One-Night-Stand mit Folgen
Jacqueline Diamond
Bianca 1287 24-2/01
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von almutK
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One-Night-Stand mit Folgen
Jacqueline Diamond
Bianca 1287 24-2/01
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von almutK
1. KAPITEL
Daisy Redford gab Chance Foster erst mal ein paar ordentliche Ohrfeigen. Dann schlug sie ihm mit aller Kraft ihre Fäuste ins Gesicht, bis von ihm nichts mehr übrig blieb als ein zerquetschter Klumpen Ton. „Das hast du nun davon!" sagte sie halblaut, allerdings eher zu sich selbst. Der Tonklumpen lag exakt auf der Mitte der Töpferscheibe und drehte sich im Kreis. Weiß der Teufel, was sie dazu getrieben hatte, die kleine Männerbüste anzufertigen. Das verführerische Glitzern seiner Augen konnte sie zwar nicht einfangen, aber dennoch war es ihr in einer knappen Viertelstunde gelungen, eine beachtliche Ähnlichkeit mit seinem ausdrucksvollen Gesicht, seinem vollen Mund und seiner geraden Nase herzustellen. Sie hatte ein spontanes Gefühl der Befriedigung verspürt, als sie dann mit unterdrückter Wut auf die Büste eingeschlagen hatte. Jetzt bezeugte nur noch ein Klumpen Ton ihren Triumph. Sachte drehte er sich auf der Töpferscheibe Und wartete darauf, in einen Topf verwandelt zu werden. Jede andere Frau hätte ihre Erfahrungen mit diesem Mann mühelos abschütteln können. Daisy Redford hatte es ihm auf der Töpferscheibe gegeben. Vielleicht konnte sie sich dadurch endlich von den Bildern der gemeinsam verbrachten Nacht befreien, die ihre Träume immer wieder heimsuchten. Dann wäre sie glücklich. Nein, überglücklich. „Jetzt bleibt mir nur noch eines. Ich muss meinen Traummann finden, bevor meine Freundinnen mich wieder mit einem Verlierertyp verkuppeln wollen", verkündete sie in ihrem leeren Atelier. „Oder bevor ich selbst wieder an eine solche Niete ge rate." Es war zu komisch. Vor Monaten hatten Phoebe und Elise, ihre beiden besten Freundinnen, sich auf die Suche nach einem Mann für Daisy begeben. Sie sollte ein Kind bekommen, bevor die Endometriose, an der sie litt, sie unfruchtbar machen würde. Angeblich waren ihre Freundinnen nicht auf der Suche nach einem Mann für sich selbst gewesen. Merkwürdig, beide waren jetzt verlobt. Daisy nicht. Irgendwann war sie mit einem Mann ausgegangen und musste schon nach dem ersten Abend feststellen, dass sie ihn abstoßend fand. „Was für ein scheußlicher Kerl", erinnerte sie sich. Oh. Sie führte Selbstgespräche. Zum Glück war Sean, ihr Assistent, montags nicht da. Montags hatte Daisy ihre Galerie geschlossen. Niemand konnte sie hören. Und niemand spazierte montags durch die drei Ausstellungsräume und durch den Verkaufsraum ihrer Galerie. Niemand betrachtete das Portfolio der Fotografen und die anderen Kunstwerke, die verkauft werden sollten. Heute arbeitete sie in einem der beiden Lagerräume, die sie sich als Atelier eingerichtet hatte. Daisy besaß eine Galerie im Zentrum von Phoenix, im Bundesstaat Arizona. Montags, wenn sie geschlossen hatte, verwandelte sich die Galeristin in die Künstlerin Daisy. Ihre Töpferarbeiten gelangten allerdings nie in ihre Ausstellung, und sie bot sie auch nie zum Verkauf an. Sie war fest davon überzeugt, dass sie nicht gut genug waren. Aber sie liebte die Töpferei und verschenkte ihre Arbeiten oft an ihre Freundinnen oder an ihre Mutter. Vorsichtig erhöhte Daisy den Druck auf den feuchten Tonklumpen auf der Töpferscheibe und formte ihn zu einer Vase. Zwischen ihren geübten Fingern wuchsen die Seitenwände aus dem weichen Material empor. Das Werkstück ähnelte den anderen vierzig Zentimeter hohen Vasen, die sie bereits zum Trocknen auf einen leinenbedeckten Tisch gestellt hatte. Der kleine Raum war ausgestattet mit der Töpferscheibe, einem Regal mit glasierten Werkstücken, mehreren Trockentischen und einem elektrischen Brennofen. Die Werkstatt war gut durchlüftet und hell ausgeleuchtet. Plötzlich vernahm sie ein schwaches Klopfen. Es klang wie ein weit entferntes Hämmern. Vielleicht kam es von den Reparaturarbeiten an dem Verwaltungsgebäude, das nur ein paar Häuserblocks entfernt lag. Als sie die Drehscheibe anhielt, bemerkte Daisy, dass jemand an die Eingangstür der Galerie klopfte. „Na großartig." Eilig wischte sie sich den Ton von den Händen.
Es blieb keine Zeit, die fleckigen Leinenschuhe und die schmutzigen Jeans zu wechseln. Normalerweise ignorierte sie die Besucher, die ihre Galerie montags besuchen wollten, aber sie erwartete eine Auslieferung von einem ihrer Künstler. Vielleicht hatte der Fahrer übersehen, dass er den Seiteneingang benutzen sollte. Sie trat sich die Schuhe an der Fußmatte ab und eilte durch die Galerie. Daisy hatte sie „Native Art" genannt, weil sie überwiegend Künstler aus Arizona ausstellte. Obwohl einige Töpferwaren und Webarbeiten von indianischer Kunst inspiriert waren, konzentrierte sie sich ansonsten auf zeitgenössische Malerei und Skulpturen. Sie spähte durch die Glastür und entdeckte draußen einen Lieferwagen, der in zweiter Reihe auf der Straße parkte. Neben dem Wagen stand ein Mann, der die Uniform der örtlichen Zustellfirma trug. Daisy blies sich eine Haarsträhne aus der Stirn und schloss die Tür auf. „Sie müssen durch den Seiteneingang liefern." „Haben Sie sich die Straße mal angesehen?" gab der Mann zurück. „Sie arbeiten dort an der Wasserversorgung. Ein LKW blockiert die Zufahrt. Und kein Fahrer weit und breit." „Er kommt bestimmt jeden Augenblick zurück." Daisy ließ ihren Blick nervös durch die geschäftige Straße schweifen, die von modischen Läden und Restaurants gesäumt war. Um die Mittagszeit schwärmten die Menschen wie hungrige Ameisen durch diese Gegend. Das Parken in der zweiten Reihe brachte der Zustellfirma mit Sicherheit einen Strafzettel ein, und Daisy konnte sich an zehn Fingern abzählen, wer ihn am Ende zu bezahlen hatte. „Tut mir Leid, aber ich kann hier nicht ewig warten", erklärte der Mann. „Ich hab noch andere Touren zu fahren."' „Na gut, beeilen wir uns", meinte Daisy kurz entschlossen. Sie durfte nic ht riskieren, dass der Mann ohne Auslieferung wieder abfuhr, und stieß die Tür sperrangelweit auf. Schließlich wollte sie am Samstag ihre neue Ausstellung eröffnen. Daisy stellte sich nur ungern mit ihren schmutzigen Klamotten auf die Straße. Das Anwaltsbüro von Chance Foster lag nur wenige Häuserblocks entfernt, und in den vergangenen zwei Monaten war sie ihm bereits ein paar Mal unfreiwillig über den Weg gelaufen. Andererseits kannte er ihre wirkliche Identität nicht. Und in ihrer tonverschmierten Kleidung würde er sie wohl kaum wieder erkennen. „Vorsichtig!" rief sie dem Lieferanten zu, der zusammen mit seinem Kollegen ein verhülltes Gemälde die Rampe hinuntermanövrierte. „Gehen Sie gerade durch, bis ganz nach hinten." Die Acrylarbeiten waren sehr schwer und unförmig. Und leider gingen die Lieferanten nicht besonders umsichtig mit den Kunstwerken um. Zwei Mal rettete Daisy im letzten Augenblick eine kunstvoll getöpferte Blumenschale vor den Männern, die durch ihre Galerie trampelten wie die sprichwörtlichen Elefanten im Porzellanladen. Sie warf einen letzten Blick in das Innere des Lieferwagens und stellte erleichtert fest, dass er leer war. „Danke", seufzte sie. Die Männer winkten ihr zu und kletterten in die Fahrerkabine. Daisy wollte gerade zurück in die Galerie gehen, als sie einige Hauseingänge weiter eine Frau bemerkte, die das „Bistro Francais" verließ. Honigblondes Haar wirbelte ihr ums Gesicht. Die Frau hatte ihre vollen Lippen zu einem Schmollmund verzogen. Mit glänzenden, weit aufgerissenen Augen schaute sie starr auf die Straße. Hinter ihr trat ein Mann aus der Tür. Daisy ballte in ihren Ho sentaschen die Hände zu Fäusten. Chance Foster bewies guten Geschmack. Sein hellbraunes Haar war elegant geschnitten, der teure Anzug stand ihm aus geze ichnet. Doch seine dezente Erscheinung konnte weder den verführerisch knackigen Po noch sein ausgesprochen männliches Auftreten verbergen. Jeder Zentimeter seines Körpers war ihr vertraut. Die aufmerksamen grauen Augen ebenso wie seine breiten Schultern und seine schmalen Hüften. Daisy hatte zwar beschlossen, Chance aus ihren Leben zu streichen, aber sie spürte ganz ge nau, dass sie ihn
immer noch begehrte. Sie verspürte einen schmerzhaften Stich in ihrem Herzen, als sie sah, wie Chance einen Arm um die Frau legte. Sie standen neben einem schnittigen Wagen. Chance hielt sie mehrere Minuten lang fest, bevor er ihr die Fahrertür öffnete. Er achtete noch darauf, dass die blonde Schönheit im fließenden Verkehr sicher einstieg. Hoffentlich ist diese Blondine nicht so naiv zu glauben, dass Chance um sie besorgt ist, dachte Daisy. Zugegeben, Chance war ein angenehmer Begleiter, ein perfekter Gentleman und Charmeur. Aber er war auch der berüchtigtste Playboy in ganz Arizona. Mit zwei großen Schritten war er wieder auf dem Bürgersteig und wartete, bis der Wagen losgefahren war. Als er sich umdrehte und in sein Büro zurückgehen wollte, hielt er plötzlich inne und starrte Daisy an. Bitte, er darf mich nicht erkennen, flehte Daisy inständig. Wie sollte er auch? Die Tonspritzer klebten auf ihrer Nase und auf ihren Wangen und trockneten langsam fest. Dennoch blieb er wie angewurzelt stehen. Vielleicht erinnerte er sich dunkel an ihr unverwechselbar kastanienrotes Haar, das sie kinnlang ge schnitten hatte. „Uups." Daisy eilte in die Galerie und schloss die Tür hinter sich ab. Schnell hängte sie das Schild mit der Aufschrift Geschlossen an die Scheibe und flüchtete in den hinteren Raum. Langsam verrannen die Minuten. Niemand klopfte. Sie wusste nicht, ob sie erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Niemals hätte sie mit einem Mann ins Bett gehen sollen, den sie gerade erst kennen gelernt hatte. Im Grunde sah es Daisy auch gar nicht ähnlich. Sie war unehelich geboren, Tochter eines Mannes, der ihrer Mutter den Himmel auf Erden versprochen, aber die Hölle beschert hatte. Peinlich genau achtete sie deshalb darauf, sich nicht mit flüchtigen Bekanntschaften einzulassen. Doch an jenem Abend, auf der Verlobungsparty von Elise, war es um sie geschehen. Der attraktive Unbekannte hatte ihre geheimsten Fantasien angesprochen. Als sie miteinander sprachen, fühlte sie sich federleicht und wie elektrisiert, als sie mit einander tanzten. Als er sie auf einen Drink zu sich nach Hause einlud, freute sie sich zuerst darüber, dass sie ihre angenehme Unterhaltung fortsetzen konnten. Außerdem wollte sie auf jeden Fall verhindern, dass Elise oder Phoebe die zauberhafte Stimmung zerstörten, die zwischen ihnen in der Luft lag. Ihre Freundinnen übertrieben manchmal etwas, wenn es darum ging, Daisy an den Mann zu bringen. Im Nachhinein wusste sie natürlich, dass es ausgesprochen dumm gewesen war, die gewohnte Vorsicht in den Wind zu schlagen. Wenn sie einen Mann kennen lernte, fragte sie sich normalerweise zuerst, ob er wohl ein guter Vater sein würde. Sie war bereits dreißig und wusste, dass sie aufgrund ihrer Krank heit schnell heiraten musste, wenn sie jemals Mutter werden wollte. An jenem Abend hatte sie sich mit ihrem richtigen Namen vorgestellt. Deirdre. Sie fand das niveauvoller. Er hieß Charles. Sie konnte nicht ahnen, dass auch er unter seinem Spitznamen besser bekannt war. Nachdem sie miteinander geschlafen hatten, sprachen sie noch eine Weile leise miteinander. Sie fragte ihn, woher er Elise kannte, und ihr blieb fast das Herz stehen, als sie seine Antwort hörte. „Ich bin ihr Bruder." Chance Foster war berühmt. Oder besser, berüchtigt. Wenn man Elise glauben durfte, dann hatte er bereits alle attraktiven Frauen in Phoenix verführt. Für jede Gelegenheit eine andere Frau, so sagte man ihm nach. Entsetzt hatte Daisy festgestellt, mit wem sie die Nacht verbracht hatte. Sie hätte sich ohrfeigen können für ihre Dummheit. Bis zu jenem Moment hatte sie allen Ernstes geglaubt, dass ein tiefes Einverständnis zwischen ihnen herrschte. Jetzt wusste sie, dass Chance die Frauen mit dieser Masche um den Finger wickelte. Sie hatte gewartet, bis er eingeschlafen war, dann ein Taxi ge rufen und Hals über Kopf die Flucht ergriffen. Und jetzt versteckte sie sich in ihrer Werkstatt vor ihm, obwohl der
Mann in den vergangenen zwei Monaten gewiss nicht einen einzigen Gedanken an sie verschwendet hatte. Daisy ärgerte sich über sich selbst und griff nach einem Draht, um die fertige Vase von der Drehscheibe zu lösen. Sorgsam setzte sie das Stück zum Trocknen auf den Tisch. Wer mochte die Blondine in dem Bistro gewesen sein? fragte sie sich. Der schnittige Wagen, die Kleider und ihre Aufmachung ließen darauf schließen, dass sie sehr reich sein musste. Oder vielleicht hoch verschuldet und trotzdem glücklich? Daisy nahm ein paar Tonklumpen vom Tisch auf und formte sie unwillkürlich zu einem weiblichen Kopf. Dann klebte sie die kleine Skulptur an die Seite eines halb getrockneten Tonge fäßes. Die Skulptur karikierte die Gesichtszüge der blonden Frau. Ihr Blick wirkte hungrig und verführerisch. Aus dem nächsten Tonklumpen formte sie eine weitere kleine Skulptur von Chance. Ein verhaltenes Lächeln und ein begehrender Blick bestimmten sein Gesicht. Zufrieden betrachtete sie ihre Arbeit, bis ihr auffiel, dass sie ihren Werkstücken damit eine ganz individuelle Handschrift verleihen konnte. Daisy war plötzlich aufgeregt. Ihre Keramik- und Töpferarbeiten galten zwar als handwerklich perfekt, aber bisher fehlte ihnen die persönliche Note, die so genannte künstlerische Aura. Doch diese Idee war vielversprechend. Natürlich schufen andere Künstler bereits Gefäße mit Gesichtern, aber sie würde ihre Arbeit in eine ganz neue Richtung lenken können. Komisch, dass ausgerechnet Chance Foster sie auf diese Idee gebracht hatte! Den Rest des Nachmittags experimentierte Daisy mit den Karikaturen aus Ton. Am späten Nachmittag schmerzten ihre Arme vom vielen Tonkneten. Ihre Aufregung wegen des im letzten Augenblick verhinderten Zusammenstoßes mit Chance Foster war verflogen. Sie machte gerade das Atelier sauber, als das Te lefon klingelte. „Native Art", meldete sie sich. „Hi, hier ist Elise", hörte sie die Stimme ihrer Freundin. Wie konnte eine so liebevolle Freundin nur einen so herzlosen Bruder haben? „Was gibts?" „Ich habe endlich me ine Farben gefunden! Altrosa und Blassgelb!" Daisy begriff nicht auf Anhieb, was ihre Freundin meinte. „Ach, für die Hochzeit!" Elise und James, ihr Verlobter, wollten im September heiraten. In drei Monaten. „Klingt großartig." „Du weißt, was das für dich und Phoebe bedeutet", sagte Elise. „Jetzt können wir die Kleider für die Brautjungfern aus suchen." „Großartig." Die beiden Freundinnen würden Elise auf dem Weg zum Altar begleiten. „Wie wär’s, wenn wir nach der Arbeit schwimmen gehen?" fragte Elise. „Vielleicht um halb sechs? Wir können alles besprechen und uns dabei erfrischen." Obwohl es erst Juni war, waren die Temperaturen bereits bei über dreißig Grad. „Hört sich gut an." „Dann bis gleich." Sie trafen sich in der Mesa Blue Wohnanlage, in der jede der drei Frauen eine Eigentumswohnung besaß. Der blau gekachelte Pool war von Farnen und einigen imposanten Palmen umsäumt. Während der Sommermonate bot der schattige Platz einen idealen Treffpunkt. Daisy konnte es kaum erwarten, ihre Freundinnen wieder zu sehen. Sie zog den Plastiküberzug locker über die Gefäße, damit sie nicht zu schnell austrockneten und zerbrachen. Dann eilte sie nach Hause. Chance Foster hätte schwören können, dass er die Rothaarige in den verschmierten Klamotten dort vor der Galerie irgendwie kannte. Aber als er wie beiläufig vorüberschlenderte, war sie verschwunden. Unschlüssig wie ein Teenager stand er auf dem Fußweg und überlegte, ob er anklopfen
sollte. Aber was sollte er sagen? Dass er vor zwei Monaten eine wundervolle Nacht mit einer geheimnisvollen Frau verbracht hatte und jetzt nach ihr suchte? Er konnte nicht begreifen, wie diese großartige Frau auf der Verlobungsparty von Elise auftauchen konnte, ohne dass Elise oder Phoebe sie kannten. Beide hatten rundheraus abgestritten, dass ihnen jemals eine Frau mit dem Namen „Deirdre" über den Weg gelaufen war. Dann entschied er sich, seine Jagd auf die geheimnisvolle Unbekannte abzubrechen, und eilte zurück in sein Büro. Trotzdem ging ihm die Angelegenheit nicht aus dem Kopf. Vielleicht war sie verheiratet und betrog ihren Ehemann. Oder sie scheute sich so sehr vor ernsthaften Bindungen, dass sie in Panik geriet, wenn ihr ein Mann gefiel. Als Anwalt für Familienrecht wusste Chance nur zu gut, wie viele Dinge in einer Beziehung falsch laufen konnten. Meistens bewies einer der Partner zu wenig Charakter, um auch dann treu zu bleiben, wenn die Ehe in Schwierigkeiten geriet. Wie gern würde er Deirdre wieder sehen. Zumindest könnte er dann herausbekommen, warum sie ihn einfach im Stich gelassen hatte. Dann würde er sich nicht mehr einbilden müssen, sie unverhofft auf der Straße erspäht zu haben. Das war ihm heute nämlich nicht zum ersten Mal passiert. Im Büro fragte sich Chance, ob seine Schwester und ihr Verlobter seinem Rat gefolgt waren und endlich eine voreheliche Partnerschaftsberatung in Anspruch genommen hatten. Schließlich waren sie beide beruflich sehr erfolgreich. Elise war Professorin für Französisch, und James war ein äußerst wohlhabender Geschäftsmann. Ausgerechnet solche Leute wollten nicht wahrhaben, dass sie sich auf die Ehe vorbereiten mussten. Er beschloss, sie nach der Arbeit in ihrer Wohnung aufzusuchen. Und als großer Bruder würde er sich das Recht heraus nehmen, Elise in dieser Sache ein wenig auf den Zahn zu fühlen. „Niemals ziehe ich ein gelbes Kleid an!" protestierte Phoebe. Sie saß am Rand des Pools und planschte mit den Beinen im Wasser. „Bei meinen blonden Haaren. Das steht mir nicht. Und Rosa passt absolut nicht zu Daisys Teint! Sie hat schließlich dunkelrote Haare. Das wäre eine grausame Kombination." „Ich dachte gerade an die Blumen", gab Elise zu. „Ein Bouquet aus gelben und roten Rosen wäre einfach wundervoll." „Komm schon, Daisy!" Phoebe stieß ihr freundschaftlich in die Seite. „Lass mich nicht im Stich. Gelb würde dir auch nicht gerade gut stehen." Daisy räkelte sich in der Sonne und unterdrückte ein Gähnen. Zugegeben, im Moment interessierte sie sich nicht besonders für das Hochzeitsarrangement ihrer Freundin, aber schließlich war Phoebe Kosmetikerin. Außerdem studierte sie Biochemie, um eines Tages ihr eigenes Kosmetiklabor zu gründen. Sie besaß ein untrügliches Gefühl dafür, welche Farbe einer Frau am besten stand. Daisys Geschmack dagegen war reichlich ausgefallen. Ihr Badeanzug beispielsweise war von Jeanine Redford, ihrer Mutter, entworfen worden. Sie arbeitete als Schneiderin und Designe rin im nahe gelegenen Tempe. Ein schwarzer Streifen verlief diagonal über dem smaragdgrünen Stretchstoff. Aufregende rechteckige Ausschnitte in Taillenhöhe betonten das geometrische Design. „Wir sollten meine Mutter fragen", schlug Daisy vor. „Sie würde ein unvergessliches Hochzeitskleid entwerfen." Elise grinste. „Ich bewundere die Entwürfe deiner Mutter wirklich. Vielen Dank für das Angebot, aber bei meiner Hochzeit kann ich gern auf etwas so Verrücktes verzichten." Phoebe erhob sich. „Ich will jetzt schwimmen und nicht streiten", erklärte sie. „Wer als Erste am anderen Ende ist, bestimmt die Farben, okay?" Damit tauchte sie in das Becken. Das Wasser wirkte so einladend, dass Daisy ebenfalls hineinsprang und mit ihrer Freundin um die Wette schwamm. „Es ist meine Hochzeit, also bestimme ich!" rief Elise und glitt unter Wasser. Schnell war
sie an Daisy vorbei. Mit ein paar kräftigen Zügen hatte sie Phoebe eingeholt und erreichte als Erste das andere Ende des Beckens. „Altrosa", keuchte sie. „Altrosa und ... irgendwas." Phoebe tauchte auf und schnappte nach Luft. „Vergiss dein Rosa. Wie wäre es mit Grün?" fragte sie. „Grün und Gold." „Violett und Weiß?" schlug Daisy vor, als sie den Beckenrand erreichte. „Passt irgendwie besser zu Krönungsfeierlichkeiten", entgegnete Elise. „Es ist mir egal, wie reich James ist. Niemand soll glauben, dass ich mich plötzlich in eine Prinzessin verwandle." Ein lautes Miauen ließ sie herumfahren. Auf der Terrasse von Apartment 1B versammelte sich eine Horde Katzen, als eine Frau von ungefähr fünfzig Jahren mit unnatürlich rot gefärbten Haaren die Futternäpfe auffüllte. Es war Frannie Fitzgerald. Meistens trug sie Kleider in auffallend grellen Farben und hatte sich die Haare hochtoupiert. „Blassrosa könnte passen", schlug Phoebe vor und wandte ihren Blick wieder ab. „Vielleicht Weiß?" meinte Daisy. „Nein, zu langweilig. Wie wäre es mit drei Farben? Blassrosa mit Schwarz und Weiß?" „Schwarz? Zu einer Hochzeit?" stöhnte Elise. „Lass uns einfach ein paar Kleider anprobieren, dann sehen wir schon, was uns steht", meinte Phoebe. „Daisy und ich sollten uns ein Kleid kaufen, das wir auch nach deiner Hochzeit noch tragen können." „Und wenn dir Giftgrün gut stehen sollte?" murmelte ihre Freundin. „Oh, guckt mal, mein großer Bruder. Lass uns hören, was er dazu meint." Zu ihrem Entsetzen musste Daisy feststellen, dass ihr der „große Bruder" nur allzu gut bekannt war. Chance steuerte direkt auf den Pool zu. Verzweifelt sah sie sich nach einem Versteck um. Dann holte sie tief Luft und tauchte einfach unter.
2. KAPITEL
Chance lächelte unwillkürlich, als er sah, wie seine Schwester und ihre beiden Freundinnen sich im Pool herumlümmelten. Er hatte eine Schwäche für Frauen und genoss ihre Gesellschaft sehr. Das traf sich gut, denn immerhin hatte Chance sieben Schwestern. Kaum betrat er die begrünte Poolanlage, als er eine merkwürdig aussehende Frau auf der Terrasse bemerkte, die von einer Horde Katzen umgeben war. Sie beobachtete ihn argwöhnisch. Chance rief sich ihren Namen ins Gedächtnis. Natürlich, es war Frannie. „Vorsicht mit den Frauen dort am Pool", warnte sie ihn. „Zwei von ihnen sind verlobt und die dritte ist irgendwie ... seltsam." „Seltsam?" wiederholte Chance irritiert. Insgeheim musste er zugeben, dass Elises Freundin Daisy einen merkwürdigen Eindruck auf ihn machte. Frannie hatte ihn nur wenige Sekunden abgelenkt, und als er sich wieder der Szenerie am Pool zuwand te, war Daisy wie von Zauberhand verschwunden. „Sie ist Künstlerin", erklärte die Frau wissend. „Obwohl man sie hier draußen nie malen sieht. Seltsam, wenn Sie mich fragen. Passen Sie gut auf sich auf, wenn ich Ihnen raten darf." „Danke." Diese Frannie ist wirklich ein Unikum, dachte Chance und setzte seinen Weg zum Pool fort. Vergeblich fragte er sich, wie Daisy wohl so schnell hatte verschwinden können. „Wo ist deine andere Freundin?" rief er Elise zu. Elise deutete auf das Wasser. „Sie taucht." Ihre Stimme klang nicht eine Spur beunruhigt. Bestimmt erlaubt sie sich nur einen Scherz, dachte Chance. „Wir brauchen deinen Rat", fügte Elise hinzu. „Du findest doch auch, dass Gelb einer blonden Frau überhaupt nicht steht, stimmts?" fragte Phoebe. „Und Altrosa passt einfach nicht im Geringsten zu... dem da." Phoebe zeigte auf den rotbraunen Haarschopf, der auf der Wasseroberfläche schwamm. Ganz offensichtlich gehörte er zu Daisys Kopf. „Ich plädiere auf Vertagung der Befragung", erwiderte Chance. „Findest du nicht auch, dass sie schon recht lange unter Wasser ist?" „Sie ist eine ganz ausgezeichnete Schwimmerin", gab Elise zurück. „Na ja, sie paddelt ganz gut." „Sie schwimmt nicht, sie lässt sich treiben", korrigierte Chance. Einen Moment lang dachte er darüber nach, ob er vielleicht in voller Bekleidung in den Pool springen und die Frau retten sollte. Ihre Lungen mussten jeden Augenblick zerbersten. Aber er wollte die Situation nicht unnötig dramatisieren. „Es geht ihr gut", beschwichtigte Elise. „Ihre Hände bewegen sich unter Wasser. Wenn sie bewusstlos wäre, könnte sie ihren Körper nicht in dieser Position halten." Chance kniete sich an den Band des Pools. Der kastanienrote Haarschopf tauchte auf, ging aber sofort wieder unter. Offensichtlich blieb die Frau freiwillig unter Wasser, aber warum benahm sie sich so merkwürdig? Phoebe stemmte sich aus dem Wasser, kniete neben Chance nieder und schaute besorgt nach Daisy. „Nimmt sie Medikamente?" fragte Chance. „Bestimmt nimmt sie Hormonpillen. Frauenkram", sagte Phoebe und wurde unwillkür lich rot. „Vielleicht hätte ich dir das nicht verraten sollen. Es ist mir so rausgerutscht", entschuldigte sie sich. „Hormone machen niemanden verrückt. Glaube ich jedenfalls." Chance hielt die Spannung nicht mehr aus. Er tauchte die Hand in den Pool und versuchte, nach Daisys Schulter zu greifen. Der Ärmel seines Jacketts war sofort vollkommen durchnässt. Ihre Schultern fühlen sich schmal an, stellte er verwirrt fest. Ein leichter Schauder fuhr ihm durch den Körper, als er ihre nackte Haut berührte. Schließlich zog er sie nach oben. Sie schoss an die Wasseroberfläche und schnappte keuchend nach Luft. Das nasse Haar klebte an ihren Wangen. Einen Augenblick lang glaubte er, dass er sich diese Ähnlichkeit nur einbildete.
Aber sie war es. Deirdre! Daisy? dachte er verwirrt. Deirdre war Daisy? Aber warum war die Freundin seiner Schwester vor ihm davongelaufen? Daisy hatte keineswegs so lange unter Wasser bleiben wollen. Sie war froh, als er sie endlich nach oben zog. Und sie fühlte sich ge demütigt, weil sie entdeckt worden war. Hätte sie nicht so stark husten müssen, wäre sie auf der Stelle ins Haus gelaufen, bevor ihr jemand irgendwelche Fragen stellen konnte. Chance hielt sie mit seinen starken Armen fest. Sie lehnte sich in die Ecke des Pools und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Nebenbei bemerkte sie, dass die Ärmel seines Jacketts vollkommen durchnässt waren. Nicht zu sprechen von der Uhr an seinem Handgelenk, die sehr teuer gewesen sein musste. Beschämt löste sie sich aus seinem Griff. „Es tut mir sehr Leid." „Bist du in Ordnung?" Seine tiefe, wohltönende Stimme ließ sie erzittern. Sie nickte und hielt den Blick immer noch gesenkt. Ihre Freundinnen beobachteten sie irritiert. „Liegt es an den Hormonen?" fragte Elise besorgt. „Hast du Hitzewallungen?" „Nein, natürlich nicht!" entgegnete Daisy empört. Konnten ihre Freundinnen nicht noch indiskreter sein? Auf keinen Fall durfte Chance wissen, wie es um ihre Gesund heit bestellt war. Einen Mann wie ihn würde die Diagnose „Endometriose" ganz sicher zurückhaltend werden lassen. Er war ein Playboy. Und deshalb würde er schnellstens das Weite suchen, wenn er auch nur ahnen sollte, wie verzweifelt sie sich nach einem Kind sehnte. Er durfte nicht wissen, dass sie schnell schwanger werden musste, um einigermaßen gesund zu bleiben. Vor allem aber, weil die Gefahr der Unfruchtbarkeit bestand. Warum sieht er nur so unverschämt gut aus? fragte sie sich. In der hellen Nachmittagssonne wirkte sein Profil noch markanter. Seine grauen Augen strahlten, und plötzlich sah er sie sanft und einfühlsam an. Es würde ihr schwer fallen, die gebührende Dis tanz zu ihm zu wahren. Abgesehen davon rang sie noch immer nach Luft. „Bist du sicher, dass du keine Mund-zu-Mund-Beatmung brauchst?" spottete er. „Mir ist kalt", sagte sie und zeigte auf ihr Handtuch, das auf einer Bank neben dem Pool lag. Außerhalb des warmen Wassers würde ihr zwar noch kälter werden, aber Daisy hatte das dringende Bedürfnis, den neugierigen Blicken ihrer Freundinnen zu entkommen. Chance brachte ihr das Handtuc h und wickelte es ihr um den Körper, nachdem sie aus dem Becken geklettert war. Ein wenig länger als unbedingt notwendig berührte er dabei ihre Haut. Aber das störte sie nicht. Im Gegenteil, ein angenehmer Schauer durchfuhr sie. „Ehrlich, wir haben nicht gemerkt, dass mit dir etwas nicht stimmt", sagte Phoebe besorgt. „Soll ich den Arzt rufen?" „Es ist alles in Ordnung", versicherte Daisy mit bebender Stimme. „Es ist mein Fehler. Ich wollte plötzlich wissen, wie lange ich es unter Wasser aushalten kann. Wie blöde von mir." „Warum?" fragte ihre Freundin. „Weil ich blöde bin", wiederholte Daisy mechanisch. „Ich begleite Daisy ins Haus", erklärte Chance. „Ich gehe allein." „Nein." Chance duldete keinen Widerspruch. „Du brauchst mich, um auf dich aufzupassen." Daisys Herz machte vor Freude einen kleinen Hüpfer. Natürlich wusste sie, dass Chance nur seinen unwiderstehlichen Charme spielen ließ, aber insgeheim wünschte sie sich, dass er es ernst meinte. „Oh, bevor du gehst", warf Elise ein, „warum bist du eigentlich vorbeigekommen, lieber Bruder?" „Nichts Wichtiges", gab Chance zurück. „Ich erklärs dir später."
Im Grunde wusste Daisy genau, dass sie es ihm nicht erlauben sollte, sie zu ihrem Apartment zu begleiten. Ganz bestimmt würde er mit hineinkommen wollen. Und sie würde ihm genauso wenig widerstehen können wie vor zwei Monaten. Wieso hatte dieser Mann eine solche Macht über sie? Er hat nur so viel Macht über dich wie du ihm gewährst, ermahnte sie sich streng. Und dann ließ sie sich widerspruchslos zum Apartment 2E begleiten. „Vielen Dank", sagte sie, als sie die Tür zu ihrem Apartment aufschloss und sich zu ihm umdrehte. „Ist das alles?" bemerkte er enttäuscht. „Du willst sicher deine Uhr trocknen und kontrollieren, ob sie noch funktioniert, nicht?" fragte sie zurück. „Natürlich funktioniert sie. Sie ist schließlich wasserdicht", entgegnete er. „Und du weißt genau, was ich meine. Wie lange willst du einem Gespräch eigentlich noch ausweichen? Oder legst du es darauf an, dass wir hier auf dem Flur vor den neugierigen Ohren und Augen deiner Nachbarn unsere intimsten Geheimnisse ausplaudern? Ich wäre entschieden dagegen." Sie atmete tief durch. „Na schön", willigte sie zögernd ein, als ob sie die Ereignisse vor zwei Monaten in Gedanken Revue passieren ließ. Überrascht ließ Chance seinen Blick durch ihr Apartment schweifen. Sie war zwar sehr sparsam eingerichtet, hatte aber die Akzente gezielt gesetzt. Seine Aufmerksamkeit blieb an einer Decke hängen, deren Muster in roten, orange- und pinkfarbenen Zacken gewebt waren. Sie hing über der Lehne des Sofas, das mit hellem Leinen bezogen war. In der gegenüberliegenden Ecke entdeckte er eine große Keramikvase. Die dunkelrote Farbe, die sich wie ein verschlungenes Band über die graublaue Vase zog, hob sich apart von der Oberfläche ab. Farben und Formen der gesamten Einrichtung ergänzten sieh perfekt. „Wer hat dir die Wohnung eingerichtet?" Er hatte sich im vergangenen Jahr ein Haus gekauft und plante, die noch spärliche Einrichtung endlich zu vervollständigen. Am liebsten hätte er ihren Designer sofort engagiert. „Ich." Daisy nagte verlegen an ihrer Unterlippe und ging dann in die Küche. „Möchtest du einen Kaffee?" „Nein, aber du solltest dir eine Tasse genehmigen. Er wird dich aufwärmen", sagte er. „Und zieh dir trockene Sachen an." „Mir ist nicht kalt." „Ich bestehe darauf." „Und wie willst du herausfinden, ob ich auch warm genug angezogen bin?" Trotzig sah sie ihn an. „Wie möchtest du es denn gern?" Im Grunde hatte Chance nicht die Absicht, mit ihr zu flirten. Aber wenn sich schon die Gelegenheit bot, dann sagte er nicht Nein. „Nachdem du dich am Pool so verrückt benommen hast, könnte ein wenig Aufsicht gar nichts schaden." „Aufsicht?" Sie zog das Handtuch enger um ihren Körper. Ihre wunderschönen Beine und die geschwungene Linie ihres Nackens konnte sie aber nicht verdecken. „Ich bin nicht deine kleine Schwester." „Ich weiß." „Dann beherrsch dich bitte." Sie trat einen Schritt zurück. „Ich brauche niemanden, der auf mich aufpasst." „Ich möchte, dass du mich aufklärst", verlangte er. „Warum bist du in jener Nacht vor mir geflüchtet?" „Weißt du, wenn ich darüber nachdenke, hast du Recht. Ich sollte mir warme Sachen überziehen." Augenblicklich war sie im Schlafzimmer verschwunden. Ärgerlich sah Chance, wie sie die Tür ins Schloss warf. Immer noch zitternd pellte sich Daisy den feuchten Badeanzug vom Leib. Sie war eigentlich
nicht der Typ Frau, der sich den Männern an den Hals warf. Ihre Mutter hatte sie allein großgezogen. Ihren Vater hatte sie kaum kennen gelernt. Selbst nach all den Jahren waren die Wunden an ihrer Seele kaum vernarbt, die ihr unzuverlässiger Vater ihr zugefügt hatte. Aber mit Chance Foster war es irgendwie anders. Merkwürdigerweise gelang es ihm immer wieder, ihre innere Schutzmauer zu durchbrechen. Sollte sie aufrichtig sein und ihm ehrlich sagen, warum sie in jener Nacht weggegangen war? Sollte sie riskieren, dass er dann vielleicht noch einmal versuchen würde, bei ihr zu landen? Während sie darüber nachdachte, zog Daisy einen langen Dashiki über, den ihre Mutter selbst gefärbt hatte. Dann ging sie ins Bad, bürstete sich die Haare und betrachtete ihr Gesicht aufmerksam im Spiegel. Ihr Teint wirkte frischer als sonst. Bestimmt lag es an der Sonne. Oder vielleicht doch an den Hormonen? Vor ein paar Mona ten hatte ihr Arzt die Verschreibung geändert. Vielleicht gab es positive Nebenwirkungen? Die Erinnerung an ihren Gesundheitszustand wirkte wie eine kalte Dusche auf sie. Ein Mann wie Chance Foster, attraktiv, erfolgreich und beliebt, würde niemals die Geduld aufbringen, sich mit ihren Problemen zu beschäftigen. Der Arzt hatte ihr gesagt, dass sie möglicherweise überhaupt keine Kinder bekommen konnte. Der Casanova von Phoenix würde sich ganz sicher nicht für eine Frau entscheiden, die ihm keinen Nachwuchs garantieren konnte. Andere Frauen konnten es vielleicht riskieren, ihr Herz an Chance Foster zu verlieren. Sie nicht. Sie brauchte einen aufrichtigen und verständnisvollen Mann, der ihre Gefühle nicht zum Spielball seiner Launen machte. So wie ihr Vater es getan hatte. So sehr sie sich danach sehnte, Chance Foster noch ein weiteres Mal zu erobern, sie durfte es nicht riskieren. Energisch straffte Daisy die Schultern und machte sich bereit für ihre nächste Begegnung mit ihm. Chance blätterte in einem Kunstmagazin, als Daisy zurückkam. Sie trug ein afrikanisches Gewand. Der Stoff fiel sanft über ihren Körper und ließ ihre Kurven erahnen. „Fühlst du dich besser?" fragte er unerwartet liebevoll. Ihr rotbrauner Haarschopf wippte, als sie nickte. Das erinnerte ihn an die Frau, die er am Nachmittag gesehen hatte. „Arbeitest du zufällig in einer Kunstgalerie?" „Ich bin Besitzerin einer Galerie." Daisy ging in die Küche und goss sich Kaffee in einen Becher. Chance folgte ihr. „,Native Art'. Inderinnenstadt." Sofort dachte er daran, sie in ihrer Galerie zu besuchen. „Dann arbeitest du nur wenige Häuserblocks von meinem Büro entfernt. So ein Zufall." „Soll das heißen, dass dir eine verrückte Frau aufgefallen ist, die sich immer versteckt, wenn du vorbeispazierst?" Daisy zuckte die Schultern. „Das bin ich." „Schuldest du mir nicht eine Erklärung?" verlangte er erneut. Sie griff nach der Kaffeetasse. „Ich bin abgehauen, weil ich überzeugt bin, dass wir nicht zueinander passen", begann sie mutig. „Und außerdem habe ich mich geschämt. Es ist nicht meine Art, mit fremden Männern ins Bett zu gehen." „Aber das hättest du mir auch noch am nächsten Morgen sagen können", beharrte er. „Ich dachte, ich hätte dich irgendwie verletzt. Ich finde, du solltest dich bei mir entschuldigen. Und ich habe eine bessere Erklärung verdient." Daisy roch an ihrem Kaffee und stellte den Becher schließlich ab, ohne zu trinken. „Du hast Recht. Ich war feige. Es tut mir Leid. Bestimmt willst du mich jetzt nicht mehr wieder sehen. Damit ist die Sache erledigt." „Falsch", gab er zurück. „Du kannst doch nicht erwarten ... Irgendwie ist alles schief gelaufen. Noch nicht einmal mein Kaffee duftet appetitlich. Ich muss wirklich verrückt sein." Sie ging zurück ins Wohnzimmer. „Wir hätten das niema ls tun dürfen. Denk nur an deine Schwester. Sie wäre
begeistert, wenn sie von unserer Liebesnacht erfahren würde. Ganz verrückt würde sie uns machen." „Du willst mich allen Ernstes zurückweisen, weil ich Elises Bruder bin? Weil meine Schwester sich über unsere Verbindung freuen würde? Das ist doch wirklich totaler Unsinn." Daisy machte einen Schritt auf dem hellen Teppich. „Du wolltest wissen, warum ich in jener Nacht davongelaufen bin. Ich ha be dir geantwortet. Wir passen nicht zueinander. Und ich habe mich geschämt. Das ist die ganze Geschichte", wiederholte sie mit Nachdruck. Als Anwalt wäre sein erster Impuls, sie mit logischen Argumenten zu widerlegen. Er wusste allerdings nur zu gut, dass er sie dadurch in die Ecke drängen würde. Ihr Herz würde er auf diese Art niemals gewinnen. „Vielleicht können wir einen neuen Versuch wagen", sagte er stattdessen. „Du musst dich nicht mehr schämen, weil ich kein Fremder mehr bin, und ..." „Ich diskutiere nicht", unterbrach sie ihn. „Das Gespräch ist beendet." „Du wirf st mich raus?" „Tut mir Leid. Ja." Er suchte ihren Blick und hielt ihn gefangen. Sie war zierlich, aber er merkte, dass sie einen bemerkenswerten Dickkopf hatte. Darin stand sie ihm in nichts nach. „Ich verstehe", sagte er. „Daisy?" „Ja?" „Bitte hör auf, dich in dunkle Ecken zu ducken, und ertränk dich nicht wieder, nur um mir aus dem Weg zu gehen", bat er. „Ich bin schließlich kein Ungeheuer." „Ich werde es mir merken", erwiderte sie. Das Glitzern in ihren Augen verriet Chance, dass sie ihn verspottete. Er hoffte sehr, dass sich hinter ihrem Spott die gleiche Leidenschaft für ihn verbarg, die er für sie empfand. Daisy schloss die Tür hinter ihm, ging in die Küche und bereitete das Abendessen vor. Krampfhaft versuchte sie, sich zu konzentrieren. Sie wurde den Gedanken an Chance nicht los. Der Duft seines After Shaves hing noch immer in ihrem Wohnzimmer. Es war, als ob ein Teil von ihm in ihrer Wohnung geblieben wäre. Während sie mit dem Dosenöffner an einer Konserve hantierte, fiel ihr Blick auf ein Buch mit weißem Umschlag, das im Küchenschrank zwischen zwei Kochbüchern steckte. Sie war erleichtert. Endlich hatte sie es wieder gefunden! Fast hatte sie befürchtet, dass eine tief sitzende emotionale Blockade sie dazu ge bracht hatte, ausgerechnet das Buch zu verlieren, das ihre Freundinnen ihr geschenkt hatten. 2001 Ways to Wed war ein Ratgeber, wie man auf intelligente Weise an einen Mann kommen konnte. Das Buch funktionierte offenbar gut. Phoebe und Elise hatten es besorgt, um Daisy zu helfen. Und jetzt hatten sie sich selbst beide verliebt. Daisy schlug das Buch auf. „Okay, Jane Jasmine", sagte sie, als ob die Autorin vor ihr stehen würde, „welche Perlen der Weisheit hast du mir denn anzubieten?" ' Aufmerksam blätterte sie durch die Seiten, verwarf aber die meisten Vorschläge sofort wieder. Am Arbeitsplatz würde sie ihrem Traummann nicht begegnen. Sean O'Reilly, der Assistent in ihrer Galerie, war gerade zweiundzwanzig Jahre alt. Acht Jahre jünger als sie. Ebenso wenig konnte sie hoffen, den Traummann unter ihren Nachbarn zu treffen. Immerhin war Chance ja der Bruder ihrer direkten Nachbarin, Elise, aber der schied schon mal aus. Die Wohnung auf der anderen Seite gehörte einem Paar in mittlerem Alter mit schulpflichtigen Kindern. Plötzlich blieb ihr Blick an einer Überschrift hängen. Daisy hielt inne. „Wenn er mich kennt, wird er mich hassen - oder nicht?" Wir alle fürchten uns davor, zurückgewiesen zu werden. Und insgeheim denken viele von uns, dass sie es nicht wert sind, geliebt zu werden. Wenn wir uns diese beiden Befürchtungen vor Augen halten, dann kommen wir schnell zu dem Schluss, dass uns das
Objekt unseres Interesses auf keinen Fall so lieben kann, wie wir sind. Also geben wir vor, jemand zu sein, der wir nicht sind. Wir verstecken unser Selbst tief in unserem Innern. Das ist aber genau das Gegenteil von dem, was wir tun sollten, wenn wir die wahre Liebe finden wollen. Wir müssen offen und aufrichtig sein. Wir müssen das Risiko eingehen, unser wahres Selbst demjenigen zu offenbaren, für den wir uns interessieren. Ich will keineswegs vorschlagen, dass wir die Zuneigung unserer Liebsten auf die Probe stellen sollten, indem wir unsere dreckigen Stiefel auf den sauber geputzten Fußboden schleudern. Oder dadurch, dass wir uns in seiner Gegenwart den Ärger des Alltags aus dem Leib schreien. Das ist keine Aufrichtigkeit, das ist Rücksichtslosigkeit. Aber wenn Sie sich seine Fußballspiele im Fernsehen anschauen, während Sie Ihren Eiskunstlauf seit Monaten nicht mehr gesehen haben, dann sagen Sie ihm, was Ihnen fehlt. Suchen Sie nach einem Weg, Ihre und seine Bedürfnisse zu befriedigen. Verstecken Sie Ihre Interessen nicht, Ihre Ängste, Ihre Hoffnungen. Teilen Sie diese Dinge. Das Band zwischen Ihnen wird dadurch nur noch stärker werden. Skeptisch schob Daisy das Buch zurück an seinen Platz. Die Ratschläge der Autorin machten in gewisser Hinsicht sogar Sinn, aber wie sollte sie einem so wundervollen Mann wie Chance Foster beibringen, dass sie fest daran glaubte, dass er ihr früher oder später das Herz brechen würde? Und jetzt, nachdem sie ihn wieder gesehen hatte, war sie davon überzeugter als jemals zuvor. „Was war denn los?" fragte Elise, als sie Chance kurz darauf ihre Wohnungstür öffnete. Seine Schwester trug jetzt Shorts und ein ärmelloses T-Shirt mit Knöpfen. Ihre halblangen braunen Haare hatte sie zurückgekämmt. Für eine Professorin am College sah sie viel zu jung aus. Manchmal konnte er kaum glauben, dass sie mit ihren dreiunddreißig Jahren schon promoviert war. „Was soll schon los gewesen sein?" fragte er zurück. Als Anwalt war er es gewohnt, seine Gefühle nicht zu erkennen zu ge ben, dabei dachte er angestrengt nach. „Ich hatte den Eindruck, dass du Daisy schon mal begegnet bist." Sie drehte ihm den Rücken zu und ging in die Küche zu ihren Zwiebeln, Pilzen, Eiern und dem Käse. Offensichtlich machte sie sich gerade ein Omelett. „Du wirst meine Neugierde schon befriedigen müssen, wenn du möchtest, dass ich dir ein Abendessen zaubere." „Darauf habe ich nicht spekuliert", sagte er, obwohl ihm beim Anblick der Essensvorbereitungen das Wasser im Mund zusammenlief. „Übrigens, ich bin vorbeigekommen, weil ich mit dir über deine Hochzeitspläne sprechen möchte. Als Anwalt..." „Wenn du nur mit einem einzigen Wort erwähnst, dass James und ich eine voreheliche Partnerberatung aufsuchen sollen, dann drehe ich dir den Hals um!" explodierte Elise. Sie knallte die Zwiebeln auf das Schneidebrett und goss schwungvoll Olivenöl in die Pfanne. „Wir brauchen keine psychologische Beratung, weil wir uns lieben und uns über alle Dinge einig sind." „Und wie wollt ihr die finanziellen Dinge handhaben?" wollte Chance wissen. „Mit welchen Verwandten verbringt ihr die Weihnachtsfeiertage? Wie viele Kinder wollt ihr bekommen? Und wenn man dir irgendwann den Job deines Lebens an einer aus ländischen Universität anbietet?" „Wir besprechen die Probleme, wenn sie da sind." Der gedankenverlorene Ausdruck in ihrem Gesicht bewies Chance, dass er mit seinen Fragen den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Elise seufzte. „Wann wirst du die Arbeit denn endlich einmal ruhen lassen?" fragte sie schließlich. „Wann werde ich je aufhören, mich um dich zu sorgen? Nie", gab er zurück. Elise schwieg und konzentrierte sich darauf, das Omelett in die Pfanne zu gießen. Sie ließ
es auf einer Seite durchbacken und wendete es dann geschickt um. Ein paar Minuten später saßen sie beide am Tisch und genossen das Abendessen. „Erzähl mir von dir und Daisy", verlangte Elise. Er musste die Wahrheit sagen. „Ich habe sie auf deiner Verlobungsparty kennen gelernt." Daisy hielt inne und legte die Gabel zur Seite. „Daisy ist Deirdre? Das ist doch nicht möglich!" Innerlich war er heilfroh, dass er seiner Schwester nichts von seiner leidenschaftlichen Liebesnacht mit ihrer Freundin berichtet hatte. Er hatte lediglich erzählt, dass er eine bezaubernde Frau kennen gelernt hätte und jetzt wissen wollte, ob vielleicht jemand ihre Telefonnummer kannte. „Aber es kommt noch schlimmer. Ich habe ihr gesagt, dass ich Charles heiße. Also wusste sie auch nicht, wer ich bin." „Und ihr mögt euch? Perfekt!" Elise juchzte vor Begeisterung. „Seit Monaten suchen Phoebe und ich nach einem Mann für Daisy!" „Du hast mir davon erzählt", sagte Chance. „Ich verstehe allerdings nicht, warum. Eine attraktive Frau wie sie. Die Männer müssten in Scharen hinter ihr her sein." „Sie ist wählerisch", wandte Elise ein. „Wir wollten den richtigen Mann für sie finden. Den Mann fürs Leben." Chance zögerte. Es gab noch etwas, was er von Elise wissen wollte. Vielleicht würde das ein Licht auf das merkwürdige Be nehmen von Daisy werfen. Aber seine Frage betraf eine persönliche Angelegenheit. „Phoebe erwähnte etwas von ,Frauenkram' oder so. Ich verstehe nichts von diesen Dingen." Elise legte die Gabel auf den Tisch. „Ich weiß nicht, ob ich es dir erzählen darf." „Dann lass es." Elise starrte aus dem Fenster und dachte nach. „Daisy hätte sicher nichts dagegen, wenn ich dich über ihren Zustand aufkläre. Schließlich habe ich gehört, wie sie sich mit anderen darüber unterhalten hat. Leute, die ihr nicht besonders nahe standen." Elise machte eine kleine Pause. „Sie hat eine Endometriose. Daisy erklärte, dass dann die Gebärmutterschleimhaut entzündet ist. Es kann ihre Empfängnisfähigkeit beeinträchtigen. Wenn sie also ein Kind haben möchte, dann sollte sie es bald bekommen." Bei dem Gedanken, dass Daisys in Lebensgefahr sein könnte, schoss eine eisige Woge von Angst durch seinen Körper. „Es ist wie Krebs, nicht wahr?" „Nein, nein!" Elise wehrte ab und ergriff beruhigend seine Hand. „Es ist, als ob ein Stück von deinem Herzen im Ellbogen landet." „Wie bitte?" „Es schlägt weiter. Ganz normal. Du hast nur den dummen Ellbogen, der pulsiert wie ein Herz. Genauso ist es auch mit der Schleimhaut. Sie arbeitet normal, nur an einer anderen Stelle. Und manchmal verursacht das höllische Schmerzen. Besonders einmal im Monat." „Ich verstehe", sagte Chance. Elise schaute ihn argwöhnisch an. „Hab ich dir jetzt meine Freundin verleidet?" „Wegen ihres Gesundheitszustandes?" fragte er. „Nein." „Ich habe Daisy schon mit vielen Männern zusammen gesehen", meinte Elise nachdenklich. „Aber in deiner Gegenwart benimmt sie sich anders. Nicht, dass sie irgendetwas Außerge wöhnliches sagt oder tut. Es ist nur, also ob ... als ob sie die ganze Zeit über auf dich achtet." In der Hoffnung auf weitere Details schwieg er und wartete. Vielleicht hatte Daisy sich nach der Verlobungsparty über ihn geäußert? Vielleicht hatte Elise doch einen besonderen Blick bemerkt? „Machst du den Abwasch?" fragte seine Schwester. Seine Neugier nach weiteren Details über die zauberhafte Daisy schien sie nicht zu bemerken.
3. KAPITEL
Den ganzen Freitagmorgen über hatte Daisy schreckliche Bauchschmerzen. Zuerst vermutete sie, dass sie sich eine Magenverstimmung geholt hätte. Aber um die Mittagszeit bekam sie plötzlich großen Hunger. „Geht es Ihnen besser?" fragte Sean, als er eine Collage aus dem Ausstellungsraum HI in das Lager brachte. Sie mussten die Stücke abhängen, um für die neue Ausstellung Platz zu schaffen. „Ja, es geht besser. Außerdem sterbe ich vor Hunger", gab sie zu. „Ist dies das letzte Stück?" „Es ist alles fertig", bestätigte Sean. Daisy betrachtete die nackten Wände im Ausstellungsraum und stellte sich in Gedanken die neue Ausstellung vor. Es war die erste große Ausstellung der Künstlerin in den USA. Die Einladungen zur Vernissage mit Wein und Käse am Samstagabend waren in der vergangenen Woche verschickt worden. Shakira Benjamin war eine talentierte afroamerikanische Malerin und Professorin, die ihr Atelier sowie eine Malschule in Deutschland hatte. Vor ungefähr einem Jahr hatte sie sich in Mesa, ganz in der Nähe von Phoenix, niedergelassen. Daisy war überglücklich, dass es ihr gelungen war, sie für eine Ausstellung zu gewinnen. Die Künstlerin malte mit Acrylfarben. Die ausgesprochen realistischen Figuren auf ihren Bildern platzierte sie auf einem impressionistischen Hintergrund, der durch die sepiafarbenen, fast schwarz-weißen Farbtöne an alte Fotografien erinnerte. Der Ge samteindruck wurde durch die ausgleichenden Farben der Wand angenehm gemildert. Am besten gefiel Daisy das Bild von zwei indianischen Kindern, eines in traditioneller Lederkleidung, das andere in moderner Kleidung. Sie spielten miteinander. Der verschwommene Hintergrund konnte entweder als mehrstöckiges Gebäude der alten Pueblokultur oder als Skyline einer modernen City gedeutet werden. „Okay, wo soll ich diese Bilder aufhängen?" Sean hob ein gelbes Dreieck aus Sackleinen vom Boden auf. „Ich zeige es dir." Daisy schleppte eine Trittleiter heran und stellte sie an die Wand. Als sie hinaufstieg, hatte sie einen kurzen, aber heftigen Schwindelanfall. Sie hielt inne. „Mann. Ich bin hungriger, als ich dachte." „Soll ich uns schnell ein Sandwich holen?" „Warte eine Minute." Sie stieg wieder runter und gab Sean die Skizze, auf der die Aufhängung der Objekte exakt eingezeichnet war. Sie erläuterte ihm, wie die Dreiecke platziert werden mussten, damit sie die Gemälde ergänzten. „Meinst du, dass du das alleine hinkriegst?" „Sicher." Daisy schätzte seine zupackende Art. Es machte ihr Spaß, mit ihm zu arbeiten, und auf seinen Kunstverstand konnte sie sich jederzeit verlassen. Die Glöckchen klingelten, als die Eingangstür geöffnet wurde. Daisy klopfte sich flüchtig den Staub von ihrer bunten Bluse und ging na ch vorn, um den Besucher zu begrüßen. Chance Foster stand vor ihr. Seine Augen leuchteten, als sie näher kam. Es dauerte einen Moment, bis sie bemerkte, dass er eine Pizzaschachtel und Getränke unter dem Arm trug. „Ich hoffe, du hast noch nicht gegessen", sagte er. Bevor Daisy antworten konnte, tauchte Sean auf. „Toll", meinte er erstaunt, „hast du Pizza bestellt?" Dann fiel ihm auf, dass Chance einen maßgeschneiderten Anzug trug. „Muss ein tolles Restaurant sein, das seine Fahrer in so edlen Klamotten losschickt." „Wir tun alles für unsere Gäste." Chance stellte Pizza und Getränke auf einen niedrigen Tisch, auf dem Informationsblätter lagen. „Darf ich mich vorstellen, Chance Foster. Ich bin ein Freund von Daisy." Sean stellte sich ebenfalls vor. „Es ist eine mexikanische Pizza." Chance schob die Infoblätter zur Seite, während Sean die Klappstühle aus dem Lagerraum holte. Normalerweise aß Daisy im hinteren Bereich der Galerie, aber für drei Personen war es dort entschieden zu eng.
Beim Anblick der scharfen Sauce und der Chilischoten auf der Pizza krampfte sich ihr Magen einen Moment lang wieder heftig zusammen. Aber sie war ausgesprochen hungrig und langte herzhaft zu. Glücklicherweise machte der scharfe Belag ihrem Magen nichts aus. „Ich arbeite nur einen Häuserblock entfernt", erklärte Chance und schaute Sean an. „Ich bin Anwalt für Familienrecht." Sean sah ihn verwundert an. „Aha." „Ich interessiere mich beruflich für Daisy." Chance isst seine Pizza, ohne sich Käse auf das Kinn zu schmieren, bemerkte Daisy im Stillen. „Braucht sie einen Anwalt?" fragte Sean besorgt. „Nein. Ich spreche- nicht von meinem Beruf, sondern von ihrem." Chance langte über den Tisch und griff nach einer Saftflasche. „Ich möchte mein Haus mit Kunstwerken ausstatten, und da brauc he ich ihren Rat." Ein älteres Paar betrat die Galerie. „Kann ich Ihnen helfen?" fragte Daisy freundlich. Das Paar nickte. Sean stand auf und zeigte ihnen den Schmuck in der Verkaufsausstellung. Hoffentlich lädt er mich nicht zu sich nach Hause ein, bat Daisy inständig. Und hoffentlich versucht er nicht, mich wieder ins Bett zu kriegen ... Sie holte tief Luft. „Was ich bis jetzt von deinem Haus gesehen habe..." „Du solltest einen zweiten Blick darauf werfen. Bei Tageslicht." Befremdet stellte Daisy fest, dass er gar nicht die Absicht hatte, sie auch nur nach ihrem Einverständnis zu fragen. Er hatte entschieden und ging davon aus, dass sie seinen Auftrag widerspruchslos annehmen würde. „Ich möchte, dass die ganze Einrichtung vollkommen neu durchdacht wird. Natürlich werde ich ein paar neue Möbel kaufen müssen, vielleicht auch die Wände neu streichen. Ich weiß, dass du keine Innenarchitektin bist. Aber Bilder und Skulpturen sollen der Blickfang sein." Daisy wollte ablehnen. Sie mochte es nicht, dass man sie vor vollendete Tatsachen stellte, und auf keinen Fall wollte sie wie der einen Fuß in Chance Fosters Haus setzen. Wer weiß, ob sie seinem Bett widerstehen konnte. Ganz allein in seinem Haus ... „Ich arbeite mit Dutzenden von Künstlern zusammen. Wir werden sicher das Richtige für dich finden", versprach sie und gab sich größte Mühe, unbeteiligt zu klingen. Das ältere Paar hatte seinen Einkauf beendet und verließ die Galerie wieder. Sean kam zu ihnen zurück. „Habe ich was verpasst?" fragte er neugierig. „Miss Redford wird sich heute Nachmittag mein Haus ansehen und mir ihre Ratschläge geben." Chance wischte sich die Hände an der Serviette ab und stand auf. „Freitags komme ich früher von der Arbeit nach Hause. Ich hole dich gegen drei Uhr ab, okay?" Chance nickte Daisy und Sean freundlich zu und war verschwunden, ehe sie protestieren konnte. „Netter Kerl. Hey, mach dir keine Sorgen", sagte Sean zu Daisy und biss in seine Pizza. „Mit deiner Skizze kann ich die Aus stellung allein vorbereiten. Freitags ist hier ohnehin nicht viel los." „Lass uns sehen, was wir bis drei Uhr noch schaffen können", erwiderte Daisy, nachdem sie ihre Sprache wieder gefunden hatte. Sie wusste genau, dass Chance sie vollkommen überrumpelt hatte. Nun, sie würde es durchaus mit Chance Foster aufnehmen können. Das würde sie ihm schon noch beweisen. Es war Viertel vor drei. Er musste jetzt losfahren, wenn er Daisy pünktlich abholen wollte. Im Vorzimmer schloss Nell Beecham, seine Sekretärin, gerade die Terminplanung für die kommende Woche ab. Die Sekretärin wandte sich um und schaute ihn streng an. „Sie gehen heute fünfzehn Minuten früher, Mr. Foster?" fragte sie. Neil war siebenundsechzig Jahre alt und konnte auf ein knappes halbes Jahrhundert Berufserfahrung zurückblicken. Und sie hatte eine genaue Vorstellung davon, wie Leute sich zu benehmen hatten. Das galt auch für ihren Boss. „Ich bin um drei Uhr verabredet", erklärte er.
Ihr Stirnrunzeln verschwand. Ein verhaltenes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. „Gut. Dann kommen Sie noch pünktlich." Doch Chance sollte nicht glauben, dass die Befragung damit schon vorüber war. „Ich kann mich gar nicht erinnern, dass ich eine Verabredung für Sie eingetragen habe?" „Ich treffe mich mit der Besitzerin der Galerie, die etwas weiter die Straße hinunter liegt", antwortete er. „Sie wird mich bei der Einrichtung meines Hauses beraten." „Einige ihrer Ausstellungsobjekte sind ein bisschen seltsam", kommentierte Neil. „Ich persönlich bin ja kein Fan von moderner Kunst. Aber die Galerie genießt einen ganz ausgezeichneten Ruf." „Die letzte Entscheidung bleibt natürlich mir selbst vorbehalten", versicherte er und wandte sich zum Gehen. „Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende." „Vergessen Sie nicht, dass Sie Montagmorgen einen Termin im Gericht haben", mahnte Neil. „Bestimmt nicht", versicherte er ihr. Er musste seine Sekretärin nicht daran erinnern, das Büro sorgfältig abzuschließen und die wichtigen Papiere sicher zu verwahren. Neil Beecham war so zuverlässig wie ein Bankdirektor. Es herrschte dichter Verkehr, als Chance mit seinem Sportwagen auf die Straße einbog. Aber das störte ihn nicht. Er liebte die Arbeit in einer pulsierenden Stadt, wenn er nur schnell nach draußen in die Vororte gelangen konnte. Trotzdem blieben seine beruflichen Möglichkeiten in Phoenix beträchtlich hinter Karrierechancen zurück, die andere Großstädte zu bieten hätten. Phoenix war aufregend, aber es hatte bei weitem nicht die Bedeutung wie New York oder die Hauptstadt Washington. Manchmal verspürte Chance ein leises Bedauern, dass er nicht entschlossen in die Fußstapfen seiner Exverlobten Gulian getreten war. Als er zuletzt von ihr gehört hatte, war sie gerade Juniorpartnerin in einer Kanzlei in Washington D.C. geworden und vertrat einen Mandanten in einem Prozess gegen die Regierung. Der Gedanke, dass er seine Begabung eines Tages in einem solchen Fall erproben könnte, war äußerst spannend. Er parkte vor der Galerie und überlegte, ob er hineingehen oder noch einen Spaziergang die Straße hinunter machen sollte, als er sah, dass Daisy sich bereits von ihrem jungen Assistenten verabschiedete. Sie trat aus der Galerie und setzte sich neben ihn auf den Beifahrersitz. „War viel los heute Nachmittag?" fragte er. „Wir haben eine ganze Reihe Bilder für die neue Ausstellung an die Wand gebracht", antwortete Daisy. „Morgen Abend ist Vernissage." Er erinnerte sich an das Plakat, das in der Galerie aushing. „Shakira Benjamin, nicht wahr?" „Genau. Einige ihrer Arbeiten würden dir gefallen", vermutete Daisy. „Du bist herzlich eingeladen. Es gibt Wein und Käse, und unsere Gäste sind sehr interessante Persönlichkeiten." Sie klang durch und durch geschäftsmäßig. Chance respektierte professionell arbeitende Frauen. Dennoch wünschte er sich, dass ihre Einladung ein klein wenig persönlich klingen würde. Zwanzig Minuten später erreichten sie den Vorort, in dem er lebte. Er besaß ein recht eigenwillig geschnittenes Haus auf einem großen Gartengrundstück, das von einer niedrigen Mauer umgeben war. Er hatte das Haus vor über einem Jahr gekauft und damals weitere Interessenten ausstechen müssen. Sie fuhren durch das Tor und folgten der geschwungenen Auffahrt. Der Wegrand wurde von kleinen Granitblöcken und buschigen Wüstenpflanzen gesäumt. „Bei Tageslicht sieht es wirklich ganz anders aus", gab Daisy ihm Recht. „Ich hatte gar nicht bemerkt, wie gut die Farben auf die Wüste abgestimmt sind." Sie spazierten an der Vorderfront des Hauses entlang und begutachteten die Pflanzen.
Chance hatte Schafgarbe und violette Stiefmütterchen setzen lassen. Der Kies knirschte unter ihren Sohlen. Er muss als Erstes den scheußlichen Belag beseitigen und zersplitterten Granit streuen lassen, dachte Daisy. „Du könntest gut etwas Höhe hineinbringen", sagte sie dann laut. „Ich kenne ein paar Bildhauer, deren Arbeiten ausgezeichnet hierher passen würden. Vielleicht gefallen dir auch ein paar Exponate unserer neuen Ausstellung." „Ich werde sie mir morgen bei der Eröffnung ansehen", meinte Chance. Er schloss die große Eingangstür auf und trat in den gefliesten Flur, an den sich ein offener Wohnbereich anschloss. Durch die Lamellen der Jalousien war die Mauer zu erkennen, die den rückwärtigen Garten begrenzte. „Dein Garten ist wie geschaffen, um dort Skulpturen aufzustellen", sagte Daisy beeindruckt. „Ein richtiger Ausstellungsgarten. Ich nehme an, dass du auch schon daran gedacht hattest?" „Absolut." Sie begriff genau, welche Effekte er mit der neuen Einrichtung setzen wollte, und verstand es, ihm ihre Ideen näher zu bringen, obwohl Chance die Fachbegriffe aus der Welt der Farben, Formen und Materialien nicht geläufig waren. Sie überlegte, wo er am besten den kleinen Beistelltisch platzieren sollte, damit er ne ben dem bequemen Ledersessel und den anderen Möbeln noch zur Geltung kam. „Wenn du individuelle Möbel fe rtigen lassen möchtest, ich kenne Tischler, die sie für dich arbeiten können", schlug sie vor. „Ich bin wirklich begeistert", gestand er richtig erstaunt. „Hattest du schon immer ein solches Gespür für Kunst, oder hast du studiert?" „Beides", erwiderte sie, Sie hatten ihren Rundgang beendet. Daisy legte ihr Portfolio auf den Tisch im Wohnzimmer, das gleich neben der Küche lag. „Ich habe Design und Töpferei an einer öffentlichen Kunstschule studiert. Aber ich bin in Gesellschaft von Künstlern aufgewachsen. Meine Mutter ist Designerin und fertigt Kleidung an. Sie färbt ihre Stoffe selbst." „Lass uns deine Mappe angucken", schlug er vor und bot Daisy einen Stuhl an. Dann vertieften sie sich in die Arbeit. Als Chance wieder auf die Uhr schaute, war es fast sechs. „Ich werde zu den Leuten Kontakt aufnehmen", erklärte Chance abschließend. Sie hatten sich für ein halbes Dutzend Künstler entschieden, deren Entwürfe Chance zusagten. „Lass es mich wissen, was du bei ihnen in Auftrag gibst. Künstler sind manchmal schlecht organisiert und bringen die Aufträge leicht durcheinander", wandte Daisy ein. „Und ich werde auch die Preisverhandlungen übernehmen." „Natürlich. Gerne." Es war Zeit, sie nach Hause zu fahren, aber er hatte überhaupt keine Lust dazu. „Wie wäre es mit einem gemeinsamen Abendessen? Ich habe Lachssteaks im Kühlschrank, die wir grillen könnten. Und ich mache einen Salat dazu. Hat Elise dir von meinen berühmten Salaten erzählt?" Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin sehr müde. Und du musst mich nicht zum Essen einladen, schon gar nicht zwei Mal am Tag." „Aber ich möchte etwas essen", widersprach er. „Und ich bin dabei lieber in Gesellschaft." Offenbar hatte er den richtigen Ton getroffen. Daisy lächelte, anstatt sich zurückzuziehen. „Also gut, was kann ich he lfen?" „Kannst du die Bohnen in die Mikrowelle schieben?" fragte Chance. Daisy wackelte mit beiden Zeigefingern. „Ich trainieremeine Finger täglich an der Mikrowelle", scherzte sie. Chance nahm ihre Hand und gab vor, die Muskulatur ihrer Finger zu untersuc hen. Sie fühlten sich warm und trocken und schmal in seiner großen Hand an. „Du bist in Bestform, wie ich sehe." „Apropos Bestform ..." Ihr Blick blieb an seinem weißen Hemd hängen, das sich über
seiner Brust spannte. „Ich habe keinen Hometrainer entdecken können, aber es sieht so aus, als würdest du täglich trainieren." „Ich jogge jeden Morgen mit Gewichten", gestand er. „Dafür braucht man keine besondere Ausrüstung." Sie wandte sich ab. Die leichte Rötung auf ihren Wangen bewies, dass sie ihn angestarrt hatte. Chance wurde plötzlich sehr warm. Ihm wurde bewusst, wie künstlich die Distanz zwischen ihnen wirkte. Hatten sie vor zwei Monaten nicht miteinander geschlafen? „Lass uns endlich kochen", schlug er etwas zu hastig vor. „Ich sterbe vor Hunger." „Ich auch", erwiderte sie. Das Lachsteak war ausgezeichnet. Daisy machte beim Essen nicht mehr den Eindruck, als würde sie ihn krampfhaft auf Dis tanz halten. Sie unterhielten sich angeregt, und ihr Gesichtsaus druck wirkte so entspannt wie in jener Nacht der Le idenschaft, die sie miteinander verbracht hatten. „Ich bin beeindruckt, wie weit du es beruflich gebracht hast. Zum Beispiel, dass du dir dieses Haus kaufen konntest", sagte Daisy. „Elise erzählte, dass du dich durch das Jurastudium gequält und außerdem noch die Ausbildung deiner Schwestern finanziell unterstützt hast. Das war bestimmt nicht leicht." Ja, da hatte sie Recht. „Die langen Arbeitstage haben mir allerdings wenig ausgemacht", antwortete Chance. „Und wie du siehst, geht es mir gut. Es gibt nur eine Sache, die ich bedauere." „Und das wäre?" Er hatte noch nie mit jemandem darüber gesprochen. „Ich wollte mein Examen mit Topnoten abschließen und an der Revision von Gesetzen mitwirken", gestand er. „Aber weil ich für meine Schwestern sorgen musste, hat es nicht ganz so geklappt. Das hat mich eine Weile beschäftigt." „Und wenn du es geschafft hättest, wie würde dein Leben denn jetzt aussehen?" Ihre Stimme klang sachlich und kein bisschen mitleidig. „Ich wäre vielleicht in Washington oder in New York und würde Fälle betreuen, die die Zukunft eines Unternehmens oder sogar eines ganzen Industriezweiges betreffen", sagte er nachdenk lich. „Gillian, meine frühere Verlobte, arbeitet in diesem Be reich." Daisy spießte ein weiteres Stück Lachs auf die Gabel, bevor sie wieder das Wort ergriff. „Ist es wirklich das, was du gern tun möchtest?" „Manchmal wünschte ich, dass ich mich noch einmal neu entscheiden könnte", seufzte er. Aber im Moment empfand er es einfach als Vergnügen, Daisy gegenüberzusitzen und das Spiel der Emotionen auf ihren Gesichtszügen zu beobachten. Im Moment wollte er an keinem anderen Ort der Welt sein. „Bleib sitzen, und entspann dich." Er erhob sich von seinem Stuhl. „Ich mache den Abwasch." „Nein, ich helfe dir." Abrupt sprang sie auf. „Sonst verdonnerst du mich vielleicht das nächste Mal zum Abwaschen. Und dann gibt es womöglich wirklich etwas zu tun." Daisy nahm die Teller in die Hand und ging in die Küche. Hoffentlich geht sie nicht sofort nach dem Abwasch, wünschte er insgeheim. Ihr zweiter gemeinsamer Abend würde sicher nicht so explosiv verlaufen wie der erste. Ihr Feuer brannte langsam. Sie hatten sich noch viel zu erzählen. Während Daisy die Gläser abwusch, stellte Chance die Reste ihres Abendessens in den Kühlschrank. Daisy spürte die Wärme seines Körpers, obwohl sie sich nicht berührten. Es kostete sie viel Kraft, sich auf den Abwasch zu konzentrieren. „Hat dir der Salat geschmeckt?" Seine Stimme erklang dicht neben ihrem Ohr. „Ich mache ihn jedes Mal anders." „Die frischen Kräuter waren umwerfend", lobte sie. „Hast du sie selbst gezogen?" Und dann machte sie einen Fehler - sie drehte sich um. Er stand nur wenige Zentimeter
von ihr entfernt. Sie konnte nicht zurücktreten, weil sie sich mit dem Rücken bereits gegen das Waschbecken lehnte. „Ich ziehe die Kräuter auf der Terrasse." Seine Stimme verzauberte sie. Sein Blick ließ ihre Knie erzittern. „In Blumentöpfen. Dann kann ich sie in den Schatten stellen, wenn es zu heiß wird. Oder nach drinnen, sollte es frieren." Wenn Chance mich jetzt berührt, explodiere ich, dachte Daisy irritiert. Er legte seine Hände leicht auf ihre Arme. „Du hast eine sehr intensive Ausstrahlung. Ich spüre immer, was du empfindest." „Wir sollten nicht..." Er stand so dicht bei ihr, dass sie ihn fast schmecken konnte. Und sie wollte ihn schmecken. Sie brannte vor Verlangen nach ihm. Mit seinen Lippen berührte er zaghaft ihren Mund. Leicht und langsam. Seine Nase berührte ihre Wange. Tief atmete er ihren Duft ein. Daisy kämpfte um ihre Beherrschung. Mit den Fingern fuhr sie durch sein dichtes Haar. Sie schmiegte ihren Kopf gegen seinen Hals und nahm den Duft seines Rasierwassers wahr. Dann schlang sie ihre Arme um seinen Nacken und lehnte ihr Gesichts gegen seins. Seine Zunge traf ihre Zunge. Voller Verlangen pressten sie ihre Körper aneinander. Er konnte spüren, wie Daisys Brustknospen sich aufrichteten. Mit einer Hand umfasste er ihr Hinterteil und drückte sie an sich, so dass sie seine Erregung spüren konnte. Tiefe Leidenschaft erwachte in ihrem Innern. Sie konnte es kaum erwarten, ihn auszuziehen, seine nackte Haut an ihrer zu spüren und ... ihn in sich aufzunehmen, wie sie es schon einmal getan hatte. „Ich hätte nicht gedacht, dass du es so lange aushältst!", spottete er zärtlich. Der Klang seiner Stimme ließ sie erzittern. „Es dauert schon so lange, Deirdre." Ich hätte nicht gedacht, dass du es so lange aushältst... Seine Worte verhallten in ihren Gedanken. Was war sie für ihn, eine sportliche Herausforderung? Das heiße Verlangen nach ihm erstarb, obwohl es ihr zuerst schwer fiel, sich aus seiner Umarmung zu befreien. Schließlich schlüpfte sie unter seinen Armen hindurch. „Habe ich etwas falsch gemacht?" Ein letzter Strahl der untergehenden Sonne tauchte sein hellbraunes Haar in ein sanftes Gelb. „Weißt du was?" stammelte Daisy und rang nach Fassung. „Dieses Mal rufe ich kein Taxi und stehle mich heimlich davon. Dieses Mal darfst du mich zur Galerie fahren." Die Enttäuschung stand ihm deutlich im Gesicht geschrieben. Daisy ballte die Hände zu Fäusten und presste die Lippen fest aufeinander. Chance atmete schwer, machte aber keine Anstalten, auf sie zuzugehen. „Nimmst du die Einladung für morgen Abend zurück?" fragte er schließlich. „Nein." Die Einladung hatte sie schon ganz vergessen. Chance griff nach seiner Jacke, die über dem Stuhl hing. „Na schön, wenn du wirklich gehen willst", sagte er schulterzuckend. „Ja." Eilig verließ Daisy das Haus. Ihre Gefühle wirbelten wild durcheinander, so wild, dass sie sich nur mit Mühe beherrschen konnte. Eines ist sicher, dachte Chance, diese Frau ist zutiefst verletzt. Aber das ist nicht meine Schuld.
4. KAPITEL
Auf der Fahrt zurück zur Galerie hielt Daisy das Fenster weit geöffnet. Obwohl sich die Luft draußen rasch abkühlte, war ihr innerlich noch immer sehr heiß. Sie erwartete, dass Chance ihr ab sofort nur noch die kalte Schulter zeigen würde. So hatte Tony, ihr erster Freund, sich nach ihrem heftigen Streit benommen. Tony hatte genau verstanden, dass sie ihm haushoch überle gen war, nachdem sie erst mal den Mut gefunden hatte, ihm seine ungehobelten Manieren und seine Unzuverlässigkeit vorzuwerfen. Schließlich hatten sie sich gegenseitig heftige Schimpfwörter an den Kopf geworfen. Sie hatte zwar noch versucht, ihre Beziehung wieder ins Reine zu bringen, aber er war dickköpfig und uneinsichtig geblieben. „Ich wünschte, du würdest mir erklären, warum du deine Meinung so abrupt geändert hast", sagte Chance, als sie durch den Vorort fuhren. „Wenn ich dich beleidigt habe, dann entschuldige bitte vielmals. Es geschah nicht absichtlich." „Du hast mich nicht beleidigt." Daisy wollte keine Diskus sion. „Mein eigenes Benehmen war nicht ganz korrekt." „Ich verstehe, dass du dich mit Kunden nicht allzu nah einlassen willst", fuhr er fort. „Aber ich hatte gehofft, dass du in meinem Fall eine Ausnahme machen würdest." „Das ist nicht der Punkt." Daisy hoffte, dass er nicht weiter in sie dringen würde. Sie fühlte sich von ihm hinters Licht geführt, und das war ihr peinlich. Außerdem würde er abstreiten, dass er sie nur als eine Eroberung betrachtete. Sie erreichten die Galerie. „Wo steht dein Wagen?" fragte er. „Hinten." Er bog in die Seitenstraße ein und hielt schließlich an. Auf einem reservierten Parkplatz stand Daisys alter Lieferwagen. „Soll ich dich vielleicht nach Hause begleiten?" bot Chance an. Er legte seinen Arm über die Lehne des Beifahrersitzes. Beina he berührte er sie. „Schließlich habe ich sieben Schwestern. Ein Gentleman achtet darauf, dass seine Begleitung sicher nach Hause kommt." „Hier handelt es sich um eine geschäftliche Beziehung", widersprach Daisy. „Und ums Vergnügen." Das Lächeln um seine Mundwinkel verschwand augenblicklich wieder, als er ihren Blick bemerkte. „Für mich jedenfalls." Sie öffnete die Tür. „Danke, ich komme zurecht." „Ich warte, bis du losfährst." Als Geschäftsfrau arbeitete Daisy oft bis spät in die Nacht und fuhr dann alleine nach Hause. Trotz der spärlichen Be leuchtung lag die Straße im Dunkeln. Seine stillschweigende Begleitung vermittelte ihr Sicherheit. Und sie genoss das mehr, als sie zugeben mochte. Der Lieferwagen sprang sofort an. Chance folgte ihr, bis sie auf die Hauptstraße einbog. Dann zog der Sportwagen an ihr vorbei und verschwand in der Nacht. Daisy fuhr an Bars und Restaurants vorbei. Menschenmengen bevölkerten die Gehsteige. Lachend und schwatzend begrüßten sie das beginnende Wochenende. Sie wünschte sich sehnlichst, auch mit jemandem lachen zu können. Mit jemandem, der an ihrer Seite blieb. Aber das Alleinsein war immer noch besser, als sich einem Mann an den Hals zu werfen, der ihr das Herz brechen würde. Und vor allem wünschte sie sich einen Mann, mit dem sie eine Familie gründen konnte. Warum musste sie ausgerechnet einem so unerreichbaren Mann wie Chance Foster verfallen? „Nein, ich bin ihm nicht verfallen", sagte Daisy mit strenger Stimme zu sich selbst. Die glühende Hitze in ihrem Innern rühr te von den Hormonen her, nicht von der unterdrückten Leidenschaft für Chance. Und ihr Magen schmerzte. Bestimmt, weil sie sich Sorgen machte, ob Shakiras Ausstellung rechtzeitig zur Vernissage fertig werden würde. Aber vielleicht kamen die Magenschmerzen auch vom Wechsel in der Hormonverschreibung.
Daisy hoffte, dass sie nicht ausgerechnet am nächsten Tag zur Vernissage ihre Periode bekäme. Endometriose verursachte eine äußerst schmerzhafte Regelblutung, und Daisy war froh, dass sie im letzten Monat ausgeblieben war. Wie vom Blitz getroffen wurde ihr plötzlich klar, wie ihre Beschwerden sich anhörten: Eine ausgebliebene Periode. Magenschmerzen. Erhöhte Temperatur! Nein, es konnte nicht sein. Sicher, als Chance und sie sich vor zwei Monaten von ihrer Lust hatten davontragen lassen, hatten sie beide keinen Gedanken an Verhütung verschwendet. Aber ihre Hormonpillen sollten doch zugleich eine Schwangerschaft verhindern. Es war ausgeschlossen, dass sie durch einen dummen Zufall schwanger wurde. Außer ... Sie hatte seinerzeit ein paar Wochen nutzer Pille ausgesetzt, weil sie erst auf das neue Rezept warten musste, das sie per Post erhalten sollte. Konnte das sein? So sehr sie sich ein Kind wünschte, es war undenkbar, dass sie schwanger war. Nicht jetzt. Nicht von Chance. Am Ende der Straße entdeckte Daisy eine Apotheke. Wenn sie sich nicht sofort Klarheit verschaffte, würde sie die ganze Nacht über kein Auge zutun. Sie parkte ihren Wagen vor der Apotheke und ging hinein. Rosa. Passt gar nicht zu meinem kastanienroten Haar, dachte Daisy verzweifelt. Sie stand in ihrem Bad und starrte auf das kleine Stäbchen im Rohr. Rosa ist nicht meine Farbe. Ganz si cher ist das ein Irrtum. Vielleicht hatte sie die Anweisungen auf dem Beipackzettel falsch verstanden, und der Test war doch nicht positiv. Sie griff nach der Schachtel und las erneut. Eine violette Färbung zeigt an, dass Hormone vorhanden sind, die auf eine Schwangerschaft schließen lassen. Lassen Sie sich von einem Facharzt untersuchen. Dieser Schwangerschaftstest arbeitet mit einer Treffsicherheit von 98%. Verzweifelt lief sie zum Telefon und wählte die Nummer ihres Arztes. Obwohl es Freitagabend war, traf sie ihn noch in der Praxis an. Die Sprechstundenhilfe stellte ihr ein paar Fragen und verband sie dann mit Dr. Adhuri. Erstaunt hörte er sich ihr Problem an. „Morgen Vormittag bin ich für ein paar Stunden in der Praxis", sagte er schließlich. „Kommen Sie gegen neun Uhr vorbei." „Danke." Zitternd legte sie auf. Erschöpft sank sie auf ihr Sofa und schlang die Arme um ihren Bauch. Sie verspürte den Impuls, ihre Mutter anzurufen, aber dann würden sie beide die ganze Nacht über kein Auge zu tun. Was sollte sie tun, wenn sich die Schwangerschaft bestätigte? Sie hatte sich immer geschworen, niemals ein Kind ohne Vater großzuziehen. Sollte sie ihr Kind zur Adoption freige ben? Aber sie wusste nicht, ob sie das einzige Kind hergeben konnte, das sie wahrscheinlich jemals bekommen würde. Und es war von Chance. So wenig er als Ehemann in Frage kam, er war doch ein intelligenter, attraktiver Mann. Sein Kind wäre ein wahrer Schatz. Plötzlich wusste sie nicht mehr, ob sie über die Schwangerschaft weinen oder lachen sollte. „Gratuliere", sagte Dr. Adhuri mit einem Lächeln auf den Lip pen. Daisy schaute ihn verwirrt an. Sie hatte geglaubt, dass sie länger als zehn Minuten auf das Ergebnis des Urintests warten musste. „Sie meinen ..." „Sie sind schwanger", erklärte er. „Alle Tests sind positiv verlaufen." Ein Zittern - halb vor Angst, halb vor Erleichterung - lief durch ihren Körper. „Welche Probleme kann die Endometriose verursachen?" „Wahrscheinlich keine. Wir werden Ihre Schwangerschaft ge nau überwachen." Der Arzt
stellte ein Rezept aus. „Die Hormone brauchen Sie jetzt natürlich nicht mehr zu schlucken, weil Ihr Körper selbst genügend produziert. Aber Sie sollten sofort damit beginnen, Vitamine einzunehmen. Ich empfehle Ihnen zusätzlich Fischölkapseln und eine rundum gesunde Ernährung. Und natürlich viele Milchprodukte." Er gab ihr noch einige Ratschläge. Dann kam die Sprechstundenhilfe, händigte ihr einen Haufen Informationsmaterial aus und vereinbarte einen Termin für die nächste Untersu chung. Niemand fragte nach dem Vater des Kindes. Aber in der Arztpraxis wusste man schließlich, dass Daisy nicht verheiratet war. Sie war vollkommen durcheinander, als sie die Praxis verließ. Wen sollte sie anrufen? Ihre Mutter? Nein, noch nicht. Chance? Nein, nicht jetzt. Verwirrt fuhr Daisy zur Galerie, um letzte Hand an Shakiras Ausstellung zu legen, die abends um acht eröffnet werden sollte. Mittags um eins war alles fertig. „Ich muss jetzt noch mal weg", sagte Daisy zu Sean und fuhr sich nervös mit den Fingern durchs Haar. „Sehe ich sehr unmöglich aus? Ich sollte etwas Lippenstift auflegen. Nein, warte, ich gehe schließlich zur Anprobe für die Kleider der Brautjungfern. Sie könnten verschmieren." Daisy schaute auf die Uhr. Sie hatte Phoebe und Elise versprochen, sie bei einer eleganten Boutique zu treffen, wo man die neuste Brautmode vorrätig hatte. Sie musste sich beeilen. „Es ist mir gleichgültig, ob Hellgrün der letzte Schrei ist, ich ziehe es nicht an", erklärte Phoebe entschieden. Sie und Daisy hatten die Kleider anprobiert und begutachteten sich im Spiegel. „Aber es steht dir großartig!" protestierte Elise. Es stimmt, musste Daisy insgeheim zugeben. Hellgrün ließ Phoebes blonden Haarschopf leuchten und ihre blauen Augen noch lebhafter erscheinen. Der Boutiquebesitzer kam mit zwei brandaktuellen Kleidern aus dem hinteren Raum. Sie waren noch in ihrer Plastikumhüllung eingepackt. „Verzeihen Sie. Diese Stücke hier sind gerade erst eingetroffen. Ich hatte noch keine Zeit, sie auszupacken. Vielleicht wäre das was für Sie." Alle drei nickten hoffnungsvoll. Wenn diese Kleider ihnen nicht zusagten, wussten sie nicht, was sie noch unternehmen sollten. Der Mann zog die Plastikumhüllung zurück und hängte die Kleider auf einen hohen Ständer, damit sie besser begutachtet werden konnten. Sie waren aufeinander abgestimmt, ohne identisch zu sein, und hatten einen altmodischen Kragen, blumenbedrucktes Innenfutter und seidenen Spitzenbesatz. „Sie sind wunderschön." Phoebe nahm sich das dunklere Kleid und hielt es sich an den Körper. „Und es schmeichelt." Ein paar Minuten später hatten die zwei die Kleider überge streift und standen vor dem großen Spiegel im Verkaufsraum. „Es gefällt mir", sagte Elise. Daisy betrachtete sich aufmerksam und fuhr sich unwillkürlich mit den Händen über die Hüften. Wie gut, dass das Kleid weit geschnitten war. Die Hochzeit war im September. Noch drei Monate. Wenn sie bis dahin nur nicht zu dick wurde! „Ich denke, es wird dann noch passen", platzte sie laut he raus. Ihre Freundinnen unterbrachen die Diskussion über die passenden Blumen und starrten sie an. „Was soll das heißen?" fragte Elise atemlos. Daisy erstarrte. „Ich meinte nur ..." Sie unterbrach sich. Lügen machte keinen Sinn. Irgendwann musste sie ihren Freundinnen sowieso die Wahrheit sagen. „Ich bin schwanger", stieß Daisy hervor und flüchtete in die Umkleidekabine. Ihre Wangen glühten vor Scham. Hastig zog sie das Kleid aus und hängte es auf den Bügel. Sie konnte die Fragen ihre Freundinnen nicht beantworten. Nicht jetzt. Was, wenn Chance auf einem Vaterschaftstest bestand? Sie war sich natürlich sicher,
dass er der Vater war. Seit über einem Jahr hatte sie mit niemandem mehr geschlafen. Aber vielleicht glaubte er ihr nicht. Entschlossen straffte Daisy die Schultern. Sie brauchte seine Hilfe nicht. Natürlich hatte er dem Kind gegenüber finanzielle Verpflichtungen. Aber sie wollte sich lieber allein durchschla gen, als sich von einem Mann abhängig zu machen, der sie oder ihr Kind nicht wirklich liebte. Ihre Freundinnen erwarteten sie ungeduldig, als sie aus der Kabine trat. Auch Phoebe hatte sich umgezogen, in Rekordzeit, wie Daisy bemerkte. Zwei Augenpaare brannten vor Neugier. Zwei Paar Lippen zitterten und konnten es kaum erwarten, endlich die entscheidende Frage zu stellen. „Fragt bitte nicht", sagte Daisy. „Nehmen wir die Kleider? Ich bin dafür." Zwei Köpfe nickten. „Das meinst du doch nicht ernst, dass du uns nicht verraten willst, wer der Vater ist", beschwerte Phoebe sich. „Uns, deinen besten Freundinnen." „Deswegen respektiert ihr meine Privatsphäre", erwiderte Daisy. „Natürlich!" gab Elise zurück. „Wir denken nicht im Traum daran, dein Geheimnis weiterzuerzählen." „Wunderbar." Daisy ging zur Kasse. „Ihr erzählt es niemandem weiter, okay? Absolut niemandem." „Wir sollen wirklich niemandem erzählen, dass du ..." Phoebe hielt inne. „Du wirst es nicht lange verbergen können." „Ich lasse es euch wissen, wenn ich damit an die Öffentlichkeit gehe", versprach Daisy. Sie wollte zuerst den Rat ihrer Mutter einholen. Und dann sollte Chance davon erfahren. Es war fast fünf Uhr. Sie musste sich auf die Vernissage vorbereiten. Am nächsten Tag würde sie mit ihrer Mutter sprechen. Phoebe und Elise hatten versprochen, den Mund zu halten. Und wenn sie Chance die Nachricht überbrachte, wollte sie für sich selbst klarer sehen. Aber wenn Chance heute Abend zur Vernissage kam? Was würde sie für ihn empfinden, jetzt, wo sie wusste, dass er der Vater ihres Kindes war? Chance hatte das Mittagessen gerade beendet. Er entschloss sich, auf dem Weg zur Galerie kurz bei seiner Schwester vorbeizuschauen. Aber vielleicht war Elise gar nicht zu Hause? Dann kann ich vielleicht kurz mit Daisy sprechen, dachte er. Chance zog sich schnell um und fuhr dann in die Stadt. In der Eingangshalle der Wohnanlage winkte er dem Wachmann freundlich zu, hastete die Treppen hinauf und stolperte beinahe über eine herumstreunende Katze. „Passen Sie gefälligst auf!" Frannie stürzte in einem wehenden Kimono aus der Wohnung 1B und rettete ihre Katze im letzten Augenblick. „Sie hätten sie beinahe totgetrampelt!" „Sie ist mir vor die Füße gelaufen", protestierte Chance. „Ich bin sicher, dass Muffikins niemals so dumm wäre. Und Sie, waren Sie nicht ein bisschen unvorsichtig?" fragte die Frau energisch. „Ich würde niemals absichtlich eine Katze treten", verteidigte er sich. „Noch nicht mal ein so ausgesprochen hässliches Tier wie dieses." Er zwinkerte Frannie Fitzgerald zu. „Sie nennen Muffikins hässlich? Und Sie wollen sie treten! Ein klarer Fall von versuchtem Katzenmord. Hier auf dem Flur. Was sagen Sie jetzt?" „Vergessen Sie nicht, dass ich Anwalt bin", scherzte Chance und zwinkerte ihr versöhnlich zu. Aus der Wohnung seiner Schwester drang der Duft von Spaghettisoße. Schade, dass ich schon gegessen habe, dachte er und klopfte lautstark gegen die Tür. Von drinnen klang ihm ein hocherfreutes „Hallo" entgegen. Elise riss die Tür auf. Sie hatte sich hübsche Locken in ihr hellbraunes Haar gedreht, trug eine smaragdgrüne Seidenbluse und dazu eine weiße Hose. Nicht gerade die ideale Kleidung, um Spaghetti zu kochen. „Oh, du bist es nur."
„Hast du James erwartet?" „Also, für Phoebe habe ich mich bestimmt nicht so schick ge macht, so sehr ich ihre Gesellschaft auch genieße." Als er eintrat, entdeckte er die blonde Freundin seiner Schwester auf dem Sofa sitzen. Sie trug ein leichtes, rosafarbenes Cocktailkleid. „Wyatt und ich wollen gleich ausgehen", erklärte sie verlegen. „Deine Schwester und ich hatten eine Menge Dinge zu besprechen." Sie biss sich auf die Unterlippe, als ob sie schon zu viel verraten hatte. „Oh? Worüber denn? " fragte Chance neugierig. „Nichts Besonderes", erwiderte Phoebe abwehrend. Elise band sich eine Schürze um, die sie offensichtlich in die Ecke geschleudert hatte, bevor sie zur Tür geeilt war. „Wir ha ben heute die Kleider für die Brautjungfern gekauft. Wundervoll, nicht wahr?" „Ja, großartig." Was auch immer der Anlass für ihren Tratsch gewesen sein mochte, Chance bezweifelte, dass es um Kleider für Brautjungfern ging. Aber eigentlich interessierte es ihn auch gar nicht. „Ist Daisy mit euch einkaufen gewesen?" „Natürlich", gab Phoebe zurück „Wir können die Kleider doch wohl kaum ohne sie kaufen." „Oh!" Die Elise riss die Augen auf. „Beinahe hätte ich es vergessen. Du magst sie doch, nicht wahr?" „Daisy?" fragte er möglichst beiläufig und zögerte, bevor er weitersprach. Er wollte seiner Schwester nicht zu viel verraten. „Sie scheint... ganz nett zu sein." „Ich befürchte fast, dass sie vergeben ist", klärte Elise ihn auf. Einen Augenblick lang war Chance vollkommen verwirrt. Vergeben? Seit gestern? „Was meinst du damit?" Phoebe warf ihrer Freundin einen warnenden Blick zu. „Wir haben versprochen, es niemandem zu sagen! Absolut niemandem! " sagte sie und legte den Zeigefinger über die geschlossenen Lippen Daisy hatte einen heimlichen Freund. Das würde erklären, warum, sie sich so abrupt aus seiner Umarmung gelöst hatte. Es würde allerdings nicht erklären, warum sie sich überhaupt von ihm hatte umarmen lassen. „Was erzählen?" „Ach komm, er ist schließlich mein Bruder!" rief Elise. „Wem soll er es schon weitererzählen? Er kennt schließlich niemanden aus ihrem Freundeskreis." „Sie hat uns gebeten, den Mund zu halten", beharrte Phoebe. „Chance zählt nicht." „Ich mache diese Diskussion nicht mit. Sei nicht beleidigt, Chance." Phoebe erhob sich, eilte an ihm vorbei zur Tür und verließ den Raum. Einen Moment lang war es still. Und dann ... „Sie ist schwanger", platzte Elise heraus. Chance lächelte. „Wie schön für Wyatt. Allerdings hätten sie bis zur Hochzeit auch ein wenig vorsichtiger sein können." „Doch nicht Phoebe! Daisy!" Alles verschwamm plötzlich vor seinen Augen. Das Licht schmerzte ihn. Er hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Chance versuchte zu begreifen, was seine Schwester ihm gerade gesagt hatte, aber er bekam seine Gedanken kaum zusammen. In ihrer herrlichen Liebesnacht vor zwei Monaten hatten Daisy und er keine Verhütungsmittel benutzt. Später hatte er sich sehr darüber geärgert. Es war das erste Mal gewesen, dass er so verantwortungslos gehandelt hatte. Nachdem sie verschwunden war, hatte er jedoch keinen weiteren Gedanken an die Sache verschwendet. Nach einer einzigen Nacht konnte eine Frau kaum schwanger werden. Das dachte er jedenfalls. Nur mühsam gelang es Chance, seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen. In diesem Moment klopfte Jame s gegen die halb geöffnete Tür. Der dunkelhaarige Mann begrüßte seine Verlobte mit einer Umarmung.
„Schön, dich zu sehen, Chance." Er und James gaben sich die Hand. „Ich bin zufällig vorbeigekommen", hörte Chance sich sagen. „Ich will gleich noch weiter. Zu einer Vernissage." „Oh, bevor du gehst..." James schaute Elise kurz an, als ob er sich vergewissern wollte, dass er weitersprechen durfte. „Du hast Recht. Wir sollten eine voreheliche Partnerberatung aufsuchen. Schließlich steige ich auch nicht in ein neues Geschäft ein, ohne ein Gutachten einzuholen. Und was kann schon wichtiger sein als meine Heirat?" „Wenn du uns vielleicht einen Berater empfehlen kannst, würden wir uns freuen." Elise wischte einen Fussel von James' Ärmel. Chance zog die Visitenkarte eines Psychologen aus der Jackentasche, mit dem er seit Jahren erfolgreich zusammenarbeitete. „Diesen Berater kann ich wärmstens empfehlen." „Danke." James steckte die Karte ein. Chance verabschiedete sich und trat hinaus auf den Flur. Er machte ein paar tiefe Atemzüge, um seine Nerven zu beruhigen. Dann schaute er auf die Uhr. Es war schon nach sieben. Daisy war sicher schon zur Galerie gefahren. Entschlossen machte er sich auf den Weg.
5. KAPITEL
Ein Knäuel faszinierter Menschen hatte sich um Shakira Benjamin gruppiert. Daisy lächelte ihr ermutigend zu. Sie freute sich, dass Shakiras Arbeiten so guten Anklang fanden. Über fünfzig Gäste spazierten durch die Ausstellungsräume der Galerie, bewunderten die Exponate und erfreuten sich an Wein, Käse und Crackern. „Oh Daisy, ich liebe deine Galerie! "Helen Madison, eine Lehrerin im Ruhestand, trug ihr graues Haar immer sehr kurz und wirkte dadurch erheblich jünger. „Es erinnert mich an die Museen, die Rolland und ich in Südfrankreich besucht haben." „Mich erinnert es eher an den Louvre", scherzte ihr Ehemann. Während Daisy freundlich mit ihnen plauderte, ließ sie ihren Blick durch die Galerie schweifen. Plötzlich entdeckte sie Chance. Er war gekommen, aber er sah überhaupt nicht glücklich aus. Er nickte ihr kurz zu und schaute sich dann die Ausstellung an. Die Bilder schienen ihn regelrecht gefangen zu nehmen. Er verbrachte eine ganze Weile vor einem Objekt, bevor er sich löste und zum nächsten ging. Ob er sich wohl entschließen würde, eines der Bilder zu kaufen? Daisy wünschte Shakira das sehr. Sean kam aus dem Lagerraum und brachte weitere Getränke. Neue Gäste zogen Daisys Aufmerksamkeit auf sich. Nach etwa einer halben Stunde stellte Chance sich schließlich neben sie. Sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Der Mann musste ein großartiger Pokerspieler sein. „Ich würde das Bild mit den zwei Indianerkindern gern kaufen", sagte er. „Es ist doch noch zu haben, oder?" Daisy nickte. Die Preise für Shakiras Objekte bewegten sich zwischen acht- und zehntausend Dollar: Das Bild mit den Kindern war das teuerste. Und Shakira hatte erst ein Bild verkaufen können, eine kleinere Arbeit. „Ich freue mich, dass du dich dafür entschieden hast." „Großartig." Chance zog sein Scheckbuch hervor. Er macht wirklich keine Umstände, dachte Daisy bewundernd. „Solange die Ausstellung läuft, könne n wir das Bild nicht abhängen", erklärte Daisy. „Natürlich werden wir es als .verkauft' deklarieren und es zu dir nach Hause liefern, sobald die Aus stellung geschlossen wird. Oder wir bringen es in dein Büro, ganz wie du willst." „Nach Hause", erwiderte er knapp. Es sah Chance gar nicht ähnlich, dass er so kurz angebunden mit ihr sprach. Daisy studierte seinen Gesichtsausdruck. Sie glaubte nicht, dass er böse war, aber irgendetwas schien ihn innerlich aufgewühlt zu haben. „Du bist bestimmt wütend wegen gestern, nicht wahr?" fragte sie, als gerade niemand in der Nähe war. „Nein." „Was dann?" „Darüber sprechen wir später", erwiderte er. „Worüber?" „Über deinen Zustand", entgegnete er und ließ sie stehen. Daisys Hände fühlten sich plötzlich eiskalt an. Chance hatte sich unmissverständlich ausgedrückt. Elise musste geplaudert haben. Es war der ungünstigste Weg, Chance die Wahrheit wissen zu lassen. Sie konnte es ihm nicht verdenken, dass er wütend war. Wie betäubt ließ Daisy den Rest des Abends über sich erge hen. Mechanisch verabschiedete sie schließlich ihre Gäste und wünschte ihnen einen schönen Abend. Sie gratulierte Shakira zu ihrem Erfolg und räumte die übrig gebliebenen Erfrischungen mit Seans Hilfe auf. „Ich komme morgen wieder und erle dige den Rest", sagte sie schließlich zu
Sean. „Geh nach Hause. Oder amüsier dich. Was immer du Samstagnacht machst." „Mich amüsieren, natürlich." Grinsend zog er davon. Schließlich hielt Daisy es nicht länger aus. Sie suchte nach Chance und entdeckte ihn im Ausstellungsraum II. Er betrachtete eine Figurengruppe von drei Künstlern, die sich von der Wüste von Arizona hatten inspirieren lassen. Er würdigte Daisy keines Blickes. „Hat Elise mit dir gesprochen?" begann Daisy. Er straffte den Rücken und nickte. „Morgen wollte ich es dir sagen", fuhr sie fort. „Ich habe es selbst heute erst erfahren." Chance drehte sich um. „Das war also nicht der Grund dafür, dass du gestern so plötzlich verschwunden bist?" „Nein", gab sie zurück. „Mir war so heiß, und ich fühlte mich benommen. Auf dem Weg nach Hause wurde mir plötzlich klar, was die Symptome bedeuteten. Der Arzt hat es mir heute Morgen bestätigt." Chance zögerte einen Moment. „Ist es von mir?" „Natürlich!" erwiderte sie empört und atmete tief durch. „Also ... das Problem ... Ich nehme Hormone wegen der Endometriose." „Ich weiß", sagte er. „Elise hat es mir erzählt." Elise ist eine liebe Freundin, aber sie hat ein loses Mundwerk, dachte Daisy ein wenig ärgerlich. „Die Hormone wirken auch als Antibabypille", fuhr sie fort. „Über Verhütung habe ich deswegen nicht mehr nachgedacht. Als mein Arzt die Pille wechselte, war ich eine kurze Zeit lang ohne Hormone und muss wohl den Schutz verloren haben. Es tut mir Leid." „Es ist ebenso mein ..." Er unterbrach sich. „Stopp. Wir sollten nicht nach einem Schuldigen suchen." „Du hast Recht." Daisy ging nervös auf und ab. „Was soll ich nur tun? Ich wollte erst darüber schlafen, bevor ich dich anrufe." „Du weißt nicht, was du tun sollst?" fragte Chance. Seine Stimme klang aufgewühlt. „Ist das nicht ebenso meine Ent scheidung? Ich werde mich natürlich um euch kümmern." Sie verstand nicht, dass er so ruhig bleiben konnte. „Darum geht es nicht. Ich schätze deine Fürsorge sehr, aber ich muss die Konsequenzen allein tragen." Unruhig lief sie auf und ab. „Wenn ich das Kind behalte, muss ich es allein großziehen. Wie meine Mutter. Wenn ich es weggebe ..." „Du denkst daran, es zur Adoption freizugeben?" fragte er entsetzt. „Das musst du nicht tun. Du bist kein junges Mädchen mehr. Du hast Rückhalt. Auch in mir." „Mein Vater hat damals auch versprochen, sich zu kümmern. Sein Versprechen war von kurzer Dauer", sagte sie laut. „Ich bin nicht dein Vater." Chance machte eine Pause. „Wir werden natürlich heiraten. Es ist das Beste, was wir tun können." Sein unvermitteltes Angebot überraschte Daisy. Aufmerksam musterte sie sein besorgtes Gesicht. Es verletzte Daisy, dass ihn die Aussicht auf die Ehe nicht gerade glücklich zu stimmen schien. „Eine ziemlich altmodische Idee." „Eine ehrenhafte Idee." Chance blickte sie unverwandt an. „Schließlich sind wir es unserem Kind schuldig, oder etwa nicht?" Wenn er sich doch nur einen anderen Grund einfallen lassen würde, um mich zu heiraten, dachte sie. Wenn er mich doch nur lieben würde ... Aber er tat es nicht. Und sie wollte ihn nicht nur wegen des Kindes heiraten. „Ich bin kein Fall für die Fürsorge", erklärte sie heftig. „Sei nicht dickköpfig!" Chance verschränkte herausfordernd die Arme vor der Brust. „Es ist meine Aufgabe, mich um dich und das Kind zu kümmern." „Nein", widersprach Daisy. „Ich könnte dich vor Gericht bringen", drohte er. Seine Worte warfen sie beinahe aus dem Konzept. Sie konnte sich keinen Anwalt leisten, der es mit Chance aufnehmen konnte. Wenn er einen Prozess gegen sie anstrengte, dann würde er gewinnen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
Sie gingen ein paar Schritte auseinander. Jeder beobachtete den anderen argwöhnisch aus den Augenwinkeln. Chance blinzelte ein paar Mal zu ihr hinüber. Es schien, als würde er langsam aus einem Traum erwachen. Die Anspannung wich aus seinen Zügen. „Es tut mir Leid, Daisy. Ich habe es nicht so gemeint. Meine Schwestern sagen mir nach, dass ich sie immer zu stark bevormundet habe. Sie haben Recht." Daisy atmete aus. „Wir müssen uns irgendwie zusammenraufen", gestand sie ein und ging einen Schritt auf ihn zu. „Es stimmt, dass wir uns nicht besonders gut kennen", erwiderte Chance und machte ebenfalls einen Schritt auf sie zu. „Außerdem stelle ich hohe Ansprüche an eine Ehe. Aber sind wir nicht zwei erwachsene und kluge Menschen, die mit offenen Augen in die Ehe gehen? Wir könnten es schaffen." Typisch Anwalt, dachte sie. Er versucht, das Problem logisch zu lösen. Gefühle interessieren ihn nicht die Spur. „Du willst also eine Frau heiraten, die du nicht liebst?" fragte sie provo zierend. „Chance, ich danke dir herzlich für das großzügige Angebot. Aber ich muss mit der Situation allein fertig werden. Auf meine Art." Kurz entschlossen knipste sie das Deckenlicht in der Galerie aus und ließ nur die Sicherheitsbeleuchtung neben den Exponaten an. Er folgte ihr auf dem Weg durch die Galerie zum Aus gang. „Ich denke wirklich, dass wir heiraten sollten, aber ich kann dich natürlich nicht zwingen", redete Chance weiter. „Auf jeden Fall werde ich das Leben meines Kindes auf Schritt und Tritt begleiten. Und ich fange sofort damit an. Ich könnte dich zum Beispiel zum Arzt bringen." Chance hielt sich dicht hinter ihr, ohne sie zu berühren. „Deine Rezepte einlösen. Ich achte darauf, dass du dich ordentlich ernährst. Ich gehe mit dir zur Ge burtsvorbereitung." „Und bringst dann das Kind zur Welt", spottete sie sanft. „Wenn du mich lässt." „Du darfst mir vielleicht mal den Rücken massieren", sagte sie streng. „Kein Problem. Und ich komme für alle anfallenden Kosten auf. Für die Arztrechnungen." Chance redete sich langsam in Stimmung. „Du brauchst doch Umstandskleidung, nicht wahr?" „Wenn du die Arztrechnungen übernimmst, würde ich mich freuen." Die Kosten würden immerhin mehrere tausend Dollar betragen. „Alle anderen Ausgaben übernehme ich selbst." Sie schloss die vordere Eingangstür von innen ab, durchquerte mit Chance die dunkle Galerie und trat mit ihm durch den Seiteneingang nach draußen. Daisy sah, dass Chance seinen Wagen direkt hinter ihrem ge parkt hatte. „Morgen spreche ich mit meiner Mutter. Bestimmt wird sie mich zum Brunch einladen. Ich möchte hören, was sie zur Adoption meint." „Dann komme ich am Nachmittag zu dir. So gegen drei?" „Dann werde ich in der Galerie arbeiten." Er hat absolut keine Hemmungen, sich selbst einzuladen, dachte Daisy. „Ich rufe dich an, wenn ich mich entschieden habe." Er trommelte mit den Fingern auf das Dach seines Sportwagens. „Daisy ..." Nein. Sie wollte nicht diskutieren. „Wir reden morgen weiter", unterbrach sie ihn. Ohne ein weiteres Wort stieg sie in ihrem Wagen und fuhr nach Hause. Am Sonntagmorgen roch es in der Küche von Jeanine Redford nach Muffins mit Honig, nach gebratenem Schinken und nach Kaffee. Daisy schlang das Essen förmlich hinunter. Aber sie war enttäuscht, dass sie den Duft nach Kaffee nicht mehr appetitlich fand. Dabei hatte sie sich so sehr auf den französischen Kaffee ihrer Mutter gefreut. Stattdessen trank sie jetzt Tee. „Es liegt an den Hormonen", erklärte ihre Mutter. „Sie bringen dich dazu, gesünder zu essen." „Wie kommt es dann, dass ich so gierig nach Zucker bin?" „Na ja, Hormone sind auch nicht perfekt", erwiderte Jeanine.
Daisy war mit ihren Neuigkeiten herausgeplatzt, als sie beinahe noch auf der Schwelle des Hauses ihrer Mutter in Tempe stand. Jeanine nahm die Nachricht gefasst auf. Sie freute sich über das Enkelkind, auch wenn sie es bedauerte, dass Daisy nicht verheiratet war. „Und der Bruder von Elise hat wirklich angeboten, dich zu heiraten?" Die beiden Frauen hatten sich ins Wohnzimmer ge setzt. Jeanine nahm einen Packen zugeschnittenen Stoff vom Sofa und trug ihn zum Tisch. „Hört sich an, als sei er ein Gentleman." „Das ist er." Daisy blies ein paar Fäden Nähgarn vom Sofa, bevor sie sich setzte. Ihre Jeans spannte über dem Bauch. Sicher von der Mahlzeit. Das Baby würde auf keinen Fall so schnell wachsen! „Aber ich will nicht nur geheiratet werden, weil ich schwanger bin. Ich will einen richtigen Ehemann." Ihre Mutter lächelte verträumt. „Die Zeiten ändern sich. In den siebziger Jahren hielten wir die Ehe für eine überlebte Ins titution. Wir dachten, dass wir die Welt aus den Angeln heben könnten." „Hat mein Vater dich gefragt, ob du ihn heiraten willst?" „Wenn Mick mir einen Antrag gemacht hätte, wäre ich auf der Stelle ohnmächtig geworden!" Jeanine nestelte einen glitzernden Knopf zwischen den Sofakissen hervor. „Er war damals schon Musiker, musst du wissen. Immer unterwegs, immer auf Tournee. Nur, dass er heute Countrymusic spielt und nicht mehr Rock." „Chance ist anders als Dad", sinnierte Daisy. „Natürlich schon deshalb, weil er Anwalt ist und eine Menge Geld verdient. Aber er ist auch ein ganz anderer Mensch." „Es klingt, als ob er charakterlich viel reifer ist." Ihre Mutter faltete die Hände über ihrem langen Jeanshemd. „Sag mal... ist er langweilig?" „Chance? Absolut nicht." „Gut. Ich mag den. Gedanken nämlich nicht, dass mein Enkelkind die Gene eines Langweilers erbt." Jeanine stand auf und ging zum Tisch. Sie begann, die zugeschnittenen Stoffteile zu sortieren. „Hört sich an, als ob dir der Mann gefällt." „Mom! Hätte ich mit ihm geschlafen, wenn er mir nicht gefallen würde?" Jeanine trommelte mit den Fingern auf den Tisch. „Du sagtest, dass du einen Rat brauchst. Ich vermute, dass es nicht um seinen Antrag geht." „Nein, um das Baby." Daisy fragte ihre Mutter immer um Rat, wenn sie eine wichtige Entscheidung zu treffen hatte. Sie befolgte ihren Rat dann zwar nicht immer, aber es half ihr, ihre Gedanken zu ordnen. „Mom, ich weiß, dass du mich immer sehr geliebt hast. Aber ich weiß auch, dass es nicht einfach war, mich allein aufzuziehen. Du musstest viele Opfer bringen." „Ich würde mich wieder so entscheiden", erklärte Jeanine. „Aber für dich liegen die Dinge anders. Du bist dreißig. Ich war einundzwanzig. Du hast ein Geschäft gegründet und dir deinen guten Ruf hart erarbeitet. Ich hatte damals so gut wie nichts in der Hand." „Meinst du, ich sollte das Kind zur Adoption freigeben?" „Nur, wenn das dein innerster Wunsch ist." Die Sonnenstrahlen fielen durch die Jalousie. Jeanine hatte graue Strähnen in ihrem ehemals hellbraunen Haar. „Die Jahre gehen so schnell vorüber. Vielleicht bleibt es dein einziges Kind." Und vielleicht dein einziges Enkelkind, dachte Daisy, aber sie behielt diesen Gedanken für sich. Jetzt, wo sie ihren Freundinnen und Chance und ihrer Mutter von ihrer Schwangerschaft erzählt hatte, schien es, dass das Baby bereits zu ihnen gehörte. Nicht nur zu ihr allein. „Ich glaube, dass ich mich entschieden habe", überlegte Daisy laut. „Ich werde das Kind behalten, obwohl ich nicht genau weiß, worauf ich mich einlasse." Und damit wird Chance Foster Anspruch auf den wichtigsten Menschen in meinem ganzen Leben haben, gestand sie sich stillschweigend ein. Er würde Teil ihres Leben sein, ob es ihr passte oder nicht. Ihre Brust zog sich schmerzhaft zusammen. Daran wirst du dich gewöhnen müssen, sagte sie sich. „Das kommt von der Schwangerschaft", sagte ihre Mutter. „Was?"
„Man wird sehr nachdenklich. Und man schläft viel. Man schläft sehr tief." Wie auf Befehl musste Daisy gähnen. Dann lachte sie laut auf. „Ich bin überhaupt nicht müde! Das ist deine unglaubliche Suggestionskraft." „Du wirst diesen Mann nicht von seinem Kind fern halten, nicht wahr?" Jeanine kam wieder auf das Thema zurück. „Ich war Mick niemals böse, dass er wenigstens ab und zu bei uns vorbeigeschaut oder angerufen hat. Natürlich hat er uns viele Ferien verdorben. Aber wenn du ihn gar nicht kennen gelernt hättest, wäre es noch schlimmer für dich gewesen." Sie hatte Recht. Obwohl Daisy lange gebraucht hatte, um es einigermaßen zu verkraften, dass ihr Vater nicht bei ihnen lebte. Der Platz in ihrem Herzen, der für ihren Vater bestimmt war, war leer geblieben. Chance dagegen würde sein Kind nicht vernachlässigen. Immerhin war er seinen sieben Schwestern ein liebevoller Bruder gewesen. Er wäre ein guter Vater, auch wenn er die Mutter nicht liebte. „Also?" hakte Jeanine nach. „Nein. Ich werde ihn nicht fortstoßen." Mehr konnte sie nicht versprechen. Daisys Lieferwagen parkte an der gewohnten Stelle vor dem Seiteneingang der Galerie. Gut, dachte Chance. Sie ist da. Er stellte seinen Wagen ab und drückte auf den Klingelknopf. Drinnen konnte er den Summer hören. Daisy brauchte mehrere Minuten, um zu antworten. Er fragte sich schon, ob sie wieder ein Spiel mit ihm spielte, als er endlich ihre Stimme hörte. „Wer ist da?" „Ich bin es, Chance." Wieder folgte eine lange Pause. Schließlich hörte er das Schloss klicken, dann ging die Tür auf. „Hallo." Sie blinzelte ihm durch die kastanienbraunen Haarsträhnen zu, die ihr von der Stirn ins Gesicht hingen. Der Tonspritzer auf ihrer Wange erinnerte ihn an ihre zerzauste Er scheinung am vergangenen Montag. „Ich dachte, du erledigst Papierkram." Er runzelte die Stirn. „Räumst du auf?" „Ich arbeite. Schließlich habe ich Töpfern gelernt." Daisy trat einen Schritt zurück und ließ ihn eintreten. Deswegen hatte sie so lange gebraucht, um auf den Türöffner zu drücken. Neugierig griff Chance nach ihrer Hand und untersuchte sie. Die Haut war hellrosa, als ob sie sie gerade gebürstet hatte. Unter ihren kurz geschnittenen Fingernägeln konnte er noch Tonreste entdecken. „Du machst tatsächlich keine Witze." „Dachtest du, dass ich dich an der Nase herumführen will?" fragte sie ungläubig. Sie sah wirklich bezaubernd aus. Einerseits wirkte sie ge langweilt, andererseits hatte er sie mit seinem Besuch wirklich überrascht. Am liebsten hätte er sie ganz fest in seine Arme geschlossen. Aber er vermutete, dass sie damit nicht ganz einverstanden gewesen wäre. „Warum habe ich deine Arbeiten noch nie in der Galerie gesehen?" wollte er wissen. Daisy verzog das Gesicht. „Weil sie nicht gut genug sind", erwiderte sie. „Ich stelle nur die besten Stücke aus." Chance überlegte kurz, ob er sie rundheraus fragen sollte, ob sie das Kind zur Adoption freigeben wollte oder nicht. Schließlich war das der Grund für seinen Besuch. Aber erst wollte er ein wenig mit ihr reden. „Darf ich sehen, woran du arbeitest?" „Ich habe nichts zum Vorzeigen", gab Daisy schnell zurück. „Und überhaupt, meine Werkstatt sieht aus wie ein Saustall. Lass mich erst aufräumen, bevor ich sie dir zeige." Chance fuhr mit dem Daumen leicht über ihre Wange. „Du bist wunderschön, selbst wenn dein Gesicht mit Ton verschmiert ist." „Ich wette, dass sagst du zu allen Töpferinnen", antwortete sie schnippisch. „Nur zu einer." Er fuhr mit seinen Lippen leicht über ihren Mund. Sie schmeckte nach Honig. „Bitte, gib mir mehr davon." „Nein." Daisy schreckte zurück. Das Blut schoss ihr in die Wangen. Wütend schaute sie
ihn an. „Ich muss zurück an meine Arbeit, bevor der Ton trocknet." „Dann lass dich nicht aufhalten." Chance war ärgerlich auf sich selbst, dass er versucht hatte, sie mit einem überraschenden Kuss zu provozieren. Abrupt machte sie kehrt und ging zurück in den Lagerraum, in dem sich ihre Werkstatt befand. Chance folgte ihr und stand zum ersten Mal in seinem Leben in einer voll ausgestatteten Töpferwerkstatt. Er begutachtete den Brennofen, die Töpferscheibe und das Regal mit den Chemikalien. Dann wurde seine Aufmerksamkeit von drei Vasen gefesselt, die jede mit einer Karikatur verziert waren. „Die Katzenfrau!" Und auch die beiden anderen Gesichter konnte er identifizieren. „Eine neue Idee, die ich ausprobiere." Daisy verstellte ihm den Blick auf den Tisch. „Ich weiß noch nicht, wie ich sie nennen soll." „Und was steht hinter dir?" fragte er. „Nichts." Sie gab sich alle Mühe, so beiläufig wie möglich zu klingen. Vergeblich. Chance schob sie sanft zur Seite. Er entdeckte keine Vase, sondern eine Skulptur in der Größe einer Puppe. Die Figur hatte sein Gesicht. Verwirrt starrte er die Skulptur an. Ein schmeichelhaftes Porträt, wenn man vom selbstgefälligen Zug um den Mund einmal absah. „So sehe ich also aus?" „Manchmal", erwiderte Daisy. „Warum machst du das?" „Emotionale Therapie." „Aber du klebst mich nicht auf eine Vase, oder?" Daisy ließ schuldbewusst die Schultern hängen. „Schon ge schehen." „Wie bitte?" Sie deutete auf den Brennofen. „Sie wird gerade gebrannt. Keine Sorge. Selbstverständlich gebe ich sie nicht in die Aus stellung: Ich experimentiere nur." „Sie sind außergewöhnlich gut." Chance gefiel es zwar nicht, dass er auf den wenig schmeichelhaften Zug um seinen Mund auf der Büste starren musste, aber schließlich wollte er gerecht sein. „Wenn die Stücke im Ofen genauso gut sind wie diese hier, dann musst du sie unbedingt ausstellen. Ich sollte selbst welche kaufen. Was meinst du, wie würden sie in meinem Wohnzimmer aussehen?" „Ich schenke sie dir", sagte Daisy. „Wenn sie glasiert sind. Nächste Woche." „Das ist nicht nötig." Als sie ihm widersprechen wollte, unterbrach er sie. „Übrigens, das Baby. Wie hast du dich entschie den?" Erstaunt sah sie ihn an und schwieg einen Moment lang. „Ich behalte es", antwortete sie schließlich. „Hast du über meinen Antrag nachgedacht?" „Nein." Daisy rückte die kleine Büste aus seinem Blickfeld. „Aber du bist der Vater. Unser Kind wird dich brauchen. Eines Tages." Erleichtert nahm er zur Kenntnis, dass er sich mit ihr nicht wegen der Adoption zu streiten brauchte. Doch der Kampf war noch nicht vorüber. „Na gut, wenn du nicht heiraten willst. Natürlich kannst du trotzdem bei mir einziehen. Wenn du willst, schön morgen", bot er an. „Vormittags habe ich im Gericht zu tun. Aber am Nachmittag kann ich dich dann abholen." „Was redest du denn da?" fragte sie verwirrt. „Du brauchst jemanden, der die ganze Zeit über bei dir ist." Eine seiner Schwestern hatte in ihrer ersten Schwangerschaft eine unerwartete Blutung. Ihr Mann musste sie mitten in der Nacht ins Krankenhaus bringen. „Ich habe zwei große Schlafzimmer. Wir haben eine Menge Platz und können uns ausbreiten. So bist du nie allein." „Ich bin nicht allein!" Daisy wurde laut. „Falls du es vergessen hast, deine Schwester Elise wohnt direkt neben mir." „Sie heiratet in drei Monaten."
„Dann reden wir in drei Monaten weiter", gab sie zurück. Chance setzte eine strenge Miene auf und sah sie eindringlich an. „Bei mir wärst du viel sicherer." „Ach, wirklich?" fragte sie spöttisch. „Am sichersten wäre ich gewesen, wenn ich dein Haus nie betreten hätte!" „Das ist nebensächlich und unlogisch." „Du argumentierst wie ein Bürokrat!" Sie war zutiefst empört. „Ich argumentiere wie ein Anwalt. Und das bin ich auch." „Nun, Herr Anwalt, die Jury ist zu folgendem Urteil gekommen: Ihr Antrag ist abgelehnt!" Gleich platzte ihr der Kragen. Unwillkürlich griff sie nach der Büste und schlug mit der Faust auf die Skulptur ein. Chance konnte es kaum glauben, dass sie ihre Wut an einem hilflosen Stück Ton ausließ. „Das war vollkommen überflüssig." „Sei froh, dass ich sie nicht mit Nadeln gespickt habe!" fauchte sie ihn an. Chance hatte sich noch nie mit einer Frau gestritten. Er zog es vor, ruhig zu diskutieren. „Wir sollten wie zivilisierte Menschen miteinander reden", schlug er vor. „Ich bin zivilisiert! Auch dann, wenn ich wütend bin!" brüllte sie. „Selbst dann, wenn ich dich aufs Übelste beschimpfe und mit Gegenständen nach dir werfe, bin ich zivilisiert! Du stehst hier und verlangst, dass ich passiv und unterwürfig bin! Dass ich so mir nichts dir nichts bei dir einziehe! Das ist es bestimmt nicht, was ich unter Zivilisation verstehe!" Chance verstand nicht ganz, warum sie so aufgebracht war. Er hatte sein Angebot herzlich und ehrlich gut gemeint, aber offensichtlich wollte sie es nicht annehmen. Und er war sich auch nicht mehr sicher, ob er unbedingt darauf bestehen sollte, wenn sie darauf so übertrieben reagierte.
6. KAPITEL
Ich hätte mich nicht hinreißen lassen sollen, gestand Daisy sich kleinlaut ein, als sie die vierte Vase auf der Töpferscheibe hochzog. Sie musste zugeben, dass es nicht gerade nett gewesen war, in der Gegenwart von Chance auf die Skulptur mit seinem Gesicht einzuprügeln. Als sie ihre Werkstatt aufräumte, fiel Daisy ein, dass sie sich mit Phoebe und Elise zum Abendessen im „Prickly Pear" verabredet hatte, einem Restaurant ganz in der Nähe ihrer Wohnanlage. Sie musste sich beeilen, wenn sie nicht zu spät kommen wollte. In den letzten Tagen hatte sie immer einen Bärenhunger gehabt. Und es wurde langsam Zeit, dass sie ihren Freundinnen erzählte, wer der Vater ihres Kindes war. Rasch wechselte sie ihre tonverschmierte Arbeitskleidung gegen etwas Schickes und machte sich auf den Weg. Obwohl die Freundinnen sich oft trafen, hatten sie sich immer viel zu erzählen. Diesen Sommer ging es ausschließlich ums Heiraten. Phoebe und Elise unterhielten sich lebhaft über ihre bevorstehenden Hochzeiten. Niemand bemerkte, dass Daisy in gedrückter Stimmung daneben saß und stumm das Gespräch der Freundinnen verfolgte. „Hallo, meine Lieben", grüßte George, der Kellner, als er an ihren Tisch trat. „Wie üblich?" Im „Prickly Pear" gab es ausgezeichneten Geflügelsalat. Elise und Phoebe nickten. „Ich hätte gern ein doppeltes Sandwich mit Pilzen, gedünstetes Gemüse und dann noch einen Geflügelsalat", bestellte Daisy. „Sie isst für zwei", verkündete Phoebe stolz und schlug sich sofort mit der Hand auf den Mund. Zu spät, sie hatte sich bereits verplappert. „Glückwunsch", gratulierte George. Zu ihrer Erleichterung verfolgte er das Thema nicht weiter. „Wünschen die Damen etwas zu trinken?" Phoebe und Elise bestellen Eistee, Daisy ein Glas Milch. „James möchte, dass wir es doch mit der vorehelichen Beratung probieren", berichtete Elise, nachdem George gegangen war. „Ich war anfangs sehr erstaunt über seinen Vorschlag. Aber es macht wirklich Sinn. Mein Bruder sagt immer, dass dadurch schon so manche Ehe im Vorfeld gerettet werden konnte." „Dabei sollte man meinen, dass er es vorzöge, wenn die Leute sich scheiden lassen", erwiderte Phoebe. „Damit kann er schließlich mehr Geld verdienen." „Mach lieber keine Anwaltswitze, wenn Chance in der Nähe ist", warnte Elise, „manchmal fehlt ihm ziemlich der Sinn für Humor." George brachte die Getränke. Die Freundinnen schwiegen einen Moment. Daisy nutzte die Gelegenheit. „Ich wollte euch endlich sagen ... also ..." „Ja?" „Wer der Vater meines Kindes ist." Ihre Freundinnen starrten sie mit aufgerissenen Augen an. Ihre Gesichtszüge wirkten so ernst, dass Daisy beinahe lachen musste. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen. Entweder sie wurde ihre Neuigkeit sofort los, oder sie würde die Nerven verlieren. „Es ist ... äh... er ist es." „Wer er?" fragte Elise. „Dein ..." Das Wort „Bruder" blieb ihr im Halse stecken. Daisy griff nach ihrer Milch und stürzte sie hinunter. Prompt verschluckte sie sich und bekam einen Hustenanfall. Elise klopfte ihr auf den Rücken. Phoebe flößte ihr noch mehr Milch ein. „Was wolltest du gerade sagen?" fragte Elise beharrlich. „Es ist dein ..." Wieder wurde Daisy von einem heftigen Hus tenanfall geschüttelt. „Wen meinst du denn eigentlich, Elise oder mich?" fragte Phoebe. Daisy trank einen weiteren Schluck Milch und zeigte auf Elise. „Ich habe keinen Schimmer, worauf du anspielst", sagte Elise. „Mir fällt nur mein Bruder ein, und ihr zwei kennt euch ja kaum." Elise hielt inne. Es schien, als erinnerte sie sich an die Szene am Pool vor ein paar Tagen. Hatte Chance sich Daisy ge genüber nicht
ausgesprochen interessiert verhalten? „Doch nicht Chance!" rief sie. Daisy nickte. George unterbrach ihr Schweigen, als er ihnen die Salate brachte. „Das Sandwich kommt in ein paar Minuten", sagte er zu Daisy und stutzte. „Ist bei euch alles in Ordnung?" Niemand sagte einen Ton. „Ruft mich, wenn ihr meine Hilfe braucht", bemerkte George. „Ansonsten weiterhin angenehme Unterhaltung." „Erinnere mich, dass ich ihm ein Extratrinkgeld gebe", sagte Phoebe. Elise wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort heraus. Schließlich zeigte sie auf Daisys flachen Bauch. „Du meinst, du trägst meine Nichte oder meinen Neffen mit dir herum?" „Ja." „Nur nebenbei, hast du deine Sprache vorübergehend oder für immer verloren?" fragte Phoebe. „Vorübergehend", echote Daisy. „Wie konnte euch das denn passieren?" fragte Elise entsetzt. Sie schlug sich auf die Stirn, als sie nicht gleich eine Antwort bekam. „Streich die Frage. Ich meine natürlich, wie sieht Chance die Sache? Wie hat er reagiert?" „Er hat mir einen Heiratsantrag gemacht. Aber ich habe abgelehnt, weil ich nicht pro forma geheiratet werden will." „Ich wette, dass er ganz verrückt nach dir ist", tröstete Phoebe. „Warum hätte er sonst mit dir geschlafen?" Dann boten die beiden Freundinnen Daisy jede Hilfe an, die sie sich wünschen konnte. Es entwickelt sich gar nicht so schlimm, wie ich zunächst befürchtet habe, dachte Daisy im Stillen. Ihre Stimmung besserte sich zusehends. Mit der Unterstützung ihrer Freundinnen würde sie ihre Lage meistern können. Natürlich hätte sie lieber einen Mann an ihrer Seite gehabt, der sie aufrichtig liebte. Aber sie dachte nicht daran, ihre Zeit mit nutzlosen Tagträumen zu verschwenden. Mit leerem Blick starrte Chance die Papiere an, die sich auf seinem Schreibtisch türmten. Ein Monat war bereits vergangen, seit er erfahren hatte, dass er Vater wurde. Seitdem war nichts geschehen. Er grübelte und grübelte, aber er konnte keinen Grund entdecken. Daisy verhielt sich freundlich, aber unnahbar. Wenn er mit Blumen in der Hand bei der Galerie vorbeischaute, begegnete sie ihm mit professioneller Höflichkeit. Wenn er sich nach ihrem Befinden erkundigte, erzählte sie, dass sie morgens oft unter Übelkeit litt. Sie hatte das Joggen aufgegeben und ging jetzt schwimmen. Die Umstandskleider, die ihre Mutter ihr nähte, durfte er nicht bezahlen. Vor zwei Tagen hatte sie ihn angerufen und ihn gebeten, sie heute Nachmittag in die Arztpraxis zu begleiten und sich den Ultraschall mit ihr anzusehen. Es wäre ein Schlüsselmoment in der ganzen Schwangerschaft, hatte sie ihm erklärt. Und dass er das Recht hatte, dabei zu sein. Nicht gerade eine herzliche Einladung, aber immerhin ein Anfang. Den ganzen Vormittag über war Chance sehr aufgeregt gewesen. Am Nachmittag würde er sein Kind zum ersten Mal sehen. Für ihn war das wie ein kleines Wunder. Neil steckte ihren Kopf durch die Tür. „Ihr Elf-Uhr- Termin", kündigte sie an. „Mr. Abner Ewing." „Bitten Sie ihn herein." Mr. Ewing hatte telefonisch angekündigt, dass er schnellstmöglich die Scheidung einreichen wollte. Chance erhob sich, als er den Mann begrüßte. Begleitet von heftigen Wutausbrüchen erzählte Abner seine Geschichte. Seine Frau hatte ihn nach zehnjähriger Ehe verlassen und war mit den beiden kleinen Kindern zu ihrer Mutter zurückgekehrt. „Janet behauptet, dass ich nie zu Hause bin. Natürlich bin ich das nicht. Ich arbeite schließlich Tag und Nacht." Er besaß einen Computerhandel mit Reparaturwerkstatt. „Wer hat ihr das schöne Haus gekauft? Wer bezahlt die Privatschule für die Kinder? Wie viele
Frauen würden sie um einen Mann beneiden, der nicht trinkt und sie nicht betrügt! Und das ist jetzt der Dank!" Chance seufzte innerlich auf und erklärte Abner die Forma litäten. Als er damit fertig war, schlug er vor, dass das Paar zur Eheberatung gehen sollte. „Auf keinen Fall!" protestierte Abner. „Ich habe schließlich nichts falsch gemacht. Lassen Sie uns endlich den Papierkram erledigen." Nachdem Abner wieder gegangen war, ließ Chance sich das Mittagessen an den Schreibtisch bringen. Er freute sich schon darauf, Daisy wieder zu sehen. Wenn sie in seiner Nähe war, schien die Luft aufregend zu prickeln, und er fühlte sich irgendwie lebendiger. Sie musste auf ihn gewartet haben, denn sie trat just in dem Augenblick vor die Tür, als er mit seinem Wagen um die Ecke bog. Das luftige Leinenkleid umschmeichelte sie wie eine Sommerwolke. Daisy zwängte sich mühsam in den engen Sportwagen und lächelte Chance freundlich zu. „Mir scheint, dass es dir langsam schwer fällt, in diesen Wagen einzusteigen, was?" fragte Chance beiläufig, als er durch die Stadt zur Arztpraxis fuhr. „Findest du mich dick?" „Nein!" erwiderte er besänftigend. „Ich finde, dass ich den Wagen langsam gegen eine Familienkutsche eintauschen sollte." Daisy wollte ihm widersprechen, aber Chance bog bereits auf den Parkplatz der Arztpraxis ein. Es blieb keine Zeit für Dis kussionen. Hoffentlich hatte seine unüberlegte Bemerkung Daisy nicht verstimmt. Daisy war froh, dass Chance sie am Ellbogen nahm und ihr aus dem Wagen half. Der Sportwagen war entschieden zu niedrig. Und Chance war sehr kräftig. Als sie seinen festen Griff spürte, fühlte sie sich sofort sicherer. Chance hielt ihr die schwere Glastür zum Ärztehaus auf und führte sie zum Fahrstuhl. In der Praxis mussten sie nur ein paar Minuten warten, bevor sie in die Untersuchungskabine gebeten wurden. Chance bemerkte den großen Monitor und das Ultraschallgerät. Die Krankenschwester bat Daisy, ein Flügelhemd aus dem Krankenhausbestand überzuziehen, und ließ sie dann allein. Chance schaute diskret zur Seite. Trotzdem war Daisy nervös. Als sie sich auf die hohe Untersuchungsliege setzte, teilte sich das Flügelhemd in Hüfthöhe. Das Blut schoss ihr in die Wangen. Mit zitternden Fingern umklammerte sie die Zipfel des Hemdes. „Ich helfe dir." Mit seinen starken Armen rückte Chance sie in eine bequemere Position. „Besser?" „Ich glaube nicht, dass die sechs Monate besonders komfortabel für mich sein werden", seufzte Daisy. „Kaum zu glauben, dass ich so früh schon so unbeweglich bin." Es klopfte kurz. Dr. Adhuri trat ein. „Freut mich, Sie kennen zu lernen", begrüßte er Chance und gab ihm die Hand. „Für viele Paare ist der erste Ultraschall ein besonderer Augenblick. Deswegen werde ich die Untersuchung persönlich vornehmen." „Wie schön", sagte Chance dankend. Er hielt Daisys Hand, als der Arzt das kühle Gel auf ihrem nackten Bauch verteilte. Obwohl sie erst im dritten Monat schwanger war, spürte sie, wie ihre Bauchdecke sich langsam spannte. Der Arzt nahm das Abtastgerät und fuhr mit langsamen, kreisenden Bewegungen auf ihrem Bauch herum. Auf dem ange schlossenen Monitor waren schwarze und weiße Streifen verschwommen zu erkennen. Daisy begriff nicht, wie man darin irgendwelche Einzelheiten erkennen konnte. Dann entdeckte sie plötzlich eine runde Form, die einem Kopf ähnelte. Darunter lag ein pulsierender kleiner Körper. „Das ist das Herz Ihres Kindes", erklärte Dr. Adhuri. „Es schlägt bereits." Chance umfasste Daisys Hand ein wenig fester. Als sie ihm einen verstohlenen Blick zuwarf, bemerkte sie, dass er Tränen in den Augen hatte.
Der Anblick seines Kindes war für Chance wie ein Wunder. Schon die Ultraschallbilder seiner Nichten und Neffen hatten ihn immer mit Rührung erfüllt. Aber der Anblick des pulsierenden Lebens in Daisys Bauch berührte ihn im tiefsten Innern seiner Seele. Er und Daisy hatten dieses Leben gezeugt. Sie hatten es zwar nicht geplant, aber konnte es wirklich ein Unfall sein? „Sieh nur, wie perfekt das Baby ist", sagte Chance. „Schon bevor wir wussten, dass es existiert, hat es gelebt, sich entwickelt und Form angenommen." „Kann das Baby das Ultraschallgerät spüren?" fragte Daisy den Arzt. „Kann es unsere Stimmen hören?" „Es bewegt sich unruhig. Ich behaupte mal, es nimmt uns unbewusst wahr" antwortete Dr. Adhuri. „Wir wissen außerdem, dass Babys sofort nach der Geburt die Stimmen ihrer Eltern erkennen. Sehen Sie nur." Dr. Adhuri zeigte auf die kleinen Ärmchen und Beinchen. „Wollen Sie, dass ich nach dem Geschlecht sehe? Man kann es allerdings nicht immer erkennen." „Nein." Daisy lehnte ab. „Wir müssen es nicht vor der Geburt erfahren." „Dann werde ich jetzt die Aufnahmen machen." Der Arzt wählte eine Ansicht aus, drückte auf einen Knopf und wiederholte den Prozess aus mehreren Perspektiven. Kurz darauf hielt er die Bilder in der Hand und übergab sie Daisy. „Ein Anfang für das Album." Nachdem er das Gel von Daisys Bauch gewischt hatte, verabschiedete Dr. Adhuri sich. Während Daisy sich wieder anzog, betrachtete Chance die Bilder. Er konnte es kaum erwarten, sein Kind endlich in den Armen zu halten. „Wann ist der Geburtstermin?" Schnell rechnete er im Kopf nach. „Im Januar. Ein Neujahrskind." „Ich kann es kaum glauben, dass du genauso aufgeregt bist wie ich." Daisy sah ihn nachdenklich an, während sie sich das Haar bürstete. Aufgeregt. Und besorgt. Und in einer verdammt unsicheren Position, dachte Chance. „Bitte, schließ mich nicht aus", sagte er fast flehentlich. Daisy verstaute ihre Haarbürste in der Handtasche, dann sah sie ihn an. „Ich habe eine Idee", begann sie zögerlich. „Aber ich weiß nicht, ob du einverstanden bist." „Versuchs doch einfach", gab er hoffnungsvoll zurück. „Du kannst für ein paar Tage in der Woche in meinem Gästeschlafzimmer übernachten", bot sie an. „Ich brauche zwar nie manden, der sich um mich kümmert, aber es ermöglicht dir, die Schwangerschaft mitzuerleben. Wir könnten dann zum Beispiel auch gemeinsam einen Namen für das Kind aussuchen." Chance riss förmlich seinen Terminkalender aus der Jackentasche. „Dienstags, donnerstags und samstags", schlug er vor. „Würde dir das passen?" „Prima." Sie stutzte. „Und du willst gar nicht diskutieren?" „Das verstehe ich nicht", meinte Chance und klappte seinen Kalender wieder zu. „Ich richte mich voll und ganz nach deinen Wünschen, und du scheinst nicht gerade glücklich darüber." „Ach, nichts." Daisy zog ihr Kleid zurecht. „Ich sollte jetzt am Empfang den Termin für die nächste Untersuchung vereinbaren." „Wann beginnen wir eigentlich mit der Geburtsvorbereitung?" „Hoffentlich erst nach der Hochzeit deiner Schwester!" Daisy fühlte sich überfordert, wenn sie zu viele Dinge auf einmal erledigen sollte. „Wenn wir damit zu früh anfangen, vergesse ich bis dahin, wann ich stöhnen und wann ich pressen soll", versuchte sie zu scherzen. „Wie du willst", stimmte er zu. „Heute ist Montag. Dann kann ich also morgen schon meine Sachen zu dir bringen? Warum essen wir nicht zusammen? Ich koche." „Du bist willkommen." Sie fragte sich, ob es ein Fehler gewesen war, ihn für drei Nächte pro Woche zu sich nach Hause einzuladen. Aber es war zu spät, ihre Meinung zu ändern. Und insgeheim - das musste sie zugeben - gefiel ihr der Gedanke sogar ausgesprochen gut.
Am Montagabend ließ Daisy den Blick durch ihre Wohnung schweifen, als ob sie sich innerlich auf einen Überfall vorbereitete. Und in gewisser Hinsicht stimmte das ja auch. Würde Chance die Couch näher an das Fernsehgerät heranrücken? Würde er Snacks im Wohnzimmer essen und die Krümel auf dem Teppich verstreuen? In den vergangenen Monaten hatte er immer wieder versucht, sie zu bevormunden. Was, wenn er es wieder versuchen würde? Jetzt, wo sie im Begriff war, ihm einen Wohnungsschlüssel auszuhändigen, und er praktisch ein- und ausgehen konnte, wann er wollte? Dieses Thema diskutierte man nicht mit Freundinnen. Sie brauchte Rat von anderer Seite. Vage erinnerte sie sich daran, dass sie in dem Ratgeber 2001 Ways to Wed einen Abschnitt über das Zusammenleben entdeckt hatte. Während sie einen Becher Schokolade in der Mikrowelle heiß machte, blätterte Daisy in dem Buch. Schnell fand sie das Kapitel. Die gemeinsame Wohnung hieß der Titel. Er sagte nicht viel aus, also begann sie zu lesen. Manche Menschen glauben, dass die gemeinsame Wohnung der ideale Weg ist, um herauszufinden, ob beide Partner zueinander passen. Doch einschlägige Studien belegen das Gegenteil. Das Zusammenleben mit ihm sagt in Wahrheit nichts über sein Verhalten in der Ehe aus. Schließlich haben Sie sich selbst ja auch noch nicht endgültig den Schwiegereltern umgehen sollen. Daisy zog die Nase kraus. Offensichtlich konnte die Autorin ihren Leserinnen hier auch nicht weiterhelfen. Es klingelte. Daisy öffnete die Tür und war überrascht, Chance zu erblicken. „Wir hatten dienstags, donnerstags und samstags ausge macht", erinnerte sie ihn kühl. „Heute ist Montag." Er grinste. „Ich freue mich trotzdem, dich zu sehen." „Es tut mir Leid", sagte Daisy kleinlaut. „Ich war nicht gerade sehr nett." „Ich will dir etwas zeigen. Unten." Wie immer hatte Chance seine Krawatte und sein Jackett nach der Arbeit abgelegt. Er sah so umwerfend attraktiv aus, dass Daisy sich beherrschen musste, nicht mit den Fingern durch sein Haar zu streiche n und ihm das Hemd aufzuknöpfen. „Was ist es?" fragte sie und griff nach Portemonnaie und Schlüsselbund. „Guck selbst." Ein verschmitztes Lächeln tanzte in seinen Augen. „Du brauchst mir nichts zu schenken", sagte sie, als sie gemeinsam mit dem Fahrstuhl nach unten fuhren. „Keine Sorge. Das tue ich auch nicht." Er lachte laut. Als sie aus der Lobby traten, fröstelte Daisy in der kühlen Abendluft. Sie verschränkte die Arme vor dem Bauch. Tagsüber war es so heiß gewesen, dass sie mit Shorts und ärmelloser Bluse herumgelaufen war. Aber im Wüstenklima von Arizona kühlten die Nächte schnell und empfindlich ab. „Zieh mein Jackett über", bot Chance an. „Es liegt im Wagen." Chance öffnete die Tür einer braunen Luxuslimousine. „Das ist doch nicht dein Wagen", widersprach Daisy. „Jetzt schon." Sie konnte es kaum glauben. „Hast du das wegen des Babys getan?" „Steig ein", forderte Chance sie auf. „Lass uns eine Spritztour unternehmen." Chance half ihr in den Wagen. „Zugegeben, er ist viel beque mer als der Sportwagen", meinte Daisy. „Siehst du", erwiderte er und stieg auf der Fahrerseite ein. Daisy konnte es immer noch nicht fassen, dass dieser Wagen Chance gehörte. „Wenn du ein Teenager wärst, würde ich vermuten, dass du ihn gestohlen hast." Chance lachte. „Glaub mir, mein Konto weiß es besser." Er ließ den Motor an.
„Bist du den Sportwagen denn schon losgeworden?" fragte Daisy neugierig. Sie gingen sanft in eine Kurve und glitten förmlich über den Straßenbelag. „Ja", sagte Chance. „Um ehrlich zu sein, ich wollte schon lange einen Wagen, der ein wenig praktischer ist. Immerhin bin ich fünfunddreißig." „Mit einem Bein im Grab", spottete sie. „Mit einem Bein in der Elterngruppe", gab er zurück. „Mir ist die Sache ernster, als du vielleicht glauben willst." Nahezu lautlo s fuhren sie über die ruhigen Straßen. Chance zeigte ihr, wie ruhig der Wagen sich in den Kurven verhielt, wie gut er bremste und wie schnell er wieder anzog. Schließlich entschieden sie, Daisys Lieblingsrestaurant „Prickly Pear" einen kurzen Besuch abzustatten. „Montagabends gibt es die Snacks dort umsonst. Wenn ich mir überlege, was ich für diese Kutsche hingeblättert habe, bin ich für jede Hilfe dankbar", witzelte Chance. Sie stiegen aus. Chance legte sein Jackett um Daisys Schultern. Der Duft seines Rasierwassers umhüllte sie. Als er seinen Arm um ihre Hüften schlang, wurde ihr tief im Inneren warm. Daisy schaute nach oben zum sternenbedeckten Himmel. Noch nicht einmal die Lichter der Stadt konnten ihren Glanz auslöschen. Und schon gar nicht, wenn sie mit Chance unter wegs war. Sie gingen nebeneinander auf dem schmalen Gehweg, der zum Restaurant führte. Ein schwaches Licht drang von dort zu ihnen herüber. Er blieb stehen und fuhr mit den Lippen sanft über Daisys Stirn. Dann zog er sie eng an sich heran. Sanft schloss er sie in seine Arme. Sie genoss das Gefühl der Sicherheit, das sie immer empfand, wenn er in ihrer Nähe war. Sie genoss die Zärtlichkeit seiner Umarmung. Es war, als ob ihre Haut überall prickelte. Schritte kamen näher. „Nein, das gibts doch nicht", rief Elise laut. „Ihr zwei solltet eurem Kind lieber ein gutes Vorbild sein." Schuldbewusst drehte Daisy den Kopf zur Seite und sah ihre Freundin zusammen mit James auf sich zukommen. „Hallo, ihr beide", grüßte sie. Gemeinsam betraten sie das Restaurant. Am späten Abend waren die Tische immer voll besetzt mit Paaren und kleinen Familien. Die Männer füllten sich ihre Teller mit Maischips und bestellten die Getränke. Elise naschte nur ein wenig Gemüse. Sie hatte sich gerade ihr Brautkleid gekauft und wollte bis zur Hochzeit auf keinen Fall zunehmen. „Wir hatten heute Nachmittag unsere erste Beratung", erzählte James, als sie alle zusammen an der hufeisenförmigen Bar saßen. „Die Therapeutin gefällt mir", fügte Elise hinzu und wandte sich an Daisy. „Sie heißt Beatrice, wie die Heldin bei Dante. Ich mag klassische Anspielungen." „Was genau passiert denn nun bei der Beratung?" wollte Daisy wissen. „Wir sprechen über unsere Erwartungen", erklärte Elise. „Welche Befürchtungen wir insgeheim hegen und wie wir mit den wichtigen Fragen umgehen wollen." „Es ist mir bisher noch nie in den Sinn gekommen", sagte James, „dass jede Familie eine eigene kleine Welt darstellt. Wenn wir heiraten, dann erwarten wir automatisch, dass die neue Familie ganz so funktioniert wie die alte. Und wir verhalten uns auch so. Zum Beispiel, wenn es darum geht, ob die Familie sich zu den Mahlzeiten um den Tisch versammelt oder ob sich jeder mit seinem Teller in seine Lieblingsecke verzieht." Daisy überlegte kurz, ob sie Elise und James über die Neuigkeiten informieren sollte. „Chance wird drei Tage in der Woche bei mir wohnen", erzählte sie dann. „Er will näher beim Baby sein." „Wir haben es heute im Ultraschall gesehen", fügte er hinzu. „Es ist einfach unglaublich! Ich finde gar keine Worte ... Also, ihr werdet es ja selbst erleben, wenn es bei euch so weit ist." „Werdet ihr euch auch beraten lassen?" fragte James. „Du und Chance. Ihr zwei habt
wegen des Kindes sicher eine Menge Dinge, über die ihr euch klar werden müsst. Besuchsrechte und so." „Hört sich vernünftig an", gab Chance zu. „Daisy, was meinst du?" „Wir haben nichts zu verhandeln", entgegnete Daisy kurz angebunden. „Wir sind schließlich keine Demokratie." „Dann ernennst du dich hiermit zum allein regierenden Dik tator?" spottete er sanft. „Mach dich darauf gefasst." Amüsiert verzog er den Mund. „Ich hielt mich immer für einen gestandenen Mann. Für jemanden, der die Dinge gern selbst in die Hand nimmt. Mir scheint, dass ich mich auf die falsche Frau eingelassen habe." „Du magst starke Frauen", konterte sie. „Vermute ich jedenfalls. Immerhin, deine Verlobte ... deine frühere, meine ich ..." „Gillian?" fragte er. „Gegen dich war sie lammfromm." „Sie aß Eisennägel zum Frühstück", korrigierte Elise. „Gezuckert, natürlich. Sie besaß Eisenfäuste in Samthandschuhen." „Wir haben uns einvernehmlich getrennt." Chance lenkte ein. „Trotzdem hast du Recht, Daisy. Ich mag starke Frauen. Und dich mag ich besonders." Das war schon fast eine Liebeserklärung, noch dazu in Gegenwart seiner Schwester. Langsam begann Daisy zu hoffen, dass Chance vielleicht doch der richtige Mann für sie und ihr Kind sein könnte. Dienstag nach der Arbeit hielt Chance vor einem Blumenladen an und kaufte einen Strauß gelber Margeriten und rosafarbener Rosen. Sie erinnerten ihn an Deirdre. An seine Deirdre. Er wusste nicht, wie sie auf die Blumen reagieren würde. Vielleicht würde sie sich überschwänglich bedanken, vielleicht würde sie ihm die Blumen an den Kopf werfen. Wie alle Schwangeren unterlag sie starken Stimmungsschwankungen. Daisy stellte die Blumen einfach in eine Vase, während Chance seine kleine Reisetasche auspackte. Seine Schwestern hatten den werdenden Vater schon reichlich mit Babysachen beschenkt. „Du hast viel Gepäck dabei, findest du nicht?" bemerkte Daisy, als sie die Blumen in der grünen Vase auf den Tisch stellte. Sie drehte die Vase herum. Chance bemerkte mit Schrecken, dass sein Gesicht auf dem Gefäß prangte. Natürlich eine, Karikatur. Lange, seidige Augenwimpern. Schmachtende, weit aufgerissene Augen. Ein arrogantes Grinsen. „Ich war sehr wütend, als ich diese Karikatur gemacht habe", entschuldigte sich Daisy. „Ich habe in diesem Monat einige Dutzend Köpfe getöpfert. Ich finde, dass sie immer besser werden. Handwerklich ausgefeilter und künstlerisch origineller." „Was bist du eigentlich?" fragte Chance unvermittelt. „Ich meine, bist du in erster Linie Galeristin oder eher Künstlerin?" „Darüber habe ich nie nachgedacht." Sie ließ sich neben ihn auf die Couch fallen. „Natürlich würde ich die Galerie niemals aufgeben. Aber es ist mir ebenso wichtig, als Künstlerin zu arbeiten." „Und das Baby?" fragte er. Ihre Antwort brachte das Thema mal wieder auf den Tisch. „Wie willst du deinen Terminkalender als Künstlerin und Geschäftsfrau mit der Mutterrolle vereinbaren?" „Ich engagiere einen Babysitter", antwortete sie. Wenn sie mich heiraten würde, dachte Chance; müsste sie nur noch halbtags arbeiten und könnte noch eine Hilfe für die Galerie einstellen. Aber Chance bezweifelte, dass es klug war, ihr diesen Vorschlag zu machen. „Ich kann samstags auf das Kind aufpassen", bot er stattdessen an. „Du willst Windeln wechseln?" fragte sie erstaunt. „Denk dran, ich habe sieben jüngere Schwestern. In meinem Leben habe ich schon viele Windeln gewechselt, Fläschchen aufgewärmt, Pflaster aufgeklebt und Babys gefüttert."
„Toll." „Nicht wirklich." „Stimmt. Frauen machen das nämlich rund um die Uhr. Seit Jahrhunderten." Entspannt lehnte sie sich zurück. Als Chance ihr zärtlich mit den Fingern durchs Haar fuhr, schloss sie die Augen. „Aaah, das tut gut. Viel zu gut." „Wie kann es zu gut sein?" fragte er leise und rieb ihr mit den Fingerspitzen über die Kopfhaut. „Übrigens, hatte ich nicht versprochen, dir den Rücken zu massieren?" Abrupt setzte Daisy sich auf. Das schlechte Gewissen stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Du weißt, wie schwer es mir fällt, dein Angebot abzulehnen. Aber wir beide wissen, dass es zu riskant ist, wenn wir uns gegenseitig berühren." „Warum? Du kannst schließlich nicht schwanger werden", schnappte er beleidigt zurück. Schelmisch piekste sie ihm mit dem Finger in die Seite. „Das war nicht sehr nett! Was ist mit dem sagenhaften Playboy ge schehen, von dem alle Welt schwärmt?" „Das hast du von Elise, nicht wahr?" Er machte einen Satz nach vorn, griff nach Daisys Arm und zog sie, bis sie flach auf der Couch lag. Daisy kicherte vor Vergnügen. „Du solltest nicht alles glauben, was du hörst." Er schob ihr Hemd nach oben, beugte sich nach vorn und blies seinen Atem geräuschvoll auf ihren nackten Bauch. „Hey, hör sofort auf!" kicherte sie und versuchte, ihn wegzustoßen. „Ich mache Musik für das Kind!" Wieder blies er ihr auf den Bauch. „Klingt nicht gerade wie Mozart!" „Mozart wird hoffnungslos überbewertet." Er setzte sich wie der auf. „Siehst du? Wenn ich bei dir bin, hast du viel zu lachen." Es überraschte Chance ein wenig, dass er mit der Mutter seines Kindes so umging wie mit seinen Schwestern, als sie noch jünger waren. Aber was konnte schon falsch sein an der albernen Spielerei? Wenn zwei Menschen viel Zeit miteinander verbrachten, dann sollten sie unbedingt ein bisschen Spaß haben. „Nein", sagte Daisy plötzlich. „Was ,nein'?" „Zu allem, was du gerade planst. Du atmest schwer, deine Augen sprechen Bände", sagte sie. „Ich zeig dir jetzt besser dein Schlafzimmer." Sie stand auf, griff nach seiner Reisetasche und ging in den Flur. Wie kann sie mich nur so stehen lassen? Chance hätte schwören können, dass sie ebenfalls schwer geatmet hatte. Diese Frau hatte Nerven wie Drahtseile. Er nahm seinen Koffer und folgte ihr. „Teilen wir das Bad?" „Du kannst das Gästebad benutzen", erwiderte sie. „Leider hat es nur eine Dusche, keine Badewanne. Und lass die Handtücher nicht auf dem Boden liegen." Dann zeigte Daisy ihm das Zimmer, das genauso sparsam eingerichtet war wie die gesamte Wohnung. Chance stellte seinen Koffer ab. „Schlaf gut", wünschte sie kühl und war schon verschwunden. Chance fühlte sich wie ein bedauernswerter Kater, der abends im Tierheim in seinen Käfig gesperrt wird. Die Umgebung mochte recht bequem sein, aber die Umstände ließen zu wünschen übrig. Sehr sogar.
7. KAPITEL
Dank der Schwangerschaftshormone schlief Daisy den ganzen folgenden Monat hindurch ausgesprochen gut. Wenn sie mal wach wurde, freute sie sich allerdings sehr darüber, dass Chance in ihrer Nähe war. An einem Samstagabend Mitte August nahmen sie beide ein leichtes Abendessen ein und gingen dann schwimmen. Das kühle Wasser im blau gekachelten Pool war eine willkommene Erfrischung nach der drückenden Hitze des Tages. Krampfhaft versuchte Daisy, ihren Blick nicht unablässig auf das Spiel seiner fantastischen Rückenmuskulatur zu richten, während er schwamm. Die knappe schwarze Badehose ließ seine schmalen Hüften noch männlicher wirken. Sie musste sich eine Abendunterhaltung ausdenken, die sie beide zerstreuen würde. Chance hatte gefragt, ob sie mit ihm tanzen gehen wollte. Als sie ablehnte, hatte er ihr angeboten, sich mit ihm die neue Einrichtung seiner Wohnung anzuschauen. Er hatte sogar eine der Karikatur-Vasen gekauft, mit denen sie experimentiert hatte. Ja, sicher, dachte Daisy bitter. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als einen Abend mit dir in dem Haus zu verbringen, in dem wir uns das erste Mal geliebt haben. Wir wissen ja, wohin uns das gebracht hat. „Hey, schwimmst du oder träumst du?" rief Chance ihr zu, als er wieder einmal an ihr vorbeizog. Daisy ließ sich nicht stören und paddelte bedächtig bis zum Rand des Beckens. „Ich ergehe mich gerade in künstlerischen Träumen", gab sie zurück. „Hast du eine neue Idee?" Seine Frage erinnerte Daisy daran, dass sie ihm noch etwas erzählen wollte. Bevor sie loslegen konnte, entdeckte sie Helen und Rolland Madison, die den Garten durchquerten und auf sie zukamen. Beim Pool blieben sie stehen. „Bestimmt hast du heute schon mit Frannie gesprochen, oder?" fragte Helen. Chance schwamm zu ihnen hinüber. „Hallo! Was führt euch denn hierher?" fragte er fröhlich. „Meine Frau sorgt sich um Frannie und Bill", berichtete der ehemalige Marineoffizier, den Rücken straff aufgerichtet. „Sie wollen heute Abend mit ein paar neuen Freunden losge hen", erklärte Helen. „Eine Katzenkolonie versorgen, hat Frannie gesagt. Das klingt Besorgnis erregend, findet ihr nicht? Eine Kolonie streunender Katzen!" „Ich bezweifle, dass sie bewaffnet sind, meine Liebe", wand te Rolland trocken ein. „Und wenn sie Frannie blutig kratzen oder beißen?" fuhr seine Frau fort. „Katzen können Tollwut übertragen, denk dran." „Ihr macht mich richtig neugierig", gestand Chance. „Ich schlage vor, dass wir uns gemeinsam anschauen, was sie vorha ben. Wann geht die Sache los?" „Frannie sagt, nach dem Abendessen", meinte Rolland. „Also jetzt gleich." Chance und Daisy kletterten aus dem Pool. „Wir ziehen uns um und reden dann mit Frannie." Er griff nach seinem Handtuch. Die Madisons bedankten sich und setzten ihren Abendspaziergang fort. „Ich hoffe, es ist dir recht?" Chance schaute Daisy fragend an. „Ich habe einfach eingewilligt. Ohne zu wissen, was du willst." „Ein bisschen spät, jetzt noch zu fragen", meinte Daisy lächelnd. „Aber es ist in Ordnung. Ich bin selbst gespannt." „Rühr die Katzen bloß nicht an", warnte Frannie. Sie stand mit Daisy und einer kleinen Gruppe anderer Leute neben einem großen Gebäudekomplex. „Du bist schwanger, und Katzen können ... Wie heißt doch die Krankheit?" „Toxoplasmose", warf Neil Beecham ein. Chance war erstaunt, dass seine großmütterliche Sekretärin sich in ihrem Privatleben um streunende Katzen kümmerte. Vor ein paar Minuten hatte sie Chance erzählt, dass sie zwei
Siamkatzen besaß, die sie vor dem Tierheim gerettet hatte. Die Gruppe bestand aus ihm und Daisy, Bill und Frannie, Neil und ihrer Freundin Sarita, die ebenfalls über sechzig Jahre alt war. Heute Abend wollten sie einen kürzlich kastrierten Kater, der unglücklich in einer großen Katzenbox untergebracht war, in seinem alten Revier in die Freiheit entlassen. „Wir haben den Anwohnern erklärt, wie unser Versorgungs system zu ihrem Vorteil funktioniert", erklärte Neil. „Wenn die Kolonie aufgelöst wird, kommen schnell neue Katzen. Der Müll zieht sie magisch an, und sie vermehren sich wie verrückt. Wenn allerdings wir die Versorgung übernehmen, bleibt die Kolonie gesund und stabil." Sie hörten ein deutliches Miauen. „Seht nur, hier sind sie!" rief Daisy leise. Sie machte ein paar Schritte nach vorn und blieb dann stehen. Vor ihren Füßen erblickte Chance einen Schwanz, der hinter einer Blechdose verschwand. Ein Katzengesicht zog sich in einen Karton zurück. Einige kräftige Katzen stelzten auf sie zu, obwohl keine von ihnen sic h so weit heranwagte, dass man sie hätte berühren können. Frannie und Bill machten sich unter Saritas Anweisungen an die Arbeit. Sie platzierten die Fressnäpfe aus Blech, füllten sie mit trockenem Katzenfutter auf und stellten Wasser aus einem Kanister hinzu. „Jede Katze hat eine ganz individuelle Persönlichkeit", erklärte Neil. „Nach einer Weile lernt man sie kennen." „Sie sind wirklich süß!" Daisys Augen leuchteten wie Kinderaugen zu Weihnachten. „Ich wünschte, dass ich sie alle mit nach Hause nehmen könnte", pflichtete Frannie ihr bei. „Nicht diese Tiere", warnte Neil eindringlich. „Du willst sie in die Wohnung mitnehmen?" Bill schluckte. „Der Kater würde sie in kürzester Zeit verwüsten." „Jetzt lassen wir ihn frei", kündigte Sarita an und deutete auf den kastrierten Kater im Katzenkäfig, den sie dabeihatten. Als Sarita die Klappe öffnete, tappte ein getigerter Kater he raus. Nervös bewegte er die Ohren, ließ den Blick schweifen, schnüffelte ein wenig in der Luft und sprang schließlich davon, um einen Haufen halb leerer Konservendosen zu inspizieren. „Wir lassen die Näpfe hier und holen sie später ab", schlug Neil vor. „Schließlich müssen wir heute Abend noch zwei weitere Kolonien versorgen." Sie holte den leeren Käfig. Die Frauen gingen voran, als sie den Rückweg antraten. Bill, der Hausmeister von Mesa Blue, spazierte neben Chance. Schließlich räusperte er sich. „Ich hab mich nie besonders für Katzen interessiert", gab er zu. „Aber wenn man sich näher mit ihnen beschäftigt, sind es plötzlich sehr interessante Tiere." „Bestimmt", erwiderte Chance. Er interessierte sich viel mehr für die Begeisterung, die sich beim Anblick der Tiere auf Daisys Gesicht gezeigt hatte. „Wenn man nach einer Frau verrückt ist, dann muss man sie vorangehen lassen. Sie wird den Weg weisen", sinnierte Bill. „Und man muss ihr folgen." „Was meinen Sie damit?" „Also, ich liebe das Leben in der Natur", erläuterte Bill. „In der Wildnis und auf dem Campingplatz bin ich in meinem Element. Oder ich gehe ins Stadion zum Baseball. Aber Frannie liebt ihre Katzen, also sollte ich mich auch dafür interessieren. Und sie muss mir natürlich entgegenkommen. Aber ich denke, dass wird sie auch tun." Sie wird den Weg weisen. Vielleicht sollte ich darüber bei Gelegenheit mal nachdenken, gestand Cha nce sich im Stillen ein. Schließlich saßen er und Daisy in seiner Luxuslimousine und fuhren ziellos durch die Straßen. „Hat dir der Abend Spaß ge macht?" Im Mondlicht leuchteten ihre Augen silbergrün auf. „Es ist großartig, wenn man jemandem helfen kann. Gleichgültig, ob es sich um Menschen oder um Tiere handelt."
„Obwohl Katzen nicht unbedingt vorbeischauen und sich bedanken." „Das tun Menschen auch nicht immer." „Stimmt", antwortete er. „Daisy, ich möchte dich etwas fragen. Über unsere Beziehung." „Was denn?" fragte sie mit angespannter Stimme. „Du hast mal gesagt, dass ich zu sehr den Ton angebe. Dass ich dauernd Vorschriften mache." „Wirklich?" „Denkst du das immer noch?" fragte er nachdenklich. „Bill sagte vorhin, dass es wichtig wäre, dem Weg zu folgen, den eine Frau weist. Ich bezweifle, dass ich genügend Rücksicht auf dich nehme." Daisy starrte auf ihren Schoß. „Ich weiß nicht." „Komm schon. Du hast doch sonst zu allem eine Meinung", sagte Chance mit leichtem Spott in der Stimme. „Es ist seltsam, darüber zu sprechen." Daisys Brust hob und senkte sich, als ob sie innerlich sehr erregt war. „Ich weiß nicht, wie man über solche Dinge redet. Normalerweise diskutiert man darüber nicht. Das ist jedenfalls meine Erfahrung." „Worüber diskutiert man dann?" Chance hielt an einer roten Ampel. Unwillkürlich war er zu seinem Büro gefahren, das nur noch ein paar Häuserblocks entfernt lag. „Man spricht über das, was man erlebt hat", antwortete Daisy. „Über Leute, die man kennt, über Filme, die man sich ange schaut hat, über Politik und solchen Kram. Oder man streitet und schreit sich an. Aber diskutieren? Nein, man diskutiert einfach nicht." „Ich möchte mit dir über das Gleichgewicht der Kräfte in unserer Beziehung diskutieren", schlug Chance vor. „Ich weiß nicht, was das bedeutet." „Das bedeutet, dass wir einander immer mit Respekt begegnen sollten", antwortete er schlicht. „Dann bekommen wir beide, was wir brauchen." „Oh!" stieß sie plötzlich aufgeregt hervor. „Fast hätte ich es vergessen. Ich wollte dir etwas erzählen. Und zeigen. Können wir zur Galerie fahren?" „Gern." Er wollte sie nicht drängen. Um diese Uhrzeit war es dunkel in der Galerie. Daisy führte Chance in den Verkaufsraum und knipste das Licht an. „Sieh nur!" Triumphierend deutete sie auf einen leeren Platz zwi schen einer Skulptur aus Draht und einem verspielten Gürteltier aus Metall. „Du hast mich hergeführt, um mir eine leere Stelle zu zeigen?" fragte Chance verwundert. „Warte mal. Es ist ein Scherz, nicht wahr? Wir stehen hier, und nach einer Weile bewundern wir die Konturen der Leere. Und die Kunst der Staubwolke." Daisy kniff ihn sanft in den Arm. „Sei nicht blöd! Hier stand meine getöpferte Karikatur. Ich habe sie heute verkauft. Für fünfhundert Dollar!" Chance empfand plötzlich Stolz, so als ob er selbst einen großen Coup gelandet hatte. „Gratuliere!" „Ich hatte sie nur eine Woche lang in der Verkaufsausstellung", fügte Daisy strahlend hinzu. Spontan umarmte er Daisy. Ihr dichtes Haar streifte seine Wange. Es duftete nach Rosenblüten. In seinen Armen fühlte sie sich zart und wundervoll rundlich an. Er hob ihr Kinn mit dem Zeigefinger an. Dann fuhr er leicht mit dem Mund über ihre vollen Lippen. Die Berührung ihrer Zungen nahm ihn sofort gefangen. Mit einer Hand umfasste er ihren Rücken, während er mit der anderen sanft ihren Kopf nach hinten zog. Dann küsste er sie leidenschaftlich. Daisy spannte sich an und versuchte, sich aus seiner Umarmung zu lösen. Aber er hielt sie umklammert, während er kleine Küsse auf ihren Wangen verteilte und schließlich dicht bei ihrem Ohr landete. Sie rang nach Luft und griff nach seinen Schultern. Nach dem Schwimmen hatte er ein kurzärmeliges Hemd übergezogen. Ich hätte nichts dagegen, wenn er gar nichts anhätte,
dachte sie, als sie mit ihren Händen über seine Brust strich. Chance drängte sich gegen sie. Wenn ein Sofa in der Nähe ge wesen wäre, hätte er sie dorthin geführt und leidenschaftlich geliebt. Auf der Stelle. „Oh Chance! Das darf nicht wahr sein!" rief sie plötzlich und brach den Zauber des Augenblicks. „Was ist?" fragte Chance erstaunt. „Es hat sich bewegt!" rief sie strahlend. „Hier drinnen! Als du dich gegen mich gequetscht hast. Genau hier." Sie zeigte auf ihren Bauch. „Meinst du, dass das Baby sich so früh schon bewegt? Ich bin doch erst im vierten Monat." „Ich will es auch spüren", sagte Chance. Die verführerische Stimmung war verflogen. Chance kniete sich hin und presste sein Ohr auf ihren Bauch. „Hörst du was?" Er konnte die Wärme ihres Körpers durch den dünnen Stoff hindurch spüren. In ihrem Innern pulsierte das Leben, aber vielleicht waren es auch nur die normalen Körpergeräusche, die er vernahm. „Dein Magen blubbert", stellte er prosaisch fest. „Nein! Oder vielleicht doch?" Chance stand wieder auf. „Ich weiß nicht, was genau du ge spürt hast. Aber wenn du meinst, dass es sich bewegt hat, dann wirst du recht haben. Ach Daisy, ich hätte dir gleich noch einen Antrag machen sollen, wenn ich schon mal auf Knien vor dir liege!" Daisy kicherte. „Du bist ein hoffnungsloser Fall." „Es wird ein Junge", verkündete Chance. Er wollte wissen, wie Daisy reagierte. „Zu Ehren des heutigen Abends sollten wir ihn ,Tom' nennen." Sie ging auf das Spiel ein. „Und wenn es ein Mädchen wird, soll sie ,Kitty' heißen. Oder?" Angestrengt dachte er nach. Vielleicht würde ihm noch ein besserer Jungenname einfallen. „Okay, ich gebe mich geschlagen", gestand er schließlich. „Du suchst den Namen für unsere erste Katze aus." „Du bist ein schlechter Verlierer!" Sie grinste triumphierend. „Hilf mir, eine neue Arbeit in die Ausstellung zu bringen, und ich vergebe dir." Es ist komisch, dachte Chance, als sie die Galerie schließlich wieder verließen. Wir haben nicht miteinander geschlafen, und doch sind wir uns heute Abend wesentlich näher gekommen als jemals zuvor.
8. KAPITEL Es war merkwürdig still in der Küche. Am Sonntagmorgen trat Daisy aus dem Bad und blieb kurz im Flur stehen. Sie wunderte sich, dass Chance nicht wie üblich mit dem Geschirr klapperte. Er war morgens ein wahres Energiebündel. Am Wochenende bereitete er oft arme Ritter oder Pfannkuchen zum Frühstück zu. Sie straffte den Gürtel ihres Bademantels und ging durchs Wohnzimmer. Als sie die Küche betrat, entdeckte sie, dass er mit einem Buch in der Hand am Tisch saß und las. 2002 Ways to Wed prangte in blauen Buchstaben auf dem Umschlag. „Ein komischer Zufall." Chance legte den Ratgeber auf den Tisch. „Du lehnst meinen Heiratsantrag strikt ab und entpuppst dich dann als Frau, die verzweifelt einen Ehemann sucht." „Nein, ich suche nicht!" widersprach sie heftig. Nun, vielleicht schon. Aber nur, weil sie sich sehnlichst Kinder wünschte und bald welche bekommen musste. „Deine Schwester und Phoebe haben es mir geschenkt, als sie mich verkuppeln wollten." „Kann ich es mir ausleihen?" bat er. „Weißt du, bevor eine Scheidungssache beim Gericht landet, machen wir immer einen Schlichtungsversuch. Beide Parteien machen sich mit der Sicht der anderen Seite vertraut. Uns hilft es, die Verhandlung vorzubereiten. Dafür könnte das Buch nützlich sein." „Du willst dich damit also auf deine Verteidigung vorbereiten?" Er lachte. „So ungefähr." Daisy zog ihm das Buch aus den Händen. „Kauf dir dein eigenes Exemplar." „Um diesen Unsinn zu unterstützen?" Offenbar scherzte er nur. „Also, ich habe ein paar Kapitel durchgeblättert und fand sie sehr anregend." „Und? Hast du etwas gelernt?" Daisy nahm sich eine Tasse, gab einen Teebeutel hinein und goss Wasser auf. „Ich habe gelernt, dass ich dich nicht ausnutzen soll", ant wortete Chance. „Und dass dein erster Eindruck auf mich nachhaltig war. Ich habe außerdem gelernt, dass du mich heiraten solltest, weil es nicht dasselbe ist, wenn man nur gemeinsam in einer Wohnung lebt." Machte er wieder nur Witze? Daisy zweifelte nicht an der Ernsthaftigkeit seines Antrags. Aber sie hatten zu wenig Gemeinsamkeiten, wenn man von ihrem ungeborenen Kind einmal absah. In den vergangenen Wochen hatte sie sich daran gewöhnt, dass Chance in ihrer Nähe war. In den Nächten, die er nicht bei ihr in der Wohnung verbrachte, war sie unruhig hinund hergelaufen. „Mir gefällt es, wie es im Moment zwischen uns läuft. Ich bin wirklich glücklich", log Daisy. „Übrigens, im ,Prickly Pear' gibt es heute Abend ein Menü rund um die Kartoffel. Wollen wir hingehen?" „Klar. Oh warte mal." Chance biss in seinen Toast. „Ich muss für die Verhandlung morgen Vormittag noch einige Akten studieren. Ein komplizierter Sorgerechtsfall." „Warum ist es kompliziert, wenn ich fragen darf? Oder ist das dein Anwaltsgeheimnis?" „Einzelheiten kann ich dir nicht verraten", meinte Chance. „Der Vater, ein prominenter Mann, will das Sorgerecht für seine beiden Kinder. Er tut alles, damit seine Frau in der Öffentlichkeit als unverantwortlich dasteht. Dabei kennt er noch nicht einmal die Freunde seiner Kinder oder ihr Lieblingsessen. Er lacht höhnisch, wenn sein Sohn beim Fußballspielen den Ball verliert, und hat seine Tochter einmal zu Tränen ge demütigt, als sie bei einer Tanzaufführung im Kindergarten aus dem Takt geriet. Dabei ist sie erst fünf Jahre alt." „Dann geh, und bereite dich gut vor", meinte Daisy versöhnlich. „Du musst unbedingt gewinnen." Eine halbe Stunde später stand er mit seiner kleinen Reisetasche im Flur und verabschiedete sich von Daisy mit einem Kuss auf die Wange. Sie drehte den Kopf zur
Seite, bevor sein Kuss auf ihrem Mund landen konnte. „Wir sehen uns erst am Dienstag", sagte Chance. „Viel Glück bei der Verhandlung", erwiderte Daisy. Es klang sehr unpersönlich, aber ihr fiel nichts Besseres ein. In Wahrheit würde sie ihn vermissen. Sie vermisste ihn schon, kaum dass die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war. Daisy traf sich mit Elise und Phoebe im „Prickly Pear". „Wir müssen über den Hochzeitsempfang reden", meinte Elise, nachdem alle drei bestellt hatten. „Vor allem über die Musik." „Ich dachte, du hast eine Band engagiert", sagte Daisy. „Ja, schon, aber ich muss trotzdem ein paar Songs aussuchen. Besonders für den ersten Tanz", antwortete Elise. „Solche Dinge überlässt man besser nicht der Band. Sonst spielen die irgendwas Blödes zum Auftakt und der Tanz ist gelaufen." „Ich weiß, welchen Song sie auf meiner Hochzeit spielen sollen", platzte Daisy heraus. „,Ein zauberhafter Abend'. So hat schließlich alles angefangen." Sie unterbrach sich, als ihr bewusst wurde, was sie da gerade sagte. „Ich meine, wenn Chance und ich jemals heiraten sollten, was sehr unwahrscheinlich ist." „Klingt, ganz danach, als würde ich bald eine Schwägerin bekommen." Elise schien glücklich. „Du wärst meine erste und einzige Schwägerin. Ich habe schließlich nur einen Bruder." „Ich fürchte, du musst die Brautjungfer sein", meinte Daisy lächelnd. Dann sah sie entsetzt drein. „Ach, du liebe Güte. Sechs Schwestern. Hoffentlich wollen sie nicht alle Brautjungfer sein. Oder?" „Nein, bestimmt nicht. Sie sind schließlich auch nicht meine Brautjungfern. Warum dann bei Chance?" „Sind sie deshalb eigentlich wütend?" erkundigte Phoebe sich. „Nein, erleichtert", erklärte Elise. „Sie haben ihre eigenen Hochzeiten hinter sich gebracht und die all ihrer Schwestern. Langsam sind sie es Leid, immerzu Kleider für ihren Auftritt als Brautjungfer zu kaufen und sie dann für die nächsten Jahre in den Schrank zu hängen." Während ihre Freundinnen sich angeregt über Brautkleider und Hochzeitsmusik unterhielten, hing Daisy weiter ihren Träumen nach. Unwillkürlich musste sie sich vorstellen, wie Chance vor dem Altar stand und auf sie wartete. Dann würde er sich umdrehen und ihr zulächeln, während sie am Arm ihrer Mutter durch die Kirche schritt. Nur für ihn hätte sie Augen. Für seinen warmen und freund lichen Blick. Ein Playboy, der sich in sie verliebt hatte. Ein ge zähmter Zugvogel. „Deine Schinkenkartoffeln müssen Drogen enthalten." Phoebes Stimme drang in ihre Tagträume. „Du machst ein ziemlich dämliches Gesicht." „Sie guckt nicht dämlich", widersprach Elise. „Sie ist verliebt." „Bin ich nicht!" Wie auf Befehl durchwühlten die beiden Freundinnen ihre Handtaschen, zogen einen kleinen Spiegel hervor und hielten ihn Daisy vor das Gesicht. Sie musste sich ansehen. Gerötete Wangen. Glänzende Augen. Die Lippen leicht geöffnet. „Das passiert mir immer bei Kartoffeln", erklärte Daisy grinsend. Die Taschenspiegel schlössen sich gleichzeitig. „Ja, klar", kommentierte Phoebe. Den Rest des Abends verfolgte Daisy schweigend das Gespräch ihrer Freundinnen. Es war ihr peinlich, dass sie bei ihrer heimlichen Träumerei ertappt worden war, besonders, weil beide wussten, wer der Held ihrer Fantasiespiele war. Trotzdem, sie war nicht verliebt. Sie mochte Chance sehr. Sex mit ihm war wirklich fantastisch gewesen, aber bisher war es ihr doch ohne Probleme gelungen, der Versuchung zu widerstehen, oder? Vielleicht bin ich dabei, mich zu verlieben, entschied Daisy schließlich. Doch es war
immer noch Zeit genug, sich zurückzuziehen, wenn sie es wollte. Am Montagmorgen eilte sie in die Galerie. Seit sie die erste Karikatur verkauft hatte, sprühte sie nur so vor guten Ideen, und sie konnte es gar nicht erwarten, ihre Experimente fortzusetzen. Wenn ich noch mehr von den Skulpturen verkaufe, kann ich langsam ernsthaft an eine Ausstellung denken, überlegte sie. Für das nächste Frühjahr hatte sie bisher kaum Vernissagen ge plant. Konnte sie es wagen, sich einen Termin für sich selbst zu reservieren? Chance hatte es ihr dringend empfohlen. Inzwischen war Daisy überzeugt, dass er nicht der Typ war, der jeder Frau solche Komplimente machte. Wenn er ihre Arbeit nicht ehrlich bewundern würde, dann hätte er es nicht gesagt. Der dichte Verkehr wälzte sich mühsam durch die verstopften Straßen. Entnervt hielt Daisy an einer roten Ampel, als sie plötzlich eine braune Luxuslimousine entdeckte, die in der Fahrspur neben ihr etwas weiter vorn an der Ampel stoppte. Der Wagen sah aus, als ob er Chance gehörte. Er hatte das Schild des Händlers noch nicht abgemacht. Die Ampel schaltete auf grün. Ihre Autoschlange fuhr schneller als die Schlange neben ihr. Sie schaute hinüber. Kein Zweifel, Chance saß hinter dem Lenkrad. Er war nicht allein. Neben ihm saß die superblonde Frau, die er vor zwei Monaten vor dem Restaurant umarmt hatte. Gerade wandte die Frau sich zu ihm hinüber, tätschelte ihm den Arm und lächelte selig. Daisys Herz blieb beinahe stehen. Sie konnte sich nicht selbst belügen. Es gab nur eine logische Erklärung dafür, dass die beiden so früh am Morgen zusammen unterwegs waren. Das Paar hatte die Nacht zusammen verbracht. Und jetzt fuhr er seine Geliebte zur Arbeit. Kaum zu glauben, so groß war der Schmerz. Der Betrug überwältigte sie regelrecht. Es war gut, dass sie sich geweigert hatte, mit ihm zu schlafen. Ihrer Erfahrung nach wollten die Männer nur Sex, und wenn sie das von einer Frau nicht bekamen, dann gingen sie eben zur nächsten. Aber Chance? Unmöglich, dass er so handelte. Oder war er doch nur ein herzloser Playboy? Vollkommen verwirrt erreichte Daisy die Galerie und stellte ihren Wagen ab. Sie blieb im Wagen sitzen und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Es gelang ihr nicht. Sie verspürte nur eine Welle von Traurigkeit und Schmerz, die von Minute zu Minute anschwoll. Sie schlang die Arme um ihren Körper und versuchte krampfhaft, die Tränen zurückzuhalten. Vergeblich. Schließlich rannen sie ihr heiß die Wangen hinunter. Plötzlich fand sie sich unglaublich naiv, dass sie Chance jemals vertraut hatte. Sie war wütend. Warum tat er ihr das nur an? Und sie fühlte sich verloren, weil sie ihn liebte. Trotz allem. Nein, so schnell würde sie nicht aufgeben. Sie musste ihn mit ihrer Entdeckung konfrontieren. Hoffentlich hatte er eine gute Erklärung. Und wenn nicht? Wie betäubt schlüpfte Daisy in ihre Arbeitsklamotten und begann, den Ton zu kneten. Ihr war, als ob ihre Nerven jeden Augenblick mit ihr durchgehen würden. Auf keinen Fall würde sie das Gespräch mit Chance bis zum nächsten Abend verschieben. Doch andererseits konnte sie unmöglich einfach in sein Büro platzen. Abgesehen davon hatte er gesagt, dass er im Gericht zu tun hatte. Hatte er ihr die Wahrheit gesagt? Am Nachmittag hielt sie die Anspannung nicht länger aus. Sie räumte die Werkstatt auf. Dann schrubbte sie sich die Hände und das Gesicht, griff zur Bürste und fuhr sich damit durchs Haar. Das Gesicht war voller geworden. Einer der wenigen Vorteile der Schwangerschaft.
Was für ein Klischee! dachte sie und zog die Nase kraus, als sie sich im Spiegel betrachtete. Die betrogene, schwangere Frau stürzt in das Büro ihres Ehemannes und trifft auf ihre glamouröse Nebenbuhlerin. Natürlich erwartete sie nicht, die blonde Schönheit dort anzutreffen. Schließlich war sie fertig. Sie schulterte ihre Handtasche, verließ die Galerie und ging zu Fuß zu seinem Büro. Es war nicht leicht gewesen, eine Flasche prickelnden Champagner in der Nähe des Büros aufzutreiben, aber der Anlass war es wert. Chance klemmte sich die Flasche unter den Arm und summte zufrieden vor sich hin. Er wollte schnell zurück ins Büro, bevor die heiße Augustsonne den Champagner unter seinem Arm zu sehr aufwärmte. Dicht vor ihm betrat eine Frau das Bürogebäude, deren rotbraunes Haar ihn stark an Daisy erinnerte. Als sie die Fahr stühle erreichten, drehte sie sich um. Es war tatsächlich Daisy. „Hallo", sagte er erfreut. Ihre grünen Augen weiteten sich vor Überraschung. „Oh." Er hielt ihr die braune Tüte mit der Champagnerflasche entgegen. „Du kommst gerade rechtzeitig. Wir feiern." „Was denn?" „Das erzähle ich dir, wenn wir oben sind." Er vermutete, dass sie ihn zum Essen begleiten wollte. In letzter Zeit hatte sie ihn oft außerhalb der vereinbarten Zeit eingeladen. Und das freute ihn natürlich sehr. „Ist irgendetwas passiert?" fragte er dennoch vorsichtshalber. „Wir müssen reden." „Gerne. Ich hoffe allerdings, dass du es nicht eilig hast." „Also ..." Er öffnete die Tür zu seinem Büro. Drinnen standen zwei Frauen mit strahlenden Gesichtern. Im Aufenthaltsraum hatte Neil Beecham bereits die Sektgläser auf den Tisch gestellt. Lanie Atherton, die Frau, deren Sorgerechtsfall er am Vormittag vor Gericht gewonnen hatte, hatte einen chinesischen Imbiss zum Mittagessen besorgt. „Ich habe eine Flasche ergattern können." Er zog den Champagner aus dem Papier. „Und seht, wen ich mitgebracht habe." „Schön!" Neil begrüßte Daisy. „Es tut mir Leid, dass wir am Sonntagabend nicht ausführlicher miteinander gesprochen ha ben Aber wenn ich in Katzenmission unterwegs bin, dann lässt meine gesellige Seite sehr zu wünschen übrig." „Das muss Ihre Verlobte sein!" Lanie hatte den feinen Unterschied zwischen einer schwangeren Freundin und einer Verlobten offenbar nicht begriffen. „Ich hatte gehofft, dass ich Sie kennen lernen würde. Sie müssen sehr glücklich sein! Chance ist ein wundervoller Mann!" Sie umarmte Daisy stürmisch und drückte ihr einen dicken Kuss auf die Wange. Mit ihren aufgedonnerten blonden Haaren und ihrem übertriebenen Make-up machte sie den Eindruck, dass sie nur ein billiges Sexpüppchen war. Tatsächlich verbarg sich eine ernsthafte, reife Persönlichkeit hinter ihrer Maske. „Sie hätten Chance heute im Gericht sehen sollen!" fuhr sie fort und machte sich über den chinesischen Imbiss her. „Ich kann es kaum glauben, dass wir tatsächlich gewonnen haben. Mein Exmann ist wirklich ein Schuft. Angeblich bin ich die verantwortungsloseste Mutter, die man sich nur vorstellen kann. Aber nachdem Chance sein Plädoyer gehalten hatte, ist mir das Sorgerecht zugesprochen worden. Sicher, mein Ex hat ein Be suchsrecht, aber die Kinder leben bei mir." „Wundervoll", gratulierte Daisy mit warmer Stimme. „Setzen Sie sich doch. Als ich schwanger war, bekam ich immer sehr schnell geschwollene Beine." Neil bat sie auf die Couch, die neben dem Tisch stand. „Danke." Als sie sich setzte, entdeckte Chance einen winzigen Spritzer Ton an ihrer Schläfe.
„Du hast sicher hart gearbeitet." Er beugte sich zu ihr hinunter und rieb zärtlich den Ton von ihrer Haut. „Ich habe nur ein paar Klumpen geworfen." Lanie stockte und ließ die Stäbchen sinken. „Auf wen?" „Auf die Töpferscheibe", erwiderte Daisy. Lanie lachte. „Wie dumm von mir! Chance hat mir von Ihren wundervollen Skulpturen erzählt. Demnächst werde ich mit ein paar Freunden Ihre Galerie aufsuchen. Aber zuerst muss ich die Reifen wechseln." Sie machte eine Pause. „Mein Ex hat sie heute Morgen zerstochen. Ich vermute jedenfalls, dass er es war." „Oh wie schrecklich", sagte Daisy ehrlich entsetzt. „Ich wusste noch nicht einmal, wie ich zum Gericht kommen sollte. Deshalb habe ich Chance gebeten, mich abzuholen. Er kam sofort vorbei. Übrigens, sein neuer Wagen ist wirklich großartig! Eine Menge Platz für Sie und Ihr Baby und die anderen Kinder, sollten Sie noch mehr bekommen." Daisy grinste über das ganze Gesicht. „Könnte ich noch ein paar von den Garnelen bekommen? Sie duften einfach wundervoll." Statt des Champagners trank Daisy Mineralwasser. Sie unterhielt sich prächtig mit den beiden anderen Frauen. Chance freute sich sehr, dass sie in sein Büro gekommen war. Er wollte jeden besonderen Augenblick seines Lebens mit ihr teilen. Nachdem sie aufgeräumt hatten, erinnerte er sich daran, dass sie eigentlich etwas mit ihm besprechen wollte. „Was war es, weshalb du gekommen bist?" fragte er. „Ach, das." Daisy zuckte die Schultern. „Ich ... ich wollte dich für heute Abend zum Essen einladen. Hast du Lust?" „Natürlich", nahm er an. „Was kann ich mitbringen?" „Nur dich selbst." Sie nahm ihre Handtasche. „So gegen sie ben?" „Wunderbar." Irgendwie beschlich ihn das undeutliche Gefühl, dass sie ihn nicht aufgesucht hatte, um ihn einzuladen. Aber er wollte das Thema jetzt nicht vertiefen.
9. KAPITEL
Daisy war mit den Vorbereitungen noch nicht ganz fertig, als es klingelte. Sie wirbelte noch einen kurzen Augenblick in der Küche herum, warf einen hastigen Blick in den Spiegel und öffnete dann die Tür. Als sie ihn sah, wurde sie jedoch augenblicklich ruhig. Sein Anblick ermutigte und besänftigte sie gleichermaßen. Er überreichte ihr eine Schachtel mit Schokolade. „Schließlich treffen wir uns heute Abend außerhalb der vereinbarten Termine. Ich komme mir vor, als würde ich dir deine Zeit stehlen. Aber irgendwie macht mir das auch Spaß." Sie öffnete die Schachtel und sog den Duft der Schokolade tief ein. „Mmmh, mit Nussfüllung. Meine Lieblingsschokolade." Daisy hielt ihm die Schokolade unter die Nase. „Wir sollten das Abendessen ausfallen lassen und uns gleich dem Nachtisch zuwenden." „Das ist ungesund", warnte er im Scherz. „Tom oder Kitty wird es nichts ausmachen", widersprach Daisy mit gespieltem Protest. „Übrigens, wusstest du, dass Schokolade Antioxidantien enthält? Sie halten dich jung." „Sie enthält auch Koffein. Und das ist schlecht für das Baby. Aber wenn du es nicht weitererzählst, werde ich auch den Mund halten", lachte Chance. „Sag mal, worüber wolltest du heute Nachmittag eigentlich mit mir sprechen?" „Das ist nicht fair!" Sein Angriff traf Daisy vollkommen unvorbereitet. „Du hast mich kalt von hinten erwischt." „Alter Anwaltstrick", gab er zurück. „Hat sich im Kreuzverhör ausgezeichnet bewährt." „Wirklich? Oh, ich glaube, die Lasagne ist fertig." Sie griff nach den Topflappen und öffnete den Herd. „Du wechselst das Thema." „Alter Anti-Anwaltstrick." Leicht gebräunte Mozzarella warf Blasen auf der Lasagne. Vorsichtig zog sie die Auflaufform aus dem Backofen. „Perfekt. Jetzt muss die Lasagne noch eine Viertelstunde abkühlen. Zeit, um das Brot zu backen." Sie schob das vorbereitete Blech in den Backofen, stellte die Uhr ein und drehte sich zu Chance. „Du willst Brot backen?" Chance war erstaunt. „Nein. Ich toaste nur." Seine Krawatte war verrutscht. Der Anblick zog sie wie magisch an. Sie konnte dem Impuls nicht widerstehen und griff nach dem Knoten. Aber sie rückte ihn nicht gerade. Fragend zog Chance die Augenbrauen hoch. Er musste nur einen einzigen Schritt nach vorn machen, dann wäre sie mit dem Rücken zum Tisch gefangen. Im Augenblick würde sie ihm nicht widerstehen können. „Das Brot", erinnerte sie ihn. „Es braucht nur ein paar Minuten." „Zum Teufel mit dem Brot." „Du sollst in Gegenwart des Babys nicht fluchen." „Ich habe nur ,zum Teufel' gesagt. Weißt du eigentlich, wie verdammt schwer das für einen erwachsenen Mann ist?" „Erwachsene Männer müssen verzichten können." Er trat einen Schritt nach vorn. Jetzt war sie tatsächlich zwischen dem Tisch und seinem angespannten Körper einge klemmt. „Ich bin es Leid, immer nur zu verzichten. Wie wäre es mit ..." Die Uhr am Herd klingelte. Er zuckte zusammen, aber bewegte sich nicht einen Millimeter von ihr fort. „Ignoriere es." „Die ganze Wohnanlage wird nach dem verbrannten Brot stinken", gab Daisy zu bedenken. Chance zog ein mürrisches Gesicht. Schließlich trat er so weit zurück, dass sie an ihm vorbeischlüpfen konnte. Sie holte das Backblech aus dem Ofen und stellte es zum Ab kühlen auf den Tisch. Jetzt würden sie nur noch einen kleinen Augenblick auf das Essen warten müssen. Aber Daisy
war nicht hungrig. Jedenfalls nicht nach einem Abendessen. „Komm her." Chance griff nach ihrer Hand. Er führte sie ins Wohnzimmer, ließ sich in einen Sessel fallen und zog sie zu sich auf den Schoß. „Erzähl mir alles, was du mir heute Mittag im Büro sagen wolltest." Sie zögerte. „Ich habe dich heute Morgen in deinem Wagen mit Lanie gesehen", gestand sie. „Und neulich, vor ein paar Monaten, vor dem Bistro. Ich dachte, dass ihr zwei... dass ihr ..." Er runzelte die Stirn. „Dass ich mit ihr schlafe?" „Es lag auf der Hand", erwiderte Daisy kleinlaut. „Deshalb kam ich ins Büro. Um dich nach ihr zu fragen." „Gut, dass du es gemacht hast", sagte er, umschloss ihr Gesicht mit seinen Händen und hielt ihren Blick gefangen. „Wie konntest du nur glauben, dass ich mit einer anderen Frau schlafe, nachdem ich dir einen Antrag gemacht habe? Wenn wir ein Baby bekommen und praktisch zusammenleben?" Sie fühlte sich schuldig. Wie kindisch sie doch gewesen war! „Elise hat uns immer erzählt, was für ein toller Playboy du bist. Für jede Gelegenhe it eine andere Frau. Als ich dich kennen lernte, warst du anders. Trotzdem, wenn es um Männer geht, traue ich meinem eigenen Urteil nicht." Langsam dämmerte es ihm. „Deshalb bist du nach unserer ersten Nacht davongerannt? Nachdem du herausgefunden hattest, wer ich bin?" Sie nickte, brachte aber keinen Ton hervor. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. „Oh, Daisy." Chance schlang sie in seine Arme und zog sie an seine Brust. Sie schmiegte sich eng an ihn. „Ich bin kein Playboy. Vor zwei Monaten hatte ich eben nur noch nicht die Richtige gefunden." „Doch. Du warst verlobt", erinnerte sie ihn. „Damals dachte ich das auch", meinte er nachdenklich. „Aber meine Beziehung zu Gillian war vollkommen gefangen in beruflichen Ambitionen und Träumen. Wenn sie wirklich die Richtige gewesen wäre, dann wären wir zusammengeblieben." „Du hast aber immer noch Ambitionen und Träume." „Suchst du nach einem Grund, um mich loszuwerden?" „Nein." Zärtlich strich er durch ihr Haar. „Es stimmt. Es ist etwas in mir, dass mich unablässig vorantreibt. Ich muss etwas in dieser Welt hinterlassen. Große Fälle verhandeln. Meinen Namen in den Schlagzeilen sehen. Der bloße Gedanke befriedigt mich schon. Aber mit Gillian hat das nichts zu tun. Ich bin erwachsen, Daisy. Ich weise das Glück nicht ab, wenn ich es in meinen Armen halte." „Bist du wütend?" wollte sie wissen. „Ich meine, weil ich so dumm war." „Du warst nicht dumm", gab er zurück. „Du wolltest dich schützen. Und du hast den Mut gefunden, zu mir ins Büro zu kommen. Ich bin dir sehr dankbar, dass du mir heute Abend die Wahrheit gesagt hast." „Das verstehst du also unter ,kommunizieren'?" Er nickte. „Weißt du was? Die beste Kommunikation ist immer noch ohne Worte. Gestatte, dass ich dir das kurz vorführe." Als er seinen Mund auf Daisys senkte, schoss ihr durch den Kopf, dass das Essen kalt werden würde. Aber es kümmerte sie nicht. Chance hatte sie nur küssen wollen. Nach dem anstrengenden Tag fühlte er sich angenehm entspannt. Es war herrlich, Daisy in den Armen zu halten und durch ihr weiches Haar zu streichen. Sein Körper meldete jedoch ganz andere Bedürfnisse an. Der Druck ihrer Brüste gegen seinen Oberkörper entzündete tausend kleine Flammen des Verlangens in ihm. Er brannte förmlich darauf, ihre seidige Haut direkt an seinem nackten Körper zu spüren. Ihr Hemd hatte einen Reißverschluss, den er mit einem einzigen Griff leicht öffnete. Daisy lehnte sich gegen seine Schulter und stöhnte auf.
Ihr Stöhnen erregte Chance. Er strich das Hemd zur Seite und fuhr mit dem Daumen an der Spitze ihres BHs entlang. Ihre Brüste lagen voll und rund unter seiner Hand. Trotz des BHs konnte er spüren, wie sich ihre Brustknospen aufrichteten. Mit der Zunge folgte er der Spur, die er mit dem Daumen vorgezeichnet hatte. Sie keuchte vor Lust und legte ihre Hand sanft an seine raue Wange. Chance drehte sie leicht zur Seite und öffnete den BH. Dann umschloss er Daisy mit seinen Armen und hob sie vom Sessel auf. Mit schnellen Schritten trug er sie ins Schlafzimmer. Voller Vorfreude pulsierte das Blut durch seine Adern. Daisy wusste, dass sie nach dieser Nacht niemals wieder dieselbe sein würde. Schon ihre erste gemeinsame Nacht hatte sie vollkommen verändert. Damals hatte sie es nicht wahrhaben wollen. Wenn sie jetzt ein zweites Mal mit ihm schlief, dann war das wie der Sprung in eine unbekannte Zukunft. Und nichts als pure Lust. Sie vertraute sich ihm vollkommen an. Das war es, was er wollte, und sie wollte es auch. Die Schwangerschaft machte sie unglaublich empfindsam für jede Berührung. Jeder Aufschub wurde ihr unerträglich. Sie brauchte seine Entschlossenheit mehr denn je. Der zarte Stoff seines Hemdes schmeichelte ihrer Haut, als sie es aufknöpfte. Dann berührte sie seinen kräftigen Oberkörper mit ihren vollen Brüsten. Er streifte ihr die Hose vom Körper. Sie begrüßte die Wärme seines Körpers, als er sich an sie schmiegte. Er spürte, dass sie sofort für ihn bereit war. Dennoch bewegte er sich unglaublich sanft, als er mit einem tiefen Stöhnen in sie eindrang. Daisy schrie auf vor Glück. Sie ertastete seinen Körper, die ausgeprägte Muskulatur seiner Arme und Schultern. Seine Augen leuchteten, als er mit seinen Lippen über ihren Mund fuhr. Es erinnerte daran, dass er mehr als nur körperliche Lust empfand. Sie vereinigten ihre Seelen ebenso wie ihre Körper. Daisy verschmolz mit ihm, als seine Bewegungen immer schneller und immer stärker wurden. Ihre Gedanken verloren sich im Nebel der Lust. Schneller und schneller bewegten sie ihre vereinten Körper, bis der Höhepunkt ihrer Lust sie überwältigte. Daisy hielt Chance fest umklammert. Sie wusste nicht, welche Folgen diese Nacht für sie beide haben würde. Wohin ihre Gefühle sie tragen würden. Das Gefühl der Hingabe und des Vertrauens war noch zu neu für sie. Im Augenblick reichte es ihr, einfach nur mit ihm zusammen zu sein.
10. KAPITEL
Am Freitag der folgenden Woche schwebte Daisy immer noch wie auf Wolken. Sie hatte gerade ihre zweite Töpferarbeit verkauft. Aber sie war nicht nur von dem Verkauf begeistert, sondern ebenso vom Käufer. Arturo Alonzo betrieb die „Nouveau Ceramics Galerie" in Scottsdale und war der Vorsitzende der „Vereinigung der Kunsthandwerker von Arizona". Obwohl Daisy ihm ein paar Mal begegnet war, hatte er bisher kaum Notiz von ihr genommen. „Ein Freund erzählte mir, dass Sie so außergewöhnlichen Töpferarbeiten herstellen", erklärte er, als Daisy ihn nach einem Rundgang durch die Galerie in den Verkaufsraum zurückbegleitete. „Deshalb bin ich hergekommen. Wie lange machen Sie diese Karikaturen schon?" „Erst seit kurzer Zeit. Es ist eine neue Idee, an der ich noch arbeite." Plötzlich entschied sie sich, den künstlerischen Wert ihrer Arbeiten nicht länger herunterzuspielen. „Ich bereite eine Einzelausstellung für das kommende Frühjahr vor." „Gut", erwiderte Arturo zufrieden. „Hoffentlich im Mai." Daisy ahnte langsam, worauf er hinauswollte. Jedes Jahr von Januar bis Ende März fand in Scottsdale eine große Kunstmesse statt. Aber im kommenden Jahr arbeitete die „Vereinigung der Kunsthandwerker" mit internationalen Keramikkünstlern zusammen. Sie wollten anlässlich der Messe ein großes Symposium veranstalten. Künstler aus aller Welt würden anwesend sein. In Gedanken überflog Daisy ihren Terminkalender. „Ja, Mai würde passen." „Ich schlage vor, dass Sie Ihre Arbeiten in die internationale Ausstellungstournee geben", sagte Arturo jetzt. „Gestatten Sie, dass vorher ein Team in Ihrer Galerie vorbeikommt und Ihre Arbeiten begutachtet?" „Es wäre mir ein Vergnügen", willigt Daisy ein. Es gelang ihr, die Aufregung zu verbergen, bis Arturo die Galerie verlassen hatte. Sobald er außer Hörweite war, umarmte sie Sean und tanzte mit ihm durch die Räume. „Ich kann es kaum glauben!" rief Daisy überglücklich. „Chance schlug vor, dass ich meine Arbeiten ausstellen sollte, und ich dachte beinahe, er wollte mir nur schmeicheln!" „Das nächste Jahr wird dein Jahr!" verkündete ihr Assistent. „Im Januar wirst du Mutter und im Mai ein internationaler Superstar." „Na ja, nicht ganz", beschwichtigte sie. Selbst die weitbesten Töpfer konnten niemals den Ruhm eines Rockstars oder eines Designers erlangen. „Aber mein Ruf wird gewaltig steigen. Und der der Galerie natürlich auch." „Du bist auf dem richtigen Weg", applaudierte Sean. Daisy lachte. „Warte nur ab, bis ich es Chance erzählt habe." „Wann ist denn eigentlich die Hochzeit?" fragte Sean neugierig. „Samstag in einer Woche." Ungläubig riss er die Augen auf. „Wie bitte?" „Elises Hochzeit. Samstag in einer Woche." „Deine Hochzeit, meine ich." „Oh!" Sie errötete. „Ich weiß nicht. Wir haben noch nichts in die Wege geleitet." Chance ging davon aus, dass sie seinen Antrag akzeptieren würde. Das hatte er in der vergangenen Woche mehrmals klargemacht. Und inzwischen wollte sie es auch. „Du musst mich anhören." Chance hörte Gillians selbstbewusste Stimme durch die Leitung. „Nächsten Donnerstag und Freitag bin ich in Phoenix. Wir könnten am Donnerstag gemeinsam Mittag essen. Im ... wie heißt doch gleich das kleine Restaurant bei dir in der Nähe? Im ,Bistro Francais'." „Du kommst, nur um mich zu sehen?" fragte Chance misstrauisch. „Nein, ich bin geschäftlich unterwegs", gab Gillian zurück. „Aber es geht auch um dich." Chance fühlte sich nicht geschmeichelt, dass seine Exverlobte ein persönliches Interesse
an ihm bekundete. In den vergangenen Jahren hatte er nur einige wenige Male mit ihr gesprochen. Er fand, dass sie mehr und mehr von ihrer Karriere besessen war. Die berühmte Kanzlei „Roker, Sandringham, Wiley & Farrar" wollte sich im Interesse ihrer Mandanten aus Wirtschaft und Politik auf das Gebiet des Familienrechts ausdehnen. So konnten sie die Ehe- und Sorgerechtsprobleme ihrer Mandanten diskret verhandeln, ohne eine andere Kanzlei hinzuziehen zu müs sen. Gillian hatte Chance für die neue Abteilung vorgeschlagen. Und die Kanzlei war nach Durchsicht der Unterlagen tatsächlich zu dem Schluss gekommen, dass Chance das professionelle Image der Kanzlei befördern würde. Für Gillian wäre es großartig, wenn es ihr gelingen würde, einen ihrer Freunde in der Kanzlei unterzubringen. Zweifellos sah sie in ihm einen sicheren Verbündeten für alle die endlosen Machtkämpfe, die sie für ihren Aufstieg bei „Roker, Sandringham, Wiley & Farrar" führte. Er hatte für diesen Aufschwung in seiner Karriere zwar nicht gekämpft, aber es wäre unverzeihlich und dumm, wenn er die Gelegenheit vorüberziehen ließ, ohne zumindest gründlichst darüber nachzudenken. Chance gefiel der Gedanke nicht, von seiner Familie wegziehen zu müssen. Und er bezweifelte, dass Daisy glücklich darüber wäre, in eine Stadt zu ziehen, die weit vom Wohnort ihrer Mutter und von ihren Freunden entfernt lag. Besonders jetzt, wo sie das Baby bekam. Aber er war fünfunddreißig Jahre alt. Vielleicht war es die letzte Gelegenheit, sich den ewigen Traum zu erfüllen. Daisy konnte kaum glauben, was er gerade gesagt hatte. Oder besser, sie wollte es nicht glauben. Chance saß ihr an seinem Schreibtisch gegenüber und glühte förmlich vor Aufregung. Die Neuigkeiten erregten ihn so sehr, dass er Daisys Schrecken gar nicht zur Kenntnis nahm. Er würde vielleicht nach Washington D.C. ziehen! In die Hauptstadt. Einen wahnsinnig anstrengenden Job annehmen. Achtzig Stunden pro Woche arbeiten. Obwohl er wusste, dass es für Daisy schwierig werden würde, hegte er offenbar keinen Zweifel daran, dass sie mit ihm gehen würde. Sie konnte schlecht ganz direkt sage n, dass das für sie gar nicht in Frage kam. Auf keinen Fall wollte sie, dass ihre Beziehung wegen eines dummen Streits in die Brüche ging. Besser, wenn sie seine eigenen Zweifel nährte. „Ist es das, was du wirklich willst?" "fragte sie. „Ich dachte, dass du deinen Klienten lieber helfen willst, ihre Ehe zu retten." „Ja. Aber die Menschen in Arizona sind nicht die Einzigen auf der Welt, die Familienprobleme haben." Chance lächelte sie unsicher an. „Ich verstehe, dass das Angebot sehr verlockend ist..." Er lehnte sich nach vorn. „Einer meiner Professoren hat mir gesagt, dass ich ohne Schwierigkeiten sein bester Student hätte werden können, wenn meine familiäre Situation mich weniger gefordert hätte. Es bedrückt mich sehr, dass ich hier mein Ta lent verschwende", gestand er mit ernster Stimme. „Du hast hier viel Gutes bewirkt", wandte sie ein. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Unsere Talente sind wertvoll. Sie müssen blühen, und ich bin überzeugt, dass wir ihnen die Gelegenheit dazu verschaffen müssen. Genauso, wie wir unsere Kinder zur Blüte bringen müssen." „Wo du schon von Kindern sprichst, wann willst du denn dann unser Kind sehen?" fragte Daisy. „Du wirst rund um die Uhr arbeiten." Er runzelte die Stirn. „Die Qualität allein zählt. Die Qualität des Zusammenseins, nicht die Dauer. Obwohl Gillian selbst keine Kinder hat, kann sie uns vielleicht einen Einblick in andere Familien verschaffen. Dann könnten wir beobachten, wie es dort funktioniert." Offenbar ging ihre Rechnung nicht auf. Daisy musste mehr riskieren. „Chance, die Idee
gefällt mir nicht. Meine Galerie ..." Er stand auf, ging um den Schreibtisch herum und nahm ihre Hände in seine. „Warum solltest du in Washington nicht wieder eine Galerie eröffnen können? Ich strecke dir die Investitionskosten vor. Du könntest vielleicht sogar das ganz große Geschäft machen." Wie konnte er bloß glauben, dass sie in einer fremden Stadt mit einem Baby und einem abwesenden Ehemann die Kraft zu einem beruflichen Neuanfang finden würde? „So einfach ist das nicht !" „Bitte! Ich brauche deine Unterstützung", sagte er flehentlich und sah sie eindringlich an. „Wenn ich meinen Träumen keine Chance gebe, werden sie mich für den Rest meines Lebens verfolgen. Was für Probleme es auch immer geben wird, wir werden sie gemeinsam lösen. Das heißt, wenn ich den Job annehme. Dahinter steht immer noch ein großes Fragezeichen." „Ich möchte, dass du glücklich bist. Aber ich möchte auch glücklich sein", sagte sie. „Lass mich wenigstens anhören, was Gillian mir zu sagen hat." Chance versetzte ihr einen spielerischen Nasenstüber. „Ich konnte es gar nicht abwarten, dir davon zu erzählen. Ich dachte, du würdest dich freuen." Daisy biss sich auf die Lippe. Sie wollte protestieren. Laut hallten die Argumente in ihrem Kopf. Dann erinnerte sie sich daran, dass sie ihre letzte Beziehung durch einen vollkommen überflüssigen Streit zerstört hatte. Und Chance bedeutete ihr wesentlich mehr als Tony. Der heiße Sommertag neigte sich seinem Ende zu. Es war zwar bereits Anfang September, aber in Phoenix war es immer noch so heiß wie im Hochsommer. Die drei Freundinnen trafen sich am Pool zum Schwimmen. „Hast du heute schon mit deinem Bruder gesprochen?" fragte Daisy Elise. „Aha", antwortete ihre Freundin. „Wenn du ihn ,meinen Bruder' nennst, dann bist du wütend auf ihn." „Er will nach Washington ziehen." Daisy gab sich alle Mühe, fair zu bleiben. „Das heißt, vielleicht. Man hat ihm dort einen Job angeboten." Sie erzählte ihren Freundinnen die ganze Geschichte. Gillian. Berühmte Mandanten. Üppiges Ho norar. Lange Arbeitszeiten. „Verdammt", entrüstete Elise sich. „Er kann dich doch nicht durch die Gegend schleppen, als ob du sein Schoßhündchen wärst." „Andererseits darf man seinen Ehrgeiz nicht auf die leichte Schulter nehmen", merkte Phoebe an. Schließlich arbeitete sie selbst hart an ihrem Abschluss als Biochemikerin. „Ich bin auch ehrgeizig. Heute habe ich übrigens den großen Durchbruch erzielt." Daisy berichtete den Freundinnen von Arturo Alonzo und der Ausstellung im Mai. „Hast du Chance davon erzählt?" fragte Elise. Daisy schüttelte heftig den Kopf. „Er hätte mir nicht zugehört, gleichgültig, was ich gesagt hätte. Und dann hätte ich ihn wahrscheinlich angebrüllt und wäre wieder davongelaufen. Ich wollte keinen Streit." „Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass du die Beherrschung verlierst. Du bist doch immer so friedlich", meinte Phoebe. „Bestimmt kannst du noch mal in Ruhe mit ihm darüber sprechen." „Ich habs versucht, wirklich", versicherte Daisy. „Aber wie soll ich mit ihm reden, wenn er alles zurückweisen wird, was ich sage? Hoffentlich ändert er seine Meinung, bevor wir scharf schießen müssen." „Hat er sich denn schon endgültig entschieden?" „Es hörte sich ganz so an." Plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit von zwei Stimmen in Anspruch genommen, die im hinteren Teil des Gartens ein Lied anstimmten. Frannie und Bill krächzten eine Spaßversion von dem Song „Together". Dann marschierten sie mit einer großen Torte in den Händen geradewegs zum Pool.
Als sie näher kamen, bemerkten die Freundinnen, dass die Torte wie eine Katze geformt war. Zwei kleine blaue Kerzen leuchteten als Augen in den dämmrigen Abend hinein. „Wie schön, dass wir euch alle auf dem Haufen antreffen", verkündete Bill. „Wir feiern Verlobung. Frannies und meine." „Gratuliere!" rief Phoebe. „Habt ihr denn schon einen Termin vereinbart?" „Ende September fahren wir nach Las Vegas", berichtete Frannie. „Meine erste Hochzeit habe ich ganz groß gefeiert. Dieses Mal möchte ich mich nur auf meinen Bräutigam konzen trieren. " „Danach gehts in die Flitterwochen", führte Bill die Pläne aus. „Mit dem Wohnmobil. Natürlich bleiben wir nicht zu lange unterwegs." Daisy freute sich natürlich für das glückliche Paar. Trotzdem war sie ein wenig neidisch. Warum wurde ihr dieses Glück nicht zuteil? Sie wollte im Mai unbedingt mit ihrer Ausstellung an der Tournee durch die Galerien teilnehmen. Trotzdem wollte sie Chance auf keinen Fall verlieren. Und es wurmte sie noch immer, dass er sie nicht hatte zu Wort kommen lassen. Dennoch, Daisy dachte nicht daran, ihn aufzugeben. Am Donnerstagmorgen betrat ein weiterer namhafter Besucher die Galerie. Es war Ione Marshall, ein Kunstprofessor der Universität, der bei der Organisation des Symposiums half. Er wollte Daisys Arbeiten begutachten. „Arturo war ganz entzückt von Ihnen." Der Professor war schmal und klein. Seine Haare leuchteten silbergrau. Er schien die sechzig bereits überschritten zu haben. „Ich wollte mich selbst überzeugen." „Ich fühle mich geehrt." Daisy führte ihn in ihr Atelier. Während der vergangenen Tage hatte sie die Beleuchtung besser ausgerichtet und die Karikaturen neu platziert. Heute störte der Lärm der Arbeiten an der städtischen Wasserversorgung ein kurzes Stück die Straße hinunter ganz enorm. Und natürlich der Gedanke, dass Chance nur ein paar Häuser entfernt mit Gillian im französischen Bistro saß. Es war das erste von mehreren Treffen, die sie für die kommenden Tage vereinbart hatten. Entschlossen verscheuchte Daisy diese Gedanken aus ihrem Kopf und konzentrierte sich auf den kompetenten Besucher. „Für die Ausstellung werde ich verschiedene Themen bearbeiten", kündigte sie an. „Vielleicht ein halbes Dutzend Karikaturen von Präsidenten der USA in der Art griechischer Statuen. Mit Lorbeerkränzen und nacktem Oberkörper." „Großartige Idee!" Ione nickte begeistert. „Wissen Sie, ich ha be zu einigen deutschen Künstlern Kontakt aufgenommen, die ihr eigenes Symposium organisieren. Sie baten mich, Ihnen eine Keramikkünstlerin oder eine Töpferin aus Arizona zu empfehlen." „Es gibt viele gute Künstler!" platzte Daisy heraus. „Ja, zweifellos. Nun, wie dem auch sei, ich werde eine begabte und erfahrene Person empfehlen", sagte Ione entschlossen. „Arizona bekommt nicht immer die Anerkennung, die es verdient. Ich freue mich, dass wir mit Ihnen eine erstklassige Künstlerin gewinnen konnten." „Herzlichen Dank." Daisy brachte es nicht fertig, ihm zu sagen, dass sie vielleicht nicht mehr lange in Arizona leben wür de. Nachdem Ione gegangen war, hängten Daisy und Sean gemeinsam eine Ausstellung mit dem Titel „Papier auf Papier" ab. Das Arrangement der fantasievollen Wandbespannungen und Bodenobjekte hatte hauptsächlich aus farbenfroh beschichtetem Papier bestanden. Sie schafften Platz für eine neue Ausstellung, die „DinoCouture" hieß und am Sonntag eröffnet werden sollte. Die Ausstellungsstücke wären am Morgen gebracht worden. Eigentlich sollte die Vernissage am Samstagabend stattfinden, aber Daisy hatte sich ihren Terminkalender für Elises Hochzeit freigehalten. Elroy McGinnis, der Künstler von „DinoCouture", stammte aus Tempe. Er kreierte
lebensgroße Skulpturen aus Knochen, die mit Draht verbunden wurden und verschiedene Dinosaurier darstellen sollten. Das Resultat hätte eigentlich sehr gut in ein naturwissenschaftliches Museum gepasst, wenn die Skelette nicht viele amüsante Bekleidungsstücke getragen hätten: eine Baseballkappe, Ringelsöckchen, eine Fliege und so weiter. „Daisy, jetzt fängt der Laden wirklich an zu laufen", schwärmte Sean, der sie bei Iones Besuch begleitet hatte. „Ich möchte mich nicht einmischen, aber du darfst einfach nicht nach Washington ziehen." „Ich muss berücksichtigen, dass ..." Ein ungewöhnliches Geräusch in der Wand ließ sie beide aufhorchen, „Was war das?" fragten sie wie aus einem Munde. Früher schon hatten sie hin und wieder die gurgelnden Geräusche des Wassers vernommen, das durch die hoffnungslos veralteten Rohre floss. „Was auch immer sie mit der Wasserleitung anstellen, ich hoffe, dass sie mit den Arbeiten bald fertig sind", stöhnte Daisy. „Da! Guck mal, was ist das?" Sean zeigte auf eine flache Wölbung auf dem Putz. „Oh, nein!" Daisy starrte voller Entsetzen auf den nassen Fleck, der sich rasch ausbreitete. „Bestimmt ist eins der Rohre gebrochen. Wir werden gleich überall Wasser haben!" Abgesehen von den Dinos waren die Ausstellungsräume leer. Sie schnappten die Skulpturen und schleppten sie nach draußen. Als sie zurückkamen, floss bereits ein kleines Rinnsal durch den aufgebrochenen Putz aus der Wand. Langsam wurde das Rinnsal zum Bächlein. „Ich rufe sofort bei den Stadtwerken an. Und beim Klempner." Sean rannte zum Telefon. Wenn das Wasser weiter in diesem Tempo in die Galerie strömte, dann würde in kürzester Zeit der Nebenraum betroffen sein. Und dort waren die wertvollen Papierexponate auf dem Fußboden gestapelt. Die Versicherung würde wohl für den Schaden aufkommen, aber die Kunstwerke waren unwiederbringlich verloren. Verzweifelt griff Daisy nach einem Stapel und brachte ihn schnells tens in den hinteren Raum. Die Anwaltshonorare, die Gillian in Aussicht stellte, erreichten astronomische Höhen., Ganz zu schweigen von den Prämien für gewonnene Prozesse oder Vergleichsregelungen. „Sie erwarten zwar nicht, dass das Familienrecht genauso viel einbringt wie die anderen Bereiche", erläuterte Gillian, „aber die Wertschätzung unseres Mandantenkreises wird unermesslich sein." „Und wie ist die Arbeitszeit geregelt?" erkundigte Chance sich. „Normalerweise arbeiten Familienanwälte länger als andere." „Bei ,Roker, Sandringham, Wiley und Farrar' sind wir immer im Einsatz, wenn man uns braucht." Sie sprach schnell und hektisch. „Wenn ein Mandant will, dass du ihn nach SaudiArabien zu einer Konferenz begleitest, dann fliegst du." Durch die Fensterscheibe des Bistros sah Chance, dass sich eine Menschenansammlung auf der Straße bildete. Einige starrten auf ein Gebäude, andere rannten hinein und kamen mit Gegenständen wieder heraus, die wie bunte Skulpturen aussahen. Wie vom Blitz getroffen realisierte er, dass es bei „Native Art" ein ernstes Problem geben musste. Ein Feuer? War das Gebäude eingestürzt? „Gillian, tut mir Leid, dass ich dich unterbrechen muss, aber in Daisys Galerie scheint es einen Notfall zu geben." Sie folgte seinem Blick. „Du liebe Güte." Einen Moment lang befürchtete er, dass sie ihn nicht gehen lassen wo llte. Aber dann zuckte sie die Schultern. „Für unser erstes Treffen haben wir genug besprochen." Sie verabredeten sich für den Abend desselben Tages und wollten sich auch am nächsten Tag noch einmal treffen, um dann die Details zu besprechen. Chance vermutete, dass sie ihn
zur Unterschrift bringen wollte, bevor sie Phoenix am Samstagmorgen wieder verließ. „Ich zahle, geh nur." Gillian warf ihm ein verständnisvolles Lächeln zu. „Geh nur zu deiner Freundin. Ich komme gleich nach." „Großartig." Es wäre gut für Daisy, wenn sie Gillian kennen lernen würde. Denn in Zukunft würden sie sich sicher noch des Öfteren über den Weg laufen. Die Stadtwerke hatten versprochen, das Wasser sofort abzustellen, aber in der Galerie stieg der Pegel weiterhin an. Das Haar klebte Daisy im Gesicht. Ihre Kleider waren durchnässt, aber sie hörte nicht auf, so viele Kunstwerke wie möglich in Sicherheit zu bringen. Sie bemerkte nicht, dass Chance die Galerie betrat. Plötzlich stand er in seinem Anzug neben ihr und half, eine Skulptur mit schwerem Untersatz anzuheben. „Wohin?" „Nach hinten. Die meisten Leute schleppen die Sachen nach vorn raus. Dort stehen wir ihnen nur im Weg." Sie hatten keine Zeit, sich zu unterhalten, sondern beeilten sich mit ihrer Rettungsaktion. Nach einigen Minuten waren fast alle Objekte aus der Gefahrenzone transportiert worden. Zum Glück stieg der Wasserpegel jetzt nicht mehr weiter an. „Was für ein Durcheinander." Bestürzt und tropfnass stand Daisy in der Galerie und betrachtete den Schaden. „Der Besitzer ist per Gesetz dafür verantwortlich, dass die Reparaturen schnell durchgeführt werden. Aber in diesem Fall gehört das Gebäude einer Versicherungsgruppe. Es kann Wochen dauern, bis hier irgendwas passiert." „Nein, ganz bestimmt nicht. Wie ist der Name des Hausverwalters? Seine Telefonnummer?" Chance war eifrig bemüht, ihr zu helfen. Er bemerkte nicht, dass seine Krawatte verrutscht war. Das Schmutzwasser hatte seine Schuhe und die Hosenbeine durchnässt. Er sah beinahe rührend aus. „Hier." Sie gab ihm Namen und Telefonnummer. Die Menschenmenge vor der Galerie löste sich langsam auf. Sean bewachte die Skulpturen, die jetzt draußen standen. Außerdem bedankte er sich herzlich bei all denen, die spontan geholfen hatten, und gab ihnen Einladungen zur Vernissage am Sonntag. Während Chance telefonierte, betrat eine auffallende Frau Mitte dreißig die Galerie. Sie trug ein elegantes Designerkleid. Ihr Haar war honigblond. Sie blieb im trockenen Bereich der Galerie stehen und betrachtete interessiert die Malerei. „Leider hatten wir gerade eine Überschwemmung", sagte Daisy. „Das ist eine hervorragende Arbeit", erwiderte die Frau und gab Daisy die Hand. „Tag, ich bin Gulian Langham. Sie müssen Daisy Redford sein." „Nett, Sie kennen zu lernen." Die Begrüßung schien ein wenig unpassend. Aber soll ich die Frau etwa nicht begrüßen, die einst mit dem Vater meines Babys verlobt war? sinnierte Daisy. Chance sprach mit deutlicher und scharfer Stimme in den Hö rer. Er beschrieb die Situation in kurzen, knappen Sätzen und verlangte, dass die Reparaturarbeiten umgehend in Angriff ge nommen werden sollten. Gillian zwinkerte Daisy zu. „Manchmal ist es ganz praktisch, einen Anwalt im Hause zu haben." „Praktischer wäre ein Klempner." Zu spät. Hoffentlich fasste Gillian die spitze Bemerkung nicht als Affront gegen ihren Be rufsstand auf. Aber Gillian lächelte. „Ich verstehe", meinte sie und deutete auf das Chaos. Draußen vor der Tür lag stapelweise Papier von der vergange nen Ausstellung herum. „Sieht so aus, als ob Sie unverhofft Werbung für sich machen könnten." Passanten blieben stehen und schauten sich interessiert die Kunstwerke an. Sean hatte sich einen Stapel Werbebroschüren unter den Arm geklemmt und verteilte sie. „Ein Silberstreif am Horizont", seufzte Daisy. „Es ist der denkbar ungünstigste Zeitpunkt. Meine beste Freundin Elise, zufällig die Schwester von Chance, heiratet an diesem Wochen ende. Und am Sonntag habe ich eine Vernissage. Die Überschwemmung hat mir gerade noch gefehlt!"
„Elise heiratet? Wie schön für sie." Eine Spur von Wehmut huschte über Gillians Gesicht. Chance telefonierte immer noch. Er nickte Daisy zu, um ihr zu bedeuten, dass die Verhandlungen gut liefen. Hoffentlich würde sie die Galerie am Sonntag wieder eröffnen können. Das Schweigen zwischen ihr und Gillian wurde langsam unangenehm. Daisy dachte, dass sie Chance einen Gefallen schuldig war. Vielleicht sollte sie Gillian fragen, wie die anderen Familien in Washington mit den langen Arbeitszeiten der Väter zurechtkamen. „Wie sie zurechtkommen?" wiederholte Gillian die unvermutete Frage und hielt ihre Handtasche fest umklammert. „Ich glaube, die haben Selbsthilfegruppen gegründet. Einen Notfalldienst zum Babysitten. Und sie organisieren Gruppenausflüge." Hoffentlich keine Therapiegruppen, dachte Daisy. „Gilt das nur für nachmittags?" „Auch abends. Manchmal gehen sie zusammen in die Oper oder ins Ballett." „Ohne ihre Männer?" Sie hasste es, dass Gillian sie für naiv halten musste. „Ich meine, ab und zu ist das ja in Ordnung, aber doch nicht immer." „Sie werden sich daran gewöhnen", meinte Gillian zuversichtlich. „Wirklich, Daisy, Frauen, die einen Anwalt heiraten, müssen sich damit abfinden. Selbst, wenn sie zu Hause sind, studieren sie Akten." Chance legte auf und stellte sich zu den beiden Frauen. „Habt ihr zwei euch bekannt gemacht?" „Haben wir", meinte Gillian freundlich. Das Feuer zwischen Chance und Gillian schien vollkommen erloschen. Daisy war sehr froh darüber. Aber sie bemerkte auch, wie hartnäckig und zielstrebig Gillian ihr Ziel verfolgte. Und das hieß, dass sie Chance um jeden Preis nach Washington locken wollte. „Übrigens", sagte Chance zu Daisy, „Gillian und ich wollen heute Abend ein paar Einzelheiten des neuen Familienrechts durchgehen. Wir sehen uns also morgen zum Essen bei Elise, okay?" „Klar." Insgeheim hatte Daisy gehofft, dass Chance das Ange bot seiner Exverlobten schon beim ersten Treffen zurückweisen würde. Andererseits konnte er sich schlecht weigern, sie anzuhören, wenn sie so weit geflogen war, um ihn zu sprechen. Ein Team der Stadtwerke kam an und saugte das Wasser ab. Sie hatten keine Zeit mehr, sich länger zu unterhalten. Daisy bedankte sich bei Chance für die Hilfe und verabschiedete sich freundlich von Gillian. Zusammen mit Sean transportierte sie die Ausstellungsstücke aus dem Freien wieder zurück in die Galerie. Spät am Abend kam sie schmutzig und völlig übermüdet bei sich zu Hause an. Sie duschte, bereitete sich schnell eine kleine Mahlzeit zu und schaute ein bisschen fern. Es erinnerte sie an die alten Tage, als sie Chance noch nicht gekannt hatte. Aber jetzt fühlte sie sich einsam und irgendwie unzufrieden. Sie brauchte ihn. Aber sie konnte nicht mit ihm nach Washington gehen und Nacht für Nacht allein verbringen. Diese Erfahrung wollte sie sich und ihrem Kind nicht zumuten. „Ich brauche einen Rat", sprach sie laut vor sich hin. „Jane Jasmine, was meinst du dazu?" Sie blätterte durch die Seiten ihres Hochzeits- und Beziehungsratgebers, bis sie das passende Kapitel fand: Wie man Probleme löst oder: Wozu hat man Freunde? Früher sandten die Menschen einen Boten, um das Objekt ihres Interesses gnädig zu stimmen. Auch heute noch können Boten Ihre Beziehung wieder aus der Sackgasse herausmanövrieren. Manchmal hört der Geliebte eher auf eine fremde Stimme als auf die seiner Geliebten. Obwohl sie ihre Freundinnen schon oft um Rat gebeten hatte, zögerte sie in diesem Fall.
Vielleicht würde es Chance wütend machen, wenn. sie die Privatsphäre verletzte und mit Dritten über ihre Probleme sprach. Aber wenn sie nicht die Initiative übernahm, würde sie ihn auf jeden Fall verlieren. Entschlossen schob Daisy das Buch ins Regal zurück und klingelte bei Elise.
11. KAPITEL
Normalerweise hätte das gemeinsame Abendessen gleich nach der Generalprobe für die Hochzeit stattfinden sollen, aber der Priester hatte erst abends um acht Uhr Zeit. Und gegen ein Nachtmahl hatte die Familie Foster energisch protestiert. Elise hatte jedoch auf der Zusammenkunft bestanden. Jetzt traf man sich abends um sechs im „Prickly Pear". „Es wäre gemein gewesen, wenn wir uns ein anderes Restaurant ausgesucht hätten", hatte Elise erklärt, als sie Daisy und Phoebe die Einladung überbracht hatte. „Außerdem wollen meine Schwestern ihre Kinder mitbringen. Und welches andere Lo kal würde den Krach schon tolerieren?" Die Kinder machen tatsächlich unglaublichen Krach, registrierte Daisy. Die Fosters hatten praktisch das ganze Restaurant in Beschlag genommen. Auch James' Familie war gekommen. Seine Eltern waren aus Tucson angereist. Sein Bruder Bobby und dessen Verlobte Sand ra begleiteten sie. Daisy ließ ihren Blick durch das Restaurant schweifen, aber sie konnte Chance nicht entdecken. Seine Abwesenheit machte sie nervös. Er hatte sie am Nachmittag nicht angerufen, obwohl sie das eigentlich erwartet hatte. Sie brannte darauf zu erfahren, ob er den Job in Washington nun annehmen wollte oder nicht. Aber schließlich würde Gillian erst morgen Vormittag abreisen. Daisy hatte keine Zeit, sich zu ärgern. Das Reparaturteam der Stadtwerke war wie versprochen eingetroffen und hatte die Arbeiten erstklassig gemacht. Der Fußboden und die Wände waren wieder trocken. Sie hatten das Loch in der Wand verputzt und wollten am nächsten Tag wiederkommen, um die Wände neu zu streichen. Sean und sie würden sich mit der Vorbereitung der „DinoCouture" beeilen müssen. Am Sonntag war Vernissage, und am Samstag würde Daisy die Galerie frühzeitig verlassen, weil Elise heiratete. Der Terminplan war zwar sehr eng, aber es würde klappen. Nicht zuletzt, weil Chance ihre Rechte dem Vermieter gegenüber geltend gemacht hatte. Sie schuldete ihm wirklich Dank. Doch was sollte sie tun, wenn er entschied, nach Washington zu gehen? Sie hatte lange und intensiv darüber nachgedacht, ob sie mit ihm gehen würde. Schließlich hatte sie sich dagegen entschieden. Wenn sie es tat, würde der Stress und die Einsamkeit früher oder später ihre Be ziehung zerstören. Dann hätte sie den Ehemann und die Galerie verloren. Noch hatte sie ihren letzten Trumpf nicht ausgespielt. Solange Chance den Vertrag noch nicht verbindlich unterschrieben hatte, gab es vielleicht noch eine Rettung für ihre Beziehung und für Daisys Herz. Ihre Freunde hatten verständnisvoll reagiert, als sie ihnen ge schildert hatte, wie prekär ihre Situation sich gestaltete. Nur eines hatte sie für sich behalten. Sie war felsenfest entschlossen, nicht mit Chance nach Washington zu gehen. Vielleicht sollte sie ihm ein Ultimatum stellen. Aber diese Bombe wollte sie erst abfeuern, wenn alle anderen Mittel versagt hatten. Heute Abend würden sie sich zu einem entspannten Essen mit Freunden und mit der Familie treffen. Die perfekte Gelegenheit für ihre Freunde, ein vernünftiges Wort mit Chance zu reden. Aber wo steckte er? Es war bereits halb acht, als Chance auf die Uhr schaute. Be stürzt stellte er fest, dass er das Essen im Familien- und Freundeskreis bereits versäumt hatte. Mit schlechtem Gewissen rief er James über das Handy an und entschuldigte sich. Er war den ganzen Abend über in einer dringenden Sorgerechtsfrage von einer Mandantin aufgehalten worden, aber er würde sich der Gesellschaft in der Kirche zur Generalprobe anschließen. Für Daisys Freunde blieb so allerdings keine Zeit für ein vertrauliches Gespräch mit Chance. Na, den Plan kann ich wohl abhaken, dachte Daisy entmutigt. Fast bedauerte sie es, dass sie ihre Freunde ins Vertrauen gezogen hatte.
Chance stand bereits im Vorraum der Kirche und sprach mit dem Priester, als die Gesellschaft eintraf. Obwohl er den ganzen Tag über hart gearbeitet hatte, wirkte er immer noch energisch. Dynamisch. Der Rücken war straff. Seine Augen glitzerten, als er über Bemerkung des Priesters lachen musste. Daisy fühlte sich elend. Seit dem vergangenen Dienstagabend hatte sie ihn nicht mehr in den Armen gehalten. Sie vermisste ihn schmerzlich. Wie sollte sie es nur ertragen können, das ganze Leben lang von ihm getrennt zu sein? Daisy sieht besorgt aus, stellte Chance fest. Er eilte zu ihr und fasste sie am Arm. „Du solltest dich setzen", riet er. „Ist alles in Ordnung mit dir?" „Mir gehts gut." „Hast du gesundheitliche Probleme?" Chance bohrte nach. „Vielleicht haben dich die Reinigungsarbeiten in der Galerie überfordert. Bestimmt bist du zu lange auf den Beinen gewesen." „Es gab nicht viel zu tun. Ich musste hauptsächlich darauf achten, dem Team der Stadtwerke nicht im Weg herumzustehen", gab sie verschlossen zurück. „Soll ich dir helfen, die Ausstellung für Sonntag vorzubereiten?" bot er an. „Ich bin da, wenn du mich brauchst." „Du wirst den Sonntag mit deiner Familie verbringen." „Du bist jetzt meine Familie", widersprach er. „Du und das Ba by." Sie zuckte zusammen, als ob seine Worte sie verletzt hätten. „Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist? Du hast doch keine frühzeitigen Wehen?" Sie schüttelte den Kopf, als Bill zu ihnen trat. „Die Trauzeugen sollen bitte nach hinten kommen", sagte er. Daisy blieb in der Obhut von Phoebe. Warum guckt Phoebe mich so böse an? fragte Chance sich. Ich kann verstehen, dass Elise wütend ist, weil ich das Essen versäumt habe. Aber Phoebe? Der Priester erläuterte den Freunden des Bräutigams und den Trauzeugen ihre Pflichten. Er zeigte ihnen, wie sie die Damen zu ihren Plätzen zu begleiten hatten. Wo. die Familienangehörigen saßen. Chance war die Zeremonie von den Hochzeiten seiner sechs Schwestern noch gut in Erinnerung. Bill gesellte sich zu ihm. „Ich frage mich, ob du gründlich nachgedacht hast", sagte er zu Chance. „Über das, worüber wir uns neulich unterhielten." Chance sah ihn erstaunt an und grübelte. „Was war das doch gleich?" „Die Frau muss die Führung übernehmen", wiederholte Bill. „Nein, wir Männer halten ihren Arm und begleiten sie", korrigierte Chance. „Nein. Ich meine, wie bei Frannie und mir", widersprach Bill. „Und den Katzen." Offenbar wollte Bill ihm etwas Wichtiges mitteilen, aber Chance begriff nicht. Bevor er nachhaken konnte, unterbrach James' Bruder Bobby ihr Gespräch. „Ich denke, wir sollten jetzt die Plätze einnehmen", schlug er vor. Chance folgte ihm durch den hinteren Bereich der Kirche. „Es tut mir sehr Leid, dass ich das Essen verpasst habe, Elise", entschuldigte er sich, als er an seiner Schwester vorbeiging. Elise wartete auf ihren Vater, Sam Foster. „Wenn ich wüsste, wie ich das wieder gutmachen kann." „Wir sprechen uns später", zischte sie. Er blieb stehen. „Worüber sprechen?" „Über Daisy." „Was soll das heißen?" „Du willst es sofort wissen? Na schön. Um es kurz zu machen, du willst dich auf ihre Kosten verwirklichen", warf Elise ihm wütend vor. Chance begriff nicht. Sam mischte sich ein. „Mein Sohn, die Damen sind unglücklich, weil du nach Washington ziehen willst." „Sie haben über mich gesprochen?" fragte er ärgerlich. Er schätzte es gar nicht, wenn
seine Privatangelegenheiten in der Öffentlichkeit verhandelt wurden. Noch nicht einmal innerhalb der Familie. „Du bist also auch noch der Meinung, dass Daisy ihre Proble me nicht mit ihren Freundinnen besprechen darf, was?" zischte Elise. „Ich weiß, dass du sehr empfindlich bist, aber das geht wirklich zu weit." So schnell fiel Chance keine Antwort ein, die der Sache würdig gewesen wäre. Er ließ Elise einfach stehen. Daisy hat also mit ihren Freundinnen über ihre Probleme gesprochen, dachte er verwirrt. Das heißt offensichtlich, über mich. Wenn sie mit seinen Plänen nicht einverstanden war, konnte sie ihm das doch auch direkt sagen. Jetzt verstand er Bills Andeutungen über die Führung, die er den Frauen überlassen sollte. Daisy musste ihn ins Vertrauen ge zogen haben. Offenbar führte sie hinter seinem Rücken eine regelrechte Kampagne, um seine Entscheidung zu beeinflussen. Ihr Verhalten ging entschieden zu weit. Es grenzte an Betrug. Mit einem Bouquet aus Papierblumen schritt Daisy den Mittelgang der Kirche hinunter. Chance stand zwischen Bill und Bobby. Daisy bemerkte, dass er angespannt wirkte. Als er sie ent deckte, zog er seine Augenbrauen zusammen. Ganz offensichtlich war er wütend auf sie, obwohl sie nicht wusste, womit sie seinen Zorn provoziert hatte. Tränen standen ihr in den Augen. Das improvisierte Bouquet zitterte in ihren Händen. Verdammt, sie liebte Chance. Sie wollte nicht mit ihm streiten. Insgehe im hoffte sie, dass sie sich geirrt hatte. Vielleicht richtete sich seine Wut gegen jemand anderen. Ihre Hoffnung schwand, als er ein paar Minuten nach der Probe ihren Arm griff und sie in eine abgelegene Ecke zog. „Ich mag es überhaupt nicht, dass du unsere Privatangelegenheiten mit anderen Leuten besprichst", hielt er, ihr mit gesenkter Stimme vor. „Ich diskutiere meine Probleme immer mit meinen engsten Freunden", entgegnete sie. Es kostete sie einige Mühe, mit fester Stimme zu sprechen. „Gehört Bill etwa auch zu deinen engsten Freunden?" zischte er. „Was hat er gesagt?" Sie konnte sich nicht vorstellen, dass der freundliche Mann Chance beleidigt hatte. „Es geht nur darum, dass er überhaupt etwas gesagt hat." Chance war immer noch wütend. „Was geht ihn das alles an? Überhaupt, wenn du Probleme hast, kannst du dich jederzeit an mich wenden." „Nein, kann ich nicht!" „Du kannst, wenn du es nur willst." Krampfhaft bemühte sie sich, nicht in Panik zu geraten. Wenn Chance jetzt reden wollte, musste sie es versuchen. „Meine Wur zeln sind hier in Phoenix. Ich kann sie nicht einfach ausreißen und woanders einpflanzen." „Niemand behauptet, dass es einfach wird." Er beugte sich vor, um Daisy und sich vor der Gesellschaft ein wenig abzuschirmen. Ein paar Leute schauten in ihre Richtung, kümmerten sich aber nicht weiter. Sie hielten ihr Gespräch für ein intimes Tete-a-tete. Daisy hasste es, unter diesen Umständen mit ihm zu diskutie ren. Besser, sie wären in Ruhe bei ihr in der Wohnung. Oder in seinem Haus. „Warum gehe n wir nicht woanders hin?" „Du kannst mir nicht widersprechen, also meidest du mich. Stimmts?" warf Chance ihr ungeduldig vor. „Nein!" „Ich habe noch nicht gegessen und muss den Vertrag durchsehen, den Gillian mir ausgehändigt hat", sagte er. „Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann bitte jetzt." „ So leicht geht das nicht!" „Es wäre leichter, wenn du rational argumentierten würdest. Stattdessen lässt du deinen Emotionen freien Lauf", konstatierte Chance. „Ich würde nichts tun, was gegen deine Interessen oder die unseres Kindes wäre. Warum vertraust du mir nicht?"
Daisy bezweifelte nicht, dass Chance die besten Absichten hegte. Er wollte sie nicht ausnutzen. Aber wie sollte sie nachgeben, wenn er sich dickköpfig weigerte, ihren Standpunkt zu verstehen? Die Tränen rannen ihr die Wangen hinunter. Na großartig, dachte sie bitter. Für ihn ist das der Beweis, dass ich jetzt vollkommen die Kontrolle verloren habe. Chance seufzte verzweifelt auf. „Entschuldige, ich wollte dich nicht aufregen. Aber du musst lernen, dass ich meine Entscheidungen allein verantworten kann. Schließlich weiß ich, was ich tue. Glaub mir, es wird zu unserem Besten sein. Und jetzt sollten wir die Sache eine Nacht überschlafen." Daisy wischte sich die Tränen fort. Angestrengt suchte sie nach einem Weg, ihm ihre Sicht zu erklären. Aber sie hatte bereits alles gegeben. „Ich wünschte, du würdest mich anhören." „Und ich wünschte, du würdest aufhören, mir an allem die Schuld zu geben", gab er zurück. „Ich habe dich angehört, Daisy. Ich höre dich immer an. Schaffst du es allein nach Hause?" „Natürlich kann ich fahren", sagte sie spitz. „Obwohl ich irrational reagiere." Sie konnte sich nicht verkneifen, ihn zu provo zieren. Nun hatte sie alles probiert, was ihr nur eingefallen war. Sogar ihre Freunde hatte sie gebeten, ein Wort mit Chance zu sprechen. Aber ihr Plan war nicht aufgegangen. Im Gegenteil. Er hatte sich gegen sie gewendet. Chance fühlte sich schuldig, als er die Kirche verließ. Daisys Tränen hatten ihn zutiefst betroffen gemacht. Natürlich wusste er, dass Schwangere starken Stimmungsschwankungen unterlagen. Trotzdem, auch er war dafür verantwortlich. Als sie sich wegen Lanie Sorgen gemacht hatte, war Daisy zu ihm ins Büro gekommen, um mit ihm zu sprechen. Das Problem hatte sich in kürzester Zeit in Luft aufgelöst. Krampfhaft dachte er darüber nach, warum sie sich in diesem Fall weigerte, die Dinge in ihrem Zusammenhang zu betrachten. Plötzlich entdeckte er Phoebe, die neben seinem Wagen auf ihn wartete. Ihr Blick verhieß nichts Gutes. „Wartest du auf mich?" Er klang müde und resigniert. „Darauf kannst du Gift nehmen! Wir müssen über Daisy reden." „Alles, was ich zu sagen habe, habe ich ihr schon gesagt." Sie blockierte jedoch die Fahrertür, so dass Chance nicht einsteigen konnte. Er gab sich keine Mühe, seine Ungeduld zu verbergen. „Wirst du nach Washington gehen?" fragte Phoebe. „Ich habe mich noch nicht endgültig entschieden. Aber es sieht ganz danach aus", antwortete er. „Glaub mir, ich habe mir all ihre Argumente angehört." „Du hast sie nur angehört, um ihr anschließend das Wort im Mund herumzudrehen." Er wollte nicht unhöflich sein, aber ihre Unterstellung ging entschieden zu weit. „Würdest du bitte zur Seite treten?" Phoebe ignorierte seine Worte. „Man hat ihr die Gelegenheit ihres Lebens angeboten. Vielleicht verstehst du nicht, was es bedeutet, wenn ihre Einzelausstellung an der internationalen Tournee teilnimmt. Aber glaub mir, es ist eine großartige Sache." „Wie bitte?" Chance musste zugeben, dass ihm offensichtlich eine entscheidende Entwicklung in Daisys Leben entgangen war. „Welche Tournee?" „Die ,Vereinigung der Kunsthandwerker von Arizona' veranstaltet im nächsten Frühjahr ein internationales Symposium", klärte Phoebe ihn auf. „Hat sie dir nicht erzählt, dass Arturo Alonzo eine ihrer Karikaturen gekauft und sie zum Symposium eingeladen hat? Am selben Tag, an dem Gillian dir den Job in Washington angeboten hat." „Nein", erwiderte Chance verwirrt. „Sie hätte es mir erzählen müssen." „Sie meinte, dass es keinen Unterschied machen würde", wandte Daisys Freundin ein. „Du nimmst sie doch nur ins Kreuzverhör. Und warum sollte sie dir von ihrer Ausstellung erzählen, wenn sie das Gefühl hat, dass sie dir damit doch nur einen zusätzlichen
Angriffspunkt liefert?" „So hätte ich niemals reagiert." „Bist du sicher?" entgegnete Phoebe kühl und gab die Fahrertür frei. „Nun gut, ich habe dir alles gesagt, was ich auf dem Herzen hatte. Denk drüber nach. Oder lass es bleiben. Ganz wie du willst." Verwirrt stieg Chance in seinen Wagen. Du nimmst sie doch nur ins Kreuzverhör. Hatte sie Recht? Phoebes Worte gingen ihm nicht mehr aus dem Sinn. „Es gibt möglicherweise ein Problem mit meiner Frau. Meiner zukünftigen Frau", sagte Chance. „Oh!" Das blonde Haar wirbelte herum, als Gillian sich ihrem Exverlobten zuwandte und ihn mit einem fragenden Blick ansah. „Im Grunde ist es kein Problem", beschwichtigte Chance schnell. „Wahrscheinlich wird sie ihre Galerie hier in Phoenix für eine Weile weiterbetreiben. Ich vermute, dass wir in der ersten Ze it eine Fernbeziehung führen werden." „Und das Baby?" fragte Gillian. „Das macht die Sache ziemlich schwierig." „Die Großmütter können aushelfen", vermutete Chance. Mit einer Handbewegung schickte Gillian den Kellner fort, der sich ihrem Tisch näherte. „Ich will ehrlich mit dir sein, Chance. Bei ,Roker, Sandringham, Wiley und Farrar' wirst du ganz einfach keine Zeit und keine Kraft für Eheprobleme haben." Er traute seinen Ohren kaum. „In jeder Firma haben die Ange stellten früher oder später Eheprobleme." „Wir vermeiden das." Gillian schien nicht zu bemerken, wie grausam ihre Worte klangen. „Am besten funktioniert es, wenn ein Paar kinderlos bleibt und beide Ehepartner hart arbeiten. Oder wenn die Frau sich nur um den Haushalt kümmert und ihrem Mann den Rücken freihält." Chance fühlte sich unwohl,, als er sich an sein Versprechen Daisy gegenüber erinnerte. Er hatte gesagt, dass sie ihre Karriere in Washington nicht aufzugeben brauchte. Mit einem Baby in einer fremden Stadt würde das nicht einfach sein, hatte sie eingewandt. Und er hatte ihren Einwand einfach so beiseite gewischt. Er hatte sie aufgefordert, ihm zu vertrauen. Vielleicht tat sie gut daran, es nicht zu tun.
12. KAPITEL
„Gartenparty" lautete das Motto der Hochzeit. Der ganzen Kirchenraum war nach diesem Motto geschmückt worden. Die Gäste betraten die Kirche durch ein Rosenspalier. Die Sitzplätze waren von einem blühenden Fantasiegarten in dunkelgrün, der mit bunten Blumen übersät war. Daisy konnte kaum einen Blick auf das Arrangement werfen, bevor sie und Phoebe von der Brautmutter in einen Nebenraum gebeten wurden, damit die anderen Gäste die Brautjungfern vor ihrem Auftritt nicht zu sehen bekamen. Sie tauchte ihre Nase in das duftende Bouquet. Jetzt wollte sie nur noch an das .Glück ihrer Freundin denken. Der Fotograf kam und machte mehrere Aufnahmen. Daisy lächelte bemüht. „Eine Gartenparty! Es ist wunderschön! Ich wünschte, ich wäre zuerst auf das Motto gekommen", seufzte Phoebe, nachdem der Fotograf gegangen war. „Du hast dir aber auch ein großartiges Motto ausgesucht. ,Das Leben ist ein Regenbogen' bietet dir so viele Möglichkeiten. Denk nur an deinen ausgeprägten Sinn für Farben", meinte Elise und korrigierte den Sitz einer Rosenknospe in ihrem hellbraunen Haar. „Sei vorsichtig", warnte ihre Mutter. „Lass mich deine Locken richten." In Daisys Augen erwies sie sich als perfekter Friseur. Margaret Foster schien die Beschäftigung mit Elises Haaren irgendwie zu beruhigen. „Hast du gestern Abend noch mit Chance gesprochen?" fragte Phoebe. „Nein, warum?" Phoebe starrte in einen Taschenspiegel und zog sich die Lip pen nach. „Direkt nach der Probe habe ich ihm gründlich den Kopf gewaschen. Vielleicht hätte ich es nicht tun sollen." Daisy zuckte die Schultern. „Ich glaube kaum, dass du damit großen Schaden angerichtet hast. Viel schlimmer kann es schließlich nicht mehr kommen." „Ach du liebe Güte", meinte Margaret. „Ich ahnte, dass es Ärger geben wird, als er uns von dem Angebot aus Washington erzählt hat. Ich habe sogar vorgeschlagen, dass ihr zwei eine Beratungsstelle aufsucht." „Und? Was hat er gesagt?" „Er meinte, dass ihr beide sehr gut miteinander reden könnt. Ihr würdet euch schon einig werden." Margaret seufzte. „Er hat einen starken Willen und ist ausgesprochen dickköpfig. Das war er schon als Kind." Daisy freute sich, dass ihre zukünftige Schwiegermutter so sympathisch war. „Hört mal", erinnerte Elise sich, „wir müssen uns noch über meinen Brautstrauß unterhalten." „Er ist wunderschön", schwärmte Phoebe. „Das will ich gar nicht wissen", entgegnete Elise. „Ich meine, wem ich ihn anschließend zuwerfen soll." „Der Frau, die als Nächstes heiraten wird", erklärte Margaret schlicht. „Du wirfst ihn am besten blind in die Menge", schlug Daisy vor. „Und dann entscheidet das Schicksal, wer als Nächstes vor den Altar tritt." „Niemand wirft blind", klärte Elise auf. „Es ist immer abge sprochen." „Das ist nicht in Ordnung", bemerkte Phoebe kritisch. Elise starrte sie entgeistert an. „Ich würde euch gern nach eurer Meinung fragen, wenn ihr mir freundlicherweise eine Minute zuhören würdet." „Wir hören zu", versprach Phoebe. „Okay. Also, jeder weiß, dass du nächsten Monat heiratest", sagte Elise und nickte Phoebe zu. „Und Frannie wird auch bald heiraten. Welchen Sinn macht es, die Gunst des Schicksals einer Frau zu schenken, die ihr Aufgebot schon bestellt hat?" „Du verschenkst nicht die Gunst des Schicksals", entgegnete Daisy. „Wenn du es genau betrachtest, verschenkst du nur deine eigene Gunst." „Als Braut verfüge ich vorübergehend über magische Kräfte", scherzte ihre Freundin. „Und ich möchte den Strauß dir zuwerfen, Daisy. Wenn ich ihn nicht vorher meinem Bruder
um die Ohren haue." „Verschwende die schönen Blumen nicht für Chance", bemerkte Phoebe trocken. „Daisy, was meinst du?" Daisy zögert. Sie konnte in eine Falle geraten. Chance nahm es Daisy übel, dass sie ihre persönlichen Probleme mit ihren Freundinnen besprochen hatte. Wenn sie den Brautstrauß nach alter Tradition auffing, konnte er das als weiteres Zeichen deuten, dass sie hinter seinem Rücken geheimnisvolle Manöver durchführte. Egal! Sie war es Leid, sich in ihn hineinzudenken. „Ich wür de mich sehr über den Strauß freuen. Wenn du mir im Gegenzug vergibst, dass ich mich möglicherweise gegen deinen Bruder entscheide." Margaret schlug die Hände zusammen. „So weit wird es doch hoffentlich nicht kommen." „Bestimmt nicht. Wie gesagt, heute besitze ich magische Kräfte." Elise lächelte, als ihr Vater die Tür einen Spaltbreit öffnete und ihnen zublinzelte. „Ist es schon so weit?" Sam nickte. „Du weißt, ich habe es schon sechs Mal hinter mich gebracht. Jedes Mal habe ich fast weinen müssen, weil ich wieder eine meiner Töchter verliere. Bist du wirklich sicher, dass du heiraten willst?" „Dad! Ich bin dreiunddreißig!" „Ich frag ja nur", meinte er und reichte ihr den Arm. Als Daisy zusammen mit Phoebe den Weg zum Altar hinunterschritt, bemerkte sie die erstaunten Mienen der Gäste ange sichts ihrer Kleider, die sehr ähnlich gearbeitet waren. Aber niemand schien sich daran zu stören. Einige der Gäste hatte sie noch nie gesehen. Es waren sicher die Verwandten von James oder Freunde, die Elise von der Arbeit her kannte. Aber sie entdeckte auch viele bekannte Gesichter. Helen und Rolland Madison zum Beispiel, die Hand in Hand auf der Bank neben Wyatt saßen. Frannie weinte glückliche Tränen. Die Foster-Schwestern bildeten mit ihren Ehemännern und Kindern eine große Gruppe. Schließlich wagte sie einen Blick zum Altar, wo James und der Pastor die Braut erwarteten. Bobby lächelte zufrieden, während Bill seiner Frannie verstohlen zublinzelte. Aber dann wurde ihr Blick von einem Mann gefangen, der zwischen Bobby und Bill stand. Chance. In seinem eleganten Anzug sah er geradezu unwiderstehlich aus. Und so unerreichbar wie noch nie. Die grauen Augen glitzerten jetzt kalt wie Eis. Hatte er den Vertrag unterschrieben? Er hätte ihr die Nachrichten ruhig früher zukommen lassen. Irgendwie. Aber vielleicht wollte er sie gar nicht wissen lassen, wie er sich entschieden hatte. Vielleicht hatte er sie schon längst aus seinem Leben gestrichen. Daisy wollte nicht in Gegenwart seiner Familie mit ihm streiten. Am besten, wenn sie sich später am Abend unterhalten würden. Wenn nur ihre Nerven durchhielten! Phoebe und sie erreichten den Altar. Man hatte vereinbart, dass Phoebe direkt am Altar stehen, während die schwangere Daisy sich so weit wie möglich an der Seite platzieren sollte. Der Organist begann zu spielen. Und dann kam die Braut. In ihrem wunderschönen, weißen Kleid wirkte Elise tatsächlich wie verzaubert. „Was für ein Glück, dass sie nicht Hellgrün trägt", murmelte Phoebe. Daisy unterdrückte ein Kichern. Nach der Zeremonie fuhr das Paar in einer Limousine zum Empfang. In einer zweiten Limousine folgten die Trauzeugen und die Brautjungfern. Chance starrte während der gesamten Fahrt stur aus dem Fenster. Kein gutes Zeichen, dachte Daisy niedergeschlagen. Beim Empfang versuchten mehrere junge Frauen, mit ihm zu flirten. Er sah so
verführerisch aus, dass sie es ihnen nicht verdenken konnte. Trotzdem beruhigte sie der Anblick nicht unbedingt. Sein Ruf als Playboy kam also doch nicht von ungefähr. Die Frauen flogen auf ihn. Wenn sie ihn allein nach Washington ge hen ließ, würde er nicht lange allein bleiben. Daisy wischte sich verstohlen eine Träne von der Wange. „Hochzeiten rühren mich immer zu Tränen", erklärte sie Helen Madison, die neben ihr wartete, um dem Brautpaar zu gratulieren. „Ich will die ganze Gesellschaft in einem Monat bei Phoebe und Wyatt wieder sehen!" stimmte ihr Nachbar zu. „Ich kann es kaum erwarten!" Als die letzten Gäste ihre Glückwünsche überbracht hatten, deckte man die Tische. In der Ecke spielte die Musik leise vor sich hin. Zeit zum Abendessen. Zum ersten Mal vermisste Daisy ihren gewohnten Appetit. „Es ist Zeit!" Frannie tippte ihr auf die Schulter. Daisy schreckte aus ihren Träumen hoch. „Zeit wofür?" „Der Brautstrauß", erklärte die Nachbarin. „Elise meinte, dass sie sich noch schnell für die Reise umzieht. Dann will sie den Strauß werfen. Sie möchte, dass du dabei bist." „Danke." Vorsichtig stand Daisy auf. Heute konnte sie die Last der Schwangerschaft deutlich spüren. Mit Frannie, Phoebe und anderen allein stehenden Frauen begab sie sich in die Empfangshalle. Sie warteten in der Nähe einer Treppe mit altmodischem Geländer, die zu einem Zwischengeschoss führte. Im Hintergrund hielten sich einige Männer auf. Sicher aus purer Neugierde. Daisy entdeckte Chance in der Gruppe. Er sprach mit Bill. Die schlimmsten Befürchtungen kamen ihr. Chance mochte gehört haben, dass der Strauß seiner Schwester für sie bestimmt war, aber sie hatte keinesfalls erwartet, dass sie seinen Atem praktisch in ihrem Nacken spüren konnte, wenn sie die Blumen fing. „Ich wünschte, er würde verschwinden", wisperte sie Phoebe zu. „Warum? Er hat dich den ganzen Abend über angestarrt", gab ihre Freundin zurück. „Er hat mich nicht einen Augenblick angesehen!" „Doch", widersprach Phoebe. „Er hat sich nur jedes Mal weggedreht, wenn du in seine Richtung geschaut hast." Daisy blinzelte aus dem Augenwinkel zu ihm hinüber. Zum Glück stand Chance so weit entfernt, dass er sie unmöglich hören konnte. „Hat er Bill zufällig erzählt, ob er den Job annimmt oder nicht?" fragte sie Frannie. Die Katzenlady schüttelte den Kopf. „Nicht, dass ich wüsste. Ich bin sicher, dass du es als Erste erfahren wirst." „Nein. Gillian wird die Erste sein", seufzte Daisy. „Schließlich hat sie ihm auch das Angebot gemacht. Ich wünschte nur, er hätte vor der Trauung die Zeit gefunden, mir seine Entscheidung mitzuteilen." „Er kam zu spät", erinnerte Frannie sie. „Bill hat extra auf dem Parkplatz nach ihm schauen müssen. Er sagte, dass er auf dem Weg hierher dringend anhalten musste." „Was gibt es Dringenderes als die Hochzeit der Schwester?" bemerkte Phoebe bitter. „Vielleicht musste er mal", meinte Daisy versöhnlich. Alle lachten. Lautes Gemurmel lenkte ihre Aufmerksamkeit nach oben auf den Treppenabsatz. Dort stand Elise. Sie hatte sich ein rehbraunes Kleid mit schwarzen Paspeln übergestreift. Gleich nach dem Empfang wollten James und sie in die Flitterwochen nach Hawaii fliegen. Elise lehnte sich über das Geländer und fixierte Daisy mit ihrem Blick. „Weiter nach hinten", raunte sie ihr zu. Sie machte den Gästen klar, dass sie den Strauß erst dann werfen würde, wenn sie freie Bahn hatte. Auf keinen Fall wollte Daisy die Angelegenheit noch weiter hinauszögern. Gehorsam trat sie ein paar Schritte zurück. Elise nickte theatralisch, winkte mit dem Brautstrauß ein paar
Mal durch die Luft und warf ihn direkt auf Daisy. Einen Augenblick hatte sie ein aufmüpfiges Gefühl. Was, wenn sie den Strauß einfach an sich vorbeifliegen ließ? Aber sie wollte ihrer Freundin den schönsten Tag ihres Lebens nicht verderben und griff pflichtbewusst nach den Blumen. Sie erwischte den Strauß jedoch nicht. In letzter Sekunde griff ein Arm über ihren Kopf und schnappte sich den Strauß. Die Zuschauer stöhnten entsetzt auf. Das war gemein, dachte Daisy. Wer hat mir den Strauß gestohlen? Es war Chance. „Gut gefangen", lobte Bill, der offensichtlich nichts dabei fand, dass der Trauzeuge den Brautstrauß fing. „Wir spielen hier nicht Baseball", bemerkte Elise trocken. „Wirf ihn wieder rauf, und ich probiere die ganze Sache noch ein zweites Mal." „Ich habe ihn ehrlich gefangen", entgegnete ihr Bruder. Irgendetwas in seiner Stimme musste seine Schwester ge warnt haben, denn sie verzichtete auf Gegenargumente. Daisy beobachtete ihn misstrauisch, aber es gelang ihr nicht, seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Eine Fülle widerstreitender Emotionen spiegelte sich darin wider. Eine Spur von Beschä mung. Das hatte er verdient. Ein Schatten von Selbstgefälligkeit. Und ... Konnte das Angst sein? „Traditionell gehen diese Blumen an die Frau, die als Nächste heiratet." Seine feste, geschulte Stimme brachte die Menge zum Schweigen. „Vielleicht sollte ich ihn Phoebe oder Frannie überreichen, aber ich glaube nicht, dass ich damit der Regel Genüge tue, denn sie haben bereits Pläne geschmiedet." Elise nickte zustimmend und warf ihrem Bruder dann in Sekundenschnelle einen warnenden Blick zu. „Als Anwalt habe ich die Akten sorgfältig durcharbeitet, aber ich habe keinen Präzedenzfall entdecken können", fuhr er fort. „Wie dem auch sei, ich habe ein paar zuverlässige Gewährsleute befragt. Den zweiten Trauzeugen und meinen besten Freund. Wir sind zu der Auffassung gekommen, dass der Strauß der Frau gebührt, die sich als Nächste verloben wird." Daisy fragte sich, ob Junggesellen in dieser Frage unbefangen urteilen konnten. Doch andererseits kümmerte sie das im Moment herzlich wenig. „Ich bin dafür bekannt, dass ich emotionale Auftritte in der Öffentlichkeit gar nicht schätze." Chance sprach unbeirrt zu der neugierigen Menge. Ein paar fremde Hotelgäste hatten sich dazugesellt. „Auch für mich ist es nicht leicht, mich in aller Öffentlichkeit einem Risiko auszusetzen. Wie keinem von uns." Und dann geschah es! Er kniete vor ihr nieder. „In der Hoffnung, dass Daisy meine Frau wird, biete ich ihr diese Blumen an. Deirdre Redford, willst du mich heiraten?" Wie betäubt nahm sie die Blumen, die er ihr in die Hand drückte. Sollte das ein Witz sein? Wie sollte sie Ja sagen, wenn sie noch nicht einmal wusste, ob er nach Washington gehen wollte oder nicht? Sie liebte ihn, aber auf Dauer wäre das nicht genug, um eine Ehe zu führen. Es sei denn, er liebte sie auch. „Ich sehe, dass die Blumen allein nicht ausreichen. Aber ich bin darauf vorbereitet, dir die Sache zu versüßen." Chance griff in die Brusttasche seines Jacketts und zog eine mit Samt überzogene Schmuckschachtel hervor. Darin lag ein goldener Ring mit glitzernden Diamanten. „Du kannst ihn natürlich umtauschen. Es geht mir nur um die Idee." „Wenn sie Nein sagt, darf ich dann annehmen?" scherzte eine junge Frau aus der Menge.' „Tut mir außerordentlich Leid. Das Angebot ist begrenzt." Chance wandte sich an Daisy. „Ich hoffe, dass wir noch vor Weihnachten heiraten können. Bevor das Baby kommt. Damit du genug Zeit hast, in mein Haus zu ziehen." „Dein Haus?" fragte Daisy. „In Phoenix?"
„Es ist das einzige Haus, das ich besitze", gab er zurück. „Und das einzige, das ich haben will. Es sei denn, es gefällt dir nicht." Er geht nicht nach Washington! jubilierte Daisy innerlich. „Ich liebe es!" „Du liebst mein Haus?" „Ja, natürlich. Es ist großartig", erwiderte Daisy. Chance räusperte sich. „Ich will dich auf keinen Fall drängen, aber ich brauche ein neues Knie, wenn du mir nicht bald ant wortest." „Sag Ja", drängelte Frannie. „Er soll ruhig leiden", flüsterte Phoebe. „Aber nicht zu sehr." Daisys Hals war wie zugeschnürt. Sie konnte kaum glauben, dass ihr Traum Wirklichkeit wurde. Chance liebte sie und wollte bei ihr bleiben. Sie würden eine Familie sein! „Ich möchte nicht vermissen, das Kind aufwachsen zu sehen, weil ich Tag und Nacht arbeiten muss", erklärte Chance. „Und ich würde am liebsten jede Minute mit dir verbringen. Der alte Traum hatte mich noch einmal fest im Griff. Ich brauchte Freiheit, um mir darüber klar zu werden, was ich wirklich will. Aber wenn ich nach Washington ginge, würden wir daran zerbrechen." Daisy nahm den Ring aus der Schachtel. „Steck ihn mir auf", bat sie. Seine Augen leuc hteten. Er schob den Ring über den Ringfinger der linken Hand. „Sitzt ein bisschen locker." „Das ist gut so. Ich habe gehört, dass schwangere Frauen am ganzen Körper anschwellen", sagte Daisy. „Übrigens, die Ant wort ist Ja." „Übrigens?" Er hob die Augenbraue. „Was erwartest du? Nachdem du mich den ganzen Abend über keines Blickes gewürdigt hast..." „Sie hat Ja gesagt. Du kannst jetzt aufstehen." Frannie schaute voller Sorge auf sein Knie. „Ich will mehr als ein halbherziges Ja. Ich will ein unüberhörbares ,ich kann es kaum erwarten!'" Er stand auf, und schon lag Daisy horizontal in seinen Armen. „Hey!" Sie stützte sich an seiner Schulter. „Ja! Ist das ungefähr richtig?" „Lauter!" „Ja!!" „Gut, das reicht." Er stellte sie jedoch nicht zu Boden, sondern trug sie an den applaudierenden Zuschauern vorbei zum Fahrstuhl. „Wohin entführst du mich?" fragte Daisy, als sie die Menge hinter sich gelassen hatten und der Applaus leiser wurde. „Keine Sorge. Ich habe alles geplant." „Erzähl mir nicht, dass du hier ein Zimmer gebucht hast!" Chance trug sie in den Aufzug und drückte auf einen Knopf. „Um die Wahrheit zu sagen, ich plane meine Aktionen immer nur dreißig Sekunden im Voraus. Aber ich wette, wir finden einen leeren Konferenzraum." Tatsächlich fanden sie einen freien Raum, der offenbar für eine weitere Hochzeitsgesellschaft vorbereitet wurde. Chance setzte Daisy auf einen Stuhl. „Du machst dir keine Vorstellungen davon, wie schrecklich die vergangenen Tage für mich gewesen sind", seufzte Daisy mit tränenerstickter Stimme. „Ich war überzeugt, dass du das Angebot annehmen würdest." „Es tut mir sehr Leid, Daisy." Zärtlich küsste Chance die Tränen von ihren Wangen. „Ich war fest davon überzeugt, dass du Zeit brauchst, um dir über deine Gefühle für mich klar zu werden. Jetzt weiß ich, dass es mir nicht anders ging." „Du hast einen großen Traum geträumt", erwiderte sie versöhnlich. „Den Traum, berühmt zu werden. Ich werfe dir nicht vor, dass du nicht auf Anhieb angelehnt hast." „Aber ich hätte über deine Einwände nachdenken sollen, anstatt sie einfach zu übergehen", gestand er. „Dann hätte ich die Wahrheit eher erkannt. Heute Morgen hat Gillian mir zu verstehen gegeben, dass die Angestellten praktisch das Eigentum der Kanzlei sind. Ich hätte kein Privatleben mehr."
„Selbst wenn", entgegnete Daisy, „bist du sicher, dass du deine Entscheidung nicht bereuen wirst? Ich möchte nicht, dass du nach Jahren verbittert zurückblickst." Liebevoll sah er sie an. „Das würde ich niemals tun. Ich liebe dich, Daisy. Und ich liebe unser Baby. Ich würde es bitter bereuen, wenn ich zu wenig Zeit mit dir verbringen würde." Sie streichelte ihm übet die Wange. „Das müssen wir jetzt nicht mehr befürchten." Er lächelte. „Ich finde, dass ich schon verdammt lange nicht mehr bei dir gewesen bin." „Viel zu lange", pflichtete sie ihm bei. „Jetzt, wo wir verlobt sind, sollte ich jede Nacht bei dir bleiben." „Nein. Ich denke, ich sollte bei dir einziehen." Daisy lächelte verträumt. „Jetzt wissen wir schließlich, dass es das Heim unserer Familie sein wird. Endlich kann ich anfangen, uns dort ein Nest zu bauen. Was würdest du davon halten, wenn wir uns Heiligabend trauen lassen?" „Was meinst du", schlug Chance vor, „sollten wir das nicht besser bei dir zu Hause besprechen?" „Okay." Als sie aufstand, hatte sie das Gefühl zu schweben. „Übrigens", bemerkte er auf dem Weg zum Fahrstuhl, „gibt es nicht zufällig noch etwas, was du mir erzählen wolltest? Über eine Ausstellung im Mai?" „Ach du liebe Güte", stöhnte sie auf. „Ja, ich mache eine Einzelausstellung. Wer hat dir das denn erzählt?" „Jemand, der sich um dich kümmert", erwiderte er. „Und jetzt möchte ich dir zeigen, wie sehr ich mich um dich kümmern will." „Das ist die zweitbeste Idee, die mir den ganzen Abend über zu Ohren gekommen ist", lachte sie. „Und die beste?" „Dein Heiratsantrag!" Die Vorbereitungen für die Ausstellung „DinoCouture" waren lange beendet, bevor die Vernissage beginnen sollte. Die frisch gestrichene Galerie strahlte die Besucher förmlich an. Die Räume hatten noch nie so gut ausgesehen. „Sie brauchten eine gründliche Dusche", witzelte Sean, als er die Tabletts mit den Erfrischungen bereitstellte. Gegen zwei Uhr nachmittags trafen die ersten Gäste ein. Die Zeitungen hatten ausführlich über die Überschwemmung und die schnelle Reno vierung der Galerieräume berichtet. Viele Besucher der Vernissage hatten die Galerie vorher noch niemals aufgesucht. Daisy begrüßte die unbekannten Gäste persönlich und versprach, sie in die Versandliste aufzunehmen. Arturo Alonzo erschien mit Bea, seiner Frau. „Ich konnte es gar nicht erwarten, Sie kennen zu lernen", sagte sie und schüt telte Daisy die Hand. „Arturo hat eine wundervolle Vase bei Ihnen gekauft. Sie steht jetzt als Blickfang im Wohnzimmer." Daisy stellte Chance vor. „Wir sind seit gestern verlobt." „Gratuliere!" Arturo Alonzo freute sich. „Sie heiraten eine sehr talentierte Frau." „Ja, sie ist wirklich etwas Besonderes", sagte Chance stolz. „Sie wird sich einen großen Namen machen", fügte Bea hinzu. „Hört sich gut an." Chance grinste. „Daisy Redford Foster. Ich nehme an, dass auch ich von ihrem Ruhm profitieren werde, oder?" Arturo nahm Daisy beiseite, als es etwas ruhiger wurde. „Der Kunstausschuss hat sich am Freitag getroffen. Ione und ich ha ben Ihre Arbeiten wärmstens empfohlen. Man hat sich einstimmig dafür entschieden, Ihre Arbeiten mit auf die Tournee zu schicken." „Danke!" rief sie. „Das ist wundervoll." „Wir sind immer glücklich über frische Talente." Bea warf ihrem Mann einen Blick zu. Er entschuldigte sich, um sich zusammen mit seiner Frau die Dinosaurier-Skulptur zu betrachten, die sie gerade kaufen wollte. Als die letzten Gäste gegen fünf Uhr gegangen waren, waren bereits drei Skulpturen verkauft. Zwei Besucher hatten ihr Interesse bekundet und versprochen, die Galerie in den nächsten Tagen noch einmal aufzusuchen.
Sean und Chance halfen Daisy beim Aufräumen. Sie erzählte ihnen von der geplanten Tournee, zu der Arturo Alonzo sie eingeladen hatte. „Kaum zu glauben, dass sie sich einstimmig für mich ausgesprochen haben!" „Du hast es verdient." Sean brachte die Kaffeemaschine in den hinteren Raum, um sie zu reinigen. Chance zog Daisy in seine Arme. „Weißt du was? Ich bin wirklich überglücklich mit meiner Kanzlei hier in Phoenix", sagte er. „Wenn ich über Washington nachdenke, dann kommt es mir so vor, als sei ich der Hölle im letzten Augenblick entronnen." Daisy schmiegte sich an ihn. Durch ihren seidigen Kaftan hindurch spürte sie seinen kräftigen Körper. Plötzlich stieß ihr jemand heftig in die Rippen. „Hey", rief Chance. „D u brauchst mich nicht zu stoßen!" „Das war kein Stoß", erwiderte Daisy. „Das war ein Tritt." Sanft fuhr sie sich mit der Hand über den Bauch. „Das Baby übt schon mal." Er strich über die Wölbung. Das Baby in Daisys Bauch schien mit einer leichten Bewegung zu antworten. „Als ob es mit mir spricht." Chance war hingerissen. „Es kann mich hören, nicht wahr? Der Arzt hat es gesagt." Sie nickte voller Freude. „Ich bin überglücklich, dass ich nicht einen Augenblick meines Lebens auf euch zwei verzichten muss", gestand er. „Nicht einen einzigen Moment möchte ich missen." „Ich auch nicht", flüsterte sie. „Wie oft geschieht es, dass die Träume von zwei Menschen sich gleichzeitig erfüllen?" fragte er. „Nein", korrigierte Daisy, „die Träume von drei Menschen."
-ENDE