Eric Frank Russell
Ich bin Nichts (I Am Nothing) (aus „Ullstein Science Fiction Stories 53“)
»Schicken Sie das Ultimat...
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Eric Frank Russell
Ich bin Nichts (I Am Nothing) (aus „Ullstein Science Fiction Stories 53“)
»Schicken Sie das Ultimatum ab!« stieß David Korman zwischen den Zähnen hervor. »Jawohl, Sir, aber —« »Was aber?« »Das bedeutet vielleicht Krieg.« »Was ist schon dabei?« »Nichts, Sir.« Der andere suchte nach einem Ausweg. »Ich dachte nur —« »Sie werden nicht dafür bezahlt, daß Sie denken«, erwiderte Korman scharf, »sondern daß Sie meine Befehle ausführen.« »Natürlich, Sir. Gewiß.« Dienstbeflissen raffte er seine Papiere zusammen und ging rückwärts schreitend zur Tür. »Ich werde das Ultimatum an Lani sofort abschicken lassen.« »Es könnte schon unterwegs sein.« Unwillig schaute Korman über seinen prunkvollen Schreibtisch hinweg zur Tür, die leise
geschlossen wurde. Ein Speichellecker! Er war von Speichelleckern umgeben, von Feiglingen, Schwächlingen. Überall standen sie unterwürfig bereit, seinem Wink zu gehorchen. Sie trugen ein falsches Lächeln zur Schau, pflichteten jedem Wort bei, das er äußerte. Die übertriebene Achtung, die sie ihm entgegenbrachten, diente nur dazu, ihre eigene Feigheit zu verdecken. Und warum taten sie das? Er, David Korman, war stark. Seine Stärke, die sich in jeder seiner Bewegungen, in jedem seiner Worte äußerte, machte ihn unangreifbar. Sein stämmiger Körperbau, sein energisches Kinn, die buschigen Augenbrauen und die stahlharten grauen Augen ließen auf den ersten Blick erkennen: Er war ein Mensch mit unbegrenzter Macht, mit geistiger und körperlicher Stärke! Und das war auch gut so. Es ist ein Naturgesetz, daß der Schwache dem Starken weichen muß. Ein Gesetz, das keine Ausnahmen kennt. Und außerdem brauchte Morcine einen starken Mann. Morcine ist ein kleiner, noch unbedeutender Planet eines Sonnensystems, dem unzählige, kriegerische Planeten angehören, und wie diese aus dem lange unentdeckt gebliebenen Nebel der Sonne Sol entstanden. Mit seinem breiten, schweren Daumen drückte er auf einen Knopf seiner Sprechanlage und sprach in das kleine Mikrofon aus Silber: »Schicken Sie sofort Flottenkommandeur Rogers herein!« Es klopfte an die Tür. Auf sein herrisches »Herein!« wurde die Tür geöffnet. Als Rogers vor seinem Schreibtisch stand, bellte Korman: »Das Ultimatum ist unterwegs.« »Wirklich, Sir? Glauben Sie, daß es angenommen werden wird?« »Das spielt keine Rolle«, erklärte Korman. »Wir verfolgen auf
jeden Fall unseren eigenen Kurs.« Sein Blick hatte etwas Herausforderndes an sich. »Ist die Flotte mobilisiert, wie ich befohlen habe.?« »Jawohl, Sir.« »Sind Sie dessen sicher? Haben Sie sich selbst davon überzeugt?« »Jawohl, Sir.« »Gut. Meine Befehle lauten: Die Flotte beobachtet die Ankunft unseres Kuriers auf Lani und gewährt dem Planeten vierundzwanzig Stunden Zeit für eine zufriedenstellende Antwort.« »Und wenn diese ausbleibt?« »Dann erfolgt eine Minute später Angriff auf der ganzen Linie. Die Flotte hat zunächst die Aufgabe, einen Brückenkopf zu erobern und ihn zu halten. Sodann wird Verstärkung herangezogen. Danach wird die Eroberung des Planeten in Angriff genommen.« »Verstanden, Sir.« Für Rogers war die Unterhaltung beendet. »Keine weiteren Befehle?« »Doch«, hielt ihn Korman zurück. »Es ist mein Wunsch, daß bei der Landeaktion das Schiff meines Sohnes als erstes auf Lani landet.« Rogers fuhr zusammen. Nervös gab er zu bedenken: »Aber, Sir, als junger Leutnant kommandiert er nur ein kleines Schiff mit ungefähr zwanzig Mann Besatzung. Man müßte eines unserer größeren Schlachtschiffe —« »Mein Sohn landet als erster!« Korman stand auf und beugte sich über seinen Schreibtisch, den Blick kalt auf sein Gegenüber gerichtet. »Die Nachricht, daß Reed Korman, mein einziges Kind, in vorderster Front gekämpft hat, wird eine ausgezeichnete psychologische Wirkung auf die breite Masse des Volkes ausüben.
Dies ist ein Befehl, Rogers!« »Und wenn ihm etwas zustößt?« fragte Rogers zögernd. »Wenn er verletzt wird? Oder getötet?« »Dadurch«, hielt ihm Korman entgegen, »kann die psychologische Wirkung nur erhöht werden.« »Zu Befehl, Sir.« Rogers machte eine Kehrtwendung und verließ mit unbewegter Miene das Zimmer. Unbeweglich und mit ausdruckslosen Gesichtern stand die Polizei-Eskorte, als Korman aus seinem riesigen Dienstwagen stieg. Wie üblich schaute er mit seinem strengen Blick über sie hinweg, während der Fahrer die Tür aufhielt. Dann stieg Korman die Treppe zu seinem Haus hinauf. Als er die sechste Stufe betrat, wurde die Wagentür zugeklappt. Jeden Tag war es die sechste Stufe, nie die fünfte oder die siebente. Innen wurde er vom Dienstmädchen erwartet, das jeden Tag an derselben Stelle bereitstand, um ihm Mütze, Handschuhe und Mantel abzunehmen. Sie bewegte sich steif und schüchtern und schaute ihm nie ins Gesicht. Kein einziges Mal in vierzehn Jahren hatte sie die Augen aufgeschlagen. Mit einer unwilligen Gebärde schob er sie beiseite und betrat das Speisezimmer. Korman setzte sich und betrachtete über das breite, mit Silber und Kristall beladene Tischtuch hinweg nachdenklich seine Frau. Sie war groß und blond, mit blauen Augen, und mußte früher eine außerordentliche Schönheit gewesen sein. Wie oft hatte er sich früher an der katzenhaften Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen erfreut. Jetzt war ihre Figur voller geworden, und rund um ihre treuen, geduldigen Augen hatten sich Falten eingegraben, die nicht vom Lachen stammten.
»Ich hatte es satt mit Lani«, verkündete er. »Wir wollen ein Exempel statuieren. Das Ultimatum ist unterwegs.« »Ja, David.« Genau diese Antwort hatte er erwartet, er hätte sie an ihrer Stelle geben können. Diese Antwort war sozusagen ihr Losungswort, an dem er sie erkannte. So war es schon immer gewesen, und so würde es auch bleiben. Vor vielen Jahren, vor genau einem Vierteljahrhundert, hatte er mit der gebührenden Höflichkeit gesagt: »Mary, ich möchte Sie heiraten.« »Ja, David.« Sie hatte diese Heirat nicht gewollt — ihre Familie hatte diese Vereinbarung für sie getroffen, und sie hatte darin eingewilligt. So ist das Leben: Es gibt Menschen, die geschoben werden, und solche, die sie schieben. Mary gehörte zu den ersteren. Und diese Tatsache hatte Korman bald den Geschmack an der Liebe verdorben. Die Eroberung war ihm zu leicht gefallen. Korman war der Typ eines Eroberers und mochte keine leichten Eroberungen. Später, als die Zeit dazu gekommen war, hatte er zu ihr gesagt: »Mary, ich möchte einen Sohn.« Und auch diesen Befehl hatte sie widerspruchslos ausgeführt. Ohne Ausflüchte zu versuchen, ohne ihm zum Zeichen eines passiven Widerstandes ein so nutzloses Wesen wie eine Tochter zu gebären. Nein — ein Sohn war es, acht Pfund schwer, der dann später Reed genannt wurde. Den Namen hatte natürlich er ausgesucht. Seine breite Kinnlade schob sich herausfordernd nach vorn, als er fortfuhr: »Ich bin fast sicher, daß dieses Ultimatum Krieg bedeutet.« »Ja, David?«
Ihre Antwort verriet nicht die geringste innere Anteilnahme. Unverändert, mit ausdruckslosem Gesicht und unterwürfigem Blick, sah sie ihn an. Schon immer hatte er sich gefragt, ob sie ihm gegenüber einen so abgrundtiefen Haß empfand, daß sie diesen um jeden Preis verbergen wollte, aber nichts herausgefunden. Eines stand fest: Sie fürchtete ihn und hatte dies vom ersten Tag an getan. Alle fürchteten ihn. Alle, ohne Ausnahme. Denen, die ihn nicht von der ersten Begegnung an fürchteten, brachte er es früher oder später bei. Es war gut, gefürchtet zu sein. Es war ein ausgezeichneter Ersatz für Gefühle, die er nie empfunden und nie gekannt hatte. Als Kind hatte er sich schrecklich vor seinem Vater gefürchtet; auch vor seiner Mutter. So sehr, daß er ihren Tod als eine ungeheuere Erleichterung empfand. Jetzt war er an der Reihe. Auch das ist ein Naturgesetz, recht und billig. Was eine Generation errungen hat, soll sie an die nächste weitergeben. Und was ihr versagt war, soll auch der nächsten Generation versagt bleiben. Das war die Gerechtigkeit! »Reed steht mit seinem Aufklärer bei der Flotte in Alarmbereitschaft.« »Ich weiß, David.« Er zog die Augenbrauen hoch. »Woher weißt du das?« »Ich habe vor ein paar Stunden einen Brief von ihm bekommen.« Sie gab ihm ein Blatt Papier. Langsam und bedächtig faltete er es auseinander. Er wußte im voraus, wie die ersten zwei Worte lauteten. Als er es geöffnet hatte, stellte er fest, daß er es verkehrt in der Hand hielt, drehte es um und las. »Liebe Mutter.« Das war ihre Rache!
Mary, ich möchte einen Sohn. Sie hatte ihm den Sohn geboren — und wieder genommen. Jetzt kamen die Briefe, manchmal zwei in der Woche, manchmal einer in zwei Monaten, je nach dem Standort seines Schiffes. Immer waren sie so geschrieben, als wären sie an beide gerichtet, immer enthielten sie den Ausdruck der Zuneigung zu beiden Elternteilen, den Wunsch, es möge ihnen beiden gut gehen. Aber immer begannen sie mit »Liebe Mutter«. Nie mit »Lieber Vater«. Das war die Rache! Die Stunde X kam und ging vorüber. Morcine befand sich in einem Zustand fieberhafter Aufregung. Niemand, auch Korman nicht, wußte, was draußen im Weltraum geschah, die Nachrichten brauchten zu lange für diese ungeheuere Entfernung. Die Funksprüche der Flotte wurden erst viele Stunden später aufgefangen. Die erste Meldung wurde auf kürzestem Wege zu Korman geleitet, der an seinem Schreibtisch saß und darauf wartete. Sie besagte, die Lanier hätten mit einem Protest und einem — wie sie es nannten — Appell an die Vernunft geantwortet. Gemäß den ihm erteilten Befehlen hatte der Kommandeur der Flotte diese Antwort als unbefriedigend zurückgewiesen. Der Angriff rollte. »Sie bitten um Vernunft«, grollte er. »Das heißt, wir sollen sanft mit ihnen umgehen. Das Leben ist nicht für die Sanften gemacht.« Er blickte auf. »Oder?« »Nein, Sir«, stimmte der Kurier pflichtbewußt zu. »Sagen Sie Bathurst, er soll das Tonband zur Sendung freigeben.« »Jawohl, Sir.«
Als der Mann die Tür hinter sich geschlossen hatte, schaltete er sein Funkgerät ein und wartete. Nach zehn Minuten kam sie, die lange, lautstarke, tönende Rede, die er schon vor mehr als einem Monat aufgesetzt hatte. Zwei Themen hatte sie zum Inhalt: Zielstrebigkeit und Stärke. Besonders Stärke. Grimmig, aber ohne sich hinreißen zu lassen, legte er die angeblichen Gründe dieses Krieges im einzelnen dar. Diese Selbstbeherrschung war ein rhetorischer Kunstgriff; er sollte zeigen, daß die gegenwärtige Lage unvermeidlich war und daß die Starken so viel Selbstvertrauen zeigen können, daß sie sich niemals zu etwas hinreißen lassen. Die Aufzählung selbst langweilte ihn. Der Starke weiß, daß es nur einen Grund für den Krieg gibt. Und daß die Vielzahl der Gründe, von denen die Geschichtsbücher nachher berichten, in Wirklichkeit keine Gründe sind, sondern nur plausibel präsentierte Vorwände. Es gibt nur einen einzigen echten Anlaß für den Krieg, und dieser bestand schon zu der Zeit, als der Mensch noch im Urwald lebte. Wenn zwei Affen dieselbe Banane haben wollen — dann gibt es Krieg. Natürlich durfte er das in seiner Rundfunkansprache nicht so drastisch ausdrücken, sondern mußte seinen Hörern die Lage schonend beibringen. Schwache Gemüter brauchen Brei. Rohes Fleisch können nur die Starken vertragen. Und diese Diät verschrieb er seinen Hörern, die an ihren Geräten seine Ansprache an das Volk des ganzen Planeten Morcine verfolgten. Nachdem seine Sendung mit ermutigenden Ausführungen über die unüberwindbare Stärke des Morcine geendet hatte, lehnte er sich in seinen Sessel zurück und überlegte. Es konnte keine Rede davon sein, Lani durch ein Bombardement aus großer Höhe zur Unterwerfung zu zwingen. Alle Städte dieses Planeten lagen unter
einem bombensicheren Schutzmantel aus hemisphärischen Kraftfeldern. Aber auch ohne diesen Schutz hätte er ihre Vernichtung nicht befohlen. Es bedeutete keinen Sieg, öde Bombentrichter zu erobern. Er hatte genug von solchen Siegen. Unwillkürlich glitt sein Blick hinüber zum Bücherschrank, zu der Fotografie, die er selten und auch dann nur flüchtig betrachtete. Jahrelang stand sie schon dort, ein Gegenstand, den er nur noch im Unterbewußtsein vermerkte. Sie war nicht mehr so, wie ihr Bild sie zeigte. Und wenn er darüber nachdachte, dann war sie eigentlich nie so gewesen. Sie hatte ihm Gehorsam und Furcht entgegengebracht, noch bevor er erkannt hatte, daß er dies in Ermangelung eines anderen Gefühls brauchte. Die ganze Zeit über hatte er etwas erwartet, was er nie finden konnte. Soweit er sich entsinnen konnte, hatte er es selbst in seiner Jugend nie finden können, bei niemandem und nie. Nie. Er zwang sich wieder, an den Krieg gegen Lani zu denken. Der Schlachtplan richtete sich nach den örtlichen Gegebenheiten. Ein Brückenkopf mußte erobert werden, in den ohne Unterbrechung Truppen, Waffen und Hilfseinheiten nachgeschoben wurden. Von da aus mußten sich die Truppen Morcines ausbreiten und Stück um Stück das ungeschützte Gelände einnehmen, bis schließlich die durch Energieschirme geschützten Städte eingekesselt waren. Die Städte wurden dann so lange belagert, bis sie sich wegen Mangel an Verpflegung ergeben mußten. Die Eroberung des feindlichen Geländes war das hauptsächliche Ziel. Trotz der interplanetarischen Raumschiffe, trotz der Kraftfelder und trotz aller anderen Erfindungen der Neuzeit war es also immer noch der Infanteriesoldat, der die Schlacht entschied. Maschinen konnten zwar angreifen und vernichten, aber nur Menschen konnten etwas erobern und verteidigen.
Deshalb war es auch kein Blitzkrieg von fünf Minuten, der jetzt bevorstand. Er konnte ein paar Monate dauern, vielleicht auch ein Jahr, und er würde sich genau so abspielen wie im Krieg des alten Stils: Landkämpfe um befestigte Plätze, Bombardierungen von Rollbahnen, von strategisch wichtigen Knotenpunkten, Ansammlungen und Aufmarschgebieten des Feindes und ungedeckten, aber hartnäckig verteidigten Städten. Vieles würde zerstört werden, restlos vernichtet. Und in der Stunde seines Triumphes würde Morcine den Feinden Furcht einflößen. Morcine und er, Korman. Wer gefürchtet ist, wird auch geachtet, und das gehört sich so. Gegen Ende des Monats trafen die ersten farbigen Bildberichte aus dem Kampfgebiet ein. Die erste Aufführung fand bei ihm zu Hause statt, in einer geschlossenen Gesellschaft von Leuten, die er selbst ausgesucht hatte. Seine Frau, eine Gruppe von Regierungsbeamten und ein paar auserwählte Stabsoffiziere. Unbeeindruckt von der Luftabwehr auf Lani, die sich von Anfang an als sehr schwach erwiesen hatte und die jetzt schon beinahe völlig vernichtet war, landeten die langen, schwarzen Flugkörper von Morcine auf dem Brückenkopf, der ständig erweitert wurde, und brachten Nachschub heran. Die Truppen stießen auf ihrem Vormarsch nur auf vereinzelte Widerstandsnester, die sie mit ihrer haushohen Übermacht an Waffen und Material niederwalzten. Dann schwenkte die Kamera des Berichterstatters auf eine große Brücke, in der riesige Lücken klafften. Die Stützbalken und Pfeiler lagen kreuz und quer durcheinander. Darauf führte die Kamera die Zuschauer durch sieben zerstörte Dörfer, die sich nicht sofort ergeben hatten. Überall auf den Straßen waren tiefe Bombentrichter, und die Häuser waren bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Dann kam ein Angriff auf einen Bauernhof, vom Berichterstatter in
vorderster Front gefilmt. Eine Patrouille wurde plötzlich beschossen, ging in Deckung und zog sich zurück. Auf ihre Anforderung erschien ein mächtiges Ungetüm mit ohrenbetäubendem Rasseln, ging in Reichweite der Kamera in Stellung und richtete den Turm drohend auf das Haus. Ein dicker, wuchtiger Strahl ergoß sich über das Dach und steckte das Anwesen in Brand. Gestalten erschienen im Freien und suchten Schutz in einem nahegelegenen Dickicht. Im Lautsprecher ertönte ein ratterndes Geräusch. Die Gestalten stürzten zu Boden, wälzten sich und blieben dann regungslos liegen. Als der Film zu Ende war, sagte Korman: »Ich gebe den Streifen zur Veröffentlichung frei.« Dann erhob er sich und fügte unwillig hinzu: »Aber ich habe daran etwas auszusetzen. Mein Sohn hat das Kommando einer Infanteriekompanie übernommen. Er tut seine Pflicht wie jeder andere. Warum wurde er nicht gezeigt?« »Wir wollten ihn ohne Ihre ausdrückliche Genehmigung nicht filmen, Sir«, entschuldigte sich einer. »Ich genehmige es nicht nur — ich befehle es. Sorgen Sie dafür, daß er das nächste Mal zu sehen ist. Nicht im Vordergrund. Gerade so, daß er vom Volk erkannt wird, wie er die Gefahren und Entbehrungen mit den anderen teilt.« »Jawohl, Sir!« Sie packten ihre Geräte ein und gingen. Korman wanderte ruhelos auf dem dicken Teppich vor der elektrischen Heizung auf und ab. »Sie sollen wissen, daß Reed dabei ist«, brummte er, als ob er sich dafür zu verantworten habe. »Ja, David.« Sie hatte ihre Stricknadeln zur Hand genommen und klapperte eifrig damit. »Er ist mein Sohn.« »Ja, David.«
Er blieb stehen und nagte gereizt an seiner Unterlippe. »Kannst du mir nichts anderes antworten?« Sie hob den Blick zu ihm auf. »Soll ich das denn?« »Ob du sollst!« Er ballte die Fäuste, als er seine ruhelose Wanderung fortsetzte, während sie sich wieder ihren Stricknadeln zuwandte. Vier Monate später war der Brückenkopf auf Lani auf tausend Quadratmeilen erweitert worden, und immer noch strömte der Nachschub an Truppen und Waffen. Es ging langsamer voran, als man erwartet hatte. Vom Oberkommando waren geringfügige Fehler begangen worden, unvorhergesehene Hindernisse waren aufgetaucht, die bei einem Krieg mit langem Anmarschweg unvermeidbar sind, und erbitterter Widerstand war geleistet worden, wo man ihn am wenigsten erwartet hatte. Trotzdem ging es voran. Korman kam nach Hause und hörte die Wagentür zuschlagen, als er auf der sechsten Stufe stand. Alles war wie früher, nur daß sich die Leute jetzt darin gefielen, ihn bei sich zu Hause zu feiern. Das Dienstmädchen wartete, nahm ihm seine Sachen ab. Schwerfällig stapfte er ins Wohnzimmer. »Reed ist zum Capitain befördert worden.« Sie gab keine Antwort. Er baute sich breit und massig vor ihr auf und fragte: »Interessiert dich das nicht?« »Natürlich, David.« Sie legte ihr Buch beiseite, faltete die Hände und schaute zum Fenster hinaus. »Was ist mit dir los?« »Mit mir?« Ihre blonden Augenbrauen wölbten sich, als sie den Blick zu ihm hob. »Nichts. Warum fragst du?«
»Ich weiß es aber.« Sein Ton wurde schärfer. »Und ich will es dir sagen: Es paßt dir nicht, daß Reed dort draußen ist. Du nimmst es mir übel, daß ich ihn dir weggenommen habe. Du glaubst es sei mehr dein Sohn als meiner. Du —« Ruhig hielt sie seinem Blick stand. »Ich glaube, du bist müde, David. Du hast Sorgen.« »Ich bin nicht müde«, wehrte er ab, lauter als es nötig gewesen wäre. »Und ich habe auch keine Sorgen. Nur Schwache haben Sorgen.« »Vielleicht bist du nur hungrig.« Sie setzte sich zu Tisch. »Iß eine Kleinigkeit. Es wird dir guttun.« Unzufrieden und verstimmt nahm er sein Abendessen ein. Mary verschwieg ihm etwas. Er kannte sie genau genug, um das zu wissen, denn schließlich hatte er sein halbes Leben mit ihr verbracht. Aber er brauchte es nicht mit Gewalt aus ihr herauszuholen. Als er seine Mahlzeit beendet hatte, rückte sie mit ihrem Geheimnis heraus. »Von Reed ist ein Brief gekommen.« »Ja?« Er griff nach seinem Weinglas. Das Essen hatte ihn etwas beruhigt, aber er wollte sich das nicht anmerken lassen. »Ich weiß, daß es ihm gut geht, daß er gesund und unverletzt ist. Wenn ihm etwas zustoßen würde, wäre ich der erste, der es erfährt.« »Willst du nicht sehen, was er schreibt?« Sie holte den Brief von ihrem kleinen dunkelbraunen Schreibtisch und hielt ihn Korman entgegen. Er warf einen kurzen Blick darauf, ohne ihn jedoch in die Hand zu nehmen. »Vermutlich das übliche Gequassel über den Krieg.« »Ich glaube, du solltest ihn doch lesen«, forderte sie hartnäckig. »Wirklich?« Er nahm den Brief aus ihrer Hand, faltete ihn
auseinander und schaute sie fragend an. »Warum sollte mich dieses Schreiben besonders interessieren? Ist es anders als die übrigen Briefe? Ich weiß, ohne ihn gelesen zu haben, daß er nur an dich gerichtet ist. Nicht an mich. Noch nie in seinem Leben hat Reed einen Brief ausdrücklich an mich geschrieben.« »Er schreibt an uns beide.« »Warum beginnt er dann nicht mit >Lieber Vater und liebe Mutter