Atlan - Der Held von Arkon Nr. 205
Ein Mond ohne Namen Der Kristallprinz auf dem Weg nach Yarden - und im Bann der Emo...
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Atlan - Der Held von Arkon Nr. 205
Ein Mond ohne Namen Der Kristallprinz auf dem Weg nach Yarden - und im Bann der Emotiostrahlung von Hans Kneifel In einer Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht, steht es mit dem Großen Imperium der Arkoniden nicht zum Besten, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Imperator Orbanaschol III. – nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und das Gemeinwohl völlig außer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von verschworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Gegenwärtig ist Atlan jedoch nicht in der Lage, den Untergrundkampf gegen den Usurpator und Brudermörder Orbanaschol persönlich weiterzuführen, denn durch die Einwirkung einer Geheimwaffe der Maahks gelangte er erneut in den Mikrokosmos. Von dort aus versucht er, zusammen mit Crysalgira, einer adeligen Arkonidin, die ebenfalls dem »Zwergenmacher« zum Opfer fiel, den Weg zurück in sein eigenes, makrokosmisches Raum-Zeitkontinuum zu finden. Atlan bedient sich dabei der Flotte der Lopsegger und erreicht einen MOND OHNE NAMEN …
Ein Mond ohne Namen
3
Die Hautpersonen des Romans: Allan - Der Kristallprinz will eine Gefühlsbasis untersuchen. Crysalgira - Atlans tapfere Begleiterin. Karsihl-HP - Kommandant einer Raumexpedition der Lopsegger. Germyr-HP - Ein Diplomat bekommt es mit der Angst zu tun. Troomies-Dol - Ein Tejonther auf dem Mond ohne Namen.
1. Crysalgira Quertamagin warf mir einen langen, rätselhaften Blick zu, dann hob sie die Hand mit den schlanken Fingern und strich ihr langes Haar aus der Stirn. Sie wartete, bis der Lopsegger den Raum verlassen hatte, dann hob sie die eckige Flasche von dem halbautomatischen Serviertisch. »Ich habe mich an das Leben voller Gefahren schon so gewöhnt, daß ich direkt unruhig werde, wenn Ruhe herrscht!« erklärte sie zögernd. »Ich weiß nicht, wie es dir geht, Atlan?« Ich lehnte mich zurück und griff nach der Flasche. Mit einem schnellen Griff entfernte ich den Korken. »Ich genieße diese Tage«, sagte ich leise. Es war die absolute Wahrheit. Während das schwach grüne Getränk, dem Geruch und Geschmack nach eine Mischung zwischen Wein, Bier und einem Früchteauszug, in die Gläser floß, fuhr ich fort: »Du weißt, daß wir uns auf einer Irrfahrt befinden, die uns beiden das Leben kosten kann?« Willst du sie erschrecken? Das ist schwer, Arkonide. Mit ihren neunzehn Jahren kennt sie viele Gefahren, wisperte der Extrasinn. »Ja, ich weiß es!« sagte sie und aß ruhig weiter. »Wir befinden uns in einem unbekannten Kosmos, wir suchen Yarden und das Geheimnis der Absoluten Bewegung, und wir sind auf das Wohlwollen und den Kampfgeist der Lopsegger angewiesen.« Sie sah mich aus ihren schönen, kühnen Mandelaugen an und fragte ruhig: »Worauf willst du hinaus?« »Ich will versuchen, dir klarzumachen,
daß wir ein Leben in tödlichen Gefahren führen.« Crysalgira lächelte mich an. Wir fühlten uns wie zwei Gestrandete auf einer winzigen Insel. Und keiner von uns wußte, wann wir unser weit gestrecktes Ziel erreichen würden. Aber eines unterschied unsere Lage von den Wochen und Monaten vor dem heutigen Tag: Wir hatten ein Ziel. In der entspannenden Stille der Raumschiffskabine hob Crysalgira das Glas und trank einen sehr großen Schluck. Sie erwiderte ungerührt: »Ich weiß, daß wir ein solches Leben führen!« »Und trotzdem bist du sorglos und sagst, du würdest das Abenteuer vermissen?« »Ich habe nicht gesagt, daß ich es vermisse«, antwortete die schöne Arkonidin, die mir gegenübersaß und, wenn man alles in Betracht zog, »ich sagte nur, daß ich unruhig werde, wenn ich warten muß.« Ich hob die Schultern. »Es ist nicht zu ändern, und wir sollten das Beste daraus machen!« sagte ich. »Zum Beispiel dieses ungewohnte, aber gute Essen genießen.« »Nichts anderes tue ich!« bestätigte sie. Seit den Ereignissen auf Wartzong befanden wir uns an Bord des Schiffes. Mit uns waren Karsihl-HP und Germyr-HP hier, und der Verband aus sechsunddreißig kleinen Schiffen war unterwegs, um eine Gefühlsbasis der Leerraumkonstrukteure zu finden und zu überfallen. Beide Gruppen, sowohl wir zwei Arkoniden, als auch die Lopsegger, waren für diese Mission hinreichend motiviert. Nach einer Weile fragte Crysalgira: »Du hast dich lange mit Karsihl und Germyr unterhalten. Haben sie dir sagen können, warum die Tejonther alle dreihundert
4 Jahre diesen Kreuzzug nach. Yarden veranstalten? Es scheint mir eine Art sinnloses Massenopfer zu sein!« Ich schüttelte den Kopf. Das Essen, das man uns in die Kabine gebracht hatte, war mehr als exotisch, aber es schmeckte. »Nein. Sie wissen es auch nicht. Es ist ein Geheimnis. Das ist eines der Dinge, das für die Lopsegger die Natur ihrer tejonthischen Feinde so fremdartig und unerklärlich macht. Ein psychologischer Faktor.« »Zweifellos!« Crysalgira war ein bemerkenswertes Mädchen. Man merkte, daß sie aus Arkons Palästen kam und dort alles gelernt hatte, was man bei Hof wissen mußte, um sich dort zu bewegen wie ein Fisch im Wasser. Mit ihr verglichen war ich zwar nicht gerade ein Barbar, aber mir fehlten die Raffinesse und die Kenntnisse des teilweise sinnlosen Zeremoniells. Und dann war sie hierher versetzt worden. In eine Welt, die für jeden, selbst für ihre Bewohner, voller Gefahren war. Das Mädchen hatte sich an einem bestimmten Punkt entschlossen, um jeden Preis zu überleben und womöglich zu Chergost, dem Sonnenträger, zurückzukehren. Dieser Entschluß war kalt, schnell und mit jeder Konsequenz getroffen worden. Ich kannte diesen Typ Mensch, oder besser: ich hatte Menschen kennengelernt, die es geschafft hatten, von einer bestimmten Stunde an ihren bisher normalen Lebensrhythmus ins Gegenteil zu verkehren. Ich kannte den Blick, dieses Flimmern, in den rötlichen Augen der Arkonidin. Wenn es je ein Mädchen gegeben hatte, die diesen Weg bis zum Ende gehen konnte – Crysalgira war dieses Mädchen. In diesem Zusammenhang von mir zu sprechen, war nicht dasselbe. Mein Einsatz war höher. Meine Schulung war anders verlaufen – Fartuloon, der Bauchaufschneider, hatte mich zu einem Mann gemacht und zu einer Art Überlebensmaschine werden lassen. Für mich waren Abenteuer, Gefahren und ständige Bedrohung das normale Leben. Und deswegen
Hans Kneifel schätzte ich die langen Tage des Fluges so sehr. Ich erholte mich, ich entspannte mich, und ich hatte Zeit nachzudenken. Blindes Reagieren, so eines der vielen klugen Worte Fartuloons, ist Art eines gehetzten Tieres. Jemand, der Kraft, Gerissenheit und Entschlußfreudigkeit mit Können und kalkulatorischer Phantasie verbindet, hat ungleich mehr Chancen als jeder andere. Ein psychologischer Faktor, hatte Crysalgira eben gesagt. Es mußte mehr sein! Auch für mich war das Ziel – Yarden – klar motiviert. Ich wollte Chapat, meinen Sohn, finden. Und ich wollte das Geheimnis der Absoluten Bewegung ergründen, das dort in der eisigen Sphäre lauerte. »Nein«, sagte ich leise und beendete das Essen, »wir wissen, daß den Lopseggern mehrere Gefühlsbasen bekannt sind, aber bisher wagten sie sich nicht dorthin. Niemand weiß genau, was diese Basen bezwecken, welche Funktion sie haben. Eine Art düsteres Geheimnis umgibt sie.« Wir trugen noch immer die blauen Metallanzüge aus den winzigen Segmenten aus dem Besitz Vruumys. Es war wie eine zweite Haut und ebenso bequem. Und Crysalgira sah darin hinreißend aus. »Wir werden auch hinter dieses Geheimnis kommen!« versprach Crysalgira lachend. »Dir jedenfalls scheint die Pause sehr gut zu bekommen.« »So ist es!« bestätigte ich wahrheitsgemäß und füllte den Rest aus der Flasche in die fast leeren Gläser. Ich schlief lange, dann benutzte ich die wenigen Einrichtungen des Schiffes, um meinen Körper in Form zu halten. Die Technik war zwar auf die ungewöhnlichen Körper der Lopsegger zugeschnitten, aber ich konnte sie ebenfalls benutzen. Woran ich mich nur schwer gewöhnen konnte, war die knarrende, laute Sprache dieser sechsäugigen Freunde – aber wir hatten genügend Übersetzungsgeräte. Jedenfalls war ich ausgeruht, und die letzten Abschürfungen, Prellungen und Wunden waren unsichtbar geworden. Das nächste
Ein Mond ohne Namen Abenteuer konnte beginnen. »Wann erreichen wir das Mithuradonk-System?« fragte Crysalgira. »Laut Auskunft von Germyr-HP kurz nachdem wir ausgeschlafen haben«, erklärte ich, »also in rund elf Stunden Schiffszeit.« Raumfahrt im Mikrokosmos! Das war ebenfalls eine Erkenntnis, an die man sich schwer gewöhnen konnte – für mich bedeutete es einen Widerspruch an sich, aber der Beweis sprach für sich. Ich mußte diese ungewöhnliche Maxime akzeptieren. Sie lächelte. »Also keine tödlichen Abenteuer während der Schlafperiode! Das gibt uns Zeit, uns miteinander zu beschäftigen.« Ich stapelte Teller und Schüsseln auf die Platte des Wagens neben dem Tisch. »Für heute nacht«, sagte ich, »wird deine Anwesenheit das Abenteuer sein. Und morgen … sehen wir weiter.« Ich wußte ziemlich genau, daß diese Tage für lange Zeit die letzten, ruhigen Tage gewesen sein würden. Es schien, als strecke die angeflogene oder zumindest gesuchte Basis schon jetzt ihre furchtbaren Tentakel nach uns aus. Ich beging nicht den Fehler, an das Ende der Odyssee zu denken. Ich wußte, daß zahllose Abenteuer uns von diesem Ziel ablenken würden. Aber nicht heute. In den nächsten Stunden würden wir versuchen, neue Kräfte für den langen Weg nach Yarden zu schöpfen.
* Der Blick von vier der sechs Augen konzentrierte sich auf Crysalgira. »Ja«, schnarrte Karsihl-HP, und das Übersetzungsgerät bildete eine Art Echo, »es ist teuflisch gefährlich. Wir kennen dieses System kaum!« Das Flaggschiff, in dem wir uns befanden, bildete die Spitze der Flotte von sechsunddreißig Schiffen. Schon jetzt, eine halbe Stunde, nachdem wir in die normalen Bezüge des Mikrowelt-Weltraums zurückgefallen
5 waren, schwebte das Flaggschiff weit vor dem Rest der Flotte. »Habt ihr tejonthische Schiffe orten können?« erkundigte ich mich. Der rechte Arm Karsihls, der mit den Fingerspitzen den Boden berührte, schwenkte hoch. Ein runder Bildschirm trat in Tätigkeit. »Hier«, erklärte der Lopsegger, »das System liegt vor uns.« Auf dem Schirm waren die Echos dreier Planeten und der starke Ortungsimpuls der Sonne zu sehen. Wir befanden uns jetzt innerhalb der Bahn des äußersten Planeten. »Wir wissen, daß es hier keine raumfahrenden Völker gibt!« erklärte Karsihl-HP. »Aber trotzdem sollten wir vorsichtig sein.« Ich deutete auf den Bildschirm, der die Position der Flotte angab. Immer mehr entfernten wir uns von der Masse der Schiffe, die sich in der Nähe des letzten Planeten aufhalten sollten. »Keine tejonthischen Schiffe?« »Wir haben keine festgestellt. Es kann aber sein, daß einige von ihnen auf diesem oder jenem Planeten gelandet sind.« »Jedenfalls befindet sich hier irgendwo eine Gefühlsbasis!« sagte ich. »Habe ich recht?« »Ja. Aber niemand weiß, auf welchem Planeten!« »So ist es.« Dreiundzwanzig Planeten umkreisten die Sonne. Die Flotte hatte alle ihre Ortungsgeräte eingeschaltet und suchte immer wieder den Raum ab. Aber es gab weder ein Zeichen dafür, daß es im Umkreis der Sonne eine Flotte der Tejonther gab, noch konnten wir eine Gefühlsbasis entdecken. Sie würde sich ohnehin kaum als Fremdkörper auf den Ortungsschirmen zeigen. Noch immer konnte ich nicht restlos begreifen, daß der Mikrokosmos denselben Gesetzen gehorchte wie der Makrokosmos. »Was hältst du davon, Atlan?« fragte Crysalgira leise. »Ich glaube ziemlich sicher, daß es hier keine tejonthischen Schiffe gibt«, sagte ich zurückhaltend. »Die Hauptmasse dieser
6 Flotte wird sich in der Nähe einer anderen Gefühlsbasis versammeln.« Ich rechnete damit, daß wir in Kürze die ersten Spuren der Gefühlsbasis aufnehmen würden. Die Lopsegger wußten, daß es hier eine solche Basis gab. »Wenn wir wüßten, wozu diese Basen dienen? Sind es nur Treffpunkte, welche Bedeutung haben sie?« fragte ich mich laut. Es war mir plötzlich, als würde aus der Dunkelheit und der Ferne ein Angsthauch hier hereinwehen und uns in seinen Bann schlagen. Ich wußte nicht, woher dieser Eindruck kam; er verschwand so schnell, wie er gekommen war. Als ich einen Blick in Crysalgiras Gesicht warf, merkte ich, daß auch sie es gespürt hatte. Karsihl-HP wandte sich an mich. Seine acht quastenförmigen Hörorgane bewegten sich aufgeregt. »Wir können nicht ausschließen, daß plötzlich die gegnerischen Schiffe hier auftauchen!« Ich nickte; ich hatte mit dieser Möglichkeit zu rechnen. Das Schiff flog langsam weiter in die Richtung der Sonne. Auf den Schirmen der Ortung war zu erkennen, daß wir die Bahn des zweiundzwanzigsten Planeten kreuzten. Die Lopsegger schienen die Tejonther mehr zu fürchten, als ich bisher angenommen hatte – ich sah und spürte es jede Sekunde, die wir in der Leitzentrale verbrachten. »Die Vision, daß zehntausend Schiffe der Tejonther hier auftauchen, erfüllt uns alle mit Angst und Grauen!« sagte knarrend Karsihl-HP. »Niemand würde uns helfen. Außer uns gibt es hier niemanden, der die Raumfahrt beherrscht.« Wir verließen den Bereich der Planetenbahn und drangen weiter vor. Das Schiff flog etwa halb lichtschnell. Zwischen dem Rest unserer kleinen Flotte und dem Flaggschiff bestand Bildfunkverbindung, aber es gab keine Informationen, die zwischen den beiden Partnern gewechselt werden müßten. »Wir warten!« entschied Karsihl. Die Arkonidin und ich wechselten
Hans Kneifel schweigend einen langen Blick. Wir spürten deutlich die Spannung, die im Schiff herrschte. Ich blickte Karsihl-HP von der Seite an. »Du bist unruhig, Freund Karsihl?« fragte ich leise. »Ja, du hast recht. Ich erwarte Störungen, Zwischenfälle oder die verdammten Tejonther!« »Welchen Planeten steuern wir an?« »Den siebenten. Ofanstände ist sein Name, so nennen wir ihn. Dort soll sich die Gefühlsbasis befinden.« Zweifellos waren die Lopsegger kein Raumfahrervolk, die es mit aller Gewalt in die Ferne drängte. Aber sie kannten trotzdem einen ziemlich großen Ausschnitt ihres Universums. Wieder erfaßte uns ein Gefühl der Niedergeschlagenheit. Ich begann mich für lange Sekunden wie ein schutzloses Kind zu fühlen. Karsihl-HP stieß einen langgezogenen Zischlaut aus. »Das ist das Zeichen!« »Du hast es auch gespürt?« fragte ich. Vorsicht! Du kennst die vernichtende Ausstrahlung der Basis! Versuche, dagegen immun zu werden! flüsterte eindringlich mein Extrasinn. »Ja. Ich auch. Es war wieder da, wie ein Ruf aus der Unendlichkeit!« wisperte Crysalgira. Sie war bleich geworden. Inzwischen schob sich das Flaggschiff über die Bahn des zehnten Planeten. Die dunklen Ortungsschirme verzeichneten vor uns vier Objekte. Deutlich war zu sehen, daß eine Mannschaft unruhig wurde. Germyr-HP drehte seinen Sessel, hob einen Arm und knarrte einen Befehl. »Was gibt es?« fragte Crysalgira besorgt. Wir saßen leidlich bequem in den großen schwarzen Sesseln. Die Schalen hatten tiefe Einbuchtungen, in denen die langgezogenen Kopfteile der Lopsegger verschwanden, wenn die flachen Körper dieser Wesen sich anlehnten. Ein grauhäutiger Raumfahrer mit einem auffallend rotleuchtenden Kamm näherte
Ein Mond ohne Namen sich und trug eine eckige Schale in den Händen. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten, aber mir schien es, als ob er einen erregten Eindruck machte. »Atlan! Du bist ein mutiger Mann!« stellte Karsihl-HP laut fest. Ich widersprach nicht. »Eine Frage oder eine Feststellung?« erkundigte sich Crysalgira. Der Lopsegger mit der Schale kam näher und blieb zwischen uns stehen. Aus der Schale stiegen unbeschreibliche Gerüche auf. »Eine Feststellung«, bemerkte GermyrHP und deutete auf die Schale. »Es erfordert Mut, dem Unbekannten ins Auge zu sehen. Wir wissen, daß du wie der Teufel selbst kämpfen kannst, Atlan. Aber übertriebener Mut ist Wahnsinn und eines Kriegers unwürdig.« »Wahr gesprochen!« sagte ich laut. »Hat unser Mut etwas mit diesen stark riechenden Dingen zu tun?« »So ist es, Arkonide!« Die Gerüche waren bekannt und unbegreiflich gleichermaßen. Sie stachen in die Nase, die Augen begannen zu tränen, und ich mußte einen Hustenreiz mit Gewalt unterdrücken. Der lange Arm des Boten schwenkte die Schale einladend vor unseren Gesichtern hin und her. »Gewürze!« erklärte Karsihl-HP. »Verbotene Gewürze. Aber sie helfen. Wir wissen dies.« »Gewürze?« fragte ich verblüfft zurück; »Sie gehören ins Essen, denke ich.« Narr! Es sind Drogen, die euch widerstandsfähiger gegen die Strahlungen machen sollen! erklärte der Extrasinn beharrlich. Tatsächlich sagte Karsihl aufgeregt: »Nehmt immer dann, wenn euch die Furcht zu übermannen droht, ein Stück der Verbotenen Würzung! Ihr werdet die Furcht verlieren!« »Die Verbotene Würzung ist also ein Psychopharmazeutikum!« sagte Crysalgira, streckte die Hand aus und griff in die Schale. Das Mädchen betrachtete den braungelb
7 gemaserten, unregelmäßigen Würfel auf ihrer Handfläche. Das Material, krümelig und weich, schien zu leben, denn die Farben spielten ununterbrochen im Licht der Instrumentenbeleuchtung. Auch ich griff in die Schale, fühlte eine kribbelnde Masse zwischen den Fingern und fischte einen Würfel heraus. »Essen?« fragte Crysalgira mit einem unbeschreiblichen Gesichtsausdruck. Wir hatten die halbe Nacht miteinander diskutiert, und ich wußte, daß sie entschlossen war, unser Ziel zu erreichen. Aber jetzt scheute sie vor dieser stechend riechenden, scheinbar lebenden Substanz zurück. Ich sah, wie Germyr-HP seelenruhig zwei der Würfel packte, den schubladenähnlichen Mund aufklappte und die Würze hineinfallen ließ. Die kantige Öffnung unterhalb der Sprachorgane schloß sich mit einem leisen, schmatzenden Geräusch. »Augenscheinlich!« sagte ich, hielt mir die brennende Nase zu und versuchte den Würfel zu schlucken. Es war, als beiße ich in ein Stück weißglühendes Eisen. Aber ich schluckte den kribbelnden, säuerlichfremdartig schmeckenden Würfel hinunter. Keine zehn Sekunden später begann meine Nase zu laufen, die Augen traten hervor und tränten, und in der Kehle hatte ich ein unaussprechliches Gefühl. »Ist gar nicht schlimm, Mädchen!« sagte ich, hustete wie ein Ertrinkender und klammerte mich am schmalen Schultergelenk Germyr-HPs fest. Der kleine Lopsegger wedelte mit seinen acht Hörquasten wie eine Fächertänzerin. »Gut?« fragte er leise. Crysalgira betrachtete noch immer zweifelnd den Würfel, dann hielt sie sich die Nase zu und schluckte die »Würzung«. Sie zeigte dieselben Symptome wie ich, aber ich wußte: die Verbotene Würzung wirkte. »Erstaunlich!« keuchte ich auf. Ich fühlte, wie eine unirdische, kühle Ruhe über mich kam. Obwohl hinter uns an den Pulten, Schirmen und Suchgeräten Unruhe und gelegentliche Ausbrüche von
8 Furcht deutlicher wurden, spürte ich nichts von den verhängnisvollen Strahlen der Basis. Ich drehte mich um und sah, wie die Lopsegger sich um die Schale drängten und die Würzung zu sich nahmen. »Ich merke es auch!« rief Crysalgira. »Das ist ein Zaubermittel.« »Es hat den Vorteil«, erklärte Karsihl gemessen, »daß es beruhigt, aber den Geist nicht einschläfert. Nur das Gefühl der Angst wird ausgeschaltet. Aber es macht, wenn man sich daran gewöhnt, süchtig. Deswegen ist die Würzung verboten.« »Ich verstehe.« Das Flaggschiff änderte, während die Würzwürfel verteilt wurden, seinen Kurs. Auf dem Zielschirm begann ein schwach leuchtender Punkt zu wandern. Hinter diesem Punkt, der schon jetzt deutlich zur Scheibe wurde, krochen zwei kleinere Punkte hervor. Vermutlich waren es die Monde des siebenten Planeten. Nach einer Weile fragte ich: »Karsihl-HP, kennst du diesen Planeten Ofanstände? Zwei Monde, nicht wahr?« »Ich weiß nur, was unsere Raumfahrthandbücher sagen. Ich selbst war noch nie auf dieser Welt«, erklärte er. »Es ist ein kleiner Planet, aber mit einer Lufthülle, die wir gut atmen können. Unsere Bewegungen werden leichter sein, denn die Oberflächenschwerebeschleunigung ist geringer. Aber wir wissen nicht mehr. Es soll keine intelligenten Bewohner dort geben.« Das Schiff flog jetzt genau auf Ofanstände zu. Auf den Schirmen wurde das Bild größer und deutlicher. Deutlicher wurde auch die Strahlung der nicht lokalisierten Basis. Aber wir konnten ihr widerstehen – wir fühlten sie wie die Schnitte eines Chirurgen unter lokaler Betäubung. Wir konnten genau feststellen, wie lange und wie stark die einzelnen Schübe waren. Die Strahlung kam und ging in gleichmäßigen Wellen. Die Entfernung eines Schiffes spielte eine wichtige Rolle. Crysalgira sprach meine Gedanken aus. »Auf der äußersten Planetenbahn war es
Hans Kneifel nur ein ganz schwaches Gefühl. Die Intensität steigt vermutlich im Quadrat abnehmender Entfernung.« »Das ist sicher. Somit steht fest, daß die Quelle der Strahlung auf Ofanstände ist.« Inzwischen hatten wir uns dem siebenten Planeten so weit genähert, daß wir auf den Schirmen das Bild einigermaßen deutlich in der Vergrößerung sehen und interpretieren konnten. Die beiden Monde waren wieder hinter der Scheibe des Planeten verschwunden. Im Flaggschiff herrschte eine gespannte Ruhe. Nur wenige Kommentare wurden zwischen der Flotte und unserer Einheit gewechselt. Immer näher flog das Schiff heran. Wir sahen vier Fünftel als dunkel Fläche, und von dort, wo sich die gelbe Sonne befand, tauchte aus der Schwärze des Weltraums eine scharfe Sichel auf. Es war die beleuchtende Fläche des Planeten. Die Lufthülle irisierte, es gab ein paar flachgeschichtete Wolken, die sich um die Krümmung herumzogen. Die vorherrschende Farbe war ein sattes Braun. Das Schiff änderte abermals leicht seinen Kurs und schwebte auf die beleuchtete Fläche zu. Je näher wir dem Gestirn kamen, desto deutlicher wirkte sich der Effekt aus. Die ausgeleuchtete Zone wuchs und wurde größer und schärfer. Wieder packte uns eine Welle der Gefühlsstrahlung. Wir hätten uns ohne die Würzung mit Sicherheit wimmernd in die Winkel verkrochen. Es gab meines Erachtens keinen Piloten, der ohne diese Droge ein Schiff einigermaßen sicher auf dem Planeten hätte landen können. Eine wichtige Einzelheit fiel mir ein, während wir merkten, wie das Flaggschiff seine Geschwindigkeit verringerte. »Wie lange hilft ein Würfel der Würzung gegen die emotionelle Strahlung, GermyrHP?« Der Apparat übersetzte meine Worte in den knarrenden, scharfen und vokalreichen Dialekt der Lopsegger. »Es ist verschieden, Atlan. Auf jeden von uns haben die Teile der Würzung eine andere Wirkung. Und das gilt auch für euch. Kei-
Ein Mond ohne Namen ne Sorge … wir haben eine genügend große Menge an Bord. Außerdem werden wir wohl nicht jahrelang hier bleiben.« Ich lachte auf. »Das hoffen wir! Nicht wahr, Crysalgira?« Ich legte kurz den Arm um ihre Schultern, und sie schmiegte sich an mich. Wir beide waren zu Abenteurern wider Willen geworden, und mehr als nur ein Zusammengehörigkeitsgefühl band uns aneinander. »Du hast völlig recht!« sagte sie deutlich. In der Leitzentrale war es hell geworden. Die Helligkeit ging von den Schirmen aus, auf denen jetzt fast die volle Hemisphäre des siebenten Planten zu sehen war. Wir befanden uns in einer Position und auch in einer Bahngeschwindigkeit, die derjenigen der Monde gleich war, denn die Trabanten versteckten sich vor den Linsen unseres Schiffes auf der gegenüberliegenden Seite. Die Strahlung wurde stärker und begann, wie mit klebrigen Fäden an uns zu ziehen. Trotz der dämpfenden Wirkung dieses erstaunlichen Pflanzenauszugs spürten wir die Wogen der Angst und der uferlosen Niedergeschlagenheit. Sie hätte uns, ungeschützt, in den Selbstmord treiben können. Wie hielten es die Tejonther eigentlich unter diesem Inferno aus Furcht und Melancholie aus, ohne krank zu werden? Wir behielten unser klares Denkvermögen. »Wir werden mit Sicherheit das Schiff verlassen und dort unten suchen«, sagte ich zu Crysalgira, aber laut genug, so daß es auch meine merkwürdigen Freunde verstanden. »Ich gehe mit. Ich helfe dir, wo ich nur kann!« versicherte sie. Sie hatte wirklich Mut. Für einen kurzen Augenblick verglich ich sie mit der unförmigen, häßlichen Gjeima, die unter den Pfeilen des Dschungelbarbaren gestorben war. Ich verdrängte die Erinnerung und hob den Kopf. Die Mannschaft des Flaggschiffs war hervorragend aufeinander eingespielt. »Hier! Dies scheint die Quelle der Strah-
9 lung zu sein!« erklärte Karsihl und drehte an wuchtigen Schrauben, um die Einstellung des Vergrößerungsschirms zu verändern. »Ist die Strahlung energetischer Natur? Ist sie mit euren Instrumenten anzumessen?« fragte die Arkonidin und begann ruhig, ihr schulterlanges Haar in einen kurzen dicken Zopf zu flechten. »Nein. Sie wirkt nur aufs Gemüt. Jedenfalls haben wir keine Instrumente, mit denen wir sie messen können«, erläuterte KarsihlHP. Seine Augenpaare bewegten sich paarweise unabhängig voneinander; ein verblüffendes Bild. Je ein Paar richtete sich auf den Schirm, auf Crysalgira und auf mich aus. Das Licht von den Schirmen flirrte durch den Raum und riß die letzten Ecken aus der Dunkelheit. Ich beugte mich vor und betrachtete die wechselnden Bilder. Ich sah die gerundeten, abschmelzenden Ränder von zwei dünnen Polkappen. Im harten Licht der Sonne erkannte ich die von oben nach unten verlaufende Grenze zwischen Festland und Wasser. Das Wasser des Ozeans glänzte unerträglich hell. Dann begann die Linie nach Westen auszuschwingen und bildete die Konturen eines großen Kontinents. »Hier!« stieß plötzlich Karsihl hervor. Es klang wie ein Schuß. Gleichzeitig sprang uns das Bild entgegen, überflutete die Ränder des Schirmes und wurde langsam wieder scharf. Wolken trieben vorbei, ganz langsam, und ihre Schatten zogen über eine Form der Oberflächenansicht, die ins Auge fallen mußte. »Ich sehe es!« sagte ich. Ich war wie elektrisiert. Ich hatte noch niemals aus dem Weltraum eine solche Geländestruktur so deutlich gesehen. Ein Krater. Die Meßlinien sagten mir, daß der vollkommen kreisrunde Krater nicht weniger als zehn Kilometer Durchmesser aufwies. Der Zentralberg fehlte. Die Wände und die aufgeworfenen Massen von Geröll, Erde und Steinen sahen aus, als ob der Krater erst vor
10 ganz kurzer Zeit entstanden sei. Wieder packte ein Schauer von Gefühlsstrahlen die Schiffsbesatzung. Die Ordonnanz kam wieder in den Raum und stellte die frischgefüllte Schale so hin, daß niemand mehr als zwei Schritte tun mußte, um einen Würfel zu packen. Karsihl und Germyr blickten mich mit insgesamt acht Augen an. Ich nickte. »Es kann nicht anders sein«, sagte ich scharf. »Dieser frische Krater ist die Stelle, an der die Strahlung auftritt. Wir haben dieses rätselhafte Ding gefunden. Es war auch nicht weiter schwer.« Unablässig klickten Instrumente, einen Augenblick lang erschütterten starke Vibrationen das Schiff, dann gab es eine Reihe von Befehlen. Das Schiff änderte seine Richtung und ging in eine spiralförmige Landebahn über. Karsihl deutete auf den Krater, der unter dem Einfluß von Lageveränderungen, Vergrößerungen, Licht und Schatten ständig sein Aussehen veränderte. »Wir landen in der Nähe des Kraters. Vielleicht finden wir heraus, was unserem Gegner schadet – oder wenigstens etwas, das uns Lopsegger nützt.« »Du weißt, daß wir ähnliche Gründe haben!« erinnerte ich ihn. Seid nicht zu wagemutig! warnte flüsternd das Extrahirn. Die Mannschaft steuerte das relativ kleine Schiff in einer präzise ausgerechneten Bahn tiefer. Der Mittelpunkt unserer kreisförmigen Bewegungen blieb der Krater. Unsere Augen, hingen an den Bildschirmen, die uns verschiedene Oberflächenansichten in allen denkbaren Vergrößerungen zeigten. Es gab keine Spuren einer Besiedlung. Meldungen und Anordnungen gingen hinaus zur Bahn des äußersten Planeten und sagten den Besatzungen der wartenden Schiffe, war hier geschah. Hinter dem Flaggschiff bildeten sich die ersten Spuren der Atmosphäre. Auf den Bildern tauchten Inselketten auf, Buchten und Gebirge, deren Gipfel von Schnee bedeckt waren. Unendliche Wälder breiteten
Hans Kneifel sich aus – sie waren braungrün und von Flüssen und Seen unterbrochen. Und noch immer hielt uns die Strahlung in ihrem Griff. Ich warf Crysalgira einen raschen Blick zu. Sie saß da, beugte sich vor und massierte ihre Schläfen. Ich spürte den Druck ebenfalls an diesen Stellen, aber der Druck war weniger schlimm als normale Kopfschmerzen. Der Raum hatte inzwischen infernalisch nach den Gewürzen zu riechen begonnen; ein Zeichen, daß sich meine Nasenschleimhäute von der Paralyse erholt hatten. Nur die trockenen Lippen und die taube Zunge zeigten noch, daß wir die Verbotene Würzung zu uns genommen hatten. »Wir werden den Krater untersuchen, Karsihl-HP?« fragte ich. »Ja. Wir schleusen ein Kommando aus, und ihr könnt euch diesen Männern anschließen.« »Mit einem gehörigen Vorrat dieses Teufelszeugs«, meinte Crysalgira, »Gibt es besonders wilde Tiere auf Ofanstände?« »Ich kenne die Tierwelt nicht. He, Terpahl-RF?« »Ja?« Einer der Männer in den hellen Raumanzügen drehte seinen Sessel. »Was weiß man über die Fauna?« »In den Erklärungen steht nichts über besonders gefährliche Exemplare. Diejenigen, die diesen Planeten untersuchten, scheinen nicht angegriffen worden zu sein.« Ich nickte und kratzte mich im Nacken. »Allerdings habe ich den Verdacht, daß diese Strahlung nicht nur auf die Hirne von intelligenten Wesen wie uns einwirkt, sondern vermutlich auch auf Tiere. Es ist nicht auszudenken, wie sich ein Tiergigant, von Furcht und Niedergeschlagenheit verwirrt und gereizt, uns gegenüber benimmt!« »Nun«, meinte Germyr-HP ruhig, »falls es dazu kommt, werden wir unsere Waffen benutzen.« Minutenlang hatte ich die beängstigende und verwirrende Vision von einer Tierwelt, angefangen bei Laufkäfern und aufgehört
Ein Mond ohne Namen bei sauriergroßen Bestien, die allesamt unter dem Einfluß der Gefühlsstrahlung standen. Ich schauderte zusammen. Dann murmelte ich: »Je weiter man reist, desto genauer sieht man, daß die Welt zunehmend schwieriger wird. Dies gilt auch für den Mikrokosmos.« Wieder schien Yarden, die Eisige Sphäre, um ein gutes Stück weiter in die Zukunft zu rutschen. »Vielleicht entschädigen uns die Funde, die wir machen, für unseren Ärger«, sagte Crysalgira. »Noch immer unruhig wegen des fehlenden Abenteuers?« fragte ich sarkastisch. »Dort ist es!« Das Schiff heulte und jaulte durch die Lufthülle. An den Schatten unter uns konnten wir erkennen, daß in der Gegend der riesigen, trichterförmigen Wunde im Planetenboden gerade früher Nachmittag herrschte. Die Geschwindigkeit nahm ab, und die Linsen wurden dazu benutzt, einen geeigneten Landeplatz zu finden. Wir warteten unruhig. »Ich sehe das Abenteuer!« erklärte Crysalgira ironisch. »Es wird eine Freude sein, wieder an deiner Seite zu weilen, Atlan.« »Danke!« entgegnete ich trocken. Der Krater war nicht sonderlich tief. Der exakt ausgebildete Trichter war keineswegs steil: Die Wandung hatte einen Winkel von etwa dreißig Grad. Der Rand bestand aus aufgeworfenem Material. Riesige Felsbrocken, kleineres Gestein, zerfetzte Bäume, zusammengedrückte Büsche. Im nahezu senkrecht einfallenden Sonnenlicht zog das Schiff einen Kreis in mehr als tausend Metern Höhe und schwebte dann auf einen Landeplatz zu. Es war ein runder Hügel, der sich zungenförmig aus einem riesigen Wald hervorschob und fast übergangslos in den Kraterrand am Osten mündete. Donnernd und fauchend senkte sich das Flaggschiff. Ein leichter Ruck ging durch den Schiffskörper, als er aufsetzte. Jetzt fühlten wir, wie es in den Schläfen zu pochen begann. Wir waren in unmittelbarer Nähe der Basis.
11 Ein winselndes Geräusch schraubte sich die ganze Tonleiter hinunter und verstummte. Als Ruhe herrschte, sagte Karsihl-HP: »Wir sind da, Freunde. Acht Männer haben sich bereits gemeldet. Wir nehmen zwei Spezialfahrzeuge.« Das Flaggschiff war nicht größer als die anderen Schiffe. Die Möglichkeiten, umfangreiche Ausrüstungen einzulagern, bestanden nicht. Die Besatzungsangehörigen begannen, kaum daß das Schiff aufgesetzt und seine schräge Rampe ausgefahren hatte, die Halbgleiter aus den Laderäumen zu bugsieren. Ich ließ mir zwei Waffen geben; es waren strahlerähnliche Konstruktionen, die ich kannte. Dann reichte ich Crysalgira einen der Gürtel, die für den Körper eines Lopseggers hergestellt und viel zu lang waren. »Ich hänge ihn über die Schulter. Anders geht es nicht«, erklärte sie und befestigte den Waffengürtel irgendwie an ihrem Körper. Ich folgte ihrem Beispiel, nahm ihre Hand und ging aus dem Schiff hinaus. Als wir an der Schale mit den WürzungWürfeln vorbeikamen, steckten wir ein paar der Drogenstücke ein und grinsten uns an. Jetzt rochen sogar wir nach diesem rätselhaften Zeug. Wir blieben oben an der Rampe stehen. Die Luft war kühl und gut atembar. Fremde Gerüche wurden mit einem leichten warmen Wind herbeigetragen. Schräg unter uns erhob sich der aufgetürmte Geröllwall des Kraters und erstreckte sich rechts und links bis an den Horizont. Ein fahlblauer Himmel mit kräftigen, weißen Wolken wölbte sich über uns. »Fühlst du es? Noch immer greift die Strahlung nach uns!« murmelte Crysalgira, und ihre Finger umkrampften meine Hand. Auch in meinen Schläfen pulsierte es noch immer. Ich nickte. »Ja, ich spüre es – wie die anderen auch. Versuchen wir also, die Geheimnisse des Mithuradonk-Systems zu enträtseln.« Geräuschlos war Karsihl-HP hinter uns getreten. Es gab nur wenige Unterschei-
12 dungsmerkmale bei diesen Wesen. Aber ich erkannte ihn an den Symbolen an seinem Raumanzug. Hoffentlich, fuhr es mir durch den Kopf, brauchte ich nicht in kurzer Zeit einen Planeten zu betreten, dessen Atmosphäre für einen Arkoniden nicht atembar war. Die Raumanzüge dieser Wesen funktionierten zwar genauso wie ein arkonidischer Anzug, aber es würde fast unmöglich sein, in einen solchen Anzug hineinzuschlüpfen. Der erste Grund war die mangelnde Größe, dann erst kamen die anderen Unterschiede. Ich verschob auch diesen Gedanken auf später. »Eine schöne, leere Welt!« sagte KarsihlHP. »Die Basis muß tief im Boden verborgen sein!« Sein langer Arm deutete auf den Krater, der in seiner ganzen Größe vor uns lag. Im Mittelpunkt gab es eine funkelnde Fläche, die sich zu bewegen schien. Die Wände waren nacktes Erdreich und Felsen. Die Tejonther schienen sich nicht einmal die Mühe gemacht zu haben, die Spuren zu verwischen. »Wir werden es herausfinden!« erklärte Crysalgira. »Deine Männer scheinen fertig zu sein.« Die beiden Halbgleiter waren schalenförmige, halboffene Konstruktionen mit jeweils sechs riesigen Rädern mit wuchtigem, stollenförmigem Profil. Eine Art Strahlenkanone war über den Platz des Kopiloten montiert. Breite Sitzbänke und geräumige Staufächer, verbunden mit einer halbrunden Ladefläche, füllten das Innere aus. Jetzt begannen die Maschinen zu brummen, die Räder ruckten an, und die Fahrzeuge ratterten an die Rampe heran. Hinter uns kamen die Männer mit der Ausrüstung und gingen nach unten. »Los!« sagte ich. »Bleiben wir zusammen, Crysalgira?« »Es ist sicher besser so«, meinte sie. Sei wachsam! Dies ist wieder eine unbekannte Welt für dich, warnte der Logiksektor. Während wir die Gleiter bestiegen, ertönte aus dem Wald hinter uns ein röhrender
Hans Kneifel Schrei. Knirschende und splitternde Geräusche folgten. Wir sahen uns an, dann sagte Karsihl-HP einige scharfe Worte in das Mikrophon seines Raumanzugs. Aus den Lautsprechern kam Antwort. Vermutlich handelte es sich um Anweisungen für den Schutz des Schiffes. Mit fünf Lopseggern in dem einen, drei Lopseggern und zwei Arkoniden im anderen Fahrzeug starteten wir. Die Räder zogen eine breite Spur in den weichen Boden, als wir hügelabwärts fuhren. Dann suchten wir nach einem Durchgang, kurvten zwischen Felsbrocken und Holzresten auf den Wall zu. Ich beugte mich aus dem Fahrzeug und erkannte die tiefen Spuren von offensichtlich großen Tieren, die entlang des Walles gerannt waren. Ich wandte mich an den Beifahrer, der seine langen Arme um die Zielvorrichtung der Kanone ringelte. »Wieviel Zeit haben wir?« Ich versuchte, die Sprache der Lopsegger zu gebrauchen. Er verstand mich sogar. »Bis es dunkel wird. Ein unheimlicher Platz. Sechs Stunden!« Beide Wagen fuhren hintereinander auf den Durchgang zwischen zwei haushohen Felsen zu. Aus dem Wald erscholl ein zweiter Schrei, nicht weniger schauerlich als der erste. Als die Steigung zu steil wurde, schalteten die Fahrer den Antrieb aus und die Schwebeeinrichtung ein. In einem steilen Bogen schwebten beide Fahrzeuge hoch und senkten sich wieder in den weichen Boden auf der Krone des riesigen Ringwalls. Die Räder versanken drei Handbreit tief in Erde und Kies. Crysalgira drehte sich um und schrie plötzlich auf. Ich zuckte zusammen, meine Hand fuhr zum Griff der Waffe. »Dort! Sie kommen her! In der Luft!« keuchte sie auf. »Darsahl! Darsahl a ton fftalon!« schrie ich und sprang auf. Gefahr, hieß es, Gefahr aus der Luft. Viel mehr Worte in dieser Sprache kannte ich nicht. Ich zog die Waffe
Ein Mond ohne Namen und versuchte, den Gegner genau zu erkennen.
2. Die Gefahr war weiß und kam aus dem Wald. Zuerst erkannten wir nur einen riesigen trichterförmigen Schwarm, der zwischen den runden, braungrünen Baumkronen aufstieg. Der Schwarm änderte seine Form, bildete eine rüsselförmige Spitze aus, die suchend hin und her, schwenkte. Dann schienen die ersten Exemplare dieser Vögel oder Rieseninsekten uns als Gegner ausgemacht zu haben und erhoben sich in einem großen Bogen in die Luft, wurden schneller und stürzten sich dann auf uns hinunter. Ein helles, bösartiges Summen erfüllte die Luft. Ich sah das Sonnenlicht auf Tausenden von Libellenflügeln glitzern. Sie bewegten sich ungeheuer schnell. Um uns ertönten schnelle, harte Befehle, und die Wagen wendeten. Die Kopiloten entsicherten die Geschütze, wir anderen griffen zu unseren Waffen. Bis auf dreißig Meter waren die ersten Exemplare herangekommen. Ich erkannte, daß es riesige Insekten waren. Libellenflügel, lange, hakenbewehrte Gliedmaßen und eine furchtbare Zange vor den Mundöffnungen. Die großen Facettenaugen leuchteten im Sonnenlicht wie kostbare Steine. Über unseren Köpfen begannen die dröhnenden Abschüsse des ersten Strahlengeschützes. Ich zog meine Waffe, entsicherte sie und sah, daß Crysalgira meinem Beispiel folgte. Glühende Strahlen verbreiteten Druckwellen und Hitze. Die Phalanx der angreifenden Libellen wurde auseinandergerissen, und die Hitze schmolz die Flügel von Dutzenden der libellenähnlichen Tiere. Aber sie griffen weiter an. Aus beiden Fahrzeugen wurde aus allen Waffen gefeuert. Den Insekten schlug eine Wolke von Hitze entgegen. Aber jetzt schien sich der Schwarm vergrößert zu haben. Zwischen den Bäumen stiegen ungeheure Men-
13 gen der hellen, glasähnlichen Tiere auf. Das Sirren und Summen wurde lauter und stechender. Es neutralisierte sogar die Wellen der Emotiostrahlung aus dem Trichter des Kraters. Wir feuerten ununterbrochen. Es waren zehntausend Tiere oder mehr. Sie sind durch die Strahlung rasend gemacht und sehen einen Angreifer vor sich, warnte der Extrasinn. Die schwere Waffe in meiner Hand zitterte und warf lange weiße Feuerstrahlen aus. Die Strahlen töteten gleichzeitig mehrere der Angreifer, aber die Libellen drangen durch. Der Schwarm faserte in mehrere Teile aus. Sie sahen aus wie mehrere Finger, die sich aus der Höhe nach unten krümmten und nach uns griffen. Ununterbrochen fielen zuckende Insektenleiber zu Boden. Das hohe Sirren marterte unsere Nerven. Die beiden Energiekanonen feuerten und hinterließen in den Angriffswellen tiefe Gassen, die sich sofort wieder schlossen. Im Schiff schien im Augenblick noch niemand aufmerksam geworden zu sein, aber unser Fahrer kuppelte ein und fuhr langsam ein Stück in den Krater hinein. Die ersten Libellen erreichten den Wagen. Ich sprang auf, packte meine Waffe fester und schlug mit dem heißen Lauf Insekten vom Rand des Gleiters weg. Ihre langen, in Ringe eingeteilten Körper krümmten sich wie Fragmente von Würmern. Wieder schoß ich, wieder starben einige Angreifer. Aber es waren zu viele. »Verdammt!« schrie ich. Crysalgira duckte sich in ihren Sessel und schoß dicht neben meinem Kopf in die Luft. Zwei Libellen mit versenkten Flügeln kollidierten. »Achtung! Hinunter!« schrie ich und bewegte die Waffe von links nach rechts. Die donnernden Strahlen beschrieben einen Halbkreis. Zehn oder mehr der Libellen sanken zu Boden. Inzwischen hatten sich die fingerähnlichen Teile der Wolke aufgelöst und bildeten dicke Klumpen, die unsere beiden Fahrzeuge umgaben. Hin und wieder drang das Geräusch der klickenden Kiefer durch das Summen der Flügel. Ich hatte den
14 Eindruck, als würden wir in einem Bienenschwarm erstickt. Langsam rollte unser Wagen die schräge Fläche des Kraters abwärts. Wir schossen wie wild um uns. Wir hatten die Gefahr durch die Strahlung vergessen. Überall war die krabbelnde, fliegende und übereinander kriechende Masse. Auf dem Boden krümmten sich die flügellosen Tiere in dicken Klumpen. Sie krochen über die Ränder des Wagens, kletterten auf die Räder und wurden unter den Stollen zerquetscht. Die Tiere verkeilten sich ineinander, bissen sich gegenseitig in die Körper und Köpfe, und aus der Luft ließen sich die Libellen fallen, teilweise getroffen, teilweise wütend vor Angriffslust. Wir merkten es nicht, daß unser Wagen immer tiefer in den Krater hineinrollte. Rund, um den Halbgleiter war die Hölle entfesselt. Das Krachen der Waffen hatte uns alle fast taub gemacht. Ab und zu schleuderte einer von uns eine Libelle aus dem Wagen, die sich verbissen hatte. Die Tiere behinderten sich gegenseitig. Sonst wären wir schon verloren gewesen. Jetzt kamen Lopsegger aus dem Schiff gerannt. Sofort eröffneten sie ein dichtes Sperrfeuer auf die nachrückenden Tierschwärme. Ich bemerkte, daß auch der zweite Halbgleiter langsam zu rollen begann und das Gefälle des Kraters ausnützte. Die riesigen Räder hinterließen wie bei uns eine Spur aus zermalmten Libellen. »Atlan! Hilf mir!« schrie Crysalgira. Ich warf mich herum, griff mit der linken Hand in die Luft und schmetterte mit Faust und Unterarm einige Libellen zur Seite. Dann sah ich, daß das Mädchen in einem Klumpen von Libellen zu ersticken drohte. Ich packte die Tiere, warf sie in die Luft, bekam Flügel zwischen die Finger, haarige Beine, eine Zange grub sich in das Metall meines Anzugs, aber ich schaffte es, den Platz rund um Crysalgira freizukämpfen. Ein harter Stoß traf den Wagen; ich fiel schwer in meinen Sitz zurück. Eines der Räder war über einen halb mannsgroßen Steinbrocken geklettert und krachte auf der anderen Seite
Hans Kneifel wieder zu Boden. Ich merkte, daß der Ansturm der Tiere nachließ. Ich hob den Kopf, suchte die Luft ab und entdeckte, daß wir nur noch mit den Libellen kämpften, die auf der Ladefläche umherkrabbelten und immer wieder versuchten, ins Innere des Wagens zu kommen. Nur noch wenige Exemplare schwirrten mit summenden Flügeln über uns. Sie schienen verwirrt zu sein und kein Ziel mehr zu haben. Wirkte die Natur des Kessels auf die Tiere ein? Die Strahlung! sagte der Logiksektor. Ich schrie eine Warnung zum anderen Wagen hinüber, der schräg hinter uns rollte. Er wurde noch aus der Luft angegriffen. Jetzt krachten und heulten die Geschütze des Schiffes auf und rissen gewaltige Löcher in die Masse des Hauptschwarmes. Der Pilot des zweiten Halbgleiters begriff. Der Motor grollte auf und schob den Wagen in einem langen Satz abwärts. Damit war auch dieser Wagen aus der Gefahrenzone herausgekrochen. Rund um mich arbeiteten die Lopsegger wie die Besessenen. Sie warfen die Tiere aus dem Wagen und säuberten die Ladefläche, während der Fahrer den Halbgleiter beschleunigte und schräg abwärts jagte. Dann hielt er an. Mit ein paar Handgriffen schaltete er die Mikrophone und Lautsprecher des tragbaren Übersetzungsgeräts an. »Das war hart! Ist jemand verletzt?« Wir kontrollierten uns gegenseitig. Unsere Anzüge mit ihren Metallplättchen hatten die Angriffe der Libellen zum größten Teil unwirksam gemacht. Die schwereren Raumanzüge der Lopsegger hatten den Kiefern noch besser widerstanden. Es gab einige Prellungen, Abschürfungen und Schnittwunden, aber keinerlei ernsthafte Verletzungen. Durch das Donnern der Schiffsgeschütze sagte ich: »Offensichtlich hat die Landung die Tiere aufgescheucht.« Crysalgira betrachtete angewidert die Re-
Ein Mond ohne Namen ste von Schwingen, die wie dünnes Papier an den Rändern des Wagens klebten, und die Spuren der zermalmten Körper an Rädern und Profilen. Ich atmete langsam und tief durch. Ich erholte mich schnell, sicherte meine Waffe und schob sie wieder zurück. Langsam trat Stille ein. Wir sahen uns um. Der Schwarm, weniger als die Hälfte der Menge, die aus dem Wald hervorgekommen war, drehte und wand sich hoch über uns. Ab und zu verließ ein einzelnes Individuum die Masse und segelte mit wild schlagenden, zerfransten Schwingen schräg nach unten, wo es aufschlug und liegenblieb. »Die Tiere hätten alles angegriffen, was sich bewegte«, erklärte Crysalgira. »So waren wir hier, und sie griffen uns an.« Offensichtlich handelte es sich nicht um eine Verteidigungseinrichtung derjenigen, von denen dieser Krater stammte. »Wir haben uns hervorragend geschlagen. Aber später sollten wir vielleicht die Metallhaube des Gleiters schließen!« sagte ich zum Fahrer. Er wartete die Übersetzung ab und meinte: »Ja. Das werden wir tun. Für jetzt ist die Gefahr vorbei.« Ein Blick zum Schiff. Sie hatten dort aufgehört zu schießen, und eben sprach der Beifahrer mit jemandem aus dem Raumschiff. Das ovale Schiff mit seinen mächtigen Flossen paßte ebensowenig in die Landschaft wie dieser gewaltige Krater. Ich richtete mich auf und blickte nach unten. Undeutlich erkannte ich die schimmernde Fläche. Sie wirkte wie blasenwerfendes Öl. »Die Sonne wartet nicht auf uns!« sagte ich schließlich. »Ja. Wir fahren weiter.« Die beiden Fahrer riefen sich etwas zu, dann ruckten die Räder wieder an. Die Wagen bewegten sich mit brummenden Maschinen und knarrenden Riesenrädern abwärts und aufeinander zu. Minuten später hatten wir vom Ringwall aus etwa einen Kilometer zurückgelegt und befanden uns nur
15 drei Meter voneinander entfernt. Ich klammerte mich neben dem Beifahrer an die hochgewölbte Frontscheibe, lehnte meinen Oberkörper hinüber und betrachtete genau den Teil des Kraters, der vor uns lag. Erst jetzt merkte ich, daß zweierlei Dinge geschahen. Obwohl im Augenblick nicht die kleinste Wolke vor der Sonne vorbeizog, verloren alle Gegenstände ihren Glanz. Es gab keine hellen Reflexe mehr. Die großen Reifen wirkten plötzlich stumpfschwarz. Die Farben der Kämme meiner neuen Freunde sahen gebrochen und matt aus. Die Chromteile der Maschine, die leise brummend nach unten fuhr und eine tief eingedrückte Spur hinterließ, wirkten wie verrostet. Und … die Stille wurde immer tiefer. Es schien etwas zu geben, das jedes Geräusch schluckte. Vielleicht war es tatsächlich nur die frisch aufgerissene Erde, aber ich merkte, wie mir ein Schauer über die Haut lief. Eine unheimliche, niederdrückende Atmosphäre breitete sich hier aus. Auch die anderen spürten es, denn sie hörten auf zu sprechen und blickten nach allen Seiten. Die Strahlung war noch immer vorhanden. Wir spürten sie durch den dämpfenden Eindruck der Würzung hindurch in langen Wellen. Aber die Wirkung der fremden, verbotenen Substanzen hielt noch an. Das einzig Beruhigende waren die Geräusche der Motoren und der schweren Getriebe. Beide Halbgleiter rollten langsam weiter abwärts, der schillernden Fläche entgegen. Ununterbrochen hatten wir uns bisher auf frischem Erdreich bewegt. Es war vor so kurzer Zeit aufgerissen worden, daß die Erde noch krümelig und feucht war. Es gab keine Spuren außer denen, die wir hinterließen. Hin und wieder knarrten aus dem Lautsprecher einige Fragen, und der Fahrer gab Antwort. Das Schweigen zwischen uns wurde lastender und ausgesprochen unbehaglich. Ich drehte mich um und sah Crysalgira an, dann sagte ich halblaut:
16 »Du spürst, daß sich die Welt in diesem Krater verändert?« Sie biß sich auf die Lippen und nickte langsam. »Ich weiß nicht, was es ist. Aber die Stimmung, diese Ruhe und das Fehlen von Farben – es legt sich aufs Gemüt.« »Nicht nur auf unser Gemüt«, sagte ich und deutete auf die Besatzungen der beiden Halbgleiter. »Auch auf die Nerven unserer Gastgeber.« »Es ist nicht verwunderlich.« Wir hatten jetzt etwa die Hälfte der Entfernung zwischen dem Schiff und dem kleinen runden Teich aus unbeschreiblicher Substanz zurückgelegt. Unsere Spuren schnitten tief in den weichen Untergrund ein. Der undeutliche Schatten unseres Wagens wurde länger; die Sonne sank. Ich drehte mich wieder um und blickte nach vorn. Die Lopsegger hantierten mit Untersuchungsgeräten, deren Zweck ich nur erraten konnte. Aber soviel ich sehen und begreifen konnte – keine Reaktion. Plötzlich sah ich etwas. Dort vorn, keine zwanzig Meter entfernt, lag etwas in der aufgerissenen Erde. Ich riß den Arm hoch und rief: »Halt! Seht nach vorn. Ein Fundstück!« Beide Fahrer reagierten schnell und sicher. Sie schienen den Gegenstand in der gleichen Sekunde gesehen zu haben. Sie rissen die Steuerung herum, und die Wagen hielten genau fünf Meter vor dem Ding entfernt, indem sie schräg auseinander fuhren und unserem Fund die Breitseiten zukehrten. Aller Augen und die Linsen eines tragbaren Aufnahmegeräts richteten sich auf das mattglänzende, etwa einen halben Quadratmeter große Fundstück. »Was kann das sein?« fragte Crysalgira und zog sich an meiner Schulter hoch. »Nicht die geringste Ahnung!« murmelte ich. Sekundenlang blickten wir das undefinierbare Fundstück an. Es sah aus wie ein großes, etwa dreieckiges Stück aus grausilberner, dicker Folie, die zerknüllt und eingerissen war. Ein spitzes Ende hatte sich in die
Hans Kneifel braune, dampfende Erde gebohrt. Ein Lopsegger aus unserem Wagen und zwei Männer aus dem anderen Fahrzeug schwangen sich gewandt über den gekrümmten Rand der Schale, turnten entlang der Lochfelgen der großen Räder und gingen auf den Fund zu. »Vorsicht!« rief ich. »Nicht anrühren. Nicht mit den Händen!« Ich sprang auf, stellte einen Fuß auf den Reifen und schwang mich mit einem weiten Satz hinunter in die weiche Erde. Ich federte wieder hoch, stolperte im bröseligen Untergrund und fing mich ab. Die drei Raumfahrer umstanden den Fund, und eben bückte sich einer von ihnen und packte die Kante des Fundes an. »Halt!« brüllte ich, sprang hinzu und packte ihn an seiner kantigen Schulter, aber er ließ nicht los. Das Licht spielte auf der zerknitterten Oberfläche, die unablässig ihre Farben veränderte. Es waren nicht wirklich Farben; es war mehr eine schnelle Folge verschiedener Helligkeitswerte, die über die Teile wischte. Dann schrie der Lopsegger kreischend auf und hielt seinen langen Arm hoch. Hohläugig starrten wir auf den Handschuh des Raumfahrers. Er verwandelte sich. Der lederartige Stoff löste sich auf und tropfte zu Boden. Der Raumfahrer schrie wie ein Rasender. Seine Kameraden stürzten auf ihn zu. Ich stand da wie erstarrt; meine Blicke gingen von dem Gegenstand zum Lopsegger und zurück. Nicht hur der Handschuh löste sich auf. Wir sahen starr vor Schrecken, daß sich auch die Finger auflösten. Sie rieselten als grober Staub zusammen mit dem Material des Handschuhs zu Boden, und plötzlich stank es nach verbranntem Horn. Einer der Männer spurtete zurück zum Wagen und kam mit einem medizinischen Hilfsgerät zurück. Der Raumfahrer sprang hin und her, schwang seinen Arm und schrie noch immer. Er mußte rasende Schmerzen haben, denn die Farbe seiner Kammquasten wech-
Ein Mond ohne Namen selte vom tiefen Rot in ein scharfes, stechendes Blau. Drei Mann sprangen aus verschiedenen Richtungen auf den Lopsegger zu, hielten ihn fest und versuchten, seinen Arm zu packen. Er wehrte sich, halb von Sinnen vor Schmerz. Aus beiden Lautsprechern brüllten die Fragen, die jemand im Raumschiff stellte. Karsihl-HP richtete sich hinter der Scheibe des zweiten Halbgleiters auf und schrie donnernd: »Haltet ihn fest! Schlagt ihm einen Kolben in den Nacken. Helft ihm doch!« Ich tauchte unter einem herumschwingenden Arm hinweg, sprang in die Höhe und packte den Arm dicht hinter dem Handgelenk. Ich erhielt einen wuchtigen Hieb in die Kniekehlen, stöhnte auf, aber ich lockerte meinen Griff nicht. Dann schwang ich ein Bein herum und klemmte den Arm des Raumfahrers zwischen meinen Knien fest. »Jetzt! Helft ihm!« stieß ich keuchend hervor. Zum erstenmal hatte ich die verringerte Schwerkraft dieses Planeten richtig gespürt; sie beeinflußte meine Bewegungen, deren Schnelligkeit und Sicherheit. Aber wir hatten den Rasenden übermannt. Eine Spritze zischte auf, dann verschwand der stinkende und schmorende Stumpf der Hand in dem Hilfsgerät. Sekunden später beruhigte sich der Raumfahrer. Wir hoben ihn hoch und schleppten ihn die wenigen Schritte bis zur Ladefläche des anderen Halbgleiters. Der flache, ovale Körper zuckte nur noch schwach, als das Gerät summend die Hand behandelte. Aus den Öffnungen der kleinen, kastenförmigen Maschine kam eine stinkende Wolke, dann hatte die Automatik wohl den richtigen Wirkstoff herausgesucht und angewandt. Ich ließ das Handgelenk los. Die anderen kümmerten sich um den Kameraden. Ich drehte mich herum, fing einen sorgenvollen Blick Crysalgiras auf und ging langsam auf den Fund zu. Dann zog ich an dem Waffengurt um meine Schultern und klappte den
17 Riemen auf, der das lange, spitze Messer hielt. Ich packte es, kauerte mich auf die Hacken nieder und berührte mit der Spitze der Waffe das dreieckige Stück, das eine merkwürdige Beschaffenheit hatte. Die nadelfeine Spitze des Messers rutschte zunächst ab, aber an einer Kante bohrte sie sich in das Material, über dessen Oberfläche noch immer die Muster verschiedener Helligkeit zogen. Kein Metall! Aber auch kein Kunststoff! sagte erklärend das Extrahirn. Hinter mir erscholl ein langgezogenes Stöhnen. Es klang, als entspanne sich der verwundete Lopsegger. Ich zog das Messer aus dem kleinen Loch und hütete mich, dem Material näher zu kommen. Noch einmal fuhr die Schneide über das fremdartige, geheimnisvolle Ding. Ein kreischendes Geräusch ertönte. Als ob ich über Schiefer oder Porzellan geschnitten hätte. Der Schnitt zeichnete sich deutlich ab, seine, Ränder fransten aus. Ich holte tief Atem und blickte auf, als ein Schatten über meinen Arm und die rätselhafte Substanz fiel. »Was ist das, Atlan?« fragte Karsihl-HP. Soweit ich es beurteilen konnte, war sein Gesichtsausdruck niedergeschlagen. »Ich habe wirklich keine Ahnung!« sagte ich wahrheitsgemäß. »Ich denke, es ist ein Stück der Gefühlsbasis. Baumaterial, Abfall, was weiß ich. Jedenfalls etwas, was die Tejonther hinterlassen haben.« »Verfluchte Tejonther!« sagte er und richtete zwei Augen auf den stöhnenden Verwundeten. Ich folgte seinem Blick und sah, daß der Armstumpf jetzt mit einer hellgelben Bindenhülle verdeckt war. Unruhig wälzte sich der Lopsegger auf der Ladefläche hin und her. Das Material zu unseren Füßen lag unbeweglich da. Karsihl-HP deutete zum Himmel. »Die Zeit vergeht«, sagte er. »Sie vergeht immer zu schnell.« »Was willst du damit sagen?« fragte ich zurück.
18 »Wir schicken einen Gleiter zurück zum Schiff. Der Mann muß versorgt werden. Und wir kehren rechtzeitig um, denn in der Nacht suchen wir nicht.« »Einverstanden!« sagte ich und richtete mich auf. »Was sollen wir mit diesem Material anfangen?« »Es ist von Übel. Liegenlassen. Nicht mehr anrühren. Es erhellt die Dunkelheit der Unwissenheit nicht.« Ich lächelte schwach. »Aber die Sonne der Erkenntnis wird eines Tages aufgehen. Hoffentlich erleben wir dieses Morgenrot noch.« Er betrachtete mich nachdenklich mit allen sechs Augen. »Das Leben ist hart«, erklärte er ohne viel Bewegung. »Und nur die Unwürdigen erreichen ein hohes Alter.« »Dann«, sagte ich, packte seinen Arm und zog ihn mit mir zu unserem Fahrzeug, »bin ich gern ein Unwürdiger. Ich habe vor, ein bemerkenswert hohes Alter zu erreichen.« »Meine guten Wünsche begleiten dich – auch wenn sich unsere Wege gabeln sollten.« Ich erwiderte ein wenig überrascht: »Ich danke dir, Karsihl-HP, mein Freund.« Er kletterte in »unseren« Halbgleiter, gab einige Befehle und wartete, bis zwei andere Raumfahrer mit ihrer umfangreichen Ausrüstung zu uns hereinkletterten. Dann wendete das andere Fahrzeug und raste mit durchdrehenden Riesenrädern davon. Es fuhr hangaufwärts, und die Profile der Räder rissen Erdreich hoch und schleuderten es weit nach hinten. Wir fuhren langsamer geradeaus, dann drehte der Fahrer die Steuerung und wurde schneller. Wir näherten uns dem Mittelpunkt des Kraters, der zugleich der tiefste Punkt des Trichters war. Die Flüssigkeit kam immer näher. Der kleine kreisrunde See maß von einem Rand zum anderen nicht mehr als dreihundert Meter. Schweigend fuhren wir weiter und versuchten, die Eindrücke richtig zu verarbeiten. Das dreieckige Fundstück
Hans Kneifel lag verloren und unscheinbar hinter und über uns, zwischen den Spuren der zwölf großen Reifen. »Atlan! Ich habe dir etwas zu sagen«, meinte Crysalgira nach einer Weile. Ich drehte mich halb herum und blickte in ihre Augen. Sie hatte einen sehr nachdenklichen Ausdruck in ihrem hübschen Gesicht. Der Zopf hatte sich halb aufgelöst. »Ich höre!« sagte ich. Je mehr wir uns der öligen Fläche dort unten näherten, die unaufhörlich in Bewegung war, desto unruhiger wurde ich. »Ich denke, daß es hier im Krater keine Gefühlsbasis mehr gibt!« Aufmerksam verfolgte Karsihl unsere Unterhaltung. Er befand sich immer in der Nähe des Übersetzungsgeräts. »Es ist möglich, daß du recht hast«, meinte ich nach einigen Sekunden des Nachdenkens. »Wenn die Basis vorhanden ist, dann tief unter diesem Krater.« Karsihl deutete auf die Instrumente und die Testgeräte. »Wenn dort unten eine bestimmte Menge Stahl verborgen wäre, Atlan, dann würden wir dies gemerkt haben. Aber weder die Geräte des Raumschiffs noch unsere Detektoren hier konnten etwas feststellen.« Ich hob beide Arme und erwiderte: »Ich weiß es auch nicht. Beides ist möglich, Karsihl. Aber versuchen wir zuerst, diese Flüssigkeit dort zu untersuchen.« »Einverstanden, Atlan.« Die Gefühlsbasis mochte verborgen oder nicht an dieser Stelle sein, aber die Gefühlsstrahlung war unverkennbar da. Sie wirkte noch immer. Wir spürten sie. Nicht nur Crysalgira und ich, sondern auch die Lopsegger. Nach einigen Minuten, in denen das Fahrzeug geradeaus fuhr und immer tiefer zum Grund des Kraters gesteuert wurde, bremste der Fahrer ab, fuhr eine Kurve und hielt den Halbgleiter an. Jetzt wies die Spitze wieder nach oben, in die Richtung des Schiffes. Mit einem letzten Aufgrollen wurden die Maschinen abgeschaltet. Wir alle beugten uns über die Bordwand
Ein Mond ohne Namen und betrachteten die Flüssigkeit, deren Rand keine fünf Schritte vor uns lag. Ein neues Rätsel. »Dies ist kein Wasser, wie es aus den Wolken regnete!« sagte schließlich KarsihlHP. »Dies ist etwas anderes.« Vor uns lag ein kleiner See. Am Rand konnten wir erkennen, daß diese Flüssigkeit in der Konsistenz von leichtem Öl pechschwarz war. Auch sie schien das Licht irgendwie zu absorbieren. Vielleicht waren es die Sonnenstrahlen und deren latente Energie, die es ermöglichten, daß diese Brühe lebte. Gebannt und fasziniert starrten wir die Oberfläche an. »Der See lebt. Aber es ist nicht unsere Art von Leben … hier!« meinte Karsihl beeindruckt. Es war auch nicht unsere Art. Es war keineswegs Regenwasser oder Grundwasser. Es handelte sich um etwas anderes. Eine undefinierbare Substanz breitete sich hier aus. Die Oberfläche dieses kleinen Sees war samtig schwarz und fraß das Licht. Aber zwischen der Kreislinie des »Ufers« liefen unerklärliche Prozesse ab. Der matte Spiegel des Flüssigkeitskreises lebte. Er schien zu gären, zu arbeiten, und als wir hinsahen, erschien es uns allen, als versuche dort eine übergeordnete, geheimnisvolle Kraft etwas zu erschaffen – ohne Bauplan und vergeblich, aber mit immer neuen Versuchen. Blasen platzten fast geräuschlos; sie erschienen in allen Größen an der Oberfläche und lösten sich auf. Fingerartige Auswüchse erhoben sich langsam, als blase sie eine schwerfällige Kraft von unten her auf. Sie taumelten hin und her, bogen sich, krümmten sich wie Keime oder Würmer, berührten mit ihren Kuppen und Spitzen die Flüssigkeit und sanken wieder zusammen. Hin und wieder erschien eine riesige Blase, bildete mit Schwierigkeiten fast eine Kugel, deren Wandung voller Warzen und Auswüchse war, die Blase versuchte sich von der Brühe zu lösen und hochzuschwingen in
19 die warme Luft des späten Nachmittags, dann aber verließ die Kraft diese Form, und sie zerplatzte. Das alles erschien mir wie die Konstruktivität hinter den Gedanken eines geistig zurückgebliebenen Kindes. Viele Anstrengungen, unklare Zielvorstellungen, ein willfähriges Material, aber keinerlei wichtige Ergebnisse. Dann, ganz plötzlich, schien die Flüssigkeit uns bemerkt zu haben. Sie bildete eine Insel aus, die in der Mitte des Sees entstand. Es war eine ovale Form, die langsam von der Mitte aus nach außen drang, sich schob und zwischen Hunderten platzender kleiner und großer Blasen dem Ufer zustrebte. Sie bildete Pseudopodien aus, die gierig versuchten, sich über das Niveau des Teiches zu erheben und uns zu fassen. Gespenstisch. Makaber. Auf alle Fälle unheimlich. Trotz der wellenförmigen Schübe, in denen die Gefühlsstrahlung auf mich eindrang, fühlte ich hinter diesen unsinnigen und nutzlosen Versuchen einer Scheinintelligenz, wie sich in der schwarzen Flüssigkeit eine Gefahr aufbaute. Ich schloß einige Sekunden lang die Augen und sagte dann: »Ich bin, Karsihl-HP und Crysalgira, kein weiser Mann. Aber ich sage euch, daß dieser häßliche Ausfluß ein Rest der Gefühlsbasis ist. Ich weiß nicht, warum ich so sicher bin.« Täuschte ich mich, oder sprach wirklich tiefes, die Grenzen unserer Verschiedenheit mühelos überwindendes Verständnis aus der Antwort des Lopseggers? Ich täuschte mich oft. Nicht hier und nicht jetzt. Karsihl sagte: »Auch wir sind sicher. Diese Flüssigkeit ist nicht die Quelle der Gefühle, die uns heimsuchen. Es ist ein unbedeutender Rest. Die Gefühlsbasis, die wir suchen, befindet sich nicht in oder unter diesem Krater. Aber es ist wahrscheinlich, daß sie sich hier befunden hat. Sie ist nicht mehr da.« Fast gleichzeitig, als wäre ein telepathischer Kontakt entstanden, blickten wir nach oben zum Ringwall, zum Schiff und nach dem Sonnenstand. Es war spät geworden. »Du willst zurück?« fragte ich.
20 »Ja«, erklärte Karsihl. »Denn wir werden nichts entdecken. Dieser kleine See sagt uns nichts. Sieh die Instrumente!« Er deutete nach unten. Die Geräte, deren Linsen, Antennen oder Projektoren sich auf die Oberfläche des schwarzen Tümpels richteten, schlugen nicht aus. Sie zeigten keinerlei Reaktion. Mit den Mitteln der Lopsegger konnte hier nichts festgestellt werden. Außerdem stank die Brühe nach faulender organischer Materie. Noch immer war sie in wütender Bewegung und produzierte sinnlose Blasen, Finger, Auswüchse und Inseln, die sich alle auflösten und zerplatzten, ehe irgend etwas zu erkennen war. »Ich sehe. Es wird langsam dunkel. Fahren wir zurück!« sagte ich. Der Fahrer drückte einen Schalter; winselnd und rasselnd erwachten die Maschinen des Wagens. »Wenn die Gefühlsbasis nicht hier ist«, fragte Crysalgira, »wo ist sie dann?« Wir blickten uns ratlos an. »Ich weiß es nicht«, meinte ich. »Auch ich kann keine gute Antwort geben. Vielleicht haben wir in der Nacht eine wichtige Erkenntnis!« sagte Karsihl und deutete, den Fahrer anblickend, in die Richtung des Schiffes. »Ein Fehlschlag also!« sagte ich. »Was diesen Planeten und den Krater betrifft – ja«, erwiderte der Lopsegger. Wir nickten uns zu, und der Wagen begann die Rückfahrt. Wir fuhren dicht neben unseren eigenen Spuren. Geradeaus, ziemlich schnell, durch den Schatten, denn die Sonne begann hinter dem Wald, dem Ringwall und dem Hügel zu verschwinden. Je dunkler es wurde, desto düsterer wurde die Stimmung. Wir waren froh, als der Fahrer dicht vor dem Wall aus Felsen und Holztrümmern die Schwebeeinrichtung betätigte und das Schiff erreichte. Der Wagen wurde neben einer der großen Flossen abgestellt, auf der anderen Seite der Platte stand schon das andere Expeditionsfahrzeug. Wir stiegen aus und blieben auf der Rampe stehen.
Hans Kneifel »Immerhin haben wir einige wichtige Einsichten gewonnen. Auch eine negative Information ist eine Information«, tröstete uns Karsihl-HP. Zu meinem Erstaunen sagte Crysalgira plötzlich: »Atlan … ich möchte diese Nacht außerhalb des Schiffes schlafen.« Karsihl hatte jedes Wort verstanden. »Ich habe nichts dagegen«, erklärte ich leise. »Wir essen im Schiff, und es wird kein großes Problem sein. Gibt es entsprechende Schutzvorrichtungen, Freund Karsihl-HP?« Er nickte; beziehungsweise beugte er seinen flachen Körper und bewegte dadurch den wulstartigen Kopf und die federnden Quasten. »Gut. Ich bereite alles vor!« sagte ich. Wir gingen zurück ins Schiff. Der Einstieg und die Rampe waren gesichert. Aus dem Wald hörten wir, als wir die die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, wieder den langgezogenen Schrei eines großen Tieres, aber er kam von sehr weit her. Von den wahnsinnigen Libellen war nichts zu hören und nichts zu sehen. Als wir den Einstieg erreichten, blieb ich stehen und hielt Crysalgira und Karsihl an den Armen zurück. »Der Mond!« sagte ich. »Der erste der beiden Monde geht auf.« Karsihl erwiderte ruhig: »Es ist ein schönes, urtümliches Bild, Atlan.« Das war es. Über dem fernen Horizont erhob sich die riesige Scheibe des ersten Mondes. Sie war zitronengelb, und die Krater, Maare und Linien bildeten feine schwarze Filigranmuster. Der namenlose Mond hatte eine sehr hohe Albedo, und seine Bahn verlief verdächtig nahe am Planeten, denn ich kannte die wahre Größe des Trabanten. Ebbe und Flut mußten hier ausgesprochen dramatische Unterschiede erreichen. Es war ein Anblick, der aus einem Horrorbild stammen konnte. Das gelbe Licht des Mondes mischte sich mit dem letzten Sonnenlicht der Dämmerung. Das Land um uns herum wurde von einem bösartigen Glanz überschüttet. Und schlagartig in dem Augenblick, als sich die
Ein Mond ohne Namen untere Rundung des Mondes – der jetzt flachgedrückt und verzerrt erschien – vom Horizont löste, begannen die tausendfach Geräusche im Wald rund um uns. Schweigend gingen wir in die ruhige Wärme des Schiffes. Es war wie eine Flucht.
* Mehrere Decken lagen auf der Ladefläche, darüber war ein Insektenschutznetz gespannt. Ich spürte neben mir die Bewegungen von Crysalgiras Körper. Etwa zwanzig Meter von uns entfernt saßen sieben oder acht Lopsegger um ein kleines, flackerndes Lagerfeuer herum und unterhielten sich leise. »Wir scheinen hier ziemlich sicher zu sein, Atlan. Vielleicht ist es einer der letzten ruhigen Abende!« sagte Crysalgira flüsternd. Ich lag auf dem Rücken und starrte an der Wand des Schiffes entlang hinauf zu den Sternen des fremden Kosmos. Wie ein riesiger Ballon hing der gelbe Mond fast genau über uns. »Ich weiß auch nicht, was das alles zu bedeuten hat«, sagte ich. »Jedenfalls befindet sich die Gefühlsbasis in der Nähe.« »Wir alle merken es!« Wir hatten mit Karsihl, Germyr und der Mannschaft in der kleinen Messe des Schiffes gegessen. Jeder hatte eine andere Meinung über die Vorfälle, aber wir kamen zu keinem befriedigenden Ergebnis. Auch während des Essens fühlten wir den Druck der Emotiostrahlung. Aus diesem Grund hatte Karsihl-HP wieder Verbotene Würzung austeilen lassen. Wir waren unschlüssig, was wir tun sollten. Wo war die Basis zu finden? Eine Bewegung lenkte mich ab. Eine Veränderung im Bereich des namenlosen gelben Mondes. Ich blickte schärfer hin, dann richtete ich mich vor Überraschung auf. »Crysalgira! Schau auf den Mond!« Aus der Mitte des Trabanten wuchs in rasender Geschwindigkeit ein dicker, weißer
21 Strahl. Er wurde länger, aber bis jetzt reichte er noch nicht über die Rundung hinaus. Ich sprang auf die Beine, riß das Insektennetz zur Seite und schrie hinüber zu den Lopseggern. »Seht den Mond an! Das hat etwas zu bedeuten!« Auch die Besatzungsangehörigen sprangen auf und starrten nach oben. Dann zertrat einer das Lagerfeuer und warf Erde darüber. Qualmend erstickten die Flammen. Der weiße Strahl wuchs noch immer, wurde länger, spannte sich durch den Weltraum und näherte sich uns. Zwei Männer rasten wie die Wahnsinnigen die Rampe hinauf und schrien. Sekunden später, als der Strahl uns fast erreicht hatte, gab man im Schiff Alarm. Jetzt war der Strahl angekommen, und kurze Zeit später schlugen auch die Geräusche über uns zusammen. Es war wie ein metallisch klingender Hammerschlag. Aus dem Nachhall des Donners schälte sich ein hohes, ratterndes Geräusch heraus, das wie eine Säge klang, eine schnellaufende Säge, die sich durch widerspenstiges Material fraß. Ich packte Crysalgira um die Hüften und sprang mit ihr von der Ladefläche des Halbgleiters. Jetzt erreichte der Strahl den Boden. Er berührte leicht schwankend auf der gegenüberliegenden Seite des Kraters die Oberfläche des Planeten. Dann schwankte er wieder zurück. Es war, als sei er ferngesteuert und würde sein Ziel suchen. Aus den Düsen des Schiffes kamen laute Geräusche. Der Alarm hörte auf, wir standen bereits auf der Rampe im Schutz des großen Metallkörpers. »Suchen sie uns? Oder was geht hier vor?« murmelte Crysalgira. Auch ich war ratlos. »Sie steuern den Strahl. Er erfüllt einen ganz bestimmten Zweck. Ich glaube nicht, daß sie uns angreifen.« Vom Mond bis zum Krater bestand eine Energieverbindung. Die letzten Donnerschläge verhallten, die aufgerissene Lufthülle beruhigte sich wieder. Die Gegend war blendend hell geworden. Das schrille Ge-
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räusch wurde lauter, dann schien der Strahl gefunden zu haben, was seine Steuermänner suchten. Er berührte dort drüben den Ringwall und begann ihn zu verändern. Erdreich, Steintrümmer und Geröll flogen im hohen Bogen nach innen. Die Geräusche änderten sich. Das Ende des Strahles arbeitete wie eine gigantische Fräse. Sie ebnete den Boden ein. Ich verstand jetzt etwas mehr. Wir waren zu früh gekommen. Eigentlich sollte der Krater nicht mehr sichtbar sein und einem Suchenden verraten, daß hier eine Gefühlsbasis eingegraben gewesen war. Die Spuren waren noch nicht beseitigt, als wir landeten. Jetzt erst, bei der richtigen Stellung des Mondes, beseitigten die Tejonther die Spuren ihres Transports. Ihr seid zu spät gekommen. Einige Tage vorher, und ihr hättet gesehen, wohin die Gefühlsstation transportiert wurde, korrigierte der Extrasinn. Karsihl-HP und Germyr-HP kamen aus dem Schiff und blieben neben dem Mädchen und mir stehen. Wir sahen sprachlos und verwirrt zu, wie der Strahl mit der Geschwindigkeit eines Fußgängers weiterglitt und das Material des Kraterrandes wieder in den Krater zurückwarf. Die gesamte Natur rund um uns war in offenem Aufruhr. Das Schrillen und Kreischen und die dumpf polternden Steine und Erdmassen, die tonnenweise durch die Luft geschleudert wurden … ein Geräuschorkan tobte durch die Nacht. »Jetzt wissen wir mehr, Atlan!« knarrte Karsihl-HP. »Wir wissen, daß die Gefühlsbasis auf diesem gelben Mond ohne Namen ist«, pflichtete ich ihm bei.
3. Drei Stunden früher, und der fräsende Strahl hätte uns getötet. Die Ahnung der Lopsegger war also doch richtig gewesen; sie scheuten sich, in der Nacht die Umgebung des Schiffes zu verlassen. Der Alarm hörte auf, und immer mehr Leute liefen ins
Freie, um den Strahl zu sehen. Durch das Dröhnen und Kreischen schrie Crysalgira: »Warum wohl haben die Tejonther den Standort der Basis gewechselt?« »Ich kann es mir nicht denken«, rief ich zurück. »Aber sicher haben sie einen Grund gehabt.« Es befanden sich also tejonthische Raumschiffe in diesem System. Die Vorsicht Germyr-HPs war berechtigt gewesen. Plötzlich schrie Germyr-HP neben meiner Schulter: »Unsere Mission wird immer gefährlicher. Ich weiß nicht, ob wir noch hierbleiben sollen!« Ich zuckte die Schultern; ich konnte sie bitten, ihnen aber keine Anordnungen geben. Aber ich rechnete mit der Entschlossenheit Karsihls. Der Strahl wanderte und kam jetzt entlang der linken Seite des Ringwalls. Deutlich sahen wir im Mondlicht und in der Beleuchtung durch den weißen Energiestrahl selbst, wie nach, einem offensichtlich genauen Plan die Geröllmassen nach rechts flogen. Felsbrocken fielen in den lebenden, öligen See im Zentrum des Kraters und schleuderten die Flüssigkeit in einem Tropfennebel nach allen Seiten. Dort, wo der Strahl bereits vorbeigezogen war und sein Licht uns nicht mehr blendete, erkannten wir eine geschlossene, leicht hügelige Fläche, die offensichtlich aus dem feinstkörnigen Erdreich bestand. Vom Ringwall war an diesen Stellen nichts mehr zu sehen, auch nichts von den zerfetzten und zertrümmerten Büschen und Bäumen. Ich fragte Karsihl-HP: »Wirst du das Kommando zum Start geben lassen?« Er deutete auf den Ringwall, der mehrere hundert Meter von uns entfernt war. In absehbarer Zeit würde der Strahl hier entlangkommen und ihn auflösen. Standen wir zu nahe am Wall? »Ich denke, sie haben uns nicht gesehen. Wir sind nicht gefährdet. Wir bleiben, Atlan.«
Ein Mond ohne Namen Während der Strahl arbeitend weiterwanderte, geschah abermals etwas Ungewöhnliches und Bedrohliches. Aus dem Wald hinter uns kamen Vögel, riesige Insekten und kleine Flugsaurier. Zuerst waren es nur wenige, aber dann wurden es immer mehr. Sie bildeten Schwärme, jede Tiergattung einen anderen. Schließlich vereinigten sich die kleineren Gruppen und bildeten eine gewaltige, dunkle Wolke, in der es ebenso arbeitete wie in dem kleinen See vor einiger Zeit. Die Wolke strebte dem Energiefinger zu; die Tiere schienen von dem Licht magisch angezogen zu werden. Hin und wieder, wenn Teile der Wolke den Mond passierten oder vor der leuchtenden Energiesäule vorbeischwebten, konnten wir einzelne Tiere erkennen. Sie alle befanden sich in Aufregung. Vielleicht wirkte auch jetzt die emotionelle Strahlung auf sie ein. »Wir sollten zum Mond ohne Namen fliegen und dort die Basis suchen!« sagte ich laut. Der Strahl kam kreischend näher, der Bogen des herumgeschleuderten und fein verteilten Kratermaterials befand sich jetzt in ganzer Breite direkt in unserem Blickfeld. »Es wäre besser, wenn wir eine Hauptwelt unseres Volkes anfliegen!« erklärte der Diplomat Germyr-HP. Er machte einige abwehrende Bewegungen. »Wir sind hierher gekommen«, schrie ich durch das Dröhnen und Poltern des näher kommenden Frässtrahls, »um nach der Gefühlsbasis zu suchen. Wir haben sie jedenfalls entdeckt!« »Ja, auf dem gelben Mond!« Crysalgira deutete senkrecht nach oben. Die große, sich aufblähende, zusammenziehende Wolke, die unaufhörlich ihre Form veränderte, erreichte jetzt den Strahl. Die ersten Tiere flatterten geblendet in das Leuchten hinein. Sie wurden von einer unsichtbaren Kraft gepackt, nach unten gerissen und durcheinandergewirbelt wie Staubteilchen. Dann jagten sie zum Boden des Strahls, änderten ruckartig ihre Richtung und wurden dorthin geschmettert, wohin auch das Geröll und die Steine gewirbelt wurden. Langsam
23 verkleinerte sich die Wolke aus Tieren. Sie zog sich auseinander und raste, flatterte und schwebte schlangenförmig um den Stab leuchtender Energie herum. Wieder nahm der Druck auf unsere Schläfen zu. Der Strahl und die Emotiowellen schienen irgendwie miteinander in Verbindung zu stehen. Wir warteten stundenlang … An Schlaf war nicht zu denken. Das kreischende Geräusch des wild arbeitenden Strahlenfingers wurde lauter, als die Energie sich von links näherte, an unserem Schiff und der gesamten Besatzung vorbeischrillte und den Ringwall auflöste, als wäre es ein Schneerest. Immer mehr der Tiere wurden in den Strahl mit hineingerissen, nach unten und dann nach innen geschleudert. Das weiße Lodern des Strahls beleuchtete auf der linken Seite den Krater. Wir mußten entdecken, daß inzwischen mehr als die Hälfte des Kraters planiert war. Steine und die Massen des Erdreichs bildeten eine glatte, leicht wellige Oberfläche, die dort, wo sich der Ringwall befunden hatte, ohne Niveauunterschied in die Umgebung überging. Das einzige Zeichen dafür, daß sich hier eine Wunde in der Landschaft befunden hatte, war der Umstand, daß die neugeschaffene Oberfläche ohne Bewuchs war und aus brauner, warmer Erde bestand. Wie ein Garten nach der Aussaat, wenn die Halme noch nicht gesprossen waren. Hin und wieder verschwand eines der Besatzungsmitglieder und versuchte, im Schiffsinnern einen Platz zu finden, an dem ein unruhiger Schlaf möglich wurde. Allmählich nahm der schrille Lärm ab, als sich der Energiestrahl wieder nach rechts entfernte. Ich gähnte und sagte schließlich zu Crysalgira: »Ich werde mir auch einen Winkel suchen und mir Dichtungsmasse in die Ohren stecken.« Germyr-HP warf ein: »Die halbe Nacht ist vorbei. Wir bringen uns noch mehr in Gefahr, Karsihl, wenn wir nicht ausgeschlafen sind.«
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Zweifellos mißbilligte Germyr unser Vorhaben, zu starten und zum Mond zu fliegen. Aber ich war sicher, daß sich Karsihl durchsetzen konnte. »Ich gehe mit!« erwiderte Crysalgira. Bisher hatte die Anspannung unserer Nerven uns wachgehalten. Plötzlich wurden wir müde; so erging es auch den Lopseggern. Wir gingen ins Schiff und fanden einen Raum; es war die zweite Hälfte der Doppelkabine. Sie war genügend gut isoliert. Der gewaltige Lärm des Strahls drang nur als rauschendes Summen durch die Schiffswand.
* Nach etwa sieben Stunden erwachte ich langsam. Crysalgira hatte Essen besorgt. Auf einem Teller lagen mehrere Würfel der Verbotenen Würzung. Als das Mädchen merkte, daß ich wach war, sagte sie mit merkwürdiger Betonung: »Gehe einmal hinaus und wirf einen Blick auf den eingeebneten Krater!« Ich richtete mich auf und zog mich an. »Was ist los?« fragte ich überrascht. Es schien nichts Dramatisches zu sein, aber auf alle Fälle war dort etwas Überraschendes geschehen. »Ein mittelgroßes Wunder. Schau selbst nach!« murmelte sie und gähnte. Ich huschte hinaus und verließ das Schiff über die Rampe. Dann blieb ich verblüfft stehen. Ich erkannte einige Meter neben mir Germyr-HP, dessen Augen starr auf der riesigen Kreisfläche ruhten. Die Sonne war aufgegangen und beleuchtete die Anlage. Es war kein Fleckchen blankes Erdreich mehr zu sehen. Die gesamte große Kreisfläche war mit Gräsern, Blumen und kleinen Büschen bewachsen. Germyr drehte sich zu mir herum und sagte ins tragbare Übersetzungsgerät: »Du siehst, welche furchtbaren Gegner wir haben. Sie können uns sehr schaden, Atlan.«
Ich murmelte überrascht: »Diese merkwürdige ölige Brühe im Zentrum des Kraters. Diese Flüssigkeit muß das Wunder bewirkt haben.« Ich erinnerte mich, daß sie tropfenförmig und als Nebel verteilt worden war. Jedenfalls war das blitzschnelle Wachstum eine Überraschung. Ich kannte keine Methode außer der direkten Verpflanzung, ein Stück Land so schnell zu begrünen. Unterschätze auf keinen Fall die Tejonther! warnte der Logiksektor. »Wir sollten nicht mit ihnen kämpfen!« jammerte Germyr-HP. »Karsihl fordert das Schicksal heraus!« Ich hob die Hand und entgegnete ruhig: »Niemand hat vor, gegen die Tejonther im offenen Kampf anzutreten. Wir suchen keinen Krieg, sondern die Gefühlsbasis.« »Das alles ist verwirrend und bringt uns Tod und Verderben!« sagte er. Ich warf einen letzten Blick auf die Landschaft unter uns. Die flach einfallenden Sonnenstrahlen modellierten die kleinen Hügel heraus. Ich mußte wider Willen die Konstrukteure dieses fräsenden Strahls bewundern. Die technische Leistung war gewaltig. Aber aus welchem Grund die Tejonther ihre Gefühlsbasis hier aus dem Boden gerissen und zum Mond abtransportiert hatten – wir alle konnten es nicht einmal ahnen. Ich wandte mich ab und versuchte, Germyr-HP zu beruhigen. »Schau an, Freund Germyr! Die Tejonther haben alle Spuren verwischt. Oder zumindest haben sie es versucht. Das bedeutet, daß auch sie Furcht haben müssen. Und diese Tatsache sollte uns ermutigen.« Ich ging zurück ins Schiff. Crysalgira sah mich schweigend an, als ich mich an den Tisch setzte und zu essen begann. Schließlich, als ich über alles nachgedacht hatte, murmelte ich: »Vermutlich konnte ich Karsihl-HP überzeugen. Ich denke, daß wir in kurzer Zeit zum Mond ohne Namen starten.« »Du hast den ehemaligen Krater gesehen?«
Ein Mond ohne Namen Ich nickte langsam. Es mußte diese Flüssigkeit im Kraterzentrum gewesen sein, von der das rasende Wachstum gesteuert wurde. Und als ich daran dachte, fühlte ich auch wieder die unterdrückte Ausstrahlung der Gefühlsbasis. Ich nahm einen Würfel in die Finger. »Ich habe ihn gesehen und bin mehr als erstaunt«, sagte ich. »Wir werden die Tejonther nicht unterschätzen – Germyr befürchtet es. Aber wir kämpfen nicht, wir suchen nur.« Im gleichen Augenblick ging der schnarrende Türsummer. Karsihl-HP trat ein, als ich das Schott öffnete. Der Lopsegger ging an mir vorbei und blieb in der Nähe des Übersetzers stehen. »Wir starten in wenigen Minuten«, sagte er. »Kommt ihr in die Zentrale?« »Ja«, erwiderte ich. »Du hast Germyr überzeugen können!« »Es war schwierig. Wir werden sehr vorsichtig sein müssen, und außerdem wird die Flotte unruhig, die auf uns wartet. Die Männer fürchten, daß die Schiffe der Tejonther uns entdecken und vernichten.« »Diese Furcht«, erklärte ich entschlossen und ging mit ihm und Crysalgira zum Schott, »ist verständlich. Auch wir rechnen damit, daß die Tejonther hier bald eintreffen. Das ist ein Grund, schnell zu starten und zum Mond zu fliegen.« »Das habe auch ich Germyr erklärt, und ich denke, er ist beruhigt. Er und seine Freunde.« Wir gingen in die Zentrale. Die Geräusche rund um uns bewiesen, daß das Schiff startklar gemacht wurde. Lopsegger hasteten hin und her, die Halbgleiter befanden sich bereits im Schiff. Summer quäkten, und ich atmete gepreßt, weil die »Würzung« wieder meine Geschmacksnerven paralysierte. Dann startete das Schiff. Wir hatten uns wieder in den Sesseln festgeschnallt und beobachteten fasziniert den Schirm, der das Startgebiet zeigte. Während das Schiff zuerst langsamer, dann immer
25 schneller an Höhe gewann, rückte die runde Zone ins Blickfeld der Linsen. Nur ein Farbunterschied deutete darauf hin, daß hier das Gelände modelliert worden war. Die Gewächse dort unten in einem ausgefransten Kreis waren heller, ihr Grün war frischer, als das der Umgebung. Germyr-HP beugte sich zu uns herüber und sagte halblaut: »Ich bin erst dann wieder ruhig, wenn wir das Mithuradonk-System verlassen haben werden.« Crysalgira schien etwas ungehalten zu sein, als sie antwortete: »In einem halben Tag kann alles vorbei sein, Germyr. Du weißt, was von unseren Erkenntnissen abhängt!« Er knickte seinen Körper ab und sagte schroff: »Und niemand weiß, wie ihr beide es anstellen wollt, das Schiff zu verlassen. Denkt ihr etwa, daß der gelbe Mond ohne Namen eine Lufthülle hat?« Mit donnerndem Antrieb schraubte sich das Raumschiff durch die letzten Wolken und stieß ins Vakuum des Weltraums vor. Die ersten Kursänderungen wurden eingeleitet. Die Funkabteilung hatte eine Verbindung zu den Schiffen unserer wartenden Flotte hergestellt und schilderte, was vorgefallen war. Auch die Geräte der wartenden Schiffe hatten bisher noch nicht das geringste Zeichen einer nahenden Großflotte aufgefangen. Diese Auskunft, die sofort an uns weitergegeben wurde, schien Germyr ein wenig zu beruhigen. Jedenfalls hatte er vollkommen recht: Wir waren dazu verdammt, im Schiff zu bleiben. Es gab keine Raumanzüge für uns. Das Schiff wurde schneller und kippte nach rechts weg. Der kleinere der beiden Monde, ein öder Felsbrocken, raste schräg an uns vorbei und verschwand wieder in der Dunkelheit des Weltraums. Dann tauchte hinter der riesigen Krümmung des Planeten der gelbe Mond auf. »Dort ist er!« sagte Karsihl-HP. »Und dort ist auch die Gefühlsbasis.«
26 Unsere Ortungsgeräte wurden eingeschaltet, die Antennen und Linsen suchten die Oberfläche des gelben Trabanten ab. Ein gewaltiger Strom von Informationen kam herein und wurde sortiert. Das Schiff schwankte, als es eine andere Richtung einschlug. In der vergangenen Nacht waren Aufnahmen von der Oberfläche und dem Ausgangspunkt des Strahls angefertigt worden, und jetzt suchten wir die Großgeländeformation, die diesen Aufnahmen entsprach. Ein Maar lag vor uns, eine ovale Vertiefung, durchzogen von Spalten und zernarbt von Kratern in allen Größen. Schwarze Linien und Schatten modellierten das Gelände. Auf einen Schirm wurde die Aufnahme projiziert. Dann verschoben sich die Linien der wirklichen, vor uns liegenden Strukturen so lange, bis sich die beiden Bilder deckten. Es war der obere Teil eines Ausläufers dieser Zone, eine zungenförmige Ausbuchtung, von Spalten durchzogen und eine wirre Kraterlandschaft. Der Strahl selbst mündete in eine enge, tiefe Schlucht, die von einer scharfen Bergkette geschützt war. »Wir werden in diesem Krater landen!« erklärte Karsihl und wählte eine Vergrößerung. Wir konnten jetzt die Basis erkennen. Die Schatten des Gebirges fielen über die Schlucht, und zwischen den Schatten tauchte aus der Mitte der Schlucht eine metallische Rundung auf. Sie wirkte wie eine versteckte Kuppel, aber es konnte auch eine kugelförmige Konstruktion sein, die vorzüglich getarnt in dem tiefen Spalt stand. Ich spürte, wie meine Erregung zunahm, obwohl ich nur reichlich verschwommene Ideen über den Sinn dieser Station hatte. Plötzlich zeichnete sich auf einem anderen Bildschirm ein deutliches Echo ab. »Entfernung siebenhundert Kilometer!« übersetzte das Gerät den Ruf eines Kopiloten. Das Echo bezeichnete eine kleine, massive Metallansammlung. Eine zweite Station der Tejonther?
Hans Kneifel Unser Schiff bremste ab und schwebte, wesentlich langsamer, auf den ausgesuchten Landeplatz zu. Die Gegend dort schien einigermaßen vertrauenswürdig zu sein. Ich wollte gerade etwas sagen, als es auf den Schirmen aufblitzte. Genau dort, wo die kleinere Station ausgemacht worden war, entstanden blendende Blitze und Strahlen. »Sie schießen auf uns!« rief Crysalgira aus. »Es müssen Tejonther sein!« »Wer sonst?« röhrte Germyr-HP lauf auf. »Ich habe es immer gesagt! Wir geraten in Todesgefahr! Sie werden uns angreifen, diese Hunde!« Das Schiff schwebte genau auf den Landeplatz zu, der sich ungefähr zehn Kilometer vor dem Mittelpunkt der Schlucht befand. Wieder spiegelte sich ein Reflex der Sonnenstrahlen auf der glatten Rundung der Gefühlsbasis. Die Blitze und Strahlen aus der kleinen Station, die sich auf einem Plateau in halber Höhe eines Mondberges befand, fuhren an unserem Schiff vorbei. Die Besatzung handelte blitzschnell und mit der Entschlossenheit, die mich einen Augenblick lang verblüffte. »Führt die Landung auf vorgeschriebene Weise durch!« rief Karsihl-HP. »Erwidert das Feuer!« Der Rumpf des Raumschiffs begann zu vibrieren. Donnernde Detonationen erschütterten die Verbände. Wir konnten die Geschehnisse auf den Schirmen verfolgen. Ununterbrochen feuerten Geschütze oder Projektoren, die direkt neben der kleinen Station versteckt oder eingebaut waren, auf uns. Offensichtlich hatte die tejonthische Besatzung unseren Landekurs falsch ausgerechnet, denn nur ein einziges Mal trafen sie. Ein Teil einer Heckflosse wurde weggesprengt; die Ränder glühten auf und verfärbten sich. Dann erschienen über und neben der Station Wolken aus Geröll und Staubschleier, die sich träge ausbreiteten. Zwischen den aufgewirbelten Massen zuckten Feuerkugeln auf und zerplatzten. Wir sahen, während unser Schiff abdrehte und sich langsam auf den Landeplatz senkte,
Ein Mond ohne Namen daß Trümmer und Felsen zur Seite geschleudert wurden, in den Berghang einschlugen und dort weitere Stauberuptionen auslösten. Die Fragmente kollerten in kleinen Steinlawinen abwärts. Aus der Station flammten glühende Gase. Schlagartig hörte der Beschuß auf. »Es wird noch andere Schutzforts geben!« behauptete Germyr-HP laut. »Das bezweifle ich. Die Ortung hat nur diese eine Station feststellen können!« widersprach Karsihl. Die Stichflamme brennender Luft erlosch. Rundherum sahen wir die Spuren der Einschläge. Die Geschützmannschaften unseres Schiffes hatten hervorragend gezielt. Mitten durch das Dröhnen unserer Maschinen hörte ich Karsihl-HP sagen: »Bleibt wachsam! Niemand verläßt seinen Platz am Geschütz. Ich denke, wir haben die Tejonther ausgeschaltet.« Crysalgira drehte sich zu mir herum und deutete dabei auf die halb zerstörte Station. »Wenn es dort Tejonther gab, dann gibt es auch Raumanzüge. Oder jedenfalls Anzüge, die sie für Ausflüge auf dem Mond benutzt haben.« »Vermutlich werden sie uns passen. Warten wir ab, was das Kommando herausfinden wird!« antwortete ich. Auf den Bildschirmen brodelten jetzt die dünnen Staubwolken, die von den Triebwerken unseres Schiffes hochgerissen wurden. Mit einem weichen, federnden Ruck setzten wir auf. Ich löste meine Gurte und stemmte mich hoch. Hier war nichts von der geringen Anziehungskraft zu merken. Wir befanden uns noch innerhalb des künstlichen Andrucks im Raumschiff. »Hast du vor, Karsihl, ein Kommando in die zerstörte Station hinüberzuschicken?« fragte ich zögernd. Ich war ziemlich sicher, daß Karsihl-HP und seine Kameraden entschlossen waren, die Tejonther zu bekämpfen. Aber jetzt wuchs der Widerstand von Germyr, dem lopseggischen Diplomaten, und seinen Freunden. Sie waren alles andere als ängstlich, aber sie rechneten sich ange-
27 sichts der gewaltigen Übermacht der tejonthischen Flotte kaum eine Überlebenschance aus. Ich konnte sie verstehen – aber mich drängte es, in die versteckte Gefühlsbasis einzudringen. »Ja. Ich schicke ein Kommando aus Freiwilligen«, erklärte Karsihl. »Du rechnest damit, daß wir die Anzüge der Toten mitbringen?« Ich lächelte vage. »In der Tat hatte ich diesen Gedanken. Die Anzüge würden es uns beiden leichter machen, euch etwas zu helfen.« Obwohl wir der Gefühlsstation inzwischen so nahe gekommen waren wie noch nie, verstärkte sich der Druck der Gefühlsstrahlung nicht. Noch war die Strahlung wirksam, aber die Würzung verhinderte nach wie vor, daß wir darunter ernsthaft litten. Das galt, soweit ich es feststellen konnte, nicht nur für Crysalgira und mich, sondern auch für die Lopsegger. Germyr-HP schaltete sich lautstark ein. Er sagte in der Nähe des Mikrophons, so daß wir es deutlich hören konnten: »Wenn deine Gruppe das Schiff verläßt, Karsihl-HP, dann denkt daran, daß jede Sekunde die Flotte der Feinde hier ankommen kann. Und sie werden sofort merken, daß ihre Station schweigt, weil die Besatzung tot ist. Eilt euch! Haltet euch nicht zu lange auf!« »Ich verspreche es!« erwiderte Karsihl etwas förmlich. Crysalgira und ich warteten. Die Maschinen waren inzwischen abgestellt worden, aber das Schiff blieb weitestgehend startbereit. Nacheinander erschienen acht Lopsegger in der Zentrale. Sie trugen schwere, flugfähige Raumanzüge und eine Menge Ausrüstung. Einige Männer halfen Karsihl in seinen Anzug. Bevor er den Helm schloß, meinte er zu uns: »Wir sind sicher, daß wir euch helfen können, Atlan!« »Wir werden ungeduldig warten«, sagte Crysalgira und nickte lächelnd. »Kommt bald zurück!« Eine unbehagliche Ruhe entstand, als die
28 Männer des Erkundungskommandos sich ausschleusten und schließlich zwischen Schiff und Station erschienen. Das Schiff stand auf einer kleinen, ebenen Fläche, auf der große Felsbrocken und seltsam aussehende Steinformationen kurze Schatten warfen. Hinter dem Plateau begann ein sanft ansteigender Hang, der durch ein System von Spalten und scharf abbrechenden Wänden beendet oder besser zweigeteilt wurde. Über einer der Schroffen stand, zu einem Drittel in eine Art Höhlung hineingebaut, die Station. »Meinst du wirklich, Atlan, daß es nur diese eine Schutzstation gibt?« fragte Crysalgira, die ebenso wie ich die Lopsegger beobachtete, die dicht über dem Boden zur Station hinüberschwebten. »Ich bin ziemlich sicher, daß keine weiteren Stationen auf dem Mond sind«, erklärte ich. »Gäbe es mehr von ihnen, müßte es zumindest ein kleines Raumschiff für die Besatzung geben. Aber weder dieses Schiff noch etwas, das darauf hindeutet, wurde geortet.« »Und du meinst, daß die Ortungsgeräte gut genug sind?« »Ja«, sagte ich. »Sie sind nicht schlechter als arkonidische Anlagen. Ich glaube, daß wir im Augenblick die einzigen lebenden Wesen hier sind.« »Aber … die Gefühlsbasis?« »Das ist die große Frage«, mußte ich beunruhigt bekennen, »die im Moment niemand beantworten kann.« Wir warteten weiter. Zwischen den einzelnen Männern des Kommandos und der Zentrale gingen Bemerkungen hin und her. Einen Teil der Schilderungen verstanden wir, die Hälfte ungefähr wurde schlecht oder ungenügend übersetzt. Dann schaltete sich ein tragbares Aufnahmegerät ein und übertrug die Bilder von draußen auf einen Schirm. Besatzungsmitglieder kamen aus allen Teilen des Schiffes und starrten auf die Bilder. Aus den Lautsprechern kamen ununterbrochen Mitteilungen. Die Linsen des Schif-
Hans Kneifel fes zeigten uns, daß die ersten Raumfahrer den breiten Felsabsatz erreicht hatten. Sie verteilten sich, zogen ihre Waffen und näherten sich vorsichtig und mit den charakteristischen Bewegungen, die durch die geringe Schwerkraft hervorgerufen würden, der Station. Karsihl-HP ging zwischen zwei anderen Raumfahrern auf die Einschußöffnung zu. Immer wieder blieben sie hinter der Deckung stehen und warteten. Aber im unmittelbaren Bereich der vier aneinander gebauten Würfel geschah nichts. Kein Tejonther wehrte sich. Das Aufnahmegerät zeigte jetzt die unzerstörte Schleuse und die aufgerissene Wand des größten der würfelförmigen Bauelemente. »Atlan! Diese Mitteilung für euch. Wir dringen jetzt ein, aber hier scheint niemand mehr zu leben!« »Wir haben verstanden!« rief ich laut. Meine Blicke gingen zwischen den beiden großen Bildschirmen hin und her. Der linke zeigte das starre Bild der Station, wie es die Linsen des Schiffes aufnahmen. Der andere Schirm schien sich zu bewegen. Das tragbare Gerät schwankte, hob und senkte sich. Das unruhige Bild zeigte jetzt einige Fußspuren, die nicht von Karsihl-HP und seinen Leuten stammen konnten. Die Spuren führten fächerförmig von der rechteckigen Schleuse weg und auf die Platte unterhalb der Schleusentür zu. Die Station war ein System aus Fertigbauten. Mehrere Würfel mit schlitzförmigen, langgezogenen Fenstern oder Durchblicken waren auf runden Tellerfüßen montiert und durch kurze, röhrenförmige Elemente miteinander verbunden. An drei verschiedenen Stellen zeigte der Schirm jetzt die zerfetzten Trümmer leichter Geschütze und die geschmolzenen Stellen, die gekappten Energiekabel und die verbogenen Zieleinrichtungen. Auch eine Antenne kam ins Bildfeld. Sie bestand nur noch aus einem geschmolzenen, vernichtenden Metallgestänge
Ein Mond ohne Namen mit einigen gebrochenen Isolatoren. »Hier lebt niemand mehr!« erklärte die Stimme eines Raumfahrers. Dann, mit einem letzten, kurzen Schwung, drangen Karsihl und drei seiner Männer ein. Zwei von ihnen versuchten, die Station durch das Einschußloch zu betreten, die anderen benutzten die Schleuse, die sich widerstandslos öffnete. Es schien noch einen Rest von Energie dort zu geben, denn die Schleuse schwang automatisch auf und schloß sich wieder. Nacheinander kamen die Raumfahrer um die Ecken des Gebäudes herum, blieben aber wachsam und hielten die entsicherten Waffen in den Händen. Wir warteten schweigend, unsere Nervenanspannung stieg. In der Zentrale war es völlig ruhig. Niemand sprach, aber aus den Lautsprechern drangen die Geräusche, die dort oben entstanden. Hin und wieder ein leises Wort in jener eigentümlich polternden, schnarrenden Sprache. Wieder übertrug der rechte Schirm die Bilder des schwankenden Aufnahmegeräts. Der Schleusenraum, in dem einige Lampen hinter geborstenen Abdeckungen helles Licht verbreiteten. Dahinter ein großer Raum, der von Schaltschränken, Energieerzeugern, Bildschirmen und Kabeln, Sesseln und Tischen ausgefüllt war. Über eine Wand zog sich der Schlitz des normaloptischen Fensters hin. Die Kamera schwenkte und zeigte, durch diesen Schlitz suchend, das Bild unseres Schiffes. »Diese Station ist taktisch hervorragend angelegt!« erklärte plötzlich Germyr. »Von dort aus kann man fast jeden Angreifer kontrollieren, der sich der Gefühlsbasis nähert.« Der Beschuß hatte die Station, soweit jetzt zu erkennen war, aufgerissen. Alle Luft war ins Vakuum über dem Mondboden entwichen. Überall zeigten sich die charakteristischen Zerstörungen. Die Raumfahrer begannen jetzt an verschiedenen Punkten mit einer systematischen Suche. Sie öffneten die Schränke und versuchten, den genauen Zweck der Station zu erkennen;
29 sie suchten alle Informationen, die uns weiterhelfen konnten. Im nächsten Raum, einem röhrenförmigen Durchgang zwischen zwei Würfelelementen, entdeckte der Lopsegger mit der Kamera den ersten Toten. Wie erwartet: ein Tejonther. Deine Vermutungen waren richtig, kommentierte der Extrasinn. Das schwarzbepelzte, gelbäugige Wesen war in eine Kombination mit halbhohen, angeschnittenen Stiefeln gekleidet. Der Tejonther – der Mann aus Vruumys' Volk – war tot. Die furchtbaren Zeichen der explosiven Dekompression waren deutlich zu erkennen. Einer der Lopsegger öffnete einen eingebauten Schrank, drehte sich um und hielt einen neu aussehenden Raumanzug vor die Linsen des Aufnahmegeräts. Ich erhob mich halb aus meinem Sitz. »Wir haben einen Anzug!« sagte ich. »Wahrscheinlich finden sie für dich auch einen, Crysalgira.« Sie nahm ihre Augen von den Bildschirmen und sah mich starr an. »Es waren mit Sicherheit mehrere Tejonther in der Station!« versicherte sie. Schweigend sahen wir zu, wie die Durchsuchung der Schutzstation weiter ging. Ich glaubte sicher zu wissen, daß der Energiestrahl, der den Krater eingeebnet hatte, auch von dort drüben aus gesteuert worden war. Jetzt befanden sich sämtliche Raumfahrer des Kommandos innerhalb der aufgebrochenen Station. Wir sahen, daß die Tejonther hervorragend ausgerüstet waren. Sie schienen, dem Lager an Nahrungsmitteln und Waren nach zu urteilen, sich für eine lange Zeit ausgestattet zu haben. Aber es war auch deutlich zu erkennen, daß die Vorräte, zur Neige gingen. Ein Zeichen dafür, daß die Flotte bald erscheinen wird! Der Kreuzzug wird in Kürze hier vorbeikommen, murmelte der Logiksektor. Die Ausrüstung der Station war einfach, aber überlegt. Sie sah gebraucht aus, war al-
30 so ziemlich alt. Die Abnutzungsspuren und auch die tief eingetretenen Pfade rund um die Würfelkonstruktion bewiesen, daß eindeutig mehrere Tejonther sich hier aufgehalten hatten. Aber warum hatten sie uns ohne jede Warnung beschossen? Ein Raum nach dem anderen wurde gezeigt. Gleichzeitig kam Karsihls Kommentar zu uns durch. Der nächste Tote lag in einem Durchgang. Es sah aus, als habe er flüchten wollen. Zwei Schritte weiter, hinter einem halb geöffneten Schott, stand ein Schrank offen. Wieder zog einer der Raumfahrer einen schweren, mit einem Flugaggregat ausgerüsteten Raumanzug hervor und belud sich mit den Einheiten der komprimierten Luft. »Dein Anzug!« sagte ich. »Wir werden also die Gefühlsbasis anfliegen können.« »Seid ihr eigentlich so mutig, oder seid ihr verrückt?« fragte Germyr-HP angriffslustig. »Von beidem etwas, Freund Germyr!« antwortete Crysalgira. Der dritte Tote saß in einem harten Sessel. Der Tejonther war über einem Schaltpult zusammengebrochen und gestorben. Auf einem Bildschirm, der in Betrieb war, konnten wir den oberen Teil unseres Schiffes erkennen. Dies war also der Zielschütze gewesen. Germyr-HP schien es nicht mehr auszuhalten. Er beugte sich vor, ergriff das Mikrophon der Funkverbindung und rief: »Karsihl! Kommt zurück! Ihr habt gesehen, daß die Station zerstört ist und die Insassen tot sind. Ich bin sicher, daß sie einen Notruf ausgeschickt haben.« Karsihls Stumme war ruhig, als er erwiderte: »Wir kommen. Ich habe eben Befehl zum Rückzug gegeben. Wir bringen zwei Anzüge für unsere arkonidischen Freunde mit.« »Gut. Beeilt euch! Wir wollen starten! Der Alarm wird eine Übermacht der Gegner bringen!« rief Germyr. »Vergeßt Waffen und Luftvorrat nicht!« rief ich ins Funkgerät. »Wir haben mitgenommen, was wir ge-
Hans Kneifel funden haben!« erklärte Karsihl. Kurz darauf schwebte der erste Raumfahrer aus der weit geöffneten Schleuse, nahm mit einigen Sprüngen einen Anlauf und schwang sich in die Luft. Er trug in einem elastischen Netz einige Ausrüstungsgegenstände. Noch immer filmte ein Begleiter Karsihls die Einrichtung der Station, aber auch er befand sich auf dem Rückweg. Nacheinander verließ das gesamte Kommando die Station, die ohne jedes Leben war. Wir hatten erfahren, daß die Lopsegger sämtliche Energieanlagen abgeschaltet hatten. Dieses diente dem Zweck, eventuelle automatische Notrufe oder die Verbindung zwischen Station und Flotte unmöglich zu machen. Das Funkgerät knackte, dann erlosch der zweite Bildschirm. »Öffnet die Schiffsschleuse. Wir kommen!« Crysalgira und ich sahen uns an und nickten. Dann verließen wir die Zentrale und gingen bis auf das Deck, auf dem sich die Schleusenanlage für die Raumfahrer befand. Wir hatten als letztes Bild gesehen, daß zwei der Lopsegger Raumanzüge mit sich schleppten. »Du hast genügend Vorrat an diesem rätselhaften Gewürz?« fragte Crysalgira leise. Hinter uns kam Germyr-HP durch ein Schott und wartete ebenfalls. Ich nahm an, daß eine Auseinandersetzung zwischen ihm und Karsihl-HP bevorstand. »Ja, Prinzessin«, sagte ich. »Hier, in der Brusttasche.« Dann flüsterte ich ihr zu, so daß es Germyr nicht verstehen konnte: »Germyr und Karsihl werden sich miteinander streiten. Es geht um das Risiko. Es ist Germyr zu groß.« »Das bedeutet für uns, daß wir auf den Einfluß Karsihls angewiesen sind, wenn wir das Schiff verlassen wollen!« sagte die Prinzessin. Dann überlegte sie einige Sekunden, schließlich strahlte sie mich an und wisperte: »Überlasse es mir, Atlan. Ich werde Germyr und Karsihl überzeugen. Auf meine Weise …« »Ich verstehe nicht ganz«, begann ich. Sie
Ein Mond ohne Namen winkte ab. »Warte!« Also wartete ich. Im Augenblick vermochte ich es mir nicht vorzustellen, wie die arkonidische Prinzessin zwei Lopsegger mit durchaus verschiedenen Ansichten und jeweils richtigen Argumenten überzeugen konnte, daß die Vorstellung der beiden fremden Gäste richtig war. Ich dachte an das, was vor uns lag, erinnerte mich an die Bedrohung durch die Kreuzzugflotte und an die wartenden Schiffe der Lopsegger. Und daran, daß die sterbenden Tejonther dort drüben vielleicht ein Notsignal ausgestrahlt und damit Hilfe herbeigerufen hatten. Schließlich öffnete sich das Schott der Nebenkammer, und Karsihl-HP trat zu uns. »Wir haben erreicht, was wir wollten!« sagte er. Zu unserer Verwunderung befand er sich noch im Raumanzug, der über und über bestaubt war. Zwei Lopsegger folgten und legten die tejonthischen Anzüge und die Zusatztanks und Waffen auf eine flache Liege. »Welche Beobachtungen habt ihr machen können? Unsere Leute in der Flotte sind unruhig und ungeduldig. Außerdem fürchten sich viele von ihnen.« Karsihl-HP hob in einer beschwichtigenden Geste den Arm und erklärte kurz: »Die Station ist völlig außer Betrieb. Drei Mann waren dort, drei Mann sind tot. Wir haben nichts gefunden, was auf eine Sendeanlage schließen läßt.« »Das halte ich für unmöglich. Nicht nur ich!« rief Germyr. Crysalgira schob sich zwischen die beiden Kontrahenten und meinte mit fast ausdruckslosem Gesicht: »Selbst wenn die Tejonther einen Notruf haben senden können, wird es Tage dauern, bis hier ein Schiff erscheint, Germyr-HP. Atlan und ich aber sind in ein paar Stunden zurück!« Beide, Karsihl und Germyr, sahen sie überrascht an. Ich kontrollierte inzwischen den ersten Anzug. Er schien ausgezeichnet gepflegt und selten gebraucht worden zu
31 sein. »Ein paar Stunden? Ihr habt ein gewaltiges, gefährliches Geheimnis vor euch! Es kann lange Zeit dauern, bis ihr es gelöst habt!« Ich kontrollierte jetzt das Zubehör und versuchte, zu entscheiden, was wir brauchten und was nutzlos war. »Wir haben nicht vor, die Gefühlsbasis bis in den letzten Winkel zu durchsuchen und das Geheimnis zu klären. Wir wollen erst einmal versuchen, dort einzudringen!« sagte zu unserer Überraschung Karsihl. Sofort setzte Crysalgira nach. »Wir sind nur zwei Fremdlinge, in eure Welt verschlagen. Wir möchten euch nicht beschämen, Germyr! Es ist nicht so, daß wir versuchen, mutiger als du und deine Freunde zu sein! Wir wollen nur nachsehen, warum die Strahlung entstanden ist und ob wir sie vielleicht abstellen können. Ein paar Stunden, nicht mehr! Wir gehen kein Risiko ein, denn wir haben nicht einmal richtige Raumanzüge. Und ich bin sicher, daß ihr auf uns warten werdet.« »Ich erkenne eure Argumente an!« versichte uns Karsihl-HP. Inzwischen hatte sich um uns ein dichter Ring aus lopseggischen Raumfahrern gebildet, von denen die meisten keinen Raumanzug mehr trugen. Ich schloß die flüchtige Überprüfung der beiden Anzüge ab. Sie würden uns einen Aufenthalt von einigen Stunden auf dem namenlosen Mond ermöglichen – mehr nicht. »Ich kann nicht befehlen. Ich kann nur raten!« sagte Germyr. »Von mir aus – einige Stunden können kaum etwas ändern. Habe ich die Versicherung, Karsihl-HP, daß es nicht länger dauert?« Karsihls Kopfbüschel schwankten erregt. »Wenn wir länger auf dem Mond bleiben, bedeutet es für uns, daß wir nicht mehr zurückkommen. Dann startet ihr ohne uns.« Auch er hatte also begriffen, daß es ein tödliches Abenteuer werden konnte. Noch ein paar klärende Worte, dann halfen wir uns gegenseitig in die fremden und unge-
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Hans Kneifel
wohnten Raumazüge. Ich verstaute sechs Würfel der Verbotenen Würzung im Fach der Halsblende, in dem die tejonthischen Raumfahrer, ihre Nahrungskonzentrate aufbewahrt hatten; ein einfacher Druck mit der Zungenspitze konnte einen Würfel nach dem anderen hervorgleiten lassen. Crysalgira nahm sofort einen solchen Würfel, nach kurzer Überlegung zerbiß ich ebenfalls eines der Schutzmittel. Ich sah, wie Karsihl sich ebenfalls mit einem Vorrat versorgte. Schließlich hob er die Hand. »Brechen wir auf, Atlan. Je früher wir starten, desto eher sind wir zurück!« Daran ist etwas Wahres, versicherte der Logiksektor. »Vielleicht«, sagte ich, während wir nacheinander in die geräumige Schleuse gingen und die Blicke Germyrs in unseren Rücken spürten, »packen wir ein Stück des Geheimnisses.« Sekunden später sanken wir in einer flachen Flugbahn auf den Rand der Schlucht zu. Der mühsame Versuch, die versteckte Gefühlsbasis zu erreichen, hatte begonnen. Als meine Sohlen im Mondstaub versanken, hörte ich durch den Helmfunk einen gurgelnden Schrei. Karsihl-HP hatte ihn ausgestoßen.
4. Neben mir ruderte Crysalgira heftig mit beiden Armen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Als sie breitbeinig aufsetzte, erhob sich die zweite Staubwolke. Ich blickte durch das transparente Material des Helms und sah, daß auch sie den Schrei gehört hatte. Am Gürtel meines Anzugs hing eines der kleinen Übersetzungsgeräte, das zwischen Mikrophon und Lautsprecher geschaltet war. »Karsihl!« rief ich leise und hörte den Nachhall der Übersetzung. »Was ist los? Warum hast du gerufen?« Die Antwort war ein zweites, langgezogenes Stöhnen. Ich stand fest auf dem Felsen unter der
dicken Staubschicht. Langsam drehte ich mich in der ungewohnt niedrigen Schwerkraft um. Zuerst kam das Schiff in mein Blickfeld; es stand unbeweglich da, und nur die offene Mannschleuse im unteren Drittel unterbrach die glatte, funkelnde Form. Gleichzeitig spürte ich den stärker werdenden Druck in meinen Schläfen. Die Gefühlsstrahlung nimmt zu! rief der Extrasinn. Keine fünf Schritte von mir entfernt stand Karsihl-HP und schlenkerte in einer sinnlosen Bewegung seine langen Arme. Endlich, nach langen Sekunden oder gar Minuten, stöhnte Karsihl auf: »Die Gefühlsstrahlung. Ich habe eben … Verbotene Würzung. Es wird schlimmer, je näher wir kommen. Vorhin … nichts gemerkt.« Der Lopsegger, dessen Sprachorgane zwischen Kopfende und Gürtel saßen, hörte mit den sinnlosen Bewegungen auf. »Ihr habt vorhin in der Station oder auf dem Weg nichts gemerkt?« fragte Crysalgira. »Nein.« »Das kann nur bedeuten, daß die Strahlung jetzt zunimmt!« sagte sie alarmiert. »Kannst du weiter? Hältst du den Druck noch aus. Karsihl?« »Ja. Ich komme mit. Ich schaffe es!« erklärte der kleine Lopsegger. Ich bewunderte ihn. Von allen Raumfahrern im Schiff entwickelte er den höchsten Mut. Ich griff wieder nach dem Regler des Flugaggregats und hob die Hand, um der Prinzessin zu winken. »Ich merke es auch, Atlan!« sagte Crysalgira leise, als wir fast gleichzeitig starteten und einen weiteren Sprung durchführten, der uns von der freien Fläche hier bis zu einer Felsengruppe bringen sollte. Die Steintrümmer befanden sich bereits jenseits des Geländeknicks, am Eingang der Schlucht. Langsam und nachdenklich sagte ich: »Ich glaube zu wissen, was die Gefühlsbasis bedeutet … was die einzelnen Basen bedeuten.« »Tatsächlich? Du weißt es, Atlan?« fragte
Ein Mond ohne Namen Karsihl-HP. Seine Stimme klang noch immer wie die eines Fiebernden. Aber ich wußte, daß jeder Vergleich angesichts der Fremdheit der Lopsegger versagen mußte. »Ich denke es mir«, erwiderte ich und faßte das Ziel ins Auge. Wir entfernten uns etwa im rechten Winkel zu der Linie, die Raumschiff und Schutzstation verband. Ich war sicher, daß sich sämtliche Linsen der Ortung auf uns richteten und daß jedes Wort mitgehört wurde. Aus diesem Grund formulierte ich meine Ansicht und Theorie noch vorsichtiger. »Die einzelnen Basen sind wie besonders charakteristische Sonnen. Es sind zugleich Funkfeuer und Orientierungshilfen. Kosmische Leuchtfeuer, die niemand sehen kann!« »Für die Tejonther natürlich!« warf Crysalgira ein. Vor uns lag jetzt der Geländeabfall. Hier befand sich der flache Teil der Senke. Rechts davon begann die Schlucht, jene Spalte, die immer tiefer wurde und im Zickzack verlief. »Nur für die Tejonther«, sagte ich. »Wohlgemerkt, das ist nur mein Versuch der Erklärung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger, Freunde. Jedenfalls scheint es mir, daß sich das kosmische Leuchtfeuer jetzt entzündet. Vorher hat es nur geschwelt.« Karsihl ächzte schwerfällig: »Das könnte eine logische Erklärung sein. Jetzt lodert dieses unsichtbare, aber deutlich zu spürende Leuchtfeuer auf. Es zeigt den Tejonthern den Weg, aber es schreckt alle anderen Wesen ab.« »So sollte es wohl gedacht sein!« Wir landeten schweigend vor unserem Ziel. Nur die hochfliegende Masse gelben Staubs würde jetzt den Wartenden unseren Standort zeigen. Wir befanden uns dicht beieinander und außerhalb der direkten Beobachtungsmöglichkeit. Ich überlegte. Hatte ich recht? Stimme es, was ich dachte? Der Druck der Strahlung wurde tatsächlich stärker. Ich fühlte meine Zunge kaum, und je mehr wir sprachen, desto undeutlicher wurden die Worte. Trotz der Drogen
33 verstärkte sich also die Strahlung. Eine kurze Phase der Niedergeschlagenheit packte mich, als ich mich neben Crysalgira und dem schweigenden Karsihl neu orientierte. »In diese Richtung!« sagte Crysalgira mit gepreßter Stimme. Wir sahen uns an und wußten, daß wir beide das gleiche dachten. Ich fühlte hinter dem einsetzenden Kopfschmerz und der Emotiostrahlung die Gefahr, die mit jedem Sprung zunahm. Die Zeit verging unbarmherzig. »Ja. Genau in dieser Richtung. Nächstes Ziel ist der kleine runde Hügel!« erklärte der Lopsegger. »Verstanden.« Noch sprachen wir miteinander, noch würden sie im Schiff nicht in Panik verfallen und womöglich ein Kommando ausschicken, das uns holte. Blitzartig durchzuckte mich ein gespenstischer Gedanke. Die Strahlungsintensität nahm zu. Das bedeutete, daß der Zeitpunkt gekommen war, an dem sich die Flotte nach diesem Leuchtfeuer der Gefühle orientieren mußte. Die Kreuzzugflotte war also im Anflug und würde in Kürze hier erscheinen, um eine Kurskorrektur durchzuführen. Sie würden die drei Tejonther abholen wollen. Dabei würden sie schon beim ersten Funkkontakt merken, daß die Station schwieg, die drei Männer tot waren. Das brachte uns und das Schiff in äußerste Gefahr. In dem isolierenden Raumanzug hörte ich das Pochen meines Herzens. Keine Panik! Ihr habt die Basis bald erreicht! meinte der Extrasinn besänftigend. Die Station war vom Planeten zum Mond geholt worden, weil vielleicht die Lufthülle von Ofanstände die Richtstrahl-Wirkung der Strahlen nicht gewährleistete. Es konnte leicht sein, daß die Emotiostrahlung von einer Art war, die tatsächlich durch ein Medium wie Luft oder Strahlengürtel zerstreut oder stark abgeschwächt werden konnte. Eines war für mich jedoch sicher: Der Umstand, daß wir immer mehr unter der Strahlung litten, hing nicht mit der fehlenden Lufthülle zusammen. Die Strahlung
34 verstärkte sich, weil die Flotte sich näherte. Das war der wirkliche Grund. »Es wird schwieriger, Atlan!« sagte Karsihl, kurz bevor wir auf der Spitze des Hügels landeten. Wir befanden uns jetzt mindestens hundert Meter unterhalb der ebenen Fläche, auf der das Raumschiff stand. »Willst du umkehren, Karsihl-HP? Es würde dir helfen und uns etwas von unserer Verantwortung nehmen!« fragte Crysalgira mit weicher Stimme. »Nein. Ich bleibe!« sagte er kurz. Nacheinander landeten wir am Eingang der riesigen Erdspalte. Noch immer war uns der Blick auf die Kuppel der Basis verwehrt. Die Schlucht verlief zickzackförmig, und die Wände versperrten den Blick. Ich packte die Schulterklappe des Raumanzugs, in dem Karsihl steckte. Die vielen Augen sahen mich an, aber ich konnte keinerlei Ausdruck erkennen. Ich senkte meine Stimme und hoffte, daß hoffentlich nicht gerade Germyr im Schiff mit gespannter Aufmerksamkeit zuhörte. »Karsihl«, sagte ich drängend, »du leidest mehr unter der Gefühlsstrahlung als wir. Sie wird ununterbrochen stärker. Lange wird die Isolierung des Schiffes die anderen auch nicht mehr recht schützen können. Kehr um, solange noch Zeit ist.« »Nein, Atlan. Ich will wissen, was dort auf uns lauert. Vielleicht können wir die Basis sprengen. Kampfstoffe habe ich genug bei mir.« Er deutete auf die flachen, kastenförmigen Elemente mit fremden Schriftzeichen, die an seinen breiten Gürtel gehakt waren. »Du hast gehört«, fuhr Crysalgira fort, »was Atlan eben gesagt hat. Sie haben im Schiff die Flotte gewarnt, unsere Flotte meine ich. Ich habe Teile der Funksprüche verstanden.« Karsihl-HP faßte in einer seltsam vertraute Bewegung unsere Oberarme und versicherte: »Ich halte es noch eine Weile aus. Außerdem habe ich genügend Würzung. Ich gehe mit. Umkehren kann ich noch immer, Freun-
Hans Kneifel de.« Ich hatte keine Möglichkeit, festzustellen, ob er log oder sein Gesicht nicht verlieren wollte, oder ob er die Wahrheit sprach. Aber bisher hatte er sich klug, umsichtig und mutig verhalten. Es gab keinen Grund, an seinen Worten zu zweifeln. Ich selbst allerdings merkte, daß die Intensität abermals zugenommen hatte. Ich fragte leise: »Wie geht es dir, Crysalgira?« Sie stieß ein sarkastisches Lachen aus. »Nicht schlechter und nicht besser als dir, Prinz.« »Gut!« sagte ich entschieden. »Weiter!« Wieder rissen uns die Aggregate vom Boden hoch. Der schwere Staub rutschte von den glatten Oberflächen der Stiefel und der Schienbeine. Der Anzug, den ich trug, war leidlich bequem, solange ich mich nicht gezielt in ihm bewegen mußte. Wir flogen hintereinander auf den nächsten Zielpunkt zu. Es war ein Felsband in der Mitte der Wand, die geradeaus lag. In mindestens drei Ecken wichen die schrägen, oftmals überhängenden Wände der Schlucht vor uns zurück und sprangen wieder vor. Auf jedem Felsteil, jeder der gelbweißen Nasen lag eine dicke Haube aus Staub. Wir sanken langsam auf das Felsband nieder und drehten uns um. Jetzt lag, etwa zweitausend Meter entfernt, die Basis in unserem Rücken. »Weiter?« fragte ich, als ich sah, daß Karsihl mich ansah. »Ja. Ich schaffe es!« knarrte er. »Ich glaube, es ist im Augenblick leichter geworden.« Ich merkte nichts. Crysalgira schüttelte leicht ihren Kopf. Sie spürte also auch kein Nachlassen der Gefühlsstrahlung. Hin und wieder schlug eine Woge von Verzweiflung und Niedergeschlagenheit, von Weltekel und Selbstmordbereitschaft über mir zusammen, und meinen beiden Mitkämpfern ging es nicht anders. Ich dachte an die verrinnende Zeit und sagte: »Starten wir wieder. Durch die Mitte der Schlucht, nach Möglichkeit bis zur Basis.« »Einverstanden!« erwiderte der Lopsegger. Mein Herz schlug jetzt wie rasend. Die
Ein Mond ohne Namen Gefahr war nicht greifbar, es gab keinen Gegner. Es war die klassische Situation, vor der sich jeder fürchtete. Der Feind bewegte sich im Dunkel und war unsichtbar. Wir stießen uns ab und schwebten schräg vorwärts. Wir befanden uns schätzungsweise zweihundert Meter über dem Grund der Schlucht. Wir hielten unsere Höhe, aber der Boden sank alle hundert Meter, die wir im Zickzack vordrangen, um ein paar Meter ab. Abenteuerlich abgebrochene und gemaserte Felswände zogen an uns vorbei. Eine unbewegliche, erstarrte Landschaft, die vor Jahrmillionen entstanden sein mochte. Nicht einmal der Mondstaub rieselte von den Erhebungen, als wir vorbeischwebten. Es mußte mein Gefühl für Gefahren gewesen sein, das mich dazu brachte, meine Geschwindigkeit zu drosseln und Crysalgira, dann Karsihl-HP an mir vorbeischweben zu lassen. Es geschah alles zu schnell, ganz unerwartet. Zuerst hörte ich einen Schrei. Karsihl! flüsterte das Extrahirn. Dann bemerkte ich, wie Karsihl, noch immer schreiend und stöhnend, wild um sich zu schlagen begann. Einmal mußte er den Schalter des Schwebeaggregats berührt haben, denn er drehte sich, begann sich in rasender Geschwindigkeit hochzuschrauben. Schließlich packten seine Hände die Verschlüsse des halbmondförmigen Helms und rissen sie auf. Ich verstand nur noch: »Sie wollen, daß ich sterbe. Ich kann nicht …« Die Verschlüsse rissen auf. Eine weiße Wolke, die sich schnell auflöste, umgab das Kopfteil des Anzugs. Karsihl drehte sich und stieg höher. Er kam aus der Senkrechten. Das ausströmende Luftgemisch bildete eine Art Raketenschweif, als der Sterbende schräg gegen eine Felswand raste, dort schwer aufschlug, abermals in eine andere Richtung gesteuert wurde und dann mit platzenden Lungen und aufreißenden Gefäßen waagrecht durch die Schlucht raste. Er drehte sich noch immer wie das Geschoß aus einer Waffe mit Treibladung.
35 »Atlan! Er stirbt!« schrie Crysalgira. Er war schon tot, als der Anzug mit furchtbarer Gewalt gegen die gegenüberliegende Felswand geschmettert wurde. Das Scharnier des Helms riß ab, und die durchsichtige Schale flog davon. Der Ort des Aufschlags, auf den wir beide jetzt zurasten, lag im tiefschwarzen Schlagschatten. Einen Augenblick lang klebte der tote Lopsegger an der Wand, dann rutschte er langsam daran herunter. Seine Arme waren nach oben ausgestreckt. Aus dem Energieteil zuckten dreimal hintereinander kleine Blitze, dann wurde der Sturz schneller. Wir stießen wie die Adler schräg abwärts, aber wir waren zu langsam. Vor unseren Augen fiel Karsihl senkrecht nach unten, schlug in eine dreieckige Düne aus Staub, der sich in den vergangenen Äonen dort angehäuft hatte. Eine Staubwolke breitete sich aus und verhüllte das Bild. Als der Staub sich langsam senkte, konnten wir nur noch einen kleinen Trichter erkennen, von dessen Rändern der gelbe Staub nach unten rieselte und das Loch wieder füllte. »Karsihl-HP ist tot. Und begraben!« murmelte Crysalgira gebrochen. »Und wir sind zu spät gekommen. Konnten wir ihm nicht mehr helfen?« Ich schaltete mein Gerät ab, als wir neben dem riesigen Staubhaufen landeten und zusahen, wie mehr und mehr von der pulvrigen Substanz nachsackte. »Wir konnten nicht helfen. Wir kamen zu spät. Er hat seine Widerstandskraft überschätzt, aber mit unserer ist es auch nicht mehr weit her!« sagte ich. Im gleichen Augenblick dröhnten die Helmlautsprecher auf. Offensichtlich hatten sie im Schiff die Sendekapazität heraufgesetzt. »Hier spricht Germyr-HP. Warum seid ihr so schlecht zu verstehen?« Ich begriff. Die Felswände schirmten die Antennen ab. Ich drehte an dem Knopf, den ich identifiziert hatte, darin sagte ich durch das statische Rauschen: »Ist es jetzt besser?«
36 »Ja. Soeben haben unsere Schiffe, die am Rand des Systems warten, eine Meldung von höchster Dringlichkeit abgegeben.« Schon jetzt wußte ich, wie diese Meldung lauten würde. »Ich höre!« sagte ich. Crysalgira kam mit hüpfenden, langsamen Schritten näher und blieb direkt vor mir stehen. Wir befanden uns auf einer staubbedeckten Geröllschicht. »Die Ortung hat die Annäherung einer riesigen Flotte von tejonthischen Schiffen bemerkt. Die Männer in der Station haben doch einen Notruf abgestrahlt. Kommt also sofort zurück, wir bereiten den Start vor.« Es war soweit. Sie kamen. Also stimmte meine Theorie – ein schwacher Trost. Ich schluckte und sagte zögernd: »Germyr?« »Ja? Ihr kommt sofort zurück. Ich wenigen Minuten starten wir. Unsere Schiffe haben Befehl bekommen, sich zurückzuziehen. Wir sind die Nachzügler.« Ich sagte, ihn unterbrechend: »Wir kommen, aber wir sind nicht mehr vollständig, Germyr-HP!« Er schnarrte zurück: »Wie soll ich das verstehen?« »Karsihl-HP hat …« »Wie? Was? Sprich deutlicher. Der Empfang ist verzerrt, deine Stimme ist undeutlich. Ich verstehe nichts … Ruhe dort hinten, hört ihr nicht, daß …« Ich sagte laut, langsam und scharf akzentuiert: »Karsihl-HP hat in einem Anfall, hervorgerufen durch die starke Strahlung, seinen Raumanzug geöffnet und ist gestorben. Sein Grab im Mondstaub befindet sich direkt vor Crysalgira und vor mir.« Als ich ausgeredet hatte, herrschte sowohl direkt vor dem Mikrophon, als auch in dem Raum, aus dem Germyr sprach, lastende Stille. Die undeutlichen Geräusche und Laute des startbereiten Schiffes kamen schwach über die Funkverbindung in die winzige Zelle, die Helm und Raumanzug bildeten. »Karsihl ist tot. Die verdammte Strah-
Hans Kneifel lung. Ihr seid sicher?« »Er öffnete den Helm und zerschmetterte sich an einer Felswand!« erklärte ich laut. »Ich habe einen Freund verloren, und unsere Flotte einen Anführer. Wir starten, Leute!« schrie Germyr. Ich traute meinen Ohren nicht und gab Crysalgira einen Wink. Mir brach der Schweiß aus. Ich vergaß Basis, Strahlung und Karsihl. Ich dachte nur noch daran, daß die Lopsegger ohne uns starteten. Wir schalteten fast gleichzeitig die Aggregate ein. »Schnell, Crysalgira!« sagte ich keuchend. »Es geht um unser Leben. Dieser Wahnsinnige bringt es fertig und läßt uns hier zurück!« »Das kann ich nicht glauben!« »Du wirst es glauben müssen!« Keine Verzögerung. Sie starten tatsächlich! Hör auf die Kommandos im Helmfunk, meldete sich der Extrasinn. Wir stiegen mit höchster Aggregatleistung in die Höhe. An unseren Augen glitten die Schrunde, Maserungen und Ablagerungen der Felswand vorbei und abwärts. Es dauerte scheinbar endlose Zeit, bis wir den oberen Rand erreichten und freies Blickfeld hatten. Ununterbrochen hörte ich die Kommandos aus dem Schiff, verstand einige davon und begann immer deutlicher zu ahnen, daß Germyr-HP tatsächlich vor Furcht, seine Flotte zu verlieren oder den Tejonthern nicht mehr entkommen zu können, starten würde. Meine Finger zitterten unkontrolliert, als ich das Gerät umsteuerte und meinen Körper in eine waagrechte Flugbahn zwang. Neben mir schwebte die Prinzessin. »Germyr! Warte auf uns! Wir schweben direkt in die Schleuse ein! Öffne die Schleuse!« schrie ich in panischer Angst. Wir schwebten, immer schneller werdend, über die letzten Felsen hinweg. Ich sah das Raumschiff und hörte keine Antwort. Nur ein Summen und Dröhnen in den übersteuerten Lautsprechern. Das Schiff! Es befand sich bereits einige Meter über dem Mondboden und hüllte sich in eine Staubwolke ein, von der die unteren
Ein Mond ohne Namen Teile der Flossen verdeckt wurden. Die Personenschleuse war geschlossen. »Nein!« schrie Crysalgira auf. Mich überschwemmte eine Welle von Selbstmitleid und Angst, gemischt mit dem sicheren Wissen, sterben zu müssen. »Dieser Feigling!« murmelte ich und biß, ohne es zu merken, auf meine Lippen. Das Schiff hob sich höher und höher, wurde schneller und startete in den pechschwarzen Himmel. Einen Augenblick konnten wir noch die lodernden Triebwerke sehen, dann vermischte sich dieser Impuls mit dem Leuchten der Sterne. Das Raumschiff änderte seine Richtung und raste davon, den wartenden Schiffen am Rand des Systems entgegen. Dann bewies ein kurzes, scharfes Knacken, daß jemand die Funkverbindung mit uns ausgeschaltet hatte. Ich öffnete das Sauerstoffventil eine Kleinigkeit und atmete tief durch. Ich hörte die Stimme meines Logiksektors flüstern: Es gibt nur zwei Wahrscheinlichkeiten, zu überleben. Die Basis oder die Schutzstation. Wir schwebten noch immer geradeaus. »Sie haben uns tatsächlich zurückgelassen«, sagte Crysalgira, noch immer fassungslos. »So ist es!« sagte ich, mich mühsam beruhigend. Der erste Schrecken war vergangen und machte schneller Überlegung Platz. Ich änderte geringfügig die Richtung des Fluges und spürte wieder eine lange Welle der Strahlung. Jetzt besaß ich nur noch drei Würfel. »Wir fliegen zur Station, Crysalgira. Dort sind unsere Überlebenschancen noch am höchsten.« »Aber … sie ist zerstört!« »Wir werden sie vielleicht provisorisch reparieren können. Und mit Sicherheit landet hier ein Schiff der Tejonther. Wir sind nicht deren Feinde, was immer auch geschehen ist.« Zwar änderte sie auch die Richtung, aber erst später sagte sie leise und mit deutlichen
37 Spuren des Entsetzens in der Stimme: »Ich kann es noch immer nicht begreifen, Atlan. Wir sind tatsächlich allein auf diesem Mond ohne Namen.« Ich versuchte einen grausigen Scherz und führte aus: »Auch wenn er einen Namen hätte, würde dies unsere Lage nicht sonderlich verbessern.« Wir schwebten dicht über dem Boden langsam auf die Station zu, die wir undeutlich vor uns erkannten. Das Gelände war unregelmäßig und stieg an. Langsam würden sowohl die Luftvorräte zu Ende gehen als auch die Energieeinheiten des Fluggeräts. Vielleicht hatte ich diese panische Reaktion von Germyr-HP selbst ausgelöst, als ich ihm den Tod Karsihls mitgeteilt hatte. Er wäre sicher nicht ohne Karsihl gestartet – aber an einen solchen Zusammenhang hatte ich nicht einmal flüchtig gedacht. Und jetzt war es zu spät. »Eines ist sicher«, sagte ich durch die ziehenden und pressenden Wellen der Emotiostrahlung. »Was?« »Die Flotte, die von den fünfunddreißig wartenden Schiffen gemeldet wurde, ist nicht nach einem Notruf der drei Tejonther gekommen. Wo immer sich die Flotte aufgehalten hätte, kein Schiff wäre in der kurzen Zeit hier erschienen. Es sind nur Stunden seit dem Gefecht vergangen.« »Du hast sicher recht!« sagte sie. »Aber das alles hilft uns nicht mehr. Wir müssen überleben, Atlan.« »Prinzessin – wir werden überleben!« versprach ich ihr, ohne genau zu wissen, wie wir dies anstellen sollten. Ich rief mir die übertragenen Bilder der zerstörten Station ins Gedächtnis und versuchte, trotz aller hinderlichen Umstände, einen Weg zu finden. Wir schwebten über den letzten Hang, schräg aufwärts, in Schlangenlinien um riesige Felsen herum. Als wir nur noch zweihundertfünfzig Meter freies Gelände zwischen uns und dem Würfelsystem hatten – dessen Schleuse auf der uns abgewandten
38 Seite lag, wie auch die Öffnung, die der Treffer des Schiffsgeschützes verursacht hatte –, blitzte ein Reflex dort oben auf. Unmöglich! Oder es bewegt sich etwas! schrie der Extrasinn lautlos. Gleichzeitig sah ich, wie zwei Handbreit neben meiner Brust ein Krater in einem der Felsen erschien, wie Steinsplitter und Tropfen glühenden Steins nach allen Seiten spritzten, wie eine Wolke verbrannter Substanzen sich rasch auflöste. »Wir werden beschossen Crys!« rief ich atemlos. »Sofort auseinander und in Deckung.« Sie reagierte schnell und sicher. Ein zweiter Schuß zuckte zwischen uns hindurch und ließ einen Stein zersplittern, der auf einem Felsblock lag! Crysalgira schaltete ihr Aggregat auf Höchstleistung, driftete schräg aufwärts aus ihrem Kurs und steuerte nach rechts. So schob sie sich hinauf auf das Felsenband und brachte die Masse der Station zwischen sich und den Schützen. Ich tauchte abwärts und wurde schneller. Im Zickzack glitt ich dicht über dem Boden dahin, nützte jede Deckung aus und schob mich nach links. Hin und wieder glühte eine Staubwolke neben mir auf, aber die Schüsse des Unbekannten gingen an mir vorbei. Also lebte dort noch einer der Tejonther! Er muß außerhalb der Station gewesen sein, sagte der Extrasinn. Wir kamen fast ungesehen von zwei verschiedenen Seiten auf die Station zu. Vor mir lag die offene Schleusentür. Mit einem Seitenblick erkannte ich, daß das Explosionsloch mit einer dicken Folie notdürftig abgedichtet war. In der Schleuse stand ein Tejonther im Raumanzug – deutlich sah ich den schwarzen Pelz seines Kopfes. Noch sechzig Meter. Ich schaltete auf volle Fahrt. Der Tejonther hielt sich mit einer Hand an einem Griff der Schleuse fest, blickte in die Richtung, in der er einen von uns vermutete und zielte ebenfalls dorthin. Ich raste dicht an der Felswand vorbei und landete hart im zusammen-
Hans Kneifel getretenen Staub. Sofort hob ich beide Arme. Der Tejonther fuhr herum und zielte genau auf meinen Kopf. Ich versuchte, keine auffallenden oder zweideutigen Bewegungen zu machen. Ich befand mich in einem tejonthischen Raumanzug, und mein Gegner dort ebenfalls. Er starrte mich entgeistert an. Ich schaltete das Funkgerät auf die bisher benutzte Frequenz, die wir im Schiff geändert hatten. Sofort hörte ich tejonthische Worte. Ich kannte diese Sprache kaum; nur ein paar Worte. »Ich Freund!« sagte ich deutlich. »Nicht töten.« Langsam ging ich auf ihn zu. Deutlich mußte er die Waffe im Gürtel des Anzugs sehen können. Noch zögerte er. Er schien zu verstehen, daß ich seine Sprache nur schlecht sprach und verstand. Er sagte kurz: »Hereinkommen, Fremder!« Ich winkte nach hinten und erwiderte: »Noch einer. Ausgesetzt auf Mond.« »Warten!« Er bückte sich und zog die Waffe aus meinem Gurt. Ich blieb neben ihm stehen. Erkannte er, daß ich den Anzug seines getöteten Kameraden trug? Ich folgte seinem Blick, der einmal kurz abirrte und sich dann wieder auf Crysalgira heftete, die deutlich sichtbar näher schwebte. Dicht unter der Felswand sah ich drei längliche Staubaufwerfungen, auf denen unkenntliche Gegenstände lagen. Drei Gräber also. Die Station war für vier Mann eingerichtet. Ich merkte, daß die Pause zu lange dauerte und sagte in der fremden Sprache: »Ich. Du. Wir – Frieden.« Er zögerte wieder, fragte endlich: »Name? Du.« Ich deutete auf meine Brust und erklärte: »Ich Atlan. Die dort: Crysalgira.« »Verstehen. Ich Troomies-Dol.« Er war also ein gesellschaftlich hochstehender geschlechtsloser Tejonther. Die Prinzessin kam heran, landete vor uns und schaltete ihr Flugaggregat ab. Auch sie hatte auf die alte Frequenz umgeschaltet. Aber erst jetzt sprach sie. Bisher hatte sie wohl ver-
Ein Mond ohne Namen sucht, aus unserer kargen Unterhaltung gewisse Schlüsse zu ziehen. Sie hob die Hand und lächelte TroomiesDol an. »Ich bin Crysalgira. Wir kommen in Frieden!« sagte sie. »Gib ihm deine Waffe«, meinte ich. Die unmittelbare Gefahr schien vorbei zu sein. Trotzdem waren meine Nerven bis zum Zerreißen gespannt. Im Augenblick hielt sich der Druck der Emotiostrahlung in Grenzen. Vorsichtig zog Crysalgira die Waffe aus dem Gürtel und reichte sie Troomies-Dol. Er nahm sie schweigend entgegen und deutete in die Schleuse. »Kommen!« sagte er trocken. Wir folgten und stiegen auf die Platte, dann schloß sich die äußere Schleusentür. Licht flammte auf. Der Außenlautsprecher würde jetzt funktionieren, denn ich sah an aufwirbelnden Staubresten, daß Atemluft in den Kubus strömte. Jetzt wäre eine gute Gelegenheit gewesen, den Tejonther anzugreifen und zu entwaffnen, aber es gab keinen Grund. Wir waren keine Gegner; unser Zusammenprall geschah zufällig. Die nächsten Minuten würden viel entscheiden. »Fertig!« sagte Troomies-Dol, als der Druckausgleich hergestellt war und die innere Schleusentür aufschwang. Als wir den ersten Raum betraten, der offensichtlich der größte und bestausgestattete war, griff Troomies-Dol an die Helmverriegelung und öffnete seinen Raumanzug. Aber er blieb an einer Stelle stehen, von der aus er jederzeit auf uns feuern konnte. »Riskieren wir es?« fragte Crysalgira. »Ich denke, es ist ungefährlich!« sagte ich und half ihr, die Helmverschlüsse zu lösen. Als wir den Helm zurückschlugen, merkten wir erst wieder, wie infernalisch die Würzung roch. Jeder von uns verfügte noch über zwei Würfel. Ich hatte einen dritten in der Brusttasche des Anzugs. Wir legten die Helme ab. Die Atemluft war kühl und frisch. Ich sah, daß das Innere der Station schnell und so gründlich wie möglich gereinigt und aufgeräumt worden war.
39 Viele der Anlagen funktionierten noch – oder waren eingeschaltet worden. So genau konnten wir das nicht unterscheiden. Mit drohender Stimme sagte Troomies-Dol zu Crysalgira: »Ihr aus Schiff von Lopsegger?« »Sie haben uns mitgenommen. Wir sind Fremdlinge in euren Welten!« Crysalgira sprach langsam und deutlich und führte entsprechende Gesten der Erklärung aus. Der Tejonther schien fast alles zu verstehen. Natürlich erkannte er den Unterschied zwischen seinem und unserem Aussehen und dem der Lopsegger. »Das Schiff hat die Station zerstört.« Ich nickte. »Die Station eröffnete das Feuer. Die Tejonther schossen zuerst.« »Warum habt ihr den Mond angeflogen?« Ich holte tief Atem und erklärte: »Wir wollen zurück in unsere Heimat. Es gibt viele Hindernisse auf diesem Weg. Wir sind ausgesetzt und verschlagen worden. Wir sind auf die Hilfe von euch und anderen angewiesen.« »Verstehen. Kommen – sehen!« Er winkte, noch immer mit der erhobenen Waffe. Wir folgten ihm langsam. Wir durchquerten den Raum, gingen durch ein Verbindungselement und in den anschließenden Würfel hinein. Die Linsen des Aufnahmegeräts der Lopsegger hatten diesen Eindruck nicht gezeigt. »Hier Ortung!« sagte der Tejonther und deutete auf einen Bildschirm, der kaum kleiner als neun Quadratmeter war. Die riesige Vergrößerung eines Ortungsbildes. Tausende von Energieechos und einige deutliche Formen zeichneten sich ab. »Was ist das?« fragte ich trotzdem. »Mithuradonk-Sonnensystem. Unsere Schiffe. Schiffe des Gegners. Sehen. Bald Kampf!« Crysalgira flüsterten auf Arkonidisch: »Die Kreuzzugflotte!« Ich stöhnte auf. Das Bild wurde durch die Bedeutung klar. Wir erkannten den letzten der vielen Plane-
40 ten, eine lebensleere Eiskugel. Ihm näherte sich die Vorhut einer gewaltigen Flotte. Die Schiffe bildeten, gekennzeichnet durch die kleinen, stechenden Energieechos, eine Art offenen Trichter, von dessen Rändern einzelne Flottenteile sich auf die eng zusammenstehende Flotte der Lopsegger stürzt ten. Die Lopsegger hatten jetzt noch eine winzige Chance, zu entkommen, denn der Trichter hatte sich noch nicht geschlossen. Tatsächlich lösten sich aus dem kleinen, dichten Klumpen einige Punkte auf und bewegten sich in die Richtung des noch freien Raums. Eine Störung flimmerte über den riesigen Bildschirm. Jetzt war ich davon überzeugt, daß der fräsende, kratereinebnende Strahl von hier aus gesteuert worden war. Ich hütete mich aber, den Tejonther darauf anzusprechen. »Es muß der Kreuzzug sein, Atlan!« »Unbedingt«, sagte ich nachdenklich. »Es gäbe sonst meines Wissens keinen Grund, eine solch gewaltige Flotte zusammenzuziehen.« Jedenfalls war das kosmische Leuchtfeuer der Gefühlsstrahlung in vollem Betrieb und hatte die Flotte hierher gelotst. Ich war ratlos. Was konnten wir an dieser Stelle tun? Grelles Licht explodierte zwischen den Störungslinien des Schirmes, und dann stand das Bild wieder scharf da. Wir sahen, daß sich die Einheiten der Riesenflotte auf die Schiffe der Lopsegger stürzten. Die Raumschiffe beschossen einander, das war deutlich zu sehen. Blitze zuckten zwischen einzelnen Einheiten hin und her. Ab und zu verschwand eines der Echos vom Schirm und sagte uns, daß ein Schiff detoniert war. »Sie kämpfen. Unsere Schiffe siegen!« sagte Troomies-Dol ohne erkennbare Regung. Seine gelben Augen schimmerten im Licht, das vom Schirm und den beleuchteten Skalen ausging. »Kein Wunder«, sagte ich langsam. »Es sind auch viel mehr!« Die kleine Flotte der Lopsegger wurde vor unseren Augen aufgerieben. Immer wieder zuckten die Blitze auf. Es gab keinen
Hans Kneifel Unterschied zwischen den Echos, die von tejonthischen oder lopseggischen Schiffen verursacht wurden. Aber jedes der Schiffe, die zu fliehen versuchten und mit größter Beschleunigung aus dem Zentrum hinausrasten, verschwand. Ein Echo nach dem anderen erlosch, nachdem es der Mittelpunkt von einem Spinnennetz aus feinen, aber tödlichen Strahlen gewesen war. Jetzt gab es nur noch vier Echos, die aus dem Zentrum des sich unbarmherzig zusammenkrümmenden Trichters zu entkommen versuchten. Ein Schiff raste weit voraus davon – vermutlich war es das Flaggschiff mit GermyrHP ab, Bord. In einigem Abstand folgten drei weitere winzige Echos. Sie wurden von einem unübersehbaren Schwarm der Kreuzzugflotte verfolgt und beschossen. »Der endgültige Untergang ist nur noch eine Frage von Minuten, Atlan«, sagte Crysalgira, die ebenso ratlos war wie ich. Mit jedem verschwindenden Ortungsecho verminderten sich unsere Chancen drastisch. »So ist es. Und ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Vielleicht sagt uns unser Freund hier, was in der Gefühlsbasis versteckt ist.« Der Kreuzzug nach Yarden hatte begonnen. Wir beide befanden uns in der Klemme. Die Sauerstoffvorräte konnten nicht ewig reichen, und die Station würde uns auch nur kurze Zeit Überlebensmöglichkeiten bieten. »Er wird ein Schiff herbeirufen, das ihn abholt!« sagte Crysalgira. »Aber ob es uns nach Yarden bringt, ist zweifelhaft. Vermutlich werden sie uns stellvertretend für Germyr und Karsihl bestrafen.« Troomies-Dol deutete mit dem Lauf seiner Waffe auf den Schirm. Wir sahen deutlich, wie das erste flüchtende Schiff der Lopsegger von vorpreschenden tejonthischen Einheiten überholt, in die Zange genommen und vernichtet wurde. Kurz darauf waren auch die letzten lopseggischen Schiffe vom Ortungsschirm verschwunden – ausgelöscht. »Fremder Atlan!« sagte Troomies-Dol
Ein Mond ohne Namen laut und zielte mit der Waffe auf meine Brust. »Ich hole jetzt ein Schiff.« »Warum?« fragte Crysalgira. Deutlich stieg die Spannung zwischen uns dreien in dem halbdunklen Raum. »Mich abholen. Über euch beraten.« »Was werdet ihr mit uns machen?« »Nicht wissen. Vielleicht bestrafen!« Troomies-Dol drehte sich halb herum und machte einen Schritt in die Richtung auf den anschließenden Raum. Jetzt hatte ich noch die Möglichkeit, das Gesetz des Handelns an mich zu reißen. Sollte ich oder sollte ich es nicht versuchen? Es würde die letzte Chance sein. Entschließe dich zum Handeln! schrie der Extrasinn. Ich versuchte, den schlecht sitzenden Raumanzug zu ignorieren, spannte meine Muskeln und warf mich mit weit vorgestreckten Armen auf den Tejonther. Im gleichen Moment packte Crysalgira in einer ausholenden Bewegung einen Gegenstand und schleuderte ihn nach dem Kopf des Mannes. Wir prallten aufeinander.
5. Meine linke Hand packte die Waffe am Lauf. Der Tejonther drückte ab und feuerte schräg an meiner Hüfte vorbei in den Panoramaschirm. Mit einem donnernden Krachen barst die riesige Röhre und jagte einen Schauer von Splittern durch den Raum. Ich rammte Troomies-Dol meinen Ellbogen in die Brust, hieb nach seinem Handgelenk und versuchte, die Waffe aus seinen Fingern zu hebeln. Er ließ sie los und versetzte mir mit dem Handschuh des Raumanzugs einen Hieb gegen die Schläfe, der mich zwei Meter zurückschleuderte und in die Trümmer des Schirmes warf. Aber ich hatte ihn nicht losgelassen; er wurde mitgerissen und schlug schwer neben mir auf den scherbenübersäten Boden. Ich wirbelte, herum und warf mich auf ihn. »Ich will … dich … nicht töten«, keuchte
41 ich und packte die Hand, mit der er nach mir schlug. Wir kämpften schweigend weiter. Er rutschte aus, drehte sich in der Luft und sprang in die Richtung, in der die Waffe lag. Crysalgira kam heran und trat die Waffe in eine Ecke. Ich warf mich wieder über ihn und versuchte ihn zu betäuben, indem ich zu einem gewaltigen Schlag ausholte, der ihn an der Schläfe treffen sollte. Er duckte sich, ich fälschte den Hieb ab und schmetterte meine Faust gegen die Halsblende des Anzugs. Troomies-Dol stolperte rückwärts in den nächsten Würfel hinein und schlug gegen die Wand. Er riß ein schweres Werkzeug, das wie eine Axt geformt war, aus den Halterungen und schlug damit nach mir. Ich blockte den Schlag mit dem verstärkten Unterarm des Anzugs ab. Aber bei jeder Bewegung merkte ich, daß mich der ungewohnte Anzug behinderte. Gleichzeitig bewegten wir beide uns immerhin so schnell, daß Crysalgira nicht eingreifen konnte. Keuchend faßte ich, als der Tejonther wieder ausholte, nach dem Werkzeug. Ich konnte es dicht unterhalb des Griffs packen. »Hilf mir!« stöhnte ich auf, als der halb fehlgegangene Schlag schwer das Gelenk an der Schulter traf. Mit einem Fußhebel brachte ich den Tejonther zu Fall. Er kämpfte wütend, schweigend und schnell. Außerdem befand er sich in einem Raumanzug, der genau auf ihn zugeschnitten war. Ich riß an dem Werkzeug, wand es aus seinen Händen und holte aus. Er sah mich aus seinen gelben Augen an. Als das schwere Werkzeug heruntersauste, hatte ich noch die Wahl, ihm den Schädel zu spalten oder ihn zu betäuben. Aber ich achtete nicht auf seine Füße. Er lachte rauh auf und hakte einen Fuß um meine Beine, dann trat er mit dem anderen zu und warf mich um. Das Metallstück schlug schwer in ein Schaltpult ein. Funken sprühten, als ich mich zusammenkrümmte und abrollte. Dann erloschen schlagartig die meisten Lichter.
42 Crysalgira ist fort! flüsterte mein Extrasinn. Ich kam wieder auf die Beine und roch die verbrannten Materialien der ruinierten Schaltungen. Plötzlich hörte ich aus der vagen Dunkelheit vor mir schnelle Schritte, einen schwachen Aufschrei und dann einen kurzen, trockenen Schlag. Gleichzeitig summte etwas aus der Richtung der Schaltschränke, und eine Serie bläulich-grüner Notlampen schaltete sich ein. Ich taumelte schwer atmend zur Seite und ging langsam vorwärts. Ich fand keine Waffe. Hinter der Wand tauchte Crysalgira auf, die einen kurzen, weißen Stab in beiden Händen trug. Vor ihr lag ausgestreckt Troomies-Dol zwischen Scherben und Trümmern. Er rührte sich nicht mehr. »Ich habe ihn betäubt. Vielleicht ist er auch tot, aber ich habe nicht schwer zugeschlagen!« sagte sie leise und ließ den Stab fallen. Er klirrte in die Scherben. Vorsichtig stieg Crysalgira über den regungslosen Tejonther hinweg und kam auf mich zu. »Danke«, sagte ich und sah mich um. »Auch wenn Troomies-Dol keine Schiff alarmiert hat – es ist logisch, daß hier über kurz oder lang eines landet. Schon allein deswegen, weil sich hier die Basis befindet.« Die Strahlung war in den letzten Minuten nicht stärker geworden, aber auch keineswegs schwächer! Wir waren allein, und jetzt erst spürten wir richtig die Wirkungen der Ausnahmesituation, in der wir uns befanden. Es gab keinen Handlungsspielraum mehr. »Ich habe Durst!« erklärte Crysalgira. »Erinnerst du dich, wo die Nahrungsmittel waren?« »Ich erinnere mich auch daran, wo die Ersatzzylinder für die Atemluft waren«, meinte ich. »Gut. Nützen wir die Zeit.« Im trüben Licht der Notbeleuchtung gingen wir an dem bewegungslosen Körper des Tejonthers vorbei und in den Raum, an den ich mich erinnerte. Wir fanden Konserven, die sich nach dem Öffnen selbst erhitzten und Dosen mit einer Flüssigkeit, die wie
Hans Kneifel Saft von exotischen Früchten schmeckte. Langsam tranken und aßen wir. Keiner von uns sprach, aber wir gingen hin und her und nahmen eine flüchtige Untersuchung der Umgebung vor. »Es gibt drei Alternativen für uns, Atlan!« meinte Crysalgira nach einer Weile und ließ achtlos eine leere Dose fallen. »Wir können die Gefühlsbasis untersuchen!« »Das ist die erste. Die zweite ist, hier zu warten und dann auf die Gnade der Schiffsbesatzung angewiesen zu sein.« Ich nickte und trank eine der Dosen leer. Die Taubheit der Zunge und der Lippen hörte langsam auf. »Die dritte?« »Wir bleiben hier und verhungern, wenn kein Schiff kommt!« schloß sie. »Für welche wir uns entscheiden, ist schwierig. Immerhin kämen wir vielleicht mit dem Schiff der Kreuzfahrer nach Yarden.« »Dieses ›Vielleicht‹ ist es, das mich stört«, sagte ich. »Und jetzt haben wir einen Zeugen dafür, daß wir Feinde der Tejonther sind.« Ich deutete in die Richtung, in der Troomies-Dol lag, tot oder bewußtlos. Ich hatte inzwischen einen Schrank gefunden, der an ein System von Kompressionsleitungen und wohl auch an den großen Lufttank der Station angeschlossen war. Hier lagerten mindestens dreißig der kleinen Zylinder, die hochkomprimierte Atemluft enthielten. Ich nahm zwei Zylinder heraus und setzte sie anstelle der gebrauchten in unsere Anzüge ein. »Einverstanden?« fragte ich, während Crysalgira Tafeln unbekannten, aber eßbaren Inhalts in die Taschen der Anzüge schob. »Einverstanden, Prinzessin, wenn wir unseren abgebrochenen Versuch neu starten? Wir fliegen in die Richtung der Gefühlsbasis, und wenn wir dort nichts erreichen, können wir uns noch immer bemerkbar machen, wenn ein Schiff hier landet.« Sie schenkte mir ein vages Lächeln. »Einverstanden!«
Ein Mond ohne Namen Wir suchten und fanden unsere Waffen. Noch immer lag der Tejonther regungslos am Boden; indes schien es mir, er habe sich geringfügig bewegt. Dann checkten wir gegenseitig die Anzüge und schlossen, als wir sicher sein konnten, die Helme. Kurz darauf öffnete sich vor uns die äußere Schleusentür. Die Funkgeräte arbeiteten hervorragend; die Übersetzungsgeräte hatten wir in der Station gelassen. Wir schalteten die Geräte ein, und genau in dem Augenblick, als wir mit Hilfe der Schwebeaggregate hochsteigen wollten, riß uns eine wilde Kraft schräg nach oben. »Das ist … Atlan! Jemand beeinflußt uns!« schrie Crysalgira auf. Traktorstrahlen! warnte der Logiksektor augenblicklich. Wir hoben, während uns eine unbekannte Kraft schräg aufwärts riß und von der offenen Schleusentür der Station hinwegwirbelte, die Köpfe. Wir sahen einen bizarr geformten, metallenen Flugkörper, der genau in diesem Augenblick in eine enge Wendung umsteuerte. »Das Ding muß aus der Basis gekommen sein!« sagte ich. Die Traktorstrahlen hoben uns höher und höher. Etwa zweihundert Meter über dem Boden hörte die Aufwärtsbewegung auf. Wir schwebten einige Sekunden lang hilflos und ohne Richtung in der Luft, dann steuerte der Flugkörper, in der Sonne hoch über unseren Köpfen aufblitzend, in die Richtung der Schlucht und der Basis. Wir wurden mitgeschleppt. »Schalte dein Flugaggregat ein, Crysalgira«, sagte ich, mich mühsam zur Ruhe zwingend, »falls die Traktorstrahlen plötzlich abgeschaltet werden. Trotz der geringen Schwerkraft ist ein Fall aus dieser Höhe tödlich.« Wir schwebten nebeneinander, etwa fünf Meter auseinander. Mit einigen Stößen veränderten wir unsere Lage. Jetzt konnten wir wenigstens in die Flugrichtung sehen. »Eine neue Teufelei dieser verdammten Basis!« sagte ich schließlich. »Aber die
43 Strahlung hat nicht zugenommen.« Der Flugkörper wurde schneller, raste mit uns im Schlepp auf die Felsen und Wände der Schlucht zu und bremste schließlich ab. Wie das Gewicht eines Pendels schwangen wir nach vorn und wurden angehalten, als direkt unter uns ein gewaltiger, nageiförmiger Felsen auftauchte. »Vorsicht. Sie wollen uns zerschmettern!« stieß ich hervor und faßte den Multischalter am Gürtel. Aber die steuernde Kraft dort oben ließ uns nicht fallen. Der Traktorstrahl ließ in seiner Kraft nach und senkte uns langsam ab, bis wir genau auf der flachen, diskusförmigen Oberkante des hoch aufragenden Felsens standen. Dann fühlten wir, wie die Beeinflussung aufhörte. Ich packte das arkonidische Mädchen an beiden Unterarmen und drehte es halb herum. »Wir haben einen Logenplatz!« sagte ich. »Dort ist die Station, und dort sehen wir die Kuppel der Gefühlsbasis.« Die tellerförmige Fläche, auf der wir standen, war gänzlich ohne Staub. Ihr Durchmesser betrug nicht mehr als vier Meter. Vorsichtig setzten wir uns, dann beruhigten sich unsere Nerven ein wenig. »Was soll das nun bedeuten?« »Keine Ahnung«, entgegnete ich leise. Der eiförmige Flugkörper schwebte weiter in die Richtung der Basis und hielt an, als er die Schlucht erreichte. Er drehte sich langsam, und seine metallenen Auswüchse und Träger blitzten auf. Ich drehte mich ebenfalls, und in mein Blickfeld kamen sofort zwei riesige, leuchtende Raumschiffe, die eben zur Landung ansetzten. Ich schaltete mein Funkgerät aus, griff an den Gürtel Crysalgiras und bewegte dort den entsprechenden Schalter. Dann beugte ich mich nach vorn und legte das Material meines Helmes an ihren Raumhelm. »Zwei Schiffe der Tejonther. Wir sollten uns flach hinlegen, dann entdecken sie uns vielleicht nicht.« Langsam veränderten wir unsere Stellung,
44 bis wir flach auf dem Bauch lagen und dorthin blickten, wo eben die Heckflossen der Schiffe den Boden berührten. Sie landeten noch näher als das Schiff Karsihls an der Station. Unsere Verständigung war etwas undeutlich, aber jedes Wort war klar. »Von Stunde zu Stunde werden die Vorkommnisse rätselhafter!« erklärte Crysalgira. »Warum sind wir aus der Station entfernt worden?« »Mir scheint, daß etwas oder jemand in der Gefühlsbasis alles steuert!« erklärte ich. Es war eine reichlich kühne Behauptung und kaum zu beweisen. »Und wer hat die Schiffe alarmiert?« »Sie sind vielleicht sogar ohne Notruf gelandet.« Aus dem Schiff schwebten zwei große, schwere Gleiter. In jedem der ausgeschleusten Fahrzeuge saßen mindestens zehn Tejonther in funkelnden Raumanzügen. Die Gleiter rasten hinüber zur Station und landeten dicht nebeneinander, unmittelbar vor den drei Gräbern. Raumfahrer sprangen hinaus und schwärmten aus. Es war fast wie ein Kommandounternehmen, bei dem jede Bewegung saß und zweckentsprechend war. Einige Männer verschwanden in der Station, andere schienen Aufnahmen zu machen oder Untersuchungen anzustellen. Binnen kurzer Zeit bewegte sich ein Ring von etwa fünfzehn Raumfahrern rund um die Station. »Wenn sie den Bewußtlosen finden, werden sie uns zweifellos suchen!« sagte ich. Noch während ich sprach, konnten wir sehen, daß drei Raumfahrer einen länglichen Gegenstand hinausschleppten. Es konnte ein Körper sein, der in eine verschweißte Folie eingewickelt war. Das längliche Paket wurde in die Druckkabine des Gleiters gelegt, dann tauchten die Männer wieder ins Innere der Station. Andere Raumfahrer kamen von ihren Plätzen und stiegen nacheinander ein, gingen in die Station hinein oder aus ihr heraus.
Hans Kneifel Schließlich, nach rund zehn Minuten, waren die Gleiter wieder gefüllt, und nur ein einzelner Tejonther kam aus der Schleuse und setzte sich neben einen der Piloten. »Sie starten! Deckung!« zischte ich. Wir preßten uns ganz eng an den Felsen und beobachteten den Fortgang der Aktion. Sowohl die Station als auch die Schiffe waren nicht weiter als etwa zweitausend Meter vom Fuß des hohen Felsens entfernt. Aber die Gleiter machten nicht die geringsten Anstrengungen, vom direkten Kurs auf die Schiffe abzuweichen. In erstaunlich kurzer Zeit schwebten sie vor den Schleusen und schoben sich hinein. Wir warteten. »Ich glaube, sie starten, ohne die Gefühlsbasis besichtigt oder untersucht zu haben!« mutmaßte Crysalgira. »Du kannst recht haben. Es gibt Dinge, die zumindest wir nicht verstehen können, Gefährtin der Abenteuer.« »Noch nicht!« Die Lufthülle fehlte, sämtliche Vorgänge geschahen lautlos und wirkten dadurch noch plötzlicher und überraschender. Die Schiffe starteten, nachdem sie mit geschlossenen Schleusen eine Weile lang dagestanden waren. Wieder wirbelten sie eine Wolke Mondstaub auf, schoben sich höher und rasten in einer fast senkrechten Flugbahn davon. Noch während der Staub sich senkte, schalteten wir die Funkgeräte wieder ein. Ich schüttelte, soweit diese Bewegung im engen Helm möglich war, den Kopf. »Das verstehe, wer will. Ich kann es nicht.« Langsam standen wir auf und blickten eine kurze Zeit den davonrasenden Raumschiffen nach, dann starrten wir hinunter auf die verlassene Station. »Weißt du, vermutlich suchen sie Dinge, die für uns vollkommen unwichtig sind«, versuchte Crysalgira eine Erklärung. »Oder für sie sind ganz andere Beobachtungen von entscheidender Bedeutung. Es ist ein anderes Volk, und wir sind in der Mikroweit mit allen ihren unbekannten Gesetzmäßigkeiten.
Ein Mond ohne Namen Sehen wir nach, was sie in der Station gesucht oder zurückgelassen haben?« »Ja«, sagte ich. Wir starteten von unserem Nagelfelsen und schwebten in einem einzigen Absatz bis vor die geschlossene Schleusentür. Ich öffnete sie mit einem Handgriff und zog die Waffe, bevor wir auf den Druckausgleich warteten. Im Innern der Station brannte noch immer die Notbeleuchtung, aber schon nach einigen Schritten sahen wir, daß TroomiesDol fortgeschafft worden war. »Vorsicht. Sie können eine Falle eingebaut oder Sicherungen aktiviert haben«, murmelte ich. Wir hatten nicht einmal die Helme geöffnet und gingen hintereinander durch die verwüsteten Räume. Aus dem zerschmetterten Schaltpult war das Metallfragment herausgezogen worden. Crysalgira hielt mich am Arm zurück und fragte stockend: »Dort vorn. Das flackernde Licht. Was ist das?« Mein Finger krümmte sich um den Abzug der Waffe. Die Station war U-förmig angelegt, und das kalte, flackernde Leuchten kam aus einem Raum, den wir nicht einsehen konnten. Vorsichtig gingen wir weiter. Noch immer hielt uns die Strahlung in ihrem Griff, aber sie war nicht mehr so stark wie früher. Oder vielleicht habt ihr euch inzwischen daran gewöhnt, flüsterte der Logiksektor. Auch das war möglich. Wir bogen um die Trennwand herum und sahen einen kleinen runden Bildschirm. Vielleicht war er auch bei unserem letzten Aufenthalt hier eingeschaltet gewesen, und wir hatten ihn nicht beachtet. Wir blieben vor der Scheibe im Durchmesser von sechzig Zentimetern stehen. »Dasselbe Bild wie vorhin!« sagte ich. »Es ist die Flotte der Kreuzfahrer nach Yarden!« kommentierte das Mädchen. Ich sah schweigend zu, wie sich die gewaltige Formation langsam veränderte. Aus dem noch erkennbaren Trichter wurde langsam eine Art Speerspitze, ein langgestrecktes Ellipsoid mit scharfer Spitze.
45 »Die Flotte verschwindet aus dem Mithuradonk-System«, murmelte ich betroffen. »Sie geht auf den langen Marsch nach Yarden.« Die Formation zog sich auseinander. Die meisten Schiffe, hier als stecknadelkopfgroße Echos gekennzeichnet, bewegten sich mit der gleichen Geschwindigkeit. Aber jetzt verschwanden die ersten Schiffe der Flotte im Nichts. »Sie verlassen das Gefüge des dreidimensionalen Raums«, versuchte ich die Erklärung. »Ob ihr nächstes Ziel schon Yarden ist?« »Das weiß keiner von uns!« Wir starrten den Schirm an. Etwas anderes gab es nicht zu tun. Mechanisch sicherte ich die Waffe und schob sie wieder in den Gürtel. Bevor die Schiffe den Rand des Schirmes erreichten, überschritten die Echos eine unsichtbare Linie, hinter der sie verschwanden. »Jetzt haben wir keinerlei Möglichkeit mehr!« sagte ich. »Nur noch die Gefühlsbasis. Und den seltsamen Flugkörper mit den Traktorstrahlen.« »Gehen wir!« entgegnete Crysalgira entschlossen. »Es gibt nicht den geringsten Grund für uns, länger hier zu bleiben.« Ich stimmte zu. Es war ein schwacher Trost, aber diese Station konnte vielleicht unser Leben retten, falls wir beim Versuch, die Gefühlsbasis zu betreten, scheiterten. Solange wir noch handeln konnten, würde ich diesen Gedanken nicht aufgreifen, aber uns blieb noch diese Rettungsmöglichkeit. Wir verließen die Station.
* Achtung! Über euch! warnte mich der Extrasinn, aber es war bereits zu spät. »Das Flugobjekt! Es holt uns ab und bringt uns wieder irgendwohin!« rief Crysalgira, als wir wieder vom Boden weggerissen und auf dieselbe Weise nach oben geschleppt wurden. Der eiförmige Flugkörper war über uns und zerrte uns mit seinen Trak-
46 torstrahlen davon. Wir handelten automatisch, ebenso wie vor wenigen Minuten. Wir wurden quer über die Landschaft geschleppt und diesmal an dem Nagelfelsen vorbeidirigiert und auf die Schlucht zugesteuert. Wieder ließ die Kraft der Traktorstrahlen nach und setzte uns ab, dieses Mal aber in unmittelbarer Nähe des Basis. Gleichzeitig mit dem Augenblick, in dem die Sohlen unserer Stiefel den Boden eines schmalen Felsbandes berührten, schienen zwei Dinge zu passieren. Schlagartig ließ der Druck der Emotiostrahlung nach. Wir waren von dieser Beeinträchtigung frei geworden. Das bedeutete, daß die Flotte auf ihrem Kreuzzug nach Yarden das Mithuradonk-System verlassen hatten. »Jetzt sind wir nicht nur allein auf dem Mond, sondern auch noch allein in diesem Sonnensystem!« knurrte ich. »Ich kann nicht sagen, daß dies zu meiner guten Laune beiträgt.« »Es hat immerhin den Vorteil«, antwortete Crysalgira, »daß wir diese gräßlichen Gewürzwürfel nicht mehr zu kauen brauchen.« Wir waren auf einem vorspringenden Abschnitt derjenigen Felswand abgesetzt worden, die sich fast halbrund ausbuchtete und den Boden der Gefühlsbasis so fest zu umschließen schien, als wären Fels und Stahl zusammengeschweißt. Von hier aus sahen wir zwar, wie der Flugkörper auf der uns abgewandten Seite verschwand, aber wir konnten keinerlei Hinweise darauf entdecken, daß es sich bei der Basis um eine Kugel handelte. Wenn es so war, dann ruhte sie fest in einer halbkugelig konkaven Mulde, die so groß wie der Boden der Schlucht war. Wir diskutierten einige Minuten lang dieses Problem, dann schlug ich vor: »Von hier oben sehen wir keine Schleuse, keinen Eingang. Wir sollten dort unten zu suchen anfangen.« »Gerade wollte ich dasselbe vorschlagen!«
Hans Kneifel Außerdem hatten wir keine andere Wahl mehr. Wir schalteten die Flugaggregate ein, schnellten uns von dem Felsband und schwebten ein Stück geradeaus, dann senkrecht nach unten. Nachdem ich umgeschaltet hatte, erfaßte mich ein merkwürdiges Gefühl. Ich wurde schwerelos. Ich fiel. Es dauerte eine Sekunde, bis ich begriff, was geschehen war. Die Felswand raste vor meinen Augen aufwärts. Es waren mindestens zweitausend Meter bis zum Trümmerhaufen, der sich unter der Felswand auftürmte, undeutlich zu sehen unter der dünnen Staubschicht. »Crys! Mein Flugaggregat setzt aus! Schneller, beschleunige und komm ganz nahe heran.« Sie ächzte auf, handelte blitzschnell und bewegte sich seitwärts, dann fiel sie rasend schnell an mir vorbei und kam aus dem Kurs, bremste und näherte sich wieder meiner Fallinie. Ich streckte beide Arme weit aus und wartete, bis sie näher kam. Sie hatte Schwierigkeiten. Einmal war ihre Geschwindigkeit zu langsam, und ich raste an ihr vorbei, ohne ihre Beine packen zu können. Es war ein Alptraum. Mit jeder Sekunde wurde ich schneller … und jetzt hatte sie dieselbe Geschwindigkeit wie ich und kam seitlich auf mich zu. »Gut!« stöhnte ich und schlang die Arme um sie. Ich erwischte sie um die Schultern und fühlte einen schweren Ruck. Aber meine ineinander verkrallten Finger rissen nicht auseinander. Wir sanken weiter, aber dann gab Crysalgira mit der eingeklemmten Hand volle Kraft auf die Projektoren. »Wir werden langsamer!« sagte ich und atmete pfeifend aus. Ich fühlte den kalten Schweiß an meinem Körper. Ein Gefühl der Lähmung ergriff meine Knie und die Ellbogen. »Was ist passiert?« Ihr Gesicht war nur durch die beiden Helmscheiben von meinem getrennt. Wir fielen jetzt langsamer, aber trotzdem kam der Boden in einer beträchtlichen Geschwin-
Ein Mond ohne Namen digkeit näher. Ich konnte es nur undeutlich erkennen, was unter uns lag. Aber die Linien von Licht und Schatten, von verschiedenfarbigen Schichtungen des Gesteins, bildeten einen Gradmesser für die Geschwindigkeit, mit der wir fielen. Wir hatten mindestens schon zwei Drittel der Strecke zurückgelegt. »Die Energiezelle ist leer. Oder das Gerät ist zerstört«, sagte ich schwach. Ich hörte, wie ich krächzte. Wieder war ich dem Tod nur haarscharf entgangen. Der Schweiß trocknete, und meine Haut wurde langsam eiskalt. Ein kribbelndes Gefühl kroch die Wirbelsäule entlang. »Hast du sie geprüft, ehe wir die Station verließen?« »Nein«, mußte ich zugeben und verfluchte meinen Extrasinn, der mich nicht gewarnt hatte. Ich hatte keine Gelegenheit, den Ladezustand zu sehen. Ich hätte es nicht übersehen, versicherte mein Extrahirn. Crysalgira sagte sofort: »Halte dich am Gürtel fest. Ich muß sehen, wo wir landen.« Ich löste einen Arm, tastete umher und hakte die Hand in den Gürtel, dann folgte die andere Hand. Jetzt konnte auch ich zwischen unseren Körpern nach unten sehen. Nur noch hundert Meter. Ich wagte es, kurz den Gürtel loszulassen. Ich schaltete das Gerät an meinem Körper auf volle Leistung und drehte den Richtungsschalter in die entsprechende Position. Ich merkte, daß der letzte Rest von Energie umgesetzt wurde. Der Zug an meinem Arm wurde stärker, gleichzeitig bremste das Mädchen mit aller Kraft ab. Zehn Meter über dem Boden setzte mein Gerät endgültig aus. Wieder sackte ich nach unten, klammerte mich fest, und im letzten Augenblick lösten sich meine Finger vom Raumanzugsgurt Crysalgiras. Ich rollte mich zusammen, und schon fühlte ich, wie der Staub zusammengepreßt und auseinandergeschleudert wurde. Ich kam auf einem runden Hügel auf und rollte den Hang hinunter, aber der vernichtende
47 Aufprall blieb aus. Gleichzeitig wurde die Bremswirkung bei Crysalgira heraufgesetzt, weil ich nicht mehr an ihr hing. Das Mädchen landete erheblich weicher und lief dann mit weiten, langsamen Sprüngen auf mich zu. Es ist nichts gebrochen, versicherte das Extrahirn. Ich blieb halb betäubt liegen, beruhigte mich und stand dann auf. Eigentlich müßte ich tot sein oder wenigstens gebrochene Knochen haben. Ich sah einen Moment lang nichts, dann wischte Crysalgira den Staub von meiner Helmscheibe. Sie atmete stoßweise. »Ist dir etwas geschehen, Atlan?« rief sie besorgt. Ich bewegte Arme und Beine. »Nein. Ich bin in Ordnung«, sagte ich. »Wir hätten beide tot sein können.« Sie ging um mich herum und kontrollierte meine Ausrüstung. Dann zog sie die längliche Energiezelle aus den Kontakthalterungen, hob sie hoch und zeigte sie mir. »Leer!« war ihr Kommentar. »Sieh nach, ob meine noch geladen ist.« Ich bückte mich und untersuchte die Zelle im Rückenteil ihres Anzugs. Sie war zu zwei Dritteln entladen. »Ein Drittel Kapazität«, erklärte ich, noch immer unter dem Eindruck des Schreckens stehend. »Ich habe in der Station neben dem Schrank mit dem Luftvorrat einige Stapel der Zellen gesehen«, meinte Crysalgira ungerührt. Ich sah ihr Gesicht; sie war keineswegs so kühl und gelassen, wie sie sich gab. Aber ich rechnete ihr den Einsatz hoch an – Männer hätten sich unter Umständen nicht so besonnen verhalten wie dieses junge Mädchen. »Verstehe ich dich richtig? Du willst …?« begann ich zögernd. »Ja. Ich fliege zurück und bin in wenigen Minuten mit mehreren gefüllten Energiezellen zurück. Außerdem hast du deine Waffe verloren.« »Ja«, meinte ich. »Das ist eine Möglichkeit. Und ich versuche inzwischen, einen
48 Eingang zu finden.« Wir standen im Schatten am Grund der Schlucht. Fünfzig Meter vor uns berührten sich Felsen, Staub und Metall. Die riesige Kuppel wölbte sich vor uns in die Höhe. Links von uns verlief die harte Schattenlinie. Sie folgte den Konturen von Felsen und Steinen, Kratern und Brocken und schwang sich aufwärts, die Kuppel in zwei Hälften teilend. Sie blickte mich prüfend an. »Fühlst du dich in der Lage, weiterzumachen?« Ich lächelte knapp. Vermutlich betäubten mich die Reste der Droge noch, sonst würde die Reaktion auf den Zwischenfall stärker sein. »Ja, natürlich. Aber ich bin so lange sehr unruhig, wie du nicht hier bist«, versicherte ich. »Es dauert nicht lange. Du solltest dich eine Weile ausruhen. Wir hatten lange keinen Schlaf, Partner!« »In Ordnung. Komm bald zurück. Und sage deine Standorte durch. Ich warte hier im Schatten.« »Verstanden. Ich warte.« Sie hob grüßend die Hand, griff an den Gürtelschalter und sprang in die Höhe. Wie von einem unsichtbaren Seil gezogen, stieg sie senkrecht hoch und raste an der Felswand entlang, bis sie nur noch ein winziger Punkt gegen den schwarzpurpurnen Himmel war. Ich setzte mich in den Staub und lehnte mich gegen einen Felsen. »Verdammt!« sagte ich. Crysalgiras Stimme war klar, als sie erwiderte: »Deine Ansicht der Situation ist richtig, Atlan.« Ich schwieg und dachte nach. Ich überwand den Schock und fing mechanisch an, den Anzug zu reinigen. Dann stand ich auf und ging hinüber zur Wand der Kuppel. Schon als ich zehn Meter von ihr entfernt war, prüfte ich jeden weiteren Schritt, indem ich mit der Stiefelspitze einen festen Untergrund suchte und erst dann weiterging, wenn der Boden das Gewicht meines Körpers
Hans Kneifel trug. Meine Spuren – tiefe Eindrücke im Staub – führten von dem kleinen Hügel in einer leichten Kurve hierher. Ich mußte vorsichtig bleiben, denn ein falscher Schritt konnte mich in eine staubgefüllte Spalte fallen lassen, aus der ich mich nicht mehr befreien konnte. »Ich passiere jetzt den Nagelfelsen!« sagte das Mädchen ruhig. »Es hat sich nichts geändert.« »Ich habe verstanden!« Die Fläche vor mir war völlig glatt und trug keinerlei Spuren. Nicht einmal der Staub haftete an ihr. Ich blickte hinauf, dann rechts und links. Nichts. Es gab nicht einmal haarfeine Linien, die auf einen Eingang schließen lassen konnten. Langsam und ohne das kleinste Risiko einzugehen, bewegte ich mich Schritt um Schritt nach rechts. Es war tatsächlich so, als ob die Station in die Felsen eingegossen worden wäre. Der harte Untergrund reichte unmittelbar bis an das Metall heran. Ich konnte gerade die flache Hand in den Staub zwischen Felsen und Kuppelwand schieben; nicht mehr als zwei Zentimeter Platz war da. Ich gab diese Beobachtung an Crysalgira weiter, die kurze Zeit später erklärte: »Eben habe ich die Schutzstation betreten. Keine Veränderungen. Wir sind tatsächlich allein auf dem namenlosen Mond.« »Ich denke gerade an dieses Fluggerät, das uns abgeschleppt hat!« erwiderte ich und ging weiter. Schritt um Schritt. Noch immer fühlte ich unter den Sohlen Fels, gepolstert durch sieben Zentimeter dicken, gelben Staubes. Noch immer gab es keine Reaktion auf die Versuche, mit den gepanzerten Teilen der Handschuhe an die Kuppelwand zu hämmern. Ich konnte nicht einmal hören, ob ich überhaupt Vibrationen erzeugte. Bis jetzt hatte ich vielleicht zwanzig Meter zurückgelegt, als Crysalgira sich meldete und berichtete: »Ich habe gerade mit drei neuen Energiezellen in den Taschen den Nagelfelsen pas-
Ein Mond ohne Namen siert und steuere auf die Schlucht zu.« »Du bist ein wunderbares Mädchen!« sagte ich. »Mehr als ein Partner!« »Schon gut«, schloß sie. Ich näherte mich jetzt, von der offenen Seite der Schlucht kommend, dem Teil, an dem die Wand bis dicht an die Kuppel heranreichte. Noch immer befand ich mich auf festem Grund, aber jetzt wurde der Platz knapp. Als ich gerade die engste Stelle auf dem Boden erreicht hatte, landete das Mädchen in meinen Spuren. »Hier ist neue Energie!« sagte sie, hielt mich fest und schob eine Energiezelle in die Halterungen. Ich testete das Gerät; langsam hob ich mich vom Boden ab. Ich ließ mich wieder hinuntergleiten und erklärte Crysalgira, was ich gefunden oder genauer nicht gefunden hatte. »Es hilft alles nichts«, schloß ich. »Wir müssen eine Wanderung rund um dieses Bauwerk machen.« »Worauf warten wir noch?« Wir starteten und schwebten vorsichtig weiter, einmal höher und, wenn es der Platz zuließ, wieder tiefer. Immer mehr drangen wir in die Schlucht ein. Es war erstaunlich ruhig – eigentlich erwartete ich jederzeit einen dramatischen Zwischenfall. Die erste Stunde verging, die zweite brach an, und wir hatten, als wir wieder in das breitere Feld der Schlucht kamen, knapp die Hälfte der Kuppel umrundet. Crysalgira schwebte höher, flog aufrecht in der Luft stehend eine Kurve und bog vor einem überhängenden Felsen scharf ab, der sich aus dem Boden krümmte und mit seiner Spitze fast die Kuppel berührte. »Hierher!« sagte sie. »Keine Spuren, aber offensichtlich eine Luke.« Ich folgte ihr augenblicklich. Und tatsächlich, hier, mitten im nächtlichen Schatten der Schlucht, nur vom Leuchten der Felsen erhellt, war ein runder Eingang. Und er war zudem offen, ohne Tür, ohne Schott, ohne Gitter aus Metall oder Energie! »Das haben wir schon lange gesucht!« sagte ich. »Dafür haben wir Kopf und Kra-
49 gen riskiert.« Wir hatten keine Lampen an diesen Raumanzügen, aber wir faßten uns an den Händen und schwebten auf das Loch zu. Vier Meter Durchmesser, ungefähr zehn Meter über dem Boden der Schlucht. »Versuchen wir es?« »Nichts anderes!« sagte Crysalgira entschlossen. Das Loch schien der Anfang einer geraden Röhre zu sein, die schräg abwärts führte. Also setzte sich die Kuppel doch noch nach unten fort, war vielleicht doch eine Kugelkonstruktion? Ich wußte es nicht. Wir passierten mit klopfenden Herzen und trockenen Lippen den Eingang und sahen, als wir drei oder vier Meter weitergeschwebt waren, weit vor uns ein Licht, das aussah wie ein glühender Wirbel, wie die Flammen eines Brenngeräts. Der Wirbel wurde heller und raste durch den Tunnel uns entgegen, hielt aber vor uns an. Flackerndes Feuer in allen Farben spiegelte sich im glatten Material des Tunnels. »Wir werden begrüßt!« Plötzlich flogen wir weiter, ohne daß wir zu steuern brauchten. Ein Sog hatte uns erfaßt und trieb uns auf den rasenden Farbenund Flammenwirbel zu, der vor uns zurückwich und unseren weiteren Weg beleuchtete, ohne daß es etwas zu sehen gab. Wir wurden schneller. Jetzt erst kam das Gefühl einer Gefahr auf. Der Tunnel schien kein Ende zu nehmen, was unwahrscheinlich war, denn diese Kugel war endlich. Schneller, tiefer hinein, wir begannen uns zu drehen. »Das ist, als ob Kräfte an allen Gliedern zerren …«, konnte ich noch keuchen, ehe mich der Sog von Crysalgira wegriß, herumdrehte, weiter hinein schleuderte. Mir würde schwindlig, die Bewegung wurde immer rasender, und ich hatte das Gefühl, als ob mein Körper auseinandergerissen wurde. Noch immer loderte der Flammenwirbel vor mir, aber jetzt erschienen vor meinen Augen Punkte und Linien. Ehe mich der rasende Schmerz übermannte, ehe ich den langgezogenen Schrei Crys-
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algiras hörte, dachte ich daran, daß wir uns zu weit vorgewagt hatten. Ich verlor das Bewußtsein. Noch in meiner Bewußtlosigkeit glaubte ich, den irrsinnig drehenden Flammenwirbel zu sehen. Er wirkte wie eine verrückt gewor-
dene Galaxis.
ENDE
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