BAD EARTH
Die große Science-Fiction-Saga
S.O.S. VOM MARS von Marcus Michael Thurner John Cloud 28 Jahre alt, 1,84 m ...
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BAD EARTH
Die große Science-Fiction-Saga
S.O.S. VOM MARS von Marcus Michael Thurner John Cloud 28 Jahre alt, 1,84 m groß, blauäugig, Sohn von Nathan Cloud, der die erste Marsmission führte - später dann selbst Kommandant von Mission II, die den Roten Planeten im Jahr 2041 erreichte. Hat sich mit den »Gespenstern« in seinem Hirn arrangiert: die Wissensimplantate, aus verstorbenen Menschen gewonnen, sind nach wie vor in ihm vorhanden, plagen ihn aber seit Verlassen des Aqua-Kubus nicht mehr mit Visionen. Außerdem kreisen in Clouds Körper immer noch Reste von Protomaterie, die sich bislang zwar noch nicht nachteilig bemerkbar gemacht haben - aber er traut dem Frieden nicht. Durch die Manipulation des Außerirdischen Darnok in eine düstere Zukunft verschlagen, in der die Menschen »Erinjij« genannt werden. Scobee 20 Jahre alt, 1,75 m groß, ihre Augen sind nicht nur nachtsichtig, sondern können auch die Farbe wechseln; Grundfarbe ist jadegrün. Weiblicher Klon und Vorlage (Matrix) für sämtliche nach ihrem Vorbild gezüchteten GenTecs (genetisch optimierte Menschen), von denen mehr als ein Dutzend bei der Reise zum Mars ums Leben kamen. Scobee ist zusammen mit John Cloud und den beiden GenTecs Resnick und Jarvis in ungewisser Zukunft gestrandet. Jelto, der Florenhüter Ein Klon mit »Kirlianhaut«,genetisch prädestiniert, um mit jedweder Pflanze - ganz gleich, ob auf der Erde ansässig oder auf einem fremden Planeten - mentale Verbindung aufnehmen zu können. Jelto ist eine Art lebendiger »grüner Daumen«; er besitzt eine nicht mehr zu übertreffende Affinität zu Pflanzen und vermag sich optimal um ihre Bedürfnisse zu kümmern. Jelto hütet eine gewaltige Parzelle Wald, der das Getto umgibt und - wie sich herausstellt - offenbar nur dazu dient, jeden Fluchtversuch daraus zu vereiteln. Denn dieser Wald besteht zur Hauptsache aus außerirdischer Vegetation, die durchaus fleischliche Gelüste kennt... Die Hirten Die sieben Hirten - ihre Namen lauten Sobek, Mont, Mecchit, Sarac, Ogminos, Epoona und Siroona; die beiden letzt genannten sind weiblich - sind die göttlichen Wesen der im AquaKubus beheimateten Vaaren. Sie selbst nennen sich Foronen. In einem Krieg gegen ein noch unbekanntes Volk wurde ihre Rasse beinahe ausgelöscht. Sie sind die waren Herren der Rubikon II (Sesha). Unter ihnen ist Sobek der Erste unter Gleichen. GenTecs Sie besitzen unter anderem die Fähigkeit, sich im äußersten Fall in eine Art Winterschlaf zurückzuziehen. Daneben extrem robuste Konstitution, frequenzvariable Sehweise bis hin zu Infrarotsicht und bewusste Beeinflussung von normalerweise unbewussten Körperfunktionen wie Pulsfrequenz, Adrenalinausstoß usw. Bei den Mitgliedern der Rubikon-Crew Jarvis, Resnick und Scobee handelt es sich um GenTecs.
Der Amorphe Dieses Wesen aus Nanomaschinen wurde John Cloud von den Hirten als Diener und Beschützer zugeteilt Er kann viele beliebige Formen annehmen, verfügt über gewaltige Kräfte und ist nahezu unzerstörbar. Aber Cloud und seine Gefährten misstrauen dem Amorphen - zu Recht? RUBIKON II Die RUBIKON II - oder SESHA, wie ihre Erbauer das rochenförmige Raumschiff nennen hat eine Schwingen-Spannweite von ca. 300 Metern, eine Länge (ohne Schwanz) von ca. 250 Metern und eine Dicke von ca. 60 Metern. Im Inneren ist sie jedoch ungleich größer (ca. 10 km x 8 km x 2 km). Ihre Primärwaffe verursacht einen Riss in unserem Raum-Zeit-Gefüge, der alles in seiner Nähe verschlingt. Das Mädchen Aylea Im »Paradies« einer irdischen Metrop (Metropole) aufgewachsenes 10-jähriges Mädchen - das unversehens die Schattenseite der terrestrischen Gesellschaft kennen lernt und ins so genannte »Getto« abgeschoben wird, wo die Rechtlosen der neuen Menschheit ihr Dasein fristen. Erinjij Sinngemäß: »Geißel der Galaxis« Name, den die Milchstraßenvölker den rücksichtslos expandierenden Menschen gegeben haben. Die galaktische Position der Erde ist den Außerirdischen dabei unbekannt - mit einer Ausnahme: Der Keelon Darnok kennt die Koordinaten und ermöglichte Cloud und Scobee so erst die Heimkehr ins Sonnensystem. Die Erinjij beherrschen als einzige bekannte Spezies die so genannte »Wurmlochtechnik« - über das künstlich erschaffene Jupiter-Tor gelangen sie zu ebenfalls in der Nähe von Wurmlöchern gelegenen Basen, von wo aus sie ihre aggressiven Vorstöße koordinieren. Bislang ist unklar, warum die Menschen eine solche Expansionspolitik betreiben, ob die Erde inzwischen aus allen Nähten platzt... oder ob völlig andere Motive dahinter stehen. Die Keelon Bei den Keelon handelt es sich um eine zeitreisende Rasse, die vom Planeten Roogal stammt. Dieses Volk von friedlichen Forschern wurde von den Erinjij ausgelöscht. Der einzige überlebende Keelon ist Darnok. So schien es zumindest. Inzwischen ist John Cloud und seinen Gefährten bekannt, dass es sich bei der vorgeblichen Vernichtung der Keelon um eine Finte handelte, um jeden Verdacht gegen sie abzulenken. In Wirklichkeit residieren sie auf der Erde in gewaltigen, 500 Meter hoch aufragenden Bauwerken, die sich aus den 2041 gelandeten Äskulap-Schiffen entwickelt haben und in sämtlichen Metropolen der Welt und anderen primär wichtigen Umgebungen stehen. Sie werden Master genannt und sind die Führer der Erinjij.
Die irdischen Astronauten John Cloud, Scobee, Resnick und Jarvis verschlägt es über 211 Jahre hinweg in eine düstere Zukunft, in der die Menschen Erinjij genannt werden. Im sagenumwobenen Aqua-Kubus finden sie die Hinterlassenschaft eines uralten Volkes: ein rochenförmiges Raumschiff, das sie RUBIKON II taufen. Damit gelingt ihnen die Rückkehr in unser Sonnensystem. Resnick und Jarvis verschlägt es über Umwege zum Mars, Cloud und Scobee gelangen zur Erde. Dort müssen sie erkennen, wer die Erdinvasion im Jahr 2041 initiierte: Hinter den Mastern verbergen sich die vernichtet geglaubten Keelon. Zusammen mit dem
Mädchen Aylea, dem Florenhüter Jelto und einem namenlosen amorphen Wesen gelingt Cloud und Scobee die Flucht aus den Klauen der Master. Cloud will auf die RUBIKON II zurückkehren - wo inzwischen einer der ursprünglichen Erbauer erwacht ist: der »Hirte« Sobek. Der Weg dorthin führt nur über eine uralte Station der Hirten, die sich in den Tiefen des Pazifiks befindet... 1. John Cloud hatte das Dach des Warrikk transparent werden lassen. Helle Lichtflecken waren da und dort in der Dunkelheit der Tiefsee zu sehen; wahrscheinlich Leuchtfische. Manchmal fingen die starken Scheinwerfer riesige, ruhig dahinschwebende Körper ein. Doch noch bevor Scobee Details ausmachen konnte, waren sie auch schon wieder vorbei. Das Warrikk pflügte mit unbegreiflicher Geschwindigkeit durch das Schwarz. Der Amorphe verschwand - und rematerialisierte Augenblicke später auf Scobees Schoß. Die junge Frau zuckte zusammen, unterdrückte einen wüsten Fluch und stieß das unheimliche, gallertartige Ding mit aller Kraft von sich. Sie wusste, dass das Ding ihr wahrscheinlich nichts Übles wollte. Doch wie sollte man sich daran gewöhnen, dass ein Wesen, das wie ein transparenter, nasser und unförmiger Sack aussah, in der Zeit oszillierte? Ständig verschwand es, wurde unfreiwillig in eine andere Zeit gerissen, nur um Augenblicke später wieder aufzutauchen. »Diese verdammten Keelon und ihre Zeit-Experimente«, sagte Scobee und wischte sich die Finger angewidert an ihrem Overall ab. »Seien wir doch froh, dass wir heil aus Skytown entkommen sind«, entgegnete John Cloud lapidar. »Eine Raumstation, die von den Keelon zu ihrem Vergnügen im Atlantischen Ozean geparkt worden ist«, sagte Scobee und schüttelte sich. Sie waren auf Keelon einer gänzlich neuen Ausprägung gestoßen. Unbekümmerte, ja, geradezu naive Wesen, die wie kleine Kinder mit dem ihnen gegebenen Talent der Zeitbeeinflussung umgingen. Ihr Freund Darnok war ganz anders gewesen. Ein Suchender, voll von Rachegefühlen und dem Wunsch nach dem Verstehen ihm unbegreiflicher Vorgänge. Die Besatzer der Erde in den mehr als siebzig Türmen wiederum, die so genannten Master, hatten sich als paranoide, machthungrige Wesen herausgestellt, die nur den eigenen Vorteil zu suchen schienen - und dabei wortwörtlich über Leichen gingen. Als hätte Cloud Scobees Gedanken erraten, sagte er: »Stell dir vor, ein Außerirdischer wäre Mitte des einundzwanzigsten Jahrhunderts zuerst im Nahen Osten, dann an der Westküste Amerikas und schließlich auf Papua-Neuguinea gelandet. Hätte er nicht drei völlig unterschiedliche Anschauungen kennen gelernt? Eine von religiösem Fundamentalismus ge prägte Welt, eine gänzlich dekadente, nur auf den persönlichen Vorteil ausgerichtete und eine, die gerade mal den Sprung aus der Steinzeit in die Moderne getan hat? Er hätte - so wie du gerade - nur den Kopf schütteln können. Sofern er einen gehabt hätte.« Natürlich hatte er Recht, das wusste sie. Dennoch nickte Scobee ihm nur knapp zu und senkte dann den Blick. Sie hatte momentan keine Lust, sich mit dem Mann auf Diskussionen einzulassen. Cloud widmete sich wieder konzentriert der Steuerung des Warrikks. Jenes amphibienförmigen Fahrzeugs aus den Beständen der Hirten war vielleicht doppelt so groß
wie ein Jeep des Modelljahrganges 2040. Er tat dies mit einer Souveränität und einer Selbstverständlichkeit, die Scobee deutlich machte, dass ihr ehemaliger Commander weit mehr über die fremdartige Technologie wusste als sie. Nun, »wusste« war möglicherweise der falsche Ausdruck. Protomaterie, die in seinem Körper abgelagert war, spielte dabei eine bedeutende Rolle, und nicht zum ersten Mal fragte sie sich, in wie weit John Clouds Geist frei von Beeinflussung war. Doch Scobee tat gut daran, dieses unangenehme Thema nicht anzusprechen. Schließlich war sie es gewesen, die einer genetischen Konditionierung durch Reuben Cronenberg über Jahrhunderte hinweg hatte Folge leisten müssen und Cloud schmerzlich im Stich gelassen hatte. Dies war etwas, wofür sie sich schämte und auch selbst hasste - obwohl sie ja nichts dafür konnte. Nur ja nicht zu viel darüber grübeln. Sie beobachtete, wie der Amorphe erneut verschwand. »Warum er wohl immer wieder an Bord des Warrikks auftaucht?«, überlegte sie laut. »Seine Sprünge bringen auch eine räumliche Versetzung mit sich. Irgendwann hätte er im Ozean rund um uns landen müssen...« »Ich nehme an, dass irgend etwas hier an Bord als räumlicher Anker für ihn dient«, warf Aylea ein, die weiter hinten saß. Die Zehnjährige war auf der neuen Erde, der Erde des Jahres 2252, aufgewachsen und war viel intelligenter und in vielen Dingen auch gebildeter, als ein durchschnittlicher Erwachsener des 21. Jahrhunderts es gewesen war. Sie war es auch gewesen, die auf die Theorie gekommen war, dass sich der Amorphe in einer Art Zeitschleife befand. »Vielleicht.« Scobee nickte nachdenklich. »Aber was könnte das sein?« »Entweder die Technologie der Hirten«, schlug Aylea vor, »oder Johns Gegenwart.« Noch bevor Scobee näher auf das Thema eingehen konnte, ertönte ein spitzer Schreckensschrei. Jelto, der vierte und letzte Mensch an Bord des Warrikks, warf den Amorphen angeekelt von sich - der daraufhin gleich wieder verschwand...
Reuben Cronenberg hatte Scobee mehrere Male zum Tauchen an der pazifischen Küste Nordamerikas mitgenommen, und ein Teil ihrer Ausbildung hatte sich auf einer isolierten Plattform vor der Küste Floridas abgespielt. Sie kannte also die scheinbar endlose Weite dieser unbekannten Welt. Nicht so Jelto und Aylea, die zumeist ruhig auf ihren Plätzen saßen und mit scheinbar gemischten Gefühlen die Umgebung betrachteten. »Mehr als einhundertachtzig Kilometer pro Stunde fahren wir, und das gegen die Trägheit und den Druck des Wassers«, sagte Scobee. »Und auch noch bei der zerklüfteten Bauweise un seres Fahrzeugs, die jeder Dynamik Hohn spricht.« »Hirten-Technik... ein Buch mit sieben Siegeln«, entgegnete Cloud. »So darf es aber nicht bleiben, John! Wenn wir zumindest einen gewissen Einfluss auf unser Leben zurückgewinnen wollen, müssen wir lernen, lernen und nochmals lernen.« »Scob, du verstehst nicht ganz. Anscheinend glaubst du, dass ich weiß, wie ich das Warrikk
zu lenken habe. Aber ich mache dies alles in einem halb unbewussten Zustand. Jeden Handgriff, jedes Wort, das ich mit der KI wechsle, wird wahrscheinlich von diesen verfluchten Protopartikeln in meinem Körper und in meiner mentalen Substanz gesteuert.« »Aber du kannst dir doch merken, was du tust?« »Merken - ja, Scobee. Verstehen - nein.« Cloud seufzte schwer. »Im Übrigen empfange ich soeben ein Leitsignal der Tiefseestation. In ungefähr fünf Minuten sollte sie in Sichtweite kommen.« Scobee hatte keine gute Erinnerung an ihren ersten Aufenthalt in der unterseeischen Station der Hirten. Alles war sehr rasch vor sich gegangen, und eine unheimliche Bedrohung hatte sie vorwärts getrieben. Eine Bedrohung, die von jenem amorphen Wesen ausgegangen war, das nun in ihrer Begleitung war. »Ich habe das Gefühl, dass das Wesen schwächer wird«, meldete sich Aylea schüchtern zu Wort. »Du meinst wohl unser Zeit-Jojo?«, fragte Scobee betont locker, kam sich aber im nächsten Moment ein wenig kindisch vor. »Der Amorphe? Was ist mit ihm?« Cloud wirkte alarmiert. »Nun«, sagte Aylea zögernd, »es ist wie gesagt nur ein Gefühl. Aber seht ihr nicht, dass er schwächer wirkt? Dass er Mühe hat, seine körperliche Form beizubehalten?« Tatsächlich. Scobee erkannte es nun auch. Der Amorphe verlor einen Teil seiner Körpersubstanz. Als ob er da und dort ausfranste und Materie wie eine sich auflösende Stickerei in einzelnen Fäden verlor. »Ich weiß nicht«, sagte Cloud nach einem kurzen Blick nach hinten. Er konzentrierte sich bereits auf die Annäherung an die Station. »Er hat schon mehr als einmal so gewirkt, als wäre er tot oder als hätte er sich aufgelöst. Denkt nur an seine Finte im Turm von New York...« (siehe Bad Earth Band 22: »Im Zentrum der Macht.) »Jetzt gibt es allerdings keinen triftigen Grund für irgendwelche Tricks, die er anwenden müsste«, entgegnete Scobee zweifelnd. »Warten wir ab. Möglicherweise ist es auch die Nähe zur Station, die eine Reaktion auslöst. Und weil wir gerade davon sprechen...« Grelle Lichter flammten vor ihnen auf und erhellten den Meeresboden in einer Tiefe von mehr als viertausend Metern. Wie ein der Länge nach aufgeschnittenes Ei lag die Kuppel der Hirten vor ihnen. Eine rot glühende Energiekugel entzündete sich wie ein Fanal an der Oberseite des Gebäudes, strahlte für einen Moment hell auf - und schoss dann auf sie zu. Aylea schrie auf - doch das unheimliche Leuchten erlosch sofort. Ein leichter Ruck ging durch das Warrikk, und unwiderstehlich wurde es in Richtung der Station gezogen. »Nur keine Angst«, sagte Cloud, »das ist lediglich der Leitstrahl, der uns eingefangen hat.« Doch auch er war etwas blass um die Nase, fand Scobee. Sie blickte ihn fragend an- und auffordernd. »Wenn die Kennung, die ich übermittelt habe, nicht gestimmt hätte«, erklärte er so leise, dass Aylea und Jelto ihn nicht hören konnten, »wären wir von demselben Energiestrahl in subatomare Partikel aufgelöst worden. Ohne Wenn und Aber...«
Das Andocken an die Mutterstation verlief unspektakulär. Die Energieblase, der sie sich
anvertraut hatten, zog sie sanft in eine Bucht, die sich bald als Druckschott herausstellte, und
entließ sie aus ihren unsichtbaren Klammern. Ein leiser Gong ertönte, und das Wasser wurde
binnen Sekunden abgepumpt.
»Was nun?«, fragte Jelto, der Florenhüter. Er erhob sich aus dem Sitz, der für ihn viel zu breit
gebaut war.
Er hat Angst, höllische Angst, dachte Scobee. So wie wir alle. Wir sind Gestrandete, aus
unserem natürlichen Umfeld gerissen, und wir spielen die Rolle der Bauern auf einem überdi
mensionalen Schachbrett.
»Wir müssen uns nun auf Hilfestellung durch die Hirten verlassen«, antwortete Cloud. »Der
Amorphe spielt dabei die zentrale Rolle. Leider. Wir wissen von ihm, dass ich als
Kundschafter der Hirten - oder dem Bordcomputer von SESHA - auf die Erde geschickt
wurde und er als mein Beschützer durch ein unsichtbares Band mit mir verbunden ist.« Es
schien, als wollte er noch mehr sagen, doch schließlich winkte er müde ab und deaktivierte
die Funktionen des Warrikk. Als hätte er jahrzehntelang nichts anderes getan.
Sie stiegen aus.
Der Amorphe verformte sich zu einer Art Kugel, die ihnen rollend folgte. Nein.
Er folgte nicht der Gruppe, sondern nur dem Mann, John Cloud. Unübersehbar. Und er hatte
merklich an Substanz verloren.
Die Luft war stickig, aber atembar; das Licht hingegen ein wenig zu dunkel, wie sie es
mittlerweile von den Einrichtungen der Hirten gewohnt waren.
Scobee erinnerte sich noch gut an die denkbar einfache Aufteilung und Strukturierung der
Station. Schließlich waren sie erst wenige Tage zuvor hier mit einer Transportkugel der Hirten
gelandet. Und genau dorthin, zum Bahnhof, mussten sie wieder, um diesen Ort verlassen zu
können.
Sie ging wachsam voran. John folgte und blickte vorsichtig nach links und rechts. Aylea und
Jelto trippelten ängstlich, eingeschüchtert, hinter ihnen her.
Und der Amorphe?
Wie von einem unsichtbaren Gummiband gezogen, folgte er Cloud. Verschwand immer
wieder von der Bildfläche und kehrte leicht versetzt wieder zurück. War da ein Ächzen oder
ein Stöhnen von ihm zu hören?
Unmöglich. Das seltsame Wesen, so es denn überhaupt eines war, hatte bislang nur ganz
wenige Worte gesprochen und noch keinerlei Regung gezeigt, die auf Gefühle schließen ließ.
Sie musste sich irren.
Sie passierten eine Tür - eine ganz bestimmte Tür...
»Sollen wir noch einmal nachsehen?«, fragte Scobee an Cloud gewandt.
»Nein«, entgegnete er und ging mit starrem Blick an ihr vorbei.
Mit Schaudern erinnerte sich Scobee, was hinter dem Zugang auf sie wartete:
siebenundzwanzig Aschehaufen. Aschehaufen von Menschen, Chinesen der Han-Dynastie,
die vor mehr als zweitausend Jahren in Stasetanks eingefroren worden waren. (siehe Bad
Earth Band 16: Hinter dem Schattenschirm«)
John Cloud hatte versucht, einen von ihnen zu wecken und damit eine Kettenreaktion
ausgelöst, die alle anderen in den Tod gerissen hatte.
Sie schob die Gedanken an die grässlichen Bilder schaudernd beiseite.
Der Zugang zum Bahnhof lag vor ihnen. Es war ein einfaches, hell beleuchtetes Schott.
Scobee betrat den Raum als Erste.
Er war leer.
Eigentlich sollten zwei Kapseln hier auf sie warten. Scobee und Cloud waren hier mit einer
gelandet, und der Amorphe war ihnen mit einem weiteren der knapp sieben Meter hohen
Transportmittel gefolgt - doch diese waren verschwunden.
Der 25 mal 25 Meter durchmessende Raum war wie blank geputzt. Ganze Batterien von
Bildschirmen, die in dieser hochtechnisierten Umgebung fast altertümlich wirkten, sahen
scheinbar hohnlächelnd von den Wänden auf sie herab.
»Scheiße!«, murmelte Cloud.
»Das ist bestenfalls ein Hilfsausdruck«, meinte Scobee gepresst. »Mir fallen ganz andere
Begriffe ein...«
»Beruhige dich, Scob. Dann gehen wir eben in die Zentrale und sehen, was wir dort
ausrichten können.«
»In die Zentrale?«
»In den Altarraum«, erläuterte Cloud und setzte sich in Bewegung. Scobee folgte ihm.
Gleichzeitig erreichten sie den Zugang zum Altarraum. Scobee presste die Handfläche auf das
Schott. Geräuschlos fuhr das zentnerschwere Tor beiseite.
Sie und Cloud waren auf die Bilderflut im Rauminneren vorbereitet. Jelto und Aylea jedoch
keuchten erschrocken auf. Düster wirkende Reliefs bedeckten Boden, Decke und Wände. Sie
wirkten so greifbar, dass man glaubte, sich im Trubel eines orientalischen Basars zu befinden.
Doch die Bilder waren andererseits für menschliche Begriffe zu fremd, um sie genau
betrachten zu können. Die Reize überfluteten den Betrachter. Nach wenigen Augenblicken
war man gezwungen, die Augen zu schließen.
»Willst du den >Altar< aktivieren?«, fragte Scobee John.
»Ja. Ich denke, dass er mehr kann, als uns diese unglaubliche Darstellung der Milchstraße und
der Umgebung zu liefern.«
Sie nickte ruckartig und trat einen Schritt zurück. Technik und Kultur der Hirten - und
besonders Clouds instinktiver Umgang damit - waren ihr nicht geheuer.
John hatte wieder diesen starren Blick in den Augen, als er mit wenigen Bewegungen, wie ein
erfahrener Dirigent, eine Hand breit über dem verzierten Marmor hin und her fuhr.
Musik klang auf. Sie erinnerte an Walgesang. Einen Moment erfüllte sie mit ihrer Lautstärke
den gesamten Raum und ließ den Anwesenden, außer John Cloud, das Blut in den Adern
gefrieren.
Doch sofort regulierte er nach, sodass die Musik nur noch im Hintergrund präsent war.
Die Oberfläche des Altars, eine Scheibe mit einer Stärke von maximal fünf Millimetern,
spaltete sich plötzlich ab, schwebte sanft zur Seite und nach unten und glitt ungefähr auf hal
ber Höhe in das Gestein zurück. Der »Marmor« nahm die Masse fugenlos in sich auf und
hatte schließlich wieder dieselbe Höhe wie zuvor. Scobee war sich dessen sicher.
»Anscheinend ist der ganze Altar ein zusammengesetzter Turm dieser dünnen Schalttafeln«,
murmelte Cloud. »Jedes Pad, wenn ich's mal leger so nennen darf, erfüllt offensichtlich einen eigenen Zweck. Im Normalzustand sieht es wie gefestigte Masse aus, doch wenn man eine Arbeitsplatte aktiviert, löst sie sich.« »Und was, glaubst du, bewirkt die oberste Schalttafel?«, fragte Scobee. Sie war widerwillig fasziniert von der eigentümlichen Technik der Hirten. Sie waren bei ihren Begegnungen mit den Hinterlassenschaf ten des fremden Volkes auf höchst individuelle Ausprägungen gestoßen. Das Seelenschiff SESHA, auf dem sie durch das Weltall geflogen waren, hatte gar keine Armaturen besessen. Cloud war geradezu mit dem Raumschiff verschmolzen. Es schien nur sehr wenige Normen für die Hirten zu geben. Formten jeweils einzelne Wesen dieses Volkes die Umgebung speziell für sich?
»Ich weiß es nicht«, gestand Cloud. »Und ich will auch nicht unbedingt aufs Geratewohl herumprobieren.« Er seufzte. »Aber ich denke... hm...« Erneut machte er eine dirigierende Handbewegung. Der Altar löste sich vollends auf. Binnen weniger Sekunden hatten sich alle Pads, wie Cloud sie genannt hatte, lautlos in jede freie Ecke des Raumes rund um die vier Menschen verteilt. »Das sind mehr als zweihundertfünfzig Arbeitsplatten«, schätzte Scobee, nachdem sie einmal tief durchgeatmet hatte. Es bedurfte starker Nerven, ruhig stehen zu bleiben, wenn hauchdünne Steinplatten in Brusthöhe geräuschlos und mit hoher Geschwindigkeit durch die Luft schossen. Ehrfürchtig wanderten die vier Menschen zwischen den Schalttafeln umher. Manche waren mit bunten, unregelmäßig geformten Farbklecksen versehen, andere mit nüchtern wirkenden Schriftzeichen. Wiederum andere besaßen kleine, eingearbeitete Holoschirme, in deren Darstellungen endlose Datenkolonnen von links nach rechts vorbeiliefen. Und eines war ge radezu auseinander geklappt. Das dreidimensionale Oberkörper-Hologramm eines Hirten ragte dort hoch. Bedrohlich, übermächtig, wuchtig und präsent. Scobee erkannte mehrere kleine Details im Gesicht der Aufzeichnung, um auf Anhieb sagen zu können, dass dies nicht Sobek war. »Das hier sieht gut aus«, sagte Cloud und ging auf eine der Tafeln zu. Wieder einmal stellte sich sein feines Gespür, sein sicherer Instinkt für technische Gerätschaften der Hirten unter Beweis. »Was meinst du?«,fragte Scobee. Sie war nervös und musste an sich halten, um nicht von einem Bein aufs andere zu treten. »Dieses Pad scheint eine Art Kommunikationsplattform sein.« Cloud berührte es kurz und ein leerer 3-D-Bildschirm erschien. »Hm... Das könnte etwas dauern...« Scobee überließ ihn seinen Überlegungen und ging zum Ausgang, wo Aylea und Jelto warteten. »Habt ihr Angst?«, fragte sie. »Über Angst bin ich hinaus«, entgegnete Aylea mit einem humorlosen Grinsen. »Ich bin bereits bei Panik angelangt.« Wenn sie sprach, dachte Scobee manchmal an einen Twen, der schon Einiges an Erfahrung gesammelt hatte. Doch in Wirklichkeit stand ein schmales, zehnjähriges - wenn auch hochintelligentes - Mädchen vor ihr. »Dito«, sagte Jelto schmallippig. »Ich komme mir vor wie ein Blatt im Wind.« Seine KirlianAura leuchtete schwach auf. Scobee seufzte. »Willkommen im Klub. Seit Monaten kenne ich keinen anderen Zustand als diesen.« Sie blickte kurz über die Schulter und sah, dass Cloud vier steinerne Pads vor sich angeordnet hatte und mit einem Zeigefinger kleine, geschwungene Linien in die Luft zeichnete. Sie zuckte mit den Schultern. »Was haltet ihr davon, wenn wir John seinen Nachforschungen überlassen? Wir könnten zwischenzeitlich einige Erfahrungen austauschen. Ich berichte euch ein bisschen mehr von dem, was John und ich erlebt haben, und ihr schildert mir euer bisheriges Leben. Und dann bemitleiden wir uns gegenseitig.« Sie lächelte ironisch. »Geteilter Schmerz ist schließlich halber Schmerz.« Die Mienen des Kindes und des Florenhüters hellten sich ein wenig auf, als Scobee die beiden so unterschiedlichen Menschen am Arm packte und aus der Zentrale zog. Allerdings nicht, ohne sich nochmals suchend umzudrehen. Der Amorphe blieb in seiner Kugelform bei John Cloud zurück. Das Fipsen und Ächzen des Wesens war für Scobees feines Gehör nicht mehr zu überhören. Es spürte Schmerzen, das
wusste sie nun.
Unwillkürlich brachte sie das mit einem Begriff in Verbindung, den sie - da sie den
Amorphen nach Clouds Meinung noch benötigten - lieber vermieden hätte - Todeskampf!
»...und GT-Resnick hoppelte mit einer Kugel im Gesäß davon wie ein betrunkener Affe«,
beendete Scobee die Anekdote aus der Zeit ihrer Ausbildung. Wehmütig dachte sie einen
Augenblick daran, dass dieser Resnick-Klon drei Wochen später tödlich verunglückt war.
Jelto blickte Scobee verblüfft an - und brach dann in ein merkwürdig rollendes Gelächter aus.
Aylea war rot geworden und kicherte hinter vorgehaltener Hand. Allerdings so heftig, dass ihr
zarter Körper sichtbar durchgeschüttelt wurde.
Na also, funktioniert doch, dachte Scobee, und fiel in das Lachen ein.
»Erzählst du wieder mal von deiner ach so lustigen Ausbildungszeit?«, fragte John Cloud. Er
war unbemerkt zu ihnen getreten.
Eine Bombe hätte keinen größeren Schaden anrichten können als der sarkastisch unterlegte
Kommentar ihres ehemaligen Commanders. Die gute Laune war von einem Moment zum
nächsten verflogen, und die Wirklichkeit hatte sie wieder.
So ein Trampel! Manchmal benimmt er sich wie ein Elefant im Porzellanladen. Es wird Zeit, dass wir uns aussprechen. Es stehen so viele verletzende Dinge zwischen uns, die bereinigt werden müssen. Sonst finden wir nie einen Zugang zueinander. Weder in Hinsicht auf gegenseitigen Respekt noch auf... auf... anderer Ebene. Scobee räusperte sich. »Bist du weitergekommen?« »Ja, aber ich könnte etwas Unterstützung gebrauchen.« »Was hast du herausgefunden?«, fragte sie, während sie sich erhob. »Ich glaube, dass ich Kontakt zur SESHA - ich meine, zur RUBIKON - aufnehmen kann.« Cloud drehte sich abrupt um und ging zurück in die Zentrale. Scobee bemühte sich, Verständnis für den Mann aufzubringen. Er stand unter enormem Druck und spürte ebenso wie sie die permanente psychische Belastung der letzten Wochen. Zumindest hoffte sie, dass es an dem Stress lag. Denn sonst stand dieses Verhalten sicherlich auch damit im Zusammenhang, dass er die Technik der Hirten beherrschte. War es überhaupt noch der Cloud, mit dem sie zum Mars aufgebrochen war...? Auf den ersten Blick hatte sich in der Zentrale nicht viel geändert. Nach wie vor schwebte eine große Anzahl der Stein-Pads in der Luft. Doch dann bemerkte sie, dass der Altar bereits zur Hälfte wieder zusammengebaut war. »Ich habe jene Boards ausgefiltert, die keinen praktischen Nutzen für uns haben«, erläuterte John Cloud. »Diese fünf hier«, er deutete mit dem Arm auf eine Anordnung, die wie der Arbeitsplatz eines Schlagzeugers aussah, »steuern mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit die interne und externe Kommunikation der Station. Ich nehme an, dass ein Hirte sie alle im Normalfall mit seiner Stimme steuern konnte. Aber das funktioniert bei mir nicht. Vielleicht ist meine Aussprache zu undeutlich. Deswegen müssen wir zu zweit ein paar Tasten synchron betätigen.« Scobee nickte und hörte ihm konzentriert zu, als er die notwendige Vorgehensweise mit ihr besprach. Es war eine einfache Befehlskette, die allerdings zumindest drei Hände erforderte. »...und schließlich müssen wir gleichzeitig über diese beiden grünen Felder hier und hier
streichen.« Cloud blickte ihr in die Augen. »Alles klar?«
Sie nickte.
»Gut. Dann gehen wir's an.« Er atmete tief durch und drückte die Aktivierungssequenz der
zentralen Kommunikationstafel.
Seine Finger zitterten. Seine Handflächen, deren feine Linien und Strukturen sie genau vor
sich sah, waren von einem dünnen Schweißfilm benetzt.
John Cloud hatte Angst. Scobee konnte es sogar riechen. Vielleicht hätte sie fragen sollen,
was passieren könnte, wenn sie einen Fehler... Nein, sie wollte gar nicht daran denken.
»Schritt Zwei!«, sagte er.
Sie berührten gleichzeitig vier gelbe Flächen, die ihre Farben abrupt zu grün änderten.
»Das passt alles«, murmelte er mit Erleichterung in der Stimme.
Jelto und Aylea standen hinter ihnen und hielten beide den Atem an. Sie alle waren sich
dessen bewusst, dass sie wie Fliegen auf dem Körper eines schlafenden Titanen herumtapsten.
Immer in der Gefahr, dass eine überdimensionale Klatsche sie zerquetschen würde.
»Schritt Drei.«
Die entscheidende Sequenz.
»...zwei, eins, jetzt!«, zählte Cloud ruhig den Countdown herunter.
Sie blickten sich kurz an und fuhren dann vollkommen synchron über jeweils eines der grünen
Tastfelder.
Die steinernen Pads leuchteten rot und ketteten sich aneinander, sodass sie ein schwebendes
Pult mit einer Länge von mehr als sechs Meter bildeten.
»Geschafft!« Cloud klatschte triumphierend in die Hände. »Das war's. Jetzt nur noch die
Aktivierungstaste hier drücken, und ich müsste Kontakt mit der nächstgelegenen
Kommunikationszentrale der Hirten aufnehmen können. Und das wird die RUBIKON sein.«
Er irrte sich.
Eine Stimme war zu hören, die sie nie, nie und nimmer, erwartet hätten. Sie klang anders als
sonst, schwächer, krächzender. Dennoch war sie so klar und deutlich, als stünde ihr Ge
sprächspartner neben ihnen.
Die Stimme sagte: »Der Mars ruft die Erde, bitte kommen! Hier spricht GT-Resnick,
Überlebender der zweiten Mars-Mission...«
2. Die Künstliche Intelligenz, die sich selbst als Mutter sah, erwachte. Dies war ein Vorgang, den man am ehesten mit dem Betätigen eines Schalters vergleichen konnte - und dennoch war es so unendlich anders. Von einem Moment zum nächsten waren Myriaden von Befehlen zu erteilen, Querverbindungen mussten gelegt und miteinander in Einklang gebracht werden, endlos viele Sicherheitsprüfungen wurden aktiviert. Wäre Mutter in diesem ersten Moment bereits ganz wach gewesen, hätte sie den Vorgang des Einschaltens möglicherweise im Vergleich zum Weben eines Spinnennetzes gesehen. Doch sie hätte mit der ihr eigenen Besserwisserei - oder, anders ausgedrückt, mit der ihr eigenen Arroganz - darauf hingewiesen, dass es sich um ein vierdimensionales Spinnennetz handeln musste. Ja, Mutter war arrogant - wie ihre Erschaffer. Und hätte Mutter dies gehört, hätte sie einen vor mehr als zweitausend Jahren verstorbenen irdischen Schriftsteller namens Petronius zitiert, der in seinem Roman »Satyricon« sagen ließ:
»Wie der Herr, so auch der Knecht.«
Ja, Mutter war sehr wissend, konnte unendlich viele sinnreiche Sprüche zitieren, passende
Bilder heraufbeschwören und treffende Vergleiche bemühen.
Schließlich stand sie im Dienste der Foronen, jener gottnahen Wesen, und glaubte sich ihnen
sehr nahe. Zumindest empfand sie die Foronen als gottnah, denn sie war auf diesen
unerschütterlichen Glauben hin programmiert.
Doch Mutter konnte in den ersten Momenten ihres Erwachens weder zitieren, noch Arroganz
zeigen, noch ihren Göttern geziemend huldigen.
Denn sie funktionierte nicht richtig.
Resnick starrte auf die Gestalt, die scheinbar schockgefroren in einem mit bernsteinfarbenem Eis gefüllten Container stand. Der Mann war nackt. Teile dessen, was einmal eine Uniform der NASA gewesen sein konnte, schwebten wie zerrissene Papierfetzen in der durchsichtigen Masse um den Mann. Die dunkelblonden Haare standen ihm steil zu Berge, der Mund war leicht geöffnet, als ob er um Hilfe schreien wollte. Das Gesicht zeigte einen Ausdruck des Grauens, des unendlichen Er schreckens. Beide Arme waren in abwehrender Haltung nach vorne gedrückt, die Muskeln des gesamten Körpers sichtbar angespannt. Nathan Cloud, dachte Resnick. Der Vater unseres ehemaligen Kommandanten. Die Ähnlichkeit ist unübersehbar. Er streckte beide Hände aus und legte die Flächen zögernd auf das Eis. Es fühlte sich warm an, körperwarm. Wie bist du da nur hineingekommen, Nathan Cloud?, fragte er sich. Eingegossen wie in Kunstharz. Bist du tot? Ein Schauobjekt zur Belustigung der ehemaligen Besatzung dieser Station? Oder bist du doch nur abgestellt worden, damit du irgendwann wieder Verwendung findest? »Sieh dir seine Augen an«, sagte Jarvis, der neben ihm stand. Er war blass, noch blasser als sonst in der letzten Zeit. Und Resnick wusste, dass er nicht besser aussah. Mit ihnen beiden ging es zu Ende. Sie waren tödlich krank. »Der Blick wirkt so, als könnte Cloud jeden Moment wieder zum Leben erwachen«, fuhr Jarvis fort. Es stimmte. Die Pupillen in den grünen Augen waren erweitert und wirkten durchaus lebendig. Doch wirkten nicht alle - Resnick tadelte sich selbst für diesen Vergleich - ausgestopften Tiere so, als ob sie zurückstarrten, egal, aus welchem Winkel man sie ansah? »Ihr kennt den Mann?«, fragte Boreguir. Er war leise hinter sie getreten und betrachtete den Kubus aus leicht zusammengekniffenen Augen. Resnick zuckte bei den Worten des igelähnlichen Außerirdischen mit der katzengleichen Gewandtheit irritiert zurück. Sie verständigten sich mit Hilfe eines Sprachchips, den ihnen der Keelon Darnok eingepflanzt hatte. So konnten sie seine Sprache sprechen und verstehen. Boreguir sah einer Katze auch viel ähnlicher als einem Igel, doch seit er seine hervorschnellenden Stacheln offenbart hatte, um eine parasitäre Echse zu töten, konnte der GenTec nicht anders - er dachte von ihm als Igel...
Das Wesen mit dem ausgeprägten Ehrenkodex hatte sich in den letzten Stunden als guter und tapferer Begleiter erwiesen. Nur ihm war es zu verdanken gewesen, dass sie einen Weg aus der riesigen Hohlwelt des Mars hierher in die mutmaßliche Station der so genannten Hirten gefunden hatten. Doch Boreguir war einfach ganz anders, er war kein Mensch. Selbst einem GenTec wie ihm, einem gentechnisch geformten Wesen, fiel es schwer, außerirdisches Leben vorbehaltlos zu akzeptieren. Aliens rochen anders, sie bewegten sich anders, sie sahen einen sogar anders an. Egal, ob es sich um einen herzmuskelförmigen Zeitreisenden wie Darnok handelte, um ein Vogelwesen wie Jiim oder eben um den heldenhaften Krieger Boreguir- es fehlte schlicht und einfach an Vergleichsmöglichkeiten. »Ja, wir kennen den Menschen«, murmelte Resnick und hoffte, dass der Igelähnliche seinen Moment der Unsicherheit nicht bemerkt hatte. »Er ist der Vater eines... Freundes von uns. Ein Raumfahrer, so wie wir.« »Er lebt. Ich kann es spüren«, sagte Boreguir leise schnarrend. »Sie alle leben.« Er deutete mit einer fließenden Bewegung seines kräftigen Schwertarms auf Dutzende, ja, hunderte Würfel, die in der Tiefe des Raumes nebeneinander und hintereinander standen. »Unmöglich«, entfuhr es Jarvis, der sich mit vorgeneigtem Oberkörper gegen den Harzblock stützte. Er wirkte erschöpft. »Dieses Wort sollte in unserem Sprachschatz eigentlich nicht mehr vorkommen«, sagte Resnick. Er vertraute den Instinkten Boreguirs, und seinen eigenen. Der Mann, der hier eingegossen in einer unerklärlichen Masse stand, lebte! »Seht euch das an. An jedem Sockel, hier rechts unten, befindet sich eine...« Ein kurzer Schwindelanfall ließ Resnick taumeln. »... eine Apparatur.« Er fragte sich einen Moment, warum sie das hier eigentlich noch taten. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie starben. Doch er kannte die Antwort: weil sie nichts anderes tun konnten - und neugierig waren... »Eine grüne, in alle Richtungen drehbare Kugel, die man wahrscheinlich tiefer in die Führung pressen kann«, erwiderte Jarvis. »Könnte eine Art Knopf sein...« »...um den Schläfer zu wecken«, ergänzte Resnick fröstelnd. »Doch sehen wir uns vorerst mal weiter um.« Er ging langsam die vorderste Reihe der übermannsgroßen Kuben ab. Sie reichte weit in das Halbdunkel des Raumes hinein, der offensichtlich viel größer war, als sie zuerst gedacht hatten. Jarvis und Boreguir folgten ihm, ohne ein Wort zu sagen. Es war schlicht und einfach bedrückend. Männer und Frauen unterschiedlichen Alters und Hautfarbe standen da. Große und kleine, dicke und dünne - ohne Ordnung schienen sie abgelegt wie Blätter einer schlampig geführten Buchhaltung. Die meisten waren nackt, alle hatten sie die Augen weit aufgerissen angesichts des Schreckens, der offenbar im Moment des Einfrierens über sie gekommen war. »Stell dir vor, wir würden alle gleichzeitig wiederbeleben«, raunte Jarvis in sein Ohr. Sie benahmen sich so unauffällig wie möglich. Und sie flüsterten, als ob sie mit einem unbedachten, zu lauten Wort ein Etwas aufwecken würden. Ein Etwas, dem sie unter keinen Umständen begegnen wollten... »Ich könnte mir vorstellen, dass ein tausendstimmiges Geschrei anheben würde«, setzte Resnick den Gedanken seines Freundes fort. »Diese Menschen - sie sehen so aus, als wollten sie ihre Angst und ihre Panik hinausbrüllen.«
Boreguir schwieg, da ihm die Mimik der Menschen natürlich weitgehend fremd war. Er ging
neben den beiden GenTecs her und betrachtete die Eingeschlossenen mit naiver Neugierde.
»Das hier könnte Alexej Wolinow sein«, sagte Jarvis schließlich, und blieb vor einem
baumlangen, stark behaarten Mann stehen.
»Und das hier links sind möglicherweise Oyama und Jeunet«, fügte Resnick hinzu.
Dies waren die beiden anderen Mitglieder der ARMSTRONG, die am 24. Juli 2019 auf dem
Sand des Mars aufgesetzt hatte.
Eine multinationale Truppe aus einer anderen Zeit, bestehend aus einem Franzosen, einem
Russen, einem Japaner und dem amerikanischen Kommandanten.
»Bist du okay?«, fragte Jarvis leise Resnick, der ins Leere zu starren schien.
»Ich überlege, G.T.«, antwortete er. »Ich denke über die Zeit nach. Darüber, dass all diesen
Menschen ebenso wie uns die natürliche Lebenszeit gestohlen wurde. Und wie wenig uns
davon noch geblieben ist.«
Jarvis ging nicht weiter auf das unangenehme Thema ein.
Die Körperfunktionen der beiden GenTecs versagten. Rascher und schmerzhafter, als ihnen
lieb war. Dies waren aller Voraussicht nach Spätfolgen ihrer genetischen Konditionierung. Sie
wurden fehlsichtig, hatten Kreislaufprobleme und ermüdeten rasch. Binnen weniger Stunden
und Tage waren sie körperlich um Jahrzehnte gealtert.
Jarvis drehte sich abrupt zur Seite und schritt die vorderste Reihe der Kuben ab. Am Ende der
Halle wandte er sich um und blickte den Weg zurück, den sie gekommen waren.
»Mehr als einhundert Kuben pro Reihe«, murmelte er, und presste die Hand gegen die
schmerzende Schläfe. »Und es sind insgesamt acht Reihen.«
»Macht neunhundert bis tausend Gefangene.«
»Diese hier sehen irgendwie anders aus«, sagte Boreguir in parsisch, jener primitiven
Gebrauchssprache, die sie am Fuße des Kristallturmes kennen gelernt hatten.
»Du hast Recht«, sagte Resnick und betrachtete die Gefangenen in der dritthintersten Reihe
genauer.
Der Igelähnliche hatte in der Tat ein sehr, sehr gutes Auge. Diese Menschen waren nahezu um
einen Kopf kleiner, wirkten ungepflegt und hatten meist langes, strähniges Haar.
»Diese Menschen stammen aus dem frühen Mittelalter, würde ich sagen.« Jarvis` Stimme war
klirrend kalt, als betrachte er aufgespießte Schmetterlinge. Er umrundete nachdenklich den
Block und ging schließlich weiter nach hinten, bis in die letzte Reihe.
Alles hier wirkte klinisch sauber und aufgeräumt - und dennoch meinte Resnick zu spüren,
dass die hintersten Kuben schon eine Ewigkeit in ihren metallenen Sockeln ruhten.
Ein Mann stand da, beide Fäuste geballt, der Körper tätowiert, die wenigen Zähne angespitzt.
Maximal einmeterfünfzig groß.
Eine negroide Frau mit flachen Brüsten. Die platte Nase war mit den schmal geschliffenen
Knochen eines Raubtieres durchbohrt.
Ein hagerer Junge, vielleicht dreizehn Jahre alt. Die Rippen sprangen gut sichtbar hervor, das
Haar war geschoren. Die Armgelenke waren blutverkrustet, Dutzende rote Striemen zogen
sich über den Rücken.
Ein stämmiger, kräftiger Mann, stark behaart. Leicht hervorstehende Augenwülste, hohe
Stirn, ausgeprägtes Kinn. Ein wacher Blick, ein ratloser Gesichtsausdruck.
»Das ist mit einiger Wahrscheinlichkeit ein Cromagnon-Mensch«, sagte Jarvis. »Der stammt
aus der früheren
Altsteinzeit. Zehntausend Jahre vor Christus oder noch älter.«
»Das würde bedeuten, dass wir seit mehr als zwölftausend Jahren unter Beobachtung von
Außerirdischen stehen!«, überlegte Resnick laut. Sie blickten sich lange an, hingen ihren düsteren Gedanken nach. Wurden. wir Menschen von den Besitzern dieser Station nur beobachtet? Oder beeinflusst und geformt? Oder gar von ihnen erschaffen? Jarvis hatte Recht. Es war müßig, über den Sinn dieser Anlage zu spekulieren. Es verwirrte nur. Sie mussten sich um ihre eigenen, nahe liegenden Probleme kümmern. Der Incus, jener blutsaugende Parasit, den Resnick mehrere Tage mit sich getragen hatte, hatte ihm lediglich spärliches Wissen über diese Station hinterlassen. Doch es hatte ausgereicht, um einen Hilferuf zu formulieren, der nun über das Funknetz der Station gezielt in Richtung Erde ausgestrahlt wurde. Auch wenn »Funk« mit Sicherheit nicht der richtige Begriff war. Die Hirten arbeiteten gewiss mit überlichtschnellen Kommunikationsmitteln. Sie gingen langsam zurück zum zentralen Schaltpult, ein wenig abseits der Kuben, das inmitten ganzer Batterien von kleinen und größeren Bildschirmen thronte. Sie zeigten Bilder der Station, des umgebenden Wassers, den Wesen am Fuße des Kristallturmes und der sturmumtosten Mars-Oberfläche. »Kantrattan tar«, drang eine Stimme an Resnicks Ohr, und er fuhr zusammen. »Pest anil ser zerlaut...« Die Stimme des Holos eines Hirten war aus dem eigentlichen Zentralraum der Sta tion zu hören. »Ein gutes Zeichen«, sagte Boreguir, und nahm die Linke vom Griff seines HerzblutSchwertes. »Solange dieses durchsichtige, verzerrte Wesen auftaucht und wieder verschwindet und immer wieder den gleichen Unsinn faselt, wird es uns nicht zum Kampf herausfordern.« Es hatte keinen Sinn, Boreguir den Sinn von Ton- und Bildaufzeichnungen begreiflich zu machen. Manche Dinge verstand er instinktiv, andere ignorierte er, sodass sein Weltbild ei nigermaßen intakt blieb. »Mein Freund - kannst du mir einen Gefallen tun?«, fragte Resnick den Kämpfer. »Ja?« »Kannst du bitte endlich den Incus aus deinen Stacheln entfernen? Er bietet keinen besonders schönen Anblick.« Boreguir zögerte. »Es bereitet mir Mühe, Resnick. Sobald ich den getöteten Gegner sehe, bin ich verpflichtet, ein Gebet für seine Seele zu sprechen. Doch der Geist dieses ehrlosen Schimmden und Schmarotzers hat kein Anrecht auf tröstenden Zuspruch. Er soll auf meinem Rücken bleiben, meinem Blick entzogen, bis sein Leib verfault ist.« Dies war also ein moralisches Dilemma für den Kämpfer. »Aber er beleidigt auch unsere Augen«, entgegnete Resnick vorsichtig. »Ganz abgesehen von der dünnen Blutspur, die du hinterlässt.« ...und die eigentlich die Spur meines Blutes ist, das der Incus in seinem dreimal verfluchten Körper in sich trug und filterte, dachte er. »Was hältst du davon, wenn wir die kleine Echse in einen separaten Raum legen und abdecken, sodass er unseren Blicken bis auf Weiteres entzogen ist?« Boreguir stand lange Zeit ruhig da und überlegte. Der komplizierte moralische Kodex seiner Heimat gestattete ihm nicht allzu viele Freiheiten. »Ich bin einverstanden«, sagte er schließlich. Ein hässliches Knirschen ertönte, die rasiermesserscharfen Stachel zogen sich in seine derbe, ledrige Rückenhaut zurück, und die Reste der kleinen, nahezu durchsichtigen Echse fielen mit einem dumpfen Klatscher zu Boden. Boreguir ging, ohne sich umzudrehen, einige Schritte in
den domähnlichen Zentralraum.
Die beiden GenTecs sahen sich an.
»Ich mache es«, seufzte Resnick schließlich und nahm den toten Parasiten in die Hände.
Das Schott zu einem kleinen Nebenraum ohne ersichtliche Funktion stand offen.
Möglicherweise war dies ein kleines Labor, das im Bedarfsfalle rasch ausgestattet werden
konnte, vielleicht war es auch nur eine leer stehende Besenkammer.
Einerlei.
Resnick quetschte die Reste des glibberigen Etwas nochmals fest mit den Händen und
klatschte sie dann mit aller Wucht in die schmale Laufschiene des Schotts.
Es war einfach, den Schließmechanismus zu finden. Das Schott schloss schwer und satt, ohne
erkennbare Mühe. Ein paar kleine Blutstropfen quollen unter dem Türrahmen hervor.
Das ist fast zu viel an Umständen für deine Beerdigung, du Monster, dachte Resnick
hasserfüllt und kehrte zu Jarvis und Boreguir zurück.
3. »Jarvis und Resnick sind auf dem Mars gestrandet?« Scobee konnte es einfach nicht fassen.
»In einer weiteren unbekannten Station der Hirten? Das kann kein Zufall sein...«
Nur zu gut erinnerte sie sich an den Moment, als Darnok ihnen an Bord der RUBIKON
mitteilte, dass ihre Kameraden das Schiff verlassen hätten. Sie waren an Bord einer
Transportkapsel gegangen...
Nein, das war nicht ganz korrekt.
Jarvis und Resnick waren wahrscheinlich geradezu hinein gesogen worden. Auch Scobee und
Cloud war das beinahe passiert.
Der Verbleib der beiden GenTecs, eines der vielen Rätsel, die sich an Bord des Seelenschiffes
SESHA - oder RUBIKON II - aufgetan hatten, schien damit einer Lösung nahe.
Scobee konnte ihre Erleichterung nicht verbergen. Ihre beiden Freunde lebten also! Sie waren
für sie das, was einer Familie am nächsten kam. Erst recht seit sie erfahren hatte, dass ihre
Zuneigung zu Reuben Cronenberg in ihren Genen verankert war und damit gar nicht echt.
»Kannst du ihnen antworten?«, drängte sie John Cloud.
»Ich nehme es an«, antwortete er und presste zögernd seine Hand auf einige Schaltflächen.
Mehrmals sprach er eine kurze Antwort in ein halb transparentes Kraftfeld, das zwanzig
Zentimeter über ihm hing.
Nichts tat sich, nichts veränderte sich.
»Ich bin mir sicher, dass ich keinen Fehler gemacht habe«, murmelte Cloud mehr zu sich
selbst als zu Scobee. »Ich habe zwar keine Ahnung, warum ich etwas mache, aber es scheint
immer richtig - wie bei der Steuerung des Warrikk.« Er versuchte ein letztes Mal, den kurzen
Spruch abzusetzen. »Ich befürchte, dass die Empfangsstation fehlerhaft arbeitet.«
»Wir müssen etwas tun«, drängte Scobee. »Du weißt, in welchen Schwierigkeiten sie
höchstwahrscheinlich stecken. Hast du gehört, wie erschöpft Resnick klang?«
Darnok, der »gute« Keelon, hatte die GenTecs untersucht und einen rapiden Zerfall in den
Zellkernen beider Menschen prophezeit. Ein extrem beschleunigter körperlicher Verfall und
Alterungsprozess waren mehr als wahrscheinlich. Und in letzter Konsequenz wartete der Tod.
Doch selbst wenn sie die Station verlassen und den Mars erreichen konnten - Jarvis und
Resnick war damit noch lange nicht geholfen. Nur eine überlegene Technologie - so wie jene
der Hirten! - konnte vielleicht das Leben der GenTecs retten.
Ein lautes, unartikuliertes Wimmern ertönte und erinnerte Scobee daran, dass sich noch ein
fünftes Wesen im Raum befand. Der Amorphe.
»Wir müssen ihn dazu bringen, uns zu helfen«, drängte Scobee. Sie packte Cloud an den
Schultern und schob ihn unsanft in Richtung des unheimlichen Wesens. »Sprich mit ihm!
Oder schlüpfe in ihn hinein! Mach irgendetwas!«
»Warum sollte er sich gerade jetzt erholen, obwohl er sich seit Stunden in Agonie windet und
zudem immer wieder von der Bildfläche verschwindet? Ich hatte eigentlich gehofft, dass er in
dieser gewohnten Umgebung zu seiner ursprünglichen Verfassung zurückfindet.«
»Darauf können wir nicht mehr warten, John. Die Lage für Jarvis und Resnick ist mehr als
ernst. Es kann um Minuten und Sekunden gehen. Zwinge den Amorphen zur
Zusammenarbeit! Du bist es, der ihm nahe steht, John. Auf dich reagiert er. Vielleicht reicht
eine Berührung, vielleicht deine Stimme.« Leise fügte sie hinzu: »Bitte!«
John sah sie nachdenklich an. Erst vor kurzem hatte er sich vorgenommen, nicht mehr der
Spielball irgendwelcher Mächte zu sein, sondern sein Schicksal wieder selbst zu bestimmen.
Er wollte endlich selbst handeln, nicht nur versuchen, nicht getötet zu werden.
Und Cloud würde handeln - wenn auch ziemlich tollkühn. »Ich denke, es gibt eine
Möglichkeit, ihn aus der Agonie zu erwecken. Es kann aber ein wenig ungemütlich werden.«
»Was bedeutet >ungemütlich