Kaum etwas ist explosiver als die Energiefrage der Zukunft: Der Verbrauch wird aufgrund der Bevölkerungsexplosion weite...
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Kaum etwas ist explosiver als die Energiefrage der Zukunft: Der Verbrauch wird aufgrund der Bevölkerungsexplosion weiter dramatisch steigen, das weltpolitische Gefüge wird aufgrund der Ressourcen neu verteilt werden, und wir müssen alternative Energiequellen finden, um eine Klimakatastrophe zu vermeiden. Hermann-Josef Wagner ist Professor für Energiesysteme und Energiewirtschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Er beschäftigt sich mit technischen und wirtschaftlichen Fragen der heutigen und zukünftigen Energieversorgung gleichermaßen. Unsere Adressen im Internet: www.fischerverlage.de www.hochschule.fischerverlage.de www.forum-fuer-verantwortung.de
Hermann-Josef Wagner
WAS SIND DIE ENERGIEN DES 21. JAHRHUNDERTS? Der Wettlauf um die Lagerstätten
Herausgegeben von Klaus Wiegandt
Fischer Taschenbuch Verlag
3. Auflage: April 2008 Originalausgabe Veröffentlicht im Fischer Taschenbuch Verlag, einem Unternehmen der S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, Juli 2007 © 2007 Fischer Taschenbuch Verlag in der S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main Gesamtherstellung: CPI – Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 978-3-596-17274-0
Inhalt Vorwort des Herausgebers Handeln – aus Einsicht und Verantwortung
11
Vorwort
23
Die verschiedenen Gesichter der Energie 1 1.1 1.2
Energieformen und Einheiten Die Energiekette Energieeinheiten
27 29 32
2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
Das Angebot der Natur Kohle Erdöl Erdgas Kernbrennstoffe Erneuerbare Energien
36 38 41 45 47 49
Energieverbrauch und Bevölkerungswachstum 3 3.1 3.2
Statistik des heutigen Energieverbrauchs Deutschland Energienutzung weltweit
57 57 62
6
Inhalt
4 4.1 4.2
Der Energieverbrauch im Alltag Beispiel: Vier-Personen-Haushalt Vergleich mit Indien
65 66 72
5
Arm und Reich
76
6
Folgt der Energieverbrauch dem Bevölkerungswachstum? Unterteilung in »Wohlstandsklassen« Wachstum des Energieverbrauchs Umverteilung
82 82 84 87
6.1 6.2 6.3
Wirtschaftsgut Energie 7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7
Energie ist eine Handelsware Braunkohle Steinkohle Erdöl Die Rolle der OPEC Öl als staatliche Einnahmequelle Öl aus Verbrauchersicht Erdgas
93 94 94 97 100 104 106 108
8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6
Besonderheiten der leitungsgebundenen Energien Liberalisierung gestaltet die Märkte Börsenhandel Verbundnetze Elektrizität in Entwicklungsländern Der Staat greift ein Was kostet Elektrizität?
111 111 116 117 117 119 121
Inhalt
7
Der Run auf die Energievorräte 9 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 10
Wettlauf um die Lagerstätten Die Geographie der Lagerstätten Der technische Zugang zu den Lagerstätten Der ökonomische Zugang zu den Lagerstätten Der räumliche Zugang zu den Lagerstätten Der politische Zugang zu den Lagerstätten Öl ist in 40 Jahren aufgebraucht
129 129 133 136 141 142 147
Energienutzung und Umwelt 11 11.1 11.2 11.3
Energieumwandlung schafft Luftschadstoffe Schadstoffe und Arten der Umweltbelastung Der Weg zum Menschen Luftschadstoffe und ihre Wirkungen
159 159 163 164
12 12.1 12.2 12.3 12.4
Erfolge bei der Emissionsminderung Erfolge der Luftreinhaltung in Industrieländern Schwellenländer ziehen nach Luftreinhaltung kostet Geld Anderer Weg für Treibhausgase
170 173 175 175 177
13 13.1 13.2 13.3 13.4
Abwärme und Klimagase Abwärme Kohlendioxid und weitere Klimagase Nationale und internationale Politik CO2-Minderungskosten
179 179 180 185 190
8
Inhalt
Hoffnungsträger: Energieeffizienz und erneuerbare Energien 14 Sparsamer Umgang mit Energie 14.1 Erfolge in der Vergangenheit 14.2 Möglichkeiten der Einsparung und Effizienzsteigerung 14.3 Der Konflikt zwischen Verbraucherverhalten und Energieeffizienz
195 197
15 Wasserkraft und Biomasse 15.1 Wasserkraft 15.2 Biomasse
210 211 217
16 16.1 16.2 16.3 16.4
223 224 226 229 235
Sonnen- und Windenergie Sonnenkollektoren Solarkraftwerke Photovoltaik Windenergie
199 207
Energienutzung ist eine ethische Frage 17
Energieversorgung als Schlüsselfrage
247
18
Wahl des Energieträgers
250
19
Die Zeitachse
255
Auf dem Weg zur zukünftigen Energiewelt 20 Planspiele für morgen 20.1 Szenarien und Prognosen 20.2 Weltweite Betrachtungen
259 259 261
Inhalt
9
20.3 Erwartungen für die Zukunft 20.4 Deutschland
262 264
21 21.1 21.2 21.3 21.4 21.5 21.6
266 268 270 271 272 274
21.7 21.8 21.9 21.10 21.11
Bausteine für die Energieversorgung Kraftwerke Wärmeerzeugung Verkehr Kernenergie Kraft-Wärme-Kopplung Erneuerbare Energien und Maßnahmen zur Energieeffizienzsteigerung Wasserstoff Erdwärme Speicherung Weiträumige Energieübertragung Zentral versus dezentral
274 275 277 277 278 279
Herausforderung Energie – Chancen nutzen 22 23 24 25 26
Die Fakten Erneuerbare Energien als Hoffnungsträger Zukünftig weniger Energie verbrauchen Billige Energie geht zur Neige Die Zukunft im Blick
285 289 291 293 296
Anhang Glossar Literaturhinweise
301 309
Vorwort des Herausgebers
Handeln – aus Einsicht und Verantwortung »Wir waren im Begriff, Götter zu werden, mächtige Wesen, die eine zweite Welt erschaffen konnten, wobei uns die Natur nur die Bausteine für unsere neue Schöpfung zu liefern brauchte.« Dieser mahnende Satz des Psychoanalytikers und Sozialphilosophen Erich Fromm findet sich in Haben oder Sein – die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft (1976). Das Zitat drückt treffend aus, in welches Dilemma wir durch unsere wissenschaftlich-technische Orientierung geraten sind. Aus dem ursprünglichen Vorhaben, sich der Natur zu unterwerfen, um sie nutzen zu können (»Wissen ist Macht«), erwuchs die Möglichkeit, die Natur zu unterwerfen, um sie auszubeuten. Wir sind vom frühen Weg des Erfolges mit vielen Fortschritten abgekommen und befinden uns auf einem Irrweg der Gefährdung mit unübersehbaren Risiken. Die größte Gefahr geht dabei von dem unerschütterlichen Glauben der überwiegenden Mehrheit der Politiker und Wirtschaftsführer an ein unbegrenztes Wirtschaftswachstum aus, das im Zusammenspiel mit grenzenlosen technologischen Innovationen Antworten auf alle Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft geben werde. Schon seit Jahrzehnten werden die Menschen aus Kreisen der Wissenschaft vor diesem Kollisionskurs mit der Natur gewarnt. Bereits 1983 gründeten die Vereinten Nationen eine Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, die sich 1987
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Vorwort des Herausgebers
mit dem so genannten Brundtland-Bericht zu Wort meldete. Unter dem Titel »Our Common Future« wurde ein Konzept vorgestellt, das die Menschen vor Katastrophen bewahren will und zu einem verantwortbaren Leben zurückfinden lassen soll. Gemeint ist das Konzept einer »langfristig umweltverträglichen Ressourcennutzung« – in der deutschen Sprache als Nachhaltigkeit bezeichnet. Nachhaltigkeit meint – im Sinne des Brundtland-Berichts – »eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstandard zu wählen«. Leider ist dieses Leitbild für ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltiges Handeln trotz zahlreicher Bemühungen noch nicht zu der Realität geworden, zu der es werden kann, ja werden muss. Dies liegt meines Erachtens darin begründet, dass die Zivilgesellschaften bisher nicht ausreichend informiert und mobilisiert wurden.
Forum für Verantwortung Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf zunehmend warnende Stimmen und wissenschaftliche Ergebnisse habe ich mich entschlossen, mit meiner Stiftung gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Ich möchte zur Verbreitung und Vertiefung des öffentlichen Diskurses über die unabdingbar notwendige nachhaltige Entwicklung beitragen. Mein Anliegen ist es, mit dieser Initiative einer großen Zahl von Menschen Sach- und Orientierungswissen zum Thema Nachhaltigkeit zu vermitteln sowie alternative Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Handeln – aus Einsicht und Verantwortung
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Denn das Leitbild »nachhaltige Entwicklung« allein reicht nicht aus, um die derzeitigen Lebens- und Wirtschaftsweisen zu verändern. Es bietet zwar eine Orientierungshilfe, muss jedoch in der Gesellschaft konkret ausgehandelt und dann in Handlungsmuster umgesetzt werden. Eine demokratische Gesellschaft, die sich ernsthaft in Richtung Zukunftsfähigkeit umorientieren will, ist auf kritische, kreative, diskussionsund handlungsfähige Individuen als gesellschaftliche Akteure angewiesen. Daher ist lebenslanges Lernen, vom Kindesalter bis ins hohe Alter, an unterschiedlichen Lernorten und unter Einbezug verschiedener Lernformen (formelles und informelles Lernen), eine unerlässliche Voraussetzung für die Realisierung einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung. Die praktische Umsetzung ökologischer, ökonomischer und sozialer Ziele einer wirtschaftspolitischen Nachhaltigkeitsstrategie verlangt nach reflexions- und innovationsfähigen Menschen, die in der Lage sind, im Strukturwandel Potenziale zu erkennen und diese für die Gesellschaft nutzen zu lernen. Es reicht für den Einzelnen nicht aus, lediglich »betroffen« zu sein. Vielmehr ist es notwendig, die wissenschaftlichen Hintergründe und Zusammenhänge zu verstehen, um sie für sich verfügbar zu machen und mit anderen in einer zielführenden Diskussion vertiefen zu können. Nur so entsteht Urteilsfähigkeit, und Urteilsfähigkeit ist die Voraussetzung für verantwortungsvolles Handeln. Die unablässige Bedingung hierfür ist eine zugleich sachgerechte und verständliche Aufbereitung sowohl der Fakten als auch der Denkmodelle, in deren Rahmen sich mögliche Handlungsalternativen aufzeigen lassen und an denen sich jeder orientieren und sein persönliches Verhalten ausrichten kann. Um diesem Ziel näher zu kommen, habe ich ausgewiesene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gebeten, in der
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Vorwort des Herausgebers
Reihe »Forum für Verantwortung« zu zwölf wichtigen Themen aus dem Bereich der nachhaltigen Entwicklung den Stand der Forschung und die möglichen Optionen allgemeinverständlich darzustellen. Die ersten acht Bände zu folgenden Themen sind erschienen: – Was verträgt unsere Erde noch? Wege in die Nachhaltigkeit (Jill Jäger) – Kann unsere Erde die Menschen noch ernähren? Bevölkerungsexplosion – Umwelt – Gentechnik (Klaus Hahlbrock) – Nutzen wir die Erde richtig? Die Leistungen der Natur und die Arbeit des Menschen (Friedrich Schmidt-Bleek) – Bringen wir das Klima aus dem Takt? Hintergründe und Prognosen (Mojib Latif) – Wie schnell wächst die Zahl der Menschen? Weltbevölkerung und weltweite Migration (Rainer Münz/Albert F. Reiterer) – Wie lange reicht die Ressource Wasser? Der Umgang mit dem blauen Gold (Wolfram Mauser) – Was sind die Energien des 21. Jahrhunderts? Der Wettlauf um die Lagerstätten (Hermann-Josef Wagner) – Wie bedroht sind die Ozeane? Biologische und physikalische Aspekte (Stefan Rahmstorf/ Katherine Richardson) Die letzten vier Bände der Reihe werden Ende 2007 erscheinen. Sie stellen Fragen nach dem möglichen Umbau der Wirtschaft (Bernd Meyer), nach der Bedrohung durch Infektionskrankheiten (Stefan H. E. Kaufmann), nach der Gefährdung der Artenvielfalt (Josef H. Reichholf) und nach einem möglichen Weg zu einer neuen Weltordnung im Zeichen der Nachhaltigkeit (Harald Müller). Zwölf Bände – es wird niemanden überraschen, wenn im
Handeln – aus Einsicht und Verantwortung
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Hinblick auf die Bedeutung von wissenschaftlichen Methoden oder die Interpretationsbreite aktueller Messdaten unterschiedliche Auffassungen vertreten werden. Unabhängig davon sind sich aber alle an diesem Projekt Beteiligten darüber einig, dass es keine Alternative zu einem Weg aller Gesellschaften in die Nachhaltigkeit gibt.
Öffentlicher Diskurs Was verleiht mir den Mut zu diesem Projekt und was die Zuversicht, mit ihm die deutschsprachigen Zivilgesellschaften zu erreichen und vielleicht einen Anstoß zu bewirken? Zum einen sehe ich, dass die Menschen durch die Häufung und das Ausmaß der Naturkatastrophen der letzten Jahre sensibler für Fragen unseres Umgangs mit der Erde geworden sind. Zum anderen gibt es im deutschsprachigen Raum bisher nur wenige allgemeinverständliche Veröffentlichungen wie Die neuen Grenzen des Wachstums (Donella und Dennis Meadows), Erdpolitik (Ernst-Ulrich von Weizsäcker), Balance oder Zerstörung (Franz Josef Radermacher), Fair Future (Wuppertal Institut) und Kollaps (Jared Diamond). Insbesondere liegen keine Schriften vor, die zusammenhängend das breite Spektrum einer umfassend nachhaltigen Entwicklung abdecken. Das vierte Kolloquium meiner Stiftung, das im März 2005 in der Europäischen Akademie Otzenhausen (Saarland) zu dem Thema »Die Zukunft der Erde – was verträgt unser Planet noch?« stattfand, zeigte deutlich, wie nachdenklich eine sachgerechte und allgemeinverständliche Darstellung der Thematik die große Mehrheit der Teilnehmer machte. Darüber hinaus stimmt mich persönlich zuversichtlich,
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Vorwort des Herausgebers
dass die mir eng verbundene ASKO EUROPA-STIFTUNG alle zwölf Bände vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie didaktisieren lässt, um qualifizierten Lehrstoff für langfristige Bildungsprogramme zum Thema Nachhaltigkeit sowohl im Rahmen der Stiftungsarbeit als auch im Rahmen der Bildungsangebote der Europäischen Akademie Otzenhausen zu erhalten. Das Thema Nachhaltigkeit wird in den nächsten Jahren zu dem zentralen Thema der ASKO EUROPASTIFTUNG und der Europäischen Akademie Otzenhausen. Schließlich gibt es ermutigende Zeichen in unserer Zivilgesellschaft, dass die Bedeutung der Nachhaltigkeit erkannt und auf breiter Basis diskutiert wird. So zum Beispiel auf dem 96. Deutschen Katholikentag 2006 in Saarbrücken unter dem Motto »Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht«. Die Bedeutung einer zukunftsfähigen Entwicklung wird inzwischen durch mehrere Institutionen der Wirtschaft und der Politik auch in Deutschland anerkannt und gefordert, beispielsweise durch den Rat für Nachhaltige Entwicklung, die Bund-LänderKommission, durch Stiftungen, Nicht-Regierungs-Organisationen und Kirchen. Auf globaler Ebene mehren sich die Aktivitäten, die den Menschen die Bedeutung und die Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung ins Bewusstsein rufen wollen: Ich möchte an dieser Stelle unter anderem auf den »MarrakeschProzess« (eine Initiative der UN zur Förderung nachhaltigen Produzierens und Konsumierens), auf die UN-Weltdekade »Bildung für nachhaltige Entwicklung« 2005–2014 sowie auf den Film des ehemaligen US Vizepräsidenten Al Gore An Inconvenient Truth (2006) verweisen.
Handeln – aus Einsicht und Verantwortung
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Wege in die Nachhaltigkeit Eine wesentliche Aufgabe unserer auf zwölf Bände angelegten Reihe bestand für die Autorinnen und Autoren darin, in dem jeweils beschriebenen Bereich die geeigneten Schritte zu benennen, die in eine nachhaltige Entwicklung führen können. Dabei müssen wir uns immer vergegenwärtigen, dass der erfolgreiche Übergang zu einer derartigen ökonomischen, ökologischen und sozialen Entwicklung auf unserem Planeten nicht sofort gelingen kann, sondern viele Jahrzehnte dauern wird. Es gibt heute noch keine Patentrezepte für den langfristig erfolgreichsten Weg. Sehr viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und noch mehr innovationsfreudige Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Managerinnen und Manager werden weltweit ihre Kreativität und Dynamik zur Lösung der großen Herausforderungen aufbieten müssen. Dennoch sind bereits heute erste klare Ziele erkennbar, die wir erreichen müssen, um eine sich abzeichnende Katastrophe abzuwenden. Dabei können weltweit Milliarden Konsumenten mit ihren täglichen Entscheidungen beim Einkauf helfen, der Wirtschaft den Übergang in eine nachhaltige Entwicklung zu erleichtern und ganz erheblich zu beschleunigen – wenn die politischen Rahmenbedingungen dafür geschaffen sind. Global gesehen haben zudem Milliarden von Bürgern die Möglichkeit, in demokratischer Art und Weise über ihre Parlamente die politischen »Leitplanken« zu setzen. Die wichtigste Erkenntnis, die von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft gegenwärtig geteilt wird, lautet, dass unser ressourcenschweres westliches Wohlstandsmodell (heute gültig für eine Milliarde Menschen) nicht auf weitere fünf oder bis zum Jahr 2050 sogar auf acht Milliarden Menschen übertragbar ist. Das würde alle biophysikalischen Grenzen unseres
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Vorwort des Herausgebers
Systems Erde sprengen. Diese Erkenntnis ist unbestritten. Strittig sind jedoch die Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind. Wenn wir ernsthafte Konflikte zwischen den Völkern vermeiden wollen, müssen die Industrieländer ihren Ressourcenverbrauch stärker reduzieren als die Entwicklungs- und Schwellenländer ihren Verbrauch erhöhen. In Zukunft müssen sich alle Länder auf gleichem Ressourcenverbrauchsniveau treffen. Nur so lässt sich der notwendige ökologische Spielraum schaffen, um den Entwicklungs- und Schwellenländern einen angemessenen Wohlstand zu sichern. Um in diesem langfristigen Anpassungsprozess einen dramatischen Wohlstandsverlust des Westens zu vermeiden, muss der Übergang von einer ressourcenschweren zu einer ressourcenleichten und ökologischen Marktwirtschaft zügig in Angriff genommen werden. Die Europäische Union als stärkste Wirtschaftskraft der Welt bringt alle Voraussetzungen mit, in diesem Innovationsprozess die Führungsrolle zu übernehmen. Sie kann einen entscheidenden Beitrag leisten, Entwicklungsspielräume für die Schwellen- und Entwicklungsländer im Sinn der Nachhaltigkeit zu schaffen. Gleichzeitig bieten sich der europäischen Wirtschaft auf Jahrzehnte Felder für qualitatives Wachstum mit zusätzlichen Arbeitsplätzen. Wichtig wäre in diesem Zusammenhang auch die Rückgewinnung von Tausenden von begabten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Europa nicht nur aus materiellen Gründen, sondern oft auch wegen fehlender Arbeitsmöglichkeiten oder unsicheren -bedingungen verlassen haben. Auf der anderen Seite müssen die Schwellen- und Entwicklungsländer sich verpflichten, ihre Bevölkerungsentwicklung in überschaubarer Zeit in den Griff zu bekommen. Mit stär-
Handeln – aus Einsicht und Verantwortung
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kerer Unterstützung der Industrienationen muss das von der Weltbevölkerungskonferenz der UNO 1994 in Kairo verabschiedete 20-Jahres-Aktionsprogramm umgesetzt werden. Wenn es der Menschheit nicht gelingt, die Ressourcen- und Energieeffizienz drastisch zu steigern und die Bevölkerungsentwicklung nachhaltig einzudämmen – man denke nur an die Prognose der UNO, nach der die Bevölkerungsentwicklung erst bei elf bis zwölf Milliarden Menschen am Ende dieses Jahrhunderts zum Stillstand kommt –, dann laufen wir ganz konkret Gefahr, Ökodiktaturen auszubilden. In den Worten von Ernst Ulrich von Weizsäcker: »Die Versuchung für den Staat wird groß sein, die begrenzten Ressourcen zu rationieren, das Wirtschaftsgeschehen im Detail zu lenken und von oben festzulegen, was Bürger um der Umwelt willen tun und lassen müssen. Experten für ›Lebensqualität‹ könnten von oben definieren, was für Bedürfnisse befriedigt werden dürften« (Erdpolitik, 1989).
Es ist an der Zeit Es ist an der Zeit, dass wir zu einer grundsätzlichen, kritischen Bestandsaufnahme in unseren Köpfen bereit sind. Wir – die Zivilgesellschaften – müssen entscheiden, welche Zukunft wir wollen. Fortschritt und Lebensqualität sind nicht allein abhängig vom jährlichen Zuwachs des Pro-Kopf-Einkommens. Zur Befriedigung unserer Bedürfnisse brauchen wir auch keineswegs unaufhaltsam wachsende Gütermengen. Die kurzfristigen Zielsetzungen in unserer Wirtschaft wie Gewinnmaximierung und Kapitalakkumulierung sind eines der Haupthindernisse für eine nachhaltige Entwicklung. Wir sollten unsere Wirtschaft wieder stärker dezentralisieren und den Welthan-
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Vorwort des Herausgebers
del im Hinblick auf die mit ihm verbundene Energieverschwendung gezielt zurückfahren. Wenn Ressourcen und Energie die »wahren« Preise widerspiegeln, wird der weltweite Prozess der Rationalisierung und Freisetzung von Arbeitskräften sich umkehren, weil der Kostendruck sich auf die Bereiche Material und Energie verlagert. Der Weg in die Nachhaltigkeit erfordert gewaltige technologische Innovationen. Aber nicht alles, was technologisch machbar ist, muss auch verwirklicht werden. Die totale Ökonomisierung unserer gesamten Lebensbereiche ist nicht erstrebenswert. Die Verwirklichung von Gerechtigkeit und Fairness für alle Menschen auf unserer Erde ist nicht nur aus moralisch-ethischen Prinzipien erforderlich, sondern auch der wichtigste Beitrag zur langfristigen Friedenssicherung. Daher ist es auch unvermeidlich, das politische Verhältnis zwischen Staaten und Völkern der Erde auf eine neue Basis zu stellen, in der sich alle, nicht nur die Mächtigsten, wieder finden können. Ohne einvernehmliche Grundsätze »globalen Regierens« lässt sich Nachhaltigkeit in keinem einzigen der in dieser Reihe diskutierten Themenbereiche verwirklichen. Und letztendlich müssen wir die Frage stellen, ob wir Menschen das Recht haben, uns so stark zu vermehren, dass wir zum Ende dieses Jahrhunderts womöglich eine Bevölkerung von 11 bis 12 Milliarden Menschen erreichen, jeden Quadratzentimeter unserer Erde in Beschlag nehmen und den Lebensraum und die Lebensmöglichkeiten aller übrigen Arten immer mehr einengen und zerstören. Unsere Zukunft ist nicht determiniert. Wir selbst gestalten sie durch unser Handeln und Tun: Wir können so weitermachen wie bisher, doch dann begeben wir uns schon Mitte dieses Jahrhunderts in die biophysikalische Zwangsjacke der Natur mit möglicherweise katastrophalen politischen Ver-
Handeln – aus Einsicht und Verantwortung
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wicklungen. Wir haben aber auch die Chance, eine gerechtere und lebenswerte Zukunft für uns und die zukünftigen Generationen zu gestalten. Dies erfordert das Engagement aller Menschen auf unserem Planeten.
Danksagung Mein ganz besonderer Dank gilt den Autorinnen und Autoren dieser zwölfbändigen Reihe, die sich neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit der Mühe unterzogen haben, nicht für wissenschaftliche Kreise, sondern für eine interessierte Zivilgesellschaft das Thema Nachhaltigkeit allgemeinverständlich aufzubereiten. Für meine Hartnäckigkeit, an dieser Vorgabe weitestgehend festzuhalten, bitte ich an dieser Stelle nochmals um Nachsicht. Dankbar bin ich für die vielfältigen und anregenden Diskussionen über Wege in die Nachhaltigkeit. Bei der umfangreichen Koordinationsarbeit hat mich von Anfang an ganz maßgeblich Ernst Peter Fischer unterstützt – dafür meinen ganz herzlichen Dank, ebenso Wolfram Huncke, der mich in Sachen Öffentlichkeitsarbeit beraten hat. Für die umfangreichen organisatorischen Arbeiten möchte ich mich ganz herzlich bei Annette Maas bedanken, ebenso bei Ulrike Holler vom S. Fischer Verlag für die nicht einfache Lektoratsarbeit. Auch den finanziellen Förderern dieses Großprojektes gebührt mein Dank: allen voran der ASKO EUROPA-STIFTUNG (Saarbrücken) und meiner Familie sowie der Stiftung Europrofession (Saarbrücken), Erwin V. Conradi, Wolfgang Hirsch, Wolf-Dietrich und Sabine Loose. Seeheim-Jugenheim Sommer 2006
Stiftung Forum für Verantwortung Klaus Wiegandt
Vorwort Noch immer vergeht keine Woche ohne Meldung in der Tagespresse zu Unsicherheiten in der Energieversorgung und zu steigenden Energiepreisen. Energie ist zum Tagesthema geworden. Es werden viele Vorschläge unterbreitet, wo Energie eingespart werden könnte oder wie zusätzlich alternative Energien einen Beitrag leisten könnten. Was fehlt, ist eine sachbezogene Darstellung der Fakten, die eine vergleichende Einordnung von einzelnen Problemen ermöglicht. Diese Lücke soll das Buch füllen. Ausgehend von den unterschiedlichen Energieformen stellt es die Vorratsund Verbrauchssituation weltweit und in Deutschland dar. Es behandelt die Fragen des Zugangs zu den Lagerstätten und greift das Spannungsfeld zwischen Energieverbrauch und nachhaltigem Wirtschaften auf. Dabei wird auf drei Ebenen argumentiert: Zunächst aus der Sicht des Ungleichgewichts im Energieverbrauch und Bevölkerungswachstum zwischen den reichen und armen Ländern in der Welt, dann aus dem Blickwinkel der Energieversorgung und des Energieverbrauchs in Deutschland und schließlich aus der Sicht des persönlichen Energiebedarfs. Damit soll die der Energieproblematik angemessene ganzheitliche Sicht erreicht werden. In diesem Buch versuche ich alle wichtigen Entwicklungen und Einflüsse in ihrer Gesamtheit darzustellen und einzuord-
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Vorwort
nen. Es kann aber nicht auf jede technische, wirtschaftliche oder in Zukunft denkbare Option eingegangen werden; das würde den Rahmen dieses Buches überschreiten. Dieses Buch wie die gesamte Buchreihe zur Zukunft der Menschheit ist durch Herrn Klaus Wiegandt, Stifter und Vorstand des »Forums für Verantwortung«, angeregt worden. Dafür, dass er sich der Aufgabe stellt, die Fragen der Zukunft der Menschheit zu diskutieren, sei Herrn Wiegandt sehr herzlich gedankt. Das Buch zu schreiben war nur möglich durch die Mithilfe von Frau Stefanie Weber und insbesondere von Frau Manuela Kötter. Ihnen sei an dieser Stelle ganz herzlich für die Ausführung von Schreibarbeiten, für Anregungen und kritische Anmerkungen zu dem einen oder anderen Themenbereich gedankt. Hermann-Josef Wagner
Die verschiedenen Gesichter der Energie
1 Energieformen und Einheiten Energie kennen wir aus dem Alltag: Strom, Gas und Benzin. In der Schule lernten wir, dass es elektrische, mechanische und sonstige Energieformen gibt. Energie kann in vielen Formen auftreten und genutzt werden: – potenzielle Energie durch Höhenunterschiede (genutzt z. B. im Wasserkraftwerk), – kinetische Energie durch bewegte Teilchen (z. B. Wind), – chemische Energie (z. B. die in der Kohle gespeicherte Energie), – thermische Energie (z. B. die Wärme bei der Kohleverbrennung), – elektrische Energie (elektrischer Strom), – elektromagnetische Energie (z. B. Mikrowelle), – nukleare Energie (Kernspaltung, Kernfusion). Energie ist die Fähigkeit eines »Systems«, Arbeit zu leisten. Dabei kann Energie von einem System auf ein anderes auf drei Arten übertragen werden: – durch Verrichten von (mechanischer) Arbeit (z. B. Riemenantrieb), – durch Wärmeaustausch (z. B. beim Dampfkessel), – durch elektromagnetische Felder (z. B. im Elektromotor).
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Verschiedene Gesichter der Energie
Energie kann – physikalisch gesehen – von einer Energieform in eine andere umgewandelt werden. Dabei sind von besonderer praktischer Bedeutung die thermische (Wärme) und die elektrische Energie. Der größte Teil des Energiebedarfs der Menschen wird heute durch Energieträger gedeckt, die verbrannt werden und dabei Wärme (thermische Energie) erzeugen. In vielen Fällen wird jedoch kinetische Energie (zum Antrieb von Maschinen) benötigt, die aus thermischer Energie nicht ganz einfach gewonnen werden kann. Deshalb wurde das erste brauchbare Verfahren für diese Umwandlung erst ziemlich spät in der Technikgeschichte entwickelt. Nach den physikalischen Gesetzen kann immer nur ein Teil der Wärmeenergie in mechanische Energie umgewandelt werden. Dieser Anteil ist umso größer, je höher die obere Prozesstemperatur und je niedriger die untere ist. Die obere Prozesstemperatur ist im Allgemeinen durch die Materialeigenschaften der Anlage begrenzt, die untere durch die Umgebungstemperatur. Die nicht umgewandelte Wärmeenergie muss als Abwärme an die Umgebung abgeführt werden, wenn man sie nicht mehr – beispielsweise für Heizzwecke – nutzen kann. Diese Zusammenhänge führen beispielsweise dazu, dass selbst im modernsten Dampfkraftwerk die eingesetzte Kohle nur zu 45 % in Elektrizität umgewandelt werden kann. Der Rest der Energie wird über den Kühlturm an die Umgebung abgeführt. Elektrische Energie ist dagegen im Vergleich zur Wärmeenergie sehr hochwertig, weil sie ohne große Verluste in alle anderen Energieformen umgewandelt werden kann; überdies ist sie durch metallische Leiter leicht transportierbar. Obwohl Energie nach den Gesetzen der Physik nicht »erzeugt« oder »verbraucht« werden, sondern nur von einer Form in eine andere umgewandelt werden kann, wird im All-
Energieformen und Einheiten
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tag und in der Energiewirtschaft von Energieerzeugung und -verbrauch gesprochen. Wirtschaftlich handelt es sich dabei in der Tat um die Beziehungen zwischen Produzenten und Konsumenten. Verbrauchte Energie ist wirtschaftlich nichts mehr wert. Auch in diesem Buch werden diese Begriffe so verwendet.
1.1 Die Energiekette Die Energien, die der Mensch nutzt, stammen aus Primärenergieträgern. Das sind die in der Natur vorkommenden Energieträger: die fossilen Energieträger Steinkohle, Braunkohle, Erdöl, Erdgas, die Kernbrennstoffe Uran und Thorium sowie die erneuerbaren Energien Biomasse, Sonnenstrahlung, Wind, Wasserkraft, Erdwärme, Gezeitenenergie. Diese Primärenergieträger können in der vorliegenden Form in den meisten Fällen nicht direkt technisch genutzt werden. Deshalb werden sie zum großen Teil in Sekundärenergieträger umgewandelt (Abb. 1), dies sind beispielsweise Koks, Briketts, Heizöl, Benzin, Strom, Fernwärme. Sekundärenergieträger wie Heizöl und Benzine sind hinsichtlich ihrer chemischen, der elektrische Strom hinsichtlich seiner physikalischen Eigenschaften genormt. In Einzelfällen werden auch Sekundärenergieträger weiter umgewandelt, z. B. wird schweres Heizöl auch zur Stromerzeugung eingesetzt. Die Sekundärenergien werden zu den »Verbrauchern« transportiert und von ihnen genutzt. In den Energiestatistiken werden sie in diesem Fall als Endenergieträger bezeichnet. Die Verbraucher – Haushalte, Handel, Gewerbe, Industrie, Verkehr – benötigen letztlich Nutzenergie in Form von
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Verschiedene Gesichter der Energie
Raumwärme, warmem Wasser, einer heißen Herdplatte, Licht, Kälteleistung von Kühlgeräten, mechanischer Antriebskraft von Motoren, Schall usw. Bei jeder Umwandlung treten technisch und zum Teil auch physikalisch bedingte »Verluste« auf, sodass von der eingesetzten Primärenergie in Deutschland bei den gegenwärtigen Techniken im Mittel nur rund ein Drittel der Primärenergie als Nutzenergie übrig bleibt.
Abb. 1 Wege der Energie. Von der Primärenergie bis zu den Faktoren, die die Energienachfrage bestimmen.
Der eigentliche Motor der Energienutzung sind Menschen mit ihren Bedürfnissen nach Nahrung, warmen Räumen und Komfort, deren Umfang vom jeweiligen Lebensstandard und der wirtschaftlichen Tätigkeit abhängt. Diese Größen bestimmen die sogenannten energieverbrauchsbestimmenden Fak-
Energieformen und Einheiten
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toren, oft auch Energiedienstleistungen genannt, wie zum Beispiel – das auf ein bestimmtes Temperaturniveau zu beheizende Raumvolumen, – die Fortbewegung mit einer bestimmten Geschwindigkeit von einem Ort zum anderen (Auto, Bahn), – die Helligkeit und Größe von Flächen, die beleuchtet werden sollen (Licht), – die Mengen von zu erschmelzendem Aluminium, Eisen, Kupfer (Fertigungsprozesse). Die Betrachtung der Energieketten lässt bereits an dieser Stelle zwei wesentliche Handlungsmöglichkeiten zur Minderung der energiebedingten Umwelteinflüsse erkennen: – Durch eine Verringerung der energienachfragebestimmenden Faktoren – wie beispielsweise die Reduzierung der Raumtemperaturen, weniger gefahrene Kilometer oder weniger Quadratmeter zu beheizende Fläche – kann durch die kleinere benötigte Energiemenge auf allen Ebenen die damit verbundene Umweltbelastung reduziert werden. – Die Technik bietet unterschiedliche Ketten zur Befriedigung des gleichen Nutzenergiebedarfs an. Beispielsweise kann die gleiche Menge Raumwärme als Nutzenergie entweder durch Elektrospeicherheizung mit Strom aus einem Braunkohlekraftwerk (Energiekette: Braunkohle – Strom – Raumwärme) oder durch Gasheizung (Energiekette: Naturgas – Erdgas – Raumwärme) geliefert werden. Die Energieverluste sind im zweiten Fall geringer als im ersten.
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Verschiedene Gesichter der Energie
Auch bestehen Möglichkeiten, bei gleichen nachfragebestimmenden Faktoren den Nutzenergiebedarf in unterschiedlicher Höhe zu befriedigen. Dies gilt insbesondere für Raumwärme und Kälte, wo schlechtere oder bessere Wärmedämmung den Wärmeabfluss durch Wärme vergrößern oder vermindern, sodass unterschiedlicher Nutzenergiebedarf erforderlich ist, um den Raum bei einem vorgegebenen Temperaturniveau zu erwärmen bzw. zu kühlen.
1.2 Energieeinheiten In der Energiewirtschaft und Energietechnik sind eine Vielzahl von Energieeinheiten gebräuchlich, die den Vergleich unterschiedlicher Angaben über Energieverbrauch, Energiebedarf und Art des verwendeten Energieträgers sehr häufig erschweren. Aus diesem Grunde enthält Tab. 1 die häufig verwendeten Einheiten, Vorsätze und Umrechnungsfaktoren. Obwohl für die Bundesrepublik Deutschland seit 1978 als gesetzliche Einheit für Energie verbindlich das Joule (J) und die davon abgeleitete Kilowattstunde (kWh) gelten, werden in der Praxis wegen ihrer guten Anschaulichkeit noch sehr häufig die Einheiten Steinkohleeinheit (SKE) und Rohölenergie (RÖE) verwendet. Beispielsweise ist in einer Tonne SKE so viel Energie wie in einer Tonne Steinkohle enthalten. Eine Tonne Rohöleinheit ist so viel Energie, wie an Heizwert in einer Tonne Rohöl einer festgelegten Marke bei Verbrennung frei wird. In der Ölwirtschaft wird weltweit auch noch mit dem »Ölfass« Barrel (bbl oder b), einem Volumenmaß, gerechnet.
Energieformen und Einheiten
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Tab. 1 Zur Umrechnung von Energieeinheiten (Abkürzungen siehe Text).
Die gesetzlich vorgeschriebene Einheit für die Leistung ist das Watt. Die Leistung von Glühbirnen wird in Watt, die von Autos in Kilowatt (kW) – das sind 1000 Watt – und von Kraftwerken in Megawatt (MW) – das sind 1 Mio. Watt – angegeben. Bei Wärmekraftwerken unterscheidet man zwischen der thermischen Leistung, die dem Energieinhalt des Dampfes beim Eintritt in die Turbine entspricht, und der elektrischen Leistung, die vom Generator abgegeben wird. Zur Bezeichnung dieser beiden Leistungsangaben werden öfters die Einheiten MWth (thermische Leistung) und MWe (elektrische Leistung) verwendet. Der Elektrizitätsverbrauch im Haushalt wird mit Kilowatt-
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Verschiedene Gesichter der Energie
stunden (kWh) angegeben. Beispielsweise verbraucht ein PC mit Drucker, der sieben Stunden läuft, 1 kWh, ein Haushalt verbraucht 3000–6000 kWh im Jahr. Die Elektrizitätserzeugung eines Landes wird dagegen in der Einheit Terawattstunden (TWh) angegeben. Eine Terawattstunde sind 1 Mrd. Kilowattstunden. Alle Kraftwerke zusammen erzeugen in Deutschland im Jahr 615 TWh. Geht es um den gesamten Primärenergieverbrauch eines Landes oder der Welt, müssen noch größere Einheiten gebraucht werden, beispielsweise Petajoule (PJ) oder Exajoule (EJ). Ein Petajoule sind 1 J mit 15 Nullen, ein Exajoule sogar mit 18 Nullen. Diese unvorstellbar großen Zahlen ergeben sich dadurch, dass ein Joule eine äußerst geringe Menge Energie ist. Eine kWh Strom in Joule umgerechnet sind beispielsweise schon 3600000 Joule oder 3,6 Megajoule (MJ). Die Einheit Joule kennt man im Alltag auch aus den Ernährungstabellen. Der von einem erwachsenen Menschen benötigte Tagesverbrauch an Nahrung entspricht energetisch etwa 7000 bis 10000 Kilojoule (oft wird fälschlicherweise das Kilo weggelassen). Umgerechnet in andere Energieeinheiten entsprechen 10000 kJ ca. 2,8 kWh oder dem Heizwert von etwa 0,28 Liter Heizöl. Natürlich geht es bei der Nahrungsaufnahme aber nicht nur um den reinen Energieumsatz, wie man weiß. In diesem Buch werden verschiedene Energieeinheiten – teilweise gleichzeitig – verwendet. Die Energieeinheiten Joule und Kilowattstunden sind nicht anschaulich. Deshalb werden häufiger Energiemengen auch in Tonnen SKE oder in Liter Rohöl angegeben. Dann kann man sich den Energieverbrauch etwas anschaulicher vorstellen. Man möge bei den Tonnen Steinkohleeinheiten an einen dreiachsigen Lastwagen denken, der eine Ladung von etwa 15 Tonnen transportiert. Bei
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den Tonnen Rohöleinheiten bietet sich die Vorstellung eines Sattelzug-Tankwagens an, dessen Ladevolumen etwa 21000 Liter Öl oder rund 18 Tonnen Ladegewicht beträgt.
2 Das Angebot der Natur Die historisch ältesten vom Menschen genutzten Energieformen sind erneuerbare Energien. Bereits weit vor Christi Geburt wurden sie zum Antrieb von Schiffen, von Windrädern und von Wasserrädern verwendet. Es wurde mechanische Energie erzeugt. Die Wärmeenergie kam entweder direkt von der Sonne oder aber durch Verbrennen von Holz, dessen Wachstum durch die Aufnahme von Sonnenenergie ermöglicht wird. Die zunehmende Zahl der Bevölkerung und ihre Sesshaftigkeit führten bereits im Mittelalter dazu, dass der Energieträger Holz in manchen Teilen Mitteleuropas knapp wurde. Steinkohle war zwar seit dem 9. Jahrhundert in England bekannt, und im Aachener Raum ist ihr Abbau seit ungefähr 1100 herum bezeugt. Die abgebauten Mengen waren jedoch produktionstechnisch bedingt gering. Gemeinsam mit bahnbrechenden Entwicklungen der Energietechnik, wie beispielsweise der Erfindung der Dampfmaschine 1769 oder später des elektrischen Generators, taten sich ganz neue Welten der Mechanisierung in der Produktion, aber auch bei der Mobilität auf. Steinkohle – aber auch Erze – ließen sich nun in großen Mengen abbauen. Die Menschen erfuhren eine allgemeine Steigerung des Lebensstandards. Auf Erdöl wurde man erst später aufmerksam. Es entwickelte sich aufgrund seiner Eigenschaften schnell zum wichtigsten Energieträger für die Versorgung der
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Menschheit und ist es bis heute geblieben. Erdgas und Kernenergie sind auf der Zeitachse der Energienutzung noch jüngere Energieträger. Holz und Torf spielen heute in der Energieversorgung der Industrieländer keine Rolle mehr. In den armen Entwicklungsländern dagegen ist Holz für die Landbevölkerung nach wie vor ein wichtiger Energieträger, der teilweise auch über Händler kommerziell gehandelt wird. Er dient insbesondere dazu, warme Mahlzeiten zuzubereiten. In den meisten Fällen wird mehr Holz genutzt als nachwächst. Dies führt zu zum Teil katastrophalen Folgen für die Umwelt: Am Rande von Wüstengebieten, beispielsweise der Sahelzone in Afrika, dehnt sich die Wüste aus, weil Sträucher abgeholzt wurden, die das Wachsen der Wüste aufhalten sollten. Auf Madagaskar beispielsweise spült der Monsunregen den Mutterboden von den Hängen, eine Wiederaufforstung ist danach nicht mehr möglich. Eine offizielle Statistik über die Holznutzung gibt es nicht. Aber Schätzungen zufolge werden etwa 5 % des weltweiten Energieverbrauchs noch durch Holz gedeckt. Im Folgenden sollen die einzelnen in der Natur vorkommenden Energieformen, ihre Gewinnung und ihre Umwandlung zu technisch brauchbaren Energieträgern kurz beschrieben werden. Ziel der Ausführungen ist es, ein Gespür dafür zu erhalten, mit welchem technischen Aufwand, welchen Umweltauswirkungen und welchen ökonomischen und politischen Randbedingungen ihre Verfügbarkeit sichergestellt werden kann.
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2.1 Kohle Kohle kommt in unterschiedlichen Qualitätsformen, je nach Alter der Lagerstätte, vor. Ganz grob können zwei große Gruppen unterschieden werden: Braunkohle und Steinkohle. Die Braunkohle, benannt nach ihrer bräunlichen Farbe, ist die erdgeschichtlich jüngere Kohle, und ihre Lagerstätten sind nur in wenigen Ländern auf der Welt zu finden. Dazu gehört Deutschland mit seinen großen Braunkohlevorkommen im rheinischen Revier zwischen Köln und Aachen, in der Lausitz und in Mitteldeutschland um Bitterfeld. Die Braunkohle liegt je nach Gebiet bis zu 150 Meter unter der Erdoberfläche. Da die Braunkohlevorkommen in dichter besiedelten Gebieten liegen, ist mit der Erschließung neuer Tagebaue auch eine Umsiedlung von Menschen verbunden. Die über der Kohle vorhandene Erde, der sogenannte Abraum, muss erst beiseitegeschafft werden, um die Braunkohle dann mit großen Baggern, die bis zu 200 Meter lang und 150 Meter hoch sind, zu fördern. Der Abraum wird entweder in einen benachbarten, ausgekohlten Braunkohlebergbau transportiert, oder aber er wird als Kunsthügel in der Nähe des Tagebaues aufgeschichtet und begrünt. So ist beispielsweise die Sophienhöhe beim größten Braunkohletagebau Europas in der Nähe von Jülich entstanden, ein stattlicher Hügel, der mit fast 200 Metern über der Umgebung aufragt. Um sicherzustellen, dass während der Betriebszeit die Tagebaue wasserfrei sind, muss das Grundwasser großflächig abgepumpt werden. Dies führt zu einem kraterförmigen Absinken des Grundwasserspiegels um den Tagebau herum. Die Braunkohle besitzt einen niedrigen Heizwert und einen hohen Anteil an Wasser, der im Winter auch Transportbänder und Ladungen, beispielsweise in Eisenbahnwaggons, einfrieren lassen kann. Ein weiter Transport ist
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deshalb wirtschaftlich nicht ratsam. So wird Braunkohle überwiegend auf Bandstraßen direkt aus dem Tagebau heraus zu den umliegenden Kraftwerken transportiert. Deren Standort ist dann durch den Braunkohlebergbau festgelegt. Erfreulicherweise sind die Dicken der Vorkommen, die Flöze, mit bis zu 70 Metern sehr groß. Deshalb lohnt sich der Abbau mit den großen Baggergeräten. Letztendlich ist die Braunkohle aus Kostensicht ein sehr günstiger Energieträger. Sind Teile des Tagebaus ausgekohlt, wird der über der restlichen Kohle liegende Abraum dorthin verbracht, also innerhalb des Tagebaus umgeschichtet. Ist der Tagebau vollständig ausgekohlt, verbleibt ein »Restloch«, das üblicherweise als See mit Erholungslandschaft gestaltet wird. Braunkohle wird nicht mehr weiterveredelt, bevor sie in den Kesseln der Kraftwerke verbrannt wird. Früher wurde ein Teil zu Briketts weiterverarbeitet, die als Haus- und Industriebrand dienten. Da die Kohle heute keinen nennenswerten Anteil mehr im privaten Wärmemarkt hält, ist auch die Brikettproduktion erheblich zurückgegangen. Steinkohle ist die ältere Form der Kohle. Sie kommt in unterschiedlichen Sorten mit unterschiedlichen Eigenschaften vor. Ihr Heizwert ist im Schnitt gesehen etwa 2,5-mal so hoch wie der von Braunkohle. Die Steinkohlevorräte der Welt sind – geologisch bedingt – hinsichtlich ihrer technischen Erschließung sehr unterschiedlich. In den USA und in Australien existieren Steinkohlevorkommen, die mit unseren Braunkohlevorkommen hinsichtlich Größe und Flözdicke vergleichbar sind. Sie werden deshalb auch im Tagebau mit großen Baggergeräten abgebaut. Sie können als Importsteinkohle wesentlich billiger auf dem europäischen Markt angeboten werden als die in Europa geförderte Steinkohle. Diese befindet sich in
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Tiefen – der Bergmann sagt Teufe – von nunmehr 800 bis 1700 Metern und hat nur eine Flözdicke von wenigen Metern. Zum Teil liegen die Flöze noch schräg im Boden, sodass es schwierig ist, sie mechanisch abzubauen. Dank eines hohen Grades an Mechanisierung im Steinkohlebergbau in Deutschland konnten hohe Förderleistungen erzielt und die höheren Lohnkosten zum Teil kompensiert werden. Trotzdem ist die unter derlei Verhältnissen abzubauende Kohle teurer als die Importkohle, was zu einem ständigen politischen Druck auf den Steinkohlebergbau führt. Wurden in den 1950er Jahren in Deutschland noch 150 Mio. Tonnen Steinkohle pro Jahr abgebaut, so waren es im Jahre 2005 nur noch 26 Mio. Tonnen, das politisch vereinbarte langfristige Ziel sind nur 16 Mio. Tonnen. Der Abbau der Kohle erfolgt beispielsweise mit sogenannten Kohlehobeln. Es werden zwei Stollen im Abstand von etwa 100 Metern parallel durch ein Kohlegebiet vorgetrieben und mit einem Querstollen verbunden. In diesen Querstollen wird der Kohlehobel eingebaut. Er sieht beinahe wie eine große Hand mit spitzen Stahlfingern aus, die, an einer Kette gezogen, die Kohle abkratzen. Diese fällt auf ein Transportband, das die Kohle dann bis zum Schacht transportiert, wo sie auf Wagen verladen nach oben befördert wird. Steinkohle wird zum einen zum Einsatz in Kraftwerken, zum anderen als weiterveredeltes Produkt in Form von Koks oder Kokskohle zur Stahlerzeugung verwendet. Früher wurde bei der Koksherstellung das sogenannte Stadtgas gewonnen und zum Beheizen genutzt. Heute ist es durch das Erdgas ersetzt worden. Die aufgrund der Geologie wesentlich ungünstigeren Verhältnisse des Kohleabbaus in Mitteleuropa gegenüber anderen Kohlevorkommen auf der Welt haben dazu geführt, dass eine Reihe von europäischen Ländern bereits vor zwei Jahrzehnten
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ihren Steinkohlebergbau aufgegeben oder stark verringert haben: Belgien und die Niederlande haben ihren Steinkohlebergbau ganz eingestellt, Großbritannien, Deutschland und Polen sind auf dem Wege der Reduzierung. Sowohl Braunkohle als auch Steinkohle enthalten Schwefel. Bei der Verbrennung bildet sich daraus das unerwünschte Schwefeldioxid. Es wird in modernen Kraftwerken über chemische Verfahren aus den Rauchgasen abgeschieden.
2.2 Erdöl Ölvorkommen sind sowohl vom Lande aus als auch Offshore vom Wasser aus über Bohrplattformen zugänglich. Erdöl sitzt in den Poren von Sanden oder Gesteinen in Teufen bis zu etwa 3000 Metern in der Erde. Sehr häufig enthalten Erdöllagerstätten auch gasförmige Kohlenwasserstoffe, die in der Lagerstätte neben dem Gebirgsdruck einen zusätzlichen Druck aufgebaut haben. Wird die Lagerstätte nun angebohrt, wird das Erdöl aufgrund des in der Lagerstätte vorhandenen Druckes an die Oberfläche transportiert. In diesem Falle spricht man von Primärförderung. Die meisten heute produzierenden Öllagerstätten funktionieren nach diesem Muster. Ist der Druck in der Lagerstätte abgebaut oder aufgrund der natürlichen Gegebenheiten zu niedrig, muss künstlicher Druck erzeugt werden. Dies kann durch Einpumpen von Wasserdampf oder aber auch Kohlendioxid (CO2) geschehen. Man spricht dann von der Sekundärförderung. Werden noch Chemikalien dazugegeben, die die Viskosität des Erdöls vermindern und damit seine Förderung besser ermöglichen, spricht man von der Tertiärförderung. Über Primärförderung
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werden Erdöllagerstätten im Mittel nur zu 25 % entölt, d. h., der meiste Teil des physikalisch vorhandenen Öls bleibt im Boden. Die primären Entölungsgrade schwanken sehr. In besonders günstigen Fällen können sie bei 40 % liegen, in ungünstigen Fällen (wenig Lagerdruck, hohe Viskosität des Erdöls) bei nur 10 %. Mit Sekundär- und Tertiärförderung lassen sich die Entölungsgrade im Schnitt auf bis zu 45 % ausdehnen, d. h., letztendlich kann man gegenüber der Primärförderung aus der Lagerstätte rund 30 % mehr Öl fördern. Erdöle sind chemisch gesehen ein komplexes Gemisch verschiedener Kohlenwasserstoffe von unterschiedlicher Molekülgröße. Sie sind überwiegend kettenförmig (sogenannte Paraffine) oder auch ringförmig (Naphthene und Aromate) angeordnet. Je höher der Anteil der längeren Ketten ist, umso schwerer ist das Erdöl vom spezifischen Gewicht her und umso größer ist der Verarbeitungsaufwand zu den auf dem Markt nachgefragten leichten Produkten. Begehrt auf dem Weltmarkt und höher bezahlt sind sogenannte leichte Rohöle, beispielsweise die Qualität Brent aus der Nordsee oder aber die Arabian Light Spezifikation Saudi Arabiens. Weniger begehrt sind Schweröle, wie beispielsweise das Öl aus Venezuela. Die technisch nutzbaren Eigenschaften des geförderten Erdöles, Rohöl genannt, sind gering. Man sagt Rockefeller den Ausspruch nach, dass es nicht einmal zum Schmieren von Karrenrädern zu verwenden sei. Erst in der Raffinerie werden aus dem Rohöl Produkte hergestellt, die technisch verwendet werden können. Eine Raffinerie besteht im Wesentlichen aus drei Produktionsschritten. Im ersten Schritt, den Destillationstürmen, werden die unterschiedlichen Ketten getrennt. Dies geschieht über Erhitzung und eine gezielte Temperaturschichtung in den Destillationstürmen. Es entstehen soge-
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nannte leichte, mittelschwere und schwere Fraktionen. Gewünscht ist ein möglichst großer Anteil der leichten Fraktionen, denn sie werden zu den Produkten verarbeitet, die am meisten auf dem Markt nachgefragt werden, wie beispielsweise Flugbenzin, Benzin zum Autofahren oder als Rohstoff für die chemische Industrie. Der zweite Schritt dient dazu, den Anteil der schweren Fraktionen zu verringern. Die verbleibenden langen Ketten werden über Druck und Temperatur aufgebrochen, es wird Wasserstoff hinzugegeben, und es werden neue, kürzere Ketten, also leichtere Fraktionen gebildet. Im dritten Verarbeitungsschritt geht es darum, den einzelnen Produkten nun die Marktqualität zu geben, die nach internationalen Normen gewährleistet werden muss, damit beispielsweise das Benzin an jeder Tankstelle die gleiche Qualität hat. Es gelingt technisch bedingt nie, alle schweren Produkte in leichte oder mittelschwere (wie beispielsweise Heizöl oder Dieselkraftstoffe) umzuwandeln. Eine moderne Raffinerie kann deshalb aus einer Tonne Rohöl etwa 300 kg leichte Produkte, etwa 400 kg mittelschwere Produkte und etwa 300 kg schwere Produkte erzeugen. Das schwere Heizöl wird häufig als Brennstoff zur Stromerzeugung oder aber in großen Industriefeuerungen eingesetzt. Es ist bei normaler Umgebungstemperatur zähflüssig wie Sirup und muss erst auf über 100 °C erhitzt werden, damit es gepumpt werden kann. Genauso wie die Steinkohle enthält auch das Rohöl Schwefel. Die Schwefelanteile sind je nach Herkunft des Rohöls unterschiedlich hoch. Verbleiben sie in den Raffinerieprodukten, werden sie bei der Verbrennung zu Schwefeldioxid (SO2) und müssen in einer Entschwefelungsanlage aus den Rauchgasen abgeschieden werden. Eine andere Möglichkeit ist, dem Rohöl den Schwefel mit Hilfe von Wasserstoff gleich in der Raffinerie zu entziehen. Diesen Weg geht man beispielsweise beim
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leichten Heizöl, das an die Haushalte geliefert wird, und bei den Dieselkraftstoffen für den Verkehrsbereich. Neben den bisher beschriebenen Ölvorkommen findet man in den Provinzen Alberta und British Columbia in Kanada noch große Ölmengen in Form von Ölschiefer und Ölsanden. Es sind, wie der Name sagt, mit (schwerem) Öl getränkte Sande und Schieferformationen. Um das Öl daraus zu gewinnen, müssen sie abgebaut werden, um dann mit Hilfe von Wärme das Öl herauszulösen. Ein anderer Weg ist die sogenannte Insitu-Vergasung, das Öl wird bereits vor Ort durch Einleiten von heißem Dampf verflüssigt und abgesaugt. Energetisch gesehen sieht die Bilanz bei der Förderung wie folgt aus: In einer Tonne Teersand sind rund 90 Liter Öl enthalten. Berücksichtigt man den Energieaufwand, der zur Gewinnung und Verarbeitung des enthaltenen Öls in einer dem Rohöl vergleichbaren Form erforderlich ist, muss ein Energieaufwand eingesetzt werden, der etwa dem von 20 Liter Öl entspricht. Energetisch gesehen sind also noch rund 70 Liter Öl pro Tonne Teersand verfügbar. Den Tagebauen für Metallerze oder Kohleabbau vergleichbar, werden große Flächen in Anspruch genommen. Die in den letzten Jahren gestiegenen Weltmarktpreise für Rohöl haben dazu geführt, dass sich die Gewinnung von Öl aus Ölsanden und -schiefern von kleinem Niveau ausgehend vergrößert. Man schätzt die heutigen Produktionskosten auf etwa 40 $ pro Barrel, das ist etwa 2,5-mal so hoch wie die derzeitigen Ölproduktionskosten aus den Lagerstätten der OPEC.
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2.3 Erdgas Erdgaslagerstätten sind vergleichbar den Öllagerstätten sowohl Onshore als auch Offshore erschließbar. Große Lagerstätten liegen beispielsweise in Sibirien und in der Nordsee vor Norwegen, um je ein Beispiel für die Förderungsarten zu nennen. Erdgas wird aus den gleichen Teufen wie Erdöl gefördert. Der Druck in der Lagerstätte reicht aus, um das Erdgas an die Oberfläche treten zu lassen. Aufgrund seiner geologischen Herkunft ist das Rohgas von unterschiedlicher Qualität und nicht in einer solchen chemischen Form, dass es unmittelbar zum Verbraucher weitergeleitet werden könnte. Es enthält beispielsweise Schwermetallbestandteile. Man unterscheidet auch zwischen sogenanntem sauren und süßen Erdgas, wobei die Süßerdgaslagerstätten überwiegen. In Deutschland liegen Sauer- und Süßgasfelder dicht beieinander. Die Bezeichnung süß / sauer leitet sich aus dem Gehalt an Schwefelwasserstoff (H2S) ab. Ist mehr als 1 % Schwefelwasserstoff im Gas enthalten, spricht man von sauerem Erdgas, bei weniger als 5 ppm Anteil (ppm = part per million – ein Teil auf eine Million Teile, also ein Millionstel) von süßem Erdgas, und im Bereich dazwischen wird das Erdgas als Lean-Gas bezeichnet. In Deutschland haben einzelne Bohrlöcher Schwefelwasserstoffgehalte bis zu 25 %. Bereits am Bohrloch fängt die Behandlung des Erdgases an. Je nach Qualität und Sorte des Erdgases muss Sand abgeschieden werden, es muss eine Trocknung durch Glykol- oder Methanolzugabe erfolgen, um die Korrosionsgefahr zu begrenzen, flüssige höhere Kohlenwasserstoffe, das sind besonders lange Ketten oder besonders große Ringmoleküle, müssen auskondensiert werden. In der nachfolgenden Erdgasaufbereitungsanlage wird bei Bedarf Schwefelwasserstoff abgetrennt und über chemische Umwandlungsprozesse
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letztendlich als Schwefel der chemischen Industrie zugeführt. Auch im Erdgas enthaltenes Kohlendioxyd muss durch Tieftemperaturprozesse entfernt werden, ebenso erfolgt eine Abscheidung von Stickstoff. So aufbereitet und mit Sicherheitsgeruchsstoffen versehen, verlässt das Erdgas dann die Aufbereitungsanlage in Richtung Verbraucher. Ferntransportleitungen mit Durchmessern von gut einem Meter transportieren das Erdgas mit Druck von etwa 80 bar in die Städte oder zu den Großabnehmern, wie beispielsweise großen Chemieindustriebetrieben. Um den Druck aufrechtzuerhalten, muss etwa alle 80 bis 100 km in einer Kompressorstation eine Druckerhöhung stattfinden. Dies erfolgt üblicherweise mit turbinenbetriebenen Kompressoren, die ihrerseits ihre Energie wiederum durch Erdgasentnahmen aus der Leitung erhalten. So müssen mengenmäßig durchaus 15 % des Erdgases für den eigenen Transport von Sibirien bis in die Verbrauchsschwerpunkte in Mitteleuropa angesetzt werden. In den Straßen der Städte wird das Erdgas dann im Ortsnetz mit Drücken von etwa 3 bar verteilt, im Hausanschluss aus Sicherheitsgründen auf wenige Millibar Druck reduziert, um dann im Heizkessel oder im Herd in der Küche verbrannt zu werden. Bohrungen für Erdöl und Erdgas sind sehr teuer, deshalb müssen die Bohrlöcher wirtschaftlich gesehen optimal ausgenutzt werden, d. h. rund ums Jahr mit der vollen Kapazität arbeiten. Gleiches gilt auch für die teuren Transportleitungen beim Erdgas. Nun ist aber der Erdgasverbrauch im Sommer und Winter unterschiedlich. Zusätzlich angelegte Speicher dienen zur Vergleichmäßigung des Bezuges von Erdgas. Die Speicherkapazität der über 40 in Betrieb befindlichen Speicher in Deutschland beträgt rund 20 % der Jahreserdgasverbrauchsmenge. Sie sind als Porenspeicher im Gestein oder
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aber als ausgehöhlte Hohlräume in Salzformationen, Kavernenspeicher genannt, angelegt. Im Herbst sind sie voll gefüllt, nach einem strengen Winter weitestgehend leer.
2.4 Kernbrennstoffe Der einzige in der Natur vorkommende spaltbare Kernbrennstoff ist das Uran-Isotop 235. Es ist mit 0,7 % Anteil im Natururan enthalten. Spaltbares Material kann aber auch im Kernreaktor aus Thorium 232 durch Umwandlung in künstliches Uran 233 und aus dem zunächst nicht spaltbaren UranIsotop 238 durch Umwandlung in Plutonium 239 und höhere Isotope erzeugt werden. Letzteres geschieht automatisch beim Betrieb von Kernreaktoren, sodass nach einer gewissen Betriebszeit der Kernkraftwerke ein Teil der Elektrizität durch Spaltung des zwischenzeitlich aufgebauten Plutoniums entsteht. Uran ist ein Spurenelement, d.h., es findet sich in kleinsten Mengen fast überall im Erdreich. Dies ist auch die Ursache für die terrestrische natürliche Strahlung, da Uran und die infolge seines radioaktiven Zerfalls entstandenen Spaltprodukte weit verbreitet sind. Bekannt ist beispielsweise die Radonproblematik. Radon ist ein Edelgas, das als Zerfallsprodukt in der Natur entsteht und aus bestimmten Baumaterialien austritt und für die menschliche Gesundheit gefährlich werden kann, wenn seine Konzentration im Raum durch mangelnde Lüftung übergroß wird. Die in der Natur vorkommenden Uranvorkommen liegen im Bereich von Urankonzentrationen bis etwa 2 %. Insbesondere in der Provinz Saskatchewan in Kanada wird Uranabbau in Lagerstätten mit diesen hohen Konzentrationen vorgenommen. Das Uran befindet sich bis einige hundert Meter unter der Erdober-
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fläche. Es wird mit großen Fahrzeugen über in die Erde gehende Tunnels herausgebracht und oberirdisch aufkonzentriert. Als Endprodukt dieses Prozesses entsteht der nach seiner gelben Farbe benannte Yellow Cake, eine Uranoxydverbindung (U3O8). Sie ist das Ausgangsmaterial für die Umwandlung in Uran-Hexa-Fluorid. In gasförmigem Zustand wird er in Anreicherungsanlagen eingespeist. Sie sorgen in einem sehr komplexen hochtechnologischen Prozess dafür, dass das Isotopenverhältnis verschoben wird. Am Ende enthält das Uran dann 3– 5 % Anteil vom 235-Isotop und ist somit optimal konditioniert zum Einsatz in Kernkraftwerken. Dort wird es in der chemischen Form Urandioxyd in Tablettenform in Brennstäbe gefüllt. In anderen Uranlagerstätten, in denen das Uran nicht wie in Kanada lokal sehr hoch konzentriert vorkommt, wird es – oftmals gemeinsam mit einer Vielzahl von anderen Metallen und Spurenelementen – in großen Tagebauen abgebaut. Wegen der niedrigen Konzentration müssen große Erdmengen bewegt und große Flächen in Anspruch genommen werden. Dies ist jedoch nicht spezifisch für den Uranabbau. Auch der Abbau des im Alltag allgegenwärtig vorhandenen Kupfers erfolgt über flächenmäßig große Gebiete, da auch Kupfer nur in sehr geringen Konzentrationen von unter 1 % Kupfergehalt vorkommt. Ein Kernkraftwerk benötigt in einem Betriebsjahr etwa 25 Tonnen neues Uran. Im Vergleich zur Erzeugung der gleichen Elektrizitätsmenge aus anderen fossilen Energieträgern sind die 25 Tonnen sehr wenig. Um die gleiche Menge Elektrizität aus Steinkohle zu erzeugen, würden 2,5 Mio. Tonnen Steinkohle benötigt. Letztendlich aber stehen diesen 25 Tonnen Uran rund 15 000 bis 35 000 Tonnen Erz, also Erde gegenüber, die wegen der geringen Konzentration beim Abbau bewegt
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werden müssen. Aber auch diese Menge ist klein gegenüber den 2,5 Mio. Tonnen Steinkohle. Umsiedlungen von Menschen sind im Uranbergbau weltweit gesehen wenig anzutreffen, da die Vorkommen in schwachbesiedelten Gebieten liegen.
2.5 Erneuerbare Energien Als erneuerbare Energien bezeichnet man solche in der Natur vorkommenden Energiequellen, die sich in menschlichen Maßstäben gesehen nicht oder nur begrenzt erschöpfen. Zu ihnen zählen beispielsweise Sonnen, Wind-, Wasserenergie und Erdwärme. Abb. 2 enthält einen Überblick über die Nutzungsmöglichkeiten erneuerbarer Energien. Erneuerbare Energien haben drei verschiedene physikalische Ursachen: – Zunächst ist der Isotopenzerfall der natürlichen radioaktiven Isotope (siehe Uran) zu nennen, bei dessen Zerfall Wärme entsteht. Des Weiteren findet aus dem heißen und flüssigen Erdinneren eine Wärmeleitung an die Erdoberfläche statt. Die Natur hat damit eigentlich eine Fußbodenheizung eingebaut. Leider sind die Energiedichten so gering, dass man im Winter nicht ohne Schuhe laufen kann und der Schnee nicht von alleine wegtaut. Nur wenige Milliwatt (ein Tausendstel Watt) pro Quadratmeter kommen als Energiedichte an der Erdoberfläche an. – Lediglich an den Stellen in der Erde, in denen sich Anomalien gebildet haben, ist die Erdwärme oder Geothermie technisch besser nutzbar. An bestimmten Stellen sind Heißwasservorkommen in der Erde vorhanden, deren Nutzung aber endlich ist. An anderen Stellen, insbesondere im
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Abb. 2 Erneuerbare Energien: Ihre physikalische Herkunft sowie ihre Umwandlungs- und Nutzungsmöglichkeiten
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vulkanischen Ursprung, liegen heiße Gesteinsschichten noch so oberflächennah, dass sie von der Oberfläche aus angebohrt werden können. Sind keine dieser Anomalien nutzbar, bleibt »nur« der Temperaturgradient von etwa 30 Grad Temperaturunterschied pro 1000 Metern Tiefe übrig. Das bedeutet, dass man in 4000 Metern Tiefe eine Temperatur von etwa 120 °C antrifft. Es werden heutzutage Verfahren entwickelt, auch Wärme auf diesem Temperaturniveau und aus dieser Teufe zukünftig technisch über das Hot-Dry-Rock-Verfahren zu nutzen. – Geothermische Stromerzeugung und geothermische Wärmeerzeugung sind an den Stellen, an denen Anomalien vorhanden sind, Stand der Technik. In Neustadt-Glewe in Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise werden mehrere tausend Wohnungen über Erdwärme geheizt, indem Warmwasser aus dem Boden entnommen wird. Allerdings ist die Erdwärmenutzung in vielen Fällen nicht wirtschaftlich gegenüber der heutigen Energieversorgung auf Basis von Öl und Erdgas. – Die zweite physikalische Ursache der erneuerbaren Energie ist die Kernfusion in der Sonne. Sie führt dazu, dass die Sonne Strahlungsenergie zur Erde schickt, die wir in Form von thermischen Solaranlagen zur Warmwasserbereitung nutzen können. Aber auch die Natur nutzt sie, indem sie sie als Energiezufuhr für die Biomassenproduktion, beispielsweise für das Holzwachstum und für das Pflanzenwachstum, allgemein verwendet. Unterschiedliche Erwärmungen auf der Erde führen zu Meeresströmungen und zu Atmosphärenbewegungen, die wir als Windenergie wahrnehmen. Auch die Verdunstung und der Niederschlag von Wasser entstehen durch Sonneneinstrahlung und werden seit alters her als Laufwasser zur Krafterzeugung verwendet.
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– Die dritte physikalische Ursache für erneuerbare Energien rührt aus der Gravitation der Planeten. Massen ziehen sich an. So entstehen durch die Anziehung von Mond und Erde die Gezeiten. Bereits seit vielen Jahren wird versucht, auch die Gezeitenenergie zu nutzen. Mit Ausnahme von zwei größeren Kraftwerken, davon eines in Frankreich und das andere in Kanada, ist dies jedoch bisher aus wirtschaftlichen Gründen noch nicht realisiert worden. Kennzeichnend für erneuerbare Energien ist, mit Ausnahme der Wasserkraft und der Geothermie, dass sie nicht ständig zur Verfügung stehen. Insbesondere Sonnen- und Windenergie bieten dem Menschen ein fluktuierendes, zum Teil stochastisch auftretendes Energieangebot. Es ist nicht mit Sicherheit vorhersehbar, in welchem Maße und wann die Energie anfällt. Auch wenn die Mittelwerte über bestimmte längere Zeitabstände gut bekannt sind, fällt es trotzdem schwer, derartig fluktuierende Energiequellen ohne Speicher in bestehende Energiesysteme einzubinden. Wir möchten nicht nur dann duschen, wenn die Sonne gerade das Wasser erwärmt hat, sondern dann, wenn wir das Bedürfnis danach haben. Auch möchten wir nicht nur Elektrizität zur Verfügung haben, wenn der Wind weht, sondern zu jeder Zeit in ausreichendem Maße, sowohl von der Menge als auch von der Leistung her. Solange die Nutzung von erneuerbaren Energien additiv zu den fossilen Energieträgern bleibt, ist sie wegen ihrer kleinen Mengen in die bestehenden Energiesysteme ausreichend integrierbar. Soll sie aber größere Anteile abdecken, so rücken die Frage der Speicherung und die der Anpassungsfähigkeit des bestehenden Energiesystems an die schnell veränderlichen Gegebenheiten bei den erneuerbaren Energien zunehmend als technisches und wirtschaftliches Problem in den Vordergrund.
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Die Erschließung erneuerbarer Energien ist kapitalintensiv und damit letztendlich teuer für den Verbraucher. Die physikalische Ursache dafür liegt in den niedrigen Energiedichten, mit denen die Natur sie anbietet. In Deutschland liefert die solare Einstrahlung energetisch gesehen übers Jahr pro Quadratmeter genauso viel Energie, wie in 100 Litern Erdöl enthalten sind. Leider fällt die Energie aber nicht in einer thermodynamisch hochwertigen Energieform an wie beim Erdöl, sondern in Form von Strahlung und daraus gewinnbarer Wärme mit niedrigen Temperaturen. Wärme ist nur mit sehr großem Aufwand vom Sommer in den Winter speicherbar. Dazu existieren bisher nur unzureichende technische Lösungen. Anlagen zur Umwandlung und Nutzung erneuerbarer Energien müssen auf große Energieeffizienz ausgelegt sein, zumindest in den Ländern, in denen Sonnenenergie und Windenergie nicht in üppiger Form dargeboten werden. Anders sieht es beispielsweise bei der Sonnenenergie in sonnenreichen Ländern aus. Hier fällt zunächst das Doppelte an Energieangebot gegenüber Deutschland an, und die Intensität der Strahlung ist ausreichend, um mit technisch einfachen Mitteln Wasser zum Duschen aufzuwärmen. Insgesamt gesehen ist die Komplexität der Frage nach den Nutzungsmöglichkeiten erneuerbarer Energien sehr groß. Sie ist zum einen abhängig von der betrachteten erneuerbaren Energiequelle, zum anderen von der betrachteten Technik und darüber hinaus noch von dem weltweit sehr unterschiedlichen Angebot. Aus diesem Grunde wird den Nutzungsmöglichkeiten der erneuerbaren Energien ein eigener Abschnitt in diesem Buch gewidmet.
Energieverbrauch und Bevölkerungswachstum
3 Statistik des heutigen Energieverbrauchs 3.1 Deutschland Der Primärenergieverbrauch in den alten Bundesländern nahm von 1950 bis zur ersten Ölpreiskrise 1973 kontinuierlich zu. Als Folge des Abflachens der wirtschaftlichen Konjunktur ging der Primärenergieverbrauch danach zunächst für wenige Jahre zurück, um dann erneut bis 1979 anzusteigen. Infolge der zweiten Ölpreiskrise und der damit verbundenen erheblichen Verteuerung der Energie für alle Verbrauchergruppen ließen die eingeleiteten und neu ergriffenen Maßnahmen zur Energieeinsparung und zur rationelleren Energieverwendung den Primärenergieverbrauch bei knapp 12000 Petajoule (PJ) – ca. 390 Mio. Tonnen SKE – stagnieren. Durch die Wiedervereinigung erhöhte sich der Energieverbrauch statistisch zunächst im Jahre 1990 auf ca. 15000 PJ (ca. 500 Mio. Tonnen SKE). Infolge der Umstrukturierung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern verringerte sich der Primärenergieverbrauch danach leicht und betrug im Jahre 2005 14300 PJ. Abb. 3 zeigt die Anteile der einzelnen Energieträger am Primärenergieverbrauch: Wie in allen Industrienationen ist Mineralöl der wichtigste Energieträger. Ihm folgen in Deutschland Kohle – Steinkohle und Braunkohle –, Erdgas und Kernenergie. Die erneuerbaren Energieträger haben bisher an der Primärenergiebedarfsdeckung nur einen Anteil von gut 1 %. Öl wird für den Verkehrssektor und für Heiz-
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werke verwendet. Steinkohle geht als Koks in die eisenschaffende Industrie, und als Kraftwerkskohle dient sie neben der Braunkohle und der Kernenergie der Stromerzeugung. Erdgas dominiert den Wärmemarkt bei Gebäuden und bei der Prozesswärmeerzeugung in der Industrie. Ein zunehmender Anteil wird auch zur Stromerzeugung verwendet.
Abb. 3 Aufteilung des Primärenergieverbrauchs in Deutschland im Jahr 2005 nach Energieträgern
Die Zusammensetzung des Primärenergieverbrauchs lässt im Rückblick fünf unterschiedliche Perioden erkennen. In den 1950er Jahren wurde die Energieversorgung weitestgehend von der deutschen Steinkohle getragen. Zu Beginn der 1960er Jahre bedingte die Ausweitung des Verkehrs und die Einführung der Ölzentralheizungen eine Umstellung der Energieversorgung auf Erdöl. Fast 55 % des Primärenergieverbrauchs im Jahre 1973 wurden durch Erdöl gedeckt. In den 1970er Jahren nahm dann – auch verstärkt durch die nach
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1973 eingeleitete Politik des »weg vom Öl« – der Anteil des Erdgases wesentlich zu. In den 1980er Jahren wurde die Kernenergie ausgebaut. Die letzte und noch nicht abgeschlossene Phase ist die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien und der beschlossene Ausstieg aus der Kernenergie. Vom Verbraucher genutzt werden die Endenergieträger, also die Primärenergieträger nach ihrer Umwandlung. Die Statistik unterscheidet üblicherweise vier Endverbrauchergruppen: – – – –
Die Haushalte verbrauchten 2005 je 29 % der Endenergie, der Verkehrssektor 28 %, die Industrie 27 % und die Gruppe Gewerbe (z. B. Handwerk), Handel, Dienstleistungen 16 %.
Die früher sehr unterschiedlichen Verbrauchsstrukturen der Endenergie in den alten und neuen Bundesländern haben sich zwischenzeitlich bis auf einen höheren Fernwärmeanteil in den neuen Bundesländern angeglichen. Der Vergleich der Zahlen für den Primärenergieverbrauch und für den gesamten Endenergieverbrauch lässt erkennen, dass nur rund zwei Drittel der eingesetzten Primärenergie als Endenergieverbrauch statistisch ausgewiesen werden. Ursachen sind unter anderem physikalisch bedingte große Energieverluste bei der Erzeugung von Strom. Der Energiefluss für die Bundesrepublik Deutschland (Abb. 4) weist diese Zusammenhänge detaillierter aus. Neben den angesprochenen Verlusten bei der Stromerzeugung wird bei der Energieumwandlung selbst Energie zur Erwärmung (z. B. in Raffinerien) und zum Transport (z. B. Strom) benötigt. Ein Teil der Sekundärenergieträger wird in der Chemie als sogenannter nicht-
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Energieverbrauch und Bevölkerungswachstum
Abb. 4 Das Energieflussbild für Deutschland: Aufteilung des Primärenergieverbrauchs auf End- und Nutzenergie, unterteilt nach Verbrauchergruppen
energetischer Verbrauch zur Herstellung verschiedener Produkte, wie beispielsweise Kunststoffe, verwendet. Nur rund die Hälfte der Endenergie wird wiederum beim Verbraucher in Nutzenergie, wie Licht, Heizwärme, Antriebsleistung des Autos etc., überführt werden. Von der eingesetzten Primärenergie wird derzeit rund ein Drittel in Nutzenergie umgewandelt. Dieser gering erscheinende Anteil ist im internationalen Vergleich gesehen hoch. Durch physikalische Gesetze
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und durch den Stand der Technik bedingt, sind bisher keine besseren Umwandlungswirkungsgrade möglich. Im Kapitel über Energieeffizienz (Kap. 6) werden aber eine Reihe von Möglichkeiten vorgestellt, die Umwandlungsgrade zu erhöhen. Daneben bestehen noch große Einsparungspotenziale durch die Verringerung des Energieverbrauchs bei gleichem Komfort, z. B. durch bessere Wärmedämmung der Gebäude. Deutschland ist hinsichtlich seiner Energieversorgung nicht unabhängig vom Geschehen auf dem Weltenergiemarkt. Es verfügt an Primärenergieträgern nur über bedeutsame Steinkohle- und Braunkohlevorkommen sowie über nicht mehr erweiterungsfähige Gasreserven. Die Wasserkraftreserven sind weitgehend ausgenutzt. Zur Deckung seines Energiebedarfs ist es deshalb besonders bei den Kohlenwasserstoffen (Erdöl, Erdgas) sowie beim Uran auf Energieimporte angewiesen. Aus Kostengründen werden trotz einiger Vorkommen zunehmende Mengen an Steinkohle importiert. Über ein Drittel des gesamten Primärenergieverbrauchs wird für die Stromerzeugung verwendet. In Abb. 5 ist die Stromerzeugung in Deutschland, nach den verwendeten Primärenergieträgern unterteilt, dargestellt. 2005 betrug die gesamte Stromerzeugung 615 Terawattstunden (TWh) – statistisch gesehen werden also pro Bewohner Deutschlands 7500 kWh Strom im Jahr erzeugt – und beruht knapp zur Hälfte auf der Kohle. Ein weiteres Viertel trägt die Nutzung der Kernenergie bei. Die Verwendung von Erdgas in Kraftwerken liegt heute bei gut 10 % mit steigender Tendenz. Wasserkraft, Windenergie und weitere erneuerbare Energien haben derzeit einen Anteil an der Stromerzeugung von 10 % mit steigender Tendenz.
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Abb. 5 Prozentuale Aufteilung der Stromerzeugung in Deutschland im Jahre 2005 auf die verwendeten Primärenergieträger
Die Zahlen für die Stromerzeugung sind Bruttowerte. Sie beinhalten die gesamte erzeugte Elektrizität. Ein geringer Teil davon wird noch als Eigenverbrauch der Kraftwerke benötigt. Erfasst ist die gesamte Stromerzeugung, also die Eigenerzeugung von Industrieunternehmen und die der Kraftwerke für die Versorgung der Allgemeinheit.
3.2 Energienutzung weltweit Der weltweite Primärenergieverbrauch stieg seit 1950 erheblich an. Nach den Ölpreiserhöhungen in den 1970er Jahren ging er für einige Jahre leicht zurück, seit 1984 ist aber wieder ein deutlicher kontinuierlicher Anstieg im Weltenergiever-
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brauch zu verzeichnen. Allein im Zeitraum von 1999 bis zum Jahr 2005 nahm er insbesondere durch die zusätzliche Nachfrage in Asien um 17 % zu. Absolut bedeutet das, dass jedes Jahr in diesem Zeitraum statistisch gesehen weltweit die Hälfte des jährlichen deutschen Energieverbrauchs zusätzlich benötigt wurde. Die fossilen Energieträger Erdöl, Steinkohle und Erdgas decken zusammen gut 80 % des weltweiten Primärenergieverbrauchs. Abb. 6 enthält Einzelheiten.
Abb. 6 Die Entwicklung des Weltprimärenergieverbrauchs
Deutschland – mit 1,3 % der Weltbevölkerung – ist mit knapp 3,5 % am Weltprimärenergieverbrauch beteiligt. Der Vollständigkeit halber soll auch die Weltstromproduktion im Vergleich zu der in Deutschland erwähnt werden. Sie beträgt mit 18000 TWh etwa das 29fache der deutschen Produktion. Kohle trägt auch weltweit mit etwa der gleichen Pro-
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zentzahl wie in Deutschland zur Stromerzeugung bei. Der weltweite Anteil des Kernenergiestromes ist dagegen mit 16 % niedriger als in Deutschland. Öl, Erdgas und Wasserkraft tragen dagegen weltweit etwas mehr zur Stromerzeugung bei als in Deutschland. Um die weltweite Zahl für die Stromerzeugung einschätzen zu können, sei noch eine Vergleichszahl genannt. Würden alle Menschen auf der Welt statistisch gesehen so viel Elektrizität wie die Menschen in Deutschland verwenden, müsste die weltweite Stromerzeugung fast verdreifacht werden.
4 Der Energieverbrauch im Alltag Spätestens wenn die Erdgas- oder Stromrechnung mit der Post ins Haus kommt, wird einem bewusst, dass man auch Energieverbraucher ist. Den eigenen Energieverbrauch kann man drei Anlässen zuordnen: – Der direkte Energiebezug in Form von Erdgas (oder Heizöl), Strom und Benzin oder Diesel an der Tankstelle. – Der Energieverbrauch, den wir dadurch auslösen, dass wir Transportleistungen in Anspruch nehmen, beispielsweise mit Bahn und Bus fahren oder in den Urlaub fliegen. Hier ist der Preis für Energie ein Bestandteil des Transporttickets. – Und drittens den Energieverbrauch, der benötigt wurde, die Dinge des täglichen Bedarfs herzustellen, die wir kaufen, wie etwa Nahrungsmittel, Kleidung und Haushaltsgeräte. Für die Größe des Energieverbrauchs in der ersten Gruppe mag man noch ein Gespür haben. Für die zweite und dritte Gruppe dagegen fehlen die Vorstellungen über die Höhe des Verbrauchs, da dieser nicht direkt ersichtlich ist. Deshalb soll im Folgenden an Beispielen dargestellt werden, in welcher Höhe sich der tatsächliche Energieverbrauch bewegt. Selbstverständlich sind die Lebensumstände, in denen die Menschen leben, ihr Verhalten und damit auch ihr Umgang mit Energie sehr unterschiedlich. Bezogen auf den Einzelnen gibt es deshalb sehr große Unterschiede.
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4.1 Beispiel: Vier-Personen-Haushalt Betrachten wir eine 4-köpfige Familie. Zunächst ist ihr Heizenergieverbrauch zu nennen. Dieser ist davon abhängig, wie groß die Wohnfläche der Wohnung oder des Hauses ist, welchen wärmetechnischen Zustand das Haus bzw. die Wohnung hat und wie mit der Wohnungslüftung umgegangen wird. Handelt es sich um ein älteres Haus, das beispielsweise in den 1980er Jahren gebaut wurde, so müssen im Schnitt etwa 15 Liter Heizöl oder vergleichbar 15 m3 Erdgas pro m2 Wohnfläche und Jahr an Heizenergie in einem Einfamilienhaus aufgebracht werden. Wohnt man bei gleichem Wärmedämmstandard in Mehrfamilienhäusern, ergibt sich aufgrund des kompakteren Verhältnisses zwischen Außenfläche und Wohnfläche ein um 15 % niedrigerer Energiebedarf. Besitzt das Gebäude einen guten Wärmedämmstandard, beispielsweise wenn es Ende der 1990er Jahre errichtet wurde, dann reduziert sich der Energiebedarf zum Heizen auf 60 % der vorhin genannten Werte. Heizenergie wird benötigt, um warme Räume zu haben. Diese bleiben so lange warm, wie ihre Energieverluste wieder über die Wärme aus dem Heizkörper ausgeglichen werden. Die Energieverluste entstehen durch die Wärmeableitung durch Wand und Fenster sowie durch den Austausch von Luft. Dauerndes Kippen von Fenstern bewirkt wesentlich größere Energieverluste als das von Zeit zu Zeit in kurzen Abständen vollständige Öffnen des Fensters, was einen schnelleren Luftaustausch herbeiführt (Stoßlüftung). Je besser der bauliche Zustand der Wände und der Fenster wird, umso wichtiger wird der Einfluss des richtigen Lüftens. Bei 100 m2 Wohnfläche und bei Annahme eines mittleren Wärmedämmstandards würden unter Berücksichtigung der Verluste bei der Energieumwandlung im Heizkessel rund
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1200 Liter Heizöl oder m3 Erdgas an Energieverbrauch für das Heizen anfallen. Angenommen, in dieser Wohnung wohnen vier Personen, entfallen also pro Kopf 300 Liter Heizöl jährlich. Hinzu kommt der Energieverbrauch zum Aufheizen des warmen Wassers zum Duschen und Baden. Er hängt überwiegend von der verbrauchten Wassermenge ab (»Normbedarf« 30 Liter pro Person und Tag). Erfahrungswerte zeigen, dass bei einer Warmwassererwärmung über die Heizungsanlage bei einem vierköpfigen Haushalt zusätzlich 300 Liter Heizöl benötigt werden. Das Pro-Kopf-Budget erhöht sich damit im betrachteten Beispiel insgesamt auf etwa 375 Liter Heizöl oder 375 m3 Erdgasverbrauch pro Jahr. In vielen Mehrfamilienhäusern wird aus Abrechnungsgründen das warme Wasser über Elektrizität aufgeheizt (Durchlauferhitzer). Dazu werden pro Kopf der Bewohner etwa 650 kWh Elektrizität verbraucht. Auch beim Wärmeverbrauch weichen in der Praxis die Werte im Einzelfall erheblich von den genannten Richtzahlen ab. Der weitere Haushaltsstrombedarf ist von der Geräteausstattung und der Wohnungsgröße abhängig. Die Statistik unterscheidet verschiedene Haushaltstypen. Ein Vier-PersonenHaushalt hat im Durchschnitt einen Verbrauch von 4000 kWh pro Jahr, also 1000 kWh pro Kopf. Zur ersten von den drei anfangs genannten Gruppen der Energieverbräuche gehört des Weiteren der Energieeinkauf an der Tankstelle. Der durchschnittliche Verbrauch eines Personenkraftwagens lag nach der Fahrleistungserhebung für das Jahr 2002, ergänzt um weitere Daten aus Testverbräuchen, im Mittel bei 8,1 Liter pro 100 km. Er sinkt in den letzten Jahren durch den zunehmenden Anteil von Dieselfahrzeugen im Flottenbestand etwas. Der statistische Wert für die jährliche Fahrleistung lag im gleichen Jahr für privat genutzte PKWs
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bei 12000 km und bei geschäftlich genutzten Fahrzeugen bei 21000 km, im Mittelwert aller PKWs bei 13400 km. Letztere Zahl wird hier angesetzt. Daraus errechnen sich 1080 Liter Treibstoffbedarf insgesamt pro Jahr, also 270 Liter pro Kopf. An dieser Stelle müsste eigentlich berücksichtigt werden, dass statistisch in Deutschland ein PKW pro zwei Personen vorhanden ist. Der betrachtete Haushalt hätte also zwei und damit die doppelte Fahrleistung. Darauf soll aber zugunsten der im Folgenden unterstellten Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel verzichtet werden. Neben den bisher ausgerechneten direkten Energieverbräuchen kommen nun die hinzu, die wir über Transportleistungen öffentlicher Verkehrsmittel verursachen. Setzt man sich in die Straßenbahn oder einen Fernzug, nutzt man eine dahinter stehende komplette Kette der Energieversorgung, die ökonomisch gesehen mit dem Ticket mitbezahlt wird. Der Energieverbrauch des Transportes pro Fahrgast hängt sehr davon ab, ob die Straßen- oder S-Bahn spätabends fast leer ist oder in den stark frequentierten Stunden des Tages übervoll ist. Hier zeigen Untersuchungen, dass man über den Tag hinweg, mit einem Energieverbrauch für die S-Bahn (im Sinne eines Benzin- / Dieseläquivalents) von etwa 3,8 Liter pro 100 km und Person und 1,7 Liter pro 100 km und Person für die Straßenbahn ausgehen kann. Der Nahverkehrsbus liegt dazwischen. Die Straßenbahn für sich gesehen ist zwar sehr energieeffektiv, jedoch muss berücksichtigt werden, dass die Herstellung von Elektrizität mit größeren physikalisch bedingten Umwandlungsverlusten im Kraftwerk verbunden ist. Pro Kilowattstunde Elektrizität muss eine 2,5-fach höhere Energiemenge im Kraftwerk eingesetzt werden. Benutzt man öffentliche Nahverkehrsmittel, um zur Arbeit zu fahren und
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gelegentlich eine weitere Einkaufsfahrt zu unternehmen, so kommen schnell im Jahr 2000 km zusammen. Das erhöht die Liste der Energieverbräuche pro Kopf um weitere 55 Liter Öläquivalent, wenn man rechnerisch von einem Mix der Verkehrsmittel ausgeht. Nun naht die Urlaubszeit, und eine Flugreise in den wohlverdienten Urlaub ist angesagt. Das Ziel liegt 3000 km vom Wohnort entfernt, und hin und zurück sind 6000 Flugkilometer in einem vollbesetzten Ferienflugzeug zu bewältigen. Die Fluggesellschaften weisen hierfür einen spezifischen Energieverbrauch in der Größenordnung von 3,5 Liter Kerosin pro 100 km Transportstrecke auf. Es ist an der Zeit, eine erste Zwischenbilanz des Energieverbrauchs zu ziehen. Dabei werden alle Energieverbräuche auf Primärenergie bezogen und in die Einheit Kilowattstunden umgerechnet. Die Einheit Kilowattstunde wird hier als physikalische Energieeinheit gebraucht, es muss sich bei der Energie also nicht immer um Strom handeln. Bei der Rückrechnung auf Primärenergie müssen die Verluste im Kraftwerk (Wirkungsgrad 40 %) und in der Raffinerie (Wirkungsgrad 95 %) berücksichtigt werden. Die Zwischenbilanz lautet pro Kopf und Jahr in unserem Beispiel: – Für das Heizen 300 Liter Öl, unter Berücksichtigung der Verluste in der Raffinerie x 1,05 entsprechend 3150 kWh – für die Warmwasserbereitung 75 Liter Öl, unter Berücksichtigung der Verluste in der Raffinerie x 1,05 entsprechend 790 kWh – für den Stromverbrauch 1000 kWh unter Berücksichtigung der Verluste im Kraftwerk x 2,5, also 2500 kWh
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– für das Autofahren 270 Liter Treibstoff, unter Berücksichtigung der Verluste in der Raffinerie x 1,05 entsprechend 2835 kWh – für das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln 55 Liter Öläquivalent, entsprechend 550 kWh – für das Fliegen 210 Liter Kerosin, unter Berücksichtung der Verluste in der Raffinerie x 1,05 entsprechend 2205 kWh insgesamt 12030 kWh. Diese bisher verbrauchte Energiemenge entspricht dem Energieinhalt von knapp 1,5 Tonnen Steinkohle oder 1500 Liter Rohöl pro Kopf und Jahr. Betrachtet man die Annahmen, so kann man eigentlich nicht behaupten, dass es sich um eine besonders energetisch exzessive Lebensweise – gemessen an unserem Alltag – handelt. Man möge sich beispielsweise die Energiebilanz eines Managers vorstellen, der berufsbedingt einmal im Monat seine Produktionsstätten in verschiedenen Erdteilen anfliegen muss. Zusätzlich zu dem genannten Energiebudget kommen nun noch die Energieaufwendungen der dritten Gruppe hinzu, nämlich diejenigen, die getätigt werden müssen, um die Produkte herzustellen, die wir zum tagtäglichen Leben benötigen, und für die Produkte, die wir als Haushaltsgüter und -geräte kaufen. Die exakte Berechnung des mit der Produktion von komplexen Geräten verbundenen Energieaufwandes ist sehr detailliert. Vereinfachte Abschätzungen können aber über den Geldwert der Güter vorgenommen werden. Man kennt den Produktions- und Verkaufswert eines Wirtschaftszweiges aus den amtlichen Statistiken. Die Energiestatistik weist ebenfalls
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den Energieverbrauch von verschiedenen Energieträgern in den Wirtschaftszweigen aus. Rechnet man die Energieträger nun auf Primärenergie zurück, so lässt sich eine spezifische Energieverbrauchszahl pro 100 € für Produkte aus einem bestimmten Wirtschaftszweig angeben. Das statistische Bundesamt erfasst, wofür die Haushalte ihr Geld ausgeben. Verwendet man diese Zahlen, so ergibt sich beispielsweise folgende grobe Aufteilung der Verwendung des Nettoeinkommens eines Vier-Personen-Haushaltes: Das Nettoeinkommen ist das Einkommen abzüglich von Steuern und Sozialabgaben. Es betrug im Schnitt bundesweit beispielsweise im Jahre 2003 2770 € pro Monat. Dieses Einkommen wurde wie folgt verwendet: – für die Kaltmiete 19 % – für die allgemeinen Lebenshaltungskosten wie Ernährung, Gesundheit, Zeitungen, Reparaturen 29 % – für Zinsen, Versicherungen und sonstige Geldzahlungen etwa 11 % – für Anschaffungen wie Kleidung, Möbel, Auto etc. etwa 25 % – für Freizeit, Urlaub, Reisen und sonstige Dinge etwa 9 % – für Energie wie Strom, Heizöl, Gas, Warmwasserumlage etwa 7%. Verfolgt man die Zeitreihen in der Statistik, so zeigt sich, dass der Anteil der Energie an den Ausgaben der Haushalte zunimmt. Die hier gezeigte Aufteilung beruht auf Ausgaben für das Jahr 2002. Berücksichtigt man die geringen Lohnsteigerungen und die erhebliche Energiepreiszunahme der letzten Jahre, dürfte der Energieanteil inzwischen bei fast 10 % liegen.
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Ordnet man die Ausgaben des Haushaltes Wirtschaftszweigen zu und berücksichtigt man deren Energieverbrauch, so verursachen die monatlichen Ausgaben des Haushaltes einen zusätzlichen Primärenergieverbrauch in Höhe von 1940 kWh pro Monat. Bei einem vierköpfigen Haushalt fallen dann pro Kopf und Jahr weitere 5800 kWh als Energiekonsum an. Insgesamt gesehen beträgt somit der jährliche Pro-KopfEnergiekonsum rechnerisch 17830 kWh, das entspricht dem Energieinhalt von 2,2 Tonnen Steinkohle oder 1800 Liter Öl pro Kopf und Jahr. Der Energieinhalt eines großen Tankwagens (Sattelschlepper) reicht also statistisch gerade aus, um drei Vier-Personen-Haushalte im Jahr zu versorgen. Damit ist aber die Energiebilanz, wenn man sie wissenschaftlich exakt machen würde, noch nicht zu Ende. Wir nehmen Infrastrukturleistungen des Staates in Anspruch, wie beispielsweise die Benutzung von öffentlichen Gebäuden, von Autobahnen und von Krankenhäusern. Ihr Bau und ihr Betrieb benötigen ebenfalls Energie, die in der obigen Energiebilanz nicht enthalten ist.
4.2 Vergleich mit Indien Was würde sich nun in dieser Energiebilanz verändern, wenn man sie etwa für einen vierköpfigen Haushalt in Indien aufstellen würde? Die Unterschiede im Lebensstandard und damit im Energieverbrauch sind in Indien viel größer als in Deutschland. Deshalb hängt es sehr davon ab, welchen Haushalt man zum Vergleich heranzieht. Vielleicht stellt man sich den beschriebenen Vier-Personen-Haushalt als eine Familie
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vor, die in einer für Indien mittelgroßen Stadt, z. B. Jaipur in Nordindien, lebt. Der Vater ist vielleicht Gruppenleiter in einem Unternehmen und hat eine akademische Ausbildung. Er gehört damit zum Mittelstand in Indien. Auf diese Lebenssituation passt folgender Energieverbrauch: – In den Wintermonaten (drei Monate) werden pro Monat etwa 150 kWh Elektrizität benötigt. Davon sind rund 25 bis 30 kWh für Licht, 60 bis 70 kWh für warmes Wasser und Heizung mit Heizlüftern werden verwendet. Der Rest entfällt auf die restlichen Elektrogeräte. – In den Sommermonaten muss gekühlt werden. Deshalb steigt der Stromverbrauch auf maximal 200 kWh pro Monat an. Davon werden alleine 100 bis 125 kWh für das Kühlgerät benötigt. – Gekocht wird mit Gas aus Gasflaschen, die getauscht werden, wenn sie leer sind. Rund 10 kg Flüssiggas werden pro Monat benötigt. – Die Fahrleistung des Kleinwagens kommt auf 9000 km im Jahr, was etwa 600 Liter Treibstoff bedingt. Rechnet man diese Werte wie im Fall des deutschen Haushalts auf Primärenergie um, so kommt man unter Berücksichtigung eines Zuschlages für öffentliche Verkehrsmittel auf einen Energieverbrauch von 3900 kWh pro Kopf und Jahr, also etwa 30 % des deutschen Energieverbrauchs. Die Unterschiede sollen im Folgenden noch etwas erläutert werden. Elektrizität kann in Indien Mangelware sein, zumindest zu bestimmten Tageszeiten. Außerdem ist sie gemessen an der Kaufkraft teuer. Die indische Familie heizt oder kühlt deshalb nicht – wie in Deutschland üblich – mehrere Räume
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auf die gewünschte Temperatur, sondern nur einen einzigen Raum und auch diesen nur dann, wenn sich die Familie darin aufhält. Warmes Wasser kann in Indien bei guten klimatischen Bedingungen über einfache Solaranlagen erwärmt werden, ein energetischer Vorteil gegenüber der deutschen Situation. Die öffentlichen Nahverkehrsmittel, meistens Busse, sind besser besetzt als in Deutschland. Dafür sind die meisten Fahrzeuge aber älter und haben einen höheren Treibstoffverbrauch. Urlaubsreisen entfallen. Abschließend soll noch der Elektrizitätsbedarf zwischen den beiden Haushalten verglichen werden. Wäschetrockner und Geschirrspüler fehlen im indischen Haushalt, ebenso die große Anzahl von Beleuchtungskörpern. Die klassische Beleuchtungsausstattung des Wohnzimmers ist eine Leuchtstoffröhre und eine Glühbirne. Zunächst eine überraschende Kombination, die sich aber aus den Gegebenheiten der schwachen Elektrizitätsversorgung vor Ort erklärt. Die elektrischen Netze und die Kraftwerkskapazitäten sind nicht in der Lage, die Nachfrage nach Elektrizität immer zu decken. Dies führt häufig zu großen Einbrüchen der elektrischen Spannung. Physikalisch bedingt schalten sich Leuchtstoffröhren dann aus, Glühlampen dagegen werden »nur« dunkler. Es soll nun an dieser Stelle nicht weiter die Frage diskutiert werden, welcher Verlust oder welcher Zugewinn an Lebenskomfort mit einem höheren oder kleineren Energieverbrauch verbunden ist. Aufgrund des geringeren Einkommens hat der indische Haushalt ein geringeres Nettoeinkommen. Er kauft weniger Güter. Der Energiebedarf für die Herstellung der gekauften Güter ist deshalb geringer als in Deutschland.
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Zweck des vorgenommenen Vergleiches war es, darzustellen, wofür im Alltag Energie verwendet wird. Vielleicht regen die Vergleiche auch an, darüber nachzudenken, wie eine Verringerung unseres alltäglichen Energiebedarfs möglich ist.
5 Arm und Reich Der Energieverbrauch ist geographisch gesehen ungleich über die Welt verteilt. Hierfür sind nicht nur unterschiedliche Bevölkerungsdichten maßgeblich, sondern auch der Unterschied zwischen Arm und Reich sowie der Unterschied zwischen mehr oder weniger effizientem Umgang mit Energie. Die Tab. 2 enthält einige demographische Daten und die spezifischen Primärenergieverbräuche pro Kopf der Bevölkerung für ausgesuchte Länder und die Welt insgesamt. Es lassen sich zwei Ungleichgewichte erkennen: Zunächst Unterschiede zwischen den Industrieländern selbst und dann die Differenzen zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern. Die Gründe für den unterschiedlichen Pro-Kopf-Primärenergieverbrauch in den Industrieländern liegen in den klimatischen Voraussetzungen, in ihrer Besiedlungsdichte, in dem dort vorherrschenden Bewusstsein im Umgang mit Energie und natürlich in ihrer Industriestruktur. Einige Beispiele verdeutlichen dies. Vergleicht man die USA mit Deutschland, so stellt man fest, dass der Pro-Kopf-Energieverbrauch in den USA etwa doppelt so hoch ist wie in Deutschland. Eine Ursache dafür liegt darin, dass durch klimatische Bedingungen die Gebäude in der Südhälfte der USA im Sommer klimatisiert werden müssen. Nun könnte man einwenden, dass dafür im Winter keine oder wesentlich weniger Heizenergie aufgewendet werden muss. Dieses Argument ist auch durchaus zutreffend. Berücksichtigt werden muss aber, dass spezifisch gese-
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Tab. 2 Bevölkerung, Primärenergieverbrauch und Elektrizitätsverbrauch in der Welt und in ausgewählten Ländern im Jahre 2000, jeweils Pro-Kopf-Werte
hen knapp das Doppelte an Energie benötigt wird, um einen Raum zu klimatisieren, als dafür, ihn zu beheizen, wenn die Luftfeuchtigkeit hoch ist. Ein weiterer Grund des höheren Energieverbrauchs in den USA sind die großen Entfernungen im Lande. Um eine Person über lange Distanzen im Flugzeug zu transportieren, müssen bei einem gutbesetzten Flugzeug knapp vier Liter Kerosin pro 100 km und Person aufgewendet werden. Der Energieverbrauch in großen Ländern ist deshalb im Verkehrsbereich größer als beispielsweise in mitteleuropäischen Ländern, die flächenmäßig kleiner und relativ dicht besiedelt sind. Angemerkt werden muss aber, dass in den USA bei Transporten im Entfernungsbereich von einigen hundert Kilometern durchaus Energie durch Eisenbahntransporte eingespart werden könnte, jedoch ist das Eisenbahnsystem schlecht entwickelt. Außerdem sind die Energiepreise wegen
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geringerer Steuern in den USA gegenüber Europa niedriger und damit herrscht ein weniger ausgeprägtes Bewusstsein für das Energieeinsparen vor. Ein gutes Beispiel für den Einfluss unterschiedlicher Industriestrukturen auf den Energieverbrauch in Industrieländern lässt sich am Beispiel von Deutschland und der Schweiz aufzeigen. Beide Länder haben vergleichbar hohe Wirtschaftsleistungen pro Kopf der Bevölkerung, ihr Lebensstandard ist ebenso vergleichbar, eher haben die Schweizer Bürger noch einen etwas höheren Lebensstandard und ein höheres Bruttosozialprodukt als die Deutschen. Trotzdem ist der ProKopf-Primärenergieverbrauch in der Schweiz um ein Drittel niedriger als der in Deutschland. In Deutschland wird das Bruttosozialprodukt durch eine breitangelegte industrielle Fertigung, die von der Stahlherstellung bis zu Dienstleistungen wie Reisebüros geht, erwirtschaftet. Die Schweiz dagegen verdient ihr Bruttosozialprodukt schwerpunktmäßig mit Fremdenverkehr, mit dem Bankwesen und mit der Ansiedlung von Konzernzentralen, deren Produktionsstätten sich in Ländern der EU und anderen Teilen der Welt befinden. Hier zeigt sich der maßgebliche Einfluss der Industriestruktur auf den Pro-Kopf-Energieverbrauch. Ein amüsantes Beispiel ergibt sich aus dem Vergleich des Pro-Kopf-Energieverbrauches zwischen Deutschland und Luxemburg. Überraschenderweise verbraucht der Luxemburger Bürger statistisch gesehen fast zweimal so viel Energie wie der deutsche Bürger, er liegt also vom Energieverbrauch her gesehen trotz großer Besiedlungsdichte und kleinen Entfernungen im Land in der Größenordnung der USA. Wie kann das sein? Auch hier ist die Ursache wieder in der Industriestruktur zu finden, nämlich in der in Luxemburg ansässigen energieintensiven Stahlindustrie, die den statistischen Wert nach oben treibt.
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Zu den ärmsten Ländern der Welt gehört Äthiopien. Mit 64 Mio. Einwohnern zählt es genauso viele Bewohner wie die alten Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland. Pro Kopf verbrauchen die Menschen aber nur 1/12 der Energiemenge, die in Deutschland zur Verfügung steht. Noch anschaulicher wird die Zahl beim Verbrauch von Strom. Nur 24 kWh verbraucht statistisch gesehen ein Mensch in Äthiopien im Jahr. In der Zahl eingeschlossen ist bereits – da es sich um eine statistische Größe handelt – der Verbrauch für die Produktion von Gütern, für Telekommunikation, für öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser usw. Der entsprechende Wert für den Stromverbrauch pro Kopf in Deutschland beträgt 6700 kWh pro Jahr. Hier geht es um den Verbrauch. Die zuvor genannte Zahl von 7500 kWh pro Kopf (S. 61) bezieht sich auf die Erzeugung. Die gut 10 % Differenz erklären sich aus dem Eigenverbrauch der Kraftwerke und den Verlusten in den elektrischen Netzen. Die Schwellenländer (z. B. China und Indien) weisen in der jüngeren Vergangenheit trotz erheblicher Zunahme ihrer Bevölkerung einen Anstieg ihres Pro-Kopf-Energieverbrauches auf. Um die nachfolgenden Zahlen etwas anschaulicher zu gestalten, werden sie nicht in der gesetzlichen Energieeinheit Joule, sondern in Steinkohleeinheiten (SKE) angegeben. Zur Erinnerung sei erwähnt, dass beispielsweise eine Tonne SKE genauso viel Primärenergie umfasst, wie eine Tonne Steinkohle beim Verbrennen an Wärme abgibt. Lag der spezifische Energieverbrauch für China im Jahre 1990 bei 1,1 Tonnen SKE pro Jahr und Kopf, so erhöhte er sich bis zum Jahre 2000 auf 1,3 Tonnen SKE pro Kopf. Indien verbrauchte im Jahre 1990 0,6 Tonnen SKE pro Kopf an Primärenergie und im Jahre 2000 0,7 Tonnen SKE pro Kopf. Die Zahlen belegen das Fortschreiten des Wachstums der Industrialisierung in diesen Ländern.
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Ihr Abstand zum weltweiten Mittelwert von 2,4 Tonnen SKE pro Kopf ist jedoch noch erheblich, ganz zu schweigen von ihrem Abstand zu den Industrieländern. Energie ist nicht gleich Energie. Dies gilt hinsichtlich der Handhabbarkeit der Energie, der Komplexität der technischen Systeme, um sie zu gewinnen, zu speichern und zu nutzen, und auch hinsichtlich der Verfügbarkeit der einzelnen Energieträger. Deshalb steht hinter den Pro-Kopf-Angaben des Energieverbrauchs auch ein unterschiedlicher Mix von Energieträgern. Während sich die im Mittelfeld in der Verbraucherstatistik befindlichen Industrieländer, wie beispielsweise Deutschland oder Japan, auf einen breiten Energiemix abstützen, der über Kohle, Erdöl, Erdgas, Kernenergie und zunehmende Anteile erneuerbarer Energien alle Energieträger nutzt, fehlen in den Entwicklungsländern einige Energieträger aus der Palette. Entwicklungsländer sind nicht in der Lage, sehr kapitalintensive, mit hohem technischen Know-how und hohem Investitionsvolumen verbundene Energieträger zu nutzen. Deswegen findet man in ihrer Palette neben Holz für den ländlichen Grundenergiebedarf im Wesentlichen Erdöl. Es wird für die Mobilität im Verkehrssektor verwendet, aber ebenso für die Stromerzeugung. Erdgas, Kernenergie und technisch anspruchsvollere Formen der Nutzung erneuerbarer Energien, wie beispielsweise Stromerzeugung aus Windenergie, fehlen. Schwellenländer dagegen, wie beispielsweise Indien, Brasilien und China, gehen den Weg der Industrieländer. Sie nutzen entsprechend ihren Fähigkeiten und wirtschaftlichen Kräften nach Möglichkeit alle Energieträger. So findet sich beispielsweise in allen drei Ländern Kernenergie und Erdgasversorgung. Länder mit großen Flächen und einem hohen spezifischen Energiebedarf, wie beispielsweise die USA
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und Kanada, sind sehr stark durch ihre Energienachfrage im Verkehrssektor geprägt. Sie nutzen alle Energieträger, jedoch ist Öl überdurchschnittlich hoch im Energiemix vertreten, weil die Mobilität auf dem Energieträger Öl beruht. Da Mobilität ein Grundbedürfnis der Menschen ist, kommt der Sicherstellung dieser Mobilität in diesen Ländern auch mental eine viel größere Bedeutung zu als in dichtbesiedelten Ländern oder in Ballungsgebieten, wo die Verkehrsinfrastruktur mit Massenverkehrsmitteln, die elektrisch angetrieben werden, eine andere ist. Amerikanische Bürger bewerten deshalb die Sicherstellung einer ausreichenden Menge von Öl für den Verkehrssektor nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten, sondern auch unter dem Aspekt der Aufrechterhaltung ihrer persönlichen Freiheit.
6 Folgt der Energieverbrauch dem Bevölkerungswachstum? Die Zahl der Menschen auf der Erde wächst kontinuierlich. Im Jahre 1950 lebten rund 2,5 Mrd. Menschen auf unserer Erde, im Jahre 1990 waren es bereits 5,5 Mrd. und im Jahre 2002 6,2 Mrd. Schätzungen der UN zufolge könnten im Jahre 2025 rund 8,5 Mrd. Menschen auf der Erde leben, also 2,3 Mrd. Menschen mehr als heute. Dabei ist die Geburtenrate in den Industrieländern gering, in den Entwicklungsländern hingegen hoch.
6.1 Unterteilung in »Wohlstandsklassen« Die Weltbank klassifizierte in ihrem Bericht »Beyond Economic Growth« im Jahr 2004 die Länder nach der Kenngröße Bruttosozialprodukt (BSP) pro Kopf. Es werden für die Verhältnisse im Jahr 1999 drei Ländergruppen unterschieden: 1. Länder mit niedrigem Einkommen, d. h. weniger als 760 $ pro Kopf (Bruttosozialprodukt) 2. Länder mit mittlerem Einkommen, d.h. zwischen 760 und 9400 $ pro Kopf 3. Länder mit hohem Einkommen, d. h. mehr als 9400 $ pro Kopf. Zum Vergleich und zur Einordnung: Das Bruttosozialprodukt in Deutschland lag im gleichen Jahr bei rund 30000 $ pro
Folgt Energieverbrauch dem Wachstum?
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Kopf. Von den 1999 in der Statistik ausgewiesenen knapp 6 Mrd. Menschen entfielen auf die Gruppe mit dem niedrigen Einkommen 40 %. Die Gruppe mit den mittleren Einkommen bildeten 45 % der Weltbevölkerung und zur Gruppe mit dem hohen Einkommen zählten 15 %. Ein interessanter Aspekt ist, dass die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen in den Ländern mit niedrigem Einkommen mit 63 Jahren gegenüber der in Ländern mit hohem Einkommen mit 78 Jahren um 20 % geringer ausfällt. Die Lebenserwartung hängt also statistisch gesehen eindeutig vom Einkommen eines Landes, dem Bruttosozialprodukt, ab. Bei der Betrachtung des Weltbevölkerungswachstums muss deshalb neben der höheren Geburtenrate auch bei Steigerung des Lebensstandards in den Entwicklungsländern die zu erwartende längere Lebenserwartung einbezogen werden. Dies ergäbe 100 Millionen Menschen, die bis 2025 in den Entwicklungs- und Schwellenländern mehr leben würden, wenn es gelänge, den Lebensstandard nennenswert zu erhöhen. Grundsätzlich ist zu beobachten, dass die Geburtenrate vom Lebensstandard und den damit verbundenen sozialen Sicherungssystemen eines Landes mit bestimmt wird. Deshalb ist sie in den Industrieländern niedriger als in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Realistischerweise muss man davon ausgehen, dass der Lebensstandard in den nächsten 20 bis 25 Jahren in der Mehrzahl der Entwicklungsländer nicht auf ein solches Niveau ansteigen wird, dass die Geburtenrate deshalb nennenswert zurückgehen würde. Unter diesen Voraussetzungen würde sich in den Entwicklungsländern bis 2025 ein Bevölkerungszuwachs von rund 1,9 Mrd. Menschen oder 47 % gemessen am Wert des Jahres 2002 einstellen. Sie würden dann 75 % der Weltbevölkerung ausmachen.
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Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass der Bevölkerungsanstieg nicht so sehr von dem Anstieg der Lebenserwartung abhängt als vielmehr von der Geburtenrate. Die Bevölkerungszahl in den Entwicklungsländern sowie weltweit wird im Wesentlichen durch hohe Geburtenraten in den Entwicklungs- und Schwellenländern bestimmt. Nicht in die Betrachtungen einbezogen wurde eine Minderung des Bevölkerungsanstiegs durch Seuchen wie Aids. Sie können nach heutigen Gegebenheiten nicht für alle Teile der Welt ausgeschlossen werden.
6.2 Wachstum des Energieverbrauchs Überträgt man nun die vorgenommene Dreiteilung der Bevölkerung auf den Energieverbrauch und nimmt man eine veränderte Einteilung der Länder, nämlich nach ihrem Status auf dem Weg zur Industrialisierung, vor, dann ergeben sich für das Jahr 2002 die in Tab. 3 aufgeführten Zahlenwerte:
Tab. 3 Unterteilung des weltweiten Primärenergieverbrauchs des Jahres 2002 auf Ländergruppen (Angaben in jeweils zwei Energieeinheiten aufgeführt)
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Die Tabelle sagt aus, dass die rund 20 % der Menschen, die in den Industrieländern leben, einen 50-prozentigen Anteil am weltweiten Energieverbrauch haben. Es muss deshalb eine Antwort auf die Frage gefunden werden, wie sich der weitere Energieverbrauch entwickelt und in welchem Verhältnis er zu den vorhandenen Reserven steht. Um ein Gefühl für die Größenordnungen zu bekommen, ist es hilfreich, einige vereinfachte Szenariobetrachtungen vorzunehmen. Dazu sollen drei Fragen gestellt werden: 1. Welcher Energieverbrauch ergäbe sich, wenn die Weltbevölkerung von 6,2 Mrd. Menschen im Jahre 2002 auf 8,5 Mrd. Menschen bis zum Jahre 2025 ansteigen würde und zugleich der heutige durchschnittliche weltweite ProKopf-Energieverbrauch erhalten bliebe? 2. Wie viel der heute bezifferten Weltenergiereserven von rund 73 000 EJ – 2480 Mrd. Tonnen SKE – bliebe dann noch im Jahre 2025 übrig und welche Reichweite hätten sie dann noch? Vereinfacht wird angenommen, dass sich der ProKopf-Verbrauch weltweit nicht verändern soll und auch die Mengen der Energiereserven die gleichen blieben. Alle neu hinzukommenden Menschen würden dann statistisch gesehen pro Kopf so viel Energie verbrauchen wie die heute bereits lebenden Menschen. 3. Wie würde sich die Reichweite dieser Energiereserven verändern, wenn es gelänge, den Pro-Kopf-Verbrauch im Jahre 2025 auf das Niveau der Industrieländer ansteigen zu lassen? Die Antworten auf diese Fragen lauten folgendermaßen:
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1. Zunächst würde der Energieverbrauch der Welt pro Jahr von 440 EJ – das sind 15 Mrd. Tonnen SKE – im Jahr 2002 auf 580 EJ – also 20 Mrd. Tonnen SKE – pro Jahr ansteigen. Unter der Annahme, dass der Zuwachs der Bevölkerung in dem betrachteten Zeitraum von 2002 bis 2025 linear erfolgt, betrüge der gesamte Primärenergieverbrauch in diesem Zeitraum 11700 EJ – das sind 400 Mrd. Tonnen SKE. 2. Damit verblieben im Jahr 2025 noch 61000 EJ – das sind 2100 Mrd. Tonnen SKE – als Reserven zur Verfügung, woraus sich eine Reichweite von 104 Jahren ergeben würde. 3. In diesem Falle würde sich die Reichweite der Reserven auf 25 Jahre verringern. Nun müssen die Fragestellungen und Antworten hinsichtlich ihrer Aussagefähigkeit diskutiert werden. Sie sind natürlich insofern theoretisch, als sich die Reserven eher nach oben bewegen werden. An anderer Stelle wurde ja bereits darüber berichtet, in welchem Maße Ressourcen zu Reserven umgewandelt werden können. Dann berücksichtigt die Fragestellung nicht das Problem, dass sich die weltweite Energienachfrage verstärkt auf Öl und Gas konzentriert und weniger auf Kohle. Daraus ergibt sich allerdings eine Verschärfung der Zahlen, d. h., die Reichweiten von Öl und Gas werden wesentlich niedriger sein als die Reichweiten der Energiereserven insgesamt, da an den gesamten Reserven die Kohlereserven den größten Anteil haben. Unrealistisch ist in Szenario 3, dass innerhalb von 23 Jahren die gesamte Welt auf den Lebensstandard der Industrieländer gehoben werden könnte und deren durchschnittlichen ProKopf-Verbrauch hätte. Insofern dienen die Fragen und ihre Antworten dazu, ein Gefühl für die Obergrenze der Energienachfrage zu gewin-
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nen. Die Tendenzen sind allerdings klar ablesbar. Sie bedeuten, dass der weltweite Energiebedarf voraussichtlich weiter nennenswert steigen wird. Dadurch, dass sich die Energienachfrage überwiegend auf die Kohlenwasserstoffe konzentriert (Verkehrssektor, gute Speicher- und Handhabbarkeit), sind die oben angegebenen Reichweiten eher optimistische Annahmen. Umgekehrt könnte argumentiert werden, dass in den nächsten 23 Jahren auch bei den Kohlenwasserstoffen noch weitere Ressourcen in Reserven umgewandelt werden könnten. Dabei gilt es aber zu bedenken, dass die Förderkosten höher werden. Die Frage ist somit, ob die Entwicklungsländer der unteren Gruppe mit den niedrigen Einkommen noch in der Lage sind, sich auf den Weltmärkten mit mehr Kohlenwasserstoffen, hier allen voran mit Öl, einzudecken, um den Weltdurchschnitt des Pro-Kopf-Verbrauches zu erreichen. Der Anstieg des Weltenergieverbrauchs würde sich dann verlangsamen.
6.3 Umverteilung In den bisherigen Überlegungen stecken noch keine Ansätze, den Anstieg des Weltenergieverbrauchs auch dadurch zu begrenzen, dass Industrieländer versuchen, mit Energie effizienter umzugehen, also ihren Pro-Kopf-Energieverbrauch durch Energieeinsparungen oder zumindest durch bessere Nutzung der Energie abzusenken. Um auch hier ein erstes Gespür für die Größenordnung zu erhalten, wird folgende Frage gestellt: Deutschland geht mustergültig voran und schafft es, bezogen auf heutige Verhältnisse, seinen Primärenergieverbrauch zu halbieren (d. h., statistisch gesehen verbraucht jeder Bundes-
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bürger die Hälfte an Energie). Die eingesparte Energiemenge wird gleichermaßen auf die Entwicklungsländer aufgeteilt. Was verändert sich bei ihnen? Die Antwort lautet folgendermaßen: Wir sparen in Deutschland 7500 PJ – also rund 250 Mio. Tonnen SKE – an Energie ein. Wird diese gleichermaßen pro Kopf auf die Menschen in den Entwicklungsländern umgelegt, würde sich deren Pro-Kopf-Energieverbrauch nur um etwa 5 % erhöhen. Deutschland alleine kann die Probleme nicht ernsthaft entschärfen. Man muss berücksichtigen, dass die Halbierung des Energieverbrauchs eines Industrielandes – gleiches wirtschaftliches Wohlergehen vorausgesetzt – kein kurzfristiger Vorgang ist. Er benötigt mehrere Jahrzehnte, da nur über technische Maßnahmen der Energieeffizienzsteigerung und Änderung des Verbraucherverhaltens solch hohe Einsparraten erreicht werden könnten. Realistischerweise sollte man deshalb nicht mehr als 20 % Einsparung ansetzen. Auch dies bedarf bereits einer Vielzahl von Maßnahmen. Geht man nun davon aus, dass alle Industrieländer 20 % ihres Primärenergieverbrauchs einsparen und dieser Betrag den Entwicklungsländern zugute käme, würde sich deren Pro-Kopf-Verbrauch immerhin um 30 % erhöhen. Das klingt zunächst nach sehr viel und ist relativ zu ihrem derzeitigen Niveau gesehen auch sehr viel. Absolut gesehen läge ihr Pro-Kopf-Energiebedarf dann aber immer noch nur bei gut 1,5 Tonnen SKE pro Kopf und Jahr. In den Industrieländern wäre der Verbrauch dann mit 5,1 Tonnen SKE pro Kopf noch das 3,5fache. Die absolute Einsparung
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würde auch nicht den Zuwachs des Verbrauchs durch das Wachstum der Weltbevölkerung bis 2025 ausgleichen, d. h., auch unter Annahme eines um 20 % geminderten Verbrauchs in den Industrieländern steigt der weltweite Energieverbrauch an. Aus den vorstehenden Beispielen können – bei aller Vorsicht – Schlüsse gezogen werden. Die Weltbevölkerung scheint in den nächsten zwei Jahrzehnten schneller zu wachsen, als der Energieverbrauch steigen wird. Ursache dafür ist, dass der Bevölkerungszuwachs in den Entwicklungsländern stattfindet, die ein niedrigeres ProKopf-Einkommen haben und dadurch begründet einen niedrigeren Energieverbrauch. Die langfristig zunehmende Nachfrage nach Energie durch die Bevölkerungsentwicklung bewirkt aber, dass längerfristig zusätzliche Ressourcen erschlossen werden müssen, die nur zu höheren Energiepreisen gewinnbar sind. Dies dämpft wiederum das Wachstum des Energieverbrauchs, weil den Ländern mit niedrigen ProKopf-Einkommen und hohem Bevölkerungszuwachs nicht die nötigen Devisen zur Verfügung stehen, um sich auf den Weltmärkten mit Energie einzudecken. Der Weltenergieverbrauch wird absolut steigen, jedoch der Zunahme der Weltbevölkerung hinterherhinken. Ein Beitrag zur Linderung dieser Problematik besteht in der Erhöhung der Energieeffizienz und der Förderung der Energieeinsparung in den Industrieländern. Könnte dort die Marge von 20 % Einsparung pro Kopf in den nächsten zwei Jahrzehnten erreicht werden, würde dies zu einer Verlangsamung des Weltenergieverbrauchsanstiegs beitragen und zudem billigere Energieträger länger zur Verfügung stehen lassen. Der Nachholbedarf der Entwicklungsländer ließe sich besser decken.
Wirtschaftsgut Energie
7 Energie ist eine Handelsware Die in der Natur vorkommenden Energieträger werden wie tausend andere Güter des täglichen Bedarfs gehandelt. Ziel der Händler ist es, die Nachfrage ihrer Kunden mit möglichst großem Profit zu decken. Wegen der Bedeutung der Energie für die Entwicklung der Wirtschaft und für das allgemeine Wohlergehen unterliegt der Handel mit Energie in manchen Ländern besonderen Vorschriften und Rahmenbedingungen. Nur in wenigen Fällen findet kein Handel mit Energieträgern statt. Holz deckt in vielen ländlichen Gegenden in Entwicklungsländern den Grundenergiebedarf. Das Holz wird meistens von Familienmitgliedern eingesammelt, unterliegt also keinem Handel. Manchmal wird es aber auch von Holzsammlern gesammelt und gegen Geld oder Dinge des tagtäglichen Bedarfs weiterverkauft. Dann unterliegt es dem Handel. Auch bei der Nutzung erneuerbarer Energien kann der Handel des Energieträgers oftmals ausgeschlossen werden, beispielsweise wenn solarthermische Kollektoranlagen auf dem Dach des Hausbesitzers für warmes Wasser sorgen. Im Folgenden soll nun die Rede davon sein, wie die Handelsketten für Energieträger aussehen und an welchen Kriterien sich die Preise ausrichten, die der Verbraucher letztendlich für seine Energie zu zahlen hat. Dabei muss zwischen den einzelnen Energieträgern unterschieden werden.
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7.1 Braunkohle Braunkohle hat einen geringen Handelswert. Sie leidet unter dem Handikap, dass sie einen niedrigen Heizwert und einen hohen Wassergehalt hat und deshalb der Transport des eigentlichen Energieinhaltes in Relation zu anderen Energieträgern teuer ist. Dies erschwert einen Handel. Es existiert deshalb auch kein Markt für Braunkohle. Die Lagerstätten befinden sich in der Hand von Unternehmen, die in den meisten Fällen zur Energiewirtschaft gehören. Die geförderte Kohle wird unmittelbar in Kraftwerken, die zum gleichen Konzern gehören, verfeuert. Die Preisgestaltung kommt nicht durch einen Handel im Wettbewerb zustande, sondern ist an den Verrechnungskosten im Konzern orientiert. Der geringe Anteil der Braunkohle, der als Brikett oder Braunkohlekoks noch in den Wärmemarkt geht (in Deutschland weniger als 7 % der geförderten Braunkohle), unterliegt aber dem Wettbewerb. Der Verbraucher kann seine Kohle bei unterschiedlichen Händlern kaufen, und er vergleicht die Preise mit den Preisen der Konkurrenzenergieträger Öl oder Erdgas, mit denen er auch heizen könnte. Die Preisgestaltung bei Braunkohle unterliegt keinen staatlichen Auflagen, da der Energieträger keine Monopolstellung hat.
7.2 Steinkohle Anders sieht es bei der Steinkohle aus. Große Steinkohlevorkommen sind auf allen Kontinenten vorhanden. Hauptexporteure von Steinkohle sind Australien, Indonesien, China mit abnehmender Bedeutung, Südafrika und Russland. Daneben gewinnen Kolumbien und Venezuela an Gewicht. In den Ex-
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portländern sind Unternehmen, die teilweise untereinander in Konkurrenz stehen, tätig. Letzteres gilt nicht mehr für die Situation in Deutschland. Auch hier gab es in den 1950er und 1960er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Vielzahl von verschiedenen Bergbauunternehmen. Sie fusionierten aber im Zuge des Rückgangs des deutschen Steinkohlebergbaus, bis Ende des Jahres 1998 die Bündelung aller Zechen an der Ruhr und an der Saar unter dem Dach der Deutschen Steinkohle AG (DSK) mit Sitz in Gelsenkirchen erfolgte. Diese steht aber beim Absatz ihrer geförderten Kohle im Wettbewerb mit der Importkohle aus verschiedenen Ländern der Welt. Wichtige Eigenschaften, die in die Preisbildung bei Steinkohle eingehen, sind ihr Aschegehalt, ihr Heizwert und der Anteil der leichtflüchtigen Bestandteile. Sie bestimmen die Verbrennungseigenschaften. Auch der Schwefelgehalt ist im Hinblick auf lokale Emissionsminderung ein wichtiger Aspekt. Es haben sich weltweit unterschiedliche Märkte gebildet. Beim Kesselkohlemarkt geht es in erster Linie um den Handel von Kohlequalitäten, die für den Einsatz in Kraftwerken geeignet sind. Ein zweiter wichtiger weltweiter Markt ist der Markt für Kokskohle. Sie wird für die Stahlherstellung benötigt. Entsprechend unterschiedlich sind auch die Kriterien, die die Preisgestaltung bestimmen. Schaut man diese aus Sicht des Nachfragers an, ergeben sich folgende Aspekte: Im Elektrizitätsmarkt steht die Steinkohle in einem Substitutionswettbewerb, d. h., sie muss gegen andere Energieträger konkurrieren, mit denen ebenfalls Strom erzeugt werden kann. Das sind Braunkohle, Erdgas, schweres Heizöl und in manchen Ländern auch Kernenergie. Im Wärmemarkt geht es darum, große industrielle Wärmeerzeuger oder industrielle Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, das sind Anlagen, die Elek-
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trizität und die benötigte Prozesswärme für den Produktionsprozess liefern, zu versorgen. In Haushalten dagegen hat die Steinkohle in den Industrieländern ihren Markt aus Komfortgründen weitestgehend verloren. Keiner schleppt gerne Kohle aus dem Keller zum Ofen und bringt jeden Tag die Asche weg. Lediglich in Entwicklungsländern, beispielsweise China, spielt die Steinkohle zur Energieversorgung der Haushalte, auch zum Kochen, eine große Rolle. Ihr Einsatz geht in China und anderen Ländern einher mit einer großen Luftbelastung, da sich beim Verbrennen Schwefeldioxide, Kohlenmonoxid und andere Schadgase bilden. Sie führen zum sauren Regen und zu Wintersmog-Situationen. Aus diesem Grunde versucht man in den größeren Städten den Weg zu gehen, den die Industrieländer bereits seit den 1960er Jahren vorangegangen sind. Sie haben die Kohle als Hausbrand durch andere Energieträger, wie durch das Erdgas, das hinsichtlich der Luftbelastung einfacher zu handhaben ist, ersetzt. Aus Kostengründen, aber auch weil die Möglichkeit besteht, Entschwefelungsanlangen zu bauen, hat die Kohle ihren Markt in der Industrie dagegen weitestgehend behalten. Aber auch hier konkurriert sie gegen die Energieträger Öl und Erdgas. Eine Sonderrolle nimmt die Kokskohle ein. Verfahrenstechnisch bedingt kann sie beim Stahlherstellungsprozess nicht durch andere Energieträger ersetzt werden. Es kommt nämlich hier nicht nur auf den Energieinhalt an, sondern auch auf das Kohlenstoffatom, das chemisch benötigt wird. Je nach Stahlkonjunktur steigen und fallen die Preise aufgrund der sich ändernden Nachfrage nach Kokskohle. Aufgrund des großen wirtschaftlichen Wachstums im asiatischen Raum in den letzten Jahren und der damit verbundenen großen Nachfrage nach Stahl haben sich zeitweise Engpässe auf dem Kokskohlenmarkt ergeben, die dazu führten, dass sich die Preise ver-
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doppelten. Vorangegangen ist allerdings auch eine Phase, in der man Entscheidungen getroffen hatte, Kokereien stillzulegen, weil langfristig keine Nachfrage nach Kokskohle gesehen wurde. Der Steinkohlewelthandel wird in erster Linie zwischen Produzenten und Verbrauchern abgewickelt. Unter den Vertragsarten hat sich die Bedeutung der Spotabschlüsse, also kurzfristig zustande gekommener Preis-Mengen-Vereinbarungen, erhöht. Waren früher Lieferverträge für einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren üblich, so werden heute über diese Zeiträume nur Mengenabsprachen getroffen. Entsprechend der Nachfrage nach Steinkohle auf den verschiedenen Märkten steigen oder fallen die Preise. So bewegte sich beispielsweise der Importpreis für eine Tonne Kraftwerkskohle frei deutscher Hafengrenze zwischen 40 und 60 € pro Tonne in den Jahren 2004 bis 2005. Interessant ist der Vergleich mit der Steinkohle, die unter mitteleuropäischen Bedingungen gewonnen werden muss. Sie kostet bis zum Dreifachen.
7.3 Erdöl Am interessantesten ist Öl als Handelsware. Es existiert ein internationaler Rohölmarkt, aber auch ein internationaler Markt mit Raffinerieprodukten. Dieser Markt lässt sich als Teilmonopol auf der Angebotsseite beschreiben, weil er aus dem OPEC-Kartell und darüber hinaus nur aus wenigen weiteren Anbietern, wie z.B. Russland, besteht. Die Ölpreise werden durch mehrere Einflüsse bestimmt. Zunächst sind die Rohölpreise selbst zu nennen. Sie orientieren sich an Angebot und Nachfrage. Da die Nachfrage nach Öl kontinuierlich angestiegen ist und auf der Förderseite nicht im gleichen Maße
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neue Reserven erschlossen wurden, steigen die Rohölpreise. Die Abb. 7 zeigt die Entwicklung der Rohölpreise in den vergangenen zwei Jahren. Es ist festzustellen, dass die Preise zum einen erheblich angestiegen sind, dass sie aber zum anderen auch großen Schwankungen unterworfen sind. Sie liegen weit über den Förderkosten. Diese können im Bereich von etwa 6 bis 15 $ pro Barrel für den überwiegenden Teil des heute geförderten Rohöls angesetzt werden. Die Preise auf dem Weltmarkt für das Rohöl betragen dagegen bis zu 70 $ pro Barrel (bezogen auf den Dollar /Euro-Kurs des Jahres 2005 entsprechen 10 $ pro Barrel etwa 5 (Euro-) Cent pro Liter). Die Einheit weist bereits auf den zweiten wichtigen Einflussfaktor bei der Preisgestaltung des Rohöls hin: Rohöl wird üblicherweise weltweit in amerikanischer Währung gehandelt. Somit gehen die Paritäten zwischen den nationalen Währungen zur amerikanischen Währung mit in den Rohölpreis ein. Die Europäische Union hat davon seit Einführung des Euro-Raums erheblich profitiert, konnte doch der Euro gegenüber dem Dollar von ursprünglich 0,9 € pro Dollar auf bis zu 1,20 Dollar pro € hochklettern. Bereits bei den sogenannten Ölpreiskrisen in den 1970er Jahren hat Deutschland von der Währungsrelation Vorteile gehabt, fiel doch der Dollar gegenüber der DM kontinuierlich in den 1980er Jahren. Anders sieht dieser Einfluss bei Ländern aus, deren Währung gegenüber dem Dollar abgewertet werden musste oder im freien Handel fällt. Für sie verteuern sich dann die Importe von Öl. Insbesondere Entwicklungsländer sind wirtschaftlich stark betroffen. Abb. 7 Entwicklung der Ölpreise auf den Märkten im Zeitraum 2004 bis 2006 (nach www.tecson.de/prohoel/htm)
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Während bis in die 1970er Jahre hinein die größten Mengen an Rohöl über längerfristige Verträge zwischen Raffinerien, Fördergesellschaften und Förderländern preislich bestimmt wurden, änderte sich dies mit dem politisch in Gang gesetzten Anstieg der Ölpreise 1973 und 1978. Wurde vorher der kleinere Teil des Ölverbrauchs an den Börsen gehandelt, allen voran am Rotterdamer Spotmarkt, so drehte sich nun das Verhältnis um und hat sich seitdem nicht mehr verändert. Der Handel mit Öl ist zwischenzeitlich auch zum Spekulationsobjekt von Finanzfonds geworden. Insbesondere Hedging-Fonds, die zum Ziel haben, kurzfristig auch unter Inkaufnahme von größeren Verlustrisiken Gewinne zu erzielen, beteiligen sich gerne am Ölhandel. Es ist schwer, ihren Einfluss auf die Preisgestaltung im Einzelnen abzuschätzen, aber zusätzliche Preiserhöhungen zu bestimmten Zeiten von 3 bis 5 $ pro Barrel, also etwa 5 % bis 10 % des Rohölpreises, sind nicht von der Hand zu weisen. Der Vorteil des Börsenhandels liegt auf der Hand: In Zeiten ebenso schnell steigender wie auch fallender Preise gehen die Marktteilnehmer ungern Risiken durch langfristige Vertragsbindungen ein. Da große Teile des Öls international nur über Tanker transportiert werden können, ergibt sich die Möglichkeit, das Öl gerade an die Stellen auf der Welt zu transportieren, wo die besten Erlöse zu erzielen sind.
7.4 Die Rolle der OPEC Man könnte jetzt auf die Idee kommen, Öl auch künstlich zu verknappen, um Preise anzuheben. Beispielsweise könnten Öltanker Kreise drehen und erst mit zeitlicher Verspätung ihren Lieferhafen anlaufen. Auch wenn nicht auszuschließen ist, dass der eine oder andere Händler schon einmal eine der-
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artige Maßnahme angewendet hat, ist sie jedoch nicht das übliche Geschäftsgebaren. Verbraucher, die mehrfach nicht im ausreichenden Maß mit Öl versorgt worden sind, werden nach Alternativenergien Ausschau halten und sie beispielsweise in Erdgas oder Kohle finden können. Auch sind noch Potenziale zum Energieeinsparen vorhanden. Die Entwicklung »weg vom Öl« hat bereits schon einmal zu Beginn der 1980er Jahre stattgefunden. Im Jahr 1973 exportierte die OPEC 1,5 Mrd. Tonnen Erdöl. Der durchschnittliche Erlös dafür lag im Geldwert der damaligen Zeit gemessen bei etwa 3 $* pro Barrel. Innerhalb kürzester Zeit wurden die Erdölpreise bis Anfang der 1980er Jahre auf über 33 $ pro Barrel angehoben (siehe Abb. 8). Zunächst konnten die Ölnachfrager, hier insbesondere die Industrieländer, nicht mit einer geringeren Nachfrage reagieren. Sie hatten keine Alternativtechniken zur Verfügung, und die Umstellung auf andere Energieträger dauerte länger. Sie erkannten jedoch, dass sie Maßnahmen ergreifen mussten, und beschlossen, in einer gemeinsamen Politik der OECD zum einen die Energieeffizienz wesentlich zu erhöhen, beispielsweise durch Wärmedämmung von Gebäuden, Verbesserung von Motoren und durch Steigerung des Wirkungsgrades bei der Verbrennung in Heizkesseln. Zum anderen wurde bei-
* Aus heutiger Sicht erscheint dieser Preis sehr niedrig. Berücksichtigt werden muss aber, dass 1974 die Relation DM / Dollar (bzw. Euro / Dollar) ungünstiger für die deutsche Währung als heute war. 1 $ entsprach 1974 2,55 DM (= 1,3 €), im Jahre 2005 dagegen nur 1,65 DM (= 0,84 €). Ein Liter Rohöl kostete somit 1974 4,8 Pfennige. Über den Inflationsindex hochgerechnet (1973 = 100, 2005 = 229) entsprächen dieses auf den Geldwert des Jahres 2005 bezogen 11 Pfennige pro Liter (5,6 Ct/l). Der Rohölpreis im Jahre 2005 lag im Mittel bei 56 $ pro Barrel, woraus sich ein Preis von 55 Pfennig pro Liter errechnet (28 Ct/l). Für den Käufer hat sich also der Rohölpreis in den letzten 30 Jahren real gesehen verfünffacht, wobei allerdings bereits die Hälfte der Erhöhung im Zeitraum 1973 bis 1982 stattfand.
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Abb. 8 Der Weg der OPEC: Exporte an Öl und Produkten, ihr Preis und die Einnahmen daraus für die OPEC im Zeitraum 1973 bis 2003
spielsweise in Deutschland bei der Stromerzeugung Öl durch Steinkohle ersetzt und in vielen Ländern der Kernenergiezubau forciert. Um im Wärmemarkt neben dem Öl noch einen weiteren Energieträger mit bequemer Handhabung einzuführen, unterstützen viele Industrieländer die Exploration nach Erdgas und den Aufbau von kapitalintensiven Erdgasverteilungssystemen. Auch wurde die Explorationstätigkeit nach Erdöl in Ländern außerhalb der OPEC verstärkt und zusätzliche Ölgebiete, wie beispielsweise in der Nordsee, die sich nun bei den höheren Preisen rechneten, erschlossen. Die Folge der Maßnahmen war, dass nach etwa zehn Jahren die von der OPEC bezogenen Ölmengen zu sinken begannen. Damit fielen auch nach den Gesetzen des Marktes die Preise wie-
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der, und im Jahre 1987 konnte die OPEC nur knapp die Hälfte der Menge von Öl gegenüber 1973 absetzen. Damit einher ging auch eine erhebliche Veränderung der Einnahmen der OPEC-Länder aus dem Ölexport. Betrugen diese im Jahre 1973 noch etwa 30 Mrd. $, so stiegen sie Ende der 1970er Jahre auf rund 260 Mrd. $ an, um dann bis 1988 durch die verringerte Absatzmenge bei verringerten Preisen wieder auf etwa 90 Mrd. $ zu fallen. Auch wenn man berücksichtigt, dass diese Angaben jeweils im Geldwert des betreffenden Jahres erfolgen, also Inflationseffekte nicht herausgerechnet sind, kann man doch gut abschätzen, wie einschneidend für die dortigen Volkswirtschaften dieses Mengen- /Preisspiel gewesen sein muss. Seitens der OPEC versuchte man der Tendenz fallender Preise und damit verringerter Einnahmen dadurch entgegenzuwirken, dass man zwischen den Mitgliedsländern Vereinbarungen traf, nur eine bestimmte Höchstmenge an Öl zu fördern und dem Weltmarkt zur Verfügung zu stellen, damit die Preise nicht noch weiter fielen. Leider wurde dieses gemeinsam gefasste Ziel aber dann nicht von allen Mitgliedsländern eingehalten. Die Ursache liegt in der Struktur der damaligen OPEC begründet. Sie wurde 1960 mit Sitz in Wien als eine Interessengemeinschaft der Erdölländer gegenüber den großen ausländischen Erdölfördergesellschaften, die in ihrem Land Erdöl förderten, gegründet. Mitglieder der OPEC waren Algerien, Ecuador, Gabun, Indonesien, Iran, Irak, Kuwait, Libyen, Nigeria, Katar, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate und Venezuela. In den 1990er Jahren traten Ecuador und Gabun aus. Betrachtet man die Mitgliederstruktur, handelt es sich zum einen um arabische Länder, die durch geringe Bevölkerungszahlen und große Ölvorkommen gekennzeichnet sind. Sie benötigten den Ölexport in erster Linie als Einnah-
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mequelle, um ein ausreichend gutes Leben führen zu können. Länder wie Algerien, Ecuador, Gabun, Indonesien oder Venezuela dagegen sind bevölkerungsreiche Länder, die ihre Öleinnahmen dazu verwenden müssen, andere Wirtschaftsbereiche schnell aufzubauen, um langfristig Arbeitsplätze und Wohlstand herbeiführen zu können. Manche Länder wie beispielsweise Indonesien verfügen zudem über begrenzte Ölreserven, sodass sie langfristig gesehen nicht auf die Einnahmen aus dem Ölgeschäft hoffen können. Die Interessen der letzten Gruppe sind somit erheblich abweichend von den Interessen der ersten Gruppe. Letztere Gruppe möchte nach Möglichkeit so schnell und so viel Öl verkaufen, wie es möglich ist, um schnell hohe Einnahmen zu erlösen, um damit dem Druck der großen und wachsenden Bevölkerung entgegentreten zu können. Dies alles führte dann – entgegen der eigentlichen OPECZielsetzung – zu Preisschwankungen. Unter Inkaufnahme dieser Preisschwankungen konnte das Exportniveau der OPEC in den letzten zehn Jahren in etwa gehalten werden. Eine neuere Entwicklung ergibt sich wieder seit dem Jahr 2004. Die unerwartet hohe Nachfrage nach Erdöl aus den wirtschaftlich schnell wachsenden Schwellenländern bei gleichzeitig nur mäßigem Ausbau der Ölförderkapazitäten und dem zeitweisen Ausfall einzelner Ölländer wie dem Irak führten wieder zu einem Weltölmarkt, auf dem die Anbieter die Preise bestimmen. Die Rohölpreise sind wieder gestiegen.
7.5 Öl als staatliche Einnahmequelle Nachdem nun eine Vielzahl von Einflussgrößen genannt wurde, die zur Preisbildung von Öl beitragen, muss im Folgenden noch die Rolle des Staates näher beleuchtet werden.
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Die europäischen Länder haben schon seit dem Zweiten Weltkrieg den Absatz von Benzin und Diesel im Verkehrsbereich als zusätzliche steuerliche Einnahmequelle angesehen. Man weiß aus dem Alltag, dass große Teile des Preises, den man an der Tankstelle zahlt, Gelder für den Staat sind. So kostete beispielsweise ein Liter Benzin im Herbst des Jahres 2006 1,20 €. Der Rohölpreis lag bei 60 $ pro Barrel, was bei der damaligen Euro-Dollar-Relation rund 32 Cent pro Liter Rohöl bedeutete. Für den Transport des Rohöls, der fertigen Produkte, für die Wandlung von Rohöl in den Raffinerien in Benzin oder Diesel können alles in allem etwa 10 Cent pro Liter zusätzlich gerechnet werden. Billigt man nun dem Tankwart auch noch 2 Cent pro Liter zu, ist zu erkennen, dass rund zwei Drittel des Verkaufspreises an der Tankstelle staatliche Abschöpfungen sind: Mineralölsteuer, Ökosteuer und Mehrwertsteuer. Es steht dem Staat frei, seine Steuern dort zu erheben, wo er es für richtig hält, solange er alle Bürger gleich behandelt. Die Überlegungen in Europa, Verkehrstreibstoffe stark zu besteuern, sind historisch geprägt durch die Situation in den 1950er und 1960er Jahren. Die rasch zunehmende Motorisierung verlangte hohe Investitionen in den Ausbau des Straßennetzes, die Gelder dafür mussten durch neue Steuereinnahmen aufgebracht werden. Später trat dann der Aspekt, über eine künstliche Verteuerung der Treibstoffe die Energieeffizienz der Fahrzeuge zu erhöhen, in den Vordergrund. Dieser Mechanismus wirkte in der Vergangenheit auch recht gut. Noch vor 15 Jahren verbrauchte ein deutsches Fahrzeug der gehobenen Mittelklasse pro Kilometer ein Drittel weniger Treibstoff als ein amerikanisches Fahrzeug. Dort waren die Benzinpreise fast frei von staatlichen Abgaben. Zwischenzeitlich haben sich diese Relationen weiter angepasst, denn auch in den USA sind allein wegen der gestiegenen Rohölpreise in den letzten Jah-
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ren die Benzinkosten für die Verbraucher fast doppelt so teuer geworden. Sie wählen deshalb beim Neukauf sparsamere Fahrzeuge.
7.6 Öl aus Verbrauchersicht Bisher wurde die Handelsware Öl bevorzugt aus der Sicht der Anbieter betrachtet. Im Folgenden soll nun der Blickpunkt gewechselt und die Handelsware Öl aus Sicht des Verbrauchers – des Einkäufers in einem Produktionsbetrieb oder der Hausfrau bzw. des Hausmannes, die ihr Fahrzeug betanken wollen – gesehen werden. Fangen wir bei den Letzteren mit der Analyse an. Im Verkehrssektor ist zunächst ein direkter Wettbewerb durch eine Vielzahl von Tankstellen festzustellen. Man kann entweder bei einer bestimmten »Marke« tanken, an einem bestimmten Platz oder dort, wo es gerade am günstigsten ist. Letztendlich sind es jedoch nur wenige große Konzerne, die das Tankstellennetz europaweit unter sich aufteilen und zudem noch in den letzten Jahren Tendenzen zur Fusionierung gezeigt haben. Trotzdem spielt sich hier – wenn auch mit kleineren Preisdifferenzen – das Spiel von Angebot und Nachfrage ab. Man beobachtet, dass die Preise an den Tankstellen parallel zu den Wegen der Urlauberströme ansteigen. Mit Erwachen des Sonnenscheins im Frühjahr steigen an Wochenenden nicht nur die Verkehrsströme, sondern auch die Benzinpreise an den Tankstellen. Ebenso fallen sie zeitweise wieder, wenn die Nachfrage witterungsbedingt niedriger ist. Im Großen und Ganzen gesehen ist hier aber ein mehr oder weniger autarkes Nachfrageverhalten festzustellen: Es besteht wenig Elastizität zwischen den Preisen und den Fahrleistungen. Die Entscheidung, das Fahrzeug zu benutzen, wird
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nicht in erster Linie vom Preis des Treibstoffes abhängig gemacht, sondern aus anderen Notwendigkeiten oder Bedürfnissen heraus, wie z. B. beruflich bedingte Fahrten oder auch einfach die Lust, ins Grüne zu fahren. Der Energieträger Öl weist technisch gesehen große Vorteile auf. Er bedient deshalb den Individualverkehr weltweit. Über 80 % der weltweiten Mobilität beruhen heute auf dem Öl. Öl ist einfach zu handhaben, auch für den technischen Laien, wie millionenfach an den Tankstellen bewiesen wird, es ist mit hoher Energiedichte versehen, sodass man mit einem relativ kleinen Tank große Reichweiten erzielen kann. Zudem ist es sehr gut transportier- und lagerbar. Dies hat zur Monopolstellung des Öls im Verkehrssektor geführt. Anders sieht Öl aus Sicht des Industrieeinkäufers aus. Er benötigt das Öl zum Heizen seiner Büros, seiner Produktionsstätten, aber insbesondere um die notwendige Prozesswärme, beispielsweise Dampf zum Sterilisieren oder Einkochen oder zur Stromerzeugung, herzustellen. Für ihn sind die physikalischen Vorteile des Öls sehr wichtig, aber für seine Zwecke stehen noch andere Energieträger zur Verfügung. Insbesondere konkurriert das Öl hier mit dem Erdgas, das bei gleichen guten physikalischen und verfahrenstechnischen Eigenschaften zudem noch den Vorteil hat, dass es vor Ort nicht gelagert werden muss. Öl befindet sich also im Industriesektor im Wettbewerb gegenüber anderen Energieträgern. Gleiches gilt für seinen Einsatz in Kraftwerken. Infolge seiner Politik »weg vom Öl« Ende der 1970er Jahre hat Deutschland die Entscheidung getroffen, Öl nicht zur Stromerzeugung einzusetzen, sondern dort Kohle den Vorzug zu geben. Dies ist in anderen Ländern anders. In vielen Entwicklungs-, Schwellen- und In-
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dustrieländern trägt das Öl auch nennenswert zur Stromerzeugung bei. Hier kommt insbesondere, wie bei der Beschreibung des Raffinerie-Prozesses erwähnt, das schwere Heizöl zum Einsatz.
7.7 Erdgas Der Konkurrent des Erdöls ist nicht nur in den Industrieländern das Erdgas, sondern auch zunehmend in den Schwellenländern, wie beispielsweise in China. Insbesondere für den Einsatz zur Stromerzeugung in Kraftwerken oder zum Gebrauch in Industrieunternehmen, aber auch zum Beheizen von Gebäuden hat sich das Erdgas große Marktanteile erobert. So wurden beispielsweise in Deutschland im Jahre 1975 nur 16 % des Wohnungsbestandes mit Gas beheizt, im Jahre 2005 waren es 48 % – also das Dreifache. Auch bei Erdgas ist von der Angebotsseite her gesehen eher über eine oligopolistische Struktur zu reden. Zwar gibt es hier keinen Länderzusammenschluss, wie es die OPEC beim Öl darstellt, aber insgesamt ist Erdgas in nennenswerten Mengen, gemessen am weltweiten Bedarf, nur in weniger als 15 Ländern verfügbar. Für die Versorgung Europas sind insbesondere die Erdgasvorkommen in Russland, in Norwegen, in den Niederlanden und im Mittelmeerraum entscheidend. Als leitungsgebundener Energieträger ist die Infrastruktur für das Erdgas sehr kapitalintensiv. Eine Zahl möge dies verdeutlichen: Die bestehenden Erdgaspipelines von Sibirien bis nach Westeuropa haben Längen von bis zu 4500 km. Die Kosten zum Bau einer solchen Leitung liegen auf den heutigen Neuwert bezogen in einer Größenordnung von 6 bis 9 Mrd. €. Die Erdgaswirtschaft ist deshalb aus ökonomischen Gründen heraus gezwungen, ihre
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getätigten Investitionen, sprich Förder- und Transportkapazitäten, möglichst maximal auszunutzen, um günstige Erdgaspreise auf dem Markt anbieten zu können. Dies begünstigt den Abschluss von längerfristigen Lieferverträgen. Hier zeigt sich strukturell ein grundsätzlicher Unterschied zum Erdöl. Der Transport des Erdöls und seine Speicherung sind technisch weniger anspruchsvoll als der Transport und die Speicherung von Erdgas. Kostenmäßig spielen Transport und Speicherung beim Erdöl eine untergeordnete Rolle, beim Erdgas sind sie dagegen neben der Förderung der zweite bestimmende Kostenfaktor. Auch wenn vorhin von langfristigen Lieferverträgen zwischen Erdgasproduzenten und Ferngasgesellschaften, die das Erdgas beispielsweise von Russland nach Europa transportieren und in die nationalen Ländermärkte einführen, gesprochen wurde, bedeutet dies nicht, dass auch die Preise langfristig fix sind. Historisch gewachsen ist in manchen Ländern eine Kopplung des Erdgaspreises an den Ölpreis. Steigt oder fällt der Rohölpreis, so folgt ihm auch der Erdgaspreis mit einer zeitlichen Verzögerung von wenigen Monaten. Diese Preisbildung wird politisch häufig in Frage gestellt. Auf dem deutschen Markt ist sie beispielsweise vorhanden, auf dem britischen Markt nicht. Aus der Beobachtung der Absatzzahlen und der Preise in den beiden Ländern kann bisher nicht der Schluss gezogen werden, dass das Erdgas für den Verbraucher billiger wäre, wenn eine Preisbindung an das Öl nicht bestände. Auf der anderen Seite sind aber auch die Gründe, die vor 20 Jahren zu dieser Preisbindung geführt haben – nämlich bei steigenden Ölpreisen nicht in übergroßem Maße auf billiges Erdgas zu setzen –, heute nicht mehr gegeben.
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Die Ausführungen zeigen, dass die Primärenergie entsprechend Angebot und Nachfrage auf den Weltmärkten gehandelt wird, Öl wird dabei überwiegend über den Spotmarkt zu kurzfristigen Konditionen gehandelt. Auf der Abnehmerseite werden in immer mehr Ländern der Welt die Märkte liberalisiert, d. h., die Energieträger werden bewusst der Konkurrenz untereinander, aber auch der Konkurrenz unterschiedlicher Anbieter ausgesetzt. Dieses betrifft insbesondere die leitungsgebundenen Energieträger Erdgas und Elektrizität. Deshalb werden im nachfolgenden Kapitel diese beiden Energiearten und ihre Märkte besonders betrachtet.
8 Besonderheiten der leitungsgebundenen Energien 8.1 Liberalisierung gestaltet die Märkte Die hohe Kapitalbildung bei den leitungsgebundenen Energieträgern Erdgas, Elektrizität und Fernwärme hat in der Vergangenheit in den meisten Industrieländern dazu geführt, dass nicht liberalisierte Energieversorgungsmärkte entstanden. Dies bedeutete ganz einfach, dass die Versorgungsgebiete zwischen verschiedenen Versorgungsunternehmen aufgeteilt wurden. Konkurrenz wurde nicht zugelassen, um nicht noch mehr Kapital zu binden und damit höhere Preise für den Verbraucher zu bewirken. Dieser konnte seine benötigten Erdgasmengen, genauso wie seinen Strombedarf, nur bei dem für sein Gebiet zuständigen Versorgungsunternehmen kaufen. In den USA und in Mitteleuropa werden die Märkte seit Mitte der 1990er Jahre liberalisiert. Die geschlossenen Versorgungsgebiete werden aufgelöst, verschiedene Unternehmen und neu hinzugekommene Händler können ihre Energieträger nun überall anbieten, wo sie Nachfrage erwarten. Der Käufer kann bei verschiedenen Unternehmen einkaufen, gegebenenfalls muss Erdgas durch das bestehende Leitungsnetz eines anderen Unternehmens – natürlich gegen Geld – transportiert werden. Im Vordergrund steht die Überlegung, dass Energie eine Handelsware wie jede andere ist und dass Preise über marktwirtschaftliche Kräfte gebildet werden müssen und nicht, wie im nicht liberalisierten Markt,
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über eine reine Kostenrechnung mit kalkulatorischem Gewinnzuschlag. Es wurde bereits auf die unterschiedliche Kostenstruktur bei den leitungsgebundenen Energieträgern Erdgas, Elektrizität und Fernwärme gegenüber den nicht leitungsgebundenen Energieträgern Öl und Kohle hingewiesen. Leitungsgebundene Energieträger haben eine hohe Kapitalbildung, die es aus wirtschaftlichen Gründen heraus notwendig macht, die vorhandenen Leitungen nach Möglichkeit rund um die Uhr optimal auszunutzen. Das entspricht jedoch nicht den Wünschen des Verbrauchers, der unterschiedlich viel Energie zu unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten benötigt. Dies ist der Grund dafür, dass sich beispielsweise eine Fernwärmeversorgung aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus nur dort lohnt, wo neben reinen Wohngebäuden auch Abnehmer wie Wäschereien, Krankenhäuser oder beheizte Schwimmbäder versorgt werden können, die auch im Sommer Fernwärme benötigen. Während der Verbraucher bei Steinkohle und Erdöl nur die tatsächlich gekaufte Menge bezahlt, beispielsweise die bezogenen Tonnen Steinkohle oder die getankten Liter Benzin, muss er bei den leitungsgebundenen Energieträgern noch sogenannte Leistungspreise oder Grundpreise entrichten. Dies ist ein fester Betrag pro Monat, der dazu dient, die hohen kapitalgebundenen Kosten des Versorgers abzufedern. Der Verbraucher zahlt dafür, dass er jederzeit Zugang zur leitungsgebundenen Energieversorgung hat. Eine vergleichbare Kostenstruktur wie bei den leitungsgebundenen Energieträgern existiert in der Telekommunikation. Auch hier müssen erst hohe Investitionen in Leitungen und Funkübertragungswege getätigt werden, während die Betriebskosten des Telekommunikationsnetzes eher gering sind. Es gibt jedoch einen wesent-
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lichen Unterschied zwischen Telekommunikationsnetzen und Energieversorgungsnetzen. Bei Energieversorgungsnetzen akzeptiert der Verbraucher nicht, dass Leitungen »belegt« sind, d. h., dass er nicht bedient wird, weil nur begrenzte Kapazitäten vorhanden sind. Der Verbraucher erwartet, dass er zu jeder Zeit jede Menge an Energie in Anspruch nehmen kann, die er haben möchte. Würde man das Vorgehen im Telekommunikationsbereich auf die leitungsgebundene Energieversorgung übertragen, so würde Folgendes geschehen: Beim Einstecken des Steckers in die Steckdose oder beim Einschalten des Fernsehgerätes erfolgt erst über einen Informationskanal eine Anfrage an den zentralen Lastverteiler, ob jetzt die benötigte Energiemenge und die dahinter stehende Kraftwerksleistung zur Verfügung steht oder auch nicht. Entweder würde sich nun das Gerät einschalten oder aber ein akustisches Signal würde anzeigen: Derzeit »besetzt«, d. h. derzeit keine Energielieferung möglich. Dieser Vergleich verdeutlicht, welche besonderen Anforderungen an die Energieversorgung bestehen. Bei der Fernwärmeversorgung und der elektrischen Versorgung gibt es gegenüber Erdgas noch zwei weitere Besonderheiten, die Einfluss auf den Handel und die Preisbildung haben. Die erste Besonderheit bezieht sich auf die Energieverluste beim Transport. Fernwärme ist ein verderbliches Gut. Auch bei gut wärmegedämmten Verteilungsrohren treten Wärmeverluste des heißen Wassers auf, d. h., Fernwärme kann nicht beliebig weit transportiert und verteilt werden. In der Praxis findet man deshalb in großen deutschen Städten Fernwärmenetze mit einer Entfernung zwischen Wärmeerzeugung und Verbraucher von vielleicht 20 km, oftmals weniger. In Ländern wie beispielsweise Sibirien mit extremen klimatischen Bedingungen und einem aus früheren Zeiten
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politisch gewollten Vorrang von Fernwärmeversorgungssystemen sind dagegen auch wesentlich längere Fernwärmetransportleitungen installiert. Man muss bei ihnen den Temperaturverlust dadurch kompensieren, dass man bei der Fernwärmeerzeugung mit wesentlich höheren Temperaturen in die Leitungen hineingeht, als die weit entfernten Verbraucher benötigen. Die Frage, ob Fernwärme dann noch energetisch die beste Lösung ist, bleibt unbeantwortet. Auch Elektrizität kann nicht ohne weiteres über lange Distanzen ohne nennenswerte Verluste transportiert werden. Dies führt aufgrund von wirtschaftlichen Überlegungen dazu, die Kraftwerke in die Nähe der Verbraucherschwerpunkte zu bauen. So beträgt die durchschnittliche Entfernung zwischen Kraftwerk und Verbraucher in Deutschland beispielsweise weniger als 70 km. Üblicherweise wird die Elektrizität, wegen der guten Transformierbarkeit auf verschiedene Spannungsebenen und weil sie bei ihrer Erzeugung im elektrischen Generator so anfällt, als Wechselspannung und Wechselstrom transportiert. Nach den physikalischen Gesetzen sind die Verluste in den Leitungen umso kleiner, je höher die Übertragungsspannung der Leitungen ist. Daraus ergibt sich das Bestreben, mit möglichst hohen Spannungen vom Kraftwerk nah an die Verbraucher zu gehen. Die elektrischen Netze sind deshalb in unterschiedlichen Spannungsebenen aufgebaut: Am Kraftwerk wird die elektrische Spannung in Deutschland auf 220000 oder 380 000 Volt hochtransformiert und in die Nähe großer Städte transportiert, dort auf 110000 Volt herabtransformiert. Auf dieser Spannungsebene werden die einzelnen Stadtteile versorgt. In den Stadtteilen wiederum wird die elektrische Energie über eine weitere untergelagerte Spannungsebene von 30000 Volt straßenweise verteilt, um schließlich mit 230 bzw. 400 Volt, die wir aus dem Alltag
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kennen, die Steckdosen und den Elektroherd zu bedienen. Industrielle Großverbraucher werden häufig direkt von der Hochspannungsebene aus beliefert, die Verteilung innerhalb ihres Unternehmens geschieht durch das Unternehmen selbst. Die zweite Besonderheit der elektrischen Energie ist, dass keine Speicher mit ausreichender Kapazität zur Verfügung stehen. Zwar sind Pumpspeicherkraftwerke in der Lage durch Wasser, das in höhere Becken gepumpt wird und bei Bedarf wieder ins Tal abgelassen wird, zu Spitzenzeiten zusätzliche Elektrizität zu erzeugen. Aus wirtschaftlichen Gründen können jedoch nicht viele Pumpspeicherkraftwerke gebaut werden, in Norddeutschland auch aus geographischen Gegebenheiten nicht. Elektrizität muss also immer exakt in der Menge erzeugt werden, wie der Verbraucher sie nachfragt. Im Groben kennt man das Verbraucherverhalten durch Analyse der Vergangenheit, im Einzelnen ergeben sich aber immer wieder Abweichungen zwischen der tatsächlich nachgefragten Elektrizität und der erwarteten. Deswegen stehen Kraftwerke zur Verfügung, die diese Differenz jederzeit durch Hoch- und Niederfahren ausgleichen können. Man nennt die dazu erforderliche Kraftwerksleistung Regelkapazität. Sie kostet viel Geld, da die Kraftwerke letztlich wenig Elektrizität erzeugen, aber rund um die Uhr mit ihrer Leistung zur Verfügung stehen müssen. Der Verbraucher zahlt diese Kosten in seinem Stromtarif mit. Da keine ausreichende Speicherung möglich ist, müssen natürlich auch Reservekraftwerke in Bereitschaft gehalten werden. Für den Fall, dass aus technischen Gründen eine Anlage außerplanmäßig außer Betrieb genommen werden muss, kommen sie zum Einsatz. Auch dies bedingt zusätzliche Kapitalkosten. Von der Kostenstruktur her ist also der Elektrizitätssektor
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ebenso wie die Erdgasversorgung durch hohe Kapitalbindungen im Bereich der elektrischen Netze und im Bereich der Kraftwerke gekennzeichnet.
8.2 Börsenhandel Elektrizität ist Handelsware. In liberalisierten Märkten werden zunehmend Teile der erzeugten Elektrizität an Börsen gehandelt. Der Gashandel folgt. Die wichtigste Börse in Deutschland ist die EEX (European Energy Exchange) in Leipzig. Der Handel an der Börse bietet zweierlei Vorteile: Der Erzeuger von Elektrizität möchte seine Kraftwerksleistung besser auslasten. Er sucht deshalb zusätzliche Käufer an der Börse. Umgekehrt kann der Käufer versuchen, billige Elektrizität einzukaufen, weil er unter Umständen auf einen Anbieter trifft, der seine Kapazitäten nicht voll ausgelastet hat. Dieser versucht über niedrigere Preise noch einen Deckungsbeitrag für seine Kosten zu erhalten. Der Handel mit Elektrizität läuft – wie jeder Handel an der Börse – nach fest vorgegebenen Spielregeln ab. So gibt es beispielsweise den Day-AheadHandel. Einen Tag zuvor melden die Einkäufer die Mengen an Elektrizität – aufgeschlüsselt auf die einzelnen Stunden des Tages –, die sie bereit sind zu einem bestimmten Preis einzukaufen. Die Erzeuger von Elektrizität melden, welche Menge an Elektrizität sie zu welchem Preis – wiederum stündlich notiert – verkaufen möchten. Dazwischen wird nun versucht, einen Abgleich zu schaffen. Die Ergebnisse der gehandelten Mengen und ihre Preise werden veröffentlicht, sodass die Börsenteilnehmer ein gutes Gespür für das Mengen-PreisVerhältnis entwickeln können. Kommt keine Schnittmenge zustande, wird das Spiel neu betrieben.
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8.3 Verbundnetze Europa ist von miteinander verbundenen Hochspannungsnetzen überzogen. Die Ursache dafür ist der Verbund zwischen verschiedenen Energieträgern: Strom aus Wasserkraft aus Österreich kann nach Norden geliefert werden, dafür Kohlestrom von Norden nach Süden. Wegen unzureichendem Zubau von Kraftwerken werden beispielsweise große Strommengen jeden Tag von Frankreich nach Italien mit entsprechenden Leitungsverlusten transportiert. In der Nacht des Black-outs in Italien im Sommer 2003 infolge eines fehlerhaften Abschaltens von Hochspannungsleitungen in der Schweiz war es eine Leistung in Höhe von vier kompletten französischen Kernkraftwerken, rund 5 GW, die Italien importieren musste. Die Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes in Deutschland und in anderen Ländern der Europäischen Union hat dazu geführt, dass große Unternehmen ihre Elektrizität dort einkaufen, wo sie für sie am günstigsten ist. Die elektrischen Netze werden seitdem in einer Art und Weise belastet, für die sie historisch gesehen nicht ausgelegt sind. Hinzu kommt in Norddeutschland die Einspeisung von Windenergie. Die erforderlichen Netzerweiterungen werden zukünftig zunehmenden Einfluss auf die Investitionen und damit die Preisgestaltung bei Elektrizität haben.
8.4 Elektrizität in Entwicklungsländern Anders stellt sich die Handelsware Elektrizität in Entwicklungsländern dar. Dies soll an einem Beispiel aus Indonesien beschrieben werden. Auch hier gibt es Kraftwerke, die unterschiedliche Energieträger nutzen. Auch hier gibt es unter-
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schiedliche Spannungsebenen, die die elektrische Energie transportieren und verteilen, denn die physikalischen Gesetze sind überall auf der Welt die gleichen. Es besteht jedoch ein Unterschied: Der Verbraucher möchte mehr Elektrizität nachfragen, als die Erzeugungsseite liefern kann. Es kann nicht immer sichergestellt werden, dass die Nachfrage durch ein entsprechendes Angebot gedeckt werden kann. Die Nachfrage ist nicht immer gleich. Zu bestimmten Zeiten treten Spitzen auf. Das ist z. B. gegen Abend der Fall, wenn die Menschen von der Arbeit nach Hause kommen, Fernseher und Beleuchtung einschalten, oder aber in den Mittagsstunden im Sommer, wenn wegen der klimatischen Bedingungen Klimageräte zur Kälteerzeugung eingeschaltet werden. In diesen Fällen ist die elektrische Leistung, die vom Verbraucher nachgefragt wird, insgesamt gesehen größer als die, die von Kraftwerken zur Verfügung gestellt werden kann. Es muss also ein Ausgleich bei der Leistung herbeigeführt werden. Dazu können unterschiedliche Wege beschritten werden. In Indonesien kauft man in erster Linie nicht die Elektrizität, also die Kilowattstunden, ein, sondern man kauft eine bestimmte maximale Leistung ein, also Kilowatt, die man zu diesen Spitzenzeiten in Anspruch nehmen darf. Technisch gesehen ist dies einfach möglich. Es wird eine verplombte Sicherung eingebaut, die sich ab einer bestimmten Stromstärke und damit bei Überschreiten der eingekauften Leistung auslöst und die Energiezufuhr unterbricht. Möchte man eine höhere Leistung in Anspruch nehmen, muss die Sicherung ausgetauscht werden. Die Kosten für die höhere Leistung sind entsprechend hoch. Auch in Industrieländern begrenzen Sicherungen die Leitungen. Hier geht es aber nicht um eine Begrenzung der Bezugsleistung, sondern nur um den Schutz der elektrischen Leitungen im Haus vor Überlastung und damit
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vor Brandgefahr. Länder wie Indien oder China dagegen versuchen die Anpassung zwischen Nachfrage und verfügbarer Leistung dadurch vorzunehmen, dass nicht gleichzeitig alle Verbrauchsgebiete mit Elektrizität versorgt werden. Es gibt Abschaltpläne, und jeder weiß, zu welchen Zeiten er keine Elektrizität zur Verfügung hat. So wird die Nachfrage des Verbrauchers an die vorhandene Kraftwerksleistung angepasst.
8.5 Der Staat greift ein Der Preis, insbesondere für Elektrizität, aber auch für Erdgas und andere Energieträger, ist nicht immer der Marktpreis. Energie hat in allen Ländern der Welt eine besondere Bedeutung. Regierungen nutzen den Energiesektor auch für ihre unterschiedlichen politischen Ziele: Sei es als zusätzliche Einnahmequelle für den Finanzminister über Energiesteuern oder Abgaben, sei es als politisches Wohlwollen durch niedrige Energiepreise dem Wähler gegenüber oder sei es als zusätzliches Anreizinstrument in strukturschwachen Gebieten, Industriebetriebe anzusiedeln. Die Preise für Energie werden aber auch bestimmt durch politische Überlegungen zur Versorgungssicherheit. So wurde in Deutschland unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit noch lange eine Steinkohleförderung auf hohem Förderniveau aufrechterhalten, obwohl die Kohle auf dem Weltmarkt billiger zu kaufen gewesen wäre. Einige Zahlen sollen die Bedeutung der Energie in Deutschland für den Finanzminister verdeutlichen. Im Jahre 2005 betrug das gesamte Steueraufkommen auf die Energieträger nach Angaben des Bundesministers der Finanzen rund 47 Mrd. Euro. Davon entfielen 75 % auf die Besteuerung der
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Kraftstoffe, 14 % auf die Besteuerung von Strom und die restlichen 11 % auf die Besteuerung von Heizöl und Erdgas. Hinzu kommt die Konzessionsabgabe an die Kommunen. In manchen Ländern der Welt gibt es eine Zweiteilung für den Stromtarif. Private Haushalte beziehen die Elektrizität zum Teil unter den Herstellungskosten, dagegen müssen industrielle Abnehmer gemessen an den Herstellungskosten überhöhte Preise zahlen. Die Gewinnung von Energieträgern und der Ausbau von Energiesystemen werden häufig subventioniert. So zahlten beispielsweise in Deutschland die kohlefördernden Bundesländer und der Bund über lange Zeiten hinweg Subventionen für die Gewinnung der deutschen Steinkohle. Erneuerbare Energien erhalten beispielsweise über das Erneuerbare-Energien-Gesetz erhebliche Markteinführungshilfen. Der Netzbetreiber muss die Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen jederzeit in sein Netz einspeisen lassen und dafür die Stromerzeugung in anderen Kraftwerken herunterfahren. Da der Strom aus Photovoltaik und Windenergie heutzutage aber noch erheblich teurer ist als Strom aus Kohle oder Kernenergie, wird der Differenzbetrag auf alle Strombezieher nach den Vorschriften des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes umgelegt. Auch wenn es sich hier im formal juristischen Sinne nicht um eine Subvention handelt, weil das Geld nicht vom Staat kommt, ist es letztendlich doch eine politisch geförderte Maßnahme, da sie über ein Gesetz dem Strombezieher vorgeschrieben wird. Der Staat greift bei leitungsgebundenen Energieträgern auch an einem weiteren Punkt in das Marktgeschehen ein. In Verordnungen werden allgemeine Grundlagen für die Preisgestaltung bei den Privatkunden festgelegt. Hat sich ein Ver-
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braucher beispielsweise für einen bestimmten Tarif entschieden, zahlt er das Gleiche wie alle anderen, die sich auch für diesen Tarif entschieden haben. Dabei darf nicht unterschieden werden, ob der Verbraucher nun im Stadtzentrum wohnt, wo die Kosten zu seiner Versorgung wegen der höheren Anschlussdichte wesentlich niedriger sind als bei einem anderen Verbraucher, der in einem entlegenen Gehöft auf dem Lande wohnt und für sich allein eine lange Leitung benötigt. In Länder mit nicht liberalisierten Strommärkten beteiligt sich der Staat über seine eigenen Unternehmen an der elektrischen Erzeugung und an der Verteilung. Ein Beispiel dafür ist die Electricite de France in Frankreich. Die historisch entstandene Motivation dazu ist die Gewährleistung der Versorgung mit Energie. Obwohl die Europäische Union entsprechend dem Maastrichter Vertrag keine Zuständigkeit bei Energie besitzt – diese liegt nach wie vor bei den einzelnen Ländern –, greift sie trotzdem auf dem Energiemarkt ein. Zum einen besitzt sie Kompetenzen bei Umwelt- und Klimafragen. Darunter fallen auch die Emissionen aus den Kraftwerken. Zum anderen betrachtet sie Elektrizität und Erdgas als Handelsgut wie jedes andere und verfolgt deshalb seit Jahren konsequent die Einführung der Liberalisierung der Erdgas- und Elektrizitätsmärkte, um den freien Handel gemäß ihren Statuten sicherzustellen.
8.6 Was kostet Elektrizität? Die Kosten für Energie nimmt man bestenfalls an der Tankstelle wahr, wenn sie direkt beglichen werden müssen. Schwieriger ist es dagegen zu sagen, wie hoch die Erdgas- oder
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Stromrechnung ist. Sie wird in Raten gleichen Betrages jeden Monat vom Konto abgebucht, und nur bei der Jahresabrechnung nimmt man die absoluten Kosten bzw. die Preise pro Energieeinheit wahr. Nach dem bisher Gesagten ist zudem interessant, wie sich die vom Verbraucher gezahlten Preise zusammensetzen. Abb. 9 schlüsselt den durchschnittlichen kWh-Preis von gut 17 Cent auf.
Abb. 9 Aufschlüsselung der Kosten für eine Kilowattstunde Strom bei einem Haushalt mit mittlerem Verbrauch (ca. 4000 kWh), (Stand: Mitte 2006)
Die eigentliche Erzeugung ist einschließlich der Vertriebskosten mit nur 3 Cent pro kWh vertreten. Weitere 6,5 Cent kommen durch das elektrische Netz hinzu, der Transport im
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Hochspannungsnetz, die Verteilung im Mittelspannungsund Niederspannungsnetz. Auch die Kosten für die Messung der Elektrizität, sprich für den Zähler und seine Ablesung, sind mit 1 Cent pro kWh nicht zu vernachlässigen. Für rund 10,5 Cent könnte es nun die kWh an der Steckdose im Wohnzimmer des Verbrauchers geben. Aber nein: Hinzu kommen die staatlich vorgegebenen Aufschläge. Da ist zunächst die Konzessionsabgabe zu nennen. Diese erhält die Gemeinde dafür, dass sie dem Stromversorgungsunternehmen erlaubt, das Wegerecht in Anspruch zu nehmen. Für das Verlegen von Leitungen in ihren Straßen steht den Gemeinden eine Konzessionsabgabe zu. Die Höhe der Konzessionsabgabe hängt von der Einwohnerzahl der Kommune ab. Bei kleineren Kommunen unter 25000 Einwohner müssen für den Haushaltsstrom 1,32 Cent pro kWh an die Gemeinde gezahlt werden, bei Städten mit mehr als 500 000 Einwohnern dagegen sind es 2,39 Cent pro kWh. Im bundesdeutschen Mittel beträgt die gezahlte Konzessionsabgabe etwa die angeführten 1,6 Cent pro kWh. Niedriger ist die Konzessionsabgabe für Elektrizität, die von industriellen Kunden in Anspruch genommen wird. Hier möchte man die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft stärken und hat deshalb die Konzessionsabgabe in unterschiedlichen Kundengruppen unterschiedlich festgelegt. Auch für Erdgas muss aus den genannten Gründen heraus eine Konzessionsabgabe gezahlt werden. Ein weiterer, staatlich veranlasster Aufschlag auf den Strompreis ist die Abgabe für die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), mit der besonders effiziente Kraftwerke, die zugleich Fernwärme und Elektrizität erzeugen, unterstützt werden. Weiter hinzu kommen die Zahlungen aufgrund des Erneuerbaren-EnergienGesetzes, das die Einspeisung von Strom aus Wind, Photovoltaik, Wasser und anderen erneuerbaren Anlagen unterstützt.
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Der Finanzminister belastet den Strom zusätzlich mit der Ökosteuer, die aber eigentlich nicht der Umwelt zugute kommt. Sie wurde eingeführt, als auf den Finanzminister zusätzliche Ausgaben zur Sicherung der Rentenversicherung zukamen. Zum guten Schluss wird auf alles die Mehrwertsteuer erhoben. Alles in allem entfallen also fast 40 % der Stromrechnung auf fremde Leistungen. Man mag sich darüber wundern, dass der Anteil der eigentlichen Stromerzeugungskosten, also der Kraftwerkskosten, so niedrig ist. Das erklärt sich aus dem Alter des Kraftwerkparks. Seine Kapitalkosten sind abgeschrieben. Allerdings müssen in den nächsten 20 Jahren rund 40 % der Kraftwerke durch neue ersetzt werden. Davon ist die erste Hälfte in der Planung bzw. schon als Auftrag vergeben. Damit wird zukünftig der Anteil der Kraftwerkskosten bei den Strompreisen wieder zunehmen. Die neuen Anlagen müssen ja noch abgeschrieben werden. Auch steigende Brennstoffpreise lassen diesen Kostenanteil weiter ansteigen. Der Strom wird sich also zukünftig verteuern. Diese Tendenz wird auch aus Sicht der Netzkosten unterstützt. Hier sind zwei gegenläufige Tendenzen zu beobachten. Aufgrund einer EU-Vorgabe führten die Länder mit liberalisierten Elektrizitätsmärkten eine Netzregulierungsbehörde ein. Ihr gegenüber müssen die Netzunternehmen ihre Kalkulationen und ihre Tarifgestaltung für die Durchleitung von Elektrizität offenlegen. Man verspricht sich von der höheren Transparenz ein Absinken der Netzkosten. Dieser Tendenz entgegengesetzt ist die Notwendigkeit, wegen der vorhin beschriebenen unterschiedlichen Netzbelastungen und der zusätzlichen Einspeisung von Windenergie das Hochspannungsnetz weiter auszubauen. Auch stehen altersbedingt Ersatzinvestitionen im Netz an.
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Bisher war die Rede nur von der Kostenstruktur der privaten Verbraucher in der Energiewirtschaft, auch Endverbraucher genannt. Die zweite große Abnehmergruppe setzt sich zusammen aus Industrieunternehmen, Handel, Dienstleistung und Gewerbe. Hier treten die Mengeneffekte stärker in den Vordergrund als bei den Haushaltskunden. Je höher die eingekaufte Menge an Energie ist, desto niedriger ist der spezifische Preis. Bei leitungsgebundenen Energien kommt es hierbei wesentlich auf die Gleichmäßigkeit der Abnahme an. Abnahmespitzen müssen nach Möglichkeit vermieden werden, denn sie bedeuten, dass eine große Leistung vorgehalten werden muss aufseiten des Versorgers. Dies lässt er sich bezahlen. Deshalb ist das Industrieunternehmen bestrebt, nach Möglichkeit die Spitzen in seiner Abnahme so gering wie möglich zu halten. Bei der Elektrizität sind große Industrieunternehmen direkt an das Hochspannungsnetz angeschlossen. Sie beziehen, weil die Verteilung nicht mehr auf Kosten des Versorgers geht, ihre Elektrizität preiswerter. Konzessionsabgabe und Ökosteuer sind für industrielle Abnehmer erheblich niedriger als für private Abnehmer. Auch bei den durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz bedingten Aufschlägen auf den Strompreis zahlen sie weniger als die Haushaltskunden. Industrielle Abnehmer stehen mit ihren Produkten im internationalen Wettbewerb. Auch wenn die Energiekosten nur wenige Prozente der gesamten Produktionskosten ausmachen, sind sie ein Wettbewerbsfaktor. Er kann mit darüber entscheiden, ob eine Produktion in andere Länder verlagert wird oder nicht. Aus diesem Grunde findet hier eine Differenzierung der staatlichen Auflagen auf den Energiepreis nach Kundengruppen statt.
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9 Wettlauf um die Lagerstätten 9.1 Die Geographie der Lagerstätten Die Natur hat die Weltreserven an Energie unterschiedlich verteilt. Je nach Energieträger sind sie entweder auf allen Kontinenten oder aber nur in wenigen Regionen zu finden. Abb. 10 vermittelt einen Eindruck davon. Betrachtet man nur die Lage der vorhandenen Energiereserven, ohne sie nach einzelnen Energieträgern aufzuschlüsseln, so lassen sich drei Gruppen unterscheiden: 1. Die größten Reserven liegen in Eurasien (davon ein sehr großer Teil in Russland), Nordamerika und im Nahen Osten. 2. Mittelgroße Reserven sind in Afrika, im Fernen Osten und in China zu finden. 3. Kleinere Reserven liegen in der Europäischen Union, in Mittel- und Südamerika und in Australien. Es fällt auf, dass die Industrienation Japan über keine nennenswerten eigenen Energiereserven verfügt. Sie ist auf den Import fast aller benötigten fossilen Energieträger und Kernbrennstoffe angewiesen. Betrachtet man die Weltenergiereserven unterteilt nach den einzelnen Energieträgern, so ergibt sich ein anderes Bild. Die Kohlereserven sind doppelt so groß wie die von Erdöl
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und Erdgas zusammen. (Auf der Verbrauchsseite sieht es dagegen anders aus. Hier wird weltweit gesehen doppelt so viel an Erdöl und Erdgas verbraucht wie an Kohle.) Kohle, der mit Abstand bei den Reserven am üppigsten vorhandene Energieträger, ist über alle Kontinente verteilt. Dies ist der Grund dafür, dass nur etwa 15 % der jährlich geförderten Kohlemenge zwischen den Kontinenten gehandelt wird. Erdöl dagegen ist auf wenige Regionen der Welt konzentriert. Dazu zählt insbesondere der Nahe Osten. An zweiter Stelle stehen Mittel- und Südamerika. Mit wesentlich kleineren Vorkommen sind dann in der dritten Gruppe Nordamerika, Afrika, der Ferne Osten, China, Russland und die EU zu nennen. Aus dieser Reservensituation heraus ergeben sich ausgehend vom Nahen Osten große Welthandelsströme für Erdöl in alle Kontinente. Erdgas ist ebenfalls auf fast allen Kontinenten vorhanden, jedoch sind die Vorkommen im Nahen Osten und in Sibirien weitaus größer als in allen anderen Erdteilen. Rund 70 % aller Erdgasreserven liegen in der strategischen Ellipse Sibirien, dem kaspischen Raum und dem Persischen Golf. Rein geographisch gesehen ist also Westeuropa nicht so weit von den großen Erdgasvorkommen entfernt, als dass sie nicht über Pipeline-Systeme zur Versorgung »angezapft« werden könnten. Die bisherigen Ausführungen gelten für die Reserven der fossilen Energieträger. Betrachtet man zusätzlich die Ressourcensituation, so ergeben sich Änderungen bezüglich des Öls. Zwar spielt auch bei den Ressourcen der Nahe Osten wegen seiner großen Potenziale für Sekundär- und Tertiärförderung eine herausragende Rolle. Doch kommen neue große ÖllagerAbb. 10 Die weltweite Verteilung der Energiereserven an Kohle, Erdöl und Erdgas
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statten durch die Öl- und Teersande in Kanada hinzu. Auch die Arktis – zu wem man sie auch immer politisch zählen möge – ist eine weitere wichtige Lagerstätte für Ölressourcen. Auch die erneuerbaren Energieträger sind ungleichmäßig über die Welt verteilt. Gebiete mit der größten Sonnenenergieeinstrahlung liegen entlang des Äquators, die globalen Einstrahlungswerte gehen, je weiter man zu den Polen kommt, zurück. In Deutschland beträgt beispielsweise die jährliche globale Sonnenenergieeinstrahlung nur die Hälfte dessen, was am Äquator zu messen ist. Hinzu kommt noch, dass sich die Zusammensetzung der Strahlungsanteile verändert. Nur direkte, d. h. parallel von der Sonne ankommende Strahlen sind in Spiegeln konzentrierbar. Damit können Temperaturen von einigen hundert Grad erreicht werden, die es ermöglichen, solarthermische Kraftwerke zu bauen. Kann man dagegen nur die diffusen Strahlungsanteile nutzen, gehen die Temperaturen in der Praxis nicht über 90 °C hinaus. Der diffuse Strahlungsanteil kommt aus unterschiedlichen Winkeln an. Er wird entweder durch Reflexion der direkten Einstrahlung an hellen Flächen oder aber durch Wolken gestreut. Während am Äquator oder auch in Kalifornien 80 % der eingestrahlten Sonnenenergie direktes Sonnenlicht sind, sind es in Deutschland nur 45 %. Windenergie ist anders als die Sonneneinstrahlung auf der Welt verteilt. Es lassen sich zwei große Windenergiezonen feststellen. Die erste ist die Zone der Passatwinde, die zweite die der Westwinde. Mitteleuropa liegt in einem Westwindgebiet und damit in einer Region mit weltweit gesehen gutem Windenergieangebot.
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Der Kernbrennstoff Uran hat die Besonderheit, verglichen mit fossilen Energieträgern, dass nur sehr kleine Mengen für die Versorgung von Kernkraftwerken weltweit benötigt werden. Die Uranproduktion betrug im Jahr 2005 nur 42000 Tonnen. Die rund 3 Mio. Tonnen Uranreserven sind weltweit im Wesentlichen auf elf Länder in verschiedenen Erdteilen verteilt. Allen voran kommt Australien, gefolgt von Kasachstan, USA, Kanada und Südafrika. Weitere Reserven liegen in Brasilien, in Usbekistan, in Russland, in Niger, in der Ukraine, in China und kleinere Mengen in einigen weiteren Ländern. Geht man von höheren Urangewinnungskosten aus, so kommen wesentliche Ressourcen zu den Reserven hinzu. Auch in Deutschland, in Sachsen und im Schwarzwald, wurde früher Uran abgebaut. Heute sind die Gruben stillgelegt. Nachdem die geographische Lage der Energiereserven und Ressourcen beschrieben wurde, soll im Folgenden auf die Möglichkeit des Zugangs zu diesen Energievorräten eingegangen werden. Zunächst steht der Aspekt des technischen Zuganges im Vordergrund.
9.2 Der technische Zugang zu den Lagerstätten Steinkohle wird entweder im Tagebau oder im Untertagebau gefördert. Die gewonnene Steinkohle wird falls erforderlich über Flotationsverfahren oder in einfachen Absetzbecken von nicht brennbaren Gesteinen, darunter auch Schwefel, getrennt. Dazu ist eine große Wassermenge erforderlich. Danach geht die Kohle über die Transportwege Eisenbahn, Binnenschiff und gegebenenfalls Hochseeschiff zu den Verbrauchern. Steinkohle ist gut lagerbar.
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Braunkohle dagegen ist von der Qualität her, wie bereits bei den Handelsströmen ausgeführt, minderwertig. Aus wirtschaftlichen Gründen wird sie in Deutschland unmittelbar in der Nähe der Tagebaue zur Stromerzeugung eingesetzt. Dorthin wird sie entweder mit der Eisenbahn oder direkt auf Transportbändern transportiert. Weltweit gesehen ist es oftmals nicht ohne weiteres möglich, große Kohlevorkommen zum Verbraucher zu bringen. In Mittelsibirien befindet sich beispielsweise ein großes Kohlevorkommen in Kansk Achinsk. Die Kohle wird im Westen des Landes benötigt. Sie hat jedoch einen relativ geringen Heizwert, und die vorhandenen Transportkapazitäten auf der Eisenbahn sind weitestgehend ausgelastet. Vergleichbare Probleme existieren auch in anderen Ländern. In Indonesien beispielsweise ist die Insel mit der größten Bevölkerungsdichte Java, die Steinkohlevorkommen liegen aber auf der Insel Sumatra und anderen Inseln. Auch die chinesische Kohle muss bis zu 2000 km von ihren Lagerstätten bis in die Verbrauchsschwerpunkte transportiert werden. Sie stellt das mit Abstand größte Massengut der chinesischen Eisenbahn dar. Alle Untersuchungen, ob es wirtschaftlicher ist, Kohle oder Elektrizität (aus Kraftwerken nahe den Kohlevorkommen) zu den Verbrauchern zu transportieren, haben bisher dem Kohletransport den Vorzug aus wirtschaftlichen Gründen gegeben. Dies mag sich aber vielleicht zukünftig ändern, weil die Hochspannungsgleichstromübertragung mit geringeren Transportverlusten in der elektrischen Leitung zwischenzeitlich preiswerter geworden ist. Erdöl wird bekanntermaßen über Pipelines oder mit Tankern transportiert. Erdölraffinerien sind auf allen Kontinenten und in allen Industrieländern und Schwellenländern vorhanden.
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Trotzdem wird in den einzelnen Ländern unterschiedlich viel in den Raffineriesektor investiert. Dies führt immer wieder dazu, dass wegen fehlender Raffineriekapazitäten zeitweise in den USA Mangel an bestimmten Raffinerieprodukten herrscht. Diese müssen dann aus anderen Raffinerien weltweit gekauft werden. Neben Rohöl werden somit auch Ölprodukte weltweit transportiert. Erdgas wird überwiegend über Pipelines von den Lagerstätten in die Verbrauchszentren geleitet. Es kann aber auch verflüssigt werden und bei tiefen Temperaturen in speziellen Tankschiffen transportiert werden. Dies ist nötig, weil über Pipelinesysteme nicht alle Verbraucherländer, wie beispielsweise Japan, erreichbar sind. Rund 30 % der Welterdgasförderung werden international über lange Strecken transportiert. Der Rest wird »vor Ort« verbraucht, beispielsweise wird das Erdgas aus den Lagerstätten der Niederlande und aus den Lagerstätten von Norwegen in Mitteleuropa konsumiert. Von dem Volumen des internationalen Welterdgashandels erreichen 3/4 durch Pipelines die Verbraucherländer und 1/4 über Verflüssigung zum genannten Liquid Natural Gas (LNG) und über Tankertransport. Der Anteil des LNG wird zunehmen, da es beispielsweise erklärte Absicht Russlands ist, ab dem Jahr 2011 auch Erdgas in die USA zu liefern. Der Kernbrennstoff Uran gelangt auf den üblichen Transportwegen vom Erzeuger zu den Anreicherungsanlagen und von dort zu den Brennelementenfabriken. Uran ist ein α-Strahler mit geringer Intensität. Es sind deshalb keine anspruchsvollen technischen Abschirmungsmaßnahmen oder Transportsicherungen gegen radioaktive Strahlung notwendig. Diese Transporte dürfen nicht verwechselt werden mit dem Transport abgebrannter Brennelemente zu und von den Zwischenlagern und Wiederaufbereitungsanlagen in
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CASTOR-Behältern. Sie enthalten Material mit hoher Radioaktivität wegen der Spaltprodukte. Der technische Zugang zu den erneuerbaren Energien wird in den Industrieländern vorangetrieben. Sie haben Photovoltaikanlagen entwickelt und Windanlagen verschiedener Bauweise zur Serienreife gebracht. Derzeit verläuft die »Entwicklungsfront« im Gebiet der Windenergie bei der Entwicklung großer Windenergiekonverter für den Offshore-Betrieb 30 km vor der Küste. Hier ist das Ziel, das auf dem Meer doppelt so hohe Energieangebot des Windes zu nutzen. Schwellenländer wie China und Indien versuchen, dem Weg der Industrieländer zu folgen. Zugute kommt ihnen dabei, dass Unternehmen aus Industrieländern zur Erschließung der einheimischen Märkte in den Schwellenländern Joint-Ventures errichten. So produzieren beispielsweise deutsche Firmen inzwischen Windenergieanlagen in Brasilien und in Indien. Entwicklungsländern fehlt der Zugang zur Technik.
9.3 Der ökonomische Zugang zu den Lagerstätten Der technische Zugang zu den Energieträgern ist relativ einfach. Zumindest soweit es die Energiereserven betrifft, ist die benötigte Technik entwickelt und im Einsatz. Anders sieht die Antwort auf die Frage nach dem ökonomischen Zugang zu den Energieträgern aus. Wie beschrieben, ist Energie ein Handelsgut wie viele andere auch. Dies bedeutet, dass von geringfügigen Ausnahmen abgesehen, auch aus politischen Gründen heraus, Energie nicht an andere Länder unter Weltmarktpreis abgegeben wird. Energieträger werden ebenfalls wie alle anderen wichtigen Produkte in harter Währung gehandelt. Entwicklungsländer haben deshalb auch beim ökono-
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mischen Zugang zu Energie das Problem, vorher ausreichend Devisen erwirtschaftet haben zu müssen. Andernfalls bleibt ihnen der Zugang versperrt. Insbesondere beim Öl erfolgt der weltweite Handel auf Dollar-Basis. Deshalb fließen die Währungsrelationen zum Dollar zusätzlich mit in die Preisgestaltung ein. Die Preise für die Energieträger auf dem Weltmarkt werden nach Angebot- und Nachfragerelationen festgelegt. Die Nachfrage wird durch die Industrieländer und einige wenige stark prosperierende Schwellenländer bestimmt. Steigt die Nachfrage, steigen auch die Energiepreise zum Nachteil für die Entwicklungsländer, die nur über begrenzte Devisen verfügen. Der ökonomische Zugang zu Energie ist also nicht für alle Länder im gleichen Maße gegeben. Dies wird sich zukünftig mit Zunahme der Energiepreise durch Übergang von heute noch billigen Reserven auf teurere Ressourcen verschärfen. Leitungsgebundene Energieträger wie beispielsweise Erdgas und Strom halten noch eine zweite Hürde bereit. Leitungen sind sehr kapitalintensiv, d.h., es müssen erst große Investitionen zu ihrem Aufbau getätigt werden. Da zudem die technischen Voraussetzungen in Entwicklungsländern unvollständig vorhanden sind, sind sie auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen, die in harter Währung bezahlt werden muss. Eine elektrische Energieversorgung, wie die in Deutschland, kostet – neu aufgebaut – an Investitionskosten pro Kilowatt elektrische Leistung gut 2000 €. In den Industrieländern Mitteleuropas muss, statistisch gesehen, für jeden Bürger exakt dieses eine Kilowatt an Leistung auf der Kraftwerksseite vorhanden sein, um die Elektrizitätsversorgung zu sichern. Berücksichtigt man beispielsweise, dass das Bruttosozialprodukt pro Kopf in den Ländern, die die Weltbank zu den ärmsten Ländern zählt, unter 3000 $, also rund 2800 € pro Kopf und Jahr liegt, dann wird die Größenordnung einer sol-
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chen Investition klar. Sie kann nur über viele Jahre bzw. Jahrzehnte hinweg zusammenkommen. Schaut man historisch zurück, so ist auch die Elektrizitätsversorgung in Mitteleuropa über einen Zeitraum von wenigstens zwei Jahrzehnten aufgebaut worden. Bei den Zahlen für Entwicklungsländer muss zusätzlich noch berücksichtigt werden, dass das angegebene Bruttosozialprodukt nicht in harter Währung erwirtschaftet wird. Der Ausbau der Energieversorgung kann aber nur zu einem Teil mit der Landeswährung bezahlt werden, der andere Teil muss über Devisen weltweit eingekauft werden. Industrieländer dagegen haben bisher ökonomisch gesehen immer Zugang zu allen fossilen und nuklearen Energieträgern gehabt. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch hier die Geldbeschaffung für die großen Investitionen in die Energieversorgung nicht immer unproblematisch ist. Dies führt auf der einen Seite zu der Tendenz, dass Energieversorgungsunternehmen miteinander fusionieren, um kapitalkräftiger zu werden. Zum anderen haben neuere Entwicklungen wie Offshore-Windparks, die mit größerem Risiko technischer und wirtschaftlicher Art verbunden sind, Schwierigkeiten, die benötigten Investitionsmittel als Kredite zu erhalten. Steigende Energiepreise belasten zunächst die Volkswirtschaft. Der deutschen Volkswirtschaft ist es jedoch gelungen, über einen Zeitraum von nunmehr fast drei Jahrzehnten die zusätzlichen Zahlungen für steigende Ölpreise durch einen Anstieg der Aufträge aus den ölexportierenden Ländern zu kompensieren. Hier hat die deutsche Volkswirtschaft eher von anderen Volkswirtschaften profitiert, als dass sie Geld »verloren« hätte.
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Die ökonomische Zugänglichkeit zu erneuerbaren Energien ist je nach Art der Nutzung des Energieträgers sowohl für Entwicklungsländer als auch für Industrieländer sehr unterschiedlich. Einfache Solarkollektoren zur Warmwasserbereitung können in Ländern mit ausreichendem Solarangebot zu lokal wirtschaftlichen Konditionen hergestellt und betrieben werden. Oftmals ist es mangelnde politische Steuerung, wenn diese Potenziale noch nicht ausreichend erschlossen sind. Anspruchsvollere Techniken, insbesondere zur Stromerzeugung, sind dagegen mit wesentlich höheren Investitionskosten verbunden. Die Stromerzeugung mit Hilfe von Photovoltaik kostet beispielsweise in Deutschland selbst bei größeren Anlagen immer noch 35–40 Ct pro kWh (zum Vergleich: Der Haushalt zahlt die Hälfte für die Kilowattstunde, wenn er sie aus der Steckdose bezieht). Entwicklungsländer verfügen zudem nicht über die technischen Möglichkeiten, Photovoltaikanlagen selber herzustellen, wohl aber tun dies Schwellenländer wie Indien. Diese Technik hat dort nur eine Chance, wenn sie in einheimischer Währung erzeugt werden kann. Aber auch dann ist sie in vielen Fällen noch nicht wirtschaftlich gegenüber der Stromerzeugung mit Hilfe einfacher Diesel-/ Benzinmotoren mit angebautem elektrischem Generator. In den Industrieländern, in denen Photovoltaikanlagen großflächig gegen die vorhandene Elektrizitätsversorgung konkurrieren müssen, liegt ihre Wirtschaftlichkeit noch in weiter Ferne. Die Photovoltaik deckt aber einen großen Nischenmarkt ab. Er ist ausreichend groß, um Photovoltaikindustrien aufzubauen und auch gut verdienen zu lassen. Zu diesen Märkten gehören beispielsweise die Versorgung von Parkuhren, von Telekommunikationseinrichtungen, von Verkehrsleitsystemen und vieles mehr. Aus Umweltgründen unterstützen viele Länder erneuerbare Energien bei der Markteinführung. Die
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ökonomische Zugänglichkeit zur erneuerbaren Energie wird deshalb in vielen Industrieländern dadurch erreicht, dass die Verbraucher aufgrund gesetzlicher Gegebenheiten verpflichtet sind, die entstehenden höheren Kosten zu zahlen. Windenergie hat in den letzten zehn Jahren den größten Zuwachs im Bereich der erneuerbaren Energien weltweit, aber insbesondere auch in Deutschland, verzeichnen können. Windenergie kann Elektrizität günstiger erzeugen als Photovoltaik. In Schwellenländern wie Indien ist sie sogar wirtschaftlich. Dies liegt daran, dass das Land nicht vollständig mit einer zentralen Elektrizitätsversorgung in Form von Kraftwerken und elektrischen Netzen erschlossen ist. Viele Betriebe erzeugen ihre Elektrizität selbst mit Hilfe von Dieselgeneratoranlagen. Dagegen ist die Nutzung der Windenergie wirtschaftlich. Der Betrieb der vorhandenen Dieselgeneratoranlagen in windschwachen Zeiten sichert zudem die Energieversorgung des Unternehmens. Für Entwicklungsländer ist die Windenergie, von Ausnahmefällen abgesehen, ökonomisch nur schwer erschließbar. Wegen fehlendem eigenem technischen Know-how und mangelnden Fertigungskapazitäten ist der Importanteil und damit der erforderliche Devisenaufwand zu groß. Die Nutzung der Kernenergie ist ökonomisch dadurch gekennzeichnet, dass der Bau von Kernkraftwerken Investitionen in der zwei- bis dreifachen Höhe des Baus von Kohlekraftwerken vergleichbarer Kapazität erfordert. Dafür sind die Brennstoffkosten sehr gering, sodass die Stromerzeugungskosten mit denen anderer Energieträger konkurrieren können. Der hohe Investitionsaufwand ermöglicht jedoch nur wenigen Ländern den ökonomischen Zugang zur Kernenergie.
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9.4 Der räumliche Zugang zu den Lagerstätten Energiereserven und -ressourcen liegen oftmals in wenig besiedelten Gebieten mit klimatisch schwierigen Verhältnissen. So werden große Mengen des Erdgases in Sibirien im Permafrostgebiet gefördert. Die langen Erdgaspipelines zur Versorgung des Westens von Russland nach Mitteleuropa müssen die großen Flüsse überqueren, eine technische Herausforderung insbesondere im Frühjahr, wenn die Flüsse, aufgrund erhöhter Wassermassen, erheblich ihre Breite verändern. Auch die Erdöl- und Erdgasförderung aus dem Meer verlangte die Entwicklung einer neuen Technik, um den Zugang zu den Energiereserven zu ermöglichen. Konnte beispielsweise im Jahre 1973 das Ekofisk-Feld in der Nordsee noch in Wassertiefen von 70 Metern mit Bohrplattformen von 130 Metern Höhe erschlossen werden, so erforderte die Wassertiefe von 145 Metern beim Statfjord-Feld bereits Anlagen mit einer Höhe von insgesamt 270 Metern. Noch gigantischer wurden die Herausforderungen bei der Erschließung des Troll-Feldes vor Norwegen im Jahre 1995. Die Wassertiefe beträgt dort 300 Meter. Eine gigantische Plattform von 470 Metern Höhe wurde im norwegischen Stavanger zusammengebaut und dann zu der 80 km nordwestlich von Bergen gelegenen größten Erdgaslagerstätte Europas, dem Troll-Feld, geschleppt. Durch Fluten von Tanks wurde sie auf dem Meeresboden abgesetzt. Zum Vergleich: Das höchste Münster der Welt ist das Ulmer Münster mit einer Turmhöhe von 161 Metern. Die Investitionskosten der Plattform von umgerechnet 110 Mio. € belegen die hohe Kapitalintensität der Erdgasförderung.
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9.5 Der politische Zugang zu den Lagerstätten Es findet weltweit bereits heute ein Verteilungskampf um die Ölreserven und ihren politischen Zugang statt. Auch wenn viele weitere Motivationsgründe für die Kriege im Nahen Osten vorgelegen haben, so ist doch ein wichtiger Grund die Sicherung des Zugriffs auf die dort vorhandenen Vorräte an Kohlenwasserstoffen gewesen. Während sich die Steinkohlevorkommen ebenso wie die Uranvorkommen wesentlich in den Händen der Industrienationen befinden, sind beim Erdöl große Teile in der Hand von islamisch geprägten Staaten. Die Alltagsgeschehnisse zeigen, dass diese zwar auf der einen Seite auch die ökonomischen Notwendigkeiten verspüren, Devisen über den Verkauf von Erdöl und Erdgas zu erwirtschaften. Zum anderen haben sie in der Vergangenheit aber auch immer wieder den Verkauf der Energieträger als politisches Instrument eingesetzt. Sie werden es wohl auch in Zukunft so halten. Deshalb haben bereits die Länder, die der Internationalen Energieagentur (IEA) angehören, nach den beiden Ölpreiskrisen in den 1970er Jahren vereinbart, einen Dreimonatsvorrat an Öl anzulegen, um nicht kurzfristig erpressbar zu sein. Die einzelnen Länder verfolgen eine unterschiedliche Politik, um den Zugang, insbesondere zu den Kohlenwasserstoffen, aufrechtzuerhalten. Die USA sind mit ihren Fördergesellschaften sehr in der Förderung direkt vor Ort engagiert. Zur Sicherung der Förderung und des Transportweges haben sie in der Vergangenheit bei Bedarf auch auf militärische Hilfe zurückgegriffen. Europa dagegen hat in der Vergangenheit versucht, so weit wie möglich eine ausgewogene Politik gegenüber allen entscheidenden Gruppen zu verfolgen. Des Weiteren hat man sich auf die ökonomischen Gesetze verlassen,
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d. h. über Zahlung höherer Preise immer ausreichend Energie zu erhalten. Verbunden mit dem Basissockel, den die EU durch eigene Förderung in der Nordsee bezüglich Erdöl und Erdgas hatte, hat sich diese Politik bisher bewährt. Auch konnte man bereits frühzeitig zusätzliche neue Lieferanten von Erdgas gewinnen. Allen voran ist Russland zu nennen, das heute schon 30 % des deutschen Erdgasverbrauches deckt und damit unter dem Aspekt der Diversifizierung der Bezugsquellen seinen Lieferanteil nicht mehr weiter steigern sollte. Die Energielieferungen in den Westen wurden bisher von Russland als reine wirtschaftliche Maßnahme angesehen. Es hat in der Vergangenheit keine politisch motivierten Minderungen der Lieferungen gegeben. Trotz aller Vertragstreue verändert sich aber das strategische Umfeld Russlands zukünftig. Nicht nur Westeuropa, sondern auch China, Japan und die USA haben großes Interesse, ebenfalls mit russischem Erdgas beliefert zu werden. Es laufen konkrete Planungen und Finanzierungsgespräche für den Bau einer Pipeline zur Belieferung von China und Japan. Beide Länder buhlen untereinander um das russische Erdgas und versuchen über in Aussicht gestellte Investitionszuschüsse zur Pipeline, einen möglichst großen Anteil an den Lieferungen zu bekommen. Zwischen den Präsidenten Russlands und der USA wurde Einvernehmen erzielt, mittelfristig auch die USA über Flüssigerdgas mit dem russischen Energieträger zu beliefern. Die strategischen weltweiten Allianzen dürften eine weitere Motivation für Russland sein, seine Erdgaslieferungen zu streuen und den Weltmarkt zu bedienen. Vor dem Hintergrund, dass auch die russische Wirtschaft einen großen eigenen Bedarf an Erdgas und Erdöl besitzt, werden die Exportkapazitäten des Landes begrenzt sein. Westeuropa wird also zukünftig das russische Erdgas mit noch mehr Partnern teilen müssen.
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Die Schwellenländer China und Indien versuchen vorzusorgen. Ihre staatlichen Ölgesellschaften kaufen sich in den Ölfördergebieten ein, in denen es noch Anteile zu vergeben gibt. Sie haben darüber hinaus im Jahre 2005 eine Vereinbarung getroffen, sich hierbei nicht gegenseitig die Preise in die Höhe zu treiben, sondern einvernehmlich zu versuchen, die Energieversorgung beider Länder zukünftig weiter abzusichern. Sehr verschieden gegenüber dem Zugang zum Öl ist der zu Kernbrennstoffen. Kerntechnik ist eine anspruchsvolle Technik, die ein hohes Sicherheitsbewusstsein und einen technisch hohen Sicherheitsstandard benötigt. Die Voraussetzungen dafür, diese Technik zu bauen, zu betreiben und verantwortungsvoll mit ihr umzugehen, sind in vielen Ländern nicht gegeben. Aus politischen Gründen, insbesondere unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit, versuchen die Schwellenländer Indien und China verstärkt, eigene Kernkraftwerke zu entwickeln und zu bauen. Die Kernkraftwerksprogramme dieser Länder sind aus der Motivation heraus entstanden, den Elektrizitätshunger in ihren großen Ballungsgebieten besser decken zu können. Kernenergiepolitik ist internationale Politik. Zum einen wird international eine klare Trennung zwischen friedlicher und militärischer Nutzung der Kernenergie gezogen. Zum anderen ist die internationale Staatengemeinschaft aber auch auf den sicheren Betrieb von Kernkraftwerken in allen Ländern angewiesen. Auch dies mag der Grund dafür sein, dass Länder wie die USA oder Frankreich versuchen, ihre Kerntechnik mit in die Entwicklung der Kernreaktoren in den Schwellenländern einzubringen. Deutschland hat hier nach seinem Beschluss, aus der Nut-
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zung der Kernenergie auszusteigen, keine nennenswerten Einflussmöglichkeiten mehr. Energiesicherung ist auch Energiepolitik. Und diese Politik ist sowohl Wirtschaftspolitik als auch Außenpolitik und hoffentlich nicht zukünftig auch Militärpolitik. Es muss klar gesehen werden, dass ein wichtiges Ölfass der Welt heute und auch in Zukunft in Ländern steht, die als politisch schwer zugänglich und risikoreich eingeschätzt werden müssen. Außer Russland ist vermutlich kein Land auf der Erde in der Lage, seinen Energieverbrauch bei allen Energieträgern alleine zu decken. Sie alle sind auf den internationalen Zugang zu den Energielagerstätten angewiesen. Trotz eigener Erdölund Erdgasvorkommen nimmt die Energieabhängigkeit der Europäischen Union insgesamt, aber auch die Deutschlands, kontinuierlich zu. Die Europäische Union ist nunmehr zu 53 % von fremder Energie abhängig. Also mehr als die Hälfte des Energieverbrauchs muss von außerhalb der EU importiert werden. Deutschland liegt bei gut 60 %. Die Begrenztheit der Energiereserven in der Nordsee bringt es mit sich, dass Großbritannien inzwischen bezogen auf seinen gesamten Energieverbrauch vom Exporteur zum Importeur geworden ist. Die politische Zugänglichkeit zu Energieträgern wird auch langfristig wohl für die Industrieländer der entscheidende Faktor sein. Die technische Zugänglichkeit kann gewährleistet werden, die ökonomische Zugänglichkeit wohl auch, auch wenn steigende Energiepreise die Volkswirtschaften in Industrieländern durchaus belasten. Es bleibt zu hoffen, dass es der Völkergemeinschaft zukünftig gelingt, auch ihre Interessen bezüglich Energie so weit zu koordinieren, dass friedliche und nicht militärische Mittel be-
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stimmend sind. Das Energieproblem steht als eines der TopThemen auf der Tagesordnung der Politik. So beschäftigte sich beispielsweise das Treffen der G8-Länder im Sommer des Jahres 2006 mit dem Energiethema. Es ging um die Frage der Sicherung der Verfügbarkeit und der Risikominderung. Wegen der unterschiedlichen Interessen der Mitgliedsnationen der G8-Energielieferanten und -Energienehmer war nicht zu erwarten, dass bereits in den ersten Runden einvernehmliche langfristige Lösungen erarbeitet werden konnten. Aber es wurde ein einleitender Prozess dazu angestoßen.
10 Öl ist in 40 Jahren aufgebraucht Um sich vorzustellen wie lang eine Sekunde ist, sagt man üblicherweise »Einundzwanzig« vor sich in. Sprechen Sie, verehrte Leserin und Leser, bitte einmal laut diese Zahl: Einundzwanzig. Was glauben Sie, wie viel Erdöl in dieser Zeit weltweit verbraucht wurde? Es waren (bezogen auf den Verbrauch des Jahres 2004) 147000 Liter oder 147 m3 oder etwa 7 große Tanklastwagen voll. – Wann ist das Öl aufgebraucht? Die Frage, wann das Öl und die anderen Energieträger zur Neige gegangen sein werden, ist so alt wie die Nutzung von Öl selbst. Seit nunmehr 40 Jahren wird prophezeit, dass das Öl jeweils in 40 Jahren aufgebraucht sein wird. Dies mag zu dem Schluss verleiten, dass man sich über die Reichweiten der Energieträger eigentlich keine Gedanken zu machen braucht, weil man – wie die Erfahrung ja zeigt – immer wieder genügend davon auf der Erde findet. Doch diese Ansicht ist nicht ganz zutreffend. Die Sache muss wesentlich differenzierter gesehen werden. Dabei hilft es, zwischen zwei Begriffen zu unterscheiden: dem Begriff der Reserven und dem Begriff der Ressourcen von Energieträgern. McKelvey hat mit seinem Diagramm (Abb. 11) der Einteilung der Vorräte geholfen, Klarheit zu schaffen. Er unterteilt die Gesamtvorräte eines Energieträgers in Reserven und Res-
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Abb. 11 Das McKelvey-Diagramm unterteilt die Gesamtvorräte eines Energieträgers in Reserven und Ressourcen
sourcen. Kriterien für die Unterscheidung sind zum einen das Wissen über die Lager der Vorräte. Zum anderen ist wichtig, wie die technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Förderung dieser Vorräte eingeschätzt werden. Reserven sind dabei diejenigen Energievorräte, von denen man sicher oder mit großer Wahrscheinlichkeit weiß, dass sie an bestimmten Stellen auf der Welt vorhanden sind. Zudem können diese Vorräte bei heutigem Preisniveau und mit der heutigen Technik gewonnen werden. Man kann also sicher sein, dass die Menschheit diese Energiemengen zur Verfügung hat. Anders sieht es dagegen bei den Ressourcen aus. Sie sind Energiemengen, die wir zwar kennen oder von denen wir mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, dass sie an bestimmten Stel-
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len auf der Welt vorhanden sind. Trotzdem kann ihre Förderung entweder so teuer sein, dass sie bei den heutigen Preisen nicht in Frage kommt, oder aber sie ist technisch gesehen noch nicht möglich. Zu den Ressourcen zählen beispielsweise die Energievorkommen, die beim Übergang von primärer auf sekundäre oder tertiäre Förderung zusätzlich gewonnen werden könnten (siehe dazu auch die Ausführungen zur Frage, welche Energieformen wir in der Natur vorfinden, Seite 42). Zu den Ressourcen zählen gedanklich auch diejenigen Vorkommen auf der Welt, die in Gebieten vermutet werden, die noch nicht durch Probebohrungen nach Energieträgern untersucht worden sind. Einige Beispiele mögen die Einteilung in Reserven und Ressourcen verdeutlichen. Teilt man die Vorräte an Erdöl des Jahres 1930 in Reserven und Ressourcen auf, so wäre das Öl in der Nordsee noch eine Ressource gewesen. Es war mit der damaligen Technik nicht förderbar, es wäre wohl auch bei dem damaligen Preisniveau nicht zu vermarkten gewesen, und zum guten Schluss konnte man nur vermuten, dass die Nordsee Öl enthielt, weil man noch nicht danach gebohrt hatte. Ölschieferlagerstätten in Kanada galten lange als sicher vorhandene bekannte Vorräte. Auch technische Möglichkeiten, sie abzubauen, sind seit langem vorhanden. Aber das Preisniveau beim Abbau lag bisher wesentlich höher als das Preisniveau von Öl auf dem Weltmarkt. Also gehörten sie nach der Einteilung zu den Ressourcen und nicht zu den Ölreserven. Dies hat sich nun beim Ölschiefer gewandelt. Bei einem Ölpreis von 60 $ pro Barrel besteht die Möglichkeit, auch Öl aus Ölschiefer mit Gewinn am Markt abzusetzen. Ölschiefer wandelt sich also von einer Ressource zu einer Reserve. Ein weiteres spekulatives Beispiel sind die Erdgashydrate. Sie befinden sich in den Schelf- und Kontinentalhangberei-
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chen der Meere. Ihre Größe und ihre Lage sind nicht bis ins Detail identifiziert. Man schätzt ihre Mengen aber in der gleichen Größenordnung ein wie alle heute bekannten Gasreserven zusammen. Im Sinne der Einteilung zählen sie aber zu den Ressourcen. Gründe dafür sind zum einen, dass es noch keine verfügbare technische Möglichkeit gibt, sie zu fördern. Zum anderen, dass deshalb keinerlei Kosteneinschätzung möglich ist. Die Menge der zu einem bestimmten Preis zur Verfügung stehenden Energievorräte ist deshalb keine statische Größe über lange Zeiträume hinweg, sondern eine dynamische. Trotzdem hilft es, Vergleichszahlen zu definieren. Dazu bietet sich die statische Reichweite an. Die statische Reichweite ist das Verhältnis der vorhandenen Energiereserven zum jährlichen Verbrauch des betreffenden Energieträgers. Sie sagt also aus, wie lange Reserven reichen, wenn sich an der Reservensituation und am Verbrauch nichts verändern würde. Und das sind in etwa die 40 Jahre beim Öl, die seit 40 Jahren gelten. Rechnet man die statische Reichweite auf Basis der heute bekannten Reserven und der vorhandenen Verbrauche aus, dann ergeben sich grob folgende Zahlen: – – – –
Steinkohle etwa 180–240 Jahre Erdöl etwa 40–50 Jahre Erdgas etwa 50–60 Jahre Uran etwa 70–90 Jahre.
Die Einschätzung, welcher Marktpreis angelegt und welche Technik zur Verfügung steht, beinhaltet einen Ermessensspielraum. Somit weichen auch die publizierten Zahlen für die Reserven und damit für die statischen Reichweiten etwas voneinander ab.
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Die statische Reichweite bedeutet nicht, dass nach Ablauf dieser Zeit der Energieträger nicht mehr zur Verfügung steht. Die statische Reichweite hängt von einer Vielzahl von Bestimmungsfaktoren ab. Einige seien hier genannt: – die Entwicklung der Bevölkerung der Erde – die Entwicklung der Weltwirtschaft – die technische Entwicklung der Energienutzung, sprich der Energieeffizienz – die politische Verfügbarkeit einzelner Energieträger – die Preisentwicklung bei den Energieträgern – die technische Erschließung neuer Energiequellen, beispielsweise die zunehmende Markteinführung erneuerbarer Energien oder die Herstellung von flüssigen Treibstoffen aus Biomasse und – der Fortschritt in der Exploration und der Fördertechnik von Energieträgern. Das alles zusammengenommen unterzieht die Reichweite einem dauernden Veränderungsprozess. Trotzdem gibt es Grenzen für die Mengen der verfügbaren Energieträger. Diese Grenzen zeichnen sich in manchen Fällen bereits heute ab. So sagen Geologen einvernehmlich, dass inzwischen die ganze Welt mit heute bekannten Mitteln und mit dem heutigen Wissensstand nach Ölvorkommen abgesucht ist. Somit lässt sich eine Vorstellung darüber entwickeln, wann das Maximum der Ölförderung überschritten werden könnte (sogenannter peak-oil-point) und wie die vorhandenen Vorräte bei zukünftig zu erwartender Nachfrage zurückgehen könnten. Studien zeigen, dass mit der Überschreitung des Maximums der Ölförderung, bezogen auf die
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derzeitigen Reserven, in etwa 15 bis 20 Jahren zu rechnen ist. Die Gesamtsituation der vorhandenen Energieträger lässt sich am besten anhand von Erdöl darstellen. Öl ist zum einen der Energieträger, der mengenmäßig am schwierigsten im gesamten Energiesystem zu ersetzen ist, zum anderen ist es der Energieträger, der von seiner politischen Verfügbarkeit her mit den höchsten Risiken behaftet ist. Die internationale Energieagentur (IEA) mit Sitz in Paris hat verschiedene Zahlen zusammengestellt. Abb. 12 enthält nicht nur die Mengen an Reserven und Ressourcen, sondern auch ihre Unterteilung nach den heute erwarteten Förderkosten. Am preisgünstigsten sind mit unter 15 $ pro Barrel die OPEC-Reserven im Nahen Osten zu gewinnen. Weitere sogenannte konventionelle Reserven in anderen Ländern sind mit unter 25 $ pro Barrel erschließbar. Überspringt man bei den Förderkosten die 20-$-pro-Barrel-Grenze und lässt beispielsweise Förderkosten für das Rohöl von bis zu 50 $ pro Barrel zu, so lassen sich eine Vielzahl von heutigen Ressourcen in Reserven umwandeln, wie beispielsweise Ölschiefer, über den an anderer Stelle schon berichtet wurde (Seite 44). Auch die Sekundär- und Tertiärförderung von Öl aus heutigen Lagerstätten ist in dieser Kostenspanne machbar. Es muss an dieser Stelle auf einen Unterschied hingewiesen werden: Die oben erwähnten 50 $ pro Barrel Förderkosten dürfen nicht mit einem Marktpreis von 50 $ pro Barrel für das Rohöl verwechselt werden. Im Jahre 2006 lag der Marktpreis im Jahresschnitt von fast 65 $ pro Barrel, die Förderkosten dagegen unter 30 $ pro Barrel. Förderkosten von 50 $ pro Barrel würden also bei gleichem zugestandenen Gewinn der Ölförderländer und Händler Marktpreise des Roh-
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öls von über 80 $ pro Barrel (entspricht ca. 45 Ct pro Liter) bedeuten. Aufschlussreich und vielleicht auch alarmierend ist die Betrachtung der noch verfügbaren Mengen an Rohöl in Abb. 12. Es wird erwartet, dass bis zum Jahre 2030 die gleiche Menge an Rohöl weltweit verbraucht wird, wie die OPEC in Nahost an billigen Reserven aufweist. Die Ressourcen an Ölschiefer entsprechen dagegen dem Fünffachen dessen, was bisher insgesamt an Öl verbraucht wurde, und über Sekundär- und Tertiärförderung steht nochmals gut der dreifache Betrag zur Verfügung. Bei der Gegenüberstellung dieser Mengen muss beachtet werden, dass sich der Ölverbrauch exponentiell entwickelt. Er betrug im Jahre 2005 gut 29 Mrd. Barrel. Um bei dieser Höhe des jährlichen Rohölverbrauchs nochmals die gesamte Menge an Öl zu verbrauchen, wie sie bisher aufgezehrt wurde, würden nur noch 35 Jahre vergehen. Berücksichtigt werden muss die Zunahme des Ölverbrauchs in den Schwellenländern, beispielsweise in Asien, und der damit verbundene Run auf den Energieträger Öl. Die Nachfrage wird also über 29 Mrd. Barrel pro Jahr steigen. Das bedeutet, dass der Zeitraum tatsächlich kürzer als 35 Jahre sein wird. Fazit aus den bisherigen Überlegungen ist, dass mehr fossile Energieträger, aber auch Uran zur Verfügung stehen, als der häufig verwendete Begriff der statischen Reichweite oder die »Peak-oil-Theorie« zu erkennen geben. Die Förderkosten steigen aber auf das Doppelte. Zutreffend ist auch, dass die wegen ihrer Umwelt- und Gebrauchseigenschaften überdurchschnittlich stark – gemessen an den vorhandenen gesamten Vorräten – nachgefragten Kohlenwasserstoffe Erdöl
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Abb. 12 Reserven und Ressourcen vom Erdöl, unterteilt nach Vorkommen und Förderkosten. Zum Vergleich ist die bisher weltweit bereits verbrauchte Menge Öl eingetragen.
und Erdgas nicht über mehrere Jahrhunderte hinweg zur Verfügung stehen werden. Auch ihre Ressourcen sind begrenzt. Es lohnt sich also zu versuchen, langfristig zusätzliche neue Energieträger, wie beispielsweise erneuerbare Energien oder vielleicht auch Kernfusion, zu entwickeln und in den Markt einzuführen. Eine Entspannung der Situation ist auch durch die Herstellung von flüssigen Kraftstoffen aus Biomasse möglich, so weit das Potenzial von Biomasse dieses zulässt, oder aber durch den Einstieg in eine Wasserstoffwirtschaft, wobei der Wasserstoff vielleicht mit Hilfe von Elektrizität aus Kernenergie oder langfristig aus Photovoltaik über Wasserspaltung erzeugt werden könnte. Kurzfristig steht allen diesen genannten Optionen zunächst die mangelnde Wirtschaft-
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lichkeit, gemessen an den heute vorhandenen Energiepreisen, entgegen. Die Ressourcenfrage ist kein kurzfristiges, sondern ein längerfristiges Problem der Energieversorgung. Kurzfristig meint dabei, Zeiträume von wenigen Jahrzehnten, längerfristig Zeiträume über Generationen hinaus, also beispielsweise von 70 Jahren und mehr.
Energienutzung und Umwelt
11 Energieumwandlung schafft Luftschadstoffe Die Nutzung von Energie ist mit Umweltbelastungen verbunden. Umweltbelastungen fallen entlang des »Lebensweges« eines jeden Energieträgers an: Beginnend mit seiner Förderung, seinem Transport zur Umwandlungsanlage wie z. B. einem Kraftwerk oder einer Raffinerie, dann der erneute Transport der Sekundärenergieträger zum Verbraucher und ihre Nutzung. Im Folgenden soll nun zunächst der Begriff »Umweltbelastung« definiert werden. Danach stehen die Umweltauswirkungen im Vordergrund, die mit der Förderung der Energieträger und ihrem Weg bis zur Umwandlung in Sekundärenergie einhergehen. Dann werden die Umweltbelastungen durch Nutzung der Energie beim Verbraucher beschrieben. Und abschließend wird die Frage gestellt, welche Möglichkeiten es gibt, Umweltbelastungen möglichst gering zu halten.
11.1 Schadstoffe und Arten der Umweltbelastung Umweltbelastung wird häufig als eine negative Beeinflussung und Veränderung der natürlichen Umwelt durch physikalische, chemische und technische Eingriffe definiert. In die Umwelt eingebrachte Verunreinigungen, beispielsweise Staub, Mikroorganismen, Chemikalien oder Strahlung, können zur Umweltverschmutzung führen, wenn sie über die na-
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Tab. 4 Umweltauswirkungen der Ketten von der Gewinnung der Energieträger bis zur ersten Umwandlungsstufe
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türliche Regenerationskraft der verschmutzten Umweltmedien wie beispielsweise dem Boden, dem Wasser und der Luft hinausgehen. Bei der Entstehung von Umweltbelastungen spielen Schadstoffe eine Rolle. Das sind in der Umwelt vorkommende Stoffe, von denen bei gefährlichen Konzentrationen schädliche Wirkungen auf Lebewesen und Sachgüter ausgehen können. Bei der Energienutzung stehen insbesondere die Schadstoffemissionen, die der Luft zugeführt werden, im Vordergrund. Sie sind von der Menge und den Wirkungen her dominierend. Bei einer exakten Betrachtung genügt es nicht, nur einzelne Energieumwandlungsanlagen, beispielsweise Kraftwerke oder Heizungsanlagen, zu betrachten. Der im politischen Raum oftmals gewünschte Vergleich der Umweltauswirkungen einzelner Energieumwandlungsanlagen und Energietechniken erfordert, die Gewinnung und den Transport der Brennstoffe, die ebenfalls mit Umweltbelastungen verbunden sind, mit zu berücksichtigen. Die Tab. 4 gibt hierzu einen Überblick. In ihr ist stichpunktartig ebenfalls die Gewinnungskette dargestellt. Bei den erneuerbaren Energien nehmen in Deutschland die Wasserkraft und die Windenergie eine vorrangige Position ein. Von beiden Energiesystemen gehen keine mit fossilen Energieträgern vergleichbaren Umweltschädigungen aus. Als Randerscheinungen können eventuell das veränderte Landschaftsbild durch Windräder (subjektive Beurteilung) und die Beeinflussung von Fauna und Flora im Anstauungsbereich von Wasserkraftanlagen genannt werden. Wegen der unzureichenden Verfügbarkeit der erneuerbaren Energiequellen muss ihre Leistung jedoch durch sogenannte »Back up«-An-
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lagen auf der Basis fossiler Brennstoffe abgesichert werden. So entstehen mittelbar ebenfalls deren Umweltbeeinträchtigungen. Für bestimmte Umwandlungsanlagen, beispielsweise Solarkollektoren, wird – auf die Energieeinheit bezogen – besonders viel Material zum Auffangen der Energie benötigt. Die Gewinnung und Verarbeitung dieses Materials ist im Allgemeinen auch mit Umweltbelastungen verbunden, die bei einem Faktenvergleich der verschiedenen Techniken untereinander zu berücksichtigen sind. Entsprechende Untersuchungen werden im Rahmen von Lebenszyklusanalysen (LCA) durchgeführt. Sie sind ausgesprochen detailliert und umfangreich. Sie sollen deshalb hier nicht betrachtet werden.
11.2 Der Weg zum Menschen Die Luftschadstoffe werden mit den Abgasen in die Umgebung abgegeben. Die Emission (»Spuckwert«) wird als Menge pro Zeiteinheit angegeben, also etwa in Kilogramm pro Stunde oder in Tonnen pro Jahr. Für die Emission hat der Gesetzgeber Grenzwerte festgelegt. In der Umgebung breiten sich die Schadstoffe, abhängig von den jeweiligen Wetterbedingungen, aus (Transmission) und werden dabei verdünnt. In der Luft können sie chemisch mit der Luftfeuchtigkeit und miteinander reagieren; dabei können sekundäre Luftschadstoffe wie Ozon entstehen. Irgendwann werden die Schadstoffe auf dem Erdboden oder dem Pflanzenbewuchs abgelagert (Deposition). Sie können vom Regen ausgewaschen werden und damit in Grund- und Oberflächengewässer gelangen. Über hohe Schornsteine emittierte Schadstoffe werden
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Energienutzung und Umwelt
über viele hundert Kilometer transportiert, während in Bodennähe freigesetzte Stoffe, vor allem in den Städten, meist nicht weit gelangen. Die weiträumige Verfrachtung von Schadstoffen hat die Konsequenz, dass Gegenmaßnahmen im nationalen Rahmen nicht ausreichen. Deutschland »exportiert« einen erheblichen Teil der emittierten Schadstoffmengen in die Nachbarländer – je nachdem, wie gerade der Wind weht; es erhält aber auch aus den Nachbarländern beträchtliche Anteile zurück. Eine sehr rigide Luftreinhaltepolitik nur in einem Land würde bedeuten, dass es auch seine Nachbarländer entlastet, aber weiterhin einen Teil von deren Schadstoffemissionen »importiert«. Die europäischen Länder haben deshalb Vereinbarungen zur Verminderung von grenzüberschreitenden Umweltbelastungen geschlossen. Dort, wo die Schadstoffe auf Menschen, Tiere und Sachgüter einwirken, spricht man von Immission (»Schluckwert«). Bei der Immission kommt es auf die Konzentration an, sie wird meist in Milligramm pro Kubikmeter Luft angegeben. Die Aufnahme von Luftschadstoffen oder radioaktiven Stoffen kann über die Atemwege erfolgen oder über die Nahrung und das Trinkwasser. Auch für diese Konzentration hat der Gesetzgeber Grenzwerte erlassen.
11.3 Luftschadstoffe und ihre Wirkungen Die wichtigsten Luftschadstoffe, ihre Wirkungen und die Abhilfe sind in Tab. 5 im Überblick enthalten. Die nachfolgenden Erläuterungen dienen dem besseren Verständnis der komplexen Zusammenhänge.
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Tab. 5 Die wichtigsten Luftschadstoffe aus der Energienutzung und ihre Wirkungen
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Schwefeldioxid Kohle und Erdöl enthalten Schwefel. Bei der Verbrennung wird Schwefel zu gasförmigem Schwefeldioxid (SO2) oxidiert. Schwefeldioxid ist, wie medizinische Untersuchungen erwiesen haben, in trockener Atemluft erst bei recht hohen Konzentrationen schädigend – es führt dann zu einer Reizung der Bronchien und der Lunge. In Verbindung mit Sonnenlicht und Luftfeuchtigkeit wird SO2 zu schwefeliger Säure (H2SO3) und Schwefelsäure (H2SO4) oxidiert. In Verbindung mit Feinstäuben bilden sich Aerosoltröpfchen, das sind feinste feste oder flüssige Teilchen, die mit eingeatmet werden (sogenannter Smog). Schwefel trägt zum »sauren Regen« und damit zur Versauerung der Gewässer und des Bodens sowie zu den Bauschäden bei. Außerdem greifen die Schwefelverbindungen die Pflanzen an und tragen zu den Waldschädigungen bei. Stickoxide Als Stickoxide (NOX) bezeichnet man Stickstoffmonoxid (NO) und Stickstoffdioxid (NO2). Sie gehören zu den unerwünschten Nebenprodukten der Verbrennung. Es gibt zwei Mechanismen, die ihre Entstehung verursachen: – Der in Kohle und Öl enthaltene Stickstoff wird bei der Verbrennung zu Stickstoffmonoxid (NO). – Mengenmäßig bestimmend ist aber in der Regel die thermische NOX-Bildung. Sie läuft bei Temperaturen oberhalb von 1200 °C ab. Luftsauerstoff zerfällt in zwei einzelne Sauerstoffatome. Diese verbinden sich über verschiedene chemische Reaktionen mit dem Luftstickstoff zu Stickstoffmonoxid. Dieser Entstehungsmechanismus läuft unabhängig von der Art des verbrannten Energieträgers ab.
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Das bei diesen Prozessen entstandene Stickstoffmonoxid (NO) wird nach Verlassen des Schornsteins oder des Auspuffs relativ schnell zu Stickstoffdioxid (NO2) umgesetzt. Stickoxide greifen die Schleimhäute der Atmungsorgane an und begünstigen dort Katarrhe und Infektionen (Bronchitis, Lungenentzündung). Sie verstärken die Wirkung von Schwefeldioxid. Die Reaktion von Stickoxiden mit Luftfeuchtigkeit führt zu salpetriger Säure und Salpetersäure (HNO3), die ähnlich wie die Schwefelsäure in Form von Aerosolen vorliegen. Auch diese Säuren tragen zum »sauren Regen« bei. Die Stickoxide spielen eine wichtige Rolle als Vorläufersubstanz für bodennahes Ozon. Kohlenwasserstoffe Unter diesem Begriff versteht man zunächst alle organischen Verbindungen, die aus Kohlenstoff und Wasserstoff bestehen (CmHn). Die technisch wichtigen Primärenergieträger Erdöl und Erdgas sowie alle daraus erzeugten Sekundärenergieträger wie Benzin, Heizöl und Flüssiggas bestehen aus niederen Kohlenwasserstoffen mit kettenförmigen Molekülen. Zum Teil werden sie direkt an die Luft abgegeben, vor allem aus den Tanks der Kraftfahrzeuge sowie beim Umfüllen des Treibstoffs. Nennenswerte Mengen werden auch – nicht energetisch bedingt – beim Verdampfen von Lösungsmitteln (Farben, Lacke etc.) freigesetzt. Als Luftschadstoffe bezeichnet man aber die höherzahligen Kohlenwasserstoffe. Unter dem Einfluss von Sonnenlicht sind sie zusammen mit Stickoxid auch an der photochemischen Smogbildung, die insbesondere bei hoher Solareinstrahlung im Sommer auftritt, beteiligt.
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Kohlenmonoxid Kohlenmonoxid (CO) entsteht bei unvollständiger Verbrennung, d. h. bei Sauerstoffmangel, vor allem beim Betrieb von Kraftfahrzeugen sowie bei Kohleheizungen in Einzelöfen. Seine Giftigkeit zeigt sich darin, dass es sich anstelle des Sauerstoffs mit dem roten Blutfarbstoff Hämoglobin sehr fest verbindet (200- bis 300-mal stärker als Sauerstoff), nur sehr langsam wieder abgegeben wird und damit den Sauerstofftransport im Blut behindert. Kohlenmonoxid ist auch an der Ozonbildung beteiligt – aber für sich alleine gesehen nicht der Verursacher. Kohlenmonoxid ist »verschenkte« Energie, da das Kohlenstoffatom durch unvollständige Verbrennung nicht seinen vollen Heizwert abgegeben hat. Aus wirtschaftlichen Gründen wird deshalb versucht, die CO-Entstehung so gering wie möglich zu halten. Stäube Stäube entstehen durch den Verkehr in Industriebetrieben (z. B. Zementfabriken) und vor allem bei Verbrennungsprozessen, insbesondere bei der Verbrennung fester Brennstoffe als sogenannte Flugasche. In der Industrie und in Kraftwerken werden heute mehr als 99 % der Stäube mit Filtern abgeschieden. Feinste Staubpartikel mit Durchmessern von einigen jO.m passieren die meisten Filter jedoch weitgehend (µm = 1 Millionstel Meter = 0,001 mm, etwa die Größe von Bakterien). Im Unterschied zum Grobstaub kann dieser Feinstaub (< 10 µm = 0,01 mm) über die Atemwege bis in die Lunge gelangen. Die giftige Wirkung beruht vor allem auf dem Gehalt an Metallen wie beispielsweise Blei oder Cadmium, von denen einige die Entstehung von Krebs fördern. Zudem lagern sich an der Oberfläche der feinen unsichtbaren Staubteilchen andere
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Schadstoffe wie Kohlenwasserstoffe, Schwefel- oder Stickstoffverbindungen an, sodass sie über den Staub in die Lunge transportiert werden. Allgemein erzeugt Staub eine Erhöhung der Anzahl von Erkrankungen der Atmungsorgane wie Lungenentzündung und Asthma. Radioaktive Stoffe Die in der Kohle vorhandenen radioaktiven Stoffe – Uran und Thorium sowie ihre radioaktiven Zerfallsprodukte – werden zum Teil mit den Feinstäuben über den Kraftwerkskamin in der Umgebung verteilt. Mit dem Staub werden diese radioaktiven Stoffe – Metalle wie Radium und radioaktives Blei – eingeatmet und können in die Blutbahn gelangen. Sie werden vor allen Dingen in den Knochen abgelagert und führen dort zu einer Strahlenbelastung. Radioaktive Stoffe werden auch von Kernkraftwerken emittiert; hier sind es vor allem radioaktive Isotope wie Jod-131, Krypton-85, Strontium-90 und Tritium, die sich im Körper unterschiedlich verteilen. Radioaktive Stoffe können durch ihre Strahlung das Krebsrisiko erhöhen, sie wirken also ähnlich wie gewisse Kohlenwasserstoffe oder Metalle. Im nächsten Kapitel werden Möglichkeiten aufgezeigt, die Schadgasemissionen bei der Energieumwandlung möglichst gering zu halten.
12 Erfolge bei der Emissionsminderung Das vorhergehende Kapitel zeigte die Notwendigkeit, den Ausstoß an Luftschadstoffen so gering wie möglich zu halten. Die Industrieländer gingen in der Vergangenheit – wie die Schwellen- und Entwicklungsländer in der Gegenwart – den Weg, ihren Energieumsatz kontinuierlich zu erhöhen, ohne auf den Ausstoß an Luftschadstoffen zu achten. Erst als die Folgen nicht mehr zu übersehen waren, kam es vor etwa 40 Jahren zur Reduzierung des Staubauswurfes und vor 20 Jahren zur Minderung der anderen Luftschadstoffe. Dies ermöglichen technische Maßnahmen, von denen einige beschrieben werden sollen. Dabei wird zwischen Maßnahmen, die vor oder während der Verbrennung durchgeführt werden (Primärmaßnahmen), und solchen, die im Rauchgasstrom, also nach der Verbrennung, stattfinden (Sekundärmaßnahmen) unterschieden. Sekundärmaßnahmen werden auch als »End-of-Pipe-Techniken« bezeichnet. In der Regel sind Primärmaßnahmen einfacher und preiswerter zu realisieren als Sekundärmaßnahmen. Häufig reichen sie jedoch nicht aus, um die vorgeschriebenen Grenzwerte zu erreichen, sodass oft beide Verfahrensweisen angewandt werden müssen. Eine in der Energieumwandlung weitverbreitete Primärmaßnahme ist die gestufte Verbrennung. Sie hat zum Ziel, möglichst keine – für die thermische NOX-Bildung maßgeblichen – hohen Temperaturen entstehen zu lassen. Dazu lässt
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man die Verbrennung räumlich in mindestens zwei Zonen ablaufen. In der Hauptverbrennungszone wird mit Sauerstoffmangel (unterstöchiometrisch) verbrannt. In der räumlich daran anschließenden zweiten Verbrennungszone wird wiederum Luft zugesetzt, sodass hier die Verbrennung bei Luftüberschuss (überstöchiometrisch) stattfindet. Bei kleinen Brennern, wie bei Hausheizungen, sind die beiden Verbrennungszonen direkt an einem einzelnen Brenner verwirklicht. Zur Rauchgasentschwefelung in Kraftwerken oder großen Industrieanlagen werden überwiegend Nasswaschverfahren eingesetzt, bei denen das Rauchgas in einem Waschturm zu einer kalkhaltigen Waschlösung geführt und dabei das im Rauchgas enthaltene Schwefeldioxid chemisch gebunden, also herausgewaschen wird. Die kalkhaltige Waschlösung und der darin gebundene Schwefel werden über nachgeschaltete Verfahrensschritte in Gips überführt, eine KalziumsulfatwasserVerbindung. Dieser wird in der Bauindustrie eingesetzt. Es existieren auch Verfahren, bei denen elementarer Schwefel für die Chemieindustrie das Endprodukt ist. DENOX-Anlagen sind Anlagen zur Entstickung des Rauchgases in Kraftwerken oder sonstigen großen Verbrennungsanlagen. Bei ihnen wird das im Abgas enthaltene Stickstoffmonoxid und Stickstoffdioxid unter Anwesenheit eines Katalysators mit Ammoniak als Reduktionsmittel in Verbindung gebracht. Das Ergebnis der chemischen Reaktion ist elementarer Stickstoff und Wasser, beides natürliche Bestandteile der Umwelt. Die bei Otto-Fahrzeugmotoren eingesetzten 3-Wege-Katalysatoren arbeiten ohne Zugabe von Reduktionsmitteln und sind damit grundverschieden von Kraftwerkskatalysatoren. Die Wirkungsweise der Fahrzeugkatalysatoren beruht auf der Beschleunigung von chemischen Reaktionen zwischen den
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drei Abgaskomponenten. Die drei Schadstoffe Stickoxid, Kohlenwasserstoff und Kohlenmonoxid werden simultan minimiert (daher rührt auch der Name 3-Wege-Katalysator). Dieses ist jedoch nur bei einem Luftverhältnis von λ = 1 (λ = 1 bedeutet, dass theoretisch exakt genauso viele Sauerstoffmoleküle zur Verfügung stehen, wie für eine vollständige Verbrennung [Oxidation] des Treibstoffes notwendig sind) bzw. in einem schmalen Bereich um diesen Wert, dem sogenannten λ-Fenster, realisierbar. Hierzu wird das Brennstoffgemisch (Vergaser, Einspritzpumpe) über eine Messsonde im Rauchgasstrom vor dem Eintritt in den Katalysator, der sogenannten λ-Sonde, geregelt. Dieselfahrzeuge haben eine andere Schadstoffzusammensetzung. Hier geht es um die Rückhaltung von Rußpartikeln und um die Oxidation von Kohlenmonoxid und Kohlenwasserstoffen. Stäube werden über unterschiedliche Filterkonstruktionen zurückgehalten. Es existieren technisch gesehen sehr einfache Filterkonstruktionen, beispielsweise Zyklone, die man auf den Dächern von Schreinereien sieht. Sie sehen wie ein Blechkegel aus, in den der Abgasstrom tangential eintritt und durch ein zentrisch angeordnetes Rohr in der Mitte wieder austritt. Der staubbeladene Abgasstrom wird in Rotation versetzt, die Staubpartikel werden aufgrund der Zentrifugalkraft nach außen getrieben, schlagen gegen die Wand und rutschen nach unten heraus. Derart einfache Konstruktionen ermöglichen immerhin schon, dass weit über die Hälfte aller Staubpartikel abgeschieden werden. Dabei handelt es sich aber um die größeren Staubpartikel und nicht um die Feinstaubpartikel, die lungengängig sind. Sie können in Gewebefiltern abgeschieden werden. Einfache Bauformen davon sind als Papierfilter in der Frischluftzufuhr in den Fahrzeugen eingesetzt. Zur Filterung des Abgases von großen Feuerungsanlagen kommen
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Elektrofilter zum Einsatz. Mit ihm lassen sich Abscheidegrade von bis zu 99,9 % verwirklichen. Der Elektrofilter ist wie ein elektrischer Kondensator aufgebaut, der mit einer hohen Gleichspannung betrieben wird. Durch eine geschickte Bauweise gelingt es, die Staubpartikel elektrisch zu laden. Sie werden dann abgeschieden.
12.1 Erfolge der Luftreinhaltung in Industrieländern In den Industrieländern konnten in den letzten 30 Jahren große Erfolge bei der Verminderung der Luftschadstoffe verzeichnet werden, allen voran auch in Deutschland. Die Sommersmogepisoden im Großraum Los Angeles, ausgelöst durch die Photooxidantien, die aus dem Verkehrssektor emittiert wurden, und unterstützt durch die große solare Einstrahlung, führten bereits in den 1970er Jahren dazu, dass Fahrzeuge mit Katalysatoren auf dem US-Markt eingeführt wurden. Dem folgte Japan mit der 3-Wege-Katalysator-Technik und ab Mitte der 1980er Jahre dann auch Deutschland und die anderen europäischen Länder. Die Technik wurde immer weiter verfeinert, beim Otto-Motor ist man nun, angefangen beim Euro1-Standard, auf das Niveau des Euro4-Standards gekommen. Derzeit findet bei Dieselmotoren der Einbau von Rußfiltern statt. Durch die Katalysatortechnik bei den Fahrzeugen können die im Motor entstehenden Luftschadstoffe in der Summe auf etwa 5 % vermindert werden. Für den privaten Verbraucher vorgesehene Mineralölprodukte wie Diesel und leichtes Heizöl werden europaweit in der Raffinerie entschwefelt, weil eine effektive Entschwefelungstechnik bei kleinen Heizanlagen im privaten Bereich nicht möglich ist.
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Heizungsanlagen, hier allen voran gasbetriebene Brennwertgeräte, verursachen inzwischen so niedrige Emissionen, dass sie unter praktischen Aspekten vernachlässigbar sind. Den Erfolg, den man mit den beschriebenen Maßnahmen erreicht hat, belegen nachfolgende Zahlen für die Emissionen. Angegeben sind jeweils nur die energiebedingten Emissionen. Sie machen aber – außer bei Stäuben – über 90 % aller Emissionen des jeweiligen Luftschadstoffes aus. – Kohlenmonoxid (CO): Rückgang von 11,4 Mio. Tonnen im Jahre 1990 auf 3,5 Mio. Tonnen im Jahre 2004, – Stickoxide (NOX): Rückgang von 2,7 Mio. Tonnen im Jahre 1990 auf 1,4 Mio. Tonnen im Jahre 2004, – Schwefeldioxid (SO2): Rückgang von 5,2 Mio. Tonnen im Jahre 1990 auf 0,5 Mio. Tonnen im Jahre 2004, – Stäube: Rückgang von 2,3 Mio. Tonnen im Jahre 1990 auf 0,1 Mio. Tonnen im Jahre 2004. Trotz dieser beeindruckenden Zahlen bleibt festzustellen, dass die Umwandlung und Nutzung der Energie nicht ohne Umweltbelastungen möglich ist. Deshalb ist diejenige Energie die beste, die nicht benötigt wird. Auch zur Reduzierung der Luftbelastungen steht deshalb der sparsame Umgang mit Energie auf Platz 1 der Reihenfolge der Maßnahmen.
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12.2 Schwellenländer ziehen nach In vielen Ballungsgebieten in den Entwicklungs- und Schwellenländern ist die Luftbelastung aber noch so groß, dass sie gesundheitliche Auswirkungen nach sich zieht. Auch in diesen Ländern werden neue Kraftwerke deshalb mit Rauchgasentschwefelungsanlagen und zukünftig auch Entstickungsanlagen ausgerüstet. Nicht alle erforderliche Technik ist in den Ländern verfügbar. Sie versuchen, sie über Joint-Ventures und über eigenes Erlernen zu erhalten. Auch findet ein Wechsel der Energieträger – vergleichbar mit dem Vorgehen der Industrieländer in den 1960er Jahren – statt. In China wird beispielsweise in den großen Städten zunehmend Erdgas zum Heizen und Kochen eingeführt. Damit kann die Staubemission, verursacht durch das Verfeuern von Kohlen, und die Schwefeldioxidbildung und damit auch Smogbildung erheblich vermindert werden. Heute ist die 3-Wege-Katalysator-Technik beim Otto-Motor und die des Oxidationskatalysators beim Dieselmotor auch in Schwellenländern wie China und Indien Stand der Technik. Dort mangelt es aber häufig an der Überprüfung der Funktionsfähigkeit des eingebauten Katalysators (ASU).
12.3 Luftreinhaltung kostet Geld Die Reinhaltung der Luft gibt es nicht zum Nulltarif. Die Entstaubungs-, Entstickungs- und Entschwefelungsmaßnahmen bei Kohlekraftwerken führen beispielsweise dazu, dass sich die Investitionskosten um 20 % erhöhen. Auch entstehen zusätzliche Betriebskosten und ein zusätzlicher Energiebedarf für den Betrieb der Umweltanlagen. Der Kraftwerkswir-
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kungsgrad sinkt. Letztendlich erhöhen sich damit die Kosten des Stromes, bezogen auf seine Erzeugung, in der Größenordnung von 15 bis 20 %. Diese Zahlen erscheinen zunächst gering. Ihre vollständige Dimension zeigt sich jedoch, wenn man sie auf die absoluten erforderlichen Investitionen hochrechnet. Alleine in den alten Bundesländern mussten in die Umrüstung der bestehenden Kraftwerke nur zur Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben zur Entschwefelung und Entstickung – die Entstaubung war bereits vorhanden – in den 1990er Jahren über 10 Mrd. € investiert werden. Eine Summe, die in einem Entwicklungsland der Volkswirtschaft erst einmal zur Verfügung stehen muss. Auch bei den Fahrzeugen kann für die Emissionsminderung durch den 3-Wege-Katalysator ein Kostenbeitrag von 500 bis 800 € pro Fahrzeug angesetzt werden. Auch wenn durch die steigende Größe, die Komfortzunahme und den damit einhergehenden Preisanstieg der Fahrzeuge in den Industrieländern der Betrag für die Katalysatortechnik dem Käufer nicht explizit ins Bewusstsein rückt, muss er doch bezahlt werden. Für Fahrzeuge der unteren Preis- und Komfortklasse in den Entwicklungsländern sind die zusätzlichen Beträge für die Katalysatortechnik für den Käufer durchaus nennenswert. Häufig wird eingewendet, dass Maßnahmen zum Umweltschutz zusätzliche Beschäftigung bewirkt, zusätzliche Exportmöglichkeiten eröffnet und damit letztendlich volkswirtschaftlich gesehen von großem Nutzen ist. Diese Argumente sind ohne Frage zutreffend. Entscheidend für den Nutzen ist jedoch die absolute Größe der Vorteile. Betrachtet man die Entwicklung in den letzten 20 Jahren in Deutschland, zeigt sich hier ein differenziertes Bild. Die erhofften Exportaufträge für die Nachrüstung der Kraftwerke im Ausland Mitte der 1980er Jahre und zu Beginn der 1990er Jahre blieben aus.
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Stattdessen haben die anderen europäischen Länder die Techniken selbst entwickelt und angewendet. Den Schwellenländern fehlte das Geld zum Import. Als Folge erlitt die einschlägige deutsche Industrie nach Abwickeln des Nachrüstprogramms in Deutschland einen herben Rückschlag infolge von Auftragsmangel. Erst Ende der 1990er Jahre begannen die Schwellenländer über Joint-Ventures Emissionsminderungstechniken einzubauen. Sie sind bestrebt, einen möglichst großen Anteil der Wertschöpfung im eigenen Lande zu halten, alleine um Devisen zu sparen. Auch ist festzustellen, dass sie sich auf der einen Seite natürlich für die modernste und effektivste Technik interessieren und diese gerne auch beherrschen möchten. Auf der anderen Seite können sie aber in vielen Fällen mit niedrigeren und billigeren Maßnahmen bereits große Emissionsreduzierungen zu einem besseren Kosten-NutzenVerhältnis erreichen, als wenn sie die ausgereifte, weit fortgeschrittene und damit teure europäische Technik importieren.
12.4 Anderer Weg für Treibhausgase Abschließend soll noch auf Unterschiede zwischen der Minderung von Luftschadstoffen und der von Treibhausgasen hingewiesen werden. Die Luftschadstoffe belasten den Menschen und die Natur direkt und bei hohen Konzentrationen spürbar. Die Auswirkungen sind auf die Länderregionen bezogen, in denen sie emittiert werden. Treibhausgase dagegen haben auch bei hohen Konzentrationen keine direkten gesundheitlichen Auswirkungen. Sie breiten sich außerdem in kürzester Zeit weltweit aus. Luftschadstoffe dagegen verlassen nach allen Messergebnissen nicht ihren Kontinent. Ein zweiter Unterschied besteht darin, dass – auch bei sehr hohen
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Schornsteinen – entstandene Luftschadstoffe über chemische Verfahren wieder in in der Natur vorkommende oder in technisch nutzbare Stoffe, wie beispielsweise Gips, umgewandelt werden können, auch wenn damit große Kosten verbunden sind. Klimagase dagegen können in erster Linie nur dadurch vermindert werden, dass weniger fossile Energieträger verwendet werden. Bei der Verringerung der Klimagasemissionen können deshalb nicht wie bei den Luftschadstoffen in einer relativ kurzen Zeit von zwei Jahrzehnten vergleichbar große Minderungsziele erreicht werden.
13 Abwärme und Klimagase 13.1 Abwärme Bei Energieumwandlungsprozessen sind technische Verluste nicht zu vermeiden, es entsteht Abwärme. Auch die gesamte Heizenergie wird letztendlich über die Wärmeverluste des Gebäudes oder über den Luftaustausch beim Lüften der Räume in die Umgebung abgeführt. Die »Umgebung« und die Atmosphäre werden also erwärmt. Messungen im Winter zeigen beispielsweise, dass die Lufttemperatur in großen Städten um bis zu 2 °C höher ist als außerhalb der Städte. Eine andere Frage ist die nach der längerfristigen Wirkung der Energienutzung auf das Klima der Erde, insbesondere wenn man an das Wachstum der Weltbevölkerung im Megastädten und den daraus resultierenden wachsenden Energiebedarf denkt. Die von der Sonne auf die Erde eingestrahlte Energie ist etwa 13000-mal so groß wie der gegenwärtige Energieverbrauch. Lokal wird jedoch von Großstädten im Jahresmittel pro Quadratkilometer schon ebenso viel Energie als Wärme abgegeben, wie von der Sonne eingestrahlt wird. Welche Auswirkungen dies auf das lokale Klima hat, ist ungeklärt.
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13.2 Kohlendioxid und weitere Klimagase Besondere Bedeutung kommt dem bei Verbrennungsprozessen entstehenden Kohlendioxid (CO2) wegen seiner Auswirkungen auf das globale Klima zu. Die Bedeutung des CO2 für die Temperatur der Erdatmosphäre beruht darauf, dass es – ebenso wie atmosphärischer Wasserdampf, Stickstoffdioxid, Methan und Ozon – die kurzwellige Lichtstrahlung der Sonne zur Erde durchlässt, aber die langwellige Wärmeabstrahlung der Erde (Infrarotstrahlung) behindert (Treibhauseffekt). Diese Stoffe haben damit für ein Temperaturniveau auf der Erdoberfläche gesorgt, in dem Leben erst ermöglicht wird. Dabei tragen Wasserdampf und die natürliche Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre den Hauptanteil am natürlichen Treibhauseffekt. Bei der Zersetzung von Biomasse und durch den Stoffwechsel der Lebewesen werden auf dem Land und im Meer große Mengen an Kohlendioxid freigesetzt. Dem steht ein gleich großer Verbrauch von CO2 für den Aufbau von pflanzlicher Biomasse gegenüber, sodass der natürliche Kohlenstoffhaushalt weitgehend ausgeglichen ist. Das Gleichgewicht des Kohlenstoffhaushalts wird durch die Verbrennung fossiler Energieträger und die Rodung von Wäldern gestört. Durch die Verbrennung von Kohle, Gas und Öl wurden im Jahre 2005 weltweit jährlich 7,9 Mrd. Tonnen Kohlenstoff, das sind gut 29 Mrd. Tonnen CO2, in die Atmosphäre emittiert. Daran ist Deutschland mit 870 Mio. Tonnen CO2 beteiligt, das entspricht 3 % (Abb. 13). Im Jahre 1995 betrugen die weltweiten CO2-Emissionen erst 23 Mrd. Tonnen. Auch der Mensch ist eine natürliche CO2-Quelle. Die vom Menschen eingeatmete Umgebungsluft besteht zu 0,038 % aus CO2, nach dem Ausatmen enthält sie etwas über 4 % CO2.
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Abb. 13 Die weltweiten Emissionen an Kohlendioxid (CO2) im Jahre 2005, unterteilt nach Herkunftsländern
Die gesamte täglich ausgeatmete CO2-Menge pro Mensch beträgt 700 Gramm. Bei 6,2 Mrd. Menschen auf der Welt ergibt sich dadurch ein jährlicher Gesamtausstoß von 1,64 Mrd. Tonnen CO2. Steigt die Anzahl der Menschen auf der Welt auf die für das Jahr 2025 erwarteten 8,5 Mrd., dann kommen jährlich etwa 600 Mio. Tonnen CO2 durch die CO2-Quelle Mensch hinzu. Das entspricht 2/3 des jährlichen CO2-Ausstoßes Deutschlands durch die Energieumwandlung. Betrachtet man jedoch den Anstieg der CO2-Emissionen durch die Energienutzung, alleine 5 Mrd. Tonnen CO2 in den letzten zehn Jahren, so sieht man, dass der Einfluss durch die Bevölkerungszunahme eher untergeordnet ist. Das emittierte Kohlendioxid breitet sich innerhalb eines Jahres weltweit in der Troposphäre – das ist die Höhenschicht bis etwa 10 km – aus. Die Hälfte des CO2 verbleibt in der Atmosphäre, das restliche CO2 wird von den oberen Schichten der Ozeane aufgenommen und von dort über lange Zeiträume hinweg in die Tiefsee überführt. Durch den fortwährend vom
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Menschen verursachten Ausstoß von Kohlendioxid steigt die Konzentration in der Atmosphäre an, und es wird Infrarotstrahlung, die die Erdoberfläche abstrahlt, wieder zurückgestrahlt. Dadurch wird die Lufthülle und als Folge die Erdoberfläche zusätzlich erwärmt. Aufgrund der unterschiedlichen chemischen Zusammensetzung der einzelnen fossilen Energieträger entsteht bei ihrer Verbrennung unterschiedlich viel Kohlendioxid. Während Stein- und Braunkohle einen sehr hohen Kohlenstoffanteil besitzen, verfügen Erdöl und insbesondere Erdgas neben dem Kohlenstoffgehalt noch über einen nennenswerten Anteil an Wasserstoff, bei dessen Oxidation zu Wasser bei der Verbrennung ebenfalls Energie freigesetzt wird. Bezogen auf die erzeugte Energieeinheit ist somit ihre spezifische CO2-Emission geringer. Hier nun die CO2-Faktoren wichtiger Energieträger: Steinkohle:
2,7 kg CO2 pro kg Steinkohle (entspricht 93 kg CO2 pro GJ Heizwert) Braunkohle: 3,1 kg CO2 pro kg Braunkohle (entspricht 109 kg CO2 pro GJ Heizwert) Öle: 2,3–2,7 kg CO2 pro Liter (entsprechen 72–75 kg CO2 pro GJ Heizwert), (Rohöl, Diesel, Benzin, Heizöl) Erdgas: 1,8 kg CO2 pro m3 (entspricht 56 kg CO2 pro GJ Heizwert) 1 kWh Strom: als deutscher Mittelwert: 0,65 kg pro kWh aus einem Steinkohlekraftwerk 0,82 kg pro kWh. Bei Erdgas muss berücksichtigt werden, dass Methan – als Hauptbestandteil des Erdgases – ebenfalls ein Klimagas mit höherer spezifischer Treibhauswirksamkeit pro Molekül als
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CO2 ist. Bereits wenige Prozent Methan-Verluste bei der Erdgasgewinnung und der -verteilung würden daher den Vorteil des geringeren CO2-Faktors bei der Verbrennung wieder aufheben. Die oben genannten CO2-Faktoren ermöglichen es, die CO2-Emissionen, die jemand durch seinen Energieverbrauch verursacht, auszurechnen. Hierzu einige Beispiele: Verbraucht ein PKW 9 Liter Benzin pro 100 km, so sind damit 21 kg CO2-Emissionen verbunden (9 Liter x 2,33 kg CO2 pro Liter). Der Betrieb eines PCs mit Zubehör über sieben Stunden benötigt eine Kilowattstunde Strom, verursacht also als Mittelwert im Bundesdurchschnitt die Emission von 650 Gramm CO2. Neben Kohlendioxid werden noch weitere Treibhausgase durch menschliche Tätigkeit freigesetzt, die außer einem geringen Anteil bei Methan nichts mit dem Energiegebrauch zu tun haben. Diese sind – Methan: aus Reisanbau, Viehhaltung, Kohlebergbau, Erdgasleckagen, Mülldeponien, Kläranlagen – Distickstoffoxid: aus der Umwandlung des Stickstoffs im Boden als Folge natürlicher Kreisläufe und Düngung – Ozon: photochemische Bildung aus Sauerstoff, Stickoxiden und Kohlenwasserstoffen – Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW): künstlich hergestellte Treibgase für die Aufschäumung von Isolierstoffen und als Kältemittel in Kühlschränken, Klimaanlagen usw. – Halone (HFCKW): ebenfalls künstlich hergestellte Treibgase für Feuerlöscher und Löschanlagen. Ozon hat zwei verschiedene Wirkungen. Das Ozon in der Stratosphäre (12–50 km Höhe) filtert den Ultraviolett-Anteil
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des Sonnenlichtes (290–310 nm Wellenlänge) weitestgehend aus. Zerstörungen der Ozonschicht in der Stratosphäre (»Ozonloch«) durch FCKWs bedeuten daher erhöhte UVStrahlung auf der Erde. Das Ozon in der Troposphäre (bis 12 km Höhe) dagegen wird im Wesentlichen, wie bei den Luftschadstoffen beschrieben, photochemisch aus Stickoxiden und Kohlenwasserstoffen gebildet. Dieses Ozon wirkt als Treibhausgas. Wegen der ozonzerstörenden Wirkung der FCKWs in der Stratosphäre wurde gemäß internationalen Vereinbarungen (Montreal-Protokoll und Folgekonferenzen) auf ihre Herstellung und Verwendung verzichtet. Es wurden Ersatzstoffe entwickelt. Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre wird kontinuierlich gemessen. Sie betrug 1958 315 ppm und stieg bis zum Jahre 2004 auf 380 ppm, das sind 0,038 % Volumenanteil an der Luft, an. Parallel dazu konnte ermittelt werden, dass die mittlere Oberflächentemperatur der Erde ansteigt. Befürchtet werden durch den Temperaturanstieg Änderungen der atmosphärischen und ozeanen Zirkulation und als deren Folge eine Verlagerung der Klimazonen. Dies bedeutet eine globale mittlere Niederschlagszunahme und Veränderungen der Bodenfeuchte und damit Vegetationsänderungen. Ein Teil der kontinentalen Schnee- und Eismassen kann schmelzen. Als Folgen der befürchteten Klimaänderungen werden häufiger Anomalien im Wettergeschehen (Stürme, Dürren, Fröste) erwartet, dazu können Verschiebungen der Ertragssituation von Nutzpflanzen und Überschwemmungen heute dichtbesiedelter Gebiete auftreten. Eine Verringerung der Kohlendioxid-Emissionen ist weit schwieriger zu erreichen als die von Luftschadstoffen. Kohlendioxid kann zwar aus den Rauchgasen von Kraftwerken,
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Einzelfeuerungen und Fahrzeugen abgeschieden werden. Der apparative Aufwand ist aber sehr groß, der Energiebedarf erheblich, und die Kosten sind hoch. Offen ist insbesondere auch die Frage der »Deponierung« großer Mengen von Kohlendioxid. Im Fall der bisher betrachteten Luftschadstoffe ist eine Überführung in andere Produkte wie z.B. Gips bei der Entschwefelung oder aber die Umwandlung in natürlich vorkommende Stoffe wie Stickstoff und Wasser bei Katalysatoren möglich; diese Wege gibt es für Kohlendioxid nicht. Die häufiger diskutierte Möglichkeit, abgeschiedenes CO2 in flüssiger oder fester Form direkt in die Tiefsee (über Rohrleitungen oder mit CO2-»Eistorpedos«) zu verbringen, ist hinsichtlich der ökologischen Verträglichkeit ungeklärt. Realistischer ist es, CO2 für die Sekundärförderung von Erdgas und Erdöl zu verwenden und es am Ende in leere Lagerstätten endgültig einzupressen. Über diesen Weg kann jedoch nur ein Teil des entstandenen CO2 »entsorgt« werden. Die Reduktion der Kohlendioxid-Emissionen lässt sich nur durch geringeren Energieverbrauch und durch die Wahl kohlenstoffärmerer oder kohlenstofffreier Energieträger erreichen.
13.3 Nationale und internationale Politik Ausgehend von der UNO-Konferenz »Umwelt und Entwicklung« im Jahre 1992 wurde ein internationaler Prozess mit dem Ziel der Verringerung der Treibhausgasemissionen in Gang gesetzt, der zunächst mit den Vereinbarungen von Kyoto seinen Höhepunkt fand. Darin verpflichten sich 150 Länder, im Zeitraum von 2008 bis 2012 bestimmte Minderungsziele bei ihren Klimagasemissionen, bezogen auf das Ba-
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sisjahr 1990, zu erreichen. Entwicklungs- und Schwellenländer sind von diesen Verpflichtungsmaßnahmen ausgenommen. Ihnen gesteht man einen Nachholbedarf in der Energienutzung und damit verbunden zusätzliche Emissionen zu. Obwohl die USA sich in Kyoto verpflichtet haben, ihre Treibhausgasemissionen um 7 % zu verringern, haben sie bisher das Abkommen noch nicht ratifiziert. Sie befürchten zu hohe Minderungskosten und damit Nachteile für ihre Wirtschaft. Die Europäische Union ist in diesem Kyoto-Protokoll als Ganzes enthalten. Sie hat darin zugesagt, den gesamten EUAnteil um 12 % zu verringern. In einer internen EU-Aufteilung hat davon die Bundesrepublik Deutschland den mit Abstand größten Teil übernommen. Sie hatte sich bereits 1990 verpflichtet, ihre CO2-Emissionen um 25 % bis zum Jahre 2005 zu senken. Bei diesem hohen Minderungsziel muss jedoch der Wiedervereinigungseffekt berücksichtigt werden. Durch die Aufgabe vieler Industrieunternehmen in den neuen Bundesländern und die Umstellung der Haushaltungen von Kohle auf Erdgas sowie durch den Neubau von effizienteren Kohlekraftwerken verringerten sich die CO2-Emissionen erheblich, ohne gezielte Minderungsmaßnahmen treffen zu müssen. Nach dem Stand des Jahres 2006 sieht es aber eher so aus, als würden insgesamt die Ziele von Kyoto noch nicht bis 2012 erreicht werden. Darauf deutet auch der weitere Anstieg der weltweiten CO2-Emissionen hin, beispielsweise um die genannten 5 Mrd. Tonnen CO2-Zunahme im Zeitraum 1995 bis 2004. Um die Reduktion der globalen Emission von Treibhausgasen zu erreichen, sollen neben internationalen Vereinbarungen gemeinsame, länderübergreifende Maßnahmen zum Klimaschutz durchgeführt werden.
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Das Kyoto-Protokoll lässt vier Möglichkeiten zu, Klimagaseinsparungen über Landesgrenzen hinweg auf der Basis marktwirtschaftlicher Mechanismen zu realisieren. 1. bubbles: Diese ermöglichen es einer Gruppe von Ländern, gemeinschaftlich ein Ziel zu erreichen. Bisher ist die Europäische Union die einzige Ländergruppe weltweit, die diesen Weg gewählt hat. 2. emissions trading: Hierbei werden CO2-Zertifikate eingeführt. Für bestimmte Industrieanlagen ist der Ausstoß von CO2 nur in Höhe der vorhandenen Zertifikate erlaubt. Werden diese Zertifikate nicht voll ausgeschöpft, dürfen sie an andere verkauft werden. Umgekehrt müssen Zertifikate zugekauft werden, wenn die CO2-Emissionen höher sind als die vorhandenen Zertifikate. Es bilden sich Marktpreise für Zertifikate. Dieser weltweite Zertifikatehandel soll nach dem Jahre 2008 international eingeführt werden. Um das Emission-Trading-System einführen zu können, mussten den einzelnen Anlagen in den einzelnen Ländern zunächst eine bestimmte Menge von (kostenfreien) Zertifikaten zugestanden werden. So ist für jedes Land eine bestimmte Menge an CO2 als Anfangswert in den Protokollen festgeschrieben. Dabei haben einige Nationen aufgrund ihres Verhandlungsgeschickes, aber auch aufgrund einer zurückgegangenen Wirtschaftsaktivität, wie z. B. Russland, einen Überschuss an Zertifikaten gegenüber ihren tatsächlichen CO2-Emissionen zugestanden bekommen. Sie können diese Differenz international verkaufen und daraus zusätzliche Einnahmen erlösen. Vorab hat die Europäische Union ihre Mitgliedsländer dazu verpflichtet, bereits eigene Zertifikatsysteme einzuführen. In Deutschland sind 2600 Industrieanlagen davon
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betroffen. Darunter zählen natürlich Kraftwerke und größere Industriekessel, aber auch Stahlwerke und Papierherstellungswerke. Mit den 2600 betroffenen Anlagen werden etwa 60 % der gesamten CO2-Emissionen erfasst. 3. Joint implementation: Dies ermöglicht es Industrieländern, Projekte zur Reduzierung von Treibhausgasen in anderen Industrieländern durchzuführen und sich diese Investitionen auf die eigenen Reduktionsziele anrechnen zu lassen. 4. clean-development-Mechanismen: Vergleichbar mit dem Joint implementation geht es hierbei darum, dass Industrieländer mit Entwicklungsländern gemeinsame Projekte abwickeln können, die auf die Reduktionsverpflichtung der Industrieländer angerechnet werden. Die Länder, die nicht den Begrenzungsmaßnahmen für CO2 unterliegen, wie beispielsweise Indien und China, versuchen Projekte wie den Bau von Wasserkraftwerken durchzuführen. Der Vorteil für die Entwicklungsländer besteht darin, dass sie Know-how und finanzielle Unterstützung durch den Partner im Industrieland erhalten. Der Partner im Industrieland sieht seinen Vorteil darin, dass er CO2-Zertifikate erhält, die im Preis dann hoffentlich unter dem gängigen Marktpreis liegen. Projekte dieser Art müssen von einer internationalen, eigens dafür geschaffenen Zertifizierungsagentur mit Sitz in Bonn genehmigt werden. Dies ist ein bürokratischer Prozess. Die Einführung von CO2-Zertifikaten lief im europäischen Rahmen im ersten Schritt so ab, dass die Länder den betroffenen Anlagen entsprechende Freizertifikate erteilten. Schwierig war und bleibt die Lösung der Frage, wie mit Effizienzsteigerungen und Ausweitungen der Produktion umzugehen ist. Bei Steigerungen der Effizienz der Energieumwandlung fal-
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len weniger CO2-Emissionen an. Damit werden Zertifikate frei. Gleiches passiert, wenn das Industrieunternehmen seine Produktion verringert oder ins Ausland verlagert. Müssen dann die zuvor frei erteilten Zertifikate zurückgereicht werden, oder dürfen sie auf dem Markt verkauft werden? Weitet ein Unternehmen dagegen seine Produktion aus, so führt dies zu zusätzlichem Energieverbrauch und damit zu einem Bedarf an Zertifikaten, was die Produktion wiederum verteuert und die Wettbewerbfähigkeit einschränken kann. Bei hohen Zertifikatspreisen würde dies die wirtschaftlichen Aktivitäten dämpfen. So wundert es nicht, dass die Regeln des Zertifikatehandels einer dauernden Diskussion unterliegen. Auch ist unklar, ob und wie das jetzt bestehende Zertifikatesystem nach 2008 in das internationale System eingeführt werden kann und ob Leistungen zur Emissionsminderung, die bereits jetzt erbracht werden, später noch einen Wert haben. Der Zertifikatspreis für das Recht, eine Tonne CO2 zu emittieren, ist im Handel in Deutschland im Sommer des Jahres 2006 auf 25 € gestiegen, danach aber wieder auf die Hälfte gefallen. Zertifikatspreise in dieser Höhe haben Einfluss auf die Wahl des Energieträgers. Vor dem Hintergrund beispielsweise, dass große Teile des deutschen und europäischen Kraftwerkparks altersbedingt in den nächsten 20 Jahren erneuert werden müssen, stellt sich die Frage der wirtschaftlichen Konkurrenz der Energieträger untereinander bei Berücksichtigung der CO2-Zertifikate. Kohle und die Stromerzeugung aus Kohle wird durch die Zertifikate wesentlich mehr verteuert, als beispielsweise die Stromerzeugung aus Erdgas. Umgekehrt kann die zusätzliche Nachfrage nach Erdgas, die aus diesen Gründen entsteht, wiederum den Erdgaspreis so anheben, dass Kohle dann doch wieder wettbewerbsfähig in der Stromerzeugung ist. Die Kilowattstunde Strom allerdings wird auf jeden
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Fall durch die Zertifikate teurer. Berücksichtigt man, dass beispielsweise bei der Erzeugung einer Kilowattstunde Elektrizität aus Steinkohle 820 Gramm CO2 anfallen, so bedeutet ein Zertifikatspreis von 20 € pro Tonne CO2 eine Erhöhung der Stromerzeugungskosten um rund 1,6 Ct pro kWh. Das entspricht etwa einem Drittel der erwarteten Stromerzeugungskosten ohne CO2-Zertifikate – also ein wirtschaftlich sehr bedeutender Einfluss. Es muss aber berücksichtigt werden, dass die Unternehmen nur einen kleinen Teil der benötigten Zertifikate tatsächlich kaufen müssen. Der bei weitem größte Anteil wird ihnen als Anfangsbudget kostenlos zugeteilt.
13.4 C02-Minderungskosten Die Reduzierung der CO2-Emissionen durch rationelle Energieverwendung oder durch verstärkte Markteinführung von erneuerbaren Energien kostet Geld. Im Einzelnen sind eine große Anzahl von Maßnahmen möglich, um CO2-Emissionen zu senken. Beispielsweise können durch die Verbesserung der Energieeffizienz von Haushaltsgeräten weniger Strom verbraucht und damit weniger Emissionen erzeugt werden. Aber auch eine Verbesserung der Energieumwandlung von Kraftwerken oder von Heizungsanlagen trägt zur Brennstoffeinsparung und damit verminderten CO2-Emissionen bei. Die Neugestaltung von Prozessen in der Industrie kann ebenfalls zu weniger Verbrauch von Heizöl, Gas oder Strom führen und damit weniger Emissionen verursachen. CO2-frei erzeugt wird der Strom durch Kernkraftwerke, Windenergie- und Solaranlagen. Es stellt sich also die Frage, welche Maßnahmen als erste in Angriff genommen werden können und sollen. Ein wichtiges Kriterium dazu sind Kosten-
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aspekte. Unter Kosten-Nutzen-Aspekten sollte immer die Tonne CO2 vermieden werden, die die geringsten Vermeidungskosten hat. Im Folgenden sollen einige Beispiele, die für die Gegebenheiten in Deutschland gelten, die Bandbreite der möglichen Maßnahmen verdeutlichen. Im Bereich der elektrischen Energieerzeugung konnten im Zeitraum von 1993 bis 1995 durch etwa 180 verschiedene Maßnahmen die Wirkungsgrade von bestehenden fossilen Kraftwerken verbessert werden. Der geringere spezifische Brennstoffverbrauch bewirkte eine CO2-Minderung von knapp 7 Mio. Tonnen pro Jahr. Allen voran stand die Überholung der Turbinen durch neue Beschaufelung. Im Zeitraum von 1995 bis 1996 konnten weitere 240 Einzelmaßnahmen mit der Folge einer CO2-Minderung von etwa 2 Mio. Tonnen pro Jahr durchgeführt werden. Lastet man die damit verbundenen Kosten ausschließlich der CO2-Minderung an – was eigentlich nicht richtig ist, da ja auch andere Emissionen durch nicht verbrauchten Brennstoff entfallen –, so zeigt sich, dass die Tonne CO2 mit unter 15 € Kosten »eingespart« werden konnte. Die gleiche Menge CO2 ließe sich auch durch Stromerzeugung mit Windenergie vermeiden. Hierzu müssten gut 31000 Windenergiekonverter mit je 2 MW elektrischer Leistung an Küstenstandorten (Ausnutzungsdauer von 2200 Stunden pro Jahr) installiert werden. Die Stromerzeugungskosten aus Windenergie liegen bei 8 Ct pro kWh. Sie sind somit rund 4 Ct teurer im Vergleich zu konventionellen Kraftwerken. Für diese Mehrkosten erhöht man eine CO2-Einsparung von 0,65 kg CO2 pro kWh. Die spezifischen CO2-Minderungskosten durch Windenergienutzung liegen somit pro Tonne bei 60 €, also höher als die CO2-Einsparung durch die Nachrüstung in den Kraftwerken.
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Energienutzung und Umwelt
Noch billiger als bei den genannten Beispielen lässt sich die CO2-Minderung bei den privaten Verbrauchern durch die Anschaffung neuer Geräte, wie Heizungskessel, Waschmaschine oder Gefrierschrank erreichen. Sie verbrauchen weniger Energie als ihre Vorgänger, obwohl die Kosten für die Geräte nur unwesentlich angestiegen sind bzw. sich über den niedrigeren Energieverbrauch bezahlt machen. In diesem Falle ist die CO2-Minderung de facto kostenlos. Wenn es möglich ist, anstelle einer Glühbirne eine Energiesparlampe zu verwenden, so ergeben sich trotz eines höheren Anschaffungspreises von 10 € gegenüber den sonst benötigten sechs Glühbirnen bei 6000 h Betriebszeit keine Mehrkosten. Der geringere Stromverbrauch hat geringere CO2-Emissionen zur Folge. Die Minderung kann somit ohne Mehrkosten erreicht werden.
Hoffnungsträger: Energieeffizienz und erneuerbare Energien
14 Sparsamer Umgang mit Energie Der beste Energieträger ist derjenige, der nicht benötigt wird. Er muss nicht gewonnen und braucht nicht umgewandelt zu werden. Er verursacht keine Luftbelastung und keine Emission von Klimagasen. Im Alltag spricht man von Energieeinsparen. Es ist jedoch von Vorteil, zwischen zwei begrifflichen Definitionen zu unterscheiden: dem Energieeinsparen und der rationellen Energieanwendung (Energieeffizienz). Unter Energieeinsparen versteht man den Minderverbrauch von Energie durch verhaltensbedingte Maßnahmen. Beispiele dafür sind – die Raumtemperatur absenken und sich stattdessen wärmer anziehen – weniger Auto fahren oder beim Autofahren unnötiges Beschleunigen und Bremsen vermeiden – nur die notwendigen Flächen beheizen und beleuchten. Energieeinsparen ist bei den meisten Menschen nicht beliebt. Es wird oftmals als Einschränkung der persönlichen Freiheit empfunden. Stattdessen möchte man den Minderverbrauch von Energieträgern durch Energieeffizienz (rationelle Energieanwendung) erreichen. Dazu zählen beispielsweise – die Verbesserung von Wirkungsgraden bei Heizgeräten, bei Motoren, bei Fahrzeugen – die Verbesserung der Kraftwerkstechnik
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Hoffnungsträger
– die Verringerung des Heizwärmebedarfs von Gebäuden durch bessere Wärmedämmung. In allen diesen Fällen wird der Gebrauch der »Energiegeräte« nicht beschränkt, aber die Geräte bringen die gewünschte Leistung mit weniger eingesetzter Energie. Die Motivation zum Energieeinsparen und zur Erhöhung der Energieeffizienz ist letztendlich in allen Anwendungsbereichen der Energie die gleiche, das Ziel wird aber mit unterschiedlicher Intensität verfolgt. Abgesehen von der persönlichen Überzeugung weniger Menschen, wird Energie ausschließlich wegen Kostenaspekten eingespart. Es gilt, steigende Energiepreise oder mit der Emission von Luftschadstoffen und Klimagasen (CO2-Zertifikate) verbundene Kostenanstiege zu dämpfen oder zu kompensieren. In der industriellen Anwendung kommt die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit durch Absenken eines Kostenblocks hinzu. Diese Motivation kommt immer dann zum Tragen, wenn der Energieverbraucher gleichzeitig die von ihm benötigte Energie zahlt und wenn er darüber hinaus Möglichkeiten hat, Maßnahmen zum effizienteren Umgang mit Energie zu ergreifen. Letzteres ist nicht immer in allen Fällen möglich. So werden häufig Bürogebäude zu einem festen Preis pro m2 Bürofläche einschließlich der Energiekosten vermietet. Ein weiteres Hemmnis besteht im Bereich von Mietwohnungen. Der Vermieter hat abgesehen von der Steigerung des Marktwertes seiner Wohnungen kein weiteres Interesse daran, energieeffizientere Heizungsanlagen bzw. bei bestehenden Gebäuden nachträglich Wärmedämmungen einzubauen. Die Energiekosten werden nach einem Umlageverfahren von den Mietern getragen. Der Mieter dagegen hat keinen Einfluss, die bauliche Substanz des Gebäudes energieeffizienter zu verändern.
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Darüber hinaus weiß er in vielen Fällen auch nicht, wie lange er das Gebäude bewohnen wird und ob gegebenenfalls in Absprache mit dem Vermieter getätigte eigene Investitionen sich für ihn wirtschaftlich rechnen würden. Hier müssen neben den Kosten zusätzliche Motivationsmechanismen eingebaut werden. Der Gesetzgeber versucht dies im Gebäudebereich über den neu eingeführten Energiebedarfsausweis zu erreichen. Er gibt Auskunft über den wärmetechnischen Standard des Gebäudes und lässt für den potenziellen Mieter die Höhe der Heizungskosten erkennen.
14.1 Erfolge in der Vergangenheit Seit den beiden Energiepreiskrisen in den 1970er Jahren, als die Ölpreise sich innerhalb kürzester Zeit verdreifachten, wurde eine Vielzahl von Maßnahmen zum effizienteren Umgang und zur besseren Wärmedämmung von Gebäuden ergriffen. Sie erfolgten zum einen, weil sich die Maßnahmen zum Energieeinsparen bei höheren Energiepreisen rechneten. Zum anderen wurden sie aufgrund von nationalen und EUweiten gesetzlichen Vorgaben vorgeschrieben. Die wichtigsten davon sollen genannt werden: – Das Energieeinsparungsgesetz gibt den Wärmedämmstandard der Gebäude und die Energieeffizienz der heizungstechnischen Anlagen vor. – Das Bundesimmissionsschutzgesetz sorgt gleichzeitig für das Einhalten von Standards für die Emission von Luftschadstoffen. – Das Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz gibt vor, dass bei Mietwohnungen der Wärmeverbrauch verbrauchsab-
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hängig abgerechnet werden muss, dass neue Haushaltsgeräte aber auch neue PKWs in Prospekten und mit Labels an den Geräten hinsichtlich ihres Energieverbrauchs gekennzeichnet werden müssen. Damit soll es den Käufern ermöglicht werden, Geräte hinsichtlich ihrer Energieeffizienz untereinander zu vergleichen. – Das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz sieht finanzielle Hilfen für besonders energieeffiziente Anlagen vor, die gleichzeitig Strom und Fernwärme bzw. Industriewärme erzeugen. Diese Maßnahmen führten insgesamt dazu, dass eine sogenannte Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Primärenergieverbrauch stattfand. Folgte in den 1960er bis 1970er Jahren der Primärenergieverbrauch dem Wachstum des Bruttosozialproduktes noch mit fast den gleichen Prozentsätzen, so trat ab den 1980er Jahren ein geringeres Wachstum des Energieverbrauchs bei weiterem Ansteigen des Bruttosozialproduktes ein. In den letzten zehn Jahren stagnierte der Primärenergieverbrauch bei gering weiterwachsendem Bruttosozialprodukt. Diese Entkopplung wurde durch Energieeinsparung, Erhöhung der Energieeffizienz, aber auch durch eine Umstrukturierung der Wirtschaft erreicht. Während früher die energieintensive Herstellung von Grundstoffen wie Eisen, Baumaterialien und Chemikalien die Struktur der Wirtschaft wesentlich mitbestimmten, sind in den letzten 20 Jahren in zunehmendem Maße große Beiträge zum Bruttosozialprodukt durch den technischen und nichttechnischen Dienstleistungssektor, wie beispielsweise Büro- und Informationstechnik und soziale Dienstleistungen, entstanden. Sie sind weniger energieintensiv, tragen also zur Entkopplung zwischen dem Primärenergieverbrauch und dem Wachstum der Wertschöpfung bei.
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14.2 Möglichkeiten der Einsparung und Effizienzsteigerung Grundsätzlich können die Maßnahmen zum Erreichen des sparsamen Umgangs mit Energie in drei Gruppen eingeteilt werden: – verhaltensbedingte Maßnahmen – organisatorische Maßnahmen – investive Maßnahmen. Zu den verhaltensbedingten Maßnahmen zählt beispielsweise im Güter- und Personentransport ein gleichmäßiges und vorausschauendes Fahren anstelle von hektischem Beschleunigen und »Lückenspringen«. Versuche mit zwei LKW-Fahrten auf einer Strecke von 1500 km haben beispielsweise ergeben, dass die Zeitersparnis trotz beschleunigten Fahrens gegenüber einem vorausschauenden moderaten Fahren nur 7 %, der Kraftstoffmehrverbrauch des Fahrzeuges dagegen 30 % beträgt. Auch Kurzstreckenfahrten mit kaltem Motor können in vielen Fällen durch verhaltensbedingte Maßnahmen vermieden werden. Verhaltensbedingte Maßnahmen im Bereich der Wärmenutzung sind das Einstellen der Heizung auf nicht allzu hohe Temperaturen, das zeit- und bedarfsgerechte Heizen von Räumen, insbesondere von gewerblichen Räumen, und das angepasste Lüften. Als Erfahrungswert gilt, dass die Absenkung der Raumtemperatur um 1 Grad Temperaturunterschied eine Energieeinsparung von etwa 5 % bewirkt. Verhaltensbedingte Maßnahmen kosten kein Geld, im Gegenteil sparen sie Energiekosten ein. Zur Gruppe der organisatorischen Maßnahmen gehören im Verkehrsbereich die Wartung der Fahrzeuge (Öl, Luftdruck, Motoreinstellung), die Demontage von nicht benötigten
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Hoffnungsträger
Dachgepäckträgern und das Entfernen von überzähligem Gewicht durch nicht benötigte Güter im Kofferraum oder auf der Ladefläche. Auch die Verlagerung von Verkehrsleistungen von der Straße auf die Bahn oder auf das Schiff, wo die gleiche Transportleistung mit weniger Energieaufwand erbracht werden kann, ist oftmals über eine andere Organisation der Transporte erreichbar. Im industriellen Bereich können mit organisatorischen Maßnahmen Energiemengen dadurch eingespart werden, dass Produktionshallen und Büros nur solange in ihnen gearbeitet wird, beleuchtet und beheizt werden. Darüber hinaus sind in vielen Fällen Energiekosten dadurch zu mindern, dass die Spitzen im elektrischen Energieverbrauch nicht zu hoch werden. Es muss geprüft werden, ob alle in Betrieb befindlichen Geräte zu diesen Zeiten benötigt werden. Industrielle Stromabnehmer müssen anders als die Haushaltskunden auch für die Kilowatt-Leistung, die sie maximal benötigen, bezahlen. Deshalb sind Spitzen in der Leistungsabnahme sehr teuer. Organisatorische Maßnahmen sind mit relativ geringen Kosten durchzuführen. Es muss aber gewährleistet sein, dass sie auf Dauer auch eingehalten werden und somit der gewünschte Minderungseffekt erzielt wird. Investive Maßnahmen dagegen werden in der Regel nur dann durchgeführt, wenn sie sich auch unter betriebswirtschaftlichen Aspekten rechnen. Dabei wird üblicherweise die zumutbare Amortisationszeit angelegt, die das Unternehmen auch für den Rest der Investitionen zugrunde legt. Bei Unternehmen, die im harten Wettbewerb stehen, sind die Vorgaben für die Amortisationszeiten sehr kurz, sie liegen teilweise unter zwei Jahren. Dadurch werden nicht alle Möglichkeiten der Energieeinsparung erschöpfend wahrgenommen. Zu den investiven Maßnahmen zählen die Anschaffung neuer, sparsamerer Fahrzeuge, der Ersatz von alten und gegebenenfalls
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überdimensionierten Heizkesseln, die Beseitigung von Leckstellen in Druckluftnetzen oder aber die Verbesserung der Wärmedämmung von Gebäuden. Auch der Staat könnte erheblich zur Energieeinsparung im Verkehrssektor beitragen, wenn ihm die Beseitigung von vielen Staupunkten gelänge. Die im Stau stehenden Fahrzeuge verbrauchen Energie, ohne damit einen Nutzen zu erzielen. Im Folgenden sollen einige der bestehenden Potenziale für die Erhöhung der weiteren Energieeffizienz beschrieben werden. Der fortschreitende Prozess hin zu einer Informationsgesellschaft hat dazu geführt, dass die Haushalte und die Unternehmen heutzutage mit einer Vielzahl von Haushalts-, Informations- und Bürogeräten ausgestattet sind. Einige Beispiele dafür sind: Audio- und Video-Geräte, Fernseher, Kameras, Telefone, PC-Zubehör und Kaffeemaschinen. Zur Erhöhung des Komforts werden sie technisch gesehen nicht vollständig abgeschaltet, sondern laufen in vielen Fällen im Leerlauf (Stand-by). Ladegeräte bleiben in der Steckdose, auch wenn kein Mobiltelefon aufgeladen wird. Viele Geräte bleiben auch dann in Bereitschaft, wenn sie scheinbar ausgeschaltet sind, beispielsweise Fernsehgeräte. Der Bereitschaftsverbrauch eines einzelnen Gerätes ist gering. Die gesamte dafür benötigte elektrische Energie ist aber groß, da Millionen Geräte in Bereitschaft sind. Obwohl das Einsparpotenzial schon länger bekannt ist und zum Teil bereits erschlossen wurde, zeigen jüngere Untersuchungen, dass deutschlandweit immer noch 18 Terawattstunden (TWh), das sind 3 % der gesamten Stromerzeugung, für diese Leerlauf- und Bereitschaftszeiten erzeugt werden müssen. Der Betrag entspricht der Hälfte dessen, was die gesamten installierten Windanlagen im Jahre 2005 in Deutschland an Strom erzeugten, oder auch der
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Stromerzeugung von zwei Kernkraftwerken. Selbstverständlich ist es nicht möglich, diese Leerlaufverluste ganz zu beseitigen. Ein PC oder Drucker kann nicht jedes Mal zwischen zwei Arbeitsgängen abgeschaltet werden. Fernseher und Audiogeräte dagegen könnten über Nacht vom Netz genommen werden, ebenso Ladeteile, die nicht benötigt werden. So zeigen Untersuchungen – etwa die von Dietmar Kraus et al. –, dass etwa 40 % des oben genannten Stromverbrauchs als Einsparpotenzial durch verhaltensbedingte Maßnahmen zur Verfügung stehen. Die benötigte Menge Licht pro m2 Arbeitsfläche oder pro 3 m Raumvolumen kann in unterschiedlicher Farbqualität und mit unterschiedlichem Energieeinsatz erzeugt werden. Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Umwandlung von elektrischer Energie in Licht mit technisch bedingten geringen Energieeffizienzen verbunden ist. Eine Glühlampe wandelt nur 5 % der zugeführten elektrischen Energie in Licht um, Halogenlampen schaffen bereits schon fast 10 %, und kompakte Leuchtstofflampen mit modernen elektronischen Vorschaltgeräten sind bei ausreichend guter Lichtfarbe mit 25 % die Spitzenreiter. In der Energieausbeute darüber liegen nur Hochdruck-Natriumdampf-Lampen oder Quecksilberdampflampen für die Beleuchtung von Straßen oder großen industriellen Hallen. Sie haben aber den Nachteil, dass ihre Lichtfarbe für den Wohn-, Büro- und Arbeitsraum nicht geeignet ist. Bei den vorhandenen Strompreisen rechnen sich der Austausch von Glühlampen gegen kompakte Leuchtstofflampen und der Austausch von älteren Leuchtstoffröhrenlampen gegen moderne Beleuchtungskörper trotz der anfänglich höheren Investitionskosten am Anfang immer. Die Energieeinsparung und damit die Reduzierung der Klimagasemissionen und der Luftschadstoffe erfolgt kostenlos.
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Ein sehr großes Potenzial, weniger Energie zu verbrauchen, besteht bei der Beheizung von Räumen. Deshalb hat hier der Gesetzgeber auch für Neubauten und bei wesentlichen Umbauten im Althausbereich Mindestwerte der Wärmedämmung vorgegeben, die aber leider in der Praxis noch immer nicht in allen Fällen eingehalten werden. Letzteres ist möglich, weil sie nur auf dem Papier beim Bauantrag dokumentiert werden müssen, die technische Ausführung der Wärmedämmmaßnahmen aber nicht kontrolliert wird. Dies bleibt den Bauherren überlassen. Der Gebäudebestand ist zwischen den alten und neuen Bundesländern in seiner Struktur und seiner Qualität unterschiedlich. Hinsichtlich des Wärmeverbrauchs gibt es genauso nennenswerte Unterschiede je nach Bauzeit des Gebäudes. So ist festzustellen, dass ganz alte Gebäude in der Regel mit einem höheren Wärmeschutz versehen sind als die Gebäude, die in den 1960er und 1970er Jahren bei niedrigen Ölpreisen errichtet wurden. Nach etwa 30 Jahren müssen Gebäude wesentlich saniert werden. Dann bietet sich auch die wärmetechnische Sanierung der Gebäudehülle an. Sie ist zu diesem Zeitpunkt mit den geringsten Zusatzkosten zu erreichen. Das Einsparpotenzial kann durch einen Vergleich von Gebäuden, die unterschiedliche wärmetechnische Standards besitzen, verdeutlicht werden. Üblicherweise wird der Heizenergiebedarf in Kilowattstunden pro m2 Wohnfläche und Jahr oder aber in Heizöläquivalent (oder Erdgasäquivalent pro m2 und Jahr) angegeben. Vergleicht man die Werte für freistehende Einfamilienhäuser, so ergibt sich in Abhängigkeit vom Dämmstandard folgende Reihung: – Unsanierte Gebäude, die vor 1970 gebaut wurden: Sie benötigen um die 20 Liter Heizöl (oder 20 m3 Erdgas) pro m2
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Wohnfläche und Jahr zum Beheizen, wobei der Verbrauch besonders schlechter Gebäude bis zu 30 Liter Heizöl pro m2 betragen kann. – Gebäude, die in den alten Bundesländern nach der Wärmeschutzverordnung von 1982 gebaut wurden: Sie benötigen etwa 15 Liter Heizöl (oder 15 m3 Erdgas) pro m2 Wohnfläche und Jahr zum Beheizen. – Gebäude, die nach der Wärmeschutzverordnung von 1995 gebaut wurden: Sie benötigen etwa 9 Liter Heizöl (oder 9 m3 Erdgas) pro m2 Wohnfläche und Jahr zum Beheizen. – Niedrigenergiehäuser, also Häuser, die die Anforderungen des geltenden Energiespargesetzes um 30 % unterschreiten: Sie benötigen nur 6 Liter Heizöl (oder 6 m3 Erdgas) pro m2 Wohnfläche und Jahr zum Beheizen. In allen diesen Vergleichsfällen wurde ein Wohngebäude gleicher Geometrie zugrunde gelegt. Der Wärmebedarf eines Gebäudes wird nämlich durch verschiedene Faktoren bestimmt. Der wichtigste Faktor dabei ist die wärmetechnische Ausführung der Hülle und der Fenster. Der zweitwichtigste Einfluss ist der Umgang mit der Lüftung. Dauerndes Kippen der Fenster kann den Luftaustausch vier Mal so groß werden lassen, als er aus hygienischen Gründen notwendig ist. Damit geht viel Wärme unnötig verloren. Ein weiterer wichtiger Einfluss übt das Verhältnis zwischen Oberfläche des Gebäudes und Wohnfläche, also die Geometrie, aus. Je kompakter ein Gebäude ist, umso weniger Wärmeenergie benötigt es. Die neueste Entwicklung läuft in Richtung des sogenannten Drei-Liter-Hauses und des Passivhauses. Das Drei-Liter-Haus ist ein sehr sparsames Niedrigenergiehaus, dessen Heizwärmebedarf bei 3 Liter Heizöl pro m2 und Jahr liegt. Passivhäuser dagegen haben noch geringere spezifische Wär-
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meverbräuche. Per Definition werden Gebäude, deren Heizwärmebedarf unter 1,5 Liter pro m2 und Jahr liegt, als Passivhaus bezeichnet. Davon wurden inzwischen einige tausend Exemplare in Deutschland gebaut. Wichtig zur Einhaltung dieser niedrigen Energieverbräuche ist eine kontrollierte Lüftung. Der Luftaustausch darf nicht größer als notwendig sein, damit Wärme nicht unnötig verloren geht. Um diese Wärmeverluste zu begrenzen, werden die Lüftungsanlagen in der Regel mit Wärmerückgewinnung ausgeführt. Die aus dem Gebäude abgegebene Luft gibt ihre Wärme über einen Wärmetauscher zum Aufwärmen an die von außen dem Gebäude zugeführte Luft. Während in Altbauten die Wärmeverluste durch die Wände maßgebend sind, spielen in Niedrigenergiehäusern die Lüftungsverluste die gleiche Rolle wie die Wärmeverluste durch Wände und Fenster. Technische Entwicklungen laufen dahin, zukünftig auch Energieanlagen über die Vernetzung von Fenster und Heizungsanlagen zu steuern. Das intelligente Haus erkennt, wenn Fenster geöffnet sind und gleichzeitig der Heizkörper unter dem Fenster eingeschaltet ist. Es muss berücksichtigt werden, dass die oben angegebenen Verbrauchswerte nur der sogenannte Heizenergiebedarf ist. Das ist die Wärmemenge, die dem Gebäude zugeführt werden muss, um die gewünschte Temperatur zu halten. Bei der Umwandlung der Energie des Heizöls oder des Erdgases im Heizkessel zu Wärmeenergie für das Gebäude können noch – je nach installiertem Heizgerät – Verluste von bis zu 10 % auftreten. Der vom Bewohner bezogene Energieverbrauch erhöht sich um diesen Betrag. Die Zahlen verdeutlichen, dass ein Einfamilienhaus, bei dem beispielsweise 120 m2 Wohnfläche im Schnitt beheizt werden, je nach wärmetechnischer Bauausführung 2400 Liter
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Heizöl pro Jahr (unsanierter Altbau) oder nur 700 Liter Heizöl pro Jahr (Niedrigenergiehaus) zuzüglich der Umwandlungsverluste im Heizkessel von 10 % benötigen kann. Bei Heizölpreisen von 65 Ct pro Liter bedeutet das einen Unterschied in der Energierechnung von 1200 € pro Jahr. Mehrfamilienhäuser haben bei gleichem bautechnischen Zustand einen um 10 bis 15 % geringeren Heizenergiebedarf, weil bei ihnen das Verhältnis Oberfläche zu Wohnfläche kompakter ist. Gebäude sind »Energieumwandlungsgeräte« mit sehr langer Lebensdauer. Deshalb ist es wichtig, das Energieeinsparpotenzial im bestehenden Gebäudebestand vorrangig zu erschließen, auch wenn die Verbesserung des Wärmedämmstandards in Neubauten einfacher zu erreichen ist. Fälle aus der Praxis belegen, dass es möglich ist, Gebäude aus den 1950er Jahren bei einer Grundrenovierung auf das Niveau der Wärmeschutzverordnung von 1995 zu bringen. Der Energieverbrauch wird halbiert. Bei derzeitigen Energiepreisen rechnen sich diese Maßnahmen auch betriebswirtschaftlich. Darüber hinaus versucht der Staat durch günstige Investitionskredite einen höheren Wärmeschutz einzuführen. Einsparpotenziale im Gebäudebereich benötigen zu ihrer Realisierung Zeiträume von mehreren Jahrzehnten. Unterstellt man die Sanierung aller Gebäude, die vor 1990 gebaut wurden, innerhalb der nächsten 40 Jahre, so lassen sich Einsparpotenziale in einer Höhe von 30 % des heutigen Raumwärmebedarfs erschließen. Hochgerechnet auf den Primärenergiebedarf Deutschlands würde dies eine Minderung um 6 % bewirken. Die wärmetechnische Sanierung des Gebäudebestandes ist somit ein Schlüsselbaustein zukünftiger Energieversorgung.
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14.3 Der Konflikt zwischen Verbraucherverhalten und Energieeffizienz Während die Gebäude, die elektrischen Geräte und die Fahrzeuge energetisch verbessert werden, hat der Verbraucher seine Ansprüche hinsichtlich zu beheizender Fläche, Ausstattung mit Geräten und zu fahrender Kilometer erweitert. Deshalb konnten nicht alle technisch bedingten Einsparpotenziale auch den Energieverbrauch senken. Vier Beispiele verdeutlichen die Tendenzen: – Im Zeitraum von 1995 bis 2003 nahmen die im Individualverkehr von PKWs gefahrenen Personenkilometer von 740 Mrd. auf 820 Mrd. zu. Gleichzeitig verringerte sich technisch bedingt der durchschnittliche spezifische Verbrauch der Fahrzeuge von 9 Liter auf 8,4 Liter pro 100 km. Trotzdem ist als Folge der gesamte Treibstoffverbrauch in diesem Zeitraum um 3 % angestiegen. – Der Wohnflächenbestand in Deutschland nahm im gleichen Zeitraum von 1995 bis 2003 von 3 Mrd. m2 auf 3,38 Mrd. m2 zu. Infolge besserer Wärmedämmung fiel der Endenergieverbrauch für die Beheizung von 19,6 Liter Heizöl pro m2 Wohnfläche auf gut 17 Liter Heizöl pro m2 Wohnfläche. Als Folge des Wohnflächenanstiegs verringerte sich der Energieverbrauch absolut gesehen aber nicht. Dies gilt auch beim Rückblick auf längere Zeiträume beispielsweise für den Zeitraum von 1980 bis 2003. – Die Energieeffizienz der elektrischen Geräte wird ebenfalls besser. Die Ausstattung der Haushalte mit elektrischen Geräten nimmt dagegen zu. Im Zeitraum von 1997 bis 2005 verringerte sich der spezifische Stromverbrauch für Audio-, Video- und Datenverarbeitungsgeräte um 11 %, der Bestand nahm jedoch um 13 % zu. Die Folge war, dass sich
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der Stromverbrauch insgesamt für diese Gerätegruppe leicht erhöhte. Gleiches gilt auch für die Ausstattung mit der weißen Ware, Kühlgeräte, Waschmaschinen, Geschirrspüler etc. Ihr spezifischer Energieverbrauch nahm ebenfalls im Mittel um 11 % ab, jedoch der Gerätebestand um 13 % zu, mit der Folge, dass sich der Stromverbrauch auch für diese Gruppe leicht erhöhte. – Lediglich im Bereich der Industrie ist ein abnehmender Energieverbrauch zu erkennen. Bei gleichbleibender Wertschöpfung im Zeitraum von 1995 bis 2003 fiel der spezifische Energieverbrauch pro Euro Wertschöpfung um 11 %, dadurch bedingt der absolute Endenergieverbrauch um 9 %. Der Wunsch nach weiterer Komfortsteigerung führt dazu, dass neue Geräte in den Markt eingeführt werden. Als Beispiel seien die Kompaktklimaanlagen genannt, die für heiße Sommertage angeboten werden und große Beachtung beim Käufer finden. Sie erhöhen den Strombedarf über das bisherige Maß hinaus. Die genannten Beispiele belegen, dass eine wesentliche Ausschöpfung der Energieeinsparpotenziale nicht allein mit technischen Maßnahmen zur Verbesserung der Energieumwandlung, also der Erhöhung der Energieeffizienz der Geräte, erreicht werden kann. Genauso wichtig ist das Verhalten der Menschen. Sie müssen zur Erschließung der Einsparpotenziale mit beitragen, indem sie beispielsweise weniger Wohnfläche beheizen und weniger Kilometer zurücklegen. Klassifiziert man die Möglichkeiten, den Energieverbrauch zu mindern, dann zeigt sich, dass durchaus je 10 % Einsparung über verhaltensbedingte und organisatorische Maßnahmen erzielbar sind. Wesentliche Einbußen beim Lebensstandard sind damit nicht verbunden. Zur Umsetzung weiterer
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Einsparpotenziale müssen investive Maßnahmen ergriffen werden. Einsparpotenziale durch Veränderung des Verhaltens können in kurzen Zeiträumen erschlossen werden, wenn die Menschen es möchten. Technisch bedingte Energieeffizienzsteigerungen dagegen sind an die Gerätelebensdauer gebunden. Sie lassen sich somit erst in Zeiträumen zwischen acht (Auto, Haushaltsgeräte) und 30 Jahren (Gebäude) umsetzen. Energieeinsparen und Effizienzsteigerungen erfordern millionenfache Einzelmaßnahmen. Jede für sich ist politisch gesehen wenig spektakulär. Deshalb steht im politischen Raum auch die Förderung der Energieeinsparung weniger im Rampenlicht als der Ausbau erneuerbarer Energien.
15 Wasserkraft und Biomasse Die Natur nutzt 1/4 der von der Sonne auf die Erde eingestrahlten Energie, um Wasser zu verdunsten. Das Wasser erreicht die Erde wieder als Regen oder Schnee, es speist die Flüsse und ermöglicht somit die Nutzung der kinetischen Energie des Wassers zum Antrieb von Generatoren zur Stromerzeugung. Bereits im Mittelalter wurde die Wasserkraft für Mühlen oder mechanische Antriebe genutzt. Seit Einführung der Elektrizität ist sie eine bewährte Stromerzeugungsquelle. Nur 1 % des auf der Erde eingestrahlten Sonnenlichtes dagegen nutzt die Natur, um über Photosynthese Biomasse mit einem Kohlenstoffgehalt von etwa 50 % aufzubauen. Im weltweiten Mittel wachsen jährlich etwa 12 Tonnen (trockene) Biomasse pro Hektar – 1 Hektar entspricht 100 m x 100 m = 10000 m2 – grüner Landfläche. Biomasse wird ebenfalls seit Beginn der Menschheit als wichtiger Bestandteil der Nahrungsmittelkette, aber auch durch Verbrennung von Holz als Energieträger genutzt. Moderne Verfahren ermöglichen zudem, die verschiedensten Formen von Biomasse zu vergasen, um daraus marktfähige gasförmige Energieträger herzustellen oder aber die Biomasse zu verflüssigen, um gut speicherbare flüssige Energieträger zur Verfügung zu haben. Diese können im Verkehrssektor eingesetzt werden. Es lohnt sich, die beiden Optionen etwas detaillierter anzuschauen.
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15.1 Wasserkraft Die Wasserkraft wird heutzutage so gut wie ausschließlich zur Stromerzeugung genutzt. Die kinetische Energie des Wassers treibt Turbinen an, die ihrerseits einem Generator mechanische Energie zuführen. Dieser erzeugt Elektrizität. Letztendlich wird die potenzielle Energie genutzt, der Höhenunterschied des Wassers, der durch den Regen auf unterschiedlich hohe Landflächen oder durch die Schneeschmelze von höheren Bergen entstanden ist. Die Wasserkraftanlagen können unter diesen Umständen eine gesicherte elektrische Leistung abliefern, d. h., zumindest das Mindestangebot an Wasserkraft ist gut abschätzbar und somit der Energieträger Wasserkraft gut in die Versorgung der Verbraucher einzubinden. In der Energietechnik werden die Anlagen zur Wasserkraftnutzung an Flüssen als Laufwasserkraftwerke bezeichnet. Laufwasserkraftanlagen sind von den Investitionskosten her gesehen teure Anlagen. Es müssen große Erdmassen bewegt werden, es gilt große Betonbauwerke zu erstellen. Bezogen auf die gleiche Leistung sind diese Anlagen bezüglich ihrer Baukosten vier- bis achtmal so teuer wie ein Steinkohlekraftwerk. Dafür bieten die Wasserkraftwerke den Vorteil einer sehr hohen Lebensdauer und niedriger Betriebskosten. Über lange Zeiträume hinweg gesehen, zählen Wasserkraftanlagen deshalb zu den billigeren Stromerzeugungsanlagen. Eine zweite Art, die Wasserkraft zu nutzen, geschieht in Form von Pumpspeicherkraftwerken. In diesem Falle wird das Wasser zunächst in einem hoch gelegenen Stausee gesammelt. Das Wasser im Stausee wird aus den Bächen und Flüssen aus einem relativ großen Einzugsgebiet um den Stausee herum eingeleitet. Oftmals werden aus Naturschutzgründen nicht die vollständigen Wassermengen dem Staubecken zuge-
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führt, sondern nur etwa 80 % des durch die Wasserläufe zur Verfügung stehenden Wassers. Das Speicherbecken wird aus zwei unterschiedlichen Überlegungen heraus angelegt. Zum einen dient es dazu, die potenzielle Energie des Wassers zu speichern. Zu jeder Jahreszeit kann Wasser aus dem Becken entnommen werden und in einem im Tal gelegenen Kraftwerk zur elektrischen Energieversorgung beitragen. Damit ist es möglich, beispielsweise im Herbst das im Frühjahr anfallende Wasser der Schneeschmelze zu nutzen. Zum anderen hat das Speicherbecken die Aufgabe, kurzfristig auftretende Spitzen in der Nachfrage nach Strom abzudecken. Die Industriebetriebe und die Haushalte benötigen nicht gleichermaßen viel Elektrizität rund um die Uhr. Nachts sind die Produktionsanlagen und Geräte ausgeschaltet. Dagegen werden gegen Mittag zusätzlich die Kochherde benötigt, und wenn die Menschen abends von der Arbeit nach Hause kommen, werden die Waschmaschine und der Trockner beladen und das Fernsehgerät eingeschaltet. So entsteht zu bestimmten Tageszeiten ein Mehrverbrauch an Elektrizität. Auf der Kraftwerksseite muss dann eine größere elektrische Leistung zur Verfügung gestellt werden. Extrem groß sind solche Spitzen in den Pausen von Fußballspielen. Solange die Fußballfans ihrer Mannschaft zuschauen, sind die Wohnungen abgedunkelt und viele elektrische Geräte ausgeschaltet. Bei Beginn der Halbzeitpause wird das Licht eingeschaltet: im Wohnzimmer, in der Küche, beim Öffnen des Kühlschrankes, beim Gang zur Toilette. Dies geschieht gleichzeitig in 20 Mio. Wohnungen. Entsprechend schnellt innerhalb von Sekunden der Bedarf an elektrischer Energie hoch. Pumpspeicherwasserkraftwerke sind nun die technische Lösung, zusätzliche elektrische Energie zur Verfügung zu stellen. Der Schieber vor der Turbine muss geöffnet werden, und schon dreht sich innerhalb von zwei Minuten die
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Turbine, und der elektrische Generator erzeugt Strom. Andere Möglichkeiten, schnell Strom zu erzeugen, sind Gasturbinen, wie man sie beispielsweise vom Flugzeug kennt. Auch sie sind schnell startbar und können bei derartigen Spitzen mithelfen. Dort wo wenig natürlicher Wasserzulauf vorhanden ist, werden Pumpspeicherkraftwerke für diese Zwecke gebaut. In diesem Falle legt man zwei Speicherbecken an – eines im Tal und eines auf dem Berg – und nutzt die Wasserinhalte zur Stromerzeugung. Wird viel Strom gebraucht, läuft Wasser vom oberen Becken in das untere. Wird dagegen wenig Strom gebraucht, beispielsweise nachts, wird Strom aus dem elektrischen Netz entnommen, um das Wasser wieder hoch zu pumpen. Große Pumpspeicheranlagen, die diese Aufgaben wahrnehmen, sind beispielsweise die Anlage in Herdecke an der Ruhr, eines der ältesten Pumpspeicherkraftwerke weltweit, die große Anlage in Vianden in Luxemburg und das technisch weltweit modernste Pumpspeicherkraftwerk in Goldisthai in Thüringen. Schaut man sich das Betriebsdiagramm dieser großen Anlagen an, so stellt man rege Geschäftigkeit über den Tag fest. Es ist durchaus keine Seltenheit, dass über 24 Stunden hinweg rund 50-mal elektrische Energie erzeugt wird und auch 50-mal im Pumpbetrieb wieder Wasser nach oben gepumpt wird. Neben der bisher beschriebenen Aufgabe des Pumpspeicherkraftwerkes, Spitzen abzudecken, kommt noch eine zweite hinzu. Aus physikalischen Gründen benötigt der elektrische Verbraucher eigentlich nicht nur elektrische Energie. Vielmehr benötigt er zwei Formen der elektrischen Energie: Die Wirkleistung, die z. B. die Wärme am Herd erzeugt, oder eine Antriebskraft wie z. B. in der Bohrmaschine. Damit sich die Bohrmaschine aber drehen kann, müssen magnetische Felder auf- und abgebaut werden, also Blindleistung vorhanden sein.
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Auch diese muss zu jedem Zeitpunkt in der vom Verbraucher benötigten Höhe durch den elektrischen Generator zur Verfügung gestellt werden. Pumpspeicherkraftwerke werden hierfür sehr häufig eingesetzt, weil sie schnell reagieren können. Während ein Laufwasserkraftwerk ein echter Energieerzeuger ist, ist ein Pumpspeicherkraftwerk, das nur zur Abdeckung von Spitzen dient und keinen zusätzlichen Zulauf in das obere Speicherbecken hat, eigentlich ein Energieverbraucher. Um das Wasser auf den Berg zu pumpen, wird elektrische Energie zum Beispiel aus Kohlekraftwerken eingesetzt. Die Pumpen arbeiten nicht verlustfrei, der elektrische Antrieb der Pumpen ist ebenfalls nicht verlustfrei, die Rohrleitungen sind nicht verlustfrei. Läuft das Wasser nun wieder den Berg herunter, verursacht es auch hier Reibungsverluste in den Rohren. Danach treibt es die nicht ganz verlustfreie Turbine an und diese wiederum den nicht ganz verlustfreien elektrischen Generator. Von 100 kWh elektrischer Leistung, die zum Antrieb der Pumpe aus dem Netz gewonnen werden, können in modernen Anlagen letztendlich 80 kWh wieder als Strom zu einer anderen Tageszeit aus dem Generator entnommen und ins Netz gegeben werden, 20 kWh sind dagegen nach den Gesetzen der Physik in technisch unbrauchbare Wärme umgewandelt worden. Pumpspeicherkraftwerke sind nach dem heutigen Stand der Technik die einzige Art, große Mengen an elektrischer Energie über den Umweg der potenziellen Energie zu speichern. Kein anderes Speichermedium kann das in einer solchen Größenordnung tun. Deswegen werden Pumpspeicherkraftwerke auch im Zusammenhang mit der Nutzung erneuerbarer Energien diskutiert. Zum einen ergibt sich die Möglichkeit, das Wasser mit Hilfe von Strom aus Windenergieanlagen in das obere Becken zu pumpen. Damit wäre eine Entkopplung des
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Windenergieangebots von der Nachfrageseite erreichbar. Zum anderen könnte man vermehrt Pumpspeicherkraftwerke bauen, um sie einzusetzen, wenn aufgrund der Launen des Windes schnell konventionelle Kraftwerke hoch- oder runtergefahren werden müssen. Berücksichtigt werden muss bei diesen Überlegungen, dass in Deutschland gute Windstandorte weit von Mittelgebirgen, in denen Pumpspeicherkraftwerke gebaut werden könnten, entfernt sind. Weltweit werden 16 % des Stromes aus Wasserkraft erzeugt. In einigen Ländern ist die Wasserkraftnutzung der wichtigste Beitrag zur Stromerzeugung. So erzeugen Norwegen 99 %, Brasilien 84 % und Kanada 58 % ihres Stromes aus Wasserkraft. In Deutschland sind es gut 4 % des Stromverbrauchs. Während die weltweiten Kapazitäten zur Nutzung von Wasserkraft noch nicht erschöpft sind, besteht in Deutschland dagegen nur noch wenig Ausbaupotenzial. Dieses besteht zum größten Teil nicht im Bau neuer Wasserkraftanlagen, sondern in der Modernisierung und Erweiterung bestehender Anlagen. So kann beispielsweise durch den Umbau des Wasserkraftwerkes Rheinfelden am Oberrhein die Leistung um das Vierfache von 26 MW auf 100 MW gesteigert werden. In den 1990er Jahren wurden viele in der Vergangenheit stillgelegte Kleinwasserkraftwerke wieder reaktiviert. So sind in Deutschland fast 5000 kleine Wasserkraftanlagen (< 5 MW) in Betrieb. Der weitaus größte Anteil an den 4 % Stromerzeugung aus Wasserkraft kommt jedoch nicht von diesen Kleinanlagen, sondern von den 120 größeren Anlagen (> 5 MW), die nicht wie die meisten Kleinanlagen von Privatleuten, sondern von Elektrizitätsversorgungsunternehmen an den größeren Flüssen betrieben werden. Sie liefern alleine aufgrund ihrer Größe und der übers Jahr hinweg gesehenen größeren
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Verfügbarkeit von Wasser 80 % der jährlich erzeugten Strommenge aus Wasserkraft. An weltweiten Maßstäben gemessen sind auch die »großen« deutschen Wasserkraftwerke »klein«. Eine Stromerzeugungseinheit in einem modernen Steinkohlekraftwerk hat eine Leistung von 700 MW. Sie könnte also statistisch gesehen den Bedarf einer Großstadt von rund 700000 Einwohnern decken. Das Pumpspeicherkraftwerk Goldisthai liegt ebenfalls in dieser Leistungsgröße. Das größte Laufwasserkraftwerk in Deutschland dagegen hat nur etwa 20 % dieser Leistung. Dies hängt schlichtweg mit dem verfügbaren Wasserangebot und der nutzbaren Höhendifferenz zusammen. Man überzieht deshalb die Flüsse wie den Oberrhein mit einer Kaskade von hintereinander geschalteten Kraftwerken. An der Mosel und anderen Flüssen sind diese noch mit Schiffsschleusen versehen, damit die Schiffe den Höhenunterschied des angestauten Wassers überbrücken können. Oftmals werden dadurch aber auch die Flüsse erst schiffbar gemacht. An anderen Stellen auf der Welt dagegen wurden an deutschen Verhältnissen gemessen geradezu gigantisch große Kraftwerksleistungen installiert. Die weltgrößten Speicherkraftanlagen befinden sich in China (Drei-Schluchten-Projekt), in Südamerika (Itaipu an der Grenze Brasilien / Paraguay) und in Sibirien (z. B. Bratsk). An den großen Staumauern dort sind elektrische Leistungen installiert, die bis zum 15fachen der Leistung eines einzelnen Steinkohleblockes betragen. Die in Itaipu installierte Leistung würde ausreichen, Belgien und Luxemburg mit elektrischer Energie zu versorgen. Wasserkraftanlagen dieser Größenordnung sind erhebliche Eingriffe in die Natur und auch in den Lebensraum von Menschen. Pressemitteilungen zufolge wurden alleine für das DreiSchluchten-Kraftwerk in China eine Million Menschen um-
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gesiedelt. Auch unter dem Blickpunkt des Risikos eines Bruches der Staumauer stellen derart große gespeicherte Wasserkraftmengen eine potenzielle Gefährdung dar. Bei einem Bruch würden große Gebiete mit vielen Menschen in Mitleidenschaft gezogen. Erneuerbare Energien, lokal in dieser Größenordnung genutzt, sind nicht mehr umweltneutral. Bereits bei Laufwasserkraftwerken in der Größenordnung, wie sie in Deutschland realisiert sind, müssen eine Reihe von ökologischen Ausgleichsmaßnahmen geschaffen werden. Dazu zählen die Anlage eines naturnahen Fischaufstiegs- und Laichgewässers oder zum Beispiel die Schaffung von Auwäldern. Die Wasserkraft bietet noch ein weiter erschließbares weltweites Potenzial zur Stromerzeugung. Ihre Nutzung hat den Vorteil, dass sie abgesehen vom Landbedarf nicht mit dem Verzehr von weiteren Ressourcen und mit der Emission von Luftschadstoffen und Klimagasen verbunden ist. Wasserkraft ist speicherbar, bei Laufwasserkraftwerken ist die Mindestmenge an Wasser vorhersehbar, und somit ist die Wasserkraft gut in die elektrische Energieversorgung, die durch den Verbraucher bedingten Schwankungen und der Nachfrage unterliegt, einzubinden.
15.2 Biomasse Über die Bedeutung des Holzes für die Versorgung ländlicher Gebiete in den Entwicklungsländern wurde bereits berichtet (Seite 80). Dies ist deshalb nicht mehr Gegenstand der folgenden Betrachtung. Es geht nun vielmehr um eine Abschätzung der Potenziale, die die Biomasse zur Energieversorgung in Industrie- und Schwellenländern hat. Neben Holz fallen weitere
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Biomassen an (Abb. 14). Dies sind die landwirtschaftlichen Abfälle, Müll und Klärgas aus Mülldeponien. Über unterschiedliche Verfahren können die unterschiedlichen Biomassefraktionen zu Gasen, zu Alkoholen oder zu Ölprodukten umgewandelt werden.
Abb. 14 Formen der Biomasse und Umwandlung zu unterschiedlichen Energieträgern
Biomasse ist deshalb in der Lage, sich unterschiedliche Einsatzgebiete in der Energieversorgung zu erschließen. Das Gas kann zum Beispiel als Heizgas zum Beheizen von landwirtschaftlichen Gehöften oder aber benachbarten Gebäuden verwendet werden. Möglich ist es auch, das Biogas bei entsprechender chemischer Konditionierung – Biogas besteht zu 50– 70 % aus Methan, 30–40 % Kohlendioxid sowie Spuren von Schwefelwasserstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Kohlen-
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monoxid – als Beigas in das bestehende Erdgasversorgungssystem einzuspeisen. Alkohole können Rohstoffe für die chemische Industrie sein, aber auch in speziellen Fahrzeugflotten im Verkehrssektor verwendet werden. So hat beispielsweise Brasilien in den 1980er Jahren als Folge der gestiegenen Ölpreise ein großes Ethanolprogramm gestartet. Ethanol wurde aus auf landwirtschaftlichen Flächen angebautem Zuckerrohr gewonnen. Zu Spitzenzeiten wurden über 20 Mio. Fahrzeuge in Brasilien mit Ethanol betrieben. Mit fallenden Weltmarktpreisen beim Öl wurde auch die Anzahl der mit Ethanol betriebenen Fahrzeuge gegen die Jahrtausendwende wieder geringer. In Deutschland schätzt man, dass bezogen auf die Menge der zur Verfügung stehenden Biomasse in den nächsten 25 Jahren bis zu 12 % des heutigen Kraftstoffbedarfs aus Biomasse erzeugt werden könnte. Die Umwandlungsprozesse sind physikalische und chemische Prozesse, die ein hohes Know-how und eine effiziente Verfahrensführung erfordern. Auch ist der Forschungs- und Entwicklungsbedarf in diesem Bereich noch nicht abgedeckt. Die Nutzung von Biomasse ist nicht umweltneutral. Es können insbesondere Luftschadstoffe entstehen, die ebenso wie die Luftschadstoffe bei der Verbrennung von Kohle und Öl über »End-of-pipe-Techniken« vermindert werden müssen. Ein wesentlicher Kostengesichtspunkt bei der Nutzung von Biomasse ist die Sammlung der Biomasse für die weitere Verwendung in der Umwandlungsanlage. Das Einsammeln von Holz oder landwirtschaftlichen Abfällen ist arbeitsintensiv, es müssen längere Entfernungen zurückgelegt werden – letztendlich ist es also teuer. Deshalb kann nicht jeder im Wald liegende Baum in einem Holzkraftwerk verbrannt werden. Es wäre – gemessen an den Bedingungen eines Industrielandes – zu teuer. Am Rande sei erwähnt, dass es auch aus ökologi-
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schen Gründen heraus notwendig ist, eine bestimmte Menge von Biomasse im Wald verrotten zu lassen. Detaillierte Untersuchungen, die von verschiedenen Institutionen erstellt wurden, weisen übereinstimmend die nachfolgenden Potenziale für Biomasse aus: Danach summiert sich die verfügbare Biomasse in Deutschland von der Energiemenge her auf etwa 8 % des gesamten Energieverbrauches und in Europa auf etwa 10 % des derzeitigen Gesamtbedarfs an Primärenergie. Um die Größenordnung der Zahlen zu verdeutlichen, folgen einige Beispiele: Würde man (rein theoretisch) beispielsweise die Hälfte der in Deutschland verfügbar zu machenden Menge aus Biomasse über verschiedene Wege zur Stromerzeugung einsetzen, könnte man daraus etwa 10 % des heutigen Stromverbrauchs decken. Das ist immerhin das Doppelte des Potenzials der Wasserkraft. Würde man nun die andere Hälfte der in Deutschland insgesamt verfügbar zu machenden Biomasse für die Treibstoffherstellung nutzen, so ließen sich etwa 7 Mio. Tonnen Benzin und/ oder Diesel ersetzen. Das wären die vorhin schon genannten 12 % des heutigen Treibstoffverbrauches. Ein entscheidender Vorteil der Biomassennutzung ist vergleichbar dem der Wasserkraftnutzung. Die Energie ist speicherbar und deshalb gut in die bestehende Energieversorgung zu integrieren. Eine Option der Biomassenutzung besteht darin, auf nicht landwirtschaftlich genutzten Flächen Energieplantagen anzulegen. Schnellwachsende Pflanzen, beispielsweise das Miscanthus (eine Art Schilfgras) oder aber für den Verzehr schlecht geeignete Getreidesorten, könnten hier als Energierohstoffe angebaut werden. Versuche haben ergeben, dass bei Miscanthus pro Jahr und Hektar 17 Tonnen geerntet werden können.
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Das entspricht unter Abzug des energetischen Aufwandes zum Anbau und zur Ernte einem Nettoertrag, der genauso viel Energie beinhaltet, wie bei der Nutzung von 5600 Liter Heizöl zur Verfügung stehen. Der Ertrag bei Getreide liegt dagegen nur bei etwa 2/3 von dem des Miscanthus. Gut 11 Tonnen können pro Hektar geerntet werden. Das Heizöläquivalent benötigt rund 3000 Liter. Geht man einmal von Getreideanbau aus, so benötigt eine Familie, die heute mit Öl heizt und natürlich mit Öl Auto fährt, rund einen Hektar, um ihren jährlichen Ölverbrauch über diesen Weg zu substituieren. Bei 20 Mio. Familien in Deutschland wären rein rechnerisch 200000 km2 Fläche oder 56 % der gesamten deutschen Landfläche erforderlich. Die Zahl zeigt, dass die Nutzung der Biomasse über diesen Weg stark begrenzt ist. Auch muss berücksichtigt werden, dass es sich dabei um Monokulturen handelt, die zum einen sehr empfindlich für Schädlingsbefall sind, zum anderen eine hohe Zufuhr von künstlichem Dünger benötigen würden, um die landwirtschaftliche Produktionsfähigkeit des Bodens aufrechtzuerhalten. Beide Aspekte sind aus Sicht der Umwelt nicht unkritisch zu bewerten. Ein weiteres Beispiel verdeutlicht gut die Energiedichten der Biomasse. Es ist die Antwort auf die Frage, wie viele Kühe ein Haushalt statistisch benötigen würde, um seinen Energiebedarf fürs Heizen und zum Autofahren über Biogas zu decken. Ein Kubikmeter Biogas entspricht etwa dem Energieinhalt von 0,6 Liter Heizöl, benötigt werden also rund 5000 m3 Biogas. Eine Kuh produziert pro Tag etwa 10 bis 20 kg Mist. Daraus können 1 bis 2 m3 Biogas hergestellt werden. In einem Jahr schafft es eine Kuh somit, das Energieäquivalent von 300 Liter Heizöl herzustellen. Zehn Kühe reichen für die
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Versorgung des Haushaltes also aus. Die interessierte Leserin und der interessierte Leser möge nun recherchieren, wie groß die landwirtschaftliche Fläche sein muss, um diese zehn Kühe übers Jahr hinweg zu ernähren. Er wird zu dem Ergebnis kommen, dass diese Fläche erheblich größer ist als die, die für den Anbau von Getreide zur Energieversorgung benötigt wird. Grund dafür ist, dass die Kuh eine sehr schlechte »Energiewandlungmaschine« ist – dafür aber eine Vielzahl anderer guter Eigenschaften besitzt. Gut auf dem Wärmemarkt eingeführt haben sich Holzpellets zum Heizen. Sie können vom Lieferfahrzeug aus über Pressluft in Sammelbehälter im Keller eingeblasen werden. Die Heizungsanlagen werden automatisch beschickt, und die Asche muss erst nach einigen Tagen entfernt werden. Vom Komfort her eignen sie sich deshalb genauso wie Öl- oder Gasheizungsanlagen, insbesondere für die Nutzung in Mehrfamilienhäusern. Begrenzte Herstellerkapazitäten für die Holzpellets haben dazu geführt, dass die Preise steigen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Potenzial an verfügbarer Biomasse in Mitteleuropa in der Größenordnung von 10 bis 20 % der derzeitigen Energieverbrauchsmengen liegt. Dabei handelt es sich aber um das technische Potenzial, das nicht in allen Fällen auch wirtschaftlich gegenüber anderen Energieträgern erschlossen werden kann. Wichtig auf der Kostenseite ist es, die Einsammelkosten der Biomasse möglichst gering zu halten. So wie auf der Angebotsseite ein ganzer Strauß unterschiedlicher Biomassen zur Verfügung steht, existiert auch eine Vielzahl von mehr oder weniger ausgereiften technischen Verfahren, die Biomasse direkt in Wärme umzuwandeln oder aber in Gase, Alkohole oder in Öle.
16 Sonnen- und Windenergie Neben der Wasserkraft sind die Sonneneinstrahlung und die Windenergie weltweit gesehen die am meisten genutzten erneuerbaren Energien. Die Sonnenenergie kann dabei in unterschiedlicher Form in Endenergie umgewandelt werden. Zum einen wird die solare Strahlung absorbiert und damit ein Medium wie Wasser erwärmt (thermischer Kollektor). Zum anderen verwendet man das Photon der Sonneneinstrahlung dazu, in einem Halbleiterverbund Ladungsträger beweglich zu machen und Strom zu erzeugen (Photovoltaik). Windenergie wurde früher insbesondere zum Wasserpumpen verwendet. Vor Augen hat man die langsam laufenden Wasserräder aus den Wild-West-Filmen. Dort pumpten die Wasserräder Wasser in den Tank zur Versorgung der Dampflokomotiven. Später wurden schneller laufende Windkonverter entwickelt, die einen elektrischen Generator antreiben, um Strom zu erzeugen. Heutzutage dient die Windenergie weltweit gesehen fast nur noch zur Stromerzeugung. Es lohnt sich, die einzelnen Techniken zur Nutzung erneuerbarer Energien etwas näher zu betrachten.
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16.1 Sonnenkollektoren In ihrer Bauweise einfach gehalten sind Sonnenenergiekollektoren. Ihre Aufgabe ist es, die einfallenden Sonnenstrahlen zu absorbieren und die Energie zur Erwärmung von Wasser zu verwenden. Die einfachsten Anlagen stehen in den Gegenden der Welt, in denen eine hohe Solareinstrahlung vorhanden ist, beispielsweise im Mittelmeerraum oder in Indien. Schwarze Bleche sind mit Rohren versehen, durch die Wasser in einen Tank geleitet wird. Das Blech, Absorber genannt, wandelt die Strahlungsenergie in Wärme um und leitet diese weiter an das Wasser. Aus dem Tank kann dann das warme Wasser entnommen werden, zugleich wird dem System wieder kaltes Wasser zum weiteren Erwärmen zugeführt. In unseren Breiten reichen derart simple Anlagen wegen der geringeren Solareinstrahlung leider nicht aus. Hier muss das einfach schwarz gestrichene Blech ersetzt werden durch einen Flachkollektor. Dieser ist von der Bauform her ein Kasten, in dem das Kollektorblech etwa in der Mitte eingebaut ist. Zur rückwärtigen Seite hin wird es mit einer Wärmedämmschicht versehen, damit die Wärmeverluste gering bleiben. Auf der sonnenzugewandten Seite werden dagegen ein oder zwei Glasscheiben vor das Blech gesetzt. Sie ermöglichen, dass die Anlage effektiver arbeitet, weil weniger Energie durch Abstrahlung verloren geht, wenn das Absorberblech erhitzt wird. Theoretisch gesehen kann mit diesen Anlagen eine maximale Temperatur von bis zu 120 °C erreicht werden. In der Praxis fährt man jedoch die Temperatur so, dass sie nicht allzu sehr über der Temperatur des warmen Wassers liegt, die man gerne hätte. Praktische Betriebstemperaturen des Systems sind also 60 °C. Dann arbeitet die Anlage am energieeffektivsten. So einfach sich das Prinzip nun anhört, umso ausgeklü-
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gelter ist es von der technischen Realisierung her. Das Absorberblech und die Glasplatten sind nicht einfach Rohmaterialien, sondern sie sind selektiv beschichtet. Der Absorber soll im Bereich des sichtbaren Lichtes einen möglichst hohen Anteil absorbieren. Umgekehrt soll er aber dazu beitragen, dass im Bereich der infraroten Strahlung nicht allzu große Abstrahlungsverluste entstehen, weil sonst der Wirkungsgrad der Anlage zu schlecht würde. Also erhält er eine weitere selektive Beschichtung, die dafür sorgt, dass in diesem Spektralbereich weniger emittiert wird. Gleiches gilt für die Glasscheiben. Sie sollen das darauffallende Sonnenlicht wenig reflektieren, es gut durchlassen und dafür sorgen, dass die vom Absorberblech zurückgestrahlte Infrarotstrahlung wieder zurück in Richtung Absorber reflektiert wird. Alles dies gehört inzwischen zum Stand der Technik, macht die Kollektoren zu technisch anspruchsvollen Produkten, kostet aber auch Geld in der Herstellung. Lediglich wenn es darum geht, das Schwimmbad im Garten im Sommer zu beheizen, reichen auch in unseren Breiten ganz einfache Anlagen aus. Leider ist das Strahlungsangebot übers Jahr nicht so verteilt, dass es ganzjährig möglich wäre, den Warmwasserbedarf mit Solarkollektoren zu decken. Kostenseitig optimierte Anlagen, beispielsweise für einen 4-Personen-Haushalt im Einfamilienhaus, haben eine Kollektorfläche von etwa 6 m2, einen Speicher mit rund 300 Liter Wasserinhalt und sind in der Lage, die Wärme für etwa die Hälfte des jährlichen Warmwasserbedarfs zu erzeugen. Die restliche Wärme muss über ein konventionelles Wärmesystem beigesteuert werden, entweder über den Heizkessel oder aber über eine elektrische Zusatzheizung. Unter Kostengesichtspunkten sieht diese Anlage wie folgt aus: Auf dem Markt wird sie für etwa 6000 € inkl. der Montage angeboten. Unterstellt man, dass sie eine Le-
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bensdauer von 20 Jahren hat, so schreibt der Privatmann sie mit 300 € pro Jahr ab. Der Finanzmanager würde noch die entgangenen Zinsen dazurechnen, denn er könnte das Geld ja, statt in die Solaranlage zu investieren, auch auf die Bank bringen. Gleichzeitig spart man etwa 200 m3 Erdgas oder 200 Liter Heizöl jährlich ein, das nicht gebraucht wird, da die Sonnenenergie das Wasser erwärmt. Man erkennt leicht, dass sich bei heutigen Energiepreisen von 60 Ct pro Liter Erdöl die Anlage nicht amortisiert. Trotzdem sind in Deutschland 750000 Solarwärmeanlagen installiert. Ein gutes Maß an Idealismus, aber auch an staatlicher Förderung für diese neue Technik ist der Grund für diesen Stand der Markteinführung.
16.2 Solarkraftwerke Der direkte Anteil der solaren Strahlung, der als parallele Strahlung auf der Erde ankommt, lässt sich mit Hilfe von Spiegeln bündeln. Damit erreicht man höhere Temperaturen. Dies macht man sich in sonnenreichen Gegenden mit großen direkten Strahlungsanteilen zunutze. In Kalifornien wurden im Zeitraum von 1984 bis 1991 neun Solarfarmanlagen errichtet. Das sind große Spiegelfelder aus konzentrierenden Rinnen. Die Rinnen haben die Form einer Parabel, im Fokus der Parabel ist ein Absorberrohr angebracht. Auf das wird die Strahlung hin gebündelt. Durch das Absorberrohr fließt ein Thermoöl, das auf eine Temperatur von 400 °C erhitzt wird. Diese Temperaturen reichen aus, um in einem nachgeschalteten Dampferzeuger Wasser zu verdampfen und damit einen konventionellen Wasserdampfkreislauf für die Stromerzeugung zu betreiben. Alles in allem können gut 15 % der eingestrahlten Sonnenenergie in Elektrizität umgewandelt werden.
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Die restliche Energie geht entweder am Spiegel verloren oder aber kann aufgrund der physikalischen Gesetze eines nachgeschalteten Dampfkreislaufs (Carnot-Prozess) nicht in Elektrizität umgesetzt werden. Die Anlagen in Kalifornien wurden kommerziell gebaut und werden bis zum heutigen Tag kommerziell betrieben. Sie erzeugen tagsüber Strom, wobei sie garantieren müssen, dass sie die festvereinbarten Mengen liefern. Deshalb sind sie mit einem Speichersystem, in Form von Speichertanks für das heiße Öl, oder aber mit einem gasgefeuerten Zusatzbrenner ausgestattet. Bei guten Einstrahlungsbedingungen vor Ort muss dieses Back-up-System jedoch weniger als 15 % der gesamten Elektrizität erzeugen. Rund 350 MW, das entspricht der Hälfte der Leistung eines Generators in einem modernen Steinkohlekraftwerk, sind insgesamt südöstlich von Los Angeles installiert. Sinkende Gaspreise und ausbleibende steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten führten dann in den 1990er Jahren dazu, dass diese Technik nicht mehr wirtschaftlich konkurrenzfähig war. Ihr weiterer Ausbau unterblieb. Erst im Jahre 2005 wurden wieder ernsthafte Projektarbeiten für den Bau einer weiteren Anlage aufgenommen. Die Technik an sich arbeitet sehr zufriedenstellend. Eine zweite interessante Bauweise mit dem gleichen Ziel sind die Solarturmanlagen. Davon existieren einige wenige als Test- und Prototypanlagen: in den USA, in Frankreich, in Japan, in Italien, in Russland und im europäischen Versuchszentrum für Solartechnik in Almeria in Spanien. Nicht mehr alle Versuchsanlagen sind in Betrieb. Bei dieser Technik werden um einen 50 bis 100 Meter hohen Turm herum flache Spiegel – Heliostaten genannt – aufgestellt. Sie werden dem Sonnenstand nachgeführt, und die einfallende Sonnenenergie wird exakt auf die Turmspitze reflektiert und dort konzen-
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triert. Auf der Turmspitze befindet sich der Receiver, letztendlich ein Wärmetauscher. In ihm wird die Energie der absorbierten Solarstrahlung an Kühlmedien, je nach Anlage Luft, Natrium oder Wasser, weitergegeben. Über einen weiteren Wärmetauscher wird Dampf erzeugt, der dann wieder ein konventionelles Dampfkraftwerk betreibt, um Strom zu erzeugen. Der Vorteil dieser Technik gegenüber den Solarfarmanlagen liegt darin, dass höhere Temperaturen für den Dampfkreisprozess zur Verfügung gestellt werden können und damit die Energieeffizienz erhöht werden kann. Trotzdem ist diese Technik bisher nicht über den Prototypstand hinausgekommen. Zum einen ist sie im Vergleich zu den heutigen Gas- und Ölpreisen nicht wirtschaftlich, zum anderen hat sie die bereits in der Praxis seit nunmehr über 15 Jahren angewendete Solarfarmanlagentechnik zur Konkurrenz. Der Reiz, damals in Kalifornien Solartechnik zur Stromerzeugung aufzubauen, lag unter anderem auch darin, dass zusätzliche Kraftwerkskapazitäten zur Abdeckung des erhöhten Strombedarfs tagsüber durch die Klimaanlagen im Sommer benötigt wurden. Es herrscht dort also eine gute Übereinstimmung zwischen Solarangebot und Elektrizitätsnachfrage. Dies ist in Mitteleuropa nicht der Fall. Hier liegt die größte Elektrizitätsnachfrage in den Wintermonaten, in denen in der Regel das Solarangebot geringer ist als im Sommer. Werden Solaranlagen in die konventionelle Stromerzeugung mit eingebunden, gilt der gleiche Aspekt wie bei der Windenergie. Die fluktuierende Angebotsseite führt dazu, dass für die elektrische Energieversorgung die gelieferte Leistung des Kraftwerkes nicht gesichert ist. Man muss damit rechnen, dass sie nicht zur Verfügung steht, wenn man sie braucht. Deshalb kann mit dieser Technik zwar Erdöl, Kohle oder Gas eingespart werden. Der Bau zusätzlicher Kraftwerke, die sie bei Bedarf ersetzen,
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kann aber nicht vermieden werden. Dies erschwert auf der Kostenseite die Einführung von Solarkraftwerken in die elektrische Energieversorgung so erheblich, dass sie bis heute nicht stattfand.
16.3 Photovoltaik Als photovoltaischen Effekt bezeichnet man das Entstehen einer elektrischen Spannung in einem Festkörper durch die Absorption von Licht. Der photovoltaische Effekt an sich wurde bereits vor 150 Jahren entdeckt. Photovoltaikzellen bestehen aus zwei hauchdünnen Halbleiterschichten von maximal 0,3 mm Dicke insgesamt (Abb. 15). Diese sind unterschiedlich dotiert, d.h. mit unterschiedlichen Fremdatomen »verunreinigt«. In der einen Schicht führt dies dazu, dass eine Bindung frei ist und durch ein Elektron besetzt werden kann (p-leitende Schicht), in der anderen Schicht dazu, dass ein Elektron zu viel vorhanden ist, das für die Bindung der Siliziumatome miteinander nicht genutzt wird (n-leitende Schicht). Es kann mit wenig zusätzlicher Energie abgelöst werden und sich deswegen frei bewegen. Als Folge baut sich im Halbleiter im Grenzbereich der beiden Schichten ein elektrisches Feld auf. Dieses sorgt wiederum dafür, dass sich die nun durch das einfallende Sonnenlicht energetisch frei beweglich gemachten Elektronen nach außen durch den Stromkreis bewegen. Somit ist es möglich mit Hilfe des einfallenden Lichtes und seiner Energie elektrische Energie zu erzeugen. Das Faszinierende an Photovoltaikanlagen ist, dass sie keine beweglichen Teile haben, keine Geräusche von sich geben und eigentlich auch keinem Verschleiß unterliegen.
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Abb. 15 Schematischer Aufbau einer Photovoltaikzelle aus Silizium zur Stromerzeugung mit Hilfe von Sonnenlicht
Bevorzugtes Material ist Silizium in unterschiedlichen Formen: als monokristallines Silizium mit hoher Güte, als multikristallines Silizium oder als amorphes Silizium. Neben Silizium kommen weitere Halbleiterverbindungen in Frage und haben sich zum Teil bereits ihren Marktanteil erobert. Es sind Gallium Arsenid (GAs), Kupfer-Indium-Diselenit (CIS) und einige andere. Das Photovoltaikmodul ist aber etwas dicker und schwerer, als man bei einer 0,3 mm dicken Siliziumschicht erwarten würde. Sie muss in Form gehalten werden, die elektrische Energie muss über Kontaktplatten und -finger abgegriffen werden, und letztendlich muss alles durch eine Einbettung zwischen Glasscheiben mechanisch geschützt werden. Verfügbar sind aber auch auf Basis von amorphem Silizium Photovoltaikmatten, die auf der Rückseite einen etwas dickeren Kunststoff haben und auf der Vorderseite durch eine dünne
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durchlässige Kunststoffschicht mechanisch geschützt sind. Die technische Entwicklung ist zwar schon weit fortgeschritten – man kann durchaus von ausgereiften Anlagen sprechen –, aber sie ist bei weitem noch nicht am Ende. Gutfunktionierende Photovoltaikanlagen auf Basis von monokristallinem Silizium sind in der Lage, 15 % des Sonnenlichtes in elektrische Energie umzusetzen. Die eingestrahlte Sonnenenergieleistung beträgt an einem warmen Sommermittag pro m2 Fläche etwa 1100 Watt (an thermischer Energie). Die genannte Solarzelle gibt dann 165 Watt elektrische Leistung ab, ausreichend für den Betrieb von drei Glühbirnen. Übers Jahr gesehen fallen pro m2 Fläche (auf die horizontale Fläche gerechnet) 1000 kWh thermische Sonnenenergie an. Das würde einer elektrischen Leistung von 150 kWh Elektrizität entsprechen. Ein Haushalt mit mittlerer Geräteausstattung verbraucht gut 4000 kWh Elektrizität pro Jahr. Um diesen Bedarf nun über eine Photovoltaikanlage rein statistisch zu decken, müssten 27 m2 aktive Photovoltaikfläche und bei Berücksichtigung der Fläche für die Einrahmung rund 30 m2 Photovoltaikzellen installiert werden. Der Haushalt könnte sich aber nicht vom elektrischen Netz abtrennen, denn die Erzeugung von Photovoltaikstrom folgt ausschließlich der Sonneneinstrahlung, der Verbrauch des Stromes im Haushalt dagegen anderen Regeln. Die für die Photovoltaik benötigte Fläche ist kein wichtiger Faktor. Es hat sich gezeigt, dass fast immer ausreichend Fläche zum Aufbau von photovoltaischen Anlagen zur Verfügung steht. Deshalb kann durchaus eine Photovoltaikanlage von Vorteil sein, die mit wesentlich niedrigerem Wirkungsgrad als die vorhin beschriebenen 15 % beim monokristallinen Silizium arbeitet. Es kommt letztendlich darauf an, wie sich das Preis-Leistungs-Verhältnis darstellt. Amorphes Silizium ist billiger herzustellen als mono-
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kristallines Silizium, hat dafür aber eine geringere Ausbeute des einfallenden Lichtes in elektrischer Energie. Trotzdem kann es im Preis-Leistungs-Verhältnis durchaus eine gute Alternative darstellen. Die Photovoltaik alleine kann die elektrische Energieversorgung eines Verbrauchers nicht sicherstellen. Es müssen Speicher für Elektrizität aufgebaut werden oder aber ein zweites Elektrizitätsversorgungssystem zur Verfügung stehen. In Entwicklungsländern eignet sich Photovoltaik hervorragend zur Versorgung von Telekommunikationsanlagen, von Kühlschränken oder von Fernsehgeräten oder den Betrieb zumindest einer oder zweier Lampen in Häusern. Dabei muss man berücksichtigen, dass weltweit 1,6 Mrd. Menschen noch ohne Anschluss an eine elektrische Stromversorgung leben. Als Speicher für die elektrische Energie kommen dann Batterien, wie wir sie aus Autos kennen, in Frage. Die photovoltaische Stromerzeugung ist im Vergleich zum Strom aus der Steckdose sehr teuer. Große Photovoltaikanlagen, bei denen schon die »Economics of scale« ausgereizt sind, wie die auf dem Dach der Münchner Messe, erzeugen Strom immer noch mit Kosten von 35 Ct pro kWh. Der Strom aus der Steckdose kostet den privaten Verbraucher dagegen gut 17 Ct pro kWh und die Münchner Messe vielleicht 12 Ct pro kWh. Anders sieht die Bilanz jedoch für die genannten Anwendungsgebiete in den Entwicklungsländern aus. Hier wäre die alternative Stromversorgung beispielsweise die mit einem Dieselgenerator. Einschließlich der Transportkosten würde der Preis für den Liter Diesel 1,50 € betragen, daraus können dann 3 bis 4 kWh Elektrizität erzeugt werden, die Kosten liegen somit in der gleichen Größenordnung wie bei Photovoltaik oder sogar noch darüber. Photovoltaik ist also unter die-
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sen Bedingungen wirtschaftlich. Da die Nutzung der Photovoltaik in vielen Fällen von der Speicherfrage abhängt, eignet sie sich in erster Linie für die Anlagen, bei denen kleine Leistungen benötigt werden, z. B. die Versorgung von Fernsehern, Kühlschränken oder Lampen. Bedingt durch die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen für den Ausbau der Photovoltaik in den unterschiedlichen Ländern ist die weltweite Produktion von Photovoltaikmodulen kontinuierlich angestiegen. Im Jahre 2004 lag sie – ausgedrückt in elektrischer Leistung – bei 1,3 Gigawatt (GW). Diese Zahl ist wenig anschaulich und muss durch einen Vergleich eingeordnet werden. Ein Kernkraftwerk hat eine elektrische Leistung von 1,3 GW, am kältesten Tag des Jahres werden in Deutschland zur Aufrechterhaltung einer sicheren Stromversorgung gut 80 GW Kraftwerksleistung benötigt, weltweit sind rund 3600 GW Kraftwerksleistung installiert. Berücksichtigt werden muss aber, dass die maximale Photovoltaikleistung in unseren Breiten nur während wenigen Stunden des Jahres auftritt. Photovoltaik ist trotz aller Erfolge in den letzten Jahren somit noch weit davon entfernt, in energiewirtschaftlichen Dimensionen an der Stromerzeugung beteiligt zu sein. Die in Deutschland installierten photovoltaischen Anlagen tragen mit einem Promille zur Stromerzeugung bei. Der entscheidende Schlüssel, die Option Photovoltaik für die Energieversorgung zu öffnen, liegt in den Industrieländern in einer technisch bedingten Verringerung der Kosten für die Photovoltaikanlagen. Dabei ist die Peripherie der Anlage weitestgehend bekannte Technik, das Kostensenkungspotenzial muss somit von der Photovoltaik selbst herkommen. Die staatliche Unterstützung der Photovoltaik ist vernünftig aus Sicht der Beschleunigung der technischen Entwicklung und
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der Erschließung des Potenzials sowie der Sicherstellung ausreichender Märkte, um eine kritische Industriekapazität aufrechtzuerhalten. Diese kann ihr Geld dann auch in den Nischenmärkten verdienen, in denen Photovoltaik bereits heute wirtschaftlich ist. Die Einführung der Photovoltaik in einer für die Energiewirtschaft bedeutsamen Dimension ist bei dem derzeitigen Kostenniveau nicht möglich. Ein Beispiel möge die Größenordnung der benötigten finanziellen Unterstützung belegen. Wollte man 10 % des deutschen Stromes aus Photovoltaikanlagen erzeugen, so müsste man unter deutschen Einstrahlungsverhältnissen eine photovoltaische Leistung von 50 GW installieren, das ist etwa die Hälfte der im Jahre 2006 in Deutschland in allen Kraftwerken vorhandenen Leistung. Diese große Zahl mag verwundern. Die Erklärung ergibt sich daraus, dass unter deutschen Einstrahlungsbedingungen eine Photovoltaikanlage von einem kW Leistung übers Jahr hinweg gesehen nur knapp 1000 kWh Elektrizität erzeugen kann. In sonnenreichen Gegenden anderswo auf der Welt wäre es das Doppelte. Man kann davon ausgehen, dass bei einer so großen Anzahl von Anlagen die Anlagenkosten noch nennenswert fallen würden und damit auch die Stromerzeugungskosten. Vorhin wurden 35 Ct pro kWh als Preis für den Photovoltaikstrom genannt. Unterstellt man einmal, dass es gelingen würde, den Strom für nur 25 Ct pro kWh zu erzeugen, wäre immer noch eine Differenz zu den heutigen Erzeugungskosten (in neuen Kraftwerken) von etwa 20 Ct pro kWh auszugleichen. Hochgerechnet auf die 10 % Anteil an der Stromerzeugung entspräche das einer Summe von 10 Mrd. € pro Jahr, die für die Photovoltaik aufzubringen wäre. Mit Recht kann man nun einwenden, dass umgerechnet auf die Kilowattstunde dieses alles ein Spiel von einigen wenigen Cent
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ist. Man muss jedoch bei derartigen Strategien eine andere Frage stellen: Kann man den gleichen gewünschten umweltentlastenden und ressourcenschonenden Effekt nicht auch erreichen, wenn man weniger Geld einsetzt? Das Geld könnte in Energieeinsparmaßnahmen investiert werden. Damit lassen sich billiger Umweltentlastungen in Form von CO2-Minderungen erreichen als durch den Photovoltaikausbau. Die bisherigen Beispiele und Argumentationen gelten für die Gegebenheiten im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Sie müssen so in 20 oder 30 Jahren nicht mehr richtig sein. Der Schlüssel für die Einführung der Photovoltaik in energiewirtschaftlichen Dimensionen liegt nicht, wie die Beispiele zeigen, in der Verteuerung der fossilen Energieträger. Preissteigerungen machen die Schere kleiner, schließen sie aber nicht. Der Schlüssel liegt in der Verringerung der Photovoltaikherstellkosten. Hier gibt es eine Reihe von Ansätzen, die eine Kostensenkung über die nächsten Jahrzehnte realistisch erscheinen lassen.
16.4 Windenergie Westeuropa liegt weltweit gesehen in einer Zone guten Windenergieangebots. Die kinetische Energie des Windes hängt von der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit ab. Dieser physikalische Zusammenhang bedeutet beispielsweise, dass sich der Energieinhalt des Windes verachtfacht, wenn sich die Windgeschwindigkeit verdoppelt. Aus diesem Grunde sind auf dem Land die besten Windstandorte entlang der Küste oder im Binnenland auf höher gelegenen Plätzen des Mittelgebirges zu finden. Zwischen einem guten Küstenstandort und einem eher schlechten Binnenlandstandort kann die
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Stromerzeugung wegen des unterschiedlichen Windangebotes bei ansonsten gleichen Bedingungen um 25 % differieren. Auch gibt es zwischen den einzelnen Jahren Unterschiede von bis zu 20 % im Windenergieangebot. Um einfach von der Leistung einer einzelnen Anlage oder der eines Windparks auf die im Jahr mögliche Elektrizitätserzeugung zu schließen, wurde in der Energiewirtschaft der Begriff ›Ausnutzungsdauer‹ eingeführt. Er wird ermittelt, indem die über das Jahr erzeugte Strommenge durch die maximale Leistung des Windenergiekonverters dividiert wird. Man tut dabei so, als würde der Windenergiekonverter von der ersten Stunde des Jahres an mit seiner maximalen Leistung konstant laufen. Die Stundenzahl, die er dann im Jahr fiktiv laufen müsste, um die Strommenge zu erzeugen, die er tatsächlich ins Netz gibt, ist nun die Ausnutzungsdauer in Stunden. Für gute Standorte an der Nordseeküste konnten 2200 Stunden pro Jahr ermittelt werden. Schlechte Standorte im Binnenland bringen es nur auf 1600 Stunden pro Jahr. Im bundesdeutschen Schnitt liegt die Ausnutzungsdauer bei etwa 1900 Stunden pro Jahr. Abb. 16 enthält Messwerte, die bei einem Windpark in den Monaten Januar bis März und Juli bis September 1997 aufgezeichnet wurden. Daraus geht hervor, dass es erhebliche Unterschiede im Windangebot und damit in der Stromerzeugung gab. Der Wind verändert schnell sein Leistungsangebot, kann dabei von null bis zum Maximalbetrag variieren. Interessant ist auch, dass selten die Leistung erreicht wird, für die die Windenergieanlage tatsächlich ausgelegt ist. Rein optisch erkennt man bereits, dass über die gemessenen drei Wintermonate hinweg der Windpark im Mittel mit nur 40 % seiner Leistung betrieben werden konnte, in den drei Sommermonaten mit noch weniger. Windenergie erfordert zusätzliche Kraftwerke in der glei-
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chen Leistungsgrößenordnung wie die der Windanlagen selbst. Nur etwa 5 % der gesamten Windleistung in Deutschland gilt als gesicherte Leistung, d. h., nur 5 % der installierten Windanlagenleistung brauchen nicht durch andere Kraftwerke abgedeckt zu werden. Windenergie spart also ebenfalls wie Sonnenenergie Kohle, Öl und Erdgas ein, aber keine Kraftwerksbauten. Es müssen Back-up-Kraftwerke vorhanden sein, die sehr schnell in ihrer Leistung hoch- und runterfahren können, um die jeweilige Differenz zwischen Angebot und Nachfrage auszugleichen. In der Praxis löst man diese Aufgabe auch häufig so, dass viele Kraftwerke gleichzeitig nicht mit ihrer vollen Leistung fahren und in ihrer Gesamtheit dann die nötige Back-up-Leistung aufweisen.
Abb. 16 Zeitlicher Verlauf der Stromerzeugung eines Windparks mit einer elektrischen Gesamtleistung von 28 MW
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Hoffnungsträger
Ein Windenergiekonverter im Binnenland mit einer maximalen Leistung von 2 MW erzeugt übers Jahr gesehen 2000 kW mal 1600 Stunden, also 3,2 Mio. kWh Elektrizität. Eine Zahl, die zunächst wegen ihrer Größe beeindruckt. Ein mit elektrischen Geräten mittelgut ausgestatteter Haushalt verbraucht in Deutschland gut 4000 kWh im Jahr. Deshalb liest man in der Zeitung, dass ein Windenergiekonverter dieser Leistung in der Lage wäre, 800 Haushalte mit Elektrizität zu versorgen, also ein großes Dorf. Diese Angabe ist nur richtig als statistische Zahl. Gäbe es nur diesen Windenergiekonverter, hätten die 800 Haushalte große Probleme mit ihrer Versorgung. In den Zeiten, in denen kein Wind wehen würde, hätten sie keine Elektrizität. In Zeiten mit schwachem Windangebot könnten sie nicht beliebig viel Elektrizität verbrauchen, sie müssten die vom Windenergiekonverter gelieferten Energiemengen in irgendeiner Art und Weise unter sich aufteilen. Es wird klar, dass Windenergie keine »Stand-alone-Stromerzeugung« ist. Das Beispiel zeigt aber auch, dass die oftmals im Alltag bei der Berichterstattung vorgenommene vereinfachte Darstellung des Beitrags regenerativer Energien der tatsächlichen Problematik nicht gerecht wird. Notwendig sind Speicher für Elektrizität. Leider stehen für Zeiten, in denen der Wind nicht weht, keine technischen Speicher zur Verfügung, die Elektrizität in großen Mengen speichern könnten. Batteriespeicher oder in Entwicklung befindliche Schwungmassenspeicher sind eher für den Ausgleich von Schwankungen im Bereich von einigen Minuten bis vielleicht bestenfalls Stunden geeignet. Nur über den Umweg von Pumpspeicherkraftwerken können große Mengen an Elektrizität indirekt in Form von »hoch gelagertem Wasser« über längere Zeiten gespeichert werden. Weitere Überlegungen gehen dahin, neben Pumpspeicherkraftwerken auch Druckluft-
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speicheranlagen zu installieren. Davon existieren weltweit zwei Anlagen, eine in den USA und eine in Deutschland. In ausgehöhlten Kavernen unter der Erde wird Druckluft eingepresst, die bei Bedarf den Kavernen entnommen wird und ihre Energie zur Stromerzeugung abgibt. Auch wird überlegt, überschüssige elektrische Energie aus Windenergieanlagen zur Wasserstofferzeugung in Elektrolyseure zu geben, die Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff auftrennen. Der Wasserstoff ist dann wieder speicherbar, er könnte im Verkehrsbereich als Antriebsmittel oder aber über eine Brennstoffzelle wieder zu Strom zurückverwandelt werden. Er könnte aber auch direkt verfeuert werden und Gebäude heizen oder Prozesswärme in der Industrie erzeugen. Dagegen stehen sehr hohe Speicherkosten. Die Windenergie hat in den letzten zwei Jahrzehnten eine beeindruckende Entwicklung durchlaufen. Dies gilt sowohl hinsichtlich ihrer technischen Entwicklung als auch hinsichtlich der Markteinführung. Die elektrische Leistung einer einzelnen Anlage stieg während dieses Entwicklungsprozesses kontinuierlich an. Wurden Ende der 1970er Jahre bei den ersten größeren Windenergieinstallationen in Kalifornien die meisten Anlagen noch im Leistungsbereich von unter 100 kW ausgeführt, so sind heute Zwei-Megawatt-Anlagen (2000 kW) »von der Stange« zu kaufen. Fünf-Megawatt-Anlagen befinden sich in der Markteinführungsphase. Ende des Jahres 2005 war weltweit eine Leistung von 59 Gigawatt an Windenergieanlagen installiert, das entspricht von der Leistung her 60 % der gesamten in Deutschland vorhandenen Kraftwerksleistung. Deutschland ist weltweit federführend in der Nutzung der Windenergie. Die gut 17000 Windenergieanlagen in Deutschland stellen rund 1/3 der welt-
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weit vorhandenen Windenergiekapazität. In der Statistik des Jahres 2005 folgen auf Deutschland die Länder Spanien, USA, Indien und Dänemark. Den Siegeszug der Windenergie ermöglichten verschiedene staatliche und durch die Gesetzgebung veranlasste finanzielle Unterstützungsmaßnahmen. In Deutschland wurden neben Forschungs- und Entwicklungsgeldern die ersten Anlagen im sogenannten 250-MW-Programm entweder direkt über einen Investitionskostenzuschuss oder über einen finanziellen Zuschuss pro Kilowattstunde erzeugter Energie gefördert. Heute werden durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz die an die Windenergieanlagenbetreiber gezahlten Kosten, wie an anderer Stelle bereits dargelegt, auf alle Stromverbraucher umgelegt. Der schnelle Zubau der Windenergie hat in Deutschland dazu geführt, dass die vorhandenen freien Kapazitäten zur Übertragung der Elektrizität im elektrischen Hochspannungsnetz weitestgehend erschöpft sind. Zeitweise müssen sogar Windenergieanlagen abgeschaltet werden, weil ihre gelieferte elektrische Energie die Transportkapazitäten des Netzes an bestimmten Stellen übersteigt. Die weitere Einbindung der Windenergie bringt also Erweiterungen der elektrischen Netze und damit verbundene Investitionen mit sich. Untersuchungen zufolge (sogenannte dena-Netzstudie) muss bis 2015 die bestehende Trassenlänge des deutschen Verbundnetzes um rund 5 % verlängert werden, rund 400 km müssen verstärkt und rund 850 km neu gebaut werden. Diese zusätzlich anfallenden Kosten müssen einer großtechnischen Nutzung der Windenergie ursächlich mit angelastet werden. Obwohl zukünftig die Kosten für die Stromerzeugung in Kohle-, Ölund Gaskraftwerken steigen, weil altersbedingt viele davon neu gebaut werden müssen, ist der Windstrom bei weitem noch nicht wirtschaftlich.
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Gute Standorte an Land sind weitestgehend bereits mit Windenergiekonvertern versehen. Vereinzelt gibt es Akzeptanzprobleme, die den Zubau weiterer Windenergiekonverter verhindern. Gründe dafür sind oftmals optische Effekte großer Windparks, beispielsweise in Tourismusgebieten. Dieses und das größere Windangebot draußen auf dem Meer – auf dem Meer bläst der Wind gleichmäßig, und aufgrund der höheren Windgeschwindigkeit ist die Energie doppelt so groß wie auf dem Lande – sind die Motivationen dafür, dass die Entwicklung von Offshore-Windparks begonnen hat. In Schweden, Dänemark und Großbritannien sind bereits Windenergiekonverter kurz vor der Küste auf Plattformen in die See gesetzt worden. Technisch gesehen handelt es sich dabei um Anlagen, die für den Landbetrieb entwickelt wurden. Die deutschen geographischen Verhältnisse erfordern, dass zukünftige Offshore-Windparks weiter draußen vor der Küste liegen: In der Nordsee 50 bis 80 km von der Küste entfernt, in der Ostsee etwa mitten in der See. Die Wassertiefen betragen an diesen Standorten 30 Meter und mehr, eine Herausforderung für die Gründungstechnik des Windenergiekonverters. Auch muss die technische Verfügbarkeit aufrechterhalten werden, ein Wartungstechniker kann nicht mehr so schnell zur Anlage gebracht werden wie bei den Landanlagen. Stillstand bedeutet aber Stromverlust und damit wirtschaftliche Nachteile. Die technischen Anforderungen auf See sind andere: Der Salzgehalt der Luft führt zu größerer Materialbelastung aller Bauteile des Windenergiekonverters, hohe Wellen bringen zusätzliche dynamische Belastungen in das Bauwerk ein. Die Windenergieunternehmen stellen sich dieser Herausforderung und sind in der Entwicklung von größeren Anlagen von Offshore-Windfarmen bereits so weit gekommen, dass Prototypen getestet werden. Ein erster Testwind-
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park am Standort Butendiek ist in Vorbereitung. Da die Investitionskosten für danach geplante Windparks mit 60 und mehr Anlagen in der Größenordnung von einigen 100 Mio. € liegen, sind sie nicht mehr wie bisher durch das Einsammeln von Kommanditistenanteilen, also Geldanlegermodellen, finanzierbar. Banken verlangen aber wegen der Risikominimierung neben einer ausreichenden technischen Ausgereiftheit auch finanzielle Kraft und Bonität der Betreiberunternehmen. So verwundert es nicht, dass auch große Energieversorgungsunternehmen mit in die Entwicklung von Offshore-Windparks einsteigen. Offen ist noch, ob diese Anlagen unter Zurhilfenahme der durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz gegebenen Finanzunterstützung für die Betreiber wirtschaftlich werden können. Politische Anzeichen sprechen jedoch dafür, dass der Gesetzgeber bereit ist, die Einspeisevergütung (nach oben hin) an die veränderten Bedingungen anzupassen. Der weitere Ausbau der Windenergie beinhaltet also weltweit gesehen noch große Potenziale. Die Integration der Windenergie in die elektrische Energieversorgung ist jedoch nicht einfach. Sie erfordert stabile Netze, ausreichende konventionelle Kraftwerkskapazitäten, die die Windenergie zu jedem Zeitpunkt ersetzen können, und alles zusammengenommen hohe Investitionskosten. Die Stromerzeugungskosten von Windanlagen werden unter den Bedingungen in Deutschland im nächsten Jahrzehnt zumindest doppelt so hoch sein wie die Stromerzeugungskosten aus konventionellen Energieträgern. Auf der Habenseite steht dagegen ein immens angewachsenes technisches Know-how der Herstellerfirmen, das zunehmend in Exporterfolge umgesetzt wird. Im Vergleich zur Stromerzeugung mit fossilen Energieträgern ist die Windenergienutzung umweltfreundlicher. Windenergie alleine kann jedoch keine gesicherte Stromversorgung ge-
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währleisten. Rein rechnerisch gesehen ist es möglich. Man muss nur in die Rechnung ausreichend viele Pumpspeicherkraftwerke einbauen oder aber als Speicher über Elektrolyse erzeugten Wasserstoff nehmen. Praktisch spricht jedoch dagegen, dass nicht ausreichend viele Standorte für Pumpspeicherkraftwerke zur Verfügung stehen, dass ihr Bau in der Größenordnung, in der sie benötigt werden, Jahrzehnte dauert, dass lange Transportwege des Windenergiestromes von der Nordsee bis ins Mittelgebirge erforderlich wären und dass große Netzerweiterungen mit hohen Kosten auftreten würden, neben den Baukosten für die Speicheranlagen. Noch wesentlich größer wären die Investitionen beim Aufbau des Wasserstoffspeicherpfades. Diese Ausführungen sprechen allerdings keineswegs dagegen, dass auf der langfristigen Zeitachse derartige Speichersysteme verstärkt zum Einsatz kommen können. Realistischerweise kann man davon ausgehen, dass Windenergie von heute 5 % Anteil an der Stromerzeugung in Deutschland auf maximal 20 % zunehmen könnte innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte. Auch weltweit wird sich der Ausbau der Windenergie, dort wo das Windangebot gut ist, in diesen Dimensionen vollziehen. Dabei gilt es aber Besonderheiten zu beachten. Teile ländlicher Regionen in Indien mit gutem Windangebot sind heute beispielsweise noch nicht mit einem stabilen Netz der Stromerzeugung ausgestattet. Viele kleinere Betriebe erzeugen ihre Elektrizität mit Hilfe von dieselbetriebenen Generatoranlagen selbst. Hier ist die Windstromerzeugung in Verbindung mit den vorhandenen Generatoranlagen bereits wirtschaftlich. Entsprechend groß ist die Nachfrage nach Windanlagen.
Energienutzung ist eine ethische Frage
17 Energieversorgung als Schlüsselfrage Es mag zunächst verwundern, dass die Frage der Energieversorgung und der Nutzung von Energie mit Moral in Verbindung gebracht wird. Man würde eher erwarten, dass es nur eine politische, ökonomische und technische Fragestellung ist, aber keine, die mit inneren Werten und übergeordneten Weltanschauungen zu tun hat. Die ethische Dimension der Energie wird klar, wenn man bedenkt, dass für die soziale und kulturelle Weiterentwicklung einer weiter wachsenden Menschheit, aber auch schon allein für die Erhaltung der Lebensgrundlagen der bestehenden Weltbevölkerung, die Versorgung mit Energie eine Schlüsselfrage ist. Ob es um die bessere Versorgung mit Lebensmitteln geht, bessere hygienische und medizinische Verhältnisse, um bessere Wärmeversorgung im Winter oder um Klimatisierung in heißen Regionen im Sommer: Alles ist mit Energieumwandlung und Energienutzung verbunden. Selbst wenn der Zugang zu den Energiequellen mengenmäßig nicht beschränkt ist und aus politischen Gründen für alle Länder dieser Welt zugänglich wäre, gibt es noch eine weitere Barriere: die Kosten. Insbesondere Entwicklungsländer haben Schwierigkeiten, sich in ausreichendem Maße mit den notwendigen Energiemengen zu versorgen. Energie wird als kommerzielles Gut weltweit auf Basis von sogenannter »harter Währung« gehandelt. Schwache Landeswährungen afrikanischer Staaten haben beim Handel mit Energie im Welt-
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handelssystem keinen Platz. Um harte Währung zu bekommen, müssen auf dem Weltmarkt benötigte oder absetzbare Güter verkauft werden: beispielsweise landwirtschaftliche Produkte, touristische Angebote oder Rohstoffe wie Erze oder Rohöl. Bei Steigerungen des Ölpreises auf dem Weltmarkt haben Entwicklungsländer begrenzte Möglichkeiten, zusätzliches Geld über den Export weiterer Güter zu verdienen. Bei den Industrieländern dagegen spielen die Ausgaben für den Import von Energieträgern zwar auch volkswirtschaftlich eine Rolle. Letztendlich aber sind die Industrieländer in der Lage, durch Exportanstrengungen wiederum zumindest einen Teil der für höhere Energiepreise benötigten Devisen anderswo auf dem Weltmarkt zu verdienen, oftmals in den energieexportierenden Ländern selbst, denen sie Industriegüter verkaufen. Die Energiepreise auf dem Weltmarkt niedrig zu halten ist deshalb, abgesehen von der eigenen wirtschaftlichen Rationalität, eine Frage der Moral. Steigende Energiepreise entziehen Entwicklungsländern Lebensstandard, soweit man insgesamt überhaupt von Lebensstandard reden kann. Fallende oder niedrige Energiepreise ermöglichen ihnen dagegen, die dringend benötigten Energieträger leichter auf dem Weltmarkt zu beschaffen. Die bisher durchgeführten Überlegungen sind eher auf das aktuelle Geschehen bezogen. Blickt man weiter in die Zukunft, so stellt sich die Frage nach der Menge der verfügbaren billigen Energiereserven. Insbesondere Erdöl ist wegen seiner guten Transportierbarkeit, seiner guten Lagerfähigkeit und wegen seiner relativ einfachen Handhabbarkeit der Energieträger für Entwicklungsländer. Langfristig gesehen müssen sich die Industrieländer deshalb unter dem ethischen Aspekt
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Gedanken darüber machen, ob sie den Gebrauch des Energieträgers, der für Entwicklungsländer am besten geeignet ist, nicht reduzieren können. Industrienationen haben den Vorteil, dass sie eine Vielzahl von technischen Möglichkeiten zur Verfügung haben, weniger entwickelte Nationen dagegen nicht.
18 Wahl des Energieträgers Nun zeigt aber die öffentliche Diskussion, dass insbesondere in den Industrieländern von einem hohen Lebensstandardniveau ausgehend zunehmend Diskussionen geführt werden, welche der Energieträger man nutzen möchte und welche nicht. Sofort sichtbar wird dies an der Diskussion um Kernenergie und /oder erneuerbare Energien. Deutschland hat politisch gesehen die Entscheidung getroffen, den Energieträger Kernenergie zukünftig nicht mehr zu nutzen, dagegen den Energieträger Windenergie in wesentlich stärkerem Maße in die Stromerzeugung einzubinden. Beides sind Optionen, die den meisten Entwicklungsländern in dieser Form nicht zur Verfügung stehen. Beide Möglichkeiten sind nämlich zum einen kapitalintensiv und erfordern zum anderen hohes technisches Können im Anlagenbau und zum Betrieb der Anlagen. Insbesondere die Integration von erneuerbaren Energien in die bestehende Energieversorgung ist nicht immer problemlos möglich. Windenergie liefert ein fluktuierendes Stromangebot, der Verbraucher – auch in Entwicklungsländern – braucht dagegen die Elektrizität nach seinem Lebensund Bedarfsrhythmus. Fragen der Energiespeicherung sind ökonomisch, aber auch technisch in diesem Zusammenhang bei weitem noch nicht gelöst. Die Ethikfrage spielt auch bei der Entscheidung, bestimmte Energieträger zu nutzen und andere nicht, eine Rolle. Es stellt sich die Frage, welche Kriterien an derartige Entscheidungen
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angelegt werden müssen. Dabei lässt man sich häufig von den beiden Aspekten »menschenwürdiges Leben«, wie es in der UN-Menschenrechtskonvention von 1948 formuliert wurde, und von den »Nachhaltigkeitsprinzipien«, die die BrundtlandKommission aufgestellt hat, leiten. Das erste Kriterium braucht nicht weiter ausgeführt zu werden. Der Nachhaltigkeit werden verschiedene Dimensionen zugeschrieben: die soziale Dimension, die wirtschaftliche Dimension und die Umweltdimension. Die soziale Dimension meint, dass jeder die Möglichkeit zu einem menschengerechten Leben haben muss und dass die Möglichkeiten der zukünftigen Generationen nicht durch unseren heutigen Energieverbrauch eingeschränkt werden dürfen. Unter der ökonomischen Komponente wird verstanden, dass Energie zuverlässig zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung stehen soll. Letztendlich bedeutet das, dass der Verbraucher jederzeit die Nutzenergiemenge in Anspruch nehmen kann, die er gerade benötigt oder glaubt zu benötigen. Je weiter eine Industriegesellschaft entwickelt ist, umso höher ist der Bedarf an dauernd zur Verfügung stehender Nutzenergie. Genau genommen wird eigentlich nicht die Nutzenergie in ihren verschiedenen Formen benötigt, sondern die Energiedienstleistungen, wie z. B. mobil zu sein, eine bestimmte Leuchtstärke und eine bestimmte Temperatur vorzufinden. Die Energiedienstleistung lässt sich je nach Maß der Energieeffizienz mit einer unterschiedlichen Menge Nutzenergie zur Verfügung stellen. Häufig wird gesagt, dass die Energie benötigt wird. Aus direkter Sicht des Verbrauchers ist es auch so. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass sich der Energieverbrauch wie auch der Konsum eines jeden anderen Gutes in einer Industriegesellschaft, letztendlich aus zwei Momenten zusammensetzt: dem tatsächlichen Bedarf und der getätigten Nachfrage. Nachfrage
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wird aus ökonomischen Gründen über Werbung und sonstige motivationsfördernde Maßnahmen geschaffen. Die Notwendigkeit, zur Arbeit zu fahren, schafft den Bedarf. Die Lust, am Wochenende mit dem Auto »zu wandern« oder per Motorrad ein Gefühl von Freiheit zu erleben, trägt zur Nachfrage bei. Daraus kann die Forderung abgeleitet werden, die Nachfrage so weit wie möglich an den Bedarf wieder heranzuführen. Die Praxis zeigt aber, dass dieses sehr schwierig ist, weil letztendlich viele Dinge, die Freude bereiten, wie auch Reisen, mit Energieverbrauch verbunden sind. Energieeinsparen gehört nicht zu den Lebensthemen des Alltags. Insgesamt gesehen hat die Verfügbarkeit von Nutzenergie das Leben in den letzten Jahrzehnten zunehmend besser gestaltet und gemeinsam mit der verbesserten medizinischen Versorgung auch zum Anstieg der Lebenserwartung beigetragen. Deshalb kann es nicht verwundern, dass die Herstellung ausreichender Nutzenergie für die Bevölkerung in der Politik der meisten Entwicklungsländer eine Schlüsselrolle einnimmt. Beobachtungen in den Schwellenländern China und Indien zeigen, dass auch andere Kulturkreise bei der Energienutzung keine anderen Forderungen oder Zielsetzungen hervorbringen als die USA oder Europa. Es ist deshalb nicht gerechtfertigt zu argumentieren, dass aufgrund anderer Traditionen, Lebensformen und Weltanschauungen ein niedrigerer Energiebedarf pro Kopf als in den Industrieländern angestrebt werden müsste. Schlüsselt man die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit weiter auf, um sie handhabbarer zu gestalten, lassen sich als Beurteilungskriterien sogenannte Verträglichkeiten definieren: die soziale Verträglichkeit, die Umweltverträglichkeit und die ökonomische Verträglichkeit. Das heißt die einzelnen ergriffenen Maßnahmen müssen mit den bestehenden politi-
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schen und sozialen Systemen und ihren Anforderungen in Einklang gebracht werden. Umweltverträglichkeit würde beispielsweise bedeuten, saubere Luft und sauberes Wasser zu haben oder landwirtschaftliche Nutzflächen möglichst wenig durch Bodenversauerung zu beeinflussen. Auch müssen stabile Klima- und Vegetationszonen als Voraussetzung für den weltweiten Anbau von Kulturpflanzen angestrebt werden. Nun gibt es aber keine Energieversorgung und keine Energieumwandlung, die vollständig emissionsfrei ist oder keinerlei Einfluss auf das ökonomische System oder gar das soziale System hätte. Der Bau beispielsweise großer Staudämme bringt Elektrizität zum Aufbau von Wirtschaft und Lebenswohlstand, er nimmt aber große Flächen ein und kann die Lebensgrundlage von den vor Ort ansässigen Menschen nachhaltig beeinflussen. So entstehen innerhalb des eigentlich unumstrittenen Zieles, nämlich Ausbau der Energieversorgung, konkrete Zielkonflikte. Meldungen in der Tagespresse, dass Ölförderanlagen in afrikanischen Ländern durch die lokale Bevölkerung besetzt oder ausländische Experten entführt werden, zeigen diese lokalen Konflikte. Sie müssen vor Ort über Dialog, Politik und Interessenausgleich gelöst werden. Im Ansatz vielschichtiger ist die Beantwortung der Frage, welche einzelnen Energieträger und welche Energietechniken nun den übergeordneten Kriterien am besten gerecht werden. Man versucht, in umfangreichen Studien die einzelnen Energieträger und Energietechniken nach vorher festgelegten Kriterien untereinander zu bewerten. Auch die EU-Kommission und Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages haben sich mit solchen, »Indikatoren« genannten Kriterien der Bewertung einzelner Energieträger unter dem übergeordneten Aspekt der Nachhaltigkeit beschäftigt. Das Ergebnis ist, dass keine der verfügbaren Energieoptionen ganz frei von
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technischen, ökologischen, sozialen und politischen Risiken ist. Die verschiedenen Möglichkeiten der Energiebereitstellung beinhalten unterschiedliche Risiken und unterschiedliche Auswirkungen, die einen systematischen Vergleich erschweren. Die Wahl zwischen den verschiedenen Energieoptionen ist deshalb mit großen Unsicherheiten belastet. Neben den Risiken, das internationale Klima über den Ausstoß von CO2 zu beeinflussen und damit massiv in die Kreisläufe der Natur und auch der Nahrungskette einzugreifen, stehen politische Risiken einer unzureichenden Versorgungssicherheit bei Erdöl und Erdgas, technisch bedingte Risiken, die potenziell bei der Kernenergienutzung eintreten können, ökonomische Unzulänglichkeiten bei der Nutzung erneuerbarer Energieträger und die noch offene Frage nach der Speicherung erneuerbarer Energien. Letztendlich geht es somit um die Frage der Risikoverteilung. Risiken müssen vor dem Hintergrund des bisher Gesagten nun zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern und zwischen der heutigen und zukünftigen Generationen aufgeteilt werden. Unbestritten ist es natürlich, dass Entwicklungsländer weniger gut mit Risiken – gleich welcher Art – umgehen können als Industrieländer. Somit ist auch hier eine faire Abwägung angesagt. Zu der Beantwortung der Frage, welche Energieträger genutzt werden dürfen und welche nicht, muss eine Risikoabwägung gemacht werden. Welche Risiken und Folgen entstehen zusätzlich, wenn ein bestimmter Energieträger, beispielsweise Kernenergie, nicht genutzt wird? Es soll an dieser Stelle nicht versucht werden, eine Bewertung der Kernenergienutzung unter ethischen Aspekten vorzunehmen. Dies würde den Umfang und auch die Zielsetzung dieses Buches sprengen. Das Beispiel zeigt aber gut die ethische Dimension der Energiefrage.
19 Die Zeitachse Eine weitere nicht uninteressante Frage ist der Umgang mit der Zeitachse. Man bewertet heutige Optionen und Techniken mit heutigen Kriterien, muss sich aber dabei die Frage stellen, welche Auswirkungen unser heutiges Tun auf die nächsten Generationen haben wird. Häufig wird geltend gemacht, dass in Zukunft anfallende Schäden und Nachteile aus gegenwärtiger Sicht mit den heutigen Schäden und Nachteilen gleich gewichtet werden müssen. Diese Annahme entspricht einem in der Zukunftsethik geltend gemachten Gleichheitsgrundsatz, der allerdings in anderen Bereichen des Lebens, z. B. in der Ökonomie, nicht gilt. Die Ökonomie diskontiert, bewertet also Auswirkungen, die in Zukunft stattfinden, als weniger wichtig gegenüber denen, die heute stattfinden. So wie bei jeder Investitionsrechnung dynamische Rechenverfahren zum Ansatz gebracht werden, die Ausgaben und Einnahmen in der Zukunft mit einem Diskontfaktor auf heutige Verhältnisse zurückrechnen, also zukünftigen Zahlungsströmen bezogen auf heute weniger Wert zuweisen, so setzt man auch in der Ressourcenökonomie derartige Bewertungsansätze an. Auch der Aspekt von Lernfunktionen wird in diesem Zusammenhang diskutiert. Alleine in den letzten 50 Jahren hat es erhebliche Fortschritte in der effizienten Nutzung von Energie gegeben. Erdgas war damals noch nicht auf dem Weltmarkt verfügbar. Kann man also davon ausgehen, dass die nächste Generation keinerlei technische Fortschritte mehr
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unternimmt, die sich positiv in Richtung Energieverbrauch oder zusätzliche Erschließung von vorhandenen Energiequellen auswirkt? Man könnte argumentieren, dass es der nächsten Generation gelingt, Kernfusion als zusätzliche Energiequelle zu erschließen und politisch akzeptabel zu machen, oder dass es ihr gelingen wird, umweltverträglich die Gewinnung von Erdgashydraten aus dem Meer zu gewinnen. Hätten wir heute einen Vorteil davon, wenn die Generation unserer Großmütter und Großväter Kohle eingespart hätte, wo wir doch heute viel lieber die Kohlenwasserstoffe als Energieträger nutzen möchten, weil sie eine Vielzahl von Vorteilen gegenüber Kohle bieten? Die hier aufgeworfenen Fragen zeigen, dass es keine Musterlösung gibt und geben wird. Sie zeigen aber auch die Notwendigkeit, sich mit der ethischen Dimension der Energiefrage auseinanderzusetzen. Erstmals ist es im politischen Raum 1992 bei der Umwelt-Konferenz in Rio de Janeiro gelungen, fast alle Nationen dieser Welt zumindest verbal auf den Aspekt der Nachhaltigkeit einzustimmen. Der nachfolgende Kyoto-Prozess wäre sicher nicht so schnell abgelaufen, hätte es diese vorgelagerte Nachhaltigkeitsdiskussion nicht gegeben. Die im Kyoto-Protokoll festgelegten Ausgleichsmechanismen im Bereich der Klimagase bieten die Möglichkeit, zum ökonomischen Vorteil der Industrie- und der Entwicklungsländer Klimagasemissionen zu senken. Letztendlich sind die Ausgleichsmaßnahmen ein erster Schritt in Richtung eines weltweiten Dialoges in Sachen Energie, ein vielleicht ökonomisch motivierter guter erster Einstieg in den Umgang mit der Tatsache, dass Energie auch eine ethische Frage ist.
Auf dem Weg zur zukünftigen Energiewelt
20 Planspiele für morgen Angesichts einer befürchteten Verknappung der fossilen Energieträger, speziell des Erdöls, sind in den 1970er Jahren mehrere Welt-Energie-Szenarien erstellt worden, die sich mit dem Knappheitsaspekt der Ressourcen beschäftigten. Es galt, mögliche Wege einer gesicherten Versorgung der Energienachfrage rechnerisch aufzuzeigen. Ab Ende der 1980er Jahre sind neue Szenarien entstanden. Bei ihnen stand weniger die Frage der Knappheit der Energieträger als eine Energieversorgung mit möglichst geringen Emissionen an Luftschadstoffen und Klimagasen im Vordergrund. Inzwischen nimmt aber neben der Klimagasreduktion der Aspekt der Versorgungssicherheit wieder eine wichtige Rolle ein. Derartige Szenarien werden von wissenschaftlichen Instituten, aber auch von internationalen Organisationen, wie der Internationalen Energie Agentur in Paris, der Europäischen Kommission, dem IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), aber auch von großen Mineralölfirmen, wie beispielsweise der Firma Shell, erstellt.
20.1 Szenarien und Prognosen Ein Energieszenario ist eine Abschätzung der künftigen Entwicklung des Energieverbrauchs sowie der Bedarfs- und Versorgungsstruktur unter frei wählbaren Bedingungen und
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Vorgaben. Es stellt also ein Planspiel für die Zukunft dar, eine Wenn-dann-Rechnung. Im Gegensatz zu einer Energieprognose will ein Energieszenario nicht möglichst exakt vorhersagen, was beispielsweise in den nächsten zehn Jahren eintritt. Ein Energieszenario hat vielmehr die Aufgabe, durch die Betrachtung und Auswertung der unterschiedlichen rechnerischen Kombinationen, Schlussfolgerungen für Randbedingungen und Möglichkeiten einer zukünftigen Energieversorgung zu finden. So können beispielsweise Rechnungen durchgeführt werden, die voraussetzen, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt die Emission an Klimagasen um einen bestimmten Prozentsatz zurückgegangen sein muss. Das Energieszenario liefert dann Erkenntnisse darüber, welche Energieträger in welchem Umfang und welche Energietechniken gegebenenfalls zum Einsatz kommen müssen. Daran muss sich dann im Sinne eines Planspiels eine Diskussion zwischen den Experten der unterschiedlichen Disziplinen anschließen, die klärt, inwieweit diese Wege Vor- und Nachteile haben und inwieweit sie gesellschaftlich und politisch überhaupt realisierbar sind. Am Ende könnten dann Erkenntnisse an die Entscheidungsträger weitergegeben werden. Diejenigen, die Szenarien erarbeiten, sind in ihren Einschätzungen ebenfalls nicht frei vom »Zeitgeist«. Auch sind sie nicht in der Lage, alle Änderungen der wichtigsten Rahmenbedingungen, wie beispielsweise die Entwicklung der Energiepreise, verlässlich vorherzusehen. Daher liegt es nahe, in Abständen von fünf bis zehn Jahren Energieszenarien neu zu erstellen bzw. die vorliegenden an die neuen Randbedingungen anzupassen.
Planspiele für morgen
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20.2 Weltweite Betrachtungen Im Folgenden werden die Schlussfolgerungen für den erwarteten Verlauf des weltweiten Primärenergieverbrauchs und seine Deckung aus fünf in den letzten Jahren erstellten Studien vorgestellt. Die betrachteten Studien sind: 1. EC [European Commission] (2003): World energy, technology and climate policy outlook 2. EIA [Energy Information Administration] (2004): International Energy Outlook 2004 3. IEA [International Energy Agency] (2004): World Energy Outlook 2004 4. IPCC [Intergovernmental panel on climate change] (2000): IPCC special report – emission scenarios 5. Shell (2001): Energy Needs, Choices and Possibilities – Scenarios to 2050 Einige dieser Studien beschreiben mehrere mögliche Entwicklungspfade. Sie beruhen jeweils auf unterschiedlichen Grundannahmen über die Verfügbarkeit der konventionellen und erneuerbaren Ressourcen, über das Bevölkerungswachstum und das Wirtschaftswachstum. Außerdem gibt es Unterschiede im Detail bei Annahmen zu technischen Parametern und zu den Kosten von Energieanlagen. Insgesamt gesehen wird also eine große Bandbreite von denkbaren Entwicklungsmöglichkeiten abgedeckt. Die Ergebnisse für den Primärenergiebedarf und die CO2-Emissionen weltweit sind in Abb. 17 zusammengestellt. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Studien unterschiedliche Zieljahre haben, sie reichen von 2025 über 2030, 2050 bis zum Jahre 2100. Zum Vergleich sind die statistischen Werte des Jahres 2004 eingezeichnet.
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Weg zur zukünftigen Energiewelt
Abb. 17 Ergebnis verschiedener Szenariobetrachtungen für den zukünftigen Weltenergieverbrauch und den Ausstoß an Kohlendioxidemissionen (CO2). Die Angaben auf den Balken geben das Endjahr des Betrachtungszeitraumes an.
Die CO2-Emissionen im IPCC-Szenario sind ein vorgegebener Zielwert. Das Szenario dient dazu, herauszufinden, ob und wie die als notwendig erachtete Reduzierung der CO2-Emissionen auf der Energieversorgungsseite realisiert werden kann.
20.3 Erwartungen für die Zukunft Als Ergebnis zeigt sich, dass keines dieser Szenarien auf eine Reduzierung des Weltenergieverbrauchs gegenüber dem heutigen Wert hinausläuft. Im Gegenteil, die Mehrzahl der Szenarien geht von einem erheblichen Anstieg des Primärener-
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gieverbrauchs in den nächsten 25 Jahren aus. Aufschlussreich ist auch die prozentuale Aufteilung der Energieträger, die den Primärenergiebedarf decken. Nachfolgend sind die Bandbreiten für die einzelnen Energieträger, die sich aus den verschiedenen Szenarien ergeben, aufgelistet. – Öl übernimmt je nach Szenario einen Anteil an der Primärenergieversorgung zwischen 27 % und 39 % (heutiger Wert 34 %). – Der Erdgasanteil liegt zwischen 21 % und 28 % (heute hat es einen Anteil von 21 %). – Kohle trägt zwischen 8 % und 28 % je nach Szenario bei (heutiger statistischer Wert 24 %). – Kernenergie liegt zwischen 4 % und 7 % (heute 7 %) und – erneuerbare Energien liegen zwischen 8 % und 33 % (heutiger Anteil 14 %). Legt man die Erwartungen der Verfasser dieser Szenarien zugrunde, so ergeben sich für die zukünftige Energieversorgung folgende Aussagen: – Kein Energieträger wird ausgeschlossen. – Die fossilen Energieträger Öl, Erdgas, Kohle decken nach wie vor die Hauptlast der Energieversorgung ab. – CO2-arme bzw. -freie Energieträger wie Erdgas und erneuerbare Energien nehmen prozentual zu, Kohle dagegen ab. – Öl und Kernenergie bleiben in etwa auf dem heutigen Niveau bzw. fallen etwas. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die genannten Zahlen Prozentangaben sind. Absolut steigt der Primärenergieverbrauch. Die benötigten Mengen Öl oder die Anzahl der Kernkraftwerke gehen deshalb absolut nicht zurück, sondern werden mehr.
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Es mag überraschen, dass keine größeren Änderungen in der Struktur der Energieträger in den Szenarien auftreten. Man muss jedoch berücksichtigen, dass der Zeithorizont in den meisten Szenarien mit dem Jahr 2030 relativ kurz ist. Da die in der Energieversorgung zu tätigenden Investitionen hoch sind, die technische Lebensdauer der Anlagen lang ist und die Entwicklung von neuen Energieträgern über mehrere Jahrzehnte geht, sind keine sprunghaften Änderungen innerhalb von gut 20 Jahren zu erwarten. Ein Beispiel, das für Deutschland gilt, möge diesen Zusammenhang verdeutlichen. Hier erwarten Szenarien bis zum Jahr 2020 Investitionen allein in die Stromerzeugung im Bereich von 90 Mrd. bis 120 Mrd. €. Hinter Verschiebungen von einigen Prozentanteilen bei den Anteilen der einzelnen Energieträger in der Versorgung stehen deshalb in der Praxis bereits nennenswerte Veränderungen.
20.4 Deutschland Neben einer Vielzahl von Szenarien zum weltweiten Energiebedarf gibt es auch Länderstudien, z. B. für Deutschland. Diese Szenarien berücksichtigen im Gegensatz zu einigen Weltszenarien explizit die Vorgaben des Kyoto-Protokolls sowie die darüber hinaus angestrebten Reduktionsziele der Bundesrepublik Deutschland bei den Treibhausgasen. Hinsichtlich der möglichen Entwicklungen des Primärenergiebedarfs werden zwei Studien ausgewertet, die mit unterschiedlichen Zielgrößen arbeiten, d. h. unterschiedliche Szenarien erstellen. Sie gehen aber von den gleichen sozioökonomischen Rahmendaten über den Betrachtungszeitraum hinweg aus. Die zwei betrachteten Studien sind zum einen die Studie der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages
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»Nachhaltige Energieversorgung unter den Bedingungen der Globalisierung und Liberalisierung«. Diese Studie wurde als Handlungsempfehlung für energiepolitische Entscheidungen erstellt und umfasst mehrere Entwicklungspfade. Die Szenarien wurden von der Universität Stuttgart und dem Wuppertal Institut erstellt. Zum anderen wird ein Politikszenario für den Klimaschutz, ein Langfristszenario mit Handlungsempfehlungen, entworfen. Es wurde vom Forschungszentrum Jülich erstellt und weist gegenüber dem erstgenannten Szenario eine andere, mehr technisch orientierte Modellphilosophie auf. In einer weiteren Szenariovariante wird zusätzlich der CO2-Zertifikatehandel betrachtet. Er verteuert einzelne Energieträger und führt damit zu einer Verschiebung der Struktur der genutzten Energieträger. Im Gegensatz zu den Weltszenarien kommen die Rechnungen für Deutschland zu einer Verringerung des Primärenergiebedarfs bis zum Jahre 2020 von 6 bis 26 %. Gründe hierfür sind neben einem leichten Rückgang der Bevölkerung der Einfluss von Maßnahmen zur effizienten Energienutzung in allen Bereichen, wie z. B. in Kraftwerken oder bei der verbesserten Wärmedämmung von Gebäuden.
21 Bausteine für die Energieversorgung Alle Zukunftsüberlegungen, wie sie beispielsweise auch in den Szenarien im vorhergehenden Kapitel zum Ausdruck kommen, zeigen, dass die zukünftige Energieversorgung sich nicht sprunghaft, aber stetig verändern wird. Investitionen und technische Lebensdauer der Anlagen sind zu hoch, als dass schnelle Brüche entstehen könnten. Es hängt von vielen Einflüssen ab, in welche Richtung sich die Energieversorgung der einzelnen Länder bewegen wird. Wichtige Randbedingungen sind beispielsweise die Entwicklung der Energiepreise, der Zugang zur Energie und technische Entwicklungen. Aber auch die Frage des Lebensstiles und der gesellschaftlichen Akzeptanz einzelner Energieträger oder Techniken spielt eine große Rolle. Trotz dieses unsicheren Hintergrunds lassen sich »Bausteine« definieren, aus denen sich die zukünftige Energieversorgung zusammensetzen wird. Diese Bausteine sind: – eine weiterentwickelte Kraftwerkstechnik – fortgeschrittene Feuerungsanlagen, die die fossilen Energieträger Kohle, Gas und Öl verwenden – verbesserte Motoren mit deutlich niedrigerem Kraftstoffverbrauch – Kraft-Wärme-Kopplung, also die kombinierte Strom- und Wärmeerzeugung, zum einen in größeren Anlagen für lokale und regionale Wärmesysteme, aber auch als Kleinan-
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lagen (sogenannte dezentrale Anlagen) zur Versorgung von einzelnen Gebäuden oder Gebäudekomplexen – erneuerbare Energien, hier allen voran Windenergie, Biomassenutzung und in manchen Teilen der Welt der weitere Ausbau der Wasserkraft und – eine wesentlich verstärkte Energieeffizienz in allen Bereichen der Energieumwandlung und Energieanwendung. Die bisher genannten Bausteine für die Energiewelt von morgen stehen prinzipiell technisch und zum Teil auch wirtschaftlich bereits zur Verfügung. Ihr Beitrag zur zukünftigen Energieversorgung ist abschätzbar. Zusätzlich gibt es eine Vielzahl von weiteren Techniken, die wesentliche Beiträge zur Erhöhung der Energieeffizienz oder aber zur Umstrukturierung der Energieversorgung leisten können. Ihre Beiträge können im Einzelnen noch nicht technisch und wirtschaftlich abgeschätzt werden. Zu diesen Techniken zählen: – Brennstoffzellen und Wasserstofftechniken zum Aufbau einer »Wasserstoffwelt« – verbesserte Speichersysteme für Elektrizität; sie helfen erneuerbare Energien an die bestehende Elektrizitätsversorgung anzukoppeln – neue Verfahren der Wärmedämmung (Vakuumwärmedämmung oder transparente Wärmedämmung); sie erschließen Einsparpotenziale auch in Fällen, in denen die heutigen Techniken nicht optimal geeignet sind – Ausbau von leistungsfähigen elektrischen Netzen über einen Kontinent hinweg; sie ermöglichen eine Vergleichmäßigung des Energieverbrauchs und – weitet man den Betrachtungshorizont auf einen Zeitraum
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von 50 Jahren in die Zukunft aus, so ist auch noch die Kernfusion als weitere Option zu nennen. Welche Anforderungen müssen nun an die Bausteine und Techniken gestellt werden, damit sie in das Bild der zukünftigen Energieversorgung passen? Das soll in den folgenden Ausführungen beschrieben werden. Die fossilen Energieträger und die zu ihrer Umwandlung erforderlichen technischen Anlagen bleiben auch weiterhin ein wesentlicher Bestandteil der Energieversorgung Deutschlands und der Welt. Technische Ausgereiftheit und Zuverlässigkeit sowie möglichst geringe Investitionskosten bleiben zentrale Anforderungen an sie. Darüber hinaus sind eine hohe Energieeffizienz bei der Umwandlung der eingesetzten Energie und geringe Emissionen an Luftschadstoffen und Treibhausgasen gefragt. Die fossilen Energieträger Kohle, Öl und Erdgas werden auch in Zukunft zur Stromerzeugung, zur Wärmeerzeugung in großen und kleinen Feuerungsanlagen und zur Befriedigung des Mobilitätswunsches im Verkehrsbereich eingesetzt.
21.1 Kraftwerke Der Kraftwerkssektor zeichnete sich bereits in der Vergangenheit dadurch aus, dass aufgrund der Fortschritte in den Materialwissenschaften höhere Temperaturen und Drücke verwirklicht werden konnten. Dadurch konnte die Energieeffizienz der Kraftwerke kontinuierlich gesteigert werden. Während neue Steinkohleblöcke noch Ende der 1970er Jahre zur Erzeugung einer Kilowattstunde Strom 280 Gramm Steinkohle benötigten, reichen bei den modernsten Anlagen
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heutzutage bereits 180 Gramm. Weit darüber hinaus geht die Energieeffizienz in Kombikraftwerken, bei denen ein Gasturbinenprozess und ein Dampfturbinenprozess zur Stromerzeugung miteinander gekoppelt sind. Im Gasturbinenprozess wird Erdgas verbrannt. Die 1300 °C heißen Gase strömen auf eine Gasturbine, die einen elektrischen Generator antreibt. Ein Teil der Energie der heißen Abgase wird in Elektrizität umgewandelt, der restliche Teil gibt in einem nachgeschalteten Wärmetauscher seine Energie an einen Dampfprozess ab, der über eine Dampfturbine wiederum einen elektrischen Generator antreibt und Strom erzeugt. Mittelfristig kann man sich auch vorstellen, dass anstelle der Gasturbine eine Hochtemperaturbrennstoffzelle zum Einsatz kommen könnte. Während noch Anfang der 1990er Jahre nur 52 % der eingesetzten Gasmenge in Strom umgewandelt werden konnte, schaffen heutige Anlagen 58 %, und das Entwicklungsziel liegt bei über 60 %. Die besondere Herausforderung in der Kraftwerkstechnik wird aber langfristig darin bestehen, möglichst geringe Mengen von Kohlendioxid (CO2) an die Umgebung abzugeben. Es muss angemerkt werden, dass durch die erhebliche Steigerung der Umwandlungswirkungsgrade bereits weniger Klimagasemissionen entstehen. Trotzdem geht der Entwicklungsweg dahin, CO2 ganz aus dem Kraftwerksprozess abzuscheiden. Im Jahre 2006 wurde von zwei Unternehmen angekündigt, Pilotanlagen dafür zu bauen. Die Abscheidung des CO2 setzt technisch voraus, dass es entweder wie das Schwefeldioxid über eine aufwändige »End-of-pipe-Technik« aus den Rauchgasen ausgewaschen wird (Post-Combustion-Technik) oder dass die Verbrennungsluft zerlegt wird (Oxicoal), um im Abgas dann reines CO2 zu erhalten, oder aber, dass die Kohle vorab vergast wird (Pre-Combustion-Verfahren). Bei allen drei Verfahren
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sind noch erhebliche Entwicklungsarbeiten zu leisten, um sie dann technisch ausgereift umzusetzen. Altersbedingt muss in Deutschland und in Mitteleuropa in den nächsten 15 Jahren etwa die Hälfte des Kraftwerksparks erneuert und der Bau jetzt in Angriff genommen werden. Kraftwerke mit CO2-Abscheidung werden erst in der übernächsten Generation, also in 30 bis 40 Jahren zum großtechnischen Einsatz kommen. So gut sich dieser Weg anhört, so hat er auch seine Nachteile. Klimaschutz und Energieeffizienz gehen in diesem Falle nicht konform. Je nach angewendetem Verfahren fällt der Wirkungsgrad eines Kraftwerkes mit CO2-Abscheidung wegen des hohen Energieverbrauchs für die technischen Apparaturen um 10 bis 13 % herunter, also fast ein Drittel des heute erreichten Wirkungsgrades geht wieder verloren. Dies bedeutet, dass rund ein Drittel mehr Kraftwerkskapazität errichtet werden muss, um die gleiche Menge Strom zu erzeugen. Es bedeutet aber auch eine Erhöhung der Investitionskosten. Die über einen Zeitraum von fast 30 Jahren erreichte Steigerung der Energieeffizienz wird durch die CO2-Abscheidung wieder aufgehoben. Die abgeschiedenen CO2-Emissionen können, wie im Kapitel über Klimagase beschrieben, in leere Erdgaskavernen verpresst werden.
21.2 Wärmeerzeugung Die Anforderungen, die an zukünftige Feuerungsanlagen gestellt werden, sind ebenfalls eine möglichst hohe Energieeffizienz und geringe Emissionen von Luftschadstoffen. Da die überwiegende Mehrzahl der Feuerungsanlagen Anlagen im kleinen Leistungsbereich sind, wie beispielsweise Heizkessel in Wohngebäuden, ist hier nach dem heutigen Stand der
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Technik an eine aufwändige Abscheidung von CO2 nicht zu denken. Umso wichtiger ist eine hohe Energieeffizienz, die aber in der Vergangenheit bereits schon nahe an die technisch mögliche Grenze getrieben wurde. Brennwertgeräte ermöglichen es, Wasserdampf aus dem Abgas zu Wasser zu kondensieren. Wasserdampf entsteht durch die Verbrennung des in Öl und Erdgas enthaltenen Wasserstoffs zu Wasser. Brennwertgeräte erreichen Wirkungsgrade von über 100 % in der Praxis. Das klingt so, als ob mehr Wärmeenergie aus dem Gerät herauskäme, als in Form von Erdgas eingesetzt würde, also ein »Perpetuum mobile«. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr ist der Wirkungsgrad als das Verhältnis der erzeugten Wärme zum eingesetzten Energieinhalt des Erdgases immer auf den Heizwert des Erdgases bezogen. Dieser berücksichtigt aber per Definition nicht die Kondensationsenergie des Wasserdampfes.
21.3 Verkehr Den Verkehrssektor und seine Entwicklung kennt man aus dem Alltag gut. Deshalb soll er hier an dieser Stelle nicht mehr weiter im Detail analysiert werden. Grundtendenz wird die weitere Verbesserung der Energieeffizienz der Motoren sein. Langfristig wird technisch gesehen eine Halbierung des Verbrauchs gegenüber heute als erreichbar angesehen. Es ist aber zu beachten, dass die gestiegenen Komfort- und Sicherheitsansprüche in der Vergangenheit einen nennenswerten Teil der technisch bedingten Energieeffizienz wieder kompensiert haben. Die Fahrzeuge sind schwerer geworden und beschleunigen schneller. Das hat einen höheren Energieverbrauch zur Folge.
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21.4 Kernenergie Kernenergie wird in einer Reihe von Ländern weltweit genutzt. Rund 440 Kernkraftwerke tragen zur Stromerzeugung bei. Die Haltung der Industrienationen zur Nutzung der Kernenergie ist heute unterschiedlich. Sie reicht von politischer Bejahung und gewolltem Ausbau (z. B. in den USA und Frankreich) bis hin zum politisch beschlossenen Ausstieg (z. B. in Deutschland und Schweden) bzw. Verzicht (z. B. in Österreich und Italien) auf Kernenergie. Es sind unterschiedliche technische Baulinien für Kernkraftwerke weltweit in Betrieb, wobei jedoch die zahlenmäßig größte Baulinie die der Leichtwasserreaktoren in westlichen Ländern ist. Sie wurden in der Vergangenheit technisch gesehen auf den größten anzunehmenden Unfall hin ausgelegt, einen Bruch von Kühlwasserleitungen. Das Schmelzen des Kernes, wie es beim Unfall 1979 im amerikanischen Kernkraftwerk Harrisburg eingetreten ist, war dagegen kein Auslegungsunfall, dessen Konsequenzen durch eingebaute technische Sicherheitsmaßnahmen laut Auslegungsanforderungen voll beherrschbar sein mussten. Trotzdem hat sich gezeigt, dass dieser Unfall im Kraftwerk Harrisburg so gut beherrscht wurde, dass keine nennenswerte Radioaktivität an die Umgebung freigegeben wurde. Im Falle des Unfalls in Tschernobyl, wobei es sich allerdings nicht um einen Leichtwasserreaktor handelte, verliefen die Folgen dagegen für die Bevölkerung bei weitem nicht so glimpflich. Neue Entwicklungen, wie der European-Pressure-Reaktor (EPR), der zurzeit in Finnland und Frankreich gebaut wird, haben dagegen eine andere Sicherheitsphilosophie. Bei ihnen gehört der Kernschmelzunfall zu den technisch zu beherrschenden Unfällen, er ist nun der größte anzunehmende Unfall. Auch die in China und in Südafrika ver-
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folgte Graphithochtemperaturreaktortechnik, die in Deutschland entwickelt wurde, birgt bei kleinen Reaktoren eine große inhärente Sicherheit. Diese Aspekte, die Tatsache der CO2freien Stromerzeugung und die Diversifizierung der genutzten Energieträger, sind die Motivation für viele Länder, die Kernenergie auch als zukünftigen Baustein ihrer Energieversorgung anzusehen. Eine weitere mögliche Option einer zukünftigen Energieversorgung ist die Kernfusion. Gegenüber der Kernspaltung bietet sie den Vorteil, dass keine Nachwärme nach Abschalten der Fusionsanlage mehr entsteht und keine radioaktiven Isotope langer Lebensdauer zurückbleiben. Ob sie deshalb im Gegensatz zur Kernspaltung eine breitere Akzeptanz in manchen Ländern finden würde, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Ihre Entwicklung benötigt viel Zeit und große teure Versuchsanlagen. Sie sind von einem einzigen Land nicht mehr finanzierbar. Deshalb wird die nächste Anlage (ITER) von einer weltweiten Arbeitsgemeinschaft in Cadarache in Südfrankreich gebaut werden. Von der physikalischen Entwicklung her steht die Kernfusion noch – gemessen an der Kernspaltung – vor dem Jahre 1938, der Spaltung des Uranisotops. Erst muss nachgewiesen werden, dass der kontrollierte Kernschmelzprozess erreicht werden kann, dann fängt der lange Weg an, ein Fusionskraftwerk zu entwickeln und technisch verfügbar zu machen. Dies alles zusammengenommen lässt die Fusion als eine Option erscheinen, die frühestens in 50 Jahren zur Energieversorgung beitragen kann. Dann hätte sie jedoch ein ausgesprochen großes Potenzial.
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21.5 Kraft-Wärme-Kopplung Die kombinierte Erzeugung von Elektrizität und Wärme, die KWK-Technik, wird bereits seit 100 Jahren angewendet. Sie ist auf einem hohen technischen Reifestand angekommen und ermöglicht gegenüber der getrennten Erzeugung von Strom und Wärme eine Energieeinsparung von bis zu 15%. Ihr Nachteil ist, dass zentrale Wärmeverteilungsnetze wegen der langen Rohrleitungen beim Bau kapitalintensiv sind und damit die Fernwärme teuer machen. In der Vergangenheit hat die Fernwärme in vielen Städten den Wettlauf mit dem Erdgas verloren, weil die Betreiber von Erdgas im Gegensatz zu denen der Fernwärmenetze in der Lage waren, an die Städte Konzessionsabgaben für die Überlassung der Straßen zum Leitungsbau zu zahlen. Ein anderer Weg ist die Anwendung des KWK-Prinzips in kleineren Anlagen, beispielsweise in Brennstoffzellen oder kleinen motorbetriebenen Anlagen. Sie könnten einzelne Gebäude oder Gebäudekomplexe versorgen und über moderne Kommunikationstechnik zu einem »virtuellen Kraftwerk« verbunden werden. Eine zentrale Leitwarte könnte ihren Betrieb steuern und beispielsweise die Anlagen bevorzugt zu den Zeiten fahren, in denen Elektrizität gebraucht und vom Markt höher vergütet wird.
21.6 Erneuerbare Energien und Maßnahmen zur Energieeffizienzsteigerung Erneuerbare Energien in all ihren Formen werden zukünftig weltweit weiter Einzug in die Energieversorgung halten. Welche erneuerbaren Energien genutzt werden, wird in jedem Land unterschiedlich sein. Auf ihre Potenziale soll an dieser Stelle ebenso wie auf das der Effizienzmaßnahmen nicht mehr
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eingegangen werden, da sie bereits in den vorhergehenden Kapiteln im Detail diskutiert wurden.
21.7 Wasserstoff Die Geschichte der Energiewirtschaft und Energietechnik zeigt, dass immer wieder einzelne Umwandlungstechniken entwickelt werden und auf den Markt kommen, die erhebliche Auswirkungen auf die Struktur der Energieversorgung haben. Dieses Potenzial spricht man auch der Brennstoffzellen- und der Wasserstofftechnik zu. Wasserstoff ist kein Energieträger, den man in der Natur findet. Er wird heutzutage im Wesentlichen als Chemierohstoff eingesetzt oder in der Raffinerie zum Entschwefeln des Heizöls und Dieselkraftstoffs. Betrachtet man diese Mengen Wasserstoff unter Energiegesichtspunkten, so könnte man mit der gleichen Menge etwa 3 % des Primärenergiebedarfs in Deutschland und weltweit gesehen ebenfalls 3 % abdecken. Der größte Teil des heute verwendeten Wasserstoffs wird aus der Spaltung von Erdgas hergestellt. Für eine zukünftige Wasserstoffenergiewirtschaft ist dieser Weg nicht geeignet. Erdgas kann für die gleichen Anwendungen eingesetzt werden, die auch mit Wasserstoff bedient werden können. Eine Erzeugung von Wasserstoff aus Erdgas führt zu schlechteren Wirkungsgraden und ist zudem auch nicht emissions- und klimagasfrei. Es bleibt also nur der Weg, Wasserstoff durch Wasserspaltung mit Hilfe von Elektrizität zu erzeugen. Soll die Erzeugung klimagasfrei vorgenommen werden, kommt nur Strom aus Kernkraftwerken oder erneuerbaren Energien in Frage. Letzterer könnte mit Hilfe von Wasserkraftwerken, Photovoltaikanlagen, Windkonvertern und solarthermischen Kraftwerken,
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wie sie beispielsweise in Kalifornien im Einsatz sind, erzeugt werden. In der Vergangenheit hat es bereits Konzepte für eine zukünftige Energieversorgung Europas auf Basis einer großen Wasserstoffproduktion in der Sahara gegeben. Dieser Vision folgend würde in der Sahara eine sehr große Fläche mit Photovoltaikelementen belegt. Mit Hilfe ihres Stromes würde Wasserstoff über Elektrolyse aus Wasser erzeugt. Dieser würde über Pipelines und Transportschiffe nach Europa gebracht, ein Teil des Stromes über verlustarme Hochspannungsleitungen (auf Gleichstrombasis) über lange Distanzen abtransportiert. Mengenmäßig sind diese Vorstellungen durchaus zu realisieren. Auch die technischen Komponenten zur Verwirklichung eines derartigen Energieversorgungssystems sind im Prinzip heute vorhanden, sie müssten jedoch noch entsprechend zur Reife entwickelt werden. Die Rechnungen zeigen aber, dass die Kosten für die erzeugte Energieeinheit bei heutigen Randbedingungen und bei heutigem technischen Stand wesentlich über denen liegen, die bei der weiteren Nutzung von Ressourcen fossiler Energieträger – auch unter Berücksichtigung von Umweltschutz und Klimagasreduktionsmaßnahmen – anfallen. Bei der Saharavision käme auch – wie beim Erdöl – die Frage der politischen Verfügbarkeit des Energieträgers mit in die Diskussion, weil große Mengen an Energie aus einer Region bezogen würden, die politisch gesehen vergleichbare Merkmale wie der Nahe Osten aufweist. Trotzdem, die Überlegungen zeigen, dass unter Inkaufnahme von sehr hohen Energiepreisen, welche Auswirkungen diese auch immer auf die wirtschaftliche Prosperität der Länder haben mögen, die Energiemengen auf lange Sicht bei weitem nicht erschöpft sind.
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21.8 Erdwärme Der Vollständigkeit halber sollen noch weitere Potenziale genannt werden. Erdwärme kann oberflächennah, d. h. aus Tiefen bis ca. 60 Metern, mit Hilfe von Wärmepumpen genutzt werden. Derzeit arbeiten über 100000 Wärmepumpenanlagen zu Heizungszwecken in Deutschland, ihre Technik ist ausgereift. Wärmepumpen ermöglichen es, bei guter Auslegung mit einer Kilowattstunde Elektrizität weitere 3 bis 4 kWh Wärme aus dem Erdreich zur Beheizung des Gebäudes zu gewinnen. Zusätzlich können in der Erde an manchen Stellen vorhandene Warmwasservorräte angebohrt werden und zur Wärmeversorgung von Siedlungen genutzt werden. So werden in Mecklenburg-Vorpommern in der Stadt Neustadt-Glewe rund 3000 Wohnungen über geothermische Wärme beheizt. Auch Verfahren zur Ausnutzung des normalen Temperaturgradienten von etwa 30 Grad Temperaturunterschied pro tausend Meter Tiefe sind in der technischen Entwicklung, stehen aber erst noch am Anfang. Diese Option könnte auf der langfristigen Zeitachse der Energieversorgung durchaus zum Einsatz kommen. Sie wird allerdings teurere Wärme zur Verfügung stellen als die heutige Energieversorgung.
21.9 Speicherung Ein zentrales Problem jeglicher Energieversorgung ist die Speicherung von Energie. Mit Ausnahme der indirekten Speicherung von Elektrizität über Pumpspeicherkraftwerke stehen keine Speicher zur Verfügung, die Elektrizität in energiewirtschaftlichen Dimensionen über längere Zeiträume spei-
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chern können. Obwohl eine Vielzahl von technischen Entwicklungen im Gange ist, zeichnet sich keine zufriedenstellende Lösung ab. Experimentiert wird im Bereich der Speicher für Elektrizität mit supramagnetischen Spulen, mit großen Schwungrädern und mit großen Batterieanlagen. Wärme kann in gut wärmegedämmten Speichern in Form von warmem Wasser, in Form von Chemikalien und in Kies gespeichert werden. Allen Möglichkeiten gemeinsam ist, dass sie nur zur kurzzeitigen Speicherung fähig sind. Gelänge es, zukünftig neue Wege der Speicherung zu finden, insbesondere im Bereich von Wärme, könnte die gesamte Energieversorgung in vielen Ländern umstrukturiert werden. Man könnte seine Wärme für den Winter im Tankwagen in einer Kraft-Wärme-Kopplungsanlage abholen, die teuren Transportnetze entfielen. Solaranlagen wären in der Lage, bei Überdimensionierung im Sommer die Wärme für die Übergangszeiten und den Winter zu produzieren. Windanlagen könnten ihre Elektrizität über die Speicheranlagen dann ins elektrische Netz geben, wenn der Stromverbraucher die elektrische Energie benötigt. Leider muss als Schlussfolgerung unter allen diesen Überlegungen derzeit noch geschrieben werden, dass nicht absehbar ist, ob überhaupt jemals eine entsprechende Speichertechnik gefunden wird und diese Wünsche je erfüllt werden können.
21.10 Weiträumige Energieübertragung Eine weitere interessante Zukunftsvision der elektrischen Energieversorgung ist die Verbindung ganzer Kontinente über Höchstspannungsnetze auf Basis von Gleichstrom, die den weiten Transport von elektrischer Energie mit vertretba-
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ren Verlusten ermöglichen. Dies ist mit der heute angewendeten Wechselstromtechnik nicht möglich. Durch den großflächigen Verbund mit der Möglichkeit, elektrische Energie weit zu transportieren, könnten klimatische Unterschiede, warmes Klima am Mittelmeer und kältere Temperaturen in Skandinavien, aber auch die durch Zeitunterschiede bedingten Spitzen des Elektrizitätsverbrauchs ausgeglichen werden. Elektrizität aus Solarkraftwerken im Mittelmeerraum könnte bei Bedarf bis nach Deutschland oder umgekehrt Strom aus Windenergie von Deutschland weiter in den Süden transportiert werden. Obwohl die technische Möglichkeit der HochspannungsGleichstrom-Übertragung heute besteht, ist die technische Realisierung derartig großer Energietransportverbünde aus wirtschaftlichen, aber auch politischen Gründen bisher nicht konkret geplant worden. Es bestehen jedoch einzelne Leitungen, beispielsweise zwischen Norddeutschland und Norwegen.
21.11 Zentral versus dezentral Die diskutierten technischen Entwicklungen erheben keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit. Aber auch für die nicht genannten Techniken gelten die gleichen Randbedingungen zur Einfügung in eine zukünftige Energieversorgung wie für die genannten. Häufig werden in der Energiediskussion im Zusammenhang mit der zukünftigen Struktur der Energieversorgung unterschiedliche Grundpositionen bezogen. Es wird eine zentrale versus dezentrale Energieversorgungsstruktur diskutiert. Als zentrale Energieversorgungsstruktur werden dabei große Kraftwerke, die über elektrische Verbundsysteme die
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Verbraucher versorgen, angesehen. Als dezentrale Energieversorgungssysteme werden dagegen Brennstoffzellen, kleine Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen auf Motorbasis und die Stromerzeugung mit Windenergieanlagen und vielleicht Photovoltaikanlagen an einer Vielzahl von Standorten bezeichnet. Auch für die Wärmeversorgung lässt sich, allerdings in engeren Grenzen, das Bild einer zentralen versus dezentralen Energieversorgung aufbauen. Eine zentrale Energieversorgung wäre beispielsweise die Versorgung mit einem großen Erdgassystem, dessen Leitungen zu jedem Haus gehen, oder großflächige Netze von Fernwärmeleitungen in Ballungsgebieten. Zur dezentralen Versorgung zählen Holzheizungen, Ölheizungen oder vielleicht auch Erdwärmeanlagen. Man erkennt, dass die heutige Strom- und Wärmeversorgung eindeutig zentralistische Züge aufweist. Für beide Arten der Energieversorgungsstruktur gibt es Pro- und Kontraargumente. Proargumente sind die »Economics of Scale«, d. h. die Verringerung der spezifischen Investitionskosten bei größeren Anlagen. Auf der Proseite stehen auch die Begrenzung der vorzuhaltenden Reservekapazität und die Erhöhung der Versorgungssicherheit bei Ausfällen von Anlagen. Auch ist bei zentraler Versorgungsstruktur eine bessere Nutzung verschiedener Energieträger, wie beispielsweise die Stromerzeugung aus Kohle im Ruhrgebiet und die aus Wasserkraft in den Alpenländern oder in Norwegen, möglich. Die Befürworter der dezentralen Energieversorgung führen dagegen als Argumente die Anfälligkeit von großen Versorgungssystemen bei Naturkatastrophen und kriminellen Attacken an, aber auch die Verluste in den Verteilungsnetzen und nicht zuletzt die wirtschaftspolitische Konzentration der Energieversorgung bei großen Unternehmen. Aus der Diskussion zentral oder dezentral lassen sich un-
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terschiedliche Zukunftsvisionen ableiten. Rein mengenmäßig gesehen dürfte es möglich sein, sowohl ein Energieversorgungssystem mit ausschließlich zentralen als auch mit ausschließlich dezentralen Elementen auf dem Papier zu entwerfen. Wie weit sich dieses dann in der Praxis umsetzen lässt, bei Berücksichtigung der vielen wirtschaftlichen, technischen und politischen Randbedingungen, bleibt offen. Grundsätzlich ist die Frage zu stellen, ob die Diskussion nicht künstlich durch die Definition der Begriffe ›zentral‹ und ›dezentral‹ bestimmt wird. Die Stromerzeugung mit Hilfe einer Vielzahl von Brennstoffzellen ist ohne Frage dezentral. Da die Brennstoffzellen aber mit Erdgas oder vielleicht zukünftig mit Wasserstoff versorgt werden müssen, der wiederum durch große Pipelinesysteme transportiert wird, ist zumindest die Versorgungsseite eine zentrale Energietechnik. Auch die Wärmeerzeugung in Ölheizungen hat eine zentrale Komponente, wenn man an Raffinerien oder große Förderanlagen für Rohöl denkt. Der beste Weg in die Zukunft dürfte derjenige sein, der versucht, in die zukünftige Struktur der Energieversorgung möglichst viele Bausteine und Techniken einzubinden. Eine solche Energieversorgung könnte auf wechselnde Anforderungen am besten reagieren. Sie hätte zentrale und dezentrale Elemente.
Herausforderung Energie – Chancen nutzen
22 Die Fakten Am Ende des Buches ist es sinnvoll, nochmals zusammenfassend die Fakten und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Energie zur Verfügung zu haben ist eine der Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben. Energie wird im Alltag in unterschiedlicher Form benötigt. Mechanische Energie treibt Geräte und Autos an, thermische Energie erwärmt Wasser und lässt die Turbinen sich drehen, elektrische Energie ermöglicht die Telekommunikation, das Licht und den Mikrowellenherd. Chemische Energie ist in Kohle, Erdöl, Benzin und Erdgas gespeichert. Als Primärenergie wird die Energieform bezeichnet, die die Natur uns anbietet. Primärenergie muss umgewandelt werden in eine technisch nutzbare Energieform. Dazu werden Kraftwerke, Raffinerien, Erdgasaufbereitungsanlagen, Solarkollektoren, Windenergieanlagen und Kernkraftwerke benötigt. Auch ausreichende Transportsysteme, seien es Pipelines, elektrische Leitungen oder Tankwagen, sind notwendig, um die Infrastruktur der Energieversorgung sicherzustellen. Der Verbraucher benötigt Energiedienstleistungen, d. h., er fragt warme Räume, Licht, Information- oder Prozesswärme bei industriellen Prozessen nach. Ob sie mit viel oder wenig Energieeinsatz befriedigt werden, hängt neben den physikalischen Gesetzen vom technischen Stand der Anlage, also ihrer Energieeffizienz, bei der Beheizung von Gebäuden auch von der Wärmedämmung des Gebäudes ab.
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Herausforderung Energie
Die Weltbevölkerung wächst kontinuierlich: 6,2 Mrd. Menschen wurden 2004 auf der Welt gezählt. Der Weltenergieverbrauch folgte bisher nicht im gleichen Maße dem rapiden Anstieg der Weltbevölkerung. Er nahm aber trotzdem in den letzten 50 Jahren stetig zu. Die Menschen verbrauchen unterschiedlich viel Energie. Der größte Teil des Energieverbrauchs fällt für die Befriedigung der Bedürfnisse in Industrieländern an. Rund 20 % der Menschen leben in dieser Ländergruppe und haben einen Anteil von 50 % am Weltprimärenergieverbrauch. Die Bevölkerung wächst aber in erster Linie in den Entwicklungs- und Schwellenländern und weniger in den Industrieländern. In Deutschland lebt 1,3 % der Weltbevölkerung. Sie nehmen 3,5 % des weltweiten Primärenergieverbrauchs in Anspruch. Energie ist nicht gleich Energie. Die einzelnen Energieträger sind unterschiedlich gut zu handhaben. Die Nutzung von Kohle, Öl und Gas ist mit der Emission von Luftschadstoffen und mit der Emission des Klimagases Kohlendioxid (CO2) verbunden. Zur Abscheidung der Luftschadstoffe aus den Verbrennungsprozessen werden Rauchgasreinigungsmaßnahmen angewendet. Sie erfordern technisches Können und benötigen zusätzliche Investitionen. Bei der Stromerzeugung verteuern sich die Stromerzeugungskosten durch die Maßnahmen zur Reinhaltung der Luft um etwa 20 %, für die Konsumenten in Entwicklungsländern sind das erhebliche Summen. Die Kohlenwasserstoffe Erdöl und Erdgas werden weltweit in einem viel größeren Maße verbraucht, als es ihrem Anteil an den Energiereserven entspricht. Erdöl besitzt die höchste energetische Dichte von allen Energieträgern, es ist gut lagerbar und einfach zu handhaben. Deshalb funktioniert weltweit 80 % der Mobilität mit Erdöl. In vielen Ländern
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dient es auch zur Stromerzeugung. Erdgas ist als leitungsgebundener Energieträger genau wie Strom kapitalintensiv. Dafür verbrennt es mit geringen Luftschadstoffen und gegenüber den anderen fossilen Energieträgern mit einer geringeren CO2-Emission. Die Nutzung der Kernenergie setzt ein hohes Sicherheitsbewusstsein, einen hohen technischen Sicherheitsstandard und die Möglichkeit, kapitalintensive Energietechniken zu finanzieren, voraus. Sie ist deshalb in erster Linie eine Technik für Industrieländer, die aber aus Akzeptanzgründen nicht alle diese Option wahrnehmen. Erneuerbare Energien werden in vielschichtiger Form und mit unterschiedlichen Techniken genutzt. In sonnenreichen Gebieten ist ihre Nutzung zur Warmwasserbereitung einfach und weit verbreitet. Technisch aufwändiger und auch mit nennenswerten Kosten verbunden ist die Stromerzeugung mit Windenergieanlagen, solarthermischen Kraftwerken und insbesondere mit Photovoltaikanlagen. Erneuerbare Energien sind deshalb nicht ohne weiteres für alle Menschen in den Entwicklungsländern zugänglich. Holz, als Brennstoff der Armen, trägt in ländlichen Gebieten der Entwicklungsländer zu deren Energieversorgung bei. Es wird aber häufig in einem so großen Maß genutzt, dass es nicht mehr im nachhaltigen Sinne nachwachsen kann. Versteppung und Verkarstung sind die Folge. Energie ist eine Handelsware. Der Preis der einzelnen Energieträger auf den Weltmärkten, aber auch auf den meisten nationalen Märkten bestimmt sich durch Angebot und Nachfrage unter Berücksichtigung der Qualitätskriterien der Energieträger. Die Nachfrage nach den Kohlenwasserstoffen Erdöl und Erdgas hat durch die Schwellenländer Asiens und Süd-
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amerikas in den letzten Jahren nennenswert zugenommen. Der Ausbau der Förderkapazitäten und ihre politische Verfügbarkeit (z. B. Kriege im Nahen Osten) sind diesem Anstieg der Nachfrage nicht im gleichen Maße gefolgt. Die Folge ist ein erheblicher Anstieg der Öl- und Erdgaspreise. Dies belastet die Volkswirtschaften der Industrieländer. Sie haben trotzdem noch die Möglichkeit, durch verstärkten Export – auch in die ölexportierenden Länder – wieder Geld für den Energieeinkauf zu verdienen. Die Möglichkeiten zur Beschaffung von Devisen zum Kauf von Energieträgern sind für die Entwicklungsländer dagegen begrenzt. Ein Anstieg der Energiepreise auf den Weltmärkten bedeutet für sie eine Abnahme ihrer Ölimporte oder anderer Importe und damit schlechtere Möglichkeiten, ihre Wirtschaft weiter zu entwickeln und einen angemessenen Lebensstandard zu erarbeiten. Die Energiepreise durch eine gedämpfte Nachfrage (Energieeinsparen) niedrig zu halten ist deshalb eine moralisch gebotene Aufgabe.
23 Erneuerbare Energien als Hoffnungsträger Die bisherige weltweite Energieversorgung ist – genauso wie die in Deutschland – dadurch gekennzeichnet, dass über 80 % des gesamten Energieverbrauches auf der Nutzung von Kohle, Erdöl und Erdgas entfallen. Bei den erneuerbaren Energien hält die Wasserkraft bisher den größten Anteil. Die Potenziale der erneuerbaren Energien sind weltweit bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Zu ihrer Markteinführung müssen aber zwei nennenswerte Hürden überwunden werden. Die eine besteht darin, dass die von der Sonne angebotene Energie gemessen an technischen Maßstäben in kleinen Energiedichten anfällt. Sie muss deshalb über große Flächen »gesammelt« werden. Das erfordert für die Nutzung der Sonnenenergie höhere Investitionen als für die Nutzung fossiler Energieträger, auch unter Berücksichtigung aller erforderlichen Investitionen zur Luftreinhaltung und der Mehrkosten durch CO2-Zertifikate. Die zweite grundsätzliche Schwierigkeit bei der Nutzung erneuerbarer Energien besteht darin, dass Sonnen- und Windenergie nur fluktuierend anfallen. Sie sind zudem schwer speicherbar, da weder saisonale Wärmespeicher von ausreichender Qualität noch Speicher für elektrische Energie für große Mengen technisch zur Verfügung stehen. Die Frage der Speicherung ist eine zentrale Frage der zukünftigen Energieversorgung und damit auch eine zentrale Frage der weiteren Energieforschung und technischen Entwicklung. Sonnen- und Windenergie ersetzen fossile oder
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auch nukleare Energieträger. Sie können aber nicht in nennenswertem Maße konventionelle Kraftwerks- oder Wärmeerzeugungsanlagen ersetzen. Sie benötigen konventionelle Back-up-Systeme, die damit die Nutzung der erneuerbaren Energien zusätzlich verteuern. Der Preis für Steinkohle müsste sich beispielsweise verdreifachen, damit die Nutzung der Windenergie unter strengen betriebswirtschaftlichen Aspekten wirtschaftlich wird. Die Nutzung des Sonnenlichtes zur Stromerzeugung über Photovoltaikanlagen kann über die Steigung der Energiepreise bei heutigen Kosten der Photovoltaikanlagen nicht wirtschaftlich werden. Hier muss es über einen technologischen Durchbruch zu einer erheblichen Reduzierung der Photovoltaikkosten kommen, um dieser Technik den breiten Einzug in die Energieversorgung zu ermöglichen. Wasserkraft ist an größeren Flüssen kontinuierlich vorhanden, Biomasse ist speicherbar. Beide Energieträger haben deshalb Eingang in die bestehende weltweite Energieversorgung gefunden bzw. finden sie leicht in Zukunft.
24 Zukünftig weniger Energie verbrauchen Ein zentraler Baustein der zukünftigen Ausrichtung der weltweiten Energieversorgung besteht darin, möglichst wenig Energie zu nutzen. Hierbei muss zwischen der Einsparung in Form von weniger Energieverbrauch durch die Menschen und die Einsparung durch technischen Fortschritt gegenüber dem heutigen Verbrauch der Anlagen und Geräte unterschieden werden. Verhaltensbedingte Einsparpotenziale sind in den Industrieländern vorhanden. Ihre Größenordnung liegt im Bereich zwischen 10 bis 15 %. Sie kann direkt erschlossen werden. Man muss es nur wollen. Technisch bedingte Einsparpotenziale lassen sich dagegen nur über technischen Fortschritt und innovative Ideen verwirklichen. Die Energietechnik unterliegt seit Jahrzehnten einem kontinuierlichen Prozess in Richtung höherer Energieeffizienz. Alleine in den letzten 40 Jahren haben Kraftwerke die benötigte Kohlemenge zur Erzeugung einer Kilowattstunde Strom halbiert. Große unerschöpfte Einsparpotenziale sind in der Beheizung von Gebäuden vorhanden. Die nachträgliche zusätzliche Wärmedämmung und energetische Sanierung der Gebäude kann in den Industrieländern auf lange Sicht den Energieeinsatz zur Beheizung halbieren. Neue Gebäude lassen sich bei vertretbaren Kosten heute bereits im sogenannten »3-Liter-Standard« ausführen. Das bedeutet, dass pro m2 Wohnfläche und Jahr das Energieäquivalent von nur 3 Litern Erdöl (oder 3 m3 Erdgas) benötigt wird. Auch die elektrischen
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Geräte sind wesentlich sparsamer geworden, ebenso die Motoren in den Kraftfahrzeugen. Demgegenüber steht eine Ausweitung der Nachfrage nach Energie durch die Verbraucher, nicht nur in den Entwicklungs- und Schwellenländern, sondern auch in den Industrieländern. Schwellenländer versuchen, den gleichen Weg zu gehen, den auch die Industrieländer gegangen sind. Dazu benötigen sie mehr Energie. In den Industrieländern werden mehr Energiedienstleistungen nachgefragt. In Deutschland steigt die zu beheizende Wohnfläche pro Kopf kontinuierlich an, die Anzahl der elektrischen Geräte nimmt zu, und es werden mehr Kilometer gefahren oder geflogen. Dieses Verhalten hat in den letzten Jahren die technisch bedingten Einsparungen kompensiert. Unterm Strich wird absolut gesehen genauso viel Energie verbraucht wie vor etwa 20 Jahren. Der Energieverbrauch stagniert, geht aber nicht nennenswert zurück. Auch die Energieeffizienz in Kraftwerken, Raffinerien und sonstigen Energieumwandlungsanlagen sowie bei den Geräten im Haushalt nimmt nicht sprunghaft zu, sondern langsam über einen stetigen Verbesserungsprozess. Jahrzehnte werden benötigt bis die Gerätegenerationen ausgetauscht oder Gebäude saniert werden. Veränderungen in der Struktur der Energieversorgung benötigen deshalb lange Zeit. Die hohe Kapitalbindung in der Energieversorgung verbietet auch aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus kurzfristige Umbrüche. Trotz aller Bemühungen, mit Energie rationell umzugehen, wird der weltweite Primärenergieverbrauch wegen der zunehmenden Nachfrage aus den Schwellenländern Asiens und Südamerikas weiter ansteigen. Der notwendige sparsame Umgang mit Energie dämpft diesen Anstieg, kann ihn aber nicht kompensieren.
25 Billige Energie geht zur Neige Die bisherige weltweite Energieversorgung beruht im Wesentlichen auf Energieträgern, die, ausgedrückt in Ölpreisen, unter 20 $ pro Barrel, also etwa 11 Ct pro Liter Rohöl, gewonnen werden. Hinzu kommen weitere Kosten für die Transporte und die Verarbeitung in der Raffinerie. Das Produkt wird damit von den Kosten her für unter 20 Ct pro Liter für den Verbraucher hergestellt. Die Preise lagen im Jahre 2006, ohne alle staatlichen Aufschläge, bei etwa 50 Ct pro Liter. Unter diesen Konditionen hat die Welt bisher die billigen Vorräte an Energie genutzt. Die verfügbaren Energiereserven sind gut bekannt. Ihre Förderung ist technisch möglich und ihre Vermarktung bei heutigen Energiepreisen gegeben. Zu den Reserven kommen die Energieträger hinzu, die man als Ressourcen bezeichnet. Sie können entweder nur zu wesentlich höheren Kosten als die gängigen Marktpreise gefördert werden, oder aber ihre Förderung ist – wie beispielsweise bei den Gashydraten – technisch noch nicht möglich. Die oft publizierten Zahlen für die Reichweite von Energieträgern, beispielsweise 40 Jahre für Erdöl und 60 Jahre für Erdgas, sind das Verhältnis zwischen den bekannten Reserven und dem Verbrauch in einem bestimmten Jahr. Beides kann sich ändern. Steigt der Preis und werden weitere technische Möglichkeiten zur Förderung entwickelt, werden Ressourcen zu Reserven. Die Zunahme der Weltbevölkerung, das Maß der Energieeffizienz und die Höhe
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der Energiepreise haben ihrerseits wiederum Einfluss auf den Verbrauch. Die Reichweiten verändern sich deshalb von Jahr zu Jahr. Sicher ist, dass auch die Ressourcen eines Tages erschöpft sein werden. Dies wird beim Öl nicht in 40 Jahren der Fall sein. Bei Förderkosten im Bereich von 20 bis 40 $ pro Barrel, also bei einer Verdopplung gegenüber den heutigen Förderkosten, ist nochmals ein Mehrfaches dessen an Energievorräten vorhanden, was bisher verbraucht wurde. Ein Beispiel dafür sind die Ölsande in Kanada. Die Aussage der Überlegungen ist daher die, dass die Förderkosten und damit die Marktpreise für die Energieträger zukünftig teurer werden. Die Energievorräte sind ungleich auf der Welt verteilt. Während Steinkohle auf allen Kontinenten vorhanden ist, konzentrieren sich die Lagerstätten von Erdöl auf den Nahen Osten und auf Süd- und Mittelamerika. Beim Erdgas befinden sich 70 % der heutigen Weltreserven in der strategischen Ellipse zwischen Sibirien, dem Kaspischen Meer und dem Nahen Osten. Uranvorkommen und erneuerbare Energien sind dagegen über die ganze Welt verteilt. Neben der Mengenfrage existiert noch die Frage des politischen Zugangs zur Energie. Beim Erdöl liegen große Vorkommen in islamischen Staaten. Auch für sie gilt auf längere Sicht die wirtschaftliche Rationalität. Aus dem Ölverkauf müssen sie Devisen erwirtschaften, um ihre Volkswirtschaft intakt zu halten. Trotzdem hat sich in der Vergangenheit mehrfach gezeigt, dass sie kurzfristig von dieser wirtschaftlichen Rationalität aus politischen Gründen abweichen. Die Sicherheit der Energieversorgung bleibt somit eines der Themen der nächsten Jahrzehnte. Das Wort Sicherheit kann dabei über die mengenmäßige Verfügbarkeit hinaus ausgeweitet werden. Die Unterbrechung der Versorgung mit Energie ist ein vorstellba-
Billige Energie geht zur Neige
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res Ziel krimineller und terroristischer Handlungen. Eine gesicherte Energieversorgung erfordert einen weltweiten Dialog, der erst am Anfang steht.
26 Die Zukunft im Blick Wie sieht nun das Bild der zukünftigen Energieversorgung für die nächsten 20 bis 40 Jahre aus? Wesentliche Anteile an der zukünftigen Energieversorgung werden nach wie vor die Energieträger Kohle, Öl und Erdgas haben. Sie werden in manchen Ländern ergänzt werden um die Kernenergie. In vielen Ländern werden erneuerbare Energien zunehmend Schritt um Schritt mit in die Energieversorgung eingeführt werden. Das weitere längerfristige Ansteigen der Energiepreise wird Energieeinsparen und insbesondere die Energieeffizienz der Geräte fördern. Es wird jedoch auch in der zukünftigen Energieversorgung Zielkonflikte geben. Das Abscheiden von Kohlendioxid aus Kraftwerken aus Klimaschutzgründen beispielsweise führt zu einer Abnahme ihrer Energieeffizienz. Die Erfolge der Energieeffizienzsteigerung über die letzten 30 Jahre hinweg werden dadurch in diesem Sektor weitestgehend aufgehoben. Es bleibt ethisch geboten, mit allen Mitteln zu versuchen, das Ungleichgewicht des Energieverbrauchs weltweit weiter einzugrenzen. Dazu sind dämpfende Einflüsse auf den Anstieg der Energiepreise über Energieeinsparen, über effizientere Energieumwandlung und über die Erschließung von weiteren Energiequellen notwendig. Nur so kann auch den armen Ländern preislich gesehen ein bedingter Zugang zu den Energien auf den Weltmärkten ermöglicht werden. Technisch gesehen steckt eine Vielzahl von Optionen in der
Die Zukunft im Blick
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Entwicklung, die in die zukünftige Energieversorgung eingebunden werden können. Brennstoffzellen beispielsweise können dezentral Strom und Wärme erzeugen, Wasserstoff kann über Wasserspaltung mit Hilfe von Strom aus Kernenergie oder erneuerbaren Energien gewonnen und gespeichert werden, die Potenziale der Nutzung der tiefen Erdwärme können zugänglich gemacht werden. Die Frage der Zukunft ist nicht: »Geht der Menschheit die Energie aus?« – Die Antwort darauf wäre: »Ja, es geht die billige und einfach zu nutzende Energie aus, aber nicht die teurere.« Die beiden zentralen Fragen der Zukunft sind vielmehr: »Wie kann erreicht werden, dass die Ungleichgewichte im Energieverbrauch zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern kleiner werden und damit die Unterschiede im Lebensstandard?«, und: »Wie kann es wirtschaftlich ermöglicht werden, auf lange Sicht für Energie wesentlich mehr zu zahlen?« Deutschland als hochentwickeltes, technologisch auf dem Energiegebiet führendes Industrieland besitzt viele Möglichkeiten und Optionen, Energieträger zu nutzen und Energietechniken zu verbessern. Die deutsche Energiepolitik muss dieses nur erkennen. Auch sind die Einsparpotenziale bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Aufgrund begrenzter eigener Energiereserven muss Deutschland genauso wie die Europäische Union insgesamt etwa 60 % seiner benötigten Energieträger auf dem Weltmarkt einkaufen. Es ist deshalb mit seiner Energieversorgung eingebunden in das Geschehen auf der Welt. Zugleich verfolgt Deutschland bei den Zielen des Klimaschutzes und der Minderung der Luftschadstoffe ehrgeizige
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Ziele. Die zukünftige Energieversorgung muss deshalb möglichst ausgewogen ausgerichtet sein zwischen – ausreichend sicherer Energieversorgung – bezahlbaren und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft unterstützenden Energiepreisen – klima- und umweltfreundlicher Energieversorgung und – von der Bevölkerung akzeptierter Nutzung der Energieträger. Dies erfordert einen permanenten Diskussions- und Entscheidungsprozess. Angesichts der langfristig bestehenden Unsicherheiten ist deshalb die Energieversorgung die beste, die so viele Optionen wie möglich zur Verfügung hat. Konkret erfordert dies die Nutzung aller Energieträger, die weitere Steigerung der Energieeffizienz und des Einsparbewusstseins sowie einen permanenten Dialog zwischen den Entscheidungsträgern und der Bevölkerung über die Fakten und die weitere Ausrichtung der Energieversorgung. Die Entwicklung und Markteinführung möglichst vieler innovativer Energietechniken ist unerlässlich. Dazu bedarf es vermehrter Forschungsund Entwicklungsanstrengungen und guter Ausbildung. Die zukünftige Energieversorgung ist eine Herausforderung. Der Wettlauf um die Lagerstätten hat begonnen. Wir können uns den Herausforderungen nicht entziehen. Wir sind aber gut gerüstet, sie zu bewältigen. Das müssen wir aber wollen.
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Glossar Ausnutzungsdauer – Wind- und Sonnenenergieanlagen erzeugen angebotsbedingt den Strom ungleichmäßig übers Jahr. Die Ausnutzungsdauer ist die fiktive Stundenzahl, die die Anlage mit maximaler Leistung konstant laufen müsste, um die Jahresstrommenge zu erzeugen. In Deutschland liegen die Werte für Photovoltaikanlagen bei max. 1000 h, für Windanlagen an Land zwischen 1600 und 2200 h. Barrel – Maßeinheit für Erdöl: 1 barrel = 159 Liter. Biologische Oxidation – Energiegewinnung durch stufenweises Oxidieren energiereicher, organischer Verbindungen. Biomasse – Das im natürlichen Kohlenwasserstoff-Kreislauf ständig neugebildete Material pflanzlicher und tierischer Organismen. Börsenhandel – Handel von Elektrizität und Gas an der Börse. Im liberalisierten Markt werden zunehmend mehr Mengen von leitungsgebundenen Energien an der Börse gehandelt. Brennstoffzellen – Geräte, die Wasserstoff (rein oder in Form wasserstoffhaltiger Brennstoffe) katalytisch mit Luft-Sauerstoff unter Freisetzung von elektrischem Strom »verbrennen«. Brennwert – Die Energiemenge, die bei Verbrennung von Öl und Gas als Wärme freigesetzt wird, wenn zusätzlich die Kondensationswärme des wieder zu Wasser umgewandelten Wasserdampfs mit berücksichtigt wird.
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Bruttosozialprodukt (BSP) – Der Geldwert aller Güter- und Dienstleistungen, die in einer Volkswirtschaft in einem Jahr konsumiert, investiert oder exportiert werden, abzüglich der Importe. Identisch mit dem Einkommen der Volkswirtschaft. Elektrolyse – Zersetzung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff unter Aufwand an elektrischer Energie. Emission – Übergang von luftverunreinigenden Stoffen oder von Klimagasen in die Atmosphäre Endenergieträger – Energieträger, die vom Verbraucher (Haushalte, Industrie, Gewerbe, Handel, Dienstleistung) zur Deckung ihres Energiebedarfs eingesetzt werden. Energiedienstleistung – Energiedienstleistungen sind Bedürfnisse der Verbraucher (z. B. angenehm temperierte Räume, Information, Beförderungen usw.), die mit Hilfe des Energieeinsatzes gedeckt werden können. Energieeffizienz – Sammelbegriff für alle technisch bedingten Maßnahmen zur Verbesserung der Energieumwandlung. Je höher die Energieeffizienz ist, umso weniger Kohle muss beispielsweise in einem Kraftwerk für eine Kilowattstunde Strom eingesetzt werden oder umso geringer ist der Verbrauch eines Fahrzeuges auf 100 km. Anstelle von Energieeffizienz wird auch häufig der Begriff »rationelle Energieanwendung« bzw. »rationelle Energieumwandlung« verwendet. Energiequelle – Im tagtäglichen Sprachgebrauch verwendeter Begriff, mit dem Primärenergieträger, aber auch Sekundär- und Endenergieträger gemeint sein können. Selbst Energieeinsparen wird häufig als Energiequelle bezeichnet.
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Energieträger – Unspezifisch verwendeter Sammelbegriff für Primär- oder Sekundär- oder Endenergieträger. Erdgas – besteht überwiegend aus Methan (CH4). Unter Normalbedingungen gasförmiger Kohlenwasserstoff, bei welchem ein Molekül aus einem Kohlenwasserstoffatom und vier Wasserstoffatomen besteht. Fermentation – Umsetzung von biologischen Materialien mit Hilfe von Bakterien, Pilz- oder Zellkulturen. Falls dieses in Abwesenheit von Sauerstoff geschieht, ist es eine anaerobe Fermentation (= Vergärung). Fossile Energieträger – Kohle, Öl, Gas. Bei ihrer Verbrennung entsteht in unterschiedlichem Maße Kohlendioxid (CO2). Fusion – Zusammenschluss, hier von den leichtesten Atomkernen, meist Wasserstoffkernen, zu (etwas schwereren) Helium-Atomkernen unter Freisetzung von Energie. Geothermie – Erdwärme. Die Temperatur in der Erdkruste nimmt mit zunehmender Tiefe um etwa 30 °C pro Kilometer zu. Zusätzlich gibt es Heißwasservorkommen und überdurchschnittlich heiße Gesteine in der Erde. Heizgas – Sammelbegriff für heiße Verbrennungsgase, die über einen Wärmetauscher Wasser oder Luft erhitzen. Verbrannt werden können fossile Energieträger oder Biomasse, aber auch Abfall. Hochtemperaturreaktor – Kernreaktor, bei dem als Moderator nicht Wasser, sondern Graphit verwendet wird. Dadurch ist der Reaktor in der Lage, höhere Dampftemperaturen zu erzeugen als andere Reaktortypen.
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Isotop – Natürlich vorkommendes oder künstlich erzeugtes, radioaktives Atom. Durch Isotopenzerfall zerfällt es in andere chemische Elemente. Kernspaltung – Die Spaltung schwerer Atomkerne wie z. B. UranAtomkerne unter Freisetzung von Kernenergie. Kohlendioxid (CO2) – Farbloses, ungiftiges, nicht brennbares Gas. Entsteht bei der Ausatmung und bei der Verbrennung kohlenstoffhaltiger Energieträger. Es ist ein wichtiges Treibhausgas. Kohlenmonoxid (CO) – Farbloses, geruchloses, giftiges Gas, wird z. B. bei der Verbrennung kohlenstoffhaltiger Substanzen bei ungenügender (Luft-)Sauerstoff-Zufuhr gebildet. Kommanditist – Finanzieller Teilhaber einer Firma, der nicht in die Geschäftsführung eingebunden ist. Windparks an Land werden über Kommanditistengesellschaften finanziert. Kondensationsenergie – Wärme, die frei wird, wenn Wasserdampf durch Abkühlen zu Wasser wird. Konversionsanlage – Umwandlungsanlage von Biomasse, bei der auf chemisch-biologischem Wege verschiedene Formen von Biomasse in Gase oder flüssige Energieträger umgewandelt werden. Kraft-Wärme-Kopplung – Gemeinsame Erzeugung von Elektrizität und Wärme (Prozesswärme für die Industrie, Fernwärme zum Heizen), dabei wird bis zu 15 % gegenüber der getrennten Erzeugung von Strom und Wärme eingespart. Leichtwasser-Reaktor (LWR) – Kernkraftwerk, das Wasser als Moderator und zugleich als Kühlmittel verwendet. Es ist der weltweit am häufigsten verbreitete Kernreaktortyp.
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Liberalisierung – Im liberalisierten Energiemarkt (Strom, Gas) gibt es keine Monopolstellung einzelner Unternehmen für ein bestimmtes Gebiet. Jeder Kunde kann seine Energie bei dem Unternehmen kaufen, das für ihn am günstigsten ist. Die Netzbetreiber (Stromleitungen, Pipeline) müssen die Energie gegen Gebühren »durchleiten.« Monopol – bezeichnet die marktbeherrschende Stellung eines Lieferanten oder einer geschlossenen Gruppe von Lieferanten. Von Teilmonopol spricht man, wenn wenige Lieferanten eine abgestimmte Lieferpolitik machen. OECD-IEA – Internationale Organisation, in der die Industrieländer Mitglied sind. Die OECD unterhält die IEA (Internationale Energie Agentur), die gegebenenfalls für das Krisenmanagement bei Verknappung von Energieträgern zuständig ist. Darüber hinaus beobachtet und analysiert sie den internationalen Energiemarkt. OPEC – Organization of the Petroleum Exporting Countries, 1960 gegründet mit Sitz in Wien. Die OPEC-Länder verfügen über große, billig zu fördernde Ölmengen. Perpetuum-Mobile – Allgemeiner Sammelbegriff für eine Maschine, die ohne Energiezufuhr läuft. Nach den Gesetzen der Physik ist dies nicht möglich. Photolyse – Ein in der Grundlagenforschung stehendes Verfahren, bei dem Wasser durch direktes Einbringen von Sonnenlicht in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten wird. Photooxidantien – Chemische Luftschadstoffe, die unter Einwirkung von Sonnenlicht aus Vorgängersubstanzen in der Atmosphäre entstehen, z. B. Ozon.
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Photovoltaikzellen (Solarzellen) – Dünne Halbleiterschichten, meist auf Siliziumbasis, in welchen eingestrahltes Licht absorbiert und direkt in elektrische Energie umgewandelt wird. Man unterscheidet beim Silizium nach der Kristallform in monokristallines, multikristallines und amorphes Silizium. Primärenergieträger – Von der Natur in ihrer ursprünglichen noch nicht vom Menschen behandelten Form angebotene Energieträger. Man unterscheidet fossile, nukleare und regenerative Primärenergieträger. Primärförderung – Ölförderung, bei der das Öl nach Anbohren der Lagerstätte aufgrund des Druckes in der Lagerstätte an die Erdoberfläche gelangt. Dabei wird die Lagerstätte nur zu etwa einem Viertel des Ölinhaltes entölt. Reserven – Teil der Energievorräte, der mit großer Genauigkeit erfasst wurde und mit den derzeitigen technischen Möglichkeiten wirtschaftlich gewonnen werden kann. Ressource – Teil der Vorräte, der entweder nachgewiesen oder geologisch vermutet wird, derzeit aber noch nicht technisch und / oder wirtschaftlich gewinnbar ist. Rohöl – Erdöl, wie es bei der Förderung an die Erdoberfläche gelangt. Rohöl ist ein komplexes Gemisch verschiedener Kohlenwasserstoffe. Zusammensetzung und Eigenschaften unterscheiden sich nach Herkunft. Schwefeldioxid (SO2) – Farbloses, stechend riechendes Schadgas, das z. B. bei der Verbrennung schwefelhaltiger Brennstoffe (Kohle, Erdöl, Biomasse) freigesetzt wird.
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Schwelgas – Gase, welche bei hohen Temperaturen, aber ohne Luftzugang entstehen, z. B. bei der Herstellung von Holzkohle. Sekundärförderung – Ölförderung, bei der durch Einpumpen von Wasserdampf oder CO2 zusätzlicher Druck in der Lagerstätte erzeugt wird. Dadurch kann der Entölungsgrad erhöht werden. Solar(-Wärme)-Kollektor – Meist flache Kollektoren, in welchen eingestrahltes Sonnelicht weitgehend absorbiert und zu nutzbarer Wärme mit Temperaturen bis zu 90 ° C gewandelt wird. Solarthermisches Kraftwerk – Kraftwerk, bei welchem auf großer Fläche (km2) direkt eingestrahltes Sonnenlicht (im äquatornahen Sonnengürtel der Erde) mittels fokussierender Spiegel auf einen Wärmeabsorber konzentriert wird. Die Wärme von 400 bis 700 ° C treibt einen Kraftwerksprozess an. Spotmarkt – Handelsplatz. Insbesondere Öl wird an wenigen Spotmärkten zu fast stündlich unterschiedlichen Preisen gehandelt. Statische Reichweite – Verhältnis von Reserven zu Verbrauch für einen bestimmten Energieträger zu einem bestimmten Zeitpunkt. Tertiärförderung – Siehe Sekundärförderung: Zusätzlich werden Chemikalien zur Verminderung der Viskosität des Öls in die Lagerstätte gebracht, um eine über die Sekundärförderung hinausgehende Entölung zu ermöglichen. Treibhauseffekt – Der Treibhauseffekt (»Klimaeffekt«) wird von Gasen (wie z.B. Kohlendioxid, Wasserdampf) in der Atmosphäre hervorgerufen, welche die (kurzwellige) Sonnenstrahlung nahezu ungehindert durch die Atmosphäre zur Erdoberfläche passieren lassen, die (langwellige) Wärmestrahlung der Erdoberfläche und der unteren Schichten der Atmosphäre hingegen stark absorbieren. Durch
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die Verbrennung von Kohle, Öl, Erdgas wird zusätzliches Kohlendioxid erzeugt, das die Temperatur der Erdatmosphäre erhöht. Uran (U-235 und U-238) – Die schwerste auf der Erde natürlich vorkommende, radioaktive Atomsorte, dessen Atome aus jeweils 92 Protonen und 143 (U-235) bzw. 146 Neutronen (U-238) aufgebaut sind. Natürliches Uran ist zu 99,3 % aus U-238 und 0,7 % aus U-235 zusammengesetzt. U-235 wird als Kernbrennstoff in Kern-Reaktoren genutzt. Vorräte – Alle bekannten und vermuteten Primärenergievorkommen. Sie werden in Reserven und Ressourcen unterteilt. Wirkungsgrad – Verhältnis der erzeugten Energiemenge (oder Leistung) einer Energieumwandlungsanlage (Kraftwerk, Heizkessel) zu der eingesetzten Energiemenge (oder Leistung). Er liegt unter 100 %.
Literaturhinweise zu Kapitel 2 Tatyana P. Soubbotina: Beyond Economic Growth – An Introduction to Sustainable Development, 2. Edition, The World Bank, Washington, D.C., 2004. Bericht der Weltbank, der sich mit den Fragen des Ungleichgewichtes der Einkommen weltweit auseinandersetzt. Neben statistischen Daten enthält er eine Vielzahl von Überlegungen zur Förderung der armen Länder. zu Kapitel 3 Hans-Wilhelm Schiffer: Energiemarkt Deutschland, TÜV-Verlag, Köln, 9. Auflage, 2005. Das Buch enthält die aktuellen statistischen Daten und Tendenzen der Förderung und Beschaffung von Energieträgern. Es erscheint jährlich in neuer Auflage. zu Kapitel 7 Christian Streffer, Carl Friedrich Gethmann, Klaus Heinloth, Klaus Rumpff, Andreas Witt: Ethische Probleme einer langfristigen Globalen Energieversorgung; Walter De Gruyter Verlag, Düsseldorf, 2005. Die Autoren des Buches nähern sich von verschiedenen Disziplinen der ethischen Frage der globalen Energieversorgung: aus Sicht der Medizin, der Philosophie, der Physik und der Energiewirtschaft. Dabei wird die Thematik nicht in separaten Beiträgen abgearbeitet, sondern gemeinsam.
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zu Kapitel 8 Klaus Heinloth: Die Energiefrage, Vieweg Verlagsgesellschaft, Braunschweig/Wiesbaden, 2. Auflage, 2003. Dieses Buch behandelt die Frage, wie der zukünftige Energiebedarf gedeckt werden kann. Ausgehend von der Ist-Situation werden die technisch-physikalischen Möglichkeiten und Potenziale der einzelnen Energieoptionen beschrieben und am Ende zu einem Szenario der zukünftigen Energiebedarfsdeckung zusammengeführt. Der Autor arbeitet die Fragen quantitativ in physikalisch-technischer Vorgehensweise ab. Th. Hollands, W. Kuckshinrichs, H.-J. Wagner: Globale Energieund CO2-Szenarien, Handbuch Energiemanagement, Kap. 2202, VWEW Energieverlag, Frankfurt, 17 Erg. Lfg., 2006. Dieses dreiteilige Handbuch ist ein Nachschlagewerk für und über die gesamte Energiewirtschaft. Der erste Band enthält die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, der zweite Band die juristischen, und der dritte Band beschreibt Energietechniken. Das hier angegebene Kapitel 2202 gibt einen Überblick über die weltweiten Energieszenarien. Das Handbuch wird fortlaufend aktualisiert.
Abbildungsnachweise Alle Graphiken: Peter Palm, Berlin