Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 205
Ein Mond ohne Namen Der Kristallprinz auf dem Weg nach
Yarden - und im Bann der ...
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Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 205
Ein Mond ohne Namen Der Kristallprinz auf dem Weg nach
Yarden - und im Bann der
Emotiostrahlung
von Hans Kneifel
In einer Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht, steht es mit dem Großen Imperium der Arkoniden nicht zum Besten, denn es muß sich sowohl äuße rer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Im periums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Fein de Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Impera tor Orbanaschol III. – nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und das Gemein wohl völlig außer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von ver schworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorge gangen. Gegenwärtig ist Atlan jedoch nicht in der Lage, den Untergrundkampf gegen den Usurpator und Brudermörder Orbanaschol persönlich weiterzuführen, denn durch die Einwirkung einer Geheimwaffe der Maahks gelangte er erneut in den Mikrokosmos. Von dort aus versucht er, zusammen mit Crysalgira, einer adeligen Arkonidin, die ebenfalls dem »Zwergenmacher« zum Opfer fiel, den Weg zurück in sein eigenes, makrokosmisches Raum-Zeitkontinuum zu finden. Atlan bedient sich dabei der Flotte der Lopsegger und erreicht einen MOND OHNE NAMEN …
Ein Mond ohne Namen
3
Die Hautpersonen des Romans:
Allan - Der Kristallprinz will eine Gefühlsbasis untersuchen.
Crysalgira - Atlans tapfere Begleiterin.
Karsihl-HP - Kommandant einer Raumexpedition der Lopsegger.
Germyr-HP - Ein Diplomat bekommt es mit der Angst zu tun.
Troomies-Dol - Ein Tejonther auf dem Mond ohne Namen.
1. Crysalgira Quertamagin warf mir einen langen, rätselhaften Blick zu, dann hob sie die Hand mit den schlanken Fingern und strich ihr langes Haar aus der Stirn. Sie war tete, bis der Lopsegger den Raum verlassen hatte, dann hob sie die eckige Flasche von dem halbautomatischen Serviertisch. »Ich habe mich an das Leben voller Ge fahren schon so gewöhnt, daß ich direkt un ruhig werde, wenn Ruhe herrscht!« erklärte sie zögernd. »Ich weiß nicht, wie es dir geht, Atlan?« Ich lehnte mich zurück und griff nach der Flasche. Mit einem schnellen Griff entfernte ich den Korken. »Ich genieße diese Tage«, sagte ich leise. Es war die absolute Wahrheit. Während das schwach grüne Getränk, dem Geruch und Geschmack nach eine Mischung zwischen Wein, Bier und einem Früchteauszug, in die Gläser floß, fuhr ich fort: »Du weißt, daß wir uns auf einer Irrfahrt befinden, die uns beiden das Leben kosten kann?« Willst du sie erschrecken? Das ist schwer, Arkonide. Mit ihren neunzehn Jahren kennt sie viele Gefahren, wisperte der Extrasinn. »Ja, ich weiß es!« sagte sie und aß ruhig weiter. »Wir befinden uns in einem unbekannten Kosmos, wir suchen Yarden und das Ge heimnis der Absoluten Bewegung, und wir sind auf das Wohlwollen und den Kampf geist der Lopsegger angewiesen.« Sie sah mich aus ihren schönen, kühnen Mandelaugen an und fragte ruhig: »Worauf willst du hinaus?« »Ich will versuchen, dir klarzumachen,
daß wir ein Leben in tödlichen Gefahren führen.« Crysalgira lächelte mich an. Wir fühlten uns wie zwei Gestrandete auf einer winzigen Insel. Und keiner von uns wußte, wann wir unser weit gestrecktes Ziel erreichen wür den. Aber eines unterschied unsere Lage von den Wochen und Monaten vor dem heutigen Tag: Wir hatten ein Ziel. In der entspannenden Stille der Raum schiffskabine hob Crysalgira das Glas und trank einen sehr großen Schluck. Sie erwi derte ungerührt: »Ich weiß, daß wir ein solches Leben füh ren!« »Und trotzdem bist du sorglos und sagst, du würdest das Abenteuer vermissen?« »Ich habe nicht gesagt, daß ich es vermis se«, antwortete die schöne Arkonidin, die mir gegenübersaß und, wenn man alles in Betracht zog, »ich sagte nur, daß ich unruhig werde, wenn ich warten muß.« Ich hob die Schultern. »Es ist nicht zu ändern, und wir sollten das Beste daraus machen!« sagte ich. »Zum Beispiel dieses ungewohnte, aber gute Essen genießen.« »Nichts anderes tue ich!« bestätigte sie. Seit den Ereignissen auf Wartzong befan den wir uns an Bord des Schiffes. Mit uns waren Karsihl-HP und Germyr-HP hier, und der Verband aus sechsunddreißig kleinen Schiffen war unterwegs, um eine Gefühlsba sis der Leerraumkonstrukteure zu finden und zu überfallen. Beide Gruppen, sowohl wir zwei Arkoniden, als auch die Lopsegger, waren für diese Mission hinreichend moti viert. Nach einer Weile fragte Crysalgira: »Du hast dich lange mit Karsihl und Ger myr unterhalten. Haben sie dir sagen kön nen, warum die Tejonther alle dreihundert
4 Jahre diesen Kreuzzug nach. Yarden veran stalten? Es scheint mir eine Art sinnloses Massenopfer zu sein!« Ich schüttelte den Kopf. Das Essen, das man uns in die Kabine gebracht hatte, war mehr als exotisch, aber es schmeckte. »Nein. Sie wissen es auch nicht. Es ist ein Geheimnis. Das ist eines der Dinge, das für die Lopsegger die Natur ihrer tejonthischen Feinde so fremdartig und unerklärlich macht. Ein psychologischer Faktor.« »Zweifellos!« Crysalgira war ein bemerkenswertes Mäd chen. Man merkte, daß sie aus Arkons Palä sten kam und dort alles gelernt hatte, was man bei Hof wissen mußte, um sich dort zu bewegen wie ein Fisch im Wasser. Mit ihr verglichen war ich zwar nicht gerade ein Barbar, aber mir fehlten die Raffinesse und die Kenntnisse des teilweise sinnlosen Zere moniells. Und dann war sie hierher versetzt worden. In eine Welt, die für jeden, selbst für ihre Bewohner, voller Gefahren war. Das Mäd chen hatte sich an einem bestimmten Punkt entschlossen, um jeden Preis zu überleben und womöglich zu Chergost, dem Sonnen träger, zurückzukehren. Dieser Entschluß war kalt, schnell und mit jeder Konsequenz getroffen worden. Ich kannte diesen Typ Mensch, oder besser: ich hatte Menschen kennengelernt, die es geschafft hatten, von einer bestimmten Stunde an ihren bisher normalen Lebensrhythmus ins Gegenteil zu verkehren. Ich kannte den Blick, dieses Flimmern, in den rötlichen Augen der Arko nidin. Wenn es je ein Mädchen gegeben hat te, die diesen Weg bis zum Ende gehen konnte – Crysalgira war dieses Mädchen. In diesem Zusammenhang von mir zu sprechen, war nicht dasselbe. Mein Einsatz war höher. Meine Schulung war anders verlaufen – Fartuloon, der Bauchaufschneider, hatte mich zu einem Mann gemacht und zu einer Art Überlebens maschine werden lassen. Für mich waren Abenteuer, Gefahren und ständige Bedro hung das normale Leben. Und deswegen
Hans Kneifel schätzte ich die langen Tage des Fluges so sehr. Ich erholte mich, ich entspannte mich, und ich hatte Zeit nachzudenken. Blindes Reagieren, so eines der vielen klugen Worte Fartuloons, ist Art eines ge hetzten Tieres. Jemand, der Kraft, Gerissen heit und Entschlußfreudigkeit mit Können und kalkulatorischer Phantasie verbindet, hat ungleich mehr Chancen als jeder andere. Ein psychologischer Faktor, hatte Crysal gira eben gesagt. Es mußte mehr sein! Auch für mich war das Ziel – Yarden – klar motiviert. Ich wollte Chapat, meinen Sohn, finden. Und ich wollte das Geheimnis der Absoluten Bewegung ergründen, das dort in der eisigen Sphäre lauerte. »Nein«, sagte ich leise und beendete das Essen, »wir wissen, daß den Lopseggern mehrere Gefühlsbasen bekannt sind, aber bisher wagten sie sich nicht dorthin. Nie mand weiß genau, was diese Basen bezwecken, welche Funktion sie haben. Eine Art düsteres Geheimnis umgibt sie.« Wir trugen noch immer die blauen Metal lanzüge aus den winzigen Segmenten aus dem Besitz Vruumys. Es war wie eine zwei te Haut und ebenso bequem. Und Crysalgira sah darin hinreißend aus. »Wir werden auch hinter dieses Geheim nis kommen!« versprach Crysalgira lachend. »Dir jedenfalls scheint die Pause sehr gut zu bekommen.« »So ist es!« bestätigte ich wahrheitsge mäß und füllte den Rest aus der Flasche in die fast leeren Gläser. Ich schlief lange, dann benutzte ich die wenigen Einrichtungen des Schiffes, um meinen Körper in Form zu halten. Die Tech nik war zwar auf die ungewöhnlichen Kör per der Lopsegger zugeschnitten, aber ich konnte sie ebenfalls benutzen. Woran ich mich nur schwer gewöhnen konnte, war die knarrende, laute Sprache dieser sechsäugi gen Freunde – aber wir hatten genügend Übersetzungsgeräte. Jedenfalls war ich ausgeruht, und die letz ten Abschürfungen, Prellungen und Wunden waren unsichtbar geworden. Das nächste
Ein Mond ohne Namen Abenteuer konnte beginnen. »Wann erreichen wir das Mithuradonk-Sy stem?« fragte Crysalgira. »Laut Auskunft von Germyr-HP kurz nachdem wir ausgeschlafen haben«, erklärte ich, »also in rund elf Stunden Schiffszeit.« Raumfahrt im Mikrokosmos! Das war ebenfalls eine Erkenntnis, an die man sich schwer gewöhnen konnte – für mich bedeu tete es einen Widerspruch an sich, aber der Beweis sprach für sich. Ich mußte diese un gewöhnliche Maxime akzeptieren. Sie lächelte. »Also keine tödlichen Abenteuer während der Schlafperiode! Das gibt uns Zeit, uns miteinander zu beschäftigen.« Ich stapelte Teller und Schüsseln auf die Platte des Wagens neben dem Tisch. »Für heute nacht«, sagte ich, »wird deine Anwesenheit das Abenteuer sein. Und mor gen … sehen wir weiter.« Ich wußte ziemlich genau, daß diese Tage für lange Zeit die letzten, ruhigen Tage ge wesen sein würden. Es schien, als strecke die angeflogene oder zumindest gesuchte Basis schon jetzt ihre furchtbaren Tentakel nach uns aus. Ich beging nicht den Fehler, an das Ende der Odyssee zu denken. Ich wußte, daß zahl lose Abenteuer uns von diesem Ziel ablen ken würden. Aber nicht heute. In den näch sten Stunden würden wir versuchen, neue Kräfte für den langen Weg nach Yarden zu schöpfen.
* Der Blick von vier der sechs Augen kon zentrierte sich auf Crysalgira. »Ja«, schnarrte Karsihl-HP, und das Über setzungsgerät bildete eine Art Echo, »es ist teuflisch gefährlich. Wir kennen dieses Sy stem kaum!« Das Flaggschiff, in dem wir uns befanden, bildete die Spitze der Flotte von sechsund dreißig Schiffen. Schon jetzt, eine halbe Stunde, nachdem wir in die normalen Bezü ge des Mikrowelt-Weltraums zurückgefallen
5 waren, schwebte das Flaggschiff weit vor dem Rest der Flotte. »Habt ihr tejonthische Schiffe orten kön nen?« erkundigte ich mich. Der rechte Arm Karsihls, der mit den Fingerspitzen den Bo den berührte, schwenkte hoch. Ein runder Bildschirm trat in Tätigkeit. »Hier«, erklärte der Lopsegger, »das Sy stem liegt vor uns.« Auf dem Schirm waren die Echos dreier Planeten und der starke Ortungsimpuls der Sonne zu sehen. Wir befanden uns jetzt in nerhalb der Bahn des äußersten Planeten. »Wir wissen, daß es hier keine raumfah renden Völker gibt!« erklärte Karsihl-HP. »Aber trotzdem sollten wir vorsichtig sein.« Ich deutete auf den Bildschirm, der die Position der Flotte angab. Immer mehr ent fernten wir uns von der Masse der Schiffe, die sich in der Nähe des letzten Planeten aufhalten sollten. »Keine tejonthischen Schiffe?« »Wir haben keine festgestellt. Es kann aber sein, daß einige von ihnen auf diesem oder jenem Planeten gelandet sind.« »Jedenfalls befindet sich hier irgendwo eine Gefühlsbasis!« sagte ich. »Habe ich recht?« »Ja. Aber niemand weiß, auf welchem Planeten!« »So ist es.« Dreiundzwanzig Planeten umkreisten die Sonne. Die Flotte hatte alle ihre Ortungsge räte eingeschaltet und suchte immer wieder den Raum ab. Aber es gab weder ein Zei chen dafür, daß es im Umkreis der Sonne ei ne Flotte der Tejonther gab, noch konnten wir eine Gefühlsbasis entdecken. Sie würde sich ohnehin kaum als Fremdkörper auf den Ortungsschirmen zeigen. Noch immer konn te ich nicht restlos begreifen, daß der Mikro kosmos denselben Gesetzen gehorchte wie der Makrokosmos. »Was hältst du davon, Atlan?« fragte Cry salgira leise. »Ich glaube ziemlich sicher, daß es hier keine tejonthischen Schiffe gibt«, sagte ich zurückhaltend. »Die Hauptmasse dieser
6 Flotte wird sich in der Nähe einer anderen Gefühlsbasis versammeln.« Ich rechnete damit, daß wir in Kürze die ersten Spuren der Gefühlsbasis aufnehmen würden. Die Lopsegger wußten, daß es hier eine solche Basis gab. »Wenn wir wüßten, wozu diese Basen dienen? Sind es nur Treffpunkte, welche Be deutung haben sie?« fragte ich mich laut. Es war mir plötzlich, als würde aus der Dunkel heit und der Ferne ein Angsthauch hier her einwehen und uns in seinen Bann schlagen. Ich wußte nicht, woher dieser Eindruck kam; er verschwand so schnell, wie er ge kommen war. Als ich einen Blick in Crysal giras Gesicht warf, merkte ich, daß auch sie es gespürt hatte. Karsihl-HP wandte sich an mich. Seine acht quastenförmigen Hörorgane bewegten sich aufgeregt. »Wir können nicht ausschließen, daß plötzlich die gegnerischen Schiffe hier auf tauchen!« Ich nickte; ich hatte mit dieser Möglich keit zu rechnen. Das Schiff flog langsam weiter in die Richtung der Sonne. Auf den Schirmen der Ortung war zu erkennen, daß wir die Bahn des zweiundzwanzigsten Pla neten kreuzten. Die Lopsegger schienen die Tejonther mehr zu fürchten, als ich bisher angenommen hatte – ich sah und spürte es jede Sekunde, die wir in der Leitzentrale verbrachten. »Die Vision, daß zehntausend Schiffe der Tejonther hier auftauchen, erfüllt uns alle mit Angst und Grauen!« sagte knarrend Kar sihl-HP. »Niemand würde uns helfen. Außer uns gibt es hier niemanden, der die Raum fahrt beherrscht.« Wir verließen den Bereich der Planeten bahn und drangen weiter vor. Das Schiff flog etwa halb lichtschnell. Zwischen dem Rest unserer kleinen Flotte und dem Flagg schiff bestand Bildfunkverbindung, aber es gab keine Informationen, die zwischen den beiden Partnern gewechselt werden müßten. »Wir warten!« entschied Karsihl. Die Arkonidin und ich wechselten
Hans Kneifel schweigend einen langen Blick. Wir spürten deutlich die Spannung, die im Schiff herrschte. Ich blickte Karsihl-HP von der Seite an. »Du bist unruhig, Freund Karsihl?« fragte ich leise. »Ja, du hast recht. Ich erwarte Störungen, Zwischenfälle oder die verdammten Tejon ther!« »Welchen Planeten steuern wir an?« »Den siebenten. Ofanstände ist sein Na me, so nennen wir ihn. Dort soll sich die Ge fühlsbasis befinden.« Zweifellos waren die Lopsegger kein Raumfahrervolk, die es mit aller Gewalt in die Ferne drängte. Aber sie kannten trotz dem einen ziemlich großen Ausschnitt ihres Universums. Wieder erfaßte uns ein Gefühl der Niedergeschlagenheit. Ich begann mich für lange Sekunden wie ein schutzloses Kind zu fühlen. Karsihl-HP stieß einen langgezogenen Zischlaut aus. »Das ist das Zeichen!« »Du hast es auch gespürt?« fragte ich. Vorsicht! Du kennst die vernichtende Aus strahlung der Basis! Versuche, dagegen im mun zu werden! flüsterte eindringlich mein Extrasinn. »Ja. Ich auch. Es war wieder da, wie ein Ruf aus der Unendlichkeit!« wisperte Crys algira. Sie war bleich geworden. Inzwischen schob sich das Flaggschiff über die Bahn des zehnten Planeten. Die dunklen Ortungs schirme verzeichneten vor uns vier Objekte. Deutlich war zu sehen, daß eine Mannschaft unruhig wurde. Germyr-HP drehte seinen Sessel, hob einen Arm und knarrte einen Be fehl. »Was gibt es?« fragte Crysalgira besorgt. Wir saßen leidlich bequem in den großen schwarzen Sesseln. Die Schalen hatten tiefe Einbuchtungen, in denen die langgezogenen Kopfteile der Lopsegger verschwanden, wenn die flachen Körper dieser Wesen sich anlehnten. Ein grauhäutiger Raumfahrer mit einem auffallend rotleuchtenden Kamm näherte
Ein Mond ohne Namen sich und trug eine eckige Schale in den Hän den. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten, aber mir schien es, als ob er einen erregten Eindruck machte. »Atlan! Du bist ein mutiger Mann!« stell te Karsihl-HP laut fest. Ich widersprach nicht. »Eine Frage oder eine Feststellung?« er kundigte sich Crysalgira. Der Lopsegger mit der Schale kam näher und blieb zwischen uns stehen. Aus der Schale stiegen unbe schreibliche Gerüche auf. »Eine Feststellung«, bemerkte GermyrHP und deutete auf die Schale. »Es erfordert Mut, dem Unbekannten ins Auge zu sehen. Wir wissen, daß du wie der Teufel selbst kämpfen kannst, Atlan. Aber übertriebener Mut ist Wahnsinn und eines Kriegers un würdig.« »Wahr gesprochen!« sagte ich laut. »Hat unser Mut etwas mit diesen stark riechenden Dingen zu tun?« »So ist es, Arkonide!« Die Gerüche waren bekannt und unbe greiflich gleichermaßen. Sie stachen in die Nase, die Augen begannen zu tränen, und ich mußte einen Hustenreiz mit Gewalt un terdrücken. Der lange Arm des Boten schwenkte die Schale einladend vor unseren Gesichtern hin und her. »Gewürze!« erklärte Karsihl-HP. »Verbotene Gewürze. Aber sie helfen. Wir wissen dies.« »Gewürze?« fragte ich verblüfft zurück; »Sie gehören ins Essen, denke ich.« Narr! Es sind Drogen, die euch wider standsfähiger gegen die Strahlungen ma chen sollen! erklärte der Extrasinn beharr lich. Tatsächlich sagte Karsihl aufgeregt: »Nehmt immer dann, wenn euch die Furcht zu übermannen droht, ein Stück der Verbotenen Würzung! Ihr werdet die Furcht verlieren!« »Die Verbotene Würzung ist also ein Psy chopharmazeutikum!« sagte Crysalgira, streckte die Hand aus und griff in die Scha le. Das Mädchen betrachtete den braungelb
7 gemaserten, unregelmäßigen Würfel auf ih rer Handfläche. Das Material, krümelig und weich, schien zu leben, denn die Farben spielten ununterbrochen im Licht der Instru mentenbeleuchtung. Auch ich griff in die Schale, fühlte eine kribbelnde Masse zwi schen den Fingern und fischte einen Würfel heraus. »Essen?« fragte Crysalgira mit einem un beschreiblichen Gesichtsausdruck. Wir hat ten die halbe Nacht miteinander diskutiert, und ich wußte, daß sie entschlossen war, un ser Ziel zu erreichen. Aber jetzt scheute sie vor dieser stechend riechenden, scheinbar le benden Substanz zurück. Ich sah, wie Ger myr-HP seelenruhig zwei der Würfel packte, den schubladenähnlichen Mund aufklappte und die Würze hineinfallen ließ. Die kantige Öffnung unterhalb der Sprachorgane schloß sich mit einem leisen, schmatzenden Ge räusch. »Augenscheinlich!« sagte ich, hielt mir die brennende Nase zu und versuchte den Würfel zu schlucken. Es war, als beiße ich in ein Stück weißglühendes Eisen. Aber ich schluckte den kribbelnden, säuerlich fremdartig schmeckenden Würfel hinunter. Keine zehn Sekunden später begann meine Nase zu laufen, die Augen traten hervor und tränten, und in der Kehle hatte ich ein un aussprechliches Gefühl. »Ist gar nicht schlimm, Mädchen!« sagte ich, hustete wie ein Ertrinkender und klam merte mich am schmalen Schultergelenk Germyr-HPs fest. Der kleine Lopsegger we delte mit seinen acht Hörquasten wie eine Fächertänzerin. »Gut?« fragte er leise. Crysalgira betrachtete noch immer zwei felnd den Würfel, dann hielt sie sich die Na se zu und schluckte die »Würzung«. Sie zeigte dieselben Symptome wie ich, aber ich wußte: die Verbotene Würzung wirkte. »Erstaunlich!« keuchte ich auf. Ich fühlte, wie eine unirdische, kühle Ru he über mich kam. Obwohl hinter uns an den Pulten, Schirmen und Suchgeräten Un ruhe und gelegentliche Ausbrüche von
8 Furcht deutlicher wurden, spürte ich nichts von den verhängnisvollen Strahlen der Ba sis. Ich drehte mich um und sah, wie die Lopsegger sich um die Schale drängten und die Würzung zu sich nahmen. »Ich merke es auch!« rief Crysalgira. »Das ist ein Zaubermittel.« »Es hat den Vorteil«, erklärte Karsihl ge messen, »daß es beruhigt, aber den Geist nicht einschläfert. Nur das Gefühl der Angst wird ausgeschaltet. Aber es macht, wenn man sich daran gewöhnt, süchtig. Deswegen ist die Würzung verboten.« »Ich verstehe.« Das Flaggschiff änderte, während die Würzwürfel verteilt wurden, seinen Kurs. Auf dem Zielschirm begann ein schwach leuchtender Punkt zu wandern. Hinter die sem Punkt, der schon jetzt deutlich zur Scheibe wurde, krochen zwei kleinere Punk te hervor. Vermutlich waren es die Monde des siebenten Planeten. Nach einer Weile fragte ich: »Karsihl-HP, kennst du diesen Planeten Ofanstände? Zwei Monde, nicht wahr?« »Ich weiß nur, was unsere Raumfahrt handbücher sagen. Ich selbst war noch nie auf dieser Welt«, erklärte er. »Es ist ein klei ner Planet, aber mit einer Lufthülle, die wir gut atmen können. Unsere Bewegungen werden leichter sein, denn die Oberflächen schwerebeschleunigung ist geringer. Aber wir wissen nicht mehr. Es soll keine intelli genten Bewohner dort geben.« Das Schiff flog jetzt genau auf Ofanstän de zu. Auf den Schirmen wurde das Bild größer und deutlicher. Deutlicher wurde auch die Strahlung der nicht lokalisierten Basis. Aber wir konnten ihr widerstehen – wir fühlten sie wie die Schnitte eines Chirur gen unter lokaler Betäubung. Wir konnten genau feststellen, wie lange und wie stark die einzelnen Schübe waren. Die Strahlung kam und ging in gleichmäßigen Wellen. Die Entfernung eines Schiffes spielte eine wich tige Rolle. Crysalgira sprach meine Gedanken aus. »Auf der äußersten Planetenbahn war es
Hans Kneifel nur ein ganz schwaches Gefühl. Die Intensi tät steigt vermutlich im Quadrat abnehmender Entfernung.« »Das ist sicher. Somit steht fest, daß die Quelle der Strahlung auf Ofanstände ist.« Inzwischen hatten wir uns dem siebenten Planeten so weit genähert, daß wir auf den Schirmen das Bild einigermaßen deutlich in der Vergrößerung sehen und interpretieren konnten. Die beiden Monde waren wieder hinter der Scheibe des Planeten verschwun den. Im Flaggschiff herrschte eine gespannte Ruhe. Nur wenige Kommentare wurden zwischen der Flotte und unserer Einheit ge wechselt. Immer näher flog das Schiff heran. Wir sahen vier Fünftel als dunkel Fläche, und von dort, wo sich die gelbe Sonne be fand, tauchte aus der Schwärze des Welt raums eine scharfe Sichel auf. Es war die beleuchtende Fläche des Planeten. Die Luft hülle irisierte, es gab ein paar flachgeschich tete Wolken, die sich um die Krümmung herumzogen. Die vorherrschende Farbe war ein sattes Braun. Das Schiff änderte abermals leicht seinen Kurs und schwebte auf die beleuchtete Flä che zu. Je näher wir dem Gestirn kamen, de sto deutlicher wirkte sich der Effekt aus. Die ausgeleuchtete Zone wuchs und wurde grö ßer und schärfer. Wieder packte uns eine Welle der Gefühlsstrahlung. Wir hätten uns ohne die Würzung mit Sicherheit wimmernd in die Winkel verkrochen. Es gab meines Erachtens keinen Piloten, der ohne diese Droge ein Schiff einigerma ßen sicher auf dem Planeten hätte landen können. Eine wichtige Einzelheit fiel mir ein, während wir merkten, wie das Flagg schiff seine Geschwindigkeit verringerte. »Wie lange hilft ein Würfel der Würzung gegen die emotionelle Strahlung, GermyrHP?« Der Apparat übersetzte meine Worte in den knarrenden, scharfen und vokalreichen Dialekt der Lopsegger. »Es ist verschieden, Atlan. Auf jeden von uns haben die Teile der Würzung eine ande re Wirkung. Und das gilt auch für euch. Kei
Ein Mond ohne Namen ne Sorge … wir haben eine genügend große Menge an Bord. Außerdem werden wir wohl nicht jahrelang hier bleiben.« Ich lachte auf. »Das hoffen wir! Nicht wahr, Crysalgi ra?« Ich legte kurz den Arm um ihre Schultern, und sie schmiegte sich an mich. Wir beide waren zu Abenteurern wider Willen gewor den, und mehr als nur ein Zusammengehö rigkeitsgefühl band uns aneinander. »Du hast völlig recht!« sagte sie deutlich. In der Leitzentrale war es hell geworden. Die Helligkeit ging von den Schirmen aus, auf denen jetzt fast die volle Hemisphäre des siebenten Planten zu sehen war. Wir befan den uns in einer Position und auch in einer Bahngeschwindigkeit, die derjenigen der Monde gleich war, denn die Trabanten ver steckten sich vor den Linsen unseres Schif fes auf der gegenüberliegenden Seite. Die Strahlung wurde stärker und begann, wie mit klebrigen Fäden an uns zu ziehen. Trotz der dämpfenden Wirkung dieses erstaunli chen Pflanzenauszugs spürten wir die Wo gen der Angst und der uferlosen Niederge schlagenheit. Sie hätte uns, ungeschützt, in den Selbstmord treiben können. Wie hielten es die Tejonther eigentlich unter diesem In ferno aus Furcht und Melancholie aus, ohne krank zu werden? Wir behielten unser klares Denkvermö gen. »Wir werden mit Sicherheit das Schiff verlassen und dort unten suchen«, sagte ich zu Crysalgira, aber laut genug, so daß es auch meine merkwürdigen Freunde verstan den. »Ich gehe mit. Ich helfe dir, wo ich nur kann!« versicherte sie. Sie hatte wirklich Mut. Für einen kurzen Augenblick verglich ich sie mit der unförmigen, häßlichen Gjei ma, die unter den Pfeilen des Dschungelbar baren gestorben war. Ich verdrängte die Er innerung und hob den Kopf. Die Mannschaft des Flaggschiffs war her vorragend aufeinander eingespielt. »Hier! Dies scheint die Quelle der Strah
9 lung zu sein!« erklärte Karsihl und drehte an wuchtigen Schrauben, um die Einstellung des Vergrößerungsschirms zu verändern. »Ist die Strahlung energetischer Natur? Ist sie mit euren Instrumenten anzumessen?« fragte die Arkonidin und begann ruhig, ihr schulterlanges Haar in einen kurzen dicken Zopf zu flechten. »Nein. Sie wirkt nur aufs Gemüt. Jeden falls haben wir keine Instrumente, mit denen wir sie messen können«, erläuterte KarsihlHP. Seine Augenpaare bewegten sich paar weise unabhängig voneinander; ein verblüf fendes Bild. Je ein Paar richtete sich auf den Schirm, auf Crysalgira und auf mich aus. Das Licht von den Schirmen flirrte durch den Raum und riß die letzten Ecken aus der Dunkelheit. Ich beugte mich vor und betrachtete die wechselnden Bilder. Ich sah die gerundeten, abschmelzenden Ränder von zwei dünnen Polkappen. Im har ten Licht der Sonne erkannte ich die von oben nach unten verlaufende Grenze zwi schen Festland und Wasser. Das Wasser des Ozeans glänzte unerträglich hell. Dann be gann die Linie nach Westen auszuschwingen und bildete die Konturen eines großen Kon tinents. »Hier!« stieß plötzlich Karsihl hervor. Es klang wie ein Schuß. Gleichzeitig sprang uns das Bild entgegen, überflutete die Rän der des Schirmes und wurde langsam wieder scharf. Wolken trieben vorbei, ganz lang sam, und ihre Schatten zogen über eine Form der Oberflächenansicht, die ins Auge fallen mußte. »Ich sehe es!« sagte ich. Ich war wie elek trisiert. Ich hatte noch niemals aus dem Weltraum eine solche Geländestruktur so deutlich gesehen. Ein Krater. Die Meßlinien sagten mir, daß der voll kommen kreisrunde Krater nicht weniger als zehn Kilometer Durchmesser aufwies. Der Zentralberg fehlte. Die Wände und die auf geworfenen Massen von Geröll, Erde und Steinen sahen aus, als ob der Krater erst vor
10 ganz kurzer Zeit entstanden sei. Wieder packte ein Schauer von Gefühlsstrahlen die Schiffsbesatzung. Die Ordonnanz kam wie der in den Raum und stellte die frischgefüll te Schale so hin, daß niemand mehr als zwei Schritte tun mußte, um einen Würfel zu packen. Karsihl und Germyr blickten mich mit insgesamt acht Augen an. Ich nickte. »Es kann nicht anders sein«, sagte ich scharf. »Dieser frische Krater ist die Stelle, an der die Strahlung auftritt. Wir haben die ses rätselhafte Ding gefunden. Es war auch nicht weiter schwer.« Unablässig klickten Instrumente, einen Augenblick lang erschütterten starke Vibra tionen das Schiff, dann gab es eine Reihe von Befehlen. Das Schiff änderte seine Richtung und ging in eine spiralförmige Landebahn über. Karsihl deutete auf den Krater, der unter dem Einfluß von Lagever änderungen, Vergrößerungen, Licht und Schatten ständig sein Aussehen veränderte. »Wir landen in der Nähe des Kraters. Vielleicht finden wir heraus, was unserem Gegner schadet – oder wenigstens etwas, das uns Lopsegger nützt.« »Du weißt, daß wir ähnliche Gründe ha ben!« erinnerte ich ihn. Seid nicht zu wagemutig! warnte flüsternd das Extrahirn. Die Mannschaft steuerte das relativ kleine Schiff in einer präzise ausgerechneten Bahn tiefer. Der Mittelpunkt unserer kreisförmi gen Bewegungen blieb der Krater. Unsere Augen, hingen an den Bildschirmen, die uns verschiedene Oberflächenansichten in allen denkbaren Vergrößerungen zeigten. Es gab keine Spuren einer Besiedlung. Meldungen und Anordnungen gingen hinaus zur Bahn des äußersten Planeten und sagten den Be satzungen der wartenden Schiffe, war hier geschah. Hinter dem Flaggschiff bildeten sich die ersten Spuren der Atmosphäre. Auf den Bildern tauchten Inselketten auf, Buch ten und Gebirge, deren Gipfel von Schnee bedeckt waren. Unendliche Wälder breiteten
Hans Kneifel sich aus – sie waren braungrün und von Flüssen und Seen unterbrochen. Und noch immer hielt uns die Strahlung in ihrem Griff. Ich warf Crysalgira einen ra schen Blick zu. Sie saß da, beugte sich vor und massierte ihre Schläfen. Ich spürte den Druck eben falls an diesen Stellen, aber der Druck war weniger schlimm als normale Kopfschmer zen. Der Raum hatte inzwischen infernalisch nach den Gewürzen zu riechen begonnen; ein Zeichen, daß sich meine Nasenschleim häute von der Paralyse erholt hatten. Nur die trockenen Lippen und die taube Zunge zeig ten noch, daß wir die Verbotene Würzung zu uns genommen hatten. »Wir werden den Krater untersuchen, Karsihl-HP?« fragte ich. »Ja. Wir schleusen ein Kommando aus, und ihr könnt euch diesen Männern an schließen.« »Mit einem gehörigen Vorrat dieses Teu felszeugs«, meinte Crysalgira, »Gibt es be sonders wilde Tiere auf Ofanstände?« »Ich kenne die Tierwelt nicht. He, Ter pahl-RF?« »Ja?« Einer der Männer in den hellen Rauman zügen drehte seinen Sessel. »Was weiß man über die Fauna?« »In den Erklärungen steht nichts über be sonders gefährliche Exemplare. Diejenigen, die diesen Planeten untersuchten, scheinen nicht angegriffen worden zu sein.« Ich nickte und kratzte mich im Nacken. »Allerdings habe ich den Verdacht, daß diese Strahlung nicht nur auf die Hirne von intelligenten Wesen wie uns einwirkt, son dern vermutlich auch auf Tiere. Es ist nicht auszudenken, wie sich ein Tiergigant, von Furcht und Niedergeschlagenheit verwirrt und gereizt, uns gegenüber benimmt!« »Nun«, meinte Germyr-HP ruhig, »falls es dazu kommt, werden wir unsere Waffen benutzen.« Minutenlang hatte ich die beängstigende und verwirrende Vision von einer Tierwelt, angefangen bei Laufkäfern und aufgehört
Ein Mond ohne Namen bei sauriergroßen Bestien, die allesamt unter dem Einfluß der Gefühlsstrahlung standen. Ich schauderte zusammen. Dann murmelte ich: »Je weiter man reist, desto genauer sieht man, daß die Welt zunehmend schwieriger wird. Dies gilt auch für den Mikrokosmos.« Wieder schien Yarden, die Eisige Sphäre, um ein gutes Stück weiter in die Zukunft zu rutschen. »Vielleicht entschädigen uns die Funde, die wir machen, für unseren Ärger«, sagte Crysalgira. »Noch immer unruhig wegen des fehlen den Abenteuers?« fragte ich sarkastisch. »Dort ist es!« Das Schiff heulte und jaulte durch die Lufthülle. An den Schatten unter uns konn ten wir erkennen, daß in der Gegend der rie sigen, trichterförmigen Wunde im Planeten boden gerade früher Nachmittag herrschte. Die Geschwindigkeit nahm ab, und die Lin sen wurden dazu benutzt, einen geeigneten Landeplatz zu finden. Wir warteten unruhig. »Ich sehe das Abenteuer!« erklärte Crys algira ironisch. »Es wird eine Freude sein, wieder an deiner Seite zu weilen, Atlan.« »Danke!« entgegnete ich trocken. Der Krater war nicht sonderlich tief. Der exakt ausgebildete Trichter war keineswegs steil: Die Wandung hatte einen Winkel von etwa dreißig Grad. Der Rand bestand aus aufgeworfenem Material. Riesige Fels brocken, kleineres Gestein, zerfetzte Bäume, zusammengedrückte Büsche. Im nahezu senkrecht einfallenden Sonnenlicht zog das Schiff einen Kreis in mehr als tausend Me tern Höhe und schwebte dann auf einen Lan deplatz zu. Es war ein runder Hügel, der sich zungenförmig aus einem riesigen Wald her vorschob und fast übergangslos in den Kra terrand am Osten mündete. Donnernd und fauchend senkte sich das Flaggschiff. Ein leichter Ruck ging durch den Schiffskörper, als er aufsetzte. Jetzt fühlten wir, wie es in den Schläfen zu po chen begann. Wir waren in unmittelbarer Nähe der Basis.
11 Ein winselndes Geräusch schraubte sich die ganze Tonleiter hinunter und verstumm te. Als Ruhe herrschte, sagte Karsihl-HP: »Wir sind da, Freunde. Acht Männer ha ben sich bereits gemeldet. Wir nehmen zwei Spezialfahrzeuge.« Das Flaggschiff war nicht größer als die anderen Schiffe. Die Möglichkeiten, um fangreiche Ausrüstungen einzulagern, be standen nicht. Die Besatzungsangehörigen begannen, kaum daß das Schiff aufgesetzt und seine schräge Rampe ausgefahren hatte, die Halbgleiter aus den Laderäumen zu bug sieren. Ich ließ mir zwei Waffen geben; es waren strahlerähnliche Konstruktionen, die ich kannte. Dann reichte ich Crysalgira einen der Gürtel, die für den Körper eines Lopseggers hergestellt und viel zu lang wa ren. »Ich hänge ihn über die Schulter. Anders geht es nicht«, erklärte sie und befestigte den Waffengürtel irgendwie an ihrem Kör per. Ich folgte ihrem Beispiel, nahm ihre Hand und ging aus dem Schiff hinaus. Als wir an der Schale mit den WürzungWürfeln vorbeikamen, steckten wir ein paar der Drogenstücke ein und grinsten uns an. Jetzt rochen sogar wir nach diesem rätsel haften Zeug. Wir blieben oben an der Rampe stehen. Die Luft war kühl und gut atembar. Fremde Gerüche wurden mit einem leichten warmen Wind herbeigetragen. Schräg unter uns er hob sich der aufgetürmte Geröllwall des Kraters und erstreckte sich rechts und links bis an den Horizont. Ein fahlblauer Himmel mit kräftigen, weißen Wolken wölbte sich über uns. »Fühlst du es? Noch immer greift die Strahlung nach uns!« murmelte Crysalgira, und ihre Finger umkrampften meine Hand. Auch in meinen Schläfen pulsierte es noch immer. Ich nickte. »Ja, ich spüre es – wie die anderen auch. Versuchen wir also, die Geheimnisse des Mithuradonk-Systems zu enträtseln.« Geräuschlos war Karsihl-HP hinter uns getreten. Es gab nur wenige Unterschei
12 dungsmerkmale bei diesen Wesen. Aber ich erkannte ihn an den Symbolen an seinem Raumanzug. Hoffentlich, fuhr es mir durch den Kopf, brauchte ich nicht in kurzer Zeit einen Planeten zu betreten, dessen Atmo sphäre für einen Arkoniden nicht atembar war. Die Raumanzüge dieser Wesen funktio nierten zwar genauso wie ein arkonidischer Anzug, aber es würde fast unmöglich sein, in einen solchen Anzug hineinzuschlüpfen. Der erste Grund war die mangelnde Größe, dann erst kamen die anderen Unterschiede. Ich verschob auch diesen Gedanken auf spä ter. »Eine schöne, leere Welt!« sagte KarsihlHP. »Die Basis muß tief im Boden verbor gen sein!« Sein langer Arm deutete auf den Krater, der in seiner ganzen Größe vor uns lag. Im Mittelpunkt gab es eine funkelnde Fläche, die sich zu bewegen schien. Die Wände wa ren nacktes Erdreich und Felsen. Die Tejon ther schienen sich nicht einmal die Mühe ge macht zu haben, die Spuren zu verwischen. »Wir werden es herausfinden!« erklärte Crysalgira. »Deine Männer scheinen fertig zu sein.« Die beiden Halbgleiter waren schalenför mige, halboffene Konstruktionen mit jeweils sechs riesigen Rädern mit wuchtigem, stol lenförmigem Profil. Eine Art Strahlenkano ne war über den Platz des Kopiloten mon tiert. Breite Sitzbänke und geräumige Stau fächer, verbunden mit einer halbrunden La defläche, füllten das Innere aus. Jetzt began nen die Maschinen zu brummen, die Räder ruckten an, und die Fahrzeuge ratterten an die Rampe heran. Hinter uns kamen die Männer mit der Ausrüstung und gingen nach unten. »Los!« sagte ich. »Bleiben wir zusam men, Crysalgira?« »Es ist sicher besser so«, meinte sie. Sei wachsam! Dies ist wieder eine unbe kannte Welt für dich, warnte der Logiksek tor. Während wir die Gleiter bestiegen, ertön te aus dem Wald hinter uns ein röhrender
Hans Kneifel Schrei. Knirschende und splitternde Ge räusche folgten. Wir sahen uns an, dann sag te Karsihl-HP einige scharfe Worte in das Mikrophon seines Raumanzugs. Aus den Lautsprechern kam Antwort. Vermutlich handelte es sich um Anweisun gen für den Schutz des Schiffes. Mit fünf Lopseggern in dem einen, drei Lopseggern und zwei Arkoniden im anderen Fahrzeug starteten wir. Die Räder zogen eine breite Spur in den weichen Boden, als wir hügelabwärts fuh ren. Dann suchten wir nach einem Durch gang, kurvten zwischen Felsbrocken und Holzresten auf den Wall zu. Ich beugte mich aus dem Fahrzeug und erkannte die tiefen Spuren von offensichtlich großen Tieren, die entlang des Walles gerannt waren. Ich wandte mich an den Beifahrer, der seine langen Arme um die Zielvorrichtung der Kanone ringelte. »Wieviel Zeit haben wir?« Ich versuchte, die Sprache der Lopsegger zu gebrauchen. Er verstand mich sogar. »Bis es dunkel wird. Ein unheimlicher Platz. Sechs Stunden!« Beide Wagen fuhren hintereinander auf den Durchgang zwischen zwei haushohen Felsen zu. Aus dem Wald erscholl ein zwei ter Schrei, nicht weniger schauerlich als der erste. Als die Steigung zu steil wurde, schal teten die Fahrer den Antrieb aus und die Schwebeeinrichtung ein. In einem steilen Bogen schwebten beide Fahrzeuge hoch und senkten sich wieder in den weichen Boden auf der Krone des riesigen Ringwalls. Die Räder versanken drei Handbreit tief in Erde und Kies. Crysalgira drehte sich um und schrie plötzlich auf. Ich zuckte zusammen, meine Hand fuhr zum Griff der Waffe. »Dort! Sie kommen her! In der Luft!« keuchte sie auf. »Darsahl! Darsahl a ton fftalon!« schrie ich und sprang auf. Gefahr, hieß es, Gefahr aus der Luft. Viel mehr Worte in dieser Sprache kannte ich nicht. Ich zog die Waffe
Ein Mond ohne Namen und versuchte, den Gegner genau zu erken nen.
2. Die Gefahr war weiß und kam aus dem Wald. Zuerst erkannten wir nur einen riesi gen trichterförmigen Schwarm, der zwi schen den runden, braungrünen Baumkronen aufstieg. Der Schwarm änderte seine Form, bildete eine rüsselförmige Spitze aus, die su chend hin und her, schwenkte. Dann schie nen die ersten Exemplare dieser Vögel oder Rieseninsekten uns als Gegner ausgemacht zu haben und erhoben sich in einem großen Bogen in die Luft, wurden schneller und stürzten sich dann auf uns hinunter. Ein helles, bösartiges Summen erfüllte die Luft. Ich sah das Sonnenlicht auf Tausenden von Libellenflügeln glitzern. Sie bewegten sich ungeheuer schnell. Um uns ertönten schnelle, harte Befehle, und die Wagen wen deten. Die Kopiloten entsicherten die Ge schütze, wir anderen griffen zu unseren Waffen. Bis auf dreißig Meter waren die ersten Exemplare herangekommen. Ich erkannte, daß es riesige Insekten waren. Libellenflü gel, lange, hakenbewehrte Gliedmaßen und eine furchtbare Zange vor den Mundöffnun gen. Die großen Facettenaugen leuchteten im Sonnenlicht wie kostbare Steine. Über unseren Köpfen begannen die dröh nenden Abschüsse des ersten Strahlenge schützes. Ich zog meine Waffe, entsicherte sie und sah, daß Crysalgira meinem Beispiel folgte. Glühende Strahlen verbreiteten Druck wellen und Hitze. Die Phalanx der angrei fenden Libellen wurde auseinandergerissen, und die Hitze schmolz die Flügel von Dut zenden der libellenähnlichen Tiere. Aber sie griffen weiter an. Aus beiden Fahrzeugen wurde aus allen Waffen gefeuert. Den Insekten schlug eine Wolke von Hitze entgegen. Aber jetzt schien sich der Schwarm vergrößert zu haben. Zwi schen den Bäumen stiegen ungeheure Men
13 gen der hellen, glasähnlichen Tiere auf. Das Sirren und Summen wurde lauter und ste chender. Es neutralisierte sogar die Wellen der Emotiostrahlung aus dem Trichter des Kraters. Wir feuerten ununterbrochen. Es waren zehntausend Tiere oder mehr. Sie sind durch die Strahlung rasend ge macht und sehen einen Angreifer vor sich, warnte der Extrasinn. Die schwere Waffe in meiner Hand zitter te und warf lange weiße Feuerstrahlen aus. Die Strahlen töteten gleichzeitig mehrere der Angreifer, aber die Libellen drangen durch. Der Schwarm faserte in mehrere Teile aus. Sie sahen aus wie mehrere Finger, die sich aus der Höhe nach unten krümmten und nach uns griffen. Ununterbrochen fielen zuckende Insektenleiber zu Boden. Das hohe Sirren marterte unsere Nerven. Die beiden Energiekanonen feuerten und hinterließen in den Angriffswellen tiefe Gassen, die sich so fort wieder schlossen. Im Schiff schien im Augenblick noch niemand aufmerksam ge worden zu sein, aber unser Fahrer kuppelte ein und fuhr langsam ein Stück in den Krater hinein. Die ersten Libellen erreichten den Wagen. Ich sprang auf, packte meine Waffe fester und schlug mit dem heißen Lauf Insekten vom Rand des Gleiters weg. Ihre langen, in Ringe eingeteilten Körper krümmten sich wie Fragmente von Würmern. Wieder schoß ich, wieder starben einige Angreifer. Aber es waren zu viele. »Verdammt!« schrie ich. Crysalgira duck te sich in ihren Sessel und schoß dicht neben meinem Kopf in die Luft. Zwei Libellen mit versenkten Flügeln kollidierten. »Achtung! Hinunter!« schrie ich und be wegte die Waffe von links nach rechts. Die donnernden Strahlen beschrieben einen Halbkreis. Zehn oder mehr der Libellen san ken zu Boden. Inzwischen hatten sich die fingerähnlichen Teile der Wolke aufgelöst und bildeten dicke Klumpen, die unsere bei den Fahrzeuge umgaben. Hin und wieder drang das Geräusch der klickenden Kiefer durch das Summen der Flügel. Ich hatte den
14 Eindruck, als würden wir in einem Bienen schwarm erstickt. Langsam rollte unser Wagen die schräge Fläche des Kraters abwärts. Wir schossen wie wild um uns. Wir hatten die Gefahr durch die Strahlung vergessen. Überall war die krabbelnde, fliegende und übereinander kriechende Masse. Auf dem Boden krümmten sich die flügellosen Tiere in dicken Klumpen. Sie krochen über die Ränder des Wagens, kletterten auf die Räder und wurden unter den Stollen zerquetscht. Die Tiere verkeilten sich ineinander, bissen sich gegenseitig in die Körper und Köpfe, und aus der Luft ließen sich die Libellen fal len, teilweise getroffen, teilweise wütend vor Angriffslust. Wir merkten es nicht, daß unser Wagen immer tiefer in den Krater hin einrollte. Rund, um den Halbgleiter war die Hölle entfesselt. Das Krachen der Waffen hatte uns alle fast taub gemacht. Ab und zu schleuderte einer von uns eine Libelle aus dem Wagen, die sich verbissen hatte. Die Tiere behinderten sich gegenseitig. Sonst wären wir schon verloren gewesen. Jetzt kamen Lopsegger aus dem Schiff ge rannt. Sofort eröffneten sie ein dichtes Sperrfeuer auf die nachrückenden Tier schwärme. Ich bemerkte, daß auch der zwei te Halbgleiter langsam zu rollen begann und das Gefälle des Kraters ausnützte. Die riesi gen Räder hinterließen wie bei uns eine Spur aus zermalmten Libellen. »Atlan! Hilf mir!« schrie Crysalgira. Ich warf mich herum, griff mit der linken Hand in die Luft und schmetterte mit Faust und Unterarm einige Libellen zur Seite. Dann sah ich, daß das Mädchen in einem Klumpen von Libellen zu ersticken drohte. Ich packte die Tiere, warf sie in die Luft, be kam Flügel zwischen die Finger, haarige Beine, eine Zange grub sich in das Metall meines Anzugs, aber ich schaffte es, den Platz rund um Crysalgira freizukämpfen. Ein harter Stoß traf den Wagen; ich fiel schwer in meinen Sitz zurück. Eines der Räder war über einen halb mannsgroßen Steinbrocken geklettert und krachte auf der anderen Seite
Hans Kneifel wieder zu Boden. Ich merkte, daß der Ansturm der Tiere nachließ. Ich hob den Kopf, suchte die Luft ab und entdeckte, daß wir nur noch mit den Libellen kämpften, die auf der Ladefläche umher krabbelten und immer wieder versuchten, ins Innere des Wagens zu kommen. Nur noch wenige Exemplare schwirrten mit sum menden Flügeln über uns. Sie schienen ver wirrt zu sein und kein Ziel mehr zu haben. Wirkte die Natur des Kessels auf die Tiere ein? Die Strahlung! sagte der Logiksektor. Ich schrie eine Warnung zum anderen Wagen hinüber, der schräg hinter uns rollte. Er wurde noch aus der Luft angegriffen. Jetzt krachten und heulten die Geschütze des Schiffes auf und rissen gewaltige Löcher in die Masse des Hauptschwarmes. Der Pilot des zweiten Halbgleiters begriff. Der Motor grollte auf und schob den Wagen in einem langen Satz abwärts. Damit war auch dieser Wagen aus der Gefahrenzone herausgekrochen. Rund um mich arbeiteten die Lopsegger wie die Besessenen. Sie warfen die Tiere aus dem Wagen und säuberten die Ladefläche, während der Fahrer den Halbgleiter be schleunigte und schräg abwärts jagte. Dann hielt er an. Mit ein paar Handgriffen schaltete er die Mikrophone und Lautsprecher des tragbaren Übersetzungsgeräts an. »Das war hart! Ist jemand verletzt?« Wir kontrollierten uns gegenseitig. Unse re Anzüge mit ihren Metallplättchen hatten die Angriffe der Libellen zum größten Teil unwirksam gemacht. Die schwereren Raum anzüge der Lopsegger hatten den Kiefern noch besser widerstanden. Es gab einige Prellungen, Abschürfungen und Schnittwun den, aber keinerlei ernsthafte Verletzungen. Durch das Donnern der Schiffsgeschütze sagte ich: »Offensichtlich hat die Landung die Tiere aufgescheucht.« Crysalgira betrachtete angewidert die Re
Ein Mond ohne Namen ste von Schwingen, die wie dünnes Papier an den Rändern des Wagens klebten, und die Spuren der zermalmten Körper an Rädern und Profilen. Ich atmete langsam und tief durch. Ich er holte mich schnell, sicherte meine Waffe und schob sie wieder zurück. Langsam trat Stille ein. Wir sahen uns um. Der Schwarm, weniger als die Hälfte der Menge, die aus dem Wald hervorgekommen war, drehte und wand sich hoch über uns. Ab und zu verließ ein einzel nes Individuum die Masse und segelte mit wild schlagenden, zerfransten Schwingen schräg nach unten, wo es aufschlug und lie genblieb. »Die Tiere hätten alles angegriffen, was sich bewegte«, erklärte Crysalgira. »So wa ren wir hier, und sie griffen uns an.« Offensichtlich handelte es sich nicht um eine Verteidigungseinrichtung derjenigen, von denen dieser Krater stammte. »Wir haben uns hervorragend geschlagen. Aber später sollten wir vielleicht die Metall haube des Gleiters schließen!« sagte ich zum Fahrer. Er wartete die Übersetzung ab und meinte: »Ja. Das werden wir tun. Für jetzt ist die Gefahr vorbei.« Ein Blick zum Schiff. Sie hatten dort auf gehört zu schießen, und eben sprach der Bei fahrer mit jemandem aus dem Raumschiff. Das ovale Schiff mit seinen mächtigen Flos sen paßte ebensowenig in die Landschaft wie dieser gewaltige Krater. Ich richtete mich auf und blickte nach unten. Undeutlich erkannte ich die schimmernde Fläche. Sie wirkte wie blasenwerfendes Öl. »Die Sonne wartet nicht auf uns!« sagte ich schließlich. »Ja. Wir fahren weiter.« Die beiden Fahrer riefen sich etwas zu, dann ruckten die Räder wieder an. Die Wa gen bewegten sich mit brummenden Ma schinen und knarrenden Riesenrädern ab wärts und aufeinander zu. Minuten später hatten wir vom Ringwall aus etwa einen Ki lometer zurückgelegt und befanden uns nur
15 drei Meter voneinander entfernt. Ich klam merte mich neben dem Beifahrer an die hochgewölbte Frontscheibe, lehnte meinen Oberkörper hinüber und betrachtete genau den Teil des Kraters, der vor uns lag. Erst jetzt merkte ich, daß zweierlei Dinge geschahen. Obwohl im Augenblick nicht die kleinste Wolke vor der Sonne vorbeizog, verloren al le Gegenstände ihren Glanz. Es gab keine hellen Reflexe mehr. Die großen Reifen wirkten plötzlich stumpfschwarz. Die Far ben der Kämme meiner neuen Freunde sa hen gebrochen und matt aus. Die Chromteile der Maschine, die leise brummend nach un ten fuhr und eine tief eingedrückte Spur hin terließ, wirkten wie verrostet. Und … die Stille wurde immer tiefer. Es schien etwas zu geben, das jedes Geräusch schluckte. Vielleicht war es tatsächlich nur die frisch aufgerissene Erde, aber ich merk te, wie mir ein Schauer über die Haut lief. Eine unheimliche, niederdrückende Atmo sphäre breitete sich hier aus. Auch die anderen spürten es, denn sie hörten auf zu sprechen und blickten nach al len Seiten. Die Strahlung war noch immer vorhan den. Wir spürten sie durch den dämpfenden Eindruck der Würzung hindurch in langen Wellen. Aber die Wirkung der fremden, ver botenen Substanzen hielt noch an. Das ein zig Beruhigende waren die Geräusche der Motoren und der schweren Getriebe. Beide Halbgleiter rollten langsam weiter abwärts, der schillernden Fläche entgegen. Ununter brochen hatten wir uns bisher auf frischem Erdreich bewegt. Es war vor so kurzer Zeit aufgerissen worden, daß die Erde noch krü melig und feucht war. Es gab keine Spuren außer denen, die wir hinterließen. Hin und wieder knarrten aus dem Lautsprecher eini ge Fragen, und der Fahrer gab Antwort. Das Schweigen zwischen uns wurde lastender und ausgesprochen unbehaglich. Ich drehte mich um und sah Crysalgira an, dann sagte ich halblaut:
16 »Du spürst, daß sich die Welt in diesem Krater verändert?« Sie biß sich auf die Lippen und nickte langsam. »Ich weiß nicht, was es ist. Aber die Stim mung, diese Ruhe und das Fehlen von Far ben – es legt sich aufs Gemüt.« »Nicht nur auf unser Gemüt«, sagte ich und deutete auf die Besatzungen der beiden Halbgleiter. »Auch auf die Nerven unserer Gastgeber.« »Es ist nicht verwunderlich.« Wir hatten jetzt etwa die Hälfte der Ent fernung zwischen dem Schiff und dem klei nen runden Teich aus unbeschreiblicher Substanz zurückgelegt. Unsere Spuren schnitten tief in den weichen Untergrund ein. Der undeutliche Schatten unseres Wa gens wurde länger; die Sonne sank. Ich drehte mich wieder um und blickte nach vorn. Die Lopsegger hantierten mit Untersu chungsgeräten, deren Zweck ich nur erraten konnte. Aber soviel ich sehen und begreifen konnte – keine Reaktion. Plötzlich sah ich etwas. Dort vorn, keine zwanzig Meter entfernt, lag etwas in der aufgerissenen Erde. Ich riß den Arm hoch und rief: »Halt! Seht nach vorn. Ein Fundstück!« Beide Fahrer reagierten schnell und si cher. Sie schienen den Gegenstand in der gleichen Sekunde gesehen zu haben. Sie ris sen die Steuerung herum, und die Wagen hielten genau fünf Meter vor dem Ding ent fernt, indem sie schräg auseinander fuhren und unserem Fund die Breitseiten zukehrten. Aller Augen und die Linsen eines tragbaren Aufnahmegeräts richteten sich auf das matt glänzende, etwa einen halben Quadratmeter große Fundstück. »Was kann das sein?« fragte Crysalgira und zog sich an meiner Schulter hoch. »Nicht die geringste Ahnung!« murmelte ich. Sekundenlang blickten wir das undefi nierbare Fundstück an. Es sah aus wie ein großes, etwa dreieckiges Stück aus grausil berner, dicker Folie, die zerknüllt und einge rissen war. Ein spitzes Ende hatte sich in die
Hans Kneifel braune, dampfende Erde gebohrt. Ein Lop segger aus unserem Wagen und zwei Män ner aus dem anderen Fahrzeug schwangen sich gewandt über den gekrümmten Rand der Schale, turnten entlang der Lochfelgen der großen Räder und gingen auf den Fund zu. »Vorsicht!« rief ich. »Nicht anrühren. Nicht mit den Händen!« Ich sprang auf, stellte einen Fuß auf den Reifen und schwang mich mit einem weiten Satz hinunter in die weiche Erde. Ich federte wieder hoch, stolperte im bröseligen Unter grund und fing mich ab. Die drei Raumfahrer umstanden den Fund, und eben bückte sich einer von ihnen und packte die Kante des Fundes an. »Halt!« brüllte ich, sprang hinzu und packte ihn an seiner kantigen Schulter, aber er ließ nicht los. Das Licht spielte auf der zerknitterten Oberfläche, die unablässig ihre Farben ver änderte. Es waren nicht wirklich Farben; es war mehr eine schnelle Folge verschiedener Helligkeitswerte, die über die Teile wischte. Dann schrie der Lopsegger kreischend auf und hielt seinen langen Arm hoch. Hohläugig starrten wir auf den Hand schuh des Raumfahrers. Er verwandelte sich. Der lederartige Stoff löste sich auf und tropfte zu Boden. Der Raumfahrer schrie wie ein Rasender. Seine Kameraden stürzten auf ihn zu. Ich stand da wie erstarrt; meine Blicke gingen von dem Gegenstand zum Lopsegger und zurück. Nicht hur der Handschuh löste sich auf. Wir sahen starr vor Schrecken, daß sich auch die Finger auflösten. Sie rieselten als grober Staub zusammen mit dem Material des Handschuhs zu Boden, und plötzlich stank es nach verbranntem Horn. Einer der Männer spurtete zurück zum Wagen und kam mit einem medizinischen Hilfsgerät zu rück. Der Raumfahrer sprang hin und her, schwang seinen Arm und schrie noch im mer. Er mußte rasende Schmerzen haben, denn die Farbe seiner Kammquasten wech
Ein Mond ohne Namen selte vom tiefen Rot in ein scharfes, stechendes Blau. Drei Mann sprangen aus verschiedenen Richtungen auf den Lopsegger zu, hielten ihn fest und versuchten, seinen Arm zu packen. Er wehrte sich, halb von Sinnen vor Schmerz. Aus beiden Lautsprechern brüllten die Fragen, die jemand im Raumschiff stell te. Karsihl-HP richtete sich hinter der Schei be des zweiten Halbgleiters auf und schrie donnernd: »Haltet ihn fest! Schlagt ihm einen Kol ben in den Nacken. Helft ihm doch!« Ich tauchte unter einem herumschwingen den Arm hinweg, sprang in die Höhe und packte den Arm dicht hinter dem Handge lenk. Ich erhielt einen wuchtigen Hieb in die Kniekehlen, stöhnte auf, aber ich lockerte meinen Griff nicht. Dann schwang ich ein Bein herum und klemmte den Arm des Raumfahrers zwischen meinen Knien fest. »Jetzt! Helft ihm!« stieß ich keuchend hervor. Zum erstenmal hatte ich die verringerte Schwerkraft dieses Planeten richtig gespürt; sie beeinflußte meine Bewegungen, deren Schnelligkeit und Sicherheit. Aber wir hat ten den Rasenden übermannt. Eine Spritze zischte auf, dann verschwand der stinkende und schmorende Stumpf der Hand in dem Hilfsgerät. Sekunden später beruhigte sich der Raum fahrer. Wir hoben ihn hoch und schleppten ihn die wenigen Schritte bis zur Ladefläche des anderen Halbgleiters. Der flache, ovale Kör per zuckte nur noch schwach, als das Gerät summend die Hand behandelte. Aus den Öffnungen der kleinen, kastenförmigen Ma schine kam eine stinkende Wolke, dann hat te die Automatik wohl den richtigen Wirk stoff herausgesucht und angewandt. Ich ließ das Handgelenk los. Die anderen kümmerten sich um den Kameraden. Ich drehte mich herum, fing einen sorgenvollen Blick Crysalgiras auf und ging langsam auf den Fund zu. Dann zog ich an dem Waffen gurt um meine Schultern und klappte den
17 Riemen auf, der das lange, spitze Messer hielt. Ich packte es, kauerte mich auf die Hacken nieder und berührte mit der Spitze der Waffe das dreieckige Stück, das eine merkwürdige Beschaffenheit hatte. Die na delfeine Spitze des Messers rutschte zu nächst ab, aber an einer Kante bohrte sie sich in das Material, über dessen Oberfläche noch immer die Muster verschiedener Hel ligkeit zogen. Kein Metall! Aber auch kein Kunststoff! sagte erklärend das Extrahirn. Hinter mir erscholl ein langgezogenes Stöhnen. Es klang, als entspanne sich der verwundete Lopsegger. Ich zog das Messer aus dem kleinen Loch und hütete mich, dem Material näher zu kommen. Noch einmal fuhr die Schneide über das fremdartige, geheimnisvolle Ding. Ein kreischendes Geräusch ertönte. Als ob ich über Schiefer oder Porzellan geschnitten hätte. Der Schnitt zeichnete sich deutlich ab, seine, Ränder fransten aus. Ich holte tief Atem und blickte auf, als ein Schatten über meinen Arm und die rätselhafte Substanz fiel. »Was ist das, Atlan?« fragte Karsihl-HP. Soweit ich es beurteilen konnte, war sein Gesichtsausdruck niedergeschlagen. »Ich habe wirklich keine Ahnung!« sagte ich wahrheitsgemäß. »Ich denke, es ist ein Stück der Gefühlsbasis. Baumaterial, Abfall, was weiß ich. Jedenfalls etwas, was die Te jonther hinterlassen haben.« »Verfluchte Tejonther!« sagte er und rich tete zwei Augen auf den stöhnenden Ver wundeten. Ich folgte seinem Blick und sah, daß der Armstumpf jetzt mit einer hellgel ben Bindenhülle verdeckt war. Unruhig wälzte sich der Lopsegger auf der Ladeflä che hin und her. Das Material zu unseren Füßen lag unbeweglich da. Karsihl-HP deutete zum Himmel. »Die Zeit vergeht«, sagte er. »Sie vergeht immer zu schnell.« »Was willst du damit sagen?« fragte ich zurück.
18 »Wir schicken einen Gleiter zurück zum Schiff. Der Mann muß versorgt werden. Und wir kehren rechtzeitig um, denn in der Nacht suchen wir nicht.« »Einverstanden!« sagte ich und richtete mich auf. »Was sollen wir mit diesem Mate rial anfangen?« »Es ist von Übel. Liegenlassen. Nicht mehr anrühren. Es erhellt die Dunkelheit der Unwissenheit nicht.« Ich lächelte schwach. »Aber die Sonne der Erkenntnis wird ei nes Tages aufgehen. Hoffentlich erleben wir dieses Morgenrot noch.« Er betrachtete mich nachdenklich mit al len sechs Augen. »Das Leben ist hart«, erklärte er ohne viel Bewegung. »Und nur die Unwürdigen errei chen ein hohes Alter.« »Dann«, sagte ich, packte seinen Arm und zog ihn mit mir zu unserem Fahrzeug, »bin ich gern ein Unwürdiger. Ich habe vor, ein bemerkenswert hohes Alter zu erreichen.« »Meine guten Wünsche begleiten dich – auch wenn sich unsere Wege gabeln soll ten.« Ich erwiderte ein wenig überrascht: »Ich danke dir, Karsihl-HP, mein Freund.« Er kletterte in »unseren« Halbgleiter, gab einige Befehle und wartete, bis zwei andere Raumfahrer mit ihrer umfangreichen Ausrü stung zu uns hereinkletterten. Dann wendete das andere Fahrzeug und raste mit durchdre henden Riesenrädern davon. Es fuhr hang aufwärts, und die Profile der Räder rissen Erdreich hoch und schleuderten es weit nach hinten. Wir fuhren langsamer geradeaus, dann drehte der Fahrer die Steuerung und wurde schneller. Wir näherten uns dem Mittelpunkt des Kraters, der zugleich der tiefste Punkt des Trichters war. Die Flüssigkeit kam im mer näher. Der kleine kreisrunde See maß von einem Rand zum anderen nicht mehr als dreihundert Meter. Schweigend fuhren wir weiter und versuchten, die Eindrücke richtig zu verarbeiten. Das dreieckige Fundstück
Hans Kneifel lag verloren und unscheinbar hinter und über uns, zwischen den Spuren der zwölf großen Reifen. »Atlan! Ich habe dir etwas zu sagen«, meinte Crysalgira nach einer Weile. Ich drehte mich halb herum und blickte in ihre Augen. Sie hatte einen sehr nachdenkli chen Ausdruck in ihrem hübschen Gesicht. Der Zopf hatte sich halb aufgelöst. »Ich höre!« sagte ich. Je mehr wir uns der öligen Fläche dort unten näherten, die un aufhörlich in Bewegung war, desto unruhi ger wurde ich. »Ich denke, daß es hier im Krater keine Gefühlsbasis mehr gibt!« Aufmerksam verfolgte Karsihl unsere Un terhaltung. Er befand sich immer in der Nä he des Übersetzungsgeräts. »Es ist möglich, daß du recht hast«, mein te ich nach einigen Sekunden des Nachden kens. »Wenn die Basis vorhanden ist, dann tief unter diesem Krater.« Karsihl deutete auf die Instrumente und die Testgeräte. »Wenn dort unten eine bestimmte Menge Stahl verborgen wäre, Atlan, dann würden wir dies gemerkt haben. Aber weder die Ge räte des Raumschiffs noch unsere Detekto ren hier konnten etwas feststellen.« Ich hob beide Arme und erwiderte: »Ich weiß es auch nicht. Beides ist mög lich, Karsihl. Aber versuchen wir zuerst, diese Flüssigkeit dort zu untersuchen.« »Einverstanden, Atlan.« Die Gefühlsbasis mochte verborgen oder nicht an dieser Stelle sein, aber die Gefühls strahlung war unverkennbar da. Sie wirkte noch immer. Wir spürten sie. Nicht nur Cry salgira und ich, sondern auch die Lopsegger. Nach einigen Minuten, in denen das Fahr zeug geradeaus fuhr und immer tiefer zum Grund des Kraters gesteuert wurde, bremste der Fahrer ab, fuhr eine Kurve und hielt den Halbgleiter an. Jetzt wies die Spitze wieder nach oben, in die Richtung des Schiffes. Mit einem letzten Aufgrollen wurden die Ma schinen abgeschaltet. Wir alle beugten uns über die Bordwand
Ein Mond ohne Namen und betrachteten die Flüssigkeit, deren Rand keine fünf Schritte vor uns lag. Ein neues Rätsel. »Dies ist kein Wasser, wie es aus den Wolken regnete!« sagte schließlich KarsihlHP. »Dies ist etwas anderes.« Vor uns lag ein kleiner See. Am Rand konnten wir erkennen, daß diese Flüssigkeit in der Konsistenz von leichtem Öl pech schwarz war. Auch sie schien das Licht ir gendwie zu absorbieren. Vielleicht waren es die Sonnenstrahlen und deren latente Ener gie, die es ermöglichten, daß diese Brühe lebte. Gebannt und fasziniert starrten wir die Oberfläche an. »Der See lebt. Aber es ist nicht unsere Art von Leben … hier!« meinte Karsihl beein druckt. Es war auch nicht unsere Art. Es war keineswegs Regenwasser oder Grundwasser. Es handelte sich um etwas an deres. Eine undefinierbare Substanz breitete sich hier aus. Die Oberfläche dieses kleinen Sees war samtig schwarz und fraß das Licht. Aber zwischen der Kreislinie des »Ufers« liefen unerklärliche Prozesse ab. Der matte Spiegel des Flüssigkeitskreises lebte. Er schien zu gären, zu arbeiten, und als wir hin sahen, erschien es uns allen, als versuche dort eine übergeordnete, geheimnisvolle Kraft etwas zu erschaffen – ohne Bauplan und vergeblich, aber mit immer neuen Ver suchen. Blasen platzten fast geräuschlos; sie er schienen in allen Größen an der Oberfläche und lösten sich auf. Fingerartige Auswüchse erhoben sich langsam, als blase sie eine schwerfällige Kraft von unten her auf. Sie taumelten hin und her, bogen sich, krümmten sich wie Keime oder Würmer, berührten mit ihren Kuppen und Spitzen die Flüssigkeit und san ken wieder zusammen. Hin und wieder erschien eine riesige Bla se, bildete mit Schwierigkeiten fast eine Ku gel, deren Wandung voller Warzen und Aus wüchse war, die Blase versuchte sich von der Brühe zu lösen und hochzuschwingen in
19 die warme Luft des späten Nachmittags, dann aber verließ die Kraft diese Form, und sie zerplatzte. Das alles erschien mir wie die Konstrukti vität hinter den Gedanken eines geistig zu rückgebliebenen Kindes. Viele Anstrengungen, unklare Zielvorstel lungen, ein willfähriges Material, aber kei nerlei wichtige Ergebnisse. Dann, ganz plötzlich, schien die Flüssigkeit uns bemerkt zu haben. Sie bildete eine Insel aus, die in der Mitte des Sees entstand. Es war eine ovale Form, die langsam von der Mitte aus nach außen drang, sich schob und zwischen Hunderten platzender kleiner und großer Blasen dem Ufer zustrebte. Sie bildete Pseudopodien aus, die gierig versuchten, sich über das Ni veau des Teiches zu erheben und uns zu fas sen. Gespenstisch. Makaber. Auf alle Fälle unheimlich. Trotz der wellenförmigen Schü be, in denen die Gefühlsstrahlung auf mich eindrang, fühlte ich hinter diesen unsinnigen und nutzlosen Versuchen einer Scheinintelli genz, wie sich in der schwarzen Flüssigkeit eine Gefahr aufbaute. Ich schloß einige Se kunden lang die Augen und sagte dann: »Ich bin, Karsihl-HP und Crysalgira, kein weiser Mann. Aber ich sage euch, daß dieser häßliche Ausfluß ein Rest der Gefühlsbasis ist. Ich weiß nicht, warum ich so sicher bin.« Täuschte ich mich, oder sprach wirklich tiefes, die Grenzen unserer Verschiedenheit mühelos überwindendes Verständnis aus der Antwort des Lopseggers? Ich täuschte mich oft. Nicht hier und nicht jetzt. Karsihl sagte: »Auch wir sind sicher. Diese Flüssigkeit ist nicht die Quelle der Gefühle, die uns heimsuchen. Es ist ein unbedeutender Rest. Die Gefühlsbasis, die wir suchen, befindet sich nicht in oder unter diesem Krater. Aber es ist wahrscheinlich, daß sie sich hier be funden hat. Sie ist nicht mehr da.« Fast gleichzeitig, als wäre ein telepathi scher Kontakt entstanden, blickten wir nach oben zum Ringwall, zum Schiff und nach dem Sonnenstand. Es war spät geworden. »Du willst zurück?« fragte ich.
20 »Ja«, erklärte Karsihl. »Denn wir werden nichts entdecken. Dieser kleine See sagt uns nichts. Sieh die Instrumente!« Er deutete nach unten. Die Geräte, deren Linsen, Antennen oder Projektoren sich auf die Oberfläche des schwarzen Tümpels rich teten, schlugen nicht aus. Sie zeigten keiner lei Reaktion. Mit den Mitteln der Lopsegger konnte hier nichts festgestellt werden. Au ßerdem stank die Brühe nach faulender or ganischer Materie. Noch immer war sie in wütender Bewegung und produzierte sinnlo se Blasen, Finger, Auswüchse und Inseln, die sich alle auflösten und zerplatzten, ehe irgend etwas zu erkennen war. »Ich sehe. Es wird langsam dunkel. Fah ren wir zurück!« sagte ich. Der Fahrer drückte einen Schalter; winselnd und ras selnd erwachten die Maschinen des Wagens. »Wenn die Gefühlsbasis nicht hier ist«, fragte Crysalgira, »wo ist sie dann?« Wir blickten uns ratlos an. »Ich weiß es nicht«, meinte ich. »Auch ich kann keine gute Antwort ge ben. Vielleicht haben wir in der Nacht eine wichtige Erkenntnis!« sagte Karsihl und deutete, den Fahrer anblickend, in die Rich tung des Schiffes. »Ein Fehlschlag also!« sagte ich. »Was diesen Planeten und den Krater be trifft – ja«, erwiderte der Lopsegger. Wir nickten uns zu, und der Wagen begann die Rückfahrt. Wir fuhren dicht neben unseren eigenen Spuren. Geradeaus, ziemlich schnell, durch den Schatten, denn die Sonne begann hinter dem Wald, dem Ringwall und dem Hügel zu verschwinden. Je dunkler es wurde, desto düsterer wurde die Stimmung. Wir waren froh, als der Fahrer dicht vor dem Wall aus Felsen und Holztrümmern die Schwebeeinrichtung betätigte und das Schiff erreichte. Der Wagen wurde neben einer der großen Flossen abgestellt, auf der anderen Seite der Platte stand schon das andere Expeditions fahrzeug. Wir stiegen aus und blieben auf der Ram pe stehen.
Hans Kneifel »Immerhin haben wir einige wichtige Einsichten gewonnen. Auch eine negative Information ist eine Information«, tröstete uns Karsihl-HP. Zu meinem Erstaunen sagte Crysalgira plötzlich: »Atlan … ich möchte diese Nacht außer halb des Schiffes schlafen.« Karsihl hatte jedes Wort verstanden. »Ich habe nichts dagegen«, erklärte ich leise. »Wir essen im Schiff, und es wird kein großes Problem sein. Gibt es entsprechende Schutzvorrichtungen, Freund Karsihl-HP?« Er nickte; beziehungsweise beugte er sei nen flachen Körper und bewegte dadurch den wulstartigen Kopf und die federnden Quasten. »Gut. Ich bereite alles vor!« sagte ich. Wir gingen zurück ins Schiff. Der Ein stieg und die Rampe waren gesichert. Aus dem Wald hörten wir, als wir die die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, wieder den langgezogenen Schrei eines großen Tieres, aber er kam von sehr weit her. Von den wahnsinnigen Libellen war nichts zu hören und nichts zu sehen. Als wir den Einstieg er reichten, blieb ich stehen und hielt Crysalgi ra und Karsihl an den Armen zurück. »Der Mond!« sagte ich. »Der erste der beiden Monde geht auf.« Karsihl erwiderte ruhig: »Es ist ein schönes, urtümliches Bild, At lan.« Das war es. Über dem fernen Horizont er hob sich die riesige Scheibe des ersten Mon des. Sie war zitronengelb, und die Krater, Maare und Linien bildeten feine schwarze Filigranmuster. Der namenlose Mond hatte eine sehr hohe Albedo, und seine Bahn ver lief verdächtig nahe am Planeten, denn ich kannte die wahre Größe des Trabanten. Eb be und Flut mußten hier ausgesprochen dra matische Unterschiede erreichen. Es war ein Anblick, der aus einem Horrorbild stammen konnte. Das gelbe Licht des Mondes mischte sich mit dem letzten Sonnenlicht der Däm merung. Das Land um uns herum wurde von einem bösartigen Glanz überschüttet. Und schlagartig in dem Augenblick, als sich die
Ein Mond ohne Namen untere Rundung des Mondes – der jetzt flachgedrückt und verzerrt erschien – vom Horizont löste, begannen die tausendfach Geräusche im Wald rund um uns. Schweigend gingen wir in die ruhige Wärme des Schiffes. Es war wie eine Flucht.
* Mehrere Decken lagen auf der Ladeflä che, darüber war ein Insektenschutznetz ge spannt. Ich spürte neben mir die Bewegun gen von Crysalgiras Körper. Etwa zwanzig Meter von uns entfernt saßen sieben oder acht Lopsegger um ein kleines, flackerndes Lagerfeuer herum und unterhielten sich lei se. »Wir scheinen hier ziemlich sicher zu sein, Atlan. Vielleicht ist es einer der letzten ruhigen Abende!« sagte Crysalgira flü sternd. Ich lag auf dem Rücken und starrte an der Wand des Schiffes entlang hinauf zu den Sternen des fremden Kosmos. Wie ein riesiger Ballon hing der gelbe Mond fast ge nau über uns. »Ich weiß auch nicht, was das alles zu be deuten hat«, sagte ich. »Jedenfalls befindet sich die Gefühlsbasis in der Nähe.« »Wir alle merken es!« Wir hatten mit Karsihl, Germyr und der Mannschaft in der kleinen Messe des Schif fes gegessen. Jeder hatte eine andere Mei nung über die Vorfälle, aber wir kamen zu keinem befriedigenden Ergebnis. Auch wäh rend des Essens fühlten wir den Druck der Emotiostrahlung. Aus diesem Grund hatte Karsihl-HP wieder Verbotene Würzung aus teilen lassen. Wir waren unschlüssig, was wir tun sollten. Wo war die Basis zu finden? Eine Bewegung lenkte mich ab. Eine Veränderung im Bereich des namen losen gelben Mondes. Ich blickte schärfer hin, dann richtete ich mich vor Überra schung auf. »Crysalgira! Schau auf den Mond!« Aus der Mitte des Trabanten wuchs in ra sender Geschwindigkeit ein dicker, weißer
21 Strahl. Er wurde länger, aber bis jetzt reichte er noch nicht über die Rundung hinaus. Ich sprang auf die Beine, riß das Insektennetz zur Seite und schrie hinüber zu den Lopseg gern. »Seht den Mond an! Das hat etwas zu be deuten!« Auch die Besatzungsangehörigen spran gen auf und starrten nach oben. Dann zertrat einer das Lagerfeuer und warf Erde darüber. Qualmend erstickten die Flammen. Der wei ße Strahl wuchs noch immer, wurde länger, spannte sich durch den Weltraum und näher te sich uns. Zwei Männer rasten wie die Wahnsinnigen die Rampe hinauf und schri en. Sekunden später, als der Strahl uns fast erreicht hatte, gab man im Schiff Alarm. Jetzt war der Strahl angekommen, und kurze Zeit später schlugen auch die Geräusche über uns zusammen. Es war wie ein metal lisch klingender Hammerschlag. Aus dem Nachhall des Donners schälte sich ein ho hes, ratterndes Geräusch heraus, das wie ei ne Säge klang, eine schnellaufende Säge, die sich durch widerspenstiges Material fraß. Ich packte Crysalgira um die Hüften und sprang mit ihr von der Ladefläche des Halb gleiters. Jetzt erreichte der Strahl den Boden. Er berührte leicht schwankend auf der gegen überliegenden Seite des Kraters die Oberflä che des Planeten. Dann schwankte er wieder zurück. Es war, als sei er ferngesteuert und würde sein Ziel suchen. Aus den Düsen des Schiffes kamen laute Geräusche. Der Alarm hörte auf, wir standen bereits auf der Rampe im Schutz des großen Metallkörpers. »Suchen sie uns? Oder was geht hier vor?« murmelte Crysalgira. Auch ich war ratlos. »Sie steuern den Strahl. Er erfüllt einen ganz bestimmten Zweck. Ich glaube nicht, daß sie uns angreifen.« Vom Mond bis zum Krater bestand eine Energieverbindung. Die letzten Donner schläge verhallten, die aufgerissene Lufthül le beruhigte sich wieder. Die Gegend war blendend hell geworden. Das schrille Ge
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räusch wurde lauter, dann schien der Strahl gefunden zu haben, was seine Steuermänner suchten. Er berührte dort drüben den Ringwall und begann ihn zu verändern. Erdreich, Stein trümmer und Geröll flogen im hohen Bogen nach innen. Die Geräusche änderten sich. Das Ende des Strahles arbeitete wie eine gi gantische Fräse. Sie ebnete den Boden ein. Ich verstand jetzt etwas mehr. Wir waren zu früh gekommen. Eigentlich sollte der Krater nicht mehr sichtbar sein und einem Suchenden verraten, daß hier ei ne Gefühlsbasis eingegraben gewesen war. Die Spuren waren noch nicht beseitigt, als wir landeten. Jetzt erst, bei der richtigen Stellung des Mondes, beseitigten die Tejon ther die Spuren ihres Transports. Ihr seid zu spät gekommen. Einige Tage vorher, und ihr hättet gesehen, wohin die Gefühlsstation transportiert wurde, korri gierte der Extrasinn. Karsihl-HP und Germyr-HP kamen aus dem Schiff und blieben neben dem Mädchen und mir stehen. Wir sahen sprachlos und verwirrt zu, wie der Strahl mit der Ge schwindigkeit eines Fußgängers weiterglitt und das Material des Kraterrandes wieder in den Krater zurückwarf. Die gesamte Natur rund um uns war in offenem Aufruhr. Das Schrillen und Kreischen und die dumpf pol ternden Steine und Erdmassen, die tonnen weise durch die Luft geschleudert wurden … ein Geräuschorkan tobte durch die Nacht. »Jetzt wissen wir mehr, Atlan!« knarrte Karsihl-HP. »Wir wissen, daß die Gefühlsbasis auf diesem gelben Mond ohne Namen ist«, pflichtete ich ihm bei.
3. Drei Stunden früher, und der fräsende Strahl hätte uns getötet. Die Ahnung der Lopsegger war also doch richtig gewesen; sie scheuten sich, in der Nacht die Umge bung des Schiffes zu verlassen. Der Alarm hörte auf, und immer mehr Leute liefen ins
Freie, um den Strahl zu sehen. Durch das Dröhnen und Kreischen schrie Crysalgira: »Warum wohl haben die Tejonther den Standort der Basis gewechselt?« »Ich kann es mir nicht denken«, rief ich zurück. »Aber sicher haben sie einen Grund gehabt.« Es befanden sich also tejonthische Raum schiffe in diesem System. Die Vorsicht Ger myr-HPs war berechtigt gewesen. Plötzlich schrie Germyr-HP neben meiner Schulter: »Unsere Mission wird immer gefährli cher. Ich weiß nicht, ob wir noch hierbleiben sollen!« Ich zuckte die Schultern; ich konnte sie bitten, ihnen aber keine Anordnungen ge ben. Aber ich rechnete mit der Entschlossen heit Karsihls. Der Strahl wanderte und kam jetzt entlang der linken Seite des Ringwalls. Deutlich sa hen wir im Mondlicht und in der Beleuch tung durch den weißen Energiestrahl selbst, wie nach, einem offensichtlich genauen Plan die Geröllmassen nach rechts flogen. Fels brocken fielen in den lebenden, öligen See im Zentrum des Kraters und schleuderten die Flüssigkeit in einem Tropfennebel nach allen Seiten. Dort, wo der Strahl bereits vor beigezogen war und sein Licht uns nicht mehr blendete, erkannten wir eine geschlos sene, leicht hügelige Fläche, die offensicht lich aus dem feinstkörnigen Erdreich be stand. Vom Ringwall war an diesen Stellen nichts mehr zu sehen, auch nichts von den zerfetzten und zertrümmerten Büschen und Bäumen. Ich fragte Karsihl-HP: »Wirst du das Kommando zum Start ge ben lassen?« Er deutete auf den Ringwall, der mehrere hundert Meter von uns entfernt war. In ab sehbarer Zeit würde der Strahl hier entlang kommen und ihn auflösen. Standen wir zu nahe am Wall? »Ich denke, sie haben uns nicht gesehen. Wir sind nicht gefährdet. Wir bleiben, At lan.«
Ein Mond ohne Namen Während der Strahl arbeitend weiterwan derte, geschah abermals etwas Ungewöhnli ches und Bedrohliches. Aus dem Wald hin ter uns kamen Vögel, riesige Insekten und kleine Flugsaurier. Zuerst waren es nur we nige, aber dann wurden es immer mehr. Sie bildeten Schwärme, jede Tiergattung einen anderen. Schließlich vereinigten sich die kleineren Gruppen und bildeten eine ge waltige, dunkle Wolke, in der es ebenso ar beitete wie in dem kleinen See vor einiger Zeit. Die Wolke strebte dem Energiefinger zu; die Tiere schienen von dem Licht ma gisch angezogen zu werden. Hin und wieder, wenn Teile der Wolke den Mond passierten oder vor der leuchtenden Energiesäule vor beischwebten, konnten wir einzelne Tiere erkennen. Sie alle befanden sich in Aufre gung. Vielleicht wirkte auch jetzt die emo tionelle Strahlung auf sie ein. »Wir sollten zum Mond ohne Namen flie gen und dort die Basis suchen!« sagte ich laut. Der Strahl kam kreischend näher, der Bogen des herumgeschleuderten und fein verteilten Kratermaterials befand sich jetzt in ganzer Breite direkt in unserem Blickfeld. »Es wäre besser, wenn wir eine Haupt welt unseres Volkes anfliegen!« erklärte der Diplomat Germyr-HP. Er machte einige ab wehrende Bewegungen. »Wir sind hierher gekommen«, schrie ich durch das Dröhnen und Poltern des näher kommenden Frässtrahls, »um nach der Ge fühlsbasis zu suchen. Wir haben sie jeden falls entdeckt!« »Ja, auf dem gelben Mond!« Crysalgira deutete senkrecht nach oben. Die große, sich aufblähende, zusammen ziehende Wolke, die unaufhörlich ihre Form veränderte, erreichte jetzt den Strahl. Die er sten Tiere flatterten geblendet in das Leuch ten hinein. Sie wurden von einer unsichtba ren Kraft gepackt, nach unten gerissen und durcheinandergewirbelt wie Staubteilchen. Dann jagten sie zum Boden des Strahls, än derten ruckartig ihre Richtung und wurden dorthin geschmettert, wohin auch das Geröll und die Steine gewirbelt wurden. Langsam
23 verkleinerte sich die Wolke aus Tieren. Sie zog sich auseinander und raste, flatter te und schwebte schlangenförmig um den Stab leuchtender Energie herum. Wieder nahm der Druck auf unsere Schlä fen zu. Der Strahl und die Emotiowellen schienen irgendwie miteinander in Verbin dung zu stehen. Wir warteten stundenlang … An Schlaf war nicht zu denken. Das krei schende Geräusch des wild arbeitenden Strahlenfingers wurde lauter, als die Energie sich von links näherte, an unserem Schiff und der gesamten Besatzung vorbeischrillte und den Ringwall auflöste, als wäre es ein Schneerest. Immer mehr der Tiere wurden in den Strahl mit hineingerissen, nach unten und dann nach innen geschleudert. Das weiße Lodern des Strahls beleuchtete auf der linken Seite den Krater. Wir mußten entdecken, daß inzwischen mehr als die Hälfte des Kraters planiert war. Steine und die Massen des Erdreichs bildeten eine glat te, leicht wellige Oberfläche, die dort, wo sich der Ringwall befunden hatte, ohne Ni veauunterschied in die Umgebung überging. Das einzige Zeichen dafür, daß sich hier ei ne Wunde in der Landschaft befunden hatte, war der Umstand, daß die neugeschaffene Oberfläche ohne Bewuchs war und aus brau ner, warmer Erde bestand. Wie ein Garten nach der Aussaat, wenn die Halme noch nicht gesprossen waren. Hin und wieder verschwand eines der Be satzungsmitglieder und versuchte, im Schiff sinnern einen Platz zu finden, an dem ein unruhiger Schlaf möglich wurde. Allmählich nahm der schrille Lärm ab, als sich der Energiestrahl wieder nach rechts entfernte. Ich gähnte und sagte schließlich zu Crys algira: »Ich werde mir auch einen Winkel suchen und mir Dichtungsmasse in die Ohren stecken.« Germyr-HP warf ein: »Die halbe Nacht ist vorbei. Wir bringen uns noch mehr in Gefahr, Karsihl, wenn wir nicht ausgeschlafen sind.«
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Zweifellos mißbilligte Germyr unser Vor haben, zu starten und zum Mond zu fliegen. Aber ich war sicher, daß sich Karsihl durch setzen konnte. »Ich gehe mit!« erwiderte Crysalgira. Bis her hatte die Anspannung unserer Nerven uns wachgehalten. Plötzlich wurden wir mü de; so erging es auch den Lopseggern. Wir gingen ins Schiff und fanden einen Raum; es war die zweite Hälfte der Doppel kabine. Sie war genügend gut isoliert. Der gewaltige Lärm des Strahls drang nur als rauschendes Summen durch die Schiffs wand.
* Nach etwa sieben Stunden erwachte ich langsam. Crysalgira hatte Essen besorgt. Auf einem Teller lagen mehrere Würfel der Verbotenen Würzung. Als das Mädchen merkte, daß ich wach war, sagte sie mit merkwürdiger Beto nung: »Gehe einmal hinaus und wirf einen Blick auf den eingeebneten Krater!« Ich richtete mich auf und zog mich an. »Was ist los?« fragte ich überrascht. Es schien nichts Dramatisches zu sein, aber auf alle Fälle war dort etwas Überraschendes ge schehen. »Ein mittelgroßes Wunder. Schau selbst nach!« murmelte sie und gähnte. Ich huschte hinaus und verließ das Schiff über die Ram pe. Dann blieb ich verblüfft stehen. Ich er kannte einige Meter neben mir Germyr-HP, dessen Augen starr auf der riesigen Kreisflä che ruhten. Die Sonne war aufgegangen und beleuchtete die Anlage. Es war kein Fleckchen blankes Erdreich mehr zu sehen. Die gesamte große Kreisflä che war mit Gräsern, Blumen und kleinen Büschen bewachsen. Germyr drehte sich zu mir herum und sagte ins tragbare Übersetzungsgerät: »Du siehst, welche furchtbaren Gegner wir haben. Sie können uns sehr schaden, At lan.«
Ich murmelte überrascht: »Diese merkwürdige ölige Brühe im Zen trum des Kraters. Diese Flüssigkeit muß das Wunder bewirkt haben.« Ich erinnerte mich, daß sie tropfenförmig und als Nebel verteilt worden war. Jeden falls war das blitzschnelle Wachstum eine Überraschung. Ich kannte keine Methode außer der direkten Verpflanzung, ein Stück Land so schnell zu begrünen. Unterschätze auf keinen Fall die Tejon ther! warnte der Logiksektor. »Wir sollten nicht mit ihnen kämpfen!« jammerte Germyr-HP. »Karsihl fordert das Schicksal heraus!« Ich hob die Hand und entgegnete ruhig: »Niemand hat vor, gegen die Tejonther im offenen Kampf anzutreten. Wir suchen keinen Krieg, sondern die Gefühlsbasis.« »Das alles ist verwirrend und bringt uns Tod und Verderben!« sagte er. Ich warf einen letzten Blick auf die Land schaft unter uns. Die flach einfallenden Son nenstrahlen modellierten die kleinen Hügel heraus. Ich mußte wider Willen die Kon strukteure dieses fräsenden Strahls bewun dern. Die technische Leistung war gewaltig. Aber aus welchem Grund die Tejonther ihre Gefühlsbasis hier aus dem Boden gerissen und zum Mond abtransportiert hatten – wir alle konnten es nicht einmal ahnen. Ich wandte mich ab und versuchte, Ger myr-HP zu beruhigen. »Schau an, Freund Germyr! Die Tejonther haben alle Spuren verwischt. Oder zumin dest haben sie es versucht. Das bedeutet, daß auch sie Furcht haben müssen. Und diese Tatsache sollte uns ermutigen.« Ich ging zurück ins Schiff. Crysalgira sah mich schweigend an, als ich mich an den Tisch setzte und zu essen begann. Schließ lich, als ich über alles nachgedacht hatte, murmelte ich: »Vermutlich konnte ich Karsihl-HP über zeugen. Ich denke, daß wir in kurzer Zeit zum Mond ohne Namen starten.« »Du hast den ehemaligen Krater gese hen?«
Ein Mond ohne Namen Ich nickte langsam. Es mußte diese Flüs sigkeit im Kraterzentrum gewesen sein, von der das rasende Wachstum gesteuert wurde. Und als ich daran dachte, fühlte ich auch wieder die unterdrückte Ausstrahlung der Gefühlsbasis. Ich nahm einen Würfel in die Finger. »Ich habe ihn gesehen und bin mehr als erstaunt«, sagte ich. »Wir werden die Tejon ther nicht unterschätzen – Germyr befürchtet es. Aber wir kämpfen nicht, wir suchen nur.« Im gleichen Augenblick ging der schnar rende Türsummer. Karsihl-HP trat ein, als ich das Schott öffnete. Der Lopsegger ging an mir vorbei und blieb in der Nähe des Übersetzers stehen. »Wir starten in wenigen Minuten«, sagte er. »Kommt ihr in die Zentrale?« »Ja«, erwiderte ich. »Du hast Germyr überzeugen können!« »Es war schwierig. Wir werden sehr vor sichtig sein müssen, und außerdem wird die Flotte unruhig, die auf uns wartet. Die Män ner fürchten, daß die Schiffe der Tejonther uns entdecken und vernichten.« »Diese Furcht«, erklärte ich entschlossen und ging mit ihm und Crysalgira zum Schott, »ist verständlich. Auch wir rechnen damit, daß die Tejonther hier bald eintreffen. Das ist ein Grund, schnell zu starten und zum Mond zu fliegen.« »Das habe auch ich Germyr erklärt, und ich denke, er ist beruhigt. Er und seine Freunde.« Wir gingen in die Zentrale. Die Ge räusche rund um uns bewiesen, daß das Schiff startklar gemacht wurde. Lopsegger hasteten hin und her, die Halbgleiter befan den sich bereits im Schiff. Summer quäkten, und ich atmete gepreßt, weil die »Würzung« wieder meine Geschmacksnerven paralysier te. Dann startete das Schiff. Wir hatten uns wieder in den Sesseln fest geschnallt und beobachteten fasziniert den Schirm, der das Startgebiet zeigte. Während das Schiff zuerst langsamer, dann immer
25 schneller an Höhe gewann, rückte die runde Zone ins Blickfeld der Linsen. Nur ein Far bunterschied deutete darauf hin, daß hier das Gelände modelliert worden war. Die Ge wächse dort unten in einem ausgefransten Kreis waren heller, ihr Grün war frischer, als das der Umgebung. Germyr-HP beugte sich zu uns herüber und sagte halblaut: »Ich bin erst dann wieder ruhig, wenn wir das Mithuradonk-System verlassen haben werden.« Crysalgira schien etwas ungehalten zu sein, als sie antwortete: »In einem halben Tag kann alles vorbei sein, Germyr. Du weißt, was von unseren Erkenntnissen abhängt!« Er knickte seinen Körper ab und sagte schroff: »Und niemand weiß, wie ihr beide es an stellen wollt, das Schiff zu verlassen. Denkt ihr etwa, daß der gelbe Mond ohne Namen eine Lufthülle hat?« Mit donnerndem Antrieb schraubte sich das Raumschiff durch die letzten Wolken und stieß ins Vakuum des Weltraums vor. Die ersten Kursänderungen wurden eingelei tet. Die Funkabteilung hatte eine Verbin dung zu den Schiffen unserer wartenden Flotte hergestellt und schilderte, was vorge fallen war. Auch die Geräte der wartenden Schiffe hatten bisher noch nicht das gering ste Zeichen einer nahenden Großflotte auf gefangen. Diese Auskunft, die sofort an uns weiter gegeben wurde, schien Germyr ein wenig zu beruhigen. Jedenfalls hatte er vollkommen recht: Wir waren dazu verdammt, im Schiff zu bleiben. Es gab keine Raumanzüge für uns. Das Schiff wurde schneller und kippte nach rechts weg. Der kleinere der beiden Monde, ein öder Felsbrocken, raste schräg an uns vorbei und verschwand wieder in der Dunkelheit des Weltraums. Dann tauchte hinter der riesigen Krümmung des Planeten der gelbe Mond auf. »Dort ist er!« sagte Karsihl-HP. »Und dort ist auch die Gefühlsbasis.«
26 Unsere Ortungsgeräte wurden eingeschal tet, die Antennen und Linsen suchten die Oberfläche des gelben Trabanten ab. Ein ge waltiger Strom von Informationen kam her ein und wurde sortiert. Das Schiff schwank te, als es eine andere Richtung einschlug. In der vergangenen Nacht waren Aufnahmen von der Oberfläche und dem Ausgangspunkt des Strahls angefertigt worden, und jetzt suchten wir die Großgeländeformation, die diesen Aufnahmen entsprach. Ein Maar lag vor uns, eine ovale Vertie fung, durchzogen von Spalten und zernarbt von Kratern in allen Größen. Schwarze Lini en und Schatten modellierten das Gelände. Auf einen Schirm wurde die Aufnahme projiziert. Dann verschoben sich die Linien der wirklichen, vor uns liegenden Strukturen so lange, bis sich die beiden Bilder deckten. Es war der obere Teil eines Ausläufers dieser Zone, eine zungenförmige Ausbuchtung, von Spalten durchzogen und eine wirre Kra terlandschaft. Der Strahl selbst mündete in eine enge, tiefe Schlucht, die von einer scharfen Bergkette geschützt war. »Wir werden in diesem Krater landen!« erklärte Karsihl und wählte eine Vergröße rung. Wir konnten jetzt die Basis erkennen. Die Schatten des Gebirges fielen über die Schlucht, und zwischen den Schatten tauchte aus der Mitte der Schlucht eine metallische Rundung auf. Sie wirkte wie eine versteckte Kuppel, aber es konnte auch eine kugelför mige Konstruktion sein, die vorzüglich ge tarnt in dem tiefen Spalt stand. Ich spürte, wie meine Erregung zunahm, obwohl ich nur reichlich verschwommene Ideen über den Sinn dieser Station hatte. Plötzlich zeichnete sich auf einem anderen Bildschirm ein deutliches Echo ab. »Entfernung siebenhundert Kilometer!« übersetzte das Gerät den Ruf eines Kopilo ten. Das Echo bezeichnete eine kleine, massi ve Metallansammlung. Eine zweite Station der Tejonther?
Hans Kneifel Unser Schiff bremste ab und schwebte, wesentlich langsamer, auf den ausgesuchten Landeplatz zu. Die Gegend dort schien eini germaßen vertrauenswürdig zu sein. Ich wollte gerade etwas sagen, als es auf den Schirmen aufblitzte. Genau dort, wo die kleinere Station ausgemacht worden war, entstanden blendende Blitze und Strahlen. »Sie schießen auf uns!« rief Crysalgira aus. »Es müssen Tejonther sein!« »Wer sonst?« röhrte Germyr-HP lauf auf. »Ich habe es immer gesagt! Wir geraten in Todesgefahr! Sie werden uns angreifen, die se Hunde!« Das Schiff schwebte genau auf den Lan deplatz zu, der sich ungefähr zehn Kilometer vor dem Mittelpunkt der Schlucht befand. Wieder spiegelte sich ein Reflex der Son nenstrahlen auf der glatten Rundung der Ge fühlsbasis. Die Blitze und Strahlen aus der kleinen Station, die sich auf einem Plateau in halber Höhe eines Mondberges befand, fuhren an unserem Schiff vorbei. Die Besat zung handelte blitzschnell und mit der Ent schlossenheit, die mich einen Augenblick lang verblüffte. »Führt die Landung auf vorgeschriebene Weise durch!« rief Karsihl-HP. »Erwidert das Feuer!« Der Rumpf des Raumschiffs begann zu vibrieren. Donnernde Detonationen erschüt terten die Verbände. Wir konnten die Ge schehnisse auf den Schirmen verfolgen. Ununterbrochen feuerten Geschütze oder Projektoren, die direkt neben der kleinen Station versteckt oder eingebaut waren, auf uns. Offensichtlich hatte die tejonthische Besatzung unseren Landekurs falsch ausge rechnet, denn nur ein einziges Mal trafen sie. Ein Teil einer Heckflosse wurde wegge sprengt; die Ränder glühten auf und verfärb ten sich. Dann erschienen über und neben der Station Wolken aus Geröll und Staub schleier, die sich träge ausbreiteten. Zwi schen den aufgewirbelten Massen zuckten Feuerkugeln auf und zerplatzten. Wir sahen, während unser Schiff abdrehte und sich langsam auf den Landeplatz senkte,
Ein Mond ohne Namen daß Trümmer und Felsen zur Seite geschleu dert wurden, in den Berghang einschlugen und dort weitere Stauberuptionen auslösten. Die Fragmente kollerten in kleinen Steinla winen abwärts. Aus der Station flammten glühende Gase. Schlagartig hörte der Beschuß auf. »Es wird noch andere Schutzforts geben!« behauptete Germyr-HP laut. »Das bezweifle ich. Die Ortung hat nur diese eine Station feststellen können!« wi dersprach Karsihl. Die Stichflamme brennender Luft erlosch. Rundherum sahen wir die Spuren der Ein schläge. Die Geschützmannschaften unseres Schiffes hatten hervorragend gezielt. Mitten durch das Dröhnen unserer Maschinen hörte ich Karsihl-HP sagen: »Bleibt wachsam! Niemand verläßt seinen Platz am Geschütz. Ich denke, wir haben die Tejonther ausgeschaltet.« Crysalgira drehte sich zu mir herum und deutete dabei auf die halb zerstörte Station. »Wenn es dort Tejonther gab, dann gibt es auch Raumanzüge. Oder jedenfalls Anzüge, die sie für Ausflüge auf dem Mond benutzt haben.« »Vermutlich werden sie uns passen. War ten wir ab, was das Kommando herausfin den wird!« antwortete ich. Auf den Bild schirmen brodelten jetzt die dünnen Staub wolken, die von den Triebwerken unseres Schiffes hochgerissen wurden. Mit einem weichen, federnden Ruck setzten wir auf. Ich löste meine Gurte und stemmte mich hoch. Hier war nichts von der geringen An ziehungskraft zu merken. Wir befanden uns noch innerhalb des künstlichen Andrucks im Raumschiff. »Hast du vor, Karsihl, ein Kommando in die zerstörte Station hinüberzuschicken?« fragte ich zögernd. Ich war ziemlich sicher, daß Karsihl-HP und seine Kameraden ent schlossen waren, die Tejonther zu bekämp fen. Aber jetzt wuchs der Widerstand von Germyr, dem lopseggischen Diplomaten, und seinen Freunden. Sie waren alles andere als ängstlich, aber sie rechneten sich ange
27 sichts der gewaltigen Übermacht der tejon thischen Flotte kaum eine Überlebenschance aus. Ich konnte sie verstehen – aber mich drängte es, in die versteckte Gefühlsbasis einzudringen. »Ja. Ich schicke ein Kommando aus Frei willigen«, erklärte Karsihl. »Du rechnest da mit, daß wir die Anzüge der Toten mitbrin gen?« Ich lächelte vage. »In der Tat hatte ich diesen Gedanken. Die Anzüge würden es uns beiden leichter machen, euch etwas zu helfen.« Obwohl wir der Gefühlsstation inzwi schen so nahe gekommen waren wie noch nie, verstärkte sich der Druck der Gefühls strahlung nicht. Noch war die Strahlung wirksam, aber die Würzung verhinderte nach wie vor, daß wir darunter ernsthaft lit ten. Das galt, soweit ich es feststellen konn te, nicht nur für Crysalgira und mich, son dern auch für die Lopsegger. Germyr-HP schaltete sich lautstark ein. Er sagte in der Nähe des Mikrophons, so daß wir es deutlich hören konnten: »Wenn deine Gruppe das Schiff verläßt, Karsihl-HP, dann denkt daran, daß jede Se kunde die Flotte der Feinde hier ankommen kann. Und sie werden sofort merken, daß ih re Station schweigt, weil die Besatzung tot ist. Eilt euch! Haltet euch nicht zu lange auf!« »Ich verspreche es!« erwiderte Karsihl et was förmlich. Crysalgira und ich warteten. Die Maschinen waren inzwischen abgestellt worden, aber das Schiff blieb weitestgehend startbereit. Nacheinander erschienen acht Lopsegger in der Zentrale. Sie trugen schwere, flugfähige Raumanzüge und eine Menge Ausrüstung. Einige Männer halfen Karsihl in seinen Anzug. Bevor er den Helm schloß, meinte er zu uns: »Wir sind sicher, daß wir euch helfen können, Atlan!« »Wir werden ungeduldig warten«, sagte Crysalgira und nickte lächelnd. »Kommt bald zurück!« Eine unbehagliche Ruhe entstand, als die
28 Männer des Erkundungskommandos sich ausschleusten und schließlich zwischen Schiff und Station erschienen. Das Schiff stand auf einer kleinen, ebenen Fläche, auf der große Felsbrocken und seltsam ausse hende Steinformationen kurze Schatten war fen. Hinter dem Plateau begann ein sanft an steigender Hang, der durch ein System von Spalten und scharf abbrechenden Wänden beendet oder besser zweigeteilt wurde. Über einer der Schroffen stand, zu einem Drittel in eine Art Höhlung hineingebaut, die Stati on. »Meinst du wirklich, Atlan, daß es nur diese eine Schutzstation gibt?« fragte Crys algira, die ebenso wie ich die Lopsegger be obachtete, die dicht über dem Boden zur Station hinüberschwebten. »Ich bin ziemlich sicher, daß keine weite ren Stationen auf dem Mond sind«, erklärte ich. »Gäbe es mehr von ihnen, müßte es zu mindest ein kleines Raumschiff für die Be satzung geben. Aber weder dieses Schiff noch etwas, das darauf hindeutet, wurde ge ortet.« »Und du meinst, daß die Ortungsgeräte gut genug sind?« »Ja«, sagte ich. »Sie sind nicht schlechter als arkonidische Anlagen. Ich glaube, daß wir im Augenblick die einzigen lebenden Wesen hier sind.« »Aber … die Gefühlsbasis?« »Das ist die große Frage«, mußte ich be unruhigt bekennen, »die im Moment nie mand beantworten kann.« Wir warteten weiter. Zwischen den einzelnen Männern des Kommandos und der Zentrale gingen Be merkungen hin und her. Einen Teil der Schilderungen verstanden wir, die Hälfte un gefähr wurde schlecht oder ungenügend übersetzt. Dann schaltete sich ein tragbares Aufnahmegerät ein und übertrug die Bilder von draußen auf einen Schirm. Besatzungsmitglieder kamen aus allen Teilen des Schiffes und starrten auf die Bil der. Aus den Lautsprechern kamen ununter brochen Mitteilungen. Die Linsen des Schif-
Hans Kneifel fes zeigten uns, daß die ersten Raumfahrer den breiten Felsabsatz erreicht hatten. Sie verteilten sich, zogen ihre Waffen und nä herten sich vorsichtig und mit den charakte ristischen Bewegungen, die durch die gerin ge Schwerkraft hervorgerufen würden, der Station. Karsihl-HP ging zwischen zwei anderen Raumfahrern auf die Einschußöffnung zu. Immer wieder blieben sie hinter der Deckung stehen und warteten. Aber im un mittelbaren Bereich der vier aneinander ge bauten Würfel geschah nichts. Kein Tejon ther wehrte sich. Das Aufnahmegerät zeigte jetzt die unzer störte Schleuse und die aufgerissene Wand des größten der würfelförmigen Bauelemen te. »Atlan! Diese Mitteilung für euch. Wir dringen jetzt ein, aber hier scheint niemand mehr zu leben!« »Wir haben verstanden!« rief ich laut. Meine Blicke gingen zwischen den beiden großen Bildschirmen hin und her. Der linke zeigte das starre Bild der Station, wie es die Linsen des Schiffes aufnahmen. Der andere Schirm schien sich zu bewegen. Das tragba re Gerät schwankte, hob und senkte sich. Das unruhige Bild zeigte jetzt einige Fuß spuren, die nicht von Karsihl-HP und seinen Leuten stammen konnten. Die Spuren führ ten fächerförmig von der rechteckigen Schleuse weg und auf die Platte unterhalb der Schleusentür zu. Die Station war ein System aus Fertigbau ten. Mehrere Würfel mit schlitzförmigen, langgezogenen Fenstern oder Durchblicken waren auf runden Tellerfüßen montiert und durch kurze, röhrenförmige Elemente mit einander verbunden. An drei verschiedenen Stellen zeigte der Schirm jetzt die zerfetzten Trümmer leichter Geschütze und die ge schmolzenen Stellen, die gekappten Ener giekabel und die verbogenen Zieleinrichtun gen. Auch eine Antenne kam ins Bildfeld. Sie bestand nur noch aus einem ge schmolzenen, vernichtenden Metallgestänge
Ein Mond ohne Namen mit einigen gebrochenen Isolatoren. »Hier lebt niemand mehr!« erklärte die Stimme eines Raumfahrers. Dann, mit einem letzten, kurzen Schwung, drangen Karsihl und drei seiner Männer ein. Zwei von ihnen versuchten, die Station durch das Einschußloch zu betreten, die anderen benutzten die Schleuse, die sich widerstandslos öffnete. Es schien noch einen Rest von Energie dort zu geben, denn die Schleuse schwang automatisch auf und schloß sich wieder. Nacheinander kamen die Raumfahrer um die Ecken des Gebäudes herum, blieben aber wachsam und hielten die entsicherten Waf fen in den Händen. Wir warteten schwei gend, unsere Nervenanspannung stieg. In der Zentrale war es völlig ruhig. Niemand sprach, aber aus den Lautsprechern drangen die Geräusche, die dort oben entstanden. Hin und wieder ein leises Wort in jener eigen tümlich polternden, schnarrenden Sprache. Wieder übertrug der rechte Schirm die Bilder des schwankenden Aufnahmegeräts. Der Schleusenraum, in dem einige Lampen hinter geborstenen Abdeckungen helles Licht verbreiteten. Dahinter ein großer Raum, der von Schaltschränken, Energieer zeugern, Bildschirmen und Kabeln, Sesseln und Tischen ausgefüllt war. Über eine Wand zog sich der Schlitz des normaloptischen Fensters hin. Die Kamera schwenkte und zeigte, durch diesen Schlitz suchend, das Bild unseres Schiffes. »Diese Station ist taktisch hervorragend angelegt!« erklärte plötzlich Germyr. »Von dort aus kann man fast jeden Angreifer kon trollieren, der sich der Gefühlsbasis nähert.« Der Beschuß hatte die Station, soweit jetzt zu erkennen war, aufgerissen. Alle Luft war ins Vakuum über dem Mondboden ent wichen. Überall zeigten sich die charakteri stischen Zerstörungen. Die Raumfahrer be gannen jetzt an verschiedenen Punkten mit einer systematischen Suche. Sie öffneten die Schränke und versuchten, den genauen Zweck der Station zu erkennen;
29 sie suchten alle Informationen, die uns wei terhelfen konnten. Im nächsten Raum, einem röhrenförmigen Durchgang zwischen zwei Würfelelementen, entdeckte der Lopsegger mit der Kamera den ersten Toten. Wie erwartet: ein Tejonther. Deine Vermutungen waren richtig, kom mentierte der Extrasinn. Das schwarzbepelzte, gelbäugige Wesen war in eine Kombination mit halbhohen, an geschnittenen Stiefeln gekleidet. Der Tejon ther – der Mann aus Vruumys' Volk – war tot. Die furchtbaren Zeichen der explosiven Dekompression waren deutlich zu erkennen. Einer der Lopsegger öffnete einen eingebau ten Schrank, drehte sich um und hielt einen neu aussehenden Raumanzug vor die Linsen des Aufnahmegeräts. Ich erhob mich halb aus meinem Sitz. »Wir haben einen Anzug!« sagte ich. »Wahrscheinlich finden sie für dich auch einen, Crysalgira.« Sie nahm ihre Augen von den Bildschir men und sah mich starr an. »Es waren mit Sicherheit mehrere Tejon ther in der Station!« versicherte sie. Schwei gend sahen wir zu, wie die Durchsuchung der Schutzstation weiter ging. Ich glaubte si cher zu wissen, daß der Energiestrahl, der den Krater eingeebnet hatte, auch von dort drüben aus gesteuert worden war. Jetzt befanden sich sämtliche Raumfahrer des Kommandos innerhalb der aufgebroche nen Station. Wir sahen, daß die Tejonther hervorra gend ausgerüstet waren. Sie schienen, dem Lager an Nahrungsmitteln und Waren nach zu urteilen, sich für eine lange Zeit ausge stattet zu haben. Aber es war auch deutlich zu erkennen, daß die Vorräte, zur Neige gin gen. Ein Zeichen dafür, daß die Flotte bald er scheinen wird! Der Kreuzzug wird in Kürze hier vorbeikommen, murmelte der Logiksek tor. Die Ausrüstung der Station war einfach, aber überlegt. Sie sah gebraucht aus, war al
30 so ziemlich alt. Die Abnutzungsspuren und auch die tief eingetretenen Pfade rund um die Würfelkonstruktion bewiesen, daß ein deutig mehrere Tejonther sich hier aufgehal ten hatten. Aber warum hatten sie uns ohne jede Warnung beschossen? Ein Raum nach dem anderen wurde ge zeigt. Gleichzeitig kam Karsihls Kommentar zu uns durch. Der nächste Tote lag in einem Durchgang. Es sah aus, als habe er flüchten wollen. Zwei Schritte weiter, hinter einem halb geöffneten Schott, stand ein Schrank offen. Wieder zog einer der Raumfahrer einen schweren, mit einem Flugaggregat ausgerüsteten Rauman zug hervor und belud sich mit den Einheiten der komprimierten Luft. »Dein Anzug!« sagte ich. »Wir werden also die Gefühlsbasis anfliegen können.« »Seid ihr eigentlich so mutig, oder seid ihr verrückt?« fragte Germyr-HP angriffslu stig. »Von beidem etwas, Freund Germyr!« antwortete Crysalgira. Der dritte Tote saß in einem harten Sessel. Der Tejonther war über einem Schaltpult zu sammengebrochen und gestorben. Auf ei nem Bildschirm, der in Betrieb war, konnten wir den oberen Teil unseres Schiffes erken nen. Dies war also der Zielschütze gewesen. Germyr-HP schien es nicht mehr auszu halten. Er beugte sich vor, ergriff das Mikro phon der Funkverbindung und rief: »Karsihl! Kommt zurück! Ihr habt gese hen, daß die Station zerstört ist und die In sassen tot sind. Ich bin sicher, daß sie einen Notruf ausgeschickt haben.« Karsihls Stumme war ruhig, als er erwi derte: »Wir kommen. Ich habe eben Befehl zum Rückzug gegeben. Wir bringen zwei Anzüge für unsere arkonidischen Freunde mit.« »Gut. Beeilt euch! Wir wollen starten! Der Alarm wird eine Übermacht der Gegner bringen!« rief Germyr. »Vergeßt Waffen und Luftvorrat nicht!« rief ich ins Funkgerät. »Wir haben mitgenommen, was wir ge-
Hans Kneifel funden haben!« erklärte Karsihl. Kurz darauf schwebte der erste Raumfah rer aus der weit geöffneten Schleuse, nahm mit einigen Sprüngen einen Anlauf und schwang sich in die Luft. Er trug in einem elastischen Netz einige Ausrüstungsgegen stände. Noch immer filmte ein Begleiter Karsihls die Einrichtung der Station, aber auch er befand sich auf dem Rückweg. Nacheinander verließ das gesamte Kom mando die Station, die ohne jedes Leben war. Wir hatten erfahren, daß die Lopsegger sämtliche Energieanlagen abgeschaltet hat ten. Dieses diente dem Zweck, eventuelle automatische Notrufe oder die Verbindung zwischen Station und Flotte unmöglich zu machen. Das Funkgerät knackte, dann er losch der zweite Bildschirm. »Öffnet die Schiffsschleuse. Wir kom men!« Crysalgira und ich sahen uns an und nick ten. Dann verließen wir die Zentrale und gingen bis auf das Deck, auf dem sich die Schleusenanlage für die Raumfahrer befand. Wir hatten als letztes Bild gesehen, daß zwei der Lopsegger Raumanzüge mit sich schleppten. »Du hast genügend Vorrat an diesem rät selhaften Gewürz?« fragte Crysalgira leise. Hinter uns kam Germyr-HP durch ein Schott und wartete ebenfalls. Ich nahm an, daß eine Auseinandersetzung zwischen ihm und Kar sihl-HP bevorstand. »Ja, Prinzessin«, sagte ich. »Hier, in der Brusttasche.« Dann flüsterte ich ihr zu, so daß es Germyr nicht verstehen konnte: »Germyr und Karsihl werden sich mitein ander streiten. Es geht um das Risiko. Es ist Germyr zu groß.« »Das bedeutet für uns, daß wir auf den Einfluß Karsihls angewiesen sind, wenn wir das Schiff verlassen wollen!« sagte die Prin zessin. Dann überlegte sie einige Sekunden, schließlich strahlte sie mich an und wisperte: »Überlasse es mir, Atlan. Ich werde Ger myr und Karsihl überzeugen. Auf meine Weise …« »Ich verstehe nicht ganz«, begann ich. Sie
Ein Mond ohne Namen winkte ab. »Warte!« Also wartete ich. Im Augenblick ver mochte ich es mir nicht vorzustellen, wie die arkonidische Prinzessin zwei Lopsegger mit durchaus verschiedenen Ansichten und je weils richtigen Argumenten überzeugen konnte, daß die Vorstellung der beiden fremden Gäste richtig war. Ich dachte an das, was vor uns lag, erinnerte mich an die Bedrohung durch die Kreuzzugflotte und an die wartenden Schiffe der Lopsegger. Und daran, daß die sterbenden Tejonther dort drüben vielleicht ein Notsignal ausgestrahlt und damit Hilfe herbeigerufen hatten. Schließlich öffnete sich das Schott der Ne benkammer, und Karsihl-HP trat zu uns. »Wir haben erreicht, was wir wollten!« sagte er. Zu unserer Verwunderung befand er sich noch im Raumanzug, der über und über bestaubt war. Zwei Lopsegger folgten und legten die tejonthischen Anzüge und die Zusatztanks und Waffen auf eine flache Lie ge. »Welche Beobachtungen habt ihr machen können? Unsere Leute in der Flotte sind un ruhig und ungeduldig. Außerdem fürchten sich viele von ihnen.« Karsihl-HP hob in einer beschwichtigenden Geste den Arm und erklärte kurz: »Die Station ist völlig außer Betrieb. Drei Mann waren dort, drei Mann sind tot. Wir haben nichts gefunden, was auf eine Sende anlage schließen läßt.« »Das halte ich für unmöglich. Nicht nur ich!« rief Germyr. Crysalgira schob sich zwischen die beiden Kontrahenten und meinte mit fast aus druckslosem Gesicht: »Selbst wenn die Tejonther einen Notruf haben senden können, wird es Tage dauern, bis hier ein Schiff erscheint, Germyr-HP. Atlan und ich aber sind in ein paar Stunden zurück!« Beide, Karsihl und Germyr, sahen sie überrascht an. Ich kontrollierte inzwischen den ersten Anzug. Er schien ausgezeichnet gepflegt und selten gebraucht worden zu
31 sein. »Ein paar Stunden? Ihr habt ein gewalti ges, gefährliches Geheimnis vor euch! Es kann lange Zeit dauern, bis ihr es gelöst habt!« Ich kontrollierte jetzt das Zubehör und versuchte, zu entscheiden, was wir brauch ten und was nutzlos war. »Wir haben nicht vor, die Gefühlsbasis bis in den letzten Winkel zu durchsuchen und das Geheimnis zu klären. Wir wollen erst einmal versuchen, dort einzudringen!« sagte zu unserer Überraschung Karsihl. So fort setzte Crysalgira nach. »Wir sind nur zwei Fremdlinge, in eure Welt verschlagen. Wir möchten euch nicht beschämen, Germyr! Es ist nicht so, daß wir versuchen, mutiger als du und deine Freunde zu sein! Wir wollen nur nachsehen, warum die Strahlung entstanden ist und ob wir sie vielleicht abstellen können. Ein paar Stunden, nicht mehr! Wir gehen kein Risiko ein, denn wir ha ben nicht einmal richtige Raumanzüge. Und ich bin sicher, daß ihr auf uns warten wer det.« »Ich erkenne eure Argumente an!« ver sichte uns Karsihl-HP. Inzwischen hatte sich um uns ein dichter Ring aus lopseggischen Raumfahrern gebildet, von denen die mei sten keinen Raumanzug mehr trugen. Ich schloß die flüchtige Überprüfung der beiden Anzüge ab. Sie würden uns einen Aufenthalt von einigen Stunden auf dem namenlosen Mond ermöglichen – mehr nicht. »Ich kann nicht befehlen. Ich kann nur ra ten!« sagte Germyr. »Von mir aus – einige Stunden können kaum etwas ändern. Habe ich die Versicherung, Karsihl-HP, daß es nicht länger dauert?« Karsihls Kopfbüschel schwankten erregt. »Wenn wir länger auf dem Mond bleiben, bedeutet es für uns, daß wir nicht mehr zu rückkommen. Dann startet ihr ohne uns.« Auch er hatte also begriffen, daß es ein tödliches Abenteuer werden konnte. Noch ein paar klärende Worte, dann halfen wir uns gegenseitig in die fremden und unge
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wohnten Raumazüge. Ich verstaute sechs Würfel der Verbotenen Würzung im Fach der Halsblende, in dem die tejonthischen Raumfahrer, ihre Nahrungskonzentrate auf bewahrt hatten; ein einfacher Druck mit der Zungenspitze konnte einen Würfel nach dem anderen hervorgleiten lassen. Crysalgira nahm sofort einen solchen Würfel, nach kur zer Überlegung zerbiß ich ebenfalls eines der Schutzmittel. Ich sah, wie Karsihl sich ebenfalls mit einem Vorrat versorgte. Schließlich hob er die Hand. »Brechen wir auf, Atlan. Je früher wir starten, desto eher sind wir zurück!« Daran ist etwas Wahres, versicherte der Logiksektor. »Vielleicht«, sagte ich, während wir nach einander in die geräumige Schleuse gingen und die Blicke Germyrs in unseren Rücken spürten, »packen wir ein Stück des Geheim nisses.« Sekunden später sanken wir in einer fla chen Flugbahn auf den Rand der Schlucht zu. Der mühsame Versuch, die versteckte Gefühlsbasis zu erreichen, hatte begonnen. Als meine Sohlen im Mondstaub versanken, hörte ich durch den Helmfunk einen gur gelnden Schrei. Karsihl-HP hatte ihn ausgestoßen.
4. Neben mir ruderte Crysalgira heftig mit beiden Armen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Als sie breitbeinig aufsetzte, er hob sich die zweite Staubwolke. Ich blickte durch das transparente Material des Helms und sah, daß auch sie den Schrei gehört hat te. Am Gürtel meines Anzugs hing eines der kleinen Übersetzungsgeräte, das zwischen Mikrophon und Lautsprecher geschaltet war. »Karsihl!« rief ich leise und hörte den Nachhall der Übersetzung. »Was ist los? Warum hast du gerufen?« Die Antwort war ein zweites, langgezoge nes Stöhnen. Ich stand fest auf dem Felsen unter der
dicken Staubschicht. Langsam drehte ich mich in der ungewohnt niedrigen Schwer kraft um. Zuerst kam das Schiff in mein Blickfeld; es stand unbeweglich da, und nur die offene Mannschleuse im unteren Drittel unterbrach die glatte, funkelnde Form. Gleichzeitig spürte ich den stärker werdenden Druck in meinen Schläfen. Die Gefühlsstrahlung nimmt zu! rief der Extrasinn. Keine fünf Schritte von mir entfernt stand Karsihl-HP und schlenkerte in einer sinnlo sen Bewegung seine langen Arme. Endlich, nach langen Sekunden oder gar Minuten, stöhnte Karsihl auf: »Die Gefühlsstrahlung. Ich habe eben … Verbotene Würzung. Es wird schlimmer, je näher wir kommen. Vorhin … nichts ge merkt.« Der Lopsegger, dessen Sprachorgane zwi schen Kopfende und Gürtel saßen, hörte mit den sinnlosen Bewegungen auf. »Ihr habt vorhin in der Station oder auf dem Weg nichts gemerkt?« fragte Crysalgi ra. »Nein.« »Das kann nur bedeuten, daß die Strah lung jetzt zunimmt!« sagte sie alarmiert. »Kannst du weiter? Hältst du den Druck noch aus. Karsihl?« »Ja. Ich komme mit. Ich schaffe es!« er klärte der kleine Lopsegger. Ich bewunderte ihn. Von allen Raumfahrern im Schiff ent wickelte er den höchsten Mut. Ich griff wie der nach dem Regler des Flugaggregats und hob die Hand, um der Prinzessin zu winken. »Ich merke es auch, Atlan!« sagte Crysal gira leise, als wir fast gleichzeitig starteten und einen weiteren Sprung durchführten, der uns von der freien Fläche hier bis zu einer Felsengruppe bringen sollte. Die Steintrüm mer befanden sich bereits jenseits des Ge ländeknicks, am Eingang der Schlucht. Langsam und nachdenklich sagte ich: »Ich glaube zu wissen, was die Gefühls basis bedeutet … was die einzelnen Basen bedeuten.« »Tatsächlich? Du weißt es, Atlan?« fragte
Ein Mond ohne Namen Karsihl-HP. Seine Stimme klang noch im mer wie die eines Fiebernden. Aber ich wußte, daß jeder Vergleich angesichts der Fremdheit der Lopsegger versagen mußte. »Ich denke es mir«, erwiderte ich und faß te das Ziel ins Auge. Wir entfernten uns et wa im rechten Winkel zu der Linie, die Raumschiff und Schutzstation verband. Ich war sicher, daß sich sämtliche Linsen der Ortung auf uns richteten und daß jedes Wort mitgehört wurde. Aus diesem Grund formu lierte ich meine Ansicht und Theorie noch vorsichtiger. »Die einzelnen Basen sind wie besonders charakteristische Sonnen. Es sind zugleich Funkfeuer und Orientierungshilfen. Kosmi sche Leuchtfeuer, die niemand sehen kann!« »Für die Tejonther natürlich!« warf Crys algira ein. Vor uns lag jetzt der Geländeab fall. Hier befand sich der flache Teil der Senke. Rechts davon begann die Schlucht, jene Spalte, die immer tiefer wurde und im Zickzack verlief. »Nur für die Tejonther«, sagte ich. »Wohlgemerkt, das ist nur mein Versuch der Erklärung. Nicht mehr, aber auch nicht we niger, Freunde. Jedenfalls scheint es mir, daß sich das kosmische Leuchtfeuer jetzt entzündet. Vorher hat es nur geschwelt.« Karsihl ächzte schwerfällig: »Das könnte eine logische Erklärung sein. Jetzt lodert dieses unsichtbare, aber deutlich zu spürende Leuchtfeuer auf. Es zeigt den Tejonthern den Weg, aber es schreckt alle anderen Wesen ab.« »So sollte es wohl gedacht sein!« Wir landeten schweigend vor unserem Ziel. Nur die hochfliegende Masse gelben Staubs würde jetzt den Wartenden unseren Standort zeigen. Wir befanden uns dicht bei einander und außerhalb der direkten Beob achtungsmöglichkeit. Ich überlegte. Hatte ich recht? Stimme es, was ich dachte? Der Druck der Strahlung wurde tatsäch lich stärker. Ich fühlte meine Zunge kaum, und je mehr wir sprachen, desto undeutli cher wurden die Worte. Trotz der Drogen
33 verstärkte sich also die Strahlung. Eine kur ze Phase der Niedergeschlagenheit packte mich, als ich mich neben Crysalgira und dem schweigenden Karsihl neu orientierte. »In diese Richtung!« sagte Crysalgira mit gepreßter Stimme. Wir sahen uns an und wußten, daß wir beide das gleiche dachten. Ich fühlte hinter dem einsetzenden Kopf schmerz und der Emotiostrahlung die Ge fahr, die mit jedem Sprung zunahm. Die Zeit verging unbarmherzig. »Ja. Genau in dieser Richtung. Nächstes Ziel ist der kleine runde Hügel!« erklärte der Lopsegger. »Verstanden.« Noch sprachen wir miteinander, noch würden sie im Schiff nicht in Panik verfallen und womöglich ein Kommando aus schicken, das uns holte. Blitzartig durch zuckte mich ein gespenstischer Gedanke. Die Strahlungsintensität nahm zu. Das be deutete, daß der Zeitpunkt gekommen war, an dem sich die Flotte nach diesem Leucht feuer der Gefühle orientieren mußte. Die Kreuzzugflotte war also im Anflug und wür de in Kürze hier erscheinen, um eine Kurs korrektur durchzuführen. Sie würden die drei Tejonther abholen wollen. Dabei wür den sie schon beim ersten Funkkontakt mer ken, daß die Station schwieg, die drei Män ner tot waren. Das brachte uns und das Schiff in äußer ste Gefahr. In dem isolierenden Raumanzug hörte ich das Pochen meines Herzens. Keine Panik! Ihr habt die Basis bald er reicht! meinte der Extrasinn besänftigend. Die Station war vom Planeten zum Mond geholt worden, weil vielleicht die Lufthülle von Ofanstände die Richtstrahl-Wirkung der Strahlen nicht gewährleistete. Es konnte leicht sein, daß die Emotiostrahlung von ei ner Art war, die tatsächlich durch ein Medi um wie Luft oder Strahlengürtel zerstreut oder stark abgeschwächt werden konnte. Eines war für mich jedoch sicher: Der Umstand, daß wir immer mehr unter der Strahlung litten, hing nicht mit der feh lenden Lufthülle zusammen. Die Strahlung
34 verstärkte sich, weil die Flotte sich näherte. Das war der wirkliche Grund. »Es wird schwieriger, Atlan!« sagte Kar sihl, kurz bevor wir auf der Spitze des Hü gels landeten. Wir befanden uns jetzt minde stens hundert Meter unterhalb der ebenen Fläche, auf der das Raumschiff stand. »Willst du umkehren, Karsihl-HP? Es würde dir helfen und uns etwas von unserer Verantwortung nehmen!« fragte Crysalgira mit weicher Stimme. »Nein. Ich bleibe!« sagte er kurz. Nacheinander landeten wir am Eingang der riesigen Erdspalte. Noch immer war uns der Blick auf die Kuppel der Basis verwehrt. Die Schlucht verlief zickzackförmig, und die Wände versperrten den Blick. Ich packte die Schulterklappe des Raum anzugs, in dem Karsihl steckte. Die vielen Augen sahen mich an, aber ich konnte kei nerlei Ausdruck erkennen. Ich senkte meine Stimme und hoffte, daß hoffentlich nicht ge rade Germyr im Schiff mit gespannter Auf merksamkeit zuhörte. »Karsihl«, sagte ich drängend, »du leidest mehr unter der Gefühlsstrahlung als wir. Sie wird ununterbrochen stärker. Lange wird die Isolierung des Schiffes die anderen auch nicht mehr recht schützen können. Kehr um, solange noch Zeit ist.« »Nein, Atlan. Ich will wissen, was dort auf uns lauert. Vielleicht können wir die Ba sis sprengen. Kampfstoffe habe ich genug bei mir.« Er deutete auf die flachen, kastenförmigen Elemente mit fremden Schriftzeichen, die an seinen breiten Gürtel gehakt waren. »Du hast gehört«, fuhr Crysalgira fort, »was Atlan eben gesagt hat. Sie haben im Schiff die Flotte gewarnt, unsere Flotte mei ne ich. Ich habe Teile der Funksprüche ver standen.« Karsihl-HP faßte in einer seltsam vertrau te Bewegung unsere Oberarme und versi cherte: »Ich halte es noch eine Weile aus. Außer dem habe ich genügend Würzung. Ich gehe mit. Umkehren kann ich noch immer, Freun-
Hans Kneifel de.« Ich hatte keine Möglichkeit, festzustellen, ob er log oder sein Gesicht nicht verlieren wollte, oder ob er die Wahrheit sprach. Aber bisher hatte er sich klug, umsichtig und mu tig verhalten. Es gab keinen Grund, an sei nen Worten zu zweifeln. Ich selbst aller dings merkte, daß die Intensität abermals zu genommen hatte. Ich fragte leise: »Wie geht es dir, Crysalgira?« Sie stieß ein sarkastisches Lachen aus. »Nicht schlechter und nicht besser als dir, Prinz.« »Gut!« sagte ich entschieden. »Weiter!« Wieder rissen uns die Aggregate vom Bo den hoch. Der schwere Staub rutschte von den glatten Oberflächen der Stiefel und der Schienbeine. Der Anzug, den ich trug, war leidlich bequem, solange ich mich nicht ge zielt in ihm bewegen mußte. Wir flogen hin tereinander auf den nächsten Zielpunkt zu. Es war ein Felsband in der Mitte der Wand, die geradeaus lag. In mindestens drei Ecken wichen die schrägen, oftmals über hängenden Wände der Schlucht vor uns zu rück und sprangen wieder vor. Auf jedem Felsteil, jeder der gelbweißen Nasen lag eine dicke Haube aus Staub. Wir sanken langsam auf das Felsband nieder und drehten uns um. Jetzt lag, etwa zweitausend Meter entfernt, die Basis in unserem Rücken. »Weiter?« fragte ich, als ich sah, daß Kar sihl mich ansah. »Ja. Ich schaffe es!« knarrte er. »Ich glau be, es ist im Augenblick leichter geworden.« Ich merkte nichts. Crysalgira schüttelte leicht ihren Kopf. Sie spürte also auch kein Nachlassen der Gefühlsstrahlung. Hin und wieder schlug eine Woge von Verzweiflung und Niedergeschlagenheit, von Weltekel und Selbstmordbereitschaft über mir zusam men, und meinen beiden Mitkämpfern ging es nicht anders. Ich dachte an die verrinnen de Zeit und sagte: »Starten wir wieder. Durch die Mitte der Schlucht, nach Möglichkeit bis zur Basis.« »Einverstanden!« erwiderte der Lopseg ger. Mein Herz schlug jetzt wie rasend. Die
Ein Mond ohne Namen Gefahr war nicht greifbar, es gab keinen Gegner. Es war die klassische Situation, vor der sich jeder fürchtete. Der Feind bewegte sich im Dunkel und war unsichtbar. Wir stießen uns ab und schwebten schräg vorwärts. Wir befanden uns schätzungswei se zweihundert Meter über dem Grund der Schlucht. Wir hielten unsere Höhe, aber der Boden sank alle hundert Meter, die wir im Zickzack vordrangen, um ein paar Meter ab. Abenteuerlich abgebrochene und gemaserte Felswände zogen an uns vorbei. Eine unbe wegliche, erstarrte Landschaft, die vor Jahr millionen entstanden sein mochte. Nicht ein mal der Mondstaub rieselte von den Erhe bungen, als wir vorbeischwebten. Es mußte mein Gefühl für Gefahren ge wesen sein, das mich dazu brachte, meine Geschwindigkeit zu drosseln und Crysalgira, dann Karsihl-HP an mir vorbeischweben zu lassen. Es geschah alles zu schnell, ganz un erwartet. Zuerst hörte ich einen Schrei. Karsihl! flüsterte das Extrahirn. Dann bemerkte ich, wie Karsihl, noch im mer schreiend und stöhnend, wild um sich zu schlagen begann. Einmal mußte er den Schalter des Schwebeaggregats berührt ha ben, denn er drehte sich, begann sich in ra sender Geschwindigkeit hochzuschrauben. Schließlich packten seine Hände die Ver schlüsse des halbmondförmigen Helms und rissen sie auf. Ich verstand nur noch: »Sie wollen, daß ich sterbe. Ich kann nicht …« Die Verschlüsse rissen auf. Eine weiße Wolke, die sich schnell auflöste, umgab das Kopfteil des Anzugs. Karsihl drehte sich und stieg höher. Er kam aus der Senkrech ten. Das ausströmende Luftgemisch bildete eine Art Raketenschweif, als der Sterbende schräg gegen eine Felswand raste, dort schwer aufschlug, abermals in eine andere Richtung gesteuert wurde und dann mit plat zenden Lungen und aufreißenden Gefäßen waagrecht durch die Schlucht raste. Er dreh te sich noch immer wie das Geschoß aus ei ner Waffe mit Treibladung.
35 »Atlan! Er stirbt!« schrie Crysalgira. Er war schon tot, als der Anzug mit furchtbarer Gewalt gegen die gegenüberlie gende Felswand geschmettert wurde. Das Scharnier des Helms riß ab, und die durch sichtige Schale flog davon. Der Ort des Aufschlags, auf den wir beide jetzt zurasten, lag im tiefschwarzen Schlag schatten. Einen Augenblick lang klebte der tote Lopsegger an der Wand, dann rutschte er langsam daran herunter. Seine Arme wa ren nach oben ausgestreckt. Aus dem Ener gieteil zuckten dreimal hintereinander kleine Blitze, dann wurde der Sturz schneller. Wir stießen wie die Adler schräg abwärts, aber wir waren zu langsam. Vor unseren Au gen fiel Karsihl senkrecht nach unten, schlug in eine dreieckige Düne aus Staub, der sich in den vergangenen Äonen dort an gehäuft hatte. Eine Staubwolke breitete sich aus und verhüllte das Bild. Als der Staub sich langsam senkte, konnten wir nur noch einen kleinen Trichter erkennen, von dessen Rändern der gelbe Staub nach unten rieselte und das Loch wieder füllte. »Karsihl-HP ist tot. Und begraben!« mur melte Crysalgira gebrochen. »Und wir sind zu spät gekommen. Konnten wir ihm nicht mehr helfen?« Ich schaltete mein Gerät ab, als wir neben dem riesigen Staubhaufen landeten und zu sahen, wie mehr und mehr von der pulvrigen Substanz nachsackte. »Wir konnten nicht helfen. Wir kamen zu spät. Er hat seine Widerstandskraft über schätzt, aber mit unserer ist es auch nicht mehr weit her!« sagte ich. Im gleichen Augenblick dröhnten die Helmlautsprecher auf. Offensichtlich hatten sie im Schiff die Sendekapazität heraufge setzt. »Hier spricht Germyr-HP. Warum seid ihr so schlecht zu verstehen?« Ich begriff. Die Felswände schirmten die Antennen ab. Ich drehte an dem Knopf, den ich identifiziert hatte, darin sagte ich durch das statische Rauschen: »Ist es jetzt besser?«
36 »Ja. Soeben haben unsere Schiffe, die am Rand des Systems warten, eine Meldung von höchster Dringlichkeit abgegeben.« Schon jetzt wußte ich, wie diese Meldung lauten würde. »Ich höre!« sagte ich. Crysalgira kam mit hüpfenden, langsamen Schritten näher und blieb direkt vor mir ste hen. Wir befanden uns auf einer staubbe deckten Geröllschicht. »Die Ortung hat die Annäherung einer riesigen Flotte von tejonthischen Schiffen bemerkt. Die Männer in der Station haben doch einen Notruf abgestrahlt. Kommt also sofort zurück, wir bereiten den Start vor.« Es war soweit. Sie kamen. Also stimmte meine Theorie – ein schwacher Trost. Ich schluckte und sagte zögernd: »Germyr?« »Ja? Ihr kommt sofort zurück. Ich weni gen Minuten starten wir. Unsere Schiffe ha ben Befehl bekommen, sich zurückzuziehen. Wir sind die Nachzügler.« Ich sagte, ihn unterbrechend: »Wir kommen, aber wir sind nicht mehr vollständig, Germyr-HP!« Er schnarrte zurück: »Wie soll ich das verstehen?« »Karsihl-HP hat …« »Wie? Was? Sprich deutlicher. Der Emp fang ist verzerrt, deine Stimme ist undeut lich. Ich verstehe nichts … Ruhe dort hinten, hört ihr nicht, daß …« Ich sagte laut, langsam und scharf akzen tuiert: »Karsihl-HP hat in einem Anfall, hervor gerufen durch die starke Strahlung, seinen Raumanzug geöffnet und ist gestorben. Sein Grab im Mondstaub befindet sich direkt vor Crysalgira und vor mir.« Als ich ausgeredet hatte, herrschte sowohl direkt vor dem Mikrophon, als auch in dem Raum, aus dem Germyr sprach, lastende Stille. Die undeutlichen Geräusche und Lau te des startbereiten Schiffes kamen schwach über die Funkverbindung in die winzige Zel le, die Helm und Raumanzug bildeten. »Karsihl ist tot. Die verdammte Strah-
Hans Kneifel lung. Ihr seid sicher?« »Er öffnete den Helm und zerschmetterte sich an einer Felswand!« erklärte ich laut. »Ich habe einen Freund verloren, und un sere Flotte einen Anführer. Wir starten, Leu te!« schrie Germyr. Ich traute meinen Ohren nicht und gab Crysalgira einen Wink. Mir brach der Schweiß aus. Ich vergaß Basis, Strahlung und Karsihl. Ich dachte nur noch daran, daß die Lopsegger ohne uns starteten. Wir schalteten fast gleichzeitig die Aggre gate ein. »Schnell, Crysalgira!« sagte ich keu chend. »Es geht um unser Leben. Dieser Wahnsinnige bringt es fertig und läßt uns hier zurück!« »Das kann ich nicht glauben!« »Du wirst es glauben müssen!« Keine Verzögerung. Sie starten tatsäch lich! Hör auf die Kommandos im Helmfunk, meldete sich der Extrasinn. Wir stiegen mit höchster Aggregatleistung in die Höhe. An unseren Augen glitten die Schrunde, Maserungen und Ablagerungen der Felswand vorbei und abwärts. Es dauerte scheinbar endlose Zeit, bis wir den oberen Rand erreichten und freies Blickfeld hatten. Ununterbrochen hörte ich die Kommandos aus dem Schiff, verstand einige davon und begann immer deutlicher zu ahnen, daß Ger myr-HP tatsächlich vor Furcht, seine Flotte zu verlieren oder den Tejonthern nicht mehr entkommen zu können, starten würde. Mei ne Finger zitterten unkontrolliert, als ich das Gerät umsteuerte und meinen Körper in eine waagrechte Flugbahn zwang. Neben mir schwebte die Prinzessin. »Germyr! Warte auf uns! Wir schweben direkt in die Schleuse ein! Öffne die Schleu se!« schrie ich in panischer Angst. Wir schwebten, immer schneller werdend, über die letzten Felsen hinweg. Ich sah das Raumschiff und hörte keine Antwort. Nur ein Summen und Dröhnen in den übersteuer ten Lautsprechern. Das Schiff! Es befand sich bereits einige Meter über dem Mondboden und hüllte sich in eine Staubwolke ein, von der die unteren
Ein Mond ohne Namen Teile der Flossen verdeckt wurden. Die Personenschleuse war geschlossen. »Nein!« schrie Crysalgira auf. Mich über schwemmte eine Welle von Selbstmitleid und Angst, gemischt mit dem sicheren Wis sen, sterben zu müssen. »Dieser Feigling!« murmelte ich und biß, ohne es zu merken, auf meine Lippen. Das Schiff hob sich höher und höher, wurde schneller und startete in den pech schwarzen Himmel. Einen Augenblick konnten wir noch die lodernden Triebwerke sehen, dann vermischte sich dieser Impuls mit dem Leuchten der Sterne. Das Raum schiff änderte seine Richtung und raste da von, den wartenden Schiffen am Rand des Systems entgegen. Dann bewies ein kurzes, scharfes Knacken, daß jemand die Funkverbindung mit uns ausgeschaltet hatte. Ich öffnete das Sauerstoffventil eine Kleinigkeit und atmete tief durch. Ich hörte die Stimme meines Lo giksektors flüstern: Es gibt nur zwei Wahrscheinlichkeiten, zu überleben. Die Basis oder die Schutzstati on. Wir schwebten noch immer geradeaus. »Sie haben uns tatsächlich zurückgelas sen«, sagte Crysalgira, noch immer fas sungslos. »So ist es!« sagte ich, mich mühsam beru higend. Der erste Schrecken war vergangen und machte schneller Überlegung Platz. Ich änderte geringfügig die Richtung des Fluges und spürte wieder eine lange Welle der Strahlung. Jetzt besaß ich nur noch drei Würfel. »Wir fliegen zur Station, Crysalgira. Dort sind unsere Überlebenschancen noch am höchsten.« »Aber … sie ist zerstört!« »Wir werden sie vielleicht provisorisch reparieren können. Und mit Sicherheit lan det hier ein Schiff der Tejonther. Wir sind nicht deren Feinde, was immer auch gesche hen ist.« Zwar änderte sie auch die Richtung, aber erst später sagte sie leise und mit deutlichen
37 Spuren des Entsetzens in der Stimme: »Ich kann es noch immer nicht begreifen, Atlan. Wir sind tatsächlich allein auf diesem Mond ohne Namen.« Ich versuchte einen grausigen Scherz und führte aus: »Auch wenn er einen Namen hätte, würde dies unsere Lage nicht sonderlich verbes sern.« Wir schwebten dicht über dem Boden langsam auf die Station zu, die wir undeut lich vor uns erkannten. Das Gelände war un regelmäßig und stieg an. Langsam würden sowohl die Luftvorräte zu Ende gehen als auch die Energieeinheiten des Fluggeräts. Vielleicht hatte ich diese panische Reakti on von Germyr-HP selbst ausgelöst, als ich ihm den Tod Karsihls mitgeteilt hatte. Er wäre sicher nicht ohne Karsihl gestartet – aber an einen solchen Zusammenhang hatte ich nicht einmal flüchtig gedacht. Und jetzt war es zu spät. »Eines ist sicher«, sagte ich durch die zie henden und pressenden Wellen der Emotio strahlung. »Was?« »Die Flotte, die von den fünfunddreißig wartenden Schiffen gemeldet wurde, ist nicht nach einem Notruf der drei Tejonther gekommen. Wo immer sich die Flotte aufge halten hätte, kein Schiff wäre in der kurzen Zeit hier erschienen. Es sind nur Stunden seit dem Gefecht vergangen.« »Du hast sicher recht!« sagte sie. »Aber das alles hilft uns nicht mehr. Wir müssen überleben, Atlan.« »Prinzessin – wir werden überleben!« versprach ich ihr, ohne genau zu wissen, wie wir dies anstellen sollten. Ich rief mir die übertragenen Bilder der zerstörten Station ins Gedächtnis und versuchte, trotz aller hin derlichen Umstände, einen Weg zu finden. Wir schwebten über den letzten Hang, schräg aufwärts, in Schlangenlinien um rie sige Felsen herum. Als wir nur noch zwei hundertfünfzig Meter freies Gelände zwi schen uns und dem Würfelsystem hatten – dessen Schleuse auf der uns abgewandten
38 Seite lag, wie auch die Öffnung, die der Treffer des Schiffsgeschützes verursacht hatte –, blitzte ein Reflex dort oben auf. Unmöglich! Oder es bewegt sich etwas! schrie der Extrasinn lautlos. Gleichzeitig sah ich, wie zwei Handbreit neben meiner Brust ein Krater in einem der Felsen erschien, wie Steinsplitter und Trop fen glühenden Steins nach allen Seiten spritzten, wie eine Wolke verbrannter Sub stanzen sich rasch auflöste. »Wir werden beschossen Crys!« rief ich atemlos. »Sofort auseinander und in Deckung.« Sie reagierte schnell und sicher. Ein zweiter Schuß zuckte zwischen uns hindurch und ließ einen Stein zersplittern, der auf einem Felsblock lag! Crysalgira schaltete ihr Aggregat auf Höchstleistung, driftete schräg aufwärts aus ihrem Kurs und steuerte nach rechts. So schob sie sich hinauf auf das Felsenband und brachte die Masse der Station zwischen sich und den Schützen. Ich tauchte abwärts und wurde schneller. Im Zickzack glitt ich dicht über dem Boden dahin, nützte jede Deckung aus und schob mich nach links. Hin und wieder glühte eine Staubwolke neben mir auf, aber die Schüsse des Unbekannten gingen an mir vorbei. Also lebte dort noch einer der Tejonther! Er muß außerhalb der Station gewesen sein, sagte der Extrasinn. Wir kamen fast ungesehen von zwei ver schiedenen Seiten auf die Station zu. Vor mir lag die offene Schleusentür. Mit einem Seitenblick erkannte ich, daß das Explosi onsloch mit einer dicken Folie notdürftig ab gedichtet war. In der Schleuse stand ein Te jonther im Raumanzug – deutlich sah ich den schwarzen Pelz seines Kopfes. Noch sechzig Meter. Ich schaltete auf volle Fahrt. Der Tejon ther hielt sich mit einer Hand an einem Griff der Schleuse fest, blickte in die Richtung, in der er einen von uns vermutete und zielte ebenfalls dorthin. Ich raste dicht an der Fels wand vorbei und landete hart im zusammen-
Hans Kneifel getretenen Staub. Sofort hob ich beide Ar me. Der Tejonther fuhr herum und zielte ge nau auf meinen Kopf. Ich versuchte, keine auffallenden oder zweideutigen Bewegungen zu machen. Ich befand mich in einem tejonthischen Raum anzug, und mein Gegner dort ebenfalls. Er starrte mich entgeistert an. Ich schaltete das Funkgerät auf die bisher benutzte Frequenz, die wir im Schiff geändert hatten. Sofort hörte ich tejonthische Worte. Ich kannte die se Sprache kaum; nur ein paar Worte. »Ich Freund!« sagte ich deutlich. »Nicht töten.« Langsam ging ich auf ihn zu. Deutlich mußte er die Waffe im Gürtel des Anzugs sehen können. Noch zögerte er. Er schien zu verstehen, daß ich seine Sprache nur schlecht sprach und verstand. Er sagte kurz: »Hereinkommen, Fremder!« Ich winkte nach hinten und erwiderte: »Noch einer. Ausgesetzt auf Mond.« »Warten!« Er bückte sich und zog die Waffe aus meinem Gurt. Ich blieb neben ihm stehen. Erkannte er, daß ich den Anzug seines getö teten Kameraden trug? Ich folgte seinem Blick, der einmal kurz abirrte und sich dann wieder auf Crysalgira heftete, die deutlich sichtbar näher schwebte. Dicht unter der Felswand sah ich drei längliche Staubauf werfungen, auf denen unkenntliche Gegen stände lagen. Drei Gräber also. Die Station war für vier Mann eingerichtet. Ich merkte, daß die Pause zu lange dauer te und sagte in der fremden Sprache: »Ich. Du. Wir – Frieden.« Er zögerte wieder, fragte endlich: »Name? Du.« Ich deutete auf meine Brust und erklärte: »Ich Atlan. Die dort: Crysalgira.« »Verstehen. Ich Troomies-Dol.« Er war also ein gesellschaftlich hochste hender geschlechtsloser Tejonther. Die Prin zessin kam heran, landete vor uns und schal tete ihr Flugaggregat ab. Auch sie hatte auf die alte Frequenz umgeschaltet. Aber erst jetzt sprach sie. Bisher hatte sie wohl ver
Ein Mond ohne Namen sucht, aus unserer kargen Unterhaltung ge wisse Schlüsse zu ziehen. Sie hob die Hand und lächelte TroomiesDol an. »Ich bin Crysalgira. Wir kommen in Frie den!« sagte sie. »Gib ihm deine Waffe«, meinte ich. Die unmittelbare Gefahr schien vorbei zu sein. Trotzdem waren meine Nerven bis zum Zer reißen gespannt. Im Augenblick hielt sich der Druck der Emotiostrahlung in Grenzen. Vorsichtig zog Crysalgira die Waffe aus dem Gürtel und reichte sie Troomies-Dol. Er nahm sie schweigend entgegen und deutete in die Schleuse. »Kommen!« sagte er trocken. Wir folgten und stiegen auf die Platte, dann schloß sich die äußere Schleusentür. Licht flammte auf. Der Außenlautsprecher würde jetzt funktionieren, denn ich sah an aufwirbelnden Staubresten, daß Atemluft in den Kubus strömte. Jetzt wäre eine gute Ge legenheit gewesen, den Tejonther anzugrei fen und zu entwaffnen, aber es gab keinen Grund. Wir waren keine Gegner; unser Zu sammenprall geschah zufällig. Die nächsten Minuten würden viel entscheiden. »Fertig!« sagte Troomies-Dol, als der Druckausgleich hergestellt war und die inne re Schleusentür aufschwang. Als wir den er sten Raum betraten, der offensichtlich der größte und bestausgestattete war, griff Troo mies-Dol an die Helmverriegelung und öff nete seinen Raumanzug. Aber er blieb an ei ner Stelle stehen, von der aus er jederzeit auf uns feuern konnte. »Riskieren wir es?« fragte Crysalgira. »Ich denke, es ist ungefährlich!« sagte ich und half ihr, die Helmverschlüsse zu lösen. Als wir den Helm zurückschlugen, merkten wir erst wieder, wie infernalisch die Wür zung roch. Jeder von uns verfügte noch über zwei Würfel. Ich hatte einen dritten in der Brusttasche des Anzugs. Wir legten die Hel me ab. Die Atemluft war kühl und frisch. Ich sah, daß das Innere der Station schnell und so gründlich wie möglich gereinigt und aufgeräumt worden war.
39 Viele der Anlagen funktionierten noch – oder waren eingeschaltet worden. So genau konnten wir das nicht unterscheiden. Mit drohender Stimme sagte Troomies-Dol zu Crysalgira: »Ihr aus Schiff von Lopsegger?« »Sie haben uns mitgenommen. Wir sind Fremdlinge in euren Welten!« Crysalgira sprach langsam und deutlich und führte entsprechende Gesten der Erklä rung aus. Der Tejonther schien fast alles zu verstehen. Natürlich erkannte er den Unter schied zwischen seinem und unserem Aus sehen und dem der Lopsegger. »Das Schiff hat die Station zerstört.« Ich nickte. »Die Station eröffnete das Feuer. Die Te jonther schossen zuerst.« »Warum habt ihr den Mond angeflogen?« Ich holte tief Atem und erklärte: »Wir wollen zurück in unsere Heimat. Es gibt viele Hindernisse auf diesem Weg. Wir sind ausgesetzt und verschlagen worden. Wir sind auf die Hilfe von euch und anderen angewiesen.« »Verstehen. Kommen – sehen!« Er winkte, noch immer mit der erhobenen Waffe. Wir folgten ihm langsam. Wir durch querten den Raum, gingen durch ein Verbin dungselement und in den anschließenden Würfel hinein. Die Linsen des Aufnahmege räts der Lopsegger hatten diesen Eindruck nicht gezeigt. »Hier Ortung!« sagte der Tejonther und deutete auf einen Bildschirm, der kaum klei ner als neun Quadratmeter war. Die riesige Vergrößerung eines Ortungsbildes. Tausen de von Energieechos und einige deutliche Formen zeichneten sich ab. »Was ist das?« fragte ich trotzdem. »Mithuradonk-Sonnensystem. Unsere Schiffe. Schiffe des Gegners. Sehen. Bald Kampf!« Crysalgira flüsterten auf Arkonidisch: »Die Kreuzzugflotte!« Ich stöhnte auf. Das Bild wurde durch die Bedeutung klar. Wir erkannten den letzten der vielen Plane
40 ten, eine lebensleere Eiskugel. Ihm näherte sich die Vorhut einer gewaltigen Flotte. Die Schiffe bildeten, gekennzeichnet durch die kleinen, stechenden Energieechos, eine Art offenen Trichter, von dessen Rändern ein zelne Flottenteile sich auf die eng zusam menstehende Flotte der Lopsegger stürzt ten. Die Lopsegger hatten jetzt noch eine winzi ge Chance, zu entkommen, denn der Trich ter hatte sich noch nicht geschlossen. Tatsächlich lösten sich aus dem kleinen, dichten Klumpen einige Punkte auf und be wegten sich in die Richtung des noch freien Raums. Eine Störung flimmerte über den riesigen Bildschirm. Jetzt war ich davon überzeugt, daß der fräsende, kratereinebnende Strahl von hier aus gesteuert worden war. Ich hütete mich aber, den Tejonther darauf anzusprechen. »Es muß der Kreuzzug sein, Atlan!« »Unbedingt«, sagte ich nachdenklich. »Es gäbe sonst meines Wissens keinen Grund, eine solch gewaltige Flotte zusammenzuzie hen.« Jedenfalls war das kosmische Leuchtfeuer der Gefühlsstrahlung in vollem Betrieb und hatte die Flotte hierher gelotst. Ich war rat los. Was konnten wir an dieser Stelle tun? Grelles Licht explodierte zwischen den Störungslinien des Schirmes, und dann stand das Bild wieder scharf da. Wir sahen, daß sich die Einheiten der Riesenflotte auf die Schiffe der Lopsegger stürzten. Die Raum schiffe beschossen einander, das war deut lich zu sehen. Blitze zuckten zwischen ein zelnen Einheiten hin und her. Ab und zu verschwand eines der Echos vom Schirm und sagte uns, daß ein Schiff detoniert war. »Sie kämpfen. Unsere Schiffe siegen!« sagte Troomies-Dol ohne erkennbare Re gung. Seine gelben Augen schimmerten im Licht, das vom Schirm und den beleuchteten Skalen ausging. »Kein Wunder«, sagte ich langsam. »Es sind auch viel mehr!« Die kleine Flotte der Lopsegger wurde vor unseren Augen aufgerieben. Immer wie der zuckten die Blitze auf. Es gab keinen
Hans Kneifel Unterschied zwischen den Echos, die von te jonthischen oder lopseggischen Schiffen verursacht wurden. Aber jedes der Schiffe, die zu fliehen versuchten und mit größter Beschleunigung aus dem Zentrum hinausra sten, verschwand. Ein Echo nach dem ande ren erlosch, nachdem es der Mittelpunkt von einem Spinnennetz aus feinen, aber tödli chen Strahlen gewesen war. Jetzt gab es nur noch vier Echos, die aus dem Zentrum des sich unbarmherzig zusammenkrümmenden Trichters zu entkommen versuchten. Ein Schiff raste weit voraus davon – ver mutlich war es das Flaggschiff mit GermyrHP ab, Bord. In einigem Abstand folgten drei weitere winzige Echos. Sie wurden von einem unübersehbaren Schwarm der Kreuz zugflotte verfolgt und beschossen. »Der endgültige Untergang ist nur noch eine Frage von Minuten, Atlan«, sagte Crys algira, die ebenso ratlos war wie ich. Mit jedem verschwindenden Ortungsecho vermin derten sich unsere Chancen drastisch. »So ist es. Und ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Vielleicht sagt uns unser Freund hier, was in der Gefühlsbasis ver steckt ist.« Der Kreuzzug nach Yarden hatte begon nen. Wir beide befanden uns in der Klemme. Die Sauerstoffvorräte konnten nicht ewig reichen, und die Station würde uns auch nur kurze Zeit Überlebensmöglichkeiten bieten. »Er wird ein Schiff herbeirufen, das ihn abholt!« sagte Crysalgira. »Aber ob es uns nach Yarden bringt, ist zweifelhaft. Vermutlich werden sie uns stell vertretend für Germyr und Karsihl bestra fen.« Troomies-Dol deutete mit dem Lauf sei ner Waffe auf den Schirm. Wir sahen deut lich, wie das erste flüchtende Schiff der Lopsegger von vorpreschenden tejonthi schen Einheiten überholt, in die Zange ge nommen und vernichtet wurde. Kurz darauf waren auch die letzten lopseggischen Schif fe vom Ortungsschirm verschwunden – aus gelöscht. »Fremder Atlan!« sagte Troomies-Dol
Ein Mond ohne Namen laut und zielte mit der Waffe auf meine Brust. »Ich hole jetzt ein Schiff.« »Warum?« fragte Crysalgira. Deutlich stieg die Spannung zwischen uns dreien in dem halbdunklen Raum. »Mich abholen. Über euch beraten.« »Was werdet ihr mit uns machen?« »Nicht wissen. Vielleicht bestrafen!« Troomies-Dol drehte sich halb herum und machte einen Schritt in die Richtung auf den anschließenden Raum. Jetzt hatte ich noch die Möglichkeit, das Gesetz des Handelns an mich zu reißen. Sollte ich oder sollte ich es nicht versuchen? Es würde die letzte Chance sein. Entschließe dich zum Handeln! schrie der Extrasinn. Ich versuchte, den schlecht sitzenden Raumanzug zu ignorieren, spannte meine Muskeln und warf mich mit weit vorge streckten Armen auf den Tejonther. Im glei chen Moment packte Crysalgira in einer aus holenden Bewegung einen Gegenstand und schleuderte ihn nach dem Kopf des Mannes. Wir prallten aufeinander.
5. Meine linke Hand packte die Waffe am Lauf. Der Tejonther drückte ab und feuerte schräg an meiner Hüfte vorbei in den Pan oramaschirm. Mit einem donnernden Kra chen barst die riesige Röhre und jagte einen Schauer von Splittern durch den Raum. Ich rammte Troomies-Dol meinen Ellbogen in die Brust, hieb nach seinem Handgelenk und versuchte, die Waffe aus seinen Fingern zu hebeln. Er ließ sie los und versetzte mir mit dem Handschuh des Raumanzugs einen Hieb gegen die Schläfe, der mich zwei Me ter zurückschleuderte und in die Trümmer des Schirmes warf. Aber ich hatte ihn nicht losgelassen; er wurde mitgerissen und schlug schwer neben mir auf den scherben übersäten Boden. Ich wirbelte, herum und warf mich auf ihn. »Ich will … dich … nicht töten«, keuchte
41 ich und packte die Hand, mit der er nach mir schlug. Wir kämpften schweigend weiter. Er rutschte aus, drehte sich in der Luft und sprang in die Richtung, in der die Waffe lag. Crysalgira kam heran und trat die Waffe in eine Ecke. Ich warf mich wieder über ihn und versuchte ihn zu betäuben, indem ich zu einem gewaltigen Schlag ausholte, der ihn an der Schläfe treffen sollte. Er duckte sich, ich fälschte den Hieb ab und schmetterte meine Faust gegen die Halsblende des An zugs. Troomies-Dol stolperte rückwärts in den nächsten Würfel hinein und schlug gegen die Wand. Er riß ein schweres Werkzeug, das wie eine Axt geformt war, aus den Hal terungen und schlug damit nach mir. Ich blockte den Schlag mit dem verstärk ten Unterarm des Anzugs ab. Aber bei jeder Bewegung merkte ich, daß mich der unge wohnte Anzug behinderte. Gleichzeitig be wegten wir beide uns immerhin so schnell, daß Crysalgira nicht eingreifen konnte. Keu chend faßte ich, als der Tejonther wieder ausholte, nach dem Werkzeug. Ich konnte es dicht unterhalb des Griffs packen. »Hilf mir!« stöhnte ich auf, als der halb fehlgegangene Schlag schwer das Gelenk an der Schulter traf. Mit einem Fußhebel brachte ich den Te jonther zu Fall. Er kämpfte wütend, schwei gend und schnell. Außerdem befand er sich in einem Raumanzug, der genau auf ihn zu geschnitten war. Ich riß an dem Werkzeug, wand es aus seinen Händen und holte aus. Er sah mich aus seinen gelben Augen an. Als das schwere Werkzeug heruntersau ste, hatte ich noch die Wahl, ihm den Schä del zu spalten oder ihn zu betäuben. Aber ich achtete nicht auf seine Füße. Er lachte rauh auf und hakte einen Fuß um meine Beine, dann trat er mit dem anderen zu und warf mich um. Das Metallstück schlug schwer in ein Schaltpult ein. Funken sprühten, als ich mich zusammenkrümmte und abrollte. Dann erloschen schlagartig die meisten Lichter.
42 Crysalgira ist fort! flüsterte mein Extra sinn. Ich kam wieder auf die Beine und roch die verbrannten Materialien der ruinierten Schaltungen. Plötzlich hörte ich aus der va gen Dunkelheit vor mir schnelle Schritte, einen schwachen Aufschrei und dann einen kurzen, trockenen Schlag. Gleichzeitig summte etwas aus der Richtung der Schalt schränke, und eine Serie bläulich-grüner Notlampen schaltete sich ein. Ich taumelte schwer atmend zur Seite und ging langsam vorwärts. Ich fand keine Waf fe. Hinter der Wand tauchte Crysalgira auf, die einen kurzen, weißen Stab in beiden Händen trug. Vor ihr lag ausgestreckt Troo mies-Dol zwischen Scherben und Trüm mern. Er rührte sich nicht mehr. »Ich habe ihn betäubt. Vielleicht ist er auch tot, aber ich habe nicht schwer zuge schlagen!« sagte sie leise und ließ den Stab fallen. Er klirrte in die Scherben. Vorsichtig stieg Crysalgira über den regungslosen Te jonther hinweg und kam auf mich zu. »Danke«, sagte ich und sah mich um. »Auch wenn Troomies-Dol keine Schiff alarmiert hat – es ist logisch, daß hier über kurz oder lang eines landet. Schon allein deswegen, weil sich hier die Basis befindet.« Die Strahlung war in den letzten Minuten nicht stärker geworden, aber auch keines wegs schwächer! Wir waren allein, und jetzt erst spürten wir richtig die Wirkungen der Ausnahmesituation, in der wir uns befanden. Es gab keinen Handlungsspielraum mehr. »Ich habe Durst!« erklärte Crysalgira. »Erinnerst du dich, wo die Nahrungsmittel waren?« »Ich erinnere mich auch daran, wo die Er satzzylinder für die Atemluft waren«, meinte ich. »Gut. Nützen wir die Zeit.« Im trüben Licht der Notbeleuchtung gin gen wir an dem bewegungslosen Körper des Tejonthers vorbei und in den Raum, an den ich mich erinnerte. Wir fanden Konserven, die sich nach dem Öffnen selbst erhitzten und Dosen mit einer Flüssigkeit, die wie
Hans Kneifel Saft von exotischen Früchten schmeckte. Langsam tranken und aßen wir. Keiner von uns sprach, aber wir gingen hin und her und nahmen eine flüchtige Untersuchung der Umgebung vor. »Es gibt drei Alternativen für uns, Atlan!« meinte Crysalgira nach einer Weile und ließ achtlos eine leere Dose fallen. »Wir können die Gefühlsbasis untersu chen!« »Das ist die erste. Die zweite ist, hier zu warten und dann auf die Gnade der Schiffs besatzung angewiesen zu sein.« Ich nickte und trank eine der Dosen leer. Die Taubheit der Zunge und der Lippen hör te langsam auf. »Die dritte?« »Wir bleiben hier und verhungern, wenn kein Schiff kommt!« schloß sie. »Für wel che wir uns entscheiden, ist schwierig. Im merhin kämen wir vielleicht mit dem Schiff der Kreuzfahrer nach Yarden.« »Dieses ›Vielleicht‹ ist es, das mich stört«, sagte ich. »Und jetzt haben wir einen Zeugen dafür, daß wir Feinde der Tejonther sind.« Ich deutete in die Richtung, in der Troo mies-Dol lag, tot oder bewußtlos. Ich hatte inzwischen einen Schrank ge funden, der an ein System von Kompressi onsleitungen und wohl auch an den großen Lufttank der Station angeschlossen war. Hier lagerten mindestens dreißig der kleinen Zylinder, die hochkomprimierte Atemluft enthielten. Ich nahm zwei Zylinder heraus und setzte sie anstelle der gebrauchten in un sere Anzüge ein. »Einverstanden?« fragte ich, während Crysalgira Tafeln unbekannten, aber eßba ren Inhalts in die Taschen der Anzüge schob. »Einverstanden, Prinzessin, wenn wir unseren abgebrochenen Versuch neu star ten? Wir fliegen in die Richtung der Ge fühlsbasis, und wenn wir dort nichts errei chen, können wir uns noch immer bemerk bar machen, wenn ein Schiff hier landet.« Sie schenkte mir ein vages Lächeln. »Einverstanden!«
Ein Mond ohne Namen Wir suchten und fanden unsere Waffen. Noch immer lag der Tejonther regungslos am Boden; indes schien es mir, er habe sich geringfügig bewegt. Dann checkten wir ge genseitig die Anzüge und schlossen, als wir sicher sein konnten, die Helme. Kurz darauf öffnete sich vor uns die äußere Schleusentür. Die Funkgeräte arbeiteten hervorragend; die Übersetzungsgeräte hatten wir in der Station gelassen. Wir schalteten die Geräte ein, und genau in dem Augenblick, als wir mit Hilfe der Schwebeaggregate hochsteigen wollten, riß uns eine wilde Kraft schräg nach oben. »Das ist … Atlan! Jemand beeinflußt uns!« schrie Crysalgira auf. Traktorstrahlen! warnte der Logiksektor augenblicklich. Wir hoben, während uns eine unbekannte Kraft schräg aufwärts riß und von der offe nen Schleusentür der Station hinwegwirbel te, die Köpfe. Wir sahen einen bizarr ge formten, metallenen Flugkörper, der genau in diesem Augenblick in eine enge Wendung umsteuerte. »Das Ding muß aus der Basis gekommen sein!« sagte ich. Die Traktorstrahlen hoben uns höher und höher. Etwa zweihundert Meter über dem Boden hörte die Aufwärtsbewegung auf. Wir schwebten einige Sekunden lang hilflos und ohne Richtung in der Luft, dann steuerte der Flugkörper, in der Sonne hoch über un seren Köpfen aufblitzend, in die Richtung der Schlucht und der Basis. Wir wurden mit geschleppt. »Schalte dein Flugaggregat ein, Crysalgi ra«, sagte ich, mich mühsam zur Ruhe zwin gend, »falls die Traktorstrahlen plötzlich ab geschaltet werden. Trotz der geringen Schwerkraft ist ein Fall aus dieser Höhe töd lich.« Wir schwebten nebeneinander, etwa fünf Meter auseinander. Mit einigen Stößen ver änderten wir unsere Lage. Jetzt konnten wir wenigstens in die Flugrichtung sehen. »Eine neue Teufelei dieser verdammten Basis!« sagte ich schließlich. »Aber die
43 Strahlung hat nicht zugenommen.« Der Flugkörper wurde schneller, raste mit uns im Schlepp auf die Felsen und Wände der Schlucht zu und bremste schließlich ab. Wie das Gewicht eines Pendels schwangen wir nach vorn und wurden angehalten, als direkt unter uns ein gewaltiger, nageiförmi ger Felsen auftauchte. »Vorsicht. Sie wollen uns zerschmet tern!« stieß ich hervor und faßte den Multi schalter am Gürtel. Aber die steuernde Kraft dort oben ließ uns nicht fallen. Der Traktorstrahl ließ in seiner Kraft nach und senkte uns langsam ab, bis wir genau auf der flachen, diskusför migen Oberkante des hoch aufragenden Fel sens standen. Dann fühlten wir, wie die Be einflussung aufhörte. Ich packte das arkonidische Mädchen an beiden Unterarmen und drehte es halb her um. »Wir haben einen Logenplatz!« sagte ich. »Dort ist die Station, und dort sehen wir die Kuppel der Gefühlsbasis.« Die tellerförmige Fläche, auf der wir stan den, war gänzlich ohne Staub. Ihr Durch messer betrug nicht mehr als vier Meter. Vorsichtig setzten wir uns, dann beruhigten sich unsere Nerven ein wenig. »Was soll das nun bedeuten?« »Keine Ahnung«, entgegnete ich leise. Der eiförmige Flugkörper schwebte weiter in die Richtung der Basis und hielt an, als er die Schlucht erreichte. Er drehte sich lang sam, und seine metallenen Auswüchse und Träger blitzten auf. Ich drehte mich eben falls, und in mein Blickfeld kamen sofort zwei riesige, leuchtende Raumschiffe, die eben zur Landung ansetzten. Ich schaltete mein Funkgerät aus, griff an den Gürtel Crysalgiras und bewegte dort den entsprechenden Schalter. Dann beugte ich mich nach vorn und legte das Material mei nes Helmes an ihren Raumhelm. »Zwei Schiffe der Tejonther. Wir sollten uns flach hinlegen, dann entdecken sie uns vielleicht nicht.« Langsam veränderten wir unsere Stellung,
44 bis wir flach auf dem Bauch lagen und dort hin blickten, wo eben die Heckflossen der Schiffe den Boden berührten. Sie landeten noch näher als das Schiff Karsihls an der Station. Unsere Verständigung war etwas undeut lich, aber jedes Wort war klar. »Von Stunde zu Stunde werden die Vor kommnisse rätselhafter!« erklärte Crysalgi ra. »Warum sind wir aus der Station entfernt worden?« »Mir scheint, daß etwas oder jemand in der Gefühlsbasis alles steuert!« erklärte ich. Es war eine reichlich kühne Behauptung und kaum zu beweisen. »Und wer hat die Schiffe alarmiert?« »Sie sind vielleicht sogar ohne Notruf ge landet.« Aus dem Schiff schwebten zwei große, schwere Gleiter. In jedem der ausgeschleus ten Fahrzeuge saßen mindestens zehn Tejon ther in funkelnden Raumanzügen. Die Glei ter rasten hinüber zur Station und landeten dicht nebeneinander, unmittelbar vor den drei Gräbern. Raumfahrer sprangen hinaus und schwärmten aus. Es war fast wie ein Kom mandounternehmen, bei dem jede Bewe gung saß und zweckentsprechend war. Eini ge Männer verschwanden in der Station, an dere schienen Aufnahmen zu machen oder Untersuchungen anzustellen. Binnen kurzer Zeit bewegte sich ein Ring von etwa fünfzehn Raumfahrern rund um die Station. »Wenn sie den Bewußtlosen finden, wer den sie uns zweifellos suchen!« sagte ich. Noch während ich sprach, konnten wir se hen, daß drei Raumfahrer einen länglichen Gegenstand hinausschleppten. Es konnte ein Körper sein, der in eine verschweißte Folie eingewickelt war. Das längliche Paket wur de in die Druckkabine des Gleiters gelegt, dann tauchten die Männer wieder ins Innere der Station. Andere Raumfahrer kamen von ihren Plätzen und stiegen nacheinander ein, gin gen in die Station hinein oder aus ihr heraus.
Hans Kneifel Schließlich, nach rund zehn Minuten, wa ren die Gleiter wieder gefüllt, und nur ein einzelner Tejonther kam aus der Schleuse und setzte sich neben einen der Piloten. »Sie starten! Deckung!« zischte ich. Wir preßten uns ganz eng an den Felsen und be obachteten den Fortgang der Aktion. Sowohl die Station als auch die Schiffe waren nicht weiter als etwa zweitausend Meter vom Fuß des hohen Felsens entfernt. Aber die Gleiter machten nicht die geringsten Anstrengun gen, vom direkten Kurs auf die Schiffe ab zuweichen. In erstaunlich kurzer Zeit schwebten sie vor den Schleusen und schoben sich hinein. Wir warteten. »Ich glaube, sie starten, ohne die Gefühls basis besichtigt oder untersucht zu haben!« mutmaßte Crysalgira. »Du kannst recht haben. Es gibt Dinge, die zumindest wir nicht verstehen können, Gefährtin der Abenteuer.« »Noch nicht!« Die Lufthülle fehlte, sämtliche Vorgänge geschahen lautlos und wirkten dadurch noch plötzlicher und überraschender. Die Schiffe starteten, nachdem sie mit geschlossenen Schleusen eine Weile lang dagestanden wa ren. Wieder wirbelten sie eine Wolke Mond staub auf, schoben sich höher und rasten in einer fast senkrechten Flugbahn davon. Noch während der Staub sich senkte, schalteten wir die Funkgeräte wieder ein. Ich schüttelte, soweit diese Bewegung im engen Helm möglich war, den Kopf. »Das verstehe, wer will. Ich kann es nicht.« Langsam standen wir auf und blickten ei ne kurze Zeit den davonrasenden Raum schiffen nach, dann starrten wir hinunter auf die verlassene Station. »Weißt du, vermutlich suchen sie Dinge, die für uns vollkommen unwichtig sind«, versuchte Crysalgira eine Erklärung. »Oder für sie sind ganz andere Beobachtungen von entscheidender Bedeutung. Es ist ein ande res Volk, und wir sind in der Mikroweit mit allen ihren unbekannten Gesetzmäßigkeiten.
Ein Mond ohne Namen Sehen wir nach, was sie in der Station ge sucht oder zurückgelassen haben?« »Ja«, sagte ich. Wir starteten von unserem Nagelfelsen und schwebten in einem einzigen Absatz bis vor die geschlossene Schleusentür. Ich öff nete sie mit einem Handgriff und zog die Waffe, bevor wir auf den Druckausgleich warteten. Im Innern der Station brannte noch immer die Notbeleuchtung, aber schon nach einigen Schritten sahen wir, daß TroomiesDol fortgeschafft worden war. »Vorsicht. Sie können eine Falle einge baut oder Sicherungen aktiviert haben«, murmelte ich. Wir hatten nicht einmal die Helme geöffnet und gingen hintereinander durch die verwüsteten Räume. Aus dem zer schmetterten Schaltpult war das Metallfrag ment herausgezogen worden. Crysalgira hielt mich am Arm zurück und fragte stockend: »Dort vorn. Das flackernde Licht. Was ist das?« Mein Finger krümmte sich um den Abzug der Waffe. Die Station war U-förmig ange legt, und das kalte, flackernde Leuchten kam aus einem Raum, den wir nicht einsehen konnten. Vorsichtig gingen wir weiter. Noch immer hielt uns die Strahlung in ihrem Griff, aber sie war nicht mehr so stark wie früher. Oder vielleicht habt ihr euch inzwischen daran gewöhnt, flüsterte der Logiksektor. Auch das war möglich. Wir bogen um die Trennwand herum und sahen einen kleinen runden Bildschirm. Vielleicht war er auch bei unserem letzten Aufenthalt hier einge schaltet gewesen, und wir hatten ihn nicht beachtet. Wir blieben vor der Scheibe im Durchmesser von sechzig Zentimetern ste hen. »Dasselbe Bild wie vorhin!« sagte ich. »Es ist die Flotte der Kreuzfahrer nach Yarden!« kommentierte das Mädchen. Ich sah schweigend zu, wie sich die gewaltige Formation langsam veränderte. Aus dem noch erkennbaren Trichter wurde langsam eine Art Speerspitze, ein langgestrecktes El lipsoid mit scharfer Spitze.
45 »Die Flotte verschwindet aus dem Mithu radonk-System«, murmelte ich betroffen. »Sie geht auf den langen Marsch nach Yar den.« Die Formation zog sich auseinander. Die meisten Schiffe, hier als stecknadelkopf große Echos gekennzeichnet, bewegten sich mit der gleichen Geschwindigkeit. Aber jetzt verschwanden die ersten Schiffe der Flotte im Nichts. »Sie verlassen das Gefüge des dreidimen sionalen Raums«, versuchte ich die Erklä rung. »Ob ihr nächstes Ziel schon Yarden ist?« »Das weiß keiner von uns!« Wir starrten den Schirm an. Etwas anderes gab es nicht zu tun. Mechanisch sicherte ich die Waffe und schob sie wieder in den Gürtel. Bevor die Schiffe den Rand des Schirmes erreich ten, überschritten die Echos eine unsichtbare Linie, hinter der sie verschwanden. »Jetzt haben wir keinerlei Möglichkeit mehr!« sagte ich. »Nur noch die Gefühlsba sis. Und den seltsamen Flugkörper mit den Traktorstrahlen.« »Gehen wir!« entgegnete Crysalgira ent schlossen. »Es gibt nicht den geringsten Grund für uns, länger hier zu bleiben.« Ich stimmte zu. Es war ein schwacher Trost, aber diese Station konnte vielleicht unser Leben retten, falls wir beim Versuch, die Gefühlsbasis zu betreten, scheiterten. Solange wir noch han deln konnten, würde ich diesen Gedanken nicht aufgreifen, aber uns blieb noch diese Rettungsmöglichkeit. Wir verließen die Sta tion.
* Achtung! Über euch! warnte mich der Ex trasinn, aber es war bereits zu spät. »Das Flugobjekt! Es holt uns ab und bringt uns wieder irgendwohin!« rief Crysal gira, als wir wieder vom Boden weggerissen und auf dieselbe Weise nach oben ge schleppt wurden. Der eiförmige Flugkörper war über uns und zerrte uns mit seinen Trak
46 torstrahlen davon. Wir handelten automatisch, ebenso wie vor wenigen Minuten. Wir wurden quer über die Landschaft geschleppt und diesmal an dem Nagelfelsen vorbeidirigiert und auf die Schlucht zugesteuert. Wieder ließ die Kraft der Traktorstrahlen nach und setzte uns ab, dieses Mal aber in unmittelbarer Nähe des Basis. Gleichzeitig mit dem Augenblick, in dem die Sohlen unserer Stiefel den Boden eines schmalen Felsbandes berührten, schienen zwei Dinge zu passieren. Schlagartig ließ der Druck der Emotiostrahlung nach. Wir waren von dieser Beeinträchtigung frei ge worden. Das bedeutete, daß die Flotte auf ihrem Kreuzzug nach Yarden das Mithuradonk-Sy stem verlassen hatten. »Jetzt sind wir nicht nur allein auf dem Mond, sondern auch noch allein in diesem Sonnensystem!« knurrte ich. »Ich kann nicht sagen, daß dies zu meiner guten Laune bei trägt.« »Es hat immerhin den Vorteil«, antworte te Crysalgira, »daß wir diese gräßlichen Ge würzwürfel nicht mehr zu kauen brauchen.« Wir waren auf einem vorspringenden Ab schnitt derjenigen Felswand abgesetzt wor den, die sich fast halbrund ausbuchtete und den Boden der Gefühlsbasis so fest zu um schließen schien, als wären Fels und Stahl zusammengeschweißt. Von hier aus sahen wir zwar, wie der Flugkörper auf der uns ab gewandten Seite verschwand, aber wir konn ten keinerlei Hinweise darauf entdecken, daß es sich bei der Basis um eine Kugel han delte. Wenn es so war, dann ruhte sie fest in ei ner halbkugelig konkaven Mulde, die so groß wie der Boden der Schlucht war. Wir diskutierten einige Minuten lang dieses Pro blem, dann schlug ich vor: »Von hier oben sehen wir keine Schleuse, keinen Eingang. Wir sollten dort unten zu suchen anfangen.« »Gerade wollte ich dasselbe vorschla gen!«
Hans Kneifel Außerdem hatten wir keine andere Wahl mehr. Wir schalteten die Flugaggregate ein, schnellten uns von dem Felsband und schwebten ein Stück geradeaus, dann senk recht nach unten. Nachdem ich umgeschaltet hatte, erfaßte mich ein merkwürdiges Ge fühl. Ich wurde schwerelos. Ich fiel. Es dau erte eine Sekunde, bis ich begriff, was ge schehen war. Die Felswand raste vor meinen Augen aufwärts. Es waren mindestens zweitausend Meter bis zum Trümmerhaufen, der sich un ter der Felswand auftürmte, undeutlich zu sehen unter der dünnen Staubschicht. »Crys! Mein Flugaggregat setzt aus! Schneller, beschleunige und komm ganz na he heran.« Sie ächzte auf, handelte blitzschnell und bewegte sich seitwärts, dann fiel sie rasend schnell an mir vorbei und kam aus dem Kurs, bremste und näherte sich wieder mei ner Fallinie. Ich streckte beide Arme weit aus und wartete, bis sie näher kam. Sie hatte Schwierigkeiten. Einmal war ihre Geschwindigkeit zu lang sam, und ich raste an ihr vorbei, ohne ihre Beine packen zu können. Es war ein Alp traum. Mit jeder Sekunde wurde ich schnel ler … und jetzt hatte sie dieselbe Geschwin digkeit wie ich und kam seitlich auf mich zu. »Gut!« stöhnte ich und schlang die Arme um sie. Ich erwischte sie um die Schultern und fühlte einen schweren Ruck. Aber mei ne ineinander verkrallten Finger rissen nicht auseinander. Wir sanken weiter, aber dann gab Crysalgira mit der eingeklemmten Hand volle Kraft auf die Projektoren. »Wir werden langsamer!« sagte ich und atmete pfeifend aus. Ich fühlte den kalten Schweiß an meinem Körper. Ein Gefühl der Lähmung ergriff meine Knie und die Ellbo gen. »Was ist passiert?« Ihr Gesicht war nur durch die beiden Helmscheiben von meinem getrennt. Wir fielen jetzt langsamer, aber trotzdem kam der Boden in einer beträchtlichen Geschwin
Ein Mond ohne Namen digkeit näher. Ich konnte es nur undeutlich erkennen, was unter uns lag. Aber die Linien von Licht und Schatten, von verschiedenfar bigen Schichtungen des Gesteins, bildeten einen Gradmesser für die Geschwindigkeit, mit der wir fielen. Wir hatten mindestens schon zwei Drittel der Strecke zurückgelegt. »Die Energiezelle ist leer. Oder das Gerät ist zerstört«, sagte ich schwach. Ich hörte, wie ich krächzte. Wieder war ich dem Tod nur haarscharf entgangen. Der Schweiß trocknete, und meine Haut wurde langsam eiskalt. Ein kribbelndes Gefühl kroch die Wirbelsäule entlang. »Hast du sie geprüft, ehe wir die Station verließen?« »Nein«, mußte ich zugeben und verfluch te meinen Extrasinn, der mich nicht gewarnt hatte. Ich hatte keine Gelegenheit, den Ladezu stand zu sehen. Ich hätte es nicht übersehen, versicherte mein Extrahirn. Crysalgira sagte sofort: »Halte dich am Gürtel fest. Ich muß se hen, wo wir landen.« Ich löste einen Arm, tastete umher und hakte die Hand in den Gürtel, dann folgte die andere Hand. Jetzt konnte auch ich zwi schen unseren Körpern nach unten sehen. Nur noch hundert Meter. Ich wagte es, kurz den Gürtel loszulassen. Ich schaltete das Ge rät an meinem Körper auf volle Leistung und drehte den Richtungsschalter in die ent sprechende Position. Ich merkte, daß der letzte Rest von Ener gie umgesetzt wurde. Der Zug an meinem Arm wurde stärker, gleichzeitig bremste das Mädchen mit aller Kraft ab. Zehn Meter über dem Boden setzte mein Gerät endgültig aus. Wieder sackte ich nach unten, klammerte mich fest, und im letzten Augenblick lösten sich meine Finger vom Raumanzugsgurt Crysalgiras. Ich rollte mich zusammen, und schon fühlte ich, wie der Staub zusammengepreßt und auseinandergeschleudert wurde. Ich kam auf einem runden Hügel auf und rollte den Hang hinunter, aber der vernichtende
47 Aufprall blieb aus. Gleichzeitig wurde die Bremswirkung bei Crysalgira heraufgesetzt, weil ich nicht mehr an ihr hing. Das Mädchen landete erheblich weicher und lief dann mit weiten, langsamen Sprüngen auf mich zu. Es ist nichts gebrochen, versicherte das Extrahirn. Ich blieb halb betäubt liegen, beruhigte mich und stand dann auf. Eigentlich müßte ich tot sein oder wenigstens gebrochene Knochen haben. Ich sah einen Moment lang nichts, dann wischte Crysalgira den Staub von meiner Helmscheibe. Sie atmete stoß weise. »Ist dir etwas geschehen, Atlan?« rief sie besorgt. Ich bewegte Arme und Beine. »Nein. Ich bin in Ordnung«, sagte ich. »Wir hätten beide tot sein können.« Sie ging um mich herum und kontrollierte meine Ausrüstung. Dann zog sie die längli che Energiezelle aus den Kontakthalterun gen, hob sie hoch und zeigte sie mir. »Leer!« war ihr Kommentar. »Sieh nach, ob meine noch geladen ist.« Ich bückte mich und untersuchte die Zelle im Rückenteil ihres Anzugs. Sie war zu zwei Dritteln entladen. »Ein Drittel Kapazität«, erklärte ich, noch immer unter dem Eindruck des Schreckens stehend. »Ich habe in der Station neben dem Schrank mit dem Luftvorrat einige Stapel der Zellen gesehen«, meinte Crysalgira un gerührt. Ich sah ihr Gesicht; sie war keines wegs so kühl und gelassen, wie sie sich gab. Aber ich rechnete ihr den Einsatz hoch an – Männer hätten sich unter Umständen nicht so besonnen verhalten wie dieses junge Mädchen. »Verstehe ich dich richtig? Du willst …?« begann ich zögernd. »Ja. Ich fliege zurück und bin in wenigen Minuten mit mehreren gefüllten Energiezel len zurück. Außerdem hast du deine Waffe verloren.« »Ja«, meinte ich. »Das ist eine Möglich keit. Und ich versuche inzwischen, einen
48 Eingang zu finden.« Wir standen im Schatten am Grund der Schlucht. Fünfzig Meter vor uns berührten sich Felsen, Staub und Metall. Die riesige Kuppel wölbte sich vor uns in die Höhe. Links von uns verlief die harte Schattenlinie. Sie folgte den Konturen von Felsen und Steinen, Kratern und Brocken und schwang sich aufwärts, die Kuppel in zwei Hälften teilend. Sie blickte mich prüfend an. »Fühlst du dich in der Lage, weiterzuma chen?« Ich lächelte knapp. Vermutlich betäubten mich die Reste der Droge noch, sonst würde die Reaktion auf den Zwischenfall stärker sein. »Ja, natürlich. Aber ich bin so lange sehr unruhig, wie du nicht hier bist«, versicherte ich. »Es dauert nicht lange. Du solltest dich ei ne Weile ausruhen. Wir hatten lange keinen Schlaf, Partner!« »In Ordnung. Komm bald zurück. Und sa ge deine Standorte durch. Ich warte hier im Schatten.« »Verstanden. Ich warte.« Sie hob grüßend die Hand, griff an den Gürtelschalter und sprang in die Höhe. Wie von einem unsichtbaren Seil gezogen, stieg sie senkrecht hoch und raste an der Fels wand entlang, bis sie nur noch ein winziger Punkt gegen den schwarzpurpurnen Himmel war. Ich setzte mich in den Staub und lehnte mich gegen einen Felsen. »Verdammt!« sagte ich. Crysalgiras Stim me war klar, als sie erwiderte: »Deine Ansicht der Situation ist richtig, Atlan.« Ich schwieg und dachte nach. Ich über wand den Schock und fing mechanisch an, den Anzug zu reinigen. Dann stand ich auf und ging hinüber zur Wand der Kuppel. Schon als ich zehn Meter von ihr entfernt war, prüfte ich jeden weiteren Schritt, indem ich mit der Stiefelspitze einen festen Unter grund suchte und erst dann weiterging, wenn der Boden das Gewicht meines Körpers
Hans Kneifel trug. Meine Spuren – tiefe Eindrücke im Staub – führten von dem kleinen Hügel in einer leichten Kurve hierher. Ich mußte vorsichtig bleiben, denn ein falscher Schritt konnte mich in eine staubgefüllte Spalte fallen las sen, aus der ich mich nicht mehr befreien konnte. »Ich passiere jetzt den Nagelfelsen!« sag te das Mädchen ruhig. »Es hat sich nichts geändert.« »Ich habe verstanden!« Die Fläche vor mir war völlig glatt und trug keinerlei Spuren. Nicht einmal der Staub haftete an ihr. Ich blickte hinauf, dann rechts und links. Nichts. Es gab nicht einmal haarfeine Linien, die auf einen Eingang schließen lassen konnten. Langsam und oh ne das kleinste Risiko einzugehen, bewegte ich mich Schritt um Schritt nach rechts. Es war tatsächlich so, als ob die Station in die Felsen eingegossen worden wäre. Der harte Untergrund reichte unmittelbar bis an das Metall heran. Ich konnte gerade die fla che Hand in den Staub zwischen Felsen und Kuppelwand schieben; nicht mehr als zwei Zentimeter Platz war da. Ich gab diese Beobachtung an Crysalgira weiter, die kurze Zeit später erklärte: »Eben habe ich die Schutzstation betreten. Keine Veränderungen. Wir sind tatsächlich allein auf dem namenlosen Mond.« »Ich denke gerade an dieses Fluggerät, das uns abgeschleppt hat!« erwiderte ich und ging weiter. Schritt um Schritt. Noch immer fühlte ich unter den Sohlen Fels, gepolstert durch sie ben Zentimeter dicken, gelben Staubes. Noch immer gab es keine Reaktion auf die Versuche, mit den gepanzerten Teilen der Handschuhe an die Kuppelwand zu häm mern. Ich konnte nicht einmal hören, ob ich überhaupt Vibrationen erzeugte. Bis jetzt hatte ich vielleicht zwanzig Me ter zurückgelegt, als Crysalgira sich meldete und berichtete: »Ich habe gerade mit drei neuen Energie zellen in den Taschen den Nagelfelsen pas
Ein Mond ohne Namen siert und steuere auf die Schlucht zu.« »Du bist ein wunderbares Mädchen!« sag te ich. »Mehr als ein Partner!« »Schon gut«, schloß sie. Ich näherte mich jetzt, von der offenen Seite der Schlucht kommend, dem Teil, an dem die Wand bis dicht an die Kuppel her anreichte. Noch immer befand ich mich auf festem Grund, aber jetzt wurde der Platz knapp. Als ich gerade die engste Stelle auf dem Boden erreicht hatte, landete das Mäd chen in meinen Spuren. »Hier ist neue Energie!« sagte sie, hielt mich fest und schob eine Energiezelle in die Halterungen. Ich testete das Gerät; langsam hob ich mich vom Boden ab. Ich ließ mich wieder hinuntergleiten und erklärte Crysal gira, was ich gefunden oder genauer nicht gefunden hatte. »Es hilft alles nichts«, schloß ich. »Wir müssen eine Wanderung rund um dieses Bauwerk machen.« »Worauf warten wir noch?« Wir starteten und schwebten vorsichtig weiter, einmal höher und, wenn es der Platz zuließ, wieder tiefer. Immer mehr drangen wir in die Schlucht ein. Es war erstaunlich ruhig – eigentlich erwartete ich jederzeit einen dramatischen Zwischenfall. Die erste Stunde verging, die zweite brach an, und wir hatten, als wir wieder in das breitere Feld der Schlucht kamen, knapp die Hälfte der Kuppel umrundet. Crysalgira schwebte höher, flog aufrecht in der Luft stehend eine Kurve und bog vor einem überhängenden Felsen scharf ab, der sich aus dem Boden krümmte und mit seiner Spitze fast die Kuppel berührte. »Hierher!« sagte sie. »Keine Spuren, aber offensichtlich eine Luke.« Ich folgte ihr augenblicklich. Und tatsäch lich, hier, mitten im nächtlichen Schatten der Schlucht, nur vom Leuchten der Felsen er hellt, war ein runder Eingang. Und er war zudem offen, ohne Tür, ohne Schott, ohne Gitter aus Metall oder Energie! »Das haben wir schon lange gesucht!« sagte ich. »Dafür haben wir Kopf und Kra
49 gen riskiert.« Wir hatten keine Lampen an diesen Raumanzügen, aber wir faßten uns an den Händen und schwebten auf das Loch zu. Vier Meter Durchmesser, ungefähr zehn Meter über dem Boden der Schlucht. »Versuchen wir es?« »Nichts anderes!« sagte Crysalgira ent schlossen. Das Loch schien der Anfang ei ner geraden Röhre zu sein, die schräg ab wärts führte. Also setzte sich die Kuppel doch noch nach unten fort, war vielleicht doch eine Kugelkonstruktion? Ich wußte es nicht. Wir passierten mit klopfenden Herzen und trockenen Lippen den Eingang und sa hen, als wir drei oder vier Meter weiterge schwebt waren, weit vor uns ein Licht, das aussah wie ein glühender Wirbel, wie die Flammen eines Brenngeräts. Der Wirbel wurde heller und raste durch den Tunnel uns entgegen, hielt aber vor uns an. Flackerndes Feuer in allen Farben spiegelte sich im glat ten Material des Tunnels. »Wir werden begrüßt!« Plötzlich flogen wir weiter, ohne daß wir zu steuern brauchten. Ein Sog hatte uns er faßt und trieb uns auf den rasenden Farben und Flammenwirbel zu, der vor uns zurück wich und unseren weiteren Weg beleuchtete, ohne daß es etwas zu sehen gab. Wir wurden schneller. Jetzt erst kam das Gefühl einer Gefahr auf. Der Tunnel schien kein Ende zu neh men, was unwahrscheinlich war, denn diese Kugel war endlich. Schneller, tiefer hinein, wir begannen uns zu drehen. »Das ist, als ob Kräfte an allen Gliedern zerren …«, konnte ich noch keuchen, ehe mich der Sog von Crysalgira wegriß, herum drehte, weiter hinein schleuderte. Mir würde schwindlig, die Bewegung wurde immer ra sender, und ich hatte das Gefühl, als ob mein Körper auseinandergerissen wurde. Noch immer loderte der Flammenwirbel vor mir, aber jetzt erschienen vor meinen Augen Punkte und Linien. Ehe mich der rasende Schmerz übermann te, ehe ich den langgezogenen Schrei Crys
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algiras hörte, dachte ich daran, daß wir uns zu weit vorgewagt hatten. Ich verlor das Bewußtsein. Noch in meiner Bewußtlosigkeit glaubte ich, den irrsinnig drehenden Flammenwirbel zu sehen. Er wirkte wie eine verrückt gewor-
dene Galaxis.
ENDE
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