S & C by Leukon
Jean Giraudoux
UNDINE
Stück in drei Akten
Nach der Erzählung von
Friedrich de la Motte Fouqué ...
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S & C by Leukon
Jean Giraudoux
UNDINE
Stück in drei Akten
Nach der Erzählung von
Friedrich de la Motte Fouqué
Französischer Originaltitel:
Ondine
Aus dem Französischen
übertragen von Hans Rothe
PERSONEN
Andreas und Eugenie, ein Fischerehepaar Der Ritter Hans von Wittenstein
Undine
Drei Nixen
Der Wasserkönig
Der Hofmarschall
Der Direktor der königlichen Theater
Der Direktor des Robbenzirkus
Der Dichter
Gräfin Bertha
Gräfin Violante
Graf Bertram
Der König
Die Königin Isolde
Zwei Fischer
Zwei Richter
Die Spülmagd
Hofdamen
Ritter
Schauspieler
Diener
Volk
Uraufführung: 27. April 1939 Théâtre de l’Athénée, Paris
Deutsche Erstaufführung: 13. November 1948
Bayrisches Staatsschauspiel, München
ERSTER AKT Das Innere einer Fischerhütte. Gewitter.
ERSTE SZENE Der alte Andreas. Die alte Eugenie. ANDREAS (am Fenster): Was treibt sie nur draußen, in dieser pechschwar zen Nacht? EUGENIE: Warum sorgst du dich? Sie kann in der Dunkelheit sehen. ANDREAS: Bei einem solchen Gewitter! EUGENIE: Als hättest du vergessen, dass sie vom Regen nicht nass wird! ANDREAS: Jetzt singt sie auch noch! ... Oder glaubst du nicht, dass sie das ist? Ich erkenne ihre Stimme nicht wieder. EUGENIE: Wer sollte es sonst sein? Zwanzig Meilen im Umkreis gibt es kein Haus. ANDREAS: Manchmal kommt die Stimme von der Mitte des Sees, manch mal hoch oben vom Wasserfall. EUGENIE: Weil sie manchmal in der Mitte des Sees, manchmal hoch oben im Wasserfall ist. ANDREAS: Du treibst deinen Spott! ... Hast du dich in ihrem Alter ver gnügt, über die schäumenden Bäche zu springen? EUGENIE: Ein einziges Mal habe ich es versucht. An den Beinen hat man mich wieder herausgefischt. Ein einziges Mal habe ich versucht, was sie jeden Tag tausendmal treibt: über Strudel zu springen, Wasser fälle in einem Napf aufzufangen... Nein! Das werde ich nicht verges sen, dieses eine Mal, als ich auf dem Wasser zu spazieren versuchte! ANDREAS: Wir geben ihr zu sehr nach, Eugenie. Ein Mädchen von fünf zehn Jahren hat um diese Stunde nicht durch die Wälder zu laufen. Ich meine es ernst! Da will sie die Wäsche nur auf dem Gipfel der Felsen stopfen, ihre Gebete nur sprechen, wenn sie den Kopf unter 3
Wasser hält... Wo wären wir heute, wenn man dir so etwas hätte durchgehen lassen! EUGENIE: Hilft sie mir etwa nicht im Haushalt? ANDREAS: Darüber ließe sich auch ein Wörtchen sagen... EUGENIE: Was willst du noch alles? Wäscht sie die Teller nicht? Putzt sie die Schuhe nicht? ANDREAS: Das höre ich heute zum ersten Mal! EUGENIE: Sie sind nicht sauber, die Teller? ANDREAS: Darum handelt sich's nicht. Ich sage, dass ich sie nie habe auf waschen oder die Schuh putzen sehen... Du übrigens auch nicht... EUGENIE: Weil sie ihre Arbeit lieber im Freien macht. ANDREAS: Ja, ja! Aber ob es nun drei Teller sind oder ein Dutzend, ein Schuh oder drei Paar: immer dauert es nur die gleiche Zeit: kaum eine Minute, und schon ist sie zurück. Der Lappen ist nicht benutzt, die Wichse nicht angerührt. Aber alles ist sauber, alles funkelt, und niemals sind ihre Hände schmutzig! ... Weißt du, was sie heute wieder getrieben hat? EUGENIE: Hat sie seit fünfzehn Jahren ein einziges Mal getan, was man von ihr erwartet? ANDREAS: Sie hat das Gitter des Fischteichs aufgezogen. Die Forellen, die ich seit dem Frühjahr dort sammle, sind fort geschwommen. Diese letzte habe ich noch gerade für unser Abendessen erwischt. (Das Fenster fliegt auf.) Was soll das nun wieder bedeuten? EUGENIE: Das bedeutet nichts andres, als dass es stürmt. ANDREAS: Und ich sage, dass sie das ist, sie! ... Wenn sie uns nur nicht wieder ihre Komödie spielt, mit den Köpfen, die sie an Gewitter abenden im Fenster erscheinen lässt! Wenn im an den weißen Alten denke, wird mir frostig im Rücken. 4
EUGENIE: Aber ich finde die Frau, die mit den Perlen, sehr schön... Mach doch das Fenster zu, wenn du Angst hast! (Beim Schein eines Blitzes ist der Kopf eines gekrönten Greises, mit tropfendem langem Bart, im Fenster erschienen.) DIE ERSCHEINUNG: Zu spät, Andreas! ...
ANDREAS: Du sollst sehen, ob es zu spät war, Undine!
(Er schließt das Fenster, das von neuem aufspringt. Der reizende Kopf einer Najade erscheint.) DIE NAJADE: Guten Abend, liebe Eugenie! (Sie verschwindet.) EUGENIE: Undine, du machst deinen Vater böse! Komm nach Haus!... ANDREAS: Du kommst mir sofort nach Haus, Undine! Ich zähle bis drei. Wenn du bei drei nicht gehorcht hast, riegle ich die Tür ab und du schläfst draußen! (Donnerschlag.) EUGENIE: Das meinst du ja gar nicht ernst.
ANDREAS: Du sollst sehen, wie ernst ich es meine! ... Undine, eins!
(Donnerschlag.) EUGENIE: Das ist das einzig Unangenehme, dass immer der Donner hinter deinen Worten herrollt! ANDREAS: Bin ich daran schuld? EUGENIE: Mach schnell, damit du dem nächsten Donner zuvorkommst. Wir wissen, dass du bis drei zählen kannst. ANDREAS: Undine, zwei! (Donnerschlag.) EUGENIE: Es ist nicht auszuhalten mit dir! ANDREAS: Undine, drei! 5
(Kein Donnerschlag.) EUGENIE (die sich die Ohren zuhält): Werde doch endlich fertig, mein armer Andreas. ANDREAS: Aber ich bin ja fertig! (Er verriegelt die Tür.) Zugeriegelt! Jetzt haben wir Ruhe für unser Abendessen. (Die Tür fliegt weit auf. Andreas und Eugenie fahren herum. Ein Ritter in Rüstung steht auf der Schwelle.)
ZWEITE SZENE Der Ritter. Andreas. Eugenie. DER RITTER (schlägt die Absätze zusammen): Ritter Hans von Wittenstein zu Wittenstein. ANDREAS: Und ich heiße Andreas. HANS: Ich habe mir erlaubt, mein Pferd in eure Scheune zustellen. Das Pferd, wie jeder weiß, ist der wichtigste Teil des Ritters. ANDREAS: Ich will gleich gehen, Herr, und es striegeln. HANS: Ist schon getan. Danke. Ich striegle es selbst, auf Ardenner Weise. Hier gebt ihr der schwäbischen Art den Vorzug, bürstet gegen das Fell. Dadurch wird es stumpf. Besonders bei Rotschimmeln... Ich darf mich setzen? ANDREAS: Fühlen Sie sich zu Hause, Herr. HANS: Was für ein Wetter! Seit Mittag rieselt das Wasser mir in den Hals und tropft aus den Rinnen, aus denen das Blut abtropfen soll. Nicht mehr zu ändern: Das fürchten wir in der Rüstung am meisten, wir Ritter - den Regen - den Regen, und einen Floh. ANDREAS: Vielleicht könnten Sie die Rüstung abnehmen, Herr Ritter, wenn Sie die Nacht hier verbringen. HANS: Hast du gesehen, mein braver Andreas, wie die Krebse den Panzer wechseln? Genau so schwierig ist es für einen Ritter! Erst ruhe ich 6
mich aus... Hast du nicht gesagt, dass du Andreas heißt? ANDREAS: Und meine Frau heißt Eugenie. EUGENIE: Nehmen Sie es nicht übel, das sind keine Namen für fahrende Ritter. HANS: Du ahnst nicht, gute Frau, wie glücklich ein fahrender Ritter ist, der einen Monat lang in diesem Wald nach Pharamund und Osmonde vergeblich gesucht hat, wenn er zur Stunde des Abendessens auf Andreas und Eugenie stößt. EUGENIE: Sie sind allzu gütig, Herr Ritter! Sicherlich ist es unpassend, seinem Gast Fragen zu stellen, aber diese eine erlauben Sie mir viel leicht: haben Sie Hunger? HANS: Ich habe Hunger. Ich habe großen Hunger. Ich nehme an eurer Mahlzeit gern teil. EUGENIE: Was Sie Mahlzeit nennen, gibt es bei uns nicht. Aber ich habe da eine Forelle. Vielleicht möchten Sie sie essen?... HANS: Du brauchst nicht zu fragen. Forellen sind meine Leidenschaft. EUGENIE: Wollen Sie sie gebacken oder geröstet? HANS: Ich? Ich will sie blau... (Andreas und Eugenie erschrecken.) EUGENIE: Blau? Ich mache sie besonders schön auf Müllerin-Art, mit weißer Butter... HANS: Du hast mich gefragt: ich möchte Forellen nur blau. ANDREAS: Oder paniert? Eugenie kann Wunder vollbringen. HANS: Verstehen wir uns so schwer? Man nennt es doch blau, wenn man sie lebend ins kochende Wasser wirft? ANDREAS: Ganz gewiss, Herr. HANS: Und sie behalten allen Duft ihres Fleischs, weil das jähe Sieden sie überrascht? 7
ANDREAS: Überrascht. Ja, Herr, das ist das Wort. HANS: Also irre ich nicht. Ich will sie blau. ANDREAS: Also, Eugenie, bereite sie blau... EUGENIE (in der Tür): Gefüllt, auch das wäre gut... ANDREAS: Geh! (Eugenie geht in die Küche, Hans hat es sich bequem gemacht.) HANS: Hier in der Gegend scheinen die fahrenden Ritter beliebt? ANDREAS: Wir sehen sie lieber als die Heere. Ein fahrender Ritter, das ist das Zeichen, dass der Krieg vorbei ist. HANS: Und ich, ich liebe den Krieg. Ich bin nicht bösartig. Ich wünsche keinem Menschen Unglück. Aber ich liebe den Krieg. ANDREAS: Jeder nach seinem Geschmack, Herr. HANS: Und ich rede gern. Ich bin von Natur schwatzhaft. Im Krieg findet man immer einen, mit dem man sich unterhalten kann. Wenn die Unsern schlecht gelaunt sind, macht man einen Gefangenen, einen Beichtvater, der redet am meisten. Man holt sich einen verwundeten Feind - und braucht nicht zu warten, dass er seine Märchen erzählt. Aber wenn ich das Echo ausnehme, habe ich als fahrender Ritter in dem ganzen Monat, den ich mich mühe, diesen Wald zu durch queren, kein einziges Wort austauschen können... Nirgends eine Seele... Und Gott weiß, was ich alles zu sagen habe! ... ANDREAS: Es wird versichert, dass die fahrenden Ritter die Sprache der Tiere verstehen. HANS (leicht nuschelnd): Nicht in dem Sinn, wie du glaubst. Natürlich verstehen wir sie. Jedes wilde Tier ist ein Symbol für den Ritter; sein Gebrüll oder sein Lockruf werden zu einem symbolischen Satz, der sich in flammenden Lettern unserm Geist aufprägt. Die Tiere schreiben eher, wenn du so willst, als dass sie sprechen. Aber viel Abwechslung bieten sie nicht. Jede Gattung redet nur einen einzigen Satz, und aus der Ferne, und oft mit entsetzlicher Aussprache... Der Hirsch lässt sich über die Reinheit aus, das Wildschwein über die 8
Verachtung irdischen Guts... Und immer nur ist es das gealterte Männchen, das den Mund auftut. Dabei stehen hinter ihm die süße sten Kälbchen, die entzückendsten Schweinchen... Aber nein, zu weisen Sprüchen holt der Zehnender oder der Einsiedler aus. ANDREAS: Aber die Vögel? HANS: Die Vögel geben nie Antwort. Ich bin sehr enttäuscht von den Vögeln. Dem Ritter pfeifen sie immer dieselbe Litanei: über die bösen Folgen der Lüge. Ich versuche mich in sie zu versetzen. Ich frage nach ihrem Befinden, ob das Jahr gut ist zum Eierlegen, ob man sich beim Mausern erkältet, ob nicht das Brüten sehr anstrengt. Vergebene Müh'! Sie hören nicht zu. ANDREAS: Von der Lerche erstaunt mich das... Ich hatte immer gedacht, dass sich die Lerche gern anvertraut. HANS: Aber der Ritter kann sich mit Lerchen nicht unterhalten: der Ringkragen zwingt ihm den Kopf nach unten. ANDREAS: Was hat Sie in unsere Gegend treiben können, aus der so wenige zurückgekehrt sind? HANS: Was kann das sein? Eine Frau! ANDREAS: Ich wollte Sie nicht ausfragen, Herr. HANS: Warum denn nicht? Gewiss wirst du mich ausfragen, und sofort! Seit dreißig Tagen habe ich nicht mehr von ihr gesprochen, Andreas! Du glaubst nicht im Ernst, dass ich jetzt, da ich zwei menschlichen Wesen begegne, mir die Möglichkeit nehmen lasse, endlich von ihr zu sprechen? Verlange alles zu wissen, frage nach ihrem Namen, rasch... ANDREAS: Edler Herr... HANS: Frage, wenn es dir ernst ist! ANDREAS: Was hat sie für einen Namen? HANS: Bertha heißt sie! Wie schön dieser Name ist! ANDREAS: Prächtig, wenn ich offen sein darf. 9
HANS: Andere heißen Angelika, Diana, Violante! So kann jede heißen. Sie allein verdient einen ernsten, bebenden, leidenschaftlichen Namen... Und jetzt möchtest du sicherlich wissen, Eugenie, ob sie schön ist. (Eugenie ist während der letzten Worte eingetreten.) EUGENIE: Ob sie schön ist? ANDREAS: Man fragt dich nach Bertha, der Gräfin Bertha, mein armes Frauchen! EUGENIE: Ah ja - ist sie schön? HANS: Eugenie, unser König hat mir das Amt vertraut, für ihn die Pferde zu kaufen. Also habe ich einen guten Blick, sogar für Frauen. Kein Makel entgeht mir. Bei dieser Angelika, die ich nannte, ist der rechte Daumennagel gerippt. Violante hat einen hellgoldenen Fleck im Auge. An Bertha ist alles vollkommen. EUGENIE: Wir sind beide darüber glücklich. ANDREAS: Das muss hübsch sein, ein hellgoldener Fleck im Auge! EUGENIE: Um was kümmerst du dich, Andreas!... HANS: Der goldene Fleck? Denke nur das nicht, mein Freund. Einen oder zwei Tage macht er dir Freude. Du drehst das Gesicht deiner Violante im Mondlicht hin und her, damit er leuchtet, der goldene Fleck. Am dritten Tag kannst du ihn nicht mehr ertragen; und dir gefällt eine Mücke im Auge deiner Frau besser. ANDREAS: Aber wie ist das genau? Wie ein leuchtender Glimmer? EUGENIE: Du wirst lästig mit deinen Fragen! Lass den Ritter erzählen. HANS: Ganz richtig, mein guter Andreas. Aber warum diese Vorliebe für Violante? Wenn sie der Königin einen Leuchter bringt, gelingt ihr das Kunststück, auszugleiten und sich auf die Fliesen zu setzen. Wenn der alte Herzog sie bei der Hand nimmt und ihr eine lustige Geschichte erzählt, fängt deine Violante zu weinen an. ANDREAS: Violante fängt an zu weinen? HANS: Wie ich dich kenne, wirst du jetzt fragen, was mit dem Goldfleck 10
wird, wenn sie weint? EUGENIE: Sicherlich will er das fragen. Er ist wie der Mond – nicht zu beeinflussen! HANS: Das hat er alles vergessen, sobald er Bertha erblickt: Denn, liebe Freunde, ihr müsst zu unserer Hochzeit kommen. Feierlich seid ihr eingeladen! Wenn ich aus diesem Wald zurückfinde, heiraten wir. Das ist die einzige Bedingung, die Bertha gestellt hat. Dass ich zu rückfinde, danke ich euch... Und dann wirst du auch deine Violante sehn, Fischer, mit dem großen Mund, den winzigen Ohren, der klei nen griechischen Nase, dem braunen Haar - aber wie sie sich aus nimmt neben dem großen schwarzen Engel! – Und jetzt, gute Eugenie, hole mir die Forelle... sie verkocht sonst. (Die Tür öffnet sich. Undine erscheint.)
DRITTE SZENE Die Vorigen. Undine. UNDINE (bleibt gebannt an der Tür stehen): Wie schön du bist!
ANDREAS: Was sagst du da, freches Ding?
UNDINE: Ich sage: wie ist er schön!
ANDREAS: Das ist unsere Tochter, gnädiger Herr. Sie ist keine Menschen
gewöhnt. UNDINE: Ich sage, dass ich sehr glücklich bin: so schön sind also die Menschen... Mir bleibt das Herz stehen! ... ANDREAS: Willst du ruhig sein! UNDINE: Mir wird kalt! ANDREAS: Sie ist erst fünfzehn, seien Sie ihr nicht böse... UNDINE: Ich wusste, dass es einen Grund haben muss, war um man Mädchen ist: weil die Männer so schön sind... ANDREAS: Du wirst unserm Gast lästig. 11
UNDINE: Ich werde ihm nicht lästig... Ich gefalle ihm... Wie er mich ansieht... Wie heißt du? ANDREAS: Man nennt einen hochgeborenen Herrn nicht Du, armes Kind. UNDINE (die näher gekommen ist): Wie schön er ist! Betrachte nur dieses Ohr, Vater – was für eine Muschel! Du denkst, dass ich Sie sage, zu diesem Ohr? ... Kleines Ohr, wem gehörst du? ... Wie heißt er? HANS: Er heißt Hans... UNDINE: Ich hätte es wissen müssen: wenn man glücklich ist, wenn man den Mund auftut, sagt man Hans... HANS: Hans von Wittenstein ... UNDINE: Wenn es am Morgen taut, und man sich bedrückt fühlt, und ein Nebel sich um uns zieht, sagt man ohne zu wollen: Hans... HANS: Von Wittenstein zu Wittenstein ... UNDINE: Was für ein schöner Name! Wie schön ist das Echo in einem Namen! ... Warum bist du hier? ... Mich zu holen? ANDREAS: Genug jetzt... Geh in dein Zimmer... UNDINE: Nimm mich! ... Trage mich fort! (Eugenie kommt mit dem Essen.) EUGENIE: Hier haben Sie die Forelle, blau, wie gewünscht! Lassen Sie es sich schmecken. Das ist besser, als auf unsere Närrin zu hören... UNDINE: Die Forelle, blau? HANS: Sie ist prachtvoll! UNDINE: Mutter, das hast du gewagt? EUGENIE: Halte den Mund! Jetzt ist sie gekocht... UNDINE: O meine liebe Forelle, seit deiner Geburt an kaltes Wasser gewöhnt! 12
ANDREAS: Du vergießt mir jetzt keine Tränen wegen einer Forelle! UNDINE: Sie nennen sich meine Eltern... Und sie haben dich genommen – dich lebendig ins kochende Wasser geworfen! HANS: Ich habe sie darum gebeten, mein Kind. UNDINE: Sie?.. Das hätte ich Ihnen ansehen sollen... Beim ersten Blick weiß man es! ... Sie sind dumm und verrucht, nicht wahr? EUGENIE: Nehmen Sie uns das nicht übel, gnädiger Herr! … UNDINE: Begreifen können Sie nichts, wie? Das ist Ritterart, das ist Mut! ... Da sucht ihr nach Riesen, die es nicht gibt, aber wenn ein kleines Geschöpf durch die klare Flut springen kann, lasst ihr es lebendig kochen! HANS: Und ich esse das kleine Geschöpf, und ich finde es herrlich! UNDINE: Sie sollen sehen, wie herrlich es ist! (Sie wirft die Forelle zum Fenster hinaus.) Essen Sie doch! ... Leben Sie wohl... EUGENIE: Aber Kind, wohin willst du schon wieder? UNDINE: Dort draußen ist jemand, der die Menschen verabscheut und mir alles sagen will, was er von ihnen weiß... Immer habe ich mir die Ohren verstopft, weil ich meine eignen Gedanken hatte... Vorbei, ich höre ihn an... EUGENIE: Sie will wieder hinaus in die Nacht! UNDINE: In einer Minute werde ich alles wissen, werde wissen, was sie sind, wie sie sind, was sie vermögen. Bitter für jemand wie Sie! ANDREAS: Muss man dich mit Gewalt zurückhalten? UNDINE (weicht ihm mit einem Sprung aus): Dass sie lügen, die Men schen, weiß ich nun schon. Dass die Schönen hässlich sind, die Mutigen feige - und weiß, dass ich sie hasse! HANS: Aber dich, meine Kleine, werden sie lieben... UNDINE (bleibt stehen, aber wendet sich nicht um): Was sagt er? 13
HANS: Nichts... Ich sage nichts.
UNDINE (an der Tür): Noch einmal, damit ich es weiß!
HANS: Dich, meine Kleine, werden sie lieben.
UNDINE: Und ich - hasse sie. (Sie verschwindet in der Nacht.)
VIERTE SZENE Hans. Andreas. Eugenie. HANS: Meinen Glückwunsch. Ihr habt sie gut erzogen...
ANDREAS: Gott ist mein Zeuge, dass wir sie bei jeder Unart zurecht weisen. HANS: Man muss sie schlagen. EUGENIE: Fangen Sie sie! HANS: Sie einsperren, ohne Nachtisch lassen. ANDREAS: Sie isst nichts. HANS: Da hat sie Glück. Ich sterbe vor Hunger. Macht mir noch eine Forelle - blau! Nur damit sie bestraft wird! ANDREAS: Es war leider die letzte... Aber wir haben einen Schinken geräuchert. Eugenie wird Ihnen ein paar Scheiben abschneiden. HANS: Schweine zu schlachten erlaubt sie euch? Das ist ein Glück! (Eugenie geht ab.) ANDREAS: Sie hat Ihnen die gute Laune verdorben, Herr Ritter. Ich bin untröstlich. HANS: Sie hat mir die Laune verdorben, weil ich verrucht bin, genau wie sie sagt. Im Grund sind wir Menschen uns alle gleich. Eitel wie Perl hühner. Sie sagt, ich sei schön, ich weiß, dass ich es nicht bin, und schon gefällt sie mir. Und sie missfällt mir, als sie sagt, ich sei feig, 14
obwohl ich weiß, dass im es nicht bin... ANDREAS: Sie sind allzu gütig, es so ruhig aufzunehmen... HANS: Oh, ich nehme es nicht ruhig auf... Im bin wütend. Ich bin immer wütend auf mich, wenn die andern im Unrecht sind! EUGENIE (in der Tür): Ich kann den Schinken nicht finden, Andreas! (Andreas geht mit ihr ab.)
FÜNFTE SZENE Hans. Undine. UNDINE (ist unhörbar an den Tisch hinter den Ritter getreten, der die Hände gegen das Feuer streckt und sich Vorerst nicht umwendet). Ich, ich heiße Undine. HANS: Ein schöner Name. UNDINE: Hans und Undine – es gibt keine schöneren Namen auf der Welt, nicht wahr? HANS: Oder Undine und Hans. UNDINE: O nein! Hans zuerst. Er ist der Mann. Geht voraus. Er befiehlt... Undine ist das Mädchen... Sie kommt einen Schritt hinter ihm ... Sie schweigt. HANS: Sie schweigt! Wie will sie das fertig bringen? UNDINE: Immer geht Hans einen Schritt vor ihr her... Bei den Festlich keiten... Beim König... Im Alter. Hans stirbt zuerst... Das ist furcht bar... Aber Undine holt ihn rasch ein... Sie tötet sich selbst. HANS: Was erzählst du da? UNDINE: Über einen einzigen schrecklichen Augenblick muss man hin wegkommen: die Minute, die dem Tod von Hans folgt... Aber das ist nicht lang... 15
HANS: Glücklicherweise wiegt es nicht schwer, wenn man in deinem Alter vom Tod spricht... UNDINE: In meinem Alter? Versuche es, töte dich! Du wirst sehn, ob ich mich selbst töte... HANS: Niemals habe ich weniger Lust gehabt, mich zu töten... UNDINE: Sage, dass du mich nicht liebst! Du wirst sehen, dass ich mich töte... HANS: Du hast mich vor einer Viertelstunde noch nicht gekannt und willst für mich sterben? Ich dachte, wir wären uns böse, wegen der Forelle! UNDINE: Um so schlimmer für die Forelle! Alle Forellen sind etwas dumm. Sie brauchte den Menschen nur aus dem Weg zu gehen, wenn sie nicht wollte, dass man sie fing. Auch ich bin dumm. Auch ich bin gefangen... HANS: Trotz allem, was dir dein unbekannter Freund draußen von den Menschen erzählt hat? UNDINE: Torheiten hat er erzählt. HANS: Ich verstehe. Du hast dir Fragen und Antworten selbst gegeben... UNDINE: Scherze nicht... Er ist nicht weit... Seine Macht ist schrecklich. HANS: Du redest mir nicht ein, dass du Furcht hast, vor irgendwem, vor irgend etwas. UNDINE: Ja, ich habe Furcht, dass du mich verlässt... Er hat gesagt, dass du mich verlässt. Aber er hat auch gesagt, dass du nicht schön bist... Wenn er sich in dem einen täuscht, kann er sich im andern auch täuschen. HANS: Wie bist du selbst? Schön oder hässlich? UNDINE: Das hängt von dir ab, von dem, was du aus mir machst. Natür lich wäre ich lieber schön! Natürlich möchte ich, dass du mich liebst. Natürlich wäre ich gern die schönste... HANS: Du bist eine kleine Lügnerin... Du warst niemals hübscher als eben in deinem Haß... Sonst hat er dir nichts gesagt? 16
UNDINE: Sonst hat er gesagt, dass ich verloren bin, wenn ich dich küsse... Aber er hat sich geirrt... Ich dachte nicht daran, dich zu küssen. HANS: Jetzt denkst du daran? UNDINE: Immer. HANS: Nicht immer! UNDINE: Du wirst es erleben: heute abend wirst du geküsst... Aber es ist so süß, zu warten... Später werden wir uns an diese Stunde erinnern - an die Stunde, als du mich noch nicht geküsst hattest. HANS: Kleine Undine... UNDINE: Es ist auch die Stunde, als du noch nicht gesagt hattest, dass du mich liebst... Warte nicht länger... Sage es mir... Ich bin da, meine Hände zittern... Sage es mir. HANS: Du denkst, es sagt sich so einfach, dass man sich liebt? UNDINE: Aber sprich doch! Befiehl! Wie seid ihr langsam, ihr Menschen! Ich möchte nur dort sein, wohin ich gehöre... auf dein Knie, nicht wahr? HANS: Ein Mädchen aufs Knie nehmen, in dieser Rüstung? Ich brauche allein zehn Minuten, um die Schulterschrauben zu lösen. UNDINE: Ich weiß ein Mittel, das eine Rüstung öffnet. (Der Brustpanzer löst sich. Undine springt dem Ritter aufs Knie.) HANS: Du bist toll! Und meine Arme? Du denkst, sie öffnen sich vor der ersten besten? UNDINE: Ich weiß ein Mittel, das auch die Arme öffnet... (Hans muss die Arme öffnen.) Und sie schließt. (Er umschließt sie mit seinen Armen.) EINE FRAUENSTIMME (von draußen): Undine! UNDINE (nach dem Fenster hin, zornig): Hältst du den Mund! Was willst 17
du?... DIE STIMME: Undine! UNDINE: Menge ich mich in deine Dinge? Hast du mich bei deiner Heirat um Rat gefragt, du? DIE STIMME: Undine! UNDINE: Er ist ja so schön, dein Mann! Der Seehund, mit Nasenlöchern ohne Nase! Ein Perlenhalsband, und er hatte dich! Perlen, die nicht mal zusammenpassen! HANS: Mit wem redest du da? UNDINE: Mit einer Nachbarin. HANS: Ich denke, euer Haus liegt ganz einsam. UNDINE: Missgünstige gibt es überall. Sie sind eifersüchtig... EINE ANDERE FRAUENSTIMME: Undine! UNDINE: Und du! Weil ein See-Elefant vor dir seine Fontäne sprudeln ließ, hast du dich ihm in die Flossen geworfen! HANS: Reizende Stimmen. UNDINE: Mein Name ist reizend, nicht ihre Stimmen! ... Küsse mich, Hans, damit ich ihnen für immer fremd werde... Du hast keine andere Wahl! MÄNNERSTIMME: Undine! UNDINE: Fort! Zu spät! HANS: Das ist wohl der Freund, von dem du gesprochen hast? UNDINE (ruft hinaus): Ich sitze auf seinem Knie! Er liebt mich! DIE MÄNNERSTIMME: Undine! UNDINE: Ich höre dich nicht mehr. Man kann dich hier nicht mehr hören... Und außerdem ist es zu spät... Weil es geschehen ist. Ich bin seine 18
Geliebte, ja, seine Geliebte! Verstehst du das nicht? So nennen sie ihre Frau. (Lärm aus der Küche.) HANS (stellt Undine sanft auf die Erde): Deine Eltern, Undine. UNDINE: Ah - du kennst es? Wie schade! Ich habe es dich bestimmt nicht gelehrt. HANS: Was, kleine Frau? UNDINE: Das Mittel, das dir die Arme öffnet...
SECHSTE SZENE Undine. Hans. Die Eltern. EUGENIE: Bitte entschuldigen Sie. Wir konnten den Schinken nicht finden.
UNDINE: Ich habe ihn versteckt, weil ich allein sein wollte mit Hans...
ANDREAS: Schämst du dich nicht?
UNDINE: Nein! Ich habe meine Zeit gut genutzt. Er heiratet mich, liebe
Eltern! Der Ritter Hans nimmt mich zur Frau! ANDREAS: Hilf deiner Mutter, statt Dummheiten zu erzählen. UNDINE: Du hast Recht. Mutter, gib mir das Tischtuch. Ich will ihn bedie nen. Von diesem Augenblick an bin ich die Dienerin meines Gebie ters Hans. ANDREAS: Ich habe eine Flasche aus dem Keller geholt, Herr Ritter. Wenn Sie erlauben, trinken wir sie mit Ihnen gemeinsam. UNDINE: Einen Spiegel, Gebieter Hans, um dein Haar vor der Mahlzeit zu glätten? ... EUGENIE: Undine! Woher hast du den goldenen Spiegel? UNDINE: Wasser auf deine Hände, Majestät Hans? 19
HANS: Einen so herrlichen Krug hat der König nicht! ...
ANDREAS: Wir sehen ihn heute zum ersten Mal...
UNDINE: Du musst mich lehren, wie ich dir dienen soll, Gebieter Hans...
Vom Aufstehn bis zum Schlafengehn darf ich in deinem Dienst keinen Fehler machen. HANS: Vom Aufstehen bis zum Schlafengehn, kleine Undine! Mich aufzu wecken wird das Schwierigste sein. Ich schlafe sehr fest... UNDINE (sitzt an ihn gepresst): Wie herrlich! Du musst mir sagen, wie man dich an den Haaren zieht, um dich aus dem Schlaf zu holen, wie man dir mit den Händen die Augen öffnet, während der Kopf sich noch wehrt, wie man dir die Zähne mit Gewalt trennt, um dich zu küssen und dir Atem zu geben! EUGENIE: Undine, die Teller! UNDINE: Ach Mutter, decke du ihm den Tisch. Mein Gebieter Hans lehrt mich, wie man ihn aufweckt... Versuchen wir es, Gebieter Hans! Tu so, als ob du schliefest... HANS: Bei diesem herrlichen Küchenduft? Unmöglich! UNDINE: Wache auf, kleiner Hans... Der Tag ist da! Diesen Kuss empfange in deiner Nacht, und diesen in deiner Morgenröte... ANDREAS: Nehmen Sie ihr diese Kindereien nicht übel, gnädiger Herr... EUGENIE: Sie ist jung. Sie hat nicht gelernt, sich zurückzuhalten. HANS: Das nenne ich einen Schinken! ANDREAS: Er ist mit Ingwer geräuchert. UNDINE: Ich tue sehr unrecht, dich aufzuwecken. Warum aufwecken, wen man liebt? Im Schlaf treibt alles ihn auf uns zu! Sobald seine Augen geöffnet sind, entgleitet er uns! Schlafe, schlafe, Gebieter Hans... HANS: Ja, gern, noch eine Scheibe. UNDINE: Wie ungeschickt ich bin! Ich schläfere dich ein, statt dich aufzu wecken... Und am Abend, wie ich mich kenne, werde ich dich auf 20
wecken, statt dich einzuschläfern. EUGENIE: Ganz gewiss! Du wirst eine schöne Hausfrau abgeben! ANDREAS: Sei jetzt einmal still, Undine, ich möchte auch etwas sagen. UNDINE: Bestimmt werde ich eine schöne Hausfrau abgeben! Du hältst dich für eine schöne Hausfrau, weil du dich auf Schweinebraten ver stehst! Das nennt sich noch längst nicht Hausfrau! HANS: Meinst du? Was sonst? UNDINE: Man muss alles sein, was mein Gebieter Hans liebt, was du bist. Alles, was du an sehr Schönem und sehr Geringem besitzt. Ich werde dein Schuh sein, mein Gemahl, ich werde dein Atem sein. Dein Sattelknopf. Was du beweinst, werde ich sein, was du träumst... Und was du isst, bin ich auch... HANS: Richtig gesalzen! Ausgezeichnet! UNDINE: Iss mich! Vollende mich! EUGENIE: Dein Vater will etwas sagen, Undine! ANDREAS (erhebt sein Glas): Gnädiger Herr, da Sie uns die Ehre erweisen, in unserm Haus eine Nacht zu verbringen. UNDINE: Zehntausend Nächte... Hunderttausend Nächte... ANDREAS: Erlauben Sie mir, Ihnen den größten Sieg zu wünschen, den jemals ein Ritter errungen hat, und auf das Wohl derjenigen zu trinken, die Sie lieben... UNDINE: Wie gut du bist, Vater! ANDREAS: Derjenigen, die Sie voll Sorge erwartet UNDINE: Sie wartet nicht mehr... Vorbei die Sorge... ANDREAS: – und die den Namen trägt, den Sie zum schönsten aller Namen erklärt haben, obwohl ich den Namen Violante auch sehr schön finde, aber für Violante habe ich wohl eine kleine Schwäche, weil – 21
EUGENIE: Ja, ja, das wissen wir, weiter.
ANDREAS: Auf die Schönste, die Würdigste, auf den schwarzen Engel, wie
Sie sie nennen: auf Bertha, Ihre Erwählte! UNDINE (die aufgestanden ist): Was sagst du? ANDREAS: Ich sage, was der Ritter mir selbst erzählt hat. UNDINE: Du lügst! Er lügt! Jetzt heiße ich Bertha! EUGENIE: Von dir ist nicht die Rede, mein Kind! ANDREAS: Der Ritter ist mit der Gräfin Bertha verlobt. Nach seiner Rück kehr wird er sie heiraten. Nicht wahr, Herr Ritter? Die ganze Welt weiß das – UNDINE: Die ganze Welt lügt. HANS: Kleine Undine – UNDINE: Da, sogar von seinem Schinken lässt er sich abbringen! Gibt's eine Bertha, ja oder nein? HANS: Lass es mich dir erklären! UNDINE: Gibt's eine Bertha, ja oder nein? HANS: Ja. Es gibt eine Bertha. Es hat eine Bertha gegeben. UNDINE: Also ist es wahr, was mir der andere über die Menschen gesagt hat! Sie zwingen dich mit tausend Listen auf ihre Knie, sie küssen dich, bis dir die Lippen bluten, sie tasten dich ab mit ihren Händen, um deiner Haut zu begegnen, und die ganze Zeit denken sie an eine schwarze Frau, die sich Bertha nennt... HANS: Das alles habe ich nicht getan, Undine! UNDINE (beißt sich in den Arm): Du hast es getan! Ich bin noch ganz wund... Seht, liebe Eltern: so hat er mich in den Arm gebissen! HANS: Ihr glaubt ihr kein Wort, gute Leute? UNDINE: Ich werde alles sein, was du an sehr Geringem und sehr 22
Schönem besitzt, hat er gesagt. Dein nackter Fuß werde ich sein. Ich werde dein Trank sein. Deine Speise... Das sind seine eigenen Worte, Mutter! Und was ich alles tun soll für ihn! Den Tag bis Mitternacht verbringen, ihn aufzuwecken, für ihn sterben in der Minute, die seinem Tod folgt... Hast du das von mir verlangt, ja oder nein? Und während der ganzen Zeit trägt man im Herzen das Bild einer Teufelin aus Schuhwichse und nennt es den schwarzen Engel... HANS: Liebste Undine! UNDINE: Dich verachte ich, dich spucke ich aus! HANS: Höre mich doch... UNDINE: Von hier kann ich ihn sehen, den schwarzen Engel, mit seinem Schatten von Schnurrbart. Ganz nackt sehe ich ihn, den schwarzen Engel, und die Zotteln auf seiner Haut. Diese Art von Engeln hat einen Schwanz, der um die mageren Lenden geringelt ist. Jeder weiß das. HANS: Verzeih mir, Undine... UNDINE: Komm mir nicht nah... Ich werfe mich in den See. (Sie hat die Tür geöffnet. Es regnet in Strömen.) HANS (ist aufgestanden): Ich glaube, dass es keine Bertha mehr gibt, Undine. UNDINE: So ist es richtig! Verrate du auch die Berthas! ... Meine armen Eltern werden rot über deinem Betragen! ANDREAS: Glauben Sie ihr kein Wort, Herr!... UNDINE: Augenblicklich verlässt du das Haus, oder ich kehre nie mehr zurück! ... (Sie wendet sich noch einmal um.) Was hast du eben zu sagen gewagt? HANS: Ich glaube, dass es keine Bertha mehr gibt, Undine! UNDINE: Du lügst. Leb wohl! (Sie verschwindet.) HANS: Undine! (Er läuft ihr nach.) 23
ANDREAS: Was habe ich angerichtet!
EUGENIE: Du hast etwas Schönes angerichtet.
ANDREAS: Sicher ist es besser, wenn ich ihm alles sage.
EUGENIE: Ja, sicher ist es besser, wenn du ihm alles sagst.
(Hans, triefend vor Nässe, kehrt zurück.)
SIEBENTE SZENE Hans. Andreas. Eugenie. HANS: Sie ist nicht eure Tochter, wie?
EUGENIE: Nein, gnädiger Herr.
ANDREAS: Wir hatten eine Tochter. Als sie sechs Monate alt war, hat man
sie uns gestohlen. HANS: Wer hat euch Undine anvertraut? Wo wohnt er? ANDREAS: Wir haben sie am Seeufer gefunden. Niemand hat sie je zurückhaben wollen. HANS: Also müsste man euch um ihre Hand bitten? EUGENIE: Sie nennt uns ihre Eltern, gnädiger Herr. HANS: Ich bitte euch, meine Freunde, um die Hand von Undine. ANDREAS: Gnädiger Herr, sind Sie bei gutem Verstand? HANS: Du wirst nicht behaupten, dass dein Weinchen mich um den Ver stand bringen konnte? ANDREAS: Gewiss nicht! Es ist ein unschuldiger Mosel. HANS: Nie war im bei besserem Verstand. Nie habe im genauer gewusst, was im sage. Ich bitte dich um die Hand von Undine, und ich meine die Hand von Undine. Ich möchte ihre Hand festhalten. Ich möchte, dass diese Hand mich zur Hochzeit führt, in den Kampf, in den 24
Tod... ANDREAS: Zwei Verlobte kann man nicht haben. Das ergäbe zu viele Hände... HANS: Wer ist die erste Verlobte? Vielleicht Bertha? ANDREAS: So haben Sie es erzählt. HANS: Kennst du Bertha, dass du so für sie eintrittst? Ich kenne sie. Seit ich Undine kenne. ANDREAS: Von Ihnen wissen wir, dass sie vollkommen ist. HANS: Ja, außer dass ihr Bläschen in den Mundwinkeln stehen, außer ihrem gellenden Lachen, ist sie vollkommen. ANDREAS: Ich dachte, es wäre das oberste Gesetz der fahrenden Ritter, treu zu bleiben. HANS: Dem Abenteuer treu, das ganz gewiss! Darin bin ich der erste, doch bis heute sind wir fahrenden Ritter sehr naiv gewesen. Schlösser entdecken wir, und kehren heim, um weiterhin im engen Haus zu wohnen. Wir befreien Andromeda, und das verhilft uns mit sechzig Jahren zu einem Ruhelohn. Wir rauben einen Goldschatz der Giganten und brauchen künftig freitags nicht zu fasten. Für mich ist das alles vorbei! Das Abenteuer ist nicht mehr eine Probezeit beim Heer, dient nicht dazu, um künftigen Kanzlisten die Phantasie zu heizen. Von heute an entdecke, plündere, freie ich für mich: ich heirate Undine! ANDREAS: Das wird ein Fehler sein! HANS: Fehler! Jetzt antworte mir offen, Fischer! Es war einmal ein Ritter, der suchte alles, was nicht gemein, alltäglich, abgenutzt war. Am Ufer eines Sees fand er ein Mädchen, das hieß Undine. Aus Zinn tellern machte sie Gold. Im Gewitter stand sie, ohne nass zu werden. Sie war die Schönste, die er in weiter Welt jemals gesehen, doch fühlte er auch, dass sie der Frohsinn war, die Zärtlichkeit, das Opfer. Er fühlte, dass sie sterben konnte für ihn, vollbringen für ihn, was kein anderes Wesen jemals vollbringt: durch Flammen schreiten, in die Strudel tauchen, fliegen... Da zog der Recke tief seinen Hut und ritt alsbald davon, um eine schwarze Dame namens Bertha zum Ehe weib zu nehmen! ... Was war er? 25
ANDREAS: Darauf lässt sich schwer antworten. HANS: Du sollst sagen, was er war! Du hast nicht den Mut dazu. Ein ganz großer Esel, wie? EUGENIE: Sie haben der Dame die Ehe versprochen. HANS: Meine gute Eugenie, du glaubst selbst nicht – wenn ihr mir Undine verweigert –, dass ich jetzt noch Bertha heirate? ANDREAS: Wenn Bertha Sie liebt, wird auch sie lernen zu schwimmen, zu tauchen, zu fliegen... HANS: Das alles ist dummes Zeug. Wenn ein Mädchen liebt, hat es weni ger Verstand als sonst, wird nässer unter dem Regen, erkältet sich leichter, verrenkt sich den Knöchel ... Man braucht sich nur das Gesicht einer verliebten Braut anzusehen, in der Kirche... Der Mann begreift nicht, warum sie auf einmal so entsetzlich verändert ist: nur weil sie liebt. EUGENIE: Rede doch endlich, Andreas! HANS: Ja, rede! Hast du einen Grund, Undine mir zu verweigern? ANDREAS: Gnädiger Herr, Sie bitten uns um Undine. Das ist eine Ehre für uns. Aber wir würden Ihnen etwas geben, was uns nicht gehört. HANS: Ahnst du, wer ihre Eltern sind? ANDREAS: Wenn es sich doch um Eltern handelte! Aber bei Undine fragt man vergebens danach. Hätten wir sie nicht aufgenommen, hätte sie es auch ohne uns fertig gebracht, zu wachsen, zu leben. Nie hat sie unsere Zärtlichkeit nötig gehabt, und wenn es regnet, vermag nichts sie im Haus festzuhalten. Nie hat sie ein Bett gebraucht, aber wie oft haben wir sie überrascht, als sie auf dem See eingeschlafen war. Es ist eine große Kraft um Undine! HANS: Die Kraft der Jugend! ANDREAS: Das allein ist es nicht! Als ich dich heiratete, meine arme Eugenie, warst du nicht älter als sie; auch du warst hübsch, hattest keine Angst, und der See blieb der See, den ich immer gekannt hatte, stumpf und eng, und seine Überschwemmung blieb unge 26
schickt, und sein Gewitter war niederträchtig. Aber seit ich Undine habe, ist alles verändert... HANS: Weil du jetzt geschickter im Fischen bist. Weil du alt bist. ANDREAS: Ein See, der dir nie mehr die Netze zerreißt, dir immer dein Maß an Fischen gibt, keinen weniger, keinen mehr, der nie in deinen Kahn dringt, auch nicht durch ein Leck, das dir verborgen war - ein solcher See ist etwas recht Ungewöhnliches. Ein Leck mit Wasser schließen das ist mir früher nicht vorgekommen... HANS: Warum erzählst du mir das? Damit ich den See um ihre Hand bitte? ANDREAS: Treiben Sie keinen Scherz! HANS: Soll jeder See der Welt mein Schwiegervater, jeder Fluss meine Schwiegermutter sein: das nehme im freudig hin! Ich stehe sehr gut mit der Natur. ANDREAS: Seien Sie vorsichtig. Es ist wahr, dass die Natur sich nicht gern gegen den Menschen erregt. Sie hat eine Schwäche für ihn. Etwas an ihm bestrickt sie, erheitert sie. Auf ein schönes Haus, auf ein schönes Schiff ist sie stolz wie ein Hund auf sein Halsband. Sie lässt sich vom Menschen gefallen, was sie keinem andern Geschöpf erlaubt, ja, und die anderen Wesen lassen sich von ihm auf gleiche Art demütigen. Sobald der Mensch naht, flüchtet alles Böse und Giftige in Blumen und Schlangen dem Dunkel zu oder verrät sich durch seine eigene Farbe. Aber wenn der Mensch ein einziges Mal der Natur missfallen hat, ist er verloren! HANS: Und ich werde ihr missfallen, wenn ich Undine heirate? Habt ihr der Natur missfallen, als ihr sie aufnahmt? Meine Freunde, gebt mir Undine! ANDREAS: Ihnen Undine geben? Wo ist sie in diesem Augenblick, Undine? Wird sie jemals zurückkommen, Undine? Wenn sie verschwunden war, haben wir oft gedacht, dass wir sie nie wiedersehn würden. Suchen Sie nach: es findet sich nirgends von ihr eine Spur! Nie hat sie ein anderes Kleid gewollt als das, was sie trägt, kein Spielzeug hat sie besessen, kein Schränkchen... Sobald sie geht, bleibt nicht das mindeste von ihr zurück, ist sie nie da gewesen. Undine ist etwas Geträumtes. Es gibt keine Undine. Glaubst du an Undine, Eugenie? 27
EUGENIE: Ich glaube, dass du nicht mehr weißt, was du redest, mein armer Andreas. Das ist sein tückischer Mosel! Das ist wie seine Geschichte vom Goldfleck... ANDREAS: Erinnerst du mich an den Goldfleck! HANS: Darüber kannst du alles vergessen! Ich bin wie du... Ich fühle etwas Geträumtes... Ich frage mich, ob es sie gibt. Wenn sie je wiederkommt, lasse ich ihr Handgelenk nicht mehr los. ANDREAS: Nur weiß ich genau, dass ich meine kleine Undine gesehen habe. Ich höre noch ihre Stimme, ihr Lachen. Ich sehe sie noch die Forelle hinauswerfen, eine Forelle von einem halben Pfund – aber vielleicht kommt sie nicht wieder, vielleicht gibt sie uns künftig nur Zeichen durch kleine Blitze und Stürme, sagt, dass sie uns liebt, nur durch eine Welle, die uns über die Füße huscht, durch den Regen tropfen auf unserer Backe, durch einen Meerfisch, der sich in der Hechtreuse findet - das würde mich nicht erstaunen... EUGENIE: Nehmen Sie es nicht übel. Wenn er trinkt, irrt er ins Weite. ANDREAS: Und dabei sage ich dem Ritter nicht einmal alles! Wie sah der Strand rings um die Wiege aus, worin wir Undine fanden? überall diese Mulden, als ob zwei Liebende sich im Sand ausgestreckt hätten! Es waren hundert, es waren tausend... Als ob tausend Paare sich am Seeufer umschlungen hätten, und ihre Tochter wäre Undine... EUGENIE: Jetzt ist es ganz aus mit ihm! ANDREAS: Und kein einziger Abdruck von einer Zehe, stellen Sie sich das vor! Hunderte von Körpern, und nicht ein Fuß... EUGENIE: Erlauben Sie uns, schlafen zu gehen. ANDREAS: Ganz frische Abdrücke, mit Perlmutter ausgelegt, und mit Glimmer... EUGENIE: Schon wieder sein Glimmer! Er ist wirklich sehr müde. Über Undine sprechen wir morgen. ANDREAS: Wenn sie zurückkommt! HANS: Ob sie kommt oder nicht... Ich warte auf sie... 28
(Er macht es sich im Lehnstuhl bequem, während Andreas und Eugenie abgehen.)
ACHTE SZENE Hans. Später Undine. Die Wand der Hütte wird durchsichtig. Eine Nixe erscheint. NIXE: Nimm mich, du schöner Ritter.
HANS: Wie?
NIXE: Küsse mich!
HANS: Was sagst du?
NIXE: Küsse mich, schöner Ritter.
HANS: Dich küssen? Warum?
NIXE: Soll ich ganz nackt sein, schöner Ritter?
HANS: Das geht mich nichts an ... Wie du magst.
NIXE: Soll ich mich auf den Rücken legen? Mich auf die Seite legen?
UNDINE (springt hervor): Wie ungeschickt du bist! Und wie dumm!
(Die Nixe verschwindet.)
HANS (nimmt Undine in die Arme): Kleine Undine, was ist das für ein
Spiel? UNDINE: Sie ist eine der eifersüchtigen Nachbarinnen. Sie wollen nicht, dass ich dich liebe! Sie sagen, dass du der ersten besten zur Beute fällst. Dass dich die erste Freche verführen kann... HANS: Lass sie nur kommen, Liebste. (Eine andere Nixe erscheint.) 29
ZWEITE NIXE: Nein, nimm mich nicht!
HANS: Was sagt denn die jetzt?
ZWEITE NIXE: Nimm mich nicht, schöner Ritter. Ich esse von einem
andern Brot. HANS: Von welchem Brot? UNDINE: Da die Schamlosigkeit dich nicht besiegt hat, behaupten sie jetzt, dass du im Handumdrehen der Keuschheit verfällst. So wären alle die armen Menschen. ZWEITE NIXE: Nein, löse mir nicht das Haar, nein, schöner Ritter, streiche mir nicht über die Lenden! HANS: Die ist nicht übel. Ist das die Schönste, die sie mir schicken? UNDINE: Nein! Die Klügste. O geliebter Hans, nimm mich fest in den Arm. Sieh sie an ... Wie dumm eine Frau ist, die sich selbst anbietet - wie kläglich! ... Auch du kannst gehn! Auch du hast verloren! (Die Nixe verschwindet. Eine dritte Nixe erscheint.) HANS: Schon wieder eine! UNDINE: Ich will sie nicht hier! Das nennen sie das Lied der drei Schwe stern. Kein Wassergeist kann ihm widerstehn ... DRITTE NIXE: Oftmals, wenn ich an dich denke, liegst du ruhelos bei Nacht, träumst, dass sich mein Mund dir schenke... und ich bin vom Tod erwacht! HANS: Früher nannte sich das Sirenengesang. UNDINE: Nichts anderes ist es! Sie ahmen ihn nach! Höre nicht hin! HANS: Vertraust du mir nicht? UNDINE: Mein Liebster, höre nicht hin! HANS: Glaubst du, die Stricke des Odysseus hielten fester als deine Arme? UNDINE (zu der Nixe): Packe dich! Rasch! Du kannst nicht sehn, dass ihre 30
Beine nicht voneinander getrennt sind - sie hat einen Schwanz! Sie soll dir den großen Spreizschritt vormachen, verlang es! ... Ich bin wie eine richtige Frau... ich kann es... Gib acht! ... HANS: Was erzählst du da?... Weiter, mein Fräulein! UNDINE: Glaubst du, es macht Vergnügen, andere sagen zu hören, was man selbst denkt und nicht sagen kann? HANS: Das ist das Los aller Menschen, Wolfram von Eschenbach ausge nommen, der sagen kann, was er nicht denkt... Pssst! UNDINE: Keinen Augenblick bleibst du länger, hörst du nicht? Fort! (Die übrigen Nixen gesellen sich zur dritten.) ERSTE NIXE: Du hast verloren, Undine, hast verloren!
HANS: Was hast du verloren?
ZWEITE NIXE: Die Wette! Dich hält er in den Armen, Undine, und mich
sieht er an. Dich küsst er, und mir hört er zu. Er wird dir nicht treu sein. UNDINE: Weißt du nicht, dass es Brauch bei den Menschen ist, sich ihre Liebe von Leuten singen oder erzählen zu lassen, die töricht wie du sind? Man nennt sie Dichter. Du bist eine Dichterin. Bist eine Törin! ... DRITTE NIXE: Du erlaubst ihm, dir untreu zu werden mit der Musik, mit der Schönheit, und hast verloren! ALLE NIXEN: Du hast verloren! UNDINE: Nein! Er nimmt euch nicht ernst! Ich habe gewonnen! ERSTE NIXE: Also sage ich, dass du annimmst? Dass der Pakt gelten soll? HANS: Welcher Pakt? UNDINE: Sagen kannst du es, ja! Sage es dem Neid, der Eifersucht und der Eitelkeit... ERSTE NIXE: Sehr gern! 31
UNDINE: Sage es allem, was wimmelt und schwimmt, was Bernstein werden lässt und was Gräten hat, was Eier billionenweise legt! ... ERSTE NIXE: Du wirst sehen, ob es angenehmer ist, die Jungen lebendig zur Welt zu bringen! HANS: Zum Teufel, was erzählt ihr euch da? UNDINE: Sag's ihnen! Packe dich! ... ERSTE NIXE: Im Augenblick sollen sie alle es wissen. Auch der, an den ich jetzt denke? UNDINE: Verfluche ihn! Auch der! (Die Nixen verschwinden.) HANS: Was für Streitereien! Welche Besessenheit! UNDINE: So ist die Verwandtschaft.
NEUNTE SZENE Hans. Undine. Beide sitzen. Sie umarmt ihn. UNDINE: Diesmal bist du gefangen, wie?
HANS: Seele und Leib.
UNDINE: Du zappelst nicht mehr. Du mühst dich nicht mehr mit Stimme
und Beinen. HANS: Ich bin beladen mit Glück... UNDINE: Es hat gerade zwanzig Minuten gedauert... Der Hecht braucht dreißig. HANS: Mein ganzes Leben hat es gedauert. Seit meiner Kindheit zieht mich ein Haken zu meinem Stuhl, meinem Schiff, meinem Pferd... Du hast mich zu dir gezogen. UNDINE: Sitzt er dir fest im Herzen? Nicht in den Kiemen, nicht auf den 32
Lippen? HANS: Zu fest, als dass du ihn los bekämst ... UNDINE: Es heißt viel von dir fordern, wenn ich dich bitte, unser Gleichnis von den Fischen aufzugeben und mir zu sagen, dass du mich liebst? HANS (mit einem Knie auf der Erde): Nein. Ich liebe dich. UNDINE: Hast du das schon einmal gesagt? HANS: Das Wort klang ähnlich, aber das Gegenteil hat es bedeutet. UNDINE: Du hast es oft gesagt? HANS: Zu allen, die ich nicht geliebt. UNDINE: Beschreibe es genau! Verkünde mir meinen Sieg! Wen hast du aufgegeben für mich? HANS: Fast nichts... Nichts... Alle Frauen... UNDINE: Die Bösen, Unwürdigen, die mit Bart? HANS: Die Guten, die Schönen! UNDINE: O Hans, ich wollte dir das Weltall schenken, und seine schönere Hälfte nehme ich dir schon fort. Das trägst du mir eines Tags nach. HANS: Neben dir sind die anderen Frauen nichts. Du wirst sie sehen... UNDINE: Wo werde ich sie sehen? HANS: Dort, wo sie leben. In der Reitbahn. Auf Brunnenrändern. Bei den Stoffverkäufern. Wir reiten morgen... UNDINE: Du willst schon, dass wir unser Haus verlassen, unsern See? HANS: Ich will nur, dass die Welt erfährt, was sie an wahrer Vollkommen heit besitzt! Denn du hast ihr das Vollkommene gebracht! UNDINE: Das glaube ich nicht. Doch hätte die Welt Augen, es zu erken nen? 33
HANS: Auch du wirst es erkennen. Ihr könnt euch beide nicht länger aus dem Weg gehn. Die Welt, Undine, ist schön! UNDINE: O Hans, ich möchte von der Welt eines nur wissen: lässt man sich dort im Stich? HANS: Wie meinst du das? UNDINE: Wenn sich ein König und eine Königin lieben: verlassen sie sich je? HANS: Das verstehe ich noch weniger. UNDINE: Du verstehst es gleich. Denke an die Seehunde. Ich liebe See hunde nicht besonders; immer glaubt man, sie wären heiser. Sie sind es nicht. Nur ihre Stimmbänder sind anders, trocken vom vielen Salz, weil sie immer den Mund auftun... HANS: Die Seehunde lenken dich ab... UNDINE: Nein, nein! Das ist ein Beispiel. Hans, nachdem zwei Seehunde ein Paar geworden, verlassen sie sich nie mehr. Auf Fingersbreite schwimmen sie nebeneinander tausend Meilen, und der Kopf der Frau bleibt nicht um Kopfeslänge zurück... Leben Königin und König auch so nahe? Die Königin, wie es sich ziemt, ein Stückchen hinter ihm? HANS: Das wäre schwierig. König und Königin haben jeder ihre Wohnung, ihre Wagen und Gärten... UNDINE: Das ist ein schreckliches Wort, dieses Wort jeder! Warum? HANS: Weil jeder seine Arbeit und seine Freuden hat... UNDINE: Aber auch die Seehunde müssen furchtbar viel verschiedene Arbeit tun! Sie müssen Nahrung suchen. Müssen jagen. Manchmal Millionen Heringe verfolgen, die in millionenfachen Blitz zerstieben. Also Millionen Gründe hätten sie, dass der eine rechts, der andere links ausbräche, und trotzdem bleiben sie ihr ganzes Leben dicht beieinander. Eine Scholle könnte nicht zwischen ihnen durch. HANS: Zwischen Königin und König, fürchte ich, könnten jeden Tag zwan zig Walfische hindurch. Der König kümmert sich um seine Minister. Die Königin um ihre Gärtner. Zwei Strömungen tragen sie. 34
UNDINE: Wie richtig! Strömungen! Auch die Seehunde müssen gegen zwanzig; gegen hundert kämpfen! Da gibt es kalte Strömungen, gibt es heiße. Der Seehund könnte nun die kalten lieben, und seine Frau die warmen und die sanften, während ihm allein die wilden Freude machen, die stärker als Ebbe und Flut ein Schiff zerdrücken. Und trotzdem trennen sich die beiden nie... HANS: Das zeigt, dass Mensch und Seehund verschieden sind. UNDINE: Die Menschen haben sogar noch Arme, sich festzuhalten! HANS: Oder sich frei zu machen. UNDINE: Aber du, das wissen wir, verlässt mich nie, nicht einen Augen blick, um keine Elle... Seit ich dich liebe, fängt meine Einsamkeit zwei Schritte von dir an. HANS: Ja, Undine. UNDINE: Wenn man sich zankt, leidet man weniger, als wenn man sich nicht sieht? HANS: Ja, kleine Undine, ja. UNDINE: Du sagst ja, denkst es nicht. Sagst zweimal ja: sagst also nein. Mir sagst du ja, dir sagst du; Natürlich, den ganzen Tag, die ganze Nacht will ich sie an mich drücken, doch zuweilen, für einen Augenblick, verlasse ich sie, um Luft zu schöpfen, ein Würfelspiel zu wagen... HANS: Nach meinem Pferd zu sehen... UNDINE: Ja, scherze nur! Ich weiß schon jetzt: du wartest, bis ich schlafe, um nach dem Pferd zu sehn... Wenn der Engel schläft, sagst du zu dir, der Engel, den ich niemals der Welt auch nur die kleinste Minute lasse, geh ich, um eine dicke gute Stunde nach meinem Pferd zu sehen... Lang sollst du warten auf meinen Schlaf! ... Du aber, du wirst schlafen... HANS: Das glaube ich nicht, Geliebte... Vor Glück werde ich wach sein die ganze Nacht... übrigens muss ich jetzt wirklich nach meinem Pferd sehn. Nicht nur, weil wir bei Morgengrauen reiten, sondern weil ich ihm alles sage. 35
UNDINE: Geh zu ihm, Hans... Sage ihm alles... Damit es sich nicht vor mir fürchtet. Sage ihm, dass ich nicht schwer auf seiner Kruppe wiege, dass ich eine Gerte habe, ihm die Bremsen zu verscheuchen... Der Schlaf kommt, Hans... Nimm mich in deine Arme... Später kannst du ja gehn... HANS: Was tust du? UNDINE: Ich schlinge diesen Gürtel um uns beide, ist es dir recht? HANS: Ja, Liebste... UNDINE: Und werfe dieses Netz über uns? HANS: Ja, Liebste. UNDINE: Du kannst es zerreißen, wenn ich erst schlafe. Da, ich gähne schon... HANS: Das werde ich tun... Aber nie waren Mann und Frau auf dieser Welt so fest aneinander geschnürt. UNDINE (hat sich plötzlich aufgerichtet): Ja! Jetzt schlafe, du! (Sie wirft mit ihren Händen den Schlaf über Hans, der zurücksinkt.) ERSTE NIXE: Leb wohl, Undine ... UNDINE: Nimm du dich bitte der zweihundert verletzten Lachse an und ihrer Jungen. Führe sie alle unter den Wasserfall bei Morgengrauen; zu Mittag in die Strudel. Gib acht, dass sie nicht in den Fluss gera ten, der Rhein genannt wird: er drückt zu stark. ZWEITE NIXE: Leb wohl, Undine ... UNDINE: Künftig, statt meiner, hüte du die Perlen. Sie liegen alle in der großen Grotte... Ich habe ein Zeichen aus ihnen gebildet, zerstöre es nicht gleich... Dir sagt es nichts. Du müsstest lesen können... Es ist ein Name... DER WASSERKÖNIG: Zum letzten Mal: verrate uns nicht, Undine! Gehe nicht zu den Menschen! 36
UNDINE: Ich gehe zu einem einzigen Menschen.
WASSERKÖNIG: Er wird dir untreu... Er wird dich verlassen...
UNDINE: Ich glaube dir nicht.
WASSERKÖNIG: Also der Pakt gilt, kleine Törin! ... Du nimmst an. Wenn er
dir untreu wird, bist du die Schande des Sees! HANS (bewegt sich im Schlaf): Undine! ... Ruhm des Sees! UNDINE: Wie schön, dass man für jede Antwort jetzt zwei Münder hat!
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ZWEITER AKT Ehrensaal im Königspalast.
ERSTE SZENE Der Hofmarschall. Der Theaterdirektor. Der Robbenbesitzer. Der Dichter. Der Wässerkönig in der Maske eines Zauberkünstlers. HOFMARSCHALL: Meine Herren, ich wende mich nicht weniger an Ihre Phantasie als an die Kraft Ihrer Improvisation. In einigen Augen blicken wird der König in diesem Saal den Ritter von Wittenstein empfangen, der sich endlich, nach zwölf langen Flitterwochen, entschlossen hat, seine junge Gemahlin bei Hof vorzustellen. Es ist höchstköniglicher Wunsch, dass ein Spiel die Feierlichkeit be schließe... Sie, Herr Direktor der königlichen Theater, was schlagen Sie vor? THEATERDIREKTOR: Lohengrin! HOFMARSCHALL: Lohengrin ist zu ernst. Außerdem haben Sie das erst letzten Sonntag gegeben, zum Geburtstag des Markgrafen. THEATERDIREKTOR: Es ist ernst, aber – da es steht - ist es leicht… HOFMARSCHALL: Leichter als Orpheus, wofür Ihnen der Tierpark des Königs die Wölfe und Dachse überlässt? Leichter als Adam und Eva, wozu Sie keine Kostüme brauchen? THEATERDIREKTOR: Exzellenz, mein Glück beim Theater habe ich dadurch gemacht, dass ich als erster ein Geheimnis erkannt habe: jede Bühne hat ihre natürlichen Vorteile, ihre natürlichen Hemm nisse, gegen die man nichts unternehmen kann… HOFMARSCHALL: Herr Direktor, die Zeit drängt! THEATERDIREKTOR: Im Grund ist jedes Theater nur für ein einziges Stück gebaut, und das Geheimnis, es zu leiten, besteht darin, dieses Stück zu entdecken. Eine schwere Aufgabe, besonders wenn das Stück noch nicht geschrieben sein sollte. Daher die tausend Kata strophen bis zu dem Tag, an dem unter den Haaren der Melisande oder aus der Rüstung Hektors sich dem Theater sein Wesen er 38
schließt, seine Seele und, wenn ich so sagen darf, sein Geschlecht... HOFMARSCHALL: Herr Direktor! THEATERDIREKTOR: Ich habe ein Theater geführt, das bei Klassikern leer war und dem das Glück nur bei einem Husarenschwank lachte; also ein weibliches Theater… In einem andern Haus hatte ich nur mit Knabenchören Erfolg: also ein invertiertes Theater. Und wenn ich im vergangenen Jahr das Parktheater schließen musste, dann nur aus Gründen öffentlicher Schicklichkeit, denn darin gedieh nur das Inzeststück… HOFMARSCHALL: Die Seele unseres Hoftheaters ist also Lohengrin? THEATERDIREKTOR: Sie sprechen es aus. Schon beim Klang des Namens Lohengrin lockert sich die leider angeborene Verkrampftheit unsrer Choristenkehlen und gibt uns eine Stimmpracht, die – wenn nicht immer ganz harmonisch – doch strahlend ist. Die Seile, die bei Faust einstocken und sich kaum noch bewegen lassen, gleiten plötzlich in voller Geschwindigkeit über die Rollen. Die Säulen, die nur von zehn Bühnenarbeitern bewegt werden können und Vorhang und Gesimse zerstoßen, richten sich jetzt, wie von einem Magneten gezogen, auf den Wink eines einzigen Maschinisten empor. Missmut, Aufsässig keit und Staub flüchten auf Taubenflügeln aus meinem Theater. Manchmal beobachte ich aus meiner Loge, dass einer unserer Sänger vor Freude glänzt, seine Noten aus voller Kehle schleudert, mit seinem Ungestüm das Orchester beherrscht und im Publikum Applaus und Entzücken erweckt: Das kommt daher, dass er inmitten seiner Kollegen, die gewissenhaft ihre italienische Oper singen, aus Zerstreutheit in die Rolle des Lohengrin geraten ist... Jawohl, Exzel lenz! Mein Theater hat Lohengrin tausendmal aufgeführt, und doch bleibt es mein einziges Stück, das stets wie neu einstudiert wirkt. HOFMARSCHALL: Ich muss herzlich bedauern. Außerdem könnte der traurige Ausgang des Stücks auf zwei Neuvermählte abträglich wirken... Wer bist du?' ROBBENBESITZER: Ich bin der Direktor des Robbenzirkus, Exzellenz. HOFMARSCHALL: Was können deine Robben? ROBBENBESITZER: Sie singen nicht Lohengrin, Exzellenz. HOFMARSCHALL: Das ist ein Fehler. Robben, die Lohengrin singen, ergä 39
ben eine erfreuliche Unterhaltung. Außerdem hat man mir gesagt, dass deine größte Robbe einen Bart trägt und dadurch dem Schwie gervater unseres Königs ähnelt. ROBBENBESITZER: Ich kann den Bart abnehmen lassen, Exzellenz. HOFMARSCHALL: Durch einen bedauerlichen Zufall hat sich der Schwie gervater unsres Königs gestern den seinen abnehmen lassen. Vermeiden wir auch den Schatten einer Anspielung... Und du, der letzte, wer bist du? ZAUBERKÜNSTLER: Ich bin Taschenspieler und Zauberkünstler, Exzellenz. HOFMARSCHALL: Wo hast du dein Handwerkszeug? ZAUBERKÜNSTLER: Ich zaubere aus dem Nichts. HOFMARSCHALL: Ich bitte keine Scherze zu machen. Man lässt keine Kometen samt ihrem Schweif vorüber schießen, lässt Vineta nicht aus den Wassern empor tauchen, besonders wenn all seine Glocken läuten sollen, ohne geeignetes Handwerkszeug. . ZAUBERKÜNSTLER: O doch! (Er klatscht in die Hände. Ein Komet schießt vorüber.) HOFMARSCHALL: (der ihn nicht gesehen hat). Widersprechen Sie nicht. ZAUBERKÜNSTLER: O doch! Vineta! (Er klatscht in die Hände. Die Stadt Vineta erscheint unter Glockenläuten.) HOFMARSCHALL: (fasst sich). Aber das trojanische Pferd, besonders mit einem Bauch voll Griechen... ZAUBERKÜNSTLER: Trojanisches Pferd mit vollem Bauch! (Er klatscht in die Hände. Das trojanische Pferd erscheint.) HOFMARSCHALL: Was für ein Dickkopf!
DICHTER: Exzellenz...
HOFMARSCHALL: Mengen Sie sich nicht ein! Ohne Handwerkszeug lässt
keiner die Pyramiden erstehen, von Kamelen umgeben! ZAUBERKÜNSTLER: Die Pyramiden und die Kamele! (Er klatscht in die 40
Hände. Beides erscheint.) HOFMARSCHALL: Aber Venus ganz nackt, das wirst du nicht wagen! ZAUBERKÜNSTLER: O doch! (Er klatscht in die Hände. Neben dem Hofmarschall erscheint eine nackte Venus.) DICHTER: Exzellenz...! (Er verbeugt sich...) O gnädige Frau! (Venus ist verschwunden.) HOFMARSCHALL: (erstaunt und benommen). Ich habe mich oft gefragt, was für eine Sorte von Frauen sich dazu hergibt, von Taschen spielern hervorgezaubert zu werden... Sie müssen ziemlich robust sein. ZAUBERKÜNSTLER: Oder sind Venus selbst. Das hängt von den Fähig keiten des Künstlers ab. HOFMARSCHALL: (trocknet sich die Stirn). Deine Fähigkeit allerdings scheint bewiesen... Was schlägst du für den heutigen Tag vor? ZAUBERKÜNSTLER: Wenn Eure Exzellenz es gestatten, lasse ich mich von den Umständen inspirieren. HOFMARSCHALL: Das wäre ein großer Vertrauensbeweis. ZAUBERKÜNSTLER: Ich bin gern bereit, Ihnen probeweise und unverzüg lich eine kleine persönliche Zerstreuung zu bieten. HOFMARSCHALL: Du scheinst auch Gedanken lesen zu können. ZAUBERKÜNSTLER: Da der Gedanke, der Sie bewegt, über dem ganzen Hof liegt, ist mein Verdienst nur gering. Gewiss, Exzellenz, ich kann - wie Sie insgeheim wünschen, wie alle Damen der Stadt es sich wünschen – den Mann und die Frau voreinander rücken, die sich seit drei Monaten ängstlich meiden. DICHTER: Bertha und den Ritter von Wittenstein? HOFMARSCHALL: In diesem Saal? ZAUBERKÜNSTLER: In diesem Augenblick. Noch können Sie Neugierige hinter den Säulen aufstellen... 41
HOFMARSCHALL: Du gaukelst dir etwas vor - ich vergesse, das ist dein Beruf. Aber bedenke, dass der Ritter von Wittenstein in diesem Augenblick die letzten Fältchen an der Hofrobe seiner Gemahlin glatt zupft: und sie mit Entzücken betrachtet. Ferner bedenke, dass Gräfin Bertha aus Kummer und Eifersucht geschworen hat, nicht mehr bei Hof zu erscheinen. ZAUBERKÜNSTLER: Gewiss. Aber nehmen wir an, dass ein Hund den Handschuh der jungen Gemahlin raubt und in diesen Saal bringt was wird der Gemahl tun? Nehmen wir an, dass ein Dompfaff der Gräfin aus seinem Käfig entweicht und hierher fliegt - was wird sie tun? HOFMARSCHALL: Ich verstehe, aber das muss dir misslingen. Der Helle bardist hat höchsten Auftrag, alle Hunde von den königlichen Gemä chern fernzuhalten. Außerdem sind zwei Falken des Fürsten in Frei heit, ohne Kapuze, und in unmittelbarer Nähe des Käfigs. ZAUBERKÜNSTLER: Gewiss... Aber nehmen wir an, dass der Hellebardist auf einer Banane ausgleitet und dass eine Gazelle die Falken vom Dompfaff ablenkt. HOFMARSCHALL: Bananen und Gazellen gibt's bei uns nicht. ZAUBERKÜNSTLER: Gewiss nicht... Aber doch. .. Seit einer Stunde. Der afrikanische Gesandte hat eine dieser Früchte geschält, als er hinter Ihnen zur Audienz ging, und unter seinen Geschenken habe ich Wüstentiere bemerkt. So leicht, Exzellenz, werden Sie mit der Magie nicht fertig! ... Geben Sie mir ein Zeichen, lassen Sie Ihre neugie rigen Damen herein, und in diesen Saal werden Sie Bertha und den Ritter eintreten sehen... HOFMARSCHALL: Man setze die Damen in Kenntnis! DICHTER: Exzellenz, warum eine so böse Geschichte? HOFMARSCHALL: Früher oder später trägt sie sich ohnehin zu. Sie kennen die Zungen bei Hof. DICHTER: Die Zungen haben vielleicht nichts andres zu tun. Aber wir? HOFMARSCHALL: Mein lieber Dichter, wenn Sie erst so alt sind wie ich, werden Sie herausfinden, dass das Leben nur ein verschlepptes 42
Theaterstück ist. Auf unglaubliche Weise fehlt darin die Hand eines Regisseurs. Immer kommt es nicht zu den großen Szenen, wird die Lösung verwässert. Wer geboren ist, an der Liebe zu sterben, tut es mühsam und hoch betagt. Da ich einen Zauberer bei der Hand habe, will ich mir endlich den Luxus erlauben, das Leben in der Schnellig keit und dem Rhythmus vorüber fliegen zu sehen, die nicht nur der Neugier, sondern den menschlichen Leidenschaften entsprechen. DICHTER: Wählen Sie ein Opfer, das nicht so unschuldig ist. HOFMARSCHALL: Dieses unschuldige Opfer, mein junger Freund, hat einen Ritter seinem Gelöbnis abtrünnig gemacht. Früher oder später stellt die Strafe sich ein. Wenn der Ritter und Bertha sich heute treffen und sprechen, ersparen sie uns das halbe Jahr, das im richtigen Leben nötig wäre. Wenn sie am Morgen sich mit der Hand streifen und sich am Abend umarmen, statt ihren Kuss bis zum Herbst aufzuschieben, hat ihr Dasein den Bogen nicht geändert, aber es wird wahrer, stärker und frischer. Das ist der große Vorteil des Theaters gegen das Leben: es schmeckt niemals ranzig... Also, Herr Zauberkünstler, beginnen wir! ... Was war das für ein Lärm? EIN PAGE: Der Hellebardist ist ausgerutscht. HOFMARSCHALL: Das fängt gut an. DICHTER: Exzellenz, das Leben zu beschleunigen ist eine böse Tat. Die beiden heilkräftigsten Elemente werden dabei unterdrückt: die Ver gesslichkeit und die Faulheit. Wer sagt Ihnen, dass der Ritter und Bertha sich nicht aus Nachlässigkeit und Gewöhnung ihr Leben lang aus dem Weg gegangen wären? ... Was schreit da? DER PAGE: Die Gazelle, der die Falken die Augen aushacken. HOFMARSCHALL: Ausgezeichnet! Verbergen wir uns... Und du glaubst das den ganzen Tag durchhalten zu können, Zauberer? ZAUBERKÜNSTLER: Schon kommt der Vogel...
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ZWEITE SZENE Bertha. Hans. HANS (hebt einen Handschuh auf). Endlich finde ich dich! BERTHA (fängt den Vogel). Endlich hab ich dich wieder! (Sie gehen, wie sie gekommen sind, zu verschiedenen Seiten ab, ohne einander bemerkt zu haben.)
DRITTE SZENE Die Zuschauer stecken die Köpfe hervor. DICHTER: Ich atme auf!
EINE DAME: Sie machen sich über uns lustig, Hofmarschall?
HOFMARSCHALL: Was sollte das für ein Scherz sein, Herr Zauberkünstler?
ZAUBERKÜNSTLER: Einer der Regiefehler, von denen Sie selbst vorhin
sprachen. Ich mache ihn wieder gut. HOFMARSCHALL: Begegnen die beiden sich noch einmal, ja oder nein? ZAUBERKÜNSTLER: Damit über die Begegnung kein Zweifel besteht, will ich es einrichten, dass sie sich stoßen. (Alle verstecken sich hinter den Säulen.)
VIERTE SZENE Bertha. Hans. HANS (nimmt den zweiten Handschuh auf). Jetzt hätten wir das Paar! BERTHA (fängt wieder den Vogel ein). Du sollst mir nicht noch einmal fortfliegen! (Sie stoßen heftig zusammen. Bertha taumelt. Hans fasst sie bei den Händen. Sie erkennen sich.) 44
HANS: Oh, Verzeihung, Bertha!
BERTHA: Verzeihung, Ritter.
HANS: Habe ich Ihnen sehr weh getan?
BERTHA: Ich habe nicht das geringste gespürt.
HANS (lächelt verwirrt). Ich bin wohl ein grober Klotz? ...
BERTHA: Ja... (Sie beginnen langsam und zu verschiedenen Seiten
abzugehen, bis Bertha stehen bleibt.) Schöne Hochzeitsreise? HANS: Herrliche Reise... BERTHA: Eine Blonde, nicht wahr? HANS: Eine Blonde. Wo sie geht, ist die Sonne. BERTHA: Besonnte Nächte... Ich ziehe den Schatten vor. HANS: Jeder hat seinen Geschmack. BERTHA: So haben Sie wohl viel leiden müssen, als Sie damals fortzogen und – im Schatten der Eiche mich küssten? HANS: Bertha! BERTHA: Ich habe damals nicht leiden müssen... Ich habe geliebt... HANS: Meine Frau ist in der Nähe! BERTHA: Ich fühlte mich wohl in Ihrem Arm, geborgen für Immer. HANS: Aber Sie haben sich meinem Arm entzogen, weil Sie mich aus Eitelkeit zu Ihren Freundinnen bringen mussten und weil Sie einen Trumpf ausspielen wollten... BERTHA: Man zieht auch den Ring vom Finger, sogar den Verlobungsring, um ihn zu zeigen. HANS: Ich bedaure. Ein Ring versteht nichts. 45
BERTHA: Er hat getan, was die Ringe so tun... Er ist gerollt... Unter ein Bett... HANS: Was sind das für Worte? BERTHA: Sicher täusche ich mich, wenn ich von einem Bett spreche. .. Man schläft in der Scheune, bei Bauern, im Heu... Sie haben sich wohl sehr bürsten müssen, am Morgen nach Ihren Liebesnächten? HANS: Ich höre aus Ihren Worten, dass Sie auf Ihre Liebesnächte noch warten. BERTHA: Keine Sorge; sie werden sich einstellen. HANS: Ganz bestimmt. Aber wenn Sie einen Rat annehmen wollen: ordnen Sie sich Ihrem Liebsten unter, lassen Sie ihn niemals von Ihrer Seite... In der Entfernung – verstehen Sie das, wie Sie wollen – ver flüchtigen sich Ihre Züge. BERTHA: Beunruhigen Sie sich nicht, ich werde ihn nicht von der Seite lassen... HANS: Wer es auch sei, schicken Sie ihn nie wieder aus Eitelkeit in die Ferne, in die unfruchtbaren Gefahren und den Tod... BERTHA: Das klingt, als hätten Sie sich in dem großen dunklen Wald sehr gefürchtet? HANS: Jeder hält Sie für hochmütig. Zögern Sie darum nicht, sich vor dem ganzen Hof auf ihn zu stürzen, sobald Sie ihn sehen, und ihn zu küssen. BERTHA: Das war meine Absicht... Sogar wenn wir allein wären! (Sie küsst ihn und möchte fortlaufen. Er hält sie zurück.) HANS: Oh! Bertha! Sie, die Würde selbst! der Stolz selbst!
BERTHA: Ich die Demut... Ich ohne Scham...
HANS: Was spielen Sie jetzt? Was planen Sie?
BERTHA: Drücken Sie nicht so auf meine Hand. Sie hält einen Vogel.
HANS: Ich liebe meine Frau. Und nichts wird mich von ihr trennen.
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BERTHA: Es ist ein Dompfaff. Sie werden ihn noch ersticken! HANS: Hätte der Wald mich verschlungen, hätten Sie keinen Gedanken mehr für mich. Da ich glücklich zurückkehre, erscheint mein Glück Ihnen unerträglich... Lassen Sie doch den Vogel frei! BERTHA: Nein. Sein Herz schlägt. Mir genügt meins nicht, ich brauche dies kleine Herz. HANS: Gestehe mir dein Geheimnis! BERTHA (zeigt ihm den toten Vogel): Da... Du hast ihn erdrückt. HANS: Verzeihe mir, Bertha! (Er hat ein Knie auf die Erde gestützt. Bertha betrachtet ihn einen Augen blick.) BERTHA: Mein Geheimnis, Hans? Mein Geheimnis und meinen Irrtum? Ich dachte, du hättest es schon begriffen: ich habe an den Ruhm geglaubt. Das ist alles. Nicht an meinen Ruhm. An den des Mannes, den ich liebte, den ich seit meiner Kindheit erwählt hatte, den ich eines Abends unter die Eiche zog, in die ich als kleines Mädchen seinen Namen geritzt hatte... Mit jedem Jahr waren die Buchstaben größer geworden... Ich hatte geglaubt, dass eine Frau nicht dazu da ist, den Weg zur Mahlzeit, zur Ruhe, zum Schlaf zu zeigen, sondern um wie ein Page vor den wahren Jäger alles zu treiben, was es in der Welt an Unbezähmbarem, Unerreichbarem gibt. Ich fühlte die Kraft, Einhorn und Drachen, ja den Tod selbst vor dich zu treiben. Ich bin dunkel. Ich hatte geglaubt, dass im finsteren Wald mein Verlobter stets in meinem Licht ritte, dass. er in jedem Schatten meine Gestalt, in jedem Dunkel meine Gebärde erkennte. Furcht hatte ich nicht. Ich wusste, dass er die Finsternis besiegen würde, weil er mich besiegt hatte. Ich wollte, dass er zum Schwarzen Ritter wurde... Konnte ich ahnen, dass eines Abends alle Tannen der Welt ihre Zweige vor einem blonden Schopf öffnen würden? HANS: Konnte ich selbst das ahnen? ... BERTHA: Das war also mein Irrtum... Er ist gestanden. Jetzt ist nie mehr davon die Rede. Ich werde nur noch Namen in Korkeichen graben, deren Rinde bald abgeschält wird... Ein Mann allein mit dem Ruhm, schon das ist töricht. Eine Frau allein mit dem Ruhm ist lächerlich... 47
Um so bitterer für mich... Leb wohl... HANS: Verzeihe mir, Bertha... BERTHA (nimmt ihm den Vogel aus der Hand). Gib her... ich nehme ihn mit. (Sie gehen nach verschiedenen Seiten ab.)
FÜNFTE SZENE Der Hofmarschall. Der Zauberkünstler. Der Dichter. ZAUBERKÜNSTLER: Das war sie, war die Szene, die Sie ohne meine Dienste erst im nächsten Winter gesehen hätten! DICHTER: Mir hat sie genug gezeigt! ... Hören wir auf! HOFMARSCHALL: Im Gegenteil! Ich brenne darauf, die nächste zu sehen! DIE DAMEN: Die nächste! Ja ja, die nächste! ZAUBERKÜNSTLER: Wie Sie befehlen. Welche soll es nun sein? EINE DAME: Die herrliche Szene, in der Hans sich über einen Ritter beugt, den er im Kampf verwundet hat, er sieht eine Brust und erkennt Bertha. ZAUBERKÜNSTLER: Diese Szene ist aufgespart für ein andres Jahrhundert. HOFMARSCHALL: Wie wäre es dann mit dem Augenblick, in dem der Ritter und Bertha zum ersten Mal von Undine sprechen? ZAUBERKÜNSTLER: Die Szene vom nächsten Jahr?... Bitte sehr... (Die Damen starren plötzlich dem Hofmarschall ins Gesicht.) HOFMARSCHALL: Was habe ich da auf den Backen? ZAUBERKÜNSTLER: Einen Bart von sechs Monaten. Das sind die unange nehmen Seiten solcher Versuche... (Alle verstecken sich von neuem.) 48
SECHSTE SZENE Hans und Bertha treten unbekümmert von verschiedenen Seiten auf. BERTHA: Ich suche dich, Hans!
HANS: Ich suche dich, Bertha!
BERTHA: Hans, es darf keinen Schatten zwischen uns geben. Wir können
nicht Freunde sein, wenn ich nicht auch die Freundin Undines bin. Vertraue sie mir heute abend an. Ich schreibe gerade die Aeneis und die Tristien ab und illustriere sie selbst. Undine soll mir helfen, den Tränen Ovids Gold aufzulegen. HANS: Ich danke dir, Bertha. Aber ich bin nicht sicher... BERTHA: Schreibt sie nicht gern? HANS: Nein. Sie kann nicht schreiben. BERTHA: Wie recht sie hat! Ohne Rückhalt kann sie sich den Werken der andern schenken und braucht die Autoren nicht zu beneiden. HANS: Nein. Nur liest sie sie nicht. BERTHA: Sie hat keine Freude an Romanen? HANS: Nein. Sie kann nicht lesen. BERTHA: Wie ich sie beneide! Inmitten all der scheinheiligen Streberinnen wird eine reine Nymphe unter uns sein! ... Wie beruhigend, endlich einmal die Natur selbst sich unbewusst der Musik und dem Tanz hingeben zu sehen! HANS: Bei keinem Fest wirst du sie sehen. BERTHA: So eifersüchtig bist du auf sie? HANS: Nein. Sie kann nicht tanzen. BERTHA: Jetzt aber scherzt du! Hans, du hast eine Frau geheiratet, die nicht liest, nicht schreibt und nicht tanzt? HANS: Ja. Und auch keine Gedichte auswendig kann. Und die Flöte nicht 49
spielt. Und nie aufs Pferd steigt. Und auf der Jagd weint. BERTHA: Was aber kann sie? HANS: Sie schwimmt... Ein wenig... BERTHA: Was für ein Engel! Aber sei vorsichtig! Man darf nicht allzu unw issend bei Hof sein. Es wimmelt von Leuten, die ihr etwas beibringen könnten. Wie sieht sie aus? HANS: Undine? Wie sie ist? Wie die Liebe. BERTHA: Wie die stumme Liebe, oder wie die redselige Liebe? Sie braucht nichts zu wissen, wenn sie zu schweigen weiß. HANS: Hierüber bin ich etwas beunruhigt. Undine ist redselig, und da ihr einziger Hofmeister die Natur war, stammt ihr Wortschatz von Fröschen und ihre Grammatik vom Wind. Die Zeit der Turniere und Jagden hat begonnen: ich zittere beim Gedanken an all die Worte, die Undine sich von einem Schauspiel entlocken lässt, wobei jeder Schritt, jede Volte, jede Figur in der Reitbahn einen besonderen Namen hat. Ich unterweise sie - ohne Erfolg. Bei jedem Fachaus druck, jedem Wort, das ihr neu ist, gibt sie mir einen Kuss. Dreiund dreißig trug der erste Gang des Lanzenstechens mir ein, das ich ihr gestern zu erklären versuchte. BERTHA: Vierunddreißig! HANS: Du hast Recht! Mit dem Abschwenken der Lanze: vierunddreißig! Wo hatte ich meinen Kopf? BERTHA: Du hast dich um einen Kuss selbst betrogen... Vertrau mir Undine an. Bei mir besteht diese Gefahr nicht, denn ich verstehe mich auf Reitbuch und Falknerei. HANS: Besonders müsste sie über die Wittensteins und ihre Privilegien unterrichtet werden, aber das sind Geheimnisse. BERTHA: Die ich fast alle kenne. Frage mich aus. HANS: Wenn du antworten kannst, schulde ich dir ein Pfand! Von welcher Farbe muss der Schild eines Wittenstein sein, wenn er in die Kampf bahn einreitet? 50
BERTHA: Azurblau wie bei Fürsten, in vier Felder geteilt von einem Eich hörnchen mit gespaltenem Schweif. HANS: Liebste Bertha! Und wenn ein Wittenstein die Kampfbahn entlang zieht? BERTHA: Ist die Lanze eingestemmt. Das Pferd im Passgang. HANS: Was wirst du eines Tages für eine Rittersfrau sein! (Sie gehen zusammen ab.)
SIEBENTE SZENE Der Hofmarschall. Der Zauberkünstler. Der Dichter. Die Damen. HOFMARSCHALL: Bravo! Und als Wittenstein hat er Recht. Gräfin Bertha kann alles, weiß alles. Sie ist das Ideal einer Frau: sie ruiniert sich beim Einbinden von Büchern! … Jetzt noch eine dritte Szene, Herr Zauberkünstler, und wir bekommen es mit der Angst. DIE DAME: Die Szene, wo Bertha die nackte Undine im Mondlicht mit ihren Zwergen tanzen sieht. ZAUBERKÜNSTLER: Sie haben es immer noch nicht begriffen, gnädige Frau. HOFMARSCHALL: Oder den großen Streit zwischen Undine und Bertha? DICHTER: Wie wäre es, wenn wir ein Jahr Ruhepause ein legten? EIN PAGE: (tritt auf). Exzellenz, ich darf an den Beginn des Empfangs erinnern. HOFMARSCHALL: Richtig, die Stunde naht! Ich habe gerade noch Zeit, das junge Geschöpf aufzusuchen und ihm beizubringen, wie man sich vorm König verneigt. Und da sie redselig ist, will ich ihr die Rat schläge geben, die wenigstens für heute jedes Missgeschick aus schließen... Aber Sie, Herr Zauberkünstler, werden während meiner Abwesenheit auch nicht die kleinste Szene vorführen? ZAUBERKÜNSTLER: Nur eine ganz unscheinbare. 51
HOFMARSCHALL: Die aber mit unserm Stück nichts zu tun hat, wie? ZAUBERKÜNSTLER: Die mit nichts etwas zu tun hat. Aber die einem alten Fischer, den ich sehr gern habe, Freude macht. (Der Hofmarschall geht ab.)
ACHTE SZENE Von verschiedenen Seiten treten die Gräfin Violante und Andreas auf. ANDREAS (geht auf die Gräfin zu). Sie werden die Gräfin Violante sein? VIOLANTE: Ja, guter Mann. (Sie wendet sich ihm zu. Er sieht den Goldfleck in ihrem Auge.) Was willst du? ANDREAS: Nichts mehr... Ich habe mich nicht geirrt... Es ist wundervoll... Vielen Dank. (Sie verschwinden.)
NEUNTE SZENE Undine. Hofmarschall. Dichter. HOFMARSCHALL (lässt Undine, der er die Hand gereicht hat, die Verbeugung wiederholen). Einfach unmöglich! UNDINE: Ich wäre Ihnen so dankbar! ... HOFMARSCHALL: Jetzt noch den Empfang dritter Klasse in ein Wasserfest umzuwandeln ist praktisch unmöglich. Der Finanzminister würde es auch gar nicht erlauben: das Bassin mit Wasser zu füllen kostet jedes Mal ein Vermögen. UNDINE: Das Wasser brächte ich Ihnen umsonst. HOFMARSCHALL: Schlagen Sie sich das aus dem Kopf. Selbst wenn unser Monarch den Fischkönig empfangen sollte, müsste es aus Sparsam keitsgründen an der Luft geschehen. UNDINE: Im Wasser wäre mir so viel wohler! 52
HOFMARSCHALL: Nicht uns... Nicht mir...
UNDINE: Doch. Ihnen besonders. Ihre feuchte Hand fiele im Wasser nicht
auf. HOFMARSCHALL: Meine Hand ist nicht feucht. UNDINE: Sie brauchen sie nur zu befühlen. HOFMARSCHALL: Frau von Wittenstein, haben Sie für einen Augenblick Kraft, Ratschläge anzuhören, wie Sie heute Nachmittag peinliche Fehler vermeiden können? UNDINE: Eine Stunde! Zwei Stunden, wenn Sie wollen! HOFMARSCHALL: Mich anzuhören, ohne zu unterbrechen? UNDINE: Ich schwöre es. Nichts ist leichter... HOFMARSCHALL: Also, Frau von Wittenstein, der Hof ist ein heiliger Ort... UNDINE: Entschuldigen Sie mich einen Augenblick! (Sie geht auf den Dichter zu, der abseits gestanden hat und jetzt näher kommt.) Also du bist der Dichter? DICHTER: Man sagt es.
UNDINE: Sehr schön bist du nicht...
DICHTER: Auch das sagt man - sagt es leiser... Aber da die Ohren der
Dichter nur das Flüstern vernehmen, höre ich es um so deutlicher. UNDINE: Macht das Schreiben nicht schön? DICHTER: Ich war früher viel hässlicher! (Sie lacht ihn an. Er zieht sich zurück.) UNDINE (geht zum Hofmarschall). Bitte verzeihen Sie. HOFMARSCHALL: Frau von Wittenstein, der Hof ist ein heiliger Ort, wo der Mensch die beiden Verräter, deren er sich nie entledigen kann, unter seine Macht zwingen muss: ich meine sein Wort und sein Antlitz. 53
Wenn bei Hof der Mensch Furcht hat, müssen Wort und Antlitz Mut ausdrücken; wenn er lügt, Ehrlichkeit. Ferner ist es keineswegs unschicklich – falls ihm zustößt, dass er die Wahrheit sagt –, sich den Anschein zu geben, dass er lügt. Dies leiht der Wahrheit jenes zweideutige Aussehen, womit sie noch am ehesten vor der Heuche lei bestehn kann... Nehmen wir das Beispiel, das Sie in Ihrer Unschuld selbst gewählt haben. Ja, meine Hand ist feucht. Meine rechte Hand, die linke ist die Trockenheit selbst. Ich weiß es seit meiner Kindheit, und ich leide darunter. Aber mag meine Hand noch so feucht sein, mein Arm reicht weit, bis zum Thron des Königs, und verteilt Gnade und Ungnade... Wer mein Missfallen erregt, setzt sein Glück aufs Spiel und das seines Gemahls, besonders wenn man meine physischen Gebrechen verspottet – moralische Gebrechen habe ich übrigens nicht... Und jetzt, schöne Undine, wenn Sie mich richtig verstanden haben, sagen Sie mir, als erfahrene Hofdame, wie meine Hand ist. UNDINE: Feucht – wie Ihre Füße. HOFMARSCHALL: Nichts hat sie begriffen! Frau von Wittenstein... UNDINE: Vergönnen Sie mir wohl einen Augenblick? HOFMARSCHALL: Nein, keinen einzigen! (Sie geht von neuem auf den Dichter zu, der ihr entgegen kommt.) UNDINE: Und dein erster Vers? DICHTER: Ist der herrlichste. UNDINE: Der herrlichste deiner Verse? DICHTER: Aller Verse. Er steht so hoch darüber wie Sie über allen Frauen. UNDINE: Du bist sehr bescheiden, in deiner Eitelkeit... Rasch, sage ihn mir... DICHTER: Ich weiß ihn nicht mehr. Ich habe ihn im Traum gemacht. Als ich aufwachte, hatte ich ihn vergessen. UNDINE: Du hättest ihn gleich aufschreiben sollen. DICHTER: Das hab ich mir auch gesagt. Nur habe ich ihn zu schnell 54
aufgeschrieben. Ich habe ihn im Traum aufgeschrieben. (Sie lächelt ihn an.) HOFMARSCHALL: Frau von Wittenstein! UNDINE: Da ruft uns der andere! Wie schade! Wir verstehen uns gerade so gut. (Sie blickt zum Hofmarschall zurück.) HOFMARSCHALL: Frau von Wittenstein, geben wir zu, dass meine Hand feucht ist. Nachdem Sie alle Hände des Hofs berührt haben, werden Sie vielleicht anderer Meinung. Geben wir es jedoch zu und geben auch zu, dass ich es zugebe! ... Aber würden Sie wohl dem König sagen, dass seine Hand feucht ist? UNDINE: Gewiss nicht. HOFMARSCHALL: Bravo! Weil er der König ist, wie? UNDINE: Nein, weil seine Hand trocken ist. HOFMARSCHALL: Sie sind unmöglich! Ich spreche von dem Fall, dass sie es wäre! UNDINE: Sie können davon nicht sprechen! Sie ist es nicht. HOFMARSCHALL: Wenn nun der König Sie über die Warze auf seiner Nase befragte? Unser König hat eine tüchtige Warze! Nötigen Sie mich nicht, so laut zu schreien, bitte! - Und wenn er von Ihnen wissen wollte, wie sie aussieht? UNDINE: Dass ein Monarch, der Sie zum ersten Mal sieht, auf den Gedan ken kommt, Sie nach seiner Warze zu fragen, scheint mir kaum glaubhaft. HOFMARSCHALL: Aber, Frau von Wittenstein, wir sprechen hier theore tisch! Ich versuche nur zu erklären, was man Ihnen sagen müsste, um Ihnen Freude zu machen, falls Sie eine Warze hätten... UNDINE: Nie werde ich eine haben! Und wenn Sie noch so lang warten! ... HOFMARSCHALL: Sie hat keinen Verstand... UNDINE: Warzen bekommt man, weil man eine Schildkröte angerührt hat. 55
Wussten Sie das? HOFMARSCHALL: Ich halte es nicht mehr aus! DICHTER: Gnädige Frau, der Hofmarschall will nur sagen, dass man den Hässlichen keinen Schmerz bereiten soll, in dem man ihnen von ihrer Hässlichkeit spricht. UNDINE: Niemand braucht hässlich zu sein. Bin ich etwa hässlich? HOFMARSCHALL: Bitte begreifen Sie, dass die Höflichkeit eine Art von Versicherung darstellt, eine sehr vorteilhafte! Falls Sie versichert sind, sagt man Ihnen – sobald Sie alt werden –, dass Sie jung sind. Sobald Sie hässlich werden, dass Sie schön sind, und all das gegen eine ganz kleine Prämie. UNDINE: Ich werde nie alt… HOFMARSCHALL: Was für ein Kind! UNDINE: Wollen Sie mit mir wetten? HOFMARSCHALL: Frau von Wittenstein, wir werden den Unterricht an einem andern Tag fortsetzen. Ich habe gerade noch Zeit, Sie über die Frage aufzuklären, die heute der König an Sie richten wird - wie an jede Dame, die man ihm vorstellt - und die dem Heros gilt, dessen Namen er trägt: Herkules. Dieser Name wurde ihm gegeben, weil er in seiner Wiege eine junge Blindschleiche, die sich dorthin verirrt hatte, aus Versehen mit seiner Rückseite zerdrückte. Da Sie die sechste Dame sind, die dieses Jahr bei Hof vorgestellt wird, fragt er Sie nach der sechsten Arbeit des Herkules. Hören Sie mir genau zu, ich werde es Sie wiederholen lassen, und ich flehe Sie an, beim heiligen Rochus, mir nicht fortzulaufen, um ein Geschwätz mit dem Dichter anzufangen. UNDINE: Richtig! Ich habe vergessen... Danke! Es ist sehr dringend. (Sie eilt zum Dichter.) HOFMARSCHALL: Ich untersage es! UNDINE: Du gefällst mir. DICHTER: Sie verwirren mich, der Hofmarschall wartet. Was haben Sie mir so dringend zu sagen? 56
UNDINE: Es gibt Quellen im See, tief unten, wo Frühling blüht. Man ver sucht, ihren Strahl zu finden und mit beiden Händen zusammenzu drücken, einen Strahl, der aus anderen Strahlen dringt. Dann wird man umströmt von einem Wasser, das nichts andres als Wasser berührt hat. Es gibt eine solche Quelle, ganz nah, im Teich vor der Tür. Beuge dich darüber und betrachte dein Spiegelbild. Du wirst dich sehen, wie du in Wahrheit bist: als schönsten der Menschen ... DICHTER: Die Lehren des Hofmarschalls tragen Frucht. HOFMARSCHALL: Walter, ich werde Sie für alles verantwortlich machen! Frau von Wittenstein, wann hat Herkules jenen Fisch getötet? UNDINE: Herkules hat einen Fisch getötet? HOFMARSCHALL: Den größten, den mit den meisten Köpfen: die Hydra. UNDINE: Jetzt halte ich mir die Ohren zu! Ich will von Mördern nichts wissen. HOFMARSCHALL: Infernalisch! (Großer Lärm hinter der Szene. Der Zauberkünstler erscheint.) HOFMARSCHALL: Und was für eine Szene kommt jetzt?
ZAUBERKÜNSTLER: Was jetzt kommt? Ich bin dafür nicht verantwortlich.
DIE DAME: Bertha und Hans küssen sich?
ZAUBERKÜNSTLER: Nein, viel schlimmer: es ist Zeit für die erste Unstim migkeit zwischen Hans und Undine. (Hans erscheint.) DIE DAME: Da kommt Ihr Mann, Gnädigste!
UNDINE: Komm schnell, lieber Hans, der große Meister lehrt mich das
Lügen. HANS: Lass das jetzt, ich habe mit ihm zu reden. UNDINE: Berühre seine Hand. Du wirst sehen, wie trocken sie ist! ... Lüge 57
ich gut, Herr Hofmarschall? ... HANS: Still! UNDINE: Und du bist sehr hässlich, und ich verabscheue dich. HANS: Willst du jetzt ruhig sein, Undine! Was bedeutet das, Exzellenz? Sie setzen mich an der Tafel hinter Salm? HOFMARSCHALL: Gewiss. HANS: Ich habe das Recht auf den dritten Platz nach dem König, und auf die silberne Gabel. HOFMARSCHALL: Sie hatten es. Sogar auf den ersten Platz, sogar auf die goldene Gabel, wenn gewisse Pläne gereift wären. Aber Ihre Heirat weist Ihnen den vierzehnten Platz zu, und den Löffel... UNDINE: Was kann dir das ausmachen, Liebster? Ich habe gesehen, was es zu essen gibt... Vier ganze Ochsen. Keine Sorge, wir werden alle satt. (Gelächter.) HANS: Was gibt es zu lachen, Bertram? ...
BERTRAM: Ich lache, wenn sich mein Herz freut...
UNDINE: Hans, am Lachen wirst du niemanden hindern!
HANS: Er lacht über dich.
UNDINE: Er lacht über mich nicht böse. Lacht, weil er mich lustig findet.
Ich bin es auch, ohne es zu wollen. Er lacht, um mir eine Freude zu machen. BERTRAM: Aus keinem andern Grund, gnädige Frau. HANS: Es gibt über meine Frau nichts zu lachen, aus keinem Anlass, auch nicht aus Freude! UNDINE: Er wird nicht wieder lachen, denn er möchte nichts tun, was mir missfällt – nicht wahr? 58
BERTRAM: Nichts werde ich tun, was gegen Ihre Wünsche sein könnte, gnädige Frau. UNDINE: Seien Sie meinem Mann nicht böse... Es ist schmeichelhaft, dass er so über mich wacht... finden Sie nicht? BERTRAM: Man beneidet ihn, dass er allein über Sie wachen darf. HANS: Bertram, wer hat um Ihre Meinung gefragt? UNDINE: Ich, Hans, ich habe gefragt! ... Gut, wenn dir mein Schweigen besser gefällt, bin ich stumm... wenn ich nichts sehen soll, bin ich blind. HANS: So viel wird von dir nicht verlangt, Liebling. UNDINE: Sei nicht unruhig. Sei wie ich. Kein Donner, keine Sintflut jagen das Lächeln von meinen Lippen. HOFMARSCHALL: Der König! (Der Zauberkünstler ist neben Undine getreten. Sie erkennt den Wasser könig.) UNDINE (leise). Du hier? Warum so verkleidet? Was bereitest du Schlimmes vor? ZAUBERKÜNSTLER: Du wirst es sehen. Zu deinem Besten. Verzeihung, wenn ich mich aufdränge. UNDINE: Unter einer Bedingung will ich verzeihen. ZAUBERKÜNSTLER: Nämlich? UNDINE: Ich brauche so sehr meine Ruhe! Gewähre mir, nur für dieses Fest, dass ich nicht erkenne, was die anderen denken. ZAUBERKÜNSTLER: Was denke ich selbst? UNDINE: (liest in seinen Gedanken, entsetzt). Fort! ... ZAUBERKÜNSTLER: Du wirst mich gleich wieder rufen, Undine ... HOFMARSCHALL: Der König! 59
( Fanfare.)
ZEHNTE SZENE Die Vorigen. Der König. Die Königin. Bertha. Gefolge. KÖNIG: Meinen Gruß, Ritter! Meinen Gruß, kleine Undine! (Undine hat Bertha bemerkt und scheint für nichts andres mehr Augen zu haben.) HOFMARSCHALL: Tief ins Knie gehen, gnädige Frau! (Undine macht automatisch ihren Hofknicks, wobei sie unverwandt Bertha ansieht.) KÖNIG: Ich empfange dich, süßes Kind, wie alle, denen ich meine Liebe zuwenden will, in diesem Saal, der dem Herkules geweiht ist. Ich verehre den Herkules. Sein Name ist mein teuerster Vorname. Herkules hat gewaltige Taten vollbracht... Du weißt, vermute ich, wieviel dieser Taten es sind? HOFMARSCHALL: (sagt vor). Neun...
UNDINE (sieht unverwandt auf Bertha). Neun, Hoheit...
KÖNIG: Ganz ausgezeichnet. Der Hofmarschall souffliert ein wenig zu
laut, aber deine Stimme scheint lieblich, selbst wenn sie nur ein so kurzes Wort ausspricht. Wie heißt nun die Frau, die den Herkules verführen möchte, Liebreiz im Antlitz, Falschheit im Herzen? ... HOFMARSCHALL: (sagt vor). Omphale...
UNDINE (mit dem Blick auf Bertha). Sie heißt Bertha...
KÖNIG: Was sagt sie?
UNDINE (tritt vor Bertha). Du, du bekommst ihn nie!
BERTHA: Was bekomme ich nie?
UNDINE: Nie wird er dir gehören! Nie!
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KÖNIG: Was hat das Kind?
HANS: Undine, der König spricht mit dir...
UNDINE: Wenn du ihm nur ein Wort sagst, wenn du ihn anrührst – ich
bringe dich um... HANS: Halte den Mund! BERTHA: Die Arme ist nicht bei Verstand! UNDINE: König, o schütze uns! KÖNIG: Wovor soll ich dich schützen, kleine Undine? Welche Gefahr bedroht dich auf diesem Fest, das dir zu Ehren gegeben wird? HANS: Tragen Sie ihr nichts nach und auch mir nicht... UNDINE: Schweige doch, du! Du bist schon in ihrem Spiel, im Spiel all dieser Damen, und weißt es nicht... KÖNIG: Erkläre mir doch, Undine... UNDINE: O König, wie ist es entsetzlich! Man hat einen Mann, für den man alles auf dieser Welt gegeben hat... Er ist stark... Er ist tapfer... Ist schön... HANS: Ich flehe dich an, Undine... UNDINE: Schweig du! Ich weiß wohl, was ich sage... Du bist schön, doch du bist dumm. Und das wissen die Frauen alle! Sie sagen sich: was für ein Glück, dass jemand dumm sein kann, der schön ist! Denn weil er schön ist, muss es herrlich sein, in seinem Arm zu ruhen, ihn zu küssen. Und weil er dumm ist, wird es nicht schwierig sein, ihn zu verführen. Weil er schön ist, gibt er uns alles, was gebückte Ehemänner und ängstliche Verlobte uns nicht geben. Doch unsern Herzen wird er nicht gefährlich, weil er so dumm ist! BERTRAM: Wie reizend sie das sagt! UNDINE: Nicht wahr, ich habe recht? Wie heißt du, der du mir zustimmst? BERTRAM: Ich heiße Bertram. 61
HANS: Sie sollen nicht mit ihr reden! BERTRAM: Wenn mich eine Frau nach meinem Namen fragt, sage ich ihn. HANS: Undine, zum letzten Mal warst du bei Hof! KÖNIG: Aber ich bitte Sie... HOFMARSCHALL: Die gräflichen Paare machen sich zum Handkuss bereit. BERTHA: Vater, dass eine Bäuerin deine Pflegetochter in unserm eigenen Schloss beleidigen darf – ist das nicht etwas zuviel? ... HANS: Erlauben Sie, Hoheit, dass ich mich für immer verabschiede. Ich habe eine anbetungswürdige Frau, aber für die Welt ist sie nicht geschaffen... UNDINE: Jetzt wissen Sie, wie sich die beiden verstehen! Sie sind die Falschheit selbst! KÖNIG: Bertha ist nicht falsch, Undine. UNDINE: Aufrichtig ist sie nicht. Hat sie je gewagt, Ihnen davon zu sprechen – HOFMARSCHALL: Frau von Wittenstein! KÖNIG: Dass ich mit Herkules verwandt bin, durch meine Urahne Omphale... Deshalb erröte ich nicht, kleine Undine. UNDINE: Nein, dass Sie die schönste Warze tragen, die je einen König geschmückt hat, und dass Sie sie nur von einer Schildkröte jenseits des Meers haben können? (Sie bemerkt ihre Ungeschicklichkeit und versucht sie gutzumachen.) Wo haben Sie sie berührt? O sicherlich bei den Säulen des Herkules! HOFMARSCHALL: Die Markgrafen machen sich zur Strumpfbandzeremo nie bereit! ... KÖNIG: Kleine Undine, beruhige dich. Ja, du gefällst mir. Dass diese Halle von der Stimme der Liebe widerklingt, ist eine Seltenheit, die mir nicht unangenehm ist, aber zu deinem eigenen Glück lass dir von mir einen Rat geben... 62
UNDINE: Oh, Ihnen glaube ich jedes Wort, ohne zu fragen!
KÖNIG: Bertha ist ein sanftes und gutes Mädchen und hat keinen anderen
Wunsch, als dich zu lieben. UNDINE: Nein, nein, o wie Sie irren! HANS: Bitte, sei endlich still! UNDINE: Kannst du jemanden sanft nennen, der einen Dompfaff zer drückt? KÖNIG: Was ist das nun für eine Geschichte? Warum sollte Bertha einen Dompfaff zerdrücken? UNDINE: Um Hans zu verwirren. KÖNIG: Ich kann dir schwören, dass Bertha ... BERTHA: Ich hatte meinen Dompfaff wieder gefangen, als Hans mich begrüßte und mir die Hand gab. Er hat zu stark gedrückt. UNDINE: Das hat er nicht! Die Hand der schwächsten Frau wird Marmorhülle, um einen kleinen Vogel zu beschützen. In meiner Hand würde ihm nichts geschehen, und drückte Ihr Herkules, Hoheit, mit aller Kraft. Bertha kennt die Männer. Es sind Ungeheuer an Egoismus, die aber der Tod eines Vogels aus dem Gleichgewicht bringt. Der Dom pfaff war sicher in ihrer Hand: sie hat ihn erdrückt... HANS: Ich habe zu stark gedrückt. UNDINE: Sie hat ihn getötet! HOFMARSCHALL: Hoheit, wann dürften die Freiherren und die Frei frauen... KÖNIG: Undine, ob es nun er gewesen ist oder sie: du wirst mir geloben, Bertha von jetzt an in Frieden zu lassen... UNDINE: Wenn Sie es befehlen, ist es gelobt. KÖNIG: Ich befehle es. 63
UNDINE: Ich gelobe es... Aber unter der Bedingung, dass sie sofort schweigt! KÖNIG: Du bist es, die redet! ... UNDINE: Sie spricht mit sich selbst, ich verstehe alles... Schweigen Sie, Bertha! HANS: Entschuldige dich bei Bertha, Undine! UNDINE: Meine Haare? Was hat sie von meinen Haaren zu sagen? Mir gefallen meine flachsgelben Strähnen, wie sie sie nennt, besser als ihre Nattern! Sehen Sie doch, Hoheit, sie hat Schlangen statt Haare! HANS: Entschuldige dich! ... UNDINE: Aber du hörst nicht, was sie sagt! Niemand hört es! Sie sagt, dass ich mich durch diesen Streit selbst verderbe, dass eine Woche solcher Torheiten mir meinen Mann entfremdet, dass man nicht mehr lang warten muss, bis ich vor Kummer sterbe... Das sagt sie, die sanfte Bertha, das schreit sie hinaus, die Gute! O geliebter Hans, nimm mich in deine Arme, vor ihren Augen, damit sie erniedrigt wird... HANS: Bleib, wo du bist! UNDINE: Küsse mich, vor ihren Augen! Ich habe den Dompfaff wieder erweckt. Er sitzt lebendig in seinem Käfig. BERTHA: Ich sage ja, sie ist toll! UNDINE: Du hast ihn getötet! Ich habe ihn wieder erweckt! ... Welche von uns beiden ist nun die Tolle? welche die Schuldige? KÖNIGIN: Das arme Kind! UNDINE: Hört ihr ihn nicht? Er singt. KÖNIG: Ihr Zwischenspiel ist bereit, Hofmarschall? Kein Zwischenspiel hat sich je redlicher seinen Namen verdient. Undine: Bist du mir böse, Hans? HANS: Ich bin dir nicht böse, aber du hast mich mit Schande bedeckt. 64
Zum Gespött des Hofs hast du uns gemacht. UNDINE: Warum bleiben wir noch? Nur der König meint es hier gut, und die Königin ist schön... Gehen wir... HOFMARSCHALL: (dem der Zauberkünstler ein Zeichen gegeben hat). Ihren Arm, Ritter, der Gräfin Bertha. UNDINE: Seinen Arm... Das erlaube ich nicht... HOFMARSCHALL: Die Hofordnung, gnädige Frau. HANS: Ihre Hand, Bertha. UNDINE: Ihre Hand... Das erlaube ich nicht. Jetzt sollst du es hören, Hans. Erfahren, wer Bertha ist... Bleibt alle stehen, hört, wer die Gräfin Bertha ist und was ihr die Hofordnung schuldet! HANS: Jetzt ist es zuviel, Undine... KÖNIGIN: Ich möchte mit diesem Kind reden... UNDINE: O ja, ich habe für die Königin ein Geheimnis! KÖNIG: Ein glücklicher Gedanke, Isolde. UNDINE: Isolde! König, deine Frau ist die Königin Isolde? KÖNIG: Das wusstest du nicht? UNDINE: Und Tristan? Wo ist Tristan? KÖNIG: Ich verstehe den Zusammenhang nicht, Undine... Beruhige sie, liebe Isolde. (Alle außer der Königin und Undine gehen ab.)
65
ELFTE SZENE Die Königin. Undine. KÖNIGIN: Du heißt Undine, nicht wahr?
UNDINE: Ja. Und ich entstamme dem Wasser.
KÖNIGIN: Wie alt bist du? Fünfzehn Jahre?
UNDINE: Fünfzehn Jahre. Und seit Jahrhunderten bin ich geboren. Und
sterben werde ich nie... KÖNIGIN: Warum hast du dich zu uns verirrt? Wie konnte dir unsere Welt gefallen? UNDINE: Gesehen durch die Brechung des Sees, war die Welt herrlich. KÖNIGIN: Ist sie es immer noch, seit du auf dem Trockenen lebst? UNDINE: Es gibt tausend Mittel, um Wasser vor den Augen zu haben. KÖNIGIN: Ah, ich verstehe! Damit die Welt dir wieder herrlich erscheinen kann, denkst du schon an den Tod von Hans. Damit du unsere Frauen bewundern kannst: musst du denken, dass sie ihn dir nehmen. UNDINE: Nicht wahr, man will ihn mir nehmen? KÖNIGIN: Es sieht so aus. Aber du schätzt ihn zu hoch ein. UNDINE: Mein Geheimnis, Königin, das ist mein Geheimnis: wenn sie ihn nehmen, stirbt er! Das ist das Schreckliche! KÖNIGIN: Bleibe ruhig, sie sind nicht so grausam. UNDINE: Er muss sterben, weil ich gewilligt habe in seinen Tod – wenn er mir untreu wird! KÖNIGIN: Was erzählst du? So straft man in deinem Reich? UNDINE: O nein, bei uns gibt es keine untreuen Frauen. Man mag irren wegen zu großer Ähnlichkeit oder weil das Wasser nicht klar ist. Aber bei uns erfährt man es nicht einmal selbst, wenn man wider 66
Willen untreu gewesen ist. KÖNIGIN: Wie könnt ihr dann wissen, ob Hans dir untreu wird? Woher versteht ihr das Wort untreu? UNDINE: Als man ihn sah, haben es alle gewusst. Nie war von Untreue bei uns die Rede gewesen. Nie, bis Hans kam. Aber als sie einen schönen Mann hoch zu Pferd sahen, die Treue im Antlitz, die Auf richtigkeit auf den Lippen, da ist das Wort Untreue bis zur tiefsten Welle geeilt... KÖNIGIN: Ihr Armen! UNDINE: Und alles, was mir Vertrauen zu Hans gab, sein gerader Blick, sein klares Wort, all das ist den andern wie eine Botschaft der Ver wirrung erschienen, wie Heuchelei. Man muss glauben, dass das Gute an den Männern eine furchtbare Lüge ist. Er hat gesagt, er würde mich immer lieben... KÖNIGIN: Das Wort Verrat haben die Wasser geboren. UNDINE: Sogar die Fische können es buchstabieren. Und jedes Mal, wenn ich vor die Hütte lief, um ihnen zu erzählen, wie Hans mich liebt, und um sie damit zu ärgern, ließen sie in Blasen dieses Wort vor mir aufsteigen. Ich sagte, er ist zornig, weil ich ihm die Forelle genom men habe. Er hat Hunger. "Ja", sagten die Hechte, "er wird dir untreu." Ich habe ihm den Schinken versteckt. "Ja", sagten die Weiß barsche, "er wird dir untreu" ... Und alle lachten höhnisch. Ich habe einen großen Fehler gemacht: ich habe mich auf den Pakt eingelas sen. KÖNIGIN: Auf welchen Pakt? UNDINE: Mein Onkel, der Wasserkönig, hat mir gesagt: "Wir dürfen ihn töten, wenn er dir untreu wird?" Hätte ich nein gesagt, hätte ich Hans vor ihnen erniedrigt und zugegeben, dass ich ihm misstraue. Mir selbst hätte ich dann misstraut. Darum habe ich ja gesagt. KÖNIGIN: Man wird vergessen, anderen Sinnes werden. UNDINE: O glauben Sie das nicht! Die Kreise im Weltall, wo man vergisst, die Meinung ändert, wo man verzeiht, sind sehr eng. Sie umfassen nur die Menschheit. Bei uns ist es wie beim Raubtier, wie bei den Blättern einer Esche, bei Raupen: man verzichtet nicht, verzeiht 67
nicht. KÖNIGIN: Aber welche Macht hat man über ihn? UNDINE: Alles, was Welle ist und Wasser, jetzt belauert es Hans. Naht er sich einem Brunnenplötzlich hebt sich der Spiegel. Wenn es regnet, dann regnet es auf ihn zweimal so dicht, und er wird böse. Sie werden es noch sehen: wenn Hans im Garten einem Springbrunnen naht, schießt der wütende Strahl bis in den Himmel! KÖNIGIN: Warum hast du dir Hans gewählt? UNDINE: Ich wusste nicht, dass man wählt, bei den Menschen. Bei uns wählt man nicht, denn wir werden von unsern Gefühlen gewählt. Der erste der Unsern, der kommt, bleibt für immer der einzige. Hans war der erste der Menschen, den ich gesehen habe, und man darf nicht noch einmal wählen. KÖNIGIN: Willst du meinen Rat hören, liebe kleine Undine? Verschwinde! Geh fort! UNDINE: Mit Hans? KÖNIGIN: Wenn du nicht leiden willst, wenn du Hans retten willst, ver sinke in der erstbesten Quelle... Geh fort! UNDINE: Mit Hans? Er ist im Wasser so hässlich! KÖNIGIN: Drei Monate bist du mit Hans glücklich gewesen. Damit musst du zufrieden sein. Geh von ihm, solang es noch Zeit ist. UNDINE: Hans verlassen? Warum? KÖNIGIN: Weil er für dich nicht geschaffen ist. Weil seine Seele klein ist. UNDINE: Und ich habe keine Seele. Das ist noch schlimmer. KÖNIGIN: Danach brauchst du, braucht keine Kreatur, die nichts gemein mit Menschen hat, zu fragen. Die große Seele dieser Welt atmet durch Nüstern oder Kiemen. Aber der Mensch hat eine Seele für sich allein gewollt und die große Weltall Seele grob zerstückt. Nein, eine Menschenseele gibt es nicht. Es gibt nur eine Anzahl von Seelen gärtchen, wo Blumen und Gemüse mager gedeihen. Die Menschen seele, die immer blühen kann, weil sie ewiger Wind durchbraust, 68
und ewige Liebe, und die sich zu dir fügen könnte, ist grausig selten. Zufällig gab es eine in diesem Jahrhundert, eine im ganzen Weltall. Es ist schade, dass sie vergeben ist. UNDINE: Für mich ist es kein schade. KÖNIGIN: Weil du dir einen Wassergeist mit großer Seele nicht vorstellen kannst. UNDINE: Ich kann ihn mir vorstellen... Wir hatten einen, stets schwamm er auf dem Rücken, um den Himmel vor sich zu haben. Die Schädel unsrer Toten nahm er in seine Flossen, sie zu betrachten. Er brauchte elf Tage Einsamkeit und Umarmung, bis er für die Liebe vorbereitet war. Er hat uns alle sehr ermüdet. Selbst unsere ältesten Mädchen meiden ihn. Nein, der einzige Mensch, würdig, geliebt zu werden, ist der, der allen Menschen gleicht, der Gesicht und Wort von allen Menschen trägt, den man von andern nur dadurch unter scheidet, dass er noch ein paar Fehler mehr hat, noch ungeschickter ist... KÖNIGIN: Also Hans. UNDINE: Ja. Hans. KÖNIGIN: Weißt du nicht, dass Hans alles Weite in dir nur geliebt hat, weil es ihm eng erschien? Du bist die Helligkeit, aber er hat eine Blonde geliebt. Du bist die Anmut, er hat einen Kobold geliebt. Du bist das Abenteuer, und er hat ein Abenteuerchen geliebt. Sobald er seinen Irrtum bemerkt, verlierst du ihn... UNDINE: Er merkt ihn nicht. Ja, wenn er Bertram wäre! Bertram würde es merken. Aber diese Gefahr habe ich geahnt. Unter allen Rittern habe ich mir den dümmsten erwählt... KÖNIGIN: Der dümmste Mensch sieht immer noch klar genug, um eines Tags blind zu werden. UNDINE: Dann sage ich ihm, dass ich ein Wassergeist bin. KÖNIGIN: Das wäre das Schlimmste. Vielleicht bist du sogar augenblick lich für ihn eine Art Wassergeist, aber nur, weil er fest glaubt, dass du es nicht bist. Ein so übernatürliches Wesen wirst du für Hans nie mals sein wie Bertha auf einem Maskenball, wenn sie Schuppen hosen anhat. 69
UNDINE: Wenn die Menschen die Wahrheit nicht ertragen können, werde ich lügen! KÖNIGIN: Ob du dich um Wahrheit mühst oder um Lüge, liebes Kind, du wirst niemanden täuschen und den Menschen immer das geben, was sie am meisten verabscheuen. UNDINE: Treue? KÖNIGIN: Nein. Durchsichtigkeit. Davor haben sie Angst. Das halten sie für das Schlimmste. Sobald Hans merkt, dass du keine Rumpelkam mer von Erinnerungen bist, keine Wirrnis von Plänen, kein wüster Haufe von Eindrücken und Wünschen, wird er Angst bekommen, und dann bist du verloren. Glaube mir. Verlasse ihn, rette ihn! UNDINE: Liebe Königin, ich rette ihn aber nicht, wenn ich ginge! Sobald ich zurückkehre, werden die Unsern sich um mich drängen, gelockt von dem Menschlichen, das ich noch an mir hätte. Mein Onkel wird verlangen, dass ich einen von ihnen heirate. Ich werde mich weigern. Aus Wut wird er Hans töten. Nein. Auf der Erde muss ich Hans retten. Auf der Erde muss ich das Mittel finden, wie ich meinem Onkel verberge, dass Hans mir untreu wird, wenn er mich eines Tags nicht mehr liebt. Aber noch liebt er mich, wie? KÖNIGIN: Mit all seiner Kraft. Dessen sei sicher. UNDINE: Warum also noch suchen, Königin? Wir haben das Mittel schon! Als es vorhin den Streit gab, ist mir der Gedanke gekommen. Durch Bertha selbst! Immer, wenn ich Hans von Bertha abdrängen wollte, trieb ich ihn erst recht zu ihr hin. Sobald ich Schlechtes von Bertha sagte, nahm er ihre Partei... Jetzt will ich das Gegenteil tun! Zwanzig Mal am Tag will ich ihm sagen, dass sie schön ist und dass sie Recht hat. Dann wird sie ihm gleichgültig werden, und dann hat sie auch nicht mehr Recht. Jeden Tag will ich es einrichten, dass er sieht, wie sie vor ihm in der Sonne leuchtet, in herrlichen Kleidern. Und dann wird er nur noch mich sehen. Ich habe schon einen Plan. Bertha soll bei uns wohnen, im Schloss von Hans... Sie sollen ihr Leben gemein sam verbringen: dann ist sie für ihn in weiter Ferne. Ich werde jeden Vorwand benutzen, dass sie allein bleiben, auf dem Spaziergang, zur Jagd, und sie werden sich wie in einer dichten Menge vorkom men. Ellbogen an Ellbogen werden sie ihre Manuskripte lesen; er wird zusehen, wie sie Initialen malt, Gesicht an Gesicht; sie werden sich streifen und sich berühren, und kommen sich so getrennt vor, 70
dass sie sich nicht mehr begehren. Dann werde ich für Hans alles sein... Verstehe ich die Menschen nicht gut? Das ist mein Mittel... (Die Königin ist aufgestanden und hat sie geküsst.) O Königin Isolde, was tust du? KÖNIGIN: Isolde dankt dir. UNDINE: Dankt? KÖNIGIN: Für die Unterweisung in der Liebe. Und du bist fünfzehn Jahre. UNDINE: Fünfzehn Jahre im nächsten Monat. Und seit Jahrhunderten bin ich geboren. Und sterben werde ich nie. KÖNIGIN: Da kommen die andern... UNDINE: Wie gut das trifft! Jetzt vermag ich Bertha um Verzeihung zu bitten!
ZWÖLFTE SZENE Die Vorigen. Der König und alle übrigen. UNDINE: Verzeihung, Bertha!
KÖNIG: Das freut mich, mein Kind...
UNDINE: Ich hatte recht. Aber da man nur um Verzeihung bittet, wenn
man Unrecht hat, muss ich unrecht gehabt haben. Verzeihung, Bertha. HANS: Das freut mich sehr, Liebste... (In diesem Augenblick erscheint der Zauberkünstler. Undine bemerkt ihn.) UNDINE: Mich freut es auch... Aber sie könnte mir antworten! ... HANS: Wie?
UNDINE: Da stehe ich, erniedrigt vor ihr, obwohl ich um vieles höher bin,
gedemütigt vor ihr, obwohl ich so großen Stolz in mir spüre, als 71
wäre ich schwanger davon, und sie antwortet mir nicht einmal! BERTRAM: Das finde ich auch, Bertha könnte ihr antworten... UNDINE: Bertram findet es auch! HANS: Kümmern Sie sich um Ihre Dinge! KÖNIG: Bertha, das liebe Kind sieht sein Unrecht ein. Dehne die Span nung, die uns allen peinlich genug ist, nicht länger aus. BERTHA: Gut, ich verzeihe ihr. UNDINE: Danke, Bertha. BERTHA: Unter der Bedingung, dass sie bei allen Feierlichkeiten meine Schleppe trägt. UNDINE: Ja, Bertha. BERTHA: Meine Schleppe von zwölf Fuß. UNDINE: Je mehr Füße mich von Ihnen trennen, desto froher werde ich sein, Bertha. BERTHA: Sie soll mich nicht immer Bertha nennen, sondern Hoheit. KÖNIG: Das ist nicht richtig, Bertha. BERTHA: Und sie soll öffentlich sagen, dass ich nicht den Dompfaff getö tet habe. UNDINE: Ich werde es sagen. Es ist eine Lüge. BERTHA: Da hast du ihre Frechheit, mein Vater! KÖNIG: Ihr fangt mir nicht wieder an! ... UNDINE: Ihre Hoheit Bertha hat nicht den Dompfaff getötet. Hans hat nicht ihre Hand ergriffen. Da Hans ihre Hand nicht ergriffen hat, kann er sie nicht gedrückt haben. BERTHA: Sie beleidigt mich! 72
UNDINE: Ihre Hoheit Bertha verbringt nicht ihre Tage damit, ihren Dom pfaffen die Augen auszustechen, damit sie besser singen. Wenn ihre Hoheit Bertha des Morgens aus dem Bett springt, stellt sie ihre Füße nicht auf eine Matte, die aus hunderttausend toten Dompfaffen gemacht ist. BERTHA: Du duldest, mein Vater, dass man mich in deiner Gegenwart so beleidigt? KÖNIG: Warum reizt du sie immer wieder? HANS: Du sprichst zur Pflegetochter des Königs, Undine! ... UNDINE: Tochter des Königs! Willst du wissen, wer sie in Wahrheit ist, die Tochter des Königs? Alle wollt ihr es wissen, die ihr vor ihr zittert! HANS: Du lässt mich fühlen, Undine, was für ein Laster die Bürgerlichkeit ist! UNDINE: Die Bürgerlichkeit, mein lieber Blinder? Du müßtest wissen, wo man sie in Wirklichkeit findet! Du glaubst, deine Bertha stammt von Heroen ab! Ich kenne ihre Eltern! Es sind Fischer am See. Sie heißen nicht Gudrun und Parsifal. Sie heißen Eugenie und Andreas. BERTHA: Bring sie zum Schweigen, Hans, oder ich sehe dich niemals wieder! ... UNDINE: Bist du da, mein Onkel? Zu Hilfe! HANS (will sie fortführen). Du folgst mir! UNDINE: Zeige ihnen die Wahrheit, mein Onkel! Finde ein Mittel, ihnen die Wahrheit zu zeigen! Ein einziges Mal nur erhöre mich. Hilf mir! ... (Mit einem Schlag verlöscht das Licht.)
HOFMARSCHALL: (kündigt an). Hoheit, das Zwischenspiel!
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DREIZEHNTE SZENE
Der Hintergrund des Theaters zeigt den See mit der Hütte des Andreas. Der Wasserkönig betrachtet ein kleines Mädchen, das in einer aus Rohr geflochtenen Wiege liegt und das ihm die Nixen bringen. Ein Schauspieler und eine Schauspielerin, als Lohengrin und Elsa kostümiert, drängen sich auf die Seiten der Szene. HOFMARSCHALL: Was wollen die beiden? Hier haben sie nichts zu suchen. THEATERDIREKTOR: Es sind Elsa und Lohengrin. Ich kann sie jetzt nicht mehr fortschicken. HOFMARSCHALL: Sorgen Sie wenigstens, dass sie sich zurückhalten! THEATERDIREKTOR: Dass Sänger des Lohengrin sich zurückhalten? Un möglich!
DAS SCHAUSPIEL NIXE (betrachtet das kleine Mädchen in der Wiege): Sieh das Kind! Was soll ich tun? Sieh das Kreuz auf seiner Brust! WASSERKÖNIG: Lass es in der Wiege ruhn. ELSA (singt): Wonne! Höchste Liebeslust! NIXE: Au! sie beißt, ihr Auge blitzt! WASSERKÖNIG: Gebt ihr doch die Klapper wieder, die Andreas ihr geschnitzt. LOHENGRIN (singt): Schaut, wie ist mein Auge bieder! NIXE: Au! er kratzt, der kleine Teufel! WASSERKÖNIG: Drückt ihr unser Zeichen ein; denn es soll niemals ein Zweifel über ihre Herkunft sein. LOHENGRIN (singt). Du bist mein Heil! 74
ELSA (singt). Du bist mein Schwan!
NIXE: Wird ein König sie einst finden, sie geleiten auf sein Schloß?
WASSERKÖNIG: Armen Fischerpaares Sproß, du willst dich dem Glanz
verbinden. Gut, dein Wunsch sei dir gewährt. Doch wir halten streng Gericht, wenn dein Trotz je aufbegehrt! ELSA: (singt): Fragender, o frage nicht! NIXE: Kann ein Kreuz nicht leicht zerbrechen? ANDERE NIXE: Elfenbein lockt Diebe an. WASSERKÖNIG: Gerade will ich zu euch sprechen, wie das Zeichen haften kann. Mit dem Finger drück ich auf ihre Schulter einen Fisch. LOHENGRIN (singt): Nie verblassend, ewig frisch! ELSA: (singt): So trübt sich des Lebens Lauf! WASSERKÖNIG: Andre Zeichen: so beginnen ihrer Eltern schlichte Namen. Bertha, wenn auch Würden kamen, heute sieh dein Glück zerrinnen, heute halten wir Gericht! ELSA: (singt verzweifelt): Fragender, o frage nicht! WASSERKÖNIG: Schuldig sollst du vor uns stehen: lass uns deinen Nacken sehen! (Es wird strahlend hell. Allgemeine Betroffenheit. Bertha ist aufgestanden.) UNDINE: Habe Mut, Bertha!
BERTHA: Habe du selbst den Mut!
UNDINE (reißt ihr den Schleier von der Schulter): Seht her!
(Auf Berthas Schulter sieht man die Zeichen.)
LOHENGRIN, ELSA: (singen): O Mut, o Liebe, Himmelsmacht!
UNDINE: Sind sie schon da, mein Oheim?
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ZAUBERKÜNSTLER: Sie treten ein. (Andreas und Eugenie treten auf und eilen auf Bertha zu.) ANDREAS. Mein Kind! Mein geliebtes Kind!
BERTHA: Rührt mich nicht an! Ihr riecht nach Fisch!
EUGENIE: Wie habe ich Gott gebeten, dich mir wiederzuschenken!
BERTHA: Wie bitte ich Gott, mich wenigstens zur Waise zu machen!
KÖNIG: Schändliches Geschöpf! Deine Zärtlichkeit danke ich nur meinem
Thron! Du bist undankbar und ein Eindringling. Bitte deine Eltern und Undine um Verzeihung. BERTHA: Niemals! KÖNIG: Wie du willst. Wenn du mir nicht gehorchst, darfst du die Stadt nicht mehr betreten und endest dein Leben im Kloster. BERTHA: Es ist schon zu Ende... (Alle gehen ab, außer Undine, Bertha und Hans.)
VIERZEHNTE SZENE Undine. Bertha. Hans. UNDINE: Verzeihe mir, Bertha.
BERTHA: Lass mich...
UNDINE: Du sollst jetzt nicht antworten. Auch ich brauche keine Antwort.
BERTHA: Mitleid trifft mich härter als Niedertracht.
HANS: Wir lassen dich nicht im Stich, Bertha.
UNDINE: Ich huldige dir auf den Knien. Du bist die Tochter eines Fischers,
Bertha. Du bist meine Königin. Zu Andreas sagen die Wassergeister Hoheit. 76
HANS: Was hast du vor, Bertha? BERTHA: Ich habe immer getan, was mein Stand mir vor schrieb... UNDINE: Wie ich dich beneide! Du darfst tun, was die Töchter der Fischer tun! HANS: Sprich nicht mehr davon, Undine. UNDINE: Ich muss davon sprechen. Ich muss Bertha begreiflich machen, wer sie ist. Auch du musst es begreifen. Andreas ist ein großer König in einem großen Reich. Wenn er die Brauen runzelt, zittern Millionen Forellen. HANS: Wohin wirst du gehn, Bertha? BERTHA: Wohin kann ich gehn? Schon wenden alle sich ab. UNDINE: Komm mit uns. Du wirst meine Schwester gut aufnehmen, Hans? Denn Bertha ist meine Schwester. Meine ältere Schwester. Sie braucht den Kopf nicht mehr zu senken. Du hast deine Würde von Eugenie. Sie ist bei uns Königin. Edel wie Eugenie, sagen alle Fische im Mühlteich. HANS: Wir wollen am Hof nicht mehr leben. Undine hat Recht. Komm heute Abend mit uns. UNDINE: Verzeihe mir, Bertha. Entschuldige meine Heftigkeit. Immer vergesse ich, dass bei euch Menschen das Geschehene nicht unge schehn werden kann. Wie schwer macht ihr euch das Leben durch Gesten, die für die Ewigkeit gelten, durch Worte, die man niemals zurücknimmt, auch wenn man sie nur einmal gesagt hat! Es wäre so viel nützlicher, wenn ein Wort des Hasses in euch als Wort der Liebe eindränge! ... Ich empfinde so – in allem, was dich betrifft... HOFMARSCHALL (steckt den Kopf herein). Der König möchte wissen, ob die Verzeihung erbeten ist. UNDINE: Ja, auf den Knien. HANS: Komm mit, Bertha, meine Burg ist groß. Du lebst dort, wie du willst, einsam, wenn du einsam sein willst, und in dem Flügel, der auf den See hinausgeht. 77
WASSERKÖNIG: Der See!
UNDINE: Es gibt einen See bei deiner Burg? Dann nimmt Bertha den
anderen Flügel… HANS: Der auf den Rhein geht? WASSERKÖNIG: Der Rhein! HANS: Wie sie will. UNDINE: Auch der Rhein grenzt an deine Burg? HANS: Nur im Osten. Denn wir haben im Süden den Wasserfall. WASSERKÖNIG: Der Wasserfall! HANS: Komm, Bertha. UNDINE: Hast du kein Schloss über den Landen? Ohne Teich oder Quelle? HANS: Geh voran, Bertha, ich folge dir gleich. (Bertha geht ab.) Warum diese Angst vor dem Wasser? Was gibt es zwischen dir und dem Wasser? UNDINE: Zwischen mir und dem Wasser, nichts. HANS: Ich habe es längst gemerkt. Du lässt mich an keinen Bach mehr heran. Wenn ich mich auf einen Brunnenrand setze, ziehst du mich fort. UNDINE: Hüte dich vor dem Wasser, Hans! HANS: Und meine Burg ist von lauter Gewässer umringt! Morgens bade ich unter dem Wasserfall, mittags fische ich auf dem See, und abends tauche ich in den Rhein. Jede Strömung kenne ich, jeden Strudel. Wenn das Wasser mich Furcht lehren will, täuscht es sich. Das Wasser begreift nichts, das Wasser hört nichts. (Er geht ab. Alle Fontänen rings um die Halle beginnen zu springen.)
UNDINE: Das Wasser hat ihn gehört! (Sie folgt ihm.)
HOFMARSCHALL (zum Zauberkünstler): Meine Anerkennung! Ich brenne
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darauf, zu erfahren, was aus alle dem wird. Wann geht es weiter? ZAUBERKÜNSTLER: Sofort, wenn Sie wünschen. HOFMARSCHALL: Was ist mit meinem Gesicht? Ich habe Runzeln! Und einen Kahlkopf! ZAUBERKÜNSTLER: Sie haben es selbst gewollt. In einer Stunde sind zehn Jahre vergangen. HOFMARSCHALL: Trage ich ein Gebiss? Ich kann nicht mehr richtig reden. ZAUBERKÜNSTLER: Darf ich fortfahren, Exzellenz? HOFMARSCHALL: Nein! nein! Eine Pause! Gewähren Sie uns eine Pause!
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DRITTER AKT Schlosshof.
ERSTE SZENE Bertha. Hans. Zwei Diener. ERSTER DIENER: Die Chorknaben begeben sich schon auf die Empore.
HANS: Was willst du?
ZWEITER DIENER: Er meint die Sänger, die die Feierlichkeit Ihrer Hochzeit
durch schöne Kehlen ausschmücken wollen. HANS: Kannst du das nicht anders ausdrücken? Hast du keine schlichteren Worte, he? ERSTER DIENER: Lang lebe Bertha! Lang lebe die junge Ehefrau! HANS: Pack dich! ... BERTHA: Warum ein solcher Zorn an solchem Tag? HANS: Fängst du jetzt auch an? BERTHA: Ich soll deine Gemahlin werden, und was machst du für ein Gesicht! HANS: Du fängst auch noch an! Redest schon wie die Diener! BERTHA: Was haben sie Schlimmes gesagt? Sie freuen sich über unser Glück. HANS: Das sage noch einmal! ... Rasch! Rasch... Ohne ein Wort zu ändern! BERTHA: Sie freuen sich über unser Glück... HANS: Endlich! Danke! BERTHA: Du machst mir Angst, Hans! Seit einigen Tagen machst du mir Angst... 80
HANS: Alles weißt du über die Wittenstein, eins musst du noch lernen: am Tag, an dem die Dienerschaft ohne Grund anfängt, feierlich zu reden, besucht uns das Unglück. Ihre Sätze bekommen Rhythmus, ihre Worte werden edel. Alles, was in dieser Welt deine Dichter sich vorbehalten haben, geht plötzlich auf Waschfrauen und Stallbur schen über. Kleine Leute sehen, was sie sonst niemals sehen, die Krümmung der Flüsse, das Sechseck der Honigwaben. Sie denken an die Natur. Sie denken an die Seele... Am Abend kommt dann das Unglück. BERTHA: Aber ihre Worte waren bestimmt keine Verse. Sie reimten sich nicht. HANS: Gott behüte! Wenn ein Wittenstein plötzlich einen Diener in Reimen reden, ein Gedicht aufsagen hört, steht der Tod vor der Tür. BERTHA: Das kommt nur daher, dass in großen Stunden das Ohr der Wittenstein jeden Klang veredelt. Aber sicherlich gilt es für bei des, für die Trauer wie für die Freude! HANS: Es geht bis zum Schweinehirten! Gleich werden wir es erleben. (Zu einem Diener.) Weißt du, wo der Schweinehirt ist? ZWEITER DIENER: Auf der mit Stechginster bestandenen Anhöhe… HANS: Halt den Mund... Hol mir den Schweinehirten... ZWEITER DIENER: Unter einer Akazie träumend... HANS: Und nimm die Beine unter den Arm! (Der Diener geht ab.) BERTHA: O Hans, muss ich den Dienern nicht dankbar sein, dass sie heute Morgen die schlichten Worte mir überlassen, um dir zu sagen, wie ich dich liebe? Du hältst mich in deinen Armen. Warum das finstre Gesicht? Was kann dir heute noch fehlen? HANS: Warum habe ich mich gerächt? Warum habe ich sie gezwungen, vor der ganzen Stadt ihre Schuld zu gestehen? BERTHA: Hast du Undine in den sechs Monaten, die sie nun fort ist, immer noch nicht vergessen? Heute ist der Tag, sie zu vergessen! 81
HANS: Heute am wenigsten! Wenn ich heute als misstrauischer Bräutigam vor dich trete, weil ich gedemütigt und verwirrt bin: sie hat es bewirkt... Und wie hat sie mich belogen! BERTHA: Sie hat dich nicht belogen. Jeder außer dir hätte gemerkt, dass sie nicht von unserer Welt ist. Hat sie sich ein einziges Mal beklagt? Hat sie ein einziges Mal widersprochen? Hast du sie zornig gesehen, oder krank, oder hochfahrend? Woran sonst erkennt man die wahren Frauen? HANS: Dass sie betrügen... Sie hat mich betrogen. BERTHA: Du allein wolltest nicht sehen. Dir allein ist es nicht aufgefallen, dass sie das Wort Frau nie in den Mund genommen hat. Hast du sie jemals sagen hören: so etwas sagt man nicht zu einer Frau, so etwas tut man einer Frau nicht an? ... Nein. HANS: Erlaubt sie mir wenigstens, sie zu vergessen? Der Schrei, der mich am Morgen ihrer Flucht aufgeweckt hat: ich habe dich mit Bertram betrogen...! ECHO: Ich habe dich mit Bertram betrogen...! HANS: Dieser Schrei steigt noch jeden Morgen aus den Flüssen, den Quellen und Brunnen empor! Aus Fontänen und Teichen hallen Burg und Stadt von ihm wider! ... Ruft nicht die hölzerne Nixe in der großen Uhr es jeden Mittag öffentlich aus? Warum liegt ihr so viel daran, die Welt wissen zu lassen, dass sie mich mit Bertram betro gen hat? ECHO: Mit Bertram betrogen hat... BERTHA: Seien wir ehrlich, Hans. Wir beide hatten sie vor her betrogen. Vielleicht hat sie uns belauscht, und nun will sie sich rächen. HANS: Wo ist sie? Was treibt sie? All meine Jäger, all meine Fischer suchen sie seit Monaten vergeblich. Und doch kann sie nicht weit sein. Morgens hat man an der Kapellentür einen Kranz aus Seesternen und Seeigeln gefunden... Nur sie konnte ihn hinlegen, mich zu verhöhnen... BERTHA: Glaube doch das nicht... Abenteurerinnen sind nicht beharrlich. Wenn man sie einmal entlarvt hat, verschwinden sie, tauchen sie 82
unter... Ich vermute, der Ausdruck eignet sich auch für Wasser geister... Sie ist wieder untergetaucht. HANS: Ich habe dich mit Bertram betrogen...! ECHO: Mit Bertram! HANS: Wer hat jetzt geredet? BERTHA: O Hans, wir müssen deinen Irrtum gemeinsam bezahlen. Was hat dich an diesem Mädchen bestricken können? Wer hat dir einre den können, dass du für die großen Abenteuer geboren seist? Du, als Jäger von Feen? Ich kenne dich viel zu gut. Wenn du aufrichtig gegen dich selbst sein willst, gibst du mir zu, was in einem Zauber wald dein Herz stets am höchsten schlagen ließ: eine verlassene Köhlerhütte zu entdecken, mit gebeugtem Kopf einzutreten, beim Geruch feuchter Möbel einige noch nicht verloschene Kohlen zu finden, auf denen du dir einen Krammetsvogel brätst, und dir schließlich die Pfeife anzustecken... Und ich sehe dich in den so genannten Zauberschlössern: bestimmt hast du deine Zeit damit verbracht, Schränke zu öffnen, Kleider herauszunehmen, dich mit al ten Helmen zu schmücken... Du dachtest, dass du nach Geistern suchst. Aber du bist immer auf irdischer Fährte geblieben... HANS: Wie schlecht bin ich dieser Fährte gefolgt! BERTHA: Du hast sie verloren, aber hast sie wieder gefunden. In jener Winternacht, als du mir sagtest, dass du mich immer noch liebst, und ich dir fortlief; du hast sie wieder gefunden, als du meine Spuren im Schnee sahst. Es waren große und tiefe Spuren; meine ganze Ermattung lag darin, meine Not, meine Liebe. Das waren nicht Abdrücke, wie sie, deinen Hunden kaum wahrnehmbar, Undines Fuß hinterlässt, Schaum auf der festen Erde - es waren die Abdrücke einer Frau, die menschliches Leben in sich trägt, deinen künftigen Sohn in sich trägt: deiner Frau. Zurück hat die Spur nicht geführt. Denn du hast mich auf deinen Armen getragen. HANS: Ja... Wie Bertram sie auf seinen Armen getragen hat... (Der Diener kommt zurück.) Was willst du schon wieder? DIENER: Der Schweinehirt, Herr, Sie haben ihn kommen lassen. (Der Schweinehirt tritt auf.) 83
HANS: Tritt näher. Was machen deine Schweine?
HIRT: Aus Weidenholz ist meine Pfeife, mein Taschenmesser ist aus
Buchsbaum. HANS: Ich frage nach deinen Schweinen, deinen Säuen! HIRT: Unter der blühenden Akazie... HANS: Sei still! DIENER: Geben Sie sich keine Mühe! Er ist taub. HIRT: In ihrem sanften Schatten... HANS: Drücke ihm die Hand auf den Mund! DIENER: Er redet in meine Hand. Er redet von einem Sechseck... HANS (zu einem anderen Diener): Auch der soll den Mund halten... ZWEITER DIENER (der dem ersten seine Hand auf den Mund gedrückt hat). Ich weiß nicht, was sie haben. Jetzt sagen sie ein Gedicht… HANS: Holt mir die Spülmagd. Verstanden? Wir wollen hören, was für eine Sprache die Spülmagd führt!
ZWEITE SZENE Die Vorigen. Bertha. Hans. Zwei Fischer. ERSTER FISCHER: Herr! Herr!
ZWEITER FISCHER: Wir haben sie! Gefangen!
HANS: Ihr habt Undine?
ERSTER FISCHER: Im Rhein, während sie sang.
ZWEITER FISCHER: Sie ist wie der Auerhahn. Wenn sie singt, merkt sie
nichts. HANS: Seid ihr ganz sicher? 84
ERSTER FISCHER: Unfehlbar sicher! Sie hat sich die Haare übers Gesicht gehängt, aber ihre Stimme ist herrlich, ihre Haut wie Samt. Sie kann einem den Kopf verdrehen, sie muss sehr böse sein. ZWEITER FISCHER: Es ist gut, dass die Richter gleich mitkommen. BERTHA: Was für Richter? ERSTER FISCHER: Die Richter der geistlichen und der weltlichen Macht, die das übernatürliche richten. ZWEITER FISCHER: Sie waren grad in der Gegend, kommen aus Bingen, wo sie eine Schlange gehenkt haben. BERTHA: Warum halten sie Gericht in der Burg? Haben sie unten nicht ihren Saal? ERSTER FISCHER: Sie sagen, Frau Gräfin, dass man Wassergeister stets auf einer Anhöhe richten muss... ZWEITER FISCHER: Recht weit von Fluss oder Teich, weil sie sich wie ein Aal auf dem Bauch ins Wasser zurückschlängeln können. Da muss man acht geben. Außerdem ist der Ritter Kläger in diesem Prozess. HANS: Das bin ich... Seit sechs Monaten warte ich darauf... Lass uns allein, Bertha. BERTHA: Du darfst Undine nicht wiedersehn! HANS: Ich werde sie auch nicht wiedersehn. Du hast ja gehört... Ich werde ein Geschöpf wiedersehn, das aus den Wassern kommt, mit Men schenstimme, und nichts mit Menschen gemein hat. Es wird mich nicht einmal wieder erkennen. BERTHA: Hans, als Kind hatte ich mich in einen Luchs verliebt. Den gab es nur in meiner Einbildung. Aber wir schliefen zusammen. Wir hatten Kinder zusammen. Jetzt noch bleibe ich in einem Tiergarten bebend vor dem Käfig des Luchses stehn. Auch er hat mich vergessen. Auch er hat vergessen, dass ich ihn in Purpur gehüllt habe, dass er mich vor Riesenzwergen gerettet hat, dass unsere Zwillinge Genoveva und Berthelinga den König von Asien geheiratet haben. Aber er sitzt da, mit seinem Fell, seinem Bart, seinem Geruch. Und mein Herz klopft gewaltig. Ich würde mich schuldig fühlen, wenn ich an meinem 85
Hochzeitstag ginge, ihn zu betrachten... ZWEITER FISCHER: Da kommen die Richter. HANS: Noch einen Augenblick, Bertha. Dann haben wir unsern Frieden. (Bertha geht ab.)
DRITTE SZENE Hans. Die Richter. Volk. ERSTER RICHTER: Wundervoll!... Hier sind wir auf mittlerer Höhe: genau über dem Reich des Wassers, genau unter dem Reich der Luft. ZWEITER RICHTER: Auf eine solche Anhöhe, liebe Leute, hat sich die Arche gesenkt, als die Sintflut nachließ und Noah viel Grund hatte, die Meerungeheuer zu richten, deren höllische Paare durch die Luken in sein Gefährt eingedrungen waren... Unsern Gruß, Ritter! HANS: Sie kommen zur rechten Zeit. ERSTER RICHTER: Die Tatsache, dass wir im übernatürlichen heimisch sind, erhebt unser Ahnungsvermögen beträchtlich über das unsrer Kollegen für gemeines Recht oder Wilddieberei... ZWEITER RICHTER: Unsere Arbeit ist auch viel schwerer. ERSTER RICHTER: Natürlich ist es leichter, die Grenze zwischen den Wein bergen zweier Bürger zu bestimmen als die Grenze zwischen Menschen und Geistern. Aber die heutige Verhandlung scheint leicht zu werden. Zum ersten Mal sitzen wir über eine Nixe zu Gericht, die nicht bestreitet, Nixe zu sein. ZWEITER RICHTER: Aber es gibt keine List, deren solche Geschöpfe sich nicht bedienen, um unseren Fragen zu entschlüpfen. Und oft genug spotten sie unserer Wissenschaft. ERSTER RICHTER: Ganz richtig, mein lieber Kollege, wie vorgestern in dieser Kreuznacher Sache, als wir die Magd des Schöffen, die angeb liche Dorothea, zu richten hatten. Sie waren der Meinung, dass es sich um eine Feuerbewohnerin handelte. Wir haben sie auf den Holz stoß gelegt, um es auszuprobieren: sie ist verbrannt... Also war sie 86
ein Wassergeist. ZWEITER RICHTER: Ist es uns in Tübingen anders gegangen, verehrter Präsident? Sie besinnen sich auf die Kellnerin Gertrud, die Rothaa rige mit den wässrigen Augen... Die Bierkrüge füllten sich immer von selbst. Es sprudelte nur so. Sie vermuteten eine Nixe. Also haben wir sie an einem Draht unter Wasser gehalten. Sie ist er trunken. Sie war eben eine Feuerbewohnerin. HANS: Ist Undine mit Ihnen heraufgekommen? ERSTER RICHTER: Ehe wir sie einlassen, wäre uns wichtig zu hören, da Sie der Kläger sind, welche Strafe Sie fordern. HANS: Was ich fordere? Was jeder einzelne Knecht, jede einzelne Magd auch fordert! Ich fordere das Recht für die Menschen, ein wenig für sich allein auf der Erde zu sein. Es ist nicht allzu viel, was Gott ihnen zugestanden hat, diese zwei Meter Länge zwischen Himmel und Hölle! ... Es ist nicht allzu begeisternd, dieses menschliche Leben, mit Händen, die man waschen, verschnupften Nasen, die man putzen muss, mit Haaren, die uns ausgehn! ... Was ich verlange, ist nur ein Leben, bei dem man keine übernatürlichen Wesen, wie sie sich uns seit einigen Monaten aufdrängen, rings um sich wimmeln spürt, keine Karpfen mit Frauenkörpern, keine Schwimmblasen mit Kinderköpfen, keine Eidechsen mit Brillen und Nymphenschenkeln ... An meinem Hochzeitsmorgen fordere ich nichts anderes, als in einer Welt zu sein, worin sie nicht mehr geistern, sich nicht mehr necken und paaren - allein zu sein mit meiner Braut, endlich allein. ERSTER RICHTER: Auf nichts hat der Mensch einen höheren Anspruch. ZWEITER RICHTER: Ganz meine Ansicht. Es kann uns mit Recht peinlich werden, dass sie uns am vergnügtesten zusehen, wenn wir uns die Füße waschen, unsere Frauen oder Mägde abküssen, unsere Kinder verprügeln. Aber die Tatsache ist unleugbar: jede menschliche Handlung, die niedrigste wie die edelste, wird von Wesen um schwirrt, die sich hastig in ein Gerippe oder in eine Samthaut gewor fen haben, einen Rüssel oder einen Wespenschwanz umbinden... HANS: Gibt es ein Zeitalter, ein Jahrhundert, das nicht von ihnen verpestet ist? ERSTER RICHTER: Ein Zeitalter? Ein Jahrhundert? Ich erinnre mich nur an einen Tag. Nur einen Tag schien mir die Welt von bösen Geistern 87
frei. Letzten August war's, auf den sanften Hügeln bei Augsburg. Das Korn wurde geschnitten. Kein Mohn, kein Unkraut zwischen den fetten Ähren. Ich lag am Boden, unter einer Esche, und über mir saß sorglos eine Elster, der kein Rabe wie ein böser Schatten folgte. Bis zu den Alpen sah ich mein Schwabenland, grünend und blauend. Nirgends in der Luft Engel mit Schnäbeln. Nirgends in den Schluch ten rote Dämonen. Auf der Straße, zu Pferd, ein Landsknecht, dem der Sensenritter diesmal nicht das Geleit gab. Die Schnitter tanzten in Paaren unter Garben, und keine Fratze mit einem Hechtgesicht mengte sich ein. Ich sah, wie sich das Mühlrad drehte, doch das große Rad, das nackte Verdammte nieder schaufelt, diesmal sah ich es nicht. Alles war Arbeit, war Freudenlaut und Tanz. Zum ersten Mal erspürte ich, wie glücklich Menschen sind, glücklich, wenn man sie nur in Ruhe lässt... Das Posthorn durchdrang die Täler, und sein Echo klang nicht wie die Posaune des Gerichts... Zum einzigen Mal im Leben, fühlte ich, hatten die Geister unsere Mutter Erde den Menschen überlassen. In andere Verstecke, auf andere Planeten hatte ein plötzliches Geheiß sie abberufen... Wenn dies gedauert hätte, lieber Kollege, wär es vorbei mit unserer Laufbahn. Aber nichts sollte uns gefährlich werden, denn auf einmal hockte hinter dem Landsknecht wieder der Tod, drängten sich Fratzen an die Tänzer, Besen und Lanzen hingen in den Wolken... Der andere Planet hatte die Geister enttäuscht, sie kehrten heim. Im Augenblick waren sie alle wieder da, hatten Kometen, Firmament und Himmels feuer im Stich gelassen, nur um mir zuzusehen, wie ich mich schnäuzte, wie ich mir den Schweiß mit besticktem Tüchlein von der Stirne strich... Da kommt die Angeklagte. Jemand muss acht geben, dass sie aufrecht stehen bleibt. Sobald sie sich auf den Bauch legt, ist sie wie die Aalfrau vom letzten Sonntag schneller am Rhein als wir.
VIERTE SZENE Die Vorigen.Undine. ZWEITER RICHTER: Ihre Hände sind ohne Schwimmhäute! Sie trägt einen Ring. HANS: Nehmt ihr ihn ab! UNDINE: Nein! Nein! HANS: Es ist ein Hochzeitsring. Ich brauche ihn selbst. 88
ERSTER RICHTER: Herr von Wittenstein ...
HANS: Auch das Halsband! In dem Medaillon hat sie mein Bild!
UNDINE: Lass mir das Halsband, Hans!
ERSTER RICHTER: Herr von Wittenstein, darf ich erinnern, dass eine
Verhandlung sachlich geführt werden muss. So berechtigt Ihre Empörung ist, sie könnte Verwirrung stiften... Zuerst müssen wir die Personalien auf nehmen, wie? HANS: Das ist sie! ERSTER RICHTER: Gut, gut. Aber jetzt soll der Fischer vortreten, der sie gefangen hat. Wo ist er? ERSTER FISCHER: Es ist das erste Mal, dass ich so einen Fang gemacht habe, Herr Richter. Wie bin ich froh! ERSTER RICHTER: Unsern Glückwunsch. Was hat sie getan? ERSTER FISCHER: Ich spürte, dass es mir glücken würde. Seit dreißig Jahren spüre ich, dass es mir eines Tags glücken würde. Aber heute früh war ich sicher. ERSTER RICHTER: Ich frage dich, was sie tat, Dickkopf! ERSTER FISCHER: Und ich habe sie lebend gefangen! Die von Regensburg hatte man mit dem Ruder erschlagen. Ich habe ihr nur eben den Kopf gegen den Kahn gedrückt, und da war sie betäubt. HANS: Das sieht man, du Bestie, sie blutet. ERSTER RICHTER: Beantworte, was man dich fragt! Ist sie umher ges chwommen, als du sie fingst? ERSTER FISCHER: Sie ist geschwommen; mal zeigte sie ihre Brust, mal ihre Hinterbacke. Sie kann zehn Minuten lang unter Wasser bleiben. Ich habe gezählt. ERSTER RICHTER: Hat sie gesungen? ERSTER FISCHER: Das gerade nicht, es war so ein kleines raues Bellen. 89
Oder ein Jaulen. Was sie da jaulte, weiß ich noch ganz genau: ich habe dich betrogen mit Bertram. ZWEITER RICHTER: Du bist nicht bei Verstand. Du willst Bellen und Jaulen verstehn? ERSTER FISCHER: Für gewöhnlich nicht. Jaulen ist eben nur Jaulen. Aber dieses hab ich verstanden. ERSTER RICHTER: Als du sie herauszogst, roch sie nach Schwefel? ERSTER FISCHER: Nein. Sie roch nach Algen, nach Weißdorn... ZWEITER RICHTER: Das ist nie und nimmer dasselbe. Roch sie nach Algen oder nach Weißdorn? ERSTER FISCHER: Sie roch nach Algen, nach Weißdorn. ERSTER RICHTER: Übergehen wir das, lieber Amtsbruder. ERSTER FISCHER: Sie roch nach etwas, das sagte: ich habe dich betrogen mit Bertram. ERSTER RICHTER: Jetzt reden auch schon die Gerüche zu dir? ERSTER FISCHER: Da haben Sie recht. Ein Geruch ist ein Geruch. Aber dieser da hat geredet. ERSTER RICHTER: Hat sie sich sehr gewehrt? ERSTER FISCHER: Nein. Im Gegenteil! Sie ließ sich leicht greifen. Sie hat nur gebebt. Ihre Lenden haben gebebt, als wollten sie sagen: ich habe dich betrogen mit Bertram! HANS: Das haben wir oft genug gehört, Esel! ERSTER RICHTER: Ich bitte für ihn um Verzeihung. Kein Wunder, dass er nicht bei der Sache bleibt. Solche Erlebnisse verwirren eine einfache Seele. Aber es ist Vorschrift, dass beim Fang eines Wasserungetüms ein Berufsfischer aussagt... Dass er eins erbeutet hat, scheint ihm nicht zweifelhaft. ERSTER FISCHER: Das kann ich vor Gott beschwören. Von Kopf und Brust ist sie genauso wie die in Nürnberg, die man im Schwimmbad groß 90
zog. Man hatte einen Seehund zu ihr gesetzt... Sie spielten zusam men Ball... Sogar Kinder bekamen sie... Ich frage mich, ob es nicht dieselbe sein könnte... Die Prämie ist verdoppelt, wenn man sie lebend fängt, wie? ERSTER RICHTER: Du kannst sie dir heute Abend abholen... Das genügt. Danke. ERSTER FISCHER: Und mein Netz? Kann ich mein Netz wieder mitnehmen? ERSTER RICHTER: Du bekommst es nach Vorschrift: am zweiten Tag nach der Verhandlung. ERSTER FISCHER: Das mach ich nicht mit! Ich will es so fort. Es ist mein unentbehrliches Handwerkszeug. Ich muss heute Abend fischen! ... ZWEITER RICHTER: Packst du dich endlich! Es ist konfisziert, weil die Maschen nicht die richtige Größe haben. ERSTER RICHTER: Beenden wir die Aufnahme des Tatbestands, lieber Kollege. HANS: Halt! Was wollen Sie? ZWEITER RICHTER: Ich will den Körper der Angeklagten untersuchen; ich bin nämlich auch Arzt. HANS: Undine wird von niemandem untersucht. ERSTER RICHTER: Mein Kollege genießt als Arzt einen ungewöhnlichen Ruf. Ihm wurde die Ehre zuteil, die Unberührtheit der Kurfürstin Josepha festzustellen, damit ihre Ehe annulliert werden konnte. Die Kurfürstin hat seinem Takt hohe Anerkennung gezollt. HANS: Ich bekunde, dass sie Undine ist. Das muss genügen. ZWEITER RICHTER: Ich verstehe, Herr, dass es Ihnen peinlich ist, die jenige untersucht zu sehen, die Ihre Genossin war, aber ich kann, ohne sie zu berühren, die Teile ihres Körpers mit der Lupe studie ren, an denen die Verschiedenheiten vom menschlichen Körper beginnen. HANS: Untersuchen Sie sie mit bloßem Auge, und bleiben Sie, wo Sie sind! 91
ZWEITER RICHTER: Mit bloßem Auge das Netz der dreigeteilten Adern betrachten, womit die Versucherin Schlange die Achselhöhle der Nixen zeichnet? Das scheint mir nicht durchführbar. Könnte sie nicht wenigstens vor uns hin- und hergehen, das Netz abwerfen, die Beine spreizen? HANS: Rühre dich nicht von der Stelle, Undine! ERSTER RICHTER: Es wäre unliebenswürdig, auf dieser Forderung zu bestehen. Die Ermittlungen haben im allgemeinen befriedigt... Ist jemand unter euch, liebe Leute, der bestreitet, dass diese Frau eine Nixe war? MAGD: Sie war immer so gut! ZWEITER RICHTER: Sie war eben eine gute Nixe, weiter nichts... HIRT: Sie hat uns geliebt. Wir haben sie geliebt! ZWEITER RICHTER: Es gibt sogar eine Eidechsenart, die Gefühlsregungen kennt... ERSTER RICHTER: Treten wir in die Verhandlung ein. Sie also, Kläger, beschuldigen in Ihrer Eigenschaft als Gemahl und Gebieter dieses Geschöpf, durch seine Eigenschaften tausendfache Verwirrung in Ihrer Umgebung gestiftet zu haben? HANS: Ich denke nicht dran! ERSTER RICHTER: Sie klagen sie nicht an, in Ihre Welt das Seltsame, das übernatürliche, das Dämonische eingeführt zu haben? HANS: Undine dämonisch? Wer bringt solchen Unsinn über die Lippen? ERSTER RICHTER: Sie werden verhört! Was ist ungewöhnlich an dieser Frage? WASSERKÖNIG (als Mann des Volks): Undine dämonisch! ERSTER RICHTER: Wer bist denn du? he? UNDINE: Er soll nicht reden! Er lügt! ZWEITER RICHTER: In einem solchen Prozess darf jeder seine Meinung 92
vorbringen. WASSERKÖNIG: Undine dämonisch! Im Gegenteil, sie hat ihre Brüder und Schwestern verleugnet, verraten! Sie hätte deren Kräfte, deren Wissen behalten können. Zwanzig Mal am Tag hätte sie tun können, was ihr Wunder vollbringen nennt: dem Pferd ihres Manns einen Rüssel und Flügel seinem Hund wachsen lassen. Ihrer Stimme könnte der Rhein, könnte der Himmel antworten - aber sie zog die Verengung vor, das Heufieber, das mit Speck Gebratene! Ist das die Wahrheit, Ritter? ERSTER RICHTER: Sie klagen sie also an, wenn ich recht verstehe, in heuchlerischer Absicht jenes gefällige Aussehen angenommen zu haben, das den Menschen ihre Geheimnisse entlockt? HANS: Ich? Ganz gewiss nicht! ... WASSERKÖNIG: Eure Geheimnisse? Wenn sich jemand über die Geheim nisse der Menschen lustig machte, dann sie! Die Menschen haben ja wohl ihre Schätze, ihr Gold, ihre Edelsteine, aber Undine fand nur an den einfachsten Dingen Gefallen: an ihrem Schemel, an ihrem Löffel. Die Menschen freuen sich an Seide und Samt, ihr gefällt rohes Leinen. Sie als Schwester der Elemente hat die Elemente verraten, denn sie liebte das Feuer wegen der Kaminböcke und Blasebälge, das Wasser wegen der Kannen und Gusssteine, die Luft wegen der Laken, die man zwischen den Weiden aufhängt! Seht euch doch an, was sie in der Hand hält, was sie sich als Erinnerung an die Men schenwelt aufhebt: einen Fingerhut! Schreiber, wenn du etwas auf schreiben willst, dann nichts andres, als dass sie die menschen ähnlichste Frau war, die es jemals gegeben hat, denn sie war es aus freiem Willen. ERSTER RICHTER: Zeugen bekunden, dass sie sich viele Stunden lang einschloss? ... WASSERKÖNIG: Das ist richtig. Aber Grete, was tat deine Herrin, als sie sich einschloss? MAGD: Sie hat gebacken, Herr Zeuge. Sie hat zwei Monate gebraucht, bis ihr der Blätterteig glückte. ZWEITER RICHTER: Das ist eins der angenehmsten menschlichen Geheim nisse... Aber da wird erzählt, dass sie in einem unzugänglichen Hof Tiere gezüchtet hat... 93
HIRT: Ja, Kaninchen. Ich selbst habe den Klee gebracht. ZWEITER RICHTER: Bist du ganz sicher, mein Kind, dass ihre Hunde und Katzen nicht sprechen konnten? MAGD: Ich selbst habe mit ihnen gesprochen. Ich spreche sehr gern mit Hunden... Nur haben sie niemals geantwortet. ERSTER RICHTER: Wir danken der Zeugin. Wir werden diese Aussagen beim Fällen des Urteils verwerten. Dass die Geister und andere unerwünschte Besucher menschliche Einrichtungen bewundern, dass sie unsere Backwaren hoch einschätzen, unsere Kupferschmiede kunst, unsere schnell haftenden Pflaster für Verwundungen und Geschwüre – das können wir ihnen kaum zur Last legen. ZWEITER RICHTER: Ich persönlich esse Blätterteig gern. Hat sie viel Butter vergeudet, ehe er ihr gelang? MAGD: Ganze Fässer voll! ERSTER RICHTER: Ruhe... Jetzt sind wir beim Kern der Sache. Jetzt begreife ich endlich den Kläger... Frau, dieser Ritter beschuldigt dich, an Stelle einer wahrhaft Liebenden, auf die er ein Recht hatte und die du ihm zeitweise verdrängt hast, in sein Haus ein Geschöpf eingeführt zu haben, das sich gefühllos und egoistisch nur den kleinen verächtlichen Annehmlichkeiten des Lebens hingab... HANS: Undine hätte mich nicht geliebt? Wer wagt das zu behaupten? ERSTER RICHTER: Es ist wirklich sehr schwer, hinter Ihre Gedanken zu kommen, Ritter... HANS: Undine hat mich geliebt, wie kein Mann je geliebt worden ist... ZWEITER RICHTER: Sind Sie dessen so sicher? Betrachten Sie sie: während sie Ihnen zuhört, bebt sie vor Angst. HANS: Vor Angst? Richter, diese Angst solltest du mit deiner Lupe betrachten! Vor Angst bebt sie nicht, sondern vor Liebe... Gut, da ich jetzt Klage führen soll, klage ich an. Nimm deine Feder zur Hand, Schreiber. Setze dein Barett auf, Richter! Man urteilt besser, wenn der Kopf angewärmt ist. Ich klage diese Frau an, aus Liebe für mich zu beben, nur mich als Gedanken, als Speise, als Gott zu besitzen. 94
Ich bin der Gott dieser Frau, habt ihr verstanden? ERSTER RICHTER: Ritter... HANS: Zweifelt ihr immer noch? Undine, wer ist dein Gedanke? UNDINE: Du. HANS: Wer ist dein Brot und dein Wein? UNDINE: Du. HANS: Als du zuoberst an meinem Tisch saßt, als du den Becher hobst: was hast du getrunken? UNDINE: Dich. HANS: Undine, wer ist dein Gott? UNDINE: Du. HANS: Haben Sie das gehört? Sie liebt bis zur Lästerung. ERSTER RICHTER: Übertreiben wir nichts. Erschweren Sie sich den Fall nicht: sie will nur bekunden, dass sie Sie hoch verehrt. HANS: Irrtum! Ich weiß, was ich sage. Ich habe Beweise. Du wirfst dich vor meinem Bild auf die Knie, nicht wahr, Undine? Du küsst meine Kleider! Du redest in deinen Gebeten mich an! UNDINE: Ja. HANS: Ihre Heiligen - das war ich. Ihre Sonntage, das war ich. Und am Palmsonntag, wen sahst du auf einem Esel in Jerusalem einziehen, und seine Füße schleppten nach auf der Erde? UNDINE: Dich. HANS: Mich. ERSTER RICHTER: Wohin führt uns das alles? Wir haben eine Nixe abzu urteilen und nicht die Liebe. HANS: Doch, nur die Liebe! Soll der Liebesgott vor diese Schranke treten, 95
mit seinen Bändchen am Hintern und seinem Köcher! Er ist der Angeklagte! Die Liebe klage ich an: je wahrer sie ist, desto falscher beträgt sie sich; je leidenschaftlicher sie sich gibt, desto gemeiner empfindet sie. Denn diese Frau, die nur in der Liebe zu mir lebte, hat mich mit Bertram betrogen! ECHO: Mit Bertram! ERSTER RICHTER: Wir geraten ins Uferlose. Eine Frau, die Sie dermaßen liebt, kann Sie niemals betrugen. HANS: Gib Antwort! Hast du mich mit Bertram betrogen? UNDINE: Ja. HANS: Beschwöre es vor den Richtern! UNDINE: Ich schwöre, dass ich dich mit Bertram betrogen habe. ERSTER RICHTER: Dann hat sie Sie eben nicht geliebt. Die Antworten auf Ihre Fragen beweisen noch gar nichts, denn Sie legen sie ihr in den Mund. Mein lieber Amtsbruder, der Sie sogar Genoveva von Brabant überführt haben, als sie erklärte, ihre Hindin ihrem Mann vorzu ziehen, die Nüstern der Hindin den Wangen des Ehemanns - stellen Sie der Angeklagten die drei vorgeschriebenen Fragen. Erstens... ZWEITER RICHTER (deutet auf Hans). Undine, wenn dieser Mann schnell gelaufen ist, was geschieht mit dir? UNDINE: Mir geht der Atem aus. ERSTER RICHTER: Zweitens ZWEITER RICHTER: Wenn er sich verletzt hat? UNDINE: Blute ich. ERSTER RICHTER: Drittens ZWEITER RICHTER: Wenn er im Schlaf redet, wenn er schnarcht... Sie entschuldigen, Ritter. UNDINE: Höre ich Gesang. 96
ZWEITER RICHTER: Ich finde in ihren Worten kein Falsch... Und den Menschen, der alles für dich bedeutet, hast du betrogen? UNDINE: Ja, ich habe ihn mit Bertram betrogen... WASSERKÖNIG: Du brauchst nicht so zu schreien, ich habe gehört... ZWEITER RICHTER: Du liebst nur ihn. Es gibt niemanden als ihn. Und du hast ihn betrogen? UNDINE: Mit Bertram. HANS: Jetzt wisst ihr alles. ERSTER RICHTER: Du weißt, welche Strafe auf eine Ehebrecherin wartet? Du weißt, dass ein Geständnis dein Verfehlen nicht mindert, sondern verschärft? UNDINE: Ja, aber ich habe ihn mit Bertram betrogen. WASSERKÖNIG: Das ist alles für mich bestimmt, nicht wahr, Undine? Auf mich soll das Eindruck machen? Wie du willst! Mein Verhör wird knapper sein als das deiner Richter. Undine, wo ist jetzt Bertram? UNDINE: In Burgund. Dort erwartet er mich. WASSERKÖNIG: Wo hast du deinen Gemahl mit ihm betrogen? UNDINE: Im Wald. WASSERKÖNIG: Am Morgen? Am Abend? UNDINE: Mittags. WASSERKÖNIG: War es kalt? War es heiß? UNDINE: Es fror. Bertram sagte noch: soll das Eis unsere Liebe frisch halten! ... Solche Worte vergisst man nicht. WASSERKÖNIG: Sehr schön... Bringt Bertram herein... Die Wahrheit wird nur von Stirn zu Stirn geboren. ZWEITER RICHTER: Seit drei Monaten ist Graf Bertram nicht mehr zu finden. 97
WASSERKÖNIG: Nicht mehr zu finden! Da ist er! (Bertram tritt auf.) UNDINE: Bertram! Geliebter!
ERSTER RICHTER: Sie sind Graf Bertram?
BERTRAM: Ja.
ERSTER RICHTER: Diese Frau behauptet, dass sie den Ritter mit Ihnen
betrogen hat. BERTRAM: Wenn sie es sagt, ist es wahr. ERSTER RICHTER: Wo ist das gewesen? BERTRAM: In ihrem Schlafzimmer, hier in der Burg. ERSTER RICHTER: Am Morgen? Am Abend? BERTRAM: Um Mitternacht. ERSTER RICHTER: War es kalt? War es heiß? BERTRAM: Im Kamin brannten die Scheite. Undine sagte noch: es wird heiß, wenn man dem Höllentor nahe kommt... Solche Worte erfindet man nicht. WASSERKÖNIG: Ausgezeichnet. Alles ist klar! UNDINE: Was findest du klar? Was gibt es an unsern Worten zu zweifeln? Unsere Antworten stimmen nicht überein, weil wir den Verstand vor Liebe verloren, weil die Leidenschaft unser Gedächtnis getilgt hat... Nur die falschen Schuldigen, die sich vorher verabreden, geben mit gleichen Worten Antwort! WASSERKÖNIG: Graf Bertram, nehmen Sie diese Frau in die Arme und küssen Sie sie... BERTRAM: Nur sie hat mir zu befehlen. ZWEITER RICHTER: Ihr Herz gibt Ihnen keine Befehle? 98
WASSERKÖNIG: Fordere ihn auf, dich zu küssen, Undine! Wie soll man dir glauben, wenn du ihm nicht erlaubst, dich zu küssen? UNDINE: Also küsse mich, Bertram. BERTRAM: Ist es Ihr Wunsch? UNDINE: Ich verlange es... Rasch, küsse mich... Einen ganz kurzen Augen blick! ... Wenn ich zucke bei deinem Nahen, Bertram, mich rückwärts neige - ich tue es wider Willen. Beachte es nicht. WASSERKÖNIG: Wir warten. UNDINE: Darf ich keinen Mantel haben, kein Kleid? WASSERKÖNIG: Nein. Bleib, wie du bist: mit nackten Armen! UNDINE: Um so besser... Ich liebe es, wenn Bertram mich küsst und dabei meine nackten Schultern liebkost. Du erinnerst dich, Bertram! ... Warte noch! ... Wenn du mich in die Arme nimmst, Bertram, und ich schreie, dann ist nur dieser Tag daran schuld. Sei mir nicht böse... Es kann auch sein, dass ich nicht schreie... WASSERKÖNIG: Entschließt euch. UNDINE: Oder dass ich die Besinnung verliere. Dann kannst du mich küssen, Bertram, wie du willst, ganz wie du willst. WASSERKÖNIG: Wir warten. BERTRAM: Undine! (Er küsst sie.) UNDINE (sich sträubend). Hans! Hans! WASSERKÖNIG: Da hätten wir den Beweis, ihr Richter! Für den Ritter, für mich ist die Verhandlung zu Ende. UNDINE: Welchen Beweis? (Die Richter sind aufgestanden.) Was hast du? Was glaubst du? Weil ich Hans rufe, wenn Bertram mich küßt, ist bewiesen, dass ich Hans nicht betrogen habe? Ich rufe bei jeder Gelegenheit Hans, weil ich ihn nicht mehr liebe! Sein Name steigt aus mir auf, um sich zu verflüchten! Sooft ich Hans sage, habe ich ein Stück von ihm abgeschüttelt. Warum sollte ich Bertram nicht 99
lieben? Seht ihn doch an! Er ist so groß wie Hans! Hat die Stirn von Hans! ZWEITER RICHTER: Das Gericht hat das Wort. ERSTER RICHTER: Unsere Rolle in dieser Sache scheint beendet, Ritter. Erlauben Sie uns, das Urteil zu fällen. Dieses Mädchen hat gefrevelt, weil es uns zu Irrtum verleitete, weil es sein eigentliches Wesen aufgab. Aber es stellt sich heraus, dass es nur Güte und Liebe in diese Welt gebracht hat. ZWEITER RICHTER: Etwas zuviel. Wenn man sich so lieben wollte in dieser Welt, würde das Leben zu schwer... ERSTER RICHTER: Warum sie uns ihre Verbindung mit Bertram so hart näckig aufreden will, verstehen wir nicht. Wir wollen nicht weiter nachforschen, denn das wäre Sache des Ehemanns. Wir schlagen indessen vor, dass wir uns alle zurückziehen und Undine in so viel Einsamkeit lassen, wie sie braucht, um zu verschwinden und für immer zu ihren Schwestern zurückzukehren. ZWEITER RICHTER: Und da der Hochzeitszug vor der Kapelle wartet, wird jeder am besten tun, sich ihm anzuschließen und Ihnen das Beste zu wünschen... Was haben Sie, Ritter? (Die Spülmagd erscheint: sie ist für die einen die Schönheit selbst, für die andern eine schmutzige Schlampe.) HANS: Wer ist das?
ZWEITER RICHTER: Wen meinen Sie?
HANS: Wer ist das, die geradenwegs auf mich zugeht, wie eine Blinde, wie
eine Seherin? ERSTER RICHTER: Wir kennen sie nicht. DIENER: Die Spülmagd, Herr; Sie haben sie kommen lassen. HANS: Wie ist sie schön! ERSTER RICHTER: Schön, diese Schlampe? MAGD: Wie ist sie schön! 100
DIENER: Schön? Sie ist beinahe sechzig!
ERSTER RICHTER: Kommen Sie mit uns zur Kapelle.
HANS: Nein, zuvor muss ich die Spülmagd anhören. Sie wird uns das Ende
sagen... Spülmagd, alle hören dir zu. ZWEITER RICHTER: Er verliert den Verstand... ERSTER RICHTER: Mir tut er leid. Aber ein geringerer Anlass hätte genügt... SPÜLMAGD: Ich bin das Mädchen, das die Teller spült, sich arm an Leib, reich an der Seele fühlt. HANS: Aber das ist ein Gedicht! ERSTER RICHTER: Auf keinen Fall. SPÜLMAGD: Den Diensten, die man mich verrichten lässt, erscheint das Strümpfe stopfen wie ein Fest. HANS: Hören Sie nicht die Reime? ERSTER RICHTER: Ihnen klingen die Ohren. HIRT: Das sind Verse, gewiss! DIENER: Für deine Schweine! Für uns ist das Prosa. SPÜLMAGD: Ranzige Butter ist auf meinem Brot, jedoch von höchstem Rang sind meine Leiden. Ich wüsste eines Pferdeburschen Not nicht von dem Gram der Königin zu scheiden. Wie wirst du uns erkennen, Jesus Christ, wenn wir vor Toren deiner Burg einst stehn? Da jede von uns gleich gezeichnet ist von Dornen, die im Hauch der Seufzer wehn. Weil du nicht sehn kannst, dass ich Spülmagd bin, reichst du die Krone mir dereinst hinaus und deutest still auf deines Vaters Haus: hier seid ihr alle eine Königin. HANS: Wenn das kein Gedicht war...! ERSTER RICHTER: Ein Gedicht! Ein schmutziges Mädchen hat uns etwas vorgewimmert, weil man sie beschuldigt, einen silbernen Teller 101
gestohlen zu haben. ZWEITER RICHTER: Und dass die Frostbeulen an ihren Füßen nun schon seit November bluten. HANS: Ist es eine Sense, die sie da festhält? ERSTER RICHTER: Nein. Ein Spinnrad. MAGD: Eine Sense, eine goldene Sense! DIENER: Ein halbzerbrochenes Spinnrad! HIRT: Eine Sense, und wohl geschärft! Ich kenne mich aus! HANS: Ich danke dir, Spülmagd. Ich werde die Abrede halten...! Kommen Sie, meine Herren! DIENER: Der Gottesdienst fängt an, gnädiger Herr. (Alle gehen ab außer Undine und ihrem Onkel.)
FÜNFTE SZENE Undine. Der Wasserkönig. WASSERKÖNIG: Das Ende naht, Undine... UNDINE: Töte ihn nicht... WASSERKÖNIG: Unser Pakt will es. Er ist dir untreu geworden. UNDINE: Ja, er ist mir untreu geworden. Ja, ich wollte dich glauben machen, ich hätte ihn zuerst betrogen. Aber miss mit unseren Maßen nicht das Gefühl der Menschen. Oft lieben Menschen die Frau, die sie betrügen. Oft ist am treusten, wer untreu ist. Viele auch betrügen die Frauen, die sie lieben, nur, um nicht stolz zu werden, um abzudanken, um sich klein vor der zu fühlen, die ihnen alles ist. Hans wollte aus mir seine Lilie machen, die Rose seiner Treue, die Unfehlbare, die nie versagt... Er war zu gut... Er hat mich betrogen. WASSERKÖNIG: Jetzt wirst du beinah selbst zur Menschenfrau, arme Undine! 102
UNDINE: Ihm blieb nichts anderes übrig... Auch ich sehe keinen anderen Weg für ihn. WASSERKÖNIG: Dir hat es stets an Phantasie gefehlt. UNDINE: Oft sieht man, am Abend eines Festtags, die Männer mit geduck tem Rücken, Geschenke in den Händen, heimkehren: sie haben gerade ihre Frauen betrogen. Und das verklärt die Frauen. WASSERKÖNIG: Dein Unglück verdankst du ihm... UNDINE: Ich weiß. Jetzt aber redest du, wie nur Menschen reden. Denn all mein Unglück will noch nicht bedeuten, dass ich nicht glücklich bin. Du verstehst mich nicht: auf dieser Erde, von Schönheit überdeckt, den einzigen Platz zu suchen, wo man Lüge, Verrat und alles Zweifelhafte trifft, und dort mit aller Kraft sich zu vergeuden das ist es, was die Menschen glücklich macht. Wer da nicht mittut, wird den andern fremd. Je mehr man leidet, desto glücklicher! Ich bin glück lich. Ich bin die glücklichste. WASSERKÖNIG: Er muss sterben, Undine. UNDINE: Rette ihn. WASSERKÖNIG: Was hättest du davon! Ein paar Minuten sind dir noch gegeben, dann ist dein menschliches Gedächtnis erloschen: dreimal werden dich deine Schwestern rufen, beim dritten Mal hast du ihn schon vergessen. Gut, ich gestehe dir zu, dass er erst stirbt, sobald du ihn vergisst. Ist das nicht menschlich? Auch brauche ich ihn dann nicht selbst zu töten. Er ist am Ende des Lebens. UNDINE: So jung, so stark! WASSERKÖNIG: Am Ende des Lebens, und du, du bist der Grund für seinen Tod. Undine, immer kommen in deinen Vergleichen See hunde vor... So wirst du dich erinnern an die Seehunde, die eines Tags zu einer großen Tat aufbrachen. Sie durchquerten ohne Mühe den Ozean, mitten im Sturm, doch in einer leuchtenden Bucht, auf sanfter Welle ist etwas in ihnen zerbrochen. Die ganze Schärfe des Meers drang aus dem Saum einer sanften Welle. Da sind ihre Augen acht Tage blass gewesen, ihre Münder gesunken. Sie hatten nichts, sie sagten nichts – sie waren beim Sterben. Und anders ist es bei den Menschen auch nicht. Denn es sind nicht die Eichen, an denen 103
die Holzfäller, die Verbrechen, an denen die Richter, die Ungeheuer, an denen die fahrenden Ritter zugrunde gehen: sondern an einem Weidenzweig, an einer Unschuld, einem Kind, das liebt. Noch eine Stunde hast du. UNDINE: Ich habe Bertha meinen Platz geräumt. Alles wird für ihn gut. WASSERKÖNIG: Glaubst du! Alles dreht sich ihm schon im Kopf, die Musik der Sterbenden umkreist ihn. Was die Spülmagd gejammert hat, wie teuer sie jetzt Käse und Eier kämen, ihm war es Sphärenklang. Er ist auch nicht bei Bertha, die vergeblich in der Kapelle wartet: er ist bei seinem Pferd. Sein Pferd spricht zu ihm: Geliebter Herr, so sagt das Pferd, leb wohl, wir treffen uns im Himmel und vor Gott... Denn auch sein Pferd spricht heute in Versen zu ihm... UNDINE: Ich glaube dir nicht! Hör die Choräle! Man feiert seine Hochzeit. WASSERKÖNIG: Er spottet seiner Hochzeit! ... Die Hochzeit ist ihm abge glitten wie ein Ring von einem zu mageren Finger. Er irrt durchs Schloss, spricht schweifend zu sich selbst. Das ist die Art der Menschen, sich aufzulösen, nachdem sie auf eine Wahrheit, eine Schlichtheit, einen Schatz gestoßen sind. Die andern sagen: seht, er ist toll! Doch solch ein Mensch sieht klar, verzichtet nicht auf das mehr, was ihm zukommt, heiratet nicht mehr, wen er nie geliebt, hat den Verstand der Pflanzen, Wasser, Götter: kurz, er ist toll. UNDINE: Mich verflucht er! WASSERKÖNIG: Nein, er ist toll... Er liebt dich. (Er geht ab.)
SECHSTE SZENE Undine. Hans. HANS (tritt hinter sie, wie Undine damals in der Fischerhütte hinter ihn trat). Und ich, ich heiße Hans. UNDINE: Ein schöner Name. HANS: Undine und Hans - auf der ganzen Welt sind das die schönsten Namen. UNDINE: Oder Hans und Undine. 104
HANS: O nein! Undine kommt zuerst. Denn diese Geschichte wird sich nach Undine nennen. Ich tappe wie ein unbeholfener Tölpel, dumm wie ein Menschenwesen, darin herum. Wie schön hat alles sich nur um mich gedreht! Wie habe ich dich geliebt - weil du es wolltest! Und dich betrogen - weil es mir auferlegt war! Ich bin geboren, um zwischen Stall und Meute zu leben... Aber nein, zwischen Natur und Schicksal ward ich wie eine Ratte geklemmt! UNDINE: Verzeih mir, Hans. HANS: Warum täuscht ihr euch immer, ob ihr nun Artemis heißt, oder Cleopatra, oder Undine? Die Männer, die geschaffen sind zur Liebe, sind die kleinen Lehrer mit gewaltigen Nasen, Rentner mit dicken Lippen, bebrillte Juden: die alle haben Zeit, um zu genießen, zu lachen und zu leiden... Doch nein, ihr stürzt euch auf einen Antonius, einen Hans, auf irgendein armes mittelmäßiges Ge schöpf... Dann ist es um ihn geschehn. Ich war ausgefüllt – jede Minute meines Lebens - durch Krieg und Jagd, durch Pferdestriegeln und Fallenstellerei! Doch nein, das war noch nicht genug, mir fehlte Feuer in den Adern, Gift in den Augen, Wohlgerüche und Galle im Mund! Von Himmel bis Hölle hat es mich geschüttelt, gehäutet und zerstoßen! Dabei bin ich nicht einmal begabt, Reize im Abenteuer zu sehn... Es ist nicht sehr gerecht. UNDINE: Leb wohl, Hans. HANS: Da wären wir! Eines Tages ziehn sie davon. Genau an dem Tag, der Klarheit bringt, an dem man endlich sieht, dass man nie eine andere geliebt hat, dass man sterben muss, sobald sie uns verlassen: genau an dem Tag ziehen sie davon. Man findet sie, man findet alles wieder für alle Zeit, an jenem Tag – da wissen sie ihn zu nützen: ihr Schiff macht sich bereit, ihre Flügel öffnen sich, ihre Flossen schlagen, und du hörst: Leb wohl. UNDINE: Sehr bald verliere ich mein Gedächtnis, Hans. HANS: Es ist ein wahres Lebwohl. Wenn sich sonst zwei Liebende im Blick des Todes trennen, wissen sie schon, dass sie sich wiedersehen, im künftigen Leben sich finden ohne Ende, sich ohne Unterlass zur Seite sind, ohne Unterlass einander tief durchdringen denn sie werden Schatten im gleichen Land sein. Sie haben sich getrennt, um sich nie zu trennen. Aber Undine und ich ziehen die Segel für immer nach getrennten Küsten auf, und ihr Ziel ist das Vergessen, meins 105
das Nichts. Das muss man sich bewahren... Der erste Abschied, Undine, der seinen Namen treu verdient. UNDINE: Versuche zu leben... Auch du wirst vergessen. HANS: Versuche zu leben! Das ist leicht gesagt. Wenn mir nur daran läge, noch zu atmen! Seit du fort bist, muss ich meinem Körper alles befehlen, was er bisher von selbst tat. Ich kann nur sehen, wenn ich die Augen darum bitte. Ich sehe nicht, wie grün der Rasen ist, wenn ich den Augen nicht sage: seht ihn grün! Glaubst du, das ist ver gnüglich - ein schwarzer Rasen? Fünf Sinne habe ich ihre Pflicht zu lehren, und dreißig Muskeln, und alle meine Knochen. Gäbe ich einen Augenblick nicht acht, vergäße ich zu hören, zu atmen... Dann sagt man, er ist gestorben, weil ihn das Atmen störte. Ist an der Liebe gestorben! Was wolltest du mir sagen, Undine? Warum hast du dich fangen lassen? UNDINE: Dir zu sagen, dass ich deine Witwe bleibe. HANS: Auch das nicht. Ich werde keine Witwe haben. Als erster meines Hauses hinterlasse ich keine Witwe, die Trauer um mich trägt und sagt: "Er sieht mich nicht, du darfst schön sein... Er hört mich nicht, also rede für ihn!" Es gibt nur eine Undine, immer die gleiche bald hat sie mich vergessen... Auch das ist nicht gerecht... UNDINE: Darum soll es dich nicht bedrücken... Ich habe vorgesorgt. Du hast mich getadelt, weil ich dein Haus stets auf die gleiche Art betrat, verließ, mit gleicher Gebärde stets meine Schritte zählte. Das war schon alles für den Tag geplant, an dem ich wieder in das Wasser steigen und mein Gedächtnis mir nicht folgen würde. Darum gewöhnte, zwang ich meinen Körper in einen starren Rhythmus. Auf dem Grund des Rheins, ohne Gedächtnis, würde er sich bewegen, wie ich es tat, als ich noch bei dir war. Die Kraft, die ich brauche, dass ich von der Grotte zur Wurzel gelange, wird dem Aufwand gleichen, der mich von meinem Tisch zum Fenster trug. Ich rolle eine Muschel auf den Sand, als ob ich Teig für meine Kuchen wellte. Ich tauche empor, als stiege ich auf den Turm... Ich werde ewig wie eine Bürgersfrau neben der Torheit meiner Schwestern scheinen. Was hast du? HANS: Nichts, ich vergaß nur... UNDINE: Zu atmen? 106
HANS: Nein. Den Himmel blau zu sehen. Sprich weiter, Undine. UNDINE: Sie alle werden mich die Menschin nennen. Weil ich nicht mehr kopfüber tauchen werde, sondern die Wassertreppe abwärts gehen. Weil ich im Wasser Fenster öffnen werde, Bücher durchblättern. Alles ist vorbereitet. Du konntest meine Leuchter, meine Wanduhr, meine Möbel nicht mehr finden... Ich habe sie in den Fluss werfen lassen. Dort sind sie aufgestellt. Ich habe mich ihrer entwöhnt. Ich finde sie unsicher, schwebend. Aber heute abend, ach, werden sie mir fest und sicher scheinen wie die Schnellen im Strom. Ich weiß nicht mehr genau, was sie bedeuten, aber ich werde um sie herum leben. Es wäre seltsam, wenn ich nicht Lust verspürte, im Sessel auszuruhen, den Glanz des Rheins an Kerzen zu entzünden. In meinen Spiegeln mich zu betrachten... Dann wird die Wanduhr schlagen... Auf Ewig keit werde ich die Stunde hören... Und tief im Wasser steht noch unser Zimmer. HANS: Ich danke dir. UNDINE: Getrennt durch das Vergessen, durch den Tod, durch Zeit und Rasse, werden wir uns hören, und sind uns treu. ERSTE STIMME: Undine! HANS: Sie rufen dich. UNDINE: Sie müssen dreimal rufen. Ich vergesse erst beim dritten Mal. O mein kleiner Hans, lass mich die letzten Augenblicke nutzen, befrage mich! Fache die Feuer der Erinnerung an, die gleich in Asche sinken! Was hast du? Du bist so blass... HANS: Mich ruft man auch, Undine; die große Blässe, die große Kälte rufen! UNDINE: Befrage mich! HANS: Was hast du gesagt, Undine, am ersten Abend, als du im Gewitter in die Hütte tratest? UNDINE: Ich habe gesagt: wie ist er schön! HANS: Und als du mich die Forelle essen sahst? UNDINE: Habe ich gesagt: wie ist er dumm! 107
HANS: Als ich sagte: denkst du daran? UNDINE: Da habe ich gesagt: an diese Stunde erinnern wir uns später – an die Stunde, in der du mich noch nicht geküsst. HANS: Wir können uns solche Freuden nicht mehr gönnen, weil wir auf nichts mehr warten - küsse mich. ZWEITE STIMME: Undine! UNDINE: Schnell, frage! Frage noch! Alles verwirrt sich schon in mir! HANS: Du musst wählen, Undine: reden oder mich küssen. UNDINE: Ich schweige. HANS: Da kommt das Mädchen, das die Teller spült, sich arm an Leib, reich an der Seele fühlt. (Die Spülmagd ist aufgetreten. Er fällt tot zurück.) UNDINE: Helft! Helft!
SIEBENTE SZENE Undine. Bertha und die übrigen. Der Wasserkönig. BERTHA: Wer ruft?
UNDINE: Hans geht es nicht gut! Hans stirbt!
DRITTE STIMME: Undine!
BERTHA: Du! Hast du ihn getötet?
UNDINE: Wen habe ich getötet? ... Von wem sprichst du? Wer bist du?
BERTHA: Du kennst mich nicht mehr, Undine?
UNDINE: Sie, gnädige Frau? Wie schön Sie sind! ... Wo bin ich? ... Hier soll
man schwimmen? Alles ist fest, oder leer... Ist das die Erde? 108
WASSERKÖNIG: Noch die Erde...
NIXE (nimmt Undine bei der Hand). Verlass sie! Schnell, Undine!
UNDINE: Ja, ich verlasse sie... Warte! Wer liegt hier? Wie ist er schön!
WASSERKÖNIG: Einer, der Hans heißt.
UNDINE: Ein schöner Name! Was hat er? Warum rührt er sich nicht?
WASSERKÖNIG: Er ist nur tot.
UNDINE: Wie er mir gefällt! Kann man ihn nicht lebendig machen?
WASSERKÖNIG: Nein! Er kann dich auch nicht mehr befragen.
UNDINE: Wie ist das schade! Wie hätte ich ihn geliebt! (Sie lässt sich
fortziehen.)
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ANHANG
Die hier wiedergegebene Übersetzung weicht an einigen Stellen von der gedruckten französischen Letztfassung ab, da zu dem Exemplar, das dem Übersetzer als Vorlage diente, einiges von Giraudoux gestrichen, anderes neu diktiert wurde. Schluss von Akt 1 in der Letztfassung: HANS: Das zeigt, dass Mensch und Seehund verschieden sind. UNDINE: Aber du, das wissen wir, verlässt mich nie, nicht einen Augen blick, um keine Elle... Seit ich dich liebe, fängt meine Einsamkeit zwei Schritte von dir an. HANS: Ja, Undine. UNDINE: Wenn man sich zankt, leidet man weniger, als wenn man sich nicht sieht? HANS: Worauf willst du hinaus, kleine Undine? UNDINE: O Hans, höre auf mich! Ich kenne jemand, der könnte uns für immer zusammenschließen, weil er sehr mächtig ist; der ließe uns ineinander wachsen wie gewisse Zwillinge soll ich ihn rufen? HANS: Und an unsere Arme, Undine, willst du nicht denken? UNDINE: Meistens brauchen die Menschen ihre Arme, um sich frei zu machen. O nein, je mehr ich es bedenke, desto mehr sehe ich, dass es das einzige Mittel ist, damit Mann und Frau nicht einem Verlan gen erliegen, einer Laune. Der Freund, der uns verbindet, ist nahe. Er willigt ein. Du brauchst nur ein Wort zu sagen. HANS: Deine berühmten Seehunde, sind sie denn auch zusammenge wachsen? UNDINE: Du hast recht. Aber sie machen keine Ausflüge in die große Welt. Es wäre nur ein Gürtel aus Fleisch, der uns zusammenschlösse. Ich habe es schon bedacht. Er wäre weich, er würde uns nicht hindern, uns zu umarmen. 110
HANS: Und wenn es in den Krieg geht, kleine Undine? UNDINE: Das bedenke ich ja! Ich werde mit dir im Krieg sein. Wir sind der Ritter mit dem Doppelgesicht. Der Feind wird fliehen. Wir werden berühmt. Ich rufe ihn jetzt, nicht wahr? HANS: Und wenn der Tod kommt? UNDINE: Das bedenke ich ja! Man könnte uns den Gürtel nicht lösen. Ich habe alles bedacht; du wirst noch sehen, wie vernünftig ich sein kann. Ich verstopfe mir die Ohren, die Augen. Du wirst nicht bemer ken, dass ich in dich gewachsen bin... Ich rufe ihn? HANS: Nein. Erst versuchen wir es, wie wir sind, Undine. Dann sieht man weiter: Für heute Nacht hast du keine Furcht? UNDINE: Doch... Du glaubst, ich wüsste nicht, was du denkst... Natürlich hat sie Recht, denkst du, natürlich will ich sie den ganzen Tag, die ganze Nacht an mich drücken, doch zuweilen, für einen Augenblick, verlasse ich sie, um Luft zu schöpfen, ein Würfelspiel zu wagen...
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