Joachim Bayer Werner Elerts apologetisches Frühwerk
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Joachim Bayer Werner Elerts apologetisches Frühwerk
Theologische Bibliothek Töpelmann Herausgegeben von O. Bayer · W. Härle
Band 142
≥ Walter de Gruyter · Berlin · New York
Joachim Bayer
Werner Elerts apologetisches Frühwerk
≥ Walter de Gruyter · Berlin · New York
Diss. theol., Universität Tübingen, 2005.
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISSN 0563-4288 ISBN 978-3-11-019445-6 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
” Copyright 2007 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Umschlaggestaltung: Christopher Schneider, Berlin
Meiner Mutter Eva Bayer, geb. Hennig (1941 – 1993)
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2005 von der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen als Dissertation im Fach Praktische Theologie angenommen. Für die Drucklegung wurde sie an wenigen Stellen geringfügig geändert. Theologie ist vom Wort her bereits eine Sprachwissenschaft. Eine Sprache wird im Gespräch lebendig. Theologie ist neben dem lesenden und schreibenden Gespräch wohl am lebendigsten im hörenden wie sprechenden Gespräch. So gilt mein Dank vor allem den Menschen, mit denen ich die Theologie in solchem Gespräch erleben durfte. Da ist zunächst das jahrzehntelange theologische Gespräch innerhalb der Familie – insbesondere mein Großvater Dekan Kurt Hennig († 1992) und mein Vater Professor Dr. Oswald Bayer haben mich in ihrer jeweiligen Art, Theologie ,zu sprechen‘, im Gespräch angeregt, angeleitet und herausgefordert. Die Einsicht, daß es in der Theologie gilt, die „Sprache der Gegenwart“ zu sprechen, um theologisch „mit dem Gegenwartsmenschen zu verhandeln“ (Werner Elert) verdanke ich nicht zuletzt den Seminaren von Herrn Pfarrer Dr. Thomas Reinhuber, der mir zu zeigen verstand, daß lutherische Theologie im Gespräch mit der jeweiligen Gegenwart zum Leben kommt. Mit in diesem Kontext entstand mein Interesse an der Aufgabe der Apologetik; das Elertsche Frühwerk erschloß sich dazu als ein geeignetes Studienfeld. Meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Volker Drehsen danke ich für viele Gesprächsimpulse, für die Übernahme des Erstgutachtens, vor allem aber dafür, daß er mich ermutigt hat, eine Dissertation anzufertigen. Besonders gefreut habe ich mich darüber, daß Herr Professor Dr. Hans Martin Müller, der in der eigenen Studienzeit bei Werner Elert gehört hat, das Zweitgutachten erstellt hat; auch ihm gilt mein Dank. Herrn Professor Dr. Wilfried Härle danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Theologische Bücherei Töpelmann, Frau Dr. Sabine Krämer und Herrn Dr. Albrecht Döhnert vom Verlag de Gruyter für die freundliche, hilfsbereite wie entgegenkommende Betreuung der Drucklegung dieser Arbeit und der Evangelischen Lan-
VIII
Vorwort
deskirche in Württemberg für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Meinem Ausbildungspfarrer Siegfried Fischer, den ich in der Endphase dieser Arbeit kennenlernen durfte, danke ich, daß er mich während meines Vikariates stets verständnisvoll, stärkend, aber auch fordernd begleitete und mir die andere Dimension des theologischen Gesprächs nahebrachte. Für das Aushalten der ,Nebenwirkungen‘ der Arbeit gilt mein Dank meinem Vater und meiner Frau Simone Bayer: Beide haben mit ihrem stets offenen Ohr und ihrer alltäglichen Anteilnahme wie Hilfe das Entstehen dieser Arbeit wesentlich mitgetragen. Die Erfahrung jedoch, daß ein gutes Gespräch letztlich in der Stille des Schweigens beginnt, verdanke ich meiner Mutter Eva Bayer († 1993). Ihr ist deshalb diese Arbeit gewidmet. Tübingen, den 20. Juli 2007
Joachim Bayer
Inhalt Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I
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Annäherung an einen „ungemein komplizierten Charakter“ . 1. Aspekte des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. „Andacht zur eigenen Biographie“? . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Biographisches zu Elert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aspekte der Werkrezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorhaben und Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Zeitliche Abgrenzung des Vorhabens . . . . . . . . . . . . . 3.3. Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aspekte der Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Eigentümliches zu Elert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Außertheologische Neigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1. Juristisches Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2. Militärhistorische Ambitionen . . . . . . . . . . . . 4.2.3. Verbundenheit mit dem Osten . . . . . . . . . . . 4.3. Mitmenschliche Zeitgenossenschaft? . . . . . . . . . . . . .
4 4 4 5 13 23 23 26 28 30 30 47 47 48 52 54
II Die Zeit von 1910 – 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zeitdiagnostische Wahrnehmungsperspektiven faktischer Weltanschauungspluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Apologetik als Aufgabe angesichts der Weltanschauungspluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. „Zerfaserung aller Welt- und Lebensauffassung“? . . . 1.3. Das allgemeine Verlangen nach individueller Sinndeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Konkurrenz und Kampf der Weltanschauungen . . . . 1.5. Der Kampf ums Überleben von Christentum und Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6. Die monistischen Weltanschauungen . . . . . . . . . . . . . 1.7. Konfessionalistische Sicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8. Apologetik in der Defensive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.9. Elerts Wahrnehmungsperspektive bis 1918. Eine Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58 58 58 63 66 68 70 72 79 82 83
X
Inhalt
2. Das apologetische Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Die Apologetik als die „richtige Instanz“ . . . . . . . . . . 2.2. Die Durchführung des apologetischen Programms . . 2.2.1. Die geschichtsphilosophischen Arbeiten . . . . 2.2.1.1. Geschichtsphilosophie als „metaphysischer Nebel“? . . . . . . . . . 2.2.1.2. „Rudolf Rocholls Philosophie der Geschichte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.3. Elerts „Grundlegung der Apologetik“ – die „Prolegomena der Geschichtsphilosophie“ . . . . . . . . . . 2.2.1.4. „Die Geschichtsauffassung der alttestamentlichen Poesie“ . . . . . . . . 2.2.1.5. Die Apologetik in ihrer „Wendung zur Geschichte“ . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Die religionspsychologischen Arbeiten . . . . . 2.2.2.1. Apologetische Ambitionen in der Religionspsychologie . . . . . . . . . . . . 2.2.2.2. Der Krieg als Aktualisierung „latenter Bewußtseinsinhalte“ . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.3. Psychologie der religiösen Erfahrung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3. Die publizistische Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Elerts Arbeit bis 1918. Eine Zusammenführung . . . . . . . . 3.1. Der Gegenstand von Elerts Arbeit bis 1918 . . . . . . . . 3.2. Elerts Gründe zur Beschäftigung mit der Apologetik . 3.3. Die Ziele von Elerts apologetischer Arbeit . . . . . . . . 3.4. Die Methoden zur Durchführung des apologetischen Programms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Würdigung der Arbeit Elerts bis 1918 . . . . . . . . . . . . 3.6. Ertrag der Arbeit Elerts bis 1918? . . . . . . . . . . . . . . . III Die Zeit von 1919 – 1923 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Die Zeichen der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Elert in dieser Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Elerts Zeitdiagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Programmatische Klärung der Verhältnisse – die ,tief empfundene Notwendigkeit neuer Klarheit‘ . . . . . . . 2.2. Kulturkritik als Zeitgeist – die Theologie der Krise . .
85 85 88 88 88 90 97 114 116 127 127 132 134 138 142 142 144 145 149 150 155 160 160 160 166 169 169 171
Inhalt
XI
2.3. Die Zeichen der Zeit in Elerts Deutung . . . . . . . . . . 2.3.1. Extensive Zeitdiagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2. Das Gewordensein der Gegenwart . . . . . . . . 2.3.3. Das Merkmal der Moderne: ihre Merkmallosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4. Die „Diffusion der Kultur“ . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5. Die Stellung des Christentums in der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.6. Pluralität ohne Ende oder Pluralität als Ende? 2.3.7. Pluralität als Schicksal . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.8. Die Diffusion des Individuums . . . . . . . . . . . 2.3.9. Individueller „Durst nach Metaphysik“ . . . . . 2.3.10. Aktualisierung des apologetischen Programms? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Elerts Erlebnistheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Aspekte der Erlebnistheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1. Das Kriegserlebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2. Ambivalenz der Gotteserfahrung . . . . . . . . . . 3.1.3. Die Unerkennbarkeit eines immanenten Sinns 3.1.4. Die immanente Bedeutsamkeit des Transzendenzerlebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.5. Die Krisenresistenz des Erlebnisses . . . . . . . . 3.1.6. Transformation der apologetischen Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.7. Der allgemeinchristliche Charakter des Erlebnisses – wiederum kein Konfessionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Der Primat des Pathos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Die „entscheidende Rolle“ spielt das Erlebnis 3.2.2. „Dreierlei Christentum“ . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3. Pluralität des Christentums und die „richtige Unterscheidung der Maßstäbe“: Das Verhältnis von Dogma, Ethos und Pathos . . . 3.2.4. Pluralität des Christentums und die „Konfusion“ der Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5. Das Pathos als Garant der Beständigkeit geschichtlichen Christentums . . . . . . . . . . . . . 3.3. Folgerungen für die Apologetik . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aporie oder Apologie der Apologetik? – Die „Revision der apologetischen Methoden“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
174 174 176 179 181 182 184 187 188 189 193 195 195 195 197 200 201 202 204 205 207 207 210 214 218 222 225 226
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Inhalt
4.1. Apologetik zwischen Zeitdiagnose und Erlebnistheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Kritik an der „landläufigen Apologetik“ . . . . . . . . . . 4.2.1. Verfallsgeschichte? – Eine Frage des Geschichtsbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2. Apologetik als schicksalgebundenes „Gegengewicht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3. Die pendelnde Vorgeschichte des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4. Die zwei Wege des 19. Jahrhunderts . . . . . . . 4.2.5. Der „breite Strom“ des 19. Jahrhunderts . . . . 4.2.6. Die Gemeinsamkeit aller „Irrwege“ in der Apologetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Abrücken von der bisherigen apologetischen Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1. Der frühere Versuch, „vor der Wissenschaft das Existenzrecht zu erkämpfen“ . . . . . . . . . . 4.3.2. Das Aufkommen der „Wahrheitsfrage“ . . . . . 4.3.3. Die Abwendung vom Doktorvater . . . . . . . . 4.4. Das Zentrum der „Revision“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1. Das apologetische Gebot der Stunde: Die Diastase von Christentum und Kultur . . . . . 4.4.2. Die „tiefliegende Bewegung“ . . . . . . . . . . . . 4.4.2.1. Theologischer Aufbruch aus der Tradition des 19. Jahrhunderts . . . . . 4.4.2.2. Theologischer Hoffnungsschimmer in der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3. Die Neubestimmung der apologetischen Aufgabe und ihr martyretischer Charakter . . . 4.4.3.1. „Schwärmerische Kulturkritik“? . . . 4.4.3.2. Apologetischer Zeugendienst . . . . . . 4.4.3.3. „Propaganda“ und „Polemik“ als Weg der Überwindung „apologetischer Feigheit“ . . . . . . . . . 4.4.3.4. Die Absorptionskraft der Dogmatik . 4.4.3.5. Diastase als „rein negative Forderung“ zur Wiedergewinnung des „christlichen Distanzgefühls“? . .
226 230 230 233 236 240 241 248 252 252 253 255 258 258 261 261 267 272 272 274 275 277 281
Inhalt
4.4.3.6. Von der Martyretik zur konfessionellen Theologie – eine formale Neuausrichtung . . . . . . . . . . 5. Ortsbestimmung der Theologie als Wissenschaft . . . . . . . . 5.1. Schleiermachers Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Theologie – eine Wissenschaft „ins Blaue hinein“? . . 5.3. Die Theologie – eine Wissenschaft wie jede andere? . 5.4. Die Selbständigkeit der Theologie als einer positiven Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1. Die Universität als Spiegel einer pluralen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2. Die Theologie und das „Dasein der Christenheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3. Die Aufgaben der Theologie . . . . . . . . . . . . . 5.5. Der plurale Diskurs der Einzelwissenschaften als Beitrag zur Idee der Universität . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6. Die existentielle Bedeutung des reziproken Verhältnisses von Theologie und Christenheit . . . . . . 5.7. Immanente Selbständigkeit aus dem Bewußtsein der Transzendenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8. Rückkehr zum Selbstbewußtsein als Ermöglichung eines pluralen Diskurses über die Frage nach der Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV Der Ausgang des apologetischen Frühwerks als Konstitutionshorizont von Elerts späterem Konfessionalismus. Ein Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schleiermacher und die Weimarer Reichsverfassung . . . . . 1.1. Die neue Situation durch die Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Rückgriff auf Schleiermacher als Zugriff auf die Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eine Frage der „Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. „Treue gegen das Dritte Reich“ oder „Dorn“ in dessen „Auge“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Theologie zwischen Staat und Kirche . . . . . . . . . . . . 2.3. Bedeutung der Theologie für die Kirche . . . . . . . . . . 2.4. Bedeutung der Theologie für den Staat . . . . . . . . . . .
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286 289 289 291 292 295 295 296 299 302 307 307 309
312 312 312 314 318 318 321 323 325
XIV
Inhalt
2.5. Die Zweipoligkeit der Theologie zwischen Kirchlichkeit und Wissenschaftlichkeit . . . . . . . . . . . . 328 3. Konfessionelle Theologie als „Schicksalsfrage“ . . . . . . . . . . 331 V Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Zur Zitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Zur Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Schriften Werner Elerts in chronologischer Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Schriften Werner Elerts in alphabetischer Anordnung 3.3. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
342 342 342 342 343 344 344 349 353
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
Zur Einführung Vor über einem halben Jahrhundert versuchte Martin Doerne der Theologie seiner Tage „das unbewältigte Problem der Apologetik“ wieder ins Gedächtnis zu rufen: Der Rückblick auf die Jahrzehnte, die seit dem vielgesichtigen theologischen Aufbruch nach 1918 vergangen waren, vermittle dem Betrachter den Eindruck, Begriff wie Sache der Apologetik seien „zu den heute abgelösten Fragestellungen“ der Theologie zu rechnen.1 Es bleibe indessen die Fragestellung, „ob nicht durch diese Ablösung eine Lücke im Ganzen“ der Theologie entstanden ist.2 In der neoorthodoxen Reduktion wie Konzentration der Theologie auf das Wort Gottes sei das „Gegenüber des Wortes Gottes“ in den „beiden Rollen des Hörers und des Widersachers der Verkündigung“ in eben jene „Lücke“ gestürzt.3 Unabhängig von dem durch die Geschichte der Apologetik „belasteten Namen ,Apologetik‘“4 und unabhängig von der Frage, ob die Apologetik als selbständige theologische Disziplin, als Teil der systematischen Disziplinen – der Systematischen Theologie und der Praktischen Theologie – oder als „Korrelation der Praktischen Theologie und der Fundamentaltheologie“5 zu betreiben sei, bedrängt diese „unbewältigte Grundfrage“ nach dem Gegenüber des Wortes Gottes die gesamte Theologie, die sonst zu dem „Selbstgespräch unter Theologen“ zu werden droht, „vor dem Elert uns warnte“.6 Wie ebenfalls Elert anmahnte, ist das Aufsuchen dieses Gegenübers des Wortes Gottes in jeder Generation neu zu unternehmen: Jede Zeit 1 2 3 4 5
6
M. Doerne, Das unbewältigte Problem der Apologetik, ThLZ 75 (1950), (259 – 264) 259. M. Doerne, aaO, 259. M. Doerne, aaO, 259. M. Doerne, aaO, 259. So die pointierte Schlußfolgerung von W. Sparn in seinem Aufsatz „Religiöse Aufklärung. Krise und Transformation der christlichen Apologetik im Weltanschauungskampf der Moderne“, in: Jahrbuch der Karl-Heim-Gesellschaft 5 (1992), (Teil I: 77 – 105. Teil II: 155 – 164) 160. M. Doerne, Das unbewältigte Problem der Apologetik, ThLZ 75 (1950), (259 – 264) 264.
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Zur Einführung
spricht ihre eigene Sprache, und deshalb muß die Theologie in der Lage sein, die „Sprache der Gegenwart“ zu sprechen, um in die jeweiligen „Lebensverhältnisse hineinzuhorchen“.7 Sache, Aufgabe wie Funktion der Apologetik erweisen sich somit nicht nur in der Theologie, sondern auch in jedem „christlichen Leben“ als „unvermeidlich“.8 Diese Unvermeidlichkeit gilt es daher stets von Neuem zu explizieren, da Christentum und Theologie auch „mit dem Rücken an der Wand“ stets „mitten auf dem Markt“ stehen.9 Deshalb ist es sinnvoll, die apologetische Arbeit, deren Fragestellungen und Probleme in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, im Ganzen betrachtet, in die fundamentaltheologischen Kanäle der Systematischen Theologie – implizit – integriert worden zu sein scheinen, wieder zu explizieren und als eigenständige Teildisziplin der Theologie zu betreiben. Nicht zuletzt dadurch könnte die Apologetik zugleich von ihrem „Schattendasein“ befreit werden, das sie in der evangelischen Theologie führt.10, deren „Grundgestalt“ doch – wie bei aller christlichen Theologie – „jedenfalls die Apologetik“ ist.11 Wer sich mit der Sache der Apologetik derart beschäftigt, daß er die Arbeit eines Theologen in den Fokus der Aufmerksamkeit nimmt, dessen Todestag sich am 21. November 2004 zum fünfzigsten Mal jährte,12 kann neben einem ,rein historischen’, theologiegeschichtlichen 7 W. Elert, Die Lehre des Luthertums im Abriss, München, (1924) 19262, 118. 119. 8 E. Herms, Art.: Apologetik VI. Fundamentaltheologisch, RGG4 1 (1998), (623 – 626) 623. Zitat vom Verf. grammatikalisch angeglichen. 9 E. Herms, Mit dem Rücken an der Wand? Apologetik heute, in: ders., Offenbarung und Glaube. Zur Bildung des christlichen Lebens, Tübingen, 1992, (484 – 516) 490. 10 So die Einschätzung von K. Aland, Art.: Apologetik, HWP 1 (1971), (446 f.) 446. 11 E. Herms, Mit dem Rücken an der Wand? Apologetik heute, in: ders., Offenbarung und Glaube. Zur Bildung des christlichen Lebens, Tübingen, 1992, 489. 12 Die vorliegende Arbeit wurde 2003 abgeschlossen und der Evangelisch-theologischen Fakultät in Tübingen eingereicht. Später erschienene Literatur wurde nicht mehr berücksichtigt; besonders hingewiesen sei deshalb auf den zum 50. Todestag Elerts erschienenen Sammelband: R. Keller / M. Roth (Hgg.), Mit dem Menschen verhandeln über den Sachgehalt des Evangeliums. Die Bedeutung der Theologie Werner Elerts für die Gegenwart, Erlangen, 2004. Darin insbesondere: R. Keller / M. Roth, Werner Elert: Person – Werk – Wirkung, in: aaO, 9 – 26; G. Müller, Synthese oder Diastase? Historia magistra theologiae in Werner Elerts „Der Kampf um das Christentum“, in: aaO, 119 –
Zur Einführung
3
Interesse nur auf die Vermutung setzen, daß es sich auch für die systematische Urteilsbildung lohnen könnte, mit dem apologetischen Frühwerk Werner Elerts eine Auseinandersetzung zu suchen. Obwohl Elert zu den charakteristischsten und produktivsten theologischen Köpfen des 20. Jahrhunderts gehört, ist die Resonanz auf seine Arbeit – verglichen mit der auf Tillich, Barth oder Bultmann – sehr verhalten. Daher darf man der Vermutung Walter Sparns zustimmen: Elerts „nicht sehr große Nachwirkung bleibt hinter seinen historischen und systematischen Leistungen vermutlich zurück“.13 Die stärkste Wirkung erzielte Elert mit seiner Lehre vom Gesetz samt dessen Zuordnung zum Evangelium sowie mit seinem umstrittenen Verhalten und Auftreten in der Zeit des Nationalsozialismus. Die nicht nur vermutlich, sondern nachweisbar geringste Nachwirkung hinterließ hingegen Elerts frühe Arbeit aus der Zeit bis 1923, einer Zeit, in der Elert – wie er selbst sagte – von den Fragen der Apologetik umgetrieben war und sie eben – im Unterschied zu später – explizit zu bearbeiten suchte.14 In dieser Hinsicht gleicht diese Lücke in der Nachwirkung von Elerts Theologie im Ganzen der „Lücke“, von der Martin Doerne im Hinblick auf das „vermeintlich abgelöste Problem der Apologetik“ gesprochen hatte.15 Dem von Doerne aufgezeigten Desiderat wird im Folgenden entsprochen, indem jener Teil von Elerts Wirksamkeit eingehend in den Blick genommen wird, der die geringste Nachwirkung hatte: sein apologetisches Frühwerk. Zur Behandlung dieser Themenstellung empfahl sich aus mehreren Gründen eine weitgehend werkimmanent verfahrende Interpretation.16
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154; M. Roth, Hermeneut der Gegenwart? Werner Elerts Versuch „mit dem Gegenwartsmenschen zu verhandeln“, in: aaO, 155 – 174. W. Sparn, Werner Elert, in: W. D. Hauschild (Hg.), Profile des Luthertums, 1998, (159 – 183) 159. Vgl. W. Elert, Eintrag in das Goldene Buch der Universität Erlangen vom 5. 1. 1927, 237. M. Doerne, Das unbewältigte Problem der Apologetik, ThLZ 75 (1950), (259 – 264) 264. Vgl. aaO, 259. Zur eingehenden Begründung vgl. die Überlegungen zu Vorhaben und Vorgehen (I/3) unten S. 23 ff.
I Annäherung an einen „ungemein komplizierten Charakter“1 1. Aspekte des Lebens 1.1. „Andacht zur eigenen Biographie“? Will man die „Arbeit eines Mannes betrachten, der seine Selbstbiographie ,Einsame Wege‘ überschrieben hat, so wird man gut tun, zunächst einen Blick auf diese Wege zu werfen, um vom Ganzen des Lebenswerkes aus ein gerechtes Verständnis des Einzelnen vorzubereiten. Die eigentümlichen Lebensschicksale, die Beziehungen zu anderen Menschen, die mannigfaltigen kulturellen Einflüsse nähren doch gewiß zum guten Teil den Boden, der die Wurzeln der Weltanschauung eines Denkers umschließt. Gräbt man diesen Wurzeln nach, Schicht um Schicht den Boden aufwerfend, dann wird man […] der Gefahr vorbeugen, bei der Beurteilung […] heterogene Maßstäbe anzulegen. Und das verstehende Nachempfinden wird die Vorbedingung sein für eine alsdann notwendige möglichst sachliche Würdigung“2. Eine „Selbstbiographie“, geschweige denn eine mit dem Titel „Einsame Wege“, ist von Werner Elert nicht verfaßt worden.3 Ganz im 1 2 3
So umschreibt K. Beyschlag Elerts Persönlichkeit (Die Erlanger Theologie, EKGB 67, Erlangen, 1993, 152). W. Elert, Rudolf Rocholls Philosophie der Geschichte, Leipzig, 1910, 1. Elert bezieht sich hier auf die Autobiographie von R. Rocholl, Einsame Wege, Bd. 1: (1881) 18982, Bd.2: 1898. R. Keller (Erinnerung an Werner Elert. Gedanken, Berichte, Anfragen – ein Versuch zum 25. Todestag, in: Lutherische Kirche in der Welt. JMLB 26 (1979), 10 Anm. 12) verweist jedoch auf ein Gespräch Elerts mit Werner Srocka von 1952, aus dem hervorgeht, daß er nach Abschluß seiner dogmengeschichtlichen Projekte zur Alten Kirche vorhabe, seine „Lebenserinnerungen“ zu schreiben. Dasselbe Vorhaben Elerts ist bezeugt durch W. v. Loewenich (Erlebte Theologie. Begegnungen, Erfahrungen, Erwägungen, München, 1979, 121). Der Titel „Einsame Wege“ erscheint für eine Autobiographie Elerts nicht unpassend, da er oft als der einsame „erratische Block“ in der Landschaft der Theologiegeschichte des 20. Jahrhunderts beschrieben wird (vgl. W. Trillhaas, Geleitwort, in: Werner Elert, Der Christliche Glaube. Grundlinien der lutherischen Dogmatik, hg. v. E. Kinder, Erlangen, 19886 ; vgl.
1. Aspekte des Lebens
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Gegenteil. Elert war „die Andacht zur eigenen Biographie völlig fremd“4. Dennoch umreißt er mit den ersten Sätzen seiner Erstlingsveröffentlichung formal die Methodik, die auch für eine Beschäftigung mit seinem apologetischen Frühwerk treffend erscheint. So ist der biographische „Boden“ Elerts daraufhin zu untersuchen, inwiefern er durch die „Weltanschauung“ hindurch die apologetische Arbeit des Theologen Elerts „nährt“. Im Folgenden werden deshalb biographische „Nährstoffe“ auch seiner apologetischen Arbeit dargestellt. Eine umfassende Darstellung von Leben und Werk Elerts ist hierbei nicht intendiert, da Derartiges bereits in guter und auch schön zu lesender Form zureichend vorliegt.5 1.2. Biographisches zu Elert „Ich Werner August Friedrich Immanuel Elert, ev. luth. Konfession, preußischer Staatsangehöriger, bin geboren am 19. August 1885 zu Heldrungen, Provinz Sachsen, als Sohn des jetzt zu Lunden in Holstein
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dazu auch: N. Slenczka, Selbstkonstitution und Gotteserfahrung. W. Elerts Deutung der neuzeitlichen Subjektivität im Kontext der Erlanger Theologie. Studien zur Erlanger Theologie II, FSÖTh 86, Göttingen, 1999, 15 – 20); Elert sei theologisch „niemals in der Gruppe marschiert“ (W. Trillhaas, Konservative Theologie und moderne Welt. Erinnerung an Werner Elert, in: Lutherische Kirche in der Welt. JMLB 33 (1986), 44). Zudem spielt der Begriff der Einsamkeit in mehreren Schriften Elerts eine zentrale Rolle bis hin zur Betonung der fundamentalen Einsamkeit des Einzelnen vor dem deus absconditus in seiner Dogmatik (CG, 191). Vgl. den in diesem Zusammenhang wohl wichtigsten Aufsatz von Elert: Angst und Einsamkeit in der Geschichte des Luthertums, in: JELLB 20 (1925), 6 – 16). W. Trillhaas, Konservative Theologie und moderne Welt, 35. Vgl. auch unten S. 33 Anm. 92. Stellvertretend genannt seien: R. Hauber, Werner Elert. Einführung in Leben und Werk eines „Lutheranissimus“, NZSTh 29 (1987), 113 – 146. W. Sparn, Werner Elert, in: W. D. Hauschild (Hg.), Profile des Luthertums. Biographien zum 20. Jahrhundert, Gütersloh, 1998, 159 – 183. Weitere Literatur bei R. Hauber, aaO, 113 f. Anm. 2. 119 Anm. 34. Danach erschienen hierzu: K. Beyschlag, Werner Elert in memoriam, HoLiKo NF, 9 (1991/92), 5 – 35; ders., Die Erlanger Theologie, 1993, 151 – 160. 171 – 178; J. Meister, Ein Zeuge von Gottes Gericht und Gnade, HoLiKO NF 9 (1991/92), 36 – 44; S. A. Eyjólfsson, Rechtfertigung und Schöpfung in der Theologie Werner Elerts, AGThL NF 10, Hannover, 1994, 13 – 20; T. Kaufmann, Werner Elert als Kirchenhistoriker, ZThK 93 (1996), (193 – 242) 197 – 206. 236 – 242; B. Hamm, Werner Elert als Kriegstheologe. Zugleich ein Beitrag zur Diskussion „Luthertum und Nationalsozialismus“, KZG 11 (1998), (206 – 254) 235 – 244.
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I Annäherung
lebenden Kaufmanns August Elert und seiner Ehefrau Friederike, geb. Graf. Nachdem ich vier Jahre lang die Volksschule meiner Heimatstadt und sechs Jahre lang das Realgymnasium zu Harburg a. d. Elbe besucht hatte, war ich zwei Jahre auf dem Predigerseminar zu Kropp in Schleswig. Nach Ablauf dieser Zeit verließ ich das letztere auf Wunsch meiner Eltern und besuchte nun ein Jahr das Gymnasium zu Sangerhausen und zwei Jahre das Gymnasium zu Husum. Als ich Ostern 1906 die Reifeprüfung bestanden hatte, bezog ich zunächst die Universität Breslau, um dem erwählten Fachstudium, der Theologie, obzuliegen“6. Elert bekennt – nicht ohne einen gewissen Stolz –, in kleinbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen zu sein: „Mein Vater war Kaufmann und entstammte einer Bauernfamilie, die in den letzten beiden Jahrhunderten den Schulzenhof zu Rarfin in Pommern innehatte, meine Mutter einer Handwerkerfamilie, die aber auch […] eine Reihe von Malern hervorgebracht hat“7. Sein Vater, der als jüngerer Sohn den Hof nicht übernehmen durfte, war zunächst Berufssoldat des Kaisers, danach Gerichtsvollzieher in Heldrungen. Kurz nach Elerts Geburt zog die Familie nach Lunden, einem Dorf bei Husum, in dem der Vater als Kaufmann ein kleines Geschäft führte.8 Elert war – wie es sich für einen „Lutheranissimus“ zu ziemen scheint –9 geborener Altlutheraner10 ; seine Familie gehörte der 6 Der von Elert 1910 verfaßte Lebenslauf findet sich als beigehefteter Anhang in seiner philosophischen Dissertation: Rudolf Rocholls Philosophie der Geschichte, Leipzig, 1910. Vgl. den beigehefteten Lebenslauf in Elerts theologischer Dissertation: Prolegomena der Geschichtsphilosophie. Studie zur Grundlegung der Apologetik, Leipzig, 1911. 7 W. Elert, Eintrag in das Goldene Buch der Universität Erlangen vom 5. 1. 1927; abgedruckt in: T. Kaufmann, Werner Elert als Kirchenhistoriker, 236. 8 Zum beruflichen Werdegang des Vaters vgl. B. Hamm unter Berufung auf ein Gespräch mit Elerts Schwiegersohn Oberkirchenrat i.R. Wilhelm Gerhold (Werner Elert als Kriegstheologe, 237 Anm. 102). In Elerts Geburtsurkunde wird als Beruf des Vaters „Gerichtsvollzieher“ angeführt (Hauptstaatsarchiv München, Mk 43556; zitiert nach: T. Kaufmann, Werner Elert als Kirchenhistoriker, 197 Anm. 9). 9 Diese Titulierung Elerts als „Lutheranissimus unter den deutschen systematischen Theologen der Gegenwart“ stammt von M. Doerne (Rez. W. Elert, Der Christliche Glaube, DLZ 62 (1941), (97 – 102), 101). Daß Altlutheraner zudem in einem superlativischen Verhältnis zu „gemeinen“ Lutheranern zu stehen scheinen, folgt dem Urteil K. Beyschlags (Werner Elert in memoriam, 21): „Nur ein Altlutheraner konnte dies Werk [Morphologie des Luthertums] dem Luthertum schenken“. Elert selbst hätte dies wohl kaum behauptet, da es nach seinem Selbstverständnis keinen „besonderen konfessionskundlichen Typus“
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„Evangelisch-Lutherischen Kirche in Preußen“ an, die sich ab 1830 aus Protest gegen die Preußische Union als Freikirche konstituiert hatte.11 Beides, die soziale Herkunft und die Verwurzelung in einer Freikirche, haben dem „sozialen Aufsteiger“12 Elert „eine Situierung mitgegeben, die er zeitlebens festgehalten hat: einer angefochtenen Minderheit anzugehören und für sie im Kampf zu stehen“13.
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der Altlutheraner gibt. (W. Elert, Art. Altlutheraner, RGG2 1 (1927), (280 – 283) 283). Die Konfessionszugehörigkeit trägt bei Elert durchaus irreversible schicksalshafte Züge. Vgl. ders., Zu den Waffen!, AELKZ 56 (1923), (524 – 526) 525: „Luthertum ist für uns diejenige Form des Christentums, in der wir Heutigen uns beim Erwachen unseres kirchlichen Denkens vorgefunden haben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir haben es nicht geschaffen, und wir werden die konfessionelle Differenzierung auch nicht aus der Welt schaffen. Wir können sie bedauern, aber nicht leugnen. Folglich müssen wir sie bejahen und auf die Stimme […] unseres Schicksals horchen, um zu wissen, wohin wir gehören“. Vgl. W. Elert, Art. Altlutheraner, in: RGG2 1 (1927), 280 – 283. Überblick bei: W. Klän, Die altlutherische Kirchenbildung in Preußen, in: W. D. Hauschild (Hg.), Das deutsche Luthertum und die Unionsproblematik im 19. Jahrhundert, 1991 (LKGG 13), 153 – 170. Lit. dazu bei: Werner Klän, Die ev.-luth. Immanuelsynode in Preußen. Eine Kirchenbildung im Gefolge der ekklesiologischen Auseinandersetzungen des deutschen Luthertums, Frankfurt a. M., 1985; M. Roensch / W. Klän (Hg.), Quellen zur Entstehung und Entwicklung selbständiger ev.-luth. Kirchen in Deutschland, Frankfurt a. M., 1987. Eine knappe Darstellung der wichtigsten Ereignisse findet sich bei: G. Besier, Preussische Kirchenpolitik in der Bismarckära. Die Diskussion in Staat und Evangelischer Kirche um eine Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse Preußens zwischen 1866 – 1872, Berlin, 1980, 13 ff. So im Urteil von T. Kaufmann, Werner Elert als Kirchenhistoriker, 197. W. Sparn, Werner Elert, 160. W. Trillhaas (Konservative Theologie und moderne Welt, 1986, 42) erklärt sogar Elerts „förmliches Bedürfnis nach Polemik“ aus seiner Zugehörigkeit zu der altlutherischen Kirche und dem sich daraus ergebenden „Bewußtsein, einer Minderheit anzugehören“, die es gegen die übermächtige Preußische Union zu verteidigen gelte. Neben der in Spannung zu Elerts politischem Preußentum stehenden Zugehörigkeit zur altlutherischen Kirche rechnet T. Kaufmann (Werner Elert als Kirchenhistoriker, 198. 204 f.) Elerts Kriegserfahrungen zu den „biographisch dominanten Faktoren“. Dies einschränkend sieht K. Beyschlag (Werner Elert in memoriam, 13) in dem „Weltkriegserlebnis lediglich eine […] Modifikation der bereits vorhandenen erfahrungstheologischen Ansätze“. Ebenso – wenn auch mit anderer Intention – nivelliert B. Hamm (Werner Elert als Kriegstheologe, 206 – 254) die Bedeutung der Kriegserfahrungen von 1914 – 18 für Elert, indem er dessen ganzes Leben und Werk als vollständig martialisch geprägt zu erweisen sucht: „Das Militärische war für ihn […] Lebenspassion, Steckenpferd und Leidenschaft“ (aaO, 237). „Elert als militaristischer Theologe“ (aaO, 244) stehe
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I Annäherung
Von 1906 bis 1910 studierte Elert – als Altlutheraner „selbstverständlich vorschriftsmäßig“14 – an den lutherisch geprägten Universitäten Breslau, Leipzig und Erlangen. In Breslau war er zugleich Mitglied des 1883 gegründeten Seminars der Ev.-luth. Kirche in Preußen, „das von den künftigen Geistlichen außer dem Universitätsstudium zu absolvieren“15 war. Im Rückblick auf sein Studium, über das er später einmal selbstironisch sagte, er wisse nicht, warum er Theologie studiert habe,16 bekennt Elert, daß die „reichliche Hälfte meiner Interessen, in manchen Semestern wohl neun Zehntel, […] freilich anderen Dingen“17 galt: Nach eigenen Angaben hörte er Vorlesungen in Philosophie, allgemeiner Geschichte, Literaturgeschichte, Psychologie und Jura; in der verbleibenden Zeit kam „reichlicher Genuß“ der Musik, des Theaters und der Kunst hinzu.18 Das philosophische Studium schloß er am 7. 2. 1910 mit einer Promotion bei Richard Falckenberg in Erlangen ab. Kurz darauf, am 8. 4. 1910, bestand Elert das erste theologische Examen in Breslau und wurde – wiederum in Erlangen – am 26. 7. 1910 „unter Hunzingers Auspizien“19 zum Licentiaten der Theologie promoviert.20 Nach einem Jahr als Privatlehrer in Livland und einer Reise durch Rußland wurde Elert 1911 Hilfsgeistlicher in Breslau. Dort lernte er auch seine spätere Frau, Annemarie Froböß, die jüngste Tochter des
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als „eindrucksvolles Beispiel“ für das „Verhältnis von militanter Mentalität, Ideologie und Theologie“ (aaO, 242) und repräsentiere für das 20. Jahrhundert den „Rückfall in eine vorchristliche, archaische Kriegsreligiösität“ (aaO, 242). K. Beyschlag, Werner Elert in memoriam, 12. Vgl. ebd.: Diese ,Vorschrift‘ umfaßt nach Beyschlag auch die negative Aussage, daß ein Altlutheraner „also nicht etwa in Marburg, Göttingen oder gar Berlin“ studierte (aaO). Vgl. W. Elert, Art. Altlutheraner, in: RGG2 1 (1927), 281. Vgl. ders., Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, Luth. (46) 1935, (97 – 112) 109. Nach einer Gesprächsnotiz von W. Trillhaas (Konservative Theologie, 43): „Ich [Elert] weiß nicht, warum ich Theologie studiert habe. Aber es kommt ja nicht darauf an, aus welchen Motiven man das Studium anfängt, sondern […] mit welcher Gesinnung und Überzeugung“ man in den Beruf geht. An anderer Stelle (W. Trillhaas, Konservative Theologie, 35) findet sich die Bemerkung, er habe auch „ein wenig der Mutter zuliebe“ Theologie studiert. W. Elert, Goldenes Buch, 237. W. Elert, Goldenes Buch, 237. W. Elert, Goldenes Buch, 237. Phil. Diss.: Rudolf Rocholls Philosophie der Geschichte (1910); Theol. Diss.: Prolegomena der Geschichtsphilosophie. Studie zur Grundlegung der Apologetik (1911).
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Breslauer Direktors des Oberkirchenkollegiums der „Evangelisch-lutherischen Kirche in Preußen“ Georg Froböß, einem „Gegner alles freikirchlichen Radikalismus“21, kennen. Der 1912 geschlossenen Ehe entstammen drei Kinder, eine Tochter und zwei Söhne. Von 1912 – 1919 lebte Elert als altlutherischer Pfarrer im pommerschen Seefeld. Während des Ersten Weltkriegs versah er seine „Pflicht“ vom Oktober 1914 bis zum Januar 1918 als Feldprediger an altlutherischen Soldaten.22 Nach dem Krieg wurde er Direktor des altlutherischen Seminars in Breslau, erhielt aufgrund seines Werkes „Der Kampf um das Christentum“ 1921 von der theologischen Fakultät in Greifswald die Ehrendoktorwürde und wurde 1923 nach Erlangen als Professor der Kirchen- und Dogmengeschichte sowie der Symbolik als Nachfolger von Hans Preuß berufen.23 Nach dem Tode Philipp Bachmanns 21 W. Elert, Art. Froböß, Georg, in: RGG2 2 (1928), 809. 22 W. Elert, Die Stellung der altlutherischen Feldprediger, in: Theologisches Zeitblatt, 9 (1917), (302 – 312) 302: „Es ist Sitte der Geistlichen aller Konfessionen, ihren Gemeindegliedern möglichst dann beizustehen, wenn sie in der Nähe des Todes sind. Und es ist nicht nur Sitte, sondern wohl auch Pflicht“. Einen guten Einblick in diese Zeit geben Elerts zahlreiche „Feldpredigerberichte“, die im „Kirchenblatt für die evangelisch-lutherischen Gemeinden in Preußen“ [KELGP] der Jahrgänge 69 – 73 zwischen 1914 und 1918 erschienen. Zu den organisatorischen und innenpolitischen Schwierigkeiten, die sich bei der Einrichtung einer altlutherischen Militärseelsorge ergaben vgl. die Zusammenstellung von A. v. Scheliha, Der Glaube an die göttliche Vorsehung, Eine religionssoziologische, geschichtsphilosophische und theologiegeschichtliche Untersuchung, Stuttgart, 1999, 295 Anm. 74. 23 Über die Hintergründe der Berufung Elerts nach Erlangen: T. Kaufmann, Werner Elert als Kirchenhistoriker, 238 f. Bemerkenswert ist diese Berufung insofern, als Elert weder in fremder Einschätzung als Kirchengeschichtler galt, noch sich selber stets als solchen verstand. Im Berufungsvorschlag der Fakultät formulierte der Dekan Bachmann: „Klar ist, daß Elert als kirchengeschichtlicher Spezialforscher im engeren Sinne des Wortes nicht angesprochen werden kann. Seine Arbeiten bewegen sich auf einer Grenzlinie zwischen historischer und systematischer Theologie und seine starke Begabung drängt ihn ohne Zweifel auch nach Seite der Letzteren“ (zitiert nach T. Kaufmann, aaO, 238). Ein identisches Urteil gibt H. Rückert, der Elert für einen „Systematiker“ hielt, „der immer historisch dachte“ (Werner Elert †, in: WA DB 10/I, Weimar, 1956, (XIII–XV) XIII). Dies deckt sich völlig mit Elerts damaliger Selbsteinschätzung: In seiner psychologischen Studie „Die voluntaristische Mystik Jakob Böhmes“ bittet Elert 1913 einleitend „um Nachsicht an die Historiker von Fach, zu denen ich mich leider nicht zählen kann“ (Eine psychologische Studie, NSGTK 19, Berlin, 1913, Vorwort, o.S.). L. Jakobskötter urteilt hingegen als Rezensent (Elert, Lic. Dr. W., Die voluntaristische Mystik Jacob Böhmes
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I Annäherung
wechselte Elert 1932 auf den Lehrstuhl für systematische und historische Theologie.24 Einen Ruf nach Münster 192625 wie nach Göttingen 1936 lehnte er ab und blieb so bis zu seiner Emeritierung 1953 Ordinarius an der Erlanger Universität, die für ihn eine „zur Nacheiferung verpflichtende Tradition“26 besaß, obwohl er sich bewußt war, daß „die Lichter des Geistes“ hier auch oft „spärlich“ blieben.27 1927 – 1928 war Elert Rektor der Friedrich-Alexander Universität; 1928 – 1929 und nochmals 1935 – 1943 übte er das Amt des Dekans der theologischen Fakultät aus.28 Elert, der vielen nur als Verfasser des „Ansbacher Ratschlages“ von 1934 bekannt ist,29 gehört zu den Theologen, deren Verhalten in der Zeit des Nationalsozialismus als äußerst umstritten gilt. Zumindest Elert selbst hat dies so gesehen; im Jahr 1950 bekennt er im Anklang an Lukas 18 rückblickend auf diese Zeit in einem sichtlich mehr als allgemeinen Sinne: „Wo Christus unter die Menschen tritt, da teilen sie sich in 24
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ThLBl 35 (1914), (369 – 371) 371) über diese captatio benevolentiae Elerts völlig anders: „Mich dünkt, wir sollten mehr solche Historiker haben“. Bachmanns Lehrstuhl (Systematische Theologie und neutestamentliche Exegese) wurde auf Elert und Althaus, der fortan zusätzlich Neues Testament las, aufgeteilt. Die Zusammensetzung der Fakultät und die Zuordnung ihrer Fächer ist übersichtlich dargestellt in den Semesterverzeichnissen des „Erlanger Universitäts-Kalender“, hg. v. Universitätsbund-Erlangen (e.V.). Der Universitätskalender erschien ab dem WS 1907/08 im Verlag Palm & Enke in Erlangen, ab dem WS 1931/32 in der Universitätsbuchhandlung Theodor Krische in Erlangen. Vgl. dazu v. a. die Semesterverzeichnisse des WS 1923/1924 und des SS 1932. Die Fakultät in Münster wünschte Elert als „lutherisches Gegengewicht“ zu Barth (W. v. Loewenich, Erlebte Theologie, 118). Die Wahrnehmung dieser beiden Theologen als konfessioneller Pole wird durch das Diktum des Erlanger Alttestamentlers Otto Procksch (zitiert nach W. v. Loewenich, aaO, 122) bestätigt: „Elert sei für das Luthertum das, was Karl Barth für die Reformierten bedeute“. So Elert in seinem Dankesschreiben vom 30. 8. 1923 an den Rektor Preuß für die Zusendung seiner Ernennungsurkunde. Zitiert nach T. Kaufmann, Werner Elert als Kirchenhistoriker, 239. W. Elert, Die Sendung der Erlanger Universität im neuen Reich, in: Erlanger Universitätskalender, hg. v. Universitätsbund Erlangen, Erlangen, 1928, (3 – 7) 3. Vgl. den Bericht Elerts über sein Dekanat 1935 – 1943 vom 15. 8. 1945 (Abgedruckt in: K. Beyschlag, Die Erlanger Theologie, 266 – 286). Vgl. R. Hauber, Werner Elert, 113. Literatur zum Ansbacher Ratschlag [abgedruckt in: K. D. Schmidt (Hg.), Bd. 2, Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage des Jahres 1934, 102 – 104] bei: R. Hauber, aaO, 117 Anm. 18.
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Gerechte, die Gott danken, daß sie nicht wie die anderen Leute sind oder waren, und Sünder. Ich weiß, auf welche Seite ich gehöre“30. Inwieweit hierbei von Schuld gesprochen werden kann,31 die über die „Grenzen in der Fähigkeit, sich aus den Verstrickungen und Lähmungen der Zeit zu lösen“32, hinausgeht, bedarf weiterer Diskussion.33
30 W. Elert, Unter Anklage, in: Korrespondenzblatt für die evangelisch-lutherischen Geistlichen in Bayern 65 (1950), (55 – 56. 59 – 60) 60. Vgl. aaO, 59: „Von mir selbst bekenne ich: daß ich vieles verkehrt gemacht habe, daß ich im Augenblick höchster Überreizung ungerecht gewesen […] bin, daß ich oft mutlos und egoistisch war. Ich weiß auch, daß ich vor Gott noch in ganz anderer Weise schuldig bin“. In diesem Zusammenhang bleibt Elerts Verständnis von „Gesamtschuld“ wichtig: W. Elert, Das christliche Ethos. Grundlinien der lutherischen Ethik, (Tübingen, 1949) Hamburg, 19612, 226 – 331. 31 Vgl. dazu die Erwägungen von E. Herms, Schuld in der Geschichte. Zum „Historikerstreit“, ZThK 85 (1988), 349 – 370; J. Mehlhausen, Die Wahrnehmung von Schuld in der Geschichte. Ein Beitrag über frühe Stimmen in der Schulddiskussion nach 1945, in: ders., Vestigia Verbi. Aufsätze zur Geschichte der evangelischen Theologie, AKG 72, Berlin, 1999, 458 – 499. 32 W. Sparn, Werner Elert, 175. 33 Knappe Darstellung bei R. Hauber, Werner Elert, 1987, 115 – 118. Seitdem erschienen zu diesem Themenfeld: S. A. Eyjólfsson, Rechtfertigung und Schöpfung, 1994, 30 – 35; W. Sparn, Werner Elert, 172 – 176; T. Gerlach, Verborgener Gott – Dreieiniger Gott. Ein Koordinationsproblem lutherischer Gotteslehre bei Werner Elert, Europäische Hochschulschriften Reihe XXIII Theologie, Bd. 639, Frankfurt a. M. u. a., 1998, 226 – 237; T. Kaufmann, Werner Elert als Kirchenhistoriker, 240 – 242 (Anhang III. Zu Elerts Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus); B. Hamm, Schuld und Verstrickung der Kirche. Vorüberlegungen zu einer Darstellung der Erlanger Theologie in der Zeit des Nationalsozialismus, in: W. Stegemann (Hg.), Kirche und Nationalsozialismus, Stuttgart, 1990, 11 – 55; J. Meister, Ein Zeuge von Gottes Gericht und Gnade, 41 f.; K. Beyschlag, In Sachen Althaus / Elert. Einspruch gegen Berndt Hamm, in: HoLiKo NF 8 (1990/1991), 153 – 172; ders., Werner Elert in memoriam, 24 f.; ders., Die Erlanger Theologie, 1993, 160 – 170. R. Hauber (aaO, 115 Anm. 6) stellt seine Skizze über Elerts Stellung im Dritten Reich ausdrücklich unter den Vorbehalt der noch ausstehenden Auswertung der Akten der Theologischen Fakultät Erlangen und des unveröffentlichten Nachlasses von Elert. Erst seit kurzem ist der Großteil der genannten Dokumente zugänglich bzw. zum Teil sogar veröffentlicht. Diese neue Quellenlage verlangt nach weiterer Auswertung und Diskussion. Deshalb meint B. Hamm (Werner Elert als Kriegstheologe, 206 – 254) durch seinen Versuch der „Berücksichtigung der ganzen Breite der Quellen […] zu einer Revision des bisherigen Elert-Bildes“ (247) beizutragen: „Die Aussagen der bisherigen Forschung“ seien „sowohl durch kategoriale Schwächen als auch durch gravie-
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Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem Elert seine beiden Söhne Joachim und Rembrand verloren hatte,34 mußte er sich einem Entnazifizierungsverfahren unterziehen. Es endete mit seiner Entlastung. Politisch orientierte er sich in der neuen Situation der Bonner Republik an den Liberalen.35 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Elert merklich stiller; er zog sich nahezu symbolisch von ,tagespolitischen‘ Themen in der Theologie auf seine Forschungen zur Alten Kirche zurück.36 Dunkel bleiben wird wohl der im letzten Brief seines Sohnes Rembrand erwähnte Plan eines „Neuanfangs“.37 Am 21. 11. 1954 – ein Jahr nach seiner Emeritierung38 – stirbt der „theologus lutheranissimus“39. Eine theologische Schule im engeren Sinne hat er nicht hinterlassen.40
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rende Unkenntnis der einschlägigen Quellen gekennzeichnet“ (248). Eine zureichende Diskussion allerdings hat noch nicht stattgefunden. Elert hat den Verlust seiner beiden Söhne in einer – für seine sonst eher verschlossene Person – erstaunlich offenen Art und Weise verarbeitet: W. Elert, Philologie der Heimsuchung, in: JBMLB (1947), wiederabgedruckt in: ders., ZGU, (9 – 16) 15. Elert widmete sein 1949 erschienenes Werk „Das christliche Ethos“ dem Gedenken seiner Söhne. Vgl. W. Elert, CE, 5. Vgl. W. Trillhaas, Konservative Theologie und moderne Welt, 44. Vgl. hierzu v. a.: W. Elert, Abendmahl und Kirchengemeinschaft in der alten Kirche hauptsächlich des Ostens, Berlin, 1954 bzw. W. Elert, Der Ausgang der altkirchlichen Christologie. Eine Untersuchung über Theodor von Pharan und seine Zeit als Einführung in die alte Dogmengeschichte, aus dem Nachlaß hg. v. Elisabeth Bergsträsser und Wilhelm Maurer, Berlin, 1957. Dieser Brief von Rembrand Elert ist abgedruckt in: Kriegsbriefe gefallener Studenten. 1939 – 1945, hg. v. W. u. H. W. Bähr u. a., Tübingen, 1952, (347 – 355) 355. Zu diesem Brief vgl. auch B. Hamm, Werner Elert als Kriegstheologe, 247. Nachfolger von Elert wurde im WS 1953/54 Walter Künneth, der Elerts Theologie als „Vermächtnis und Aufgabe“ übernahm (Dem Gedenken Werner Elerts, ThLZ 80 (1955), (563 – 566) 566. So H. Rückert in seiner Würdigung (Werner Elert, XIII) von Elerts Mitarbeit an der Redaktion der Weimarer Lutherausgabe. Vgl. oben S. 6 f. Anm. 9. Vgl. W. Trillhaas, Konservative Theologie, 36 f. Viele Theologen schrecken grundsätzlich von einer Beschäftigung mit Elert zurück. Dies liegt zum einen an Elerts – vermeintlichen wie tatsächlichen – Verhalten während der NS-Zeit, zum anderen aber an provokanten Spitzen seiner Theologie – v. a. im Zusammenhang mit Elerts zugegebenermaßen schwierigem Gesetzesbegriff –, die nicht nur zu Mißverständnissen, sondern häufig auch zur Totalverweigerung der Beschäftigung mit Elert geführt haben. Die aus diesen Gründen meist sehr standardisierten Vorwürfe und Vorbehalte gegenüber der Theologie Elerts sind zusammengefaßt als „Standardtopoi der Kritik“ (T. Gerlach, Verborgener Gott – Dreieiniger Gott. Ein Koordinationsproblem lutherischer Gotteslehre bei
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2. Aspekte der Werkrezeption Auf eine überblicksartige Darstellung von Elerts Werk wird hier verzichtet, da seine theologische Arbeit auf diese Weise bereits mehrfach behandelt worden ist.41 Bei diesen Darstellungen fallen drei Tendenzen auf, die gleichsam symptomatisch für jegliche Beschäftigung mit Elert zu sein scheinen: eine Beschränkung auf Elerts Hauptwerke, eine die Kontinuität von Elerts Werk unterbestimmende Zergliederung in einzelne, teilweise sogar unverbundene Abschnitte und eine Konzentration auf den alten Elert. Die meisten Überblicke über das Werk folgen der kurz nach Elerts Tod von Paul Althaus gehaltenen Gedenkrede aus dem Jahr 1955,42 indem sie sich auf die Darstellung der opera magna beschränken,43 die es Werner Elert, Frankfurt a. M., 1998, 225) bei S. A. Eyjólffson (Rechtfertigung und Schöpfung, 23 ff. 36 ff.) und T. Gerlach (aaO, 225 – 253). 41 Ausdrücklich wird deshalb an dieser Stelle auf vorliegende Arbeiten verwiesen. Literatur bei: R. Hauber, Werner Elert. Einführung in Leben und Werk eines „Lutheranissimus“, NZSTh 29 (1987), (113 – 146) 119 Anm. 34. Seitdem erschienen neben R. Hauber eigener Darstellung (aaO, 119 – 134): K. Beyschlag, Werner Elert, 14 – 27; ders., Die Erlanger Theologie, EKGB 67, Erlangen, 1993, 154 – 160. 171 – 177; W. Sparn, Werner Elert, in: W. D. Hauschild (Hg.), Profile des Luthertums. Biographien zum 20. Jahrhundert, Gütersloh, 1998, 159 – 183. Vgl. dazu die oben (S. 5 Anm. 5) genannten biographischen Darstellungen. 42 P. Althaus, Werner Elerts theologisches Werk. Rede bei der Gedächtnisfeier der Theologischen Fakultät in der Aula der Universität Erlangen am 19. Februar 1955, in: F. Hübner u. a. (Hgg.), Beiträge zur historischen und systematischen Theologie. Gedenkschrift für D. Werner Elert, Berlin, 1955, 400 – 410. 43 Berücksichtigt werden hierbei meistens folgende – in Buchform erschienenen – Schriften Elerts: Die Lehre des Luthertums im Abriss, München, 1924; Die Morphologie des Luthertums. Bd. I: Theologie und Weltanschauung des Luthertums hauptsächlich im 16. und 17. Jahrhundert, München, 1931; Bd. II: Soziallehren und Sozialwirkungen des Luthertums, München, 1932; Der christliche Glaube. Grundlinien der lutherischen Dogmatik, Berlin, 1940 und Das christliche Ethos. Grundlinien der lutherischen Ethik, Tübingen, 1949. Zum Teil berücksichtigt werden darüber hinaus noch: Der Kampf um das Christentum. Geschichte der Beziehungen zwischen dem evangelischen Christentum in Deutschland und dem allgemeinen Denken seit Schleiermacher und Hegel, München, 1921; Abendmahl und Kirchengemeinschaft in der Alten Kirche, hauptsächlich des Ostens, Berlin, 1954 sowie der von Elert selbst herausgegebene Aufsatzband: Zwischen Gnade und Ungnade. Abwandlungen des Themas Gesetz und Evangelium, München, 1948. Die Orientierung an den opera magna ist insofern legitim, als viele seiner Aufsätze und veröffentlichten
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nahelegen, Elerts Werk „grob in fünf Perioden“ einzuteilen.44 Hieraus ergibt sich dann folgendes – in den angegebenen Jahreszahlen leicht variierendes – Schema: Elerts Arbeit sei zunächst eher apologetisch, seit der Erlanger Berufung konfessionskundlich, mit dem Wechsel des Lehrstuhls systematisch – hier wird zum Teil eine Periode vor und nach Kriegsende unterschieden – und schließlich dogmengeschichtlich orientiert gewesen.45 Nur in den umfangreicheren, dann aber bereits monographisch angelegten Darstellungen werden darüber hinausgehend die zahlreichen „kleinen“ Veröffentlichungen46 Elerts teilweise mehr, meist aber weniger miteinbezogen.47 Vorträge als Vorarbeiten bzw. Konzentrate der Bücher Elerts zu bewerten sind. Zudem besitzen sehr viele der anderen Veröffentlichungen Elerts ohne Zweifel eher den Charakter tagespolitisch induzierter Gelegenheitsschriften. Andererseits entgeht einem bei dieser Art, Elert zu lesen, nicht nur das in den Hauptwerken nicht Thematisierte, sondern auch ein Großteil der Facetten und Ausdrucksstärke seiner Theologie. Nicht zuletzt aber bleibt die Genese von Elerts Theologie, wie sie sich dann durchaus summarisch in seinen Hauptwerken darstellt, auf diese Weise unberücksichtigt. 44 So R. Hauber, (Werner Elert, 119) im Anschluß an die Einteilung in vier Phasen von P. Althaus (Werner Elert zum Gedächtnis, 401 f.) und A. Birmelé (Interprétation et actualisation d’une tradition confessionnelle: Werner Elert, théologien luthérien, Diss. Straßburg, 1977, 4 – 7). R. Hauber bestimmt fünf Perioden (aaO, 119. 122. 124. 128. 131): 1. Periode (1910 – 1921) – „apologetische Arbeiten“; 2. Periode (1922 – 1932) – „konfessionell-lutherische Theologie“; 3. Periode (1933 – 1944) – „politische und kirchenpolitische Fragen“; 4. Periode (1945 – 1949) – „Gesetz und Evangelium“; 5. Periode (1950 – 1954) – „Dogmengeschichte der Alten Kirche“. Haubers Periodisierung besticht trotz der darin liegenden Gefahr, durchgehende Linien und Motive unterzubelichten (vgl. dazu die Bedenken von W. Sparn [Werner Elert, 163], der sich dennoch dieser Einteilung anschließt [vgl. aaO, 163 – 181] und N. Slenzcka, Selbstkonstitution, 20 Anm. 25. 23 f.), schon allein wegen der erreichten Klarheit. Ähnlich auch: K. Beyschlag, Werner Elert, 14 – 27. Als weiteres Argument für eine an den Hauptwerken orientierte Periodisierung ist die von Althaus (aaO, 403; vgl. aaO, 408) erwähnte – an preußisches Pflichtgefühl erinnernde – Äußerung Elerts zu werten, er habe mit seinen großen Büchern „zeigen wollen, daß er auf allen Gebieten, für die sein akademischer Lehrauftrag ihn verpflichtete, rechtschaffen gearbeitet“ habe. 45 Im Anschluß an diese Periodisierung zuletzt: S. A. Eyjólfsson, Rechtfertigung und Schöpfung in der Theologie Werner Elerts, AGThL NF 10, Hannover, 1994, (17 – 20) 18. 46 Elerts Bibliographie (H. Wagner, Bibliographie sämtlicher theologischer Veröffentlichungen, Zeitschriftenaufsätze und Rezensionen von Professor D. Dr. Werner Elert, in: F. Hübner u. a. (Hgg.), Gedenkschrift für D. Werner Elert. Beiträge zur historischen und systematischen Theologie, Berlin, 1955, 411 –
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Der Großteil der monographischen Darstellungen nimmt dabei einen chronologischen Gang48 durch das durch verschiedene, oftmals unverbunden erscheinende49 Schwerpunkte periodisierte Werk Elerts
424; Nachträge und Korrekturen dazu bei: R. Hauber, Werner Elert, 138 – 141) umfaßt neben den genannten Hauptwerken mehr als zweihundert Rezensionen und an die einhundertunddreißig Aufsätze. 47 A. Birmelé (Interprétation et actualisation d’une tradition confessionnelle, 35 – 285) durchläuft in seinem Referat nahezu alle Schriften Elerts, also auch die kleinen Veröffentlichungen. In diesem Sinn ist dies die einzige ,vollständige‘ Elertstudie. Dabei handelt es sich allerdings vornehmlich um eine – von Titel zu Titel qualitativ höchst unterschiedliche – Inhaltsangabe von nahezu allen Elertschriften. Thematisch bleibt dieses Vorgehen – zumindest im Blick auf den jungen Elert – ungeklärt. Im Extremfall werden einzelne Aufsätze lediglich genannt und ihr Gegenstand mit ein bis zwei Sätzen beschrieben (vgl. v. a. aaO, 70 f.). Eine Vielzahl kleiner Veröffentlichungen des späten Elert ist einbezogen worden von M. Roth in seiner Elertstudie: Zwischen Erlösungshoffnung und Schicksalserfahrung. Das Grundanliegen der Theologie Werner Elerts, Aachen, 1997. Der eigentlichen Untersuchung zu Elerts Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium schickt M. Roth jedoch Überlegungen zur Schleiermacherrezeption Elerts im „Kampf um das Christentum“ (1921) voran (vgl. aaO, 11 – 28). Andere monographisch orientierte Elertstudien – vgl. dazu unten – begnügen sich hingegen mit einer thematisch begründeten Auswahl aus Elerts kleinen Veröffentlichungen. So z. B. L. Langemeyer, Gesetz und Evangelium. Das Grundanliegen der Theologie Werner Elerts, KKSt 24, Paderborn, 1970; S. A. Eyjólfsson, Rechtfertigung und Schöpfung in der Theologie Werner Elerts, Hannover, 1994; N. Slenczka, Selbstkonstitution und Gotteserfahrung. W. Elerts Deutung der neuzeitlichen Subjektivität im Kontext der Erlanger Theologie. Studien zur Erlanger Theologie II, FSÖTh 86, Göttingen, 1999; A. v. Scheliha, Der Glaube an die göttliche Vorsehung. Eine religionssoziologische, geschichtsphilosophische und theologiegeschichtliche Untersuchung, Stuttgart, 1999. Als Gegenbeispiel ist F. Duensing (Gesetz als Gericht. Eine lutherische Kategorie in der Theologie Werner Elerts und Friedrich Gogartens, FGLP 10/40, München, 1970) zu nennen, der Elerts Gesetzesbegriff bis auf kleine Querverweise ausschließlich aufgrund der Hauptwerke analysiert. 48 Bestes Beispiel ist hierzu die Elertstudie von A. Birmelé (Interprétation et actualisation d’une tradition confessionnelle), der dies sogar zum methodischen Prinzip erhebt (vgl. aaO, 10). 49 L. Langemeyer (Gesetz und Evangelium, 16 – 18) bietet in seiner Einleitung eine solche Aufzählung unverbundener Schwerpunkte; gleichwohl sieht er sogar das Frühwerk durch den Themenkomplex von Gesetz und Evangelium als Mitte von Elerts Theologie durchdrungen (aaO, 14). Wie wenig diese Rückprojektion der Theologie des alten Elert mit der ,Mitte‘ der Theologie des jungen Elerts übereinstimmt, wird im Folgenden gezeigt werden.
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vor. Seltener dagegen sind die Versuche, Elerts Gesamtwerk durch den Aufweis einer durchgehenden Motivik bzw. Thematik darzustellen.50 Die Bestimmung einer Kontinuität in Elerts Werk wird meist von dessen späterer Arbeit aus unternommen. Dabei wird das frühe Schaffen entweder von der bekannten, gleichwohl erst relativ spät von Elert formulierten „Realdialektik“ von Gesetz und Evangelium51 aus mehr oder weniger ausführlich miteinbezogen,52 als terminologisch noch nicht voll Entwickeltes dargestellt53 oder gar als scheinbar Disparates – 50 Z.B. unternimmt W. Künneth in einem kleinen Rückblick (Dem Gedenken Werner Elerts, ThLZ 80 (1955), 563 – 566) den Versuch, Elerts Werk unter dem Schlüsselbegriff des „Konfessionellen“ darzustellen. Der zur Kirche verbindenden gemeinsamen Konfession zum Evangelium korrespondierten bei Elert die Mühe um das rechte Verständnis des Evangeliums, dessen rechter Unterscheidung vom Gesetz, die Bestimmung dessen, was Kirche ist, und die „Absteckung der Fronten“ gegen diesem Ansatz Widersprechendes (aaO). Wie wenig dieser Versuch, eine durchgehende Thematik in Elerts Arbeit unter diesem Schlüsselwort auszuweisen, für Elerts Frühwerk bis 1923 zutrifft, wird im Folgenden ebenfalls gezeigt werden. 51 Die pointiertesten Aussagen dazu finden sich in Elerts Aufsatz von 1948: Gesetz und Evangelium; abgedruckt in: ZGU, 132 – 169. 52 Zum Teil stärker berücksichtigt sind die frühen Schriften bei L. Langemeyer, Gesetz und Evangelium, v. a. 13 – 26; A. Peters berücksichtigt zwar einige Veröffentlichungen bis 1921 (Unter Gottes Heimsuchung – zum theologischen Vermächtnis Werner Elerts, KuD 31 (1985), (250 – 292) 257 – 259), sieht jedoch den seine Darstellung tragenden „Kristallisationskern“ von Elerts Werk erst in dessen Aufsatz: Die Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit (erschienen in: AELKZ 55 (1922), 386 – 390. 402 – 404. 418 – 421. 434 – 436) von 1922 (A. Peters, aaO, 259 – 263). Beachtlich ist, daß T. Gerlach (Verborgener Gott – Dreieiniger Gott. Ein Koordinationsproblem lutherischer Gotteslehre bei Werner Elert, Frankfurt a. M., 1998), der in seiner systematisch-theologischen Elertstudie ein ,typisches‘ Problemfeld des späten Elert traktiert und deswegen mit seiner Untersuchung an dem von A. Peters (Unter Gottes Heimsuchung, 259) gesetzten Zeitpunkt 1922 (W. Elert, Die Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit) einsetzt, dennoch bemüht ist, „Elerts Theologie im Werden“ zu verstehen (T. Gerlach, aaO, 49). Aus diesem Grund geht Gerlach in fünf – qualitativ und methodisch unterschiedlichen – Exkursen, die als Appendix seiner Arbeit beigegeben sind (vgl. aaO, 339 ff.), zum Teil auch auf den Elert vor 1922 ein. 53 O. Bayer etwa schreibt (Theologie, HST 1, Gütersloh, 1994, 306 f.), daß Elert sich erst in seiner 1940 erschienenen Dogmatik „Der Christliche Glaube“ terminologisch auf das sachlich längst vorhandene Problem der Bestimmung des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium festlege. So auch L. Langemeyer, Gesetz und Evangelium, 129 – 133. Im Folgenden wird gezeigt werden, daß der Themenkomplex Gesetz und Evangelium weder explizit noch terminologisch unausgereift implizit bei Elert bis 1923 eine tragende Rolle spielt. Oftmals wird
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als das Schaffen eines Mannes, der noch nicht „er selbst“ war – gänzlich unberücksichtigt gelassen.54 Dies hat dann zur Folge, daß Elerts Arbeit erst mit dem Erscheinen seiner „Lehre des Luthertums im Abriss“ von 1924 wahrgenommen worden ist. Die Forschungslage vermittelt so das Bild, als ob Elert unter kirchengeschichtlichen Gesichtspunkten nur in Bezug auf sein Verhalten während des Dritten Reiches und unter systematischem Aspekt nur in Bezug auf seine Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium existieren würde. Die Auseinandersetzung mit Barth und der „Ansbacher Ratschlag“ bilden so in den meisten Interpretationen den Angelpunkt der Beschäftigung mit Elert, was – wie durchaus zu Recht bemerkt wurde – zu einer „,eintönigen‘ Auseinandersetzung mit Elerts Theologie“55 geführt hat. So ist Elert meist von seinem Spätwerk her, zumeist gar ausschließlich aufgrund seines Spät-
für diese These eine Belegstelle von 1921 (W. Elert, KCH, 421) herangezogen, in der Elert sagt, daß „wir Kinder der lutherischen Reformation doch wieder lernen [müssen], daß Schöpfungsordnung und Gnadenordnung Gottes zweierlei ist und daß in dieser Welt eine restlose Harmonie zwischen beiden nie sein wird“. Unter Berücksichtigung des Kontextes zielt dieses Zitat jedoch keineswegs auf die Problematik von Gesetz und Evangelium. Ausführlich dazu unten S. 283 ff. Ebensowenig erhält auch der durch die zunehmende Dominanz des Gesetzesbegriffs bei Elert später zurückgedrängte, transformierte wie absorbierte Schicksalsbegriff, den Elert u. a. unter dem Eindruck von Oswald Spengler aufgenommen hatte (vgl. dazu die Arbeiten von L. Langemeyer, Gesetz und Evangelium; N. Slenczka, Selbstkonstitution und Gotteserfahrung; K. Meier, Kulturkrise und Syntheseproblem, Zum Verständnis von Christentum und Moderne bei Werner Elert, KuD 31 (1985), 293 – 306; vgl. dazu unten S. 22 f. Anm. 64), eine spezifiziert theologische Einfärbung vor dem Erscheinen der „Lehre des Luthertums im Abriss“ im Jahr 1924, die über eine allgemeine Verwendung hinausginge (W. Elert, Die Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit, 421). 54 W. Trillhaas (Konservative Theologie und moderne Welt, 37): Elert sei erst ab seiner Erlanger Antrittsvorlesung 1923 die „ausgeprägte Gestalt“, der ein allgemeines theologiegeschichtliches Interesse zu gelten habe. Aus diesem Grund beschränkt Trillhaas seine Darstellung auf die Werke ab 1924. 55 S. A. Eyjólfsson, Rechtfertigung und Schöpfung, 41. Jedoch auch Eyjólfsson untersucht in seiner ausführlichen Elertstudie unter dem Titel „Rechtfertigung und Schöpfung in der Theologie Werner Elerts“ nichts anderes als das Verhältnis von Gesetz und Evangelium. Auf Elerts Schriften vor 1924 geht er zum Teil in einer Darstellung von „Elerts theologischer Heimat“ (aaO, 13 – 17) ein. An Elerts Verhalten während der Zeit des Nationalsozialismus bekundet u. a. besonderes Interesse: B. Hamm, Schuld und Verstrickung (1990), 11 – 55; ders., Werner Elert als Kriegstheologe (1998), 206 – 254.
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werks interpretiert worden.56 Dasselbe gilt für viele Elertinterpretationen, die nicht bei der Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Evangelium, sondern bei anderen Themen ansetzen.57 Trotz aller nicht zu leugnenden Differenzen ist der bisherigen Elertforschung somit die Grundannahme gemein, daß die Beschäftigung mit Elert „eng mit der Problematik Luthers verbunden sein muß. Für Elert steht die Rechtfertigungslehre im Zentrum seiner Theologie. […] Deshalb bildet die Zweiteilung Gesetz und Evangelium den Rahmen seiner Theologie. Sie ist für Elert der hermeneutische Schlüssel zur Theologie schlechthin und darum auch der einzige Schlüssel zu seiner Theologie. Darstellungen, die diese Schlüsselstellung außer acht gelassen 56 So sind es zumeist die Forschungsarbeiten im Umfeld der Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium, die sich ausschließlich auf den späten Elert – in dessen Hauptwerken: „Die Lehre des Luthertums im Abriss“, „Die Morphologie des Luthertums“, „Der christliche Glaube“ und „Das christliche Ethos“ – beziehen: W. Berge, Gesetz und Evangelium in der neueren Theologie, AVTRW 2, Berlin, 1958; F. Duensing, Gesetz als Gericht, FGLP X, 40, München 1970; R. Hauber, Christologie und metaphysischer Gottesbegriff bei Werner Elert, KuD 35 (1989), 128 – 163; ders., Die Lehre vom Zorn Gottes nach Werner Elert, NZSTh 36 (1994), 117 – 161; W. Krötke, Das Problem ,Gesetz und Evangelium‘ bei W. Elert und P. Althaus, ThSt 83, Zürich, 1965; U. Moustakas, Paradoxie in Werner Elerts Grundbestimmung der Dogmatik, NZSTh 40 (1998), 261 – 306; J.. Owen, Der Mensch zwischen Zorn und Gnade, Diss. Heidelberg, 1971; R. F. Thiemann, A Conflict of Perspectives. The Debate between Karl Barth und Werner Elert, Yale University, 1977. Vgl. dazu auch A. Peters, Gesetz und Evangelium, HST 2, Gütersloh, 1981, 166 – 187. 57 Diese Methode, Elert allein aufgrund seines Spätwerkes zu interpretieren, zeigt sich auch in der ekklesiologischen Untersuchung von J. Wiebering, Die Lehre von der Kirche bei W. Elert, Diss. Rostock, 1960. Eine ähnliche Konzentration auf den alten Elert findet sich auch in Arbeiten, die sich ethischen Themen nähern: H. Weber, Die lutherische Sozialethik bei Johannes Heckel, Paul Althaus, Werner Elert und Helmut Thielicke, Diss. Göttingen, 1959; ders., ders., Theologie – Gesellschaft – Wirtschaft. Die Sozial- und Wirtschaftsethik in der evangelischen Theologie der Gegenwart, Göttingen, 1970, 63 – 83; F. E. Sherman, The Problem Of A „Trinitarian“ Social Ethics: A Study in the Theological Foundations of Christian Social Ethics with Special Reference to Werner Elert and Dietrich Bonhoeffer, Chicago, 1961. Gar einen ausschließlichen Bezug auf Elerts Hauptwerke dieser Zeit, seiner Dogmatik und Ethik – „Der christliche Glaube“ und „Das christliche Ethos“ – bietet die Untersuchung von Nag-Heoung Lim: Ethische Relevanz neutestamentlicher Grundaussagen bei Werner Elert, Helmut Thielicke und Trutz Rendtorff, Regensburg, 1996, 65 – 104. 187 – 202. 237 f.
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haben, sind Elerts Theologie nur zum Teil gerecht geworden“58. Dieser gleichsam symptomatischen Einschätzung des scheinbar einzig möglichen Zugangs zu Elerts theologischem Denken korrespondiert die zeitliche Einschätzung einer ,lohnenden‘ Beschäftigung, die davon ausgeht, daß Elert vor seiner Erlanger Antrittsvorlesung 1923 noch nicht „er selbst“ gewesen sei: So sei es nicht der Mühe wert, all das, was Elert davor erarbeitet hat, „pedantisch aufzudröseln“, „um ihm näherzukommen“.59 Gerade aufgrund solcher Annahmen hat der „junge“ Elert bis zum Antritt der Erlanger Professur im Vergleich mit dem Elert nach 1923 ungleich weniger – wenn auch erfreulicherweise in jüngster Zeit zunehmende – Beachtung gefunden.60 Neuere Versuche, einen roten 58 S.A. Eyjólfsson, Rechtfertigung und Schöpfung, 36. 59 W. Trillhaas, Konservative Theologie und moderne Welt. Erinnerung an Werner Elert, 1986, 37. 60 In dieser Hinsicht methodisch neuartig war der konsequent von kirchengeschichtlichem Interesse geleitete Zugang zu „Werner Elert als Kirchenhistoriker“ von T. Kaufmann in seinem gleichnamigen Aufsatz (ZThK 93 (1996) 193 – 236. 236 – 242. In dieser soliden wie höchst informativen Untersuchung geht T. Kaufmann der Bedeutung von „Werner Elert als Kirchenhistoriker“ nach. Unter Ausblendung der späten Arbeiten Elerts zur Dogmengeschichte konzentriert sich T. Kaufmann dabei auf die Zeit von 1921 – 1932 (vgl. aaO, 207 – 232; zu dieser Konzentration vgl. dessen methodische Vorüberlegungen aaO, 193 – 197). Fokus seiner Aufmerksamkeit sind demnach Elerts große Geschichtsdarstellungen, der „Kampf um das Christentum“ von 1921 und die „Morphologie des Luthertums“ von 1931/32 (aaO, 206 – 232) – wobei das Gewicht eindeutig auf der Darstellung der „Morphologie“ liegt (vgl. aaO, 212 – 232). Einleitend gibt T. Kaufmann einen „Lebens- und werkgeschichtlichen Überblick“ (aaO, 197 – 205), in dem er eben auch auf vor 1921 erschienene Schriften Elerts eingeht. Dem Aufsatz folgen drei Anhänge (aaO, 236 – 242): Anhang I: Eintrag Elerts in das Goldene Buch der Universität Erlangen vom 5. 1. 1927; Anhang II: Zu Elerts Berufung an die Erlanger Fakultät; Anhang III: Zu Elerts Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus. Vgl. auch T. Kaufmann, Gegenwartsbedeutung und Geschichtsrekonstruktion im kirchenhistorischen Werk Werner Elerts, in: L. Schorn-Schütte (Hg.), Alteuropa oder Frühe Moderne. Deutungsmuster für das 16. bis 18. Jahrhundert aus dem Krisenbewußtsein der Weimarer Republik in Theologie, Rechts-, und Geschichtswissenschaft, Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 23, Berlin, 1999, 55 – 86. Der kirchengeschichtliche Zugang zu Elert von T. Kaufmann ist – abgesehen von Arbeiten zum Nationalsozialismus – nahezu singulär; zuvor erschien die – jedoch stärker dogmengeschichtliche orientierte Studie von F. W. Kantzenbach, Evangelium und Dogma, Stuttgart, 1959. Vgl. ders., ders., Werner Elerts Beitrag zum Problem der Dogmengeschichte, in: ELKZ 13
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Faden in Elerts Werk nicht vom alten Elert aus gleichsam rückwirkend zu bestimmen, sondern vom jungen bis zum alten Elert als durchgehend aufzuweisen, scheinen in ihrer Methode deshalb überzeugender. Die vorgelegten Arbeiten haben jedoch den in ihrer Vorgehensweise liegenden Nachteil, daß sie mit Elert vorgegebenen Themen operieren und dabei Gefahr laufen, der Individualität und einer möglichen Originalität Elerts nicht gerecht zu werden, indem sie ihn vornehmlich als Rezipienten und Tradenten fest umrissener canones verstehen; das Frühwerk Elerts kommt demzufolge wiederum lediglich als Verstehensvoraussetzung des späteren Elert und zugleich nur in Auswahl der von außen an Elert herangetragenen Fragestellungen zur Geltung.61 (1959), 88 – 91; vgl. auch M. Roensch, Das Verständnis der Dogmen- und Theologiegeschichte bei Werner Elert, in: LuThK, 1985, 143 – 152. 61 Die umfangreiche und hervorragende Elertstudie von N. Slenczka (Selbstkonstitution und Gotteserfahrung, 1999) trägt dieses Programm bereits in ihrem Untertitel: „W. Elerts Deutung der neuzeitlichen Subjektivität im Kontext der Erlanger Theologie. Studien zur Erlanger Theologie II“. Sie ist die Fortsetzung des ersten Bandes (ders., Der Glaube und sein Grund. F. H. R. von Frank, seine Auseinandersetzung mit A. Ritschl und die Fortführung seines Programms durch L. Ihmels. Studien zur Erlanger Theologie I, FSÖTh 85, Göttingen, 1998) und möchte deshalb Elert „im Ausgang von seinen Ursprüngen in der Erlanger Theologie“ (Selbstkonstitution, 20; vgl. aaO, 343) verstehen und darauf zurückbeziehen. Die theologiegeschichtliche Arbeit hat ihr Zentrum in der extensiven Interpretation von Elerts „Lehre des Luthertums im Abriss“ (1924), der „Morphologie“ (1931/32) und der Dogmatik „Der christliche Glaube“ (1940). Unter der Frage nach Grund und Ursache des Aufkommens des in den genannten Schriften dominanten Gesetzesbegriffs werden einleitend auch eine Auswahl von Schriften Elerts vor 1924 untersucht. In dieser Hinsicht ähnlich ist die inhaltlich völlig anders geartete Arbeit von A. v. Scheliha, Der Glaube an die göttliche Vorsehung, 1999. Das Elertkapitel dieser systematischen Monographie zum Thema des Vorsehungsglaubens mit dem Untertitel „Eine religionssoziologische, geschichtsphilosophische und theologiegeschichtliche Untersuchung“ (aaO, 275 – 334) ist in den Kontext derart integriert, daß Elert – auch in seinen jungen Jahren – völlig im Bezug auf den Rationalismus Albrecht Ritschls und in der Auseinandersetzung mit ihm dargestellt wird; von Ritschl geht Scheliha im theologiegeschichtlichen – unter dem Thema „religiöse Kontingenzerfahrung und der Glaube an die göttliche Vorsehung“ stehenden – Teil seiner Untersuchung aus und nimmt ihn zum Angelpunkt auch des Elertkapitels. Zentrum wie Ziel der Beschäftigung mit Elert stellt die Auseinandersetzung mit dessen „Schicksalsbegriff“ im Rahmen des Themas der Monographie, des „Vorsehungsglaubens“, aufgrund der „Lehre des Luthertums im Abriss“ (1924) dar (aaO, 315 – 334). Da Elert auf der Folie des Einflusses von A. Ritschl interpretiert wird, ist Scheliha daran interessiert, „Kontinuitätsmo-
2. Aspekte der Werkrezeption
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Durch dieses Verfahren der Zuwendung zum jungen Elert wird selbstverständlich auch das Thema der Apologetik bei Elert berührt, dient aber lediglich als – unterschiedlich intensiv ausgebaute – Verstehensbrücke für die Arbeit des späteren Elert. Mit anderen Worten: Das apologetische Frühwerk dient in seiner jeweiligen thematischen Vorauswahl nur als Zugangshilfe zu Elerts späterer Theologie. Eine ähnliche Tendenz läßt sich auch in Arbeiten nachvollziehen, die sich explizit mit dem Thema der Apologetik bei Elert beschäftigen. Die einen beschäftigen sich zwar mit dem Thema der Apologetik bei Elert, jedoch nicht im Rahmen des Frühwerkes.62 Hieran schließt sich mente innerhalb der theologischen Entwicklung Elerts“ aufzuzeigen (aaO, 279); aus diesem Grund werden eine Reihe von Elertschriften vor 1924 – darunter insbesondere seine Licentiatenschrift – dargestellt (vgl. aaO, 283 – 315). 62 Hierbei ist der Aufsatz von Volker Dietrich-Domröse zu nennen: „,Weltanschauungslehre‘. Bemerkungen zu einem Neuansatz der theologischen Apologetik in der Zeit der Weimarer Republik“, in: Glaube und Denken. Jahrbuch der Karl-Heim-Gesellschaft 5 (1992), 122 – 141. V. Dietrich-Domröse versucht in seinem Aufsatz die Ansätze einer „,Weltanschauungslehre‘“ als neue Form der Apologetik“ (123) vorzustellen. Seine These, daß „Apologetik heute“ in „Form einer Kulturtheorie“ zu betreiben sei (aaO, 139; vgl. aaO, 135 ff.), versucht er anhand zweier Beispiele zu materialisieren: Zum einen anhand „Werner Elerts Konfessionsmorphologie“ (aaO, 125 – 129), und zum anderen anhand „Horst Stephans Glaubenslehre“ (aaO, 129 – 133). Was dabei zu Elert gesagt wird (vgl. aaO, 125 – 129), bezieht sich im Ausgang von zwei – allgemein bekannten – Zitaten aus Elerts „Der Kampf um das Christentum“ von 1921 auf einen Aufsatz von 1926 „Christus im Abend Europas“ und dann – wie bereits der Zwischentitel andeutet – vor allem auf die „Morphologie des Luthertums“ von 1931/32. Mit anderen Worten: Elerts apologetisches Frühwerk wird hier gar nicht in den Blick genommen. Letzteres gilt ebenso für die umfangreiche Monographie von M. Roth, Gott im Widerspruch? Möglichkeiten und Grenzen theologischer Apologetik, TBT 117, Berlin, 2002. Nach einer einleitenden „Klärung“ der „Vierfachheit des göttlichen Wirkens“ (aaO, 6 – 236) setzt sich Roth im Rahmen der Frage der „Bestimmung der Möglichkeiten und Grenzen des apologetischen Verfahrens“ mit der apologetischen Arbeit von E. Hirsch, P. Tillich, W. Elert, P. Althaus und E. Brunner auseinander (aaO, 237 – 579). Das Elertkapitel dieser Monographie (aaO, 342 – 387) ist im Wesentlichen ein Konzentrat von Roths Diplomarbeit (vgl. oben S. 14 f. Anm. 47). D.h. die zentrale Perspektive gilt – auch im Hinblick auf Elerts apologetische Arbeit – der Frage nach der Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium und damit Elerts Arbeit ab 1924 (vgl. aaO, 350 – 387). So sieht Roth bereits die von Elert im „Der Kampf um das Christentum“ (1921) erhobene Forderung nach einer „radikale[n] Diastase von der kulturellen Umwelt“ (aaO, 348) in Elerts „Verhältnisbestimmung von Schöpfung und Erlösung“ (aaO, 348) begründet; vgl. dazu unten S. 283 ff. So bestimmt Roth auch Elerts „Beitrag zu Apolo-
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dann auch die – aus der bisherigen Elertforschung vertraut klingende – These an, daß Elerts „Beitrag zur Apologetik“ darin besteht, aufgezeigt zu haben, daß die Apologetik „sich nicht jenseits der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium bewegen“ kann.63 Andere Arbeiten kommen aufgrund einer punktuellen Analyse zum Schluß, daß Elerts apologetische Frühphase den Effekt hatte, daß er den Schicksalsbegriff von Oswald Spengler übernahm, theologisch auflud bzw. ihn in seine für ihn höchst spezifische Lehre vom Gesetz umdeutete: Die apologetische Frühphase münde demnach mittelfristig in eine „wirklichkeitsintegrative Ausweitung des Gesetzesbegriffs“.64 Das ist sicherlich nicht falsch. getik“ folgendermaßen: „Die Apologetik kann sich nicht jenseits der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium bewegen, sondern sie empfängt von dieser Unterscheidung die Aufgabe, die Form der Apologetik bestimmt sein zu lassen“ (aaO, 434). Neben seinen Ausführungen zu „Der Kampf um das Christentum“ (aaO, 344 – 350) geht Roth nur an wenigen Stellen auf Schriften Elerts vor 1924 ein (vgl. aaO, 366 f. 371). Mit anderen Worten: Obwohl das zentrale apologetische Anliegen – des späten – Elerts wahrgenommen und gewürdigt wird, kommt das apologetische Frühwerk wiederum nicht an sich in den Blick, sondern lediglich an den genannten Stellen unter der – vom späten Elert her entworfenen – Perspektive der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. 63 M. Roth, Gott im Widerspruch? Möglichkeiten und Grenzen theologischer Apologetik, TBT 117, Berlin, 2002, 434. Vgl. dazu oben S. 18 f. 64 K. Meier, Kulturkrise und Syntheseproblem. Zum Verständnis von Christentum und Moderne bei Werner Elert, KuD 31 (1985), (293 – 306) 303. Der prägnante Aufsatz von K. Meier greift auf die Arbeit von L. Langemeyer (Gesetz und Evangelium. Das Grundanliegen der Theologie Werner Elerts, Paderborn, 1970) zurück (vgl. K. Meier, aaO, 294. 302. v. a. 303 f.). Langemeyer hatte gezeigt, daß sich Elerts extensive Lehre vom Gesetz aus dem zeitlich davor angesiedelten Schicksalsbegriff entwickelt, ja daß „das Schicksal zu einem Hauptwort der Theologie Elerts [wird], ohne das vor allem sein Gesetzesbegriff unverständlich bleibt“ (L. Langemeyer, aaO, 48). Vor allem anhand der „Lehre des Luthertums im Abriss“ (1924), der „Morphologie des Luthertums“ (1931/32) und „Der Christliche Glaube“ (1940) analysiert Langemeyer Elerts Schicksalsbegriff (aaO, 76 – 129) und kommt dabei zu dem Ergebnis, daß die „Schicksalserfahrung“ bei Elert das wesentliche „Vorverständnis für das Evangelium“ bildet (aaO, 115). K. Meier greift diese These von Langemeyer auf (vgl. K. Meier, aaO, 303 – 305) und appliziert sie gewissermaßen auf das apologetische Anliegen Elerts in der Zeit auch vor 1924, in der er die Genese dieser Rezeption nachweisen möchte. Dabei konzentriert sich K. Meier auf Elerts „Der Kampf um das Christentum“ (vgl. aaO, 298 – 303), nimmt aber auch Bezug auf Elerts geschichtsphilosophische Ambitionen in seiner Licentiatenschrift von 1911 (vgl. aaO, 296 – 298) und notiert sogar eine „Umakzentuierung des apologetischen Ansatzes“ Elerts in der Zeit vor und nach Kriegsende (aaO, 296). Zielpunkt des Aufsatzes ist die Feststellung, daß in
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Doch bleibt dabei in Bezug auf das apologetische Frühwerk Folgendes problematisch: Zum einen wird bei einem solchen Zugang wiederum das Frühwerk aus der Perspektive des späteren Elert angegangen; und zum anderen ist dabei eine Tendenz zu verzeichnen, die den Einfluß Spenglers auf Elert überschätzt. Eine solche Nachwirkung von Elerts apologetischem Frühwerk ist zudem – wie die vorliegende Arbeit zeigen wird – weder der einzige noch der primäre Effekt von Elerts Beschäftigung mit der Apologetik. Vielmehr wird eine ausführliche Beschäftigung mit dem gesamten apologetischen Frühwerk Elerts einen anderen, zunächst rein formalen Effekt aufzeigen, der weder zwangsläufig noch faktisch in den Anschlußbegriff des Schicksals und des daraus abgeleiteten Gesetzesbegriffs mündet.
3. Vorhaben und Vorgehen 3.1. Vorhaben Ohne Recht und Evidenz vorliegender Arbeiten zu Elert, die sich in ihrer rezeptionsästhetischen Vielfalt eher produktiv zu einem Gesamtbild ergänzen als sich gegenseitig ausschließen,65 in Abrede zu stellen, soll im Folgenden das apologetische Frühwerk von Werner Elert untersucht werden. Elerts Übernahme des Schicksalsbegriffes „ein apologetisches Moment“ vorliege, das „die Integration nicht nur religiöser Glaubenserfahrung, sondern auch allgemein menschlicher Erfahrung und menschlichen Selbstverständnisses überhaupt“ ermögliche (K. Meier, aaO, 303). Das apologetische Frühwerk kommt demnach nur im Horizont des späteren Elert zum Tragen, aber immerhin so weit, daß das Fortdauern des apologetischen Anliegens Elerts auch über dessen – in seiner Umrandung wahrgenommenen – Frühwerk hinaus betont wird. In dieser Hinsicht greift N. Slenczka wiederum die These von K. Meier auf, „die Aufnahme des Gesetzesbegriffes“ sei eine „modifizierte Weiterführung des apologetischen Anliegens der Frühzeit Elerts“ (Selbstkonstitution, 24; vgl. aaO, 24 f.); er geht deshalb in einem einleitenden Kapitel im Rahmen der Frage nach der „Funktion des Gesetzesbegriffes bei Elert“ (aaO, 23) auf eine Auswahl von Elertschriften vor 1924 mit dem Ziel ein, den „Zusammenhang dieses zentralen und wirkmächtigen Themas Elerts mit der Erlanger Schule identifizieren zu können“ (aaO, 24). 65 Die hagio- wie hamartiographischen Elertdarstellungen, die skurrilerweise Weise beide aus Erlangen stammen, sind bei diesem Urteil selbstverständlich nicht im Blick.
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Im Gegenzug zur bisherigen Elertforschung, die in ihrer Konzentration auf den alten Elert, womöglich ausschließlich auf seine Hauptwerke, sich insbesondere der Fragestellung von Gesetz und Evangelium bzw. der Tradition und Transformation lutherischer Theologie annahm, gilt es, den jungen Elert bis 1923 in den Blick zu nehmen, den – wie es sich herausstellen wird – konfessionelles Luthertum und insbesondere die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium gar nicht beschäftigte. Daß Elert sich in dieser Zeit hingegen mit der Apologetik beschäftigte, scheint allgemein bekannt zu sein: Elerts anfängliche wissenschaftliche Arbeit gilt, wie bereits angesprochen, als apologetische Phase.66 Doch ist genau zu ermitteln, was Elert selbst des Näheren unter Apologetik verstanden wissen wollte – und zwar in einer Zeit, in der er scheinbar noch nicht „,er selbst‘“ war.67 Da Elert nach eigenem Bekunden sich in dieser Zeit mit der Apologetik beschäftigte, danach aber eine „andere Richtung“ einschlug,68 erschien es ratsam, Analyse und Darstellung des Frühwerkes von Fragestellungen, die außer diesem selber liegen, zu entkoppeln. Es legt sich, anders formuliert, nahe, sich mit dem apologetischen Frühwerk Elerts gleichsam induktiv auseinanderzusetzen, es also aus seinem eigenen Kontext heraus zu analysieren, darzustellen und zu interpretieren. Dies kann freilich nicht anders als auf einer durch die bisherige Theologiegeschichtsschreibung herbeigeführten, zumeist auf dem Eindruck von Elerts späterer Arbeit entstandenen hermeneutischen Folie, von der nicht vollständig abgesehen werden kann, geschehen.69 Mit der vorliegenden Arbeit ist die Intention verbunden, das in der bisherigen Forschung zu wenig beachtete Frühwerk ausführlich zur Geltung zu bringen. Im Gegensatz zu den bisher vorgelegten Arbeiten, die unter Voraussetzung nicht in Elerts Frühwerk beheimateter Fragestellungen ausschnittsweise diesen Untersuchungszeitraum berühren, um die Theologie des späteren Elert zu verdeutlichen, ist die vorliegende Arbeit eine monographische Studie in dem Sinne, daß sie sich vollständig und ausschließlich mit Elerts Frühwerk und der darin ex66 Vgl. dazu oben S. 14 Anm. 44. 67 W. Trillhaas, Konservative Theologie und moderne Welt. Erinnerung an Werner Elert, 1986, 37. Vgl. schon oben S. 16 f. Anm. 54 u. S. 19 Anm. 59. 68 W. Elert, Goldenes Buch, 237. 69 Aus diesem Grund wird in Teil I, in dem Elert auch über den gesetzten Zeitraum bis 1923 hinaus thematisiert wird, das Blickfeld bewußt geweitet. In Korrespondenz dazu schließt Teil IV mit einem Ausblick, der zum Teil ebenso über die zeitliche Grenze von 1923 hinausgeht.
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plizierten apologetischen Arbeit beschäftigt.70 Das bedeutet zugleich, daß zum einen Elerts Frühwerk aufgrund seines Frühwerkes und auf darin sich bekundende Interessen, Perspektiven und Lösungsvorschläge hin analysiert, dargestellt und interpretiert werden wird; zum anderen werden Intentionen, Elert in theologiegeschichtliche oder werkimmanente Zusammenhänge oder Kontinuitätslinien über 1923 hinaus einzuordnen, ebensowenig leitend sein wie der Abgleich mit anderen apologetischen Arbeiten und Ansätzen der Theologie – auch seiner Zeit.71 Zu Problem-, Begriffs- und Forschungsgeschichte wie zur Geschichte der Apologetik im allgemeinen sei deshalb auf andere Arbeiten verwiesen.72 70 Doch ist einschränkend darauf hinzuweisen, daß bei der Darstellung von Elerts apologetischem Frühwerk dort auf Vollständigkeit verzichtet wird, wo die Quellen zur Sache nichts austragen. Dies gilt insbesondere für einen Teil von Elerts Rezensionen (vgl. dazu die Übersicht bei: H. Wagner, Bibliographie sämtlicher theologischer Veröffentlichungen, Zeitschriftenaufsätze und Rezensionen, (411 – 424) 418 – 421), aber auch für seine Feldpredigerberichte (erschienen zwischen 1914 – 1918 in: Kirchenblatt für die Evangelisch-lutherischen Gemeinden in Preußen [KELGP], Breslau), die in großen Teilen lediglich technische Schilderung von Tagesereignissen bieten. Zu der einzigen – auch in Bezug auf das Frühwerk – nahezu vollständigen Elertstudie von A. Birmelé, (Interprétation et actualisation d’une tradition confessionnelle: Werner Elert, 1977) vgl. oben S. 15 Anm. 47. 71 Wenn dieser Rahmen der Werkimmanenz bis 1923 punktuell verlassen wird, geschieht dies lediglich zur Verdeutlichung und Klärung von Elerts apologetischer Arbeit bis 1923. Dabei ist weder Vollständigkeit noch ein umfassender theologiegeschichtlicher Anspruch intendiert. Zur besonderen Funktion von Teil I und IV vgl. oben S. 24 Anm. 69. 72 Einen ersten Überblick jeweils mit Literaturhinweisen geben die Artikel der einschlägigen Lexika. Allgemein: K. Aland, Art. Apologetik, HWP 1 (1971), 446 f.; R. Hille, Art. Apologetik, ELThG 1 (1992), 100 – 102; H. G. Pöhlmann, Art. Apologetik, EKL3 1 (1986), 213 – 217; N. Schreurs, Art. Apologetik, WBC (1988), 78 f. Zum Begriff: F. Usarski, Art. Apologetik I. Zum Begriff, RGG4 1 (1998), 611; H. Cancik, Art. Apologetik / Polemik, HRWG 1 (1988), 29 – 37. Historisch: L. W. Barnard, Art. Apologetik I. Alte Kirche, TRE 3 (1982), 371 – 411; M. Nüchtern, Art. Apologetik IV.2 Kirchengeschichtlich. Mittelalter bis Neuzeit, RGG4 1 (1998), 620 – 622; K. G. Steck, Art. Apologetik II. Neuzeit, TRE 3 (1982), 411 – 424: Systematisch: H. Fries, Art. Apologetik V. Katholische Apologetik, RGG3 1 (1957), 492 – 494; E. Herms, Art. Apologetik VI. Fundamentaltheologisch, RGG4 1 (1998), 623 – 626; H. H. Schrey, Art. Apologetik III. Systematisch-theologisch, RGG3 1 (1957), 485 – 489. Praktisch-theologisch: D. S. Browning, Art. Apologetik, VII. Praktisch-theologisch, RGG4 1 (1998), 626 – 629; H. R. Müller-Schwefe, Art. Apologetik III. Praktisch-theologisch, TRE 3 (1982), 424 – 429. In Bezug
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3.2. Zeitliche Abgrenzung des Vorhabens Die zeitliche Abgrenzung von Elerts Frühwerk und zugleich des Gegenstandsbereiches der vorliegenden Arbeit verdeutlicht sich aus verschiedenen Perspektiven. Der Zeitraum der Jahre 1910 bis 1923 läßt sich aus folgenden Gründen als Frühwerk bezeichnen. Dessen Beginn ist offensichtlich mit Elerts Erstveröffentlichung – seiner philosophischen Dissertation – im Jahr 1910 gegeben. Das Ende des Frühwerkes ist nach den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit mit dem Jahr 1923 erreicht. Diese Datierung begründet sich formal wie material: Zum WS 1923/24 wird Elert als Professor nach Erlangen berufen. Es endet damit die Zeit, in der er ohne Lehrstuhlverpflichtungen völlig frei – auch in seiner Themenwahl – arbeiten konnte.73 Im Jahr 1924 erscheint die „Lehre des Luthertums im Abriss“. Mit dieser Veröffentlichung steigt nicht nur Elerts Bekanntheitsgrad deutlich an; es ist vielmehr zugleich ein inhaltlicher Wechsel in Elerts Arbeit festzustellen.74 Auch in den bereits erwähnten Werküberblicken wird zumeist das – wenn auch im Blick auf die Begriffsgeschichte wie auf die Forschungsgeschichte sei auf die unlängst vorgelegte Dissertation von J. Kniffka verwiesen, der in einer ausführlichen Einleitung seiner Arbeit eine diesbezügliche Darstellung bietet: J. Kniffka, Apologetik und Kirche. Die zeitgenössischen Einstellungen zur Evangelischen Kirche als Aufgabe einer erneuerten Apologetik und Apologie, Masch. Diss. Tübingen, 2002/2003, 15 – 36. J. Kniffka stellt zudem Aspekte der Geschichte der Apologetik im 19. und frühen 20. Jahrhundert dar – leider ohne Würdigung Elerts, jedoch mit einer von dessen Doktorvater Hunzinger (aaO, 58 – 155; zu Hunzinger: aaO, 85 – 90). Zur Geschichte der Apologetik, insbesondere zu dem Zeitraum, der sich mit der vorliegenden Arbeit überschneidet: W. Sparn, Religiöse Aufklärung. Krise und Transformation der christlichen Apologetik im Weltanschauungskampf der Moderne, in: Glaube und Denken. Jahrbuch der Karl-Heim-Gesellschaft 5 (1992), Teil I: 77 – 105; Teil II: 155 – 164. In diesem Aufsatz findet sich neben einer systematischen Reflexion über die „Aufgabe christlicher Apologetik heute“ (= Teil II: 155 – 164) eine gut zu lesende Darstellung der Geschichte christlicher Apologetik v. a. des 19. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (= Teil I: 77 – 105), die sich auf die „Transformationskrise der theologischen Apologetik“ und die Herausbildung einer „,neuen Apologetik‘“ in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts konzentriert (aaO, 93). 73 Elert hatte seinen Lehrauftrag durchaus als Verpflichtung empfunden, die ihn bei der Themenwahl stark leitete. Vgl. W. Elert, ML I, VI. Vgl. dazu P. Althaus, Werner Elert, 404. 408; R. Hauber, Werner Elert, 119. Vgl. dazu oben S. 14 Anm. 44. 74 W. Elert, Die Lehre des Luthertums im Abriss, München, 1924. Vgl. dazu v. a. unten S. 332 ff. Anm. 92.
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auf die Jahreszahlen leicht differierende – Ende einer apologetischen Phase verzeichnet und der Beginn einer konfessionskundlichen bzw. konfessionellen festgestellt.75 Und sogar Elert selbst deutete an, daß er um diese Zeit die explizite Beschäftigung mit der Apologetik aufgab, um sich aufgrund „neu gewonnene[r] Erkenntnisse und Perspektiven“ in eine „andere Richtung“ zu wenden.76 Dieser inhaltliche Wechsel spiegelt sich in dem auffälligen Befund, daß bemerkenswert viele der Veröffentlichungen Elerts, die nach 1923 erscheinen, sich bereits im Titel auf Begriffsbildungen wie „Luther“ bzw. „lutherisch“ konzentrieren; dabei handelt es sich um Begriffsbildungen, die in der Zeit davor nirgendwo auftauchen.77 Elerts Frühwerk läßt zudem eine deutliche Zweiteilung erkennen: Im Folgenden wird deshalb die Zeit von 1910 – 1918 und die Zeit von 1919 – 1923 unterschieden werden. Für diese Zweiteilung spricht neben inhaltlichen Differenzen, die im Lauf der vorliegenden Arbeit dargestellt und analysiert werden, zunächst die Zäsur, die durch das Ende des Ersten Weltkrieges gegeben ist. Die Erfahrungen des Krieges, der gesellschaftlich-politische, geistig-moralische Umbruch vom Kaiserreich zur Weimarer Republik gehen auch an Elert nicht spurlos vorüber. Nach Kriegsende ,verändert‘ sich Elert auch beruflich: Er nimmt seine Tätigkeit als Seminardirektor in Breslau auf. Vor allem aber verrät seine Publikationsliste, daß in den Kriegsjahren ein gewisses Vakuum – des Umdenkens – entstanden ist, das sich in einer nahezu vollständigen Unproduktivität erweist. Erst ab 1919 wird sich diese – inhaltlich deutlich verändert – entladen.78
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Vgl. dazu oben S. 13 f. Anm. 44 und unten S. 167 f. Anm. 35. W. Elert, Goldenes Buch, 237. Zitat v. Verf. grammatikalisch angepaßt. Vgl. dazu Elerts Bibliographie: H. Wagner, Bibliographie, 411 – 413. Vgl. dazu Elerts Bibliographie: H. Wagner, Bibliographie, 411 f. Noch 1921 vermerkt Elert – was es analog auf die wissenschaftliche Produktivität zu beziehen gilt –, daß er „während der jahrelangen Feldzüge […] zur Lektüre von Literaturblättern nicht immer aufgelegt war“ (Der Kampf um das Christentum. Geschichte der Beziehungen zwischen dem evangelischen Christentum in Deutschland und dem allgemeinen Denken seit Hegel und Schleiermacher, München, 1921, IV).
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3.3. Vorgehen Jede apologetische Arbeit entfaltet sich in zwei Richtungen – so auch die Elerts: in eine, die mehr der Wahrnehmung des „Gegenüber[s]“ und in eine andere, die mehr dem Auftreten gegenüber diesem „Gegenüber“ zugewandt ist.79 In der folgenden Darstellung und Analyse aller Veröffentlichungen Elerts bis 1923 sind deshalb zwei Fragestellungen leitend: Wie nimmt Elert dieses Gegenüber wahr? Und in welcher Art und Weise sucht er diesem Gegenüber zu begegnen? Diese beiden Grundfragen liegen jeweils der Untersuchung beider Zeiträume – 1910 – 1918 und 1919 – 1923 – zugrunde. Im ersten Untersuchungszeitraum strukturieren diese Grundfragen das Vorgehen explizit. Implizit hingegen strukturieren sie den zweiten Untersuchungszeitraum, da Elert selbst in dieser Zeit die Wahrnehmung des Gegenübers so zum Programm erhebt, daß die Wahrnehmung wesentlicher Teil der Begegnung wird und dadurch die beiden Grundfragen unauflöslicher aufeinander bezieht als im ersten Untersuchungszeitraum. Analyse wie Darstellung verfahren dabei so weit wie möglich werkimmanent. Theologie- und zeitgeschichtlichen Bezügen, deren Überfülle sich bei einer Beschäftigung mit Elerts Frühwerk zwangsläufig einstellt, kann und soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht vollständig nachgegangen werden. Sie werden deshalb nur dort beachtet werden, wo es dem werkimmanenten Verständnis von Elerts Arbeit dienlich erschien. Im Einzelnen ergeben sich folgende Schritte: Um die apologetische Arbeit Elerts besser in den Blick nehmen zu können, erschien es sinnvoll, sich zunächst dem Apologeten selber zu nähern (Teil I). Hierbei wird bewußt über die zeitliche Grenze des Frühwerkes hinausgegriffen. Neben grundlegenden Daten von Elerts Leben, die vorangestellt sind (I/1), werden im Rahmen der Darstellung bisheriger Felder der Elertforschung zugleich gängige Muster benannt werden, in denen Elerts Arbeit rezipiert wurde (I/2). Da Überblicke über das Werk Elerts in zureichender Form vorliegen, lag stattdessen die Konzentration auf eine Darstellung von Aspekten der Person nahe: Diese Darstellung will Elerts Theologie samt seiner apologetischen Arbeit bis 1923 plastischer und vielleicht sogar verständlicher werden lassen (I/4). 79 M. Doerne, Das unbewältigte Problem der Apologetik, ThLZ 75 (1950), (259 – 264) 259 f. Vgl. dazu oben S. 1 f.
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Da das Frühwerk zwei unterscheidbare Phasen erkennen läßt, die in ihrer Differenz jedoch durch das klar feststellbare apologetische Interesse verbunden sind, werden die zwei genannten Untersuchungszeiträume in den beiden Hauptteilen der vorliegenden Arbeit (II+III) separat behandelt werden. Dabei wird Elerts Arbeit nur unter den genannten beiden Fragestellungen untersucht werden, nämlich welche durch seine Wahrnehmung herbeigeführten Fragen- und Themenkomplexe ihn in der jeweiligen Zeit umtreiben und in welcher Art und Weise er sie theologisch zu bearbeiten sucht. Dabei wird sich herausstellen, daß die theologische Arbeit Elerts bis 1923 im Ganzen Apologetik, also Wahrnehmung des Gegenübers und Begegnung mit ihm, ist. Im ersten Untersuchungszeitraum (Teil II) muß die Wahrnehmung der apologetischen Situation in der weltanschaulichen Pluralität des späten Kaiserreiches aus verschiedensten, verstreuten, aber – leider auch – spärlichen Stellungnahmen Elerts rekonstruiert werden (II/1); danach kann dann das darauf bezogene apologetische Programm nach Schriftengruppen und Methoden differenziert dargestellt werden (II/2). Da Elerts Arbeit in den ersten Jahren seiner wissenschaftlichen Tätigkeit – mild formuliert – unstrukturiert wirkt, empfahl sich eine Zusammenführung dieser beiden Teile in einem abschließenden Gesamtblick auf die erste Phase seines apologetischen Frühwerks (II/3). Trotz Beibehaltung des starken Interesses an apologetischen Fragen zeigt sich bei Elert nach dem Ersten Weltkrieg eine deutliche Verschiebung und Veränderung der Art und Weise der Durchführung des apologetischen Programms. Da auch Elert sich dem gesellschaftlichpolitischen, geistig-moralischen Umbruch dieser Zeit – im weitesten Sinne verstanden – stellen muß, lag es nahe, einleitend zum zweiten Untersuchungszeitraum 1919 – 1923 (Teil III) die ,Umwelt‘ des Apologeten zu bedenken (III/1), um die apologetische Arbeit präziser nachvollziehen zu können. Die Wahrnehmung des apologetischen Gegenübers wird bei Elert im Gegensatz zu der Zeit vor dem Krieg programmatisch – und auch extensiver – angegangen. Mit anderen Worten: Die Wahrnehmung der apologetischen Situation mutiert zum integralen Bestandteil der apologetischen Aufgabenbestimmung selber (III/2). Eine auffällige Neuerung besteht in dem massiven Ausbau des bereits vorhandenen erfahrungs-theologischen Ansatzes zu einer Art ,Erlebnistheologie‘, die neben und zum Teil auch inmitten der Zeitdiagnose wirksam wird (III/3). Die Verschiebung und Veränderung des apologetischen Programms gegenüber der ersten Phase wird nicht zuletzt in Elerts „Revision der apologetischen Methoden“ sichtbar (III/4).
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Da Elerts Revisionsvorschlag – bekannt durch seine plakative Forderung nach einer „Diastase von Christentum und Nichtchristentum“80 – auch in seiner eigenen Einschätzung als eine „rein negative Forderung“81 an die Apologetik leicht mißverständlich ist – und auch mißverstanden worden ist –, erschien es ratsam, abschließend Elerts Konkretion seiner apologetischen Revision darzustellen (III/5). Der Befund der beiden Untersuchungszeiträume (Teil II und Teil III) nötigte dazu, Aspekte und Ausgang von Elerts apologetischem Frühwerk in ein Verhältnis zu Elerts Theologie nach 1923 zu bringen. Mit anderen Worten: Angesichts der Tatsache, daß Elert in großen Teilen der Theologiegeschichte – je nach Blickwinkel – entweder als eine Art ,Vorzeigelutheraner‘ oder als eine Art ,Vorführkonfessionalist‘ wahrgenommen worden ist,82 verwundert es, daß Anhaltspunkte, die diese Einschätzung untermauern könnten, in der Zeit bis 1923 schwerlich zu finden sind. Daraus ergab sich abschließend die – in Form eines Ausblicks behandelte – Fragestellung, woher denn diese theologiegeschichtliche Wahrnehmung Elerts rühren könnte, die – wie gezeigt werden wird – zunächst weniger materialen als vielmehr formalen Gründen entspringt (Teil IV).
4. Aspekte der Person 4.1. Eigentümliches zu Elert Elerts zuweilen als schematisch, abstrakt überzeichnet, ja gar marcionitisch beschriebene Fassung der Zweireichelehre83 findet in seinem Leben insofern ihren Grund, als Elert sich als Altlutheraner in geborener 80 W. Elert, Der Kampf um das Christentum. Geschichte der Beziehungen zwischen dem evangelischen Christentum in Deutschland und dem allgemeinen Denken seit Hegel und Schleiermacher, München, 1921, 4. Vgl. aaO, 6 f. 488 f. 81 W. Elert, Die Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit, AELKZ 55 (1922), (386 – 390. 402 – 404. 418 – 421. 434 – 436) 420. 82 Vgl. dazu etwa oben S. 6 f. u. unten S. 41 f. 44. 83 Vgl. M. Heckel, Art. Rechtstheologie, Luthers, in: Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart, 19752, (2052 – 2083) 2074. Zum Marcionismusvorwurf vgl. u. a.: W. Joest, Dogmatik, 2. Der Weg Gottes mit den Menschen, Göttingen, 19862, 502; E. Wolf, Art. Gesetz und Evangelium, RGG3 2 (1958), (1519 – 1526) 1525. Zur Auseinandersetzung mit dem Marcionismusvorworf vgl. auch S. A.
4. Aspekte der Person
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Opposition zum preußischen Staat und seiner „Staatsreligion“, wie er sie in der Altpreußische Union verkörpert sah, befand,84 sich aber zugleich im bürgerlichen Bereich bewußt als Preuße empfand.85 So gesehen ist Elert im Blick auf seine Herkunft ein Bürger zweier Reiche par excellence. Und auch in seinem Selbstverständnis fühlte sich Elert zugehörig zu diesem „Bürgertum zweier Welten, die nach lutherischer Überzeugung in ein und demselben Menschen zusammenstoßen und dort zueinander in Beziehung zu setzen sind“86. Die Vermengung der kirchlichen mit der politischen Sphäre87 rückt bei Elert jedoch zeitlebens immer wieder in den Horizont des Gegen-
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Eyjólfsson, Rechtfertigung, Mystik, Neue Schöpfung, 1992, 146. T. Gerlach, Verborgener Gott – Dreieiniger Gott. Ein Koordinationsproblem lutherischer Gotteslehre bei Werner Elert, Frankfurt a. M., 1998, 271 f. Zu dieser Entgegensetzung, wie sie sich nicht zuletzt in der Geschichte der AELKZ, in der Elert zahlreiche Aufsätze veröffentlichte, abzeichnet vgl. U. Rieske-Braun, Konfessionalismus als Nonkonformismus. Zur Widerstandsfähigkeit des deutschen Luthertums im 19. Jahrhundert, in: Pastoraltheologie 83 (1994), 127 – 142. Gerade die AELKZ fungierte in der Zeit der Reichsgründung als antiunionistisches und politikkritisches Organ. Vgl. dazu U. RieskeBraun, Zwei-Bereiche-Lehre und christlicher Staat. Verhältnisbestimmungen von Religion und Politik im Erlanger Neuluthertum und in der Allgemeinen Ev.-Luth. Kirchenzeitung (Die Lutherische Kirche, Geschichte und Gestalten, Bd. 15), Gütersloh, 1993. Als Beispiel für die Resistenz einer wenig differenzierten Übernahme der Troeltsch-Weberschen These der sozialen Unfruchtbarkeit, vor allem aber der These der obrigkeitshörigen Grundhaltung des deutschen Luthertums: H. U. Wehler, Das Deutsche Kaiserreich. 1871 – 1918. Deutsche Geschichte Bd. 9, hg. v. J. Leuschner, Göttingen, 19947, (118 ff.) 118: „Die lutherische Religiosität führte bei den Deutschen […] oft zu einem orthodoxen Muckertum“. Deutlich wird dies an folgender Äußerung Elerts, der sich im Lebenslauf im Anhang seiner philosophischen Dissertation (Rudolf Rocholls Philosophie der Geschichte) bewußt als „preußischer Staatsangehöriger“ tituliert: „Der Stolz meiner Knabenjahre war, daß die Könige von Preußen keinen Krieg geführt haben, in dem nicht auch ein Elert mitkämpfte“ (Goldenes Buch, 236). Vgl. W. v. Loewenich, Erlebte Theologie, 118. W. Elert, Das Erstarrungsgesetz des Protestantismus, NKZ 36 (1925), 895 – 915, wiederabgedruckt in: ders., LK, 76 – 87, 85. Eine solche Vermengung ist bei Elert m.W. nirgends nachzuweisen (vgl. ders., Politisches und kirchliches Führertum, Luth. 45 (1934), 102 – 117), auch dort nicht, wo er den Vorwürfen, ein Christ könne kein deutscher Staatsbürger sein, entgegentritt (vgl. W. Elert, Die lutherische Kirche im neuen Reich, in: Luth. 48 (1937), (33 – 46) 36 – 41; ders., Der Christ und der völkische Wehrwille, ThMil 15, Leipzig, 1937, passim). Bezeichnend ist auch, daß Elert noch nach Kriegsende politisierte Religiösität für weit gefährlicher hält als religiös überhöhte Politik (vgl. W. Elert, Paulus und Nero, Vortrag vom 25. 3. 1946, in:
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I Annäherung
satzes von altlutherischer Freikirche, die „ein Jahrhundert lang die Schmach einer Bekenntniskirche in Verfolgung, Kampf und Vereinsamung“88 getragen hat, und der APU. Die libertas ecclesiae findet paradigmatischen Ausdruck in seiner Heimatkirche, die „das Bild der lutherischen Kirche [zeigt], wie sie aussehen würde, wenn das landesherrliche Kirchenregiment nicht eingesetzt hätte“89. Die APU hingegen ist für ihn Sinnbild der bekenntnislosen, politisierten Kirche, die „mit den Mitteln der Staatsordnung kirchliche Zwecke zu erreichen“90 sucht: „Die preußische Landeskirche kann in diesem Jahre das Jubiläum der Eroberung der lutherischen Kirche zu Hönigern mit Hilfe von 400 Mann Infanterie, 50 Husaren und 50 Kürassieren feiern, Weihnachten, 1834“91. Von hier aus ist auch Elerts energisches Eintreten für die lutherische Bekenntnisbindung der DEK zu verstehen, in der er wohl eine Art Satisfaktion für den faktischen Bedeutungsverlust des lutherischen Bekenntnisses im Lauf des 19. Jahrhunderts erblickt hat. Die Polarität dieser biographischen Grundkonstellation als ,Bürger zweier Reiche‘ spiegelt sich in der Wahrnehmung von Elerts Person und Denken. Auch im unmittelbar persönlichen Bereich scheint dieser biographisch dominante Gegensatz einiges an Elerts Grundzügen verständlich zu machen. Obwohl Elert „die Andacht zur eigenen Biogra-
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ZGU, (38 – 71) 68). So finden sich Anzeichen für die Vermengung des Politischen mit kirchlichen bzw. religiösen Aspekten bei Elert nicht nur im „Ansbacher Ratschlag“. Vgl. dazu: B. Hamm, Werner Elert als Kriegstheologe, passim. W. Elert, Luthergeist und Lutherisches Bekenntnis, in: Luth. 45 (1934), (293 – 307) 300. W. Elert, Art. Altlutheraner, 283 (Zitat aus: B. Bredt, Neues evangelisches Kirchenrecht für Preußen, I, 1921, 539 ff.). W. Elert, Politisches und kirchliches Führertum, 116. In dieser Schrift wird die dreifache Front von Elerts Insistieren auf der Bekenntnisbindung der Kirche deutlich: Gegen eine subjektive Verkürzung der Bekenntnisse durch den Neuprotestantismus (aaO, 298 f.), durch eine Ersetzung der Bekenntnisse durch angeblich geistbegabte Neuformulierung in Barmen (aaO, 299 f.) und v. a. gegen eine inhaltslose, floskelhafte Berufung auf anonymisierte „Bekenntnisse“ durch die Leitung der Reichskirchenregierung unter Ludwig Müller als einer Prolongierung der APU (aaO, 300 ff.). W. Elert, Politisches und kirchliches Führertum, 116. Vgl. ders., Art. Altlutheraner, 281. Zu den Geschehnissen in Hönigern vgl. G. Besier, Preussische Kirchenpolitik in der Bismarckära, Die Diskussion in Staat und Evangelischer Kirche um eine Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse Preußens zwischen 1866 – 1872, Berlin, 1980, 24 f.
4. Aspekte der Person
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phie völlig fremd“ war92 und er in seiner Verschlossenheit kaum etwas Persönliches in die Öffentlichkeit trug, kann man dennoch auf folgende Eigentümlichkeiten seiner Person hinweisen.93 Als Altlutheraner in Preußen wußte sich Elert einer bedrohten Minorität zugehörig, für deren Überleben er sich in einer durch seine Existenz als Theologe gesteigerten schicksalhaften Weise verpflichtet fühlte. Dies vermittelte ihm das Gefühl, „einer angefochtenen Minderheit anzugehören und für sie im Kampf zu stehen“.94 Dies verbindet sich mit „seinem förmlichen Bedürfnis nach Polemik“95 und seiner Art, sich durch Angriffe stets in eine Verteidigungshaltung, in eine „qualifizierte Defensive“96, gedrängt zu fühlen. Ebenso legt die Art und Weise, in der Elerts Veröffentlichungen geschrieben sind, durch ihre plastische, zuweilen drastische Sprache, durch die Vorliebe für extreme Beispiele, durch ihren lautstarken Verbalradikalismus und die unver92 W. Trillhaas, Konservative Theologie und moderne Welt, 35. Elert vermied es, Privates in die Öffentlichkeit zu tragen; eine persönliche Einfärbung – wie die Verarbeitung seiner Kriegserlebnisse in dem Vortrag „Philologie der Heimsuchung“ (1947) – ist selten. 93 Die Quellenlage ist – im Vergleich etwa mit der inszeniert anmutenden Hinterlassenschaft von Karl Barth – entsprechend dünn; außer den spärlichen Selbstzeugnissen Elerts ist man in der Hauptsache auf überlieferte Erinnerungen an Elert angewiesen. Die hierbei wichtigen Autobiographien von W. Trillhaas (Aufgehobene Vergangenheit. Aus meinem Leben, Göttingen, 1976, 86 f.), W. v. Loewenich (Erlebte Theologie, 1979, 117 – 122) und H. Thielicke (Zu Gast auf einem schönen Stern. Erinnerungen, Hamburg, 1984, 92 f.) lassen sich jedoch offensichtlich die eigene Lebenserinnerung – zum Teil wortwörtlich – durch die zuvor erschienene stärken. Ohne einer Art „Quellenhypothese“ das Wort zu reden, sei zumindest auf die massiven synoptischen Parallelen von H. Thielicke zu den beiden zuvor erschienen Autobiographien hingewiesen. Zur Problematik dieses zuletzt erschienenen Rückblicks hat die Besprechung von O. Michel (H. Thielicke, Zu Gast auf einem schönen Stern, in: Theologische Beiträge 17 (1986), 47 – 51) darüber hinaus bereits das Nötige gesagt. Zu Elerts Person vgl. auch die Erinnerungen von K. Beyschlag, Werner Elert in memoriam, 7 f. 94 W. Sparn, Werner Elert, 160. Vgl. W. Trillhaas, Konservative Theologie und moderne Welt, 42; W. v. Loewenich, Erlebte Theologie, 118. 95 W. Trillhaas (Konservative Theologie und moderne Welt, 42 f.) rechnet dies neben Elerts „Lust an der Ironie“ und dessen „leichter Verletzlichkeit“ zu der Trias der „Schwierigkeiten seiner [Elerts] Person“. Vgl. zuvor schon P. Althaus, Werner Elerts theologisches Werk, 401. 96 W. Trillhaas, Konservative Theologie, 42. Ebd.: Als Altlutheraner habe Elert von Anfang an das Bewußtsein entwickelt, „einer im Horizont der preußischen Union immer angefochtenen Sache, eben dem ,Luthertum‘ zu dienen“.
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I Annäherung
blümte Direktheit der Spitzen eine Streitkultur an den Tag, die – in vornehmer Untertreibung ausgedrückt – darin besteht, daß „in fast allen seinen Schriften Zeile um Zeile ein leiser polemischer Unterton mitschwang“97: Nahezu überall erscheint eine „kompromißlose Absteckung der Fronten“98, nahezu überall blitzt seine „polemische Elektrizität“99 auf. Aus dieser biographischen Ursituation100 heraus wird jegliche Veränderung in der Kultur der Umgebung von Elert in seiner „betont religiöse[n] Betrachtung des gesamten menschlichen Lebens“101 skeptisch beäugt und primär in ihrer potentiellen Bedrohung des eigenen religiösen und somit existentiellen Lebensvollzugs wahrgenommen102. Dieses Minoritätsbewußtsein Elerts spiegelt sich in seiner extremen menschlichen Sensibilität, die zum einen in einer Rigorosität und Aggressivität, zum anderen aber in einer leichten Verletzlichkeit,103 einem gesteigerten Absicherungsbedürfnis und zuweilen auch in einem Min-
97 H. Lilje, In Memoriam, in: Hübner, Friedrich u. a. (Hgg.), Gedenkschrift für D. Werner Elert. Beiträge zur historischen und systematischen Theologie, Berlin, 1955, (7 f.) 7. Zweifel an der „Sachlichkeit der Polemik“ Elerts meldete bereits P. Brunner an (Kritisches zu Elerts Dogmatik, VF 2 (1941), (47 – 60) 59; vgl. aaO, 59 f.). 98 W. Künneth, Dem Gedenken an Werner Elert, 566. 99 K. Beyschlag, Werner Elert in memoriam, 15. 100 Aufschlußreich hierzu ist die von Elert 1952 geäußerte Veranlassung seiner Pläne zu einer Autobiographie (vgl. dazu oben S. 4 f. Anm. 3), ohne die „die Nachwelt jetzt, wo alle Quellen im Osten verlorengegangen sind, nichts mehr von dem tapferen Kampf unserer freikirchlichen Väter um den Fortbestand der lutherischen Kirche“ erfährt (So die Gesprächsnotiz von W. Srocka, Werner Elert zum Gedächtnis, 23; zitiert in der Übersetzung von R. Keller, Erinnerung, 23 f.). 101 L. Langemeyer, Gesetz und Evangelium, 15. 102 Gesteigert sieht sich Elert zu Beginn der 20er Jahre vor das Problem der durch Pluralisierung entstandenen Verunsicherung und Bedrohung der religiösen Existenz gestellt: „Und in diesem relativistischen, skeptizistischen Zeitalter, inmitten dieser Verworrenheit der Kultur steht der Christ“ und fragt sich: „Was wird aus dem Christentum? Wird es nicht in jeder Beziehung mithineingezogen in diese Verworrenheit“? (Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit, 404). 103 Vgl. W. v. Loewenich, Erlebte Theologie, 121; W. Trillhaas, Konservative Theologie, 42. Bezeichnend ist hierzu auch die Erinnerung an Elert von W. Trillhaas (Aufgehobene Vergangenheit, 86): „So empfindlich er selbst war, so aggressiv war er“.
4. Aspekte der Person
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derwertigkeitsgefühl zu Tage tritt.104 Hinter der zumeist als kaltschnäuzig und lakonisch bezeichneten Fassade105 der „kämpferische[n] Natur“106 wurde schon „ein anderer Elert“ vermutet,107 der jedoch in der Überlieferung nicht wirklich bezeugt ist. Vielmehr wird berichtet, Elert habe keinen Freund gehabt, „mit dem es nicht wenigstens einmal zum handfesten Krach gekommen“ sei.108 Hinter alledem eine gewisse menschliche Einsamkeit zu vermuten, liegt nahe,109 läßt sich jedoch nicht belegen; bezeichnend aber ist das gerne von Elert zitierte Lutherwort, ein Christ sei eine avis rara: Weil „Christen fern voneinander wohnen“ und nur in der Verborgenheit des Reiches Christi verbunden sind, muß der Einzelne alleine durch das Leben ziehen.110 Paradoxerweise ist gerade Elert, der doch den Verlust korporativer Existenz der Moderne in Kirche wie Gesellschaft beklagte, persönlich ein Mensch, der „niemals in der Gruppe marschierte“111 und 104 So hat Elert, als ihm 1932 der Lehrstuhlwechsel angeboten wurde, nur unter der Bedingung angenommen, daß Althaus, der als „Star der Universität“ (H. Thielicke, Zu Gast auf einem schönen Stern, 83) immer die vollsten Hörsäle hatte und der sich 1925 in der Berufung auf den systematischen Lehrstuhl, um den sich auch Elert beworben hatte, gegen Elert durchzusetzen vermochte, niemals parallel zu ihm Vorlesungen halten würde. Vgl. W. v. Loewenich, Erlebte Theologie, 119. 126. 129; T. Kaufmann, Werner Elert als Kirchenhistoriker, 238 f. 105 Vgl. W. v. Loewenich, Erlebte Theologie, 91. 122. 106 P. Althaus, Werner Elerts theologisches Werk, 401. 107 Vgl. W. v. Loewenich, Erlebte Theologie, 122. 108 So W. Trillhaas in seinem in Augsburg gehaltenen Vortrag, der seinem Aufsatz (Konservative Theologie und moderne Welt) zugrunde liegt. Zitiert nach K. Beyschlag, Die Erlanger Theologie, 151 Anm. 292. 109 Vgl. den Hinweis von W. Trillhaas (Konservative Theologie und moderne Welt, 36), nach dem Elert zumindest in der akademischen Welt ohne eigentliche Lehrer und Freunde im eigenen Fach einen „vergleichsweise einsamen Entwicklungsgang“ durchlebte. Vgl. dazu oben S. 4 f. Anm. 3. 110 W. Elert, ML I, 440. Dem Lutherzitat liegt das Horazwort von der avis rara zugrunde (Horatius, Quintus Flaccus, Satiren / Sermones, lat./dt., übers. v. Wilhelm Schöne und Hans Färber, neu hg. v. Gerhard Fink, Düsseldorf/Zürich, 1999, II, 2, 26). 111 W. Trillhaas, Konservative Theologie und moderne Welt, 44. Gerade darin, daß man bei Elert sich des Eindrucks nicht erwehren kann, er setze sich fast systematisch zwischen alle verfügbaren Stühle theologischer Positionen, macht Elerts theologische Arbeit in gewisser Hinsicht ,interessant‘: Denn wer bringt „die Sensibilität auf, der Leidenschaft für die unpopuläre Überzeugung den öffentlichen Beifall zum Opfer zu bringen?“ (aaO, 42). In Bezug auf Elerts Dogmatik „Der christliche Glaube“ vermerkt G. Roth (Randbemerkungen zu
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I Annäherung
nicht gerade darauf erpicht war, eine theologische Schule zu hinterlassen, sondern als ein „ungemein komplizierter Charakter“112 manch einem gar zur „Glaubensanfechtung“ wurde113. So wird Elert als menschlich schwierig, wenig gesprächsoffen, in seinem „stets wachen Mißtrauen“ eher als kühl distanziert beschrieben114, obgleich „in jähem Wechsel“ – aber eben unberechenbar – auch der „Ausdruck seiner herzlichen Freundschaft“ erfahrbar wurde.115 Vielleicht erklärt sich diese ambivalente Wahrnehmung von Elerts Person aus dessen „überwache[r] Freund-Feind-Witterung“.116 Das Leiden unter dem Verlust korporativen Lebens, den Verlust gesellschaftlicher Einheit empfindet Elert ebenso als Staatsbürger. Deshalb beklagt er die Unübersichtlichkeit und Anonymität der Moderne in Krieg und Frieden117, den Rückgang kollektiven Geistes und der Verantwortung im Crescendo der „Diffusion der Kultur“ durch Industrialisierung, Individualisierung und Pluralisierung des neuen Jahrhunderts als einen „chaotische[n] Zustand“118. Das Leiden an dieser Uneinheitlichkeit verbindet sich mit dem Leiden unter der neuen Vereinheitlichung durch „die Mechanisierung des technischen Zeitalters“119, vor allem aber durch den Kapitalismus, der zur „Kapitulation
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einer neuen Dogmatik, Luthertum 51 (1940), (157 – 159) 159), daß es gerade die „theologische Zeitmeinung“ sei, „gegen deren Strom“ Elert „oft kräftig schwimmt“. Vgl. auch die Erinnerung von W. Trillhaas, Geleitwort, in: Werner Elert, Der Christliche Glaube. Grundlinien der lutherischen Dogmatik, hg. v. E. Kinder, Erlangen, 19886 : Elert „hat schon zu seiner Zeit nicht das gesagt, was die anderen […] hören wollten. Er war nicht auf Popularität bedacht“. K. Beyschlag, Die Erlanger Theologie, 152. H. Thielicke, Zu Gast auf einem schönen Stern, 87. Vgl. aaO, 92. W. v. Loewenich, 120. Vgl. W. Trillhaas, Aufgehobene Vergangenheit, 86 f. Ders., Konservative Theologie und moderne Welt, 43. W. Trillhaas, Konservative Theologie und moderne Welt, 43. H. Thielicke, Zu Gast auf einem schönen Stern, 92. Vgl. W. Elert, Die Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit, 387 – 390; W. Elert, Der Christ und der völkische Wehrwille, 16 f. Von hier aus wird vielleicht die befremdliche Emphase Elerts nachvollziehbarer, mit der er betont, sein Sohn Rembrand sei im „Nahkampf“ gefallen (Brief Elerts an einen unbekannten Pfarrer vom 19. August 1944; abgedruckt bei: B. Hamm, Werner Elert als Kriegstheologe, (248 – 254) 251). Vgl. dazu aber auch die Interpretation von B. Hamm (Werner Elert als Kriegstheologe, 238 f. 251). W. Elert, Die Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit, 388. W. Elert, Christus im Abend Europas, CuW 2 (1926), (361 – 376) 370.
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des Menschen vor der Wirtschaft“, zu deren „Verabsolutierung“, ja zum „seelische[n] Bankerott“ geführt habe.120 Dem entspricht seine Einstellung zum Staat. Elert bejaht ihn, wenn er es vermag, gesamtgesellschaftliche Verantwortung in den Individuen zu erwecken und so wieder ganzheitliches Leben zu ermöglichen. Der Parteienwirrwarr von Weimar findet für Elert in der Erneuerung des Volksganzen, wie er sie von der NSDAP ausgehen sieht, sein zunächst gutes Ende.121 Gesellschaftliche Verantwortung und Gemeinsinn waren 120 W. Elert, ML II, 518 – 520. 121 Hierzu höchst aufschlußreich ist folgende Situationswahrnehmung Elerts (Der Christ und der völkische Wehrwille, 11): Im Gegensatz zur Weimarer Republik, die eher von „Privatinteressen, Privatwünschen, Privatgefühlen“ als vom „Gedanken an das Volksganze“ dominiert gewesen sei, „liegt das wahrhaft Epochemachende und Befreiende der nationalsozialistischen Staatsordnung darin, daß sie aus diesen Erfahrungen die Folgerungen zog und daran gegangen ist, eine einheitliche Willensbildung des deutschen Volkes überhaupt erst wiederherzustellen“. So beschreibt Elert die Situation nach 1933 als eine Zeit, in der er „eine vollkommene Abkehr von der idealistischen Autonomie des Individuums“ und eine Errichtung von Ordnungen, die „unser gesamtes Leben entprivatisieren und für die überindividuellen Mächte des Volkes und der Rasse beanspruchen“, wahrnimmt (W. Elert, Zur Frage eines neuen Bekenntnisses, Luth. 45 (1934), (31 – 50), 40). Vgl. dazu die Parallele aus demselben Jahr (ders., Die Lutherische Kirche im neuen Reich, Luth. 48 (1937), (33 – 46) 46): Dort wird gerade die Reorganisation korporativen Lebens durch den Nationalsozialismus als einziges Argument aufgeführt, daß „auch“ diese Obrigkeit von Gott sei (aaO). Daß Elert ansonsten ein eher kühles Verhältnis zum Dritten Reich hatte, geht aus seinen spöttischen Bemerkungen über den Parteikult hervor. Vgl. dazu W. v. Loewenich, Erlebte Theologie, 142. Der Wunsch nach Einheitlichkeit der Welt- und Lebensauffassung ist bei Elert ebenso zu finden wie der Wunsch nach Einheitlichkeit des Staates und des Volkes; Elert fordert gar, daß der „Christ“ sich „mit entschlossenem Ernst […] für die biologische Reinerhaltung des deutschen Blutes einzusetzen hat“ (W. Elert, Der Christ und der völkische Wehrwille, 9). Der Grund für diesen Wunsch nach Einheit liegt zum einem in der – hier nicht zu diskutierenden (vgl. dazu B. Hamm, Schuld und Verstrickung der Kirche, 26 ff.; ders., Werner Elert als Kriegstheologe, 218 ff.) – Problematik einer zweifelhaften allgemein-politischen und kulturellen Einstellung, die Elert von anderen konservativen Zeitgenossen nicht grundsätzlich unterscheidet. Zum anderen aber ist bei Elert noch ein spezifisch theologischer Grund zu vermerken: Der Auflösung einer einheitlichen Kultur folgt für Elert die Auflösung der korporativen Existenz und in deren Folge der Verlust der Verantwortung des Einzelnen für das Kollektiv, damit aber auch der Verlust der Schuldfähigkeit des Kollektivs und damit der Verlust eines für Elert wichtigen Elements seiner Hamartiologie. Elerts Unterstützung der nationalsozialistischen Propaganda zur Reinhaltung des deutschen Blutes hat also neben anderen – hier nicht zu diskutierenden – Implikaten auch diesen Grundge-
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für ihn als einen Lutheraner, der sich – wie er mit ironischem Unterton anmerkte – als „Bürger zweier Welten […] an Treue gegen das Dritte Reich und an Sorge um die Zukunft unseres Volkes von niemand übertreffen“ lassen wollte, selbstverständlich.122 Elert, der nach eigenem Bekunden das Theater, die Musik und andere Künste genoß, hatte, wie bereits hervorgehoben, weit über die danken, daß nur unter Voraussetzung einer Einheit – etwa des Volkes, der Kultur oder des Blutes – die Bedingung der Möglichkeit von Schuldfähigkeit gegeben ist. Die Forderung nach „Reinerhaltung des deutschen Blutes“ steht bei Elert im Zusammenhang mit der Frage der Kollektivschuld und dem Umstand, daß man als Mensch „ungefragt auch die Verschuldungen der Ahnen“ mit sich „herumschleppen“ muß (W. Elert, Der Christ und der völkische Wehrwille, 9). Um Schuld zuweisen zu können, muß notwendigerweise der Schuldige identifiziert werden. Zur Problematik der Rede von Kollektivschuld, die bekanntermaßen dazu mißbraucht werden kann, den Einzelnen zu entlasten: E. Herms, Schuld in der Geschichte. Zum „Historikerstreit“, ZThK 85 (1988), 349 – 370. Doch gerade in Elerts Forderung nach Identifizierbarkeit größerer Verbände liegt diese Form der Bedingung der Möglichkeit der Schuldübernahme in komplexeren Situationen vor. Die neuzeitliche Individualisierung von Schuld hat in Elerts Augen für die evangelische Sündenlehre, besonders aber für die kirchliche Rede von Sünde, schwerwiegende Folgen. Außer einem moralischen – und damit wenig evangelischen Sündenbegriff – bleibt dann schwerlich etwas übrig. Vgl. zum Ganzen v. a. W. Elert, Der Christ und der völkische Wehrwille (1937) und das von Elert mitunterzeichnete „Gutachten der Erlanger Fakultät über die Zulassung der Christen jüdischer Herkunft zu den Ämtern der Deutschen Evangelischen Kirche (25. 9. 1933)“, abgedruckt in: K. D. Schmidt (Hg.), Die Bekenntnisse I, 182 – 186. Zu dessen Interpretation vgl. W. v. Loewenich, 177 – 180. Zur Frage der Gesamtschuld vgl. weiter: W. Elert, CE, 226 – 231. Zum Zusammenhang der Forderung nach einer „Reinerhaltung des deutschen Blutes“ und dem Widerstand gegen die Kräfte der Zersetzung im Volkstum vgl. A. Peters, Zwischen Gesetz und Evangelium. Werner Elert – ein Versuch, ihn zu verstehen, LM 24 (1985), (553 – 557) 553 f. Aufschlußreich ist folgende Notiz Elerts (zitiert nach T. Kaufmann, 242): „Ich habe die Blutschuld, die Hitler und seine Leute auf das ganze Volk geladen haben, mit dem Tod meiner Söhne bezahlt“. Die Folgen für die Hamartiologie haben in Elerts Verständnis zudem eminente Folgen für die Christologie: Ohne erkennbare Zusammenhänge in der Menschheit, ohne das Wissen, daß „alle Menschen eine Einheit und ein Ganzes bilden“ und ohne Schuldfähigkeit eines Kollektivs ist – wie Elert 1950 betont – eine „erlösungsbedürftige Gesamtheit“ als „Notganzes“ nicht mehr gegeben (W. Elert, Die Theopaschitische Formel, ThLZ 75 (1950), (195 – 206) 206); und mit solchem „Notganze[n]“ werde auch die Not in der Welt geleugnet, „und ohne Not braucht man auch keinen Helfer, infolgedessen auch keine Christologie“ (aaO, 206. 204). 122 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 105. Vgl. H. Thielicke, Zu Gast auf einem schönen Stern, 104.
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Theologie hinausgehende Interessen.123 Derjenige, der 1921 die Diastase zwischen Christentum und Kultur propagierte, war im persönlichen Leben „alles andere als ein Mann der Diastase. Er liebte das gesellige Leben, warf sich gerne in den Smoking und war für alle kulturellen Werte aufgeschlossen“124. Dieser stets korrekt wie elegant gekleidete Mann125 suchte die Geselligkeit und hielt sich außerhalb seines Studierzimmers vorzugsweise im Offizierskasino auf.126 Der Mann mit dem „unnachahmlichen […] Schmunzeln“127, der seine Vorlesungen frei hielt,128 besaß zudem ein ausgeprägtes Standesbewußtsein als Theologe: Nicht nur als Dekan der Fakultät achtete die „zuweilen streng und kühl wirkende Persönlichkeit“129 peinlich auf den Ruf seiner Zunft in der Gesamtuniversität, ihr wissenschaftliches Niveau im Vergleich mit anderen Fakultäten und ihr allgemeingesellschaftliches Ansehen. Nach eigenen Angaben mühte er sich während seines Dekanats, den „Publizitätsanspruch der Theologischen Fakultät aufrecht zu erhalten“.130 Als Theologe befürwortete er die Verankerung seines Faches innerhalb staatlicher Einrichtungen um interdisziplinärer Zusammenarbeit und Begegnung willen; er betonte die Unabhängigkeit der Theologie von der Kirche, ohne seine Forderung nach Kirchlichkeit der Theologie aufzugeben.131 123 Vgl. W. Elert, Goldenes Buch, 237. 124 W. v. Loewenich, Erlebte Theologie, 118 f. Zu Elerts Verwendung des Begriffs der Diastase vgl. W. Elert, KCH, 3 f. Ausführlich dazu unten S. 233 ff. 125 Vgl. W. Trillhaas, Aufgehobene Vergangenheit, 86. 126 Vgl. W. v. Loewenich, Erlebte Theologie, 118; W. Trillhaas, Aufgehobene Vergangenheit, 87. 127 K. Beyschlag, Werner Elert in memoriam, 8. 128 Elerts Vorlesungen haben besonders auch durch ihre Plastizität und Weite der Darstellung bei den Hörern einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Vgl. W. Trillhaas, Aufgehobene Vergangenheit, 86. Dazu: K. Beyschlag, Werner Elert in memoriam, 7 f.; H. Dietzfelbinger, Veränderung und Beständigkeit. Erinnerungen, München, 1984, 51. 129 W. Künneth, Dem Gedenken an Werner Elert, 563. Vgl. H. Rückert (Werner Elert, XIII), der besonders auch die Sachlichkeit Elerts – in der „Kommission zur Herausgabe der Werke M. Luthers“, der Elert seit 1950 angehörte – hervorhebt. 130 W. Elert, Dekanatsbericht, 274. Vgl. P. Althaus, Werner Elerts theologisches Werk, 410; W. v. Loewenich, Erlebte Theologie, 120. 131 Vgl. W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 97 – 112; vgl. W. Trillhaas, Konservative Theologie und moderne Welt, 43. Vgl. W. Elert, Dekanatsbericht, 269: „Die Theologischen Fakultäten waren nach der Mundtotmachung der Kirchen einer der wenigen Punkte, wo noch ein
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Die Unterscheidung und Unabhängigkeit der Sphären menschlichen Kulturlebens in Religion, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft lag Elert sehr am Herzen. Dabei negierte er jedoch nicht den Wunsch nach neuer Einheit, nach einer alles umfassenden Kultursynthese, die über ein bloßes Bezogensein der verschiedenen Sphären aufeinander hinausgeht: So formuliert er 1928 seine Vision einer organischen Verbindung der selbständigen Bereiche menschlichen Kulturlebens zu einem „lebendige[n] Organismus“, dessen einzelne Organe nur dann „lebensfähig“ sind, wenn sie „aus dem Keim und Kern des Ganzen erwachsen“.132 Die Bezugsgröße Elerts ist hierbei das „Volk“, das für Elert durch die dynamischen Größen „Konnubium, Geschichte, Sprache“ konstituiert ist.133 Seine Kritik an der Verabsolutierung wirtschaftlichen Denkens134, seine Abscheu gegen politisierte wie politisierende Religiosität135 wie seine Befürwortung freier Wissenschaft136 gründen in der Anerkennung der jeweiligen „,Eigengesetzlichkeit‘“, die er nicht durch eine Art „Zweisphärentheorie“, sondern in Luthers Dreiständelehre grundlegend formuliert sieht.137 Die Bewahrung der Unabhängigkeit der einzelnen Bereiche menschlichen Kulturlebens sieht Elert am ehesten jeweils durch eine Art Binnenpluralität gewährleistet: In der Analogie seines Pochens auf Erhaltung gewachsener Kirchlichkeit und ihrer jeweiligen lebendigen Eigenart in den einzelnen Landeskirchen im Zug der kirchlichen Einigungsbemühungen der 20er Jahre fällt seine klare Befürwortung der Bewahrung föderalistischer Strukturen – auch in Bezug
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christlicher Posten im öffentlichen Leben zu behaupten war. Sie mußten aber nach ihrer Tradition wie nach ihrem inneren Gehalt auch die Sache der Gesamtuniversität als die ihrige ansehen und deshalb den Schein vermeiden, als fühlten sich ihre Mitglieder nur als Kleriker höherer Ordnung“. AaO, 274: „Der Dekan als solcher hat keinen kirchlichen, sondern einen staatlichen Auftrag. Er hat also, was er tut oder unterläßt, vor der Kirche nur moralisch, nicht rechtlich zu verantworten. Das gilt auch von der Wahrung des Bekenntnisstandes der Fakultät, der durch einen Akt der Staatshoheit, nicht durch einen kirchlichen auferlegt wurde“. W. Elert, Die Sendung der Erlanger Universität im neuen Reich, 5 f. W. Elert, CE, 136. Zum Begriff „Volk“, seiner Ideologisierung und seiner Verwendung in der Theologie: M. Honecker, Art. Volk, TRE 35 (2003), 191 – 209 (Lit.); zu Elert aaO, (202 ff.) 202. Z.B. W. Elert, ML II, 520. Z.B. W. Elert, Politisches und kirchliches Führertum, 116. Z.B. W. Elert, Die Sendung der Erlanger Universität im neuen Reich, 6. W. Elert, ML II, 64. Vgl. W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 99.
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auf die Universitäten – in der neu entstandenen Weimarer Republik auf.138 Theologiegeschichtlich rubrizieren läßt sich Elert kaum.139 Seine Polemik gleicht zuweilen einem Rundumschlag quer durch alle Lager, so daß gängige Klassifizierungen mehr als in Frage gestellt sind. Der Konfessionalismus des „Erlanger Erzlutheraner[s]“140, der schon Ende der 20er Jahren als „einer der markantesten Vertreter des Neuluthertums“141 genannt wird, scheint zwar evident, erklärt aber weder seine völlig unkonfessionalistische Arbeit bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg noch die modernistische Neigung gerade seiner systematischtheologischen Arbeit, die er zum Teil in derart ,unorthodoxer‘ Form betreibt, daß ihm der Konsens in der Berufung auf die reformatorischen Bekenntnisse gerade aus dem lutherischen Lager bestritten wurde.142 Auch wenn Elerts Theologie zum Teil als „stur-lutherische Konfessi138 Vgl. W. Elert, Die Sendung der Erlanger Universität im neuen Reich, 6. 139 Oft wird Elert in einem Atemzug mit Althaus genannt: Dabei fallen dann zumeist Rubrizierungen wie Neokonfessionalismus, Jungluthertum, Neue Erlanger Theologie. Die eminenten Unterschiede zwischen beiden werden jedoch selten derart direkt angesprochen wie von Joachim Beckmann in einer Synodalrede aus dem Jahr 1951: „Wer die Frage charakteristischer Unterscheidungen stellt, muß die Frage stellen, ob die Interpretation der Lutherischen Theologie von Althaus und die Interpretation der Lutherischen Theologie von Elert an derselben Fakultät sich nicht so überaus charakteristisch unterscheiden, daß man fragen kann, ob sie überhaupt zur selben Konfession gehören“ ( J. Beckmann, Das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit. Erlebte Kirchengeschichte, Neukirchen, 1986, 468). 140 H. Thielicke, Zu Gast auf einem schönen Stern, 86. 141 O. Rühle, Art. Elert, Werner, RGG2 2 (1928), (102 f.) 102. Zur Problematik und Vielschichtigkeit des Begriffs „neulutherisch“: F. W. Kantzenbach / J. Mehlhausen, Art. Neuluthertum, TRE 24 (1994), 327 – 341. 142 Vgl. v. a. die Kritik von P. Brunner (Kritisches zu Elerts Dogmatik, in: VF 2 (1941), 47 – 60) und dessen Schüler J. M. Owen (Der Mensch zwischen Zorn und Gnade. Das Anliegen W. Elerts in seiner Lehre von Gesetz und Evangelium, Dissertation Heidelberg, 1971). In seiner Besprechung von Elerts Dogmatik kommt P. Brunner zu dem Schluß, daß Elert „eine Lehre vom Gesetz“ entwickle, „die zweifellos nicht die der lutherischen Bekenntnisschriften ist“ und daß er „seinen grundsätzlichen Einsichten zuwider tatsächlich doch mehr oder weniger sein eigenes Dogma, und nicht das vorliegende Dogma der Kirche im Auge“ halte (aaO, 48; vgl. v. a. aaO, 54 f.). E. Hirsch äußerte sich in dieser Hinsicht mehrfach kritisch zu Elert: Vgl. v. a. E. Hirsch, Rez. W. Elert, Die Lehre des Luthertums im Abriss, ThLZ 49 (1924), 548 – 550; ders., Rez. W. Elert, Morphologie des Luthertums, I, 1931, ZKG 51 (1932), 332 – 334; ders., dass., II, 1932, ZKG 52 (1933), 434 – 436.
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I Annäherung
onspolemik“143 wahrgenommen wurde, wird gerade auf dem Hintergrund der starken Beeinflussung durch die Erlanger Theologie144 – oder zumindest der starken Berufung Elerts auf diese Tradition – Elert immer wieder als Erfahrungstheologe bezeichnet145, der seine „lebenstheologischen Ansätze“ zeitlebens festgehalten hat.146 Nach Elert selbst zeichnen sich Altlutheraner weder durch einen „besonderen konfessionskundlichen Typus“ noch durch eine Festlegung auf eine „bestimmte Theologie“ aus; vielmehr sei das Verbindende eine antirationalistische Grundtendenz idealistischer und romantischer Reaktion, die sich im „Rückgang auf die reine ,Lehre‘ der reformatorischen Bekenntnisse“ im Zusammenhang der Einführung der Union in Preußen zur Abwehr eines drohenden Identitätsverlustes organisierte.147 Im Blick auf seine seelsorgerliche Tätigkeit bemerkt Elert besorgt, „ ,wie hilflos […] man doch mit all seiner Theologie an einem Sterbe-
143 H. Thielicke, Zu Gast auf einem schönen Stern, 92. 144 Vgl. dazu: K. Beyschlag, Die Erlanger Theologie, 151 – 178; W. Kantzenbach, Die Erlanger Theologie. Grundlinien ihrer Entwicklung im Rahmen der Geschichte der Theologischen Fakultät 1743 – 1877, München, 1960; ders., Von Ludwig Ihmels bis zu Paul Althaus. Einheit und Wandlungen lutherischer Theologie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, in: NZSTh 11 (1969), 94 – 111. W. v. Loewenich, Die Erlanger Theologische Fakultät 1922 – 1972. Memorabilia aus 50 Jahren erlebter Geschichte, JFLF 34/35 (1975), 635 – 665. 145 So v. a. K. Beyschlag, Werner Elert in memoriam, 6 f. 13. 146 Vgl. W. Sparn, „Die Religion aber ist das Leben“. Welchen theologischen Gebrauch kann und sollte man vom „Leben überhaupt“ machen?, in: MJTh 9 (1997), (15 – 39) 31. AaO, 30 – 35 analysiert W. Sparn die zentrale Bedeutung des Lebensbegriffes bei Elert. Die Bedeutung des Erlebnisses für Elert wird im folgendem Zitat deutlich (Die Transzendenz Gottes, 530): Es gilt sich „freizuhalten von den Vorurteilen, die jede orthodoxe Begriffsdogmatik an das ,Erlebnis‘ heranbringt. Wir müssen endlich begreifen und also auch in Rechnung stellen, daß von Jesaias bis Paulus, von Augustin bis Luther jeder echten Gotteserkenntnis ein echtes Gotteserlebnis vorausging. Und ferner, daß hierbei ,Gefühle‘ – Angst, Reue, Seligkeit sind Gefühle – stets eine entscheidende Rolle gespielt haben und also auch vermutlich jetzt spielen werden“. Elerts Erfahrungstheologie kommt besonders deutlich in seinem Aufsatz von 1920 „Dogma, Ethos, Pathos. Dreierlei Christentum“ (Leipzig, 1920), in der Kurzdogmatik von 1924 „Die Lehre des Luthertums im Abriss“ und der Schilderung des „Evangelischen Ansatzes“ in der Morphologie von 1931 zum Tragen (vgl. ML I, 13 – 52). 147 W. Elert, Art. Altlutheraner, RGG2 1 (1927), (280 – 283) 280. 283.
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bett‘“ stehe.148 Im Rückblick auf seine pfarramtliche Tätigkeit stellt er nüchtern fest, ein „schlechter Seelsorger“ gewesen zu sein.149 Kirchlich war Elert dennoch höchst engagiert. Der „Wille zur Kirchlichkeit“150 seiner Theologie äußert sich in seinem persönlichen Einsatz in Predigten, Gemeindevorträgen und den zahllosen Veröffentlichungen in der AELKZ.151 Zu vielen kirchenpolitischen Themen bezog er in Aufsätzen, Gutachten und Erklärungen Stellung.152 Auch in der ökumenischen Arbeit war Elert sehr engagiert; zeitweilig war er auch Synodaler. Sensibilisiert jedoch durch seine gerade in Opposition zu einer innerprotestantischen Vereinigung konstituierte kirchliche Herkunft reagierte Elert auf kirchliche Einigungsbestrebungen zeitlebens höchst kritisch. Trotz seines energischen Eintretens für ein weltoffenes Luthertum blieb er – insbesondere in der Frage der Abendmahlsgemeinschaft – skeptisch gegenüber einer „Erpressung des Zugeständnisses des Einigseins dadurch, daß die bestehende Uneinigkeit geleugnet wird“153. Christlicher Glaube ist für ihn nur in einer positiven, im gemeinsamen Bekenntnis verbundenen Gemeinschaft, nicht aber in einer abstrakten, allgemeinen Christlichkeit möglich.154 In einer für einen 148 Vgl. die Gesprächsnotiz von W. Srocka, Werner Elert zum Gedächtnis, 22 (Zitiert nach der Übersetzung von R. Keller, Erinnerung an Werner Elert, 9). 149 Diese Selbsteinschätzung Elerts ist angeführt bei: W. Trillhaas, konservative Theologie und moderne Welt, 37. Vgl. auch R. Keller, Erinnerung an Werner Elert, 9 f. 150 So Elert – zusammen mit O. Procksch – einleitend („Zum Geleit“) zum 2. Jahrgang (1926) der Zeitschrift „Christentum und Wissenschaft“. 151 Vgl. H. Wagner, Bibliographie, 411 – 418; R. Hauber, Werner Elert, 138 – 141. Elert hat nur zwei Predigten veröffentlicht (vgl. H. Wagner, Bibliographie, 412 (Nr. 17). 415 (Nr. 87). Im Archiv der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Erlangen befinden sich etwa fünfzig unveröffentlichte Predigten vom Ende der 20er Jahre bis 1944. 152 Die Aufsätze sind von H. Wagner (Bibliographie, 411 – 418), die Gutachten bzw. Erklärungen sind von R. Hauber (Werner Elert, 140 f.) zusammengestellt. 153 W. Elert, Abendmahls- und Kirchengemeinschaft in der alten Kirche hauptsächlich des Ostens, Berlin, 1954, 165. 154 Vgl. W. Elert, Abendmahls- und Kirchengemeinschaft in der alten Kirche, in: Koinonia. Arbeiten des Oekumenischen Ausschusses der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands zur Frage der Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft, hg. v. Lutherischem Kirchenamt der VELKD, Berlin, 1957, (57 – 78), 78: „Durch die Teilnahme am Abendmahl einer Kirche bezeugt der Christ, daß das Bekenntnis dieser Kirche auch sein Bekenntnis ist. Weil man nicht zwei divergenten Bekenntnissen zugleich zustimmen kann, darum kann man nicht in zwei bekenntnisverschiedenen Kirchen kommuni-
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angeblichen lutherischen Konfessionalisten erstaunlichen Offenheit für ökumenische Fragen verteidigt er die Integrität155 – nicht nur – der lutherischen Kirchen und warnt vor einer Auflösung gelebter, konfessioneller Eigenarten zugunsten einer vereinheitlichten allgemeinen Christlichkeit, die durch die Zerstörung „schon bestehender Einheiten“156 hergestellt werden soll. Deshalb rühmt sich Elert – rückblickend auf die Einigungsbemühungen der 20er Jahre – nicht geschwiegen zu haben, „als Glaube und Bekenntnis der Wittenberger Reformation in einem interkonfessionellen Brei ,von Weltformat‘ verrieben und zerrieben werden sollten“157. Zu Elerts Frömmigkeit läßt sich kaum etwas sagen, das über eine negative Bestimmung hinausgeht: „So vermied er tunlichst einen seelsorgerlichen Ton und schickte die Leute, die danach Bedürfnis hatten, zu Althaus, dem dazu amtlich bestellten Universitätsprediger“158. Ein antibiblizistischer Grundzug verbindet sich bei ihm mit einer gewissen Abneigung gegen eine nach außen drängende Herzensfrömmigkeit, die er – mit einem für ihn unlutherischen Hang zum Asketischen verbunden – im Pietismus wahrnahm.159 Das gesetzliche Christentum des Calvinismus ist ihm ebenso unsympathisch wie das moralisierte Christentum der Epigonen Kants. Der in seinen Schriften etwa ab Mitte der 20er Jahre zunehmende Hang zum Konfessionalismus als
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zieren. Wer es trotzdem tut, verleugnet entweder das eigene Bekenntnis oder er hat überhaupt keins“. Ökumenische Erfolge lassen sich nach Elert nur unter Achtung der jeweiligen Eigenart der beteiligten Kirchen erzielen: „Ich glaube, daß niemand den Standort seiner Partikularkirche aufgeben kann, ohne den Zusammenhang mit der Kirche Jesu Christi überhaupt zu verlieren“ (Der Ruf zur Einheit. Rede in Lausanne, in: AELKZ 60 (1927), (725 – 728) 728). Vgl. ders., Der Westfälische Friede, 130: „Wir können uns nur gegenseitig als Christen achten und ehren, wenn jeder auch die Kirche des anderen als christliche Kirche achtet“. W. Elert, Ruf zur Einheit, 726. W. Elert, Ecclesia militans. Drei Kapitel von der Kirche und ihrer Verfassung, 1933, 3. Elert bezieht sich hier u. a. auf seine in Lausanne gehaltene Rede „Ruf zur Einheit“, in der er – ökumenisch durchaus offen – seinen Wunsch nach „Einheit der Christen“ (aaO, 726) bekundet, jedoch nicht um den Preis der durch Vereinheitlichung entstehenden Zerstörung „schon vorhandener Einheiten“ (aaO, 727). Vgl. auch ders., Das Kirchenkonzil von Lausanne. Rede beim Antritt des Rektorats am 4. 11. 1927, Erlanger Rektoratsreden 1928, wiederabgedruckt in: Zeitwende 4 (1928), 57 – 71. W. v. Loewenich, Erlebte Theologie, 122. Zu Elerts Schriftverständnis vgl. R. Keller, Erinnerung an Werner Elert, 17 – 23. Dazu auch unten S. 223 f. Anm. 360.
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einer spezifischen Art der Formulierung positiver Religiosität scheint ihm einen Wall gegen die Verunsicherung des Einzelnen in der Moderne aufzuwerfen und zugleich die einzige Möglichkeit zu sein, der gegenwärtigen Situation, wie sie durch die Weimarer Reichsverfassung neu formuliert worden ist, zu entsprechen. So stilisiert der Vertreter eines angeblich „orthodoxen, chemisch gereinigten Luthertums“160 den Raum innerhalb der Konfession gleichsam als heile Parzelle inmitten der auch die Kirchen durchbrausenden Pluralisierung,161 in der das von Elert für die Existenz lutherischer Religiosität überlebensnotwendig erachtete „Abendmahlserlebnis“ – noch – erfahrbar ist.162 Elert schätzt hierbei offensichtlich die Gemeinsamkeit und Einheitlichkeit verstärkende Übersichtlichkeit seiner kleinen Herkunftskirche.163 Dieser kirchliche Mann wird dann andererseits als „völlig unklerikal“ beschrieben – als jemand, der die „Weltlichkeit“ liebte und sich bei langweiligen Predigten trotz der von ihm befürworteten Objektivität der Heilsvermittlung andersartiger subjektiver Erfahrung, nämlich der berufsspezifizierten numerischen Erfassung der Kirchgänger, hingab.164 Obwohl Elert an der „Enge und Unzulänglichkeit“ seiner kirchlichen Heimat 160 So im Urteil von H. Thielicke, Zu Gast auf einem schönen Stern, 93. 161 Die Existenz eines Bekenntnisses setzt für Elert notwendig den Konsens einer Gemeinschaft voraus: Ein Bekenntnis enthält „keinen Glaubenszwang“, sondern ist Ausdruck dessen, „was geglaubt wird, nicht was geglaubt werden soll“ (Zur Frage eines neuen Bekenntnisses, Luth. 45 (1934), (31 – 50) 31 f.). Gleichwohl weiß er, daß das „Leben der Kirche“ sich „in stetigem Fluß und in ungeheurer Bewegung“ befindet (Die Lehrautorität der Kirche, AELKZ 69 (1936), (1010 – 1014. 1034 – 1040) 1039). 162 W. Elert, Wirkungen der lutherischen Abendmahlslehre in der Geschichte der Weltanschauung, AELKZ 60 (1927), (746 – 752; 770 – 773; 794 – 798) 747. Bemerkenswerterweise berichtet Elert, im Gegensatz zu seinem späteren klaren Nein zur offenen Kommunion ohne vorhergehenden Bekenntniskonsens (vgl. W. Elert, Memorandum für den Oekumenischen Ausschuß zu den Verhandlungen über die Frage der offenen Kommunion, in: Koinonia. Arbeiten des Oekumenischen Ausschusses der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands zur Frage der Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft, hg. v. Lutherischem Kirchenamt der VELKD, Berlin, 1957, 141 – 143) während des Ersten Weltkrieges „Angehörigen anderer Konfessionen … auf Wunsch, besonders vor der Schlacht, das heilige Abendmahl gereicht“ zu haben (Feldpredigerberichte, KELGP 70 (1915), 189). 163 Vgl. W. Elert, Die Lehrautorität der Kirche, 1039: „Ich stand zwölf Jahre lang im Dienst der lutherischen Freikirche in Altpreußen, wo die Gemeinden in der Lehre ihrer Kirche gut unterrichtet sind […] und wo auch die Verhältnisse übersichtlich genug sind, um keine wirkliche Irrlehre auf die Dauer zu dulden“. 164 W. Trillhaas, Aufgehobene Vergangenheit, 86. Vgl. aaO, 124.
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gelitten haben soll, hielt er „voll Anhänglichkeit“ an dem Vertrauten seine kirchliche Treue durch165, „denn“ – so schreibt Elert während des Ersten Weltkrieges – „es ist klar, daß jeder Mensch den Ermahnungen und Tröstungen derjenigen Kirche am meisten zugänglich ist, aus der er stammt“166. In Ermangelung anderer Quellen gerät man an dieser Stelle in Versuchung, die Passagen der „Morphologie“, in denen Elert die lutherische Frömmigkeit beschreibt, als eine Art Selbstzeugnis zu lesen: Zum einen ist die absteigende Reihe der vom „evangelischen Ansatz“ durchdrungenen und zur äußeren Form getriebenen Bereiche zu nennen, die gleichsam eine Art Prioritätenliste der eigenen Frömmigkeit darstellt: Fundamental für alles weitere wäre die Erfahrung; sodann würden in einer Deszendenzlinie die Aspekte von Dogma, Ritus, Weltanschauung und dann die Ethik mit ihren Bereichen von Familie, Volk, Politik und Wirtschaft folgen.167 Zum anderen ist an Elerts Benennung ,typisch‘ lutherischer Frömmigkeitsmerkmale wie „Erdverbundenheit“, pessimistischer Optimismus oder Geizfeindlichkeit zu denken.168 Und das „Lachen oder Nichtlachen, das Nichtlachenwollen oder Nichtlachenkönnen“ schließlich gilt Elert als ein „Symptom, an dem sich die Diesseitsstimmung oder Jenseitsstimmung der einzelnen [religiösen] Gruppen fast wie an einem Thermometer ablesen läßt“.169 Während die Christen in Genf unter „asketischer Strenge […],nichts zu lachen hatten‘“ habe „Luther und das Luthertum […] im Gegenteil den letzten Sinn des Evangeliums darin“ erblickt, den Menschen „zum Frohsinn echter Gotteskindschaft zu verhelfen“.170
165 Vgl. W. Trillhaas, Konservative Theologie und moderne Welt, 43. Daß Elert Konfessionszugehörigkeit nicht als eine ins subjektive Befinden gelegte Beliebigkeit, sondern als ein lebensbestimmendes wie unabweisbares Schicksal verstand, zeigt sich in: W. Elert, Zu den Waffen!, 525. Vgl. oben das Zitat S. 7 Anm. 10. Zu Elerts Aufsatz „Zu den Waffen!“ (1923) vgl. unten S. 335 f. 166 W. Elert, Die Stellung der altlutherischen Feldprediger, Theologisches Zeitblatt im Dienst der lutherischen Kirche, 1917, (302 – 312), 309. 167 W. Elert, ML I, 13 – 52. Vgl. ders., ML I, VII–XII; ders., ML II, VII–XIII. 168 W. Elert, ML I, 393 ff. 411 ff.; ders., ML II, 463. 169 W. Elert, Das Lachen in der Kirchengeschichte, Unveröffentlichter Vortrag vor dem Universitätsbund in Erlangen (Oktober 1927); in: LK, (184 – 189) 189. 170 W. Elert, Das Lachen in der Kirchengeschichte, 187.
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4.2. Außertheologische Neigungen An den außertheologischen Neigungen von Elerts Person stechen drei Aspekte hervor: sein juristisches Interesse, seine militärhistorischen Ambitionen und seine offenkundige Verbundenheit mit dem Osten. 4.2.1. Juristisches Interesse So hat er nach eigener Auskunft während seiner Studienzeit ein halbes Jurastudium absolviert.171 Das juristische Interesse spiegelt sich später neben der Zuwendung zu kirchen- bzw. staatskirchenrechtlichen Fragestellungen172 und der Einbeziehung rechtsgeschichtlicher Aspekte in seine kirchengeschichtlichen Vorlesungen173 in seinem Verhalten als Dekan der theologischen Fakultät und Rektor der Universität wider; hier verstand er es als „kluger und manchmal auch gefährlicher Taktiker“174, durch Kenntnis der Rechtslage oftmals eine Entschärfung schwieriger Situationen zu bewirken.175 Andererseits zog er sich mit Vorliebe auf juristische Argumente zurück, trieb in seiner ironischen Begabung „ein Spiel mit der Naivität der Kollegen“176 und neigte dadurch zum Teil dazu, eine sachbezogene Auseinandersetzung durch Hinweis auf Paragraphen und Präzedenzfälle zu umgehen und so „alle weiteren Diskussionen ab[zu]schneiden“.177 Das juristische Denken prägte jedoch vor allem auch seine theologische Arbeit. Sonderlich die Dogmatik ist für Elert in ihrer „Aufgabe 171 Vgl. W. Elert, Goldenes Buch, 237. 172 Besonders deutlich in: W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 101 – 104. 173 Vgl. W. Trillhaas, Aufgehobene Vergangenheit, 86. Ders., Konservative Theologie und moderne Welt, 36. 174 W. v. Loewenich, Erlebte Theologie, 120. 175 So schlug Elert – freilich in der eigenen Erinnerung – einem Kandidaten, der als Mitglied der DC keine landeskirchliche Prüfung ablegen wollte, die Zulassung zum Fakultätsexamen ab. Der daraufhin ergangenen Anzeige beim Rektor entgegnete Elert mit dem Nachweis, „der Fakultät sei bei Stiftung der Universität das Prüfungsrecht, aber keine Prüfungspflicht beigelegt worden“. (W. Elert, Dekanatsbericht, 276). 176 W. Trillhaas, Konservative Theologie und moderne Welt, 43. 177 W. v. Loewenich, Erlebte Theologie, 122. Beispielsweise betonte Elert mit Vorliebe, daß die Erlanger Fakultät seit ihrer Gründung satzungsgemäß lutherisch, und deshalb dieser „Bekenntnisparagraph der Fakultätssatzungen bindend“ sei. Vgl. dazu W. Elert, Dekanatsbericht, 268; vgl. W. v. Loewenich, Erlebte Theologie, 105. 122.
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der Aufgabe des Dogmatikers der Rechtswissenschaft vergleichbar“178. So fußt zum einen seine strikt und ausschließlich forensische Fassung der Rechtfertigungslehre mit auf dieser Art des Denkens;179 zum anderen ist in Analogie zur Bezogenheit der Jurisprudenz auf ein konkretes Rechtssystem samt gegenwärtiger Rechtsprechung bei Elert ebenso sein Pochen auf Positivität der Theologie, ihre Ausrichtung auf Kenntnis und Kunst der Kirchenleitung im Schleiermacherschen Sinne zu verstehen.180 Eine nicht auf die Kirche desselben Bekenntnisses bezogene Theologie wäre für Elert keine Theologie mehr. Sie würde auch jegliches gesamtgesellschaftliche Interesse verlieren und dadurch auch die Existenzberechtigung an staatlichen Universitäten, nämlich „ihre Selbständigkeit im Gesamtorganismus der Wissenschaften auf die Dauer schwerlich behaupten können“.181 Deshalb hat Elert „souverän bestritten, daß es überhaupt etwas anderes als konfessionalistische Theologie geben könne“182. 4.2.2. Militärhistorische Ambitionen Eine für uns heute ungewöhnlich und bizarr wirkende Eigentümlichkeit Elerts liegt in seiner ausgeprägten Neigung zur Militärhistorie, die er „mit vollem wissenschaftlichen Ernste“183 betrieb. So beschäftigte sich der kirchlich orientierte Theologe, der in seiner Freizeit Spielzeugsoldaten aus Pappmaché hergestellt haben soll,184 in seinem Studi178 W. Elert, CG, 60. 179 Vgl. v. a. W. Elert, Deutschrechtliche Züge in Luthers Rechtfertigungslehre, 22 – 31. So auch im Rückblick von H. Rückert (Werner Elert, XIV). Elerts Darstellung von Luthers Rechtfertigungslehre fängt gegen Troeltsch pointiert mit dem Hinweis und der Klärung ihrer „Juristischen Terminologie“ an (ML I, VIII; vgl. aaO, 64 ff.). Zu Elerts Rechtfertigungslehre vgl. die knappe Darstellung: A. Peters, ders., Rechtfertigung, HST 12, Gütersloh, 1984, 171 – 183. 180 Elert scheint gerade darin die Existenzberechtigung der Theologie überhaupt zu sehen: „Theologische Fakultäten zum Zweck politisch-nationalistischer Schulung sind überflüssig – die wird von andern Organen besorgt. Zum Zweck ,reiner Wissenschaft‘ sind sie antiquiert. Für die politische Gewalt hat ihre Unterhaltung nur Sinn, wenn sie damit der Realität der Kirche im deutschen Volke Rechnung tragen kann“ (Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 111). Zu Schleiermacher aaO, 107. Ausführlich dazu unten S. 291 ff. 318 ff. 323 ff. 181 W. Elert, KCH, 492. Dazu ausführlich unten S. 289 ff. 314 ff. 318 ff. 182 H. Lilje, In memoriam, 7. 183 P. Althaus, Werner Elerts theologisches Werk, 400. 184 Vgl. B. Hamm, Werner Elert als Kriegstheologe, 238.
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um autodidaktisch derart intensiv mit jenem Gebiet, daß er – wie er rückblickend behauptete – die „Geschichte der preußischen Regimenter weit besser kannte als diejenige der alttestamentlichen Heerscharen“185. Bis in den Zweiten Weltkrieg hinein hielt der Kriegsveteran und Feldberichterstatter186 Elert bei Universitätsfesten und anderen Anlässen sporadisch militärhistorische Vorträge.187 Am bekanntesten ist sein Vortrag über die napoleonische Niederlage in der Schlacht von Smolensk 1812, den Elert, der zudem ein „ausgezeichneter Schütze“ gewesen sein soll,188 während des Rußlandfeldzuges vor Offizierskorps verschiedener Wehrmachtsstandorte hielt.189 Diese Elertsche Eigenart wurde sehr unterschiedlich wahrgenommen; sie erstreckt sich von der Titulierung als einer „noble[n] Passion“190 bis hin zur Identifizierung Elerts als „wichtigsten Vertreter im 20. Jahrhundert“ eines religionsgeschichtlichen Rückfalls „in eine archaische Kriegsreligiosität“191. Jenseits einer moralischen Bewertung 185 W. Elert, Goldenes Buch, 237. 186 Elert war im Ersten Weltkrieg als Feldprediger ab November 1914 zunächst an der Ostfront, ab Oktober 1915 bis Anfang 1918 an der Westfront eingesetzt. Zu Elerts Feldpredigerberichten (Kirchenblatt für die Evangelisch-lutherischen Gemeinden in Preußen, 69 (1914), 735 durchlaufend bis 73 (1918), 130): A. v. Scheliha, Der Glaube an die göttliche Vorsehung, 295 – 297. Auch im Zweiten Weltkrieg hat sich Elert – mittelbar – als Feldberichterstatter betätigt, indem er Aufzeichnungen und Briefe seines Sohnes Rembrand Elert aus der Zeit September bis November 1939 zur Edition an die Hanseatische Verlagsanstalt sandte (vgl. B. Hamm, Werner Elert als Kriegstheologe, 239 Anm. 109). Bald darauf erschien in der Reihe „Hanseaten-Bücherei“: Rembrand Elert, Reiter im Polenkrieg, o. J. [1941; in demselben Band (aaO, 96) wird dieser Titel unter den „Neuerscheinungen Herbst 1940“ angekündigt]. Zu den Briefen von Rembrand Elert vgl. Kriegsbriefe gefallener Studenten. 1939 – 1945, hg.v. W. u. H. W. Bähr u. a., Tübingen, 1952, 347 – 355. 187 Vgl. T. Kaufmann, Werner Elert als Kirchenhistoriker, 241; W. v. Loewenich, Erlebte Theologie, 118; W. Trillhaas, Aufgehobene Vergangenheit, 87. 188 Vgl. W. v. Loewenich, Erlebte Theologie, 118. 189 Vgl. T. Kaufmann, Werner Elert als Kirchenhistoriker, 241. Dieser Vortrag wird bezüglich Elerts Stellung zum Dritten Reich unterschiedlich eingeschätzt: Von den einen als mutiges, regimekritisches Unternehmen, ja als „Kühnheit einer prophetischen Analogie“ (W. Trillhaas, Aufgehobene Vergangenheit, 87), das die vorprogrammierte Niederlage Hitlers in der militärischen Öffentlichkeit anprangerte (vgl. K. Beyschlag, Werner Elert in memoriam, 12); andererseits „vermute[t]“ B. Hamm (Werner Elert als Kriegstheologe, 238 Anm. 105) erwartungsgemäß „das genaue Gegenteil“. 190 P. Althaus, Werner Elerts theologisches Werk, 400. 191 B. Hamm, Werner Elert als Kriegstheologe, 242.
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prägt dieses Interesse allerdings nachdrücklich Elerts Sprache – formal wie material. Neben Verdeutlichungen von Gedankengängen durch eine Exemplifizierung an militärischen Gegebenheiten192 rückt eine durchaus inhaltsbezogene Auseinandersetzung mit Fragen aus diesem Themenbereich193. Vor allem aber ist sein sprachlicher Ausdruck – wie bei vielen anderen Theologen seiner Generation194 – stark durchsetzt von militärischen Metaphern und Vergleichen195. Ob seine oftmals gewaltsam erscheinende Ausdrucksweise, sein Verbalradikalismus ebenso hiervon induziert ist, sei dahingestellt. Eine religiöse Überhöhung des Krieges in dem Sinne, daß Gott exklusiv nur ,mit dem Vaterland‘ sei, findet sich bei Elert nicht; es ist vielmehr ein national gebundener Glaube an die Vorsehung Gottes, denn „Gottes Engel liegen als drittes Heer über den Armeen und schützen die, deren Leben der HErr erhalten will“196. Sicher kann zumindest gesagt werden, daß das Fasziniertsein vom Militärischen durch die Kriegserfahrungen von 1914 – 18 nicht relativiert wurde, sondern durch das Hinzutreten des Tremendums im Sinne einer Existentialisierung des zuvor eher harmlosen Hobbys noch gesteigert wurde. Obgleich Elert 1917 als allgemeine Beobachtung festhält, daß „die Farben schon vorhandener Religiosität durch das Erleben des Krieges frischer geworden“197 seien, sollte aber im Ganzen die Kriegserfahrung Elerts nicht dahingehend überhöht werden, daß man ihr für Elerts Theologie eine axiomatische Bedeutung zuschreibt. Elert war schon vor dem Krieg Erfahrungstheologe. Die Kriegserfahrung 192 Z.B. W. Elert, Prolegomena, 57; ders., Steigerung der Religiosität im Kriege, in: GKG 54/7 (1918), (154 – 158) 157: „Eine nah einschlagende Granate wirkt stärker als die Vorstellung ,Alle Menschen müssen sterben‘“. Weit nüchterner die Stelle: W. Elert, Prolegomena 57. 193 Vgl. W. Elert, Zur Geschichte des kriegerischen Ethos, in: Festgabe für Theodor Zahn, Leipzig, 1928, 131 – 150; ders., Der Christ und der völkische Wehrwille (1937); ders., Zur Frage des Soldateneides, in: DtPfrBl 52 (1952), 385. 418. 453. 194 Wohl bekanntestes Beispiel: K. Barth, Der Römerbrief, (München, 19222) Zürich, 198915, passim. 195 Besonders eindrücklich: Der Ostersieg Jesu Christi sei „wie wenn am Morgen nach blutiger Schlacht die Sonne emporsteigt und den Anbruch des Friedens verkündigt“ (W. Elert, Die Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit, 435). 196 W. Elert, Feldpredigerbericht, in: Kirchenblatt für die evangelisch-lutherischen Gemeinden in Preußen, 70 (1915), 106 [sic!]. 197 W. Elert, Steigerung der Religiosität im Kriege, 157.
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brachte allerdings – gesteigert durch den Eindruck von Rudolf Otto und Oswald Spengler – eine Elerts Theologie hinfort prägende Modifikation seines bisherigen Ansatzes198 : Die dunklen Seiten menschlicher Erfahrung treten fortan bei Elert an die Oberfläche seiner Schriften und werden zum wesentlichen – wenn nicht gar dominanten – Bestandteil seines Wirklichkeitsverständnisses. So schreibt er bereits 1914: „Das feierliche Schweigen des schneebedeckten Waldes im Mondschein, während die Granaten hinüber- und herüberfauchten, wird mir unvergeßlich bleiben. Es war, als ob die Natur den Atem anhielt vor Grauen über dem furchtbaren Morden, das die Menschen untereinander anrichten“199. Deshalb stellen sich nach Elert die „vordringlichen Fragen an die Theologie“ – die nicht so tun darf, „als ob nichts vorgefallen wäre“ – insbesondere im Angesicht der durch den Krieg gesteigerten Erfahrung der Abgründigkeit menschlichen Daseins.200 Die Kriegserfahrung beeinflußt also durchaus Elerts theologisches Denken: Die „Tragik aller Wirklichkeit“ ist, wie er betont, „jedem von uns eine nachhaltige Warnung, die Wendung zum Optimismus des Glaubens – z. B. auch in der Predigt – zu leicht und zu vorzeitig zu ziehen. Gerade auch die grosse [sic!] Gemeinde der Trauernden der Gegenwart verlangt zuallererst von uns Anerkennung der tiefen Tragik aller Geschicke“201. Der Verfinsterung der Lebenserfahrung entspricht durchaus eine „erkennbare Verdüsterung von Elerts theologischer Stimmung“202, die 198 Vgl. K. Beyschlag, Werner Elert in memoriam, 13. Zur Bedeutung von R. Otto und O. Spengler bei Elert vgl. unten v. a. S. 184 ff. 195 ff. 199 W. Elert, Frontberichte, KELGP 69 (1914), 806. 200 So Elert im Jahr 1940 (Vordringliche Fragen an die Theologie, Luth. 51 (1940), (5 – 15) 5) – jedoch ohne expliziten Bezug auf K. Barth, „Theologische Existenz heute!“, 1933 [= Beiheft Nr. 2 zu ZZ 11 (1933)], 3 („als wäre nichts geschehen“). 201 W. Elert, Rez. Joseph Bernhart, Tragik im Weltlauf, ThLBl 38 (1917), (396 f) 396 f. Ob dieser Text, wie L. Langemeyer (Gesetz und Evangelium, 59) meint, als ein „Aufriß seiner [Elerts] Kreuzestheologie“ wirklich „wie eine Knospe alle späteren Gedanken birgt“ und der Meilenstein in der Extrapolation der Erfahrung unter dem deus absconditus durch Elert ist, bleibt mehr als fraglich. Vgl. dazu auch unten S. 52 Anm. 203. 202 So die treffende Formulierung von A. v. Scheliha, Der Glaube an die göttliche Vorsehung, 297. Zu Elerts Kriegserfahrung und deren Verarbeitung: ebd. 295 – 299. Vgl. dazu auch den Exkurs von T. Gerlach „Kriegserfahrungen (1914 – 1918)“ (Verborgener Gott – Dreieiniger Gott. Ein Koordinationsproblem lutherischer Gotteslehre bei Werner Elert, 1998, 374 – 382), der ebenso ein
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sich allerdings erst im Laufe eines längeren – auch durch andere Fragen beeinflußten – Verarbeitungsprozesses zur prägnanten Rede vom schicksalswaltenden deus absconditus, in der Elert den Bereich des Gesetzes extrem entgrenzt, verdichtet.203 Die Faszination durch das Militärische tritt bei Elert erst gegen Ende des Zweiten Weltkrieges zurück. Es wird berichtet, Elert sei – durch die Kriegsfolgen, vor allem aber durch den Verlust seiner beiden Söhne tief gezeichnet204 – menschlich milder geworden.205 Seine harte theologische Rede vom Schicksal verschwindet, wie auch insgesamt im 1949 erschienenen „Christliche[n] Ethos“ eine deutliche Entmilitarisierung von Elerts Sprache festzustellen ist. 4.2.3. Verbundenheit mit dem Osten Ebenso festzustellen bleibt noch Elerts starke Verbundenheit zum Osten. Seine Liebe zum Osten206 ist mehr als eine bloße Vorliebe, die in der Opposition zum „Westlertum“ gründete. Freilich nimmt Elert die „Überfremdung vor allem vom Westen her“ als ein lutherischen Geist paralysierendes Grundübel wahr, das in den Folgen bis in die Gegenwart hineinreiche.207 Konfessionelle und politische Ressentiments vermischen sich so bei ihm: Neben seiner persönlich ausgeprägten, fast schon
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theologisches Umdenken Elerts notiert, das jedoch keinerlei Auswirkungen eines „politischen Umdenkens“ zur Folge habe (aaO, 380). Zur Genese des Gesetzesbegriffes bzw. der Rede vom deus absconditus bei Elert: N. Slenczka, Selbstkonstitution, 23 – 73. Slenczka versucht zu zeigen, daß die Aufnahme dieser Theologumena bei Elert primär in einer ungelösten apologetischen Aporie, nämlich in der Stellung zum Anspruch der Naturwissenschaften begründet sei. In dieser scharfsinnigen Analyse wird jedoch die Kriegserfahrung Elerts künstlich abgewertet. Völlig zu Recht notiert Slenczka (aaO, 30 f.), daß bei Elert kein durch Kriegserlebnisse ausgelöster „lebensgeschichtlicher Bruch“ nachzuweisen sei, der unmittelbar zu der für Elert typischen Form der Theologie hinführt. Gleichwohl aber sollte im Blick auf Kriegserlebnisse mit einer gewissen Inkubationszeit gerechnet werden, in der andere theologische Problemlösungsangebote – wie etwa die Arbeit von Rudolf Otto (dazu unten S. 195 ff.) – auf den Boden einer fruchtbaren – durch die persönliche Erfahrung wesentlich sensibilisierten – Aufnahmebereitschaft fallen, ohne als lebensgeschichtlicher ,Bruch‘ erkennbar zu werden. Eine theologische Verarbeitung dieser persönlichen Erlebnisse findet sich in Elerts Aufsatz: Philologie der Heimsuchung, (9 – 16) 15. Vgl. W. v. Loewenich, Erlebte Theologie, 122. Vgl. dazu M. Tratz, Was ist geblieben? Erinnerungen und Besinnungen zum 10. Todestag von Werner Elert, in: JMLB 12 (1964), (7 – 25) 8. W. Elert, ML I, 9.
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stereotypen Polemik gegen den Calvinismus partizipiert Elert an der antiaufklärerischen und antidemokratischen Grundstimmung seiner Zeit.208 Luthertum und Calvinismus erhalten bei ihm nahezu den Charakter von entgegengesetzten Himmelsrichtungen. Zumindest die westliche Kultur erscheint synonym für den Calvinismus.209 Elerts Liebe zum Osten gründet vielmehr im persönlichen Bereich. Die Familie väterlicherseits stammt aus Pommern, und so scheint es Elert in den Osten zurückgezogen zu haben: In der Zeit nach seinem Studium bis hin zur Erlanger Antrittsvorlesung hielt sich Elert als Hauslehrer in Livland, als Rußlandreisender, als Pfarrer im pommerschen Seefeld, als Seminardirektor in Breslau fast ununterbrochen im Osten auf. So verwundert es auch nicht, daß Elert gegen seine Versetzung an die Westfront im Oktober 1915 protestierte: „Ich selbst wäre ja viel lieber im Osten geblieben“210. Seine durchaus auch beruflich bedingte Bindung an den Osten und der lebenslange Kontakt mit Lutheranern im Osten findet aber in Elerts hohem Interesse an der Ostkirche, deren Geschichte er in seinen Vorlesungen besonders eindrücklich dargelegt haben muß,211 sowie an der russischen Literatur und Philosophie ein bezeichnendes Seitenstück.212 Der Gedanke der „Kreisbürgschaft“ spielt in seiner Ethik eine zentrale Rolle.213 Seine patristischen Studien beziehen sich auf die Tradition „hauptsächlich des Ostens“214 und die spezifisch orthodoxe Fassung der Gemeinschaft der Kirche als einer quer durch die Zeit verlaufenden Verbundenheit zieht 208 Zum gesellschaftlichen Hintergrund vgl. K. Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, München, 19642 ; R. v. d. Bussche, Konservatismus in der Weimarer Republik. Die Politisierung des Unpolitischen, Heidelberg, 1998. 209 Bezeichnenderweise verdächtigt Elert gerade das amerikanische Luthertum – das einzige in der Morphologie explizit behandelte Luthertum, das im Westen inkulturiert ist (vgl. ML II, VIII–X) – de facto einer „Angleichung an die kalvinistisch-methodistische Umgebung“ (ML II, 260). 210 W. Elert, Feldpredigerberichte, KELGP 70 (1915), 726. 211 Vgl. die Erinnerung von J. Meister (Ein Zeuge von Gottes Gericht und Gnade, 39). 212 Vgl. W. Elert, Die russische Religionsphilosophie der Gegenwart, ZSTh 3 (1925), 548 – 588. Zum möglichen Zusammenhang von Elerts diesbezüglichem Interesse mit der Prophezeiung Spenglers, die Kultur der Zukunft sei die russische: N. Slenczka, Selbstkonstitution, 43 Anm. 64. 213 Vgl. W. Elert, CE, 226 – 231; 249 – 257. 214 W. Elert, Abendmahl und Kirchengemeinschaft in der Alten Kirche, hauptsächlich des Ostens, 1954.
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sich bei Elert durch viele seiner Schriften.215 Vor allem aber ist es eine – gleichwohl nicht kritiklose – Faszination durch den Osten und dessen Denken. So merkt er 1925 zur russischen Religionsphilosophie an: „Man wird den starken Eindruck nicht los, daß es gerade der Abendländer, der abendländische Christ ist, der hier gesucht, angesprochen wird“ durch den „Friede[n] der östlichen Spekulation, die in ihrer Ontologie ein immer offenes Refugium hat, einen paradiesischen Garten des Denkens, in den man sich aus dem ganzen Hexensabbat der Antinomien und Paradoxien, der Irrationalitäten, Spannungen, Aporien flüchten kann, in dem die abendländische Theologie im Augenblick bis zur Erschöpfung herumwirbelt“216. 4.3. Mitmenschliche Zeitgenossenschaft? Seine Herkunft aus dem kleinbürgerlichen Milieu und sein sozialer Aufstieg haben in Elerts Leben ebenso Spuren hinterlassen. Sein professorales Standesbewußtsein ergibt sich auch aus dem Umstand, daß er sich in das Bildungsbürgertum erst hat emporarbeiten müssen; dabei galt es ihm jedoch als Vorsatz, „nicht den Ehrgeiz der persönlichen Professorentheologie“ zu „befriedigen“.217 Seine Konkurrenzängste erwachsen sicherlich ebenso aus diesem Umstand wie ein gewisser Mangel an blaublütiger Gelassenheit.218 Signifikant aber für Elert bleibt, daß er bei allem beruflichen Erfolg und Aufstieg niemals die Bodenhaftung zum Alltag der meisten Menschen zu verlieren scheint. Seine „verhaltene und klar akzentuierte Sprache“219 ist zeitlebens höchst anschaulich und ohne Manierismen 215 Zu Elerts Ekklesiologie vgl.: U. Kühn, Die Kirche, HST 10, Gütersloh, 1980, 79 – 90; J. Wiebering, Die Lehre von der Kirche bei W. Elert, 1960. 216 W. Elert, Russische Religionsphilosophie, 572. 217 W. Elert, Die Bedeutung der Augsburgischen Konfession im theologischen Denken und in der geistesgeschichtlichen Entwicklung, unveröffentlichter Vortrag vor dem Verein für bayrische Kirchengeschichte in Augsburg am 24. 6. 1930, in: ders., Ein Lehrer der Kirche, (97 – 112) 112. 218 Vgl. die Gesprächsnotiz von W. Trillhaas (Erlebte Theologie, 86), der als Student vergeblich versucht hatte, Elert im Namen der Göttinger Fachschaft zu einem Vortrag einzuladen: „Sie wollten mich doch nur Karl Barth zum Fraß vorwerfen“. Zur Konkurrenzsituation mit Althaus vgl. oben S. 35 Anm. 104. 219 So beschreibt M. Tratz seine Erinnerung an Elerts Vorlesungen (Was ist geblieben?, 13).
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geblieben;220 sie vermittelt stets den Eindruck hoher Existentialität und Unmittelbarkeit – ohne Anzeichen gewollter Nähe und künstlicher Anbiederung.221 Insofern ist es durchaus berechtigt, bei Elert von einer „Gabe“ zu sprechen, „auch ganz schlicht und allgemeinverständlich reden zu können“.222 Von seinem erfahrungstheologischen Ansatz her waren ihm die Gefahren einer Verbegrifflichung der Theologie bewußt. Religiöses Erlebnis und Erfahrung finden für ihn in einer Sprachkultur des Verbs ihren adäquaten – dem Gegenstand seiner Theologie, nämlich dem christlichen Glauben als der „Mediation der Gegensätze“, der gegensätzlichen Erfahrungen des Menschen unter Gesetz und Evangelium,223 entsprechenden – Ausdruck des „Ideal[s] möglichster Lebensnähe“.224 Seine Aversion gegen eine spekulative Verbegrifflichung der Theologie, die nach Elert Gefahr läuft, sich vom Alltags-Erleben der Menschen abzuwenden, verdeutlicht ebenso seine Kritik an einer offenbarungsmonistischen Verkürzung der Erfahrungsebene – einer Indizierung des Buches der Natur –, wie er sie insbesonders bei Barth225 220 Vgl. auch P. Althaus, Werner Elert, 401. 221 N. Slenczka (Selbstkonstitution, 59 f Anm. 97) meint hingegen, manche Passagen von Elerts erfahrungsgeleiteter Theologie seien weniger Produkt eigener Erfahrung als ein „Schreibtischprodukt“ und somit ein für die Zeit der 20er Jahre typisches „ästhetisches Phänomen“ mit deutlich weniger Bezug zur Wirklichkeit als intendiert. 222 W. Srocka, Werner Elert zum Gedächtnis, 22 (Zitiert nach der Übersetzung von R. Keller, Erinnerung, 9). 223 Vgl. W. Elert, ML I, 56, 63. Elerts stärkstes Votum gegen eine Verbegrifflichung der Theologie findet sich in seinem Aufsatz: „Die Transzendenz Gottes“ (1923). 224 Werner Elert, LLA, 119. Vgl. aaO, 117 – 120; v. a. aber ders., Die Transzendenz Gottes, 528 – 533. 225 Die massive Frontstellung gegenüber Barth und dem Barmer Bekenntnis gründet in Elerts Befürchtung einer Unterwanderung lutherischer Kirchen durch calvinistische und linksreformatorische Lehren. So nimmt er die Dialektische Theologie als eine Wiederholung antinomistischer, schwärmerischer Irrlehre wahr. Vgl. dazu v. a. W. Elert, Schwärmerische und evangelische Kulturkritik, AELKZ 59 (1926), 362 – 369. 386 – 393. Das Barmer Bekenntnis wird in Analogie zum Nitschenum als unionstheologischer Versuch der Substituierung lutherischer Bekenntnisse eingestuft. Vgl. dazu u. a. W. Elert, Confessio Barmensis, 1934. Dies verdeutlicht sich in Elerts Brief vom 12. Juni 1934 – einen Tag nach der Veröffentlichung des „Ansbacher Ratschlages“ zu der „Barmer Theologischen Erklärung“ in: AELKZ 34 (1934), 584 – 586 – an M. Tratz (abgedruckt bei: B. Hamm, Schuld und Verstrickung der Kirche, (53 f.) 54): „Wir hätten wahrscheinlich aus Disziplin noch weiter geschwiegen, wenn wenigstens in Barmen auf ein Unionsbekenntnis verzichtet worden wäre
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wahrnahm: „Wenn wir uns als Christen und Theologen um die Realitäten des irdischen Lebens […] kümmern […,] so lesen wir nicht in Büchern. Auf diesen Ausdruck kann in diesem Zusammenhang nur einer kommen, der selbst keine anderen Realitäten als Bücher kennt oder der die Theologie für eine esoterische Fachwissenschaft hält“226. Charakteristisch für seine Schriften, in denen die „Lust an der Schärfe der Formulierung“227 überall zutage tritt, sind aber auch sein Witz, seine ironische Begabung und ein sarkastischer Zug.228 Dies alles sind Eigenschaften, die sich bei ihm mit der erwähnten Sensibilität verbinden. Elert setzt sich auffällig wenig ausdrücklich mit der zeitgenössischen Theologie auseinander; oftmals ist ihm deshalb auch ein gewisses Maß […]. Das Barmer Bekenntnis ist […] so haarsträubend, d. h. theologisch so untragbar, daß nunmehr das Maß voll ist“ und „wir aus Bekenntnisgründen jetzt nicht mehr schweigen können“. Elert ging es zuvor um eine Entzerrung der nach seinem Urteil vorschnell beantworteten Frage nach der Notwendigkeit eines neuen Bekenntnisses: Die Differenzierung zwischen einer „Erklärung“ zur politischen Situation und einem Bekenntnis im Sinne einer Lehrverpflichtung sei notwendig, denn die „Kirche ist keine Dogmenfabrik, deren Produktivität dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterläge“ (Zur Frage nach einem neuen Bekenntnis, (47 – 50) 47.49. Und die Arbeit Karl Barths versteht Elert lediglich als Repristination der theokratischen wie offenbarungsmonistischen Theologie Calvins. Vgl. u. a. W. Elert, Die Herrschaft Christi und die Herrschaft von Menschen, ThMil 6, Leipzig, 1936; ders., Karl Barths Index der verbotenen Bücher, ThMil 2, Leipzig, 1935; v. a. aber ders., Gesetz und Evangelium, Vortragsreihe von 1948, abgedruckt in: ZGU, 1948, 132 – 169. Gegenüber diesen Bestrebungen zu einem neuen Bekenntnis ist Elert dann bemüht, „den“ – durch Heterodoxie erschütterten – lutherischen Glauben und „das“ – durch theokratische Einflüsse bedrohte – lutherische Ethos seiner Kirche zu erneuern. Sowohl in Elerts Dogmatik „Der christliche Glaube“ (1940) als auch in seiner Ethik „Das christliche Ethos“ (1949) ist die Verwendung des bestimmten Artikels im Titel somit sehr bezeichnend. P. Althaus (Werner Elerts theologisches Werk, 406) bezeichnet Elerts Dogmatik als „das erste große Gegenwort von lutherischer Seite“ auf K. Barths „Kirchliche Dogmatik“. S. A. Eyjólfsson (Rechtfertigung und Schöpfung, 24) sieht gar „fast sein [Elerts] ganzes Lebenswerk“ durch die Auseinandersetzung mit Barth durchdrungen (vgl. dazu aaO, 23 – 29). K. Beyschlag (Werner Elert in memoriam, 15) rechnet schon Elerts „Lehre des Luthertums im Abriss“ (1924) als „lutherische Kontrafaktur“ zu Barth. 226 W. Elert, Karl Barths Index der verbotenen Bücher, 19. 227 W. Trillhaas, Konservative Theologie und moderne Welt, 39. 228 Als Beispiel für diese Verbindung sei hier die vergnüglich zu lesende Auseinandersetzung Elerts mit Gogarten genannt: CG, 99 ff. Ebenso das ironische Referat der Restriktionstendenz in den apologetischen Absichten der Dogmatik des 19. Jahrhunderts: ders., Reduktion und Restriktion in der Dogmatik, in: NKZ 30 (1919), (406 – 427) 410 ff.
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an Ignoranz vorgeworfen worden.229 In dieser Hinsicht drängt sich manchmal der Eindruck auf, es handle sich bei Elert um eine epigonale Existenz, die Probleme lediglich in der Auseinandersetzung mit der Tradition behandle. Doch sind seine Schriften geprägt durch eine offensive Hinwendung zur Gegenwart; es finden sich „überraschend kühne Sätze über die gegenwärtige theologische Aufgabe und die Kirche“230. Kirchen- wie tagespolitische Themen behandelt er ebenso, wie er bemüht ist, die „Sprache der Gegenwart“ zu sprechen, um theologisch mit dem „Gegenwartsmenschen [zu] verhandeln“.231 So sieht er seine Aufgabe als Dogmatiker darin, die „Kirchenlehre immer aufs neue zu der sich wandelnden Umwelt in Beziehung zu setzen“232. So läßt sich Elerts Arbeit als ein intensives Gespräch der Tradition mit der Gegenwart verstehen,233 das es – gerade im Anblick der im Zweiten Weltkrieg zerbrochenen „Humanität im öffentlichen Leben“234 – fortzusetzen gilt. In der „gemeinsamen Verantwortung für das Bild des Menschen“235 sieht Elert Theologie und Kirche „vor der eigentlich Melanchthonischen Aufgabe [stehen], uns über das von uns zu vertretende Menschenbild klar zu werden und es wirklich wieder zu einer öffentlichen Angelegenheit zu machen“236, um der „allgemeinen Entwertung des Menschen – […] seiner Erniedrigung zur auswechselbaren Sache, ohne Vorleben, ohne Nachhall in der Ewigkeit“237 gesamtgesellschaftlich entgegenzutreten.
229 Dies wird insbesondere in der Kritik von P. Brunner (Kritisches zu Elerts Dogmatik, VF 2 (1941), 47 – 60) deutlich. 230 H. Lilje, In memoriam, 8. 231 W. Elert, LLA, 118. 139. 232 W. Elert, Die Lehrautorität der Kirche, 1037. 233 So würdigt H. Rückert (Werner Elert, XIII–XV) an Elert die „selbständige und kühne Art, wie er zentrale Gedanken Luthers nachgedacht“ habe und sich gerade hierin von „jeglicher Restaurationstheologie“ unterscheide. In dieselbe Richtung geht die Erinnerung von H. Lilje (In memoriam, 7). 234 W. Elert, Humanität und Kirche. Festvortrag zu Melanchthons 450. Geburtstag, in: Erlanger Universität, Halbmonatsblätter 1 (1947), 81 – 84; wiederabgedruckt in: ders., ZGU, (92 – 113) 112. 235 W. Elert, Humanität und Kirche, 95. Elert bezieht sich hierbei auf das Büchlein des 1943 gefallenen Martin Raschke (Zwiegespräche im Osten, 1942). Knapp zu Elerts Anthropologie: A. Peters, , Der Mensch, HST 8, Gütersloh, 1979, 139 – 146. 236 W. Elert, Humanität und Kirche, 112. 237 W. Elert, Humanität und Kirche, 112.
II Die Zeit von 1910 – 1918 1. Zeitdiagnostische Wahrnehmungsperspektiven faktischer Weltanschauungspluralität 1.1. Apologetik als Aufgabe angesichts der Weltanschauungspluralität Bevor das apologetische Programm Elerts untersucht werden wird, ist die Wahrnehmung der Situation, in der sich seine apologetische Arbeit vollziehen wird, in den Blick zu nehmen. Dabei ist zugleich zu fragen, was in den Jahren nach 1910 das bestimmende Interesse in Elerts theologischer Arbeit ist. Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in verschiedene, voneinander relativ unabhängige Bereiche unterschiedlicher „Kulturfaktoren“ wird von Elert der Zeit um 1910 wahrgenommen, scheint ihn jedoch nicht weiter zu beschäftigen, zumindest nicht als ein Problem.1 Ganz im Gegenteil betont er in der Auseinandersetzung mit der Reformationsdeutung Troeltschs, daß die Unabhängigkeit der einzelnen Kulturbereiche, die „Verselbständigung der Weltkultur neben der Kirche“, aber auch die „Entdeckung der Persönlichkeit und die Individualisierung mittelalterlicher Massen“ als „große […] Weltanschauungswende“ eine legitime Folge auch der Reformation seien.2 Problematisch findet er 1 2
W. Elert, Im Kampf um die Reformation, in: Der Alte Glaube 13 (1911/12), (104 – 108. 123 – 128) 124. Vgl. aaO, 123 ff. W. Elert, Im Kampf um die Reformation, 105 f. Zur These von Ernst Troeltsch, die in den Worten Elerts darauf hinauslaufe, daß die Reformation auf ihrem Weg in die Neuzeit „auf halbem Wege stehen geblieben“ und „geradezu ins Mittelalter zurückgekehrt“ sei (W. Elert, Im Kampf um die Reformation, 107): Ernst Troeltsch, Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit, in: P. Hinneberg (Hg.), Die Kultur der Gegenwart,Teil I. Abteilung IV, 1, 19092, 431 – 792; ders., Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt, HB 24, München, 1911. Zu Troeltsch: H. Fischer, Die Ambivalenz der Moderne. Zu Troeltschs Verhältnisbestimmung von Reformation und Neuzeit, in: F.W. Graf / H. Renz (Hgg.), Protestantismus und Neuzeit, Troeltsch-Studien, Bd. 3, Gütersloh, 1984, 54 – 77; L. SchornSchütte, Ernst Troeltschs „Soziallehren“ und die gegenwärtige Frühneuzeitforschung. Zur Diskussion um die Bedeutung von Luthertum und Calvinismus für die Entstehung der modernen Welt, in: F.W. Graf / T. Rendtorff, Ernst
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lediglich, die verschiedenen Bereiche mit einem einzigen Maß messen zu wollen. Dies trifft seiner Meinung nach hauptsächlich für den Bereich der Religion zu, die man eben nicht – wie er es Troeltsch vorwirft – „mit anderen Kulturfaktoren einfach in einen Topf“ werfen sollte, da sonst „zwischen dem Religiösen und der allgemeinen Kultur nicht richtig unterschieden wird“.3 Religion existiert für Elert als ein Bereich der Kultur, der durch seinen exklusiven Transzendenzbezug einen Mehrwert enthalte, durch den er den rein immanenten Rahmen der anderen Kulturbereiche sprenge.4 Pluralität, wie sie in der Ausdifferenzierung einer Gesellschaft in verschiedene Bereiche existiert, wird von Elert also kaum thematisiert und erst recht nicht problematisiert. Problematisiert wird nicht die Pluralität der Gesellschaft, wie sie in der Ausdifferenzierung in politische, wirtschaftliche, wissenschaftliche und religiöse Teilbereiche des Leben vorliegt, sondern genau das Gegenteil, nämlich die Auflösung dieser Differenzierung durch die Dominanz eines Teilbereiches über die anderen. So kritisiert Elert etwa 1915 die Dominanz wirtschaftlichen Denkens und Handelns über die restlichen Kulturbereiche.5 Die Hauptaufmerksamkeit Elerts gilt der Pluralität innerhalb eines Kulturbereiches, besonders innerhalb der Religion. Der Binnendifferenzierung, also der pluralen Situation im Bereich der Religion, wendet sich Elert vergleichsweise aufmerksam zu – einer Pluralität, die vornehmlich durch das Aufkommen religiöser Surrogate in weltanschaulichen Formen, durch die „Glaubensurteile“ von „modernen Weltan-
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Troeltschs Soziallehren. Studien zu ihrer Interpretation, Troeltsch-Studien, Bd. 6, Gütersloh, 1993, 133 – 151. W. Elert, Im Kampf um die Reformation, 123. Vgl. W. Elert, Im Kampf um die Reformation, 124: „Denn was den uns hier angehenden christlichen Kulturkreis anbetrifft, so kann man hier unter Religion kaum etwas anderes verstehen als die Stellung der Geister zum Überweltlichen, zum Jenseitigen, zum Göttlichen, zu Gott oder wie man sich nun ausdrücken will, um die Fülle von religiösen Motiven, die das Abendland durchzittert haben von Augustin […] bis Tolstoi und Eucken, unter einen möglichst allgemeinen Begriff zu fassen.“ Zur schillernden Vielschichtigkeit des Transzendenzbegriffes: W. Schüßler, Art. Transzendenz. I. Philosophisch, TRE 33 (2002), 768 – 771 (Lit.); B. Harbeck-Pingel, Art. Transzendenz. II. Systematisch-theologisch, TRE 33 (2002), 771 – 775 (Lit.). Vgl. W. Elert, Kant und der ewige Friede, in: AELKZ 48 (1915), (11 – 15) 14 f. Eine ausführliche Kapitalismuskritik findet sich bei Elert jedoch erst später: v. a. W. Elert, ML II, 396 ff.
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schauungen“ mitbestimmt wird:6 „Seit Beginn unseres Jahrhunderts“ – so beschreibt Elert 1912 nüchtern wie karikierend die Lage – „werden 6
W. Elert, Prolegomena, 115. Der erstmals 1790 bei I. Kant nachweisbare Begriff „Weltanschauung“ sollte „eine durch seine Vieldeutigkeit begünstigte fatale Karriere machen“ (H. Blumenberg, Lebenszeit und Weltzeit, Frankfurt a. M., 19863, 9; zu Kants Begriffsbildung vgl. aaO, 9 f.). Der Begriff erhielt allerdings erst im Zuge der Romantik eine popularisierte, gleichsam schillernd gebliebene Bedeutung einer jeweils spezifischen Deutungsauffassung der Welt und des Lebens, die sich dadurch von der ursprünglich synonymen Verwendung mit „Weltbild“ abgrenzen läßt. Gerade durch diese Deutungsfunktion reicht der Begriff der Weltanschauung deutlich über den Begriff des „Weltbildes“ hinaus, das sich zumeist mit einer rein ,technischen‘ bzw. naturwissenschaftlichen Beschreibung der Welt zufrieden gibt. Über die weltbildhaften Fragen hinaus sind daher für die Weltanschauung Fragen charakteristisch, die im umfassenden Sinn – auf das Gesamtverständnis von Ursprung, Sinn und Ziel von Welt und Leben, insbesondere auf die Frage nach der Stellung des Menschen in ihr mitsamt seiner Lebenshaltung und Lebensführung hin –, gestellt werden und zu beantwortet gesucht werden. Gerade im Gegenzug zum naturwissenschaftlich zu eruierenden Weltbild ist der Versuch unternommen worden, die Frage der Weltanschauung – wieder – zur Sache der Philosophie bzw. der Geisteswissenschaften zu machen: Das gilt insbesondere für Diltheys Versuch einer „Weltanschauungslehre“ im Rahmen einer „Philosophie der Philosophie“: W. Dilthey, Die Typen der Weltanschauung und ihre Ausbildung in den metaphysischen Systemen, in: ders., Weltanschauungslehre. Abhandlungen zur Philosophie der Philosophie, Gesammelte Schriften, Bd. VIII, hg. v. B. Groethuysen, Leipzig/Berlin, 1931, 73 – 118; ders., Zur Weltanschauungslehre, in: ders., aaO, 171 – 233. Infolge der nachlassenden gesamtkulturellen Prägekraft des christlichen Glaubens, der allgemeinen Verbreitung und Anerkennung aufklärerischer Ideen einer autonomen Vernunft oder Moral, aber auch der explosionsartigen Vermehrung und Veränderung – weltbildprägenden – naturwissenschaftlichen Wissens im Lauf des 19. Jahrhunderts standen sich eine zunehmend große Zahl verschiedenartigster „Weltanschauungen“ in ihren Deutungsauffassungen von Welt und Leben gegenüber, so daß die reine Vielzahl, die faktische Pluralität an Weltanschauungen also, zu ihrem jeweiligen Deutungsanspruch in ein immer problematischer werdendes Verhältnis gerieten. Zur Begriffsgeschichte: Art. Weltanschauung, in: Deutsches Wörterbuch von J. u. W. Grimm, Bd. 28 [= XIV, I, 1 (1955)], 1530 – 1538; H. G. Meier, Weltanschauung. Studien zu einer Geschichte und Theorie des Begriffs, Diss., Münster, 1967/1968 (Lit.); knapp zur Enstehung: J. Klein, Art. Weltanschauung, RGG3 6 (1962), 1603 – 1606; allgemein: W. Stegmaier, Art. Weltbild, Weltorientierung, EKL3 4 (1996), 1255 – 1259. Zur religionsgeschichtlichen wie theologischen Spannweite des Pluralismusbegriffs: P. Gerlitz, Art. Pluralismus. Religionsgeschichtlich, TRE 27 (1996), 717 – 723 (Lit.). C. Schwöbel, Art. Pluralismus. Systematisch-theologisch, TRE 27 (1996), 724 – 739 (Lit.); Grözinger, Albrecht, Art. Pluralismus. Praktisch-theologisch, TRE 27 (1996), 739 – 742 (Lit.).
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alljährlich im Durchschnitt zwei bis drei neue Religionen gestiftet. Etwa die dreifache Zahl von Reformationsversuchen an den älteren Religionen kommt dazu. Daneben werden in Deutschland jährlich (schätzungsweise) etwa eine halbe Million ,eigener Weltanschauungen‘ aufgebaut und wieder verworfen, revidiert oder aus Mangel an Interesse wieder vergessen“7. Entsprechend beschäftigen sich Elerts frühe Schriften im weiten Sinne mit den Problemen und Folgen, die durch die faktische weltanschauliche Pluralität seiner Gegenwart gestellt sind.8 Eine Überwindung der faktischen Weltanschauungspluralität durch „Allgemeingültigkeit und Denknotwendigkeit“ einer spezifischen Deutung der Wirklichkeit ist nach Elerts Erfahrungen nicht wahrscheinlich.9 So sind die frühen Schriften, die im engeren Sinne um das Thema der Apologetik kreisen, Teil und Beitrag, vor allem aber Folge des ,Weltanschauungskampfes der Moderne‘, in den Elert – wenn auch nach den Hauptschlachten gleichsam als Nachhut seines Vorkämpfers und Doktorvaters Hunzinger – einzutreten versucht.10 7 W. Elert, August Horneffers Programm für den Priester der Zukunft, in: Der alte Glaube 14 (1912/1913), (254 – 256. 269 – 273) 254. 8 Dies verdeutlicht sich darin, daß Elert die weltanschauliche Pluralität nüchtern als Faktum anerkennt: Z.B. kann man über den Materialismus „spotten, man kann ihn bekämpfen, man kann seine wissenschaftliche Unhaltbarkeit beweisen; aber man kann nicht seine Existenz bestreiten“ (Die Wendung zu Geschichte und die Apologetik, in: NKZ 23 (1912), (465 – 491) 469). 9 W. Elert, Prolegomena, 73. 10 August Wilhelm Hunzinger (1871 – 1920) wurde 1906 Privatdozent für historische Theologie, 1907 a.o. Professor für Apologetik in Leipzig und 1909 o. Professor für systematische Theologie in Erlangen. Im Jahr 1912 wurde er Hauptpastor von St. Michaelis in Hamburg und wechselte unter dem Eindruck des Krieges und des politischen Umbruchs auf die „antikonservative Seite“ (K. Beyschlag, Erlanger Theologie, 142 Anm. 274. [Lit.]) Das apologetische Hauptwerk, auf das Elert mehrfach Bezug nimmt (vgl. dazu W. Elert, Prolegomena, VIII. 97 ff. 107 ff.), erschien 1909 unter dem Titel „Das Christentum im Weltanschauungskampf der Gegenwart“ (Wissenschaft und Bildung 54, Leipzig, 1909, 19162, 19193). Hunzinger war in Bezug auf apologetische Fragen sehr rührig: Bei der 1. Tagung vom 4.–14. Oktober 1909 des neu gegründeten Apologetischen Seminars in Wernigerode hielt Hunzinger einen Vortrag zum Thema: „Aufgabe und Methode der gegenwärtigen Apologetik“; ebenso zu apologetischen Fragen trug Hunzinger in den Tagungen der Jahre 1910 – 1913 vor. Vgl. dazu: D. Ott / M. Seils (Hgg.), Die Luther-Akademie Sondershausen. Eine Dokumentation, Rostocker Theologische Studien Bd. 9, Münster, 2003, 11 f. Daneben sind v. a. folgende Schriften zu nennen: „Grundzüge der Apologetik“. in: Probleme und Aufgaben der gegenwärtigen systematischen
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Die hier in den Blick zu nehmenden frühen Arbeiten beschäftigen sich weniger mit einer ausführlicheren Diagnose der Gegenwartskultur und der in ihr vertretenen Weltanschauungen, die Elert zum Teil – wie etwa die „Jünger des ,Luther-Goethe-Bismarck‘-Kultus“ – lediglich erwähnt,11 als vielmehr mit Stellung, Verortung und Zukunft von Christentum und Theologie angesichts dieser Situation. Dies geschieht in spezifisch apologetischer Absicht, da die Apologetik nach Elert diejenige theologische Disziplin ist, die „die kritische Auseinandersetzung der christlichen Weltanschauung mit dem gegenwärtigen Welterkennen und den auf seiner Grundlage erwachsenen Weltanschauungen“12 zu vollziehen habe.
Theologie, Leipzig, 1909; „Zur apologetischen Aufgabe der evangelischen Kirche in der Gegenwart“, Leipzig, 1907. Infolge der letztgenannten Veröffentlichung geriet Hunzinger in eine heftige Auseinandersetzung mit Martin Rade um die Verwendung der Begriffe der „Apologetik“ und der „christlichen Weltanschauung“: Vgl. dazu M. Rade, Bedenken gegen die Termini „Apologetik“ und „christliche Weltanschauung“, ZThK 17 (1907), 423 – 435 und die Erwiderung von A. W. Hunzinger, „Apologetik“ und „christliche Weltanschauung“. Eine Antwort, ZThK 18 (1908), 39 – 46. Zu dieser Auseinandersetzung: J. Kniffka, Apologetik und Kirche, Masch. Diss. Tübingen, 2002/ 2003, 85 – 90. Zu Hunzinger vgl. auch W. Elert, KCH, 385 f. 388 ff. 398 f. Der Begriff des ,Weltanschauungskampfes‘ reicht freilich weit ins 19. Jahrhundert zurück. So war z. B. das Buch „Im Kampf um die Weltanschauung“ (Bekenntnisse eines Theologen, Tübingen, 1888; 190616) von Richard Wimmer weit verbreitet. Zu Wimmer findet sich bei Elert allerdings nur eine kurze Notiz (KCH, 281). Umfassend zu Wimmer: Horst Renz (Hg.), Ein Standpunkt gegenüber dem Elend der Welt. Bekenntnisse und Leben eines Theologen. Richard Wimmer 1836 – 1905, Frankfurt a. M., 1998. Vgl. dazu auch unten S. 174 Anm. 67. 11 So Elert beiläufig in: Rez. Günther Jacoby, Herder als Faust, ThLBl 33 (1912), (181 f.) 182. Zum Teil finden sich auch mehr oder weniger ausführliche Auseinandersetzungen Elerts mit einzelnen weltanschaulichen Entwürfen. Eine solche – seltene – Ausnahme stellt Elerts ausführliche Besprechung (Der Alte Glaube 14 (1912/1913), 254 – 256. 269 – 272) eines Buches von August Horneffer (Der Priester, seine Vergangenheit und seine Zukunft, 2 Bde., Jena, 1912) dar, der, ausgehend von einer „völkerpsychologischen“ Analyse des Typus „Priester“, stellvertretend für den „,freie[n] Religionsbund‘“ (aaO, 254) ein Design des „Zukunftspriesters“ entwirft, um eine „Religion der Norm“ (aaO, 269) zu stiften. 12 So Elert (Prolegomena, 98) im Anschluß an seinen Lehrer W. Hunzinger (Apologetik und Religionsphilosophie in unserer Zeit, in: Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, 51, 206).
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1.2. „Zerfaserung aller Welt- und Lebensauffassung“? Die Situation gesellschaftlicher Pluralität wird von Elert jedoch nicht nur beschreibend, sondern durchaus auch bewertend wahrgenommen: Es ist nach wie vor nicht die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in eigenständige und unabhängige Bereiche, die von ihm als Problem beschrieben wird. Im Sinne einer Binnendifferenzierung, ja eines Binnenpluralismus der einzelnen Bereiche der Kultur, ist es vielmehr die „Atomisierung der Gesellschaft“13, die mit Mißtrauen bedacht wird: So erscheint ihm hauptsächlich der Weltanschauungspluralismus seiner Gegenwart eine Zerstörung gemeinsamen Lebens zu bewirken, mit der das Individuum aus seinem gewachsenen geschichtlichen Zusammenhang herausgerissen, isoliert und innerhalb des neuen Angebotsspektrums, das freilich nicht nur ,Neues‘, sondern in seinen Synkretismen auch viel ,Altes‘ bietet, „atomisiert“ wird.14 Unter dem Eindruck des im 19. Jahrhundert entwickelten romantisch-organologischen Geschichtsverständnisses kritisiert Elert die Geschichtsvergessenheit seiner Gegenwart, die sich nicht zuletzt in der Abwendung des Einzelnen vom Ganzen manifestiert.15 In einem Aufsatz von 1913 spricht er deshalb von einer „Zerfaserung aller Welt- und 13 W. Elert, Persönlichkeitskultur, Die sogenannte Persönlichkeitskultur, in: Der Alte Glaube 13 (1911/12), (531 – 540) 533. 14 W. Elert, Persönlichkeitskultur, 533. Vgl. Elerts pathetische Kritik an Horneffers synkretistischem Bestreben einer „neuen Religionsgründung“, die anstelle von Neuem „nur alte abgestandene Ware zu bringen weiß. Der ,robuste Lebensmut der Griechen‘, die ,Reinheit Jesu‘, die etwas banausischen Freimaurerideale, der ,Zaubergesang des Protestantismus‘, ,Freiheit der Wissenschaft‘ … Man fragt sich unwillkürlich: noch etwas gefällig“ (August Horneffers, 271 f.). Zum Phänomen des Synkretismus vgl. den Sammelband: V. Drehsen / W. Sparn (Hgg.), Im Schmelztiegel der Religionen. Konturen des modernen Synkretismus, Gütersloh, 1996. 15 Vgl. dazu Elerts Kritik an Horneffers Geschichtsverständnis (August Horneffer, 271): Die Geschichte ist kein „toter Körper“, sondern „sie ist doch ein lebendiges, kraftvolles Weib, in dem heißes Blut durch die Adern jagt, das zur Mutter immer neuer Geschlechter wird“. Vgl. v. a. W. Elert, Persönlichkeitskultur, 539 f.; ders., Die Geschichtsauffassung der alttestamentlichen Poesie, in: Der Alte Glaube 12 (1910/11), (339 – 349) 348: Die „Entwicklung des nationalen und sozialen Organismus“ hängt wesentlich von einem „geschichtlichen Fühlen und Wollen“ ab. Zur Geschichtsvergessenheit als allgemeiner Deskriptionskategorie der modernen industriellen Gesellschaft: K. Homann, Art. Geschichtslosigkeit, HWP 3 (1974), 413 – 416. Zum Einfluß der Romantik auf Elert: L. Langemeyer, Gesetz und Evangelium, 21 f.
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Lebensauffassung“16 in seiner Gegenwart. Dies deckt sich mit seiner generellen Einschätzung an anderer Stelle, daß die „Differenzierung der Weltanschauung“ beim Betrachter „durchaus den Eindruck der Dekadenz“ hinterlasse17. Diese zeitkritische Diagnose bleibt jedoch nicht ohne Hoffnung auf eine Therapie. Elert wittert – wenn auch nebulöse – Morgenluft, in der der ,Geist von 1914‘ sich anzukündigen scheint.18 Der Zeitgeist spiegelt sich so auch bei Elert, bei dem gelegentlich deutliche ,Deutschtümeleien‘ zu notieren sind.19 Die beklagte „Zerfaserung“ der Kultur, die Pluralität der Gesellschaft ist – so hofft er – überwindbar; es ist also selbst in den harten Worten von 1913 noch keine Untergangsstimmung auszumachen: Die als „Zerfaserung aller Welt- und Lebensauffassung“ wahrgenommene Pluralität ist überwindbar, der „liberale Doktrinarismus“ habe „abgewirtschaftet“, Idealismus und Symbolismus ebenso; Idealismus sei durch Realismus, durch positive Größen zu ersetzen:20 Anstelle idealistischer Größen wie eines „Patriotismus der Idee“, einer „Religion der Idee“ oder einer „Kunst der Idee“21 sei das, was die Menschen seiner Tage wünschten, etwas anderes: „Das Wollen der Idee 16 W. Elert, Was wollte Gerhart Hauptmann in seinem Festspiel?, in: Der Alte Glaube 14 (1912/13), (1236 – 1242) 1242. 17 W. Elert, Die Geschichtsauffassung der alttestamentlichen Poesie, 340. 18 Die vaterländisch-militärische Aufbruchsstimmung vor dem Ersten Weltkrieg scheint zugleich Hoffnung auf neue religiöse Erweckung volkskirchlichen Lebens zu bewirkt zu haben. Vgl. dazu W. D. Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte. Bd. 2. Reformation und Neuzeit, Gütersloh, 1999, 823 ff. (Lit.). Zum Hintergrund: Barbara Beßlich, Wege in den ,Kulturkrieg‘. Zivilisationskritik in Deutschland 1890 – 1914, Darmstadt, 2000. Literatur zur Stellung von Theologie und Kirche zum Ersten Weltkrieg: H. H. Schrey, Art. Krieg. IV. Historisch-Ethisch, TRE 20 (1990), (28 – 55), 51 f. (Lit.). 19 Die Frage nach Elerts Verhältnis zu Nation und Vaterland ist äußerst diffizil. Eine ebenso knappe wie gute Ausführung über Elerts Verhältnis zum „Nationalismus“ in der Zeit von 1914 – 1918 bietet T. Gerlach (Verborgener Gott – Dreieiniger Gott. Ein Koordinationsproblem lutherischer Gotteslehre bei Werner Elert, 1998, 371 – 374): Bei Elert „stolpert“ man „immer wieder über einzelne Zeugnisse nationaler, gelegentlich auch national-chauvinistischer Gesinnung“ (aaO, 371); Elert besitze ein „positives Verhältnis zum eigenen ,Volk und Vaterland‘ – ohne daß damit eine aggressive oder hybride Komponente verbunden sein muß (sie scheint sogar ausgeschlossen, wenn man den Gedanken konsequent auf alle Völker anwendet)“ (aaO, 373). 20 W. Elert, Was wollte Gerhard Hauptmann, 1241 f. Zu Elerts Kritik an Idealismus und Rationalismus: W. Elert, Kant und der ewige Friede, 15. 21 W. Elert, Was wollte Gerhard Hauptmann, 1241.
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ist ein Wollen ohne Inhalt. Wir aber wollen als deutsche, als religiöse, als künstlerische Menschen das Positive“; man „halte den Massen greifbare nationale Ziele vor, sie werden sich ordnen, wieder Form und Farbe bekommen. Man höre auf, formlose Religiosität zu predigen, stelle sich vielmehr mit beiden Füßen in die positive Religion, und die Zerfaserung aller Welt- und Lebensauffassung wird vom wuchtigen religiösen Gesamterleben abgelöst werden“22. Ein durch die Einfügung des Einzelnen in die gemeinsame Geschichte sich herstellender gesellschaftlicher Konsens23 ist für Elert also durchaus – noch – in greifbarer Nähe. Am Beispiel der Geschichtsauffassung des alttestamentlichen Israel würdigt er, in den Spuren Herders, solchen Konsens als eine „Volksweltanschauung“24, als „ein Stück geistigen Volkslebens von einer inneren Geschlossenheit, mit der selbst die oft gerühmte und geschmähte Weltanschauungseinheit des katholischen Mittelalters kaum verglichen werden kann“25. Der Einfluß der visionären Untergangsdiagnose von Oswald Spengler, die Erfahrung des Krieges und der Ohnmacht geschichtsbewußter Selbstvergewisserung liegen noch in weiter Ferne. Eine Krisendiagnose der Kultur im Ganzen, wie sie Elert im „Kampf um das Christentum“ 1921 stellen wird, ist trotz kritischer Töne noch nicht festzustellen. Die Diagnose Elerts in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg wird ungleich härter und hoffnungsloser ausfallen als 1913. So erscheint 1913 die „Zerfaserung“ noch durch immanente Positivität überwindbar, während die „Diffusion“ der Kultur im Nachkriegsdeutschland als nicht mehr revidierbar angesehen wird.26 Der unterge22 W. Elert, Was wollte Gerhard Hauptmann, 1242. „Positive Religion“ bezeichnet hier lediglich die überkommene christliche Religiosität im Gegensatz zu neuartigen Weltanschauungen mit ihrem ersatzreligiösen Charakter. Vgl. dazu unten S. 79 ff. 23 Vgl. v. a. W. Elert, Persönlichkeitskultur, 540. 24 W. Elert, Die Geschichtsauffassung der alttestamentlichen Poesie, 347 f. 25 W. Elert, Die Geschichtsauffassung der alttestamentlichen Poesie, 340. Elert spielt hier wohl auf das von Troeltsch vertretene Verständnis des Mittelalters als einer ,Einheitskultur‘ an. Vgl. dazu U. Köpf, Die Idee der „Einheitskultur“ des Mittelalters, in: F.W. Graf / T. Rendtorff (Hgg.), Ernst Troeltschs Soziallehren. Studien zu ihrer Interpretation, Troeltsch-Studien, Bd. 6, Gütersloh, 1993, 103 – 121. 26 Den Begriff der „Diffusion“ wird Elert in seinem Aufsatz „Die Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit“ (1922) zum Hauptmerkmal der Deskription seiner Gegenwart erheben. Vgl. ausführlich dazu v. a. unten S. 181 ff.
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henden Zivilisation wird dann lediglich der Hinweis auf die Transzendenz entgegengehalten, die, dem Bereich der Religion zugehörig, nach wie vor nicht mit „anderen Kulturfaktoren in einen Topf geworfen“27 werden darf und deshalb auch nicht dem Untergang geweiht ist: „Kann man“, so heißt es dann 1921, „nach allem, was die Weltgeschichte lehrt, nicht zweifeln, daß auch für unsere Kultur einmal der letzte Tag kommt, so werden die Christen, die aus unsrer Mitte dann übrig sind, gleich jenen Pilgervätern nichts anderes mit hinübernehmen in eine neue Welt als die Bibel unter dem Arm“28. 1.3. Das allgemeine Verlangen nach individueller Sinndeutung Eben der Bereich der Religion aber ist Elert zufolge ein nicht nur heiß umkämpfter Teilbereich der Kultur, sondern der Bereich, der in der Gegenwart der modernen Gesellschaft für die Menschen von entscheidender Wichtigkeit zu sein scheint.29 Gerade in einer technisch prosperierenden Gesellschaft, in der alles erklärbar wie machbar ist, in der die Gesetze des Marktes die Gesetze der Moral dirigieren,30 bricht in den einzelnen Menschen – gesteigert durch die „Not“ der Vereinzelung, Vereinsamung und Orientierungslosigkeit in einer unübersichtlich werdenden Lebenswelt31 – die Frage nach einem Zusammenhang des Erlebten, nach dem Sinn des Ganzen32 auf: „Wir heutigen sind uns öde, 27 W. Elert, Im Kampf um die Reformation, 123. Vgl. dazu oben S. 58 ff. 28 W. Elert, KCH, 490. 29 Einen guten Einblick in die religiöse Landschaft geben O. Blaschke / F.-M. Kuhlemann (Hgg.), Religion im Kaiserreich. Milieus, Mentalitäten, Krisen, Religiöse Kulturen der Moderne, Gütersloh, 1995. 30 Zu Elerts Kapitalismuskritik vgl. oben S. 59 Anm. 5. 31 Vgl. W. Elert, Persönlichkeitskultur, 533. 32 Die umfassend gestellte Frage nach dem „Sinn“ gilt immer wieder als ,typisch neuzeitlich‘ – heraufgeführt durch die Folgen der durch moderne Differenzierung und Pluralisierung entstandenen und entsprechend individualisierten Orientierungskrise. Zwar ist das Problem weit älter. Doch gewann die Sinnfrage im Laufe des 19. Jahrhunderts durch Transformation der Wert- und Zweckfrage zunehmend an Popularität; die Sinnfrage spitzt sich durch den Rekurs auf die Sinnlichkeit und auf die persönliche Erfahrung des Einzelnen von Sinn und Sinnlosigkeit – etwa in der Schopenhauerrezeption Nietzsches – extrem individualisiert auf die nur noch individuell beantwortbare Frage nach dem jeweiligen „Sinn des Daseins“ (Vom Nutzen und Nachtheil der Historie, 9 [KSA 1, 319]) zu und gehört spätestens seit Dilthey (Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft
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graue Sandkörner, von einer Meereswoge ans Land geworfen, um von der nächsten wieder hinweggespült zu werden. Die Renaissance, sagt man, hat die menschlichen Ganzheiten vereinzelt. Die sogenannte Moderne hat sie atomisiert“.33 Angesichts depersonalisierender Tendenzen wie „Verallgemeinerung“, „Schablonisierung“ und „Verwissenschaftlichung“ des Lebens fragt der Einzelne nach dem besonderen Wert und Sinn seines Lebens, „der unser Leben noch eigentlich lebenswert erscheinen lasse“.34 So ist die Zeit bis 1918 gezeichnet durch den Rückgang des individuellen Vermögens zur Sinndeutung der eigenen Existenz. Nicht zuletzt ist diese Sinndeutungskrise mitverursacht durch den parallelen Rückgang des Potentials an Sinndeutung in und durch die Geisteswissenschaften.35 Dieses Bedürfnis nach Sinndeutung sieht Elert latent als stets vorhanden: „Wir stehen vor einem Phänomen, es drängt sich uns real auf. Wir können es aber nicht anders in das Ganze unseres geistigen Lebens einordnen, als daß wir es verstehen, seine Bedeutung im Zusammenhang der ganzen Umwelt begreifen. Soll es nicht ein blinder Fleck sein auf dem bunten Bilde, das in unsrer Seele durch die Erfahrung entsteht, so muß es einen Sinn für uns bekommen. Ohne Sinn ist es sinnlos, ein Portentum, das uns zum Narren hält. Sollen wir also nicht überhaupt
und der Geschichte [1883], Gesammelte Schriften Bd. I, hg. v. B. Groethuysen, Leipzig/Berlin, 19232) auch zum festen Bestand wissenschaftlicher Terminologie. Vgl. dazu V. Gerhardt, Art. Sinn des Lebens, HWP 9 (1995), 815 – 824; J. Henrichs, Art. Sinn / Sinnfrage. Philosophisch, TRE 31 (2000), 285 – 293. Zur theologischen Bedeutung der Sinnfrage: H. J. Adriaanse, Art. Sinn / Sinnfrage. Systematisch-theologisch, TRE 31 (2000), 293 – 298; J. Siemann, Art. Sinn / Sinnfrage. Praktisch-theologisch, TRE 31 (2000), 298 – 301; E. Herms, „Sinn“ als theologischer Grundbegriff, in: ders., Offenbarung und Glaube, Tübingen, 1992, 372 – 407. Zur Entwicklung der Fragestellung nach dem Sinn der Geschichte als der einer umfassend gestellten Sinnfrage vgl. unten S. 89 Anm. 124. 33 W. Elert, Persönlichkeitskultur, 533. 34 W. Elert, Persönlichkeitskultur, 532 f. 35 Vgl. dazu K. Nowak, Die „Antihistorische Revolution“. Symptome und Folgen der Krise historischer Weltorientierung nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland, in: H. Renz / F. W. Graf, Troeltsch-Studien, Bd. 4, Gütersloh, 1987, (133 – 171) 139 ff. Zum stetigen Rückgang des Sinndeutungspotentials und der Orientierungsfunktion der Geistes- bzw. der Geschichtswissenschaften im Zusammenhang der Pluralisierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts vgl. unten S. 88 ff.
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die Augen schließen, um uns vorm Wahnsinn zu bewahren, so müssen wir notwendig voraussetzen, daß jedes Ding einen Sinn habe“36. In Situationen gesteigerter Kontingenzerfahrung jedoch wird die Sinnfrage bzw. das Bedürfnis nach Sinnvermittlung besonders virulent. Die Erfahrung der Sinnlosigkeit gebiert so die Frage nach dem Sinn. Als eine solche Situation diagnostiziert Elert die Zeit des Krieges, die durch die massive Erfahrung der „schneidenden Sinnlosigkeit“37 das existentielle Bedürfnis nach Sinndeutung gesteigert aktualisiert: Die Omnipräsenz des Todes werde erfahren als ein „Rätsel, das nach Lösung verlangt“38, und das Versagen gewohnter, alltäglicher kausaler Erklärungsmuster läßt den Gedanken an eine „außerphysische Lenkung der Geschicke“39 entstehen und produziert damit ein gesteigertes Bedürfnis nach Sinndeutung. Die Sinnfrage erwächst so aus dem – kontingenten – Leiden an einem Fatalismus, der aus der gewohnten lückenlosen Kausalerklärung des alltäglichen Lebens entstanden ist.40 Doch auch in der Vorkriegszeit ist das Bedürfnis seiner Zeitgenossen nach Sinngebung allein schon an der „bunten Vielheit der gegenwärtigen Glaubensmeinungen“41, an der Vielfalt, an der Pluralität der Weltanschauungen als Sinndeutungsangeboten ablesbar, wie sie sich nicht zuletzt in der „dilettantischen Massenproduktion auf religiösem Gebiet in der Gegenwart“42 spiegelt. Die Sinngebung des Einzelnen erweist sich dadurch als abhängig von der Sinnfindung im Kontext seiner Gegenwart. 1.4. Konkurrenz und Kampf der Weltanschauungen Die Frühzeit von Elerts akademischer Wirksamkeit und seiner literarischen Produktivität ist in der Hinwendung zu Phänomenen seiner Gegenwart geprägt durch ein apologetisches Interesse: „Die Apologetik kämpft einen akuten Kampf gegen die gegenwärtig konkurrierenden 36 37 38 39 40
W. Elert, Prolegomena, 48. W. Elert, Steigerung der Religiosität im Kriege, 155. W. Elert, Steigerung der Religiosität im Kriege, 155. W. Elert, Steigerung der Religiosität im Kriege, 155. Vgl. dazu G. Sauter, Was heißt: nach Sinn fragen? Eine theologisch-philosophische Orientierung, München, 1982, 78 f. 41 W. Elert, August Horneffers, 272. 42 W. Elert, August Horneffers, 271.
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Geistesmächte“43. Die gesellschaftliche Pluralität nimmt Elert deshalb primär als eine Pluralität der Weltanschauungen wahr, die miteinander konkurrieren, gar miteinander im Kampf liegen. Das Christentum als Religion und als Weltanschauung ist in Elerts Wahrnehmung nicht nur in sich differenziert, disparat, d. h. mit einem pluralen Spektrum ausgestattet,44 sondern vor allem durch die Existenz und die Konkurrenz der Ansprüche anderer Weltanschauungen herausgefordert.45 Diese Vielzahl von Sinnvermittlungsangeboten und Weltdeutungskonzeptionen stellt bisherige Selbstverständlichkeiten radikal in Frage. Das Christentum als Weltanschauung und die Theologie als Orientierungs- oder Sinnvermittlungswissenschaft sind aus ihrer bislang nahezu unangefochtenen Monopolstellung bzw. aus der althergebrachten – lediglich in gewohnten Bahnen konfessionell divergierenden – Einheit des christlichen Abendlandes durch die Konkurrenz mit anderen Weltanschauungen und Wissenschaften längst in die Situation geraten, die eigene Existenz gegen andere Entwürfe verteidigen zu müssen. Weil aber die Weltanschauungspluralität faktisch die Gegenwart zeichne, gehe das Vorgehen der älteren Apologetik, das Weltdeutungspotential neuerer – meist atheistischer – Weltanschauungen zu bestreiten, an der Situation vorbei. Deshalb sei „es doch sinnlos zu behaupten, nur die christliche oder […] die religiöse Weltanschauung sei imstande, Aussagen vom Übersinnlichen zu machen“46. Die Situation der Pluralität verschiedener Weltanschauungen wird von Elert deshalb als legitime Konkurrenz verschiedener – die immanente Empirie überschreitender – Deutungen der Wirklichkeit wahrgenommen; eine Art Weltanschauungsmonopol des Christentums existiert für ihn trotz der noch bestehenden Verbindung von Thron und Altar nicht 43 W. Elert, Prolegomena, 98. Zur zeitgenössischen Verortung: G. Wobbermin, Art. Apologetik I, RGG1 1 (1909), 558 – 564. 44 So bemüht sich Elert in seinem Aufsatz „Steigerung der Religiosität im Kriege“ (154 – 158) um eine Klassifizierung religiöser Typen. Interessant dabei ist, daß er neben den Nichtchristen, den Religionslosen und den Anhängern anderer Konfessionen auch ein plurales Spektrum im binnenkonfessionellen Raum benennt (vgl. aaO, 157). Zur weltanschaulichen Pluralisierung – auch innerhalb des Christentums – vgl. die zeitgenössische Darstellung von Otto Baumgarten, Art. Christentum. Seine Lage in der Gegenwart, RGG1 1 (1909), 1681 – 1690. 45 Vgl. dazu T. Nipperdey, Deutsche Geschichte. 1866 – 1918. Bd. I. Arbeitswelt und Bürgergeist, München, (1990) 1998, 507 – 528: „Die Unkirchlichen und die Religion“. 46 W. Elert, Wendung, 470.
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mehr: „Dann ist es aber von den christlichen Apologeten ebenso ungerecht wie ungerechtfertigt, das Übersinnliche zur Erklärung der Welt für sich allein in Anspruch zu nehmen“47. Die Herausforderung durch andere Weltanschauungen ist jedoch in Elerts Augen bereits so weit fortgeschritten, daß manche Christen bereits „Hohn auf unsere christliche Weltanschauung“ verspüren48 und vielen „der bewußte Bruch mit dem Christentum“ als eine „selbstverständliche Forderung“ gilt.49 Das Christentum, dem zum Teil noch mit einer „Art gönnerhaften Wohlwollen“50 begegnet wird, gilt jedoch nach Elerts Einschätzung des allgemeinen Bewußtseins als „unmodern“51. Es befindet sich derart in der Defensive, daß es in der Apologetik nicht mehr um die Verteidigung irgendwelcher Hegemonialansprüche des Christentums in der Kultur des späten Kaiserreiches gehen kann, sondern nur noch um die Verteidigung des bloßen Lebensrechtes des Christentums als Weltanschauung und der Theologie als Wissenschaft. So richtet sich Elerts Hauptaufmerksamkeit auf Fakten und Folgen primär dieses Aspektes des Weltanschauungskampfes der Moderne. 1.5. Der Kampf ums Überleben von Christentum und Theologie In der Zeit vor Ende des Ersten Weltkriegs scheint es Elert um eine Art Schadensbegrenzung zu gehen – darum, das Christentum als eine legitime, plausible, gegenwartstaugliche Form an Weltanschauung zu erweisen sowie der Theologie als deren wissenschaftlicher Reflexionskultur innerhalb der neuen Situation weitere Daseinsberechtigung zu erhalten. Die Anerkennung einer Pluralität der Weltanschauungen im Sinne einer gleichberechtigten Koexistenz der Weltanschauungen erscheint somit das primäre Ziel Elerts zu sein. Diese Zielsetzung ist motiviert durch seine Wahrnehmung des Niedergangs der gesellschaftlichen Akzeptanz des Christentums als Weltanschauung52 und der gesell47 48 49 50 51 52
W. Elert, Wendung, 471. W. Elert, Was wollte Gerhard Hauptmann, 1237. W. Elert, August Horneffers, 269. W. Elert, Rez. Cohn, Jonas, Führende Denker, ThLBl 38 (1917), (306 f.) 307. W. Elert, Persönlichkeitskultur, 534. Vgl. W. Elert, Was wollte Gerhard Hauptmann, 1237. 1239.
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schaftlichen Dominanz anderer Weltanschauungen53. So scheint sich Elerts Wahrnehmung in dieser Zeit auch weniger auf die pure Existenz anderer Weltanschauungen und die sich daraus ergebende Pluralität des Weltanschauungsangebotes wie der Weltanschauungspartizipation seiner Zeitgenossen zu richten als vielmehr auf die gänzlich veränderte Situation für das Christentum als Weltanschauung und für die Theologie als sinngebende Orientierungswissenschaft. Diese sei aus ihrer vergangenen Monopolstellung in eine Situation geraten, in der ihre normative Funktion irrelevant werde, ihre Orientierungskraft schwinde und sie gerade noch geduldet werde. Durch die exakten Wissenschaften und ihre weltanschaulichen Folgen und Ansprüche sei eine massive Abwertung des Religiösen eingetreten. Inzwischen gelte oftmals „die Naturwissenschaft als einzige ,Wissenschaft‘, die Naturphilosophie als einzig mögliche Philosophie“ und somit die naturalistische Weltanschauung als einzig mögliche Weltanschauung.54 So schätzt Elert für seine Gegenwart folgende Auffassung als „volkstümlich“ ein: Es seien „entweder die modernen Geisteswissenschaften oder die Naturwissenschaften […] im Vergleich zur Religion, vollends zu ihren kirchlichen Formen und zur Theologie als das Neue, das Moderne und als Fortgeschrittenere unbedingt überlegen. Daher ist konservative Gesinnung in religiösen Dingen gleich altmodischer Beschränktheit; der Trieb zu religionsfreier Wissenschaft, zu religionsfreiem Denken überhaupt ist dagegen eine Äußerung wirklichen, überlegenen Freiheitsinnes und ein Zeichen wahrhaft geistiger Größe. Diese Stimmung liegt uns allen, ohne daß wir uns klare Rechenschaft darüber geben, eigentlich im Blut, so daß auch wir vom ,alten Glauben‘ reden, der sich gegenüber den ,Modernen‘ zu verteidigen hat“55.
53 Deutlich wird dies in folgender Wahrnehmung Elerts: „Er [der Naturalismus] genießt noch heute gerade in seiner naivsten Form fast grenzenlose Popularität“ (Wendung zur Geschichte, 469). 54 W. Elert, Wendung, 471. Vgl. aaO, 469. 55 W. Elert, Im Kampf um die Reformation, 107. Die Rede vom ,alten Glauben‘ ist wohl eine Anspielung Elerts auf die Veröffentlichung von D. F. Strauß: Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntnis, Leipzig, 1872. Vgl. Elerts Straußinterpretation: KCH, 167 – 171. Zum gesteigerten Bewußtsein der Differenz zwischen Naturwissenschaft und Theologie infolge der Auseinandersetzung um den Darwinismus: U. Kropac, Naturwissenschaft und Theologie – historische Aspekte und Perspektiven eines problematischen Verhältnisses, Glaube und Denken. Jahrbuch der Karl-Heim Gesellschaft 12 (1999), (155 – 187) 160 ff.
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Innerhalb des von Elert wahrgenommenen Spektrums an Weltanschauungen treten deshalb insbesondere jene als Hauptproblem hervor, die durch ihre jeweilige Eigenart und Verfassung sowie ihren jeweiligen Anspruch das Christentum und die Theologie nicht nur mit der Situation bloßer Konkurrenz konfrontieren, sondern – obwohl auch sie von „nichtempirischen Voraussetzungen“ aus Welt und Wirklichkeit interpretieren56 – im Windschatten der exakten Wissenschaften einen „Anspruch auf Normativität“ erheben, gegen den Elert schon 1911 „mißtrauisch“ ist57. Es sind die monistischen Weltanschauungen. 1.6. Die monistischen Weltanschauungen Im Fokus von Elerts Aufmerksamkeit auf das Problem der Weltanschauungspluralität in der Zeit bis 1918 steht die Auseinandersetzung mit den monistischen Weltanschauungen. Diese Auseinandersetzung bezieht sich zwar auch, aber nicht nur auf den „Monismus“, wie er durch den von Ernst Haeckel mitbegründeten „Monistenbund“ allgemein bekannt und gegen Ende des 19. Jahrhunderts zur programmatischen Parole einer popularphilosophischen, materialistisch-szientisti56 W. Elert, Wendung, 471. Elert bemüht sich zu zeigen, daß die „eigentliche Differenz“ zwischen christlicher und anderen Weltanschauungen darin gründet, daß diese die „empirischen Tatsachen“, die naturwissenschaftlich, also empirisch einholbar sind, schlicht „anders interpretieren“; durch diese reine Andersartigkeit der Interpretation ergibt sich kein Vorsprung dieser Weltanschauungen in Bezug auf ihre Vernünftigkeit, da auch sie die „empirischen Tatsachen […] selbstverständlich ebenfalls von nichtempirischen Voraussetzungen aus“ interpretieren (Wendung, 471) und dadurch ebenso Welt und Wirklichkeit deduktiv, nämlich von einem „Glaubensurteil“ ausgehend zu verstehen suchen (ders., Prolegomena, 115). 57 W. Elert, Prolegomena, 8. Vgl. dazu aaO, 98. Die Situation der Weltanschauungskonkurrenz beschränkt sich somit in dieser Verweltanschaulichung wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht nur auf den Bereich des Religiösen. Vielmehr gilt: „Das Phänomen der tatsächlichen Konkurrenz zwischen dem Christentum […] auf der einen Seite und ,Weltanschauungen‘ aus dem gesellschaftlichen Bereich der ,Wissenschaft‘ auf der anderen hat natürlich immer auch – möglicherweise auch ursprünglich – den Sinn einer Institutionenkonkurrenz: nämlich zwischen Kirche(n) und den Institutionen von Wissenschaft und Bildung, sowie zwischen den jeweiligen Bereichseliten“ (E. Herms, Mit dem Rücken an der Wand? Apologetik heute, in: ders., Offenbarung und Glaube. Zur Bildung des christlichen Lebens, Tübingen, 1992, (484 – 516) 484 f. Anm. 3).
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schen Bewegung geworden ist, die die Bildung und Propagierung einer säkularen wie kirchenkritischen Weltanschauung mit weitgehend ersatzreligiösem Charakter verfolgte.58 Sie bezieht sich vielmehr im weiteren philosophiegeschichtlichen Sinne des Wortes auf die in ihrer Ontologie bzw. Erkenntnistheorie nicht dualistisch oder pluralistisch, sondern eben monistisch orientierten Weltdeutungserscheinungen.59 Als monistisch gelten für Elert all diejenigen Weltanschauungen, die in ihrer Erklärung der erlebten bzw. erlebbaren Wirklichkeit – in ontologischer Hinsicht – als Materialismus auf den Bereich der Natur oder als Spiritualismus auf den Bereich des Geistes rekurrieren bzw. – in erkenntnistheoretischer Hinsicht – entweder nur kausale oder nur finale Argumentationsfiguren verwenden.60 Durch die „Einseitigkeit des Monismus“61 – durch die jeweilige formale wie materiale Reduktion der Wirklichkeitsinterpretation – erzielen die monistischen Weltanschauungen ein hohes Maß an allgemeiner Anerkennung, die sie durch die propagierte wie usurpatorische Verwertung der Erkenntnisse der 58 Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren monistische Weltanschauungen verbreitet. Ein eindrucksvolles Beispiel bildet das Buch von J. G. Vogt, Der Realmonismus. Eine naturwissenschaftliche Weltanschauung mit besonderer Berücksichtigung des Geistes- und Lebensproblems, Leipzig, 1908. Der Monistenbund selber wurde 1906 in Jena von E. Haeckel und A. Kalthoff gegründet. Die auch von A. Drews und W. Ostwald mitgetragene Vereinigung zielte v. a. auf die Propagierung einer auf die Allgemeingültigkeit der Naturgesetze fußenden monistischen Weltanschauung bzw. monistischen Religiosität, die – handgreiflich in der Forderung nach Kirchenaustritt – zuweilen extrem kirchenkritische Züge annahm. Vgl. J. Mehlhausen u. D. Dunkel, Art. Monismus / Monistenbund, TRE 23 (1994), 212 – 219 (Lit.). Zu Elerts Auseinandersetzung mit dem Monistenbund bzw. dessen Protagonisten vgl. W. Elert, Wendung, 469 f.; ders., KCH, 313 ff. Daß Elert unter den monistischen Weltanschauungen jedoch nicht nur den Monistenbund verstand, zeigt sich auch in der kurzen Notiz (August Horneffers, 271), in der er sich nicht sonderlich „von dem kritischen Tam-tam etwa des Monistenbundes“ berührt zeigt. 59 Was Elert genauer unter Monismus versteht, welche konkrete weltanschauliche Ausformungen er unter diesen Begriff subsumiert, wird nirgendwo erschöpfend definiert oder erläutert; am ehesten vielleicht noch: W. Elert, Prolegomena, 27 ff. Vgl. dazu auch ders., Rudolf Rocholls, 49 ff. Doch scheint sich der Begriff generell einer exakten Definition bzw. einer generellen Übereinstimmung zu entziehen; vgl. dazu: H. Hillermann / A. Hügli, Art. Monismus, HWP 6 (1984), (132 – 136) 133. 60 Vgl. v. a. W. Elert, Prolegomena. Ausführlich dazu unten S. 97 ff. 61 W. Elert, Rudolf Rocholls, 49.
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modernen Wissenschaften in ihrem Szientismus auch intendierten.62 Unter Ausblendung anderer Momente der Wirklichkeitswahrnehmung verstehen sie ein im Vergleich zu ,ganzheitlicheren‘ bzw. dualistischen oder pluralistischen Weltanschauungen, die Natur und Geist, kausale und finale Argumentationsfiguren zu berücksichtigen suchen, einen nahezu unaporetischen Entwurf der Wirklichkeitsdeutung vorzulegen. Dieser trägt einen scheinbaren Anspruch auf Evidenz, Plausibilität und folglich beanspruchter Normativität in sich, erzielt im Windschatten der Fortschritte der exakten Wissenschaften große Popularität und unterzieht zugleich die christliche Weltdeutung einer harschen Kritik – wobei er sich zudem anschickt, die sinnstiftende Orientierungsfunktion althergebrachten Christentums durch die Darbietung eines religiösen Surrogats zu übernehmen.63 Im Blick auf die Begriffsgeschichte des Wortes Monismus läßt sich sagen, daß Elert in geradezu klassischer Weise einen „materialistischen“ und einen „idealistischen“ Monismus unterscheidet.64 Er sieht in den Monismen seiner Gegenwart die durch den Erfolg der empirischen 62 Zur Entstehung und Entwicklung des szientistischen Wissenschaftsparadigmas: Matthias Heesch, Lehrbare Religion? Studien über die szientistische Theorieüberlieferung und ihr Weiterwirken in den theologisch-religionspädagogischen Entwürfen Richard Kabischs und Friedrich Niebergalls, TBT 80, Berlin, 1997, 39 – 162. Vgl. auch Elerts spätere Kritik an apologetischen Tendenzen, die den „christlichen Glauben“ der „Begutachtung durch eine auf den monistischen Immanenzgedanken eingeschworene Natur- und Geschichtswissenschaft“ unterziehen (KCH, 6). 63 Bekanntestes Beispiel ist die Idee einer ,monistischen Religion‘, wie sie von E. Haeckel in seinem äußerst erfolgreichen Buch „Die Welträthsel“ (Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie, Bonn, 1899) beschrieben wurde. Zum ersatzreligiösen wie christentumskritischen Charakter monistischer Weltanschauungen: H. Hillermann / A. Hügli, Art. Monismus, HWP 6 (1984), 132 – 136; V. Drehsen / H. Zander, Rationale Weltveränderung durch ,naturwissenschaftliche‘ Weltinterpretation? Der Monistenbund – eine Religion der Fortschrittsgläubigkeit, in: V. Drehsen / W. Sparn (Hgg.), Vom Weltbildwandel zur Weltanschauungsanalyse. Krisenwahrnehmung und Krisenbewältigung um 1900, Berlin, 1996, 217 – 238. 64 Etwa W. Elert, Prolegomena, 115 Anm. 1. Vgl. ders., Rudolf Rocholls, 49 ff. Der Begriff Monismus taucht schon bei Christian Wolff als Gegenbegriff zu Dualismus auf. Bereits Wolff unterscheidet „zweierley Gattung“ von Monisten: „Idealisten“ und „Materialisten“ (Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen (1721), zitiert nach: J. Mehlhausen / D. Dunkel, Art. Monismus / Monistenbund, TRE 23 (1994), (212 – 219) 213. Ausführlich zur Begriffsgeschichte: H. Hillermann, Zur Begriffsgeschichte von „Monismus“, Archiv für Begriffsgeschichte 20 (1976), 214 – 235.
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Methode gesteigerten weltanschaulichen Folgen der „Einseitigkeiten“ überspannter Geist- bzw. Naturphilosophie im Naturalismus bzw. Idealismus.65 So beschäftigt Elert zum einen die Auseinandersetzung mit der Verweltanschaulichung der Ergebnisse der exakten Wissenschaften im Naturalismus bzw. in dessen weltanschaulichen Ausformungen66, zum anderen die Auseinandersetzung mit einem epigonalen Idealismus67 respektive mit einem in Opposition zur Dominanz der naturalistischen Wirklichkeitswahrnehmung neu entstandenen Idealismus bzw. seinen weltanschaulichen Ausformungen samt ihrer „Überspannung des Gedankens der menschlichen Freiheit“ in einer „Persönlichkeitskultur“.68 Während der Naturalismus aufgrund seiner weiten Verbreitung von Elert als eine populäre und verbreitete weltanschauliche Grundform eingestuft wird,69 sieht er in der „Persönlichkeitskultur“ eine eher gleichsam oppositionelle wie elitäre Randerscheinung von „Sonderlinge[n]“ mit eingeschränkter Wirksamkeit, die jedoch nicht minder weltanschauliche Züge trage.70 Dominant in Elerts Frühphase ist die Beschäftigung mit den weltanschaulichen Ansprüchen und Folgen der modernen Naturwissen-
65 W. Elert, Rudolf Rocholls, 51. Vgl. aaO, 49 ff. Elert dürfte hierbei diejenigen Weltanschauungen im Blick haben, die – nach Erwin Metzke (Handlexikon der Philosophie, Heidelberg, 1949, 197) – als „materialistischer Monismus“ die Materie, als „spiritualistischer Monismus“ den Geist als einheitliches Prinzip ihrer Weltdeutungskonstruktionen voraussetzen. 66 Dies geschieht bei Elert v. a. in seinem Aufsatz „Wendung zur Geschichte“ (1912). 67 So attestiert Elert z. B. Gerhart Hauptmann ein anachronistisches „Bekenntnis einer Welt- und Lebensauffassung […] zum deutschen Idealismus, sagen wir, von 1830“ (W. Elert, Gerhart Hauptmann, 1241). 68 W. Elert, Persönlichkeitskultur, 536. Vgl. v. a. Elerts Auseinandersetzung mit der von ihm sogenannten „Persönlichkeitskultur“: W. Elert, Persönlichkeitskultur, 531 ff.; ders., Im Kampf, 125 ff. Es handelt sich um eine von Elert „Persönlichkeitskultur“ genannte Bewegung, die in Opposition zu der Vorherrschaft kausalen Denkens entstanden ist und gerade gegen eine Abwertung des Individuellen unter dem Druck der Verallgemeinerungstendenzen die autonome Bildung einer Persönlichkeit, mithin eine autonome Selbstkonstitution zum Ziel hat, jedoch nicht minder weltanschauliche Züge trägt und nicht minder monistisch gegründet ist, indem sie den Bereich der Natur ausklammert. 69 Vgl. W. Elert, Wendung, 469. 70 W. Elert, Persönlichkeitskultur, 534. Vgl. aaO, 533 f.
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schaften, wie sie sich im Naturalismus bekunden;71 die weltanschaulichen Monismen überspannter Geistphilosophie sind eher Nebenschauplätze. So konzentriert sich Elerts Wahrnehmung der Pluralität in seiner Frühzeit auf die weltanschaulichen Möglichkeiten und Folgen der modernen Naturwissenschaften,72 ja, auf das in der theologischen Apologetik verbreitete „Schlottern vor den Naturwissenschaften“73. Die Wahrnehmung der Auswirkungen monistischer Weltanschauungsformen erstreckt sich bei Elert auf zwei Bereiche. Zum einen auf die wissenschaftssystematische Problematik der durch die modernen Wissenschaften in ihrer Wissenschaftlichkeit fraglich gewordenen Theologie und deren Angleichung an andere wissenschaftliche Standards, die ihrerseits an die Erfolge vor allem der Naturwissenschaften und der an diese sich anlehnenden Weltsicht anknüpfen.74 Zum anderen erstreckt sich Elerts Wahrnehmung auf die kulturpraktische Problematik des Abbaus einer allgemein gesellschaftlichen Akzeptanz des Christentums als Weltanschauung durch die Kritik monistischer Weltanschauungen. Die Wahrnehmung der wissenschaftssystematischen Problematik steht bei Elert klar hinter der der kulturpraktischen zurück: „Das Hauptinteresse hängt an dem Grundverständnis der christlichen Weltanschauung, also an einer Größe, die zunächst, in ihrer konkreten, alltäglichen Wirklichkeit, mit der Wissenschaft gar nichts zu tun hat“75 ; 71 Vgl. dazu T. Nipperdey, Deutsche Geschichte. 1866 – 1918. Bd. I. Arbeitswelt und Bürgergeist, München, (1990) 1998, 623 – 629. 72 Vgl. W. Elert, Wendung zur Geschichte, 469. 73 W. Elert, Wendung zur Geschichte, 465. Elerts Formulierung schließt an das Motto dieses Aufsatzes an, ein Zitat von Moeller van den Bruck: „Was muß das für eine Gottesvorstellung sein, die so ins Schlottern gerät vor ein bißchen Naturvorstellung!“ (aaO, 465). 74 So diagnostiziert Elert im Großteil der religionsgeschichtlichen wie religionspsychologischen Ambitionen seiner Gegenwart eine Tendenz, die Theologie – methodisch analog zu den Naturwissenschaften – in Religionswissenschaft zu überführen; zumindest der „naturwissenschaftliche Geist“ sei „tief in die Theologie hineingedrungen“ (Wendung, 475). Zugespitzt heißt es: „Man arbeitet ja gegenwärtig in allen Lagern geradezu fieberhaft daran, die ganze Theologie zur Naturwissenschaft zu machen“ (Wendung, 473). Zum Methodenstreit in der zeitgenössischen Theologie: U. Stenglein-Hektor, Religionsforschung als Wirklichkeitsgewinn. Hochschulpolitische Tendenzen, theologische Studienreformbemühungen und Enzyklopädiediskussion im Kulturprotestantismus, in: F. W. Graf / H. M. Müller (Hgg.), Der deutsche Protestantismus um 1900, Gütersloh, 1996, 19 – 41. 75 W. Elert, Wendung, 475.
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es hängt an einer Apologie des Christentums in Konfrontation mit monistischen Weltanschauungen. Zusammenfassend läßt sich sagen: In Elerts Frühzeit findet primär eine Auseinandersetzung mit den Monismen statt, die zur Erklärung der Wirklichkeit jeweils den anderen Bereich – Natur oder Geist – disqualifizieren. Elert plädiert seit seiner ersten Veröffentlichung im Gefolge von Böhme, Schelling und Rocholl für eine Verschränkung von Natur und Geist,76 für eine „Synthese von Empirischem und Überempirischem“77. Weltanschauliche Allerklärungsversuche, die entweder Natur oder Geist als einzigen Zugang zur Wirklichkeit propagieren, erscheinen ihm deshalb als unzureichend – als ein Zugang zur Wirklichkeit, der entweder in materialistischer oder aber spiritualistischer Perspektive die Wirklichkeit verkürzt wahrnimmt.78 76 Vgl. W. Elert, Rudolf Rocholls, u. a. 11 ff. 77 W. Elert, Prolegomena, 104. 78 Bereits hier drängt sich die Vermutung auf, daß die spätere Aversion gegen Karl Barths „Offenbarungsmonismus“ (vgl. v. a. W. Elert, Gesetz und Evangelium, passim) sich möglicherweise aus dieser früh grundgelegten Interessenkonstellation etwas besser verstehen läßt. Dann ließe sich Elerts Auseinandersetzung mit Barth nicht nur aus der Frontstellung lutherischer gegen reformierte Theologie verstehen, sondern gründete bereits in der Auseinandersetzung mit der Weltanschauungspluralität vor Ende des Ersten Weltkrieges: Der Herrmannschüler Barth – mit einer schwerlich zu leugnenden Tendenz zum ,monistischen‘ Geistidealismus (zu Elerts diesbezüglichem Barthbild vgl. W. Elert, Karl Barths Index der verbotenen Bücher) – würde also nicht nur von dem in der Theologiegeschichte als solchen bekannten Erzlutheraner Elert attackiert, sondern auch, wenn nicht gar vor allem, von einem Apologeten, der durch den von den monistischen Weltanschauungen mitverursachten Bedeutungsverlust ,konventionellen‘, eben pluralistisch verfassten Christentums erschüttert worden ist und der deshalb bei Barth so etwas wie „eine unbefangene Würdigung des ,Natürlichen‘“ (W. Elert, Rudolf Rocholls, 138) vermißt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß Elert 1948 in einer – übrigens auffallend freundlich gehaltenen – Rezension von Barths Theologiegeschichte eine Auseinandersetzung mit materialistischen Entwürfen vermißt: „Wir unsererseits hätten gewünscht, daß auch der Name Karl Marx wenigstens einmal vorgekommen wäre, der ja schließlich der Theologiegeschichte ebenso nah und ebenso fern steht wie Mozart“ (W. Elert, Rez. Karl Barth: Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, in: ZRGG 1 (1948), (367 – 370), 370). Später ist es bei Elert freilich nicht mehr die Zusammenschau von Natur und Geist, sondern die Offenbarung in Gesetz und Evangelium, die den unverkürzten Zugang zur Wirklichkeit (Gottes) ermöglichen soll; freilich hat sich dabei das Verhältnis der beiden Begriffspaare von einer Zusammenschau – einer „Synthese von Empirischem und Überempirischen“ (Prolegomena, 104) – über das zeitliche „Ideal“ der „Diastase von
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Hinsichtlich des Themas der Pluralität beschäftigen Elert in den ersten Jahren seiner akademischen Wirksamkeit hauptsächlich zwei Probleme. Das eine ist die faktische gesellschaftliche Pluralität, die „Zerfaserung aller Welt- und Lebensauffassung“79. Dieses Phänomen scheint ihn jedoch weit weniger umzutreiben als später während der Zeit als Breslauer Seminardirektor.80 Es ist eher untergeordnetes Randthema des apologetischen Hauptinteresses – präziser: Es ist der Bedingungshorizont des zentralen Interesses und bleibt deshalb hinter diesem auffallend zurück. Das andere Problem, dem sich Elert weit intensiver, nämlich zentral zuwendet, sind die Allerklärungsansprüche derjenigen Weltanschauungen, die durch ihren monistischen Zugang zur Wirklichkeit nicht nur eine weitere Sichtweise bieten – im Sinne einer Zunahme der faktischen Pluralität an Weltanschauungen –, sondern den eigenen Zugang zur Wirklichkeit zum einzig möglichen erklären und dadurch die Plausibilität der christlichen Weltanschauung unterminieren, ihr ein Existenzrecht bestreiten, wenn nicht gar sie zu beerben sich anschicken.81 Die Frage des Umgangs mit dem Problem der Pluralität stellt sich deshalb für Elert in der Wahrnehmung weltanschaulicher Ansprüche monistischer Welterklärungsmuster. Sein Interesse gilt dem möglichen Umgang mit diesen monistischen Allerklärungsversuchen, der es dem Christentum als Weltanschauung und der Theologie als Wissenschaft ermöglichen soll, in diesem Klima weiterhin zu existieren.
Christentum und Nichtchristentum“ (KCH, 4) hin zu einem prinzipiellen diastatischen Widereinander – des „realdialektischen Gegensatzes von Gesetz und Evangelium“ (Gesetz und Evangelium, 135) – verändert. 79 W. Elert, Gerhart Hauptmann, 1242. Vgl. dazu oben S. 63 ff. 80 Vgl. v. a. Elerts Diagnose der „Diffusion der Kultur“ von 1922 in: Forderung, 388. Vgl. dazu unten S. 181 ff. 81 S. oben S. 70 ff. Plastisch wird dies etwa durch eine Verlautbarung des Deutschen Monistenbundes aus dem Jahr 1911: Den „Mächten der Vergangenheit [muß] eine überlegene geistige Macht in Gestalt einer einheitlichen, neuzeitlichen Weltanschauung entgegengestellt“ werden. „Diese Weltanschauung der Zukunft kann nur eine monistische sein, eine solche, die einzig und allein die Herrschaft der reinen Vernunft anerkennt, dagegen den Glauben an die veralteten traditionellen Dogmen der Offenbarung verwirft“ (Fünf Jahre Deutscher Monistenbund, München-Gräfelfing, 1911, 6; zitiert nach J. Mehlhausen / D. Dunkel, Art. Monismus, TRE 23, 216, 7 ff.).
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1.7. Konfessionalistische Sicht? Im Blick auf den jungen Elert, der später als „Lutheranissimus“82 unter den Theologen für seinen ausgeprägten Konfessionalismus berüchtigt werden sollte, fällt auf, daß bei seiner Wahrnehmung der Pluralität konfessionelle Gegensätze keine Rolle zu spielen scheinen.83 Elerts Äußerungen innerhalb des Weltanschauungskampfes beziehen sich eher pauschal auf „das Christentum und die Christenheit“84 bzw. die „christliche Weltanschauung“ im Gegenüber zu anderen – nichtchristlichen – Weltanschauungen.85 Äußerst selten benutzt er Begriffe, die einen konfessionellen Wahrnehmungshorizont vermuten lassen. Wenn dann doch Wörter wie „Luther“ oder „Reformation“ auftauchen, geschieht dies in Kontexten, die durch die Antwort auf vorgegebene Fragestellungen geprägt sind und vor allem in keinem
82 M. Doerne, Rez. W. Elert, Der christliche Glaube, DLZ 62 (1941), (97 – 102) 101. Vgl. dazu oben S. 41 f. 44. 83 Vgl. etwa den wohlwollenden Bericht Elerts über Rocholls Kontakte zu einer überkonfessionellen Gemeinschaft aus Katholiken und Protestanten, die „über das Trennende hinwegsehen und ,wahre Katholizität‘ pflegen“ konnten (Rudolf Rocholls, 4). Konfessionelle Differenzen hingegen werden von Elert nur selten, vor allem im Zusammenhang mit der preußischen Union, die für Elert zeitlebens Sinnbild staatlicher Einmischung in innerkirchliche Belange war (vgl. dazu oben S. 30 ff.), erwähnt; vgl. dazu auch W. Elert, Rudolf Rocholls, 5 f. 22. Nur N. Slenczka (Selbstkonstitution, 26 – 30) hat bisher darauf hingewiesen, daß bei Elert bis zum Ende des Ersten Weltkrieges das bei ihm später so zentrale Thema des Gesetzes bzw. der Erfahrung des Zornes Gottes noch keine Rolle spielt; ebensowenig läßt sich bei Elert eine Auseinandersetzung mit Luther bzw. auch nur eine Kenntnis von Luther bzw. dessen Theologie nachweisen, ohne die „man auch damals durchs Examen gefallen wäre“ (aaO, 27). Dieser Befund paßt sich demnach in das oben angedeutete Phänomen ein, daß Elert zu dieser Zeit in seinem Denken keineswegs konfessionell ambitioniert gewesen ist. 84 W. Elert, August Horneffers, 272. 85 W. Elert, Rocholl, 25; vgl. ders., Prolegomena, 98 f. 101. 103; ders., Wendung zur Geschichte, passim. Elerts Globalperspektive einer Gegenüberstellung von Christentum und nichtchristlichen Weltanschauungen (vgl. August Horneffers, 254) wird besonders aus folgendem Zitat deutlich: „Ja man muß unwillkürlich nun das Christentum und die Christenheit diesen Hornefferschen Bauplänen gegenüberstellen. Was die Christenheit ausmacht“ ist eine „ursprüngliche Gewißheit um die eine Person am Anfang ihrer Geschichte, in der Gott und Welt und Menschheit, ewiges und irdisches Leben, Erlösung und Heiligung für sie erschlossen sind“ (August Horneffers, 272).
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Zusammenhang mit einer möglichen Konturierung einer lutherischen, reformatorischen oder protestantischen Weltanschauung stehen.86 Anzeichen einer Konfessionspolemik, die bei Elert in späteren Jahren nicht nur offensichtlich gegeben, sondern geradezu programmatisch betrieben wird, finden sich keine. Ganz im Gegenteil ist Elert bemüht, konfessionelle Vorurteile auszuräumen. Im Blick auf Elerts konfessionelle Herkunft verwundert es sicherlich nicht, daß er es für ein „Vorurteil“ hält, daß „Altlutheraner Fanatiker und Querköpfe“ seien.87 Andererseits ist es bemerkenswert, daß er sein Desinteresse bekundet, „kirchliche Differenzen auf die Spitze zu treiben“, denn das „Neben86 Begriffe wie „Luther“ und „Reformation“ fallen gehäuft in Elerts Aufsatz „Im Kampf um die Reformation“ – aber auch nur in diesem Aufsatz, der in dieser Hinsicht eine absolute Ausnahme bei Elert bis zum Erscheinen der „Lehre des Luthertums im Abriss“ (1924) darstellt. Der Kampf, den Elert hier um die Reformation führt, bezieht sich ausschließlich auf die Frage der Bedeutung der Reformation für den kulturellen Fortschritt der Neuzeit in Auseinandersetzung mit der These Troeltschs, die Reformation gehöre „ins Mittelalter“ (aaO, 108). Elert selber begrenzt seine Ausführungen auf die Bedeutung der „Reformation vom Standort der allgemeinen Kultur. Was sie für unsere Religion bedeutet, davon sollte hier nicht gesprochen werden“ (aaO, 128). Der These von T. Kaufmann, in diesem Aufsatz liege bereits das Denken des späteren Elert „in nuce“ vor (Werner Elert, 203; vgl. aaO, 202 f. 212 f. 223 f.), ist unter erheblichen Einschränkungen lediglich darin zuzustimmen, daß Elert bereits 1911 motiviert ist, die kulturelle Bedeutsamkeit des Luthertums, wie er sie eindrucksvoll besonders im zweiten Band seiner „Morphologie des Luthertums. Soziallehren und Sozialwirkungen“ (1932) vorlegen wird, gegenüber der These Troeltschs stark zu machen. Die Morphologie freilich läßt sich dann im Ganzen als eine einzige Antitroeltschiade bestimmen, als ein Werk, das „ganz aus der Gegnerschaft zu Troeltsch heraus erwachsen“ ist (T. Kaufmann, aaO, 223): Die Auseinandersetzung mit Troeltsch und der Widerspruch gegen dessen Deutung der Reformation und der Kulturpraxis des Luthertums ziehen sich durch beide Bände wie ein roter Faden: ML I, 2. 5. 44. 65. 357 f. 364. 367; ML II, 3. 6. 21. 32. 37. 41. 44. 53. 150. 157. 202. 311. 336. 347. 357. 468. Vgl. dazu T. Kaufmann, Werner Elert, 223. Daß nach Elerts eigener Erinnerung (W. Elert, Goldenes Buch, 237) die kritische Auseinandersetzung mit Troeltsch bereits während seines Studiums begann, hat im Bezug auf sein vermeintlich konfessionalistisches Interesse an Luther bzw. dem Luthertum nichts zu bedeuten, da es Elert 1911 – wie gesagt – lediglich um die Frage der Bedeutung der Reformation für den kulturellen Fortschritt der Neuzeit ging, nicht aber um deren Theologie. Eine tragende oder lediglich intensivere Auseinandersetzung oder Beschäftigung mit Luthers Person oder Theologie findet sich also selbst in dem Aufsatz von 1911 nicht. Vgl. dazu auch N. Slenczka, Selbstkonstitution, 26 – 30. 87 W. Elert, Stellung der altlutherischen Feldprediger, 311.
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einanderbestehen“ verschiedener Konfessionen und Kirchen ist in Elerts Augen „kein Konflikt, es verlangt nur gegenseitige Toleranz“.88 Besonders während des Krieges blickt Elert über das Trennende zwischen den Kirchen und Konfessionen hinweg und bekennt sich „oft genug mit den Gliedern anderer Kirchen innerlichst verbunden“ gefühlt zu haben:89 „Ich habe sogar einem Katholiken einmal das heilige Abendmahl gereicht“90. Schließlich seien es doch „alles Christen“. Im Jahr 1911 findet sich sogar das vage Urteil – das Elert später wohl nicht mehr vertreten hätte –, alle Christen hätten in dem Gefühl der „Wirkung des transzendenten Gottesgeistes“ ein „übereinstimmendes Bekenntnis“, das lediglich durch die „Weise der Vermittlung“ nach Konfessionen unterschieden sei.91 Auch seine religionspsychologischen Schriften beschäftigen sich allgemein mit dem Phänomen der Religiosität, sprechen pauschal von christlicher Religiosität, aber eben nicht „vom Standpunkt einer spezifischen Glaubensweise aus“92. So macht Elert auch keinen Hehl daraus, daß er von der „Anerkennung konfessioneller Etiketten“ nicht viel halte.93 Dieses Urteil signalisiert zugleich, daß es Elert in dieser Zeit eher – in apologetischer Absicht – darum zu gehen scheint, der christlichen Weltanschauung als einer religiös begründeten Form von Weltanschauung inklusive der seiner eigenen Konfession ein Überlebensrecht im geistigen Klima des neuen Jahrhunderts gegenüber den neuartigen, sich selbst nicht als religiös verstehenden – atheistischen oder ersatzreligiösen – Weltanschauungen und ihren schroffen, eben nicht transzendent begründeten Ansprüchen zu sichern.
88 W. Elert, Stellung der altlutherischen Feldprediger, 303. 89 W. Elert, Stellung der altlutherischen Feldprediger, 311. 90 W. Elert, Feldpredigerberichte, KELGP 72 (1917), 733. Zu dieser Abendmahlspraxis vgl. ders., Stellung der altlutherischen Feldprediger, 310 f. 91 W. Elert, Prolegomena, 114. 92 W. Elert, Steigerung der Religiosität im Kriege, 158. Z.B. sind für Elert (Zur Psychologie des Wunderglaubens, in: GKG 51/11 (1915), (421 – 431) 429) die „psychischen Erscheinungen“ katholischen und protestantischen Wunderglaubens „einander zu konform, als daß man sie auseinanderreißen dürfte. Die Unterschiede sind viel eher völkerpsychologisch zu erfassen als durch einfache Anerkennung konfessioneller Etiketten“. 93 W. Elert, Zur Psychologie, 429.
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1.8. Apologetik in der Defensive Eine scharfe Differenz zwischen Elerts Frühphase und seiner Zeit als Breslauer Seminardirektor zeigt sich in der Veränderung seiner Wahrnehmung von Stellung und Verfassung des Christentums in der allgemeinen Kultur bzw. in der Diagnose der das Christentum umschließenden Kultur. Ist Elert in der defensiven Frühphase primär bestrebt, ein Überlebensrecht von Christentum und Theologie angesichts einer dominant andersartigen – Christentum und Theologie abwertenden – Umwelt zu erweisen, so diagnostiziert er in der Breslauer Zeit hingegen eine allgemeine Kulturkrise, in der lediglich das Christentum noch eine Überlebenschance habe.94 Deutlich wird dies in Elerts Beibehaltung ein und derselben Metapher, die semantisch genau ins Gegenteil verkehrt wird: In seiner ersten Veröffentlichung von 1910 wird „die christliche Weltanschauung“ in einem nautischen Bild mit „einem sinkenden Schiff“ verglichen95. Im Jahr 1921 hingegen sieht Elert wiederum Schiffe sinken; diesmal jedoch ist die – in den von Oswald Spengler übernommenen Worten – zur Zivilisation degenerierte abendländische Kultur samt ihrem Weltanschauungspluralismus das „dem Untergang verfallene Schiff“.96 Der „Nachen der Christenheit“ läuft lediglich dann Gefahr mitunterzugehen, wenn die Zeichen der Zeit – nämlich die „Diastase“ des Christentums zur Umgebungskultur – nicht erkannt werden und das Christentum an das sinkende Schiff der allgemeinen Kultur gebunden bleibt.97 So ist die Zeit von 1910 – 1918 eher geprägt durch eine defensive, fast schon resignative Stimmung in Bezug auf die Zukunft des Christentums. Ganz im Gegensatz dazu prophezeit Elert 1921 in fast siegesgewisser Offensive gegenüber der in seinen Augen in den letzten Zügen liegenden westlichen Kultur eine große Zukunft des Christentums: Durch die Diastase zu der „gegenwärtigen Kultur“ wird das
94 Dazu ausführlich unten S. 174 ff. 95 W. Elert, Rudolf Rocholls, 25. 96 W. Elert, KCH, 489. Zum Einfluß von Oswald Spengler auf Elert siehe unten S. 184 ff. Vorweg sei hier nur auf die ausführliche Rezension Elerts anläßlich des Erscheinen des zweiten Bandes von Spenglers „Untergang des Abendlandes“: „Der ,Untergang des Abendlandes‘“ (1923) hingewiesen. 97 W. Elert, KCH, 489. Zu Elerts Definition des von ihm zentral verwendeten Begriffes der „Diastase“: W. Elert, KCH, 3 f. Ausführlich dazu unten S. 233 ff.
1. Zeitdiagnostische Wahrnehmungsperspektiven
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Christentum „die schon mehr als einmal in seiner Geschichte bewiesene Kraft bewähren, eine neue [Kultur] zu erzeugen“.98 Gerade in dieser Differenz bekundet sich die Wende von der Defensive in eine Offensive im Blick auf die Wahrnehmung der Pluralität und den Umgang mit ihr: Später wird es Elert nicht mehr darum gehen, in einem wenn auch noch so stark ermäßigten apologetischen Anspruch ein Überlebensrecht von Christentum und Theologie in einer vorfindlichen Kultur zu erweisen. Stattdessen kündigt Elert nach dem Ersten Weltkrieg jeglichen Vermittlungsanspruch zwischen Christentum einerseits sowie Kultur und allgemeinen Denken andererseits auf und betreibt in hohem Maße seine signifikante Form von diastatischer Theologie. Die Umwandlung der apologetischen – also durchaus auf Vermittlung bedachten – Haltung der Frühphase in eine polemische, geradezu programmatisch antiapologetische Position kündigt sich hierin an.99 So fragt sich Elert im Jahr 1911 noch, woran er dann 1921 keinen Zweifel mehr haben wird,100 „ob es ratsam ist, in der Apologetik die polemische Aufgabe als das Primäre anzusehen“101. 1.9. Elerts Wahrnehmungsperspektive bis 1918. Eine Zusammenfassung In der Zeit von der Abfassung seiner Dissertationen bis zum Ende des Ersten Weltkriegs und dem Beginn seiner Tätigkeit als Seminardirektor in Breslau findet sich bei Elert keine ausführliche Diagnose der Gegenwartskultur. Fragen zur Verfassung der Gesellschaft werden von ihm nirgends ausführlich, geschweige denn systematisch-zusammenhängend oder gar erschöpfend untersucht. 98 W. Elert, KCH, 490. 99 Diese Umwandlung von Elerts apologetischer Intention dürfte sich jedoch auch zu einem guten Teil daraus erklären lassen, daß das für ihn in seiner Frühphase zentrale Problem, nämlich der Umgang mit den exklusiv normativen Ansprüchen monistischer Weltanschauungen, in der Zeit nach 1918 nicht mehr als so drängend erlebt wurde, weil es nicht mehr in demselben Maße wirklichkeitsprägend war. So widerfuhr den monistischen Weltanschauungen infolge des Ersten Weltkrieges ein allgemeiner Niedergang, der nicht zuletzt auch ihre Publizität deutlich schwächte. Vgl. dazu: H. Hillermann / A. Hügli, Art. Monismus, HWP 6 (1984), 132 – 136. 100 Vgl. W. Elert, KCH, 496: „Glaubt die Theologie als Vertreterin der christlichen Erkenntnisgemeinschaft ihrer Aufgabe gerecht zu werden, wenn sie allein sich der Polemik enthält“? 101 W. Elert, Prolegomena, 101.
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Allgemein kulturpraktische Probleme aber beschäftigen ihn, wie gezeigt, sehr wohl. Sein diesbezügliches Interesse verrät sich jedoch nur zwischen den Zeilen in kleineren Bemerkungen und Kommentaren. Eine irreversible Krise der Kultur diagnostiziert Elert dabei nicht, obwohl er gegenüber Idealismus, Liberalismus, Individualismus, Rationalismus, Naturalismus und Materialismus vergleichsweise umfassend kritisch-aversiv eingestellt ist. Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft als ganzer scheint für ihn kein Problem darzustellen, wohl aber die Folgen der Auflösung der Einheit in den Teilbereichen der Kultur. So ist es besonders die Binnendifferenzierung im Bereich der Religion, die zugleich Ursache wie Folge der Verunsicherung des Einzelnen im Blick auf den Sinn des Ganzen ist. Pluralität wird von Elert deshalb fast ausschließlich als Pluralität der „Welt- und Lebensauffassung“102 wahrgenommen. Diese Wahrnehmung der Weltanschauungspluralität vollzieht sich bei Elert in einem apologetischen Horizont, der bestimmt ist von der – im Vergleich zum späteren Elert – fast resignativ wirkenden Diagnose des Rückgangs der Akzeptanz der weltanschaulichen Plausibilität des Christentums und der Wissenschaftlichkeit der Theologie. So ist seine Zeitdiagnose dominiert von der Wahrnehmung jener Weltanschauungen, die seiner Meinung nach für diesen Rückgang vor allem verantwortlich sind: der monistischen Weltanschauungen. In ihrer Verweltanschaulichung von Ergebnissen der exakten Wissenschaften behalten diese monistischen Weltanschauungen, obwohl sie unter Verwendung „nichtempirische[r] Voraussetzungen“103 zur Weltanschauung erweitert wurden, den Anspruch auf wissenschaftliche Exaktheit bei und erheben damit einen exklusiven Anspruch auf allgemeine Wahrheit, der zugleich das Christentum in seiner weltanschaulichen Dimension als Anachronismus abstempelt. Die Frage des Umgangs mit dem Problem der Pluralität der Weltanschauungen stellt sich für Elert deshalb in einer sehr defensiven Weise, die von ihm in einer eher pauschalen, auffallend wenig spezifischen, vor allem aber nicht konfessionellen Weise bearbeitet wird. Apologetik ist defensiv.
102 W. Elert, Gerhart Hauptmann, 1242. 103 W. Elert, Wendung, 471.
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2. Das apologetische Programm 2.1. Die Apologetik als die „richtige Instanz“ Elerts Versuche des Umgangs mit den monistischen Weltanschauungen materialistischer wie idealistischer Provenienz zielen auf eine Begrenzung und Relativierung der Normativität ihrer Ansprüche, präziser: auf die Begrenzung des Anspruchs auf exklusive Exaktheit der weltanschaulichen Folgerungen, die aus den Erkenntnissen und Ergebnissen der modernen Wissenschaften gezogen werden. Dies geschieht durch den Aufweis des reduktionistischen und vereinseitigenden Charakters ihres Zugangs zur Wirklichkeit und durch den Hinweis auf den notwendigen, weil für die Erklärung der ganzen Wirklichkeit wesentlichen Eckstein einer jeden Weltanschauung, der nach Elert eben nur transzendenter, respektive religiöser Natur sein kann. In diesem Sinn will Elert eine Aufklärung über den religiösen bzw. ersatzreligiösen Gehalt scheinbar rein immanenter, vermeintlich säkularer Weltanschauungen erreichen, um damit deren Anspruch auf angeblich erweisbare Exaktheit und daraus folgende Normativität in Frage zu stellen.104 Dabei geht Elert von der faktischen Existenz weltanschaulicher Pluralität aus; das ersatzreligiöse Potential von Weltanschauungen neben dem der christlichen wird, wie gezeigt, weder geleugnet noch bestritten, sondern in seiner faktischen Religiosität wahrgenommen. Zugleich intendiert Elert einen Versuch der Plausibilisierung und Vermittlung religiöser – besonders christlicher – Sinngebung der Wirklichkeit als einer nicht monistisch verkürzten Deutung und Integration aller Wirklichkeit; deshalb bekommt die Apologetik die Aufgabe zugewiesen, die christliche Weltanschauung auch „thetisch“ zu „entwerfen“105. 104 Diese apologetische Grundintention Elerts findet sich auch noch 1921: „Seit Paulus hat sich ja das Christentum in seinen besten Zeiten immer zu jeder aus rein immanenter Betrachtung erwachsenen Weltanschauung […] im Gegensatz gewußt“ (KCH, 174). 105 W. Elert, Prolegomena, 101. Vgl. AaO, 99. Elert verbindet mit einem „thetischen“ Entwurf der christlichen Weltanschauung durch die Apologetik nicht etwa eine nicht weiter ausgeführte oder eine nicht in ihrem Kontext begründete bloße Darstellung in Thesen. Der der Apologetik aufgetragene „thetische“ Entwurf der christlichen Weltanschauung dient Elert vielmehr der assertorischen Darstellung und Präsentation der christlichen Weltanschauung im Weltanschauungskampf seiner Gegenwart. Deutlich wird dieses Verständnis
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Der empirische Ort der Transzendenzgewinnung ist die Religion bzw. die Gewißheit des Einzelnen um seine Transzendenzerfahrung. Wenn aber die Wahrheit einer Weltanschauung wesentlich durch die subjektive Transzendenzerfahrung des Einzelnen konstituiert wird, ergibt sich daraus – da eben subjektiv erworben – die Relativität der Wahrheitsansprüche der verschiedenen Weltanschauungen; durch die Verankerung der Wahrheitsansprüche der Weltanschauungen in der Subjektivität der Transzendenzerfahrung wird die faktische Pluralität der Weltanschauungen erklärt. Daraus zieht Elert die Folgerung, den Streit um die Wahrheit im Weltanschauungskampf der Moderne so zu verstehen: Wahrheitsfrage ist eben eine – im umgangssprachlichen Sinne zu verstehende – „Weltanschauungsfrage“, die nur vom jeweiligen Individuum für sich selber beantwortet werden kann.106 Wenn die Konkurrenz der Weltanschauungen also eine – im umgangssprachlichen Sinne – „Weltanschauungsfrage“ ist, folgt für Elert daraus die relative Gleich-Gültigkeit einer jeden Weltanschauung, die den Zugang zur Wirklichkeit – formalen Anforderungen genügend – unverkürzt wiedergibt. Daraus ergibt sich die Möglichkeit einer Koexistenz der Weltanschauungen, in der jeweilige Hegemonial- oder Wahrheitsansprüche nur nach dem Grad ihrer allgemeinen Plausibilität bzw. Kompatibilität zur jeweiligen subjektiven Transzendenzerfahrung zugestanden werden können, nicht aber aufgrund ihrer scheinbar exklusiven methodischen und folglich materialen, inhaltlichen Exaktheit. Nach eigenem Bekunden schien Elert zur Bearbeitung dieser Problematik „zunächst die Apologetik die richtige Instanz zu sein“107. Die Apologetik stellt die „christliche Weltanschauung“ in einem thetischen Entwurf dar.108 Dabei macht die Apologetik nur Aussagen in Bezug „auf die Welt, auf die Grundfaktoren der Wirklichkeit“.109 Die Apologetik unterscheidet sich streng von der Dogmatik und zielt somit keineswegs
106 107 108 109
von „thetisch“ im Sinne von „assertorisch“ aaO, 99: Jede Weltanschauung zielt auf die Klärung der Frage nach dem Sinn und bietet deshalb eine spezifische „Erklärung der Geschichte. Und da jede Weltanschauung, auch die christliche, behauptet, diese Erklärung liefern zu können, so ist es Sache der Apologetik, etwa zunächst die christliche thetisch darzustellen und sie dann mit den übrigen auseinanderzusetzen“. Zu diesem Verständnis einer „thetischen“ Darstellung: P. Widmann, Thetische Theologie. Zur Wahrheit der Rede von Gott. Beiträge zur evangelischen Theologie 91, München, 1982, bes. 9 f. W. Elert, Prolegomena, 98. Vgl. aaO, 6. W. Elert, Goldenes Buch, 237. W. Elert, Prolegomena, 101. Vgl. aaO, 99. W. Elert, Prolegomena, 99.
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auf Glauben. Vielmehr soll erreicht werden, daß die thetische Darstellung der christlichen Weltanschauung auch der „Ungläubige“ potentiell nachvollziehen, also „anerkennen könne“.110 Durch diese Tätigkeit wird die Apologetik zu dem, was sie sein sollte, nämlich „eine kritische Auseinandersetzung der christlichen Weltanschauung mit dem gegenwärtigen Welterkennen und den auf seiner Grundlage erwachsenen Weltanschauungen“.111 Dieses apologetische Programm führt Elert in einer Reihe von Schriften aus, deren zusammenhängender systematischer Charakter auf den ersten Blick nicht erkennbar ist, obgleich sie Elert bis auf wenige Ausnahmen als Explikation seiner Licentiatenarbeit verstanden wissen wollte.112 In der Zeit bis 1918 veröffentlichte Elert neben seinen beiden Dissertationen113 zwei weitere Aufsätze114, die ebenfalls um das Thema der Geschichtsphilosophie kreisen. Daneben finden sich mehrere religionspsychologische Arbeiten115 und einige Aufsätze, die formal wie material eher publizistische Intentionen verfolgen.116
110 111 112 113
W. Elert, Wendung, 466. Vgl. aaO, 466 f. 485. 490 f. W. Elert, Prolegomena, 98. Vgl. W. Elert, Goldenes Buch, 237. Rudolf Rocholls Philosophie der Geschichte (1910); Prolegomena zur Geschichtsphilosophie. Studie zur Grundlegung der Apologetik (1911). 114 Die Geschichtsauffassung der alttestamentlichen Poesie (1911); Die Wendung zur Geschichte und die Apologetik (1912). 115 Die Religiosität des Petrus. Ein religionspsychologischer Versuch, Leipzig, 1911; Die Grenzen der Religionspsychologie, Theologisches Zeitblatt 4 (1912), 156 – 166; 193 – 205; 244 – 255; Die voluntaristische Mystik Jakob Böhmes (1913); Jakob Böhmes deutsches Christentum, BZSF, Berlin, 1914, 185 – 218; Zur Psychologie des Wunderglaubens (1915); Steigerung der Religiosität im Kriege (1918). 116 V.a. Im Kampf um die Reformation (1911); Die sogenannte Persönlichkeitskultur (1912); Was wollte Gerhard Hauptmann in seinem Festspiel (1913); Kant und der ewige Friede (1915); August Horneffers Programm für den Priester der Zukunft (1912).
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2.2. Die Durchführung des apologetischen Programms 2.2.1. Die geschichtsphilosophischen Arbeiten 2.2.1.1. Geschichtsphilosophie als „metaphysischer Nebel“? Ergänzt durch die religionspsychologischen Arbeiten, auf die noch eigens einzugehen sein wird,117 ist ab 1910 primär die „sich seit gut zwei Jahrzehnten stärkeren Interesses“118 erfreuende Geschichtsphilosophie das gegenwartsbewußte Instrument Elerts zur Durchführung seines apologetischen Programms. Diente die Geschichtsphilosophie vor allem etwa seit Mitte des 18. Jahrhunderts dazu, die erfahrene Wirklichkeit in eine „,philosophisch angehauchte Universalgeschichte‘“119 zu kleiden, so zerbrach nach Hegel die Zuversicht, durch die Geschichtsphilosophie allgemeingültige Auskunft über Grund und Ziel der Geschichte zu erlangen. Materiale Geschichtsphilosophien wurden daher eher als verschiedene Möglichkeiten einer ,Geschichtsmetaphysik‘ verstanden, die je nach Standpunkt des Verfassers eher als Anspruch einer eigentümlich besonderen Deutung menschlichen Daseins galt und somit als eine von vielen Geschichtsdeutungsentwürfen gleichsam den Charakter eines konfessorischen wie weltanschaulichen Wirklichkeitsverständnisses annahm. Die Vielzahl und Disparatheit der Deutungen führte zur Abwertung ihrer Bedeutung; Geschichtsphilosophie löste sich zunehmend in weltanschauliche Beliebigkeit und wissenschaftliche Bedeutungslosigkeit auf und wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts von historischer Einzelforschung verdrängt:120 „Den überempirischen Gang der Idee der Geschichte zu verfolgen, ist nicht Sache des exakten Forschers […], sondern der Disziplin, die man früher Geschichtsphilosophie zu nennen pflegte“121. 117 Vgl. dazu ausführlich unten S. 127 ff. 118 So Elerts Einschätzung im Jahr 1911 (Prolegomena, 1). 119 So in Elerts Urteil (Prolegomena, 5) mit einem Zitat von E. Bernheim (Lehrbuch der historischen Methode. Mit Nachweis der wichtigsten Quellen und Hülfsmittel zum Studium der Geschichte, Leipzig, (1889) 18942, 545). 120 Bezeichnend hierfür ist das Wort Diltheys, jede Geschichtsphilosophie sei durch geschichtliches Bewußtsein überwundener „metaphysischer Nebel“ (Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte [1883], Gesammelte Schriften Bd. I, hg. v. B. Groethuysen, Leipzig/Berlin, 19232, 112; vgl. aaO, 86 ff.). 121 W. Elert, Prolegomena, 3.
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Um jedoch das Verständnis des ,Ganzen‘ nicht dieser Beliebigkeit zu überlassen, formierte sich auch unter dem Eindruck naturalistischer, positivistischer und materialistischer Bedrängung der Geschichtswissenschaft vor allem im südwestdeutschen Neukantianismus das Bestreben, Grundlagen, Methode und Aufgabe der Geschichtswissenschaft zu klären, in Elerts Worten: „sich über die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen der Historik klar zu werden“.122 Der Begriff ,Geschichtsphilosophie‘ erhält hier „einen neuen Sinn“ und bezeichnet „Methodologie und Theorie der historischen Erkenntnis“.123 Geschichtsphilosophie wird somit zu einer überwiegend formalen Disziplin, die jedoch auch die formalen Anforderungen an mögliche materiale Geschichtsphilosophien zu formulieren sucht. Diese um die Jahrhundertwende erreichte Aufgabenstellung der ,Geschichtsphilosophie‘ erscheint dem Apologeten Elert – unter Zuspitzung auf die „Frage nach dem Sinn der Geschichte“ als der „Hauptaufgabe der Geschichtsphilosophie“124 – das richtige Instrument
122 W. Elert, Prolegomena, 4. Vgl. aaO auch zu J.G. Droysen (Grundriß der Historik, Leipzig, 1868). Zu dieser Entwicklung vgl. U. Dierse / G. Scholtz, Art. Geschichtsphilosophie, HWP 3 (1974), (416 – 439) 429 ff. 433 f. 123 H. G. Gadamer, Art. Geschichtsphilosophie, RGG3 2 (1958), (1488 – 1496) 1489. 124 W. Elert, Prolegomena, 26; vgl. v. a. ders., Rudolf Rocholls, 132 f.; ders., Prolegomena, 25 ff. Ausführlich dazu unten S. 97 ff. Der abnehmenden allgemeinen Bedeutung geschichtsphilosophischer Entwürfe entspricht die Zunahme der Popularität einer im umfassenden Sinne gestellten Frage nach dem ,Sinn des Lebens‘, des ,Daseins‘ bzw. der ,Geschichte‘. Vgl. dazu oben S. 66 ff. In Analogie zum ,historischen Schriftsinn‘ entwickelte sich im 19. Jahrhundert zunehmend ein historischer Sinn für das ,Buch‘ der Natur und der Geschichte; aus dem Sinn fr die Geschichte – dem geschichtlichem Sinn – entstand so der Sinn für den „Sinn der Historie“(F. Nietzsche, Vom Nutzen und Nachtheil der Historie, 2 [KSA 1, 258]; H. v. Verf.), der neben die Sinneswahrnehmung die Wirklichkeitsdeutung in ihrer Funktion zur Lebensbewältigung einsetzte. Zum Verhältnis der Entwicklung von Geschichtsphilosophie und der Frage nach dem Sinn der Geschichte: G. Sauter, Was heißt: nach Sinn fragen? Eine theologisch-philosophische Orientierung, München, 1982, 71 ff. Die ursprüngliche Bedeutung des deutschen Wortes ,Sinn‘, die nicht etwa vom lateinischen ,sensus‘ abhängt, sondern am ehesten mit ,Ortsbewegung‘, ,Reise‘ oder ,Richtung‘ wiederzugeben ist (vgl. Art. Sinn, in: J. u. W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 16 [= X, I (1905)], (1103 – 1152) 1103 ff.), deutet darauf hin, daß sich ,Sinn‘ vor allem auf die zukünftige Geschichte bzw. ihr divinatorisches Verständnis bezieht.
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zu sein, in die Auseinandersetzung mit der Pluralität der Weltanschauungen seiner Gegenwart einzutreten.125 2.2.1.2. „Rudolf Rocholls Philosophie der Geschichte“ 2.2.1.2.1. Elerts Erstveröffentlichung So beschäftigt sich Elert bereits in seiner ersten Veröffentlichung 1910 mit der Geschichtsphilosophie, genauer: mit „Rudolf Rocholls Philosophie der Geschichte“126. Die etwas mehr als einhundertunddreißig Seiten umfassende Arbeit ist in erster Linie eine Nachzeichnung der – materialen – geschichtsphilosophischen Arbeit des Altlutheraners Rudolf Rocholl.127 Der Text präsentiert sich als ein zäh geschriebenes Referat, das noch ganz und gar nichts von Elerts späterem Sprachwitz, seiner Ironie und Direktheit verrät.128 Daher ist Elerts eigene Sicht der Dinge über weite Strecken lediglich indirekt aus der Art der Wiedergabe zu erschließen.129 Sie ist im Ganzen eher ein – philosophisches – 125 Zur Anknüpfung Elerts an den Neukantianismus vgl. W. Elert, Prolegomena, 4 ff.; ders., Wendung, 475 ff. 126 Die – auf Drängen seines Lehrer Richard Falckenberg in Erlangen verfaßte – philosophische Dissertation Elerts erschien 1910 bei Quelle & Meyer in Leipzig. Vgl. dazu oben S. 8. Richard Falckenberg (1851 – 1920) war 1889 – 1920 Philosophieprofessor in Erlangen. 127 Vgl. R. Rocholl, Die Philosophie der Geschichte. Darstellung und Kritik der Versuche zu einem Aufbau derselben, Göttingen, 1878/1893. Umfassend zu R. Rocholl (1822 – 1905): K. U. Ueberhorst, Die Theologie Rudolf Rocholls. Eine Untersuchung zum Universalismus der göttlichen Heilsveranstaltung, Arbeiten zur Geschichte und Theologie des Luthertums Band XI, Berlin, 1963. 128 Es ist geradezu bezeichnend für die ganze Arbeit, wenn Elert (Rudolf Rocholls, 15) räsoniert: „Man verzeihe die umständliche Reproduktion der Gedanken Rocholls“. Besonders deutlich wird dies im Vergleich mit Elerts elf Jahre jüngerer Darstellung von „Rocholls apologetische[r] Geschichtsphilosophie“: KCH, 248 – 253. Eine zeitgenössische Würdigung hingegen attestiert dem Elert dieser Jahre gar eine „eminente künstlerische Darstellungsgabe“ (L. Jacobskötter, Rez. Elert, Lic. Dr. W., Die voluntaristische Mystik Jacob Böhmes; ders., Jakob Böhmes Deutsches Christentum, ThLBl 35 (1914), (369 – 371) 371). 129 Ausdrücklich hingegen würdigt Elert (Rudolf Rocholls, 138) in Rocholls Arbeit die „Verwertung aller Kulturgebiete“. Dies scheint sich bei Elert als ein methodisches Ideal festgesetzt zu haben, das er später im „Kampf um das Christentum“ und besonders in der „Morphologie des Luthertums“ zu erfüllen bemüht ist. Nachdem Elert bereits im „Kampf um das Christentum“ extensiv frömmigkeitsgeschichtliche, literatur- und sozialgeschichtliche Aspekte in seine Darstellung der „Geschichte des Christentums“ (KCH, 7) einbezogen hatte, formuliert er in seiner „Morphologie“ sogar programmatisch (ML I, V): Zum
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Präludium Elerts zu seiner späteren theologischen Arbeit und – neben der Schilderung der Biographie eines Altlutheraners durch einen Altlutheraner130 – nur deshalb interessant, weil viele der Stichwörter, die in den folgenden Jahren beherrschend werden sollen, bereits hier begegnen. 2.2.1.2.2. Rocholls intuitive Geschichtsschau Gegen einen „einseitigen Intellektualismus“, der als überspannte Geistphilosophie von Rocholl als „unfruchtbarer Spiritualismus“ gesehen wird, gilt es die jenseits der erkennenden Subjektivität liegenden Momente ebenso zu berücksichtigen.131 Da der Mensch „geistleiblich“, als eine „Synthese von Geist und Natur, also dichotomisch“ zu bestimmen sei, sind zur Erfassung der ganzen Wirklichkeit „beide Seiten menschlichen Geisteslebens“ zu beachten.132 Das 19. Jahrhundert zeige, wie erkenntnistheoretische Vereinseitigungen in der scheinbaren Alternative von Geist- oder Naturphilosophie monistisch gegründete Weltanschauungen zeitigen; die „Einseitigkeit des Monismus“ äußert sich dann im „Materialismus“ oder aber in „falsche[r] Geistigkeit“ bei der „Geschichtsbetrachtung“.133 Wenn „man den gerügten Einseitigkeiten entrinnen“ will, ist ein „deutliches Weltbild“ weder durch bloße geistphilosophische respektive geisteswissenschaftliche Deduktion noch durch bloße naturwissenschaftliche Induktion zu erzielen.134 Nur die Verbindung von Induktion und Deduktion ermögliche den Zugang zur ganzen Wirklichkeit:135 „Weder der naturwissenschaftliche Weg allein, noch auch die Geisteswissen-
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135
„Neubau der Konfessionskunde“ ist es erforderlich, „die neuzeitlichen Kirchentümer […] in der ganzen Breite ihrer Wirkungen, auch auf ,nichtkirchlichen‘ Gebieten, zu verfolgen“. Vgl. dazu auch unten S. 174 f. Anm. 68. Vgl. W. Elert, Rudolf Rocholls Philosophie, (1 – 11) 4 ff. W. Elert, Rudolf Rocholls, 11 f. W. Elert, Rudolf Rocholls, 12 f. 20. Vgl. AaO, 50. W. Elert, Rudolf Rocholls, 49 f.; vgl. aaO, 49 ff. W. Elert, Rudolf Rocholls, 51. 13. Zur schiefen Alternative von Deduktion und Induktion vgl. W. Elert, Rez. Karl Bernhard Ritter, Über den Ursprung einer kritischen Religionsphilosophie in Kants Kritik der reinen Vernunft, ThLBl 35 (1914), (131 f) 132: „In der Tat drängt ja der Zwiespalt zwischen der theoretischen und praktischen Vernunft entweder zu einer Lösung im Sinne des absoluten Idealismus oder etwa zur naturalistischen Illusionstheorie Feuerbachs. Bedauerlich ist nur der anachoretische Charakter der neukantischen Philosophie: sie zieht sich aus der bunten Welt der empirischen Wissenschaften in die stillen Hütten der Begriffe zurück“. Vgl. W. Elert, Rudolf Rocholls, 13. 49. 53.
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schaften allein vermögen uns Eigenart und Bedeutung des Menschen und damit seiner Geschichte aufzuschließen“136. Unter Eingliederung in die geistesgeschichtliche Ahnenreihe Böhme, Hamann und Schelling richte Rocholls „,Realismus‘“ deshalb in Anwendung von deduktiver und induktiver Methode die Aufmerksamkeit auf Natur und Geist, um der ganzen Wirklichkeit gerecht zu werden.137 Das Ziel einer jeden Geschichtsphilosophie sei es, den „Weltverlauf zu verstehen und nicht bloß zu berechnen“138. Dem Verstehen von Sinn und Ziel der Geschichte ist aber mit dem Instrumentarium der exakten Wissenschaften nicht beizukommen139, da Geist und Natur untrennbar miteinander verwoben sind, die Weltgeschichte eben „auch Naturgeschichte“140 ist und die „Rätsel der Geschichte“141 als „Paradoxismen nur [beweisen], wie dicht unter der Schwelle des vernünftigen Denkens und Sinnes der Wahnsinn liegt“142. So kann man zwar einen ökonomischen, intellektuellen, ästhetischen oder ethisch-religiösen Fortschritt diagnostizieren, aber ein „Gesetz des Fortschritts“, eine „einfache gerade Linie“ ist damit noch nicht erkannt, sondern bestenfalls „eine Summe nebeneinander her136 W. Elert, Rudolf Rocholls, 53. 137 W. Elert, Rudolf Rocholls, 11. In seiner abschließenden Kritik (aaO, 138) lobt Elert deshalb neben Rocholls „Verwertung aller Kulturgebiete“ (siehe oben S. 90 f. Anm. 129), vor allem dessen „unbefangene Würdigung des ,Natürlichen‘“. Elerts spätere Beschäftigung mit Böhme (Die voluntaristische Mystik Jakob Böhmes, 1913; Jakob Böhmes deutsches Christentum, 1914) verdankt sich demnach wohl dem Einfluß Rocholls. Vgl. W. Elert, Rudolf Rocholls, 3. 138 W. Elert, Rudolf Rocholls, 46. Vgl. W. Dilthey, Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie [1894], in: ders.: Die geistige Welt. Einleitung in die Philosophie des Lebens, Gesammelte Schriften, Bd. V, hg. v. G. Misch, Leipzig/Berlin, 1924, (139 – 240), 144: „Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir“. 139 Vgl. W. Elert Rudolf Rocholls, 46: „Wer ,Geschichtsphilosophie als voraussetzungslose und exakte Wissenschaft verlangt, wird gut tun, auf dieselbe völlig zu verzichten‘“. Vgl. W. Elert, Prolegomena, 3. 140 W. Elert, Rudolf Rocholls, 116: „Aber die Weltgeschichte ist auch Naturgeschichte. Und wie das Kind so die Mutter: wie der Menschenleib verwest, so muß auch über die Erde, in der er leibt und lebt, dies Schicksal hereinbrechen. „ So bahnt sich schon 1910 – also lange vor dem Einfluß von Spengler – bei Elert ein organologisches Geschichtsverständnis an. Vgl. dazu etwa aaO, 120 und W. Elert, Die Geschichtsauffassung der alttestamentlichen Poesie, 339. Vgl. dazu auch ders., August Horneffers, 271. 141 W. Elert, Rudolf Rocholls, 117 ff. 142 W. Elert, Rudolf Rocholls, 120. Vgl. aaO, 12 f.
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laufender Linien“143, denen Elert krisendiagnostisch prognostiziert, „wahrscheinlich in Zukunft noch mehr [zu] divergieren“144. Der Sinn der Geschichte als Sinn der ganzen Wirklichkeit ist also „mit rein logische[m] Denken“ nicht zu erfassen.145 Mit welcher Methodik erreicht man dann aber „ein der Wirklichkeit entsprechendes Weltbild“146 ? Um der Irrationalität des Lebens gerecht zu werden, bedarf es vielmehr einer Ergänzung des diskursiven Denkens durch die „intuitive Erkenntnis“, die der Anwendung der induktiven, vor allem aber der deduktiven Methode vorausgehe:147 „Hier trifft man im dunkeln Grund unbewußten Lebens Ahnen und unmittelbares Empfangen und Empfinden, einen sichern in diesem Grund ruhenden Blick und Griff. Diese intuitive Erkenntnis entbindet uns allerdings nicht vom Ausbau, von der Aufgabe methodischen Denkens. Jenes geniale Schauen ist genötigt, um zur Wissenschaft zu gelangen, durch die Vermittlungen des Denkens hindurch zu gehen. So kommt man zur Deduktion, zur Spekulation“.148 Diese intuitive Erkenntnis ist dem diskursiven Denken entgegengesetzt wie „waches Denken und Nachtbewußtsein“149 : „Dieses ,Nachtbewußtsein‘ des Seelenlebens ist das Wahrheitsmoment der rätselhaften Versuche der Magie, die sich bei allen Völkern finden. Hier liegen ,schlummernde Kräfte der Ahnung und Weissagung, des Blicks und Griffs in die Weite, Kräfte, welche aufgeweckt uns selbst in Entsetzen setzen. Treten sie in die helle Tagseite unseres Denkens und Lebens, so erscheinen sie wie aus einer andern Welt. Aber sie scheinen auch nur so‘“150. Die diskursiven Methoden, sonderlich die deduktiven, wurzeln also Rocholl zufolge, der in Elerts Augen „als Geschichtsphilosoph durch und durch Romantiker“ ist151, in der Intuition: „Die Begriffsbildung hat aber andererseits wieder ihre unterste Wurzel und ihren stärksten Impuls in jener Nachtseite“152.
143 W. Elert, Rudolf Rocholls, 125. Zur disparaten, gar diametralen Entwicklung einzelner Aspekte von ,Geschichte‘ vgl. W. Elert, Prolegomena, 63 ff.; ders., Im Kampf, 123 f. 144 W. Elert, Rudolf Rocholls, 129. 145 W. Elert, Rudolf Rocholls, 54. 146 W. Elert, Rudolf Rocholls, 12. 147 W. Elert, Rudolf Rocholls, 54. Vgl. aaO, 12 f. 148 W. Elert, Rudolf Rocholls, 54. 149 W. Elert, Rudolf Rocholls, 12. 150 W. Elert, Rudolf Rocholls, 12. 151 W. Elert, KCH, 252.
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Geschichtsphilosophie ist also nicht als „voraussetzungslose und exakte Wissenschaft“153 zu betreiben. Der Zugang zur Erkenntnis der Sinnhaftigkeit der Geschichte öffne sich nur über den Weg von der Intuition hin zur Deduktion: „Nur mit Zuhilfenahme der Deduktion, und dazu nur von bestimmt gegebenen Vordersätzen aus, etwa denen der christlichen Kirche, ist eine in etwas [sic!] befriedigende Übersicht des Völkerlebens mit der kosmischen Geschichte herzustellen. Sie ist befriedigend allerdings nur für diejenigen, welche jene Vordersätze einräumen“154. 2.2.1.2.3. Die Ambivalenz des Mangels an „absoluter Evidenz“ Intuitive Geschichtsschau ermögliche also den Zugang zur Erkenntnis der Sinnhaftigkeit der Geschichte, sei aber – so kritisch am Ende seiner Untersuchung – ein unbeweisbares Axiom, das lediglich auf religiöser Gewißheit beruhe.155 Deshalb konstatiert Elert unter anderem folgende „wissenschaftliche […] Hauptmängel“ an Rocholl: „Der erste besteht in der (ohne weiteres doch keineswegs einleuchtenden) Voraussetzung, daß die Geschichte überhaupt einen Sinn haben müsse“156. Dieser von Rocholl aufgestellten Axiomatik fehle die „behauptete absolute Evidenz. Sie ruht letztlich auf der religiösen Gewißheit“157, die unter der
152 W. Elert, Rudolf Rocholls, 13. Die Wertschätzung der von Rocholl übernommenen intuitiven Methode scheint sich bei Elert durchgehalten zu haben: So liegt der „Morphologie des Luthertums“ von 1931/32 – methodisch parallel – eben die intuitive Erfassung der „Dynamis“ des Luthertums zugrunde (ML I, 8; vgl. aaO, 1 ff.). Diese „Dynamis“ des Luthertums ist weder in den reformatorischen Bekenntnissen noch in Person oder Theologie Luthers rein zu fassen, sondern sie liegt als „Unbekannte“ beidem bereits zugrunde (ML I, 8; vgl. aaO, 4 ff.). Vgl. dazu auch unten S. 137 Anm. 417 und 418. 153 W. Elert, Rudolf Rocholls, 46. 154 W. Elert, Rudolf Rocholls, 47. 155 Vgl. W. Elert, Rudolf Rocholls, 46 f. 132 ff. 156 W. Elert, Rudolf Rocholls, 132. 157 W. Elert, Rudolf Rocholls, 133. Zur Bedeutung von „Evidenz“ bei Elert vgl. seine spätere Rocholldarstellung von 1921: „Rocholl weiß, daß auf wissenschaftliche Anerkennung nur ein exaktes Verfahren Anspruch hat, und daß auf der andern Seite der Sinn der Geschichte einem solchen Verfahren verschlossen ist.“ Ausgehend von der „intuitiven Erkenntnis“ verbinde die Geschichtsphilosophie die „induktive Methode mit der deduktiven“. „Ihren Ergebnissen wird infolgedessen die zwingende Logik fehlen, weil sie im Sinne der Erfahrungswissenschaften nicht voraussetzungslos arbeitet. Nur wenn man sich entschließt, die Geschichte einmal aus einem gewissen Abstande, also von
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Bedingung, „wenn der Geschichte ein Plan zugrundliegt“, zu der assertorischen Behauptung führt: „dann ist es dieser“158. Daraus folge der „zweite Hauptmangel“, daß „eine nur subjektive (niemals experimentell zu bestätigende) Gewißheit zum objektiven Kriterium des Geschichtsplanes gemacht werden soll“159. Die inhaltliche Füllung der zudem lediglich vorausgesetzten Sinnhaftigkeit der Geschichte bleibt so von allgemeiner Unverbindlichkeit und sei deshalb eine Art ,Weltanschauungsfrage‘, die eben Geschmacksache des Einzelnen und nicht allgemeingültig zu beantworten sei: „Rocholl teilt hier die Schwäche und den Grundmangel jeder christlichen Apologetik“160 und, wie Elert in den kommenden Jahren zeigen wird, nicht nur der Apologetik der christlichen Weltanschauung. Denn jede Weltanschauung ist nur für diejenigen plausibel, die ihre „Vordersätze einräumen“161. Rocholls Arbeit wird somit als antiintellektualistische Option für eine intuitive Geschichtsdeutung gewürdigt, die als „Realismus“162 die diskursive Erklärung der Wirklichkeit von Natur- und Geisteswissenschaften durch die Aufmerksamkeit auf die irrationale Struktur des ganzen Lebens – Natur und Geist – in ,ganzheitlicher‘ Weise bereichere und so die Notwendigkeit einer methodisch nicht auf exakter Wissenschaftlichkeit gegründeten Deutung der Sinnhaftigkeit der Geschichte vor Augen führe.163 Zu einem Urteil über den Sinn der Ge-
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einem nicht empirisch gewonnenen Standort aus zu betrachten, kann man hoffen, daß sich einem ihr Sinn“ erschließt (KCH, 249). W. Elert, Rudolf Rocholls, 132. W. Elert, Rudolf Rocholls, 133. W. Elert, Rudolf Rocholls, 133. W. Elert, Rudolf Rocholls, 47. W. Elert, Rudolf Rocholls, 11. In Elerts Rochollwürdigung (vgl. dazu v. a. oben S. 91 ff.) bereitet sich damit bereits die spätere Affinität zu Oswald Spengler (vgl. dazu v. a. unten S. 192 f.) vor. Elert wird an Spengler in einer Rezension 1923 gerade dessen Aufmerksamkeit auf die „großen Irrationalitäten des Daseins“, die er „intuitiv erfaßt“, würdigen (Untergang, 7); die intuitive Geschichtsdeutung gilt Elerts deshalb als „eine sehr bestimmte Methode“, die implizit „bisher noch von jedem Historiker angewandt worden“ ist (aaO, 7). Ebenso habe Spengler mit der „Einführung des Schicksalsbegriffs in die Geschichtsbetrachtung“ einen „Ausdruck für die Notwendigkeit im Geschichtlichen“ gefunden, die „vom mechanischen Determinismus ebenso weit entfernt ist wie von einem flachen Freiheitsoptimismus“ (aaO, 21). Auch wenn Spengler die Frage nach „einem Sinn in der Geschichte“ (aaO, 21) bewußt offenhalte, überwindet er für Elert in seiner Geschichtsbetrachtung – wie Rocholl – die falsche Alternative einer rein
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schichte komme man nur durch Zuhilfenahme intuitiver Erkenntnis, die jedoch auf religiöser Gewißheit beruhe: Darin liege Rocholls „Stärke wie seine Schwäche“164. Die Annahme eines solchen gleichsam erkenntnistheoretischen Apriori erweist sich als nicht verallgemeinerbar; dies ist ihre Schwäche. Zugleich aber wird durch den Rekurs auf die religiöse Gewißheit des Einzelnen ihre Unhintergehbarkeit demonstriert; dies ist ihre Stärke. Die an Rocholls geschichtsphilosophischem Entwurf monierte Ermangelung „absoluter Evidenz“ des dargestellten Sinns der Geschichte165 wird von Elert also kaum so zum apologetischen Programm der nächsten Jahre erhoben, als ob er versuchte, die „von ihm geteilte These Rocholls vom Sinn der humanen Menschheitsbewegung […] mit dem Anspruch auf ,absolute Evidenz‘ der christlichen Weltanschauung“ vorzutragen und zu begründen166. Die bei Rocholl diagnostizierte Ermangelung „absoluter Evidenz“ wird von Elert vielmehr in ihrer Schwäche zur Relativierung weltanschaulicher Ansprüche eingesetzt, die eine allgemeine – also ,absolute‘ – Evidenz ihrer Sicht der Wirklichkeit behaupten. In ihrer Stärke – nämlich ihrer Unhintergehbarkeit durch den Rekurs auf die religiöse Gewißheit des Einzelnen – wird sie zur apologetischen Rehabilitierung der christlichen Weltanschauung in einer eigentümlichen Fortsetzung Erlanger Theologie verwendet werden.167
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,natur‘- oder rein ,geisteswissenschaftlichen‘ Geschichtsbetrachtung und vermeidet so eine durch einseitige Geschichtsbetrachtung verursachte „Verfälschung“ der Geschichte. Elerts Aufnahme von Spenglers Schicksalsbegriff ist also vorbereitet durch die Aufmerksamkeit auf die irrationalen Momente in der Geschichte, die er bei Rocholl kennenlernte. W. Elert, Rudolf Rocholls, 132. W. Elert, Rudolf Rocholls, 133. So die Interpretation von A.v. Scheliha (Glaube, 284; vgl. aaO, 291). Vgl. auch unten S. 112 f. Daß Elert den Erweis der ,absoluten Evidenz‘ christlicher Weltanschauung keineswegs intendiert, läßt sich auch an seiner späteren Rocholldarstellung (KCH, 248 – 253) verdeutlichen: „Rocholl weiß, daß auf wissenschaftliche Anerkennung nur ein exaktes Verfahren Anspruch hat, und daß auf der andern Seite der Sinn der Geschichte einem solchem Verfahren verschlossen ist“ (aaO, 249). Im Gegensatz zu anderen „Apologeten dieser Zeit“ weiß er, „daß die wissenschaftliche Haltbarkeit seiner Geschichtsbetrachtung an der Grenze der induktiven Elemente unweigerlich zu Ende ist“, daß keine „Identität der Ergebnisse ,echter‘ Geschichtswissenschaft und der Geschichtsauffassung des Christentums nachgewiesen werden“ kann (aaO, 252) und daß „die von ihm zur Diskussion gestellte Frage nach dem Sinn der Geschichte, einerlei, welche
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2.2.1.3. Elerts „Grundlegung der Apologetik“ – die „Prolegomena der Geschichtsphilosophie“ 2.2.1.3.1. Das erste Hauptwerk? Ein Jahr nach der akademischen Erstlingsschrift erscheint Elerts erstes theologisches Werk, seine Licentiatenarbeit.168 Auch diese Veröffentlichung beschäftigt sich mit der Geschichtsphilosophie, genauer mit deren „Prolegomena“. Die Intention dieser die mögliche Methodik einer materialen Geschichtsphilosophie untersuchenden Arbeit verrät der Untertitel: Sie dient „zur Grundlegung der Apologetik“.169 Gegenstand, Interesse und Ziel dieser Dissertation sind nahezu identisch mit der – ja auch nur fünf Monate zurückliegenden – philosophischen Dissertation.170 Neu hingegen ist, daß es sich bei ihr nicht mehr um die bloße Nachzeichnung fremder Gedanken handelt, sondern um eine schon vergleichsweise eigenständige wie auch eigenwillige Diskussion und Interpretation der einer möglichen Geschichtsphilosophie notwendig zugrundeliegenden „erkenntnistheoretischen Voraussetzungen“171, wie sie Elert im Anschluß an den Neukantianismus zu formulieren sucht.172 Im Jahr 1927 wird Elert diese Arbeit wohl nicht ganz zu Unrecht als „ebenso unreif wie innerlich unsolide“ bezeichnen.173
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Antwort man auf sie gibt, kein eigentlich wissenschaftliches Problem mehr bildet“ (aaO, 253); vielmehr könne die „absolute Evidenz“ (Rudolf Rocholls, 133) einer Geschichtsdeutung „nur von bestimmt gegebenen Vordersätzen aus“ (aaO, 47), also in relativierender Weise nur aufgrund religiöser Gewißheit oder weltanschaulicher Überzeugung des Individuums anerkannt werden: Diese apologetische „Zurückhaltung Rocholls“ empfindet Elert als „sympathisch“, auch wenn auf ihr der Schatten einer „Resignation“ bezüglich der allgemeinen Anerkennung der christlichen Weltanschauung liegt (KCH, 253). Sie erschien 1911 in Leipzig unter dem Titel „Prolegomena der Geschichtsphilosophie. Studie zur Grundlegung der Apologetik“. Gegen Ende seiner Abhandlung zieht Elert die Schlußfolgerung: „Darnach gehört zweifellos die von uns geforderte Geschichtsphilosophie […] in die Apologetik“ (Prolegomena, 98 f.). Vgl. W. Elert, Rudolf Rocholls, I und ders., Prolegomena, I. So scheint sich Elert im Gefolge von Droysen, Windelband, Rickert und Simmel in die primär neukantianische „Tendenz“ der geschichtsphilosophischen Arbeit einfügen zu wollen, die bestrebt ist, „sich über die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen der Historik klar zu werden“ (Prolegomena, 4). Vgl. oben S. 89 f. W. Elert, Goldenes Buch, 237. Ähnlich kritisch: N. Slenczka, Selbstkonstitution, 37 und A. v. Scheliha, Glaube, 284 Anm. 61. Ein Rezensent von Elerts „Prolegomena“ bemerkt gleichwohl, Elert habe sich trotz allem „mit dieser
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Dennoch spricht einiges dafür, bereits sie als Elerts „erstes Hauptwerk“ einzustufen und nicht erst – wie üblicherweise behauptet wird – sein 1921 erschienenes Buch „Der Kampf um das Christentum“,174 in das ein Großteil der Fragestellungen wie der materialen Bearbeitung von Elerts Arbeit von 1911 eingegangen ist.175 Fortgeführt wird hier die in der Rochollarbeit ergriffene antiidealistische Option für eine intuitive Geschichtsdeutung, die die diskursive Erklärung der Wirklichkeit von Natur- und Geisteswissenschaften durch die Aufmerksamkeit auf die irrationale Struktur des ganzen Lebens – Natur und Geist – bereichere und so die Notwendigkeit einer methodisch nicht auf exakter Wissenschaftlichkeit gegründeten Deutung der Sinnhaftigkeit der Geschichte vor Augen führe.176 Insbesondere wird die Kritik an einem monistisch verkürzten Zugang zur Wirklichkeit konkretisiert und der Versuch unternommen, auf erkenntnistheoretischem Gebiet nachzuweisen, daß die Wirklichkeit nur durch eine spezifische Verbindung von kausaler und finaler, mechanistischer und teleologischer Erklärung zureichend erfaßt werden kann. Das Ziel Elerts ist hierbei vor allem, den Anspruch auf Normativität der scheinbar nur auf den Ergebnissen der exakten Wissenschaften basierenden Weltanschauungen zu relativieren,177 indem er zu zeigen versucht, daß „eine rein immanente Geschichtsphilosophie nicht möglich, für sie vielmehr die Anwendung eines der Geschichte transzendenten Gesichtspunktes notwendig ist“178.
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Arbeit recht gut in die wissenschaftliche Theologie eingeführt“ (Stier, [ Johannes], Rez. Elert, Prolegomena, ThLBl 33 (1912), (84 f) 85). So etwa noch T. Kaufmann, Werner Elert, 203. Vgl. dazu den Hinweis bei A. v. Scheliha, Glaube, 279 f. 283. Die Verbindungslinie von Elerts „Prolegomena“ zu seinem „Kampf um das Christentum“ von 1921 wird allein durch einen Blick in das Inhaltsverzeichnis deutlich, in dem die Stichwörter ,Apologetik‘, ,Weltanschauung‘, ,Geschichtsphilosophie‘ dominieren (KCH, Vff.). Vgl. dazu besonders KCH, 312 ff. 321 ff. Vgl. auch oben S. 95 f. Dabei hat Elert, wie schon hervorgehoben (vgl. v. a. oben S. 72 ff.), nicht nur materialistische respektive naturalistische, sondern durchaus auch idealistische Weltanschauungen vor Augen. Ähnlich wie in seiner Rochollarbeit warnt er deshalb mehrfach davor, „die Geschichte auf die Geistesgeschichte zu beschränken“ (Prolegomena, 104; vgl. aaO, 10 f. 52 f. 115 Anm. 1). W. Elert, Prolegomena, 76. Vgl. Elerts Kritik an der Anerkennung der „ausnahmslose[n] Geltung des Immanenzgedankens nicht nur in der Natur-, sondern auch in der Geschichtswissenschaft“ (KCH, 226) in der Apologetik des 19.
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2.2.1.3.2. Klärung der erkenntnistheoretischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie Um Licht in das Dunkel der verworrenen Pluralität der den geschichtsphilosophischen Entwürfen zugrundeliegenden Weltanschauungen zu bringen, ist es nach Elert nötig, die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie zu klären, damit nicht die „Prinzipien der Geschichte“ ganz und gar der jeweiligen „Weltanschauung des Historikers“ überlassen bleiben.179 Elert geht deshalb besonders auf die Problematik einer erkenntnistheoretisch monistisch begründeten Geschichtsphilosophie ein, weil sie für ihn synonym mit einer solchen Weltanschauung ist,180 die sich gerade durch ihren erkenntnistheoretisch monistisch verkürzten Zugang zur Wirklichkeit als Ideologie erweist.181 Nicht zuletzt wegen dieser Synonymität schließt Elert bereits den ersten Abschnitt – gleichsam schon als Ziel der ganzen Abhandlung – folgendermaßen ab: „Man wird daher von vornherein gegen jede Geschichtsphilosophie mißtrauisch sein, die schon in dem Umfang und der Fragestellung ihrer Probleme Anspruch auf Normativität erhebt“182. Ausgehend von den grundsätzlichen Fragen nach Grund, Verlauf und Ziel der Geschichte sei es Aufgabe der Geschichtsphilosophie, die Frage „nach dem Gesetz der Geschichte“ zu beantworten.183 Der Blick auf die irrationalen Momente der Geschichte und deren Kontingenzen zeige die Grenze der methodischen Tragweite empirischer Geschichtswissenschaft,184 so daß in „der Geschichte eine durchgängige Gesetzmäßigkeit zu suchen oder anzunehmen, […] nur eine[r] Weltanschauung“185 oder ihrem methodisch kontrollierbaren Pendant, der Geschichtsphilosophie, möglich sei, nicht aber der exakt verfahrenden Geschichtswissenschaft, in der wohl eine allgemeine „Anerkennung der Unverbrüchlichkeit des Kausalgesetzes“ existiere, aber ein Konsens bezüglich „spezielle[r] historische[r] Gesetze“ noch nicht erzielt sei186. 179 180 181 182 183 184 185 186
Jahrhunderts. Vgl. weiter Elerts Besprechung des geschichtsphilosophischen Entwurfs von Kant: W. Elert, Kant und der ewige Friede, (11 – 15) 11. 15. W. Elert, Prolegomena, 6. Zur nahezu synonymen Verwendung von „Geschichtsphilosophie“ und „Weltanschauung“ bei Elert vgl. v. a. W. Elert, Prolegomena, 6. 98. Vgl. dazu auch A. v. Scheliha, Glaube, 286. W. Elert, Prolegomena, 8. W. Elert, Prolegomena, 13. Vgl. aaO, 10 ff. Vgl. W. Elert, Prolegomena, 113 f. 62. W. Elert, Prolegomena, 14. W. Elert, Prolegomena, 18.
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Die Fragen nach Grund, Verlauf, Wert, Zweck und Ziel der Geschichte enden, wie Elert im Anschluß an Simmel187 formuliert, in der „eigentlichen Aufgabe der Geschichtsphilosophie“, nämlich „in der Frage nach dem Sinn der Geschichte“, die „nicht von der Historik, sondern nur von der Geschichtsphilosophie diskutiert werden kann“188. Die Frage nach dem Sinn der Geschichte überschreitet so den Anspruch, Geschichte lediglich zu „,erklären‘“189. Diese „Hauptaufgabe der Geschichtsphilosophie“ bzw. die Aufgabe der Untersuchung der zu ihrer Beantwortung in Anspruch genommenen und in Anspruch zu nehmenden erkenntnistheoretischen Voraussetzungen stellt sich für Elert folgendermaßen:190 „Gegenwärtig wird man am ehesten dazu neigen, die Geschichte durch den Nachweis ihrer Ursachen vollständig erklärt zu sehen. Das wäre kausaler oder gar mechanistischer Monismus. Wir werden aber zeigen, daß grundsätzlich angesehen, auch ein finaler oder teleologischer Monismus durch einseitige Ableitung aus dem andern Prinzip (Zweck) denselben Dienst leisten könnte. Die Frage greift freilich über die Menschengeschichte als Objekt hinaus. Diese monistischen Ableitungsversuche der Geschichte bilden nur einen Spezialfall monistischer Welterklärungsversuche. Hierin vor allem, aber auch hierin, daß diesen monistischen Kosmologien ein eigentümlicher erkenntnistheoretischer Monismus zugrunde 187 Elert bezieht sich (Prolegomena, 25 ff.) besonders auf das dritte Kapitel „Vom Sinn der Geschichte“ von G. Simmel, Die Probleme der Geschichtsphilosophie, Leipzig, 1892. Zu Simmel vgl. auch W. Elert, Prolegomena, 25 ff. 50 ff. Simmel scheint für Elert eine repräsentative Fortsetzung der Betonung der intuitiven Erkenntnis bei Rocholl darzustellen. An die Stelle der Hochschätzung der intuitiven Erkenntnis rückt dadurch die Betonung des erkenntnistheoretischen Apriori, nämlich die prinzipielle Dependenz geisteswissenschaftlicher Arbeit von der weltanschaulichen Grundposition des erkennenden Subjektes. Vgl. dazu auch A. v. Scheliha, Glaube, 284. 286. 188 W. Elert, Prolegomena, 25. 189 W. Elert, Prolegomena, 26 f. Elerts Interesse richtet sich darauf, der Geschichtsphilosophie eine Art Brückenfunktion zwischen den kausal erklärenden Naturwissenschaften und den final verstehenden Geisteswissenschaften beizulegen. Vgl. W. Dilthey, Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie [1894], in: ders.: Die geistige Welt. Einleitung in die Philosophie des Lebens, Gesammelte Schriften, Bd. V, hg. v. G. Misch, Leipzig/Berlin, 1924, (139 – 240) 144 (vgl. das Zitat oben S. 92 Anm. 138). Näher ausführen wird Elert dies in seinem 1912 erschienenen Aufsatz „Wendung zur Geschichte und die Apologetik“. Vgl. dazu ausführlich unten S. 116 ff. 190 W. Elert, Prolegomena, 26.
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liegt, ist der allgemeinere Charakter der folgenden Untersuchung begründet“191. So sucht Elert im ersten Hauptteil nachzuweisen, daß eine Geschichtsphilosophie, die nicht nur auf Erklärung, sondern auf ein „,Verständnis der Geschichte‘“192 zielt, die „erkenntnistheoretischen Grundsätze“ von „Ursache und Zweck“ berücksichtigen müsse.193 Ausgehend von der Einsicht, daß einer Weltanschauung, die „eine Erklärung des objektiven Weltbestandes aus Einem Prinzip“ vertritt, „notwendigerweise […] eine bestimmte monistische Erkenntnistheorie“ zugrundeliegt, untersucht Elert die Möglichkeiten monistischer Erkenntnis.194 Er unterscheidet einen „kausale[n] Monismus“195 von einem „finalen oder teleologischen Monismus“196. Der kausale Monismus erklärt alle Wirklichkeit durch die Rückführung auf die jeweilige Ursache: „Das ganze empirisch überschaubare zeit-räumliche Sein bildet so eine konsequente Reihe von Notwendigkeiten und Ursachen“197. Doch komme dieser kausale Monismus einer „erkenntnistheoretischen Kapitulation“ gleich, da er „trotz des erkenntnistheoretischen Optimismus“198 seinen Allerklärungsanspruch 191 192 193 194
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W. Elert, Prolegomena, 27. W. Elert, Prolegomena, 26. W. Elert, Prolegomena, 28. Vgl. aaO, 26 f. W. Elert, Prolegomena, 28. Welche konkreten Weltanschauungen Elert hierbei im Visier hat, bleibt undeutlich. So räumt er ein, daß phänotypisch betrachtet kausaler und finaler Monismus „kaum in konsequenter Gestalt vor[-kommen]“ (aaO, 33; vgl. aaO, 32). Er scheint sich aber zum einen auf die älteren „mechanischen“ Welterklärungen (aaO, 31; vgl. aaO, 28 – 32), zum anderen auf die im 19. Jahrhundert entstandenen idealistischen wie materialistischen Fortschrittstheorien zu beziehen. Vgl. z. B. zum Kantianismus aaO, 33; zum Darwinismus aaO, 34 f. Vgl. hierzu auch A. v. Scheliha, Glaube, 285 f. W. Elert, Prolegomena 30. Vgl. aaO, 28 – 32. AaO, 31 definiert Elert den kausal-„mechanischen Monismus“: „alles Weltsein und Weltgeschehen steht in einem einzigen, schlechterdings durch nichts durchbrochenen Kausalzusammenhang und zwar so, daß jedes Stückchen Wirklichkeit in jedem Moment wegen des früheren da ist. Jedes Frühere ist so beschaffen, daß es das Spätere hervorrufen muß.“ W. Elert, Prolegomena, 32. Vgl. aaO, 32 – 36. Dieser hier auf der Ebene der erkenntnistheoretischen Voraussetzungen getroffenen Differenzierung dürfte die phänotypische Differenzierung von „modernen Weltanschauungen“ (aaO, 115 Anm. 1) als einerseits einen „naturalistischen Monismus“ und andererseits einen „idealistischen Monismus“ vertretend korrespondieren. W. Elert, Prolegomena, 28 f. W. Elert, Prolegomena, 29. Zum erkenntnistheoretischen ,Optimismus‘ des finalen Monismus vgl. aaO, 32. Eine optimistische Weltwahrnehmung gilt
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nicht zu verwirklichen vermag: Die „kausale Reihe versagt freilich am interessantesten Punkt ihres Verlaufs: am Anfang, d. h. da, wo der naive Aristoteles noch das primum movens, die prima causa efficiens hinsetzen konnte. Hier, sagt der moderne Monist, kann man sich nicht aufhalten, eine prima causa gibt es nicht“199. Trotz dieser Kapitulation und der in einem rein kausalen Argumentationsraster unbefriedigend bleibenden Erklärung von Geist und Freiheit200 gilt dieser „kausale Monismus mit den Behauptungen der Einheitlichkeit des Denkens, des kausal-mechanischen Zusammenhangs des Universums und schließlich der Unendlichkeit nach allen zeitlichen und räumlichen Dimensionen als unerbittlich notwendige Voraussetzung der exakten Forschung in den empirischen Wissenschaften“201. Der finale oder teleologische Monismus hingegen erklärt alle Wirklichkeit durch die Hinführung auf den jeweiligen Zweck: Auch hier „ist alles Weltsein und Weltgeschehen ein einziger durch keine Lücke durchbrochener Zusammenhang“202. Die Notwendigkeit dieses Zusammenhangs ergibt sich nicht aus dem „Früheren“, sondern – reziprok dazu – aus dem „Späteren“.203 War die Ermangelung einer Erklärung der prima causa efficiens der Mangel des kausalen Monismus, so ist der Mangel des finalen Monismus die Ermangelung einer Erklärung der causa finalis, die ihm nicht „zugänglich“ sei:204 Der Aufweis „unendlich vieler Einzelzwecke“ erbringe eben noch keine Aussage über „die Erlangung eines schließlichen Endzieles“205 und umgekehrt – durch die diktatorische Unterordnung der Einzelziele unter das Endziel wie etwa bei Hegel – bleibe die Erklärung von Geist und Freiheit ebenso unbefriedigend.206 Hieraus zieht Elert dann seine Schlußfolgerung: Der „finale Monismus [teilt] grundsätzlich angesehen den
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Elert von seinen ersten Arbeiten an nicht als Gegensatz zum Pessimismus, sondern wird vielmehr als Gegenbegriff von Realismus verwendet. Der Begriff Optimismus wird von Elert somit meist im Sinne von Blauäugigkeit pejorativ verwendet. Vgl. dazu W. Elert, Rocholl, 11 f. 49 ff. W. Elert, Prolegomena, 29. Vgl. dazu W. Elert, Prolegomena (36 ff.) 38: Die „Ausnahmestellung des Organischen“ bedeutet den „Bankerott des einreihigen kosmologischen Monismus“. W. Elert, Prolegomena, 30. W. Elert, Prolegomena, 32. W. Elert, Prolegomena, 32. W. Elert, Prolegomena, 32. W. Elert, Prolegomena, 32. Vgl. W. Elert, Prolegomena, 33 ff.
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Hauptvorteil des kausalen, daß er das Universum aus einem einzigem Prinzip abzuleiten sich erbietet, und er fügt einen neuen hinzu dadurch, daß er jedem Einzelteilchen, jedem Moment, jedem Akt eine Bedeutung beilegt, d. h. eine verständige Beziehung auf einen Zweck. Er teilt aber den Grundmangel, daß er auf der unbewiesenen Behauptung der unbedingten Einheitlichkeit unseres Denkens aufgebaut ist“207. Das Gesamt der geschichtlichen Wirklichkeit wird weder durch die alleinige Verwendung des Prinzips der Ursache im Sinne eines mechanistischen Monismus noch durch die alleinige Verwendung des Prinzips des Zweckes im Sinne eines finalistischen Monismus erfaßt. Stattdessen gilt es, in einem „Dualismus“ Kausalität und Finalität als methodischen Zugang zur Erfassung der Wirklichkeit „erkenntnistheoretisch“ zu verbinden, nämlich zu einem „erkenntnistheoretische[n] Dualismus“.208 Hierbei ist Elert primär bestrebt, die Unterordnung der finalen unter die kausale Erklärung, wie sie von der exakten Wissenschaft praktiziert wird, zu revidieren. Fungiere bei Kant, wie Elert unzutreffenderweise behauptet, die finale Erklärung lediglich als „Notbehelf“, wenn der ansonsten vorzuziehende „mechanistische Kausalismus […] versagt“, weist Elert auf die prinzipielle „Ausnahmestellung des Organischen“ hin, das im Bereich von Geist und Freiheit die nichtmathematisierbare Irrationalität des Lebens verkörpere, die zum Teil sogar ausschließlich final erklärt werden müsse.209 Das Ziel dieser Kritik besteht darin, „in jedem Fall […] die Teleologie aus dem Verhältnis des Bütteldienstes, das ihr von Kant zugeteilt war, in das einer gewissen Gleichberechtigung mit dem mechanischen Kausalismus“ zu rücken.210 Eine Geschichtsphilosophie, die auf Erklärung der Wirklichkeit zielt, hat den „Nachweis der Dependenz“, also die Abhängigkeit der Wirklichkeit von Ursache und Zweck aufzuweisen:211 „Damit hätten wir aber zur Erklärung einer Erscheinung immer und immer zwei Prinzipien bereit, ja, auf das Ganze gesehen, wären wir sogar verpflichtet, das Universum aus beiden Prinzipien abzuleiten. Das ist Dualismus. Ein Dualismus von Ursache und Zweck, 207 208 209 210
W. Elert, Prolegomena, 35. W. Elert, Prolegomena, 47. Vgl. aaO, 36. W. Elert, Prolegomena, 38. Vgl. aaO, 41. Vgl. oben S. 92 ff. W. Elert, Prolegomena, 40. Elerts Kritik an Kant trifft freilich insofern nicht zu, als bei diesem die Freiheit eine viel größere Bedeutung hat, als Elert es annimmt. Elerts Kantrezeption und -Kritik wurde u. a. auch deshalb wohl zu Recht als eine „hausbackene“ bezeichnet (N. Slenczka, Selbstkonstitution, 37). 211 W. Elert, Prolegomena, 43.
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der erkenntnistheoretisch jedenfalls niemals zu einem Monismus gemacht werden kann“212. Hieraus folgert Elert als Zwischenergebnis: „Erklärung ist Nachweis der Dependenz. Die Tatsache, daß bei einigen Erscheinungen der Nachweis der Dependenz von einer mechanischen Ursache nicht erbracht werden kann, zwingt dazu, die teleologische Denkweise der mechanistischen nebenzuordnen“; „die Gleichberechtigung der Ableitung aus mechanischen Ursachen und der aus finalen Ursachen liefert einen erkenntnistheoretischen Dualismus von Ursache und Zweck“.213 Doch macht die Irrationalität der Wirklichkeit214 – wie Elert lange vor seiner Rezeption Oswald Spenglers betont – eine Aussage über den immanenten Zweck der Dinge derart unmöglich,215 daß man von jedem beliebigen „Phänomen“ sagen muß: „Ohne Sinn ist es sinnlos“. Das heißt „aber nichts anderes, als daß es immanente Teleologie im strengsten Sinn nicht gibt“.216 Die Folge dieser Unterscheidung ist wiederum die Unabdingbarkeit einer transzendent teleologischen Erklärung der Wirklichkeit für eine Geschichtsphilosophie, weil nur sie in der Lage ist, deren „eigentliche Aufgabe“217 zu bearbeiten, nämlich den Sinn der Geschichte zu ,erklären‘, mithin den Nachweis der Abhängigkeit von Ursache und Zweck darzulegen.
212 W. Elert, Prolegomena, 47. 213 W. Elert, Prolegomena, 47 f. Diese aufgewertete finale Betrachtungsweise versucht Elert nun zu differenzieren, sogar zu schematisieren (vgl. dazu das „Schema der Teleologien“ von Elert: aaO, 60; vgl. aaO, 45 f. 48 ff.). 214 Vgl. W. Elert, Prolegomena, 54 ff. 62. 215 Vgl. dazu auch Elerts freundlich zustimmende Rezension (Rez. Joseph Bernhart, Tragik im Weltlauf, ThLBl 38 (1917), 396 f.) über das Buch von Joseph Bernhart: „Tragik im Weltlauf“, München, 1917. AaO, 394 f.: Die „Tragik aller Wirklichkeit“, der „,Weltlauf zeigt unserer menschlichen Betrachtung weder Logos noch Ethos‘ […]. Das ist die Absage an jede immanente Geschichtsphilosophie“. Neben Elerts Affinität zu Spenglers Schicksalsbegriff (vgl. dazu unten S. 184 ff.) ante tabulam zeichnet sich bereits hier der Grundgedanke Elerts ab, den er in seinem Aufsatz „Dogma, Ethos, Pathos. Dreierlei Christentum“ (Leipzig, 1920) ausführen wird (vgl. dazu ausführlich unten S. 207 ff.): daß neben Dogma und Ethos vor allem das Pathos die wirklichkeitsdurchdringende Grundfunktion menschlichen Lebens darstelle. 216 W. Elert, Prolegomena, 48 f. 217 W. Elert, Prolegomena, 25.
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2.2.1.3.3. Formale Anforderungen an die Geschichtsphilosophie Aus seiner erkenntnistheoretischen Untersuchung folgert Elert im zweiten Abschnitt seiner Licentiatenarbeit, daß für eine Geschichtsphilosophie folgende ,formale‘ Bedingungen gegeben sind:218 Eine Geschichtsphilosophie könne nicht „immanent monistisch“ begründet werden.219 Ebenso sei auch die nicht monistische Verbindung der mechanistischen Kausalität mit einer immanenten Teleologie nicht zureichend,220 um den Sinn der Geschichte zu erfassen, da die bei Anwendung dieser Methoden prinzipiell nicht prinzipialisierbaren „finalen Einzelreihen“ in „einen regellosen Pluralismus“ der Zwecke auseinanderfielen.221 So leuchtet es Elert „ohne weiteres ein, daß gegenüber den bisher erwogenen immanenten Versuchen die transzendente Teleologie bedeutende Vorteile bietet“.222 Da aber eine rein transzendente Teleologie – durch die Ausblendung „beträchtliche[r] Stücke und wirksame[r] Faktoren der Geschichte“, die „nur aus mechanischen Ursachen abgeleitet werden können“223 – das Gesamt der Wirklichkeit nicht zu erfassen vermag,224 ergebe sich die „Notwendigkeit der Kombination der mechanistischen Betrachtung mit der transzendenten Teleologie“,225 da „das Prinzip restlos immanenter Erklärung durchbrochen ist“, wenn man „auch nur an einem Punkt eine andere als mechanische Wirksamkeit eingestehen muß“226 ; die Folge hiervon ist allerdings, „zunächst wieder rettungslos dem Dualismus [von Ursache und Zweck zu] verfallen“227. Dieser Methodenpluralismus läßt sich nach Elert dadurch überwinden, daß eine „erste Ursache mit dem 218 Vgl. W. Elert, Prolegomena, 61 ff. 219 W. Elert, Prolegomena, 61. Nach Elert (aaO, 62; vgl. auch aaO, 43) kann es keine Erklärung der Geschichte geben, „die sich innerhalb der Grenzen der reinen Immanenz hielte und zugleich monistisch wäre“. 220 Vgl. W. Elert, Prolegomena, 63 f. 221 W. Elert, Prolegomena, 64. Vgl. aaO, (66 f.) 70: „Mit anderen Worten: die Geschichte wre durch so viele transzendente Faktoren bestimmt, als nach Zwecken handelnde Individuen an ihr teilnehmen. Jedes Willensleben ist dem Kausalmechanismus transzendent. Nun kann man, wie oben gesagt, dem drohenden Pluralismus dadurch abhelfen, daß man diese immanenten Einzelfinalitäten […] in ein einziges transzendentes Ziel bindet“. 222 W. Elert, Prolegomena, 64 f. 223 W. Elert, Prolegomena, 68. 224 Vgl. W. Elert, Prolegomena, 64 ff. 225 W. Elert, Prolegomena, 68. 226 W. Elert, Prolegomena, 70. 227 W. Elert, Prolegomena, 69. Vgl. aaO, 70.
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transzendenten Ziel in ein gemeinsames Prinzip zusammengebunden werden könnte“228 – eine Möglichkeit, die jedoch nur bei einer „entsprechende[n] inhaltliche[n] Bestimmtheit“ des transzendenten Zieles bestehe.229 Eine Geschichtsphilosophie sei deshalb methodisch nur dadurch plausibilisierbar, daß die „formale“ „Möglichkeit des Betrachtungswechsels“ zwischen kausalem und finalem Zugang zur geschichtlichen Wirklichkeit und die Möglichkeit der Übereinstimmung der prima causa efficiens und finalis gegeben sei.230 Mit deutlichem apologetischen Unterton, der auf die Einführung der im Christentum verbundenen Begriffe Schöpfung und finaler Heilsgeschichte zielt,231 präsentiert Elert das Ergebnis seiner erkenntnistheoretischen Untersuchung als formale Anforderung an die Geschichtsphilosophie: „Solange es freilich nicht gelingt, den Realgrund des Kausalmechanismus mit dem transzendenten Ziel in ein gemeinsames Prinzip zusammenzubinden, solange wird die Geschichte als Resultat zweier dualistisch divergierender Komponenten, gewissermaßen als Kampf zweier Gesetzlichkeiten begriffen werden. Ist aber jene Zusammenbindung möglich […], dann wäre alle Geschichtsbewegung auf eine einzige Gesetzmäßigkeit zurückzuführen“232. Weil aber „die Frage nach der Möglichkeit der Geschichtsphilosophie mit der Religion zusammenhängt“233, weist Elert, apologetisch motiviert, bereits hier indirekt auf den notwendig transzendenten – und damit religiösen – Bezugspunkt scheinbar immanent monistisch gegründeter – und somit pseudosäkularer – Weltanschauungen wie des Darwinismus oder der materialistischen wie idealistischen Fortschrittsideologien hin. „So tritt zutage, daß auch die Begriffe der Gesetzmäßigkeit, des Fortschritts, der Evolution durchaus abhängig sind von der Bestimmung des transzendenten Zieles, von seinem Inhalt wie vom Umfange seiner Komponenten. Die Ursache des Mechanismus und das Ziel der Finalitäten zu suchen und auf einen einheitlichen Grund der Geschichte zurückzuführen, der in seiner allumfassenden Wirksamkeit auch die Gesetzmäßigkeit garantiert, das ist das Ziel der Geschichtsphilosophie“234. 228 229 230 231 232 233 234
W. Elert, Prolegomena, 71. W. Elert, Prolegomena, 71. W. Elert, Prolegomena, 71. Vgl. W. Elert, Prolegomena, 106 – 115. W. Elert, Prolegomena, 75. W. Elert, Prolegomena, 97. W. Elert, Prolegomena, 76.
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Die formale Unhaltbarkeit einer rein immanenten Geschichtsphilosophie verweist auf die Notwendigkeit eines transzendenten Bezugspunktes. Transzendenz, so definiert Elert, ist „eine außerhalb des phänomenalen Konnex der Geschichte stehende Realität“235. Die schlicht apologetisch motivierte Leitfrage des letzten Abschnittes richtet sich deshalb auf den Modus der „Gewinnung der Transzendenz“ für eine mögliche materiale Geschichtsphilosophie und deren Gehalt.236 Da die Religion jenen Bereich menschlichen Lebens verkörpert, in dem Transzendenz gewöhnlich erfahren wird, verlagert Elert die inhaltliche Frage der Transzendenzgewinnung in die Apologetik:237 „In seiner Religion erhebt das Subjekt den Anspruch, eine überphänomenale Wirklichkeit, eine Transzendenz zu erreichen“238. Elert geht nun der eigentlich interessanten Frage nach, „wie die Wahrheit dieses Anspruchs erwiesen, und sodann, wie die Religion eine inhaltliche Bestimmtheit der Transzendenz, wie sie für die Geschichtsphilosophie erforderlich ist, erlangen kann“239. Zunächst bemüht er sich in mühsam zu lesender Auseinandersetzung mit Rudolf Eucken, Wolfram Siebeck und Ernst Troeltsch240 aufzuzeigen, daß die Absicht, durch „induktive Methode die Transzendenz zu erreichen“, nicht zum gewünschten Erfolg führt, da „weder die kritische Analyse der Einzelpsyche, noch der Geschichte, noch des Geisteslebens als Ganzen“ einer „Transzendenz mit solcher inhaltlichen Bestimmtheit“ vergewissert, „daß sie zur Erklärung der Geschichte dienen könnte“241. So kommt es, wie es kommen muß: „Derjenige Faktor unseres Bewußtseins, der […] Anschluß an die Transzendenz sucht, ist nun einmal die Religion“242. 2.2.1.3.4. Geschichtsphilosophie ist „letzten Endes eine Weltanschauungsfrage“ Elert urteilt, daß man eine Geschichtsphilosophie, die durch ihren transzendenten Gehalt auf Erklärung der gesamten geschichtlichen Wirklichkeit und ihres Sinns bedacht ist, „im Unterschied vom bloßen 235 236 237 238 239 240 241 242
W. Elert, Prolegomena, 76. W. Elert, Prolegomena, 76. Vgl. W. Elert, Prolegomena, 98 f. W. Elert, Prolegomena, 77. W. Elert, Prolegomena, 77. Vgl. W. Elert, Prolegomena, 78 – 97. W. Elert, Prolegomena, 97. W. Elert, Prolegomena, 97 f.
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Welterkennen Weltanschauung zu nennen“ gewohnt ist:243 „Die Geschichtsphilosophie ist also letzten Endes eine Weltanschauungsfrage“244. Weil aber jede Weltanschauung transzendente Momente birgt, „wenn nicht gar in einer bestimmten Religiosität wurzel[t], so ist auch die Geschichtsphilosophie von der Stellung zur Religion abhängig“245. Im Anschluß an seinen Doktorvater Hunzinger246 empfiehlt Elert deshalb, die geschichtsphilosophische Frage nach dem Inhalt der Transzendenz „einer theologischen Disziplin einzugliedern, welche die zur Weltanschauungsbildung notwendigen Prinzipien zum Gegenstand ihrer Verhandlung macht“, nämlich der Apologetik; sie wird mit Hunzinger als „kritische Auseinandersetzung der christlichen Weltanschauung mit dem gegenwärtigen Welterkennen und den auf seiner Grundlage erwachsenen Weltanschauungen“ definiert.247 Die Geschichtsphilosophie zielt auf „Erklärung der Geschichte“.248 Da aber „jede Weltanschauung, auch die christliche, behauptet, diese Erklärung liefern zu können, so ist es Sache der Apologetik, etwa zunächst die christliche thetisch darzustellen und sie dann mit den übrigen auseinanderzusetzen“249. Insofern gilt Elert die Geschichtsphilosophie als ein „Teil […] der Apologetik“.250 In Analogie zu der Unterscheidung des Christentums als Weltanschauung und des Christentums als Religion hat die Apologetik – im Gegensatz zur Dogmatik – „nur diejenigen Glaubensaussagen zu umfassen, die sich auf die Welt, auf die Grundfaktoren der Wirklichkeit beziehen“251. Bezeichnend ist, daß Elert für die geforderte „thetische“ Darstellung der christlichen Weltanschauung mehr als zwanzig Jahre benötigen wird.252 So beschäftigte ihn im Jahr 1911 mehr die Formulierung eines Programms als dessen
243 244 245 246 247 248 249 250 251 252
W. Elert, Prolegomena, 98. W. Elert, Prolegomena, 98. Vgl. aaO, 6. W. Elert, Prolegomena, 98. Vgl. v. a. W. Hunzinger, Das Christentum im Weltanschauungskampf der Gegenwart, Leipzig, 1909. W. Elert, Prolegomena, 98. W. Elert, Prolegomena, 99. Vgl. aaO, 26 f. W. Elert, Prolegomena, 99. Vgl. aaO, 101. W. Elert, Prolegomena, 106. W. Elert, Prolegomena, 99. Vgl. ders., Wendung, 485. Dazu ausführlich unten S. 116 ff. Bei Elert findet man erst 1931 in der „Morphologie“ eine explizite Darstellung der „Weltanschauung“ des Luthertums (ML I, 355 – 456).
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materiale Durchführung253 – freilich mit einer bemerkenswerten Ausnahme: Den geforderten „Nachweis der Transzendenz“, dem „der Nachweis ihres Innewerdens im Subjekt voranzugehen“254 habe, versucht Elert in seinen religionspsychologischen Arbeiten der folgenden Jahre zu erbringen.255 Dieses „Innewerden“ sei weder auf deduktivem noch auf induktivem Wege nachzuweisen: „Es bleibt der sogenannte Erfahrungsbeweis übrig“.256 Da es sich hierbei niemals „um ein exaktes Ergebnis handelt“, kann dieser Nachweis nur subjektiv empirisch erbracht werden – wie es die Erlanger Theologie in ihrer Gewißheitslehre darzulegen begonnen hat.257 In Anknüpfung an den Erfahrungsbeweis der Erlanger Theologie empfiehlt Elert eine Aufgabenteilung zwischen Gewißheitslehre und Apologetik:258 In der „Gewißheitslehre gibt das christliche Subjekt Rechenschaft darüber, auf welchem Wege es der transzendenten Realitäten gewiß geworden ist. Das Resultat dieser Disziplin setzt der Apologet schon voraus und zeigt nun, wie die transzendenten Realitäten den metaphysischen Hintergrund dessen bilden, was ihm als Resultat der empirischen Wissenschaften zur Verfügung gestellt ist“259. Das Ziel der Apologetik ist nach Elert, „die große Synthese von Empirischem und Überempirischem zu vollziehen“, eine „Gesamtweltanschauung“ aus den transzendent begründeten „Weltanschauungsprinzipien“ und den „Elementen natürlicher Wahrheitserkenntnis“ zu formen, die so eine „Gesamtbetrachtung der Wirklichkeit“ ermöglicht.260 253 Vgl. jedoch den „Anhang (Richtlinien für die Geschichtsphilosophie)“: W. Elert, Prolegomena, 107 – 115; vgl. aaO, III. 254 W. Elert, Prolegomena, 77. 255 Diese religionspsychologischen Arbeiten Elerts der folgenden Jahre wollen eine empirische Untersuchung über das Zustandekommen der Transzendenzbegegnung im Subjekt bzw. deren unmittelbare seelische Äußerung nicht nur programmatisch entwerfen, sondern auch im Einzelnen durchführen. Vgl. dazu unten S. 127 ff. 256 W. Elert, Prolegomena, 99 f. 257 W. Elert, Prolegomena, 100. Vgl. aaO, 100 ff. Zu Elerts Verständnis der Erlanger Gewißheitslehre vgl. auch: W. Elert, Grenzen, 244 ff. Zur Rezeption der Erlanger Theologie durch Elert in Bezug auf die Gewißheitslehre vgl. kritisch N. Slenczka, Selbstkonstitution, 33 f. 258 Vgl. W. Elert, Prolegomena, 100 ff. 259 W. Elert, Prolegomena, 101. 260 Wie Elert im Anschluß an W. Hunzinger (Apologetik und Religionsphilosophie in unserer Zeit, in: Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, 51, 216) formuliert (Prolegomena, 104).
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2.2.1.3.5. Eine Frage der Plausibilität und nicht der Wahrheit Elert wollte die weltanschaulichen Folgen und Ansprüche, die aus den Ergebnissen der exakten Wissenschaften stammen, in Frage stellen.261 Dies versucht er, indem er auf die lediglich subjektiv plausibilisierbare Transzendenzbegegnung als formale Grundbedingung jeder Geschichtsphilosophie und Weltanschauung verweist. Der durch seine Zeitdiagnose untermauerte Verzicht auf „Allgemeingültigkeit“ und „Denknotwendigkeit“ einer jeden Weltanschauung entbindet jedoch nicht von der – apologetischen – Verantwortung, die Weltanschauung „wenigstens in die Sphäre des ,Plausiblen‘“ zu rücken.262 Transzendenzerfahrung und damit die Wahrheit einer jeden Weltanschauung sind eben nicht exakt zu beweisen, sondern können nur als subjektiv plausibel erfahren werden. Die Frage nach dem Sinn der geschichtlichen Wirklichkeit ist „also letzten Endes eine Weltanschauungsfrage“263. Einen Anspruch auf Normativität kann deshalb keine Weltanschauung erheben, da ihr integraler Bestandteil – die Transzendenz – nur dem subjektiven Erleben zugänglich ist. So kann nur derjenige „die Wahrheit dieses Anspruches zu prüfen imstande sein, der selbst dieses Erlebnis gemacht hat“264. Die Wahrheit der verschiedenen Weltanschauungen scheint damit in die Beliebigkeit des Erlebens des Einzelnen gestellt zu sein. Einen Anspruch einzelner Weltanschauungen auf Allgemeingültigkeit existiert somit nicht. Wohl aber existiert, wie bereits hervorgehoben, ein bei den verschiedenen Weltanschauungen divergierender Grad an allgemeiner Nachvollziehbarkeit, an allgemein anzuerkennender Plausibilität. Elert versucht deshalb, die durch die Verlagerung der Frage nach der Transzendenz in das subjektive Erleben entstandene Frage der Beliebigkeit einzugrenzen. Die in der Rochollarbeit diagnostizierte prinzipielle Relativität der jeweiligen Wahrheit einer jeden Weltanschauung265 wurde durch die erkenntnistheoretische Klärung eingeschränkt, die vor allem auf eine Beschneidung der Ansprüche scheinbar transzendenzloser, erkenntnistheoretisch monistisch gegründeter Weltanschauungen hinauslief.
261 262 263 264 265
Vgl. etwa W. Elert, Prolegomena, 30. W. Elert, Prolegomena, 73 f. W. Elert, Prolegomena, 98. Vgl. oben S. 86. W. Elert, Prolegomena, 103. Vgl. W. Elert, Rudolf Rocholls, 132 f. Vgl. dazu oben S. 94 ff.
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Hierzu greift Elert vor allem auf die zuvor herausgestellten formalen Anforderungen an die Geschichtsphilosophie zurück, deren Erfüllung bei verschiedenen Weltanschauungen unterschiedlich sei. Plausibilität wird demnach dann erreicht, wenn die jeweilige Weltanschauung über das Zustandekommen der – letztlich für jede Weltanschauung konstitutiven – Transzendenzerfahrung Rechenschaft ablegt. Dies sollte sie möglichst „in erkenntniskritisch einwandfreier Weise“266 unternehmen – so wie die Theologie in der Gewißheitslehre – und die allgemeinen formalen Anforderungen an eine Geschichtsphilosophie erfüllen, besonders die Verbindung der „mechanistischen Betrachtung mit der transzendenten Teleologie“267 – wie es erkenntnistheoretisch monistisch gegründete Weltanschauungen prinzipiell nicht vermögen, das Christentum hingegen es durch die Rede von Schöpfung und finaler Heilsgeschichte vermag. Vor allem aber hängt die Plausibilität einer Weltanschauung daran, wie gut sie es jeweils – im unmittelbar praktischen Sinne – versteht, Grundfragen menschlichen Daseins so „einleuchtend“ zu beantworten, „daß man sie für die beste Erklärung der Geschichte ansehen müßte“268. Es geht um die Fragen, „die von den empirischen Wissenschaften ewig werden unbeantwortet bleiben müssen, wiewohl sie aus der Empirie notwendig erwachsen: nach der Herkunft der Welt und des Lebens , nach Fortschritt und Wert, nach dem Sinn des Bösen, des Unheils, nach dem Verhältnis des Subjekts zum Transsubjektiven, ob die Seele ein bleibend Wertvolles oder ein vergehender Schatten, ob es Freiheit, ob es ein höchstes Gut gebe – auf all diese Fragen, die das Physische, das Natürliche, aufgibt, hat sie eine metaphysische Antwort“269. Einen durch den jeweiligen Transzendenzbezug gewährleisteten Sinn in der Geschichte zu erkennen ist nur vom Standpunkt der jeweiligen Weltanschauung aus möglich;270 nicht nur das Christentum, sondern auch die „übrigen modernen Weltanschauungen“ beruhen somit letztlich auf einem „Glaubensurteil“.271
266 267 268 269 270 271
W. Elert, Prolegomena, 100. W. Elert, Prolegomena, 68. Vgl. aaO, 104 f. W. Elert, Prolegomena, 73. W. Elert, Prolegomena, 104. Vgl. W. Elert, Prolegomena, 98. 103; ders, Rudolf Rocholls, 47. 132 f. W. Elert, Prolegomena, 115. Vgl. dazu W. Elert, Wendung, 485. Dazu ausführlich unten S. 116 ff.
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2.2.1.3.6. Die „Studie zur Grundlegung der Apologetik“ als praktische Natur Elert geht von der faktischen weltanschaulichen Pluralität seiner Zeit aus. Die in der Rochollarbeit diagnostizierte Relativität des jeweiligen weltanschaulichen Anspruches272 wird durch die erkenntnistheoretischen Erwägungen der Licentiatenarbeit nicht beseitigt, wohl aber eingeschränkt. Hierin zeigt sich ein gewisser Fortschritt gegenüber der philosophischen Dissertation: Das primäre Ziel Elerts ist praktischapologetischer Natur; es liegt in der Relativierung des „Anspruch[s] auf Normativität“ der monistischen Weltanschauungen,273 die sich auf die „unbewiesene […] Behauptung von der unbedingten Einheitlichkeit unseres Denkens“ „axiomatisch“ gründen.274 Zur ,Erklärung‘ der Geschichte bedarf es nach Elert jedoch einer spezifischen Verbindung kausaler und transzendent finaler Erklärungsmuster;275 auch monistische Weltanschauungen implizieren – gegen ihr Selbstverständnis – solche transzendenten Gesichtspunkte und erweisen sich dadurch als eine quasireligiöse Deutung der Wirklichkeit,276 die ebenso wie die christliche Weltanschauung auf nicht exakter Wissenschaft entsprungenen „Glaubensurteile[n]“ aufbaut.277 Der Anspruch auf „Allgemeingültigkeit und Denknotwendigkeit“278 kann somit von keiner Weltanschauung erhoben werden; auch die christliche Weltanschauung entbehrt also nach wie vor einer „absolute[n] Evidenz“279. Eine hieraus zwangsläufig entstehende weltanschauliche Beliebigkeit wird jedoch durch die Plausibilität der jeweiligen Weltanschauung eingeschränkt,280 die sich nicht zuletzt aus deren unmittelbar praktischem Vermögen ergibt, die existentiellen Fragen der Menschen zu beantworten – mit anderen Worten: ihre Deutung der Geschichte, ihren Sinn der Geschichte den Menschen als alltagstaugliche Deutung des Sinns auch ihres Daseins anzubieten. Diese lebenspraktische Ausrichtung der apologetisch motivierten erkenntnistheoretischen Klärung der Geschichtsphilosophie zielt somit eher auf eine Wertung des Ver272 273 274 275 276 277 278 279 280
Vgl. v. a. W. Elert, Rudolf Rocholls, 46 f. 132 f. W. Elert, Prolegomena, 8. W. Elert, Prolegomena, 35. 47. Vgl. v. a. W. Elert, Prolegomena, 47 f. 68 ff. Vgl. v. a. W. Elert, Prolegomena, 76. W. Elert, Prolegomena, 115. W. Elert, Prolegomena, 73. W. Elert, Rudolf Rocholls, 133. Vgl. W. Elert, Prolegomena, 73 f.
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mögens zur praktischen Sinngebung als auf eine explizite „Sinntheorie“.281 Die Geschichtsphilosophie ist im Vollzug ihrer „Weltanschauungsurteil[e]“282 nach wie vor keine „voraussetzungslose und exakte Wissenschaft“283. Wohl aber zieht die erkenntnistheoretische Klärung des Apologeten Elert – die er einerseits durch Anschluß an die neukantianische Diskussion auf ein scheinbar anerkanntes wissenschaftliches Niveau zu bringen sucht, um ,wissenschaftlich‘ fundierten Weltanschauungen mit ebenbürtigen ,wissenschaftlichem‘ Rüstzeug zu begegnen, andererseits aber zugleich relativ unverblümt auf die Konsistenz der christlichen Weltanschauung zuschneidet – gewissermaßen formale Mindestanforderungen an die die Geschichte als das Ganze der Wirklichkeit deutenden Weltanschauungen nach sich. Dies hat für die monistischen Weltanschauungen zur Folge, daß sie entweder ohne zureichende Verbindung kausaler und finaler Erklärung den zu stellenden formalen Anforderungen an eine Erklärung der Geschichte nicht genügen und somit eben nicht als plausibel gelten können, oder aber, indem sie einen transzendenten – quasireligiösen – Bestandteil implizieren, formalen Anforderungen genügen, damit als plausibel gelten, dann aber eben nicht mehr monistisch sind und sich folglich auch nicht mehr auf die Exklusivität einer rein empirischen Deutung der Wirklichkeit berufen können.284
281 Die Beschäftigung Elerts mit dem Sinn der Geschichte als explizite „Sinntheorie“ zu interpretieren (so A. v. Scheliha, Glaube 287; vgl. auch aaO, 280. 287 ff.), überzeichnet den Textbefund und verkennt Elerts praktisch apologetisch orientierte Intention, die sich auch in seiner vergleichsweise diffusen, keineswegs stringenten Verwendung von „Sinn“ spiegelt: So wie Elert Rocholls Geschichtsphilosophie als ein logisch nicht stringentes „Kunstwerk“ (Rudolf Rocholls, 132) würdigt, die als christliche Weltanschauung den Sinn der Geschichte eben gerade „nicht als Theorie“, sondern als „leibhaftige Tat“ in Person und Werk Christi auslegt (KCH, 251), zielt auch seine eigene Beschäftigung mit dem Sinn auf die „christliche Weltanschauung“ als „einer Größe, die zunächst, in ihrer alltäglichen Wirklichkeit, mit der Wissenschaft gar nichts zu tun hat“ (W. Elert, Wendung, 475). Zur praktischen Abzweckung der „Prolegomena zur Geschichtsphilosophie“ sei an deren Untertitel erinnert: „Studie zur Grundlegung der Apologetik“; vgl. auch den „Anhang“ (Prolegomena, 107 ff.). 282 W. Elert, Prolegomena, 105. 283 W. Elert, Rudolf Rocholls, 46. 284 Vgl. auch W. Elert, Wendung, 471; ders., Rudolf Rocholls, 47. 132 f.
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2.2.1.4. „Die Geschichtsauffassung der alttestamentlichen Poesie“ Ebenfalls im Jahr 1911 erscheint der Aufsatz zur „Geschichtsauffassung der alttestamentlichen Poesie“285. Die Vermutung liegt nahe, daß Elert in dieser kleinen Veröffentlichung den Versuch unternimmt, paradigmatisch anhand der Geschichtsauffassung des alten Israel die christliche Weltanschauung „thetisch“ darzustellen, wie er es in seiner Licentiatenarbeit der Apologetik zur Bearbeitung aufgetragen hatte.286 Dieser Versuch unterliegt Einschränkungen und ist – allein schon durch die Verschiebung von christlicher auf eine altisraelitische Weltanschauung – gewissermaßen chiffriert.287 Die Fortführung der in den beiden Dissertationen begonnenen Intention zeigt sich jedoch deutlich darin, daß dem geschichtlichen Denken des alten Israel ein naturalistisches Verständnis der Wirklichkeit, wie es nach Elert sonst im Alten Orient üblich gewesen sei, entgegengestellt wird. Es ist so etwas wie die materiale Gegenüberstellung einer den formalen Anforderungen an eine Geschichtsphilosophie genügenden Weltanschauung – hier: der Geschichtsauffassung des alten Israel – und einer erkenntnistheoretisch monistisch verkürzten Wirklichkeitswahrnehmung, einer formalen Kriterien zufolge insuffizienten Weltanschauung – hier: der naturalistischen Weltdeutung des Panthe-
285 Erschienen in: Der Alte Glaube 12 (1910/1911), 339 – 349. 286 W. Elert, Prolegomena, 99. Vgl. aaO, 101. 287 Auch hierbei werden die Begriffe Geschichtsauffassung und Weltanschauung nahezu synonym verwandt. Vgl. W. Elert, Geschichtsauffassung, 340. 347 f. Vgl. dazu auch ders., Prolegomena, 6. 98. Die Einschränkung der Vergleichbarkeit der altisraelitischen und der christlichen Weltanschauung liegt vor allem in der für Elert gegebenen eschatologischen Insuffizienz des Alten gegenüber dem Neuen Testament, „das auch inhaltlich bedeutend über die alttestamentliche Geschichtsauffassung hinausgeht“ (Geschichtsauffassung, 346), begründet. Vgl. aaO, 344: „Ja, man kann billig Zweifel hegen, ob sie [eine klare und deutliche Umschreibung des Zieles der Menschengeschichte] sich überhaupt irgendwo im Alten Testament findet“. Zu Elerts schwierigem wie gespaltenem Umgang mit dem Alten Testament vgl. v. a. ders., LLA, 17 ff. Gerade die alttestamentlichen Gottesaussagen bringen in Elerts Verständnis großteils „nichts schlechthin Neues“ zum natürlichen Selbstverständnis des Menschen „hinzu“ (aaO, 21). Zur „Autorität des Alten Testamentes“ vgl: W. Elert: CG, 225 ff. Das Alte Testament bleibt somit den neutestamentlichen Schriften bei Elert stets „subordiniert“ (CG, 232). Kritisch zu Elerts Umgang mit dem Alten Testament: P. Brunner, Kritisches zu Elerts Dogmatik, VF 2 (1941), (47 – 60) 56 ff.
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ismus, nämlich der „Allvergötterung der Natur bei sogenannten Naturvölkern“.288 Doch liest sich die von Elert dargestellte Geschichtsauffassung nicht nur wie der chiffrierte Versuch einer thetischen Darstellung der christlichen Weltanschauung, sondern zugleich wie eine zusammenfassende Veranschaulichung der beiden Dissertationen: Sie erfüllt nämlich die in der Licentiatenarbeit gestellten formalen Anforderungen an eine Geschichtsphilosophie und verbindet sie mit der besonders in der Rochollarbeit herausgestellten Notwendigkeit einer intuitiven Erkenntnis. Im Glauben des Einzelnen an Gott den Schöpfer, Erhalter und Vollender von Natur und Geschichte289 liefere diese Geschichtsauffassung „ein schlagendes Beispiel für die überaus wichtige Kombination gegenwärtigen persönlichen Erlebens mit ,bloß historischem Wissen‘ um bloß geschichtliche Daten“290. Im Glauben des Einzelnen umschließt die subjektive Transzendenzbegegnung die kausale und finale Betrachtung immanenter Wirklichkeitswahrnehmung:291 Die alttestamentliche Weltanschauung scheint so die „Notwendigkeit der Kombination der mechanistischen Betrachtung mit der transzendenten Teleologie“292 einzulösen. Der Glaube des Einzelnen ist als Manifestation der Transzendenzbegegnung nicht auf diskursivem Wege nachweisbar, sondern findet in der – durch das Affiziertwerden des Subjekts durch die Transzendenz – entstandenen Gewißheit des Subjekts um die Transzendenz seinen unmittelbaren Niederschlag.293 Der Glaube, der diese alttestamentliche Geschichtsauffassung begründet, trägt somit die in der 288 W. Elert, Geschichtsauffassung, 346. Vgl. aaO, 343. 346 f. Zur Deutung der Philosophie Spinozas als Form eines finalen Monismus vgl. W. Elert, Prolegomena, 33. Zum gesteigerten Interesse Elerts an Spinoza vgl. ders., Rez. Zum Charakter Spinozas (Spinoza redivivus), ThLBl 40 (1919), 364; ders., Rez. Der Briefwechsel Spinozas, ThLBl 41 (1920), 106 f. 301; ders., Rez. Spinoza. Kurze Abhandlung von Gott, dem Menschen und seinem Glück, ThLBl 44 (1923), 369; ders., Spinoza, Von den festen und ewigen Dingen, ThLBl 47 (1926), 12. 289 Vgl. W. Elert, Geschichtsauffassung, 343 ff. 290 W. Elert, Geschichtsauffassung, 347. 291 Vgl. W. Elert, Geschichtsauffassung, 343 f. AaO, 345: „Diese Einheitlichkeit der Verursachung geschichtlicher Vorgänge durch die Absicht einer […] Person schließt auch […] Einheitlichkeit ihrer Zweckbestimmtheit ein. Offensichtlich ist die Gewißheit teleologischer Bestimmung des individuellen Lebens“. 292 W. Elert, Prolegomena, 68. 293 Vgl. W. Elert, Geschichtsauffassung 345 f.
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philosophischen Dissertation hervorgehobenen294 – für eine Geschichtsphilosophie und damit für eine Weltanschauung notwendigen – intuitiven Züge.295 Ohne diesen Glauben, ohne diese intuitive Erkenntnis der Transzendenz ist keine zureichende Deutung, keine Erklärung der Geschichte möglich. Vor allem aber muß die „Hauptaufgabe der Geschichtsphilosophie“, die Beantwortung der „Frage nach dem Sinn der Geschichte“,296 ohne diese intuitive Erkenntnis unerledigt bleiben; dann gibt es „keinen Ausweg aus dem menschlich tief empfundenen Leid“, dann findet sich „kein tröstlicher Ausblick auf die Zukunft, keine Milderung durch Lichtseiten, nichts als dunkles, trübes Leid“297. Die Geschichtsauffassung des alten Israel wird von Elert somit als eine Weltanschauung dargestellt, die die von ihm formulierten Anforderungen an die Plausibilität einer Weltanschauung298 erfüllt, nämlich die Erfüllung der formalen Standards, die Berücksichtigung kausaler und finaler Erklärungen sowie die zureichende Beantwortung der Grundfragen menschlichen Daseins. Die auf diese Geschichtsauffassung aufbauende christliche Weltanschauung kann sich demnach erst recht im Weltanschauungskampf der Moderne – ungeniert – sehen lassen.299 2.2.1.5. Die Apologetik in ihrer „Wendung zur Geschichte“ 2.2.1.5.1. Elerts „Streit um die Wissenschaftslehre“ Eben darauf, daß sich das Christentum als Weltanschauung und die Theologie als Wissenschaft – ungeniert – im Kontext des späten Kaiserreiches sehen lassen können, zielt auch der Aufsatz von 1912 „Die 294 Vgl. etwa W. Elert, Rudolf Rocholls, 12 f. 295 Vgl. die für Elerts Erlebnistheologie signifikante Stelle (Geschichtsauffassung, 346): „So kommt die Gewißheit um die Zweckbestimmung der Geschichte hier nicht durch klare überraschende Erkenntnisse zum Ausdruck, wohl aber durch ein Gefühl dankbarer Sicherheit […]. Die Geschichte selbst und die Gedanken über diese Geschichte sind hier nicht erdacht, sondern erlebt […]. Die Grundbedingung dieser gewissermaßen übergeschichtlichen, überzeitlichen Stellungnahme ist die lebendige Religiosität“. Bemerkenswert ist ebenso, daß nur der Unglaube (vgl. aaO, 341), nicht aber der Glaube, der das „Gefühl dankbarer Sicherheit“ (aaO, 346) ist, die Züge des Abgründigen aufweist, wie sie von Elert später etwa in der Darstellung des Urerlebnisses in der „Morphologie“ geschildert wird (vgl. ML I, 15 ff.). 296 W. Elert, Prolegomena, 26. 297 W. Elert, Geschichtsauffassung, 341. 298 Vgl. W. Elert, Prolegomena, 99 ff. 299 Vgl. W. Elert, Geschichtsauffassung, 348 f.
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Wendung zur Geschichte und die Apologetik“300. Auch wenn es weniger um Geschichtsphilosophie als um Geschichtswissenschaft und deren Methodik geht, werden die bisherigen in den geschichtsphilosophischen Arbeiten verfolgten Intentionen – zum Teil deutlicher und direkter, zum Teil aber auch in reduziertem Umfang – beibehalten.301 Nach der erkenntnistheoretischen Klärung der Grundfragen der Geschichtsphilosophie und damit der formalen Anforderungen an eine Weltanschauung, die im Anschluß an Simmel auf die Frage nach dem Sinn der Geschichte zugespitzt worden war, verfolgt Elert nun vorrangig wissenschaftssystematische Fragen, die auf die Sicherstellung der Theologie als Wissenschaft in relativer Unabhängigkeit von der naturwissenschaftlichen Methodik zielen. Gleichwohl bleibt bei diesem Eintritt in den „Streit um die Wissenschaftslehre“302 Elerts kulturpraktische Intention leitend: „Das Hauptinteresse hängt an dem Grundverständnis der christlichen Weltanschauung, also an einer Größe, die zunächst, in ihrer konkreten, alltäglichen Wirklichkeit, mit der Wissenschaft gar nichts zu tun hat“303. So plädiert Elert in diesem Aufsatz dafür, die Theologie – methodisch – an die in ihrer Wissenschaftlichkeit scheinbar anerkannten Geisteswissenschaften anzuschließen, um ihr als Wissenschaft und mit ihr besonders der Apologetik als wissenschaftlicher Reflexion christlicher Weltanschauung ein Überleben in einem geistigen Klima zu ermöglichen, das durch die Dominanz der naturwissenschaftlichen Methodik, vor allem aber durch die hohe gesellschaftliche Akzeptanz der weltanschaulichen Aufbereitung der Ergebnisse der exakten Wissenschaften in naturalistischen Weltdeutungsformen geprägt sei304. 300 Erschienen in: NKZ 23 (1912), 465 – 491. 301 Dieser Aufsatz ist klar eine Fortsetzung des in den beiden Dissertationen Erarbeiteten. Insofern ist es übertrieben, zu sagen, Elert würde mit seinem Aufsatz „Die Wendung zur Geschichte und die Apologetik“ bereits 1912 „neue Akzente“ setzen (T. Gerlach, Verborgener Gott – Dreieiniger Gott. Ein Koordinationsproblem lutherischer Gotteslehre bei Werner Elert, Frankfurt a. M., 1998, 347). 302 W. Elert, Wendung, 475. 303 W. Elert, Wendung, 475. Vgl. schon oben S. 76 Anm. 75. 304 Vgl. v. a. W. Elert, Wendung, 470 ff. Völlig zutreffend formuliert N. Slenczka Elerts diesbezügliches „Anliegen“: „den Universalitätsanspruch eines naturwissenschaftlichen Weltbildes mit Hilfe anerkannter wissenschaftlicher Bundesgenossen einzugrenzen und so dem Christentum bzw. der Theologie ein wissenschaftliches Lebensrecht zu erhalten“ (Selbstkonstitution, 38). Dahinter verbirgt sich bei Elert ein langfristiges Interesse. Noch 1921 ist ihm die Si-
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Anders als in den beiden Dissertationen ist also nicht mehr der verkürzte Zugang zur Wirklichkeit, wie er in allen erkenntnistheoretischen Monismen vorliegt, das Problem. Vielmehr richtet sich die Aufmerksamkeit lediglich auf einen Ausschnitt des Problemzusammenhangs: auf den Naturalismus und mit ihm auf den Siegeszug der naturwissenschaftlichen Methode im Kreis der Wissenschaften. Elerts Ziel ist es nicht, das Problem der Weltanschauungspluralität prinzipiell zu lösen oder gar durch Reklamierung exklusiver Weltdeutungsrechte für das Christentum aus der Welt zu schaffen, sondern mit der Einsicht in die irreversible, faktisch vorliegende Pluralität der Weltanschauungen305 primär kulturpraktisch im Sinne einer Schadensbegrenzung für Christentum und Theologie so einzutreten, daß die Stellung der Theologie als Wissenschaft und der christlichen Weltanschauung im Blick auf die allgemeine gesellschaftliche Akzeptanz „verbessert“306 wird. Dies unternimmt Elert in der Kritik an der „alten apologetischen Tradition“307 und deren durch Wahl der falschen wissenschaftlichen Methoden hauptsächlich hervorgerufenen hoffnungslosen Rückzugsgefechten gegenüber der weltanschaulichen Verwertung naturwissenschaftlicher Ergebnisse; von dieser Art Apologetik versteht sich Elert sendungsbewußt abzugrenzen.308 Sodann geschieht dies durch die Konfrontation naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Methode. Sie führt für Elert zu dem doppelten Ergebnis, daß Weltanschauungsfragen prinzipiell nur geisteswissenschaftlich bearbeitet werden können und daß nach dieser Erkenntnis das Christentum bzw. die Theologie – gesteigert durch ihren sich geschichtlicher und eben nicht natürlicher Offenbarung verdankenden Fixpunkt in Jesus Christus – und mit der Theologie besonders die für diese Frage zuständige Disziplin der Apologetik die überfällige methodische „Wendung zur Geschichte“ zu vollziehen habe.
305 306 307 308
cherung eines – freilich dann völlig anders begründeten – „Existenzrecht[es] der Theologie“ ein großes Anliegen (KCH, 493). Vgl. W. Elert, Wendung, 469 f. W. Elert, Wendung, 491. W. Elert, Wendung, 466 f. „Methodisch“ stehen sich nach Elert ältere und neuere apologetische Versuche „gerade gegenüber“; sie unterscheiden sich diametral (Wendung, 465).
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2.2.1.5.2. Apologeten auf dem „Glatteis der Naturgeschichte“ So versucht Elert im ersten Teil des Aufsatzes309 nachzuweisen, daß es ein nicht nur taktischer Fehler der älteren Apologetik war, derart auf die Ergebnisse der naturwissenschaftlichen Forschung einzugehen und sich damit auf das „Glatteis der Naturgeschichte“ zu begeben.310 Vielmehr habe dies darüberhinaus dazu geführt, daß sich die Apologetik – und die Theologie insgesamt – durch methodische Desorientierung und Preisgabe ihrer Axiomatik, nämlich „der Gewißheit um ihre Objekte“311, in eine Art wissenschaftliche Selbstisolation begeben habe. Methodische Selbstaufklärung der Theologie erhofft sich Elert nun – im Gefolge seiner Licentiatenarbeit – von der Erkenntnistheorie: „Denn gesetzt den Fall, das Streiten der Apologeten mit der Naturwissenschaft böte irgendwelche günstigen Aussichten für unsere Sache, so haben doch die Resultate der letzten Jahrzehnte deutlich gelehrt, daß der einzige Erfolg […] von einer glücklichen Verwendung der Erkenntnistheorie zu erhoffen wäre“312. Die Verwendung einer bestimmten Erkenntnistheorie komme aber nahezu einer Weltanschauungsfrage gleich. So sei die Verwendung der Erkenntnistheorie Kants keineswegs ein unhinterfragbares, alternativenloses „Axiom“313. Der „Kampf gegen den Naturalismus“ habe die Apologetik dazu verführt, methodisch auf der Differenzierung des „Sinnlichen“ und „Übersinnlichen“ zu beharren und letzteres der Beurteilung durch die Naturwissenschaften zu entziehen:314 „Aber gesetzt den Fall, jene Alternative bestände zu Recht und würde von der Apologetik dahin richtig entschieden, daß die christliche Weltanschauung ihr erkenntnistheoretisches Merkmal darin habe, daß sie es mit dem Übersinnlichen, die Naturwissenschaft dagegen mit dem Sinnlichen zu tun habe, so muß die 309 W. Elert, Wendung, 465 – 475. 310 W. Elert, Wendung, 470. Vgl. aaO, 471: „Daß sich die Apologetik auf solche naturphilosophische Erörterungen einließ, ist ein Beweis dafür, daß sie sich denen gefügt hat, die die Naturwissenschaft als einzige ,Wissenschaft‘ […] ansehen wollen“. 311 W. Elert, Wendung, 466. 312 W. Elert, Wendung, 467. 313 W. Elert, Wendung, 468. Vgl. aaO, 468: „Es gibt aber genug theologische wie philosophische Unternehmungen der letzten Zeit, die die Sache ganz anders anfangen als Kant. Und ich glaube, daß die ganze Einseitigkeit der Apologetik, die nur zu oft den Eindruck des Schlotterns vor den Naturwissenschaften gemacht hat, in der Einseitigkeit ihrer erkenntnistheoretischen Richtung begründet war“. 314 W. Elert, Wendung, 468.
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Apologetik dabei doch in einen neuen Grenzkonflikt kommen: nicht mit der Naturforschung, sondern mit der Naturphilosophie. Ja, in dieser Form wird der Naturalismus eigentlich erst zum Konkurrenten der christlichen Weltanschauung“315. Allein die Faktizität naturalistischer wie materialistischer Weltanschauungen nötige zu der Erkenntnis, daß „es doch sinnlos [sei] zu behaupten, nur die christliche oder doch die religiöse Weltanschauung sei imstande, Aussagen vom Übersinnlichen zu machen“316. Ein Weltdeutungsmonopol des Christentums besteht also in Bezug auf die Gegenstände nicht mehr; es sei von den „Apologeten ebenso ungerecht, wie ungerechtfertigt, das Übersinnliche zur Erklärung der Welt für sich allein in Anspruch zu nehmen“317. Der Streit verlagert sich so auf die Beantwortung der Wahrheitsfrage: „Aber die erkenntnistheoretische Alternative lautet dann eben nicht mehr: sinnlich oder übersinnlich, diesseitig oder jenseitig, sondern sie konzentriert sich dann um das rein logische Urteil: wahr oder falsch. Beide Weltanschauungen müssen die empirischen Tatsachen anerkennen; beide überschreiten aber die Empirie und gehen dabei auseinander; beide bewegen sich also, vom Standort der Erkenntnistheorie aus gesehen, in derselben Sphäre“318. Deshalb folgert Elert völlig zu Recht, daß die „eigentliche Differenz mit den nichtchristlichen Gegnern“ dort beginne, wo sie „die empirischen Tatsachen anders interpretieren – selbstverständlich ebenfalls von nichtempirischen Voraussetzungen aus“319. Fragen der christlichen Weltanschauung sind somit abhängig von der Art der Interpretation der empirischen Wirklichkeit. Gegenstände des christlichen Glauben hingegen gehören nach Elert nicht in die Apologetik, sondern in die Dogmatik, weil sie eben „nur von christlichen Voraussetzungen aus zu erreichen“ sind und deshalb „jede Debatte darüber mit nichtchristlicher Wissenschaft von vornherein aussichtslos“ ist.320 Die „naturphilosophische Richtung der Apologetik“321 hat den Fehler begangen, die Naturwissenschaften methodisch zu kopieren322. 315 316 317 318 319 320 321 322
W. Elert, Wendung, 469. W. Elert, Wendung, 470. W. Elert, Wendung, 471. W. Elert, Wendung, 470. W. Elert, Wendung, 471. W. Elert, Wendung, 472. Vgl. aaO, 466. 485. W. Elert, Wendung, 473. Vgl. Elerts allgemeine Einschätzung (Wendung, 473) dieses Kopierens im Bezug auf den „Siegeszug“ der Religionspsychologie und der Religionsge-
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Dadurch läuft sie Gefahr, „die christliche Weltanschauung naturalistisch zu verzeichnen“323 und „zugleich ein Zugeständnis an die Naturalisten“ zu machen – so, „daß die Auseinandersetzung der Weltanschauungen in einer Diskussion über die Gültigkeit der Empirie, des Kausalgesetzes oder anderer Allgemeinheiten zu vollziehen sei“324. Dagegen macht Elert geltend: „Uns Christen liegt gar nicht daran, daß man allgemein beweist, daß Wunder möglich sind, daß eine vollkommene Selbsterschließung Gottes denkbar ist, sondern daß diese Selbsterschließung in Jesus tatschlich stattgefunden, daß in der Wiedergeburt Wunder wirklich erlebt werden, daran hängt unser ganzes Interesse. Da sich aber, wie gesagt, diese Tatsachengewißheit nur von christlichen Voraussetzungen erreichen läßt, so gehören die ganzen Fragen in die Dogmatik oder in die Gewißheitslehre, aber nicht in die Apologetik, die es auf die Anerkennnung ihrer Resultate auch durch Nichtchristen abgesehen hat“325. Wegen diesen methodischen Fehlern in der Vergangenheit der Apologetik möchte Elert nachweisen, „daß die christliche Weltanschauung nicht naturalistisch, sondern grundsätzlich geschichtlich geartet ist“326. 2.2.1.5.3. Die geisteswissenschaftliche Methode und die Apologetik Aus diesem Grund vergleicht Elert im zweiten Abschnitt327 die naturund geisteswissenschaftliche Methode. Im Anschluß an Rickert328 gelangt er zu dem Ergebnis, daß die Differenz der beiden Wissenschaftstypen nicht in ihren Gegenständen – Natur oder Geist – liege, sondern
323 324 325
326 327 328
schichte: „Man arbeitet ja gegenwärtig in allen Lagern geradezu fieberhaft daran, die ganze Theologie zur Naturwissenschaft zu machen“. S. schon oben S. 76 Anm. 74. W. Elert, Wendung, 475. W. Elert, Wendung, 473. W. Elert, Wendung, 473. Ausführlich zur Wunderfrage, zu deren Beschäftigung Elert durch Hunzinger angeregt worden ist (Das Wunder, Leipzig, 1912; vgl. dazu W. Elert, Wendung, 465 ff.), und ihrer immanenten bzw. transzendenten ,Erklärung‘ zwischen empirischer Psychologie und christlicher Gewißheitslehre vgl. W. Elert, Zur Psychologie des Wunderglaubens, 421 – 431. W. Elert, Wendung, 475. W. Elert, Wendung, 475 – 480. Vgl. das Referat W. Elert, Wendung, 476 – 480. Kritisch zu Elerts (Miß-) Verständnis von Rickert, dem hier nicht weiter nachzugehen ist: N. Slenczka, Selbstkonstitution, 38 (Anm. 52). AaO: „Die Aufnahme der Rickertschen Begründung der Kulturwissenschaften hat mit der Intention Rickerts selbst wenig zu tun“. Weit positiver gewürdigt wird Elerts Rickertinterpretation von A. v. Scheliha, Glaube, 288.
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in ihrer Methode. Diese ist entweder nomothetisch oder idiographisch;329 es „tritt dem generalisierenden Verfahren der Naturwissenschaft das individualisierende der Geschichtswissenschaft gegenüber“.330 Die Differenzierung betrifft weiter die Inhalte, die durch die induktive oder deduktive Setzung des Wertbegriffs in Bezug auf die wertgesättigte „Kultur“ oder die „wertindifferente Natur“331 bestimmt werden: „Will man also die beiden Arten der wissenschaftlichen Arbeit inhaltlich und formal zum Ausdruck bringen, so muß man die Naturwissenschaften von den historischen Kulturwissenschaften unterscheiden“332. Sein Vergleich führt Elert zu dem zirkulären Ergebnis, daß Weltanschauungsfragen, die er ja zuvor als wertbezogene Interpretation der empirischen Wirklichkeit „von nichtempirischen Voraussetzungen aus“333 definiert hatte, nur von den Geisteswissenschaften beantwortet werden können, da „faktische Werte nur von der Geschichtswissenschaft bewältigt werden können, weil nur das konkrete geschichtliche Leben Werte verwirklichen kann“334. Diese wissenschaftssystematischen Erkenntnisse appliziert Elert auf die Theologie und deren Apologetik:335 „Die generalisierende Tendenz will in einer Gruppe von Wirklichkeitselementen das Gleiche, Gemeinsame, Gesetzliche finden; die individualisierende dagegen sucht die einzelnen Wirklichkeitselemente in ihrer Eigenart und also auch in ihrer individuellen Bedeutung zu erfassen. Ablehnen kann man die ganze Alternative nur, wenn man alle Erkenntnis auf die Gewinnung allgemeiner Begriffe hinausführen zu müssen meint. Wenn der christliche Apologet die Alternative aufnimmt, so kann er sich auf seinem Gebiet nur für die zweite Art der Begriffsbildung entscheiden. Und er muß die Alternative anerkennen, wenn sich zeigen läßt, daß die christliche Weltanschauung von individualisierender, geschichtlicher Erkenntnis 329 Vgl. W. Elert, Wendung, 476 – 478. 330 W. Elert, Wendung, 478. 331 W. Elert, Wendung, 478 f. Vgl. aaO, 478 f.: „Den inhaltlichen Gegensatz gegen die Natur bringt der Begriff der Kultur. Kultur sind diejenigen Dinge und Vorgänge, die im Unterschied von der wertindifferenten Natur eine Bedeutung oder einen Wert haben.“ Die Geschichtswissenschaft gehe von „den tatsächlich in gewissen geschichtlichen Kreisen geltenden Werten“ aus und wählt somit ein „wertbeziehendes Verfahren“. 332 W. Elert, Wendung, 479. 333 W. Elert, Wendung, 471. 334 W. Elert, Wendung, 480. 335 W. Elert, Wendung, 480 – 486.
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unabtrennbar ist. Das ist aus zwei Gründen der Fall, einmal wegen der teleologischen Wertung des Individuums, sodann wegen des geschichtlichen Charakters des Christentums im Ganzen“336. Die christliche Weltanschauung unterscheidet sich von einer bloß naturalistischen zunächst durch die Würdigung des einzelnen menschlichen Lebens als einer unzergliederbaren „Werteinheit“, als einer „unteilbare[n], wertvolle[n] Wirklichkeit“, sodann durch die das Christentum erst konstituierende „Anerkennung der Offenbarung Gottes in der Geschichte“337, die in ihrer prinzipiellen Einmaligkeit von der – quasinaturwissenschaftlich verfahrenden – religionsgeschichtlichen Methodik nicht einholbar ist338, und durch die finale Betrachtung des Kosmos in der Eschatologie339. Elert wiederholt die in seiner Licentiatenarbeit formulierten formalen Anforderungen an eine Weltanschauung in folgender Modifikation: Nicht die erkenntnistheoretisch monistisch gegründeten Weltanschauungen, sondern die naturwissenschaftlicher und nicht geisteswissenschaftlicher Methode sich bedienenden Weltanschauungen erweisen sich als insuffizient zur Deutung der ganzen erfahrbaren Wirklichkeit. Ist der Naturalismus somit als eine formalen Anforderungen nicht genügende Weltanschauung bzw. – da der Naturalismus als Weltanschauung faktisch existiert – als eine sich ebenso „nichtempirischer Voraussetzungen“340 bedienende und damit eben auch geisteswissenschaftlich verfahrende Weltanschauung enttarnt, so folgt daraus die prinzipielle Gleichwertigkeit aller Weltanschauungen, die sich „lo336 W. Elert, Wendung, 481. 337 W. Elert, Wendung, 482. 338 Vgl. W. Elert, Wendung, 473. 483. v. a. 486 f.: Die religionsgeschichtliche Arbeit führt für Elert – analog zur naturalistischen Weltanschauung – zu einer Aufweichung der Identität der Theologie als Wissenschaft und des Christentums als einer Weltanschauung, weil sie methodisch „gar nicht historisch, sondern […] naturwissenschaftlich“ organisiert sei (aaO, 486). Explizit gegen Troeltsch betont Elert: Das „Gesetze- und Analogiesuchen in der Geschichte“ entpuppe sich als eine „naturalistische Tendenz auf Verallgemeinerung individueller geschichtlicher Wirklichkeiten“ (aaO, 487), die mit ihrer Annahme einer prinzipiellen Vergleichbarkeit „eben ein Dogma, und zwar ein naturwissenschaftliches“ (aaO, 486) sei. Was Elert bei Troeltsch im Blick hat, zeigt sich paradigmatisch in dessen Vortrag: Über historische und dogmatische Methode in der Theologie (1900), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, (Tübingen, 1913/19222) Neudruck Aalen, 1962, 729 – 753. 339 Vgl. W. Elert, Wendung, 483. 340 W. Elert, Wendung, 471.
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gisch“341 nicht weiter differenzieren lassen, da sie alle zur Deutung der Empirie auf einen transzendenten Punkt ausgreifen und in diesem Sinne „religiös“ sind.342 Auch wenn die „Zerfaserung aller Welt- und Lebensauffassung“ nicht begrüßt wird343, muß in wissenschaftlicher Perspektive die aus diesem methodischen Ansatz erwachsende Pluralität der Weltanschauungen „eben ertragen werden“344. In dieser Perspektive expliziert sich auch Elerts kulturpraktische Intention, die primär auf eine Plausibilisierung der christlichen Weltanschauung im allgemeinen Bewußtsein gerichtet ist: Sie stelle eben jenseits eines doktrinären Wahrheitsanspruches „auch losgelöst vom Christusglauben des einzelnen eine weltgeschichtliche Geistesmacht“ dar.345 Plausibilisierung bedeutet deshalb zunächst, daß die vom christlichen Glauben streng unterschiedene christliche Weltanschauung346 von der Apologetik – und eben nicht von der Dogmatik, die als „Glaubenslehre von jenen Wirklichkeiten in ihrer Heilsbedeutung handelt, die nur vom Glauben selbst bejaht werden können“ –347 so bearbeitet wird, daß sie als „rein verstandesmäßige Urteile über die Wirklichkeiten […] auch dem Ungläubigen einleuchtend gemacht […,] auch vom Ungläubigen angenommen werden kann“.348 2.2.1.5.4. Der „methodische Gewinn“ für die apologetische Praxis Im letzten Teil des Aufsatzes349 formuliert Elert den „methodische[n] Gewinn“350 des Anschlusses der Apologetik an die geisteswissenschaftliche Methode, der ja lediglich darauf zielt, die allgemeine Akzeptanz 341 342 343 344 345 346
347 348 349 350
W. Elert, Wendung, 484. Vgl. W. Elert, Wendung, 484 f. W. Elert, Was wollte Gerhard Hauptmann, 1242. S. dazu oben S. 63 ff. W. Elert, Wendung, 484. W. Elert, Wendung, 466. Vgl. W. Elert, Wendung, 485: „Glaubenssätze [sind] nicht mit der Weltanschauung zu verwechseln“. Zur Unterscheidung der Aufgaben und Methoden von Dogmatik und Apologetik und ihres jeweiligen Gegenstandes – des christlichen Glaubens und der christlichen Weltanschauung – bezieht sich Elert explizit auf seinen Lehrer Hunzinger (aaO, 466 f.; vgl. auch ders., Prolegomena, 97 ff.). Die Bedeutung dieser Unterscheidung für Elert zeigt sich in seiner Kritik, daß es „beklagenswert [sei], daß Hunzinger seine frühere klare Unterscheidung von Dogmatik und Apologetik verwischt“ (aaO, 466) habe. W. Elert, Wendung, 485. W. Elert, Wendung, 485. W. Elert, Wendung, 486 – 491. W. Elert, Wendung, 486.
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und Plausibilität der christlichen Weltanschauung zu „verbesser[n]“:351 Denn daß „die Apologetik auch mit geschichtlichen Einsichten die ,Wahrheit‘ des Christentums nicht beweisen kann, ist selbstverständlich“352. Elert geht es nicht darum, eine monopolartige Exklusivität christlicher Weltanschauung zu verteidigen, sondern darum, Recht und Kompetenz christlicher Weltanschauung gegenüber Ansprüchen auf Normativität und Exaktheit anderer Weltanschauungen zu erweisen, die durch die „Anwendung naturalistischer Methode auf die Geschichte“ und auf die Weltanschauungsfrage die „Einzigartigkeit“ und mit ihr die Identität der christlichen Weltanschauung „bestritten“ haben.353 Die „,historische Denkweise‘“354 hingegen ermögliche eine – durchaus methodisch kontrollierte – Würdigung der Individualität jeder Weltanschauung. Deshalb stehe die Kompetenz in Weltanschauungsfragen allein der geisteswissenschaftlichen Methode zu und mit ihr – bei entsprechender „Wendung zur Geschichte“ – auch der Theologie bzw. ihrer Apologetik. Wie in seinen Dissertationen wird die Weltanschauungsfrage nicht den „exakt“ verfahrenden Wissenschaften, sondern der individualisierenden und wertbezogenen Methode der Geistes- bzw. Kulturwissenschaften zur Bearbeitung anempfohlen.355 „Erst wenn man grundsätzlich von einer Diskussion über allgemeine Begriffe in der Apologetik absieht und vielmehr die geschichtliche Individualität des Christentums zum Ausgangspunkt nimmt, erst dann gewinnt man gemeinsamen Boden“356. Der explizite Anschluß der Theologie an die sich im bewußten Gegenzug zu dem Siegeszug der Naturwissenschaften konstituierenden Geisteswissenschaften357 ist Ausdruck von Elerts Bemühen, in den Ansätzen von Simmel, Rickert und Dilthey Bundesgenossen gegen die exklusiven Allerklärungsansprüche der Weltanschauungen zu gewinnen, die sich in ihrem Selbstverständnis auf ausschließlich durch na351 352 353 354 355 356 357
W. Elert, Wendung, 491. W. Elert, Wendung, 491. W. Elert, Wendung, 487. W. Elert, Wendung, 487. Vgl. W. Elert, Rudolf Rocholls, 46; ders., Prolegomena, 3. 30. 100. W. Elert, Wendung, 489. Vgl. etwa W. Elert, Wendung, 475: „So ist z. B. Diltheys Neufundamentierung der Geisteswissenschaften ein ausdrücklicher Protest gegen die Naturalisierung der gesamten Wissenschaft“.
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turwissenschaftliche Methode gewonnene exakte Erkenntnisse beziehen.358 Da sich jedoch die Weltanschauungen in der Interpretation der Empirie unterscheiden, kann eine Auseinandersetzung zwischen den Weltanschauungen nicht als Auseinandersetzung über die Empirie ausgetragen werden, sondern als Auseinandersetzung über die den verschiedenen Interpretationen zugrundliegenden nichtempirischen Voraussetzungen.359 Der Vergleich der natur- mit der geisteswissenschaftlichen Methode endet so wieder in der geschichtsphilosophischen Hauptfrage: der Frage nach dem Sinn der Geschichte, die nur durch die Hinzunahme eines transzendenten Faktors beantwortbar gewesen war. Der Nachweis der Transzendenz ist wiederum nur am Ort der Transzendenzbegegnung, also am der Transzendenz gewissen Subjekt – und damit nur durch individualisierende Methode – zu erbringen.360 Die Pointe dieses Aufsatzes liegt somit darin, daß geschichtsphilosophische und damit weltanschauliche Fragen nicht durch die von naturalistischen Weltanschauungen proklamierte naturwissenschaftliche Methode, sondern ausschließlich durch geisteswissenschaftliche Methode kontrolliert bearbeitet werden können. Die Apologetik hat deshalb in der Auseinandersetzung mit anderen Weltanschauungen zu berücksichtigen, daß weltanschauliche Fragen nicht durch eine generalisierende, verallgemeinernde Methode zu beantworten sind, sondern nur durch einen „,idiographischen‘“ Zugang, durch Aufmerksamkeit auf das Individuelle.361 Ganz besonders erfordern die Gegenstände der Theologie – die teleologische Würdigung des Einzelnen, das teleologische Verständnis des Kosmos und zentral die Geschichtlichkeit der Offenbarung Gottes in Jesus Christus – eine geisteswissenschaftliche Methode. Die Verwendung der naturwissenschaftlichen, also verallgemeinernden und vergleichenden Methode in der Theologie – wie in der älteren Apologetik, aber auch in der religionsgeschichtlichen Schule – gilt nach Elert deshalb nicht nur als ein methodischer Mißgriff in der Auseinandersetzung mit anderen Weltanschauungen, sondern zugleich auch als eine Destruktion allgemeiner Anerkennung der Theologie als Wissenschaft. 358 Vgl. v. a. W. Elert, Wendung, 475 – 480; ders., Prolegomena, 25 ff. 71 ff. So auch N. Slenczka, Selbstkonstitution, 36. 359 Vgl. v. a. W. Elert, Wendung, 471. 360 Vgl. v. a. W. Elert, Prolegomena, 77. 361 W. Elert, Wendung, 476. Vgl. aaO, 480 ff.
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Das Ziel Elerts ist so wiederum ein zweifaches: Zum einen weist er durch gezielten Methodenpluralismus die exklusiven Ansprüche auf Normativität monistisch gegründeter Weltanschauungen – hier: der naturalistischen Weltanschauung – ab und versucht dadurch zum anderen ein Lebensrecht der Theologie als anerkannter Wissenschaft und des Christentums als einer plausiblen Weltanschauung aufrechtzuerhalten. Durch den Anschluß der Theologie an die Geisteswissenschaften soll die Situation der christlichen Weltanschauung im Weltanschauungskampf, wie schon hervorgehoben, „verbessert“362 werden. Das bedeutet zugleich, daß Elert keine endgültige Lösung für das Problem der Weltanschauungspluralität gefunden, ja auch gar nicht gesucht hat. Vielmehr hofft er durch diesen Anschluß der Theologie an die Geisteswissenschaften, die christliche Weltanschauung aus der Ecke des Unmodernen, Unplausiblen, gar Indiskutablen363 herauszuholen und auf das Feld offener, gleichberechtigter Koexistenz mit anderen Weltanschauungen zu führen und somit ihre Situation graduell zu „verbesser[n]“.364 2.2.2. Die religionspsychologischen Arbeiten 2.2.2.1. Apologetische Ambitionen in der Religionspsychologie Das Hauptinstrument Elerts im Umgang mit der Weltanschauungspluralität ist die Geschichtsphilosophie. Sie erhält jedoch in seinen religionspsychologischen Arbeiten365 ein Seitenstück, das zum einen das begonnene – apologetische – Programm untermauert, zum anderen auszuführen versucht.366
362 W. Elert, Wendung, 491. 363 Zur entsprechenden Zeitdiagnose Elerts vgl. W. Elert, Persönlichkeitskultur, 32; ders., Im Kampf um die Reformation, 107. 364 W. Elert, Wendung, 491. 365 Die Religiosität des Petrus (1911); Die Grenzen der Religionspsychologie (1912); Die voluntaristische Mystik Jakob Böhmes (1913); Jakob Böhmes deutsches Christentum (1914); Zur Psychologie des Wunderglaubens (1915); Steigerung der Religiosität im Kriege (1918). 366 Entsprechend schreibt Elert in seinem Lebenslauf, daß mit Ausnahme der beiden Böhme-Studien „die übrigen die Linie weiter [verfolgten], die mit meiner Lizentiaten-Arbeit anfing“ (Goldenes Buch, 237). Zum expliziten Bezug auf seine geschichtsphilosophische Arbeit: W. Elert, Zur Psychologie, 430 f.
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Die religionspsychologischen Schriften sind also ebenfalls integraler Bestandteil von Elerts apologetischer Auseinandersetzung mit dem Problem der Weltanschauungspluralität.367 Allein schon im Gegenstand der allgemeinpsychologischen Beschäftigung – der Seele – liegt bereits ein apologetisches Motiv, gegen weltanschauliche Verkürzungen der Sicht des Menschen im Materialismus oder Naturalismus Einspruch zu erheben.368 Der in den geschichtsphilosophischen Arbeiten gesuchte Anschluß an die Geisteswissenschaften wird von Elert konsequent beibehalten. Deshalb möchte er seine religionspsychologischen Arbeiten im Anschluß an Dilthey ausdrücklich im Gefolge der geisteswissenschaftlichen und eben nicht der naturwissenschaftlich verfahrenden Psychologie verstanden wissen.369 Die naturwissenschaftlich verfahrende 367 Spätestens seit der deutschen Übersetzung von W. James, des – wie Elert zustimmt – „epochemachenden amerikanischen Religionspsychologen“ (Grenzen, 157) durch G. Wobbermin (Die religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit. Materialien und Studien zu einer Psychologie und Pathologie des religiösen Lebens, v. William James, ins Dt. übertr. v. G. Wobbermin, Leipzig, 1907) kam es zum „Siegeszug der Religionspsychologie“ (W. Elert, Wendung, 473; vgl. aaO, 473 ff.; zu W. James und G. Wobbermin vgl. v. a. ders., Grenzen, 157 ff.). Vgl. dazu W. Trillhaas, Art. Religionspsychologie, RGG3 5 (1961), 1021 – 1025. Während seines Studiums in Leipzig hörte Elert jedoch auch bei Wilhelm Wundt, der dort das „Institut für experimentelle Psychologie“ gegründet hatte (vgl. W. Elert, Goldenes Buch, 237; vgl. auch Elerts Darstellung von Wundt: KCH, 312 ff. 494). Elert bezieht sich dabei (KCH, 312) auf: W. Wundt, Grundriss der Psychologie, Leipzig, 191412 ; ders., Sinnliche und übersinnliche Welt, Leipzig, 1914. Zur zeitgleichen apologetischen Abzweckung der Religionspsychologie (vgl. z. B. E. Pfennigsdorf, Religionspsychologie und Apologetik, Leipzig, 1912) verhält sich Elert gleichwohl kritisch (vgl. KCH, 402 ff.). Umfassend zu den Anfängen der Religionspsychologie: D. M. Wulff, Psychology of Religion. Classic and Contemporary Views, New York, 1991. Vgl. weiter: K. Huxel, Die empirische Psychologie des Glaubens. Historische und systematische Studien zu den Pionieren der Religionspsychologie, Stuttgart u. a., 2000. 368 Vgl. dazu Elerts Darstellung der Auseinandersetzung der älteren Apologetik mit dem Materialismus über Weltentstehung, Wunder und die Seele: KCH; 227 ff. 369 Der naturwissenschaftlich verfahrenden Psychologie wird von Elert durchaus eine relative Berechtigung eingeräumt: „Die statistische Methode der Amerikaner […] hat zwar schon nicht unerhebliche Resultate aufzuweisen. Doch braucht sie notwendig eine Ergänzung durch die Psychologie im Sinne Diltheys, wenn die Religion nicht ganz und gar der Naturwissenschaft verfallen soll“ (Voluntaristische Mystik Jakob Böhmes, Vorwort). Zur Stellung der Psychologie zwischen Natur- und Geisteswissenschaften und ihren Anfängen in Deutschland: T. Nipperdey, Deutsche Geschichte. 1866 – 1918. Bd. I. Arbeitswelt und Bürgergeist, München, (1990) 1998, 630 – 633.
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Religionspsychologie hat für Elert nämlich „mit der christlichen Theologie an sich ebensowenig zu tun […] wie etwa die Religionsgeschichte“370. Von einer derartigen vergleichenden und verallgemeinernden Methode befürchtet er eine schablonisierende Entvitalisierung des Phänomens der Religion. Durch den dabei verwendeten „allgemeinen Religionsbegriff“ wird so aus „aller religiösen Mannigfaltigkeit eine möglichst allgemeine Form“, nämlich „ein ganz farbloses seelisches Ereignis, in dem sich die konkrete christliche Religiosität nicht mehr wiedererkennen wird“.371 Die Suche nach Gesetzmäßigkeiten führt die Religionspsychologie an ihrem eigentlichen Gegenstand vorbei: „Glaubt man wirklich durch einfache Herübernahme von Kunstfertigkeiten auf dem Gebiet der Biologie oder der Statistik dem Heiligtum unsrer Seele gerecht werden zu können?“372. Deshalb möchte Elert seine Arbeiten unter Berufung auf Dilthey nicht als „gesetzmäßig erklärende und konstruierende“, sondern als eine „individuelle beschreibende und zergliedernde“ Psychologie verstanden wissen, die der Unableitbarkeit des religiösen Seelenlebens angemessener sei.373 Aus diesem Grund bemüht sich Elert, die „Grenzen der Religionspsychologie“ aufzuzeigen und bei seinen eigenen Arbeiten strikt zwischen der „Religion“ als einer „geschichtliche[n] Größe“ und auf „individualpsychologischem Gebiet“ die „Religiosität“ zu unterscheiden: Demnach gilt für Elert, „daß die Religionspsychologie es lediglich mit der Religiosität zu tun hat“.374 Entsprechend sieht Elert in seiner religionspsychologischen Schrift „Die Religiosität des Petrus“ eine solche „Spezialuntersuchung“375, die als „eine rein empirische Aufnahme und Analyse der psychischen Tatbestände“ des Christen Petrus keine Aussagen „über das ,Wesen‘ oder die ,Wahrheit‘ der Religion“ machen möchte376. Weit mehr erhofft sich Elert von einer „Beschränkung auf das Besondere, Individuelle“ und von einer „Enthaltsamkeit von vorzeitigen Verallgemeinerungen“377. Programmatisch fordert er deshalb die Notwendigkeit unprogramma370 371 372 373 374 375 376 377
W. Elert, Wendung, 473. W. Elert, Wendung, 474. W. Elert, Petrus, 4. W. Elert, Wendung, 475. Zu Dilthey aaO, 475 f. Vgl. W. Elert, Die voluntaristische Mystik Jakob Böhmes, Vorwort. W. Elert, Die Grenzen der Religionspsychologie, 163. W. Elert, Wendung, 476 (Anm. 1). W. Elert, Petrus, 3. W. Elert, Petrus, 3.
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tischer „neue[r] Wege“378 für die Religionspsychologie: „Es ist wahr, ,Programme der Religionspsychologie‘ haben wir jetzt genug gehört; es wird Zeit, an die eigentliche Arbeit zu gehen“379, an die „wirklich psychologische Spezialarbeit“380. Elerts „psychologische Spezialarbeit“ über Petrus – aber auch über Jakob Böhme –, die keine „Kausalitätensucherei“ unternehmen, sondern schlicht „beschreiben“ will381, ist dann aber auch derart speziell, daß zu Recht gefragt werden muß, „was eigentlich diese Veröffentlichung will“382. Zu dieser „nicht ohne Geschick“ durchgeführten Untersuchung vermerkte bereits im Jahr 1912 ein Rezensent: „Statt dass versucht wird, manches am Schluß auf scheinbar mathematische Formeln zu bringen, wäre besser die psychologische Erklärung noch vertieft“.383 Materialiter tragen diese ,Spezialuntersuchungen‘ zu Elerts Umgang mit der Pluralität nichts aus, was über das oben Genannte bemerkenswert hinausginge.384 Es bleibt deshalb lediglich bei der 378 379 380 381 382 383
W. Elert, Petrus, 6. W. Elert, Petrus, 3. W. Elert, Die voluntaristische Mystik Jacob Böhmes, Vorwort. W. Elert, Die voluntaristische Mystik, 3. N. Slenczka, Selbstkonstitution, 32 (Anm. 28). Schultzen (ohne Nennung des Vornamens), Rez. W. Elert, Petrus, ThLBl 33 (1912), 127. Zur relativen Berechtigung der naturwissenschaftlich verfahrenden Psychologie vgl. dazu oben S. 128 Anm. 369. 384 Lediglich folgende Vermutungen lassen sich anstellen: Bei der Darstellung des Petrus fällt die Betonung seiner „stark gefühlsbetonten Vorstellungen“ gegenüber seiner vergleichsweise geringen „intellektuellen Klarheit“ (Petrus, 71) auf; er scheint als Typus „echte[r], heiße[r] Religiosität“ (aaO, 72) die antirationalistische Zuspitzung auf die „pathische“ Religion, wie sie Elert 1920 in „Dogma, Ethos, Pathos“ ausarbeiten wird, divinatorisch bereits in sich zu tragen, da er „uns Modernen, wohl am nächsten durch die warmglänzenden, heißen Gefühle“ ist (Petrus, 71; vgl. die parallele Aussage über Jesaja in: Geschichtsauffassung, 339). Petrus wird von Elert als Vertreter wahrer Individualität und personaler Authentizität – durch „seine unmittelbare Einheit von Gefühl und Handeln“ (Petrus, 72; vgl. aaO, 65) – zum Antitypen depersonalisierender Tendenzen in der Massengesellschaft der Moderne stilisiert (vgl. dazu v. a. W. Elert, Persönlichkeitskultur, 532 f.). Jakob Böhme mit den „fast modernen psychologischen Grundsätze[n] seiner Mystik“ (Die voluntaristische Mystik, 4) wird von Elert ebenso als Individualität mit Sehnsucht „nach innerer Einheitlichkeit des Erlebens“ (aaO, 132), als starke Persönlichkeit, die „alles in jedem Augenblick unmittelbar und gleichsam in der tiefsten Tiefe erlebt“ ( Jakob Böhmes deutsches Christentum, 32 f.), vorgeführt. Am Beispiel seiner Religiosität stellt Elert die mögliche formale Suffizienz der christlichen Weltanschauung dar, die in einem ganzheitlichen Sinne Natur und Geist, kausale
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Feststellung, daß Elert bestrebt zu sein scheint, der formalen Anforderung an eine Geschichtsphilosophie, nämlich, daß „jedem Nachweis der Transzendenz“ der „Nachweis ihres Innewerdens im Subjekt vorangehen“ muß,385 in irgendeiner Form nachzukommen, indem er für die christliche Weltanschauung anhand der Religiosität des Petrus und Jakob Böhmes individuelle386 Exempel statuiert.387 wie finale Begründungsreihen mit der teleologische Sinngebung durch – mystische – Transzendenzbegegnung zu dem „Riesengebäude seiner Weltanschauung“ (Die voluntaristische Mystik, 135) verbindet. Diese „Einheit und Totalität der Weltanschauung“ ist transzendent begründet; „Gott“ ist die „monistische Formel für das Universum“ (aaO, 60 f). Nicht zuletzt diese ,Ganzheitlichkeit‘ seiner Weltanschauung „bewahrte ihn […] vor dem Rationalismus“ (aaO, 129). Elert betont damit Böhmes antiidealistisches wie antirationalistisches „Bestreben, immer der schlichten Wirklichkeit so nahe wie möglich zu kommen“ (aaO, 130), und würdigt die – erfahrungstheologische – Authentizität von Böhmes Schriften als „Wirklichkeitswert“ (aaO, 131). Kritisiert wird hingegen seine allgemeine, zu wenig spezifisch christliche Religiosität, die vor allem in seiner antihistorischen Unterbewertung der Bedeutung des „,Hangen am Historischen‘“ für den christlichen Glauben begründet liege: „Daß sein Gott ein vollkommen anderer war als der Gott der Christenheit blieb ihm verborgen“ (aaO, 135; vgl. aaO, 50 ff. 134 ff). Auffallend ist, daß die von Böhme herausgestellten dunklen Seiten Gottes, denen Elert später so große Aufmerksamkeit widmen wird (vgl. etwa ML I, 42.), in der Zeit bis 1918 völlig unberücksichtigt bleiben. Zum Einfluß der Mystik Böhmes auf Elert vgl. S. A. Eyjólfsson, Rechtfertigung, Mystik, neue Schöpfung. Mystische Elemente in der Theologie Werner Elerts, in: Unsere Welt – Gottes Schöpfung. FS Eberhard Wölfel, Marburger Theologische Studien 32, 1992, 145 – 159. 385 W. Elert, Prolegomena, 77. 386 Zur Wirkung von Elerts individualisierender Methode in der Religionspsychologie vgl. die Rezension über Elerts Böhmeschriften von L. Jacobskötter (ThLBl 35 (1914), 369 – 371) 371): Elert stelle „auf das genaueste“ dar, „dass Böhmes Mystik in Theorie und Praxis erlebtes Gut und persçnliches Bekenntnis bedeutet“ [H. v. Vf.]. 387 Diese exemplarische Durchführung an ,Heroen‘ der Christentumsgeschichte – wie sie in der „Morphologie“ dann an Luther vollzogen werden wird (vgl. dazu unten S. 136 f.) – scheint Elert im Anschluß an W. James‘ eher deskriptiver Vorgehensweise unternommen zu haben, um „the varieties of religious experience“ (London, 1902) anhand von Selbstzeugnissen religiöser Genies darzustellen. Zu Elerts Auseinandersetzung mit W. James: Grenzen, 157 ff. Zu W. James: K. Hoheisel, Art. Religionspsychologie. I. Religionswissenschaftlich, TRE 29 (1998), (1 – 7) 2; H. G. Heimbrock, Art. Religionspschologie. II. Praktisch-theologisch, TRE 29 (1998), (7 – 19) 8. Vgl. W. Elert, Die Grenzen der Religionspsychologie, 157 ff. 252 ff. Vgl. etwa W. Elert, Petrus, 6: „Daß Petrus zum Gegenstand einer besonderen psychologischen Untersuchung gemacht wird, bedarf keiner Rechtfertigung. Paulus hat von jeher zur Analyse […] gereizt. Mit Recht, denn er darf als klassischer Typus derer gelten, die den
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2.2.2.2. Der Krieg als Aktualisierung „latenter Bewußtseinsinhalte“ Aus dem Rahmen der übrigen religionspsychologischen Schriften fällt die kleine Schrift „Steigerung der Religiosität im Kriege“388 heraus. Diese 1918 erschienene religionspsychologische Veröffentlichung bietet eine theologische Verarbeitung von Elerts Kriegserlebnissen unter der Leitfrage „nach dem religiösen Ertrag des Krieges“.389 Der Krieg und seine Folgen zeitigen für die religionspsychologische Betrachtung „interessantes und umfangreiches Material“, sonderlich durch das Phänomen der Aktualisierung „bis dahin latenter religiöser Bewußtseinsinhalte“.390 Das Verlangen nach Sinndeutung ist durch die massive Kontingenzerfahrung derart gesteigert, daß die verschiedenen weltanschaulichen wie religiösen Sinndeutungsangebote auf den harten Prüfstand der stärksten religiösen Antrieb aus der Geschichte empfangen haben. Aber vielleicht lohnt es doch auch der Mühe, den feinsten Regungen einer Seele nachzugehen, die unmittelbar vom Urquell aller Religiosität getrunken hat“. 388 Erschienen in: Geisteskampf der Gegenwart, 54 (1918), 154 – 158. 389 W. Elert, Steigerung, 154. Elert diagnostiziert in diesem – wohl durch die Arbeit von K. Holl (Die Bedeutung der großen Kriege für das kirchliche Leben innerhalb des Protestantismus, Tübingen, 1917; vgl. ders., Kirchlich-religiöse Aufgaben nach dem Krieg, 1918, in: ders, Kleine Schriften, hg. v. R. Stupperich, Tübingen, 1966, 96 – 109) angeregten – Aufsatz eine „Steigerung der Religiosität“ bereits vor dem Krieg vorhandener Frömmigkeit. Hierbei unterscheidet er verschiedene Typen latenter, verstandesmäßiger und lebendiger Frömmigkeit, die sich unter dem Eindruck des Krieges „qualitativ“ verändern (Steigerung, 154). Mit dieser Klassifizierung verschiedener Frömmigkeitstypen scheint Elert die Favorisierung der individualisierenden Methode in der Religionspsychologie aufzugeben; trotzdem will er diese Untersuchung unter Ausblendung der Aspekte der sozialpsychologischen „Massenpsychologie“ als eine „individualpsychologisch[e]“ (aaO, 156) verstanden wissen. Neben den genannten Schriften von K. Holl (s.o.) dürfte besonders die Arbeit von K. Heim (Die Aufgabe der Apologetik, 1915, wiederabgedruckt in: Glaube und Denken. Jahrbuch der Karl-Heim Gesellschaft 3 (1990), 170 – 191), der sich gerade angesichts der „Wirkungen des Krieges auf die Seele des Menschen“ (aaO, 170) mit religionspsychologischen Phänomenen und ihrer möglichen apologetischen Verwendung beschäftigt, auf Elerts Aufsatz „Steigerung“ eingewirkt haben. Zur apologetischen Arbeit von K. Heim: J. Neukirch, Karl Heims „neue Apologetik“ als „Erlösung von der Theorie“, in: Glaube und Denken. Jahrbuch der Karl-Heim Gesellschaft 5 (1992), 106 – 121. Ein ausführliches Referat von Elerts Aufsatz findet sich bei A. v. Scheliha, Glaube, 297 ff. Zur Anregung duch K. Holl vgl. N. Slenczka, Selbstkonstitution, 28 Anm. 17. 390 W. Elert, Steigerung, 154.
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Kriegserfahrungen kommen. Angesichts der „schneidenden Sinnlosigkeit“ der Erfahrung von Ereignissen ohne jedes „Zeichen einer physischen Notwendigkeit“391 offenbart sich die nicht nur formale Insuffizienz erkenntnistheoretisch monistisch gegründeter Weltanschauungen, wie sie Elert in seinen geschichtsphilosophischen Arbeiten herausgearbeitet hatte, sondern ihre – gerade in außeralltäglichen Extremsituationen offensichtliche – alltagspraktische Unfähigkeit, eine zureichende Antwort auf die existentiellen Fragen des Menschen zu geben. Weder eine rein kausale noch eine rein immanent finale Betrachtung der Wirklichkeit kann angesichts des „hundertfach“ miterlebten Todes einzelner Menschen von dem „seelische[n] Zwang zum Deuten des Todesrätsels“392 befreien, geschweige denn ein zureichendes Sinnangebot bereitstellen. Die extreme Kontingenzerfahrung läßt die Ahnung einer „außerphysische[n] Lenkung der Geschicke“393 und das Verlangen nach einer umfassenden Sinndeutung entstehen, die über eine rein immanente Erklärung der Geschichte, eine rein immanente Aufdeckung ihres Sinns hinausführt. Solche Sinndeutung aber bedarf nach Elert zur Aufklärung der „außerphysischen Bestimmtheit des Weltgeschehens“394 einer transzendenten Bezugsgröße, die sich in verschiedenen Formationen einstellt. Es äußert sich dieser Transzendenzbezug in unterschiedlicher Weise, etwa als „Fetischismus“, als „Fatalismus“ oder auch in der „christlichen Wendung zum Vertrauen“ auf Gott.395 Ohne sozialpsychologische Aspekte jedoch kann diese Pluralität der Inanspruchnahme verschiedener Sinndeutungsangebote „individualpsychologisch“ nicht geklärt werden; Elert verweist dabei zur Klärung der faktischen Weltanschauungspluralität zurück auf die „Geschichtsphilosophie“.396 Gerade im Krieg sei durch die Irrationalität der Erfahrungen eine affektive Verwandlung vorhandener weltanschaulicher Prädispositionen zu beobachten.397 Der Krieg habe so zu einer „qualitative[n]“398 Steigerung „schon vorhandener Religiosität“ geführt, nicht aber zu einer „quantitative[n] Verschiebung des Besitzstandes zwischen Frömmigkeit 391 392 393 394 395 396 397 398
W. Elert, Steigerung, 155. W. Elert, Steigerung, 155. W. Elert, Steigerung, 155. W. Elert, Steigerung, 155. W. Elert, Steigerung, 155 f. W. Elert, Steigerung, 156. Vgl. W. Elert, Steigerung, 157. W. Elert, Steigerung, 154.
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und Religionslosigkeit“399. Auch wenn durch den Krieg die alltagspraktische Unzulänglichkeit monistischer Weltanschauungen zutage getreten ist, bleibt die Frage nach dem Umgang mit der Pluralität der Weltanschauungen bestehen: Atheismus oder Gottesglaube – „der Krieg [hat] vielmehr nach beiden Seiten hin verstärkend gewirkt“400. 2.2.2.3. Psychologie der religiösen Erfahrung? Insgesamt wollen die religionspsychologischen Schriften Elerts zeigen, daß Religiosität weder immanent ableitbar noch „mit anderen komplexen Größen des Seelenlebens auf einer Stufe“ vergleichbar401 und zudem nicht verallgemeinerbar ist, sondern als geschichtlicher Ausdruck des Eindrucks der Transzendenz auf den religiösen Menschen nur im strengen Bezug auf den Ort dieser Transzendenzbegegnung, nämlich auf das jeweilige Subjekt, wissenschaftlich nachgezeichnet werden kann – allerdings nur auf individualisierendem Wege: „Das letztlich entscheidende Urteil über die Wahrheit der christlichen Wahrheitsbehauptungen steht dem Individuum als solchem, nicht der generalisierenden Wissenschaft zu“.402 „Die Psychologie kann und darf als empirische Wissenschaft nicht mit einer Überwelt rechnen, also ist ihr die immanente Erklärungsmöglichkeit“ religiöser Äußerung „Axiom“.403 Die religiöse Äußerung aber verdankt sich nach Elert einer Einwirkung der Transzendenz auf das religiöse Subjekt, sie gründet in der „außerpsychischen Ursache der Erfahrung“404 und ist damit dem rein immanenten Zugriff der Psychologie entzogen – wie auch der empirischen Geschichtswissenschaft 399 W. Elert, Steigerung, 157. 400 W. Elert, Steigerung, 157. Diese Einschätzung Elerts deckt sich mit der allgemeinen Beobachtung, daß die auffällige Steigerung von Gottesdienstbesuch und Frömmigkeit zu Kriegsbeginn bereits in den Jahren nach 1915 stark abnahm und zu einem ,normalen‘ Vorkriegszustand zurückkehrte. Vgl. dazu W. D. Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte, Bd. 2, 824. 401 W. Elert, KCH, 404. 402 W. Elert, Die Grenzen der Religionspsychologie, 205. Vgl. auch Elerts Kritik an Troeltschs Religionspsychologie: aaO, 158 f. 165; Prolegomena, 88 ff.; KCH, 410 f. 403 W. Elert, Zur Psychologie, 430. Zu Elerts Verständnis der Religionspsychologie als einer empirischen Wissenschaft, die Religion als immanentes wie individuelles Phänomen analysiert, vgl. seine Rezension von H. Faber, Das Wesen der Religionspsychologie, ThLBl 35 (1914), (108 f.) 109. 404 W. Elert, Grenzen, 161.
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die geschichtsphilosophische Frage nach dem Sinn der Geschichte, die für Elert nur durch Berücksichtigung eines transzendenten Faktors zu beantworten gewesen war, „als eine Entscheidung der Weltanschauung“ entzogen ist.405 Für den christlichen Glauben folgt daraus: „Es ist eine Selbsttäuschung, wenn wir meinen, auf Grund der Lektüre des Neuen Testaments zu unserem Glauben gekommen zu sein. Wir sind nicht selbst Produzenten unsres Glaubens“; wir haben „ihn nicht in uns erzeugt“, sondern sind „von einem geschichtsüberlegenen Geist ergriffen“.406 Die Religionspsychologie gehört insofern fundamental zu Elerts erfahrungstheologischem Ansatz, als sie durch die empirische Untersuchung der seelischen Vorgänge des religiösen Erlebens, das – immanent unableitbar – durch die Transzendenzbegegnung hervorgerufen wird, dort anfängt, wo die Gewißheitslehre aufhört, nämlich mit der Behauptung einer „unmittelbare[n] Berhrung des Subjekts mit der Transzendenz in einem eigentmlichen seelischen Erlebnis“.407 Da die Religion und mit ihr jede – formal suffiziente – Weltanschauung durch immanente kausale oder finale Begründungsreihen eben nicht innerweltlich zu erklären, sondern Ausdruck der Einwirkung der Transzendenz im jeweiligen Subjekt ist, versucht Elert den „Nachweis über das Innewerden“ nun durch Einzelstudien zu führen; es soll also kein generalisierbares Programm entworfen, sondern das „tatsächlich Erlebte“ einfühlsam nachempfunden werden.408 405 W. Elert, Zur Psychologie, 431. Vgl. ders., Rudolf Rocholls, 47; ders., Prolegomena, 6. 24 f. Zu dieser Bestimmung vgl. auch W. Elert, Grenzen, 161: Die „empirische Psychologie“ beschäftigt sich mit der „sinnlichen Erfahrung“; sie gibt aber niemals „irgendeine Bestimmung über die erste Quelle der Erfahrung, weil diese außerpsychisch ist. Wenn also etwa ein Mensch behauptet, er habe Gott erlebt, so wird die empirische Psychologie konstatieren können, wie dieser Gedanke in der Seele entstand […]. Aber auch im besten Fall wird sie niemals weiter kommen als bis zu dem Punkt, wo die von dem Betreffenden als Gotteserlebnis empfundene Berührung mit der Außenwelt die Seele zuerst tangierte. Für die konsequente empirische Psychologie hört das Interesse an der Grenze der Seele und der Außenwelt auf“. 406 W. Elert, Zur Psychologie, 431 f. 407 W. Elert, Prolegomena, 103. Vgl. W. Elert, Prolegomena, 92: Mit der Behauptung eines „religiösen Erlebnis[ses]“ als einer „unmittelbare[n] Gottesberührung“ „setzt aber diese Religionspsychologie schon eine anders geartete Vergewisserung um die Religion voraus“. Vgl. auch W. Elert, Wendung, 473; ders., Grenzen, 252 f. 408 W. Elert, Die voluntaristische Mystik, 131. Eben dies schätzt Elert auch an Böhme: Es „hat der subjektive Teil seiner Religionslehre für uns Wirklich-
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Elert versucht deshalb mit geisteswissenschaftlicher – also individualisierender – Methode in jeweiliger „Einzeluntersuchung“409 den „Nachweis“ über das „Innewerden“ der Transzendenz im Subjekt zu führen.410 Das zeigt, daß die religionspsychologischen Arbeiten auf die Untermauerung der in den geschichtsphilosophischen Schriften aufgestellten formalen Anforderungen an eine Weltanschauung zielen411 und zugleich versuchen, exemplarisch zur apologetischen Aufgabe der „thetischen“ Darstellung der christlichen Weltanschauung412 durch Analyse ihres Fundaments – der wissenschaftlichen Nachzeichnung der seelischen Vorgänge des religiösen Erlebens – beizutragen. Die Ergebnisse dieser frühen religionspsychologischen Arbeiten sind im Einzelnen wenig aussagekräftig. So ist eher die von Elert eingeschlagene Richtung bemerkenswert, Theologie im Ausgang und ständigen Bezug auf menschliche Erfahrung – auf das „Selbstverständnis des Menschen“413 – so zu betreiben, wie er es bei Böhme beobachtete, wonach „der Mensch das Zentrum aller Wirklichkeit, der Mittelpunkt der Welt, der Natur, des Geistes, der göttlichen Selbsterschließung“ ist414 – wobei zu beachten bleibt, daß „das religiöse Erleben nicht Sache des Verstandes sei“415. Elerts religionspsychologische Interessen fließen somit in die erfahrungstheologische Grundlegung seiner Theologie ein. Obwohl Elert seine explizit religionspsychologischen Ambitionen mit dem Ende des Ersten Weltkrieges aufgab und gemeinsam mit der Dialektischen Theologie zum umfassenden Angriff auf den Psychologismus des modernen Denkens überging,416 finden diese Arbeiten noch einen eigentümlichen Ertrag in der „Morphologie des Luthertums“. Der thematische Zusammenhang von Elerts Arbeiten, angefangen von der Vorkriegszeit bis in die 30er Jahre hinein, wird gerade an diesem Punkt besonders deutlich. Seinen ausführlichsten „thetischen“ Entwurf 409 410 411 412 413 414 415 416
keitswert, eben weil er hier, soviel er konnte, das tatsächlich Erlebte nachzeichnete“ (aaO, 131). W. Elert, Petrus, 3. W. Elert, Prolegomena, 77. Vgl. W. Elert, Zur Psychologie, 431. Vgl. W. Elert, Prolegomena, 99. 101. Vgl. den Einsatz Elerts in seiner Dogmatik beim „Selbstverständnis des Menschen unter der Verborgenheit Gottes“ (CG, 67 ff.). W. Elert, Die voluntaristische Mystik, 11. Vgl. auch T. Kaufmann, Werner Elert, 200 f. W. Elert, Jakob Böhmes Deutsches Christentum, 11. Vgl. dazu Elerts Kritik an der „Religionspsychologische[n] Relativierung“ in: KCH, 402 ff.
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einer christlichen Weltanschauung wird Elert mit der „Morphologie“ vorlegen, deren Rekonstruktion der „Dynamis“ des Luthertums nicht verbergen kann, daß sie von einer ehemals religionspsychologisch ambitionierten Arbeitsweise abstammt:417 Insbesondere der Darstellung der Weltanschauung scheint eine – durch die Hinzunahme der religionssoziologischen Perspektive freilich modifizierte – Art religionspsychologischer Analyse der Religiosität Luthers zugrundezuliegen.418
417 Am Ende des Aufsatzes „Grenzen der Religionspsychologie“ formuliert Elert eine Aufgabenstellung für künftige historisch-theologische Arbeit. Die Nähe zum Programm der „Morphologie“ mit seiner Suche nach einer „Dominanten“, die in allen „Einzelzusammenhänge[n]“ wirksam ist, läßt sich dabei nicht übersehen (ML I, 3; vgl. aaO, 1 ff.): „Die innersten psychischen Regungen, welche die Geschichte des Christentums mitbestimmt haben, von den ersten Anfängen bis zur Gegenwart aufzusuchen und zu analysieren, das ist zweifellos eine zukünftige Aufgabe der historischen Theologie, die ebenso notwendig wie erfolgversprechend erscheint. Wenn erst eine einigermaßen konsequente Sammlung an Material vorhanden wäre, so wäre die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, aus der immanenten Konsequenz der inneren religiösen Zusammenhänge auch bestimmte historisch-psychologische Gesetze aufzufinden oder doch eine der ganzen psychischen Gesamtentwicklung übergeordnete Grundtendenz zu erkennen“ (Grenzen, 254 f.). W. Sparn verweist ebenso darauf, daß Elert in seiner „Morphologie“ den Versuch unternimmt, „eine dem reformatorischen ,Urerlebnis‘ entsprechende Weltanschauung“ nachzuweisen (Preußische Religion und lutherische Innerlichkeit. Ernst Troeltschs Erwartungen an das Luthertum, in: F. W. Graf / T. Rendtorff, Ernst Troeltschs Soziallehren. Studien zu ihrer Interpretation, Troeltsch-Studien 6, Gütersloh, 1993, (152 – 177) 164). 418 Der Beschreibung der „Morphe“ des Luthertums liegt die Erfassung ihrer „Dynamis“ zugrunde (W. Elert, ML I, 1). Diese „Dynamis“ liegt als „Unbekannte“ aber „vor“ ihren historisch greifbaren Ausprägungen in der Theologie Luthers oder in den reformatorischen Bekenntnisschriften. Deshalb sei das „Verfahren […] dabei anders als in einer rein theologiegeschichtlichen Untersuchung“ (ML I, 8). Es handle sich dabei „nicht um eine Rekonstruktion des historischen Bekehrungsvorganges der Person Luthers“, wohl aber um eine – eben durchaus psychologische – Nachzeichnung des seelischen Erlebens Luthers, nämlich „um das Urerlebnis des ,Luthertums‘, wobei Luther nur soweit in Frage kommt, als er Anfänger des späteren Luthertums geworden ist“ (W. Elert, ML I, 15 (Anm. 1)). So vermutete bereits N. Slenczka (Selbstkonstitution, 32 Anm. 28) völlig zu Recht, daß Elerts „Darstellung des lutherischen Urerlebnisses letztlich auf den Versuch einer religionspsychologischen Analyse Luthers im Stile der frühen religionspsychologischen Veröffentlichungen zurückgeht“.
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2.3.3. Die publizistische Arbeit Neben den wissenschaftlichen Arbeiten veröffentlichte Elert kleinere Schriften, die – allein schon durch das gewählte Veröffentlichungsorgan – an einen weiteren Leserkreis gerichtet sind.419 Sie unterstreichen Elerts Überzeugung, daß das Problem der Weltanschauungspluralität nicht primär ein wissenschaftstheoretisches, sondern vielmehr ein elementar kulturpraktisches Problem darstellt, das demnach auch eine entsprechende Behandlung erfordert.420 So wird besonders in diesen Schriften deutlich, daß Elerts Beschäftigung mit dem Phänomen der Weltanschauungspluralität durch eine eminent praktische Intention geleitet ist. Elerts wissenschaftliche Arbeit wird durch polemische Deutlichkeit im Umgang mit dem Problem der Weltanschauungspluralität in Wahrnehmung und Beantwortung in seinen publizistischen Schriften zugespitzt. Gerade in diesen Schriften zeigt sich jedoch bei Elert bereits in jungen Jahren – insbesondere in Bezug auf soziale bzw. gesellschaftliche Fragen – eine „Tendenz zu Journalismus“.421 Es ist deshalb hier lediglich auf das hinzuweisen, was über das bisher Dargestellte in auffälliger Weise hinausgeht. Diese eher publizistischen Charakter tragenden Schriften der Zeit bis 1918 spiegeln vornehmlich die antinaturalistische,422 neuprotestantismuskritische,423 antiindividualistische,424 antiidealistische,425
419 Die hierbei gemeinten Schriften (W. Elert, Geschichtsauffassung der alttestamentlichen Poesie, ders., Im Kampf um die Reformation, ders., Die sogenannte Persönlichkeitskultur, ders., Was wollte Gerhart Hauptmann in seinem Festspiel?; ders., August Horneffers Programm für den Priester der Zukunft) wurden in „Der Alte Glaube“ veröffentlicht, einem Organ das einem weiteren (Gemeinde-)Publikum zugedacht war: „Der Alte Glaube. Evangelisch-Lutherisches Gemeindeblatt“ erschien wöchentlich bei Pillardy & Augustin in Kassel unter wechselnder Schriftleitung in 18 Jahrgängen zwischen 1899 und 1917 und bot neben Erbaulichem und Schöngeistigem auch die – allgemeinverständliche – Behandlung durchaus handfester theologischer Themen – u. a. eben auch die genannten Beiträge Elerts. 420 Vgl. W. Elert, Wendung, 475. Vgl. dazu oben S. 117. 421 So die Einschätzung in Bezug auf den 1932 erschienenen zweiten Band der Elertschen „Morphologie“ von H. C. Rublack, Zur Problemlage der Forschung zur lutherischen Orthodoxie in Deutschland, in: ders. (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1988, SVRG 197, Gütersloh, 1992, (13 – 32) 29. 422 V.a. W. Elert, Geschichtsaufassung. Ausführlich dazu oben S. 114 ff.
2. Das apologetische Programm
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antirationalistische wie kapitalismuskritische426 Grundstimmung Elerts wider. Demgegenüber zeigt sich bereits die für irrationale, kontingente wie intuitive Momente sensible Option für einen Realismus, der die unableitbare religiöse Erfahrung des Einzelnen eingebunden sehen möchte in eine seine Geschichtlichkeit ergreifende ,ganzheitliche‘ – nicht zuletzt korporative – Existenz. Elerts frühes Interesse an historiographisch konzeptionellen Fragestellungen, namentlich sein Aufsatz „Im Kampf um die Reformation“ von 1911, ergibt sich nicht aus einer wissenschaftlichen historischen Ambition, sondern aus der klar aktuellen, praktischen Intention, „Front zu machen“ gegen eine abwertende Darstellung jener „Gruppe der Gegenwart, die sich noch heute und für die Zukunft zu den positiven Ideen der Reformation bekennt“.427 Auffällig ist, daß gerade dieser kleine Aufsatz, der als einziger in diesem Jahrzehnt den Namen Luthers erwähnt bzw. in irgendeiner Form eine Bezugnahme auf reformatorische Theologie, womöglich gar auf lutherische Propria vermuten läßt und nicht allgemein ,Christliches‘ bzw. die ,christliche Weltanschauung‘ thematisiert,428 zeigt, daß Elerts Wahrnehmung der Weltanschauungspluralität im späten Kaiserreich sich nicht auf die Auseinandersetzung mit den als Weltanschauungen allgemein anerkannten Formen von Naturalismus oder Materialismus beschränkt , sondern zudem die Differenzierung der verschiedenen Geschichtsdeutungen der Reformation als eine Vorstufe zu einer protestantismusinternen Polarisierung weltanschaulicher Positionen einzuschließen scheint. Der „Kampf um die Reformation“ und sonderlich um ihre Deutung rückt somit in den Horizont des Weltanschauungskampfes der Moderne.429 Die Pluralität 423 V.a. W. Elert, Im Kampf um die Reformation. Vgl. dazu oben S. 58 f. u. unten S. 139 f. 424 V.a. W. Elert, Persönlichkeitskultur. Vgl. dazu unten S. 140 ff. 425 V.a. W. Elert, Was wollte Gerhart Hauptmann. Vgl. dazu oben S. 64 f. 426 V.a. W. Elert, Kant und der ewige Friede. Vgl. dazu oben S. 59. 427 W. Elert, Im Kampf um die Reformation, 108. 428 Vgl. dazu oben S. 79 ff. 429 Der von Elert wahrgenommene Horizont ist dabei v. a. durch die Arbeit von Ernst Troeltsch geprägt. Vgl. dazu W. Elert, Im Kampf, 107 f. Elerts kritisches Augenmerk auf Troeltsch beginnt also vor dessen großer Wirkungsphase in Berlin; nach Elerts eigenen Angaben sei er schon in seinen Leipziger Studiensemestern durch Hermelink zur Kritik an Troeltsch angeleitet worden (W. Elert, Goldenes Buch, 237). Zur zeitgenössischen Wirkung von Troeltschs Reformationsdeutung: F. W. Graf, Weltanschauungshistoriographie. Rezensionen zur Erstausgabe der „Soziallehren“, in: ders. / T. Rendtorff, (Hgg.),
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der Weltanschauungen wird durch die Vielzahl der Geschichtsdeutungsangebote gesteigert. Innerhalb der konfessionellen Disparatheit des Christentums diagnostiziert Elert somit eine protestantismusinterne Polarisierung der Geschichtsdeutungsangebote, die für ihn ja synonym ist mit einer Polarisierung der Weltanschauungsangebote.430 Neben der divergenten Geschichtsdeutung unterscheiden sich Alt- und Neuprotestantismus in ihrem Verhältnis zu den „modernen“ Geistes- und Naturwissenschaften und deren Bedeutung für den Umgang mit dem Problem der Weltanschauungspluralität:431 Die Wissenschaftsgläubigkeit des Neuprotestantismus432 und der konservative Hang des Altprotestantismus zu „altmodischer Beschränktheit“433 verstärken den Eindruck, daß Elert hier eine protestantismusinterne Polarisierung weltanschaulicher Positionen zu erfassen versucht.434 Die Diagnose protestantismusinterner Polarisierung weltanschaulicher Grundeinstellungen wird von Elert in seiner Schrift über „Die sogenannte Persönlichkeitskultur“ insofern fortgesetzt, als deren Vertreter auch evangelischen Kreisen entstammen.435 Elerts Auseinandersetzung mit der „Persönlichkeitskultur“436 verdeutlicht nochmals, daß
430 431 432 433 434
435 436
Ernst Troeltschs Soziallehren. Studien zu ihrer Interpretation, Troeltsch-Studien, Bd. 6, Gütersloh, 1993, 216 – 227. S. auch die Darstellung von T. Nipperdey, die gerade die Pluralität des Protestantismus zu dessen signifikantem Gliederungsmerkmal erhebt (Deutsche Geschichte. 1866 – 1918. Bd. I. Arbeitswelt und Bürgergeist, München, 1990/1998, 468 – 507). Zu dieser synonymen Verwendung vgl. W. Elert, Prolegomena, 6. 98. W. Elert, Im Kampf, 107. Vgl. v. a. W. Elert, Wendung. S. dazu oben S. 116 ff. Zu Begriff und Beschreibung von Neuprotestantismus: V. Drehsen, Art. Neuprotestantismus, TRE 24 (1994), 363 – 383 (Lit.). Vgl. dazu Elerts spätere Aussagen: W. Elert, KCH, 391. 409; ders., Grützmachers Kritik am Neuprotestantismus, in: NKZ 32 (1921), (383 – 400) 399. W. Elert, Im Kampf, 107. Wenige Jahre später rechnet Elert den Neuprotestantismus in Gegenüberstellung zum Altprotestantismus sogar explizit zum Kreis der monistischen Weltanschauungen. Vgl. W. Elert, Grützmachers Kritik am Neuprotestantismus, v. a. 391. 396. Erschienen in: Der Alte Glaube 13 (1911/1912), 531 – 540. S. dazu auch W. Elert, Im Kampf, 125 ff. Elert hat dabei Theologen aus den „liberalen Kreisen des Christentums“ vor Augen – insbesondere auch A. v. Harnack –, die Luthers Leistung ausschließlich in der Entdeckung des religiösen Wertes der Persönlichkeit erblicken: „Denn in seiner Bemühung, ,einen gnädigen Gott zu kriegen‘, offenbare sich die Gewißheit, daß die einzelne Seele rein für sich genommen […] in Gottes Augen einen Ewigkeitswert besitzen müsse“ (W. Elert, Im Kampf, 126). Noch 1921 wird Elert einen Abschnitt über die „Christliche Persönlichkeitskultur“ (KCH, 425 ff.) formulieren.
2. Das apologetische Programm
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die Auseinandersetzung mit dem Naturalismus nicht das einzige bzw. nicht das gesamte Problem in Elerts Frühzeit darstellt.437 Die Hauptaufmerksamkeit Elerts gilt der Auseinandersetzung mit allen monistisch gegründeten Weltanschauungsformen. Sie lassen sich nicht auf einen „naturalistischen Monismus“ beschränken, sondern schließen vielmehr auch Konkretionsformen eines „idealistischen Monismus“ ein,438 wie er sich eben auch in der ,Persönlichkeitskultur‘ finden läßt. Unter dem Stichwort „Persönlichkeitskultur“ beschreibt Elert eine zeitgenössische Oppositionsbewegung, die im Gegenzug zu depersonalisierenden Tendenzen der Industrie- und Massengesellschaft, aber auch im Gegenzug zu einer Entindividualisierung des Menschen durch Historismus und Sozialismus die Selbstbildung einer „individuellen“ Persönlichkeit zu ihrem Ziel erklärt, die sinnstiftend „unser Leben noch eigentlich lebenswert erscheinen lasse“.439 Elert redet scharf von den „modernen Persönlichkeitsaposteln“ als „vollendetsten Musterbeispielen des gigantisch ansteigenden und himmelhoch abstürzenden Individualismus“.440 Diese Versuche einer autonomen Selbstkonstitution werden unter Hinweis auf die externe Bestimmtheit menschlichen Daseins kritisiert.441 Der Versuch der autonomen Selbstkonstitution erweist sich als eine formal insuffiziente Weltanschauung. Denn sie bietet in monistischer Weise lediglich eine immanente Teleologie, nämlich die durch das Individuum aus sich selbst heraus vollführte Bildung zu einer Persönlichkeit als „Ideal des einzelnen“, wonach „nichts weiter als die eigene Anlage zu verwirklichen“ ist442, und basiert auf der gleichzeitigen Ausblendung der Bedeutung kausaler wie transzendent finaler – also externer – Faktoren für die Konstitution des Individuums. Solche Ausblendung führt zur mangelnden Beachtung der Geschichtlichkeit menschlicher Existenz und damit auch zur formal insuffizienten Erklärung der Geschichte, in Elerts Terminologie eben zu
437 Hier greift die sonst sehr umsichtige Interpretation von N. Slenczka mit der einseitigen Akzentsetzung auf das „Problem des ,Naturalismus‘“ zu kurz (Selbstkonstitution, v. a. 35 f.). 438 W. Elert, Prolegomena, 115 Anm. 1. 439 W. Elert, Persönlichkeitskultur, 533. Vgl. aaO, 532 f. Dazu ders., Im Kampf, 125 ff. 440 W. Elert, Rez. Kierkegaard, Begriff der Angst, ThLBl 33 (1912), 616 f. 441 Vgl. W. Elert, Persönlichkeitskultur, 537 ff. 442 W. Elert, Persönlichkeitskultur, 536.
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II Die Zeit von 1910 – 1918
einer monistischen Weltanschauung, die es nicht versteht, Kausalität und Finalität zusammenzudenken.443 Demgegenüber betont Elert, „daß gerade zur Bestimmung unserer Eigenart, unserer Individualität, die Angabe unserer Beziehungen zur allgemeinen Wirklichkeit unumgänglich sind […]. Das allgemeine Geschehen nun, den Strom der allgemeinen Ereignisse, der uns umfließt und auf seinen Wellen fortträgt, nennen wir Geschichte“.444 Solche Geschichte vollzieht sich in Schöpfung und finaler Heilsgeschichte. Eine Sinnvermittlung kann nach Elert deshalb nicht durch autonome Selbstkonstitution herbeigeführt werden, sondern nur durch das Innewerden des Eingefügtseins des Einzelnen in die Geschichte. Das aber impliziert zugleich das Bekenntnis, daß der Sinn der Geschichte außerhalb unserer selbst als Individuum liegt, also nicht immanenter, sondern transzendenter Natur sein muß: „Und die Geschichte, von der wir abhängen, die uns trägt, für die wir schaffen, erscheint uns nicht als Kaltes, Unpersönliches. Sie ist doch die Fülle alles diesseitigen Lebens. Denn sie stammt von Gott, Gott regt sich darin, sie trägt uns auch zu Gott. Auf das kleine, kleine Ich verzichten und sich in die Geschichte einfügen, ist darum für uns auch ein Stück unserer Frömmigkeit“.445
3. Elerts Arbeit bis 1918. Eine Zusammenführung 3.1. Der Gegenstand von Elerts Arbeit bis 1918 Von seinen beiden Dissertationen an beschäftigt Elert vor allem die Formulierung und Durchführung eines apologetischen Programms, das ihm ermöglichen soll, Probleme und Fragestellungen zu bearbeiten, die 443 Vgl. v. a. W. Elert, Prolegomena, 68 ff. Vgl. dazu v. a. oben S. 103 f. 444 W. Elert, Persönlichkeitskultur, 539. 445 W. Elert, Persönlichkeitskultur, 540. Diese antiindividualistische Grundstimmung Elerts verbindet sich durchaus mit einer gewissen Präferenz einer korporativen Existenz, die sich ihrer Geschichtlichkeit und damit ihrer Abhängigkeit von externen Faktoren bewußt ist. In einer ausführlichen Besprechung eines Bühnenstückes von G. Hauptmann anläßlich des Festspieles für die Breslauer Jahrhundertfeier, in der Elert den die menschliche Geschichtlichkeit vergessenden Idealismus Hauptmanns kritisiert, findet sich ein Plädoyer für eine solche ,Einfügung in die Geschichte‘ im Sinne einer Bejahung des Lebens in gewachsenen Gemeinschaften von überschaubarer Größe. Vgl. W. Elert, Was wollte Gerhart Hauptmann, v. a. 1241 f. Vgl. dazu auch oben S. 64 f.
3. Zusammenführung
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durch die Wahrnehmung anderer Weltanschauungen und durch die Auseinandersetzung mit ihnen gestellt sind. Die Apologetik gilt Elert hierbei im engen Anschluß an Hunzinger als diejenige „theologische Disziplin“, die „die zur Weltanschauungsbildung notwendigen religiösen Prinzipien zum Gegenstand ihrer Verhandlung macht“ und zugleich in die „kritische Auseinandersetzung der christlichen Weltanschauung mit dem gegenwärtigen Welterkennen und den auf seiner Grundlage erwachsenen Weltanschauungen“ eintritt.446 Neben dem „akuten Kampf gegen die gegenwärtig konkurrierenden Geistesmächte“ ist der Apologetik aufgetragen, zur Auseinandersetzung mit anderen Weltanschauungen „zunächst die christliche thetisch darzustellen“.447 Dieser von der Apologetik eingeforderte Entwurf der christlichen Weltanschauung hat im Gegensatz zur Dogmatik „nur diejenigen Glaubensaussagen zu umfassen, die sich auf die Welt, auf die Grundfaktoren der Wirklichkeit beziehen“.448 Der dogmatischen Auseinandersetzung mit dem „Heilsglauben“ entspricht so die apologetische Beschäftigung mit der Weltanschauung:449 „Unser Glaube ist Heilsglaube; und wenn er auch notwendig Vorstellungen von Gott und von der Seele einschließt, so sind doch diese Glaubenssätze nicht mit der Weltanschauung zu verwechseln. Wenn auch die Grenze äußerst schwierig zu ziehen ist, so muß man doch im Grundsatz davon ausgehen, daß die Glaubenslehre von jenen Wirklichkeiten in ihrer 446 447 448 449
W. Elert, Prolegomena, 98. W. Elert, Prolegomena, 98 f. W. Elert, Prolegomena, 99. Diese Unterscheidung zwischen Dogmatik und Apologetik findet eine eigentümliche Fortsetzung beim späteren Elert in der Beschreibung der zweifachen Gotteserfahrung unter Gesetz und Evangelium. Vgl. dazu v. a. W. Elert, CG, 137 ff. In anderer Terminologie findet sich dieser Sachverhalt auch schon in der „Lehre des Luthertums im Abriss“ (vgl. LLA, 3 ff. 31 ff) und der „Morphologie“ (vgl. ML I, 15 ff. 53 ff.) wieder. Zur Beziehung von Weltanschauung und Heilsglauben vgl. besonders Elerts Darstellung von „Rechtfertigung und Weltanschauung“ (ML I, 355 – 363). Die Beschreibung der Gotteserfahrung extra Christum bzw. des „Selbstverständnis[ses] des Menschen unter der Verborgenheit Gottes“ (CG, 67 ff.) beim späteren Elert ist somit eine spezifizierte Fortsetzung der apologetischen Auseinandersetzung mit der Weltanschauung als Bezug auf „die Welt und die Grundfaktoren der Wirklichkeit“ (Prolegomena, 99): „Auch Luthers Gottesglaube ist nicht ohne Weltanschauung“ (ML I, 384). Zu dieser Unterscheidung: C. H. Ratschow, Das Heilshandeln und das Welthandeln Gottes. Gedanken zur Lehrgestaltung des Providentia-Glaubens in der evangelischen Dogmatik; in: ders., Von den Wandlungen Gottes. Beiträge zur Systematischen Theologie, Berlin u. a., 1986, 182 – 243.
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II Die Zeit von 1910 – 1918
Heilsbedeutung handelt, die nur vom Glauben selbst bejaht werden kann; daß die Weltanschauung dagegen rein verstandesmäßige Urteile über die Wirklichkeiten darstellt, die auch dem Ungläubigen einleuchtend gemacht werden können“450. 3.2. Elerts Gründe zur Beschäftigung mit der Apologetik Elerts Bemühung um die Apologetik ist auf verschiedene Gründe zurückzuführen. Nach eigenen Angaben brachte ihn das Interesse an einer Verhältnisbestimmung der „Sphären“, die seit seinem Studium sein „Denken und Empfinden beanspruchten“ – die „spezifisch christliche“ und die „allgemeinkulturelle“ – zur Beschäftigung mit der Apologetik als einer „Instanz“, „vor der oder von der dieses Verhältnis zu regeln sei“.451 Neben dieser von Elert beanspruchten ,weiten‘ Interessenkonstellation seiner Person liegt es jedoch sehr nahe, den rein pragmatisch biographischen Grund der Zuwendung zur Apologetik zu nennen, der, wie er selber bekennt, in „Hunzingers Einfluß“452 liegt. Elert hatte bereits in seinen Leipziger Semestern bei Hunzinger gehört, der dort eine Professur für Apologetik bekleidete, so daß nach dessen Wechsel nach Erlangen eine Dissertation bei dem ihm seit längerer Zeit bekannten Doktorvater über ein Thema in dessen Interessenbereich – ohne weiteren Grund – sowohl biographisch kontingent als auch lebenspraktisch nachvollziehbar erscheint.453 In den Fußstapfen der Beschäftigung Hunzingers mit der ,christlichen Weltanschauung‘ im „Weltanschauungskampf der Gegenwart“454 wendet sich auch dessen Doktorand Werner Elert der Apologetik zu. Die Beschäftigung mit der Apologetik gründet zugleich in Elerts Wahrnehmung seiner Gegenwart – des Rückgangs allgemeiner Plausibilität der ,christlichen Weltanschauung‘ inmitten der Pluralität der Weltanschauungen, der abnehmenden wissenschaftlichen Reputation der Theologie, der Popularität neuerer Weltanschauungsformen, der 450 451 452 453 454
W. Elert, Wendung, 485. W. Elert, Goldenes Buch, 237. W. Elert, Goldenes Buch, 237. Zu A. W. Hunzinger vgl. oben S. 61 f. Anm. 10. W. Hunzinger, Das Christentum im Weltanschauungskampf der Gegenwart (Leipzig, (1909) 19162). Zu Hunzingers Weltanschauungsbegriff : N. Slenczka, Der Glaube und sein Grund, Göttingen, 1998, 302 – 314; J. Kniffka, Apologetik und Kirche, Masch. Diss. Tübingen, 2002/2003, 85 ff.
3. Zusammenführung
145
Dominanz der naturwissenschaftlichen Methode sowie in seinem Unbehagen gegenüber älteren apologetischen Rechtfertigungsversuchen christlichen Glaubens, die er besonders auf dem „Glatteis der Naturgeschichte“455 im kontinuierlichen Rückzugsgefecht gegen die vordringenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse verstrickt findet. Daß darüber hinaus auch seine altlutherische Herkunft, das dort entwickelte Minoritätsbewußtsein und die bei Elert hieraus resultierende Verteidigungshaltung mitgewirkt hat, liegt nahe.456 3.3. Die Ziele von Elerts apologetischer Arbeit Die übergeordneten Ziele von Elerts apologetischer Beschäftigung mit der Weltanschauungspluralität im späten Kaiserreich bestehen darin, „Front zu machen“ gegen die von ihm wahrgenommene Herabsetzung des „alten“ christlichen Glaubens zu „altmodischer Beschränktheit“; konkret intendiert Elert die Erhaltung eines ,Lebensrechts‘ der christlichen Weltanschauung und der Theologie als einer Wissenschaft im Gegenüber zu den „,Modernen‘“ in Weltanschauung und Wissenschaft.457 Im Wahrnehmungshorizont einer Verweltanschaulichung der Ergebnisse exakter Wissenschaften und einer Verwissenschaftlichung weltanschaulicher Überzeugungen458 entsprechen diesen übergeordneten Zielen folgende Näherbestimmungen: Elert strebt durch seine Arbeit eine Relativierung und Begrenzung der Normativitätsansprüche szientistischer Weltanschauungen an, um die Gleichwertigkeit der christlichen Weltanschauung zu erweisen. Zugleich versucht er die christliche Weltanschauung als Sinnvermittlungsangebot zu formulieren, das auf das Bedürfnis seiner Zeitgenossen nach Sinngebung alltagstauglich zu antworten versteht459 – kurz: die christliche Weltan455 W. Elert, Wendung, 470. 456 Vgl. dazu oben S. 33 ff. 457 W. Elert, Im Kampf um die Reformation, 107 f. Zum Ziel der Erhaltung eines Lebensrechtes vgl. besonders W. Elert, Wendung. 458 Vgl. V. Drehsen / W. Sparn, Die Moderne: Kulturkrise und Konstruktionsgeist, in: ders. / ders. (Hgg.), Vom Weltbildwandel zur Weltanschauungsanalyse. Krisenwahrnehmung und Krisenbewältigung um 1900, Berlin, 1996, (11 – 29) 17. 459 Vgl. W. Elert, Rez. Joseph Bernhart, Tragik im Weltlauf, ThLBl 38 (1917), (396 f.), 396 f.: Trotz der „Tragik aller Wirklichkeit“, trotz der Erfahrung von
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schauung „thetisch“460 darzulegen. Dabei soll die wissenschaftliche Kompetenz der Theologie in Weltanschauungsfragen durch Anschluß an die Geisteswissenschaften gewährleistet werden. Die prinzipielle Gleichwertigkeit weltanschaulicher Positionen sucht Elert durch Rekurs auf die Subjektivität des Interpretationsstandpunktes ,objektiver‘ Wirklichkeit zu erreichen. Der deduktive Charakter aller Weltanschauungen erweist sich in der Interpretation empirischer Tatsachen „von nichtempirischen Voraussetzungen aus“461. Diese deduktiven Voraussetzungen aller Weltanschauungsbildung sind unableitbar in der Subjektivität der Gewinnung dieser Voraussetzungen begründet. Darauf zielt Elerts Rede von der Transzendenzbegegnung. Die in den Blick genommenen monistischen Weltanschauungsformen können durch ihren – entweder auf rein kausaler oder aber rein finaler Erkenntnis basierenden – reduktionistischen Wirklichkeitszugang entweder den formalen Anforderungen an eine Interpretation des Ganzen der Wirklichkeit nicht genügen, sind mit anderen Worten keine ,vollwertigen‘ Weltanschauungen, sondern eher partielle Welterklärungsmuster.462 Oder aber sie enthalten – nolens volens – eben doch nicht verobjektivierbare, ,nichtempirische‘ Voraussetzungen, implizieren als stille Voraussetzung eine nur subjektiv zugängliche Transzendenzerfahrung, von der aus Welt und Wirklichkeit angeschaut werden, sind dann aber nicht mehr monistisch, sondern eine Weltanschauung wie jede andere, die von transzendenten – also gewöhnlich religiös genannten –463 Voraussetzungen, von „Glaubensurteile[n]“464 aus operiert. Durch den allen Weltanschauungen inhärenten „nichtempirischen“465, durch Transzendenzbegegnung induzierten Zugang zur
460 461 462
463 464 465
Sinnlosigkeit „finden wir dennoch in uns das grundlose Zutrauen ins Dasein, das den Zwiespalt und die Tragik nicht als das letzte Wort hinnehmen kann. Es ist die p_stir des Neuen Testaments, die Gewissheit, dass die Wirklichkeit, sie sei für uns wie auch immer beschaffen, Sinn habe“. W. Elert, Prolegomena, 99. 101. W. Elert, Wendung, 471. Vgl. dazu Elerts Unterscheidung von „bloße[m] Welterkennen“, das sich auf die rein empirischen Aussagen bezieht, und „Weltanschauung“ als Antwort auf „Fragen nach Zwecken, Ursachen, Werten, Zielen“ als spezifischer „Art von subjektiven Urteilen ber“ die Empirie: „Eben dies letztere pflegt man im Unterschied vom bloßen Welterkennen Weltanschauung zu nennen“ (Prolegomena, 98). Vgl. W. Elert, Prolegomena, 97 f. W. Elert, Prolegomena, 115. W. Elert, Wendung, 471.
3. Zusammenführung
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Wirklichkeitsinterpretation sieht Elert die ,Religiosität‘ aller Weltanschauungen begründet und damit auch die Gleichwertigkeit explizit religiöser Weltanschauungsbildung – wie im Christentum – mit latent, sublim oder okkult religiöser Weltanschauungsbildung erwiesen: Die Bildung einer Weltanschauung ist somit „nur von bestimmt gegebenen Vordersätzen, etwa denen der christlichen Kirche“ aus möglich.466 Durch diesen Versuch der Relativierung und Begrenzung des Anspruchs monistischer Weltanschauungen zielt Elerts apologetischer Versuch auf Koexistenz statt Kampf der Weltanschauungen:467 Das „Übersinnliche zur Erklärung der Welt für sich allein in Anspruch zu nehmen“ ist „ungerechtfertigt“468 ; ein monopolartiger Anspruch in Weltanschauungsfragen existiert – auch für das Christentum – nicht mehr. Elert sucht somit den „Weltanschauungskampf“ und die damit unweigerlich verbundene Wahrheitsfrage entschärfend zu einer – im umgangssprachlichen Sinne verstandenen – „Weltanschauungsfrage“469 zu stilisieren, die nur vom subjektiven Erleben der Transzendenzbegegnung beantwortbar ist, aber eben nicht von einer ihr übergeordneten ,objektiven‘ Perspektive, mit deren Aura sich die szientistischen Weltanschauungslehren seiner Zeit umgeben. Objektivierbar hingegen ist der Grad an Plausibilität der verschiedenen Weltanschauungen. Plausibel ist eine Weltanschauung dann, wenn sie auch ohne die dazugehörende faktische Transzendenzerfahrung „dem Ungläubigen einleuchtend gemacht werden kann“470, also den in der geschichtsphilosophischen Arbeit formulierten formalen Anforderungen entspricht, kausale 466 W. Elert, Rudolf Rocholls, 47. 467 Die Nähe Elerts zu der eher die Vermittlung suchenden Position seines Doktorvaters Hunzinger ist hierbei sehr deutlich. Hunzinger sieht so eine doppelte Aufgabe im „Weltanschauungskampf“ geboten (Das Christentum im Weltanschauungskampf der Gegenwart, 19162, 23 f.): Zum einen hat man sich der unterschiedlichen Weltanschauungen, „wie diese so verschiedenartigen ,ismen‘ heißen mögen“, „zu erwehren“. Zum anderen gilt aber, „daß doch die Stellung der christlichen Weltanschauung zu diesen Geistesrichtungen der Gegenwart keine rein negative und polemische sein kann“; vielmehr gilt es, „die überall vorhandenen Wahrheitselemente, die auch der extremste Materialismus besitzt, die wirklich wertvollen, neuen Erkenntnisse und neuen Lebenstiefen, die sich uns aufgetan haben, mit ungeteiltem Herzen anzuerkennen und zu verarbeiten und nur die Grenzüberschreitungen“ von ihnen „abzulehnen“. 468 W. Elert, Wendung, 471. 469 W. Elert, Prolegomena, 98. 470 W. Elert, Wendung, 485. Vgl. ders., Prolegomena, 73 f.
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und finale Erklärungsmuster verbindet, also das Weltwissen der Gegenwart aufgreift und zugleich die existentiellen Fragen der Menschen zureichend beantwortet, sich also gerade durch ihre transzendente, faktisch religiöse Erklärung potentiell sinnvermittelnd erweist. Diese Plausibilität sagt jedoch nichts über den Wahrheitsgehalt einer Weltanschauung aus, sondern nur über den Grad ihrer möglichen Nachvollziehbarkeit.471 Auf diesem Wege versucht Elert die christliche Weltanschauung als plausible religiöse Sinngebung der Wirklichkeit zu präsentieren und anderen Sinnvermittlungsangeboten graduell gleichzustellen. Die Wahrheitsfrage ist der Subjektivität der Gewißheit anheimgestellt, mit der die Transzendenz faktisch erlebt wird472 : Es „soll nur der die Wahrheit dieses Anspruches zu prfen imstande sein, der selbst dieses Erlebnis gemacht hat“473. Die hieraus folgende Relativität oder gar Beliebigkeit der Weltanschauungsfrage zielt auf Gleichwertigkeit der Weltanschauungen und erklärt zugleich die faktische Pluralität der Weltanschauungen seiner Gegenwart als einen religiösen Pluralismus. Nur an einem Punkt ist diese Beliebigkeit begrenzt: Da eine Deutung der Wirklichkeit erst durch ihren transzendenten Bezugspunkt zu einer Weltanschauung wird, sind monistische Welterklärungsformen durch ihre reduktionistische Wirklichkeitswahrnehmung, die ohne final transzendente Faktoren auszukommen scheinen, formal insuffizient. Sie entbehren bei ihrer Deutung der Wirklichkeit – wie Elert zu zeigen bemüht ist – auch eines subjektiv zugänglichen Anspruchs auf Wahrheit und können so auch nicht sinnvermittelnd wirksam werden. Ein exklusiver Wahrheitsanspruch der christlichen Weltanschauung scheint 471 Dies verdeutlicht sich durch eine ähnlich Argumentationsstruktur von E. Herms (Mit dem Rücken an der Wand? Apologetik heute, in: ders., Offenbarung und Glaube. Zur Bildung des christlichen Lebens, Tübingen, 1992, 484 – 516): Gerade im Angesicht der weltanschaulich – religiösen Konkurrenzsituation gilt es das „christliche Wirklichkeitsverständnis“ zu plausibilisieren (aaO, 504). „Dabei gilt: Plausibel ist, was sich als ,wahr‘ erweist, als die uns aus unserer eigenen Erfahrung bekannte Realität treffend“ (aaO, 504). Das „christliche Wirklichkeitsverständnis“ kann daher nur als „denkmöglich, aber keineswegs“ als „denknotwendig“ ausgesagt werden (aaO, 506). 472 Vgl. dazu W. Elert, Prolegomena, 99 f.: Der „Besitz dieser transzendenten Wirklichkeit“ kann weder „rational, in Form logischer Deduktion“, noch „als spekulative Verwertung durch Induktion gewonnener Resultate“ nachgewiesen werden; es bleibt lediglich „der sogenannte Erfahrungsbeweis übrig“; der hierbei entstehende „Vorwurf der Selbsttäuschung“ kann nicht entkräftet werden. 473 W. Elert, Prolegomena, 103.
3. Zusammenführung
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somit beim frühen Elert aufgegeben zu sein: „Daß die Apologetik […] die ,Wahrheit‘ des Christentums nicht beweisen kann, ist selbstverständlich“.474 Solche Apologetik ist defensiv, ja, es haftet ihr sogar – wie Elert später sagen wird – ein „tief resignierender Zug“ an.475 3.4. Die Methoden zur Durchführung des apologetischen Programms Zur Durchführung dieses apologetischen Programms bedient sich Elert derjenigen Methoden, die eine gewisse gegenwärtige Aktualität und Akzeptanz versprechen. Bewußt gegen den naturwissenschaftlichen Trend findet Elert in der ,oppositionellen‘ Geisteswissenschaft Bundesgenossen zur Bewältigung seines apologetischen Anliegens. Der wissenschaftssystematische Anschluß an die Geisteswissenschaften vollzieht sich in Anlehnung an die geschichtsphilosophischen Klärungsversuche des südwestdeutschen Neukantianismus, mit deren Hilfe er Aussagen über den ,Sinn der Geschichte‘ – wie sie sich in allen Weltanschauungen finden – erkenntnistheoretisch klären will. Diese erkenntnistheoretische Klärung potentieller Aussagen über den Sinn der Geschichte soll dazu beitragen, formale Anforderungen an „Weltanschauungsurteil[e]“476 zu formulieren und zielt primär auf Relativierung und Begrenzung der Ansprüche monistischer Weltanschauungen durch den Nachweis der Notwendigkeit einer transzendenten Deutung der Wirklichkeit, die nur in der Subjektivität des Erlebens als Wahrheit erfahren werden kann: Analog zur geschichtsphilosophischen Deutung der Geschichte basiert somit jede weltanschauliche Interpretation der Wirklichkeit nicht auf „voraussetzungslose[r] und exakte[r] Wissenschaft“477, sondern auf „Glaubensurteile[n]“478. Auch in seinen religionspsychologischen Arbeiten schließt sich Elert bewußt im Gegensatz zu einer naturwissenschaftlich verfahrenden Psychologie einer geisteswissenschaftlichen, verstehenden Psychologie 474 475 476 477 478
W. Elert, Wendung, 491. W. Elert, KCH, 385; vgl. aaO, 366 ff. Ausführlich dazu unten S. 245 ff. 255 f. W. Elert, Prolegomena, 105. W. Elert, Rudolf Rocholls, 46. W. Elert, Prolegomena, 115. Vgl. W. Elert, Prolegomena, 98: „Weil aber die Prinzipien einer Weltanschauung zweifellos eine bestimmte Stellung auch zur Religion einschließen, wenn nicht gar in einer bestimmten Religiosität wurzeln, so ist auch die Geschichtsphilosophie von der Stellung zur Religion abhängig“.
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im Sinne Diltheys an. Gegen den Trend zur „Verallgemeinerung, zur Schablonisierung, zur Verwissenschaftlichung“479 gilt es der einzelnen Person und ihrer individuellen Religiosität Achtung und Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Die religionspsychologische Arbeit Elerts ist primär eine Nachzeichnung der unmittelbaren Äußerung subjektiver Transzendenzerfahrung, des empirisch nachvollziehbaren Ortes der Transzendenzbegegnung: Individuell geäußerte Religion gilt ihm als empirische „Tatsache, die sich nicht aus der Welt schaffen läßt“480. Die materiale religionspsychologische Arbeit Elerts unternimmt eine Analyse der Religiosität einzelner herausragender Gestalten der Christentumsgeschichte und scheint als erster Schritt langfristig – dann aber doch durch eine gewisse Verallgemeinerung – auf die „thetische“ Darstellung der christlichen Weltanschauung, die Folge und Äußerung kollektiver und zugleich individueller Religiosität ist, zu zielen.481 3.5. Würdigung der Arbeit Elerts bis 1918 Elerts apologetische Arbeit bis 1918 bleibt besonders in ihrer Durchführung in mehrfacher Hinsicht problematisch. Sowohl die Wahrnehmung des Problems der Weltanschauungspluralität wie der intendierte Umgang mit ihm erscheint bei Elert einerseits eklektisch punktuell, anderseits pauschalisierend. Die Texte sind selten konkret, noch seltener begrifflich kohärent. Sie bewegen sich oftmals in einem Wellengang zwischen Anschauungs- und Abstraktionsebene. Wichtige von Elert verwendete Begriffe werden unzureichend, zum Teil fast gar nicht eingeführt, geschweige denn definiert.482 Vor allem bleiben die zentralen Begriffe „Monismus“, „Sinn“ und „Weltanschauung“ merkwürdig blaß. Nicht zuletzt läßt Elert eine ausführliche Diagnose seiner Gegenwartskultur vermissen, durch die der „Weltanschauungskampf“ und die daraus resultierende apologetische Aufgabenbestimmung konkreter, 479 480 481 482
W. Elert, Persönlichkeitskultur, 532. W. Elert, Wendung, 491. W. Elert, Prolegomena, 101. Eine ähnliche Sorgfalt, wie sie Elert bei der Einführung des Begriffes der „Geschichtsphilosophie“ in seiner Licentiatenarbeit bekundet (vgl. dazu oben S. 99 ff.), läßt er bereits für die Begriffe der „Religionspsychologie“ oder der „Apologetik“ vermissen.
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plastischer und somit auch präziser hätte erfaßt werden können.483 Freilich ist Elert nicht von der Weltanschauungspluralität als solcher umgetrieben, sondern von der in ihr enthaltenen, durch die Monismen gestellten Problematik. Die Weltanschauungspluralität wird als faktische Gegebenheit hingenommen, ohne daß der Kultur der Gegenwart deshalb eine umfassende Krisendiagnose gestellt würde. Ein gewisses kulturkritisches Potential darf Elert – sonderlich im Umgang mit den Monismen – dennoch attestiert werden. Hierbei handelt es sich jedoch nicht etwa um eine explizite und umfassende Kulturkritik, sondern eher um jenes kulturkritische Potential, das jeder Theologie innewohnt, die den Anspruch des Wortes Christi nach Joh 18,36 – „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ – in Form eines eschatologischen Vorbehaltes zu Geltung bringen will. Eine Interpretation, nach der Elert schon „1912 kategorial in der Lage [war], die Theologie in kulturkritischer Distanz zu einer von säkularen Weltanschauungen und religiösen Äquivalenzen geprägten Kultur zu bringen“484, ebnet – getrieben von dem Wunsch, „weitere Kontinuitätsmomente innerhalb der theologischen Entwicklung Elerts“ aufzuweisen – deshalb die Differenz zwischen Elerts Denken bis 1918 und dem danach unnötig ein, indem sie Elerts frühe Arbeit seiner ,Theologie der Krise‘, wie er sie prominent im „Kampf um das Christentum“ vorlegen wird, schlicht subsumiert.485 Elerts apologetische Arbeit bis 1918 ist mit ihrem Plausibilisierungsversuch der christlichen Weltanschauung vielmehr konzentriert auf die Kritik an den Ansprüchen der Monismen. So verhält sich Elert zwar nach vielen Richtungen hin äußerst kritisch;486 eine grundsätzliche Kulturkritik jedoch findet sich nicht einmal ansatzweise. Ganz im Gegenteil ist Elert geradezu konstruktiv bestrebt, dem Christentum als Weltanschauung und der Theologie als Wissenschaft inmitten dieser Kultur ein Lebensrecht zu erhalten. Der Art der Durchführung des apologetischen Programms Elerts, sonderlich der mangelnden Einführung verwendeter Fachbegriffe, der 483 Vgl. oben S. 83 f. 484 So A. v. Scheliha (Glaube, 295; vgl. 294 f.) unter Berufung auf eben einen solchen ,eschatologischen Vorbehalt‘ bei Elert (Prolegomena, 113). 485 A. v. Scheliha, Glaube, 279. Vgl. auch die Begründung (aaO, 283), die bezeichnenderweise mit einem Zitat aus Elerts „Kampf um das Christentum“ von 1921 geführt wird. Zur Einebnung vgl. auch aaO, 303: „Im Grunde genommen hebt Elert die apologetische Aufgabe lediglich auf die Ebene, die ihm schon in seiner Lizentiatenschrift vorschwebte“. 486 Vgl. etwa oben S. 138 f.
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oftmals Fragen zurücklassenden Anknüpfung an die zeitgenössische Diskussion sowie der undurchsichtigen Pointierung auf das durchgängige Thema der Monismen ist außer dem relativ jungen Alter Elerts wenig entgegenzuhalten.487 Durch Hunzinger zur Apologetik geführt, hatte Elert, gerade Mitte Zwanzig, bereits zwei Dissertationen, mehrere Studien und Aufsätze neben den laufenden beruflichen Verpflichtungen veröffentlicht.488 Der durch seine Teilnahme am Weltkrieg verursachte Arbeitsausfall hinterließ auch bei Elert selber das „Bewußtsein extensiver Unzulänglichkeit“489. So darf man sagen, daß Elert nicht nur literarisch ,seinen‘ Stil noch nicht recht gefunden zu haben scheint. Die These, Elert sei erst ab 1923 „er selbst“,490 verhängt somit keine „Denkverbote“491, sondern bietet eine Wertung von Elerts Gesamtwerk, die durchaus auf einer sachlichen wie nüchternen Beurteilung des Textbestandes beruht und dem Umstand Rechnung trägt, daß die späteren Arbeiten Elerts „qualitativ ungleich besser“492 sind als die früheren. Abgesehen vom Sprachstil fällt auf, daß Elert – im Gegensatz zu seiner späteren Arbeit – bemüht ist, sich vor allem in der Methodik mit der wissenschaftlichen Diskussion 487 Vgl. z. B. Elerts Referate in: Prolegomena, 1 ff. 78 ff. 100 ff. Zu Elerts Rickertinterpretation (Wendung, 475 ff.) vgl. die bezeichnende Kritik N. Slenczkas (Selbstkonstitution, 38 Anm. 52): „Es ist hier wie sonst verblüffend, wie Elert ein relativ korrektes Referat einer Position […] mit einer Auswertung verbindet, die nur als absolutes Mißverständnis bezeichnet werden kann“. Ähnlich kritisch zu Elerts Rezeptionsvermögen: A. v. Scheliha, Glaube, 284 Anm. 61. 488 Die zeitgenössische Würdigung von Elerts Arbeit ist ambivalent: „Wer da weiss, was es kostet, auf einsamer Pfarre in dem weitzerstreut liegenden Sprengel einer freikirchlichen Gemeinde die zu solchen Arbeiten nötige Energie und Elastizität aufzubringen, wird dem Verf. [Elert] besonderen Dank wissen und besonders gern bescheinigen, dass Religionspsychologie und Geschichte der Philosophie und Mystik tatsächliche Förderung durch ihn erfahren haben“ (L. Jacobskötter, Rez. Elert, Lic. Dr. W., Die voluntaristische Mystik Jacob Böhmes; ders., Jakob Böhmes Deutsches Christentum, ThLBl 35 (1914), (369 – 371) 371). 489 W. Elert, KCH, IV. Entschuldigend bemerkt Elert: „Wieviel Literaturgut mag einem auch während der jahrelangen Feldzüge entgangen sein, auf denen man zur Lektüre von Literaturblättern nicht immer aufgelegt war!“ (aaO, IV). Zur späteren Selbsteinschätzung seiner Licentiatenarbeit als „unreif wie innerlich unsolide“ (W. Elert, Goldenes Buch, 237) vgl. schon oben S. 97. 490 So die These von W. Trillhaas, Konservative Theologie, 37. 491 A. v. Scheliha, Glaube, 278. 492 N. Slenczka, Selbstkonstitution, 20.
3. Zusammenführung
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seiner Gegenwart auseinanderzusetzen,493 auch wenn er in der Handhabung der verwendeten geschichtsphilosophischen wie religionspsychologischen Methodik keine Virtuosität erreicht.494 So stellt Elerts Arbeit bis 1918 eher die Formulierung eines apologetischen Programms dar, das Fragestellungen, die erst weit später eine ertragreiche Bearbeitung erfahren sollen, vorbereitet. Eine Durchführung des apologetischen Programms im engeren Sinne hingegen findet sich nicht, zumindest nicht in Bezug auf die „thetische“ Darstellung der christlichen Weltanschauung.495 Ist Elert also doch noch nicht „er selbst“? Elerts Arbeit bis 1918 ist vornehmlich eine Exposition seiner späteren Arbeit. Die Kontinuität liegt vornehmlich in der Wahrnehmung der Problematik und Fragestellung der Verortung christlichen Glaubens und dessen Weltanschauung inmitten der Pluralität der Weltanschauungen, weniger aber in Art und Weise einer weitergeführten Behandlung. Gleichwohl läßt sich partiell eine Art späterer Ausführung des bis 1918 Unausgeführten feststellen: Elerts erfahrungstheologischer Ansatz, wie er besonders in den religionspsychologischen Arbeiten anklingt, wird ab 1920 massiv ausgebaut496. Der „thetische“ Entwurf einer christlichen bzw. dann spezifiziert lutherischen Weltanschauung wird von Elert in umfassender Weise explizit erst in der „Morphologie“ im Ausgang von einer Art religionspsychologischer Analyse Luthers dargelegt werden.497 Nicht zuletzt rückt die Wahrnehmung der Weltanschauungspluralität an sich, die bis 1918 vornehmlich durch den Gesichtspunkt der Auseinander493 Im Unterschied hierzu charakterisiert es den späteren Elert geradezu, sich der wissenschaftlichen Diskussion zu enthalten: Elert treibt Theologie „in der selbstgewählten Isolation“ (N. Slenczka, Selbstkonstitution, 18; vgl. dazu aaO, 16 ff.). Vgl. dazu oben S. 1 f. Anm. 3 u. S. 56 f. 494 Das spiegelt sich auch in dem Sachverhalt wider, daß sich trotz Elerts vergleichsweise extensiver Arbeit auf geschichtsphilosophischem wie religionspsychologischem Gebiet in Nachschlagwerken unter den Stichwörtern „Geschichtsphilosophie“ bzw. „Religionspsychologie“ – selbst in den Literaturhinweisen – keinerlei Hinweis auf Elert finden läßt; vgl. etwa die ausführlichen Artikel: K. Hoheisel, Art. Religionspsychologie. I. Religionswissenschaftlich, TRE 29 (1998), 1 – 7 (Lit.); H. G. Heimbrock, Art. Religionspsychologie. II. Praktisch-theologisch, TRE 29 (1998), 7 – 19 (Lit.); M. Landmann, Art. Geschichtsphilosophie, TRE 12 (1984), 681 – 698 (Lit.). 495 W. Elert, Prolegomena, 101. 496 Vgl. zunächst W. Elert, Dogma, Ethos, Pathos. Dreierlei Christentum, Leipzig, 1920. Ausführlich dazu unten S. 207 ff. 497 Vgl. dazu oben S. 136 f.
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setzung mit den Monismen bestimmt war, ins Zentrum von Elerts Aufmerksamkeit. Diese Wahrnehmung verschärft sich nach dem Krieg zu einer Krisendiagnose der Kultur im ganzen. Mit dieser Verschärfung mutiert dann auch das apologetische Programm Elerts zur Kritik an einer jeden Apologetik, zur antiapologetischen Forderung der Diastase und zur Entgegensetzung von Christentum und Weltkultur.498 Gerade aber auch im Vorblick auf die „Morphologie“ erweist sich der fehlende Konfessionalismus bis 1918 als sehr auffällig. Elert theologiegeschichtlich dem „Rahmen“einer „,Liberalen Theologie‘“ zuzuordnen ist vielleicht zu gewagt.499 Doch scheint die weite und unbestimmte Rede von einer christlichen Weltanschauung in Elerts Frühzeit bedingt zu sein durch die Wahrnehmung ihres hauptsächlichen Kontrahenten: der nicht christlichen Weltanschauungen. Die Differenzen von Katholizismus, Calvinismus und Luthertum – gerade auch im weltanschaulichen Bereich –500 beschäftigen Elert nicht, scheinen auch noch gar nicht in seinem Bewußtsein zu sein.501 Die Wahrnehmung einer protestantismusinternen Polarisierung weltanschaulicher Grundpositionen klingt zwar bereits als Unterton der Auseinandersetzung eines Altlutheraners mit dem Neuprotestantismus an, wird aber erst im Laufe der 20er Jahre dominant und verbindet sich mit einer zunehmenden Konfessionalisierung in Elerts Denken.502 Insofern ist es durchaus berechtigt, Elerts „Sicht“ der Lage des Christentums innerhalb
498 Vgl. v. a. W. Elert, Der Kampf um das Christentum (1921); ders., Die Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit (1922). Ausführlich dazu unten S. 169 ff. 226 ff. 499 So im Urteil von T. Gerlach (Verborgener Gott – Dreieiniger Gott. Ein Koordinationsproblem lutherischer Gotteslehre bei Werner Elert, 1998, 347). 500 Gerade diese Differenzen wird Elert ja später explizit ausarbeiten. Vgl. dazu neben der „Morphologie“ (vgl. ML I, 353 ff.) v. a. W. Elert, Wirkungen der lutherischen Abendsmahlslehre in der Geschichte der Weltanschauung, 1927. 501 Vgl. dazu ausführlich oben S. 79 ff. 502 Vgl. dazu oben S. 79 ff. 139 f. Die ersten Anzeichen dafür finden sich in Elerts Aufsatz von 1921: „Grützmachers Kritik am Neuprotestantismus“. In diesem Aufsatz ist jedoch zwischen Elerts eigener und der referierten Position kaum zu unterscheiden. Deutlich greifbar wird somit eine Konfessionalisierung in Elerts Denken erst ab 1923 in der kleinen Schrift „Zu den Waffen!“. Dazu v. a. unten S. 335 f. Ausgeprägt wie ausgearbeitet findet sich dann Elerts diesbezügliche Sicht in der „Morphologie“ (vgl. v. a. ML I, 353 ff.).
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der Kultur und ihres Weltanschauungspluralismus nicht als konfessionalistisch, sondern eher als „kulturprotestantisch“ einzuordnen.503 3.6. Ertrag der Arbeit Elerts bis 1918? Was ergibt sich aus Elerts Umgang mit dem Problem der Weltanschauungspluralität bis 1918? Der Gewinn des Anschlusses der Theologie an die Geisteswissenschaften erscheint umstritten. Durch den Anschluß an die Geisteswissenschaften meint Elert, dem szientistischen Anspruch der sich auf die Naturwissenschaften stützenden Weltanschauungen wirkungsvoll begegnen zu können:504 Doch folgt daraus eine Vergeisteswissenschaftlichung der Theologie anstelle der kritisierten Vernaturwissenschaftlichung. Elert versucht das Christentum als Weltanschauung mit der Anwendung solcher wissenschaftlichen Standards zu retten, die selbst innerhalb der Wissenschaften nur zum Teil anerkannt sind. Außerhalb der wissenschaftlichen Diskussion erfahren die geisteswissenschaftlichen Standards in ihrer Glaubwürdigkeit – ja auch in Elerts Wahrnehmung –505 ohnehin weit weniger Anerkennung als die Naturwissenschaften. So begrenzt sich der Gewinn von Elerts apologetisch motiviertem Anschluß an die Geisteswissenschaften. Zudem kann dieser Anschluß – zumindest in Elerts Lesart – durch die individualisierende Methode den Hang zur Beliebigkeit stärken und somit wenig zur Klärung der Wahrheitsfrage beitragen, zu der er später sogar vermerken wird: „Es kann nur eine Wahrheit geben“.506 Die mit der geschichtsphilosophischen Arbeit angepackte Behandlung des Zentralproblems der Herabsetzung der christlichen Weltanschauung durch die Monismen wirkt, gemessen am Begründungsaufwand, der durch die intendierte erkenntnistheoretische Klärung verursacht wurde, „auffällig inhaltsarm“507. Die religionspsychologische Arbeit erscheint wenig zielbewußt und wird bestenfalls in Elerts späterer Erfahrungstheologie ,entpsychologisiert‘ fortgesetzt. Ist das Ergebnis von 503 A. Peters, Unter Gottes Heimsuchung – zum theologischen Vermächtnis von Werner Elert, in: KuD 31 (1985), (250 – 292) 259. 504 Vgl. v. a. W. Elert, Wendung. Ausführlich dazu oben S. 116 ff. 505 Vgl. v. a. W. Elert, Wendung, 471. 506 W. Elert, Irrwege bei der Verteidigung des Glaubens, BZSF, Berlin, 1920, (1 – 24) 22. 507 So das Fazit von A. v. Scheliha, Glaube, 293.
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Elerts Arbeit bis 1918 also eine Art Ergebnislosigkeit als Folge von Elerts „Unfähigkeit“, sich der gestellten Fragen wirklich anzunehmen? 508 Elert hatte den Mangel an „absolute[r] Evidenz“ von Rocholls Geschichtsphilosophie kritisiert, da sie „letztlich auf der religiösen Gewißheit“ basiere.509 Durch Rekurs auf die subjektive Gewißheit der allen sinnvermittelnden Weltanschauungen zugrundeliegenden Transzendenzerfahrung, die als das „immer bleibende unfaßbare Etwas“510 dem empirischen Zugang verschlossen bleibt, versucht Elert den durch den „Weltanschauungskampf“ gestellten Fragen zu begegnen. Diese Individualisierung der Wahrheitsfrage bedeutet jedoch zugleich deren Entschärfung: Der Normativitätsanspruch der Monismen wird dadurch relativiert, die christliche Weltanschauung zugleich als eine gleichwertige verteidigt.511 Auf die Religiosität jeder sinnvermittelnden Weltanschauung und auf ihre objektive Unzugänglichkeit im Herzen des Subjekts hinzuweisen, ist allerdings ein Ergebnis von Elerts apologetischer Arbeit, das – gerade in einer nach Elerts Einschätzung „metaphysikarmen Zeit“512 – keineswegs „Unfähigkeit“513 bezeugt. Als positiv in Elerts Arbeit bis 1918 darf deshalb vor allem der Wille zur Neuorientierung der Apologetik gelten. Die Not des Einzelnen, die zunehmende Fragmentierung des Individuums in einer sich differenzierenden Gesellschaft, der drohende Verlust der Personalität durch materialistische wie positivistische Tendenzen der Industriegesellschaft, das individuelle Bedürfnis nach Sinnfindung inmitten der verunsichernden und destabilisierenden Vielfalt sinnvermittelnder Angebote sowie korrespondierend die Not der Apologetik, ihr Unvermögen, zureichend mit der Situation der Weltanschauungspluralität und den Ergebnissen der exakten Wissenschaften umzugehen, wird von Elert energisch angegangen. Der Wille zur Neuorientierung äußert sich in der Offenheit des Suchens nach neuen Wegen, in der Aufnahme der geschichtsphilosophischen wie religionspsychologischen Methode und in der Hinwendung zu den Menschen seiner Gegenwart und ihrer Probleme. Zumindest Letztere hält sich in Elerts späterer Arbeit durch: So wird er der 508 509 510 511 512
So N. Slenczka, Selbstkonstitution, 35. Vgl. aaO, 41. W. Elert, Rudolf Rocholls, 133. W. Elert, Zur Psychologie des Wunderglaubens, 431. Vgl. dazu oben S. 94 ff. W. Elert, Rez. Hans Driesch, Wirklichkeitslehre, ThLBl 38 (1917), (443 f.), 444. 513 So im Urteil von N. Slenczka, Selbstkonstitution, 35. Vgl. oben S. 155 f.
3. Zusammenführung
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Dogmatik auftragen, die „Sprache der Gegenwart“ zu sprechen, um „mit dem Gegenwartsmenschen verhandeln“ zu können.514 Elerts apologetisches Unternehmen ist der Versuch einer Neuverortung christlicher Weltanschauung, der in der Orientierung an einem romantischen Geschichtsverständnis bestrebt ist, andere weltanschauliche Entwürfe in deren jeweiliger Individualität zu würdigen, zugleich aber offenkundig sein Befremden gegenüber einem geschichtslosen Wirklichkeitsverständnis äußert,515 das er nicht nur in den materialistischen und naturalistischen Tendenzen, sondern auch im idealistischen Streben nach autonomer Selbstkonstitution sieht.516 Besonders angesichts der reduktionistischen Wirklichkeitswahrnehmung der Monismen sucht Elert gegenüber den materialistischen wie idealistischen „Einseitigkeiten“517 des 19. Jahrhunderts nach einer ausgeglichenen Würdigung von Natur und Geist auch in der theologischen Arbeit, die sich auf die „Einzigartigkeit geschichtlicher Größen“ und des einzelnen Menschen zu beziehen hat.518 Dies läßt sich noch später in seiner Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium als einer ZweiWörter-Theologie – freilich transponiert – wiederfinden. Der späteren „Realdialektik“ von Gesetz und Evangelium519 und der darauf bezogenen „Mediation der Gegensätze“520 geht somit Elerts Option für einen ,Realismus‘ voraus, der die erkenntnistheoretischen ,Optimismen‘521 reiner Geistphilosophie und reiner Naturphilosophie, wie sie sich in den monistischen Weltanschauungen seiner Gegenwart äußern, durch den Ausgang „von der Idee des Lebens“522 überwinden will: „Denn die Menschengeschichte einfach in die allgemeine Naturwissenschaft, die Phylogonie, die Biologie eingliedern zu können, ist eine dogmatische Erfindung der monistischen Naturphilosophie […]. Umgekehrt mußten wir […] davor warnen, die Geschichte auf die Geistesgeschichte zu beschränken […]. Das menschliche Geistesleben ist,
514 515 516 517 518 519 520 521 522
W. Elert, LLA, 118. 139. Vgl. ders., CG, (58 ff) 60. Vgl. dazu auch S. 57. Vgl. v. a. oben S. 141 f. Vgl. v. a. W. Elert, Persönlichkeitskultur. Dazu oben S. 139 ff. W. Elert, Rudolf Rocholls, 51. Vgl. aaO, 49 ff. W. Elert, Wendung, 491. Vgl. v. a. W. Elert, Gesetz und Evangelium, 135. W. Elert, ML I, 63.: Vgl. dazu aaO, 56. 62 f. Vgl. W. Elert, Prolegomena, 29. 32. Vgl. dazu ders., Rudolf Rocholls, 49 ff. W. Elert, Rudolf Rocholls, 51.
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wie gezeigt, von seinen Beziehungen zum Ungeistigen, zum Materiellen unabtrennbar“523. Was in Elerts apologetischer Arbeit im Vergleich mit seinen späteren Schriften, die dann aber auch vornehmlich dogmatisch orientiert sind, merkwürdig unterbestimmt wirkt, ist jedoch der Wahrheitsanspruch christlicher Theologie. Alles scheint an der Subjektivität der Transzendenzbegegnung zu hängen. An diesem Punkt ist Elert später weit offensiver bzw. differenzierter.524 Im Blick auf Elerts Arbeit bis 1918 wird aber vor allem eines deutlich: Elerts ,bekannte‘ Theologie ab den 20er bzw. 30er Jahren sollte auf dem Hintergrund der bis 1918 gestellten Fragen im Zusammenhang der apologetischen Situation der Weltanschauungspluralität des beginnenden 20. Jahrhunderts gelesen werden. Auch wenn Elert vor 1923 noch nicht ganz „er selbst“ war, ist es ein methodischer wie sachlicher Fehler, diese Zeit der Exposition des theologischen Denkens 523 W. Elert, Prolegomena. 104 f. 524 Die offensive Formulierung der Wahrheitsfrage spiegelt sich in der polemischen Kulturkritk Elerts nach 1918 (vgl. W. Elert, Irrwege, 22). Weit differenzierter erscheint dagegen das Vorgehen Elerts in seiner „Morphologie“: Der Wahrheitsanspruch wird weder wie in der Zeit bis zum Ende des Ersten Weltkrieges beiseitegelassen noch wie in der Zeit bis 1923 pauschal autoritativ erhoben. Vielmehr wird Elert in der „Morphologie“ einen offensiven Wahrheitsanspruch für die eigene Konfession erheben; dieser Wahrheitsanspruch ist jedoch nicht subjektivistisch, sondern transsubjektiv begründet. Das Problem der Pluralität, das Problem der konfessionellen Vielfalt und Vielgestalt wird somit nicht unter dem Thema der Wahrheitsfrage, sondern unter dem Thema allgemeinmenschlicher Verschiedenheit im weltanschaulichen Bereich, unter dem Thema unterschiedlichen menschlichen Selbstverständnisses und unterschiedlicher Weltwahrnehmung, ja „Lebensauffassung“ verhandelt (ML I, 16). Die Existenz verschiedener Konfessionen ist damit nicht als Folge von Wahrheitsbesitz und Wahrheitsmangel verstanden, sondern als Folge der multifaktoriellen Inkulturation des Evangeliums, das in seinem Verkündigungsprozeß auf unterschiedliche menschliche Weltwahrnehmung trifft und dadurch – auch im weltanschaulichen Bereich – unterschiedliche Formen von Christentum – und somit auch Konfessionstypen – ins Leben ruft. Vgl. dazu v. a. W. Elert, ML I, 2 ff. 15 ff. 44 ff. Daß Elert dabei die Weltwahrnehmung des lutherischen Menschen als die durchdachteste und konsequenteste aller möglichen Weltwahrnehmungen ansieht, tut seinem Ansatz keinen Abbruch und versteht sich aus seinem erklärten Vorhaben, – gerade im bewußten Gegensatz zu einer scheinbar rein empirisch vorgehenden Geschichtsdarstellung – keine vergleichende, sondern eine ,konfessionelle‘ Konfessionskunde zu verfassen: Denn die „,Objektivität‘“, die der Leser von gestern und vorgestern in einer Konfessionskunde sucht, ist freilich nicht darin zu finden“ (ML I, 1).
3. Zusammenführung
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des ,reifen‘ Elert kategorial auszublenden.525 Das aber heißt, daß der vielfach hervorgehobene theologiegeschichtliche Bruch mit dem Ende des Ersten Weltkrieges eher die Problemlösung als die Problemstellung betrifft. Der Bruch von 1918 ist, zumindest bei Elert, durch die Kontinuität der Fragestellung – Umgang theologisch verantworteter Apologetik mit der Weltanschauungspluralität – überbrückt. Wie die WortGottes-Theologie ist auch Elerts Rede vom „unversöhnlichen Gegensatz“ von Gesetz und Evangelium526 nicht vom Himmel gefallen, sondern nicht zuletzt auch der Versuch, die längst vor dem Krieg formulierte apologetische Aufgabe der Verhältnisbestimmung von Christentum und allgemeiner Kultur, von christlicher Weltanschauung und anderen Weltanschauungen zu bearbeiten.
525 W. Trillhaas, Konservative Theologie, 37. Entsprechend empfiehlt W. Trillhaas in Bezug auf die Veröffentlichungen vor 1923 generös eine totale Enthaltsamkeit der Elertinterpretation: „Hier ist nichts mehr pedantisch aufzudröseln, um ihm [Elert] näherzukommen“ (aaO). 526 W. Elert, Gesetz und Evangelium, u. a. 153.
III Die Zeit von 1919 – 1923 1. Einleitung 1.1. Die Zeichen der Zeit Die Titanic ist versunken, der Krieg verloren, das Kaiserreich vergangen und die Kultur nach vielfältiger Kunde in eine Krise verfallen. Der Traum von einem ,Platz an der Sonne‘ zerplatzte in Verdun und Compiègne an dem zum Alptraum werdenden Versuch seiner Verwirklichung. Nach dem „Zerbrechen der endlichen Mächte“1 blieb die Öde eines gescheiterten politischen wie gesellschaftlichen Systems zurück, das sein Versprechen eines Fortschrittes in allen kulturellen Sphären nicht einzulösen vermocht hatte. War für das Lebensgefühl im Kaiserreich um die Jahrhundertwende angesichts von Geschwindigkeit und Grundsätzlichkeit der Wandlungen das verbreitete Bewußtsein der Ambivalenz von „Kulturkrise und Konstruktionsgeist“ bestimmend,2 so wurde spätestens nach 1918 durch die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und durch den Zusammenbruch der politischen Ordnung die Valenz des krisenhaft Erlebten im allgemeinen Bewußtsein dominant; mehr und mehr brach der „Widerspruch zwischen Fortschrittsglaube und Zukunftspessimismus“3 auf. Der Konstruktionsgeist verflüchtigte sich in den demokratischen Gehversuchen der Weimarer Republik,4 in der antidemokratischen wie 1 2
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W. Elert, Dogma, Ethos, Pathos. Dreierlei Christentum, Leipzig, 1920, 7. Vgl. V. Drehsen / W. Sparn, Die Moderne: Kulturkrise und Konstruktionsgeist, in: ders. / ders. (Hgg.), Vom Weltbildwandel zur Weltanschauungsanalyse. Krisenwahrnehmung und Krisenbewältigung um 1900, Berlin, 1996, 11 – 29. V. Drehsen, Jenseits des Zauberbergs. Der „Geist von Weimar“ zwischen Fortschrittsglaube und Zukunftspessimismus, in: Fortschrittsglaube und Zukunftspessimismus, hg. v. Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Verbindung mit der Landeshauptstadt Stuttgart, Stuttgarter Symposion. Schriftenreihe, Bd. 8, Tübingen, 2000, (138 – 179) 178. Umfassend zur Entwicklung des politischen Systems: G. Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur. Verfassungspolitik und Reichsform in der Weimarer Republik, Bd. 1. Die Periode der Konsolidierung und der Revision des Bismarckschen Reichsaufbaus 1919 – 1930, Berlin, 19872.
1. Einleitung
161
antiliberalistischen Oppositionshaltung,5 wie sie unter anderen in der Jugendbewegung oder auch der Lebensphilosophie zu finden war; er verflüchtigte sich in der gesellschaftlichen Dauerdestruktion einer „konservativen Revolution“6 oder in dem Lebensgefühl der ,dekadenten Zwanziger‘7 und verstärkte durch seine Pluriformität den dem naturalistischen wie rationalistischen Fortschrittsdenken des 19. Jahrhunderts entgegengesetzten Eindruck einer Wahrnehmung von Zeichen der Zeit, die – wie ein Bestseller dieser Jahre prophezeite – auf den „Untergang des Abendlandes“8 hinwiesen: Selbst Menschen mit einem ganz und gar nicht kulturpessimistischen Lebensgefühl konnten sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Boden endgültig ins Wanken gekommen war.9 Und selbst wer die Zeichen der Zeit anders deutete, 5 6
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Vgl. dazu K. Tanner, Antiliberale Harmonie. Zum politischen Grundkonsens in Theologie und Rechtswissenschaft der zwanziger Jahre, in: H. Renz / F. W. Graf (Hgg.), Troeltsch-Studien, Bd. 4, Gütersloh, 1987, 193 – 208. K. Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, München, 19642, 148 ff. Umfassend dazu: R. v. d. Bussche, Konservativismus in der Weimarer Republik. Die Politisierung des Unpolitischen, Heidelberg, 1998; R. Woods, The Conservative Revolution in the Weimar Republic, Basingstoke, 1996. Theologiegeschichtliche Aspekte zu diesem Phänomen: F. W. Graf, Konservatives Kulturluthertum. Ein theologiegeschichtlicher Prospekt, ZThK 85 (1988), 31 – 76, bes. 64 ff. Vgl. dazu etwa die Darstellung von O. Friedrichs, Morgen ist Weltuntergang. Berlin in den Zwanziger Jahren, Berlin, 1998. Der erste Band von Oswald Spenglers kulturphilosophischem Werk „Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. Gestalt und Wirklichkeit“ erschien 1918. Die Diskussion um Spengler flammte nach dem Erscheinen des zweiten Bandes 1922 („Welthistorische Perspektiven“) erneut auf; in diesem Zusammenhang erschien auch Elerts große Spenglerrezension (Untergang, 1923). Vgl. dazu unten v. a. S. 184 ff. Zu Spengler: A. M. Koktanek (Hg.), Spengler Studien. Festschrift für M. Schröter zum 85. Geburtstag, München, 1965; A. M. Koktanek, Oswald Spengler in seiner Zeit, München, 1968; T. W. Adorno, Spengler nach dem Untergang, in: Der Monat, 2. 5. 1950; D. Felken, Oswald Spengler. Konservativer Denker zwischen Kaiserreich und Diktatur, München, 1988. So beschreibt Ernst Troeltsch – freilich schon längst vor dem Krieg für die Krisenphänomene seiner Gegenwart sensibilisiert – den Weltkrieg als „totale Umwälzung“: „Da schwankt der Boden unter den Füßen und tanzen rings um uns die verschiedensten Möglichkeiten weiteren Werdens, selbstverständlich da am meisten, wo der Weltkrieg zugleich eine totale Umwälzung bedeutet hat, in Deutschland und in Rußland.“ (GS III, (Tübingen, 1922) Aalen, 1961, 6). Zu Troeltschs – konstruktivem – Krisenempfinden: V. Drehsen, Zeitgeistanalyse und Weltanschauungsdiagnostik in kulturpraktischer Absicht. Ein exemplari-
162
III Die Zeit von 1919 – 1923
mußte in dieser verbreiteten Zeitdeutung den „Selbstmord Europas“ entdecken.10 Die Gegenwart wurde von vielen in einem umfassenden, nicht mehr auf einzelne Momente reduzierbaren Sinn als „Krise“ erlebt: Der Begriff der Krise wandelte sich so zum „geläufigen Schlagwort“11 dieser Jahre und war in aller Munde; die „Krisis der europäischen Kultur“12 wurde diagnostiziert. Auch die Theologie entsprach diesem kulturkritischen Zeitgeist mit der Formulierung einer „Theologie der Krise“13, die unter Verwandlung der Anstöße insbesondere durch die Schriften Sören Kierkegaards und Rudolf Ottos das rationalistisch-ethizistische Christentumsverständnis des Liberalismus in der Tradition Albrecht Ritschls zu überwinden suchten, indem sie anfingen, Gott als das „ganz Andere“ zu verstehen.14 Lutherrenaissance, Dialektische Theologie sowie die konfessionell-lutherische Theologie kamen in ihrer Diagnose
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scher Kommentar Ernst Troeltschs zur theologischen und religiösen Lage seiner Zeit, in: Mitteilungen der Ernst-Troeltsch-Gesellschaft, Bd. 8, Augsburg, 1994, 3 – 31. So der Titel der kritischen Spenglerbesprechung von Eugen Rosenstock, „Der Selbstmord Europas“, in: „Hochland“, 16 (1918/1919), 529 – 553. R. Koselleck, Art. Krise, HWP 4 (1976), (1235 – 1240) 1239. Umfassend: ders., Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Frankfurt a. M., 1973. So der Titel des vielgelesenen kulturphilosophischen Werkes von Rudolf Pannwitz, das 1917 in Nürnberg erschien. Pannwitz sieht die Gegenwart durch den Streit von Gruppeninteressen bestimmt, in der das Wohl des einzelnen Menschen unterzugehen droht. Unter dem Einfluß von Nietzsche findet er den Ausweg nur in einer entschlossenen Hinwendung zu einem ursprünglichen Menschenverständnis, wie es in den Traditionen etwa von Konfuzius oder Buddhas zu finden sei. Vgl. dazu: H. Wolffheim, Rudolf Pannwitz. Einleitung in sein dichterisches Werk, Mainz/Wiesbaden, 1961. So der bekannte Versuch Emanuel Hirschs, die vielfältigen theologischen Aufbrüche dieser Zeit im Rückblick zusammenfassend zu bezeichnen: E. Hirsch, Die gegenwärtige geistige Lage im Spiegel philosophischer und theologischer Besinnung, in: ders., Akademische Vorlesungen zum Verständnis des deutschen Jahrs 1933, Göttingen, 1934, 114. Die Verkennung, zumindest das Desinteresse an der Kontextgebundenheit der theologischen ‘Aufbruchsgeneration’ nach 1918 ist nach wie vor verbreitet. Beispiele solcher kontextlosen Würdigung der Dialektischen Theologie sind aufgeführt bei: K. Scholder, Neuere deutsche Geschichte und protestantische Theologie, in: ders., Die Kirchen zwischen Republik und Gewaltherrschaft. Gesammelte Aufsätze, hg. v. K. O. Aretin u. G. Besier, Berlin, 1988, (75 – 97) 75. So die bekannte Formulierung von R. Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, (1917) München, 1997, 28 – 37.
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der Krise des Überkommenen, in ihrer „Entgegensetzung gegen den Kulturprotestantismus“15, dessen Vertreter freilich nicht minder das Krisenhafte wahrgenommen hatten, überein.16 Existierte zumindest nach historiographischer Darstellung im Kaiserreich noch eine ,deutsche Leitkultur‘, vertreten durch den „Hegemonialanspruch“ des deutschen Protestantismus,17 so räumte spätestens die Weimarer Reichsverfassung die verbliebenen Überreste eines die weltanschauliche Disparatheit scheinbar überbrückenden ideologischen Überbaus ab und legitimierte besonders durch ihre Kirchenartikel die längst bestehende Weltanschauungspluralität.18 Gehörte nach dem Zu15 E. Hirsch, Die gegenwärtige geistige Lage im Spiegel philosophischer und theologischer Besinnung (vgl. oben S. 162 Anm. 13), 112. Interessanterweise betont E. Hirsch (aaO, 112 f.), daß sich diese gemeinsame „Entgegensetzung gegen den Kulturprotestantismus“ mit einer „Aufnahme von Kierkegaards Kampf gegen die idealistische Spekulation“ und zugleich mit einem „Bruch mit Schleiermacher“ verband. Dieser Bruch mit Schleiermacher ist bei Elert trotz der sonst bestehenden Gemeinsamkeiten nicht nachzuweisen; ja ganz im Gegenteil ist Elerts theologische Arbeit gerade nach 1918 ohne Schleiermacher, der bis 1918 bei Elert gar keine Rolle gespielt hatte, schlechterdings nicht zu denken. Vgl. dazu ausführlich unten S. 289 ff. 312 ff. Zur Entgegensetzung gegen den Kulturprotestantismus, die den verschiedenen theologischen Aufbruchsbewegungen gemeinsam war, vgl. auch S. A. Eyjólfsson, Rechtfertigung und Schöpfung, 20 ff. 16 Vgl. dazu K. Meier, Krisenbewältigung im freien Protestantismus. Kontinuitäts- und Umbruchsbewußtsein im kirchlichen Liberalismus nach 1918, in: H. Renz / F.W. Graf (Hgg.), Troeltsch-Studien, Bd. 4, Gütersloh, 1987, 285 – 304. Zur Kontextabhängigkeit des theologischen Aufbruchs vgl. etwa die Exemplifizierung an Friedrich Gogarten durch K. Scholder, Neuere deutsche Geschichte, 76 ff. Vgl. v. a. aaO, 83: Die „Frage ist doch nun, ob nicht bei diesem Kampf gegen alle ideologische Bindungen des Wortes Gottes eine neue Ideologie, nämlich die Ideologie der Krise, gewissermaßen durch die Hintertür hereinkam?“. Vgl. dazu jetzt ausführlich: M. Kroeger, Friedrich Gogarten. Leben und Werk in zeitgeschichtlicher Perspektive – mit zahlreichen Dokumenten und Materialien, Bd. 1, Stuttgart, 1997. Zum Ideologieverdacht in Bezug auf die ‘Theologie der Krise’ vgl. v. a. aaO, 380 ff. 17 Vgl. etwa H. U. Wehler, Das Deutsche Kaiserreich, 118 ff. 18 Vgl. v. a. die Art. 135 – 141 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (= die sogenannte Weimarer Reichsverfassung [WRV]). Zur Entstehung der Weimarer Reichsverfassung vgl. nach wie vor W. Apelt, Geschichte der Weimarer Verfassung, München, 19642. M. Botzenhart, Deutsche Verfassungsgeschichte 1806 – 1949, Stuttgart, 1993, 131 – 169. E. R. Huber / W. Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Stuttgart u. a., Bd. 4, 1988, 1 – 150. Zu den Kirchenartikeln der WRV vgl. die knappe Darstellung bei: A. v.
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sammenbruch des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation die Parität der öffentlichen Ordnung zunehmend zur Staatsräson – lediglich retardiert durch die Privilegierung einzelner Kirchen –, so entsprach nun die Neutralität des Staates nicht nur „in sacra“, sondern weitgehend auch – „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Rechtes“ – „circa sacra“ dem überkommenen status quo der religiös-weltanschaulich pluralen Verfaßtheit der Gesellschaft.19 Nicht nur die Religionsgesellschaften sollten fortan „ihre Angelegenheiten selbständig“ regeln.20 Vielmehr erfolgte – und das war 1919 ein Novum und ging über die Vorstufen der Weimarer Staatskirchenartikel in der von der Paulskirchenversammlung verabschiedeten Verfassung des Deutschen Reiches, hinaus,21 – die explizite Gleichberechtigung von Weltanschauungen neben den Religionsgesellschaften: „Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen“22. Dem längst vorhandenen Zustand weltanschaulicher Pluralität wurde so durch die Weimarer Reichsverfassung und ihrer – wenn auch – „hinkenden Trennung von Staat und Kirche“23 zu entsprechen gesucht. Der
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Campenhausen, Staatskirchenrecht. Ein Studienbuch, Kurzlehrbücher für das juristische Studium, München, 19963, 36 ff.; ders., Art. Staatskirchenrecht, TRE 32 (2001), 73 – 83 (Lit.); C. Link, Art. Staatskirche / Staatsreligion II. Im Christentum, TRE 32 (2001), (66 – 73) 72. WRV Art. 137,3. Zu der alten naturrechtlichen Unterscheidung der Kirchenhoheitsrechte: J. Heckel, Cura religionis – Jus in sacra – Jus circa sacra, (in: Festschrift Ulrich Stutz, Stuttgart, 1938, 224 ff.) separater Neudruck: Darmstadt, 19622. WRV Art. 137,3. Zu den Vorstufen der Weimarer Reichsverfassung v. a. nach der Restauration 1815: M. Botzenhardt, Deutsche Verfassungsgeschichte 1806 – 1949, 1993. Vgl. auch die Quellensammlung von E. R. Huber / W. Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Stuttgart u. a., 4 Bde., 1973 – 1988. WRV Art. 137,7. Zum Zusammenhang vgl. J. Mehlhausen, Art. Religionsgesellschaften, TRE 28 (1997), (624 – 631) 627 f. So die bekannte Formulierung von Ulrich Stutz aus dem Jahr 1926 (Die päpstliche Diplomatie unter Leo XIII. nach den Denkwürdigkeiten des Kardinals Domenico Ferrata, Abh. Preuß. Akademie d. Wiss., 25, Phil.- Hist. Kl., Einzelausgabe 1926, 54 Anm. 2; zitiert nach A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 19963, 40 Anm. 12). Die Trennung von Staat und Kirche war freilich in der Weimarer Zeit noch eingeschränkt durch personelle Verbindungslinien der alten Machteliten, sonderlich der Beamtenschaft und der Verwaltung. Anfangs wurde mit der sogenannten „Korrelatentheorie“ die These vertreten, daß die gewährte öffentlich-rechtliche Stellung der Kirchen als
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Rückzug der staatlichen Ordnung aus der Regelung religiös-weltanschaulicher Angelegenheiten hinterließ zunächst ein Vakuum, dessen spezifische Schwierigkeiten zum Beispiel an der Frage der Regelung des staatlichen Religionsunterrichtes unmittelbar gar als „Leidensweg“ offenbar wurden.24 Doch brachte dieser Rückzug eine neue Chance: Als Nebeneffekt der Abdankung der deutschen Fürsten ergab sich für die evangelischen Kirchen in Deutschland durch das Ende des landesherrlichen Kirchenregiments die Möglichkeit der nach dem ersten Reichstag von Speyer 1526 auf Eis gelegten Verwirklichung der Ausgestaltung der ,libertas ecclesiae‘.25 In dieser Zeit ging es also darum, „den im Wortsinne revolutionären Umbruch in der Rechtsgeschichte des deutschen Protestantismus aushalten zu können“26. So wurde die kirchliche Verfassungsfrage zu einem zusätzlichen verunsichernden Moment für die evangelische Theologie in der Situation eines neuartigen politischen Systems, das auf eine Regelung der salus publica, auf eine Regelung des religiös-weltanschaulichen Bereiches, erstmalig explizit verzichtete.27 Es war, wie Elert anmerkte, der Beginn eines „gegen alle Religion indifferenten Staat[es]“.28
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Korrelat die Fortsetzung staatlicher Aufsicht bedinge. Vgl. dazu A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 41. H. Schultz, Der Leidensweg des Reichsschulgesetzes, 1926 [Titel zitiert nach: A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 42 Anm. 19]. Vgl. die Schulartikel der WRV Art. 143 – 149. Vgl. dazu die knappe Zusammenfassung von W. D. Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte, Bd. 2, 848 – 850. Zum Hintergrund vgl. M. Heckel, Zur Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts von der Reformation bis zur Schwelle der Weimarer Verfassung, in: ders., GS. Staat. Kirche. Recht. Geschichte, 2 Bde., Jus Ecclesiasticum 38, Tübingen, 1989, Bd. 1, 366 – 401. J. Mehlhausen, Kirche zwischen Staat und Gesellschaft. Zur Geschichte des evangelischen Kirchenverfassungsrechtes in Deutschland (19. Jahrhundert), in: G. Rau u. a. (Hgg.), Das Recht der Kirche II. Zur Geschichte des Kirchenrechts, Gütersloh, 1995, (193 – 271) 271. Zum geschichtlichen Kontext: K. Nowak, Evangelische Kirche und Weimarer Republik. Zum politischen Weg des deutschen Protestantismus zwischen 1918 und 1932, Göttingen, 1981, 17 – 125; ders., Protestantismus und Weimarer Republik. Politische Wegmarken in der evangelischen Kirche 1918 – 1932, in: Die Weimarer Republik. 1918 – 1933. Politik. Wirtschaft. Gesellschaft, Studien zur Geschichte und Politik, Bd. 251, hg. v. K. D. Bracher u. a., Bonn, 1987, 218 – 237; W. Krumwiede, Evangelische Kirche und Theologie in der Weimarer Republik, GKTG 2, Neukirchen, 1990; J. Rohls, Protestantische Theologie in der Neuzeit, Bd. 2.: Das 20. Jahrhundert, Tübingen, 1997, 186 – 497; K. Meier, Evangelische Kirche in Gesellschaft, Staat und Politik. 1918 – 1945, Berlin, 1987, 16 – 24; K. Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd
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III Die Zeit von 1919 – 1923
1.2. Elert in dieser Zeit In dieser Zeit des politischen wie gesellschaftlichen Umbruchs wird Elert 1919 Direktor des Seminars der evangelisch-lutherischen Freikirche Preußens in Breslau, wo er bis zu seiner Berufung nach Erlangen 1923 bleiben wird. Auch Elert ist ein Kind dieser Zeit und von der allgemeinen Lage nicht unberührt. Die Erfahrungen, die er während des Krieges gemacht hat, sowie der kulturkritische Zeitgeist, wie er sich besonders in Expressionismus und Lebensphilosophie Artikulationsformen schafft, hinterlassen auch bei ihm Spuren. Beides zusammen bringt Elert unter Beibehaltung des grundsätzlichen Interesses an der Apologetik zu einer umfassenden Kritik an der älteren wie der neueren Apologetik und zur Abänderung seines bisherigen apologetischen Programms.29 Nicht nur Elerts an die Lebensphilosophie anknüpfende Erlebnistheologie entspricht dem Zeitgeist,30 der das „Leben“ zum „zentrale[n] Modebegriff“31 erhoben hatte. Auch seine nun einsetzende extensive zeitdiagnostische Arbeit entspricht in ihrer kritischen Zuspitzung der in diesen Jahren verbreiteten Kulturkritik und Krisendiagnose, wie sie besonders prominent durch Oswald Spengler vertreten wurde.32 Unter den Theologen der Krise kann Elert deshalb sogar als derjenige gelten,
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1: Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918 – 1934, Frankfurt a. M., 1977, 3 – 64; ders., Die Kirchen in der Weimarer Republik, Berlin, 1988, 75 – 97. W. Elert, KCH, 10. Trotz bzw. gerade wegen seines Urteils über die – ältere – Apologetik des 19. Jahrhunderts ist Elert bereits zu dem Typus einer „neuen Apologetik“ (W. Sparn, Religiöse Aufklärung. Krise und Transformation der christlichen Apologetik im Weltanschauungskampf der Moderne. Teil I. In: Glaube und Denken. Jahrbuch der Karl-Heim-Gesellschaft 5 (1992), (77 – 105. 155 – 164) 94 – 104) gerechnet worden; einem Typus, der sich durch die Unterscheidung von erklärendem „Weltbild“ und zu verstehen suchender „Weltanschauung“, von kultureller Außenperspektive und religiöser Binnenperspektive des Christentums und durch die Erkenntnis der Uneinheitlichkeit der Weltanschauung innerhalb des Christentums konstituiert hat. Siehe dazu unten S. 195 ff. K. Sontheimer, Antidemokratisches Denken, 66. Zum Eindruck der Lebensphilosophie auf Elert vgl. W. Elert, Rez. P. Simon, Der Pragmatismus in der modernen französischen Philosophie, ThLBl 42 (1921), 235 f.; ders., Rez. R. Eucken, Mensch und Welt. Eine Philosophie des Lebens, ThLBl 45 (1924), 152 f. Siehe dazu unten S. 169 ff.
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der die „kritische Wendung gegen den Kulturprotestantismus am klarsten zum Ausdruck gebracht hat“33. Elerts neue Einsichten in der Erlebnistheologie wie in der Zeitdiagnose sind zugleich Ursache und Wirkung der Veränderung seiner apologetischen Arbeit, in der er weiterhin seine Hauptaufgabe sieht.34 In Elerts Breslauer Zeit erlischt also – trotz großer Veränderungen – das apologetische Interesse keineswegs. Die bisweilen aufgestellte Behauptung, bei Elert sei mit dem Jahr 1921 die apologetische Phase durch eine 1922 beginnende konfessionelle abgelöst worden, ist nicht richtig.35 Zum einen verkennt eine solche Behauptung den thematischen Zusammenhang der auf den „Kampf um das Christentum“ noch folgenden Aufsätze, die zum Teil bis in den Titel hinein sich weiterhin mit der Apologetik beschäftigen,36 so daß nach rein äußerlichen Gesichtspunkten erst mit Elerts Antritt der Erlanger Professur 1923 bzw. erst mit dem Erscheinen der „Lehre des Luthertums im Abriss“ 1924 von einer Beschäftigung mit konfessionell eingrenzbaren Themen argumentiert werden könnte. Zum anderen verkennt diese Periodisierung, daß Elert zwar mit dem Ende der Breslauer Zeit seine bisherige apologetische Arbeit nach eigenem Bekunden zu einem „vorläufigen Abschluß“ gekommen sieht, keineswegs aber die Beschäftigung mit der Apologetik 33 H. Fischer, Systematische Theologie. Konzeptionen und Probleme im 20. Jahrhundert. Grundkurs Theologie Bd. 6, Stuttgart, 1992, 66. Vgl. auch die Erwägungen über die Parallelität des ‘theologischen Aufbruchs’ in der Dialektischen Theologie und der Lutherrenaissance bei M. Kroeger, Friedrich Gogarten, 366 ff. Zur Singularität von Elerts Position innerhalb des ‘konservativen’ Lagers vgl. v. a. aaO, 404 f. Umfassend zur Lutherrenaissance, leider jedoch ohne Würdigung Elerts: H. Assel, Der andere Aufbruch. Die Lutherrenaissance – Ursprünge, Aporien und Wege: Karl Holl, Emanuel Hirsch, Rudolf Hermann (1910 – 1935), FSÖTh 72, Göttingen, 1994. 34 Siehe dazu unten S. 226 ff. 35 So die im Anschluß an P. Althaus (Werner Elert, 403) aufgestellte Periodisierung von A. Birmelé (Interprétation, 4 – 8. 84 ff.), an die sich auch R. Hauber (Werner Elert, 119 ff.) angeschlossen hat. R. Hauber etwa benennt als Beginn der konfessionelle Phase Elerts das Jahr 1922, obwohl seine Darstellung bezeichnenderweise erst mit Elerts „Lehre des Luthertums im Abriss“ von 1924 beginnt (R. Hauber, aaO, 122). 36 Vgl. besonders den hierzu zentralen Aufsatz Elerts von 1922: „Die Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit“. Mit „Sprecher der Christenheit“ meint Elert diejenigen, „die das Christentum nach außen vertreten“ und „die im Namen des Christentums zu ihrer Zeit im allgemeinen sprechen“ (aaO, 386); d. h. Elert meint damit nichts anderes als die Apologeten (vgl. aaO, 418 ff.).
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III Die Zeit von 1919 – 1923
als solcher.37 Elert fordert und vollzieht vielmehr eine „Revision der apologetischen Methoden“38 und verleiht dadurch seiner apologetischen Arbeit langfristig ein anderes Gesicht, ein Gesicht, das, wie zu zeigen sein wird, oftmals als eine an der Apologetik nicht mehr interessierte rein konfessionell, gar konfessionalistisch ausgerichtete Theologie mißverstanden wurde.39 Die in der Breslauer Zeit erschienenen Schriften Elerts lassen sich mit großen Überschneidungen einem der beiden Grundmomente seiner Arbeit in dieser Zeit – Zeitdiagnose40 und Erlebnistheologie41 – zuordnen und konvergieren in einer veränderten Fortführung von Elerts apologetischem Interesse.42 Es zielt nun nicht mehr auf Vermittlung und Plausibilisierung des Christentums als einer Weltanschauung und der Theologie als einer Geisteswissenschaft, sondern erhebt in aller Paradoxie einen antiapologetischen Affekt zum apologetischen Programm: Konfrontation statt Vermittlung, Diastase statt Synthese; die Apologetik wird zur „Polemik“ und „Propaganda“43, ja ein Stück weit zur Martyretik.
37 W. Elert, Goldenes Buch, 237. 38 W. Elert, Irrwege bei der Verteidigung des Glaubens, BZSF, Berlin, 1920, (1 – 24) 4. 39 Vgl. dazu ausführlich unten S. 226 ff. 331 ff. 40 Vgl. W. Elert, Der Kampf um das Christentum, 1921; ders., Grützmachers Kritik am Neuprotestantismus, 1921; ders., Die Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit, 1922; ders., Der „Untergang des Abendlandes“, AELKZ 56 (1923), 5 – 8. 21 – 22. 37 – 41. 55 – 58. 41 Vgl. W. Elert, Dogma, Ethos, Pathos. Dreierlei Christentum 1920; ders., Der Kampf um das Christentum, 1921; ders., Die Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit, 1922; ders., Die Transzendenz Gottes, in: NKZ 34 (1923), 521 – 546. 42 Eine Auseinandersetzung Elerts mit der apologetischen Tradition findet sich in: W. Elert, Reduktion und Restriktion in der Dogmatik, NKZ 30 (1919), 406 – 427; ders., Irrwege bei der Verteidigung des Christlichen Glaubens, 1920. Das neue apologetische Programm Elerts findet sich zentral in den beiden Schriften, die Erfahrungstheologie und Zeitdiagnose ausführlich verbinden: W. Elert, Der Kampf um das Christentum, 1921; ders., Die Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit, 1922. 43 W. Elert, KCH, 496.
2. Elerts Zeitdiagnose
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2. Elerts Zeitdiagnose 2.1. Programmatische Klärung der Verhältnisse – die ,tief empfundene Notwendigkeit neuer Klarheit‘ Im Gegensatz zur Zeit vor Kriegsende rückt bei Elert die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Umgebung der Theologie und Kirche von der Peripherie der Nebensätze und der beiläufigen Kommentare in den Fokus der Aufmerksamkeit. Da die Wahrnehmung der das Christentum umgebenden Kultur von Elert nun programmatisch betrieben wird, somit auch Teil seines intendierten Umgangs mit der Pluralität ist, wird seine Wahrnehmung der Weltanschauungspluralität nach 1918 nicht wie oben im Blick auf die Zeit von 1910 – 1918 separat dargestellt werden, sondern zugleich als Teil von Elerts apologetischen Umgang mit der Weltanschauungspluralität.44 Die Zeitdiagnose wird nun programmatisch angegangen; sie dient in elementar kulturpraktischem Interesse als Bedingung der Möglichkeit einer Apologetik, ja der Theologie insgesamt.45 Zum einen dient die Zeitdiagnose der apologetischen Aufgabe, in einer adressatenbewußten Weise das „Christentum nach außen“ zu „vertreten“46. Die Apologetik als die Verständigung mit dem „Nichtchristen“ muß sich „in einem bestimmten Zeitalter nach der besonderen Art dieses Zeitalters richten“; sie darf nicht „gotisch oder mittelhoch-
44 Vgl. oben S. 58 ff. 45 Elerts Zeitdiagnose erfolgt aus kulturpraktischem Antrieb und verfolgt keine ausgewiesenen kulturwissenschaftlichen Ziele. Wenn solche bei Elert überhaupt zu finden sind, dann in seiner Ethik – „Das Christliche Ethos“ (1949) –, die eine – freilich der Ausdifferenzierung der Gesellschaft entsprechend auf den eigenen Bereich beschränkte (vgl. aaO, 29 f.) – Ethik im ‘klassischen’ idealistischen Sinne zu sein beansprucht. Denn die Theologie erfüllt den „anthropologischen Teil ihrer Aufgabe […] in ihrer Ethik“ (aaO, 17) und berührt sich in der Untersuchung des „tatsächlichen Ethos“ mit dem, was man „heute gewöhnlich als Soziologie bezeichnet“ (aaO, 19). Eine typisierte Beschreibung von zeitdiagnostischen Methoden und Themen der Zwanziger Jahre findet sich bei: V. Kruse, Historisch-Soziologische Zeitdiagnostik der Zwanziger Jahre, in: K. W. Nörr u. a. (Hgg.), Geisteswissenschaften zwischen Kaiserreich und Republik, Stuttgart, 1994, 375 – 401. 46 W. Elert, Die Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit, in: AELKZ 55 (1922), 386.
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III Die Zeit von 1919 – 1923
deutsch sprechen“, sondern muß sich der „deutschen Sprache der Gegenwart bedienen“47. Zum anderen dient die Zeitdiagnose nach Elert in einem noch grundsätzlicheren Sinne der Klärung des Selbstverständnisses des Christentums und des Selbstverständnisses des einzelnen Christen, das sich gerade in der Unübersichtlichkeit und Komplexität der Gegenwart starker Verunsicherung ausgesetzt sieht. Diese Unübersichtlichkeit eröffne sich „im Hinblick auf unser Zeitalter“ in ihrer Komplexität als eine gesteigerte „unheimliche Diffusion unserer Kultur“, als „ein ungeheurer Pluralismus der Weltanschauungen […]. Blickt man auf diesen Weltanschauungspluralismus, so ist einem, als schaute man in das Gewirr von Aesten und Zweigen einer ungeheuren Baumkrone. Kein Ast, kein Zweig ist ganz für sich. Jeder hängt mit einem anderen zusammen“.48 Gerade für seine Gegenwart sieht Elert die Notwendigkeit einer Zeitdiagnose aus diesem Grund besonders dringlich gegeben: In „diesem relativistischen, skeptischen Zeitalter, inmitten dieser Verworrenheit der Kultur steht der Christ“ und fragt sich: „Was wird aus dem Christentum?“49. Diese beiden Gründe – der Bezug nach außen wie der nach innen – veranlassen Elert, den Versuch zu unternehmen, „sich ein Bild von der kulturellen Gesamtlage unserer Zeit zu machen“ und zu prüfen, „welcher Art das Zeitalter ist. Erst in dem Maße, als uns dies gelingt, dürfen wir hoffen, auch den Abstand zu finden, der die Christenheit von denen trennt, die ihr nicht angehören“50. Zur Klärung des christlichen Selbstverständnisses wie zur Klärung der apologetischen Situation bedarf es somit einer Klarheit über die Beschaffenheit der Kultur, die den Christen umgibt, in der er lebt und deren Teil er ist.51 So entstand Elerts erstes großes Werk „Der Kampf 47 W. Elert, Forderung, 386. 48 W. Elert, Forderung, 402. Vgl. ders., Der Kampf um das Christentum, München, 1921 (=KCH), 2 – 4. 488. 49 W. Elert, Forderung, 404. 50 W. Elert, Forderung, 387. 51 Elert meint im „Kampf um das Christentum“ mit „Kultur“ eine dem Christentum als „Umwelt“ (KCH, 3. 6) gegenüberstehende Größe. Deshalb kann er synonym auch „Nichtchristentum“ (KCH, 3. 5) verwenden oder auch von einer „allgemeinen Kultur“ (KCH, 5) respektive ihrem „allgemeinen Denken“ (KCH, III. 4), d. h. einer nicht näher christlich spezifizierten Kultur reden. Gleichwohl weiß er um die Schwierigkeit solcher Begriffsverwendung, da das Christentum und mit ihm jeder Christ unauflöslich mit der Kultur geschichtlich verbunden (KCH, 489) und die Kultur ihrerseits – partiell – durch das
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um das Christentum. Geschichte der Beziehungen zwischen dem evangelischen Christentum in Deutschland und dem allgemeinen Denken seit Schleiermacher und Hegel“52 dezidiert „aus der tief empfundenen Notwendigkeit heraus, Klarheit zu gewinnen über die Stellung des Christentums im allgemeinen Denken der Gegenwart. Ohne diese Klarheit kann es nicht sehr aussichtsvoll sein, im Namen des Christentums zu seiner Zeit zu sprechen, ja nicht einmal, im Namen des Christentums zu andern Christen zu sprechen, denn sie alle haben, so sehr sie auch mit den Motiven ihres Handelns und den Wünschen ihres Herzens in einer anderen Welt leben mögen, doch auch teil am allgemeinen Denken ihrer Zeit“53. 2.2. Kulturkritik als Zeitgeist – die Theologie der Krise Elerts Zeitdiagnose zeigt sich in weiten Teilen beeinflußt und deckungsgleich mit dem kulturkritischen Zeitgeist, wie er zu Beginn der Weimarer Republik wehte.54 Christentum mitkonstituiert ist, so „daß die Christenheit und also auch das Christentum nicht beziehungslos in der Welt stehen, sondern mit dem sie umflutenden geschichtlichen Leben der Menschheit insgesamt tausendfach verflochten sind“ (KCH, 2). Neben einem eher morphologischen Gebrauch des Begriffes Kultur verwendet er ihn an manchen Stellen auch als normativkritischen Begriff: Kultur im Gegensatz zur „Barbarei“ (KCH, 7; vgl. aaO, 490). Zum Teil gebraucht Elert „Kultur“ auch im bzw. als Gegensatz zum Christentum (s.o.) und verwendet ihn somit als Bezeichnung eines gesellschaftlichen Teilsystems. Zur Differenzierung des Kulturbegriffs, vgl. F. Rodi, Art. Kultur, philosophisch, TRE 20 (1990), 176 – 187. Eigentümlich für Elert ist, daß er einerseits unter Voraussetzung der Schleiermacherschen Untergliederung des Bereiches der kulturanthropologisch verstandenen Ethik in vier Sphären die jeweilige Eigenständigkeit bejaht, zugleich aber Christentum und Kultur im Ganzen in ein Verhältnis setzt, so daß zunächst offen bleiben muß, ob es sich hierbei um eine gedankliche Inkonsequenz oder um eine Auswirkung des Elertschen Verständnisses der lutherischen Zweireichelehre handelt. 52 München, 1921 (= KCH). Bemerkenswert ist die fast wörtliche Aufnahme von Elerts Untertitel durch E. Hirsch in dessen „Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens“ (5 Bände, Gütersloh, 1949), der sich zuvor wenig erbaut zum „Kampf“ geäußert hatte: E. Hirsch, Rez. Elert, Der Kampf um das Christentum, ThLZ 47 (1922), 281 f. 53 W. Elert, KCH, Vorwort, III. 54 Vgl. dazu W. J. Mommsen, Deutschland und Westeuropa. Krise und Neuorientierung der Deutschen im Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer
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III Die Zeit von 1919 – 1923
Die Annahme, daß sich bei Elert eine spezifische Form neuromantischer Kulturkritik äußere, legt sich bereits im Blick auf seine Rochollarbeit nahe.55 Die Gedanken von Oswald Spengler wirken sich bei Elert gewissermaßen verstärkend aus, indem bestehende Grundeinstellungen weiter befestigt werden.56 So beschäftigt sich Elert intensiv mit den „Anzeichen des bevorstehenden Kulturtodes“.57 Zu anderen Strömungen einer Theologie der Krise zeigt sich ebenso eine auffallende Nähe.58 Die Diagnose des krisenhaften Zustandes von Kultur und Religion ist dabei in einem hohen Maße deckungsgleich. Elerts Buch „Der Kampf um das Christentum“, das 1921 – also vor der zweiten, eigentlich erst wirkmächtigen Auflage von Barths Römerbrief – erschien, verkündet bereits die große „Kierkegaard-Renaissance“ und
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Republik, in: F. W. Graf / H. Renz (Hgg.), Troeltsch-Studien 4, Gütersloh, 1987, 117 – 132; K. Tanner, Protestantische Demokratiekritik in der Weimarer Republik, in: R. Ziegert (Hg.), Die Kirchen und die Weimarer Republik, Neukirchen, 1994, 23 – 36. K. Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, München, 19642 ; F. W. Graf / Tanner, K., Art. Kultur. II. Theologiegeschichtlich, TRE 20 (1990), (187 – 209) 198 ff. 206 f. (Lit.); L. Schorn-Schütte, Religion, Kultur und Staat. Deutungsmuster aus dem Krisenbewußtsein der Republik von Weimar. Eine Einleitung, in: dies. (Hg.), Alteuropa oder Frühe Moderne. Deutungsmuster für das 16. bis 18. Jahrhundert aus dem Krisenbewußtsein der Weimarer Republik in Theologie, Rechts-, und Geschichtswissenschaft, Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 23, Berlin, 1999, 7 – 24, bes. 15 f. Vgl. dazu L. Langemeyer, Gesetz und Evangelium, 21 ff. Eine deutliche Affinität Elerts zu dem für Spengler typisch geltenden zyklischen Geschichtsverständnis findet sich bereits 1911, also lange vor dem Erscheinen von Spenglers „Untergang des Abendlandes“ (Bd. I 1918; Bd. II 1922) – freilich modifiziert und ohne die Spenglersche Globalperspektive auf ‘die’ Geschichte. So hält es Elert (Im Kampf, 108) „zweifellos“ für „eine der wichtigsten Entdeckungen der modernen Geschichtswissenschaft, daß unter rein formalem Gesichtspunkt auch das menschliche Geistesleben in großen Wellenbewegungen verläuft, die in regelmäßigem Wechsel bestimmte Denkformen modern erscheinen lassen“. Begriff und Vorstellung solcher geschichtlichen „Wellenbewegung“ findet sich noch später bei Elert: 1925 in Bezug auf die Geschichte der Kirche (vgl. W. Elert, Das Erstarrungsgesetz des Protestantismus, in: NKZ 36 (1925), 895 – 915, wiederabgedruckt in: LK, (76 – 87) 83) und 1931 in der Einleitung seiner „Morphologie“ (ML I, 9). W. Elert, Irrwege, 3. Vgl. F. Gogarten, Die Krisis unserer Kultur, in: CW 34 (1920), 770 – 777. 786 – 791, in: J. Moltmann (Hg.), Anfänge der Dialektischen Theologie, II, München, 1963, 101 – 121. Die Nähe und Parallelität Elerts zur Dialektischen Theologie ist von S. A. Eyjólfsson richtig gesehen und notiert worden (vgl. ders., Rechtfertigung und Schöpfung, 20 ff.).
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manifestiert einen zentralen Aspekt der Dialektischen Theologie, wenn man diese zuvorderst durch den schneidenden Gegensatz von Transzendenz und Immanenz gekennzeichnet sieht.59 Zumindest Elert selbst erblickt in der Betonung der „Transzendenz Gottes“ die Signatur der Theologie, die sich als „eine neue Front“ der Theologie nach dem Ersten Weltkrieg präsentiert.60 Unter „Ausschaltung aller Einzelheiten“ ist es die Betonung der Jenseitigkeit Gottes und das erwachende Interesse am Transzendenten, was „den hier reifenden Früchten der Theologie ihren eigentümlichen Glanz“ verleiht.61 Doch führt die deckungsgleiche Diagnose bei Elert nicht zur Apodiktik Barths, sondern eher zur Apologetik einer zeitsensiblen Therapie, die die „andere Aufgabe der Theologie“62 aber eben nicht prinzipiell, sondern lediglich punktuell und somit jeweils kontextbezogen wahrnimmt. In Korrespondenz zu der allgemein verbreiteten Kulturkritik ist auch der „Begriff der Apologetik“ nach dem Ersten Weltkrieg in der theologischen Aufbruchsgeneration „anrüchig“ geworden.63 Eine „Wende“ in der Apologetik der evangelischen Theologie nach 1918 geht jedoch nicht erst zurück „auf die Kritik Karl Barths an ,schlechter Apologetik‘, dem hybriden und desaströsen Versuch, dem Unglauben auf dem Boden seines Daseinsverständnisses die Wahrheit des christlichen Daseinsverständnisses zu beweisen“,64 sondern ist, wie im Folgenden gezeigt werden wird, in Elerts apologetischer Neubestimmung – wenn auch vielfach unbeachtet oder mißverstanden – bereits vollzogen.
59 W. Elert, KCH, 430. Vgl. aaO, 430 ff. Viele Partien Elerts klingen durch und durch ‘barthianisch’. Z.B. W. Elert, Forderung, 436: Wir müssen unseren Zeitgenossen „dahin führen, wo sich die transzendente Macht gewissermaßen einen Brückenkopf in dieser Welt geschaffen hat. Dieser Brückenkopf Gottes in der Welt ist die Schrift. Er liegt unzweifelhaft diesseits des großen Stromes zwischen Zeit und Ewigkeit. Die Schrift ist von Menschen unseres Blutes geschrieben. Aber aus jedem Worte redet der jenseitige Gott mit uns“; „Gott selbst redet“. 60 W. Elert, Transzendenz, 540. Vgl. aaO, 521 ff. 61 W. Elert, Transzendenz, 522. 62 E. Brunner, Die andere Aufgabe der Theologie, ZZ 7 (1929), 255 – 276. Vgl. dazu auch unten S. 261. 63 So das Urteil von M. Nüchtern, Art. Apologetik. IV.2 Kirchengeschichtlich. Mittelalter und Neuzeit, RGG4 1 (1998), (620 – 622) 621. 64 So E. Herms, Art. Apologetik. VI. Fundamentaltheologisch, RGG4 1 (1998), (623 – 626) 625.
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III Die Zeit von 1919 – 1923
2.3. Die Zeichen der Zeit in Elerts Deutung 2.3.1. Extensive Zeitdiagnose In der Zeit nach dem Krieg bietet Elert in vergleichsweise ausführlicher Form eine Beschreibung und Bewertung seiner Gegenwart aus dem Blickwinkel eines apologetisch ambitionierten Theologen. Gibt das 1921 erschienene Buch „Der Kampf um das Christentum“ in dieser Hinsicht vornehmlich Aufschluß über Elerts Verständnis des geschichtlichen Gewordenseins der Gegenwart im Laufe des 19. Jahrhunderts, indem er die „Bilanz eines Jahrhunderts“ zieht und als eine Art „Aitiologie des Zusammenbruchs“ darstellt,65 so zeichnet er in dem Aufsatz „Die Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit“ in publizistischer Weise sein – in der Sprache des Expressionismus gezeichnetes – Bild der Lage in Deutschland des Jahres 1922.66 In seiner Theologiegeschichte „Der Kampf um das Christentum“67, die auch ein „Stück allgemeiner Geistesgeschichte“ sein will,68 versucht 65 So die treffende Formulierung von T. Kaufmann (Werner Elert, 207). 66 Erschienen in: AELKZ 55 (1922), 386 – 390. 402 – 404. 418 – 421. 434 – 436. 67 Herkunft und Hintergrund des Titels sind nicht mit letzter Sicherheit zu klären. Worum wird gekämpft? Um das Überleben des Christentums im Weltanschauungskampf der Moderne oder aber um das Wesen des Christentums, das inmitten seiner vielen Säkularisate nicht mehr ‘kampflos’ identifiziert werden kann? Der Kampf um das Christentum wird jedoch ausgeweitet in einen Weltanschauungskampf, dessen Begriff Elert bereits 1911 durch seinen Lehrer Hunzinger bekannt gewesen ist (Vgl. Prolegomena, VIII): Der Kampf um das Christentum führt somit in die Situation der „Konkurrenz“ mit religiösen Säkularisaten, die sich wie das Christentum „um die Seele des modernen Menschen bewarben“ (KCH, 10). Der Apologet gilt Elert bereits 1920 als der Stratege, der mit seinen „Methoden“ den „Kampf[…] für das Christentum“ auszufechten hat (Irrwege, 4). Der Kampf fr das Christentum verschärft sich für Elert angesichts zunehmender Pluralisierung des Christentums selber zu einem Kampf um das Christentum als einem Kampf, in dem die Wahrheit des Christentums, nämlich seine „qualitative Selbständigkeit“ (KCH, 2. Vgl. aaO, 3. 7), auf dem Spiel steht. Eventuell orientierte sich Elert mit seinem Titel aber auch an der in zahlreichen Auflagen erschienenen Schrift von Richard Wimmer „Im Kampf um die Weltanschauung“ (1888; 190616). Vgl. dazu die kurze Notiz Elerts: KCH, 281. 68 W. Elert, KCH, 7. Schon früh war Elert unter dem Eindruck des Leipzigers Allgemeinhistorikers Karl Lamprecht (vgl. dazu W. Elert, Goldenes Buch, 237) darum bemüht, Geschichte nicht eindimensional wahrzunehmen, sondern möglichst facettenreich darzustellen und sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte einzubeziehen. Zu Lamprecht vgl. W. Elert, KCH, 321 f. 486. 492. So lautete bereits 1911 seine Devise der Geschichtsschreibung, die Geschichte
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Elert – entsprechend dem Untertitel – die „Geschichte der Beziehungen zwischen dem Evangelischen Christentum in Deutschland und dem allgemeinen Denken“69 in ihrer Relevanz für die gegenwärtige Situation darzustellen.70 Elerts Werk wurde auch als eine „fesselnde Geschichte der Apologetik im 19. Jahrhundert“71, ja gar als die „verläßlichste Auskunftsquelle über die verschlungenen Wege der Apologetik des 19. Jahrhunderts“72 gerühmt. So handelt es sich zum großen Teil um eine Verfallsgeschichte der christlichen Apologetik im 19. Jahrhundert, die in ihrer Reaktion auf den Zustand und die Entwicklung des „allgemeinen Denken[s]“ dargestellt wird.73 Gerade diese Schilderung der
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nicht „auf die Geistesgeschichte zu beschränken“ (Prolegomena, 104 f.). Eine Theologie, die sich rein auf die Geistesgeschichte als ihren – hilfswissenschaftlichen – Gesprächspartner festlegte, büßte ihre künftige allgemeinkulturelle Gesprächsfähigkeit ein. Vgl. dazu v. a. W. Elert, KCH, 468 – 488. Besonders deutlich wird dies später in Elerts „Morphologie“, in der er erklärt, in seiner Geschichtsdarstellung „möglichst viele verschiedene Quellengruppen“ einfließen zu lassen (ML I, 11). Zu Elerts Bemühung um eine mehrdimensionale Form der Geschichtsschreibung: T. Kaufmann, Werner Elert, 232 – 234. Zur Entstehung der sozialgeschichtlichen Betrachtungsweise und ihrer Wirkung in der Kirchengeschichtsschreibung: J. C. Kaiser, Art. Sozialgeschichtsschreibung. I. Allgemeines, TRE 31 (2000), 527 – 531 (Lit.); ders., Art. Sozialgeschichtsschreibung. III. Kirchengeschichtlich, TRE 31 (2000), 535 – 538 (Lit.). Die konfessionelle wie nationale „Beschränkung“, die Elert im Titel andeutet, vollzieht er nicht aus inhaltlichen Gründen oder etwa in dem Willen zu einer bewußt konfessionalistischen Geschichtsdarstellung, sondern aus rein „äußerlichen Gründen“ der Begrenzung des zu bearbeitenden Stoffes und des „äußeren Umfang des Buches“ (KCH, Vorwort, IIIf.); sie stellt somit kein Argument für den Beginn eines konfessionellen Denkens bei Elert dar. Das Buch gliedert sich in drei große Teile, in der jeweils die Situation der Beziehungen um 1800, 1850 und 1900 dargestellt werden. Jeder Teil beginnt mit einer Einleitung und wird mit je zwei Antwort- bzw. Reaktionsblöcken fortgeführt; dabei handelt es sich zum einen um eine Art Verfallsgeschichte der Apologetik und zum anderen um den Aufweis der in Elerts Augen für die Gegenwart hoffnungsvollen „tiefliegenden Bewegung“ (KCH, 3). Vgl. dazu auch unten S. 239 f. Anm. 451. E. Herms, Mit dem Rücken an der Wand? Apologetik heute, in: ders., Offenbarung und Glaube. Zur Bildung des christlichen Lebens, Tübingen, 1992, (484 – 516) 484 Anm. 2. M. Doerne, Das unbewältigte Problem der Apologetik, ThLZ 75 (1950), (259 – 264) 261. Dies geschieht besonders in den Abschnitten 2 (KCH, 94 ff.), 4 (KCH, 214 ff.), 7 (KCH, 366 ff.), die bereits in den zuvor erschienen Aufsätzen (W. Elert, Reduktion; ders., Irrwege) vorbereitet sind, aber auch Aspekte von 1912 (ders., Wendung; vgl. dazu oben S. 116 ff.) aufnehmen.
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III Die Zeit von 1919 – 1923
„allgemeinen Geistesbewegung“74 spitzt sich zu einer Gegenwartsanalyse zu, wie sie sich dann besonders plakativ in dem Aufsatz „Forderung“ präsentiert. 2.3.2. Das Gewordensein der Gegenwart Die Gegenwart sieht Elert gezeichnet durch die Folgen des neuzeitlichen „Verweltlichungsproze[sses] des Weltlichen“75, der „von den Reformatoren mit Bewußtsein gewollt war“76. Das Verdienst der Reformation liegt für Elert somit darin, die im Spätmittelalter vorangegangene „Verweltlichung des Geistlichen“ in eine „Verweltlichung des Weltlichen“77 transformiert zu haben. Eine Unterscheidung und Anerkennung der „Eigengesetzlichkeit“ der kulturellen „Sphären“ war somit möglich geworden.78 Die geschichtliche Entwicklung nach der Reformation verlief jedoch anders. Es kam erneut zu einer Vermischung der verschiedenen kulturellen Sphären, die bereits im Zeitalter der Orthodoxie – etwa im landesherrlichen Kirchenregiment des Luthertums oder mit der calvinistischen Wirtschaftsethik – ihre Blüten trieb.79 Mit dem Zeitalter der Aufklärung ergab sich die paradoxe Si74 W. Elert, KCH, IV. Vgl. dazu: „Die Lage des Christentums um 1800“ (KCH, 9 ff.); „Dritter Abschnitt. Das Auseinandertreten von Christentum und Wissenschaft“ (KCH, 140 ff.); „6. Abschnitt. Kultur ohne Christentum“ (KCH, 307 ff.). 75 W. Elert, KCH, 10. 76 W. Elert, KCH, 13 f. Vgl. aaO, 9 f. Zu Elerts Neuzeit- bzw. Reformationsdeutung siehe auch schon W. Elert, Im Kampf um die Reformation. Vgl. dazu oben S. 58 f. 139 f. 77 W. Elert, KCH, 10. Vgl. aaO, 442 f. 78 W. Elert, Forderung, 389. Vgl. W. Elert, KCH 10 f. Vgl. auch Elerts anerkennendes Referat der Position Grützmachers in der Auseinandersetzung mit der „evolutionistischen Betrachtungsweise“ der Geschichte (Grützmachers, 390): Jedes „in sich selbständige Kulturgebiet zeige im geschichtlichen Werden eine Eigengesetzlichkeit, die zu der eines oder aller anderen oft in scharfem Gegensatz stehe. Kunst, Philosophie, Religion gehen ihre eigenen Wege. Ein Aufstieg der einen bedingt noch keinen Aufstieg der anderen, die Decadence des einen oder zweier von ihnen schließt keineswegs diejenige der Dritten ein“. Diese Betonung der Selbständigkeit der einzelnen Kulturgebiete wird Elert später zu einer Kritik an Spenglers Konzeption des Untergangs des Abendlandes führen (vgl. v. a. Untergang, 57), die im Ganzen für Elert dennoch plausibel bleibt (vgl. KCH, 489). Zur Eigengesetzlichkeit als „Kern“ lutherischer Dreiständelehre vgl. v. a. W. Elert, ML II, 60 ff. Zur Neutralität des Verhältnisses von reformatorischer Religiosität und Weltkultur vgl. W. Elert, KCH, 442 f. 79 Vgl. W. Elert, KCH, 11.
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tuation, daß zum einen die „Verselbständigung der weltlichen Kultur, die auf deutschem Gebiet mittelbar durch die Reformation angebahnt wurde“, „ihren charakteristischen Höhepunkt“80 fand, zum anderen jedoch die Sphäre der Religion ihre Eigenständigkeit, das Christentum seine „Autonomie“ einbüßte.81 Die „Verselbständigung der Vernunft, der Moral und des Gefühls“82 war derart fortgeschritten, daß sie zunehmend in den religiösen Bereich übergriff und durch die Auslösung „einer tiefen Devotion, die man vor den neuen Autoritäten äußert“,83 gegen Ende des 18. Jahrhundert eine „fast katastrophale Verweltlichung“84 und somit einen „Hoheitsverlust“ und „Gewißheitsverlust des Christentums“85 verursachte: „Sicherte die Autonomie des Gefühls dem Menschen absolutes Befriedigtsein in der beziehungslosen Stimmung, die Autonomie der Moral ihm absolute Sittlichkeit, die Autonomie der Vernunft absolute Gewißheit um die letzten Wahrheiten zu, so konnte dem Christentum im besten Falle nur noch die Rolle einer vermittelnden Zwischeninstanz zufallen. Es war eine Etappe auf dem Wege zur Ästhetisierung, Moralisierung oder Rationalisierung des Daseins“86. Die durch den Säkularisierungsprozeß freigesetzte Weltkultur griff zunehmend – sozusagen reziprok zum Mittelalter – in den religiösen Bereich über und verursachte so eine Pluralisierung dieser Sphäre. „Der Verweltlichungsprozeß des Weltlichen […] erzeugte eine autonome Philosophie, eine autonome Wissenschaft, eine autonome Moral, eine rein weltliche Kunst, ein autonomes Wirtschaftleben, einen autonomen Nationalismus und den gegen alle Religion indifferenten Staat. Alle diese Mächte traten nacheinander mit dem Christentum in Konkurrenz, indem sie sich gleich diesem um die Seele des modernen Menschen bewarben“87. Auf den Verlust der Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Christentums und der Säkularisierung seiner Funktionen – nicht zuletzt durch das Vorbild seiner Moralisierung durch Kant, seiner Rationalisierung durch Hegel und seiner Ästhetisierung durch Schleiermacher – 80 81 82 83 84 85 86 87
W. Elert, KCH, 12. W. Elert, 14. Vgl. aaO, 13 f. W. Elert, KCH, 13. W. Elert, KCH, 17. W. Elert, KCH, 4. So die Überschriften von § 1 und § 2 (KCH, 9 ff. 15 ff.). W. Elert, KCH, 14. W. Elert, KCH, 10. Vgl. Elerts Darstellung des Verselbständigungsprozesses der säkularisierten Wissenschaften in: Irrwege, 4 ff.
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III Die Zeit von 1919 – 1923
folgt nach Elert im 19. Jahrhundert die „Isolierung der Theologie“88, die „Entchristlichung der Philosophie“89 sowie die „Naturalisierung der Weltanschauung“90 und der „Lebensgestaltung“91. Die Aufgabe der Selbständigkeit des religiösen Bereiches führt zu einer Immanentisierung des gesamten Daseins.92 Über kurz oder lang gab es „keine Geheimnisse mehr. Die Bahn schien frei geworden zu sein für eine rein immanente Weltanschauungsbildung“93. Die „,öffentliche Meinung‘“ etwa, die sich nach 1848 herausbildete und sich vornehmlich in der „Presse“ verkörperte, ordne alle kulturellen Bereiche der innenpolitischen Beeinflussung und Agitation unter: „Schöne Literatur, Religion, Philosophie, Ethik, Weltanschauung, alles dies wird jetzt Mittel zum Zweck“.94 Zugleich nimmt die Binnenpluralisierung der einzelnen kulturellen Bereiche zu. So kommt es etwa zu einer „Weltanschauung ohne Christentum“95, zur „Lebensgestaltung ohne Christentum“96 und spätestens „durch die große Wendung mit Schopenhauer“ und seiner Einführung der „asiatischen Religion“ in den europäischen Kulturkreis zur „Religion ohne Christentum“97 und damit zur extremen Popularisierung des Bewußtseins der Unterscheidung von Religion und Christentum. In besonders eindrucksvoller wie verwirrend detaillierter und materialreicher Weise98 schildert Elert im 6. Abschnitt („Kultur ohne Christentum“), wie aus der neuzeitlichen Verselbständigung der kulturellen Sphären und ihrer erneuten Vermischung ein nahezu postmoderner Binnenpluralismus entstanden ist: Kultur kann nur noch als 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97
W. Elert, KCH, 140 ff. W. Elert, KCH, 147 ff. W. Elert, KCH, 180 ff. W. Elert, KCH, 202 ff. Vgl. W. Elert, Forderung, 418 f. 420. 434. Vgl. dazu ders., KCH, § 75 – 77. W. Elert, KCH, 195. W. Elert, KCH, 307 f. W. Elert, KCH, 307 ff. W. Elert, KCH, 328 ff. W. Elert, KCH, 350 ff. Vgl. dazu auch die Schopenhauerdarstellung: AaO, 175 ff. 487. Schopenhauer gewinnt für Elert zunehmend an – positiv besetzter – Bedeutung – bis hin zu seiner Präsentation als „unabhängiger Zeuge“ für den Realitätsgehalt des lutherischen „Urerlebnisses“ in der „Morphologie“ (ML I, 44). 98 W. Elert, KCH, 307 ff. Als Beispiel vgl. nur die Darstellung der Frauenbewegung (aaO, 344 ff.) oder die der neuartigen religiösen Strömungen mit ihrem „exotische[n] Charakter“ (aaO, 355 ff.).
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eine „fragmentarische“ buchstabiert werden, da es eine „einheitliche Kultur, wie sie noch die ,Modern-Positiven‘ voraussetzen zu können glaubten, in der Gegenwart nicht mehr gibt“.99 Das ist die Situation, die Elert als Gegenwart Anfang der Zwanziger Jahre zeichnet. Es ist die „unbestreitbare Diffusion der Weltanschauung und der Lebensgestaltung“, die er zeitgeistkonform als „Decadence“ deutet.100 : „Spenglers Einsicht, daß keine der kulturbildenden Mächte mehr imstande ist, einen einheitlichen reflexionslosen Stil zu finden, geschweige ihn dem Geist der Zeit insgesamt aufzuprägen, ist vorerst nicht zu widerlegen“101. Das Urteil Elerts über die Gegenwart fällt somit negativ aus. Nach wie vor ist nicht die Differenzierung der Kultur als solche das Problem, das Elert im Blick auf seine Gegenwart beschäftigt, sondern – wie in der Zeit bis 1918 – das Problem der Binnenpluralisierung einzelner Bereiche sowie die erneute Vermischung differenzierter Bereiche, die zur Aufgabe der Selbständigkeit und ,Eigengesetzlichkeit‘ der einzelnen Bereiche führt.102 Daß „unser Zeitalter kein christliches schlechthin ist“,103 bemerkte Elert schon bereits in der Zeit vor 1918. Die „allgemeine Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts“ scheint eine „allmähliche, aber unentrinnbare Entchristlichung“ bewirkt zu haben;104 „außerchristliche Geistesmächte, die es immer gegeben hat“, haben „quantitativ“ derart zugenommen,105 daß das Christentum somit schon seit geraumer Zeit „als wirksamer Kulturfaktor ausgeschaltet“106 ist. 2.3.3. Das Merkmal der Moderne: ihre Merkmallosigkeit Wodurch aber ist jetzt in der Gegenwart die „Lage unseres ehedem christlichen Volkes“107 bestimmt? Um die intendierte Klarheit über die „kulturelle […] Gesamtlage in unserer Zeit“108 zu erzielen, versucht Elert „positive Merkmale“ zu finden, mit denen er die „charakteristi99 100 101 102 103 104 105 106 107 108
W. Elert, KCH, 488 f. Vgl. aaO, 487 ff. W. Elert, KCH, 489. W. Elert, KCH, 489. Vgl. dazu oben. S. 58 ff. W. Elert, Forderung, 387. W. Elert, Irrwege, 3. W. Elert, Reduktion, 407. W. Elert, KCH, 309. W. Elert, Forderung, 421. W. Elert, Forderung, 387. Zur intendierten Gewinnung von „Klarheit“ über die apologetische Situation vgl. W. Elert, KCH, III. Dazu oben S. 169 ff.
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III Die Zeit von 1919 – 1923
schen Elemente“ der Gegenwart gerade in ihrer Verschiebung beschreiben zu können hofft109 – eine Fragestellung übrigens, die sich bei Elert zuvor nicht findet. Das Merkmal, nach dem sich die Gegenwart von der Zeit um die Jahrhundertwende unterscheide, entdeckt Elert in ihrer Merkmallosigkeit. Eine zureichende Beschreibung der „kulturellen Gesamtlage“ sei in einer „so ungeheuer differenzierten Kultur wie der unsrigen […] eine nahezu unlösbare Aufgabe“.110 Für jedes scheinbar gefundene „Merkmal“ läßt sich „ohne Mühe […] auch das Gegenteil“ nachweisen.111 Im Rückblick auf die Jahrhundertwende erscheinen Elert die Versuche einer Bestimmung der Merkmale der Moderne als vergebliche Fiktionen – als Fiktionen, die sich gerade durch ihre Disparatheit ad absurdum geführt haben: „Wer einmal in der Zeitschriftenliteratur um 1900 nachblättert, der findet fast unzählige Aufsätze, die sich mit dem sog. ,modernen Menschen‘ befassen“.112 Die Widersprüchlichkeit und Uneinheitlichkeit dieser Versuche, ja gerade die „tiefliegende Differenz in der Näherbestimmung des Begriffes Modern“113 bestätigt Elert in seinem Urteil, „daß es unmöglich ist, die Kultur unserer Zeit auf eine einzige haltbare Formel zu bringen“114. Gerade in dieser Widersprüchlichkeit und Uneinheitlichkeit aber erblickt Elert gleichsam die „Lösung“ des Problems der Zeitdiagnose: „Sollte nicht das gerade für unser Zeitalter charakteristisch sein, daß wir mit unseren Kulturgenossen nicht durch den Zwang gemeinsamer Ideen, Gefühle oder Motive zu einer geschlossenen Einheit verbunden sind“? 115 So ist das Charakteristikum der Gegenwart sozusagen ihre Charakterlosigkeit. Solche Merkmallosigkeit und Undefinierbarkeit der Zeit offenbart sich darin, daß sie im Gegensatz zu früheren Zeiten eine „seelische Gemeinsamkeit nicht mehr kennt“.116 Diesen Zustand des Verlustes einer gemeinsamen seelischen Basis bezeichnet Elert deshalb als „Diffusion der Kultur“117, der nach Kriegsende durch das be109 110 111 112 113 114 115 116 117
W. Elert, Forderung, 387. W. Elert, Forderung, 387. W. Elert, Forderung, 387. W. Elert, Forderung, 387. W. Elert, Grützmachers, 383. Vgl. ders., KCH, 487 ff. W. Elert, Forderung, 387. W. Elert, Forderung, 387 f. W. Elert, Forderung, 388. W. Elert, Forderung, 388. Der Begriff der „Diffusion“ taucht bei Elert das erste Mal bereits 1911 auf. Im Zusammenhang mit der erkenntnistheoretischen Klärung der Geschichtsphilosophie spricht Elert angesichts der unverbundenen
2. Elerts Zeitdiagnose
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schleunigte „Zerbrechen der endlichen Mächte“118 sichtbar hervorgetreten ist. 2.3.4. Die „Diffusion der Kultur“ Diese Diffusion läßt sich als Binnenpluralismus in allen Teilbereichen der Kultur nachweisen. Die Uneinheitlichkeit der Stilrichtungen in der Kunst und der gegensätzlichen Ansichten der „Nationalökonomen“ setzt sich sogar im politischen Bereich fort.119 So ist die ehemalige Einheitlichkeit von Recht und Gesetz durch deren neuartige Abhängigkeit von „zufälligen Parlamentsmehrheiten“ in den demokratiekritischen Augen Elerts aufgelöst worden: Die „Relativierung von Gesetz und Recht fügt sich völlig dem Rahmen unseres Zeitalters ein“.120 Selbst die Wissenschaft kann keine Einheit mehr repräsentieren. Der ,universitäre‘ Gedanke hat sich in die „Mehrzahl“ der Wissenschaften verflüchtigt, die Rede von „,der‘ Wissenschaft“ ist obsolet geworden.121 Keine Einzeldisziplin ist mehr in der Lage, das Ganze zu formulieren. Der idealistische Glaube an die Einheit der Wissenschaft durch die Philosophie ist endgültig der „erdrückenden Mannigfaltigkeit der Fachbibliotheken“122 gewichen, ja hat sich als eine „Fiktion“ erwiesen.123 Die Unterscheidung von Natur- und Geisteswissenschaften, die für Elert in der Zeit vor 1919 noch ein Garant von lediglich methodisch divergierender Einheit war und ihm dazu diente, das Christentum als Weltanschauung und die Theologie als Wissenschaft zu plausibilisieren, erscheint ihm nun als „zweifelhaft“.124 Der Nimbus des Aufweises unwiderlegbarer Realität, der die exakten Wissenschaften einst
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kausalen und finalen Erklärungsmuster der Geschichte in seiner Licentiatenarbeit von einem „regellosen Pluralismus“ (Prolegomena, 64), dem „Pluralismus von Einzelwerten“, ja von einer „Diffusion“ (aaO, 64. 66) dessen, was das Ganze der Geschichte, also ihren Sinn hätte erklären können (vgl. aaO, 67). W. Elert, Dogma, Vorwort. W. Elert, Forderung, 387. Vgl. auch ders., KCH, 334 ff. W. Elert, Forderung, 404. Vgl. aaO, 403 f. W. Elert, Forderung, 389 f. W. Elert, Forderung, 389. W. Elert, KCH, 492: Die „Homogenität der Methode und der Ergebnisse in den nichttheologischen Wissenschaften ist eine Fiktion“. W. Elert, Forderung, 390. Vgl. nur Elerts nun kritische Rickertdarstellung in: KCH, 479 f. Dazu auch aaO, 492 f. Eine explizite Selbstrevision seines früheren Anschlusses der Theologie an die Geisteswissenschaften findet sich jedoch nicht. Vgl. dazu unten S. 251 f. Anm. 530. 253 ff. 255 ff.
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III Die Zeit von 1919 – 1923
umgab125 und dessen Faszination Elert in seiner apologetischen Arbeit bis 1918 zentral beschäftigte, scheint verblaßt: „Man braucht nur an die Elastizität zu erinnern, die durch Einstein in unsere gesamte naturwissenschaftliche Begriffswelt gekommen ist“,126 dann wird ersichtlich, daß die „Zeit des ,allgemeingültigen‘ naturwissenschaftlichen Weltbildes […] unwiederbringlich dahin“127 ist. Waren für Elert zuvor lediglich die weltanschaulichen Folgerungen, die aus den Ergebnissen der exakten Wissenschaften unter „nichtempirischen Voraussetzungen“128 gezogen wurden, fraglich, so sind es nun die Ergebnisse der Wissenschaften selber: Die „wissenschaftlichen Wahrheiten haben ihren kategorischallgemeingültigen Charakter verloren. Sie sind relativ wahr, d. h. für alle die, welche in denselben Relationen stehen wie ihre Entdecker“129. Die Vielfalt von „Gegenständen“, „Ergebnissen“ und „Methoden“ läßt sich nicht einmal mehr in einer gemeinsamen Intention, im „gemeinsamen Willen zur Wahrheit“ bündeln; der Wille zur Wahrheit ist vielmehr der Dominanz der „praktische[n] Verwendbarkeit“ als „Wille zur Macht“ gewichen.130 Auch der wissenschaftliche Bereich kann wegen seiner Diffusion der Gegenwart in Elerts Augen weder „Allgemeingültigkeit“ noch „Einheit“ schenken:131 Das „Kantische Zeitalter mit seinem Begriff einer apodiktischen, aprioristischen, kategorialen Allgemeingültigkeit versinkt“.132 So diagnostiziert Elert „im Gesamtbilde der Wissenschaften dieselbe Diffusion […], die das Gesamtbild der gegenwärtigen Kultur überhaupt charakterisiert“.133 2.3.5. Die Stellung des Christentums in der Gegenwart Der Weltanschauungskampf der Moderne hat sich für Elert somit auf alle Kulturbereiche ausgeweitet. Er erscheint als eine „unheimliche Diffusion unserer Kultur“, als ein „ungeheurer Pluralismus der Welt125 Vgl. W. Elert, KCH, 159: Im Lauf des 19. Jahrhunderts wurde der „exakte Wissenschaftsbegriff […] wie nie ein andrer zuvor Gemeingut der Zeit. Er erschien je länger je mehr als die einzig mögliche Wirklichkeitsbetrachtung“. 126 W. Elert, Forderung, 403. Zu Einstein vgl. auch W. Elert, KCH, 356. 486. 127 W. Elert, Grützmachers, 399. 128 W. Elert, Wendung, 471. Vgl. auch ders., Rudolf Rocholls, 46 f. 129 W. Elert, Forderung, 403. 130 W. Elert, Forderung, 390. 131 W. Elert, Forderung, 389. Vgl. aaO, 403 f. 132 W. Elert, KCH, 7. 133 W. Elert, KCH, 492.
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anschauungen“134 und wird von Elert als etwas Bedrohliches wahrgenommen. Die Situation der Weltanschauungspluralität hat sich also in seinen Augen durch die Ausdifferenzierung und Veruneinheitlichung aller kulturellen Bereiche und den Verlust jeglicher Einheit verschärft. Die Verschärfung der Situation Anfang der Zwanziger Jahre gegenüber der Zeit vor Kriegsende zeigt sich insbesonders in Elerts Wahrnehmung der weltanschaulichen Pluralisierung auch innerhalb des Christentums, ja innerhalb des Protestantismus, der mittlerweile ein Bild „unheilvolle[r] Zerklüftung“135 bietet: Auch die „Christenheit“ nimmt „durchaus an der allgemeinen Diffusion der Kultur teil“.136 Im Protestantismus sei „die Verzweigung und Verästelung genau so fortgeschritten wie in Kunst, Politik und Wissenschaft“; er bietet „genau so ein Bild hoffnungsloser Verwirrung wie jedes andere Kulturgebiet“.137 Alt- und Neuprotestantismus stehen sich, wie Elert im Anschluß an Grützmacher betont, als eine je verschiedene „Weltanschauung“ gegenüber;138 und – so weist Elert auf synkretistische Erscheinungsformen hin – wir „werden außerhalb unserer engeren christlichen Glaubensverwandten selten in unserem Bekanntenkreise mehrere Menschen finden, die in allen Stcken dieselbe Weltanschauung hätten“139. Der Pluralisierung des Christentums entsprechend hat sich nach Elerts Einschätzung auch die allgemeine Meinung über das Christentum gewandelt. Sah er in der Zeit vor Kriegsende das Christentum im Weltanschauungskampf vor allem durch die szientistischen Weltanschauungen offen angefeindet und allgemeiner Kritik ausgesetzt,140 so begegnet man, nachdem das Christentum „im Urteil von Millionen“ während des Krieges „versagt“ 134 W. Elert, Forderung, 402. 135 W. Elert, Reduktion, 423. 136 W. Elert, Forderung, 419. Die plurale Erscheinungsweise des Christentums als solche findet Elert jedoch nicht problematisch. Sie erklärt sich für ihn nicht dadurch, daß es an der allgemeinen Diffusion der Kultur teilhat. Vielmehr erscheint das Christentum durch die unterschiedliche Gewichtung seiner konstitutiven Bestandteile – Glauben, Wissen und Tun –, deren Ausprägung von Raum und Zeit, von geschichtlichen wie natürlichen Rahmenbedingungen abhängen, prinzipiell seit jeher in verschiedenen Formen. Vgl. W. Elert, Dogma, Vorwort; ausführlich dazu unten S. 207 ff. 137 W. Elert, Forderung, 419. 138 Vgl. W. Elert, Grützmachers, 391. Vgl. dazu aaO, 389 ff. 139 W. Elert, Forderung, 402. H. v. V. 140 Vgl. v. a. W. Elert, Was wollte Gerhard Hauptmann, 1237. Ausführlich dazu oben S. 70 ff. 72 ff.
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hat141, gegenwärtig dem Christentum lediglich noch mit Indifferenz; es wird kaum noch beachtet: „Man steht heute dem Christentum nicht feindlicher, wohl aber kühler und gleichgültiger gegenüber“.142 Dieser Einschätzung entsprechend beunruhigte Elert vor Kriegsende nicht so sehr die Weltanschauungspluralität als solche, sondern vielmehr die vermeintlich schlechte Stellung und mangelhafte allgemeine Anerkennung des Christentums als einer Weltanschauung. Nun, da dem Christentum eher Indifferenz als Kritik – die ja durchaus eine Form von Interesse und Aufmerksamkeit darstellt – entgegengebracht wird, wird die Pluralität als solche von Elert mit kritischen Augen betrachtet. 2.3.6. Pluralität ohne Ende oder Pluralität als Ende? Die Pluralität der Gegenwartskultur ist für Elert zuvor durch den von ihm bejahten neuzeitlichen Säkularisierungs- und Differenzierungsprozeß angebahnt. Ihre „Diffusion“ jedoch, die Elert mit Spencers „,Gesetz der Differenzierung‘“ umschreibt,143 bleibt ihm unerklärlich. 141 W. Elert, Luthers Bedeutung für die Welt, in: Schule und Evangelium, 1 (1926/1927), Stuttgart, (173 – 178. 200 – 204) 175. In diesem Aufsatz faßt Elert kurz die mutmaßliche Stellung des Christentums in der allgemeinen Meinung zusammen: Das „Christentum steht in schwerem Kampf um seine Existenz. Es hat unübersehbar viel eingebüßt an Sympathien, an Geltung im öffentlichen Leben, in der Kunst. Sein Kraftfeld im Leben unserer Nation ist gewaltig eingeengt. Vor allem: es ist innerem Druck ausgesetzt, der es überhaupt zu sprengen droht. Zuerst machte dem evangelischen Christentum die moderne Philosophie zu schaffen, die eine vollständige Weltanschauung und Lebensauffassung entwarf, ohne der Bibel, ohne der Offenbarung zu bedürfen. Dann kamen die Geschichtswissenschaften, und machten die Evangelien unsicher. Sodann die Naturwissenschaften, die mit allem Wunderglauben aufräumten. Aber der letzte Stoß war der schwerste. Es war das Urteil von Millionen: Daß das Christentum das große Examen nicht bestanden habe, die Prüfung des letzten Krieges. Nicht nur die Christen haben versagt“, sondern „der Gott des Christentums hat selber versagt: Wie oft ist man im Kriege gefragt worden: Wie kann Gott das zulassen? Was wir sehen und erdulden, ist der unwiderlegliche Beweis dafür, daß es keinen Gott gibt“ (aaO, 175). Vgl. dazu auch W. Elert, ML I, 52. Zum durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg herbeigeführten Irrewerden des ‘deutschen Nationalprotestantismus’ an Gott als dem Herrn der deutschen Geschichte vgl. K. Scholder, Neuere deutsche Geschichte, 88 ff. 142 W. Elert, Irrwege, 3. 143 W. Elert, Forderung, 388. Vgl. aaO, 387 f. Das Hauptwerk von H. Spencer (A System of Synthetic Philosophy, London u. a.) erschien in fünf Teilen zwischen 1855 – 1896. Unter dem Eindruck der Lehre Darwins entwickelt Spencer in
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So möchte er auch die „Frage, was die Zerstörung dieser Gemeinschaft schließlich bewirkt“ hat, offen halten.144 Dennoch prophezeit er pessimistisch: Die „Differenzierung wird vielmehr fortschreiten, die Diffusion der Linien, der Pluralismus der Verzweigungen zunehmen“:145 „Wir stehen ja erst im Anfange der großen Skepsis“, die zunehmend zum „Gemeingut aller Kulturträger“ werden wird.146 Mit dem Bild eines Baumes umschreibt Elert die kulturelle Lage der Gegenwart als einen Pluralismus, der einem „Gewirr von Aesten und Zweigen“ gleicht.147 Die Einheit dieser Kultur besteht für Elert lediglich noch in der gemeinsamen Vergangenheit, entspringe doch die verzweigte Kultur der Gegenwart „demselben Stamm“.148 Jede Kultur ist als „geschichtliche Einheit“ entstanden und somit als eine Form „geschichtlicher Natur“ den „Regeln des Werdens und Vergehens unterworfen“.149 Unter dem Eindruck von Spenglers organologischem Geschichtsbild150 deutet Elert deshalb die Zeichen der Zeit, wie er sie unter anderem in der Metropolisierung, Rationalisierung und Moralisierung des Lebens zu entdecken glaubt, dem „Stadium des Verfalls, der Zivilisation“ zugehörig,151 das als Greisenalter einer Kultur schicksalhaft das
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151
den Teilen III (The Principles of Psychology, 1855/1870 – 1872) und IV (The Principles of Sociology, 1874 – 1896) eine umfassende sozialwissenschaftlich angelegte Weltsicht, die u. a. die allmähliche Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Institutionen und ihre Funktion bei der Anpassung an neue Situationen und Umstände beschreibt. Zu H. Spencer: W. Elert, Prolegomena, 23. 35; ders., KCH, 200; B. Hebblethwaite, Art. Spencer, Herbert, TRE 31 (2000), 649 – 652 (Lit.). W. Elert, Forderung, 388. W. Elert, Forderung, 402. W. Elert, Forderung, 418. W. Elert, Forderung, 402. Vgl. das Zitat oben S. 170 Anm. 48. W. Elert, Forderung, 402. W. Elert, Forderung, 403. Anläßlich des 1922 erschienen zweiten Bandes von Spenglers „Untergang des Abendlandes“ verfaßt Elert eine umfangreiche Besprechung („Der ‘Untergang des Abendlandes’“, AELKZ 56 (1923), 5 ff.). Elerts Verständnis von „Sinn und Bedeutung des Werkes überhaupt“ (aaO, 6) zeigt sich dort am komprimiertesten. Zu Spenglers „‘biologischer’ Auffassung der Geschichte“ bemerkt Elert (aaO, 8): „Der Vergleich mit einer Pflanze lag deshalb nahe, weil das Wachstum der Kulturen mit organischer – selbstverständlich also nicht mit mechanischer – Notwendigkeit erfolgt und weil die Kultur gleichsam bewußtlos wie eine Pflanze ihre innere Gestalt verwirklicht und ihr Schicksal erfüllt“. W. Elert, KCH, 327. Vgl. Elerts Referat des Spenglerschen Kulturzyklus in: W. Elert, Untergang, 37 f.: Auf die „herbstliche Epoche“, die der Zeit des deutschen Idealismus entspricht, folgt der „Winter“ einer Kultur mit „reiner
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Ende eines geschichtlichen Lebens einläutet:152 Die Untergangsdiagnose Spenglers, der von Elert als „großer Denker unserer Tage“ gerühmt wird,153 gilt deshalb noch Jahre später keineswegs als „bloßes Modebuch“ oder gar als bloße „Nachkriegspsychose“154 ; sie hat auch Fachwissenschaft und Kompendienliteratur, die weltstädtische Zivilisation, die nach dem Erlöschen der seelischen Gestaltungskraft vorwiegend irreligiöse und unmetaphysische, ethisch-praktische Tendenzen verfolgt […]. Die Zivilisation mit ihrer Ethik aus bewußter Ueberlegung ist das Ende jeder Religion. Die Seele ist tot, der Verstand allein übrig geblieben“. Vgl. dazu U. Körtner, Morphologie des Untergangs. Zivilisations- und Technikkritik bei Oswald Spengler, in: ThZ 47 (1991), 148 – 170. 152 Vgl. etwa W. Elert, Grützmachers, 399 f: „Spengler aber hat uns gelehrt, daß das scheinbar starr-objektive Weltbild [der Naturwissenschaften] das Geschöpf einer ganz bestimmten Seele [einer Kultur], der abendländischen in ihrem vorletzten Stadium war“. In der Aufnahme von Spenglers Schicksalsbegriff beruft sich Elert auf Karl Heim (vgl. W. Elert, Transzendenz, 539 Anm. 1; ders., KCH, 321. 447. 450 ff.; ders., Untergang, 21). Elert verweist explizit auf Schriften von K. Heim (vgl. KCH, 447. 321), v. a. auf den Aufsatz von K. Heim, Die religiöse Bedeutung des Schicksalsglaubens bei Oswald Spengler, in: K. Heim / R. Grützmacher, Oswald Spengler und das Christentum. Zwei kritische Aufsätze, München, 1921, 5 – 38. Die Frage, ob für Elert der Allgemeinheitsanspruch des naturwissenschaftlichen Weltbildes und seiner weltanschaulichen Konsequenzen durch Spengler direkt (so N. Slenczka, Selbstkonstitution, 49) oder aber vermittelt durch K. Heim (vgl. KCH, 450 ff.) ‘relativiert’ galt, kann hier dahingestellt bleiben. Zu Spenglers Schicksalsbegriff und seiner Übernahme bei Elert vgl. schon F. Duensing, Gesetz, 24 – 26 und T. Gerlach, Verborgener Gott, 395 – 400. T. Gerlach stellt nach einem Referat von Spenglers Schicksalsbegriff (aaO, 383 – 389) zudem knappe Überlegungen zu dessen Rezeption bei Karl Heim (aaO, 389 – 393) und Richard Grützmacher (aaO, 393 f.) an. Überblicksartig zur systematischen Verortung des Schicksalsbegriffs: I. Klaer, Art. Schicksal. III. Systematisch-theologisch, TRE 30 (1999), 110 – 116 (Lit.). 153 W. Elert, Unsere Zeit vor Gott, 37. Die Spenglerbegeisterung läßt sich keineswegs auf bestimmte Gruppen evangelischer Theologie nach dem Ersten Weltkrieg eingrenzen. Zur Spenglerbegeisterung z. B. der Dialektischen Theologie: K. Nowak, Protestantismus und Weimarer Republik, 230. Vgl. auch das Bekenntnis zu Spengler von F. Gogarten: „Heute ist eine Stunde des Unterganges […] Darum ist ein Jubel in uns über das Spenglersche Buch“ (Zwischen den Zeiten, in: CW 34 (1920), 374 – 378; wiederabgedruckt in: J. Moltmann (Hg.), Anfänge der Dialektischen Theologie, II, München, 1963, (95 – 101) 98). 154 W. Elert, Christus im Abend Europas (1926), 363. In diesem Aufsatz wird Elert dann seine These ausführen (vgl. v. a. W. Elert, Irrwege, 3; ders., KCH, 490), das Christentum allein werde den ‘Untergang des Abendlandes’ überstehen: „Sprechen wir vom Abend Europas, so sind wir keine Pessimisten. Denn an Christus glauben, heißt Optimist sein. Denn es heißt an die Zukunft glauben.
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„wahrlich nichts Unchristliches an sich“155. Nichts „berechtigt uns zu dem Glauben, daß unserer Kultur der Untergang erspart bleiben könnte“.156 Als Kulturkritiker neuromantischer Schule meint Elert den „Todeskeim“, der allem Irdischen innewohnt, für die „gegenwärtige deutsche Kultur“ diagnostizieren zu können;157 die „Anzeichen des bevorstehenden Kulturtodes“158 sind aus der zur Diffusion degenerierten Pluralität der Kultur ersichtlich. Wie bei einem alten Baum beginnt gegenwärtig das „Absterben der abendländischen Kultur“159. Die Hoffnung auf Überwindung der „Zerfaserung“, wie sie noch 1914 lebendig war,160 ist dem Schwanengesang auf die Kultur des Abendlandes gewichen.161 Elert wähnt sich so in dem „Augenblick, wo die ,Moderne‘ […] im Begriffe steht zu ihren Vätern versammelt zu werden“162. 2.3.7. Pluralität als Schicksal Die Signatur der Zeit besteht für Elert, wie gezeigt, in ihrer Merkmallosigkeit, im Verlust jeglicher Einheit. Jeder Anspruch auf „Allgemeingültigkeit“ wird „skeptisch“ beäugt; alles ist nur noch „relativ wahr“.163 Deshalb sieht sich Elert inmitten der Gegenwart eines „relativistischen, skeptizistischen Zeitalter[s]“164. Pluralität ist der Anfang vom Ende einer Kultur, deren gemeinsame Seele sich anschickt, in dem zur Diffusion gesteigertem Ausdifferenzierungs- und Pluralisierungsprozeß ausgehaucht zu werden.165 War in früheren Stadien der gegenwärtigen Kultur „eine große, für den einzelnen unauflösliche Gemeinsamkeit des Empfindens, Denkens und Schaffens“ signifikant, so kennt nun – nicht zuletzt durch die jeweilige Verselbständigung und Verabsolutierung von Gefühl, Vernunft und Handeln – „das gegen-
155 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165
Allerdings – an eine ewige Zukunft“ (W. Elert, Christus im Abend Europas, 376). W. Elert, Untergang, 58. W. Elert, Forderung, 403. W. Elert, Forderung, 403. W. Elert, Irrwege, 3. W. Elert, Irrwege, 3. Vgl. oben S. 64 ff. Vgl. v. a. W. Elert, KCH, 489 f. W. Elert, Grützmachers, 400. W. Elert, Forderung, 403. W. Elert, Forderung, 404. Zu „Relativismus“ als Signum der Weimarer Zeit vgl. K. Sontheimer, Antidemokratisches Denken, 58 ff. Vgl. W. Elert, Forderung, 387 f.
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III Die Zeit von 1919 – 1923
wärtige Zeitalter der deutschen Kultur eine solche imposante seelische Gemeinsamkeit nicht mehr“.166 Solche Pluralität wird von Elert also negativ beurteilt. Sie ist Zeichen von Dekadenz und Vorbote des Untergangs einer Kultur. Da diese Pluralität Teil der untergehenden Kultur ist, wird von Elert kein Versuch unternommen, sie zu überwinden. Mit anderen Worten: Pluralität ist eben ein unabwendbares Schicksal des Dahinmüssens einer Kultur; man kann sie diagnostizieren, aber man kann sie nicht therapieren. Pluralität wird als Schicksal verstanden. 2.3.8. Die Diffusion des Individuums Die „Diffusion der Kultur“167 hat eine Innenseite ihres gesamtgesellschaftlichen Aspekts. Nicht nur die Kultur im Ganzen hat nach Elert ihre Einheit, ihre Identität gewährende Mitte verloren. Der Verlust ihrer Einheit setzt sich auf der individuellen Ebene fort. Es sind nicht nur einzelne Momente der Gegenwart, wie die „Individualitätsfeindschaft“ des Kommunismus168, die die Individualität bedrohen, sondern die „unheimliche Diffusion unserer Kultur“169 an sich. Der einzelne Mensch läuft Gefahr, seine Individualität, eben seine ungeteilte und unteilbare Identität, in der „Verworrenheit der Kultur“170 und seiner Verwobenheit mit ihr zu verlieren. „Diese Diffusion der Kultur bedeutet nicht nur, daß in unserem Zeitalter Menschen verschiedensten Kulturwillens, verschiedensten Stilgefühls, verschiedenster seelischer Grundtendenz nebeneinander hergehen. Vielmehr spiegelt sich dieser chaotische Zustand auch in den einzelnen Menschen wieder“.171 Der Pluralismus der Gegenwart, wie er sich im Identitätsverlust der Kultur, in ihrer Merkmallosigkeit, in ihrer charakteristischen Charakterlosigkeit zugespitzt hat, hinterläßt so „auf dem Grunde der Seele Spuren, die nie verwischt werden können“.172 Die kritische Einstellung Elerts der Pluralität der Gegenwart gegenüber rührt so mit aus der als solcher wahrgenommenen Individualitätsfeindlichkeit der Pluralität her.
166 167 168 169 170 171 172
W. W. W. W. W. W. W.
Elert, Elert, Elert, Elert, Elert, Elert, Elert,
Forderung, Forderung, Irrwege, 3. Forderung, Forderung, Forderung, Forderung,
388. 388 402. 404. 388 [sic!]. Vgl. aaO, 388 f. 388.
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Die Folge dieser Pluralisierung des Individuums, der Verlust eines „konstante[n] Ichs“ zeigt sich zunächst in der „Variabilität“ der „Stimmung“, der „Weltanschauung und Lebensauffassung“, dann in der „Desorganisation der Lebensgestaltung“;173 schließlich führt sie – wie in der Gegenwart – zu Verunsicherung, Desorientierung und Gewißheitsverlust. Nach Elert zeigt sich also im Individualisierungsprozeß die Parallele zum Pluralisierungsprozeß der Kultur: Beides führt durch die jeweils eigentümliche „Direktionslosigkeit“ in eine „Situation mehrfacher Möglichkeiten“ und über die darin liegende Beliebigkeit zum Verlust der Einheit des Selbst.174 Die Skepsis und Relativität des Ganzen überträgt sich so auf die persönliche Ebene bzw. spiegelt sich in ihr. Es scheint, als ob die „Unsicherheit der […] Kulturträger, vor allem des Gesetzgebers und der Wissenschaften“,175 den Einzelnen in den „Strudel“176 der Verunsicherung und Desorientierung mithineinzieht. Und auch dem Christen als Kind seiner Zeit, mit der er „tausendfach verflochten“177 ist, steckt „jener Relativismus zu tief im Blut“, als daß er vor der Gefahr des Verlustes seiner Gewißheit gefeit wäre.178 2.3.9. Individueller „Durst nach Metaphysik“ Das in der Suche „nach einer festen Stütze des Daseins“179, in der Suche nach einem „sicheren Pfad durch die Verworrenheit der menschlichen Lage“180 sich äußernde Bedürfnis seiner Zeitgenossen nach Sinnfindung 173 So umschreibt Elert (KCH, 212; vgl. aaO, 211 ff.) am Beispiel von Heinrich Heine die Entwicklung, die ausgehend von einzelnen Prototypen bis zum Massenphänomen der Gegenwart reicht: „Er hat seine Leser gelehrt, daß man über die Fragen der Lebensgestaltung bald so, bald anders denken, daß man eine religiöse Forderung bald ernst nehmen, bald darüber Witze machen könne. Die Nervosität seiner Darstellungsweise und seiner eigenen Lebensgestaltung ist in die ethische Gesamthaltung der folgenden Jahrzehnte übergegangen. Die Konstanz sittlicher Lebensführung, wie sie etwa das rationalistische Zeitalter noch kannte, ist verschwunden. Mit Heine hebt eine Desorganisation der Lebensgestaltung an“. 174 W. Elert, KCH, 336. 175 W. Elert, Forderung, 418. 176 W. Elert, KCH, 489. 177 W. Elert, KCH, 2. Vgl. auch aaO, 3 f. 490 f. 178 W. Elert, Forderung, 419. 179 W. Elert, Forderung, 418. 180 W. Elert, Irrwege, 18.
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hatte Elert auch bereits vor 1919 wahrgenommen.181 Die Diagnose des Sinnfindungsbedürfnisses wird beibehalten. Die damit verbundene Sinnfrage bleibt also bei Elert aktuell. Sie ist jedoch durch die Rahmenbedingungen – durch die gesamtkulturelle Pluralisierung und, in deren Innenseite, durch die persönliche Fragmentierung – verschärft worden, so daß Relativität und Skepsis mehr denn je zur individuellen Verunsicherung und zur Erfahrung von Sinnlosigkeit beitragen. In keinem kulturellen Bereich existieren mehr letzte Wahrheiten. Alles ist „relativ wahr“.182 Wenn aber alles nur relativ wahr ist, scheint ein Wahrheitsanspruch etwas Beliebiges geworden zu sein. Man wird gegen ihn grundsätzlich skeptisch, so daß folgendes Verhalten Elerts zeittypisch zu sein scheint: „,Kann sein, daß ihr Recht habt! Es kann aber auch anders sein. Es kommt eben auf den Standpunkt an!‘“183. War die Wahrheitsfindung in der Zeit bis 1918 abhängig von weltanschaulichen Voraussetzungen, die man mit anderen teilte, vom gesellschaftlichen Milieu, in dem man sich bewegte, also abhängig von „bestimmt gegebenen Vordersätzen“, so ist sie nun abhängig von der Ästhetik des Einzelnen.184 Die Sinnfrage stellt sich für den Einzelnen also nicht mehr wie vor dem Krieg nur durch die Fragwürdigkeit eines rein immanenten Weltbildes, wie es die monistischen Weltanschauungen propagierten.185 Vielmehr destabilisiert die Pluralität als solche in ihrer durch sie ausgelösten Relativität und Skepsis zusätzlich jegliche Form potentieller Sinngebung und überläßt sie dem Gefühl des Einzelnen. Trotz oder aber gerade wegen der persönlichen Innenseite gesamtgesellschaftlicher Pluralisierung, also wegen des durch den Individualitätsverlust ausgelösten Sinnverlustes, diagnostiziert Elert weiterhin ein Bedürfnis nach Transzendenz, ein „Verlangen nach Metaphysik“186, das als antirationalistische wie antiethizistische Chiffre für Sinn und Geschmack für das Ungeteilte ausgelegt wird und das deshalb nur noch in ästhetischen Kategorien einholbar ist.187 181 182 183 184 185 186 187
Vgl. dazu oben S. 66 ff. W. Elert, Forderung, 403. W. Elert, Forderung, 420. W. Elert, Rudolf Rocholls, 47. Vgl. oben v. a. S. 66 ff. 132 ff. W. Elert, Dogma, 7. Für diese Beobachtung spricht auch, daß Elert im „Kampf“ die Rationalisierung, Moralisierung und auch die Ästhetisierung des Christentums kritisiert (vgl. etwa KCH, 14), aber zugleich gegen Ende seiner Darstellung – gleichsam
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Was bestehen bleibt, ist also die individuelle Sehnsucht nach dem absolut Wahren, der Wunsch nach haltbarer, nicht relativierbarer Vergewisserung, die jeder Skepsis standhält. Es ist die Notwendigkeit einer transzendenten Deutung der Wirklichkeit, wie sie alle vollwertigen, zur Sinnvermittlung fähigen Weltanschauungen unternehmen.188 Die Vielfalt der transzendenten Deutungen der Wirklichkeit aber hat die Tragfähigkeit einer derartigen Sinngebung für den Einzelnen relativiert. Die Diagnose der zur Sinnvermittlung notwendigen transzendenten Deutung der Wirklichkeit, die Elert ja bereits im Zusammenhang seiner geschichtsphilosophischen Arbeiten gestellt hatte, wird beibehalten189 und weist in einer anscheinend abermals gesteigerten Weise auf ein allgemeines Transzendenzbedürfnis seiner Zeitgenossen hin: „Kein Zeitalter ist so auf Sehnsucht nach der Welt Gottes angewiesen, wie dasjenige, welches unsere diesseitige Welt restlos kennen gelernt hat. Gerade weil wir in der Welt keine Geheimnisse mehr
als Empfehlung für die Gegenwart – lediglich von einer „Überwindung des Rationalismus“ (aaO, 447 ff.), einer „Überwindung des Ethizismus“ (aaO, 453 ff.) und der „Überwindung des Immanenzgedankens“ (aaO, 461) spricht, jedoch nicht – wie seine Darstellung der Aufklärungszeit (vgl. aaO, 9 ff.) es eigentlich erwarten ließe – von einer ‘Überwindung des Ästhetizismus’. Dieselbe Inkonsequenz, ja Widersprüchlichkeit spiegelt sich so auch in Elerts ambivalenter Schleiermacherwürdigung : Einerseits stellt Elert fest, daß die autonom gewordenen Größen der Vernunft, der Moral, aber auch die des Gefühls die Selbständigkeit und Eigenständigkeit des Christentums seit dem Ende des 18. Jahrhunderts gefährden (vgl. KCH, 9 – 21. 12 – 15), und sieht bei Schleiermacher die Möglichkeit der Abhängigkeit des Christentums vom autonomen Gefühl auf dem Wege der Ästhetisierung (KCH, 4. 37. 49). Andererseits aber diagnostiziert er eine – wie er bereits 1912 vermerkte – im „einseitigen Erfahrungssubjektivismus Schleiermachers“ gegründete (W. Elert, Grenzen, 244) theologische Insuffizienz jedenfalls des jungen Schleiermachers (vgl. KCH, 49 ff. 58 ff.). Diese Widersprüchlichkeit in Elerts Schleiermacherwürdigung wird sich eklatant auf die Widersprüchlichkeit seines apologetischen Programms auswirken, in dem er eine Ästhetisierung des Christentums als ungute Synthese ablehnen wird, aber zugleich die Selbständigkeit des Christentums allein durch den Rekurs auf das Transzendenzgefühl gewährleistet sieht. Vgl. dazu auch unten S. 266. 188 Vgl. dazu oben S. 105 ff. 112 ff. 145 ff. 189 Vgl. W. Elert, Untergang, 6: Wie „wir längst wissen, [ist] die objektive Geschichte überhaupt unzugänglich“, die Wahrnehmung des Sinns der Geschichte ist stets abhängig von der „eigenen axiologischen Grundeinstellung“; „daraus folgt, daß die Erkenntnisfragen von jeder ernsten Geschichtsanschauung unabtrennbar sind“.
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III Die Zeit von 1919 – 1923
kennen, gerade deshalb zieht es uns hinab oder hinauf zu dem Geheimnis außer der Welt“190. Hierin verrät sich doch Elerts Annahme einer über die postmodern anmutende Diagnose der Merkmallosigkeit der Zeit hinausgehende „seelische Gemeinsamkeit“ der Zeitgenossen, die sich in der Abwendung von einer durch Vernunft und Moral diktierten Stimmung ausdrückt;191 „die Entfernung von Kant kann nicht mehr geleugnet werden“192. Der Neuromantiker Elert, der bei Rocholl die „Rätsel der Geschichte“ kennengelernt hatte, sieht sich von Spenglers Hinweis auf die „Gewalt des Unsinns in der Geschichte“ in der antiidealistischen Wahrnehmung der Dominanz des Irrationalen darin bestätigt, daß es „keinen Sinn in der Menschengeschichte“ gibt193 und spürt nun eine gegen die Rationalisierung und Ethisierung des Daseins gerichtete irrationale Grundstimmung seiner Zeitgenossen, die sich in der „Präponderanz des Ästhetischen“, in „Äußerungen mystischer Erlebnisreligiosität“ und in dem „Durst nach Metaphysik“ offenbart.194 Die Vielfalt irrationaler Strömungen auf der religiös-weltanschaulichen Landkarte, die – im Bannkreis der Ideen Schopenhauers und Nietzsches ins Leben gerufen – sich in ihrer Vorliebe für das „Geheimnisvolle“, das „Esoterische und Mysteriöse“ oder in dem Interesse an „,okkulten‘ Erscheinungen“ äußern, scheinen dies zu bestätigen.195
190 191 192 193
W. Elert, Forderung, 434. W. Elert, Forderung, 388. W. Elert, Reduktion, 421. Vgl. aaO, 421 f.; ders., KCH, 486 ff. W. Elert, Rudolf Rocholls, (117 ff.) 117; ders., Untergang, 21; vgl. auch aaO, 7. Bezeichnend hierzu: W. Elert, Untergang, 7: „Hegel, der Rationalist, wußte alles […]. Spengler dagegen steht wie ein Kind vor den großen Irrationalitäten des Daseins. Er eilt und irrt mit den Fragen nach ihrem Woher und Warum […]. Sein ganzes Werk enthält eine einzige große Frage, die er nicht ausspricht, weil er sie doch nicht beantworten kann. Aber eben sie ist es, die den Christen wie Heimatluft anmutet“. 194 W. Elert, Reduktion, 421. Vgl. ders., KCH, 310 ff.: Bereits In der Zeit nach 1870 erweist sich das „ästhetische Empfinden“ als ein „beherrschendes Motiv der Lebensgestaltung wie der Weltanschauung“ (aaO, 310). Obgleich – und in diesem Urteil scheint sich Elerts apologetisches Programm abzuzeichnen – „diese eigentümlich ästhetisch bestimmte Weltanschauung […] mit dem Christentum keineswegs unverträglich“ (aaO, 311) ist, zeigt sich in ihr zunächst die bloße „Empfänglichkeit für reine Stimmungswerte“ (aaO, 311 f.), die vornehmlich kritisch bedacht werden (vgl. aaO, 336 ff.). 195 W. Elert, KCH, 355 f. Vgl. aaO, 350 ff.
2. Elerts Zeitdiagnose
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2.3.10. Aktualisierung des apologetischen Programms? Auf diesen mutmaßlichen Zeitgeist sucht Elert zeitgleich mit seiner Erlebnistheologie und der Veränderung seines apologetischen Programms einzugehen.196 Denn „dieses Eingeständnis der Unerkennbarkeit letzter Zusammenhänge in der Weltgeschichte“197, „das resignierende Eingeständnis, daß in dem Kampf zwischen Sinn und Unsinn ein immanenter Sinn höherer Ordnung nicht erkennbar ist – das ist es ja gerade, was uns als Christen zu dem Bekenntnis veranlaßt, diesen uns unerkennbaren Sinn ins Transzendente, in Gott zu verlegen“198. Die Relativität und Skepsis des Zeitalters wird von Elert negativ als Dekadenz betrachtet und besonders wegen ihrer das Individuum verunsichernden Wirkung kritisch bedacht. Aber zugleich bewirkt diese Situation das Bedürfnis nach Deutung des Irrationalen. So zieht der Apologet Elert aus Spenglers Lehre die Schlußfolgerung: Jeder „echte, aus immanenter Weltbetrachtung geborene Skeptizismus vertreibt nicht die Frömmigkeit, sondern ist deren Anfang“199. Die Relativität und Skepsis des Zeitalters birgt also für Elert die Möglichkeit, die „Sehnsucht nach ihm, dem fernen, fernen Gott“200 wiederzubeleben. So findet sich Elerts Interesse an dem Phänomen der Sinnstiftung durch transzendente Deutung der Wirklichkeit, wie er es in seinen Untersuchungen der erkenntnistheoretischen Voraussetzungen geschichtsphilosophischer Arbeit und in der Untersuchung der psychischen Äußerungen subjektiver Transzendenzerlebnisse in seinen religionspsychologischen Arbeiten vor dem Ende des Ersten Weltkrieges bekundet hatte, auch in seiner Zeitdiagnose Anfang der Zwanziger Jahre. Hatte er jedoch früher – besonders in der Klärung der „erkenntnistheoretischen Voraussetzungen der Historik“201 – versucht, mit geisteswissenschaftlicher Methode das Christentum als eine Weltanschauung inmitten der Pluralität von Weltanschauungen zu plausibilisieren, so sind nun durch die Diffusion der untergehenden Kultur, 196 197 198 199
Vgl. v. a. W. Elert, Dogma, 7. W. Elert, Untergang, 57. W. Elert, Untergang, 22. W. Elert, Untergang, 57. Elert wird diesen skeptizistischen Ansatz massiv ausbauen bis hin zu seiner Darstellung des „agnostizistischen Determinismus“ als die dem lutherischen Glauben notwendig vorausgehende immanente Weltwahrnehmung in der „Morphologie“ (ML I, 361). Dazu auch unten S. 197 ff. 200 W. Elert, Forderung, 435. 201 W. Elert, Prolegomena, 4.
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durch die Relativität und Skepsis jeglicher Wahrheit und durch die scheinbare Unmöglichkeit, die gegenwärtige Lage rational zu durchdringen, die Weichen anders gestellt. Deshalb sieht Elert die „Bedeutung der Anschauung Spenglers“ auch gerade darin, „daß es keine wissenschaftliche Instanz zur Entscheidung der letzten Existenzfragen der Seele, der sich alle unterwerfen müßten“, gibt; nicht „einmal die Mathematik, nicht einmal die Logik kann dafür gelten, denn jede Kultur schafft sich eine andere Mathematik und eine andere Logik, geschweige die Erkenntnistheorie Kants oder die Naturwissenschaft oder der Idealismus“202. Mit dieser Einschätzung gibt Elert zugleich auch sein früheres apologetisches Ziel einer Plausibilisierung des Christentums als einer nach erkenntnistheoretischen Maßstäben formal zureichenden Weltanschauung auf.203 Da sich aber die Rahmenbedingungen verschärft haben, muß sich – analog zur Diagnose – die Form der Therapie ebenso verschärfen; sie kann sich aber nicht auf das unabwendbare Schicksal des Untergangs der Kultur im Ganzen beziehen, sondern lediglich auf das Schicksal des Einzelnen. Da Elert in seiner Gegenwart restlos alles, also auch die transzendente Sinnvergewisserung, immanentisiert sieht,204 kann in seinen Augen der früher erfolgte schlichte Hinweis auf die für Sinnstiftung notwendige transzendente Deutung der Wirklichkeit nicht mehr ausreichend sein. Die apologetische Möglichkeit, sich „in die unangreifbaren Gefilde der Transzendenz zurückzuziehen“205, wie es Elert in gewisser Weise selbst im Umgang mit den monistischen Weltanschauungen praktiziert hatte, wird nun kritisch betrachtet. Schlichte Transzendenz kann deshalb auch nicht mehr das Allheilmittel sein, da auch sie in ihrer Pluralität auf historischem oder psychologischem Wege durch die Skepsis und Relativität immanentisiert wird.206 202 W. Elert, Grützmachers, 400. Vgl. ders., KCH, 326 ff. 203 Vgl. zu diesem Programm oben S. 110 f. 145 ff und zu Elerts Abrücken von diesem Programm unten S. 252 ff. 204 Vgl. dazu Elerts Feuerbachdarstellung: KCH, 171 ff. Vgl. auch ders., Forderung, 420: Die im Anschluß an Kant entstandene „Gottesvorstellung“ sei deshalb „absolut falsch, weil sie Gott aus innerweltlichen Gesichtspunkten erschließen will. Feuerbachs Illusionismus ist die völlig richtige Schlußfolgerung aus Kants Gottespostulaten“. Vgl. weiter Elerts diesbezügliche Gegenwartswahrnehmung (Forderung, 418): „Man wird allen Aeußerungen des Christen über sich selbst mit dem psychologischen Axiom begegnen, daß der gesamte psychische Bestand des Menschen ein Komplex immanenter Relationen sei“. 205 W. Elert, Reduktion, 415. 206 Vgl. W. Elert, Forderung, 418.
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Vielmehr bedarf es inzwischen – was immer das sein mag – „echte[r] Transzendenz“, um ein „echtes Transzendenzgefühl“207 zu erreichen. Elert spricht nun von der „absolute[n] Transzendenz Gottes“208, da Gott eben nicht ,nur‘ transzendent ist, sondern – wie man zu Anfang der Zwanziger Jahre zu sagen pflegte – „schlechthin transzendent“.209 Elert scheint hier eine apologetische Notbremse zu ziehen und analog zu den Anfängen der Dialektischen Theologie den deus ex machina auf die Bühne der Gegenwart zu zitieren:210 „Es gibt nur eine Möglichkeit und eine Hoffnung. Es müssen sich Kräfte bemerkbar machen, die nicht von dieser Welt sind“211. Diesen extramundanen Kräften versucht Elert nun in seiner Erlebnistheologie auf den Grund zu kommen.
3. Elerts Erlebnistheologie 3.1. Aspekte der Erlebnistheologie 3.1.1. Das Kriegserlebnis Die Erfahrungen des Krieges, die sich in seinen Frontberichten spiegeln,212 führen Elert unter Aufnahme der religionspsychologischen Arbeit von Rudolf Otto zu einem auffälligen Ausbau seines erfah207 208 209 210
W. Elert, Transzendenz, 536 f. W. Elert, Untergang, 57. W. Elert, Forderung, 420. Elert sieht das Gemeinsame des theologischen Neuaufbruchs nach dem Ersten Weltkrieg gerade in der Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der „Transzendenz“, die gegen „die Theologie Ritschls und seiner Schule […] heute Theologen aller Lager“ zusammenschließt (Transzendenz, 540): „Bei Ausschaltung aller Einzelheiten ist es zuletzt die Transzendenz Gottes, die den hier reifenden Früchten der Theologie ihren eigentümlichen Glanz gibt“ (Transzendenz, 522). Vgl. schon oben S. 173. 211 W. Elert, Forderung, 419. 212 Elerts Frontberichte aus den Jahren 1914 – 1918 sind abgedruckt in: Kirchenblatt für die Evangelisch-lutherischen Gemeinden in Preußen [KELGP], Breslau. Zu den einzelnen Berichten vgl. die vollständigen Angaben unten im Literaturverzeichnis. Mittlerweile sind die bei H. Wagner (Bibliographie, 411) und R. Hauber (Werner Elert, 138 – 146) noch nicht aufgeschlüsselten bibliographischen Angaben vervollständigt: Vgl. dazu A. v. Scheliha, Glaube, 278 Anm. 19. 353. Breit zitierte Beispiele aus Elerts Frontberichten finden sich bei A. v. Scheliha (Glaube, 295 – 297) und T. Gerlach (Verborgener Gott – Dreieiniger Gott. Ein Koordinationsproblem lutherischer Gotteslehre bei Werner Elert, 1998), 374 – 382.
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rungstheologischen Ansatzes. „Was wir bei Ausbruch der Krieges […] befürchteten, ist in höherem Maße eingetroffen, als sich ein Mensch im Anfang auszudenken vermochte“:213 „Es war fürchterlich“214. Der Krieg, so bekennt Elert bereits 1917, sei ihm zum „Lehrmeister“ geworden.215 Die Erfahrung der „Tragik des allzufrühen Sterbens“, das „Schlachtfelderlebnis“,216 kurz: die Unmöglichkeit, das Geschehene rational zu verarbeiten, bestärken ihn, die irrationalen, affektiven Momente des Glaubens in ihrer ambivalenten Grundstruktur – wie sie als Bestandteil der romantischen Tradition, der „antirationalen Erlebniskultur oder wie man sonst die Bewegung bezeichnen will, die nachher in die Romantik ausläuft“217, und ihm durch Rocholl vertraut waren – in ihrer fundamentalen Bedeutung für die Theologie fruchtbar zu machen.218 Der Krieg hat in Bezug auf die individuelle religiöse bzw. areligiöse Verfassung der Menschen „verstärkend“ gewirkt.219 Religiöse Begriffe wurden durch ihn mit Anschauungen gefüllt, ja sind zur lebendigen Wirklichkeit geworden: „Für alle aber […] hat diese Zeit nichts so zur zwingenden, anschaulichen Wirklichkeit werden lassen wie die Begriffe Sterben und Ewigkeit, Reue und Angst, Glaube und Begnadetsein“220.
213 W. Elert, Die Stellung der altlutherischen Feldprediger, 302 f. Diesen durch die Kriegserfahrungen ausgelösten Wandel der Einschätzung des Krieges beschreibt Elert als einer der „Übriggebliebenen“ in einem Zeitungsartikel von 1917: „Als man einst in den Krieg zog, wußte man zwar, es werde ‘Blut’ kosten. Aber ohne viel Nachdenken rechnete man so, es seien eben ein paar Pechvögel darunter, die es treffen würde. Der Musketier, der heute Nacht in Stellung geht, denkt anders. Er weiß es besser. Er weiß, daß das Sterben nicht eine Ausnahme, sondern die Regel ist“ (W. Elert, „Die Übriggebliebenen“, in: Der Tag, Ausgabe vom 12. 12. 1917, Titelseite). 214 W. Elert, Feldpredigerbericht, in: Kirchenblatt für die evangelisch-lutherischen Gemeinden in Preußen, 70 (1915), 86. 215 W. Elert, Die Stellung der altlutherischen Feldprediger, 311. 216 W. Elert, Transzendenz, 529 f. 217 W. Elert, KCH, 12. 218 Zu R. Rocholl vgl. oben S. 90 ff. Dazu L. Langemeyer, Gesetz, 21 f. 46; M. Roth, Erlösungshoffnung, 28 Anm. 135. Zum allgemeinen Hintergrund, insbesondere zur Verbindung von Irrationalismus und Kriegserlebnis in den 20er Jahren: K. Sontheimer, Antidemokratisches Denken, 43 ff. 115 ff. 219 W. Elert, Steigerung, 157. Vgl. dazu ausführlich oben S. 132 ff. 220 W. Elert, Kriegsmitteilungen aus dem evang.-lutherischen Studentenverein „Philadelphia“, abgedruckt in: AELKZ 50 (1917), 1196. Dazu kritisch: K. Hammer, Deutsche Kriegstheologie. 1870 – 1918, München, 1971, 148.
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3.1.2. Ambivalenz der Gotteserfahrung Im Gegensatz zu seiner Arbeit vor dem Ersten Weltkrieg, in der der Begegnung mit dem Transzendenten vornehmlich die Funktion einer positiven Daseinsvergewisserung zukam und das Transzendenzerlebnis ausschließlich positive Gefühle hinterließ,221 zeigt sich bei Elert nun eine deutliche Verschiebung: Die Erfahrungen des Krieges, die Zweischneidigkeit des – inhaltlich – neutralen Spenglerschen Schicksalsbegriffs sowie besonders die Bestimmung des religiösen Grundgefühls durch Rudolf Otto in seiner ambivalenten Grundstruktur – nicht nur als fascinosum, sondern auch als tremendum –222 veranlassen Elert, das Transzendenzerlebnis nun in der Ambivalenz seiner Wirkung zu beschreiben: Die Transzendenzbegegnung hinterläßt im Subjekt nicht mehr nur eine positive Daseinsvergewisserung, sondern eine ambivalente Gotteserfahrung, den „doppelten Affekt“ von „Reue“ und „Vertrauen“,223 von „Sündenbewußtsein und Gnadenbewußtsein“,224 221 Vgl. v. a. W. Elert, Geschichtsauffassung. Das Transzendenzerlebnis verbürgt hier nahezu uneingeschränkt die „Gewißheit teleologischer Bestimmung des individuellen Lebens“ (aaO, 345) und hinterläßt so „ein Gefühl dankbarer Sicherheit“ (aaO, 346); „dunkles, trübes Leid“ (aaO, 341) hingegen, ja das „Grauen“ ist die Folge menschlicher Existenz ohne Transzendenzerlebnis (aaO, 347). Vgl. dazu auch N. Slenczka, Selbstkonstitution, 39 f. Anm. 54. 55. 222 Vgl. R. Otto, Das Heilige, v. a. 13 ff. 42 ff. Zu Elerts meist anonym bleibender Ottorezeption sei beispielhaft nur folgende Stelle zitiert: „Aber das Seltsame ist, daß das ferne Geheimnis Gottes, das uns mit seinem Zorn in Angst hält, eine unwiderstehliche Anziehung auf uns ausübt. […] Es ängstigt uns. Aber es zieht uns, wenn wir erst von ihm wissen, unwiderstehlich an.“ (Forderung, 434). Explizit zu Otto vgl. W. Elert, KCH, 140. 391. 397. 447 ff. 491; ders., Transzendenz, 527. 529 f. Der Zugang zur Arbeit Ottos dürfte Elert wohl über Karl Heim ermöglicht worden sein. Vgl. dazu W. Elert, Transzendenz, 539 Anm. 1; ders., KCH, 447 Anm 1. 447 ff. Vgl. dazu auch K. Heim, Ottos Kategorie des Heiligen und der Absolutheitsanspruch des Christusglauben, ZThK 1 (1920), 14 – 41. Zudem legt sich die Vermutung nahe, daß Elerts energischer Bezug auf Schleiermacher im Zusammenhang der Betonung der Bedeutung des Erlebnisses für Christentum und Theologie, wie er ab 1920 offensichtlich ist (vgl. dazu unten S. 207 ff.), durch die Aufmerksamkeit auf Rudolf Otto mitsamt dessen früheren Arbeiten vermittelt ist. Vgl. dazu neben R. Ottos Ausgabe von Schleiermachers Reden [Über die Religion. Reden, nach der 1. Auflage neu hg. v. R. Otto, 1899] auch dessen Aufsatz, „Wie Schleiermacher die Religion wiederentdeckte“, CW 17 (1903), 506 – 512. Dagegen spricht auch nicht, daß Elert bereits 1911 Schleiermacher große Sympathien entgegenbrachte. Vgl. dazu W. Elert, Im Kampf, 107. Zur Bedeutung von R. Otto bei W. Elert vgl. v. a. unten S. 198 Anm. 227. 268 f. 223 W. Elert, Dogma, 34.
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die sich in Gefühlen der „Angst“ und des „Frieden[s]“ spiegelt.225 Wenn der Christ „auch in einem festen, positiven Verhältnis zu Gott“ steht, so ist doch die primäre Wirkung des Erlebnisses der „Transzendenz Gottes“ das „Grauen“,226 das den „Vorhof“ zu Christus bildet, durch den „der verborgene Gott offenbar, der zürnende Gott versöhnt“ ist227. Der 224 W. Elert, Dogma, 35. 225 W. Elert, Forderung, 435. Vgl. auch W. Elert, Transzendenz, 540 f. Es ist immer wieder vermutet worden, daß Elert schon in jungen Jahren unter dem Einfluß der Lutherdeutung von Theodosius Harnack stehe. So etwa auch noch S. A. Eyjólfsson, Rechtfertigung und Schöpfung, 16 f. Erhärten läßt sich diese Vermutung jedoch keineswegs. Anfang der Zwanziger Jahre ist bei Elert noch nichts vom späteren Einfluß von Theodosius Harnack und dessen Rede von Zorn und Gnade zu bemerken. Explizit wird der Bezug Elerts auf Harnack erst 1928 mit seiner Rezension „Theodosius Harnack, Luthers Theologie“, ThLBl 49 (1928), 330 – 332. Bezeichnenderweise kommt der Exkurs von T. Gerlach „Duale Grundstrukturen lutherischer Theologie (Th. Harnack)“ (T. Gerlach, Verborgener Gott – Dreieiniger Gott. Ein Koordinationsproblem lutherischer Gotteslehre bei Werner Elert, 1998), 401 – 419), der ebenfalls in Harnack einen „(verheimlichten) theologischen Lehrer Elerts“ sieht (aaO, 401), zu keinem Ergebnis. Nach einer Darstellung der Theologie Harnacks (aaO, 401 – 417) setzt Gerlach mit der oben genannten Rezension Elerts an, um „Übereinstimmungen zwischen Harnack und Elert“ und „Charakteristische Differenzen“ zu notieren (aaO, [417 – 419] 417. 419). Die – nicht ausgewiesenen – Übereinstimmungen beziehen sich ausschließlich auf den Elert der „Morphologie“ und den der Dogmatik „Der christliche Glaube“. Am Ende gibt dann auch Gerlach zu, „daß noch so große Übereinstimmungen eine direkte geistesgeschichtliche Abhängigkeit nicht im strikten Sinne zu ‘beweisen’ vermögen“; die „einfachste Hypothese“ sei dann doch die, Elert habe als Student in Erlangen „das Werk des seinerzeit berühmten Erlanger Professors gelesen“ (aaO, 419). Dennoch meint Gerlach, von „1924 an“ eine „von Theodosius Harnack inspirierte[…] lutherische[…] Theologie bei Elert zu finden (aaO, 54). Zur vermuteten Abhängigkeit Elerts von T. Harnack vgl. auch N. Slenczka, Selbstkonstitution, 55 Anm. 90. 175 ff. Anm. 121. 226 W. Elert, Transzendenz, 539. 227 W. Elert, Transzendenz, 541. Elerts Rede vom „deus absconditus“ hat in dieser Zeit noch längst nicht die tragende Bedeutung, die ihr später zukommen wird (vgl. nur ML I, 15 ff.); daß das Gesetz und mit ihm die Erfahrung des deus absconditus lediglich einen „Vorhof“ auf dem Weg zum Evangelium darstellt, ist nach der späteren Theologie Elerts schlechterdings undenkbar (vgl. etwa W. Elert, Gesetz und Evangelium, 165: Es „bleibt auch für den Christen zwischen Gesetz und Evangelium der unversöhnliche Gegensatz bestehen“; vgl. ders., CG, 137 – 191); das oben genannte Zitat Elerts scheint vielmehr Folge einer noch unverarbeiteten Anregung durch R. Otto zu sein (vgl. R. Otto, Das Heilige, 119 ff.), die im Schatten der „Überwindung des Rationalismus“ durch Otto (KCH, 448; vgl. aaO, 447 ff.) von Elert mitrezipiert wird. Auffallend
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christliche Glaube ist also vornehmlich die „Frucht der faszinierenden Rätselhaftigkeit Gottes“.228 Das Transzendenzerlebnis eröffnet ein mysterium tremendum et fascinosum.
hierbei ist ebenso, daß die Schilderung des Urerlebnisses in der Morphologie stark an R. Otto erinnert (vgl. R. Otto, Das Heilige, 122) und daß Elerts spätere Lutherdarstellung – ebenso wie die von R. Otto (vgl. Das Heilige, 116 f.) – ihren Ausgangspunkt nicht etwa in Luthers Freiheitsschrift, sondern in „de servo arbitrio“ nimmt. Vgl. dazu W. Elert, ML I, 15 ff. Umfassend zur Wirkungsgeschichte von de servo arbitrio: T. Reinhuber, Kämpfender Glaube. Studien zu Luthers Bekenntnis am Ende von De servo arbitrio, TBT 104, Berlin u. a., 2000. Zur Wirkung bei Elert insbesondere vgl. aaO, 112 f. 169. 209. Die oben genannte Benennung der Erfahrung des deus absconditus als „Vorhof“ zum Evangelium findet sich interessanterweise bei K. Heim wieder (zum Einfluß von K. Heim auf Elert vgl. oben S. 132 Anm. 389; S. 186 Anm. 152; S. 197 f. Anm. 222 und unten S. 268 f.): „Wenn wir diesen Weg Spenglers […] geführt werden, vom Relativismus zur Neuentdeckung des Schicksals, das uns in seiner rätselhaften Unerbitterlichkeit in der Hand hat, dann sind wir noch nicht bei Gott. Aber wir stehen in der Vorhalle. […] Wir sind mit der namenlosen Macht in Berührung gekommen“ (K. Heim, Der Schicksalsgedanke als Ausdruck für das Suchen der Zeit (1921), in: ders., Leben aus dem Glauben, Berlin, 1932, (161 – 183) 172). Neben der Stelle aus Elerts Aufsatz „Transzendenz“ kommt der Begriff des ‘verborgenen Gottes’ erstmals 1922 bei Elert vor (Forderung, 420). Auch an dieser Stelle unterliegt der Begriff einer für den späteren Elert untypischen Verwendung; er wird lediglich dazu verwendet, eine Art Unnatürlichkeit Gottes, seine „Transzendenz, seine Jenseitigkeit im strengen Sinne zu bekennen“ (aaO). Der Begriff des verborgenen Gottes wird von Elert noch nicht auf den christlichen Glauben bezogen, sondern dient vielmehr lediglich dazu, die Existenz von Nichtchristen zu beschreiben: als eine Existenz ohne Anerkennung des „Gott[es] der Offenbarung“ (aaO), die dennoch eine Existenz unter Gott ist, was ihnen jedoch „unerkannt“ (aaO) bleibt. Bezeichnenderweise nimmt die ausführliche Studie von Thomas Gerlach (Verborgener Gott – Dreieiniger Gott. Ein Koordinationsproblem lutherischer Gotteslehre bei Werner Elert, 1998) ihren eigentlichen Einsatz mit der Auseinandersetzung mit Elerts „Lehre des Luthertums im Abriß“ (1924). Vgl. aaO, 69 ff. Uneigentlich werden die Aufsätze „Transzendenz“ und „Forderung“ von Gerlach mitherangezogen (vgl. aaO, 51 ff.); es wirkt jedoch untertrieben, wenn Gerlach zum Ergebnis kommt (aaO, 63): „Dem Begriff der ‘Verborgenheit Gottes’ kommt in der Frühzeit Elerts [also vor 1924] noch keine zentrale Funktion zu“. Zu Elerts – nicht vor 1924 hergestellten – Verbindung des Schicksalsbegriffs und der Rede des deus absconditus vgl. auch I. Klaer, Art. Schicksal. III. Systematisch-theologisch, TRE 30 (1999), (110 – 116) 112. 228 W. Elert, Transzendenz, 540.
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3.1.3. Die Unerkennbarkeit eines immanenten Sinns Trotz aller Veränderungen und Verschiebungen fällt vornehmlich die Beibehaltung des Insistierens auf der Notwendigkeit einer transzendenten Erfahrung für eine Sinnvermittlung auf, wie sie Elert früher in seinen geschichtsphilosophischen Arbeiten als formale Anforderung einer jeden weltanschaulichen Beantwortung der „Frage nach dem Sinn der Geschichte“ formuliert hatte.229 In seinem Urteil, daß in Anbetracht des Irrationalen Sinn im umfassenden Maße auf immanentem Wege nicht gefunden werden kann, sieht sich Elert durch Spenglers „Eingeständnis der Unerkennbarkeit letzter Zusammenhänge in der Weltgeschichte“ bestätigt;230 die Erfahrung der Irrationalität des Daseins ist es, die den Menschen „aus dieser Welt hinaustreibt und ihn vor die absolute Transzendenz Gottes stellt“.231 Spenglers „wahre Größe“ liegt deshalb gerade darin, daß er jede Aussage über den möglichen „Sinn in der Weltgeschichte“ verweigert und dadurch „mit der zarten Scheu des wahrhaft frommen Menschen“ zu erkennen gibt, daß er „in aller gespannten Disharmonie dieser Zeit ein transzendentes Ebenmaß ahnt“. Denn – so Elerts Spenglerinterpretation – „das resignierende Eingeständnis, daß in dem Kampf zwischen Sinn und Unsinn ein immanenter Sinn höherer Ordnung nicht erkennbar ist – das ist es ja gerade, was uns als Christen zu dem Bekenntnis veranlaßt, diesen uns unerkennbaren Sinn ins Transzendente, in Gott zu verlegen“.232 229 W. Elert, Prolegomena, 26. Diese Linie der Kontinuität zeigt sich besonders deutlich in: W. Elert, Untergang; ders., Transzendenz. 230 W. Elert, Untergang, 57. 231 W. Elert, Untergang, 57. 232 W. Elert, Untergang, 57. 21 f. Die spätere Schilderung des pessimistischen, skeptizistischen Selbstverständnisses des lutherischen Menschen als Grunderfahrung unter dem Gesetz (vgl. ML I, 31. 39. 43 f.) – kulminierend in der These, der „agnostizistische Determinismus“ sei „die einzig mögliche und die einzig richtige Interpretation der Weltwirklichkeit“ (ML I, 361) – zeichnet sich in Elerts Spenglerrezension schon deutlich ab: Jeder „echte, aus immanenter Weltbetrachtung geborene Skeptizismus vertreibt nicht die Frömmigkeit, sondern ist deren Anfang. Es wäre auch ein trostloser Beweis für die Engigkeit des christlichen Gottesglaubens, wollten wir im Namen unserer Religion gegen Spenglers angeblichen Pessimismus protestieren“ (Untergang, 57). Vgl. dazu W. Elert, ML I, 43: Luther sei „davon überzeugt, daß das natürliche Denken und Erleben des Menschen, wenn es wirklich zu Ende gedacht und erlebt wird, wenigstens in Trostlosigkeit endigen muß, und daß demnach ein Optimismus, der nicht im Evangelium begründet ist, auf Selbsttäuschung beruht“. Zu Elerts Verhältnisbestimmung von Optimismus und Pessimismus vgl. ders., Christus
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3.1.4. Die immanente Bedeutsamkeit des Transzendenzerlebnisses Das „Erlebnis der Transzendenz Gottes“, das „Transzendenzgefühl“233, ist das von Elert betonte Mittel, durch das das Individuum vor der Verunsicherung, vor dem Hineingezogenwerdens in den „Strudel“ der untergehenden westlichen Kultur234 bewahrt werden soll. Es entspricht zugleich der verbreiteten Vorliebe für das Ästhetische sowie für das Erlebnis und dem in der Kriegsgeneration verbreiteten, „neuerwachte[n] Gefühl für die Transzendenz Gottes“235. Zudem hilft es – da ein Erlebnis stets etwas genuin Persönliches darstellt – gegen die „Langerweile“ [sic!] 236 einer restlos erklärten Welt, gegen die völlige Immanentisierung des Daseins.237 Die Dimension des Erlebnisses garantiert somit in der ihr inhärenten Personalität die menschliche Individualität und sichert sie vor rationaler wie ethischer Funktionalisierung und Auflösung in einem Gesamtkontext, dessen Zusammenhang gerade vom Individuum nicht mehr synthetisierbar, geschweige denn erlebbar ist. Nicht die rationale Reflexion der Religion, sondern ihr je gegenwärtiges Erleben hat für den Menschen einen „unmittelbaren Wirklichkeitswert“.238 Da das persönliche Transzendenzerlebnis von Elert besonders in seiner Wissen und Tun bestimmenden Weise ausgelegt wird, ja „die ganze unser geistiges Dasein begründende Wirklichkeit im individuellen Erlebnis liegt“,239 kommt ihm eine lebensbestimmende Funktion zu: Der Mensch in all seinen immanenten Bezügen ist primär durch solches Erlebnis bestimmt; die Erlebnistheologie zielt dadurch auf Sicherung der Individualität und versucht dadurch jenem Bedürfnis zu
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im Abend Europas (1926), 361 – 376. Vgl. auch ders., Grützmachers Kritik, 391; ders., LLA, 120 ff.; Zu Resignation und Pessimismus vgl. auch: W. Elert, CE, 338 ff. Z.B. W. Elert, Transzendenz, 541. 546. W. Elert, KCH, 489. W. Elert, Transzendenz Gottes, 529. W. Elert, Geschichtsauffassung, 347. Vgl. W. Elert, Forderung, 418 f. 420. 434. Ders., Forderung, 420: „Der Skeptiker von heute kennt […] als wissenschaftlich geschulter Mensch alle Möglichkeiten dieser Welt, alle Naturgesetze, alle Kräfte, deren Spiel ihn umgibt und trägt. Es gibt keine Ueberraschungen. Er kennt als Meteorologe die Kräfte, die Blitz und Donner hervorrufen, als Psychiater die Ursachen der Geisteskrankheit, als Astronom die Herkunft und Beschaffenheit der Kometen, als Nationalökonom die Ursachen der Teuerung, als Historiker oder Politiker die Bedingungen der Kriege“. W. Elert, Unsere Zeit vor Gott, 38. Vgl. aaO, 37 f. W. Elert, KCH, 36. Vgl. W. Elert, Dogma, 20 ff. Vgl. dazu unten S. 207 ff.
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entsprechen, dessen Befriedigung „der Mensch von der Religion erwartet, nämlich sichere Ueberlegenheit über die Welt“240. Das Christentum wird somit als eine Religion dargestellt, die das Vermögen besitzt, dem „Verlangen nach einem wahrhaften Selbst, einer weltüberlegenen Innerlichkeit auch des einzelnen Menschen“ Raum zu geben.241 3.1.5. Die Krisenresistenz des Erlebnisses Neben der Ambivalenz des Transzendenzerlebnisses sucht Elert in seiner Erlebnistheologie die in seiner Zeitdiagnose wahrgenommene Pluralität des Christentums zu erklären. Die Pluralität des Christentums, seine differenzierte „Gliederung“ wird durch eine unterschiedliche Intensität des Transzendenzerlebnisses mit „Notwendigkeit“ hervorgerufen.242 Dabei rekurriert Elert verstärkt auf die Subjektivität des Erlebnisses und betont dessen essentiellen Charakterzug als einer vorsprachlichen Tatsache, die nicht erst – wie eine umfassende Weltanschauung – plausibilisiert werden muß, um nachvollziehbar zu sein: Ein Erlebnis geschieht einfach; entweder habe ich ein Erlebnis oder aber habe ich keines: Gott allein „weiß […], was wir erleben […] werden“243. Die in der Zeitdiagnose als omnipräsent beschriebene Relativität und Skepsis244 240 W. Elert, Irrwege, 18. Auf die „sichere Überlegenheit über die Welt“ zielt das gesamte Bemühen der Theologie A. Ritschls und W. Hermanns. So zeigt sich an dieser Stelle paradigmatisch eine meist kryptisch bleibende Affinität Elerts zu kulturprotestantischen Theologen, gegenüber denen er – auf einer expliziten Ebene – ein großes, zumeist aversives Abgrenzungsbedürfnis aufweist (vgl. etwa W. Elert, Dogma, 31 f.). Zu A. Ritschl vgl. KCH, 258 ff.; zu W. Herrmann vgl. KCH, 273 f. 277 ff. 448. 471. Zur Differenz zwischen Ritschl und Herrmann vgl. KCH, 448. Auch hier ist das Kriterium das ‘rechte’ Schleiermacherverständnis, wie es für Elert in der Erlanger Theologie vorliegt (vgl. KCH, 289 f.). 241 W. Elert, Irrwege, 18. 242 W. Elert, Dogma, Vorwort. Vgl. aaO, 34 ff. Ausführlich dazu unten v. a. S. 218 ff. 243 W. Elert, Unsere Zeit vor Gott, 37. Vgl. auch Elerts Interpretation von Schleiermachers Reden (KCH, (36 ff.) 46): „Schleiermacher macht also nicht für eine Wahrheit Propaganda, sondern er führt in eine Wirklichkeit ein. Die Religion ist da, jeder echte Mensch hat sie“. Der allgemeinmenschlichen religiösen Anlage a priori korrespondiert allerdings die kontingente, „aposteriorische“ Affizierung durch die Transzendenz (aaO, 63). Zur Kritik an Elerts Schleiermacherverständnis vgl. N. Slenczka, Selbstkonstitution, 80 Anm. 28. 244 Vgl. v. a. W. Elert, Forderung, 404.
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sind auf die „Unmittelbarkeit“245 von Gefühlen, die sich je in der Gegenwart als ein „momentanes Erleben“ einstellen,246 nicht anwendbar; das Transzendenzerlebnis wird unabhängig von der Umgebung, von der Kultur, direkt „verursacht durch das Evangelium“247 und erweist sich eben dadurch als sozusagen krisensicher. Dementsprechend rückt die Kirche nun weniger denn früher als eine Weltanschauungsgemeinschaft248, sondern vielmehr als eine „Empfindungs-“ bzw. Erlebnisgemeinschaft in den Blick, als eine Gemeinschaft derer, denen dasselbe Transzendenzerlebnis in derselben Intensität widerfahren ist.249 Geschichtliche Entwicklungen und Veränderungen innerhalb einer Kirche sind verursacht durch die gemeinsame Erfahrung der „schöpferischen Kräfte des in der gläubigen Gemeinde wirksamen Geistes“, der die „Gemeinschaft“ gerade auch in der geschichtlichen „Variabilität des Gemeindeglaubens“ erhält.250 Gegen den Vorwurf der Beliebigkeit, des Subjektivismus betont Elert ebenso verstärkt das schicksalhafte Moment des Erlebnisses, die „Rezeptivität“ der Frömmigkeit, die passivische Grundstruktur des Affizierungsprozesses.251 Die Betonung dieser Passivität ermöglicht ihm zugleich, den Wahrheitsanspruch des Christentums scheinbar problemloser aufrechtzuerhalten als ihm dies zuvor mit seinem Ziel, das Christentum als eine plausible Weltanschauung zu erweisen, gelang: Es sind eben „Kräfte“, die „nicht von dieser Welt sind“252, die sich im religiösen Erlebnis bemerkbar machen und damit konkurrenzlos neben 245 246 247 248 249
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W. Elert, Dogma, 15. W. Elert, Unsere Zeit vor Gott, 37. W. Elert, Dogma, 33. Siehe dazu unten S. 222 ff. Im Jahr 1910 parallelisierte Elert noch „Kirche“ und „Weltanschauungen“ (Rudolf Rocholls, 47). W. Elert, KCH, 493. Elerts Rede von der Kirche als einer „Empfindungsgemeinschaft“ erscheint überdeckt von dem häufiger verwendeten Synonym „Erkenntnisgemeinschaft“ (aaO, 493 ff.). Mit „Erkenntnisgemeinschaft“ meint Elert jedoch nicht eine Gemeinschaft von Menschen mit vergleichbaren rationalen Erkenntnissen, sondern mit 1. Kor. 13,12 eine Gemeinschaft der Affizierten – die Gemeinschaft derer, die „von Gott erkannt“ sind (aaO, 498), denen also ein zur Gemeinschaft verbindendes Erlebnis zugrundeliegt. Kirche ist mithin eine Erlebnisgemeinschaft. Die Kirchenzugehörigkeit hängt damit nach Elert – Schleiermacher zitierend –„‘lediglich davon ab, welche Anschauung des Universums ihn zuerst mit rechter Lebhaftigkeit ergreift’“ (aaO, 497). W. Elert, Reduktion, 426 f. W. Elert, Dogma, 17. Vgl. aaO, 33. W. Elert, Forderung, 419. Vgl. oben v. a. S. 110 ff., 147 ff. und 158.
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dem stehen, was immanent erfahrbar ist: Christlicher Glaube ist nach Elert „nicht ein Produkt menschlichen Denkens, menschlicher Kultur“, sondern Produkt des im Transzendenzerlebnis zugrundegelegten „lebendigen Verkehr[s] mit Gott“253. Diese „Kräfte“ erwecken im homo religiosus eine über bloß Immanentes hinausführende Wirklichkeitswahrnehmung; denjenigen, die keine Affizierung durch die Transzendenz verspürt haben, bleibe hingegen „der wichtigste Teil der Wirklichkeit verborgen“.254 3.1.6. Transformation der apologetischen Ausgangssituation Damit beginnt der Konfrontationskurs mit nichtchristlichen Weltanschauungen, die nun ebenso wie die exakten Wissenschaften mit Spengler der untergehenden Zivilisation zugerechnet werden.255 Elert zeigt keine Ambitionen mehr, monistische Weltanschauungen auf ihre transzendenten bzw. „nichtempirischen Voraussetzungen“256 aufmerksam zu machen, um dadurch das Christentum als eine gleichwertige Weltanschauung zu erweisen. Es geht ihm nicht mehr darum, dem Christentum inmitten der Weltanschauungspluralität auf geisteswissenschaftlichem Wege ein Lebensrecht zu erhalten,257 sondern um die Gegenüberstellung von immanenter, zeitkritisch als Dekadenz diagnostizierter Weltanschauungspluralität, die zur „echten Religion“ mit ihrem „unbedingt ins Transzendente weisenden Charakter“258 keine Konkurrenz mehr darstellt, und der allein durch das Erlebnis der Transzendenz verbürgten „Wahrheit“, die ganz im Unterschied zu früher „nur eine“ sein kann.259 Ebenso wird zwischen Transzendenzerlebnis und Wissenschaft von Elert „keine Versöhnung, keine Ver-
253 254 255 256 257
W. Elert, Forderung, 419. W. Elert, Irrwege, 24. Vgl. v. a. W. Elert, Grützmachers Kritik, 399 f. W. Elert, Wendung, 471. Vgl. dazu oben S. 145 ff. Vgl. W. Elert, Irrwege, 9: „Der Christ wird sich also damit abfinden müssen, daß ihm weder die Geschichtsforschung noch die Philosophie […] einen Beweis für die Wahrheit seiner Religion führen kann“. Dies ist für Elert nicht tragisch, da ihm nun mit Spengler die Wissenschaften selber der „Wandelbarkeit vergänglicher Weltanschauungen“ unterworfen zu sein scheinen (KCH, 5). 258 W. Elert, Untergang, 40. 259 W. Elert, Irrwege, 22.
3. Elerts Erlebnistheologie
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ständigung“, keine Vermittlung mehr gesucht.260 Der früher erkenntnistheoretisch formal notwendigen ,normalen‘ – in allen vollwertigen Weltanschauungen vorliegenden – Transzendenz wird deshalb nun die „echte […] Transzendenz“ und das ihr korrespondierende „echte […] Transzendenzgefühl“ entgegengestellt.261 Diese Transformation der apologetischen Ausgangssituation hat sich bereits 1917 angedeutet: „Man streitet gegenwärtig viel über den religiösen Ertrag der Kriegszeit. Man sucht nach sicheren Anzeichen für eine Zunahme oder Abnahme der religiösen Intensität. Nun hier ist er: die Apologetik ist aus der religiösen Literatur […] so gut wie verschwunden. Ob das Christentum quantitativen Gewinn aus dem Kriege davonbringt, ist unsicher, an seiner qualitativen Erstarkung dagegen nicht mehr zu zweifeln. Eben weil wir keine Apologetik mehr brauchen. Wir sind ohne sie unseres Glaubens gewisser und froher geworden. Vor dieser Zeit erschienen uns Religion, Naturwissenschaft, Geschichte und Soziologie als Wettläufer mit ungefähr gleichen Chancen. In den drei Jahren, die wir nun in fremden Ländern vor dem Feinde stehen, haben wir Naturwissenschaft, Geschichte und Soziologie längst ,laufen lassen‘. In der hundertfachen Todesgefahr […] hat die Abstammungslehre, die Assyriologie, haben Lamprechts historische Gesetze jeden Wert verloren“, und „dem Theologen ist es mit Teilen der Theologie genau so gegangen“.262 3.1.7. Der allgemeinchristliche Charakter des Erlebnisses – wiederum kein Konfessionalismus Auffallend ist schließlich, daß Elert wie vor dem Ersten Weltkrieg seine theologische Arbeit ganz allgemeinchristlich hält; konfessionelles, gar konfessionalistisches Denken findet dabei nach wie vor keinen Raum: Der „Christ allerzeiten“263 steht im Mittelpunkt. Es interessiert Elert immer noch nicht das lutherische Erlebnis von Gesetz und Evangelium, wie er es als „evangelische[n] Ansatz“ ein gutes Jahrzehnt später be260 W. Elert, Irrwege, 21 f. Zur Neubestimmung des Verhältnisses von Glaube und Wissen sowie zur wissenschaftssystematischen Verortung der Theologie siehe unten v. a. S. 252 f. 253 ff. bzw. 289 ff. 261 W. Elert, Transzendenz, 536 f. 262 W. Elert, Kriegsmitteilungen aus dem evang.-lutherischen Studentenverein „Philadelphia“, abgedruckt in: AELKZ 50 (1917), 1196. 263 W. Elert, Dogma, 32.
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stimmen wird,264 sondern – in der von früher her gewohnten Weite und Unbestimmtheit – das allgemein „christliche Erlebnis“265, das er nach wie vor in seiner Allgemeinheit wie Allgemeingültigkeit betont. Konfessionelle Differenzen, die ihm durchaus bewußt sind und die er auch – mehr als bisher – erwähnt, dienen nicht der konfessionellen Differenzierung, sondern ganz im Gegenteil gerade dazu, das Verbindende und Gemeinsame zu veranschaulichen.266 Selbst Texte, die eine Konfessionspolemik vermuten lassen, zielen auf die Betonung der Gleichwertigkeit der christlichen Konfessionen in Bezug auf ihre Zugehörigkeit zur „catholica ecclesia“.267 Nach wie vor keine Rede von Gesetz und Evangelium! Vielmehr fällt – ganz im Gegenteil – Elerts Rede von dem „Reue“ und „Vertrauen“, „Sünden- und Gnadenbewußtsein“ als „doppelten Affekt“ verursachenden „Eine[n] Evangelium“ auf, das scheinbar schiedlich-friedlich unterschiedliche Intensitäten des Erlebnisses, also – auch konfessionell – verschiedene geschichtliche Manifestationsformen des Christentums hervorruft.268 In der momentanen Situation des „relativistischen, skeptizistischen Zeitalter[s]“ ist der breite allgemeine, nicht konfessionell spezifizierte Zugang zum Christentum zu wählen und „jeder christlichen Konfession ein ,relatives‘ Existenzrecht“ einzuräumen.269 Denn, so betont Elert zaghaft, es „erscheint ganz hoffnungslos für eine bestimmte christliche Konfession als die allein wahre Propaganda zu machen. Uns steckt ja allen jener Relativismus zu tief im Blut“270. Elert scheint es in seiner Breslauer Zeit auszureichen, die Theologie gegenüber einer allgemeinen, religionswissenschaftlichen Weite auf das christliche Erlebnis hin zu konkretisieren; der christlichen Religion ist demnach wissenschaftlich nur näherzukommen, „wenn man sich ganz bestimmt auf christliche Religion und christliche Theologie bezieht und festlegt“271.
264 Vgl. W. Elert, ML I, 13 ff. 265 W. Elert, Dogma, 33. 266 Elert benennt dazu zahlreiche Beispiele aus der Kirchengeschichte: W. Elert, Dogma, 20 ff. Zur ebenbürtigen ‘Modernität’ auch des Luthertums vgl. W. Elert, Transzendenz, 524 Anm.1. 267 Vgl. W. Elert, Märtyrer und Konvertiten, in: AELKZ 53 (1920), 241 f. Zitat: aaO, 242. 268 W. Elert, Dogma, 34 f. Vorwort. 269 W. Elert, Forderung, 404. 419. 270 W. Elert, Forderung, 419. 271 W. Elert, Transzendenz, 521.
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3.2. Der Primat des Pathos 3.2.1. Die „entscheidende Rolle“ spielt das Erlebnis Zugleich mit Elerts Zeitdiagnose, mit der Wahrnehmung der Diffusion der Kultur, der pluralen Erscheinungsweise des Christentums, der Verunsicherung des Einzelnen und der antirationalen „Präponderanz des Ästhetischen“272 exponiert Elert das Erlebnis als conditio sine qua non nicht nur aller Religion, sondern auch des Christentums.273 Pro-
272 W. Elert, Reduktion, 421. Religiöser Erkenntnis geht nach Elert prinzipiell das religiöse Erlebnis und damit auch die religiöse Erfahrung voraus, die gar das Erkennen erst als religiöses qualifiziert. Bezeichnend hierzu ist das von Elert (KCH, 289 f.) angeführte Zitat, mit dem „die Erlanger Theologen gegen alle Kantianer und Neukantianer auf seiten Schleiermachers“ traten: „Erkannt wird das Göttliche allein auf dem Wege des Erfahrens und Erlebens“. 273 Der Begriff des Erlebnisses erscheint bei Elert so zentral wie ungeklärt. „Erlebnis“ gewinnt erst zur Mitte des 19. Jahrhunderts hin eine nennenswerte Bedeutsamkeit, die in wechselnder Annäherung und Abgrenzung zum Begriff der „Erfahrung“ auftritt. Vgl. dazu und zum Folgenden: K. Cramer, Art. Erlebnis, HWP 2 (1972), 702 – 711. Der Begriff „Erlebnis“ trägt an sich „den Ton der Unmittelbarkeit, mit der etwas Wirkliches erfaßt wird, die keiner fremden Beglaubigung bedarf und aller vermittelnden Deutung vorhergeht“ (aaO, 703). Gerade in der Betonung dieser Unmittelbarkeit knüpft der Begriff des „Erlebnisses“ an die antirationalistische Polemik der Romantik an. Das Erlebnis geht der Erfahrung als dessen Grundlage stets voraus, ja konstituiert diese erst. Mit der philosophischen Klärung des Begriffs – etwa anhand der Arbeiten von W. Dilthey oder E. Husserl (vgl. dazu aaO, 705 ff.) – setzt sich Elert nicht auseinander. Vielmehr erhält man den Eindruck, daß Elert in einem weitgehend ungeklärten Maße an dem seit der Wende zum 20. Jahrhundert zu verzeichnenden „massenhaft[en]“ Auftreten des „Modebegriff[s]“ des Erlebnisses im Umfeld der Lebensphilosophie partizipiert und daß er den Begriff in der allgemein zu beobachtenden „zunehmende[n] Unverbindlichkeit“ – der Hauptsache nach jedoch in einer antirationalistischen Zuspitzung – verwendet (aaO, 708 f.). Vgl. dazu auch: W. Sparn, Art. Erlebnis. II. Religionsphilosophisch, RGG4 2 (1999), 1426 f.; ders., Art. Erlebnis, III. Fundamentaltheologisch, RGG4 2 (1999), 1427 f. Zur Abgrenzung gegenüber dem Begriff der Erfahrung vgl.: F. Kambartel, Art. Erfahrung, HWP 2 (1972), 609 – 617; E. Herms, Art. Erfahrung. II. Philosophisch, TRE 10 (1982), 89 – 109. Zum theologiegeschichtlichen Hintergrund: J. Track, Art. Erfahrung III/2. Theologiegeschichtlich. Neuzeit, TRE 10 (1982), 116 – 128. Zur theologischen Bedeutung: E. Herms, Art. Erfahrung. IV. Systematisch-theologisch, TRE 10 (1982), 128 – 136.
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grammatisch trägt Elert dies in der kleinen Schrift „Dogma, Ethos und Pathos. Dreierlei Christentum“274 vor. Elert versucht auch an anderen Stellen, Religion – wie schon früher – gegen eine historische wie psychologische Relativierung in ihrer fundamentalen Eigenständigkeit auf das Gefühl des Einzelnen bzw. das Erlebnis der Transzendenzbegegnung zurückzuführen.275 Die Kategorie des sich vor menschlichem Wissen und Tun ereignenden irrationalen Erlebnisses wird nun als immunisierendes Medium gegen die von Max Weber diagnostizierte Entzauberung des Religiösen eingeführt. Religion ohne Transzendenzerlebnis bleibe belanglos.276 Wies Elert bereits in seinen geschichtsphilosophischen Arbeiten darauf hin, daß der „Sinn des Lebens“ als Erklärung aller Geschichte auf rein immanentem Wege nicht zu erheben ist, so sucht er nun zu erweisen, daß Religion im rein immanenten Rahmen, wie sie in einer rationalen wie ethisierenden Plausibilisierung, in einer historisierenden wie psychologisierenden Deutung vorherrscht, keine ,echte‘ Religion ist, sondern bestenfalls deren ,weltliche‘ Kehrseite darstellt und eben damit keine ,echte‘ Transzendenz verbürgt. In Anknüpfung an seine früheren religionspsychologischen Arbeiten, in denen er sich der affektiven Seite der Religion zugewandt hatte,277 klagt Elert deshalb energisch auch eine Umkehr der theologischen Arbeit ein: „Wir müssen endlich begreifen und also auch in Rechnung stellen, daß von Jesaias bis Paulus, von Augustin bis Luther jeder echten Gotteserkenntnis ein echtes Gotteserlebnis vorausging. Und ferner, daß hierbei ,Gefühle‘ […] stets eine entscheidende Rolle gespielt haben und also auch vermutlich jetzt spielen werden“.278 274 Die aus einem am 29. und 30. August 1919 gehaltenen Vortrag heraus entstandene Schrift erschien 1920 in Leipzig bei Dörfling und Franke. 275 Z.B. W. Elert, Forderung, 418 f. 276 In diese Richtung zielt auch die plastische Schilderung (W. Elert, Forderung, 434): „Wenn die Menschen, die mit allem christlichen Wunderglauben längst fertig waren, heute trotz aller Skepsis zu okkulten Sitzungen strömen, die Kirchen aber leer lassen, so ist das ein Gericht über die Predigt derer, die aus dem Christentum alles Unbegreifliche, alles Unphilosophische, alles Transzendente herausgerissen und aus ihm ein plattes Gemisch von diesseitiger Weltgeschichte, diesseitiger Psychologie, immanenter Philosophie und Ethik gemacht haben“. 277 Vgl. W. Elert, Dogma, 8: Das „pathetische Christentum“ ist „das Christentum, das die Religionspsychologie am meisten interessiert“ und auch „der psychologischen Analyse am ehesten zugänglich ist“. 278 W. Elert, Transzendenz, 530.
3. Elerts Erlebnistheologie
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Im lockeren, nicht explizierten Anschluß an Schleiermacher279 geht es Elert also um einen Paradigmenwechsel in der Theologie. ,Metaphysik‘ und ,Moral‘ werden mit Spengler einem rein immanenten Weltbild, einer im Zivilisationsstadium angekommenen Kultur zugerechnet und gelten somit als Anzeichen von Dekadenz;280 sie haben sich deshalb als nicht tragfähig erwiesen, das Wesen des Christentums zu bestimmen. Wie Elert schon 1910 beteuerte, sind die „,Rätsel der 279 Vgl. v. a. F. Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern. Zweite Rede. Über das Wesen der Religion; ders., Der christliche Glaube, § 3 und 4. Trotz der großen Nähe zu Schleiermacher nimmt Elert keinen expliziten Bezug auf ihn; Schleiermacher wird lediglich in einer Reihe von ‘Zeugen’ für das pathetische Christentum erwähnt; betont beiläufig notiert Elert: „Man wird dabei an Schleiermachers Christentum in seinen Reden erinnert“ (Dogma, 8). Zur Bezugnahme Elerts auf Schleiermachers Religionsbegriff vgl. v. a. KCH, 36 ff. Elert ist sichtbar bemüht, den Schleiermacherschen Religionsbegriff gegenüber gegenwärtiger Kritik stark zu machen: Im Jahr 1925 bemerkt Elert: „Schleiermachers Religionsbegriff steht heute niedrig im Kurs. Daß die Religion im Gefühl eine besondere Provinz habe […,] gilt aber heute als antiquiert. In ihrer Ablehnung sind sich die Dialektiker und die Aprioristen einig“. Dabei verstand Schleiermacher „unter Gefühl etwas ganz anderes“ als „es nach den heute von ihm entworfenen Karikaturen scheinen könnte.“ Doch die „Gefühle“ kann man „aus einer Theologie des Glaubens nicht ausschalten. Sie sind zwar alles weniger als Produzenten des Glaubens. Aber sie sind unausbleibliche Begleitmotive.“ (Angst und Einsamkeit in der Geschichte des Luthertums, JELLB 20 (1925), (6 – 16) 6). Gänzlich verändert zeigt sich dann Elerts – konfessionell überschattetes – Schleiermacherbild in der „Morphologie“: Das „Gefühl für die Immanenz Gottes, so wie es aus Luthers Weltanschauung erwachsen konnte […,] verhält sich zu Schleiermachers absolutem Abhängigkeitsgefühl wie Luther zu Calvin“ (ML I, 392). Zur Affinität Schleiermachers zu Calvin vgl. Brian A. Gerrish, From Calvin to Schleiermacher. The Theme and the Shape of Christian Dogmatics; in: Internationaler Schleiermacher-Kongreß Berlin, 1984, hg. v. K. V. Selge, Bd. 2, Berlin, 1985, 1033 – 1051. Zu Elerts Schleiermacherrezeption vgl. v. a. M. Roth, Erlösungshoffnung, 11 ff. und N. Slenczka, Selbstkonstitution, 79 f. Neuere Lit.angaben zu Schleiermacher: H. Fischer, Art. Schleiermacher, Friedrich, TRE 30 (1999), 143 – 189 (Lit.). 280 Zur Übernahme dieser Deutung von Rationalismus und Ethizismus von Spengler vgl. v. a. W. Elert, Untergang, 38; vgl. dazu oben S. 184 ff. Der Sprachgebrauch von „Metaphysik“ hat sich gewandelt: Was bei Schleiermacher mit „Metaphysik“ bezeichnet wird, entspricht bei Elert der „Rationalisierung“; Elert hingegen bezeichnet mit „Metaphysik“ eher das Transzendente, dem nur ästhetisch näherzukommen ist. Zur allgemeinen Verschiebung des Bedeutungsschwerpunktes des Begriffes vgl. umfassend L. Oeing-Hanhoff u. a., Art. Metaphysik, HWP 5 (1980), 1186 – 1279.
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III Die Zeit von 1919 – 1923
Geschichte‘“ nicht durch immanente Erklärungen aufzulösen.281 Vielmehr ermöglicht allein die subjektiv zu vollziehende Erfahrung der transzendenten Sinnvergewisserung einen sinnstiftenden Umgang mit der im Krieg wie in der Nachkriegszeit gesteigert wahrgenommenen Irrationalität menschlichen Lebens, die sich hinter der Maske des „Schicksals“ verbirgt. Das konstitutive Wesen der Religion, ja des Christentums ist nur im Medium des Gefühls, in der Kategorie des Erlebnisses zu bestimmen. 3.2.2. „Dreierlei Christentum“ Ausgehend von seiner Zeitdiagnose – angesichts der „Not der Zeit“ sowie des „Zerbrechen[s] der endlichen Mächte“282 – und der pluralen Verfaßtheit des Christentums bemüht sich Elert deshalb um ein „Begreifen der inneren Struktur der Christenheit“.283 Religion gilt Elert nach wie vor nicht als irgendein „Kulturfaktor neben anderen“, sondern zeichnet sich gegenüber „rein innerweltlichen“ Phänomenen durch ihren exklusiven Transzendenzbezug aus.284 Das ,echte‘ Transzendenzerlebnis scheint allerdings inzwischen zum Reservat allein der christlichen Religion geworden. Im Gegensatz zu jeder Kultur, deren Seele irgendwann einmal absterben wird, hinterläßt das „ewige Evangelium“ stets von neuem Spuren in der Zeit einer jeden Kultur:285 „Der 281 282 283 284 285
W. Elert, Rudolf Rocholls, 30. Vgl. dazu oben S. 91 ff. W. Elert, Dogma, Vorwort. W. Elert, Dogma, Vorwort. Wie Elert bereits 1911 formuliert: Im Kampf, 123 f. W. Elert, Dogma, Vorwort. Zu Elerts Verständnis von Spenglers KulturseelenTheorie vgl. v. a. W. Elert, Untergang, 7 f. Vgl. dazu oben v. a. S. 184 ff. Während Spengler die Ausformung eines kompletten Kulturzyklus’ – inklusive religiöser Phänomene (vgl. W. Elert, KCH, 327) – „auf eine einheitliche ‘seelische’ Wurzel“ (Untergang, 8) zurückführe, betont Elert nach wie vor die prinzipielle Ausnahmestellung des religiösen Bereiches (vgl. W. Elert, Im Kampf, 123 f.) und führt deshalb als einen Hauptkritikpunkt Spenglers mangelnde Berücksichtigung interkultureller Traditionslinien an (vgl. Untergang, 57 f.). Anzeichen einer „Verwandtschaft der einzelnen Kulturseelen untereinander“ liegen nicht zuletzt darin, daß – mit 1. Petr. 4,19 – „auch die Seelen der hohen Kulturen“ vom „‘Schöpfer der Seelen’“ herrühren. Mit anderen Worten: Das „ewige Evangelium“ (Dogma, Vorwort) affiziert Menschen quer durch alle Kulturzyklen, so daß das aus ihm entstandene Christentum auch in der gegenwärtigen Situation des ‘Untergangs des Abendlandes’ die „schon mehr als einmal in seiner Geschichte bewiesene Kraft bewähren“ wird, eine neue Kultur zu prägen (W. Elert, KCH, 490). Spengler – so kritisiert Elert
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Eindruck, den das eine Evangelium auf uns macht, wechselt nach Volk, Zeit, Kultur und Individualität. Darin liegt der Ansatz zur Gliederung, die der Christenheit wie jeder lebendigen Größe unentbehrlich ist.“286 indirekt – berücksichtige die Wirkung der Transzendenz, eben „eine christliche Seele […] als solche“, nicht (W. Elert, KCH, 327) und verzeichne zudem zu wenig die „originalen Kräfte“ des Christentums in der Menschheitsgeschichte (Untergang, 55). Dennoch zeigt sich in der für die „Morphologie“ konstitutiven Verhältnisbestimmung von dynamis und morphe (vgl. v. a. ML I, 1 ff.; ML II, 3 ff.) eine sichtbare Fernwirkung von Spengler. Vgl. dazu die kurze Notiz bei T. Gerlach (Verborgener Gott – Dreieiniger Gott. Ein Koordinationsproblem lutherischer Gotteslehre bei Werner Elert, 1998, 397) und N. Slenczka (Selbstkonstitution, 131 ff.). 286 W. Elert, Dogma, Vorwort. Im Vorblick auf die „Morphologie“ tritt an diesem Punkt die Kontinuität wie die Veränderung in Elerts Denken besonders klar hervor. In „Dogma“ thematisiert Elert die Pluralität des Christentums, die durch die verschiedene „Intensität“ des bei allen Christen gleichen Erlebnisses von „Reue“ und „Vertrauen“ durch das Evangelium allein hervorgerufen wird. Pluralität ist also die Folge unterschiedlicher Intensität desselben Erlebnisses. In der „Morphologie“ hingegen thematisiert Elert die plurale Erscheinungsweise des Luthertums (vgl. v. a. ML II, 125 ff.), die als geschichtliche Ausformung des Zusammenspiels immanenter Faktoren – wie Ort, Zeit, Landschaft, Klima und jeweiliger kultureller Tradition – und des „evangelischen Ansatzes“, der eine spezifisch lutherische Erfahrung von Gesetz und Evangelium zu umschreiben sucht, erklärt wird. Die plurale Verfassung des Luthertums wird als die multifaktoriell bedingte Folge des Inkulturationsprozesses des in allen lutherischen Phänotypen – freilich auch in unterschiedlicher Intensität – zugrundliegenden „Evangelischen Ansatzes“ dargestellt. Die Identität des Erlebnisses von Gesetz und Evangelium bezieht sich also nur auf die lutherische Konfession und nicht mehr – wie in „Dogma“ – auf das gesamte Christentum. Bei der Erklärung der Pluralität ist zudem die Hinzunahme wie die Bedeutung immanenter Faktoren und die Erfahrung unter dem Gesetz neu. Zu erwähnen ist zudem noch die strukturelle Parallelität von „Dogma“ und der „Morphologie“: Dem Primat des ‘Pathos’ entspricht „Der evangelische Ansatz“ (ML I, 13 ff.), dem ‘Dogma’ der Abschnitt „Dogma und Kirche“ (ML I, 155 ff.) und dem ‘Ethos’ die Darstellung der „Soziallehren und Sozialwirkungen des Luthertums“ (ML II). Dabei fällt auf, daß der Abschnitt „Weltanschauung“ (ML I, 353 ff.) in „Dogma“ keine Entsprechung hat. Die Vermutung liegt deshalb nahe, daß die spezifische Veränderung in Elerts Denken in Bezug auf die Erklärung der Pluralität des Christentums in der in der „Morphologie“ vorgenommenen Beziehung zwischen ‘Weltanschauung’ und der grundlegenden Gesetzeserfahrung, dem ‘Urerlebnis’ des Luthertums, zu suchen ist. Mit anderen Worten: Elert verbindet in der „Morphologie“ die lutherische Gesetzeserfahrung und die lutherische Weltanschauung zu einem konfessionsspezifischen Merkmal. Die Pluralität des Christentums liegt daher nach der vermuteten ‘Logik’ der „Morphologie“ nicht mehr wie in „Dogma“ in der verschiedenen Intensität desselben (Transzendenz-) Erlebnisses, sondern in der – konfessionell unterschiedlichen – Geset-
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Elert versucht nun auch hier „Klarheit“ zu erzielen über die Gründe der pluralen Verfaßtheit des Christentums, die leicht als Konsequenz oder Spiegel der pluralen Verfaßtheit der Kultur insgesamt mißdeutet werden könnte.287 „Die Zerrissenheit der Christenheit, die zu keiner Zeit so tragisch war wie heute, folgt aus der Mannigfaltigkeit der Antwort auf die Frage nach dem Wesen des Christentums. Die Antworten auf diese Frage gehen so weit auseinander, daß man Mühe hat, noch einen Oberbegriff vom Christentum zu finden, der in allgemeinster Form die einzelnen Verwirklichungen unserer Religion unter sich zu begreifen vermag“.288 Dem Untertitel entsprechend gibt es nach Elert „Dreierlei Christentum“; das „dogmatische“, „ethische“ und „pathetische Christentum“, das sich in unterschiedlicher quantitativer wie qualitativer Mischung unter dem Eindruck des „Eine[n] Evangelium[s]“ zusammensetzt und so die plurale Erscheinung des Christentums zu allen Zeiten in monokausaler Weise verursacht.289 Die Pluralität des Christentums erscheint also im Gegensatz zu Elerts Diffusionsdiagnose seiner Zeit nicht als Dekadenz, sondern als notwendige Wirkung des „Eine[n] Evangelium[s]“, dessen „bewegende Kraft von innen her“ Elert begreifen will.290 Die plurale Erscheinungsweise des Christentums erscheint deshalb nur „auf den ersten Blick als ein schlimmes Zeichen“291. Sie wird von Elert also prinzipiell bejaht, wie er ja auch die plurale Ausdifferenzierung der Kultur prinzipiell bejahte.292 Kritisiert hingegen wird von ihm nicht nur die „Diffusion der Kultur“293, sondern nun auch die „Konfusion“ von Dogma, Ethos und Pathos im Christentum:294 „Nichts hat mehr Verwirrung in der Christenheit gestiftet, als das Durcheinanderwerfen der drei Ideale und ihrer Maßstäbe“.295 Um die
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zeserfahrung, die von Elert als prinzipiell streng immanente Erfahrung dargestellt ist, und der darauf fußenden Weltanschauung (vgl. z. B. ML I, 358 ff.). Die Pluralität des Christentums rührt also nach der „Morphologie“ von einer konfessionell divergierenden immanenten Weltwahrnehmung her. Vgl. dazu unten S. 224 f. und S. 283 Anm. 712. W. Elert, Dogma, 13. Vgl. ders., KCH, III. W. Elert, Dogma, 5. W. Elert, Dogma, Vorwort. 5. W. Elert, Dogma, Vorwort. W. Elert, Dogma, 17. Vgl. oben S. 58 f. und S. 176 ff. W. Elert, Forderung, 388. W. Elert, Dogma, 17. W. Elert, Dogma, 17.
3. Elerts Erlebnistheologie
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intendierte „Klarheit“ zu gewinnen, legt Elert deshalb besonderes Gewicht auf die Bestimmung des „gegenseitig[en] Verhältnis[ses]“ von Dogma, Ethos und Pathos.296 Aus demselben Grund orientiert er sich auch nicht an der unbeantwortbaren Frage nach dem „Wesen des Christentums“, sondern „vereinfacht“ sie durch eine Reduktion auf die individualbiographische Frage nach dem „Wesen des Christen“, geht also von der unmittelbaren Lebenserfahrung des einzelnen Menschen aus.297 Ein Christ – so definiert Elert im scheinbar umstandslosen wie selbstverständlichen Anschluß an die Erlanger Tradition – ist, wer „an Christus glaubt“, „ein Jünger Jesu“ ist und das „Erlebnis der Bekehrung“ gemacht hat.298 Dieser dreifachen Wesensbestimmung des Christen korrespondieren nach Elert „drei Typen, in denen sich das Christentum verwirklicht hat“: das „dogmatische“, das „ethische“ und das „pathetische Christentum“.299 Dieses „Dreierlei Christentum“, mit dem Elert die drei Wesenszüge jeglichen Christentums beschreiben will, stellt er zuerst in seiner jeweiligen „Idealität“, dann in der „Phänomenalität“ von „Dogma, Ethos, Pathos“ dar, um schließlich ihr gegenseitiges Verhältnis zu klären.300 296 W. Elert, Dogma, 13. 20. 297 W. Elert, Dogma, 5. 298 W. Elert, Dogma, 5. Zu Elerts Anschluß an die Erlanger Tradition vgl. N. Slencka, Selbstkonstitution, 79 ff. 299 W. Elert, Dogma, 5. 300 W. Elert, Dogma, 20. Der Aufsatz ist klar gegliedert: Der Darstellung der „Idealität“ von Dogma, Ethos und Pathos (aaO, 5 – 20) in ihren Idealen der „Rechtgläubigkeit“, der „Sittlichkeit“ und der „Frömmigkeit“ (aaO, 8 f.), die sich in ihrem Streben nach „Wahrheit“, „Normativität“ und „Intensität“ erweisen (aaO, 9 ff.), entspricht die der „Phänomenalität“ (aaO, 20 – 36), in der Elert anhand von zahlreichen Beispielen aus der Geschichte des Christentums „ihre tatsächliche Verwirklichung“ (aaO, 20) in divergierenden Verhältnissen illustriert. Hierbei nimmt Elert auch auf Luther Bezug. Luther wird als dasjenige Beispiel der Christentumsgeschichte vorgeführt, das dem „Ideal des pathetischen Christentums am nächsten gekommen“ (aaO, 24; vgl. ders., KCH, 449) ist. Elerts Bezug auf Luther verdankt sich also vornehmlich der Notwendigkeit der Illustration seiner These von Dogma, Ethos und Pathos in „Beispiele[n]“ (aaO, 20); zudem dürfte die Rede von der Bedeutung des Erlebnisses bei Luther als zeitgenössische Normalität in der „Lutherforschung aller Lager“ (aaO, 24) zu gelten haben, so daß nicht anzunehmen ist, daß Elert, der im Übrigen an anderer Stelle Luther als ein kirchengeschichtliches Beispiel für eine „schlechte Dogmatik“ aufführt (Transzendenz, 529), bereits hier – 1920 – „in systematischer Absicht“ auf Luther Bezug nimmt (A. v. Scheliha, Glaube, 299). Elert führt Luther 1920 als ein kirchengeschichtliches Beispiel unter anderen auf; mehr läßt sich nicht behaupten. Gegen eine 1920 beginnende in-
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3.2.3. Pluralität des Christentums und die „richtige Unterscheidung der Maßstäbe“: Das Verhältnis von Dogma, Ethos und Pathos Keineswegs „im Gefolge Luthers“, sondern mit Schleiermacher bestimmt Elert das Gefühl als den grundlegenden und ursprünglichen Ort der Religion vor Metaphysik und Moral.301 Das Gefühl wird dabei in modischer Manier mit Nietzsche und der Lebensphilosophie als „Pathos“ bestimmt; nur das „pathetische“ Lebensgefühl ermöglicht eine „Steigerung des Lebensgefühls“.302 Wie in seiner Zeitdiagnose kritisiert Elert auch hier die reine Moralisierung und Rationalisierung, aber auch die reine Ästhetisierung des Daseins.303 Das Christentum ist „dreierlei“.304 Es existiert aber nur in einer Mischung seiner drei Wesenszüge, die sich in „Wirklichkeit nicht reinlich voneinander scheiden lassen“, so daß „in der christlichen Praxis von einer ausschließlichen Geltung eines der drei Ideale kaum irgendwo gesprochen werden kann“; die Mischung dieser drei Faktoren, die Antwort auf die Frage, „in welchem Verhältnis sie zueinander stehen“, ist also ausschlaggebend für die geschichtliche, diachron wie synchron
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tensive und genuine Lutherrezeption sprechen zudem die eklatanten Widersprüche, die zwischen Elerts Lutherinterpretation, wie sie zwischen der Auffassung in „Dogma, Ethos, Pathos“, Luthers „Erlebnis von Sünde und Gnade“ (aaO, 24) ließe sich monokausal als Wirkung des „einen Evangeliums“ (aaO, Vorwort) verstehen, einerseits und der „Morphologie“ andererseits, bestehen. Vgl. dazu auch oben S. 158 Anm. 524 und S. 211 f. Anm. 286. F. Duensing (Gesetz, 13) sieht Elerts Interesse an einem pathetischen Christentum durch die Beschäftigung mit Luther induziert. Elert orientiert sich jedoch eindeutig an Schleiermacher. Vgl. dazu W. Elert, Dogma, 7 f. Ausführlich vgl. dazu oben S. 209 Anm. 279 und S. 213 f. Anm. 300. W. Elert, Dogma, 8. Vgl. dazu W. Elert, KCH, (434 ff.) 436. Vgl. hierzu W. Sparn, „Die Religion aber ist das Leben“. Welchen theologischen Gebrauch kann und sollte man vom „Leben überhaupt“ machen?, in: MJTh 9 (1997), (15 – 39) 31. AaO, 30 – 35 analysiert W. Sparn die zentrale Bedeutung des Lebensbegriffes bei Elert: Im Ausgang von dessen Aufsatz „Dogma, Ethos, Pathos“ zeigt Sparn die Tragweite dieses Begriffes v. a. in Elerts „Die Lehre des Luthertums im Abriss“ (1924) und in der „Morphologie des Luthertums“ (1931/32) auf. AaO, 22 – 29 faßt W. Sparn die zeitgenössische Faszination, die durch den Lebensbegriff ausging, knapp zusammen. Vgl. W. Elert, KCH, 14. Zu dieser Zeitdiagnose vgl. oben S. 206 f. und 212 ff. Vgl. den Untertitel von Elerts Aufsatz („Dogma, Ethos, Pathos“) „Dreierlei Christentum“.
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divergierende Form des Christentums, für seine plurale Erscheinungsweise.305 Das Urdatum aller christlichen Existenz erblickt Elert – im expliziten Widerspruch gegen die „Kant-Ritschlschen Machtsprüche“ – im Affiziertwerden des Subjekts durch die transzendente Einwirkung.306 Das Pathos ist also der „ursprünglichste“307, Dogma und Ethos ermöglichende und somit fundamentale Wesenszug des Christentums. Elert geht es also – wie Schleiermacher – um die Betonung des Primats des Pathos vor Dogma und Ethos. Diese Betonung entspricht in zweifacher Weise seiner Zeitdiagnose: Zum einen der Wahrnehmung der rationalistischen und ethizistischen Vorherrschaft, die, wie gesagt, mit Spengler als Zeichen der Dekadenz gilt,308 und zum anderen der Wahrnehmung der gesteigerten Sehnsucht der Zeitgenossen nach der unterdrückten Gefühlswelt, der wahrgenommenen antirationalen, vitalistischen Grundstimmung, der „Präponderanz des Ästhetischen“309, der Elert mit seiner Erlebnistheologie in auffallender Weise zu entsprechen versucht.310 Die Betonung des Primats des Pathos im Chris305 W. Elert, Dogma, 9. Der synchronen Pluralität entspricht die „Zerrissenheit der Christenheit, die zu keiner Zeit so tragisch war wie heute“ (aaO, 5), während die diachrone ‘Pluralität’ von Elert als ein Wechsel der Dominanz einer der drei das Christentum bestimmenden Faktoren dargestellt wird: Vom Athanasianum bishin zur vollendet „intellektualistischen Auffassung vom Wesen des wahren Christentums“ im Heidelberger Katechismus herrscht das Dogma und das Ideal der „Rechtgläubigkeit“ als Inbesitz eines bestimmten „Wissen[s]“ vor (aaO, 5 f.). Ab dem 18. Jahrhundert wird das „Wesen des Christentums ins Sittliche verlegt“; von Lessing über Goethe, Kant, Ritschl bis hin zu Tolstoi herrscht der Gedanke an die „Herstellung des Reiches Gottes“ vor (aaO, 6 f.). Und erst Kierkegaard sowie der „Antichrist Nietzsche“ haben wieder zum allgemeinen Bewußtsein gebracht, was die Mystiker, der Pietismus, Schleiermacher und die Erlanger wußten, daß das Christentum erst durch die „Frömmigkeit“, durch „affektbetontes Erleben und Empfinden“ konstituiert ist (aaO, 7 f). Beachtlich ist, daß Luther in dieser Ahnenreihe des pathetischen Christentums nicht erwähnt wird, sondern, wie schon hervorgehoben, lediglich in Elerts Darstellung der Phänomenalität von Dogma, Ethos und Pathos als eines unter vielen kirchengeschichtlichen Beispielen angeführt wird. Vgl. dazu auch oben S. 213 f. Anm. 300. 306 W. Elert, Dogma, 7. 307 W. Elert, Dogma, 33. 308 Vgl. oben S. 184 ff.; v. a. S. 186 Anm. 151. 309 W. Elert, Reduktion, 421. 310 Zum Hintergrund der antirationalen, erlebniszentrierten Zeitströmung und ihrer Verbindung mit Formen „vulgärer Lebensphilosophie“ vgl. K. Sontheimer, Antidemokratisches Denken, 43 ff. 65 ff. 73 ff.
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tentum ist also Elerts Anpassung an den mutmaßlichen Zeitgeist, denn „von der Religion erhofft sich der Gegenwartsmensch mehr als Anleitung zur sittlichen Beherrschung der Welt“.311 Die „Gegenwartsmenschen“ suchen – so faßt Elert die Gegenwartsstimmung, wie sie sich ihm als ein Gemisch aus Nietzsche und Kierkegaard, aber auch aus popularisierten Formen der Lebensphilosophie präsentiert, markant zusammen – in der Religion nach „schöpferischer Lebendigkeit“.312 Sie suchen „etwas, das weder Wissen noch Handeln ist, vielmehr eine Form intensiven Erlebens, eine Steigerung des Lebensgefühls, die durch die Berührung mit den letzten Quellen des Daseins gewonnen werden soll“.313 Darauf weist auch die „Vorliebe der Gegenwartschristen für Kierkegaard“ hin, der die Weisung ausgab, der auch Elert sich anschließt: „,Das Christentum ist Geist, Geist ist Innerlichkeit, Innerlichkeit ist Subjektivität, Subjektivität ist im wesentlichen Leidenschaft.‘ Das ist das pathetische Christentum“.314 Dieser Gegenwartsstimmung sucht Elert nun bei der Formulierung der favorisierten pathetischen Form des Christentums entgegenzukommen. Sie zeichnet sich dadurch aus, daß der „Kern des Christseins in einem Erleben gesehen“ wird, daß es „zunächst Sache des Gefühls ist“ und nur ein „Ziel“ kennt: die „Frömmigkeit“, die als „ein affektbetontes Erleben und Empfinden“ zu verstehen ist.315 Die ,Frömmigkeit‘ ist ein Durativ, ein „habitueller Ausdruck“ für das, was im ,Erlebnis‘ iterativisch je „aktuell“ erfahren wird.316 Das pathetische Chris311 W. Elert, Dogma, 7. 312 W. Elert, Dogma, 8. Vgl. aaO, 7 f. U.a. verweist Elert hierbei auch auf Horneffer. Vgl. W. Elert, August Horneffers Programm für den Priester der Zukunft (1912); dazu oben S. 62 Anm. 11 und S. 63 Anm. 14. 313 W. Elert, Dogma, 8. Vgl. aaO, 14: „Religion und Christentum“ sei „Gefühlsache, wird geantwortet“. Es wird bestimmt als „absolutes Abhängigkeitsgefühl, als gesteigertes Lebensgefühl, als Gefühl der Gottesnähe, als Präsenzempfindung des Göttlichen, als Erleben Gottes, als Erfahrung von Gottesberührung, als Erfahrung von Gotteswirkung, Religion als innige und unmittelbare, d. h. nicht intellektuelle und nicht ethische Vereinigung mit Gott, als Sache des Herzens, als Frömmigkeit – das sind eine Reihe von Bestimmungen, die man der Religion und dem Christentum gibt, sofern sie nicht Verstandessache und nicht Sache des sittlichen Willens sein soll“. 314 W. Elert, Dogma, 8. Zu Kierkegaard vgl. auch W. Elert, KCH, 430 ff.; ihm sei vornehmlich die Wiederentdeckung der „Irrationalität des Christentums“, die „Erkenntnis der Paradoxie des christlichen Glaubens“ und eine wiedererwachende „skeptische Stellung zur Kultur“ zu verdanken (aaO, 434). 315 W. Elert, Dogma, 8. Vgl. aaO, 13 f. 316 W. Elert, Dogma, 15.
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tentum zeichnet sich also durch das „Gefühl“, das „Erleben“ und die „Frömmigkeit“ aus und unterscheidet sich vom dogmatischen und ethischen Christentum vor allem durch das Hinzutreten des Affektiven und des Irrationalen. Dies sind „Ausdrücke für ein ungewolltes und unreflektiertes Innewerden“: Das „Wesen des Christseins wird in etwas Irrationalem“ gesehen.317 Besonders ist es der „Affekt, ohne den es nicht denkbar ist“, denn „man kann nicht fromm sein ohne Wärme des Herzens“.318 Bestimmte Elert die „Idealität“ des dogmatischen Christentums in seiner „Wahrheit“, die des ethischen Christentums in seiner „Normativität“,319 so erklärt er den „höchsten Grad an Intensität“ von Gefühl, Erlebnis und Frömmigkeit, nämlich das „religiöse Pathos“, zum „Ideal des dritten Christlichkeitstypus“:320 „Pathos ist Gefühl, Affekt und steht deshalb in klarem Gegensatz zur Erkenntnis, zum Wissen, zum Dogma. Es enthält in seiner ursprünglichen, sprachlichen Bedeutung ferner das Moment des Erleidens oder doch der Rezeptivität, wodurch sich das religiöse Erleben von der Aktivität des sittlichen Handelns unterscheidet. […] Da Pathos auch Leidenschaft bedeutet, so bringt es schließlich auch zum Ausdruck, daß das Ideal dieses Christentums in der höchsten Intensität des Erlebens liegt“.321 Das zu allen Zeiten und Orten unter dem Eindruck des einen Evangeliums entstandene Christentum divergiert in dem jeweiligen Verhältnis von Dogma, Ethos und Pathos; diese Verhältnisse verursachen nach Elert also so etwas wie eine natürliche Pluralität des Christentums, die eben dessen „Lebendigkeit“ sichert.322 Dogma, Ethos und Pathos sind somit Grundbausteine, aus denen sich jegliches „empirische[s] Christentum“ zusammensetzt.323 Das bedeutet zum einen, daß ,Christentum‘ „ohne religiöses Pathos“, „ohne Ethos“, „ohne Dogma“ kein Christentum mehr ist, sondern lediglich ein selbständig gewordenes Säkularisat,324 und zum anderen, daß alles als christlich zu gelten hat, 317 318 319 320 321 322 323 324
W. Elert, Dogma, 14 f. W. Elert, Dogma, 14. Vgl. W. Elert, Dogma, 9 ff. 11 ff. W. Elert, Dogma, 16 f. Vgl. aaO, 13 ff. W. Elert, Dogma, 17. W. Elert, Dogma, 17. W. Elert, Dogma, 9. W. Elert, Dogma, 9. Vgl. aaO, 31 f: „Sobald aber eine Idee, die mit Bewußtsein als autonom, als unabhängig […] vom religiösen Pathos bezeichnet wird, zum Maßstab von einschneidenden Veränderungen am Dogma“ oder am
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III Die Zeit von 1919 – 1923
was aus diesen drei Bausteinen zusammengesetzt ist und sich dabei der „Verschiedenheit der Maßstäbe bewußt bleibt“.325 3.2.4. Pluralität des Christentums und die „Konfusion“ der Maßstäbe Geht aber dieses Bewußtsein von der „richtige[n] Unterscheidung der Maßstäbe“ verloren,326 entsteht eine Pluralität des Christentums, die nicht mehr seine Lebendigkeit verkörpert, sondern eine „Zerrissenheit“, von der Elert ja urteilt, daß sie „zu keiner Zeit so tragisch war wie heute“.327 Diese kritisch bedachte Pluralität des Christentums, der nicht mehr in all ihren Teilen das „Prädikat der Christlichkeit“ zugesprochen werden kann,328 entsteht aufgrund der „Konfusion“ der Maßstäbe329 und aufgrund der allgemeinen Tatsache, „daß zu allen Zeiten der Geschichte der Christenheit immer eins der drei Ideale auf Kosten der beiden andern besonders betont war“330 ; sie entsteht – so der Zielpunkt des Ganzen – in der Gegenwart aufgrund eines Übergewichts des Dogmas und des Ethos gegenüber dem Pathos. Dieses Übergewicht hat sich bis zur Verkennung der prinzipiellen Bedeutung des Erlebens für das Leben des einzelnen Christen – auch in dessen Denken und Handeln – gesteigert. Die in die Gegenwart hineinreichende dominant rationalistische wie ethizistische Interpretation des Christentums hat die konstitutive Bedeutung affektiver Frömmigkeit, die Wirkung subjektiv erlebter Transzendenzeinwirkung ist, in ihrer Bedeutung für die Sinnvergewisserung des Menschen, für seinen Umgang mit der Irrationalität der Wirklichkeit oder – wie Elert früher sagte – mit den „,Rätseln der Geschichte‘“331 vergessen und ist deswegen auch nicht mehr in der Lage, Vernunft und Moral der Menschen zu prägen.332
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Ethos genommen wird, „kann man weder diesem Maßstab noch diesen Veränderungen das Prädikat der Christlichkeit mehr beilegen“. Deshalb hat nach Elert in der Dogma wie Pathos dominierenden Autonomie des Ethos, wie sie bei Kant und Rischl zu finden sei, das „spezifisch Christliche“ nur noch „accidentielle Bedeutung“ (aaO, 32). Vgl. W. Elert, KCH, 9 ff. W. Elert, Dogma, 17. W. Elert, Dogma, 19. W. Elert, Dogma, 5. W. Elert, Dogma, 32. W. Elert, Dogma, 17. W. Elert, Dogma, 21. W. Elert, Rudolf Rocholls, 30. Vgl. W. Elert, Transzendenz, 524 f.: „Die Epoche von Rousseau bis Nietzsche suchte […] den Schwerpunkt des Metaphysischen im Ethischen, und die Theologen, die hier mit ihrer Zeit empfanden, suchten infolgedessen das
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Die Pluralität des Christentums wird von Elert grundsätzlich bejaht. Die gegenwrtige Pluralität des Christentums jedoch ist keine von Elert bejahte natürliche Pluralität. Weshalb? Um dies zu verstehen, ist darauf zu achten, daß Elert das Pathos als solches von seiner jeweiligen Erscheinung, die unterschiedliche Intensität aufweist, unterscheidet. Das Pathos als solches – so die grundlegende These Elerts – ist im Gegensatz zum Dogma und zum Ethos nicht der geschichtlichen „Veränderlichkeit“ unterworfen.333 Vielmehr „erlebt der Christ aller Zeiten als Christ dasselbe“.334 Das Pathos, so definiert Elert inhaltlich, ist „der Eindruck, den die Heilstatsachen des Evangeliums auf den Menschen machen. Er besteht im wesentlichen in einem doppelten Affekt, in der Reue und im Vertrauen“.335 Das Pathos erhält seinen Primat gegenüber Dogma und Ethos daraus, daß es eben nicht den allgemeinen Kulturzyklen, den „Fortschritte[n]“ wie den „Rückschritte[n] in der Menschheitsgeschichte“336 – die Elert nicht müde wird gegenüber dem verbreiteten Fortschrittsglauben festzuhalten –337, unterworfen ist. Das Pathos ist
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Transzendente auf die zweite Art zu fassen. Aber die ethischen Möglichkeiten sind jetzt durch die großen sozialistischen und personalistischen Systeme erschöpft“. Vgl. dazu W. Elert, KCH, 420 ff. Vgl. W. Elert, Dogma, 21 ff. 27 ff. 32 ff. Denselben Sachverhalt formuliert Elert 1924 in der Vorrede seiner „Lehre des Luthertums im Abriss“: „Es ist unsere feste Überzeugung, daß das Evangelium, das rein für sich genommen keiner Veränderung unterworfen ist, unsre Seelen nicht anders ergriffen hat und darum auch nicht anders gestaltet als“ die der vorangegangenen Generationen (LLA1, VIII). W. Elert, Dogma, 32. W. Elert, Dogma, 34. W. Elert, Dogma, 22. Elert war zeitlebens kritisch gegenüber derartigen Fortschrittstheorien. Bereits 1911 hebt er als „Eigentümlichkeit“ solcher „Geschichtsauffassung“ hervor, „daß sie von dem Vorurteil ausgeht, die Geschichte bedeute unbedingt einen Fortschritt, und das Spätere müsse daher unter allen Umständen wertvoller sein als das Frühere“ (Im Kampf, 108). Vgl. dazu v. a. aaO, 106 ff. Vgl. dazu auch unten S. 231 Anm. 401. Kritisch zum – protestantischen – Fortschrittsparadigma: H. Aichelin, Der Protestantismus und die Krise des Fortschrittsglaubens, in: Glaube und Denken. Jahrbuch der Karl Heim Gesellschaft 3 (1990), 48 – 60. Die einzige Ausnahme bildet für Elert die Dogmengeschichte, die im bewußten Gegensatz zu A. v. Harnacks – verfallsgeschichtlicher – Hellenisierungsthese in den Arbeiten zur Alten Kirche der 50er Jahre als Fortschrittsgeschichte verstanden wird: Der „Hellenisierung“ entspricht „eine zunehmende Enthellenisierung“, ja wir „glauben vielmehr, daß die Kirche mit ihrem Dogma gegen eine ihr wesensfremde Metaphysik gerade einen Wall aufgeworfen hat“ (AAC, 14). Die in der dogmengeschichtlichen These Harnacks implizierte Relativierung des Geltungsanspruches altkirchlicher Dogmen (vgl. AAC, 313 – 315. 333)
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gleichsam krisensicher eine innergeschichtliche Wirkung des transzendenten, „ewige[n] Evangelium[s]“338 ; es ist nicht der Geschichtlichkeit unterworfen, sondern „,irgendwie ein sturmfreies Gebiet‘“339 und somit die „ursprüngliche Verwirklichung“ des Christentums.340 Nur durch Rekurs auf das Gefühl läßt sich die Selbständigkeit und der Eigenwert vor jeglicher kultureller ,Gleichschaltung‘ sichern; deshalb gilt auch Schleiermacher in Elerts Augen als der „Schutzpatron aller religiösen Autonomiebestrebungen bis zur Gegenwart“341. Die Intensität dieses gleichbleibenden Erlebnisses ist jedoch nicht gleichbleibend. Elert geht von einem „Intensitätswechsel“ des christlichen Erlebens aus,342 der sich zum einen in der „wachsenden Intensität des religiösen Pathos“ und
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verlängert sich – man denke nur an Harnacks pointierte Stellungnahme im Apostolikumsstreit (vgl. dazu W. Elert, Reduktion und Restriktion, 413) – zu einer Relativierung der diese rezipierenden reformatorischen Bekenntnisse. Gegen diese Relativierung der Bekenntnisse, die Elert in einem Zuge mit Barmen nennt (vgl. dazu W. Elert, AAC, 318 – 321), betont er den gegenwärtigen Geltungsanspruch der alten Bekenntnisse. Dies zeigt sich in seiner diametral zur These der Verfallsgeschichte verstandenen Interpretation der Dogmengeschichte (W. Elert, Die Kirche und ihre Dogmengeschichte, in: AAC, 313 – 333), die rückwirkend vom 7. Jh. und dem dortigen Ausgang vom „Christusbild der Evangelien“ (AAC, 11) aus als „Ent-Wicklung“ des Dogmas (AAC, 330) in Explikation und Präzisierung (AAC, 323), als ein „kontinuierliches Fortschreiten“ (AAC, 330) der Wahrheit des Evangeliums dargestellt wird (ähnlich schon 1936: ders., Die Lehrautorität der Kirche, 1013 f). Deutlich zeigt sich auch in den Arbeiten zur Alten Kirche, daß Elerts historische Studien sich in hohem Maße mit seinem zeitdiagnostischen Interesse verbinden: So gilt Harnack für Elert als Dogmenhistoriker, der die Relevanz von Dogma und Bekenntnis relativiere und so „einer kirchlichen Bewegung wissenschaftlichen Beistand leiste, die sich gegen die Bekenntnisverpflichtung der Geistlichen und gegen den damit angeblich ausgeübten unevangelischen Gewissenszwang wendet. Er liefert den historischen Beweis für die Gleichung: evangelischer Glaube = ursprüngliches Evangelium = undogmatisches Christentum“ (AAC, 314 f.). Zur Rezeption von Elerts dogmengeschichtlicher Arbeit vgl. W. D. Hauschild, Art. Dogmengeschichtsschreibung, TRE 9 (1982), (116 – 125), 119 f. W. Elert, Dogma, Vorwort. So Elert M. Kähler in Berufung auf W. Herrmann zitierend (KCH, 473). W. Elert, Dogma, 33. W. Elert, KCH, 37. Die Verehrung des Unionstheologen Schleiermacher als „Schutzpatron“ durch Elert nimmt in der Rede von der „Sendung Schleiermachers“ (KCH, 37) für einen – in der späteren Theologiegeschichtsschreibung – als lutherisch geltenden Theologen überraschend hagiographische Züge an. W. Elert, Dogma, 34.
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zum anderen in der „Abkühlung des religiösen Pathos“ manifestiert.343 „Scheinbare Veränderungen in der Geschichte“ des Pathos sind lediglich „Veränderungen an Intensität. Sündenbewußtsein und Gnadenbewußtsein variieren in ihrer Stärke“.344 Letzteres, die „Abkühlung des religiösen Pathos“, ist – wie Elert ja auch in seiner Zeitdiagnose feststellte – seit der Aufklärung die dominante Entwicklung und veranlaßt ihn, den Großteil der gegenwärtigen Verfassung des Christentums in seiner dominant, teilweise verabsolutiert ethischen Einfärbung negativ zu beurteilen345 : Ebenso wie ein vom religiösen Erleben abgekoppeltes dogmatisches Christentum ist auch die „rein ethische Religion“, wie sie von Kant und Ritschl paradigmatisch vertreten wurde, „keine Verwirklichung des Christentums im eigentlichen Sinne“ mehr.346 Andererseits erblickt Elert in Anknüpfung an die bereits 1918 aufgestellte These von der „qualitativen Steigerung der Religiosität durch den Krieg“347 im Erlebnishunger der Gegenwart – apologetische – Möglichkeiten einer wieder „wachsenden Intensität des religiösen Pathos“.348 Ebenso zählt ihm die neue theologische Bewegung, die im Anschluß an das „Gegenwartsleben der Christenheit“ das „Erlebnis der Transzendenz Gottes“ wieder neu in seiner affektiven, irrationalen Grundstruktur betont, zu „den hoffnungsvollsten Anzeichen einer besseren theologischen Zukunft“.349 Diese Zukunft zeichnet sich nach Elert ab in den Anfängen der Überwindung der „drei Verfälschungen des Christentums“, in der „Überwindung des Rationalismus“, der 343 W. Elert, Dogma, 29. Vgl. aaO, 26. Bei der Unterscheidung einer qualitativen – nach Inhalten – oder quantitativen – nach Intensität differenzierten – Bestimmung des Erlebnisses beruft sich Elert auf Philipp Bachmann (KCH, 465 f.). 344 W. Elert, Dogma, 35. Vgl. ders., KCH, 77 f. 345 W. Elert, Dogma, 29. Vgl. v. a. aaO, 31 f. 346 W. Elert, Dogma, 32 f. Vgl. aaO, 36. 347 W. Elert, Steigerung, 157. Vgl. dazu oben S. 132 ff. 348 W. Elert, Dogma, 29. Zu Nietzsches Beitrag der Überwindung einer rationalistischen wie besonders ethizistischen Verzeichnung des Christentums vgl. W. Elert, KCH, 434 ff.; ders., Dogma, 7. 349 W. Elert, Transzendenz, 540. Elert sieht die Abkehr von der Rationalisierungstendenz in der Theologie vor allem in der „Kierkegaardrenaissance“ seiner Tage und ihrer erneuten „Erkenntnis der Paradoxie des christlichen Glaubens“ begründet (KCH, 434; vgl. aaO, 430 ff.). Die „rege Beschäftigung mit Kierkegaard“ führe bei Barth, Brunner und Gogarten zur Neuentdeckung dessen, daß Gott „wirklich absolut transzendent“ ist (Transzendenz, 522; vgl. aaO, 526 f. 540).
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„Überwindung des Ethizismus“ und in der „Überwindung des Immanenzgedankens“, die sich mit der neuen Aufmerksamkeit auf die Kategorie des Erlebnisses verbinden.350 3.2.5. Das Pathos als Garant der Beständigkeit geschichtlichen Christentums Der „Intensitätswechsel“351 des inhaltlich unveränderlichen Pathos hat also konstitutive Auswirkungen auf die positive wie negative Entwicklung von Dogma und Ethos; er ist also der Grund der ,natürlichen‘ Pluralität des Christentums: Es „kommt weder zum christlichen Dogma noch zum christlichen Ethos, wenn nicht das christliche Pathos vorausgegangen ist“.352 Das – möglichst intensive – christliche Erlebnis ist also die originäre Bedingung der Möglichkeit eines in der Ausgestaltung von Dogma und Ethos geschichtlich divergierenden Christentums. Dieses Erlebnis von „Reue“ und „Vertrauen“ ist zwar inhaltlich immer „dasselbe“.353 Es kann jedoch nur auf subjektivem Wege erworben werden und ist durch die Subjektivität des Erlebens an Intensität verschiedenartig; das aber bedeutet, daß die Pluralität des Christentums nur durch die Divergenz subjektiver Intensität des Erlebnisses verursacht ist; es ist also das Paradox eines subjektiven Erlebnisses „objektiver Heilsrealitäten“.354 Dabei geht es um „Vorgänge im Subjekt, die transsubjektive Ursachen 350 W. Elert, KCH, 447. 453. 461. Vgl. aaO, 447 ff. 453 ff. 461 ff. Vgl. auch W. Elert, Transzendenz, 528 f.: Im Hinblick auf die Frage nach dem richtigen sprachlichen Ausdruck für die Transzendenz Gottes zeige die „Theologiegeschichte […], daß die Steigerung der Begrifflichkeit mit einer Abschwächung der Anthropomorphismen als solcher genau Hand in Hand geht“ (aaO, 528). Wie andere Beispiele aus der Christentumsgeschichte belegen, zeigt sich dies auch in der „Theologie von Luther und Zinzendorf bis zu Schleiermacher und Ritschl. Am Anfang dieser Epochen immer eine schlechte Dogmatik, nämlich ungeklärte Begriffe und viel Anthropomorphes, dafür aber eine reiche Lebendigkeit des Gotthabens und Gottempfindens. Am Ende von allem das Gegenteil“ (aaO, 529). 351 W. Elert, Dogma, 34. 352 W. Elert, Dogma, 33. 353 W. Elert, Dogma, 34. 32. 354 W. Elert, Dogma, 33. Zu Elerts Zusammenschau von Schleiermacher und der Erweckungsbewegung: ders., KCH, 92 f. Zu der in Elerts Augen ‘gelungenen’ Schleiermacherrezeption der Erlanger: KCH, (289 ff.) 296. Zu Elerts Verwendung des Begriffs der Paradoxie vgl. ders., „Irrwege“, 13 f.
3. Elerts Erlebnistheologie
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haben“.355 Elert scheint hier dem „Vorwurf der Willkürlichkeit“, der Beliebigkeit und des Subjektivismus energischer entgegentreten zu wollen als vor 1919.356 Läge das Gewicht allein auf der Subjektivität der Transzendenzvergewisserung, dann würde „das Herzenschristentum zum Gefühlschristentum, die Mystik zum Mystizismus, die pathetische zur pathologischen Religion“357. Deshalb betont Elert in auffälliger Weise das passive Moment des religiösen Pathos, die „Rezeptivität“ der Frömmigkeit, das sich nicht der Autonomie des Subjektes verdankt, sondern allein durch die Einwirkung der Transzendenz durch das Evangelium als einer „objektiv festgefügten Größe“ – in diesem Sinne also ,heteronom‘ – „verursacht“ wird.358 Religiöses Erleben ist damit ein „Schicksal“, das über den Einzelnen in der Gestalt des Evangeliums ungewollt hereinbricht.359 Das christliche Pathos ist also der „unwillkürlichste“ Wesenszug des Christentums, da er unmittelbar, kulturell unvermittelt – auch jenseits von Schrift und Bekenntnis! – mit dem „Urdatum des Christentums, dem Evangelium zusammenhängt“.360 355 356 357 358 359
W. Elert, Dogma, 33. W. Elert, Dogma, 33. Vgl. dazu oben S. 148 f. 155 ff. W. Elert, Dogma, 33. W. Elert, Dogma, 17. 33. Zur Übertragung der von Spengler in Bezug auf die Kulturzyklen aufgestellten Schicksalshypothese auf das religiöse Erleben des Einzelnen vgl. W. Elert, KCH, 327: „Die Seele gestaltet nach Spengler ihre Wirklichkeit […] nicht willkürlich, sondern nach den in ihr liegenden Möglichkeiten mit der der Notwendigkeit eines Schicksals. Gibt es eine christliche Seele […,] so muß sie auch ihre Welt […] mit der Notwendigkeit eines Schicksals so gestalten, wie sie es tat und tut. Dann tritt an die Stelle aller apologetischen Beweise die eine große, alles tragende Einsicht: Christsein ist unser Schicksal“. Den Spenglerschen Schicksalsbegriff versteht Elert wegen seiner inhaltlichen Unbestimmtheit als Platzhalter für die Transzendenz Gottes (vgl. W. Elert, Forderung, 421): Deshalb gilt Elert „Schicksal“ auch als eine „Kategorie von größter metaphysischer Tragweite“ (W. Elert, Untergang, 21). Vgl. dazu Elerts Kritik an zeitgenössischen Autonomiebestrebungen, die er unter dem Stichwort der „Persönlichkeitskultur“ in einem gleichnamigen Aufsatz bereits 1914 zu bündeln versucht hatte: KCH, 344 ff. 360 W. Elert, Dogma, 33. Schrift und Bekenntnis sind nach Elert – analog zu Dogma und Ethos – „sekundäre“ Auswirkungen des christlichen Pathos (aaO, 36), das einzig durch die direkte Einwirkung des ‘Evangeliums’ im Subjekt – gleichsam ‘tangential’ – verursacht wird; sie sind deshalb ohne das Pathos wertlos: „Deshalb ist auch die sinngemäße Benutzung der hl. Schrift geknüpft an das Pathos“ (aaO, 34). Andererseits sieht Elert gerade das „Objektive unserer Religion“ – das Evangelium – historisch vorkritisch gekoppelt an die Bibel: „Die Heilstatsachen der Geschichte Gottes mit den Menschen bleiben, solange
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Das christliche Pathos ist nicht nur der „unwillkürlichste“, er ist zugleich auch der individuellste oder persönlichste Wesenszug des Christentums, da Gefühl und Erleben das „Merkmal der Unmittelbarkeit“ an sich tragen und den „Begriff der zeitlichen Individualisierung, der Einmaligkeit“ einschließen.361 Der einzelne Christ hat damit ein individuelles, einmaliges Erlebnis, das zugleich unwillkürlich und objektiv ist. Christlicher Glaube ist also ein höchst persönlicher Glaube an die Wahrheit. Wie nach der „Morphologie“ die Wirkung von Gesetz und Evangelium im lutherischen Menschen das „Urerlebnis“ entstehen läßt,362 ist die Christenheit existiert, so wie sie die Schrift uns überliefert hat. Veränderungen an der Bibel kennen wir nicht, folglich auch nicht Veränderungen dessen, was sie uns erzählt“ (Dogma, 35). Die Bibel wird zum Medium, in dem „sich die transzendente Macht gewissermaßen einen Brückenkopf in dieser Welt geschaffen hat“; sie ist zwar als Zeugnis des unmittelbaren Transzendenzerlebnisses „von Menschen unseres Blutes geschrieben“, aber „aus jedem Worte redet der jenseitige Gott mit uns“ (Forderung, 436). Die Bibel bietet eben „zeitliche Formen ewiger Inhalte“ (KCH, 231). Die Bibel scheint vielmehr Vorbild der Versprachlichung des Transzendenzerlebnisses zu sein; es ist die „unvergleichlich eindrucksvolle Art der biblischen Sprechweise über Gott“, die in „Tätigkeits- und Wirkungsaussagen“ und nicht in „Abstraktionen“ die „Lebendigkeit des religiösen Ureindrucks“ verbürgt (Transzendenz, 532). Auch wenn die Bibel das Transzendenzerlebnis vorbildet, verbürgt und gar induziert, liegt bei Elert das Hauptgewicht auf dem Erlebnis und nicht auf den biblischen Offenbarungspropositionen: Der Gehalt von „Schrift und Bekenntnis“ hat für die Dogmatik nur Bedeutung, „sofern und soweit er in der gläubigen Gemeinde wirksam“, also durch das geistgewirkte Pathos vorbereitet ist (Reduktion, 425; vgl. aaO, 425 f.). Im Jahr 1924 wird Elert dann sogar sagen: „Unser Dienst am Evangelium ist aber dadurch noch nicht erfüllt, daß wir Bibeln verbreiten. Denn was darin steht, ist leider Gottes oft genug mißdeutet worden“; die Bekenntnisse „unserer Glaubensverwandten im Reformationsjahrhundert“ sind auch „lediglich Zeugnis vom Glauben der ‘damals Lebenden’“; deshalb sieht es Elert als „Aufgabe, nunmehr auch in unserer Situation, mit den Ausdrucksmitteln unserer Zeit das auszusprechen, was das Evangelium aus unserer Seele gemacht hat“ (W. Elert, LLA1, VII). Bei Elert kann man insofern nicht von einem Offenbarungspositivismus, wie er zeitgleich in der Dialektischen Theologie vertreten wurde, sprechen, sondern von einem Erfahrungspositivismus. Zu Elerts umstrittenem und nicht gerade unproblematischem Schriftverständnis sowie seinem merkwürdigen Umgang mit der historisch-kritischen Exegese: R. Keller, Erinnerung an Werner Elert. Gedanken, Berichte, Anfragen – ein Versuch zum 25. Todestag, in: Lutherische Kirche in der Welt. JMLB 26 (1979), (9 – 26) 17 – 23; P. Brunner, Kritisches zu Elerts Dogmatik, VF 2 (1941), (47 – 60), 54 ff. 361 W. Elert, Dogma, 33. 15. 362 Vgl. W. Elert, ML I, 15 ff. 53 ff.
3. Elerts Erlebnistheologie
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Elert hier – noch – der Meinung, daß das „Eine Evangelium“ allein „immer nach derselben Regel und immer in wesentlich demselben Affekt: erst Reue, dann Vertrauen“363 bei Christen aller Konfessionen das „Urerlebnis“ hervorruft. Elert scheint hier Karl Barth näherzustehen als sich „selbst“.364 Das religiöse Erlebnis ist also in Elerts Augen der Wesenszug des Christentums, der auch in der Gegenwart in der Lage ist, dem der geschichtlichen Veränderung unterworfenen Dogma und Ethos, aber dadurch auch dem durch die geschichtliche Veränderung verunsicherten Menschen der Gegenwart „Halt“ zu geben und somit auch die Pluralität des Christentums in ihren natürlichen Ausmaßen zu halten.365 3.3. Folgerungen für die Apologetik Aus der fundamentalen Bedeutung der Kategorie des Erlebnisses folgert Elert nun seine „Regel“ für „jede Propagierung des Christentums“ und bestimmt die apologetische Aufgabe vorerst so: „Die Aufgabe ist, durch Verkündigung des Evangeliums jenen Eindruck zu erwecken, den wir Pathos genannt haben, das Erlebnis von Sünde und Gnade. Nur durch dieses Erlebnis kann die Wahrheit des Dogmas vermittelt werden, nur in diesem Erlebnis liegen die Motive des christlichen Ethos“.366 Da nur Dogma und Ethos Gegenstände der Vermittlung sind, das Pathos hingegen nicht, ergibt sich das Problem, daß die Erweckung des Pathos Bedingung der Vermittlung von Dogma und Ethos ist, selbst aber nicht vermittelbar ist, zugleich aber von Elert zu der „Aufgabe“ erklärt wird, die nicht nur unmittelbar kirchlichen Handlungsfeldern wie Predigt und Seelsorge zugrundeliegt, sondern auch der „Apologetik“,367 die ja nach Elert stets „zu vermitteln sucht“.368 Aus dem Wi363 W. Elert, Dogma, Vorwort. 34. Der doppelten Wirkung des Evangeliums – Reue und Vertrauen – parallelisiert Elert partiell die doppelte Wirkung des Erlebnisses von „Sünde und Gnade“ (aaO, 35; vgl. aaO, 24. 26). 364 W. Trillhaas (Konservative Theologie, 37; vgl. schon oben u. a. S. 24 Anm. 67) zufolge gilt Elert erst ab 1924 als „er selbst“. Die in „Dogma“ 1920 vorgetragene Position Elerts erinnert eher an Karl Barths Aufsatz „Evangelium und Gesetz“ (ThEx 32 (1935), wiederabgedruckt in: Ernst Kinder u. a. (Hgg.), Gesetz und Evangelium, WdF 142, Darmstadt, 1968, 1 – 29) als an Elerts Erwiderung „Gesetz und Evangelium“ von 1948. 365 W. Elert, Dogma, 36. 366 W. Elert, Dogma, 36.
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III Die Zeit von 1919 – 1923
derspruch der apologetischen Aufgabenbestimmung zwischen Vermittlung und Erweckung wird deutlich, warum Elert zeitgleich mit seiner Zeitdiagnose und dem Ausbau seiner Erfahrungstheologie vehement auf eine „Revision der apologetischen Methoden“ drängt.369 Elerts Erlebnistheologie mit ihrer Betonung des Primats des Pathos vor Dogma und Ethos entspricht so seiner apologetischen These der notwendig wiederzugewinnenden „Selbständigkeit des Christentums“, der diagnostizierten wie geforderten „Diastase von Christentum“ und der untergehenden Zivilisation.370
4. Aporie oder Apologie der Apologetik? – Die „Revision der apologetischen Methoden“ 4.1. Apologetik zwischen Zeitdiagnose und Erlebnistheologie Parallel zu Elerts erlebnistheologischen Einsichten und seiner zeitdiagnostischen Kritik an der deutschen Nachkriegskultur zeigt sich deutlich eine Veränderung seiner apologetischen Absichten, die bereits angesprochen, nun aber auch eigens zu thematisieren ist. Die Diffusion der Kultur und des Individuums werden im Rahmen von Spenglers Untergangshypothese als Anzeichen des begonnenen Zivilisationsstadiums eines sich neigenden Kulturzyklusses gedeutet: Relativität und Skepsis in allen Lebensbereichen prägen das Bild der Gegenwart.371 Trotz massiver Kritik an Spenglers Geschichtsdeutung, die insbesondere an der mangelnden Berücksichtigung der „Verbindungslinien zwischen den Kulturen in der Längsrichtung“ ansetzt und damit andeutet, daß Elert nicht mit einem vollständigen Untergang des Abendlandes rechnet,372 übernimmt Elert die „Ueberzeugung, daß 367 368 369 370 371 372
W. Elert, Dogma, 36. W. Elert, Forderung, 435. Vgl. ders., Irrwege, 24. W. Elert, Irrwege, 4. W. Elert, KCH, 7. 4; vgl. v. a. aaO, 485 ff. Vgl. v. a. W. Elert, Forderung, 403 f. W. Elert, Untergang, 56. Vgl. aaO, 22. 55 ff. Auf den ersten Blick läßt auch eine weitere Bemerkung Elerts vermuten, er denke an einen Fortgang des Abendlandes im Ganzen (vgl. KCH, 489). Vgl. dazu auch unten S. 258 f. Anm. 578. Am Ende des erwähnten Abschnittes (KCH, 490) zeigt sich jedoch, daß Elert nicht mit einem Fortgang des Abendlandes, wohl aber mit einer Kontinuität einzelner abendländischer Traditionen, die den Untergang durch
4. Die „Revision der apologetischen Methoden“
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überhaupt die Möglichkeiten einer Kultur und folglich auch der unsrigen begrenzt sind“373. Wegen des christlichen Schöpfungsglaubens und der christlichen Eschatologie hat diese Annahme einer prinzipiellen Endlichkeit immanenter Strukturen und Entwicklungsprozesse für Elert auch „wahrlich nichts Unchristliches an sich“.374 Für die Apologetik bedeutet diese Diagnose hauptsächlich Folgendes: Der gegenwärtige Zustand der Diffusion der Kultur, die als grundsätzliches Deskriptionsmerkmal eine klare Differenz zur Einheitlichkeit vergangener Stadien derselben Kultur und ihrer jeweiligen „seelische[n] Gemeinsamkeit“ aufzeigt,375 macht eine apologetische Arbeit im herkömmlichen Sinne als eine Vermittlung oder auch nur eine Inbeziehungsetzung von Christentum und ,der‘ Kultur als Ganzes aus rein praktischen Gründen – wegen der unkommunikativen Atomisierung des potentiellen Gesprächspartners – unmöglich.376 Wegen der eminenten Uneinheitlichkeit der Kultur kann jede Vermittlung nur noch eine „fragmentarische“ sein.377 Zudem steht selbst das Unternehmen einer „fragmentarische[n]“ Vermittlung von Christentum und einzelnen – willkürlich ausgewählten – Teilbereichen der uneinheitlichen Kultur unter dem Vorzeichen ihres beginnenden Untergangs, der in Elerts Augen durch die Situation verkennende apologetische Aktionen auch für das Christentum nicht folgenlos bleiben könnte:378 „Wer darum in der Gegenwart das Christentum auf eine der deka-
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Fortbestand in einem neuen Kulturzyklus überlebt haben werden, rechnet; so am Beispiel der biblischen: „Kann man nach allem, was die Weltgeschichte lehrt, nicht zweifeln, daß auch für unserer Kultur einmal der letzte Tag kommt, so werden die Christen“ dann „gleich jenen Pilgervätern nichts anderes mit hinübernehmen in eine neue Welt als die Bibel unter dem Arm“. W. Elert, Untergang, 58. W. Elert, Untergang, 58. W. Elert, Forderung, 388. Vgl. W. Elert, KCH, 386. Dazu ders., Forderung, 387 ff. Vgl. W. Elert, KCH, 488 f.: „Das allgemeine Denken ist seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts einer solchen Diffusion der Weltanschauung wie der Lebensgestaltung verfallen, daß dem Christentum bestenfalls eine fragmentarische, also überhaupt keine vollkommene, d. h. ihren Sinn erfüllende Synthese mehr möglich war. Die großen Synthesen, die im Laufe des letzten Jahrhunderts zwischen dem Christentum und der allgemeinen Kultur versucht oder hergestellt wurden, sind, wo sie nicht von Anfang an dem Interesse des Christentums zuwiderliefen, in ihren Möglichkeiten erschöpft. Neue Versuche müssen daran scheitern, daß es eine einheitliche Kultur […] in der Gegenwart nicht mehr gibt“. Zur Exemplifizierung: W. Elert, KCH, 487 f. Vgl. W. Elert, KCH, 488 ff.
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III Die Zeit von 1919 – 1923
denten Mächte als rettenden Bundesgenossen festlegt, wer es mit einer bestimmten Stimmung der Kunst, einer bestimmten ,wissenschaftlichen‘ Weltsicht, einem bestimmten nicht christlich motivierten Ethos verknüpft, der bindet den Nachen der Christenheit an ein dem Untergange verfallenes Schiff“.379 Die Diagnose der Uneinheitlichkeit der Kultur und ihre hieraus hervorgehende Vermittlungsunfähigkeit sowie die Überzeugung ihres baldigen Endes stellen für Elert also herkömmliche apologetische Methoden bereits im Ansatz in Frage. Die erlebnistheologischen Einsichten Elerts – die fundamentale Bedeutung des Erlebnisses, die subjektive Unmittelbarkeit und objektive Unveränderlichkeit des christlichen Pathos sowie die Bejahung einer prinzipiellen Wandelbarkeit des christlichen Glaubens und die damit verbundenen Unterscheidung einer bejahten, natürlichen pluralen Erscheinungsweise des Christentums und einer kritisch bedachten, zur Unchristlichkeit führenden unnatürlichen Pluralität des Christentums – führen dazu, daß Elert die Bewahrung der Identität des Christentums in der neuen Aufmerksamkeit auf das jeder geschichtlichen Ausformung des Christentums zugrundeliegende objektiv unveränderliche, inhaltlich stets identische, lediglich in der Intensität differierende, subjektive Transzendenzerlebnis gewährleistet sieht.380 In der kulturellen Ungebrochenheit wie Unvermitteltheit des Pathos sieht Elert den Garanten, der die „Selbständigkeit des Christentums“ durch den Untergang des Abendlandes hindurch zu retten vermag.381 In Überschneidung mit seiner Zeitdiagnose sieht Elert das Christentum besonders durch die Dominanz seiner rationalistischen wie ethizistischen Interpretation gefährdet. Dogma und Ethos des Christentums sind die Bereiche des Christentums, die gleichsam als Schnittstellen zwischen Kultur und Christentum fungieren. Zum einen sind Dogma und Ethos durch ihren geschichtlichen Inkulturationsprozeß einer kontinuierlichen Veränderung unterworfen, zum anderen prägen und gestalten Dogma und Ethos ihrerseits die Kultur ihrer Umgebung. In der Kultur der Gegenwart, deren Dekadenz nicht zuletzt in ihrer Rationalisierung und Ethisierung liegt,382 erweisen sich diese beiden Schnittstellen nach Elert deshalb als potentielle Gefährdung des 379 W. Elert, KCH, 489. 380 W. Elert, Dogma, 29. Vgl. v. a. aaO, 26. 34; vgl. dazu ders. Reduktion, 425 ff. Ausführlich dazu oben S. 207 ff; v. a. S. 222 ff. 381 W. Elert, KCH, 2. Vgl. aaO, 3. 7. 490. 382 Vgl. v. a. W. Elert, Untergang, 38. Vgl. dazu oben S. 184 ff.
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Christentums.383 Diese Potenz erweise sich in der Gegenwart als aktualisierte und habe so zur Ausbildung einer unnatürlichen Pluralität des Christentums beigetragen. Die unnatürliche Pluralität des Christentums wird von Elert dem der „Überfremdung mit außerchristlichen Geistesmächten“ zugrundliegenden, falschen „Maßstab“ des Verhältnisses von Dogma, Ethos und Pathos zugeschrieben, bei dem die prinzipielle Bedeutung des Pathos vergessen worden ist.384 Nur das Pathos steht gleichsam vertikal bzw. axiologisch zu jeder geschichtlichen Manifestationsform des Christentums und ihrer jeweiligen kulturellen Bedingtheit. Es erweist sich – angesichts des von Elert diagnostizierten Trends seiner Zeitgenossen zum Erlebnisförmigen und Ästhetischen –385 zwar bewußt nicht als Anknüpfungspunkt einer Vermittlung von gegenwärtiger Situation und christlichem Glauben,386 wohl aber als der ,krisensichere‘ Punkt, über den sich das Christentum bzw. vor allem der einzelne Christ als durch die Situation der Krise hindurchgetragen erweisen könnte. Hieraus folgt, daß Elert apologetische Versuche der Vermittlung von Christentum und Kultur im Horizont von Vernunft und Moral kritisch betrachtet und zugleich bemüht ist, die These von der Unveränderlichkeit und Unmittelbarkeit des Transzendenzerlebnisses für die Apologetik als „Forderung der Zukunft“387 – als „Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit“388 – geltend zu machen; etwas Unmittelbares muß eben nicht mehr vermittelt werden. Zeitdiagnose und Erlebnistheologie sind somit Grund und zugleich Wirkung der Veränderung von Elerts apologetischer Position. Diese 383 Vgl. etwa W. Elert, Irrwege, 3: „Nach aller bisherigen Erfahrung der Menschheit ist die Religon [sic] so mit der allgemeinen Kultur verknüpft, daß auch das Ende des Christentums mit dem hereinbrechenden Absterben der abendländischen Kultur bevorzustehen scheint“. 384 Vgl. W. Elert, Dogma, 17. Vgl. dazu oben S. 218 ff. 385 Vgl. oben S. 190 ff. Vgl. auch W. Elert, Reduktion, 421. 427. 386 Vgl. W. Elert, Forderung, 419 f. Vgl. auch Elerts spätere, vehemente Ablehnung jeglicher Anknüpfung, die er faktisch jedoch gerade angesichts der theologischen Aufgabe der Verständigung mit dem Menschen der Gegenwart aufrechtzuerhalten versucht, die eben darin erfüllt wird, „wenn sie den Menschen der Gegenwart anspricht“ (CG, 60), ja sogar erst dann, wenn sie „das Selbstverständnis des Menschen von heute […] zum Ausgang“ nimmt (CG, 62). 387 So die Überschrift des abschließenden Kapitels in Elerts „Der Kampf um das Christentum“ (KCH, 485 ff.). 388 So der Titel von Elerts Aufsatz von 1922 (AELKZ 25, 386 ff.).
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III Die Zeit von 1919 – 1923
Veränderung zeigt sich in der Kritik an der älteren Apologetik (4.2.), im Abrücken von der eigenen bisherigen Position (4.3.) und in Elerts eigentlichem Revisionsvorschlag, seiner Neubestimmung der apologetischen Aufgabe (4.4.). 4.2. Kritik an der „landläufigen Apologetik“389 4.2.1. Verfallsgeschichte? – Eine Frage des Geschichtsbildes Apologetik ist – so definiert Elert – die Disziplin der „theologischen Wissenschaft, die sich mit der Rechtfertigung des Christentums vor dem Nichtchristen beschäftigt“.390 Da diese theologische Disziplin „im 19. Jahrhundert in so erheblichem Umfange und mit solchem Aufwand an Kraft betrieben worden“ ist, stellt sich für Elert die Frage, „ob der Ertrag dieser Arbeit es rechtfertigt, daß man auch in Zukunft diese Wege beschreitet“.391 Pointiert zusammengefaßt: „Die große Frage, von deren Beantwortung die Gesamthaltung der zukünftigen Theologie, ja der ganzen evangelischen Christenheit abhängt, ist die nach dem Verhältnis zur allgemeinen Kultur“.392 Im Horizont dieser praktischen Frage – der Frage nach dem angemessenen zukünftigen apologetischen Verfahren – geht Elert in mehreren Veröffentlichungen den apologetischen Unternehmungen seit Beginn des 19. Jahrhunderts nach.393 Seine Darstellung der Geschichte der Apologetik erscheint vordergründig lediglich als die Skizzierung ihres „Verfalls und der Zersetzung“394. Diese Verfallsgeschichte wird jedoch in einen geschichtstheoretischen Zusammenhang eingezeichnet, der organologisch bestimmt ist. Wie in der Geschichtsdarstellung Spenglers dem Vergehen einer Kultur das Erwachen der „Seele einer neuen Kultur“ folgt,395 so rechnet auch Elert nicht nur mit zunehmendem Verfall der Apologetik, 389 W. Elert, KCH, 63. 390 W. Elert, Irrwege, 4. Elerts Definition bezieht sich damit an diesem Punkt keineswegs auf Schleiermachers Wissenschaftstheorie und deren Näherbestimmung der Apologetik. Vgl. dazu v. a. F. Schleiermacher, Kurze Darstellung, §§ 43 – 53. 391 W. Elert, Irrwege, 4. 392 W. Elert, KCH, 485. 393 W. Elert, Reduktion (1919); ders., Irrwege (1920); ders., Kampf um das Christentum (1921). 394 W. Elert, KCH, 1. 395 W. Elert, Untergang, 38. Vgl. aaO, 7 f. 37 f.
4. Die „Revision der apologetischen Methoden“
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sondern auch mit immer wieder neuen Phasen der Blüte christlicher Apologetik; er übernimmt somit den zyklischen Grundgedanken Spenglers in einer bestimmten Modifikation.396 Auf der Basis seiner Spenglerkritik397 und der in „Dogma“ aufgestellten These der geschichtlichen Unveränderlichkeit des Pathos398 zeichnet Elert die „Geschichte der Beziehungen“ zwischen „Christentum“ und „allgemeinem Denken“399. Sie wird von ihm dargestellt mit dem Ziel, für die Gegenwart die apologetische Aufgabe zu erfüllen – jedenfalls zu ermöglichen –, nämlich „im Namen des Christentums zu seiner Zeit zu sprechen“400. Es ist zugleich eine Darstellung der Geschichte der Apologetik – einer zwar nicht zyklischen, wohl aber organischen „Pendelbewegung“, eines schicksalgeleiteten „Lebensproze[sses]“ zwischen „Einatmen“ und „Ausatmen“.401 Die „Pendelbewegung“ des Verhältnisses von Kultur und Christentum wird somit als ein von dem Modell des zyklischen Verlaufs des Werdens und Vergehens der einzelnen Kulturen unabhängiges, gleichwohl aber stets neu auf ihn bezogenes Geschichtsmodell den Spenglerschen Gedanken beigeordnet.402 396 Vgl. v. a. W. Elert, KCH, 490. 397 Besonders zu erwähnen ist die Kritik an der mangelnden Wahrnehmung ‘interkultureller’ Traditionslinien (vgl. v. a. W. Elert, Untergang, 57) und die bei Spengler vermißte Annahme einer „christlichen Seele“ (W. Elert, KCH, 327), die sich von der Kulturseele unterscheiden ließe – eine Annahme, die sich freilich erst in der „Morphologie“ programmatisch auswirken wird (vgl. v. a. W. Elert, ML I, 8 ff.). Vgl. dazu oben S. 210 f. Anm. 285. 398 Vgl. v. a. W. Elert, Dogma, 32 ff. Vgl. dazu v. a. oben S. 222 ff. 399 Vgl. den Untertitel von Elerts „Der Kampf um das Christentum“. 400 W. Elert, KCH, III. 401 W. Elert, KCH, 3 f. Die Vorstellung einer „Pendelbewegung“ der Geschichte der christlichen Apologetik verweist auf Elerts „Morphologie“ vor, in der er das Luthertum in eine Vorstellung vom Verlauf der Geschichte einzeichnet, die einer „Wellenbewegung“ gleicht, einer Bewegung der Geschichte, in der sich die geschichtliche Veränderung des Luthertums aufgrund eines iterativen Prozesses von „Schwächerwerden und Wiedererstarken der konfessionellen Dynamis“ ereignet (ML I, 9). Schon hier deutet sich an, daß die Übernahme eines zyklischen Geschichtsbildes allein wegen ihrer inhärenten zyklisch-helikoiden, also grundsätzlich auch linearen Struktur nicht in Frage kommt. Treffend bemerkt N. Slenczka (Selbstkonstitution, 148), daß darin die „tiefe Abneigung Elerts gegen Theorien eines Fortschrittes der Geschichte“ zum Ausdruck kommt. Zu Elerts Abneigung gegen solche Fortschrittstheorien vgl. auch oben S. 219 f. Anm. 337. 402 W. Elert, KCH, 3. Damit ist das Urteil von T. Kaufmann (Werner Elert, 210 Anm. 61; vgl. denselben Einwand zuletzt bei W. Sparn, Werner Elert, 167) zu
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Die 1920 aufgestellte These der geschichtlichen Unveränderlichkeit des Pathos und seiner prinzipiellen Unabhängigkeit von Dogma und Ethos, die hingegen geschichtlichen Veränderungen unterworfen sind, wird von Elert ein Jahr später zu der These erweitert, die „qualitative Selbständigkeit des Christentums“403 gegenüber allen geschichtlichen Phänomenen, sei, auch wenn sie der „exakten wissenschaftlichen Forschung unzugänglich“ ist, aller theologischen Arbeit vorauszusetzen, die nicht die „eigene Christlichkeit eingebüßt“ wissen möchte.404 Die These der Notwendigkeit einer Annahme der „qualitativen Selbständigkeit des Christentums“ dient ihm dazu, das Christentum gegenüber der allgemeinen Kultur als eigenständige Größe herauszustellen,405 ohne dabei die in „Dogma, Ethos, Pathos“ analysierte geschichtliche Wandelbarkeit des Christentums aufzugeben.406 Das ist keine unproblematische Differenzierung. Sie erscheint für Elert selbst schon „dadurch unendlich kompliziert“, daß „die Christenheit und also auch das Christentum nicht beziehungslos in der Welt stehen, sondern mit dem sie umflutenden geschichtlichen Leben der Menschheit insgesamt tausendfach verflochten sind“.407 Die durch das Transzendenzerlebnis hervorgerufene christliche Selbstgewißheit, das Pathos, gilt für Elert also als unveränderlicher Fixpunkt eines ,Ganz Anderen‘, das quer zu aller ,Geschichte‘ und damit aller Kultur liegt.408
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korrigieren, die „im Bild des Pendels ausgedrückte Permanenz des Wechselverhältnisses und die durch die Spenglersche Untergangsmetaphorik geforderte Endgültigkeit der Diastase“ sei „nicht vermittelt“. Die Endgültigkeit der Diastase wird bei Elert ja gerade nicht durch die Pendelbewegung, sondern durch die Endgültigkeit des Niedergangs dieser Kultur begründet. Die mit der Pendelbewegung prinzipiell gegebene Möglichkeit einer zukünftigen, neuen Synthese von Christentum und Kultur (vgl. KCH, 489) setzt im Rahmen von Elerts Logik auch das Gewordensein eines neuen Kulturzyklusses, einer „neue[n] Welt“ voraus (KCH, 490). Die Untergangshypothese bezieht sich also konkret auf die Kultur des Abendlandes, also auf den gegenwärtig noch andauernden Kulturzyklus. Vgl. dazu ausführlich unten S. 233 ff. W. Elert, KCH, 2. Synonym zu „Selbständigkeit“ redet Elert von „Selbstbewußtsein“ (aaO, 2) bzw. „Selbstgewißheit“ (aaO, 4) des Christentums gegenüber der „allgemeinen Kultur“ (aaO, 5); diese Begriffe beziehen sich jeweils auf die Wahrnehmung der „innere[n] Individualität des Christentums“ (aaO, 2), mit anderen Worten auf die Wahrnehmung des dem Pathos zugrundeliegenden Transzendenzerlebnisses. W. Elert, KCH, 2. W. Elert, KCH, 2. Vgl. v. a. W. Elert, Dogma, Vorwort. Dazu ausführlich oben S. 210 ff. W. Elert, KCH, 2. Vgl. dazu u. a. besonders oben S. 202 ff.
4. Die „Revision der apologetischen Methoden“
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Diese Differenzierung ermöglicht es ihm, Kultur und Christentum in ihrem jeweiligen „Verhältnis“409, eben in ihren „Beziehungen“410 zu analysieren. Der jeweilige Zustand der Beziehungen, das Verhältnis von Christentum und Kultur, ist geschichtlich kontingent und dadurch einem steten Wandel von reziproker Assimilation und Distanzierung unterworfen, der sich in einer Bandbreite von „Analogie“, „Abhängigkeit“ bis hin zu „Konkurrenz“ vollzieht.411 Dieser sich schicksalhaft vollziehende, jeweils zeitdiagnostisch zu erhebende Zustand der Beziehungen hat für die Apologetik normative Folgen.412 4.2.2. Apologetik als schicksalgebundenes „Gegengewicht“ Zur Bestimmung des Verhältnisses von Christentum und Kultur und der darauf jeweils bezogenen apologetischen Aufgabe führt Elert folgende sowohl deskriptive wie normative Terminologie ein: „Ein Verfahren oder ein Verhältnis, das eine Verschmelzung von Christentum und Nichtchristentum bezweckt oder enthält, wird im folgenden als Synthese, ein Verhältnis dagegen, das die Distanz von Christentum und Nichtchristentum ausdrückt, als Diastase bezeichnet werden“.413 Zwischen diesen Extremen rechnet Elert mit zahlreichen Übergangs409 410 411 412
Z.B. W. Elert, KCH, 485. Vgl. nochmals den Untertitel von „Der Kampf um das Christentum“. W. Elert, Forderung, 387. Die Zweitteilung des Vollzugs der apologetischen Aufgabe in Zeitdiagnose und Formulierung des – durchaus normativen – apologetischen Vorgehens zeigt sich auch paradigmatisch in der Zweiteilung des Aufsatzes „Forderung“. Im Anschluß an die Zeitdiagnose (Forderung, 386 ff. 402 ff.) erfolgt die Formulierung des apologetischen Vorgehens (Forderung, 418 ff. 434 ff.). Die scheinbare Widersprüchlichkeit einer den schicksalgeleiteten Prozeß analysierenden Diagnose und einer normativ geleiteten apologetischen Aufgabenformulierung ist in Elerts Vorstellung kein Problem, da es ihm darum geht, sich dem Schicksal gegenüber – aktiv – zu verhalten. Das von Elert formulierte „Programm der ‘Diastase’“ ist demnach nicht, wie etwa W. Sparn (Werner Elert, 167) meint, „nur Ausdruck des bejahenden Erleidens eines Schicksals“, sondern gerade auf dem Hintergrund seiner Erlebnistheologie durchaus ein – wie auch immer zu bewertendes „Ergebnis theologisch-normativ geleiteter Zeitdiagnose“. Allgemein zur Zweischneidigkeit des Schicksalsbegriff: H. Schulz, Art. Schicksal. IV. Philosophisch, TRE 30 (1999), 116 – 122 (Lit.). 413 W. Elert, KCH, 3. Der Begriff der Synthese wird von Elert nicht – wie A. v. Scheliha (Glaube, 302) behauptet – erst 1919 verwendet, sondern bereits 1911 – freilich in anderer Bedeutung: Damals schwebte Elert die „Synthese von Empirischem und Überempirischem“ als Ziel der Apologetik vor (Prolegomena, 104).
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feldern und Grauzonen, da es sich „hierbei freilich niemals um abgeschlossene Zustände, sondern um Tendenzen, um lebendig, im Flusse befindliche Bewegungen“ handelt.414 Die jeweiligen Extrempositionen, der „vollendete Abschluß einer Synthese“ oder die „vollkommene […] Diastase“ existieren nach Elert weder phänotypisch, noch sind sie idealtypisch ins Auge zu fassen, da ja „zum Leben der Christenheit das Umgebensein von einer nichtchristlichen Welt“ ebenso konstitutiv gehört wie der Sachverhalt, das christliche „Selbstbewußtsein“ im Transzendenzerlebnis als etwas ,Eigenständiges‘ jenseits bzw. diesseits aller kulturellen wie historischen Verhältnisse zu erfahren.415 Das Verhältnis von Christentum und Kultur und die darauf zu beziehende Apologetik vollziehen sich somit innerhalb dieser Grauzonen in einem „charakteristischen Rhythmus“, in einer „Pendelbewegung von Pol zu Pol, von der Synthese zur Diastase und umgekehrt“.416 Die Pendelbewegung des phänotypischen Verhältnisses von Kultur und Christentum geschieht nach dem „Gesetz der polaren Bewegung“ – schicksalhaft „aus einer inneren Notwendigkeit“ heraus.417 Dieses ,faktische‘ geschichtliche Verhältnis zwischen den Polen von „Synthese und Diastase kommt als ein Schicksal über ein Zeitalter und kann infolgedessen nur bejaht“ und somit im Rahmen einer Zeitdiagnose deskriptiv wahrgenommen werden.418 Die Apologetik hingegen hat – im Rahmen ihrer Aufgabe, der idealtypischen Bestimmung des Verhältnisses von Kultur und Christentum – zwar nicht „als tragischer Held […] das Schicksal zu korrigieren“,419 wohl aber die – dann doch meist sehr wohl ,tragisch‘ verlaufende – Bestimmung, in Wahrnehmung der schicksalhaft gegebenen Situation das jeweils ,richtige‘ „Ideal“ einer Synthese oder Diastase von Kultur und Christentum anzupeilen:420 Elert scheint eben zugleich Schicksal, Notwendigkeit und Freiheit gerecht werden zu wollen.421 Zur normativen Begründung, die die Erkenntnis des jeweils 414 415 416 417 418 419 420
W. Elert, KCH, 3. W. Elert, KCH, 2 f. W. Elert, KCH, 4. W. Elert, KCH, 12. 4. W. Elert, KCH, 280. W. Elert, KCH, 280. W. Elert, KCH, 4. 10. Zur direkten Beiordnung von „Ideal“ und „innerer Notwendigkeit“: W. Elert, KCH, 4. 421 Der „paradoxe Charakter des Christentums“ (Irrwege, 14) wird von Elert immer wieder betont (vgl. etwa ders., KCH, 434; ders., Transzendenz, 545); die Theologie habe ihn „der Vernunft zum Trotze“ (Irrwege, 14) zu erhalten,
4. Die „Revision der apologetischen Methoden“
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,richtigen‘ ,Ideals‘ ermöglichen könnte, sagt Elert jedoch kaum etwas. Das ,richtige‘ Ideal wird vor allem dadurch bestimmt, daß es grundsätzlich dazu anleitet, ein „Gegengewicht“ zur Extremisierung des Verhältnisses von Kultur und Christentum zu setzen, also gegen die totale Synthese ebenso vorzugehen wie gegen die völlige Diastase.422 Insofern vollzieht sich die Apologetik reaktiv auf das schicksalsbestimmte Verhältnis von Kultur und Christentum: „Veränderungen im Verhalten des einen Kontrahenten bedingen mit Notwendigkeit auch Veränderungen im Verhalten des andern“.423. So sollte von der Apologetik das bezeichnete „Gegengewicht […] mit Bewußtsein und Klarheit mobilisiert“ werden.424 Im Hintergrund aber steht die von Elert in der These der „qualitativen Selbständigkeit des Christentums“ implizierte, grundsätzliche Diastase von Christentum und Kultur,425 die der jeweils von der Apologetik vorzunehmenden konkreten Verhältnisbestimmung vorausgeht. Die Berücksichtigung des Primats des Pathos gebietet also in der jeweils geschichtlich konkret vorzunehmenden Verhältnisbestimmung von Kultur und Christentum eine Art axiomatischer Diastase.426 Dieser Primat ist die Norm, an der sich das jeweilige
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bleibe jedoch an die „Gesetze des richtigen Denkens, der Logik“ gebunden (aaO, 22). Die Aufrechterhaltung der Widersprüchlichkeit von ‘Freiheit und Notwendigkeit’ wird als Grundzug von Elerts Denken seine ganze weitere Arbeit durchziehen: vgl. z. B. LLA, 3 – 8. 10 f.; ML I, 18 – 25; CG, 107 – 133; CE, 188 – 195. Nicht zuletzt zeigt sich dies in dem von R. Otto (vgl. Das Heilige, 116 ff.) übernommenen Ausgangspunkt einer Interpretation Luthers von de servo arbitrio her (ML I, 18 ff.). Umfassend zu dieser Eigenart der Elertschen Theologie: U. Moustakas, Paradoxie in Werner Elerts Grundbestimmung der Dogmatik, NZSTh 40 (1998), 261 – 306. Zu Elerts Sündenbegriff zwischen Schicksal und Schuld: T. Reinhuber, Kämpfender Glaube. Studien zu Luthers Bekenntnis am Ende von De servo arbitrio, TBT 104, Berlin u. a., 2000, 220 Anm. 606. Zur Problematik tragischer Annahmen innerhalb der Theologie: W. Sparn, Art. Tragik / Tragödie II. Systematischtheologisch, TRE 33 (2002), 755 – 762 (Lit); zu Elert vgl. v. a. aaO, 757 f. W. Elert, KCH, 14. Vgl. aaO, 3. 431. Als Beispiele für die Extremisierung dieses Verhältnisses benennt Elert u. a. Aufklärung und Pietismus: die Aufklärung mit ihrer Unterordnung des Christentums unter die ‘reine’ bzw. ‘praktische’ Vernunft (KCH, 12 ff) und zum anderen den Pietismus mit seiner „artfremd[en]“ Diastase, die zu einer asketischen Verarmung des Christentums geführt habe (KCH, 11; vgl. aaO, 11 f.). W. Elert, KCH, 485. W. Elert, KCH, 431. W. Elert, KCH, 7. Vgl. aaO, 2 f. Zur Identifizierung der Betonung der in seinem Pathos begründeten prinzipiellen Selbständigkeit des Christentums mit einer prinzipiellen bzw. axioma-
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III Die Zeit von 1919 – 1923
„Ideal“ einer Synthese oder Diastase letztlich zu orientieren hat, damit nicht in der apologetischen Arbeit die „transzendenten Motive und Ziele […] vergessen“ werden.427 Mit der Geschichte ist also auch das Verhältnis von Christentum und Kultur im Fluß; die „Pendelbewegung“ zwischen „Synthese“ und „Diastase“, zwischen „Einatmen“ und „Ausatmen“ macht es notwendig, die Bedingung der Möglichkeit des Verhältnisses von Kultur und Christentum für jede Zeit neu zu erkunden und auszuloten, denn „eine zu allen Zeiten gltige Regel fr das notwendige Verhalten des Christentums und besonders der Theologie gegenber der Umwelt gibt es nicht“.428 Die zeitdiagnostische Wahrnehmung des jeweiligen Verhältnisses von Kultur und Christentum zwischen Synthese und Diastase sowie die Formulierung des entsprechenden apologetischen Programms zwischen Synthese und Diastase, für das es „keine bestimmten Regeln“ jenseits der jeweiligen Situation geben kann,429 bildet für Elert den Rahmen für seine Darstellung und Bewertung der apologetischen Unternehmungen hauptsächlich des 19. Jahrhunderts. 4.2.3. Die pendelnde Vorgeschichte des 19. Jahrhunderts Nach Elerts Analyse der apologetischen Unternehmungen des 19. Jahrhunderts ist der „breite Strom“ der Apologetik dem unbedingten Wunsch nach einer Synthese von Christentum und Kultur erlegen.430 Gleichwohl sei eine „kleine tiefliegende Bewegung“ auszumachen, die auf eine Kontinuität durch den Untergang hindurch hoffen lasse;431 ohne sie „ständen wir vor dem Untergange des Protestantismus und des Christentums überhaupt“.432 Diese „kleine tiefliegende Bewegung“ ist derjenige Teil der Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts, an den sich Elert in durchaus historischem Bewußtsein anzuschließen gedenkt,433 während er den Hauptstrom in der durch einseitige Assimi-
427 428 429 430 431 432 433
tischen Diastase, die einer jeden aktuellen Diastase oder Synthese vorangeht, vgl. auch die Ausführungen von M. Roth, Erlösungshoffnung, 14 f. Anm. 54. W. Elert, KCH, 4. 485. W. Elert, KCH, 3 f. 485 [Hervorhebung im Original]. W. Elert, KCH, 491. W. Elert, KCH, 430. W. Elert, KCH, 3. W. Elert, KCH, 1. Vgl. aaO, 3. W. Elert, KCH, 3. Vgl. aaO, 6 f. 430 ff. Von einer ‘antihistorischen Revolution’ kann bei Elert demnach nicht die Rede sein. Vgl. dazu unten S. 261 ff.; bes. S. 262 Anm. 598.
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lationen und „Konzessionen“ hergestellten Verquickung des Protestantismus mit der der allgemeinen Kultur auf dem breiten Wege nicht nur in die „Unchristlichkeit“, sondern auch in das Abendrot des Zivilisationsstadiums eintauchen sieht.434 In einer knappen Darstellung skizziert Elert einleitend die „Pendelbewegung“ zwischen Synthese und Diastase von Christentum und Kultur seit dem 16. Jahrhundert bis „Schleiermacher und Hegel“:435 In der „Verweltlichung des Weltlichen“ wie der Vergeistlichung des Geistlichen sei die „Frühzeit der Reformation beherrscht von dem Ideal der Diastase zwischen Christentum und Nichtchristentum“.436 Die Zeit der Orthodoxie sei geprägt von einer zunehmenden, von Elert keineswegs rein negativ qualifizierten „Verbindung mit der Umwelt“, also von einer Synthese.437 Der Pietismus beklagt dies als eine „Verweltlichung“ und erreicht durch den „Weg der Askese“ eine „Diastase zwischen Christentum und Welt“.438 Während der Aufklärungszeit „führt die Synthese mit der allgemeinen Kultur, die ja nach jenem Gesetz der polaren Bewegung der christlichen Geschichte wieder einmal kommen mußte“, das Christentum dann am Ende des 18. Jahr434 W. Elert, Reduktion, 408. Vgl. ders., KCH, 4 ff. 485 ff. 435 W. Elert, KCH, 4. Elert stellt sodann gewissermaßen die Vorgeschichte der „Beziehungen zwischen dem evangelischen Christentum in Deutschland und dem allgemeinen Denken seit Schleiermacher und Hegel“ in aller Kürze dar (aaO, 9 ff.). Vgl. dazu auch oben S. 176 ff. Diese lediglich grob skizzierte Darstellung hat Elert gute 10 Jahre später in seiner „Morphologie“ ausführlich dargestellt, die nur an „einzelnen Punkten“ die „Theologie des 19. Jahrhunderts“ streift und sich in der Hauptsache auf die Zeit bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts beschränkt (ML I, 10), um mit dem „Kampf um das Christentum“ – wie er sagte – „stofflich nicht zu kollidieren“ (ML I, 10 Anm. 1). Das Urteil von W. Trillhaas (Konservative Theologie und moderne Welt, 36), Elert habe sich von seinem Buch „Der Kampf um das Christentum“ in der Folgezeit „alsbald auf Distanz gehalten“ und es „nie mehr zitiert“, ist demnach nicht richtig. Ganz im Gegenteil ist – mit T. Kaufmann – zu unterstreichen, daß Elert selbst „beide Werke in einem komplementären Ergänzungsverhältnis gesehen“ hat (Werner Elert, 206 Anm. 47; vgl. aaO Belege für weitere Rückbezüge Elerts auf seinen „Kampf um das Christentum“). 436 W. Elert, KCH, 10. 437 W. Elert, KCH, 11. Diese Synthese von Christentum und Kultur zur Zeit der Orthodoxie ist von Elert in seiner „Morphologie“ breit dargestellt: Neben dem Zeitalter der Reformation gilt dort in Elerts Darstellung das Hauptgewicht dem „Geschlecht der Konkordienformel“ und der „Theologie des 17. Jahrhunderts“, die Elert nach eigenem Bekunden bei der Ausarbeitung „stärker herangezogen“ hatte (ML I, 10). 438 W. Elert, KCH, 11.
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hunderts bis „an den Rand des Untergangs“: Es kommt zum „Hoheitsverlust“ und „Gewißheitsverlust“ des Christentums.439 Elert sieht diesen Verlust gerade dadurch verursacht, daß das Christentum unter der Zielsetzung einer möglichst allgemein plausiblen Synthese an autonome, ,weltliche‘ Größen gekettet worden ist und daß die Akzeptanz ihrer Dominanz bis zur Aufgabe der Selbständigkeit, bis zu einer „fast katastrophale[n] Verweltlichung“ geführt hat.440 Statt das Christentum aus sich selbst heraus plausibel zu machen oder auf die Kompatibilität der anderen bei einer Synthese beteiligten Größen zu achten, wurde das Christentum in einseitiger Weise, nämlich unter Aufgabe der „Autonomie des Christentums“ und unter Wahrung der „Autonomie“ des Synthesepartners an die je herrschende Größe angepaßt:441 So liegt der „Gewißheitsverlust des Christentums … in der tiefen Devotion, die man vor den neuen Autoritäten äußert“442. Nach der Vernunft und der Moral hat sich dann auch das Gefühl als die dominante Größe der Kultur erwiesen, an die das Christentum „als Etappe auf dem Wege zur Ästhetisierung, Moralisierung und Rationalisierung des Daseins“ angepaßt worden ist.443 Durch diese Synthese mit der allgemeinen Kultur ist „das christliche Selbstbewußtsein nahezu verloren gegangen“:444 „Man war nicht mehr Christ um des Christentums willen, sondern um eine Religion zu haben. Es war vielleicht die beste, aber der Maßstab für seine Bewertung lag nicht mehr in ihm selber“.445 In dieser Zeit versagten die „Glaubensverteidiger“, indem sie es unterließen, ein „Gegengewicht“ gegen die drohende totale Synthese zu setzen, nämlich in dieser Situation „das Christentum aus dem Wust von Verschlingungen mit der Philosophie, der religionslosen Moral und Sentimentalität zu lösen“ und seine „Allerweltsfreundschaft“ zu begrenzen.446 Stattdessen versuchten die Apologeten die Selbständigkeit des Christentums in einer „intellektualistischen Verengerung des Begriffes der Offenbarung“ wiederzugewinnen und verschlimmerten so – gesteigert durch ihre 439 W. Elert, KCH, 12: So dann auch die Gliederung des I. Kapitel – „Die Lage des Christentums um 1800“ – in „Hoheitsverlust“ (KCH, 9 ff.) und „Gewißheitsverlust“ (KCH, 15 ff.). 440 W. Elert, KCH, 4. 441 W. Elert, 14. 442 Vgl. W. Elert, KCH, 17. 443 W. Elert, KCH, 14. Vgl. aaO, 12 ff. 444 W. Elert, KCH, 4. 445 W. Elert, KCH, 14 f. 446 W. Elert, KCH, 14 f.
4. Die „Revision der apologetischen Methoden“
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orientierungslose „Verzettelung“ auf einzelne „,Beweise‘“ für das Christentum – die Situation des Christentums, indem „die letzten Entscheidungen jenen verselbständigten Instanzen, der Vernunft, der vernünftigen Moral und einem allgemeinmenschlichen Gefühl anvertraut wurden“.447 Diese Ausgangssituation zu Beginn des 19. Jahrhunderts als „Lage des Christentums um 1800“448 bildet die Basis für Elerts weitere Darstellung. Sie findet in einer Beschreibung des Verhältnisses von Kultur und Christentum als einer Synthese bzw. vor allem als einer zunehmenden Diastase von Kultur und Christentum in der Zeit um 1850 und in der Zeit um 1900 ihre Entsprechung.449 Dieses chronologische Gerüst gliedert den „Kampf um das Christentum“ in drei Teile als eine Geschichte der Beziehungen zwischen Christentum und Kultur um 1800, 1850 und 1900.450 Jeder Teil ist wiederum dreifach untergliedert: Auf die Darstellung des faktischen Verhältnisses von Kultur und Christentum folgen jeweils zwei eigenständige Abschnitte, die sich mit der in Elerts Augen gelungenen bzw. mißlungenen Reaktion und dem positiv bzw. negativ eingestuften Verhalten von Theologie und Apologetik beschäftigen.451
447 W. Elert, 16 f. 18. 448 W. Elert, KCH, 9 ff. 449 Vgl. die Abschnitte bei W. Elert, KCH, 140 ff. 307 ff. Zur chronologischen Verortung vgl. aaO, 5 f. Elerts Schilderung der Situation am Ende des 18. Jahrhunderts entspricht – zum Teil wortwörtlich – seiner Einschätzung der Gegenwart zu Beginn der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts (vgl. v. a. KCH, 4. 6): Die Situation sei „genau wie ein Jahrhundert früher“ (aaO, 6). 450 Vgl. W. Elert, KCH, 9 ff. 140 ff. 307 ff. 451 Damit ergibt sich folgende Gliederung: 1. Teil: Auf die Darstellung der „Lage des Christentums um 1800“ (KCH, 9 ff.) folgt im Positiven der verbleibende Abschnitt 1 („Die Neuschöpfung des christlichen Selbstbewußtseins“, aaO, 21 ff.) und im Negativen Abschnitt 2 („Die Theologie als Synthese zwischen Christentum und Wissenschaft“, aaO, 94 ff.). 2. Teil: Auf die Darstellung der Lage um 1850 (aaO, 140 ff.) folgt im Negativen Abschnitt 4 („Die Apologetik als Versuch zur Rettung der Synthese“, aaO, 214 ff.) und im Positiven Abschnitt 5 („Die theologische Verselbständigung des Christentums“, aaO, 258 ff.). 3. Teil: Auf die Darstellung der Lage um 1900 (aaO, 307 ff.) folgt im Negativen Abschnitt 7 („Synthese aus Resignation“, aaO, 366 ff.) und im Positiven Abschnitt 8 („Die Erneuerung des christlichen Distanzgefühls gegenüber der allgemeinen Kultur“, aaO, 430 ff.). Hieran angeschlossen findet sich dann Elerts eigene Schlußfolgerung: „Die Forderung der Zukunft“ (aaO, 485 ff.).
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III Die Zeit von 1919 – 1923
4.2.4. Die zwei Wege des 19. Jahrhunderts Die eigentliche Theologiegeschichte wird von Elert somit in zwei Strängen dargestellt, die in ihrer Reaktion auf das jeweilige Verhältnis von Kultur und Christentum spezifiziert werden. Der eine Strang, der mit Hegel, Schleiermacher und der Erweckungsbewegung anhebt452 und sich unter großen Einschränkungen in der Ritschlschule und in der Erlanger Tradition fortsetzte,453 verstehe es, dem Christentum – durch Synthese oder Diastase – „Selbstbewußtsein“ und „Selbständigkeit“ zurückzugeben; in diesem Strang liegt auch die Verbindung zu der „tiefliegende[n] Bewegung“,454 die sich besonders um eine „Erneuerung des christlichen Distanzgefühls gegenüber der allgemeinen Kultur“455 verdient gemacht habe, an die Elert in seiner „Forderung für die Zukunft“ anknüpfen möchte456. Dieser Strang zeichnet sich primär dadurch aus, daß er einen grundsätzlichen „Abstand von der Umwelt erkannte“ und deshalb auf die „Selbsterkenntnis des Christentums zum Zwecke seiner qualitativen Verselbständigung gegenüber der Umwelt abzielte“.457 Der andere Strang – der bereits erwähnte „breite Strom“458 – liegt in den nach Elert hoffnungslosen wie verfehlten Versuchen der Apologetik, die eine – prinzipielle – Synthese von Christentum und Kultur auf selbstmörderische Weise fabrizieren bzw. aufrechterhalten wollen, obgleich das Verhältnis von Christentum und Kultur sie im Laufe des 19. Jahrhunderts immer weniger ermöglicht, weil beide zunehmend auseinandertreten.459 Diese Versuche sind von Elert bereits zuvor an anderer Stelle als „Irrwege bei der Verteidigung des christlichen Glaubens“ gebrandmarkt worden.460 In Fortsetzung dieses Verdikts lesen sich die
452 Vgl. W. Elert, KCH, 21 ff. 36 ff. 74 ff. Vgl. G. A. Benrath, Art. Erweckung / Erweckungsbewegung, TRE 10 (1982), 205 – 220 (Lit.). Vgl. auch die Darstellung von K. Beyschlag, Die Erlanger Theologie, 1993, 14 – 142. 453 Vgl. W. Elert, KCH, 258 ff. 285 ff. Zu den Einschränkungen, die Elert in Bezug auf die Ritschlschule erhebt vgl. v. a. aaO, 279 ff. 454 W. Elert, KCH, 2 f. 455 Vgl. die Überschrift des letzten Abschnittes (KCH, 430 ff). 456 Vgl. die Überschrift des letzten Kapitels (KCH, 485 ff). 457 W. Elert, KCH, 3. 458 W. Elert, KCH, 430. 459 Vgl. den 2., 4. und 7. Abschnitt: KCH, 94 ff. 214 ff. 366 ff. 460 W. Elert, Irrwege bei der Verteidigung des christlichen Glaubens, BZSF, 1920. Elerts Aufsatz „Irrwege“ wiederum setzt die in „Reduktion“ (1919) gemachten
4. Die „Revision der apologetischen Methoden“
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entsprechenden Partien im „Kampf um das Christentum“ wie eine einzige Verfallsgeschichte der Apologetik. Eines ihrer besonderen Merkmale erblickt Elert darin, daß sie makroskopisch betrachtet jeweils „durch Rücksicht auf diejenigen Kulturgrößen bestimmt“ war, „die gerade im Begriff waren, sich dem Einflusse des Christentums zu entwinden“.461 Diese Apologetik ist also gekennzeichnet durch eine bloße – rein kontextuell orientierte – Reaktion auf einen „Emanzipationsprozeß“ in der Wissenschaftsgeschichte, die der zunehmenden Diastasierung von Christentum und allgemeiner Kultur im 19. Jahrhundert vorangeht.462 4.2.5. Der „breite Strom“ des 19. Jahrhunderts Nach seiner „fast katastrophale[n] Verweltlichung“ am Ende des 18. Jahrhunderts463 kamen für das Christentum während der Restaurationszeit wieder bessere Zeiten, die Zeiten der „Neuschöpfung des christlichen Selbstbewußtseins“.464 Während der „Meister“ aller Synthese, Hegel, auf dem Feld der Wissenschaft, vor allem auf religionsphilosophischem Gebiet, das Selbstbewußtsein des Christentums stärkte, verstand es die Erweckungsbewegung, dasselbe in Bezug auf den Glauben der Menschen selber durch eine Diastase zu den „nichtchristlichen Elementen der Zeit“ zu erzielen.465 Schleiermacher schließlich stand mit seiner wissenschaftssystematischen Verortung der Theologie und dem Selbsterweis des christlichen Glaubens „als Vermittler dazwischen“.466 Die Theologie des zweiten Drittels des Jahr-
461 462
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Ansätze fort, die sich dann im „Kampf um das Christentum“ breit ausgearbeitet finden. W. Elert, Irrwege, 4. W. Elert, Irrwege, 17. Vgl. Elerts Darstellung dieses Prozesses (aaO, 4 ff.), der durch die Geschichtswissenschaft bereits am Vorabend des 19. Jahrhunderts eröffnet wurde (aaO, 4 ff.); es folgen v. a. die Wellen der Emanzipation der Religionswissenschaft (aaO, 7 ff.), der Naturwissenschaft (aaO, 9 ff.), der Philosophie (aaO, 17 ff.) und der Psychologie (aaO, 19 f.). Vgl. auch ders., Reduktion, 407. W. Elert, KCH, 4. Vgl. die Überschrift von Abschnitt 1 (KCH, 21 ff.). W. Elert, Irrwege, 13; ders., KCH, 94. Vgl. aaO, 93. W. Elert, KCH, 94. Elert favorisiert ganz eindeutig die Position Schleiermachers (vgl. KCH, 32 ff. 490 ff.); Hegel hingegen wird von Elert lediglich synchron positiv wahrgenommen (vgl. KCH, 21 ff.; Irrwege, 13 ff.). Die prinzipiellen Einwände Elerts (vgl. v. a. KCH, 26. 29 f. 34 f.) verdichten sich in der neuromantischen Kritik an Hegels „panlogische[m] Optimismus“, der dem
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III Die Zeit von 1919 – 1923
hunderts kann so bequem an die „apologetischen Erfolge“ Hegels und Schleiermachers anknüpfen; sie befinde sich deshalb – worin das hauptsächliche Verdienst der Erweckungsbewegung für Elert zum Tragen kommt – „auch um deswillen in ungleich günstigerer Lage als diejenige der Jahrhundertwende, weil sie wieder eine Gemeinde hinter sich hat“.467 Auf diesem Hintergrund hebt der „breite Strom“ der Theologiegeschichte an.468 Die Apologetik präsentierte sich so nach 1830 zunächst in einem unbeirrbaren „Optimismus“ in Bezug auf die „Möglichkeiten dauernder Verschmelzung von Christentum und dem allgemeinen Geistesleben“:469 Sie hatte das „Vertrauen auf ihre Existenzmöglichkeit innerhalb der modernen Welt zurückgewonnen“.470 Bei ihrem Wunsch einer „Synthese zwischen Christentum und Wissenschaft“471 übersah sie jedoch, daß der „herrschende Wissenschaftsbegriff ein anderer geworden war“: daß nämlich der exakte den idealistischen mehr und mehr verdrängte.472 Das von der damaligen Apologetik verfolgte „Ideal einer Synthese zwischen Christentum und allgemeiner Kultur“473 sei so schon bei ihrem ersten Vertreter, Karl Hermann Sack, „erschlichen“474, da sich
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individuellen Schicksal und so der erfahrbaren Irrationalität der Wirklichkeit nicht genügen könne (aaO, 35; vgl. dazu auch ders., Untergang, 6 f.) und somit in seinem ausschließlichen Rationalitätsstreben auch dem „paradoxen Charakter“ des Christentums nicht gerecht werden kann (Irrwege, 14). Der gegen Spengler erhobene Vorwurf eines mangelhaften Verständnisses des „Tragischen“ in der Geschichte (vgl. Untergang, 22) gilt somit – wie Elert dann 1924 anmerken wird – im gesteigerten Maße für Hegel: „Will man aber den Wert des geistigen Individuums nicht wie den einer Sache bestimmen, so ist jeder Tod des Einzelnen auch für das Ganze ein im strengen Sinne unersetzlicher Verlust“ (LLA, 133; vgl. aaO, 130 ff.). Nach dem wissenschaftsgeschichtlichen Wandel vom deduktiven zum induktiven Paradigma erweise sich sowieso jede Verwertung der Hegelschen Philosophie als ein „Anachronismus“ (KCH, 486; vgl. aaO, 35). W. Elert, KCH, 74 f. Dies ist einer der Stellen, an denen man sehen kann, daß Elert – zumindest – bestrebt war, in seiner – freilich großteils – theologiegeschichtlich orientierten Darstellung des „Kampf um das Christentum“ auch frömmigkeits- bzw. sozialgeschichtliche Momente mit zu berücksichtigen. Vgl. dazu v. a. aaO, 202 ff. 307 ff. W. Elert, KCH, 430 f. W. Elert, KCH, 4. W. Elert, KCH, 94. Vgl. die Überschrift des 2. Abschnittes: KCH, 94 ff. W. Elert, KCH; 102. Vgl. aaO, 117 ff. W. Elert, KCH, 104 W. Elert, KCH, 97.
4. Die „Revision der apologetischen Methoden“
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die öffentliche Anerkennung der Annahme einer wissenschaftlich begründbaren ,Denknotwendigkeit des Christentums‘ zusammen mit dem Einfluß der Hegelschen Philosophie, die wenige Jahre später von einem Physiologen als „,höheren Blödsinn‘“ eingestuft wurde,475 rasch verflüchtigte. So kam es bald dazu, daß auch „die vorsichtigste Synthese zwischen Christentum und Wissenschaft nicht mehr wie im Hegelschen Zeitalter die Gewißheit um das Christentum begründen kann, auf die es doch jede Synthese abgesehen hat“476. Der „Sieg der empirischen Naturwissenschaft“ erwies sich als unaufhaltsam.477 Auch in der Geschichtswissenschaft erschien der „exakte Wissenschaftsbegriff […] je länger je mehr als die einzig mögliche Art der Wirklichkeitsbetrachtung“.478 Unter dem Eindruck der breiten Wirksamkeit des Linkshegelianismus und des Materialismus, der die bereits entstandene Kluft zwischen Christentum und allgemeinem Denken besonders zum Ausdruck brachte, entstand in Elerts Einschätzung im Laufe des zweiten Drittel des Jahrhunderts „ein neuer Typ der Apologetik“.479 Waren die bisherigen apologetischen Unternehmungen getragen von dem in einer rückblickenden Perspektive eher saturiert wirkenden Ziel einer wissenschaftlichen „Begründung“ des Christentums innerhalb des vermeintlichen wissenschaftstheoretischen Konsenses, so erscholl nun „aus dem Innewerden der unüberbrückbaren Diastase“ ein „Notschrei […] nach Verteidigung des Christentums“.480 Aus dem unmittelbar erlebten Handlungsdruck heraus ergab sich so der „vorwiegend praktische“ Charakter dieser „neue[n] Apologetik“,481 die ihre Aufgabe darin sah, den Zeitgenossen die Kluft zwischen Christentum und allgemeinem Denken als eine bloß „scheinbare Unvereinbarkeit“ zu erweisen, die lediglich „auf Übertreibungen oder Irrtümern der Gegenseite beruhe“,482 indem sie – mit den Worten Luthardts – sich vornahm, „die christliche Weltanschauung“ als die „allein befriedigende Lösung des Problems des gesamten Daseins […] vor dem 475 Elert zitiert ein Wort aus der Veröffentlichung „Die Welt als Vorstellung“ (Academischer Vortrag, Würzburg, 1870) des Würzburger Physiologen Adolf Fick (KCH, 218). Vgl. dazu aaO, 485 f. 476 W. Elert, KCH, 253. 477 W. Elert, KCH, 188. 478 W. Elert, KCH, 159. 479 W. Elert, KCH, 215. Vgl. aaO, 214 f. 480 W. Elert, KCH, 215. 481 W. Elert, KCH, 215. 482 W. Elert, KCH, 366.
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modernen Denken und mit den Mitteln der modernen Geistesbildung nachzuweisen“483 ; es war die Zeit der „konfessionelle[n]“, „konservativen Apologetik“.484 Deren Wunsch nach „Versöhnung“ entfachte eine dem Umfang nach „gewaltige apologetische Literatur“.485 Er trieb dann Apologeten wie etwa Hengstenberg so weit, die Übereinstimmung der „,gesicherten Ergebnisse‘“ der Naturwissenschaften und der biblischen Berichte in einem unaufhaltsamen Rückzugsgefecht zu proklamieren.486 Diese „Fachapologetik“487 kulminierte darauf im Konflikt mit dem Materialismus um Weltentstehung, Unsterblichkeit der Seele und Wunder; sie geriet zu einem „Meisterstück apologetischer Spiegelfechterei“488, bis im Zusammenhang der Auseinandersetzung um die Lehre Darwins „eine Synthese von Wissenschaft und Christentum […] nur noch in den Köpfen der Apologeten bestand“489. Man war getragen von der Hoffnung, die „maßvolle und echte Wissenschaft lasse sich nach wie vor mit dem Christentum zu einer widerspruchslosen Einheit verbinden“.490 Aus Gottes „Sechstagewerk“ etwa wurde ein Schöpfungsakt in sechs längeren „Perioden“ bis als ,billigstes‘ Angebot Genesis 1 als „Darstellung einer sechsfachen Schöpfertat Gottes“ dem naturwissenschaftlich geschulten Menschen feilgeboten wurde.491 Doch diese auf dem „Rückzug“ gemachten „Kompromißangebot[e]“ interessierten ,die‘ Wissenschaft, ihre Publizisten und deren Leserlegionen schon längst nicht mehr.492 So kennzeichnet Elert die folgenden apologetischen Bestrebungen, die faktisch kulturell schon längst zerbrochene Einheit von Christentum und Kultur vor allem durch „Reduktion“ und „Restriktion“ des Christentums aufrechtzuerhalten, als Versuche einer „Synthese aus Resignation“.493 Denn um „1870 war die tiefe Diastase zwischen 483 484 485 486 487 488 489 490 491 492 493
W. Elert, KCH, 216. W. Elert, KCH, 215. 367. W. Elert, KCH, 217. 5. W. Elert, KCH, 219. W. Elert, Reduktion, 406. W. Elert, KCH, 229. W. Elert, KCH, 239. W. Elert, KCH, 366. W. Elert, KCH, 229 f. W. Elert, KCH, 368. 366. Vgl. die Überschrift des 7. Abschnittes KCH, 366 ff. AaO, 366 verweist Elert auf seinen Aufsatz von 1919 „Reduktion und Restriktion in der Dogmatik“, in dem er den „apologetischen Charakter der modernen Theologie“ (aaO, 407) – also ab 1870 etwa – kritisch darzustellen versucht.
4. Die „Revision der apologetischen Methoden“
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Christentum und allgemeiner Kultur […] im Grunde vollzogen“494. Es war eine Kultur, die offensichtlich „ohne Christentum“ auskam,495 deren „Unchristlichkeit auf beiden Seiten deutlicher empfunden“ wurde:496 „Die offene Diastase ließ sich von keinem Einsichtigen mehr leugnen“.497 Wer trotzdem „jetzt noch“ an einer Synthese interessiert war, tat dies im vollen – zeitdiagnostischen – Bewußtsein einer „einseitige[n]“ Assimilation des Christentums an die „neue Kultur“, deren „Allgemeingültigkeit“ widerstandslos anerkannt wurde498 – ob es sich dabei nun um Allgemeingültigkeit ihrer Vernunft, ihrer Moral oder ihres Wissenschaftsbegriffs handelte.499 Oder aber man gab sich mit dem Ziel eines Synthesepartners dem trügerischen Schein hin, als ob man die Moderne, deren Kennzeichen ja gerade in ihrer Uneinheitlichkeit besteht, „auf einheitliche Formeln“ bringen könnte.500 „Resignation“ gilt Elert deshalb als Kennzeichen solcher Apologetik, die alles über Bord warf, was im Horizont dieser ,modernen‘ Welt als „,unhaltbar‘“ galt.501 So erweist sich in Elerts Augen gerade die „moderne Theologie“ eines Wilhelm Herrmann, eines Adolf von Harnack oder eines Reinhold Seeberg in ihrer bewußten Abgrenzung gegen die „,schlechte Apologetik‘“ der Jahrhundertmitte und gegen den „Vorwurf“, selber „apologetische[r] Tendenz[en]“ zu verfolgen, als eine solche Theologie, die
494 W. Elert, KCH, 258. 495 Vgl. Elerts Darstellung des faktischen Verhältnisses von Kultur und Christentum um 1900: „Kultur ohne Christentum“ (KCH, 307 ff.). 496 W. Elert, Reduktion, 408. 497 W. Elert, KCH, 366. 498 W. Elert, KCH, 6. 372. 6. 499 Vgl. dazu W. Elert, KCH, 366 ff. 402 ff. 417 ff. Elert sieht in der restlosen Übernahme des exakten Wissenschaftsbegriff gleichsam eine Kapitulation der Theologie: Die „dogmatischen Reduktionen und Restriktionen erstrecken sich auf alles, was der modernen Naturtheorie zuwiderzulaufen scheint. Die moderne Naturtheorie ist die Instanz, vor der sich das Dogma zu legitimieren hat, ehe ihm seine Haltbarkeit zugestanden werden kann. Gibt es keinen anderen Ausweg für die Dogmatik, die christlichen Glaubenswelt vor dem Urteil der Gegenwart zu vertreten, so bedeutete dieser Sachverhalt den endgültigen Bankerott der ehedem fundamentalen christlichen Gewißheit“ (Reduktion, 418). Zu den durch die exakten Geschichtswissenschaften gestellten Problemen vgl. aaO, 414 ff. 500 W. Elert, KCH, 386. Vgl. ders., Forderung, 387 f. 501 W. Elert, KCH, 366. 368.
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„durch und durch apologetisch orientiert“ ist.502 Den „Grund für den apologetischen Charakter der modernen Theologie“ entdeckt Elert gerade in ihrem Wunsch nach Modernität, nach Zeitgeistkonformität, der sie dazu trieb, „sich wie die Theologie keines andern christlichen Zeitalters von den Rücksichten auf die andern Geistesmächte ihrer Zeit bestimmen“ zu lassen.503 Das charakteristische „Leitmotiv“ der modernen Theologie sei der „begreifliche wie berechtigte Wunsch einer Synthese zwischen Christentum und moderner Kultur“.504 Diese Synthese versuchte man jedoch durch eine Anpassung des Christentums an den Synthesepartner zu erreichen, wobei sich die einzelnen Theologen lediglich darin unterschieden, daß sie sich „nicht alle […] gleich opferfreudig“ in den „Konzessionen“ präsentierten, die sie dem „modernen Geiste“ darbrachten.505 Der Weg zur Synthese wurde beschritten durch eine „Reduktion“ christlicher Glaubensgegenstände oder durch ihre „Restriktion“, nämlich durch eine zeitgeistkonforme Uminterpretation „anstößige[r] Inhalte durch mildernde Kommentare“.506 Dieses Verfahren führte zwangsläufig zu der ultimativen Frage der „Unterscheidung des Wesentlichen und Unwesentlichen“.507 Diese Frage nach dem harten Kern des Christentums, die Frage nach dem 502 W. Elert, Reduktion, 406. Gerade an Elerts Eingehen auf A. v. Harnack wird deutlich, wie sehr er sich – zum Teil über mehrere Jahrzehnte – auf einzelne Positionen und Personen einzuschießen vermochte. So kritisiert Elert bereits 1911 den „Persönlichkeitsapostel“ Harnack und dessen scheinbar subjektivistisches Christentumsverständnis (Im Kampf, 126; vgl. aaO, 125 ff.). Vgl. dazu oben S. 140 Anm. 436. Im Jahr 1934 erhebt Elert Harnack dann zum Prototypen einer Generation von Theologen, die – obwohl sie wissen, daß „das Privatisieren in der öffentlichen Lehre ein Widerspruch in sich selbst ist“ – „das Privatissimum ihrer Seminare […] mit der Kirche verwechseln“ (W. Elert, Luthergeist und lutherisches Bekenntnis, Luth. 45 (1934), (293 – 307) 299) und ihre identitätsstiftende Verbindung nur noch in ihrer gemeinsamen Berufung auf einen „Luthergeist ohne Sachgehalt“ (aaO, 294) finden, nämlich in der Gleichung: „‘Protestantismus’ = Verbrennen der Bannbulle = Zerbrechen der alten Tafeln = Kampf gegen die Reaktion“ (aaO, 295). Zu Elerts Kritik an Harnacks Hellenisierungsthese in den 50er Jahren vgl. oben S. 219 f. Anm. 337. 503 W. Elert, Reduktion, 407. 504 W. Elert, Reduktion, 408. 505 W. Elert, Reduktion, 410. 408 f. 506 W. Elert, Reduktion, 409 f. Vgl. die materialen Ausführungen aaO, 410 ff., v. a. zur Christologie (aaO, 412 ff.) sowie zu Schöpfungslehre bzw. Eschatologie (aaO, 415 ff.). 507 W. Elert, Reduktion, 409 f.
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unaufgebaren „Restchristentum“,508 mündete dann in Darstellungen des „Wesens des Christentums“ oder in der für Elert naiven Annahme der modern-positiven Theologie, man könne sich der Moderne unter Aufrechterhaltung der „Grundwahrheiten der christlichen Religion“ auch „nur formal“ nähern509. Ohne die Berechtigung einer ,modernen‘ Interpretation im Einzelnen bestreiten zu wollen, sieht Elert in der Situation seiner Gegenwart das Fanal eines „theologiegeschichtlichen Prozeß[es]“, der bestimmt ist „von Rücksichten auf Elemente der allgemeinen Geistesgeschichte, die zum Christentum kein notwendiges, sondern nur ein zufälliges Verhältnis haben“.510 Die gegenwärtige krisenhafte Situation – Anfang der 20er Jahre – erweise, daß „dieses apologetische Moment, wie man jene Rücksichten nennen kann, innerhalb des überkommenen Bestandes an Glaubenssätzen als zersetzender Faktor gewirkt hat“.511 So faßt Elert die bis zur Selbstauflösung führenden Vermittlungsbemühungen der ,modernen‘ Theologie folgendermaßen zusammen:512 „Sie suchen die Gewißheit des Christentums, die problematisch erscheint, durch Elemente der neuen Kultur, an deren Allgemeingültigkeit ihnen kein Zweifel kommt, zu stützen. Sie scheuen dabei vor 508 W. Elert, KCH, 372. Vgl. aaO, 372 ff. 509 W. Elert, Reduktion, 420. Reinhold Seebergs Buch „Die Grundwahrheiten der christlichen Religion“ erschien 1902 in Erlangen als eine Art modernpositives Gegenstück zu Adolf von Harnacks 1900 in Leipzig erschienenem „Das Wesen des Christentums“. Zu R. Seeberg: A. v. Scheliha, Art. Seeberg, Reinhold, TRE 30 (1999), 729 – 733 (Lit.). 510 W. Elert, Reduktion, 423. 511 W. Elert, Reduktion, 423. 512 Vgl. W. Elert, KCH, 430: „Man hat geflickt und gebaut am Tempel, um das Gebäude neu erscheinen zu lassen. Mehr noch, man hat neue Türen schaffen wollen. Keine Front des Hauses, die nicht aufgebrochen wäre, um neue Pforten und Tore zu schaffen. Zuletzt war die ganze Fassade in lauter Tore aufgelöst. Und überall neue Fenster, die kein Stückchen Mauerwerk mehr zwischen sich duldeten. Alles Luft und Licht, alles lauter Zugänge. Man konnte über den Platz schreiten, ohne zu ahnen, daß hier einst ein steinerner Dom gestanden. Gesetzt den Fall, man habe vielen dadurch die Stätte einladend gemacht, wußte man am Ende noch, wozu man eigentlich einladen wollte? Niemand wird denen Ernst und Überzeugung absprechen, die hierauf zuversichtlich antworten: Ja, wir wissen es. Hier ist die Stätte der evangelischen Freiheit. Freiheit wovon? Freiheit vom Dogma, hieß es, Freiheit von der mittelalterlichen Weltanschauung, Freiheit von der Buchstäblichkeit der Bergpredigt. Du lieber Himmel, könnte man denken, diese Freiheiten können doch die Eingeladenen wahrlich auch anderswo finden.“
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keinem Opfer zurück. Sie unterwerfen den christlichen Glauben der Begutachtung durch die empirische, womöglich die physiologische Psychologie und seine Gegenstände der Begutachtung durch eine auf den monistischen Immanenzgedanken eingeschworene Natur- und Geschichtswissenschaft. Mit der daraus folgenden religionsphilosophischen, religionspsychologischen und geschichtsphilosophischen Relativierung hat das Christentum genau wie ein Jahrhundert früher den letzten Rest seiner inneren Hoheit eingebüßt“.513 Ein spürbarer „apologetischer Erfolg“ war dieser ,modernen Theologie‘ Elerts Einschätzung zufolge nicht vergönnt. Ja, ganz im Gegenteil habe diese Art von Theologie nur ein einziges wesentliches Resultat aufzuweisen:514 die Zunahme der „Verachtung“ des Christentums bei „führenden Geistern der Zeit“ und – was in Elerts Augen weit schwerer wiegt – die Steigerung der „Unsicherheit der Laien in Glaubensfragen“.515 In Elerts Einschätzung dominieren also die „vielen apologetischen Trostlosigkeiten dieser Zeit“516. Noch Jahre später wird Elert behaupten, es sei „die verschimmelte Apologetik des 19. (und 20.) Jahrhunderts [gewesen], die das evangelische Christentum mit einem Fluch der Lächerlichkeit beladen hat“517. 4.2.6. Die Gemeinsamkeit aller „Irrwege“ in der Apologetik Alle apologetischen Vermittlungsversuche, die auf eine Synthese zielen, die nur durch einseitige Assimilation bzw. einseitige Übernahmen in inhaltlicher, methodischer und axiomatischer Hinsicht hergestellt werden kann, gelten Elert deshalb als „Irrwege“.518 Die Gemeinsamkeit aller dieser „Irrwege“ der Apologetik liegt für den militärtaktisch empfindenden Elert darin, daß sie darauf verzichten, „das Christentum mit seinen eigenen Waffen zu verteidigen“, und stattdessen einen methodischen Kardinalfehler begehen, indem sie versuchen, „den Feind mit seinen eigenen Waffen zu schlagen“.519
513 514 515 516 517 518 519
W. Elert, KCH, 6. W. Elert, Reduktion, 421. Vgl. ders., Irrwege, 3 f. W. Elert, Reduktion, 422. W. Elert, KCH, 391. W. Elert, ML I, 365. Vgl. W. Elert, Irrwege, 20 ff. W. Elert, Irrwege, 5.10.
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Daß das „Christentum an artfremden Maßstäben gemessen“520, also daß der Primat des Pathos vergessen und dadurch eine „Konfusion“ der „Maßstäbe“ in Bezug auf die Zuordnung und das Verhältnis von Dogma, Ethos und Pathos verursacht wird,521 gilt Elert somit als der „Grundfehler aller Apologetik“ schlechthin.522 Dieser ,Grundfehler‘ zieht sich wie ein roter Faden durch den „breite[n] Strom“523 der Apologetik des 19. Jahrhunderts, die eine Synthese von Christentum und Kultur im Rahmen von Vernunft und Moral herstellen, aufrechterhalten oder gar „nur den Schein einer solchen retten“524 wollte. Negativ werden von Elert somit nicht alle auf ,Synthese‘ abzweckenden apologetischen Unternehmungen gezeichnet,525 sondern nur diejenigen, die eine Synthese unter Absehung von der christlichen Selbstgewißheit und deren prinzipieller Andersartigkeit – ihrer prinzipiell diastatischen Grundstruktur – verfolgen. Die Extremisierung der „Pendelbewegung“ zu einem „vollendete[n] Abschluß einer Synthese“ – durch eine von dem Wunsch nach Synthese um jeden Preis getriebene Apologetik verschuldet, die das Christentum „mit der nichtchristlichen Umwelt zu einer Einheit verschmelzen wollte“, obwohl das faktische, zeitdiagnostisch zu erhebende Verhältnis von Christentum und allgemeiner Kultur offensichtlich diastatisch geworden war – kann für Elert „nur mit dem Verlust der Selbständigkeit des Christentums endigen“, ja mit dem „Tod“ des Christentums.526 Diese Apologetik hatte es aus einer „Ver520 W. Elert, KCH, 23. 521 W. Elert, Dogma, 17. Vgl. dazu oben S. 218 ff. Selbst die (Erlebnis-) Theologie eines Wilhelm Herrmann (vgl. W. Elert, KCH, 273 f. 277 ff.) wird von Elert als eine solche gebrandmarkt, die das Christentum nach Maßstäben der Wissenschaft so „eingerichtet“ habe, um den „Wunsch“ nach einem „Zustand inneren Friedens zu ermöglichen, eines Friedens zwischen Denken und Erleben desselben Menschen“ (Reduktion, 408). 522 W. Elert, KCH, 23. 523 W. Elert, KCH, 430. 524 W. Elert, KCH, 385. 525 Vgl. W. Elert, KCH, 485. 526 W. Elert, KCH, 3 f. Vgl. auch ders., Irrwege, 20 f.: „Allen diesen Beweisen ist die Absicht gemeinsam, der Religion und dem Christentum vor der Wissenschaft das Existenzrecht zu erkämpfen […]. Man hat der Wissenschaft zuliebe das Christentum selber so zu gestalten versucht, daß die Wissenschaft nichts mehr dagegen einzuwenden haben sollte. […] man hat die Gegenstände des Glaubens alle so zu formulieren versucht, daß die Wissenschaft ihr Ja und Amen dazu geben könne“. Die Vorstellung eines finis christianismi dürfte Elert von Franz Overbeck übernommen haben. Vgl. dazu W. Elert, KCH, 438 f.: „Overbeck bestätigte nicht nur Nietzsches Urteil von dem hoffnungslosen
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kennung der Situation“527, aber auch aus einer zweifelhaften Intention und einem bedenklichen „Beweggrund“ – nämlich dem unbedingten Wunsch nach einer „Harmonie zwischen Wissenschaft und Christentum“ – heraus unterlassen, das in Elerts Augen ,richtige‘ „Gegengewicht“ zu setzen.528 In diesem Harmoniestreben ist die Apologetik „aus einer ehemals polemischen zu einer pazifistischen Disziplin geworden“.529 Sie war nicht nur blind in ihrer Zeitdiagnose,530 sondern auch
527
528 529 530
Gegensatz zwischen dem Christentum und der modernen Kultur, sondern gab ihm auch darin recht, daß die Kulturfeindschaft geradezu sein Wesen ausmache“. Demnach sei eine „christliche Theologie […] ein Widerspruch in sich selbst. Denn Theologie müsse, wenn sie Wissenschaft sein wolle, wie jede andere Wissenschaft dieselbe Welt bejahen, die das Christentum verneine. Niemand habe deshalb so sehr zum Untergange des Christentums, der Overbeck unvermeidlich erscheint, beigetragen wie die Theologie und am meisten die apologetische, die das Christentum durch den Nachweis seiner angeblichen Kulturfähigkeit hoffnungslos ruiniert habe. In diesen Sätzen Overbecks liegt eine so vernichtende Kritik der Kulturtheologie, daß sie nicht anders als mit Stillschweigen darauf geantwortet hat. Oder vielmehr: als Overbecks Schrift über die Christlichkeit der Theologie [Über die Christlichkeit unserer heutigen Theologie, Leipzig, 1873] erschien, war sie noch nicht reif für die Lösung des von Overbeck gestellten Problems“ (KCH, 439). W. Elert, KCH, 281. Diese „Verkennung der Situation“ zeigt sich zum einen in der mangelhaften Wahrnehmung der nach Elert unvermittelbaren Kluft zwischen Christentum und Kultur und zum anderen in der Wahl des falschen Synthesepartners, besonders in der anachronistischen Ausrichtung auf eine Vermittlung im Rahmen der Kantischen Philosophie, einer „antiquierten Erkenntnistheorie“ (Reduktion, 422; vgl. aaO, 421 f.); vgl. KCH, 486 ff. W. Elert, Irrwege, 21. 24; ders., KCH, 14. Vgl. aaO, 431. W. Elert, KCH, 392. So kritisiert Elert an dieser Theologie, die konstitutive Uneinheitlichkeit der Moderne nicht genügend ernst genommen zu haben und sich in einer einseitigen Weise – gegen die Naturwissenschaften und deren weltanschauliche Folgen, etwa gegen den Materialismus – auf eine ‘geisteswissenschaftliche’ Methode als „Bundesgenossen“ festgelegt zu haben (KCH, 367; vgl. aaO, 488 f.). Deutlich wird dies besonders im folgenden Zitat: „Die gesamte ‘wissenschaftliche’ Theologie hatte sich seit einem halben Jahrhundert darauf versteift, die Repräsentanten ihrer Umwelt nur in den Vertretern der Philosophie zu erblicken und zwar fast ausschließlich der Kathederphilosophie, so daß selbst die Gedankenwelt Schopenhauers nicht rechzeitig gewürdigt wurde […]. Diese Theologie kannte keine andere Alternative als Kant oder Materialismus – noch zu einer Zeit, als bereits das ganze gebildete Deutschland nach Bayreuth wallfahrte. Sie bemerkte nicht, daß hinter einem Buch wie ‘Rembrandt als Erzieher’ ein Anonymus stehen müsse, der weder Kantianer noch Materialist sei […]. Wenn man sich schon einmal damit abgab, den Geist der ‘Moderne’ bei der Fundamentierung der theologischen Systematik zu Rate zu
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durch ihre Vorgehensweise auf dem besten Wege, ihre „eigene Christlichkeit“ einzubüßen.531 Auch wenn aus Elerts Zeitdiagnose ersichtlich ist, weshalb ihm „jetzt die reinliche Scheidung, die Diastase von Christentum und Nichtchristentum“ als das zu verwirklichende „Ideal“ gilt , warum ihm jetzt „nur ein einziges großes Gebot“ gilt, nämlich „das Christentum aus den Verschlingungen mit einer untergehenden Kultur zu lösen“, ist doch ebenso deutlich, daß er die Apologetik „nicht als eine starre Größe“, sondern als einen im Fluß befindlichen „Lebensprozeß“ verstanden wissen will.532 So erkennt er „auch im 19. Jahrhundert Träger der allgemeinen Kultur, deren Gedankenwelt auf christliche Motive zurückging. Warum sollte die Christenheit hier die Diastase unterstreichen?“.533 Elerts apologetische Empfehlung für die Gegenwart, die Abtrennung des Christentums von der „untergehenden Kultur“ des Abendlandes, die Diastase von Christentum und Kultur ist also eine aktuelle, keine prinzipielle.534 Hierin unterscheidet sich Elert deutlich von seinen Zeitgenossen Gogarten und Barth.535
531
532 533 534 535
ziehen, so hatten Musik, Mystik und Lyrik kein geringeres Anrecht auf Beachtung als Kant und der ‘moderne Wirklichkeitssinn’. Denn wie weit über die Hörsäle der Neukantianer hinaus mag deren Philosophie den deutschen Geist im letzten Menschenalter gestaltet haben?“ (W. Elert, KCH, 487 f.). W. Elert, KCH, 2. Vgl. den ähnlichen Vorwurf, den Elert gegen Kant und Ritschl erhebt, in ihrem Denken hätte das „spezifisch Christliche“ lediglich noch eine „accidentielle Bedeutung“ (Dogma, Ethos, Pathos, 30 f.; vgl. aaO, 31 f.). W. Elert, KCH, 4. 489. W. Elert, KCH, 485. W. Elert, KCH, 489. Zur Unterscheidung der aktuellen Diastase von der prinzipiellen bzw. axiomatischen Diastase bei Elert vgl. oben S. 233 ff. Dazu auch S. 236 Anm. 426. Der Unterschied wird deutlich etwa im Hinblick auf den bekannten Text von F. Gogarten, Zwischen den Zeiten, CW 34 (1920), 374 – 378, wiederabgedruckt in: Jürgen Moltmann (Hg.), Die Anfänge der Dialektischen Theologie. Teil 2, München, 1963, 95 – 101. Vgl. dazu ebenso K. Barth, Der Römerbrief, 19222.
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4.3. Abrücken von der bisherigen apologetischen Zielsetzung 4.3.1. Der frühere Versuch, „vor der Wissenschaft das Existenzrecht zu erkämpfen“ Indem Elert seine Kritik an der Apologetik auch auf diejenigen Unternehmungen ausweitet, denen er in seinen früheren Veröffentlichungen sehr nahe gestanden hatte, zeigt sich ein deutliches Abrücken vom eigenen bisherigen apologetischen Programm. Elert sieht nun die Insuffizienz des apologetischen Aufweises des „axiomatischen Charakter[s] jeder Weltanschauung“536 und ersetzt seine früheren geisteswissenschaftlichen Plausibilisierungsversuche, die auch eine Form der Vermittlung sind, durch eine Art Erfahrungspositivismus. Von seinen beiden Dissertationen an hatte Elert versucht, die vermeintlich schlechte Stellung des Christentums im Weltanschauungskampf der Moderne zu „verbesser[n]“537. Mit der in seinen geschichtsphilosophischen Arbeiten vorgelegten erkenntnistheoretischen Klärung einer zureichenden Beantwortung der Frage nach dem Sinn der Geschichte kam Elert zu dem Schluß, daß diese Frage nur durch eine spezifische Verbindung von kausaler und immanent finaler Betrachtung mit einem transzendent finalen Zielpunkt zu erreichen sei. Mit anderen Worten: Das – immanente – Weltwissen sei nur in Verbindung mit „nichtempirischen Voraussetzungen“538, also nur in Verbindung mit einer Art Glaubenswissen, zu einer allgemein nachvollziehbaren, plausiblen Weltanschauung in der Lage, die weltanschauliche Frage nach dem Sinn zu beantworten. Elert zielte mit diesem früheren apologetischen Programm des Aufweises des prinzipiell allen Weltanschauungen inhärenten axiomatischen Charakters auf eine Relativierung exklusiver Wahrheitsansprüche szientistischer Weltanschauungen und zugleich darauf, die christliche Weltanschauung als eine ebenso plausible zu erweisen. Das Christentum ist darin auch dem „Ungläubigen“ plausibel, daß es das gegenständliche Welterkennen, das jeweilige Weltbild seiner Gegenwart, also die zuständlichen Elemente des Glaubens, die Glaubensgewißheit mit einer spezifischen Form transzendenter Sinnvergewisserung zu einer formal zureichenden „Gesamtweltanschauung“ zu verbinden fähig und so die existentiellen Fragen der Menschen unter 536 W. Elert, KCH, 387. 537 W. Elert, Wendung zur Geschichte, 491. Vgl. dazu oben v. a. S. 124 ff. und S. 145 ff. 538 W. Elert, Wendung, 471.
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Aufnahme des Weltwissens befriedigend zu erklären in der Lage ist.539 Die Apologetik beschäftigt sich somit in strenger Unterscheidung von der Dogmatik nicht mit Glaubenssätzen, die ja nur von demselben Transzendenzerlebnis aus nachvollziehbar sind, sondern zielt darauf, „thetisch die christliche Weltanschauung [zu] entwerfen“, so daß sie als eine mögliche Erklärung des Sinns der Geschichte durch Aufnahme des Weltwissens auch dem „Ungläubigen“ nachvollziehbar sei.540 Die ersten Schritte in Richtung auf die geforderte thetische Formulierung der christlichen Weltanschauung unternahm Elert in seinen – dezidiert als Form geisteswissenschaftlicher Psychologie angekündigten – religionspsychologischen Schriften. Methodisch erschien ihm hierbei im Anschluß an den südwestdeutschen Neukantianismus die geisteswissenschaftliche Methode als geeignet, die Individualität auch der christlichen Weltanschauung zu wahren; zugleich bürgte ihm diese Methode für die ,Wissenschaftlichkeit‘ der Apologetik, ja der Theologie insgesamt. Die – geisteswissenschaftlich zu würdigende – Selbstgewißheit des christlichen Glaubens ist also eine von vielen Möglichkeiten transzendent verbürgter Weltanschauung; sie ist eine mögliche Form weltanschaulicher Axiomatik. Somit unternahm Elert selbst, was er jetzt kritisiert: Er verfolgte die Absicht, dem Christentum und der Theologie „vor der Wissenschaft das Existenzrecht zu erkämpfen“541. 4.3.2. Das Aufkommen der „Wahrheitsfrage“ Genau dieses apologetische Vorgehen wird jetzt kritisiert: Es erscheint Elert nun der falsche Weg in der Apologetik zu sein, lediglich den „axiomatischen Charakter jeder Weltanschauung aufzudecken und der naturalistischen Weltanschauung den falschen Schein der Allgemeingültigkeit, mit dem sie von vornherein die christliche Konkurrentin zu diskreditieren sucht, zu nehmen“542. Die einstige Elertsche Entschärfung der Wahrheitsfrage zu einer im umgangssprachlichen Sinne verstande539 W. Elert, Wendung, 485; ders., Prolegomena, 104. 540 W. Elert, Prolegomena 101; vgl. aaO, 99; ders., Wendung, 485. Ein solcher thetischer Entwurf der christlichen Weltanschauung wird von Elert nun auf das Schärfste als Versuch der Anknüpfung, als Versuch einer Synthese, die die gebotene Diastase übersieht, kritisiert: Eine thetische Darstellung der christlichen Weltanschauung ist lediglich der Versuch der „Apologetik […,] nicht antithetisch an das allgemeine Denken anzuknüpfen“ (KCH, 390). 541 W. Elert, Irrwege, 20. 542 W. Elert, KCH, 387.
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nen „Weltanschauungsfrage“543 wird nun, da sie ja zugleich eine Relativierung des Wahrheitsanspruches der christlichen Weltanschauung ist, als unangemessen beurteilt: „Wir verführen dadurch geradezu zum Unglauben, weil wir den Gott, der anerkannt werden soll, damit in die Sphäre des Relativen herabziehen“544. Jetzt kritisiert Elert eine derartige Apologetik und wendet sich damit von seinem eigenen bisherigen Vorgehen deutlich ab: „Es kann nur eine Wahrheit geben“545. Es sei – wie Elert an Wobbermin bemängelt – nicht angemessen zu behaupten, „die Wahrheitsfrage spiele in der Apologetik nur eine untergeordnete Rolle“.546 Ein apologetisches Vorgehen, das zu der Folgerung führe, das Christentum sei lediglich „einer der möglichen Wege zu Gott“, diene nur der „Relativierung“ des Christentums.547 Elerts eigene frühere wissenschaftssystematische Zuordnung der Theologie zu den Kulturbzw. Geisteswissenschaften gerät damit nun selber unter einen ,Syntheseverdacht‘, das Christentum im Rahmen gängiger wissenschaftssystematischer Entwürfe auf geisteswissenschaftlichem Wege ,vermittelt‘ zu haben. Die bisherige Apologetik, die „ja selbst Wissenschaft sein wollte“, fokussierte in Elerts Augen ihr Ziel einer Vermittlung von Christentum und Kultur über den Weg einer „Synthese mit den anderen Wissenschaften“.548 Die „qualitative Selbständigkeit“549 von Christentum und Theologie aber steht für Elert nun in Frage, wenn man die „Theologie abhängig [macht] von andern Wissenschaften“, wenn man sich beispielsweise auf „Rickert und andre Vertreter der allgemeinen Wissenschaftslehre beruft“.550 Ist das letzte Ziel der Apologetik, eine „Harmonie zwischen Wissenschaft und Christentum“ zu erreichen, so gilt dies Elert nun als „Irrweg“.551 Man müsse sich vielmehr auf das konzentrieren, was das Christentum jenseits „der Regeln der Natur- und Geschichtswissenschaft“ konstituiert,552 nämlich die im 543 544 545 546 547 548 549 550 551 552
W. Elert, Prolegomena, 98. W. Elert, Forderung, 420. W. Elert, Irrwege, 22. W. Elert, KCH, 388 f. Zu Elerts früherer auf „terminologische“ Fragen beschränkter Kritik an Wobbermin: W. Elert, Wendung, 488 Anm. 2. W. Elert, KCH, 415. W. Elert, KCH, 392. W. Elert, KCH, 3. Vgl. aaO, 3 f. 7. W. Elert, KCH, 481. Zur nun mehr kritischen Einstelllung Elerts gegenüber Rickert vgl. auch aaO, 478 ff. 492 f. W. Elert, Irrwege, 24. W. Elert, Irrwege, 3.
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religiösen Erlebnis erschlossene Wirklichkeit, die sich in „Wirkungen aus einer andern Welt“ zeigt:553 „Im Wachsen der Lilien auf dem Felde beobachtet der Christ im eigentlichen Sinne die Wirksamkeit des himmlischen Vaters. Sagt der Naturforscher, er beobachte dabei die Wirksamkeit der Naturgesetze, so muß der Christ auf Grund seiner eigenen Beobachtung dem widersprechen. […] Kann die Wissenschaft das nicht gutheißen, so kann der Christ nur urteilen, daß die Hypothesen, auf denen sie ruht, falsch sind, und es nur bedauern, daß ihr ein wichtiger oder der wichtigste Teil der Wirklichkeit verborgen ist. Aber er kann seine Religion unter keinen Umständen so einrichten, daß sich auch die Wissenschaft damit abfinden kann“.554 4.3.3. Die Abwendung vom Doktorvater Elerts – nirgendwo expliziertes – Abrücken von der eigenen bisherigen apologetischen Position verdeutlicht sich besonders scharf in der Kritik an dem, dessen apologetische Arbeit ihm bisher vorbildlich war: an seinem Doktorvater August Wilhelm Hunzinger.555 Die von diesem vertretene Apologetik gilt Elert mittlerweile als eine resignative Unternehmung,556 als ein weiterer Versuch, eine „Synthese aus Resignation“557 herzustellen. Die Synthese von Christentum und Kultur soll hierbei durch Aufweis der – Elert zufolge freilich nur in den weltfremden Köpfen der Apologeten bestehenden – „Konkordanz“ der beiden Synthesepartner erwiesen werden.558 Um solche Konkordanz zu erreichen, wird versucht, das „allgemeine Denken“ so „zu modulieren“, daß eine Art ,papierener‘ Synthese in den „Büchern und Vorträgen“ der Apologeten erwiesen werde – ein Unterfangen freilich, das inzwischen sowohl angesichts der Uneinheitlichkeit der Moderne als auch angesichts der von Elert als unüberbrückbar empfundenen Diastase von Christentum und Kultur schwerlich erfolgversprechend erscheint.559 Allein die Frage, welches der im gegenwärtigen Pluralismus kursierenden „Weltbilder“ denn nun das der „,echten‘ Wissenschaft“ sei und 553 W. Elert, Irrwege, 20. 554 W. Elert, Irrwege, 24. 555 Vgl. dazu W. Elert, Prolegomena 98 ff. 107 ff. Vgl. dazu u. a. oben S. 61 f. Anm. 10, S. 107 f. und S. 142 ff. 556 Vgl. W. Elert, KCH, 385 f. 389 f. 557 W. Elert, KCH, 366. Vgl. aaO, 366 ff. 558 W. Elert, KCH, 384. Vgl. aaO, 384 ff. 559 W. Elert, KCH, 386.
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sich in Verbindung mit dem Christentum zu einer stimmigen „Gesamtweltanschauung“ aus Glauben und Welterkennen ausweisen ließe, ist auf dem Hintergrund von Elerts Zeitdiagnose – völlige Relativität und Skepsis! – eben gerade nicht mehr zu beantworten.560 Auch die von Hunzinger einst selber übernommene Unterscheidung von Religion und Weltanschauung, die Unterscheidung zwischen dem „zuständliche[n]“ Erkennen des Glaubens und dem „gegenständliche[n]“ Erkennen der Weltanschauung561 gilt Elert nun als ein vergeblicher Syntheseversuch, der zwar die Selbständigkeit des Christentums als Religion aufrechterhalten will, dabei aber letztlich nur darauf aus ist, die durch die Weltanschauungspluralität verursachte „Zerrissenheit“ des „,modernen Menschen‘“ möglichst zu vermindern,562 indem nachgewiesen wird, daß „zwischen natürlichem und religiösem Erkennen kein Widerspruch herrscht“, sondern – freilich unter Absehung von der jeweiligen, ins Belieben des Einzelnen gestellten weltanschaulichen Axiomatik – eine „höhere Einheit“ bestehe.563 Dieser Aufweis einer ,höheren Einheit‘ zwischen natürlichem, empirischem Welterkennen und der christlichen Weltanschauung hatte ja gerade Elerts eigenem Programm der Plausibilisierung der christlichen Weltanschauung als einer – unter anderen – erkenntnistheoretisch formal zureichenden Weltanschauungen zugrunde gelegen. Elerts früheres Ziel war ja eben die große „Synthese von Empirischem und Überempirischem“.564 Solche Versuche gelten Elert nun als ein unbegründeter „Optimismus im Hinblick auf die Synthesefähigkeit des gegenwärtigen Geisteslebens“, als „Harmonisierung“ diastatischer Elemente, die auf einer mangelhaften Zeitdiagnose fußt und insbesonders die Diffusion der Gegenwartskultur nicht realisiert habe.565 Der Versuch einer ver560 W. Elert, KCH, 387; ders., Prolegomena, 104. Zum zeitgenössischen Pluralismus in den Wissenschaften und der für Elert daraus entstehenden Relativität und Skepsis vgl. oben S. 181 f. und S. 187 f. 561 W. Elert, KCH, 389. 562 W. Elert, KCH, 390. 386. 563 W. Elert, KCH, 390. 564 W. Elert, Prolegomena, 104. 565 W. Elert, KCH, 390. Deutlich wird diese Verschiebung in Elerts Formulierung der „Aufgabe der Apologetik“ im Jahr 1921 (KCH, 494). Der Gegenstand bleibt gleich, die Intention zeigt nun jedoch kontroverswissenschaftliche Züge: „Sie soll diejenigen Erkenntnisse der gegenwärtigen Menschheit ins Auge fassen, die nicht spezifisches Eigentum der Christenheit sind, und sie unter dem
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gleichenden Aussöhnung zwischen der christlichen Weltanschauung und anderen Weltanschauungen beschwört somit in der gegenwärtigen Situation „die Gefahr der Relativierung des Christentums“ herauf,566 in der der Primat des Pathos dem Diktat der von Hunzinger überschätzten „Akkomodationsfähigkeit der christlichen Weltanschauung“567 einer wenn auch noch so vernünftigen Erkenntnistheorie untergeordnet wird. Das christliche Pathos gilt Elert nun nicht mehr als irgendeine transzendente Bezugsgröße, die gleich den „nichtempirischen Voraussetzungen“ aller anderen Weltanschauungen568 vor allem dazu da wäre, die „Lücken“ auszufüllen, die das empirische „Wissen“, die immanentkausalen oder immanent-finalen Erklärungen der Wirklichkeit hinterlassen.569 Nicht umsonst findet sich bei Elert in der Zeit nach 1919 auch keine Rede von der Notwendigkeit, geschweige denn eine Verwirklichung der – wie oben dargelegt – in der Zeit nach 1910 im Anschluß an Hunzingers Vision einer „Gesamtweltanschauung“ geforderten „thetischen“ Formulierung der christlichen Weltanschauung,570 die es auch dem „Ungläubigen“ als eine mögliche, plausible Weltanschauung zu vermitteln galt;571 auch dies gilt mittlerweile als ein unzeitgemäßer, rein auf Synthese ausgerichteter ,Anknüpfungsversuch‘.572 Ja, selbst die vor Kriegsende massiv gehäufte Rede von einer ,christlichen‘ Weltanschauung ist zum Erliegen gekommen. Elert unternimmt keinen Versuch mehr, die gegenständlichen Inhalte des Welterkennens der christlichen Weltanschauung zu plausibilisieren, weil ja gerade diese Inhalte – mitsamt den ihnen zugrundeliegenden natur- wie geisteswissenschaftlichen Kriterien – im Horizont von Spenglers Geschichtsdeutung der untergehenden Zivilisation zugerechnet werden. Kontrastiert wird nun vielmehr Christentum und Kultur, Christentum und
566 567 568 569 570 571 572
Zwange des christlichen Distanzgefühls den spezifisch christlichen Erkenntnissen gegenüberstellen – nicht um den Abstand zu verwischen, sondern um ihn herauszuarbeiten und so zur Charakterologie der christlichen Erkenntnisgemeinschaft beizutragen“. W. Elert, Forderung, 435. W. Elert, KCH, 390. W. Elert, Wendung zur Geschichte, 471. W. Elert, KCH, 392. Vgl. aaO, 391 ff. W. Elert, Prolegomena, 104. 101. W. Elert, Wendung, 485. Vgl. aaO, 466 f. 490 f. Vgl. W. Elert, KCH 390; dazu oben S. 255 ff. und S. 253 Anm. 540. Vgl. auch ders., Forderung, 419 f.
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III Die Zeit von 1919 – 1923
das „allgemeine Denken“, nicht mehr aber christliche Weltanschauung und andere Weltanschauungen.573 4.4. Das Zentrum der „Revision“ 4.4.1. Das apologetische Gebot der Stunde: Die Diastase von Christentum und Kultur Die in der Zeitdiagnose und Erlebnistheologie erworbenen Einsichten ermöglichen Elert die Ausarbeitung einer „Revision der apologetischen Methoden“574. Das diastatische Verhältnis von Christentum und Kultur, die für die Gegenwart konstitutive Uneinheitlichkeit der allgemeinen Kultur, die Elert als „Diffusion der Kultur“ bezeichnete,575 die daraus resultierende Unmöglichkeit, eine Synthese mit der Kultur herzustellen, nämlich die Einsicht, daß gerade wegen der Uneinheitlichkeit der Kultur jede Synthese „bestenfalls eine fragmentarische, also überhaupt keine vollkommene, d. h. ihren Sinn erfüllende Synthese mehr“ wäre,576 sowie die Verbindung der Diagnose der Relativität und Skepsis des gegenwärtigen Zeitalters mit der Spenglerschen Untergangsstimmung in Bezug auf die künftige Gestalt der westlichen Kultur577 ergeben in ihrer Summe bei Elert eine konsequente Motivations- und Perspektivenlosigkeit,578 weiterhin Versuche zu unternehmen, Christentum und all573 W. Elert, KCH, I. 574 W. Elert, Irrwege, 4. Insofern ist es wichtig, die Ambivalenz apologetischer Arbeit in der Sicht der Würdigung Elerts zu beachten. Neben der klaren Kritik an der bisherigen Apologetik geht es Elert nicht um ein Verdikt gegen alle Apologetik, da sonst auch eine ‘Revision’ sinnlos wäre. Die Meinung von T. Gerlach (Verborgener Gott – Dreieiniger Gott. Ein Koordinationsproblem lutherischer Gotteslehre bei Werner Elert, Frankfurt a. M., 1998, 349), Elert rücke in seinem Aufsatz „Irrwege“ alle Apologetik „nun vollends in ein düsteres Licht“, beachtet gerade diesen Umstand nicht. 575 W. Elert, Forderung, 388. 576 W. Elert, KCH, 488. Zum prinzipiell ‘fragmentarischen’ Charakter apologetischer Syntheseversuche in der ‘Moderne’ vgl. aaO, 485 ff. 577 Vgl. v. a. W. Elert, Forderung, 403 f.; ders., KCH, 489; ders., Irrwege, 3 f. 578 Im Zuge seiner Spenglerinterpretation stellt Elert die Überlegung an, ob Spenglers „Voraussage zum Trotze dennoch die Zukunft uns noch einmal eine solche Kultureinheit schenken“ wird (KCH, 489). Diese „kleine Bemerkung“ läßt A. v. Scheliha (Glaube, 309) zu der Schlußfolgerung gelangen, daß „Elert den von ihm kritisierten Zustand der Kultur für reversibel hält“. Elerts Äu-
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gemeine Kultur auf ,herkömmlichen‘ apologetischen Wegen zu vermitteln, die er als ungeeignet kritisiert hatte. Elerts Verlangen nach einer Neubestimmung der apologetischen Aufgabe für die Gegenwart entspringt also zum einen der Kritik an der fundamentalen Verkennung der im Pathos begründeten „qualitative[n] Selbständigkeit des Christentums“579 im „breite[n] Strom“ der Apologetik im 19. Jahrhundert580 und zum anderen seiner zeitdiagnostischen Wahrnehmung, daß „in der äußeren Situation der nichtchristlichen Kultur […] gegenwärtig einschneidende Veränderungen vor sich gehen“581, die die Möglichkeiten einer Vermittlung von Christentum und Kultur so einschneidend betreffen, daß die Frage, „wie oder mit welchem Repräsentanten des deutschen Geistes denn eine vollkommene Synthese hätte hergestellt werden sollen“, angesichts der „Diffusion der Weltanschauung wie der Lebensgestaltung“ nicht mehr zu beantworten ist.582 Diese erlebnistheologischen und zeitdiagnostischen Einsichten veranlassen Elert, alle apologetischen Tendenzen, die auf Synthese ausgerichtet sind, für seine Gegenwart als verfehlt zu werten und stattdessen als das von der Apologetik zu verfolgende „Ideal […] jetzt die reinliche Scheidung, die Diastase von Christentum und Nichtchristentum“ zu fordern,583 um dadurch die in Elerts Augen einzig das Christentum am Leben erhaltende Rückbesinnung auf seine „qualitative Selbständigkeit“ zu ermöglichen:584 „Wer darum in der Gegenwart das Christentum auf eine der dekadenten Mächte als rettenden Bundesgenossen festlegt, wer es mit einer bestimmten Stimmung der Kunst, einer bestimmten ,wissenschaftlichen‘ Weltsicht, einem bestimmten nicht christlich motivierten Ethos verknüpft, der bindet den Nachen der Christenheit an ein dem Untergange verfallenes Schiff. Darum gibt es in diesem Augenblick für diejenigen, die von der Christenheit zu ihren Wortführern bestellt sind, nur ein einziges großes
579 580 581 582 583 584
ßerung bezieht sich jedoch eindeutig auf die reine Potentialität eines neuen Kulturzyklusses, nicht aber auf eine Reformation oder Wiedergesundung des gegenwärtigen. Elert selbst meint auch, daß eine solche potentielle neue „Kultureinheit […] kein Einwand gegen sein [Spenglers] Urteil über die Gegenwart“ wäre (KCH, 489). W. Elert, KCH, 2. W. Elert, KCH, 430. W. Elert, Irrwege, 4. W. Elert, KCH, 488. W. Elert, KCH, 4. W. Elert, KCH, 2.
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III Die Zeit von 1919 – 1923
Gebot: Das Christentum aus den Verschlingungen mit einer untergehenden Kultur zu lçsen, damit es nicht mit in den Strudel hinabgerissen werde“585. Da für Elert in der momentanen geschichtlichen Konstellation des Verhältnisses von Christentum und Kultur am Anfang der Zwanziger Jahre jeder apologetische Syntheseversuch nur auf dem Wege der Überbrückung der faktischen Diastase von Christentum und Kultur durch eine weitere einseitige Assimilation des Christentums an – keineswegs repräsentative – Teilbereiche der allgemeinen Kultur möglich wäre, die Synthese damit in völliger Preisgabe der Selbständigkeit des Christentums zustande käme und dadurch zu dessen „Tod“ beitrüge,586 bewegt sich die „Pendelbewegung“ der Geschichte des von der Apologetik idealtypisch zu verfolgenden Verhältnisses von Christentum und Kultur in die Richtung einer Diastase der beiden Größen.587 Für die Apologetik läutet Elert deshalb die diastatische Phase der „mächtigen Kontraktionen“, des Ausatmens „der umgebenden nichtchristlichen Luft“, die Phase einer Selbstbesinnung ein588 – eine Phase, die sich nicht zuletzt dadurch auszeichne, daß das allgemeine theologische Gedächtnis wieder erkennt, daß „die Allerweltsfreundschaft des Christentums doch irgendwo einmal eine Grenze haben müsse“589. Die Forderung nach einer Diastase dient in Elerts Verständnis einem „Regenerationsprozeß“ des Christentums und dadurch der Vorbereitung auf eine potentielle zukünftige ,Kulturwirksamkeit‘ des Christentums in einer Synthese mit der allgemeinen Kultur innerhalb eines anderen Kulturzyklus.590 585 W. Elert, KCH, 489. Diese Stellungnahme Elerts bezieht sich inklusorisch auf die in der Einleitung geäußerte Einschätzung: „Je stärker das Christentum seine Distanz von dieser versinkenden Kultur betont, desto geringer die Gefahr, daß sie mitversinkt“ (KCH, 7). Diese Empfehlung Elerts riss seinen Rezensenten E. Hirsch zu folgendem Kommentar hin: „Leider, leider beruft sich dann E. zum Schluß noch auf Spengler und fordert die christlichen Theologen auf, – gewissermassen als Ratten – das leckgewordene Schiff der Kultur zu verlassen. Das ist nicht fein empfunden“ (Rez. Elert, Werner, Der Kampf um das Christentum, ThLZ 47 (1922), (281 f) 281). Elert wiederum empfand dies als „ungerecht“, „einem den Gedanken unterzuschieben, mit der geforderten Diastase solle sich der christliche Theologe aus der kulturellen, insbesondere der wissenschaftlichen Problematik der Gegenwart zurückziehen“ (W. Elert, LLA1, XI). 586 W. Elert, KCH, 3. 587 W. Elert, KCH, 4. Vgl. aaO, 3 f. 588 W. Elert, KCH, 4. 589 W. Elert, KCH, 491. Vgl. aaO, 15. 590 W. Elert, KCH, 431. Vgl. aaO, 489 f.
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Diese im Ruf nach einer Diastase von Christentum und Kultur geforderte Rückbesinnung auf die „qualitative Selbständigkeit des Christentums“591 entspricht Elerts bereits 1920 vorgelegter These der Notwendigkeit einer prinzipiellen Anerkennung des Primats des Pathos in der Theologie, eine Anerkennung, die allen potentiellen Inkulturationsformen des Christentums auf dem Gebiet des Dogmas und des Ethos – also synthetischen Bewegungen – vorauszugehen und zugrundezuliegen habe.592 Elerts Kritik an einer gegenwärtigen Synthese von Christentum und Kultur ist keine prinzipielle Kritik an jeder Synthese, sondern eine Kritik an solchen apologetischen Versuchen einer Synthese mit der allgemeinen Kultur, die sich „dazu verführen“ ließen, „die eigne Gewißheit durch jene garantieren zu lassen oder in der freudigen Erregung über eine solche Synthese ihre transzendenten Motive und Ziele zu vergessen“.593 Elerts Kritik an einer gegenwärtigen Synthese von Christentum und Kultur entspringt eben auch nicht – wie sonst im theologischen Aufbruch nach 1918 – einer Neubewertung des Begriffs der Offenbarung, der zumeist zu einer kategorialen Ablehnung jeglicher Synthese geführt hat, sondern entspringt – und darin ist die „andere Aufgabe der Theologie“ in nuce bei Elert stets mitgeführt –594 in gewisser Weise einer Art Erlebnispositivismus, der auch im 19. Jahrhundert latent vorhanden gewesen sei und den es nun energisch wie gezielt wiederzubeleben gelte. 4.4.2. Die „tiefliegende Bewegung“ 4.4.2.1. Theologischer Aufbruch aus der Tradition des 19. Jahrhunderts Mit seinem Erlebnispositivismus intendiert Elert bewußt eine Anknüpfung an theologiegeschichtliche Entwicklungen im 19. Jahrhundert, die nicht zuletzt in der jüngeren Vergangenheit vor 1921 wieder stärker geworden waren, eben – so eine der Hauptthesen des „Kampf um das Christentum“ – an „die tiefliegende Bewegung“ der „Theologie des letzten Jahrhunderts“, die auf eine „Selbsterkenntnis des Christentums zum Zwecke seiner qualitativen Verselbständigung gegenüber der 591 592 593 594
W. Elert, KCH, 2. Ausführlich dazu oben S. 207 ff. W. Elert, KCH, 485. Vgl. dazu den bekannten Aufsatz von E. Brunner, Die andere Aufgabe der Theologie, in: ZZ 7 (1929), 255 – 276.
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III Die Zeit von 1919 – 1923
Umwelt abzielte“.595 Die Theologie des 19. Jahrhunderts wird somit von Elert nicht – wie etwa in der 1947 erscheinenden Darstellung Barths – als eine einzige Verfallsgeschichte dargestellt,596 sondern erfährt eine differenzierte Würdigung. Der Bruch mit der Tradition vollzieht sich somit bei Elert keineswegs in einer abstrakten Form gegen das 19. Jahrhundert schlechthin, sondern – sachlich begründet – punktuell wie gezielt und zugleich unter Aufrechterhaltung einer Kontinuität zu ausgewählten Traditionselementen.597 Eine „antihistorische Revolution“ läßt sich an diesem Punkt bei Elert somit keineswegs nachweisen.598 Ganz im Gegenteil präsentiert sich Elert durchaus traditionsbewußt als ,Kind‘ des 19. Jahrhunderts.599 Dies zeigt sich zum einen darin, daß er eben nicht den Versuch unternimmt, die Situation der Gegenwart im direkten restaurativen Rückgang auf die Reformation zu klären,600 595 W. Elert, KCH, 3. Vgl. dazu oben S. 236 und S. 240. 596 Vgl. K. Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, Zürich, (1947) 19855. Vgl. dazu auch Elerts Rezension: ders., Rez. Karl Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, in: ZRGG 1 (1948), 367 – 370. Die im Vergleich zu Barth differenziertere Würdigung des 19. Jahrhunderts durch Elert notiert ebenso: A. v. Scheliha, Glaube, 307. 597 Trotz seiner Forderung nach einer Diastase von Christentum und Kultur für die Gegenwart ergibt sich daraus keine prinzipielle Distanzierung von der Entwicklung des Verhältnisses von Christentum und Kultur: „Es gab auch im 19. Jahrhundert Träger der allgemeinen Kultur, deren Gedankenwelt auf christliche Motive zurückging. Warum sollte die Christenheit hier die Diastase unterstreichen? Ihnen gegenüber mußte das Gegenteil als Pflicht gelten“ (KCH, 485). 598 So völlig zu Recht A. v. Scheliha (Glaube, 307) im kritischen Bezug auf das Elert inkludierende Pauschalurteil von K. Nowak (Die „antihistorische Revolution“, 1987, 133 – 171) und F. W. Graf (Die „antihistorische Revolution“ in der protestantischen Theologie der zwanziger Jahre, in: J. Rohls u. a. (Hgg.), Vernunft des Glaubens. Wissenschaftliche Theologie und kirchliche Lehre. FS zum 60. Geburtstag von W. Pannenberg, Göttingen, 1988, 377 – 405). 599 Gerade im Bezug auf die Neubestimmung der apologetischen Methoden legt Elert ein klares ‘Bekenntnis’ zur Notwendigkeit einer Kontinuität der theologischen Tradition ab. Mit seiner theologiegeschichtlichen Darstellung insbesonders der jüngeren wie der gegenwärtigen Entwicklungen im „Kampf um das Christentum“ möchte Elert zwar „nicht den Anspruch erheben, Geschichtsschreibung zu geben“, wohl aber kommt es für ihn entscheidend „darauf an, Linien zu finden, die das Zukünftige mit der Vergangenheit verbinden, und diese müssen unter allen Umständen durch die Gegenwart hindurchlaufen“ (KCH, 485). 600 T. Kaufmann (Werner Elert als Kirchenhistoriker) fokussiert Elerts „Kampf um das Christentum“ und die „Morphologie des Luthertums“ unter dem Ge-
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sondern vielmehr von der Annahme einer prinzipiell legitimen Wandelbarkeit des Christentums in seiner Geschichte ausgeht und somit auch das 19. Jahrhundert in seiner Eigentümlichkeit als eine für die Aufrechterhaltung der „Lebendigkeit des Christentums“ notwendige Veränderung wahrnimmt.601 Seine These der notwendigen Beachtung der „qualitativen Selbständigkeit des Christentums“602 gewinnt Elert eben nicht aus seiner Reformationsdeutung, auch wenn die Reformation zur Verselbständigung des Christentums entscheidend beigetragen habe,603 sondern aus seinem Anschluß an Schleiermacher, den er in seinem Aufsatz „Dogma, Ethos, Pathos“ bereits faktisch vollzogen hatte. Die für den späteren Elert freilich bezeichnende Verbindung von „Zeitdiagnose“ und „Reformationsdeutung“604 offenbart sich deutlich erst in der „Morphologie“ Anfang der Dreißiger Jahre. Zum anderen spielt der Einfluß der Theologie Luthers bei Elert – nach wie vor – eine bestenfalls marginal zu nennende Rolle.605 Der Einfluß des ,Kirchen-
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sichtspunkt von „Zeitdiagnose und Reformationsdeutung“ (aaO, 207). Trotz einer differenzierten Darstellung ist durch die Vermischung beider Schriften in der abschließenden Stellungnahme (aaO, 232 ff.) nicht klar, ob Kaufmann bereits beim frühen Elert – bis 1923 – einen solchen direkten Rückgriff auf die Reformation für die Interessen der Gegenwart kritisiert wie beim Elert der 30er Jahre (vgl. aaO, 230 f.). Die hierauf bezogene Kritik an T. Kaufmann von A. v. Scheliha (Glaube, 312), man könne die „Reformationsdeutung Elerts keineswegs“ als die „alleinige ‘Projektionsfläche der theologiepolitischen Geltungsansprüche in der Gegenwart’“ bezeichnen, ist zwar als Beobachtung für den Elert bis 1923 an sich völlig richtig, aber keineswegs an T. Kaufmann festzumachen, der an der kritisierten Stelle (T. Kaufmann, 230) weder von einer „alleinigen“ Projektionsfläche (Scheliha, Glaube, 312) spricht noch vom Elert der frühen 20er Jahre. W. Elert, Dogma, Ethos, Pathos, Vorwort. W. Elert, KCH, 7. Vgl. aaO, 2. Vgl. dazu W. Elert, KCH, 9 ff. So die prägnante Formulierung von T. Kaufmann (Werner Elert als Kirchenhistoriker, 195. 207. 230). Zur Kritik an Kaufmann vgl. A. v. Scheliha, Glaube, 279. 312. Vgl. dazu oben S. 262 f. Anm. 600. Ersichtlich wird dies allein daran, daß nahezu alle Stellen, in denen Elert im „Kampf um das Christentum“ das Wort „Luther“ oder „Luthertum“ benutzt, keinen argumentativen, sondern lediglich einen – andere Positionen – referierenden Zweck erfüllen: So kommt „Luthertum“ ausschließlich in referierenden Passagen vor (vgl. KCH, 9 ff. 33. 459). „Luther“ wird sehr häufig genannt, allerdings ebenso nahezu ausschließlich in referierenden Passagen, die nichts über Elerts eigene Meinung oder Einstellung austragen (vgl. KCH, 9 f. 29. 79. 199. 207. 211. 259. 264. 338. 368. 378. 420. 438); es bleibt eine einzige Stelle (KCH, 143), in der Elert mit Luther gegen Kant argumentiert; aber auch hier wird nichts über eine mögliche Bedeutung Luthers für Elert
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vaters des 19. Jahrhunderts‘ und das Ringen um das Verständnis seines Erbes sind vielmehr entscheidend für Elert Anfang der Zwanziger Jahre. Das „Tauziehen“ der Theologie im 19. Jahrhundert besteht für Elert somit nicht zwischen der Rezeption Schleiermachers und der Hegels;606 es besteht für ihn vielmehr in einem Tauziehen um die richtige Interpretation Schleiermachers und den „gewaltige[n] Einfluß“, den er „auf die Theologie des nachfolgenden Jahrhunderts ausgeübt hat“607. Deshalb verläuft für Elert die „tiefliegende Bewegung“ mit ihrem Ziel einer „qualitativen Verselbständigung“ des Christentums608 in ihrer Hauptlinie von Schleiermachers Pionierleistung einer Erneuerung der Selbständigkeit des Christentums zu dessen – in Elerts Verständnis – „eindeutlich. An zwei Stellen referiert Elert Positionen von J. Kunze (KCH, 442. 446) und R. Grützmacher (KCH, 449. 484), an denen bloßes Referat und im Referat liegende Zustimmung kaum zu unterscheiden sind. An einer anderen Stelle wird R. Otto und Luther in Bezug auf das religiöse Erlebnis in einem Atemzug genannt (KCH, 449). Es bleibt also nur eine fragliche Stelle (KCH, 489); dazu unten S. 283 ff. 606 Vgl. dazu die Einschätzung von O. Bayer: Die „Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts läßt sich, wenigstens im deutschsprachigen Bereich, in ihrem Hauptmoment am zutreffendsten als ein Tauziehen zwischen Hegel und Schleiermacher verstehen“ (Was ist das: Theologie. Eine Skizze, Stuttgart, 1973, 72). Bei aller positiven Würdigung der Bedeutung Hegels für das Christentum (vgl. W. Elert, KCH, 21 ff.) überwiegt bei Elert doch seine – von Rocholl übernommene (vgl. W. Elert, Rudolf Rocholls, 11 ff. 135 ff.) prinzipielle Skepsis gegen den ‘absoluten’ Idealismus und seine prinzipielle Kritik an monistischen Erklärungsversuchen der Wirklichkeit, die ja „auf der unbewiesenen Behauptung von der unbedingten Einheitlichkeit unseres Denkens aufgebaut sind“ (W. Elert, Prolegomena, 35): So hat „die Synthese mit Hegel […] von Anfang an für die Theologie Gefahren gehabt, weil sie fast notwendig den Schein erweckte, als sollte die Gewißheit um das Christentum auf spekulatives Wissen begründet werden“ (KCH, 485). Hegels Philosophie besitzt für Elert keinerlei Gegenwartsbedeutung mehr: Eine Theologie, die dennoch auf Hegel aufbaut, gilt Elert deshalb als „Anachronismus“ (KCH, 486). Zu Elerts Hegelrezeption vgl. v. a. oben S. 241 ff. Ebenso anachronistisch und fragmentarisch erscheinen Elert apologetische Syntheseversuche, die anstelle von Hegel mit Kant den Versuch unternehmen, Christentum und Kultur zu vermitteln. Der Grundfehler dieser Apologetik liegt in einer einseitig intellektualistisch verzeichnenden Wirklichkeitswahrnehmung, die antiidealistische Tendenzen nicht in ihrer Breitenwirksamkeit erkannt hatte: „Die gesamte ‘wissenschaftliche’ Theologie hatte sich seit einem halben Jahrhundert darauf versteift, die Repräsentanten ihrer Umwelt nur in den Vertretern der Philosophie zu erblicken und zwar ausschließlich der Kathederphilosophie“ (KCH, 487). 607 W. Elert, KCH, 74. 608 W. Elert, KCH, 3.
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zige[r] konsequente[n] Schülerin“, nämlich zur „Erlanger Theologie“609 und zu theologiegeschichtlichen Nebenlinien, die nach Elerts Verständnis im – zumeist impliziten – Anschluß an die Erlanger Bewußtseinstheologie sich ebenso um eine „qualitative Verselbständigung des Christentums“ verdient gemacht haben. Dabei handelt es sich vornehmlich um „biblizistische […]“ und antiidealistische Positionen.610 Deshalb versteht Elert die eigene Neubestimmung der apologetischen Aufgabe nicht als neuartigen theologischen Aufbruch, sondern als „Verstärkung derjenigen Tendenz“, die „nicht auf Synthese, sondern auf Distanzierung von der Umwelt gerichtet“ ist:611 „Hier besinnt man sich im Gegensatz zur Kulturseligkeit gewisser protestantischer Ethiker auf die asketischen Züge des Urchristentums. Hier verzichtet man auf das Lob, das die neukantischen Theologen sich gespendet wissen wollen, daß ihre Moral autonom sei […]. Hier besinnt man sich auf die qualitative Selbständigkeit des christlichen Glaubens und seiner Gegenstände gegenüber allen andern Glaubensweisen und allen andern Gegenständen. Man verzichtet auf geliehene Stützen durch eine scheinbar allgemeingültige, in Wirklichkeit der Wandelbarkeit unterworfene ,moderne Weltanschauung‘. Man erkennt, daß der Christ zur Heilsgeschichte und damit zur heiligen Schrift ein anderes Verhältnis hat als zu andrer Geschichte und zu andern Schriften und daß damit die Heilsgeschichte mit Notwendigkeit innerhalb alles übrigen Geschehens isoliert wird“.612 Die Anerkennung eines prinzipiellen Primats des Pathos ermöglicht in Elerts Augen die Überwindung der in den apologetischen Syntheseversuchen der jüngeren Vergangenheit gemachten Zugeständnisse an den vermeintlichen Zeitgeist. Die bei diesen Syntheseversuchen unternommene Unterordnung des Christentums unter die Axiome der Moral, der Vernunft und des Immanenzgedankens haben den Vorrang des Transzendenzerlebnisses mißachtet und dadurch die schon genannten grundlegenden „drei Verfälschungen des Christentums“ bewirkt, nämlich seine Moralisierung, Rationalisierung wie Immanenti609 W. Elert, KCH, 497. Vgl. aaO, 5. 610 W. Elert, KCH, 5. Vgl. aaO, 5 f. 430 ff. Elert bezieht sich u. a. insbesondere auf M. Kähler, A. Schlatter und K. Heim sowie auf F. Nietzsche, S. Kierkegaard und R. Otto. 611 W. Elert, KCH, 6. Vgl. aaO, 496. Vgl. dazu Elerts breite Darstellung im 8. Abschnitt (KCH, 430 ff.): „Die Erneuerung des christlichen Distanzgefühls gegenüber der allgemeinen Kultur“. 612 W. Elert, KCH, 6 f.
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sierung.613 Die Anerkennung des Primats des Pathos hingegen, wie er von Schleiermacher gegenüber der theologiegeschichtlichen Entwicklung des 18. Jahrhunderts erneuert wurde,614 paradigmatisch in der Erlanger Theologie vorliege615 und sich mit weiteren Positionen verbinde, gibt die ersten Lichtblicke zur „Überwindung dieser drei Verfälschungen“616. Die dabei mitlaufende Gefahr einer „Ästhetisierung“ des Christentums, die Elert selber für das Ende des 18. Jahrhunderts in spätaufklärerischen Syntheseversuchen von Christentum und „Gefühl“ scharf kritisiert hatte,617 wird von Elert in auffallender Weise konsequent ausgeblendet bzw. in ihrer Gefahr für die „Selbständigkeit des Christentums“ relativiert.618 Diese Beobachtung erhält ihr Gewicht dadurch, daß Elert ansonsten die Situation Anfang der Zwanziger Jahre konsequent als Spiegelbild der von Schleiermacher vorgefundenen Situation am Ende des 18. Jahrhunderts beschreibt; die Konstellation von Christentum und Kultur und die darauf bezogene apologetische Situation im Jahr 1921 ist demnach „genau wie ein Jahrhundert früher“.619 613 614 615 616 617 618
W. Elert, KCH, 447. Vgl. dazu v. a. oben S. 176 ff. und S. 190 f. Anm. 187. Vgl. W. Elert, KCH, 36 ff. Vgl. W. Elert, KCH, 285 ff. W. Elert, KCH, 447. W. Elert, KCH, 14. Vgl. aaO, 9 ff. Hatte Elert für das Ende des 18. Jahrhundert diagnostiziert, daß das Christentum durch die Synthese mit der allgemeinen Kultur seine Selbständigkeit gegenüber der „Autonomie des Gefühls“, der „Autonomie der Moral“ wie der „Autonomie der Vernunft“ eingebüßt hatte und so bei den vollzogenen Synthesen von Christentum und Kultur lediglich „eine Etappe auf dem Wege zur Ästhetisierung, Moralisierung und Rationalisierung des Daseins“ geworden war (KCH, 14), so sieht Elert in seiner Gegenwart lediglich die Notwendigkeit einer „Überwindung des Rationalismus“ (KCH, 447 ff) wie einer „Überwindung des Ethizismus“ (KCH, 453 ff). Von einer – in der Logik der Analogie zu erwartenden – Überwindung des Ästhetizismus ist bei Elert keine Rede. 619 W. Elert, KCH, 6. Zu Elerts Parallelisierung der beiden geschichtlichen Situationen vgl. KCH, 4. 6 f. 496. 12 ff. mit 447 ff. Elerts eigene Neubestimmung der apologetischen Aufgabe und seine Forderung einer Diastase für die Gegenwart (vgl. v. a. KCH, 485 ff., ders., Forderung, 418 ff.; ausführlich dazu unten) gleicht seiner Würdigung des apologetischen Ansatzes der Erweckungstheologie, der für Elert jedoch nicht konsequent umgesetzt worden sei (vgl. KCH, 74 ff.): Für die Erweckungstheologie war „das Christentum in allen seinen Stücken eine positive Größe, das mit der Vernunft überhaupt nichts zu tun hatte und darum auch in keinem Stück andemonstriert werden konnte. Es sollte sich als ganzes in seiner irrationalen Tatsächlichkeit selbst rechtfertigen durch seine rein religiöse Wirkung auf den Zweifler. Mit solchem Verzicht auf
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4.4.2.2. Theologischer Hoffnungsschimmer in der Gegenwart Elerts Neubewertung des Transzendenzerlebnisses versteht sich im Anschluß an die theologiegeschichtliche „Tendenz“, die auf eine „Rehabilitation des Irrationalen“ in der Theologie zielt.620 Die Wirkungen antiidealistischer Einflüsse, vor allem der Einfluß Nietzsches auf Teile der Theologie621 und besonders die „KierkegaardRenaissance“ nach dem Krieg, bringen die ersten Ansätze zur „Wiederherstellung der ethischen Distanz“ eines in seinem Selbstbewußtsein neuerwachenden Christentums gegenüber seiner Umwelt zum Ausdruck.622 Die „Irrationalität des Christentums“ wird hier wiederentdeckt: „So brachte die Beschäftigung mit Kierkegaard der Theologie ein Element zurück, ohne das sie von Anfang an nie gewesen war und ohne das nur die allerflachste Religion einer unchristlichen Religionsphilosophie glaubte leben zu können: die Erkenntnis der Paradoxie des christlichen Glaubens“ und somit auch eine grundsätzlich „skeptische Stellung zur Kultur“623. Die hierdurch ausgelöste „Absage an die Kulturseligkeit“ einer rein auf Synthese abzweckenden Apologetik verdeutlicht Elert an Franz Overbeck, der ihm als der „erste Theologe“ gilt, der in seiner Gegenwartswahrnehmung „die neue Diastase in ihrer ganzen Tiefe erlebt“ habe.624 Elert sieht seine Kritik an der auf Synthese abzweckenden Apologetik durch Overbeck bestätigt: Niemand habe – darin behalte Overbeck recht – „so sehr zum Untergang des Christentums […] beigetragen wie die Theologie und am meisten die apo-
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die Apologetik als Wissenschaft zog sich die Erweckungsbewegung gewissermaßen aus der öffentlichen Diskussion über das Christentum zurück. Das mag zunächst für die Gesamtlage des Christentums als ein Verlust erscheinen. Ein solches Abtreten vom Schauplatz der Öffentlichkeit konnte aber auch gute Wirkung haben. Der Blick dieser Theologie war nach innen, nicht mehr nach außen gewandt. Das führte zur Verinnerlichung und damit zur Konzentration und zur Festigung der Selbstgewißheit des Glaubens. Leider blieb aber der Verzicht auf die Apologetik nur platonisch“. W. Elert, KCH, 6. 480. Vgl. W. Elert, KCH, 434 ff. Vgl. Elerts Würdigung von Nietzsches indirekter Leistung für die Theologie: „Indem Nietzsche die Christenheit zwang, sich […] auf ein wesentliches Merkmal der inneren Struktur ihrer Ethik zu besinnen, hat er ihr in der Tat einen hervorragenden Dienst geleistet“ (aaO, 438). W. Elert, KCH, 430. Vgl. aaO, 430 ff. W. Elert, KCH, 434. W. Elert, KCH, 438. Vgl. aaO, 438 ff. Zum zeitgenössischen Einfluß Overbecks auf andere Theologen vgl. v. a. K. Barth, Unerledigte Anfragen an die heutige Theologie (1920), in: ders., Die Theologie und die Kirche. Gesammelte Vorträge / 2. Bd., München, 1928, 1 – 25.
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logetische, die das Christentum durch den Nachweis seiner angeblichen Kulturfähigkeit hoffnungslos ruiniert habe“.625 Elert legt anhand von verschiedenen Positionen – etwa der von Richard Grützmacher, Johannes Kunze und Carl Stange – dar, daß in Anknüpfung an diese Einsichten der aller ,weltlichen‘ Kultur konträr gegenüberstehende theonome Charakter der christlichen Ethik wieder verstärkt betont wurde und dadurch die Erkenntnis der einer allgemeinen Kultur gegenüber „qualitativen Selbständigkeit des Christentums“ wuchs.626 In der „Überwindung der theologischen Kompromißmethoden“, die in ihrem Bestreben nach einer Synthese mit der allgemeinen Kultur zur Rationalisierung, Moralisierung und Immanentisierung des Christentums geführt haben und deren Verwendung Elert heftig kritisiert hatte, erblickt Elert sodann die ersten fruchtbaren Ansätze einer besseren theologischen Zukunft.627 Im Gegenzug zu einer Rationalisierung des Christentums, dessen Höhepunkt Elert in der Theologie Ritschls – einer Theologie, in der es „keine Dissonanzen, keine Spannungen, keine Ungereimtheiten, dafür aber auch keine Tiefe gibt“628 – sieht, kommt eine „wirkliche Überwindung des Rationalismus“ vor allem in den Arbeiten von Rudolf Otto zum Ausdruck.629 In dessen religionspsychologischen Arbeiten werde nicht nur der axiomatische „elementare […] Charakter des Heiligen“ als einer aprioristischen Kategorie aller wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Phänomen des Religiösen vorausgesetzt, sondern „ein echtes Empfinden“ für das wiedergefunden, was Elert als das Wesen des pathetischen Christentums bestimmt hatte.630 Auf ganz anderem Wege komme Karl Heim zu einer Überwindung des Rationalismus und zu einer Neubewertung der „qualitativen Selbständigkeit des Christentums“631. Das „rationalistisch-kritische Denken wird von ihm auf die äußerste Spitze getrieben“ und gerade dadurch seiner Insuffizi625 W. Elert, KCH, 439. 626 W. Elert, KCH, 7. Vgl. aaO, 2 f. Zu Elerts Referat dieser Positionen vgl. aaO, 439 ff. 627 W. Elert, KCH 447. Vgl. aaO, 447 ff. Zu Elerts Kritik an der Apologetik vgl. oben S. 230 ff. 628 W. Elert, KCH, 447. 629 W. Elert, KCH, 448. Vgl. ders., KCH, 447 ff. (§ 75. „Die Überwindung des Rationalismus“). 630 W. Elert, KCH, 449. Vgl. aaO, 449 f. Zu Elerts Aufsatz „Dogma, Ethos, Pathos“ vgl. oben S. 207 ff. 631 W. Elert, KCH, 7. Vgl. aaO, 2 f.
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enz überführt.632 Der Relativismus und Skeptizismus der Gegenwart formiert sich so, konsequent zu Ende gedacht, zu einer „intellektuellen Not“, in der die „Frage nach dem Sinn des unendlich Ganzen der Wirklichkeit, nach dem Sinn unserer jetzigen Lage“ unbeantwortet bleibt.633 Die Beantwortung der Frage nach dem Sinn kann nur „transzendent“ verbürgt sein und äußert sich in einer religiösen, „intuitive[n] Gewißheit“.634 In Elerts Einschätzung bietet Karl Heims Theologie, durch die Elert ja auch seinen Zugang zu Spengler gefunden hat, mit ihrem Aufweis der Grenzen rationalen Denkens wie der Notwendigkeit nicht rationaler Erklärung der Lebenswirklichkeit somit „das Bild eines seiner selbst bewußt und sicher gewordenen Christentums, das die Argumente seiner Gültigkeit nicht von anderswo entleiht, sondern in sich selbst trägt“.635 Die wichtigsten Schritte zum Abbau einer ethizistischen „Verfälschung […] des Christentums“ beschreibt Elert sodann insbesonders anhand der Arbeiten von Adolf Schlatter und Erich Schaeder, die er als eine Fortsetzung von Positionen der Erlanger Theologie interpretiert.636 Hier zeigen sich die ersten Ansätze zur „Überwindung eines einseitigen Moralismus“, dem sich große Teile der Apologetik in ihrer uneingeschränkten Anerkennung der „Kantischen Weltanschauung“ verschrieben hatten.637 Der eben nicht aprioristische, vielmehr jenseits kantischer Kategorien liegende Erlebnischarakter der christlichen Frömmigkeit und die theonome Verankerung ihrer Ethik werden hier wieder stark gemacht. Gegen die Anwendung des konsequenten Immanenzgedankens in der Theologie und die prinzipielle Ausblendung jeder transzendenten 632 W. Elert, KCH, 450. Zu Karl Heim vgl. aaO, 450 ff. Vgl. zu K. Heim auch oben S. 132 Anm. 389; S. 186 Anm. 152 und S. 197 f. Anm. 222. 633 W. Elert, KCH, 450. Dies ist genau der Punkt, der das Denken von Oswald Spengler für Elert anziehend machte. Nicht umsonst knüpft Elert an die Spenglerinterpretation Karl Heims an: Vgl. dazu W. Elert, Transzendenz Gottes, 539 Anm. 1; vgl. ders., Untergang, 21 f.; ders., KCH, 326 ff.; aaO, 321 verweist Elert direkt auf ihn: K. Heim, Die religiöse Bedeutung des Schicksalsglaubens bei Oswald Spengler, in: ders., / R. Grützmacher, Oswald Spengler und das Christentum. Zwei kritische Aufsätze, München, 1921, 5 – 38. 634 W. Elert, KCH, 451 f. 635 W. Elert, KCH, 453. 636 W. Elert, KCH, 447. Vgl. Elerts Darstellung der „Überwindung des Ethizismus“ (aaO, 453 ff.). 637 W. Elert, KCH, 453.
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Wirklichkeit angegangen zu sein: darin liegt für Elert „das unvergängliche Verdienst der Erlanger Theologie“.638 Sie habe es verstanden, den „einzig gangbaren Ausweg“ zwischen einer unwissenschaftlichen Theologie und jener Theologie zu finden, die die „allgemeine Erkenntnistheorie“ übernommen hatte, sich dafür aber auch von den „christlichen Glaubensgegenständen“ verabschieden mußte, die diesem scheinbaren Anspruch auf ,Wissenschaftlichkeit‘, vor allem der für den christlichen Glauben und seine wissenschaftliche Reflexion unentbehrlichen Bejahung der „Transzendenz“ widersprachen.639 Den Anfang zur „Überwindung des Immanenzgedankens“640 sieht Elert in der Vorrangstellung der Gewißheitslehre vor jeder allgemeinen Erkenntnistheorie bei Reinhold Frank, der jedoch nicht in der Lage gewesen sei, „aus der Bewußtseinsimmanenz herauszukommen“ und den „Vorwurf des haltlosen Subjektivismus“ zureichend zu entkräften.641 Dies gelang – in Elerts Verständnis – erst Ludwig Ihmels, der nachwies, daß die Glaubensgewißheit streng als „Erfahrungsgewißheit“ zu verstehen sei, die nur in der Affizierung des Subjekts der Glaubensgewißheit durch „objektive Realitäten“, also durch eine dem Subjekt transzendente Einwirkung – „unter dem Zwange gewisser von außen herantretender Eindrücke“ – konstituiert werde.642 Wenn Elert bereits 1920 betonte, es handle sich beim christlichen Pathos um ein subjektives Erlebnis, das durch das Evangelium als einer „objektiv festgefügten Größe“ von außen „verursacht“ wird,643 möchte er sich damit an die Position von Ihmels anlehnen. Ihmels nämlich „unterstrich die Untrennbarkeit des subjektiven Erlebnisses von der Wirklichkeit der 638 639 640 641
W. Elert, KCH, 462. W. Elert, KCH, 462. Vgl. aaO, 468 f. Vgl. die Kapitelüberschrift: KCH, 461. W. Elert, KCH, 463. 296. Zu Elerts Frankdarstellung: aaO, 291 ff. 462 f. Umfassend zu Frank: M. Roth, Der Mensch als Gewißheitswesen. Franz Hermann Reinhold von Franks theologischer Anthroposophie und ihre systematische Bedeutung, Aachen u. a., 1997; N. Slenczka, Der Glaube und sein Grund. F. H. R. von Frank, seine Auseinandersetzung mit A. Ritschl und die Fortführung seines Programms durch L. Ihmels, Studien zur Erlanger Theologie I, FSÖTh 85, Göttingen, 1998, 44 – 218. 642 W. Elert, KCH, 463. Zu Elerts Ihmelsdarstellung: aaO, 463 ff. Zu Ludwig Ihmels: N. Slenczka, Der Glaube und sein Grund, 219 – 316; T. Gerlach, Verborgener Gott – Dreieiniger Gott. Ein Koordinationsproblem lutherischer Gotteslehre bei Werner Elert, 1998), 357 – 361. Zu Elerts Ihmelsinterpretation vgl. die Kritik von N. Slenczka (Selbstkonstituton, 33 f. 343 ff.). 643 W. Elert, Dogma, 17. 33. Vgl. dazu oben S. 202 ff. und S. 222 ff.
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Glaubensobjekte und legte damit ein Zeugnis dafür ab, daß das Christentum seine Eigentümlichkeit im Besitz solcher Objekte hat, die über alle Fassungskraft der Immanenzwissenschaft hinausliegen“.644 Ihmels versuche so die Theologie als Wissenschaft zu betreiben, aber stets in dem einen allgemeinen Anspruch auf ,Wissenschaftlichkeit‘ gegenüber aufrechterhaltenen Selbstbewußtsein, „daß jede grundsätzliche Erörterung immer wieder auf Punkte stoße, wo die wissenschaftliche Diskussion aufhöre und die persönliche Entscheidung das letzte Wort habe“645. Das in diesen Ansätzen zur Überwindung der „drei Verfälschungen des Christentums“ – nämlich seiner Rationalisierung, Moralisierung und Immanentisierung –646 erkennbare Bewußtsein der „qualitativen Selbständigkeit“ des Christentums verfestigt sich für Elert sodann in der „Erneuerung der geschichtstheoretischen Isolierung des Christentums“: in der Anerkennung der „qualitative[n] Selbständigkeit der Heilsgeschichte“ und der Anwendung dem Gegenstand entsprechender wissenschaftlicher Methoden, die sich nicht willkürlich den Troeltschschen „Gesetzen der Kausalität, der Analogie und der Korrelation“ unterwerfen.647 Die ersten erkennbaren Ansätze, die die Selbständigkeit der Heilsgeschichte „entweder im christlichen Subjekt oder in ihrem tatsächlichen objektiven Befund oder in einer eigentümlich theologischen Methode“ festhalten wollen,648 verzeichnet Elert außerhalb der Erlanger Tradition insbesondere bei Martin Kähler und seiner Unterscheidung eines „historischen Jesus“ von dem „gepredigten Christus“.649 Methodisch sei die theologische Geschichtsbetrachtung vor allem durch Richard Grützmacher verselbständigt worden. Er habe nachgewiesen, daß die angeblich reine Historik mit ihrer Annahme eines „immanenten Evolutionismus“ ebenso eine weltanschauliche Voraussetzung impliziere wie die christliche Geschichtsbetrachtung mit ihrer Annahme 644 645 646 647
W. Elert, KCH, 465. W. Elert, KCH, 469. W. Elert, KCH, 447. W. Elert, KCH, 469 f. Vgl. aaO, 469 ff. 478 ff. Zu Troeltschs Vortrag „Über historische und dogmatische Methode in der Theologie“ von 1900 (in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, (Tübingen, 1913/19222) Neudruck Aalen, 1962, 729 – 753) vgl. oben S. 123 Anm. 338. 648 W. Elert, KCH, 470. 649 Vgl. W. Elert, KCH, 473 ff. Vgl. dazu aaO, 302 ff.
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einer geschichtstranszendenten Verursachung aller Geschichte.650 Profangeschichte und theologische Geschichtsschreibung unterscheiden sich demnach methodisch in ihren Axiomen, die in ihrem „Transzendenzglauben und Immanenzglauben“ begründet sind.651 Indem Theologen wie Grützmacher sich auf diese Weise bewußt „in Gegensatz zur allgemeinen Wissenschaftslehre“ stellen,652 kommt für Elert das neuerwachte Bewußtsein der „qualitativen Selbständigkeit des Christentums“ deutlich zum Ausdruck.653 In diesen theologiegeschichtlichen Positionen sieht Elert fulminante Ansätze, von „denen allein Wahrung der Hoheit und Gewißheit des Christentums erwartet werden darf“654 ; er sieht darin gar eine „Tendenz“, an die er mit der Neubestimmung seines apologetischen Programms als „Verstärkung“ anknüpfen möchte.655 Die auf der Basis seiner zeitdiagnostischen und erlebnistheologischen Einsichten erhobene und im Anschluß an die dargelegten theologischen Traditionen verifizierte Forderung einer Diastase von Christentum und Kultur für die gegenwärtige Situation am Anfang der Zwanziger Jahre hat somit Folgen für die Neubestimmung des apologetischen Programms und der apologetischen Aufgabe wie für die Veränderung der wissenschaftssystematischen Einordnung der Theologie. In beiden Punkten heißt es für Elert: ad fontes, nämlich zurück zu Schleiermacher. 4.4.3. Die Neubestimmung der apologetischen Aufgabe und ihr martyretischer Charakter 4.4.3.1. „Schwärmerische Kulturkritik“? Elerts Zeitdiagnose mündet in eine umfassende Kulturkritik. Die frühere Wahrnehmung der Weltanschauungspluralität als eines geradezu sportlich verstandenen Weltanschauungskampfes, in dem der Apologetik die Aufgabe zukam, die Stellung der christlichen Weltanschauung innerhalb der Kultur und im Gegenüber zu anderen Weltanschauungen durch Aufweis der Vereinbarkeit von weltbildhaftem Weltwissen und der im christlichen Transzendenzerlebnis liegenden weltanschaulichen 650 W. Elert, KCH, 482. Vgl. aaO, 482 ff. Vgl. W. Elert, Grützmachers Kritik, 383 – 400. 651 W. Elert, KCH, 483. 652 W. Elert, KCH, 484. 653 W. Elert, KCH, 7. Vgl. aaO, 2 f. 654 W. Elert, KCH, 496. 655 W. Elert, KCH, 6. Vgl. aaO, 496.
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Axiomatik zu verbesser[n] 656, verändert sich zur Diagnose der Diffusion der Kultur und des Individuums, zur umfassenden Krisendiagnose im Ganzen. Weltanschauungspluralität ist eines von vielen Zeichen der Zeit, die auf die „Decadence“ des gegenwärtigen Kulturzyklusses hindeuten,657 von dem es nun das Christentum zu separieren gilt, da zu dieser Zeit jegliche Synthese mit der allgemeinen Kultur in Elerts Verständnis lediglich die existentielle Selbständigkeit des Christentums gefährden würde.658 Die durch seine Zeitdiagnose herbeigeführte aktuelle Forderung nach einer Diastase von Christentum und Kultur erwies sich als vorbereitet und verstärkt durch die erlebnistheologische Forderung einer prinzipiellen Anerkennung des Primats des Pathos, die allein den richtigen „Maßstab“ des Verhältnisses von Dogma, Ethos und Pathos zu gewährleisten imstande sei.659 Nicht der Begriff der Offenbarung, wohl aber der des Erlebnisses führt Elert zu einer Totalkonfrontation von christlichem Transzendenzerlebnis und ,zivilisatorischer Weltwahrnehmung‘, die über die bloße Diagnose einer Diastase des geschichtlichen, phänotypischen Verhältnisses von Christentum und Kultur weit hinausreicht.660 Christentum und Kultur werden so im nahezu barthianischen Sinne konfrontiert;661 Elerts Erlebnistheologie mit ihrer Forderung der prinzipiellen Anerkennung des Primats des Pathos potenziert somit seine zeitdiagnostische Kulturkritik, die er später selber – in einer Auseinandersetzung mit der Dialektischen Theologie – in die Nähe einer Form „schwärmerische[r] Kulturkritik“ rücken wird.662 Die Apologetik im Sinne Elerts intendiert keine – wenn auch noch so sehr ermäßigte – Vermittlung mit der allgemeinen Kultur der Gegenwart mehr. Eine Apologetik, die jetzt versuchen wollte, eine Synthese von Christentum und Kultur durch Vermittlung, „Anknüpfungspunkte“ und „Analogien“663 herzustellen, verkenne die Situation: „Es mag Zeiten geben, wo 656 657 658 659 660 661
W. Elert, Wendung, 491. W. Elert, KCH, 489. Vgl. W. Elert, KCH, 3. 489. W. Elert, Dogma, 17. Vgl. v. a. W. Elert, Irrwege, 22 ff.; ders., Reduktion, 425 ff. Vgl. W. Elert, Irrwege, 24: „Eine wirksame Verkündigung des christlichen Glaubens kann nur stattfinden, wenn jede Abhängigkeit von nichtchristlichen Größen dabei vermieden wird“. 662 Vgl. Elerts Aufsatz von 1926: „Schwärmerische und evangelische Kulturkritik“ (AELKZ 59 (1926), 362 – 369. 386 – 393). 663 W. Elert, Forderung, 419.
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man so vorgehen kann und soll. Heute ist es um der seelischen Gesamthaltung unserer Zeitgenossen willen unmöglich oder jedenfalls völlig unfruchtbar, so vorzugehen“664. Das von der Apologetik zu setzende „Gegengewicht“ gegen eine Extremisierung des phänotypischen Verhältnisses von Christentum und Kultur665 besteht jetzt in dem idealtypischen Verhältnis einer Diastase; für Elert hat die Apologetik deshalb für die Gegenwart das „Ideal der Diastase“ von Christentum und Kultur zu verfolgen.666 4.4.3.2. Apologetischer Zeugendienst Besonders deutlich wird die in Elerts Augen der Zeitsituation entsprechende apologetische Aufgabenbestimmung in seinem Aufsatz von 1922 „Die Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit“, in dem er eine Art publizistisch gezeichneter Quintessenz der zeitdiagnostisch erhobenen Anforderungen an die Apologetik formuliert.667 Die zeitdiagnostischen Einsichten erweisen unter Voraussetzung seines erlebnistheologischen Ansatzes die situative Notwendigkeit des apologetischen Vorgehens.668 Angesichts der Ausmaße der gegenwärtigen Kulturkrise findet eine Umbestimmung der apologetischen Aufgabe statt. Statt auf eine Vermittlung ist die Apologetik nun ausschließlich auf den Weg des Zeugendienstes verwiesen. Keine Vermittlung des Christentums, keine Anknüpfung an die allgemeine Kultur, sondern die schlichte konfrontierende Bezeugung des christlichen Transzendenzerlebnisses vor der Welt gilt Elert am Anfang der Zwanziger Jahre als momentanes Maß aller apologetischen Bemühung. Die situationsgerechte Aufgabe der Apologetik besteht – in aller Paradoxie – gerade im Verzicht auf jede Apologetik, die Elert in herkömmlicher Weise durch die Aufgabe der Vermittlung des Christentums mit der allgemeinen Kultur und somit auch „von den Rücksichten auf die andern Geistesmächte ihrer Zeit“669 bestimmt sah: Daß die eigene im Transzendenzerlebnis verankerte christliche Glaubenserfahrung „dem skepti664 665 666 667 668
W. Elert, Forderung, 419 f. W. Elert, KCH, 14. Vgl. aaO, 3. 431. Ausführlich dazu oben S. 233 ff. W. Elert, KCH, 10. Vgl. aaO, 4. Erschienen in: AELKZ 55 (1922), 386 – 390. 402 – 404. 418 – 421. 434 – 436. Der Aufsatz ist klar gegliedert: Der Zeitdiagnose (Teil I und II, aaO, 386 ff. 402 ff.) folgt die Formulierung der apologetischen Aufgabe (Teil III und IV, aaO, 418 ff. 434 ff.). 669 W. Elert, Reduktion, 407.
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schen Zeitalter ohne Kompromisse bezeugt werde, das ist seine Forderung an die Sprecher der Christenheit. Alle Apologetik sucht erfahrungsgemäß zu vermitteln, sucht Brücken zu schlagen. In unserem Zeitalter ist alsdann die Gefahr der Relativierung des Christentums nahezu unvermeidlich. Deshalb kann man auch sagen, das skeptische Zeitalter fordere nicht so sehr Apologeten als vielmehr Zeugen als Sprecher der Christenheit“.670 4.4.3.3. „Propaganda“ und „Polemik“ als Weg der Überwindung „apologetischer Feigheit“ Der Apologetik kommt nun die Aufgabe zu, die prinzipielle Andersartigkeit, die im christlichen Transzendenzerlebnis erfahren wird,671 zu bezeugen.672 Durch diese Bezeugung ist die Weltwahrnehmung der Zeitgenossen mit dem ganz Anderen derart zu konfrontieren, daß es „wie ein absoluter Fremdkörper wirkt in der gesamten Geisteswelt unseres Zeitalters“673. Diese Beschränkung auf den Zeugendienst versteht Elert in Anknüpfung an Schleiermacher als „die endgültige Absage an jede Form der landläufigen Apologetik“674. Die Welt ist schlicht mit der Erfahrung, die sich aus dem Erlebnis der Transzendenz Gottes im Evangelium speist, zu konfrontieren. Alle weiteren – vermittelnden – Schritte entfallen programmatisch, da das „Universum“ sich ja „seine Bewunderer“ selber „bildet“.675 Dabei auftretende „Dissonanzen und Antinomien“ werden von Elert bewußt in Kauf genommen; sie gelten 670 W. Elert, Forderung, 435 f. 671 Vgl. allein die massive Häufung des Wortes ‘anders’ in Bezug auf das Transzendenzerlebnis und auf das ihm zugrundeliegende Wirken Gottes: W. Elert, Forderung, 435. Im Gegensatz zur ‘weltlichen’ Vernunft und Moral „spielt sich der christliche Glaube in einer ganz andern Sphäre ab“ (ders., Irrwege, 23). Zum Zusammenhang mit der „qualitativen Selbständigkeit des Christentums“ vgl. W. Elert, KCH, 6 f. 672 Zur apologetischen Aufgabe des Bezeugens vgl. v. a. W. Elert Forderung, 435 f. Vgl. dazu aaO, 420 f.; ders, KCH, 496. Im Hintergrund steht hierbei Elerts Verständnis von „Schleiermachers Erfahrungsbeweis“, der seine „Gültigkeit“ nur an denjenigen erweist, „die diese Erfahrung gemacht haben“, er gilt somit aber nicht „für Außenstehende“: Die Wirklichkeit und Wirksamkeit des christlichen Glaubens läßt sich nicht „beweisen“, sondern „nur bezeugen“ (ders., KCH, 62 f.). Zur Erneuerung der Bedeutung Schleiermachers vgl. v. a.: W. Elert, KCH, 490 ff. 673 W. Elert, Forderung, 419. 674 W. Elert, KCH, 63. 675 W. Elert, KCH, 498. Vgl. aaO, 497 f.
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ihm sogar als „unausbleiblich“.676 Apologetik wird zur Martyretik, zur Kunst des Zeugendienstes der im Transzendenzerlebnis verankerten christlichen Gotteserfahrung.677 Aus dem ehemaligen Vermittlungsorgan der Theologie, das die Möglichkeit der Übereinstimmung von Weltwissen und Transzendenzerlebnis aufwies, ist somit ein Konfrontationsorgan geworden. Der christliche Glaube zeichnet sich gerade dadurch aus, daß er im Widerspruch steht zur weltlichen Wirklichkeitserfahrung.678 Gott ist deshalb als der zu bekennen, der „allen denkbaren Standpunkten, die man in dieser Welt einnehmen kann, schlechthin transzendent“ ist.679 Da für Elert bei der idealtypischen Ausgestaltung des Verhältnisses von Christentum und Kultur durch die Apologetik „keine bestimmten Regeln“ existieren, lassen sich die Kunstregeln einer Apologetik nur im Bezug auf die jeweilige geschichtliche Situation formulieren.680 Angesichts der Situation seiner Gegenwart eröffnen sich Elert für die Ausübung der martyretischen Aufgabe der Apologetik zwei Richtungen. Die Bezeugung des Transzendenzerlebnisses erweist sich primär als „Propaganda“ für die aus dem christlichen Transzendenzerlebnis geschöpfte Erfahrung,681 eben als Propaganda für das „echte Transzendenzerlebnis“. Da dieses „echte Transzendenzerlebnis“ quer zu aller Welterfahrung liegt, besteht die Aufgabe der Apologetik neben der Propaganda in der „Polemik“ gegen jedwede der christlichen Gotteserfahrung widersprechende Weltwahrnehmung.682 In der Ausübung 676 W. Elert, KCH, 489. 677 Die Bezeichnung der Apologetik als ‘Martyretik’ findet sich bei Elert der Sache nach, jedoch nicht wörtlich. Ein Bezug auf die – aus dem 19. Jahrhundert stammende – homiletische Aufgabenbestimmung durch Theodor Christlieb in der Bezeichnung der Homiletik als „Martyretik“ (vgl. dazu H. M. Müller, Homiletik. Eine evangelische Predigtlehre, Berlin, 1996, 115 f.) liegt somit nicht vor, obgleich sachliche Parallelen sichtbar sind. Daß Elert die Martyretik innerhalb seines apologetischen Programms eher als Zeugendienst, nämlich als kunstfertiges Bezeugen der „Kräfte […], die nicht von dieser Welt sind“ (Forderung, 419; vgl. aaO, 435 f.), versteht, denn als bloßes, faktisches Martyrium der Totalisolation einer sich selbst verschließenden Theologie, wird im Folgenden gezeigt werden. 678 Vgl. v. a. W. Elert, Irrwege, 20 ff. 679 W. Elert, Forderung, 420. 680 W. Elert, KCH, 491. 681 W. Elert, KCH, 496. Vgl. dazu ders., Forderung, 419. 682 W. Elert, KCH, 496. Im Gegensatz zu Schleiermachers Aufgabenbestimmung der Polemik als – im Gegensatz zur Apologetik nach innen gerichteter – Teil
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ihrer polemischen Funktion erweist sich die Apologetik als das Organ der Theologie, das das große ,Nein‘ des ganz Anderen über die Wirklichkeitserfahrung der westlichen Zivilisation auszusprechen hat.683 Es muß wieder gegenüber den bisher unternommenen apologetischen Syntheseversuchen deutlich werden, daß „die Allerweltsfreundschaft des Christentums doch irgendwo einmal eine Grenze haben müsse“684. Gerade in der polemischen Arbeit erweist sich der konfrontative Grundzug und damit „die deutliche Aufgabe der Apologetik. Sie soll diejenigen Erkenntnisse der gegenwärtigen Menschheit ins Auge fassen, die nicht spezifisches Eigentum der Christenheit sind, und sie unter dem Zwange des christlichen Distanzgefühls den spezifisch christlichen Erkenntnissen gegenüberstellen – nicht um den Abstand zu verwischen, sondern um ihn herauszuarbeiten“685. Mit ihrer Propaganda und Polemik betreibt die Apologetik im Sinne Elerts keine Vermittlung, keine Anknüpfung, sondern die Negierung solcher früheren Methoden und Aufgaben und wird gerade in diesem gleichsam antiapologetischen Affekt zum Zeugendienst christlicher Gotteserfahrung in einer für Elert sonst hoffnungslos untergehenden Welt bestellt. Deshalb gilt es alle „apologetische […] Feigheit“ zu überwinden und „Gottes Transzendenz, seine Jenseitigkeit im strengen Sinne zu bekennen“686. 4.4.3.4. Die Absorptionskraft der Dogmatik Das Ziel der Apologetik ist nun nicht mehr eine Plausibilisierung des Christentums als einer unter vielen Weltanschauungen, die es auf erkenntnistheoretisch formal zureichende Weise verstünde, das gegenwärtige „Welterkennen“ – das nach gegenwärtigem Wissen geltende Weltbild – mit einer sinnstiftenden, allen Weltanschauungen inhärenten Axiomatik, also einer „transzendenten Erklärung der Geschichte“, zu
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der „philosophischen Theologie“ bestimmt Elert die Polemik viel eher als eine Art methodischen Teil der Apologetik selber. Zu Schleiermachers Aufgabenbestimmung der Polemik vgl. F. Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums, §§ 40 f. 54 – 62. Zum Verhältnis von Theologie und Philosophie nach wie vor: H. J. Birkner, Theologie und Philosophie. Eine Einführung in Probleme der Schleiermacher-Interpretation, TEH NF 178 (1974), v. a. 25 ff. Besonders deutlich wird dies kurze Zeit später in dem Aufsatz Elerts „Zu den Waffen!“ (AELKZ 56 (1923), 524 – 526.), in dem er die Fähigkeit und den Willen, wieder „in Negationen zu denken“, beschwört (aaO, 525). W. Elert, KCH, 491. Vgl. aaO, 15. W. Elert, KCH, 494. W. Elert, Forderung, 435. 420.
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verbinden.687 Ziel ist somit nicht mehr eine bestimmte Form auf Synthese zielender apologetischer Vermittlung von Christentum und Kultur, wie sie Elert einst in der „großen Synthese von Empirischem und Überempirischem“ selber plakativ verfolgt hatte.688 Die Aufgabe der Apologetik ist nun streng reduziert auf die Bezeugung des „echten“ Transzendenzerlebnisses vor der Welt und gegen die Erfahrung der Welt.689 Apologetik ist somit Propaganda für die eigens erlebte Wirklichkeit und damit zugleich Polemik gegenüber allen anderen diesem Erlebnis widerstreitenden innerweltlichen Heilslehren und Erfahrungskonglomeraten.690 Apologetik wird vom Vermittlungsorgan zum propagandistischen wie polemischen Konfrontationsorgan christlichen Zeugendienstes. Ziel der Apologetik kann es demnach auch nicht mehr sein, den „Ungläubigen“ mit weltwissenschaftlichen Methoden von der potentiellen Nachvollziehbarkeit, von der Plausibilität der „christlichen Weltanschauung“ kognitiv zu überzeugen.691 Ziel der Apologetik ist nun vielmehr, den „Ungläubigen“ mit der im Transzendenzerlebnis verankerten christlichen Glaubenserfahrung, zu deren Charakter keine Plausibilität, wohl aber „Paradoxie“ und „Irrationalität“ gehören,692 unter Aufrechterhaltung der „Hoffnung“ affektiv derart zu konfrontieren, daß sich in ihm „Kräfte bemerkbar machen, die nicht von dieser Welt sind“693. Die Apologetik zielt somit letztlich darauf, Glauben zu erregen. Spätestens an diesem Punkt erweist sich Elerts einstige strenge Unterscheidung von Weltanschauung und Glaube als aufgeweicht.694 Mit der implizierten Aufgabe der Unterscheidung von Weltanschauung und Religion in Bezug auf das Christentum verflüchtigt sich ebenso die von Elert früher betriebene Differenzierung von Apologetik 687 688 689 690 691
W. Elert, Prolegomena, 98. W. Elert, Prolegomena, 104. W. Elert, Transzendenz, 536 f. Vgl. v. a. W. Elert, Forderung, 420; ders., KCH, 496. W. Elert, Wendung, 485. Vgl. ders., Prolegomena, 73 f. Ausführlich dazu oben S. 85 ff., S. 110 ff., S. 124 ff. und S. 145 ff. 692 W. Elert, KCH, 434; ders. Wendung, 485. Vgl. dazu ders., Transzendenz Gottes, 526 f. 693 W. Elert, Forderung, 419. 694 Die strenge Unterscheidung findet sich v. a. in W. Elert, Prolegomena und ders., Wendung. Dazu oben v. a. S. 142 ff. Die endgültige Verflechtung von Weltanschauung und Glauben wird besonders eindrücklich in der „Morphologie“ deutlich. Vgl. W. Elert, ML I, 353 ff.
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und Dogmatik695 in dem Sinne, daß die Apologetik bei ihm mehr und mehr zu einer nach außen gewendeten Dogmatik wird. Die Apologetik erhält ihren Ort in den Vordersätzen der Dogmatik. Die Prolegomena absorbieren damit – mittelfristig – die Funktion der Apologetik.696 Die Apologetik wird zur Bezeugung der im Transzendenzerlebnis verankerten christlichen Glaubenserfahrung vor der Welt. Diese auf den 695 Vgl. insbesondere W. Elert, Wendung, 466 f. 696 Offenkundig wird dieser Sachverhalt in Elerts Morphologie und in seiner Dogmatik. Die Thematisierung des menschlichen Selbstverständnisses in den Prolegomena der Dogmatik ersetzt die einst selbständig betriebene Apologetik. Vgl. W. Elert, CG, 17 ff. und durch aaO, 63 f. auch aaO, 67 ff. Programmatisch formuliert Elert aaO, 39: „Wird die Aufgabe, den Sachgehalt der Theologie gegenüber der Umwelt zu ‘verteidigen’, einer besonderen Apologetik zugewiesen, so ist für die Dogmatik die Versuchung fast unvermeidlich, so vorzugehen, als ob diese Auseinandersetzung in irgendeiner Hinsicht bereits erledigt wäre. Die Dogmatik wird dadurch zum Selbstgespräch der Theologie. In Wirklichkeit hat sie aber im Ganzen wie an allen einzelnen Punkten nicht den Theologen von Fach, sondern den Menschen anzusprechen, der von Natur ein Mensch ohne Glauben ist“. Vgl. dazu die Würdigung von M. Doerne, Das unbewältigte Problem der Apologetik, ThLZ 75 (1950), (259 – 264) 262 f. In der Morphologie entspricht dies insbesondere Elerts Schilderung des „Urerlebnis[ses]“ (ML I, 15 ff.), das er „als Verhältnis des ‘natürlichen Menschen’ zu Gott verstanden“ wissen will (aaO, 25). Diese Entwicklung deutet sich bereits 1921 an: Das Christentum ist mit „solchen Merkmalen“ ausgestattet, „die sie von anderen Erkenntnisgemeinschaften unterscheidet. Diese Merkmale zu finden und nachzuweisen ist deshalb die Fundamentalaufgabe jeder theologischen Prinzipienlehre“ (KCH, 493). Völlig zu Recht notiert deshalb K. Meier zu Elerts Entwicklung nach 1921 (Kulturkrise und Syntheseproblem. Zum Verständnis von Christentum und Moderne bei Werner Elert, KuD 31 (1985), 293 – 306): „Sofern Apologetik die Berechtigung des Christentums durch unangemessene Konformitäts- und Adaptionstendenzen sicherstellen möchte, wird sie jetzt kritisch aversiv beurteilt. Gleichwohl muß für die geschichtsapologetische Anfangsphase von Elerts theologischer Publizistik festgehalten werden, daß die subjektive Transzendenzvergewisserung mit apologetischer Weite und Offenheit gegenüber den empirisch-immanenten Wirklichkeitsbereichen gepaart bleibt“ (aaO, 296). K. Meier zeigt, daß das Verschwinden einer expliziten Beschäftigung Elerts mit der Apologetik parallel läuft mit der Ausbildung der Realdialektik von Gesetz und Evangelium, die sich ansatzweise in der „Morphologie“ abzeichnet und dann in „Der Christliche Glaube“ konsequent durchgeführt wird. Der Gesetzesbegriff absorbiert die von Elert in der „Lehre des Luthertums im Abriss“ und in der „Morphologie“ gebrauchten Rede vom „Schicksal“, so daß beim späteren Elert durch eine Ausweitung auf die gesamte Lebenswirklichkeit – freilich abzüglich des Evangeliums – durchaus von einer „wirklichkeitsintegrativen Funktion“ des Gesetzes gesprochen werden kann (aaO, 304 f.).
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Wegen der Propaganda und Polemik zu vollziehende Bezeugung zielt auf Ermöglichung einer Erregung oder Erweckung desselben Transzendenzerlebnisses bei anderen Menschen. Das dabei implizierte Verhältnis von Zeugendienst und der jenseits aller menschlichen Möglichkeiten liegenden Affizierung des Subjekts durch die „Kräfte“, die „nicht von dieser Welt sind“, bleibt bei Elert weitgehend ungeklärt.697 Elert selbst überfällt eine gewisse Skepsis bei der Frage: „Wird es aber unserem Zeugnis gelingen, den Menschen unserer Zeit jene Herzstücke des Christentums wieder zur Wirklichkeit werden zu lassen? All unsere Versuche müssen notwendig scheitern, solange sie nur mit diesseitigen Mitteln und Kräften unternommen werden. Es kann also nur so geschehen, daß wir selbst Organe des transzendenten Gottes werden, daß wir andere an“ unserem Transzendenzerlebnis „teilnehmen lassen“698. Präzise erscheint somit Elerts Neubestimmung der apologetischen Aufgabe vor allem ex negatione, im Verzicht auf jeden Versuch einer Synthese von Christentum und allgemeiner Kultur: Für die Gegenwart gilt als situative Pflicht, darauf zu verzichten, der Welt erweisen zu wollen, das Christentum sei wegen seiner Rationalität, seiner Moralität oder sonstiger vermeintlich syntheseträchtiger Eigenschaften „notwendig“.699 Die „Notwendigkeit des Christentums“ kann nur im Rekurs auf die im Transzendenzerlebnis verankerte eigene Glaubenserfahrung, also aus einer „inneren Notwendigkeit“ der Binnenperspektive des Christentums in der Nachfolge von Schleiermacher und den Erlangern, erwiesen werden.700 In der gegenwärtigen Situation der „Diffusion der Weltanschauung wie der Lebensgestaltung“701 soll die Apologetik und mit ihr die gesamte Theologie nichts Besonderes tun, sondern lediglich 697 W. Elert, Forderung, 420. Zur „Affizierung“ vgl. ders., KCH, 498. Klärend hierbei ist lediglich die von Elert zitierte Bestimmung Schleiermachers aus „Der christliche Glaube“ § 14,1: „‘Hierin hat nun auch seitdem immer das Wesen aller unmittelbaren christlichen Verkündigung bestanden, die sich immer nur als Zeugnis gestalten kann; Zeugnis von der eigenen Erfahrung, welches die Lust in andern erregen sollte, dieselbe Erfahrung auch zu machen’“ (KCH, 63). N. Slenczka (Selbstkonstitution, 79 f.) spricht hier deutlich kritischer: Elerts „völlig unklare[r] Gefühlsbegriff“ erreiche weder „annähernd“ das „Niveau Schleiermachers“ (aaO, 79 Anm. 23) noch sei der „Verdacht“ zu vermeiden, daß Elert „eine ganze Tradition der theologischen Rezeption des Gefühlsbegriffes […] schlicht nicht bekannt ist“ (aaO, 80 Anm. 28). 698 W. Elert, Forderung, 436. 699 W. Elert, KCH, 497. 700 W. Elert, KCH, 496 f. 701 W. Elert, KCH, 488.
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das, was auch „jede Soziologenschule, jede monistische Erkenntnisgemeinschaft, jede um eine neue ästhetische Theorie sich sammelnde Künstlergemeinde zu erfüllen sucht“, nämlich – und darin zeigt sich dann doch eine, wenn auch stark resignativ geprägte Anerkennung der gesellschaftlichen Pluralität bei Elert – ausschließlich „für die eigene Erkenntnisgemeinschaft, in deren Namen man [als Theologe] spricht, alle Menschen zu gewinnen“.702 4.4.3.5. Diastase als „rein negative Forderung“ zur Wiedergewinnung des „christlichen Distanzgefühls“? Die von der Apologetik jetzt zu vollziehende Diastase zur nichtchristlichen Umwelt zielt auf die Ablösung des Christentums von der Welt, auf seine Verselbständigung gegenüber der allgemeinen Kultur und auf die Wiederherstellung eines in der prinzipiellen Anerkennung des Primats des Pathos liegenden „christlichen Distanzgefühls“703. Mit Hilfe der Propaganda und Polemik bezeugt die Apologetik die „qualitative Selbständigkeit“ und Andersartigkeit des christlichen Transzendenzerlebnisses.704 Wie jedoch diese Diastase konkret zu vollziehen sei, ist Elert über die reine Zeugnisforderung hinaus selber nicht recht klar. Eine dogmatische Refundamentalisierung in der Art des zeitgenössisch verbreiteten Hanges zur Neoorthodoxie, eine pietistische wie täuferische Weltflucht oder gar eine Aufgabe des volkskirchlichen Charakters scheiden für Elert als Wege aus: „Die Forderung eines neuen Distanzgefühls wäre auf das gröbste mißverstanden, wenn man glaubte, ihr lediglich durch eine archaistische Dogmatik, eine brutale Askese oder durch eine möglichst weitgehende Verengerung der kirchlichen Organisation gerecht werden zu können“705. Ebenso indiskutabel gilt Elert 702 W. Elert, KCH, 496. 703 W. Elert, KCH, 493. Vgl. aaO, 485 ff. 493 f. Die „Erneuerung des christlichen Distanzgefühls“ (vgl. die Überschrift des 8. Abschnittes KCH, 430) zieht sich als cantus firmus durch Elerts Darstellung der „tiefliegende[n] Bewegung“ (aaO, 3): Vgl. v. a. aaO, 434. 461. 469. 484. 704 W. Elert, KCH, 2. Vgl. ders., Forderung, 435. 705 W. Elert, KCH, 490. Bemerkenswerter Weise wurde Elert gerade aufgrund seines Buches der „Kampf um das Christentum“ als „pietistisch durchsäuert“ kritisiert (E. Hirsch, Rez. Der Kampf um das Christentum, in: ThLZ 47 (1922), (281 f.) 282). Vgl. dazu Elerts Stellungnahme (Transzendenz, 523 Anm. 1). Auch in späteren Jahren wurde Elert eine ungewollte Affinität zum
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der römisch-katholische Versuch, die Diastase auf dem Wege eines „Antimodernisteneid[es]“ gleichsam global zu verordnen.706 Wie für die Bestimmung der „qualitative[n] Selbständigkeit des Christentums“ gilt auch für die Wahrnehmung der Diastase von Christentum und Kultur, daß sie „vor allem dadurch unendlich kompliziert“ wird, „daß die Christenheit und also auch das Christentum nicht beziehungslos in der Welt stehen, sondern mit dem sie umflutenden geschichtlichen Leben der Menschheit insgesamt tausendfach verflochten sind“.707 Deshalb ist – wie Elert bekennt – die von der Apologetik idealtypisch zu betreibende Diastase von Christentum und Kultur „für uns, die wir in dieser Kultur groß geworden und die wir sozusagen mit jeder Faser unseres Daseins an sie gebunden sind, nicht nur eine sehr schwere, sondern auch eine unsagbar schmerzvolle Aufgabe. Wir können uns nicht mit einer frivolen Geste von dem ,Zivilisationsquark‘ einfach lossagen, wie Lagarde wollte“708. Wie aber ist dann die von der Apologetik idealtypisch zu betreibende Diastase von Christentum und Kultur umzusetzen? Zum einen schwebt Elert der Gedanke eines theologisch verantworteten Kulturbegriffes vor, der durch die Anerkennung der prinzipiellen Eigenständigkeit aller Kulturgebiete in der Lage wäre, ,christliche Kultur‘ von den nichtchristlichen Bereichen der Kultur zu differenzieren.709 Dieser – durch die Beschäftigung Elerts mit Spengler induzierte710 – Gedanke scheint jedoch lediglich angedacht zu sein und führt über Elerts These der im Pathos liegenden „qualitative[n] Selbständigkeit des Christen706
707 708 709 710
(Neu-) Pietismus bescheinigt; vgl. dazu H. Asmussen, Über lutherische Lehre. Eine Auseinandersetzung mit Werner Elert, in: ZZ 6 (1928), (22 – 45) 42. W. Elert, KCH, 431: „Ein Modernisteneid hätte dem evangelischen Christentum nicht mehr sein können als eine Kampferinjektion dem Sterbenden. Er hätte ja auch den Tod derjenigen evangelischen Freiheit bedeutet, zu der sich alle protestantischen Richtungen bekennen“. Auffallend hierbei ist, daß Elert sich in diese Aussage einschließt. Wie bereits der Untertitel von Elerts „Kampf um das Christentum“ anzeigt, sind für ihn somit am Anfang der 20er Jahre evangelische Gemeinsamkeiten durchaus noch nicht konfessionell separiert. Zehn Jahre später kann er sie nur noch spöttisch unter dem in seinen Augen krampfhaften Versuch einer Aufrechterhaltung der „Einheitsfront des Protestantismus“ betrachten (ML I, 7). W. Elert, KCH, 2. W. Elert, KCH, 489. Vgl. W. Elert, KCH, 7. 490. Elert erwägt in vereinzelten Gedanken einen „Begriff von Kultur“ als einen „Inbegriff von Freiheit, Klarheit und Hoheit der Seele im Verhältnis zur Kultur überhaupt“ (aaO, 490). Vgl. W. Elert, KCH, 327.
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tums“ nicht hinaus;711 eine konsequente Fortentwicklung findet sich erst in der „Morphologie“.712 Zum anderen erhebt Elert im Zusammenhang seiner Forderung der idealtypisch auszugestaltenden Diastase einen nach lutherischer Zweireichelehre klingenden Appell, der die Schwierigkeiten eines christlichen Lebens inmitten seiner Doppelzugehörigkeit zum Bereich der christlichen Kultur und der allgemeinen Kultur anspricht: „Aber das können wir doch und müssen wir Kinder der lutherischen Reformation doch wieder lernen, daß Schöpfungsordnung und Gnadenordnung Gottes zweierlei ist und daß in dieser Welt eine restlose Harmonie zwischen beiden nie sein wird und aus bestimmten Gründen nie sein darf. Wir können als deutsche Menschen unser deutsches Herz nicht verleugnen, können unser Ohr nicht zwingen, von unsrer Musik, unsrer Lyrik nicht ergriffen zu werden, können auch unser Auge vor den Einsichten, die uns Teleskop und Mikroskop geschenkt haben, nicht plötzlich verschließen. Aber wir müssen begreifen lernen, daß Christ sein etwas vollkommen anderes ist“.713 Auch wenn Elert hier scheinbar ,traditionell‘ lutherische Begriffe verwendet, ist noch nichts von Elerts späterem Verständnis des Geworfenseins des Christen unter die zweifache Regierungsweise Gottes 711 W. Elert, KCH, 2. Ungeklärt bleibt besonders die Frage, wie sich die Seele der allgemeinen Kultur – also die Seele eines Spenglerschen Kulturzyklusses – zu der „christlichen Seele“ (aaO, 327) verhält: Handelt es sich dabei um ein rein ontologisches oder aber ontisches Verhältnis einer Über -, Unter- oder Beiordnung? 712 Erst in der „Morphologie“ bestimmt Elert die in den verschiedenen morphologischen Manifestationen des Luthertums vorliegende ‘Kultur’ als ein ontisches Phänomen, das multifaktoriell durch verschiedene, beigeordnete Seelen, oder – wie es dann in der Morphologie heißen wird – ‘dynameis’ bestimmt ist: Die „konfessionelle Dynamik“ steht also mit „vielen anderen Motiven des geschichtlichen Werdens“ und dadurch auch mit einer „fremdgesetzlichen Dynamik“ im „Wettbewerb“ um die Gestaltwerdung des Luthertums; auch das Luthertum ist in seiner historischen Gestalt ein „Produkt heterogener Komponenten“ und ist „auch von einer fremdgesetzlichen Dynamik jedenfalls mitbeherrscht“; die „Verquickung“ mit „fremdgesetzlichen Motiven“ ist in den verschiedenen Bereichen der historischen Gestalt von unterschiedlicher Intensität: „Sie ist am stärksten auf dem Gebiet der Soziologie, geringer auf dem der Weltanschauung und noch schwächer in der […] kirchlichen Verfassung und dem Kultus. Am nächsten kommt der gesuchten Dominante aber fraglos doch die Theologie und hier wieder das offizielle Dogma“ (ML I, 3 – 5; vgl. aaO, 1 ff.). 713 W. Elert, KCH, 489.
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in Gesetz und Evangelium zu verzeichnen. Die Stichworte „Schöpfungsordnung und Gnadenordnung“ markieren in diesem Kontext lediglich den Aufweis der Schwierigkeit, christliche Kultur und allgemeine-nichtchristliche Kultur voneinander einigermaßen abzugrenzen, geschweige denn präzis zu definieren.714 So zielt Elerts Argumentation im Textzusammenhang gerade nicht darauf, die lutherische Unterscheidung und Zuordnung der ,zwei Reiche‘ zu erhärten, sondern vielmehr auf das geradezu barthianisch klingende Gegenteil: auf den Aufweis, daß „Christ sein etwas vollkommen anderes ist“,715 ja daß ein theologisch verantworteter „Begriff von Kultur“ sich unabhängig weiß von jeglicher „Art von technischer Zivilisation“ und primär darauf zielt, die „innere Selbständigkeit […] zu wahren“ und dadurch die Diastase zu vollziehen, nämlich „ganz frei“ zu werden „von der gegenwärtigen ,Kultur‘“716. Dieses vereinzelte Zitat läßt sich somit nicht als ein Argument für den angeblichen Versuch eines Anschlusses an die lutherische Tradition im Jahr 1921 anführen. Erst 1924 in der Vorrede zu seiner „Lehre des Luthertums im Abriss“ spricht Elert in aller Deutlichkeit davon, daß „das Schlachtfeld, auf dem sich die Diastase zwischen dem Christentum und der allgemeinen Kultur abspielt, nichts andres ist als die Seele ein und desselben Menschen, des Christen. Nicht darauf ist es abgesehen, daß der Christ zwischen sich und dem nichtchristlichen Zeitgenossen eine möglichst starke Trennungslinie ziehe, sondern daß er sich der Doppelstellung seines eigenen Wesens, der er als Bürger zweier Welten einnimmt, bewußt werde und sich dementsprechend verhalte.“717 Erst 1924 konkretisiert Elert also diesbezüglich seine Forderung nach einer Diastase: „Deshalb sollte in diesem Abriß […] zunächst einmal in knappster Ausführung gezeigt werden, wie das diastatische Verhalten des Christen zur allgemeinen Kultur gedacht sei“.718 Deutlich erkennbar ist also in der Zeit bis 1923 lediglich die mit Diastase gemeinte Ablehnung jeder Synthese, die Ablehnung jeglicher Vermittlung und Verknüpfung, die Ablehnung jeglicher Form von Anknüpfung und Analogie. Wie Elert selber sagt, handelt es sich bei solchem apologetischen Zeugendienst „auf den ersten Blick“ um eine 714 715 716 717 718
W. W. W. W. W.
Elert, Elert, Elert, Elert, Elert,
KCH, 489. Vgl. den Kontext aaO, 489 f. KCH, 489. KCH, 490. LLA1, XI. LLA1, XI.
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„rein negative Forderung“ an die Apologetik.719 Insofern ist es für Elerts in diesem Sinne durchaus antiapologetische Grundhaltung bezeichnend, wenn er 1924 im Zusammenhang der „Beziehung der Wahrheitserkenntnis auf die konkrete Situation unseres Lebens“ davon sprechen wird, daß die von ihm empfohlene „Rücksicht auf unsre gegenwärtige geistige Gesamtsituation … keinerlei apologetische Bedeutung [hat], weil sie für den Glauben selbst gar nichts beweisen soll“720 Ist Elerts Forderung nach einer Neubesinnung auf die „qualitative Selbständigkeit des Christentums“,721 seine Forderung nach einer Diastase des Christentums zur allgemeinen Kultur, seine Forderung nach der Befreiung des Christentums aus der unheilvollen Verquickung mit der Vernunft und der Moral des 19. Jahrhunderts und dessen anscheinend rein immanenten Wissenschaftsbegriffs, seine Forderung nach der Befreiung des Christentums aus der Verquickung mit der allgemeinen Kultur, wie sie im Begriff des Kulturprotestantismus als einer „Kulturverbrüderung“ paradigmatisch vor Augen tritt722 – ist diese Forderung also nicht mehr als ein in dem Begriff einer „rein negativen Forderung“723 an die Apologetik formulierter Ausdruck eigener Unzufriedenheit, die über die eigene Ratlosigkeit nicht hinauskommt? Oder ist der antiapologetische Verzicht auf eine Synthese von Christentum und Kultur eine durchaus selbst- wie sendungsbewußte Kapitulation vor dem Anspruch einer Vermittlungsfähigkeit wie Vermittlungsbedürftigkeit des Christentums und damit ein – über die reine Negation hinausgehendes – klares wie positives Bekenntnis zur ,Anstößigkeit‘ und ,Vernunftwidrigkeit‘ des Christentums im Sinne von 1. Kor. 1,18 – 2,16? Ist somit bei Elert eine Art Interessenverlagerung festzustellen? Weg von einer Ortsbestimmung des Christentums innerhalb des Weltanschauungskampfes der Moderne, weg von einer Vermittlung des Christentums mit einer im Horizont von Spenglers Untergangsvision uninteressant gewordenen zivilisatorischen Kultur und hin zur selbstbewußten Formulierung des eigenen Glaubens, die ausschließlich im 719 720 721 722
W. Elert, Forderung, 420. W. Elert, LLA, 118. W. Elert, KCH, 2. Vgl. aaO, 3. 7. W. Elert, KCH, 442. Umfassend zu Begriff und Bedeutung von Kulturprotestantismus: F. W. Graf, Kulturprotestantismus. Zur Begriffsgeschichte einer theologiepolitischen Chiffre, in: Archiv für Begriffsgeschichte 28, 1984, 214 – 268; ders., Art. Kulturprotestantismus, TRE 20 (1990), 230 – 243. 723 W. Elert, Forderung, 420.
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Interesse „für die eigene Erkenntnisgemeinschaft“724 unter Ausblendung jeglicher „Rücksichten auf die andern Geistesmächte ihrer Zeit“725, also auf die allgemeine Kultur vorzunehmen ist? Diese Interessenverlagerung von der Stellung des Christentums innerhalb der allgemeinen Kultur hin zur Beschäftigung mit den Belangen der „eigene[n] Erkenntnisgemeinschaft“726 findet ihre zeitgenössische Entsprechung in den neuen Fragen, die durch die von der Weimarer Reichsverfassung ermöglichte, aber auch zwingend notwendig gewordene Neustrukturierung der vom Staat endlich frei gewordenen evangelischen Kirchen gestellt waren. Die korrespondierende thematische Verschiebung läßt sich an Elerts Veröffentlichungen ab 1924 deutlich ablesen: Für Elert auffallend neuartige Themen sind so besonders mit den Fragen der kirchlichen Verfassung wie des eigenen – lutherischen – Bekenntnisses gegeben.727 4.4.3.6. Von der Martyretik zur konfessionellen Theologie – eine formale Neuausrichtung Damit ist die zeitliche Grenze dieser ganzen Untersuchung zu Elerts apologetischem Frühwerk erreicht. Das ab hier beginnende Neue soll aber – zum Verständnis dieser Grenze – noch kurz weiter bestimmt werden. Elert hatte in seinem Aufsatz „Dogma, Ethos, Pathos“ die Pluralität des Christentums auf eine – nach Konfessionen und Untergruppierungen – differenzierte „Intensität“ des inhaltlich stets gleichen Transzendenzerlebnisses zurückgeführt. Bei seiner Neubestimmung der apologetischen Aufgabe, die Diastase von Christentum und allgemeiner Kultur durch Bezeugung der eigenen im Transzendenzerlebnis verankerten Glaubenserfahrung auf propagandistischen und polemischen Wegen zu vollziehen, tritt damit zugleich eine innere Spannung auf, die in der Neuorientierung ab 1924 in bestimmter Weise aufgelöst wird: Wie soll man die im Pathos liegende „qualitative Selbständigkeit des Christentums“728 bezeugen, das inhaltlich stets gleich ist, aber einem selber lediglich in einer spezifischen Intensität erschlossen ist? Mit an724 725 726 727
W. Elert, KCH, 496. W. Elert, Reduktion, 407. Vgl. aaO, 406 f. 425 ff. W. Elert, KCH, 496. Vgl. aaO, 493 ff. Dies zeigt sich bereits bei einem kurzen Blick auf Elerts Bibliographie (H. Wagner, 412 ff.): Die Titel zahlreicher Veröffentlichungen kreisen ab 1924 um Begriffe der kirchlichen Verfassung und des Bekenntnisses. 728 W. Elert, KCH, 2. Vgl. aaO, 3. 7.
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deren Worten: Was Elert an Rudolf Otto kritisierte, daß seine Ausführungen zu allgemein-religiös und zu wenig spezifisch christlich gehalten seien, fällt nun auf ihn selber in zugespitzter Weise zurück.729 Elert hatte bisher – wie er es selber 1923 indirekt bekennt –730 das ,Christentum‘ zu allgemein und zu wenig konfessionsspezifisch formuliert, als daß er mit seiner bisherigen Bestimmung nun die Neubestimmung des apologetischen Programms hätte durchführen können. Auch Elert hat somit gewisse Verdauungsschwierigkeiten mit dem „Apfel vom Baume Kierkegaards“731. Er muß für diese Neubestimmung von seiner rein quantitativen Erklärung – verschiedene Intensitäten des inhaltlich stets identischen Erlebnisses – der Pluralität des Christentums insofern abrücken, als er den Ausgang des apologetischen Zeugendienstes nicht in der Identität des Erlebnisses gewährleistet sieht, sondern in der – nur für die eigene Erkenntnisgemeinschaft, für die eigene Konfession spezifischen – Intensität gegründet sieht, die für ihn in einer gesellschaftlich präsenten, real existierenden Erkenntnisgemeinschaft vorliegt. Die martyretische Aufgabe der Apologetik, die im Transzendenzerlebnis verankerte eigene Glaubenserfahrung vor der Welt zu bezeugen, wird von Elert inhaltlich identisch in erhellend anderer Weise formuliert. Die Zeugnisforderung an die Apologetik732 besteht demnach auch darin, das im Transzendenzerlebnis erschlossene Gottesbild „zu bekennen“733. Die als Martyretik bestimmte apologetische Aufgabe wird damit zum Beginn von Elerts zunehmender Beschäftigung mit dem eigenen Bekenntnis als einem Symbol für die Zusammengehörigkeit der „Erkenntnisgemeinschaft“,734 zum Beginn einer zunehmenden Be729 Vgl. v. a. W. Elert, KCH, 397. 730 Vgl. W. Elert, Zu den Waffen!, 524 f. 731 E. Troeltsch, Ein Apfel vom Baume Kierkegaards, CW 35 (1921), 186 – 189, abgedruckt in: Die Anfänge der dialektischen Theologie, Bd. II, München 19634/1987, (134 – 140) 134. Vgl. v. a. aaO, 135. Vgl. dazu F. W. Graf, „Kierkegaards junge Herren“. Troeltschs Kritik der „geistigen Revolution“ im frühen zwanzigsten Jahrhundert, in: ders. / H. Renz, Troeltsch-Studien, Bd. 4, Gütersloh, 1987, 172 – 192. 732 Vgl. v. a. W. Elert, Forderung, 435 f. 733 W. Elert, Forderung, 420. 734 W. Elert, KCH, 493. Ein Bekenntnis gilt Elert stets als Ausdruck dessen, „was geglaubt wird“ und nicht dessen, „was geglaubt werden soll“ (LLA, 105). Ein Bekenntnis drückt für Elert somit einen faktisch vorliegenden Konsens des gemeinsamen Glaubens aus: Der „Bekenntnisgemeinschaft“ geht somit notwendig die „Glaubensgemeinschaft“ voraus (W. Elert, Schrift und Bekenntnis,
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schäftigung auch mit den Inhalten und Gegenständen dieses Bekenntnisses und damit zum Beginn eines Aspektes seiner Theologie, für den er in der Theologiegeschichte bekannt geworden ist, nämlich einer zunehmenden ,Konfessionalisierung‘ seiner theologischen Arbeit. Letzteres zeichnet sich – zwar noch nicht als eine inhaltliche, wohl aber als eine formale Neuorientierung – bereits in Ansätzen in Elerts Neubestimmung des wissenschaftssystematischen Ortes der Theologie und in der für Elert neuen Begründung der Wissenschaftlichkeit der Theologie ab. Gerade an diesem Punkt wird deutlich, wie sehr Elert in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg nach neuen Möglichkeiten der Lösung von alten Fragestellungen sucht – nach Lösungsmöglichkeiten, die zum Teil nur kurze Zeit aufrechterhalten werden. Jahre später wird Elert die Pluralität des Christentums nicht mehr durch eine verschiedene Intensität ein- und desselben Transzendenzerlebnisses, das sich auch nicht mehr in seiner divergenten Intensität als Spezifikum unterschiedlicher christlicher ,Erkenntnisgemeinschaften‘ erweist, verstanden wissen wollen. Vielmehr erklärt er die Pluralität des Christentums durch einen anderen Bezugspunkt des christlichen Glaubens, der für Elert in den 20er Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnen wird: durch das jedem Transzendenzerlebnis voraus- und zugrundeliegende Immanenzerlebnis. Mit andern Worten: Die unterschiedliche menschliche Weltwahrnehmung, das divergente, ,diesseitige‘ Lebensgefühl bedingt die plurale Ausprägung des Christentums – auch in verschiedene Konfessionen –, das nach wie vor durch dasselbe Transzendenzerlebnis hervorgerufen wird.735
ThMil 9, Leipzig, 1936, 18). Deshalb kann ein Bekenntnis auch niemals als „Glaubensverpflichtung“ verstanden werden (W. Elert, Schrift und Bekenntnis, 14). Verpflichtenden Charakter besitzt ein Bekenntnis lediglich für die Personen, die in der Öffentlichkeit für die Öffentlichkeit der Gemeinschaft tätig sind: Das Bekenntnis enthält keine „Glaubensverpflichtung“, wohl aber eine „Lehrverpflichtung“ (aaO, 14). Vgl. dazu W. Elert, CG, 44 ff. 735 Vgl. dazu v. a. oben S. 211 f. Anm. 286.
5. Ortsbestimmung der Theologie als Wissenschaft
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5. Ortsbestimmung der Theologie als Wissenschaft 5.1. Schleiermachers Erbe Die einzigen konkreten Vorschläge zur Durchführung der von Elert der Apologetik anempfohlenen Diastase des Christentums zur allgemeinen Kultur finden sich in seiner Begründung der Theologie als Wissenschaft und der Bestimmung ihres wissenschaftssystematischen Ortes. Sie weichen von seiner früheren Einordnung der Theologie in die geisteswissenschaftliche Phalanx deutlich ab.736 Daß die Konzentration auf diese Konkretion von Elert bewußt unternommen wurde, zeigt sich darin, daß – wie Elert 1924 im Rückblick auf seinen „Kampf um das Christentum“ schreibt – „die ganze Darstellung in erster Linie die Haltung der wissenschaftlichen Theologie zum Gegenstand hatte und daß die Schlußerörterungen in der Forderung gipfelten, die Theologie möchte, um ihr eigenes Daseinsrecht nicht zu verwirken, die Motive und Methoden aus dem ihr eigentümlichen Gegenstand, dem Christentum, entnehmen, statt diejenigen andrer Wissenschaften nachzuahmen oder zu übernehmen“.737 In Elerts Augen hängt die Wiedererlangung des Bewußtseins der „qualitativen Selbständigkeit des Christentums“ und die durch die Apologetik zu vollziehende „Verselbständigung“ des Christentums „gegenüber der Umwelt“ voll und ganz an der Erkenntnis und Verwirklichung der „Selbständigkeit der Theologie als Wissenschaft“.738 Nicht zuletzt deshalb beschließt Elert seinen „Kampf um das Christentum“ mit einer solchen Neuverortung der Theologie als einer universitären Wissenschaft.739 Allein hierin formuliert Elert die Konkretion seiner Sicht der „Forderung der Zukunft“740. Auf – in Anbetracht des nahezu fünfhundert Seiten langen Anmarschweges – verschwindend wenigen Seiten skizziert Elert sein der Gegenwart angemessenes Verständnis einer Verortung der Theologie.741 Die Einsichten seiner Erlebnistheologie und Zeitdiagnose gewinnen 736 737 738 739
Vgl. oben v. a. S. 149 f. W. Elert, LLA1, X. Vgl. aaO, Xff. W. Elert, KCH, 7. 3. 490. Vgl. aaO, 2 f. 490 ff. Vgl. W. Elert, KCH, 490 ff. (§ 81 Selbständigkeit der Theologie als Wissenschaft). 740 W. Elert, KCH, 485. 741 Vgl. W. Elert, KCH, 490 – 498.
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Gestalt in der Forderung nach „Selbständigkeit der Theologie als Wissenschaft“.742 Die wissenschaftssystematischen Überlegungen werden von Elert im Rückgriff auf die theologische Tradition vollzogen. Es ist jedoch keineswegs das 16. Jahrhundert, das zur Problemlösung herangezogen wird, sondern das zuvor in seiner grundsätzlichen Ambivalenz bestimmte 19. Jahrhundert.743 So sieht Elert nicht in Luther und dessen Zeitalter Orientierung und Maßstab für die Gegenwart.744 Es ist vielmehr ausschließlich Schleiermacher, dessen Gedanken in der „tiefliegenden Bewegung“ des 19. Jahrhunderts konserviert wurden und für die Gegenwart fruchtbar gemacht werden sollen.745 Elerts bleibender Bezug auf Schleiermacher hat zwei Gründe. Der eine Grund entspringt Elerts im Anschluß an Spengler ausgebildeter zyklischer Geschichtsauffassung, die es ihm erlaubt, die Gegenwart mit dem Umbruch zum 19. Jahrhundert zu parallelisieren: Der Stand der Dinge, das Verhältnis von Christentum und allgemeiner Kultur, das Verhältnis von Theologie und den anderen Wissenschaften unterliegt einem „charakteristischen Rhythmus“ und erscheint jetzt Anfang der 20er Jahre „genau wie ein Jahrhundert früher“.746 Elert wähnt sich also im Bezug auf die Frage des Verhältnisses von Christentum und Kultur, von Theologie und anderen Wissenschaften in der gleichen Situation wie Schleiermacher. Der andere Grund hingegen ist nicht zyklisch, sondern diametral dazu linear-exekutiv in dem Sinne, daß Schleiermachers Entwurf vom Anfang des 19. Jahrhunderts nun endlich – gute hundert Jahre später – zur Erfüllung ansteht, da erst jetzt Wunsch und 742 W. Elert, KCH, 490. 743 Vgl. dazu oben S. 240 f. und S. 241 ff. bzw. 261 ff. 744 Die von T. Kaufmann für Elert diagnostizierte „charakteristische[…] Verschränkung von Gegenwarts- und Reformationsdeutung“ (Werner Elert als Kirchenhistoriker, 195; vgl. aaO, 230) muß demnach auf den Elert nach 1923 eingeschränkt werden. 745 W. Elert, KCH, 3. Vgl. dazu oben ausführlich S. 240 und 264 ff. Vgl. auch W. Elert, Reduktion, 424 ff. Zu Elerts Anknüpfung an Schleiermacher vgl. auch ders., KCH, 35 ff.; zum wissenschaftssystematischen Anschluß an Schleiermacher vgl. insbesondere aaO, 50 ff. Zu Elerts Verständnis von Schleiermachers Aufgabenbestimmung von Apologetik und Polemik im Rahmen von dessen Enzyklopädie, die von Elert ansonsten nicht ausgiebig weiterverfolgt wird: vgl. aaO, 53 ff. Zu Elerts Anschluß an Schleiermacher vgl. auch A. v. Scheliha, Glaube, 312. 746 W. Elert, KCH, 4. 6. Vgl. aaO, 4. 496. Vgl. dazu oben S. 239 Anm. 449; S. 266 und unten S. 316.
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Wirklichkeit in Bezug auf Begründung und Funktion der Theologie als einer Wissenschaft zur Übereinstimmung gebracht werden können:747 Die Theologie soll als Wissenschaft selbständig sein; sie wird – so Elerts Gegenwartswahrnehmung und seine Zukunftsprognose – nur als eigenständige Wissenschaft weiterhin existieren, wenn sie sich ihrer Selbständigkeit bewußt bleibt und diese auch lebt:748 „Das würde sich wiederum mit der Absicht Schleiermachers decken“749. 5.2. Theologie – eine Wissenschaft „ins Blaue hinein“? Ausgehend von der Frage der Eigenständigkeit und Eigentümlichkeit der Theologie, von der Frage nach ihrer differentia specifica im genus der Wissenschaft sucht Elert eine Antwort auf die Frage nach einer Begründung der Selbständigkeit der Theologie als Wissenschaft. Daß die Theologie in jedem Fall, unabhängig von der Distanz zur Gegenwartskultur, „trotz stärkster Ausbildung des christlichen Distanzgefühls stets formelle Beziehungen und Analogien“ zu den „übrigen Wissenschaften“ haben wird, gilt Elert als völlig unstrittig.750 Das gilt allein schon aus dem allgemeinen Grund, daß es „Gemeinsamkeiten im Erkennen und Wissen der Menschen, an denen auch die Wissenschaften unter allen Umständen teilhaben müssen“, gibt.751 Auch an die Theo747 Vgl. dazu unten S. 312 ff. 748 Vgl. W. Elert, KCH, 491 f. Vgl. dazu unten S. 307 ff. 749 Elerts impliziter Bezug auf Schleiermacher läuft geradezu als cantus firmus durch; er ist aber selten derart expliziert wie in dem oben im Text angeführten Zitat: W. Elert, Reduktion, 424. Erst im Laufe der 20er Jahre ist eine Distanzierung Elerts zu Schleiermacher in der Art zu vermerken, daß er zwar weiterhin Schleiermachers Gedanken rezipiert, aber die Berufung auf ihn herunterspielt. Zunehmend tritt Elerts Kritik an Schleiermachers – in Elerts Augen – kollegialistischem Kirchenverständnis in den Vordergrund, gegenüber dem er sich bemüht die Kirche als creatura verbi zu bestimmen; vgl. dazu W. Elert, Das Erstarrungsgesetz des Protestantismus, NKZ 36 (1925), 895 – 915, wiederabgedruckt in: LK, (76 – 87) 79 f. Typisch dafür ist ein Zitat Elerts von 1935: „Das muß man sich nicht erst von Schleiermacher sagen lassen“ (W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, Luth. (46) 1935, (97 – 112) 98). Vgl. dazu unten S. 318 ff. 750 W. Elert, KCH, 491. 751 W. Elert, KCH, 493. Ob Elert hierbei seine erkenntnistheoretischen Erwägungen, die er in seinen geschichtsphilosophischen Arbeiten vor dem Ersten Weltkrieg formuliert hat, aufnimmt – wie A. v. Scheliha auf der Suche nach weiteren Kontinuitätsmomenten in Elerts Denken meint (Glaube, 312 f.) –
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logie sind somit formale Anforderungen gestellt. Somit will Elert aus der notwendigen Selbständigkeit der Theologie keineswegs „das Recht des Theologen ableiten, ins Blaue hinein zu lehren, was ihm gerade einfiele, und sich der allgemeinen Kontrolle dadurch zu entziehen, daß er sich hinter dem Mangel gemeinsamer Erkenntnisse der Wissenschaften überhaupt verschanzte“752. Wie schon immer in der Geschichte des Christentums gibt es jedoch für die konkrete Aufgaben- und Ortsbestimmung „keine bestimmten Regeln“.753 Alles – so auch die Antwort auf die Frage der Gegenwart – ist eine Frage von „Art“ und „Maß“.754 Für die konkrete Ausgestaltung des Verhältnisses von Christentum und Wissenschaft kann es keine Verhaltensanweisung geben, sondern lediglich Kunstregeln, die jeweils situationsgerecht zu applizieren sind. Aus diesem prinzipiellen Grund relativiert Elert auch den Anspruch des eigenen Lösungsvorschlags, der eigenen Konkretion: „Daraus folgt, daß es auch in der Theologie mancherlei Wege gibt, auf denen man dem notwendigen Distanzgefühl gerecht werden kann“.755 5.3. Die Theologie – eine Wissenschaft wie jede andere? Die „Frage, ob die Theologie Wissenschaft heißen kann und ob sie gegenüber den übrigen Wissenschaften selbständig ist“, läßt sich auf zweierlei Wegen beantworten.756 Zum einen durch den Aufweis der Gemeinsamkeit mit anderen Wissenschaften in Gegenstand und Me-
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bleibt fraglich. Wenn man Elerts Zielrichtung seiner wissenschaftssystematischen Verortung der Theologie im Blick behält – vgl. dazu unten v. a. S. 295 ff. –, ist deutlich, daß sie zumindest keine tragende Rolle mehr spielen. W. Elert, KCH, 493. Die ‘Lehre ins Blaue hinein’ bezieht sich sowohl auf formale Standards, aber auch auf materiale. So erhebt die Elertsche Kritik im Jahr 1934 etwa A. v. Harnack zum Prototypen einer Generation von Theologen, die – obwohl sie wissen, daß „das Privatisieren in der öffentlichen Lehre ein Widerspruch in sich selbst ist“ – „das Privatissimum ihrer Seminare […] mit der Kirche verwechseln“ (Luthergeist und lutherisches Bekenntnis, 299). Vgl. schon oben S. 246 Anm. 502. W. Elert, KCH, 491. W. Elert, KCH, 491. W. Elert, KCH, 491. W. Elert, KCH, 493.
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thode. Zum anderen durch den Aufweis der Andersartigkeit im Vergleich mit anderen Wissenschaften.757 Der erste Weg, die Wissenschaftlichkeit der Theologie durch Aufweis ihrer die Methode wie den Gegenstand betreffenden Gemeinsamkeit mit anderen Wissenschaften zu erweisen, war der Weg des „breiten Stromes“ der Apologetik im 19. Jahrhundert.758 Für Elert hat er „dahin geführt“, „die Grenze zwischen der Theologie und den übrigen Wissenschaften überhaupt zu verwischen“, ja letztlich die Selbständigkeit der Theologie aufzuheben.759 Dieser Weg zielte auf eine Synthese, auf eine Identifizierung der Theologie mit den „übrigen Wissenschaften“.760 Der Versuch dieser Synthese wurde durch Angleichung der Theologie an den vermeintlich allgemeinen Wissenschaftsbetrieb verfolgt: Die Wissenschaftlichkeit der Theologie wurde durch ihre Angleichung an die „übrigen Wissenschaften“ erwiesen.761 Dieser Weg, die Wissenschaftlichkeit der Theologie zu gewährleisten, paralysiere jedoch geradewegs die eigene Intention: „Im vermeintlichen Interesse der Selbstbehauptung der Theologie im Gesamtorganismus der Wissenschaften hat sich die religionsgeschichtliche wie die religionspsychologische Theologie zum Teil in einer Weise mit der Bibel und dem Urchristentum, aber auch mit den psychischen Komponenten, den Anschauungen, Begriffen und Gefühlen des Christentums beschäftigt, wie es ebenso ein türkischer Historiker oder ein jüdischer Psychiater tun könnte. Bei genauerem Zusehen müßte deshalb der erstrebte Zweck gerade hierdurch verfehlt werden. Denn es ist nicht einzusehn, weshalb es zu einer Arbeit, die genau ebenso von einem Profanhistoriker oder einem Profanpsychologen getan werden könnte, einer besonderen theologischen Fakultät im Rahmen der allgemeinen wissenschaftlichen Organisation bedürfen sollte“.762 Eine Theologie, die sich ihre Wissenschaftlichkeit allein durch die Identifikation von Gegenstand und Methode mit den „übrigen Wissenschaften“ erhalten möchte, schaufelt sich in Elerts Augen ihr eigenes Grab.763 Nahezu prophetisch klingt somit Elerts Unheilsandrohung: „Wenn die Theologie nichts weiter will, als Spezialgebiete der allge757 758 759 760 761 762 763
Dazu unten S. 295 ff. W. Elert, KCH, 430. Vgl. dazu ausführlich oben S. 241 ff. 248 ff. W. Elert, KCH, 491. W. Elert, KCH, 491. Vgl. aaO, 492 f. W. Elert, KCH, 491. Vgl. oben S. 248 ff. W. Elert, KCH, 491 f. W. Elert, KCH, 491.
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meinen Geschichte, der allgemeinen Soziologie und Psychologie behandeln, so wird sie ihre Selbständigkeit im Gesamtorganismus der Wissenschaften auf die Dauer schwerlich behaupten können“.764 Dieser Versuch der „Selbstbehauptung“ der Theologie als einer Wissenschaft hat neben der schleichenden Selbstparalysierung noch einen weiteren Aspekt.765 Unter dem Eindruck seiner Zeitdiagnose betont Elert, daß der Versuch, die Theologie an die „übrigen Wissenschaften“ anzugleichen, um die Wissenschaftlichkeit der Theologie zu erweisen, an dem Problem scheitert, daß man nicht mehr von „,der‘ Wissenschaft“ sprechen kann.766 Elerts Zeitdiagnose war ja zu der Einsicht gelangt, „daß im Gesamtbilde der Wissenschaften dieselbe Diffusion wiederkehrt, die das Gesamtbild der gegenwärtigen Kultur überhaupt charakterisiert“.767 An welcher der Wissenschaften sollte sich denn die Theologie orientieren? „Das Bestreben, die Theologie in ihrer Methode wie in ihren Erkenntnissen den übrigen Wissenschaften anzugleichen“, ist der vormodernen „Meinung entsprungen, als gäbe es eine Gemeinsamkeit der Methode und der Resultate, in der sich alle übrigen Wissenschaften zusammenfänden, von der sich deshalb auch die Theologie nicht isolieren dürfe, ohne ihr Existenzrecht als Wissenschaft zu gefährden. Aber die Homogenitt der Methode und der Ergebnisse in den nicht theologischen Wissenschaften ist eine Fiktion.“768 Deutlich distanziert sich Elert hiermit von seinem eigenen Versuch, die Theologie durch einen Anschluß an die Geisteswissenschaften gesprächsfähig zu halten.769 Die „Divergenz […] innerhalb der sogenannten Geisteswissenschaften“ ist nämlich viel zu groß, als daß ein evidenter Anschluß an die Geisteswissenschaft noch vollzogen werden könnte.770 Und „auch die Anerkennung zweier großer Gruppen von Wissenschaften – Natur- und Geisteswissenschaften, Natur- und Geschichtswissenschaften oder Natur- und Kulturwissenschaften – reicht keineswegs aus, um den Mangel an Homogenität der allgemeinen Wissenschaft zu charakterisieren“.771 Die Wis764 765 766 767 768 769 770 771
W. Elert, KCH, 492. W. Elert, KCH, 491. W. Elert, KCH, 491. Ders., Forderung, 390. Vgl. aaO, 389 f. W. Elert, KCH, 492. Vgl. W. Elert, Forderung 389 f. Dazu oben S. 181 f. W. Elert, KCH, 492 (Hervorhebung im Original). Vgl. oben v. a. S. 149 f. W. Elert, KCH, 492. W. Elert, KCH, 492.
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senschaft unterliegt derselben „Diffusion“ wie die restliche Kultur.772 Die Behauptung einer Gemeinsamkeit zwischen den einzelnen Wissenschaften sei pure Nostalgie und zeige sich lediglich noch in den „mit der gemeinsamen akademischen Organisation gegebenen Berührungen und durch starke Überlieferungen, in denen die Erinnerung an gemeinsame Stammbäume wachgehalten wird“.773 Die Angleichung der Theologie an die „übrigen Wissenschaften“ ist also aus Ermangelung einer Homogenität der Wissenschaften – so zumindest in Elerts Zeitdiagnose – eine Fiktion.774 Wäre sie keine Fiktion, stünde zwar nicht die Wissenschaftlichkeit der Theologie auf dem Spiel, wohl aber ihre Existenz als selbständige Wissenschaft. Dann aber wäre es nicht mehr „einzusehn“, warum es „einer besonderen theologischen Fakultät im Rahmen der allgemeinen wissenschaftlichen Organisation bedürfen solle“.775 5.4. Die Selbständigkeit der Theologie als einer positiven Wissenschaft 5.4.1. Die Universität als Spiegel einer pluralen Gesellschaft Zunächst aus eben genannten Gründen sucht Elert die Wissenschaftlichkeit und das Existenzrecht „der Theologie im Gesamtorganismus der Wissenschaften“ anders zu erweisen als durch Angleichung in Methoden und Gegenständen, nämlich durch Aufweis ihrer von Elert als wesenhaft angesehenen Andersartigkeit.776 Dazu greift er – wie schon in seiner Erlebnistheologie – auf Schleiermacher zurück.777 Auch wenn die Diffusion in der Gegenwartskultur derart ist, daß man lediglich den „Mangel gemeinsamer Erkenntnisse der Wissenschaften überhaupt“ feststellen kann, bleibt auch in der Gegenwart ein Grundkonsens bestehen, der die Wissenschaften jenseits materialer und formaler Definitionen als Ausdruck gesellschaftlichen Willens begrün772 W. Elert, KCH, 492. Vgl. ders., Forderung, 389 f. 773 W. Elert, KCH, 493. Ein ähnliches Bild findet sich auch in Elerts Versinnbildlichung der Pluralität der Gegenwartskultur als einem „Gewirr von Aesten und Zweigen einer ungeheuren Baumkrone“, die allesamt „einem Stamm entsprossen“ sind (Forderung, 402). Vgl. dazu oben S. 170 Anm. 48 und S. 185 Anm. 142. 774 W. Elert, KCH, 491. 775 W. Elert, KCH, 491 f. 776 W. Elert, KCH, 491. 777 Vgl. dazu oben S. 207 ff.
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det:778 „Aber wie man auch über die kategorische Gemeinsamkeit der Zeit- und Raumempfindungen aller Menschen urteilen mag, in jedem Fall gibt es empirische Erkenntnis-, Empfindungs- und Willensgemeinschaften der menschlichen Kulturen. Und eine bestimmte Art solcher Gemeinschaften muß allerdings vorhanden sein, wenn es zu Wissenschaft kommen soll. Dies ist dasjenige Kennzeichen der Wissenschaft überhaupt, das sie vom zufälligen Wissen unterscheidet: sie ist eine überindividuelle Organisation des Wissens“.779 Die Minimalanforderung an die Wissenschaftlichkeit der Wissenschaften ist demnach, daß sie ein nachweisbar gesellschaftliches Interesse verfolgen; Wissenschaftlichkeit wird von Elert somit nicht „methodologisch, sondern soziologisch“780 begründet. Die Universität mit ihren verschiedenen Wissenschaften ist somit ein Spiegel der divergenten gesellschaftlichen Interessen. Da es gerade in einer pluralen Gesellschaft verschiedene empirische Gemeinschaften gibt, folgt daraus notwendig die prinzipielle Pluralität auch der Wissenschaften, ihrer Gegenstände, Methoden und Interessen. 5.4.2. Die Theologie und das „Dasein der Christenheit“ Dieser Wissenschaftsbegriff erlaubt es Elert, auch die Theologie als eine selbständige Wissenschaft zu begründen: „Die Frage, ob die Theologie Wissenschaft heißen kann und ob sie gegenüber den übrigen Wissenschaften selbständig ist, hängt also zunächst weder von ihren Gegenständen ab, noch von ihrer Methode, sondern vom Dasein einer Erkenntnisgemeinschaft, die den Aussagen des Theologen den Schein individueller Zufälligkeit nimmt und die ihm gestattet, innerhalb dieser Erkenntnisgemeinschaft organisierende Tätigkeit zu entfalten. Mit anderen Worten, das Existenzrecht der Theologie hngt am Dasein der Christenheit. Und die Selbständigkeit der Theologie als Wissenschaft ist dann gesichert, wenn sich nachweisen läßt, daß die Christenheit eine Erkenntnisgemeinschaft mit solchen Merkmalen ist, die sie von andern Erkenntnisgemeinschaften bestimmt unterscheiden“.781 778 W. Elert, KCH, 493. 779 W. Elert, KCH, 493. 780 So die treffende Formulierung von A. v. Scheliha, Glaube, 312. Vgl. zum Zusammenhang die knappe Interpretation Schelihas, aaO, 312 f. 781 W. Elert, KCH, 493. Vgl. dazu F. Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums, § 1.
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Die gesellschaftlich ausweisbare Selbständigkeit des Christentums ist somit Bedingung der Möglichkeit der Selbständigkeit der Theologie als Wissenschaft. Die Selbständigkeit des Christentums ist jedoch nur in der Selbständigkeit einer positiven gelebten Religion ausweisbar. Um diese Selbständigkeit zu erweisen ist eine prinzipielle Diastase von Christentum und allgemeiner Kultur nötig. „Ohne ein gewisses Distanzgefhl, wenn auch nur in primitiver Form, kann man deshalb auch ber die Selbstndigkeit der Theologie als Wissenschaft keine Klarheit gewinnen“.782 Dieses gemeinsame Distanzgefühl von Christen liegt – wie bereits oben gesagt – in einem gemeinsamen Transzendenzerlebnis begründet, in einer verbindenden Intensität des Pathos.783 In dieser prinzipiellen Andersartigkeit des christlichen Transzendenzerlebnisses liegt die für die Selbständigkeit der Theologie notwendige Bedingung der Möglichkeit zur „Abgrenzung der gemeinschaftlichen Erkenntnis der Christenheit von den Erkenntnissen anderer Gemeinschaften“.784 Infolgedessen ist sich die Theologie ihrer selbständigen Methodik bewußt – nämlich dessen, daß sie „in demselben Augenblick, wo sie die Grenzen der Immanenz überschreitet und ihre Hand nach dem Transzendenten ausstreckt, ein Verfahren einschlägt, das die übrigen Wissenschaften nicht mitmachen können, das ,nur vom Standpunkt des Christen aus‘ vollzogen und gebilligt werden kann“.785 782 W. Elert, KCH, 493 f. 783 Vgl. oben v. a. S. 222 ff. 784 W. Elert, KCH, 493. Zur der von Elert betonten ‘Andersartigkeit’ des christlichen Transzendenzerlebnis vgl. oben v. a. S. 275 Anm. 671. Die Transzendenzerfahrung des einzelnen schlägt sich nieder als „Glaubensgewißheit“ (KCH, 464). Die subjektive Erfahrung drängt zur Äußerung und wird über sie als eine intersubjektive Erfahrung verbucht, die Gemeinschaft konstituiert und die „Gefahr einer Selbsttäuschung des Christen“ reduziert (KCH, 464). Deshalb gilt für Elert: „Vielmehr wird analog andrer Erfahrungsgewißheit auch die des Christen einmal dadurch gestärkt, daß er sich mit seiner Erfahrung nicht allein weiß; von unzähligen andern hört er, daß sie dieselbe Erfahrung gemacht haben. Weiter dadurch, daß er die Realität des erstmaligen Innewerdens der Wahrheit durch tägliches Erproben neu erleben kann“ (KCH, 464). 785 W. Elert, KCH, 468 f. So betonte Elert bereits in der Einleitung die Eigentümlichkeit der theologischen Methodik, die sich besonders von der „exakten Wissenschaft“ deutlich abhebt: Das „eigentlich Individuelle, das Unvergleichliche des Christentums, das ihm seine qualitative Selbständigkeit zur Gewißheit macht, [ist] der exakt wissenschaftlichen Forschung unzugänglich. Es kann vielmehr nun von dem erfaßt werden, der willens ist, sich im vollen Sinne als Glied der Christenheit zu wissen, weil er nur so an ihrem Selbstbewußtsein und ihrer Selbsterkenntnis teilhaben kann“ (aaO, 2; vgl. aaO, 2 f.).
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Theologie wird und bleibt für Elert nur dadurch Theologie, daß ihre Arbeit auf die Christenheit bezogen ist. Diese Gebundenheit der Theologie unterliegt einem „konstanten“ Faktor, nämlich ihrer Orientierung an Schrift und Tradition;786 vor allem aber einem „variablen Faktor“, der „Beziehung auf die Gegenwart“ des gelebten Christentums, auf die „Variabilität des Gemeindeglaubens“.787 Interessant ist, daß es dem ,Lutheranissimus‘ Elert nicht auf Schrift und Tradition „an und für sich“ ankommt, sondern nur „sofern und soweit“ sie „in der gläubigen Gemeinde der Gegenwart wirksam“ sind.788 Die Theologie ist somit in Elerts Augen keineswegs in dem Sinn „konfessionell gebunden“, daß in der Berücksichtigung von Schrift und Tradition der „Willen zur Re-Affirmation der fides quae creditur“ zum Ausdruck käme.789 Die Theologie ist konfessionell nicht im Sinn einer inhaltlichen Bezogenheit auf Schrift und Tradition, sondern in dem Sinn, daß sie sich als rein pragmatisch an das „Dasein der Christenheit“ in Form von Konfessionen gebunden erweist.790 Theologie gilt Elert – mit Schleiermacher – als Reflexion des real existierenden „Glauben[s] der Gemeinde“.791 Mit anderen Worten: Wenn man bei Elert Anfang der 20er Jahre eine konfessionelle Bindung der Theologie ausmachen will – und das muß man –792 sollte klar sein, daß diese Bindung kein materialinhaltliches Ziel verfolgt, sondern zuallererst einer rein formalen Notwendigkeit entsprungen ist: „Das Existenzrecht der Theologie hngt am Dasein der Christenheit“.793 Die konfessionelle Bindung der Theologie ist somit primär bloße Pragmatik. 786 787 788 789 790 791
W. Elert, Reduktion, 426. Vgl. aaO, 425. W. Elert, Reduktion, 426. 425. 426. W. Elert, Reduktion, 425. So die Meinung von A. v. Scheliha, Glaube, 313. W. Elert, KCH, 493. W. Elert, Reduktion, 424. Nach Elerts Dogmatik von 1940 hat die Dogmatik den „Sollgehalt des kirchlichen Kerygmas aus[zu]drücken“ (CG, 37; vgl. aaO, 40 ff.). Im Gegensatz dazu richtet Elert 1919 die Theologie an der „Variabilität des Gemeindeglaubens“ (Reduktion, 426) aus. Das bedeutet, daß sonderlich die „Dogmatik“ (Reduktion, 425) sich in Anlehnung an Schleiermacher als ‘historische Disziplin’ zu verstehen und somit den ‘Ist-Zustand’ des christlichen Glaubens, nämlich das, was „in der gläubigen Gemeinde der Gegenwart wirksam ist“ (Reduktion, 425), zu erheben hat. Die veränderte Position begründet Elert ebenso in Auseinandersetzung mit Schleiermachers Wissenschaftssystematik (vgl. CG, 35 ff.). 792 Vgl. dazu unten S. 312 ff. 793 W. Elert, KCH, 493.
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Elert sucht hiermit explizit den Anschluß an Schleiermachers Verständnis der Dogmatik als einer historischen Wissenschaft; seiner „Forderung“ nach Selbständigkeit des Christentums und der Theologie würde „am meisten“ eine „Dogmatik im Sinne Schleiermachers“ entsprechen, nämlich eine „,Wissenschaft von dem Zusammenhange der in einer christlichen Kirchengemeinschaft zu seiner gegebenen Zeit geltenden Lehre‘“.794 Der Theologe wird dadurch zum Theologen, daß er „auf das achtet, was ihn zum Glied der gläubigen Gemeinde, nicht auf das, was ihn zum Teilhaber am außerchristlichen Leben seiner Zeit macht“.795 5.4.3. Die Aufgaben der Theologie Elerts Bestimmung der Theologie als einer positiven Wissenschaft, die aus ihrem Bezug auf die Christenheit ihr Existenzrecht bezieht, läßt sich nun keineswegs dahingehend interpretieren, daß er die theologischen Fakultäten rein pragmatisch auf eine staatlich subventionierte Ausbildungsstätte der „künftigen Geistlichen“ reduziert wissen möchte.796 Die Theologie besitzt neben ihrer – auch von Elert nicht geleugneten – Ausbildungsfunktion797 jedoch ihre Hauptaufgabe darin, das Christentum in profilierter und reflektierter Weise „allen Menschen zugänglich zu machen“.798 Mit anderen Worten: Die Theologie hat die 794 W. Elert, Reduktion, 424. Vgl. aaO, 423 ff. F. Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums, § 97 sowie §§ 195 ff. 795 W. Elert, Reduktion, 427. 796 W. Elert, KCH, 291. Deutlich wird dies an Elerts Kritik (KCH, 290 f.; vgl. aaO, 295. 491) an August Vilmar (1800 – 1868), der ab 1855 Professor in Marburg gewesen ist. Elert bezieht sich hierbei auf die Schriften von Vilmar: „Die Theologie der Thatsachen wider die Theologie der Rhetorik. Bekenntniß und Abwehr“, Marburg, 1856; ders., Dogmatik. Akademische Vorlesungen. hg. v. K. W. Piderit, 2 Theile, Gütersloh, 1874. Vilmar habe angesichts des sich dominant durchsetzenden „modernen“ Wissenschaftsbegriffs mit seinen Axiomen der „Unbefangenheit und Voraussetzungslosigkeit“ (KCH, 291) erklärt, „auf das Prädikat der Wissenschaftlichkeit seiner Theologie zu verzichten“ (KCH, 491) und den „Zweck der Theologie […] ausschließlich praktischer Art“ sein zu lassen, nämlich in der Ausbildung von Berufschristen zu sehen. Zu Vilmar: U. Rieske-Braun, Art. Vilmar, August, TRE 35 (2003), 99 – 102 (Lit.). 797 Vgl. W. Elert, KCH, 493: Die theologische Wissenschaft zielt nach Elert darauf, „innerhalb dieser Erkenntnisgemeinschaft organisierende Tätigkeit zu entfalten“. Vgl. dazu F. Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums, bes. §§ 1 – 30. 798 W. Elert, KCH, 496.
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Spezifika des Christentums herauszuarbeiten,799 zu reflektieren und in den pluralen Diskurs der Wissenschaften einzubringen.800 Die Reduktion auf die Ausbildungsfunktion birgt für Elert nämlich den „Verzicht auf die Wissenschaftlichkeit der Theologie in sich“.801 Diese Reduktion liefe Gefahr, „die Selbstkritik der Theologie, ihre innere Selbstkontrolle, abzustumpfen“ und „das Gewissen der Theologie“ gegenüber Christentum, Gesellschaft und den anderen Wissenschaften „einzuschläfern“; und „damit wäre die etwa errungene Steigerung der Selbständigkeit der Theologie doch zu teuer bezahlt“.802 799 Vgl. W. Elert, KCH, 493: Die Theologie hat die Aufgabe, die spezifischen „Merkmale“ der „Christenheit“ als einer „Erkenntnisgemeinschaft“ zu bestimmen, „die sie von anderen Erkenntnisgemeinschaften bestimmt unterscheiden“; diese Aufgabe obliegt als „Fundamentalaufgabe jeder theologischen Prinzipienlehre“. Elerts Nähe zu Schleiermachers Aufgabebestimmung der Apologetik als Teil der „philosophischen Theologie“ wird im Laufe der Jahre noch deutlicher werden. In der Hauptsache darin, daß bei Elert die Apologetik als selbständige Disziplin verschwindet und in den Prolegomena der Dogmatik einen neuen, aber auch weiten Raum einnehmen wird. Vgl. dazu oben S. 277 ff. und unten S. 340 f. Anm. 114. Zu Schleiermachers Bestimmung der Aufgabe der Apologetik: F. Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums, §§ 39. 41. 43 – 53. 800 Vgl. W. Elert, KCH, 496: Die theologische Arbeit hat „das eigene Erkenntnisgut“ der Christenheit auf „seine Tragfähigkeit und Unaufgebbarkeit auf das genaueste“ zu überprüfen sowie auf dem Weg der „Propaganda“ die eigenen Erkenntnisse „allen Menschen zugänglich zu machen“ und auf dem Weg der „Polemik“ die Erkenntnisse und die „entgegenstehenden Aussagen“ anderer Gemeinschaften als „Irrtümer zu negieren“. 801 Wie Elert im Blick auf Vilmars Selbstbescheidung schließt (KCH, 291). Vgl. dazu oben S. 299 f. Anm. 796. Der Verzicht auf die Wissenschaftlichkeit der Theologie wäre nach Elert nur dann geboten, wenn die Christenheit nicht mehr in der Lage wäre, eine eigenständige Wissenschaft aufrechtzuerhalten, mit anderen Worten genötigt wäre, die „Hypothesen“ eines rein immanenten Wissenschaftsbegriffes zu übernehmen (ders., Irrwege, 24); vgl. dazu oben S. 253 ff. 802 W. Elert, KCH, 291. Elert geht es dezidiert um die Ausbildung eines selbständigen Wissenschaftsbegriffs der Theologie zwischen der Skylla einer unabhängigen, aber unwissenschaftlichen Theologie und der Charybdis einer ‘wissenschaftlichen’, aber in ihrem Wissenschaftsbegriff von anderen gesellschaftlichen Gruppen abhängigen Theologie. Vgl. dazu W. Elert, KCH, 408: Die „Angleichung der Theologie an die allgemeinwissenschaftlichen Methoden“ wird „sehr teuer bezahlt werden“, nämlich mit der „Aufgabe des im Christentum zu aller Zeit für wesentlich gehaltenen Anspruches auf Absolutheit“. AaO verweist Elert insbesondere auf E. Troeltsch, Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte, Tübingen, (1902) 19122.
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Die Theologie ist als positive Wissenschaft bestimmt: Sie erhält ihr „Existenzrecht“ durch ihren Bezug auf das „Dasein der Christenheit“.803 Das Ziel der Theologie bestimmt Elert in der Entfaltung „organisierender Tätigkeit“ „innerhalb dieser Erkenntnisgemeinschaft“.804 In ihrer Aufgabe der Bestimmung und Überprüfung der Erkenntnisse der Christenheit ist sie zugleich eine Reflexionswissenschaft. Durch den Diskurs mit anderen Erkenntnissen übt sie ihre Aufgabe als Kontroverswissenschaft im universitären Austausch mit den übrigen Wissenschaften aus. Gemeinsam mit anderen Wissenschaften trägt die Theologie, die Aufgaben der Reflexion und Kontroverse wahrnehmend, die gesellschaftliche Pluralität stellvertretend in einem universitären Diskurs aus. Elert verfolgt somit nicht mehr wie vor dem Krieg das Ziel, das Christentum und seine Erkenntnisse „dem Ungläubigen einleuchtend“ zu machen.805 Obwohl in der christlichen Binnenperspektive kein Zweifel an der Wahrheit der eigenen Erkenntnisse existiert,806 besteht die Aufgabe der Theologie nicht darin, andere von der – in der eigenen Perspektive als solche erkannten – Wahrheit zu überzeugen, sondern lediglich darin, sie ihnen zu bezeugen, sie damit zu konfrontieren, und sie auf diese Weise „allen Menschen zugänglich zu machen“807. 803 804 805 806
W. Elert, KCH, 493. W. Elert, KCH, 493. W. Elert, Wendung, 485. Vgl. ders., Prolegomena, 73 f. Vgl. W. Elert, KCH, 464: „So gewiß aber auch das religiöse und das theoretische Erkennen sich nicht widersprechen können, so sehr muß doch festgehalten werden, daß die Bejahung der religiösen Realitäten nur im Glauben, also durch das religiöse Erkennen vollzogen werden kann“. 807 W. Elert, KCH, 496. Unter Betracht der obigen Darstellung verfehlt die folgende Kritik von N. Slenczka ihr Ziel: „Was Elert offensichtlich nicht aufgegangen ist, ist dies, daß die faktische methodische Zersplitterung der Wissenschaft eben nicht das Ende ihres Anspruches bedeutet, auch die spezifische Methodik und das spezifische Ergebnis nicht nur einer spezifischen Gemeinschaft, sondern jedem Denkfähigen zugänglich und einleuchtend machen zu können. Der Anspruch der Voraussetzungsfreiheit in diesem Sinne unterscheidet die Wissenschaft von der Ideologie, und darin liegt das eigentliche Problem des Verhältnisses der Theologie zu den übrigen Wissenschaften, das Elert hier generös übersieht“ (Selbstkonstitution, 43 Anm. 62. Vgl. aaO, 42 f.). Das Problem von Slenczkas Kritik liegt darin, daß er die Verschiebung von Elerts Intention übersieht: In der Zeit nach 1910 war es Elerts erklärtes Ziel, mit der theologischen Arbeit ‘jedem Denkfähigen’ christliche Erkenntnisse ‘einleuchtend’ – „plausibel“ wie Elert selbst sagt (vgl. oben S. 110 f., 121 ff. und S. 145 ff.) – zu machen, während er nach dem Ersten Weltkrieg das Ziel einer
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III Die Zeit von 1919 – 1923
5.5. Der plurale Diskurs der Einzelwissenschaften als Beitrag zur Idee der Universität Was aber verbindet dann die einzelnen Wissenschaften zu einer Gesamtheit, zu einer universitas litterarum? Die methodischen und gegenständlichen „Konflikte“ zwischen den „Erkenntnissen“ der einzelnen Wissenschaften unter Einschluß der Theologie sind offensichtlich.808 Ist mit diesem rein funktionalen Wissenschaftsbegriff der universitäre Grundgedanke einer „Einheit des Wissens der Menschheit und also auch aller Wissenschaften“ überhaupt noch denkbar? 809 Der gedachten Einheit aller Wissenschaften steht in Elerts Sicht schon längst das „Durcheinander der Wissenschaftsbegriffe“810 und der „empirische Tatbestand“ einer auseinanderklaffenden Wissenschaftslandschaft in einem „offenen Widerspruch“ gegenüber, und – so vermerkt er in Konsequenz seiner an Spengler orientierten Zeitdiagnose – „er hat es niemals mehr getan als heute“.811 Die universitäre Einheit als der „Satz von der Notwendigkeit innerer Einheit aller Wissenschaften“ existiert somit „lediglich“ als ein „Postulat“ und besitzt „nur Sinn, wenn er teleologisch verstanden wird“.812 Werden die einzelnen Wissenschaften nur dann zur „überindividuellen Organisation des Wissens“, zur universitären Wissenschaft,
808 809 810 811 812
allgemeinen Plausibilisierung aufgibt, zugunsten des Zieles, ‘jedem Denkfähigen’ innerhalb des universitären Diskurses die christlichen Erkenntnisse „zugänglich“ zu machen, jedoch in dem Wissen, daß weder das Christentum noch die Theologie in der Lage sind, die in Elerts Zeitdiagnose als irreversibel geltende Pluralität von Kultur und Wissenschaften zu überwinden. Im Gegensatz zu N. Slenczka urteilt A. v. Scheliha, Elert verfolge genau den von Slenczka vermißten Anspruch: Ob Elert jedoch hierbei den „Anspruch“ verfolgt, das Christentum als „Schema universaler Sinntotalität“ in seiner Geltung „für alle Menschen“ zu exponieren (Glaube, 313; vgl. aaO, 312 f.), mit anderen Worten, den martyretischen Charakter der Theologie und ihrer Apologetik ontologisch aufzuladen, ist mehr als fraglich, da Elert angesichts der gegenwärtigen Kulturdiffusion kaum Hoffnung auf eine neue „Kultureinheit“ (KCH, 489) mehr in sich trägt. W. Elert, KCH, 494. W. Elert, KCH, 494. So Elerts Feststellung (KCH, 290) bereits für die Zeit in der Mitte des 19. Jahrhunderts. W. Elert, KCH, 494. Vgl. ders., Forderung, 389 f. Dazu oben zur „Diffusion“ der Wissenschaften v. a. S. 181 f. W. Elert, KCH, 494.
5. Ortsbestimmung der Theologie als Wissenschaft
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wenn sie ein empirisch vorhandenes gesellschaftliches Teilinteresse widerspiegeln,813 dann verhält es sich demnach ebenso mit dem universitären „Ziel der inneren Einheit alles menschlichen Wissens“, das nur „auf dem Umweg der Herstellung einer tatsächlichen Erkenntnisgemeinschaft aller Menschen“ zu erreichen ist.814 Einem Unternehmen, das eine „angebliche Erkenntnisgemeinschaft aller Menschen“ konstruieren möchte, steht Elert jedoch „skeptisch“ gegenüber.815 Für Elert kann dies ganz deutlich nur der eschatische Zustand sein, in dem das menschliche Stückwerk im Sinne von 1. Kor 13, 12 aufgehoben sein wird.816 Wegen dieses eschatologischen Vorbehalts und aus zeitdiagnostischen Gründen bleibt Elert „skeptisch“ gegen spekulative Entwürfe, die eine solche Erkenntnisgemeinschaft zu konstruieren suchen.817 Das spekulative Denken sucht eine immanent teleologische Synthese zu konstruieren, nämlich „den gesamten Ertrag aller Einzelwissenschaften zu einer abschließenden Einheit zusammenzufassen“ und nachzuweisen, „daß dieser Einheit eine Erkenntniseinheit der Menschheit überhaupt 813 W. Elert, KCH, 493. 814 W. Elert, KCH, 494. 815 W. Elert, KCH, 495. Elerts prinzipielle Abneigung gegen spekulatives Denken und seine antiidealistische Grundhaltung zeigten sich bereits 1910 in seiner philosophischen Dissertation „Rudolf Rocholls Philosophie der Geschichte“. Vgl. dazu ausführlich oben S. 90 ff. Diese antiidealistische Grundeinstellung manifestiert sich auch in seinem Schleiermacherverständnis: Ausgehend von der Frage, ob Schleiermacher als „Empiriker“ oder als „‘Führer des Idealismus’“ zu interpretieren sei, antwortet Elert in aller Deutlichkeit: „Aber theologisch wirksam geworden ist er nicht durch das, was er mit den Idealisten gemeinsam hatte, sondern durch das, was ihn von jenen trennte, durch den empirischen, oder, wie er selber urteilte, den historischen Charakter seiner Glaubenslehre, die erfahrungsmäßige Bestimmtheit der von ihm behaupteten Gewißheit, die positive Fassung der theologischen Aufgabe“ (KCH, 71). 816 Vgl. dazu W. Elert, KCH, 498. Die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen, die Elert einst als formale Anforderungen an geschichtsphilosophische Klärungen der Frage nach dem Sinn der Geschichte formuliert hatte (vgl. dazu oben v.a S. 99 ff. und S. 105 ff.), werden zwar nicht explizit negiert, haben aber für Elert – inklusive der Forderung nach einer transzendent-finalen Teleologie – auf dem Hintergrund seiner Zeitdiagnose (vgl. dazu oben S. 169 ff.) lediglich ‘relativen’ Wert, da in diesem „relativistischen“ Zeitalter (Forderung, 404) eine Übereinkunft selbst in methodischen Fragen nicht erreicht werden kann und Versuche in dieser Richtung ebenso in der „Sphäre des Relativen“ blieben (aaO, 420): „Kann sein, daß Ihr Recht habt! Es kann aber auch anders sein“ (aaO, 420). 817 W. Elert, KCH, 495.
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zugrunde liege“.818 Hegel war derjenige, der den „ersten gigantischen Versuch dieser Art unternahm“.819 Eine hinter diesem Versuch stehende „Erkenntnisgemeinschaft“ war in Elerts Augen „für einige Jahre wenigstens auf den deutschen Kathedern“ existent.820 Die Atomisierung und Diffusion der Moderne jedoch hat solche spekulative Entwürfe endgültig als Anachronismus erwiesen; eine derartige „Kultureinheit“ existiert nicht mehr.821 Gegenwärtige Versuche, die Einheit menschlichen Wissens spekulativ einzuholen, scheitern so an der harten Realität der „Diffusion unserer Kultur“ und erweisen sich als historisch-kontingente, rein „persönliche und zufällige Impressionen“? 822 Spekulatives Denken läßt sich für Elert nicht mehr „vom zufälligen Wissen eines einzelnen“ unterscheiden; deshalb hat es auch keinen wissenschaftlichen Wert mehr.823 In Elerts Augen „bleibt nur eine andere Möglichkeit übrig“, an der teleologischen Einheit allen menschlichen Wissens und der „anzustrebenden Erkenntniseinheit aller Menschen mitzuarbeiten“: der Weg der Diastase und der Auseinandersetzung, eben der für die Apologetik beschriebene Weg der „Propaganda“ und „Polemik“.824 818 W. Elert, KCH, 494. 819 W. Elert, KCH, 494. 820 W. Elert, KCH, 495. 489. Zu Elerts Hegeldarstellung vgl. W. Elert, KCH, 21 ff. Elerts von Rocholl übernommene Vorbehalte gegen idealistisch-spekulatives Denken (vgl. dazu oben v. a. S. 90 ff.) manifestieren sich immer wieder im Blick auf die Person Hegels. Vgl. dazu oben S. 241 ff., S. 242 Anm. 466 und S. 264 Anm. 606. 821 So Elerts Diagnose bereits 1912 (Persönlichkeitskultur, 533). Vgl. ders., Forderung, 387 ff.; ders., KCH, 485 ff. 822 W. Elert, Forderung, 402; ders., KCH, 495. Vgl. aaO, 488 f. 823 W. Elert, KCH, 493. Als Beispiele, das ‘Ganze’ in der Gegenwart noch spekulativ einzufangen, nennt Elert neben dem metaphysischen Entwurf von Wilhelm Wundt (zu W. Wundt vgl. auch oben S. 128 Anm. 367) vor allem das theosophische Unternehmen von Rudolf Steiner (zu R. Steiner vgl. KCH, 358 f.; Elert bezieht sich dabei auf folgende Schriften: R. Steiner, Das Christentum eine mystische Tatsache, Berlin, 1902; ders., Die Geheimwissenschaft im Grundriß, Leipzig, 19207 – 15). Steiners Werk werde gegenwärtig von manchem Zeitgenossen dafür bewundert, daß „darin alle Religion, aller Wissenschaft, die es je auf der Welt gegeben habe, wiederzufinden sei“; diese spekulativen Entwürfe entpuppen sich somit lediglich als ein „vorläufig noch ganz imaginäre[s] Ziel einer abschließenden Metaphysik“, haben jedoch für Elert keinen wissenschaftlichen Wert (KCH, 495). Vgl. aaO, 494 f. 824 W. Elert, KCH, 496. Vgl. dazu oben v. a. S. 275 ff.
5. Ortsbestimmung der Theologie als Wissenschaft
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Da jede universitäre Einzelwissenschaft den Anspruch erhebt, „mit ihren wissenschaftlichen Aussagen nicht persönliche und zufällige Impressionen wiederzugeben, sondern wohlbegründete, kontrollierbare, von einer großen Gemeinschaft urteilsfähiger Menschen geteilte Erkenntnisse“, liegt die Möglichkeit einer teleologischen Einheit allen menschlichen Wissens nur im Ernstnehmen der pluralen Situation.825 Diese Akzeptanz der pluralen Situationen drückt sich dann im Diskurs zwischen den Wissenschaften aus, nämlich in der „Propaganda“ für die eigenen Methoden, Gegenstände und Erkenntnisse, die darauf zielt, das eigene Wissen „allen Menschen zugänglich zu machen“, und zugleich in der „Polemik“ gegenüber all dem Widersprechenden.826 Sie geschieht aus der Gewißheit, in der pluralen Auseinandersetzung der Einzelwissenschaften der pluralen Situation der Gesellschaft zu entsprechen und die Auseinandersetzung stellvertretend für diese zu führen; dadurch übt die Theologie sowohl eine kirchliche wie auch eine gesamtgesellschaftliche Funktion aus.827 Der teleologischen Einheit allen menschlichen Wissens möchte Elert auf dem kontrovers geführten Weg des Diskurses näherkommen, auf dem nicht – wie beim spekulativen Verfahren – bestehende Gegensätze dialektisch aufgelöst werden, sondern diastatisch profiliert 825 W. Elert, KCH, 495. 826 W. Elert, KCH, 496. 827 Vgl. W. Elert, KCH, 496. Dies verdeutlicht sich – im Nachhinein – in einem Geleitwort Elerts für den „Erlanger Universitäts-Kalender“ auf das Sommersemester 1928 unter dem Titel: „Die Sendung der Erlanger Universität im neuen Reich“ (erschienen in: Erlanger Universitätskalender, hg. v. Universitätsbund Erlangen, Erlangen, 1928, 3 – 7). Neben der offensichtlichen Funktion der Theologie für die Kirche betont Elert aber auch, daß die Theologie noch weitere Funktionen besitzt: So ist sie „keine kirchliche Angelegenheit“. Sie ist eine Wissenschaft wie jede andere. Jede Wissenschaft ist aber „auch keine Angelegenheit, die nur auf der Bibliothek oder nur im Laboratorium erledigt wird. Sie ist eine notwendige Funktion eines gereiften Volkes. Sie zu pflegen ist deshalb eine der ersten Pflichten des Staates“. Der Diskurs zwischen den Wissenschaften und der Gesellschaft muß aufrechterhalten bleiben, denn der „scharfsichtigste und hellhörigste Gelehrte erstickt, wenn seine Umgebung blind oder taub ist“. Wissenschaftliche Arbeit ist somit für Elert eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe; die „erste Bedingung ihrer Lösung“ ist „zu aller Zeit die Erkenntnis, daß unsere Arbeit nicht Privatsache, sondern Angelegenheit des ganzen Volkes ist“. Der universitäre Diskurs wird aufrechterhalten, wenn jede Wissenschaft ihre Selbständigkeit wahrt und dadurch zum ganzen „Organismus“ beiträgt, denn es „kommt alles auf die Lebendigkeit und Wirksamkeit der einzelnen Organe an“ (aaO, 5).
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aufrechterhalten werden: Wenn – so die verhaltene Hoffnung Elerts – „dies gelingt, nähert man sich dem Ideal der Erkenntniseinheit aller Menschen“828. An diesem pluralen Diskurs der Einzelwissenschaften hat sich nach Elert unter allen Umständen nun auch die Theologie zu beteiligen. Der Fortbestand der Theologie als einer universitären Wissenschaft hängt demnach voll und ganz davon ab, wie sie es versteht, innerhalb dieses Diskurses ihre Selbständigkeit geltend zu machen und zu bewahren; und zwar in der Art, wie es jede andere Wissenschaft auch tut. An diesem Punkt verlangt Elert freilich, daß die Theologie sich in der Art und Weise ihrer Propaganda und Polemik den übrigen Wissenschaften endlich wieder angleicht. Die Theologie soll sich ganz ,normal‘, wie jede andere Einzelwissenschaft verhalten, nämlich das Ihre tun.829 Für Elert sind dies ganz allgemeine, nicht für die Theologie spezifische „Forderungen, die jede Soziologenschule, jede monistische Erkenntnisgemeinschaft, jede um eine neue ästhetische Theorie sich sammelnde Künstlergemeinde zu erfüllen sucht. Glaubt die Theologie als Vertreterin der christlichen Erkenntnisgemeinschaft ihrer Aufgabe gerecht zu werden, wenn sie allein sich der Polemik enthält, von Kompromissen ihr Dasein zu fristen sucht und ihre Aussagen zwar nicht jenseits von Gut und Böse, wohl aber jenseits von Wahr und Falsch formuliert?“830
828 W. Elert, KCH, 496. 829 Vgl. W. Elert, KCH, 14. Daß Elert dieses Verhalten als normal ansieht, zeigt sich auch daran, daß er der Meinung ist, das Christentum habe seine Selbständigkeit in und gegenüber der Welt durch die „Fähigkeit zur Polemik“, ohne die sie „von Anfang an niemals gewesen war“, allezeit immer wieder zeigen können (KCH, 14). Elert fordert somit von Theologie und Christentum ein Verhalten ein, das er als eine genuine – gleichwohl immer wieder aufs Neue gefährdete – Selbstverständlichkeit vom Urchristentum an als gegeben ansieht. Es ist also keineswegs so – wie A. v. Scheliha meint – , als ob erst der Reformation, die freilich in Elerts Verständnis einen „Höhepunkt“ in der Geschichte des Christentums bildet (KCH, 10), das Verdienst zukommt, die „kulturelle Unabhängigkeit des Christentums befördert zu haben“ (Glaube, 306). 830 W. Elert, KCH, 496.
5. Ortsbestimmung der Theologie als Wissenschaft
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5.6. Die existentielle Bedeutung des reziproken Verhältnisses von Theologie und Christenheit Aus den genannten Gründen betont Elert die wechselseitige Bezogenheit und Bedingtheit der Theologie als positiver Wissenschaft und des christlichen Glaubens als positiver Religion. Das Dasein der einen sichert das der andern. „Wer sich davor fürchtet, wer das Heil der evangelischen Theologie allein von ihrer Verklammerung mit einer hoffnungslos zersplitterten und jedenfalls nachweisbar unchristlich gewordenen Kultur erwartet, erweckt den Verdacht, daß ihm selber die für die christliche Erkenntnisgemeinschaft konstitutive Gewißheit abhanden gekommen sei. Er zieht damit auch den weiteren Verdacht auf sich, daran mitschuldig zu sein, daß die Theologie vielfach keine Christenheit mehr hinter sich hat, mit der sie sich in gemeinsamer Gewißheit verbunden wissen darf“.831 Der Theologie ist ihr „Existenzrecht“ gesichert durch das gesellschaftlich relevante „Dasein der Christenheit“.832 Die Theologie wiederum sichert der Christenheit ihren Platz im universitären Diskurs, indem sie die spezifische Eigenart des Christentums in Methode und Gegenstand betreffender Selbständigkeit der wissenschaftlichen Reflexion unterzieht und anderen in profilierter Weise „zugänglich“ macht.833 5.7. Immanente Selbständigkeit aus dem Bewußtsein der Transzendenz Die für die Theologie geforderte Selbständigkeit innerhalb der universitären Pluralität speist sich aus der Selbständigkeit der Christenheit und damit aus deren Selbstbewußtsein, nicht Geschöpf dieser Kultur zu sein. Denn für Elert versteht es „sich von selbst, daß die Erkenntnisgemeinschaft, in der sich die Christenheit mit ihrer Theologie verbunden wissen soll, nicht empirisch-zufälliger Natur sein darf, sondern einer inneren Notwendigkeit entsprungen sein muß, und daß es gerade
831 W. Elert, KCH, 496. Zur Bedeutung der reziproken Bezogenheit von Theologie und Christenheit vgl. ders., Reduktion, 424 ff. 832 W. Elert, KCH, 493. 833 W. Elert, KCH, 496.
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die Aufgabe der Theologie als Wissenschaft ist, diese Notwendigkeit nachzuweisen“.834 An dieser Frage nach der wissenschaftlichen Reflexion der Theologie, sonderlich an der Frage nach der Methode dieses Notwendigkeitsnachweises „tritt einem noch einmal die gesamte Theologie des letzten Jahrhunderts vor Auge – ihre hundertfältigen Bemühungen, das apologetische Grundproblem durch den Nachweis der ,Notwendigkeit‘ des Christentums oder des Christenglaubens zu lösen“.835 Die bekanntesten apologetischen Versuche versuchten diese „Notwendigkeit“ durch Synthesen nachzuweisen, durch Synthesen hauptsächlich mit der Vernunft und der Moral. Gerade aber in diesen Synthesen sieht Elert unstatthafte „Übergriffe […]“, nämlich den Versuch, den pluralen Diskurs vorzeitig durch Aufgabe der eigenen theologischchristlichen Selbständigkeit oder aber durch Vereinnahmung anderer Positionen aufzukündigen.836 Diese Versuche „mußten daran scheitern, daß sie sich zu viel zumuteten. Sie sprachen nicht nur im Namen des Christentums, was ihnen zustand, sondern auch im Namen anderer Instanzen, im Namen der Philosophie, der Profangeschichte, der Naturwissenschaft, der natürlichen Ethik, was ihnen nicht zustand“.837 Der allein statthafte Versuch, den christlichen Glauben auf ein wissenschaftliches Niveau zu heben, ohne dabei die Selbständigkeit der eigenen Sache zu gefährden oder aber fremde Selbstverständnisse zu okkupieren, kann nur dort unternommen werden, wo die Theologie ihre Selbständigkeit durch Rekurs auf das Selbstbewußtsein der Christenheit erhält, wo die Anerkennung des prinzipiellen Primats des Pathos allem anderen in der Theologie zugrundeliegt. Nur dort kann reziprok die „Wahrung von Hoheit und Gewißheit des Christentums erwartet werden“838. Für die Gegenwart empfiehlt Elert deshalb eine Rückbesinnung auf Schleiermacher und eine Fortsetzung der „Erlanger Theologie“, die, „in diesem Stück die einzige konsequente Schülerin Schleiermachers, zum Erweis der Notwendigkeit des Christentums stets ausschließlich an die Gewißheit des Christen oder der Christenheit, niemals aber an fremde Instanzen appelliert. Sie folgte hierin den Grundsätzen Schleiermachers 834 835 836 837 838
W. W. W. W. W.
Elert, KCH, 496 f. Elert, KCH, 497. Elert, KCH, 497. Zu diesen Syntheseversuchen vgl. oben u. a. S. 241 ff. Elert, KCH, 497. Elert, KCH, 496.
5. Ortsbestimmung der Theologie als Wissenschaft
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von der axiomatischen Bejahung des Christentums und dem Selbsterweis des christlichen Glaubens. Man mag alle Einzelheiten der Gewißheitslehre der Erlanger und erst recht ihrer Dogmatik preisgeben. Aber darin werden sie doch recht behalten, daß der Notwendigkeitsnachweis der christlichen Erkenntnisse nur als Nachweis des Vergewisserungsprozesses erbracht werden kann. Hierin sind jene frühen Einsichten Schleiermachers, mit denen er das theologische Aufklärerideal über den Haufen stieß, fruchtbar geworden, der Eintritt des Menschen in eine positive Religion hänge ,lediglich davon ab, welche Anschauung des Universums ihn zuerst mit rechter Lebhaftigkeit ergreift‘, und die andere, daß die Gewißheit, die er dabei erlebe, nach dem Urteil Außenstehender als ,aus freier Willkür‘ geschehen erscheinen müsse. Und auch jener dritte Satz Schleiermachers wird dabei seine richtige, vertiefte christliche Anwendung finden: ,Das Universum bildet sich seine Bewunderer selbst‘“.839 5.8. Rückkehr zum Selbstbewußtsein als Ermöglichung eines pluralen Diskurses über die Frage nach der Wahrheit Elerts Konkretion der Diastase von Christentum und allgemeiner Kultur schlägt sich in einer veränderten Begründung der Theologie als Wissenschaft nieder. Versuchte Elert in der Zeit von 1910 – 1918 die Position der Theologie durch ihren Anschluß an die Geisteswissenschaften zu „verbesser[n]“,840 lassen ihn nun seine in der Zeitdiagnose und der Erlebnistheologie gewonnenen Erkenntnisse diese Intention nicht mehr weiter verfolgen. Im direkten Rückgriff auf Schleiermacher begründet er die Theologie als eine positive Wissenschaft. Deren Existenzrecht gründet ausschließlich in der gesellschaftlichen Relevanz des Christentums als einer real existierenden, positiven Religion: Das „Existenzrecht der Theologie hngt am Dasein der Christenheit“.841
839 W. Elert, 497 f. 840 W. Elert, Wendung, 491. Vgl. dazu ausführlich oben S. 124 ff., 145 ff. und 149 f. 841 W. Elert, KCH, 493. Zum konfessionellen Charakter der Theologie im Verständnis Schleiermachers vgl. v. a. F. Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums, §§ 1. 98. 273.
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Versuchte Elert zuvor die Christliche Weltanschauung unter Akzeptanz und Übernahme geisteswissenschaftlicher Standards innerhalb eines scheinbar allgemein anerkannten Horizontes zu „plausibilisieren“, so ist es nun sein Ziel, unter Akzeptanz einer prinzipiell pluralen gesellschaftlichen Situation und, korrespondierend dazu, einer prinzipiell pluralen Wissenschaftslandschaft das „eigene Erkenntnisgut“ des Christentums, seiner Weltanschauung und seiner Theologie in seiner Selbständigkeit und Andersartigkeit „allen Menschen zugänglich zu machen“.842 Zum einen zeigt sich hierin eine klare Reduktion des eigenen Anspruches, der sich nicht mehr im Ziel des Überzeugens, sondern im Ziel des bloßen Bezeugens bekundet.843 Zum anderen drückt sich hierin ein stärker gewordenes Selbstbewußtsein aus, das sich unabhängig von externen Faktoren und externer Anerkennung weiß. Aus diesem Selbstbewußtsein heraus kann auch die plurale Situation trotz zeitdiagnostischer Krisenwahrnehmung, trotz des in Elerts Augen bevorstehenden „Untergangs des Abendlandes“ angenommen und bejaht werden. Hatte Elert einst den Wahrheitsanspruch aller wissenschaftlichen Aussagen über Weltanschauungen – auch der über das Christentum – stark relativiert und eingeschränkt,844 so fordert er nun energisch ein, daß wissenschaftliche Arbeit – unter Einschluß der theologischen – nicht mehr weiterhin „jenseits von Wahr und Falsch“ zu betreiben sei.845 In Elerts Bestimmung der theologischen Methode als „Propaganda“ und „Polemik“ zeigt sich somit der Wille, die Wahrheitsfrage im Diskurs und in der Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen der anderen Wissenschaften wachzuhalten. Die Apologetik, ja die Theologie insgesamt verwandelt sich so von einer Vermittlungswissenschaft zu einer Kontroverswissenschaft.846 842 W. Elert, KCH, 496. 843 Vgl. v. a. W. Elert, Forderung, 435 f. Für die apologetische Tätigkeit sieht Elert deshalb die Aufgabe nicht mehr darin „zu vermitteln“, sondern lediglich darin, christliche Erkenntnisse nicht zu „verschweigen“ (aaO, 435) und sie „zu bekennen“ (aaO, 420) – mit dem Ziel, „andere“ an den christlichen Erkenntnissen „teilnehmen“ zu „lassen“ (aaO, 436). Vgl. dazu oben v. a. S. 274 f. 844 Vgl. oben S. 107 ff., S. 119 ff., S. 145 ff. und S. 158. 845 W. Elert, KCH, 496. 846 W. Elert, KCH, 496. Im Jahr 1948 bemerkt Elert im Blick auf die „Individualisierung der Konfessionsfrage“, die sich mit aus der durch die „Flüchtlingsströme aus dem Osten“ gesteigerten „räumlichen Vermischung der Konfessionen“ ergibt, einen „Fortschritt“, nämlich die Zunahme „persönliche[r] Verantwortung für sein eigenes Glaubensbekenntnis“. Die Breitenwirksamkeit der Konfrontation mit anderen Konfessionen und Weltanschauungen fordert
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Mit anderen Worten: Elert möchte das Christentum nicht mehr als sinnstiftende Weltanschauung erweisen, sondern es innerhalb eines pluralen Spektrums als selbständige, unabhängige Offenbarungsreligion in ihrer prinzipiellen Andersartigkeit bezeugen.847 Die Theologie versteht er als Reflexionsorgan einer real existierenden gesellschaftlichen Gruppierung; theologische Arbeit zielt auf „wohlbegründete, kontrollierbare, von einer großen Gemeinschaft urteilsfähiger Menschen geteilter Erkenntnisse“, die in die Kontroverse mit den Erkenntnissen anderer Gemeinschaften einzubringen sei.848
folgendes Vorgehen: „Die zwischen uns stehenden Wahrheitsfragen können wir zwar nicht ignorieren, auch nicht vergleichgültigen, ohne selbst unwahrhaftig zu werden. Aber die Gespräche über die Kirchengrenzen hinweg haben doch viele Mißverständnisse beseitigt […]. Daß man sich dabei gegenseitig zu überzeugen versucht […] liegt in der Natur der Sache […]. Allein auf das Ganze gesehen, kann das nur ein sozusagen idealer Wettbewerb sein, bei dem keiner dem andern persönlich wehe zu tun braucht“ (W. Elert, Der Westfälische Friede und die Konfessionen heute (Vortrag vor der Arbeitsgemeinschaft Evangelium und Geistesleben in Nürnberg am 20. 6. 1948), in: ders., ZGU, (114 – 131) 123 f.). 847 Vgl. v. a. W. Elert, Forderung, 419 f. AaO, 420: So lautet Elerts Forderung, „Gottes Transzendenz, seine Jenseitigkeit im strengen Sinne zu bekennen“. 848 W. Elert, KCH, 495.
IV Der Ausgang des apologetischen Frühwerks als Konstitutionshorizont von Elerts späterem Konfessionalismus. Ein Ausblick. 1. Schleiermacher und die Weimarer Reichsverfassung 1.1. Die neue Situation durch die Weimarer Reichsverfassung In dieser Neuverortung der Wissenschaftlichkeit der Theologie zeichnet sich bei Elert bereits ein neuer Umgang mit der Pluralität ab: Zwar bleibt die Zeitdiagnose kritisch, zwar wird die wahrgenommene Pluralität als Zeichen der „Dekadenz“ interpretiert, aber dennoch zeichnet sich darin ein Umdenken ab, das Theologie und Kirche aus dem in der Erlebnistheologie neu begründeten Selbstbewußtsein in seiner Selbständigkeit und Andersartigkeit innerhalb des pluralen Spektrums von Universität und Gesellschaft positioniert. In der wissenschaftssystematischen Neubegründung der Theologie als einer positiven Wissenschaft geht Elert de facto auf die völlig neue Rahmensituation ein, die durch die Weimarer Reichsverfassung von 1919 geschaffen worden ist.1 Durch die Trennung von Staat und Kirche2 und durch die vom Staat sich selbst auferlegte Neutralität im religiös-weltanschaulichen Bereich3 ergibt sich als Folge die Freiheit der Kirche vom Staat, die, erweitert durch die Gewährleistung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes in allen eigenen Angelegenheiten,4 1 2 3
4
Vgl. dazu oben S. 163 ff. Durch WRV Art. 137,1 fiel das landesherrliche Kirchenregiment endgültig weg: „Es besteht keine Staatskirche“. Vgl. dazu v. a. WRV Art. 135 (Glaubens- und Gewissensfreiheit) und 141 (Seelsorge in öffentlichen Anstalten). Mit Ende des Ersten Weltkrieges, dem Verzicht des Staates auf eine Regelung der salus publica und dem endgültigen Zerbrechen der quasizivilreligiösen aufklärerischen Humanitätsidee kann in Deutschland von einem „echten Pluralismus“, der den „Scheinpluralismus“ ablöst, gesprochen werden: E. Herms, Pluralismus aus Prinzip, (1991), in: ders., Kirche für die Welt. Lage und Aufgabe der evangelischen Kirche im vereinigten Deutschland, Tübingen, 1995, (467 – 485) 474 f.; zur Unterscheidung dieser Pluralismustypen vgl. aaO, 471 ff. Vgl. das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nach WRV Art. 137,3.
1. Schleiermacher und die Weimarer Reichsverfassung
313
nicht radikal laizistisch in die Privatsphäre abgedrängt wurde, sondern eine öffentlich rechtliche Stellung und Bedeutsamkeit zuerkannt bekam5. Die theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten wurden beibehalten, erhielten aber eine neue Begründungsnatur als res mixta.6 Das heißt: Der religiös weltanschaulich neutrale Staat unterhält die theologischen Fakultäten aufgrund seiner Kulturverantwortung. Zur inhaltlich-materialen Ausgestaltung einer theologischen Fakultät bedarf es jedoch des religiös-weltanschaulichen Bezuges dieser Fakultät auf eine gesellschaftlich erkennbare Weltanschauung bzw. Religionsgesellschaft, weil der religiös-weltanschaulich neutrale Staat diese inhaltliche Ausgestaltung weder leisten kann noch darf. Die Theologie kann also von Rechts wegen an einer staatlichen Universität nur dann ihren Ort haben, wenn der inhaltlich-materiale Bezug der theologischen Fakultät auf eine real existierende Religionsgesellschaft bzw. Weltanschauung gegeben ist. Da es kein Christentum an sich gibt, sondern es nur als positive Religion in unterschiedlich konfessionellen Ausprägungen existiert, kann dieser Bezug nur durch die konfessionell erkennbare Bindung der Theologie an eine bestimmte Religionsgesellschaft gewährleistet werden. Die notwendig erkennbare Konfessionalität der theologischen Wissenschaft an der Universität des religiös-weltanschaulich neutralen Staates wird deshalb nicht zuletzt an der Definition des Amtes des Universitätstheologen als eines „konfessionsgebundenen Staatsamtes“ deutlich.7 Die Alternative zur konfessionell erkennbaren theologischen Wissenschaft ist die scheinbar religiös-weltanschaulich neutrale Religionswissenschaft. Da aber hinter einer ,neutralen‘ Religionswissenschaft keine erkennbare gesellschaftliche Weltanschauung bzw. Religionsgesellschaft stehen kann, ist das staatlich-gesellschaftliche Interesse an einer solchen Einrichtung begrenzt, da sie prinzipiell nicht dazu in der Lage 5 6 7
Vgl. die Regelung zum Körperschaftsstatus öffentlichen Rechtes von Religionsgesellschaften nach WRV Art. 137,5. Vgl. WRV Art. 149,3: „Die theologischen Fakultäten an den Hochschulen bleiben erhalten“. A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 19963, 251. Vgl. dazu aaO, 248 Anm. 1 (Lit.). Umfassend zur rechtlichen Stellung theologischer Fakultäten: M. Heckel, Die theologischen Fakultäten im weltlichen Verfassungsstaat, Jus Ecclesiasticum 31, Tübingen, 1986. Zur ‘theologischen’ Seite dieser Problematik: K. Stock, Art. Theologie. III. Enzyklopädisch, TRE 33 (2002), 323 – 343 (Lit.).
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IV Ausblick
ist, die gesellschaftliche Pluralität an der Universität abzubilden. Das staatliche Interesse an der Religionswissenschaft ist also lediglich sekundär und damit konjunkturabhängig. Insofern entspricht es voll und ganz den Vorgaben der Weimarer Reichsverfassung, wenn Elert prophezeit, daß eine Theologie, die ihre konfessionelle Erkennbarkeit ablegt und rein religionswissenschaftlich verfahrend „nichts weiter will, als Spezialgebiete der allgemeinen Geschichte, der allgemeinen Soziologie und Psychologie“ zu „behandeln“, „ihre Selbständigkeit im Gesamtorganismus der Wissenschaften auf die Dauer schwerlich behaupten können“ wird.8 Im Einklang mit den Anforderungen der Weimarer Reichsverfassung meint Elert, daß das „Existenzrecht der Theologie an dem Dasein der Christenheit“ hängt.9 Auf diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar und einsichtig, warum Elert als derjenige in Erinnerung geblieben ist, der stets „souverän bestritten“ hat, „daß es überhaupt etwas anderes als konfessionalistische Theologie geben könne“ – zu ergänzen wäre hierbei lediglich: nach dem 11. August 1919.10 Die Notwendigkeit einer konfessionellen Theologie liegt für Elert – zumindest bis 1923 – nicht inhaltlich-material nachvollziehbar vor, sondern ergibt sich ausschließlich aus der neuen verfassungsrechtlichen Situation – einer Situation, die in Elerts Augen Theologie und Kirche Chancen und Möglichkeiten einräumt, „die ihr seit dem Aufkommen des landesherrlichen Kirchenregiments verbaut“ waren.11 1.2. Rückgriff auf Schleiermacher als Zugriff auf die Gegenwart Elerts Eingehen auf die Weimarer Reichsverfassung und die durch sie neu geschaffene Situation geschieht kaum explizit.12 Implizit jedoch läßt es sich in dem massiven Rückgriff auf Schleiermacher verifizieren. Zum einen ist seine Erlebnistheologie, wie sie in dem Aufsatz von 1920 „Dogma, Ethos, Pathos“ vorliegt, ohne Schleiermacher nicht zu den8 W. Elert, KCH, 492. 9 W. Elert, KCH, 493. 10 So die zugespitzte Formulierung von H. Lilje in seinem Nachruf auf Werner Elert (In Memoriam, 1955, 7). 11 Diese Einschätzung Elerts findet sich in seiner Vorrede von „Die Lehre des Luthertums im Abriss“ von 1924: LLA1, VII. 12 Dazu finden sich bei Elert lediglich vereinzelte Hinweise; vgl. z. B.: ders., KCH, 10.
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ken. Zum anderen zeigt sich in Elerts „Revision der apologetischen Methoden“13, wie sie sich dann in der Neubestimmung der Wissenschaftlichkeit der Theologie konkretisiert, eine Neubelebung des Schleiermacherschen Denkens.14. Wie läßt sich dieser Rückgriff eines angeblichen konfessionalistisch denkenden Altlutheraners auf den Unionstheologen der ersten Stunde verstehen? Neben der bekannten Bezugnahme der Erlanger Erfahrungstheologie auf den Schleiermacher hauptsächlich der ,Reden‘15 ist besonders auf einen anderen Punkt hinzuweisen. Elerts Rückgriff auf Schleiermacher im Zusammenhang der wissenschaftssystematischen Neubegründung der Theologie entspringt der Notwendigkeit, auf die durch die Weimarer Reichsverfassung geschaffene, völlig neuartige Situation für Theologie und Kirche einzugehen und ihren Vorgaben zu entsprechen. Schleiermacher stand mit seinen enzyklopädischen Überlegungen am Anfang eines verfassungsgeschichtlichen Prozesses, der mit der Weimarer Reichsverfassung zum Abschluß gekommen und durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und dessen Aufnahme der Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung bis in die Gegenwart prolongiert worden ist:16 Elert 13 W. Elert, Irrwege, 4. 14 Vgl. dazu oben S. 258 ff. und 289 ff. 15 Zum Rückgriff auf Schleiermacher im Zusammenhang der Erlanger Erfahrungstheologie: K. Beyschlag, Werner Elert in memoriam, 15; N. Slenczka, Selbstkonstitution, 79 ff. und v. a. W. Elert, KCH, 285 ff. 16 Vgl. GG der BRD Art. 140: „Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der Deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes“. WRV Art. 135 (Glaubens- und Gewissensfreiheit) wurde durch Art. 4 GG neuformuliert. Die Art. 140 WRV (Militärseelsorge) und 149,3 WRV (Theologische Fakultäten) wurden im Rahmen von Staatskirchenverträgen bzw. Konkordaten und im Rahmen der Länderverfassungen weitergeführt. Vgl. dazu A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 19963, 229 ff. 248 ff.; ders., Art. Staatskirchenverträge, TRE 32 (2001), 84 – 89 (Lit.). Auffallend ist zudem, daß das GG der BRD überall dort, wo es neue Formulierungen entwarf, den kollegialistischen Kirchenbegriff – ‘Religionsgesellschaften’ – durch den Begriff der ‘Religionsgemeinschaften’ ersetzte. Vgl. dazu Art. 7,3 GG. Zum Begriff und zur rechtlichen Entwicklung von „Religionsgesellschaften“ vgl. die prägnante Zusammenstellung von J. Mehlhausen, Art. Religionsgesellschaften, TRE 28 (1997), 624 – 631. Zur rechtlichen bzw. verfassungsgeschichtlichen Entwicklung: J. Mehlhausen, Kirche zwischen Staat und Gesellschaft. Zur Geschichte des evangelischen Kirchenverfassungsrechtes in Deutschland (19. Jahrhundert), in: G. Rau u. a. (Hgg.), Das Recht der Kirche II. Zur Geschichte des Kirchenrechts, Gütersloh, 1995, 193 – 271.
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IV Ausblick
sieht seine Zeit in starker Parallelität zu der Zeit Schleiermachers am Anfang des 19. Jahrhunderts: Die Gegenwart ist „genau wie ein Jahrhundert früher“17 – angefangen von der Auseinandersetzung Schleiermachers mit Fichte um die Ausgestaltung und Begründung der Theologie an der neuen Universität in Berlin, der ersten Universitätsneugründung nach dem Ende des Alten Reiches, einer Auseinandersetzung, in der auch um die Freiheit der Kirche und mit ihr um die Selbständigkeit der Theologie gestritten worden war.18 Schleiermacher habe 17 W. Elert, KCH, 6. Vgl. aaO, 4. 6 f. 496. Desweiteren vgl. aaO, 12 ff. mit 447 ff. 18 Infolge der napoleonischen Kriege waren Preußen mit den westlichen Gebieten auch die westlichen Universitäten – insbesondere Halle – abhanden gekommen. Neben Königsberg und Frankfurt a. O. sollte nun eine weitere Universität – in Berlin – gegründet werden. Zur möglichen Ausgestaltung wurden verschiedene Gutachten und Stellungnahmen abgegeben. Neben Humboldt und Fichte tat dies auch Schleiermacher: 1808 erschien anonym seine Schrift: Gelegentliche Gedanken über Universitäten im deutschen Sinn (in: Die Idee der deutschen Universität. Die fünf Grundschriften aus der Zeit ihrer Neugründung durch klassischen Idealismus und romantischen Realismus, hg. v. E. Anrich, Darmstadt, 1964, 220 – 308). Unter anderem lehnte Schleiermacher wie Fichte die Errichtung von Fachhochschulen ab und plädierte für eine ‘Universität’ allen Wissens unter Führung der philosophischen Fakultät. Im Gegensatz zu Fichte setzte sich Schleiermacher jedoch stark für die Erhaltung bzw. Einrichtung von Fachwissenschaften ein; so auch für die der Theologie. Vgl. dazu M. Redeker, Friedrich Schleiermacher. Leben und Werk, Berlin, 1968, 136 ff. Fichte hingegen war es ja gerade, der die Theologie nur dann an einer Universität berechtigt verortet sah, wenn sie sich genau der Voraussetzungen entledigen würde, die Elert in seiner Beschreibung des Transzendenzerlebnisses dargelegt hatte, mit anderen Worten: unter Entledigung aller Eigentümlichkeiten restlos in der Philosophischen Fakultät aufgehen würde. Vgl. J. G. Fichte, Deduzierter Plan einer zu Berlin zu errichtenden höhern Lehranstalt, die in gehöriger Verbindung mit einer Akademie der Wissenschaften stehe (1807), in: Die Idee der deutschen Universität. Die fünf Grundschriften aus der Zeit ihrer Neugründung durch klassischen Idealismus und romantischen Realismus, hg. v. E. Anrich, Darmstadt, 1964, (125 – 217) 154 f. 159. AaO, 154 f.: „Wollte also die Theologie ferner auf einem Gotte bestehen, der etwas wollte ohne allen Grund; welches Willen Inhalt kein Mensch durch sich selber begreifen, sondern Gott selbst unmittelbar […] ihm mitteilen müßte […,] so könnte wenigstens eine Schule des Verstandesgebrauches sich mit ihr nicht befassen“. Bei dieser Diskussion ging es auch um die Freiheit von Forschung und Lehre gegenüber einem Staat, der sich noch schwer damit tat, anderen Kulturbereichen – etwa auch der in den Kirchen ausgeübten Religion – Eigenständigkeit und Selbständigkeit zuzuerkennen. So standen im Hintergrund der Diskussion um die libertas ecclesiae auch die einschneidenden Rechtsveränderungen, die durch das 1794 eingeführte „Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten“ (Textausgabe. Mit einer
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„die Ursache für das Mißverhältnis zwischen den kirchlichen Veranstaltungen und seinem Ideal religiöser Vereinigungen in der Verstaatlichung der Kirchen gesehen“19. Schleiermachers Streben nach Freiheit der Kirche und Selbständigkeit der Theologie kommt insbesondere auch in dessen – von den Stein-Hardenbergschen Reformen unberücksichtigt gebliebenem – Verfassungsvorschlag zum Ausdruck.20 Schleiermachers Gedanken werden im Lauf des 19. Jahrhunderts durch die Paulskirchenbewegung aufgegriffen und haben dadurch maßgeblich zur Ausgestaltung der Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung beigetragen.21 Wenn Elert 1921 in diesem Zusammenhang derart auf Schleiermacher zurückgreift, kann dies nichts anderes bedeuten, als daß er versucht, der neuen verfassungsrechtlichen Situation für Theologie und Kirche zu entsprechen. Was läge dabei näher als der Rückgriff auf denjenigen, der sich diese Situation – als Utopie – herbeigewünscht Einführung v. Hanns Hattenhauer u. einer Bibliographie v. Günther Bernert, Frankfurt a. M. u. a., 1970) hervorgerufen wurden: Die Kirchen wurden in der Art ‘kollegialisier’, daß sie rechtlich in unzählige, rechtlich selbständige, vereinsmäßig verfaßte Kirchengemeinden aufgelöst wurden. Religion wurde zur Privatsache deklariert, die Kirchen aus ihrer öffentlichen Verantwortung und Bedeutsamkeit gedrängt und durch das einschränkende Vereinsrecht nahezu vollständig dem Willen des Landesherrn unterworfen. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts gelang es, die Kirchen dieser im Rationalismus gesteigerten staatlichen Vorherrschaft zu entziehen. Vgl. dazu: J. Mehlhausen, Kirche zwischen Staat und Gesellschaft. Zur Geschichte des evangelischen Kirchenverfassungsrechtes in Deutschland (19. Jahrhundert), in: Das Recht der Kirche II, 193 – 271. Zum kollegialistischen Kirchenbegriff vgl. K. Schlaich, Kollegialtheorie. Kirche, Recht und Staat in der Aufklärung, Jus Ecclesiasticum 8, München, 1969. 19 So Elert im Jahr 1925 in seinem Aufsatz: „Das Erstarrungsgesetz des Protestantismus“, 79. 20 F. Schleiermacher, Vorschlag zu einer neuen Verfassung der protestantischen Kirchen im preussischen Staate (1808), in: ders., Schriften zur Kirchen- und Bekenntnisfrage, bearb. v. H. Gerdes, Berlin, 1969, 119 – 136. Schleiermachers Vorschlag lief auf die Forderung nach der libertas ecclesiae hinaus: Der Staat möge sich „der inneren Verwaltung der Kirche gänzlich entschlagen und diese ihr selbst mit einem solchem Grade von Unabhängigkeit zurückgeben, daß sie als ein sich selbst regierendes lebendiges Ganzes dastehe“ (aaO, 120). 21 Vgl. dazu auch oben S. 163 ff.; besonders oben S. 164. Knappe Darstellung bei: M. Heckel, Zur Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts von der Reformation bis zur Schwelle der Weimarer Verfassung, in: ders., GS. Staat. Kirche. Recht. Geschichte, 2 Bde., Jus Ecclesiasticum 38, Tübingen, 1989, Bd. 1, 366 – 401. Texte bei: H. Hildebrandt (Hg.), Die deutschen Verfassungen des 19. und 20. Jahrhunderts, Paderborn, 199214.
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hatte? Mit Schleiermacher bestimmt Elert die Theologie als eine positive Wissenschaft, die in ihrem „Existenzrecht“ ausschließlich an dem gesellschaftlich ausweisbaren „Dasein der Christenheit“ hängt.22 Das Interesse des neutralen Staates kann dabei nur dieses sein, daß die gesellschaftliche Pluralität in der Universität repräsentiert wird und dort auf einem wissenschaftlichen Niveau stellvertretend ausgetragen wird. Dieser Rückgriff Elerts auf Schleiermacher erscheint als eine situationsgerechte Umsetzung der durch die Weimarer Reichsverfassung kategorial neuformulierten Situation für das öffentliche Wirken der Kirchen gerade durch die theologischen Fakultäten. Diese sind durch die Trennung von Staat und Kirche zur gemeinsamen Sache des religiös-weltanschaulich neutralen Staates und einer real existierenden Religionsgesellschaft geworden, die sich durch ihr spezifisches Selbstverständnis, das für Elert in der Intensität des gemeinsamen Transzendenzerlebnisses begründet ist, von anderen Religionsgesellschaften unterscheidet. Elerts Schleiermacherrezeption erweist sich dadurch als eine implizite Auseinandersetzung mit der neuen verfassungsrechtlichen Rahmensituation, wie sie durch die Weimarer Reichsverfassung formuliert ist. Diese implizite Auseinandersetzung mit der Weimarer Reichsverfassung findet sich dann gute 10 Jahre später verdeutlicht in Elerts Aufsatz „Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten“.23
2. Eine Frage der „Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten“ 2.1. „Treue gegen das Dritte Reich“ oder „Dorn“ in dessen „Auge“? Elerts wissenschaftssystematische Neuverortung der Theologie als einer positiven Wissenschaft hatte sich als Entsprechung zur neuen Situation von Theologie und Kirche herausgestellt, wie sie durch die Weimarer Reichsverfassung vorgegeben worden war. Im Jahr 1935 verdeutlicht Elert diesen impliziten Bezug auf den verfassungsrechtlichen Rahmen, indem er ausführlich auf die Stellung der Theologie zwischen Staat und 22 W. Elert, KCH, 493. 23 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, in: Luthertum 46 (1935), 97 – 112. Vgl. dazu ausführlich unten S. 318 ff.
2. Eine Frage der „Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten“
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Kirche eingeht und sich der Frage der „Zukunft der evangelischtheologischen Fakultäten“ annimmt.24 Das Erscheinungsjahr dieses Aufsatzes verrät schon viel über dessen Brisanz. Mitten in den Wogen des Kirchenkampfes geschrieben, ist er geprägt von tages- und kirchenpolitischen Stimmungen. Im Horizont nationalsozialistischer Versuche einer „Hochschulreform“ und der „,weltanschaulichen‘ Schulung“ auch an der Universität bedenkt Elert die Zukunft der Theologie.25 Dieser Aufsatz gehört ohne Zweifel zu denjenigen Schriften Elerts, in denen die Fragwürdigkeit seiner Einstellungen – insbesondere im politischen Bereich – manifest wird: „Hier ist ein inneres Verhältnis der Theologie zum nationalsozialistischen Ethos vorhanden“.26 Es ist aber auch ein Text, aus dem deutlich wird, 24 Der enge Bezug dieses Aufsatzes auf die Fragestellungen Elerts Anfang der 20er Jahre wird insbesondere an klaren Rückverweisen deutlich. Vgl. dazu v. a. W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 107 f. 25 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 108. Zur zeitgeschichtlichen Situation der Fakultäten: K. Meier, Die Theologischen Fakultäten im Dritten Reich, Berlin, 1996. 26 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 111. Elerts – vom heutigen Standpunkt aus betrachtet – völlige Fehleinschätzung der politischen Situation wird deutlich aus folgendem Zitat: „Unsere heutige Staatsgewalt hat einen sehr klaren Blick für Realitäten. Wir glauben deshalb nicht, daß sie dem Phantom echt germanischer Religionsstifter die öffentliche Geltung der christlichen Kirchen opfern wird – solange sich diese im deutschen Volke als gegenwartswirklich erweisen“ (aaO, 111). Zum zunehmend erkennbaren Endziel der NS-Politik in Bezug auf die Kirchenfrage vgl. K. Meier, Kreuz und Hakenkreuz, München, 1992, 175 ff.; vgl. dazu T. Kaufmann, Werner Elert, 240 ff. Die Einschätzung Elerts bleibt falsch, auch wenn er durchaus mit einer Veränderung des Verhältnisses von Staat und Kirche gerechnet hat: Im Rahmen der begonnenen „Hochschulreform“ hält es Elert durchaus für „möglich, daß im Rahmen der ‘weltanschaulichen’ Schulung auch Angriffe auf die Grundlagen der reformatorischen Theologie wie auf jede andere christliche erfolgen. Es wäre denkbar, daß auch bei künftigen Neubesetzungen in der gleichen Richtung verfahren werde. Das stünde zwar im Widerspruch zum Parteiprogramm. Aber das Auslegungsrecht besitzt hier zuletzt die Staatsgewalt […] Mit dieser Möglichkeit muß man rechnen, ohne Illusionen aber auch ohne Nervosität.“ Mit diesem Fall sieht Elert den „Augenblick kommen, wo die bekenntnisgebundene Kirche an den staatlichen Fakultäten nicht mehr interessiert wäre“ (W. Elert, aaO, 108 f.). Selbst die lutherische Zweireichelehre wird einem suspekt, wenn Elert räsoniert: „Wir Lutheraner wissen uns als Bürger zweier Welten und empfinden demgemäß auch als Männer der Kirche die Sache des Staates nicht als fremde, sondern als unsere Angelegenheit. Wir möchten uns aus Gehorsam gegen Gott an Treue gegen das Dritte Reich und an Sorge um die Zukunft unseres Volkes von niemand übertreffen lassen“ (W.
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daß Theologisches und Persönliches nicht notwendig zur Deckung kommen, nämlich daß richtig gedachte theologische Vordersätze fatale tages- wie kirchenpolitische Folgerungen nach sich ziehen können, ohne daß damit die theologischen Erwägungen an sich falsch wären.27 In diesem Aufsatz von 1935 behandelt Elert die Frage der Stellung der theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten zwischen dem Einfluß- und Verantwortungsbereich von Kirche und Staat. Trotz der Elert, aaO, 105). Eine Einschätzung von Elerts Verhalten während des Nationalsozialismus wird dadurch noch schwieriger, daß Elert sowohl gegen Barth und Barmen (vgl. v. a. oben S. 56 f Anm. 225) wie gegen die DC höchst aversiv eingestellt war: Als „sich im anhebenden Kirchenkampf eine Flut von Abhandlungen über Nomos, Volksnomos, Volksgesetz und dergleichen über das Land ergoß“ (So Elert 1948 im Rückblick: Gesetz und Evangelium, 133; aaO kritisiert Elert zugleich an P. Althaus und F. Gogarten, diesen Irrlehren nicht mit einer genügenden „Präzision des Gesetzesbegriffes“, sondern mit ihren mißverständlichen Formulierungen der Natürlichen Theologie begegnet zu sein), verlängerte sich nämlich Elerts Kampf gegen die Theologie des Barmer Bekenntnisses invers zu einem Kampf gegen die DC: „Wer glaubt, daß unsere Kritik an Barmen eine Option für die Deutschen Christen bedeutet, irrt. Wir bestreiten den einen den Anspruch, daß sie das Bekenntnis, den anderen, daß sie Blut und Boden des deutschen Volkes gepachtet haben“ (W. Elert, Bekenntnis, Blut und Boden. Drei theologische Vorträge, Leipzig, 1934, 3. Der Titel dieser Schrift ist bezeichnend für Elerts ironische Veranlagung; vgl. dazu W. Trillhaas, Konservative Welt und moderne Theologie, 42 f.; zur Verschränkung beider Auseinandersetzungen vgl. S. A. Eyjólfsson, Rechtfertigung und Schöpfung, 34. Zur DC aaO, 30 – 35). Mit der angeblich lutherischen Fassung neuheidnisch formulierter natürlicher Theologie rechnet Elert ebenso schroff ab: Lutherische Ordnungstheologie sei etwas anderes als „eine allgemeine Blut- und Boden, Feld- Wald- und Wiesenordnung“ (W. Elert, Bekenntnis, Blut und Boden, 26). Diejenigen, „die nur deshalb mit ‘künftigen Jahrtausenden’ um sich werfen, weil sie von den vergangenen keine Ahnung haben“ (aaO, 40), werden von Elert schließlich als „Komödianten“ der weiteren Diskussion verwiesen, da „unter den Völkern des Abendlandes nach selbstgesetzten Götzen keine Nachfrage mehr“ (aaO, 53) bestehe. Ein Jahr nach der Wahl von Ludwig Müller zum Reichsbischof fordert Elert gar – als Staatsbürger, und nicht etwa als Christ – „ein Staatsgesetz, wonach diejenigen, die für die Einsetzung unwürdiger Personen zu Bischöfen verantwortlich sind, aufgehängt werden“ (W. Elert, Kirchliches und Politisches Führertum, Luth. 45 (1934), (102 – 117) 110). Für Elert hat somit nicht zuletzt die „Personenauswahl für das Bischofsamt“ zu den „katastrophalen Erfahrungen geführt“ (W. Elert, Lutherische Grundsätze für die Kirchenverfassung, unveröffentlichter Vortrag in Berlin am 14. 3. 1935; in: LK, (113 – 127) 123; vgl. aaO, 122 – 124). 27 Zu Fragen von Elerts Verhalten während der Zeit des Dritten Reiches vgl. oben S. 10 ff. und 37 f.
2. Eine Frage der „Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten“
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angedeuteten Fragwürdigkeiten handelt es sich dabei um eine durchaus differenzierte Behandlung der Frage des Verhältnisses der theologischen Wissenschaft zur Kirche und zum Staat und der Bekräftigung der bleibenden Verortung der Theologie an staatlichen Universitäten. Die Auseinandersetzung mit dem Status der theologischen Fakultäten vollzieht Elert im Horizont der Wahrnehmung, daß „sie manchen Leuten schon längst, und heute aufs neue, ein Dorn im Auge sind“28. 2.2. Theologie zwischen Staat und Kirche Wie bereits gezeigt, wurden durch die Weimarer Reichsverfassung die theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten beibehalten, erhielten aber eine neue Begründungsnatur als res mixta.29 „Die theologischen Fakultäten sind Staatseinrichtungen“, durch die kirchliche wie staatliche Interessen verfolgt werden.30 Die Dozenten der Fakultät haben ein „staatliches Amt“ mit kirchlicher Beauftragung zur „Ausbildung“ der „Geistlichen“.31 Ihre Berufung wird durch den Staat vollzogen, wobei die Kirche lediglich ein Anhörungsrecht besitzt.32 Daß die Kirche keinerlei „amtliches Aufsichtsrecht“ in Bezug auf die theologischen Fakultäten mehr innehat, wertet Elert keineswegs als Negativum, als „Benachteiligung“.33 Ganz im Gegenteil betrachtet er diese Entkoppelung von Theologie und Kirche als „Gewinn“ im Gegensatz zu den Verhältnissen während des 19. Jahrhunderts.34 Elerts Forderung von 1921, die Theologie möge sich wie jede andere Wissenschaft verhalten,35 verdeutlicht sich darin, daß er es begrüßt, daß der 28 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 105. 29 Vgl. dazu oben S. 312 ff. 30 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 104. Als Dekan der Erlanger Fakultät betonte Elert mit Vorliebe, daß die Fakultät nach staatlicher Satzung lutherisch sei: Dieser von staatlicher Seite eingerichtete „Bekenntnisparagraph der Fakultätssatzungen“ sei deshalb – auch für Theologen – „bindend“ (W. Elert, Bericht über das Dekanat der Theologischen Fakultät Erlangen 1935 – 43; mit Anschreiben an den Dekan Prof. D. Althaus vom 20. August 1945, abgedruckt in: K. Beyschlag, Die Erlanger Theologie, EKGB 67, Erlangen, 1993, (266 – 286) 268). 31 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 104. 99. 32 Vgl. W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 104. 33 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 102. 34 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 102. 35 Vgl. W. Elert, KCH, 496. Vgl. dazu oben S. 305 ff.
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Theologie keine „,mittelalterliche‘ Sonderstellung“ an der Universität mehr zukommt.36 Den „Gewinn“ der Freiheit der Theologie von kirchlicher Aufsicht erblickt Elert insbesondere in der dadurch ermöglichten freien und unabhängigen „Kritik“ der „Kirchenlehre“ durch die Theologie, die der Kirche frei gegenüber steht.37 Durch diese Entkoppelung ist die Freiheit von Forschung und Lehre gewährleistet, die wiederum das Potential der Kritik der Theologie an der Kirche sichert.38 Die theologische Kritik besteht für Elert vor allem in der Reflexion der kirchlichen Lehre und des christlichen Glaubens, seiner Geschichte und seines biblischen Grundes; sie zeigt sich somit in der theologischen „Frage nach dem zureichenden Grund“ der kirchlichen Lehre.39 Trotz dieser Freiheit der Theologie von der Kirche bestehen notwendige Verbindungen zur ihr. Da der religiös und weltanschaulich neutrale Staat die theologischen Fakultäten lediglich aufgrund seiner allgemeinen Kulturverantwortung unterhält, muß zur inhaltlich-materialen Ausgestaltung einer theologischen Fakultät der religiös-weltanschauliche Bezug dieser Fakultät auf eine gesellschaftlich erkennbare Weltanschauung bzw. Religionsgesellschaft nachvollziehbar sein, weil der religiös-weltanschaulich neutrale Staat diese inhaltliche Ausgestaltung weder leisten kann noch darf. Diese aus der Neutralität des Staates sich als verfassungsrechtliche Notwendigkeit ergebende Bindung der Theologie an eine positive Religionsgesellschaft zeigt sich für Elert in der Kirchengliedschaft der Dozenten, ihrer durch die Ordination erlangten Teilhabe am Predigtamt und in dem „der Theologie und der Kirchenlehre gemeinsamen Sachgehalt“.40
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W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 102. W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 102 f. Vgl. W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 103 f. W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 103. Gerade die evangelische Theologie sieht Elert hier in einer besonderen historischen Verantwortung der Kirche gegenüber: „Die Reformation nahm von der Frage nach dem zureichenden Grunde dessen, was […] in der Kirche galt, ihren Ausgang. Und nur diejenige Theologie hütet ihr Erbe, die die gleiche Frage mit immer neuem Ernst stellt“ (aaO, 103). 40 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 101. Vgl. aaO, 98 f. 101 f.
2. Eine Frage der „Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten“
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2.3. Bedeutung der Theologie für die Kirche Durch den Zusammenhang von Theologie und Kirche, wie er durch den „gemeinsamen Sachgehalt“ und die universitäre Ausbildung der künftigen kirchlichen Amtsträger gewährleistet ist, sowie durch die Bindung der Theologie an die Kirche durch die Gliedschaft und Ordination der Dozenten und durch die in der staatlichen Beauftragung der theologischen Fakultät zum Ausdruck kommenden Freiheit von kirchlicher Aufsicht ergibt sich nun folgende Bedeutung der Theologie für die Kirche:41 Zum einen übt die Theologie durch ihre personale – durch die Ordination ihrer Vertreter verbürgte – Teilhabe an dem Predigtamt als dem einzigen Amt der Kirche ihre Funktion für die Kirche aus, da ihre Vertreter „Inhaber des Lehramtes der Kirche“ sind „wie alle anderen Pfarrer“.42 Zum anderen kann sie der Kirche durch das „sachliche Gewicht“ der von ihren Vertretern „vertretenen Theologie“ dienen.43 Da der Theologie von der Kirche keinerlei Amt übertragen wird, zielt die Theologie darauf, das „sachliche Gewicht“ ihrer „Argumente“ der Kirche gegenüber überzeugend darzulegen.44 Neben ihrer von den Kirchen freiwillig anerkannten Ausbildungsfunktion kulminiert die Bedeutung der Theologie somit in der kritischen Reflexion der Kirchenlehre, in der kritischen Reflexion des verbindenden Sachgehaltes. Stellvertretend für die Kirche stellt die Theologie die „Frage nach dem zureichenden Grunde“ der kirchlichen Lehre, ohne dabei – wie die Kirche – der Notwendigkeit zu unterliegen, ihre Aussagen „apodiktisch“ vorzutragen.45 Hierin liegt der Grund der Freiheit theologischer Forschung und Lehre an der Universität. Die aufgrund der staatlichen Unterhaltung der theologischen Fakultäten gewährleistete Unabhängigkeit von der Kirche ermöglicht zudem durch ihre Teilhabe an der Universität den interdisziplinären Austausch und Diskurs. Durch diese universitäre Verortung der Theologie ist zusätzlich die „Kritik durch nichttheologische
41 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 101. Vgl. aaO, 98 f. 101 f. 42 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 101. 43 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 101. 44 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 104. 45 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 103 f.
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Fachleute“ an der kirchlichen Lehre ihres Sachgehaltes, ihrer „Stoffe“ und „Methodik“ institutionalisiert.46 Aus diesen Gründen ist in Elerts Verständnis das Verbleiben der Theologie an staatlichen Einrichtungen „für die Kirche zu wünschen“.47 Elert sieht in der Verortung der Theologie an staatlichen Universitäten als dem Ort öffentlicher Lehre und Forschung die Konsequenz der in Folge der Reformation durchgesetzten Abschaffung eines „,klerikalen‘ Klerus“.48 Mit anderen Worten: Durch die Verortung der Theologie an der Universität, dem Ort der Bildung aller gelehrten Berufsgruppen, wird die „klerikale[…] Absonderung“ an Priesterseminaren vermieden.49 Gerade dadurch kommt die Weltlichkeit auch der künftigen kirchlichen Amtspersonen zum Ausdruck.50 Ein Rückzug der Ausbildung zukünftiger kirchlicher Amtsträger von staatlichen Universitäten an kirchliche Hochschulen hält Elert sowohl aus kirchlichen wie gesamtgesellschaftlichen Gründen lediglich für eine Notstandsoption, die dann nötig würde, wenn der durch die Verfassung zur Neutralität verpflichtete Staat die Bindung der Theologie an die Kirche unterminieren würde.51 Wenn die „Unkirchlich46 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 100. Auffallend hierbei ist, daß Elert als Bezugswissenschaften der Theologie neben der Philologie, der Geschichte und der Rechtswissenschaft nur noch die Pädagogik explizit aufführt; die von ihm selbst in der Zeit bis zum Ende des Ersten Weltkrieges extensiv herangezogene Psychologie scheint für Elert 1935 aus theologischem Gesichtspunkt obsolet geworden zu sein. 47 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 105. 48 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 106. 49 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 99. Vgl. aaO, 99. 106. 50 Unter Rückgriff auf die Dreiständelehre votiert Elert aus dezidiert theologischen Gründen für die universitäre Bildung der zukünftigen kirchlichen Amtsträger (Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 99): „Bedarf es aber im Unterschied vom mittelalterlichen Kleriker, der nur die Technik des Messelesens zu beherrschen hatte, auch der theologischen, also gelehrter Vorbildung, so soll er auch sie nicht in klerikaler Absonderung, sondern da empfangen, wo sie die andern gelehrten Berufe auch erhalten, d. h. an der Universität. Die Gemeinschaft, die an ihr zwischen den künftigen Staats-, Schul- und Kirchendienern, zwischen den künftigen Ärzten und Seelsorgern gepflegt wurde, gehört zu den praktisch wichtigsten Voraussetzungen des kirchlichen Lebens nach der Reformation“. 51 Vgl. W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 99. 108 f. Im Blick auf das Breslauer Seminar der lutherischen Freikirche in Preußen, dessen Direktor Elert bis 1923 gewesen war, befürwortet Elert allerdings die additive Ergänzung der „Universitätsvorbildung“ der „Pastoren“
2. Eine Frage der „Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten“
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keit“ der theologischen Fakultäten „in Zukunft“ durch „staatliche Besetzungspraxis erzwungen“ würde, läge in Elerts Augen die Situation vor, in der die Kirche zu Recht an der Anerkennung der Ausbildung ihrer künftigen Geistlichen an staatlichen Einrichtungen „nicht mehr interessiert“ zu sein hätte.52 2.4. Bedeutung der Theologie für den Staat Intensiv bedenkt Elert die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Theologie, die ihre staatliche Unterhaltung rechtfertigt. Als „staatliche“ Gründe für das Verbleiben der Theologie im Universitätsverband führt Elert folgende auf:53 Das staatliche Interesse an einer Abbildung gesellschaftlicher Pluralität an der Universität und die Ermöglichung des Diskurses gerade zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen werden durch den gemeinsamen Ort der Reflexion, durch die Universität gewährleistet.54 Die Universitäten bilden auf wissenschaftlichem Niveau die gesellschaftliche Pluralität ab: Sie stellen „die Stätten der ,öffentlichen Lehre‘ im besonderen Sinne“ dar, indem an ihnen das gelehrt wird, was öffentlich ist, nämlich das, was gesellschaftliche Relevanz besitzt, „was auf den einzelnen Gebieten öffentliche Bedeutung hat“.55 Das staatliche Interesse zielt auf eine Vernetzung einer ausdifferenzierten Gesellschaft. Um dies zu erreichen, unterhält der Staat die Universität als Ort der „Gemeinschaft“ zwischen verschiedenen Gruppen, Aspekten und Meinungen.56 Die Universität ist somit ein Ort kontrollierter Kritik, an dem zukünftige Multiplikatoren verschiedener gesellschaftlicher Gruppen sich gegenseitiger methodischer und materialer Kontrolle unterziehen.57 Hierin kommt das „rein politische Interesse“ zum Ausdruck, daß die „künftigen Pfarrer durch die Schule der Universität gehen“, um dort auf wissenschaftlichem Niveau mit der Pluralität der Gesellschaft kon-
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durch ein „besonderes theologisches Seminar“, das von der Kirche unterhalten wird (aaO, 109). W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 109. W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 105. Vgl. W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 99. 106. W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 99 f. W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 99. Vgl. W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 100.
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IV Ausblick
frontiert zu werden.58 Die Universität ist der gemeinsame Ort der Bildung aller Berufsgruppen; sie vereinigt alle verschiedenen Wissenschaften um der Gemeinsamkeit der Gesellschaft willen. Durch diese institutionalisierte Gemeinsamkeit stehen die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und die verschiedensten Berufe in einem Dialog, der vermeiden soll, daß sich einzelne Gruppierungen „abkapseln“.59 Die Dozenten der einzelnen Fakultäten sollen keine „formalen Autoritäten sein, sondern durch das Gewicht selbständiger Forschungsergebnisse überzeugen und durch ihre Vorbildlichkeit weiterwirken. An diesem Treffpunkt der lebendigen geistigen Mächte soll sich auch die Theologie der öffentlichen Aufmerksamkeit und der unmittelbaren Kritik solcher stellen, die auf einem andern Forschungsgebiet einen hohen Rang einnehmen“.60 Als unbegründet weist Elert die „Sorgen“ mancher „kirchlichen Kreise“ zurück, dass durch die Verortung der Theologie an staatlichen Fakultäten eine „Abhängigkeit der theologischen Fakultäten vom Staat“ gegeben sei.61 Die Bindung der Theologie an den „staatlichen Brotherrn“ sei nicht als „gewohnheitsmäßige[…] Bindung“ aus der Zeit vor der Weimarer Reichsverfassung übernommen worden, sondern sei eben Ausdruck der Kulturverantwortung des Staates einer pluralen Gesellschaft gegenüber.62 Eine Abhängigkeit, die über die Überwachung der formalen Dienstpflichten hinausgeht, besteht für Elert nicht, da gerade der Staat von sich aus der Theologie kein „bestimmtes Wissenschaftsideal“ vorgibt, sondern genau dies dem „Urteil der Zunft“ in akademischer Freiheit selbst überläßt.63 Die theologischen Fakultäten sind für Elert kein Relikt aus staatskirchlichen Zeiten, denen nach dem 1. August 1919 nur noch die Funktion einer „bloßen Dekoration der 58 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 105. 59 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 106. Vgl. aaO, 106: „Was wir in der Sicht der Kirche forderten, daß sich die Träger der verschiedenen öffentlichen Berufe in der entscheidenden Zeit ihrer Ausbildung nicht voneinander abkapseln, sondern in lebendigster Fühlung untereinander stehen, genau dasselbe ist auch in der politischen Sicht zu fordern […]. Dieser Gesichtspunkt würde allein schon genügen, um die bisherige Eingliederung der Pfarrerausbildung in das Universitätsganze auch in Zukunft politisch zu rechtfertigen“. 60 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 100. 61 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 106. 62 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 106. 63 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 108.
2. Eine Frage der „Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten“
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Universität“ zukäme.64 Die theologischen Fakultäten haben vielmehr – wie alle anderen Wissenschaften auch – ein „inneres Verhältnis“ zur Staatsordnung, indem sie sich in der universitären Öffentlichkeit durch die „öffentliche Bedeutung“ ihrer Lehre zu der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung der Wissenschaften bekennen und zu ihr beitragen.65 Eine auf „Staatskosten“ unterhaltene theologische Fakultät erweist sich für Elert somit nicht nur aus kirchlichen Gesichtspunkten für erhaltenswert, da sie – wie alle anderen Wissenschaften auch – eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe verfolgt und dadurch „dem deutschen Volke“ dient.66 Die theologischen Fakultäten repräsentieren die gesellschaftliche „Realität der Kirche“ im universitären Diskurs.67 Das staatliche Interesse an der Unterhaltung einer theologischen Fakultät ist durch ihren Bezug auf eine real existierende gesellschaftliche Religionsgesellschaft und deren wissenschaftliche Reflexion und Vertretung im universitären Diskurs begründet. Das – im staatlichen Interesse gewährleistete – „Existenzrecht der Theologie hängt am Dasein der Christenheit“ als einer gesellschaftlichen Realität, wie Elert schon 1921 formulierte.68 Dieses Interesse besteht deshalb, „solange sich“ die Kirchen „im deutschen Volk als gegenwartswirklich erweisen“.69 Eine Theologie, die unkirchlich würde – in dem Sinn, daß ihr Bezug auf und ihre Bindung an eine real existierende Religionsgesellschaft nicht mehr gegeben wäre – würde aus staatlichem Blickwinkel keine notwendige öffentliche Einrichtung mehr darstellen, sondern wäre bildungs- wie kulturpolitisch betrachtet „reiner Luxus“.70 Von dem „Dasein der Christenheit“, von der Gegenwartswirklichkeit der Kirche hängt somit in Elerts Augen die „Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten“ ab.71 Gerade in der Positivität der Theologie, in ihrem Bezug auf die gegenwartswirkliche, gesellschaftlich erkennbare Religionsgesellschaft, scheint Elert die Existenzberechtigung der Theologie überhaupt zu sehen: „Theologische Fakultäten zum Zweck politisch-nationalistischer Schulung sind überflüssig – die wird von andern Organen besorgt. 64 65 66 67 68 69 70 71
W. Elert, Die Zukunft der W. Elert, Die Zukunft der W. Elert, Die Zukunft der W. Elert, Die Zukunft der W. Elert, KCH, 493. W. Elert, Die Zukunft der W. Elert, Die Zukunft der W. Elert, KCH, 493. Vgl. Fakultäten, 111.
evangelisch-theologischen evangelisch-theologischen evangelisch-theologischen evangelisch-theologischen
Fakultäten, Fakultäten, Fakultäten, Fakultäten,
108. 100. 108. 111.
evangelisch-theologischen Fakultäten, 111. evangelisch-theologischen Fakultäten, 110. ders., Die Zukunft der evangelisch-theologischen
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IV Ausblick
Zum Zweck ,reiner Wissenschaft‘ sind sie antiquiert. Für die politische Gewalt hat ihre Unterhaltung nur Sinn, wenn sie damit der Realität der Kirche im deutschen Volke Rechnung tragen kann.“72 2.5. Die Zweipoligkeit der Theologie zwischen Kirchlichkeit und Wissenschaftlichkeit Aus diesen Überlegungen heraus ergibt sich für Elert die Notwendigkeit der Begründung und Ausführung der Theologie in ihrer „Zweipoligkeit“ zwischen „Wissenschaftlichkeit“ und „Kirchlichkeit“.73 Dies allein sichert in Elerts Augen ihre Zukunft. Die Aufrechterhaltung dieser „Zweipoligkeit der Theologie“ ist freilich auch eines „ihrer Urprobleme“, das „schon bei den ältesten Alexandrinern fühlbar“ gewesen sei.74 Die Verbindung von Kirchlichkeit und Wissenschaftlichkeit der Theologie erweist sich nach Elert von personaler Art, weil sie im wissenschaftliche Theologie betreibenden Kirchenglied Gestalt gewinnt.75 „Die kirchliche Bindung des Theologen besteht darin, daß er sich wie jedes andere Glied der Kirche ihre Verkündigung sagen läßt und daß er jene Frage [nach dem zureichenden Grund der Kirchenlehre] nicht im Namen eines allgemeinen ,Wissenschaftsbegriffes‘, sondern als Glied der Kirche stellt und zu beantworten sucht“.76 Der „Wille zur Kirchlichkeit der Theologie“77 ist bei Elert somit Programm. Im Ausgang von dieser personalen wie sachlich-inhaltlichen Bindung betreibt die Theologie, freigehalten durch den seine Kultur- und Gesellschaftsverantwortung wahrnehmenden Staat, methodisch wie material ihre Wissenschaft 72 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 111. 73 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 107. Vgl. aaO, 107 f. 110 ff. 74 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 107. Vgl. aaO, 112. 75 Vgl. W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 103 f. Die Vermutung liegt nahe, daß bei Elert hierbei die Schleiermachersche „Idee des Kirchenfürsten“ im Hintergrund steht. Vgl. dazu F. Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums, § 9; vgl. aaO, § 329. 76 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 104. Vgl. aaO, 103 f. Vgl. dazu W. Elert, Reduktion, 427. 77 So Elert – zusammen mit O. Procksch – einleitend („Zum Geleit“) zum 2. Jahrgang (1926) der nach dem Tode von C. Girgensohn von O. Procksch und W. Elert herausgegebenen Zeitschrift „Christentum und Wissenschaft“.
2. Eine Frage der „Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten“
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selbständig – und zwar als eine Wissenschaft, deren Merkmale allein durch das „Urteil der Zunft“ festgelegt werden.78 Die Zukunft der Theologie als einer universitären Fakultät würde man deshalb in Elerts Augen verspielen, wenn man die Wissenschaftlichkeit der Theologie gegen ihre Kirchlichkeit oder umgekehrt „ausspielen“ wollte.79 Die Betonung der notwendigen Zweipoligkeit der Theologie zwischen Kirchlichkeit und Wissenschaftlichkeit bleibt also Elerts ceterum censeo. Die Problematik der Aufrechterhaltung einer solchen Zweipoligkeit färbt somit aber auch ab auf die alte apologetische Frage nach der kontingent zu bestimmenden Richtung der „Pendelbewegung“ zwischen „Synthese“ und „Diastase“80 – auf die Frage nach dem Verhältnis der Theologie zu Staat und Kirche, zu Gesellschaft und Christentum, nach dem Verhältnis der Theologie zwischen einer synthetisierenden Übernahme eines scheinbar allgemeingültigen Wissenschaftsbegriffs und einer diastasierenden Proklamation der Selbständigkeit der Theologie. Die Artikulation dieses „Urproblem[s]“ aller Theologie faßt Elert in einer Weise zusammen, die gleichsam ein Extrakt von „Der Kampf um das Christentum“ von 1921 darstellt:81 „Die Geschichte der protestantischen Theologie im 19. Jahrhundert erhielt ihr methodologisches Thema durch Schleiermachers ,Kurze Darstellung des theologischen Studiums‘ (1811). Sie war bestimmt durch die Merkmale der Kirchlichkeit und der Wissenschaftlichkeit, die Schleiermacher von jeder Theologie verlangt, und durch den Versuch, beide zueinander ins Verhältnis zu setzen. Vilmar, der auf das Prädikat der Wissenschaftlichkeit der Theologie in Schleiermachers Sinne zugunsten ihrer Kirchlichkeit am liebsten überhaupt verzichten wollte, und Overbeck, dem die Unvereinbarkeit von beidem als Ergebnis aller Theologiegeschichte erschien, sind hier nur die Extreme, zwischen denen sich alle übrigen in der Richtung auf- und absteigender Kurven zugunsten des einen oder des andern Merkmals bewegen. Diese Zweipoligkeit der Theologie ist zwar eines ihrer Urprobleme […]. Aber bis ins 17. Jahrhundert hinein war sie doch hinsichtlich ihrer ,Wissenschaftlichkeit‘ genau genommen niemand anders verantwortlich 78 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 108. Vgl. aaO, 112. Erinnert sei an Elerts Forderung von 1921 nach der „Selbständigkeit der Theologie als Wissenschaft“ (KCH, 490; vgl. aaO, 490 ff.). 79 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 110. 80 W. Elert, KCH, 3 f. Vgl. dazu ausführlich oben S. 233 ff. 81 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 107.
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als sich selbst. Man kann sich eher vorstellen, daß sich noch im 17. Jahrhundert der Mediziner oder der Naturwissenschaftler über das Wesen der ,Wissenschaft‘ bei dem Theologen Rat geholt hätte, als umgekehrt. Zu Schleiermachers Zeit aber hat sich das Verhältnis, wie man an seinem zweiten Sendschreiben an Lücke deutlich erkennen kann, völlig verändert. Mit dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit unterwirft sich die Theologie nunmehr einer Instanz, die außerhalb ihrer selbst liegt, bei deren Entscheidungen sie selbst günstigstenfalls mit beratender Stimme zugelassen ist. Aus dieser Kollision beider Motive, des kirchlichen und des wissenschaftlichen, lassen sich sämtliche Konflikte innerhalb der Theologie des letzten Jahrhunderts, sämtliche Richtungs- und Schulgegensätze herleiten, angefangen vom Streit Tholucks mit der Familie Fritzsche […] bis zu den Schulbildungen der Neukantianer, den Hohlwegen der Religionsgeschichtler und den Holzwegen der Religionspsychologen. Hat die Theologie gefehlt, indem sie sich von artfremden Motiven bestimmen ließ, so war dafür nicht ihre ,Abhängigkeit vom Staat‘ bestimmend, sondern ihr Anliegen, sich als ,moderne Wissenschaft‘ zu behaupten“82. Auch wenn Elert 1935 der Meinung ist, daß man sich „das nicht erst durch Schleiermacher sagen zu lassen“ braucht, daß die Zukunft der Theologie in der Aufrechterhaltung ihrer Zweipoligkeit zwischen Wissenschaftlichkeit und Kirchlichkeit liegt,83 ist es Elerts deutliches Bekenntnis, daß die Theologie im Anschluß an Schleiermacher nur als eine „positive Wissenschaft“, nämlich durch das Bewußtsein ihrer Verantwortung einer konkreten Religionsgesellschaft gegenüber ihre Selbständigkeit aufrechterhalten wird.84 Daraus zieht Elert die Schlußfolgerung, die Zukunft der Theologie als universitärer Wissenschaft hänge an der Gegenwartswirklichkeit der Kirche in der Gesellschaft und an der positiven Bezogenheit der Theologie, an ihrem Willen zur Bindung an diese real existierende 82 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 107 f. 83 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 98. 84 Zu Schleiermachers Bestimmung der Theologie als einer „positiven Wissenschaft“: F. Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums, § 1. Vgl. aaO, §§ 28. 32. Zu Elerts Schleiermacherdarstellung – insbesondere – in Bezug auf dessen Enzyklopädie: W. Elert, KCH, 62 ff. Zu Schleiermachers Enzyklopädie: H. Fischer, Art. Schleiermacher, Friedrich, TRE 30 (1999), (143 – 189) 160 ff. 181 ff. (Lit.). Allgemein zur enzyklopädischen Frage in der Theologie: G. Hummel, Art. Enzyklopädie, TRE 9 (1982), 716 – 742; zu Schleiermacher v. a. aaO, 732 f.
3. Konfessionelle Theologie als „Schicksalsfrage“
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Kirche. Ohne diesen Bezug erlischt in Elerts Augen das gesellschaftliche wie staatliche Interesse an der Unterhaltung einer theologischen Fakultät an Universitäten. Deshalb gilt Elert die Anerkennung der kirchlichen Verantwortung und Rückbindung der Theologie an ,ihre‘ Kirche als die „Schicksalsfrage“ schlechthin, die über die „Zukunft der evangelisch theologischen Fakultäten“ entscheiden wird.85
3. Konfessionelle Theologie als „Schicksalsfrage“ Aus diesem Grund ist es verständlich, warum Elert nach 1923, wie manche meinten, „er selbst“ wird86 und warum er bestrebt war, eine Theologie zu betreiben, deren Bezug auf eine konkrete Religionsgesellschaft87 nachvollziehbar ist. Da solche Religionsgesellschaften nur in Form geschichtlich ausgeformter Konfessionen vorliegen, kann eine entsprechende Theologie in Elerts Augen lediglich konfessionelle Theologie sein. Der Konfessionalismus des später als „Erlanger Erzlutheraner[s]“88 Wahrgenommenen ist also eine spezifische Form der Antwort auf die durch die Situation der Weltanschauungspluralität im Horizont der Weimarer Reichsverfassung gestellte apologetische Frage. Elerts nach 1923 anhebende Art, Theologie als eine positive, eben konfessionell ausgerichtete Wissenschaft zu betreiben, ist demnach zunächst eine wissenschaftssystematische Entscheidung, die der verfassungsrechtlich sanktionierten pluralen gesellschaftlichen Situation in pragmatischer Weise entsprechen will.89 85 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 112. 86 W. Trillhaas, Konservative Theologie und moderne Welt, 37. 87 Der Begriff der Religionsgesellschaft wird auch im Folgenden verwendet werden, weil er zum einen dem Wortlaut der Weimarer Reichsverfassung entspricht und weil er zum anderen geeignet ist, die staatliche bzw. gesellschaftliche Außenperspektive wiederzugeben, die hierbei in den Blick kommt, die aber keinesfalls deckungsgleich sein kann mit der Innenperspektive des Christen auf seine Kirche. Zur terminologischen Unterscheidung von Religionsgesellschaft und Religionsgemeinschaft – auch in Bezug auf ihre Verwendung in Verfassungstexten: J. Mehlhausen, Art. Religionsgesellschaften, TRE 28 (1997), 624 – 631. 88 So die Titulierung Elerts von H. Thielicke (Zu Gast auf einem schönen Stern. Erinnerungen, Hamburg, 1984, 86); s. schon oben S. 41 f. Anm. 140. 89 Dies ist der Grund für Elerts späteren Konfessionalismus, der zunächst zu greifen ist. Mit der Angabe dieses Grundes ist freilich nicht in Abrede gestellt, daß im Laufe der 20er und 30er Jahre weitere – teilweise völlig andere –
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Daß Elert bewußt in dieser Art auf die neue Situation eingeht, zeigt sich nicht nur im Rückblick von der expliziten Auseinandersetzung mit ihr in dem Aufsatz von 1935, in der er der Frage nach der „Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten“ nachgeht. Es zeigt sich vielmehr bereits in den Themen, die Elert im Lauf der 20er Jahre – sicherlich auch als Folge seiner 1923 angetretenen Erlanger Professur und seines Eindrucks von den nationalen wie internationalen kirchlichen Einigungsbemühungen – bearbeiten wird und die nahezu ausschließlich um Theologie, Bekenntnis und Geschichte Luthers bzw. des Luthertums kreisen und somit bestrebt sind, Theologie in einer erkennbaren Bezogenheit auf eine bestimmte Religionsgesellschaft zu betreiben.90 Die Gründe hinzutraten. Neben den Einigungsbestrebungen der – lutherischen – Kirchen in den 20er Jahren (vgl. dazu unten S. 332 f. Anm. 90) ist vor allem – wenn man es so formulieren kann – Elerts persönlich bedingte problematische Wahrnehmung des Nationalsozialismus und in diesem Horizont die – konfessionell verzeichnet geführte – Auseinandersetzung um Barth und Barmen zu nennen: Die Möglichkeit der Konstituierung einer – lutherischen – Reichskirche rückte für den Altlutheraner Elert in den Horizont einer Art Satisfaktion für die preußische Zwangs-Union im 19. Jahrhundert und den daraus resultierenden faktischen Bedeutungsverlust der lutherischen Kirche. Vgl. dazu oben S. 31 f. Kritisch zur Problematik und Aporetik einer konfessionellen und damit auch positionellen Theologie gerade in der Situation des Pluralismus: D. Rössler, Positionelle und kritische Theologie, ZThK 67 (1970), (215 – 231) 225 ff. 90 Ein Blick in Elerts Bibliographie läßt dieses Phänomen deutlich werden (vgl. H. Wagner, 412 ff.). Vgl. dazu oben S. 286 Anm. 727. Hingewiesen sei auf folgende Veröffentlichungen Elerts: Lehre des Luthertums im Abriss (1924); Angst und Einsamkeit in der Geschichte des Luthertums, in: JELLB 20 (1925), 6 – 16; Das Luthertum und die Nationen, in: AELKZ 58 (1925), 596 – 602. 618 – 623. 635 – 639; Luthers Bedeutung für die Welt, in: Schule und Evangelium, 1 (1926/1927), Stuttgart, 173 – 178. 200 – 204; Die Ehe im Luthertum, in: CuW 3 (1927), 185 – 198. 233 – 246. 305 – 313; Wirkungen der lutherischen Abendmahlslehre in der Geschichte der Weltanschauung, in: AELKZ 60 (1927), 746 – 752. 770 – 773. 794 – 798. Zu Elerts Berufung nach Erlangen vgl. oben S. 9 f. Die innerprotestantischen Einigungsbemühungen in Deutschland hatten in der Gründung des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes 1922 in Eisenach einen gewissen Erfolg zu verzeichnen. Auch die internationale Kooperation nahm im Lauf der 20er Jahre im Zusammenhang mit der ökumenischen Bewegung deutlich zu. Unter maßgeblichem Einfluß von Nathan Söderblom konnte 1925 die Stockholmer Weltkonferenz für Praktisches Christentum (Life and Work) abgehalten werden. Nachdem die – schwierig zu erörternden – dogmatischen Fragen so zunächst ausgeklammert worden waren, entstand ein zweiter Zug der Ökumene, in dem auch die theologische Verständigung gesucht wurde: So konnte nach langen Vorplanungen 1927 in Lausanne die Weltkonferenz über Glaube und Kirchenverfassung (Faith and
3. Konfessionelle Theologie als „Schicksalsfrage“
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Tendenz Elerts, diese Bezogenheit der Theologie erkennbar werden zu lassen, zeigt sich deutlich 1924 mit dem Erscheinen seiner „Lehre des Luthertums im Abriss“, die bekanntermaßen als erste wichtige Veröffentlichung von Elerts „konfessionell-lutherische[r] Theologie“ benannt wird,91 noch deutlicher mit dem Erscheinen der zweiten Auflage 1926.92 In dieser Veröffentlichung spart Elert auch nicht mit KonfesOrder) stattfinden, bei der Elert eine Rede hielt: „Ruf zur Einheit. Rede in Lausanne“, veröffentlicht in: AELKZ 60 (1927), 725 – 728. Vgl. dazu: W. Elert, Das Kirchenkonzil in Lausanne. Rede beim Antritt des Rektorats am 4. 11. 1927, Erlanger Rektoratsreden 1928, in: Zeitwende 4 (1928), 57 – 71; zum Lausanner Konzil und Elerts Teilnahme: F. Hübner, Das Konzil als Leitbild für ökumenische Konferenzen, in: ders. u. a. (Hgg.), Gedenkschrift für D. Werner Elert. Beiträge zur historischen und systematischen Theologie, Berlin, 1955, (387 – 399) 387 f. Parallel zu den genannten nationalen wie internationalen Einigungsbemühungen fand 1923 in Eisenach der erste Lutherische Weltkonvent – unter maßgeblicher Beteiligung des von Elert hochgeschätzten Ludwig Ihmels (vgl. dazu v. a. W. Elert, KCH, 443 ff. 463 f.), dem Vorsitzenden des lutherischen Einigungswerkes – statt; das war, wenn man so will, ein „konfessioneller Sonderweg“ in der ökumenischen Bewegung (W. D. Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte, Bd. 2, 846): Bei dieser „Gelegenheit“ hielt Elert einen Vortrag vor „Vertretern aller lutherischen Kirchen der Erde“: einen Vortrag, den Elert im Rückblick von 1927 als „Höhepunkt“ seines „Daseins“ qualifizierte (W. Elert, Goldenes Buch, 237). Durch diesen Vortrag, der dann 1924 in Elerts „Lehre des Luthertums im Abriss“ mündete, gewann Elert durchaus eine gewisse internationale Bekanntheit (vgl. aaO; vgl. die Vorrede aus ders., LLA1, (VII–XII) VII). Zu den aufgezeigten Entwicklungen und Ereignissen: R. Frieling, Art. Ökumene, TRE 25 (1995), 46 – 77 (Lit); W. D. Hauschild, Kirchen- und Dogmengeschichte, Bd. 2, 833 ff. 841 ff.; ders., Art. Evangelische Kirche in Deutschland, TRE 10 (1982), 656 – 677; K. Schmidt-Clausen, Vom Lutherischen Weltkonvent zum Lutherischen Weltbund. Geschichte des Lutherischen Weltkonventes (1923 – 1947), LKGG 2, Gütersloh, 1976. 91 R. Hauber, Werner Elert, 122. Vgl. dazu oben S. 14 Anm. 44 und S. 167 f. 92 In dieser Schrift unternimmt Elert den „Versuch, die Lehre des Luthertums so zu formulieren, daß sie im 20. Jahrhundert verständlich ist“ (G. Müller, Geleitwort, in: W. Elert, Die Lehre des Luthertums im Abriss, München, 19262, Nachdruck der 2. Auflage, Erlangen, 1978, (VI–VIII) VIII). Dieser am Menschen der Gegenwart orientierte Versuch Elerts stieß zum Teil auf heftige Kritik: Die „Lehre“ sei gar nicht so lutherisch, wie es der Titel ankündige, vielmehr sei Elert – so der Vorwurf u. a. von E. Hirsch – „nicht nur mit Luther selbst, sondern auch mit dem Luthertum in Widerspruch“ geraten (LLA, 149; vgl. aaO, 149 – 158). Vgl. dazu die Rezension von E. Hirsch (Rez. Elert, Werner, Die Lehre des Luthertums im Abriß, ThLZ 49 (1924), 548 – 550). In der zweiten Auflage von 1926, die – wie ein Rezensent meinte – „das genuin Lutherische“ stärker erkennbar werden lasse (W. Laible, Rez. Werner Elert, Die Lehre des Luthertums im Abriss, AELKZ 59 (1926), (1188 – 1189) 1189),
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IV Ausblick
ACHTUNGREsionspolemik, sondern möchte mit „aller Schärfe“ zum Ausdruck gebracht haben, „wie weit wir uns von jenem andern Typus des Protestantismus geschieden wissen, der die allgemeine Kultur der ,Königsherrschaft Jesu‘ unterwerfen will. Angesichts jenes Wortes Christi vor seinem Richter über die Sphäre seines Reiches halten wir es für eine
bietet Elert deshalb eine durchgängige Unterfütterung des Textes mit Lutherzitaten und einer – erweiterten und an den Anfang des Ganzen gesetzten – Zuordnung der Abschnitte zur orthodoxen Lokalmethode (vgl. LLA, XIIIf.: „conspectus locorum theologicorum antiquitus acceptorum usibus traditionem amantium accomodatus“). In einem beigefügten „Anhang. Über Sinn und Methode“ (LLA, 103 – 158) setzt er sich mit der Kritik auseinander, um zu zeigen, daß sein Werk sehr wohl „auf dem Boden des Luthertums gewachsen“ (aaO, 158) sei, ohne das Ziel der Gegenwartsverortung preiszugeben: „Den Anspruch, eine Repristination der alten Dogmatik zu geben, erhebt der Abriß nicht. Denn das hieße das Luthertum für eine tote Sache zu erklären. Er will vielmehr bezeugen, daß es eine lebendige Macht ist, diejenige Form des Christentums, in der gerade uns der lebendige Geist des Herrn der Kirche ergriffen hat und in der er auch in unserm Zeitalter seinen lebendigen Ausdruck sucht“ (aaO, 158). Vgl. dazu auch ders., Zu den Waffen!, 525. Durch einen weiteren Anhang („Dogmatik und Dogma“, LLA, 105 – 119) versucht Elert „das Band zwischen Unmittelbarkeit und Kirchlichkeit der dogmatischen Arbeit“ aufzuzeigen (LLA, XII), mit anderen Worten den Bezug der Theologie als Wissenschaft auf das subjektive Transzendenzerleben des Einzelnen wie auch auf die Religionsgesellschaft zu unterstreichen. Die Sekundärliteratur nimmt bei Elert ab 1924 deutlich zu; verwiesen sei zu dieser Schrift deshalb nur auf die ausführliche Darstellung von A. v. Scheliha, Glaube, 315 – 330; insbesondere zum Verhältnis von Theologie und Christentum aaO, 317 f. Den oben genannten Vorwurf, in Widerspruch zu Luther und dem Luthertum geraten zu sein, greift Elert später abermals in seiner „Morphologie“ auf und wendet ihn gegen seine Kritiker: Nach Elert gibt es dann „zwei Arten von Luthertum“, ein an der „Professorentheologie“, und ein an den Bekenntnissen orientiertes Luthertum (ML I, 7): E. Hirsch wird eines rein an der Person Luthers interessierten „Heiligenkult]es]“ bezichtigt, der die Theologie Luthers, womöglich noch die des „jungen“ Luther über die lutherischen Schriften, die Eingang in die lutherischen Bekenntnisschriften gefunden haben, stellt und in einer bedenkenlosen Schlichtheit das „Vorreformatorische vom Reformatorischen zu unterscheiden“ zu können glaubt (W. Elert, Luthergeist und Lutherisches Bekenntnis, 304 f.). K. Holl wird für seine Vorliebe für den „jungen“ Luther, bei dem noch alle Interpretationsmöglichkeiten offenstehen und den er dann „je nach Bedarf verwendet“, kritisiert und dafür gebrandmarkt, daß er als Interpret „diktatorisch [entscheidet], was reformatorisch ist und was nicht“ und auf diese Weise seine These, Calvin sei der „treuester Schüler“ Luthers, unter Wahrung der „Einheitsfront des Protestantismus“ erhärten kann (ML I, 7).
3. Konfessionelle Theologie als „Schicksalsfrage“
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Blasphemie, ihn zum Gesetzgeber für Staat und Wirtschaft zu proklamieren“.93 Dennoch ruft Elert bereits 1923 in einer kleinen Veröffentlichung, in der sein Bemühen um eine bewußt erkennbare konfessionelle Theologie offen hervortritt, „Zu den Waffen!“.94 Die gegenwärtige Situation mahne nachdrücklich, „darüber nachzudenken, welches eigentlich die konstituierenden und bleibenden Elemente des Luthertums sind“.95 Die „Selbsterfassung des Luthertums“ gilt ihm deshalb als die „lebenswichtige Aufgabe“, die – wobei neben die apologetische Aufgabe der Propaganda eben auch die Polemik tritt – allerdings „nicht ohne gewisse Negation gelöst werden kann“: „Wer erkennen will, was das Luthertum ist, muß auch den Mut finden, zu sagen, was es nicht ist“.96 Diese Art von ,Konfessionspolemik‘ und ,Konfessionspropaganda‘ trägt Elert den „Sprechern der evangelischen Christenheit“, also den Apologeten als apologetische Aufgabe an.97 Theologie als eine konfessionsbezogene Wissenschaft zu betreiben gilt Elert somit nicht nur als „Schicksalsfrage“ der „Zukunft“ der Theologie,98 sondern auch als Schicksal in der pluralen Situation Anfang der 20er Jahre selbst: „Luthertum ist für uns diejenige Form des Christentums, in der wir Heutigen uns beim Erwachen unseres kirchlichen Denkens vorgefunden haben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir haben es nicht geschaffen, und wir werden die konfessionelle Differenzierung auch nicht aus der Welt schaffen. Wir können sie bedauern, aber nicht leugnen. Folglich müssen wir sie bejahen und auf die Stimmen unseres Blutes 93 W. Elert, LLA1, XI. 94 Erschienen in: AELKZ 56 (1923), 524 – 526. Diese Veröffentlichung steht ebenso wie die ein Jahr später erscheinende „Lehre des Luthertums im Abriss“ unter dem unmittelbaren Eindruck der beginnenden Einigungsbestrebungen lutherischer Kirchen nach dem Ersten Weltkrieg, in denen Elert die Möglichkeit eines „weltumspannenden Umkreis[es] einer an keine territorialen Grenzen gebundenen Glaubensgenossenschaft“ gegeben sah (LLA1, VII). Vgl. dazu oben S. 332 f. Anm. 90. 95 W. Elert, Zu den Waffen!, 524. 96 W. Elert, Zu den Waffen!, 524. Zu Propaganda und Polemik als den zwei Seiten der Apologetik vgl. W. Elert, KCH, 496; dazu oben S. 275 ff. 97 W. Elert, Zu den Waffen!, 525. Zur synonymen Verwendung von „Sprechern der Christenheit“ und Apologeten vgl. oben S. 167 Anm. 36. Im Vorwort zum Neudruck der Morphologie 1952 stimmte Elert – nicht ohne Stolz – den Kritikern seiner „Morphologie“ zu, „die ganze Morphologie“ sei „eine einzige Polemik gegen andere Konfessionen“ (ML II, VI). 98 W. Elert, Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten, 112.
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und unseres Schicksals horchen, um zu wissen, wohin wir gehören. Dem Baumzüchter kann die überreiche Verästelung eines Baumes mißfallen. Dann mag er einzelne Zweige herausnehmen und ins Feuer werfen. Aber er kann keine Gabelung wieder rückgängig machen. Und so kann man nach berühmtem Muster an der Halsstarrigkeit des frühen Luthertums, durch die die Bildung eines ,Gesamtprotestantismus‘ verhindert wurde, zwar Kritik üben und man kann auch nach dem Vorbilde jenes Baumzüchters das Messer ansetzen, um den ganzen lutherischen Zweig der Christenheit auszuschneiden und in den Orkus zu schleudern […], aber man kann auch die innerprotestantischen Gabelungen nie wieder rückgängig machen. Folglich werden wir der gegenwärtigen Ueberflutung mit sektiererischen Elementen, die auf einem anderen Ast gewachsen sind, nicht dadurch Herr werden, daß wir ihnen eine scheinbar weitherzige und großzügige, in Wirklichkeit geschichtslose und darum wurzellose allgemeine Christenheit entgegensetzen, sondern nur durch die harte und selbstbewußte Betonung unserer konfessionellen Eigenart. Anderenfalls wird der schon jetzt nur noch aus Haut und Knochen bestehende Körper mancher evangelischer Kirchen von diesen Bakterien vollends skelettiert werden, so daß außer den Konsistorien und den gottesdienstlichen Gebäuden nichts mehr davon übrig bleibt“; dies ist der Ort, „wo, mit Kierkegaard zu reden, die Wahrheit polemisch werden muß“.99 Gerade in den Zeiten der 20er Jahre, in die neben die Frage des Umgangs mit der Weltanschauungspluralität auch die Fragen der kirchlichen Verfassung und der kirchlichen Einigungsbemühungen traten, betont Elert die Notwendigkeit einer erkennbar konfessionell ausgerichteten Theologie und in Wechselwirkung dazu die „Notwendigkeit einer beständigen Selbstkontrolle unserer Kirchen, ob sie noch mit sich selbst identisch sind“, eine Notwendigkeit, „der alle Kirchen unterworfen sind“.100 Ökumenische Fortschritte lassen sich für Elert so 99 W. Elert, Zu den Waffen!, 525. 100 W. Elert, Das Erstarrungsgesetz des Protestantismus, 84 f. Dieser Aufsatz wurde veröffentlicht in: NKZ 36 (1925), 895 – 915. Besonders dieser Aufsatz zeigt den Prozeß zur Ausbildung stärkeren konfessionellen Zuschnitts von Elerts theologischer Arbeit. Er nimmt in großen Teilen bereits die Grundlegung der „Morphologie“ samt ihrer fundamentalen Unterscheidung von dynamis und morphe sowie der Annahme eines „Schwächerwerdens und Wiedererstarkens der konfessionellen Dynamik“ vorweg (ML I, 9; vgl. aaO, 1 ff.): Der „Geist“ einer jeden Konfession verschafft sich geschichtlichen Ausdruck in verschiedener „Form“ (Erstarrungsgesetz, 82 f.). Der Geist „schafft sich“ somit „in-
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auch nur zwischen Kirchen, die sich ihrer konfessionellen Identität bewußt sind, erzielen: „Man hat der Kirche der deutschen Reformation mit Vorliebe Unduldsamkeit, konfessionelle Engherzigkeit vorgeworfen, weil sie in Fragen überkonfessioneller Einigungen zurückhaltender war als andere […], die dem Luthertum fortwährend auf der Brust knien und ihm beständig die Pflicht zur Einigung um jeden Preis ins Gehirn trommeln“.101 In dieser Perspektive bleibt Elert der Überzeugung, „daß gerade Theologen, die noch lutherische Knochen im Leibe hatten, mehr Verständnis für andere Arten von Christentum aufgebracht haben als gewisse Vereinigungsfanatiker. Alle Bereitwilligkeit also objektiv zu sein und jedem der großen Typen der Christenheit sein relatives Recht im kirchlichen Geschehen und seine besondere Sendung zuzuerkennen, kann uns doch nicht veranlassen, gerade unseren eigenen Typus hiervon auszunehmen. Auch das Luthertum wird seine Mission […] nur erfüllen, wenn es eben Luthertum bleibt“.102 Gerade in der ökumenischen Begegnung erblickt Elert das Erstarken des „Bewußtsein[s]“, daß „die konfessionelle Frage keine bloße Namensfrage ist“, sondern eine Frage der jeweiligen „Selbstidentität“.103 Im Blick auf die Entwicklung vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart hebt Elert als „entscheidende[n] Grund“ für den Verlust dieser „Selbstidentität“ hervor, daß „durch die Arbeit von Theologie und Kirche in weiten nerweltlichen, innergeschichtlichen Ausdruck“ (Erstarrungsgesetz, 82), und zwar „bis in die äußerlichsten Äußerlichkeiten hinein“ (aaO, 83). Dabei gilt es „die gestaltende Energie“ nicht „mit der erzeugten Gestalt“ zu verwechseln (aaO, 82). Durch die unterschiedliche Prägekraft dieser Dynamik in „der Geschichte unserer Kirchen“ kommt es zu einer „Wellenbewegung“, zu einem „Auf und Ab zwischen enthusiastisch-revolutionären, konservierenden und konservativen Epochen“ (aaO, 83). Zum Begriff der Morphologie vgl. R. Piepmeier, Art. Morphologie, HWP 6 (1984), 200 – 205. Vgl. dazu auch: H. J. Cloeren, Art. Kulturzyklus, HWP 4 (1976), 1350 – 1357. 101 W. Elert, Das Erstarrungsgesetz des Protestantismus, 85. 102 W. Elert, Das Erstarrungsgesetz des Protestantismus, 85. 103 W. Elert, Das Erstarrungsgesetz des Protestantismus, 85. Gerade die Betonung der jeweiligen konfessionellen Eigentümlichkeiten erscheint für Elert der einzig gangbare Weg in ökumenischen Angelegenheiten; vgl. dazu auch W. Elert, Der Ruf zur Einheit, 725 – 728; ders., Die Augustana und der Gedanke der christlichen Solidarität. Rede bei der Augustana-Feier der Theologischen Fakultät Erlangen, Erlanger Universitätsreden 10, Erlangen, 1931, 3 – 16. Aber auch ders., Memorandum für den Oekumenischen Ausschuß zu den Verhandlungen über die Frage der offenen Kommunion, in: Koinonia. Arbeiten des Oekumenischen Ausschusses der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands zur Frage der Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft, hg. v. Lutherischem Kirchenamt der VELKD, Berlin, 1957, (141 – 143) 143.
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Gebieten Deutschlands systematisch auf die Nivellierung der konfessionellen Eigentümlichkeiten hingearbeitet wurde“.104 Demgegenüber gilt es in der gegenwärtigen „eruptiven Epoche, die wir gerade durchleben“, erneut darauf zu achten, daß „jedes echte Christentum charakteristische, d. h. konfessionelle Form“ hat.105 „Wo es diese Form aufgibt, verliert es eben seinen Charakter. Es wird charakterlos, ein Rohr im Winde, das jeder Überfremdung wehrlos preisgegeben ist“.106 Daraus zieht Elert die Schlußfolgerung: Die „Zersplitterung der Christenheit beruht nicht auf einem Mangel an Liebe, sondern auf der Uneinigkeit im Glauben. Die Uneinigkeit im Glauben ist aber immer noch besser als Glaubenslosigkeit. Denn wo kein Glaube ist, kann auch keine christliche Liebe mehr da sein“.107 Auf den ersten Blick könnte Elerts Arbeit als ein Beitrag zur Überwindung der Modernisierungskrise der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg verstanden werden, der in Form eines Refundamentalisierungsversuchs in antiliberaler und pluralitätskritischer Haltung auf der Suche nach neuer Einheitlichkeit deutscher Nachkriegskultur verharrt, indem er sich in den scheinbar heilen konfessionellen Binnenraum zurückzieht.108 Wie gezeigt worden ist, handelt es sich bei Elert jedoch keineswegs um einen Rückzug in konfessionelle Bahnen des Denkens, sondern um einen bewußt der neuen Situation angepaßten erstmaligen Schritt zur erkennbar konfessionell zu betreibenden Theologie. Mithin läßt sich Elerts Konfessionalismus am Anfang der 20er Jahre nicht als einen durch das Phänomen der Verunsicherung durch die Moderne herbeigeführten – pluralitätsflüchtigen – Refundamentalisierungsversuch deuten, sondern primär als einen Akkomodationsversuch, der sich zwar durchaus als Reaktion auf die vorliegende plurale Situation präsentiert, zugleich aber auch in seinem Selbstverständnis bewußt wie konstruktiv auf die plurale Situation eingehen möchte.109 104 105 106 107 108 109
W. Elert, Das Erstarrungsgesetz des Protestantismus, 86. W. Elert, Das Erstarrungsgesetz des Protestantismus, 86 f. W. Elert, Das Erstarrungsgesetz des Protestantismus, 86. W. Elert, Das Erstarrungsgesetz des Protestantismus, 87. Vgl. K. Tanner, Art. Kultur. B. Systematisch, in: WBC, (700 – 702) 701. Auffallend ist, daß die bei Elert sich mittelfristig abzeichnende Tendenz zur Konfessionalisierung seines Denkens schlecht unter die Rubrik einer durch die Verunsicherung von Christentum und Theologie ausgelösten Refundamentaliserungstendenz eingetragen werden kann. In dem Sinne, daß auch Elerts Arbeit auf die Wiedergewinnung einer abhanden gekommenen tragfähigen Grundlage ausgerichtet ist, liegt freilich eine formale Nähe zur Refundamen-
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Auch wenn Elert, wie seine Zeitdiagnose verrät, der Pluralität gegenüber kritisch eingestellt bleibt, zeigt sich in seinem apologetischen Umgang mit ihr eine faktische Anerkennung der Situation. In Elerts apologetischer Arbeit handelt es sich wohl kaum um einen „Pluralismus aus Prinzip“110, wohl aber um einen ,Konfessionalismus aus Prinzip‘ und zwar aus dem Prinzip heraus, daß in der gegenwärtigen rechtlichen wie gesellschaftlichen Situation Theologie nur als konfessionelle betrieben werden kann. Mit anderen Worten: Das Prinzip ist nicht der Konfessionalismus als solcher, sondern die darin wirksame Intention, gerade in talisierung. Auffallend ist jedoch die Intention von Elerts konfessioneller Theologie, deren Charakter eben, wie er selber anmahnt, nicht in einer „archaistische[n] Dogmatik“, in einer „brutale[n] Askese“ oder in einer „möglichst weitgehende[n] Verengerung der kirchlichen Organisation“ bestehen (KCH, 490), sondern nur darin liegen kann, das zu tun, was „jede“ Gruppierung in der pluralen Situation „zu erfüllen sucht“, nämlich die eigenen Einstellungen und Interessen im pluralen Diskurs zur Geltung zu bringen (KCH, 496). Grund und Charakter von Elerts Forderung einer erkennbar konfessionell ausgerichteten Theologie ergeben sich somit aus der im Pathos des Transzendenzerlebnisses verbrieften „qualitativen Selbständigkeit des Christentums“ (KCH, 7) in ihrer spezifischen Intensität (vgl. dazu oben u. a. S. 286 ff.), die in der gegenwärtigen pluralen Situation von Gesellschaft und Wissenschaft, in der die alten volksbzw. staatskirchlichen Selbstverständlichkeiten eben nicht mehr selbstverständlich sind, in den pluralen Diskurs einzubringen ist und gerade in ihrer erkennbaren Konfessionalität den diesbezüglichen Regelungen der Weimarer Reichsverfassung entspricht. 110 Vgl. E. Herms, Pluralismus aus Prinzip, (1991), in: ders., Kirche für die Welt. Lage und Aufgabe der evangelischen Kirche im vereinigten Deutschland, Tübingen, 1995, 467 – 485. besonders 481 ff. AaO, 480 f. beschreibt E. Herms diesen „Pluralismus aus Prinzip“ in Bezug auf die Theologie: „Farbig, bedeutungsvoll, begeisternd und ethisch-orientierend können religiöse beziehungsweise weltanschauliche Überzeugungen und Visionen nur sein, solange sie sich auf zusammenhängende Konturen und Umrisse beziehen, deren Gestalt und Bedeutung geahnt und vom eindringenden Blick in zuverlässiger Klarheit erfaßt werden. Diese Bedingung erfüllt nur ein Pluralismus aus Prinzip“, der „sein Fundament in einer weltanschaulich-religiösen Gewißheit“ hat, „in deren Inhalt zweierlei zugleich durchschaut ist: die Unverfügbarkeit jeder weltanschaulich-religiösen Gewißheit und ihre Öffentlichkeitsrelevanz“. Solchermaßen pluralitätsfähige Religionen und Weltanschauungen erhalten den durch ihre eigene Existenz wie Eigentümlichkeit mit hervorgerufenen pluralen Charakter des gesellschaftlichen Gesamtsystems „durch nichts anderes als [durch] ihre eigene inhaltliche Bestimmtheit“ (aaO, 484). Die Nähe Elerts zu dem von E. Herms beschriebenen „Pluralismus aus Prinzip“ zeigt sich jedoch v. a. auch in der apologetischen Abzweckung seiner Erlebnistheologie und in seiner wissenschaftssystematischen Verortung der Theologie in ihrer erkennbaren Bezogenheit auf eine Religionsgesellschaft.
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einer pluralen Situation weiterhin die Sache des Christentums auch im Rahmen einer pluralisierten Wissenschaftslandschaft so zur Geltung bringen zu können, daß man sie – und darin schwingt die apologetische Ambition Elerts weiterhin mit – „allen Menschen zugänglich“ machen kann.111 In dieser Perspektive wird nachvollziehbar, woher der Impetus rührt, mit dem Elert konfessionelle Theologie einfordert, woher die Emphase stammt, mit der er – in einer für die Theologiegeschichte des 20. Jahrhunderts auffälligen Weise – das Bekenntnis des „Wille[ns] zur Kirchlichkeit der Theologie“ ablegte.112 Somit ist es denkbar, daß Elerts Überzeugung von der notwendig konfessionell zu treibenden Theologie im Zusammenhang steht mit den „neuen Erkenntnissen“, die ihn nach eigenen Aussagen weg von der bisherigen Beschäftigung mit der Apologetik in eine „andere Richtung“ wiesen113 – in die Richtung einer konfessionell konzentrierten Beschäftigung mit kirchengeschichtlichen, dogmatischen und ethischen Fragestellungen, nämlich in die Richtung, durch die er als ,Lutheranissimus‘ bekannt geworden ist, einer Richtung aber, die auf das apologetische Grundanliegen aller Theologie niemals verzichtet hat.114 111 W. Elert, KCH, 496. 112 W. Elert / O. Procksch, Zum Geleit, in: CuW 2 (1926). Vgl. oben S. 328 Anm. 77. 113 W. Elert, Goldenes Buch, 237. 114 An diesem Punkt hat Elert Teil an dem theologiegeschichtlichen Phänomen, daß die Apologetik nach dem Ersten Weltkrieg als eigenständige Disziplin entweder ganz aufgegeben wird oder aber – in Reaktion und Kompensation der theologischen Reduktion in der Dialektischen Theologie – in veränderter Form weitergeführt wird; die Apologetik wird als Teil der Dogmatik in der deutlichen Zunahme des Umfangs ihrer ‘Vorfragen’, als implizite Leitfrage der dogmatischen Gesamtanlage integriert oder auch in anderer Begrifflichkeit weitergeführt. So meidet E. Brunner den Begriff der Apologetik und formuliert unter dem Namen der „Eristik“ bereits 1929 „die andere Aufgabe der Theologie“ mit dem Ziel, „dem Menschen seine eigene Frage nach Gott verstehen zu lernen“: E. Brunner, Die andere Aufgabe der Theologie, in: ZZ 7 (1929), 255 – 276. Zu Brunners apologetischem Neuansatz vgl. umfassend: M. Roth, Gott im Widerspruch. Möglichkeiten und Grenzen der theologischen Apologetik, TBT 117, Berlin, 2002, 463 – 547. AaO, 548 – 565 unternimmt Roth eine „Reformulierung des Konzeptes Brunner“ mit dem Ziel einer eigenen Aufgabenbestimmung der Apologetik. Bultmanns „Vorverständnis“, Brunners „Anknüpfungspunkt“, Gogartens „geschichtliche Wirklichkeit“, Althaus’ „UrOffenbarung“, Hirschs „Wahrheitsbewußtsein“ und besonders Tillichs „Korrelation“ wollen die „erfahrene Wirklichkeit des Menschen als Bezugspunkt der
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Wenn man dieses Grundanliegen bei der Beschäftigung mit der Theologie des späten Elert wahrnimmt, kann die – zugegebenermaßen bestehende – „Fremdheit dieses Werkes in der heutigen theologischen Landschaft“115 ein wenig verständlicher werden.
christlichen Botschaft“ wahrnehmen (H. Fischer, Systematische Theologie, 1992, 123) oder gar wieder in einem freilich veränderten – oder etwa doch gleich gebliebenen – apologetischen Sinne begreiflich machen. Dennoch scheint die Einschätzung von M. Doerne aus dem Jahr 1950 richtig zu sein: „Die meisten Systematiker sind darin einig, daß die einst unter dem Namen ‘Apologetik’ befaßten Funktionen unmittelbar in die dogmatische Arbeit zurückzunehmen seien“ (Das unbewältigte Problem der Apologetik, ThLZ 75 (1950), (259 – 264) 259). Zum Schicksal der Apologetik in der Theologie nach 1918 vgl. K. G. Steck, Art. Apologetik, TRE 3 (1978), 411 – 424 (Lit.). Trotz Aufgabe einer expliziten, gesonderten Beschäftigung mit der Apologetik zeigt sich bei Elert eine Kontinuität der apologetischen Fragestellungen. So findet sich bei ihm die Apologetik – wie bereits oben gezeigt – in den Prolegomena der Dogmatik wieder; die Fortführung der apologetischen Ambition zeigt sich insbesondere in der Schilderung des „Urerlebnis[ses]“ (ML I, 15 – 25) und in der Auseinandersetzung mit dem „Selbstverständnis des Menschen unter der Verborgenheit Gottes“ (CG, 67 – 133). Daß diese Art einer in die Dogmatik integrierten Apologetik nicht unwidersprochen blieb, ist klar; an der Kritik zeigt sich jedoch auch deutlich, daß in dieser Art, Apologetik implizit innerhalb der Dogmatik zu betreiben, eine Eigentümlichkeit Elerts zu liegen scheint: So erklärte P. Brunner bereits 1941 den genannten Abschnitt aus Elerts Dogmatik über das „Selbstverständnis des Menschen“ als einen „der fragwürdigsten der ganzen Elertschen Dogmatik“ (Kritisches zu Elerts Dogmatik, VF 2 (1941), (47 – 60) 50). 115 W. Trillhaas, Geleitwort, in: Werner Elert, Der Christliche Glaube. Grundlinien der lutherischen Dogmatik, hg. v. E. Kinder, Erlangen, 19886.
V Anhang 1. Abkürzungsverzeichnis AAC W. Elert, Der Ausgang der altkirchlichen Christologie. Eine Untersuchung über Theodor von Pharan und seine Zeit als Einführung in die alte Dogmengeschichte, aus dem Nachlaß hg. v. Elisabeth Bergsträsser und Wilhelm Maurer, Berlin, 1957. AK W. Elert, Abendmahl und Kirchengemeinschaft in der alten Kirche hauptsächlich des Ostens, Berlin, 1954. CE W. Elert, Das christliche Ethos, Grundlinien der lutherischen Ethik, Tübingen, 1949, 2. ergänzte Auflage hg. v. E. Kinder, Hamburg, 1961. CG W. Elert, Der christliche Glaube. Grundlinien der lutherischen Dogmatik, Berlin, (1940) 19412. KCH W. Elert, Der Kampf um das Christentum. Geschichte der Beziehungen zwischen dem evangelischen Christentum in Deutschland und dem allgemeinen Denken seit Schleiermacher und Hegel, München, 1921. LK W. Elert, Ein Lehrer der Kirche. Kirchlich-theologische Aufsätze und Vorträge, hg. v. Max Keller-Hüschemenger, Berlin/Hamburg, 1967. LLA1 W. Elert, Die Lehre des Luthertums im Abriss, München, 1924. LLA W. Elert, Die Lehre des Luthertums im Abriss, München, 19262, Nachdruck der 2. Auflage, Erlangen, 1978. ML I W. Elert, Morphologie des Luthertums. Band I. Theologie und Weltanschauung des Luthertums, München, 1931, verbesserter Nachdruck (19522) 19653. ML II W. Elert, Morphologie des Luthertums. Band II. Soziallehren und Sozialwirkungen des Luthertums, München, 1932, verbesserter Nachdruck (19522) 19653. ZGU W. Elert, Zwischen Gnade und Ungnade. Abwandlungen des Themas Gesetz und Evangelium, München, 1948.
2. Hinweise 2.1. Zur Zitation Bei Zitatnachweisen und Literaturangaben erfolgt die erste Nennung in ausführlicher Form. Jede weitere Nennung erscheint in der Regel in abgekürzter Form. Die dabei verwendeten Abkürzungen enthalten auf jeden Fall den Autorennamen und das erste bedeutungstragende Substantiv des Titels. Nur für wenige Werke Elerts werden Sigla verwendet worden (vgl. dazu das Abkürzungsverzeichnis).
2. Hinweise
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In den Fußnoten und im Literaturverzeichnis sind Seiten- und Spaltenangaben ohne „S.“ bzw. „Sp.“ angegeben. Alle Seitenangaben mit „S.“ beziehen sich als Querverweise auf die vorliegende Arbeit. Im Literaturverzeichnis und in den Fußnoten wird bei mehreren Erscheinungsorten in der Regel nur der erstgenannte aufgeführt. Im Literaturverzeichnis sind die Schriften Elerts chronologisch (3.1) und – aus Gründen der Benutzerfreundlichkeit – zusätzlich alphabetisch (3.2) angeordnet. Die alphabetische Anordnung richtet sich nach dem ersten bedeutungstragenden Substantiv, bei Rezensionen nach dem Nachnamen des rezensierten Verfassers. Die Sekundärliteratur (3.3) ist alphabetisch angeordnet. Alle anderen Abkürzungen richten sich nach: TRE. Abkürzungsverzeichnis. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, zusammengestellt von S. M. Schwertner, Berlin u. a., 1994. Ausnahme: Anstelle von a.a.O. bzw. A.a.O. wird aaO bzw. AaO verwendet. 2.2. Zur Literatur Eine nahezu vollständige Bibliographie der Schriften Elerts ist erstellt worden von Herwig Wagner, Bibliographie sämtlicher theologischer Veröffentlichungen, Zeitschriftenaufsätze und Rezensionen von Prof. D. Dr. Werner Elert, in: F. Hübner u. a. (Hgg.), Gedenkschrift für D. Werner Elert. Beiträge zur historischen und systematischen Theologie, Berlin, 1955, 411 – 424. Nachträge und Korrekturen der Bibliographie bei Reinhard Hauber im Anhang seines Aufsatzes: Werner Elert, Einführung in Leben und Werk eines „Lutheranissimus“, NZSTh 29 (1987), (113 – 146) 138 – 146. Schriften von Elert, die er nicht selber veröffentlicht hat, werden im Literaturverzeichnis unter „Schriften von Werner Elert“ aufgeführt. Dort findet sich jeweils der bibliographische Hinweis auf den Veröffentlichungsort. Die wichtigste Sekundärliteratur bei Albrecht Peters, Art. Elert, Werner, TRE 9 (1982), (493 – 497) 497. Ergänzungen zur Literatur bis 1987 bei R. Hauber, aaO, 138 – 146. Weitere Literaturhinweise in den neueren Elertstudien: Sigurjón Arni Eyjólfsson, Rechtfertigung und Schöpfung in der Theologie Werner Elerts, AGThL NF 10, Hannover, 1994, 253 – 267; Arnulf von Scheliha, Der Glaube an die göttliche Vorsehung. Eine religionssoziologische, geschichtsphilosophische und theologiegeschichtliche Untersuchung, Stuttgart, 1999, (275 – 334)
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278 f. Anm. 19. 353 – 367; Notger Slenczka, Selbstkonstitution und Gotteserfahrung. W. Elerts Deutung der neuzeitlichen Subjektivität im Kontext der Erlanger Theologie. Studien zur Erlanger Theologie II, FSÖTh 86, Göttingen, 1999, 355 – 364; Michael Roth, Gott im Widerspruch. Möglichkeiten und Grenzen der theologischen Apologetik, TBT 117, Berlin, 2002, (342 – 387) 585 – 614.
3. Literaturverzeichnis 3.1. Schriften Werner Elerts in chronologischer Anordnung Werner Elert, Rudolf Rocholls Philosophie der Geschichte (Phil. Dissertation Erlangen vom 21. Mai 1910). Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte, hg. v. R. Falckenberg, Nr. 12, Leipzig, 1910. ders., Prolegomena der Geschichtsphilosophie. Studie zur Grundlegung der Apologetik (Theol. Dissertation Erlangen vom 18. Mai 1911) Leipzig, 1911. ders., Die Religiosität des Petrus. Ein religionspsychologischer Versuch, Leipzig, 1911. ders., Die Geschichtsauffassung der alttestamentlichen Poesie, in: Der Alte Glaube 12 (1910/11), 339 – 349. ders., Im Kampf um die Reformation, in: Der Alte Glaube 13 (1911/12), 104 – 108. 123 – 128. ders., Die Wendung zu Geschichte und die Apologetik, in: NKZ 23 (1912), 465 – 491. ders., Die Grenzen der Religionspsychologie, in: Theologisches Zeitblatt 4 (1912), 156 – 166. 193 – 205. 244 – 255. ders., Die sogenannte Persönlichkeitskultur, in: Der Alte Glaube 13 (1911/12), 531 – 540. ders., Rez. Günther Jacoby, Herder als Faust, ThLBl 33 (1912), 181 – 182. ders., Rez. Kierkegaard, Begriff der Angst, ThLBl 33 (1912), 616 – 617. ders., August Horneffers Programm für den Priester der Zukunft, in: Der Alte Glaube 14 (1912/1913), 254 – 256. 269 – 273. ders., Die voluntaristische Mystik Jacob Böhmes. Eine psychologische Studie, NSGTK 19, Berlin, 1913, Neudruck Aalen, 1973. ders., Was wollte Gerhart Hauptmann in seinem Festspiel?, in: Der Alte Glaube 14 (1912/13), 1236 – 1242. ders., Jakob Böhmes deutsches Christentum, BZSF, Berlin, 1914, 185 – 218. ders., Rez. H. Faber, Das Wesen der Religionspsychologie, ThLBl 35 (1914), 108 – 109. ders., Rez. Karl Bernhard Ritter, Über den Ursprung einer kritischen Religionsphilosophie in Kants Kritik der reinen Vernunft, ThLBl 35 (1914), 131 – 132.
3. Literaturverzeichnis
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ders., Feldpredigerberichte, in: Kirchenblatt für die Evangelisch-lutherischen Gemeinden in Preußen [KELGP], Breslau, – 69 (1914), 735 – 736. 754 – 757. 771 – 773. 805 – 806. – 70 (1915), 86 – 87. 105 – 106. 117 – 119. 141 – 143. 175 – 178. 187 – 189. 414 – 415. 460 – 462. 506 – 507. 517 – 518. 601 – 603. 726 – 728. 757 – 759. 790 – 792. – 71 (1916), 8 – 11. 42. 104 – 105. 181 – 182. 228 – 230. 303 – 304. 495 – 498. 542 – 544. 631 – 634. 696 – 697. – 72 (1917), 64 – 67. 112 – 114. 154 – 157. 235 – 237. 250 – 252. 430 – 432. 497 – 498. 578 – 579. 731 – 734. – 73 (1918), 56 – 58. 129 – 130. 358 – 361. ders., Kant und der ewige Friede, in: AELKZ 48 (1915), 11 – 15. ders., Zur Psychologie des Wunderglaubens, in: GKG 51/11 (1915), 421 – 431. ders., Die Stellung der altlutherischen Feldprediger, in: Theologisches Zeitblatt im Dienst der lutherischen Kirche, 1917, 302 – 312. ders., Kriegsmitteilungen aus dem evang.-lutherischen Studentenverein „Philadelphia“, in: AELKZ 50 (1917), 1196. ders., Die Übriggebliebenen, in: Der Tag, Ausgabe vom 12. 12. 1917, Titelseite. ders., Rez. Cohn, Jonas, Führende Denker, ThLBl 38 (1917), 306 – 307. ders., Rez. Joseph Bernhart, Tragik im Weltlauf, ThLBl 38 (1917), 396 – 397. ders., Rez. Hans Driesch, Wirklichkeitslehre, ThLBl 38 (1917), 443 – 444. ders., Steigerung der Religiosität im Kriege, in: GKG 54/7 (1918), 154 – 158. ders., Reduktion und Restriktion in der Dogmatik, in: NKZ 30 (1919), 406 – 427. ders., Rez. Zum Charakter Spinozas (Spinoza redivivus), ThLBl 40 (1919), 364. ders., Rez. Der Briefwechsel Spinozas, ThLBl 41 (1920), 106 f. 301. ders., Irrwege bei der Verteidigung des Glaubens, BZSF, Berlin, 1920, 139 – 160 bzw. 1 – 24. [Die Veröffentlichung ist doppelt paginiert. In der vorliegenden Arbeit wurde die Paginierung des Einzelheftes (= 1 – 24) verwendet.] ders., Dogma, Ethos, Pathos. Dreierlei Christentum, Leipzig, 1920. ders., Märtyrer und Konvertiten, in: AELKZ 53 (1920), 241 – 242. ders., Der Kampf um das Christentum. Geschichte der Beziehungen zwischen dem evangelischen Christentum in Deutschland und dem allgemeinen Denken seit Schleiermacher und Hegel, München, 1921 (= KCH). ders., Grützmachers Kritik am Neuprotestantismus, in: NKZ 32 (1921), 383 – 400. ders., Rez. P. Simon, Der Pragmatismus in der modernen französischen Philosophie, ThLBl 42 (1921), 235 – 236. ders., Die Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit, in: AELKZ 55 (1922), 386 – 390. 402 – 404. 418 – 421. 434 – 436. ders., Die Transzendenz Gottes, in: NKZ 34 (1923), 521 – 546. ders., Der „Untergang des Abendlandes“, in: AELKZ 56 (1923), 5 – 8. 21 – 22. 37 – 41. 55 – 58. ders., Zu den Waffen!, in: AELKZ 56 (1923), 524 – 526.
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V Anhang
ders., Rez. Spinoza. Kurze Abhandlung von Gott, dem Menschen und seinem Glück, ThLBl 44 (1923), 369. ders., Die Lehre des Luthertums im Abriss, München, 1924 (= LLA1); München, 19262, Nachdruck der 2. Auflage, Erlangen, 1978 (= LLA). ders., Rez. R. Eucken, Mensch und Welt. Eine Philosophie des Lebens, ThLBl 45 (1924), 152 – 153. ders., Das Erstarrungsgesetz des Protestantismus, in: NKZ 36 (1925), 895 – 915, wiederabgedruckt in: LK, 76 – 87. ders., Angst und Einsamkeit in der Geschichte des Luthertums, in: JELLB 20 (1925), 6 – 16. ders., Russische Religionsphilosophie der Gegenwart, ZSTh 3 (1925), 548 – 588. ders., Das Luthertum und die Nationen, in: AELKZ 58 (1925), 596 – 602. 618 – 623. 635 – 639. ders., Schwärmerische und evangelische Kulturkritik, in: AELKZ 59 (1926), 362 – 369. 386 – 393. ders. / Procksch, Otto, Zum Geleit, in: CuW 2 (1926), o.S. ders., Christus im Abend Europas, in: CuW 2 (1926), 361 – 376. ders., Luthers Bedeutung für die Welt, in: Schule und Evangelium, 1 (1926/ 1927), Stuttgart, 173 – 178. 200 – 204. ders., Spinoza, Von den festen und ewigen Dingen, ThLBl 47 (1926), 12. ders., Eintrag in das Goldene Buch der Universität Erlangen vom 5. 1. 1927 [Universitätsarchiv Erlangen, Goldenes Buch, Nr. 130], abgedruckt in: T. Kaufmann, Werner Elert als Kirchenhistoriker, ZThK 93 (1996), (193 – 242) 236 – 238. ders., Wirkungen der lutherischen Abendmahlslehre in der Geschichte der Weltanschauung, in: AELKZ 60 (1927), 746 – 752. 770 – 773. 794 – 798. ders., Der Ruf zur Einheit. Rede in Lausanne, in: AELKZ 60 (1927), 725 – 728. ders., Die Ehe im Luthertum, in: CuW 3 (1927), 185 – 198. 233 – 246. 305 – 313. ders., Art. Altlutheraner, in: RGG2 1 (1927), 280 – 283. ders., Art. Luthertum I. Konfessionskundlich; Luthertum II. Neuluthertum, in: RGG2 3 (1929), 1779 – 1787. ders., Das Lachen in der Kirchengeschichte, Unveröffentlichter Vortrag vor dem Universitätsbund in Erlangen (Oktober 1927), abgedruckt in: LK, 184 – 189. ders., Das Kirchenkonzil von Lausanne, Rede beim Antritt des Rektorats am 4. 11. 1927, Erlanger Rektoratsreden 1928, wiederabgedruckt in: Zeitwende 4 (1928), 57 – 71. ders., Die Botschaft des VII. Artikels der Augsburgischen Konfession, in: AELKZ 60 (1927), 1011 – 1014. 1034 – 1036. 1058 – 1062. 1082 – 1084. ders., Art. Froböß, Georg, in: RGG2 2 (1928), 809. ders., Zur Geschichte des kriegerischen Ethos, in: Festgabe für Theodor Zahn, Leipzig, 1928, 131 – 150. ders., Rez. Harnack, Theodosius, Luthers Theologie, in: ThLBl 49 (1928), 330 – 332.
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V Anhang
ders., Paulus und Nero, Vortrag vom 25. 3. 1946, in: ders., ZGU, 38 – 71. ders., Philologie der Heimsuchung, in: JBMLB (1947), wiederabgedruckt in: ZGU, 9 – 16. ders., Humanität und Kirche. Festvortrag zu Melanchthons 450. Geburtstag, in: Erlanger Universität, Halbmonatsblätter 1 (1947), 81 – 84; wiederabgedruckt in: ders., ZGU, 92 – 113. ders., Redemptio ab hostibus, in: ThLZ 72 (1947), 265 – 270. ders., Der Westfälische Friede und die Konfessionen heute (Vortrag vor der Arbeitsgemeinschaft Evangelium und Geistesleben in Nürnberg am 20. 6. 1948), abgedruckt in: ders., ZGU, 114 – 131. ders., Gesetz und Evangelium, Vortragsreihe von 1948, abgedruckt in: ZGU, 1948, 132 – 169. ders., Zwischen Gnade und Ungnade. Abwandlungen des Themas Gesetz und Evangelium, München, 1948 (= ZGU). ders., Rez. Karl Barth: Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, in: ZRGG 1 (1948), 367 – 370. ders., Das christliche Ethos, Grundlinien der lutherischen Ethik, Tübingen, 1949, 2. ergänzte Auflage hg. v. E. Kinder, Hamburg, 1961 (= CE). ders., Die Kirche und ihre Dogmengeschichte, Vortrag von 1950, abgedruckt in: AAC, 313 – 333. ders., Unter Anklage, in: Korrespondenzblatt für die evangelisch-lutherischen Geistlichen in Bayern, 65 (1950) Nr. 14, 55 f. 59 f. ders., Die Theopaschitische Formel, ThLZ 75 (1950), 195 – 206. ders., Zur Frage des Soldateneides, in: DtPfrBl 52 (1952), 385. 418. 453. ders., Abendmahl und Kirchengemeinschaft in der alten Kirche hauptsächlich des Ostens, Berlin, 1954 (= AK). ders., Abendmahl und Kirchengemeinschaft in der alten Kirche, in: Koinonia. Arbeiten des Oekumenischen Ausschusses der Vereinigten EvangelischLutherischen Kirche Deutschlands zur Frage der Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft, hg. v. Lutherischem Kirchenamt der VELKD, Berlin, 1957, 57 – 78. ders., Memorandum für den Oekumenischen Ausschuß zu den Verhandlungen über die Frage der offenen Kommunion, in: Koinonia. Arbeiten des Oekumenischen Ausschusses der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands zur Frage der Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft, hg. v. Lutherischem Kirchenamt der VELKD, Berlin, 1957, 141 – 143. ders., Der Ausgang der altkirchlichen Christologie. Eine Untersuchung über Theodor von Pharan und seine Zeit als Einführung in die alte Dogmengeschichte, aus dem Nachlaß hg. v. Elisabeth Bergsträsser und Wilhelm Maurer, Berlin, 1957 (= AAC). ders., Ein Lehrer der Kirche. Kirchlich-theologische Aufsätze und Vorträge, hg. v. Max Keller-Hüschemenger, Berlin/Hamburg, 1967 (= LK).
3. Literaturverzeichnis
349
3.2. Schriften Werner Elerts in alphabetischer Anordnung Werner Elert, Abendmahl und Kirchengemeinschaft in der alten Kirche hauptsächlich des Ostens, Berlin, 1954 (= AK). ders., Abendmahl und Kirchengemeinschaft in der alten Kirche, in: Koinonia. Arbeiten des Oekumenischen Ausschusses der Vereinigten EvangelischLutherischen Kirche Deutschlands zur Frage der Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft, hg. v. Lutherischem Kirchenamt der VELKD, Berlin, 1957, 57 – 78. ders., Art. Altlutheraner, in: RGG2 1 (1927), 280 – 283. ders., Angst und Einsamkeit in der Geschichte des Luthertums, in: JELLB 20 (1925), 6 – 16. ders., Unter Anklage, in: Korrespondenzblatt für die evangelisch-lutherischen Geistlichen in Bayern, 65 (1950) Nr. 14, 55 f. 59 f. ders. u. a., Der „Ansbacher Ratschlag“ zu der „Barmer Theologischen Erklärung“, in: AELKZ 67 (1934), 584 – 586, wiederabgedruckt in: Kurt Dietrich Schmidt, Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage des Jahres 1934, Bd. 2, Göttingen, 1935, 102 – 104. ders., Die Augustana und der Gedanke der christlichen Solidarität. Rede bei der Augustana-Feier der Theologischen Fakultät Erlangen, Erlanger Universitätsreden 10, Erlangen, 1931, 3 – 16. ders., Der Ausgang der altkirchlichen Christologie. Eine Untersuchung über Theodor von Pharan und seine Zeit als Einführung in die alte Dogmengeschichte, aus dem Nachlaß hg. v. Elisabeth Bergsträsser und Wilhelm Maurer, Berlin, 1957 (= AAC). ders., Karl Barths Index der verbotenen Bücher, ThMil 2, Leipzig, 1935. ders., Rez. Karl Barth: Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, in: ZRGG 1 (1948), 367 – 370. ders., Die Bedeutung der Augsburgischen Konfession im theologischen Denken und in der geistesgeschichtlichen Entwicklung, unveröffentlichter Vortrag vor dem Verein für bayrische Kirchengeschichte in Augsburg am 24. 6. 1930, in: ders., LK, 97 – 112. ders., Bekenntnis, Blut und Boden. Drei theologische Vorträge, Leipzig, 1934. ders., Bericht über das Dekanat der Theologischen Fakultät Erlangen 1935 – 43; mit Anschreiben an den Dekan Prof. D. Althaus vom 20. August 1945, abgedruckt in: K. Beyschlag, Die Erlanger Theologie, EKGB 67, Erlangen, 1993, 266 – 286. ders., Rez. Joseph Bernhart, Tragik im Weltlauf, ThLBl 38 (1917), 396 – 397. ders., Jakob Böhmes deutsches Christentum, BZSF, Berlin, 1914, 185 – 218. ders., Die Botschaft des VII. Artikels der Augsburgischen Konfession, in: AELKZ 60 (1927), 1011 – 1014. 1034 – 1036. 1058 – 1062. 1082 – 1084. ders., Der Christ und der völkische Wehrwille, ThMil 15, Leipzig, 1937. ders., Christus im Abend Europas, in: CuW 2 (1926), 361 – 376. ders., Rez. Cohn, Jonas, Führende Denker, ThLBl 38 (1917), 306 – 307. ders., Confessio Barmensis, in: AELKZ 67 (1934), 602 – 606. ders., Dogma, Ethos, Pathos. Dreierlei Christentum, Leipzig, 1920. ders., Rez. Hans Driesch, Wirklichkeitslehre, ThLBl 38 (1917), 443 – 444.
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V Anhang
ders., Ecclesia Militans. Drei Kapitel von der Kirche und ihrer Verfassung, Leipzig, 1933. ders., Die Ehe im Luthertum, in: CuW 3 (1927), 185 – 198. 233 – 246. 305 – 313. ders., Das Erstarrungsgesetz des Protestantismus, in: NKZ 36 (1925), 895 – 915, wiederabgedruckt in: LK, 76 – 87. ders., Das christliche Ethos, Grundlinien der lutherischen Ethik, Tübingen, 1949, 2. ergänzte Auflage hg. v. E. Kinder, Hamburg, 1961 (= CE). ders., Rez. R. Eucken, Mensch und Welt. Eine Philosophie des Lebens, ThLBl 45 (1924), 152 – 153. ders., Rez. H. Faber, Das Wesen der Religionspsychologie, ThLBl 35 (1914), 108 – 109. ders., Feldpredigerberichte, in: Kirchenblatt für die Evangelisch-lutherischen Gemeinden in Preußen [KELGP], Breslau, – 69 (1914), 735 – 736. 754 – 757. 771 – 773. 805 – 806. – 70 (1915), 86 – 87. 105 – 106. 117 – 119. 141 – 143. 175 – 178. 187 – 189. 414 – 415. 460 – 462. 506 – 507. 517 – 518. 601 – 603. 726 – 728. 757 – 759. 790 – 792. – 71 (1916), 8 – 11. 42. 104 – 105. 181 – 182. 228 – 230. 303 – 304. 495 – 498. 542 – 544. 631 – 634. 696 – 697. – 72 (1917), 64 – 67. 112 – 114. 154 – 157. 235 – 237. 250 – 252. 430 – 432. 497 – 498. 578 – 579. 731 – 734. – 73 (1918), 56 – 58. 129 – 130. 358 – 361. ders., Die Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit, in: AELKZ 55 (1922), 386 – 390. 402 – 404. 418 – 421. 434 – 436. ders., Zur Frage des Soldateneides, in: DtPfrBl 52 (1952), 385. 418. 453. ders., Zur Frage eines neuen Bekenntnisses, in: Luth. 45 (1934), 31 – 50. ders., Vordringliche Fragen an die Theologie, in: Luth. 51 (1940), 5 – 15. ders., Der Westfälische Friede und die Konfessionen heute (Vortrag vor der Arbeitsgemeinschaft Evangelium und Geistesleben in Nürnberg am 20. 6. 1948), abgedruckt in: ders., ZGU, 114 – 131. ders., Art. Froböß, Georg, in: RGG2 2 (1928), 809. ders., Politisches und kirchliches Führertum, in: Luth. 45 (1934), 102 – 117. ders. / Procksch, Otto, Zum Geleit, in: CuW 2 (1926), o.S. ders., Zur Geschichte des kriegerischen Ethos, in: Festgabe für Theodor Zahn, Leipzig, 1928, 131 – 150. ders., Die Geschichtsauffassung der alttestamentlichen Poesie, in: Der Alte Glaube 12 (1910/11), 339 – 349. ders., Gesetz und Evangelium, Vortragsreihe von 1948, abgedruckt in: ZGU, 1948, 132 – 169. ders., Der christliche Glaube. Grundlinien der lutherischen Dogmatik, Berlin, (1940) 19412 (= CG). ders., Zwischen Gnade und Ungnade. Abwandlungen des Themas Gesetz und Evangelium, München, 1948 (= ZGU). ders., Eintrag in das Goldene Buch der Universität Erlangen vom 5. 1. 1927 [Universitätsarchiv Erlangen, Goldenes Buch, Nr. 130], abgedruckt in: T.
3. Literaturverzeichnis
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ders., Die Lehrautorität der Kirche, in: AELKZ 69 (1936), 1010 – 1014. 1034 – 1040. ders., Die Lehre des Luthertums im Abriss, München, 1924 (= LLA1); München, 19262, Nachdruck der 2. Auflage, Erlangen, 1978 (= LLA). ders., Ein Lehrer der Kirche. Kirchlich-theologische Aufsätze und Vorträge, hg. v. Max Keller-Hüschemenger, Berlin/Hamburg, 1967 (= LK). ders., Luthers Bedeutung für die Welt, in: Schule und Evangelium, 1 (1926/ 1927), Stuttgart, 173 – 178. 200 – 204. ders., Luthergeist und Lutherisches Bekenntnis, in: Luth. 45 (1934), 293 – 307. ders., Art. Luthertum I. Konfessionskundlich; Luthertum II. Neuluthertum, in: RGG2 3 (1929), 1779 – 1787. ders., Das Luthertum und die Nationen, in: AELKZ 58 (1925), 596 – 602. 618 – 623. 635 – 639. ders., Märtyrer und Konvertiten, in: AELKZ 53 (1920), 241 – 242. ders., Memorandum für den Oekumenischen Ausschuß zu den Verhandlungen über die Frage der offenen Kommunion, in: Koinonia. Arbeiten des Oekumenischen Ausschusses der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands zur Frage der Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft, hg. v. Lutherischem Kirchenamt der VELKD, Berlin, 1957, 141 – 143. ders., Morphologie des Luthertums. Band I. Theologie und Weltanschauung des Luthertums. Band II. Soziallehren und Sozialwirkungen des Luthertums, München, 1931/1932, verbesserter Nachdruck 19522, 19653 (= ML I; ML II). ders., Die voluntaristische Mystik Jacob Böhmes. Eine psychologische Studie, NSGTK 19, Berlin, 1913, Neudruck Aalen, 1973. ders., Paulus und Nero, Vortrag vom 25. 3. 1946, in: ders., ZGU, 38 – 71. ders., Die sogenannte Persönlichkeitskultur, in: Der Alte Glaube 13 (1911/12), 531 – 540. ders., Philologie der Heimsuchung, in: JBMLB (1947), wiederabgedruckt in: ZGU, 9 – 16. ders., Prolegomena der Geschichtsphilosophie. Studie zur Grundlegung der Apologetik (Theol. Dissertation Erlangen vom 18. Mai 1911) Leipzig, 1911. ders., Zur Psychologie des Wunderglaubens, in: GKG 51/11 (1915), 421 – 431. ders., Randbemerkungen, in: Luth. 48 (1937), 214 f. ders., Redemptio ab hostibus, in: ThLZ 72 (1947), 265 – 270. ders., Reduktion und Restriktion in der Dogmatik, in: NKZ 30 (1919), 406 – 427. ders., Russische Religionsphilosophie der Gegenwart, ZSTh 3 (1925), 548 – 588. ders., Die Religiosität des Petrus. Ein religionspsychologischer Versuch, Leipzig, 1911. ders., Rez. Karl Bernhard Ritter, Über den Ursprung einer kritischen Religionsphilosophie in Kants Kritik der reinen Vernunft, ThLBl 35 (1914), 131 – 132.
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370
V Anhang
ders., Zum Geleit [Geleitwort], in: Werner Elert, Der Christliche Glaube. Grundlinien der lutherischen Dogmatik, hg. v. E. Kinder, Erlangen, 19886. Troeltsch, Ernst, Über historische und dogmatische Methode in der Theologie (1900), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, (Tübingen, 1913/19222) Neudruck Aalen, 1962, 729 – 753. ders., Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte, Tübingen, (1902) 19122. ders., Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit, in: P. Hinneberg (Hg.), Die Kultur der Gegenwart, Teil I Abteilung IV, 1, Berlin u. a., (1906) 19092, 431 – 792. ders., Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt, Vortrag auf dem Stuttgarter Historikertag 1906, HB 24, München, 1911. ders., Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, 2 Bde., Neudruck der Ausgabe von 1912, Tübingen, 1994. ders., Ein Apfel vom Baume Kierkegaards, CW 35 (1921), 186 – 189, abgedruckt in: J. Moltmann (Hg.), Die Anfänge der dialektischen Theologie, Bd. II, München, (19634) 1987, 134 – 140. ders., Der Historismus und seine Probleme. 1. Buch: Das logische Problem der Geschichtsphilosophie, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 3, (Tübingen, 1922) Neudruck Aalen, 1961. Ueberhorst, Karl Ulrich, Die Theologie Rudolf Rocholls. Eine Untersuchung zum Universalismus der göttlichen Heilsveranstaltung, Arbeiten zur Geschichte und Theologie des Luthertums Band XI, Berlin, 1963. Usarski, Frank, Art. Apologetik I. Zum Begriff, RGG4 1 (1998), 611. Vilmar, August, Die Theologie der Thatsachen wider die Theologie der Rhetorik. Bekenntniß und Abwehr, Marburg, 1856. ders., Dogmatik. Akademische Vorlesungen. hg. v. K. W. Piderit, 2 Theile, Gütersloh, 1874. Vogt, Johann Gustav, Der Realmonismus. Eine naturwissenschaftliche Weltanschauung mit besonderer Berücksichtigung des Geistes- und Lebensproblems, Leipzig, 1908. Wagner, Herwig, Bibliographie sämtlicher theologischer Veröffentlichungen von Professor D. Dr. Werner Elert, in: F. Hübner u. a. (Hgg.), Gedenkschrift für D. Werner Elert. Beiträge zur historischen und systematischen Theologie, Berlin, 1955, 411 – 424. Weber, Hartmut, Die lutherische Sozialethik bei Johannes Heckel, Paul Althaus, Werner Elert und Helmut Thielicke. Theologische Grundlagen und sozialwissenschaftliche Konsequenzen, Diss. Göttingen, 1959. ders., Theologie – Gesellschaft – Wirtschaft. Die Sozial- und Wirtschaftsethik in der evangelischen Theologie der Gegenwart, Göttingen, 1970, 63 – 83. Wehler, Hans Ulrich, Das Deutsche Kaiserreich. 1871 – 1918. Deutsche Geschichte Bd. 9, hg. v. J. Leuschner, Göttingen, 19947. Widmann, Peter, Thetische Theologie. Zur Wahrheit der Rede von Gott. Beiträge zur evangelischen Theologie 91, München, 1982. Wiebering, Joachim B., Die Lehre von der Kirche bei W. Elert, Diss. Rostock, 1960.
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Personenregister Adorno, Theodor Wiesengrund 161 Adriaanse, Hendrik Johan 67 Aichelin, Helmut 219 Aland, Kurt 2, 25 Althaus, Paul 10f., 13f., 18, 21, 26, 33, 35, 39, 41f., 44, 48f., 54–56, 167, 320f., 340 Apelt, Willibalt 163 Aristoteles 102 Asmussen, Hans 282 Assel, Heinrich 167 Bachmann, Philipp 9f., 221 Barnard, Leslie William 25 Barth, Karl 3, 10, 17f., 33, 50f., 54–56, 77, 172f., 221, 225, 251, 262, 267, 320, 332 Baumgarten, Otto 69 Bayer, Oswald VII, 16, 264 Beckmann, Joachim 41 Benrath, Gustav Adolf 240 Berge, Wolfgang 18 Bernhart, Joseph 51, 104, 145 Bernheim, Ernst 88 Besier, Gerhard 7, 32, 162 Beßlich, Barbara 64 Beyschlag, Karlmann 4–8, 10f., 13f., 33–36, 39, 42, 49, 51, 56, 61, 240, 315, 321 Birkner, Hans Joachim 277 Birmelé, André 14f., 25, 167 Blaschke, Olaf 66 Blumenberg, Hans 60 Böhme, Jakob 77, 87, 92, 127–131, 135f. Bonhoeffer, Dietrich 18 Botzenhart, Manfred 163 Browning, Don S. 25 Brunner, Emil 21, 173, 221, 261, 340 Brunner, Peter 34, 41, 57, 114, 224, 341
Bussche, Raimund von dem 53, 161 Calvin, Johannes 56, 209, 334 Campenhausen, Axel von 164f., 313, 315 Cancik, Hubert 25 Christlieb, Theodor 276 Cloeren, Hermann-Josef 337 Cramer, Konrad 207 Darwin, Charles 185, 244 Dierse, Ulrich 89 Dieterich-Domröse, Volker 21 Dietzfelbinger, Hermann 39 Dilthey, Wilhelm 60, 66, 88, 92, 100, 125, 128f., 150, 207 Doerne, Martin 1, 3, 6, 28, 79, 175, 279, 341 Drehsen, Volker VII, 63, 74, 140, 145, 160f. Drews, Arthur 73 Droysen, Johann Gustav 89, 97 Duensing, Friedrich 15, 18, 186, 214 Dunkel, Daniela 12, 73f., 78, 93, 99 Elert, August 6 Elert, Friederike 6 Elert, Joachim 12 Elert, Rembrand 12, 49 Eucken, Rudolf 59, 107, 166 Eyjólfsson, Sigurjón Arni 5, 11, 14f., 17, 19, 31, 56, 131, 163, 172, 198, 320, 343 Falckenberg, Richard 8, 90 Felken, Detlef 161 Fichte, Johann Gottlieb 316 Fick, Adolf 243 Fischer, Hermann 8, 58, 167, 209, 330, 341
Personenregister
Frank, Franz Hermann Reinhold von 20, 208, 270 Friedrichs, Otto 161 Frieling, Reinhard 333 Fries, Heinrich 25 Froböß, Annemarie 8 Froböß, Georg 9 Gadamer, Hans-Georg 89 Gerhardt, Volker 67 Gerhold, Wilhelm 6 Gerlach, Thomas 11–13, 16, 31, 51, 64, 117, 154, 186, 196, 198f., 211, 258, 270 Gerlitz, Peter 60 Gerrish, Brian A. 209 Gogarten, Friedrich 15, 56, 163, 167, 172, 186, 221, 251, 320, 340 Graf, Friedrich Wilhelm 6, 58, 65, 67, 76, 137, 139, 161, 163, 172, 262, 285, 287 Grimm, Jacob und Wilhelm 60, 89 Grözinger, Albrecht 60 Grützmacher, Richard H. 154, 176, 182f., 264, 268f., 271f. Haeckel, Ernst 72–74 Hamann, Johann Georg 92 Hamm, Berndt 5–7, 11f., 17, 32, 36f., 48f., 55 Hammer, Karl 197 Harbeck-Pingel, Bernd 59 Harnack, Adolf von 140, 219f., 246f., 292 Harnack, Theodosius 198 Hauber, Reinhard 5, 10f., 13–15, 18, 26, 43, 167, 196, 333, 343 Hauschild, Wolf Dieter 3, 5, 7, 13, 64, 134, 165, 220, 333 Hebblethwaite, Brian 185 Heckel, Johannes 18, 164 Heckel, Martin 30, 165, 313, 317 Heesch, Matthias 74 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 13, 27, 30, 88, 102, 171, 178, 192, 237, 240–242, 264, 304, 342 Heimbrock, Hans-Günther 131, 153
373
Heim, Karl 1, 21, 26, 71, 132, 166, 186, 197, 199, 219, 265, 268f. Heine, Heinrich 189 Hengstenberg, Ernst Wilhelm 244 Henrichs, Johannes 67 Hermann, Wilhelm 167, 202, 243 Herms, Eilert 2, 11, 25, 38, 67, 72, 148, 173, 175, 207f., 312, 339 Hildebrandt, Horst 317 Hillermann, Horst 73f., 83 Hille, Rolf 25 Hirsch, Emanuel 21, 41, 162f., 167, 171, 260, 282, 333f., 340 Hoheisel, Karl 131, 153 Holl, Karl 132, 167, 334 Homann, Karl 63 Horatius 35 Horneffer, August 61–63, 79, 216 Huber, Ernst Rudolf 163f. Hübner, Friedrich 13f., 34, 333, 343 Hummel, Gert 330 Hunzinger, August Wilhelm 8, 26, 61f., 108f., 121, 124, 143f., 147, 152, 174, 255–257 Huxel, Kirsten 128 Ihmels, Ludwig
20, 42, 270f., 333
Jacobskötter, Ludwig 90, 131, 152 James, William 128, 131 Joest, Wilfried 30 Kähler, Martin 220, 265, 271 Kaiser, Jochen-Christoph 6, 175 Kambartel, Friedrich 207 Kant, Immanuel 44, 59f., 91, 99, 103, 119, 178, 192, 194, 215, 218, 221, 251, 263f. Kantzenbach, Friedrich Wilhelm 19f., 41f. Kaufmann, Thomas 5–7, 9–11, 19, 35, 38, 49, 80, 98, 136, 174f., 232, 237, 262f., 290, 319 Keller-Hüschemenger, Max 342 Keller, Rudolf 2, 4, 34, 43f., 55, 224
374
Personenregister
Kierkegaard, Sören 162f., 172, 215f., 221, 265, 267, 287, 336 Kinder, Ernst 4, 9, 17, 36, 225, 283, 341f. Klaer, Ingo 186, 200 Klän, Werner 7 Klein, Joseph 60 Kniffka, Jörg 26, 62, 144 Koktanek, Anton Mirko 161 Köpf, Ulrich 3, 65, 244, 255 Körtner, Ulrich H. J. 186 Koselleck, Reinhart 162 Kroeger, Matthias 163, 167 Kropac, Ulrich 71 Krötke, Wolf 18 Krumwiede, Hans-Walter 165 Kruse, Volker 169 Kühn, Ulrich 54, 57 Künneth, Walter 12, 16, 34, 39 Kunze, Johannes 264, 268 Laible, Wilhelm 333 Landmann, Michael 153 Langemeyer, Leo 15–17, 22, 34, 51, 63, 172, 196 Lillje, Hanns 34, 48, 57, 314 Lim, Nag-Heoung 18 Link, Christoph 164 Loewenich, Walther von 4, 10, 31, 33–39, 42, 44, 47, 49, 52 Luthardt, Christoph Ernst 244 Luther, Martin 18, 27, 30, 39f., 42, 46, 48, 57, 61f., 79f., 94, 131, 137, 139f., 143, 153, 184, 198f., 201, 208f., 213–215, 222, 235, 263f., 290, 332–334 Mehlhausen, Joachim 11, 41, 73f., 78, 164f., 315, 317, 331 Meier, Helmut Günter 60 Meier, Kurt 17, 22f., 163, 165, 279, 319 Meister, Johannes 5, 11, 53, 241 Metzke, Erwin 75 Michel, Otto 33 Mommsen, Wolfgang J. 171 Moustakas, Ulrich 18, 235 Müller, Gerhard 2, 333
Müller, Hans Martin VII, 76, 276 Müller-Schwefe, Hans Rudolf 25 Neukirch, Johannes 132 Nietzsche, Friedrich 66, 89, 162, 193, 214–216, 218, 221, 250, 265, 267 Nipperdey, Thomas 69, 76, 128, 140 Nowak, Kurt 67, 165, 186, 262 Nüchtern, Michael 25, 43, 50, 61, 152, 173 Oeing-Hanhoff, Ludger 209 Ott, Dorothea 61 Otto, Rudolf 51f., 162, 195, 197–199, 235, 264f., 268, 287 Overbeck, Franz 250, 267, 329 Owen, John Michael 18, 41 Pannwitz, Rudolf 162 Peters, Albrecht 16, 18, 38, 48, 57, 155, 343 Pfennigsdorf, Emil 128 Piepmeier, Reinhard 337 Pöhlmann, Horst Georg 25 Preuß, Hans 9f., 164 Procksch, Otto 10, 43, 328, 340 Rade, Martin 62 Raschke, Martin 57 Ratschow, Carl Heinz 143 Redeker, Martin 316 Reinhuber, Thomas VII, 199, 235 Renz, Horst 58, 62, 67, 161, 163, 172, 287 Rieske-Braun, Uwe 31, 300 Ritschl, Albrecht 20, 162, 195, 202, 215, 221f., 251, 268, 270 Rocholl, Rudolf 8, 73–75, 77, 79, 89–97, 100, 110–113, 156f., 192, 196, 218, 264, 303f. Rodi, Frithjof 171 Roensch, Manfred 7, 20 Rohls, Jan 165, 262 Rosenstock, Eugen 162 Rössler, Dietrich 332 Roth, Gottfried 35f.
375
Personenregister
Roth, Michael 2f., 15, 21f., 196, 209, 236, 270, 340, 344 Rublack, Hans-Christoph 138 Rückert, Hanns 9, 12, 39, 48, 57 Rühle, Oskar 41 Sack, Karl Hermann 243 Sauter, Gerhard 68, 89 Schaeder, Erich 269 Scheliha, Arnulf von 9, 15, 20, 49, 51, 96–101, 113, 121, 132, 151f., 155, 196, 214, 234, 247, 258, 262f., 290, 292, 296, 298, 302, 306, 334, 343 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 77, 92 Schlaich, Klaus 317 Schlatter, Adolf 265, 269 Schleiermacher, Friedrich 13, 27, 30, 48, 163, 171, 178, 191, 197, 202f., 207, 209, 214f., 220, 222, 230, 237, 240–242, 263f., 266, 272, 275, 277, 280, 289–291, 296–300, 303, 308–310, 312, 314–318, 328–330, 342 Schmidt-Clausen, Kurt 333 Schmidt, Kurt Dietrich 10, 38 Scholder, Klaus 162f., 165f., 184 Scholtz, Gunter 89 Schorn-Schütte, Luise 19, 58, 172 Schreurs, Nico 25 Schrey, Heinz-Horst 25, 64 Schulz, Gerhard 160 Schulz, Heiko 233 Schüßler, Werner 59 Schwöbel, Christoph 60 Seeberg, Reinhold 246f. Seils, Martin 61 Sherman, Franklin Eugene 18 Siebeck, Wolfram 107 Siemann, Jutta 67 Simmel, Georg 97, 100, 117, 125 Slenczka, Notger 5, 15, 17, 20, 23, 52f., 55, 79f., 97, 103, 109, 117, 121, 126, 130, 132, 137, 141, 144, 152f., 156, 186, 197f., 203, 209, 211, 231, 270, 280, 301f., 315, 344
Söderblom, Nathan 332 Sontheimer, Kurt 53, 161, 166, 172, 187, 196, 215 Sparn, Walter 1, 3, 5, 7, 11, 13f., 26, 33, 42, 63, 74, 137, 145, 160, 166, 207, 214, 232f., 235 Spencer, Herbert 184f. Spengler, Oswald 17, 22f., 51, 53, 65, 82, 92, 95f., 104, 161, 166, 172, 176, 179, 185f., 192–194, 199–201, 204, 209–211, 215, 223, 226, 230f., 242, 257–260, 269, 283, 286, 290, 303 Spinoza, Baruch 115 Srocka, Werner 4, 34, 43, 55 Stange, Carl 268 Steck, Karl Gerhard 25, 341 Stegmaier, Werner 60 Steiner, Rudolf 304 Stenglein-Hektor, Uwe 76 Stephan, Horst 21 Stock, Konrad 313 Strauß, David Friedrich 71 Tanner, Klaus 161, 172, 338 Thielicke, Helmut 18, 33, 35f., 38, 41f., 45, 331 Thiemann, Ronald Frank 18 Track, Joachim 207 Tratz, Max 52, 54f. Trillhaas, Wolfgang 4f., 7f., 12, 17, 19, 24, 33–36, 39, 43, 45–47, 49, 54, 56, 128, 152, 159, 225, 237, 320, 331, 341 Troeltsch, Ernst 31, 48, 58f., 65, 80, 107, 123, 134, 139f., 161f., 271, 287, 301 Ueberhorst, Karl Ulrich Usarski, Frank 25
90
Vilmar, August 299f., 329 Vogt, Johann Gustav 73 Wagner, Herwig 14, 25, 27, 43, 196, 286, 332, 343 Weber, Hartmut 18 Weber, Max 208
376
Personenregister
Wehler, Hans Ulrich 31, 163 Widmann, Peter 86 Wiebering, Joachim B. 18, 54 Wimmer, Richard 62, 174 Wobbermin, Georg 69, 128, 254 Wolf, Ernst 30
Wolff, Christian 74 Wolffheim, Hans 162 Woods, Roger 161 Wulff, David M. 128 Wundt, Wilhelm 128, 304