielt werden, stelle eine vormundschaftsgerichtliche Prtifling einen guten Weg dar, um aus der Sicht einer dritten extemen [und unabhangigen! d. Verf.] Instanz die Grunde ftir den Entscheidungskonflikt zu klaren und diesen nach Moglichkeit aufzulosen^"^^. b) Unklarheit, wer letztlich zu entscheiden hat Die Frage, wer uber das Unterlassen lebensverlangemder MaBnahmen mit dem Ziel, dem Patienten das Sterben zu ermoglichen entscheiden konnen soil, muss als rechtlich weitgehend ungeklart betrachtet werden, die hierzu gemachten Losungsvorschlage sind aus rechtlicher Sicht unsystematisch und dadurch wenig uberzeugend. So fiihrt A. Roth^^^, ohne nahere Begrundung oder Beleg aus, es sei „unproblematisch", dass bei irreversibel in kurzer Zeit zu erwartendem Todeseintritt uber die Vomahme oder Unterlassung lebensverlangemder MaBnahmen „vom Arzt selbst ohne Einwilligung des Patienten" entschieden werden konne. Pragmatisch gesehen ist diese Losung vertretbar, aus arztlicher Sicht vielleicht sogar wiinschenswert. Aber wo bleibt hier das Selbstbestimmungsrecht des Patienten? Auch der Sterbende ist noch rechtsfahig, so dass arztliche Eingriffe und auch deren Unterlassung seiner Einwilligung oder der eines Vertreters bedurfen. Wird hier der Arzt als gesetzlicher Vertreter angesehen und auf welcher Rechtsgrundlage? '^^ Uber den Abbruch lebensverlangemder MaBnahmen bereits vor Beginn des eigentlichen Sterbevorgangs haben nach Palandt-Diedehchsen in der 60. Auflage ^^^ soweit (wie in der Praxis meist) keine Patientenverfiigung vorliegt, die Angehorigen in Verbindung mit den behandelnden Arzten „in eigener Verant-
Dies gelingt in der Praxis in der ganz (iberwiegenden Zahl der Falle. ^^"^ In Erman-A. Roth § 1904 BOB Rdnr. 22. ^^^ Vgl. hierzu S. 145. '^^ Einfuhrung vor § 1896 BOB Rdnr. 9.
7 Das Unterlassen lebensverlangernder MaBnahmen zur Sterbeerleichterung
141
wortung" zu entscheiden. Auch diese Auffassung wird allerdings weder begriindet, noch belegt. Vom Ergebnis her ist diese Losung ebenfalls praktikabel und vermutlich wird in der Praxis der Krankenhauser auch weitgehend danach verfahren. Aber wiederum die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage hier Angehorige und Arzt fiir den Patienten entscheiden konnen sollen. In den neueren Auflagen des Palandt wird die vorstehend dargestellte Auffassung auch nicht mehr vertreten. c)
Bisherige Losungsansatze aus der Praxis des Verfassers
Unabhangig von der Frage, ob Genehmigungsbediirftigkeit vorliegt, nimmt der Verfasser in seiner betreuungsrichterlichen Praxis Fragen von Heimen, Arzten oder Angehorigen ob eine Behandlung beendet werden konne, stets auf. Damit erflillt er den gesetzlichen Beratungsauftrag aus § 1837 I 1 BGB. Als erster Schritt erfolgt dabei immer eine neuerliche Anhorung des Patienten, um Uber die mitgeteilten Berichte hinaus einen personlichen Eindruck von dessen aktuellen Zustand zu erhalten. In der Regel flihren die Anhorung und ein anschlieBendes Gesprach mit den Beteiligten zum weiteren Vorgehen zu einem allgemeinen Konsens, der vom Richter in einem Vermerk aktenkundig gemacht wird. Soweit es einer der Beteiligten (meist der Arzt, gelegentlich das Heim oder der Betreuer) wunscht, wird ihm eine Abschrift dieses Vermerks Uberlassen. Vom Ergebnis her lauft dies auf eine durchaus maBgebliche Beteiligung des Betreuungsrichters hinaus, der so Schranken bei unzulassigen Wunschen nach Behandlungsabbruch setzen kann und setzt'^^. Zugleich ftihrt dieses Vorgehen zu Rechtssicherheit fur die Arzte. Mit einer formlichen Entscheidung gemaB § 1904 BGB kommt es hierdurch jedoch nicht. (1) Vorrang des Willens des Betroffenen In Ubereinstimmung mit dem das gesamte Betreuungsrecht durchdringenden Grundsatz des Vorrangs des Willens des Betroffenen ist zuallererst nach diesem zu forschen. Haufiger als auf die in der Praxis (noch) seltenen Patientenverfugungen trifft man dabei auf mundliche Erklarungen des Betroffenen, die dieser gegenuber Angehorigen oder Pflegepersonen abgegeben hat. Manchmal ist er auch bei der richterlichen Anhorung hierzu in der Lage. Soweit die betreffenden Erklarungen nicht unmittelbar dem Richter gegenuber abgegeben, sondem von Dritten berichtet werden, muss der Richter sich Gedanken
^^^ Vgl. Fall43S. 142.
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den Substanzgehalt dieser Berichte machen. Bestehen hier Zweifel, konnen manchmal zusatzliche Erkundigungen, etwa bei dem Hausarzt oder, bei praktizierenden Christen, bei dem Pfarrer weiterhelfen. Fall 42:
Die 82-jahrige nicht mehr einwilligungsfahige Patientin hatte ein Gangran am Bein, das nach arztlichem Urteil alsbald zu einer todlichen Blutvergiftung fiihren wiirde, wenn das Bein nicht amputiert wurde. Der Allgemeinzustand der Patientin wurde arztlicherseits als moribund bezeichnet.
Nach Ruckfrage mit dem zustandigen katholischen Pfarrer, der angab, die Patientin sei auf das Sterben vorbereitet, lehnte der Richter die Genehmigung der Amputation gegen den Widerstand des einzig erreichbaren Angehorigen ab. Rechtsgrundlage war hier, da ein Betreuer noch nicht bestellt war, § 1846 BGB. Aus den Griinden: Die Betroffene ist in einem schlechten Allgemeinzustand, aufgrund dessen zu erwarten ist, dass sie nicht mehr lange zu leben hat. Aufgrund dieses Allgemeinzustands ist das Operationsrisiko erhoht, was den lebensverlangernden Erfolg dieses Eingriffs in Frage stellt. ... Die Betroffene hatte sich in der Vorwoche strikt gegen eine Amputation des Beines gewandt. Das Gericht wertet diese WillensauBerung, auch nach Anhorung des einzig erreichbaren Angehorigen der Betroffenen, nicht als mangelnde Einsichtsfahigkeit, sondern als den Wunsch, angesichts des nahenden Todes nicht noch einer derartigen Operation unterzogen zu werden. Diesem aufgrund des vorher Gesagten durchaus nachvollziehbaren Wunsch der Betroffenen muss entsprochen werden. Dass sich die Betroffene zwischenzeitlich nicht mehr auBern kann, ftihrt zu keiner anderen Beurteilung. SchlieBlich muss berticksichtigt werden, dass eine gegen ihren Willen durchgefuhrte Amputation die Betroffene psychisch schwer belasten und damit einerseits den Tod noch schneller herbeifuhren, vor allem aber die noch verbleibende Lebensspanne mit Trauriglceit und Depression uberschatten wiirde. Die Beachtung des Patientenwunsches findet ihre Grenze in dem sich aus § 216 StGB ergebenden Verbot der sogenannten „aktiven Sterbehilfe", also einer aktiven Totungshandlung. Fall 43:
Der iiber 70-jahrige Patient hatte eine Schlaganfall erlitten, eine Verstandigung war phasenweise noch moglich. Er wunschte zu sterben. Seine Frau, die ihn ersichtlich liebte, bat, ihm diesen Wunsch zu erfullen.
Hier wurde ein gemeinsames Gesprach mit der inzwischen als Betreuerin eingesetzten Ehefrau und dem Chefarzt gefuhrt. Arzt und Richter waren sich einig, dass hier aktive Sterbehilfe gewtinscht wurde, die nicht gewahrt werden kann. Der letztlich auch hier gefundene Konsens ging dahin, dass im Bedarfsfall zur LindeD. h., der Sterbeprozess hat bereits eingesetzt oder sein Einsetzen steht unmittelbar bevor.
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rung etwaigen schweren Leidens auch Medikation gewahrt werden konnen sollte, die als Nebenfolge moglicherweise das Leben verkurzen konnte. Ein solches Vorgehen, das keine fmale Totung darstellt, aber um der Leidenslinderung erforderlichenfalls Lebensverkiirzung in Kauf nimmt, wird als sogenamite „indirekte Sterbehilfe", also der Hilfe beim Sterben unter Ausschluss seiner gezielten Herbeifuhrung, allgemein fiir zulassig gehalten"^"^. Fall 44:
Der welt uber 90-jahrige Patient war offensichtlich nicht mehr allzu welt vom Tode entfernt. Wegen maBiger Atembeschwerden sollte eine Bronchoskopie vorgenommen werden, die aber als mogliche Komplikation dazu hatte fiihren konnen, dass der Patient fiir den Rest seines Lebens intubiert hatte bleiben miissen.
Dem um Rat fragenden Betreuer wurde nachdriicklich geraten, dem Eingriff um dieser Komplikationsgefahr willen nicht zuzustimmen — auch um den Preis des hierdurch moglicherweise sich beschleunigenden Todeseintritts. Denn die Dauerintubation hatte zu einer unvertretbaren Belastung des Lebensrestes des Betroffenen geflihrt. Dies war Ubrigens auch durchaus im Sinne der behandelnden Arzte, die lediglich aus haftungsrechtlichen Griinden eine betreuungsrechtliche Entscheidung gewiinscht hatten. Aufgrund der drohenden Komplikation hatte der Eingriff im Ubrigen auch nach Entscheidungspraxis des Verfassers gemaB § 1904 RGB der betreuungsrichterlichen Genehmigung bedurft. Wenige Tage spater schlug das Krankenhaus zur Linderung der Atemnot eine Lungenpunktion vor, die nicht die Gefahr andauernder Intubierung mit sich brachte. Hier war die Einwilligung problemlos. Fall 45:
Der Richter wurde an einem Freitag in ein Altenheim gerufen mit der Frage, ob die Patientin, die auszutrocknen drohte, zur Sicherstellung der Fltissigkeitsversorgung mit einer PEG-Sonde versorgt werden sollte. Die Patientin habe erklart, sterben zu wollen. Sie wiederholte diesen Wunsch mit letzter Kraft dem Richter gegenuber. Nach Beratung mit Arzt, Pflegepersonal und den beiden iiber 50-jahrigen Tochtern der Betroffenen bestimmte der Richter gemaB § 1846 BGB, dass bis zum Montag eine Versorgung mit einer PEG-Sonde unterbleiben solle, allerdings seien die Lippen feucht zu halten. Auf Wunsch solle selbstverstandlich auch zu trinken gegeben werden. Um es nicht zu einem qualvollen Verdurstenstod kommen zu lassen, solle gegebenenfalls am Montag uber das Legen einer Infusion oder einer PEG-Sonde entschieden werden. Die Betroffene konnte ihrem Wunsch entsprechend noch am Wochenende sterben.
Der Wunsch eines ,,friedlich Einschlafens" erfullt sich im Ubrigen auch dann oft nicht, wenn dem Wunsch auf Absetzen der lebenserhaltenden Medikation entsprochen wird. In einem derartigen Fall wurde dem Verfasser von einem mehrtagigen
^^"^ Trondle/Fischer Randnummer 18 vor § 211 StGB; BGHSt 42, 301, 305.
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schweren Todeskampf berichtet. Vgl. die Aussage in Fall 50 (SI61) wonach es einen einfachen, geschenkten Tod nicht gibt. (2) Ermittlung des mutmafilichen Willen des Betroffenen Lasst sich ein dezidiert erklarter Wille des Betroffenen nicht oder nicht ausreichend sicher feststellen, ist nach seinem mutmaBlichen Willen zu fragen. An diesem Punkt kommen die Angehorigen ins Spiel, die fur die Ermittlung dieses Willens eine entscheidende Rolle spielen konnen. Formlich an Stelle des Betroffenen entscheiden durfen sie allerdings, soweit sie nicht als Betreuer eingesetzt sind, nicht, da es hierfur eine Rechtsgrundlage nun einmal nicht gibt'^^. An die Annahme der Voraussetzungen der mutmaBlichen Einwilligung des Patienten in einen zum Tode fuhrenden Behandlungsabbruch sind strenge Anforderungen zu stellen^^^. Es wird dabei vor allem auf fruhere miindliche oder schriftliche AuBerungen des Betroffenen ankommen, seine religiose Uberzeugung, seine personlichen Wertvorstellungen, aber auch seine altersbedingte Lebenserwartung oder die von ihm zu erleidenden Schmerzen^"^. Es besteht Anlass zu dem Hinweis, dass es bei dem letztgenannten Punkt um das Leiden des Betroffenen selbst geht, nicht um das zweifellos auch oft erhebliche Leiden der Angehorigen oder auch der Pflegekrafte. Inhaltliche Infragestellungen von den Angehorigen mitgeteilter friiherer Verlautbarungen des Betroffenen konnen allerdings insbesondere dann geboten sein, wenn diese schon langer zuriickliegen. Fall 46:
Die nicht mehr erklarungsfahige Patientin soil eine PEG-Sonde erhalten. Noch vor Anhorung ruft eine Enkelin, die sich als Intemistin vorstellt, an und drangt, das Legen der PEG-Sonde zu unterlassen um den Sterbevorgang nicht aufzuhalten. Die Betroffene sei eine sehr selbstbewusste Geschaftsfrau gewesen, die niemals derart pflegebedurftig hatte weiterleben wollen, wie es jetzt der Fall sei. Bei der Anhorung fmdet der Betreuungsrichter die Betroffene zwar erklarungsunfahig, aber mit wachen Augen vor. Nach Bericht des Pflegepersonals hort die Betroffene noch mit sichtlichem Vergniigen Radio.
Die Patientin nahm am Leben noch soweit und jedenfalls teilweise auch mit Freude teil, dass von einem Fortgelten ihres in gesunden Tagen geauBerten Wunsch, nie ein Pflegefall zu werden, nicht ausgegangen werden konnte, auch wenn die Enkelin dies anders sah. Auf Rat des Richters lieB der Betreuer die PEG-Sonde legen.
^^^ Vgl. S. 53, Grundsatz 5. ^^^ Trondle/Fischer Randnummer 21 vor § 211 StGB. ^^^ BGHSt 40, 263.
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Der zugespitzte Vorwurf von Beckmann^^^, bei dem mutmafilichen Willen handle es tatsachlich um keinen Willen, sondem um eine reine MutmaBung trifft zwar nicht immer zu, muss aber durch sehr emst genommen werden. (3) Entscheidung durch den Ant? Aus arztlicher Sicht wird immer wieder hervorgehoben, dass die „letzte" Entscheidung dem Arzt zustehe und ihm auch nicht entzogen werden konne. Dieser Standpunkt ist vom Berufsethos des Arztes her gesehen verstandlich und natiirlich kommt dem arztlichen Votum vielfach und auch zu Recht die entscheidende Bedeutung zu. Aus rechtlicher Sicht hat der Arzt aber grundsatzlich kein eigenes Entscheidungsrecht. Sofern der Betroffene nicht mehr selbst entscheiden kann, muss dies dann ein ftir ihn einzusetzender gesetzlicher Vertreter, eben ein Betreuer, tun. Fiir eine eigene Entscheidung des Arztes ist Raum nur bei einem bewusstlosen Oder sonst erklarungsunfahigen Patienten unter den Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands nach § 34 StGB. Danach ist eine arztliche Behandlung ohne Einwilligung des Patienten dann zulassig, wenn gegenwartig nicht anders abwendbare Gefahr ftir Leib oder Leben des Patienten vorliegt und der VerstoB gegen die Einwilligungspflicht wesentlich geringer wiegt als die Gefahr ftir Leib oder Leben. Wesentlich hierbei ist das „gegenwartig nicht anders abwendbar". Sobald also die akute Notversorgung erfolgt ist, hat der Arzt erforderlichenfalls auf die Einsetzung eines Betreuers hinzuwirken um so die weitere einwilligungslose Behandlungssituation „anders abzuwenden", eben durch Mitwirkung eines Betreuers. Dogmatisch kommt es bei der Behandlung aufgrund rechtfertigenden Notstands allerdings nicht zu einer Ersetzung der Einwilligung des Patienten durch den Arzt, sondem der Arzt darf eben in diesen Fallen auch ohne Einwilligung des Patienten behandeln. Damit bedarf es keiner Hilfskonstmktion dahin, dass der Arzt etwa uber die Regeln der Geschaftsftihrung ohne Auftrag gemaB §§ 677ff. BGB selbst einwilligungsbeftigt sei^^^. Ohnehin konnte die Moglichkeit des Arztes, als Geschaftsftihrer ohne Auftrag zu handeln, der Bestellung eines Betreuers niemals vorgehen'^^. 158
159 160
In dessen Sondervotum im Zwischenbericht „Patientenverftigungen" der EnqueteKommission Ethik und Recht in der modernen Meizin vom 13.09.2004, BundestagsDrucksache 15/3700, pdf-Download im Internet unter www.bundestag.de/medizin. So aber Palandt-Spmu, Randr. 5 vor § 677 BGB. Erman-Holzhauer § 1896 BGB Rdnr. 47, der in der 10. Auflage auch die Frage der Einwilligungsbefugnis aufgrund Geschaftsftihrung ohne Auftrag anspricht; der entsprechende Absatz ist in der 11. Auflage entfallen.
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Geschaftsfiihrung ohne Auftrag als Rechtsgrundlage fiir ein Einwilligungsrecht des Arztes ist ebenso fern!legend wie die Annahme einer Befugnis fur einen Geschaftsfiihrer ohne Auftrag, tiber die Konten des Geschaftsherrn zu verfiigen. Die Geschaftsfiihrung ohne Auftrag verleiht keine derartigen Eingriffsrechte, sondem sie begriindet ein Schuldverhaltnis zwischen auftragslosem Geschaftsfiihrer und Geschaftsherrn, innerhalb dessen dem Geschaftsfiihrer in bestimmten Fallen schuldrechtliche Ausgleichsanspriiche gegen den Geschaftsherrn zustehen. Uber die fehlende Einwilligung hilft auch im Fall der Geschaftsfiihrung ohne Auftrag nur der rechtfertigende Notstand des § 34 StGB, der, wie ausgefiihrt, Handeln auch ohne Einwilligung des Betroffenen zulasst, ohne dass die fehlende Einwilligung zu ersetzen ware. Der Arzt ist im Notstand zum Handeln ubrigens nicht nur befugt, sondern nach der weiteren Strafvorschrift des Verbots der unterlassenen Hilfeleistung, § 323c StGB, sogar verpflichtet! Die Strafnorm § 323c StGB, unterlassene Hilfeleistung, fuhrt zu der Frage, ob der Arzt sich strafbar macht, wenn er, auch auf Wunsch des Patienten oder dessen gesetzlichen Vertreters, des Betreuers, die Behandlung abbricht^^^ Als noch weit folgenschwerere Strafnorm als unterlassene Hilfeleistung steht hier unter Umstanden sogar Totung auf Verlangen gemaB § 216 StGB im Raum. Zwar kann bei einem frei verantwortlich handelnden (!) Suizidenten die Garantenstellung des Arztes entfallen, mit der Folge, dass dann Totung auf Verlangen durch Unterlassen nicht mehr in Betracht kommt^^^. Dies kann dann der Fall sein, so das OLG Munchen, wenn der Patient aufgrund seines Willens zum Suizid den Arzt aus seiner in seinem Beruf begrtindeten Lebensschutzverantwortung und der davon abgeleiteten Garantenstellung (auf der wiederum die Rechtsfigur des Unterlassensdeliktes beruht) wirksam entlasst. Abgesehen davon, dass nicht jeder Suizident frei handelt, lasst sich in den Fallen von Behandlungsabbruch ein solcher Wille, den Arzt von seinen Pflichten zu entbinden, vielfach nicht klar feststellen. Der Arzt - im Spannungsfeld zwischen dem Sterbewunsch des Patienten und strafrechtlich bewehrter Pflicht zur L.ebensverlangerung auch ohne und gegen den Willen des Patienten, Kommt es nach einem Suizidversuch, wie meist, zu einer Einweisung des Suizidenten in die Klinik aufgrund eines der Landesgesetze tiber die Unterbringung psychisch Kranker, ersetzt diese Einweisung ohnehin jede Einwilligung des
Die Strafbarkeit nach dieser Norm soil nach OLG Munchen NJW 1987, 2940 auch bei einem Suizidenten nur ausnahmsweise entfallen. OLG Munchen NJW 1987, 2940; ebenso Trondle/Fischer § 216 StGB Rdnr. 6.
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Patienten'^^. Anders als der betreuungsrechtliche Unterbringungsbeschluss hat diese sogenannte polizeirechtliche Unterbringungsentscheidung namlich nicht nur genehmigende, sondern anordnende Funktion. d) Die Entscheidung des Bundesgeriehtshofs vom 17.03.2003 (1) Darstellung der Entscheidung In seinem lange erwarteten Grundsatzbeschluss vom 17.03.2003'^"^ hat der Bundesgerichtshof (iber die Frage entschieden, ob und wann eine Patientenverfiigung, die bei irreversibel todlichem Krankheitsverlauf lebenserhaltende oder -verlangemde MaBnahmen ablehnt, fiir den Arzt bindend ist. Im Ergebnis unterscheidet er dabei folgende Fallgruppen: (1) Hat der (inzwischen einwilligungsunfahige) Patient zu einem Zeitpunkt, als er noch einwilligungsfahig war, explizit erklart, lebenserhaltende und -verlangernde MaBnahmen abzulehnen, muss dem entsprochen werden. (2) Ist eine ausdriickliche Willenserklarung des Patienten nicht bekannt, beurteilt sich die Zulassigkeit der Behandlung, falls unaufschiebbar, nach dem mutmaBlichen Willen des Patienten, bis fiir diesen ein Betreuer bestellt ist. (3) Ist ein Betreuer bestellt und erreichbar, stellt der mutmaBliche Wille des Patienten keine zureichende Behandlungsgrundlage mehr dar, weil durch die Einsetzung des Betreuers die unmittelbare rechtliche Handlungsfahigkeit des Patienten wiederhergestellt ist. Hier hat der Betreuer als gesetzlicher Vertreter des Patienten die erforderlichen Erklarungen abzugeben, wobei er gemaB § 1901 BGB den Willen des Patienten in eigener Verantwortung zu berticksichtigen und erforderlichenfalls durchzusetzen hat. (4) Liegt nach arztlichem Urteil keine medizinische Indikation fur lebenserhaltende und -verlangemde MaBnahmen vor, darf der Arzt von sich aus solche MaBnahmen unterlassen. Hierzu bedarf es weder der Einwilligung des Betreuers, noch einer Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht. Insoweit liegen die Dinge nicht anders als bei einwilligungsfahigen Patienten, deren Behandlungswunsch der Arzt ablehnen darf, wenn es an einer entsprechenden Indikation fehlt. (5) Bejahen die Arzte die Indikation ftir eine Weiterbehandlung, ist nach allgemeinen Grundsatzen die Einwilligung des Betreuers erforderlich.
Vgl. hierzu auch FuBnote 180 und 181 und der dazugehorende Textabsatz. '^^ NJW 2003, 1588.
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(6) In den Fallen, in denen der Betreuer eine Weiterbehandlung ablehnt, obwohl sie drztlicherseits fur indiziert angesehen wird („Konfliktfall"), bedarf diese ablehnende Entscheidung des Betreuers der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung. Anders ausgedruckt: das Vormundschaftsgericht ist uberhaupt nur in den Fallen zu beteiligen, in denen die Arzte in ihrer eigenen Verantwortung eine Weiterbehandlung fiir richtig halten und der Betreuer gleichwohl den Abbruch der Behandlung wunscht. Daraus wird deutlich, dass der BGH dem Arzt einen erheblichen Entscheidungsspielraum lasst'^^. Hierzu folgendes Fallbeispiel aus dem Juni 2003: Fall 47:
Die Betreute hatte einen Blasentumor mit Metastasenbildung in der Gebarmutter. Die statistische Uberlebenserwartung lag bei 8 bis 12 Monaten. Nach dem Votum der Arzte bestand zwar grundsatzlich eine, wenn auch sehr geringe, Chance, dass eine Operation Erfolg haben konne. Allerdings war zu erwarten, dass die schwer fiihrbare hochgradig schmerzempfindliche Patientin die postoperativ erforderlichen MaBnahmen nicht mitmachen bzw. akzeptieren wurde. Die Patientin litt zusatzlich an einer chronischen nicht kurablen Pneumonic und an einer antikonvulsiv eingestellten Epilepsie. Mangels Compliance komme eine Blasen-ZEnddarmexstirpation nicht in Betracht und sei auch der Erfolg einer Chemotherapie in Frage gestellt. Insgesamt sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass man gar nichts mehr versuchen konne und die Patientin sterben lassen musse. Die stark ubergewichtige (115 kg bei 160 cm) Patientin war bei der richterlichen Anhorung indifferent, nicht dialogbereit. Sie sprach eigentlich nur iiber das Essen. Den Arzten wurde bestatigt, dass in Anwendung des BGH-Beschlusses vom 17.03.2003 ihnen die Entscheidung, nicht zu behandeln, zustehe, ohne dass es einer betreuungsrichterlichen Genehmigung bedtirfe. Die Patientin starb etwa 2 Monate spater,
(2) Todlicher Verlaufauch vor „unmittelbarer Todesndhe''? Aufgrund einer in Abschnitt III. 2. c) aa) der soeben dargestellten Entscheidung erfolgten Bezugnahme auf den „Kemptener Fall"'^^ war der Eindruck entstanden, dass ein Behandlungsabbruch nur „in unmittelbarer Todesnahe" in Betracht kommt. Diese Begrenzung ist von Buhler/Stolz^^^ aus arztlicher Sicht heftig kritisiert worden. Sie schlagen vor, von einem irreversibel todlich verlaufenden Grundlei-
Borasio/Putz/Eisenmenger (Fn. 147); ebenso fur die Sterbephase schon ErmanA. Roth, 10. Auflage, § 1904 BGB Rdnr. 22, ^^^ BGH NJW 1995, 204. '^^ FamRZ 2003, 1622.
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den fund damit einem „todlichen Verlauf im Sinne des BGH-Beschlusses) auszugehen, wenn folgende Merkmale vorliegen: (1) bei irreversibler Bewusstlosigkeit und Kommunikationsunfahigkeit; (2) bei Schwerstpflegebedtirftigkeit; (3) bei der Notwendigkeit medizinisch indizierter kiinstlicher Unterstutzung von Nahrungsaufnahme, „Entgiftung" und Ausscheidung oder Beatmung; (4)rasches Ableben bei Beendigung dieser kiinstlichen UnterstutzungsmaBnahmen ist mit Sicherheit zu erwarten. Dagegen solle kein Behandlungsabbruch in Betracht kommen, •
wenn eine vollige Wiederherstellung (restitutio ad integrum) moglich sei,
• bei chronischen Leiden (wie Diabetes mellitus, Asthma, Rheuma), die auch bei Behandlung lege artis zwar zu Folgeerscheinungen mit todlichem Ausgang fiihren konnten, deren Komplikationen aber im Regelfall durch geeignete MaBnahmen aufgehalten und vermieden werden konnten • bei Leiden, bei denen die Patienten sich noch selbst emahren, spontan atmen, sich bewegen konnten und bei denen die Patienten noch selbst entscheiden konnten, ob sie Nahrung und Flussigkeit aufnahmen. Bei solchen Erkrankungen werde namlich die emotionale, faktische und wirtschaftliche Belastung durch die Krankheit in der Regel nicht als hoffnungslos, wurdelos und unertraglich empfunden. In diesen Fallen bedeute eine Lebensverlangerung durch die moglichen medizinischen MaBnahmen keine (bloBe) Leidensverlangerung. In einem Interview mit der YAZ^^^ hat die Vorsitzende des Senats, der den in Rede stehenden Beschluss erlassen hat, erklart, der Senat habe an der genannten Einschrankung nicht festhalten, sondem den Behandlungsabbruch bei irreversibel todlichem Verlauf auch vor Eintritt der eigentlichen Sterbephase erfassen wollen. Wo keine Chance bestehe, „dass der Patient wieder ... als bewusster Mensch am Leben der anderen teilnehmen kann, ... befmdet sich u. E. ein solcher Wachkomapatient in einem irreversiblen todlichen Verlauf" Zwar handelt es sich bei dieser AuBerung im Rechtssinne um eine Privatmeinung, noch unterhalb eines obiter dictum. Inzwischen hat aber das OLG Karlsruhe in einem Beschluss vom 26.03.2004^^^ ausdrticklich ausgesprochen, dass eine Behandlungsabbruch nach den vom BGH gesetzten Vorgaben auch in Betracht kommen kann, wenn das
Hahne im Rechtsinterview mit Rudolf Gerhardt in FAZ v. zitiert in Coeppicus, RPfleger 2004, S. 262. ^^^ BtPrax 2004, 202.
18.07.2003,
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Leiden des Patienten einen irreversiblen todlichen Verlauf genommen hat, der Tod aber nicht unmittelbar bevorsteht. (3) Unzulassige Beschneidung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten? Die Entscheidung des BGH ist immer wieder im Hinblick darauf kritisiert worden, sie enge das Selbstbestimmungsrecht des sterben-wollenden Patienten zu stark ein. Teilweise beruht diese Kritik allerdings auf Unkenntnis dieses Beschlusses oder dessen falscher Interpretation. Wenn etwa die Deutsche Hospiz Stiftung beklagt, schriftliche Patientenverfligungen reichten in der Regel zur Beendigung lebensverlangemder MaBnahmen nicht mehr aus'^^, trifft dies, wie die vorstehende Darstellung zeigt, in dieser Allgemeinheit nicht zu. Anders verhalt es sich mit der Kritik des CSU-Bundestagsabgeordneten Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)^^' an dem Zwischenbericht „Patientenverfugung" der Enquete-Kommission Ethik und Recht in der modemen Medizin des Deutschen Bundestages vom 13.09.2004'^^, das Grundrecht auf korperliche Unversehrtheit werde in den Empfehlungen der Enquete-Kommission dadurch zu sehr eingeschrankt, dass Patientenverfligungen mit dem Ziel der Beendigung lebenserhaltender und -verlangernder MaBnahmen nur in den Fallen wirksam sein sollten, „in denen das Grundleiden irreversibel sei und trotz medizinischer Behandlung nach arztlicher Erkenntnis zum Tod fuhren werde". Damit wiirden Demenzkranke, Wachkomapatienten und viele andere von der Moglichkeit, durch eine Patientenverfiigung die Beendigung ihrer Behandlung abzulehnen, ausgeschlossen. Das Recht auf Leben schlieBe aber das Recht auf ein Sterben in WUrde und das Recht auf einen natiirlichen Tod ein. Patientenverfligungen mtissten defmitiv bindende Kraft erhalten, wobei als Voraussetzungen hierfur eine gewisse Aktualitat und eine vorausgegangene qualifizierte arztliche Beratung gefordert werden konnten. In der Tat: Was ist denn mit Patientenverfligungen, die auBerhalb der vom BGH gesetzten Voraussetzungen einen Abbruch arztlicher MaBnahmen fordern? Sind sie unwirksam? Auf welcher Grundlage wird hier das Selbstbestimmungsrecht des Verfligenden beschrankt? Liegt in der Beschrankung der Geltung von Patientenverfligungen auf „todliche Verlaufe" (selbst bei Ausdehnung des Begriffs vor die eigentliche Sterbephase) eine grundrechtswidrige Einschrankung des Selbstbestimmungsrechts'^^?
170 171 172 173
Deutsches Arzteblatt Jg. 100 Heft 31 - 32, vom 4. August 2003, A 2064. Veroffentlicht im Internet unter www.m4m.de/patientenverfuegung/04-09PM-Patientenverfueg-Zwiber.htm. Fundstelle s. FuBnote 158. So Coeppicus, RPfleger 2004, 262.
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(4) Unmittelbare Geltung des in der Patientenverfilgung erkldrten Willens? Coeppicus weist in seinem Aufsatz „Abbruch lebenserhaltender MaBnahmen"'^"^ auf Folgendeshin: Auch nach Verlust der Einwilligungsfahigkeit und der Bestellung eines Betreuers bleibt der in einwilligungsfahigem Zustand erklarte Willen des Patienten vollwirksam bestehen. (Auf den Sonderfall, dass Anhaltspunkte fiir Unrichtigkeit dieser Erklarung von Anfang an vorliegen oder aber dafiir, dass der Patient von dem geauBerten Willen abrucken will, soil in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden: Bei Wachkomapatienten wird das nur ausnahmsweise der Fall sein.) GemaB § 130 II BGB ist es namlich auf die Wirksamkeit einer Willenserkl^rung ohne Einfluss, wenn der Erklarende nach deren Abgabe geschaftsunfahig wird. Auf den ausdrucklich erklarten Willen des inzwischen einwilligungsunfahigen Patienten kann der Arzt daher auch nach Bestellung eines Betreuers unmittelbar durchgreifen, es sei denn, der Betreuer hatte diesen Willen ausdrucklich widerrufen^^^. Dies ergibt sich auch aus dem Beschluss des BGH, in dem die Einsetzung eines Betreuers lediglich den Durchgriff auf den mutmaBlichen Willen des Patienten ausschlieBt^^^. Damit ist, jedenfalls beim Vorliegen einer unmissverstandlich abgefassten Patientenverfilgung, weder eine Einwilligung des Betreuers, noch eine Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht erforderlich. Denn eigene Erklarungen eines voll Geschaftsfahigen bedurfen in keinem Fall einer Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht. Wenn der Patient selbst entscheiden kann, dann gilt sein Wille ohne Rucksicht auf die in dem BGH-Beschluss gesetzten Grenzen.^^^ Es ist anerkannten Rechts, dass das Selbstbestimmungsrecht auch die Beftignis umfasst, arztliche Behandlungen abzulehnen. Das gilt sogar, wenn die Ablehnung objektiv unsinnig ist, womoglich mit todlichem Ausgang, wahrend eine Behandlung zur vollstandigen Wiederherstellung fiihren wtirde^^^. SchlieBlich zeigt Coeppicus auch noch dogmatische Ungereimtheiten auf, die eintreten, wenn weder die Einwilligung des Patienten selbst, noch die des Betreuers in die weitere Behandlung vorliegt. Der BGH-Beschluss stellt insoweit eher beilaufig fest, dass die Ablehnung des vom Betreuer angestrebten Behandlungsabbruchs durch das Vormundschaftsgericht zugleich die Einwilligung in die weitere Behandlung enthalt. AUerdings gibt es hierfilr keine rechte gesetzliche Grundlage. Ein Fall des § 1846 BGB liegt nicht vor, denn ein Betreuer ist ja vorhanden und offenbar gerade nicht verhindert. So mag auch dieser Ausspruch Antwort auf ein 174 175 176 177 178
aaO(Fn. 173). Auch dazu ist er befugt! Abschnitt III. 2. a) des BGH-Beschlusses. Kutzer,ZRP 2003, 213. Coeppicus aaO (Fn. 173) mwN.
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unabweisbares Bediirfnis des Betreuungsrechts sein, auf das der Beschluss sich ja, wenn auch in anderem Zusammenhang, stutzt. Ebenso bleibt auf diesem Hintergrund offen, weshalb und auf welcher Einwilligungsgrundlage auch beim Vorliegen einer „klipp und klaren" Patientenverfiigung bis zum Abschluss des vormundschaftsgerichtlichen Verfahrens weiterbehandelt werden miiss^^'\ (5) Grenzen des auf Lebensbeendigung bin gerichteten Selbstbestimmungsrechts Die bereits angesprochene auch von dem BGH-Beschluss aufgenommene Rechtsprechung, wonach jeder Kranke das Recht hat, sich nicht behandeln zu lassen, fiihrt in der Tat letztlich zur Disponibilitat auch des eigenen Lebens. Dieses obschon ethisch fragwiirdige Ergebnis wird bei dem erklarungsfahigen Patienten letztlich nicht in Frage gestellt: Der Arzt kann versuchen, ihn zu Uberreden, sich behandeln zu lassen, vielleicht versucht er, ihn zu tauschen, zu tiberlisten. Letztlich zwingen kann er den Patienten nicht. Eingeschrdnkt wird das „ Recht auf Krankheit" allerdings zum einen, wenn die Fahigkeit, einen eigenen Willen zu bilden, so massiv gestort ist, dass von einer eigentlichen eigenen Willensentscheidung nicht mehr gesprochen werden kann. Bin Beispiel hierftir ist dargestellt in Fall 39 S. 132. Die zweite Einschrdnkung fmdet sich in Fallen von Selbsttotung (Suizid). Die lebensrettende Behandlung eines Suizidenten ist ja zwangslaufig die Behandlung eines Patienten ohne, ja gegen dessen Willen. Rechtsgrundlage der Behandlung sind hier aber die Gesetze der einzelnen Bundeslander uber die Behandlung psychisch Kranker, so dass es dogmatisch in der Tat keiner Einwilligung bedarf. In diesem Bereich ist das Selbstbestimmungsrecht erheblich schwacher als im Zivil- und Arztrecht: „Das Grundgesetz gewahrt uber das eigene Leben kein Verfugungsrecht, so dass es keinen verfassungsrechtlich verbiirgten Anspruch auf 'aktive Sterbehilfe' durch Dritte geben kann. Das menschliche Leben ist vielmehr vom Staat zu schutzen. Es gehort daher zu den Aufgaben der Polizei, die Totung eines Menschen zu verhindem, unabhangig davon, ob sie Folge einer Straftat oder lediglich eines Unglucksfalles ware oder ob sie sich als straflose Selbsttotung darstellte."^^^ Auch im Strafrecht fmdet sich in einer im Jahr 2001 ergangenen Entscheidung des BGH der Satz: „Die Rechtsordnung wertet eine Selbsttotung deshalb - von auBersten Ausnahmefallen abgesehen - als rechtswidrig (und) stellt die Selbsttotung und die Teilnahme hieran lediglich straflos." ^^'
^^^ So aber Kutzer, ZRP 2003, 213. ^^^ VG Karlsruhe NJW 1988, 1536. ^^' BGH NJW 2001, 1802.
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Das Zivilrecht indes ist bestimmt von dem „Recht auf Krankheit" Es bleibt die Frage, ob dieses Recht, dass dem Erklarungsfahigen nach gefestigter Rechtsauffassung zusteht, nach Wegfall der Erklarungsfahigkeit nur noch eingeschrankt gilt. e)
Stellungnahme zu dem BGH-Beschluss
Ungeachtet der dogmatischen Ungereimtheiten, wie sie etwa Coeppicus aufgezeigt hat^^^, geht der BGH in seiner Entscheidung ersichtlich davon aus, dass mit dem Erloschen der Einwilligungsfahigkeit auch eigene Erklarungen des Patienten jedenfalls im Konfliktfall zwischen Betreuer und Arzt der Uberprilfung durch den Betreuungsrichter zuganglich sind. Dies ist vom Ergebnis her auch zu begriiBen. Denn die Situation zwischen einem Erklarungsfahigen, der jetzt, aktuell, keine Behandlung wunscht und einem nicht mehr Erklarungsfahigen, der erklart hat, in einer bestimmten, kUnftig eintretenden Situation, keine Behandlung zu wunschen, ist unterschiedlich. (1) Behandlungsablehnung durch einen Patienten in der aktuellen Situation Hier erklart sich der Patient in einer Situation, die er kennt. Der Arzt kann seine Situation und seine Entscheidung dazu konkret und substantiiert erortem. Mogliche Probleme konnen angesprochen und behoben oder doch gemindert, Angste ausgesprochen und Wege zu ihrer Bewaltigung aufgezeigt werden. Aufgrund dieser Erorterung kann der Patient seine Entscheidung reflektieren und abandem. Todessehnsucht kann neuer Hoffnung weichen, sei sie auch begrenzt. Nach dem weithin bekannten Buch von Elisabeth Kiibler-Ross^^^ gibt es funf Phasen des Sterbens: die Phase des Nichtwahrhabenwollens, die Phase des Aufbegehrens, die Phase der Depression, die Phase des Verhandelns um noch etwas Zeit und die Phase des sich Fugens in den bevorstehenden Tod. Nicht jeder erlebt alle Phasen, nicht bei jedem kommen sie in dieser Reihenfolge. Aber diese Forschungsergebnisse kennzeichnen das Sterben als einen Prozess, der gelebt und nicht einfach abgebrochen werden sollte. Abgebrochen oft gar nicht wegen des Leidens des Patienten selbst, sondem seiner Angehorigen und vielleicht auch des Pflegepersonals. Ein Mediziner hat in einem Beitrag zu dem BGH-Beschluss geschrieben: „Ein sehr grower Teil der Menschen ist stimmungslabil, der augenblicklich geauBerte Wunsch zum Sterben entspricht nicht deren dauerhafter Einstellung zum Leben. ... Der Wunsch zu sterben soil als Hilferuf provozieren ... Die demonstrative Aufforderung zur Totung ist dementsprechend selbst bei Schwerstkranken haufig
^^^ aaO(Fn. 173). 183
Titel: Interviews mit Sterbenden.
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Kapitel 10 Betreuungsrecht und Arzt/Krankenhaus
nicht emst gemeint. Der Hilferuf erheischt Hilfe, Euthanasie schafft Abhilfe. Aber auch bei Schwerstkranken kann der Wunsch zu sterben von Angehorigen induziert, ja aufoktroyiert werden."'^"^ Alte Menschen haben vielfach Angst, ihren Angehorigen zur Last zu fallen. Auf diesem Hintergrund ein mahnendes Wort von Altbundesprdsident Raw. „Wo das Weiterleben nur eine von zwei legalen Optionen ist, wird jeder rechenschaftspflichtig, der anderen die Last seines Weiterlebens auflDtirdet."'^^ Solchen Gedanken muss sich die Justiz, muss sich die Gesellschaft stellen. Man widerstehe der Versuchung, sie mit einem Haufen dogmatischer Richtigkeiten zuzuschiitten. Erforderlichenfalls, etwa im Hinblick auf die dargestellten unterschiedlichen Wertungen in Polizei- und Strafrecht einerseits und Zivil- und Arztrecht andererseits, milssen sich auch gefestigte Dogmen in Frage stellen lassen. Ein pensionierter Amtsrichter'^^ hat einen Beitrag zu dem BGH-Beschluss verfasst und ihm die merkwurdig anmutende Uberschrift „Recht und Geftihl" gegeben. Gegen Ende seiner Ausfiihrungen schreibt er: „Wann man einen Menschen sterben lassen sollte, kann - im besten Sinne nur erspurt werden." Eben dieses „Erspuren" mag in dem vorstehend dargestellten Fall 50 S 161 zu der bei strikter rechtlicher Betrachtungsweise durchaus problematischen und mutigen Entscheidung der Weiterbehandlung bewegt haben. Mit der Patientin, die ja weitestgehend erklarungsfahig blieb, war ein entsprechender Dialog zumindest eingeschrankt moglich, bei Wegfall der Erklarungsfahigkeit ist das nicht der Fall. (2) Behandlungsablehnung dutch einen Patientenfur eine kttnftige Situation Bei dem nicht mehr Erklarungsfahigen ist die Moglichkeit, die vormals getroffene Entscheidung zu problematisieren und gegebenenfalls abzuandern, naturgemafi aufgehoben oder jedenfalls auf ein Minimum reduziert. Das rechtfertigt, sie in dem von dem BGH geforderten Umfang der KontroUe durch den Betreuungsrichter zuganglich zu machen. Wie ausgefiihrt, ist diese Kontrolle ja auf Falle des Konflikts zwischen Arzt und Betreuer beschrankt. Ist in diesen Fallen der Betreuungsrichter „Richter iiber Leben und Tod"?. Nein, er durchleuchtet lediglich die beiderseits vorgebrachten Gesichtspunkte und versucht den Konflikt aufzulosen^^^ - nur notfalls entscheidet er. Aber zum Richter tiber Leben und Tod macht ihn seine Entscheidung ebenso wenig wie die einen Arzt, der eine bestimmte Therapie
184 185 186 187
For^^erZRF 2003, 378. Zitiert in Kutzer, ZRP 2003, 209. Pae/z/er BtPrax 2003, 141. Ebenso Borasio/ Putz/Eisenmenger aaO (Fn. 147).
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anwendet oder eine riskante Operation vomimmt und den Patienten dadurch nicht retten kann. In nicht wenigen Fallen liegen ubrigens durchaus wahmehmbare Anhaltspunkte ftir einen Weiterlebenswillen vor. So ware in Fall 46 S. 144 angesichts einer durchaus noch feststellbaren Lebensfreude verbunden mit dem Fehlen von Todessehnsucht das Legen der PEG-Sonde auch zu genehmigen gewesen, wenn ein fruherer entgegenstehender Wille festzustellen gewesen ware (was ja hier nicht der Fall war). Das nachfolgend dargestellte Fallbeispiel belegt sogar durchaus lebhafte Lebensfreude, auch im Zustand praktisch kompletter Demenz: Fall 48:
Die Betreuerin wollte bei der altersdementen Patientin eine anstehende Sanierung des Herzschrittmachers nicht mehr vornehmen lassen, urn ihr ein natiirliches Sterben zu ermoglichen. Nach Anhorung der Betroffenen im Beisein des von ihr zur Anhorung mitgebrachten Vertrauensanwalts und nochmaligem Aufsuchen der Betroffenen erging folgende Entscheidung: „1. Als weiterer Betreuer wird hiermit eingesetzt - der Vertrauensanwalt der Betreuerin -. Die Aufgabenkreise der beiden Betreuer werden wie folgt abgegrenzt: Der hinzugekommene Betreuer ist zustandig fiir die Entscheidungen im Zusammenhang mit Wartung, Batteriewechsel und erforderlichenfalls Austausch des Herzschrittmachers der Betroffenen. Der Aufgabenkreis der vormaligen Alleinbetreuerin wird um den vorgenannten Aufgabenkreis des hinzugekommenen Betreuers eingeschrankt und bleibt im Ubrigen unverandert. 2. In den Batteriewechsel, die Wartung und erforderlichenfalls Austausch des Herzschrittmachers der Betroffenen wird hiermit eingewilligt. Diese Einwilligung ersetzt die Einwilligungen sowohl der Betroffenen als auch eines der Betreuer, so dass die genannten MaBnahmen sofort erfolgen diirfen und auch sollen. 3. Die sofortige Wirksamkeit der in dem vorliegenden Beschluss getroffenen Entscheidungen wird angeordnet. Grunde: Die Entscheidung ergeht im bedenkenfreien Einvernehmen mit der bisherigen Alleinbetreuerin und dem hinzugekommenen Betreuer. Hintergrund ist, dass die bisherige Alleinbetreuerin die anstehende Sanierung des Herzschrittmachers der Betroffenen nicht vornehmen lassen mochte, um dieser angesichts ihres ausgepragten dementiellen Zustands ein naturliches Sterben zu ermoglichen.
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Bei der richterlichen Anhorung der Betroffenen am 23.01.2001 zeigte sich ein komplettes Demenzsyndrom. Die Betroffene lief aber herum und versuchte, in einer ihrem dementiellen Zustand entsprechenden Art, den Richter zu begruBen. Einen schwer leidenden Eindruck machte sie in keiner Weise. Seitens des Pflegepersonals wurde berichtet, sie laufe in dieser Weise immer herum. Manchmal komme sie zu Sturz, was moglicherweise mit Funktionsstorungen des Herzsclirittmachers zusammenhange. Damit zeigt die Betroffene, ungeachtet ihrer Demenz, anders als etwa Patienten im Dauerkoma, etwa mit apallischem Syndrom, noch eine Vielzahl eigener LebensauBerungen. Die Voraussetzungen, unter denen nach neuerer Auffassung lebenserhaltende MaBnahmen abgebrochen werden durfen, liegen damit auch nicht ansatzweise vor. Unter diesen Umstanden ware die Abneigung der bisherigen Alleinbetreuerin, der anstehenden Sanierung des Herzschrittmachers der Betroffenen zuzustimmen, aus rechtlicher Sicht schlechthin unvertretbar. Diese Moglichkeit wurde bei einer gemeinsamen Anhorung der bisherigen Alleinbetreuerin und des hinzugekommenen Betreuers am 21.09.2000 auch eingehend erortert, die bisherige Alleinbetreuerin war bereit, sich der vom Gericht dargestellten Rechtslage zu fugen. Um die bisherige Alleinbetreuerin von der Notwendigkeit freizustellen, aus Rechtsgrtinden eine von ihr nicht gewollte Entscheidung treffen zu mussen, erschien es angemessen, ihren Vertrauensanwalt als weiteren Betreuer fiir diesen Aufgabenbereich einzusetzen. Auch dies war am 21.09.2000 so besprochen worden. Angesichts der inzwischen verstrichenen Zeit erschien eine sofortige Sanierung des Herzschrittmachers erforderlich, so dass das Gericht angesichts dessen, dass die bisherige Alleinbetreuerin insoweit nicht mehr zustandig und der hinzugekommene Betreuer noch nicht verpflichtet ist, die hierzu erforderliche Einwilligung gemaB § 1846 BGB selbst erklart hat. Dies war mit dem hinzugekommenen Betreuer fernmOndlich so abgesprochen worden. Bei einer so verlaufenden Demenz w^are auch eine Patientenverfligung des Inhalts, dass bei einer Demenz die Behandlung abgebrochen vs^erden solle, unbeachtlich gewesen: die kreattirliche Lebensfreude der Patientin hatte ohne weiteres als konkreter Anhaltspunkt fur ein Fallenlassen des friiher erklarten Nichtbehandlungswunsches ausgereicht. SchlieBlich noch Fall ,,Franziska Salver''. Fall 49:
Franziska Salver (Name geandert), ehemalige Oberarztin, befmdet sich nach einem Schlaganfall mit anschlieBender Hirnblutung in einem Zustand schwerer geistiger Behinderung, der nach neurologischem Urteil mit hoher Wahrscheinlichkeit dauerhaft ist. Sie ist nicht mehr kommunikationsfahig, signalisiert aber Abwehr gegen medizinische und pflegerische MaBnahmen. Manchmal weint sie. Sie ist mit einer PEG-Sonde versorgt. Sie hat eine Patientenverfugung verfasst, in der sie u. a. bestimmt hat, dass lebenserhaltende MaBnahmen unter-
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bleiben sollen, wenn „... die Wahrscheinlichkeit daftir spricht, dass ich eine schwere Dauerschadigung meines Gehirns davontrage, die mir ein menschenwtirdiges Dasein nicht mehr erlaubt." „In guten Tagen" hat sie ihre beste Freundin bevollmachtigt, ihren in der Patientenverfiigung enthaltenen Willen fiir sie durchzusetzen. Zunaclist erscheint fraglich, ob Franziska Salver ihren jetzigen Zustand als menschenwiirdiges Dasein im Sinne ihrer Patientenverfiigung beurteilt hatte. Daraufhin durchgefiihrte Befi-agungen in dem Krankenhaus, in dem sie gearbeitet hat, ergeben, dass sie nach Visiten immer wieder gesagt hat, so wie dieser oder jener Patient wolle sie nicht enden. Das habe sich nicht nur auf Koma-Patienten bezogen. Aus alledem wird die Uberzeugung abgeleitet, dass Franziska Salver genau den Zustand, in dem sie sich jetzt befindet, fiir nicht menschenwlirdig halt, obwohl sie sich weder im eigentlichen Sterbeprozess befindet, noch ohne Bewusstsein ist. Gleichwohl scheut sich die als Bevollmachtigte eingesetzte Freundin, den Behandlungsabbruch durchzusetzen: Sie hofft, dass es vielleicht doch noch besser wird. Auf Rat der Ethikkommission wendet sich Frau Salvers Freundin nun an das Vormundschaftsgericht. Der Betreuungsrichter gibt erst nach langem Zogern und Einholung eines weiteren arztlichen Gutachtens die Genehmigung, die Kalorienzufijhr allmahlich zu reduzieren und schlieBlich nur noch Fliissigkeit zu geben. Sechs Wochen spater stirbt die Patientin. Seit dem Schlaganfall waren vier Jahre vergan188
gen. Hier lag zwar eine Patientenverfiigung vor, aber die als Bevollmachtigte eingesetzte beste Freundin der Patientin zogerte, in den Behandlungsabbruch einzuwilligen. Sie hoffle immer noch auf Besserung. An diesem Fall werden die zwangslaufigen Schwachen jeder Patientenverfiigung deutlich. Zum einen die Frage, ob der aktuelle Zustand der Patientin voraussichtlich dauerhaft sein wird. Das ist keine juristische Fragestellung, sondem eine medizinische - und oftmals nicht schnell zu beantworten. Zum zweiten die Frage, ob der Zustand in dem sich die Patientin befindet, einem menschenwurdigen Leben entspricht, ein wohl vor allem ethisches Problem. Und drittens der zogemde Bevollmachtigte bzw. Betreuer: dies machte aber hier zunachst weitere Ermittlungen erforderlich. Dabei stand ja hier, ganz im Sinne der Vermeidung von Betreuungen, eine Bevollmachtigte zur Verfiigung und auch noch die beste Freundin der Patientin, als eine Person ihres ganz besonderen Vertrauens, die sie zudem mutmaftlich jahre- oder jahrzehntelang sehr gut kannte. Soweit es am Ende der Fallbeschreibung heilJt, seit dem Schlaganfall seien vier Jahre vergangen, muss der hier anklingende Vorwurf hinterfragt werden. Da war das Zogern der bevoUmachtigten Vertrauten. Kann man ihr das vorwerfen? Hatte das vermieden werden konnen? Und da ist das zusatzlich Zeit kostende Verfahren des Gerichts. Es kann kaum beanstandet werden, dass dieses zunachst zu ermitteln versuchte, ob der Zustand der Patientin aus ihrer Sicht menschenunwiirdigem Leben entsprach. Der zusatzlich Zeit und Geld kostende Einsatz eines Verfahrens188
Fallbeispiel im Internet abgelegt unter www.chrismon.de/ctexte/2003/6/6-2.html.
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KapitellO Betreuungsrecht und Arzt/Krankenhaus
pflegers wird in derlei Fallen zwar nicht von alien Betreuungsrichtern eingehalten, von den Obergerichten aber durchaus verlangt^^^ SchlieBlich ist der Fallbeschreibung nicht zu entnehmen, wie viel Zeit uberhaupt schon vergangen war, als das Gericht erstmals mit der Sache befasst wurde. (3) Losungsvorschldge Es kann und soil nicht bestritten werden, dass die Fortschritte der Medizin ein Weiterleben friiher (und auch heute noch in anderen Landem) langstens dem Tode Geweihter ermoglicht, bei denen in der Tat der Sterbeprozess in unethischer Weise hinausgeschoben zu werden droht und auch hinausgeschoben wird. Die Notwendigkeit zu defmieren und eben auch zu entscheiden, wann das Therapieziel von Lebenserhaltung und -verlangerung auf Schmerz- und Beschwerdenlinderung umzustellen ist, und wie und durch wen diese Entscheidung zu treffen ist, ist unubersehbar. In der Medizinethik wird zu Recht immer wieder diskutiert, ob alles, was medizinisch mSglich ist, auch erlaubt ist. Bei der Frage der Therapiebegrenzung geht es aber um die Frage, oder der Arzt zu allem, was medizinisch moglich ist, verpflichtet sein soil, vielleicht sogar unter Strafandrohung („Rechtfertigungsmedizin"). Dies darf nicht der Fall sein, wenn bei bereits weitestgehend eingetretenem Lebensverlust lebenserhaltende Unterstutzung ihren Sinn verloren hat^^^. Neben dem verfassungsrechtlich geschutzten Recht auf Leben wird zunehmend die Forderung nach einem Recht auf Sterben laut. Dabei geht es auch nicht allein um die Angst vor dem Leiden und dem Todeskampf, sondem um die Angst vor einem mechanisch Am-Leben-erhalten-werden, obwohl das, was das Leben ausmacht, bereits erloschen ist, um die Angst vor einem „schon tot noch lebendig sein zu mussen". Vielfach wird man hier einer Patientenverfugung erhebliche Bedeutung einraumen konnen und mtissen: Bei Fragen etwa, ob man als Wachkomapatient die letztlich nie vollig auszuschlieBende Chance des Wiederaufwachens ungenutzt lassen mochte, oder wenn man nach arztlichem Urteil voraussichtlich keine Moglichkeit mehr haben wird, mit der Umwelt in Kontakt zu treten, die Einstellung lebenserhaltender MaBnahmen wiinscht, erscheint ein „Nein" ethisch vertretbar und sollte durchaus berticksichtigt werden. Vergleiche hierzu auch Fall 42 S.142 und Fall 45 S. 143. Die dargestellten Unterschiede zwischen der aktuellen Erklarung eines einwilligungsfahigen Patienten und einer frtiheren Erklarung eines Patienten, der inzwischen seine Einwilligungsfahigkeit verloren hat, rechtfertigt, ja gebietet, den Erklarungen in einer Patientenverfugung keine absolute Bindungswirkung zu
^^^ z. B. OLG Karlsruhe, BtPrax 2004, 202. *^^ Ebenso Paehler, BtPrax 2000, 21.
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geben, sondern sie in dem Umfang, wie es der BGH fiir Erklarungen eines Betreuers entschieden hat, vormundschaftsgerichtlicher Uberprtifbarkeit zu unterstellen. Der BGH beschrankt diese Uberprufung ja bei festgestelltem irreversiblem todlichen Verlauf auf den Konfliktfall, in dem Arzt und Betreuer sich nicht einigen konnen. Frtihere Einwilligungen des Patienten selbst in einer Patientenverfugung sollten daruber hinaus uberpriifbar gestellt werden, in denen Anhaltspunkte dafiir bestehen, dass der vormals erklarte Therapiebeendigungswille nicht mehr aufrechterhalten wird. Bei noch einwilligungsfahigen Patienten ist haufig auch nach Erhalt einer infausten Prognose ein verbissener Uberlebenswille, ein Ringen um Monate und Wochen, festzustellen. Dieses Kriterium wird bei nicht mehr einwilligungsfahigen Patienten meist nicht eruierbar sein. Hier bieten sich als Kriterium an das Vorliegen noch einer Vielzahl von LebensauBerungen vgl. Fall 48 S. 155, und/oder das Fehlen von Anhaltspunkten fiir Todessehnsucht, fiir ein das Leben-Aufgeben-WoUen. Der Verfasser ist mit Paehle/^^ der Auffassung, dass solches in vielen Fallen auch bei einwilligungsunfahigen Patienten, insbesondere fur erfahrene Arzte und Pfleger, durchaus „erspurt" werden kann. Fur die Feststellung eines „irreversibel todlichen Verlaufs" bietet der Aufsatz von Biihler/Stolz^^^ eine ethisch begriindete und praktisch umsetzbare Grundlage. Als dogmatische Anknupfung fiir die Uberprufbarkeit des Inhalts von Erklarungen in Patientenverfiigungen bietet sich die Aufnahme des Rechtsgedanken aus §§ 1904 II, 1906 Absatz 5 BGB an. In diesen beiden Bestimmungen sind Entscheidungen der gerichtlichen Uberprufung unterstellt, die von durch den Patienten selbst eingesetzten Bevollmachtigten getroffen werden und nicht von einem vom Gericht eingesetzten Betreuer. Diese Situation lasst sich zwanglos auf Erklarungen in einer Patientenverfiigung eines inzwischen Erklarungsunfahigen ubertragen, sei es durch Analogic oder aufgrund eines unabweisbaren Bedurfnisses des Betreuungsrechts. Ankntipfung fiir diese Unabweisbarkeit in dem dargestellten Umfang ist die Verpflichtung des Staates zum Lebensschutz aus Artikel 2 Absatz 2 GG, die nach Artikel 1 Absatz 3 Grundgesetz auch die Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht bindet. Die an sich erforderliche Einwilligung des Patienten selbst in die Weiterflihrung der Behandlung liegt, soweit das Gericht die Genehmigung des Behandlungsabbruchs ablehnt, notwendigerweise unmittelbar in dieser Gerichtsentscheidung. So ist es auch in dem BGH-Beschluss ausgefuhrt. Die Befiignis des Gerichts hierzu ergibt sich als notwendiges Annex aus der Befiignis, den Behandlungsabbruch zu verweigern. Damit liegt ein Sonderfall auBerhalb § 1846 BGB vor, so dass der Einwand von Coeppicus^^\dQv Betreuungsrichter sei nicht befugt, bestimmte
^^^ ^^^ ^^^
BtPrax 2003, 141. aaO(Fn. 167). aaO(Fn. 173).
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Angelegenheiten gegen den Willen des Betreuers „in seinem Sinne" zu regeln, nicht Platz greift. Was das vom Richter zu beachtende Verfahren angeht, sollte dies weitgehend in dessen Ermessen gestellt werden. Wie ausgefiihrt geht es bei der genannten Uberprufiing ihrem Wesen nach um eine zusammenfassende Erorterung der unterschiedlichen Aspekte unter- und gegeneinander unter Leitung, vielleicht auch Mediation des Richters^^"^. Es reicht aus, dieses Gesprach zu dokumentieren^^^. Inwieweit der Richter in den haufig evidenten Fallen noch zusatzliche exteme Begutachtungen veranlassen oder Verfahrenspfleger beteiligen soil, sollte ihm tiberlassen bleiben. Allenfalls ware an ein entsprechendes Antragsrecht der Beteiligten zu denken, das den Richter binden konnte. Grenzsituationen wie die Uberprtifung, ob einem Wunsch auf Behandlungsabbruch entsprochen werden kann, entziehen sich weitgehend der flir das rechtliche Denken typischen und ja auch erforderlichen Typisierung und Generalisierung. Das ist ubrigens im Familienrecht, dem das Betreuungsrecht zugehort, nicht selten. Aus diesem Grund ist ein zwingend vorgegebenes formliches Verfahren nicht sachgerecht und sollte weder dem Richter, noch den Beteiligten aufgenotigt werden - unter anderem um den Preis einer wochen- oder gar monatelangen Verfahrensdauer.
8.
Patientenverfiigung
a) Wesen und Bedeutung der Patientenverfiigung Das geeignetste Mittel, seinen Willen fiir die eigene Behandlung am Ende des Lebens festzulegen, ist die sogenannte Patientenverfiigung. Die gelegentlich anzutreffende Bezeichnung „Patiententestament" sollte nicht verwendet werden. Denn das Testament enthalt Bestimmungen fur die Zeit nach dem Tode. AuBerdem unterliegt die Patientenverfugung nicht den strengen Formvorschriften des Testaments'^^. Die Patientenverfugung hat manche Parallelen zu Betreuungsverfiigung und VorsorgevoUmacht, ist aber doch etwas anderes. Denn die Betreuungsverfiigung will ktinftige Entscheidungen des Vormundschaftsgerichts und des Betreuers vorgeben, die VorsorgevoUmacht bestimmt den kiinftigen Bevollmachtigten und kann Anordnungen fiir dessen kiinftiges Handeln treffen. Demgegeniiber enthalt die Patientenverfiigung unmittelbar geltende Entscheidungen des Verfiigenden
194
EbQnso Borasio/ Putz/Eisenmenger aaO. (Fn. 147). '^^ Ebenso Paehler BtPrax 2003, 141, 143. Dies muss vollstandig handschriftlich erstellt sein, § 2247 BOB.
8 Patientenverfiigung
161
dartiber, wie er nach Eintritt eigener Einwilligungsunfahigkeit behandelt werden will und insbesondere, wann lebensverlangernde arztliche MaBnahmen unterbleiben Oder, falls sie bereits aufgenommen wurden, beendet werden sollen, um den Sterbeprozess nicht hinauszuzogem. Rechtlich gesehen handelt es sich bei der Patientenverfiigung also um unmittelbar geltende Willenserklarungen des Verfiigenden, die dieser „in guten Tagen", in Ausubung des ihm (auch fiir sein zuktinftiges Schicksal) zustehenden Selbstbestimmungsrechts, im Hinblick auf mogliche kiinftige Entwicklungen abgibt. Im Prinzip sind die in der Patientenverfiigung getroffenen Anordnungen auch fiir die Arzte bindend. Eine Ausnahme ist, wenn sie gegen geltendes Recht verstoBen, zum Beispiel aktive Sterbehilfe fordem^^^. Die andere Ausnahme ist, wenn anzunehmen ist, dass der Verfiigende an einer, einigen oder alien in der Patientenverfiigung getroffenen Bestimmungen nicht festhalten will. Ein solches Nicht-festhalten-wollen kann leicht eintreten, well derart existenzielle Entscheidungen sich in gesunden Tagen in aller Regel nicht antizipieren 198
lassen ; unheilbar Erkrankte entwickeln unter Umstanden einen ausgepragten Willen zur Lebensverlangerung. Insgesamt sind die Ausnahmen gar nicht selten und vielfaltig. Die Problematik einer Anerkennung von Patientenverfiigungen als ohne jede Einschrankung rechtlich verbindlich wird in dem nachfolgenden Fallbeispiel deutlich. 199
Fall 50 : Die 73-jahrige Patientin, die u. a. an Bluthochdruckkrankheit, koronarer Herzkrankheit und Niereninsuffizienz mit Schrumpfniere litt, fiel in einen Zustand, in dem sie sediert, intubiert und beatmet werden musste. Die Tochter legte einen Zettel vor, auf dem sich handschriftlich u. a. die Worte „keine lebensverlangernden MaBnahmen, keine Apparate, keine Beatmung, keine Transplantation, keine Abhangigkeit von Maschinen" befanden. Der Zettel war nicht unterzeichnet, es stand aber offenbar auBer Frage, dass er von der Patientin herruhrte. Den Arzten fiel ein angespanntes Mutter-Tochter-Verhaltnis mit Anhanglichkeit einerseits und Ablosungsbedurfnis andererseits sowie wechselseitiger Abhangigkeit auf Die Behandlung wurde fortgesetzt, u. a. mit taglicher Dialyse. Nach 5 Tagen erwachte die Patientin und extubierte sich selbst. Sie entwickelte eine Lungenentztindung und bat wiederholt, die Hande erhebend: „Lasst mich doch sterben". Die Bitte wurde von den Arzten als offenbar ernstlich eingestuft.
197 198
Trondle/Fischer Randnummer 17 vor § 211 StGB; vgl. hierzu Fall 43 S. 142. Wie FuBnote 197; vgl. hierzu Fall 46 S. 144.
199
Dieser Fall stammt nicht aus der Praxis des Verfassers, wird (auch medizinisch) ausfiihrlich berichtet und erortert in dem auBerst lesenswerten Aufsatz von Spittler/Fritscher-Ravens Deutsche Medizinische Wochenschrift 2001, 925.
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(Also kein Fall aufgehobener Erklarungsmoglichkeit!) Die Frage, ob der eigentliche Patientenwunsch auf ein Ende des Leidens gerichtet sei, aber nicht auf das Ende des Lebens blieb undiskutiert, well mit der Patientin wegen Atembeschwerden die Kommunikation hochgradig erschwert war. Unter intensiver Behandlung mit Einlage einer Koronarendoprothese in die linke Nierenarterie mit „fragloser" Einwilligung der (beachte: an sich einwilligungsfahigen!) Patientin konnte die Patientin auf die Normalstation verlegt werden. Bei einem schweren Ruckfall nach 10 Tagen beharrte die Patientin einerseits auf Therapieverzicht, war aber einer Ruckverlegung auf die Intensivstation gegeniiber gleichwohl nicht abgeneigt. Fine entsprechende Ambitendenz war bei der Tochter festzustellen, moglicherweise, well sie bei einer weiteren Verschlechterung von einer Intensivbehandlung Leidensminderung erwartete. Ohne definitive Entscheidung der an sich bewusstseinsklaren Patientin verlegte die behandelnde Arztin diese von sich aus wieder auf die Intensivstation. Nach ihrer Einschatzung wurde die Patientin nicht sterben konnen, ohne den Todeskampf mit vollem Bewusstsein mitzuerleben. In dieser Phase konnte am Krankenbett die Erkenntnis vermittelt werden, dass es einen einfacheii, geschenkten Tod nicht gibt. Letztlich genas die Patientin und lebt nun 2 Jahre nach diesen Ereignissen in einem Altenheim. Ruckblickend erklart sie bei nur noch geringer Ambivalenz hinsichtlich der an ihr vorgenommenen Weiterbehandlung, wenn sie nicht uberlebt hatte, ware das „doch auch gut" gewesen. Andererseits hatte ihr schon das Uberleben fur einige Wochen viel bedeutet, weil sie in dieser Zeit viel mit der Tochter habe besprechen konnen, war bisher unausgesprochen geblieben sei. Es ist kaum moglich, aus diesem Fall ungeachtet seiner Dramatik eine allgemeine rechtliche Konsequenz abzuleiten. Grenzsituationen entziehen sich der fur das rechtliche Denken typischen und ja auch erforderlichen Typisierung und Generalisierung. Ungeachtet des guten Ausgangs haben sich hier die Arzte schon sehr weit vorgewagt. Mutige Arztentscheidungen als Pedant zu den mutigen richterlichen Entscheidungen (oben S. 40)? Immerhin zeigt der Fall eindrucksvoll die Problematik der Verbindlichkeit von Therapiebegrenzungsentscheidungen. Fur den Verfasser sind derartige Falle Anlass fur seine Praxis, Entscheidungen zum Behandlungsabbruch in einem gemeinsamen Gesprach, einer Art „kleinen Ethikkommission" zu losen und zur rechtlichen Absicherung der Beteiligten, insbesondere der Arzte, einen Aktenvermerk uber das gefiindene Ergebnis zu fertigen, aber von einer Entscheidung gemaB § 1904 BGB, die ja streng rechtsfbrmlich zustande kommt, abzusehen^^^. Die Folge ist, dass Patientenverfiigungen lediglich mehr oder minder starke indizielle Bedeutung, aber keine voile rechtliche Bindungswirkung entfalten. Diese Unscharfe erscheint aber nicht nur ertraglich, sondem der besprochenen Problematik durchaus angemessen.
Vgl. obenS. 141.
8 Patientenverfugung
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b) Hinweise zum Inhalt von Patientenverfiigungen^^* Die Patientenverfugung soUte zunachst die Situationen umschreiben, fur die sie gelten soil: Sterbephase, dauernder Verlust der Kommunikationsfahigkeit, dauemder Bewusstseinsverlust, dauemdes Koma. Fur die genannten Situationen konnen dann Bestimmungen zu Einleitung, Umfang und Beendigung arztlicher Mal3nahmen getroffen werden, etwa kunstliche Emahrung und Beatmung, Schmerzbehandlung, Chemotherapie, Art der Unterbringung und Pflege, Hinzuziehung eines oder mehrerer weiterer Arzte. Um in Situationen, die von der Verfiigung nicht umfasst sind, den mutmal31ichen Willen besser ermitteln zu konnen, sollten auch Lebenseinstellungen und religiose Uberzeugungen mitgeteilt werden. Bei konkreter schwerer Erkrankung, zum Beispiel Krebs ohne Heilungschance, kann es sinnvoll sein, mit einem Arzt des Vertrauens zu besprechen, was eventuell auf einen zukommen kann und damit zusatzlich in die Patientenverfugung aufgenommen werden soUte. Ahnlich wie eine Betreuungsverfugung und eine Vollmacht kann eine Patientenverfugung jederzeit abgeandert oder widerrufen werden. Diese Wirksamkeit der Patientenverfugung ist umso starker, je naher dem Patienten beim Abfassen der Patientenverfugung die Situation, die er darin beschreibt, ist. Die Verfiigung eines 20-jahrigen, im Falle seiner Altersdemenz wolle er keine Weiterbehandlung, hat evident weniger Kraft, als die Verfugung eines Patienten, der nach Stellung der Diagnose Morbus Alzheimer Bestimmungen fiir das Endstadium seiner Erkrankung trifft. Besondere Kraft wird eine Patientenverfugung haben, die aufgrund eines eingehenden Aufklarungsgesprachs mit einem behandelnden Arzt verfasst und von diesem mit unterzeichnet wird. Damit steht dieser erforderlichenfalls auch fur Riickfragen bei Unklarheiten zur Verfiigung. Die Bestimmungen in der Patientenverfugung sollten moglichst konkret und klar sein. Die oft anzutreffende Verfugung, man wunsche keine Behandlung, wenn ein „menschenwurdiges Leben" nicht mehr moglich sei, ist zu unklar und entsprechend auslegungsfahig. Eine absolute Bindungswirkung kann eine Patientenverfugung nicht beanspruchen. Die Moglichkeit einer Anderung der vormaligen Meinung kann nie ausgeschlossen werden. Zwar reicht allein diese abstrakte Moglichkeit nicht aus, um eine Patientenverfugung zu erschuttem. Zeigt aber etwa ein Demenzpatient innerhalb seiner Moglichkeiten noch aktive LebensauBerungen oder gar Lebens201
Hierzu vgl. auch die Grundsatze der Bundesarztekammer zurarztlichen Sterbebegleitung' abedruckt unten S. 333.
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freude (vgl. Fall 48 S 155), kann dies die Schlussfolgerung tragen, er halte offenbar an seinem vormaligen Wunsch, nicht (mehr) behandelt zu werden, nicht fest. Die von der Bundesregierung eingesetzte Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende" unter Leitung von Vorsitzendem Richter am Bundesgerichtshof a. D. Klaus Kutzer hat in ihrem Bericht vom 10.06.2004^^^ hat folgende Beispielsituationen fiir den Inhalt einer Patientenverfugung vorgeschlagen: „Wenn ich • mich aller Wahrscheinlichkeit nach unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozess befinde, • mich im Endstadium einer unheilbaren, todlich verlaufenden Krankheit befmde, selbst wenn der Todeszeitpunkt noch nicht absehbar ist. • in Folge einer Gehirnschadigung meine Fahigkeit, Einsichten zu gewinnen, Entscheidungen zu treffen und.mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, nach Einschatzung zweier erfahrener Arztinnen oder Arzte {konnen namentlich benannt werden) aller Wahrscheinlichkeit nach unwiederbringlich erloschen ist, selbst wenn der Todeszeitpunkt noch nicht absehbar ist. Dies gilt fur direkte Gehirnschadigung z.B. durch Unfall, Schlaganfall oder Entzundung ebenso wie fur indirekte Gehirnschadigung z.B. nach Wiederbelebung, Schock oder Lungenversagen. Es ist mir bewusst, dass in solchen Situationen die Fahigkeit zu Empfmdungen erhalten sein kann und dass ein Aufwachen aus diesem Zustand nicht ganz sicher auszuschlieBen, aber unwahrscheinlich ist. • in Folge eines weit fortgeschrittenen Hirnabbauprozesses (z.B. bei Demenzerkrankung) auch mit ausdauernder Hilfesteilung nicht mehr in der Lage bin, Nahrung und Flussigkeit auf nattirliche Weise zu mir zu nehmen •
Eigene Beschreibung der Anwendungssituation:
[Anmerkung: Es sollten nur Situationen beschrieben werden, die mit einer Einwilligungsunfdhigkeit einhergehen konnen.] " Diesen Situationsbeispielen zur Ubemahme in eine Patientenverfugung kann im Sinne der vorstehenden Erwagungen uneingeschrankt zugestimmt werden. Entsprechenden Wunschen auf Behandlungsabbruch wird in aller Regel entsprochen werden konnen und mtissen.
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Im Internet abgelegt unter www.bmi.de/media/archive/695.pdf
8 Patientenverfugung
c)
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Form und Aufbewahrung von Patientenverfiigungen
Patientenverfiigungen unterliegen keinem Formzwang. Es ist aber unbedingt zu empfehlen, sie schriftlich abzufassen und bei der eigenhandigen Unterschrift Ort und Datum der Unterzeichnung anzugeben. Die Zuziehung eines Zeugen ist ebenfalls nicht vorgeschrieben. Sie kann aber sinnvoll sein, damit dieser zu gegebener Zeit bestatigen kann, dass der Verfasser der Patientenverftigung im Zeitpunkt ihrer Erstellung noch ausreichend orientiert war, deren Tragweite und Umfang zu verstehen. Auf die in vorstehendem Unterabschnitt gegebene Empfehlung, den behandelnden Arzt zu beteiligen, sei nochmals hingewiesen. Dem kommt groBere Bedeutung zu, als der oft empfohlenen periodischen Erneuerung der Unterschrift. Immerhin sollte aber die Patientenverftigung nicht all zu alt sein, so dass eine gelegentliche Erneuerung durchaus angebracht ist. Ebenso wie Betreuungsverfligung, Vorsorgevollmacht und Testament sollte auch die Patientenverfugung so aufbewahrt werden, dass sie im Ernstfall auch aufgefunden wird. Es kann sich zum Beispiel anbieten, eine Kopie der Patientenverftigung einer personlichen Vertrauensperson oder auch dem Hausarzt auszuhandigen und dabei auch mitzuteilen, wo sich das Original befmdet. Statt dessen oder zusatzlich kann man in Brieftasche, Ausweismappe oder Geldbeutel einen Zettel einlegen, dass eine Patientenverftigung existiert und wo sie sich befmdet oder wer weitere Auskunft geben kann. Anders als bei Testament und Betreuungsverftigung ist die Moglichkeit der Hinterlegung einer Patientenverftigung bei Gericht nicht vorgesehen. Dem Vemehmen nach, gibt es aber vereinzelt hiervon abweichende Gerichtspraxis, so dass gelegentlich Patientenverftigungen vom Amtsgericht wenigstens registriert werden, aber nur, wenn sie mit einer Vorsorgevollmacht verbunden sind. Im Falle einer Betreuungsanregung wird in diesem Register nachgeschaut, und ggf der Umstand einer Registrierung dem Betreuungsrichter mitgeteilt. d) Verbindung von Patientenverfugung, Betreuungsverfugung und (Vorsorge-)Vonmacht Ungeachtet des jeweils unterschiedlichen Regelungsgegenstands konnen Patientenverftigung, Betreuungsverftigung und (Vorsorge-)Vollmacht in einem einheitlichen Schriftstiick zusammengefasst werden. Im allgemeinen ist dies auch auBerst zweckmaBig, denn alle drei Erklarungen sind im wesentlichen auf dieselbe Situation, namlich den Verlust der eigenen Einwilligungsfahigkeit, ausgerichtet. Zudem kann man auf diese Weise auch (Vorsorge-)Vollmacht und Patientenverftigung bei Gericht hinterlegen.
166
Kapitel 10 Betreuungsrecht und Arzt/Krankenhaus
Verfiigungen fiir die letzte Phase meines Lebens: Ich,
(Name, Vomame, Geburtsdatxim)
(Anschrift) bestimme hiermit fur den Fall, dass ich in einen Zustand gelangen sollte, in dem ich nicht mehr in der Lage bin, meinen Willen auf rechtlich erhebliche Weise zu auBem: 1. Ich wunsche, keinen ktinstlichen LebenserhaltungsmaBnahmen unterzogen zu werden, wenn sich mein Leben dem Ende zuneigt. Bei starken Schmerzen sollen mir schmerzlindemde Mittel verabreicht werden, auch wenn dadurch das Leben verkiirzt wird. Im Falle einer Agonie wtinsche ich keine kunstlichen Wiederbelebungs- bzw. lebenserhaltende MaBnahmen. Als Agonie in diesem Sinne soil auch gelten, wenn das Herz zwar schlagt und auch Gehimstrome zu messen sind, ich aber mich nicht mehr auBem und auch meine Umwelt nicht mehr wahmehmen kann. Aktive Sterbehilfe lehne ich ab. 2. Fur den Fall, dass ich auBerstande bin, meinen Willen zu auBem, bevollmachtige ich hiermit
(Name und Vomame, Geburtsdatum)
(Anschrift) alle mir gegentiber Heilberufen Pflegeheimen, Kostentragem und Behorden zustehenden Rechte an meiner Stelle fiir mich wahrzunehmen. Die Betroffenen sind dann insoweit von einer etwa bestehenden Schweigepflicht befreit. ALS
NACHWEIS,
DASS ICH NICHT MEHR IN DER LAGE
ANTWORTLICHE ENTSCHEIDUNGEN CHENDES ATTEST
FINES
ARZTES
BIN, EIGENVER-
ZU TREFFEN, MUSS ER EIN ENTSPREFUR PSYCHIATRIE
ODER
NEUROLOGIE
VORLEGEN, AUS DEM SICH AUCH ERGEBEN MUSS, FUR WIE LANGE DIESER
8 Patientenverfugung
ZUSTAND
NACH
FACHARZTUCHER
EiNSCHATZUNG
167
VORAUSSICHTLICH
ANDAUERN WIRD.
Diese VoUmacht erstreckt sich auch auf die Einwilligung in arztliche MaBnahmen und zwar auch dann, wenn die begrundete Gefahr besteht, dass ich aufgrund dieser MaBnahme sterbe oder einen schweren und langer andauemden gesundheitlichen Schaden erleide, § 1904 BGB. Der/die Bevollmachtigte ist zugleich meine Vertrauensperson, soweit es erforderlich wird, meinen mutmaOlichen Willen zu erforschen. Die VoUmacht berechtigt auch dazu, meinen Aufenthalt zu bestimmen. Dabei ermachtigt sie den/die Bevollmachtigte(n) auch dazu, in eine Unterbringung einzuwilligen, die mit einer Freiheitsentziehung verbunden ist, § 1906 I BGB, und, auch wenn ich nicht untergebracht werde, in die langerdauernde Oder regelmaCige Entziehung meiner Freiheit durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise einzuwilligen, § 1906 IV BGB. Die benannte Vertrauensperson soil sich dabei an meine Entscheidungen in Ziffer 1 dieses Schriftsttickes halten. Wenn sie konkrete Anhaltspunkte dafur hat, dass ich an diesen Entscheidungen nicht festhalten mochte, soil sie auch von ihnen abweichen diirfen. Der Bevollmachtigte ist auch befugt, die fur mich bestimmte Post entgegenzunehmen und zu offnen. 3. Falls die Bestellung eines Betreuers erforderlich wird, bitte ich, die in Ziffer 2. dieses Schriftstucks genannte Vertrauensperson mit dieser Aufgabe zu betrauen. Sie soil sich dann auch als Betreuer(in) an meine Entscheidungen in Ziffer 1 dieses Schriftsttickes halten. 4. Einer Organentnahme nach meinem Tode stimme ich - nicht* - zu. 5. Ich wtinsche Erdbestattung/Feuerbestattung**.
(Ort, Datum)
(Unterschrift) Gegebenenfalls bitte streichen! Nichtzutreffendes bitte streichen!
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Kapitel 10 Betreuungsrecht und Arzt/Krankenhaus
Hinweise zu dent vorstehenden Verfusunssentwurf: Das vorstehende Muster beinhaltet •
eine Patientenverfugung (Ziffer I),
•
eine Vorsorgevollmacht (Ziffer 2),
•
eine Betreuungsverfugung (Ziffer 3),
•
eine Erkldrungzur Organentnahme nach dem Transplantationsgesetz^^^^ (Ziffer 4),
•
und eine Erkldrung, zu der Frage Erd- oder Feuerbestattung (Ziffer 5).
Der Inhalt kann selbstverstdndlich den eigenen Wunschen entsprechend abgewandelt werden, Wichtig ist dabei nur, dass die Erkldrungen klar und allgemeinverstdndlich formuliert sind. Soil der Bevollmdchtigte, wie im Muster vorgesehen, auch in gefdhrliche drztliche Mafinahmen, § 1904 BGB, einwilligen konnen, damit auch insoweit die Bestellung eines Betreuers vermieden werden kann, muss dies ausdrucklich und schriftlich bestimmt werden, § 1904 II BGB. Zusdtzlich miissen diese Mafinahmen vormundschaftsgerichtlich genehmigt werden, § 1904II BGB. Soil der Bevollmdchtigte, wie im Muster vorgesehen, auch in Unterbringungen, § 19061 BGB und unterbringungsdhnliche Mafinahmen, § 1906IV BGB gefdhrliche drztliche Mafinahmen, § 1904 BGB, einwilligen konnen, damit auch insoweit eine Betreuung entbehrlich wird, muss dies ausdrucklich und schriftlich bestimmt werden, § 1906 V BGB. Zusdtzlich miissen diese Mafinahmen vormundschaftsgerichtlich genehmigt werden, § 1906 V BGB. Bet praktizierenden Christen sind etwafolgende Zusdtze zu empfehlen: Ich glaube, dass meine Zeit in Gottes Handen steht Aufler drztlicher und pflegerischer Hilfe erwarte ich auch seelsorgerlichen Beistand durch ... - hier waren der Name des Geistlichen und/oder der Gemeinde des Betroffenen einzufugen FUr Angehorige anderer Religionen gilt diese Empfehlung entsprechend. Es wird nochmals darauf hingewiesen, dass man dafilr sorgen sollte, dass die Verfugung im Ernstfall von den mafigeblichen Personen auch aufgefunden wird, vgl S. 165 und dass es hilfreich sein kann, siejdhrlich durch neuerliche Unterzeichnung unter BeifUgung des aktuellen Datums zu bestdtigen, vgl. S. 165).
Transplantationsgesetz (TPG) vom 05.11.1997 , BVBl. I, 2631.
9 Organentnahme und -spende
9.
169
Organentnahme und -spende
Durch das Transplantationsgesetz (TPG) vom 05.11.1997^^'^ ist nunmehr gesetzlich geregelt, ob und wann einem Menschen Organe zum Zweck der Ubertragung auf einen anderen Menschen entnommen werden diirfen. In der Offentlichkeit steht in diesem Zusammenhang die Organentnahme bei toten Organspendem im Vordergrund. Das Gesetz betrifft aber auch die Entnahme von Organen lebender Organspender zu Transplantationszwecken. a) Gesetzliche Definition des Todeszeitpunktes In § 3 II Nr. 1 TPG findet sich erstmals eine gesetzliche Definition des Todes eines Menschen. Danach gilt ein Mensch als tot, wenn „der endgtiltige nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des GroBhims, des Kleinhims und des Himstamms nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist" (sogenannter Himtod). Diese Definition ist auch uber das TPG hinaus von Bedeutung. Der genaue Todeszeitpunkt kann fiir den Erbfall von Bedeutung sein, wenn etwa nach einem gemeinsamen schweren Unfall in Frage steht, ob der in Betracht kommende Erbe womoglich vor dem Erblasser verstorben ist. Damit eine Organentnahme uberhaupt zulassig ist, muss die Feststellung des Himtods, die damit der Feststellung des Todeseintritts entspricht, durch (1) zwei (2) hierfiir qualifizierte (3) Arzte, die (4) den Organspender unabhangig voneinander untersucht haben, die (5) weder an der Entnahme, noch an Ubertragung der Organe des Organspenders beteiligt sein durfen und auch (6) nicht Weisungen eines an der Organentnahme oder Ubertragung beteiligten Arztes unterstehen durfen, getroffen werden, § 5 I 1 und II TPG. Sind seit endgultigem und nicht behebbarem Stillstand von Herz und Kreislauf mehr als drei Stunden vergangen reicht die Feststellung durch einen Arzt aus, die tibrigen Voraussetzungen bleiben unberuhrt, § 5 I 2 TPG. b) Einwilligung und Widerspruch des moglichen Organspenders Liegt dem Arzt, der Organe entnehmen soil, eine schriftliche Einwilligung des moglichen Organspenders vor, darf die Organentnahme durchgefuhrt werden, § 3 I Nr. 1 TPG. Liegt diesem Arzt ein schriftlicher Widerspruch des moglichen Organspenders vor, ist die Organentnahme zum Zweck der Ubertragung ausnahmslos unzulassig, § 3 II Nr. 1 TPG.
^^'^ BGBl. 1,2631.
170
Kapitel 10 Betreuungsrecht und Arzt/Krankenhaus
Eine Abanderung solcher schriftlich vorliegender Entscheidungen, set es Einwilligung oder Widerspruch, steht auch den nachsten Angehorigen nicht zu. Allerdings sieht das Gesetz ausdrucklich vor, dass der mogliche Organspender seine Entscheidung auf eine Person seines Vertrauens ubertragen kann, § 2 II 1 TPG. Die Entscheidung dieser Vertrauensperson ist aber auch von den nachsten Angehorigen hinzunehmen und kann nicht von ihnen korrigiert werden, § 4 III TPG.
In der „Erklarung zur Organspende"^^^ kann auch festgelegt werden, dass nur bestimmte Organe entnommen oder auch dass bestimmte Organe nicht entnommen werden diirfen, § 2 II 2 TPG. Die Einwilligungserklarungen konnen ab dem 16. Lebensjahr abgegeben werden, ein rechtswirksamer Widerspruch ist bereits ab dem 14. Lebensjahr moglich, § 2 II 3 TPG. Zur (freiwilligen!) Erfassung von Erklarungen zur Organspende, seien sie Einwilligung oder Widerspruch, ist die Einrichtung eines Organspenderegisters vorgesehen, § 2 III TPG. AuBer den Erklarenden selbst erhalten aus diesem Register Auskunft nur eigens von den Krankenhausern hierfiir benannte Arzte, die wiederum weder an der Organentnahme oder -ubertragung selbst beteiligt, noch einem daran beteiligten Arzt gegenuber weisungsabhangig sein durfen, § 2 IV TPG. c)
Entscheidung durch den nachsten Angehorigen
Fur eine Entscheidung durch den „nachsten Angehorigen" ist nur Raum, wenn keine schriftliche Erklarung zur Organspende vorliegt und auch dem nachsten Angehorigen eine solche nicht bekannt ist. In diesem Fall und nur in diesem darf der nachste Angehorige anstelle des moglichen Organspenders entscheiden, § 4 I 2 TPG. Dabei hat der Angehorige den mutmaBlichen Willen des moglichen Organspenders zu beachten, § 4 I 3 TPG; darauf muss ihn der Arzt hinweisen, § 4 I 4 TPG. Der Angehorige kann sich den Widerruf seiner Erklarung vorbehalten, § 4 I 5 TPG, dies muss schriftlich erfolgen, § 4 IV 3 TPG. AuBer der erstmaligen Definition des Todes des Menschen hat das TPG in seinem § 4 II die zur Entscheidung in Betracht kommenden Angehorigen genau aufgefuhrt. Damit wird im TPG erstmals Angehorigen durch Gesetz die Befugnis eingeraumt, in bestimmten Fallen an Stelle des, allerdings ja bereits verstorbenen, Rechtstragers rechtlich wirksame Entscheidungen zu treffen. Man wird diese Aufzahlung als Entscheidungshilfe auch etwa fur die Frage heranziehen konnen, ob und wann Angehorigen mit mutmafilichem Einverstandnis des nicht mehr einwilligungsfahigen Patienten Auskunft erteilt werden darf;
205
Legaldefinition in § 2 II 1 TPG.
9 Organentnahme und-spende
171
dabei ist auch die nachstehend noch umschriebene Person des Vertrauens ohne weiteres einzubeziehen. „Nachster Angehoriger" sind gemafi § 4 II 1 TPG in dieser Reihenfolge 1. derEhegatte 2. volljahrige Kinder 3. Eltem oder, bei Minderjahrigen, der oder die Sorgerechtsinhaber 4. volljahrige Geschwister und 5. GroBeltem. Voraussetzung der Entscheidungsbefugnis ist bei alien Angehorigen, dass sie in den letzten zwei Jahren vor dessen Tod personlichen Kontakt mit dem moglichen Organspender hatten, § 4 II 2 TPG; dies muss der Arzt ausdrucklich feststellen, § 4 II3 TPG. Dieses Kriterium bietet sich auch als Anhaltspunkt dafiir an, ob der betreffenden Person Auskunft uber den Gesundheitszustand des Patienten erteilt werden darf. Ist ein hoherrangiger Angehoriger nicht erreichbar, geniigt die Beteiligung und Entscheidung des nachsterreichbaren nachrangigen Angehorigen, § 4 II 4 TPG Bei gleichrangigen Angehorigen, etwa mehreren volljahrigen Kindem, reicht es, wenn einer von ihnen beteiligt wird und zustimmt, § 4 II 5 TPG. Widerspricht aber auch nur einer von mehreren gleichrangigen Angehorigen, darf die Organentnahme nicht durchgefuhrt werden, § 4 II 6 TPG. Dem nachsten Angehorigen steht eine volljahrige Person gleich, die dem moglichen Organspender bis zu dessen Tode in besonderer personlicher Verbundenheit offenkundig nahegestanden hat („Person des Vertrauens"), sie tritt neben den nachsten Angehorigen. Auch in diesem Fall gibt es also mehrere gleichrangig zur Entscheidung Berufene mit der Folge, dass die Beteiligung und Einwilligung auch der Vertrauensperson ausreicht, ihr Widerspruch aber der Organentnahme entgegensteht. Durch diese Regelung werden zum Beispiel gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften auch dann erfasst, wenn sie keine eingetragene Partnerschaft^^^ eingegangen sind.
206
Vgl. Lebenspartnerschaftsgesetz, unten S. 254 FuBnote 286.
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Kapitel 10 Betreuungsrecht und Arzt/Krankenhaus
d) Sonstige Regelungen Die Organentnahme bei lebenden Organspendern ist in § 8 TPG geregelt. Sic mUssen volljahrig und einwilligungsfahig sein. Die Einwilligung etwa durch einen Betreuer kommt hier also kraft ausdruckHcher gesetzUcher Regelung nicht in Betracht. In den § § 9 - 1 5 TPG sind Regelungen fur die Entnahme, Vermittlung und Ubertragung bestimmter Organe sowie weitere Bestimmungen enthalten, die im wesentlichen die Transplantationszentren sowie die Koordinierungs- und Vermittlungsstellen betreffen und dort auch bekannt sein durften, so dass hier von einer Darstellung und Erlauterung abgesehen wird^^^. Von allgemeinem Interesse diirften dagegen folgende grundsatzliche Regeln bei der Vermittlung von Transplantaten (sogenannte Allokation)^^^ sein: (1) Organe, die nach dem Tode entnommen worden sind, durfen ausschlieBlich durch die Koordinierungs- und Vermittlungsstellen vergeben werden. Weder der verstorbene Organspender zu Lebzeiten, noch seine Angehorigen oder Erben haben irgendeine Moglichkeit, zu beeinflussen, wer das Organ erhalt, § 9 Satz 2 TPG. Durch diese Regelung soil jeglicher Organhandel ausgeschlossen werden. (2) Nach emer Organentnahme bei einem lebenden Organspender hat dieser dagegen im Prinzip die Moglichkeit, zu bestimmen, wer das Organ erhalten soil, weil § 9 Satz 2 TPG bei Lebendtransplantationen nicht gilt. Um aber auch hier Organhandel entgegenzuwirken, durfen von Lebenden entnommene Organe, die sich nicht wieder bilden konnen, nur ubertragen werden auf Verwandte ersten oder zweiten Grades, Ehegatten, Verlobte oder andere Personen, die dem Spender in besonderer personlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen, § 8 I 2 TPG. § 16 TPG ubertragt der Bundesarztekammer die Aufstellung von Richtlinien Uber die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft. Bei der Erarbeitung dieser Richtlinien sollen auch Arzte, die nicht an Organentnahmen oder -ubertragungen beteiligt und auch keinem daran beteiligten Arzt gegenuber weisungsgebunden sind, angemessen vertreten sein, ebenso Personen aus dem Kreis der Patienten und Personen mit der Befahigung zum Richteramt, § 16 II TPG.
207
208
Interessierte seien insoweit verwiesen auf den bislang einzigen Kommentar von Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler aus dem Jahr 2001 und den neu erschienenen Kommentar von Hofling aus dem Jahr 2003. Literaturhinweis: Christian Dierks (Hrsg.), Die Allokation von Spenderorganen: rechtliche Aspekte (1999).
9 Organentnahme und -spende
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Organhandel ist unter Strafandrohung verboten, §§17 und 18 TPG. Auch weitere VerstoBe gegen das TPG konnen mit Geld- oder Freiheitsstrafe beziehungsweise GeldbuBe geahndet werden, §§19 und 20 TPG.
Kapitel 11 Betreuungsrecht, offentliche Ordnung und zivilrechtliche Anspriiche
1.
Betreuung zur Behebung von Storungen der offentlichen Ordnung
Gelegentlich wird der Betreuungsrichter auch von der Kommune gebeten, tatig zu werden, um Storungen der offentlichen Ordnung zu beheben. Der Betroffene ist alkoholkrank und betrinkt sich jeden Tag auf der vom Verkehrsverein aufgestellten Bank am Marktplatz. Die Betroffene ist schizophren, verhalt sich zeitweise in der OffentHchkeit distanzlos und bricht dabei in lautes Schimpfen aus. Der Betroffene lebt als Obdachloser auf der Strafie, die ihm zugewiesene Unterkunft sucht er nur sporadisch auf, Passanten beschweren sich beim Ordnungsamt. Als weiteres Beispiel fiir den Antrag einer Kommune auf die Bestellung eines Betreuers wird auf Fall 61 (S. 230) verwiesen. Gelegentlich stellt die Kommune einen Antrag auch bei nichtoffentlichen Missstanden, auf die sie von Nachbam Oder Angehorigen aufmerksam gemacht worden ist"^^. Bei erheblicher Fremd- oder Eigengefahr sind die Kommunalbehorden und auch die Polizei selbst aufgrund eines der Landesgesetze uber die Unterbringung psychisch Kranker unmittelbar zur sogenannten polizeirechtlichen Einweisung befugt. Diese Einweisung ist dann nach Einlieferung des Betroffenen in das zustandige Psychiatrische Krankenhaus richterlich zu genehmigen. Da dort bei der Anhorung des Betroffenen ohne weiteres zugleich mtindlich vorab ein entspre-
Vgl. S. 176 Fall 51.
176
Kapitel 11 Betreuungsrecht, offentliche Ordnung und zivilrechtliche Anspriiche
chendes facharztliches Attest erholt werden kann, sind diese Falle fiir den Richter vom Verfahren her meist unkompliziert. Weist die Kommunalbehorde oder die Polizei dagegen nicht unmittelbar selbst ein, sondem beantragt vorab eine richterliche Entscheidung, ist das vor dem Hintergrund des zuvor Gesagten zunachst einmal ein Indiz dafiir, dass man sich dort der Sache so sicher nicht ist. Die wichtigste Frage ist, ob iiberhaupt eine ausreichende medizinische Indikation fiir eine Zwangseinweisung oder Zwangsbetreuung vorliegt. Der Umstand, dass das erschreckend oft nicht der Fall ist, notigt den Richter zu besonders sorgfaitigem Vorgehen. Fall 51:
Die Familie der knapp 40-jahrigen Betroffenen war unter Vorlage eines hausarztlichen Attests bei der Gemeinde: die Betroffene musse wegen Selbstmordgefahr dringend in stationare psychiatrische Behandlung. Die Anhorung ergab ein fur solche Falle untypisches Bild. Die Wohnung der Betroffenen befand sich, obwohl die Anhorung unangemeldet stattfand, in ordentlichem Zustand. Die Betroffene erschien aufgebracht (verstandHcherweise), etwas sehr redselig („logorrhoisch"), aber insgesamt unauffallig. Der das Attest ausstellende Hausarzt habe sie nur einmal anlassHch der falligen Verschreibung eines andauernd einzunehmenden Medikaments kurz gesehen (Das wurde spater von den Angehorigen bestatigt!). Ihre eigentliche Hausarztin werde attestieren, dass keinerlei Beschlussnotwendigkeit bestehe. Ein entsprechendes Attest lag dem Gericht wenige Tage spater vor.
Dieser Fall verdeutlicht den Wert des unmittelbaren Eindrucks des Richters von der Betroffenen und der Situation, in der sie lebt. Dies gilt natiirlich um so mehr, wenn der Richter in diesem Rechtsgebiet bereits erfahren ist. Und er zeigt, dass man damit rechnen muss, dass es Arzte gibt, die Atteste zum Zweck einer Zwangseinweisung allein aufgrund von Angaben Angehoriger („fremdanamnestisch") ausstellen, ohne die Patientin hierzu auch nur angesehen zu haben. Ein krasser Fall, gewiss, aber tatsachlich so geschehen. Allgemein ist bei Antragen, „Storer" einzuweisen, zu bedenken, dass alle Arten von Einweisung entweder Eigen- oder Fremdgefahr oder Notwendigkeit (und Befiignis^*^!) von Zwangsbehandlung voraussetzen. Diese Voraussetzungen liegen aber bei „Storem" keineswegs immer vor^^\ Schon an dieser Stelle sei aber darauf hingewiesen, dass ein betreuungsrecht!icher Unterbringungsbeschluss nur im Interesse des Betroffenen ergehen kann, also bei Eigengefahrdung oder Behandlungsbedurftigkeit. Bei Fremdgefahrdung kommt ausschliefilich ein Unterbringungsbeschluss nach einem der Landesgesetze uber die Unterbringung psychisch Kranker in Betracht. Diese Geset210
Das weitgehend garantierte Recht auf Krankheit beachten! ^^^ Vgl. hierzu S. 183.
1 Betreuung zur Behebung von Storungen der offentlichen Ordnung
177
ze greifen auch bei Eigengefahrdung ein. Damit besteht bei Eigengefahrdung ein Wahlrecht zwischen der betreuungsreciitlichen und der (landesrechtlich geregelten) polizeirechtlichen Unterbringung. Es empfiehlt sich, dieses Wahlrecht zu Gunsten der betreuungsrechtlichen Unterbringung auszuuben, da diese leichter zu handhaben und bei Anderungen der Unterbringungsnotwendigkeit flexibler ist. Wegen der welter sich in diesem Zusammenhang stellenden Frage, ob eine Betreuung gegen den Widerstand des Betroffenen uberhaupt Erfolg verspricht, vgl. S 73 Abschnitt (4). Auch wenn die Antrage der Kommunalbehorden kaum je missbrauchlich erscheinen und meist auch durchaus verstandlich sind, muss der Betreuungs- und Unterbringungsrichter sich an die engen Grenzen halten, innerhalb derer er Zwangseinweisung und -unterbringung anordnen darf. Der Betreuungs- und der Unterbringungsrichter darf sich nicht kritiklos zum Instrument auch durchaus berechtigt erscheinender sozialhygienischer Wiinsche machen. Mit manchen Storem und Storungen muss eine Gesellschafl eben leben. Ungeachtet der Vielzahl der Kontakte, die der Betreuungsrichter haben sollte, muss er doch stets darauf bedacht sein, seine innere Unabhangigkeit zu wahren. Er muss immer noch so viel Abstand haben, dass er auch gegen den Widerstand von Heimen, Betreuem, Rechtsanwalten und Behorden entscheiden kann. Der Betreuungsrichter ist vom Gesetz mit einer ganz erheblichen Machtfiille ausgestattet. Die Zwangsraumung einer Wohnung, die vor dem Zivilgericht allein bis zum Vorliegen eines vollstreckbaren Titels Monate bis Jahre erfordert, kann vom Betreuungsrichter im Prinzip innerhalb eines Tages ausgesprochen werden. Bei dieser Machtfiille muss der Betreuungsrichter sich stets bewusst sein, dass er, durchaus aus bedrangenden Situationen heraus, zum Erreichen einer einfachen und billigen „Losung" instrumentalisiert werden kann^^^. Diese Gefahr gilt es zu erkennen und sich ihr von innen und von auBen entgegenzusetzen.
Vgl. S. 180.
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Kapitel 11 Betreuungsrecht, offentliche Ordnung und zivilrechtliche Anspruche
Wer ist fiir die Bestattung zustandig? a) Regelung der Bestattung Mit dem Tod des Betroffenen ist die Betreuung beendet, ohne dass es einer entsprechenden Entscheidung des Vormundschaftsgerichts bediirfte. Damit ist der Betreuer jedenfalls nach Betreuungsrecht nicht verpflichtet, flir die Bestattung des Betroffenen zu sorgen^^^. Die Regelung der Bestattung ist nach herrschender Meinung kein unaufschiebbares Geschaft des Betroffenen nach §§ 1893, 1698b BGB^'"^, so dass auch diese Vorschriflen keine Bestattungspflicht des Betreuers begrunden. Wenn bei Nichterreichbarkeit von Erben oder Angehorigen des Betroffenen der Betreuer gleichwohl, etwa aus menschlicher Verbundenheit mit dem Betroffenen, die Bestattung regeln will, ist er dazu aber berechtigt^^^. Er wird dabei als Geschaftsfuhrer ohne Auftrag, §§ 677ff BGB, der Erben oder Angehorigen^'^ tatig. Es kommt auch vor, dass der Betreuer die Bestattung auch auf ausdrtickliche Bitte der Erben oder Angehorigen regelt. In Rheinland-Pfalz und Sachsen ist, nachrangig zu Erben und Angehorigen, der Betreuer durch die Bestattungsgesetze dieser Lander zur Regelung der Bestattung verpflichtet^'^. Er wird hierbei allerdings nicht als Betreuer tatig, sondem als kraft offentlichen Rechts Verpflichteter, wobei Anknupfungstatbestand, aber nicht Rechtsgrund, seiner Verpflichtung sein burgerlichrechtliches Betreueramt ist. In Bayern hat bisher der Verordnungsgeber von seiner ihm im Bayerischen Bestattungsgesetz eingeraumten Befiignis, den Betreuer zur Regelung der Bestattung zu verpflichten, keinen Gebrauch gemacht. Denn in § 1 I der Durchfuhrungsverordnung zum Bestattungsgesetz sind als Verpflichtete nur die „Personensorgeberechtigten", nicht aber der in § 15 des Bayerischen Bestattungsgesetzes nachrangig zu den Personensorgeberechtigten genannte Betreuer aufgefiihrt^'^
213 214 215
216 217
Bienwald BQtrQuungsrQcht § 1908d BGB Rdnr. 38 und 39. Bienwald aaO, § 1908d BGB Rdnr. 39; anderer Ansicht Spranger BtPrax 1999, 174. Diese Befugnis (nicht eine Verpflichtung hierzu!) folgt aus § 5 des Gesetzes uber die Feuerbestattung vom 15. Mai 1934, RGBl. I 380. Nicht des Betroffenen, weil es eine Geschaftsfuhrung flir Verstorbene nicht gibt. § 10 I 2 des Sachsischen Bestattungsgesetzes vom 08.07.1994, Gesetz- und Verordnungsblatt - kiinftig: GVBl. - S. 1321; § 9 des Rheinland-Pfalzischen Bestattungsgesetzes vom 04.03.1983, GVBl. S. 69, geandert durch Gesetz vom 06.02.1996, GVBl. S. 65. So zutreffend ^/e«wa/(i Betreuungsrecht § 1908d BGB Rdnr. 46.
2 War ist fiir die Bestattung zustandig?
179
In den Bestattungsgesetzen der anderen Bundeslander ist eine Verpflichtung des Betreuers, die Bestattung zu regeln, nicht enthalten^'^. Steht kein zur Regelung der Bestattung Verpflichteter oder Bereiter zur Verfugung, ist die Bestattung letztlich als allgemeine polizeirechtliche Aufgabe Angelegenheit des Ordnungsamts, in dessen Bezirk der Todesfall sich ereignet hat. Die Unzustandigkeit des Betreuers auch fur die Bestattung wird vielfach als unangemessen empfunden. Wenn ein Betroffener, mit dem eine Verstandigung insoweit noch moglich ist, und ein Betreuer sich dahin einigen, dass der Betreuer auch die Bestattung regeln soil, ist das wohl die beste Losung. Hat der Betroffene entsprechende Mittel, sollte in diesen Fallen die Bestattung noch zu seinen Lebzeiten im Voraus bezahlt werden. Damit kann das Problem gelost werden, dass der Betreuer ab dem Tod des Betroffenen ja nicht mehr befugt ist, Vermogensverfugungen fur den Betroffenen vorzunehmen. Nach einer Entscheidung des OLG Frankfurt^^^ ist es nicht zu beanstanden, wenn der Betroffene hierfiir einen Teil seines Vermogens aufwendet, auch wenn er dadurch sein Vermogen vermindert und so die Staatskasse die weiteren Kosten der Betreuung (das heil3t vor allem: des [Berufs-]Betreuers) tragen muss. Der fiir den Bestattungsvorsorgevertrag erforderliche Geldbetrag sei aufgrund seiner vertraglich vereinbarten Zweckbestimmung aus dem Vermogen des Betroffenen ausgeschieden, so dass es sich hierbei nicht mehr um verwertbares Vermogen im Sinne § 88 des BSHG handle. Der Betroffene sei nicht gehalten, sein Vermogen fiir die Bestreitung kunftiger Betreuerkosten aufzusparen. Denn das allgemeine Personlichkeitsrecht aus Art. 2 GO umfasse auch das Recht, uber die eigene Bestattung zu bestimmen und zu Lebzeiten fiir deren angemessene Durchfiihrung und Bezahlung zu sorgen. b) Wer tragt die Kosten der Bestattung? Der Umstand, dass die Betreuung mit dem Tod des Betroffenen endet, fiihrt dazu, dass der (gewesene) Betreuer fur Tatigkeiten, die nach dem Tod des Betroffenen vomimmt, keine vom Vormundschaftsgericht festzusetzende Entschadigung mehr erhalten kann, gleich, ob diese aus dem Nachlass des verstorbenen Betroffenen bezahlt werden konnte oder von der Staatskasse zu tragen ware. Sein Zeitaufwand stellt aber einen Teil des fiir die Bestattung erforderlichen Aufwands dar, fiir den er von dem zur Tragung der Bestattungskosten Verpflichteten Ersatz verlangen kann, wobei als MaUstab fur den Umfang dieses Ersatzes sich der Stundensatz seiner bisherigen Betreuervergutung anbietet.
Die Fundstellen des Landesbestattungsgesetze sind bei Bienwald Betreuungsrecht § 1908d BGB Rdnr. 48 aufgefuhrt. ^^^ OLG Frankftirt BtPrax 2001, 128.
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Kapitel 11 Betreuungsrecht, offentliche Ordnung und zivilrechtliche Ansprtiche
Fiir die Bestattungskosten haftet zunachst der Nachlass, § 1968 BGB. Hat der Betroffene ausreichend Vermogen zur Deckung der Bestattungskosten hinterlassen, kann der Betreuer in diesem Fall bei dem Nachlassgericht gemaB §§ 1960, 1961 BGB die Anordnung einer Nachlasspflegschaft beantragen, damit der Nachlasspfleger ihm aus dem Nachlassvermogen die Beerdigungskosten erstatten kann. Vielfach wird das Nachlassgericht dabei den Betreuer fragen, ob er bereit ist, diese Nachlasspflegschaft zu ubernehmen, der Betreuer kann dies auch selbst anregen^^^ Die Ubemahme der Nachlasspflegschaft durch den Betreuer ist praktisch und zu empfehlen. Reicht der Wert des Nachlasses zur Deckung der Bestattungskosten nicht aus, kommt eine Haftung der dem Verstorbenen gegentiber unterhaltsverpflichteten Angehorigen in Betracht, auch wenn diese nicht Erben geworden sind oder die Erbschaft ausgeschlagen haben, §§ 1360a III, 1361 IV 3, 1615 II BGB. Sind auch die Angehorigen auOerstande, die Beerdigungskosten zu zahlen sind die Kosten der Bestattung von der Sozialhilfe zu tragen, § 15 BSHG.
3.
Gefahr des Missbrauchs des betreuungsrichterlichen Eilverfahrens
Wenn Angehorige gegenuber dem Betreuungsrichter vorbringen, der Betroffene mUsse aus zwingenden Griinden umgehend in ein Psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen oder in ein Heim verlegt werden, besteht prinzipiell die Moglichkeit einer sofortigen Entscheidung. Um dem Betreuungsrichter im Eilfall schnelles Handeln zu ermoglichen, sieht das Betreuungsrecht namlich vor, dass nahezu alle verfahrensrechtlichen Garantien des Betreuungsrechts (Bestellung eines Verfahrenspflegers, Einholung eines Gutachtens, selbst die Anhorung des Betroffenen) bei Gefahr im Verzug zunachst entfallen durfen. Wenn auch durchweg deren baldestmogliche Nachholung vorgeschrieben ist, ist dann doch schon einmal ein Faktum geschaffen, das manchmal nicht so einfach wieder ruckgangig gemacht werden kann, nicht zu reden von der moglichen personlichen Traumatisierung des Betroffenen. Der Betreuungsrichter muss sich daher stets bewusst sein, dass ihm das Gesetz fur den Eilfall sehr weitgehende Entscheidungsbefugnisse nahezu ohne Verfahrensgarantien fiir den Betroffenen ubertragen hat. Mit dieser Befugnis gilt es entsprechend vorsichtig und verantwortungsbewusst umzugehen. Die Aussicht auf eine solcherart schnelle (u. U. innerhalb weniger Stunden) und potentiell nahezu verfahrensfreie Entscheidung, die dann auch noch vom Vor-
^^^ Beftirwortend Formella, BtPrax 1999, 176, 177.
3 Gefahr des Missbrauchs des betreuungsrichterlichen Eilverfahrens
181
mundschaftsgericht praktisch kostenfrei und ohne jeden Vollstreckungsschutz vollzogen wird, ist fiir die Angehorigen verlockend. Sie fiihrt in der Praxis immer wieder dazu, dass Antrage, die an sich in einem Wochen oder Monate dauemden Zivil- oder Verwaltungsrechtsstreit durchgefochten werden oder zumindest das normale Betreuungsverfahren durchlaufen mussten, mit einer eine Eilentscheidung rechtfertigenden betreuungsrechtlichen Indikation versehen werden und so auf dem Tisch des Betreuungsrichters landen. Als krasses Beispiel hierfur vgl. zunachst auf Fall 51 (S. 176). Fall 52:
An einem Donnerstag ging ein Betreuungsantrag ein. Die mit Sohn und Schwiegertochter im selben Haus lebende alt gewordene Mutter musse in ein Altenheim verlegt werden und „konne das nicht mehr selbst verstehen". Am nachsten Tag wurde telefonisch nachgefragt, wo denn die Entscheidung bleibe. Das beigefiigte hausarztliche Attest bescheinigte, dass die Versorgung der Patientin in einem Heim „angebracht sei". Die daraufhin am selben Tage durchgefiihrte Anhorung ergab, dass die noch mobile und beim Fernsehen angetroffene Betroffene, wie bei alten Menschen haufig, sich der ihr von Sohn und Schwiegertochter angesonnenen Verlegung in ein Altenheim widersetzte. Offenkundige Anhaltspunkte fur Willensbildungsstorungen waren fiir den Richter nicht feststellbar, das Attest gab ohnehin nichts her. Als daraufhin Sohn und Schwiegertochter erklart wurde, es musse das Normalverfahren durchlaufen werden, eine Entscheidung werde danach wohl nicht vor Ablauf von zwei Monaten zu erwarten sein, reagierten diese entsetzt und ohne jedes Verstandnis. Sie hatten keine Kraft mehr, die Pflege der Mutter fortzufiihren. Es wurde ein Kontakt mit der Betreuungsbehorde vermittelt, um Hilfen fiir die Versorgung der alten Dame zu Hause aufzuzeigen.
Hintergrund war hier der Wunsch, die Betroffene und die Verantwortung fiir sie so schnell wie irgend moglich aus dem Haus zu bekommen. Es kommt auch vor, dass offentliche Stellen versuchen, das Betreuungsrecht fiir ihre Zwecke einzusetzen. Fall 53:
Die Betroffene war dem Betreuungsrichter sei Jahren dienstlich bekannt. In diesem Zeitraum erholte Gutachten von drei unterschiedlichen Psychiatern hatten ihr eine verquere Personlichkeit bescheinigt, das Vorliegen der Voraussetzungen der Errichtung einer Zwangsbetreuung aber verneint. Schlussendlich hatte sie eine Betreuung akzeptiert, um in der Wohnung bleiben zu konnen. Nunmehr trat die Kommunalverwaltung an das Gericht heran mit dem Antrag, die Verlegung der Betroffenen in ein Heim anzuordnen, weil die Heim versorgung kostengunstiger ware, als die inzwischen eingerichtete hausliche Pflege. Sollte dem Antrag nicht entsprochen werden, musse die Zahlung der Sozialhilfe eingestellt werden.
Hier wurde dem Betreuer geraten, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, um vor dem Verwaltungsgericht zu klaren, ob die angedrohte Einstellung der Sozialhilfeleistung rechtens sei. Das Sozialamt gab nach, olme dass es zu einem Verwaltungsgerichtsverfahren kam.
182
Kapitel 11 Betreuungsrecht, offentliche Ordnung und zivilrechtliche Anspruche
Selbstverstandlich gibt es auch sachlich begriindete Eilantrage, denen dann zu Recht entsprochen wird. Eine gewisse Vorsicht und Misstrauen gegenuber dem Vortrag der betroffenen Angehorigen und gegenuber moglicherweise gefalligkeitshalber erstellten arztlichen Attesten ist jedoch angezeigt. Zur Entscheidung in der Sache gilt auch hier: Es muss ein gesetzlicher Grund zur ZwangsmaBnahme vorliegen^^^. Allein die Uberlastung von Angehorigen, mag sie auch zu Recht Mitgefuhl auslosen, stellt einen solchen Grund nicht dar. Vielleicht kann im Rahmen des Hausbesuchs ja ein anderer Losungsweg aufgezeigt werden. Und manche Lasten konnen eben auch nicht genommen werden^^^.
222
Vgl. hierzu die Ausfiihrungen wie S. 176. ^^^ Vgl. etwa S. 71 Fall 24 sowie die Beispiele S. 175.
Kapitel 12 Unterbringungssachen
1.
Abgrenzung Unterbringung und unterbringungsahnliche Mafinahme
Nach § 1906 I, II BGB bedurfen Unterbringungen der richterlichen Genehmigung („Richtervorbehalt"), wenn sie mit Freiheitsentziehung verbunden sind. Hauptanwendungsfall dieser auch als freiheitsentziehende MaBnahmen bezeichneten Eingriffe ist die Zwangseinweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus. § 1906 IV BGB regelt den Richtervorbehalt fur Freiheitsentziehungen, die ohne Unterbringung erfolgen. Fur diese Falle hat sich weithin der - im Gesetz selbst nicht erwahnte - Begriff der „unterbringungsahnlichen. MaBnahme" eingeburgert^^"^. Altemativ wird hierfur, auch der Begriff freiheitsbeschrankende MaBnahme verwendet^^^. Diese Wortwahl betont das minus (weniger) der (lediglich) freiheitsbeschrankenden Eingriffe gemaB § 1906 IV BGB gegeniiber den freiheitsentziehenden Eingriffen gemaB § 1906 I, II BGB. Als unterbringungsahnliche MaBnahme stuft die Praxis ein (ausgehend vom Wortlaut des § 1906 IV BGB) den Einsatz von Bettgittern, Angurtungen im Bett und/oder auf dem Stuhl und Medikation mit dem beabsichtigten Hauptzweck der Sedierung, Ankniipfungspunkt fiir die Genehmigungsbediirftigkeit ist in beiden Fallen der Eingriff in die personlichen Freiheitsrechte des Betroffenen. Unterbringungsgenehmigungen, gleich nach welcher Einzelnorm sind stets befristet. Die Frist betragt fur einstweilige Anordnungen hochstens sechs Wochen § 70h II 1 FGG, eine Verlangerung auf insgesamt drei Monate ist unter bestimmten Umstanden moglich, § 70h II 2 FGG.
^^^ Fur alle: Palandt-Diederichsen § 1906 BGB Rdnr. 17. ^^^ Soergel-Zimmermann § 1906 BGB Rdnr. 88.
184
Kapitel 12 Unterbringungssachen
Unterbringungen durch Hauptsacheentscheidung sind auf maximal 1 Jahr zu befristen, bei offensichtlich langer Unterbringungsbedurftigkeit (geschlossenes Heim) auf maximal 2 Jahre, § 70f I Nr. 3 FGG. Nach einer von der allgemeinen Entscheidungspraxis abweichenden Auffassung des Verfassers stellt die Genehmigung der Unterbringung auf der geschlossenen Station eines Pflegeheims keine Unterbringung, sondem lediglich eine unterbringungsahnliche Mafinahme dar. Einzelheiten hierzu S. 240.
2.
Zur Unterbringung gemaB § 1906 I BGB im Einzelnen
a) Die Einwilligung des Betroffenen macht einen Gerichtsbeschluss entbehiiich Wie vorstehend ausgefiihrt, ist Ankniipfungspunkt der Unterbringungsgenehmigung gemaB § 1906 I BGB der Eingriff in die Freiheit des Betroffenen. Aus diesem Grund besteht keine Notwendigkeit und auch keine Moglichkeit zu einer Unterbringungsgenehmigung, wenn der Betroffene selbst einverstanden ist. Derm in solchen Fallen liegt eine Freiheitsentziehung begrifflich nicht vor. Im Einzelfall allerdings kann die Frage des Vorliegens einer Einwilligung aber durchaus schwierig sein: Fall 54:
Dem Richter wird bei einem Besuch in einem Psychiatrischen Krankenhaus eine junge Frau vorgestellt, die an einer Schizophrenie leidet. Nach den Ausfuhrungen des Stationsarztes ist ihre weitere stationare Behandlung auch ohne weiteres indiziert. Die junge Frau macht in der Anhorung einen zerfahrenen sprunghaften Eindruck. Sie hat offenbar vor dem Richter Angst. Sie erklart ausdrucklich ihr Einverstandnis mit ihrer weiteren stationaren Behandlung, bittet aber, von einem „BeschIuss" abzusehen. Der Arzt macht jedoch plausibel, dass die Betroffene zwar derzeit einverstanden ist, sie ihr Einverstandnis bei der nachsten Krise wieder zurucknehmen werde. Dies habe sie bisher stets so gemacht.
Hier war ein Unterbringungsbeschluss zu erlassen. Denn die vordergriindig vorhandene Einwilligung der Patientin war krankheitsbedingt nicht ausreichend tragfahig. Die Einwilligung in die Unterbringung setzt im Ubrigen keineswegs zwingend voraus, dass der Betroffene vollstandig geschaftsfahig ist. Es gibt durchaus Falle, wo Betroffene aufgrund ihrer Erkrankung nicht in der Lage sind, die Einzelheiten ihrer Behandlung mit dem Arzt abzusprechen, wohl aber unter solchem Leidensdruck stehen, dass sie erklaren, behandelt werden und hierzu auch freiwillig auf Station bleiben zu wollen. Diese sogenannte ,,naturliche Einwilligungsfa-
2 Zur Unterbringung gemaB § 1906 I BGB im Einzelnen
185
higkeit"^^^ reicht fiir die Entbehrlichkeit eines Unterbringungsbeschlusses aus, wenn sie tragfahig erscheint. Die Einwilligung in eine Behandlung erfordert dagegen nicht nur ein allgemeines „Ja" des Betroffenen, sondem auch, dass dieser im GroBen und Ganzen Umfang und Bedeutung der in Frage kommenden arztlichen MaBnahmen verstehen, Risiken einschatzen und mogliche Alternativen abwagen kann. Aus diesem Grund reicht die nattirliche Einwilligungsfahigkeit als Grundlage arztlicher MaBnahmen nicht aus. Die Absprache der Behandlung im Einzelnen muss der Arzt daher auch dann mit dem Betreuer treffen, wenn der nicht mehr einwilligungsfahige Betroffene mit seinem „naturlichen Willen" mit der Behandlung prinzipiell einverstanden ist^^^. b) Die Unterbringungsgrunde Eigengefahrdung und Fremdgefahrdung (1) Eigengefahrdung Von Eigen- oder auch Selbstgefahrdung spricht man, wenn der Betroffene durch sein eigenes Verhalten seine Gesundheit oder gar sein Leben erheblich gefahrdet. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Betroffene diese Gefahr, wie etwa beim Suizidversuch, absichtlich herbeifiihrt. Eine solche erhebliche Gefahrdung kann zum Beispiel liegen in der Gefahr, dass der Betroffene orientierungslos im offentlichen Verkehrsraum herumirrt, dass er Essen und Trinken verweigert, dass er im Bett raucht. Es gibt aber auch untypische Falle von Eigengefahrdung: Fall 55:
Der geistig erheblich behinderte Betroffene war umtriebig, es zog ihn zu Obdachlosen. Diese akzeptierten ihn jedoch nicht als einen der ihren und verlangten von ihm, sich von ihnen fernzuhalten. Als er sich nicht daran hielt, wurde er ubel zusammengeschlagen. Gleichwohl strebte er immer wieder dorthin.
Zur Unterbringungsmoglichkeit fahrt Eigengefahrdung allerdings nur, wenn sie Folge einer psychischen oder seelischen Storung ist. Ohne diese Einschrankung musste unter Umstanden jeder Kettenraucher oder Extremsportler mit seiner Unterbringung rechnen.
226
Weitgehend anerkannt, fur alle: Palandt-Diederichsen § 1906 Rdnr. 4. Vgl. S. 118 „Behandlungseinwilligung"; anders die wohl herrschende Meinung, die auch im Bereich der Gesundheitsfiirsorge natiirliche Einwilligungsfahigkeit ausreichen lasst, fiir alle: Palandt-Diederichsen § 1904 BGB Rdnr. 1.
186
Kapitel 12 Unterbringungssachen
Bei dem Unterbringungsgrund „Eigengefahrdung", § 1906 I Nr. 1 BGB, besteht parallel zu der betreuungsrechtlichen auch die Moglichkeit der polizeirechtlichen Unterbringung^^^ Da bei Suizidversuchen meist die Polizei als erste vor Ort ist, ordnet diese dann die Einweisung des Betroffenen in ein Psychiatrisches Krankenhaus nach dem ortlich geltenden Landesgesetz iiber die Unterbringung psychisch Kranker an („polizeirechtliche" im Gegensatz zur „betreuungsrechtlichen" Unterbringung). Die Unterbringungsgesetze der Lander sind im Einzelnen: Baden-Wiirttemberg: Gesetz liber die Unterbringung psychisch Kranker (Unterbringungsgesetz - UBG) in der Fassung vom 02.12.1991 , zuletzt geandert durch Gesetz vom 03.07.1995 Bayern: Gesetz uber die Unterbringung psychisch Kranker und deren Betreuung (Unterbringungsgesetz - UnterbrG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 05.04.1992 , zuletzt geandert durch Gesetz vom 28.03.2000 Berlin: Gesetz fur psychisch Kranke (PsychKG) vom 08.03.1985 , zuletzt geandert durch Gesetz vom 17.03.1994 Brandenburg: Gesetz iiber Hilfen und SchutzmaBnahmen sowie Uber den Vollzug gerichtlich angeordneter Unterbringung fiir psychisch Kranke (Brandenburgisches Psychisch-Kranken-Gesetz - BbgPsychKG) vom 08.02.1996 , zuletzt geandert durch Gesetz vom 06.12.2001 Bremen: Gesetz uber Hilfen und SchutzmaBnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) vom 19.12.2000 Hamburg: Hamburgisches Gesetz uber Hilfen und SchutzmaBnahme bei psychischen Krankheiten (HmbPsychKG) vom 27.09.1995 Hessen: Gesetz iiber die Entziehung der Freiheit geisteskranker, geistesschwacher, rauschgift- oder alkoholsuchtiger Personen (HFEG) vom 19.05.1952 , zuletzt geandert durch Gesetz vom 15.07.1997 Mecklenburg-Vorpommern: Gesetz uber Hilfen und SchutzmaBnahmen fiir psychisch Kranke (Psychischkrankengesetz - PsychKG M-V) vom 01.06.1993 in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.04.2000 , zuletzt geandert durch Gesetz vom 20.12.2004 Niedersachsen: Niedersachsisches Gesetz uber Hilfen und SchutzmaBnahmen fur psychisch Kranke (NdsPsychKG) vom 16.06.1997 , zuletzt geandert durch Gesetz vom 05.11.2004
228
Vgl. S. 146 Stichwort Suizidversuch.
2 Zur Unterbringung gemaB § 1906 I RGB im Einzelnen
187
Nordrhein-Westfalen: Gesetz tiber Hilfen und SchutzmaBnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) vom 17.12.1999 , zuletzt geandert durch Gesetz vom 05.04.2005 Rheinland-Pfalz: Landesgesetz fiir psychisch kranke Personen (PsychKG) vom 17.11.1995 , zuletzt geandert durch Gesetz vom 05.04.2005 Saarland: Gesetz Nr. 1301 uber die Unterbringung psychisch Kranker (Unterbringungsgesetz - UBG -) vom 11.11.1992 , zuletzt geandert durch Gesetz vom 27.11.1996 Sachsen: Sachsisches Gesetz uber die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten (SachsPsychKG) vom 16.06.1994 , zuletzt geandert durch Gesetz vom 19.03.2004 Sachsen-Anhalt: Gesetz uber Hilfen fiir psychisch Kranke und SchutzmaBnahmen des Landes Sachsen-Anhalt (PsychKG LSA) vom 30.01.1992 , zuletzt geandert durch Gesetz vom 19.03.2002 Schleswig-Holstein: Gesetz zur Hilfe und Unterbringung psychisch kranker Menschen (Psychisch-Kranken-Gesetz - PsychKG) vom 14.01.2000 , zuletzt geandert durch Gesetz vom 03.01.2005 Thiiringen: Thuringer Gesetz zur Hilfe und Unterbringung psychisch Kranker (ThurPsychKG) vom 02.02.1994 . Bei der nachtraglichen richterlichen Anhorung kann der Richter dann entscheiden, ob er den Unterbringungsbeschluss auf Betreuungsrecht oder auf das landesrechtliche Gesetz uber die Unterbringung psychisch Kranker stutzt. Bei einem noch nicht Betreuten wird es haufig bei der polizeirechtlichen Unterbringung bleiben, weil beim akut kriseninduzierten Selbstmordversuch vielfach die Voraussetzungen fur eine Betreuung nicht vorliegen. Allerdings kann die polizeirechtliche Unterbringung Anlass fiir den Richter sein, zu priifen, ob etwa die Bestellung eines Betreuer notig ist. Besteht bereits eine Betreuung, bietet sich in jedem Fall die Umstellung der Rechtsgrundlage der Unterbringung auf das wesentlich flexiblere Betreuungsrecht an. Grundsatzlich bestehen aber beide Unterbringungsmoglichkeiten bei Eigengefahrdung nebeneinander. (2) Fremdgefahrdung Anders als der Unterbringungsgrund der Eigengefahrdung, der den Betroffenen vor sich selbst schiitzt, schiitzt der Unterbringungsgrund der Fremdgefahrdung andere vor dem Betroffenen.
188
Kapitel 12 Unterbringungssachen
Eine betreuungsrechtliche Unterbringung wegen Fremdgefahrdung, zum Beispiel massiven fremdaggressiven Durchbriichen, ist nach dem klaren Wortlaut des § 1906 I und II BGB uberhaupt nicht zulassig, insoweit kommt aber eine polizeirechtliche Unterbringungsentscheidung nach den Landesgesetzen uber die Unterbringung psychisch Kranker in Betracht. Der Vollstandigkeit halber ist hier auch noch die strafrechtliche Unterbringung zu erwahnen, die gemal3 §§ 63ff. StGB auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom Strafgericht angeordnet werden kann. Diese Art der Unterbringung ist nicht Gegenstand des vorliegenden Buches. (3) Unterbringungsziel: Abwehr von Gefahren fur Leib oder Leben Das Ziel der Unterbringung gemal3 § 1906 I Nr. 1 BGB ist die Abwehr von Gefahren fiir Leib oder Leben des Betroffenen. Also nicht etwa die Abwehr fiir das Vermogen des Betroffenen (hier hilft unter Umstanden der Einwilligungsvorbehalt) oder von Gefahren fiir die offentliche Ordnung (hier greift in Extremfallen nur die polizeirechtliche Unterbringungsentscheidung). Wann allerdings Gefahr fiir Leib oder Leben besteht, kann im Einzelfall durchaus unklar sein, vgl. Fall 34 (S. 112). (4) Unterbringungsvoraussetzung: Geistige oder seelische Siorung Neben dem Vorliegen einer objektiven Gefahrdung fiir Leib oder Leben des Betroffenen bestimmt § 1906 I Nr. 1 BGB als weitere Voraussetzung eines Unterbringungsbeschlusses, dass diese Gefahrdung „aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung'' des Betroffenen besteht. Damit tragt das Gesetz dem Umstand Rechnung, dass jeder das Recht hat, krank zu sein, sich nicht behandeln zu lassen und unter Umstanden an seiner Krankheit sogar zu sterben. Wer aus Leichtfertigkeit und Bequemlichkeit oder auch aus Angst vor dem Arzt oder der Behandlung eine arztliche Beratung meidet, hat grundsatzlich das Recht, so zu handeln.^^^. Diese Verweigerungshaltung ist nicht so abwegig, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint. Wer geht schon zweimal im Jahr zum Zahnarzt oder nimmt alle medizinisch empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen wahr? Und manch einer, der Beschwerden hat, die ihn eine gravierende, unter Umstanden auch lebensbedrohliche, Erkrankung beftirchten lassen, bleibt in einer Art „Vogel-Strau6Reaktion" dem Arzt fern, um seine schlimmen Befiirchtungen nicht bestatigt zu bekommen.
Vgl. Fu6notel32.
2 Zur Unterbringung gemaB § 1906 I BGB im Einzelnen
189
Dieses Recht findet seine Grenze, wo die Behandlungsverweigerung sich nicht mehr als eigenverantwortliche Entscheidung der Lebensfiihrung darstellt, sondem Folge einer seelischen oder geistigen Storung ist. c)
Der dritte Unterbringungsgrund: Notwendigkeit arztlicher Untersuchung oder Behandlung
Selbst unter in der Psychiatrie erfahrenen Arzten ist vielfach unbekannt, dass es auBer dem betreuungsrechtlichen Unterbringungsgrund der Eigengefahrdung und dem polizeirechtlichen Unterbringungsgrund der Fremdgefahrdung im Rahmen des Betreuungsrechts noch einen dritten Unterbringungsgrund gibt: Die Notwendigkeit arztlicher Untersuchung oder Behandlung bei krankheitsbedingter Unfahigkeit des Betroffenen, deren Notwendigkeit einzusehen, § 1906 I Nr. 2 BGB. Dieser Unterbringungsgrund der Notwendigkeit arztlicher Behandlung liegt im richterlichen Alltag fast immer auch in den Fallen von Eigengefahrdung vor. Denn wer wegen einer geistigen oder psychischen Storung in den Zustand der Eigengefahrdung geraten ist, bedarf in aller Regel arztlicher Behandlung. Der Richter kann dann entscheiden, welchen Unterbringungsgrund er seiner Entscheidung zugrunde legen will. Unterbringungsbeschlusse allein wegen Eigengefahr kommen in Betracht, wenn der Betroffene „ausbehandelt" ist, die Eigengefahr aber andauert. In diesen Fallen erfolgt dann folgerichtig die Unterbringung auch nicht in einem psychiatrischen Krankenhaus, sondern etwa auf einer geschlossenen („beschutzenden") Station eines Heims. Der Verfasser stiitzt seine Unterbringungsbeschlusse meist auf die Notwendigkeit arztlicher Heilbehandlung. Denn die akute Eigengefahr kann schneller zuruckgehen, als die Notwendigkeit der Behandlung auf einer geschlossenen Station. Dann aber mtisste ein wegen Eigengefahr Untergebrachter ungeachtet fortbestehender Behandlungsbedurftigkeit entlassen oder aber die Begrtindung der Unterbringung nachtraglich umgestellt werden. Es ist daher sachgerecht, in diesen Fallen die Unterbringung von vomeherein auf Behandlungsnotwendigkeit zu sttitzen. Die Unterbringung wegen Notwendigkeit einer Heilbehandlung ist ebenso wie die Unterbringung wegen Eigengefahrdung (l)nur im Interesse des Betroffenen zulassig. Auch diese Form der Unterbringung kommt also nicht in Frage, nur um Dritte zu schtitzen, etwa vor einem larmenden Hausbewohner. Es muss auch (2) tatsachlich eine echte Behandlungsmoglichkeit bestehen; ist der Patient auskuriert oder nicht (weiter-)behandelbar, kann er nicht nach dieser Vorschrift untergebracht werden. Weiter muss (3) die Unterbringung des Betroffenen auf einer geschlossenen Station nach arztlichem Urteil Voraussetzung einer erfolgversprechenden Behandlung sein. Reicht eine ambulante Behandlung aus, ist eine
190
Kapitel 12 Unterbringungssachen
Unterbringung unzulassig. Letzte und wichtigste Voraussetzung ist, dass (4) der Betroffene selbst wegen einer geistigen oder seelischen Storung nicht selbst in die Unterbringung einwilligen kann. Durch diese Einschrankung bleibt der Behandlungsunwillige, der noch selbst einwilligungsfahig ist, vor einer Zwangsbehandlung geschtitzt. Die verschiedenen Unterbringungsmoglichkeiten und ihrer Unterschiede sind in nachfolgender Tabelle 4 noch einmal zusammengefasst:
2 Zur Unterbringung gemafi § 1906 I BGB im Einzelnen
191
Tabelle 4: Die unterschiedlichen Unterbringungsmoglichkeiten UNTERBRINGUNGSGRUND
i
^^ BehandlungsnotEigengefahr wendigkeit, auch ohm Eigengefahry
1 RECHTS1 nRiiNm ACF
1 ^X Betreuungsrecht § 1906 I Nrn. 1 Oder 2 BGB
Polizeirecht - Unterbringungsgesetze der Lander -
W E R 1ST ElLZU- Betreuungsrichter, Polizei STANDIG? in dessen Bezirk sich
der Betroffene derzeit aufhalt;
ANTRAG-
STELLENDE BEHORDE
WER ENTSCHEIDET ENDGULTIG?
Ordnungsamt
^ Fremdgefahr meist selten
t4A Strafrecht § 63 StGB; § 126a StPO
Polizei Staatsanwalt-
Unterbringungsrichter Betreuer mit dem des derzeitigen Aufgabenkreis AufenthaltsAufenthaltsbeorts, im Eilfall stimmungsrecht^^ auch ohne darfbei Gefahr in Antrag der Verzug darf ein auch Verwaltung ohne richterliche Genehmigung unterbringen, muss aber umgehend richterliche Genehmigung beantragen
schaft Ermittiungsrichter
- kein Antragsverfahren, die Unterbringungsanregung kann von jedermann kommen -
innere Verwaltung (z. B. Gemeinde, Landratsamt)
Staatsanwaltschaft
Betreuungsrichter des Gerichts, bei dem die Betreuung gefuhrt wird
UnterbrinStrafgericht gungsrichter des Gerichts, in dessen Bezirk die Unterbringung stattfmdet
1
192
Kapitel 12 Unterbringungssachen
d) Missbrauchliche Unterbringungsantrage Es kommt nicht selten vor, dass die Kommune oder auch Angehorige einen Unterbringungsantrag stellen, weil ein psychisch auffalliger Burger bzw. ein Familienangehoriger die offentliche Ordnung und/oder den Hausfrieden „stort". In diesen Fallen muss der Betreuungsrichter sehr sorgfaltig prtifen, ob tatsachlich die Voraussetzungen fur die sofortige Anordnung einer UnterbringungsmaBnahme vorliegen. Sehr oft ist dies nicht der Fall. Dabei soil den Antragstellem nicht oder jedenfalls nicht in alien Fallen Missbrauchsabsicht unterstellt werden. Der Gedanke, „das konne doch nicht so bleiben" und man miisse doch „im wohlverstandenen Interesse" des Betroffenen etwas tun, ist weit verbreitet. Aber gleichwohl liegen die gesetzlichen Voraussetzungen oft nicht vor. Nicht jeder, der stort, kann auch untergebracht werden! Wegen Beispielsfallen und weiterer Einzelheiten hierzu wird nachdriicklich auf S. 176 Fall 51 und auf die Ausfiihrungen S. 180 verwiesen.
3.
Zur unterbringungsahnlichen Mafinahme gemalJ § 1906 IV BGB im Einzelnen
Hauptbeispiele fur die unterbringungsahnlichen MaBnahmen gemaB § 1906 IV BGB sind die Anbringung von Bettgittern, die Fixierung mit Gurten und die Verabreichung sedierender Medikamente. In den meisten Fallen enden entsprechende Antrage auf richterliche Genehmigung mit einem „Negativattest", dass eine Genehmigung nicht erforderlich ist. a)
Bettgitterfalle
(1) Einwilligung des Betroffenen Ein Bettgitter bedarf keiner richterlichen Genehmigung, wenn der Betroffene einwilligt, sei es auch nur mit seinem „naturlichen Willen"^^^. Oftmals wunschen die Betroffenen selbst ja ein Bettgitter in der berechtigten Beftirchtung, sonst aus dem Bett zu fallen. Wenn ein Bewohner ersichtlich angstlich wird, solange das Bettgitter offen ist und sich nach dessen Hochziehen beruhigt, indiziert das seinen „naturlichen Willen" die Bettgitter einzusetzen auch wenn mit ihm vielleicht im Ubrigen uberhaupt keine Verstandigung mehr moglich ist.
Vgl. S. 184„naturlicheEinwilligungsfahigkeif\
3 Zur unterbringungsahnlichen MaBnahme gemafi § 1906 IV BGB im Einzelnen
193
Dabei muss aber auch das Umgekehrte gelten: Wer am Bettgitter ruttelt oder zu weinen beginnt, wenn es hochgezogen wird, tut damit seinen naturlich Willen gegen ein Bettgitter kund. In diesem Fall bedarf das Bettgitter wieder der richterlichen Genehmigung. (2) Fehlende Fortbewegungsmoglichkeit auch ohne Bettgitter Das Bettgitter bedarf keiner richterlichen Genehmigung, wenn der Betroffene auch ohne Bettgitter nicht mehr in der Lage ware, das Bett ohne Hilfe Dritter zielgerichtet zu verlassen, etwa nach beidseitiger Oberschenkelamputation. Denn in diesem Fall hat er die Freiheit, das Bett alleine verlassen zu konnen, auch ohne Bettgitter bereits verloren, so dass dem Bettgitter keine eigenstandige freiheitsentziehende Bedeutung mehr zukommt. Lasst der Betroffene dagegen in diesen Fallen erkennen, dass er das Bettgitter nicht will, stellt das Hochziehen des Bettgitters gleichwohl ein Brechen seines Willens dar, so dass es dann doch wieder einer richterlichen Genehmigung bedarf (3) Fehlender Fortbewegungsimpuls Und schlieBlich ist das Bettgitter genehmigungsfrei wenn der Betroffene dauerhaft keinerlei Bewegungsimpulse mehr zeigt. Denn auch in diesen Fallen hat das Bettgitter die freiheitsentziehende Bedeutung verloren. b)
Gurtfixierungen
Bei Gurtfixierungen gelten die im vorigen Abschnitt angestellten Erwagungen entsprechend. Wenn der Betroffene einverstanden ist oder auch ohne Gurt Bett und Sessel nicht ohne fremde Hilfe zielgerichtet verlassen kann, stellen sie keine freiheitsentziehende MaBnahme dar. Es sind auch Gurtfixierungen denkbar, deren Einstufung als „unterbringungsahnliche MaBnahme" fraglich ist. Dient zum Beispiel die Angurtung am Rollstuhl dazu, dem Betroffenen die Benutzung des Rollstuhl uberhaupt erst zu ermoglichen und dadurch seinen Fortbewegungsradius zu vergroBern, wird eine unterbringungsahnliche MaBnahme schon tatbestandsmaBig nicht vorliegen^"^'. AUerdings wird hier der Betroffene mit der Gurtung auch einverstanden sein, so dass auch insoweit die Genehmigungsbedurftigkeit entfallt.
Beispiel aus 5/ewwa/(i Betreuungsrecht § 1906 BGB Rdnr. 63 am Ende.
194
Kapitel 12 Unterbringungssachen
Ansonsten ist zu beachten, dass Gurtfixierungen den Betroffenen unter Umstanden weniger einschranken als die „unsichtbare" Fixierung durch Medikamente, aufgrund derer er den ganzen Tag dost. Besteht also entsprechender Bedarf kann eine Gurtfixierung, die wenigstens den Geist frei lasst, ungeachtet ihrer martialischen Erscheinung weniger einschneidend sein als die unauffallige „Fixierung durch Medikamente". Gelegentlich ist eine zwar zunachst durchaus verstandliche, in guter Absicht erfolgende, aber doch im Ergebnis fatale Zuriickhaltung bei dem Einsatz von Gurtfixierungen festzustellen. Fall 56:
Der 93-jahrige Patient hatte die Operation eines ausgedehnten Leistenbruchs - der Bauch glich nach dem Bericht des Chirurgen vor der Operation dem einer schwangeren Frau - an sich gut uberstanden. Postoperativ und aufgrund einer phasenhaften und auch dann nur mafiigen Altersdemenz bei Morbus Parkinson [eine Verstandigung war durchweg noch moglich, aber die Kritikfahigkeit reduziert] wollte man ihm die an sich zur Sicherung indizierte Angurtung ersparen. Der Patient fiel aus dem Bett und erlitt einen Oberschenkelhalsbruch. Nun wurde er auf Dauer bis zu seinem einige Monate spater eintretenden Tod fixiert und konnte das Bett (iberhaupt nicht mehr verlassen. Vor der Leistenbruchoperation hatte er das Bett tagsuber verlassen und sich gelegentlich mit dem Rollstuhl in ein Restaurant zum Mittagessen fahren lassen. Dies ware ihm wohl auch nach der an sich kompHkationsfreien Abheilung der Leistenbruchoperationswunde wieder moglich gewesen.
c)
Sedierende Medikamente
Sedierende Medikamente sind genehmigungsfrei, wenn die sedierende Wirkung nicht Hauptzweck, sondem nur Nebenwirkung ist. Ansonsten ist gerade bei der Frage der GenehmigungsbedUrftigkeit von Medikamenten die (fach-)arztliche Beratung unerlasslich. Fall 57:
Die Betroffene litt unter hochgradigem Tremor (Zittern), der sie hinderte, sich fortzubewegen oder auch nur die Hande sinnvoll zu gebrauchen. Es wurde ein sedierendes Medikament eingesetzt, das die Spitzen des Tremors soweit reduzierte, dass hierdurch die Betroffene wieder erheblich mehr Moglichkeit der Fortbewegung und der Beschaftigung hatte.
Es bedarf keiner weiteren Darlegung, dass hier ein Medikament trotz final sedierender Wirkung keine freiheitsentziehende Bedeutung hatte, so dass es der richterlichen Genehmigung nicht bedurfte. Der letztgenannte Fall soil zeigen, dass mit den gelegentlich veroffentlichten Listen von Medikamenten, die stets der richterlichen Genehmigung bediirfen, wenig anzufangen ist und dass diese Listen eine medizinische Beratung im Einzelfall nicht ersetzen konnen.
3 Zur unterbringungsahnlichen MaBnahme gemafi § 1906 IV BGB im Einzelnen
195
d) Fixierungen in Allgemeinkrankenhausern bei Unruhezustanden nach einer Narkose Bei einem geschaftsfahigen Krankenhauspatienten, der etwa nach einer Narkose wegen Unruhezustanden fixiert werden muss, wird in aller Regel von seiner mutmaBlichen Einwilligung mit voriibergehenden Fixierungsmal3nahmen ausgegangen werden konnen. Im Ubrigen sind diese Fixierungen im allgemeinen nur voriibergehend, so dass die Freiheitsentziehung weder „Uber einen langeren Zeitraum", noch „regelma6ig" stattfmdet. Damit entfallt auch unter diesem Gesichtspunkt eine etwaige Genehmigungsbedurftigkeit gemaB § 1906 IV BGB. e)
Genehmigung unterbringungsahnlicher Mafinahmen im Interesse Dritter
Nach Soergel-Damrau^^^ konnen freiheitsbeschrankende MaBnahmen gemaB § 1906 IV BGB auch im Drittinteresse, also nicht nur zum Schutz des Betroffenen, genehmigt werden. Begrenzt werde die Genehmigungsfahigkeit dann nur noch durch den Verhaltnismal3igkeitsgrundsatz. Diese Lockerung gegenuber § 1906 I, II BGB leitet er daraus ab, dass diese ja nur „entsprechend" und nicht unmittelbar anzuwenden seien. Ohne diese Auslegung konne man einem nachts umherwandelnden und andere Heimbewohner in deren eigenem Nachtschlaf storenden Betreuten nicht Einhalt gebieten. Diese von der ubrigen Literatur abgelehnte Auslegung hat, worauf SoergelDamrau hinweist, fiir sich, dass das von ihm gewahlte Beispiel in der amtlichen Begriindung des Betreuungsgesetzes als Beispiel fiir unterbringungsahnliche MaBnahmen gewahlt wird. SchlieBt man sich ihr an, konnten auch Situationen wie etwa in Fall 31 (S. I l l ) sachlich und dogmatisch zufriedenstellend gelost werden. Die von Soergel-Damrau vertretene Auffassung verdient daher Zustimmung und sollte anerkannt und in entsprechenden Fallen angewendet werden. Der Schutz des Betroffenen ist gewahrleistet durch den VerhaltnismaBigkeitsgrundsatz, die fiir Unterbringungsbeschlusse geltenden Verfahrensvorschriften und vor allem dadurch, dass eine richterliche Kontrolle stattfmdet. f)
Genehmigungsfreiheit unterbringungsahnlicher MaBnahmen bei Familienpflege
In § 1906 IV BGB ist ausdrucklich geregelt, dass unterbringungsahnliche MaBnahmen nur der richterlichen Genehmigung bedurfen, wenn der Betroffene sich in einem Heim, einer Anstalt oder einer sonstigen Einrichtung aufhalt. Lebt der
§ 1906nFBGBRdnr.23.
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Kapitel 12 Unterbringungssachen
Betroffene also noch bei seiner Familie ist eine richterliche Genehmigung nicht erforderlich. Hintergrund dieser Regelung ist, dass der Gesetzgeber in an sich loblicher WUrdigung der besonderen Situation der Pflege in der Familie den Familienbereich insoweit rechtsfrei halten wollte. Gleichwohl ist diese Ausnahmebestimmung rechtlich Uberaus bedenklich. Denn der Grund fur die Genehmigungsbedurftigkeit liegt in dem Eingriff in die personliche Freiheit des Betroffenen, der gemSB Art. 104 GG der richterlichen Genehmigung unterstellt ist^^^. Ein Anbinden am Stuhl Oder ein EinschlieBen im Zimmer ist aber in der Familie ein kaum weniger einschneidender Eingriff in die Personlichkeitsfreiheit als in einem Heim. Trotz dieser Bedenken wendet die Praxis die genannte Ausnahmevorschrift an, stellt also die Familienpflege von der Genehmigungsbedurftigkeit unterbringungsahnlicher MaBnahmen frei. Desungeachtet machen Krankenkassen gelegentlich die Bewilligung von Bettgurten vom Vorliegen eines richterlichen Genehmigungsbeschiusses abhangig. Was aber nicht genehmigungsbediirftig ist, ist auch nicht genehmigungsfahig, so dass ein solcher Beschluss nicht erlassen warden kann. Hier hilft eine Negativattest, also ein Beschluss, in dem festgestellt wird, dass eine Genehmigung nicht erforderlich ist und daher auch nicht ausgesprochen werden kann.
4.
Keine Anwendung unmittelbaren Zwangs fiber § 1906 BGB hinaus
Im betreuungsrichterlichen Alltag fmdet sich immer vv^ieder die Praxis, liber die in § 1906 BGB geregelten Mafinahmen hinaus die Anwendung unmittelbaren Zwangs gegen den Betroffenen zuzulassen, etwa zur Erzwingung einer ambulanten arztlichen Behandlung. Die hierflir fehlende rechtliche Grundlage wird dabei durch analoge Anwendung zu § 1906 IV BGB konstruiert, so dass die Zwangsanwendung von der Erteilung einer betreuungsrichterlichen Genehmigung abhangt. Dieser Praxis ist durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11. Dezember 2000^"^"^ der Boden entzogen worden. Wegen der grundlegenden Bedeutung der Entscheidung, ihrer hohen Bedeutung fiir den betreuungsrechtlichen Alltag und ihrer umfassenden Begrundung wird sie nachfolgend eingehend (wenn auch keineswegs vollstandig) dargestellt.
233
Erman-A. Roth § 1906 BGB Rdnr. 35 halt die genannte Privilegierung der Familienpflege bei unterbringungsahnlichen MaBnahmen durch Artikel 6 I Grundgesetz (besondere Schutz von Ehe und Familie) fur verfassungsrechtlich gerechtfertigt. ^^"^ BGH NJW 2001, 888 = BtPrax 2001, 32.
4 Keine AnwendungunmittelbarenZwangs iiber § 1906 BGB hinaus
197
a) Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 11.12.2000 Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Fur den 1964 geborenen Betroffenen bestand seit 1989 eine Pflegschaft (seit dem 01.01.1992: eine Betreuung) fiir den Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung, Vermogenssorge und Einwilligung in die Behandlung mit Psychopharmaka. Seit 1989 waren in mindestens 24 Fallen vormundschaftsgerichtliche Genehmigungen zur geschlossenen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erteilt worden, wobei die Unterbringungen teilweise mehrere Wochen Oder Monate andauerten. Dartiber hinaus war der Betroffene auch mehrfach nach dem Landesunterbringungsgesetz eingewiesen worden. Da der Betroffene die arztlicherseits flir erforderlich gehaltene Dauermedikation ablehnte und er daher die Medikamente nicht einnahm, kam es in gewissen Abstanden zu einem Krankheitsschub, der dann zu neuerlichen geschlossenen Unterbringungen ftihrte. Um diese Unterbringungen zu vermeiden, genehmigte der Betreuungsrichter Anfang 1999 flir das ganze Jahr 1999 und im Anschluss daran am 12.01.2000 fur das ganze Jahr 2000 die Verbringung des Betroffenen in zweiwochigen Abstanden in ein Psychiatrisches Krankenhaus zum Zweck der Verabreichung einer Depotspritze; flir die Zufuhrung in die Klinik wurde der Betreuungsbehprde die Anwendung von Gewalt gestattet. Gegen diesen Beschluss wandte sich der Verfahrenspfleger des Betroffenen mit der Begrundung, der Betroffene werde durch die Nebenwirkungen der Medikamente schwer beeintrachtigt. Das OLG Hamm wollte den Genehmigungsbeschluss bestatigen, sah sich aber durch einen entgegenstehenden Beschluss des OLG Zweibrucken^^^ daran gehindert und legte daher die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vor. (Das OLG Zweibriicken hatte eine lediglich ambulante Behandlung - um die es auch in dem vorliegenden Fall unstreitig ging - fiir nicht genehmigungsfahig gehalten. Der Geltungsbereich des § 1906 BGB setze in all seinen Varianten die Notwendigkeit einer stationaren Behandlung voraus.) Der Bundesgerichtshof entschied, dass die regelmaBige ambulante Verabreichung einer Depotspritze unter keine der Varianten des § 1906 BGB fallt. Damit bestehe insoweit keine Zwangsbefugnis flir die Betreuungsrichter, so dass die genamite Behandlung nur auf freiwilliger Basis durchgefiihrt werden konne und, wenn der Betroffene hierzu nicht bereit sei, unterbleiben musse. Genehmigungsfahigkeit nach § 1906 I Nr. 1 BGB entfalle, well entscheidendes Kriterium fur eine freiheitsentziehende Unterbringung die „nicht nur kurzfristige Beschrankung der Bewegungsfreiheit auf einen bestimmten Lebensraum" sei. Von „Kurzfristigkeit" konne bei einem Aufenthalt in der Klinik von jeweils nur ca. 10 Minuten auch bei Beriicksichtigung der Transportzeit nicht gesprochen werden. ^^^ OLG Hamm NJW 2000, 3448 = BtPrax 2000, 173 = FamRZ 2000, 1115. ^^^ OLG Zweibrucken NJW 2000, 2750 = BtPrax 2000, 88.
198
Kapitel 12 Unterbringungssachen
Auch das zweite Kriterium der Begrenzung des Betroffenen in seiner gesamten Lebensfuhrung auf einen bestimmten raumlichen Bereich sei nicht erflillt. Es liege auch keine unterbringungsahnliche MaBnahme vor, so dass auch eine Genehmigungsfahigkeit gernaB § 1906 IV BGB entfalle. Denn diese Vorschrift erfasse nur Mai3nahmen, deren Auswirkungen denen der Unterbringung nach § 1906 I BGB vergleichbar seien. Dies sei hier nicht der Fall. Zwar werde durch die zwangsweise Verbringung in die Klinik in die korperliche Bewegungsfreiheit eingegriffen, der Lebensraum und die personliche Wahl des dauernden Aufenthaltsorts wurden jedoch nicht allseitig eingeschrankt, wie es bei einer Unterbringung der Fall sei. Die Behandlung selbst erfolge ohne korperlichen Zwang, da der Betroffene gegen sie zwar protestiere, aber keinen korperlichen Widerstand leiste. Schliefilich lebe der Betroffene nicht in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung, so dass § 1906 IV BGB schon deshalb nicht anwendbar sei. SchlieBlich komme auch eine - unmittelbare oder entsprechende - Anwendung des § 1906 I Nr. 2 BGB (Unterbringung wegen Behandlungsnotwendigkeit) nicht in Betracht. Auch diese Vorschrift setze eine Freiheitsentziehung im Sinne einer Aufhebung der Bewegungsfreiheit in jede Richtung von einer gewissen Mindestdauer - wie z. B. bei einer Verhaftung, Einsperrung oder Arrestierung - voraus. Daran fehle es hier. Die MaBnahme sei auch nicht als ^milderes Mittel gegeniiber einer Unterbringung gemafi § 1906 I BGB" genehmigungsfahig. Bei den beabsichtigen zwangsweisen Zufiihrungen zur Medikamentenverabreichung in 14-tagigen Abstanden handle es sich namlich nicht urn eine beschrankte Unterbringung, sondem um etwas wesensmaBig anderes als eine Unterbringung. Denn Zweck der MaBnahme sei nicht die Unterbringung, sondem die zwangsweise ambulante Behandlung. Auch komme eine erweitemde Analogic bei der Anwendung des § 1906 I BGB nicht in Betracht. Auch die Belastung des Betroffenen sei mit den durch eine Unterbringung entstehenden Belastungen nicht vergleichbar. Die regelmaBigen zwangsweisen Vorfiihrungen hatten diskriminierende Wirkung. Hinzukomme, dass den Klagen des Betroffenen Uber die Nebenwirkungen der Medikamente und seinem Standpunkt, es sei ihm lieber, ab und an ftir langere Zeit geschlossen untergebracht zu sein, Rechnung getragen werden mtisse. Dies ergebe sich aus seinem „Recht auf Krankheit". Das Gebot, diesem Wunsch des Betroffenen zu entsprechen, ergebe sich zusatzlich auch aus dem VerhaltnismaBigkeitsgrundsatz. Aus dem Umstand, dass der Aufgabenkreis des Betreuers die Einwilligung in die Behandlung des Betroffenen mit Psychopharmaka beinhalte, folge auch nicht, dass der Betreuer beftigt sei, diese Befiignis mit unmittelbarem Zwang durchzusetzen. Fur Zwangsbeftignisse bedurfe es einer Rechtsgrundlage durch ein formelles Gesetz. Insoweit bestehe jedoch keine uber § 1906 BGB hinausgehende Regelung. Eine Analogic zu § 1906 BGB komme nicht in Betracht, weil Eingriffe
4 Keine Anwendung unmittelbaren Zwangs iiber § 1906 BGB hinaus
199
in durch Gesetzesvorbehalt geschutzte Grundrechte berechenbar und kontrollierbar bleiben miissten. Der Senat verkenne nicht, so die Entscheidung weiter, dass es im Einzelfall sinnvoll erscheinen und im Interesse des Betroffenen liegen konne, ihn auch ohne geschlossene Unterbringung einer Zwangsbehandlung unterziehen zu konnen. Da diese Problematik jedoch bereits im Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens bekannt gewesen sei, gleichwohl aber keinen Niederschlag im Gesetz gefunden habe, mussten die Gericht nunmehr respektieren, dass entsprechende Regelungen fehlen. Wenn das Anliegen des Betreuungsrechts ernst genommen werde, die Rechtsstellung psychisch kranker und korperlich, geistig und seelisch behinderter Menschen zu verbessern, diirften deren verfassungsrechtlich garantierte Rechte nicht aus ZweckmaBigkeitsgrtinden - auch nicht im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen - missachtet werden. b) Folgen der Entscheidung des Bundesgerichtshofs fiir die Praxis Nach dem Bekanntwerden des vorstehend dargestellten Beschlusses des Bundesgerichtshofs war zunachst der Eindruck entstanden, dass fiir eine fur die Anwendung unmittelbaren Zwangs gegen den Betroffenen iiber die Unterbringungsgenehmigung gemal3 § 1906 BGB hinaus kaum noch Spielraum sei^^^. Dies betraf vor allem die Frage einer Zwangsbehandlung ohne gleichzeitige geschlossene Unterbringung. Durch einen am 25.01.2002 ergangenen Beschluss des OLG Schleswig^^^ ist diese Frage jetzt wieder offener. Das OLG Schleswig fuhrt aus, schon aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass bei Einwilligungsunfahigkeit hinsichtlich der anstehenden Behandlung und Einhaltung des VerhaltnismaBigkeitsgrundsatzes Zwangsbehandlungen zulassig sein sollten^^^. Auch in dem in Rede stehenden Beschluss des BGH fmde sich die Passage: „Diese Freiheit [ergdnze: zur Krankheit] lasst auch bei einem einwilligungsunfahigen Betroffenen weder eine Unterbringung noch eine Zwangsbehandlung in jedem Falle als verhaltnismaBig erscheinen." [Hervorhebung durch den Verfasser]. Aus dieser Wendung lasst in der Tat entnehmen, dass zwar nicht in dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall die Voraussetzungen der Unterbringung wie auch zur Zwangsbehandlung vorlagen, aber Falle denkbar sind, wo entweder eine Unterbringung oder auch eine Zwangsbehandlung zulassig sind, wobei bei der Frage der Genehmigung dem Verhaltnismai3igkeitsgrundsatz entscheidende Bedeutung zukommt.
237
So auch die Vorauflage S. 165. ^^^ BtPrax 2002, 126. 239 Ebenso schon 5/ef?wa/(i Betreuungsrecht § 1904 BGB Rdnr. 24.
200
Kapitel 12 Unterbringungssachen
In der Entscheidung des BGH wird schliel31ich der Standpunkt des dortigen Betroffenen mitgeteilt, es sei ihm lieber, ab und an fur langere Zeit geschlossen untergebracht zu sein, als unter den Nebenwirkungen der zur Abwendung der Notwendigkeit einer solchen Unterbringung erforderlichen Medikamente zu ertragen. Diesem muss im Einzelfall in der Tat zur Gewahrleistung des „Rechts auf Krankheit" entsprochen werden. Denn diese AuBerung steht dafur, dass doch noch eine gewisse Abwagung stattfmdet. Fur Patienten, die auch zu einer solchen Abwagung nicht in der Lage sind, bleibt aber die Moglichkeit zur Zwangsbehandlung offen. Mit den zuletzt genannten Erwagungen konnte auch nach dem Erlass der in Rede stehenden Entscheidung des BGH die in Fall 39 (S. 132) die dort analog § 1906 IV BGB erteilte Genehmigung zu einer ambulanten Operation wie damals geschehen erteilt werden. Der in der Notauflage aufgezeigten Notlosung, die Arzte in derlei Fallen auf den Notstand gemal5 § 34 StGB zu verweisen, bedarf es damit wohl nicht. Es ist nicht zu iibersehen, dass dies allenfalls ein Zwischenergebnis ist und die Sache weiterhin als hochstreitig angesehen werden muss, obschon inzwischen eine deutliche Tendenz hin zur allgemeinen Unzulassigkeit jeder Analogic deutlich wird^"^^. Es wird bei diesem Problemkreis auch immer wieder vom Ergebnis her argumentiert wird, weil in bestimmten Fallen die Notwendigkeit einer Zwangsbehandlung unabweisbar erscheint. Um die Instanz-, aber auch die Obergerichte nicht zu immer neuen kuhnen Konstrukten zu notigen und zur Herstellung von Rechtsklarheit ist der Gesetzgeber aufgerufen, insoweit baldmoglichst eine praktikable gesetzliche Regelung zu schaffen. Soweit nicht wirklich unmittelbarer Zwang angewendet wird, bedarf es allerdings ohnehin keiner richterlichen Genehmigung. Fall 58:
Der Betroffene neigt dazu, Lebensmittel zu horten. Sein Zimmer war schon mehrfach von Ungeziefer befallen. Auch die Gefahr einer Salmonellenvergiftung steht im Raum. Die Heimleitung beantragt, zweimal wochentlich seinen Schrank auf verderbliche oder verdorbene Lebensmittel durchsuchen und diese gegebenenfalls entsorgen zu durfen. Der Betroffene ist vehement dagegen.
Hier reicht es aus, gegebenenfalls den Aufgabenkreis des Betreuers entsprechend anzupassen. Einer richterlichen Genehmigung unter dem Gesichtspunkt der Ausubung unmittelbaren Zwangs bedarf es dagegen nicht. Denn die Durchsicht des Schranks gegen den Willen des Betroffenen stellt ebenso wenig genehmi-
Zum Streitstand vgl. Palandt-Diederichsen § 1906 BGB Rdnr. 1 mit zahlreichen Nach wei sen.
4 Keine Anwendung unmittelbaren Zwangs uber § 1906 RGB hinaus
201
gungsbediirftigen unmittelbaren Zwang dar, wie die Uberweisung von Unterhalt an ein Kind des Betroffenen gegen dessen erklarten Willen^'^\ Zur Klarstellung und zur Herstellung von Rechtssicherheit fur die Beteiligten kann sich in diesen Fallen allerdings ein „Negativattest" empfehlen, also ein Beschluss, in dem ausdrucklich ausgesprochen wird, dass fiir die beabsichtigte MaBnahme eine richterliche Entscheidung nicht erforderlich ist. c)
Das Betreten der Wohnung durch den Betreuer gegen den Willen des Betroffenen
Eine der vorstehend dargestellten Problematik vergleichbare Fragestellung ist, ob der Betreuer die Wohnung des Betroffenen gegen dessen erklarten Willen betreten darf Das Oberlandesgericht Frankfurt^"^^ hat im Jahr 1996 in einer allerdings sehr knapp begrlindeten Entscheidung ausgesprochen, dass dem Betreuer eine solche Beflignis nicht zustehe. Die Literatur ist dem teilweise gefolgt^'^^ Das Landgericht Berlin, ebenfalls 1996^"^"^, und das Kammergericht Berlin im selben Jahr^^^ so wie im Anschluss an die genannte Entscheidung des Landgerichts Berlin das Landgericht Freiburg im Jahre 2000^"^^ haben dagegen ein solches Zutrittsrecht, jeweils mit eingehenden Begrtindungen, bejaht. Das Bayerische Oberste Landesgericht wiederum hat im Jahr 2002 gegen ein Zwangszutrittsrecht des Betreuers entschieden^"^^. Die Frage ist also hochstreitig, eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs hierzu ist bisher nicht ergangen. Zu diesem Problem ist zunachst anzumerken, dass der Betreuer selbstverstandlich die Wohnung betreten darf, wenn der Betroffene einverstanden ist und auch, wenn dieser zu einer WillensauBerung nicht mehr in der Lage ist. Denn in beiden Fallen fmdet ein Brechen des Willens des Betroffenen nicht statt, so dass als Rechtsgrundlage der entsprechende Aufgabenkreis ausreicht. Problematisch ist also nur emstlicher Widerstand des Betroffenen.
241 242 243
244 245 246 247
Zu dem in diesem Zusammenhang erforderlichen Betreten des Zimmers des Betroffenen gegen dessen Willen vgl. nachstehender Absatz c). OLG Frankftirt BtPrax 1996, 71. Bienwald Betreuungsrecht § 1896 BGB Rdnr. 83 mit weiteren Nachweisen; anderer Ansicht aber schon in der 57, Aufl. (1998) Palandt-Diederichsen § 1896 BGB Rdnr. 28; ebenso in der aktuellen 64. Aufl. (2005) § 1896 Rdnr. 22. LG Berlin BtPrax 1996, 111= FamRZ 1996, 1996, 82If FamRZ 1997, 442. LG Freiburg NJW-RR 2001. 146 ; zustimmend Frantzky, BtPrax 2000, 239. BtPrax 2001, 251; die weitere Entscheidung BayObLG BtPrax 200, 215, fuhrt nicht weiter, weil die darin behandelte Beschwerde als unzulassig verworfen wurde, so dass eine neue Entscheidung in der Sache nicht ergangen ist.
202
Kapitel 12 Unterbringungssachen
Solcher Widerstand liegt allerdings bei der Hauptgruppe der von dieser Fragestellung Betroffenen, Menschen die vermullt leben und Menschen mit pathologischer Sammelwut, regelmaBig vor. Kemfrage ist dann, ahnlich wie bei der zuvor abgehandelten Frage der Zwangsmedikation, ob es eine fiir einen Beschluss des Gerichts, dem Betreuer zwangsweisen Zugang zu ermoglichen, eine ausreichend tragfahige Rechtsgrundlage gibt. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat in seiner genannten Entscheidung, ahnlich wie das Oberlandesgericht Frankfurt im Jahr 1996, diese Frage mit knapper Begnindung vemeint. Eine Ausnahme komme lediglich bei erheblicher Gefahrdung der Gesundheit des Betroffenen in Betracht, wobei das Gericht allerdings auch hierfur die Rechtsgrundlage nicht nennt. Allerdings liegt auch eine erhebliche Gesundheitsgefahrdung in diesen Fallen kaum vor. Die pathologische Sammelwut ist regelmaBig unheilbar, das Gericht stellt aber auf eine im Prinzip heilungsfahige Erkrankung ab. Das Kammergericht halt in seiner Entscheidung das zwangsweise Betreten der Wohnung zur Durchsetzung der Vorflihrung zu einer Begutachtung fiir zulassig. Rechtsgrundlage hierfur sei § 68 III 1 FGG, der die zwangsweise Vorflihrung zur Durchsetzung der Begutachtung erlaube. Aus dieser Befugnis folge ohne weiteres, dass ihre Umsetzung auch in der Wohnung erfolgen und diese somit auch gegen den Willen des Betroffenen betreten werden diirfe. Der Vorfiihrungsbeschluss sei zugleich richterlicher Durchsuchungsbeschluss im SinneArt. 13 II des GG. Die genannten Entscheidungen des Landgerichts Berlin und, diesem folgend, des Landgerichts Freiburg halten weitergehend das Betreten der Wohnung gegen den Widerstand des Betroffenen auch dann fiir genehmigungsfahig, wenn es darum geht, dem Betroffenen die Wohnung zu erhalten. Die Rechtsgrundlage sehen beide Gerichte in einer ktihnen Rechtskonstruktion mangels einfachgesetzlicher Regelung unmittelbar in Art. 13 II GG. Hintergrund ist wohl in beiden Fallen, dass dem Betroffenen die Wohnung erhalten werden sollte. Um des Ergebnisses des Wohnungserhalts willen verdienen die beiden letztgenannten Entscheidungen Zustimmung. Der Betreuer ubt staatliche Aufgaben aus und hat damit die in Art. 13 GG garantierte Unverletztlichkeit der Wohnung zu wahren und zu schutzen. Droht Wohnungsverlust, besteht damit aus Art. 13 GG der Verfassungsauftrag, den Wohnungserhalt zu gewahrleisten. Damit tritt in diesem Fall der Schutzanspruch des Art. 13 GG gegenuber dem darin ebenfalls enthaltenen Leistungsanspruch gegen die Staatsgewalt zuriick. Seine Grenze fmdet dieses Zurucktreten in dem Personlichkeitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 GG, das es ihm im Prinzip ermoglicht, so zu leben wie er es will. Will aber der Betroffene an sich die Wohnung behalten, verkennt aber krankheitsbedingt, dass bloBe Passivitat ihm den zivilrechtlichen Verlust der Wohnung einbringt, wiegt sein Interesse, die Wohnung grundsatzlich zu erhalten schwerer, als sein Interesse,
5 Der Verfahrenspfleger in Unterbringungssachen
203
auf seine Art zu leben und dadurch die Wohnung zu verlieren. Hat aber nach alledem der Betreuer den Verfassungsauftrag, den Wohnungserhalt zu gewahrleisten, dann reicht in der Tat Art. 13 GG als Grundlage fur einen entsprechenden richterlichen Genehmigungsbeschluss aus. Allerdings darf dieser Genehmigungsbeschluss das Personlichkeitsrecht des Betroffenen nur so weit einschranken, wie es der Erhalt der Wohnung zwingend erfordert. Unterhalb dieser Grenze muss es bei dem Primat des Personlichkeitsrechts bleiben, wonach jeder das Recht hat, so zu leben, wie er es will. Eine ahnliche Argumentation lag Fall 39, oben S. 132, zu Grunde, wo eine Bagatelloperation gegen den Widerstand des Betroffenen genehmigt wurde, um seinem eigentlichen Willen, keiner Operation im engeren Sinn mehr unterzogen zu werden, zu entsprechen.
5.
Der Verfahrenspfleger in Unterbringungssachen
In Unterbringungssachen ist dem Betroffenen vom Gericht ein Verfahrenspfleger^"^^ beizuordnen, „soweit dies zur Wahmehmung seiner Interessen erforderlich erscheint", § 70b I 1 FGG. Nach § 70b I 2 FGG ist das insbesondere der Fall, wenn von der personlichen Anhorung des Betroffenen durch den Richter abgesehen werden soil, (l)weil von einer solchen Anhorung nach arztlichem Gutachten erhebliche Nachteile ftir den Betroffenen zu erwarten sind (§ 68 II Nr. 1 FGG) oder (2) weil der Betroffene nicht in der Lage ist, seinen Willen kundzutun (§ 68 II Nr. 2 FGG). Unterbleibt bei einer Unterbringungsentscheidung die Beteiligung eines Verfahrenspflegers, muss dies in der Unterbringungsentscheidung eigens begrundet werden, § 70b II FGG. Wenn der Betroffene selbst einen Rechtsanwalt oder eine andere geeignete Person als Bevollmachtigten bestellt, soil die Bestellung eines Verfahrenspflegers unterbleiben oder eine bereits bestehende Verfahrenspflegschaft aufgehoben werden, § 70b III FGG. Denn in diesen Fallen ist die Wahmehmung der Interessen des Betroffenen auch ohne Verfahrenspflegschaft gewahrleistet.
Zum Begriff des Verfahrenspflegers vgl. S. 31.
204
6.
Kapitel 12 Unterbringungssachen
Die Abgabe von Unterbringungssachen
GemaB § 70 III 1 FGG kann das Gericht Unterbringungssachen an das Gericht abgeben, in dessen Bezirk die Unterbringung vollzogen wird, sofem dieses zur Ubemahme bereit ist. Der Zustimmung des Betreuers wie des Untergebrachten bedarf es hierzu nicht, wohl aber ihrer Anhorung. Im Falle, dass das Gericht, an das abgegeben werden soil, nicht zur Ubemahme bereit ist, entscheidet das gemeinschaftliche obere Gericht oder, falls dies der Bundesgerichtshof ist, das Oberlandesgerichts, zu dessen Bezirk das Gericht, an das abgegeben werden soil, gehort., §§ 70 II 1 letzter Teilsatz, 46 II Alternative 1 FGG. In diesem (seltenen Fall) ist das Gericht bis zu einer Entscheidung des oberen Gerichts zustandig fiir vorlaufige MaBregein, § 70 III 2 FGG.
Kapitel 13 Die Haftung des Betreuers
1.
Die Haftung des Betreuers gegeniiber dem Betreuten
Wenn der Betreuer seine Pflichten gegeniiber dem Betroffenen verletzt, hat er dem Betroffenen hierdurch etwa entstehenden Schaden zu ersetzen, § 1833 I BGB. Leichte Fahrlassigkeit reicht aus, § 276 I BGB. Diese Schadensersatzpflicht gilt auch bei ehrenamtlicher Betreuung. Eine Pflichtverletzung liegt in jedem VerstoB gegen das Gebot treuer und gewissenhafter Amtsfiihrung, sie kann sowohi durch Tun als auch durch Unterlassen begangen werden. So kann zum Beispiel eine Pflichtverletzung eintreten sowohi durch das FUhren eines aussichtslosen Prozesses, als auch durch die Nichtaufnahme eines Rechtsstreits mit guter Erfolgsaussicht. Eine Beurteilung, ob die Aufnahme eines Rechtsstreits erfolgversprechend oder aussichtslos ist, wird dabei dem Betreuer selbst, sofem er nicht juristisch vorgebildet ist, vielfach nicht moglich sein. Das wird dann auch nicht von ihm verlangt. Bei entsprechender Unklarheit kann seine Pflicht dann eben darin bestehen, fachlichen Rat einzuholen. Auf fachlichen Rat von kompetenter Stelle darf sich der Betreuer verlassen. Holt der Betreuer dagegen Rat bei unzureichend kompetenten Personen ein, oder erteilt er Auftrage an unzureichend qualifizierte Heifer, kann er hierfiir in Haftung genommen werden (Auswahl- bzw. Delegationsverschulden). Um zu verhindem, dass durch Fristablauf Nachteile eintreten, wird der Betreuer erforderlichen Rat allerdings umgehend einholen mtissen. Denn durch Untatigkeit eingetretene Fristversaumnisse hat der Betreuer allemal zu vertreten. Selbstverstandlich steht dem Betreuer bei der, gegebenenfalls nach fachlicher Beratung von ihm zu treffenden Entscheidung ein Ermessensspielraum zu. Er ist nicht genotigt, einen Prozess zu ftihren, nur um „auf der sicheren Seite" zu sein.
206
Kapitel 13 Die Haftung des Betreuers
Es gibt also strukturell zwei Hauptgefahren, die zu einer Haftung des Betreuers fuhren konnen: die Ubernahme einer Aufgabe, der er nicht gewachsen ist (Ubernahmeverschulden) und Passivitat (Untatigkeitsverschulden). Weitere Beispiele fiir Pflichtverletzungen durch den Betreuer sind •
die Auflosung der Wohnung ohne vorherige vormundschaftsgerichtliche Genehmigung, § 1907 BGB, aber auch Verzogerung der Wohnungsauflosung, nachdem diese Genehmigung erteilt wurde,
•
die Nichteinhaltung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung fiir eine gefahrliche arztliche MaBnahme, § 1904 BGB,
•
das Unterlassen des Stellens von Renten- und Sozialhilfeantragen,
•
die Nichtmitteilung von Umstanden an das Vormundschaftsgericht, die eine Erweiterung, Einschrankung oder Aufhebung des Aufgabenkreises der Betreuung oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts erforderlich machen konnen, § 1901 VBGB.
Stets pflichtwidrig sind VerstoBe gegen Anordnungen des Vormundschaftsgerichts oder gegen gesetzliche Bestimmungen; wie die vorstehenden Beispiele zeigen, kann pflichtwidriges Handeln aber auch vorliegen, wenn es zu solchen Verstofien nicht gekommen ist. Das Vorliegen einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung schlieBt eine Haftung des Betreuers nicht schlechthin aus^"^^. Hier wird eine Pflichtverletzung durch den Betreuer allerdings nur in Betracht kommen, wenn er das Vormundschaftsgericht unrichtig oder unvollstandig unterrichtet hat oder wenn nach Erteilung der Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht neue Umstande eingetreten sind, die moglicherweise zu einer anderen Entscheidung des Vormundschaftsgerichts gefiihrt hatten. Auf Rechtsausktinfte des Vormundschaftsgerichts, gleich ob vom Betreuungsrichter oder vom Rechtspfleger, darf der Betreuer sich stets verlassen. In der Praxis kommt es nur selten vor, dass ein Betreuer vom Betroffenen wegen Pflichtverletzung auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird. Zum einen fiihrt nicht jede Pflichtverletzung zu einem konkreten Schaden. Eine Geltendmachung von Schaden durch den Betroffenen selbst ist diesem in aller Regel nicht moglich. Denkbar ist eine Inanspruchnahme des Betreuers durch die Erben des Betroffenen. Am ehesten kommt es zu Haftungsfallen nach einem Betreuerwechsel, wenn dem neuen Betreuer gravierende Mangel in der Amtsftihrung des fruheren Betreuers auffallen, die zu einem konkreten Schaden gefuhrt haben.
249
Palandt-Diederichsen § 1833 BGB Rdnr. 6.
2 Die Haftung des Betreuers gegentiber Dritten
2. a)
207
Die Haftung des Betreuers gegenuber Dritten §1833BGB
Die Haftung des Betreuers aus § 1833 BGB gilt nur fiir Haftungsanspriiche des Betroffenen; Dritte konnen hieraus keine Rechte herleiten. b) Vertragliche Anspriiche Vertragliche Anspriiche von Dritten gegen den Betreuer kommen im allgemeinen ebenfalls nicht in Betracht. Denn Vertragspartner ist ja nicht der Betreuer, sondem der Betroffene. Der Betreuer handelt lediglich als gesetzlicher Vertreter des Betroffenen und wird daher selbst nicht Vertragspartei. Anders verhalt es sich, wenn der Betreuer bei Vertragsschluss nicht hat erkennen lassen, dass er als Betreuer und damit in fremdem Namen handelt. Denn dann hat er den Vertrag im eigenen Namen geschlossen und haftet aus dem Vertrag auch personlich, § 164 II BGB. c)
Haftung des Betreuers als Sachwalter
Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Betreuer aus von ihm im Namen des Betroffenen abgeschlossenen Vertragen nicht selbst haftet hat die Rechtsprechung fiir Falle entwickelt, in denen der Betreuer bei der Vertragsanbahnung in besonderem Mai3e personliches Vertrauen in Anspruch genommen oder ein besonderes eigenes wirtschaftliches Interesse an dem Abschluss des Vertrages hat (sogenannte Sachwalterhaftung^^^). Eine solche besondere Inanspruchnahme des Vertrauens des Betreuers soil etwa anzunehmen sein, wenn der Betreuer bei den Vertragsverhandlungen seine personliche Verantwortung und Seriositat fiir die ordnungsgemaBe Vertragsabwicklung besonders hervorgehoben hat^"'^\ Eine Sachwalterhaftung wegen besonderen eigenen wirtschaftlichen Interesses kommt in Betracht, wenn der Betreuer wirtschaftlich betrachtet gleichsam in eigener Sache tatig wird und deshalb als Quasipartner, als wirtschaftlicher Herr des Geschafts oder eigentlicher wirtschaftlicher Interessetrager anzusehen ist^^^. Eine Haftung des Betreuers aus Sachwalterhaftung wird angesichts der hohen von der Rechtsprechung hieran gestellten Anforderungen nur selten in Betracht kommen. Es erscheint am ehesten denkbar, wenn Sohn oder Tochter des Be-
250 251 252
Palandt-Diederichsen Randnummer 17 vor § 1896 BGB. BGHNJW1995, 1213,(1215). BGHNJW-RR 1991, 1241, 1242 und 1312, 1313,jeweils mit weiteren Nachweisen.
208
Kapitel 13 Die Haftung des Betreuers
troffenen ihre besondere personliche Bonitat hervorheben, um einen Heimplatz in einem bestimmten, von ihnen gewtinschten Heim zu bekommen. In den beiden zur Frage der Sachwalterhaftung des Betreuers ergangenen ober253 gerichtlichen E gerichtlichen Entscheidungen wurde eine Sachwalterstellung des Betreuers auch verneint. d)
Aufsichtspflichtverletzung
Als weitere Anspruchsgrundlage kommt, etwa bei geistig Behinderten, noch Aufsichtspflichtverletzung gemaB § 832 I BGB in Betracht. Zwar ist dem Betreuer die Aufsichtspflicht nicht durch Gesetz tibertragen, sondem durch gerichtlichen Beschluss. Man wird aber § 832 I BGB auf den Betreuer entsprechend anwenden konnen. Voraussetzung aber ist, dass dem Betreuer explizit der Aufgabenkreis „Beaufsichtigung des Betroffenen" oder wenigstens der Sammelaufgabenkreis der „Personensorge" tibertragen ist . e)
Haftung des Betreuers aus allgemeinem Deliktsrecht
Ansonsten bleibt fur Anspruche Dritter nur die Haftung des Betreuers aus allgemeinem Deliktsrecht, etwa gemaB § 823 II BGB. Danach haftet der Betreuer, wenn er durch eine Straftat den Vertragspartner des Betroffenen geschadigt hat. SchlieBt der Betreuer zum Beispiel einen Vertrag mit einer Baufirma ab, um das Haus des Betroffenen renovieren zu lassen, obwohl er weiB, dass das Geld des Betroffenen zur Bezahlung der Rechnung nicht ausreichen wird, begeht er einen Eingehungsbetrug und ist dem Auftragnehmer schadensersatzpflichtig gemaB § 823 II BGB in Verbindung mit § 263 StGB. f)
Haftung des Betreuers bei Unterlassung des Stellens eines Sozialhilfeantrags
Von hoher praktischer Bedeutung sind Falle, in denen der Betreuer es unterlasst, fiir den vermogenslosen Betroffenen einen Sozialhilfeantrag zu stellen. Da Sozialhilfe nicht ruckwirkend gewahrt wird, fiihrt ein solches Verhalten dazu, dass die Kosten der Heimunterbringung oder Krankenhausversorgung unter Umstanden von keinem Kostentrager ubemommen werden. Diese Problematik lag auch den bereits genannten Entscheidungen BGH NJW 1995, 1213 und OLG Schleswig,
Namlich des BGH, FuBnote 251 und des OLG Schleswig FamRZ 1997, 1427. ^^"^ Bienwald Betreuungsrecht § 1896 BGB Rdnr. 223 Stichwort „Beaufsichtigung des Betreuten"; ebenso wohl auch Erman-Schiemann § 832 BGB Rdnr. 3.
3 Haftpflicht- und Unfallversicherung der Betreuer
209
FamRZ 1997, 1427 zugrunde. Da beide Gerichte die einzig in Betracht kommende Haftung des Betreuers aus Sachwalterhaftung ablehnten und der Betroffene vermogenslos war, konnten die Leistungstrager ihre Anspriiche aus von ihnen bereits erbrachten Leistungen nicht mehr realisieren. Dieses aus Sicht der Heime und Krankenhauser unerfreuliche und auch als ungerecht empflindene Ergebnis hatte nur vermieden werden konnen, wenn man vor Leistungserbringung auf Beantragung von Sozialhilfe bestanden und bei andauemder Untatigkeit des Betreuers das Vormundschaftsgericht eingeschaltet hatte.
3.
Haftpflicht- und Unfallversicherung der Betreuer
Gegen mogliche Haftungsanspriiche des Betroffenen kann sich der Betreuer haftpflichtversichem. Bei den ehrenamtlichen Betreuern tragt die Kosten dieser Versicherung der Betroffene. 1st dieser vermogenslos, werden die Kosten von der Staatskasse ubemommen, § 1835 II 1, IV BGB. Der Berufsbetreuer muss diese Kosten selbst tragen und kann sie kraft ausdriicklicher gesetzlicher Regelung insbesondere auch nicht als Aufwendung an den Betroffenen weiterbelasten, § 1835 III 2 BGB. Inzwischen haben fast alle Bundeslander Sammelversicherungen abgeschlossen, in der die ehrenamtlichen Betreuer automatisch versichert sind^^^. Ehrenamtliche Betreuer sind daruber hinaus bei der Ausubung der Betreuung gemaB § 539 I Nr. 13 RVO (Reichsversicherungsordnung) gesetzlich unfallversichert . Einzelheiten zu beiden Versicherungen konnen bei dem Rechtspfleger des Gerichts, das die Betreuung fuhrt, erfragt werden. Der Berufsbetreuer muss sich selbst haftpflichtversichem, das Vormundschaftsgericht hat die Moglichkeit, ihm die Weisung zu erteilen, eine solche Versicherung abzuschlieBen, § 1837 II 2 BGB. Die Anerkennung eines Vereins als Betreuungsverein setzt unter anderem voraus, dass dieser seine (hauptamtlichen^^^) Mitarbeiter entsprechend haftpflichtversichert, § 1908fINr. 1 BGB.
255 256 257
Palandt-Diederichsen §§ 1835 BGB Rdnr. 12 unter Verweis auf Deinert/Schreibauer BtFrax 1993, 190. ^/^fiH'a/^ Betreuungsrecht § 1835 BGB Rdnr. 13 FuBnote 4. Munchener KomrnQntor-Schwab § 1908f BGB Rdnr. 4.
Kapitel 14 Arztliche Atteste und Gutachten in Betreuungssachen
Inhaltliche Anforderungen an ein arztliches Attest (1) Allgemeines Die Auffassung, das arztliche Attest miisse grundsatzlich denselben Aussagewert haben wie ein Sachverstandigengutachten, zudem sollte das Attest von einem Facharzt stammen^^^, findet im Gesetz keine Sttitze und trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu. Das Gesetz macht keine Angaben, was das arztliche Attest enthalten muss. Ob der Inhalt des Attests ausreicht und ob es von einem Facharzt herriihren muss, ist dem pflichtgemaBen Ermessen des Betreuungsrichters uberlassen. In der Praxis des Verfassers haben sich folgende Anforderungen an den Inhalt eines arztlichen Attests als sinnvoll herausgestellt: •
Es sollte eine klare medizinische Diagnose enthalten,
•
es soil Angaben zu dem fur notig erachteten Aufgabenkreis machen,
•
wegen der Dauer der Betreuung ist auch ein Satz zur Prognose wichtig,
•
es soil angeben, wann der Aussteller den Betroffenen zuletzt personlich untersucht hat,
•
bei einem Briefkopf mit mehreren Arzten soil erkennbar sein, wer das Attest erstellt hat (am zweckmdfiigsten: leserliche Wiederholung des Namens unter der Unterschrift).
258
Bienwald Betreuungsrecht § 68b FOG Rdnrn. 8 und 38.
212
Kapitel 14 Arztliche Atteste und Gutachten in Betreuungssachen
In Fall 51 (S. 176) hatte die Beachtung dieser Mindestanforderungen an ein arztliches Attest die dort zunachst eingetretenen Missverstandnisse von vorneherein nicht aufkommen lassen. Nach einer Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts^^^ bedarf das arztliche Attest - im Gegensatz zum Gutachten - keiner nachprtifbaren Begriindung, sondem lediglich der Angabe der von dem ausstellenden Arzt gestellten Diagnose.
^^^ BtPrax2001, 166.
1 Inhaltliche Anforderungen an ein arztliches Attest
(2) Formularfiir ein ItausUntlicltes Betreuungsattest Arztliche Bescheinigung anlasslich der Prufling der Bestellung eines Betreuers/ Verlangerung einer Betreuung - zur Vorlage beim Amtsgericht -
fiir:
geb. am:
wohnhaft in:
Aufenthaltz. Zt:
Letzte Untersuchung durch Unterzeichner am:
Fur die Betreuungsnotwendigkeit maBgebliche Diagnose:
213
214
Kapitel 14 Arztliche Atteste und Gutachten in Betreuungssachen
Angelegenheiten, die der Patient/ die Patientin aufgnind vorstehender Diagnose nicht mehr selbst besorgen kann:
n Bestimmung des Aufenthalts
D Entscheidung uber unterbringungsahnliche MaBnahmen (Bettgitter; Gurtungen)
n Serge fur die Gesundheit
n Organisation ambulanter Hilfen
n Vermogenssorge
D Erledigung seiner Post
D Wohnungsangelegenheiten
D Vertretung gegeniiber Behorden/ Krankenhaus/ Heim
Prognose (voraussichtliche Dauer der Betreuungsbediirftigkeit):
Verstandigungsmoglichkeit mit dem Betroffenen:
D Verstandigung ist moglich
D relevante Verstandigungsmoglichkeit erscheint fraglich
n Keine relevante Verstandigung moglich
D Patient(in) ist nicht ansprechbar
Raum fur StempeK Datum, Unterschrift und leserliche Unterschriftswiederholung:
1 Inhaltliche Anforderungen an ein arztliches Attest
(3) Formularfur ein hausarztliches Attest zu unterbringungsahnlichen Mafinahmen Arztliche Bescheinigung anlasslich der Priifung der Anordnung/ Verlangerung unterbringungsahnlicher MaBnahmen - zur Vorlage beim Amtsgericht -
fiir:
geb. am:
wohnhaft in:
Aufenthalt z. Zt.
Letzte Untersuchung durch Unterzeichner am:
Fur die Beantragung der unterbringungsahnlichen MaBnahmen maBgebliche Diagnose:
215
216
Kapitel 14 Arztliche Atteste und Gutachten in Betreuungssachen
Aufgrund der vorgenannten Diagnose besteht die medizinische Indikation fiir eine D zeitweise
n dauemde
Freiheitsbeschrankung
D durch mechanische Vorrichtungen namlich n Anbringen von Bettgittern
n Anbinden im Bett
D Fixierung der Hande
D Unterbringungauf geschlossener Station des Pflegeheims
D
D durch Medikamente namlich D
weil (kurze Begriindung)
Prognose (Voraussichtliche Dauer der Notwendigkeit der MaBnahme):
Verstandigungsmoglichkeit mit dem Betroffenen: D Verstandigung ist moglich
D relevante Verstandigungsmoglichkeit erscheint fraglich
D Keine relevante Verstandigung moglich
D Patient(in) ist nicht ansprechbar
Raum fur Stempel Datum, Unterschrift und leserliche Unterschriftswiederholung:
2 Anforderungen an das Betreuungsgutachten
217
Anforderungen an das Betreuungsgutachten a) Wer kommt als Sachverstandiger in Betracht? Das Betreuungsattest muss von einem Arzt ausgestellt sein, § 68b I 2 und 3 FGG, das Unterbringungsgutachten muss in der Regel von einem Psychiater oder einem in der Psychiatric erfahrenen Arzt stammen, § 70e I 2 FGG. Wer fiir die Erstattung eines Betreuungsgutachtens in Betracht kommt, lasst das Gesetz dagegen offen. Der hier einschlagige § 68b FGG redet unspezifisch von einem „Sachverstandigen". In der Praxis wird meist ein Psychiater, bei neurologischen Erkrankungen auch ein Neurologe beauftragt. Da das Betreuungsgutachten anders als das Unterbringungsgutachten keine Facharztqualifikation voraussetzt, kommt prinzipiell auch der Hausarzt in Betracht. Die Erholung eines hausarztlichen Gutachtens kommt in der Praxis gleichwohl selten vor. Grund hierfiir dUrfle auch sein, dass die meisten Hausarzte die mit der Erstellung eines Gutachtens verbundene Arbeit scheuen. Seitz^^^ fordert auch fiir die Erstellung eines Betreuungsgutachtens die facharztliche Qualifikation des Gutachters, soweit die Bestellung wegen einer psychischen Erkrankung erfolgt. Die von ihm hierfur herangezogene Gerichtsentscheidung erhebt diese Forderung aber nicht generell, sondem nur fiir den ihr zu Grunde liegenden Einzelfall (Alkoholismus mit noch vorhandener Willensbildungsfahigkeit). Anders verhalt es sich aber, wenn der Betroffene zur Bildung eines eigenen Willens oder zu dessen, sei es auch nur nonverbaler, Kundgabe ersichtlich nicht mehr in der Lage ist. Dies ist immer wieder anzutreffen bei Altersdemenzen oder im fortgeschrittenen Stadium psychischer Erkrankungen (z. B. Korsakow-Syndrom; Morbus Alzheimer, Chorea Huntington). Denn in diesen Fallen fiihrt die Bestellung eines Betreuers nicht zu einem Brechen des Willens des Betroffenen; vielmehr macht der Betreuungsbeschluss lediglich den Weg frei fiir verantwortliche Willenserklarungen eines anderen, eben weil ein Wille des Betroffenen selbst iiberhaupt nicht mehr oder nicht mehr ausreichend sicher festgestellt werden kann. Die Verfahrensgarantien des Betreuungsrechts sollen das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen schlitzen und starken. Wo aber dieses Recht durch krankheitsbedingte Aufhebung der Willensbildungsfahigkeit ohnehin obsolet geworden ist, hat die Forderung von Verfahrensgarantien uber den Wortlaut des Gesetzes hinaus (hier: facharztliche Qualifikation fiir
^^^ In BtPrax 2002, 158 unter Berufung auf BayObLG BtPrax 2001, 166.
218
Kapitel 14 Arztliche Atteste und Gutachten in Betreuungssachen
den Ersteller des Betreuungsgutachtens) keinen Sinn und sollte daher unterbleiben. Dies ergibt sich auch aus § 68 b I 2 BGB, wonach ganz allgemein statt eines Gutachtens ein Attest ausreichen kann, wenn die Bestellung des Betreuers mit Zustimmung des Betreuten (gesetzliche Nomenklatur: „auf dessen Antrag") erfolgt. Die Zustimmung zur Bestellung des Betreuers beinhaltet dabei ohne weiteres auch den Verzicht des Betreuten auf ein fbrmliches Gutachten, soweit keine entgegenstehenden Anhaltspunkte vorliegen. Ein solches Attest kann dann auch vom Hausarzt erstellt werden, was in der Praxis auch meist so geschieht. Wenn der Richter, sei es auf Anregung eines Beteiligten oder von Amts wegen, gleichwohl ein Gutachten erholen mochte, steht ihm dies selbstverstandlich ebenso frei wie die Beauftragung eines Facharztes in den Fallen, in denen nach der hier vertretenen Auffassung eine hausarztliche Stellungnahme ausreichen wurde. Bei bestimmten Fragestellungen, vor allem bei geistig Behinderten, wird man auch an einen Psychologen oder Behindertenpadagogen als Sachverstandigen denken konnen. b) Inhaltliche Anforderungen an das Betreuungsgutachten An das Betreuungsgutachten stellt das Gesetz (anders als an das Betreuungsattest) in § 68b I 4 FGG bestimmte inhaltliche Anforderungen. Dabei werden an sich Selbstverstandlichkeiten verlangt, woraus sich allerdings schlieBen lasst, dass sie offenbar doch nicht selbstverstandlich eingehalten werden. So wird gefordert, dass der Sachverstandige den Betroffenen vor Erstattung des Gutachtens personlich (!) zu untersuchen hat. Befiirwortet der Sachverstandige die Bestellung eines Betreuers, so muss er in dem Gutachten auch zu dem von ihm fur erforderlich gehaltenen Aufgabenkreis und der voraussichtlichen Dauer der Betreuungsbediirftigkeit Stellung nehmen. Eine Ausnahme von dem Erfordernis der personlichen Untersuchung kann man machen, wenn der Gutachter den Betroffenen und dessen Krankheitsbild, etwa aufgrund laufender oder erst kurze Zeit (=bis zu ca. 6 Monate) zuruckliegender arztlicher Behandlung, gut kennt. Umstand und genauer Zeitpunkt der dem Gutachten zugrunde liegenden Untersuchung mussen im Gutachten aufgeflihrt sein. Verzichtet der Gutachter in den genannten Ausnahmefallen auf eine neuerliche Untersuchung, muss er im Gutachten darlegen, dass und woher er den Betroffenen und dessen Krankheitsbild genau kennt und wann er ihn zuletzt personlich untersucht hat.
2 Anforderungen an das Betreuungsgutachten
219
Inhaltlich muss sich aus dem Gutachten ergeben^^', •
wann der Sachverstandige den Betroffenen zuletzt personlich untersucht hat,
•
welche Ankntipfungstatsachen er dariiber hinaus verwendet hat (Fremdanamnese; Vorgutachten; Akteninhalt),
•
von welcher Diagnose auszugehen ist. Um eine klare Diagnosestellung zu gewahrleisten, sollte das Gutachten die Diagnose in einen der gebrauchlichen Diagnoseschlussel (ICD oder DSM) einordnen und entsprechend benennen,
•
welchen Aufgabenkreis der Gutachter fiir erforderlich halt,
•
ob bei gunstiger Entwicklung des Krankheitsbildes die Betreuungsbediirftigkeit moglicherweise ganz oder teilweise wieder entfallen kann und wann das Gericht uberprufen sollte, ob die Betreuung ganz oder teilweise aufgehoben werden kann oder auch verlangert werden muss.
Im Ubrigen gilt fiir das Betreuungsgutachten die an jedes Gutachten zu stellende Anforderung, dass es fiir das Gericht und die weiteren Verfahrensbeteiligten verstandlich dargesteilt und nachvollziehbar begriindet sein muss. Ein Gutachten, zu dessen Verstandnis man einen weiteren Sachverstandigen benotigt, hat seinen Zweck verfehlt. c)
Zwangsbegutachtung
Wenn der Betroffene sich der Untersuchung durch den Sachverstandigen nicht stellt, kann das Gericht ihn durch nicht anfechtbaren (!) Beschluss dem Sachverstandigen zwangsweise vorfuhren lassen, § 68b III FGG. Halt der Sachverstandige zur Vorbereitung seines Gutachtens eine Unterbringung des Betroffenen auf einer geschlossenen Station fur erforderlich, kann diese vom Gericht (nach personlicher Anhorung des Betroffenen) fiir zunachst 6 Wochen angeordnet werden. Die Unterbringungsdauer kann bis zu einer Gesamtdauer von 3 Monaten verlangert werden, § 68b IV FGG. Schon bei der Zwangsbegutachtung muss der Betreuungsrichter den VerhaltnismaBigkeitsgrundsatz beachten. Wenn das Ergebnis der Erstanhorung^^^ die Notwendigkeit der Bestellung eines Betreuers wenig wahrscheinlich macht, wird der Richter vielfach aus eigener Beurteilungskompetenz von der Bestellung eines Betreuers absehen konnen. Denn wenn eine Zwangsbegutachtung erforderlich ist, wird ein Einverstandnis des Betroffenen mit der Bestellung eines Betreuers kaum je vorliegen. Somit obliegt dem Richter die Prognose, ob denn eine Betreuung
^^^ Vgl. hierzu auch BayObLG BtPrax 2001, 166. ^^^ Vgl. S. 227.
220
Kapitel 14 Arztliche Atteste und Gutachten in Betreuungssachen
gegen den erklarten Willen des Betroffenen uberhaupt Sinn machen kann^^^, falls das Gutachten das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen bestatigen wtirde. Fallt diese Prognose negativ aus, ware eine Zwangsbegutachtung nicht verhaltnismaBig und damit unzulassig. Dies gilt nattirlich verstarkt bei dem noch schwerer wiegenden Eingriff der Anordnung einer Zwangsunterbringung zum Zweck der Zwangsbegutachtung. Hier ist allerdings der Betroffene dadurch, dass eine solche Zwangsunterbringung gemaB § 68b IV 1 FGG nur nach vorheriger eines Sachverstandigen erfolgen darf, zusatzlich geschutzt. Nachfolgend ein Beispiel fiir einen Beschluss Uber die Zwangsunterbringung zum Zwecke der Zwangsbegutachtung. Fall 59:
Beschluss: In pp. wird hiermit bis zum Ablauf des ... die geschlossene Unterbringung der Betroffenen in der Klinik fiir Psychiatric ..., angeordnet zwecks Beobachtung zur Vorbereitung des nachfolgend umschriebenen facharztlichen Gutachtens. Zugleich wird Frau Dr. H., Klinik fiir Psychiatric ..., der Auftrag erteilt, ein Gutachten zu der Frage zu erstellen, •
ob es derzeit aus facharztlicher Sicht gcboten ist, die Betroffene auf der geschlossenen Station eines psychiatrischen Krankenhauses zu behandeln,
•
welche Behandlung im Einzelnen aus facharztlicher Sicht aktuell angezeigt ist und
•
ob die Betroffene krankheitsbedingt gehindert ist, das Fiir und Wider einer etwa notwendigen Behandlung im GroBen und Ganzen selbst abzuwagen.
Griinde: Die Betroffene leidet an einer bekannten chronifizierten Psychose. In den letzten Monaten (vermutlich seit dem 5. 10. ...) verweigert sie die Einnahme der ihr insoweit verschriebenen Medikamente. In diesem Zusammenhang kam es zu Tatlichkeiten gegentiber ihrer, frtiher als ihre Betreuerin eingesetzten, Schwester mit der Folge, dass diese sich weigerte, die Betroffene weiterhin in ihrer Wohnung zu dulden. Die Aufnahme in die Wohnung eines Bekannten endete ebenfalls mit einer Tatlichkeit, dieses Mai der Xante dieses Bekannten gegentiber. Seither ist die Betroffene wohnungslos. In den letzten Wochen hat sie auf dem Friedhof von S. genachtigt. Dort putzt sie fremde Graber und wurde auch schon nackt bei der Morgentoilette angetroffen. Tagsuber lauft die Betroffene mit einem Betttuch in der Hand durch S. und reagiert sehr aggressiv auf Mitmenschen, von denen sie sich belastigt fuhlt. Einen Herrn S. hat sie ohne Vorwarnung massiv geschlagen, als dieser ihr das Bettuch von der Schulter nehmen wollte. Den Einzug in eine ihr von der Stadt 263
Vgl. S. 73 letzter Absatz vor Abschnitt (4).
3 Anforderungen an das Unterbringungsgutachten
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S. angebotene 2-Zimmer-Wohnung hat die Betroffene verweigert, weil sie wieder in die Wohnung ihrer Schwester einziehen will. Diese ist zur neuerlichen Aufnahme der Betroffenen jedoch nicht bereit. Auf diesem Hintergrund ordnete das Gericht zunachst die ambulante psychiatrische Untersuchung der Betroffenen in der Klinik fur Psychiatric ... an. Wie Frau Dr. H. daraufhin mitgeteilt hat, ist fiir die Begutachtung jedoch die langere Beobachtung der Betroffenen erforderlich. Die Betroffene wurde zu dem vorliegenden Beschluss am 19.07. ... richterlich angehort. Sie gab an, gegen cine reine Beobachtung nichts einzuwenden zu haben, wendete sich aber strikt gegen korperliche Untersuchungen. Frau Dr. H. hatte angegeben, die erforderliche Beobachtungsdauer betrage ca. 2 Wochen. Die Rechtsgrundlage fiir den vorliegenden Beschluss ist § 70e II FGG in Verbindung mit § 68b IV FGG.
3.
Anforderungen an das Unterbringungsgutachten
Ein Unterbringungsgutachten, also im allgemeinen ein Gutachten zu der Frage ob der Betroffene in ein Psychiatrisches Krankenhaus einzuweisen ist, soil „in der Regel" von einem Psychiater erstellt werden; zumindest muss der Gutachter Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychiatric haben § 70e I 2 FGG. Von ausreichenden „Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychiatric" geht der Verfasser in langjahriger Praxis aus bei Arzten, die mindestens 3 Jahre Berufserfahrung in einem Psychiatrischen Krankenhaus haben. Ansonsten gelten die vorstehend fur das Betreuungsgutachten dargelegten Anforderungen entsprechend. Fur eine einstweilige Anordnung reicht ein (auch nicht fach-)arztliches Attest, §§ 70h I, 69f I Nr. 2 FGG. Fur eine unterbringungsahnliche MaBnahme gemaB § 1906 IV BGB reicht ein einfacharztliches^^^ Attest, § 70e I 3 FGG. Der Betreuungsrichter ist selbstverstandlich berechtigt und im Rahmen seiner Sachaufklarungspflicht unter Umstanden im Einzelfall sogar verpflichtet, auch in Fallen ein Gutachten einzuholen, in denen das Gesetz grundsatzlich die Moglichkeit bietet, es mit einem Attest sein Bewenden haben zu lassen.
264
D. h., das Attest muss nicht von einem Facharzt herruhren.
222
Kapitel 14 Arztliche Atteste und Gutachten in Betreuungssachen
Gutachten in Sonderfallen a) Genehmigung geiiihrlicher Eingriffe gemaO § 1904 BGB Hier ist das Gutachten eines Sachverstandigen erforderlich, der „in der Regel" mit dem den Eingriff ausfiihrenden Arzt nicht personengleich sein soil, § 69d II 2 FGG. Fall 60:
Bei der Betroffenen war es auf dem Hintergrund einer ausgepragten Osteoporose zu einer Spontanfraktur des Lendenwirbelkorpers (LWK) I gekommen. Es war eine dorsale Stabilisierung mittels Fixateur intern vorgesehen. Bei diesem chirurgischen Eingriff bestand die Gefahr einer Ruckenmarksverletzung. Die Betroffene hatte dem Eingriff zugestimmt, ihre Zustimmung war allerdings nach Auffassung sowohl der Betreuerin als auch der Arzte mangels Beurteilungsvermogen rechtlich unerheblich.
Es erging in einem Schreiben an die Klinik folgender Gutachtensauftrag: - zur Genehmigung einer gefdhrlichen drztlichen Behandlung 2emdB$ 1904 BGB Bei der beabsichtigten Operation besteht die begriindete Gefahr, dass die Patientin eine Ruckenmarksverletzung und damit einen schweren und langerdauemden gesundheitlichen Schaden erleidet. Die bereits vorliegende Einwilligung der Betreuerin in die Operation bedarf daher gemaB § 1904 BGB der Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht. Vor dem Vorliegen dieser Genehmigung darf die Operation nicht durchgefiihrt werden. Zur Vorbereitung der Genehmigung bitte ich um Vorlage eines facharztlichen Kurzgutachtens zu folgenden Fragen: 1. Ist die Gefahr einer Querschnittsverletzung lediglich weniger wahrscheinlich, aber nicht auszuschlieBen, oder liegt ein hoherer Risikograd vor? [Ist auch die Gefdhrlichkeit fraglich, ist der Einleitungsabsatz entsprechend anzupassen undZiff 1 statt wie vorstehend zufassen wiefolgt: 1. Besteht die konkrete Gefahr, dass die Patientin bei dem fraglichen Eingriff stirbt oder durch den Eingrijf einen schweren und lang anhaltenden gesundheitlichen Schaden erleidet?] 2. Welche fiir die Patientin negativen Folgen konnen eintreten, wenn die Operation unterbleibt? 3. Welche fiir die Patientin positiven Folgen sind von der Operation zu erwarten?
4 Gutachten in Sonderfallen
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4. Hat die Patientin durch den die Operation indizierenden Zustand derzeit erhebliche Schmerzen oder Beschwerden und ist zu erwarten, dass diese durch die Operation ganzlich verschwinden oder sich erheblich bessem werden? 5. Besteht eine erfolgversprechende Moglichkeit einer Behandlung, die die vorgesehene Operation vermeiden konnte? Das Kurzgutachten muss von einem Facharzt erstellt werden, der an der vorgesehenen Operation nicht beteiligt und auch keinem der an der Operation beteiligten Arzte gegeniiber weisungsabhangig ist. Ich erbitte die Ubermittlung per Telefax, wenn Sie mir die Absendung des Telefax uber mein Handy ... mitteilen, werde ich binnen 6 Stunden nach Absendung des Telefax entscheiden. b)
Sterilisationsgutachten
Die Erteilung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung zur Durchfuhrung einer Sterilisation gemaB § 1905 BGB setzt gemaB § 69d III 1 FGG die Einholung von Gutachten (Plural!) voraus, die sich auf „medizinische, psychologische, soziale, sonderpadagogische und sexualpadagogische" Gesichtspunkte erstrecken. Die vom Gesetz aufgeftihrten Gesichtspunkte lassen sich aufteilen in (1) medizinische, bei der Sterilisation einer Frau also gynakologische, einerseits und (2) pychologisch/(sexual-)padagogische andererseits. Nachstehend sind die beiden Gutachtensauftrage abgedruckt, die der Verfasser in einem entsprechenden Fall erteilt hat. Dabei ging der medizinische Gutachtensauftrag an eine Frauenklinik, der psychologisch-padagogische an eine Professorin an einem Institut flir Heil- und Sonderpadagogik.
224
Kapitel 14 Arztliche Atteste und Gutachten in Betreuungssachen
(1) Der gyndkologische Gutachtensauftrag Herm Oberarzt... Frauenklinik ... Ftir Frau K. ist eine Betreuerin eingesetzt. Ihr Frauenarzt halt es fur erforderlich, zum Zwecke der Empfangnisverhiitung eine Sterilisation vorzunehmen, die Frau Klein, mit der eine Verstandigung nicht moglich ist, selbst nicht einwilligen kann. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf die in Ablichtung beigefugten Unterlagen. Der Gesetzgeber hat vor die Sterilisation Einwilligungsunfahiger hohe Schranken gesetzt. Wenn Motiv die Empfangnisverhiitung ist, soil zunachst gepriift werden, ob nicht andere Methoden in Betracht kommen. Ist nach facharztlichem Urteil eine Sterilisation zu bevorzugen, soil moglichst eine Sterilisationsmethode gewahlt werden, die eine Refertilisierung zulasst. Ich bitte daher, Frau K. zu untersuchen und sodann ein gynakologisches Gutachten zu folgenden Fragen vorzulegen: 1. Kommt zur Erzielung einer ausreichend verlasslichen Empfangnisverhiitung eine andere Methode als die einer Sterilisation in Betracht? 2. Welche Sterilisationsmethode sollte ggf gewahlt werden, um der Forderung des Gesetzgebers, moglichst die Refertilisierung offenzuhalten, am besten zu entsprechen? 3. Ist die Betroffene moglicherweise von Natur aus infertil? Die Vorstellung von Frau K. in Ihrer Klinik kann durch die Leitung des Pflegeheimes Haus M., Tel.: ... , vermittelt werden.
4 Gutachten in Sonderfallen
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(2) Derpsychologisch/(sexual')padagogische Gutachtensauftrag FrauProf. Dr. ... Institut fiir Heil- und Sonderpadagogik ... FUr Frau K. ist eine Betreuerin eingesetzt. Ihr Frauenarzt halt es flir erforderlich, zum Zwecke der Empfangnisverhiitung eine Sterilisation vorzunehmen, die Frau Klein, mit der eine Verstandigung nicht moglich ist, selbst nicht einwilligen kann. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf die in Ablichtung beigefugten Unterlagen. Der Gesetzgeber hat vor die Sterilisation Einwilligungsunfahiger hohe Schranken gesetzt. Sie kommt u. a. nur in Betracht: •
wenn die Sterilisation dem Willen der Betroffenen nicht widerspricht,
•
wenn die Betroffene voraussichtlich auf Dauer einwilligungsunfahig bleiben wird,
•
wenn anzunehmen ist, dass es ohne die Sterilisation zu einer Schwangerschaft kommen konnte,
•
wenn im Falle einer Mutterschaft der Betroffenen dieser das Kind voraussichtlich zur Abwehr einer gravierenden Gefahrdung des Kindes gemaB § 1666 BGB weggenommen werden mtisste.
Ich bitte daher um Erstellung eines Gutachtens zu folgenden Fragen: 1. Ist mit Frau K. eine Verstandigung zu den vorgenannten Punkten moglich? 2. Wendet sie sich, u. U. auch nonverbal, gegen eine Sterilisation? 3. Soweit eine Verstandigung zu den vorgenannten Punkten nicht moglich ist: Wird die Verstandigungsunfahigkeit voraussichtlich auf Dauer bestehen bleiben? 4. Besteht unter sonder- und sexualpadagogischen (nicht: unter gynakologischen; insoweit wird gesondert ein weiteres Gutachten erholt) Aspekten zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit von Sexualkontakten, die zu einer Schwangerschaft fiihren konnten? 5. Konnte im Falle einer Mutterschaft das Kind bei Frau K. verbleiben oder ware es um des Wohles des Kindes willen voraussichtlich unabweislich, das Kind in eine Pflegefamilie pp. zu geben? Die Vorstellung von Frau K. bei Ihnen kann durch die Leitung des Pflegeheimes Haus M., Tel.: ... , vermittelt werden.
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Kapitel 14 Arztliche Atteste und Gutachten in Betreuungssachen
Ich habe Sie als Gutachterin bestimmt, weil Sie mir als Leiterin des Instituts fur Heil- und Sonderpadagogik der Universitat geeignet erscheinen. Sollten Sie die Beteiligung weiterer Disziplinen fiir erforderlich halten, die in Ihrem Institut nicht ausreichend vertreten sind, sind Sie ermachtigt, nach Ihrem fachlichen Ermessen weitere Gutachter beizuziehen. Dies gilt nicht fur gynakologische Aspekte, insoweit erhole ich von mir aus ein gesondertes Gutachten. Sollten noch Ruckfragen bestehen, stehe ich hierfur jederzeit zur Verfugung. c)
Weitere Einzelfalle
In bestimmten Fallen kann die Einholung eines Sachverstandigengutachtens aus Griinden der Sachaufklarung auch fiir Entscheidungen erforderlich werden, bei denen es das Gesetz selbst nicht vorsieht. So hat der Verfasser Sachverstandigengutachten erholt •
zu einem Antrag eines Behinderten, an Stelle des bisherigen auBenstehenden Betreuers seine Mutter als Betreuerin einzusetzen, an deren sachgerechter Amtsfuhrung gravierende Zweifel bestanden;
•
zu einer dringlichen Anregung des Heims, der Mutter eines Betroffenen Umgangsverbot mit ihrem Sohn zu erteilen, zwischen beiden bestand eine hochgradig psychopathologische Beziehung (Nach Besuchen der Mutter bei dem Betroffenen war es mehrfach zu autoaggressiven suizidversuchsnahen Handlungen gekommen);
•
zu einer Forderung eines an einer chronifizierten Psychose erkrankten Betroffenen, der Betreuer solle ihm aus seinem, des Betroffenen, Vermogen 3.000 DM auszahlen. Der letztgenannte Gutachtensauftrag fiihrte ungeachtet der Erkrankung des Betroffenen zur vollstandigen Aufhebung der Betreuung, weil (1) er jede Betreuung vehement ablehnte, (2) eine Betreuung gegen seinen erklarten Willen nicht sinnvoll zu fiihren war und (3) die Voraussetzungen einer freiheitsentziehenden Mafinahme nicht vorlagen.
Kapitel 15 Anmerkungen fiir Betreuungsrichter
1.
Die Anhorung des Betroffenen
a) Pladoyer fiir die Erstanhorung Wenn der Richter eine neue Betreuungsakte auf den Tisch bekommt, steht er vor der Frage, was er als Erstes tun soil. Er konnte zum Beispiel einen Sozialbericht der Betreuungsbehorde anfordem oder einen Sachverstandigen mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragen. Von seltenen Ausnahmefallen abgesehen hat es sich als beste Moglichkeit erwiesen, als ersten Verfahrensschritt den Betroffenen personlich anzuhoren (sogenannte Erstanhorung^^^). Derm von dem Ergebnis dieser Erstanhorung hangt ab, ob uberhaupt ein Sachverstandigengutachten benotigt wird. Vielleicht ist der Betroffene mit der Betreuung ja ganz einverstanden so dass auf ein Gutachten verzichtet werden kann. Auch den sozialen Hintergrund nimmt der Richter in einfach gelagerten Fallen gelegentlich der Erstanhorung en passant wahr, so dass dann auch von der Anforderung eines Sozialberichts abgesehen werden kann. Sollten Sozialbericht und Gutachtensauftrag aber doch erforderlich werden, kann der Richter aufgrund seines Eindrucks bei der Anhorung unter Umstanden die anzusprechenden Punkte wesentlich gezielter formulieren, so dass Sozialbericht und Gutachten deutlich ergiebiger werden. Insgesamt fuhrt die Erstanhorung zu einer erheblichen Beschleunigung des Verfahrens. Die Erstanhorung flihrt auch in aller Regel nicht zu einer Mehrbelastung ftir den Richter. Denn eine personliche Anhorung des Betroffenen muss er ohnehin vomehmen. Ist der Betroffene aber mit der Betreuung einverstanden oder aber eine Verstandigung mit ihm nicht
Ebenfalls entschieden fiir die Erstanhorung Coeppicus in RPfl 1996, 425.
228
Kapitel 15 Anmerkungen flir Betreuungsrichter
moglich, was beides ebenfalls bereits bei der Erstanhorung deutlich wird, kann auf ein Schlussgesprach nach Abschluss etwaiger weiterer Ermittlungen verzichtet werden, weil dies dann im allgemeinen weder zur Sachaufklarung noch zur Gewahrung des rechtlichen Gehors erforderlich ist, § 68 V 1 FGG. Aber keine Ausnahme ohne Regel: In Fallen ersichtlich komplizierter sozialer Probleme einerseits und ohne hohen Eilbedarf andererseits (die Anforderung eines Sozialberichts nimmt ca. zwei Monate in Anspruch!) kann es schon einmal geboten sein, ohne vorherige Anhorung zuerst einen Sozialbericht zu erholen. b) Zur Anhorung im Einzelnen (1) Anhorung in der iiblichen Umgebung des Betroffenen Die Anhorung fmdet grundsatzlich, entsprechend § 68 I 2 FGG in der iiblichen Umgebung des Betroffenen statt, also in seiner Wohnung oder in dem Heim oder der Einrichtung, in der er lebt. Einwendungen gegen die Anhorung zu Hause verbunden mit dem Wunsch, lieber in den Raumen des Gerichts angehort zu werden, sind dem Verfasser noch nie begegnet. (2) Anmeldung; Vorbereitung der Anhorung Im allgemeinen ist es praktisch, sich anzumelden. Denn dadurch ist einigermafien sicher, dass man den Betroffenen auch antrifft. In das Anmeldeschreiben sollte ein Zusatz aufgenommen werden, dass der angektindigte Zeitpunkt sich um bis zu 30 Minuten hinausziehen kann, weil sich die Dauer der vorherigen Anhorungen nicht genau abschatzen lasse. Zwingend erforderlich ist eine Anmeldung allerdings nicht. Ist der Richter also gerade in anderer Sache „vor Ort", kann er ohne weiteres auch einen unangemeldeten Besuch machen. Wird bei einer solchen unangemeldeten Anhorung deutlich, dass der Betroffene das Beisein einer gerade nicht anwesenden Vertrauensperson wiinscht oder dass ihm die unangemeldete Anhorung aus sonstigen Griinden nicht passt, verabschiedet man sich schnell und meldet sich zur nachsten Anhorung an. Gerade bei dicken Betreuungsakten ist es nutzlich, die Aktenfundstellen, auf die es fur die Anhorung ankommt, mit einem Markierungsstreifen zu kennzeichnen, damit unnotiges Aktenblattern bei der Anhorung selbst vermieden werden kann. Aus dem gleichen Grund empfiehlt es sich, in das Anmeldeschreiben den Grund der Anhorung aufzunehmen. Es ist unangenehm, wenn man bei der fiinften Anhorung des Nachmittags nicht weiB, weshalb man eigentlich gekommen ist oder nach Riickkehr ins Buro feststellt, dass man das Entscheidende gar nicht angesprochen hat.
1 Die Anhorung des Betroffenen
229
Muster fiir die Anmeldung zu einer Sammelanhorung in einem Heim An das Luisenheim Am Markt 1 66666 Altenstadt
Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich habe folgende Bewohner Ihrer Einrichtung richterlich anzuhoren:
Name, Geburtsdatum
Aktenzeichen
Grund der Anhorung
1.
Muller Mathilde, 13.03.1912
XVII 73/97
Verlangerung der Betreuung
2.
Huber Max, 20.12.1928
XVII 89/01
Nachtragliche Anhorung wegen Bestellung eines vorlaufigen Betreuers und vorlaufiger Genehmigung von Bettgittem
3.
Naumann, Hanni, 04.07.1935
XVII 357/00
Betreuerwechsel auf Wunsch des Betreuers
Ich beabsichtige, die Genannten am Donnerstag, den 26. April 2001 gegen 14.30 Uhr bei Ihnen aufzusuchen. Der Termin kann sich um bis zu 30 Minuten verspaten, weil sich die Dauer der vorher wahrzunehmenden Anhorungen nicht genau abschatzen lasst. Bitte setzen Sie die Betroffenen von diesem Termin in Kenntnis und bitten Sie sie, sich zur angegebenen Zeit zur Anhorung bereit zu halten.
Mit freundlichen GrliBen
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Kapitel 15 Anmerkungen fur Betreuungsrichter
Bei Sammelanmeldungen in Behinderteneinrichtungen, deren Bewohner in unterschiedlichen Hausem untergebracht sind kann man etwa formulieren: „Ich bitte, mir fur die Anhorung einen geeigneten Raum zur Verfiigung zu stellen und an der Rezeption zu hinterlassen, wohin ich mich wenden kann. In diesem Raum mogen sich die zwolf Anzuhorenden in Gruppen von je sechs pro halber Stunde zur Anhorung bereit halten. Es ware gut, wenn jeweils der Bezugsbetreuer Ihrer Einrichtung dabei sein konnte. Die Anhorung selbst erfolgt dann natiirlich einzeln, wahrend die spater Anzuhorenden vor dem Anhorungsraum warten. Anmeldungen ftir Anhorungen bei Betreuten, die noch in ihrer Wohnung leben, werden zweckmaBigerweise an den Betreuer adressiert oder, vor der Bestellung des Betreuers, an denjenigen, der die Betreuung angeregt hat. Hier hat sich folgender Zusatz bewahrt: Das anliegende Doppel der Anmeldung konnen Sie dem Betroffenen weitergeben oder ihn auf sonstige Weise von dem Anhorungstermin in Kenntnis setzen. Es ware gut, wenn Sie bei dem Anhorungstermin anwesend sein konnten. Bei Anlass wird man dem Betroffenen auch in diesem Fall natiirlich Gelegenheit zur Anhorung unter vier Augen geben. (3) Durchfuhrung der Anhorung Art und Dauer der Anhorung sind je nach Eigenart des betreffenden Falls vollig unterschiedlich. Besteht tiberhaupt keine Verstandigungsmoglichkeit mehr, fmdet zwangslaufig gar keine eigentliche Anhorung statt. Der Sinn des Termins besteht dann in der Gewinnung eines personlichen Eindrucks von dem Betroffenen und den Verhaltnissen, in denen er lebt. Das kann z. B. bei Heimbewohnern, sehr schnell gehen. Auch bei Zustimmung des Betroffenen zu der vorgesehenen Entscheidung dauert die Anhorung oft nicht lange. Im Einzelfall lange dauem konnen Anhorungen bei psychisch Kranken, die Dauer der Anhorung ist hier im Vorhinein kaum abzuschatzen. Im Einzelfall konnen auch mehrere Anhorungen erforderlich sein. Beharrt die Betroffene z. B. darauf, keine Betreuung zu benotigen, kann man sie zunachst eine gewisse Zeit, etwa eine Woche weiterhin ohne Betreuung sich selbst uberlassen, um ihr bei einer Folgeanhorung und dann erwartungsgemaB vollig unzureichender Versorgungslage konkret vor Augen halten zu konnen, dass es einer Betreuung offensichtlich bedarf. Fall 61:
Die Kommune stellte einen Antrag, fiir eine altere Frau, die gerichtlich bestellte Betreuerin ihres geistig behinderten Mannes war, ihrerseits einen Betreuer zu bestellen, weil der Haushalt vollstandig vermullt sei. Bei einer unangemeldeten Anhorung gemeinsam mit dem Burgermeister und einem Mitarbeiter der Ge-
1 Die Anhorung des Betroffenen
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sundheitsamts bestatigte sich die Vermullung drastisch. Die Kuche war raumhoch derartig vermtillt, dass jeweils nur eine der zur Anhorung Erschienenen sie betreten konnte, um mit der darin befindlichen Frau zu sprechen; mehr lieB der Platz einfach nicht zu. Gleichwohl machte die Frau einen, gemessen an den vorgefundenen Umstanden, psychisch erstaunlich geordneten Eindruck. Sie widersetzte sich nachdrucklich einer Betreuung. Der Richter ermahnte sie, die Vermullung abzubauen und kundigte fur ca. zwei Monate spater eine Folgeanhorung an, zu der er sich anmelden werde. Bei dieser Anhorung war der Zustand der Wohnung immer noch chaotisch, aber es war erkennbar gearbeitet worden. Unter anderem stand ein neu bestellter Schrank bereit, der aber noch nicht aufgebaut war. Bei einer dritten angemeldeten Anhorung nochmals drei Monate spater waren die Bemiihungen, die Vermullung abzubauen, so deutlich erkennbar, dass von der anfangs angenommenen psychopathologischen Ursache bei der Betroffenen fiir die Vermullung nicht mehr ausgegangen werden konnte. Mit der Betroffenen war bei alien drei Anhorungen eine Verstandigung gut moglich, sie war in alien Qualitaten orientiert. Nach der dritten Anhorung erging daraufhin Beschluss, dass die Bestellung eines Betreuers unterbleibt. Als weiteres Beispiel fur die Notwendigkeit mehrfacher Anhorungen vgl. Fall 4 (S. l l ) u n d F a l l 5 ( S . l l ) . Bei jeder Anhorung sollte dem Betroffenen, in welchem Zustand er sich auch befindet, die Achtung entgegengebracht werden, die ihm als Trager der unantastbaren WUrde des Menschen, Art. 1 GG, zusteht. Das schlieBt nicht aus, dass die Anhorung bei schwerwiegenden Entgleisungen des Betroffenen abgebrochen wird. Auch wenn der Betroffene sich gar nicht mehr verstandlich machen kann sollte man ihm doch kurz erklaren, wer man ist und was man vorhat. Vielleicht bekommt er doch noch etwas mit und ist erleichtert, wenn er hort, dass das, was er nicht mehr regeln kann, nun ordnungsgemaC geregelt wird. Vor allem fiir geistig Behinderte, die in einer Einrichtung leben, ist der Richter eine Ubergeordnete Respektsperson, durch dessen Besuch sie sich geehrt fiihlen. Hier kann die Anhorung als menschliche Zuwendung auch einmal etwas langer dauem, als es „an sich" notig ware. Auch den etwa anwesenden Angehorigen, die oft schwere Pflegearbeit tun, sollte sich der Richter zuwenden. Die Anhorung gilt aber in erster Linie dem Betroffenen. Fall 62:
Bei einer Anhorung hatte der Verfasser nach oberflachlicher Ansprache der fast 100-jahrigen Greisin den Eindruck gewonnen, mit dieser sei - auch, aber nicht nur, wegen Schwerhorigkeit - ohnehin keine Verstandigung mehr moglich und sich im weiteren Verlauf der Anhorung nur noch mit der Tochter unterhalten. Einige Wochen spater bei einer in diesem Fall erforderlichen Anhorung der zweiten Tochter prasentierte diese einen Brief der Mutter, in der diese sich beklagte, der Richter habe ja kaum mit ihr und nur mit der Tochter gesprochen. Es folgten eingehende (und zutreffende) Ausfuhrungen zu dem Inhalt des Gesprachs mit der Tochter.
232
c)
Kapitel 15 Anmerkungen fur Betreuungsrichter
Beschliisse ohne vorherige Anhorung der Betroffenen?
Viele Beschliisse in Betreuungssachen sind Eilsachen: Da klingelt das Telefon und der Betroffene hatte eigentlich schon vorgestern im Psychiatrischen Krankenhaus sein mussen. Hier ist es zunachst ein Teil der dem Richter nicht nur zustehenden, sondem auch ihm abverlangten Unabhangigkeit, sich nicht jedem Druck von auBen kritiklos zu beugen. Bei entsprechender Eilbedurftigkeit raumt das Gesetz dem Richter aber auch die Moglichkeit ein, zunachst von einer Anhorung abzusehen, § 70h I 2 FOG in Verbindung mit § 69f I 3 BGB. Die Frage ist, in welchen Fallen dieses Absehen von einer vorherigen Anhorung verantwortet werden kann und wann es ausnahmslos unterbleiben sollte. (1) Bettgitter-ZSitzgurtfalle In Bettgitter-ZSitzgurtfallen, jedenfalls bei Personen, fiir die bereits eine Betreuung besteht, kann und sollte auf eine vorherige Anhorung weitgehend verzichtet werden. Die entsprechenden Antrage kommen ja, weil der Betroffene aus dem Bett zu fallen oder aus dem Sessel zu rutschen droht. Das heiBt aber, dass das Heim ohnehin bereits Bettgitter bzw. Sitzgurte einsetzt, um nicht an Sturzverletzungen des Betroffenen schuldig zu werden. Rechtsgrundlage fiir das Heim ist hier entweder der rechtfertigende Notstand gemaB § 34 StGB oder aber eine bei Gefahr im Verzug auch ohne richterliche Genehmigung wirksame Entscheidung des Betreuers gemaB § 1906 II 2 BGB. Da beide Regelungen ihrem Wesen nach vorlaufigen Charakter haben und die MaBnahme ohnehin bereits vollzogen wird, sollte der Richter hier umgehend Rechtsklarheit schaffen und durch einstweilige Anordnung ohne vorherige Anhorung die MaBnahme genehmigen. Das Ergebnis der nachgeholten Anhorung ist ohnehin in den weitaus meisten Fallen, dass die MaBnahme keiner Genehmigung bedarf. Bestatigt die nachgeholte Anhorung die Notwendigkeit der MaBnahme und erscheint eine Genehmigung erforderlich, war es kein Fehler, schon vorab zu genehmigen. Fuhrt die nachtragliche Anhorung dagegen zu dem Ergebnis, dass die Genehmigung erforderlich erscheint, aber zu versagen ist, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, die MaBnahme vor Ort aufzuheben und das Pflegepersonal entsprechend zu instruieren. Ohne personlichen Eindruck wird man eine solche abschlagige Entscheidung kaum je treffen konnen. (2) Vorldufige Betreuungen bei Patienten in neurologischen Kliniken Bei Patienten, die sich, z. B. nach einem Unfall oder einem Schlaganfall, in einer neurologischen Klinik befmden, kann aufgrund eines entsprechenden eindeutigen Attests einer solchen Klinik ein vorlaufiger Betreuer im Eilfall auch ohne vorherige Anhorung bestellt werden. Zumindest was die Gesundheitsfiirsorge und - bei
1 Die Anhorung des Betroffenen
233
Verlegung in ein anderes Krankenhaus, ein Heim oder auch nach Hause das Aufenthaltsbestimmungsrecht angeht, handelt man ohnehin ohne wirksame Einwilligung des Betroffenen unter Notstandsgesichtspunkten. Arzten und Heimen sollte aber solches Handeln in der rechtlichen Grauzone nicht langer zugemutet werden, als es unabweisbar ist. Auch ist der Rechtsschutz des Betroffenen besser gewahrt, wenn er einen gesetzlichen Vertreter hat, als wenn gar niemand fur die Wahmehmung seiner Rechte zustandig ist. (3) Zwangseinweisungen psychiatrieerfahrener Patienten Eine Zwangseinweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus ist ein so schwerwiegender Eingriff in die Freiheit des Betroffenen, dass seine vorherige Anhorung hierzu nahezu unabweisbar ist. Notigenfalls mtissen hier andere Dienstgeschafte zuriickstehen und anberaumte Termine auch dann aufgehoben werden, wenn die Beteiligten bereits im Sitzungssaal sind. In Frage kommt auch die Wahrnehmung der Anhorung durch den geschaftsplanmaBigen Vertreter des Richters. Es hat sich bewahrt, zu solchen Anhorungen einen vorbereiteten Beschluss in der erforderlichen Anzahl mitzubringen, in dem bereits das voraussichtliche Ergebnis der Anhorung eingefiigt ist. Verlauft die Anhorung wie erwartet, wird der Beschluss vor Ort unterzeichnet und sofort vollzogen. Ansonsten ist es auch nicht verboten, den Beschluss handschriftlich abzuandern oder zu erganzen. Durch ein solches Vorgehen vermeidet man jedenfalls eine weitere krisenhafte Zuspitzung im Zeitraum zwischen Anhorung und Zufiihrung zur Unterbringung. Bei psychiatrieerfahrenen Betroffenen, die der Richter bereits kennt, kann es im Einzelfall vertretbar sein, auch eine Zwangseinweisung ohne vorherige Anhorung vorzunehmen. (4) Verzicht auf Voranhorung beiplausibel mitgeteilter Einwilligung des Betroffenen Im Einzelfall kann man durch einstweilige Anordnung eine vorlaufige Erweiterung des Aufgabenkreises ohne vorherige Anhorung des Betroffenen, aussprechen, wenn dessen Einverstandnis glaubhaft und plausibel mitgeteilt worden ist. Auf entsprechende Angaben eines Berufsbetreuers kann man sich im allgemeinen verlassen. Bei Angehorigen, Heimmitarbeitem und auch Hausarzten ist dagegen Vorsicht geboten. Ein weiteres Kriterium ist auch, in welchem Punkt die Erweiterung erfolgen soil. Ist z. B. der Betreute Erbe geworden und soil die Bestattung des Erblassers regeln, der in 400 km Entfemung gelebt hat, hat er wahrscheinlich ein ganz erhebliches Eigeninteresse, dass diese Aufgabe von einem Betreuer Ubemommen wird, die Gefahr, dass seine eigenen Interessen wesentlich beeintrachtigt werden konnten, ist dagegen gering.
234
Kapitel 15 Anmerkungen fur Betreuungsrichter
In dem geschilderten Fall ist es naturlich nicht mit der Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung getan. Hier wird ein weiterer Betreuer „vor Ort" eingesetzt werden miissen (400 km!). Es wird hierflir im allgemeinen auch nur ein Berufsbetreuer in Betracht kommen. Bei dieser besonderen Konstellation ware dann entgegen § 1899 I 3 BGB neuer Fassung die Bestellung eines zweiten Berufsbetreuers unvermeidlich. In Fallen wie den zuletzt geschilderten kann man schon auch einmal die Erstbestellung eines Betreuers ohne vorherige Anhorung durch einstweilige Anordnung vomehmen. Hier ist zu fragen, wie stark die Beeintrachtigung der Rechte des Betroffenen durch eine (u. U. um Wochen) verzogerte Betreuerbestellung wegen der zuvor anzuberaumenden Anhorung ist. Je deutlicher diese Rechtsbeeintrachtigung sich darstellt, desto eher wird man hier die vorlaufige Bestellung eines Betreuers ohne vorherige Anhorung erwagen mussen. Da bei dieser Fallgestaltung der Richter den Betroffenen und seine Situation (anders als bei einer Erweiterung des Aufgabenkreises) noch gar aus eigener Anschauung kennt, ist jedoch Vorsicht geboten. (5) Kein Verzicht auf Voranhorung bei Ersteinweisungen in die Psychiairie und bei Wohnungsauflosung Erst recht ist bei bisher nicht Betreuten, die der Richter noch nicht kennt, aber auch bei Betreuten, die aber noch nie zwangseingewiesen waren, ist ein Verzicht auf eine Anhorung vor einer Zwangseinweisung in ein Psychiatrisches Krankenhaus eigentlich unvertretbar. Die Erfahrung zeigt, dass es mit erheblichen Unsicherheiten verbunden ist, sich insoweit nur auf die Angaben von Angehorigen und Nachbam zu verlassen. Die erganzend verftigbaren Voten von Arzten oder der Polizei erweisen sich bei Uberprufling oft als ebenfalls nur fremdanamnestisch erhoben, auch diese Stellen haben also unter Umstanden den Betroffenen nicht einmal selbst gesehen^^^. Auch Uber die Wohnungsauflosung sollte um ihrer Bedeutung willen nicht ohne vorherige personliche Anhorung des Betroffenen entschieden werden. Es ist auch kaum denkbar, dass eine solche Entscheidung einmal derart eilt, dass nicht noch Zeit fiir eine Anhorung ware. An sich hat uber die Wohnungsauflosung ja der Rechtspfleger zu entscheiden, § 3 Nr. 2 RPflG. Im allgemeinen wird aber zunachst der Aufgabenkreis der Betreuung auf die Wohnungsauflosung zu erweitern sein. Das ist Sache des Richters. Der Einfachheit halber sollte er im Erweiterungsbeschluss auch gleich die Genehmigung zur Wohnungsauflosung aussprechen, § 6 RPflG.
Als Beispiel vgl. S. 176 Fall 51.
2 Falle der Entbehrlichkeit von Gutachten, Sozialbericht und Verfahrenspfleger
235
(6) Nachholung der Anhorung In den vorgenannten Fallen ist die zunachst etwa unterlassene Anhorung unverzuglich nachzuholen, § 69f I 4, § 70h I 2 FGG. d) Entbehrlichkeit von Folgeanhorungen? Liegt die letzte vorangegangene Anhorung eines Betroffenen weniger als sechs Monate zuriick, braucht bei bestimmten Beschlussen keine neuerliche personliche Anhorung zu erfolgen. Dies gilt bei der Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung (§ 69i I 2 FGG), bei der Erweiterung des Einwilligungsvorbehalts (§ 69i II FGG) und bei der Bestellung eines weiteren Betreuers gemal3 § 1899 BGB bei gleichzeitiger Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung (§ 69i V FGG). Als Ausgleich fur die entbehrliche personliche Anhorung ist der Betroffene in all diesen Fallen aber - schriftlich - „anzuhoren". Die schriftliche Anhorung eines Betreuten ist aber eine Farce. In den meisten Fallen wird er die schriftliche Mitteilung nicht mehr aufhehmen, jedenfalls nicht mehr adaquat darauf reagieren konnen. Aus diesem Grund gehen die vorgenannten Verfahrenserleichterungen ins Leere: will der Richter das rechtliche Gehor des Betroffenen sicherstellen, ftihrt in aller Regel kein Weg an der personlichen Anhorung vorbei.
2.
Falle der Entbehrlichkeit von Gutachten, Sozialbericht und Verfahrenspfleger
Das Betreuungsverfahren geht davon aus, dass die Bestellung eines Betreuers einen auBerst schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt, der im Interesse des Betroffenen m5glichst ganz unterbleiben sollte. In der Lebenswirklichkeit sind aber die Falle gar nicht selten, wo die Betroffenen mit einer Betreuung einverstanden sind, sie nachgerade wunschen. Und auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Falle, wo die Notwendigkeit der Betreuung evident ist, also ein Absehen von der Bestellung eines Betreuers von vomeherein nicht in Betracht kommt. In diesen Fallen findet die Versorgung eines Betroffenen, fur den keine Betreuung besteht, im vollig rechtsfreien Raum statt, der Betroffene, der sich nicht mehr selbst vertreten kann, ist schlechterdings ohne jegliche rechtliche Vertretung. Wenn ein solcher Zustand der faktischen Rechtlosigkeit durch die Bestellung eines Betreuers behoben werden kann, wird deutlich, dass hierdurch die Rechtsposition des Betroffenen erheblich weniger beeintrachtigt wird, als durch das Andauem des vertretungslosen und damit rechtlosen Zustands. Fiir diese Falle gilt, dass das Absehen von einer Betreuung eine schwe-
236
Kapitel 15 Anmerkungen fiir Betreuungsrichter
rere Rechtsbeeintrachtigung darstellt, als die Herstellung rechtlich klarer und geordneter Verhaltnisse und die Sicherung der Wahmehmung der Rechte des Betroffenen durch die Bestellung eines Betreuers^^^. Aus diesem Grund sollte in den Fallen, in denen der Betroffene mit der Betreuung einverstanden oder die Notwendigkeit einer Betreuung evident ist, von den gesetzlichen Moglichkeiten der Verfahrensvereinfachung weithin Gebrauch gemacht werden. a) Entbehrlichkeit eines Gutachtens Wenn auch § 68 b I 1 FGG als Regelfall die Einholung eines Gutachtens tiber die Notwendigkeit der Betreuung vorsieht, genugt in einer Vielzahl der Falle die Vorlage eines (meist haus-)arztlichen Attests. Denn nach § 68b I 2 FGG reicht ein arztliches Attest als Grundlage fiir einen Betreuungsbeschluss aus •
wenn der Betreuer mit Zustimmung („auf Antrag") des Betroffenen bestellt wird und die Einholung eines Gutachtens insbesondere im Hinblick auf den Umfang des Aufgabenkreises der Betreuung unverhaltnismaBig ware,
•
wenn lediglich ein Kontrollbetreuer^^^ bestellt werden soil. Hinzu kommt, dass bei einstweiligen Anordnungen, sowohl bei der Bestellung eines vorlaufigen Betreuers als auch bei einer vorlaufigen Unterbringungs- oder unterbringungsahnlichen MaBnahme, ein Attest statt eines Gutachtens ausreicht, § 69f I 1 Nr. 2, § 70h I FGG.
Die wohl herrschende Meinung in der Literatur^^^ geht offenbar davon aus, dass das Ausreichen eines einfachen Attests die groBe Ausnahme ist und insbesondere nur bei einem geringen Umfang des Aufgabenkreises der Betreuung in Betracht kommt. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass der geringe Betreuungsumfang nur gesetzliches Regelbeispiel ist, ein Attest also auch in anderen Fallen entbehrlich sein kann. UnverhaltnismaBig und damit nach dem Ermessen des Betreuungsrichters entbehrlich kann die Einholung eines Gutachtens damit auch bei umfangreichem Betreuungsbedarf zum Beispiel sein, •
267 268 269
wenn der Betroffene zwar in die Betreuung nicht mehr einwilligen kann, aber in einer Vorsorgeverfugung Bestimmungen fiir den Fall einer Betreuung getroffen und damit vorab von seinen rechtlichen Gestaltungsmoglichkeiten Gebrauch gemacht hat,
Vgl. S. 17. Vgl. S. 26. Bienwald BQiVQuungsTQcht § 68b FGG Rdnr. 39ff.
2 Falle der Entbehrlichkeit von Gutachten, Sozialbericht und Verfahrenspfleger
237
•
dies gilt jedenfalls dann, wenn er in der Patientenverftigung auch Vollmacht erteilt hat und der BevoUmachtigte als Betreuer eingesetzt werden solP^^,
•
wenn die Notwendigkeit der Bestellung eines Betreuers auf Dauer, etwa bei einer Altersdemenz, offensichtlich ist (Evidenz der Betreuungsnotwendigkeit); in solchen Fallen liegt es, wie auch in anderen Gerichtsverfahren, bei dem Betreuungsrichter, ob er uber das arztliche Attest hinaus noch ein Gutachten fiir erforderlich halt oder nicht^^^
Kraft ausdrucklicher gesetzlicher Regelung reicht ein arztliches Attest dariiber hinaus aus (l)fiir den Erlass einer einstweiligen Anordnung einschlieBlich der Anordnung eines vorlaufigen Einwilligungsvorbehalts, § 69f I 1 Nr. 2 FGG; (2) bei einer Betreuungsverlangerung, wenn der Zustand des Betroffenen sich nicht verandert hat, § 69i VI 2 FGG; (3) fiir die Genehmigung unterbringungsahnlicher MaBnahmen gemaB § 1906 IV BGB, § 70e I 3 FGG. Die konsequente Anwendung der vorstehenden Kriterien kann dazu fuhren, dass das arztliche Attest zum Regelfall und die Einholung eines Gutachtens zur Ausnahme wird. Damit wiirde der vom Gesetz vorgegebene Regel-ZAusnahmemechanismus genau umgekehrt. Dies steht jedoch der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen. Zum einen gibt es eine solche Umkehr von Regel und Ausnahme in der Rechtsanwendung immer wieder: Im Strafprozess ist die Vereidigung des Zeugen gesetzlicher Regelfall, in der Praxis der Strafgerichte ist sie eine groBe Ausnahme. In § 105 I Jugendgerichtsgesetz (JOG) ist die Anwendung des Jugendstrafrechts auch auf Heranwachsende, also 18- bis 21-jahrige, auf zwei Fallgruppen beschrankt, in der Spruchpraxis vieler Jugendkammern werden Heranwachsende praktisch ausschliefilich nach Jugendstrafrecht behandelt. Vor allem aber entspricht diese Umkehr des gesetzlichen Regel-ZAusnahmeverhaltnisses der Lebenswirklichkeit. Natiirlich gibt es Betreuungssachen, in denen das voile betreuungsrechtliche Verfahrensinstrumentarium, angefangen mit dem Sozialbericht der Betreuungsbehorde iiber das Sachverstandigengutachten bis hin zum Verfahrenspfleger aus Griinden der Sachaufklarung und der Wahrung der Interessen des Betroffenen geboten ist. Aber der Normalfall ist das nicht. Dies kann erforderlich werden, wenn eine solche Vollmacht nicht anerkannt wird z. B. von Banken und Sparkassen 26. 971
Ebenso Coeppicus Rechtspfleger 1996, 425.
238
Kapitel 15 Anmerkungen flir Betreuungsrichter
Die groBe Vielzahl der Betreuungsfalle aber stellt sich dem Betreuungsrichter so dar, dass alle Beteiligten, auch der Betroffene selbst, wissen und auch akzeptieren, dass es ohne Betreuung nicht mehr geht. Wenn der Betroffene zu (iberhaupt keiner WillensauBerung mehr in der Lage ist, reicht fur den Erlass eines Betreuungsbeschlusses in der Tat ein arztliches Attest aus, aus dem sich ergeben •
der Zeitpunkt der letzten personlichen Untersuchung durch den behandelnden Arzt, die flir die Betreuungsnotwendigkeit mal3gebliche Diagnose, und vor allem eine Prognose, ob der derzeitige Zustand sich voraussichtlich noch entscheidend verbessem konnen wird.
b) Entbehrlichkeit von Sozialberichten Ebenso kann ein Sozialbericht bei einigermafien normalen Familienverhaltnissen (und auch das ist die Mehrzahl) entbehrlich sein: Haben sich Ehegatte und erwachsene Kinder des Betroffenen darauf verstandigt, wer die Betreuung tibernehmen soil, wird das der Betreuungsrichter gelegentlich der Anhorung des Betroffenen feststellen und seine Entscheidung darauf einrichten konnen. Im Ubrigen vermittelt der Sozialbericht, je nach Arbeitsweise und Belastung der Betreuungsbehorde, unter Umstanden auch keine tiber die bei der Erstanhorung des Richters zu gewinnenden Erkenntnisse. Aber in nicht so einfach gelagerten Fallen gilt auch hier: Sind die Angehorigen untereinander zerstritten, besteht angesichts eigener Hoffnungen auf das Erbe Interessenkollision, kann der Sozialbericht der Betreuungsbehorde ein wertvolles Mittel der Sachaufklarung und der Wahrung der Rechte des Betroffenen darstellen. Gleichwohl, in der Vielzahl der Falle erholt der Verfasser keinen Sozialbericht. Dadurch bleibt der Betreuungsbehorde Raum fiir die Anforderungen von Sozialberichten in ausgesuchten Fallen, in denen es wirklich darauf ankommt. Und die Falle, in denen dann Sozialberichtsauftrage kommen, haben es dann wirklich in sich. c)
Entbehrlichkeit von Verfahrenspflegschaft
Am uneinheitlichsten ist die Praxis bei der Einsetzung von Verfahrenspflegem. Es gibt Gerichte, wo fiir praktisch jede Betreuungserrichtung ein Verfahrenspfleger eingesetzt wird und andere, die den Einsatz des Verfahrenspflegers auf ein Minimum beschranken. Das Gesetz lasst dem Betreuungsrichter hier weiten Spielraum. Derin die Einschatzung, dass „ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung eines Verfah-
2 Falle der Entbehrlichkeit von Gutachten, Sozialbericht und Verfahrenspfleger
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renspflegers offensichtlich nicht besteht" (§ 67 I 3 FGG) lasst sich bei Evidenz der Notwendigkeit einer Betreuung durehaus vertreten. In Unterbringungssachen lasst § 70b FGG dem Richter einen ahnlichen Spielraum. Allerdings legt § 70b I 2 FGG nahe, dass in Unterbringungssachen bei fehlender Verstandigungsmoglichkeit des Betroffenen stets ein Verfahrenspfleger zu bestellen ist. Auf der anderen Seite ist § 70b I 2 in § 70 II FGG nicht ausdrticklich ausgenommen - anders als der Verfahrenspfleger bei Genehmigung einer Sterilisation in § 67 I 5 FGG. Die letztgenannte Vorschrift konstituiert den Verfahrenspfleger bei Genehmigung der Sterilisation auch als „stets" erforderlich, dieses „stets" wiederum ist in § 70b I 2 FGG nicht enthalten. Was bleibt, ist jedenfalls das gesetzliche Gebot, den Verzicht auf einen Verfahrenspfleger •
in Unterbringungssachen,
•
bei der Bestellung eines Betreuers fur einen Betroffenen, mit dem keine Verstandigung mehr moglich ist und
•
bei der Bestellung eines Betreuers fiir alle Angelegenheiten
in dem entsprechenden Beschluss zu begrtinden, § 67 14, § 70b II FGG. Die Praxis des Verfassers selbst entspricht im wesentlichen der bei der Anforderung von Sozialberichten (s. vorstehender Abschnitt b)). Wo eine Verfahrenspflegschaft evident entbehrlich ist, z. B. bei der Verlangerung eines bereits jahrelang bestehenden Betreuung oder ein Betreuerwechsel bei einem Betreuten, mit dem keinerlei Verstandigung mehr moglich ist, wird von der Beteiligung eines Verfahrenspflegers weitestgehend abgesehen, § 67 I 3 FGG. Bestehen dagegen Anhaltspunkte flir eine Beeintrachtigung der Situation auch eines nicht mehr Verstandigungsfahigen, wurde auch fur die Frage einer Herausnahme aus dem Altenheim in die Wohnung einer Angehorigen wegen bestehender Bedenken des Richters ein Verfahrenspfleger eingesetzt. Insgesamt hat sich die Haufigkeit der Einsetzung eines Verfahrenspflegers durch den Verfasser seit dem erstmaligen Erscheinen des vorliegenden Buches mal3voll erhoht.
240
3.
Kapitel 15 Anmerkungen fiir Betreuungsrichter
Unterbringungsfragen
a) Abgrenzung Unterbringung und unterbringungsahnliche MaOnahme Wann von einer Unterbringung auszugehen ist mit der Folge, dass der Eingriff unter § 1906 I BGB fallt, ist im Gesetz nicht erklart. Aus der Literatur ergibt sich hierzu keine einheitliche Linie. Palandt-Diederichsen^^^ geht von einer Unterbringung und damit der Anwendbarkeit von § 1906 I BGB nur aus, wenn sie mit dem Verbringen in einen anderen Lebensraum verbunden ist. Das EinschlieBen im Zimmer und auch die Verlegung von der offenen auf die geschlossene Station des Altenheims waren dann keine Unterbringung, sondem unterbringungsahnliche MaBnahme. Ebenso offenbar Erman-Holzhauer^^\ wenn er ausfuhrt, ein Festhalten an dem bisherigen Aufenthaltsort sei als unterbringungsahnliche MaBnahme einzustufen. Schwab^^^ dagegen differenziert nach der Intensitat der Freiheitsentziehung: erfolge diese etwa nur zeitweise, liege lediglich eine unterbringungsahnliche MaBnahme vor, eine standige Eingitterung oder Angurtung sei dagegen stets Unterbringung im Sinne § 1906 I BGB. Die Frage ist vor allem aus dem Grand von Bedeutung, weil fur die Genehmigung einer unterbringungsahnlichen MaBnahme gemafi § 1906 IV BGB ein arztliches Attest ausreicht, § 70 e I 3 FGG. Die Auffassung von Schwab verdient den Vorzug. Stellt man mit Schwab auf die Intensitat der Freiheitsentziehung ab, wird auch bei atypischen und ihrem Gesamtcharakter nach weniger gravierend erscheinenden EinschlieBungen deren Subsumtion unter § 1906 IV BGB moglich sein. So ware die dauemde Unterbringung auf einer geschlossenen Station eines Altenheims, innerhalb derer sich der Betroffene frei bewegen kann, im Rechtssinne nur unterbringungsahnliche MaBnahme. Anders, wenn der Betroffene dauerhaft und beharrlich auf die Moglichkeit, die Station verlassen konnen, drangt: Dann lage ein Fall der geschlossenen Unterbringung gemafi § 1906 I BGB vor. Diese recht weitgehende Konsequenz erscheint vertretbar, weil ja auch die unterbringungsahnliche MaBnahme der richterlichen Uberpriifung unterliegt. Die standige Angurtung auf einem Stuhl stellt nach einhelliger gerichtlicher Praxis stets „nur" eine unterbringungsahnliche MaBnahme gemaB § 1906 IV BGB dar, schrankt aber die individuelle Freiheit erheblich mehr ein. Dies, obwohl es schlechterdings nicht nachvoUziehbar ist, dass das standige Angegurtetsein auf dem Stuhl ein weniger schwerer Eingriff sein soil, als die Versorgung in
^'^^ § 1906BGBRdnr.6. ^^^ § 1906Rdnr.26. ^'^'^ Munchener Kommentar-.S'c/zwaZ? § 1906 BGB Rdnr. 35.
3 Unterbringungsfragen
241
einer geschlossenen Einrichtung, innerhalb derer sich der Betroffene aber je nachdem doch recht frei bewegen kann. Fall 63:
Im Amtsbezirk des Verfassers befindet sich ein Altenheim, das uber eine sehr groBe AuBenanlage verfiigt, in der sich die Bewohner frei bewegen konnen. Das Hoftor ist allerdings zum Schutz der teilweise verwirrten Bewohner dauerhafl verschlossen. Soweit die Bewohner nicht mehr einwilligungsfahig sind, wurde diese MaBnahme richterlich genehmigt und zwar als minus gegeniiber einer Unterbringung im herkommlichen Sinne lediglich als unterbringungsahnliche MaBnahme gemaB § 1904 IV BGB. Die AbschlieBung des Hoftors ist zwar zeitlich unbegrenzt, stellt sich aber angesichts des ohnehin eingeschrankten Fortbewegungsradius der Bewohner gleichwohl nur als partielle Freiheitsentziehung^^^ dar.
Eine EinschlieBung, die mit Verbringen in einen anderen Lebensraum verbunden ist, ist auch nach Schwab ein Fall des § 1906 I BGB. b) Zu unterbringungsahnlichen MaBnahmen Die auch mit dem Schlagwort „Bettgitterialle" umschriebenen unterbringungsahnlichen MaBnahmen sind in vielen Fallen Uberhaupt Anlass fiir die Bestellung eines Betreuers. Denn unter dem Druck der Heimaufsichtsbehorden haben hier die Antrage der Heime, entsprechende Genehmigungen zu erteilen, erheblich zugenommen. Wie auf S. 192 eingehend dargestellt sind unterbringungsahnliche MaBnahmen in den meisten Fallen genehmigungsfrei, sei es, dass die Betroffenen mit ihnen einverstanden sind („naturliche Einwilligungsfahigkeit" reicht), dass sie auch ohne Bettgitter das Bett nicht aus eigener Kraft zielgerichtet verlassen konnen, oder dass jeglicher Fortbewegungsimpuls in ihnen dauerhaft erloschen ist. Die Anwendung von § 1906 BGB durch erweiternde Analogie auf Anwendung unmittelbaren Zwangs gegen den Betroffenen uber Unterbringungs- und unterbringungsahnliche MaBnahmen hinaus ist vom Bundesgerichtshof ausdriicklich fiir unzulassig erklart worden^^^.
275
Munchener KommQntm-Schwab § 1906 Rdnr. 8. ^"^^ BGH NJW 2001,888 = BtPrax 2001, 32; vgl hierzu S. 196.
242
c)
Kapitel 15 Anmerkungen fiir Betreuungsrichter
Vollzug des unmittelbaren Zwangs
Bei Zwangseinweisungen in ein Psychiatrisches Krankenhaus geht es manchmal nicht ohne die Anwendung unmittelbaren Zwangs. Diese muss vom Richter ausdrticklich genehmigt werden, § 70g V 2 FGG. Da der betreuungsrichterliche Unterbringungsbeschluss nicht vom Gericht selbst, sondem vom Betreuer voHzogen wird, hatte dies zur Folge, dass der Vollzug des unmittelbaren Zwanges ohne Mitwirkung einer staatlichen Stelle zu geschehen hatte und damit jedenfalls in der Durchfiihrung das staatliche Gewaltmonopol in Frage gestellt wtirde. Vor dem Inkrafttreten des Betreuungsrechts wurderi Unterbringungsentscheidungen vom Gerichtsvollzieher vollzogen. Dagegen wurde mit Recht eingewandt, dass der Gerichtsvollzieher von seiner Ausbildung und auch seinen ublichen Aufgaben her keine ausreichende Kompetenz flir den Umgang mit geistig Behinderten oder psychisch Erkrankten bei der Durchfiihrung von Zwangseinweisungen hat. Das Betreuungsrecht hat dieses Problem dahin gelost, dass in solchen Fallen der Betreuer die UnterstUtzung der Betreuungsbehorde anfordem kann, § 70g V 1 FGG. Die Betreuungsbehorde und damit eben doch wieder eine staatliche Instanz kann dann ihrerseits die polizeilichen Vollzugsbehorden um UnterstUtzung ersuchen, § 70g V 3 FGG. Angesichts der starken Funktion, die das Betreuungsrecht dem Betreuungsrichter beiordnet, muss an Stelle der Betreuungsbehorde auch der Betreuungsrichter selbst den Betreuer bei der Verbringung in das Psychiatrische Krankenhaus unterstiitzen und seinerseits die Polizei um Hilfe bitten konnen. Diese im Gesetz selbst nicht vorgesehene Moglichkeit lasst das staatliche Gewaltmonopol unberiihrt. Interessen des Betroffenen werden ebenfalls nicht verletzt. Der Richter kennt ihn ohnehin schon von der Anhorung. Die durch die Einschaltung der Betreuungsbehorde bezweckte Prasenz betreuungsrechtlicher und sozialer Kompetenz bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs ist auch in der Person des Betreuungsrichters gewahrleistet. Entsprechende praktische Erfahrungen des Verfassers belegen, dass die Anwesenheit des Richters bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs erheblich deeskalierend wirken kann. Jedenfalls, wo die Betreuungsbehorde relativ weit vom Sitz des Gerichts entfernt oder wenn sie am Erscheinen verhindert ist, sollte die Ersetzung ihrer Anwesenheit durch den Betreuungsrichter kein Problem sein. Der Richter muss dann aber auch tatsachlich vom Beginn des Einsatzes bis zum Abfahren des Krankenwagens vor Ort sein. Beachten muss der Richter dabei, dass er in dieser Situation den unmittelbaren Zwang nie selbst anwenden darf. Das ist erforderlichenfalls Sache der Polizei.
4 Die Betreuung durch Angehorige oder sonstige ehrenamtliche Betreuer
243
Diese Trennung der Anordnungskompetenz vom Vollzug ist ein im Umgang mit psychisch Kranken bewahrter Grundsatz.
4.
a)
Die Betreuung durch Angehorige oder sonstige ehrenamtliche Betreuer Angehorigenbetreuungen
Ungeachtet des Anwachens der Zahl der Berufsbetreuungen wurden uber 60 % der neuen Betreuungen des Jahres 1999 von Angehorigen gefuhrt, wobei der Anteil von Bundesland zu Bundesland erheblich schwankt (vgl. Tabelle 5, nachfolgend S. 244). Bei Betreuungen durch Angehorige kommt verhaltnismaBig oft der Wunsch auf, mehr als einen der Angehorigen als Betreuer zu bestellen. Diesem Wunsch kann im allgemeinen ohne weiteres entsprochen werden. Dabei halt es der Verfasser so, dass er in der Regel alle Angehorigen flir den gesamten Aufgabenkreis einsetzt und jeweils Alleinvertretungsbefiignis anordnet. Man tenoriert dann etwa: „Die Betreuer sind jeweils alleinvertretungsbefugt." Dann konnen die Angehorigen untereinander regeln, wer welche Aufgabenanteile Ubemehmen soil und sich im Bedarfsfall problemlos untereinander vertreten.
244
Kapitel 15 Anmerkungen fiir Betreuungsrichter
Tabelle 5: Neue Betreuungen des Jahres 1999 ten Betreuungen
Bundesland
und Anteil der von Angehorigen geflihr-
neue Betreuungen hiervon Betreuungen durch Angehorige | in 1999
1 Baden1 Wiirttemberg
13.737
8.257
= 59,95 %
1 Bayern
33.775
22.537
= 66,73 %
Berlin
6.394
, 2.785
43,56 %
Brandenburg
6.790
4.023
= 59,25 %
Bremen
1.211
483
= 39,88 %
1.223
982
= 80,29 %
16.285
10.831
= 66,51%
1 MecklenburgVorpommern
4.355
2.743
= 62,99 %
1 Niedersachsen
16.769
9.468
= 56,46 %
NordrheinWestfalen
41.058
24.299
= 59,18%
RheinlandPfalz
10.140
6.798
= 67,04 %
Saarland
2.312
1.746
= 75,52 %
Sachsen
12.420
7.717
= 62,13%
SachsenAnhalt
5.660
3.343
= 59,06 %
SchleswigHolstein
6.120
3.451
= 56,39 %
Thiiringen
5.836
3.451
= 59,13%
184.121
112.914
= 61,33%
1 Hamburg Hessen
I Deutschland
1
1
Quelle fiir die Zahlen: Bundesministerium der Justiz, veroffentlicht bei Deinert in Verbandszeitung des Bundesverbandes der Berufsbetreuer/-innen BdB, Heft Dezember 2000, Seite 11.
277
Wegen aktuellerer Zahlen vgl. Tabelle 6 S. 260und Tabelle 7 S. 260.
4 Die Betreuung durch Angehorige oder sonstige ehrenamtliche Betreuer
245
b) Sonstige ehrenamtliche Betreuer Die Werbung um ehrenamtliche Betreuer ist angesichts des vermehrten Aufkommens von Berufsbetreuem deutlich zurtickgegangen. Und was noch schlimmer ist: bei den Betreuungsvereinen stehen nicht selten Manner und Frauen bereit, die ehrenamtliche Betreuungen ubemehmen, aber nicht nachgefragt werden, so dass sie von ihrer anfanglichen Bereitschaft wieder Abstand nehmen und sich anderswo ehrenamtlich engagieren. Denn die Bereitschaft zur ehrenamtlichen Mitarbeit will eingesetzt sein und lasst sich nicht beliebig konservieren. Hier ist der Betreuungsrichter gefordert, einerseits Kontakt zu den Betreuungsvereinen zu halten, unter deren sogenannten Querschnittsaufgaben die Gewinnung, Schulung und Begleitung ehrenamtlicher Betreuer die wichtigste ist. Nur so ist er auf dem aktuellen Stand was die Verfugbarkeit ehrenamtlicher Betreuer angeht. Andererseits sollte der Betreuungsrichter, jedenfalls so lange die Betreuungsvereine ehrenamtliche Betreuer anbieten, Betreuungen nicht ohne Notwendigkeit auf Berufsbetreuer Ubertragen. Natiirlich gibt es Betreuungsfalle, die sich nur fiir Berufsbetreuer eignen. Die Frage ist aber, ob nicht zu oft aus Bequemlichkeit ein Berufsbetreuer auch fur Falle bestellt wird, die ohne weiteres auch ein ehrenamtlicher Betreuer bewaltigen konnte. Die von den Betreuungsvereinen vermittelten ehrenamtlichen Betreuer werden von den Betreuungsvereinen geschult und begleitet. Die Kennenlemgesprache des ehrenamtlichen Betreuers mit den Betroffenen fmden haufig im Beisein eines hauptamtlichen Mitarbeiters des Betreuungsvereins statt. Damit haben die ehrenamtlichen Betreuer, die von den Betreuungsvereinen herkommen, einen stabilen Hintergrund und sollten nicht mangels Einsatzes wieder abwandem miissen. Aus demselben Grund sollten Interessentinnen und Interessenten, die sich unter Umstanden unmittelbar bei Gericht als ehrenamtliche Betreuer anbieten, nach Moglichkeit an den zustandigen Betreuungsverein vermittelt werden. Der normale Weg zur Gewinnung eines ehrenamtlichen Betreuers eines Betreuungsvereins geht uber die Anfrage an den Betreuungsverein, ob ftir eine bestimmte Betreuungssache ein ehrenamtlicher Betreuer vermittelt werden kann. Um dem Verein die Pruftmg zu erleichtern, ob sich die Sache ftir einen ehrenamtlichen Betreuer eignet und gegebenenfalls ftir wen sollte der Sachverhalt kurz geschildert und/oder ein Aktenauszug beigeftigt werden. Liegt dann die Antwort des Betreuungsvereins mit dem Vorschlag eines ehrenamtlichen Betreuers vor, ist es wichtig, den benannten ehrenamtlichen Betreuer umgehend einzusetzen. Denn auch hier lahmt es die Bereitschaft zur ehrenamtlichen Mitarbeit, wenn nach Anerbieten der Betreuungsubemahme und Vorstellungsgesprach bei dem Betroffenen noch Wochen oder Monate vergehen, bis der betreffende ehrenamtliche Betreuer tatsachlich eingesetzt ist.
246
5.
Kapitel 15 Anmerkungen fur Betreuungsrichter
Berufsbetreuerpflege durch das Gericht
Fur eine sachgerechte Umsetzung des Betreuungsrechts und die Anpassung seiner Anwendung an die ortlichen Notwendigkeiten hat sich eine gewisse Berufsbetreuerpflege durch das Vormundschaftsgericht als sinnvoll erwiesen. Hierzu gehort zunachst das Vorstellungsgesprach vor Einsetzung eines in diesem Bezirk bisher noch nicht tatig gewesenen Berufsbetreuers (vgl. S. 83). Dieses Gesprach hat auch durch die Beteiligung der Betreuungsbehorde gemaB § 1897 VII BGB nichts an seiner Bedeutung eingebuBt. Denn Betreuungsarbeit lebt von personlichen Beziehungen und dazu gehort auch, dass Betreuungsrichter und Betreuer sich untereinander kennen. Der Rechtspfleger lernt die Betreuer ohnehin bei der Verpflichtung kennen. Bei dem Gericht, dem der Verfasser angehort, hat es sich weiter bewahrt, alle 2 - 3 Jahre zu einem Treffen der ca. 25 fiir das Gericht tatigen Berufsbetreuer einzuladen. Bei einem solchen Berufsbetreuertreffen lernen die Berufsbetreuer sich auch untereinander kennen. Anstelle einer Vorstellungsrunde, die ab dem zwolften Beitrag doch leicht ermlidend wirkt, kann der Einladung ein Fragebogen beigeftigt werden, in dem angegeben werden soil, welche Punkte im Rahmen dieses Treffens angesprochen werden sollten. Ausgehend von diesen Punkten oder auch dartiber hinaus oder unabhangig davon sollte der einladende Betreuungsrichter ein Kurzreferat halten. Soweit es um nichtjuristische Themen geht, kann er auch einen auBenstehenden Referenten einladen. Zu juristischen Themen wird er dagegen besser selbst sprechen. Das Betreuungsrecht wird nahezu von jedem Betreuungsrichter anders angewandt. Der Grund fur diesen Partikularismus liegt darin, dass in Betreuungssachen nur selten Beschwerde eingelegt wird. Von den eingelegten Beschwerden haben aber fast 95 % Vergutungsstreitigkeiten zwischen Betreuem und der Staatskasse zum Gegenstand^^^. Abgesehen von Unterbringungsfallen gelangt das materielle Betreuungsrecht also nur selten in eine Rechtsmittelinstanz. Damit fehlt hier weitgehend die Kartellwirkung durch Entscheidungen der ubergeordneten Gerichte. In der Folge finden sich selbst innerhalb eines Landgerichtsbezirks so viele unterschiedliche Anwendungsvarianten, wie der Bezirk Amtsgerichte hat. Diese Uneinheitlichkeit ist Folge des sehr personlichen Charakters des Betreuungsrechts und kann akzeptiert werden. Nur wenn es bei einem Amtsgericht mehrere Betreuungsrichter gibt, sollten diese sich doch untereinander auf eine gleiche Anwendungspraxis wenigstens fiir ihren Amtsgerichtsbezirk verstandigen.
278
Entwurf eines Eckpunktepapiers zur Strukturreform des Betreuungsrechts, veroffentlicht in bt-info Nr. 4/2000, S. 15ff, Abschnitt „Betreuungsverfahren".
6 Erleichterung des Geschaftsgangs
247
AuBer dem Betreuungsrichter ist in Betreuungssachen auch der Rechtspfleger zustandig^^^. Weil die Auswahl des Betreuers dem Richter obliegt, sollte auch die Berufsbetreuerpflege vom Richter wahrgenommen werden. Der Rechtspfleger sollte aber an den Treffen teilnehmen und kann nattirlich, wo dies vom Thema her nahe liegt, auch das Kurzreferat halten.
Erleichterung des Geschaftsgangs a) Betreuungsbeschliisse nicht formlich zustellen Die amtlichen Formblatter fiir die Betreuungsbeschlusse sehen durchweg die fbrmliche Zustellung der Betreuungsbeschlusse vor, also ihre Ubersendung mit Postzustellungsurkunde. Diese Zustellungsart ist aber fast immer uberflussig, sie erschwert den tatsachlichen Zugang der Beschlusse bei den Adressaten und sie kostet unnotig Geld. Eine Zustellung mit Postzustellungsurkunde kostet 5,60 €, die Ubersendung mit einfachem Brief 0,55 €. Bei einem Gericht mit 300 neuen Betreuungen pro Jahr, in denen auch nur ein Beschluss an Betroffenen und Betreuer anfallt, ergeben allein diese 600 Sendungen, wenn sie durch einfachen Brief erfolgen, eine Einsparung von ca. 3.000 €. Hier sollte selbst ein Richter einmal fiskalisch denken, zumal angesichts der anstehenden Budgetierung der Justizhaushalte. Der einzige Sinn einer formlichen Zustellung ist es, Rechtsmittelfristen in Lauf zu setzen und zwar vollstandig unabhangig davon, ob der Adressat tatsachlich Kenntnis von der Sendung erlangt oder nicht. Die meisten Betreuungsbeschlusse unterliegen aber der einfachen Beschwerde, so dass es gar keine Rechtsmittelfrist gibt. Ein Richterkollege schatzt formliche Zustellungen, weil die in die Akte eingehefteten Zustellungsurkunden ihm das Auffmden der in dieser Sache bereits ergangenen Beschlusse erleichtern. Ein teures Lesezeichen! Seit dem Erscheinen der Vorauflage sind einige Gericht dazu ubergangen, die Urschriften ihrer Beschlusses auf farbiges Papier zu drucken. Das hat den gleichen Effekt, ist aber billiger. „Sofortige" Beschwerden, fiir die eine Rechtsmittelfrist von 2 Wochen gilt, gibt es in erster Linie in Unterbringungssachen. Auch hier ist die Rechtsmitteldichte aber so gering, dass es praktikabel ist, auch diese Beschlusse mit einfacher Post zu versenden. Im Einzelfall ist dann eben eine Beschwerde auch dann noch zulassig, wenn moglicherweise, aber mangels formlicher Zustellung nicht nachweisbar, die
§ 3 Nr. 2 Buchstabe a), § 14 I Nr. 4 Rechtspflegergesetz (RPflG), Schonfelder Nr. 96.
248
Kapitel 15 Anmerkungen fiir Betreuungsrichter
Rechtsmittelfrist bereits abgelaufen ist. Damit kann man leben. Die Staatsanwaltschafl ubersendet aus den gleichen Erwagungen ihre Einstellungsverfiigungen gemaB § 170 II StPO (Strafprozessordnung) auch in den Fallen formlos, in denen es ein Klageerzwingungsverfahren gibt und damit die Beschwerde gegen die Einstellung fristgebunden ist. Abgesehen von der geringen Beschwerdedichte kommen Beschwerden, wenn sie denn eingelegt werden, ohnehin praktisch immer umgehend, also weit vor Ablauf irgendwelcher Fristen. Entscheidungen, die der sofortigen Beschwerde unterliegen, werden zwar erst mit Rechtskrafl wirksam, so dass unter diesem Gesichtspunkt ein Bedtirfnis bestehen konnte, den genauen Rechtskraftzeitpunkt zu kennen. Dieses Argument greift aber ebenfalls nicht durch, weil die Praxis durchgehend von ihrer Beftignis Gebrauch macht, die soft)rtige Wirksamkeit der Entscheidung anzuordnen. Allein bei der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts und bei der Entlassung eines Betreuers gegen seinen Widerspruch - die beide der sofortigen Beschwerde unterliegen - kann es sinnvoll sein, den Beginn der Rechtsmittelfrist beweiskraftig zu fixieren, also die Entscheidungen formlich zuzustellen. Seiche Entscheidungen fallen aber nur selten an. b) Abgabe und Ubernahme und Beendigung von Betreuungsverfahren Zieht der Betroffene in einen anderen Gerichtsbezirk, empfiehh es sich, mit der Abgabe des Verfahrens an das dortige Gericht noch etwa sechs Monate zu warten. Es kommt namlich nicht selten vor, dass ein solcher Umzug misslingt und der Betroffene doch wieder zuriickkehrt. Durch das 2. BtAndG neu eingeflihrt wurde, dass der Anderung des gewohnlichen Aufenthaltsorts ein tatsachlicher Aufenthalt an einem anderen Ort gleichsteht, § 65a I 2 Alternative 2 FGG. Die Notwendigkeit der Zustimmung des Betreuers zu einer Verfahrensabgabe wurde durch das 2. BtAndG abgeschafft, § 65a I 1 FGG. Diese im Rechtsausschuss nicht erorterte Anderung dient der Vereinfachung der Verfahrensabgabe und er Entlastung der Oberlandesgerichte, denen es oblag, eine etwa verweigerte Zustimmung des Betreuers zu ersetzen, § 65a I 1 FGG alter Fassung in Verbindung mit § 46 II 1 Alternative 2 FGG. Notwendig, aber auch ausreichend ist die Anhorung des Betreuers und des Betreuten, § 65a II FGG. Die Notwendigkeit der Anhorung des Betroffenen griindet dogmatisch in dem Anspruch auf rechtliches Gehor. Oft ist aber mit dem Betroffenen eine entsprechende Verstandigung nicht moglich. Der Verfasser formuliert in seiner Anfrage an den Betreuer, ob dieser der Abgabe zustimmt:
6 Erieichterung des Geschaftsgangs
249
Sind Sie mit dieser Verfahrensabgabe einverstanden? Ist auch die betreute Person - soweit mit ihr eine Verstandigung hierzu moglich ist - mit der Verfahrensabgabe einverstanden? Die Abgabeverfligung an Gerichte, die diese Art der Anhorung moglicherweise nicht akzeptieren, lautet dann: An das Amtsgericht X mdB um Ubernahme des Verfahrens unter Hinweis auf Bl. ... Die briefliche Anliorung d. Betroffenen unterlasse ich, da ich generell der Auffassung bin, dass eine briefliche Anhorung reine Augenwischerei ist; wer unter Betreuung steht kann mit brieflicher Anhorung regelmafiig nichts anfangen. Sollte von dort die Anhorung d. Betroffenen fiir erforderlich erachtet werden, bitte ich, diese im Wege der Rechtshilfe selbst vorzunehmen. Sollten nach dem Ergebnis einer etwaigen Anhorung Bedenken gegen die Ubernahme des Verfahrens bestehen, bin ich selbstverstandlich mit der Ruckgabe des Vorgangs einverstanden. Die Abgabe von Unterbringungsverfahren ist in § 70 I FGG teilweise neu geregelt worden.^^^ Kommt es zur Abgabe, sollte der abgebende Richter in seiner Abgabeverfligung vermerken, auf welcher Seite der (haufig dicken und untibersichtlichen) Akten die neue Anschrift des Betroffenen und die Zustimmungserklarung des Betreuers zu finden sind. Collegialiter sollte er auch noch angeben, wann die nachsten Entscheidungen (Verlangerung der Betreuung; Verlangerung von Unterbringungsgenehmigungen) anliegen. Bei der Verfahrensiibemahme von einem anderen Gericht sollte eine Ubemahmenachricht auch an die bisher zustandige Betreuungsbehorde geschickt werden und zwar mit dem Zusatz: Der Betroffene lebt nunmehr auf Dauer in X. Die von Ihnen gefiihrte Akte kann daher geschlossen werden. Kunftige Mitteilungen des Gerichts ergehen nur noch an die fur den neuen Wohnort des Betroffenen zustandige Betreuungsbehorde in Y. Der neu zustandigen Betreuungsbehorde sollten zusammen mit der Obemahmenachricht Kopien der aktuell gtiltigen Beschlusse ubersandt werden. Nach dem Tod des Betroffenen ist eine kurze Benachrichtigung des Vormundschaflsgerichts an die Betreuungsbehorde - soweit diese von der Bestellung des Betreuers Kenntnis hatte - hilfreich, damit auch diese ihre Akte schlieBen kann.
^^^ Vgl. S. 204.
Kapitel 16 Der Weg zum Zweiten Betreuungsrechtsanderungsgesetz
Die Zunahme der Betreuungsfalle und vor allem der Anstieg der Aufwendungen des Staates fur die Betreuungen, der diese Zunahme weit (ibersteigt^^^ hat den Gesetzgeber zu Uberlegungen uber eine Anderung des Betreuungsrechts veranlasst. Mit dem Inkrafttreten des Zweiten Betreuungsrechtsanderungsgesetzes (2. BtAndG) vom 21.04. 2005 (BGBl. I S. 1073) am 01.07.2005 sind diese Uberlegungen zu einem zumindest vorlaufigen Abschluss gekommen. Die eingetretenen Neuerungen sind in dem nachfolgenden Kapitel 17 aufgeflihrt. In dem vorliegenden Kapitel sollen vorab die Vorschlage der Bund-LanderArbeitsgruppe „Betreuungsrecht" dargesteiit und besprochen werden, die dem 2. BtAndG vorausgegangen sind. Auch wenn diese Vorschlage nur teilweise Gesetz geworden sind, sind sie doch fiir das Verstandnis des Hintergrunds der Gesetzesanderungen von Interesse und konnen zudem fiir etwaige kunftige Reformbestrebungen von Bedeutung sein.
1.
Zwischenbericht der Bund-Lander-Arbeitsgruppe „Bctreuungsrecht"
Im Juni 2001 hatte die 72. Konferenz der Justizministerinnen und -minister eine Bund-Lander-Arbeitsgruppe „Betreuungsrecht" eingesetzt, die unter dem Vorsitz des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen unter Auswenung der bisherigen Erfahrungen konkrete Vorschlage erarbeiten soil mit dem Ziel •
die Zahl der Betreuungsfalle zu reduzieren,
Vgl. S. 259.
252
Kapitel 16 Der Weg zum Zweiten Betreuungsrechtsanderungsgesetz
fehlgeleitete Ressourcen im Interesse der eigentlichen Betreuungsarbeit zu bundeln und •
die Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen auf das Notwendige zu beschranken.
Diese Arbeitsgruppe hat der 73. Konferenz der Justizministerinnen und -minister im Juni 2002 einen Zwischenbericht vorgelegt und darin konkrete Reformansatze zur Diskussion gestellt. Die nachfolgende Darstellung dieser Reformvorschlage stiitzt sich auf die Aufsatze von DieckmannlJurgeleit in BtPrax 2002, 135ff. und
a) Betreuungsvermeidung durch Vorsorgevonmacht Zum ersten schlug die Arbeitsgruppe vor, die praktische Bedeutung der Vorsorgevollmacht zu starken. Eine Vorsorgevollmacht im bisherigen Sinne, also mit der aufschiebenden Bedingung des voriibergehenden oder dauemden Verlusts der Fahigkeit des VoUmachtgebers selbst Entscheidungen zu treffen, sei jedoch fiir den Geschaftsverkehr weitestgehend wertlos, weil dieser in der Regel nicht uberprtifen konne, ob diese Bedingung nun eingetreten sei oder nicht. Daher komme es trotz derartiger Vollmachten zu Betreuungsverfahren. Als Losung dieses Problems, so die Arbeitsgruppe, solle die Vollmacht ohne jede Bedingung erteilt werden^^^. Der Gefahr des Missbrauchs durch Verwendung der mithin unbedingten Vollmacht noch vor Eintritt des Vorsorgefalls konne etwa dadurch begegnet werden, dass der Vollmachtgeber die Vollmacht nicht aushandige, sondem in seiner Wohnung aufbewahre und zunachst dem Bevollmachtigten nur erklare, wo er sie zu gegebener Zeit auffinden konne. Die Restgefahr, dass der Bevollmachtigte sich die Vollmacht bereits zuvor widerrechtlich aneigne, sei gering, weil der Vollmachtgeber ja eine Person seines besonderen Vertrauens als Bevollmachtigten auswahlen werde. Die Hinterlegung der Vollmacht bei Gericht sei keine Alternative, weil dieses bei der Frage, ob der Vorsorgefall eingetreten sei, denselben Problemen ausgesetzt sei, wie der Geschaftsverkehr bei der aufschiebend bedingten Vollmacht (Vorsorgevollmacht nach bisheriger Praxis). Ebenso unpraktikabel sei es, bei einer notariell beurkundeten Vollmacht den Notar anzuweisen, die VoUmachtsurkunde erst nach Eintritt des Vorsorgefalls auszuhandigen. Denn vielfach werde der Vorsorgefall erst langere Zeit, unter 282
Jochen Dieckmann ist Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Andreas Jurgeleit ist Richter am OLG Hamm und Referatsleiter im Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen. Der von der Arbeitsgruppe hierftir gewahlte Begriff der „Aul3envollmacht" ist zwar griffig, aber inhaltlich unklar.
1 Zwischenbericht der Bund-Lander-Arbeitsgruppe „Betreuungsrecht"
253
Umstanden Jahrzehnte, nach Beurkundung eintreten. Im Ubrigen sei auch hier die Frage, wie der Notar den Eintritt des Vorsorgefalls iiberprufen solle. Obschon gesetzlich nur in bestimmten Fallen gefordert, solle fiir die notarielle Beurkundung dieser Vollmacht geworben werden, da notariell beurkundete Vollmachten im Geschaftsverkehr durchweg unproblematisch akzeptiert wurden. Problematisch sei allerdings, dass diese Empfehlung die Schwelle fiir die Erteilung einer unbedingten Vorsorgevollmacht wesentlich erhohen wtirde, so dass durch sie das Ziel, die Zahl der Vorsorgevollmachten zu maximieren, verfehlt werden konne. Als Alternative zur notariellen Beglaubigung konne^^"^ eine gesetzliche Beglaubigungskompetenz fur die Betreuungsbehorden geschaffen werden, um durch einen von diesen erstellten Beglaubigungsvermerk die Akzeptanz der Vollmacht zu erhohen. Durch Gesprache mit der Bankenaufsicht und dem Bankenverband musse eine praktikable Losung gefunden werden, dass eine solche behordlich beglaubigte Vollmacht auch von den Banken akzeptiert werde und die Banken von ihrer bisherigen Praxis abwichen, nur Vollmachten ihres Hauses anzuerkennen, die zudem auf ihrer Geschaftsstelle unterzeichnet sein mussten. Damit das Vormundschaftsgericht im Vorsorgefall schnellstmoglich von der Existenz der Vorsorgevollmacht erfahrt, werde die Einrichtung einer bundeszentralen Kartei zur Registrierung von Vorsorgevollmachten mit jederzeitigem Zugriffsrecht der Vormundschaftsgerichte zu schaffen sein. Dort soil dann aber nicht die Original-Vorsorgevollmacht hinterlegt, sondern lediglich erfasst werden, wer Bevollmachtigter ist und in welchem Umfang er bevollmachtigt ist. Um die Rechtsklarheit fiir die Vollmachtgeber, auch fiir den Rechtsverkehr zu erhohen, solle eine bundeseinheitlich Mustervorsorgevollmacht mit entsprechender Informationsbroschtire geschaffen werden. In die erforderliche Werbung fiir die vorstehend umschriebene neue Vorsorgevollmacht sollten die Banken und Sparkassen, die Massenmedien, die Kirchen und neu einzurichtende ortliche Beratungsstellen einbezogen werden. Auf den Chipkarten der Krankenkassen konne ein Hinweis auf das Vorliegen einer Vorsorgevollmacht vorgesehen und die Arzteschaft konne gesetzlich zu entsprechenden Hinweisen verpflichtet werden.
In Anlehnung an die in § 59 SGB VIII fur die Jugendamter eingefiihrte Regelung.
254
Kapitel 16 Der Weg zum Zweiten Betreuungsrechtsanderungsgesetz
b) Einfiihrung einer gesetzlichen Vertretungsbefugnis fiir Ehegatten, Lebenspartner und erwachsene Kinder Als weitere Moglichkeit, die Zahl der Betreuungsfalle zu reduzieren, stellte die Arbeitsgruppe zur Diskussion, durch entsprechende neue gesetzliche Bestimmungen Ehegatten und Partnem eingetragener Lebenspartnerschaften untereinander und erwachsenen Kindem ihren Eltern gegentiber gesetzliche Vertretungsbefugnis einzuraumen. Mit der Befiignis zusammen lebender Ehegatten, Geschafte zur Deckung des angemessenen Lebensbedarfs mit Wirkung fur und gegen den anderen abzuschlieBen, § 1357 I BGB^^^ die gemaB § 8 Satz 2 LPartG^^^ auch fiir die Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft gelte, gebe es bereits eine gesetzliche Regelung, die in diese Richtung weise. Weiter bildeten Eheleute eine Wirtschafltsgemeinschaft, §§ 1356, 1360 BGB. Ehegatten und Partner einer eingetragener Lebensgemeinschafl seien einander unterhaltspflichtig, § 1360 BGB, § 5 LPartG; sie trugen gemal3 § 1353 I 2, 2. Halbsatz bzw. §2 Satz 2 LPartG fiireinander Verantwortung, woraus sich etwa die Pflicht des einen Ehegatten herleite, den anderen im Fall einer psychischen Erkrankung in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen^^^. SchlieBlich seien die Ehegatten grundsatziich zur hauslichen Gemeinschaft verpflichtet, § 1353 BGB. In diese wechselseitigen Verpflichtungen fxige sich zwanglos auch eine noch zu schaffende gesetzliche Regel ein, wonach Ehegatten, zumindest im Falle eines Notfalls, untereinander gesetzliche Vertreter seien. Hinsichtlich erwachsener Kinder seien diese und die Eltern untereinander beistandspflichtig, § 1618 a BGB. Auch hier bestehe mithin ein Ankniipfungstatbestand fiir eine wechselseitige gesetzliche Vertretungsbefugnis. Da hier jedoch eine Wirtschaftsgemeinschaft nicht vorliege - § 1357, 1360 BGB gelten hier nicht - sollte die Vermogenssorge von dieser Vertretungsmacht ausgenommen werden. Akzeptanzprobleme in der Bevolkerung seien nicht zu befiirchten. In Umsetzung des Rechtsgedankens des § 1353 BGB sei ohnehin die Vorstellung verbreitet, man sei zumindest im Notfall untereinander vertretungsbefugt. Eine entsprechende Gesetzesanderung konne das bisherige Auseinanderfallen von sozialem Empfmden rechtlicher Wirklichkeit beseitigen. Zur Gewahrleistung der Privatautonomie jedes einzelnen Beteiligten solle jedoch die MogHchkeit bestehen, die Vertretungsregelung durch Einzelvollmacht 285 286
Frtiher als „Schlusselgewalt" bezeichnet. Gesetz tiber die Eingetragene Lebenspartnerschaft = Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG) vom 16. Februar 2001 BGBl I 266. Unter Berufung auf eine Entscheidung des Reichsgerichts, veroffentlicht in der Entscheidungssammlung des Reichsgerichts in Zivilsachen (RGZ) 70, 48 [50f.].
1 Zwischenbericht der Bund-Lander-Arbeitsgruppe „Betreuungsrecht"
255
abweichend von der gesetzlichen Regelung zu gestalten oder die durch Gesetz bestehende Vollmacht auch zu widerrufen, unter Umstanden mit Eintrag des Widerrufs in das Eheregister, § 1412 BGB. Wie schon die Vorsorgevollmacht miisse auch die Vertretungsmacht der genannten Angehorigen untereinander bedingungslos wirken, da nur so eine Betreuung vermieden werden konne. Die Missbrauchsmoglichkeiten seien uberschaubar: Gesetzliche Sozialversicherer wie auch private Versicherungen wtirden Pflegebedurftigkeit, Erwerbsunfahigkeit usw. selbst prufen. Die Gesundheitssorge stehe unter Kontrolle der Arzteschaft, die Auflosung der Wohnung und der Abschluss eines Heimvertrages konnten der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts unterstellt werden. Der Zugriff auf das Girokonto konnte durch gesetzliche Regelung auf monatliche Hochstbetrage beschrankt werden. Die Vertretungsmacht der Ehegatten untereinander sei den Beschrankungen der §§ 1795, 1821, 1822 BGB zu unterstellen. Widerspruchsrechte des Vertretenen seien zu normieren. Zur Umsetzung der umschriebenen Vertretungsregelungen schlug die Arbeitsgruppe folgende neue gesetzliche Bestimmungen vor^^^: § 1896 BGB-E (2)^^^ ^Ein Betreuer darf nur fur die Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. ^Die Betreuung ist nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Volljahrigen /. durch einen Bevollmdchtigten, der nicht zu den in § 1897 Abs. 3 bezeichneten Personen gehort, oder 2. durch einen hierzu befugten Angehorigen in den Fallen des § 1358, § 1904 Abs. 3, § 1906 Abs. 6, § 1907 Abs. 3 oder 3. durch andere Hilfen, bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden konnen. ^Eine Vollmacht nach Satz 2 Nr. 1 geht einer gesetzlichen Vertretungsbefugnis nach Nr. 2 vor, wenn der Dritte bei Vomahme des Rechtsgeschafts die Vollmacht kennt oder kennen muss. § 1904 BGB-E (3) ^Erkldrungen, die auf die Vomahme einer Untersuchung des Gesundheitszustandes, einer Heilbehandlung oder eines drztlichen Eingriffs gerichtet sind, konnenjeweils allein auch von Ehegatten bzw. Lebenspartnern, die nicht getrennt leben, von Eltern, von Kindern abgegeben w^erden. ^Absatz 1 gilt auch fur diese Erkldrungen. ^Im Ubrigen gilt § 1901 Abs. 2 bis 4 entsprechend. ^Sdtze 1 bis 3 gelten nicht, sofern ein entgegenstehender Wille des Betroffenen 288 289
Unter Verweis mf Probst/Knittel, ZRP 2001, 55 [59f.]. Das „E" steht flir „Entwurf', die geklammerte Ziffer {Ziffer) flir den Absatz. Die kursiven Hervorhebungen in den Entwurfsvorschriften sind aus dem Aufsatz iibernommen.
256
Kapitel 16 Der Weg zum Zweiten Betreuungsrechtsanderungsgesetz
gegeniiber dem Arzt, der Klinik oder einem der genannten Angehorigen bekundet wurde. § 1906 BGB-E (6) ^Mafinahmen nach Abs. 1 konnen jeweils allein auch von Ehegatten oder Lebenspartnern, die nicht getrennt leben, von Eltern, von Kindern getroffen werden. ^Dasselbe gilt fUr die Erkldrung der Einwilligung in Mafinahmen nach Abs. 4. ^Die Absdtze I bis 4 sowie § 1904 Abs. 3 Satz 3 und 4 gelten entsprechend. § 1907 BGB-E (4) ^ Willenserkldrungen, die auf den Abschluss oder die Beendigung eines Mietverhdltnisses fiber selbst genutzten Wohnraum oder eines Heimvertrages gerichtet sind, konnen jeweils allein auch von Ehegatten oder Lebenspartnern, die nicht getrennt leben, von Eltern, von Kindern (oder Enkeln) abgegeben werden. ^§ 1358 Abs. 2 und 5 sowie § 1901 Abs. 2 - 4 gelten entsprechend. ^Im Ubrigen giltfiir diese Erkldrungen Absatz 1 entsprechend. § 1358 BGB-E (1) Sofern Ehegatten oder Lebenspartner nicht getrennt leben, kann jeder Ehegatte oder Lebenspartner im Namen und mit Wirkung fiir den anderen die zur Verwaltung seines Vermogens gehorenden Angelegenheiten rechtlich besorgen. (2) Ein Rechtsgeschdft, das fiir den anderen Ehegatten oder Lebenspartner nicht lediglich rechtlich vorteilhaft ist, wird gegeniiber dem anderen Teil erst wirksam, wenn der andere Ehegatte oder Lebenspartner diesem gegeniiber nicht binnen 2 Wochen nach Vornahme des Rechtsgeschdfts schriftlich widerspricht. (3) ^Rechtshandlungen, in denen ein Vormund von der Vertretung seines MUndels nach § 1795 ausgeschlossen ist, sind unwirksam. ^Rechtshandlungen, fiir die ein Vormund gemdfi §1821 oder § 1822 eine Genehmigung benotigt, oder die eine Verfiigung iiber das Vermogen als Ganzes oder iiber Haushaltsgegenstdnde bewirken, bediirfen der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. (4) ^Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn der andere Ehegatte oder Lebenspartner nicht innerhalb der in Absatz 2 genannten Frist widersprochen hat; dies gilt nicht, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist. "^Im Ubrigen gelten § 1365 Abs. 2 und§ 1369 Abs. 2, § 1829 und § 1930 entsprechend (5) Die Berechtigung des anderen Ehegatten zur Besorgung rechtlicher Angelegenheiten im Sinne des Absatz 1 kann diesem gegeniiber durch notariell beurkundete Erkldrung jederzeit ausgeschlossen werden. §1412 BGB gilt entsprechend.
1 Zwischenbericht der Bund-Lander-Arbeitsgruppe „Betreuungsrecht"
c)
257
Vergiitung von Berufsbetreuern
Ein weiterer Vorschlag der Arbeitsgruppe ging dahin, zur Vergutung der Berufsbetreuer moglichst verbindliche und unabhangig vom Einzelfall zugeschnittene Pauschalen einzufuhren, die auch den Auslagenersatz einschlieBen. Dadurch sollten die Vormundschaftsgerichte weitestgehend von der Priifung der Vergiitungs- und Auslagenabrechnungen der Berufsbetreuer entlastet werden, die, so die Arbeitsgruppe, derzeit einen GroBteil der Gesamtarbeitszeit der Vormundschaftsgerichte in Anspruch nehmen. Die (vor dem Inkrafttreten des 2. BtAndG) bestehende Moglichkeiten, die Vergtitungsanspruche (nicht aber den Auslagenersatz) zu pauschalieren, § 1836 b I Nr. 1 BOB, und die fur die Fuhrung der Betreuung abrechnungsfahige Zeit zu begrenzen, § 1836 b I Nr. 2 BOB batten sich in der Praxis nicht bewahrt.
Zur Bestimmung der Pauschalen sollten Grundtatbestande gebildet werden. Die Abgrenzung dieser Grundtatbestande konnten erfolgen nach •
dem Alter der Betroffenen (18 - 39; 40 - 69; 70 und alter),
•
dem fiir die Notwendigkeit der Betreuung mafigeblichen Krankheitsbild (psychische Erkrankung; Demenz; Sucht),
•
nach dem Aufenthaltsort des Betroffenen (zu Hause oder in einer Einrichtung),
•
nach der Zahl der aufgewandten Stunden und Hohe des Aufwendungsersatzes und
•
nach der Dauer der Betreuung ( 1 . - 3 . Monat; 4. - 6. Monat; 7. - 12. Monat; sodannjahrlich).
Des weiteren sei die Einrichtung zentraler Abrechnungsstellen auf Landesebene zu erwagen. Hierdurch konnten Uber den Bezirk eines einzelnen Amtsgerichts hinaus eine bessere Kontrolle der Betreuerabrechnungen erfolgen und Missbrauche besser aufgedeckt werden. SchlieBlich sei eine Verpflichtung der Betreuer zu wirtschaftlichem Handeln ins Gesetz aufzunehmen. So konne etwa unterbunden werden, dass etwa Briefe in kurzer Zeit einzeln, jeweils mit einem Zeitaufwand von 15 Minuten zur Post gebracht wurden oder dass Bewohner desselben Heimes an unterschiedlichen Tagen aufgesucht wiirden, wobei jeweils neu Fahrtzeiten und -auslagen anfielen.
258
d)
Kapitel 16 Der Weg zum Zweiten Betreuungsrechtsanderungsgesetz
Verfahrensrecht
Hier schlagt die Arbeitsgruppe vor, bei eindeutiger Betreuungsbedtirftigkeit start eines arztlichen Gutachtens ein arztliches Artest genugen zu lassen. Hierbei sei insbesondere an das Krankheitsbild der Altersdemenz zu denken. e)
Erforderlichkeit
Der Erforderlichkeitsgrundsatz bedeute, dass die Bestellung eines Betreuers nur zum Ausgleich von Defiziten mit rechtlichem Bezug diene, nicht aber der Gestaltung des Alltags des Betroffenen. Letzteres sei Aufgabe einer sozialen Betreuung. Der Beachtung des in diesem Sinne verstandenen Erforderlichkeitsgrundsatzes mtisse mehr Geltung verschafft werden. Zur Konkretisierung verwies die Arbeitsgruppe auf die von den Obergerichten entwickelten Grundsatze: Danach komme die Bestellung eines Betreuers bei verfassungskonformer Auslegung von § 1896 I 1 BGB nur in Betracht, wenn der Betroffene krankheitsbedingt seinen Willen nicht frei bestimmen konne. Hilfebedarf, bei dem sich auch ein gesunder Mensch Hilfe eines anderen (Rechtsanwalt, Steuerberater) bediene, rechtfertige in der Regel nicht die Bestellung eines Betreuers, es sei denn der Betroffene sei krankheitsbedingt auch zum Aufsuchen der entsprechenden Hilfsmoglichkeiten auBerstande. Der Aufgabenkreis des Betreuers sei so eng wie moglich zu fassen, eine „Vorratsbetreuung" sei unzulassig. Von Altenheimen wiirden vermehrt Betreuungen beantragt, wenn der Personalausweis zu verlangem sei, Sozialleistungen beantragt werden mussten oder Begleitung beim Einkauf erforderlich sei. Soweit diese Aufgaben aber in dem Leistungskatalog des Heimes enthalten sei, sei eine Betreuung nicht erforderlich. Die Uberwachung der Einhaltung des Heimvertrages konne durch die Heimaufsicht erfolgen, so dass auch hierfiir nicht die Notwendigkeit der Bestellung eines Betreuers bestehe. f)
Veranderung in den Betreuungsstrukturen
Die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten und den Betreuungsbehorden gestalte sich teilweise schwierig. Die Gerichte seien an die Gutachten der Betreuungsbehorden nicht gebunden, so dass es an einer institutionalisierten Verbindlichkeit in der Zusammenarbeit fehle. Es sei daher zu uberlegen, ob man das Nebeneinander dieser beiden Behorden nicht aufgeben und die im Betreuungsverfahren zu treffenden Entscheidungen den Betreuungsbehorden iibertragen solle.
2 Stellungnahme zu dem Zwischenbericht der Bund-Lander-Arbeitsgruppe
259
Hilfebediirftige Menschen und ihre Angehorigen batten eine hohe Schwellenangst und kein Verstandnis dafur, jetzt auf einmal etwas mit dem Gericht zu tun haben zu miissen. Gegeniiber Behorden durften entsprechende Angste nicht zu beflirchten sein. Durch die einheitliche Zustandigkeit dieser Behorde konnten zudem die derzeit teilweise anfallende Doppelarbeit, etwa bei Hausbesuchen des Betreuungsrichters einerseits und der Betreuungsbehorde andererseits, vermieden werden (Synergieeffekte). Auszunehmen von der Ubertragung auf die Betreuungsbehorden seien Entscheidungen, flir die ein Richtervorbehalt bestehe. Dies sei aber nur der Fall •
im Rahmen von Unterbringungsentscheidungen (Art. 104 II GG),
•
bei Durchsuchungen der Wohnung des Betroffenen (Art. 13 II GG) und - zur Sicherung eines wirkungsvollen Grundrechtsschutzes -
•
bei schwerwiegenden betreuungsrechtlichen MaBnahmen, wenn sie wegen Eilbedurftigkeit sofort vollzogen werden miissten und somit eine (nachfolgende) gerichtliche Entscheidung ins Leere laufen wUrde. Letzteres sei anzunehmen bei der Bestellung eines Betreuers fiir alle Angelegenheiten, der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts (§ 1903 BOB), bei der Genehmigung gefahrlicher arztlicher MaBnahmen (§ 1904 BOB), der Sterilisationsgenehmigung (§ 1905 BOB) und Anordnungen der Vorfahrung zur Anhorung Oder zur Untersuchung (§ 68 III FOG und § 68 b III FGG).
2.
Stellungnahme zu dem Zwischenbericht der Bund-Lander-Arbeitsgruppe
a) Stetige Zunahme der Zahlen anhangiger Betreuungen und der staatlichen Aufwendungen fiir die Berufsbetreuungen Den Hintergrund der derzeitigen Reformbestrebungen bilden in erster Linie fiskalische Erwagungen. Das Betreuungsrecht ist zu teuer geworden. Das liegt an den stetig steigenden Zahlen der Betreuungsfalle einerseits und an den ebenso stetig, aber noch deutlich starker steigenden Aufwendungen der Staatskasse fur die Berufsbetreuer andererseits. Und diese Zahlen sind zweifellos eindrucksvoll:
260
Kapitel 16 Der Weg zum Zweiten Betreuungsrechtsanderungsgesetz
Tabelle 6: Gesamtzahlen Betreuungen im Bundesgebiet 1998 - 2001 Stand 31.12.1998
Stand 31.12.1999
Stand 31.12.2000
Stand 31.12.2001
Absolute Zahl
797.642
857.582
924.714
986.392
Steigerung 1 ggti. Vorjahr
56.635 = 7,6 %
59.940 = 7,5 %
67.132 = 7,8 %
= 6,7 % 1
61.678
Quelle fur die Zahlen: Deinert in BtPrax 2002, 205, unter Bezugnahme auf das Bundesministerium der Justiz, die Justiz- und Sozialministerien der Bundeslander und (iberortliche Betreuungsbehorden. Tabelle 7: Aufwendungen der Staatskasse flir Betreuervergutungen und Aufwendungs ersatz (in DM)
Absolute Zahl Steigerung 1 ggii. Vorjahr
1998
1999
2000
2001
409.512.387
480.948.951
572.474.478
651.810.733
71.436.564 = 17,44%
91.525.527 = 19.03%
79.336.225
= 13,86% 1
Quelle fiir die Zahlen: Deinert in BtPrax 2002, 205 mit dem Hinweis, dass die Zahlen aus Hamburg bis 2000 auch Kosten fur Sachverstandigengutachten, Fahrtkosten fur Richter usw. beinhalten und fur das Saarland die Angaben fur das Jahr 2001 nicht enthalten sind. Diese Ungenauigkeiten bleiben hier auBer Acht. Auf dem Hintergrund solcher Zahlen sind die Reformbemiihungen verstandlich und auch berechtigt. Gleichwohl mussen die hierzu gefundenen Vorschlage der Arbeitsgruppe in wesentlichen Punkten in Frage gestellt werden. b) Kritik an den Vorschlagen der Arbeitsgruppe (1) Zur Stdrkung der Vorsorgevollmacht Die Bedenken, die bisherige, aufschiebend bedingte, Vollmacht sei fur den Geschaftsverkehr weitgehend wertlos, so dass es gleichwohl zu Betreuungsverfahren komme, durfte zutreffen. Ein Werben flir die Erteilung unbedingter Vollmachten ist die logische Konsequenz aus diesem Schwachpunkt. Auch der Hinweis, diese Vollmachten notariell beurkunden zu lassen, ist nachvollziehbar, um ihre Akzeptanz zu erhohen.
2 Stellungnahme zu dem Zwischenbericht der Bund-Lander-Arbeitsgruppe
261
Es besteht Anlass, nachdrucklich auf die Hoherwertigkeit einer notariellen Beurkundung gegeniiber einer - sei es auch notariellen - Beglaubigung hinzuweisen, wie es ja auch in dem Zwischenbericht in erfreulicher Deutlichkeit geschehen ist^^^. Bei der Beurkundung uberpruft der Notar die Geschaftsfahigkeit des Vollmachtgebers und nimmt etwaige Ansatze ftir Zweifel in die Urkunde auf. Bei konkreten Zweifeln wird er die Vorlage eines zumindest hausarztlichen oder auch psychiatrischen Attests fordem bzw. bei Offenkundigkeit der Geschaftsunfahigkeit die Beurkundung von vomeherein ablehnen. Damit begrtindet die Beurkundung eine so Starke Vermutung der Geschaftsfahigkeit des Vollmachtgebers im Zeitpunkt der Beurkundung, dass diese in der Praxis kaum zu widerlegen ist. AuBerdem wird der VoUmachtgeber grtindlich und ftir ihn verstandlich Uber die rechtliche Bedeutung der von ihm erteilten Vollmacht belehrt, so dass auch Zweifel an der Authentizitat des erklarten Willens weitestgehend ausgeschlossen sind. Die Uberprtifting der Identitat des Vollmachtgebers ist selbstverstandlich und sei nur der Vollstandigkeit halber mit erwahnt. Ftir die korrekte Einhaltung dieser Amtspflichten tragt der Notar die voile Haftung. Bei der bloBen notariellen Beglaubigung beschrankt sich die Priifungspflicht und damit auch die Haftung des Notars dagegen auf die Identitat und auf den Ausschluss erkennbar unredlicher Zwecke und offenkundiger Geschaftsunfahigkeit. Aus diesen Grunden wird eine notariell beurkundete Volimacht schon jetzt von den Banken durchweg anerkannt, nicht dagegen eine nur beglaubigte Vollmacht, selbst wenn der Beglaubigungsvermerk von einem Notar herruhrt. Gleichwohl erscheint es fraglich, ob diese Vorschlage von der Bevolkerung in nennenswertem Umfang aufgenommen werden. Es gibt auch eine Schwellenangst dem Notar gegeniiber. Und gegenuber einer unbedingten Vollmacht bestehen oft auch dann subtile Bedenken, wenn der VoUmachtgeber eine Vertrauensperson ist und die Vollmachtsurkunde zunachst nicht ausgehandigt wird. Belastete Beziehungen der alt gewordenen Eltem zu ihren Kindem werden der Erteilung einer solchen Vollmacht entgegenstehen, mehr aber noch auch Streit der Kinder untereinander, auch wenn das Verhaltnis jedes einzelnen zu den Eltern durchaus normal ist. Insgesamt kann man diesen Weg aber schon einmal versuchen. Gegen die Einflihrung einer Beglaubigungskompetenz fur die Betreuungsbehorden ist ebenfalls nichts einzuwenden. Allerdings ist seit Einflihrung der GroBlandkreise der Weg zum Landratsamt oft weit. Es wiirde sich also eher anbieten, dass die Betreuungsbehorde bei dem Hausbesuch zur Vorbereitung eines Sozialberichts in geeigneten Fallen eine solche Vollmacht aufnimmt. Bei Landem,
Dieckmann/Jurgeleit Bt?r?LX 2002, 138f
262
Kapitel 16 Der Weg zum Zweiten Betreuungsrechtsanderungsgesetz
in denen die Amtsgerichtsbezirke noch Uberschaubar sind, konnte man auch an eine Beglaubigungskompetenz fiir den Rechtspfleger denken. Im hessischen Wetteraukreis bestehen ein Landratsamt mit einer AuBenstelle, aber fiinf Amtsgerichte. Hier ist das Amtsgericht regelmafiig einfacher zu erreichen, als die Betreuungsbehorde. Dass die Schwellenangst dem Gericht gegenuber hoher ist, als gegentiber dem Landratsamt, stimmt jedenfalls bei den kleinen, wohnortnahen, Amtsgerichten nicht. In Landem mit groBen Amtsgerichtsbezirken ware auch an eine entsprechende Beglaubigungskompetenz fiir die Gemeinde zu denken. Dem eigenen Rathaus gegenuber ist die Schwellenangst am niedrigsten. Problematisch ist hier aber die im Gegensatz zu den Betreuungsbehorden geringere Kompetenz der Mitarbeiter. AbschlieBend hierzu ist noch anzumerken, dass im Vorsorgefall trotz erteilter Vollmacht ein (Kontroll-)Betreuer bestellt werden muss, wenn der Betroffene auBerstande ist, den Vollmachtnehmer zumindest im GroBen und Ganzen zu tiberwachen^^'. (2) Gesetzliche Vertretungsbefugnis fiir Angehorige^^^ Gegen den Vorschlag einer gesetzlichen Vertretungsbeflignis fiir Ehegatten/ Lebenspartner sowie erwachsene Kinder/ Eltem untereinander und offenbar auch Enkeln den GroBeltern gegenuber (§ 1907 BGB-E Absatz 4!) bestehen jedoch gravierende Bedenken. Bleibt es bei der unbedingten VorsorgevoUmacht noch im Ermessen des Betroffenen, ob er sie erteilen will, wird er hier nicht einmal gefragt. Es ist wohl an eine Widerspruchslosung gedacht, wie sie bereits bei dem Transplantationsgesetz in der Diskussion war, aber nicht Gesetz wurde. Die Frage einer von einer Einwilligung unabhangigen gesetzlichen Vertretung im Vorsorgefall wirkt jedoch fiir das Leben und nicht erst, wie die Organentnahme, nach dem Tod. Und was die Schwellenangst angeht, ist diese gegenuber Notar und Eheregister zur Abgabe einer Erklarung gemaB § 1412 BGB nun wirklich hoch. Unter Berucksichtigung des viel beklagten und ja auch real vorhandenen Zerfalls familiarer Bindungen in unserer Zeit wirkt im Ubrigen diese Regelung nicht nur anachronistisch, sondem ist unter den gegebenen Familienverhaltnissen auch insoweit sachlich nicht vertretbar. Ein in der Praxis haufiges Problem ist die Uneinigkeit mehrerer Kinder uber die weitere Versorgung der Eltern. Hier stehen widersprtichliche Entscheidungen
^^'
Vgl. oben S. 26. Vgl. hierzu auch der Aufsatz von Klie BtPrax 2002, 91.
2 Stellungnahme zu dem Zwischenbericht der Bund-Lander-Arbeitsgruppe
263
der Kinder zu befurchten, die zunachst erhebliche Verwirrung stiften werden, bevor dann eben doch ein Betreuer bestellt werden muss. Dabei miisste auch noch der Wegfall oder das Ruhen der gesetzlichen Vertretungsmacht der Angehorigen vorgesehen werden, wenn ein Betreuer bestellt ist. Wenn man gleichwohl die gesetzliche Vertretungsbefugnis ermoglichen will, kommt einzig eine Zustimmungsiosung wie im Transplantationsgesetz in Betracht. Hiergegen, aber auch wirklich nur hiergegen, bestehen keine Bedenken. In den vorgeschlagenen gesetzlichen Bestimmungen ist vielfach die Bedingung „die nicht getrennt leben" enthalten. Das ist zwar der Sache nach angebracht, ersetzt aber die zu Anfang des Zwischenberichts verworfene bedingte Vollmacht durch eine bedingte gesetzliche Vertretungsbefugnis. SchlieBlich sieht § 1958 BGB-E Absatz 4 am Ende vor, dass die gerichtliche Genehmigung im Eilfall auch vor Ablauf der Widerspruchsfrist erteilt werden kann. Folge ware eine zwar gerichtlich genehmigte, aber mangels Ablaufs der Widerrufsfrist gleichwohl noch unwirksame Willenserklarung. Selbst, wenn die vorgesehene Regelung Gesetz wiirde, ware es fraglich, ob sie zu wesentlichen Einspareffekten fuhrt. Denn wo geeignete Angehorige zur Verfligung stehen, werden sie schon jetzt als Betreuer eingesetzt. Wo dies aber nicht der Fall ist, greift auch die vorgesehene Gesetzesanderung nicht. Ein gewisser Einspareffekt konnte sich allenfalls durch den Wegfall der Aufwandsentschadigung fur ehrenamtliche Betreuer ergeben, da dieser den gesetzlich vertretenden Angehorigen wohl nicht gewahrt werden soil. (3) Verschdrfung des Erforderlichkeitsgrundsatzes Die Einhaltung der Abgrenzung der rechtlichen zur sozialen Betreuung ist Anliegen auch des vorliegenden Buches^^^ und wird daher untersttitzt. Dasselbe gilt ftir die Unzulassigkeit einer „Vorratsbetreuung" und fur die Aussage, dass kein Betreuer bestellt werden darf, wenn auch ein Gesunder fachliche Hilfe, z. B. einen Rechtsanwalt in Anspruch nehmen wiirde, es sei denn, der Betroffene ist krankheitsbedingt auch zum Aufsuchen der entsprechenden Hilfsmoglichkeiten aul3erstande^^^ Die Auffassung, soweit die Heime es Ubemahmen, Personalausweise zu verlangem Oder Sozialleistungen zu beantragen, mache dies eine Betreuung entbehrlich, ist allerdings unrichtig. Das sind ja nun wirklich Kernaufgaben rechtlicher Betreuung und ein in der Praxis vielleicht funktionierendes Handeln des Heims im rechtsfreien Raum steht aul3erhalb der Rechtsordnung, die hier eben das Rechts
^^^ Vgl. S. 2 Abschnitt 2. ^^^ Vgl. oben S. 12 Abschnitt (2).
264
Kapitel 16 Der Weg zum Zweiten Betreuungsrechtsanderungsgesetz
institut der Betreuung bereithalt, um die wirksame rechtliche Vertretung des Betroffenen und damit die Wahrung seiner Pers5nlichkeitsrechte zu sichem. Wegen moglicherweise auftretender Probleme beim Handeln ohne wirksame Vertretungsbeftignis wird beispielhaft auf den Abschnitt „Arzthaftungs probleme im betreuungsfreien Raum", oben S. 117 verwiesen. Die dortigen Ausfiihrungen gelten uber das Arztrecht hinaus in alien rechtlichen Bezugen eines selbst nicht mehr Erklarungsfahigen entsprechend. Insoweit geht auch der in dem Zwischenbericht enthaltene Hinweis, die Ausiibung der Vertretungsmacht der Angehorigen werde ja von der Arzteschaft kontrolliert, fehl. Es stellt keine Negierung bestehender Probleme dar, sondern ist Fakt, dass das Rechtsinstitut der Betreuung von den Betroffenen, soweit sie sich noch erklaren konnen und von ihren Angehorigen ganz uberwiegend als Rechtswohltat wahrgenommen wird und nicht als Entrechtung. Das ist auch nachvollziehbar: In den meisten Betreuungsfallen beruht die Entrechtung nicht auf dem Betreuungsbeschluss, sondern auf dem diesem vorausgegangenen korperlichen oder geistigen Verfall - und der Betroffene (soweit insoweit noch kritikfahig) weiB das! Durch die Bestellung des Betreuers wird nun also ganz im Gegenteil seiner Entrechtung entgegengewirkt, weil durch sie die ihm selbst krankheitsbedingt nicht mehr mogliche Wahrnehmung seiner Interessen wieder gewahrleistet ist. (4) Pauschalenfur Vergiltung undAuslagenersatz der Berufsbetreuer Grundsatzlich erscheint dieser Gedanke sinnvoll und sollte weitergefiihrt werden. StoBrichtung dieses Reformgedankens ist auch die zwar wohl zuriickgegangene, aber doch immer wieder auftretende Uberbetreuung durch Berufsbetreuer. Die Bestimmung der Pauschalen wird noch rechtstatsachliche Auswertungen und Erwagungen erfordem^^^, so dass der Zwischenbericht zu Recht derzeit von der Presentation konkreter Zahlen absieht. (5) Vbertragung der Betreuerbestellung auf die Betreuungsbehorden Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Ubertragung der bisher den Gerichten obliegenden betreuungsrechtlichen Angelegenheiten auf die Betreuungsbehorden von Verfassung her moglich ware, kann im Rahmen dieses Buches
295
Literaturhinweis zu diesem Thema: Heft 08/1999 der Verbandszeitung des Bundesverbandes der BerufsbetreuerZ-innen BdB, herunterzuladen im Internet als pdf Datei unter http://www.betreuung.de, dort unter „downloads".
2 Stellungnahme zu dem Zwischenbericht der Bund-Lander-Arbeitsgruppe
265
nicht erfolgen. Immerhin erscheint dies in dem von dem Zwischenbericht angedachten Umfang nicht von vomherein ausgeschlossen. Wie bereits ausgefiihrt ist die Schwellenangst gegentiber dem Gericht im allgemeinen nicht hoher als gegentiber dem Landratsamt. Unnotige Doppelarbeit von Gericht und Betreuungsbehorde wird bereits jetzt weitgehend vermieden, wenn der Betreuungsrichter eine Erstanhorung vomimmt und einen Sozialbericht nur im begriindeten Einzelfall anfordert, wenn nach dem Ergebnis der Erstanhorung hierfiir Anlass besteht^^^. Der eigentliche Anlass flir den Vorschlag, die Bestellung des Betreuers der Betreuungsbehorde zu iibertragen, ist aber ersichtlich, dass diese - anders als das Vormundschaftsgericht - in hierarchischer Weisungsgebundenheit steht. Damit wtirde auf diesem Weg die bisher nicht bestehende Moglichkeit eroffnet, durch Weisung innerhalb der Verwaltung die Zahl der Betreuungen zu beschranken. Eine entsprechende Notwendigkeit mag schmerzlich, aber angesichts der in Tabelle 7 (S. 260) aufgefiihrten Ausgabenexplosion vom Ergebnis her zu rechtfertigen sein. Gleichwohl wurde eine dermaBen umfassende Ausgabenverlagerung kurz- und auch mittelfristig nicht nur keine fmanzielle Entlastung bringen, sondem gravierende Mehraufwendungen auslosen. Die Betreuungsbehorden, die - wie auch der Zwischenbericht nicht verkennt - teilweise so schwach besetzt sind, dass schon ihre Arbeitsfahigkeit in Frage steht, miissten personell, materiell und raumlich massiv verstarkt werden. Eine entsprechende Verkleinerung der Gerichte ist, was die Richter angeht, aufgrund deren verfassungsrechtlich geschiitzter Unversetzbarkeit praktisch ausgeschlossen und auch im Ubrigen aufgrund der Zugehorigkeit der Gerichte zu einem anderen Ministerium nur in sehr geringem Umfang denkbar. Die Kenntnisse und Erfahrungen der betroffenen Mitarbeiter der bisher zustandigen Gerichte wurden nicht mehr genutzt und damit verktimmem, die Betreuungsbehorden miissten dagegen ein entsprechendes Kompetenzpotential mit viel Miihe und Kosten erst einmal aufbauen. Bis dieser Aufbau abgeschlossen ist, sind monate- bis ja^irelange Nachteile ftir die ohnehin benachteiligten Betreuungsbediirftigen von vornherein absehbar unvermeidlich.
^^^ Vgl. oben S. 227 und S. 238.
266
c)
Kapitel 16 Der Weg zum Zweiten Betreuungsrechtsanderungsgesetz
Eigene Reformvorschlage
(1) Aufhebung der zmngenden Beteiligung von Sachverstdndigen und Verfahrenspflegern Entgegen dem Vorschlag der Arbeitsgruppe sollte das Betreuungsverfahren massiv entschlackt werden, well insbesondere uber die Kosten fiir Sachverstandigengutachten und Verfahrenspflegschaften auch hier massive Ressourcen gebunden sind und damit entsprechende Einsparpotentiale bestehen. Weder vor dem Zivilrichter, noch in dem verfahrensmaCig von Verfassungs wegen so strengen Strafprozess besteht eine auch nur ansatzweise so weit gehende Verpflichtung zur Einholung von Gutachten und Beteiligung von Verfahrenspflegschaften (im Zivilprozess Prozesskostenhilfe und Strafprozess Pflichtverteidigung genannt) wie im Betreuungs- und Unterbringungsverfahren. Und dies, obschon in Betreuungs- und Unterbringungsverfahren weit uber die Halfte, nach Erfahrung des Verfassers uber 90 % der anfallenden Fragen ohne sachverstandigen Rat gelost werden konnen und in einem ebenso hohen Anteil der Verfahren ein Interesse des Betroffenen an einer Verfahrenspflegschaft offensichtlich nicht besteht. Jedenfalls der erfahrene Betreuungsrichter braucht einen Sachverstandigen nur in Einzelfallen. (Dann aber braucht er ihn wirklich, well diese Falle es in sich haben.) In den anderen Fallen reicht es, das Vorliegen eines einfachen arztlichen Attests vorzuschreiben. Selbstverstandlich muss es dem Richter unbenommen bleiben, ein Oder mehrere Sachverstandigengutachten einzuholen, aber er sollte nicht dazu verpflichtet sein. Und die Wahmehmung der Interessen des Betroffenen liegt grundsatzlich bei dem Betreuungsrichter in guten Handen. Die Einschaltung des Richters in diese Verfahren hat doch ihren eigentlichen Grund darin, dass hier eine vollkommen unabhangige Stelle gewahrleisten soil, dass die Einhaltung der Rechte des Betroffenen eingehalten und durchgesetzt werden. Damit sollte auch die routinemaUige Einschaltung eines Verfahrenspflegers abgeschafft und seine Einsetzung im Einzelfall ins richterliche Ermessen gestellt werden. Denn es gibt ja zweifellos Falle, wo der Richter selbst die Beteiligung eines Verfahrenspflegers „als Gesprachs- und Diskussionspartner"^^^ schatzt und wunscht. 29H
Entgegen Seitz erhalten auch mangelhafte Verfahrenspfleger ihre Vergutung. Sie werden von einem verantwortungsbewussten Richter nur nicht mehr eingesetzt. Die Kontrolle des Richters durch einen von ihm selbst ausgewahlten Ver297 298
5'e/Yz BtPrax 2002, 158. S. FuBnote 297.
2 Stellungnahme zu dem Zwischenbericht der Bund-Lander-Arbeitsgruppe
267
fahrenspfleger ist ohnehin von dem Richter, also dem zu Kontrollierenden selbst, abhangig. Dann aber kann die Beteiligung eines Verfahrenspflegers auch formal in das richterliche Ermessen gestellt werden.
Natiirlich wird dadurch die Macht des Betreuungsrichters vermehrt und natiirlich kann es „schlechte" (bequeme, sich ihrer Verantwortung nicht bewusste) Betreuungsrichter geben, bei denen dies zu bedauem ware. Aber kann das durch Erzwingung der Verfahrenspflegschaft tatsachlich wesentlich gebessert werden? Der „schlechte" Betreuungsrichter wird sich schon Verfahrenspfleger suchen, die ihn nicht in Frage stellen (bis bin zu Angehorigen und Nachbarn des Betroffenen) Oder von den Moglichkeiten, von der Beteiligung eines Verfahrenspflegers abzusehen, extensiv und mit immer neuen Begrundungen Gebrauch machen. Dem „guten" Betreuungsrichter bleibt aber auch bei Wegfalls der „Zwangsverfahrenspflegschaft" die Moglichkeit erhalten, warm immer er es fiir notig erachtet, (ggf. also auch stets!) einen Verfahrenspfleger zu beteiligen. Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: In der weitaus Uberwiegenden Zahl der von einem Betreuungsrichter zu treffenden Beschlusse ist die Notwendigkeit der zu treffenden Entscheidung evident. Und in ebenso vielen Fallen fmdet ein Brechen des Willens des Betroffenen nicht statt. Es soil daher dem Richter uberlassen bleiben, einen Sachverstandigen und/oder einen Verfahrenspfleger zu beteiligen und dies lediglich vorgeschrieben werden, •
wenn eine Entscheidung zu treffen ist, die nicht evident ist und zugleich ein Brechen des (ggf. auch nur natiirlichen) Willens des Betroffenen im Raume steht Oder
•
wenn konkrete Grunde fiir ein Interesse des Betroffenen an der Beteiligung eines Verfahrenspflegers vorliegen (Umkehrung von § 6713 FGG) oder
•
wenn besondere Schwierigkeiten die Beteiligung eines Verfahrenspflegers angebracht erscheinen lassen.
(2) Zwingende Durchfuhrung einer Erstanhorung in dergewohnten Umgebung des Betroffenen Angesichts der guten Erfahrungen mit der Erstanhorung vor Ort^^^ sollte diese als erster Verfahrensschritt verbindlich vorgeschrieben werden. Hierdurch kann in vielen Fallen die Erstellung eines Sozialberichts durch die Betreuungsbehorde vermieden werden.
Vgl. oben S. 227.
268
Kapitel 16 Der Weg zum Zweiten Betreuungsrechtsanderungsgesetz
(3) Schaffung gesetzUcher Grundldgen fiir Zwangsbehandlung und Betreten der Wohnung des Betroffenen Und, wenn wir schon beim Novellieren sind (auch wenn diese beiden Punkte etwas auBerhalb dieses Kapitels angesiedelt sind): Eine gesetzliche Grundlage fiir die Frage der Zwangsbehandlung auch ohne geschlossene Unterbringung^^^ und fiir den Zutritt zur Wohnung des Betroffenen auch gegen dessen Willen^^^ ware sehr wiinschenswert!
'"'' Vgl. obenS. 199. ^^^ Vgl. obenS.201.
Kapitel 17 Das Zweite Betreuungsrechtsanderungsgesetz vom 21.04.2005
Am 01.07.2005 ist das Zweite Betreuungsrechtsanderungsgesetz (2. BtAndG) vom 21.04. 2005 (BGBl. I S. 1073) in Kraft getreten. Das zentrale Anliegen der Reform, die Kosten des Betreuungsrechts in den Griff zu bekommen, ist ein angesichts der Entwicklung der Betreuungszahlen und insbesondere der staatlichen Aufwendungen fiir die Betreuungen"^^^ unumgangliches Anliegen. Vor allem diesem Ziel dienen die durch dieses Gesetz vorgenommenen Rechtsanderungen, die nachfolgend im Einzelnen dargestellt sind.
1.
Die Pauschalierung der Vergiitung
a) Darstellung der neuen Rechtslage (1) Problemstellung Das bisherige VergUtungssystem fiir die Berufsbetreuer krankte daran, dass es nicht nur keine Anreize zum wirtschaftlichen Handeln des Betreuers enthielt, sondem unwirtschaftliches Handeln belohnte und damit geradezu dazu herausforderte: Je mehr Stunden ein Betreuer arbeitete, desto mehr verdiente er. Eine Uberprufiing der abgerechneten Stundenzahlen war nach der weitgehend einheitlichen Spruchpraxis der Gerichte kaum moglich. Dies gait vor allem fiir die Abgrenzung von rechtlicher und sozialer Betreuung^^^. Letztlich leistete die faktisch
302
Vgl. S. 259; auf eine Aktualisierung wurde verzichtet. ^^^ Vgl. S. 5.
270
Kapitel 17 Das Zweite Betreuungsrechtsanderungsgesetz vom 21.04.2005
nicht uberprufbare Abrechnung auf Stundenbasis Vorschub zu Abrechnungs unredlichkeit und damit zu Betrug.^^"^ Das 2. BtAndG stellt daher die Abrechnung der Berufsbetreuer auf Fallpauschalen urn. Bei der Bemessung der als Pauschale zuzugestehenden Betreuungsstunden wird differenziert zum einen nach der Dauer, die der Betroffene bereits unter Betreuung steht. Grund hierfiir ist, dass im allgemeinen die Betreuung in ihrer Anfangsphase mehr Arbeit macht, als im weiteren Verlauf, wenn das Wesentliche geregelt ist. Zum zweiten wird unterschieden zwischen Betreuten, die in einem Heim leben und solchen, die eine eigene Wohnung haben. MaBgeblich fiir dieses Kriterium ist, dass der Bewohner einer Einrichtung, die ja ihrerseits strukturelle Hilfen bietet, regelmaBig geringeren Betreuungsaufsvand erfordert als der Alleinlebende in einer Privatwohnung. Eine dritte Unterscheidung wird gemacht zwischen vermogenslosen Betreuten, deren Betreuungskosten bei der Staatskasse bleiben, und Betreuten, die die Betreuungskosten aus ihrem eigenen Vermogen zahlen. Bei letzteren ist die Pauschale etwas erhoht, nach der Gesetzesbegriindung mit dem Argument, dass hier die Vermogensbetreuung ja auch hoheren Aufwand verursache. Es ist das Wesen einer Pauschale, dass sie verallgemeinert und somit einzelne Betreuungen nicht mehr kostendeckend gefuhrt werden konnen. Dies soil dadurch ausgeglichen werden, dass bei der Vielzahl der von einem Berufsbetreuer zu ftihrenden Betreuungen die Betreuungen mit niedrigem Aufwand die nicht kostendeckenden Betreuungen mitfmanzieren (Gedanke der Mischkalkulation). Fur den Betreuungsrichter bedeutet dies, dass er bestrebt sein sollte, die Betreuungen, die er dem einzelnen Berufsbetreuer ubertragt, entsprechend zu „mischen". Es wird nicht einfach sein, dem gerecht zu werden, zumal, wenn der Betreuer fur mehrere Richter oder, wie es haufig vorkommt, gar fiir mehrere Gerichte Betreuungen fiihrt. Um den Gerichten die Abrechnung der Betreuervergutungen weiter zu vereinfachen, wurden schlieBlich noch die bisher gesondert abrechenbaren Aufwandsentschadigungen des Berufsbetreuers, z. B. fiir Fafirtkosten und Porto, in die neuen Fallpauschalen eingerechnet.
Auch wenn es hierfiir „harte" Zahlen nicht gibt, ist diese Gefahr nicht von der Hand zuweisen, ohne dass hierdurch die Gesamtheit der Berufsbetreuer unter „Generalverdacht" genommen werden soil.
1 Die Pauschalierung der Vergutung
271
(2) Die Hohe des zu Grunde legenden Stundensatzes Tabelle 8: Stundensatze fur Berufsbetreuer ab 01.07.2005 (§ 4 VBVG) 1 VergUtungsgruppe 1 27 €{bisher: 18 €) 1 1 VergUtungsgruppe 2 33,50 €(bisher: 23 €) \ 1 VergUtungsgruppe 3 44 €(bisher 31€) Die bisher gesondert erstattete Mehrwertsteuer ist in diesen Pauschalen enthalten und kann nicht mehr gesondert geltend gemacht werden. (§ 4 VBVG^^^.) Nach dem Urteil des Bundesfmanzhofes vom 04.11.2004^^^ sind die Einkunfte von Berufsbetreuern gewerbesteuerpflichtig. Diese tiber die Folgen der Pauschalierung hinaus weitere Belastung auf das Einkommen der Berufsbetreuer konnte vom Gesetzgeber bei der Beratung tiber das 2. BtAndG nicht mehr angemessen gewurdigt werden. Insoweit ist schon jetzt, beim Inkrafttreten des Gesetzes, eine Schieflage entstanden, die der Korrektur entweder durch eine abermalige Anderung des Betreuungsrechts oder durch die Finanzverwaltung, erforderlichenfalls durch Anderung des Steuerrechts bedarf. (3) Die Anzahl der vergtttungsfdhigen Stunden Grundsatzlich rechnen die Berufsbetreuer jetzt nicht mehr nach Einzelstunden ab. Sie erhalten als Vergutung Monatspauschalen, denen folgende Stundenansatze zu Grunde liegen: Tabelle 9: Pauschale Stundenzahlen fur Berufsbetreuer Vermogenslage Aufenthalt Laufzeit 1 1 . - 3 . Monat 14. - 6. Monat 7. - 12. Monat |Ab 13. Monat
Mittellos Vermogend \§5II VBVG \§51 VBVG 1 Heim Zu Hause Zu Hause Heim Satz 1 Satz 2 \ Satz I Satz 2 Stunden pro Monat | 4,5 5,5 1 8,5 1 4,5 3,5 5,5 7 4 5 6 3 2,5 3,5 [l AA 1
Dabei bedeutet „Pauschale", dass nach MaBgabe dieser Pauschale zu vergtiten ist, gleich ob tatsSchlich mehr oder auch weniger Stunden angefallen sind.
306
Gesetz uber die Vergutung von Berufsvormundern und Betreuem (Vormunder- und Betreuervergutungsgesetz - VBVG). Veroffentlicht in NJW 2005, 1006 = BtPrax 2005, 67.
272
Kapitel 17 Das Zweite Betreuungsrechtsanderungsgesetz vom 21.04.2005
Die Betreuungsvereine konnen fiir ihre beruflich gefuhrten Betreuungen entsprechend abrechnen, dabei gilt der Vereinsbetreuer nunmehr kraft Gesetzes als Berufsbetreuer, § 7 I VBVG. Bei der Einsetzung eines ehrenamtlichen Betreuers aus den Reihen eines Betreuungsvereins sollte man diesen daher nicht als Vereinsbetreuer bezeichnen, um Missverstandnisse zu vermeiden. Hier hat sich die Tenorierung bewahrt „... als ehrenamtlicher Betreuer im Betreuungsverein XY" - nicht etwa als Vereinsbetreuer! Da die Betreuungsvereine lediglich 7 % Mehrwertsteuer zahlen, werden sie gegeniiber den freien Berufsbetreuem etwas begunstigt; dies ist vom Gesetzgeber gewollt^^^ AUein die berufsmaBigen Erganzungs- und Sterilisationsbetreuer und die Berufsverfahrenspfleger rechnen noch nach tatsachlich geleisteten Einzelstunden ab, vgl. S. 277 und 279. Von diesen Sonderregelungen abgesehen bleibt als einzige Moglichkeit des Berufsbetreuers, die Pauschalierung zu umgehen, die nach Einzelstunden vorzunehmende Abrechnung von Diensten, die zu seinem Beruf oder Gewerbe gehoren, §4 II 2 VBVG in Verbindung mit § 1835 III BGB. Diese Vorschrift wird in der Praxis im wesentlichen fur Rechtsanwalte angewendet, sie soil deshalb hier nicht weiter erortert werden. Eine Anwendung auf Berufsbetreuer als solche scheidet jedenfalls aus, weil sonst die explizit und speziell fur sie eingefuhrte Pauschalierung vollstandig ausgehebelt wUrde. Vereinsbetreuem ist die Moglichkeit der Abrechnung nach dieser Norm ausdrucklich verwehrt, § 7 I 2 VBVG. b) Stellungnahme (1) Das Pauschalierungssystenty ein Sparmodell Uber Vor- und Nachteile des Pauschalierungssystems ist viel geschrieben worden. Es wurde den Rahmen dieses Buches sprengen, eine Darstellung der unterschiedlichen Standpunkte auch nur zu versuchen. Es sollen aber folgende Punkte herausgehoben werden: Das Pauschalierungssystem soil die Betreuungskosten senken. Das wird es, wie es aussieht, auch schaffen, und dem Sparanliegen kann nicht nur wegen der maroden Staatsfmanzen, sondern auch wegen der vollig entglittenen Betreuungskosten die Berechtigung nicht abgesprochen werden. Ob es sich in der Praxis bewahrt, wird BT-Drucks. 15/4874, S. 31; abgelegt im Internet unter http://dip.bundestag.de/btd/l 5/048/1504874.pdf.
1 Die Pauschalierung der Vergutung
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sich zeigen. Einer angemessenen Erprobungszeit, die bei ca. 2 Jahren liegen dtirfte, ist einer auf etwa laut werdende Schmerzensschreie erfolgenden sofortigen „Nachbesserung" der Vorzug zu geben, um die Kontinuitat nicht vollig zu verlieren. (2) Vorteilefur die Gerichte Die Pauschalierung erspart den Rechtspflegem die Uberpriifung der Stundennachweise der Betreuer. Eine nicht unerhebliche Entlastung, auch wenn gelegentlich anzutreffende AuBerungen, Betreuungsakten bestiinden vielfach zu iiber der Halfte aus Abrechnungen der Berufsbetreuer, weit ubertrieben sind. Was in einzelnen Akten so viel Raum einnimmt, sind die Aufstellungen iiber das Vermogen der Betreuten. Diese fallen aber weiterhin an. Es steht zu Uberlegen, ob bei Betreuungen ab dem 13. Monat die Vergutung der Berufsbetreuer nicht durch vierteljahrlichen Dauerauftrag des Gerichts angewiesen werden kann. Dies wiirde die Entlastung noch nachhaltiger gestalten. (3) Vorteilefur die Betreuer Aber auch fiir die Betreuer hat die Pauschalierung Vorteile. Der Einzelstundennachweis hat auch sie belastet. Wenn eine gute Mischung in der Klientel erzielt wird, werden sich die Einkommensverluste in Grenzen halten. Dabei wird sich aber erst noch zeigen miissen, ob eine solche Mischung von den Richtem tatsachlich angeboten werden kann. Hier ware auch an eine Konzentration der einzelnen Betreuer auf bestimmte Heime und/oder Orte des Bezirks zu denken, um die Wegezeiten zu minimieren. Reine Monokulturen (nur ein Betreuer in einem Heim) ware insoweit vielleicht giinstig, sind aber auch mit der Gefahr der zu starken Verbriiderung des Betreuers mit „seinem" Heim verbunden - zu Lasten des Betreuten^^^ SchlieBlich bringt die Pauschalierung ein besser vorhersehbares Einkommen, auch in flauen Zeiten, auch bei Krankheit und Urlaub. Denn die Pauschale wird unabhangig vom tatsachlichen Arbeitsanfall gezahlt. (4) Nachteile der Pauschalierung Es ist anzunehmen, dass ein Teil der Berufsbetreuer nicht mehr genug Einnahmen erzielen wird und den Wunschen auf Zuweisung weiterer Betreuungen nicht in ausreichendem Umfang entsprochen werden kann. Damit ist das Aufgeben einiger
^^^ Vgl. S. 109Abschnitt:
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Berufsbetreuer zu erwarten, was auf der anderen Seite die Verteilungsmasse fiir die verbleibenden Betreuer erhohen wtirde. Hauptleidtragende werden aber die Betreuten sein. Natiirlich ist einiges, was in den letzten Jahren von den Berufsbetreuem geleistet wurde, uber die rechtliche Vertretung hinausgehende Sozialarbeit. Die kam in einer Phase, wo die Sozialhaushalte gerade zuriickgefahren wurden, gerade recht. Es ist durchaus nicht klar, wer diese Aufgaben jetzt ubemimmt. Dem Argument, der Staat konne nur Leistungen anbieten, fur die er das Geld hat, ist nicht von der Hand zu weisen. Aber die Einschnitte werden schmerzlich zu spuren sein. Wunschenswert ware eine gemeinsame Kraftanstrengung von Heimen und Einrichtungen, Sozialstationen und Nachbarschaftshilfe, Berufsbetreuem und ehrenamtlichem Einsatz. Wo solches gelingt, wird sich vieles an drohender sozialer Kalte abfangen lassen.
Einzelfragen zum neuen Vergiitungssystem fiir Berufsbetreuer a) Zum Heimbegriff Wann lebt ein Betroffene in einem Heim? Eine Definition des Heimbegriffs ist in § 5 III VBVG enthalten. Danach handelt es sich um Einrichtungen fiir Volljahrige, die uber die Oberlassung von Wohnraum hinaus tatsachliche Betreuung und Verpflegung anbieten, entgeltlich betrieben werden und auf Dauer angelegt sind. Damit fallt das sogenannte „betreute Wohnen" nicht unter den Begriff der Heimunterbringung im Sinne dieser Vorschrift. Bei dieser Wohnform lebt der Betroffene in seiner eigenen Wohnung und wird in dieser stundenweise unterstutzt. Kennzeichnend fur einen Heimaufenthalt ist aber das Integriertsein in ein Heim. Daher sind auch alten- und behindertengerechte Wohnungen mit der blofien Option der Inanspruchnahme weiterer Hilfe noch keine „Heime. Die Rustigenstation eines Heimes ist dagegen ohne weiteres als Heim im Sinne des VBVG anzusehen. Weiter von der Heimunterbringung abzugrenzen sind die sogenannte Kurzzeitpflege, also der lediglich voriibergehende Aufenthalt in einem Heim, etwa wahrend Abwesenheit oder Verhinderung der Pflegeperson innerhalb der Familie oder nach Qinem Krankenhausaufenthalt zur Rekonvaleszenz und der Heimaufenthalt „auf Probe". In diesen vom VBVG nicht erwahnten Fallen wird man auf die Frage des dauerhaften Lebensmittelpunkts abstellen mussen. Als Kriterium der Dauerhaftigkeit wird man auch auf den Rechtsgedanken des § 1 IV des Heimgesetzes^^^ AbgedrucktS. 331.
2 Einzelfragen zum neuen Vergutungssystem fiir Berufsbetreuer
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zuriickgreifen konnen, wonach ein vortibergehender Heimaufenthalt vorliegt bei einer Aufenthaltsdauer von bis zu 3 Monaten. Wenn dann noch Zweifel bleiben, kann man auch noch auf die Frage abstellen, ob der Betroffene tatsachlich noch Wohnraum auBerhalb des Heimes hat, den er von heute auf morgen nutzen kann und ob er sich bewusst diese Mogiichkeit offenhalten will. Derart zweifelhafte Grenzfalle werden indes selten sein. In jedem Fall wird ein dauerhafter Heimaufenthalt anzunehmen sein, wenn die Wohnung des Betroffenen mit Genehmigung des Gerichts gemaB § 1907 BGB aufgelost ist. b) Berechnung der Laufzeit der Betreuung Die fur die Fallpauschale des Berufsbetreuers mal3gebliche Laufzeit der Betreuung lauft ab dem Beginn der Betreuung durch, beginnt also im Fall eines Betreuerwechsels nicht neu. Dies gilt auch, wenn eine zunachst einfache und daher ehrenamtlich gefiihrte Betreuung eskaliert und nunmehr einem Berufsbetreuer ubertragen wird. Im letztgenannten Fall erscheint denkbar, dass die Gerichte in Hartefallen Ausnahmen zulassen. Das 2. BtAndG hat allerdings bewusst auf jegliche Hartefallregelungen verzichtet, um ein ansonsten zu erwartendes alsbaldiges Aufweichen der beabsichtigten Restriktionen zu verhindern. Letztlich ist das gesamte Betreuungsrecht ein Hartefall! Damit werden auch die Gericht bei der Zulassung von Ausnahmen Zurtickhaltung walten lassen. Ein Pauschalierungssystem ist wesensmaBig schematisch, formalistisch. Daraus folgt, dass bei Neubestellung eines Betreuers nach Aufhebung einer friiher bereits bestehenden Betreuung die Laufzeit der Betreuung im Sinne der Fallpauschale neu beginnt. Eine Ausnahme hiervon wird sein, wenn ein Aufhebungsbeschluss auf Beschwerde aufgehoben wird. Dies kann problematisch werden, wenn eine vorlaufige Betreuung nach Ablauf der Frist, fur die sie angeordnet ist, weitergeflihrt werden soil. Anders als die endgiiltig eingerichtete Betreuung, die weiterlauft, auch wenn die Uberpriifungsfrist Uberschritten wird, handelt es sich bei der Befristung der vorlaufigen Betreuung um eine echte Ablauffrist. Das heiBt, die gewunschte Weiterfiihrung ist nur durch Neubestellung eines Betreuers moglich, die Mogiichkeit fiir eine Verlangerung einer einmal abgelaufenen vorlaufigen Betreuung besteht nicht. In diesen Fallen, die in der Praxis gar nicht so selten sind, sollten die Berufsbetreuer im Rahmen einer fairen Zusammenarbeit mit dem Gericht nicht auf Neubeginn der Laufzeit der Betreuung bestehen. Im Ubrigen erscheint hier eine das Gesetz in diesem Punkt korrigierende und erganzende Haltung der Gerichte, dass ein Neubeginn der Laufzeit der Betreuung hier nicht in Betracht kommt, moglich und auch sachgerecht.
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Die Fallpauschale konnte schliel31ich dazu ftihren, dass der Betreuer nach dem Tod des Betreuten, mit dem ja die Betreuung endet, kein Entgelt mehr erhalt. Fur eilbedurftige Mafinahmen, insbesondere die Beerdigung, die Sicherung des Nachlasses und die Abwicklung des Heimverhaltnisses sehen aber § 19081 I 1, 1893 I, 1698b BOB Notgeschaftsfiihrungspflichten des (vormaligen) Betreuers vor. Wo solche Pflichten tatsachlich anfallen, wird dem diesen Pflichten erfiillenden Betreuer die entsprechende Fortzahlung der Vergutung nicht zu verweigern sein. Alternativ kame in Betracht, dass der vormalige Betreuer sich als Nachlasspfleger bestellen lasst oder dem fur „verwaiste" Todesfalle zustandigen Ordnungsamt anbietet, das Erforderliche gegen eine der bisherigen Betreuervergutung entsprechende Zahlung zu veranlassen. Bin solches Verhalten ist ebenso wenig ehrenriihrig wie die Rechnungsstellung durch das Beerdigungsinstitut. Der Betreuer muss ebenso wie der Beerdigungsunternehmer von seiner Arbeit leben. c)
Ausnahmsweise Erhohung des Stundensatzes bei vermogenden Betreuten
Wie bereits ausgefiihrt, hat das 2. BtAndG auf die Zulassung von Hartefallregelungen weitestgehend verzichtet, um einer AufM^eichung der Neuregelungen keinen Raum zu geben. Als einzige Ausnahme bestimmt § 3 III VBVG, dass das Gericht bei besonderen Schwierigkeiten der Betreuung ausnahmsweise eine Erhohung der gesetzlichen Stundensatze bewilligen kann, allerdings nicht bei mittellosen Betreuten. Diese Ausnahmeregelung hat ihren Grund darin, dass der ein groBes Vermogen verwaltende Betreuer sich nicht auf die fiir Normalfalle bemessenen allgemeinen Stundensatze verweisen lassen miissen soil. „Man soil dem Ochsen, der drischt, das Maul nicht verbinden" Durch die Beschrankung dieser Regelung auf vermogende Betreute bleiben fiskalische Interessen unberiihrt, das Sparziel des 2. BtAndG wird nicht in Frage gestellt. d) „Pramie" fiir Abgabe der Betreuung an einen ehrenamtlichen Betreuer Schon jetzt erkennbar hat die Einftihrung der pauschalierten Abrechnung einen „Klammereffekt" ausgelost: Die Bereitschaft, Betreuungen abzugeben, sinkt, bestimmt der Richter bei einem amtsmliden Betreuer einen anderen Nachfolger, als von diesem vorgeschlagen, gibt es mehr oder minder direkte Kritik. Um die Bereitschaft von Berufsbetreuern, Betreuungen an ehrenamtliche Betreuer abzugeben, zu fordem, sieht § 5 V VBVG vor, dass der das Verfahren abgebende Berufsbetreuer fiir den Abgabemonat und den Folgemonat noch die voile Pau-
2 Einzelfragen zum neuen Vergutungssystem fur Berufsbetreuer
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schale erhalt. Da gilt auch, wenn der betreffende ehrenamtliche Betreuer bislang bereits neben dem Berufsbetreuer eingesetzt war. e)
Unzul^ssigkeit der Bestellung mehrerer Berufsbetreuer nebeneinander
In § 1899 I 3 BGB neu aufgenommen wurde ein Satz 3, der die Bestellung mehrerer Berufsbetreuer nebeneinander fiir unzulassig erklart. Grund hierfiir ist neben dem generellen Sparwillen des Gesetzgebers wohl auch eine sich ansonsten anbietende Gefahr der Aushohlung der Einsparbemuhungen: Die Notwendigkeit eines zweiten (Berufs-)Betreuers wurde sich in nicht wenigen Fallen begriinden lassen mit der Folge, dass dann doppelte Pauschalen zu zahlen waren. Ausdriicklich ausgenommen von dieser Einschrankung sind die Sonderfalle der Einsetzung eines Sterilisationsbetreuers^^^ §§ 1899 I 3, 1899 II BGB, und die Einsetzung eines Verhinderungsbetreuers, §§ 1899 I 3, 1899 IV BGB und eines Gegenbetreuers, §§ 1899 I 3, 1792 BGB. Auch der Erganzungsbetreuer^'' ist Verhinderungsbetreuer in diesem Sinne, so dass es auch bei ihm ein Nebeneinander von zwei Berufsbetreuern geben darf. Aus den in S. 61 aufgefuhrten Griinden setzt der Verfasser gerade fur Erganzungsbetreuungen bevorzugt Rechtsanwalte oder Berufsbetreuer ein. Zum Einsatz eines Erganzungsbetreuers neben einem Berufsbetreuer wird es aber gleichwohl kaum kommen, da eine Erganzungsbetreuung in der Praxis nur vorkommt, wenn Angehorige als Betreuer eingesetzt sind und damit die Hauptbetreuung ehrenamtlich gefuhrt wird. f)
Vergiitung des beruflichen Erganzungs- und Sterilisationsbetreuers
Der Berufsbetreuer als Erganzungs- oder Sterilisationsbetreuer rechnet weiterhin nach tatsachlich geleisteten Stunden ab, ist also nicht in die Pauschalierung einbezogen, § 6 Satz 1 VBVG. Ihre Stundensatze sind niedriger, als die im Rahmen der Pauschalierung festgesetzten, § 3 VBVG. Tabelle 10:
Stundensatze der beruflichen Erganzungs- und Sterilisationsbetreuer (§§ 6 und 3 VBVG) 1 Vergutungsgruppe 1 1 Vergutungsgruppe 2 1 Vergutungsgruppe 3
310
Vgl. S. 48. Vgl. S.61.
19,50 € 25€ 33,50 €1
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Zusatzlich kann gemal3 §6 VBVG, § 1835 II BGB Aufwendungsersatz und gemal3 § 6 und § 3 I 3 VBVG den Ersatz der Mehrwertsteuer erstattet werden. g) Vergiitung des Verhinderungsbetreuers Der Erganzungsbetreuer wird eingesetzt, weil der Hauptbetreuer aus rechtlichen Grtinden am Tatigwerden verhindert ist, etwa wegen Interessenkollision^'^. Der Verhinderungsbetreuer wird tatig, weil der Hauptbetreuer aus tatsachlichen Grunden am Tatigwerden verhindert ist, etwa wegen Urlaub oder wegen Krankheit. Hier will das 2. BtAndG, dass der Gesamtaufwand nicht ansteigt: Der Verhinderungsbetreuer bekommt die Tage, an denen er tatsachlich tatig wird, anteilig erstattet, der Hauptbetreuer muss eine entsprechende Kurzung hinnehmen, §6Satz2VBVG(„teilen"). h) Vergiitung des Behordenbetreuers und der Betreuungsbehorde Ist ein konkreter Mitarbeiter der Betreuungsbehorde als Betreuer bestellt (Behordenbetreuer) kann der Betreuungsbehorde fiir dessen Einsatz nach § 8 I VBVG eine Ermessensvergutung bewilligt werden, aber nur, wenn der Betreute vermogend ist. Wird nicht ein bestimmter Mitarbeiter der Betreuungsbehorde als Betreuer eingesetzt, sondem die Betreuungsbehorde selbst (Behordenbetreuung), hat diese keinen Vergutungsanspruch. Bei einem vermogenden Betreuten kann sie aber Aufwendungsersatz erhalten, gleich, ob ein Behordenbetreuer eingesetzt oder Behordenbetreuung angeordnet ist, § 8 II VBVG.
3.
Anderungen beim Verfahrenspfleger
Durch das 2. BtAndG hat sich auch fur die Verfahrenspfleger einiges geandert. a) Der ehrenamtliche Verfahrenspfleger In § 67a II 1 FGG, § 1836 I BGB fur die Betreuungssachen und in § 70b I 3, 67 a II 1 FGG, § 1836 I BGB fiir Unterbringungssachen ist nunmehr bestimmt, dass die Verfahrenspflegschaft im Regelfall unentgeltlich gefuhrt wird - der ehrenamtliche Verfahrenspfleger also. Ein Berufsverfahrenspfleger soil nur bei bestellt werden, wenn kein geeigneter ehrenamtlicher Verfahrenspfleger zur Verfiigung steht, §§ 67 I 6 FGG, § 1897 VI 1 BGB.
^^^ Vgl. S.61.
3 Anderungen beim Verfahrenspfleger
279
Die Anwendbarkeit der letztgenannten Bestimmungen auch im Unterbringungsverfahren ist nicht ausdrucklich bestimmt, entspricht aber wohl dem Willen des Gesetzgebers. Diese Regelung ist, jedenfalls fiir Gerichte die, wie der Verfasser, Verfahrenspfleger nicht routinemafiig, sondem bei konkretem Anlass einsetzen, verfehlt. Wenn etwa ein durchaus noch vorhandener Wille des Betroffenen massiv gebrochen werden muss, wenn eine Zwangsunterbringung voraussichtlich die Anwendung unmittelbaren Zwanges erfordert, ist ein Gelegenheitsverfahrenspfleger regelma6ig iiberfordert und damit fehl am Platze. Hier bedarf es eines Rechtsanwalts oder eines Berufsbetreuers, der facharztliche Gutachten zu bewerten vermag, Altemativen aufzeigen kann und auch den Richter einmal emsthaft in Frage stellt. Es mag im Einzelfall erfahrene ehrenamtliche Betreuer geben, die auch so handeln konnten. Aber sie sind selten und oft langst ins Berufsbetreuerlager gewechselt. Im Ubrigen ist es in den dargestellten Fallen auch nicht zumutbar, die Verfahrenspflegschaft unentgeltlich zu fordern. Bei rein routinemaBigem Einsatz von Verfahrenspflegern, etwa bei Demenzpatienten, wo uberhaupt kein Wille mehr feststellbar ist, der gebrochen werden konnte, da mag ein ehrenamtlicher Verfahrenspfleger ausreichen. Der Verfasser zieht es vor, in solchen Fallen, auf die Beteiligung eines Verfahrenspflegers zu verzichten, weil dann ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung eines Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht, § 67 I 3 FGG, § 70b I Satz 1 FGG. Diese Entscheidung ist zu begriinden, § 67 I 4 FGG, § 70b I FGG. b) Entschadigung des Verfahrenspflegers Der ehrenamtliche Verfahrenspfleger erhalt Aufwendungsersatz, § 67a I FGG ein Betreuungsverein nur dann, wenn nicht der Verein selbst, sondem ein Mitarbeiter eingesetzt ist, § 67a IV 1 und 2 FGG. Die Betreuungsbehorde in keinem Fall Aufwendungsersatz, gleich, ob sie selbst oder ein Behordenangehoriger als Verfahrenspfleger eingesetzt ist, § 67a IV 3 FGG. Der Berufsverfahrenspfleger erhalt gemal3 § 67a II FGG in Verbindung mit § 3 VBVG Vergutung nach konkret angefallenen Stunden zuztiglich Mehrwertsteuer und Auslagenersatz wie der berufliche Erganzungs- und Sterilisationsbetreuer (s. S. 277). Wie schon seit Jahren beim Berufsbetreuer muss jetzt aber auch beim Verfahrenspfleger ausdrucklich bestimmt werden, dass er die Verfahrenspflegschaft berufsmaBig fuhrt, § 67a II 1 FGG, § 1836 I 2 BGB, in Unterbringungssachen in Verbindung mit § 70b I 3 FGG.
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4.
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Weitere Neuerungen; nicht iibernommene Anderungsvorschlage
a) Weitere Neuerungen Das Gericht kann von einem Berufsbetreuer zu Beginn der Betreuung die Erstellung eines Betreuungsplans fordem, § 1901 IV 2 BGB. Bei dessen Erstellung kann er sich von der Betreuungsbehorde beraten lassen, § 4 BtBG. Bin Richter auf Probe darf im ersten Jahr nach seiner Emennung nicht in Betreuungssachen tatig werden, § 65 VI FGG. Das Gericht kann, anstatt selbst Gutachten einzuholen, vorhandene Gutachten im Rahmen der Pflegeversicherung anfordem, § 68b Absatz la FGG. Die Betreuungsbehorde hat Beglaubigungsbefugnis erhalten, urn Handzeichen und Unterschriften auf VorsorgevoUmachten und Betreuungsverfiigungen beglaubigen zu konnen, § 4 BtBG. Anerkannte Betreuungsvereine haben nunmehr fur den Einzelfall Beratungsbefugnis fur Personen bei der Errichtung einer Vorsorgevollmacht § 1908f IV BGB. Durch den neu eingefiigten § 19 I Nr. 1 RPflG werden die Lander ermachtigt, die Aufgaben des Betreuungsrichters teilweise den Rechtspflegern zu iibertragen („Offiiungsklausel"). Dies betrafe vor allem die Auswahl des Betreuers. Eine solche Verlagerung ist nicht sachgerecht. Der fur die Anordnung der Betreuung und die Bestimmung des Aufgabenkreises weiter zustandige Richter lernt die Betroffenen bei seiner Anhorung personlich kennen und kann daher den Betreuer besser auswahlen, als der Rechtspfleger. Es sei denn, dieser hort zwecks Auswahl eines Betreuers seinerseits an, was vermeidbare Doppelarbeit im AuBendienst bedeuten wiirde. Die durch das Betreuungsrecht eingefuhrte Einheitsentscheidung^'^ hat sich bewahrt und sollte nicht aufgegeben werden. Nicht durch das 2. BtAndG eingefuhrt, aber in Aufnahme seines Ziels der Starkung der Vorsorgevollmacht geschaffen wurde der mit Wirkung vom 31.7.2004 durch Gesetz vom 23.4.2004 (BGBl. I S. 598) neu eingefuhrte § 78a der Bundesnotarordnung^^"^. Danach wird bei der Bundesnotarkammer ein Zentrales Vorsorgeregister gefuhrt. Hierdurch besteht die Moglichkeit, VorsorgevoUmachten zentral zu hinterlegen, die Amtsgerichte konnen durch Zugriff des Register
D. h. Anordnung der Betreuung, Bestimmung des Aufgabenkreises und Auswahl des Betreuers liegen in einer Hand. Hierzu ergangen ist die Vorsorgeregister-Verordnung (VRegV) vom 21.2.2005, BGBl. IS. 318.
4 Weitere Neuerungen; nicht ubernommene Anderungsvorschlage
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feststellen, ob eine Vorsorgevollmacht vorliegt mit der Folge, dass die Bestellung eines Betreuers unterbleiben kann. b) Nicht ubernommene Anderungsvorschlage Die Initiative fiir den Erlass des 2. BtAndG war nicht - wie bei den meisten Gesetzen - von der Bundesregierung ausgegangen, sondem vom Bundesrat. Der Grund hierfur liegt auf der Hand: Das Betreuungsrecht wird von den Landem ausgefuhrt, die Kosten treffen sie. In dem Gesetzentwurf des Bundesrats vom 19.12.2003, Bundesrats-Drucksache 865/03^^^ hatten die Lander zwei weitere Vorschlage gemacht, die vom 2. BtAndG nicht ubemommen wurden: •
Eine gesetzliche Vertretungsbefugnis fiir Angehorige^^^ wird nicht eingefiihrt.
•
Eine Moglichkeit zur zwangsweisen Zufiihrung eines Betreuten zur ambulanten arztlichen Heilbehandlung durch den Betreuer^^^ wird es weiterhin nicht geben. Zu dieser Problematik vgl. die Ausfiihrungen auf S. 199 in diesem Buch.
^ *^ Im Internet abgelegt unter http://www 1 .bundesrat.de/coremedia/generator/Inhalt/ Drucksachen/2003/0865 2D03,propertv=Dokument.pdf ^^^ Vgl. S. 254 und 262. ^^^ Vgl. S 268.
Anhang 1
1.
Gesetzestexte
Materielles Betreuungsrecht (§§ 1896ff. BGB)
Durch das 2. BtAndG eingefiigte oder geanderte Absatze sind fett-kursiv gesetzt. § 1896 BGB
Voraussetzungen
(1) ^Kann ein Volljahriger auf Grund einer psychischen Kranlcheit oder einer korperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Vormundschaftsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen fiir ihn einen Betreuer. ^Den Antrag kann auch ein Geschaftsunfahiger stellen. ^Soweit der Volljahrige auf Grund einer korperlichen Behinderung seine Angelegenheiten nicht besorgen kann, darf der Betreuer nur auf Antrag des Volljahrigen bestellt werden, es sei denn, dass dieser seinen Willen nicht kundtun kann. (la) Gegen den freien Willen des Volljdhrigen darf ein Betreuer nicht bestellt werden. (2) ^Ein Betreuer darf nur fur Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. ^Die Betreuung ist nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Volljahrigen durch einen Bevollmachtigten, der nicht zu den in § 1897 Abs.3 bezeichneten Personen gehort, oder durch andere Hilfen, bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden konnen. (3) Als Aufgabenkreis kann auch die Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenuber seinem Bevollmachtigten bestimmt werden. (4) Die Entscheidung uber den Fernmeldeverkehr des Betreuten und Uber die Entgegennahme, das Offnen und das Anhalten seiner Post werden vom Aufgaben-
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Anhang 1 Gesetzestexte
kreis des Betreuers nur dann erfasst, wenn das Gericht dies ausdriicklich angeordnet hat. § 1897 BGB
Bestellung einer natiirlichen Person
(1) Zum Betreuer bestellt das Vormundschaftsgericht eine natiirliche Person, die geeignet ist, in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenkreis die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen und ihn in dem hierfiir erforderlichen Umfang personlich zu betreuen. (2) 'Der Mitarbeiter eines nach § 1908f anerkannten Betreuungsvereins, der dort ausschlieClich oder teilweise als Betreuer tatig ist (Vereinsbetreuer), darf nur mit Einwilligung des Vereins bestellt werden. ^Entsprechendes gilt flir den Mitarbeiter einer in Betreuungsangelegenheiten zustandigen Behorde, der dort ausschlieBlich oder teilweise als Betreuer tatig ist (Behordenbetreuer). (3) Wer zu einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung, in welcher der Volljahrige untergebracht ist oder wohnt, in einem Abhangigkeitsverhaltnis oder in einer anderen engen Beziehung steht, darf nicht zum Betreuer bestellt werden. (4) 'Schlagt der Volljahrige eine Person vor, die zum Betreuer bestellt werden kann, so ist diesem Vorschlag zu entsprechen, wenn es dem Wohl des Volljahrigen nicht zuwiderlauft. ^Schlagt er vor, eine bestimmte Person nicht zu bestellen, so soil hierauf Riicksicht genommen werden. ^Die Satze 1 und 2 gelten auch fiir Vorschlage, die der Volljahrige vor dem Betreuungsverfahren gemacht hat, es sei derm, dass er an diesen Vorschlagen erkennbar nicht festhalten will. (5) Schlagt der Volljahrige niemanden vor,. der zum Betreuer bestellt werden kann, so ist bei der Auswahl des Betreuers auf die verwandtschaftlichen und sonstigen personlichen Bindungen des Volljahrigen, insbesondere auf die Bindungen zu Eltem, zu Kindern, zum Ehegatten und zum Lebenspartner, sowie auf die Gefahr von Interessenkonflikten Riicksicht zu nehmen. (6) 'Wer Betreuungen im Rahmen seiner Berufsausubung fiihrt, soil nur dann zum Betreuer bestellt werden, wenn keine andere geeignete Person zur Verfligung steht, die zur ehrenamtlichen Fuhrung der Betreuung bereit ist. ^Werden dem Betreuer Umstande bekannt, aus denen sich ergibt, dass der Volljahrige durch eine Oder mehrere andere geeignete Personen auBerhalb einer Berufsausubung betreut werden kann, so hat er dies dem Gericht mitzuteilen. (7) ^Wird eine Person unter den Voraussetzungen des Absatzes 6 Satz 1 erstmals in dem Bezirk des Vormundschaftsgerichts zum Betreuer bestellt, soil das Gericht zuvor die zustdndige Behorde zur Eignung des ausgewdhlten Betreuers und zu den nach § 1 AbsJ Satz 1 zweite Alternative des Vormunder- und Betreuervergutungsgesetzes zu treffenden Feststellungen anhoren. ^Die zustdn-
1 MatenellesBetreuungsrecht(§§ 1896ff. BGB)
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dige Behorde soil die Person auffordern, ein Fuhrungszeugnis und eine Auskunft aus dent Schuldnerverzeichnis vorzulegen. (8) Wird eine Person unter den Voraussetzungen des Absatzes 6 Satz 1 bestellt, hat sie sich liber Zahl und Umfang der von ihr berufsmdfiig gefuhrten Betreuungen zu erkldren. § 1898 BGB
Ubernahmepnicht
(1) Der vom Vormundschaftsgericht Ausgewahlte ist verpflichtet, die Betreuung zu ubemehmen, wenn er zur Betreuung geeignet ist und ihm die Ubernahme unter Berucksichtigung seiner familiaren, beruflichen und sonstigen Verhaltnisse zugemutet werden kann. (2) Der Ausgewahlte darf erst dann zum Betreuer bestellt werden, wenn er sich zur Ubernahme der Betreuung bereit erklart hat. § 1899 BGB
Mehrere Betreuer
(1) ^Das Vormundschaftsgericht kann mehrere Betreuer bestellen, wenn die Angelegenheiten des Betreuten hierdurch besser besorgt werden konnen. ^In diesem Fall bestimmt es, welcher Betreuer mit welchem Aufgabenkreis betraut wird. ^Mehrere Betreuer, die eine Vergutung erhalten, werden aufier in den in den Absdtzen 2 und 4 sowie § 19081 Abs.l Satz 1 in Verbindung mit § 1792 geregelten Fallen nicht bestellt. (2) Fur die Entscheidung uber die Einwilligung in eine Sterilisation des Betreuten ist stets ein besonderer Betreuer zu bestellen. (3) Soweit mehrere Betreuer mit demselben Aufgabenkreis betraut werden, konnen sie die Angelegenheiten des Betreuten nur gemeinsam besorgen, es sei denn, dass das Gericht etwas anderes bestimmt hat oder mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist. (4) Das Gericht kann mehrere Betreuer auch in der Weise bestellen, dass der eine die Angelegenheiten des Betreuten nur zu besorgen hat, soweit der andere verhindert ist § 1900 BGB
Betreuung durch Verein oder Behorde
(1) 'Kann der Volljahrige durch eine oder mehrere nattirliche Personen nicht hinreichend betreut werden, so bestellt das Vormundschaftsgericht einen anerkannten Betreuungsverein zum Betreuer. ^Die Bestellung bedarf der Einwilligung des Vereins. (2) 'Der Verein ubertragt die Wahmehmung der Betreuung einzelnen Personen. ^Vorschlagen des Volljahrigen hat er hierbei zu entsprechen, soweit nicht wichtige Grunde entgegenstehen. ^Der Verein teilt dem Gericht alsbald mit, wem er die Wahmehmung der Betreuung ubertragen hat.
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Anhang 1 Gesetzestexte
(3) Werden dem Verein Umstande bekannt, aus denen sich ergibt, dass der Volljahrige durch eine oder mehrere natiirliche Personen hinreichend betreut werden kann, so hat er dies dem Gericht mitzuteilen. (4) 'Kann der Volljahrige durch eine oder mehrere natiirliche Personen oder durch einen Verein nicht hinreichend betreut werden, so bestellt das Gericht die zustandige Behorde zum Betreuer. ^Die Absatze 2 und 3 gelten entsprechend. (5) Vereinen oder Behorden darf die Entscheidung Uber die Einwilligung in eine Sterilisation des Betreuten nicht ubertragen werden. § 1901 BGB
Umfang der Betreuung, Pflichten des Betreuers
(1) Die Betreuung umfasst alle Tatigkeiten, die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betreuten nach Mal3gabe der folgenden Vorschriften rechtlich zu besorgen. (2) ^Der Betreuer hat die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, wie es dessen Wohl entspricht. ^Zum Wohl des Betreuten gehort auch die Moglichkeit, im Rahmen seiner Fahigkeiten sein Leben nach einen eigenen Wunschen und Vorstellungen zu gestalten. (3) ^Der Betreuer hat Wunschen des Betreuten zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderlauft und dem Betreuer zuzumuten ist. ^Dies gilt auch ftir Wunsche, die der Betreute vor der Bestellung des Betreuers geauBert hat, es sei denn, dass er an diesen Wunschen erkennbar nicht festhalten will. ^Ehe der Betreuer wichtige Angelegenheiten erledigt, bespricht er sie mit dem Betreuten, sofem dies dessen Wohl nicht zuwiderlauft. (4) ^nnerhalb seines Aufgabenkreises hat der Betreuer dazu beizutragen, dass Moglichkeiten genutzt werden, die Krankheit oder Behinderung des Betreuten zu beseitigen, zu bessem, ihre Verschlimmerung zu verhuten oder ihre Folgen zu mildem. ^Wird die Betreuung berufsmdfiig gefuhrt, hat der Betreuer in geeigneten Fallen auf Anordnung des Gerichts zu Beginn der Betreuung einen Betreuungsplan zu erstellen. ^In dem Betreuungsplan sind die Ziele der Betreuung und die zu ihrer Erreichung zu ergreifenden Mafinahmen darzustellen. (5) ^Werden dem Betreuer Umstande bekannt, die eine Aufhebung der Betreuung ermoglichen, so hat er dies dem Vormundschaftsgericht mitzuteilen. ^Gleiches gilt fur Umstande, die eine Einschrankung des Aufgabenkreises ermoglichen oder dessen Erweiterung, die Bestellung eines weiteren Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts (§ 1903) erfordem.
1 Materielles Betreuungsrecht (§§ 1896ff. BGB)
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§ 1901a BGB Schriftliche Betreuungswiinsche, Vorsorgevollmacht ^Wer ein Schriftstiick besitzt, in dem jemand fur den Fall seiner Betreuung Vorschlage zur Auswahl des Betreuers oder Wunsche zur Wahrnehmung der Betreuung geauBert hat, hat es unverzuglich an das Vormundschaftsgericht abzuliefern, nachdem er von der Einleitung eines Verfahrens uber die Bestellung eines Betreuers Kenntnis erlangt hat. ^Ebenso hat der Besitzer das Vormundschaftsgericht uber Schriftstucke, in denen der Betroffene eine andere Person mit der Wahrnehmung seiner Angelegenheiten bevollmdchtigt hat, zu unterrichten. ^Das Vormundschaftsgericht kann die Vorlage einer Abschrift verlangen. § 1902 BGB
Vertretung des Betreuten
In seinem Aufgabenkreis vertritt der Betreuer den Betreuten gerichtlich und auBergerichtlich. § 1903 BGB
Einwilligungsvorbehalt
(1) 'Soweit dies zur Abwendung einer erheblichen Gefahr fur die Person oder das Vermogen des Betreuten erforderlich ist, ordnet das Vormundschaftsgericht an, dass der Betreute zu einer Willenserklarung, die den Aufgabenkreis des Betreuers betrifft, dessen Einwilligung bedarf (Einwilligungsvorbehalt). ^Die §§108 bis 113, 131 Abs.2 und § 210 gelten entsprechend. (2) Ein Einwilligungsvorbehalt kann sich nicht erstrecken auf Willenserklarungen, die auf Eingehung einer Ehe oder Begrundung einer Lebenspartnerschaft gerichtet sind, auf Verfiigungen von Todes wegen und auf Willenserklarungen, zu denen ein beschrankt Geschaftsfahiger nach den Vorschriften des Vierten und Funften Buches nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters bedarf. (3) ^Ist ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet, so bedarf der Betreute dennoch nicht der Einwilligung seines Betreuers, wenn die Willenserklarung dem Betreuten lediglich einen rechtlichen Vorteil bringt. ^Soweit das Gericht nichts anderes anordnet, gilt dies auch, wenn die Willenserklarung eine geringfligige Angelegenheit des taglichen Lebens betrifft. (4) § 1901 Abs.4 gilt entsprechend § 1904 BGB
Genehmigung des Vormundschaftsgerichts Mafinahmen
bei arztlichen
(1) 'Die Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder einen arztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, wenn die begrtindete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund der Mafinahme stirbt oder einen schweren und langer dauemden gesundheitlichen Schaden erleidet. ^Ohne die Genehmigung darf die Ma6nahme nur durchgefiihrt werden, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist.
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Anhang 1 Gesetzestexte
(2) ^Absatz 1 gilt auch fur die Einwilligung eines Bevollmachtigten. ^Sie ist nur wirksam, wenn die Vollmacht schriftlich erteilt ist und die in Absatz 1 Satz 1 genannten MaBnahmen ausdrucklich umfasst. § 1905 BGB
Sterilisation
(1) ^Besteht der arztliche Eingriff in einer Sterilisation des Betreuten, in die dieser nicht einwilligen kann, so kann der Betreuer nur einwilligen, wenn 1. die Sterilisation dem Willen des Betreuten nicht widerspricht, 2. der Betreute auf Dauer einwilligungsunfahig bleiben wird, 3. anzunehmen ist, dass es ohne die Sterilisation zu einer Schwangerschaft kommen wiirde, 4. infolge dieser Schwangerschaft eine Gefahr fur das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeintrachtigung des korperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren zu erwarten ware, die nicht auf zumutbare Weise abgewendet werden konnte, und 5. die Schwangerschaft nicht durch andere zumutbare Mittel verhindert werden kann. ^Als schwerwiegende Gefahr flir den seelischen Gesundheitszustand der Schwangeren gilt auch die Gefahr eines schweren und nachhaltigen Leides, das ihr drohen wiirde, weil vormundschaftsgerichtliche MaBnahmen, die mit ihrer Trennung vom Kind verbunden waren (§§ 1666, 1666a), gegen sie ergriffen werden mussten. (2) ^Die Einwilligung bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. ^Die Sterilisation darf erst zwei Wochen nach Wirksamkeit der Genehmigung durchgeflihrt werden. ^Bei der Sterilisation ist stets der Methode der Vorzug zu geben, die eine Refertilisierung zulasst. § 1906 BGB
Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bei der Unterbringung
(1) Eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, ist nur zulassig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil 1. auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst totet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufugt, oder 2. eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder ein arztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgefiihrt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.
1 Materielles Betreuungsrecht (§§ 1896ff. BGB)
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(2) ^Die Unterbringung ist nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zulassig. ^Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulassig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverztiglich nachzuholen. (3) ^Der Betreuer hat die Unterbringung zu beenden, wenn ihre Voraussetzungen wegfallen. ^Er hat die Beendigung der Unterbringung dem Vormundschaftsgericht anzuzeigen. (4) Die Absatze 1 bis 3 gelten entsprechend, wenn dem Betreuten, der sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhalt, ohne untergebracht zu sein, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise tiber einen langeren Zeitraum oder regelmaBig die Freiheit entzogen werden soil. (5) 'Die Unterbringung durch einen Bevollmachtigten und die Einwilligung eines Bevollmachtigten in MaBnahmen nach Absatz 4 setzt voraus, dass die Vollmacht schriftlich erteilt ist und die in den Absatzen 1 und 4 genannten Mal3nahmen ausdrucklich umfasst. ^Im Ubrigen gelten die Absatze 1 bis 4 entsprechend. § 1907 BGB
Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bei der Aufgabe der Mietwohnung
(1) 'Zur Kundigung eines Mietverhaltnisses tiber Wohnraum, den der Betreute gemietet hat, bedarf der Betreuer der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. ^Gleiches gilt ftir eine Willenserklarung, die auf die Aufhebung eines solchen Mietverhaltnisses gerichtet ist. (2) 'Treten andere Umstande ein, auf Grund derer die Beendigung des Mietverhaltnisses in Betracht kommt, so hat der Betreuer dies dem Vormundschaftsgericht unverztiglich mitzuteilen, wenn sein Aufgabenkreis das Mietverhaltnis der die Aufenthaltsbestimmung umfasst. ^Will der Betreuer Wohnraum des Betreuten auf andere Weise als durch Ktindigung oder Aufliebung eines Mietverhaltnisses aufgeben, so hat er dies gleichfalls unverztiglich mitzuteilen. (3) Zu einem Miet- oder Pachtvertrag oder zu einem anderen Vertrag, durch den der Betreute zu wiederkehrenden Leistungen verpflichtet wird, bedarf der Betreuer der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, wenn das Vertragsverhaltnis langer als vier Jahre dauem oder vom Betreuer Wohnraum vermietet werden soil. § 1908 BGB
Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bei der Ausstattung
Der Betreuer kann eine Ausstattung aus dem Vermogen des Betreuten nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts versprechen oder gewahren.
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Anhang 1 Gesetzestexte
§ 1908a BGB Vorsorgliche Betreuerbestellung und Anordnung des Einwilligungsvorbehalts fiir Minderjahrige 'MaBnahmen nach den §§ 1896, 1903 konnen auch fiir einen Minderjahrigen, der das 17. Lebensjahr vollendet hat, getroffen werden, wenn anzunehmen ist, dass sie bei Eintritt der Volljahrigkeit erforderlich werden. ^Die MaBnahmen werden erst mit dem Eintritt der Volljahrigkeit wirksam. § 1908b BGB Entlassung des Betreuers (1) ^Das Vormundschaftsgericht hat den Betreuer zu entlassen, wenn seine Eignung, die Angelegenheiten des Betreuten zu besorgen, nicht mehr gewahrleistet ist Oder ein anderer wichtiger Grund fiir die Entlassung vorliegt. ^Ein wichtiger Grund liegt auch vor, wenn der Betreuer eine erforderliche Abrechnung vorsdtzlich falsch erteilt hat, ^Das Gericht soil den nach § 1897 Abs.6 bestellten Betreuer entlassen, wenn der Betreute durch eine oder mehrere andere Personen auBerhalb einer Berufsausubung betreut werden kann. (2) Der Betreuer kann seine Entlassung verlangen, wenn nach seiner Bestellung Umstande eintreten, auf Grund derer ihm die Betreuung nicht mehr zugemutet werden kann. (3) Das Gericht kann den Betreuer entlassen, wenn der Betreute eine gleich geeignete Person, die zur Ubemahme bereit ist, als neuen Betreuer vorschlagt. (4) ^Der Vereinsbetreuer ist auch zu entlassen, wenn der Verein dies beantragt. ^Ist die Entlassung nicht zum Wohl des Betreuten erforderlich, so kann das Vormundschaftsgericht statt dessen mit Einverstandnis des Betreuers aussprechen, dass dieser die Betreuung kunftig als Privatperson weiterfiihrt. ^Die Satze 1 und 2 gelten fiir den Behordenbetreuer entsprechend. (5) Der Verein oder die Behorde ist zu entlassen, sobald der Betreute durch eine Oder mehrere natiirliche Personen hinreichend betreut werden kann. § 1908c BGB Bestellung eines neuen Betreuers Stirbt der Betreuer oder wird er entlassen, so ist ein neuer Betreuer zu bestellen. § 1908d BGB Aufhebung oder Anderung von Betreuung und Einwilligungsvorbehalt (1) Die Betreuung ist aufzuheben, wenn ihre Voraussetzungen wegfallen. Fallen diese Voraussetzungen nur fiir einen Teil der Aufgaben des Betreuers weg, so ist dessen Aufgabenkreis einzuschranken. (2) '1st der Betreuer auf Antrag des Betreuten bestellt, so ist die Betreuung auf dessen Antrag aufzuheben, es sei denn, dass eine Betreuung von Amts wegen erforderlich ist. ^Den Antrag kann auch ein Geschaftsunfahiger stellen. ^Die Satze 1 und 2 gelten fiir die Einschrankung des Aufgabenkreises entsprechend.
1 Materielles Betreuungsrecht (§ § 1896ff. BOB)
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(3) 'Der Aufgabenkreis des Betreuers ist zu erweitem, wenn dies erforderlich wird. ^Die Vorschriften Uber die Bestellung des Betreuers gelten hierfiir entsprechend. (4) Fur den Einwilligungsvorbehalt gelten die Absatze 1 und entsprechend. § 1908f RGB Anerkennung als Betreuungsverein (1) Bin rechtsfahiger Verein kann als Betreuungsverein anerkannt werden, wenn er gewahrleistet, dass er 1. eine ausreichende Zahl geeigneter Mitarbeiter hat und diese beaufsichtigen, weiterbilden und gegen Schaden, die diese anderen im Rahmen ihrer Tatigkeit zufiigen konnen, angemessen versichern wird, 2. sich planmaBig um die Gewinnung ehrenamtlicher Betreuer bemtiht, diese in ihre Aufgaben einfuhrt, fortbildet und sie sowie Bevollmdchtigte berat, 2a. planmaBig uber VorsorgevoUmachten und Betreuungsverfiigungen informiert, 3. einen Erfahrungsaustausch zwischen den Mitarbeitem ermoglicht. (2) ^Die Anerkennung gilt fiir das jeweilige Land\ sie kann auf einzelne Landesteile beschrankt werden. ^Sie ist widerruflich und kann unter Auflagen erteilt werden. (3) ^Das Nahere regelt das Landesrecht. ^Es kann auch weitere Voraussetzungen fur die Anerkennung vorsehen. (4) Die anerkannten Betreuungsvereine konnen im Einzelfall Personen hei der Errichtung einer Vorsorgevollmacht heraten, §1908gBGB Behordenbetreuer (1) Gegen einen Behordenbetreuer wird kein Zwangsgeld nach § 1837 Abs.3 Satz 1 festgesetzt. (2) Der Behordenbetreuer kann Geld des Betreuten gemaB § 1807 auch bei der Korperschaft anlegen, bei der er tatig ist. § 19081 BGB
Entsprechend anwendbare Vorschriften
(1) Im Uhrigen sind auf die Betreuung § 1632 Ahs. 1 his 5, §§ 1784, 1787 Ahs. /, § 1791a Ahs. 3 Satz 1 zweiter Halhsatz und Satz 2, §§ 1792, 1795 his 1797 Ahs. 1 Satz 2, §§ 1798, 1799, 1802, §§ 1803, 1805 his 1821, 1822 ISr.l his 4, 6 his 13, §§ 1823 his 1826, 1828 his 1836, 1836c his 1836e, 1837 Ahs.l his 3, §§ 1839 his, 1843, 1845, 1846, 1857a, 1888, 1890^/5 \S95 sinngemafianzuwenden. (2) ^§ 1804 ist sinngemaB anzuwenden, jedoch kann der Betreuer in Vertretung des Betreuten Gelegenheitsgeschenke auch dann machen, wenn dies dem Wunsch des Betreuten entspricht und nach seinen Lebensverhaltnissen ublich ist. ^§ 1857a
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Anhang 1 Gesetzestexte
ist auf die Betreuung durch den Vater, die Mutter, den Ehegatten, den Lebenspartner oder einen Abkommling des Betreuten sowie auf den Vereinsbetreuer und den Behordenbetreuer sinngemaB anzuwenden, soweit das Vormundschaftsgericht nichts anderes anordnet.
2.
GemaB § 1908 i BGB entsprechend anwendbare Bestimmungen
Durch das 2. BtAndG eingefiigte oder geanderte Absatze sind fett-kursiv gesetzt. § 1632 BGB
Herausgabe des Kindes; Bestimmung des Umgangs; Verbleibensanordnung bei Familienpflege
(1) Die Personensorge umfasst das Recht, die Herausgabe des Kindes von jedem zu verlangen, der es den Eitem oder einem Elternteil widerrechtlich vorenthalt. (2) Die Personensorge umfasst femer das Recht, den Umgang des Kindes auch mit Wirkung fiir und gegen Dritte zu bestimmen. (3) Uber Streitigkeiten, die eine Angelegenheit nach Absatz i oder 2 betreffen, entscheidet das Familiengericht auf Antrag eines Eltemteils. § 1698b BGB Fortfuhrung dringender Geschafte nach Tod des Kindes Endet die elterliche Sorge durch den Tod des Kindes, so haben die Eltern die Geschafte, die nicht ohne Gefahr aufgeschoben werden konnen, zu besorgen, bis der Erbe anderweit Fursorge treffen kann. § 1784 BGB
Beamter oder Religionsdiener als Vormund
(1) Ein Beamter oder Religionsdiener, der nach den Landesgesetzen einer besonderen Erlaubnis zur Ubemahme einer Vormundschaft bedarf, soil nicht ohne die vorgeschriebene Erlaubnis zum Vormund bestellt werden. (2) Diese Erlaubnis darf nur versagt werden, wenn ein wichtiger dienstlicher Grund vorliegt. § 1787 BGB
Folgen der unbegrundeten Ablehnung
(1) Wer die Ubemahme der Vormundschaft ohne Grund ablehnt, ist, wenn ihm ein Verschulden zur Last fallt, ftir den Schaden verantwortlich, der dem Mundel dadurch entsteht, dass sich die Bestellung des Vormundes verzogert.
2 Gemafi § 1908 i BGB entsprechend anwendbare Bestimmungen
§ 1791a BGB
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Vereinsvormundschaft
(3) ^ ^ Haibsatz ^^^^ Person, die den Mundel in einem Heim des Vereins als Erzieher betreut, darf die Aufgaben des Vormunds nicht ausuben. ^Fur ein Verschulden des Mitglieds oder des Mitarbeiters ist der Verein dem Mundel in gleicher Weise verantwortlich wie fiir ein Verschulden eines verfassungsmal3ig berufenen Vertreters. § 1792 BGB
Gegenvormund
(1) 'Neben dem Vormund kann ein Gegenvormund bestellt werden. ^Ist das Jugendamt Vormund, so kann kein Gegenvormund bestellt werden; das Jugendamt kann Gegenvormund sein. (2) Ein Gegenvormund soil bestellt werden, wenn mit der Vormundschaft eine Vermogensverwaltung verbunden ist, es sei denn, dass die Verwaltung nicht erheblich oder dass die Vormundschaft von mehreren Vormiindem gemeinschaftlich zu fiihren ist. (3) Ist die Vormundschaft von mehreren Vormiindem nicht gemeinschaftlich zu ftihren, so kann der eine Vormund zum Gegenvormund des anderen bestellt werden. (4) Auf die Beruftang und Bestellung des Gegenvormunds sind die ftir die Begrtindung der Vormundschaft geltenden Vorschriften anzuwenden § 1795 BGB
Ausschluss der Vertretungsmacht
(1) Der Vormund kann den Mtindel nicht vertreten: 1. bei einem Rechtsgeschaft zwischen seinem Ehegatten, seinem Lebenspartner oder einem seiner Verwandten in gerader Linie einerseits und dem Mundel andererseits, es sei denn, dass das Rechtsgeschaft ausschlieBlich in der Erftillung einer Verbindlichkeit besteht; 2. bei einem Rechtsgeschaft, das die Ubertragung oder Belastung einer durch Pfandrecht, Hypothek, Schiffshypothek oder Burgschaft gesicherten Forderung des Mundels gegen den Vormund oder die Aufliebung oder Minderung dieser Sicherheit zum Gegenstand hat oder die Verpflichtung des MUndels zu einer solchen Ubertragung, Belastung, Aufhebung oder Minderung begrtindet; 3. bei einem Rechtsstreit zwischen den in Nummer 1 bezeichneten Personen sowie bei einem Rechtsstreit uber eine Angelegenheit der in Nummer 2 bezeichneten Art. (2) Die Vorschrift des § 181 bleibt unberuhrt.
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Anhang 1 Gesetzestexte
§ 1796 BGB
Entziehung der Vertretungsmacht
(1) Das Vormundschaftsgericht kann dem Vormund die Vertretung fiir einzelne Angelegenheiten oder fiir einen bestimmten Kreis von Angelegenheiten entziehen. (2) Die Entziehung soil nur erfolgen, wenn das Interesse des Mundels zu dem Interesse des Vormundes oder eines von diesem vertretenen Dritten oder einer der in § 1795 Nr.l bezeichneten Personen in erheblichem Gegensatz steht. § 1797 BGB
Mehrere Vormunder
(1) ^^^^ ^Bei einer Meinungsverschiedenheit entscheidet das Vormundschaftsgericht, sofern nicht bei der Bestellung ein anderes bestimmt wird. § 1798 BGB
Meinungsverschiedenheiten
Steht die Sorge fiir die Person und die Sorge fiir das Vermogen des Mundels verschiedenen Vormtindem zu, so entscheidet bei einer Meinungsverschiedenheit iiber die Vornahme einer sowohl die Person als das Vermogen des Mundels betreffenden Handlung das Vormundschaftsgericht. § 1799 BGB
Pflichten und Rechte des Gegenvormunds
(1) Der Gegenvormund hat darauf zu achten, dass der Vormund die Vormundschaft pflichtmaBig fiihrt. Er hat dem Vormundschaftsgericht Pflichtwidrigkeiten des Vormundes sowie jeden Fall unverztiglich anzuzeigen, in welchem das Vormundschaftsgericht zum Einschreiten berufen ist, insbesondere den Tod des Vormundes oder den Eintritt eines anderen Umstandes, inft)lge dessen das Amt des Vormundes endigt oder die Entlassung des Vormundes erforderlich wird. (2) Der Vormund hat dem Gegenvormund auf Verlangen uber die Fuhrung der Vormundschaft Auskunft zu erteilen und die Einsicht der sich auf die Vormundschaft beziehenden Papiere zu gestatten. § 1802 BGB
Vermogensverzeichnis
(1) 'Der Vormund hat das Vermogen, das bei der Anordnung der Vormundschaft vorhanden ist oder spater dem Mtindel zufallt, zu verzeichnen und das Verzeichnis, nachdem er es mit der Versicherung der Richtigkeit und Vollstandigkeit versehen hat, dem Vormundschaftsgericht einzureichen. ^Ist ein Gegenvormund vorhanden, so hat ihn der Vormund bei der Aufiiahme des Verzeichnisses zuzuziehen; das Verzeichnis ist auch von dem Gegenvormund mit der Versicherung der Richtigkeit und Vollstandigkeit zu versehen. (2) Der Vormund kann sich bei der Aufiiahme des Verzeichnisses der Hilfe eines Beamten, eines Notars oder eines anderen Sachverstandigen bedienen. (3) Ist das eingereichte Verzeichnis ungenugend, so kann das Vormundschaftsgericht anordnen, dass das Verzeichnis durch eine zustandige Behorde oder durch einen zustandigen Beamten oder Notar aufgenommen wird.
2 GemaB § 1908 i BGB entsprechendanwendbareBestimmungen
§ 1803 BGB
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Vermogensverwaltung bei Erbschaft oder Schenkung
(1) Was der Mundel von Todes wegen erwirbt oder was ihm unter Lebenden von einem Dritten unentgeltlich zugewendet wird, hat der Vormund nach den Anordnungen des Erblassers oder des Dritten zu verwalten, wenn die Anordnungen von dem Erblasser durch letztwillige Verfugung, von dem Dritten bei der Zuwendung getroffen worden sind. (2) Der Vormund darf mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts von den Anordnungen abweichen, wenn ihre Befolgung das Interesse des Mundels gefahrden wiirde. (3) ^Zu einer Abweichung von den Anordnungen, die ein Dritter bei einer Zuwendung unter Lebenden getroffen hat, ist, solange er lebt, seine Zustimmung erforderlich und gentigend. ^Die Zustimmung des Dritten kann durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden, wenn der Dritte zur Abgabe einer Erklarung dauemd auBerstande oder sein Aufenthalt dauernd unbekannt ist. § 1804 BGB
Schenkungen des Vormunds
'Der Vormund kann nicht in Vertretung des MUndels Schenkungen machen. ^Ausgenommen sind Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rucksicht entsprochen wird. § 1805 BGB
Verwendung fiir den Vormund
'Der Vormund darf Vermogen des Mundels weder fur sich noch fiir den Gegenvormund verwenden. ^Ist das Jugendamt Vormund oder Gegenvormund, so ist die Anlegung von Mundelgeld gemaB § 1807 auch bei der Korperschaft zulassig, bei der das Jugendamt errichtet ist. § 1806 BGB
Anlegung von Mundelgeld
Der Vormund hat das zum Vermogen des Miindels gehorende Geld verzinslich anzulegen, soweit es nicht zur Bestreitung von Ausgaben bereit zu halten ist. § 1807 BGB
Art der Anlegung
(1) Die im § 1806 vorgeschriebene Anlegung von Mundelgeld soil nur erfolgen: 1. in Forderungen, fiir die eine sichere Hypothek an einem inlandischen Grundstuck besteht, oder in sicheren Grundschulden oder Rentenschulden an inlandischen Grundstiicken; 2. in verbrieften Forderungen gegen den Bund oder ein Land sowie in Forderungen, die in das Bundesschuldbuch oder Landesschuldbuch eines Landes eingetragen sind; 3. in verbrieften Forderungen, deren Verzinsung vom Bund oder einem Land gewahrleistet ist;
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Anhang 1 Gesetzestexte
4. in Wertpapieren, insbesondere Pfandbriefen, sowie in verbrieften Forderungen jeder Art gegen eine inlandische kommunale Korperschaft oder die Kreditanstalt einer solchen Korperschaft, sofern die Wertpapiere oder die Forderungen von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats zur Anlegung von Mundelgeld ftir geeignet erklart sind; 5. bei einer inlandischen offentlichen Sparkasse, wenn sie von der zustandigen Behorde des Bundesstaats, in welchem sie ihren Sitz hat, zur Anlegung von Mundelgeld fiir geeignet erklart ist, oder bei einem anderen Kreditinstitut, das einer fiir die Anlage ausreichenden Sicherungseinrichtung angehort. (2) Die Landesgesetze konnen ftir die innerhalb ihres Geltungsbereichs belegenen Grundstucke die Grundsatze bestimmen, nach denen die Sicherheit einer Hypothek, einer Grundschuld oder einer Rentenschuld festzustellen ist. § 1808 BGB
(weggefallen)
§ 1809 BGB
Anlegung mit Sperrvermerk
Der Vormund soil Mundelgeld nach § 1807 Abs.l Nr.5 nur mit der Bestimmung anlegen, dass zur Erhebung des Geldes die Genehmigung des Gegenvormundes oder des Vormundschaftsgerichts erforderlich ist. § 1810 BGB
Mitwirkung von Gegenvormund oder Vormundschaftsgericht
^Der Vormund soil die in den §§ 1806, 1807 vorgeschriebene Anlegung nur mit Genehmigung des Gegenvormundes bewirken; die Genehmigung des Gegenvormundes wird durch die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ersetzt. ^Ist ein Gegenvormund nicht vorhanden, so soil die Anlegung nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erft)lgen, sofern nicht die Vormundschaft von mehreren Vormundem gemeinschaftlich gefiihrt wird. § 1811 BGB
Andere Anlegung
'Das Vormundschaftsgericht kann dem Vormund eine andere Anlegung als die in § 1807 vorgeschriebene gestatten. ^Die Erlaubnis soil nur verweigert werden, wenn die beabsichtigte Art der Anlegung nach Lage des Falles den Grundsatzen einer wirtschaftlichen Vermogensverwaltung zuwiderlaufen wiirde. § 1812 BGB
Verfiigungen iiber Forderungen und Wertpapiere
(1) 'Der Vormund kann uber eine Forderung oder tiber ein anderes Recht, kraft dessen der Miindel eine Leistung verlangen kann, sowie uber ein Wertpapier des Mtindels nur mit Genehmigung des Gegenvormundes verfligen, sofern nicht nach den §§ 1819 bis 1822 die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich ist. ^Das gleiche gilt von der Eingehung der Verpflichtung zu einer solchen Verfugung.
2 GemaB § 1908 i BOB entsprechend anwendbare Bestimmungen
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(2) Die Genehmigung des Gegenvormundes wird durch die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ersetzt (3) 1st ein Gegenvormund nicht vorhanden, so tritt an die Stelle der Genehmigung des Gegenvormundes die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, sofern nicht die Vormundschaft von mehreren Vormundem gemeinschaftlich geftihrt wird. § 1813 BGB
Genehmigungsfreie Geschafte
(1) Der Vormund bedarf nicht der Genehmigung des Gegenvormundes zur Annahme einer geschuldeten Leistung: 1. wenn der Gegenstand der Leistung nicht in Geld oder Wertpapieren besteht; 2. wenn der Anspruch nicht mehr als 3.000 Euro betragt; 3. wenn Geld zuruckgezahlt wird, das der Vormund angelegt hat; 4. wenn der Anspruch zu den Nutzungen des Mundelvermogens gehort; 5. wenn der Anspruch auf Erstattung von Kosten der Ktindigung oder der Rechtsverfolgung oder auf sonstige Nebenleistungen gerichtet ist. (2) 'Die Befi*eiung nach Absatz 1 Nr.2, 3 erstreckt sich nicht auf die Erhebung von Geld, bei dessen Anlegung ein anderes bestimmt worden ist. ^Die Befreiung nach Absatz 1 Nr.3 gilt auch nicht ftir die Erhebung von Geld, das nach § 1807 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 angelegt ist. § 1814 BGB
Hinterlegung von Inhaberpapieren
'Der Vormund hat die zu dem Vermogen des Mundels gehorenden Inhaberpapiere nebst den Emeuerungsscheinen bei einer Hinterlegungsstelle oder bei einem der in § 1807 Abs.l Nr.5 genannten Kreditinstitute mit der Bestimmung zu hinterlegen, dass die Herausgabe der Papiere nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts verlangt werden kann. ^Die Hinterlegung von Inhaberpapieren, die nach § 92 zu den verbrauchbaren Sachen gehoren, sowie von Zins-, Renten- oder Gewinnanteilscheinen ist nicht erforderlich. ^Den Inhaberpapieren stehen Orderpapiere gleich, die mit Blankoindossament versehen sind. § 1815 BGB
Umschreibung und Umwandlung von Inhaberpapieren
(1) 'Der Vormund kann die Inhaberpapiere, statt sie nach § 1814 zu hinterlegen, auf den Namen des Mundels mit der Bestimmung umschreiben lassen, dass er uber sie nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts verftigen kann. ^Sind die Papiere vom Bund oder einen Land ausgestellt, so kann er sie mit der gleichen Bestimmung in Schuldbuchforderungen gegen den Bund oder das Land umwandeln lassen. (2) Sind Inhaberpapiere zu hinterlegen, die in Schuldbuchforderungen gegen den Bund oder ein Land umgewandelt werden k5nnen, so kann das Vormundschafts-
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Anhang 1 Gesetzestexte
gericht anordnen, dass sie nach Absatz 1 in Schuldbuchforderungen umgewandelt werden. § 1816 BGB
Sperrung von Buchforderungen
Gehoren Schuldbuchforderungen gegen den Bund oder ein Land bei der Anordnung der Vormundschaft zu dem Vermogen des Mundels oder erwirbt der Mundel spater solche Forderungen, so hat der Vormund in das Schuldbuch den Vermerk eintragen zu lassen, dass er uber die Forderungen nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts verfligen kann. § 1817 BGB
Befreiung
(1) Das Vormundschaftsgericht kann den Vormund auf dessen Antrag von den ihm nach den §§ 1806 bis 1816 obliegenden Veipflichtungen entbinden, soweit 1. der Umfang der Vermogensverwaltung dies rechtfertigt und 2. eine Gefahrdung des Vermogens nicht zu besorgen ist. Die Voraussetzungen der Nummer 1 liegen im Regelfall vor, wenn der Wert des Vermogens ohne Beriicksichtigung von Grundbesitz 6.000 Euro nicht ubersteigt. (2) Das Vormundschaftsgericht kann aus besonderen Griinden den Vormund von den ihm nach den §§ 1814, 1816 obliegenden Verpflichtungen auch dann entbinden, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr.l nicht vorliegen. § 1818 BGB
Anordnung der Hinterlegung
Das Vormundschaftsgericht kann aus besonderen Griinden anordnen, dass der Vormund auch solche zu dem Vermogen des Mundels gehorende Wertpapiere, zu deren Hinterlegung er nach § 1814 nicht verpflichtet ist, sowie Kostbarkeiten des Mundels in der im § 1814 bezeichneten Weise zu hinterlegen hat; auf Antrag des Vormundes kann die Hinterlegung von Zins-, Renten- und Gewinnanteilscheinen angeordnet werden, auch wenn ein besonderer Grund nicht vorliegt. § 1819 BGB
Genehmigung bei Hinterlegung
'Solange die nach § 1814 oder nach § 1818 hinterlegten Wertpapiere oder Kostbarkeiten nicht zurtickgenommen sind, bedarf der Vormund zu einer Verftigung tiber sie und, wenn Hypotheken-, Grundschuld- oder Rentenschuldbriefe hinterlegt sind, zu einer Verftigung uber die Hypothekenforderung, die Grundschuld oder die Rentenschuld der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. ^Das gleiche gilt von der Eingehung der Verpflichtung zu einer solchen Verftigung.
2 GemaB § 1908 i BGB entsprechend anwendbare Bestimmungen
§ 1820 BGB
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Genehmigung nach Umschreibung und Umwandlung
(1) Sind Inhaberpapiere nach § 1815 auf den Namen des Mtindels umgeschrieben oder in Schuldbuchforderungen umgewandelt, so bedarf der Vormund auch zur Eingehung der Verpflichtung zu einer Verfugung Uber die sich aus der Umschreibung oder der Umwandlung ergebenden Stammforderungen der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. (2) Das gleiche gilt, wenn bei einer Schuldbuchforderung des Mtindels der im § 1816 bezeichnete Vermerk eingetragen ist. § 1821 BGB
Genehmigung fiir Geschafte iiber Grundstiicke, Schiffe oder Schiffsbauwerke
(1) Der Vormund bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts: 1. zur Verfugung iiber ein Grundstuck oder iiber ein Recht an einem Grundstiick; 2. zur Verfiigung iiber eine Forderung, die auf Ubertragung des Eigentums an einem Grundstiick oder auf Begriindung oder Ubertragung eines Rechts an einem Grundstiick oder auf Befreiung eines Grundstiicks von einem solchen Recht gerichtet ist; 3. zur Verfugung iiber ein eingetragenes Schiff oder Schiffsbauwerk oder uber eine Forderung, die auf Ubertragung des Eigentums an einem eingetragenen Schiff oder Schiffsbauwerk gerichtet ist; 4. zur Eingehung einer Verpflichtung zu einer der in den Nummern 1 bis 3 bezeichneten Verfiigungen; 5. zu einem Vertrag, der auf den entgeltlichen Erwerb eines Grundstucks, eines eingetragenen Schiffs oder Schiffsbauwerks oder eines Rechts an einem Grundstiick gerichtet ist. (2) Zu den Rechten an einem Grundstiick im Sinne dieser Vorschriften gehoren nicht Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden. § 1822 BGB
Genehmigung fur sonstige Geschafte
Der Vormund bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts: 1. zu einem Rechtsgeschaft, durch das der Miindel zu einer Verfugung uber sein Vermogen im ganzen oder iiber eine ihm angefallene Erbschaft oder iiber seinen kiinftigen gesetzlichen Erbteil oder seinen kunftigen Pflichtteil verpflichtet wird, sowie zu einer Verfugung iiber den Anteil des Mundels an einer Erbschaft; 2. zur Ausschlagung einer Erbschaft oder eines Vermachtnisses, zum Verzicht auf einen Pflichtteil sowie zu einem Erbteilungsvertrag;
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Anhang 1 Gesetzestexte
3. zu einem Vertrag, der auf den entgeltlichen Erwerb oder die VerauBerung eines Erwerbsgeschafts gerichtet ist, sowie zu einem Gesellschaftsvertrag, der zum Betrieb eines Erwerbsgeschafts eingegangen wird; 4. zu einem Pachtvertrag uber ein Landgut oder einen gewerblichen Betrieb; 5. ,.,-im Betreuungsrecht nicht anwendbar6. zu einem Lehrvertrag, der fur langere Zeit als ein Jahr geschlossen wird; 7. zu einem auf die Eingehung eines Dienst- oder Arbeitsverhaltnisses gerichteten Vertrag, wenn der Miindel zu personlichen Leistungen fiir langere Zeit als ein Jahr verpflichtet werden soil; 8. zur Aufnahme von Geld auf den Kredit des Mtindels; 9. zur Ausstellung einer Schuldverschreibung auf den Inhaber oder zur Eingehung einer Verbindlichkeit aus einem Wechsel oder einem anderen Papier, das durch Indossament iibertragen werden kann; 10. zur Ubemahme einer fremden Verbindlichkeit, insbesondere zur Eingehung einer Biirgschaft; 11. zur Erteilung einer Prokura; 12. zu einem Vergleich oder einem Schiedsvertrag, es sei denn, dass der Gegenstand des Streites oder der Ungewissheit in Geld schatzbar ist und den Wert von 3.000 Euro nicht iibersteigt oder der Vergleich einem schriftlichen oder protokollierten gerichtlichen Vergleichsvorschlag entspricht; 13. zu einem Rechtsgeschaft, durch das die fiir eine Forderung des Mtindels bestehende Sicherheit aufgehoben oder gemindert oder die Verpflichtung dazu begriindet wird. § 1823 BGB
Genehmigung bei einem Erwerbsgeschaft des Mtindels
Der Vormund soil nicht ohne Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ein neues Erwerbsgeschaft im Namen des Mtindels begirmen oder ein bestehendes Erwerbsgeschaft des Mtindels auflosen. § 1824 BGB
Genehmigung ftir die Uberlassung von Gegenstanden an den Mtindel
Der Vormund kann Gegenstande, zu deren Veraufierung die Genehmigung des Gegenvormundes oder des Vormundschaftsgerichts erforderlich ist, dem Mtindel nicht ohne diese Genehmigung zur Erfiillung eines von diesem geschlossenen Vertrags oder zu freier Verfiigung tiberlassen.
2 GemaB § 1908 i BGB entsprechend anwendbare Bestimmungen
§ 1825 BGB
301
Allgemeine Ermachtigung
(1) Das Vormundschaftsgericht kann dem Vormund zu Rechtsgeschaften, zu denen nach § 1812 die Genehmigung des Gegenvormundes erforderlich ist, sowie zu den im § 1822 Nr.8 bis 10 bezeichneten Rechtsgeschaften eine allgemeine Ermachtigung erteilen. (2) Die Ermachtigung soil nur erteilt werden, wenn sie zum Zwecke der Vermogensverwaltung, insbesondere zum Betrieb eines Erwerbsgeschafts, erforderlich ist. § 1826 BGB
Anhorung des Gegenvormunds vor Erteilung der Genehmigung
Das Vormundschaftsgericht soil vor der Entscheidung liber die zu einer Handlung des Vormundes erforderliche Genehmigung den Gegenvormund horen, sofern ein solcher vorhanden und die Anhorung tunlich ist. § 1828 BGB
Erklarung der Genehmigung
Das Vormundschaftsgericht kann die Genehmigung zu einem Rechtsgeschaft nur dem Vormund gegeniiber erklaren. § 1829 BGB
Nachtragliche Genehmigung
(1) ^SchlieBt der Vormund einen Vertrag ohne die erforderliche Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, so hangt die Wirksamkeit des Vertrags von der nachtraglichen Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ab. ^Die Genehmigung sowie deren Verweigerung wird dem anderen Teil gegeniiber erst wirksam, wenn sie ihm durch den Vormund mitgeteilt wird. (2) Fordert der andere Teil den Vormund zur Mitteilung dariiber auf, ob die Genehmigung erteilt sei, so kann die Mitteilung der Genehmigung nur bis zum Ablauf von zwei Wochen nach dem Empfang der Aufforderung erfolgen; erfolgt sie nicht, so gilt die Genehmigung als verweigert. (3) Ist der Mundel volljahrig geworden, so tritt seine Genehmigung an die Stelle der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. § 1830 BGB
Widerrufsrecht des Geschaftspartners
Hat der Vormund dem anderen Teil gegenuber der Wahrheit zuwider die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts behauptet, so ist der andere Teil bis zur Mitteilung der nachtraglichen Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zum Widerruf berechtigt, es sei denn, dass ihm das Fehlen der Genehmigung bei dem Abschluss des Vertrags bekannt war.
302
Anhang 1 Gesetzestexte
§ 1831 BOB
Einseitiges Rechtsgeschaft ohne Genehmigung
*Ein einseitiges Rechtsgeschaft, das der Vormund ohne die erforderliche Genehmigung des Vormundschaftsgerichts vomimmt, ist unwirksam. ^Nimmt der Vormund mit dieser Genehmigung ein solches Rechtsgeschaft einem anderen gegeniiber vor, so ist das Rechtsgeschaft unwirksam, wenn der Vormund die Genehmigung nicht in schriftlicher Form vorlegt und der andere das Rechtsgeschaft aus diesem Grund unverzuglich zuriickweist. § 1832 BOB
Genehmigung des Gegenvormunds
Soweit der Vormund zu einem Rechtsgeschaft der Genehmigung des Gegenvormundes bedarf, flnden die Vorschriften der §§ 1828 bis 1831 entsprechende Anwendung. § 1833 BOB
Haftung des Vormunds
(1) 'Der Vormund ist dem Mundel ftir den aus einer Pflichtverletzung entstehenden Schaden verantwortlich, wenn ihm ein Verschulden zur Last fallt. ^Das gleiche gilt von dem Gegenvormund. (2) 'Sind fiir den Schaden mehrere nebeneinander verantwortlich, so haften sie als Gesamtschuldner. ^Ist neben dem Vormund fiir den von diesem verursachten Schaden der Gegenvormund oder ein Mitvormund nur wegen Verletzung seiner Aufsichtspflicht verantwortlich, so ist in ihrem Verhaltnis zueinander der Vormund allein verpflichtet. § 1834 BGB
Verzinsungspflicht
Verwendet der Vormund Geld des Mundels fiir sich, so hat er es von der Zeit der Verwendung an zu verzinsen. § 1835 BGB
Aufwendungsersatz
(1) ^Macht der Vormund zum Zwecke der Fuhrung der Vormundschaft Aufwendungen, so kann er nach den fiir den Auftrag geltenden Vorschriften der §§ 669, 670 von dem Miindel Vorschuss oder Ersatz verlangen. ^Das gleiche Recht steht dem Gegenvormund zu; fur den Ersatz von Fahrtkosten gilt die in § 5 des Justizvergutungs- und -entschadigungsgesetzes uber die Entschadigung von Zeugen und Sachverstandigen fiir Sachverstandige getroffene Regelung entsprechend. ^Ersatzanspriiche erloschen, wenn sie nicht binnen 15 Monaten nach ihrer Entstehung gerichtlich geltend gemacht werden; die Geltendmachung des Anspruchs beim Vormundschaftsgericht gilt dabei auch als Geltendmachung gegeniiber dem Mundel. (la) Das Vormundschaftsgericht kann eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Frist von mindestens zwei Monaten bestimmen. In der Fristbestimmung ist iiber die Folgen der Versaumung der Frist zu belehren. Die Frist kann auf Antrag vom
2 GemaB § 1908 IBGB entsprechendanwendbareBestimmungen
303
Vormundschaftsgericht verlangert werden. Der Anspruch erlischt, soweit er nicht innerhalb der Frist beziffert wird. (2) ^Aufwendungen sind auch die Kosten einer angemessenen Versicherung gegen Schaden, die dem MUndel durch den Vormund oder Gegenvormund zugefiigt werden konnen oder die dem Vormund oder Gegenvormund dadurch entstehen konnen, dass er einem Dritten zum Ersatz eines durch die Fiihrung der Vormundschaft verursachten Schadens verpflichtet ist; dies gilt nicht to die Kosten der Haftpflichtversicherung des Halters eines Kraftfahrzeugs. ^Satz 1 ist nicht anzuwenden, wenn der Vormund oder Gegenvormund eine VergUtung nach § 1836 AbsA Satz 2 in Verbindung mit dem Vormunder- und Betreuervergutungsgesetz erhdlt. (3) Als Aufwendungen gelten auch solche Dienste des Vormundes oder des Gegenvormundes, die zu seinem Gewerbe oder seinem Beruf gehoren. (4) ^Ist der MUndel mittellos, so kann der Vormund Vorschuss und Ersatz aus der Staatskasse verlangen. ^Absatz 1 Satz 3 und Abs.la gelten entsprechend. (5) ^Das Jugendamt oder ein Verein kann als Vormund oder Gegenvormund fiir Aufwendungen keinen Vorschuss und Ersatz nur insoweit verlangen, als das einzusetzende Einkommen und Verm5gen des MUndels ausreicht. ^Allgemeine Verwaltungskosten einschlieUlich der Kosten nach Absatz 2 werden nicht ersetzt. § 1835a BGB Aufwandsentschadigung (1) 'Zur Abgeltung seines Anspruchs auf Aufwendungsersatz kann der Vormund als Aufwandsentschadigung flir jede Vormundschaft, fiir die ihm keine VergUtung zusteht, einen Geldbetrag verlangen, der flir ein Jahr dem neunzehnfachen dessen entspricht, was einem Zeugen als Hochstbetrag der Entschadigung fiir eine Stunde versaumter Arbeitszeit (§ 22 des JustizvergUtungs- und -entschadigungsgesetzes) gewahrt werden kann (Aufwandsentschadigung). ^Hat der Vormund fiir solche Aufwendungen bereits Vorschuss oder Ersatz erhalten, so verringert sich die Aufwandsentschadigung entsprechend. (2) Die Aufwandsentschadigung ist jahrlich zu zahlen, erstmals ein Jahr nach Bestellung des Vormunds. (3) Ist der MUndel mittellos, so kann der Vormund die Aufwandsentschadigung aus der Staatskasse verlangen; UnterhaltsansprUche des MUndels gegen den Vormund sind insoweit bei der Bestimmung des Einkommens nach § 1836c Nr.l nicht zu berUcksichtigen. (4) Der Anspruch auf Aufwandsentschadigung erlischt, wenn er nicht binnen drei Monaten nach Ablauf des Jahres, in dem der Anspruch entsteht, geltend gemacht wird; die Geltendmachung des Anspruchs beim Vormundschaftsgericht gilt auch als Geltendmachung gegenUber dem MUndel.
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Anhang 1 Gesetzestexte
(5) Dem Jugendamt oder einem Verein kann keine Aufwandsentschadigung gewahrt werden. § 1836 BGB
Vergutung des Vormunds
(1) ^Die Vormundschaft wird unentgeltlich gefuhrt. ^Sie wird ausnahmsweise entgeltlich gefuhrt, wenn das Gericht bei der Bestellung des Vormunds feststellt, dass der Vormund die Vormundschaft berufsmdfiig filhrt. ^Das Ndhere regelt das Vormunder- und Betreuervergutungsgesetz. (2) Trifft das Gericht keine Feststellung nach Absatz 1 Satz 2, so kann es dem Vormund und aus besonderen Grunden auch dem Gegenvormund gleichwohl eine angemessene Vergtitung bewilligen, soweit der Umfang oder die Schwierigkeit der vormundschaftlichen Geschdfte dies rechtfertigen; dies gilt nicht, wenn der Milndel mittellos ist, (3) Dem Jugendamt oder einem Verein kann keine Vergutung bewilligt werden, § 1836c BGB Einzusetzende Mittel des Mundels ^Der Mundel hat einzusetzen 1. nach Mafigabe des § 87 des Zwolften Buches Sozialgesetzbuch sein Einkommen, soweit es zusammen mit dem Einkommen seines nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners die nach den §§ 82, 85 Abs.l und § 86 des Zwolf ten Buches Sozialgesetzbuch maUgebende Einkommensgrenze fur die Hilfe nach dem Funften bis Neunten Kapitel des Zwolften Buches Sozialgesetzbuch ubersteigt. Wird im Einzelfall der Einsatz eines Teils des Einkommens zur Deckung eines bestimmten Bedarfs im Rahmen der Hilfe nach dem Funften bis Neunten Kapitel des Zwolften Buches Sozialgesetzbuch zugemutet oder verlangt, darf dieser Teil des Einkommens bei der Priifung, inwieweit der Einsatz des Einkommens zur Deckung der Kosten der Vormundschaft einzusetzen ist, nicht mehr beriicksichtigt werden. ^Als Einkommen gelten auch Unterhaltanspruche sowie die wegen Entziehung einer solchen Forderung zu entrichtenden Renten; 2. sein Vermogen nach MaBgabe des § 90 des Zwolften Buches Sozialgesetzbuch. § 1836d BGB Mittellosigkeit des Mundels Der Mundel gilt als mittellos, wenn er den Aufsvendungsersatz oder die Vergutung aus seinem einzusetzenden Einkommen oder Vermogen 1. nicht oder nur zum Teil oder nur in Raten oder 2. nur im Wege gerichtlicher Geltendmachung von Unterhaltsanspriichen aufbringen kann.
2 GemaB § 1908 i BGB entsprechend anwendbare Bestimmungen
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§ 1836e BGB Gesetzlicher Forderungsiibergang (1) 'Soweit die Staatskasse den Vormund oder Gegenvormund befriedigt, gehen Anspriiche des Vormundes oder Gegenvormundes gegen den MUndel auf die Staatskasse uber. ^Der Ubergegangene Anspruch erlischt in zehn Jahren vom Ablauf des Jahres an, in dem die Staatskasse die Aufwendungen oder die Vergutung bezahlt hat. ^Nach dem Tode des Mundels haflet sein Erbe nur mit dem Wert des im Zeitpunkt des Erbfalles vorhandenen Nachlasses; § 92c Abs.3 und 4 des Bundessozialhilfegesetzes gilt entsprechend, § 1836c fmdet auf den Erben keine Anwendung. (2) Soweit Anspruche gemaB § 1836c Nr.l Satz 2 einzusetzen sind, fmdet zugunsten der Staatskasse § 850b der Zivilprozessordnung keine Anwendung. § 1837 BGB
Beratung und Aufsicht
(1) ^Das Vormundschaftsgericht berat die Vormiinder. ^Es wirkt dabei mit, sie in ihre Aufgaben einzufuhren. (2) 'Das Vormundschaftsgericht hat iiber die gesamte Tatigkeit des Vormundes und des Gegenvormundes die Aufsicht zu fiihren und gegen Pflichtwidrigkeiten durch geeignete Gebote und Verbote einzuschreiten. ^Es kann dem Vormund und dem Gegenvormund aufgeben, eine Versicherung gegen Schaden, die sie dem MUndel zufiigen konnen, einzugehen. (3) 'Das Vormundschaftsgericht kann den Vormund und den Gegenvormund zur Befolgung seiner Anordnungen durch Festsetzung von Zwangsgeld anhalten. ^Gegen das Jugendamt oder einen Verein wird kein Zwangsgeld festgesetzt. § 1839 BGB
Auskunftspflicht des Vormunds
Der Vormund sowie der Gegenvormund hat dem Vormundschaftsgericht auf Verlangen jederzeit uber die Fuhrung der Vormundschaft und uber die personlichen Verhaltnisse des Mundels Auskunft zu erteilen. § 1840 BGB
Bericht und Rechnungslegung
(1) Der Vormund hat (iber die pers5nlichen Verhaltnisse des Miindels dem Vormundschaftsgericht mindestens einmal jahrlich zu berichten. (2) Der Vormund hat uber seine Vermogensverwaltung dem Vormundschaftsgericht Rechnung zu legen. (3) 'Die Rechnung ist jahrlich zu legen. ^Das Rechnungsjahr wird von dem Vormundschaftsgericht bestimmt. (4) Ist die Verwaltung von geringem Umfang, so kann das Vormundschaftsgericht, nachdem die Rechnung fur das erste Jahr gelegt worden ist, anordnen, dass die Rechnung fur langere, hochstens dreijahrige Zeitabschnitte zu legen ist.
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Anhang 1 Gesetzestexte
§ 1841 BOB
Inhalt der Rechnungslegung
(1) Die Rechnung soil eine geordnete Zusammenstellung der Einnahmen und Ausgaben enthalten, iiber den Ab- und Zugang des Vermogens Auskunft geben und, soweit Belege erteilt zu werden pflegen, mit Belegen versehen sein. (2) 'Wird ein Erwerbsgeschaft mit kaufmannischer Buchfiihrung betrieben, so geniigt als Rechnung ein aus den Btichern gezogener Jahresabschluss. ^Das Vormundschaftsgericht kann jedoch die Vorlegung der Biicher und sonstigen Belege verlangen. § 1842 BGB
Mitwirkung des Gegenvormunds
'1st ein Gegenvormund vorhanden oder zu bestellen, so hat ihm der Vormund die Rechnung unter Nachweisung des Vermogensbestandes vorzulegen. ^Der Gegenvormund hat die Rechnung mit den Bemerkungen zu versehen, zu denen die Pniftmg ihm Anlass gibt. § 1843 BGB
Priifung durch das Vormundschaftsgericht
(1) Das Vormundschaftsgericht hat die Rechnung rechnungsmaBig und sachlich zu prtifen und, soweit erft)rderlich, ihre Berichtigung und Erganzung herbeizufiihren. (2) Ansprtiche, die zwischen dem Vormund und dem Mundel streitig bleiben, konnen schon vor der Beendigung des Vormundschaftsverhaltnisses im Rechtsweg geltend gemacht werden. § 1845 BGB
EheschlieBung des zum Vormund bestellten Elternteils
Will der zum Vormund bestellte Vater oder die zum Vormund bestellte Mutter des Mundels eine Ehe eingehen, so gilt § 1683 entsprechend. § 1846 BGB
Einstweilige MalJregeln des Vormundschaftsgerichts
1st ein Vormund noch nicht bestellt oder ist der Vormund an der Erfullung seiner Pflichten verhindert, so hat das Vormundschaftsgericht die im Interesse des Betroffenen erforderlichen MaBregeln zu treffen. § 1857a BGB Befreiung des Jugendamts und des Vereins Dem Jugendamt und einem Verein als Vormund stehen die nach § 1852 Abs.2, §§ 1853, 1854 zulassigen Befreiungen zu. § 1888 BGB
Entlassung von Beamten und Religionsdienern
Ist ein Beamter oder ein Religionsdiener zum Vormund bestellt, so hat ihn das Vormundschaftsgericht zu entlassen, wenn die Erlaubnis, die nach den Landesgesetzen zur Ubemahme der Vormundschaft oder zur Fortfiihrung der vor dem Eintritt in das Amts- oder Dienstverhaltnis iibemommenen Vormundschaft erforderlich ist, versagt oder zuriickgenommen wird oder wenn die nach den
2 Gemafi § 1908 iBGB entsprechendanwendbareBestimmungen
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Landesgesetzen zulassige Untersagung der Fortfuhrung der Vormundschaft erfolgt. § 1890 BGB
Vermogensherausgabe und Rechnungslegung
'Der Vormund hat nach der Beendigung seines Amtes dem Mundel das verwaltete Vermogen herauszugeben und uber die Verwaltung Rechenschaft abzulegen. ^Soweit er dem Vormundschaftsgericht Rechnung gelegt hat, geniigt die Bezugnahme auf diese Rechnung. § 1891 BGB
Mitwirkung des Gegenvormunds
(1) '1st ein Gegen vormund vorhanden, so hat ihm der Vormund die Rechnung vorzulegen. ^Der Gegenvormund hat die Rechnung mit den Bemerkungen zu versehen, zu denen die Prtifung ihm Anlass gibt. (2) Der Gegenvormund hat uber die Fuhrung der Gegenvormundschaft und, soweit er dazu imstande ist, uber das von dem Vormund verwaltete Vermogen auf Verlangen Auskunft zu erteilen. § 1892 BGB
Rechnungspriifung und -anerkennung
(1) Der Vormund hat die Rechnung, nachdem er sie dem Gegenvormund vorgelegt hat, dem Vormundschaftsgericht einzureichen. (2) 'Das Vormundschaftsgericht hat die Rechnung rechnungsmaBig und sachlich zu priifen und deren Abnahme durch Verhandlung mit den Beteiligten unter Zuziehung des Gegenvormundes zu vermitteln. ^Soweit die Rechnung als richtig anerkannt wird, hat das Vormundschaftsgericht das Anerkermtnis zu beurkunden. § 1893 BGB
Fortfuhrung der Geschafte nach Beendigung der Vormundschaft, Riickgabe von Urkunden
(1) Im Falle der Beendigung der Vormundschaft oder des vormundschaftlichen Amtes fmden die Vorschriften der §§ 1698a, 1698b entsprechende Anwendung. (2) 'Der Vormund hat nach Beendigung seines Amtes die Bestallung dem Vormundschaftsgericht zurtickzugeben. ^In den Fallen der §§ 1791a, 1791b ist die schriftliche Verftigung des Vormundschaftsgerichts, im Falle des § 1791c die Bescheinigung uber den Eintritt der Vormundschaft zurtickzugeben. § 1894 BGB
Anzeige bei Tod des Vormunds
(1) Den Tod des Vormundes hat dessen Erbe dem Vormundschaftsgericht unverziiglich anzuzeigen. (2) Den Tod des Gegenvormundes oder eines Mitvormundes hat der Vormund unverztiglich anzuzeigen.
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Anhang 1 Gesetzestexte
§ 1895 BGB
Amtsende des Gegenvormunds
Die Vorschriften der §§ 1886 bis 1889, 1893, 1894 finden auf den Gegenvormund entsprechende Anwendung.
3,
Formelles Betreuungsrecht (§§ 65 ff. F G C ' )
Durch das 2. BtAndG eingefiigte oder geMnderte Absatze sind fett-kursiv gesetzt. § 65 FGG
Betreuungssachen, Zustandigkeit
(1) Fur Verrichtungen, die die Betreuung betreffen, ist das Gericht zustandig, in dessen Bezirk der Betroffene zu der Zeit, zu der das Gericht mit der Angelegenheit befasst wird, seinen gewohnlichen Aufenthalt hat. (2) Hat der Betroffene im Inland keinen gewohnlichen Aufenthalt oder ist ein solcher nicht feststellbar, so ist das Gericht zustandig, in dessen Bezirk das Bedurfiiis der Fursorge hervortritt. (3) Ist der Betroffene Deutscher und ergibt sich die Zustandigkeit weder aus Absatz 1 noch aus Absatz 2, so ist das Amtsgericht Schoneberg in BerlinSchoneberg zustandig. (4) Ist fiir den Betroffenen bereits ein Betreuer bestellt, so ist das Gericht, bei dem die Betreuung anhangig ist, auch fiir weitere die Betreuung betreffende Verrichtungen zustandig. (5) Fur vorlaufige MaBregeln nach Artikel 24 Abs.3 des Einfuhrungsgesetzes zum Burgerlichen Gesetzbuche sowie Mal3regeln nach § 1908i Abs.l Satz 1 in Verbindung mit § 1846 des Burgerlichen Gesetzbuchs und einstweilige Anordnungen nach § 69f ist auch das Gericht zustandig, in dessen Bezirk das Bedurfnis der Fursorge hervortritt. Das Gericht soil von den angeordneten MaBregeln dem nach den Absatzen 1, 3 und 4 zustandigen Gericht Mitteilung machen. (6) Ein Richter auf Probe darfim ersten Jahr nach seiner Ernennung nicht in Betreuungssachen tatig sein. § 65a FGG
Betreuungssachen, Abgabe
(1) 'Fiir die Abgabe an ein anderes Vorntundschaftsgericht gelten §46 Abs.l erster Halbsatz, Abs.2 Satz 1 erste Alternative und Abs.2 Satz 2, § 36 Abs.2 Satz 2 entsprechend. ^Als ein wichtiger Grund fiir die Abgabe ist es in der Regel anzusehen, wenn sich der gewohnliche Aufenthalt des Betroffenen geandert hat
Zuletzt geandert durch Gesetz vom 23.07.2002, BGBl. I, 2850.
3 Formelles Betreuungsrecht (§§ 65 ff. FGG )
309
und die Aufgaben des Betreuers im wesentlichen am neuen Aufenthaltsort zu erfullen sind; der Anderung des gewohnlichen Aufenthalts steht ein tatsachlicher Aufenthalt von mehr als einem Jahr an einem anderen Ort gleich, ^Sind mehrere Betreuer flir unterschiedliche Aufgabenkreise bestellt, so kann das Gericht aus wichtigem Grund auch das nur einen Betreuer betreffende Verfahren abgeben. (2) Vor der Abgabe ist dent Betroffenen und dent Betreuer, sofern der Betroffene einen solchen bereits erhalten hat, Gelegenheit zurAufierung zu geben. § 66 FGG
Betreuungssachen. Verfahrensfahigkeit
In Verfahren, die die Betreuung betreffen, ist der Betroffene ohne Rucksicht auf seine Geschaftsfahigkeit verfahrensfahig. § 67 FGG
Betreuungssachen, Pflegerbestellung
(1) ^Soweit dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist, bestellt das Gericht dem Betroffenen einen Pfleger fur das Verfahren. ^Die Bestellung ist in der Regel erforderlich, wenn 1. nach § 68 Abs.2 von der personlichen Anhorung des Betroffenen abgesehen werden soil, 2. Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen oder die Erweiterung des Aufgabenkreises hierauf ist; dies gilt auch, wenn der Gegenstand des Verfahrens die in § 1896 Abs.4 und § 1905 des Burgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Angelegenheiten nicht erfasst. Von der Bestellung kann in den Fallen des Satzes 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht. "^Die Nichtbestellung ist zu begrtinden. ^Die Bestellung ist stets erforderlich, wenn Gegenstand des Verfahrens die Genehmigung einer Einwilligung des Betreuers in die Sterilisation (§ 1905 Abs.2 des Burgerlichen Gesetzbuchs) ist. ^Die Bestellung soil unter bleiben oder aufgehoben werden, wenn der Betroffene von einem Rechtsanwalt oder von einem anderen geeigneten VerfahrensbevoUmachtigten vertreten wird. ^§ 1897 Abs.6 Satz 1 des Burgerlichen Gesetzbuchs gilt entsprechend, (2) Die Bestellung erfolgt fiir jeden Rechtszug gesondert, erfasst jedoch auch die Einlegung und Begrundung eines Rechtsmittels. § 67a FGG (1) Der Pfleger fur das Verfahren erhdlt Ersatz seiner Aufwendungen nach §1835 Abs. 1 bis 2 des Burgerlichen Gesetzbuchs, Vorschuss kann nicht verlangt werden. Eine Behorde und ein Verein als Pfleger erhalten keinen Aufwendungsersatz.
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Anhang 1 Gesetzestexte
(2) § 1836 Abs. 1 und 3 des Burgerlichen Gesetzbuchs gilt entsprechend. Wird die Pflegschaft ausnahmsweise berufsmdfiig gefiihrt, erhdlt der Pfleger neben den Aufwendungen nach Absatz 1 eine Vergutung in entsprechender Anwendung der §§ 1 bis 3 Abs. 1 und 2 des VormUnder- und Betreuervergutungsgesetzes. (3) Anstelle des Aufwendungsersatzes und der Vergutung nach den Absdtzen 1 und 2 kann das Vormundschaftsgericht dent Pfleger einen festen Geldbetrag zubilligen, wenn die fur die Fuhrung der Pflegschaftsgeschdfte erforderliche Zeit vorhersehbar und ihre Ausschopfung durch den Pfleger gewdhrleistet ist Bei der Bemessung des Geldbetrags ist die voraussichtlich erforderliche Zeit mit den in § 3 Abs. 1 des Vormunder- und Betreuervergutungsgesetzes bestimmten Stundensdtzen zuzuglich einer Aufwandspauschale von 3 Euro je veranschlagter Stunde zu verguten. Einer Nachweisung der vom Pfleger aufgewandten Zeit und der tatsdchlichen Aufwendungen bedarfes in diesem Fall nicht; weitergehende Aufwendungsersatz- und Vergutungsanspriiche des Pflegers sind ausgeschlossen. (4) Ist ein Mitarbeiter eines anerkannten Betreuungsvereins als Pfleger filr das Verfahren bestellt, stehen der Aufwendungsersatz und die Vergutung nach den Absdtzen 1 bis 3 dent Verein zu. § 7 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 des Vormunderund Betreuervergutungsgesetzes sowie § 1835 Abs. 5 Satz 2 des Burgerlichen Gesetzbuchs gelten entsprechend. Ist ein Bediensteter der Betreuungsbehorde als Pfleger filr das Verfahren bestellt, erhdlt die Betreuungsbehorde keinen Aufwendungsersatz und keine Vergutung. (5) Der Aufwendungsersatz und die Vergutung des Pflegers sind stets aus der Staatskasse zu zahlen. Im Ubrigen gilt § 56gAbs. 1 und 5 entsprechend. § 68 FGG
Betreuungssachen, Anhorung
(1) Vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts hat das Gericht den Betroffenen personlich anzuhoren und sich einen unmittelbaren Eindruck von ihm zu verschaffen. Den unmittelbaren Eindruck soil sich das Gericht in der ublichen Umgebung des Betroffenen verschaffen, wenn dieser es verlangt oder wenn es der Sachaufklarung dient und der Betroffene nicht widerspricht. Das Gericht unterrichtet ihn Uber den moglichen Verlauf des Verfahrens; es weist in geeigneten Fallen den Betroffenen auf die Moglichkeit der Vorsorgevollmacht und deren Inhalt hin. Verfahrenshandlungen nach Satz 1 durfen nur dann durch einen ersuchten Richter erfolgen, wenn von vornherein anzunehmen ist, dass das entscheidende Gericht das Ergebnis der Ermittlungen auch ohne eigenen Eindruck von dem Betroffenen zu wurdigen vermag. Hat der Betroffene seinen Aufenthalt nicht nur voriibergehend im Ausland, so erfolgen Verfahrenshandlungen nach Satz 1 bis 3 im Wege der intemationalen Rechtshilfe.
3 Formelles Betreuungsrecht (§§ 65 ff. FOG )
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(2) Die personliche Anhorung des Betroffenen kann unterbleiben, wenn 1. nach arztlichem Gutachten hiervon erhebliche Nachteile flir die Gesundheit des Betroffenen zu besorgen sind oder 2. der Betroffene nach dem unmittelbaren Eindruck des Gerichts offensichtlich nicht in der Lage ist, seinen Willen kundzutun. (3) Das Gericht kann den Betroffenen durch die zustandige Behorde vorfiihren lassen, wenn er sich weigert, an Verfahrenshandlungen nach Absatz 1 Satz 1 mitzuwirken. (4) Das Gericht kann einen Sachverstandigen hinzuziehen, wenn es den Betroffenen personlich anhort und sich einen unmittelbaren Eindruck von ihm verschafft. Auf Verlangen des Betroffenen ist einer Person seines Vertrauens die Anwesenheit zu gestatten. Anderen Personen kann das Gericht die Anwesenheit gestatten, jedoch nicht gegen den Willen des Betroffenen. (5) Das Ergebnis der Anhorung, das Gutachten des Sachverstandigen oder das arztliche Zeugnis, der etwaige Umfang des Aufgabenkreises und die Frage, welche Person oder Stelle als Betreuer in Betracht kommt, sind mit dem Betroffenen miindlich zu erortern, soweit dies zur Gewahrung des rechtlichen Gehors oder zur Sachaufklarung erforderlich ist (Schlussgesprach). Die Verfahrenshandlungen nach Absatz 1 Satz 1 und das Schlussgesprach konnen in einem Termin stattfinden. Absatz 4 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. § 68a FGG
Betreuungssachen, Gelegenheit zur AuBerung
Vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gibt das Gericht der zustandigen Behorde Gelegenheit zur AuBerung, wenn es der Betroffene verlangt oder wenn es der Sachaufklarung dient. Im Falle des § 1908a des Burgerlichen Gesetzbuchs gibt das Gericht auch dem gesetzlichen Vertreter des Betroffenen Gelegenheit zur AuBerung. In der Regel ist auch dem Ehegatten des Betroffenen, seinem Lebenspartner, seinen Eltem, Pflegeeltem und Kindem Gelegenheit zur AuBerung zu geben, es sei denn, der Betroffene widerspricht mit erheblichen Grunden. Auf Verlangen des Betroffenen ist einer ihm nahe stehenden Person und den in Satz 3 genannten Personen Gelegenheit zur AuBerung zu geben, wenn dies ohne erhebliche Verzogerung moglich ist. § 68b FGG
Betreuungssachen, Gutachten
(1) Ein Betreuer darf erst bestellt werden, nachdem das Gutachten eines Sachverstandigen Uber die Notwendigkeit der Betreuung eingeholt worden ist. Fur die Bestellung eines Betreuers auf Antrag des Betroffenen genugt ein arztliches Zeugnis, wenn der Betroffene auf die Begutachtung verzichtet hat und die Einholung des Gutachtens insbesondere im Hinblick auf den Umfang des Aufgabenkreises des Betreuers unverhaltnismaBig ware. Ein arztliches Zeugnis genugt auch, wenn ein Betreuer nur zur Geltendmachung von Rechten des Betroffenen gegen-
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Anhang 1 Gesetzestexte
uber seinem Bevollmachtigten bestellt wird. Der Sachverstandige hat den Betroffenen vor Erstattung des Gutachtens personlich zu untersuchen oder zu befragen. Kommt nach Auffassung des Sachverstandigen die Bestellung eines Betreuers in Betracht, so hat sich das Gutachten auch auf den Umfang des Aufgabenkreises und die voraussichtliche Dauer der Betreuungsbedurftigkeit zu erstrecken. (la) ^Das Gericht kann von der Einholung eines Gutachtens nach Absatz 1 Satz 1 absehen, soweit durch die Verwendung eines bestehenden drztlichen Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung nach § 18 des Elften Buches Sozialgesetzbuch festgestellt werden kann, inwieweit bei dent Betroffenen infolge einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Voraussetzungen fur die Bestellung eines Betreuers vorliegen. ^Das Gericht darf dieses Gutachten einschliefilich dazu vorhandener Befunde zur Vermeidung weiterer Gutachten bei der Pflegekasse anfordern. ^Das Gericht hat in seiner Anforderung anzugeben, fur welchen Zweck das Gutachten und die Befunde verwendet werden sollen. '^Das Gericht hat ubermittelte Daten unverzuglich zu loschen, wenn es feststellt, dass diese fiir den Verwendungszweck nicht geeignet sind. ^Kommt das Gericht zu der Uberzeugung, dass das eingeholte Gutachten und die Befunde im Verfahren zur Bestellung eines Betreuers geeignet sind, eine weitere Begutachtung ganz oder teilweise zu ersetzen, so hat es vor einer weiteren Verwendung die Einwilligung des Betroffenen oder des Pflegers fiir das Verfahren einzuholen. ^Wird die Einwilligung nicht erteilt, hat das Gericht die iibermittelten Daten unverzuglich zu loschen. ^Das Gericht kann unter den vorgenannten Voraussetzungen auf eine Begutachtung insgesamt verzichten, wenn die sonstigen Voraussetzungen fiir die Bestellung eines Betreuers zweifellos festgestellt werden konnen. (2) Fur die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gilt Absatz 1 Satz 1, 4 und 5 entsprechend. (3) Das Gericht kann anordnen, dass der Betroffene zur Vorbereitung eines Gutachtens untersucht und durch die zustandige Behorde zu einer Untersuchung vorgefuhrt wird. Die Anordnung ist nicht anfechtbar. (4) Das Gericht kann nach Anhorung eines Sachverstandigen anordnen, dass der Betroffene auf bestimmte Dauer untergebracht und beobachtet wird, soweit dies zur Vorbereitung des Gutachtens erforderlich ist. Der Betroffene ist vorher personlich anzuhoren. Die Unterbringung darf die Dauer von sechs Wochen nicht uberschreiten. Reicht dieser Zeitraum nicht aus, um die erforderlichen Erkenntnisse fiir das Gutachten zu erlangen, so kann die Unterbringung bis zu einer Gesamtdauer von drei Monaten verlangert werden. Fur die Vorfiihrung gilt Absatz 3 entsprechend.
3 Formelles Betreuungsrecht (§§ 65 ff. FGG )
§ 69 FGG
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Entscheidung, Inhalt
(1) Die Entscheidung, durch die ein Betreuer bestellt oder ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet wird, muss enthalten 1. die Bezeichnung des Betroffenen, 2. bei Bestellung eines Betreuers die Bezeichnung a) des Betreuers, b) seines Aufgabenkreises, 3. bei Bestellung eines Vereinsbetreuers oder Behordenbetreuers zusatzlich die Bezeichnung a) als Vereinsbetreuer oder Behordenbetreuer, b) des Vereins oder der Behorde, 4. bei Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts die Bezeichnung des Kreises der einwilligungsbedurftigen Willenserklarungen, 5. den Zeitpunkt, zu dem das Gericht spatestens uber die Aufhebung oder Verlangerung der MaBnahme zu entscheiden hat; dieser Zeitpunkt darf hochstens sieben Jahre nach Erlass der Entscheidung liegen, 6. eine Rechtsmittelbelehrung. (2) Die Entscheidung ist auch im Falle der Ablehnung einer MaBnahme zu begrtinden. § 69a FGG
Entscheidung, Bekanntmachung
(1) Entscheidungen sind dem Betroffenen stets selbst bekannt zu machen. Von der Bekanntmachung der Entscheidungsgrtinde an den Betroffenen kann abgesehen werden, wenn dies nach arztlichem Zeugnis wegen erheblicher Nachteile fur seine Gesundheit erforderlich ist. (2) Die Entscheidung, durch die ein Betreuer bestellt oder ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet wird, ist auch der zustandigen Behorde bekannt zu machen. Entscheidungen sind ihr auch dann bekannt zu machen, wenn ihr das Gericht im Verfahren Gelegenheit zur AuBerung gegeben hatte. (3) Entscheidungen werden mit der Bekanntmachung an den Betreuer wirksam. Ist die Bekanntmachung an den Betreuer nicht moglich oder ist Gefahr im Verzug, so kann das Gericht die sofortige Wirksamkeit anordnen. In diesem Falle wird die Entscheidung in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie und die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit dem Betroffenen oder dem Pfleger fiir das Verfahren bekannt gemacht oder der Geschaftsstelle des Gerichts zur Bekanntmachung ubergeben werden; der Zeitpunkt ist auf der Entscheidung zu vermerken.
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Anhang 1 Gesetzestexte
(4) Die Genehmigung der Einwilligung eines Betreuers in eine Sterilisation (§ 1905 Abs.2 des Burgerlichen Gesetzbuchs) wird mit der Bekanntmachung an den Verfahrenspfleger oder im Falle des § 67 Abs.l Satz 6 an den VerfahrensbevoUmachtigten sowie an den fiir die Entscheidung uber die Einwilligung in eine Sterilisation bestellten Betreuer wirksam. § 69b FGG
Betreuer, Verpflichtung, Bestallung
(1) Der Betreuer wird mundlich verpflichtet. Er ist uber seine Aufgaben zu unterrichten. Die Satze 1 und 2 gelten nicht fiir Vereinsbetreuer, Behordenbetreuer, Vereine und die zustandige Behorde. (2) Der Betreuer erhalt eine Urkunde uber seine Bestellung. Die Urkunde soil enthalten 1. die Bezeichnung des Betroffenen und des Betreuers, 2. bei Bestellung eines Vereinsbetreuers oder Behordenbetreuers diese Bezeichnung und die Bezeichnung des Vereins oder der Behorde, 3. den Aufgabenkreis des Betreuers, 4. bei Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts die Bezeichnung des Kreises der einwilligungsbedurftigen Willenserklarungen. (3) In geeigneten Fallen fuhrt das Gericht mit dem Betreuer und dem Betroffenen ein Einfiihrungsgesprach. § 69c FGG
Betreuer, Uberprufung
(1) Gegen die Auswahl der Person, der ein Verein die Wahmehmung der Betreuung ubertragen hat, kann der Betroffene gerichtliche Entscheidung beantragen. Das Vormundschaftsgericht kann dem Verein aufgeben, eine andere Person auszuwahlen, wenn einem Vorschlag des Betroffenen, dem keine wichtigen Grunde entgegenstehen, nicht entsprochen wurde oder die bisherige Auswahl dem Wohl des Betroffenen zuwiderlauft. § 33 ist nicht anzuwenden. (2) Ist die zustandige Behorde zum Betreuer bestellt, so gilt Absatz 2 entsprechend. § 69d FGG
Andere Entscheidungen, Verfahren
(1) Das Gericht soil den Betroffenen vor einer Entscheidung nach § 1908i Abs.l Satz 1 in Verbindung mit den §§ 1821, 1822 Nr.l bis 4, 6 bis 13, §§ 1823 und 1825 des Burgerlichen Gesetzbuchs personlich anhoren. Vor einer Entscheidung nach den §§ 1904, 1907 Abs.l und 3 des Burgerlichen Gesetzbuchs hat das Gericht den Betroffenen personlich anzuhoren. Die personliche Anhorung kann unterbleiben, wenn hiervon erhebliche Nachteile fur die Gesundheit des Betroffenen zu besorgen sind oder der Betroffene offensichtlich nicht in der Lage ist, seinen Willen kundzutun.
3 Formelles Betreuungsrecht (§§ 65 ff. FOG )
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(2) Vor der Genehmigung der Einwilligung eines Betreuers oder BevoUmachtigten in eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder einen arztlichen Eingriff (§ 1904 des Burgerlichen Gesetzbuchs) hat das Gericht das Gutachten eines Sachverstandigen einzuholen. Sachverstandiger und ausfxihrender Arzt sollen in der Regel nicht personengleich sein. § 68a Satz 3 und 4 gilt entsprechend. (3) Fur die Genehmigung der Einwilligung eines Betreuers in eine Sterilisation (§ 1905 Abs.2 des Burgerlichen Gesetzbuchs) gelten § 6S Abs.l Satz 1 und 3, Abs.5, §§ 68a und 69a Abs.l Satz 1, Abs.2 Satz 2 entsprechend. Verfahrenshandlungen durch den ersuchten Richter sind ausgeschlossen. Die Genehmigung darf erst erteilt werden, nachdem Gutachten von Sachverstandigen eingeholt sind, die sich auf die medizinischen, psychologischen, sozialen, sonderpadagogischen und sexualpadagogischen Gesichtspunkte erstrecken. Die Sachverstandigen haben den Betroffenen vor Erstattung des Gutachtens personlich zu untersuchen oder zu befragen. Sachverstandiger und ausftihrender Arzt dilrfen nicht personengleich sein. § 69e FGG
Anwendbare Bestimmungen, Zwangsgeld
(1) Im Ubrigen sind §§ 35b, 47, 53 Abs.l Satz 2, Abs.2, §§ 55 , 56g und 62 entsprechend anzuwenden. Das Vormundschaftsgericht kann im Fall des § 1901a des Burgerlichen Gesetzbuchs den Besitzer einer Betreuungsverfugung durch Festsetzung von Zwangsgeld zur Ablieferung der Betreuungsverfugung anhalten. Im Ubrigen gilt § 83 Abs.2 entsprechend. (2) Die Landesregierungen werden ermachtigt, durch Rechtsverordnung fur Antrage und Erklarungen auf Ersatz von Aufwendungen und Bewilligung von VergUtung Vordrucke einzufuhren. Soweit Vordrucke eingefiihrt sind, mussen sich Personen, die die Betreuung innerhalb der Berufsaustibung fahren, ihrer bedienen und als elektronisches Dokument einreichen, wenn dieses fiir die automatische Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist. Andemfalls liegt keine ordnungsgemaBe Geltendmachung im Sinne von § 1836 Abs.2 Satz 4 des Burgerlichen Gesetzbuchs vor. Die Landesregierungen konnen die Ermachtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen ubertragen. § 69f FGG
Betreuer, vorlaufiger
(1) Das Gericht kann durch einstweilige Anordnung einen vorlaufigen Betreuer bestellen oder einen vorlaufigen Einwilligungsvorbehalt anordnen, wenn 1. dringende Grunde fiir die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen flir die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalte gegeben sind und mit dem Aufschub Gefahr verbunden ware, 2. ein Srztliches Zeugnis uber den Zustand des Betroffenen vorliegt, 3. im Falle des § 67 ein Pfleger fiir das Verfahren bestellt worden ist und
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4. der Betroffene personlich angehort worden ist. Die Anhorung des Betroffenen kann auch durch einen ersuchten Richter erfolgen. § 69 Abs.l Satz 3 gilt entsprechend. Bei Gefahr im Verzug kann das Gericht die einstweilige Anordnung bereits vor der personlichen Anhorung des Betroffenen sowie vor Bestellung und Anhorung des Pflegers fiir das Verfahren erlassen; die Verfahrenshandlungen sind unverzuglich nachzuholen. (2) Eine einstweilige Anordnung darf die Dauer von sechs Monaten nicht uberschreiten; sie kann nach Anhorung eines Sachverstandigen durch weitere einstweilige Anordnungen bis zu einer Gesamtdauer von einem Jahr verlangert werden. (3) Das Gericht kann durch einstweilige Anordnung einen Betreuer entlassen, wenn dringende Grunde fur die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen fiir die Entlassung vorliegen und mit dem Aufschub Gefahr verbunden ware. (4) Die einstweilige Anordnung wird auch mit der Ubergabe an die Geschaftsstelle zum Zwecke der Bekanntmachung wirksam. Das Gericht hat den Zeitpunkt der Ubergabe auf der Entscheidung zu vermerken. § 69g FGG
Betreuerbestellung, Beschwerde
(1) Die Beschwerde gegen die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen, die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts und eine Entscheidung, durch die die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts abgelehnt wird, steht unbeschadet des § 20 dem Ehegatten des Betroffenen, dem Lebenspartner des Betroffenen, denjenigen, die mit dem Betroffenen in gerader Linie verwandt oder verschwagert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt sind, sowie der zustandigen Behorde zu. Macht der Vertreter der Staatskasse geltend, der Betreuer habe eine Abrechnung vorsdtzUch falsch erteilt oder der Betreute konne anstelle eines nach § 1897 Abs.6 Satz 1 des Biirgerlichen Gesetzbuchs bestellten Betreuers durch eine oder mehrere andere geeignete Personen auBerhalb einer Berufsaustibung betreut werden, so steht ihm gegen einen die Entlassung des Betreuers ablehnenden Beschluss die Beschwerde zu. (2) Der Betreuer kann gegen eine Entscheidung, die seinen Aufgabenkreis betrifft, auch im Namen des Betreuten Beschwerde einlegen. Fuhren mehrere Betreuer ihr Amt gemeinschaftlich, so kann jeder von ihnen fiir den Betroffenen selbstandig Beschwerde einlegen. (3) Der Betroffene kann, wenn er untergebracht ist, die Beschwerde auch bei dem Amtsgericht einlegen, in dessen Bezirk er untergebracht ist
3 Formelles Betreuungsrecht (§§ 65 ff. FGG )
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(4) Die sofortige Beschwerde fmdet statt gegen Entscheidungen, 1. durch die ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet oder abgelehnt wird, 2. durch die die Weigerung, sich zum Betreuer bestellen zu lassen, zuriickgewiesen worden ist, 3. durch die ein Betreuer gegen seinen Willen entlassen worden ist. Die Beschwerdefrist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem die Entscheidung dem Betreuer bekannt gemacht worden ist. Im Falle der Nummer 1 beginnt fiir den Betroffenen die Frist nicht vor der Bekanntmachung an ihn selbst, spatestens jedoch mit Ablauf von ftinf Monaten nach Bekanntmachung an den Betreuer. (5) Fur das Beschwerdeverfahren gelten die Vorschriften uber den ersten Rechtszug entsprechend. Verfahrenshandlungen nach § 68 Abs.l Satz 1 durfen nur dann durch einen beauflragten Richter vorgenommen werden, wenn von vomherein anzunehmen ist, dass das Beschwerdegericht das Ergebnis der Ermittlungen auch ohne eigenen Eindruck von dem Betroffenen zu wiirdigen vermag. Das Beschwerdegericht kann von solchen Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden und von einer emeuten Vornahme keine zusatzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Das Beschwerdegericht kann seine Entscheidung auf im ersten Rechtszug eingeholte Gutachten oder vorgelegte arztliche Zeugnisse stiitzen. § 69h FGG
Einwilligungsvorbehalt, Aufhebung
Wird eine Entscheidung, durch die ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet worden ist, als ungerechtfertigt aufgehoben, so kann die Wirksamkeit der von oder gegenuber dem Betroffenen vorgenommenen Rechtsgeschafte nicht auf Grund dieses Einwilligungsvorbehalt in Frage gestellt werden. § 69i FGG
Betreuerbestellung, Anderung
(1) Fur die Erweiterung des Aufgabenkreises des Betreuers gelten die Vorschriften Uber die Bestellung des Betreuers entsprechend. Wird der Aufgabenkreis nur unwesentlich erweitert oder liegen Verfahrenshandlungen nach § 6S Abs.l und § 68b nicht langer als sechs Monate zurtick, so kann das Gericht von einer emeuten Vomahme dieser Verfahrenshandlungen absehen; in diesem Falle muss es den Betroffenen anhoren. Eine unwesentliche Erweiterung liegt insbesondere dann nicht vor, wenn erstmals ganz oder teilweise die Personensorge oder wenn eine der in § 1896 Abs.4, §§1904 bis 1906 des BUrgerlichen Gesetzbuchs genannten Aufgaben in den Aufgabenkreis einbezogen wird. (2) Fur die Erweiterung des Kreises der einwilligungsbediirftigen Willenserklamngen gilt Absatz 1 entsprechend. (3) Fiir die Aufhebung der Betreuung, die Einschrankung des Aufgabenkreises des Betreuers, die Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts oder die Einschrankung
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des Kreises der einwilligungsbedurftigen Willenserklarungen gelten §§ 68a, 69a Abs.2 Satz 1 und § 69g Abs.l, 4 entsprechend. (4) Hat das Gericht nach § 68b Abs.l Satz 2 von der Einholung eines Gutachtens abgesehen, so ist die Begutachtung nachzuholen, wenn ein Antrag des Betroffenen auf Aufhebung der Betreuung oder auf Einschrankung des Aufgabenkreises des Betreuers erstmals abgelehnt werden soil. (5) Fur die Bestellung eines weiteren Betreuers nach § 1899 des Biirgerlichen Gesetzbuchs gilt Absatz 1, soweit damit eine Erweiterung des Aufgabenkreises verbunden ist; im Ubrigen gelten §§ 68a und 69g Abs.l entsprechend. (6) Fur die Verlangerung der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gelten die Vorschriften fiir die erstmalige Entscheidung entsprechend. Von der emeuten Einholung eines Gutachtens kann abgesehen werden, wenn sich aus der personlichen Anhorung des Betroffenen und einem arztlichen Zeugnis ergibt, dass sich der Umfang der Betreuungsbedurftigkeit offensichtlich nicht verringert hat. (7) Widerspricht der Betroffene der Entlassung des Betreuers (§ 1908b des Biirgerlichen Gesetzbuchs), so hat das Gericht den Betroffenen und den Betreuer personlich anzuhoren. § 69d Abs.l Satz 3 gilt entsprechend. (8) Vor der Bestellung eines neuen Betreuers nach § 1908c des Biirgerlichen Gesetzbuchs ist der Betroffene personlich anzuhoren, es sei denn, der Betroffene hat sein Einverstandnis mit dem Betreuerwechsel erklart; im Ubrigen gelten die §§ 68a, 69d Abs.l Satz 3 und § 69g Abs.l entsprechend. § 69k FGG
Betreuungsverfahren, Mitteilungen
(1) Entscheidungen teilt das Vormundschaftsgericht anderen Gerichten, Behorden oder sonstigen offentlichen Stellen mit, soweit dies unter Beachtung berechtigter Interessen des Betroffenen nach den Erkenntnissen im gerichtlichen Verfahren erforderlich ist, um eine erhebliche Gefahr far das Wohl des Betroffenen, fiir Dritte oder flir die offentliche Sicherheit abzuwenden. (2) Ergeben sich im Verlauf eines gerichtlichen Verfahrens Erkenntnisse, die eine Mitteilung nach Absatz 1 vor Abschluss des Verfalirens erfordern, so hat das Gericht unverziiglich Mitteilung zu machen. (3) Das Vormundschaftsgericht unterrichtet zugleich mit der Mitteilung den Betroffenen, seinen Pfleger fiir das Verfahren und seinen Betreuer uber deren Inhalt und iiber den Empfanger. Die Unterrichtung des Betroffenen unterbleibt, wenn 1. der Zweck des Verfahrens oder der Zweck der Mitteilung durch die Unterrichtung gefahrdet wurde,
3 Formelles Betreuungsrecht (§§ 65 ff FGG )
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2. nach arztlichem Zeugnis hiervon erhebliche Nachteile fiir die Gesundheit des Betroffenen zu besorgen sind oder 3. der Betroffene nach dem unmittelbaren Eindruck des Gerichts offensichtlich nicht in der Lage ist, den Inhalt der Unterrichtung zu verstehen. Sobald die Griinde nach Satz 2 entfallen, ist die Unterrichtung nachzuholen. (4) Der Inhalt der Mitteilung, die Art und Weise ihrer Ubermittlung, der Empfanger, die Unterrichtung des Betroffenen oder die Griinde fiir das Unterbleiben dieser Unterrichtung sowie die Unterrichtung des Pflegers fiir das Verfahren und des Betreuers sind aktenkundig zu machen. (5) (aufgehoben) (6) (aufgehoben § 691 FGG
Betreuungsverfahren, besondere Mitteilungen
(1) Wird einem Betroffenen ausweislich der Entscheidung nach § 69 Abs.l oder nach § 69i Abs. 1 zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein Betreuer bestellt oder der Aufgabenkreis hierauf erweitert, so teilt das Vormundschaftsgericht dies der fiir die Fiihrung des Wahlerverzeichnisses zustandigen Behorde mit. Dies gilt auch, wenn die Entscheidung die in § 1896 Abs.4 und § 1905 des Burgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Angelegenheiten nicht erfasst. Eine Mitteilung hat auch dann zu erfolgen, wenn eine Betreuung nach den Satzen 1 und 2 auf andere Weise als durch den Tod des Betroffenen endet oder wenn sie eingeschrankt wird. (2) Wird ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet, der sich auf die Aufenthaltsbestimmung des Betroffenen erstreckt, so teilt das Vormundschaftsgericht dies der Meldebehorde unter Angabe des Betreuers mit. Eine Mitteilung hat auch zu erfolgen, wenn der Einwilligungsvorbehalt nach Satz 1 aufgehoben wird oder ein Wechsel in der Person des Betreuers eintritt. (3) (aufgehoben). § 69in FGG
Unterbringung, Mitteilungen
(1) Wahrend der Dauer einer Unterbringungsmal3nahme sind die Bestellung eines Betreuers, die sich auf die Aufenthaltsbestimmung des Betroffenen erstreckt, die Aufhebung einer solchen Betreuung und jeder Wechsel in der Person des Betreuers dem Leiter der Einrichtung mitzuteilen, in der der Betroffene lebt. (2) (aufgehoben).
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§ 69n FGG
Dateniibermittlung von Amts wegen
AuBer in den sonst in diesem Gesetz, in § 16 des Einfuhrungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz sowie in § 70 Satz 2 und 3 des Jugendgerichtsgesetzes genannten Fallen darf das Vormundschaftsgericht Entscheidungen oder Erkenntnisse aus dem Verfahren, aus denen die Person des Betroffenen erkennbar ist, von Amts wegen nur zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten an Gerichte oder Behorden mitteilen, soweit nicht flir die ubermittelnde Stelle erkennbar ist, dass schutzwtirdige Interessen des Betroffenen an dem Ausschluss der Ubermittlung uberwiegen. § 69 Abs.3 und 4 gilt entsprechend. § 69o FGG
Verwendbarkeit der Mitteilung
Fur Mitteilungen nach den §§69 bis 69n gelten die §§ 19 und 20 des Einfiihrungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz. Betreffen Mitteilungen nach den §§69 oder 69n eine andere Person als den Betroffenen, so gilt auch § 21 des Einfuhrungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz. § 70 FGG
UnterbringungsmaBnahmen
(1) Die folgenden Vorschriften gelten fur Verfahren tiber UnterbringungsmaBnahmen. UnterbringungsmaBnahmen sind 1. die Genehmigung einer Unterbringung, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, a) eines Kindes (§§ 1631b, 1800, 1915 des Burgerlichen Gesetzbuchs) und b) eines Betreuten (§ 1906 Abs.l bis 3 des Burgerlichen Gesetzbuchs) oder einer Person, die einen Dritten zu ihrer Unterbringung, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, bevollmachtigt hat (§ 1906 Abs.5 des Burgerlichen Gesetzbuchs); 2. die Genehmigung einer MaBnahme nach § 1906 Abs.4 des Burgerlichen Gesetzbuchs und 3. die Anordnung einer freiheitsentziehenden Unterbringung nach den Landesgesetzen uber die Unterbringung psychisch Kranker. Fur UnterbringungsmaBnahmen mit Ausnahme solcher nach § 1631b des Burgerlichen Gesetzbuchs sind die Vormundschaftsgerichte zustandig. (2) Fur UnterbringungsmaBnahmen nach Absatz 1 Satz 2 Nr.l und 2 ist das Gericht zustandig, bei dem eine Vormundschaft oder eine Betreuung oder Pflegschaft, deren Aufgabenbereich die Unterbringung umfasst, anhangig ist. Ist ein solches Verfahren nicht anhangig, so findet §65 Abs.l bis 3 entsprechende Anwendung. In den Fallen der Satze 1 und 2 gilt fur vorlaufige MaBregeln § 65 Abs.5 entsprechend.
3 Formelles Betreuungsrecht (§§ 65 ff. FOG )
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(3) ^Das Vormundschaftsgericht kann das Verfahren ilber die Unterbringungsmafinahme nach Anhorung des gesetzlichen Vertreters und des Betroffenen an das Gericht abgeben, in dessen Bezirk sich der Betroffene aufhdlt und die Unterbringungsmafinahme vollzogen werden soil, wenn sich das Gericht zur Ubernahme des Verfahrens bereit erkldrt; § 46 Abs.2 Satz 1 erste Alternative gilt entsprechend, ^Wird das gemeinschaftliche obere Gericht angerufen, so ist das Gericht, an das das Verfahren abgegeben werden soil, von dem Eingang der Akten bei ihm an bis zu der Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts fiir eine vorlaufige MaBregel zustandig. ^Eine weitere Abgabe ist zulassig. "^Das nach der Abgabe zustandige Gericht ist auch far die Verlangerung einer UnterbringungsmaBnahme zustandig. (4) Fur UnterbringungsmaBnahmen nach Absatz 1 Satz 2 Nr.l und 2 gelten die §§ 35b und 47 entsprechend. (5) Fur eine UnterbringungsmaBnahme nach Absatz 1 Satz 2 Nr.3 ist das Gericht zustandig, in dessen Bezirk das Bediirfnis fur die Unterbringung hervortritt. Befindet sich der Betroffene bereits in einer Einrichtung zur freiheitsentziehenden Unterbringung, ist das Gericht zustandig, in dessen Bezirk die Einrichtung liegt. (6) Die Landesregierungen werden ermachtigt, zur sachdienlichen Forderung oder schnelleren Erledigung die Verfahren liber UnterbringungsmaBnahmen nach Absatz 1 Satz 2 Nr.3 durch Rechtsverordnung einem Amtsgericht fur die Bezirke mehrerer Amtsgerichte zuzuweisen. Die Landesregierungen konnen die Ermachtigung auf die Landesjustizverwaltungen ubertragen. (7) Ist fiir die UnterbringungsmaBnahme ein anderes Gericht zustandig als dasjenige, bei dem eine Vormundschaft oder eine die Unterbringung erfassende Betreuung oder Pflegschaft anhangig ist, so teilt dieses Gericht dem fiir die UnterbringungsmaBnahme zustandigen Gericht die Aufhebung der Vormundschaft, Betreuung oder Pflegschaft, den Wegfall des Aufgabenbereiches Unterbringung und einen Wechsel in der Person des Vormunds, Betreuers oder Pflegers mit; das fiir die UnterbringungsmaBnahme zustandige Gericht teilt dem anderen Gericht die Unterbringungsmafinahme, ihre Anderung, Verlangerung und Aufhebung mit. § 70a FGG
Unterbringung, Verfahrensfahigkeit
Der Betroffene ist ohne Rucksicht auf seine Geschaftsfahigkeit verfahrensfahig, wenn er das vierzehnte Lebensjahr vollendet hat. § 70b FGG
Unterbringung, Pflegerbestellung
(1) Soweit dies zur Wahmehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist, bestellt das Gericht dem Betroffenen einen Pfleger fiir das Verfahren. Die Bestellung ist insbesondere erforderlich, wenn nach § 68 Abs.2 von der personlichen Anhorung des Betroffenen abgesehen werden soil. § 67a gilt entsprechend.
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(2) Bestellt das Gericht dem Betroffenen keinen Pfleger fur das Verfahren, so ist dies in der Entscheidung, durch die eine UnterbringungsmaBnahme getroffen wird, zu begrunden. (3) Die Bestellung soil unterbleiben oder aufgehoben werden, wenn der Betroffene von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmachtigten vertreten wird. (4) Die Bestellung endet, sofern sie nicht vorher aufgehoben wird, 1. mit der Rechtskraft der das Verfahren abschliel3enden Entscheidung oder 2. mit dem sonstigen Abschluss des Verfahrens. § 70c FGG
Unterbringung, Anhorung des Betroffenen
Vor einer UnterbringungsmaBnahme hat das Gericht den Betroffenen personlich anzuhoren und sich einen unmittelbaren Eindruck von ihm zu verschaffen. Den unmittelbaren Eindruck verschafft sich das Gericht, soweit dies erforderlich ist, in der ublichen Umgebung des Betroffenen. Das Gericht unterrichtet ihn uber den moglichen Verlauf des Verfahrens. Verfahrenshandlungen nach Satz 1 sollen nicht durch einen ersuchten Richter erfolgen. Im Ubrigen gilt § 68 Abs.l Satz 5, Abs.2 bis 5 entsprechend. § 70d FGG
Gelegenheit zur AuBerung
(1) Vor einer UnterbringungsmaBnahme gibt das Gericht Gelegenheit zur AuBerung 1. dem Ehegatten des Betroffenen, wenn die Ehegatten nicht dauernd getrennt leben, la. dem Lebenspartner des Betroffenen, wenn die Lebenspartner nicht dauernd getrennt leben, 2. jedem Eltemteil und Kind, bei dem der Betroffene lebt oder bei Einleitung des Verfahrens gelebt hat, 3. dem Betreuer des Betroffenen, 4. einer von dem Betroffenen benannten Person seines Vertrauens, 5. dem Leiter der Einrichtung, in der der Betroffene lebt, und 6. der zustandigen Behorde. Das Landesrecht kann vorsehen, dass weiteren Personen und Stellen Gelegenheit zur AuBerung zu geben ist. (2) Ist der Betroffene minderjahrig, sind die Eltemteile, denen die Personensorge zusteht, der gesetzliche Vertreter in personlichen Angelegenheiten und die Pflegeeltem personlich anzuhoren.
3 FormellesBetreuungsrecht(§§65ff. FGG)
§ 70e FGG
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Sachverstandigengutachten
(1) Vor einer UnterbringungsmaBnahme nach § 70 Abs.l Satz 2 Nr.l und 3 hat das Gericht das Gutachten eines Sachverstandigen einzuholen, der den Betroffenen personlich zu untersuchen oder zu befragen hat. Der Sachverstandige soil in der Regel Arzt fiir Psychiatric sein; in jedem Fall muss er Arzt mit Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychiatric sein. Fiir cine Unterbringungsmal3nahme nach § 70 Abs.l Satz 2 Nr.2 geniigt ein arztliches Zeugnis. (2) § 68b Abs.3 und 4 gilt entsprechend. § 70f FGG
Unterbringungsentscheidung, Inhalt
(1) Die Entscheidung, durch die cine UnterbringungsmaBnahme getroffen wird, muss enthalten 1. die Bezeichnung des Betroffenen, 2. die nahere Bezeichnung der UnterbringungsmaBnahme, 3. den Zeitpunkt, zu dem die UnterbringungsmaBnahme endet, wenn sic nicht vorher verlangert wird; dieser Zeitpunkt darf hochstens ein Jahr, bei offensichtlich langer Unterbringungsbedurftigkeit hochstens zwei Jahre nach Erlass der Entscheidung hegen, 4. eine Rechtsmittelbelehrung. (2) Die Entscheidung ist auch im Falle der Ablehnung zu begriinden. § 70g FGG
Unterbringungsentscheidung, Bekanntmachung
(1) Entscheidungen sind dem Betroffenen stets selbst bekannt zu machen. Von der Bekanntmachung der Entscheidungsgrtinde an den Betroffenen kann abgesehen werden, wenn dies nach arztlichem Zeugnis wegen erheblicher Nachteile fur seine Gesundheit erforderlich ist. (2) Die Entscheidung, durch die eine UnterbringungsmaBnahme getroffen wird, ist auch den in § 70d genannten Personen und Stellen sowie dem Leiter der Einrichtung, in der der Betroffene untergebracht werden soil, bekannt zu machen. Der zustandigen Behorde sind die Entscheidungen stets bekannt zu machen, wenn ihr das Gericht im Verfahren Gelegenheit zur AuBerung gegeben hatte. (3) Die Entscheidung, durch die eine UnterbringungsmaBnahme getroffen oder abgelehnt wird, wird erst mit Rechtskraft wirksam. Das Gericht kann jedoch die sofortige Wirksamkeit anordnen. "In diesem Falle wird die Entscheidung in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie und die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit dem Betroffenen, dem Pfleger fiir das Verfahren oder dem Betreuer bekannt gemacht, der Geschaftsstelle des Gerichts zur Bekanntmachung ubergeben oder einem Dritten zum Zweck des VoUzugs der Entscheidung mitgeteilt werden; der Zeitpunkt ist auf der Entscheidung zu vermerken.
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(4) Eine Vorfuhrung auf Anordnung des Gerichts ist von der zustandigen Behorde durchzufiihren. (5) Die zustandige Behorde hat den Betreuer, die Eltem, den Vormund oder den Pfleger auf ihren Wunsch bei der Zufuhrung zur Unterbringung nach § 70 Abs.l Satz 2 Nr.l zu unterstiitzen. Gewalt darf die zustandige Beh5rde nur auf Grund besonderer gerichtlicher Entscheidung anwenden. Die zustandige Behorde ist befugt, erforderlichenfalls die Unterstutzung der polizeilichen Vollzugsorgane nachzusuchen. § 70h FGG
Vorlaufige Unterbringung
(1) Durch einstweilige Anordnung kann eine vorlaufige UnterbringungsmaBnahme getroffen werden. § 69f Abs. 1 und § 70g gelten entsprechend. § 70d gilt entsprechend, sofern nicht Gefahr im Verzug ist. (2) Die einstweilige Anordnung darf die Dauer von sechs Wochen nicht iiberschreiten. Reicht dieser Zeitraum nicht aus, so kann sie nach Anhorung eines Sachverstandigen durch eine weitere einstweilige Anordnung bis zu einer Gesamtdauer von drei Monaten verlangert werden. Eine Unterbringung, zur Vorbereitung eines Gutachtens (§ 70e Abs.2) ist in diese Gesamtdauer einzubeziehen. (3) Die Absatze 1 und 2 gelten entsprechend, wenn gemafi § 1846 des Burgerlichen Gesetzbuchs eine UnterbringungsmaBnahme getroffen werden soil. § 70i FGG
Aufhebung und Verlangerung
(1) Die Unterbringungsmal3nahme ist aufzuheben, wenn ihre Voraussetzungen wegfallen. Vor der Aufhebung einer UnterbringungsmaBnahme nach § 70 Abs.l Satz 2 Nr.3 gibt das Gericht der zustandigen Behorde Gelegenheit zur AuBerung, es sei denn, dass dies zu einer nicht nur geringen Verzogerung des Verfahrens fuhren wiirde. Die Aufhebung einer solchen Unterbringungsmafinahme ist der zustandigen Behorde stets bekannt zu machen. (2) Fur die Verlangerung einer UnterbringungsmaBnahme gelten die Vorschriften ftir die erstmalige MaBnahme entsprechend. Bei Unterbringungen mit einer Gesamtdauer von mehr als vier Jahren soil das Gericht in der Regel keinen Sachverstandigen bestellen, der den Betroffenen bisher behandelt oder begutachtet hat Oder der Einrichtung angehort, in der der Betroffene untergebracht ist. § 70k FGG
Aussetzung
(1) Das Gericht kann die Vollziehung einer Unterbringung nach § 70 Abs.l Satz 2 Nr.3 aussetzen. Die Aussetzung kann mit Auflagen verbunden werden. Die Aussetzung soil in der Regel sechs Monate nicht uberschreiten; sie kann bis zu einem Jahr verlangert werden. (2) Das Gericht kann die Aussetzung widerrufen, wenn der Betroffene eine Auflage nicht erfiillt oder sein Zustand dies erfordert.
4 Vormtinder- und Betreuervergutungsgesetz (VBVG)
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(3) Fur die Verfahren uber die Aussetzung und ihren Widerruf gilt § 70d entsprechend. § 701 FGG
Antrag auf gerichtliche Entscheidung
(1) Gegen eine MaBnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten im Vollzug der Unterbringung nach § 70 Abs.l Satz 2 Nr.3 kann der Betroffene gerichtliche Entscheidung beantragen. Mit dem Antrag kann auch die Verpflichtung zum Erlass einer abgelehnten oder unterlassenen MaBnahme begehrt werden. (2) Der Antrag ist nur zulassig, wenn der Betroffene geltend macht, durch die MaBnahme, ihre Ablehnung oder ihre Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. (3) Der Antrag hat keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann die aufschiebende Wirkung anordnen. (4) Die Entscheidung des Gerichts ist unanfechtbar. § 70m FGG
Beschwerde
(1) Die sofortige Beschwerde findet gegen Entscheidungen statt, die erst mit Rechtskraft wirksam werden. (2) Die Beschwerde gegen Unterbringungsmal3nahmen, vorlaufige Unterbringungsmafinahmen oder die Ablehnung der Aufhebung solcher MaBnahmen steht unbeschadet des § 20 den in § 70d bezeichneten Personen oder Stellen zu. (3) § 69g Abs.3 und 5 gilt entsprechend. § 70n FGG
Entscheidung, Mitteilung
Fur Mitteilungen gelten die §§ 69, 69n und 69o entsprechend. Die Aufhebung einer UnterbringungsmaBnahme nach § 70i Abs.l Satz 1 und die Aussetzung einer Unterbringung nach § 70 Abs.l Satz 1 ist dem Leiter der Einrichtung, in der der Betroffene lebt, mitzuteilen.
4.
Vormunder- und Betreuervergutungsgesetz (VBVG)
Dieses Gesetz wurde durch das 2. BtAndG ab 01.07.2005 an Stelle des Berufsvormiindervergiitungsgesetz (BVormVG) eingefiihrt. § 1 VBVG Feststellung der BerufsmaBigkeit und Vergutungsbewilligung (1) Das Vormundschaftsgericht hat die Feststellung der BerufsmaBigkeit gemal3 § 1836 Abs.l Satz 2 des Burgerlichen Gesetzbuchs zu treffen, wenn dem Vormund in einem solchen Umfang Vormundschaften Ubertragen sind, dass er sie nur im Rahmen seiner Berufsausubung ftihren kann, oder wenn zu erwarten ist, dass
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dem Vormund in absehbarer Zeit Vormundschaften in diesem Umfang ubertragen sein werden. BerufsmaBigkeit liegt im Regelfall vor, wenn 1. der Vormund mehr als zehn Vormundschaften fiihrt oder 2. die fur die Fuhrung der Vormundschaft erforderliche Zeit voraussichtlich 20 Wochenstunden nicht unterschreitet. (2) ^Trifft das Vormundschaftsgericht die Feststellung nach Absatz 1 Satz 1, so hat es dem Vormund oder dem Gegenvormund eine Vergutung zu bewilligen. ^Ist der Mtindel mittellos im Sinne des § 1836d des Burgerlichen Gesetzbuchs, so kann der Vormund die nach Satz 1 zu bewilligende Vergutung aus der Staatskasse verlangen. § 2 VBVG Erloschen der Anspruche ^Der Vergiitungsanspruch erlischt, wenn er nicht binnen 15 Monaten nach seiner Entstehung beim Vormundschaftsgericht geltend gemacht wird; die Geltendmachung des Anspruchs beim Vormundschaftsgericht gilt dabei auch als Geltendmachung gegenuber dem Mundel. ^§ 1835 Abs.la des Burgerlichen Gesetzbuchs gilt entsprechend. § 3 VBVG Stundensatz des Vormunds (1) ^Die dem Vormund nach § 1 Abs.2 zu bewilligende Vergutung betrSgt fiir jede Stunde der fiir die Ftihrung der Vormundschaft aufgewandten und erforderlichen Zeit 19,50 Euro. ^Verfiigt der Vormund uber besondere Kenntnisse, die fiir die Fuhrung der Vormundschaft nutzbar sind, so erhoht sich der Stundensatz 1. auf 25 Euro, wenn diese Kenntnisse durch eine abgeschlossene Lehre oder eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind; 2. auf 33,50 Euro, wenn diese Kenntnisse durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule oder durch eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind. ^Eine auf die Vergutung anfallende Umsatzsteuer wird, soweit sie nicht nach § 19 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes unerhoben bleibt, zusatzlich ersetzt. (2) ^Bestellt das Vormundschaftsgericht einen Vormund, der uber besondere Kenntnisse verftigt, die fiir die Fuhrung der Vormundschaft allgemein nutzbar und durch eine Ausbildung im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 erworben sind, so wird vermutet, dass diese Kenntnisse auch fiir die Fuhrung der dem Vormund iibertragenen Vormundschaft nutzbar sind. ^Dies gilt nicht, wenn das Vormundschaftsgericht aus besonderen Grtinden bei der Bestellung des Vormunds etwas anderes bestimmt. (3) * Soweit die besondere Schwierigkeit der vormundschaftlichen Geschafte dies ausnahmsweise rechtfertigt, kann das Vormundschaftsgericht einen hoheren als
4 Vormtinder- und Betreuervergutungsgesetz (VBVG)
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den in Absatz 1 vorgesehenen Stundensatz der Vergutung bewilligen. ^Dies gilt nicht, wenn der Mundel mittellos ist. (4) Der Vormund kann Abschlagszahlungen verlangen. § 4 VBVG Stundensatz und Aufwendungsersatz des Betreuers (1) ^Die dem Betreuer nach § 1 Abs.2 zu bewilligende Vergutung betragt fur jede nach § 5 anzusetzende Stunde 27 Euro. ^Verfiigt der Betreuer Uber besondere Kenntnisse, die fiir die Fuhrung der Betreuung nutzbar sind, so erhoht sich der Stundensatz 1. auf 33,50 Euro, wenn diese Kenntnisse durch eine abgeschlossene Lehre oder eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind; 2. auf 44 Euro, wenn diese Kenntnisse durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule oder durch eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind. (2) ^Die Stundensatze nach Absatz 1 gelten auch Anspruche auf Ersatz anlasslich der Betreuung entstandener Aufwendungen sowie anfallende Umsatzsteuer ab. ^Die gesonderte Geltendmachung von Aufwendungen im Sinne des § 1835 Abs.3 des Burgerlichen Gesetzbuchs bleibt unberuhrt. (3) § 3 Abs.2 gilt entsprechend. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 fmdet keine Anwendung. § 5 VBVG Stundenansatz des Betreuers (1) ^Der dem Betreuer zu vergutende Zeitaufwand ist 1. in den ersten drei Monaten der Betreuung mit funfeinhalb, 2. im vierten bis sechsten Monat mit viereinhalb, 3. im siebten bis zwolflen Monat mit vier, 4. danach mit zweieinhalb Stunden im Monat anzusetzen. ^Hat der Betreute seinen gewohnlichen Aufenthalt nicht in einem Heim, betragt der Stundenansatz 1. in den ersten drei Monaten der Betreuung achteinhalb, 2. im vierten bis sechsten Monat sieben, 3. im siebten bis zwolflen Monat sechs, 4. danach viereinhalb Stunden im Monat.
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Anhang 1 Gesetzestexte
(2) ^Ist der Betreute mittellos, betragt der Stundenansatz 1. in den ersten drei Monaten der Betreuung viereinhalb, 2. im vierten bis sechsten Monat dreieinhalb, 3. im siebten bis zwolften Monat drei, 4. danach zwei Stunden im Monat. ^Hat der mittellose Betreute seinen gewohnlichen Aufenthalt nicht in einem Heim, betragt der Stundenansatz 1. in den ersten drei Monaten der Betreuung sieben, 2. im vierten bis sechsten Monat funfeinhalb, 3. im siebten bis zwolften Monat fiinf, 4. danach dreieinhalb Stunden im Monat. (3) ^Heime im Sinne dieser Vorschrift sind Einrichtungen, die dem Zweck dienen, Volljahrige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu uberlassen sowie tatsachliche Betreuung und Verpflegung zur Verftigung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhangig sind und entgeltlich betrieben werden. ^§ 1 Abs.2 des Heimgesetzes^^^ gilt entsprechend. (4) 'Fur die Berechnung der Monate nach den Absatzen 1 und 2 gelten § 187 Abs.l und § 188 Abs.2 erste Alternative des Btirgerlichen Gesetzbuchs entsprechend. ^Andem sich Umstande, die sich auf die Vergutung auswirken, vor Ablauf eines vollen Monats, so ist der Stundenansatz zeitanteilig nach Tagen zu berechnen; § 187 Abs.l und § 188 Abs.l des Btirgerlichen Gesetzbuchs gelten entsprechend. ^Die sich dabei ergebenden Stundenansatze sind auf voile Zehntel aufzurunden. (5) 'Findet ein Wechsel von einem beruflichen zu einem ehrenamtlichen Betreuer statt, sind dem beruflichen Betreuer der Monat, in den der Wechsel fallt, und der Folgemonat mit dem vollen Zeitaufwand nach den Absatzen 1 und 2 zu verguten. ^Dies gilt auch dann, wenn zunachst neben dem beruflichen Betreuer ein ehrenamtlicher Betreuer bestellt war und dieser die Betreuung allein fortflihrt. ^Absatz 4 Satz 2 und 3 ist nicht anwendbar.
AbgedrucktS. 331.
4 Vormunder- und Betreuervergutungsgesetz (VBVG)
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§ 6 VBVG Sonderfalle der Betreuung 4n den Fallen des § 1899 Abs.2 und 4 des Burgerlichen Gesetzbuchs erhalt der Betreuer eine Vergutung nach § 1 Abs.2 in Verbindung mit § 3; fiir seine Aufwendungen kann er Vorschuss und Ersatz nach § 1835 des Burgerlichen Gesetzbuchs mit Ausnahme der Aufwendungen im Sinne von § 1835 Abs.2 des Burgerlichen Gesetzbuchs beanspruchen. ^Ist im Fall des § 1899 Abs.4 des Burgerlichen Gesetzbuchs die Verhinderung tatsachlicher Art, sind die Vergutung und der Aufwendungsersatz nach § 4 in Verbindung mit § 5 zu bewilligen und nach Tagen zu teilen; § 5 Abs.4 Satz 3 sowie § 187 Abs.l und § 188 Abs.l des BUrgerlichen Gesetzbuchs gelten entsprechend. § 7 VBVG Vergutung und Aufwendungsersatz fiir Betreuungsvereine (1) '1st ein Vereinsbetreuer bestellt, so ist dem Verein eine Vergutung und Aufwendungsersatz nach § 1 Abs.2 in Verbindung mit den §§4 und 5 zu bewilligen. ^§ 1 Abs.l sowie § 1835 Abs.3 des Burgerlichen Gesetzbuchs fmden keine Anwendung. (2) '§6 gilt entsprechend; der Verein kann im Fall von § 6 Satz 1 Vorschuss und Ersatz der Aufwendungen nach § 1835 Abs.l, la und 4 des Burgerlichen Gesetzbuchs verlangen. ^§ 1835 Abs.5 Satz 2 des BUrgerlichen Gesetzbuchs gilt entsprechend. (3) Der Vereinsbetreuer selbst kann keine Vergutung und keinen Aufwendungsersatz nach diesem Gesetz oder nach den §§ 1835 bis 1836 des BUrgerlichen Gesetzbuchs geltend machen. § 8 VBVG Vergutung und Aufwendungsersatz fiir Behordenbetreuer (1) 4st ein Behordenbetreuer bestellt, so kann der zustandigen Behorde eine Vergutung nach § 1836 Abs.2 des BUrgerlichen Gesetzbuchs bewilligt werden, soweit der Umfang oder die Schwierigkeit der Betreuungsgeschafle dies rechtfertigen. ^Dies gilt nur, soweit eine Inanspruchnahme des Betreuten nach § 1836c des BUrgerlichen Gesetzbuchs zulassig ist. (2) Unabhangig von den Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 kann die Betreuungsbehorde Aufwendungsersatz nach § 1835 Abs.l Satz 1 und 2 in Verbindung mit Abs.5 Satz 2 des BUrgerlichen Gesetzbuchs verlangen, soweit eine Inanspruchnahme des Betreuten nach § 1836c des BUrgerlichen Gesetzbuchs zulassig ist. (3) FUr den Behordenbetreuer selbst gilt § 7 Abs.3 entsprechend. (4) § 2 ist nicht anwendbar.
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Anhang 1 Gesetzestexte
§ 9 VBVG Abrechnungszeitraum fiir die Betreuungsvergiitung ^Die Vergutung kann nach Ablauf von jeweils drei Monaten fur diesen Zeitraum geltend gemacht werden. ^Dies gilt nicht fiir die Geltendmachung von Vergutung und Aufwendungsersatz in den Fallen des § 6. § 10 VBVG Mitteilung an die Betreuungsbehorde (1) Wer Betreuungen entgeltlich fiihrt, hat der Betreuungsbehorde, in deren Bezirk er seinen Sitz oder Wohnsitz hat, kalenderjahrlich mitzuteilen 1. die Zahl der von ihm im Kalenderjahr gefuhrten Betreuungen aufgeschlusselt nach Betreuten in einem Heim oder auBerhalb eines Heims und 2. den von ihm fur die Fuhrung von Betreuungen im Kalenderjahr erhaltenen Geldbetrag. (2) 'Die Mitteilung erfolgt jeweils bis spatestens 31. Marz fur den Schluss des vorangegangenen Kalenderjahrs. ^Die Betreuungsbehorde kann verlangen, dass der Betreuer die Richtigkeit der Mitteilung an Eides statt versichert. (3) Die Betreuungsbehorde ist berechtigt und auf Verlangen des Vormundschaftsgerichts verpflichtet, dem Vormundschaftsgericht diese Mitteilung zu iibermitteln. § 11 VBVG Umschulung und Fortbildung von Berufsvormiindern (1) Durch Landesrecht kann bestimmt werden, dass es einer abgeschlossenen Lehre im Sinne des § 3 Abs.l Satz 2 Nr. 1 und § 4 Abs.l Satz 2 Nr. 1 gleichsteht, wenn der Vormund oder Betreuer besondere Kenntnisse im Sinne dieser Vorschrift durch eine dem Abschluss einer Lehre vergleichbare Prufung vor einer staatlichen oder staatlich anerkannten Stelle nachgewiesen hat. ^Zu einer solchen Prufung darf nur zugelassen werden, wer 1. mindestens drei Jahre lang Vormundschaften oder Betreuungen berufsmal3ig gefiihrt und 2. an einer Umschulung oder Fortbildung teilgenommen hat, die besondere Kenntnisse im Sinne des § 3 Abs.l Satz 2 und § 4 Abs.l Satz 2 vermittelt, welche nach Art und Umfang den durch eine abgeschlossene Lehre vermittelten vergleichbar sind. (2) 'Durch Landesrecht kann bestimmt werden, dass es einer abgeschlossenen Ausbildung an einer Hochschule im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und § 4 Abs.l Satz 2 Nr. 2 gleichsteht, wenn der Vormund oder Betreuer Kenntnisse im Sinne dieser Vorschrift durch eine Prufung vor einer staatlichen oder staatlich anerkannten Stelle nachgewiesen hat. ^Zu einer solchen Priifung darf nur zugelassen werden, wer
5 Heimgesetz -Auszug -
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1. mindestens funf Jahre lang Vormundschaften oder Betreuungen berufsmaBig gefuhrt und 2. an einer Umschulung oder Fortbildung teilgenommen hat, die besondere Kenntnisse im Sinne des § 3 Abs.l Satz 2 und § 4 Abs.l Satz 2 vermittelt, welche nach Art und Umfang den durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule vermittelten vergleichbar sind. (3) 'Das Landesrecht kann weitergehende Zulassungsvoraussetzungen aufstellen. ^Es regelt das Nahere Uber die an eine Umschulung oder Fortbildung im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 2, Absatzes 2 Satz 2 Nr. 2 zu stellenden Anforderungen, Uber Art und Umfang der zu erbringenden Priifungsleistungen, Uber das Prtifungsverfahren und uber die Zustandigkeiten. ^Das Landesrecht kann auch bestimmen, dass eine in einem anderen Land abgelegte Priifung im Sinne dieser Vorschrift anerkannt wird.
5.
Heimgesetz -A uszug -
Abgedruckt ist nur § 1 § 1 HeimG
Anwendungsbereich
(1) 'Dieses Gesetz gilt fiir Heime. ^Heime im Sinne dieses Gesetzes sind Einrichtungen, die dem Zweck dienen, altere Menschen oder pflegebedtirftige oder behinderte Volljahrige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu tiberlassen sowie Betreuung und Verpflegung zur Verfiigung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner unabhangig sind und entgeltlich betrieben werden. (2) 'Die Tatsache, dass ein Vermieter von Wohnraum durch Vertrage mit Dritten oder auf andere Weise sicherstellt, dass den Mietem Betreuung und Verpflegung angeboten werden, begrundet allein nicht die Anwendung dieses Gesetzes. ^Dies gilt auch dann, wenn die Mieter vertraglich verpflichtet sind, allgemeine Betreuungsleistungen wie Notrufdienste oder Vermittlung von Dienst- und Pflegeleistungen von bestimmten Anbietem anzunehmen und das Entgelt hierftir im Verhaltnis zur Miete von untergeordneter Bedeutung ist. ^Dieses Gesetz ist anzuwenden, wenn die Mieter vertraglich verpflichtet sind, Verpflegung und weitergehende Betreuungsleistungen von bestimmten Anbietem anzunehmen. (3) 'Auf Heime oder Teile von Heimen im Sinne des Absatzes 1, die der vortibergehenden Aufnahme Volljahriger dienen (Kurzzeitheime), sowie auf stationare Hospize fmden die §§ 6, 7, 10 und 14 Abs.2 Nr.3 und 4, Abs.3, 4 und 7 keine Anwendung. ^Nehmen die Heime nach Satz 1 in der Regel mindestens sechs Personen auf, fmdet § 10 mit der MaBgabe Anwendung, dass ein Heimftirsprecher zu bestellen ist.
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Anhang 1 Gesetzestexte
(4) Als vorubergehend im Sinne dieses Gesetzes ist ein Zeitraum von bis zu drei Monaten anzusehen. (5) ^Dieses Gesetz gilt auch fiir Einrichtungen der Tagesund der Nachtpflege mit Ausnahme der §§ 10 und 14 Abs.2 Nr.3 und 4, Abs.3, 4 und 7. ^Nimmt die Einrichtung in der Regel mindestens sechs Personen auf, findet § 10 mit der MaBgabe Anwendung, dass ein Heimfiirsprecher zu bestellen ist. (6) 'Dieses Gesetz gilt nicht fur Krankenhauser im Sinne des § 2 Nr.l des Krankenhausfmanzierungsgesetzes. ^In Einrichtungen zur Rehabilitation gilt dieses Gesetz fiir die Teile, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfiillen. ^Dieses Gesetz gilt nicht fiir Intemate der Berufsbildungs- und Berufsforderungswerke.
Anhang 2 Grundsatze der Bundesarztekammer zur arztlichen Sterbebegleitung^r320
Priiambel Aufgabe des Arztes ist es, unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schtitzen und wieder herzustellen sowie Leiden zu lindem und Sterbenden bis zum Tod beizustehen. Die arztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung besteht daher nicht unter alien Umstanden. So gibt es Situationen, in denen sonst angemessene Diagnostik und Therapieverfahren nicht mehr angezeigt und Begrenzungen geboten sein konnen. Dann tritt palliativ-medizinische Versorgung in den Vordergrund. Die Entscheidung hierzu darf nicht von wirtschaftlichen Erwagungen abhangig gemacht werden. Unabhangig von anderen Zielen der medizinischen Behandlung hat der Arzt in jedem Fall fur eine Basisbetreuung zu sorgen. Dazu gehoren u. a.: menschenwurdige Unterbringung, Zuwendung, Korperpflege, Lindem von Schmerzen, Atemnot und Obelkeit sowie Stillen von Hunger und Durst. Art und AusmaB einer Behandlung sind gemaft der medizinischen Indikation vom Arzt zu verantworten; dies gilt auch fur die kiinstliche Nahrungs- und Flussigkeitszufuhr. Er muss dabei den Willen des Patienten beachten. Ein offensichtlicher Sterbevorgang soil nicht durch lebenserhaltende Therapien kunstlich in die Lange gezogen werden. Bei seiner Entscheidungsfmdung soil der Arzt mit arztlichen und pflegenden Mitarbeitern einen Konsens suchen. Aktive Sterbehilfe ist unzulassig und mit Strafe bedroht, auch dann, wenn sie auf Verlangen des Patienten geschieht. Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttotung widerspricht dem arztlichen Ethos und kann strafbar sein. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Arzteblattes, Deutscher Arzte-Verlag GmbH, DieselstraBe 2, 50859 Koln.
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Anhang 2 Grundsatze der Bundesarztekammer zur arztlichen Sterbebegleitung
Diese Grundsatze konnen dem Arzt die eigene Verantwortung in der konkreten Situation nicht abnehmen. Alle Entscheidungen mtissen individuell erarbeitet werden. I. Arztliche Pflichten bei Sterbenden Der Arzt ist verpflichtet, Sterbenden, d.h. Kranken oder Verletzten mit irreversiblem Versagen einer oder mehrerer vitaler Funktionen, bei denen der Eintritt des Todes in kurzer Zeit zu erwarten ist, so zu helfen, dass sie unter menschenwiirdigen Bedingungen sterben konnen. Die Hilfe besteht in palliativ-medizinischer Versorgung und damit auch in Beistand und Sorge fur Basisbetreuung. Dazu gehoren nicht immer Nahrungs- und FlUssigkeitszufuhr, da sie fiir Sterbende eine schwere Belastung darstellen konnen. Jedoch mtissen Hunger und Durst als subjektive Empfindungen gestillt werden. Mafinahmen zur Verlangerung des Lebens durfen in Ubereinstimmung mit dem Willen des Patienten unterlassen oder nicht weitergeftihrt werden, wenn diese nur den Todeseintritt verzogem und die Krankheit in ihrem Verlauf nicht mehr aufgehalten werden kann. Bei Sterbenden kann die Linderung des Leidens so im Vordergrund stehen, dass eine moglicherweise dadurch bedingte unvermeidbare Lebensverktirzung hingenommen werden darf. Eine gezielte Lebensverkurzung durch MaBnahmen, die den Tod herbeiflihren oder das Sterben beschleunigen sollen, ist als aktive Sterbehilfe unzulassig und mit Strafe bedroht. Die Unterrichtung des Sterbenden tiber seinen Zustand und mogliche MaBnahmen muss wahrheitsgemaB sein, sie soil sich aber an der Situation des Sterbenden orientieren und vorhandenen Angsten Rechnung tragen. Der Arzt kann auch Angehorige des Patienten und diesem nahe stehende Personen informieren, wenn er annehmen darf, dass dies dem Willen des Patienten entspricht. Das Gesprach mit ihnen gehort zu seinen Aufgaben. II. Verhalten bei Patienten mit infauster Prognose Bei Patienten, die sich zwar noch nicht im Sterben beflnden, aber nach arztlicher Erkenntnis aller Voraussicht nach in absehbarer Zeit sterben werden, well die Krankheit weit fortgeschritten ist, kann eine Anderung des Behandlungszieles indiziert sein, wenn lebenserhaltende MaBnahmen Leiden nur verlangem wtirden und die Anderung des Therapieziels dem Willen des Patienten entspricht. An die Stelle von Lebensverlangerung und Lebenserhaltung treten dann palliativmedizinische Versorgung einschlieBlich pflegerischer MaBnahmen. In Zweifelsfallen sollte eine Beratung mit anderen Arzten und den Pflegenden erfolgen.
Anhang 2 Grundsatze der Bundesarztekammer zur arztlichen Sterbebegleitung
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Bei Neugeborenen mit schwersten Beeintrachtigungen durch Fehlbildungen oder Stoffwechselstorungen, bei denen keine Aussicht auf Heilung oder Besserung besteht, kann nach hinreichender Diagnostik und im Einvernehmen mit den Eltem eine lebenserhaltende Behandlung, die ausgefallene oder ungenugende Vitalfunktionen ersetzen soil, unterlassen oder nicht weitergefuhrt werden. Gleiches gilt fiir extrem unreife Kinder, deren unausweichliches Sterben abzusehen ist, und fur Neugeborene, die schwerste Zerstorungen des Gehirns erlitten haben. Eine weniger schwere Schadigung ist kein Grund zur Vorenthaltung oder zum Abbruch lebenserhaltender MaBnahmen, auch dann nicht, wenn Eltem dies fordem. Wie bei Erwachsenen gibt es keine Ausnahmen von der Pflicht zu leidensmindemder Behandlung und Zuwendung, auch nicht bei unreifen Friihgeborenen. III.
Behandlung bei schwerster zerebraler Schadigung und anhaltender Bewusstlosigkeit
Patienten mit schwersten zerebralen Schadigungen und anhaltender Bewusstlosigkeit (apallisches Syndrom; auch so genanntes Wachkoma) haben, wie alle Patienten, ein Recht auf Behandlung, Pflege und Zuwendung. Lebenserhaltende Therapie einschlieBlich - ggf. kiinstlicher - Emahrung ist daher unter Beachtung ihres geauBerten Willens oder mutmaBlichen Willens grundsatzlich geboten. Soweit bei diesen Patienten eine Situation eintritt, wie unter I - II beschrieben, gelten die dort dargelegten Grundsatze. Die Dauer der Bewusstlosigkeit darf kein alleiniges Kriterium fiir den Verzicht auf lebenserhaltende MaBnahmen sein. Hat der Patient keinen BevoUmachtigten in Gesundheitsangelegenheiten, wird in der Regel die Bestellung eines Betreuers erforderlich sein. IV. Ermittlung des Patientenwillens Bei einwilligungsfahigen Patienten hat der Arzt die durch den angemessen aufgeklarten Patienten aktuell geaufierte Ablehnung einer Behandlung zu beachten, selbst wenn sich dieser Wille nicht mit den aus arztlicher Sicht gebotenen Diagnose- und TherapiemaBnahmen deckt. Das gilt auch fiir die Beendigung schon eingeleiteter lebenserhaltender MaBnahmen. Der Arzt soil Kranken, die eine notwendige Behandlung ablehnen, helfen, die Entscheidung zu Uberdenken. Bei einwilligungsunfahigen Patienten ist die in einer Patientenverfiigung zum Ausdruck gebrachte Ablehnung einer Behandlung fiir den Arzt bindend, sofern die konkrete Situation derjenigen entspricht, die der Patient in der Verfiigung beschrieben hat, und keine Anhaltspunkte fiir eine nachtragliche Willensanderung erkennbar sind. Soweit ein Vertreter (z. B. Eltem, Betreuer oder Bevollmachtigter in Gesundheitsangelegenheiten) vorhanden ist, ist dessen Erklarung maBgeblich; er ist gehalten,
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Anhang 2 Grundsatze der Bundesarztekammer zur arztlichen Sterbebegleitung
den (ggf. auch mutmaBlichen) Willen des Patienten zur Geltung zu bringen und zum Wohl des Patienten zu entscheiden. Wenn der Vertreter eine arztlich indizierte lebenserhaltende MaBnahme ablehnt, soil sich der Arzt an das Vormundschaftsgericht wenden. Bis zur Entscheidung des Vormundschaftsgerichts soil der Arzt die Behandlung durchflihren. Liegt weder vom Patienten noch von einem gesetzlichen Vertreter oder einem Bevollmachtigten eine bindende Erklarung vor und kann eine solche nicht - auch nicht durch Bestellung eines Betreuers - rechtzeitig eingeholt werden, so hat der Arzt so zu handeln, wie es dem mutmai31ichen Willen des Patienten in der konkreten Situation entspricht. Der Arzt hat den mutmaBlichen Willen aus den Gesamtumstanden zu ermitteln. Anhaltspunkte fur den mutmaBlichen Willen des Patienten konnen neben friiheren AuBerungen seine Lebenseinstellung, seine religiose Uberzeugung, seine Haltung zu Schmerzen und zu schweren Schaden in der ihm verbleibenden Lebenszeit sein. In die Ermittlung des mutmaBlichen Willens sollen auch Angehorige oder nahe stehende Personen als Auskunftspersonen einbezogen werden, wenn angenommen werden kann, dass dies dem Willen des Patienten entspricht. Lasst sich der mutmaBliche Wille des Patienten nicht anhand der genannten Kriterien ermitteln, so soil der Arzt fiir den Patienten die arztlich indizierten MaBnahmen ergreifen und sich in Zweifelsfallen fur Lebenserhaltung entscheiden. Dies gilt auch bei einem apallischen Syndrom. V. Patientenverfiigungen, Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfiigungen Mit Patientenverfugungen, Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfiigungen nimmt der Patient sein Selbstbestimmungsrecht wahr. Sie sind eine wesentliche Hilfe fiir das Handeln des Arztes. Eine Patientenverfiigung (auch Patiententestament genannt) ist eine schriflliche Oder mundliche WillensauBerung eines einwilligungsfahigen Patienten zur zukiinftigen Behandlung fiir den Fall der AuBerungsunfahigkeit. Mit ihr kann der Patient seinen Willen auBem, ob und in welchem Umfang bei ihm in bestimmten, naher umrissenen Krankheitssituationen medizinische MaBnahmen eingesetzt oder unterlassen werden sollen. Anders als ein Testament bedurfen Patientenverfugungen keiner Form, sollten aber schriftlich abgefasst sein. Mit einer Vorsorgevollmacht kann der Patient fur den Fall, dass er nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen zu auBem, eine oder mehrere Personen bevollmachtigen, Entscheidungen mit bindender Wirkung fiir ihn, u. a. in seinen Gesundheitsangelegenheiten, zu treffen (§ 1904 Abs. 2 BGB).
Anhang 2 Grundsatze der Bundesarztekammer zur arztlichen Sterbebegleitung
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Vorsorgevollmachten sollten schriftlich abgefasst sein und die von ihnen umfassten arztlichen MaBnahmen moglichst benennen. Eine Vorsorgevollmacht muss schriftlich niedergelegt werden, wenn sie sich auf MaBnahmen erstreckt, bei denen die begrundete Gefahr besteht, dass der Patient stirbt oder einen schweren und langer dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Schriftform ist auch erforderlich, wenn die VoUmacht den Verzicht auf lebenserhaltende MaBnahmen umfasst. Die Einwilligung des Bevollmachtigten in MaBnahmen, bei denen die begrundete Gefahr besteht, dass der Patient stirbt oder einen schweren und langer dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet, bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes, es sei denn, dass mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist (§ 1904 Abs. 2 BGB). Ob dies auch bei einem Verzicht auf lebenserhaltende MaBnahmen gilt, ist umstritten. Jedenfalls soil sich der Arzt, wenn der BevoUmachtigte eine arztlich indizierte lebenserhaltende MaBnahme ablehnt, an das Vormundschaftsgericht wenden. Bis zur Entscheidung des Vormundschaftsgerichts soil der Arzt die Behandlung durchfiihren. Eine Betreuungsverfugung ist eine fur das Vormundschaftsgericht bestimmte WillensauBerung fur den Fall der Anordnung einer Betreuung. In ihr konnen Vorschlage zur Person eines Betreuers und Wunsche zur Wahmehmung seiner Aufgaben geauBert werden. Eine Betreuung kann vom Gericht fur bestimmte Bereiche angeordnet werden, wenn der Patient nicht in der Lage ist, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen, und eine VoUmacht hierftir nicht vorliegt oder nicht ausreicht. Der Betreuer entscheidet im Rahmen seines Aufgabenkreises fur den Betreuten. Zum Erfordemis der Genehmigung durch das Vormundschaftsgerichts wird auf die Ausfiihrungen zum Bevollmachtigten verwiesen. Quelle: Deutsches Arzteblatt Jg. 101 Heft 19 vom 7. Mai 2004, A 1298
Literaturverzeichnis
1.
Kommentare
Bienwald, Betreuungsrecht, 3. Auflage 1999, Bielefeld (Gieseking); Zitierweise: Bienwald Betreuungsrecht Erman, Burgerliches Gesetzbuch, 11. Auflage 2004, Munster (Aschendorff); Zitierweise: Erman-Bearbeiter Jtirgens, Betreuungsrecht, 2. Aufl. 2001, Munchen (Beck) Knittel, Betreuungsrecht, Kommentar und Rechtssammlung, Loseblattwerk in 2 Ordnem, Stand der Zitate: 01.10.2002 Munchener Kommentar zum Burgerlichen Gesetzbuch Band 8, 4. Auflage 2002, Munchen (Beck); Zitierweise: Munchener KomrnQntor-Bearbeiter Palandt, Burgerliches Gesetzbuch, 62. Auflage 2003, Munchen (Beck); Zitierweise: Palandt-Bearbeiter Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Auflage 2001, Miinchen (Beck); [Neuauflage des in der 3. Auflage von Saage/Goppinger herausgegebenen WerkesJ; Zitierweise: Marschner/Volckart-Bearbeiter Soergel, Burgerliches Gesetzbuch, 13. Auflage 2000, Stuttgart (Kohlhammer); Zitierweise: Soergel-Bearbeiter Trondle/Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 52. Auflage 2004, Munchen (Beck)
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2.
Literaturverzeichnis
Monographien
Coeppicus, Sachfragen des Betreuungs- und Unterbringungsrechts, 2000, Stuttgart (Kohlhammer) Jiirgens/Kroger/Marschner/Winterstein, Betreuungsrecht kompakt, 2002, Munchen (Beck) [5. Auflage des bis zur 4. Auflage unter dem Titel „Das neue Betreuungsrecht" erschienene Werk derselben Autoren imselben Verlag]
3.
Zeitschriften und Entscheidungssammlungen
Betreuungsrechtliche Praxis (BtPrax), Koln (Bundesanzeiger) Betreuungsrechtliche Informationen (bt-info), Zeitschrift des Verbandes freiberuflicher BetreuerZ-innen e.V., herausgegeben vom Verband freiberuflicher BetreuerZ-innen e.V., Sachsendorfer StraBe 7, 03058 GroB Gaglow (Eigenverlag des genannten Verbandes) Der Deutsche Rechtspfleger. (RPfl), Bielefeld (Gieseking) Deutsche Medizinische Wochenschrift, Stuttgart (Thieme) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (BGHSt), Koln u. a. (Heymann); Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerGE), Tiibingen (Mohr Siebeck) Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Munchen (Beck) NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht (NJW-RR), Munchen (Beck) Verbandszeitung des Bundesverbandes der BerufsbetreuerZ-innen - BdB - e.V., herausgegeben vom Bundesverband der BerufsbetreuerZ-innen - BdB - e.V. BehnstraBe 69, 22767 Hamburg (Eigenverlag des genannten Verbandes) Zeitschrift ftir das gesamte Familienrecht (FamRZ), Bielefeld (Gieseking)
4.
Zeitschriftenbeitrage
Beschluss des 63. Deutschen Juristentages Leipzig 2000 BtPrax 2000, 247 Bienwald, Zu den „Leitlinien zur rechts- und sozialpolitischen Diskussion um die Weiterentwicklung des Betreuungsrechts „ des Vormundschaftsgerichtstags e. V. BtPrax 1999, 179 Bienwald, Zur (landesrechtliche geregelten) Bestattungspflicht des Betreuers BtPrax 2000, 107 Coeppicus, Zur ersten Reform des Betreuungsgesetzes RPfl 1996, 425
Literaturverzeichnis
341
Deinert/Schreibauer, Haftung und Haftungsubernahme im Betreuungsverhaltnis BtPrax 1993, 185 Dieckmann/Jurgeleit, Die Reform des Betreuungsrechts BtPrax 2002, 135ff. und 197ff. Formella, Wenn der Betreute stirbt BtPrax 1999, 176 Fratzky, Kann der Betreuer die Wohnung des Betreuten gegen dessen Willen betreten? BtPrax 2000, 239 Hartmann, Leserbrief zu dem Beitrag von Oberloskamp BtPrax 1999, 60 Hubert-Fehler/Hollmann, Entscheidung des Betreuers fiir oder gegen PEG BtPrax 1996, 210 Klie, Gesetzliches Vertretungsrecht fiir Angehorige BtPrax 2002, 91 Laufs, Selbstverantwortetes Sterben NJW 1996, 763 Muller-Bohlen, Leserbrief zu Hubert-Fehler/HoUmann, BtPrax 1996, 210 (s. o.) BtPrax 1997, 22 Oberloskamp, Die Qualifikation des Sachverstandigen gemaB § 68b FOG BtPrax 1998, 18 Paehler, Zur Zulassigkeit des Sterbenlassens BtPrax 2000, 21 Spittler/Fritscher-Ravens, Der Patientenwille zwischen Rechtsprechung, arztlicher Sachlichkeit und Empathie, Deutsche Medizinische Wochenschrift 2001, 925 Spranger, Zur Haftung des Betreuers nach dem Tode des Betreuten BtPrax 1999, 174 Seitz, - Rezension zur 1. Auflage des vorliegenden Buches BtPrax 2002, 157 Stalinski, Gerichtlich genehmigte Sterbehilfe BtPrax 1999, 43
5.
Gesetzestexte
Schonfelder, Deutsche Gesetze (Loseblattsammlung) Stand: 30.01.2005 [die betreuungsrechtlich relevanten Bestimmungen sindaufdem Stand 01.07.2005], Munchen (Beck)
342
6.
Literaturverzeichnis
Internet
Mailingliste zum Betreuungsrecht www, ruhr-uni-bochum. de/zme/ML-Betreuungsrecht. ht
Sachverzeichnis
BtAndG Abgabe des Verfahrens bei geandertem tatsachlichem Aufenthaltsort des Betreuten 248 Abgabe des Verfahrens auch ohne Zustimmung des Betreuers/ des Betroffenen 248 Ablieferungspflicht des § 1901a I BGB auch fur Vollmachten 19 Beratungsauftrag von Betreuungsbehorde und -vereinen auch fiir Bevollmachtigte 69 Besuchsdichte des Berufsbetreuers 94 Delegationsbetreuung 61 Einhaltung der Grenzen der rechtlichen Betreuung 5 Entlassung des Betreuers bei Falschabrechnung 76 Fehlende Berucksichtigung der Gewerbesteuerpflicht bei der Pauschalierung 271 Gesetzentwurf: Initiative des Bundesrats 281 Gesetzentwurf: Nicht ins Gesetz ubernommene Vorschlage 281 Inkrafttreten 269 Pauschalierung Keine Hartefallregeln 275 Pauschalierung der Stundenanzahl 86 Pauschalierung der Vergutung 270 Stundensatz, Hohe 87 Stundensatze bei berufsmaBiger Abrechnung 82
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Stundensatzerhohung, Ausnahmeregelung bei vermogenden Betreuten 276 Uberprufungsfrist der Betreuung 7 Jahre 2 VBVG anstelle von § 1836 BGB 82,84 Verfahrenspfleger, Anderungen 278 Vergutungsunterschied Verhinderungs- und Erganzungsbetreuer 61 Verhinderungsbetreuer, Vergutung 278 Vorsorgevollmacht, Starkung durch Einfuhrung einesZentralen Vorsorgeregisters 280 Zwangsbetreuung 8
AbkiJrzungen - 2. BtAndG 251 - Art. 11 - BSHG 89 -
BtBG 69
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BVerfG 85 BVormVG 82
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FGG 9
- GG 11 - RPflG 31 - SGB 17 - StGB 120 - StPO 248 - TPG 169 - VBVG 57 - ZPO 111
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Sachverzeichnis
AlkoholmiBbrauch 8 Allokation 172 Altersdemenzen 54 Alterstestament 25 Altersverwirrte 8 Amtsfiihrung des Betreuers - Aufgaben zu Beginn der Betreuung 64 - Auftrage im Namen des Betroffenen erteilen 56 - Berucksichtigen von Sparsamkeitswunschen des Betroffenen 65 - Besuchsdichte 64 - Betreten der Wohnung gegen den Willen des Betroffenen 201 - falsche Sparsamkeit 65 - Inhaltliche Richtlinien 64 - Kontaktpflege 64 - Uberredung des Betroffenen 66 - unsinnige Wunsche des Betroffenen 66 - Wichtige Angelegenheiten mit Betroffenem besprechen 65 Analphabetismus 12,54 Angehorige: Ohne Betreuung keine gesetzlichen Vertreter 53 Angehorigenprivileg 54 Arzt - die arztrelevanten Aufgabenkreise 125 - Formularbrief zur Unterrichtung des Betreuers 127 - Genehmigungsbediirftigkeit einer Sterilisation 139 - Genehmigungspflicht fiir gefahrliche arztliche MaBnahmen (§ 1904 BOB) 133 - Haftungsprobleme im betreuungsfreien Raum 117 - Haftungsrisiko bei Aufklarungsmangeln 119 - Haftungsrisiko bei unwirksamer Behandlungseinwilligung - Rechtliche Stellung des Betreuers gegenuber dem Arzt 124 - Schweigepflicht 120 - Unerreichbarkeit des Betreuers 129 - Zusammenarbeit von Betreuer und Arzt 125 - Zwangsbehandlung 130
Arzt und Betreuer - Mediation durch das Vormundschaftsgericht 128 Arztliche Atteste und Gutachten in Betreuungssachen 211 arztliche Behandlung - Haftungsrisiken bei fehlender Betreuung 16 Attest 10 - Formular fur Betreuungsattest 213 - Formular fur Unterbringungsattest 215 - Inhaltliche Anforderungen 211 Aufenthaltsbestimmungsrecht 34, 39 - Unterbringungssachen 39 - zu hohe Erwartungen 39 Aufgabenkreis - „alle Angelegenheiten'' 46 - betreuungsrechtlicher Dreiklang 34, 46 - Grundaufgabenkreis 33 - Postvollmacht 35 - Vertretung des Betroffenen gegenuber Behorden 35 - Vertretung des Betroffenen gegenuber. dem Heim 34 Behandlungseinwilligung des Betroffenen: Voraussetzungen der Wirksamkeit 117 Behordenbetreuer 278 Behordenbetreuung 278 Beratungshilfe statt Betreuung 12 Berufsbetreuer 56, 79 - Abrechnung 86 - Amtsfuhrung 90 - Berufsbetreuerstammtisch 95 - Berufsverbande 95 - Bestatigung durch die Betreuungsbehorde 86 - Konflikte mit Angehorigen 95 - Nachqualifikationsveranstaltungen 95 - Voraussetzungen der Anerkennung 82 - Vorrang der ehrenamtlichen Betreuung 76 Berufsbetreuerpflege 83 Bestattung 178 Bestattungsvorsorgevertrag 179
Sachverzeichnis
Betreuer - Amtsverweigerung 14 - Angehorige als Betreuer 53 - AusschluB von Heimmitarbeitern 59 - Entlassung wider Willen 14 - gerichtlich bestellter 3 - gesetzlicher 3 - gesetzlicher Vertreter 3 - Mehrere Betreuer 59 - sonstige ehrenamtliche Betreuer 54 - Verpflichtung 63 betreutes Wohnen als "Heim" 274 Betreuung - Subsidiaritat 14 - „Kundigung" des Betreuers? 77 - Akzeptanz 1 - Aufhebung auf Antrag des Betroffenen 75 - aus Sicht des Betroffenen oft kein schwerer Eingriff 17, 38 - Beendigung durch Fristablauf? 75 - Beginn 63 - Grenzen 4, 5 - Nichanordnung von Postvollmacht als Rechtsbeeintrachtigung 35 - Nichteinrichtung einer Betreuung als Rechtsbeeintrachtigung 17, 36, 40 - ohne Zustimmung, aber auch ohne Widerstand 13,75 - personliche 4 - pflegerische 3 - pflegerische und soziale 3 - soziale 3, 4 - therapienahe 4, 5 - Uberprufungsfrist 2 - Wesen 2-5, 3 - Wirkungen 3 Betreuung vorlaufige: Ablauf 75 Betreuungsbehorde 58, 69, 82 - Beglaubigungsauftrag 280 Betreuungsgesetz 1 Betreuungsgutachten 9 - Ausreichen eines Attests 10 - Gutachter 9 - Inhaltliche Anforderungen 218 - soziale Gesichtspunkte 11 Betreuungsplan 280 Betreuungsrecht und offentliche Ordnung 175 betreuungsrechtlicher Dreiklang 34
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Betreuungsrechtsanderungsgesetz 3 Betreuungsrichter 9 - Berufsbetreuerpflege durch das Gericht 246 - Beschlusse ohne vorherige Anhorung der Betroffenen? 232 - Betreuung durch Angehorige oder sonstige ehrenamtliche Betreuer 243 - Beurteilungsspielraum 10,11 - Durchfuhrung der Anhorung 230 - Entbehrlichkeit von Folgeanhorungen 235 - Entbehrlichkeit von Gutachten, Sozialbericht und Verfahrenspfleger 235 - Erleichterung des Geschaftsgangs 247 - Erstanhorung 227 - Sammelanhorung, Formular fur Anmeldung 229 - SchluBgesprach 228 - Unterbringung und unterbringungsahnliche MaBnahme 240 - Vollzug des unmittelbaren Zwangs 242 - Vorbereitung der Anhorung 228 Betreuungsrichter oder Rechtspfleger? 115 Betreuungsvereine 55, 58, 69 Betreuungsverftigung 18 - Beweislage fur eine abweichende Entscheidung 19 - Formerfordernisse 25 - Formular (Hinweis) 20 - Hinterlegung 18 - jederzeitige Abanderbarkeit 20 - keine absolute Bindungswirkung 19 Bettgitterfalle 192 Blindheit (Fallbeispiel) 11 Brechen des Wiliens des Betroffenen 138,201,217,267 Delegationsbetreuer 61 Demenzsyndrom 50 Depressionen 8 Down-Syndrom 7, 50 Dreiklang betreuungsrechtlicher 34
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EheschlieBung 47 ehrenamtliche Betreuer - Anforderungen 55 - zu seltener Einsatz durch die Gerichte 57 - Aufwandsentschadigung 56 Eigengefahrdung 185 eilzustandiger Betreuungsrichter 129 Einheitsentscheidung 280 einstweilige Anordnung: Ablauf durch Hauptsacheentscheidung 75 Einwilligungsl^higkeit 133 Einwilligungsunfahigkeit 16 Einwilligungsvorbehalt 14,50,51 - Schutz der Geschaftsleute 52 Einzelvertretungsbefugnis 60 Eltern als Betreuer 59 Entlassung des Betreuers 75 Entmundigung 1, 2, 50, 51 Erforderlicheitsgrundsatz 263 Erforderlichkeit 5, 11,72,74 - fehlende bei Ablehnung der Betreuung durch den Betroffenen 13 - Vermeidung eines rechtsfreien Raums 16 - vorubergehende 13 Erforderlichkeitsgrundsatz 8, 13, 14,36, 37, 48, 73, 258 - kein Zuriickbleiben hinter Erforderlichnissen 37 Erganzungsbetreuer 277 Erganzungsbetreuung 61 - keinen Verlegenheitsbetreuer als Erganzungsbetreuer einsetzen 61 Erledigung des Betreuungsauftrages 73 Erstanhorung 267 Euthanasie, aktive 142 Evidenz 32, 237, 239, 267 Fixierungen in Allgemeinkrankenhausern 195 Freiheitsentziehung 39 Freiheitsrechte 11 Fremdgefahrdung 187 Gegenbetreuung 61 Gegenlaufige Willenserklarungen des Betroffenen und des Betreuers 68 geistig Behinderte 7
Genehmigungsbedurftige Erklarungen des Betreuers 44 Generalvollmacht 24 Siehe auch Vollmachten - Abgrenzung zur Vorsorgevollmacht 24 - Formular Siehe S. 21 Geschaftsunfahigkeit 1, 50, 68, 110 - „partielle" Geschaftsunfahigkeit 50 - „totale" Geschaftsunfahigkeit 50 - partielle Geschaftsunfahigkeit 47 Geschaftsungewandtheit 12 Gesetzestexte - Heimgesetz 331 - Formelles Betreuungsrecht (§§65 ff FGG 2, 308 - Fur Betreuungen entsprechend anwendbare Bestimmungen des Vormundschaftsrechts 292 - Materielles Betreuungsrecht §§ 1896 ff BGB 3, 283 - VBVG 325 gesetzliche Vertretungsbefugnis ftir Angehorige 254 Gesetzliche Vertretungsbefugnis fur Angehorige 262 Gesundheitsftjrsorge 34 - ohne Betreuung 16 Grenzen der rechtlichen Betreuung 5 Grundsatz 1 (Wirkungen der Betreuung) 3 Grundsatz 2 (Erforderlichkeitsgrundsatz) 13 Grundsatz 3 (jederzeitige Abanderbarkeit von Beschlussen) 14 Grundsatz 4 (Aufgabenkreis nicht zu eng fassen) 37 Grundsatz 5 (keine automatische Betreuerstellung von Angehorigen) 53 Grundsatz 6 (Vorausetzungen ftir die Ubernahme einer ehrenamtlichen Betreuung) 55 Grundsatz 7 (Willensvorrang des Betreuten) 65 Grundsatz 8 (Keine Ubergehung des Betreuers durch Direktabsprachen mit dem Betroffenen) 111 Grundsatz 9 (Aufklarungsfehler haufigster Fall der Arzthaftung) 119
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Gutachten Siehe auch Betreuungs- bzw. Unterbringungsgutachten - Nachvollziehbarkeit 10 - Zwangsbegutachtung 219 Gutachtensauftrag - bei Sterilisation 223 - Gefahrlicher arztlicher Eingriff 222 Haftpflicht- und Unfallversicherung der Betreuer 209 Haftung des Betreuers 205 - als Sachwalter 207 - aus allgemeinem Deliktsrecht 208 - bei unterlassener Beantragung von Sozialhilfe 208 - gegenuber Dritten 207 hauptamtliche Behordenbetreuer 57 hauptamtliche Vereinsbetreuer 57 Heim 109 - Keine Obergehung des Betreuers 111 - im Sinne der Betreuervergutung 274 Heimeinweisung wider Willen 41 - Abschied von Wohnung ermoglichen 42 - Probewohnen mit Ruckkehroption 41 - Versuch der Vermeidung 42 - zwangsweise Durchsetzung 42 Hilfen fiir Berufsbetreuer 95 Hirnleistungsabbau 8 Hirnschadigungen 7 hochstpersonliche Angelegenheiten 47 Kontrollbetreuung 26 - Einrichtung durch den Rechtspfleger 31 - Entbehrlichkeit 31 korperliche Behinderung 8 Kosten der Betreuung 88 mangelnde Bildung 12 Mediation durch das Vormundschaftsgericht 71, 107, 115 Minderjahrige 7 MiUbrauch des betreuungsrichterlichen Eilverfahrens 180 Mitbetreuer als gesetzlicher Verhinderungsvertreter 67
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Mongoloide 7 Morbus Alzheimer 50 mutmaBlicher Wille 16, 121, 123, 144, 163, 170, 195 Nachqualifikation von Berufsbetreuern 88 Nasensonde 137 naturliche Einwilligungsfahigkeit 185, 192 Negativattest 51, 118, 122, 139, 192, 196,201 Nichterreichbarkeit des Betreuers 67 Nichterreichbarkeit des Betreuers 129 Notar 26 Notstand 16, 120, 123, 130, 145, 146, 232, 233 Organentnahme und-spende 169 Organhandel 173 Organspende - Einwilligung und Widerspruch 169 - Entscheidung durch die Angehorigen 170 - Gesetzliche Definition des "nachsten Angehorigen" 171 Partikularismus 246 pater diligens 66 Paternalismus 41 Siehe auch Selbstbestimmungsrecht Patientenautonomie Siehe Selbstbestimmungsrecht Patiententestament 160 Patientenverfiigung 160 - Form und Aufbewahrung 165 - Formular 166 Pauschale - Begriff 271 Pauschalvergiitung fur Berufsbetreuer 257, 264 PEG-Sonde 136 Personensorge 33 Pflegschaft 1,2 ProzeBkostenhilfe statt Betreuung 12 psychisch Kranke 8 psychische Behinderung 8 Recht der elterlichen Sorge 47 Rechtfertigungsmedizin 131
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Rehabilitationsgrundsatz 66, 72 Richterauf Probe 280 Richtervorbehalt 39,66, 183 Sachverstandiger in Betreuungssachen - Wer kommt in Betracht 217 Schizophrenien 8 Schonbetrag 88 Schuldnerberatungsstellen 12 Schwangerschaftsabbruch 49 Sedierende Medikamente 194 Selbstbestimmungsrecht 41, 42, 66, 119, 120, 128, 130, 140, 161,217 Sozialstation 105 Starkung der Vorsorgevollmacht 19 Sterbebegleitung arztliche - mutmaBlicher Patientenwille 144 - Sterbeerleichterung 139 Sterbegleitung: Entscheidungsbefugnis des Arztes 145 Sterilisation 47 - eines Mannes 49 - Gutachtensauftrage 223 - Subsidiaritat zur Verhutung 48 Sterilisationsbetreuer 62, 277 Subsidiaritat 14 - rechtsfreier Raum 16 - wegen (nur) rein tatsachlicher Hilfen 15 - wegen Vollmachtserteilung 15 Suizid 146, 152, 185, 186 Tabelle 1 (Wichtige Unterschiede zwischen Pflegschaft, Vormundschaft und Betreuung) 2 Tabelle 2 (Anderungen durch das Betreuungsrechtsanderungsgesetz) 4 Tabelle 3 (Neue eingerichtete Betreuungen in 1999 und Anteil von Berufsbetreuungen) 81 Tabelle 4 (die unterschiedlichen Unterbringungsmoglichkeiten) 191 Tabelle 5 (neue eingerichtete Betreuungen in 1999 und Anteil von Betreuungen durch Angehorige) 244 Tabelle 6 (Gesamtzahlen Betreuungen im Bundesgebiet 1998 - 2001) 260 Tabelle 7 (Aufwendungen der Staatskasse flir Betreuervergutungen und Aufwendungsersatz) 260
Tabelle 8 (Stundensatze fiir Berufsbetreuer ab 01.07.2005) 271 Tabelle 9 (Pauschale Stundenzahlen fur Berufsbetreuer ab 01.07.2005) 271 Tabelle 10 (Stundensatze der beruflichen Erganzungs- und Sterilisationsbetreuer ab 01.07.2005) 277 Testierfahigkeit 47 Therapiebegrenzungsentscheidungen 162 Tod des Betreuers 78 Tod des Betroffenen 77 - Bestattungszustandigkeit 178 - NachlaBpflegschaft 78 Todeszeitpunkt: gesetzliche Definition 169 Uberprufungsfrist der Betreuung 2 Uberschreitung der Uberprufungsfristen durch das Gericht 93 Ubertragung der Betreuung durch Vollmacht 67 Unterbringung 9 - Einwilligung des Betroffenen 184 - keine erweiternde Analogic auf Zwangsbehandlung ohne Unterbringung 196 Unterbringung und unterbringungsahnliche MaBnahme 183 unterbringungsahnliche MaBnahmen bei Familienpflege 195 unterbringungsahnliche MaBnahmen im Interesse Dritter 195 UnterbringungsbeschluB - genehmigende oder anordnende Bedeutung 39 Unterbringungsfrist 183 Unterbringungsgebeschluss: Ablauf 75 Unterbringungsgesetze der Lander 39, 186 UnterbringungsgrundiNotwendigkeit arztlicher Untersuchung oder Behandlung 189 Unterbringungsgutachten: Anforderungen 221 Unterbringungssachen 183 Unterschiede zwischen Pfiegschaft, Vormundschaft und Betreuung 2
Sachverzeichnis
Unterschiedliche Unterbringungsmogl ichkeiten (Tabelle4) 191 Unterstiitzung des Betreuers 69 Verfahrenspfleger - bei Sterilisationsgenehmigung 32 - Entbehrlichkeit 31 - Entlassung bei Bestellung eines eigenen Bevollmachtigten durch den Betroffenen 32 - in Betreuungssachen 31 - in Unterbringungssachen 203 - Rechte und Pflichten 32 Vergtitungsgruppen 87 Verhinderungsbetreuer 277 Verhinderungsbetreuung 60 Vermogenssorge 16,34,38 Volljahrige 7 Vollmachten - ausnahmsweiser Formzwang 25 - Formerfordernisse 25 - gegenuber Banken und Sparkassen 26 - gegenuber der Post 26 - Geltung uber den Tod hinaus 25 - jederzeitige Aufhebbarkeit 25 - Moglichkeit des Widerrufs durch das Gericht 29 - Moglichkeit des Widerrufs durch den Betreuer 29 - Moglichkeit des Widerrufs durch den Kontrollbetreuer 26 - Unwiderruflichkeit 102 Vormundschaft 1 Vormundschaftsgericht - Aufsichtsfunktion 70
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- zur Unterstutzung des Betreuers 69 Vorrang des Willens des Betroffenen 65, 141 Vorratsbetreuung 73 Vorsorgeverfijgung 17 Vorsorgevollmacht 20, 252, 260 Siehe auch Vollmachten - Auffindbarkeit 24 - Bedingung des Wirksamwerdens 21 - Formular 22 - grundsatzliche Formfreiheit 25 - Nachweis des Eintritts des Vorsorgefalls 21 - Starkung 19 Wahlrecht 47 Wahlrechtsverlust 46 - keine Anwendungsscheu 46 - Unterlassung der Anordnung in unklaren Fallen 47 Wahrhaftigkeit 41 Wahrhaftigkeitsgebot 66 Widerruf von Vollmachten Siehe Vollmachten Willensvorrang des Betreuten 65 wohlverstandenes Interesse 15, 16, 41, 65,66, 123, 199 Wohnungsauflosung 40, 42 - Genehmigungsbedlirftigkeit 42 - oft schwerster Eingriff uberhaupt 40 Zwangsbehandlung 132, 199 Zwangsbetreuung 8 - Betreuungsunwilligkeit des Betroffenen 73 - Betreuungsunwilligkeit des Betroffenen 9, 13