TERRA ASTRA 161
Ein Raumschiff für den König von Jerry Pournelle
Die Hauptpersonen des Romans: Nathan MacKinnie – Der...
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TERRA ASTRA 161
Ein Raumschiff für den König von Jerry Pournelle
Die Hauptpersonen des Romans: Nathan MacKinnie – Der »eiserne« Oberst leitet eine gefährliche Expedition. Hal Stark – MacKinnies treuer Begleiter. Malcolm Dougal – Chef der Geheimpolizei des Königs von Haven. MacLean – Ein Schiffsmeister. Castellano – Erzbischof von Makassar. Loholo – Ein Käpten ohne Schiff.
1. »Stimmt es wirklich, daß Prinz Samuals Welt der rückständigste Planet ist, den die Kaiserliche Marine bisher entdeckt hat?« Der junge sonnengebräunte Mann, Bürger des Stadtstaats Haven, blickte den frischgebackenen Leutnant gespannt an. Leutnant Jefferson war einer der drei Offiziere, die heute im Blauen Faß Whisky, Weinbrand und den einheimischen Grua reichlich fließen ließen, um so vielleicht leichter ein paar einheimische Rekruten anzuwerben. »Bei weitem nicht, Simon«, erwiderte er schließlich. »Samual hat Schußwaffen, Fabriken, ein Fernmeldesystem und Elektrizität. Ihr braucht euch eurer Welt nicht zu schämen. Ihr habt nur dummerweise keine Weltregierung, – Und die Kriege, die ihr ständig untereinander führt, haben eben eure Entwicklung ein wenig aufgehalten, sonst wärt ihr jetzt sicher in Kategorie zwei des Imperiums und würdet nicht zur Kolonie.« Er schüttelte den Kopf; es war doch etwas verwirrend, den jungen Einheimischen doppelt und so verschleiert zu sehen. Der Grua hatte es wirklich in sich! »Wenn ich daran denke, wie sehr ihr unter dem Großen Krieg zu leiden hattet, es ist ohnehin erstaunlich, wieviel ihr in den paar Jahrhunderten – - 1-
Standardjahrhunderte meine ich natürlich – geschafft habt. Habe ich nicht recht?« Damit wandte er sich an den zweiten Imperiumsoffizier, der neben ihm saß. Leutnant Clemens grinste und entblößte die weißen Zähne in dem schwarzen Gesicht. »Stimmt. So gut wie hier hat's mir schon lange nirgends mehr gefallen.« Er drückte das Tavernenmädchen auf seinem Schoß noch fester an sich. »Da hörst du's. Was glaubst du, wir waren schon auf Planeten, wo's keine Elektrizität, von Armbrüsten abgesehen auch keine Schußwaffen gab – nur Männer, die in eiserner Rüstung herumreiten, wie man's in terranischen Geschichtsbüchern sehen kann. In hundert oder vielleicht sogar bloß fünfzig Jahren hättet ihr wahrscheinlich schon eine eigene Raumfahrt entwickelt, und möglicherweise hättet ihr dann uns gefunden, statt umgekehrt.« Er nahm einen tiefen Schluck aus dem Glas. »Wirklich schade«, murmelte er. »So wärt ihr sicher in Kategorie zwei eingestuft worden, oder sogar in eins, wenn ihr einen Sternenantrieb gehabt hättet, ehe wir hierherkamen. Na, ist ja nicht eure Schuld, daß eines unserer Scoutschiffe euch so zufällig gefunden hat. Aber trotzdem, schade, sehr schade.« Er betrachtete sein leeres Glas. »Heh, Wirt!« brüllte er. »Noch eine Flasche Grua!« Als Jefferson sich und Simon mit nicht mehr ganz sicheren Händen nachgeschenkt hatte, fragte der Einheimische: »Wie war es denn auf dem Planeten, wo sie Eisenrüstungen tragen? Ist er weit von hier? Habt ihr ihn kolonisiert? Dürfen wir ihn besuchen?« »Halt«, bremste der Leutnant. »Eins nach dem andern. Weit? Nicht mehr als zwölf Lichtjahre, also nur ein Sprung von hier, glaube ich. Stimmt, da ist nichts zwischen den zwei Sonnen, und ihre ist ein ganz schöner Riese. Ihr nennt sie das Nadelöhr. Sie findet sich leicht an eurem Sternenhimmel. Und Kolonie? Nein, würde sich nicht rentieren. Wir haben lediglich einen Außenposten dort, einen Junioroffizier und ein paar Mann. Nicht einmal ein Schiff im Orbit, nur einen starken Richtsender und Nachrichtentorpedos. Es gibt nichts Wichtiges dort; außer dem Tempel, würde ich sagen.« Des Leutnants Stimme klang ein wenig resigniert. Er dachte kurz an die kaum zu bewältigende Aufgabe der Kaiserlichen Marine, die Scherben des ehemaligen Reiches, das der Große Krieg vor Jahrhunderten auseinandergerissen und zerstört hatte, wieder zusammenzustückeln. Erst vor ein paar Jahrzehnten war es der Hauptwelt Seiner Kaiserlichen Majestät gelungen, - 2-
den Weg zu den Sternen wiederzufinden, und nun hatte Seine Majestät nur einen Wunsch, einen neuen galaxisweiten Krieg zu verhindern, der wie der erste allein Verlierer und keinen Sieger haben könnte. Die ausgelassene Stimmung in der Taverne vertrieb Jeffersons trübe Gedanken. Man mußte die Feste feiern, wie sie fielen. Wenn erst einmal die Kolonisten hier eingetroffen waren – das lag Gott sei Dank noch Jahre in der Zukunft –, würden die Einheimischen sicher weniger freundlich zu den Marineleuten sein. »Das Komische ist, Simon, daß der Tempel mehr wert ist als der ganze verdammte Planet, aber das ahnen die Einheimischen nicht einmal. Und selbst wenn sie es wüßten, würde es ihnen nichts helfen, denn so ganz o hne Technologie können sie es ohnehin nie begreifen. Doch auch so haben sie das ganze Labyrinth um den ehemaligen vizeköniglichen Palast zum Heiligtum erklärt; und daran taten sie gut, denn es gibt dort noch eine Bibliothek aus dem alten Reich. Unsere Marinebibliothekare waren ganz außer sich vor Begeisterung über die Geschichtsbücher und anderen Nachschlagwerke, die sie dort fanden. Sogar wissenschaftliche Wälzer gab es dort und Handbücher für die Schiffe der alten Reichsflotte. Überhaupt ist dort so ziemlich alles zu finden, was man sich nur vorstellen kann, zumindest ein bißchen von allem. Die Einheimischen haben keine Ahnung, was sie da als Heiligtum mit ihrem Leben bewachen.« Jefferson seufzte tief und genehmigte sich einen weiteren Schluck Grua. »Sie machten uns genug Schwierigkeiten, bis wir endlich das Zeug für unsere Archive kopieren durften. Mit Argusaugen paßten sie auf, daß wir ja keine der Spulen mit aus dem Raum nahmen. Ja, das habe ich vergessen zu sagen. Das Ganze ist auf Bänder gespeichert und kann durch einen Computer übertragen werden. Das heißt, der Computer stellt so etwas Ähnliches her wie eure Bücher. War übrigens gar nicht so einfach, den Computer wieder zum Funktionieren zu bringen. Aus Zeitmangel blieb leider das meiste unkopiert, aber eines Tages werden wir systematisch vorgehen. Das dürfte eine Lebensaufgabe für einen Historiker werden.« Er schüttelte sich. »Puh, ich rede zuviel. Schenken wir uns lieber nach. Euer Grua ist das Beste am ganzen Planeten.« Mit leicht verschleierten Augen blickte er dem blonden Mädchen entgegen, das sich ihrem Tisch näherte. »Eines der besten Dinge«, schränkte er ein.
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Leutnant Jefferson war nicht der einzige betrunkene Offizier im Blauen Faß. Nathan MacKinnie, ehemaliger Oberst der Republik Orleans, hatte im Laufe des Abends noch bedeutend mehr in sich hineingegossen als der junge Leutnant, nur zog er Whisky vor – und ihn machte der Alkohol schweigsam. Still, scheinbar völlig in seine Gedanken vertieft, saß er über sein Glas gebeugt. Nur hin und wieder verzog er unwillig das Gesicht, wenn die Marineoffiziere am Nebentisch einen zu großen Spektakel aufführten. »Verdammt!« fluchte er schließlich und blickte seinen ehemaligen Sergeanten und jetzigen Begleiter, Diener und Kameraden, Hal Stark, an. »Sieh dir mal diese drei Karikaturen von Offizieren an, Hal. Stockhagelvoll und geschwätzig wie die Waschweiber. Und das sind die Vertreter des Imperiums auf Prinz Samuals Welt. Ihnen gehört die Zukunft hier. Und wir? Abgetake lte Soldaten, der Großmut des Siegers ausgeliefert. Aber auf dem Südkontinent geht der Kampf weiter. Vielleicht kann man uns dort noch brauchen. Die Untätigkeit macht mich nervös.« »Mich noch mehr als Euch, Oberst. Trinkt aus, wir wollen gehen. Es gibt noch genügend zu tun. Morgen werde ich ein ganzes Regiment zusammentrommeln, das Euch selbst durch die Hölle folgen würde. Dann würden wir's den Südmännern zeigen.« MacKinnie grinste über den Enthusiasmus seines alten treuen Sergeanten und bestellte ein kleines Glas Grua, in das er seine Zigarre tauchte. Genießerisch sog er den Rauch ein und entspannte sich ein wenig. Hal Stark bemerkte, wie die Sorgenfalten auf der Stirn seines Bosses sich glätteten und bestellte eine neue Runde Whisky. Nathan goß den seinen in einem Zug hinunter. Er durfte seinen alten Kampfgenossen nicht enttäuschen. Aber er war müde, und es war eine Müdigkeit, die auch der viele Schlaf und die leichte Arbeit der vergangenen Wochen nicht zu kurieren vermocht hatten. Wie das Leben doch spielen kann, dachte er. Mit vierzig Standardjahren war er Oberst seines eigenen Regiments gewesen und privilegierter Bürger Orleans. Im Laufe der Jahre hätte er es zweifellos zum General gebracht. Nicht schlecht für einen heimatlosen Söldner, dessen Stadtstaat einige Monate vor seinem Abschluß der Kriegsakademie von der Landkarte gelöscht worden war und der nach einer langen Wanderschaft schließlich in Orleans eine neue Heimat fand und eine große Karriere machte. All das fand sein Ende, als die Landeboote des Schiffes herunterkamen, das jetzt noch um Samual kreiste. Zehn Jahre taktischen - 4-
Geschicks hatten garantiert, daß Orleans nicht das gleiche Schicksal wie sein heimatliches Samand erleiden würde. Keine Macht oder Kombination von Mächten hätte es fertiggebracht, die Republik zu annektieren. Doch die Kaiserliche Marine schaffte es innerhalb einer Woche, Und nun war die ehemalige Republik Orleans ein Herzogtum und unterstand Seiner Majestät König David IX, Herrscher von Haven. Und natürlich waren orleanische Offiziere in königlichen Diensten unerwünscht. Oh, selbstverständlich wurden seine Leistungen anerkannt, und der Held des Blanthern Passes, dessen Regiment die beste Soldaten geschlagen hatte, die Haven in den Kampf schicken konnte, erhielt selbstredend eine Pension – zum Sterben zuviel und zum Leben zuwenig. Natürlich hätte er weiterkämpfen können, selbst nachdem das Komitee sich der Überlegenheit der Kaiserlichen Marine gebeugt hatte. Er hätte mit seinen Wölfen einen Guerillakrieg in den Wäldern führen können. Aber was hätte die Marine des Imperiums dann mit Orleans gemacht? Stadt um Stadt vom All aus bombardiert, bis sie nur noch verkohlte Asche waren wie Lechfeld und die Letzten der Orleaner ihn verflucht hätten. MacKinnie legte die Zigarre in den Aschenbecher. Am Nachbartisch stand eben einer der jungen Offiziere auf und zog sich mit einem hübschen Tavernenmädchen zurück, so daß sich ihm nun ein ungehinderter Blick auf Leutnant Jefferson bot. Der junge Mann erzählte gerade einem ihn bewundernd anstarrenden einheimischen Bauernjungen von einem seltsamen Planeten, wo die Bewohner keine G ewehre hatten, sondern nur Schwerter, und wo sie ihre Gottesdienste in einem Tempel abhielten, der vor lange r Zeit einmal eine alte Reichsbibliothek gewesen war. Der Junge redete zuviel, dachte MacKinnie, aber er hat noch eine Zukunft vor sich, im Gege nsatz zu mir.
2. MacKinnie hatte genug. Entschlossen erhob er sich und streckte den Arm nach seinem Umhang über der Stuhllehne aus. Die plötzliche Bewegung brachte ihn aus dem Gleichgewicht, und er taumelte gegen einen kleinen, unscheinbaren Mann mit rundem Gesicht und winzigem Schnurrbart. Der Kleine sprang mit erstaunlicher Behendigkeit zurück und stammelte eine Entschuldigung. - 5-
»Ich muß mich entschuldigen«, wehrte der Oberst ab. »Verzeiht bitte.« Er bemerkte, daß der andere unbewaffnet war, und allein der Gedanke, er könne sich mit ihm anlegen, reizte ihn zu einem Lächeln, das er gerade noch unterdrücken konnte. »Es war meine Schuld«, beteuerte der Kleine. »Darf ich Euch zu einem Whisky einladen?« Er streckte MacKinnie die Hand entgegen. »Malcolm Dougal«, stellte er sich vor. Der Händedruck war kräftiger, als MacKinnie nach dem Aussehen des Kleinen geschlossen hätte. Er studierte den anderen unauffällig. Ein Durchschnittstyp, vermutlich Geschäftsmann. Er trug einen Kilt aus teurem Stoff und eine gutgeschnittene Jacke. Am Finger hatte er einen schweren Siege lring, wie er den Graduierten der Prinz-Samual-Universität zustand. Auf den zweiten Blick war er gar nicht so klein, er wirkte nur so unscheinbar. Außerdem würde jeder, der wie er neben Stark stand, klein erscheinen. Auch schien irgend etwas Drohendes von ihm auszugehen, wenn man ihn genauer betrachtete. Aber das war natürlich lächerlich. MacKinnie schüttelte den Kopf, um die Whiskyschleier zu verscheuchen. »Besten Dank«, lehnte er höflich ab. »Ich fürchte, ich habe bereits einiges über den Durst getrunken. Ich bin Nathan MacKinnie und möchte mich wegen meiner schlechten Manieren entschuldigen. Zuviel Whisky. Ich wollte Euch keineswegs beleidigen.« »Das habt Ihr auch nicht. Vielleicht sehen wir uns wieder. Gute Nacht.« »Auch Euch eine angenehme Nacht, Mr. Dougal.« MacKinnie verbeugte sich und schritt zur Tür, während Stark die Rechnung bezahlte und ihm mit ihren Umhängen folgte. Es begann zu regnen. Ein Spiritustaxi hielt an, aber MacKinnie winkte ab und nahm lieber die billigere zweirädrige Pferdedroschke, deren Kutscher ihnen das Nachtleben Havens schmackhaft zu machen versuchte, bis Nathan ihn unwillig ersuchte, den Mund zu halten und sie zur Waterfront zu bringen. Von dort aus waren es nur ein paar Minuten zu dem armseligen Hotel, in dem MacKinnie und Stark aus finanziellen Gründen zu hausen gezwungen waren. Aber das brauchte der Kutscher ja nicht zu wissen. Sie fuhren durch die Dock Street, an der schmalen geschützten Bucht entlang, der Haven den Namen verdankte. Ihr gegenüber lagen hellbeleuchtet das Imperiumsgebäude und das hundert Meter lange Landeboot, das die Marine als Fähre zwischen Haven und dem Zerstörer im Orbit benutzte. Das - 6-
Licht erhellte die Kuppel der Marinekaserne, aber die glatte, schwarze Oberfläche spiegelte es nicht wider. Die Kaserne war durch ein Langstonfeld geschützt, nur daß es Artilleriebeschuß aufzuhalten vermochte und die Explosion durch den schwarzen Schutzschirm und die Metallwände absorbiert wurde. Die Marine behauptete, daß lediglich ein schwerer Zerstörer der Kaiserlichen Flotte etwas gegen dieses Feld ausrichten könnte, absolut nichts jedoch, was auf Prinz Samuals Welt als Waffe hergestellt wurde. MacKinnie hatte Beweise, daß das stimmte, und das war auch einer der Gründe, daß sich die Wölfe ergeben hatten. Die Landeboote waren weniger gut geschützt. Auf dem Lechfeld war es ihm gelungen, eines unter Beschuß zu nehmen und mehrere der Marinesoldaten zu töten, ehe das Feuer aus dem Himmel raste und die ganze G egend in einen Backofen verwandelte. Ein halbes Bataillon seiner Wölfe war dabei umgekommen. Aber wie gesagt, verwundbar waren sie, die Landeboote. Wenn es ihnen nur gelungen wäre, die Marinekaserne zu nehmen! Aber er hing nur nutzlosen Träumen nach. Selbst wenn er die Kaserne in seine Hände bekäme und auch das letzte der Landeboote zerstört hätte, so wäre der Zerstörer in der Kreisbahn doch sicher vor allem, was Prinz Samuals Welt unternehmen könnte. Einige der Professoren an der Universität experimentierten zwar mit Raketen, die, wenn man sie groß genug baute, die nötige Geschwindigkeit erreichen würde, um das Schwerefeld des Planeten zu verlassen und auch die Kreisbahn des Zerstörers zu erreichen. Aber was würde das schon nutzen? Sie hatten als Kriegswaffe sogar eine Flüssigkeitsrakete hergestellt, mit einer Reichweite von hundert Kilometern. Doch selbst wenn sie jetzt eine zweite bauen könnten, wie sollte sie es schaffen, den Zerstörer auch zu treffen? Und gesetzt den Fall, sie träfe ihn wirklich, so würde das starke Langstonfeld des Kriegsschiffs sie doch unschädlich m achen. Ein Gefühl der Hilflosigkeit überschwemmte Nathan MacKinnie. Er schloß die Augen, und alles um ihn herum drehte sich. Er wußte nicht, wie lange er vor sich hingedöst und gehofft hatte, möglichst schnell ein bestimmtes Örtchen zu erreichen und sich dann gleich ins Bett fallen zu lassen. Lange konnte es jedenfalls nicht gewesen sein, denn als das Gebrüll ihn aus seiner Benommenheit riß, hatten sie noch nicht einmal das Imperiumsgebäude erreicht. Es dauerte ein paar kostbare S ekunden, ehe ihm bewußt wurde, daß die Droschke von mehreren Bewaffneten aufgehalten worden war. - 7-
Er riß die Tür auf und sprang kampfbereit auf die Straße, die Pistole in der Hand, aber er kam nicht dazu, sie zu benutzen. Ein schwerer Stock traf sein Handgelenk und betäubte seine Finger, die die Waffe fallen ließen. Von der anderen Seite der Kutsche hörte er Starks wildes Knurren, das Aufschnappen seines Messers und unmittelbar darauf ein Röcheln. Einer da drüben war sicher für längere Zeit ausgeschaltet. Noch einmal vernahm er Hals Triumphschrei und gleich danach einen dumpfen Schlag. Einen Augenblick später trugen drei Männer seinen Sergeanten um die Droschke herum. Einer hielt einen Sandsack in der Hand. »Er ist bewußtlos, Sir, wie Ihr befahlt, und wird bald wieder zu sich kommen«, erklärte er einem scheinbar mit den Schatten verschmelzenden Mann, der eine Pistole in der Hand hielt. »Ich wollte, ich könnte das von zweien meiner Männer ebenfalls sagen. Möglicherweise werden sie nie mehr aufstehen.« »Das genügt«, kam die barsche Antwort, und die Stimme klang merkwürdig bekannt, aber MacKinnie vermochte sich nicht zu entsinnen, woher. »Folgt mit Oberst MacKinnie und den anderen.« Die Gestalt im Schatten verschwand in einer Seitenstraße. MacKinnie spürte eine Degenspitze in seinem Rücken, während sie, vom heftigen Regen völlig durchnäßt, durch viele Gäßchen und Nebenstraßen marschierten und schließlich ein mehrstöckiges Gebäude betraten. Bei völliger Dunkelheit stiegen sie zwei Etagen tief, ehe einer der Männer eine Taschenlampe anknipste. MacKinnie sah, daß die drei Männer, die Stark trugen, eine weitere Treppe nach unten gingen. Er war nun überzeugt, daß es sich nicht um Straßenräuber handelte. Ihr diszipliniertes Verhalten ließ auf Soldaten schließen. Außerdem hatte der Anführer sowohl seinen, MacKinnies, Namen als auch seinen ehemaligen Rang gekannt und obendrein Stark persönlich untersucht. Diebe waren normalerweise nicht um das Wohl ihrer Opfer besorgt. Am Fuß der Treppe betraten sie einen düsteren Seitentunnel, der gut dreißig Meter geradeaus führte, ehe er nach ein paar Biegunge n am Fuß einer weiteren Treppe endete. MacKinnie war nun wirklich gespannt, wohin man sie brachte. Er kletterte die Stiegen hoch, und mit jeder Stufe verflog ein wenig mehr der Whiskyschleier. In einem holzgetäfelten Gang hielten sie vor einer Tür an, die erst nach einigen Minuten geöffnet wurde. In dem großen Büro brannte helles Licht. - 8-
Schwere rote Vorhänge bedeckten die Wände. Hinter dem Schreibtisch hing ein großes Gemälde von König David IX. Sergeant Stark hatte man auf eine mit Wolschleder bezogene Couch gelegt, für die seine mächtigen Schultern fast zu breit waren. Nathan MacKinnie bemerkte, daß sein Gefährte bereits wie der regelmäßig atmete, aber noch nicht bei Bewußtsein war. Sein zweiter Blick galt dem Mann hinter dem wuchtigen Schreibtisch, dem Mann, der immer noch recht unscheinbar wirkte und ihm etwas nervös entgegenlächelte. »Willkommen, Oberst MacKinnie«, begrüßte ihn Malcolm Dougal. »Willkommen im Hauptquartier der Geheimpolizei Seiner Majestät.«
3. Als MacKinnie sich nur schweigend umsah, bat Dougal ihn, in einem der Wolschledersessel Platz zu nehmen. »Darf ich Euch etwas anbieten, Oberst?« erkundigte er sich. »Etwas zu trinken? Nein? Das dachte ich mir. Aber vielleicht etwas Erdenkaffee oder Tschickist?« Dougals Lippen wurden schmal, als er den irdischen Kaffee erwähnte, und, MacKinnie ahnte, daß er damit auf die Probe gestellt werden sollte. »Tschickist, bitte«, antwortete er deshalb ohne Zögern. »Schwarz und bitter und eine große Menge.« Dougals Züge entspannten sich. »Ihr könnt gehen«, wandte er sich an die Wachen, die MacKinnie hergebracht hatten. Er blickte den Oberst an. »Ihr fragt Euch bestimmt, was Ihr hier sollt, nicht wahr?« »Es interessiert mich, ehrlich gesagt, mehr, wer Ihr seid. Ich habe Euch nie zuvor gesehen und auch n ie von Euch gehört, obwohl mir fast alle Offiziere Seiner Majestät persönlich bekannt sind.« »Nun, dann möchte ich Euch nicht im unklaren lassen. Ich heiße tatsächlich Dougal. Meine Position wird zwar im Jahresbudget, das dem Parlament vorgelegt werden muß, kaum erwähnt, aber ich bin trotzdem der Chef der Geheimpolizei Seiner Majestät, David IX. Ihr seht also, Oberst, daß ich offen zu Euch bin. Deshalb erwarte ich dasselbe von Euch. Hättet Ihr meine Einladung auf einen Drink im Blauen Faß angenommen, hätte ich Euch sicher auf angenehmere Weise hierherbringen können. Keinesfalls konnte ich mir j e- 9-
doch das Risiko Eurer Absage erlauben oder etwa Gefahr laufen, daß die Kaiserlichen auf einen von uns beiden aufmerksam geworden wären. Alles hängt davon ab, daß sie keinen Verdacht schöpfen. Alles!« Er lehnte sich vor und sah MacKinnie eindringlich an. »Ich bitte Euch nun um Euer Ehrenwort, mit niemanden über das zu sprechen, was Ihr nun e rfahren werdet, außer mit meiner ausdrücklichen Erlaubnis. Bitte!« MacKinnie hatte unter den Umständen keine Wahl. »Ihr habt mein Wort, Dougal«, versicherte er ihm. »Mein Ehrenwort.« »Ich danke Euch.« Nach einem leisen Klopfen an der Tür brachte einer der Posten ein Platintablett, auf dem sich mehrere Kupferkannen mit Tschickist, Zinnbecher und Zigaretten einer in Haven hergestellten Marke befanden. Es fiel MacKinnie auf, daß alles im Zimmer einheimische Produktion war. Hinter dem Posten entdeckte er den hageren Inspektor Solon in der dunkelblauen Uniform der Königlichen Polizei, der unbewegt unter der offenen Tür stand. Er hatte offensichtlich nicht die Absicht, einzutreten, und Dougal sprach ihn auch nicht an. Als der Posten das Büro wieder verließ, folgte ihm Solon und schloß die Tür hinter sich. »Ihr habt Inspektor Solon erkannt, nehme ich an. Es gibt zwei Gründe für seine Anwesenheit. Erstens solltet Ihr sehen, daß er mir untersteht, damit Ihr mir glaubt, daß ich der bin, der ich zu sein vorgebe. Und zweitens, und das ist von größerer Wichtigkeit, möchte ich keinem anderen die Bewachung der Tür anvertrauen, bis wir hier fertig sind.« Er lächelte. »Nun, ich glaube, ich habe Euch hinreichend beeindruckt. Genießt jetzt Euren Tschickist, Ihr werdet noch eine ganze Weile hierbleiben.« »Was ist mit meinem Sergeanten?« »Er hat keinen dauerhaften Schaden erlitten. In einer Stunde dürfte er wieder völlig in Ordnung sein.« »Na schön, dann beginnt.« MacKinnie schlürfte das bittere Zeug, das auch nicht im geringsten an den ihm viel lieberen Erdenkaffee herankam. »Erzählt mir, was Ihr über die Pläne der Kaiserlichen Marine in b ezug auf Prinz Samuals Welt wißt, Oberst MacKinnie.« »Herzlich wenig. Sie tauchte vor ungefähr einem Samualjahr hier auf und errichtete einen Stützpunkt in Haven. Anfangs mischte sie sich nicht in die Belange der p lanetaren Regierungen ein, aber dann verbündete sie sich mit Eurem König David ...« »Auch Euer König, Oberst«, unterbrach Dougal ihn. - 10-
»Mit König David. Sie half Haven die benachbarten Stadtstaaten erobern und tat schließlich etwas, was Haven in seiner ganzen Geschichte nie gelungen ist. Jedenfalls gab sie euch Orleans. Ich habe keine Ahnung, wer als nächstes an der Reihe ist, aber ich nehme an, es wird so weitergehen, bis Haven der ganze Nordkontinent gehört, danach? Wer weiß? Vielleicht die Südmänner.« »Was glaubt Ihr, Oberst, wird sie dann tun?« »Sie macht große Sprüche, daß sie uns hilft und uns alle möglichen technischen Wunderdinge überläßt, aber bis jetzt habe ich noch nichts davon gesehen. Ihr Havener habt sie alle für euch behalten.« »Das haben wir nicht, denn wir bekamen überhaupt keine. Wenn die Marine uns half, dann bediente sie ihre Waffen selbst, und kein einziger unserer Leute durfte ihre fortschrittliche Technologie auch nur sehen. Aber sprecht weiter. Was kommt dann?« »Nun, wenn ihr den ganzen verdammten Planeten erobert habt, werden sie euch ins Reich aufnehmen, mit David IX als planetaren König.« »Und das würde Euch nicht behagen?« Dougal lächelte. »Welche Antwort erwartet Ihr denn von mir? Wollt Ihr vielleicht landesverräterische Worte aus meinem Mund hören?« Malcolm Dougal schenkte sich einen zweiten Becher Tschickist ein und nahm einen tiefen Schluck, ehe er antwortete. »Oberst«, sagte er langsam. »Wenn es mir danach wäre, könnte ich Euch ohne Beweismittel und ohne ein Verfahren beseitigen lassen. Niemand außer meinen zuverlässigsten Leuten würde je auch nur erfahren, daß Ihr Euch hier befandet. Aber ich habe nichts gegen Euch. Im Gegenteil, es interessiert mich ehrlich, was der eiserne – so nannte man Euch doch, nicht wahr? – der eiserne MacKinnie von der ganzen Sache hält, und es ist verdammt wichtig für Haven und den gesamten Planeten. So, und jetzt gebt mir endlich Antwort!« »Es würde mir nicht behagen. Noch weniger gefallen würde mir allerdings eine planetenweite Herrschaft durch einen der südländischen Rege nten.« »Danke. Würde Euch vielleicht ein kaiserlicher Vizekönig noch weniger zusagen?« »Selbstverständlich.« »Und warum?« Dougal winkte ab, noch ehe MacKinnie seine Lippen zu öffnen vermochte. »Ich weiß warum. Aus demselben Grund, warum Ihr - 11-
Tschickist trinkt, so bitter er auch ist, Weil er ein Fremder wäre, ein Ausländer, weil er nicht von Samual stammt, während wir doch wenigstens hierhergehören. Habe ich recht? Aber ich versichere Euch, MacKinnie, das Reich wird uns nie verschlingen. Nicht solange ich lebe – und meine Söhne nach mir.« »Diesem Schicksal hofft Ihr also zu entkommen, indem Ihr die Hilfe der Kaiserlichen Marine zur Eroberung des ganzen Planeten beansprucht ?« »Das hatten wir gehofft. Aber wir haben den Gedanken aufgegeben. Wenn erst einmal ihre Kolonisten und ihr Vizekönig hier eingetroffen sind, wird König David nicht mehr Einfluß auf die Geschicke unserer Welt haben als Euer Sergeant.« Er drückte auf einen Knopf an seinem Schreibtisch. Kurz darauf öffnete sich die Tür. »Bringt mir das Buch, Solon«, befahl Dougal. »Jawohl, mein Lord«, erwiderte der Inspektor. Er verließ das Büro und kam wenige Minuten später mit einem dicken Bündel Papier zurück, das mit merkwürdigen Klammern zusammengehalten wurde. Er legte es auf den Schreibtisch und verschwand wieder. »Das ist das einzige, was wir bisher vom Imperium in die Hände bekommen konnten. Es ist zwar nur ein Roman über die Abenteuer eines Marineoffiziers auf einem neu besiedelten Planeten, aber er enthält trotzdem viel wertvolle Information über die Struktur der Reichsregierung. Ihr wißt ja, wie beispielsweise ein Bestseller von Cadace unbeabsichtigt eine Menge über Havens Verwaltung verraten würde. Ihr versteht doch, nicht wahr?« MacKinnie nickte. »Dann hört. Zum Imperium gehören verschiedene Arten von planetaren Regierungen. Da gibt es die Erde selbst, die zumindest dem Namen nach als Hauptwelt gilt, obwohl sie als Folge des Großen Krieges zum größten Teil unbewohnbar ist. Aus Gründen, die mir nicht bekannt sind, unterhält man dort jedoch einige Institutionen wie die Marine- und Militärakademie; die tatsächliche Hauptwelt liegt jedoch in einem anderen Planetensystem. Außer diesen Hauptwelten gibt es noch Mitgliedskönigreiche, wie sie genannt werden. Bei diesen handelt es sich um planetare Regierungen, die stark genug wären, der Kaiserlichen Marine die Stirn zu bieten, falls es dem Imperium in den Sinn käme, sich in ihre internen Angelege nheiten zu mischen.« »Alles Monarchien?« erkundigte sich Nathan.
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»Es gibt zumindest eine Republik, aber alles andere scheinen tatsächlich Monarchien zu sein.« Dougal nahm einen Schluck Tschickist. »Dann sind da noch Welten. Kategorie eins und Kategorie zwei. Den genauen Unterschied kennen wir nicht, aber jedenfalls besitzen beide nicht die Autonomie der Mitgliedskönigreiche. Allerdings ist es ihnen gestattet, Parlamentsabgeordnete zu entsenden und Offiziere für die Kaiserlichen Streitkräfte zu stellen. Diese beiden Kategorien hängen irgendwie mit dem Stand der Technologie zusammen, und sowohl Welten der Kategorie eins als auch zwei verfügen über etwas, das Atomkraft genannt wird. Außerdem haben sie Raumschiffe.« MacKinnie erinnerte sich einiger Bemerkungen des betrunkenen Leutnants im Blauen Faß. Er erwähnte es. Dougal nickte. »Genau deshalb seid Ihr hier, Oberst, weil Ihr dieses Gespräch mitanhören konntet. Ihr müßt verstehen, nach den Welten Kategorie eins und zwei gibt es nur noch Kolonien. Und wir hier sollen eine solche Kolonie werden.« »Was ist der Status einer Kolonie?« fragte MacKinnie. »Kolonien haben keinen Status. Imperiumsbürger werden als Aristokraten auf die Kolonialwelten geschickt, um die Zivilisation zu vertreten. Ein Vizekönig regiert als Stellvertreter des Kaisers, und die Marine unterhält eine Garnison, um ge gen Schwierigkeiten gewappnet zu sein. Die Kolonisten haben die absolute Kontrolle. Die Planetarier müssen gehorchen.« »Wie können sie denn einen ganzen Planeten gegen den Willen seiner Bevölkerung regieren? Und was haben sie davon, wenn sie eine halbe Welt in Schutt und Asche legen wie unser Lechfeld?« MacKinnie goß den letzten Schluck Tschickist aus seinem Becher hinunter, dann beantwortete er seine Frage selbst. »Aber sie haben es ja nicht nötig, ihre eigenen Schlachten zu schlagen, nicht wahr? Es gibt sicher auf jedem Planeten eine Regierung irgendeines Staates oder Königreichs, die aus Machtgier und um der Eroberung willen die schmutzige Arbeit für sie tut«, brummte er, und die Anspielung war unüberhörbar. Dougal tat, als bemerke er es nicht. »Ihr habt recht. Irgend jemand erklärt sich immer dazu bereit. Wäre es hier nicht König David, dann würden es die Despoten des Südkontinents sein. Aber wir werden nicht zur Kolonie, MakKinnie. Ich habe einen Plan, zumindest den Kategorie zwei-Status für Samual zu sichern. Und ich brauche Euch, Oberst, diesen Plan auszuführen.« - 13-
MacKinnie erhob sich, streckte sich und sah nach Stark, der immer noch nicht aufgewacht war. »Habt Ihr eine Pfeife und etwas Tobak für mich, mein Lord? Die Nacht scheint noch lang zu werden.« Er setzte sich wieder in den Sessel. »Wieso ausgerechnet mich?« »Das wußte ich bis heute abend selbst nicht. Ich hatte auch noch keinen festen Plan, nur die Absicht, jegliche Chance zu nützen. Und ich glaube, dieser besoffene junge Narr hat uns ungewollt einen Tip gegeben, wie unsere Welt gerettet werden kann. Ihr hörtet ihn doch, nicht wahr?« »Wenn ja, verstand ich es nicht. Was habt Ihr vor?« »Aber Ihr müßtest es doch mitbekommen haben. Ihr wart doch gleich am Nebentisch, als er über die alte Reichsbibliothek auf dem Nadelöhrplaneten erzählte.« »Das schon. Aber es ist mir nicht klar, wie uns das nützen soll.« »Ihr habt Euch auch nicht monatelang damit beschäftigt, einen Ausweg zu finden wie ich. Dieses Buch kam schon bald nach der Landung der Kaiserlichen in unsere Hand. Wir benötigten ein paar Wochen, die Sprache zu verstehen. Sie unterscheidet sich nicht sehr von unserer, zumindest die geschriebene nicht. Darum haben die Kaiserlichen auch keine namhaften Verständigungsschwierigkeiten hier in Haven. Jedenfalls, seitdem ich dieses Ding zu lesen vermochte, hatte ich keinen anderen Gedanken mehr, als der Falle zu entkommen. Wir können natürlich nichts dagegen tun, dem Imperium eingegliedert zu werden, aber bei allen Heiligen, wir können etwas unternehmen, daß sie uns als Gleichwertige anerkennen und nicht wie Sklaven behandeln.« »Wenn Ihr dieses Buch schon so lange besitzt, mußte Euch doch schon vor der Allianz, die Haven mit den Kaiserlichen schloß, bewußt gewesen sein, was gespielt wird!«' »Ja, natürlich. Eben deshalb riet ich Seiner Majestät, dieses Bündnis überhaupt einzugehen. Ohne eine planetenweite Regierung hat unsere Welt nicht die geringste Chance, der Kolonisierung zu entgehen. Und ist nicht König David das Oberhaupt, hätte ich ja keinerlei Einfluß auf die Planetenregierung. Ich halte mich jedenfalls für einen sehr fähigen Mann, und ich habe nur das Wohl unserer Welt im Auge.« »Na schön«, brummte Nathan. »Aber ich sehe immer noch nicht, was wir tun können.«
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Dougal lachte. »Euer Verstand scheint immer noch ein wenig vom Whisky verwirrt. Hat sich der eiserne MacKinnie nicht selbst ein paar recht wirkungsvolle Tricks ausgedacht, um uns seinerzeit hinters Licht zu führen? Ich habe Einblick in Eure Personalakte genommen – sie liegt hier vor mir – und es geht klar daraus hervor, daß Ihr nicht gerade ein phantasieloser Offizier wart. Um so mehr freut es mich, daß ich es jetzt bin, der Euch einweisen darf.« Dougal schenkte ihnen beiden Tschickist nach. »Diese Bibliothek ist der Schlüssel zu dem Ganzen. Wenn jenes Wissen unser wäre, das sie zweifellos enthält, was glaubt Ihr, was unsere Professoren auf der Universität daraus machen könnten, und die Industriebarone von O rleans und Haven, und die Bergleute von Clanranald! Nach ihren eigenen Regeln müßten die Kaiserlichen uns dann als eine zu kategorisierende Welt anerkennen und nicht als Kolonie. Wir wären dann Bürger des Imperiums und nicht seine Sklaven.« MacKinnie schnaufte tief. »Na schön. Mit dem notwendigen Wissen – vielleicht sogar den Konstruktionsplänen – und einer Planetenregierung, die die Technologie des Nordkontinents mit den Bodenschätzen der Südhalbkugel verbinden kann, ließe es sich vielleicht schaffen. Aber uns fehlt die Zeit. Wir würden Jahre benötigen.« »Die haben wir. Die Kaiserlichen werden nichts unternehmen, ehe es hier eine Weltregierung gibt. Sie haben keine Eile. Natürlich wird es für uns nicht leicht sein, ein Raumschiff vor ihrer Nase zu bauen, aber sie haben nicht allzuviele ihrer Leute auf unserem Planeten, und sie werden kaum Verdacht schöpfen, bis wir nicht fertig sind.« MacKinnie schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie Ihr das bewerkstelligen wollt, aber das soll Eure Sorge sein. Ohne Schiff gelangen wir jedoch nicht zur Bibliothek und ohne sie nicht zu einem Schiff. Selbst wenn wir eines hätten, könnten wir es nicht bedienen. Seit Hunderten von Jahren gibt es niemanden auf diesem Planeten, der auch nur das Innere e ines Sternenschiffs gesehen hätte. Ehe die Kaiserlichen kamen, war die allgemeine Ansicht hier, daß die Geschichte vor dem Großen Krieg nicht viel mehr als Legenden sei. Wie, zum Teufel, glaubt Ihr also, daß wir diesen Planeten im Nadelöhr erreichen könnten?« »Das ist der einfachste Teil des ganzen Planes, Oberst. Die Kaiserlichen haben bereits zugesagt, uns dorthin zu bringen.« Er lächelte über MacKinnies Verblüffung. »Es gibt nämlich nicht nur Marine und anderes Militär. - 15-
Einige der Kaiserlichen, die hierherkommen, sind Händler. Im Moment verhandeln zwei gerade mit König David um die Grua-Rechte. Sie sind der Meinung, daß unser Pfirsichbrand auf der Hauptwelt ein Vermögen einbringen wird. Außerdem sind sie an unserem Platin und Iridium interessiert. Sie scheinen Bedarf für diese Metalle zu haben, die bei ihnen offenbar nur in kleinen Mengen vorkommen. Leider gibt es jedoch kaum etwas, das sie uns dafür bieten können, denn die Marine gestattet nicht, daß sie uns das verkaufen, worauf wir Wert legen, nämlich auf ihre Technologie. Die sehr strikten Bestimmungen des Imperiums sind, daß keine Tauschware gegeben werden darf, die technologisch weiter entwickelt ist als die auf dem Planeten vorhandene. Ich veranlaßte deshalb, daß der König ihnen vorschlug, sie sollen uns als Zahlung für unsere Rohstoffe zu einem Planeten bringen, der weniger weit entwickelt ist als unserer, damit wir mit ihm Handelsbeziehungen aufnehmen könnten. Sie schlugen eine sehr rückständige Welt im Nadelöhr vor, und wir haben bereits begonnen, eine Handelsexpedition zusammenzustellen.« »Und das erlaubt die Marine tatsächlich?« MacKinnie wunderte sich. »Unter sehr strikten Bedingungen. Wir dürfen nichts mitnehmen, das fortschrittlicher ist als das, was die Einheimischen selbst besitzen. Die Marine wird eine strenge Inspektion vornehmen, ehe sie uns aufbrechen läßt, aber sie werden uns nicht zurückhalten. Der KHV hat offenbar großen Einfluß im Parlament, jedenfalls hat dieser Händlerverband die Marine so gut wie gezwungen, uns mit diesem Planeten – er heißt übrigens Makassar – Handel treiben zu lassen.« »Und werden sie nicht aufpassen, daß wir nicht zu nahe an diese Bibliothek herankommen?« fragte Nathan. Sein Whiskynebel hatte sich nun ganz gelegt. Endlich hatte er wieder das Gefühl, gebraucht zu werden. Aufmerksam hörte er Dougal zu und bemerkte nicht einmal, daß Stark sich auf der Couch zu rühren begann. »Sie haben sie nie zuvor erwähnt. Ehe nicht der junge Leutnant in seiner Alkoholredseligkeit davon sprach, wußte ich nicht einmal etwas von ihrer Existenz.« Dougal machte eine Pause und blickte den Oberst ernst an. »Nun bleibt noch e in Problem zu lösen. Das des Obersts MacKinnie, der auch von dieser Bibliothek Kenntnis hat. Als ich davon hörte, beschloß ich, mir das notwendige Wissen von dort zu beschaffen, und da Ihr nun auch darüber Bescheid - 16-
wißt, habe ich nur zwei Alternativen: Euch zu töten oder auf diese Expedition zu schicken. Ich habe keine Ahnung, wie man zu diesen Büchern kommen könnte, aber das weiß vermutlich überhaupt niemand auf diesem Planeten. Wie dem auch sei, Ihr seid mir lebend lieber als tot. Ihr wart sehr einfallsreich in Eurem Kampf gegen Haven, Oberst. Seid Ihr bereit, König David den Treueid zu leisten und von nun an Haven zu dienen?«
4. MacKinnie wachte mit einem sauren Geschmack im Mund und einem leichten Schädelbrummen auf. Er stützte sich auf die Ellbogen. Sein Kilt und die Jacke hingen frisch gereinigt und gebügelt über einem Stuhl, auf dem unter anderem auch seine Dienstpistole lag. Er kletterte mit noch alkoholschweren Gliedern aus dem Bett, um die Waffe zu untersuchen und war nicht überrascht, daß sie nicht mehr geladen war. In aller Ruhe machte er Toilette in dem luxuriös ausgestatteten Badezimmer, rasierte sich mit dem teuren Schaum und benutzte das männlich duftende Rasierwasser. Bestimmt wurde nicht allen unfreiwilligen Gästen der Geheimpolizei Seiner Majestät ein solcher Luxus geboten. MacKinnie vermutete stark, daß es mehr Verliese als Gästesuiten in diesem Gebäude gab. Während Nathan sich ankleidete, benutzte Stark das Badezimmer und leistete ihm dann Gesellschaft. »Und wie soll's jetzt weitergehen, Oberst?« erkundigte er sich laut und gab ihm mit Augen und Händen Zeichen, daß sie möglicherweise abgehört wurden. MacKinnie nickte. »Das weiß ich selbst noch nicht genau, aber jedenfalls wird es ein dankbarerer Job, als die Südmänner zu jagen. Sag, glaubst du, du kannst ein paar unserer Wölfe zusammentrommeln, die den Mund halten und sich wie Händlerbegleitschutz benehmen können?« »Soviel Ihr wollt, Oberst. Wie viele werden wir brauchen?« »Das sage ich dir noch, Hal. Was hältst du von der Sache?« »Viel. Aber ich werde mich wohl erst daran gewönnen müssen, Euch Händler zu nennen.«
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»Und ich, mich wie einer zu benehmen.« MacKinnie grinste. »Jetzt sollten wir aber Lord Dougal nicht länger warten lassen. Melde durch das Sprechrohr, daß wir bereit sind, das Frühstück einzunehmen.« Fünf Minuten später geleiteten vier Posten MacKinnie und Stark auf eine Veranda, wo Dougal bereits seinen Tschickist schlürfte. »Guten Morgen, Händler«, begrüßte er den Oberst. Er erhob sich und rückte ihm einen Stuhl zurecht. Stark wies er einen Tisch ein paar Schritte entfernt an. »Euer Frühstück wird sofort gebracht. Ich hoffe, Ihr habt gut geschlafen?« MacKinnie dankte lächelnd. »Bedeutend besser, als ich nach meiner Einlieferung, oder wie Ihr es nennen wollt, erwartet hatte.« Dougal nickte. »Für die meisten ist der Aufenthalt in diesem Gebäude weniger angenehm.« Mit einer Handbewegung schickte er die Wachen fort. »Euer neues Leben als Händler beginnt in diesem Augenblick«, erklärte er. »Es gibt in Haven Generationen von Händlern mit dem Namen MacKinnie. Es genügt deshalb, wenn wir nur Euren Vornamen ändern. Von jetzt an seid Ihr Händler James MacKinnie.« »Seid Ihr sicher, daß die Kaiserlichen mich nicht erkennen werden?« »Ziemlich. Außerdem werden sie kaum nach einem Toten suchen. Oberst Nathan MacKinnie erlag ein paar Wochen nach der Schlacht auf dem Lechfeld seinen Wunden. Er war zu stolz und durch und durch Soldat, als daß er die Schwere seiner Verletzungen auch nur erwähnt hätte, als er sich ergab. Sein Tod ist bereits in den Akten aufgeführt.« »Aber da war doch ein junger Offizier, der mich interviewte – und der Zahlmeister weiß, daß ich seit Monaten meine Pension bekomme – und die Wirtin, wo wir wohnen ...« »Diese Leute gab es einmal, Händler. Bedauerlicherweise fielen sie vergangene Nacht alle tragischen Unglücksfällen zum Opfer. Auch das Blaue Faß existiert nicht mehr. Die Taverne brannte bis auf die Grundmauern ab, kurz nachdem die kaiserlichen Offiziere sie verlassen hatten, und leider konnte niemand gerettet werden. Es sieht fast so aus, als handelt es sich um Brandstiftung, aber wenn es wirklich so ist, wird die Polizei Seiner Majestät die Verbrecher zweifelsohne fassen. Noch einen Becher Tschickist?« »Nein, danke. Und meine Männer? Meine ehemaligen Offiziere?« .»Sie werden gerade für eine Expedition zu den Inselgruppen angeheuert, und zwar für einen Sold, der so hoch ist, daß sie das Angebot kaum abschla- 18-
gen werden. Und wenn doch – nun, Ihr wißt vielleicht, es wäre nicht das erstemal, daß Expeditionen auch unfreiwillige Teilnehmer haben.« Ehe MacKinnie darauf eingehen konnte, erschien ein Unteroffizier mit dem Frühstück. Als MacKinnie schließlich seinen leeren Teller zur Seite schob, brachte ihm der Unteroffizier eine Pfeife. Es war eine von Nathans eigenen, die er in seiner Unterkunft gehabt hatte. Doch es schien ihm überflüssig, auch nur ein Wort darüber zu verlieren. »Nun, welcher Drill ist für heute geplant?« fragte er. »Bitte achtet auf Eure Ausdrücke, Händler. Wir wollen ja nicht, daß jeder Euch sofort als alten Soldaten erkennt, obwohl wir natürlich vorsichtshalber in Eurer Händlerakte angegeben haben, daß Ihr Euch als Offizier der Schutzgarde Seiner Majestät im Theberischen Krieg auszeichnetet. Aber nun werde ich die anderen Mitglieder der Expedition kommen lassen.« »Wissen diese Leute, wer Ihr seid?« erkundigte MacKinnie sich schnell noch, als bereits Schritte laut wurden. »Ja, denn es handelt sich um absolut zuverlässige und vertrauenswürdige Personen, aber sie kennen den wahren Zweck der Expedition nicht.« Dougal erhob sich und setzte sein strahlendstes Lächeln auf. »Willkommen, meine Herren, willkommen, Freilady. Ich möchte Euch mit Händler MacKinnie bekannt machen, der König Davids Beauftragter und Leiter dieser Expedition ist. Er hat sie auch zu einem großen Teil finanziert. Händler, hier sind Eure Begleiter.« Er stellte sie MacKinnie der Reihe nach vor. Schiffsmeister MacLean von der Königlichen Handelsmarine war mittelgroß, breitschultrig und hatte die typische Haltung eines Offiziers. Der zweite war Akademiker Longway, ein Soziologe und Historiker, dessen Spezialgebiet primitive Kulturen war. Auch er war breitschultrig, aber klein, dunkelhaarig und dunkeläugig, ein typischer Samualaner. Der dritte war ein junger, kaum zwanzigjähriger Mann, dessen schmale Schultern und gebeugte Haltung ihn noch kleiner erscheinen ließen, als er ohnehin war. Er trug ebenso wie Longway eine Brille. Dougal stellte ihn als den klügsten Studenten der Universität und Assistenten Longways vor. »Und das hier ist Freilady Mary Graham«, schloß er. »Sie wird Euch als Assistentin und Sekretärin zur Verfügung stehen. Ich möchte hinzufügen, daß sie an der Universität graduiert hat.« - 19-
Sie war keine auffallende Schönheit, hatte jedoch ein wohlgeformtes G esicht und eine gute Figur. MacKinnie schätzte sie auf dreiundzwanzig Samualjahre. »Ich freue mich, an der Expedition teilnehmen zu dürfen«, sagte sie mit angenehm klingender Stimme. »Es ist mir eine Ehre, Freilady«, erwiderte Nathan höflich, aber er war über die Teilnahme einer Frau an der Expedition absolut nicht erbaut. »Und hier sind noch MacReedy und Todd, die ich Euch als Schutz mitgeben werde. Ihr untersteht Hal Stark«, erklärte er ihnen. Dann wandte er sich wieder an MacKinnie. »Sobald wir wissen, wie vielen die Teilnahme an der Expedition erlaubt ist, werden wir noch ein paar weitere Leute aussuchen.« Stark kümmerte sich um die beiden jungen, sehr militärisch aussehenden Männer. »Ich hätte noch etwas wegen der Ladung mit Euch zu besprechen, mein Lord«, erklärte MacKinnie. »Wenn die Herrschaften uns vielleicht kurz entschuldigen würden?« Dougal nickte und bat Nathan, ihm zu seinem Büro zu folgen. MacKinnie baute sich vor dem Geheimpolizeichef auf, der sich hinter seinen Schreibtisch gesetzt hatte. »Verdammt, Ihr glaubt doch nicht im Ernst«, explodierte er, »daß die Kaiserlichen so dumm sind, diese Leute, die Ihr da ausgewählt habt, für Händler zu halten, und uns die Reisegenehmigung geben werden. Die ganze Sache ist schon fadenscheinig genug. Wie soll ich meine Mission erfolgreich durchführen, wenn Ihr mir solch unfähige Leute mitgebt. Bei allen guten Geistern, das sieht doch ein Blinder, daß dieser angebliche Schiffsmeister ein Offizier Eurer Kriegsmarine ist, der sicher an nichts anderes denkt, als alles über das kaiserliche Sternenschiff herauszufinden, was er nur kann. Und dann dieser kleine, gebückte Intellektuelle, der ohne Brille vermutlich nicht weiter als bis zu seiner Nasenspitze sehen kann und kaum aus den Kinderschuhen geschlüpft ist. Der Akademiker ist wahrscheinlich in Ordnung, aber dann das Mädchen! Wo habt Ihr die denn aufgegabelt? In der Abschlußklasse Eurer Spionschule?« Dougal hob abwehrend die Hand. »Nehmt erst einmal Platz, Händler, und beruhigt Euch. Schenkt Euch einen Schluck Whisky ein.«
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Immer noch aufgebracht, ließ Nathan sich in den angebotenen Sessel fallen und stopfte seine Pfeife. »Und noch etwas, was Ihr wissen sollt. Ich habe etwas gegen Mord. Wie viele Menschen habt Ihr überhaupt vergangene Nacht umbringen lassen?« »So viele, wie nötig waren, Händler«, erwiderte Dougal kalt. »Betrachtet sie als Märtyrer zum Wohle Prinz Samuals Welt. Wir werden Denkmäler für sie aufstellen, wenn unser Plan geglückt ist.« Er zündete sich eine Havener Zigarette an und fuhr fort. »Nun, was Eure Begleiter betrifft, erstens: Natürlich ist MacLean ein Marineoffizier. Und natürlich erwarten die Kaiserlichen geradezu, daß wir einen Geheimagenten in die Expeditionsmannschaft einschleusen. Wir hoffen, daß ihr Verdacht auf MacLean fällt und nicht auf Euch, und daß sie nichts weiter tun werden, als aufzupassen, daß MacLean keinem ihrer technologischen Geheimnisse auf dem Schiff zu nahe kommt. Akademiker Longway hat bereits an mehreren Expeditionen zu dem Archipel teilgenommen. Er versteht vermutlich mehr von alten Kulturen und auch alten Zivilisationen als irgendein anderer auf diesem Planeten. Außerdem weiß er sich zu helfen. Er wird Euch vielleicht mehr von Nutzen sein, als Ihr für möglich haltet.« »Gegen ihn hatte ich ohnehin nichts einzuwenden«, brummte MacKinnie. »Doch was ist mit dem Studenten? Der schwächste Windhauch wird ihn umwerfen.« »Kleinst ist das, was er scheint – ein Scholar. Nur ist er kein Historiker, sondern Physiker – der beste in Haven, der jedoch noch nicht so prominent ist, daß ihn die Kaiserlichen kennen würden. Und der Junge versteht genug von Longways Fach, daß er sich zumindest Laien gege nüber als Historiker ausgeben kann. Ich weiß selbst, daß sein Äußeres gegen ihn spricht, aber wir können nicht zu wählerisch sein. Ihr braucht jemanden, der wissenschaftlich ausgebildet ist Und Euch beraten kann, was Ihr mitbringen sollt.« MacKinnie stocherte in seiner Pfeife. »Und was ist mit dem Mädchen?« »Sie ist die Tochter eines meiner Offiziere. Sie hat tatsächlich ein abgeschlossenes Universitätsstudium und ist absolut zuverlässig. Die Hauptsache jedoch ist ihre außergewöhnliche Intelligenz – und wer erwartet von einer Frau schon Intelligenz? Sie hat vielleicht die Möglichkeit, etwas zu erfahren, wo ein Mann nicht herankäme. Abgesehen davon wird sie auch deshalb nicht auffallen, weil es üblich ist, Assistentinnen auf Expeditionen mitzunehmen.« - 21-
»Na gut.« MacKinnie resignierte. »Und wer von ihnen hat den Auftrag, mich zu bespitzeln?« »Alle. Aber Ihr werdet uns nicht verraten. Ich weiß genug über Euch, u m ein dickes Buch zu füllen. Wir zogen Euch für den Staatsdienst in Betracht, seit Orleans zu uns gehört. Als Ihr das Gespräch des Leutnants mitanhörtet, wußten wir bereits alles über Euch. Ich lasse mir gute Leute nicht entgehen, MacKinnie. Haven braucht alle für die bevorstehende große Aufgabe. Ich weiß, Ihr werdet Euren Treueid nicht brechen.« »Danke für Euer Vertrauen«, brummte Nathan sarkastisch. »Welche Art von Waren nehmen wir eigentlich mit?« »Primitive Waffen in großer Menge. Streitäxte, Schwerter und ähnliches. Dann Harnische, Gold und Platin, aber wenig, denn das können wir an die Kaiserlichen verkaufen. Stoffe, hauptsächlich Tartan aus wintergeschorenen Wolschen, Grua, Gewürze, billige Schmuckstücke. Ihr werdet die Liste in Kürze erhalten. Falls Euch noch irgend etwas Primitives einfällt, an dem die Makassarer interessiert sein könnten, dann laßt es mich wissen. Aber versucht nichts einzuschmuggeln, was gegen die Gesetze der Kaiserlichen verstößt.«
5. »Hast du einige der Wölfe gefunden?« MacKinnie saß mit Stark allein auf der Veranda, die anderen hatten noch einige Besorgungen zu erledigen. »Jawohl, Ob..., wollte sagen Händler, Sir. Aus den Mannschaftsrängen können wir eine gute Auswahl treffen. Die Offiziere sind schwieriger zu finden.« »Wie steht es eigentlich mit den beiden, die Dougal für uns ausgesucht hat. Taugen sie etwas?« »MacReedy hat schon mehrere Expeditionen als Wachmann mitgemacht. Er scheint brauchbar zu sein. Todd ist noch recht unerfahren, ein Kadett frisch aus der Akademie, nehme ich an, dürfte es wohl einmal bis zum Oberst oder weiter bringen. Nur als einfacher Wachmann fällt er wohl auf – zu gute Manieren, zu gewählte Sprache. Das muß er sich für die Reise abgewöhnen.«
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»Genau, was ich erwartete. Aber Dougal hat seine eige nen Vorstellungen. Wir können nichts ändern, solange wir nicht auf Makassar sind, und vielleicht nicht einmal dann.« MacKinnie überlegte kurz. »Sieh zu, Hal, daß du zwei zuverlässige Unteroffiziere von den Wölfen auftreibst. Dunston und Oslby vielleicht, aber das überlasse ich dir. Ich habe das G efühl, daß wir ein paar gute Kämpfer brauchen werden, und ich möchte mich nicht allein auf die Havener verlassen müssen.« »Glaubt Ihr, es wird zum Kampf kommen, Sir?« »Ich weiß nicht, aber Dougal scheint es zu vermuten, sonst hätte er nicht mich zum Expeditionsleiter bestimmt. Schließlich habe ich nichts anderes gelernt, als zu kämpfen. Ah, hier kommt unsere junge Lady.« »Die Ware kann jederzeit geladen werden. Habt Ihr sonst noch Aufträge für mich, Händler?« erkundigte sich Mary. »Ja. Laßt Euch die Maße geben, und seht zu, daß für jeden Expeditionsteilnehmer eine Rüstung angefertigt wird. Ich möchte, daß Kettenhemden für alle zur Verfügung stehen, auch für Euch, Freilady. Und besorgt gute Schwerter; Wachführer Stark wird Euch bei der Auswahl behilflich sein.« Sie notierte alles sorgfältig in einem kleinen Heftchen. »Ist das alles?« MacKinnie blickte Stark fragend an. »Was würdest du noch vorschlagen, Hal?« »Armbrüste. Schreib auf, Freilady. Dreißig aus bestem Stahl. Und wir brauchen ungeschorene Wolschanzüge, so richtig dicke, die unter der Rüstung getragen werden kann. Wenn schon jemand mit dem Schwert auf mir herumhackt, möchte ich nicht nur geschützt, sondern auch gut gepolstert sein. So, das dürfte einstweilen genügen. Wenn Ihr alles erledigt habt, habe ich noch ein paar Aufträge für Euch.« Sie nickte und ließ die beiden Männer allein. MacKinnie schenkte sich Bier ein. »Sie scheint recht fähig zu sein«, murmelte er. »Das muß sich noch herausstellen, Händler«, brummte Stark. »Warum eigentlich die große Eile?« »Das Schiff startet bald. Wenn wir es nicht rechtzeitig schaffen, müssen wir auf das nächste warten.« Es gab noch einen weiteren Grund, den MakKinnie jedoch für sich behielt. Dougal befürchtete, die kaiserlichen Händler könnten vielleicht ebenfalls von der Bibliothek erfahren und Schlüsse daraus ziehen. Je eher sie also aufbrachen, desto größer waren ihre Chancen. Außerdem konnte die Konstruktion des Raumschiffs erst beginnen, wenn - 23-
Dougal die notwendige Handbücher aus der Bibliothek hatte – falls es überhaupt welche gab und es ihnen gelang, sie zurückzubringen. Allerdings würde er inzwischen schon mit dem Bau der Hülle anfangen. Mary Graham fand sich mit den anderen zur Hauptmahlzeit auf der Veranda ein. MacKinnie lud sie ein, sich an seinen Tisch zu setzen. »Ihr scheint mehr Verstand zu haben«, sagt er, »um so weniger verstehe ich, warum Ihr Euch dieser verrückten Expedition anschließen wollt.« »Ich halte es für meine Pflicht, Händler«, erwiderte sie vorsichtig. »Lord Dougal ist der Ansicht, sie sei eine der wichtigsten Missionen in der Geschichte Havens, obwohl er nicht bereit war, mir zu erklären, weshalb.« »Und was glaubt Ihr, zu ihrem Erfolg beitragen zu können?« »Das wird sich erst noch herausstellen müssen. Fast alle Handelsexpeditionsleiter haben Sekretärinnen. Meine Ausbildung könnte Euch vielleicht zugute kommen.« Nathan lächelte. »Das bezweifle ich. Aber lassen wir das. Erzählt mir lieber, was Ihr auf der Universität studiert habt und wie Ihr überhaupt dazu kamt.« »Oh, ich habe ein wenig von allem studiert, Händler. Und warum? Nur Mädchen aus gutem Hause zu sein und Däumchen zu drehen, liegt mir nicht. Akademiker Longway erklärte in einer seiner Vorlesungen, daß es nach dem Großen Krieg nur noch sehr wenige Frauen auf Prinz Samuals Welt gab und die Männer ihre Gattinnen und Töchter nicht aus dem Haus ließen, um andere Männer nicht in Versuchung zu führen. Es ist noch gar nicht so lange her, daß die Frauen selbständig handeln dürfen. Nun, und ich möchte eben soviel wie möglich aus meiner Selbständigkeit machen, auch wenn das hier in Haven immer noch sehr ungewöhnlich ist und uns sowohl Männer als auch Frauen deshalb schief ansehen. Wußtet Ihr übrigens, daß es im alten Reich sogar Frauen in der Regierung gab und sich niemand etwas dabei dachte?« »Und das glaubt Ihr wirklich?« »Uns in Haven scheint das vielleicht merkwürdig, aber warum sollte es nicht so gewesen sein? Schließlich sind wir auch nicht ohne Verstand, zumindest nicht alle.« MacKinnie lenkte ab. »Wie steht es mit den Rüstungen und Waffen?« »Kann beides schon übermorgen geliefert werden.«
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Am Nachmittag ließ Dougal sich wieder sehen. »Die kaiserlichen Händler möchten Euch kennenlernen. Aber laßt Euch nicht von ihrem Äußeren täuschen. Es sind zwei, beide sehen verweichlicht und nicht besonders klug aus. Doch sie sind nicht durch Dummheit reich geworden. Zwischen den kaiserlichen Händlern und der Marine herrscht übrigens ein gewisser Antagonismus, aber wir dürfen uns nicht zu sehr darauf verlassen, auch wenn es jetzt so aussieht, als ob die Händler mit uns gegen die Marine wären.« MacKinnie nickte. »Es stimmt also, daß die Marine uns die Expedition nicht erlaubt haben würde, wenn die Händler sie nicht quasi dazu gezwungen hätten?« »So ist es. Die Händler sind regelrecht versessen darauf, daß wir die Reise machen, und sind mit ihren Bedingungen sehr großzügig. Ich bin nur noch nicht dahintergekommen, weshalb.« »Dann müssen wir wohl besonders aufpassen, daß sie uns nicht über den Löffel barbieren.« Ein Marineleutnant führte sie durch die langen Hallen des Imperiumgebäudes und in einen großen Raum. Er verbeugte sich knapp vor zwei äußerst beleibten Zivilisten und verließ wortlos das Zimmer. Einer der beiden kaiserlichen Händler lachte. »Sie sind uns nicht sehr grün, die Herren Offiziere. Aber seid willkommen, meine Herren.« Dougal erwiderte die Begrüßung. »Kaiserlicher Händler Soliman, darf ich Euch Händlermagnat MacKinnie, im Dienste Seiner Majestät David IX und Leiter der bevorstehenden Expedition, vorstellen? Händler MacKinnie, das ist kaiserlicher Händler Soliman von der Imperiumshauptwelt und, soviel ich weiß, Beamter des Kaiserlichen Handelsverbands.« MacKinnie verbeugte sich förmlich, was mit einem Nicken erwidert wurde. »Kaiserlicher Händler Renaldi, ich möchte Euch Händlermagnat MacKinnie vorstellen«, säuselte Dougal. »Es ist mir eine Ehre«, erwiderte Renaldi. Soliman bot den beiden Besuchern Sessel an und schenkte eisgekühlten Archipelwein ein, ehe er sich ebenfalls niederließ. »Kennt Ihr Makassar persönlich, meine Herren Händler?« erkundigte Dougal sich nach einigen Höflichkeitsfloskeln. »Nur oberflächlich«, erwiderte Soliman. »Eine trostlose Welt ohne viel Nutzen. Aber Ihr werdet sicher etwas Gewinnbringendes finden«, fügte er - 25-
schnell hinzu. »Für unsere Technologie hat sie jedoch leider nichts zu bieten. Wir sind allerdings nicht aus der Stadt herausgekommen, in der die Marine ihren Stützpunkt hat.« »Hat die Marine schon Einzelheiten für die Reise bekanntgegeben?« fragte Dougal. »Und werden Eure Exzellenzen mit uns kommen? Auch ein Marineoffizier? Wer ist der Kapitän?« »Ich werde Euch bis Makassar begleiten«, erklärte Renaldi, »muß jedoch geschäftlich weiter zu einem entfernteren Planeten. Da Händler Soliman und ich die Eigner des Schiffes sind, sind der Kapitän sowohl als auch die gesamte Mannschaft unsere eigenen Leute. Allerdings wird einer der kaiserlichen Offiziere uns begleiten, um dafür Sorge zu tragen, daß keine der lächerlichen Marinebestimmungen übertreten werden. Wir müssen Euch warnen, Händler«, wandte er sich an MacKinnie. »Seht zu, daß Ihr nicht in Konflikt mit ihnen kommt, sonst werdet Ihr diese schöne Welt hier nicht mehr wiedersehen. Der kaiserliche Strafplanet soll kein sehr angenehmer Ort sein.« MacKinnie ging nicht darauf ein, sondern erkundigte sich: »Wie steht es mit der Sprache? Wird es schwierig sein, sich mit den Makasserern zu verständigen?« »Durchaus nicht. Ihre Sprache unterscheidet sich nicht allzusehr von der Eurigen oder auch der unsrigen. Es ist eine degenerierte Form der alten Reichssprache mit ein paar neuen, auf Makassar entwickelten Worten.« »Wie sieht es im allgemeinen auf diesem Nadelöhrplaneten aus?« fragte MacKinnie weiter. »Sind die Menschen dort Fremden gegenüber freundlich? Wird man uns erlauben, uns umzusehen, oder müssen wir an einem Ort bleiben?« »Die Marine hat nichts dagegen, daß Ihr Euch umseht, solange Ihr nichts mitnehmt, das über den technologischen Stand der Makassarer h inausgeht. Reisen auf dem Planeten mit seinen primitiven Beförderungsmittel können allerdings gefährlich sein, das müßt Ihr Euch vor Augen halten. Makassar hat kein politisches System, wie selbst Ihr es hier auf Samual kennt – Ihr habt ein paar mächtige Länder und viele Stadtstaaten, die miteinander alliiert sind, wenigstens hier auf dem Nordkontinent. Auf Makassar gibt es Dutzende von Königreichen, Freistädten, winzigen Republiken, Ligen und ähnlichem, aber nichts, das nach Euren Begriffen wirklich groß wäre. Sogar die Königreiche werden nur dem Namen nach von einem Herrscher regiert, - 26-
bestehen jedoch in Wirklichkeit aus einer Unzahl von eigenständigen Baronien. Zweifellos ist das ihrem Mangel an Technologie, zusammen mit einer primitiven militärischen Organisation, zuzuschreiben. All diese Miniaturreiche sind an der Küste eines einzigen, wenn auch nicht gerade kleinen Kontinents zusammengedrängt und enden, wo die riesige Tiefebene beginnt, die sich über dreitausend Kilometer ausdehnt. Dort gibt es nur Barbaren. Niemand kennt ihre Zahl, denn sie sind Nomaden, die in die Grenzbezirke der einzelnen Grafschaften, Republiken und so weiter einbrechen und dort morden und plündern, wie es ihnen gefällt. Es gibt auch verschiedene Inselreiche, deren räuberische Bewohner selbst die größten Städte überfallen. Wie gesagt, Händler MacKinnie, Ihr könnt Euch frei bewegen, aber auf Eure eigene Gefahr. Der einzige Ort, an dem Ihr sicher seid, ist die Stadt, in der die Marine ihren Stützpunkt hat und für Ordnung sorgt.« MacKinnie nickte. »Wir werden sehr vorsichtig sein, falls wir den Stützpunkt verlassen. Ich verstehe nur eines nicht. Woher kommt es, daß Makassar so primitiv ist? Wieso blieb dort nichts von der ursprünglichen Technologie übrig?« »Darauf wissen auch wir keine schlüssige Antwort«, erwiderte Soliman. »Nach den vorhandenen Unterlagen war Makassar nur sehr dünn besiedelt, als der Krieg begann. Der Planet diente offenbar als Ferienwelt für die Offiziere und Beamten des alten Reiches, in der es nur Parks und andere Erholungsgebiete gab und kaum Maschinen und Kraftwerke. Als der Krieg begann, wurde der Planet aus uns unbekannten Gründen befestigt. Die Verteidigungsanlagen und mit ihnen ein großer Teil der einzigen Stadt wurden zerstört, der alte Vizekönigspalast blieb allerdings erhalten. Und dann zog der Krieg an Makassar vorbei, vielleicht, weil zu wenig Menschen dort lebten. Die meisten von ihnen waren Beamte im Dienste des alten Reiches, einige Handwerker, und natürlich gab es Manager der Vergnügungspaläste, Prostituierte und so. Welche Art von Zivilisation können Menschen wie sie mit den wenigen verbliebenen Maschinen schon aufbauen?« Er nippte an seinem Weinglas. »Außerdem ist ein Großteil der makassarischen Vegetation für den menschlichen Metabolismus nicht verträglich. Die ehemals von der Erde eingeführten Getreidesorten gedeihen zwar, bedürfen jedoch steter Pflege. Kein Wunder, daß die Nomaden diese Arbeit scheuen. Sie warten lieber, bis die Feldfrüchte eingebracht sind, dann rauben sie sich, was sie brauchen. - 27-
Deshalb entwickelte sich unter den Seßhaften auch eine Kriegerklasse, die nun die Aristokratie Makassars darstellt. Diese Ritter sind fast ständig im Einsatz, denn auf dem Planeten gibt es kaum je eine Periode, wo nicht irgendwo Krieg geführt wird.« »Auch auf der Erde hat es einmal ein solches Zeitalter gegeben«, warf Renaldi ein. Nach alten Überlieferungen endete es, als die Kirche ein rationelles landwirtschaftliches System entwickelte. Makassar hat jedoch seine eigenen Ansichten über die Kirche, mit der Neurom nicht so ganz einverstanden ist.« »Ah ja«, fügte Soliman schnell hinzu. »Außer Euch und den Kaiserlichen Marinebeobachtern werdet Ihr noch eine weitere Gruppe Außerplanetarier auf Makassar finden. Seine Heiligkeit entsandte einen Bischof und mehrere Missionare dorthin, um die Makassarer für die Staatsreligion zurückzugewinnen. Erfolg konnten sie allerdings bisher noch nicht buchen.« Dougal nahm einen Schluck Wein. »Steht uns hier auf Samual ein ähnlicher Besuch bevor?« »Zweifellos«, erwiderte Renaldi. »Eure Religion hier hat sich zwar auf orthodoxere Art entwickelt als die der Makassarer, aber der Kirche wird die Unzahl der verschiedenen Sekten ein Dorn im Auge sein. Neurom ist jedoch sicher zu Kompromissen bereit«, fügte er hastig hinzu, als er einen mahnenden Blick Solimans auffing. »Wie steht es mit Eurer Ladung?« Er beeilte sich, ein anderes Thema anzuschneiden. MacKinnie zählte gerade auf, was sie mitzunehmen gedachten, als er durch ein forsches Klopfen an der Tür unterbrochen wurde. Zwei Kaiserliche Marineoffiziere betraten den Raum und schritten geradewegs auf ihn zu. »Händler MacKinnie«, begann der ältere der beiden, ohne sich um die Anwesenheit der anderen zu kümmern. »Ich bin Captain Greenaugh, Kommandeur der hiesigen Kaiserlichen Marinegarnison und auch der Tombaugh im Orbit um Samual. Und das hier ist Kadett Landry, der Euch als Beobachter auf Eurer verrückten Reise begleiten wird. Als Leiter dieser Expedition muß ich Euch warnen, daß jegliche Verletzung der kaiserlichen Bestimmungen durch jedweden Angehörigen Eurer Gruppe sowohl in der Bestrafung des Gesetzesbrechers als auch Eurer selbst resultieren wird.« »Ich verstehe sehr wohl, Captain«, versicherte ihm MacKinnie, »doch verratet mir, was Ihr so offensichtlich gegen mich habt.«
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»Ich habe nichts gegen Euch, Sir, denn es ist verständlich, daß Ihr an dieser Reise interessiert seid. Ich bin nur nicht sehr glücklich darüber, daß Händler Soliman uns überlistete, sie Euch zu gestatten.« »Überlistete, Captain?« Soliman lächelte amüsiert. »Nun, ich wies lediglich auf einige ...« »... Klauseln in den Kaiserlichen Verfügungen hin«, setzte der Captain den Satz für ihn fort, »und ebenfalls auf Euren Einfluß auf der Hauptwelt. Euer Einfluß, Händler, beeindruckt mich nicht, aber an die Vorschriften muß ich mich halten. Und Euch, MacKinnie, warne ich erneut, wenn Soliman auf den Paragraphen herumreitet, kann ich es auch. Ihr werdet eine Kopie der zuständigen Bestimmungen erhalten, aber ich dachte, wenn ich Euch persönlich darauf aufmerksam mache, würdet Ihr vielleicht Euer Vorhaben aufgeben.« »Ich verstehe nicht, Captain«, warf Dougal ein, »weshalb Ihr so gegen eine simple Handelsexpedition seid. Ich dachte, das Imperium fördere die Handelsbeziehungen zwischen den Welten.« »Lord Dougal, ich bin verantwortlich für den Schutz dieses Planeten. Kaum zwanzig Parsek von hier befindet sich ein Nest von kriegerischen Nichthumanoiden. Euer König David scheint in großer Eile diese Welt trotz stärksten Widerstands zu vereinigen und leiht sich ständig meine Leute für seine Vermessungsteams aus. Und nun muß ich a uch noch einen Offiziersanwärter auf diese verdammte Expedition mitschicken. Das zieht zusätzliche Verwaltungsarbeit nach sich, Inspektionen und was noch alles, und nur damit Mr. Solimans Bankkonto wächst und Ihr irgend etwas Neues auf S amual einführen könnt. Es gefällt mir nicht, und es muß mir auch nicht gefallen.« »Tut mir leid, daß Ihr die Sache so seht, Captain«, sagte MacKinnie bedauernd. Er sympathisierte insgeheim mit dem Offizier. »Aber Ihr sagtet doch selbst, daß Ihr unseren Wunsch, diese Reise zu unternehmen, versteht. Ich hoffe und werde mich bemühen, unser Vorhaben auszuführen, ohne Euch irgendwelche Schwierigkeiten zu bereiten.« »Das verlange ich auch«, knurrte Greenaugh und begann die Bestimmungen mit allen Verboten und Beschränkungen detailliert zu erklären. »Und Ihr seid sicher, daß Ihr die Reise nun immer noch unternehmen wollt?« schloß er.
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»Wir werden uns streng an die Vorschriften halten«, versprach MacKinnie als Antwort. »Na schön, ich erwartete auch nicht wirklich, Euch abhalten zu können. Bringt die Expeditionsmitglieder morgen hierher. Kadett Landry wird ihnen alles erklären. Und vergeßt nicht, Händler MacKinnie, ich habe Euch gewarnt.« Er drehte sich auf dem Absatz um und verließ, gefolgt von dem Kadetten, das Zimmer.
6. Drei Tage später holte ein Landeboot des Handelsschiffs MacKinnie und seine Leute mit dem Kadetten ab, nachdem die Ladung bereits im Mutterschiff verfrachtet worden war. Ein schrecklicher Augenblick erwartete die Samualaner, als die Düsen schwiegen und das Boot in den Orbit schwenkte. Niemand hatte sie über den freien Fall aufgeklärt, und nun fürchteten sie für ihr Leben, bis Landry ihnen versicherte, daß der momentane Zustand völlig normal sei. »Wir befinden uns jetzt in einer Kreisbahn um den Planeten«, e rklärte er. »Das Gefühl des Fallens entsteht – ach, zum Teufel, es genügt, wenn ihr wißt, daß wir gar nicht fallen können. Ohne Schubkraft könnten wir den Orbit überhaupt nicht mehr verlassen und würden für alle Zeit um Samual kreisen wie eure Monde.« Es dauerte Stunden, ehe sich das Landeboot der Umlaufbahn des Sternenschiffs anpaßte und man ihnen dort ihre winzigen Kabinen zuwies. Renaldi erwartete MacKinnie in einem recht merkwürdigen, luxuriös ausgestatteten Raum. Zusätzlich zu den Couches, Sesseln und Tischen auf dem Deck unter seinen Füßen war auch eine riesige, kreisförmige Wand mit Teppichen und Möbeln bedeckt, die alle festgeschraubt waren. Die Wand stellte jedoch ke ine perfekte Scheibe dar, denn ein riesiges Rohr, hoch über Nathans Kopf, verlief direkt in ihrer Mitte. Noch seltsamer als das doppelte Mobiliar war das Deck, das sich sowohl vor als auch hinter ihm nach oben krümmte und doch immer unten zu sein schien, egal nach welcher Richtung er sich bewegte. Nach ein paar Schritten drehte er sich um und stellte fest, daß die Stelle, wo er gerade erst gestanden hatte, sich nun hoch über ihm b efand. Ein paar weitere Schritte brachten ihn an dem Mittelrohr vorbei und gaben ihm eine - 30-
freie Sicht auf Renaldi, der scheinbar mit dem Kopf voraus von der Decke zu hängen schien, aber offensichtlich völlig entspannt in einem bequemen Sessel saß und ein volles Glas in der Hand hielt. »Ah, Händler MacKinnie, da seid Ihr ja«, begrüßte er ihn. »Setzt Euch zu mir. Die anderen werden uns ebenfalls bald Gesellschaft leisten.« Renaldi nahm einen tiefen Schluck. »Es ist doch angenehm, wieder sein Gewicht zu spüren, nicht wahr?« »Ja.« MacKinnie nahm in dem angebotenen Sessel Platz und bemerkte erneut das komische Gefühl, das ihn jedesmal überkam, wenn er eine plötzliche Bewegung machte. »Ist es Euch zu verdanken, daß wir – daß wir unser Gewicht wiederhaben?« Renaldi blickte ihn verblüfft an, dann lächelte er. »Landry wird Euch das erklären, sobald alle hier sind. Mixt Euch einen Drink und genießt ihn. In einer Stunde findet bereits die Transition statt, da müssen wir alle wieder in unseren Kabinen sein.« Landry kam ein wenig später als die Samualaner und erklärte, daß die Wachmannschaft und ihr Führer sich in ihrem eigenen Aufenthaltsraum befanden und ebenfalls gut untergebracht seien. »Der Händler wundert sich über die Schwerkraft hier, Kadett. Was meint Ihr, wird das Imperium darunter leiden, wenn Ihr unseren Gästen ein paar fundamentale Kenntnisse darüber vermittelt?« »Natürlich nicht.« Landry grinste. »Ihr müßt verstehen, meine Herren und Freilady, daß der Kapitän das Schiff um seine eigene Achse rotieren läßt. Dadurch werden wir gegen die Außenwand gedrückt. Wenn wir unsere Reise beginnen, muß das Schiff jedoch längere Zeit beschleunigen, und die Rotation hört auf. Während der Beschleunigung werdet Ihr Euer Gewicht spüren, aber 'unten' wird das Deck vor Euch werden, und dieses Deck hier wird zur Wand.« Der Junge hielt inne, dann sagte er plötzlich. »Wenn Ihr nie zuvor Eure Welt verlassen habt, habt Ihr Euren Planeten auch noch nicht vom All aus gesehen. Es gibt Sichtluken hier, durch die Ihr ihn betrachten könnt.« Die Samualaner eilten darauf zu. Mit Staunen betrachteten sie die gewaltige Landmasse des Nordkontinents, einen Teil des angrenzenden Weltmeers und mehrere der größeren Inseln des Archipels.
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Es fiel ihnen schwer, sich loszureißen, als sie schließlich gebeten wurden, sich in ihre Kabinen zurückzuziehen, da die eigentliche Reise in wenigen Minuten beginnen würde. Es war den Samualanern verboten, das Erholungsdeck zu verlassen. Nur MacKinnie durfte ein Deck tiefer gehen, wo seine Wachmannschaft untergebracht war. Ihre Kabinen waren weniger komfortabel, dafür hatten sie jedoch außerhalb genügend Platz, was Stark zum Anlaß nahm, sie täglich mehrere Stunden im Schwertkampf zu drillen. Nach zweiundzwanzig Tagen der Eintönigkeit bat Renaldi alle, sich in ihre Kabinen zu begeben und anzuschnallen, da der Sprung durch den Hyperraum bevorstand. »Die Transition hat auf jeden eine andere Wirkung«, warnte Landry sie. »Seid nicht beunruhigt, was immer Ihr auch zu sehen oder hören glaubt, und verhaltet Euch ruhig. Sobald wir wieder im Normalraum sind, gebe ich Euch Bescheid.« Nach weiteren vierundzwanzig Tagen hing ein kleiner Ball in der Schwärze des Alls, der von den Expeditionsmitgliedern freudig begrüßt wurde, kündigte er doch das Ende ihrer Reise und damit ihrer Untätigkeit an. »Es ist eine schöne Welt«, murmelte Landry, der mit den Samualanern durch die Luken blickte. »Sie ist kleiner als die Erde, mit einer Gravitation von 98 Prozent der irdischen und 79 Prozent der, die Ihr gewohnt seid, Händler«, wandte er sich an MacKinnie. »Ihr Samualaner werdet dort im Vergleich zu den Einheimischen sehr stark sein, das mag sich als recht nützlich erweisen.« Sie beobachteten den im mer größer werdenden Planeten, und MacKinnie verglich ihn mit der Karte, die man ihm überlassen hatte. Der Kaiserliche Stützpunkt lag in Jikar, einer kleinen Handelsstadt an einer großen Bucht am westlichen Ende des einzigen Kontinents. Das G ebiet um Jikar war eine unfruchtbare Öde und der Grund, weshalb die Kaiserlichen sich in der kleinen Stadt niedergelassen hatten, wo das Aufsehen, das sie erregten, wegen der Abgeschnittenheit dieser Stadt zwangsläufig auf diesen Ort beschränkt blieb. Das Marinehaus war ein aus rohen Steinen von den Einheimischen errichtetes Gebäude. Eine Kaserne gab es nicht, und über welche Verteidigungsanlagen die Kaiserlichen auch immer verfügten, war von außen nicht ersichtlich.
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Die Mehrzahl der Eingeborenen war kleinwüchsig und braunhäutig. Ihre Kleidung war grob. Weder gute Stoffe, noch ein besonderer Schnitt zeichnete sie aus. Einige der Männer trugen Hosen, andere Gewänder, die bis zu den Knien reichten. Sie hatten Bärte, und auch ihr Haar war lang. Sauberkeit schien nicht zu ihren Tugenden zu gehören. Während der kurzen Strecke – von den Docks, wo das Landeboot gewassert hatte, bis zum Marinehaus – wurden sie von nicht weniger als zehn Bettlern angehalten. Stark warf ihnen eine Handvoll Kupfermünzen zu, und während die Bettler sich darum stritten und balgten, konnten die Samualaner sich im Marinehaus in Sicherheit bringen. Die Kaiserlichen gestatteten ihnen allerdings nur, sich ein paar Tage dort aufzuhalten, während derer MacKinnies Leute sich in der Stadt nach Absatzmöglichkeiten für ihre Waren und etwas für Samual Brauchbarem u msahen. Am Ende des dritten Tages kamen sie zur Berichterstattung in dem ihnen zur Verfügung gestellten Aufenthaltsraum zusammen. Renaldi saß wie üblich mit einem vollen Glas in der Hand in einem weichen Sessel. »Euer Exzellenz«, wandte MacKinnie sich an ihn. »Wir fanden hier absolut nichts, was die Fracht zu Prinz Samuals Welt wert wäre. Es scheint hier überhaupt nichts von Interesse für uns zu geben. Wo sind die Gewürze und die kostbaren exotischen S toffe und all das andere, das Ihr und Euer Partner uns beschriebt?« Renaldi lachte. »Kann schon sein, daß es überhaupt nichts mehr von Wert für Euch hier gibt«, erwiderte er mit alkoholschwerer Zunge. »Wenn Soliman mit einem Planeten fertig ist, bleibt selten etwas übrig.« »Aber – aber dann sind wir ruiniert«, stammelte MacKinnie. »Ihr habt eine Menge Geld für die Fahrt verlangt. Wie sollen wir da allein unsere Unkosten decken? Bestimmt muß es hier doch etwas geben, das es sich einzuhandeln lohnt?« »Wahrscheinlich nicht. Wir haben Euch ja auch keinen Profit versprochen, Händler.« Renaldi betonte den Titel, als wäre er ein Schimpfwort. »In unserem Geschäft muß man ein Risiko in Kauf nehmen. Vielleicht war das Risiko, das Ihr eingingt, nicht sehr überlegt.« »Aber wir sind es auf Euren Rat hin eingegangen!« schnaubte MacKinnie, fuhr jedoch sofort in bittendem Ton fort. »Ihr könnt uns doch sicherlich verraten, wie wir für König David etwas Gewinn herausschlagen können. Mit Eurer Erfahrung vermögt Ihr uns bestimmt zu helfen.« - 33-
»Sehr unwahrscheinlich.« Renaldi goß den Inhalt seines Glases in einem Schluck hinunter. »Aber was immer Ihr auch zu tun gedenkt, tut es schnell. Das Schiff startet in drei Tagen.« »In drei Tagen! Aber das könnt Ihr doch nicht tun! Ihr verspracht uns ausreichend Zeit, Handelsverbindungen zu knüpfen, ja sogar eine Gesellschaft hier zu gründen. Nicht einmal das erstere läßt sich in so kurzer Zeit bewerkstelligen. Das wußtet Ihr, noch ehe wir aufbrachen.« MacKinnie hatte das kaum bezwingbare Bedürfnis, Renaldi in das unbewegte Gesicht zu schlagen, aber er beherrschte sich. »Ich werde bei der Marine eine Beschwerde einreichen. Sie wird dafür sorgen, daß ihr den Vertrag einhaltet.« »In dem Vertrag steht, daß Ihr hierher und zu einer beiderseitig akzeptablen Zeit zurückgebracht werdet. Das Schiff bricht in drei Tagen auf. Das ist akzeptabel für uns. Und Ihr habt keinen Grund, Euch zu beschweren. Wir werden noch zwei weitere Sternensysteme aufsuchen, ehe wir zu Eurem armseligen Planeten zurückke hren.« »Es ist nicht beiderseits akzeptabel, wenn nur ein Vertragspartner damit einverstanden ist«, sagte Longway sanft. »Wir mögen vielleicht nur wenige Rechte haben, Händler Renaldi, aber ich bin überzeugt, daß Captain Greenaugh dafür sorgen wird, daß wir diese auch behalten. Er scheint mir kein übermäßiger Freund der Kaiserlichen Händler zu sein, Euer Exzellenz. Wir werden nicht in drei Tagen abreisen.« Renaldi zuckte die Achseln. »Wie Ihr wollt. Das nächste Schiff, das diesen gottverlassenen Planeten anlaufen wird, ist planmäßig in einem Jahr zu e rwarten. Es steht Euch frei, so lange in diesem elenden Land herumzuwandern.« »Drei Tage oder ein Jahr«, murmelte Nathan. »Weder das eine, noch das andere ist akzeptabel.« »Für uns wohl. Nun, wofür entscheidet Ihr Euch?« Renaldi schenkte sich aus der mundgeblasenen Flasche nach. »Holt den Kommandeur dieses Stützpunkts«, forderte Nathan MacLean auf. »Es ist vielleicht angebracht, uns zu erkundigen, was dieser Kerl noch alles mit uns tun kann.« Nach wenigen Minuten kehrte MacLean mit Kadett Landry und dem Kommandeur, Leutnant Farr, zurück. MacKinnie legte ihm die Situation dar, woraufhin der Offizier und Renaldi mehrere Minuten lang in der Sprache des Imperiums aufeinander einrede- 34-
ten, aber so schnell, daß selbst Longway kaum etwas verstand. Renaldi wurde zusehends empörter, während der Leutnant seine fast eisige Ruhe beibehielt. Schließlich wandte Farr sich an MacKinnie. »Wenn die Einzelheiten des Vertrags, den Euer König unterzeichnete, so sind, wie Händler Renaldi behauptet, dann hat er dem Gesetz nach das Recht, so zu handeln. Wir könnten den Vertrag selbstverständlich für Euch überprüfen, aber es würde eine längere Zeit dauern, da wir keine Juristen auf dem Stützpunkt haben.« »Vielen Dank, Sir, ich fürchte, das würde wenig nützen. Ich bin überzeugt, die Herren Händler haben den Vertrag so aufgesetzt, daß er absolut hiebund stichfest ist.« Er nahm sich ein Glas, füllte es aus Renaldis Flasche und leerte es mit einem Zug. »Glaubt Ihr, es ist auf diesem Planeten überhaupt möglich, zu einigermaßen vernünftigen Handelsverbindungen zu kommen, Leutnant?« »Vielleicht in der Hauptstadt. Batav soll sehr reich sein, aber das, was die Einheimischen als reich bezeichnen, wird euch möglicherweise nicht imponieren. Sonst wüßte ich nicht, wo Ihr etwas finden könntet.« MacKinnie nickte. Dann werden wir wohl dort unser Glück versuchen müssen. Ich kann nicht vor König Davids Angesicht treten, ohne etwas für die Ausgaben vorweisen zu können.« »Ihr dürft es Euch nicht so leicht vorstellen«, sagte der Leutnant gedehnt. »Wir haben keine Möglichkeit, Euch dorthin bringen zu lassen. Das ganze Land befindet sich im stetigen Kriegszustand, und es ist mehr als zweifelhaft, ob Ihr es schaffen würdet, Batav lebend zu erreichen. Wir können Euch keinerlei Schutz versprechen.« Der Offizier hielt überlegend inne. »Aber falls Ihr dorthin kommen solltet, vielleicht findet Ihr eine Gruppe Kaiserlicher, die ebenfalls nach Batav wollte. Es handelt sich um einen Bischof und mehrere Missionare, die nicht auf unseren Rat hören wollten und vor Monaten aufbrachen. Seine Heiligkeit ist sicher sehr interessiert daran, zu erfahren, was aus ihnen wurde.« MacKinnie starrte den Offizier überrascht an. Wenn die Marine nicht einmal etwas zu unternehmen imstande war, ihre eigenen Missionare zu suchen, würde es ihnen erst recht nicht einfallen, eine Gruppe von Händlern aus einer der Kolonien zu beschützen. Prinz Samuals Welt schien ihm unendlich weit, und er fürchtete, sie nie wiederzusehen. Doch einen Vorteil
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hatte es, daß die Marine sie nicht begleiten konnte. So würde sie nichts von seinem Auftrag in Erfahrung bringen. »Wir werden nach ihnen Ausschau halten, Leutnant«, versprach er. »Und nun müssen wir uns wohl Quartier in der Stadt besorgen, damit wir eine Expedition nach Batav auf die Beine stellen können. Ich wage es nicht, ohne Gewinn in meine Heimat zurückzukehren, ehe ich nicht alles Menschenmögliche versucht habe.«
7. Die Taverne erinnerte MacKinnie an das Blaue Faß, und sie hieß sogar so ähnlich, nämlich Der Blaue Krug. Obwohl es erst eine Stunde nach Mittag war, ließ sich kein freier Tisch mehr finden. Meistergerber Blatt und Tuchmachermeister Hoorne genossen MacKinnies Freigebigkeit im reinsten Sinne des Wortes. Schweigend leerten sie die erste Flasche des einheimischen Weines, der so teuer war, das niemand aus dem Städtchen ihn sich leisten konnte. Nathan betrachtete heimlich die beiden Tischgenossen, die früher vermutlich recht behäbig ausgesehen haben mochten, denen jetzt jedoch die durch Unterernährung fast fleischlose Haut von den eingefallenen Wangen herabhing. Auch an den anderen Tischen saßen die Stadtleute schweigend. Sie schienen über ihre ausweglose Situation nachzudenken. »Ist es in Jikar oft wie jetzt?« erkundigte Nathan sich und winkte dem Wirt zu, eine neue Flasche zu bringen. »Verzeiht, meine Herren Meister, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß eine Stadt in dieser Situation eine große Überlebenschance hat.« Er schenkte sich und seinen beiden Gästen neu ein. »Schon seit sie kamen«, flüsterte Hoorne. »Unsere Kriegsflotte wurde zerstört, als sie landeten. Die Piraten akzeptieren keinen Tribut von Jikar, wir haben zu viele der ihren in früheren Schlachten getötet. Unsere Stadt ist klein, Händler, aber wir waren einmal eine stolze Gemeinschaft. Doch was ist uns geblieben? Der Hafen ist durch die Piraten gesperrt, und die Barbaren verwüsten unsere Felder. Aber sie unternehmen nichts. Sie dürfen sich nicht einmischen, erklären sie uns.« Des Tuchmachers Stimme erhob sich zu
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einem schrillen, von Tränen begleiteten Ton. »Im Namen des ewigen Gottes, haben sie sich denn nicht schon eingemischt? Sie haben Jikar ruiniert.« »Ja«, murmelte Blatt. »Durch sie haben wir unsere Flotte und unsere Armee verloren. Unsere Weiden sind abgebrannt und unsere Felder zertrampelt. Oh, natürlich, wir sind in der Stadt sicher. Sie erlauben es nicht, daß man hier plündert. Aber vielleicht wäre es besser, sie würden es zulassen, vielleicht erwachten dann unsere Burschen und fänden den Mut, zu kämpfen, statt sich an den Kirchenstufen zusammenzudrängen und um Alm osen zu betteln oder in der Taverne des Wirts Zehent zu trinken, ehe die Priester ihn bekommen können.« MacKinnie nickte abwesend und überdachte seine eigene Lage. Morgen würde das Schiff Makassar verlassen und ihn und seine Leute zurücklassen. Doch er hatte immer noch keinen Weg gefunden, aus der Stadt zu kommen. Außerhalb Jikars Mauern warteten die Barbaren nur darauf, daß ein Narr sich herauswagen würde. Und die Piraten, die ihre Stützpunkte auf den Inseln gegenüber der riesigen, seichten Bucht hatten, hielten die Blockade aufrecht. Selbst wenn es ihnen gelingen würde, die Stadt auf dem Land- oder Seeweg zu verlassen, hatten sie kaum eine Chance, das dreitausend Kilometer entfernte Batav zu erreichen. In der Hoffnung, einen Einheimischen zu finden, der den Weg nach dort kannte, hatte MacKinnie die Gildenmeister a ngesprochen, doch es gab kaum einen der Städter, der je auch nur weiter als zweihundert Kilometer gereist war. »Noch vor ein paar Jahren waren wir die bedeutendste Hafenstadt an der ganzen Westküste«, reminiszierte Hoorne. »Der Handel florierte. Wir hatten keinen Bedarf für Lordlinge, die unsere Schlachten für uns kämpften. Wir waren freie Leute, keinem Fürsten Untertan und durchaus in der Lage, uns wirkungsvoll zu verteidigen. Die Gilden herrschten hier, keine Ritter, die nichts kennen als Reiten und Kampf mit Schwert und Lanze.« »Aber darin sind sie unschlagbar«, warf Blatt ein und blickte auf, als ein junger Mann, groß für Makassar und trotz seiner Magerkeit noch muskulös, sich am Nebentisch niederließ. Der Wirt brachte dem Neuankömmling ein Glas billigen Weines und eine dicke Scheibe Brot, wie er es jeden Tag seinen Gästen an Stelle des Zehents für die Kirche verteilte.
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»Ihr solltet mit ihm sprechen«, flüsterte Hoorne. »Wenn Euch irgendeiner in Jikar sagen kann, wie ihr in den Norden gelangt, dann er oder sein Ritterfreund.« MacKinnie studierte die dunklen Züge des jungen Mannes. Er gefiel ihm. Obwohl es auch ihm offenbar nicht rosig ging, ließ er sich doch nicht gehen. »Bittet ihn an unseren Tisch«, wandte er sich an Hoorne. »Sänger«, rief Blatt. »Wir würden uns freuen, wenn Ihr uns Gesellschaft leistet. Unser Gastgeber hat eine offene Hand.« Brett, der Sänger, kam ursprünglich aus dem Osten, aber das war alles, was sie über ihn erfahren konnten. Es gab viele wandernde Sänger, doch er unterschied sich von ihnen, indem er nicht wie sie zu Fuß nach Jikar gekommen war, sondern auf einem Pferd und von einem Ritter b egleitet, der im Gegensatz zu Brett kein Hehl aus seiner Herkunft machte. Man hatte ihn aus seinem Besitztum im Süden vertrieben, und nun zog er mit dem Sänger durch Makassar und verkaufte seine Dienste. »Ihr reist nicht allein, Sänger?« erkundigte MacKinnie sich und schenkte ihm ein. »Vanjynk begleitet mich seit einem Jahr. Ich lehre ihn Lieder und er mich das Kämpfen. Nun beherrschen wir beides und verdienen mehr.« Er blickte sich düster in der Taverne um. »Bisher wenigstens«, schränkte er ein. »Aber wir haben nicht die Absicht, uns hier begraben zu lassen.« »Ihr wollt Jikar also verlassen?« fragte MacKinnie. »Händler, wir würden dem Mann, der uns erlaubt, für ihn zu kämpfen, noch Geld geben, falls er genügend Leute hat, daß wir uns durch die Maris hindurchschlagen können. Aber die Nomaden werden bleiben, bis sie alles vertilgt und gebrandschatzt haben, das sie außerhalb Jikars Mauern finden können. Und nicht einmal da werden sie vor dem ersten Schneefall weiterziehen. Wenn sie es dann tun, haben sie Euch einen großen Dienst erwiesen, Gildenmeister«, wandte er sich an Blatt. »Welchen Dienst kann uns eine Horde Barbaren – nanntet Ihr sie Maris? – erweisen?« »Stimmt«, bestätigte der junge Mann. »Maris nenne ich sie, weil sie sich selbst so bezeichnen. Und der Dienst, den Sie Euch e rweisen, ist die Vernichtung der Schwarmratten. Es wird kaum noch welche geben, wenn sie weiterziehen – und das ist auch der Hauptgrund, daß sie es tun. Denn ihre Reit-
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und Schlachttiere, die Ayuks, ernähren sich von ihnen. Wenn aber die Ayuks nichts zu fressen haben, haben auch die Maris nichts zu beißen.« MacKinnie hörte ihm interessiert zu. »Die Maris ernähren sich von den Ayuks?« »Ihr seid offenbar nicht von hier.« Brett blickte MacKinnie abschätzend an. »Das stimmt. Und ich möchte genausowenig wie I hr hierbleiben. Wärt Ihr bereit, mich nach Batav zu begleiten?« »In den Norden? Wißt Ihr nicht, daß die Landroute seit über zwei Jahren gesperrt ist? Der König des Hohen Passes ist tot, und die Adeligen kämpfen um die Erbfolge. Selbst wenn wir die Maris besiegten, kämen wir nie über den Paß – ah, hier kommt mein Freund.« Er winkte dem Neuankömmling zu, sich zu ihnen zu setzen. »Händler, darf ich Euch mit Vanjynk bekannt machen? Der beste Freund, den ein wandernder Sänger je hatte.« Er schenkte dem anderen ein, ohne lange zu fragen. Der Ritter hatte edle Züge, die seine angebliche Abstammung glaubhaft machten. Er schien etwas jünger als sein äußerlich so ungleicher Kamerad. Brett erklärte ihm MacKinnies Absicht, in den Norden zu ziehen. Der Ritter überlegte. »Der Landweg ist ausgeschlossen«, bestätigte er die Meinung seines Freundes. »Bliebe nur die Seeroute.« Blatt schnaubte. »Gäbe es einen Weg über das Meer, wäre halb Jikar unterwegs, um Handel wie früher zu treiben. Aber all Euer Gold kann nichts gegen die Piraten ausrichten, Händler, und es gibt nur noch ein einziges Kriegsschiff im Hafen.« »Ein Kriegsschiff, hier?« staunte MacKinnie. »Ist es verkäuflich?« »Verkäuflich?« Hoorne schien zu überlegen. »Es gehört den Schmieden. Es gibt wenig in Jikar, das nicht verkäuflich ist – einschließlich der Unschuld unserer Töchter. Ich könnte Euch beim Kauf Geld sparen helfen – gegen einen geringen Zuschuß für meine Gilde.« »Es ist nicht gestattet«, wandte Blatt ein, »jemandem etwas zu verkaufen, das seinen sicheren Tod im Gefolge hat. Bleib bei deinem Tuch, Hoorne, die Gilde hat kein Recht, diesen Mann von den Sternen auszunehmen.« Nathan bemerkte das plötzliche Interesse, das Brett zu verbergen suchte. »Aber ich würde es gern auf jede Gefahr hin kaufen«, versicherte er Blatt. Obwohl er nichts dergleichen sagte, beeindruckte ihn die Ehrlichkeit des Meistergerbers mehr, als er sich selbst eingestehen wollte. »Ohne alles zu- 39-
rückzukehren, würde nicht nur unseren eigenen, sondern auch den Ruin vieler anderer bedeuten. Bitte begleitet Gildenmeister Hoorne und kauft das Schiff für mich. Ich werde mich Euren beiden Gilden erkenntlich zeigen. Und Euch, Sänger Brett und Ritter Vanjynk, bezahle ich gerne Euren Rat, ob Ihr Euch nun entschließt, mit mir zu kommen oder nicht. I ch gedenke jedenfalls, das Schiff aus dem Hafen zu bringen, auch wenn jeder Pirat auf ganz Makassar darauf lauert.« MacKinnie und seine Leute inspizierten ihr neues Schiff, die Subao, als das Landeboot mit Kadett Landry an Bord startete. Die Marinegarnison auf S amual konnte es sich nicht leisten, ein ganzes Jahr auf einen Offizier zu verzichten, und außerdem war es durchaus nicht sicher, ob MacKinnies Gruppe das Jahr überhaupt überstehen würde. Leutnant Farr hatte Landry Befehl erteilt, Captain Greenaugh ü ber das schändliche Benehmen des kaiserlichen Händlers Bericht zu erstatten, während er selbst dafür sorgen würde, daß auch tatsächlich nach zwölf Standardmonaten ein Schiff nach Makassar kam, um die Expeditionsteilnehmer abzuholen. MacKinnie hatte alles mögliche versucht, Mary mit Landry zurückzuschicken, aber sie bestand auf ihrem Recht, bis zum Ende an der Expedition teilzunehmen- Unbequemlichkeit auf dem Schiff und ständige Lebensgefahr oder nicht. Das Schiff war nicht sehr beeindruckend. Es war höchstens dreißig Meter lang, und Achter- und Vordersteven ragten hoch aus dem Wasser. Außer einer Rambate, einer gedeckten Plattform über dem Heck, auf der eine Art Kabine errichtet worden war, hatte das Schiff kein Deck. Es gab lediglich Plattformen an den Seiten für ungefähr hundert Ruderer; aber so viele könnten sie nie anheuern. Bis jetzt war es MacKinnie noch nicht einmal geglückt, eine Mindestmannschaft zu finden. Brett und Vanjynk schlossen sich zwar gern als Schutzwachen an, hielten es jedoch für unter ihrer Würde, ein Ruder auch nur anzurühren. »Um mit der Subao bis Batav zu kommen«, erklärte MacLean nach einer eingehenden Inspektion, muß ich noch ganz ordentlich an ihr herumdoktern. Ich werde den klobigen Mast gegen einen elastischeren, höheren austauschen, ein Deck einziehen und das Schiff mit Eisenballast versehen. Zusätzlich werde ich noch Leeboards anbringen.«
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MacKinnie hatte keine Ahnung, was Leeboards waren, aber er würde es schon noch erfahren. »Wird ein hohes Segel es denn nicht zum Kippen bringen?« erkundigte er sich. »Nein, deshalb brauche ich ja den Ballast. Übrigens, man merkt, daß es hier hauptsächlich seichtes Wasser gibt, man kennt gar keinen richtigen Kiel, und die Schiffe sind hier alle rundbauchig gebaut. Vermutlich zieht man sie über Nacht an den Strand. Wir werden es schon schaffen mit unserer Subao, aber ich weiß natürlich nicht, wie es mit den Piraten sein wird.« MacKinnie nickte. »Habt Ihr irgendwelche Vorschläge?« »Nein. Wir müssen eben das Schiff richtig hintrimmen, dann sind wir schneller als sie, denn Kampf gegen eine Übermacht würde sich kaum auszahlen, obwohl unser Schiff – eines der besten Kriegsschiffe, auf Makassar überhaupt, sagte man mir – größer ist als die meisten der Seeräuberkähne. Aber wenn sie uns erst mal entern, haben wir ohne volle Besatzung kaum eine Chance.« Nach zwei Wochen konnte die Subao auslaufen. MacLean hatte während dieser Zeit für drei geschuftet. Er hatte alles selbst überwacht und bis ins kleinste erklären müssen, denn die einheimischen Handwerke r verstanden nichts von der Konstruktionsmethode, auf der er bestand. Aber die Änderungen und zusätzlichen Einrichtungen waren zu seiner Zufriedenheit ausgefallen. Todd, der Erfahrung mit kleinen Segelschiffen hatte, erhielt noch ein paar Unterrichtsstunden von MacLean und wurde danach von MacKinnie zum Steuermann ernannt und mußte seinerseits die anderen in der Bedienung der Segel unterrichten. Brett lernte sehr schnell, schneller als die Samualaner. Vanjynk dagegen war völlig uninteressiert. Stark lernte, was seine Arbeit betraf, und beschäftigte seine Schutzwache. Es störte ihn absolut nicht, daß Todd nun plötzlich einen höheren Rang als er hatte. »Wie steht's eigentlich?« fragte ihn MacKinnie. »Hast du noch niemanden gefunden, der sich anheuern ließe?« »Darüber wollte ich ohnehin eben mit Euch sprechen, Sir. Ich habe in der Taverne einen Schiffsmeister, namens Loholo, kennengelernt. Er sagt, gegen gutes Gold könnte er uns eine ganze Mannschaft besorgen, aber er ist nur dazu bereit, wenn er selbst mitdarf. MacLean ist von der Idee nicht sehr begeistert, er meint, es gibt ohnehin schon zu viele, die a nschaffen. Aber die Leute von den Gilden scheinen recht viel von Loholo zu halten. Was meint - 41-
Ihr, soll ich nach ihm schicken? Er wartet heute abend im Blauen Krug auf unseren Bescheid.« »Kann nichts schaden, wenn ich mich mit ihm unterhalte.« Stark nickte und gab einem seiner Wachleute den Auftrag, Loholo zu h olen. Der Schiffsmeister war ein kleiner, kräftig gebauter, sehr dunke lbrauner Mann. Seine Kleidung war aus feinerem Stoff, als man normalerweise in Jikar sah, und makellos sauber. Er blieb selbstbewußt unter der Kabinentür stehen und musterte die Leute von den Sternen. »Setzt Euch doch, Käpten«, bat ihn MacKinnie und schenkte ihm ein Glas Wein ein. »Ihr könntet uns also eine Mannschaft besorgen?« »Aye.« Loholo hob sein Glas und nahm einen Schluck. »Keine b esonders fähige Mannschaft, Händler. Die wirklich guten Seeleute haben im Meer ihr Grab gefunden oder sich den Piraten angeschlossen. Was ich Euch zu bieten habe, sind Gildengesellen, die wieder Männer sein möchten und es müde sind, von Zehnten zu leben.« »Ich sah sie.« MacKinnie nickte. »Aber Käpten MacLean vermochte bisher keinen von ihnen anzuheuern.« »Das wird er auch in Zukunft nicht fertigbringen. Euer Käpten MacLean ist ein seltsamer Mann, Händler. Er hatte ein Deck einsetzen lassen, daß die Ruderer jetzt sicher nicht mehr genügend Luft bekommen können. Außerdem hat er die meisten Ruderbänke herausreißen lassen. Und was er als Mast verwendet, ist viel zu hoch für einen guten Seegang. So ein Schiff kann man keine hundert Meilen rudern. Und dann das viele Eisen im Rumpf, das ist nur unnötiges Gewicht, das die Subao mit sich herumschleppen muß. Die Männer lassen sich nicht von ihm anheuern, weil sie auch als Laien sehen, daß er nichts von der Seefahrt versteht. Das Schiff wird viel zu langsam sein, als daß es den Piraten entkommen könnte.« »Und Ihr wärt trotzdem bereit, Euch uns anzuschließen und eine Mannschaft mitzubringen?« »Aye.« »Das verstehe ich nicht. Wieso?« »Ihr seid kein Seemann, Händler. Wenn Seewasser durch Eure Adern flösse wie durch meine, dann würdet Ihr mich verstehen. Mein Schiff lief ohne mich aus, nahm ohne mich an der großen Seeschlacht teil, weil ich an der Pest daniederlag. Es kehrte nicht zurück. Alles, was ich besaß, war auf - 42-
diesem Schiff, Händler. Obwohl ein Kriegsschiff nicht besonders für den Handel geeignet ist, versuchte ich doch, die Subao zu kaufen, aber womit? Als Ihr sie nun erstandet, dachte ich, Ihr werdet sie vielleicht nicht lange behalten wollen, wenn Ihr seht, daß so, wie sie jetzt ist, nicht viel mit ihr anzufangen ist. Und außerdem werdet Ihr jemanden benötigen, der das Meer kennt. Ich rechne damit, daß ich schon nach einer Woche Euer Schiffsmeister bin, wenn wir es überhaupt so lange schaffen. Aber die Chance ist es mir wert.« MacKinnie betrachtete Loholo nachdenklich. Der Dolch, den der Makassarer vom Gürtel hängen hatte, besaß einen juwelenverzierten Griff, aber er war sicher nicht nur ein Schmuckstück. Mit seiner eigenen Mannschaft an Bord, konnte er das Schiff übernehmen, wenn er das beabsichtigte. Er warf einen kurzen Blick auf Stark, den offenbar der gleiche Gedanke beschäftigte. Aber es gab einen Weg, sich die Kenntnisse und Erfahrung des Mannes zunutze zu machen, und vielleicht war er ohnehin ehrlich. »Eure eigene Mannschaft versank also mit Eurem Schiff?« »Aye. Bis auf den letzten Mann. Wie gesagt, was ich für Euch anheuern kann, werden keine echten Seemänner sein, aber sie sind bereit, sich ihre Heuer ehrlich zu verdienen.« »Und wie wollt Ihr sie überreden, sich uns anzuschließen, wo die Piraten nur darauf warten, daß wir den sicheren Hafen verlassen?« »Ich werde ihnen erzählen, daß die Männer von den Sternen sie beschützen werden. Sie wissen, was passierte, als sie landeten. Sie werden mir glauben.« »Und Ihr selbst glaubt es nicht. Was ist mit den Piraten?« »Ich kenne dieses Wasser wie meine Westentasche, Händler. Vermutlich besser als jeder Seeräuber. Wir werden eine Chance haben. Das heißt, wenn sich das Schiff richtig rudern lassen wird. Ihr müßt die Ruderbänke wieder einbauen.« »Was würdet Ihr sagen«, fragte MacKinnie, »wenn wir Euch zum Herrn des Schiffes machten, sobald wir unser Ziel erreicht haben und wieder in Jikar zurück sind? Und außerdem zu unserem Handelsvertreter mit monatlichem Sold und einem Anteil des Profits?« Loholo starrte MacKinnie an. »Führt einen Verzweifelten nicht in Versuchung, Händler. Meint Ihr, was Ihr sagtet, wirklich ehrlich?«
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»Wenn Ihr mir treu dient, ja. Als erstes müßtet Ihr zwanzig Mann Besatzung beschaffen, die zu kämpfen versteht.« »Und Ihr werdet mir das Schiff zu eigen geben, wenn wir zurückke hren?« »Das werde ich. Doch während dieser Reise untersteht Ihr dem Kommando Käpten MacLeans.« »Ich war früher einmal Bootsmann, Händler. Das kann ich auch wieder sein.«
8. Die Subao lief bei Morgengrauen aus. Loholo hatte zwanzig gutbewaffnete ehemalige Gildengesellen mit an Bord gebracht, und MacLean hatte die Leeboards – große, an ihrem spitzen Ende drehbare, fächerförmige Holzbretter – mittschiffs anbringen lassen; hob man sie, stellten sie gewaltige Schilde dar. Er hatte auch dafür gesorgt, daß jedem der Expeditionsmitglieder eine eigene, wenn auch winzige Kabine zur Verfügung stand, während die Mannschaft und die Schutzwachen mit ihren Führern unter Deck untergebracht waren. Bretts und Vanjynks Pferde hatten Platz im Frachtraum bekommen, den sie sich mit den zur Verpflegung bestimmten Rindern teilten. Auf MacLeans Befehl hatte Loholo seine Leute die Ruder bemannen lassen. Kopfschüttelnd sah er zu, wie, statt von Ruderbänken, jetzt von Deck aus je zwei Mann ein riesiges Ruder in die See tauchten, wie MacLean es ihnen beigebracht hatte. »Wäre es nicht besser gewesen, in der Dunkelheit auszulaufen?« fragte MacKinnie. Er stand mit MacLean auf dem Achterdeck, wo sich auch Hal mit seiner Schutzwache in voller Rüstung aufhielt. Die Rüstungen der übrigen Samualaner und die für einen Teil der Mannschaft waren unter Segeltüchern auf dem Deck sturmfest vertäut. »Nein, mein Lord«, erwiderte MacLean. »Die Piraten könnten uns da genauso aufspüren, aber während es des Nachts so gut wie windstill ist, bläst in der Bai gegen Mittag fast regelmäßig eine heftige Brise, die wir benützen werden, um die Piraten, wenn möglich, hinter uns zu lassen.« »Danke, Mr. MacLean. Laßt Euch jetzt nicht länger von mir aufhalten.«
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»Aye, aye, Sir.« MacLean warf einen Blick auf den Kompaß, der auf dem kürzeren Mast direkt vor dem Rudergänger befestigt war. Der zweite, stärkere und höhere Mast befand sich mehr mittschiffs. Beide Segel waren um die Masten vertäut und konnten bei Bedarf innerhalb von Minuten gehißt werden. Mary Graham und Longway schritten etwas schwankend über das leicht rollende Deck, um MacKinnie an der Steuerbordreling Gesellschaft zu leisten. »Loholo ist dafür, daß wir uns an der Küste halten«, erklärte er ihnen. »Es gibt dort Riffe und Felsen, die nur er kennt, und er schwört, daß er uns hindurchlotsen kann, daß die Piraten uns nicht erwischen.« »Interessant«, murmelte Longway. »Warum hat er dann nicht schon früher ein Schiff hindurchgelotst?« »Es gab ja keines mehr außer diesem. Es für sich zu kaufen, fehlte ihm das Gold, und andere waren nicht interessiert. Jedenfalls ist MacLean der Ansicht, daß wir es versuchen sollten. Je weiter wir kommen, ehe uns die Piraten entdecken, desto besser sind unsere Chancen Land zu erreichen, wo es keine Barbaren gibt.« »Wo sind diese Piraten überhaupt, Händler?«, fragte Longway. »Haltet Ihr es nicht für angebracht, daß wir vorsichtshalber die Ruderer jetzt schon ihre Rüstung anlegen lassen?« »Das hat noch ein paar Stunden Zeit. Wir sind noch viel zu nahe am Hafen, den sie vermutlich wegen der Kaiserlichen Marine meiden.« Plötzlich brüllte MacLean vom Besanmast: »Alle Mann an die Segel!« Und gleich darauf, in normaler Lautstärke: »Mr. Todd, dreht sie in den Wind.« Hal und ein paar seiner Schutzwachen zogen am Besantau und rollten es auf die Winde. Das Gaffelsegel bäumte sich gegen den Wind, und das Schiff wurde merklich langsamer. »Jetzt das Großsegel«, befahl MacLean. Nun bewegte sich die Subao fast überhaupt nicht mehr, obwohl die Ruderer ihr Letztes gaben. Loholo stand MacKinnie schweigend gege nüber, die Hände auf die Hüften gestemmt, als wollte er sagen: Ich wußte es doch! »Ruder vier Strich Steuerbord, Mr. Todd.«! Das Schiff drehte, und der Wind fing sich in den Segeln. »Mr. Stark«, ordnete MacLean nun an, »senkt das Steuerbordleeboard.« - 45-
Die Subao krängte und schwenkte leewärts. Die Ruderer versuchten Kurs zu halten, und Loholo kehrte zu ihnen zurück, um die Kommandos zu geben. Stark holte das Tau ein, das das gewaltige fächerförmige Leeboard hochgehalten hatte, und das schwere Holz klatschte ins Wasser. Der Eisenbeschlag an den unteren Kanten sorgte für ein sofortiges Untertauchen. »Mr. Loholo, laßt die Ruder einholen«, befahl MacLean. »Aber b eeilt Euch, Mann.« Ein heftiger Windstoß brachte das Schiff noch mehr in Seitenlage, daß es die Mannschaft steuerbords fast über Bord gespült hätte. »Und jetzt hoch mit den Klüvern, Stark.« Immer noch krängte der Wind die Subao, und das Leeboard schnitt durchs Wasser. Das Schiff begann langsam Geschwindigkeit aufzunehmen. Schon bald war es allen klar, daß es schneller vorankam, als die Ruderer es zu bewegen vermocht hatten. Immer noch erhöhte sich die Geschwindigkeit. Loholo blickte MacLean an und legte salutierend die Hand an die Stirn. »Käpten«, sagte er mit ehrlicher Bewunderung, »sie ist schneller, als je eine Mannschaft sie zu rudern vermöchte. Vielleicht ist sie nun sogar das flinkste Schiff auf ganz Makassar.« »Wir wollen es hoffen, Mr. Loholo. Auf jeden Fall dürfte sie schneller sein als die Piraten. Doch schickt jetzt ein paar Mann in die Ausgucke.« Mary Graham brachte mit Bretts Hilfe Kannen voll heißen Tschickist an Deck und schenkte die Becher ein. Sie sah ein wenig grün aus, aber sie beherrschte sich bewundernswert. »Segel voraus!« brüllte der Ausguckposten. »Zwei Segel.« Loholo kletterte flink wie ein Affe zum Mastkorb und nach wenigen Minuten wieder zurück. »Piraten backbord voraus, Sir«, meldete er. MacLean nickte. Die Freibeuter setzten ihre Rahsegel, um der Subao n äher zu kommen. »Mr. Loholo übernehmt das Ruder mit Mr. Todd. Luvwärts zu steuern bedarf einiger Kraft.« MacLean überschattete die Augen und stand mit gespreizten Beinen fest auf dem schwankenden Deck. Die See war nun stürmischer geworden, und die Subao krängte so stark, daß nur noch die drei Seeleute frei auf dem Deck stehen konnten. »Am besten, wir lavieren seewärts«, murmelte MacLean. »Stark, kümmert Euch um die Klüverleine, die Gaffelsegel schaffen es von selbst.« Nun näherten sie sich den Piratenschiffen mit großer Geschwindigkeit. »Fünf Segel mehr, Käpten«, meldete der Ausguckposten. - 46-
»Ganz schöner Aufwand«, brummte Loholo. »Verzeiht, Sir, aber die Riffe liegen dort drüben.« Er deutete steuerbord voraus. MacLean nickte unbeeindruckt. »Es ist noch zu früh für diesen Kurs, Mr. Loholo. »Wenn wir genügend Seeraum haben, versuchen wir's mit Eurem Rat.« Er blickte wieder den Piratenschiffen entgegen. »Alle unter Deck, die hier nichts zu suchen haben«, ordnete er an. »Freilady, Professor Longway, Mr. Kleinst. Und Ihr, Mr. Loholo, bewaffnet Eure Männer und kehrt dann zum Ruder zurück.« MacKinnie beobachtete Hal, wie er Armbrüste an seine samualanischen Schutzwachen verteilte und sie entlang der Kühl postierte. Die Piraten hatten bemerkt, daß die Subao ohne Ruder gegen den Wind segelte, und näherten ihren Kurs, um sie weit vor ihren gegenwärtigen Positionen abzufangen. Sie kamen nun nicht mehr auf sie zugebraust, sondern legten sich drei Armbrustschußweiten backbords auf die Lauer. »Ich bezweifle, daß es zu einem Kampf kommen wird«, murmelte MacLean. »Wenn sie mit ihren Ruderern nicht viel schneller sind, als ich glaube, dann können sie uns nicht einholen.« Als wollte er seinen Kapitän Lügen strafen, brüllte der Ausguck: »Drei Segel steuerbord voraus!« MacLean schüttelte den Kopf. »Vielleicht müssen wir doch kämpfen.« Er schätzte die Entfernung zum nächsten Piratenschiff ab. »Mr. Stark, seid b ereit, das Schiff zu wenden, und gebt mir fünf Mann für die Leeboards.« Die Piratenschiffe näherten sich nun langsam dem Bug der Subao. »Ein Strich zurück, Mr. Todd.« Das Schiff nahm Geschwindigkeit auf und durchschnitt die Wellen. »Neunzig Grad steuerbord, Mr. Todd.« Die Subao fiel scharf in den Wind, schien einen Moment stillzustehen und ging dann auf Steuerbordkurs. »Löst die Klüverleinen. Holt die Leeboards ein!« MacLean beobachtete mit eiserner Ruhe, wie der gepanzerte Bug des nächsten Piratenschiffs näher kam. MacKinnie hörte einen Pfeil über seinen Kopf hinwegschwirren und sah das runde Loch im Besansegel. Ein Bombardement von Pfeilen schlug in die Reling. Der gewaltige Bug des Feindschiffs war nun noch dreißig Meter entfernt.
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Die Subao nahm Geschwindigkeit auf, und bald befand sich der P irat nicht mehr mittschiffs. »Kurs halten«, ordnete MacLean ruhig an. Sie schnitten achtern das Seeräuberschiff so knapp, daß sie fast seine Ruder berührten. Pfeile regneten zu ihnen herüber, und Stark erwiderte mit seinen Mannen den Beschuß. Ein Brüllen auf dem Piratenschiff, und sie hatten es zurückgelassen. »Er muß erst die Segel reffen, ehe er gegen den Wind zu rudern vermag«, murmelte MacLean. »Nun kann er uns nicht mehr einholen. Ausguck, wo sind die anderen Schiffe?« »Backbord voraus, Sir!« »Also direkt luvwärts. Abwarten, ob sie Verstand haben oder nicht. Mr. Loholo, Ihr könnt nun zum Achterdeck zurückkehren.« »Aye, aye, Sir.« Als er näher kam, sahen sie, daß seine Hände blutig waren. »Ein Maat ist tot, Käpten. Pfeil durch den Hals. Und die Segel haben einige Löcher abbekommen.« »Schon gut. Wo sind die Riffe, die Ihr so gut kennt, und wann geht die Flut zurück?« Loholo deutete auf einen Gebirgseinschnitt an der Küste. »In der Richtung, Sir. Die Flut steigt jetzt noch, wird aber in einer Stunde abzunehmen beginnen.« »Ausgezeichnet. Mr. Todd, steuert nach Mr. Loholos Anweisungen auf diese Riffe zu. Sie werden uns vielleicht doch noch von Nutzen sein. Mr. Loholo, wie viele Männer befinden sich normalerweise auf den Piratenschiffen?« »Siebzig, vielleicht ein paar mehr.« MacLean nickte. »Nur gut, daß sie uns nicht entern können.« Er beobachtete die sie verfolgenden Freibeuter. »Wir treiben ein wenig mehr ab, als mir lieb ist. Aber seht Ihr dort?« Damit wandte er sich an MacKinnie. »Gar nicht so dumm. Während die anderen näher zu kommen versuchen, hält er sich windwärts. Das verspricht interessant zu werden.« Die Subao hielt ihren Kurs. Mit den Gezeiten wechselte auch der Wind und blies nun von der Küste meereinwärts. Die erste Gruppe der Piratenschiffe fiel zurück, und sie ließen auch ohne Schwierigkeiten die zweite hinter sich, die den Fehler beging, der Subao zu nahe zu kommen und dadurch ebenfalls abgetrieben wurde, ehe sie versuchte, in der noch steige nden Flut - 48-
an sie heranzurudern. Nun gab es nur noch Feindschiffe zwischen ihnen und dem offenen Wasser. Im Laufe der Verfolgungsjagd fiel die Küste nordwärts ab, wodurch die Subao starken Seitenwind bekam und noch mehr krängte. Das Vieh im Frachtraum brüllte ängstlich, und Brett eilte hinunter, um seine Pferde zu beruhigen. Das Piratenschiff, das sich von Anfang an im Gege nsatz zu den anderen windwärts gehalten hatte, fuhr nun fast parallel mit der Subao. Es näherte sich nur langsam und ging kein Risiko ein, sein Opfer zu verlieren wie die anderen. Sein Kapitän hatte die großen Lateinsegel eingezogen und nur wenige Mann an den Rudern. MacLean stand neben Loholo, der jetzt das Steuer führte. Der Bootsmann hatte schneller gelernt, als er für möglich gehalten hatte, und hielt die riesige hölzerne Pinne ohne Anstrengung, während er sich gegen die Schlingerbewegungen des Schiffes stemmte und die Küste beobachtete. »Wo sind wir jetzt, Mr. Loholo?« fragte MacLean. »Im seichten Wasser, Käpten. Mit der Ebbe werden wir in einer Stunde auf Grund stoßen.« »Mr. Todd«, befahl MacLean, »lotet die Tiefe.« »Drei Meter, Sir«, meldete der Steuermann nach einigen Minuten. »Der Pirat kommt näher, Händler«, brummte MacLean nachdenklich. »Möglich, daß es ihm gelingt, uns zu entern. Mr. Stark, alle Rüstungen verteilen.« Er wandte sich wieder MacKinnie zu. »Bisher hatten wir Glück. Statt gegen ein Dutzend Schiffe kämpfen zu müssen, bleibt jetzt nur noch eines.« Die Flut ging nun rasch zurück. So etwas hatte MacKinnie noch nie e rlebt, und er fragte MacLean, wieso die Strömung so stark sein konnte. »Die beiden nahen Monde verursachen diese heftigen Gezeiten«, antwortete der Gefragte. »Und dieses zwar riesige, aber flache Meeresbecken enthält nicht viel Wasser. Es bedarf keiner größeren vertikalen Bewegung, es zu leeren.« Der Kapitän beobachtete die Strömung nachdenklich. »Wir werden in ein paar Minuten auf Grund laufen, Händler. Falls wir versuchen wollten, mit der Flut zu segeln, um flott zu bleiben, hätte uns der Pirat. Wenn wir jedoch auf Grund aufliegen, vermag er uns zumindest nicht zu rammen. Mag ein ganz schöner Kampf werden, wenn er uns so auf dem Trocknen antrifft. Vielleicht wendet er aber mit der Strömung und holt Verstärkung. In dem Fall müßt Ihr entscheiden, ob wir an Land gehen sollen oder nicht.«
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MacKinnie nickte. Es schien ihm, als bliebe das Feindschiff in der Nähe ihres eigenen, was bedeuten konnte, daß es genauso in die Falle geriet. Wenn die Piraten die Küste hier wirklich nicht so genau kannten, möchten sie leicht denken, die Subao versuche flottzubleiben. MacLean ließ die Segel reffen, und Loholo richtete ohne Befehl die Seitenlage aus. Offensichtlich war er es gewohnt, in den Untiefen Makassars auf Grund aufzusetzen. »Gut«, murmelte MacLean. Er beobachtete das Piratenschiff kaum dreihundert Meter von ihnen entfernt. »Bei allen Heiligen«, rief er. »Sie sitzen fest! Sie schaffen es nicht gegen den Wind!« Die Mannschaft des Freibeuters plagte sich an den Rudern, aber es half nichts, das Heck berührte Grund, und innerhalb von Sekunden stak es genauso fest wie die Subao. Als die Piraten aus dem Bauch strömten, bat Brett um Erlaubnis, mit Vanjynk die Pferde heraufzubringen und beritten gegen die Angreifer zu kämpfen. MacKinnie gestattete es ihm und befahl den bereits gerüsteten Männern, sich hinter dem Schiff aufzustellen, wo die Piraten ihre Stärke erst feststellen würden, wenn sie nahe genug herangekommen waren. Einen Kampf von Bord aus lehnte MacKinnie ab, da die Angreifer unter anderem auch mit Äxten bewaffnet waren, die dem Schiff allzu sehr schaden konnten. MacKinnie sprang über die Reling, um sich seiner Streitmacht anzuschließen, und ließ MacLean mit Loholo an Bord zurück. »Es ist wichtig«, erklärte er seinen Männern, »Disziplin zu halten. Wenn ihr in Formation bleibt, können sie euch nicht viel anhaben. Haltet eure Schilde hoch, solange sie noch nicht nahe sind, damit ihr von den Pfeilen geschützt seid. Rückt erst vor, wenn ich den Befehl gebe. Ich will sie mit geballter Kraft angreifen, nicht mit einer zusammengewürfelten Gruppe von Individualisten. Hal, bilde aus deinen Havanern eine Reserve hinter dem Haupttrupp und halte die Speere und Armbrüste bereit. Ich erwarte von euch einen geballten Armbrustbeschuß, sobald die Piraten nahe genug dafür sind. Und feuert weiter, bis ihr zum Nachladen zu knapp heran seid. Dann nehmt die Speere, aber wartet, bis ich den Befehl zum Werfen gebe.« »Jawohl, Sir.« »Brett, Ihr und Vanjynk bleibt an meiner Seite, bis ich Euch das Zeichen zum Angreifen gebe.« - 50-
»Es ist gegen unsere Ehre«, warf Vanjynk bedächtig ein, »zurückzubleiben und das Fußvolk den Kampf eröffnen zu lassen.« »Wogegen es auch immer sein mag, Ihr tut, was ich Euch sage. Beginnt Ihr jedoch den Angriff ohne meinen Befehl, dann wird Stark Euch aus dem Sattel schießen.« »Laß gut sein, Vanjynk«, Brett klopfte dem Freund aufmunternd auf die Schulter. »Wir haben uns bereit erklärt, dem Sternenmann zu dienen, also müssen wir auch seine Befehle achten.« »Sie kommen!« brüllte Longway vom Achterdeck. MacKinnie schritt zum Bug und blickte den Freibeutern entgegen, deren Gruppe ungefähr hundert Mann stark war und die sich in Formation der Subao näherte. »Hal, halte deine Schützen bereit und feure, sobald sie nahe genug heran sind.« Die Formation der Piraten wurde durch unrege lmäßige Wasserlöcher gebrochen, aber ihr Anführer schien keine Schwierigkeiten zu haben, seine Männer neu zu formieren. MacKinnie wartete, bis der Feind in Schußweite war und die ersten unter Hals Beschuß fielen, aber er gab noch kein Zeichen. Ein zweiter Beschuß mähte weitere der Seeräuber nieder. Erst jetzt gab MacKinnie den buntgekleideten Makassarern den Befehl zum Angriff. »Jetzt, Männer! Folgt mir und haltet Formation! Brett, Ihr und Vanjynk bleibt hinter den Schildträgern, bis ich Euch rufe.« Die Piraten waren nun von zwei Seiten durch die beiden kleinen Gruppen der Subao-Leute in die Zange genommen, aber es schien sie nicht sonderlich zu beunruhigen. Sie konzentrierten sich auf Hals Männer. »Formation beibehalten!« brüllte MacKinnie. »Achtet auf eure unmittelbaren Nachbarn und trennt euch nicht von ihnen.« Er führte seine Gruppe vom Bug Richtung Steuerbord, so daß die Piraten zwischen den beiden Te ilen seiner Streitmacht wie in einer Zange eingeklemmt blieben. Einige der Piraten begannen sich nun ihm zuzuwenden, andere stürmten noch auf Hals Mannen ein. Stark ließ eine weitere Salve feuern, dann legten seine Leute die Armbrüste ab und packten ihre Wurfspeere. Als MacKinnies Gruppe nahe genug an die Freibeuter herangekommen war, gab Nathan den erwarteten Befehl. Starks Trupp rückte vorwärts, schleuderte die Speere und schlug Breschen im die Formation des Feindes. Jetzt hatte auch MacKinnie sie erreicht. Seine - 51-
Pikenträger stachen mit den Spießen auf sie ein, während Hal und seine Samualaner von der anderen Seite nun mit Schwert und Schild über sie herfielen. An beiden Flanken kämpfte nun ein Piratentrupp gegen die Männer der Subao, aber die Hauptmacht des Feindes zögerte noch. Sie entschied sich schließlich für MacKinnies Trupp und stieß, sich unter den Speerspitzen duckend, auf die nicht durch Rüstungen geschützten Mannen vor, die sie mit ihren Kurzschwertern erwarteten. Zwei der jungen Jikarianer fielen und öffneten so eine Bresche in der Reihe der Pikenträger. Auf der anderen Seite der Formation gelang es den Piraten lediglich nur aufgrund ihrer Zahl, Stark aufzuhalten, aber sie erreichten nichts gegen ihn. Eine dritte Gruppe sprintete zwischen den beiden Formationen hindurch direkt auf das Schiff zu und versuchte, sich über die Reling zu schwinge n. Longway und MacLean wehrten sie erfolgreich mit ihrem Schwertern ab, während Loholo in wilder Wut über die Reling auf dem Sand sprang und seinen gewaltigen Bihänder über den Kopf schwang. »Die Subao ist mein!' brüllte er. »Ihr Hundesöhne, ihr feigen Ratten, ihr Aasfresser...« Er schlug einem der Piraten mit einem Schwertstreich den Kopf ab und wehrte mit dem Rücken zum Schiff die anderen ab. Mit lauter Kommandostimme befahl der Piratenanführer seinen Männern, sich neu zu sammeln. In diesem Augenblick gab MacKinnie Brett das vereinbarte Zeichen. Einen Schlachtruf ausstoßend, donnerten Brett und Vanjynk auf die Freibeuter los und schwangen ihre mächtigen Schwerter. Die Abwehr der Piraten war nur schwach, da sie sich bemühten, den trampelnden Hufen der sich aufbäumenden und um sich schlagenden Pferde auszuweichen. Ein Teil der Seeräuber gab Fersengeld, als Hal und seine Schildmänner in disziplinierter Formation von der anderen Seite auf sie eindrangen und die äußeren Reihen niedermähten. MacKinnie hielt mit seinem Trupp die Position. Seine Mannen bildeten mit ihren Speeren einen Wall von scharfen Spitzen, während Loholo weiter wie ein Berserker sein Schwert singen ließ, bis auch die letzten Piraten die Flucht ergriffen. Brett und Vanjynk verfolgten die Freibeuter über den Sand, aber als einige der Feinde sie mit Pfeilen beschossen, befahl MacKinnie ihnen laut brüllend, sofort umzukehren. Inzwischen inspizierte er seine kleine Streitmacht. Zwei der einheimischen Kämpfer hatten den Tod gefunden, als die Piraten ihre Reihen durchbrachen, und einem anderen steckte noch ein Wurfmesser in - 52-
der Schulter. MacLean hatte einen tiefen Schnitt auf dem Handrücken von einem sterbenden Enterer abbekommen, den Longway niedergestreckt hatte. Alle anderen waren unverletzt geblieben. Auf dem Sand zwischen den beiden Schiffen zählte MacKinnie vierunddreißig gefallene Feinde. Die meisten in beträchtlichem Abstand von der Subao. Sie waren auf der Flucht von Hals Mannen und den beiden Berittenen niedergestreckt worden. »Es ist immer das gleiche«, erklärte MacKinnie Longway und MacLean, als er wieder an Bord war. »Ich habe noch keine Schlacht erlebt, wo der Verlierer sie nicht im richtigen Moment für sich hätte entscheiden können, wenn er nicht den Kopf verloren hätte. Aber wenn erst einmal der Mut abhanden gekommen ist, ist es aus.« »Aber es sah so einfach aus«, warf Mary Graham ein. MacKinnie wandte sich um, überrascht, sie an Deck zu sehen. »Sagte ich nicht, Ihr solltet unten bleiben?« murmelte er. »Glaubt mir, so leicht wäre es nicht gewesen, wenn es ihnen gelungen wäre, uns zu entern, denn dann hätten wir nicht genügend Platz für eine Formation gehabt. Sie waren Narren, unter diesen Umständen überhaupt zu kämpfen.« Er blickte Mary streng an. »Was habt Ihr unseren Leuten zum Abendessen zu bieten, Freilady ?« »Es wird eine Weile dauern, bis ich ein Siegesmahl zusammenstellen kann«, erwiderte sie. »Glaubt Ihr, sie kommen zurück?« »Nein, ich denke, wir haben ihnen den Mut abgekauft. Was meint Ihr, Mr. Loholo, werden sie noch einen Angriff versuchen, wenn wir wieder flott sind?« Der Bootsmann schüttelte den Kopf. »Danach dürfte ihnen genausowenig wie uns der Sinn stehen, wenn erst die Flut wiederkommt. Es wäre kein Spaß, an der Küste zerschmettert zu werden.« MacKinnie nickte und ließ auf MacLeans Rat hin den Anker auf der Seeseite auswerfen, damit die einbrechende Flut das Schiff nicht an die Küste werfen konnte. MacKinnie hatte eine weitere Idee und gab Brett ein paar Anweisungen. »Die Flut kommt!« brüllte Loholo vom Mastkorb. MacKinnie winkte Brett zu, der sich mit seinem Pferd noch außerhalb des Schiffes befand.
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Der Reiter geloppierte auf das feindliche Schiff zu und umritt es außerhalb Schußweite, bis er den Anker entdeckte, den die Piraten in den Sand gegraben hatten. Mit einem raschen Schwerthieb kappte er das Tau und ritt wie von Furien gehetzt zur Subao zurück. Vanjynk wartete bereits mit e iner Art Lasso, mit dem er Reiter und Pferd an Bord hievte. Die Flutwelle, ein Wasserwall gut drei Meter hoch, war noch eine Meile entfernt, näherte sich jedoch mit beängstigender Geschwindigkeit. Die Piraten tobten. Einer stand am Heck und drohte mit der Faust zur Subao herüber. Sie waren hilflos. Ehe sie das Ankertau der Subao erreichen könnten, hätte die Flutwelle sie längst eingeholt. Als MacKinnie Befehl gab, die Segel zu hissen, schmetterte die Flut das Piratenschiff gegen die Felsen.
9. »Der sauberste Hafen von ganz Makassar«, behauptete Loholo, als sie in Batav an dem ihnen zugewiesenen Dock angelegt hatten. »Die Tempelpriester sorgten hier für Ordnung. Sie werden bald einen ihrer Dekane schicken, um Euch ein Angebot für Eure Ware zu machen.« MacKinnie stand am Achterdeck der Subao und beobachtete das Treiben auf den Kais. Im Vergleich zu Jikar herrschte hier reges Leben, aber doch viel weniger, als Nathan in einer so großen Stadt wie Batav erwartet hätte. Auch lagen erstaunlich wenig Schiffe im Hafen. Ein kalkweißes Gebäude ragte hinter dem Hafen auf, mit der Tempelfahne am Mast. Die alte Reichsbibliothek war aus dem in der Gegend vorkommenden Granit gebaut und einstmals ein Teil des vizeköniglichen Palasts gewesen. »Das ist der Tempel«, erklärte Brett. »Gott selbst hat ihn vor dem Untergang gebaut, als alle hier noch Sternenmänner waren. Er vertraute ihm seine Weisheit und sein Wissen an Aber die Makassarer waren stolz und glaubten, sie brauchten Gott nicht. In seinem Zorn holte er aus, den Tempel zu zerstören – seht dort an der Seite, wo er teilweise neuerbaut wurde. Doch noch ehe er das Werk seines Zorns vollendet hatte, e rinnerten ihn die Priester an das Versprechen, das er unserem Volk einst gab. Da verschonte er den Tempel, aber er nahm uns das Wissen, die große Weisheit darin zu benutzen. Nur - 54-
die Priester vermögen es, aber auch sie können die Worte der Engel nicht verstehen, wenn diese ihr Flehen erhören und zu ihnen sprechen.« Brett rümpfte die Nase. »Das ist die Geschichte, wie die Tempelpriester sie erzählen. Früher einmal hatten sie Gläubige in allen Städten, und ihre Dekane und Jünger führten das Wort in den Königreichen und Herzogtümern. Fast überall mußten die kleinen Gruppen wahrer Christen, wie die in Jikar, ihre Zusammenkünfte heimlich abhalten. Nun haben die Templer lediglich in Batav noch etwas zu sagen. Jetzt müssen ihre Anhänger in den anderen Städten um ihr Leben fürchten. Und all das hat sich in der Zeit von zwei Menschenleben geändert, habe ich gehört.« »Was könnte die Ursache für einen so raschen Wechsel sein?« überlegte Longway laut. »Viel Merkwürdiges ist in den letzten Generationen geschehen. Die Sommer sind kürzer, die Winter kälter, und die Nomaden ziehen an die Küsten und greifen die Städte an, weil es in den Ebenen immer weniger Nahrung für ihre Herden gibt. Eisfelder bilden sich, wo es früher keine gab. Die Leute sagen, Gott hat sich von Makassar abgewandt.« »Ah!« stieß Kleinst aus. »Das ist nur natürlich. Makassars Umlaufbahn ist äußerst exzentrisch, und seine axiale Neigung ist ebenfalls hoch. Beides hat viele Generationen lang für annehmbare klimatische Bedingungen in der südlichen Hemisphäre gesorgt, aber nun beginnt sich ihr Zusammenspiel langsam zu verändern. Die Winter werden hier immer noch strenger werden, bis es schließlich statt der südlichen die nördliche Halbkugel ist, die bewohnbar sein wird. Natürlich drängen die Barbaren da äquatorwärts.« Mary Graham bot Wein und Tschickist an, während eine der Schutzwachen das riesige Tablett für sie trug. »Oh – ist das dort der Tempel?« fragte Mary und deutete auf das gewaltige Bauwerk. »Jawohl, meine Lady«, erwiderte Brett. »Fünfhundert Priester und Dekane und zweitausend Tempelwachen sind in den in die Mauer geschlagenen Zellen untergebracht. Doch das hat ihnen bisher noch nicht viel gegen die Nomaden geholfen.« »Aber was können die Barbaren schon gegen die Tempelwachen ausrichten?« wunderte sich Mary. »Sagtet Ihr nicht selbst, daß sie keine gute Ausrüstung haben? Der Tempel dagegen mit seinem Reichtum...«
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»Ja, aber sie kämpfen nicht, wie die Tempelleute es gewohnt sind. Die Barbaren rennen vor den gepanzerten Kriegern davon, und wenn die Te mpelpferde ermüden, bringen die Nomadenhäuptlinge ihre Klans zurück und reiten mit ihren Seilen um die eisernen Männer herum und schnüren sie auf ihre Rosse und zwingen sie auf den Boden. Oder die Maris springen zur Seite und lassen die galoppierenden Ritter vorbeidonnern und greifen sie dann von hinten an.« »Beweglichkeit gegen Rüstung«, murmelte MacKinnie. »Und die Tempelsoldaten werden von den Mauern weggelockt, so daß sie keine Gelegenheit haben, sich auszuruhen oder neu zu formieren.« Er nickte. »Was glaubt Ihr, Akademiker, werden die Priester die Stadt und ihre Altertümer gegen den Feind halten können?« »Nicht auf die Dauer«, erwiderte Longway. »Nach meiner Erfahrung auf dem Südkontinent würde ich sagen, die Bürger werden des Kämpfens bald müde sein, wenn sie es nicht schon sind. Vor allem, da sie ihre Kirche nun nicht mehr als Stimme Gottes betrachten. Die Priester werden nicht genügend Kämpfer finden, um die Mauern zu verteidigen, wenn die Barbaren sie länger belagern.« »Aber was wird dann aus den Bürgern?« fragte Mary. Brett atmete heftig. »Die Männer werden getötet. Die jüngeren und begehrenswerten Frauen landen vermutlich in den Zelten der Maris. Und die Knaben werden, sofern sie kräftig sind, zu Barbaren erzogen. Der Rest, jene, die nicht kämpften, als die Mauern gestürmt wurden, werden zur Unterhaltung der Nomadenfrauen langsam getötet.« Mary schüttelte sich. »Händler, können wir denn nichts für sie tun?« fragte sie MacKinnie. »Ich würde keine Träne für die Stadtleute vergießen, meine Lady«, riet ihr Brett. »Ihr habt nicht gesehen, was sie kleineren Gruppen Nomaden antun, wenn es ihnen gelingt, sie zu stellen.« »Wir bekommen Besuch«, meldete Stark, »aber nicht diese Dekane, die Ihr erwartet, Sir, sondern irgendwelche wichtigen Zivilisten.« Er deutete auf das Ende des Piers, wo offenbar zwei Magnaten, von einem halben Dutzend bewaffneter Männer beschützt, näher kamen. »Soll ich vorsichtshalber meine Leute postieren?« »Ja, aber so, daß sie nicht gesehen werden können.« Stark entfernte sich eilig, und MacKinnie schritt den Näherkommenden entgegen. - 56-
»Seid gegrüßt«, sagte einer der beiden Magnaten, und MacKinnie stellte überrascht fest, daß dieser hagere, große Fremde ihn in der Sprache des I mperiums begrüßt hatte. »Gibt es hier jemanden, der mich verstehen kann?« »Willkommen an Bord«, antwortete MacKinnie, so gut er es konnte, in der gleichen Sprache. »Was kann ich für Euer Ehren tun?« Der Hagere wandte sich seinem Begleiter zu und redete sehr schnell, dann blickte er wieder MacKinnie an. »Unserem Schöpfer sei Dank, die Marine hat uns also doch suchen lassen. Unsere Gebete wurden erhört. Als wir erfuhren, daß ein Schiff von Jikar gelandet sei, wagten wir gar nicht zu hoffen.« MacKinnie betrachtete die kleine Gruppe. Die Führer waren beide groß und dunkel, den Einheimischen völlig unähnlich, während es sich bei den Bewaffneten zweifellos um Makassarer handelte, die die beiden zu ihrem Schutz angeheuert hatten. »Darf ich Euch eine kleine Erfrischung in meiner Kabine anbieten?« Der Hagere dankte MacKinnie und folgte ihm mit seinem Begleiter. Die Schutzwachen ließen sie an Deck zurück. Als sie saßen und der Händler Wein eingeschenkt hatte, stellten sie sich vor. »Ich bin Vater Deluca, und dies ist Seine Lordschaft Weihbischof Laraine. Wir sind Abgesandte Seiner Eminenz des Erzbischofs Casteliano der hiesigen Mission. Es ist ein Wunder, daß Ihr uns gefunden habt.« »Ich verstehe nicht, Euer Ehrwürden. Ihr habt doch sicher eine Möglichkeit, Euch jederzeit mit der Marine in Verbindung zu setzen.« »Nein, mein Sohn«, entgegnete Bischof Laraine traurig. »Die Barbaren haben unsere Transmitter vernichtet, und zwei Angehörige unserer Mission, ein Bruder und ein Priester, wurden getötet. Uns gelang es gerade noch, uns zu dieser Stadt durchzuschlagen. Und hier sind wir nun gestrandet, mit wenig Gold und keiner Verbindungsmöglichkeit. Wir dürfen uns diesen Heiden nicht einmal zu erkennen geben, da sie uns sonst als Heretiker auf dem Scheiterhaufen verbrennen würden. Nicht, daß wir Angst haben, als Märtyrer zu sterben, aber es würde unserer Mission unter diesen Umständen wenig nützen.« »Ich möchte Euer Ehrwürden nicht widersprechen«, warf Vater Deluca ein, »aber die Bürger sind nicht wirklich Heiden. Sie haben eine Religion, die der unseren – von einigen Dogmen abgesehen – fast völlig gleicht, nur un- 57-
tersteht sie nicht Neurom. Sie glauben außerdem, daß sie in ihrem Te mpel heilige Reliquien besitzen und Gott daraus zu ihnen spricht.« Der Bischof schüttelte betrübt den Kopf. »Was Vater Deluca sagt, stimmt. Sie glauben wirklich, daß diese sogenannten Reliquien ihnen das Heilige Wort verkünden, und das dürfte insoweit auch stimmen, als sich höchstwahrscheinlich auch Exemplare der Bibel in der Bibliothek befinden. Aber sie glauben eben, daß ihr Tempel eine Quelle ständiger und immerwährender Offenbarung sei.« MacKinnie leerte sein Glas und überlegte, was er ihnen sagen sollte. Er wollte sie nicht belügen, konnte jedoch andererseits auch nicht die Karten aufdecken. Er entschloß sich für einen Kompromiß. »Es fällt mir schwer, Euer Ehrwürden zu enttäuschen«, begann er. »Aber unsere Ankunft hier vermag nur einen Teil Eures Problems zu lösen. Auch wir besitzen keinen Transmitter.« Er betonte das ihm fremde Wort vorsichtig. »Wir verfügen allerdings über ausreichend Gold, mit dem wir Euch gern aushelfen, aber es dürfte eine geraume Weile dauern, ehe wir Euch nach Jikar zurückzubringen vermögen. Die Zeit der Stürme ist nah, und mein makassarischer Bootsmann erklärte mir, daß es unmöglich ist, zu dieser Jahreszeit westwärts zu segeln.« »Dann ist es wohl Gottes Wille«, murmelte der Bischof. »Euer Angebot, uns mit Gold auszuhelfen, ist sehr großzügig, mein Lord. Seine Eminenz wird äußerst erfreut sein. Würdet Ihr uns zu ihm begleiten?« »Man wies mich an, zu warten, bis die Beauftragten des Tempels unsere Fracht begutachten«, erwiderte Nathan. »Danach wird es mir eine Ehre sein, Seiner Eminenz meine Aufwartung zu machen.« Er betrachtete die beiden nachdenklich. »Wofür hält Euch die hiesige Priesterschaft eigentlich?« »Von den Barbaren ausgeplünderte Händler«, antwortete Deluca. »Wir hatten schon mit dem Gedanken gespielt, zu den Nomaden zu fliehen und zu versuchen, wenigstens einige von ihnen zu unserem Glauben zu beke hren. Aber wir sind hier zu wenig, und die Barbaren schießen in der Regel, bevor sie zuhören. Selbst der Tempel schickt keine Missionare mehr zu ihnen. Seine Eminenz befahl uns, bei ihm zu bleiben, bis wir sicher wären, daß absolut keine Hoffnung mehr bestehe, die Tempelhierarchie zu beke hren, ehe wir uns bei den Barbaren aufopfern.«
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Nathan nickte und füllte die Gläser erneut. »Es gelang Euch also nicht, die Tempelleute davon zu überzeugen, daß ihre heiligen Reliquien nichts anderes als Überbleibsel des alten Reiches sind?« Deluca schüttelte den Kopf. »Bruder LeMoyne, der sowohl Bibliothekar als auch Physiker ist, hoffte, es ihnen beweisen zu können, aber sie lassen uns ja nicht einmal in die Nähe ihrer heiligen Reliquien. Niemand außer den Te mpelpriestern darf sie berühren.« Hal klopfte an der Tür. »Sir«, meldete er, »diese Dekane sind nun hier, um die Fracht zu inspizieren. Sie sagten, sie wollen mit dem Schiffseigner sprechen und alle Nahrungsmittel und den ganzen Wein an Bord kaufen. Außerdem müssen wir eine Hafengebühr entrichten.« Nathan erhob sich. »Entschuldigt mich ein paar Minuten, Euer Ehrwürden«, bat er und verbeugte sich. »Schenkt Euch einstweilen nach.« Drei Tempeldekane und zwei uniformierte Wachoffiziere warteten b ereits in Gesellschaft von MacLean und Loholo an Deck auf ihn, während zehn Schwertträger in strammer Haltung am Pier standen. »Ich bin der Eigner«, stellte Nathan sich ihnen vor. »Händler MacKinnie. Willkommen an Bord, meine Herren.« Die beiden Offiziere salutierten. Der größere wies auf einen der graugekleideten Dekane. »Seine Exzellenz S indabaya, Juniorerzdekan des Te mpels der Wahrheit.« »Friede sei mit Euch«, grüßte einer der Grauen, und MacKinnie verneigte sich. »Ihr seid fremd hier in Batav, Händler«, fuhr der Dekan fort. »Aber Euer Bootsmann, Mr. Loholo, ist uns wohlbekannt. Er versicherte uns, daß Ihr ein ehrlicher Mann seid. »Was habt Ihr an Ware für uns mitgebracht?« Es dauerte Stunden, bis die Preise ausgehandelt waren, obwohl MacKinnie den Dekanen großzügig entgegenkam. Aus ihrem Verhalten schloß Nathan, daß die Belagerung ernstzunehmender war, als der Tempel zugeben wollte. Trotz der noch wohlgefüllten Speicher, herrschte Hunger in Batav, da der Tempel in Erwartung einer ausgedehnten Belagerung die Lebensmittel streng rationierte und darauf bestand, daß jedes im Hafen anlegende Schiff seine gesamten Nahrungsmittelvorräte an den Tempel verkaufte. Als der Handel abgeschlossen war und die Tempelsklaven die Waren a bschleppten, beobachtete MacKinnie, wie einer der Offiziere einen Sklaven mit einem Fußtritt antrieb. Sindabaya bemerkte MacKinnies Mißfallen dar- 59-
über. »Die Welt hat sich verändert«, murmelte er. »Es ist noch nicht lange her, da taten sie ihre Arbeit singend und frohgemut. Die Schiffe b oten allen Reichtum Makassars dem Tempel an. Nun gibt es nur noch wenige Kauffahrer, die überhaupt bis hierher vordringen. Die Piraten verunsichern die Meere, die Barbaren lagern vor den Stadtmauern, und meine Offiziere schlagen die Sträflinge vor meinen Augen. Aber es geht nicht anders. Sie werken nicht mehr ohne Hiebe, und die Arbeit muß getan werden, damit der Te mpel weiterbestehen kann, denn er ist die einzige Hoffnung für diese Welt. Wenn andere Städte fallen, bietet er das Wissen, sie wiederaufzubauen. Er muß beschützt werden.« Er hob seine Rechte, das Schiff zu segnen, und ging mit seinen schweigenden Begleitern von Bord. Deluca, der mit dem Weihbischof geduldig gewartet hatte, lugte aus MakKinnies Kajüte und sah der verschwindenden Gruppe nach. »Nun, da sie Euer Schiff inspiziert haben, habt Ihr das Recht, Euch in der Stadt umzusehen, Händler«, erklärte er MacKinnie. »Werdet Ihr nun Seine Eminenz, den Erzbischof, aufsuchen?« Nathan nickte und bat Longway, Kleinst und Todd, ihn zu begleiten. »Unsere Wachen werden Euch zurückbringen«, versicherte Deluca ihm. »Die Straßen sind nicht mehr sicher. Die Diebe haben sich zusammengerottet und überfallen sogar Bewaffnete, obwohl es nichts mehr zu kaufen gibt für das Gold, das sie erbeuten. Die Stadt glaubt nicht mehr an eine Zukunft. Nur noch der Tempel ist bereit zu kämpfen.« Sie schritten die breite Hafenstraße entlang und bemerkten die verlassenen Docks und die gähnenden Tore zu den leeren Warenschuppen. Überall standen und saßen Bettler herum, ehemalige Hafenarbeiter oder Kleinbauern, deren Höfe a ußerhalb der Stadtmauern im Barbarengebiet lagen. Auch in den engen Gassen der Stadt war es nicht besser. Die Bürger drängten sich in den kleinen Läden, standen Schlange, um ihre Tagesration zu erstehen. Sie hielten bei einem Vorhof an, der zu einem massiven Stein- und Holzbau führte. Zwei Schwertträger öffneten das Tor, als sie den Bischof erkannten. Das Haus selbst war spärlich möbliert, was sowohl der Goldknappheit als auch der spartanischen Veranlagung des Erzbischofs zuzuschreiben sein mochte. »Wie vermutet«, erklärte Laraine dem hohen Würdenträger nach der formellen Begrüßung, »stammt das Schiff aus dem Westen und gehört Männern des Imperiums, obwohl sie ihrem Akzent nach aus einer Gegend - 60-
kommen, die ich nicht ke nne. Eine Kolonialwelt, vielleicht?« wandte er sich nun an MacKinnie. »Ich fragte nicht, woher Ihr kommt, mein Lord, als ich Euch meine Hilfe anbot. Ist es notwendig, meine Herkunft zu diskutieren? Das Imperium b esteht aus vielen Welten, und die Bürger mancher sind begünstigter als die anderen. Aber auch wenn das Imperium auf meine Welt mit Verachtung herabsieht, so ist es doch mein Schiff und mein Gold, das vielleicht vermag Euer Leben zu retten und Euch möglicherweise sogar in der Aufgabe, deretwegen Ihr hierherkamt, zu unterstützen.« Deluca schnappte laut nach Luft, aber noch ehe er seiner Entrüstung Ausdruck zu geben vermochte, wehrte der Erzbischof ab. »Er meint es gut. Laßt ihn fortfahren. Die Wege des Herrn sind unergründlich.« Der Greis bat MacKinnie und seine Begleiter, sich zu setzen. »Ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, daß Ihr keine Möglichkeit habt, die Marine zu unserem Schutz herbeizurufen?« »Der Besitz von – von Transmittern ist uns nicht gestattet, Euer Eminenz«, gab MacKinnie zu. Der Erzbischof nickte. »Eine Kolonialwelt demnach. Die Marine könnte auch nichts tun, selbst wenn Ihr sie zu informieren vermöchtet. Erst wenn wir tot sind, werden sie eine Strafexpedition schicken, und der Kaiserliche Handelsverband wird den Mund am weitesten aufreißen und Vergeltung für die Priester des Herrn fordern. Die Kirche diente nicht nur einmal als Vorwand für das Imperium.« »Ich verstehe nicht, mein Lord«, murmelte MacKinnie. »Der Kaiser ist nicht an einer Eroberung dieser Welten interessiert«, erklärte der Erzbischof und hielt inne, als er MacKinnies verwirrte Miene bemerkte. »Bringt unseren Gästen etwas zu trinken«, befahl er und wandte sich wieder Nathan zu. »Euch ist die Politik des Imperiums fremd«, stellte er fest. »Seid Ihr ein Angehöriger der Kirche?« »Neurom ist noch nicht bis zu meiner Welt vorgedrungen, Euer Eminenz. Aber wir sind Christen. Ich wurde orthodox getauft, ein Glaube, der Neurom akzeptiert, wie ich hörte.« »Verzeiht meine Neugier, sie hat einen Grund. Was macht Ihr hier auf Makassar?«
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»Mein König beauftragte mich als Leiter einer Handelsexpedition, Euer Eminenz. »Er ist der Herrscher des größten Landes auf meiner Heimatwelt und mit dem Kaiserlichen Botschafter verbündet. Die Marine u nterstützt ihn in der Einigung des Planeten.« Wieder nickte der Erzbischof. »Aber Ihr seid kein Händler, auch Eure Begleiter nicht. Bitte leugnet es nicht. Ihr könnt einen Mann meines Alters nicht täuschen. Ihr seid Soldat, und die anderen? Spione? Es spielt keine Rolle. Und nun seid Ihr hier auf diesem primitiven Planeten, kommt von einer Welt, die selbst noch unterentwickelt ist – und Ihr bietet uns Eure Hilfe an. Ich sehe leider nicht, wie Ihr uns helfen könntet. Doch Euer Mut verdient eine Belohnung, auch wenn sie nur aus Information bestehen kann. Männer wie Ihr, die kaum die Sprache des Imperiums beherrschen, die nichts von der Hauptwelt und ihrer Politik wissen, die das All in Schiffen überqueren, die sie nicht verstehen – wenn die Kirche in ihren Anhängern einen solchen Glauben erwecken könnte, wie den, den Ihr in Euch setzt!« Er nippte an seinem Glas, »Ihr und wir, mein Lord Händler«, erklärte er MacKinnie, »erfüllen denselben Zweck. Wir sind die Opferlämmer des Kaiserlichen Handelsverbands, nur mit dem einen Unterschied, daß wir es erkannt haben und Ihr nicht.« »Ich verstehe nicht.« »Das hatte ich auch nicht erwartet. Ihr bildet Euch ein, hier einen wichtigen Auftrag Eures Königs auszuführen, sicherlich etwas von viel größerer Bedeutung als Gold heimzubringen. Und wir sind hier, um diese Menschen zu Gott zurückzuführen. Doch wir beide dienen genauso sicherlich dem KHV, als wäre er es, in dessen Sold wir stehen.« Eine drückende Stille herrschte, ehe der Erzbischof fortfuhr. »Die Marine kämpft um einer gerechten Sache willen – für den Kaiser und die Kirche, für Neuannapolis, aber niemals für den KHV, nicht um für ihn neue Absatzgebiete zu e rschließen, neue Welten zur Ausbeutung zu erobern. Und darum benutzt der KHV uns. Mit seinen Beziehungen sorgte er dafür, daß wir hierher gesandt wurden, aber auch dafür, daß die Marine nicht in der Lage ist, uns zu schützen. Doch nachdem man uns niedergemetzelt h aben wird, wird es der KHV sein, der am lautesten nach Verge ltung brüllt. 'Wir müssen diesen Heiden eine Lektion erteilen', werden sie schreien. Und das gleiche gilt für Euch. Ich brauche nicht zu wissen, woher Ihr stammt, um - 62-
dessen sicher zu sein. Auch auf Eurem Planeten gibt es bestimmte Opposition gegen das Imperium, denn Imperialismus gebiert nicht viel Loyalität. Das wirkt sich störend für den KHV aus, und am störendsten sind gewöhnlich die Patrioten – und glaubt Ihr vielleicht nicht, daß gerade sie sich bereitwillig von den Händlern für eine Strafexpedition zu diesem Planeten anheuern lassen werden? Um Euch zu rächen? Und damit löst der KHV gleich zwei Probleme: die Eroberung Makassars und die Ausschaltung der Führer und Soldaten, von wo immer Ihr auch herkommt. Das ist eine alte und bewährte Methode.« »Warum gestattet Ihr ihnen, Euch zu benutzen, mein Lord?« fragte MakKinnie verwirrt. »Was immer auch Euer Grund war, hättet Ihr Euch geweigert, hierherzukommen, selbst wenn Ihr die Hintergründe der Händler gekannt hättet?« Der Erzbischof beantwortete diese Frage selbst. »Nein, das dachte ich auch. Genausowenig konnte ich es ablehnen, das Wort Gottes zu den Ungläubigen zu tragen.« Der Greis hustete, und sein ausgemergelter Körper schüttelte sich. »Nun kehrt zu Eurem Plan zurück, aber vergeßt den KHV nicht. Ihm stehen fast unbeschränkte Mittel zur Verfügung und gewaltige Macht. Fairneß ist ihm fremd. Vielleicht wird die Marine es einmal müde, von ihm ausgenutzt zu werden, aber leider ist es noch lange nicht soweit.« »Ich danke Euch für Eure Offenheit, Euer Eminenz. Sollten wir Euch helfen können, die Leute hier zu Eurer Kirche zu bekehren und dennoch den Händlern keinen Grund für eine Marineintervention zuzuspielen, würdet Ihr uns dann ebenfalls unterstützen?« »In welcher Weise?« »Im Augenblick kann ich Euch das noch nicht sagen. Es ist nicht mein eigenes Geheimnis, und ich wüßte jetzt auch gar nicht, wie Ihr uns helfen könntet...« »Im Prinzip bin ich dazu gern bereit, aber bitte überseht nicht, mit wem Ihr sprecht. Ich mag vielleicht zynisch sein, was die Ratgeber des Kaisers betrifft, aber ich bin trotzdem ein loyaler Bürger des Imperiums und ein getreuer Diener der Kirche.« MacKinnie nickte. »Ich würde Euch keineswegs u m etwas Unehrenhaftes bitten, Euer Eminenz. Wir werden uns zu einem späteren Zeitpunkt viel-
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leicht noch darüber unterhalten können, doch nun möchte ich mich von Euch verabschieden.« Der Greis erhob sich und reichte ihm seine Hand, und ohne einen Moment zu überlegen, kniete MacKinnie vor ihm nieder und küßte seinen Ring. Als sie den Raum verließen, hob der Erzbischof segnend seine Hand und murmelte Worte in einer Sprache, die MacKinnie noch nie gehört hatte.
10. Drei Tage lang studierte MacKinnie die Barbaren. Er stand auf den Stadtmauern Batavs und beobachtete die Maris, die ihre Zelte fast in Pfeilweite der Stadt aufgeschlagen hatten. Einmal versuchte eine Anzahl von Berittenen in schwerer Rüstung, das Feindlager anzugreifen. Die Tempelkavallerie stürmte vor, zertrampelte den leichtgerüsteten Feind unter den Hufen ihrer Pferde und hieb sich mit den Schwertern einen Weg durch die Barbaren. Aber schon bald stockte der Angriff, als immer mehr der Maris sich in die Schlacht warfen, und schließlich gingen die Tempelritter in einer Flut dunkelhäutiger Nomaden unter. Nach diesem Gemetzel bat MacKinnie um eine Audienz mit der Tempelhierarchie. Stark drillte einstweilen die Besatzung der Subao mit Schwert, Lanze und Schild, ließ sie zu Trommelwirbel taktisch marschieren, Wurfspeere schleudern, Pfeilsalven abfeuern, immer in disziplinierter Formation. Natürlich erregte das allgemeines Aufsehen, und am zehnten Tag wurde MacKinnie die Audienz schließlich gewährt. Ein schwarzgekleideter Geistlicher saß in einer dürftig ausgestatteten Zelle hinter einem Schreibtisch – vor einer Wand mit einer riesigen Karte der Stadt und ihrer Umgebung. »Vater Sumbavo, hier ist der Ausländer, der Euch zu sehen wünschte. Er nennt sich Händlerkapitän MacKinnie.« Sumbavo war sozusagen der Kriegsminister des Tempels, wie Nathan erfahren hatte. Es gab andere Tempelpriester, die ranghöher waren als er, aber nur wenige verfügten über mehr Macht. Sumbavo schien sich nicht viel aus der Mitra eines Bischofs zu machen, noch aus dem Prunk des Tempels. Der widerspruchslose Gehorsam seiner Tempelkrieger beruhte nicht auf Äußerlichkeiten. - 64-
»Was wollt Ihr von mir?« fragte er MacKinnie barsch. »Euer Ehren«, begann Nathan. »Obgleich ich Händler bin, habe ich einige Erfahrung im Kampf gegen die Barbaren im Süden. Ich wollte Euch meine Methoden erklären.« Sumbavo starrte ihn lange schweigend an. »Wieso glaubt Ihr, damit mehr zu erreichen als wir?« fragte er schließlich. »Unsere Soldaten sind die Besten ganz Makassars, und doch gelingt es ihnen nicht mehr, die Barbaren zurückzuschlagen wie früher. Sie sind zu zahlreich geworden.« »Es liegt nicht an der Tüchtigkeit Eurer Krieger, Euer Ehren, sondern an ihrer Taktik. Die Disziplin Eurer Männer ist vorbildlich, doch ist ihre Zahl nicht hoch genug. Auch ihr Mut ist beispiellos, aber Eure Kavallerie scheint nicht die nötige Unterstützung für den Kampf gegen die Nomaden zu haben, ganz abgesehen davon, daß mir ihre Reihen stark gelichtet scheinen. Die meisten sind wohl bereits im Kampf gefallen? Ich sah an die fünfzig auf dem Schlachtfeld zurückbleiben.« »Und jene, die noch leben, haben ihr Quartier nun in der Stadt. Es gab noch nie viele Ritter, die den Tempel beschützen, und die wenigen Überlebenden haben alle Hoffnung verloren. Dreimal bereits griffen unsere berittenen Tempeldiener und die Ritter, die Häupter und Söhne der vornehmen Familien unseres Landes, die Barbaren an. Und dreimal wurden sie bezwungen und aufgerieben wie Sand im Wind. Die wenigen, die davonkamen, kehrten schmachgebeugt heim. Für jeden gefallenen Nomaden stehen zehn neue auf, doch unsere Ritter sterben aus. Und Ihr b ehauptet, etwas zu erreichen, wo unsere besten Krieger versagten?« Er musterte MacKinnie nachdenklich. »Setzt Euch doch und nehmt eine kleine Erfrischung zu Euch, und dann erzählt mir, wie die Männer des Südens die Barbaren schlagen.« Vorsichtig wählte MacKinnie seine Worte. »Es ist erforderlich, Fußsoldaten und Reiter zur gegenseitigen Unterstützung gemeinsam einzusetzen«, erklärte er dem Geistlichen. »Wir haben nicht genügend Soldaten«, gab Sumbavo zu bedenken. »Wie klug Ihr auch sein mögt, auch Ihr könnt nicht mit nur ein paar Mann gegen Tausende eine Schlacht gewinnen.« »Damit habt Ihr nicht unrecht, Vater. Aber wir können dafür sorgen, daß ein jeder für zehn steht. Und habt Ihr nicht viele Untätige hier in der Stadt?
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Schwertkämpfer, die ihre Dienste verdingen, Diebe, Bettler, die Bürger der Stadt? Sie alle könnten kämpfen.« Der Geistliche zuckte die Achseln. »Wenn sie wollten. Aber für jeden von ihnen brauchte man einen zuverlässigen Kämpfer, der ihn im Auge behält und dafür sorgt, daß er nicht davonläuft. Es lohnt sich nicht.« »Wenn man sie als Männer behandelt und richtig ausbildet, können und werden sie kämpfen. Wir brauchen nicht zu viele. Doch sie dürfen nicht wie Schlachtvieh oder Sklaven behandelt werden. Sie müssen freie Soldaten sein.« »Ihr schlagt vor, diesen Taugenichtsen Waffen in die Hand zu drücken? Wollt Ihr den Untergang des Tempels?« »Im Gegenteil, ich will seine Erhaltung. Der Tempel ist dem Untergang geweiht, Vater Sumbavo. Das wißt Ihr besser als ich. So wie es jetzt aussieht, wird die Stadt innerhalb eines Jahres fallen. Ich habe Eure leeren Docks gesehen und die Tagediebe, die auf den Straßen schlafen, während die Barbaren die Früchte Eurer Felder ernten. Sie werden nicht weichen, ehe sie nicht auch Euren letzten Vorrat für sich beansprucht haben.« Sumbavo bemühte sich, seine eisige Ruhe beizubehalten, aber seine Hände spielten nervös mit dem Papier auf seinem Schreibtisch. »Und nur Ihr könnt das verhindern?« Er lachte höhnisch. »Wie wollt Ihr die Stadt retten? Und was verlangt Ihr dafür?« »Ich will nur die Weisheit und das Wissen auf Makassar zu erhalten versuchen. Und ich verlange nicht mehr, als ich benötige: Waffen, Piken und Schilde. Vollmacht, Männer zu rekrutieren, Eure Soldaten einer Inspektion zu unterziehen und mich mit den Rittern zu besprechen. Ich brauche einen geräumigen Übungsplatz, wo sie ausgebildet werden können. Ich verlange keine Bezahlung, aber ich habe viel zu tun, wozu ich Eure Hilfe benötige. Ich sage Euch, die Stadt und der Tempel sind zu retten, wenn Ihr nur auf mich hört.« Der Priester starrte seine Hände an. »Vielleicht ist es Gottes Wille. Es gibt keinen anderen Plan, und es kann nicht schaden, wenn Ihr diese Taugenichtse a usbildet, denn wenn sie und Ihr getötet werden, reicht unser Vorrat um so länger. Ich werde zusehen, daß Ihr bekommt, was Ihr benötigt.« Nach und nach entstand eine kleine Armee auf dem Paradeplatz außerhalb des Tempels. In der ersten Woche mußten die Männer auf das Ausbildungsfeld getrieben werden, begriffen nicht, was sie tun sollten, und hatten - 66-
keine Lust, als sie es verstanden. Aber als man ihnen Waffen aushändigte, gewannen sie langsam ihre Selbstachtung wieder. Männer, die erst vor kurzem noch um Alm osen gebettelt hatten, fanden ihren Platz Seite an Seite mit ehemaligen Bauern und den Söhnen von Kaufleuten, denen die Belagerung den Ruin gebracht hatte. Unter MacKinnies Ansporn und Starks Drill begannen sie ihre Köpfe höher zu tragen, die Lanzen in die Strohpuppen zu rennen und sogar Schlachtrufe auszustoßen. Nach der dritten Ausbildungswoche hielt MacKinnie eine Besprechung mit seinen Leuten ab. »Uns bleibt nicht viel Zeit«, erklärte er der kleinen Gruppe. »Sumbavo erwartet einen Bericht. Wir müssen uns vor diesem Mann in acht nehmen, er ist klüger, als er scheint. Wie steht es mit unserer Streitmacht?« »Die Infanterie ist nicht überwältigend. Die Tempeltruppen sind gut ausgebildet, aber sie wissen nicht, was sie tun sollen, und sie sind so von sich eingenommen, daß sie nichts Neues dazulernen wollen. Die Bürge rarmee hat nun gelernt, Lanze und Schild zu tragen, aber ihre Ausdauer läßt zu wünschen übrig. Sie sind viel zu schwach. Als Pfeilschützen sind sie nicht zu gebrauchen. Allerdings hat der Te mpel keine geringe Anzahl.« »Können sie einem Angriff leichter Reiterei standhalten?« »Das ist die Frage, Sir. Schwere würden sie nie aufhalten. Vielleicht aber die Nomaden, wenn sie genügend Vertrauen in sich setzen. Doch gerade das haben sie eben nicht, Oberst.« MacKinnie bemerkte, wie Longway und Mary die Augen weit aufrissen, als Hal der langvertraute Titel herausrutschte, aber er ging nicht darauf ein. »Und wie ist es mit der Kavallerie?« wandte er sich an Brett. »Können die Herren Ritter nun in Formation kämpfen? Oder bilden sie sich immer noch ein, jeder einzelne von ihnen vermag den Feind allein auf seine eigene Weise zu schlagen?« »Vanjynk und ich haben mit ihnen gesprochen, Händler«, antwortete Brett. »Sie glauben, ihre Ehre sei das einzige, was ihnen geblieben ist. Aber andererseits wurden sie bereits geschlagen. Wir konnten sie davon überzeugen, daß sie gegen Barbaren kämpfen, die Ehre nicht kennen. Es dürfte jedoch schwierig sein, sie zurückzuhalten, wenn wir erfolgreich sind.« »Gerade das müßt Ihr jedoch«, betonte Nathan. »Nur so haben wir eine Chance. Ihr müßt diesen Männern beibringen, anzugreifen, sich neu zu formieren und sich hinter die Schildwand zurückzuziehen. Ein jeder von ihnen, - 67-
der versucht, in eigener Regie den Helden zu spielen und nicht u mkehrt, ist ein toter Mann. Hämmert ihnen das ein und erklärt ihnen, wenn sie fallen, fällt auch ihre Stadt, und es fällt das ganze System, auf das sie so stolz sind. Macht ihnen klar, daß sie für ihre Ehre kämpfen.« »Ja, aber auf eine Weise, die sie als unehrenhaft betrachten«, warf Vanjynk ein. »Sie hören auf mich als einen der ihren, und ich habe ihnen getreulich erklärt, was ihr wünscht. Ich habe ja jetzt sogar selbst Vertrauen in Eure Taktik. Aber für sie ist sie ungewohnt.« »Ungewohnt oder n icht, sie werden sich damit abfinden müssen. Und wie steht es mit der Versorgung?« »Wir haben ein paar Verpflegungswagen«, meldete Mary. »Für die Pferde gibt es außerhalb der Mauern genügend Futter. Wenn Ihr unseren Wage nzug zu schützen wißt, können wir die Männer mehrere Tage versorgen. Es wird nichts Besonderes geben, aber hungern werden sie nicht müssen. Möglicherweise könnten wir sogar etwas Getreide ernten, wenn die Bauern den nötigen Schutz bekämen.« »Wir haben also eine halbwegs disziplinierte Truppe Infanterie, etwas Kavallerie, die von Nutzen sein kann oder auch nicht, einige Tempelarmbrustschützen und -Soldaten, die zwar unsere besten Kämpfer sind, aber unsere Taktik nicht verstehen, und eine schier endlose Zahl Barbaren. Eine recht interessante Situation.« Er überlegte ein paar Sekunden und betrachtete eine Kopie von Sumbavos Karte, die Todd mit viel Mühe nachgezeichnet hatte. »Wir brauchen eine Art Generalprobe. Ich gebe Euch eine Woche, die besten Eurer Männer auszusuchen, Kämpfer, die nicht die Nerven verlieren und das Hasenpanier ergreifen, und die die Befehle auch befolgen. Ich brauche für zwei Tage Proviant für die doppelte Anzahl Leute und eine Gruppe Eurer diszipliniertesten Köche und Helfer, Mary. Wir werden unseren Feinden eine kleine Vorführung geben, die sie nicht vergessen sollen. Der eigentliche Zweck wird jedoch sein, unseren eigenen Truppen zu zeigen, daß wir die Barbaren schlagen können.« Als die anderen gegangen waren, machte MacKinnie sich auf den Weg zu Sumbavo. Der Priester starrte zum Fenster hinaus und winkte MacKinnie zu. »Es werden ihrer immer mehr«, sagte er und deutete hinaus auf die Ebenen außerhalb der Stadtmauern. »Die Erntezeit ist nah, und sie sammeln - 68-
sich, um das Getreide gegen etwaige Ausfälle zu schützen. Wir könnten natürlich versuchen, die Felder in Brand zu stecken, aber das würde uns vermutlich unsere letzten Ritter kosten. Ich glaube nicht, daß auch nur einer lebend in die Stadt zurückkäme.« »Und doch halte ich es für möglich«, versicherte ihm MacKinnie. »Ich möchte mit einem Stoßtrupp die Stadt verlassen. Wir werden uns nicht sehr weit entfernen.« »Nehmt so viele Eurer nutzlosen Taugenichtse, wie es Euch gefällt. Ihr habt sie dazu gebracht, mit erhobenen Köpfen zu marschieren, aber sie sind keine Soldaten und werden es auch nie sein.« »Ich brauche mehr als meine Bauern. Ich brauche fünfzig Eurer Armbrustschützen und fünfzig Berittene. »Den vierten Teil meiner gesamten Schützen? Und genausoviel Ritter? Ihr habt den Verstand verloren. Ich werde es nicht zulassen.« »Und doch ist die Sache es wert, Euer Ehren. Wir werden Euch zeigen, wie die Barbaren zu schlagen sind. Und wir haben auch nicht die Absicht, uns weit von den Mauern zu entfernen. Die Schützen und Ritter können sich dort in Sicherheit bringen, wenn meine Männer versagen sollten.« »Und wo werdet Ihr sein?« »An der Spitze mit den Lanzenkämpfern.« »Ihr riskiert Euer Leben, um die Tauglichkeit dieser Männer zu beweisen? Ihr glaubt also wirklich an sie. Seltsam.« MacKinnie blickte über die weite Ebene, wo sich offensichtlich ein neuer Stamm der Stadt näherte, dessen einzelne Unterabteilungen allein jeweils Hunderte von Nomaden umfaßte. Auch Sumbavo entdeckte sie. »Wenn Ihr Euch mit Euren Männern dort hinauswagt, wird keiner der Euren lebend zurückke hren.« »Und wenn doch, so wird es den anderen Mut und Vertrauen geben. Vergeßt nicht, unternehmen wir nichts, ist der Tempel verloren.« »Und wenn Ihr meine Armbrustschützen und Ritter niedermetzeln laßt, ist er es um so eher. Doch tut, was Ihr wollt. Ihr seid ein Narr. Aber man sagt, Gott hält seine Hand über die Narren.«
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11. MacKinnies kleine Streitmacht stand in Keilformation bereit; Lanzen- und Schildträger außen, Reiter, Armbrustschützen und Proviantwagen innen. Soweit möglich, waren die Männer mit Helmen, Brust- und Beinschutz ausgestattet, doch diese Ausrüstung reichte bei weitem nicht für alle. Einige der Kämpfer trugen lediglich Lanze und Schild und kleine Dolche in den Gürteln. Auf MacKinnies Zeichen wurde das Tor geöffnet. »Vorwärts! Marsch!« brüllte Stark. »Gleichschritt!« Unter heftigem Trommelwirbel brach die kleine Streitmacht auf. Als genügend der Lanzenkämpfer durch das Tor waren, um eine Schildwand zu bilden, schickte MacKinnie ihnen die Reiter nach und beeilte sich, an seinen eigenen Platz an der Spitze der Formation zu kommen. Unter dem Schutzfeuer der Bogenschützen auf der Stadtmauer formierten sie sich. Ein paar der Barbaren stürmten auf sie zu, wurden jedoch durch Pfeile niedergestreckt, ehe sie den Trupp erreicht hatten. Die restlichen hielten sich abwartend außer Schußweite, während Tausende sich aus der Ferne näherten. Stark gab den Trommlern das Zeichen. Zu ihrem Schlag begann sich der Trupp in Bewegung zu setzen, die Schilde hoch und die Lanzen vorgestreckt. Dahinter folgten zwei Reihen Pikenträger. Sie marschierten über die Ebene auf das nächste Feindlager zu. »Da kommen schon die ersten.« Stark deutete auf eine Gruppe Nomaden, die über das Feld heranpreschten. »Sie werden mit Todds Abteilung zusammenstoßen. Soll ich die Armbrustschützen auf sie ansetzen?« »Zwei Schwadronen, Hal. Die anderen sollen über sie hinwegzielen, um den Rest der Nomaden aufzuhalten. Todds Leute werden mit der Gruppe schon fertig.« Eine Pfeilsalve der Tempelschützen holte einige der Feinde aus ihren Holzsätteln. Dann warfen die ersten Barbaren sich auf die Schildreihe, aber nicht geballt, sondern in einzelnen Gruppen.
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Noch ehe die Nomaden sie erreicht hatten, gab Todd seine Befehle. Der Trommelschlag wechselte. Die Schildträger sanken auf ein Knie, die Pikenmänner hoben die Waffen über ihre Köpfe. Eines der Nomadenpferde wieherte ein letztes Mal auf, als ein Speer es tödlich traf. Weitere Pferde scheuten vor den Lanzenspitzen zurück, wirbelten herum und brachten die nachfolgenden Reiter in Reichweite der Wurfspieße zum Stolpern, bis die ganze Barbarenhorde unmittelbar vor dem rechten Schenkel von MacKinnies Keil ein ineinanderverschlungenes Knäuel war. Die Tempelschützen feuerten in die wogende Masse von Menschenund Pferdeleibern. Trotzdem versuchten die Nomaden, sich gegen die Schildwand zu werfen, immer wieder, bis sie die Aussichtslosigkeit einsahen. »Sie fliehen! Sie fliehen!« »Ihnen nach!« vernahm MacKinnie. »Bleibt in euren Reihen!« brüllte MacKinnie mit Donnerstimme. »Beim Tempelgott, die Schützen werden den ersten, der die Formation bricht, erschießen. Brett, haltet Eure verdammten Ritter unter Kontrolle!« »Zu Befehl, Sir«, kam die Antwort aus der Mitte des Keiles. Die Ritter ließen ihre Pferde unruhig tänzeln und hatten nur einen Gedanke n, den fliehenden Feind zu verfolgen. Die Maris rasten mit donnernden Hufen davon. In sicherer Entfernung brüllten sie herausfordernd zurück, ritten jedoch bald weiter, als MacKinnies Gruppe sie zu ignorieren schien. Als relative Ruhe eintrat, stieg MacKinnie auf einen der Wagen. »Ihr habt einen kleinen Trupp in die Flucht geschlagen«, rief er. »Es war keine große Schlacht, aber ihr seht, daß es getan werden kann. Wenn ihr jedoch die Formation brecht oder die Schildmauer verlaßt, werden sie über euch herfallen. Bleibt in Formation, und ihr schlagt sie. Denkt daran, euer aller Leben hängt von jedem einzelnen ab. Keiner darf seinen Platz verlassen, weder aus Feigheit, noch aus falsch verstandenem Heldentum. Und nun ein Hoch auf unseren ersten Sieg!« Erst als MacKinnie von dem Wagen herunterkletterte, erkannte er den Kutscher. »Freilady!« rief er verblüfft. »Was habt Ihr hier zu suchen?« »Wart nicht Ihr selbst es, der mich mit der Organisation der Versorgung beauftragtet, Oberst? Ihr seid doch Oberst, nicht wahr? Glaubt Ihr vielleicht, - 71-
ich überlasse meine kleine Gruppe dem Befehl von irgend jemandem, der nichts von dieser Arbeit versteht? Euer eigener Sergeant feuerte den Kerl vom Tempel, der versuchte, meine Leute wie Sklaven anzutreiben.« Er musterte sie. Sie trug die Rüstung, die auf Samuals Welt für sie angefertigt worden war. Ein Schwert lag auf dem Sitz neben ihr. Als er sie betrachtete, näherte sich einer der Köche in drohender Haltung, mit einem riesigen Beil in der Hand. »Laßt die Lady zufrieden«, knurrte er. »Der Himmel hat sie uns geschickt, und wir wollen sie behalten. Kommandant oder nicht, wenn Ihr sie anrührt, sterbt Ihr!« »Danke, Sumba, aber vor ihm braucht Ihr mich doch nicht zu beschützen«, protestierte Mary. »Er oder sonst einer, Lady, es soll Euch niemand zu nahe treten. Wir passen alle auf Euch auf«, versicherte ihr der stämmige Koch. Achselzuckend kehrte MacKinnie an die Keilspitze zurück. »Die Barbaren werden sich neu formieren«, prophezeite Hal, »und uns mit allem, was sie haben, angreifen.« Stark nickte. »Aber die Männer haben jetzt Selbstvertrauen. Nur gut, daß wir als erstes von nur einer kleinen Gruppe angegriffen wurden. Werden wir die Nacht über hierbleiben?« MacKinnie nickte. »Der Zweck dieser Demonstration ist, die Moral der in der Stadt zurückgebliebenen Truppe aufzubauen. Es genügt nicht, uns nur herauszuwagen, eine kleine Gruppe abzuwehren und umzuke hren. Wir brauchen einen handfesten Sieg. Ah, hier kommen sie schon.« Wie eine Flutwelle wälzte sich der Feind über die Ebene. »Tausende! Das sind ja Tausende!« schrie einer der Männer. »Wir werden sie nie aufhalten können!« »Ruhe!« brüllte Stark. »Trommler, gebt das Signal!« Wieder sanken die Schildkämpfer auf die Knie, und die Pike nkämpfer hielten ihre Spieße über ihre Köpfe hinweg bereit. Eine kleine Reservegruppe von Pikenmännern stand an jeder Spitze des Keiles, während Bretts Kavallerie sich in ständiger Bewegung befand. Die Schützen feuerten auf die heranpreschende Horde, und die Köche und Versorgungshelfer luden die Armbrüste und reichten sie weiter. Jeder Pfeil traf sein Ziel. Die reiterlosen Pferde sorgten für zusätzliche Verwirrung in den Reihen der Feinde.
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»Viel von Formation verstehen sie nicht«, brummte Stark. »Sie täten besser daran, alle gleichzeitig anzugreifen als in kleinen Gruppen.« Als die Trommeln ein Kreszendo dröhnten, waren sie heran. An allen Seiten warfen sich Barbaren gegen die Schildmauern, aber es gelang ihnen nicht, sie aufzureißen. Armbrustgeschosse fanden ununterbrochen ihr Ziel in dem Gewirr. »Schwertmänner! Schwertmänner zu mir!« rief MacLean von seinem Kommandoposten der hinteren Abteilung aus. Ein Dutzend Männer mit Kurzschwertern und Schilden liefen ihm zu Hilfe und drängten eine Schar eindringender Barbaren zurück in das Getümmel außerhalb der Formation. Pikenmänner bezogen hinter ihnen Stellung, während die Formation sich hinter fünf toten Schildkämpfern wieder schloß, die gefallen waren, als einer von ihnen zu fliehen versucht hatte. »Sie bedrängen MacLean«, meldete Stark. »Sollen wir jetzt die Kavallerie einsetzen?« MacKinnie nickte. Laut erschallten die Trompeten aus der Mitte der Formation. Langsam schneller werdend, trottete die schwere Reiterei aus der sich im Keil öffnenden Lücke. Die Lanzen stoßbereit und das Momentum der Maris ausnutzend, stürmten sie in die Reihen des Feindes. Brett und Vanjynk brachen in ein Triumphgebrüll aus, als sie feststellten, daß die Waffen der Barbaren nichts gegen die schwere Rüstung der Ritter auszurichten vermochten. Die Nomaden stoben auseinander, und die Schwertkämpfer nutzten die Breschen. Sie kämpfen an der Seite der Ritter. Diese drängten vorwärts, sprengten auseinander, um den fliehenden Feind zu verfolgen. Die Formation löste sich auf. Die Maris zogen sich zurück und ballten sich zu Gruppen zusammen. »Zum Rückzug blasen«, befahl MacKinnie, und wieder ertönten die Trompeten. »Noch einmal! Jetzt wird es sich herausstellen, Hal. Wenn Vanjynk und Brett ihre Genossen nicht zum Gehorsam bringen, bedeutet es das Ende für uns.« Er hörte seine Offiziere ihre Kommandos brüllen. Zögernd hielten die Ritter an. Langsam drehten sie um. Mit stolz erhobenen Häuptern und in geschlossener Reihe kehrten sie schließlich zurück, bis die Schildwand sich wieder hinter ihnen schloß und die gesamte Formation über die Ebene hin- 73-
weg in Richtung Nomadenlager zog. Noch zweimal mußten sie einen Angriff der Maris abwehren, ehe eine Kette Barbaren sie aufhielt. »Wir Reiter können sie mit einem einzigen Ansturm fertigm achen«, brüllte Brett. »Öffnet die Formation!« »Nein, kein Kavallerieangriff außerhalb der Schildwand«, wehrte MakKinnie ab. »Wir sind zuwenige, und wir würden nie mehr die Stadt erreichen, wenn etwas schiefginge. Wir marschieren zusammen oder sterben zusammen. Würden Eure Ritter auf eigene Faust handeln?« »Wir würden Euch nicht verlassen, selbst wenn Ihr allein gegen tausend Feinde stündet«, versicherte Vanjynk ihm ruhig. »Ich habe mich mit den Rittern unterhalten. Noch keiner hat je einen Tag wie diesen erlebt. Wir h aben mehr Feinde tot hinter uns gelassen, als wir an Zahl sind. Bei früheren Angriffen versprengten unsere Reiter sie nur, aber sie sammelten sich wieder und besiegten uns mit ihrer Übermacht. Wir werden Euch gehorchen.« Als sie näher heran waren, gab MacKinnie das Signal. Die Schützen feuerten, und die Speerwerfer zogen sich sofort, nachdem sie ihre Waffen geschleudert hatten, wieder hinter den Wall der Piken zurück. Die Kolonnenspitze brach durch die dünne Feindreihe. Die Barbaren flohen und schwangen sich hinter ihren Zelten auf die Pferde und galoppierten davon. Mary Grahams Hilfstruppe zog die Verwundeten aus einer Grube. Doch für fünf der Pikenträger kam jede Hilfe zu spät. »Begrabt sie hier«, befahl MacKinnie. »Könnte es ein ehrenvolleres Grab für sie geben? Der Feldkaplan soll ihnen den letzten Segen erteilen.« Ein kleiner Stoßtrupp durchsuchte das leere Lager der Nomaden. »Sie haben ihre Vorräte zurückgelassen«, erklärte MacKinnie Mary. »Laßt sie auf Eure Wagen schaffen. Die Stadt wird sich freuen darüber.« Ruhelos umkreisten die Maris nachts außer Schußweite MacKinnies schnell errichtetes, befestigtes Lager. Gegen Morgengrauen griffen sie noch einmal in geballter Stärke an, erreichten jedoch nichts weiter, als daß sie erneut Hunderte Ihrer Toten zurücklassen mußten. Mit nur wenigen eigenen Verlusten kehrte MacKinnies kleine Armee mit stolzgeschwellter Brust in die Stadt zurück.
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12. Trotz der überzeugenden Demonstration sträubten Sumbavo und der Tempelrat sich anfangs gegen MacKinnies Forderung, die Maris mit allen Kräften, die der Tempel und die Stadt zu bieten hatten, anzugreifen und zu vertreiben. Sie fürchteten um ihre Streitmacht und die Sicherheit des Te mpels und der Stadt, da sie nicht an einen Sieg glaubten. Schließlich gaben sie jedoch unter der Bedingung nach, daß Sumbavo an dem Feldzug teilnehme. Nach zwei Wochen intensivsten Trainings und umfangreicher Vorbereitungen formierte sich MacKinnies Armee im Morgengrauen a ußerhalb der Stadtmauern. In weitem Bogen umritten Schwärme von Maris sie, warteten auf eine Bresche in der Schildwand und fühlten sich sicher in der Gewißheit, daß die Stadtarmee nicht rasch genug hinter ihnen her konnte. Wagenräder knarrten in der Keilmitte, Peitschenknall trieb die Ochsen an, während die Ritter um die Wagen herum ungeduldig ihre Rosse an den Zügeln führten. Kilometer um Kilometer näherten sie sich dem Feindlager, und immer mehr Barbaren schlossen sich den Schwärmen der noch abwartenden Maris an. »Glaubt Ihr, die Stadt kann mit dem Trupp gehalten werden, den wir zurückließen?« Stark blickte über seine Schulter. »Er reicht aus«, erwiderte MacKinnie. »Die Barbaren haben keine Belagerungsmaschinen. Und solange die Mauern bemannt sind, nützt es den Maris auch nichts, sie aus den Sätteln bestürmen zu wollen. Abgesehen davon, scheint der Feind mehr an uns als an der Stadt interessiert zu sein.« Er sah sich um. »Was macht eigentlich Sumbavo?« »Er ist bei den Rittern und paßt auf seine prächtig uniformierten, Schwertkämpfer und Armbrustschützen auf. Ich habe das Gefühl, er traut Euch nicht allzu weit.« »Das kann ich ihm nicht verdenken, Hal. Ich würde mir auch nicht trauen, wenn ich er wäre. Aber was kann er schon tun? Behalte ihn im Auge. Er darf keineswegs etwas auf eigene Faust unternehmen.«
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»Jawohl, Sir. Ihr wehrtet Euch nicht allzusehr gegen seine Begleitung. Ich habe das Gefühl, Ihr führt etwas im Schilde. Oder sollte ich mich täuschen?« MacKinnie zuckte nur die Achseln. »Die Maris scheinen es sich überlegt zu haben. Offensichtlich wollen sie uns ihr Getreide nicht kampflos überlassen. Ah, hier kommen sie. Gib Signal!« Die Nomaden warfen sich gegen die Breitseite des Keiles, aber als immer mehr von ihnen durch Piken und Pfeile niedergestreckt wurden und die Schildwand standhielt, versuchten sie es am linken Schenkel. Mit genausowenig Erfolg! Die Schlacht war nur kurz, und als die Maris sich zurückzogen, blieben Hunderte aus ihren Reihen tot auf dem Feld liegen. Das Feindlager war verlassen. Das erst kürzlich geerntete Getreide konnte ohne Schwierigkeiten auf die leeren Wagen geladen werden. MacKinnie baute das Lager aus und befestigte es, während die Köche für einen heißen Eintopf sorgten. Alle waren guten Mutes. Die Männer um die Lagerfeuer sangen Spottlieder auf die Barbaren. Die Nacht brachte wenig Ruhe. Horden der Nomaden versuchten, eine schwache Stelle in der Lagerbefestigung zu finden, wurden jedoch immer wieder zurückgeschlagen. MacKinnie sorgte für stündliche Ablösung der Wachtposten, so daß trotz der ständigen Scharmützel jeder seiner Männer ausreichend Schlaf fand. Erst gegen Morgengrauen zogen die Barbaren sich zurück und b egannen einen Halbkreis zwischen MacKinnies Armee und der Stadt zu bilden. »Jetzt geht's wohl erst richtig los, was, Oberst?« brummte Hal. »Möglich. Sie werden warten, bis wir das Lagertor hinter uns haben, damit es sich für sie rentiert.« MacKinnie gab eine Reihe von Befehlen, hieß die Männer sich formieren und sammelte seine Offiziere zu einer Besprechung um sich. Dann erschallten die Trompeten, und das Haupttor öffnete sich. Eine starke Abteilung Schildträger schob sich nach rechts vorwärts durch das Tor, eine zweite links, während weitere hinausmarschierten und eine Kette zwischen den beiden bildeten. Als die linke Gruppe innerhalb des Keiles für ausreichend Raum gesorgt hatte, sandte MacKinnie die Ritter bis unmittelbar hinter diesen Schenkel der Schildwand vor, und die Armee formierte sich am äußersten linken Punkt des invertierten Keiles. Danach bezogen die Schützen ihre Stellungen innen entlang der Schenkel des Dreiecks.
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Als die Maris die beiden Schenke l der Formation angriffen, empfing sie ein Pfeilregen und warf sie zurück. Nachdem der Feind sich wieder zusammengezogen hatte, bewegte er sich auf die vordere Linie zu, wo der Widerstand am geringsten schien. MacKinnie nickte zufrieden. »Jetzt kommt das Schwierigste«, murmelte er. Die Barbaren stürmten auf die Mitte zu. Die Schildwand hielt, wich j edoch langsam zurück, wurde dünner, dünner und bog sich nach innen zum Tor zu, während die konzentriertere Formation an den beiden Enden fest verankert blieb. Neue Truppen wurden vorgeschickt, um die Lücken zu füllen, aber der Feind stieß vorwärts und drängte sie zurück, so daß immer weitere Maris am Angriff teilnehmen konnten. Die Formation bog sich noch mehr zurück, bis sie ein riesiges U darstellte, dessen unterer Rand fast unmittelbar bis an die Palisaden reichte. Rund viertausend Nomaden schoben sich in Richtung des Lagertors vorwärts. »Jetzt!« brüllte MacKinnie. Die Trompeten schallten, die Trommeln dröhnten. Die Ritter formierten sich innerhalb ihrer Bastion, und als sich die Reihen öffneten, stürmten sie den Flügel entlang in die Flanken des Feindes. Die Schildwand schloß sich schnell hinter ihnen. Dann zogen sich die Enden des Us zusammen. Die Armbrustschützen drehten sich und schickten ihre Geschosse nach innen, in die Reihen der Barbaren, während die schwere Reiterei den Feind niedertrampelte und jede Organisation aufrieb, bis er das Lagertor erreicht hatte. MacKinnie signalisierte Brett. »Formiert sie wieder und haltet sie zum Schutz der Flanken bereit«, brüllte er. »Die Schützen und Lanzenkämpfer werden mit denen in der Falle allein fertig.« Die Barbaren drängten sich immer enger zusammen, als die Schildwand mit den drohenden Pikenspitzen sie umringte und die Te mpelschützen sie ohne Unterlaß mit einem Pfeilregen bedachten. Sie waren bereits viel zu dicht zusammengepfercht, als daß sie ihre Waffen überhaupt noch benutzen konnten. Der restliche Feind außerhalb der Falle versuchte den jetzt völlig hilflosen Eingeschlossenen beizustehen, die unbarmherzig einer nach dem anderen niedergestreckt wurden, kamen aber nicht gegen die Schildwand an und hatten keinen Schutz gegen die angreifende Kavallerie.
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Der Kampf währte bis zum Mittnachmittag. Danach gab es keinen lebenden Feind mehr in der Falle. »Tausende liegen tot auf dem Feld, und Hunderte erschlugen unsere Ritter auf der Flucht. Nun können wir in die Stadt zurückkehren«, erklärte Sumbavo. »Nein.« MacKinnie erhob sich vom Lagerfeuer. Er hielt einen Becher in der Hand. »Es gibt keine Sicherheit für die Stadt, solange die Maris hier noch etwas zu holen hoffen. Wir müssen ihr Getreide verbrennen.« »Es ist nicht ihr, sondern unser Getreide!« brauste Sumbavo auf. »Wir müssen es zur Stadt zurückbringen; solange könnt ihr sicherlich mit dem Weitermarsch warten. Die Gläubigen sind hungrig, und sie sollten auch von diesem großen Sieg erfahren.« »Ihr vergeßt, daß wir nur einen kleinen Teil der Barbaren getötet haben«, erinnerte MacKinnie den Priester. »Wir dürfen den anderen keine Zeit geben, sich zu erholen. Wir müssen sie unerbittlich verfolgen, bis sie sich zitternd in ihrem Ödland verkriechen und sich nicht mehr zu uns herauswagen.« »Ich verbiete jedoch, daß Ihr das Getreide verbrennt.« »Dann kann ich nur vorschlagen, daß Ihr selbst es in die Stadt zurückbringt, Euer Ehren. Nun, da wir ihre Reihen gelichtet haben, kommen wir vermutlich auch ohne die Tempel-Schwertkämpfer aus. Ihr könnt die Hälfte der Wagen haben und dreihundert Mann der Lagerhilfstruppen.« »Einverstanden. Wir brechen sofort auf.« »Bei Nacht? Haltet Ihr das für sehr klug, Euer Ehren?« »Weiser als bei Tag. Ich werde dem Rat melden, daß Ihr mich nicht mit der Armee zu begleiten bereit wart, obwohl es nur ein Tagesmarsch wäre.« »Zwei, Vater«, sagte MacKinnie ruhig. »Einen hin und einen zurück. Wenn der Feind von der Stadt vertrieben werden soll, dann muß es sofort geschehen.« »Wozu?« wandte Sumbavo ein. »Nun wissen wir ja, wie wir uns schützen können. Auch ohne Eure Hilfe. Aber das würde Euch nicht passen, nicht wahr?« Er drehte sich auf dem Absatz Um und stapfte, gefolgt von seiner Leibwache, in die Nacht hinaus. »Bestimmt die Nutzlosesten Eurer Gruppe«, befahl MacKinnie Mary Graham. »Und sucht die müdesten der Zugtiere aus und die schlechtesten der Wagen. Seht zu, daß ihr sie loswerdet.« - 78-
Sie blickte ihn lange an. »Ich glaube, nun weiß ich, wozu Ihr all das nutzlose Zeug mitschlepptet und mir zu meinen ausgesuchten und gut ausgebildeten Leuten den Trupp Sträflinge aufzwangt. War es das, was Ihr erwartetet?« »Redet nicht soviel, Freilady«, brummte Stark. »Macht Euch lieber an die Arbeit. Seht Ihr nicht, daß der Oberst genug Probleme hat?« Zwei Stunden später brach Sumbavo mit seinen hochbeladenen Wagen, tausend Soldaten und dreihundert Lagerhelfern auf, von denen jeder zu seinen Waffen auch noch einen Sack Getreide – trotz MacKinnies Warnung mitschleppen mußte. »So wie die beladen sind Und mit den schweren Beutestücken, die Ihr ihnen großzügig erlaubtet, an sich zu nehmen, in ihren Taschen, schaffen sie keine fünfzehn Kilometer bis zum Morge n«, brummte Stark. »Das befürchte ich auch«, murmelte MacKinnie, »aber Sumbavo wollte es nicht anders.« Abrupt erhob er sich und zog sich in sein Zelt zurück. »Hal, was ist denn los mit ihm?« fragte Mary. »Irgend etwas hat er doch, nicht wahr?« »Freilady, was er tun mußte, gefällt ihm absolut nicht, auch mir nicht, aber wir sahen keinen anderen Weg. Es macht ihm verdammt schwer zu schaffen.«
13. Eine Stunde vor dem Morgengrauen weckte MacKinnie die Männer und teilte sie in zwei Gruppen. Eine Hälfte blieb unter MacLeans Kommando im Lager zurück, die anderen Leute, unter ihnen die Ritter, folgten ihm durchs Tor. Schweigend und ohne Trommelbegleitung folgten sie in Viererkolonnen den Radspuren des schweren Getreidetransports. Als sie vor einem niedrigen Hügel ankamen, hörten sie Schlachtenlärm von der anderen Seite. »Ausschwärmen!« befahl MacKinnie. »Viererkolonnen auf jede Seite.« Die parallelen Kolonnen formierten sich zu einer geraden Linie, die Schilde erhoben, die Piken stoßbereit. Die Ritter hielten mit MacKinnie die Mitte, als sie den Kamm erreichten.
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Wenigstens tausend Barbaren hatten Sumbavos Wasentreck überfallen. Einige der Tempelschwertkämpfer lebten noch und hatten in kleinen Gruppen hinter den Wagen Deckung gesucht. »Stürmt durch sie hindurch«, befahl MacKinnie Vanjynk, »dann macht kehrt, richtet euch aus und kommt zurück. Haltet euch nicht mit ihnen auf, sondern bleibt zusammen, wie ihr es gelernt habt.« Die Maris bemerkten die Welle der auf sie zu stürmenden Reiter und versuchten schnell noch die zurückeroberte Beute einzustecken und ihre Pferde zu erreichen. Aber es war zu spät. Die Lanzen stachen im Vorbeiritt auf sie nieder, und Schwerter klirrten. Die Ritter hatten bereits die Disziplin der Maris gebrochen, als die Schildträger sie zu Fuß erreichten und ihre Reihen um sie schlossen. Der Kampf war schnell beendet. Nur wenige der Nomaden konnten fliehen. MacKinnie fand Sumbavo mit gebrochenen Augen inmitten einer Gruppe gefallener Schwertkämpfer. Von den ganzen dreizehnhundert Mann, die er mitgenommen hatte, lebten nur noch wenig über fünfzig. Grimmig ließ MacKinnie seine Männer formieren und zum Lager zurückmarschieren. Den folgenden Tag gewährte MacKinnie seinen Leuten Ruhe. Am Spätnachmittag hielt eine kleine Gruppe Nomaden außerhalb Schußweite und schwenkte federngeschmückte Lanzen über den Köpfen. »Der Häuptling dort will mit Euch sprechen«, erklärte Brett. »Es kommt selten vor, daß sie Friedensverhandlungen mit Stadtleuten führen, wie es unter den einzelnen Klans üblich ist, aber er scheint Euch eben als Häuptling eines sehr mächtigen Klans zu betrachten. Die Männer hinter ihm sind die Familienoberhäupter.« »Und wie soll ich ihm entgegentreten?« fragte Nathan. »Trefft Euch außerhalb des Tores mit ihm, mit ein paar eurer eigenen Männer. In Schußweite des Lagers wird er Euch allerdings nicht trauen, denn die Maris haben mit Stadtleuten bisher keine gute Erfahrung gemacht. Wenn Ihr wollt, komme ich mit, ich spreche ihre Sprache.« MacKinnie nahm Brett, Todd und Longway und marschierte, bis sie außer Pfeilweite waren. Erst da kamen ihnen drei der Nomadenabordnung entgegen. Ein paar Schritte vor ihnen stießen sie ihre Lanzen in den Boden und breiteten ihre Arme weit aus. Einer begann in gutturaler Sprache, von der MacKinnie keine Silbe verstand, auf sie einzureden. - 80-
»Er sagt«, übersetzte Brett, »er will mit Euch verhandeln, denn Ihr kämpft wie ein großer Häuptling.« »Sagt ihm, ich bin ein mächtiger Prinz aus dem Süden und kam mit e inem Schiff. Viele tausend Schiffe werden folgen mit P ferden ohne Zahl, und wir werden das Land von den Maris befreien. Sagt ihm, seine tapferen Leute werden viele von uns töten, aber immer mehr unserer Mannen werden nachkommen, und es wird viel Blut vergossen werden.« Brett übersetzte flink und wartete auf die Antwort. »Er sagt, er ist geehrt, einen Prinzen aus dem Süden kennenzulernen. Er dachte sich schon, daß Ihr nicht aus der Stadt sein könnt. Er fragt, wie Ihr es Euch vorstellt, ihn zu fangen.« »Sag ihm, wir werden im Mittwinter zu seinen Zelten kommen, seine Vorräte verbrennen und sein Vieh töten. Aber wir werden es nicht gern tun, denn viele meiner besten Mannen werden sterben und viele seiner tapferen Krieger – und wofür das alles?« »Es scheint ihn zu beeindrucken«, murmelte Brett, nachdem er gedolmetscht hatte. Er hat Angst vor Eurem marschierenden Wall und fragt, warum Ihr ihn überhaupt bei ihm zu Hause angreifen wollt.« »Sagt ihm, was Ihr für richtig haltet. Aber macht ihm klar, daß er in zwei Tagen von hier verschwunden sein muß, danach töten wir alle Maris, die wir dann noch antreffen. Und sollten sie je wieder Feindseligkeiten eröffnen, folgen wir ihm bis ans Ende der Welt.« »Er behauptet, er sei nur der Führer seines kleinen Klans und kann nicht garantieren, daß die anderen Maris mit ihm abziehen werden.« Brett seufzte und fuhr fort. »Aber als ich ihm im Vertrauen mitteilte, daß Ihr ein Fanatiker seid und geschworen habt, gnadenlos weiterzukämpfen, wenn dieser Krieg nicht jetzt beendet wird, meinte er, er könne auch die anderen überzeugen.«
14. Sie wurden in der Stadt mit Triumph empfangen. Gleich nach dem frugalen Festmahl, das Mary mit ihren Leuten zubereitet hatte, sandte MacKinnie nach Vater Deluca und dem Erzbischof. »Euer Eminenz, Ihr könnt nun den Befehl über den Tempel übernehmen«, erklärte er Casteliano. - 81-
»Aber – aber, wie ist das möglich?« stammelte der Greis. »Während der Siegesfeier gelang es meinen Leuten, ohne Blutvergießen die Schlüsselpositionen einzunehmen. Nun müßt Ihr nur noch dem Tempelrat die veränderten Umstände klarm achen und Euch ihm zu erkennen geben. Die Priester werden vernünftig sein, wenn sie erfahren, daß wir hinter Euch stehen, denn sie dürften inzwischen eingesehen haben, daß meine Truppen mir treu ergeben sind und im Notfall auch gegen den Tempel kämpfen würden. Aber das wird, glaube ich, nicht notwendig sein.« Der Erzbischof war ein Mann von wachem Verstand und schnellem Entschluß. »Stellt mir ein paar Eurer zuverlässigsten Männer in ihren besten Uniformen zur Verfügung, und dann ...« Er warf einen flüchtigen Blick auf den Hof, wo MacKinnies Soldaten gemeinsam mit den wenigen in der Stadt zurückgebliebenen fröhlich feierten. »Ich sehe keine der Tempelschwertkämpfer«, sagte Casteliano ernst. »Erzählt mir, wie starb Vater Sumbavo?« »Er wollte Getreide in die Stadt bringen und geriet in einen Hinterhalt. Wir kamen zu spät, um ihn retten zu können. Wir konnten ihn nur noch rächen.« »Ich verstehe«, murmelte der Erzbischof. »Tausend tapfere Männer! Ein hoher Preis für eine Stadt!« »Verdammt hoch. Aber so mir Gott helfe, es gab keinen anderen Weg. Ihr kennt diese Tempelfanatiker. Wir hätten jeden einzelnen ihrer Soldaten töten müssen, ehe wir auch nur in die Nähe ihrer Reliquien gekommen wären.« »Die Reliquien. Daran seid Ihr also interessiert.« Der Greis sah Nathan lange an. »Ihr habt der Kirche einen großen Dienst erwiesen. Ich werde es nicht vergessen.« Zwei Tage später bat MacKinnie um eine Audienz bei Seiner Heiligkeit, dem Primat Makassars, Vikar in Christi Gnaden und Erzbischof von Neurom, und wurde von Casteliano empfangen. Der Erzbischof blickte von den Tempelbüchern auf und lächelte. »Es war noch leichter, als Ihr dachtet, nicht wahr? Aber ich sagte Euch doch, daß es nur unbedeutende dogmatische Unterschiede gäbe. Und die Tempelpriester sind nicht nur Realisten, sondern auch wahrhaft gläubig. Hätten wir uns ihnen von einem Marinelandeboot genähert und G ehorsam verlangt, vielleicht hätten wir es auch dann geschafft, aber nicht ohne eine Demonstration unserer Macht. Als Bettler, wie wir hier in der Stadt anka- 82-
men, hätten sie jedoch nie auf uns gehört. Wie könnten sie da auch glauben, daß wir hohe Würdenträger der Kirche von den Sternen sind. Doch mit Euch und Euren Leuten an unserer Seite blieb ihnen nichts anderes übrig, als uns anzuhören.« »Ihr wart äußerst überzeugend, Euer Heiligkeit.« »Nicht mehr als Eure Taten. Es war nicht schwer, sie die Hand Gottes in Eurem Sieg sehen zu lassen und seinen Zorn im Tod Sumbavos. Hattet Ihr das ebenfalls in Betracht gezogen? Doch wie dem auch sei, was kann ich für Euch tun?« »Ich weiß nicht, wie ich beginnen soll. Aber ich benötige Eure Hilfe, ohne Euch schaffe ich es nicht.« »Oberst – oh, seid nicht überrascht, all Eure Soldaten nennen Euch heimlich so – der Tempel ist in Euren Händen, nicht in meinen. Ihr könntet Euch meiner genauso schnell entledigen, wie Ihr mich unterstütztet. Was ist es, das ich tun kann und nicht Ihr selbst? Wollt Ihr zum König der Stadt gekrönt werden?« MacKinnie lachte. »Nichts so Leichtes. Darf ich zu Euch im Vertrauen sprechen? Und werdet Ihr mich nicht zurückhalten, falls Ihr mir Eure Hilfe versagen müßt und ich es auf andere Weise versuche?« Der Erzbischof legte seine Hand auf Nathans Schulter. »Mein Sohn, nie in Tausenden von Jahren wurde je das Beichtgeheimnis verletzt. Habt Ihr mir etwas zu beichten?« Nathan atmete tief ein. »Wie Ihr vermutet, stammen wir von einem neuentdeckten Planeten, der als Kolonie eingestuft werden wird, wenn die Zeit kommt. Das heißt, wenn wir eine Weltregierung gebildet haben. König Davids Ratgeber wollen die Bildung dieser Regierung hinauszögern, bis es uns gelungen ist, ein Raumschiff zu bauen, denn dann kann man uns nicht mehr zur Kolonie machen.« »Ein Raumschiff? Wie weit ist eure Technik denn fortgeschritten? Und wieso glaubt Ihr, ich ...« »Heiliger Vater, ich wurde hierhergeschickt, um Kopien jedes technischen Werkes in der Bibliothek zu besorgen. Ich bin Soldat, kein Wissenschaftler, aber mein Volk glaubt, es mit Hilfe dieser Bücher zu schaffen. Zumindest werden wir es versuchen.« Der Erzbischof nickte. »Ja, ihr würdet es versuchen. Sagt mir, Oberst MakKinnie, seid Ihr ein typischer Vertreter Eurer Welt?« - 83-
»Ich weiß es nicht. In mancher Beziehung sicher. Wieso?« »Denn dann hätten die Kolonisten, die man auf eure Welt schickt, nichts zu lachen, Ja, Oberst. Ich werde Euch helfen.« Er überlegte einen Auge nblick, dann lachte er. »Und wir werden die kaiserlichen Gesetze nicht verletzen. Obwohl ich bezweifle, daß die Marine sehr erfreut wäre, wenn sie herausfände, daß Ihr Kopien technischer Handbücher schmuggelt. Aber Makassar ist als primitive Welt eingestuft. Und Kunstwerke oder handwerkliche Gegenstände dürfen von hier unbeschränkt ausgeführt werden. Die Kaiserlichen kamen nie auf die Idee, daß die Bibliothek um ihres Wissens willen benutzt werden könnte. O ja, wir werden Euch helfen – und sogar sehr gern. Denkt nur, welchen Streich wir damit dem Kaiserlichen Handelsverband spielen!« Er schlug auf einen kleinen Gong auf dem Schreibtisch und befahl dem Eintretenden, Bruder LeMoyne zu holen. »Wie weit seid Ihr bereits mit der Bibliothek gekommen?« fragte der Erzbischof den Mönch. »Sie ist erstaunlich gut erhalten, Euer Eminenz. Die Kaiserlichen reparierten einen großen Teil der Geräte, als sie die Bandkopien anfertigten. Das alte Reich verwendete fast unzerstörbares Plastik für die Spulen, außerdem wurde alles mit heiligem Eifer instand gehalten. Alles, was wir noch brauchen, ist eine Kraftquelle, aber es wird nicht schwierig sein, einen Generator zu bauen, nur dürfen die Einheimischen ihn natürlich nicht sehen.« MacKinnie schickte nach Kleinst und erfuhr zu seiner Überraschung, daß er LeMoyne von Anfang an geholfen hatte, eine Inventur der Bibliothek zu machen. »Es handelt sich um einfache fotoelektrische Aufzeichnungen«, erklärte ihm der Scholar. »Im Prinzip unterscheidet es sich wenig von dem Verfahren, das wir in den Laboren verwenden, nur sind mir einige der elektrischen Geräte noch fremd. Doch bin ich überzeugt, daß wir die Bücher zu lesen vermögen.« »Nur wird die Marine Euch nie die Erlaubnis geben, sie mitzunehmen«, warf der Erzbischof ein. »Aber ich nehme an, sie dürfen nicht allzu schwer unter Eurem Handelsgut zu verstecken sein. Nun müssen nur noch die Kopien angefertigt werden.« »Das wirft kein Problem auf«, versicherte Kleinst. »In der Bibliothek lagert ein großer Vorrat von leeren Bändern.« Seine Augen begannen zu glänzen. »Und es gibt alles dort. Lehrbücher für Kinder, die physikalische Gesetze, - 84-
von denen ich nicht einmal etwas ahnte, auf verständlichste Weise erklären, Und Bedienungs- und Reparaturhandbücher für Geräte, die ich nicht einmal beschreiben kann. Aber mit ein bißchen Zeit komme ich sicher hinter all die wunderbaren Geheimnisse. Und dann können wir andere ausbilden. Wir werden es schaffen!« »Wir müssen es«, brummte MacKinnie. »Es ist ein weiter Weg zu den Sternen, und wir sollten keine Zeit verlieren.« Er verbeugte sich tief vor dem Greis. »Mein ergebenster Dank, Euer Eminenz. Jetzt muß ich nach meinem Schiff sehen. Ehe wir den Weg zu den Sternen beschreiten können, müssen wir erst Jikar erreichen.« Ehrerbietig küßte er den Ring des Erzbischofs und verließ den Raum. ENDE
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