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G. F. UNGER Ein Begriff für Western-Kenner G. F. UNGER ist der erfolgreichste Western-Schriftsteller deutscher Sprache. BASTEI-LÜBBE veröffentlicht in dieser Reihe exklusiv seine großen TaschenbuchBestseller.
Einer kommt wieder Der landgierige Großrancher Nelson Miles wollte meinen Vater nicht nur verjagen, er wollte auch seinen Stolz brechen. Deshalb ließ er meine Brüder und mich so zerschlagen, dass wir Jungen angstschlotternd und bis in unseren Kern gedemütigt aus dem Land flohen. Aber mein Vater gab nicht auf, denn für ihn stand fest: In der Fremde wurden seine Söhne zu Männern werden, und wenigstens einer von ihnen würde wiederkommen, um Miles endgültig in seine Schranken zu weisen …
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BASTEI-LÜBBE G. F. UNGER IM TASCHENBUCH-PROGRAMM: 43 358 Vier Kugeln 43 359 Rauchige Zeiten 43 360 Alamo Loke 43 361 Texanerwort 43 362 Zozo Valley 43 363 Ohne Revolverarm 43 364 Cincaid 43 365 Zwei reiten mit Johnny 43 366 Holle im Leib 43 367 Der letzte Wolf 43 368 Sattelgefährten 43 369 Ritt um Recht 43 370 Slades Colt 43 371 Kriegsfeuer 43 372 Gekaufte Treue 43 373 Das Todesspiel 43 374 Kansas City 43 375 Der Reitboss 43 376 Gold Creek Canyon 43 377 Der Weg nach Bozeman 43 378 Kein Glück in Mesa City 43 379 Der Vormann 43 380 Bitteres Erbe 43 381 Das Million-Cliffs-Land 43 382 Wer keine Gnade kennt 43 383 Der Wolf von Golden City 43 384 Stunde des Stolzes 43 385 Yellowstone John 43 386 Die Schattenhaften 43 387 Seine Spuren verwehen 43 388 Wer den Stern nimmt 43 389 Kendall Canes Weg 43 390 Die Sage-Valley-Fehde 43 391 Wilde Camps 43 392 Jede Fährte endet
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G. F. UNGER
Einer kommt wieder
BASTEILÜBBE Western-Roman
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BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH Band 43 393 1. Auflage: August 2003 Vollständige Taschenbuchausgabe Bastei Lübbe Taschenbücher ist ein Imprint der Verlagsgruppe Lübbe Originalausgabe All rights reserved ©2003 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach Lektorat: Will Platten Titelillustration: Firuz Askin Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg Satz: Wildpanner, München Druck und Verarbeitung: AIT Trondheim, Norwegen Printed in Norway ISBN 3-404-43393-9 Sie finden uns im Internet unter http://www.bastei.de oder http://www.luebbe.de
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer
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Als unser Vater damals im Jahre 1865 aus dem Krieg heimkam, trug er noch die zerschlissene Uniform der Unionsarmee mit den drei Sergeantenwinkeln. Sie war ihm sehr weit geworden, denn er hatte soeben eine schwere Verwundung überwunden und musste sich erst wieder herausfüttern. Im Gürtel hatte er einen guten Army-Colt, einen 44er mit zwanzig Zentimeter langem Lauf, Baujahr 1860. Und er saß auf einem Pferd der einstigen Rebellenarmee. So kam er vor unser schäbiges Haus in Kentucky geritten und nickte uns zu. Wir – das waren unsere Mom Stella Finley und wir drei Jungens Adam, Ben und Pat Finley. Ich war Pat und hatte an diesem Tage meinen sechzehnten Geburtstag, Ben war siebzehn und Adam achtzehn. Es war Zufall, dass sie daheim waren, und es hatte nichts mit meinem Geburtstag zutun. Unser Vater sah vom Pferd aus auf uns nieder – ernst und prüfend. »Steig ab, George«, sagte Mom ruhig. Sie war stets ruhig und schimpfte oder klagte nie. Sie tat einfach nur, was sie konnte.
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Unser Alter saß langsam ab. Und nun sahen wir, was auf der uns abgewandten Seite seines Pferdes bisher unseren Blicken verborgen gewesen war. Ihm fehlte der linke Fuß. Er trug einen Schnürstiefel, der bis über die Wade reichte. Der Fuß an diesem Schnürstiefel war ausgepolstert. Die Sohle war doppelt so dick wie normal. Wir starrten alle auf sein Bein. Aber als er auf Mom zutrat, da sahen wir, dass er nicht allzu schlimm hinkte. Er brauchte keinen Stock. Er nahm sie in die Arme, küsste sie und drückte sie nochmals an sich. Dann sah er unser schäbiges Blockhaus an und gab unsere Mom frei. Er wirbelte herum, ergriff Adam vorn am Hemd und schlug ihm die Rechte mehrmals rechts und links um die Ohren. Während Ben und ich noch staunten, hatte er uns an den Köpfen und knallte sie wie Kürbisse zusammen, dass es darin dröhnte wie in Indianertrommeln. Als wir uns erholt hatten, sagte er: »Es war Zeit, dass ich heimkehrte. Sonst wäre euch wohl das Dach eingestürzt. Obwohl hier eine Mutter mit drei kräftigen Söhnen lebt, sah ich nur selten eine so heruntergekommene Farm. Ich bin mächtig stolz auf euch – mächtig! Ihr seid genau die richtigen Söhne, die ein Mann bei seiner Frau zurücklassen kann, wenn er in den
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Krieg zieht. Ich möchte wetten, dass ihr hier seit zwei Jahren keinen Finger mehr krumm gemacht habt!« Da hatte er Recht. Adam hatte hier schon länger nichts mehr getan. Und Ben war bald seinem Beispiel gefolgt. Sie waren immerzu überall herumgeritten und manchmal länger als eine Woche nicht heimgekommen. Eigentlich hatte ich vorgehabt, sie demnächst zu begleiten. Sie hatten im ganzen Land einen üblen Ruf. Und den wollte ich auch erwerben. Mom sagte in ihrer ruhigen Art: »George, strafe sie nicht zu hart. Sie hatten fünf Jahre keinen Vater. Sie sind nicht schlechter als andere Jungen hier im Land, die keinen Vater haben und in schlechte Gesellschaft geraten sind. Verzeih ihnen, George. Jetzt bist du ja wieder bei uns! Jetzt wird alles anders. Sie waren ganz einfach zu jung, zu dumm und zu wild.« Er sah uns der Reihe nach an, und wir erwiderten noch sehr trotzig und aufsässig seinen Blick. Wir fühlten uns bereits als stolze Burschen, die sich nichts mehr gefallen ließen. Adam hielt sich sogar für einen Mann, dem man besser aus dem Weg ging. Es gefiel ihm, von anderen Burschen oder sogar Männern gefürchtet zu werden. Wir sahen unserem Vater sehr ähnlich. Alle waren wir dunkel wie Indianer und hatten graue Augen, die weit auseinander standen. Wir hatten scharfe Nasen, kleine Ohren und waren etwas hohlwangig, doch groß dabei
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und mit Muskeln bepackt. Wir wirkten wild und verwegen. »Eure Mom kann stolz auf euch sein«, sagte er. »Ihr seid wohl nur dann hergekommen, wenn ihr mal wieder hungrig wart oder eine saubere Hose brauchtet. Aber ich werde euch jetzt Beine machen.« Das wussten wir. Ben und ich, wir starrten auf unseren älteren Bruder Adam. Würde Adam kuschen? Oder würde er dem Alten vor die Füße spucken, seine Siebensachen nehmen und verschwinden? Mom trat neben unseren Vater und schob ihre Hand in die seine. Sie stand einfach nur da und blickte uns an. Wir sahen, wie zierlich Mom war. Sie wog kaum mehr als hundertzehn Pfund, und sie hatte mit ihren siebenunddreißig Jahren schon graue Strähnen im Haar. Dabei war sie noch schön. Wie konnte eine so kleine Frau bei der schweren Arbeit noch schön bleiben? Man sah ihr an, wie glücklich sie war, dass unser Vater wieder aus dem verdammten Krieg heimgekehrt war. Nun war sie nicht mehr so allein. Er war wieder bei ihr. Für sie musste nun alles gut werden. Adam hatte lange genug nachdenken und in sich hineinhören können. Er starrte Vater an und sagte plötzlich: »In Ordnung, du hast uns noch einmal verprügelt wie dumme Jungen, und gewiss hätten wir noch weitere Prügel verdient. Du
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kannst mir jetzt auch Beine machen. Ich bin es Mom schuldig. Ich werde alles tun, um diese Schuld zu tilgen. Nur schlag mich nicht wieder! Schlag mich nie wieder!« Unser Vater sah ihn fest an. »Worauf bist du eigentlich so stolz?«, fragte er nur. »Gibt es etwas, auf das du so stolz sein kannst, dass du dich wie ein Mann fühlst, der sich nicht mehr schlagen lassen will?« Da wusste Adam nichts mehr zu sagen. Aber er nahm das Pferd des Vaters, um es im Corral zu versorgen. Ben nahm dem Tier den Sattel und das Gepäck ab und brachte die Sachen ins Haus. Ich schleppte Wasser in die Küche, damit Mom unserem Vater in dem großen Holzbottich ein Bad bereiten konnte. Seit vielen Monaten hatte ich kein Wasser mehr ins Haus getragen. Oh, was für schlechte Söhne waren wir geworden! Als wir am nächsten Morgen darauf warteten, dass unser Vater mit uns beginnen würde, die Dächer zu flicken, die Corrals auszubessern und all die vielen anderen Dinge zu tun, die schon längst härten getan werden müssen, da wurden wir enttäuscht. Denn unser Vater sagte: »Wir geben hier alles auf und ziehen nach Nebraska. Dort in Nebraska gibt es reichlich Land – gutes Land, weites Land. Dort kann ein Mann mit drei tüchtigen Söhnen ein König werden und einst seinen
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Söhnen ein Königreich hinterlassen. Man wird von Nebraska eine Eisenbahn nach Westen bauen, die zwei Weltmeere quer über unseren Kontinent verbindet. Das ist die große Chance für alle Menschen, die zuerst kommen. Wir machen unseren Wagen fertig, beschlagen alle Pferde und besorgen alles, was wir in den nächsten Monaten brauchen. Ich denke, dass ich für diese heruntergekommene Farm noch fünfhundert Dollar bekommen werde …« Schon eine Woche später zogen wir los. Wir fuhren einen schweren Wagen, den sechs Maultiere zogen, die wir gegen Pferde eingetauscht hatten. Der Wagen hatte noch einen kleinen Anhänger. Vater fuhr den Wagen. Und Mom saß neben ihm. Sie sah jung aus, unsere Mom. Und sie ließ irgendwie erkennen, wie sie früher ausgesehen hatte. Außer den Pferden, die meine Brüder und ich ritten, hatten wir noch eine Remuda von neun Tieren, zu der auch ein guter Hengst gehörte. Die Pferde wurden von Adam getrieben. Ben und ich, wir hatten mit siebzehn Rindern zu tun. Sechzehn Kühe und ein Bulle waren es, und sie machten uns die ersten Tage schwer zu schaffen, besonders der verdammte Bulle. Erst nach einigen Tagen erreichten wir mit diesem Rinderrudel fast gleichzeitig mit dem Wagen unser jeweiliges Camp. Die Rinder hatten sich endlich an das
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Wandern gewöhnt. Nun blieben wir nicht mehr hinter dem zwar langsam, aber stetig rollenden Wagen zurück. An einem dieser Tage sang ich zum ersten Male seit langer Zeit wieder. Natürlich war es »My old Kentucky Home«, jenes Lied von Stephen Collins Foster, das sozusagen unsere Nationalhymne war. Es lautete – übersetzt in die deutsche Sprache – so: Die Sonne scheint heiter über meiner alten Heimat Kentucky. Es ist Sommer, die Neger sind froh. Der Mais ist reif, und die Prärie blüht. Die Vögel singen den lieben langen Tag. Die Kinder kugeln sich auf dem Boden der Hütte. Alle sind lustig, glücklich und froh. Doch bald werden harte Zeiten kommen. Darum sag ich meiner alten Heimat Kentucky Ade. Auch meine Brüder sangen mit – sogar Adam, der neben den Rindern die Pferde trieb. Diese Pferde waren eigentlich unser kostbarster Besitz. Das Blaugras von Kentucky enthielt besondere Mineralien, die eine Pferdezucht schon im Hinblick auf die Fütterung begünstigten. Kentucky-Pferde waren damals schon berühmt, und auch unsere konnten sich sehen lassen.
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Nun, wir waren eigentlich wieder eine glückliche Familie geworden. Unser Vater machte uns keine Vorwürfe mehr. Für ihn war unser Versagen vergeben und vergessen, obwohl er – wäre unsere Farm nicht so heruntergekommen gewesen – gewiss einen besseren Preis dafür bekommen hätte. Wir hatten unter alles einen Schlussstrich gemacht und zogen nach Westen. Dort wollten wir neu beginnen. Und für drei junge Burschen bestand dort die Möglichkeit der großen Bewährung. Dort im Westen lag für Jungens unserer Sorte eine Herausforderung. Unser Vater sprach nicht viel in diesen Tagen und Wochen. Doch er nahm etwas an Gewicht zu. Er und Mom waren glücklich darüber, dass sie wieder beisammen waren. Dass er keinen linken Fuß mehr hatte, fiel kaum noch auf. Er hinkte nur leicht. Seine Schnürstiefel-Prothese genügte ihm. Er brauchte keinen Stock, und er verrichtete seine Arbeit mit lässig wirkender Leichtigkeit und Sicherheit. Er war ein Mann von hundertneunzig Pfund Gewicht und einer Größe von sechs Fuß und zwei Zoll. Seinen Colt trug er immer. Das hatte er früher nie getan. Aber in den fünf Jahren des Krieges hatte er sich das angewöhnt. In seinem Gesicht waren ein paar tiefe, dunkle Linien, und in seinen rauchgrauen Augen sah man manchmal etwas von seiner kühlen, ruhigen Härte.
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Einmal in einem Camp auf der Kansas-Prärie, als wir schon viele Wochen unterwegs waren und auch schon der Mississippi hinter uns lag, trat unsere Mom fast auf eine Klapperschlange. Da sahen wir unseren Vater ziehen und schießen. Unser Adam hielt sich für einen besonders schnellen Revolverschwinger, aber er wäre geschlagen worden. Überdies traf die Kugel genau den Kopf der Schlange, und das aus gut sechs Schritt Entfernung. Da wussten wir endlich Bescheid, was im Krieg aus unserem Vater geworden war. Er – der ehemalige Farmer – konnte es mit jedem Revolvermann aufnehmen. Nun, wir zogen weiter und weiter, Woche um Woche. Zumeist schlossen wir uns anderen Wagenzügen an, denn das war sicherer. Es gab überall noch starke Banden einstiger Guerillas aus dem Krieg. Sie waren jetzt mehr oder weniger Banditen geworden. Die Zeiten waren verdammt schlecht. Überall strömten die entlassenen Soldaten zurück. In Kansas durften sich nur ehemalige Soldaten der Union niederlassen, und nicht anders sollte es in Nebraska sein. Auch dort durften keine Soldaten der Rebellenarmee siedeln. Nun, ich möchte meine Geschichte nicht ausdehnen mit langen Schilderungen über unseren monatelangen Treck von Kentucky nach Nebraska. Nur noch ein paar Dinge will ich in diesem Zusammenhang sagen. Wir Finley-Jungens hatten eine Aufgabe, ein Ziel. Wir betrachteten die ganze Sache als ein großes Abenteuer, bei
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dem wir uns als Männer zu bewähren hatten. Deshalb klagten wir nicht, sondern bewiesen immer wieder neu, dass wir hart und zäh waren, zuverlässig und mutig genug für eine neue Zeit in Nebraska. Wahrhaftig, durch die Aufgabe und das Ziel vor unseren Augen hatten wir uns gewandelt. Vielleicht hatte uns daheim eine solche Aufgabe gefehlt. Wahrscheinlich war auch das einer der Gründe, warum unser Vater nach Nebraska zog, Wir sollten uns bewähren und dabei Männer werden. Ja, wenn ich heute darüber nachdenke, hatte er sich keinen schlechten Trick ausgedacht, um drei verwilderte Jungens wieder in die Reihe zu bringen.
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Wir brauchten ein ganzes Jahr. Jawohl, ein ganzes Jahr! An meinem siebzehnten Geburtstag lagerten wir am Rande einer Hügelkette. Ein kleiner Creek versickerte hier. Er hatte nicht mehr genügend Kraft. Unser Vater kam bei Anbruch der Abenddämmerung ins Camp geritten. Er war zwei Tage fort gewesen, irgendwo jenseits der Hügel. Wie es seine Art war, blieb er erst mal auf dem Pferd sitzen und sah uns der Reihe nach an. Wir erkannten sofort, dass nun in seinem Innern Ruhe herrschte. Deshalb wussten wir gleich, dass er endlich gefunden hatte, was er ein Jahr lang so geduldig und dennoch ruhelos suchte: Land für uns. Er nickte in Richtung der Hügel und sagte dann ruhig: »Ich habe es gefunden. Dort jenseits der Hügel. Es ist nicht mehr weit – ein Tal, wie es der Herr dieser Welt nur einmal schuf, ein weites, weites Tal mit Creeks und Seen, mit saftigen Weiden, Senken, sanften Hügeln und Waldstücken, ein herrliches Tal, gesäumt von einem natürlichen Wall grüner Berge. Wir sind angelangt, haben gefunden, was wir suchten. Morgen brechen wir auf. Und übermorgen nehmen wir unser Land in Besitz.«
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Wir starrten ihn an. Seine Stimme klang, als spräche er ein Gebet und leiste zugleich einen feierlichen Schwur. Dann saß er ab. Unsere Mom trat schnell zu ihm, küsste ihn und sagte glücklich: »George, ich freue mich, dass du gefunden hast, was für uns gut und richtig sein wird. Ich freue mich so sehr!« Wir drei Finley-Jungens standen still da. Und unsere Gefühle waren gemischt. Zum ersten Mal wurde uns so richtig klar, dass wir die nächsten Jahre in der Einsamkeit leben und etwas aufbauen mussten. Das würden harte, entbehrungsreiche Jahre werden. Es konnte dabei für uns kaum jenen Spaß geben, den Adam und Ben in Saloons, Tingeltangels, mit Mädchen und beim Spiel bereits gehabt hatten. Wir würden hier wie Mönche leben und arbeiten. Aber wir konnten reiten, jagen, fischen. Und wir würden etwas mit unseren Händen aufbauen. Das alles begriffen oder ahnten wir. Dennoch waren unsere Gefühle gemischt. Am nächsten Tag sahen wir das Tal von oben. Und selbst wir Jungens waren ergriffen von der großartigen Schönheit. Erst jetzt erkannten wir richtig, in welcher Größenordnung unser Vater dachte. Daheim in Kentucky waren wir kleine Farmer gewesen.
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Hier wollten wir ein Tal in Besitz nehmen, das fast so groß war wie in Kentucky ein ganzes County mit mehreren Ortschaften und einigen Dutzend Farmen. Erst jetzt begriffen wir, dass Vater mit uns wirklich so etwas wie ein Königreich gründen wollte. Unsere paar Pferde und die kleine Rinderherde kamen uns lächerlich und unwichtig vor. Und von dem Geld, das wir in Kentucky für unsere Farm bekommen hatten, besaßen wir keine dreihundert Dollar mehr. Wir staunten über die Größe unserer Zukunft, und wir kamen uns klein vor. Wer waren wir denn schon? Unserem Vater fehlte der linke Fuß, und wir drei Finley-Jungens hatten daheim nicht mal eine kleine Farm in Schuss halten können, sondern alles unserer Mom überlassen. Wie konnten wir jetzt über uns hinauswachsen und ein Königreich schaffen? Als wir unseren Vater ansahen, ahnten wir es. Er würde es uns zeigen und von uns verlangen, dass wir ihm nacheiferten. Oha, was würden das für harte Jahre werden! Uns krampften sich die Mägen zusammen. Wir mussten schlucken, und bei aller großartigen Schönheit des Tales war uns nicht wohl. Nur Mom war glücklich. Am nächsten Tag zogen wir von der Wasserscheide den langen Canyon hinunter und erreichten gegen Mittag einen schönen Platz an einem See. Es gab ein paar alte
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Bäume diesseits – und am anderen Ufer einen ganzen Wald. Ein Creek floss in den See und verließ ihn wieder als Abfluss. »Hier bauen wir unsere Ranch«, sagte unser Vater und kletterte vom Wagen. Er breitete die Arme aus und rief: »Dies ist unser Land, und niemand wird es uns wegnehmen – niemand!« Wir gaben laut schreiend unserer Zustimmung Ausdruck, denn wir alle waren ergriffen und erlebten diese Stunde sehr bewusst. Unsere Mom saß noch auf dem Wagenbock und hatte die Hände gefaltet. Sie betete leise. Wir verstummten und hörten ihre letzten Worte: »… und behüte uns und beschütze uns vor allem Übel. Amen.« Auch wir sagten unser Amen. Dann sahen wir die Reiter kommen. Es waren Weiße wie wir, sieben oder acht Mann. Sie ritten hinter einem Anführer her, und sie waren eine stolze, selbstbewusste Crew, das konnte man schon aus einiger Entfernung erkennen. Wir standen da und ahnten bereits, dass man auch diesmal wieder – wie stets auf dieser Erde – nichts umsonst bekommen würde. Wir blickten den Reitern entgegen und warteten. Unsere Rinder und auch die Pferde waren am Ufer des Sees. Dort würden sie auch noch eine Weile bleiben. Wir brauchten uns nicht um sie zu kümmern. Mein Vater stellte sich so, dass er den Wagen hinter sich hatte. Adam trat neben ihn. Denn auch Adam trug ja
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schon einen Colt. Ben hatte ein Spencer-Gewehr. Und ich führte im Sattelschuh eine Schrotflinte mit. Die Reiter kamen langsam näher, ganz so, als hätten sie viel Zeit. Es waren echte Rindermänner, wahrscheinlich sogar Texaner. Ihr Anführer war ein großer Mann. Er trug keinen Hut. Sein löwengelbes Haar flatterte im leichten Wind. Er besaß überhaupt viel Ähnlichkeit mit einem Löwen, dieser Mann. Er wirkte gewaltig, souverän und ganz und gar wie ein Boss, der anderen Männern durch knappe Worte oder einen Wink mit dem Finger Befehle geben kann, die genau befolgt wurden. Als sie unser Camp erreichten, hielten sie im Halbkreis an. Der löwenhafte Mann lächelte breit. Er ließ zwei kräftige Zahnreihen in der Sonne blinken. Vor unserer Mom zog er sogar höflich den Hut und verneigte sich im Sattel. »Ich habe natürlich nichts dagegen, wenn Sie hier für eine Nacht ein Camp aufschlagen und morgen über mein Land ziehen«, sagte er. »Mein Name ist Miles, Nelson Miles. Ich habe dieses Tal gestern in Besitz genommen.« Er sagte den letzten Satz ganz lässig und selbstverständlich. Aber es war etwas in seinen Augen, was sogar mich erkennen ließ, wie gefährlich er werden konnte, wenn ihm jemand das, was er nun als seinen Besitz betrachtete, streitig machen würde.
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Ich sah auf unseren Vater. Und dieser war nun kein kleiner Farmer mehr. Das mochte er vielleicht vor dem Krieg gewesen sein. Doch fünf Jahre konnten einen Mann ändern. Unser Vater hatte zeitweilig als Master Sergeant eine Kompanie geführt, nachdem die Offiziere gefallen waren. Aus vielen anderen Gründen war er ebenfalls kein kleiner Farmer mehr. Er war ja auch ein Revolvermann geworden. Entschlossen sagte er zu diesem Nelson Miles: »Mister, es tut mir Leid. Aber ich muss Ihnen sagen, dass Sie zu spät kamen. Ich war schon zwei Tage vor Ihnen in diesem Tal. Schauen Sie zu diesem Felsen dort drüben! Dort meißelte ich bereits vor drei Tagen mein Squatter-Recht ein. Suchen Sie sich ein anderes Tal, Mister Miles. Es gibt sicherlich noch irgendwo …« »Nein«, fiel Miles ihm hart in seine Rede. Jetzt wusste unser Vater, dass jedes weitere Wort sinnlos war und wahrscheinlich sogar als Schwäche ausgelegt würde. Miles befahl nach drei Sekunden hart: »Packt euch! Sofort auf der Stelle! Oder meine Reiter machen euch Beine! Mann, wenn das Ihre Frau und Ihre drei Söhne sind, dann würde ich lieber nichts riskieren. Denn wenn wir mit euch anfangen, dann könnte es bald die ersten Gräber hier in diesem schönen Tal geben, das Miles Valley heißen wird.« Unser Vater blickte ihn ruhig an.
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»Lassen Sie nur meine Frau und meine drei Jungens aus dem Spiel«, sagte er. »Und lassen Sie auch Ihre Revolvermänner draußen, Miles. Kommen Sie herunter vom Gaul und zeigen Sie mir persönlich, ob Sie groß genug sind, mich hier zu vertreiben.« Das war eine Herausforderung. Ich blickte schnell auf Mom. Diese saß ganz still auf dem Wagen und hielt ihre Hände im Schoß gefaltet. Auch Miles sah auf Mom. Wahrscheinlich gefiel sie ihm. In diesem Land gab es nur wenige Frauen. Und unsere Mom war schön. Miles leckte sich über die Lippen. Er starrte wieder unseren Vater an. Dann blickte er auf dessen linkes Bein. Er hatte schon erkannt, dass die Sohle des Schnürstiefels, der nichts anderes als eine geschickte Prothese war, doppelte Stärke hatte. »Sie sind doch ein Krüppel«, sagte er langsam. »Wollen Sie einen Revolverkampf?« »Ich bin George Finley«, antwortete mein Vater. »Sie können sich aussuchen, ob Sie es mit dem Colt oder mit den Fäusten austragen wollen. Hauptsache ist, dass Sie – sollten Sie verlieren und noch am Leben sein – Ihr Wort halten und verschwinden.« Nelson Miles nickte. Er leckte wieder über seine breiten Lippen. Sein zerfurchtes Löwengesicht bekam noch ein paar Falten mehr. Er war keinesfalls älter als unser Vater, eher zwei oder drei Jahre jünger.
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Er sah zu uns herüber und betrachtete uns nacheinander. Ich spürte seinen Blick wie ein Abtasten. Es strömte etwas von ihm herüber zu mir und versuchte in mich einzudringen. Oha, er war kein gewöhnlicher Mann. Ich hörte mich plötzlich sagen: »Mein Vater hat nur uns Jungens hinter sich. Sie aber kommen mit einem halben Dutzend Revolverschwingern her, reißen Ihren Mund auf und wollen uns Befehle geben. Aber wie groß sind Sie allein gegen meinen Vater?« Er grinste, nickte mir zu und wandte sich an meinen Vater. »Der wird gut«, sagte er. »Wenn man ihn nicht vorher zerbricht und klein macht, wird der mal wie Sie, Mister Finley.« Dann saß er ab. Er entledigte sich seines Revolvergurtes und hängte diesen ans Sattelhorn. Er trat vom Pferd weg und rief seinen Reitern zu: »Also, wenn er mich schlägt, hat er auf der ganzen Linie gewonnen. Dann respektiere ich ihn. Und ihr lasst seine Familie in Frieden.« Dann wartete er auf unseren Vater. Dieser hatte seinen Colt ebenfalls abgelegt. Einen Moment verharrte er und sah zu Mom auf. »Ich muss es tun«, sagte er zu ihr. »Dieses Tal ist zu schön, um es einfach wieder aufzugeben. In diesem Land muss ein Mann imstande sein, sich mit eigener Kraft zu behaupten. Du verstehst mich doch, Stella?«
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Sie nickte nur, denn ihre Kehle war wohl wie zugeschnürt. Unser Vater wandte sich um und ging Nelson Miles entgegen. Er hinkte nur wenig. Man konnte kaum glauben, dass ihm der ganze Fuß fehlte. Er bewegte sich auch sonst sehr leicht und geschmeidig. Doch das tat Nelson Miles auch. Er war etwas kleiner als unser Vater, doch dafür etwas schwerer und muskelbepackter. Sie prallten gegeneinander und begannen zu kämpfen. Wir Finley-Jungens sahen unseren Vater zum ersten Male kämpfen, Mann gegen Mann. Er hätte gewiss von tausend Männern neunhundertneunundneunzig schlagen können. Doch dieser Nelson Miles war der Tausendste, jener eine also, den er nicht schlagen konnte. Das wurde nicht sofort klar. Eine Weile sah es unentschieden aus. Unser Vater bekam Miles sogar dreimal zu Boden. Doch Miles war dann besser – einfach besser, stärker, härter –, und er war natürlich auch sicherer auf den Beinen. Unser Vater kämpfte den Kampf seines Lebens. Er kämpfte für das Tal, und er gab alles, was er hatte. Siebenmal erhob er sich nach Niederschlägen vom Boden. Erst beim achten Male blieb er liegen. Er konnte nicht mehr.
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Wir Finley-Jungens waren starr. Ich ertappte mich dabei, dass mir die Tränen über die Wangen liefen. Es war ein gigantischer Kampf gewesen. Zwei Männer, von denen jeder das Zeug zu einem großen Boss hatte, hatten um ein gewaltiges Tal gekämpft. Wir Finley-Jungens litten in dieser Stunde. Ja, länger als eine Stunde dauerte dieser Kampf. Und unsere Mom konnte nicht mehr zusehen. Dann war alles vorbei. Unser Vater lag auf dem Gesicht und rührte sich nicht mehr. Und Nelson Miles stand schwankend auf den Beinen und konnte sich selbst nur mühsam aufrecht halten. Er musste zu seinem Pferd gehen, um etwas zu finden, an das er sich lehnen und an dem er sich festhalten konnte. Wir hörten sein rasselndes Keuchen. Sein Gesicht schwoll unförmig an. Er blutete und würde die Zeichen von den Fäusten unseres Vaters sein ganzes Leben lang behalten. Endlich nahm er seine Wasserflasche vom Sattelhorn und goss sie über seinem Gesicht aus. Wir Jungens waren jetzt bei unserem Vater. Mom brachte vom Wagen den Holzeimer mit Wasser. Sie hatte auch ein weiches Tuch und ihren kostbaren Schwamm dabei. Wir dachten zuerst, dass Vater tot sei. Doch dann begann er lauter zu atmen. Aber er blieb noch bewusstlos. Und jetzt machte Adam einen großen Fehler.
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Adam sprang auf und rief: »Es war kein fairer Kampf! Einen einbeinigen Mann zu schlagen, hätte Ihnen leichter fallen müssen, Mister! Es hat nicht viel gefehlt, und Sie wären geschlagen worden! Und wir sind auch noch nicht fertig, Mister! Wenn Ihre Hände wieder in Ordnung sind, werde ich Sie zum Revolverkampf fordern. Ich werde Sie schlagen.« Adam war wie von Sinnen. Er war verrückt und wusste wahrscheinlich nicht, was er sagte. Aber es war klar, dass er die Niederlage des Vaters tilgen wollte, und zwar mit dem Colt. Es passte ihm nicht, dass er es nicht sofort tun konnte, wenn der Kampf fair sein sollte. Nelson Miles hatte sich seine Fäuste zu sehr zerschlagen. Der würde sich in den nächsten Tagen nicht einmal seine Hose zuknöpfen können. Das war leicht zu begreifen. Deshalb würde er auch seinen Colt nicht schnell genug ziehen können. Er starrte zu Adam und zu uns herüber. Dann sagte er keuchend und kaum verständlich zu seinen Reitern: »Macht ihn klein, damit es ihn nie wieder juckt! Macht ihn klein!« Und das taten sie. Einer schoss Adam den Colt aus der Hand. Sie kamen und machten nicht nur Adam klein. Auch Ben und mich verprügelten sie. Aber Adam zerbrachen sie.
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Irgendwann an diesem schrecklichen Tag waren wir dann allein. Ich hörte unsere Mom weinen.
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Mich hatten sie am wenigsten verprügelt. Deshalb war ich schon nach zwei Tagen wieder auf den Beinen und konnte meiner Mom etwas helfen. Am dritten Tag war dann auch Ben so weit. Wir hoben unseren Vater und Adam in den Wagen. Mom fuhr. Ich trieb die Rinder und Ben die Pferde. So verließen wir das schöne Tal, das unser Vater für uns hatte in Besitz nehmen wollen. Wir waren geschlagen, und er war an einem härteren Mann gescheitert. Wir zogen auf unserer alten Fährte zurück, den Canyon hinauf, über die Wasserscheide hinweg und bis zu jenem Camp, in dem wir damals auf unseren Vater gewartet hatten. Es war dort, wo der Creek versickerte und wir eine tiefe Mulde gegraben hatten, in der sich Wasser sammelte. Unsere Mom pflegte Vater und Adam, so gut sie konnte, und sie verstand sich auf Knochenbrüche, verrenkte Glieder und Wunden. Ich dachte oft über den Kampf unseres Vaters nach. Und ich begriff, dass es nicht einfach eine Schlägerei gewesen war, ein Zusammenprall zweibeiniger Bullen. O nein!
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Es steckte der Wille zur absoluten Behauptung dahinter, zur Behauptung inmitten einer Natur, die alles Schwache untergehen lässt und vernichtet. Es gab in diesem Lande kein Gesetz, vor dem Große und Kleine, Starke und Schwache gleich waren. Deshalb konnte sich nur der Große und Starke behaupten, und deshalb musste unser Vater kämpfen. Er tat es für uns alle. Denn hätten wir zu den Waffen gegriffen, wären wir jetzt wohl verwundet oder tot. Gegen dieses harte Rudel erfahrener Revolvermänner hätten wir keine Chance gehabt, auch dann nicht, wenn Vater und auch Adam jeder einen Gegner umgelegt hätten, Vater vielleicht sogar zwei. Er hatte ein großes Blutvergießen verhindert und es zu einem Zweikampf gemacht. Dabei hatte er sein Bestes gegeben und noch mehr. Wahrscheinlich hätte er – wenn ihm nicht sein linker Fuß gefehlt hätte – Nelson Miles geschlagen. Er stand zuletzt nicht mehr so fest auf den Beinen. Und wenn man nicht fest auf den Beinen steht, kann man nicht hart genug zuschlagen. Das wusste ich längst. Was würden wir nun tun? Würden wir weiterziehen und irgendwo noch mal unser Glück versuchen? Gab es vielleicht irgendwo noch ein ähnlich schönes Tal, das noch frei war für uns und das uns niemand streitig machte?
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Als ich mir diese Frage stellte, ahnte ich, dass hier das Problem lag. Denn wer einmal fortlief, weil er sich nicht behaupten konnte, würde wahrscheinlich auch beim zweiten Mal nicht groß genug sein und abermals geschlagen werden. Wir waren nicht groß genug, ein Rinderreich zu gründen. Das hatte uns Nelson Miles klar gemacht. Die Tage vergingen. Vater und Adam wurden langsam gesund. Ihre Knochenbrüche und sonstigen Verletzungen heilten. Alle Schwellungen und Blutergüsse gingen zurück, und die Risse und Wunden schlossen sich und wurden zu Narben. Sie sprachen kaum ein Wort in diesen Tagen, aber sie konnten nicht verbergen, dass sie bis ins Innerste krank waren. Ihr Stolz war zu sehr verletzt worden. Besonders Adam konnte nicht verwinden, dass man ihn wie einen Hund halb totgeschlagen hatte. Die Finger seiner Revolverhand waren gebrochen. Mom hatte sie ihm auf einem Brett geschient. Eines Tages, als wir beim Mittagessen hockten, fragte Mom ruhig: »George, wann ziehen wir weiter?« Wir hielten beim Kauen inne und blickten auf den Vater. Dieser sah Mom ruhig an. Er konnte es wieder. Seine Augen waren nicht mehr zugeschwollen. Er konnte damit wieder sehen.
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»Wir bleiben«, sagte er. »Wir ziehen nicht länger herum. Wir bleiben hier auf der Ebene vor den Bergen.« Nun wussten wir es. Er war zu stolz, noch weiter zu ziehen. Er wollte sich hier festsetzen und auf seine Chance warten. Er war noch nicht fertig mit diesem Nelson Miles. Und er wusste, dass es wahrscheinlich überall einen Nelson Miles gab, zumindest dort, wo etwas zu holen war und sich ein großer Einsatz lohnte – so wie bei dem wunderschönen Tal jenseits der Berge. Wir begriffen unseren Vater sofort, mochten wir noch so jung sein. Ben und ich starrten auf Adam. Und wir sahen Adam am ganzen Körper zittern. Wir wussten plötzlich, dass er sich fürchtete. Und das war kein Wunder. Er hatte zum Colt gegriffen. Man hatte ihm die Waffe aus der Hand geschossen und ihm dann die heilige Mannesfurcht eingeprügelt. Wie einen räudigen Hund, der nach seinem Herrn schnappte, hatte man ihn halb totgeschlagen. Nach einer Weile sagte Mom: »George, dein ältester Sohn Adam wird nicht bei uns bleiben – er kann es nicht. Nelson Miles sagte mir, dass er einen Burschen, der gegen ihn die Waffe gezogen habe, beim nächsten Zusammentreffen töten werde. Adam muss fort. Er kann nicht an Nelson Miles ׳Grenze leben.« Unser Vater nickte. Er sah Adam fast mitleidig an. »Dann musst du eben reiten«, murmelte er.
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Adam erwiderte nichts. Vor wenigen Tagen war er noch wild, verwegen, stolz und selbstbewusst gewesen. Jetzt war er nur noch wie ein geprügelter Hund, der nicht mehr zu bellen wagte. Und wir konnten das verstehen. Er hatte dreimal so viel abbekommen wie Ben und ich. Seine Furcht war größer als sein Hass. Er sagte nichts. Niemand von uns sagte etwas. Am anderen Morgen war Adam fort. Unser Vater schwieg. Er nahm die Axt und die Säge, um Bäume für unser Blockhaus zu fällen. Er wollte hier immer noch nicht weg. Unsere Mom meinte zu Ben und zu mir: »Wahrscheinlich müsst ihr eines Tages ebenfalls fortgehen wie Adam, um nicht zerbrochen oder getötet zu werden. Nelson Miles duldet keine Feinde an seinen Grenzen. Sobald ihr richtig erwachsen und ernst zu nehmen seid, werdet ihr aus Nelson Miles ׳Nähe weg müssen. Oder …« Da blieb unser Vater, der schon einige Schritte fort war, stehen und blickte über die Schulter zurück. »Sie mögen alle drei fortgehen«, sagte er. »Doch einer kommt wieder! Einer von meinen drei Söhnen wird ein Mann werden, der wiederkommt!« Dann ging er, um die ersten Stämme zu fällen.
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Nach einer Weile folgten Ben und ich ihm, um zu helfen. Wir arbeiteten hart und verbissen in diesen Tagen, aber Ben und ich, wir hatten dabei ständig das Gefühl, nutzlose Arbeit zu leisten. Oh, was war das für ein schwerer Sturz von stolzen Höhen in eine erbärmliche Tiefe. Wir hatten ein Tal gefunden, wie wir es schöner noch niemals sahen. Wir waren glücklich gewesen und wollten etwas Großes schaffen. Aber dann war ein harter Mann mit einer rauen Mannschaft gekommen und hatte uns gezeigt, wie winzig wir wirklich waren. Eigentlich hätten wir auch daheim in Kentucky bleiben können. Dort besaßen wir schon eine Farm. Hier mussten wir uns erst eine aufbauen. Und das Land war auch nicht besser, eher schlechter, weil der Creek hier versickerte und es nur wenige Löcher gab, die nach Regenperioden für eine Weile Wasser hatten. Allerdings gab es genug Land. Diesseits der Berge waren wir vorerst die einzigen Siedler. Aber was nützte uns Land ohne Wasser? Wir arbeiteten also mit dem Gefühl, nutzlose Arbeit zu leisten, und wir taten es eigentlich nur unserem Vater zuliebe. Das waren wir ihm schuldig. Er hatte den Kampf seines Lebens gekämpft, um uns zu schonen.
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Es gab für uns nichts Erfreuliches in diesen Tagen und Wochen. Nur ein paar von unseren Kühen bekamen Kälber. Unsere kleine Herde vergrößerte sich. Aber es war noch längst nicht sicher, ob wir die Rinder im Winter vor dem Raubwild schützen konnten. Eigentlich glaubten wir auch gar nicht ernsthaft, im Winter noch hier an diesem Platz zu sein. Von Adam sprachen wir nicht. Doch wahrscheinlich schloss Mom ihren Ältesten stets in ihr Gebet ein. Wir wussten, dass sie jede Nacht betete. Trotzdem war sie keine Frau, die sich auf den Herrgott im Himmel verließ und auf Wunder hoffte. Sie wusste, dass man sich selber helfen musste in dieser Welt, und machte sich keine Illusionen. Worum sie wohl betete, war die Gunst des Schicksals. Und darauf kam es an. Es gab für jeden ein Schicksal, dem man nicht entkommen konnte. Ich dachte oft darüber nach, wenn ich vor Muskelschmerzen nicht sofort einschlafen konnte. Wir schufteten hart in diesen Wochen, quälten uns von früh bis spät. Und auch Mom rackerte sich ab. Sie war eine kleine, zarte Frau. Für sie war alles noch schwerer. Wie lange würde sie noch jung und schön aussehen? Eines Tages versickerte der Creek noch dichter bei den Bergen. Es kam also noch weniger Wasser auf die Ebene.
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Unser Vater ritt mit Ben und mir los. Wir hatten Hacken und Schaufeln an unsere Sättel gebunden. Vater führte in der Satteltasche ein paar Sprengstoffstangen mit. Er hatte uns mal gesagt, dass er damit während des Krieges umzugehen gelernt hatte. Er besorgte sie in Kansas City, als wir dort einkauften. Wir folgten dem Creek in die Berge hinauf. Es war jenes Gebirge, welches das Riesental einschloss. Der Weg wurde immer beschwerlicher, und wir sahen, dass im Creek nur wenig Wasser rann. Dennoch hatte er ein recht tiefes Bett. Wahrscheinlich verwandelte er sich im Frühling nach der Schneeschmelze oder nach langen Regenperioden in einen reißenden Fluss. Wir mussten schon bald Umwege machen und dann unsere Pferde zurücklassen. Schließlich standen wir unter einer Felswand, von der ein kleiner Wasserfall herunterrann. Unser Vater starrte hinauf. Wir beobachteten ihn. Er hatte ein Funkeln in den Augen. Wir begannen zu klettern. Dann sahen wir es. Es gab einen langen See hier oben. Die Felswand war wie eine Sperrmauer. Sie hielt das Wasser zurück, sobald der Spiegel des Sees sank. »Dies ist eine Schlucht, deren Ausgang durch eine Gerölllawine, einen kleinen Bergrutsch vielleicht, verschüttet wurde«, meinte unser Vater. »Das Schmelzwasser brachte Schlamm herbei, und so entstand dieser Damm. Wir könnten ihn ein Stück niedriger
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machen. Eines Tages sprenge ich ihn ganz weg. Dann wird der Creek so groß sein, dass er die Ebene weiter als bis zu uns bewässert.« Wir begriffen, was das zu bedeuten hatte. Unser Land war doch nicht so ganz wertlos. Wir konnten es besser bewässern. Ja, es gab sogar eine Senke, die zu einem See werden konnte. Wir begannen zu arbeiten. Obwohl wir wussten, dass Mom die Nacht allein verbringen musste, blieben wir an unserer Arbeitsstelle. Im Morgengrauen aßen wir kalten Proviant und arbeiteten dann weiter. Gegen Mittag sprengten wir ein Stück von der Dammkrone weg. Das Wasser schoss zehnmal stärker als zuvor in die Tiefe. Wir betrachteten den Stausee, den die Natur durch einen Bergrutsch geschaffen hatte, und versuchten abzuschätzen, wie lange es dauern konnte, bis der Wasserspiegel so weit sank, dass abermals nichts mehr überfließen konnte. »Es kommt auf die Stärke des Zuflusses an«, sagte unser Vater. »Eines Tages werden wir hier alles mit einer ganzen Wagenladung Sprengstoff wegsprengen. Und auf der Ebene werden wir Brunnen bohren und Windräder mit Pumpen aufstellen. Wir werden reichlich Wasser auf die Ebene bringen.«
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Wir staunten, und wir begriffen, dass Vater einen großen Kampf führen wollte. Er hatte ein schönes Tal aufgeben und sich mit sehr viel schlechterem Land begnügen müssen. Dennoch wollte er auf diesem Land etwas Großes vollbringen. Als wir kurz vor der Abenddämmerung unser halb fertiges Haus erreichten, floss das Wasser bereits kräftig im Creekbett. Es hatte die von uns geschaffene Auffangmulde überschwemmt und floss weiter zu einer etwa eine Meile entfernten natürlichen Senke. Vielleicht würde dort ein See entstehen. Mom war nicht allein. Es waren zwei Reiter da. Ihre Pferde trugen Nelson Miles ׳Brandzeichen, ein verschnörkeltes M. Die beiden Reiter waren abgesessen und wandten sich soeben von Mom ab. Sie hatten uns erst jetzt gehört. Wir waren in der Deckung des halb fertigen Hauses nahe herangekommen. Ich begriff, dass sie Mom bedrängt haben mussten. Unser Vater saß ab und rückte seinen Colt zurecht. Er machte lange, ruhige Schritte. Sein Hinken fiel kaum auf. Ich weiß nicht, was die beiden Miles-Reiter dazu brachte, nach den Waffen zu schnappen. Wahrscheinlich war es der Gesichtsausdruck meines Vaters. Offenbar waren sie sich ihrer Schuld bewusst und spürten die Härte des Mannes, dessen Frau sie bedrängt hatten. Nun wollten sie schneller sein, wenn es schon unvermeidbar war, sich mit ihm zu schießen.
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Er zog so schnell und glatt wie damals bei der Klapperschlange, die er auf sechs Schritt in den Kopf traf. Er traf auch beide Reiter, bevor diese zum Schuss kamen. Sie fielen vornüber und konnten ihre Revolver nicht mehr hochbringen. Sie schossen vor sich in den Boden. Dann war es still. Erst nach einer Weile fragte Vater zu Mom hinüber: »Stella, was haben sie dir getan?« »Noch nicht viel, George«, erwiderte sie mit seltsamer Ruhe. »Sie ließen sich erst von mir was zu essen geben. Dann sagte einer, dass ich die einzige Frau auf zweihundert Meilen im Umkreis und überdies auch noch wunderschön sei. Er sagte, er habe gewettet, dass ich keine krummen Beine hätte. Als ich mich weigerte, die Röcke zu heben, zwangen sie mich mit Gewalt. Und dann hörten sie euch kommen.« Mom verstummte. Sie ordnete ihr zerzaustes Haar und schloss die aufgerissene Bluse. Unser Vater atmete langsam aus. Er zitterte am ganzen Körper. »Verzeih mir, Stella, dass ich dich allein ließ«, sagte er. Dann befahl er uns, die Pferde der Toten zu bringen. Er legte die Männer quer über die Sattel und band sie darauf mit dem Lasso fest. »Bringt die Pferde ein Stück in die Richtung der Berge und jagt sie davon. Sie werden heimlaufen zu Nelson Miles ׳Ranch«, sagte er dann.
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Wir gehorchten stumm, und wir wussten, dass er mit Mom allein sein wollte. Obwohl es dann schon dunkel war, beeilten wir uns nicht mit dem Heimreiten, und Ben sagte zu mir: »Unser Vater hätte mit seinem Colt diesen Nelson Miles schlagen können. Warum versuchte er es mit den Fäusten, wo er doch nur noch einen Fuß hat? Vater kann jeden Revolvermann mit dem Colt schlagen. Hast du es gesehen?« »Ja«, antwortete ich. »Und er kann töten. Er hat im Kriege das Töten gelernt. Als es um das Tal ging, wollte er nicht töten. Doch als Mom bedrängt wurde, kannte er keine Gnade. Wie soll das nur werden?« Wir hielten an. »Ich habe Angst«, murmelte Ben. »Ich wurde damals zwar nicht so zerbrochen wie unser Bruder Adam. Doch ich habe nicht weniger Angst als er. Dennoch möchte ich nicht fortlaufen und unseren Vater im Stich lassen.« »Und erst recht nicht Mom«, meinte ich. Ben sagte nichts mehr. Als wir das Anwesen erreichten, saßen Mom und Vater beim Creek. Wir hörten ihre Stimmen in der ruhigen Nacht. Als wir sie dann kommen sahen – zwei Schatten in der Nacht –, da hielt Vater die um fast zwei Köpfe kleinere Mom in seinem Arm.
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Die Tage vergingen, und der Schock, den besonders Mom, mein Bruder und ich erlebt hatten, schwand langsam aus unseren Gedanken und verkroch sich als dunkle, böse Erinnerung in unser Inneres. Wie immer arbeiteten wir von früh bis spät. Nun hatten wir die vordringliche Aufgabe, den stärker gewordenen Creek aus seinem alten Hochwasserbett zu bringen und ihn in die nur knapp eine Meile entfernte Senke zu leiten, wo er – wie wir hofften – einen See bilden würde. Das kam natürlich auf den Boden an. Wir arbeiteten in diesen Tagen hart, benutzten unseren Pflug für die erste Furche und schaufelten von ihr aus den gelockerten Boden nach allen Seiten. Wir mussten oft die Hacke benutzen und Steine ausräumen. Aber wir kamen vorwärts. Das Wasser folgte uns. Unser Hausbau und auch all die anderen Arbeiten an den Corrals, Schuppen und sonstigen Dingen musste warten, obwohl die Jahreszeit drängte. Aber wir machten dem Creek in drei Tagen eine neue Rinne und leiteten ihn aus dem Hochwasserbett um. Bei Hochwasser wurde unser Creek ja zu einem Fluss. Wir sahen dann zu, wie das Wasser in die weite Senke floss und erst einmal wegsickerte – wie in einem Schwamm.
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Es kam tatsächlich auf die unteren Bodenschichten an, ob in Tagen und Wochen hier ein See entstehen würde. Aber sollte das der Fall sein, dann … Oha, selbst wir Jungens konnten uns die vielen Möglichkeiten gut vorstellen. Als wir am Abend dieses dritten Tages heimkehrten – auch Mom war mit uns beim künftigen See gewesen –, da hatten wir wieder einmal Besuch. Diesmal war es Nelson Miles selbst. Natürlich war er nicht allein gekommen. Er hatte wieder sein hartbeiniges und gewiss auch raues Rudel hinter sich, das wir ja schon vor Wochen kennen gelernt hatten. Diese Revolvermänner wirkten noch härter und unversöhnlicher als damals. Wir hielten an. Mom saß hinter unserem Vater auf dem Pferd und hatte ihre Arme von hinten um seinen flachen Leib gelegt. Nun musste er – wie es mir schien – diese Arme mit etwas Gewalt lösen. Sie schien ihn festhalten zu wollen. Oh, sie hatte Angst. Und auch ich fürchtete mich. Als ich einen Blick zu meinem Bruder warf, sah ich, wie bleich sein Gesicht war. Unser Vater saß ab und ließ Mom auf dem Pferd. Über die Schulter sprach er zu uns: »Wartet hier, bis alles vorbei ist.« Dann ging er zu Fuß weiter.
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Es war seltsam. Sonst fiel der Revolver an seiner Seite nicht besonders auf, sondern wirkte wie selbstverständlich. Aber jetzt war es anders. Er hatte die Waffe zurechtgerückt. Der Kolben zeigte nicht mehr nach hinten, sondern etwas zur Seite, also nach außen. Und weil sich die Waffe bei jedem von Vaters Schritten bewegte, schien sie zumindest für mich mit einem Mal ein anderes, irgendwie böses und unheilvolles Aussehen zu haben. Dieser Revolver war plötzlich ein Gegenstand, der alle Blicke auf sich zog. Nelson Miles saß noch auf seinem Pferd. Auch seine Reiter, die wieder im Halbkreis hinter ihm verteilt waren, blieben in den Sätteln. Vater blieb stehen. »Miles, wollen Sie wieder mal einen Kampf?«, fragte er, und in seiner Stimme war eine absolute Furchtlosigkeit, ja sogar Herausforderung. »Miles, wollen Sie mit mir auch um dieses Land hier kämpfen?« »Nein«, antwortete Miles. »Ich bin gekommen, um den Mord an zweien meiner Reiter zu rächen. Ich bin gekommen, um Sie zu hängen, George Finley. Und wenn Sie zu den Waffen greifen sollten, dann werden Sie durch Blei sterben.« Er hob eine Hand in Schulterhöhe und schnackte mit den Fingern.
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»Holt ihn euch! Und wenn diese verdammte Bande Widerstand leistet, dann kämpft sie nieder – restlos – für immer und ewig!« Unser Vater lachte. Es war ein wildes, kaltes, böses Lachen. Er stand vornüber geneigt da. Ich wusste, dass er so bereit war, Kugeln aufzufangen, während er selbst schoss. Er wollte fest und ruhig stehen, um genau schießen zu können. »Kommt nur, Jungens!«, rief er. »Lasst meine Familie aus dem Spiel und kommt gegen mich. Ich schaffe drei von euch! Drei! Wer will der erste Narr sein?« Sie zögerten. Sie hatten keine Angst, aber sie waren erfahrene Wölfe, die nicht unnötig etwas riskierten. Sie stürmten nicht einfach los. Plötzlich wollten sie aus dem Halbkreis einen Kreis machen, also hinter unseren Vater gelangen. Nelson Miles schwang sich vom Pferd und trat unserem Vater entgegen, »Dann versuche es mal mit mir zuerst!«, schnaufte er herausfordernd. Er schob seinen Hut zurück, und sein furchiges Löwengesicht verzerrte sich. »Ich hab dich schon mal mit den Fäusten geschlagen, und ich kann es nun auch mit dem Colt tun!«, rief er wild. Aber irgendwie spürte ich instinktiv einen falschen Ton in seiner Stimme. Ich konnte mir nicht denken, dass
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Miles sich fürchtete. Wahrscheinlich war er beunruhigt, weil es nicht so lief, wie er es sich vorgestellt hatte. Unser Vater war furchtlos. Man konnte das klar erkennen. Wahrscheinlich wurde Miles und dessen Reitern nun klar, dass sie es mit einem Revolverkämpfer zu tun hatten, der sich vor keinem Gegner zu fürchten brauchte. Vielleicht begriffen sie jetzt erst, dass er die beiden Miles-Reiter im offenen Kampf geschlagen hatte. Gewiss wäre es in den nächsten Sekunden zum Ausbruch der Gewalt gekommen. Irgendeiner der Reiter hätte mit dem Ziehen begonnen, dann wäre nichts mehr aufzuhalten gewesen. Aber da ritt unsere Mom vor. Sie hatte hinter dem Sattel gesessen, war nach vorn gerutscht und hatte ihre Röcke bis über die Knie geschoben, denn sie saß ja im Männersitz. »Halt!«, rief sie herb und ritt neben unseren Vater. »Miles, wenn Sie eine Frau hätten, sie allein auf der Ranch lassen müssten und bei der Heimkehr zwei Schufte vorfänden, die Ihre Frau auf übelste Art bedrängten – was, Miles, würden Sie dann tun? Außerdem zogen diese beiden Kerle auch noch zuerst – oder vielmehr, sie griffen zuerst nach den Revolvern! Miles, Sie wollen so großartig und stolz sein, Sie sind selbstherrlich wie ein Halbgott. Warum dulden Sie, dass zwei Bastarde aus Ihrer Mannschaft hier mitten in der Wildnis eine Frau bedrängen, die allein …«
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Die Stimme versagte ihr. Es war eine Weile still. Miles starrte auf unsere Mom, und er staunte sie an, als sähe er sie nun erst richtig. Sie wirkte nach einem langen Arbeitstag auf dem Pferd etwas wild – aber doch schön und jugendlich. Sie war für diesen Mann gewiss etwas, das er schon lange nicht mehr gesehen hatte. Er nickte nach einer Weile langsam. »Ich glaube Ihnen, Madam«, sagte er. »Ich glaube Ihnen jedes Wort. Und weil das so ist, möchte ich um Vergebung bitten. Aber Ihr Mann soll keinen meiner Reiter mehr erschießen. Das werde ich, sollte noch einmal jemand so dumm sein, Sie zu bedrängen, eigenhändig besorgen. Ma׳am, Sie stehen unter meinem Schutz.« »Ich kann meine Frau selbst beschützen«, sagte mein Vater. »Und wenn Sie einen Kampf gewollt und angefangen hätten, Miles, dann wären Sie jetzt schon ein toter Mann. Und nun verschwinden Sie! Denn dies hier ist mein Land!« Miles staunte. Und auch wir zwei Finley-Jungens staunten. War unser Vater verrückt geworden? Musste er diesen mächtigen Nelson Miles jetzt auch noch reizen und beleidigen – und musste er ihn immer mehr herausfordern? Miles lachte. »Mann«, sagte er, »Sie werden dieser prächtigen Frau nie etwas bieten können. Sie werden in diesem Land nur
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ein kleiner Pinscher bleiben, ein unwichtiger Bursche an meiner Grenze. Einer Ihrer drei Söhne ist schon fortgerannt. Auch die beiden anderen werden es tun. Ich gebe dem größeren dieser beiden Jungens noch ein Jahr und dem anderen zwei Jahre Zeit. Wenn sie dann noch hier sind, lasse ich sie zerbrechen wie ihren Bruder. Sie werden hier verdammt allein sein, George Finley. Und vielleicht wird Ihnen eines Tages sogar Ihre Frau fortlaufen. Denn Sie werden in meinem Schatten verdorren. Welche Frau will schon mit einem so armseligen Mann leben?« Er wandte sich an Mom, und er zog sogar seinen Hut. »Sie sind prächtig, Ma׳am«, sagte er. »Bei mir wären Sie die Königin! Bei ihm aber …« Er kam nicht weiter. Denn unser Vater zog den Revolver. Und auch Miles zog. Sie waren gleich schnell und trafen sich zu gleicher Zeit. Aber dann bekam Vater von einem Reiter noch eine Kugel. Sie stieß ihn von der Seite her von den Beinen. Unsere Mutter rutschte aus dem Sattel und stellte sich mit ausgebreiteten Armen über ihn. Sie schützte ihn davor, dass Miles ׳Reiter ihn mit Blei füllten. Dabei rief sie uns Jungens zu: »Hände von den Waffen!«
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Wir gehorchten nur zu gerne. Obwohl wir vor Wut fast von Sinnen waren, wurden wir zugleich auch von der Angst beherrscht. Was sollte Ben mit seinem alten Gewehr, und was sollte ich mit der alten Schrotflinte schon gegen dieses harte Rudel ausrichten? Und Nelson Miles, der noch schwankend auf seinen Beinen stand, rief mit letzter Kraft: »Hört auf! Schießt nicht! Sie könnte getötet werden!« Er wandte sich schwerfällig seinem Pferd zu. Wie alle Tiere in diesem Land war auch dieses als zuverlässiges Reitpferd an Revolverfeuer gewöhnt. Es war nur wenig zur Seite gewichen. Miles konnte nicht mehr mit eigener Kraft in den Sattel kommen. Einer seiner Reiter ritt heran und half ihm hinauf. Dann ritten sie davon. Und wir Finley-Jungens liefen zu unserem Vater, bei dem Mom schon kniete. Er lebte. Obwohl zwei Kugeln ihn getroffen hatten, lebte er, und es sah nicht so aus, als würde er sterben. Er war sogar schon wieder bei Besinnung und blickte Mom an. Diese strich ihm über das schweißnasse Gesicht. Dann küsste sie ihn sanft und sagte zu uns: »Wir müssen ihn sehr vorsichtig ins Haus tragen.« Das taten wir.
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»Diese Mannschaft kann nicht fair sein! Ich habe mir den Hundesohn genau gemerkt, der von der Seite her auf Vater schoss. Miles wäre jetzt schon tot, wenn …«, knirschte Ben. In den nächsten Tagen und Wochen arbeiteten wir noch härter und länger, obwohl wir bisher geglaubt hatten, dass dies gar nicht möglich wäre. Wir gaben uns alle Mühe, den Vater zu ersetzen und all die Arbeit zu schaffen, die bis zum Winter notwendig war. Das Wetter meinte es gut mit uns, denn es begann erst zu regnen, als wir das Hausdach schon fast gedeckt hatten und nur noch wenige der selbstgefertigten Holzschindeln anzubringen waren. Zwei weitere Kühe hatten gekalbt, und auch zwei Fohlen hatten wir bekommen. Die weite Senke, in die wir den Creek geleitet hatten, füllte sich langsam. Offenbar waren die unteren Bodenschichten nicht wasserdurchlässig, und so konnten wir hoffen, dass wir im nächsten Frühling einen wirklich großen, prächtigen See auf unserem Land haben würden. Nach etwa drei Wochen konnte unser Vater wieder aufstehen. Je kürzer die Tage wurden, umso länger blieb er auf. Bald schon hatte er seine Verwundungen überstanden und arbeitete jeden Tag härter. Er war wortkarger geworden als zuvor.
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Manchmal sah er bewegungslos auf die Berge, hinter denen er Nelson Miles in dem großen wunderschönen Tal wusste, aus dem er selbst verjagt worden war. Wir bemerkten dann in seinen Augen ein Funkeln und Glitzern, und er sah einem Indianer ähnlicher denn je. Es war uns immer, als spräche er in seinen Gedanken einen heiligen Schwur, wenn er so zum Pass starrte, über den hinweg wir schon einmal ins Tal und dann wieder herausgezogen waren. Wir begriffen mehr und mehr, dass unser Vater nicht aufgeben und fortgehen konnte. Nelson Miles hatte ihn aus dem schönen Tal gejagt. Doch er musste Miles immer wieder neue Kämpfe liefern, die alle mit dem großen Kampf zusammenhingen, es in diesen Lande zu etwas zu bringen. Miles hatte den besseren Start, die größeren Möglichkeiten. Miles besaß Geld und viele Reiter. Unser Vater hatte nur uns. Miles würde uns zerbrechen, sollten wir noch bei unserem Vater sein, wenn es so weit sein würde. Er hatte Ben und mir Fristen gesetzt. Auch das gehörte zu dem gnadenlosen Zweikampf, den Vater und Miles kämpften. Miles wollte Vater allein und ohnmächtig gegen etwas anrennen oder ankämpfen sehen. Miles wollte ihn vor unserer Mom zerbrechen. Das ahnten Ben und ich damals schon instinktiv.
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Noch vor dem ersten Schneefall bekamen wir Nachbarn. Es waren drei Siedlerfamilien wie wir auch. Sie kamen mit Wagen, Pferden und Rindern. Aber sie konnten keine Wintersaat mehr ausbringen. Die Zeit reichte gerade noch, Erdhütten und ein paar Corrals zu bauen. Unser Vater war freundlich und nachbarlich zu ihnen. Doch er sorgte dafür, dass sie uns nicht zu dicht auf die Pelle rückten. Noch war ja auch viel Land für große Ranches vorhanden. Unsere neuen Nachbarn wollten selbst reichlich Weide und Land besitzen und hielten deshalb von selbst Abstand. Unser See stieg in diesen Wochen immer mehr an. Im Frühling nach der Schneeschmelze würde er gewiss nach drei Seiten überfließen und so drei Creeks schaffen. Und wenn wir in den Bergen mit viel Sprengstoff für einen größeren Abfluss sorgten, konnte es möglich sein, dass dieses Land fast das ganze Jahr über genügend Wasser bekam. Es wurde ein milder Winter. Das war gut für unsere paar Rinder und die Kälber. Wir bewachten sie und schützten sie gegen das Raubzeug. Doch das Raubwild hatte es in diesem milden Winter nicht schwer, sich andere, leichtere Beute zu verschaffen. Ben und ich, wir gingen abwechselnd auf die Jagd. Es gab hier noch alle Arten von jagdbarem Wild, sogar Elche. Natürlich hatten wir auch da und dort eine Falle aufgestellt, um wertvolle Pelztiere zu bekommen. Einen solchen Nebenverdienst konnten wir gut gebrauchen.
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Als es schon fast Frühling war, kam Ben von der Jagd nicht zurück. Da die Nacht sehr dunkel wurde, war es zwecklos, nach ihm zu suchen. Erst am nächsten Morgen ritten Vater und ich los. Mom stand noch lange in der offenen Tür und sah uns nach. Sie achtete nicht darauf, dass der Wind Kälte ins Haus blies. Wir fanden Ben sieben Meilen weiter in den Hügeln. Er sah schlimm aus. An den Spuren im Schnee sahen wir, was geschehen war. Er brauchte es uns gar nicht erst zu sagen. Er war auf Miles-Reiter gestoßen. Und sie hatten ihn so zerschlagen, dass er vor Schmerzen stöhnte, als wir einen Schleppschlitten gebaut hatten und ihn vorsichtig darauf hoben. Er sagte nichts – gar nichts. Auch daheim sprach er nicht viel, so sehr sich Mom um ihn bemühte, ihn aufopfernd pflegte und versuchte, ihn aufzuheitern. Aber eines Tages, als er wieder mit mir ausreiten konnte – es war inzwischen längst Frühling geworden, und wir ritten zu einem Waldstück, um dort neues Bauholz zu schlagen –, sagte er: »Pat, ich kann nicht länger bleiben. Ich reite fort wie Adam. Sie haben mir gesagt, dass die nächsten Prügel noch schlimmer würden, wenn ich nicht fortritte und sie mich irgendwo wiedersehen sollten. Ich habe Angst vor
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diesen Kerlen, Pat. Auch dir wird es nicht anders ergehen, solltest du in einem Jahr noch bleiben. Auch du musst fortreiten wie Adam und ich. Denn sie zerschlagen dich sonst. Sie sind eine gewalttätige Bande. Nelson Miles will, dass unser Vater von uns allen verlassen wird – vielleicht auch von Mom. Und ich kann nicht länger bleiben. Er ist verrückt, sich mit Miles messen zu wollen. Wir sind zu klein gegen Miles. Wir hätten in Kentucky bleiben sollen. Ich reite fort. Vielleicht kann ich irgendwo ein Mann werden – irgendwo, wo man mich nicht vorher zerbricht und zu einem feigen Bastard macht. Verstehst du mich, Bruder?« Nun, ich begriff, was er meinte. Ich war in meinem achtzehnten Lebensjahr und gewiss kein Dummkopf, der stur in den Tag lebte. Ich war ein Bursche, der ständig nachdachte. Außerdem verspürte ich die gleiche Furcht wie mein Bruder Ben. Und wenn ich daran dachte, dass Nelson Miles ׳Reiter auch mich eines Tages greifen und wie einen räudigen Hundebastard halbtot prügeln würden, da zitterte ich schon jetzt. »Ja, ich verstehe dich, Ben«, antwortete ich. »Wahrscheinlich werde auch ich fortreiten. Was können wir denn sonst tun? Ich kann Vater nicht begreifen. Ich kann nicht begreifen, dass er nicht von hier fortgehen will und es sogar in Kauf nimmt, dass wir – seine Söhne – ihn eines Tages verlassen müssen. Ich kann nicht verstehen,
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warum er alles aufs Spiel setzt. Und was er unserer Mom antut, können wir wahrscheinlich nicht ermessen. Bruder, warum ist das so mit ihm?« Wir standen beide vor einem Baum, den wir fällen wollten. Er hatte einen langen, schönen Stamm, aus dem sich viele Bretter sägen ließen. Und Bretter brauchten wir, um unser Haus richtig zu dielen. »Ich weiß es nicht«, erwiderte Ben. »Ich ahne es nur irgendwie. Er kämpft mit diesem Nelson Miles einen Zweikampf, und dieser Kampf wird erst enden, wenn einer von ihnen tot ist. Aber eigentlich wollen sie sich gar nicht töten. Jeder möchte den anderen nur besiegen. Miles möchte unseren Vater an den Grenzen seines Reiches vegetieren sehen, und er wird alles tun, um ihn nicht hochkommen zu lassen. Unser Vater aber möchte Miles zeigen, dass er trotz allem hochkommt. Dies ist ihr Kampf. Es genügt ihnen nicht, im persönlichen Zweikampf zu zeigen, wer von ihnen der bessere Mann ist. Sie wollen es anders beweisen. Das Schlimme ist nur, dass Miles nicht fair kämpft. Miles lässt uns, George Finleys Söhne, von seinen Schlägern zerbrechen und zur Flucht zwingen. Er sorgt dafür, dass unser Vater allein gegen ihn steht – gegen ihn und seine raubeinigen Reiter. Der Kampf ist ungleich.« »Und deshalb kann ihn Vater nicht gewinnen«, sagte Ben. »Weil er das nicht einsieht, muss ich fortreiten wie Adam. Und auch du wirst ihn eines Tages verlassen müssen, Kleiner.«
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Er sagte es voller brüderlichem Mitgefühl. Vielleicht tat er sich auch selber Leid. Dann begannen wir zu arbeiten, denn wenn wir tüchtig schwitzten, konnten wir vielleicht vergessen und brauchten nicht immerzu die gleichen bösen Gedanken zu wälzen. Und wenn wir von einem langen Tag richtig müde waren, würden wir vielleicht auch traumlos schlafen können. Unsere Mom sollte möglichst bald das Haus gedielt bekommen. Wir ahnten, dass dies vielleicht die letzte Freude sein würde, die wir ihr bereiten konnten.
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Drei Tage später war auch Ben weg. Er hatte sich von unserem Vater nicht verabschiedet. Ich hörte, wie meine Mutter zum Vater sagte: »Nimm es ihm nicht übel, George. Ben hat es mir gesagt. Von mir hat er sich verabschiedet. Aber er konnte es nicht von dir. Er fühlte sich als Verräter, als Fahnenflüchtiger. Es tut ihm Leid. Doch er …« »Schon gut, Stella«, unterbrach Vater die Mom. »Ich verstehe ihn ja. Er läuft fort, um irgendwo unter besseren Bedingungen ein Mann werden zu können. Auch unser Adam ist ja aus diesem Grunde fortgeritten. Ich verstehe die Jungens sehr gut. Bald wird uns auch der Kleine verlassen. Und ich sage dir, Stella, dass sie dort draußen in der harten Welt herausfinden werden, wie wenig Gewinn es bringt, einfach fortzulaufen. Gewiss, so mancher Mann stößt in seinem Leben nie auf große Hindernisse, hat niemals besondere Schwierigkeiten zu überwinden. Das gibt es! Aber wenn es anders ist, dann muss er es aushalten und darf nicht weglaufen. Ich bin solch ein Mann. Meine Jungens sind es noch nicht. Sie können noch weglaufen. Wenn sie irgendwo und irgendwann einmal Männer geworden sind, werden sie so denken müssen wie ich. Oder sie werden immer
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wieder irgendwo fortlaufen. Wir haben drei Söhne, Stella. Alle drei werden uns verlassen. Doch einer unserer Söhne wird wiederkommen, einer zumindest, wenn nicht alle drei. Als Männer müssen sie wiederkommen. Einer wenigstens. Das ist so. Das muss ganz einfach so sein. Ich kann es dir nicht besser erklären, Stella.« Ich schlich mich davon. Sie sollten nicht merken, dass ich sie belauscht hatte, und ich wollte ja auch gar nicht lauschen. Die Tage und Wochen vergingen. Wir arbeiteten von früh bis spät. Unsere Maultiere, die den schweren Wagen gezogen hatten, waren eigentlich zu nichts mehr zu gebrauchen. Wir benötigten sie kaum. Eines Tages kam ein fahrender Händler mit seinem Wagenzug vorbei. Wir sahen, dass er Maultiere brauchte, und wir tauschten sie bei ihm gegen Waren jeder Art ein. Nun waren wir wieder für ein langes Jahr versorgt. Ich bekam sogar einen Colt. Es war ein Remington Navy Colt von 1859. Das Ding hatte einen 16,5 cm langen Lauf, einen Achtkantlauf natürlich, und Kaliber 36. Es war meine erste richtige Männerwaffe, und ich war stolz darauf. Zu diesem Revolver gehörte natürlich eine Pulverflasche, eine Kugelzange, Zündhütchensetzer, Bleikugeln, Schwarzpulver – und eine so genannte Lochpfeife zum Ausstanzen der Filzscheiben. Denn wir hatten ja damals noch nicht die fertigen Patronen, wie es uns später so manche
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Wildwestgeschichte weismachen wollte. Es war bis weit in die siebziger Jahre hinein eine recht umständliche Sache, solch einen Colt zu laden. Und hatte man die sechs Kugeln oder Ladungen erst mal abgefeuert, so konnte man die Waffe nicht schneller laden als ein Vorderladergewehr. Ich fertigte mir in den nächsten Tagen für diesen Colt ein Holster an und übte in jeder freien Minute mit der Waffe. Aber bleiben wir noch etwas bei jenem fahrenden Händler, bei dem wir unsere Maultiere gegen für uns so wertvolle Waren eintauschten. Dieser Mann schlug mit seinen Leuten drei Tage lang ein Wagencamp auf unserem Grund beim See auf. Am Abend des dritten Tages kam er vor unser Haus. Er bot Vater eine Zigarre an, setzte sich mit ihm auf die Bank vor der Hauswand und kam schon bald auf den Grund seines Besuches. »Ich versorge alle Camps und Siedlungen bis nach Wyoming hinüber«, sagte er. »Überdies ziehen jetzt die Vermessungstrupps der Union Pacific durchs Land. Die Brückenbauer und Trassenbauer werden folgen. Es kommen dann die Schwellen- und Schienenleger. Überall werden Ortschaften und Städte entstehen. Ich werde bald schon Tausende von Menschen mit Waren versorgen. Deshalb errichte ich überall Depots im Land. Ich möchte dort beim See ein solches Depot anlegen und unter Ihre Obhut stellen, Mister. Ein Store wird daraus entstehen.
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Und wahrscheinlich wächst eine Siedlung heran, die vielleicht eine Stadt wird. Wir sind hier so weit von der zukünftigen Bahnlinie entfernt, dass dieses Land nicht zum Bahnbesitz gehörend erklärt werden kann. Sie können auf Ihrem Grund und Boden eine kleine Stadt erstehen lassen, Mister Finley. Das bringt Ihnen Geld. Und mir natürlich auch, wenn wir hier zusammenarbeiten. Ich kann Ihnen die Siedlertrecks zu Dutzenden herschicken. Nicht jeder wird in der Umgebung bleiben. Aber viele werden es tun. Denn hier gibt es Wasser und reichlich Land. Dieser neue See wird das Herz eines aufblühenden Landes – oder kann es zumindest werden.« Ich staunte, als ich den Händler das alles zu meinem Vater sagen hörte. Mein Vater nickte. »Ja, das wird kommen«, sagte er. »Ich habe diesen See mit meinen Söhnen geschaffen und werde dafür sorgen, dass er immer genügend Wasser hat. Natürlich können wir zu einer Zusammenarbeit kommen, Mister Wells. Ich werde den südlichen Halbkreis des Sees in Parzellen teilen und an Grundstücksinteressenten verkaufen. Und Sie können sich den besten Platz aussuchen, Mister.« Sie sahen sich an, dann schüttelten sie sich die Hände. Ich hatte den Eindruck und das feste Gefühl, dass sich jetzt zwei Männer als Partner zusammengetan hatten, die von Anfang an ihrem Wort vertrauten. Dieser Händler Samuel Wells war im Alter meines Vaters. Ich musste bei seinem Anblick unwillkürlich an
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ein starkknochiges Maultier denken, das unbeirrbar seinen Weg trottet und beharrlich und zuverlässig jedes Ziel erreicht. Auch seine Männer waren von dieser Art. Er hatte Halbbluts und Neger in seiner Mannschaft, und sie alle wirkten sehr zuverlässig, ruhig und zäh. Bevor Samuel Wells ging, schenkte er Mom einen schönen Stoff. Es war ein wertvoller Stoff, und die Farbe war so grün wie Moms Augen. Sie freute sich sehr. Als sie nach Anbruch der Nacht das Geschirr wusch und Vater seinen neuen Partner hinüber in dessen Camp begleitete – wobei sie gewiss noch allerlei zu besprechen hatten –, da hörte ich drinnen im Haus meine Mom zum ersten Male seit langer Zeit wieder leise vor sich hin summen. Es war wohl heute ein glücklicher Tag für sie – aber nicht wegen des Stoffes, sondern deshalb, weil Vater einen Partner bekommen hatte und wir hier bald nicht mehr so verdammt allein sein würden. Nun, ich möchte nicht all die vielen kleinen Einzelheiten erzählen, die sich in den nächsten Wochen und Monaten ereigneten. Es gäbe viel zu berichten. Ein ganzes Buch könnte man damit füllen. Nur soweit es notwendig ist, soll die weitere Entwicklung geschildert werden. Wir machten also
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Fortschritte. Es kamen weitere Siedler, und es kamen auch Samuel Wells ׳Leute mit einem Wagenzug. Sie begannen, einen Handelsstore zu errichten, mit Magazinen, einem Wagenhof, Corrals und Weidekoppeln. Mein Vater stellte selbst zwei Arbeitskräfte ein, und zwar einen riesigen Neger und ein Cherokee-Halbblut. Es kamen in den nächsten Wochen auch Leute, die an unserer Stadtgründung interessiert waren. Sie kauften von meinem Vater Grundstücke, und so bekam Vater wieder Geld. Es ging tatsächlich langsam aufwärts mit uns. Wir brachten unsere erste Ernte ein. Unsere Rinder vermehrten sich wieder einmal um ein paar Kälber. Von einem der neuen Siedler kauften wir eine gute Milchkuh und einige Hühner. An einem Tag stellten wir dann fest, dass unser See, von dem aus drei kleine Creeks das Land nach Osten, Süden und Westen zu bewässerten, zu stark sank. Mein Vater und ich, wir packten drei Lasten, die nur Sprengstoff enthielten, den wir rechtzeitig von der WellsHandelslinie hatten kommen lassen. Wir taten noch etwas Werkzeug hinzu und machten uns auf den Weg. Nun, wir brauchten oben in den Bergen eine ganze Woche. Aber dann hatten wir den Abfluss des Hochsees durch zwei Sprengungen so vertieft, dass der Wasserfall stärker rauschte. Und bald würde es gewiss auch wieder lange Regenperioden geben, die alle Bäche und Zuflüsse
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anschwellen ließen und unseren natürlichen Stausee wieder ansteigen lassen würden. Wir waren zufrieden mit unserer Arbeit, als wir mit unseren Werkzeugen abwärts zu den wartenden Pferden gingen, die es sich in der vergangenen Woche in einem kleinen grünen Talkessel hatten gut gehen lassen. Es war schon zu dunkel, um den Heimritt anzutreten. Wir waren vom anstrengenden Tagewerk auch recht erschöpft, und so verzehrten wir den letzten Rest unseres Proviants und legten uns nieder. Der Himmel über uns war dunkel. Es war eine schwarze Nacht. Mein Vater war nicht mehr so verschlossen und wortkarg wie vor Monaten. Es herrschte ein recht gutes Einvernehmen zwischen uns. Ich war in der letzten Zeit tüchtig gewachsen. Nun maß ich fast schon sechs Fuß und wog um die achtzig Kilo. Ich war ein kräftiger, harter Bursche geworden, der sich leicht und schnell bewegen konnte wie ein Wolf. Meine Fingerfertigkeit war außergewöhnlich. Ich konnte mit Zeigefinger und Daumen eine Fliege aus der Luft greifen, ohne sie zu zerdrücken. Und mit dem Colt wurde ich auch immer besser, denn ich schoss jetzt schon – instinktiv zielend – auf ein Ziel. Der Coltlauf war mein verlängerter Zeigefinger geworden, mit dem ich immer genau richtig auf das Ziel zeigte. Das aber konnte man – kam es dabei auf
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Schnelligkeit an – nur instinktiv besser machen als durch sorgfältiges Zielen. Obwohl ich müde war in dieser Nacht, konnte ich nicht schlafen. Ich dachte wieder einmal an meine Brüder, die irgendwo in dieser harten Welt herumritten, um Männer zu werden. »Vater, wo mögen wohl Adam und Ben jetzt sein?«, fragte ich. »Wenn man es wüsste, könnte man sie zurückrufen. Denn jetzt ist doch alles anders, nicht wahr? Wir bauen eine Stadt auf. Samuel Wells ist dir ein guter und gewiss auch einflussreicher Partner. Es kommen jede Woche Siedler ins Land. Und sie alle sehen in dir irgendwie den Anführer. Du wirst an Einfluss und Macht gewinnen. Sie werden dich zu ihrem Sheriff – oder zum Richter – oder zum Bürgermeister oder …« Ich suchte nach Worten, nach Begriffen, um auszudrücken, dass die Menschen im Land meinen Vater in irgendeine einflussreiche und verantwortungsvolle Funktion wählen würden. Und ich war sicher, dass sie ihn dann unterstützen würden – als Bürgerwehr zum Beispiel – und natürlich als menschliche Gemeinschaft, die sich stets um Anführer schart, ihnen folgt, ihnen hilft. Da hörte ich meinen Vater leise und bitter lachen. »So weit sind wir noch lange nicht«, antwortete er schließlich, und es war eine Spur von Bitterkeit in seiner Stimme. »Wir haben noch längst keine menschliche Gemeinschaft, keine entschlossene Bürgerschaft. Ein paar Revolvermänner von Nelson Miles würden die ganze
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Gesellschaft zum Teufel jagen. Er würde seine Kerle mit ihnen umspringen lassen wie mit meinen Söhnen, und sie würden noch viel schneller fortlaufen als meine Söhne. Oh, Patrick, mein Junge, du stellst dir das alles recht einfach vor. Ein paar Siedler und Geschäftsleute bringen noch längst nicht die neue Zeit. Sie müssen sich erst als Gemeinschaft bewähren. Nun, wir werden ja sehen.« Er rollte sich auf die Seite und schlief bald darauf ein. Auch ich fand endlich Schlaf, nachdem ich noch eine Weile an meine Brüder gedacht hatte. Unser Erwachen war schlimm. Denn im Morgengrauen waren wir nicht mehr allein. Wir hatten auch keine Chance. Nelson Miles ׳Männer hatten unser Camp entdeckt, und wir steckten in der Klemme. Sie standen im Kreise um uns herum und zielten auf uns. Diese Kerle waren erfahrene Menschenjäger. Die verstanden ihr Handwerk. Natürlich hatten wir nach der harten Arbeitswoche zu fest geschlafen. Wir fühlten uns wohl zu sicher. »Steht auf!«, sagte eine lässige Stimme. »Und wenn du schießen möchtest, Finley, dann kannst du es ja versuchen.« Aber mein Vater versuchte es nicht. Auch ich nicht, obwohl ich jetzt einen Colt besaß, der neben mir lag und nach dem ich nur zu greifen brauchte. Die Kerle zielten bereits auf uns. Einige waren nur halb hinter ihren Deckungen zu sehen – hinter Steinen und Büschen verborgen.
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Wir erhoben uns langsam. »Umbringen sollt ihr uns wohl nicht«, hörte ich meinen Vater sagen. »Sonst hättet ihr uns ja vorhin schon erschossen, als wir schliefen.« Seine Stimme klang verächtlich. Der Wortführer der Revolvermannschaft lachte gehässig. Er trat vor. Ich erkannte ihn wieder. Er war schon einmal mit Nelson Miles bei uns gewesen – damals, als Miles und mein Vater sich gegenseitig mit den Revolverkugeln trafen. Der Mann war groß, dunkel und hart. Wahrscheinlich war er der Vormann, und auf jeden Fall war er ein Revolvermann. Er trug zwei Revolver. »Ich habe meine Befehle«, sagte er. »Heute ist dein dritter Sohn an der Reihe, Finley!« Mich durchfuhr eine heiße Angst. Ich bückte mich nach meinem Colt, wollte ihn blitzschnell vom Boden greifen. Doch ehe ich dazu kam, traf eine Kugel die Waffe und stieß sie einen halben Schritt weiter. Da stürmte ich gegen den Mann an, der vorhin gesprochen und dann geschossen hatte. Er war noch größer und schwerer als ich. Er lachte kehlig, aber er konnte dann vor meiner Faust doch nicht schnell genug den Kopf wegnehmen. Ich traf ihn – leider nicht hart genug. Ich konnte noch nicht so hart wie ein richtiger Mann zuschlagen. Ich war noch zu jung, zu ungeübt. Nun traf mich der Mann, und ich keilte zurück.
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Plötzlich begriff ich irgendwie, dass mein Vater neben mir kämpfte. Wir waren wie zwei kämpfende Hunde mitten in einem Rudel Wölfe. Wir verkauften uns sehr teuer, ohne jedoch eine Chance gegen die raue Bande zu haben, die gekommen war, um uns im Auftrage von Nelson Miles klein zu machen. Dass wir zu kämpfen begannen, war diesen Kerlen gerade recht. Diese Keilerei war den harten Burschen lieber, denn hätten wir alles ohne Gegenwehr hingenommen, so wären sie sich vielleicht doch unfair vorgekommen. Es waren Männer, die schon oft gekämpft hatten. Sie gaben uns alles mit Zinsen und Zinseszinsen zurück. Sie waren ja auch in der Überzahl. Außerdem war ich noch kein vollwertiger Mann. Mir fehlte die Erfahrung in solchen Kämpfen. Aber ich lernte schnell. Ich gab zurück, was ich konnte. Und ich stieß sogar ein triumphierendes Knurren aus, wenn ich meine Faust mal so richtig auf ein Nasenbein knallte oder ein paar verzerrte Lippen traf, dass die Zähne krachten. Ja, verdammt noch mal, es war böse und primitiv. Aber das war zu dieser Zeit alles in weiter Runde. Nur wer stärker, härter und zäher war, der überlebte. Mein Vater neben mir war nicht zu schlagen. Und einige Male, wenn er zwei oder drei Gegner am Boden hatte, sah es so aus, als könnten wir gegen das Rudel sogar bestehen.
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Aber sie wurden wilder, böser und härter, je mehr Mühe sie mit uns hatten. Und als wir dann mehr und mehr angeschlagen waren und in unseren Anstrengungen nachließen, gaben sie es uns mit grimmiger Genugtuung, wurde es schlimm für uns. Als es Tag wurde, konnten wir uns kaum noch bewegen. Wir waren so fürchterlich zusammengeschlagen worden, dass wir sicherlich noch viele Tage krank sein würden. Außerdem fehlte uns Moms Pflege. Unsere Pferde – beide Reitpferde und die drei Packtiere – waren fort. Die Bande hatte unsere Tiere davongejagt, und das war besonders gemein. Es war nichts anderes als Pferdediebstahl. Hier in der Wildnis konnte man leicht umkommen, wenn einem das Pferd abhanden kam. Deshalb hängte man Pferdediebe fast immer auf oder schoss sie bei der geringsten Gegenwehr nieder. Und die Miles-Mannschaft hatte uns die Pferde weggenommen oder zumindest verjagt. Ich hatte am ganzen Körper Schmerzen und das Gefühl, dass ich innerlich verletzt wäre und vielleicht sterben müsste. Nun erst konnte ich meine Brüder Adam und Ben verstehen. Auch sie waren so zusammengeschlagen worden. Wie groß musste in ihnen die Angst davor gewesen sein, dass sich eines Tages alles noch einmal wiederholen könnte. Jetzt war es mir ebenso ergangen.
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Und nun war in mir die gleiche Angst. Ich merkte plötzlich, dass ich weinte – hilflos und aus einer bitteren Hoffnungslosigkeit heraus. Die körperlichen Schmerzen konnte ich besser ertragen. Da war ich hart genug. Aber das Erkennen meiner Furcht, die Gewissheit, dass auch ich wie meine Brüder davonlaufen würde, sobald ich wieder gesund genug war, dieses Begreifen ließ mich weinen. Ich konnte nicht anders. Wir blieben den ganzen Tag liegen und bewegten uns nur dann unter Schmerzen, um aus der Sonne in den Schatten zu gelangen. Zweimal füllten wir am Creek unsere Wasserflaschen. Es war ein Glück für uns, dass der Creek durch diesen Talkessel floss. Deshalb hatten wir Wasser in der Nähe. Wir kühlten unsere Beulen, Risse, Platzwunden und Blutergüsse. Hunger hatten wir nicht. Unsere Schmerzen waren viel zu groß. Es wurde eine lange, bittere Nacht. Irgendwann gegen Morgen sagte ich zu meinem Vater: »Ich muss es dir sagen, Vater. Du bist verrückt! Es ist verrückt, diesem Nelson Miles auf diese Art zu trotzen. Es ist ein sinnloser, dummer Zweikampf, den ihr da kämpft. Vater, ich werde fortgehen wie meine Brüder. Du wirst allein sein, sobald ich wieder reiten kann. Du kannst Nelson Miles nicht schlagen. Es ist so einfach für ihn, sein
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raues Rudel zu schicken, so einfach. Er spielt doch nur mit dir, Vater. Ich wette, er hat noch ganz andere Möglichkeiten in Reserve. Der lässt dich nicht hochkommen – nie! Es gibt nur einen einzigen Weg. Man müsste ihn mit einem Büffelgewehr aus dem Hinterhalt abknallen.« Den letzten Satz sagte ich knirschend vor Hass. Mein Vater erwiderte eine lange Weile nichts. Erst nach einer Weile, als die Sonne im Osten die ersten Lichtstrahlen gen Himmel warf und so ihr Kommen ankündigte, da sprach er: »Ja, du wirst wohl auch fortgehen müssen wie Adam und Ben. Aber einer von euch wird wiederkommen! Einer – oder vielleicht sogar ihr alle drei. Ihr werdet herausfinden, dass man nicht fortlaufen kann. Ich komme auch eine Weile ohne euch zurecht. Und das mit dem Abknallen aus dem Hinterhalt, oha, das habe auch ich mir schon überlegt. Es wäre ja so einfach, über den Pass zu schleichen und sich irgendwo auf die Lauer zu legen. Es gibt sicherlich auch noch einige andere Wege, die in das große Tal führen. Aber ich kann Nelson Miles nicht aus dem Hinterhalt töten. Ich muss ihn erst auf andere Weise schlagen. Ich muss! Er wollte mich vor meiner Frau, die deine Mutter ist, erniedrigen. Er sagte mir, dass ich ein kleiner Pinscher bleiben würde. Aber ich werde ihn eines Tages auf die Knie zwingen. Ich bekomme ihn klein. Deshalb muss ich hier weitermachen. Ich kann nicht fortlaufen.«
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In meines Vaters Stimme war zuletzt ein Klang, als spräche er nicht mehr zu mir, sondern müsste sich vor sich selbst rechtfertigen. Ich erkannte nun erst richtig, wie tief das alles in ihm saß und wie wenig er es abschütteln konnte. Auch verdrängen oder schlucken konnte er es nicht. Ich sagte nichts mehr. Am nächsten Tage kam unsere Mom. Jawohl, sie kam mit einem unserer Helfer auf unserer alten Fährte geritten. Eigentlich war es ja auch sehr einfach gewesen, uns zu finden. Sie hatte nur dem Creek in die Berge folgen müssen. Es stellte sich heraus, dass die von den Miles-Reitern davongejagten Pferde heimgelaufen waren. Mom hatte sie am Morgen herumstehen sehen. Da hatte sie sich sofort mit einem unserer beiden Helfer auf den Weg gemacht. Dass mit dem Creek etwas geschehen war, hatte sie vorher schon daran erkennen können, dass er wieder mehr Wasser führte. Mom sagte nicht viel. Sie tat für uns, was sie konnte. Am Abend waren wir auch wieder in der Lage, etwas Fleischsuppe zu essen, die sie uns über dem offenen Feuer gekocht hatte. Am nächsten Tage kehrten wir heim. Mom und der Helfer hatten ja auch unsere Pferde mitgebracht. Wir ritten langsam und vorsichtig.
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Manchmal spürte ich Moms bedauernden, mitleidigen Blick auf mir ruhen, und ich dachte fortwährend daran, wie vorsichtig und sanft sie meine Wunden behandelt und für mich getan hatte, was eine gute Mutter nur tun konnte. Als sie mein Haar gestreichelt hatte, sagte ich ihr, dass auch ich fortgehen würde. »Sicher«, hatte sie gemurmelt. »Sicher, Patrick, mein Junge, wirst auch du fortreiten müssen, um nicht schon als Junge zerbrochen zu werden, bevor du ein richtiger Mann bist. Dein Vater ist schon ein Mann. Deshalb kann er nicht weg.« Zuletzt klang ihre Stimme spröde und hart.
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Zwei Wochen später ritt ich weg. Ich hatte es zuvor gesagt und schlich nicht davon wie meine Brüder. Ich nahm richtig Abschied von Mom in der Küche. Draußen bei den Corrals stand Vater und hielt mein Pferd. Er sagte nicht viel, nur: »Wenn du irgendwann ein Mann geworden bist, Pat, wirst du mich besser verstehen. Ich halte hier durch oder gehe unter. Reite mit Glück.« Das war alles, was er zu sagen hatte. Ich saß schon im Sattel, und er gab dem Tier einen Schlag mit der flachen Hand. Ich ritt davon und blickte nicht zurück. War unser Vater einfach verrückt, engstirnig, stur und verbohrt? Oder war es der Stolz, der ihn zwang, auszuharren? Zweimal hatte er schon mit Nelson Miles selbst gekämpft. Und der große Kampf zwischen ihnen ging ständig weiter. Ich schaute zu unserem See, zählte die paar Häuser und Hütten, die Corrals und all die anderen Dinge der wachsenden Siedlung. Würde es jemals eine Stadt werden?
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Nelson Miles brauchte nur wieder seine rauen Burschen zu schicken. Die würden alles klein machen, die Leute verjagen und so alles im Keim oder in den Anfängen ersticken. Denn Miles wusste mit Sicherheit, wie mein Vater ihn schlagen wollte. Deshalb würde er einfach nicht dulden, dass sich eine starke menschliche Gemeinschaft bildete, die nach der Verfassung lebte. Ich ritt nach Süden. Irgendwann kam ich nach Kansas City. Ich war ein narbengesichtiger, indianerhafter, dunkelhaariger, grauäugiger Bursche, der seinen Colt tief unter der linken Hüfte trug. Wie mein Vater war ich Linkshänder. Und die Narben im Gesicht hatte ich von den Miles-Reitern bekommen und würde sie mein ganzes Leben behalten. Kansas City hatte Westport geheißen, und es war noch immer das große Ausfallstor nach Westen - und neuerdings auch nach Norden. Kansas City war wie ein großer Hafen. Doch es liefen keine Schiffe von ihm aus, sondern Wagenzüge jeder Art. Ich hatte keinen Dollar mehr in der Tasche und nahm den ersten Job, der sich mir bot. Das war sicherlich gut für mich, denn wahrscheinlich bekam ich deshalb keinen Streit in der wilden Stadt. Ich befand mich schon bald mit einem Wagenzug unterwegs nach Santa Fe. Es war ein Zug von fast zweihundert Wagen. Wir hatten sogar eine Kanone aus dem Krieg bei uns. Der
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Wagenzug hatte Waren jeder Art geladen, die der Westen damals brauchte. Es waren Mervile-Wagen, die von je acht Maultieren gezogen wurden. Zu jedem Wagen gehörte noch ein kleiner Anhänger. Ein Fuhrmann und ein Helfer bildeten je eine Wagenmannschaft. Wir hatten Köche dabei, ein paar Cowboys für die Remuda der Ersatztiere und fünfzig Reiter als bewaffneten Begleitschutz. Einer dieser fünfzig Reiter war ich. Zuvor hatte ich beweisen müssen, wie gut ich mit meinem Colt umgehen konnte, und als ich es dem Captain vormachte, sahen ein paar scharfäugige Männer zu. Nun, ich hatte schießen gelernt, ich brauchte mich nicht zu verstecken. Als mein Colt leer war, nickte der Treck-Captain und sagte: »Du reitest mit. Es gibt einen Dollar pro Tag für Pferd und Reiter – und natürlich freie Verpflegung und vielleicht eine Prämie am Ziel, wenn wir gut durchkommen. Die Indianer greifen nämlich dieses Jahr jeden Wagenzug an, jeden! Reite nur mit, wenn du Indianer killen kannst.« »Das werde ich können, Mister«, antwortete ich. Nun, ich konnte, und als ich in Santa Fe siebzig Dollar Lohn und dreißig Dollar Prämie kassierte, sagte der Treck-Captain, dass er mich auch gerne beim nächsten Wagenzug dabei hätte. Er würde mir sogar die Rückreise nach Kansas City bezahlen.
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Aber ich wollte nicht. Ich hatte hundert Dollar in der Tasche und fühlte mich großartig. Obwohl ich noch keine neunzehn war, sah ich aus wie ein- oder zweiundzwanzig Jahre. Ich hatte gegen Indianer und Banditen gekämpft, war als Scout geritten und hatte jede Gelegenheit benutzt, mich zu bewähren. Die anderen Reiter hielten mich für verrückt und wild, für verwegen und ehrgeizig. Aber mir ging es allein darum, nicht feige zu sein. Ich musste mir damals beweisen, dass die Prügel der Miles-Reiter mich nicht zerbrochen hatten. Ich suchte also den Kampf und meldete mich freiwillig für Erkundungen als Scout. Dabei bewies ich mir selbst immer wieder, dass ich in der Lage war, jede Furcht zu besiegen und mich in der Gefahr kühl unter Kontrolle zu halten. Ich brauchte diese Beweise ganz einfach vor mir selbst. Denn nur auf diese Weise konnte ich langsam die erbärmlichen Prügel vergessen, die wir damals hatten einstecken müssen. Am Anfang hatte ich immer das Gefühl gehabt, jeder könnte mir ansehen, dass man mich wie einen räudigen Hund halbtot geschlagen hatte. Nun, ich hatte also in den vergangenen siebzig Tagen mein Selbstvertrauen und meinen Stolz zurückgewonnen. Innerhalb der rauen Begleitmannschaft konnte ich mich ebenfalls gut behaupten, obwohl harte, primitive Burschen darunter waren, die jedem wilden Jungen auf die Füße traten.
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Jeder Wolf versucht, den anderen in eine Rangordnung zurückzubeißen, und in dieser rauen Kampfmannschaft war es genauso. Wollte man sich behaupten und nicht den letzten Platz einnehmen, so musste man zurückbeißen - auf jede Art. Ich schaffte das also alles. Aber bei dem, was ich vorhatte, war ich nicht so sicher. Ich wollte ein Mädchen kennen lernen, eine Frau. Bisher hatte ich nur als Junge daheim in Kentucky ganz harmlos etwas mit Mädchen zu tun gehabt. In Nebraska oder auf dem Wege dorthin nicht mehr. Nun wollte ich selbst einmal erleben und ausprobieren, was ich besonders in den letzten beiden Monaten von all den anderen Reitern gehört hatte. Fast immer erzählten sie sich am Campfeuer Geschichten von Frauen. Die meisten brüsteten sich damit, was für tolle Kerle sie doch seien und wie verrückt die Mädels nach ihnen wären. Ich hatte manchmal rote Ohren bekommen beim Zuhören. Eine Menge war mir neu, und instinktiv lehnte ich ohnehin alles ab, was mir gemein und schmutzig erschien. Ich ging zuerst – wie alle anderen Reiter – in die Badeanstalt, mietete mir ein Fass mit Wasser und hockte mich bis zum Hals hinein, während der Barbier der Reihe nach von einem zum anderen Kunden ging.
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Vom Store war ein Verkäufer mit Ware herübergekommen und hatte auf einem langen Tisch alles ausgebreitet. Es sah gewiss seltsam aus, als wir nacheinander aus den Badefässern stiegen, uns abtrockneten und dann beim Verkaufstisch frisches Zeug auswählten. Jeder von uns bekam zuerst eine Zigarre. Manche standen mit dieser Zigarre im Mund und einem Hut auf dem Kopf noch eine Weile nackend da und suchten aus. Das ganze »Bad« befand sich im Freien – eingezäunt von Bretterwänden. Die Jungens und Mädchen von Santa Fe standen draußen und lugten durch Ritzen und Astlöcher. Sie sahen unsere nackten, hellhäutigen Körper, und nur dort, wo unsere Haut der Sonne und der Witterung ausgesetzt war, hatten wir eine mehr oder weniger braune oder rote Farbe. Nun, ich roch zehn Schritte gegen den Wind nach Fliederwasser, als ich mit Buffalo Jack und Slim Laredo dorthin ging, wo in der Dämmerung schon die rote Laterne über der Tür brannte und das kreischende Lachen der Mädchen durch die offenen Fenster tönte. Slim Laredo lachte und sagte zu Jack: »Heute wird der Junge ein richtiger Mann, wie so mancher vor ihm, der zunächst ein paar Indianer oder Banditen killte und dann erst…«
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Ich verstand seine weiteren Worte nicht, denn wir wurden bereits an der Tür mit einem großen Hallo empfangen. Dann gab mir auch schon ein blauäugiges Mädchen ein volles Glas und sagte: »Nun, Wild Bill, trink erst mal, damit du in Stimmung kommst!« Sie drängte sich an mich. Ich fühlte ihre Brüste durch den dünnen Flanell meines neuen grünen Hemdes. Ihr Kleid war aus Seide. Und ich trank vor Verlegenheit, denn ich spürte die Röte auf meinen Wangen brennen. »Ich heiße Patrick«, sagte ich dann, nachdem das Feuerwasser in meinem Magen brannte und mir eigentlich etwas flau war. Aber das Mädchen wusste, wie man einen grünen Jungen wie mich in die Kur nehmen musste, damit er sich wie ein unwiderstehlicher Bursche fühlte. Sie wusste es genau. »Du hast einen schönen Namen, Patrick«, sagte sie und lachte. »Und du siehst wie ein richtiger Mann aus. Ich mag richtige Männer. Küss mich, Patrick!« Ich küsste sie. Und irgendwo lachte Buffalo Jacks Stimme: »Heute wird Patrick Finley ein Mann! Heute wird Gun-Fin ein Mann!« Das Erwachen war grausam.
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Zuerst hatte ich das Gefühl, nur aufgewacht zu sein, um gleich danach sterben zu müssen. Ich war krank, erbärmlich krank und elend. Diese Krankheit saß in meinem Leib und hämmerte in meinem Kopf. Dieser arme Kopf musste gewiss schon beim nächsten Atemzug platzen. Als ich es wagte, die Augen zu öffnen, drang das Tageslicht so schmerzvoll in sie hinein, dass ich sie schnell wieder schloss. Jemand stieß mir die Stiefelspitze in die Seite und sagte barsch: »Komm hoch, Hombre! Verdammt, steh auf, bevor ich dich einsperre!« Ich öffnete nochmals die Augen und sah einen bulligen Mann. Er trug den Stern eines Deputy Marshals. Ich setzte mich langsam auf und brachte ein heiseres »He!« heraus. Erst dann wurde mir klar, dass ich in einer kleinen Seitengasse an der Hauswand gelegen hatte. An dieser Hauswand richtete ich mich nun mühsam auf und lehnte mich mit dem Rücken dagegen. »Oha«, sagte der Marshal, »dich haben sie wohl so richtig voll gemacht mit Wolfsspucke. Ich wette, du wusstest schon bald nicht mehr, ob du ein Männchen oder Weibchen bist.« Ich hielt mir den hämmernden Kopf. Dann dachte ich an meine hundert Dollar und suchte in meinen Taschen. Dabei fand ich schnell heraus, dass
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ich nicht nur kein Geld mehr hatte, sondern auch mein Waffengurt mit dem Colt nicht mehr vorhanden war. Ich hatte natürlich davon gehört, dass es so was gab. In den Erzählungen der rauen Burschen, mit denen ich in den letzten Wochen zusammen war, kamen immer wieder solche Erlebnisse vor. Jetzt wusste ich also, dass man mich ausgenommen hatte wie einen jungen Hammel. Man hatte mir nicht nur die Wolle geschoren, sondern gleich das Fell abgezogen. Der Marshal beobachtete mich die ganze Zeit scharf. Er wusste genau, was in mir vorging, und kannte mit Sicherheit jeden meiner Gedanken und all meine Empfindungen und Gefühle. »Junge, du musst offenbar auf dieser Welt noch eine Menge lernen«, sagte er. »Es hat keinen Sinn, jetzt den wilden Affen zu machen, denn gegen deine Aussage steht gewiss ein halbes Dutzend anderer Aussagen. Und ich frage dich, was ich machen soll, wenn sechs Leute das Gegenteil von dem behaupten, was du mir erzählst.« Ich strengte meinen hämmernden Schädel an. So schlecht es mir auch ging, ich wusste, dass es keinen Sinn hatte, als Hammel gegen Wölfe anzublöken. Ich war rasiert worden. Der Marshal hob den Zeigefinger. »Wer in dieser Stadt kein Geld hat und auch keine Arbeit nachweisen kann, der gilt als Tramp. Du hast nur die Möglichkeit, dir innerhalb einer Stunde Geld oder feste Arbeit zu besorgen. Denn sonst…«
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Er zuckte bedauernd mit den Schultern und ging weiter. Ich begann zu fluchen – hilflos und voll Bitterkeit. Dann begriff ich endlich, dass mein Fluchen nichts anderes war als das Weinen eines kleinen Kindes. Und so verstummte ich und machte mich auf den Weg. Bald stand ich vor dem Eingang jenes Etablissements, in dem mich ein schönes, blauäugiges und goldhaariges Mädchen so warm empfangen hatte und in dem ich bald so sinnlos betrunken war, dass ich nicht mehr wusste, was mit mir geschah. Ich klopfte, und weil sich nichts rührte, trat ich mit dem Fuß gegen die feste Tür. Von oben kam ein Wasserguss, und die kehlige Stimme einer Frau sagte: »Kleiner, wenn du Geld hast, kannst du heute Abend wiederkommen. Doch wenn du da unten noch länger Lärm machst, dann bekommst du einen höllischen Verdruss. Hier, Kleiner! Dies ist von Mammi für dich. Kauf dir Kandis!« Ein Dollar fiel nieder und blieb vor meinen Füßen hochkant im Dreck stecken. Ich stampfte ihn mit dem Fuß in den Dreck hinein und ging. Endlich hatte ich begriffen! Ich nahm den Job noch einmal an, denn zum Glück war der Treck-Captain des Wagenzuges noch in Santa Fe. Er gab mir etwas Vorschuss und zahlte auch die Reise nach Kansas City.
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Einige Wochen später war ich wieder als bewaffneter Begleiter eines großen Frachtwagenzuges nach Santa Fe unterwegs. Wieder mussten wir auf vielen Meilen gegen die Indianer kämpfen. Abermals musste ich Indianer töten, ritt als Scout und holte mit einer kleinen Mannschaft von Freiwilligen eine Anzahl Maultiere zurück, die uns indianische Pferdediebe gestohlen hatten. Irgendwann war ich wieder in Santa Fe, und diesmal hatte ich hundertundfünfzig Dollar in der Tasche. Ich war noch etwas größer und schwerer geworden. Ich wog jetzt hundertneunzig Pfund und hatte trotzdem nicht ein einziges Gramm überflüssiges Fleisch am Körper. Ich hatte unterwegs mit einigen rauen Burschen der Mannschaft gekämpft und mich in der Rangordnung auf einen der Spitzenplätze geboxt. Ich hatte mir einen schwarzen Vollbart wachsen lassen und wirkte überhaupt ganz anders als vor fünf Monaten. Als ich in jenes Etablissement ging, in dem man mich so schamlos ausgenommen hatte, spielte ich einen schon ziemlich Betrunkenen, der sich kaum auf den Beinen halten konnte. Ich hatte dafür gesorgt, dass ich gegen den Wind nach Schnaps stank. Die Kleine mit den schönen blauen Augen von damals war noch da. Ich richtete es so ein, dass ich ihr wieder in die Hände fiel.
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Sie machte es wie damals, nur glaubte sie, mir nicht mehr so viel Feuerwasser einflößen zu müssen, weil es ja so aussah, als könnte ich mich ohnehin kaum auf den Beinen halten. Als ich nach dem ersten Glas umfallen wollte, brachte sie mich noch dazu, bis in eines der Hinterzimmer durchzuhalten. Dort fiel ich bäuchlings über ein weiches Lager und begann mächtig zu schnarchen. Das Mädchen hielt sich von mir fern. Es stand dem Bett gegenüber an der Wand. Aber es blieb nicht lange allein. Zwei Hombres kamen herein. Einer sagte: »Heiliger Rauch, der kam ja schon vollkommen blau herein. Der war schon so besoffen wie zehn Indianer, denen das Feuerwasser aus den Ohren läuft.« Sie traten ans Fußende des Bettes und starrten auf mich nieder. Ich sah das natürlich nicht, konnte es mir aber vorstellen. Das Mädchen kam und durchsuchte meine Taschen. »Fast hundertfünfzig Dollar sind es«, sagte die blauäugige Süße. »Ich glaube, ihr lasst ihn noch eine halbe Flasche schlucken, bevor ihr ihn in die Gasse werft. Mit dem brauche ich mich gar nicht weiter einzulassen. Macht schnell, damit ich wieder an die Arbeit komme.« Sie wollten mir tatsächlich noch Schnaps einflößen, denn sie rollten mich auf den Rücken und steckten mir eine Flasche in den Hals. Sie wussten, dass ein Mann
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dann einfach schlucken musste, mochte er auch bereits so betrunken sein, wie es bei mir den Anschein hatte. Nun wusste ich Bescheid, wie diese Fledderer es machten. Ich stieß dem einen, der es mit der Flasche versuchte, meine Rechte ins Gesicht und trat dem anderen, der gut in meine Reichweite gekommen war, meinen Fuß gegen den Bauch. Dann war ich schneller als sie auf den Beinen und bekam sie an den Köpfen zu fassen. Ich griff sie mir also an den Haaren und knallte ihre Bumsköpfe zusammen – einmal, zweimal, dreimal. Sie waren schlaff wie leere Säcke, und ich erwischte noch das Mädel, das nicht zur Tür konnte, weil wir im Wege waren. Sie wehrte sich wie eine Katze. Doch ich lachte nur und hielt sie fest. »Wenn du schreist«, zischte ich, »haue ich dich windelweich, Honey.« Sie war klug und erfahren. Sie kannte sich aus mit Männern und wusste den Klang meiner Stimme gut zu deuten. Sie wurde ganz ruhig, versuchte auch nicht mehr, mir ihre Fingernägel durch das Gesicht zu ziehen, sondern war plötzlich weich, anschmiegsam und probierte es auf die andere Weise. »Jetzt erkenne ich dich auch wieder«, sagte sie. »Du warst schon mal vor etwa einem halben Jahr bei mir –
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ohne diesen Vollbart und noch etwas dünner am Körper. Ja, ich erkenne dich jetzt. Du bist also einer von der Sorte, die sich verlorene Haare wiederholt.« »So ist es, meine Süße«, sagte ich. »Und ich habe ein paar Amigos hier in diesem Laden gut verteilt. Wenn du für eine Weile Urlaub machen willst, dann kannst du das haben. Wir nehmen hier alles auseinander. Meine Amigos warten nur auf mein Zeichen. Wenn sie mich brüllen hören, platzt hier alles aus den Nähten.« Sie sah mich an, und sie erkannte die grimmige Härte in meinen Augen. Vielleicht erkannte sie darin auch noch etwas, was ich selbst nicht wusste, denn sie zitterte plötzlich und sagte: »In Ordnung, Hombre – in Ordnung! Was soll’s denn sein?« Ich hob mein Geld auf, das sie mir schon aus der Tasche geholt und dann bei unserer Rangelei verloren hatte. »Ich bekomme noch hundert Dollar«, schnaufte ich. »Und du brauchst keine Angst zu haben, dass ich mehr nehme als meine hundert Dollar. Also mach deine versteckte Kasse auf, Blauauge.« Sie sah mich wieder an. »Dich habe ich damals aber sehr verkannt«, sagte sie. »Ich dich auch.« Ich grinste, und ich wusste, dass zwischen meinem schwarzen Bart meine Zähne mächtig blinkten. Und meine Narben im Gesicht ließen mich hart aussehen, härter als so manchen anderen Mann.
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Sie schob das Bett etwas zur Seite, sodass der eine Bettfuß nicht mehr auf dem losen Brett stand. Sie hob das Brett hoch und holte hundert Dollar aus dem Loch. Ich nahm das Geld und steckte es weg. Als ich über die beiden bewusstlosen Kerle stieg und zur Tür wollte, sagte sie mit ruhiger Stimme, die wirklich ehrlich klang: »Du gehörst zu der Sorte, die ich mit dem Herzen gern haben könnte.« Ich blickte sie über die Schulter hinweg an. Wahrhaftig, ich glaubte nicht, dass sie mir etwas vormachte. Diesmal meinte sie ehrlich, was sie sagte. Und sie war schön. Das Leben, das sie führte, hatte sie nicht ruiniert. Sie glich einem goldhaarigen, blauäugigen Engel. Und alles an ihr war richtig. Doch ich hatte meine Lektion schon vor fünf Monaten gelernt. Und ich machte niemals einen Fehler zweimal. Ich ging wortlos, und sie sagte hinter mir her: »Schade, Hombre!« Ich schloss die Tür. Draußen stand einer der Rauswerfer. Er sah mich an. Ich grinste ihn höhnisch an und sagte: »Sie haben sich drinnen schlafen gelegt, deine Amigos. Juckt es dich auch?« Er zögerte, und er duckte sich schon leicht, um mich anzuspringen. Aber dann erkannte wohl auch er etwas in meinen Augen. Er trat zurück, um mir Platz zu machen. Er sagte
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nichts, aber ich sah ihm an, dass er Angst bekommen hatte. Ich ging. Natürlich hatte ich keine Freunde und Helfer mitgebracht. Das hatte ich nur dem Mädel gesagt. Sie aber war auf meinen Bluff hereingefallen, obwohl sie schlau war und Erfahrung mit Männern hatte. Ich wusste nun auch, dass ich bluffen konnte. Ab da wusste ich überhaupt eine Menge mehr über mich. Wirklich, ich war ein Mann geworden, der beharrlich auf seinen Zug im großen Spiel warten konnte, ein Mann, der nichts hinnahm, nichts schuldig blieb und sich auch seine Haare wieder holte, die er irgendwann lassen musste. Ich hatte fast zweihundertfünfzig Dollar in der Tasche. Das war der Jahreslohn einiger Cowboys. Und ich war zwanzig Jahre alt. Von nun an wollte ich lange Schritte machen. Dennoch fragte ich mich, was wohl eines Tages aus mir werden würde. Außerdem dachte ich darüber nach, was wohl aus meinen beiden Brüdern geworden war, wie es unserer Mom ging – und ob einer von uns zurück nach Nebraska zu Finleys Lake gehen würde. Finleys Lake wurde unser See genannt.
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Zwei Stunden später saß ich mit meinen zweihundertfünfzig Dollar in einer Pokerrunde. Ich hatte noch nicht oft gepokert, und meine Erfahrung mit Spielern und deren Verhalten war mehr als gering und lückenhaft. Ich hatte unterwegs beim großen Treck manchmal am Campfeuer ein wenig mit den anderen gespielt. Dabei ging es – weil der Treckboss im Camp das Spiel um Geld verboten hatte – nur um Dinge wie Pferdesatteln, Nachtwachen und Ähnliches. Aber ich hatte niemals verloren. Ich brauchte niemals für einen anderen am Morgen das Pferd herauszufangen und zu satteln. Oft genug mussten andere Männer für mich die Nachtwache reiten. Ich hatte Instinkt beim Pokerspiel, und diesen Instinkt probierte ich mal aus. Es war dann etwa zwei Stunden nach Mitternacht, als ich mein Geld verdoppelt hatte, und die hartgesottenen Hombres, mit denen ich spielte, wurden langsam scharf auf mich. Einer, dem offenbar eine Mine gehörte, sagte: »Junger Mann, Sie können unsere Karten wohl riechen?«
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»Besonders dann, wenn er gegeben hat«, knarrte eine harte Stimme. Ich sah mir den Besitzer dieser Stimme an. Er war vor einer Weile hereingekommen, hatte sich neben unserem Spieltisch an die Wand gelehnt und schien einer der Kiebitze zu sein, die überall in der großen Spielhalle herumstanden und vielleicht auch darauf warteten, dass irgendwo ein Platz freigemacht wurde. Der Bursche war zumindest zur Hälfte mexikanischer Abstammung. Wahrscheinlich war seine Mutter eine schöne Mexikanerin, denn er war ein ausgesprochen schöner Mann. Aber er sah auch hart und gefährlich aus. Seine Schönheit war kalt und ohne jede Wärme. Seine dunklen Augen glitzerten. Ich erhob mich langsam und hütete mich, die Hände zu bewegen. Ich hielt sie etwas tiefer als Brusthöhe. »Sie haben mich gemeint, Amigo?«, fragte ich. Er nickte. »Sicher«, sagte er. »Sie sind ja auch ein Bursche, der den Mädels das Geld abnimmt und nicht danach fragt, wie schwer es verdient wurde.« Nun wusste ich Bescheid. Sie hatten ihn geschickt, um sich für ihre Niederlage und die entgangenen Dollars zu revanchieren. Dieser Revolverschwinger kam aus jenem Etablissement, in dem ich mich diesmal nicht rasieren ließ, sondern selbst rasierte.
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Ich senkte meine Hände, bis meine Revolverhand hinter dem Kolben hing. Dann sah ich den Burschen schweigend an. In mir war eine Menge nicht in Ordnung. Gewiss, ich hatte in den vergangenen Monaten Indianer und weiße Banditen im Kampf getötet. Doch das war so, wie Soldaten in einem Krieg töten. Jetzt war es anders. Dort stand ein Revolverschwinger, der gekommen war, um mich zu töten. Hier in Santa Fe konnte man sich für fünfzig Dollar einen solchen Killer mieten. Ich hatte es gehört. Ich wusste, dass ich ihn töten musste, wollte ich nicht selber sterben. Und dieses Wissen war schlimm. Ich musste mich zu jenem unheilvollen Entschluss durchkämpfen. Ich durfte mir keine Illusionen machen, sondern musste handeln. Zum Glück ließ mir jener Bursche ein paar Sekunden. Hätte er sie mir nicht gelassen, so würde ich wahrscheinlich doch gezögert haben. Doch nach diesen paar Sekunden erkannte er in meinen Augen, dass ich mich nicht fürchtete, sondern bereit war, ihn zu töten. Das hatte er wahrscheinlich nicht erwartet. Vielleicht hatte er sogar damit gerechnet, dass ich in Panik geriet und mein Selbstvertrauen verlor. Als er nun sah, wie kühl und ruhig ich blieb, und als er erkannte, wie groß mein Selbstvertrauen war und wie sehr ich bereit war, ihn zu töten, da wurde er unsicher. Es
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war nur ein kurzer Moment, dann bekam er sich wieder unter Kontrolle. Doch in seinem Innern war er unruhig. Ich begriff das alles instinktiv und binnen weniger Sekunden. Plötzlich wusste ich auch sehr viel mehr über Revolverschwinger als zuvor. Ich begriff, dass sie normalerweise an ihr Glück glaubten bis in die Hölle und zurück und der Meinung waren, dass es stets der andere ist, der sterben wird. Doch wenn sie diesen Glauben aus irgendeinem Grunde verlieren, dann möchten sie am liebsten aufhören, passen, fortgehen. Doch sie können es nicht. Denn diese Revolverschwinger haben einen Ruf zu wahren, und sie mussten ihn wahren. Dieser Ruf allein machte ihnen das Leben lebenswert. Ohne diesen Ruf würden sie sich als Nieten und Nullen fühlen. Ich begriff, dass in diesem Mann dort eine Menge von all diesen Dingen war. Und dann hörte ich ihn sagen: »Schwarzbart, mein Name ist Ed Martins!« Ich hatte den Namen noch nie gehört, denn ich war erst kurze Zeit in diesem Lande und in dieser Stadt. Dennoch musste dieser Name eine Bedeutung haben, denn er nannte ihn mir, um mich einzuschüchtern. »Na und, Hombre?«, fragte ich trocken.
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Daran erkannte er abermals meine Furchtlosigkeit. Er konnte mir plötzlich nicht mehr die Chance des »ZuerstZiehens« lassen. Die Panik brach aus ihm hervor und trieb ihn zum Handeln. Er zog. Und er zog wahrhaftig eine Idee schneller als ich – eine winzige Idee. Seine Kugel fuhr mir wie ein Schwerthieb an der Seite entlang. Zugleich schoss ich, und meine Kugel saß besser. Er schwankte an der Wand entlang, erreichte die Tür und taumelte rücklings hinaus. Dabei versuchte er, seinen Colt zu heben, doch er konnte es nicht mehr. Er drückte noch einmal ab. Die Kugel fuhr in die Dielenbretter. Ich stand wartend da. Mein Colt rauchte noch. Der Pulvergeruch hing im Raum. Es war still. Überall hatten sich die Spieler und auch die herumstehenden Zuschauer in Deckung gebracht. Ich spürte den bohrenden Schmerz in meiner Seite. Eine Stimme sagte heiser und hart zugleich: »Du hast ihn geschafft. Doch dafür bringe ich dich um! Dreh dich um, Schwarzbart!« Ich blickte über die Schulter, und ich sah einen Mann, der durch die Hintertür hereingekommen war. Dieser Mann zielte mit seinem Revolver auf mich. In mir waren Resignation und Bitterkeit. Verdammt noch mal, wie hart und gnadenlos war diese Stadt?
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Da war ein Bursche, der sich Ed Martins nannte, gekommen, um mich im Revolverkampf zu töten. Er hatte sich einen Partner als Rückendeckung mitgebracht, der jedoch zu spät gekommen war. Und nun wollte dieser Partner Ed Martins rächen. Anders war es nicht. Ich sagte über die Schulter: »Steig aus, Amigo, steig aus! Ich habe keinen Streit gesucht und möchte immer noch keinen. Es ist genug! Hörst du?« »Nein«, sagte er. »Ed war mein Freund. Du kannst ihn nicht so einfach umlegen und dann abschleichen. Nein!« Er hielt den Revolver weiterhin auf mich gerichtet. »Dreh dich um«, sagte er. »Ich will dich nicht in den Rücken schießen! Du hast doch einen Colt in der Hand wie ich. Also dreh dich um damit!« Es gab wieder einmal keinen anderen Ausweg. Diese Stadt war böse. Sie war voll von Kerlen, die mit den Revolvern lebten. Ich hatte in jenem Etablissement die erste Runde verloren und die zweite gewonnen. Nun wollten sie die dritte und letzte Runde mit ihren »Beschützern« gewinnen. Es gab keinen Ausweg. Obwohl meine Seite böse schmerzte, wirbelte ich so schnell wie ein Wildkater herum. Der andere Mann war im Vorteil. Denn er stand fest und konnte ruhig auf mich zielen. Vielleicht traf er mich nur deshalb nicht voll, weil ich zu schnell war beim Herumwirbeln und mich duckte. Er
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schoss unheimlich schnell, »fächerte« mit der flachen Hand den Hammer der Waffe nach jedem Schuss unheimlich schnell zurück und jagte die Kugeln hinaus. Von den Kugeln streifte mich eine leicht, eine andere traf mich in den linken Oberschenkel. Dann legte ich ihn um. Ich fluchte bitter. Ich konnte nicht anders. Wieder war es still, und der beißende Pulverrauch schwebte durch den Raum. Jemand sagte unter einem Tisch hervor: »Heiliger Rauch, was ist das für ein Bursche? Jetzt hat er auch noch Johnny Calhoun umgelegt. Was für ein Tiger kam in unser Pueblo?« Er sagte »Pueblo«, weil Santa Fe so genannt wurde. Er hätte auch sagen können, in unsere Stadt oder nach Santa Fe. Und eine andere Stimme antwortete: »Das ist Gun-Finley oder einfach nur Gun-Fin. Er kam mit Bannahans Frachtwagenzug. Der hat als Indianerkiller keinen kleinen Anteil daran, dass ihr hier Nachschub bekommen habt.« Ich glaubte die Stimme zu kennen. Sie gehörte einem der Frachtfahrer. Ich erinnerte mich an mein Geld, das noch auf dem Spieltisch lag. Deshalb wandte ich mich zur Seite und stopfte es mit der freien Hand in meine Taschen. In der anderen Hand hielt ich immer noch den Colt.
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Jetzt wusste ich Bescheid in dieser Stadt. Wenn man hier Verdruss bekam, hatte man die ganze »Gilde« auf dem Hals, und zu dieser »Gilde« gehörten die Flittchen, deren Beschützer – und gewiss noch eine Menge anderer Townwölfe, die den Hammeln die Wolle scherten. Zu meinen bisherigen Mitspielern, die sich in Deckung geworfen hatten und inzwischen aufgestanden waren, sagte ich: »Gents, Sie werden verstehen, dass ich nicht mehr weiterspielen kann.« Sie sahen die sich vergrößernden Flecken an meiner Kleidung und wussten, dass es mich ziemlich erwischt hatte. Sie nickten, und einer sagte: »Sicher, Gun-Finley! Sie haben jetzt andere Sorgen. Gehen Sie nur und lassen Sie sich die Löcher zustopfen. Und wenn der Marshal kommt, können wir bezeugen, dass Sie nicht anders konnten. Ich persönlich glaube, dass Sie fair gespielt haben. Es gab keine Kartentricks. Sie haben ganz einfach Instinkt. Das wundert uns jetzt nicht mehr.« Ich ging. Mein Bein schmerzte wie die Hölle und wollte bei jedem Schritt unter mir wegknicken. Meine Seite war ebenfalls eine einzige Qual. Ich gab mir Mühe, weder zu sehr zu hinken noch zu schwanken. Mit aller Energie hielt ich mich wie ein Mann, der noch kämpfen konnte, sollte das notwendig werden. Aber ich war ziemlich am Ende.
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Mein Gesicht war nass vor Schweiß. So ging ich hinaus in die Nacht. Jemand kam hinter mir her und murmelte: »Ich würde mich keine Minute mehr in diesem Pueblo aufhalten! Denn die Wilde Horde kann sich das nicht bieten lassen. Die müssen sich Ihren Skalp holen. Nicht mal in der Zelle des Gefängnisses wären Sie vor ihnen sicher.« Der Mann ging hinter mir nach links davon. Ich wusste, dass er mir den besten Rat gegeben hatte, den mir jemand in dieser Situation nur geben konnte. Ich ahnte auch, dass sich die Stadtmarshals nicht meinetwegen mit der Wilden Horde anlegen würden. Hier waren fremde Revolvermänner auf sich selbst angewiesen. Und ich war nichts anderes als ein fremder Revolverschwinger. Ich musste weg, nichts als weg. Wenn ich erst zum Arzt ging, kostete mich das Zeit. Dann befand ich mich gewiss in der gleichen Lage wie ein Puma, der zu lange auf einem Baum sitzen bleibt und der Meute Gelegenheit gibt, den Baum zu umstellen. Ich blickte die Straße hinauf und hinunter. Dabei erkannte ich auch schon meine Chance. Drüben – schräg gegenüber – wollte gerade eine Postkutsche abfahren. Ich musste mit! Das war die Chance! Mein Pferd musste ich aufgeben. Ich beeilte mich.
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Es war eine verdammte Quälerei. Mein Bein wollte einfach nicht länger mitmachen. Dabei waren es kaum mehr als achtzig Schritte. Zum Glück war die Fahrbahn dunkel. Und noch beobachtete man mich nicht besonders, selbst dann nicht, als ich hinkend die Lichtbahnen überquerte und mich dem Pueblo Hotel näherte, vor dem die Postkutsche hielt. Dennoch hätte ich es wahrscheinlich nicht geschafft, denn nach fünfzig oder sechzig Schritten konnte ich nicht mehr. Mein Bein knickte einfach unter mir weg. Plötzlich sagte eine Frauenstimme neben mir: »Wenn ich meine Schulter unter Ihre Achsel schiebe und Sie Ihren Arm hinter meinem Nacken auf meine Schultern legen, dann geht es vielleicht.« Ich hatte keine Zeit, lange zu staunen. Die Frau war jung und besaß jene kräftige Geschmeidigkeit, die nicht von Größe und Gewicht abhängig ist. Sie war eher zierlich und konnte mühelos ihre Schulter unter meine Achsel schieben. Ich musste mich sogar etwas zur Seite neigen, um richtig Halt zu finden, während ich das schmerzende Bein durch den Staub zog. Ich fragte sie nicht einmal, warum sie das tat. Mir ging es einfach nur wie einem Schiffbrüchigen, der eine Planke findet, an der er sich festhalten kann. Der fragt auch nicht, woher die Planke kommt und warum sie ihm die Möglichkeit gibt, sich über Wasser zu halten.
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Wir erreichten die Postkutsche. Der Stationsmann wollte soeben den Schlag zuwerfen. Aber die Frau rief: »Wir fahren auch noch mit!« »Ich bezahle unterwegs beim Fahrer«, keuchte ich. Er ließ uns zusteigen. Irgendwie kam ich in die Kutsche und drinnen auf die hintere Bank. Die Frau setzte sich neben mich. Der Schlag wurde zugeworfen. Die Stimme des Stationsmannes rief zum Fahrer hinauf: »Jimmy, zwei Fahrgäste, die unterwegs zahlen! Fahr los! Du hast schon Verspätung!« Die Kutsche ruckte an. Sie rollte nach Süden zu aus der Stadt und folgte der gewundenen Straße der Mesa. Ich war zufrieden, obwohl meine Wunden immer noch schmerzten und auch das Blut noch lief. Die junge Frau neben mir hatte eine große Reisetasche mit, die sie auf dem Schoß hielt, um darin besser herumsuchen zu können. Sie tastete dann im Dunkeln nach meiner Hand und gab mir zwei Handtücher. »Vielleicht können Sie damit die Blutung stillen«, sagte sie dicht an meinem Ohr. Das Rumpeln der Kutsche ließ nicht zu, dass die anderen Fahrgäste ihre Worte verstehen konnten. Es war dunkel in der Kutsche. Von den beiden Laternen vorne fiel kaum Licht herein, denn sie warfen ihren Schein voraus auf die Wagenstraße.
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Eine schmale Mondsichel und ein paar Sterne leuchteten. Doch auch dieser Lichtschein erhellte das dunkle Innere der Kutsche nicht. Es war mir recht, dass die anderen Fahrgäste mich nur als Silhouette sehen konnten. Ich saß mit der Frau allein auf der hinteren Bank. Ich öffnete mein Hemd und schob mir ein zusammengefaltetes Handtuch auf die Wunde an der Seite. Das andere Handtuch band ich einfach über die Hose um meinen zerschossenen Oberschenkel. Dann lehnte ich mich zurück und streckte das schmerzende Bein so weit aus, dass sich der Fuß unter dem vorderen Sitz befand. Obwohl die Kutsche schwankte und stieß, ließen die Schmerzen allmählich etwas nach. Ich neigte mich zu meiner barmherzigen Helferin hinüber und sagte: »Danke! Sie sind ein Engel. Aber warum haben Sie mir eigentlich geholfen?« Ich konnte ihr Gesicht undeutlich erkennen, und es schien sehr reizvoll und apart zu sein. Sie war offenbar nicht älter als ich. »Ach«, sagte sie, »vor Ihnen kam ein Mann aus der Spielhölle. Ich hörte ihn anderen Männern zurufen, dass dort drinnen ein fremder Tiger Ed Martins mit dem Colt klein gemacht habe. Danach fielen nochmals Schüsse. Als Sie herauskamen, wusste ich, dass Sie dieser fremde Tiger
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waren. Sie hätten die Postkutsche sonst wohl nicht mehr erreicht – oder?« »Nein«, antwortete ich. »Jetzt weiß ich immer noch nicht, warum Sie mir geholfen haben.« Sie lachte leise, und es klang spröde, dieses Lachen. »Ich kannte Ed Martins«, sagte sie. »Und wenn Sie wollen, dann können Sie sich revanchieren. Ich habe nicht so viel Geld, um eine lange Strecke in der Kutsche bleiben zu können. Es reicht nur für drei oder vier Stationen. Aber ich möchte gerne tausend Meilen weit fahren. Ich habe einen Vertrag gebrochen, der mich als Tanzmädchen an den Mesa Saloon bindet. Ich bin auf der Flucht wie Sie, Mister.« Nun wusste ich es. Sie war ein Saloon-Mädchen, das aus einem miesen Arbeitsvertrag floh. Das gab es oft genug. Doch es gab in jedem Saloon Männer, die solche Mädels so leicht nicht entkommen ließen. Aber dieses Mädchen saß in einer Expresskutsche. Eine solche Kutsche war so leicht nicht mehr einzuholen, wenn man lange genug mitfahren konnte. Hatte sie erst zwei- oder dreimal ihr Gespann gewechselt, würde kein Reiter sie mehr einholen - es sei denn, er wechselte ebenfalls die Pferde und schaffte es, lange genug im Sattel zu bleiben. »In meiner Tasche sind fast fünfhundert Dollar, mein Engel. Wir teilen uns diesen Schatz«, erwiderte ich nach einer Weile. »Sie sind nobel«, murmelte sie.
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Dann wurde mir übel. Ich lehnte mich in die Ecke und versuchte, meiner zunehmenden Schwäche Herr zu werden. Der Schock saß mir erst jetzt in allen Fasern. Ich hatte im Revolverkampf nacheinander zwei gefährliche Revolvermänner von den Beinen geschossen. Mein Name war auch genannt worden. Gun-Finley! Ich wusste, dass ich von nun an zu dieser Gilde gehören würde. Zur Gilde der Revolverkämpfer! Und wohin ich auch kommen würde, es würde immer einen Narren geben, der sich beweisen wollte – sich und der Welt –, dass er schneller war als jener Gun-Finley, der in Santa Fe mit Ed Martins und Johnny Calhoun zurechtgekommen war.
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Als es Tag wurde und wir das Rio-Grande-Valley erreichten und bei der vierten Station unser Sechsergespann wechselten, hatte ich bereits ziemlich hohes Fieber. Einer der Mitreisenden – ein grauhaariger Mann – beugte sich vor und sagte: »Junger Mann, Sie müssen zum nächsten Doc.« Dagegen gab es nichts zu sagen. Die Mitreisenden wussten natürlich inzwischen, was mit mir war. Sie konnten bei Tageslicht das getrocknete Blut auf meiner Kleidung entdecken und merkten mir auch unschwer an, wie schlecht ich mich fühlte. Sie hielten mich für einen Burschen, der nach einem Revolverkampf in Santa Fe das Weite suchte. Und genau das war es ja auch. Eine Mexikanerin reichte mir aus ihrem Korb eine Tomate. »Die tut Ihnen gut, Señor«, sagte sie. »Und im nächsten Ort ist ein Arzt, der sich gut auf Schusswunden versteht. Wir halten in Zuni Mesa, um das Gespann zu wechseln.« Zuni Mesa, so hieß der Ort also. Und ich wusste, dass ich dort aussteigen würde. Deshalb sah ich meine Nachbarin an.
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Sie gefiel mir. Das Haar, das ich in der Nacht für dunkel gehalten hatte, war kupferrot. Ihre Augen waren grau und standen weit auseinander. Sie hatte eine kleine Nase und einen vollen Mund. Obwohl sie gewiss nicht älter war als ich, gab es einige Zeichen in ihrem Gesicht, die erkennen ließen, dass ihr kaum noch etwas fremd war auf dieser Welt. »Da werden wir also Abschied nehmen, Engel. Darf ich Ihren Namen erfahren?«, fragte ich. »Rosy«, sagte sie sofort, »Rosy Dunn.« Ich holte mein Geld aus der Tasche und gab ihr die Hälfte. Sie nahm es, ohne zu zögern. »Und Ihr richtiger Name?«, wollte sie dann wissen. Ich blickte eine Weile in ihre grauen Augen und fragte mich, ob auch sie bei der Arbeit so schlecht war wie jenes Flittchen, das mich reingelegt hatte. Aber ich verwarf den Gedanken sofort wieder. Denn sie war ja nicht aus einem Haus geflüchtet, vor dem in der Nacht eine rote Laterne hing, sondern aus einem Saloon, wo sie als Tanzmädchen arbeitete. Selbst ein Saloon war ihr schon zu mies. Und ein Job als Tanzund Animiermädchen war für sie so schlimm, dass sie fortlief, um den Arbeitsvertrag nicht erfüllen zu müssen. Nein, diese Rosy war anders. Ich staunte, dass ich plötzlich wieder eine gute Meinung von einem Mädchen haben konnte.
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Aber es gibt gute und schlechte Frauen, wie es gute und schlechte Männer gibt. Ein Mann gerät auf seinen Wegen an jede Sorte. »Ich heiße Finley, Patrick Finley«, sagte ich. Sie schloss einen Moment die Augen, als wollte sie sich meinen Namen einprägen. Dann sah sie mich an und nickte mir zu. »Viel Glück, Pat«, meinte sie. »Und du warst sehr nobel zu mir. Ich hoffe, dass ich mich einmal revanchieren kann. Doch unsere Wege führen sicherlich nie wieder zusammen. Das tut mir ein bisschen Leid.« »Mir auch«, gestand ich grinsend, und ich wusste, dass ich etwas verzerrt grinste. In meinen Augen flackerte das Fieber. Auf meinem Gesicht stand der Schweiß. Ja, es war wirklich allerhöchste Zeit, dass ich zu einem Doc und dann in ein Bett kam. Ich konnte in einer schwankenden, rüttelnden und stoßenden Postkutsche nicht gesund werden. Wir waren inzwischen nach Zuni Mesa hineingerollt und hielten vor der Posthalterei. Ich kletterte hinaus. Mein Bein schmerzte wie die Hölle. Aber ich musste dennoch damit auftreten. Draußen standen ein paar Neugierige, wie sie sich überall bei der Ankunft einer Postkutsche einfinden. Sie sahen mich an und erkannten auch, wie angeschossen ich war. Hinter mir war die Mexikanerin ausgestiegen. Sie trat neben mich und sagte: »Zum Arzt geht es dort hinüber.
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Das kleine Haus mit dem weißen Zaun da drüben, Señor.« Ich machte mich auf den Weg. Und ich blickte nicht zurück, denn ich wollte das prächtige Mädel nicht mehr sehen, das mir in Santa Fe wahrscheinlich das Leben gerettet hatte. Mit Sicherheit hätte ich ohne ihre Hilfe die abfahrende Postkutsche nicht mehr erreicht. Sie war gut zu mir gewesen, obwohl sie selbst auf der Flucht und in Not war. Und sie hatte mich nur darum gebeten, ihr doch für ein paar Stationen das Fahrgeld zu geben. Nachdem ich von dem ersten Mädchen in meinem Leben reingelegt worden war, machte ein anderes Mädchen alles wieder gut. Es war ein Bedauern in mir, weil unsere Wege sich so schnell wieder trennten. Ich hinkte über die staubige Fahrbahn, und jeder Schritt wurde mühsamer und schmerzvoller. Doch irgendwie schaffte ich es. Der Doc hatte mich schon durchs Fenster gesehen. Er kam aus der Tür seines kleinen Hauses und half mir. Irgendwann erwachte ich und staunte, dass ich in einem Bett lag. Aber dann erinnerte ich mich daran, dass der Doc und ein anderer Mann – es war ein Neger, der im Hotel arbeitete – mich über die Straße in dieses Hotelzimmer gebracht hatten.
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Ich erinnerte mich auch daran, dass der Doc leise durch die Zähne gepfiffen und mir gesagt hatte, dass ich einen Tag später schon eine Blutvergiftung gehabt hätte und dass die Chancen für mein Bein dann mit jeder Stunde schlechter geworden wären. Plötzlich merkte ich, dass ich nicht allein war. Ich wandte den Kopf und sah sie am Bett sitzen. Es war Rosy, jawohl, Rosy Dunn aus der Postkutsche. Wir blickten uns eine Weile an. »Bist du wirklich da – oder träume ich nur?«, fragte ich heiser. Meine Stimme klang ziemlich matt. Und mein Kopf dröhnte vom Fieber. Ich hatte wirklich den Verdacht, dass ich diese Rosy nur im Fieberwahn sah. Sie beugte sich vor und legte ihre Hand auf meine Stirn. »Ich bin es wirklich«, antwortete sie. »Ich bin nur eine Station weitergefahren und habe dann die Gegenpost nach hier genommen. Es ergab sich so, weil sie zur selben Zeit bei der Station das Gespann wechselte. Ich konnte also leicht umsteigen.« Ich staunte und begriff, dass sie umgekehrt war, um mich in Zuni Mesa nicht allein zu lassen. »Du brauchst mir nicht zu danken«, sagte sie. »Du hast mir eine Menge Geld gegeben und hast deshalb ein Recht auf eine zuverlässige Krankenschwester.« Sie griff neben sich und nahm von einem Tischchen eine kleine Kanne mit einem Schnabel, den sie mir an den Mund hielt.
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»Trink«, verlangte sie. »Das ist Tee, der dein Fieber drückt. Die Wunde an der Seite ist ebenfalls schlimm. Du musst ganz still liegen, damit sie sich schließt. Der Doc sagte, dass du ein harter Bursche seist, wie er bisher kaum einen in Behandlung hatte.« Ich trank gehorsam. Sie fütterte mich zwischendurch mit Zwieback, obwohl ich gar keinen Hunger hatte, nur Durst. »Du bleibst also bei mir?«, fragte ich. »Solange du mich brauchst«, erwiderte sie ernst. Nun, was soll ich viel darüber berichten, wie ich gesund wurde. Die Hauptsache ist doch, dass ich es eines Tages wurde. Es ging sogar ziemlich schnell, weil ich ja noch jung war und überdies auch eine gute »Heilhaut« besaß. Und zwischen Rosy und mir – das wurde natürlich ein richtiges festes Liebesverhältnis. Wie konnte es auch anders sein? Wir waren beide allein, mochten uns und waren von Anfang aufeinander angewiesen. Es war sicher, dass wir zusammenbleiben würden. Unsere Jugend war kein Hinderungsgrund. In diesem Land kam es oft vor, dass die Burschen schon mit achtzehn und die Mädchen schon mit sechzehn heirateten. Bei den Siedlern und Farmern wurden unter Nachbarskindern die Ehen oft noch früher geschlossen. Dieses Zusammengehen noch junger Leute geschah oft genug aus einer Notwendigkeit heraus, weil zwei
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Menschen sich in dieser harten Welt besser behaupten konnten. Rosy und ich, wir liebten uns. Ja, was Rosy betraf, so hatte sie sich sogar schon bewährt. Sie hatte sich als zuverlässig und treu erwiesen, indem sie zurückgekommen war, weil sie wusste, dass ich in meinem Zustand einen Menschen brauchte. Doch obwohl alles zwischen uns gut war und ich rasche Fortschritte in meiner Gesundung machte, gab es natürlich auch Schatten in der Sonne unseres Glückes. Eines Tages – als Rosy im Store zum Einkaufen gewesen war – merkte ich, dass sie etwas quälte. Ich konnte es irgendwie spüren. Und so fragte ich nach einer Weile: »Was ist, Engelchen?« Sie schüttelte den Kopf und nähte weiter an dem Stoff, für den sie sich Seidengarn geholt hatte. Es würde ein schönes Kleid werden. Sie hatte sich in den vergangenen Tagen schon zwei genäht. Sie war sehr geschickt. »Was soll denn sein?«, fragte sie zurück. Ich grinste. »Versuche nie, mir etwas vorzumachen. Ich kenne mich aus mit Frauen. Ich bin ein erfahrener Wolf. Erzähl es mir. Wir wollen uns versprechen, einander nie etwas vorzumachen oder etwas zu verbergen, nicht wahr? Also!« Sie sah mich mit ihren grauen Augen intensiv an, die groß waren und weit auseinander standen.
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»Es hat sich herumgesprochen, dass Gun-Finley, der in Santa Fe zwei berüchtigte Revolverhelden niederkämpfte, hier seine Wunden auskuriert«, sagte sie dann langsam. »Es sind ein paar böse Nummern hier, die es nach Revolverruhm juckt. Vielleicht sind sie auch geschickt worden, weil wir noch nicht weit genug von Santa Fe entfernt sind. Vielleicht soll der eine oder andere dieser Burschen auch mich zurückholen. Nun, der Doc sagte mir vorhin, die Kerle hätten gestern im Saloon ausgelost, wer von ihnen sich zuerst…« Sie verstummte. Sie konnte einfach nicht ruhig weitersprechen. Sie musste tief Luft holen. Und sie brauchte mir nichts mehr zu sagen. Soviel wusste ich schon. Ich hatte Revolverruhm erlangt. Ed Martins und Johnny Calhoun waren berüchtigte Burschen gewesen. Man erzählte sich bereits Legenden über diesen Kampf. Mein Name wurde genannt: Gun-Finley. Und schon gab es ruhmsüchtige Burschen, die sich mit mir messen wollten, denn diese Narren wollten ebenfalls zu Ruhm kommen. Dieser Wunsch wurde immer größer in ihnen. Wahrscheinlich taugten sie nicht viel. Sie würden auch auf jedem anderen Gebiet niemals viel taugen. Nur schießen konnten sie. Und wenn sie wieder einmal irgendwo aus einem Duell als Sieger hervorgehen konnten, fühlten sie sich großartig.
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Das war es – jenes Gefühl, großartig zu sein, unbesiegbar, ein toller Bursche, den alle anderen fürchteten. Dieses Gefühl war ein Ersatz für alle Niederlagen auf anderen Gebieten. Außerdem konnten sie – waren sie erst auf diese Art berühmt und gefürchtet – ihren Revolver für hohen Revolverlohn vermieten. In diesem Land mussten sich viele Große und Mächtige Leibwächter halten. Ich sah Rosy an und wusste also, dass sich vor der Höhle ein Rudel sammelte, das nur darauf wartete, dass der genesende Wolf zum Vorschein kam. »So ist das«, sagte ich. »Und so wird das mit mir wohl immer wieder sein. Ich bin Gun-Finley geworden. Ich werde stets Schatten auf der Fährte haben. Rosy, es wäre gescheit von dir, wenn du jetzt deine Siebensachen packen und verschwinden würdest. Ich habe dich viel zu gern, als dass ich zulasse…« »Sei still«, rief sie. »Du kannst mich nur dann fortjagen wie eine streunende Katze, wenn du mir sagst, dass du mich nicht mehr sehen kannst, weil du mich über hast, weil ich dir zum Halse raushänge oder …« Ich ließ sie nicht weitersprechen, denn ich war längst wieder kräftig genug, um sie in die Arme zu nehmen. Drei Nächte später stahlen wir uns auf zwei Mietpferden davon. Wir ritten bis zur nächsten Poststation und bestiegen hier die Kutsche nach Süden. Diesmal war ich den Ruhmsüchtigen entkommen. Aber wie sollte unser Leben weitergehen?
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Eines Tages würde unser Geld alle sein. Es war auch nicht so, dass ich meine Brüder und meine Eltern vergessen hätte. Besonders oft dachte ich an meine Mutter. Dann wieder fragte ich mich, was Nelson Miles wohl inzwischen alles getan hatte, um meinen Vater zu zerbrechen. Ach, es war doch ein verdammtes Leben! Das einzige Gute war Rosy. Wir zogen umher und suchten nach einer Chance. Wir nahmen jede Arbeit an. Rosy arbeitete in Läden als Verkäuferin, in Hotels – und sie unterrichtete sogar einmal vertretungsweise eine Schulklasse. Sie hatte eine recht gute Schulbildung – oder sagen wir, sie hatte die Jahre, die sie zur Schule gehen konnte, gut genutzt. Ich selbst ging keiner Arbeit aus dem Weg. Ich nahm alles, was kam, und so arbeitete ich auf einem Wagenhof, fuhr als bewaffneter Begleiter auf Postkutschen mit, ritt Pferde zu, half einem Schmied, der für eine große Mine einen Auftrag übernommen hatte, den er allein nicht schaffen konnte, und versuchte mich in noch einem halben Dutzend anderer Berufe, zum Beispiel als Gehilfe eines Brunnenbauers und als Erzfahrer einer Silbermine. Doch es gab nirgendwo eine Chance, schnell zu Geld zu kommen. Man musste sich die paar Dollar verdammt schwer verdienen, und ich konnte mir ausrechnen, dass Rosy und ich zehn Jahre eisern sparen mussten, bis wir
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irgendwo eine kleine Ranch erwerben konnten, auf der wir mit viel Glück und guten Nachbarn zwanzig Jahre Zeit brauchten, um hochzukommen. Ich versuchte es dann mal als Spieler in einem Saloon in Silver City. Denn schon einmal hatte ich ja als Spieler mein Kapital verdoppeln können. Mein Instinkt hatte genügt, um ältere und erfahrene Spieler zu schlagen. Ich hatte eine Woche lang als Erzfahrer jeden Tag vier Dollar verdient und für Rosy und mich nur zwei Dollar pro Tag für den Lebensunterhalt verbraucht. Ich hatte also zwölf Dollar übrig, und die wollte ich diesmal nicht sparen, sondern beim Poker riskieren. Zuerst lief es ganz gut. Ich gewann mehr als fünfzig Dollar und bekam dann drei Asse und zwei Zehnen. Mein Instinkt sagte mir, dass ich mit diesem Blatt bis in die Hölle und zurück marschieren konnte. Das tat ich. Ich setzte alles ein, was ich bisher gewonnen hatte, und als mein Gegenspieler – die anderen Hombres waren schon ausgestiegen und sahen nur noch zu – dann noch nicht aufgab, sondern immer wieder erhöhte, holte ich auch noch das andere Geld aus dem Geldgürtel, den ich unter der Kleidung auf der bloßen Haut trug. Es waren über fünfhundert Dollar, die Rosy und ich schon wieder gespart hatten. Für eine Siedler-Stätte hätte das Geld sogar schon gelangt, nicht aber für eine kleine Ranch mit Pferden und Rindern.
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Ich holte also nach und nach mein ganzes Geld heraus und hielt immer wieder mit, bis endlich auch dem anderen Mann die Puste ausging und er die Karten aufdeckte. Er war an der Reihe, fordern zu können. Deshalb deckte ich zuerst auf. Ich grinste, und ich war mir der mehr als tausend Dollar sicher, die in der Tischmitte lagen. Mehr als fünfhundert Dollar waren von mir. Ich hatte sie also mehr als verdoppeln können. »Na, gegen dieses Blatt kann wohl niemand etwas sagen?«, fragte ich. Der Mann war schon grauköpfig. Er hatte ein hageres, scharfes Gesicht mit tiefen Linien und einigen Narben. Er war nicht nur beim Poker ein erfahrener Wolf – das konnte ich wittern. Doch ich glaubte, ihn mit meinen drei Assen und den beiden Zehnen geschlagen zu haben. Er schüttelte bedauernd den hageren Kopf, und das Bedauern galt mir, nicht sich selbst. Wortlos deckte er einen Royal Flush auf, ein Blatt also, das mancher Mann in einem ganzen Leben nicht bekommt und von dem eigentlich alle Pokerspieler träumen. Er sagte immer noch nichts. Auch die anderen schwiegen. Sie starrten mich nur an und warteten ab, ob ich es wie ein Mann ertragen könnte. Das konnte ich, obwohl mir
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das Herz im Hals schlug und ich am liebsten gebrüllt und getobt hätte. Hätte ich gekonnt, oh, dann hätte ich mich jetzt immer wieder in den Hosenboden getreten. Was war ich doch für ein Narr! Ich stand auf und ging. Ich hatte alles verloren. Rosy würde jetzt wohl begreifen, dass mit mir nicht viel zu machen war. Ich war ein blöder Hammel, der auf ein Wunder beim Spiel hoffte, weil es ihm mit harter Arbeit zu langsam ging. Ich wanderte durch die nächtliche Straße. Als ich aus meinen Selbstvorwürfen aufschrak, stand ich plötzlich vor dem Mietstall. Warum war ich zum Mietstall gegangen? Ein Pferd besaß ich nicht. Wir reisten mit der Postkutsche, wenn wir uns veränderten. Was wollte ich hier? Vielleicht ein Pferd stehlen und fortreiten? Der Gedanke erschien mir gar nicht so abwegig. Plötzlich kam es mir einfacher vor, Rosy zu verlassen, als vor sie hinzutreten und zu bekennen, dass ich uns alles versaut hatte und dass wir um ein gutes Jahr zurückgeworfen waren. Aber ich wandte mich dann doch um und ging zurück. Was sollte ich tun? Als ich vor dem Hotel stehen blieb, in dem Rosy arbeitete und wir auch unser Zimmer hatten – denn wir
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galten als verheiratetes Paar –, da rief mich jemand von der Fahrbahn her an. »Gun-Finney!« Ich zuckte zusammen und wirbelte herum. Ein Mann stand dort. Er hielt seine Hand hinter dem Revolverkolben griffbereit. Ich erkannte ihn nicht. Sein Gesicht blieb im Schatten der Hutkrempe, und auch seine Gestalt wurde nur unscharf von den Lichtbahnen und deren Widerschein beleuchtet. Doch ich erkannte an seiner ganzen Haltung, dass er bereit war, seinen Revolver zu ziehen. »Was wollen Sie?«, fragte ich, und meine Stimme klang mir fremd. Sie kam mir so spröde vor. In meinem Mund war alles trocken. Mein Instinkt sagte mir, dass mich meine Vergangenheit eingeholt hatte. Damals in Zuni Mesa, als Rosy und ich in der Nacht davonschlichen, da konnte ich diesen Verfolgern noch einmal entkommen. Doch jetzt… »Was wollen Sie, Mister?«, fragte ich nochmals. Er lachte leise. »Ich soll dir schöne Grüße bestellen«, antwortete er. »Aus Santa Fe von Ed Martins und Johnny Calhoun. Sie liegen dort begraben. Und mich hat man beauftragt, die Sache nun …« Ich zog. Jawohl, ich wartete nicht. Denn ich wusste, dass er gekommen war, um mich zu töten. Die Wilde Horde dort
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in Santa Fe ließ keinen Mann entkommen. Ich zog meinen Colt, weil ich von einer Panik erfasst wurde. Denn von diesem Fremden dort, den ich gar nicht kannte und dessen Gesicht im Schatten der Hutkrempe verborgen blieb, strömte Gefahr aus. Ich fürchtete, sterben zu müssen – hier vor dem Hotel, in dem Rosy mit mir wohnte. Ich zog schnell, wahrscheinlich so schnell wie bisher noch nie in meinem Leben. Aber er war nicht langsamer, obwohl er erst einen Sekundenbruchteil nach mir reagieren konnte. Wahrscheinlich traf ihn meine Kugel eine winzige Zeitspanne früher und genau im Moment des Abdrückens. Denn er traf mich nicht. Auf acht oder neun Schritte Entfernung traf er mich nicht. Obwohl er getroffen war und schwankte, setzte er sich in Bewegung. Er machte drei Schritte nach vorn und schoss bei jedem Schritt. Aber er konnte dabei seinen Colt nicht mehr hoch genug heben. Er schoss immer nur in den Boden. Dann fiel er aufs Gesicht. Ich stand mit dem Colt in der Hand da und begriff, dass ich am Leben geblieben war. Oh, es war so schön, leben zu können! Doch der Preis war hoch. Leute liefen herbei. Sie kamen aus den Lokalen. Auch auf der Straße war es ja nicht leer gewesen.
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Sie bildeten einen großen Kreis, und sie blickten auf den Mann, der im Staub lag, und auf mich. Ich achtete darauf, ob mein Gegner vielleicht noch Freunde mitgebracht hatte. Aber es nahm niemand eine feindliche Haltung gegen mich ein. Dennoch rief von irgendwo eine heisere Stimme: »Diese verdammten Revolverschwinger…« Ich hörte nicht, was er sonst noch rief. Denn hinter mir kam Rosy aus dem Hotel. Sie trat neben mich, und es war jedem Menschen klar, dass sie zu mir gehörte. Durch den Halbkreis der Menschen – es waren Minenarbeiter, Cowboys, Farmer, Frachtfahrer und Städter, darunter auch ein paar Mädchen aus den Saloons und Tingeltangels der Minenstadt Silver City – kam ein großer Mann. Er trug eine kurze Schrotflinte unterm Arm, und auf der Weste blinkte ein Stern. Er sah zu mir herüber und sagte: »Stecken Sie den Colt weg, Mister! Waffe weg! Und dann bleiben Sie dort stehen.« Ich gehorchte. Denn ich wollte keinen weiteren Verdruss. Der Marshal beugte sich über den Toten. Ja, mein Gegner war tot. Ich erkannte es an der Art, wie ihn der Marshal auf den Rücken rollte. Der Marshal kniete nieder. Er holte ein Zündholz aus der Westentasche und riss es an.
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Im Schein des Flämmchens betrachtete er den Mann. Die Zuschauer hatten den Kreis nun so dicht um uns geschoben, dass nur wenig Licht eindrang. Neben mir stand Rosy Sie sah zu mir auf, und ich sprach zu ihr nieder: »Er kam aus Santa Fe und wollte mich gewiss schon in Zuni Mesa stellen. Er stellte mich hier.« Sie atmete tief ein. Der Marshal erhob sich und kam zu mir. Ich war darauf vorbereitet, dass er meine Waffe verlangte. Aber er tat es nicht. Er sah mich nur aus nächster Nähe an. »Das war Early Skinner«, sagte er. »Ich habe seinen Steckbrief im Office. Für den Hombre zahlen die Behörden in Fort Worth fünfhundert Dollar. Waren Sie hinter ihm her?« »Nein«, antwortete ich. »Er war hinter mir her.« »Das stimmt«, mischte sich einer der Zuschauer ein. »Ich stand dort drüben auf der anderen Straßenseite und war Zeuge, wie Early Skinner diesen Mann anrief und dabei bereit war, den Colt zu ziehen. Ich hörte aus der kurzen Unterhaltung, dass er ihm von Santa Fe aus gefolgt war. Es ist die alte Sache, Marshal. Dieser Hombre da hatte ihn als Schatten auf der Fährte.« Der Mann zeigte auf mich, während er »dieser Hombre« sagte. Ich atmete auf, denn ich wusste, dass ich jetzt kaum noch Schwierigkeiten bekommen konnte. Dann sah ich den Marshal auch schon nicken.
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»Wohnen Sie hier?« »Ja«, erwiderte ich. »Ich bin bei der Aurora-Mine Erzfahrer.« »Kommen Sie am Nachmittag in mein Office«, sagte der Marshal. »Und Sie auch, Mister«, wandte er sich an den Zeugen, der eben gesprochen hatte. Ich nickte, nahm Rosy beim Arm und ging mit ihr ins Hotel. Wir schwiegen, bis wir auf unserem Zimmer waren. »So wird es immer wieder sein«, sagte ich. »Dieser Early Skinner war ein berüchtigter Revolverheld, wie es Ed Martins und Johnny Calhoun auch waren. Jetzt stehen drei berüchtigte Namen auf meiner ›Abschussliste‹, und dadurch bin ich für all die wilden und ruhmsüchtigen Jungens noch interessanter geworden. Sie werden nach Silver City kommen oder, wenn ich schon fort bin, von hier meiner Fährte folgen. Außer diesen ruhmsüchtigen Wild Bills werden mir jene Männer folgen, die als Rächer kommen. Rosy, wir müssen uns wohl trennen. Es ist besser für dich.« »Nein«, sagte sie fest. »Wir trennen uns nicht. Du wirst mich nun mehr denn je brauchen. Ohne mich wirst du schnell ein einsamer Wolf. Und vielleicht tust du dann irgendetwas, was auch dich auf einen Steckbrief bringt. Du brauchst mich, um nicht einsam zu sein.« Ich begriff, was sie meinte.
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Sie wollte verhindern, dass ich ein ruheloser Tramp wurde. Ich sollte bei ihr einen gewissen Halt finden und ihr gegenüber auch Verantwortung spüren. Oh, ich liebte sie. Rosy war prächtig. Aber da fiel mir wieder ein, dass ich unsere gemeinsamen Ersparnisse verspielt hatte, weil ich so dämlich gewesen war, alles auf drei Asse und zwei Zehnen zu setzen. Ich sagte es ihr und schloss mit den Worten: »Da siehst du, wie unzuverlässig ich bin.« Doch sie lächelte nur. »Wir sind noch jung«, meinte sie. »Wir sind sogar noch sehr jung und müssen noch eine ganze Menge lernen. Aber das schaffen wir schon. Ganz bestimmt bekommen wir irgendwo die große Chance.« Und dann kam sie in meine Arme. Es war gut, nicht allein zu sein. Es war so verdammt bitter, wenn man getötet hatte – selbst dann war es bitter, wenn man es nur getan hatte, um nicht selbst sterben zu müssen. Man erlebte diesen Kampf wieder und wieder – und man kannte schon den Ausgang. Rosy half mir, diese schweren Stunden zu überwinden. Am Tag nach der Leichenschau fragte mich der Marshal, ob ich Anspruch auf die Belohnung erheben würde und ob er mir die fünfhundert Dollar auszahlen sollte. Als er sah, dass ich zögerte, half er mir mit den Worten:
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»Wenn Sie blank sind, junger Mann, dann nehmen Sie das Geld, um mit Ihrer jungen Frau ein Stück von hier fortzukommen. Sie haben sich offenbar in Santa Fe mit einem bösen Rudel angelegt und werden nach diesem Kampf hier wohl noch lange Zeit Schatten auf der Fährte haben. Deshalb brauchen Sie Reisegeld. Die Belohnung ist eine Chance, rasch weiterzukommen und nicht sobald wieder kämpfen zu müssen.« Das sah ich ein. Ich ließ mir eine Anweisung geben, holte mir das Geld von der Bank und kaufte zwei Fahrkarten nach El Paso. Dann ging ich ins Hotel, um Rosy zu holen. Sie legte sofort ihre Arbeit aus der Hand und kam mit. Wir fuhren in der Postkutsche nach Süden, während im Westen die Sonne sank und von Osten her die Dämmerung kam.
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In den nächsten Wochen und Monaten wurde es ein unruhiges Leben. Wir hatten Angst, irgendwo länger zu bleiben. Wohin wir auch kamen, man sah mir stets gleich an, dass ich ein zweibeiniger Tiger war. Und man kannte inzwischen schon die Geschichte meiner Revolverkämpfe. Man hatte überall von GunFinley gehört und wusste auch, wie er ungefähr aussah. Meine Größe, die grauen Augen und die vielen Narben im Gesicht verrieten mich stets. Da wir also immer wieder auf Reisen waren, konnten wir nirgendwo auf solide Weise genug Geld verdienen. Ich versuchte es in diesen Wochen abermals an den Spieltischen. Rosy nahm da und dort in den größeren Spielhallen einen Job als Kartenausteilerin beim Faro oder Black-jack an. So schlugen wir uns durch, und da ich ein gebranntes Kind war – oder ein narbiger Wolf, der schon einmal in einer Falle gesessen und alles verloren hatte –, riskierte ich stets nur wenig. Ich hörte stets auf, wenn ich spürte, dass mein Glück nicht anhielt. Mein Instinkt wurde allmählich ausgeprägter. Ich wurde ein recht guter Spieler. Und wenn ich stets auch nur kleine Gewinne machte, weil mein Spielkapital zu
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gering war, um mich mit Pokerspielern einzulassen, die einen Pott bis in die Hölle treiben konnten, so konnten wir doch ganz gut davon leben, unsere Reisekosten und Unterhalt bezahlen und ein wenig sparen. Mein Spielkapital vergrößerte sich nach einigen Wochen auf über tausend Dollar. Aber was war das für ein Leben! Ich war ein reisender Spieler geworden, der nur wenige Tage an einem Ort blieb. Und was war das für ein erbärmliches Leben für Rosy! Wir bekamen natürlich dann und wann Verdruss. Rosy war zu schön, zu reizvoll, um in den Spielhallen nicht belästigt zu werden – obwohl dort natürlich Rausschmeißer und Hauspolizisten die Angestellten schützten. Ich selbst bekam noch mehr Verdruss, denn ich war nun mal schon rein äußerlich ein Bursche, der auf andere Männer herausfordernd wirkte. Es gab in jedem Corral einen Bullen und in jedem Revier einen Wolf, die einen Neuen ausprobieren mussten. Es juckte sie ganz einfach danach. Darum hatte ich dann und wann meine Probleme. Nicht alle endeten mit Kämpfen. Zumeist kniffen die anderen, wenn sie erst merkten, dass ich nicht kneifen würde. Aber zuletzt war ich es doch immer wieder, der fortlief.
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Es kam auch vor, dass Wild Bills vor mich traten und mich fragten: »He, sind Sie nicht Gun-Finley?« Zweimal schon musste ich so einen wilden Jungen zusammenschlagen, um einen Revolverkampf zu vermeiden. Was juckte diese eitlen, ruhmsüchtigen Narren nur? Oh, ich wusste es und konnte es trotzdem nicht verstehen. So gerne wäre ich ein unbekannter junger Mann gewesen. Manchmal dachte ich in diesen Wochen und Monaten an meinen Vater. Der war von seinem Platz, den er sich in Nebraska ausgesucht hatte, nicht fortgegangen. Er war geblieben, obwohl ein großer Bulle wie Nelson Miles ihn bedrängte. Er war geblieben. Jetzt begriff ich endlich, warum er blieb. Irgendwann und irgendwo musste jeder Mann bleiben. Jeder! Auch ich! Ich wusste noch nicht, wie bald auch für mich dieser Zeitpunkt kommen würde. Wir hatten das Pecos-Land verlassen und fuhren am Rio Grande entlang, klapperten all die kleinen Städte und Orte dort ab. Bei einer Pferdewechselstation stiegen wir aus, um uns die Beine zu vertreten. Auf der anderen Seite war ein kleiner Hügel, auf dem eine Missionskirche stand. Ein kleines Dorf - das gewiss
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schon von den Spaniern gegründet worden war, als sie einst kamen, um hier die Indios zu bekehren – lag rund um die Missionskirche. Eine Glocke läutete. Rosy stand still da, blickte hinüber und lauschte. Dann wandte sie sich mir zu und sagte: »Wir werden hinübergehen, damit man uns richtig traut. Ich will jetzt deinen Namen haben, Patrick Finley. Ich will jetzt vor Gott und den Menschen richtig Rosy Finley heißen, denn wir werden ein Kind bekommen.« Ich starrte sie sprachlos an, und ich wollte es nicht glauben. Einen Moment war Panik in mir. Einen Sekundenbruchteil hatte ich das Gefühl, fortlaufen zu müssen. Rosy wartete ruhig. Ihre großen Augen schauten mich unverwandt an. Ich begriff, dass sie kein Wort mehr sagen würde, wenn ich ihre Bitte nicht erfüllen sollte. Plötzlich spürte ich wieder ganz stark, wie sehr ich sie liebte. Ich trat zu ihr und umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen. Sie stand immer noch still und sah mich nur an. Als ich sie küsste, sah ich Tränen in ihren Augen. »Ich nehme unser Gepäck aus der Kutsche«, sagte ich. »Und dann gehen wir zu den Padres, die dort drüben die Glocke läuten.« Wir blieben eine volle Woche in dem Dorf und wohnten in einer kleinen Adobehütte.
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Wir hatten ein Stück Pergament, auf dem unsere Eheschließung richtig beurkundet worden war. Und wir wurden in das Kirchenbuch der Mission eingetragen. Ja, wir hatten endlich geheiratet. Nach einer Woche nahmen wir die Postkutsche nach Riverbend. In gut vier Monaten würden wir ein Kind haben. Es war Zeit, sesshaft zu werden und sich den Dingen zu stellen. Ich konnte nicht ahnen, was mich in Riverbend erwartete. Wir kamen am Nachmittag in die kleine Stadt an der Flussbiegung. Eine Fähre stellte die Verbindung nach Mexiko her. Riverbend hatte vor wenigen Jahren noch einen spanischen Namen gehabt. Mehr als die Hälfte der Stadt war spanischen Ursprungs. Doch dann waren die Bürger anglo-amerikanischer Abstammung in die Überzahl gekommen und hatten sich einen neuen Stadtteil errichtet. Der Wagenverkehr nach Mexiko ging hier über den Fluss. Und die Stadt wurde Riverbend genannt. Die Stadt war wie ausgestorben. Als die Kutsche hielt, sagte der Postagent, der uns am Gehsteigrand erwartete: »Steigen Sie schnell aus und kommen Sie ins Office. Dort draußen auf der Straße gibt es nämlich gleich einen Revolverkampf. Kommt schnell, Leute!«
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Wir beeilten uns, und die Kutsche fuhr schon weiter und verschwand durch die Einfahrt in den Wagenhof. Denn hier war die Postlinie zu Ende. Ich brachte Rosy und das Gepäck ins Haus und trat wieder hinaus auf den Gehsteig. Der Postagent stand hier mit zwei anderen Männern, die mit uns in der Kutsche gekommen waren. »José Pizarro kommt mit der Fähre herüber, um Ben Finley zu töten«, sagte der Postagent. Ich glaubte, mich verhört zu haben, und fragte deshalb: »Sagten Sie eben Ben Finley, Mister?« Er blickte mich an und nickte. »Sicher, den Deputy Sheriff von Riverbend«, sagte er. »Den meine ich. Es gibt nur einen Ben Finley in dieser Stadt. Sie sind fremd hier. Kennen Sie ihn?« »Vielleicht«, antwortete ich. »Aber wahrscheinlich handelt es sich nur um eine Namensähnlichkeit. Es gibt sicherlich eine Menge Ben Finleys oder Fynles. Der, den ich kenne, wäre bestimmt nicht Deputy Sheriff.« Der Mann betrachtete mich nachdenklich von der Seite. »Er sieht Ihnen ähnlich«, sagte er dann. »Und er hat sogar die gleiche Art von Narben im Gesicht wie Sie – die gleichen Augen und … Wenn Sie, Mister, zufällig auch Finley heißen sollten, dann würde ich sagen, dass er Ihr Bruder sein könnte.« Es traf mich wie ein Messerstich. Ich erschrak sehr. Sollte dieser Ben Finley wirklich mein Bruder sein?
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Ich wollte schon losgehen. Aber dann hielt ich mich doch noch zurück. Ich bekam mich unter Kontrolle und fragte den Postagenten: »Mister, könnten Sie mir etwas mehr über das erzählen, was hier im Gange ist?« Der Postagent und die beiden anderen Männer sahen mich nochmals an, diesmal noch schärfer und aufmerksamer. »Das ist einfach zu erklären«, erwiderte der Postagent dann. »José Pizarro ist dort drüben ein mächtiger Bandit. Manchmal, wenn er wieder mal an einer Revolution teilnimmt, ist er sogar General und führt dann eine Armee. Er ist sehr mächtig dort drüben. Sogar die jeweiligen Gouverneure tolerieren ihn mehr oder weniger. Und dieser José Pizarro besaß einen jüngeren Bruder. Der kam eines Tages her, um etwas Spaß zu haben. Er legte sich mit unserem Stadtmarshal an und erschoss ihn. Und weil der hier stationierte Deputy Sheriff verpflichtet war, dem Stadtmarshal Hilfe zu leisten, nahm er sich diesen Juan Pizarro vor. Er wollte ihn verhaften. Doch es kam noch einmal zu einem Revolverkampf, den aber diesmal Juan Pizarro verlor. Er war schnell tot. Und als sein großer Bruder drüben in Mexiko das hörte, stellte er die Stadt vor die Wahl. Er ließ uns sagen, dass er herüberkommen und mit unserem Deputy kämpfen würde. Er würde von unserem Deputy wie ein Hidalgo Genugtuung fordern für den Tod seines Bruders. Bekäme er diese Genugtuung, so bliebe die Sache eine
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Angelegenheit zwischen ihm und unserem Deputy. Aber wenn die Stadt dem Mörder seines Bruders helfen würde, müsste er mit zweihundert seiner Muchachos herüberkommen. Dann würden sie hier alles klein machen und unsere Frauen und Mädchen mit nach Mexiko nehmen. Er hat das Ultimatum so kurzfristig gesetzt, dass es für uns hier unmöglich war, die Armee um Hilfe zu bitten. Sie käme zu spät. Wir könnten diese Stadt natürlich eine Weile verteidigen. Doch es gäbe Verluste. Der Deputy Ben Finley nahm von sich aus die Herausforderung an, um ein großes Blutvergießen mit Toten und …« Ich hörte nicht mehr weiter zu. Denn nun sah ich meinen Bruder Ben. Er trat auf der anderen Seite der Straße – ein Stück weiter in Richtung Fluss – aus einem Haus. Es war das Town-Gefängnis, in dem sich das Marshal’s und Sheriff’s Office befanden. Es war ja fast in jeder Stadt so, dass Marshal und Sheriff als Gesetzesvertreter zusammenarbeiteten und sich gegenseitig halfen. Zumeist standen ihre Schreibtische sogar im selben Raum. Ich sah also meinen Bruder Ben, der nur ein Jahr älter war als ich. Und ich erkannte ihn sofort, obwohl Ben natürlich ebenfalls männlicher geworden war und ganz und gar nicht mehr wie ein hagerer, großer Junge wirkte.
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Ben sah auch älter aus als er an Jahren war. Er wirkte nicht so, als wäre er für den Stern, den er an der Weste trug, zu jung. Ruhig war er aus dem Office getreten, ein Mann, der wie ein Cowboy gekleidet war, jedenfalls wie ein Reiter. Auch er trug einen Bart wie ich. Er sah nun zu uns herüber. Es war zuerst nur ein forschender Rundblick. Doch dann kehrte sein Blick zurück. Ich wusste, dass er mich erkannt hatte wie ich ihn. Doch für ihn war es gewiss schwerer gewesen. Er wusste ja nichts von meiner Anwesenheit. Auch hatte ich mich mehr verändert als er. Denn damals, als er uns verließ, da war ich fast noch ein Junge gewesen. Aber er hatte mich erkannt und kam mir einige Schritte entgegen. Als wir voreinander verhielten und uns ansahen, da wussten wir zuerst nicht, was wir sagen sollten. Dann grinste Ben etwas traurig und wie verloren. »Du bist also auch von daheim fortgelaufen, Kleiner«, sagte er. »Es tut gut, dich zu sehen. Du siehst wie ein Mann aus. Wir alle sehen unserem Vater sehr ähnlich.« Ich schluckte nur und nickte. »He, warum willst du für diese Stadt kämpfen? Darauf läuft es doch wohl hinaus – oder? Warum willst du mit diesem mexikanischen Banditen kämpfen? Lass es doch diese Stadt tun! Sie muss für dich kämpfen, weil du an die
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Stelle ihres Marshals getreten bist. Die Bürger müssen dir jetzt beistehen und …« Ich verstummte, denn irgendwie begriff ich endlich, dass ich Unsinn redete. Ben lächelte wieder traurig. »Ach«, sagte er, »diese Leute haben ein Recht darauf, dass ich ihnen den Ärger vom Leib halte. Ich trage den Stern und habe geschworen, die Guten vor den Bösen zu schützen, denn darauf kommt es letztlich doch wohl an.« »Aber …«, begann ich. Doch er hob abwehrend die Hand. Er lächelte auf eine schon fast weise wirkende Art. »Weißt du«, sagte er, »ich bin auf meinen Wegen schon ein paar Mal fortgelaufen, zu Anfang damals von daheim. Aber es war falsch. Unser Vater wusste schon, warum er vor diesem Nelson Miles nicht weglief. Es gibt für uns Finleys immer einen Nelson Miles. Hier heißt er für mich José Pizarro. Und wenn ich noch Mal fortlaufe, wird es irgendwo einen anderen Mann geben. Es wiederholt sich alles.« Er wandte den Kopf und blickte die Straße hinunter zum Fluss. Dort legte jetzt die Fähre aus Mexiko an. Es waren etwa hundert Mann auf dieser Fähre. Überdies kamen noch viele Boote herüber. Auch sie waren gefüllt mit Männern. Der Rio Grande war hier nicht tief, dafür meilenbreit und schlammig.
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Ich wusste, dass dort mit der Fähre und mit den Booten an die zweihundert mexikanische Banditen kamen. Es gab dort drüben große Banden. Sie beherrschten und kontrollierten weite Landstriche mit vielen Ortschaften. Immer wieder gab es da und dort Revolutionen, und dann bezeichneten sich diese Banditen als Soldaten. Mein Bruder Ben sagte: »Wenn ich nicht mit ihm kämpfe, wie er es will, kommen sie an Land und greifen die Stadt an. Ich kann diesmal nicht fortlaufen. Und es war falsch, es von unserem Vater zu verlangen. Es war falsch, Vater zu verlassen. Ein Mann, der drei Söhne hat und nicht will, dass diese Söhne immer wieder vor jeder Schwierigkeit davonlaufen, darf es selbst am wenigsten tun. Leb wohl, Bruder! Vielleicht sehen wir uns später.« »Ich bin mit meiner Frau hier«, sagte ich. »Und wir werden bald ein Kind haben.« Ich wusste nicht, warum ich gerade diese Worte sagte. Ben sah mich noch einmal an. »Wie schön für dich«, erwiderte er. »Dann wirst du ja gewiss bald sesshaft werden. Doch irgendwann wirst auch du entscheiden müssen, ob du standhalten oder fortlaufen #seifet. Die Entscheidung bleibt wohl keinem Mann erspart. Grüße Mom, wenn ich …« Er ging. Und er machte eine Handbewegung, als wollte er mich fortscheuchen. Ich begriff, dass ich ihm nicht folgen sollte. Ich zögerte einige Atemzüge lang.
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Zuerst dachte ich an Rosy und das Kind. Doch dann begriff ich, dass ich meinen Bruder nicht so allein gehen lassen konnte. Ich sah mich schnell um. Überall waren jetzt Männer in den Fenstern der oberen Stockwerke oder auf den Hausdächern. Es waren bewaffnete Männer. Ich begriff, dass die Bürger dieser Stadt natürlich kämpfen würden, wenn die wilde Horde angreifen sollte. Aber sie warteten jetzt erst einmal ab. Ich wollte Ben folgen. Da trat ein Mann aus der Sattlerei. Es war der Sattler selbst, wie ich an der Arbeitskleidung erkannte. Er trug eine Schrotflinte unter dem Arm und sagte ruhig: »Sie sehen ihm ähnlich – sind Sie sein Bruder?« Ich nickte. »Dann bleiben Sie zurück«, befahl er. »Kaufen Sie sich nur nicht ein in diesen Kampf. Wir haben mehr als fünfzig Gewehrschützen verteilt. Man würde Sie umlegen, wenn Sie sich einmischten. Der Sheriff will ein Blutvergießen verhindern und stellt sich José Pizarro zum Zweikampf. Das ist gut! Das ist richtig und sehr verantwortungsbewusst. Sie werden dieser Stadt die Chance, davonkommen zu können, nicht vermasseln.« Ich sah ihn an. Und ich musste schlucken. Dann sah ich an meinem Bruder vorbei zum Fluss. Dort hatten die Fähre und viele der Boote angelegt.
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Nur ein einziger Mann war vorerst an Land gekommen. Es musste dieser José Pizarro sein, der sich einbildete, auf diese Art wie ein edler Hidalgo im Zweikampf den Tod seines Bruders rächen zu können. Mein Bruder Ben ging ruhig weiter, immer weiter auf den Mann zu, der sich ihm ebenfalls näherte. Ich sah mich um. Außer dem Mann, der aus dem Eingang seiner Sattlerei getreten war, standen da und dort noch andere Bürger der Stadt. »Wenn Sie sich einmischen«, knurrte der Sattler, »legt Sie jemand um.« Ich schluckte und nickte. »Mein Bruder will auch nicht, dass ich mich einmische«, sagte ich. »Aber es ist etwas falsch. Euer Marshal musste einen verrückten Revolverhelden töten. Und der Deputy Sheriff wollte …« »Das ist jetzt unwichtig«, unterbrach mich der Mann. »Wichtig ist, dass Pizarro die Sache als eine Privatfehde betrachtet und nur einen Zweikampf mit dem Mann will, von dessen Kugel sein Bruder getötet wurde. Nur das allein ist wichtig und soll so bleiben. Denn sonst – oha, was wäre dies sonst für eine arme Stadt! Diese Banditen sind es gewöhnt, Städte einzunehmen und auszuplündern. Die haben während der Revolutionen dort drüben in Mexiko Städte wie diese zu Dutzenden erobert.«
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Ich sagte nichts mehr. Und es gab ja auch nichts mehr zu sagen. Mein Bruder Ben wusste besser als ich, was richtig war. Eines war mir allerdings klar: Ben wollte nicht mehr weglaufen. Er war von daheim fortgelaufen, um außerhalb von Nelson Miles’ Schatten ein Mann zu werden. Und dann musste er noch ein paar Mal fortlaufen. Jetzt aber wollte er nicht mehr. Ich sah, wie er stehen blieb. Er und dieser Pizarro waren sich nun für ein Revolverduell nahe genug. Es ging dann sehr schnell. Man konnte erkennen, dass sie noch ein paar Worte wechselten. Und sie machten auch entsprechende Handbewegungen. Aber dann sah ich, dass Ben zuerst zog. Ja, dieser mexikanische Bandit hatte ihm sogar noch die Gunst gewährt, zuerst ziehen zu können. Zumindest einen winzigen Sekundenbruchteil war Ben dadurch im Vorteil. Aber dann war dieser José Pizarro doch schneller. Ben taumelte zur Seite und schoss schräg in die Luft. Dann fiel er. José Pizarro wartete mit dem rauchenden Colt in der Hand.
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Auf der Fähre, die auch achtspännige Frachtwagen befördern konnte, warteten mehr als hundert Banditen. Sie waren gut bewaffnet, trugen große Hüte und hatten die Patronengurte kreuzweise über der Brust. Es war eine langhaarige, bärtige Bande. Sie verharrten am Ufer. Ihre Freunde und Kumpane in den Booten und Kähnen warteten. Jetzt kam es darauf an, ob ihr Anführer den Befehl zum Angriff auf diese kleine Stadt geben würde oder ob er sein Versprechen hielt. Ich setzte mich in Bewegung, denn ich wollte zu meinem Bruder. Da tönte hinter mir Rosys Ruf. Ich blieb stehen und blickte über die Schulter. Sie war vor dem Hotel der Postlinie auf die Straße getreten, und sie hatte nur meinen Namen gerufen – sonst nichts. Ich wusste, dass sie mich daran erinnern wollte, wie wichtig es war, am Leben zu bleiben. Ich konnte meinen Bruder nicht mehr lebendig machen. Aber ich konnte verdammt schnell so tot sein wie er. Vielleicht hatte es diese Stadt dann auch noch auszubaden. Ich winkte Rosy zu. Und dann ging – nein, lief ich zu Ben. Er lag am Boden und öffnete noch einmal seine Augen.
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»Vater sagte, dass einer von uns wiederkommen würde«, murmelte er. »Ich kann es nicht mehr. Aber ich würde es gerne tun, könnte ich es nur noch …« Dann starb er. Ich erhob mich und blickte zu diesem José Pizarro hin. Er war etwa sieben Schritte von mir entfernt, und er strömte die Gefährlichkeit eines Tigers aus. Er war wenigstens zehn Jahre älter als ich, und mein Instinkt sagte mir, dass ich gegen ihn nicht mehr Chancen haben würde als ein junger Wolf gegen einen erfahrenen Berglöwen. Sein Englisch war fast ohne spanischen Akzent, als er fragte: »Bist du sein Bruder?« Ich nickte. »Er tötete meinen Bruder«, sagte er. »Ich musste Genugtuung von ihm fordern. Und ich ließ ihn zuerst ziehen.« »Ich sah es«, murmelte ich. »Willst du von mir Genugtuung?«, fragte er. Es war fast ein feierlicher Ernst in seiner Stimme. Seine dunklen Augen brannten. Ich zögerte, und ich dachte an Rosy und das Kind, das wir bekommen würden. Ich dachte auch an meinen Vater, der eine Frau und drei Söhne hatte und dennoch nicht vor Miles kniff. Sollte auch ich kämpfen?
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Aber warum? Ich konnte Ben nicht lebendig machen, sondern ich konnte ihn nur rächen. Viel wahrscheinlicher war jedoch, dass ich starb. Denn so schnell ich auch war mit dem Colt – und mochten sie mich auch Gun-Finley nennen –, so schnell wie dieser José Pizarro war ich nicht. Und was brachte dieser Kampf dann für einen Nutzen? Ich schüttelte also den Kopf, aber ich sah Pizarro in die Augen. Dabei dachte ich: Ob er ein Abkömmling jenes Francisco Pizarro ist, der damals im sechzehnten Jahrhundert für die Krone Spaniens Ecuador und Peru eroberte? Komisch, was einem so für Gedanken durch den Kopf schießen konnten. »Nein«, sagte ich. »Ich würde nur dann mit dir kämpfen, Pizarro, wenn ich dadurch meinen Bruder wieder lebendig machen könnte.« Er grinste breit. Er trug einen Knebelbart wie die spanischen Dons. Seine weißen Zahnreihen blinkten. »Du fürchtest dich«, sagte er. »Was ist das für eine Sippe, zu der du gehörst? Ein Bruder muss doch für den Tod eines Bruders Genugtuung fordern. Hast du keine Ehre, Hombre?« Ich erschrak tief in meinem Inneren, als ich begriff, dass er einen Kampf haben wollte. Er wollte mich nicht davonkommen lassen. Vielleicht glaubte er, dass ich Ben
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eines Tages irgendwie mit einer Kugel aus dem Hinterhalt zu rächen versuchen würde. Dieser José Pizarro ließ nicht den Bruder eines getöteten Gegners einfach davonziehen. Nein! Das wurde mir klar. Einen Moment verkrampfte sich in mir alles vor Angst. Aber ich gab mir Mühe, diese Angst verborgen zu halten und sie nicht bis in meine Augen kommen zu lassen. Ich starrte Pizarro immer noch an, und ich wusste, wie hart meine Augen dann sein konnten. »Denke, was du willst, Pizarro«, sagte ich. »Aber ich will keinen Kampf. Er wäre so sinn- und nutzlos.« Dann kniete ich bei meinem Bruder nieder und schob meine Arme durch den Staub der Fahrbahn und unter seinem Körper hindurch. Ich wollte Ben auf die Arme nehmen und mich dann mit ihm erheben. Aber Pizarro befahl: »Steh auf und kämpfe!« Dann wandte er den Kopf und rief zum Fluss hinunter in spanischer Sprache: »Muchachos, dies ist ein Bruder von ihm! Wir werden kämpfen! Und wenn ich verliere, dann geht zurück nach Mexiko. Lasst diese Stadt zufrieden, wenn ich verliere!« Er sah mich wieder an. »Hast du es verstanden?«, fragte er mich. »Dem Sinn nach, ja.« Ich nickte, während ich mich erhob. Ich stand bei meinem toten Bruder, und meine Fußspitzen berührten seinen Körper.
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Ich sah diesen mexikanischen Banditenführer an und dachte: Du lieber Vater im Himmel, was ist das für eine Welt? Warum eigentlich sind wir Finley-Jungens von daheim weggelaufen? Nur weil es dort einen Nelson Miles gibt? Warum wollten wir … Ich dachte nicht weiter nach. Denn ich musste kämpfen. Ich sah in die funkelnden Augen des Banditen und wusste, dass es keinen Ausweg gab. Ich machte nicht Bens Fehler. Ich zog nicht zuerst. Denn ich wusste zu gut, dass ich ihn nicht schlagen konnte. Ich starrte ihn nur an und grinste. »Nun gut, Hombre«, sagte ich. »Dann wirst du bald meine Kugel im Bauch haben!« Da zog er. Meine Worte – oder meine Stimme – oder etwas in meinen Augen – oder alles zusammen brachten ihn dazu. Ich zog langsamer als sonst. Aber ich duckte mich. Und ich starrte auf seinen Colt. Als er abdrückte, zuckte ich zur Seite. Ich landete im Staub, rollte zur Seite – und ich war schneller als seine Schüsse. Er verfehlte mich noch zwei weitere Male. Der Wind trieb den aufgewirbelten Staub gegen ihn. Ich sah ihn nur noch schattenhaft und schnellte auf.
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Diesmal traf er mich – aber nicht richtig. Ich traf ihn besser mit einem einzigen Schuss. Dann stürzte ich in den Staub. Quer über meinen toten Bruder fiel ich.
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Verdammt noch mal, das kannte ich schon, dieses Erwachen aus dunklen Tiefen, und man musste sich hochkämpfen zu Luft und Licht – wie ein Taucher aus der grundlosen Tiefe eines Sees. Und dann war da auch wieder der böse, erbarmungslose Schmerz. Ja, verdammt noch mal, das kannte ich. Schon damals kümmerte sich Rosy um mich. Jetzt war es wieder so. Ich sah ihr Gesicht über mir – ein ernstes Gesicht mit mitleidigen Augen. »Verzeih mir«, flüsterte ich. »Ich wollte nicht kämpfen – ich wollte es wahrhaftig nicht.« Sie nickte. »Du sprachst schon im Fieber davon – immer wieder«, sagte sie. »Nein, du wolltest nicht kämpfen. Aber du konntest auch nicht fortlaufen. Trink den Tee, Lieber. Du musst gesund werden.« Ja, das musste ich. Denn nachdem ich den Tee geschluckt hatte, dachte ich an Zuni Mesa. Dort hatten zuletzt jene Ruhmsüchtigen und auch die Menschenjäger gewartet. Dort hatte ich wie ein Wolf meine Wunden heilen lassen – und draußen
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wartete die Meute auf mich. Und sie hatte sogar schon ausgelost, wer von ihnen zuerst mit mir kämpfen würde. Das alles konnte sich hier wiederholen. Ich fürchtete mich davor. Deshalb musste ich schnell gesund werden – sehr schnell. Die Kugel hatte meine rechte Schulter glatt durchschlagen. Es war keine böse Wunde, zumal sich sofort der Doc um mich gekümmert hatte. Ich erfuhr erst jetzt, dass ich noch eine zweite Wunde abbekommen hatte. Es war ein Streifschuss über dem linken Ohr. Und der hatte mich erst mit »Verspätung« bewusstlos gemacht – wie ein Keulenhieb. Das war typisch für mich. Ich hatte erst gekämpft und war dann – als ich es mir erlauben konnte - von einem Streifschuss umgekippt, der jeden normalen Mann auf der Stelle hingeworfen hätte. Aber das war es wohl, was einen Revolvermann von einem anderen Mann unterschied. Sein Wille war völlig darauf ausgerichtet, den Kampf zu überstehen und den Gegner zu besiegen. Dieser Wille beherrschte ihn so sehr, dass sich alles andere unterordnete. Ich hatte einmal von einem berühmten Piratenkapitän gelesen, den man mitsamt seiner Mannschaft gefangen nehmen konnte. Bevor man ihm den Kopf abschlug, bat er um das Leben seiner Männer. Er machte den Vorschlag, dass man alle jene begnadigen möge, an denen
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er noch kopflos vorbeigehen könnte. Seine Richter gingen darauf ein. Und dann ging der geköpfte Piratenkapitän noch an einer ganzen Anzahl seiner Männer vorbei und bewirkte so ihre Begnadigung. Nun, ich hatte das irgendwo gelesen, und ich wusste nicht, ob es nur ein Märchen oder die Wahrheit war. Doch ich konnte mir jetzt besser vorstellen, dass der Wille eines Mannes den Körper auch dann noch zum Handeln zwingt, wenn er schon längst am Boden liegen müsste. Rosy küsste mich und sagte: »Ich bin so froh, dass du gesund werden wirst. Oh, Patrick, ich bin so froh.« Sie fütterte mich mit ein wenig Fleischsuppe. Dann schlief ich wieder ein. In den nächsten Tagen fand ich heraus, dass sich im Leben manches wiederholt. Ich wurde schnell gesund – zum Glück! Noch bevor ich ganz in Ordnung war, verließen wir Riverbend. Die Menschen dieser Stadt waren uns eigentlich freundlich gesinnt. Denn ich hatte ja José Pizarro getötet, und Pizarros Banditen waren tatsächlich nicht an Land gekommen, um die Stadt anzugreifen. Sie hatten den Willen ihres Anführers respektiert. Nur zwei von ihnen hatten ihn geholt. Dann waren sie wieder hinüber nach Mexiko zurück.
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Ich aber – ich, Patrick Finley – war nun im ganzen Südwesten eine legendäre Gestalt, so jung ich auch sein mochte. Ich hatte einen der gefährlichsten Banditenführer der Grenze niedergekämpft. Es war höchste Zeit für mich, mit meiner Frau zu verschwinden, sonst würde ich bald wieder Mühe haben, mir die ehrgeizigen und ruhmsüchtigen Wild Bills vom Leib zu halten. Meinen Eltern hatte ich einen Brief geschrieben. Oh, ich hatte lange gezögert. Aber ich musste ihnen wohl schreiben, wie und warum ihr Sohn Ben gestorben war. Ich schilderte alles genau, sodass sie wenigstens erfuhren, dass er einer kleinen Stadt eine Menge Not und Unglück vom Leib gehalten hatte. Ich schrieb ihnen auch, dass ich verheiratet sei und dass sie bald einen Enkel bekommen würden. Als Anschrift gab ich an: Familie George Finley, Nebraska, Elkhorn County über Norfolk, Finleys Lake. Denn ich hoffte für meine Eltern, dass dort an jenem See, den mein Vater geschaffen hatte, eine Stadt oder zumindest eine größere Siedlung entstanden war, die nach dem See benannt wurde. Finleys Lake! So hatte auch Samuel Wells, der sich der Hilfe meines Vaters versichert hatte, seinen Handelsstore und sein Depot genannt. Finleys Lake! Ich spürte manchmal Sehnsucht nach daheim.
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Ja, es war meine Heimat geworden. Denn meine Eltern lebten dort. Wir drei Jungens hatten sie verlassen. Mom war dort. Und Vater hielt gegen Nelson Miles stand. Das war etwas, was ich erst jetzt zu verstehen begann. Wir hatten uns nach Nordosten gewandt. Wir wollten in zivilisiertere und bewohntere Gegenden. Das Endziel war eigentlich der Mississippi. Dort irgendwo in Arkansas konnte ich vielleicht eine kleine Farm kaufen. Ich musste Rosy endlich einen festen Platz bieten. Sie konnte nicht auch noch die letzten Wochen, bevor das Baby kam, mit mir herumreisen. Wir reisten nicht schnell, sondern legten immer wieder in kleineren Städten Pausen ein, blieben zwei oder drei Tage. Rosy konnte nicht mehr so lange in den rüttelnden, schüttelnden Kutschen fahren. Wir reisten von Riverbend nach Austin und von dort weiter nach Waco am Brazos River. Waco war damals kaum mehr als eine Siedlung, und es war auch ein böses Nest. Hier in Texas – und besonders im Brazos-Land – war der Maverickkrieg zwischen Maverickjägern und Ranchern so richtig voll im Gange. Und es gab natürlich auch noch eine Menge indianischer Viehdiebe, die aus dem OklahomaTerritorium kamen. Texas war damals – so wenige Jahre nach dem Krieg – noch wild und gewalttätig. Jede Partei suchte ihr vermeintliches Recht mit dem Colt in der Hand. Es gab
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auch noch Tausende von ehemaligen Soldaten, die nach einer Chance suchten und sich auch dann und wann mal als Banditen betätigten, wenn ihnen die Maverickjagd zu mühsam war. Bisher waren wir auf unseren vielen Reisen mit Postkutschen noch niemals von Banditen angehalten und ausgeraubt worden. Aber dann passierte es doch. Wir hatten zwei Tage in der kleinen Stadt Fair Ground gerastet und waren dann mit der Mittagspost etwa elf Meilen gefahren, als wir angehalten wurden. Die Banditen verstanden ihr Geschäft, es war ein richtiger Überfall. Zwei Mann blockierten mit ihren Pferden und schussbereiten Revolvern die Straße, und einer lag auf einem großen Felsen und ließ ein schweres Büffelgewehr krachen, das eines der beiden Führungspferde fällte, als wäre es vom Blitz getroffen worden. Wir mussten halten. »Wollt ihr ausprobieren, ob die Kugeln durch euren Kasten gehen?«, rief eine scharfe Stimme. Das wollte niemand. Denn in diesem Land wusste jeder, was eine richtige Sharps-Büchse war, die man mit Messingpatronen Kaliber 45-120-550 lud und mit der man noch auf zweihundertfünfzig Yards einen Büffel abschießen konnte. Mit diesem Ding konnte man die Kutsche durchlöchern und alles, was in der Kutsche war, natürlich mit.
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Wir waren sieben Fahrgäste. Drei davon waren Frauen. Der Fahrer und dessen Begleitmann fluchten. Einer der männlichen Fahrgäste erwies sich als ein Steuereintreiber der Regierung. Seine Geldkiste hatten Fahrer und Begleitmann oben unter ihrem Sitz. Die Banditen warfen sie hinunter, nachdem sie uns hatten aus der Kutsche steigen lassen. Es dauerte nicht lange, da hatte einer der Kerle das Vorhängeschloss abgeschossen. Als er den Kasten öffnete, sahen auch wir Fahrgäste, dass er ganz gut gefüllt war. Natürlich waren die Banditen maskiert. Aber es gab so viele Anhaltspunkte, dass ich sie selbst dann wiedererkennen würde, wenn sie ihre Kleidung wechselten. Ihre Hände, die Art, sich zu bewegen, wie sie die Füße setzten – und vielleicht auch ihre Sporen und sogar ihre Stiefel, die Waffengürtel und Revolverholster – das alles waren Zeichen genug für mich. Selbstverständlich hatten uns die Burschen längst unsere Waffen abgenommen und sie einfach zwischen die Büsche des Hohlweges geworfen. Sie begannen nun, uns zu durchsuchen. Und damit hörte der Spaß völlig auf. Zuerst glaubten wir, sie wären nur hinter den Steuergeldern her. Aber nun erwiesen sie sich als hartgesottene Fledderer, die alles mitnahmen und keinen Dollar verschmähten.
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Auch meinen Geldgürtel holte sich einer. Er hatte sich sein Halstuch bis unter die Augen gebunden. Es waren helle, harte Augen, die ich wiedererkennen würde. Einen Moment starrte er mich an. »Das passt dir wohl nicht, Narbengesicht?«, fragte er. »Würde dir das an meiner Stelle passen?«, fragte ich zurück, und ich gab meiner Stimme einen völlig ruhigen und unpersönlichen Tonfall. Ich sah, wie sich der Mund unter dem Tuch zu einem Grinsen verzerrte. Er wandte sich dem nächsten Opfer zu. In mir kochte heißer Zorn, und ich war ziemlich verzweifelt. In meinem Geldgürtel steckten mehr als tausend Dollar. Sie waren dafür bestimmt, für Rosy und mich eine Existenz zu gründen. Ich wollte Rosy und dem Kind ein Heim schaffen, einen festen Platz. Und jetzt nahmen uns ein paar Banditen diese Chance. Selbst die paar Dollars aus der Tasche, die ich dort in einem Lederbeutel stecken hatte, waren weg. Was sollte ich tun? Ach, es gab keine Chance für mich, gar keine. Ich musste mich ausplündern lassen. Alle mussten wir das. Sie durchsuchten sogar unser Gepäck und holten noch siebenundfünfzig Dollar aus Rosys Handtasche. Natürlich nahmen sie auch den anderen Fahrgästen Geld ab, doch ich achtete nicht darauf. Ich war zu sehr
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damit beschäftigt, nach einer Chance Ausschau zu halten und alles zu beobachten. Aber es gab keine Chance. Der Mann auf dem Felsen beherrschte mit seinem Büffelgewehr die Situation völlig. Wenn einer von uns etwas wagen sollte, würde das Gewehr krachen. Die Banditen saßen dann ruhig und gelassen auf und ritten davon. Als sie weit genug entfernt waren, verschwand auch der Gewehrschütze vom Felsen. Er hatte sicherlich dort sein Pferd stehen gehabt und brauchte nur in den Sattel zu springen. Wir standen da wie geschorene Hammel. In mir war eine tiefe, bittere Resignation. In der nächsten Stadt würde ich für Rosy und mich nicht einmal ein Hotelzimmer bezahlen können. Die Postlinie leistete keinen Schadenersatz. Das gehörte zu den Bedingungen, denen sich jeder Fahrgast zu unterwerfen hatte. Man musste unterwegs selbst auf sich achten und sein Eigentum schützen. Wahrscheinlich übernahmen die Versicherungen hier in diesem Teil von Texas keine Garantie mehr. Ich sah den Fahrer an – einen schon grauköpfigen, hageren Burschen, dem eine alte Feldmütze der Rebellenarmee auf dem Hinterkopf saß. »Kann ich ein Pferd haben?«, fragte ich. »Und dann?«, wollte er wissen.
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»Sie haben mein Geld«, erwiderte ich. »Ich kann meiner Frau nicht mal mehr ein Mittagessen kaufen. Was glauben Sie wohl, was ich tun werde?« Da grinste er. »Ich habe Sie von Anfang an für einen harten Burschen gehalten«, knurrte er. »Die Postgesellschaft stellt Sie hiermit als Helfer ein. Sie verdienen einen Dollar pro Tag, den wir Ihrer Frau auszahlen werden. Die nächste Stadt ist siebzehn Meilen weiter. Es ist Brazosboro. Ihre Frau kann dort warten. Und mein Begleitfahrer wird mit Ihnen reiten.« Ich sah den Begleitmann an. Der war älter als ich, aber er war noch keine dreißig. Er schien hartbeinig zu sein und keine Furcht zu kennen. Dass er vorhin nicht gekämpft hatte, bewies nur seine Klugheit. Nur ein Narr hätte an seiner Stelle etwas versucht. Er nickte mir zu. Und ich nickte zurück. Als wir uns zwei Pferde aus dem Sechsergespann ausschirrten, trat der Steuereintreiber hinzu. »Natürlich reite ich mit«, sagte er. »Das ist meine Pflicht als Regierungsbeamter.« Wir starrten ihn an. Er war von den männlichen Fahrgästen tatsächlich der Einzige, dem man einen harten Ritt zutrauen konnte. Er war etwa vierzig und sah wie ein Mann aus, der lange bei der Armee gewesen war. Wir nickten nur. Dann holten wir uns die Waffen aus den Büschen. Der Postbegleitmann sah mich fragend an.
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»Wir haben Zeit«, sagte ich. »Die Banditen beobachten ihre Fährte von einem günstigen Punkt aus. Das müssen wir einkalkulieren. Aber wir bekommen sie. Bestimmt!« Er nickte. »Ich vereidige Sie hiermit als US Deputy Marshals. Es wurden Regierungsgelder gestohlen. Ich bin berechtigt, Gehilfen zu ernennen. Sie sind ernannt und handeln innerhalb des Gesetzes«, sagte der Regierungsbeamte plötzlich. Ich grinste spöttisch, wandte mich dann Rosy zu und nahm sie schweigend in die Arme. Sie küsste mich und weinte nicht einmal. Sie versuchte auch nicht, mich zurückzuhalten. Wir hatten schließlich mehr als elfhundert Dollar verloren, die wir verdammt nötig brauchten. Es war meine Pflicht als zukünftiges Familienoberhaupt, etwas zu unternehmen. Und in diesem Land konnte man sich nur durch eigene Kraft helfen. Ich schwang mich auf den nackten Pferderücken und ritt los. »In Brazosboro also, Patrick!«, rief Rosy mir nach. Ich winkte mit der Hand Zustimmung, denn meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich wusste, dass ich wieder einmal nicht fortlaufen konnte. Ich hätte also ebenso gut daheim bei meinen Eltern bleiben können.
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Denn irgendwann kommt man immer wieder an einen Punkt, wo man nicht fortlaufen oder aufgeben kann. Ich verstand nun meinen Vater. Nun, ich will jetzt nicht weitschweifig erzählen, wie wir die drei Banditen erwischten und was wir alles tun mussten, um sie zu entdecken. Wichtig für meine Geschichte ist nur, dass wir sie im Morgengrauen in ihrem Camp überraschten. Ich hatte schon daheim in Kentucky etwas vom Fährtenlesen verstanden. Wir erschossen einen der Kerle, verwundeten einen anderen und bekamen den Dritten mitsamt dem Geld unverletzt. Es war ein Erfolg, ein großer Erfolg. Und so machten wir uns mit dem Geld und unseren Gefangenen auf den Weg nach Brazosboro. Ich dachte immer an Rosy und fragte mich, wie es ihr wohl gehen mochte. Ihr Zustand war nun schon so weit fortgeschritten, dass sie durch die Aufregung das Kind zu früh bekommen konnte. Ich wusste inzwischen, dass das keine Seltenheit ist und dass auch Siebenund Achtmonatskinder lebensfähig sind. Ich fragte mich auf dem Ritt dauernd, wie Rosy die Aufregung wohl überstanden hatte. Wir brauchten dann den ganzen Tag und die halbe Nacht bis Brazosboro.
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Und ich wusste nicht, was für eine Überraschung dort auf mich wartete. Denn das Schicksal hatte sich für uns Finleys noch etwas ausgedacht.
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Ich fand Rosy im billigsten und miesesten Zimmer des Brazos Hotels. Denn für den einen Dollar, den sie täglich ausgeben konnte, hatte sie nichts Besseres nehmen können. Sie saß halb angekleidet im Bett, und die Lampe brannte, als ich eintrat und den Hut in die Ecke warf. Ich sah sofort, dass es ihr nicht gut ging. Sie hatte was. »Oh, Patrick – meine Gebete wurden erhört. Oh, Patrick, dass du doch noch …« Sie konnte nicht weitersprechen. Ich war vor dem Bett auf die Knie gefallen und wollte Rosy in die Arme nehmen. Doch da erkannte ich, dass sie Schmerzen hatte, Krämpfe oder so etwas. Und da erinnerte ich mich daran, dass die Frauen vor der Geburt eines Kindes Wehen bekamen. »Rosy!«, rief ich aufgeregt. Aber es war schon wieder vorbei, und sie wirkte ganz ruhig. Sie küsste mich sogar und sagte: »Es kommt wohl etwas früher – unser Kind. Doch das schaffen wir schon, nicht wahr? Du bist wieder bei mir. Was kann mir schon passieren? Hol einen Doc oder eine Frau, die was davon versteht.«
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Da sprang ich auf. Ich brachte in den nächsten zwanzig Minuten eine Menge in Gang. Zuerst machte ich den Hotelbesitzer und dessen Frau flink. Wir bekamen das beste Zimmer des Hotels, von dem man einen gesonderten Wohnraum betreten konnte. Während die Frau des Hotelbesitzers schon die nötigen Vorbereitungen traf, war ihr Mann unterwegs, um den Doc zu holen. Ich blieb dann bei Rosy und hielt ihre Hände. Die Wehen wurden immer heftiger und folgten schneller aufeinander. Es wurde höchste Zeit, und ich war froh, als die Frau des Hotelbesitzers mit dem Doc kam. Sie schickten mich hinaus. Es war verdammt hart für mich, so zu warten. Mit Sicherheit hatte ich den leichteren Teil zu tragen. Ich hatte nur Angst um Rosy. Aber Rosy musste das Kind zur Welt bringen. Irgendwann bei Sonnenaufgang schaffte sie es. Und dann hörte ich den Kleinen krähen. Ja, ich wusste sofort, dass es ein Junge sein musste. Und als ich ihn etwas später sehen durfte, staunte ich. Wie so ein kleiner Kerl brüllen konnte! Ich war dann mit Rosy für eine Weile allein.
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Es war alles gut. Ich hatte unser Geld zurückgeholt, und wir brauchten nicht wie Tramps zu leben. Wir konnten uns Unterkunft und alle anderen Dinge leisten. Doch wir hatten immer noch kein Heim, keinen festen Platz. Unser Kind war ein paar Wochen zu früh gekommen. Ich küsste Rosy und sagte ihr, dass es bald anders werden würde mit uns, sobald sie mit dem Kleinen so weit wäre, dass wir reisen könnten. Doch sie antwortete: »Eine Stadt ist so gut wie die andere. Sieh zu, dass wir hier eine kleine Wohnung mieten können, vielleicht ein kleines Haus mit drei Räumen. Das ist billiger als ein Hotelaufenthalt. Und dann sieh dich nach einer Arbeit um. Wir sollten versuchen, eine Weile an einem Ort zu bleiben.« Ich sah ihr an, dass sie sich davor fürchtete, wieder unterwegs zu sein. Sie hatte das ruhelose Leben satt. Ich begriff, wie sehr sie sich jetzt nach einem festen Platz sehnte, nach einem Heim. Natürlich konnte sie in ihrem jetzigen Zustand meine Situation nicht mehr übersehen. Sie begriff im Moment nicht, wie wieder von allen Seiten der Verdruss auf mich zukommen würde, wenn ich nur lange genug an einem Platz blieb. Die Wild Bills würden wieder kommen. Und es würden Freunde, Brüder oder bezahlte Rächer kommen, um Dinge zu bereinigen, die schon weit zurücklagen.
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Ich hatte auch hier wieder gekämpft und war vor ein paar Stunden mit einem verwundeten und einem unverletzten Gefangenen zurückgekommen. Ich hatte das geraubte Geld zurückgebracht, und die Geschichte würde wieder einmal die Runde machen. Ein Bandit war getötet worden. Vielleicht besaß er Brüder oder Freunde, die ihn rächen wollten. Oh, ich ahnte schon, dass es nicht so einfach sein würde, hier auszuhalten. Wenn erst bekannt würde, dass Gun-Finley hier in Brazosboro lebte, würden sich da und dort Männer auf den Weg machen, um sich mit ihm zu messen. Die Frau des Hotelmannes kam herein. »Sie müssen Ihre Frau jetzt schlafen lassen«, sagte sie. »Der Doc hat mir aufgetragen, ihr diese Tropfen zu geben. Sie muss schlafen.« Das glaubte ich ihr. Der Doc hatte mir schon gesagt, dass Rosy viel Kraft verloren hatte. Wahrscheinlich würde sie das Baby gar nicht stillen können. »Ich habe schon eine Amme besorgt«, sagte die grauhaarige Hotelfrau, die Ruhe und Zuverlässigkeit ausströmte. Wir hatten es gut getroffen hier bei ihr. Sie war mehr als nur eine Hotelwirtin. Ich nickte Rosy zu. Sie schloss die Lider, und ich sah endlich, wie erschöpft sie war. Auch der Kleine schlief schon in dem Körbchen, in das man ihn gebettet hatte. Er hatte sich müde gebrüllt.
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Ich ging hinunter, denn ich konnte jetzt natürlich nicht schlafen. Es war längst Tag geworden. Der Hotelmann hatte inzwischen vor seinem Hotel den Plankengehsteig gefegt und kam herein. Er sah mich seltsam an, und er war ein erfahrener Mann, mit den Narben eines ehemaligen Preisboxers im Gesicht. Es waren schlimme Narben, denn man kannte noch keine Boxhandschuhe, sondern kämpfte mit den bloßen Fäusten. Ich hatte ebenfalls solche Narben. Aber mich konnte man nicht für einen Preisboxer halten. Meine Fäuste waren nicht narbig genug. »Als Ihre Frau vorgestern Ihren Namen ins Gästebuch eintrug, da dachte ich an eine zufällige Namensgleichheit. Denn ich wusste ja nicht, wie Sie, Mister Finley, aussahen«, sagte er. »Sie waren ja noch nicht hier, sondern hinter den Banditen her. Aber als ich Sie dann in der vergangenen Nacht sah, da fiel mir gleich die Ähnlichkeit auf. Wissen Sie nicht, dass dort drüben im Saloon ein Mann lebt, der ebenfalls Finley heißt und Ihnen sehr ähnlich sieht? Wissen Sie das nicht? Kamen Sie wirklich nur zufällig nach Brazosboro?« Ich staunte. Was war das wieder für eine Überraschung, für eine Laune des Schicksals? Heiliger Rauch! Damals vor vielen Wochen war ich zufällig in Riverbend auf meinen Bruder Ben gestoßen.
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Sollte ich hier auf Adam gestoßen sein? Gab es einen solchen Zufall überhaupt? Aber wenn Adam hier lebte, dann war es kein Zufall für mich, ihn hier zu finden. Nein! Es gab ein Schicksal. Auch für uns Finleys gab es ein Schicksal. Und im Zusammenhang mit diesem Schicksal vollzog sich alles folgerichtig. Mir fiel sofort auf, wie der Hotelbesitzer sich ausdrückte. Denn er hatte ja gesagt: »Wissen Sie nicht, dass dort drüben im Saloon ein Mann lebt…« Mein Bruder Adam – wenn der Mann dort drüben wirklich mein Bruder Adam war – lebte in einem Saloon. »Das wusste ich nicht. Ich kam mit meiner Frau zufällig nach Brazosboro«, beantwortete ich die beiden Fragen des Hotelmannes. »Da wird sich Ihr Bruder aber freuen«, sagte er. »Denn er ist verdammt allein und wartet dort drüben schon fast eine Woche auf Sinclair Uvalde. Dieser hat ihm eine Frist gesetzt, aus dem Saloon zu verschwinden.« Ich verstand gar nichts und hatte dennoch bereits eine Ahnung. »Vielleicht verraten Sie mir noch etwas mehr«, murmelte ich. Der Hotelmann trat hinter den Anmeldetisch und holte eine Flasche und zwei Gläser hervor. Er goss ein, und als wir tranken, da spürte ich, wie gut mir das Feuerwasser tat.
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Ich hatte ja schon zwei Nächte nicht geschlafen, war immer nur geritten, hatte gekämpft und zuletzt auf meinen Sohn gewartet. Ich war ganz hübsch durcheinander. Was ich soeben gehört hatte, verwirrte mich vollends. Und das Feuerwasser tat mir deshalb wirklich gut. »Der Saloon gehört Dolores Conchos«, sagte der Hotelmann. »Und diese Dolores hat nicht nur Haare auf den Zähnen, sondern ist schön wie die Göttin der Sünde. Sie lässt sich stets von einem besonders großen Tiger beschützen, damit ihr Saloon so richtig läuft, die Kasse stimmt und es auch sonst keinen Ärger gibt. Dolores Conchos’ jeweiliger Favorit muss für alles sorgen. Dafür ist er Pascha und hat alles, was er braucht.« Er machte eine kleine Pause und schenkte die Gläser nochmals voll. »Bis vor einigen Monaten war Sinclair Uvalde dort drüben der Pascha. Aber nach einem Krach mit Dolores ritt er fort. Jetzt kam er zurück, fand seinen Platz besetzt und will es auskämpfen. Heute um zwölf Uhr mittags läuft sein Ultimatum ab. Dann wird er vor dem Saloon auf Adam Finley warten. Das ist schlichtweg alles.« Wir tranken die Gläser leer. Und dann machte ich mich auf, um zu Adam zu gehen. Es gab nur noch einen leisen Zweifel in mir, dass es sich nicht um Adam handeln könnte.
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Der Saloon war geschlossen. Aber als ich an der Tür rüttelte, tat sie sich auf. Ein alter Mexikaner wollte mit einem Besen heraus. Es war in dieser Stadt so üblich, dass man am Morgen die Gehsteige fegte. »Señor, es wird erst am späten Vormittag geöffnet«, sagte der Gehsteigfeger höflich. Doch ich schob ihn zur Seite und trat ein. Durch die Fenster fiel nur wenig Tageslicht herein. Trotzdem erkannte ich meinen Bruder Adam. Er saß an einem Tisch am Fenster in der Ecke und hatte den Frühstückskaffee neben sich stehen. Er legte eine Patience, und außer dem Kaffee stand auch noch eine Flasche Whisky auf dem Tisch. Er hob den Kopf und sah mich. »Ich hörte schon von deiner Heldentat«, schnaufte er. »Und deinen Namen hörte ich auch. Im Hotel hat eine Mrs Finley ein Kind bekommen. Ich fragte mich bereits, ob du einer meiner Brüder sein könntest. Aber …« Er verstummte und deutete auf den Stuhl auf der anderen Seite des Tisches. »Du bist Pat«, sagte er. »Und du siehst wahrhaftig wie ein Mann aus, den man Gun-Finley nennen könnte. Du hast dich herausgemacht, Bruder. Trink einen Whisky mit mir.« Er erhob sich, um vom Schanktisch ein zweites Glas zu holen.
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Ich sah an seinem Gang, dass er bereits leicht betrunken war. Er hatte eine durchzechte Nacht hinter sich – oder er war nur übermüdet. Ich sah seine rot geränderten Augen. Wir tranken dann und sahen uns an. »Ben ist tot«, murmelte ich. »Er hat für eine Stadt gekämpft und wurde als Deputy Sheriff von einem mexikanischen Banditen getötet. Wofür wirst du kämpfen, wenn dieser Sinclair Uvalde draußen steht?« Meine Frage traf ihn hart, fast wie ein Schlag unter die Gürtellinie oder ein Tritt vors Schienbein. Er fuhr zusammen. Ich sah sein Gesicht zucken. Es war ein blasses Spielergesicht, was die Hautfarbe betraf. Er war in den letzten Wochen gewiss nur wenig an die Luft gekommen. Doch ich sah auch die Narben in seinem Gesicht. Ben und ich, wir hatten von Nelson Miles’ Reitern die gleichen Narben abbekommen. Deshalb waren wir ja auch von daheim fortgeritten. Das Gesicht meines Bruders verriet aber auch eine Menge männliche Härte. Er war ein beachtlicher Bursche geworden, einer von jener Sorte, die man hier im Südwesten als zweibeiniger Tiger bezeichnete. Er dachte über meine Worte nach. »Ja, wofür werde ich kämpfen?«, fragte er, und lauschte tief in sich hinein. Sein Blick war nach innen gerichtet. »Ich bin hier der Bulle im Corral«, antwortete er dann trocken. »Ich lebe hier bei einer schönen Frau. Ich
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beschütze sie, halte ihr jeden Verdruss vom Leib und sorge dafür, dass der Laden läuft. Es geht mir gut. Ich habe alles, was ein Mann braucht. Mein Vorgänger kam zurück, weil er dort draußen in der Welt herausfand, dass er es nie wieder so gut treffen würde wie hier. Ich lasse mich ganz einfach nicht vertreiben, weil ich …« Er verstummte und staunte. Ich sah ihn an, und ich spürte instinktiv, was in ihm vorging. Ich hatte es ja selbst schon dann und wann gefühlt. »Unser Vater ließ sich auch nicht vertreiben«, sagte ich. »Und wir ritten von daheim fort, weil wir uns fürchteten. Dann mussten wir immer wieder unsere Furcht besiegen und standhalten. Auch Ben musste es als Sheriff. Adam, geht es dir auch so, dass du unseren Alten jetzt besser begreifen kannst?« Er nickte langsam. »Ich dachte schon oft so ähnlich«, sagte er. »Bevor ich hier meinen Platz fand, war mein Leben ziemlich wild. Ich war in Montana im Goldland und dann in Colorado. Auch ich fand heraus, dass man sich immer wieder stellen muss. Unser Vater wusste das genau. Deshalb blieb er. Er verstand aber auch, dass wir das alles erst noch herausfinden mussten. Er sagte immer, dass einer von uns wiederkommen würde – zumindest einer. Ach, manchmal denke ich, dass man heimkehren müsste, um ihm beizustehen. Aber vielleicht – oder sogar bestimmt – hat Nelson Miles ihn schon zerbrochen. Vielleicht liegt
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unser Vater dort im Land der Elkhorn Hills schon wie ein Wurm am Boden - vernichtet von der Macht eines harten Mannes.« Ich nickte. Und dann tranken wir noch einen Whisky. Ich erzählte Adam, was alles nach seinem Fortreiten daheim geschehen war – vor allen Dingen, wie wir den See auf der Ebene schufen und dass dort ein Handelsstore und eine kleine Siedlung entstanden seien. Ich erzählte ihm von unserer Mutter und wie unser Bruder Ben für eine kleine Stadt am Rio Grande gekämpft hatte und gestorben war. Dann schwiegen wir eine Weile und dachten nach. Wir waren beide müde. Ich sah die tiefen Linien im Gesicht meines Bruders. Und ich wusste, dass er Tag und Nacht an diesen Sinclair Uvalde dachte - vielleicht sogar Furcht dabei spürend, zumindest jedoch jene zermürbende Unruhe, die einen Mann aushöhlen kann, ihn nervös macht und an seinem Selbstvertrauen nagt. Adam sagte plötzlich: »Ich würde mich gerne zwei oder drei Stunden hinlegen, um zu schlafen. Dann bin ich besser auf meinen Kampf vorbereitet, wenn Sinclair Uvalde draußen auf mich wartet. Meine Nerven und auch meine Reflexe werden dann besser sein. Bisher wagte ich nicht, unbesorgt zu schlafen. Ich musste damit rechnen, dass Sinclair Uvalde hereinkommen und mich überrumpeln könnte. Aber wenn du …«
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Ich sah, dass er am Ende war mit seiner Kraft und wirklich Ruhe brauchte. Deshalb unterbrach ich ihn ruhig: »Ich halte Wache, Bruder! Du kannst dich unbesorgt hinlegen. Wie sieht dieser Sinclair Uvalde aus?« »Groß, blond, blauäugig – mit einer zerschlagenen Nase. Er sieht aus wie einer dieser hellhäutigen, hellblonden Texaner – mit einem sichelförmigen Bart über den Mundwinkeln.« »Dann werde ich ihn erkennen«, erwiderte ich. »Und der Saloon bleibt bis zum Mittag geschlossen?« »Sicher«, murmelte Adam und erhob sich. Er deutete auf eine Tür. »Dort ist ein kleines Hinterzimmer. Ich lege mich auf das Ledersofa. Die Tür lasse ich einen Spalt offen. Wenn du mich rufst, werde ich dich hören.« »Ja«, sagte ich. »Schlaf unbesorgt. Entspann dich richtig. Du hast deinen Bruder hier. Du kannst dich auf ihn verlassen.« Er sah mich an, und in seinem Blick war ein Ausdruck von Erleichterung und Dankbarkeit. Dann ging er. Ich wusste, dass er wirklich am Ende seiner Nervenkraft war. Er traute diesem Sinclair Uvalde nicht und rechnete damit, dass ihn dieser überrumpeln würde, sobald er ihm eine Gelegenheit dazu bot. Deshalb traute er sich nicht zu schlafen.
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Sinclair Uvalde aber konnte schlafen. Er konnte Adam zermürben. Auch Ben, der damals in Riverbend auf den Banditen José Pizarro wartete, war mit den Nerven ziemlich am Ende gewesen. Warum mussten sich manche Dinge im Leben in ähnlicher Form wiederholen? Und warum war es offenbar das Schicksal von uns Finley-Jungens, dass wir von daheim fortliefen, um dann irgendwo auf Leben oder Tod standzuhalten? Ich wanderte leise durch den Saloon. Es war ein großer, nobler Amüsierladen mit einer kleinen Bühne für Darbietungen und einem Podium für eine Kapelle, auf dem ein gutes Klavier stand. Es gab auch ein paar Nebenräume. Eine Treppe führte hinauf zu einer Galerie mit Logen und wahrscheinlich zu irgendwelchen Privaträumen. Ich sah hinauf und dachte an diese Dolores Conchos. Wie schön war sie wohl? Sie schien sich gar nicht um Adams Probleme zu kümmern. Ich fand am Frei-Imbiss-Tisch noch ein paar hart gekochte Eier und aß sie. Der Gehsteigfeger kam von draußen herein. »Wenn Sie den geringsten Lärm hier machen«, sagte ich, »schmeiße ich Sie raus. Mein Bruder schläft dort drinnen. Besorgen Sie mir ein Frühstück.« Er staunte mich an.
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»Sicher«, sagte er, »wenn der eigene Bruder aufpasst, kann ein Mann wohl unbesorgt schlafen.« Dann ging er in eine kleine Anrichte. Ich wanderte weiter umher. Zum großen Gastraum, in dem es eine Tanzfläche gab, gehörte auch ein Spielsaal. Hier standen jede Art von Spieltischen, vom Roulette bis zum Faro-Tisch. Man konnte sein Glück auch mit Würfeln versuchen oder Billard spielen. Ich schätzte, dass in diesem Saloon mehr als ein Dutzend Angestellte alle Hände voll zu tun hatten, die Mädchen nicht eingerechnet. Und mein Bruder Adam war hier der Mann, der den Laden in Gang hielt. Was aber tat diese Dolores Conchos? Ich setzte mich auf den Platz, auf dem zuvor mein Bruder gesessen hatte. Man konnte durchs Fenster die Straße beobachten und hatte auch die Türen innerhalb des Saloons und die Treppe nach oben gut im Blickfeld. Der Mexikaner brachte mir frischen Kaffee, Brot und Eier mit Schinken. Ich aß, und der Kaffee machte mich wieder munter. Oha, ich war ja selbst so verdammt müde und hätte gerne einmal rund um die Uhr geschlafen. Doch mein Bruder brauchte mich. Mein Bruder musste kämpfen und brauchte Ruhe. Der Schlaf würde ihm vielleicht das Leben retten, weil nach diesem Schlaf seine Reflexe besser sein mussten.
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Die Zeit verging. Der Mexikaner verschwand, um – wie er sagte – im Hof und im Vorratskeller aufzuräumen. Es wurde Vormittag. Eigentlich kam jetzt in jedem Saloon allmählich der Betrieb in Gang. Der Barmann des Frühdienstes musste sich einfinden, die Gläser putzen und die ersten Gäste bedienen. Aber es kam weder ein Barmann noch kamen irgendwelche Gäste. Ich wusste, dass sie sich alle heraushalten wollten. Adam war hier allein. Also fürchteten sich alle vor diesem Sinclair Uvalde. Ich hatte von ihm schon gehört. Er war ein Spieler und Revolverheld, und er gehörte zu der Sorte, die keinem Kampf aus dem Wege ging, ja, die sogar jeden Kampf suchte, um noch mehr Ruhm zu ernten. Es war eine verdammte Sache. Ich dachte an meine Rosy und den Kleinen. Wie würden wir ihn nennen? Nach meinem Vater – George? Oder nach meinen Brüdern? Oh, ich musste mit Rosy darüber sprechen. Und mir war es gleich, wie er heißen würde. Es kam ja nicht auf den Namen an. Wenn er nur ein prächtiger Kerl werden würde, ein Bursche mit ein wenig Glück im Leben. Die Zeit verging. Würde dieser Sinclair Uvalde wirklich bis zur letzten Minute der Frist warten, die er Adam gesetzt hatte? Wollte er Adam wirklich bis zur letzten Sekunde zermürben?
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Oder war alles nur ein Bluff? Draußen kam ein Reiter mit einem ledigen Sattelpferd. Er hielt vor dem Saloon an, band das ledige Pferd vor dem Eingang an eine Haltestange und kam in den Saloon. Er blieb gleich an der Tür stehen und sah zu mir herüber. »Sinclair Uvalde schickt für Adam Finley das Pferd«, knurrte er. »Finley hat noch eine knappe Stunde die Chance, sich auf sein Pferd zu setzen und wegzureiten. Das soll ich bestellen. Sind Sie Adam Finleys Bruder?« »Richtig«, antwortete ich. »Ich werde meinem Bruder alles bestellen. Aber ich darf ihn erst wenige Minuten vor zwölf Uhr mittags wecken. Uvalde wird sich gedulden müssen.« Der Mann sah mich mit scharfen Augen an. Dann zuckte er mit den Schultern und grinste schief. Er sagte nichts mehr und ging. Draußen saß er auf und ritt davon. Oben auf der Treppe rührte sich etwas. Eine Frau kam herunter. Das konnte nur Dolores Conchos sein. Sie war schön – nein, sie war begehrenswert! Sie gehörte zu jener Sorte, die einen Mann um den Verstand bringen kann. Sie war ein Vollblutweib, und sie strömte etwas aus, was einen Mann süchtig machen konnte, süchtig nach ihr wie nach einem Rauschgift. Ja, das spürte ich.
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Aber ich war dagegen gefeit. Ich hatte Rosy und einen Sohn. Mir konnte kein Weib – und sei es noch so schön und begehrenswert – gefährlich werden. Ich konnte kühl bleiben. Sie hatte ihr dunkles Haar noch lose über den Schultern hängen, und sie trug einen seidenen Morgenrock, der eng um ihren geschmeidigen Körper gewickelt war. Einen Moment sah sie mich an. Sie hatte blaue, glänzende, zwingende Augen, die einem Manne tausend schöne Dinge zu versprechen schienen. »Sie sehen aus wie ein Bruder von ihm«, sagte sie, und ihre Stimme war dunkel und kehlig. Wahrhaftig, sie war die vollkommene Verkörperung des Weibes. Ich nickte nur. Und sie sah mich unentwegt an. »Wo ist Adam?«, fragte sie ruhig. »Er schläft«, antwortete ich. Sie lächelte, und es war ein Anflug von mitleidigem Spott in ihren Augen und auf ihren Lippen, »Er hat doch nicht Sinclairs Nerven«, sagte sie. »Er wäre zerbrochen, wenn nicht Sie – sein Bruder gekommen wären. Nun erst kann er schlafen, denn er fühlt sich gut bewacht. Sinclair wird es jetzt schwerer haben.« Ich staunte, wie sehr sie innerlich unbeteiligt schien.
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»Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich?«, fragte ich nach einer Weile. Wieder lächelte sie auf ihre spöttische Art. »Ach«, sagte sie, »darauf kommt es gar nicht an. Ich muss mich mit dem Sieger arrangieren. Ich brauche für diesen Laden und für mich den besseren Mann. Darauf kommt es an. Dies hier ist eine wilde Stadt in einem wilden Land. Ich führe den größten, nobelsten Saloon auf hundert Meilen in der Runde. Hier sind auch die schönsten Mädchen. Ich kann hier keinen zweitklassigen Mann gebrauchen. Und Sinclair Uvalde war erstklassig. Dass wir uns einmal zankten und er mir darauf fortlief, hat nicht viel zu bedeuten. Denn er kam ja zurück. Er wusste, was er hier hatte. Aber wenn er Adam nicht vertreiben kann, ist er nur zweitklassig. Dann hat er Pech gehabt.« Ich starrte die Frau staunend an. Sie lächelte etwas verächtlich. »Junger Freund«, sagte sie. »Ich bin keine Heilige, ich bin nur ein Edelflittchen, das sich einen Saloon aufgebaut hat. Wer hier bei mir Favorit ist, der weiß ohne Illusionen über mich Bescheid. Auch Adam wusste es von Anfang an. Ich spiele nicht mit gezinkten Karten.« Sie wandte sich plötzlich ab und ging wieder die Treppe hinauf. Ich sah ihr schweigend nach. Mir tat mein Bruder Leid. Und sogar Sinclair Uvalde tat mir Leid. Beide waren sie Narren.
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Dieses Flittchen brauchte einen Bullen in seinem Corral, und es war ihr gleich, was für ein Bulle es war, wenn er nur groß genug war. In mir war eine tiefe Bitterkeit. Verdammt noch mal, wofür warfen sich doch manchmal Männer weg! Ich schenkte mir einen Whisky ein, und es war mir, als müsste ich eine bittere Medizin herunterspülen. Ich sah nach der Uhr. Es war halb zwölf. Langsam wanderte ich umher. Ich konnte nicht mehr ruhig sitzen. Ich stand nur manchmal hinter einem Fenster still und sah auf die Straße hinaus. Das Sattelpferd, das der junge Bursche vorhin gebracht hatte, stand geduldig vor dem Saloon. Sonst war die Straße leer. Das war gewiss ungewöhnlich und nicht normal. Die Stadt wartete also auf das Duell. Und niemand würde sich einmischen, auch der Marshal nicht. Ich wandte mich um, denn ich wollte Adam wecken und ihm sagen, dass es falsch und dumm sei, um diesen Platz hier zu kämpfen. Es lohnte sich nicht. Aber er trat soeben aus dem Nebenzimmer in den großen Gästesaal. Er war von selbst aufgewacht, obwohl er gewiss zwölf Stunden hintereinander hätte schlafen können. Sein Instinkt hatte ihn geweckt.
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Er wirkte frischer, ausgeruhter, beherrschter. Jetzt ging eine innerliche Zuversicht wie eine starke Kraft von ihm aus. »Ich danke dir, Bruder«, sagte er. »Drei Stunden Schlaf, die fehlten mir wahrhaftig sehr. Ich habe tief und fest geschlafen, wie ich es niemals für möglich gehalten hätte.« Er legte seinen Waffengurt um, band das Holster am Bein fest und sah nach dem Colt. Er ließ die Trommel rotieren. Dann steckte er die Waffe zufrieden weg und wischte sich mit der Hand über die stoppelbärtigen Wangen. »Es lohnt sich nicht, Bruder!«, sagte ich. »Sie haben dir ein Pferd vor die Tür gestellt, auf dem du fortreiten kannst. Uvalde hat es geschickt. Ich würde fortreiten. Denn es lohnt sich nicht, für diesen Platz bei Dolores zu kämpfen.« Er sagte nichts. Doch von oben drang Dolores Conchos’ Stimme zu uns herunter. »Für ihn lohnt es sich! Und wenn er fortritte, käme er wieder wie jetzt Sinclair Uvalde. Er müsste tausend Meilen von hier noch immer an mich denken. Und er stünde dann draußen, so wie jetzt Sinclair Uvalde draußen steht.« Adam grinste.
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»So ist es wohl«, sagte er und ging zur Tür. Er verhielt nur einen kurzen Moment und trat dann hinaus auf die Straße. Ich fluchte bitter. Und von oben sagte Dolores Conchos: »Der weiß schon, wofür er kämpft. Er will gar nicht erst fort, weil er doch zurückkommen würde, um dann draußen zu heulen wie Sinclair Uvalde. Der heult wie ein Wolf vor einer besetzten Höhle.« Ich hörte ihr nicht länger zu, sondern folgte meinem Bruder hinaus und trat draußen zur Seite. Ich wollte und durfte nicht in der Schusslinie stehen. Mein Bruder Adam stand am Rand des Plankengehsteiges. Links von sich hatte er das Sattelpferd, auf dem er hätte fortreiten können. Aber drüben stand ein Mann, den ich nach der Beschreibung meines Bruders als Sinclair Uvalde erkannte. Ich wusste, dass es jetzt keinen Sinn hatte, Adam aufhalten oder umstimmen zu wollen. Ich durfte ihn jetzt nicht mehr ablenken. Er hatte sich schon zu sehr auf den Mann dort drüben konzentriert. Er ging hinüber, und Uvalde kam ihm von drüben entgegen. Die Fahrbahn war so breit, dass eine sechsspännige Postkutsche im Halbkreis darauf wenden konnte.
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Als die beiden Männer nur noch zehn Schritte voneinander entfernt standen, begannen sie zu ziehen und auch sofort zu schießen. Dabei gingen sie weiter aufeinander zu. Mein Bruder fiel zuerst. Aber er sank nur auf ein Knie, dann traf er den Gegner richtig. Als ich bei ihm war, lag er auf dem Gesicht im Staub. Zuerst dachte ich, er wäre tot. Doch der Doc, den ich schon kannte, weil er meinen Sohn geholt hatte, kam angelaufen und untersuchte ihn und Uvalde. »Ihr Bruder hat noch eine Chance«, meinte er. »Wohin sollen wir ihn tragen?« Ich blickte zurück auf den Saloon. Von Dolores Conchos war. nichts zu sehen. »Wir bringen meinen Bruder ins Hotel«, befahl ich.
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Nach einer Woche war es klar, dass Adam überleben würde. Von da an ging es jeden Tag aufwärts mit ihm. Wir wohnten schon in der zweiten Woche in einem gemieteten Haus. Zuerst hatten wir eine Mexikanerin als Hilfe. Aber dann übernahm Rosy unseren Haushalt. Sie pflegte ihren Schwager, wie es niemand hätte besser tun können. Dolores Conchos besuchte Adam nicht. Sie schickte ihm nur seine Sachen und auch einen mit Geld gefüllten Gürtel, der ihm gehörte. Sie betrog ihn nicht, und auch jetzt überließ sie ihm die freie Entscheidung. Ich begriff, dass sie wirklich nicht mit gezinkten Karten spielte, ob man nun ihre Art mochte oder ablehnte. Sie machte einem nichts vor. Mit Rosy war ich glücklich. Und wir hatten unseren Sohn, den wir Johnny tauften. Johnny machte sich prächtig, und irgendwann in der zweiten Woche hörte ich Rosy in der Küche singen. Das tat mir gut. Sinclair Uvalde war tot. Adam hatte ihn besser getroffen. Es gab natürlich eine Leichenschau, die der
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Stadtmarshal und die Vertreter der Bürgerschaft abhielten. Aber Adam war der herausgeforderte Mann. Man gestand ihm das Recht zu, sich nicht vertreiben zu lassen und sein Leben zu verteidigen. Brazosboro war eine seltsame Stadt. Am Tag wirkte sie friedlich, aber bei Nacht kamen viele Reiter von in der Nähe liegenden Ranches, aus verborgenen Camps und aus irgendwelchen Siedlungen. Manchmal waren es ganze Mannschaften. Ich wusste bald, dass es in diesem Land zwei Gruppen von Männern gab. Da waren die Rancher, die Rinderleute, Herdenbesitzer und deren Reiter. Und da waren die Maverickjäger, die jedem ungebrändeten Rind ihren Brand eindrückten und große Herden ansammelten, um sie irgendwann nach Kansas treiben zu können, wo es eine Bahnlinie mit Verladerampen gab – nach Abilene zum Beispiel. Es herrschte Feindschaft zwischen den beiden Gruppen. Doch hier in der Stadt hielten sie Frieden. Brazosboro war der Ort, den sie nötig hatten. Je mehr Tage vergingen, umso ruheloser wurde ich. Denn ich wusste ja, dass irgendwann die Wild Bills kommen würden, um sich mit Gun-Finley zu messen. Und es würden auch jene anderen Männer auftauchen, die Vergeltung oder Rache suchten. Ich hatte Arbeit gefunden.
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Die Postlinie hatte ein großes Rudel halbwilder Pferde bekommen. Die mussten erst einmal eingebrochen werden, und es waren ein paar böse Teufel dabei. Aber es war eine Arbeit, die mir lag, die ich mochte. Ich kämpfte gerne auf diese Art. Außerdem war ich noch jung genug, dass mich dieses elende Bocken der Biester nicht zerbrach. Man gab mir zwei Dollar für jedes Tier, und ich hoffte, dass ich in einem Monat fertig war. Dann hatte ich dreifachen Cowboylohn verdient. Das war gar nicht schlecht. Als Spieler wollte ich mein Geld nicht mehr verdienen. Ich hätte hier in Brazosboro Gelegenheit genug dazu gehabt. Manchmal ging ich auf einen Drink in Dolores Conchos’ Saloon. Doch ich betrat nie den Spielraum und ging auch nicht nach Anbruch der Dunkelheit in den Saloon, wenn es dort lebhaft zuging. Ich hatte meine Familie, und zu Hause gefiel es mir sehr viel besser. Eines Tages, als ich nach einem guten Tagewerk im Corral Feierabend machte und heimwärts ging, kehrte ich wieder einmal in dem Saloon ein, um ein Bier zu trinken. Der Saloon war leer. Vom Barmann wurde ich höflich bedient. Ich wollte das Bier in der Bar trinken. Doch da kam Dolores Conchos aus dem Büro. Sie sah mich an. Ich lächelte und prostete ihr mit dem noch vollen Glas zu. Dann trank ich.
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Sie kam um den Schanktisch herum zu mir. »Wie geht es ihm?«, fragte sie. »Er sitzt schon im Garten in der Sonne«, entgegnete ich. »Warum besuchen Sie ihn nicht und fragen ihn selbst?« In ihre Augen kam ein Staunen. »Sie sind ja gar nicht gegen mich«, stellte sie fest. Nun grinste ich. »Warum sollte ich? Sie sind doch auf Ihre Art fair, Dolores. Sie spielen nicht mit gezinkten Karten. Bei Ihnen weiß ein Mann, woran er ist. Aber es gibt da einen Irrtum Ihrerseits.« »Welchen?«, fragte sie herb, und in ihre sonst so strahlenden Augen trat ein Forschen. »Er hat nicht mit Sinclair Uvalde gekämpft, um bei Ihnen bleiben zu können. Er hat nicht um Sie mit Uvalde gekämpft.« »Sooo? Und was war dann der Grund?« Ihre Augen wurden schmal. »Weil er sich nicht fortjagen lassen wollte«, antwortete ich. »Es ging ihm allein ums Standhalten. Er ist früher als junger Bursche einmal fortgelaufen, er war damals noch kein Mann. Er hat die gleichen Narben im Gesicht wie ich. Auch ich lief einst davon wie er. Und weil das so ist, verstehe ich ihn so gut. Eines Tages wurden wir Männer und stellten uns den Dingen, wo immer wir das mussten. Deshalb sage ich Ihnen, Dolores, dass es ihm nur allein ums Standhalten ging.« Ungläubig schüttelte sie den Kopf.
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»Ich will ihn besuchen. Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich sofort mit Ihnen gehe, Patrick Finley?« »Nein«, erwiderte ich. Wir gingen. Unser Haus lag am Ortseingang etwas abseits. Es gab einen kleinen Garten davor und einen etwas größeren dahinter. Rosy saß auf der Veranda vor dem Haus. Sie hatte unseren Sohn im Arm. Wahrscheinlich gab sie ihm die Brust. Jetzt – wo sie sich erholt hatte – brauchten wir keine Amme mehr. Rosy konnte Johnny stillen, und schon bald würde sie anfangen, ihn mit anderen Sachen zu füttern. Seit einigen Tagen wartete sie immer hier auf der Veranda auf meine Heimkehr. Sie wusste sofort, wen ich da mitgebracht hatte. »Gehen Sie nur durchs Haus und zur Hintertür wieder hinaus in den Garten«, sagte Rosy. »Dort finden Sie Adam in einem Schaukelstuhl.« Rosy lächelte dabei. Es war ein gutes Lächeln, ehrlich und offen. Ich sah Dolores’ Blick sanfter werden. Sie schaute auf den Kleinen. »Ein schönes Baby haben Sie da, Mrs Finley«, sagte sie. Dann ging sie ins Haus. Rosy gab mir den Jungen. Ich hatte mich schon am Wassertrog bei den Corrals der Postlinie gewaschen. Rosy hatte den Tisch auf der Vorderveranda bereits gedeckt. Nun ging sie ins Haus, um das Essen zu holen.
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Ich hielt inzwischen unseren Sohn. Er schlief schon wieder, denn er hatte vorher gewiss lange genug geschrien und sich dann satt getrunken. Little Johnny war so winzig. Wenn das Schicksal gnädig mit ihm war, würde er einst ein Mann werden wie meine Brüder und ich. Und… Ich dachte nicht weiter, denn Rosy kam mit dem Essen. Ich legte Johnny in den Korb, der auf einer Bank stand. Es war ein warmer Abend. Wir setzten uns und aßen. Nach einer Weile sagte Rosy: »Wird sie ihn mitnehmen?« Ich schüttelte kauend den Kopf. »Nein«, sagte ich. »Adam will heim zu unseren Eltern. Er will zurück zu unserem Vater, dem er einst fortlief.« »Und du?«, fragte Rosy sehr ruhig. »Ich auch«, bekannte ich. »Wir liefen damals fort, weil man uns halb totgeschlagen hatte, weil wir uns fürchteten – und weil wir beim nächsten Mal noch schlimmer zerbrochen worden wären. Wir mussten fort, um Männer zu werden. Unser Vater sagte schon damals, dass zumindest einer von seinen drei Söhnen heimkommen würde. Einer kommt wieder! Er sagte es dreimal. Aber es stimmt nicht. Zwei kommen wieder. Rosy, wenn unser Kind kräftig genug für eine lange Reise ist, kehren wir heim.« Sie sah mich in der Abendsonne an. »Ja, Patrick«, antwortete sie.
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Als wir mit dem Essen fertig waren, kam Dolores aus dem Garten durch das Haus zurück. Sie blieb vor uns stehen. »Sie hatten Recht, Patrick Finley«, sagte sie. »Adam kommt nicht in den Saloon zurück. Er kämpfte nicht um den Platz bei mir, sondern nur deshalb, weil er nicht davonschleichen konnte – so wie damals als junger Bursche. Ich verstehe ihn. Er hat es mir erklärt. Viel Glück für euch alle!« Sie ging zur Verandastufe. Dort sah sie noch einmal auf Rosy. Sie nickte ihr lächelnd zu. Dann ging sie. Und für uns hier war alles klar. Adam und ich, wir würden heimkehren. Und ich würde unserer Mom für Ben wenigstens einen Enkel mitbringen – und eine Tochter. Aber was war wohl daheim inzwischen geschehen? Lebten unsere Eltern überhaupt noch? Gab es Finleys Lake noch? Hatte Nelson Miles unseren Vater nicht schon endgültig erledigt? Es waren Jahre vergangen. Wie würden wir es zuhause antreffen? Wir machten uns gut vier Wochen später auf den Weg. Ich hatte die Pferde zugeritten und sechzig Dollar
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verdient. Mein Bruder war fast gesund und würde es in den beiden nächsten Wochen gewiss schaffen. Unser Kleiner war kräftig geworden. Die lange Reise war leichter, als wir es uns vorgestellt hatten. Anstrengend war nur die Postkutschenfahrt bis zum Mississippi. Wir gingen dann in Arkansas City an Bord der River Queen. Rosy und das Kind hatten es in der Kabine sehr bequem. Wir Männer begnügten uns mit billigeren Plätzen auf dem Großdeck, denn wir wollten sparen. Adam, der mehr als zweitausend Dollar besaß, wusste wie ich, dass wir daheim noch jeden Dollar brauchen würden. Außerdem konnte ich Rosy ja ständig in ihrer kleinen Kabine besuchen und Johnny auf dem Schiff umhertragen. Es war eigentlich eine glückliche Reise. Und ich war dem Schicksal besonders dankbar dafür, dass mich in den langen Wochen in Brazosboro kein Wild Bill zu einem Revolverkampf gestellt hatte und dass auch keine anderen Schatten aus meiner Vergangenheit aufgetaucht waren. Hatten mich meine Feinde vielleicht vergessen? War ich für die revolverschwingenden Wild Bills schon zu groß? Vielleicht hatte es sich auch herumgesprochen, dass wir jetzt zwei Finleys waren, zwei Revolvermänner. Nun, wir kamen ungeschoren weg.
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Wir fuhren nach der Postkutschenreise von Arkansas City den Strom hinauf bis Saint Louis und wechselten dort den Flussdampfer, um auf dem Missouri nach Westen zu fahren. In der Höhe von Kansas City zog der Strom dann wieder weiter nach Norden. In Omaha stiegen wir aus. Dann ging es mit der Union Pacific weiter, die bereits von Omaha durch ganz Nebraska nach Fort Laramie fuhr. Aber so weit brauchten wir gar nicht. Wir mussten schon zweihundert Meilen westlich von Omaha aussteigen. Am nächsten Tag bekamen wir eine ExpressÜberlandpost. Die letzte Etappe unserer Reise hatte begonnen. Wir waren unterwegs zu den Elkhorn Hills und zu Finleys Lake. Was würden wir dort antreffen? Nun, die letzten fünfzig Meilen waren anstrengend, denn wir mussten nochmals auf eine Nebenlinie umsteigen. Dabei hatten wir allerdings das Glück, dass wir nach wenigen Stunden schon die wöchentlich nach Finleys Lake abgehende Post bekamen. Sonst hätten wir einen Wagen mieten oder eine volle Woche warten müssen. So war das also. Finleys Lake war also immer noch fast das Ende der Welt, bedeutungslos und unwichtig.
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Unser Vater hatte es also nicht geschafft, die Siedlung bedeutender zu machen. Das Land war gewiss auch nicht dichter besiedelt worden. Nelson Miles hatte wohl nichts und niemanden hoch kommen lassen, sondern alles im Keime erstickt. Das wurde uns jetzt schon klar. Etwa zwanzig Meilen vor Finleys Lake hielten wir noch einmal an einer kleinen Farm, die zugleich Pferdewechselstation war. Zwei der anderen Fahrgäste, ein älteres Ehepaar, stiegen aus. Und außer uns vier Finleys war nur noch ein älterer Mann in der Kutsche, der hager und ernst wirkte und dunkel und würdig gekleidet war wie ein Reverend. Aber er hatte kühle Augen. Zumeist las er in einem Buch, dessen Titel nicht zu erkennen war. Manchmal betrachtete er Rosy und den Kleinen. Wir stiegen noch einmal aus, um uns die Beine zu vertreten. Im Schein der Abendsonne sahen wir einen Reiter kommen. Der Bursche schonte sein Pferd nicht und ritt wie der Teufel. Als er neben der wartenden Kutsche im Hof anhielt, da sahen wir, dass sein Pferd kaum noch konnte. Er musste es viele Meilen verwegen und rau getrieben haben. »Patterson, gib mir einen schnellen Gaul!«, schrie er heiser. »George Finley braucht Hilfe! Ich muss weiter,
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damit mich Nelson Miles’ Schufte nicht erwischen! Schnell, Patterson!« Der Stationsmann, der mit seinem halbwüchsigen Sohn unser Gespann schon ausgewechselt hatte, deutete auf den Corral. »Nimm den Gelben dort, Charly!«, rief er. »Der ist schnell und zäh! Was ist denn passiert in Finleys Lake?« »Shayne hat einen Siedler erschossen – vor Zeugen! Und George Finley hat Shayne verhaftet. Er hat ihm eine Schrotflinte vor den Bauch gehalten und konnte ihn so in den Kasten bekommen. Sie wollen ihn richtig vor Gericht bringen und verurteilen. Doch Nelson Miles macht das nicht mit. Nelson Miles hat die Stadt besetzt und will seinen Revolver-Vormann wiederhaben. Wenn er ihn nicht bis Mitternacht bekommt, will er die Stadt einreißen und Shayne mit Gewalt aus dem Gefängnis holen. Mich hat George Finley losgeschickt, um in Norfolk Hilfe zu holen.« Während der Mann das alles berichtete, lief er mit seinem Lasso in den Corral und holte den gelben Wallach heraus. Als er von seinem Pferd den Sattel abnehmen wollte, um ihm dem Gelben aufzulegen, kamen einige Reiter in unsere Sicht. Auch sie ritten rau. Es war für Adam und mich klar, dass es Verfolger waren. Charly fluchte bitter und beeilte sich mit dem Satteln. »Hoi, Freund, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Diese Burschen halten wir auf!«, sagte Adam plötzlich.
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Der junge Bursche hielt inne und sah zu uns herüber. »Und warum das?«, brüllte er heiser, während er den Sattelgurt stramm zog. »Weil wir George Finleys Söhne sind«, erwiderte Adam. »Und weil wir wohl gerade zur rechten Zeit heimkommen!« Der Bursche schwang sich in den Sattel und sah zu uns herüber. »Vielleicht schafft ihr es – vielleicht auch nicht!«, rief er. »Ich führe jedenfalls den Befehl eures Vaters aus!« Und dann ritt er los. Wahrscheinlich hatte er Furcht. Ich wusste das. Und Adam wusste es auch. Wir traten in die Einfahrt des Hotels. Ich blickte nur einmal auf Rosy zurück. Sie hatte beim Brunnen den Kleinen trocken gelegt und sich auch selbst etwas erfrischt. Sie blickte mich an, und sie wirkte sehr still und gefasst, obwohl sie wusste, dass es sicher zu einem Kampf kommen würde. Sie ist eine prächtige Frau, dachte ich. Dann sahen wir den Reitern entgegen. Es waren drei. Und sie hielten vor uns die Pferde an. Einen kannten wir. Der war damals schon bei Nelson Miles’ Reitern, die uns wie räudige Hunde verprügelt hatten. Der Mann hieß Roberts und war einer von Miles’ Vormännern. Er starrte uns an und befahl: »Platz da!«
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»Ihr bekommt hier keine frischen Pferde«, sagte Adam laut genug. Und plötzlich stand noch jener andere Mann neben uns, den wir für einen Reverend gehalten hatten. Dieser Mann sagte: »Ich bin …« Weiter kam er nicht. Denn die drei Miles-Reiter trieben ihre Pferde gegen uns. Es zeigte sich, dass zwei von ihnen ihre Revolver schon schussbereit in den Händen gehalten hatten – jedoch vor unseren Blicken verborgen. Köpfe und Hälse der Pferde hatten die Waffen verdeckt. Sie schossen noch früher als wir, und sie waren entschlossen, uns niederzukämpfen, um frische Pferde zu bekommen. Sie waren Revolvermänner. Ich schoss zurück. Dann rammte mich ein getroffenes Pferd, sodass ich zur Seite fiel und über den Boden rollte. Ich taumelte wieder hoch, den Revolver noch in der Hand. Doch es war vorbei. Adam lag am Boden und fluchte und stöhnte. Auch jener Mann, den wir zuerst für einen Reverend gehalten hatten, kauerte im Staub. Er hielt einen Colt in der Hand und hatte auf unserer Seite mitgekämpft. Der Stationsmann und der Postkutschenfahrer liefen erst jetzt herbei. Sie fluchten laut. Ich warf einen Blick auf Rosy und winkte zu ihr hinüber. Die Abendsonne war schon fast verschwunden.
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Doch es herrschte noch etwas Licht. Rosy konnte mein Winken erkennen. Als ich mich wieder Adam und dem Fremden zuwandte, sagte Letzterer: »Ich bin US Deputy Marshal Haggerty und soll in Finleys Lake nach dem Rechten sehen. Wir wissen schon lange, dass dort eine Menge nicht in Ordnung ist. Aber …« Ich achtete nicht mehr auf seine Worte, sondern kniete bei Adam nieder. Der grinste etwas verzerrt. »Ich werde es schon schaffen«, sagte er. »Doch du musst es nun allein machen. Lass Rosy hier bei mir. Das ist besser. Versuch es allein. Hast du gehört? Unser Alter hat Nelson Miles in der Klemme und steckt deshalb selbst in der Patsche.« Rosy war herbeigelaufen. Sie hatte Adams Worte gehört. Als ich mich aufrichtete und sie ansah, waren ihre Augen erschreckt aufgerissen. Sie nagte an ihrer Unterlippe. Und Johnny, den sie im Arm hielt, begann vergnügt zu krähen. »Ich muss«, sagte ich zu Rosy. »Kannst du mir verzeihen, dass ich dich jetzt hier warten lasse?« »Du wirst es schaffen«, erwiderte sie. Ich spürte ihren letzten Kuss noch lange auf den Lippen, während ich mit der Postkutsche weiter durch die beginnende Nacht fuhr.
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Als wir nach Finleys Lake kamen, war es etwa eine Stunde vor Mitternacht. Im Ort brannten kaum noch Lichter. Alles war dunkel. Aber Mond- und Sternenschein erhellte die Nacht. Ich sah, dass Finleys Lake doch mehr als eine Siedlung war. Es war eine kleine Stadt geworden. Die Postkutsche hielt am Ortseingang, wo sich der Wagenhof und die Corrals befanden. Als ich ausstieg, sagte der Fahrer: »Viel Glück!« Die Kutsche war mit nur einem Fahrer und ohne Begleitmann unterwegs. Ich rückte meinen Colt zurecht und ging. Oh, ich nahm mir Zeit! Vor dem Saloon standen Sattelpferde – viele. Und ich sah da und dort Gestalten auf der Straße. Ein Mann trat auf mich zu und fragte: »Bist du mit der Postkutsche gekommen, Buddy?« »Richtig«, antwortete ich. »Dieser Charly konnte noch rechtzeitig ein frisches Pferd bekommen. Euer Freund Roberts muss ihn mit seinen Jungens weiter verfolgen. Das soll ich Miles melden. Wo finde ich ihn?« »Im Saloon gegenüber vom Stadthaus«, sagte der Mann, und er war nicht mehr misstrauisch. Er fand es wohl in Ordnung, dass der Vormann Roberts irgendeinen Mann, der auf der nächsten Poststation herumlungerte, als Boten benutzte. Ich ging schräg über die Straße zum Saloon.
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Niemand hielt mich auf. Vielleicht glaubten sie, dass ich zu ihnen gehörte. Und sie verließen sich wohl auch darauf, dass man mich schon überprüft hatte. Gegenüber vom Saloon war also das »Stadthaus«. Das hörte sich großartig an. Aber es war nur ein kleines Haus, in dem sich offenbar nur ein Büro und eine Gefängniszelle befanden. Nach allem, was ich bisher gehört hatte, war mein Vater mit einem Gefangenen dort drinnen. Und weil der Gefangene einen Mord begangen hatte, für den es Augenzeugen gab, und Nelson Miles es trotzdem nicht erlaubte, seinen ersten Vormann hängen zu lassen, war diese Situation entstanden. Vor dem Saloon standen ein paar Männer. Aber sie starrten zum Stadthaus hinüber. Sie ließen mich vorbei. Ich ging hinein. Und ich sah Nelson Miles sofort. Er saß an einem Tisch in der Ecke, rauchte eine Zigarre, hatte ein halb volles Glas Wein vor sich stehen und war dabei, eine Patience zu legen. Am Schanktisch stand noch ein Mann – wahrscheinlich ein Leibwächter von Miles. Dieser Mann sah scharf zu mir herüber. Aber ich beachtete ihn nicht. Einen Moment dachte ich an Rosy. Würde ich sie wiedersehen? Dabei starrte ich auf Miles.
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Der hob den Kopf. Auch der Barmann blickte zu mir herüber. Ich kannte ihn nicht. Doch da ich meinem Vater sehr ähnlich war, würde der Barmann vielleicht etwas ahnen. Natürlich ahnte auch der Revolvermann etwas. Nelson Miles aber nahm nicht einmal seine Zigarre aus dem Mund, als er fragte: »Welcher von seinen Söhnen bist du?« »Der Jüngste«, sagte ich, »der jüngste Sohn - jener, den ihr zuletzt…« Ich sprach nicht weiter. Denn ich sah den Revolvermann ziehen. Aber der Barmann schlug ihm über die Bar hinweg eine Flasche auf den Kopf. Ich schoss auf Miles, der unter dem Tisch zum Revolver griff. Und ich traf ihn! Ich traf Nelson Miles! So einfach war das alles. Männer stürmten von draußen herein – es waren Nelson Miles’ harte Burschen, mit denen er nach Mitternacht die Stadt einreißen und das Stadthaus klein machen wollte. Sie sahen Miles am Boden liegen – und auch seinen Revolvermann. Sie sahen mich an und starrten auf den Colt in meiner Hand. »Ein US Deputy Marshal ist schon unterwegs«, sagte ich. »Miles kann euch keinen Revolverlohn mehr zahlen. Es ist aus und vorbei mit ihm! Haut ab!«
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Sie brauchten eine Weile, um alles zu begreifen. Sie waren mir gar nicht böse. Sie staunten nur. »Verdammt, das ging aber schnell mit Miles«, sagte einer. Ich ging hinaus. Niemand hinderte mich oder griff mich an. Niemand. Ich rannte hinüber zu dem kleinen Stadthaus und rief: »Hoi, Vater! Mach auf, Vater! Ich bin heimgekommen! Und auch Adam wird kommen! Mach auf, Vater!« Er ließ mich eintreten. Außer ihm waren noch fünf andere Männer bei ihm. Sie hatten Gewehre und Schrotflinten. Vater sah mich an und sagte: »Das wusste ich! Einer würde heimkommen – einer zumindest. Und nun werden es sogar zwei sein.« »Ben konnte nicht – sonst wäre auch er mitgekommen«, sagte ich. »Wo ist Mom?« »Daheim auf unserer Farm«, sagte er. »Du brauchst nur zwei Meilen zu reiten, mein Junge.« Ich ging hinaus, um mir ein Pferd zu besorgen. Ich war heimgekommen. Am nächsten Tag würde ich Rosy und Johnny holen. Auch Adam würde gewiss gesund werden. Ich beeilte mich, um Mom zu sagen, dass nun alles besser würde. Viel besser! ENDE
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