Andrea Hausmann · Laura Murzik (Hrsg.) Neue Impulse im Kulturtourismus
Andrea Hausmann Laura Murzik (Hrsg.)
Neue Impulse im Kulturtourismus
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1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Frank Engelhardt / Cori Mackrodt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Umschlagbild: Lorenz Pöllmann Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17374-0
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis
Vorwort................................................................................................................ 7 Albrecht Steinecke „Was besichtigen wir morgen?“ – Trends und Herausforderungen im Kulturtourismus ................................... 11 Bernd Günter Kulturbetrieb TM – Qualitätssicherung durch Markenbildung? .................. 35 Stefan Brüggerhoff Gütesiegel, Zertifikat und Akkreditierung – Wie erreicht man echte Qualität? ................................................................... 49 Gütesiegel, Zertifikat und Akkreditierung Laura Murzik Der Markt der Älteren – Besonderheiten einer wachsenden Zielgruppe im Kulturtourismus ............ 65 Andrea Hausmann Zur Bedeutung personalpolitischer Maßnahmen für den Erfolg touristischer Strategien von Kulturbetrieben ................................................ 91 Patrick S. Föhl / Yvonne Pröbstle Kooperationen als Wesenselement des Kulturtourismus ............................ 111 Karin Drda-Kühn / Dietmar Wiegand Netzwerke und Kooperationen – das kulturtouristische Potential im ländlichen Raum ................................. 139 Martina Dillmann / Matthias Dreyer „Fisch sucht Fahrrad“ – Partnerschaften zwischen Kultur und Tourismus aus Sicht der Transaktionskostentheorie ........................... 155
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Inhaltsverzeichnis
Birgit Mandel Netzwerke und Kooperationen Kulturelle Lernorte im (Massen-)Tourismus? Potentiale und Strategien kultureller Bildung von Musentempel bis Disneyland ...... 175 Hubert Bratl / Patrick Bartos Kulturdestinationen als Wettbewerbssysteme – Good Practice in Europa ................................................................................ 199 Heinz Buri Kulturelle Einrichtungen als kulturtouristische Akteure – Strategische Ausrichtung und Praxis im touristischen Marketing am Beispiel der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg ....................................................................................... 237 Oliver Scheytt RUHR.2010 – eine neue Marke im Kulturtourismus .................................. 255 Christian Antz Lernen von den Frühaufstehern – Best-Practices des Kulturtourismus in Sachsen Anhalt .............................. 271 Gabriele Crepaz König Laurin versetzt Berge. Von der Destination zur Marke: Kultur und Tourismus in Südtirol – ein Praxisbeispiel ............................... 285 Patricia Paulus Erfolgsfaktor Qualität – Einführung von Qualitätsmanagement im Museum am Strom ............................................... 305 Autorenverzeichnis ......................................................................................... 325
Vorwort Vorwort Vorwort
Kulturtourismus ist seit einigen Jahren ein Megatrend im Tourismus und wird sich in den kommenden Jahren allen Prognosen nach als solcher fortsetzen. Nicht nur die etablierten touristischen Leistungsträger, sondern auch Städte und Regionen, Kultureinrichtungen und Kulturpolitiker haben dies erkannt und wollen sich gemeinsam als Kulturdestinationen mit professionellen kulturtouristischen Angeboten profilieren. Der Wachstumsmarkt Kulturtourismus eröffnet dabei allen Beteiligten vielfältige Möglichkeiten. Neben wirtschaftlichen Effekten zählen hierzu u.a. Erhöhung der Auslastung, Erschließung neuer Zielgruppen, Steigerung des Bekanntheitsgrades und Imageverbesserung. Doch trotz dieser positiven Effekte und nachweisbaren Erfolge gibt es bei vielen Kulturanbietern auch noch Unsicherheiten im Hinblick auf die richtige Vorgehensweise und Positionierung auf diesem Markt. Insbesondere stellen sich Fragen zu den Reise- und Freizeittrends der Zukunft sowie ihren Konsequenzen für den Kulturtourismus, zu Qualitätserwartungen seitens der Nachfrager (und den Möglichkeiten für Kultureinrichtungen, diese zu erfüllen), zu erfolgreichen Marketingstrategien oder zur richtigen Vorgehensweise beim Eingehen von Kooperationen. Im Zentrum des 2. VIADRINA KULTURMANAGEMENT SYMPOSIUM, das im November 2009 von der Professur für Kulturmanagement an der Europa-Universität Viadrina in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Berlin durchgeführt wurde, sind diese und weitere Themenbereiche im Wirkungsfeld von Kultur und Tourismus mit Wissenschaftlern und Kulturpraktikern diskutiert worden. Der vorliegende Band liefert im Anschluss an diese Veranstaltung nun nicht nur eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse, sondern ergänzt diese Zusammenstellung um weitere wichtige Themenfelder im Kulturtourismus. Die Beiträge, die nachfolgend im Überblick vorgestellt werden, möchten für die Herausforderungen im Kulturtourismus sensibilisieren und geben zentrale Impulse für die Bearbeitung dieses touristischen Markts. Der theoretische Teil dieses Herausgeberbands wird von Steinecke eröffnet, der sich mit den Trends und Herausforderungen im Kulturtourismus beschäftigt. Er beschreibt die vier treibenden Kräfte des künftigen Wettbewerbs, die für eine Verschärfung der Konkurrenzsituation im Kulturtourismus sorgen und identifiziert am Beispiel eines Museums Faktoren für eine erfolgreiche Positionierung auf dem touristischen Markt mittels professionellem Marketing.
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Vorwort
Diesen Punkt greift Günter auf und beschäftigt sich mit dem Produkt bzw. dem kulturtouristischen Angebot und der Einzigartigkeit einer Kultureinrichtung in Bezug auf die Markenbildung. Günter beantwortet in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit Qualitätssicherung durch Markenbildung erreicht werden kann und welche Voraussetzungen dafür geschaffen werden müssen. Brüggerhoff geht hieran schließlich detaillierter auf den Begriff der Qualität ein und stellt verschiedene Qualitätsmodelle vor. Die Möglichkeit der Qualitätssicherung sieht er z.B. in der abstrakten Qualitätsnorm DIN-EN ISO 9001, die am Beispiel des zertifizierten Deutschen Bergbau-Museums erläutert wird. Qualitätssicherung setzt dabei immer auch den Fokus auf die Zielgruppen, deren Bedürfnisse berücksichtigt werden müssen. Hierbei ist zu beachten, dass unterschiedliche Zielgruppensegmente bestehen. Mit einem wichtiger werdenden Zielgruppensegment beschäftigt sich Murzik und stellt anhand von Zahlen sowie Fakten den Markt der Ältern als eine wachsende Zielgruppe im Kulturtourismus vor. Dabei wird deutlich, dass dieser Markt zwar große Chancen bietet, es jedoch unumgänglich ist, den Besonderheiten dieser stark heterogenen Gruppe durch zielgruppenspezifische Angebote gerecht zu werden. Die Herausforderungen für die Kultureinrichtungen hinsichtlich der kulturtouristischen Ausrichtung betreffen jedoch nicht nur das Marketing, sondern auch das Personalmanagement. Hausmann erörtert in diesem Zusammenhang die personalpolitischen Maßnahmen, die für den Erfolg touristischer Strategien bedeutsam sind. Dabei geht sie dezidiert auf drei Instrumente des Personalmanagement ein und macht deutlich, dass die Mitarbeiter einer Kulturinstitution wichtiger Faktor für die Teilnahme und das Bestehen am touristischen Markt sind. Föhl und Pröbstle beschäftigen sich in ihrem Beitrag mit einem anderen, wichtigen Element für die Teilhabe am touristischen Markt: Den Kooperationen. Sie untersuchen dabei nicht nur die verschiedenen Konstellationen von kulturtouristischen Kooperationen, sondern auch die damit einhergehenden Chancen und Risiken, die gerade im Spannungsfeld von Kultur und Tourismus hoher Beachtung bedürfen. Wiegand und Drda-Kühn greifen den Punkt der Netzwerke und Kooperationen auf und sehen hierin das kulturtouristische Potenzial im ländlichen Raum. Anhand von Studien und Projekten werden von den Autoren die wichtigsten Voraussetzungen für die Netzwerkbildung und -entwicklung vorgestellt. Dillmann und Dreyer fokussieren im Kontext der Transaktionskostentheorie, wie Kultur und Tourismus zusammenfinden und erfolgreich zusammenarbeiten können. Dabei nennen sie wichtige Aspekte, um die Transaktionskosten niedrig zu halten und dennoch einen leichten Einstieg in kulturtouristische Kooperationen zu gewährleisten.
Vorwort
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Eine neue Perspektive der Betrachtung nimmt Mandel in ihrem Beitrag ein, indem sie die Sicht des Nachfragers einnimmt. Dabei stellt sie sich die Frage, inwieweit ein kulturtouristisches Angebot Potenziale für die kulturelle Bildung besitzt. In diesem Zusammenhang untersucht sie, welche Präsentations- und Vermittlungsformate dabei besonders erfolgreich waren und kommt zu aufschlussreichen Ergebnissen. Im Praxisteil dieses Bandes wurden verschiedene Kulturakteure gebeten, ihre Erfahrungen im Bereich Kulturtourismus im Rahmen von Good-Practice Beispielen aufzuzeigen. So stellen Bratl und Bartos zunächst die interessantesten Ergebnisse aus einer schriftlichen Befragung von zwanzig Kulturdestinationen vor und erklären anschaulich, was die jeweilige Metropole wettbewerbsfähig macht. Buri beschäftigt sich mit der strategischen Ausrichtung und Praxis im touristischen Marketing und verdeutlicht dies eindrucksvoll am Beispiel der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Im darauf folgenden Beitrag geht Scheytt auf die spannende Entwicklung der Marke „RUHR.2010“ ein, eines der erfolgreichsten Beispiele jüngster Zeit, in dessen Mittelpunkt die Vermarktung einer Region als Metropole steht. Wie sich das Bundesland Sachsen-Anhalt kulturtouristisch auf vielfältige Weise ausgerichtet hat, zeigt Antz besonders detailliert an zwei konkreten Erfolgsgeschichten. Mit dem Beitrag von Crepaz, der sich auf die Destination Südtirol bezieht, wird ein weiteres interessantes Beispiel für die Möglichkeiten bei der kulturtouristischen Vermarktung von Regionen vorgestellt. Die beiden abschließenden Beiträge gehen noch einmal exemplarisch auf die konkreten Probleme in Kultureinrichtungen ein. So zeigt Paulus sehr anschaulich, welche einzelnen Maßnahmen im „Museum am Strom – Hildegard von Bingen“ zur Einführung und Etablierung von Qualitätsmanagement erforderlich waren. Abschließend bleibt festzuhalten: Durch die verschiedenen Beiträge wird deutlich, dass es mittlerweile neben den Kenntnissen in Hinblick auf Marketing, Personalmanagement, Kooperationen oder Qualitätsmanagement mehr bedarf. So muss die Kultureinrichtung ihre Einzigartigkeit und touristische Attraktivität professionell herausarbeiten und stetig konzeptionell weiterentwickeln. Einige Ansätze geben die folgenden theoretischen Beiträge. Wie der Transfer in die Kulturpraxis gelingt, zeigen die Darstellungen der Best-Practice-Beispiele. Die Herausgeberinnen danken den Autoren dieses Bandes und den Referenten des 2. VIADRINA KULTURMANAGEMENT SYMPOSIUMS für die vielfältigen und interessanten Beiträge. Frankfurt (Oder), im August 2010 Andrea Hausmann und Laura Murzik
„Was besichtigen wir morgen?“ – Trends und Herausforderungen im Kulturtourismus „Was besichtigen wir morgen?“
Albrecht Steinecke Albrecht Steinecke
“Great art never tells you to have a nice day.” (Marling 1997, S. 83) „Das Publikum will Knöpfchen drücken und ganz direkt etwas über die eigene Umwelt erfahren. Kontemplation im Sinne einer Interpretation des Alltags durch Künstler ist in unserer quotenverliebten Zeit weniger gefragt.“1
Die Kultur – einst eine Nische für Schöngeister und Experten – erlebt im 21. Jahrhundert eine ungewöhnliche Popularität und einen unerwarteten Boom. Nicht nur die einheimische Bevölkerung, sondern vor allem auch auswärtige Gäste strömen in Kirchen, Schlösser und Museen.2 Manche Kultureinrichtungen haben sich zu touristischen Besuchermagneten für ein Millionenpublikum entwickelt (DTV 2003; www.metinberlin.org/de/home vom 14. Mai 2009):
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Der Kölner Dom ist mit sechs Millionen Besuchern/Jahr die wichtigste Sehenswürdigkeit in der Bundesrepublik Deutschland – weit vor kommerziellen Freizeitattraktionen. Unter den profanen Kulturattraktionen stehen das Heidelberger Schloss (jährlich 1,3 Millionen Besucher) und Schloss Neuschwanstein (1,2 Millionen) ganz oben in der Rangliste der beliebtesten Ausflugsziele. Innerhalb der breiten und vielfältigen Museumslandschaft gehört das Deutsche Museum in München mit 1,3 Millionen Gästen/Jahr zu den Spitzenreitern. Einen Besucheransturm erleben auch kulturelle Events wie z. B. die Ausstellung des Metropolitan Museum of Art (New York) mit französischen
Blomberg, K. (2002): Ausgelaugt – deutsche Museen auf der Suche nach neuen Konzepten (www.faz.net vom 16. Januar 2005). Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um einen aktualisierte und erweiterte Version des Beitrags Steinecke 2010.
A. Hausmann L Murzik (Hrsg.), Neue Impulse im Kulturtourismus, DOI 10.1007/978-3-531-92757-2_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Albrecht Steinecke Meisterwerken des 19. Jahrhunderts, die im Jahr 2007 in Berlin stattfand: Innerhalb von vier Monaten konnte sie 680.000 Besucher verzeichnen.
Für Städte und Regionen sind kulturelle Bauwerke, Einrichtungen und Veranstaltungen längst zu wichtigen touristischen Ressourcen geworden, die im Rahmen des Tourismus- und Standortmarketings intensiv genutzt werden (u. a. Hausmann 2006; Pechlaner/Glüher/Lange 2009). Allerdings drängen immer mehr Anbieter in diesen lukrativen Markt, so dass sich der Wettbewerb in den nächsten Jahren weiter verschärfen wird. In dieser Situation benötigen Kulturakteure und Tourismusverantwortliche umfassende Informationen, um Unternehmensstrategien und Marketingmaßnahmen konzipieren zu können. Wie groß ist dieses touristische Marktsegment? Welche Erwartungen haben die Besucher? Welche Veränderungen vollziehen sich innerhalb des kulturtouristischen Marktes? Was können Kultureinrichtungen tun, um sich erfolgreich auf dem Tourismusmarkt zu positionieren? Der vorliegende Beitrag versucht, diese Fragen zu beantworten; dabei werden folgende Themen behandelt:
Umfang und Merkmale des kulturtouristischen Marktes ( 1), Steuerfaktoren und Dynamik des kulturtouristischen Marktes ( 2), Erfolgsstrategien von Kultureinrichtungen auf dem Tourismusmarkt – das Beispiel der Museen ( 3).
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Der kulturtouristische Markt: Umfang und Merkmale
Kultur ist eine touristische Ressource mit langer Tradition: Bereits im 17. und 18. Jahrhundert, als der englische Adel im Rahmen seiner Grand Tour die europäischen Höfe bereiste, standen Bildungs- und Erziehungsmotive im Vordergrund (Lauterbach 2006, S. 24-27). Seitdem zählt die Besichtigung historischer Gebäude, Relikte und Schauplätze zum Standardrepertoire touristischer Aktivitäten. Darüber hinaus hat sich mit den organisierten Studien- und Bildungsreisen in Deutschland eine eigenständige Tourismusart entwickelt (Steinecke 2006, S. 114-117). Der Begriff „Kulturtourismus“ taucht allerdings erst Ende der 1980er-Jahre in Förderprogrammen der Europäischen Union auf. Seitdem hat er in der Öffentlichkeit, aber speziell auch in der Tourismusforschung eine große Verbreitung erfahren. Von wissenschaftlicher Seite wurde eine Vielzahl von Fallstudien erarbeitet; außerdem fanden zahlreiche Tagungen zu diesem Thema statt. Die Ergebnisse sind in mehreren Sammelbänden, Lehrbüchern und Bibliographien
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dokumentiert worden (Becker/Steinecke 1993; Robinson/Evans/Callaghan 1996; DSF 1996; Weissenborn 1997; Heinze 1999; Korsay u. a. 1999; AIEST 2000; Dreyer 2000; Richards 1996, 2001; Steinecke 2007; Lauterbach 2010). Dennoch erweist sich die Daten- und Forschungslage als problematisch: Es liegen kaum aktuelle und differenzierte Daten zu diesem Marktsegment vor, da es von der amtlichen Statistik nicht speziell erfasst wird und in den touristischen Großerhebungen nur als eine von vielen Urlaubsreisearten behandelt wird. Als Herausforderung erweist sich dabei bereits die präzise Abgrenzung des Begriffs „Kulturtourismus“. Obwohl seitens der Tourismusforschung zahlreiche Vorschläge erarbeitet worden sind, gibt es bislang noch keine allgemein anerkannte Definition.3 Dieses Dilemma hat mehrere Ursachen:
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Zum einen war in den letzten Jahrzehnten ein Wandel des Kultur-Begriffs zu beobachten. Neben den materiellen und immateriellen Elementen der Hochkultur werden nun auch alltägliche Objekte und Verhaltensweisen unter dem Begriff „Kultur“ subsumiert (Moebius 2009). Damit lassen sich aber Kulturangebote nicht mehr exakt von Unterhaltungsangeboten abgrenzen; auch die Nachfrager können nicht klar als Kultururlauber oder als Vergnügungsurlauber klassifiziert werden. Zum anderen spielt die Kultur im Motiv- und Aktivitätsspektrum der Touristen eine unterschiedlich große Rolle. Eine bundesweite Repräsentativuntersuchung kam im Jahr 2009 z. B. zu dem Ergebnis, dass 63,6 Prozent der deutschen Urlauber an der Kultur der Ferienregion interessiert waren. Damit rangiert das Kultur-Motiv an zweiter Stelle – nach dem allgemeinen Wunsch der Regeneration (vgl. Abb. 1). Allerdings spielt die Besichtigung kultureller Attraktionen nur für einen Teil der Befragten bereits bei der Reiseentscheidung eine zentrale Rolle (Gebeco/TMA/UPB 2009). Der kulturtouristische Markt besteht also aus zwei Zielgruppen: Einerseits aus den Kulturtouristen im engeren Sinne, bei denen die Kultur das dominierende Reisemotiv darstellt, und andererseits aus Besichtigungs- bzw. AuchKulturtouristen, die nicht nur kulturbezogene, sondern auch zahlreiche andere Urlaubsaktivitäten ausüben (vgl. McKercher/Cros 2003 zu einer differenzierten Typologie der Kulturtouristen).
Vgl. Becker 1993, S. 8; Jätzold 1993, S. 138; Eder 1993, S. 165-166; Dreyer 2000a, S. 41; Lohmann 1999, S. 63. Exemplarisch soll hier eine nachfrageorientierte Definition zitiert werden: „Der Kulturtourismus umfasst alle Reisen von Personen, die ihren Wohnort temporär verlassen, um sich vorrangig über materielle und/oder nicht-materielle Elemente der Hoch- und Alltagskultur zu informieren, sie zu erfahren und/oder zu erleben“ (Steinecke 2002, S. 10).
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Albrecht Steinecke
Ausruhen/Erholung
39,6%
Interesse an Kultur der Ferienregion
34,2%
29,4%
Bewegen/Aktiv sein
36,0%
24,0%
Gesundheit/Aussehen/Körper
Spaß/Unterhaltung Reiseziel egal
26,6%
30,7%
17,3%
10,5%
0%
20,0%
20%
40% trifft völlig zu
60%
80%
100%
trifft teilweise zu
Abbildung 1: Im Spektrum der Urlaubsreisemotive rangiert das Interesse an der Kultur der Ferienregion an zweiter Stelle – nach dem generellen Wunsch der Regeneration (Ausruhen, Erholung, Nichts tun etc.). Nur jeder dritte Bundesbürger sucht ausschließlich Spaß und Unterhaltung, während ihm das Reiseziel egal ist. (Quelle: Eigene Darstellung nach Angaben in Gebeco/TMA/UPB 2009)
Aus dieser Zweiteilung des Marktes (Kulturtouristen vs. Besichtigungstouristen) resultieren für Kultureinrichtungen besondere Herausforderungen bei der Wissensvermittlung. Einerseits müssen sie Informationen für Besucher bereitstellen, die ein ausgeprägtes Interesse an Fakten und Hintergrundwissen haben (und häufig über entsprechende Vorkenntnisse verfügen). Andererseits kommen aber auch Besucher, die sich nur kurz informieren und anregen lassen wollen. Diese Gruppe wird durch fehlende Erläuterungen enttäuscht bzw. durch langatmige Texte, die von Experten für Experten geschrieben worden sind, eher abgeschreckt. In diesem Zusammenhang muss auf eine Besonderheit hingewiesen werden, die für alle kulturell interessierten Touristen gilt – den selektiven Blick. Das Zeitund Geldbudget der Touristen ist generell knapp – unabhängig davon, ob es sich um einen Tagesausflug, eine Kurzreise oder einen längeren Aufenthalt handelt. Aufgrund dieser Tatsache sind die Urlauber gezwungen, Orte und Sehenswürdigkeiten auszuwählen. Sie haben kein Interesse an einem systematischen
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Überblick, sondern suchen das Besondere, das Typische bzw. den Superlativ. Diese selektive Sichtweise steht in krassem Gegensatz zu dem gründlichen, umfassenden und systematischen Sammlungs-, Forschungs- und Bildungsanspruch von Kultureinrichtungen (speziell von Museen). Sie ist aber kein Ausdruck eines mangelnden oder oberflächlichen Interesses der Besucher, sondern eine notwendige Konsequenz der spezifischen Freizeit- und Reisesituation. Angesichts der Zweiteilung des Marktes und der daraus resultierenden definitorischen Schwierigkeiten, aber auch einer unterschiedlichen Erhebungsmethodik liegen divergierende Aussagen zur Bedeutung des Kulturtourismus im Tourismusmarkt vor:
Eine europaweite Untersuchung kam in den 1980er-Jahren zu dem Ergebnis, dass 23,5 Prozent der Ankünfte dem Kulturtourismus zugeordnet werden konnten. Davon waren 10 Prozent „Specific Cultural Tourists“, für die kulturelle Attraktionen den Hauptgrund der Reise darstellten, und 90 Prozent „General Cultural Tourists“ – also Urlauber mit einem breiteren Motivund Aktivitätsspektrum, das u. a. auch die Kultur umfasst (Irish Tourist Board u. a. 1988, S. 23). In der „Reiseanalyse 2009“ der „Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen“ (Kiel) gaben 14 Prozent der Befragten an, dass es ihnen im Urlaub „besonders wichtig“ ist, etwas für Kultur und Bildung zu tun. Unter 29 Statements rangiert dieses Reisemotiv im unteren Bereich (F. U. R. 2009, S. 90). Eine bundesweite Repräsentativuntersuchung zum Kulturtourismus in Deutschland ermittelte im Jahr 2009 einen Anteil von 34,7 Prozent aller Befragten, die als Kulturtouristen zu bezeichnen sind. Für sie hatte der Besuch einer kulturellen Attraktion bereits bei der Reiseentscheidung eine zentrale Rolle gespielt (dabei stimmten 16,1 Prozent dem entsprechenden Statement „völlig zu“, für weitere 18,6 Prozent traf es „teilweise zu“) (Gebeco/TMA/ UPB 2009).
Ungeachtet dieser quantitativen Differenzen bieten die Daten von Repräsentativuntersuchungen die Möglichkeit, die Kulturtouristen genauer zu charakterisieren. So weisen die Urlauber, die an Kultur und Bildung interessiert sind und Kulturattraktionen besichtigt haben, folgende typische Merkmale auf (Steinecke 2007, S. 13-14):4
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Zur Altersstruktur der Kultururlauber liegen allerdings widersprüchliche Resultate vor: Einigen Studien zufolge sind ältere Menschen deutlich kulturinteressierter und neugieriger als jüngere Altersgruppen, die sich eher entspannen und vergnügen wollen.
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Albrecht Steinecke Besonders ausgeprägt ist das Interesse an Kultur im Urlaub bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen (14-29 Jahre) sowie bei etablierten und älteren Erwachsenen (40-60 Jahre), während es bei Familien mit Kindern von untergeordneter Bedeutung ist. Mit zunehmender Bildung und steigendem Einkommen spielt die Kultur im Motiv- und Aktivitätsspektrum der Urlauber eine immer größere Rolle (nicht zuletzt als Teil sozialer Distinktionsmechanismen). Im Vergleich zu allen Reisenden verfügen die Kulturtouristen über eine breite Reiseerfahrung (vor allem in ausländischen Zielgebieten); es handelt sich um besonders anspruchsvolle und aktive Urlauber. Aus diesem Grund erwarten sie auch mehr als eine Eintrittskarte; das kulturtouristische Produkt muss sich aus Kultur-, Erlebnis-, Konsum- und Genuss-Elementen zusammensetzen. Außerdem legt diese Zielgruppe großen Wert darauf, in dem touristischen Massenmarkt individuell behandelt zu werden.
Angesichts des demographischen Wandels und des steigenden Bildungsniveaus in der Bundesrepublik Deutschland werden die generellen Wachstumsperspektiven des Kulturtourismus überwiegend positiv eingeschätzt. So prognostiziert z. B. die „Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen“ (Kiel) in ihrer aktuellen Studie „Urlaubstrends 2020“, dass künftig 30-40 Prozent der Bundesbürger im Urlaub kulturelle bzw. historische Sehenswürdigkeiten besichtigen werden (im Zeitraum 1993-1995 lag dieser Wert nur bei 24 Prozent) (F. U. R. 2009a, S. 122). Allerdings sind in einzelnen Segmenten des Kulturtourismus bereits Sättigungstendenzen zu beobachten, die vor allem auf eine ungleiche Entwicklung von Angebot und Nachfrage zurückzuführen sind:
Eine europaweite Studie kam bereits im Jahr 1996 zu dem Ergebnis, dass das kulturelle Angebot im Zeitraum 1985-1993 um 40 Prozent gestiegen ist – die Nachfrage aber nur um 10 Prozent (Richards 1996a, S. 38). Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch im deutschen Museumswesen feststellen: So ist die Zahl der Museen im Zeitraum 1991-2008 um 46 Prozent gestiegen, während die Zahl der Museumsbesuche nur einen Zuwachs von 14 Prozent verzeichnete (vgl. Abb. 2).
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19 91 19 93 19 95 19 97 19 99 20 01 20 03 20 05 20 07
160 140 120 100 80
Museen
Ausstellungen
Besuche
Abbildung 2: Seit den 1990er-Jahren weist die Zahl der Museen und Sonderausstellungen ein größeres Wachstum auf als die Zahl der Museumsbesuche. Dadurch ist ein erhebliches Überangebot entstanden, das zu einer Verschärfung des Wettbewerbs zwischen den einzelnen Museen geführt hat (Indexwerte) (Quelle: Eigene Darstellung nach Daten des Instituts für Museumsforschung, Berlin)
Ubiquitär und populär, gesättigt und international – das sind die typischen Merkmale des kulturtouristischen Marktes zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Wie in anderen Konsumgütermärkten und auch im Tourismus generell, so herrscht auch im Kulturtourismus bereits gegenwärtig eine angespannte Wettbewerbssituation. Welche Kräfte wirken auf diesen Markt und welche Entwicklungen zeichnen sich für die Zukunft ab?
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Steuerfaktoren und Dynamik des kulturtouristischen Marktes
In Zukunft ist mit einer weiteren Verschärfung der Konkurrenzsituation im Kulturtourismus zu rechnen; als treibende Kräfte des künftigen Wettbewerbs sind dabei zu nennen (vgl. Abb. 3) (Steinecke 1999, S. 18-25; 2002, S. 10-12):
Veränderungen im Reiseverhalten und steigende Ansprüche der Kulturtouristen ( 2.1), das Auftreten neuer öffentlicher Wettbewerber im Kulturtourismus – z. B. Museen, Städte und Regionen ( 2.2), die Schaffung von privatwirtschaftlichen Substitutionsprodukten – z. B. thematische Erlebniswelten ( 2.3), die Reglementierung des Zugangs zu Kultureinrichtungen aufgrund von Belastungserscheinungen und Protesten der Bevölkerung ( 2.4).
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Albrecht Steinecke
Abbildung 3: Im Kulturtourismus besteht bereits seit einigen Jahren die Situation eines Käufermarkts – also ein Überangebot an Einrichtungen und Dienstleistungen. In Zukunft wird dieser Wettbewerb noch zunehmen. Als treibende Kräfte fungieren dabei die anspruchsvollen Konsumenten, neue Wettbewerber und Substitutionsprodukte sowie eine steigende Zugangsreglementierung. (Quelle: Eigene Darstellung nach Angaben in Steinecke 2007, S. 335)
2.1 Erwartungshaltung der Kulturtouristen Reiseerfahren und individualistisch, anspruchsvoll und preissensibel – so lassen sich die (Kultur-)Touristen seit den 1990er-Jahren charakterisieren. Ihr Reiseverhalten und ihre Reisemotivation werden gegenwärtig durch mehrere zentrale Merkmale bestimmt:
Anspruchsdenken und Preissensibilität: Aufgrund der breiten (internationalen) Reiseerfahrung gelten Basisleistungen wie Unterkunft, Gastronomie sowie Kultur-/Unterhaltungsangebote inzwischen als Selbstverständlichkeit; erwartet wird eine ergänzende Zusatzleistung mit einem hohen emotionalen Erlebniswert (Schulze 2000). Allerdings erweisen sich die Touristen gleichzeitig auch als sehr preisbewusst – sie sind sehr kritisch hinsichtlich des
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Preis-Leistungs-Verhältnisses („Geiz ist geil“-Mentalität). Im Kulturtourismus steigen speziell die Ansprüche an die Verknüpfung der kulturellen Attraktionen mit anderen touristischen Angeboten sowie an die Qualität der Informationsvermittlung. Individualisierung und Privilegien: Der Tourismus hat sich in den letzten Jahrzehnten generell zu einem Massenmarkt entwickelt. In dieser Situation wächst das Bedürfnis jedes einzelnen Kunden, als Individuum angesprochen zu werden. Damit werden aber die klassischen Ansätze der Marktsegmentierung nach Alter, Geschlecht, Bildung etc. obsolet. Der Wunsch nach Individualität führt im Urlaub zu einem Drang nach dem Einzigartigen oder Besonderen, das nur für den einzelnen Urlauber zugänglich ist. Im Kulturtourismus spiegelt sich dieser Trend zur Exklusivität z. B. in Empfängen für Konzertbesucher wider, bei denen der Dirigent und der Solist persönlich anwesend sind. Kurzfristigkeit und Flexibilität: Spätbuchungen und die zunehmende Beliebtheit von Last-Minute-Angeboten sind Belege dafür, dass Reiseentscheidungen immer kurzfristiger getroffen werden. Immer mehr Konsumenten erwarten eine Zeitgleichheit von Reiseentscheidung und Buchungsbestätigung. Im Kulturtourismus haben sich vor allem die Betreiber von Mega-Ausstellungen erfolgreich auf diesen Trend eingestellt: Die Buchung der Eintrittskarte erfolgt direkt über ein zentrales Call Center und bezahlt wird per Kreditkarte; neben dem Ticket können auch weitere touristische Leistungen gebucht werden (Unterkunft, Stadtrundfahrten etc.). Differenzierte Freizeit- und Urlaubsmotive: Anstelle eines Hauptmotivs ist nun ein Bündel von Reisemotiven zu beobachten: Untersuchungen zu den Reisemotiven der Kulturtouristen zeigen, dass diese Zielgruppe z. B. auch eine romantische Stimmung sucht sowie den Kontakt mit andersartigen Menschen, den intensiven Genuss und die unberührte Natur. Die Kunden erwarten generell ein breites Angebotsspektrum mit hoher Wahlfreiheit (Multioptionalität). Für kulturtouristische Anbieter ergibt sich die Notwendigkeit, ein multifunktionales und teilweise standardisiertes Leistungsangebot bereitzustellen, aus dem sich die Konsumenten rasch und bequem ihr persönliches Produkt zusammenstellen können – wie an einem Büfett.
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Albrecht Steinecke
Abwechslung vom Alltag/hat Spaß gemacht
49,3%
Schöne, niveauvolle Atmosphäre
36,8%
Konnte Freunden davon erzählen
36,0%
Schöner Tag mit Partner/Familie
44,8%
53,3%
49,8%
49,2%
35,1%
31,3%
Etwas Neues/Beeindruckendes gelernt
21,8%
Geführte Besichtigung hat mich beeindruckt
51,0%
44,3%
Habe mich selbst gefunden/über mich nachgedacht 6,7% 17,2% 0%
20%
40% trifft völlig zu
60%
80%
100%
trifft zu
Abbildung 4: Bei der Besichtigung von Kulturattraktionen haben Urlauber vielfältige Erwartungen: Neben neuen und beeindruckenden Lernerfahrungen spielen vor allem die Abwechslung vom Alltag und die niveauvolle Atmosphäre eine zentrale Rolle. Touristen wollen einen schönen Tag mit dem Partner bzw. der Familie verbringen und den Freunden zu Hause etwas erzählen können. (Quelle: Eigene Darstellung nach Angaben in Gebeco/TMA/UPB 2009)
Neue Eindrücke und Unterhaltung: Bei den Touristen handelt es sich zwar um interessierte und neugierige Besucher, aber in der Regel nicht um Experten für Kunst- und Kulturgeschichte. Sie wollen etwas Beeindruckendes sehen, neue Eindrücke sammeln und auf unterhaltsame Weise informiert werden. Bei der Besichtigung kultureller Attraktionen rangieren die klassischen Lernerfahrungen deutlich hinter allgemeinen Erinnerungen wie einer Abwechslung vom Alltag und einer schönen, niveauvollen Atmosphäre. Viel wichtiger ist es auch, einen schönen Tag mit dem Partner bzw. der Familie zu verbringen und Freunden nach der Rückkehr von der Reise etwas erzählen zu können (vgl. Abb. 4).
Für Kulturanbieter und Studienreiseveranstalter enthalten diese Ergebnisse wichtige Hinweise für die Produktgestaltung, denn die Kunden erwarten nicht nur
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trockene Daten, Zahlen und Fakten, sondern eine anschauliche, lebendige und emotional berührende Präsentation. Aus Sicht der Besucher handelt es sich bei der Besichtigung von Kirchen, Burgen und Museen um ein Gesamterlebnis, bei dem alle Sinne angesprochen werden sollten – nicht nur der Intellekt. Zentrales Ziel des Kultur- und Tourismusmarketings muss es also sein, solche Urlaubserinnerungen zu produzieren.
2.2 Neue öffentliche Wettbewerber im Kulturtourismus Die künftige Marktsituation im Kulturtourismus wird jedoch nicht nur durch die Dynamik auf der Nachfrageseite bestimmt, sondern auch durch gravierende Veränderungen auf der Angebotsseite: Immer mehr Einzelanbieter, Städte und Regionen drängen in diesen Markt. In Zeiten, in denen andere Wirtschaftszweige durch Krisen und Stagnation gekennzeichnet sind, wird der Kulturtourismus vielerorts als ideale Lösung betrachtet, um das Image nachhaltig zu verbessern, die Einkommenssituation erheblich zu stärken, qualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen und kreative Milieus zu fördern. Anhand einiger Beispiele soll dieser Trend verdeutlicht werden:
Angebotsdiversifizierung traditioneller Tourismusdestinationen: Unter dem Slogan „España – todo bajo el sol“ („Spanien – alles unter der Sonne“) hat sich das Land lange Zeit ausschließlich als Reiseziel für Badeurlauber präsentiert, während das reiche kulturelle Erbe touristisch kaum genutzt wurde. Seit den 1990er-Jahren hat die nationale Marketingorganisation TOURESPAÑA den Kultur- und Städtetourismus intensiv zu einem weiteren Angebotssegment ausgebaut. Darüber hinaus sind auch kommunale Zusammenschlüsse entstanden, um die spanischen UNESCO-Welterbestätten aktiv zu vermarkten (z. B. „Cuidades Patrimonio la Humidad de España“) (www.spain.info; www.ciudadespatrimonio.org.). Markteintritt neuer Destinationen: Das Ruhrgebiet war lange Zeit nur ein wichtiges Quellgebiet im deutschen Tourismus. Mit der Aufstellung des „Masterplan für Reisen ins Revier“ im Jahr 1997 wurde der Grundstein dafür gelegt, den „Pott“ als Tourismusdestination zu positionieren (vor allem für den Tagesausflugsverkehr und für Kurzreisen) (MWMTV 1997). Innerhalb dieses Konzepts spielt der Kulturtourismus eine herausragende Rolle. Dieser Umstrukturierungsprozess führte konsequenterweise zur erfolgreichen Bewerbung als „RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas“. Temporäre Sehenswürdigkeiten: Auf dem Schlossplatz in Berlin wurde im Herbst 2008 die „Temporäre Kunsthalle“ eröffnet (als Zwischennutzung bis
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Albrecht Steinecke zum Baubeginn des „Humboldt-Forums“). Diese neue kulturelle Besucherattraktion geht auf eine private Initiative zurück; die Finanzierung erfolgt durch Sponsoren. In dem boxförmigen Leichtbau werden zeitgenössische Kunstwerke gezeigt; die Außenwände fungieren als Projektionsfläche für Videoinstallationen etc. Nach Ablauf von zwei Jahren soll die Ausstellungshalle an „weiteren Orten von internationaler Bedeutung“ wieder errichtet werden (www.kunsthalle-berlin.de).
2.3 Privatwirtschaftliche Substitutionsprodukte im Kulturtourismus Die Dynamik des kulturtouristischen Marktes wird seit den 1990er-Jahren aber auch durch Substitutionsprodukte geprägt. Zahlreiche thematische Erlebnis- und Konsumeinrichtungen – speziell Science Center und Markenerlebniswelten – agieren an der Schnittstelle von Vergnügen, Erlebnis, Kultur und Bildung (Steinecke 2002a; 2004; 2009). Mit ihren attraktiven und zeitgemäßen Angeboten wenden sie sich vor allem an die Besichtigungstouristen – also an die kulturinteressierten Touristen, für die der Besuch kultureller Attraktionen nur eine Aktivität im Spektrum vieler Urlaubsvergnügungen darstellt. Da die kommerziellen Erlebniseinrichtungen keine klassischen öffentlichen Kulturaufgaben haben (Sammeln, Bewahren, Forschen, Bilden), können sie sich konsequent an den Infotainment-Bedürfnissen der Besucher orientieren – ohne historischen Ballast und ohne Einbindung in die kameralistische Haushaltsführung. Bei knappem Zeitbudget und sinkenden touristischen Ausgaben treten diese neuen privatwirtschaftlichen Freizeit-, Erlebnis- und Konsumwelten in direkte Konkurrenz zu traditionellen Kulturanbietern. Anhand von zwei Beispielen soll die große Popularität dieser Einrichtungen verdeutlicht werden:
Im Jahr 1995 eröffnete das Unternehmen Swarovski in Wattens bei Innsbruck (Tirol) die „Swarovski-Kristallwelten“ – eine neuartige Markenerlebniswelt mit Kunst-, Erlebnis- und Einkaufsangeboten. Unter einem Gartenhügel, der von einem Wasser speienden Riesen bewacht wird, schuf der Künstler André Heller ein Ensemble ungewöhnlicher Räume voller Kristallformationen sowie Glas- und Kunstobjekte (Braun 1996). Aufgrund des großen Erfolgs wurde diese Markenerlebniswelt inzwischen erweitert. Gegenwärtig sind die „Swarovski-Kristallwelten“ mit 700.000 Besuchern/
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Jahr die zweitwichtigste Besucherattraktion in Österreich (nach Schloss Schönbrunn bei Wien).5 Bei der „Autostadt“ in Wolfsburg handelt es sich um die Markenerlebniswelt (brand land) der Volkswagen AG. Auf einer Fläche von 25 Hektar entstand im Jahr 2000 eine multifunktionale Besucherattraktion – mit spektakulären Markenpavillons, Museen, Kinos, Restaurants und einem Kundenzentrum für Selbstabholer. Außerdem finden in der „Autostadt“ regelmäßig kulturelle Events statt („Movimentos Festwochen“). Mit diesem breiten Angebot agiert die „Autostadt“ an der Schnittstelle von Konsum, Erlebnis, Information, Kultur etc.. Sie spricht damit auch kulturinteressierte Touristen an: Die jährliche Besucherzahl beläuft sich auf ca. zwei Millionen Gäste (Steinecke 2009, S. 195-202; www.autostadt.de).
2.4 Reglementierung des touristischen Zugangs zu Kultureinrichtungen Als Folge des selektiven Blicks der Touristen kommt es zu einer Konzentration der Nachfrage auf wenige, besonders spektakuläre Sehenswürdigkeiten und damit zu einer ausgeprägten Hierarchie von Attraktionen:
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Innerhalb der bayerischen Schlösserlandschaft steht Schloss Neuschwanstein mit 1,3 Millionen Besuchern (2008) im Zentrum des touristischen Interesses. An Sommertagen drängen sich täglich mehr als 6.000 Touristen durch die Räume, die früher allein vom „Märchenkönig“ Ludwig II. genutzt wurden. Dessen andere Schlösser können hingegen deutlich weniger Touristen anziehen: Im Neuen Schloss Herrenchiemsee werden jährlich 448.000 Eintrittskarten verkauft, in Schloss Linderhof 441.000.6 Um den Besucherstrom im Schloss Neuschwanstein besser steuern zu können, hat die Bayerische Schlösserverwaltung in den letzten Jahren erhebliche Mittel in ein neues Kassenzentrum (unterhalb des Schlosses) und in ein EDV-gestütztes Managementsystem investiert. Mit dem Kauf der Eintrittskarte erhalten die Gäste zugleich feste Einlass- und Führungszeiten für ihre Besichtigung (dennoch kommt es weiterhin zu langen Wartezeiten – wie viele Erfahrungsberichte im Internet zeigen).
Seit der Eröffnung im Jahr 1995 verzeichneten die „Swarovski-Kristallwelten“ mehr als acht Millionen Besucher (vgl. www.kristallwelten.swarovski.com vom 29. Januar 2010). www.stmf.bayern.de/imperia/md/content/stmf/besucherbilanz2008.pdf vom 29. Januar 2010.
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Drastischere Maßnahmen der Besucherlenkung – in Form von Verboten – kommen in mehreren italienischen Städten zum Einsatz, um Kunstobjekte zu schützen bzw. um die urbane Atmosphäre zu erhalten:
In Rom müssen Touristen seit langem auf einen beliebten Glücks-Brauch verzichten – nämlich eine Münze in den Trevi-Brunnen zu werfen. Die vielen Geldstücke hatten den Marmor erheblich beschädigt. Nach der Restauration des Brunnens wurde das Werfen von Münzen untersagt (Kramer 1993, S. 29). Die Stadtverwaltung von Venedig hat für den Markusplatz in Venedig mehrere Verbote erlassen – z. B. Sitzen, Lagern, Fahrrad fahren bzw. Abfall liegen lassen. Außerdem müssen die Besucher angemessen gekleidet sein. Bei Verstößen werden Geldstrafen in Höhe von 50 Euro erhoben.7
Anhand dieser Maßnahmen eines Besuchermanagements wird deutlich, dass der kulturtouristische Markt große Ungleichgewichte aufweist: Während einige TopAttraktionen gezwungen sind, die Besucherzahl zu limitieren und den Besucherstrom zu lenken, stehen viele kleine Kultureinrichtungen (speziell Museen) vor der Herausforderung, im breiten Angebot überhaupt wahrgenommen zu werden. Welche Schritte müssen sie unternehmen, um sich erfolgreich auf dem Tourismusmarkt zu positionieren?
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Erfolgsstrategien von Kultureinrichtungen auf dem Tourismusmarkt – das Beispiel der Museen
Grundsätzlich wenden sich Museen mit ihrem Ausstellungs- und Veranstaltungsangebot sowohl an die einheimische Bevölkerung als auch an auswärtige Besucher. Allerdings sind nicht alle Museen für Tagesausflügler und Touristen von Interesse: Wie andere kulturtouristische Angebote müssen sie über klare Alleinstellungsmerkmale verfügen, um Aufmerksamkeit und Interesse zu erlangen. In einem umfangreichen österreichischen Forschungsprojekt wurden mehrere Erfolgsfaktoren einer touristischen Inwertsetzung von Museen ermittelt (BMWA o. J., S. 6).
7
Barone, A. (2003): Sitzen bei Strafe verboten. In: Spiegel Online, 27. August (www.spiegel.de/ reise/metropolen/0,1518,263118,00.html vom 22. Januar 2006).
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3.1 Erfolgsfaktoren einer touristischen Inwertsetzung von Museen Als Basisattraktionen fungieren zunächst die Sammlungen und die Dauerausstellungen der Museen. Wichtige Instrumente zur Steigerung der Nachfrage sind aber vor allem thematische Sonderausstellungen:
Einer der Vorreiter dieser Entwicklung war das Roemer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheim, das bereits seit den 1970er-Jahren regelmäßig Sonderausstellungen zu unterschiedlichen Themen veranstaltet hat. Als Besuchermagneten erwiesen sich „Echnaton – Nofretete – Tutanchamun“ (1976: 380.000 Besucher) und „Die Welt der Maya“ (1992: 205.000 Besucher). Mit diesen Ausstellungen wurde das Museum auf nationaler und internationaler Ebene bekannt (Höcklin 1996, S. 79-80). Das Historische Museum der Pfalz (Speyer) verzeichnete in den Großausstellungen „Der Zarenschatz der Romanov“ (1994) und „Leonardo da Vinci – Künstler, Erfinder, Wissenschaftler“ (1995) innerhalb weniger Monate jeweils mehr als 300.000 Besucher (Grewenig 1996). Die Neue Nationalgalerie in Berlin war im Jahr 2004 Schauplatz einer Sonderausstellung, in der 200 Gemälde aus dem Bestand des berühmten Museum of Modern Art (New York) gezeigt wurden. Die MoMA-Ausstellung gilt als eine der erfolgreichsten Ausstellungen aller Zeiten. In 186 Tagen kamen 1,2 Millionen Besucher, davon waren 70 Prozent Touristen. Zu Spitzenzeiten mussten die Gäste bis zu 12 Stunden warten, um eingelassen zu werden.8
Darüber hinaus sorgt eine spektakuläre Architektur der Museumsgebäude (Neubauten, Erweiterungen etc.) für ein breites öffentliches Interesse – auch über den engeren Einzugsbereich hinaus. In den letzten Jahren sind zahlreiche Museen nach den Entwürfen internationaler Stararchitekten/-innen errichtet bzw. erweitert worden. Als berühmte Beispiele sind zu nennen:
die Pyramide im Innenhof des Louvre in Paris (1989; Miri Ming Pei), das Jüdische Museum in Berlin (1992; Daniel Libeskind), das Guggenheim Museum in Bilbao (1997; Frank O. Gehry), das Science Center „Phaeno“ in Wolfsburg (2005; Zaha Hadid).
8
Walde, G. (2004): MoMA mit Gewinn. In: Berliner Morgenpost, 21. September (www. morgenpost.berlin1.de/content/2004/09/21/berlin/704898.html vom 05. Februar 2006).
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Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die konsequente Kundenorientierung der Museen – vor allem angesichts der zunehmenden Konkurrenz auf dem Kultur- und Freizeitmarkt. Das entsprechende Maßnahmenspektrum reicht von besucherfreundlichen Öffnungszeiten (z. B. nach 18 Uhr, keine Ruhetage) über ein differenziertes museumspädagogisches Angebot bis hin zur Besucherforschung und zum Qualitätsmanagement.
3.2 Museen als touristische Besuchermagneten Wie in anderen Segmenten des Kulturtourismus besteht auch bei den Museen eine ausgeprägte Hierarchie hinsichtlich ihrer touristischen Attraktivität; generell lassen sich dabei folgende Typen unterscheiden (Brauerhoch 1996, S. 256258):
9
Bei vielen kultur- und heimatgeschichtlichen Museen handelt es sich um lokale und regionale Einrichtungen, die als Zusatzangebote einer Destination fungieren. Sie stellen also nur einzelne Bausteine innerhalb des gesamten Angebotsspektrums dar. Die Besucher sind relativ alt und weisen ein mittleres Bildungsniveau auf. Die überregionalen und internationalen Museen (speziell Kunstmuseen) verfügen hingegen über spezifische Alleinstellungsmerkmale; sie können deshalb ein relativ junges und vor allem auch gebildetes Publikum anziehen. Einige Museen haben sich zu Besuchermagneten und auch zu wichtigen Imageträgern entwickelt; dazu zählen u. a. der Louvre in Paris (8,5 Millionen Besuche), das British Museum in London (5,9 Millionen) oder das Guggenheim Museum in Bilbao, das im ersten Betriebsjahr 1,4 Millionen Besucher verzeichnete, von denen jeder Dritte aus dem Ausland kam (vgl. Tab. 1).9
Vgl. Lenfers 1999, S. 204. Allerdings lässt sich am Beispiel des Guggenheim Museums in Bilbao auch der „Champagnereffekt“ beobachten, den neue Kultur- und Freizeiteinrichtungen generell zu verzeichnen haben: In den beiden ersten Jahren nach der Eröffnung (1997) wurden mehr als vier Millionen Besucher gezählt; inzwischen liegt die Zahl bei ca. 900.000 Besuchern/Jahr.
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Museum
Besucherzahl (2009)
Louvre, Paris British Museum, London Tate Modern, London National Gallery, London Vatikanische Museen, Rom National History Museum, London Musée d’Orsay, Paris Science Museum, London Museo del Prado, Madrid Victoria and Albert Museum, London Tate Britain, London Van Gogh Museum, Amsterdam Deutsches Museum, München Deutsches Meeresmuseum, Stralsund Pergamonmuseum, Berlin
8.500.000 5.930.000 4.751.625 4.688.690 4.441.734* über 4.000.000 3.022.012 2.792.380 2.764.155 über 2.200.000 1.501.837 1.451.139 1.300.000 1.212.260 1.093.000
*2008
Tabelle 1: In den europäischen Hauptstädten finden sich zahlreiche Museen, die über einzigartige Exponate verfügen – und damit über spezifische Alleinstellungsmerkmale (z. B. der Louvre mit Leonardo da Vincis „Mona Lisa“). Damit fungieren diese Kultureinrichtungen nicht nur als internationale touristische Besuchermagneten, sondern auch als wichtige Imageträger der Städte. (Quelle: Eigene Zusammenstellung nach schriftlichen Auskünften der Museen)
Bei dieser Typisierung handelt es sich nicht um eine starre Einteilung, denn auch kleinere Museen können sich durch spektakuläre Sonderausstellungen auf nationaler bzw. internationaler Ebene profilieren: Ein aktuelles Beispiel ist das Wuppertaler „Von der Heydt-Museum“, das Winter 2009/2010 eine viel beachtete Claude Monet-Ausstellung präsentierte (aufgrund des großen Besucherandrangs mussten die Öffnungszeiten bereits nach kurzer Zeit verlängert werden) (www.monet-ausstellung.de vom 28. Februar 2010).
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3.3 Neue Herausforderungen für Museen: Technologie – Organisation – Besucherforschung Um große Besucherzahlen zu erzielen und auch auswärtige Gäste anzusprechen, sollten Museen zunächst einmal ihre Hausaufgaben machen, indem sie sich konsequent den aktuellen und künftigen Herausforderungen in den Bereichen Technologie, Organisation und Marketing stellen (Schäfer 1997, S. 271-283):
Dazu zählt u. a. die aktive Auseinandersetzung mit der Mediengesellschaft. Um auch weiterhin als attraktive informelle Lernorte fungieren zu können, sollten sich Museen intensiv mit technologischen Entwicklungen auseinandersetzen und neue Techniken in ihre Arbeit integrieren – z. B. durch den vernetzten Einsatz unterschiedlicher Medien, durch die Nutzung interaktiver Informationsmöglichkeiten und durch die Einführung von Besucherreservierungssystemen (Schäfer 1996, 2001; Wersebe 1996). Ende der 1990er-Jahre wurden nur ca. 40 Prozent der deutschen Museen von hauptamtlichen Mitarbeitern geleitet. Angesichts steigender Ansprüche der Besucher sowie eines wachsenden Wettbewerbs im Kultur- und Freizeitmarkt nimmt auch der Druck zur Professionalisierung zu. Museumsfachleute müssen künftig nicht nur über ein historisches, künstlerisches oder archäologisches Fachwissen verfügen, sondern auch über Techniken des Kulturmanagements (Organisation von Events, Finanzplanung, Sponsorenansprache etc.). Deutliche Defizite bestehen noch hinsichtlich einer gezielten Ansprache unterschiedlicher Zielgruppen (z. B. der wachsenden Gruppe von Senioren) und einer kontinuierlichen Besucherforschung. Notwendig ist dabei vor allem auch die Analyse der Nicht-Besucher von Museen (ca. 60-70 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung). Untersuchungen in den USA ergaben, dass diese Gruppe während ihrer Freizeit vor allem Interesse an sozialer Interaktion, an einer angenehmen Atmosphäre und an einer aktiven Teilnahme hat. Der Kontakt mit anderen Menschen, der Komfort der Einrichtung, die Freundlichkeit des Personals sowie Einkaufs- und Ausflugsmöglichkeiten spielen für sie also eine ebenso wichtige Rolle wie die Exponate (Adams 1997, S. 167-168; Klein 1997).
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3.4 Anforderungen an einen erfolgreichen touristischen Marktauftritt von Kulturanbietern Diese Entwicklungen betreffen zunächst den Museumsbereich selbst; sie haben aber auch Konsequenzen auf die touristische Attraktivität von Museen. Angesichts der zahlreichen Konkurrenten auf dem Freizeitmarkt stehen Kultureinrichtungen vor der Herausforderung, mit einem professionellen Marketing auf künftige Trends im Tourismus zu reagieren; dazu zählen vor allem (vgl. Abb. 5):
Berücksichtigung des demographischen Wandels (wachsende Bedeutung von Senioren auf dem Reisemarkt), Entwicklung komplexer Produkte (Kultur + Erlebnis + Konsum + Genuss), Präsenz in unterschiedlichen Medien (Internet, Reiseführer/-magazine, Feuilleton, Flyer), Ansprache von Zielgruppen mit anderen Urlaubsmotiven (Auch-Kulturtouristen, Besichtigungsurlauber), ständiges Qualitätsmanagement, schnelle und komfortable Buchungsmöglichkeiten.
Als sinnvolle Wettbewerbsstrategie erweist sich dabei die enge Zusammenarbeit mit der Tourismusbranche (Reiseveranstalter, lokale und regionale Unternehmen). Aus Sicht der touristischen Leistungsträger sollten Kulturanbieter mehrere Bedingungen für eine erfolgreiche Kooperation erfüllen (Kriegner 2004; Schleppe 1996; Bähre 1996; Eberle 2002; Bachleitner/Schreuer/ Weichbold 2005; John/Schild/Hieke 2010):
Schwerpunkt auf Vermittlung von Wissen (Edutainment), besuchergerechte Infrastruktur (ausreichende Größe, gute Ausstattung, Zusatzangebote wie Führungen etc.), Bereitschaft zur Kooperation mit anderen Akteuren aus der Kulturszene und der Tourismusbranche, klares Alleinstellungsmerkmal (Thema, Exponate, Art der Präsentation etc.), Flexibilität im organisatorischen Bereich, eigene Marketingaktivitäten.
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Abbildung 5: Das Nachfrageverhalten der bundesdeutschen Urlauber wird sich in den kommenden Jahren verändern. Die Kulturanbieter stehen deshalb vor der Herausforderung, mit einem zeitgemäßen und professionellen Marketing auf diese neuen Kundenwünsche zu reagieren. Nur auf diese Weise wird es ihnen möglich sein, ihre Position im Wettbewerb zu behaupten und auszubauen. (Quelle: F. U. R. 2009a zu den generellen Trends im Tourismus sowie eigene Schlussfolgerungen für das Marketing von Kulturanbietern)
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Grundsätzlich wird die touristische Attraktivität der Museen – wie auch anderer kultureller Attraktionen – für Besucher und Partner künftig vor allem darin bestehen, dass sie sich nicht nur als klassische Kultureinrichtungen profilieren, in denen ausschließlich Wissen vermittelt wird. Sie sollten sich vielmehr zu optimierten Orten entwickeln, in denen ungewöhnliche Erfahrungen gemacht werden können, die ein Leben lang in Erinnerung bleiben – durch die (inszenierte) Begegnung mit den authentischen Exponaten, aber auch durch die Kommunikation mit anderen Menschen.
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Für die Konzeption der Studie waren Jens Hulvershorn (Gebeco, Kiel), Dr. Wolfgang Isenberg (Thomas-Morus-Akademie, Bensberg) und Prof. Dr. Albrecht Steinecke (Universität Paderborn) verantwortlich. Die Durchführung der telefonischen Befragung im Januar 2009 (n = 1.509; Personen über 16 Jahre) erfolgte durch das Europäische Tourismus Institut GmbH (Trier). Das Projekt wurde durch die finanzielle Unterstützung des Studien- und Erlebnisreiseveranstalters Gebeco (Kiel) ermöglicht.
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Kulturbetrieb TM – Qualitätssicherung durch Markenbildung? Bernd Günter Bernd Günter Kulturbetrieb TM – Qualitätssicherung durch Markenbildung?
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Einführung
Die Analyse von Kulturbetrieben aus der Sicht der Management- und MarketingPerspektive, hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Dies erscheint einerseits notwendig – man kann auch von Nachholbedarf sprechen – und andererseits nicht ganz unproblematisch, weil eine Dominanz der ökonomischen Perspektive inadäquat wäre und nicht zugelassen werden sollte. Aber die Zusammenfügung der unterschiedlichen Sichtweisen, etwa Kunst und Kultur, Tourismus, Bildungsauftrag sowie ökonomische Effektivität und Effizienz, ermöglicht neue Zielsetzungen und neue Gestaltungsmöglichkeiten. Beispiele aus jüngster Zeit, die den Erfolg von Kulturinstitutionen durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Perspektiven zeigen und in diesem Kontext die „Trademark“, das Branding, das „Einbrennen des Kulturbetriebes als Marke“ in die Psyche der Zielgruppen in den Mittelpunkt stellen, finden sich zuhauf. So kann die Handschrift des Architekten Frank O. Gehry in Bilbao oder Herford (MARTa) ebenso als Marke gelten wie die Lizenzierung des Namens Louvre an den Staat Abu Dhabi im Jahr 2007 das Branding fokussiert. Festspiele sind genauso zu Markenzeichen geworden wie prominente Künstler in der bildenden wie auch in der darstellenden Kunst. „An solche Namen glaubt das Volk – sie haben einen guten Klang im Lande.“ (Friedrich von Schiller, Wilhelm Tell)
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Qualitätssicherung oder Total Quality Management?
In der Betriebswirtschaft wird Qualität zunächst neutral als Eigenschaft interpretiert. Die Gesamtqualität eines Beurteilungsobjektes wird in Teilqualitäten (Teileigenschaften) zerlegt. Diese lassen sich in der Regel messen. Die Beurteilung dieser (Teil-)Eigenschaften erfolgt in betriebswirtschaftlichen ZuA. Hausmann L Murzik (Hrsg.), Neue Impulse im Kulturtourismus, DOI 10.1007/978-3-531-92757-2_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Bernd Günter
sammenhängen individuell und zumeist hochgradig subjektiv anhand der Eignung zur Erfüllung der Anforderungen des Beurteilenden. Demnach ist Qualität – und das ist erstaunlicherweise eine ingenieurwissenschaftlich geprägte Sicht – zu verstehen als „fitness for use“ in jedem Einzelfall, wodurch die subjektivische Komponente des Qualitätsverständnisses zum Ausdruck kommt. Abbildung 1 zeigt diese Sicht (eines Betriebswirtes) auf das Konstrukt Qualität.
„Total Quality Management“ und effektives Marketing beinhalten:
Einzigartige, unverwechselbare Positionen planen
Qualität „rundum“ einbauen
Qualität prüfen und sichern
Qualität weiterentwickeln
„Quality is fitness for use“
Abbildung 1: Total Quality Management
Der in Abbildung 1 dargestellte Ansatz geht nicht einfach von der Vorstellung der Sicherung eines bestimmten Qualitätsniveaus aus. Vielmehr geht es heute um ein alle Facetten integrierendes, umfassendes Qualitätsmanagement, das so genannte „Total Quality Management“, kurz: TQM. Dieses geht davon aus, dass Unternehmenserfolge nur durch „Abliefern“ von Qualität im Sinne von „fitness for use“ erreicht werden kann; es hat damit eine große Nähe und Kompatibilität zu modernen Marketing-Konzepten. Grundlage der TQM-Denkweise ist die Positionierung eines Angebotes auf einem festgelegten und der Zielgruppe angepassten Qualitätsniveau. Diese muss in der Lage sein, Wettbewerbsvorteile im Sinne von Kundenvorteilen bei den Adressaten zu erzielen. Ihre Basis ist der Anspruch des Anbieters auf eine „Unique Selling Proposition“ (USP), der oft – gerade im Kulturbereich – umschrieben werden kann mit den Begriffen „einzigartig, unverwechselbar, attraktiv, vorziehenswürdig (dies verweist auf den Wettbewerbsvorteil)“. Auf der Basis der angestrebten (Soll-)Positionierung ist im zweiten Schritt der Faktor Qualität zu integrieren. Damit sind der Service-Gedanke und die Kundenorientierung (Nutzerorientierung, Publikumsorientierung, Besucherorientie-
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rung) angesprochen. Servicemängel in Kulturbetrieben, die in jüngerer Zeit publik geworden und Gegenstand von kritischer Glossierung in den Medien geworden sind, unterstreichen die Defizite in „eingebauter Qualität“. Im dritten Schritt kann und soll Qualität regelmäßig geprüft und gesichert werden. Dies setzt regelmäßiges Messen und Testen, etwa mit Hilfe der Mystery Visitor-Methodik oder mit Hilfe von Kundenbeiräten, Kundenkonferenzen, systematischem Feedback und Beschwerdemanagement u.a., voraus. Schließlich muss Qualität kontinuierlich weiterentwickelt werden. Aktuelle Richtungen der Weiterentwicklung in Kulturbetrieben sind etwa: Sammlungsausbau, Interaktivität, Multimedia-Nutzung, Kooperationen, verbesserte Bildungsarbeit, Kombi-Angebote mit anderen Institutionen, kulturtouristische Angebote u.a.
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Markenverständnis und Funktionen einer Marke
Ohne Marke kein „Merken“! In der niederländischen heißt die Marke „merk“; dies verweist auf Stamm und Herkunft unseres deutschen Wortes Marke. Das englische Pendant „brand“ hat seine bildhafte Entsprechung im Vorgang des Einbrennens eines Markenzeichens. Ohne Merken und Einbrennen im Gedächtnis bzw. in der Psyche gibt es für Objekte wie für marktfähige Angebote von Dienstleistungen keine Aufmerksamkeit, keine Zuwendung, keine Nutzung, keinen Wiederholbesuch und keine (werbende) Weiterempfehlung. Dies gilt speziell auch für den Kultursektor und für Tourismus-Angebote, bei denen wir eine hohe Bedeutung von persönlichen Weiterempfehlungen erwarten dürfen (Günter/Hausmann 2009). Marken können und müssen aus zweierlei Perspektive betrachtet werden, aus der des Anbieters (Trägers der Marke) und aus der des Nachfragers bzw. Adressaten der Marke. Dies führt zu zwei unterschiedlichen Annäherungen, die die Definitionen in Abbildung 2 wiedergeben.
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Anbieterorientiertes, objektives Markenverständnis: „Die Marke ist ein physisches Kennzeichen für die Herkunft eines Markenartikels“ Mellerowicz 1963, S. 39
Nachfrageorientiertes, subjektives Markenverständnis: „Die Marke ist ein in der Psyche des Konsumenten verankertes, unverwechselbares Vorstellungsbild von einem Produkt.“ Meffert 2000, S. 847
Abbildung 2: Begriffsverständnis Marke
Auch für Kulturmarken und kulturtouristische Marken-Angebote gelten die fünf klassischen Markenfunktionen, die zunächst aus der Sicht des Trägers einer Marke zu sehen sind, also aus der Sicht eines Kulturbetriebes. Abbildung 3 zeigt diese Markenfunktionen aus Anbietersicht. Dabei ist gerade auch die Verdeutlichung des angestrebten Qualitätsniveaus eine wichtige Funktion. Im Kulturbereich mögen einige Marken von hoher Geltung diesen Qualitätsanspruch und seine Verdeutlichung repräsentieren: „Berliner Philharmoniker“, „Wiener Staatsoper“, „Klavierfestival Ruhr“, „Wagner-Festspiele Bayreuth“ mögen für viele andere Beispiele stehen. Die „klassischen“ Funktionen der Markierung aus Sicht des Markenträgers sind: 1. 2. 3. 4. 5.
Herkunftsverdeutlichungsfunktion Identifikationsfunktion Differenzierungsfunktion Qualitätsverdeutlichungsfunktion Image-Übertragungsfunktion
Aus der Sicht von Kunden, Nachfragern, Adressaten der Marke, also Zielgruppen, kann und muss eine Marke anders definiert werden. Die Formulierung in Abbildung 4 verdeutlicht die Sicht der Nachfrager (im Kulturbetrieb: der Besucher, Nutzer, Gäste, Zielgruppen, Adressaten). Es sei dem Leser überlassen, an der eigenen Perspektive und Erfahrung zu testen, welche Assoziationen, Erlebnisse und Erfahrungen sich einstellen beim Lesen oder Hören von Markennamen wie Scala (Teatro Alla Scala), Louvre, Guggenheim-Museum, Staatstheater … , Gewandhaus, MoMa, Kunsthaus Wien u.v.a.
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„Marken sind Vorstellungsbilder in den Köpfen der Anspruchsgruppen, die eine Identifikations- und Differenzierungsfunktion übernehmen und das Wahlverhalten prägen.“ Abbildung 3: Das Verständnis der Marke aus Sicht der Nachfrager (Quelle: Esch/ Herrmann/Sattler 2006, S. 194)
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Bedeutung und Voraussetzungen für „starke Marken“ im Kultursektor: Die Beseitigung von Markendefiziten
Was ist aus Sicht des Betriebswirtes, speziell aus der Sicht des Marketing und des Management eines Kulturbetriebes zu tun, um „starke Marken“ im Kulturbereich zu kreieren oder zu unterstützen, fragt zu Recht Klein (2007). Zunächst muss in vielen Kulturbetrieben mehr Klarheit und Konsens geschaffen werden über die Bedeutung einer Marke, eines Markenauftritts und eines stringenten Markenmanagements. Abbildung 4 zeigt die Bedeutung und die Vorteile, die Marken haben können, für Kulturbetriebe wie etwa Museen, Theater, Konzerthäuser, Festival-Organisationen und andere.
Die Marke eines Kulturbetriebes signalisiert ein Angebot (Leistungsbündel), dessen Wettbewerbsvorteile für die Zielgruppen und dessen spezielle „Persönlichkeit“.
Eine Marke macht ein Kulturangebot unverwechselbar.
Eine Marke erleichtert Besucherbindung und Weiterempfehlung.
Eine Marke signalisiert Reputation.
Eine Marke hilft beim Präsentieren und Vermitteln.
Eine Marke hilft bei Identifikation, sie ist „Identitätsanker“.
Eine Marke stellt einen Wert („Kapital“) für den Kulturbetrieb und seinen Träger dar.
Abbildung 4: Die Bedeutung einer Marke für einen Kulturbetrieb
Des Weiteren müssen vorhandene Defizite im Markenmanagement aufgespürt und beseitigt werden. Typische Defizite im Branding von Kulturbetrieben sind
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Bernd Günter
diffuse Positionierungen – sie führen dazu, dass die Marke kein Profil erkennen lässt. Dies gilt für viele Theater und Opernhäuser. Betrachtet man synoptisch eine größere Auswahl von Museumsplakaten, fällt diese Unschärfe der Profile auch hier deutlich auf. Folge ist oft eine uneinheitliche Konzeption etwa des Corporate Design und der Corporate Identity. Zum dritten gilt es, die Möglichkeiten des Branding zu erkennen und ein starkes Markenprofil aufzubauen. Wichtige Voraussetzungen und Ingredienzien für die Arbeit an einer Markenkonzeption für einen Kulturbetrieb sind die folgenden:
Deutliche Wettbewerbsvorteilsposition (Einzigartigkeit, Unverwechselbarkeit, Alleinstellungsmerkmal) Verankerung in den Köpfen der Zielgruppe Praktizierte Nutzer-/Besucherorientierung Qualitätsversprechen ohne „Overpromising“ Transparente Qualitäts- und Service-Standards sowie deren Einhaltung Attraktives Erscheinungsbild und Auftreten Messung der Zufriedenheit und des Markeneindrucks bei der Zielgruppe
Zentrale Voraussetzung ist damit zunächst eine klare Positionierung im Wettbewerb, die das Merken erleichtert. Dazu sollte eine systematische Bestandsaufnahme zur Markenwahrnehmung und „Markenpersönlichkeit“ treten. Die Assoziationen, die mit der Marke verbunden werden, die Erwartungen und die kommunizierten Erfahrungen sowie das Bild von der Markenpersönlichkeit sollten wenigstens in Abständen ermittelt und überprüft werden. Wenn Abweichungen zu den angestrebten Zielen entdeckt werden, kann ein stringentes Qualitätsmanagement nicht zufriedenstellend ausfallen. In gleicher Weise sind Existenz und Kommunikation von Alleinstellungsmerkmalen und Unverwechselbarkeit zu prüfen. Gegebenenfalls müssen innovative, erweiterte oder aktualisierte Alleinstellungsmerkmale gesucht und im Markenauftritt verwertet werden. Dabei ist im Kontext des Stadt- und Regionenmarketing sowie des Tourismusmarketing eine Interdependenz mit der „Standort“marke zu berücksichtigen. Ähnlich wie beim Ingredient Branding („Intel inside“) und beim Co-Branding müssen dann die Kompatibilität mehrerer Marken bzw. die wechselseitige Wirkung der Marken des Kulturbetriebes und des Standortes beachtet und genutzt werden.
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Markenkern und Basiselemente von Marken im Kultursektor
Der Aufbau oder die stringente Neukonzeption des Branding im Kulturbetrieb umfasst als erste zentrale Aufgabe die Definition des Markenkerns. Dieser wird aus Anbietersicht durch die angestrebte Positionierung, aus Nachfragersicht durch die zentralen Assoziationen mit der Marke bestimmt. Erwünscht ist, dass diese Perspektiven kongruent und kompatibel sind. In manchen Situationen kann es zu Diskrepanzen kommen (Beispiel: Nürnberg mit unter kulturhistorischen und touristischen Zielsetzungen auch unerwünschten Assoziationen - trotz reichhaltiger einzigartiger Positionierungsmöglichkeiten. In wieder anderen Fällen muss die Kongruenz erst erreicht werden, speziell bei der Neukonzeption einer Marke im kulturtouristischen Umfeld (Beispiel: die Marke „Neanderland“ für die kulturtouristische Destination Kreis Mettmann). Die zweite Hauptaufgabe besteht in der auf den Markenkern bezogenen Gestaltung der drei Basismerkmale (Markenelemente) Markenname, Logo und Claim. Einige ausgewählte Kommentare zu diesen Themen – mit Bezug auf aktuelle Herausforderungen im Kulturmarketing und im kulturtouristischen Kontext: Der Markenname und seine Formulierung dürfen kein Tabu sein. Dies zeigen u.a.:
die früheren Umbenennungsüberlegungen der Deutschen Arbeitsschutzausstellung DASA, die Irritation, die die Schreibweise des Düsseldorfer „museum kunst palast“ hervorruft die Diskussion um Namenskürzel wie etwa K 20 und K 21 für die beiden Häuser der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen die Kritik an langen, für ausländische Touristen und Besucher schwer zu merkende und auszusprechende Namen wie etwa Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Unklarheiten um Abkürzungen wie im Fall MARTa Herford oder die Verkürzung des „Firmennamens“ Wallraf-Richartz-Museum – Fondation Corboud, Köln, zum einprägsamen Markennamen „Wallraf“.
Ein geeignetes, einprägsames und gutes Logo scheint im Kultur- und kulturtouristischen Bereich ausgesprochene Mangelware zu sein. Für ein gutes Logo kennen Designer und Marketing-Experten klare Anforderungen (siehe etwa Gromotka 2009 zu Stadtlogos). Legt man systematische Beurteilungsraster zugrunde, so erweisen sich viele der benutzten Logos – vorsichtig formuliert – als „suboptimal“.
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Bernd Günter Viele Logo-Varianten:
lassen den inhaltlichen Bezug zu seinem Kulturbetriebs-Träger vermissen, sind nicht unverwechselbar, sondern beliebig oder leiten zu irreführenden (weil nicht vorher bei den Adressaten getesteten) Assoziationen.
Claims, also kurze prägnante Slogans, sollen den Markenkern in wenige Worte zusammenfassen, die von den Adressaten besonders gespeichert werden sollen. Claims enthalten oft einen Anspruch und eine Aussage über die Nutzenstiftung („benefit“) bei der adressierten Zielgruppe. Im Bereich der Kulturbetriebe lassen sich bisher nur wenige Claims finden. Ausnahmen wie diejenigen der Deutschen Oper Berlin „Zukunft Große Oper“ oder der Tonhalle Düsseldorf – „das Planetarium der Musik“ bestätigen diese Regel. Dabei bieten Claims eine Chance, die Marke wirklich merkfähig zu machen. Der Kultursektor sollte das kreative Entwickeln guter Claims nicht dem kommerziellen Sektor und dem TourismusMarketing allein überlassen, sondern eine aktive und kreative Vorreiterrolle einnehmen. Dies setzt allerdings klare Positionierungsentscheidungen voraus (siehe Kapitel 4).
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Kreative Markierungsideen im Kultursektor: eine kleine Beispielauswahl
Auch im Kultursektor nimmt das Markenbewusstsein und die dahinter stehende Professionalisierung im Kulturmanagement und -marketing zu. So finden sich in den letzten Jahren zunehmen durchdachte Branding-Beispiele, die zumeist mit Hilfe spezialisierter Experten in Agenturen o.ä. zustande gekommen sein mögen, aber auf deutliche Profilierungsbestrebungen der Kulturbetriebe schließen lassen. Eines der Beispiele ist die Museumskooperation CROSSART, in der zehn niederländische und deutsche Kunstmuseen sich zu einer grenzüberschreitenden „Route Moderne Kunst“ zusammengeschlossen haben (Abbildung 5).
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Städtisches Museum Abteiberg
Museum Het Valkhof
Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum
Museum Kurhaus Kleve
(Mönchengladbach)
(Nijmegen)
(Duisburg)
(Kleve)
Stiftung Insel Hombroich
Krefelder Kunstmuseen
(Neuss)
(Krefeld)
Museum de Fundantie
Museum Schloss Moyland
Museum van Bommel van Dam
Museum voor Moderne Kunst Arnhem
(Heino/Wijhe; Zwolle)
(Bedburg-Hau)
(Venlo)
(Arnhem)
Abbildung 5: CROSSART
Ein ungewöhnliches Corporate Design, das zusammen mit der spektakulären GehryArchitektur eine starke Marke bildet, stellt MARTa Herford dar (Abbildung 6).
Abbildung 6: MARTa Herford
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Bernd Günter
Eine kulturtouristische Marke, die geradezu „aus dem Boden gestampft“ wurde und gegen viele „offizielle“ Widerstände von unten durchgesetzt wird, ist die Marke Neanderland (Abbildung 7).
Abbildung 7: Neanderland
Schließlich muss eines der aktuellsten, konsequentesten und eindrucksvollsten Beispiele Erwähnung finden, das der totalen Änderung des Markenauftritts des Wallraf in Köln (Abbildung 8).
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Abbildung 8: Wallraf
Hier wurden die Positionierung des Hauses und der Außenauftritt von Grund auf in Frage gestellt und neu konzipiert. Dabei wurde selbst auf Tabubrüche nicht verzichtet. Das beginnt mit einer ungewöhnlichen, aber sehr besucherorientierten Beschriftung der Exponate und einigen nicht unbedingt selbstverständlichen Service-Ideen wie etwa dem Museums-Shuttle. Es geht weiter über einen der innerstädtischen Umgebung zugewandten Shop. Der Museumsname wurde verändert (siehe oben) und wird in massiven Lettern präsentiert. Das Corporate Design erhielt ein extrem ungewöhnliches (aber merkfähiges) Outfit, dessen Konstante ein violett-schwarzer Farbverlauf ist. Der Gipfel der Provokation ist ein Claim, der wie ein Beiname, aber streitbar und eindrucksvoll daher kommt: „Wallraf – das Museum“.
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Fazit
Markenbewusstsein, Markenaufbau und systematische Pflege einer Marke können das „Vermögen“ und Potenzial eines Kulturbetriebes nachhaltig stärken und unterstützen. Prägnante Marken sind Chancen, wenn sie systematisch aufgebaut und kommuniziert werden. Dabei ist darauf zu achten, dass nicht, etwa durch willkürliche, oft unbegründete Änderungen, mühsam aufgebautes Markenkapital vernichtet wird. Der Aufbau dieses Markenkapitals und des Marken-
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Bernd Günter
wertes ist oft mit öffentlichen Geldern erfolgt – seine Beschädigung oder Vernichtung geschieht gelegentlich mit wenigen Federstrichen ohne künstlerische oder ökonomische Begründung. Beispiele dafür finden sich insbesondere im Theater- und Konzertbereich. Markenaufbau und Markenänderungen müssen daher gerade in Kulturbetrieben behutsam und mit viel Rücksicht auf die kulturell einzigartigen Leistungen des Kulturbetriebes erfolgen. Markenstrategien zwingen zu kontinuierlichem Qualitätsmanagement – gerade um das aufgebaute Markenprofil nicht zu beschädigen. Stets ist dabei das Ingredient Branding und Co-Branding zu beachten. Damit ist die Zusammenarbeit und Koordination mit dem Regionen-, Stadt- und Tourismusmarketing gemeint, die eine weitere Stärkung des Markenprofils herbeiführen kann. Was kann letztlich getan werden, wenn bei einer Analyse der Ausgangssituation festgestellt werden muss, dass wenig Markenkern als Basis, als „asset“ vorhanden ist? Nun, nahezu alle profilbildenden Elemente haben eine Entstehungsgeschichte und sind von Akteuren veranlasst worden. Daher ist das Kreieren von Marken durchaus kreativ und innovativ anzugehen. Auch „Neanderland“ ist am grünen Tisch konzipiert worden, viele heute bekannte Events sind aus einer „schöpferischen Retorte“ entstanden – ohne dass damit ein Qualitätsvorbehalt verbunden sein muss. Möglicherweise ist sogar das großartige architektonische Ensemble des Dombezirks von Pisa Konsequenz einer intelligenten Konzeption einzigartiger und unverwechselbarer Qualität und gleichzeitig eines konsequenten und weit vorausschauenden Markendenkens seiner Schöpfer und Träger – und ist nicht in dieser Konzeption das Markenelement „Schiefer Turm“ ein genialer Schachzug?
Literaturverzeichnis Esch, F.-R./Herrmann, A./Sattler, H. (2006): Marketing – Eine managementorientierte Einführung, München Gromotka, D. (2009): Das Stadtlogo als Stadtmarketing-Instrument – Erscheinungsformen und Anforderungen aus Marketingsicht, Saarbrücken Günter, B. (2008): Die Interessen des Museums können nicht die Interessen sein, die seine Nutzer haben, in: Dreyer, M./Wiese, R. (Hrsg.): Qualität, Güte, Wertschätzung. Worauf Museen achten müssen, Schriften des Freilichtmuseums Kiekeberg, Bd. 62, Ehestorf, S. 167-172 Günter, B./Hausmann, A. (2009): Kulturmarketing, Wiesbaden John, H./Günter, B. (2008): Das Museum als Marke – Branding als strategisches Managementinstrument für Museen, Bielefeld
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Klein, A. (2007): Starke Marken im Kulturbetrieb, Baden-Baden Meffert, H. (2000): Marketing, 9. Auflage, Wiesbaden Mellerowicz, K. (1963): Markenartikel – Die ökonomischen Gesetze ihrer Preisbildung und Preisbindung, 2. Aufl., München/Berlin Rohde, T. (2007): Museumsmarke und Markenpersönlichkeit, Marburg
Gütesiegel, Zertifikat und Akkreditierung – Wie erreicht man echte Qualität? Gütesiegel, Zertifikat und Akkreditierung
Stefan Brüggerhoff Stefan Brüggerhoff
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Einleitung
Der folgende kurze Artikel beschreibt den Stand der Diskussion zum Thema Qualitätssicherung bzw. -management im Museum. Dabei wird der Begriff der Qualität im Kultursektor, speziell für die Museumsarbeit, diskutiert und die Ansätze zur Sicherung der Museumsqualität in Deutschland und im Ausland vorgestellt. Schließlich wird eine Option präsentiert, wie mit einer abstrakten Qualitätsnorm wie der DIN ISO 9001 eine ständige Überprüfung und Verbesserung der Qualität zu erreichen ist. Dies wird am Beispiel des nach DIN-EN ISO 9001 zertifizierten Deutschen Bergbau-Museums erläutert. Abschließend werden die vorliegenden Qualitätsmodelle einander gegenüber gestellt und ein Fazit hinsichtlich ihrer Anwendung gezogen.
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Was ist Qualität im Kulturbereich?
Spricht man mit Kulturschaffenden, hier ins besondere mit Museumsvertretern, über das Thema Qualität im Museum, so wird auch heute noch häufig ausschließlich die kreative, intellektuelle oder künstlerische Leistung der Ausführenden bzw. analog die Güte der präsentierten Objekte in die Bewertung einbezogen. Eine gezielte technische Organisation von Qualitätsmaßnahmen wird dabei mit Bezug auf den kreativen Part als nicht realisierbar, respektive eine solche Art der Qualitätsorientierung als nicht gleichrangig mit der Kreativleistung gewertet. Für viele der Kulturschaffenden liegt Qualität im Vermögen einer Person oder Personengruppe ihre künstlerische oder intellektuelle Leistungsfähigkeit abzurufen und in einer entsprechenden Form, z. B. einer Ausstellung mit hochrangigen Objekten, auszudrücken. Die Bereitstellung sanitärer Anlagen für die Besucher oder die reibungslose Organisation der Führungen in der Ausstellung wird dagegen als technische Selbstverständlichkeit gesehen und nicht mit der Qualität einer Einrichtung in Verbindung gebracht. Hier gilt es einzusetzen und über einen erweiterten Qualitätsansatz zu sprechen. So sehr die A. Hausmann L Murzik (Hrsg.), Neue Impulse im Kulturtourismus, DOI 10.1007/978-3-531-92757-2_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Stefan Brüggerhoff
künstlerisch, kreative Leistung der Ausstellungsmacher auch für die Bedeutung der Einrichtung, Museum oder Ausstellungshalle, wichtig ist, so sehr darf darüber nicht der administrativ-organisatorische Bereich vergessen werden. Beides muss eine besondere Beachtung finden, um nicht durch das Fehlen des jeweils anderen die Bewertung der Einrichtung zu verschlechtern. Und hier setzt die Qualitätssicherung bzw. das Qualitätsmanagement im Museum an. Stellt man vorab erst einmal die Frage nach der Definition des Begriffes Qualität, so gibt der Duden (2007) mehrere Erklärungen: „Qua|li|tät, die; -, -en [lat. qualitas = Beschaffenheit, Eigenschaft, zu: qualis = wie beschaffen]: 1. a) (bildungsspr.) Gesamtheit der charakteristischen Eigenschaften (einer Sache, Person); Beschaffenheit: der Skandal erreichte eine neue Q.; c) (Textilind.) Material einer bestimmten Art, Beschaffenheit: eine strapazierfähige Q. 2. a) (bildungsspr.) [charakteristische] Eigenschaft (einer Sache, Person): die auffallendste Q. des Bleis ist sein hohes Gewicht; b) ‹meist Pl.› gute Eigenschaft (einer Sache, Person): er hat menschliche -en. 3. a) Güte: die Q. des Materials; Waren guter, schlechter, erster Q.; b) etw. von einer bestimmten Qualität: er kauft nur Q. (Hochwertiges).“
Hier wird einerseits von der Gesamtheit der charakteristischen Eigenschaften gesprochen, andererseits die Güte eines Materials (einer Ware, also auch einer Dienstleistung) als Beschreibung genutzt. Damit wird die obige Mehrdeutigkeit des Begriffes Museumsqualität noch einmal unterstrichen. Die charakteristische Eigenschaft eines Museums ist sicherlich seine Ausstellung sowie die damit verbundenen Aufgaben. Die Güte eines Museums ist aber sicher breiter zu fassen, so dass hier auch alle weiteren Rahmenaspekte in die Bewertung eingehen müssen. Sehr abstrakt und doch in unsere Richtung führend ist die Definition des Begriffes Qualität im DIN ISO Normenwerk in der DIN ISO 8402 (Quality Management and quality assurance - Vocabulary) festgeschrieben: „Qualität ist die Gesamtheit der Merkmale, die eine Einheit zur Erfüllung vorgegebener Forderungen geeignet macht. Eine Einheit kann ein Produkt, eine Dienstleistung, ein Prozess oder eine Organisation sein.“
Hier wird von der Gesamtheit aller Merkmale gesprochen und die Erfüllung vorgegebener Forderungen als Zielgröße genannt. Damit liegt ein umfassender Ansatz vor, der im weiteren Prozess mit konkretem Inhalt für die Museumsarbeit
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gefüllt werden muss. Scheytt/Zimmermann (2000) geben eine sehr zielführende Beschreibung der Optionen, die Qualitätsmanagementsysteme für Museen und Kultureinrichtungen liefern können. Zusammenfassend führen sie aus, dass Qualitätsmanagementsysteme auf Effizienz und Effektivität zielen. Sie streben eine Verbesserung von Ergebnis-, Prozess- und Strukturqualität im Hinblick auf:
konkrete Arbeitsabläufe, zugehörige Organisationsvorgänge, den institutionellen und rechtlichen Rahmen, den Aufbau der Institution, ihre personelle Ausstattung (Stellen und Qualifikationen) und ihre sachliche Ausstattung (Umfang und Qualität der Räume, Maschinenparks und anderer Ressourcen) an.
Qualität hat daher in diesem Kontext die Bedeutung einer Messgröße und bezieht sich nicht auf weitergehende Sinnhorizonte, die aus übergreifenden Konzepten, ethischen Werten, Haltungen und Traditionen erwachsen. Im Rahmen des vorliegenden Beitrages sollen damit beide Aspekte des Qualitätsansatzes gleichberechtigt nebeneinander stehen und treten nicht in eine Konkurrenz zu einander. Im Folgenden soll allerdings nun nur noch zu den Formen, Realisierungsmöglichkeiten und Konsequenzen des technisch-organisatorischen Qualitätsansatzes Bezug genommen werden.
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Welche Wege zur Qualität werden beschritten und welche Ergebnisse dabei erzielt?
Die Begriffe im Rahmen der Qualitätsdiskussion werden in der öffentlichen Diskussion meist nicht eindeutig von anderen Vokabeln der Verwaltungssprache abgegrenzt, so dass hier eine Vielfalt eher zur Verwirrung denn zur klaren Gliederung von auch in der Wertigkeit unterschiedlichen Ansätzen führt:
Qualitätssicherung Controlling Assessment (Selbst)Evaluation Gütesiegel / Prädikat Zertifizierung Akkreditierung Registrierung
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Stefan Brüggerhoff ISO-Normenreihe 9000ff EFQM/TQM
Die aufgelisteten Begriffe lassen sich letztlich in drei Gruppen einteilen: Qualitätskontrolle, Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement. Die Abfolge lässt sich als ein Prozess verstehen, der eine immer stärkere Qualitätsorientierung beinhaltet. Steht am Anfang nur die Kontrolle mit von außen gegebenen Faktoren, ist die Qualitätssicherung bereits ein aktiver Prozess der Begutachtung und Beseitigung von den, als negativ erkannten, Faktoren. Allerdings ist auch hier meist ein von außen gegebenes Faktorenkorsett die Grundlage, nach der die Einrichtung ihre Qualität ausrichtet. Das Qualitätsmanagement ist schließlich die darauf aufbauende Stufe, in der aktive Überlegungen zur kontinuierlichen Verbesserung angestellt und in einem umfassenden Ansatz verwirklicht werden. Das Verständnis der Mehrheit der Betroffenen ist sicherlich auf den Aspekt der Qualitätssicherung ausgerichtet, sieht darin also einen Ansatz (Strategien und Techniken), um die Qualität, auch eines Museums, in einer bestimmten Form sicherzustellen. Dies ist eine Aufgabe, der sich viele Museen wie selbstverständlich stellen, ohne dahinter ein bestimmtes, gar von Regeln geprägtes Instrumentarium zu vermuten. Es werden deshalb kaum konkrete Vorstellungen damit verbunden und es bleibt häufig bei subjektiv geprägten Meinungen und Überzeugungen. Qualitätsmanagement bedeutet natürlich auch Qualitätssicherung. Es will aber mehr: Es ist die konkrete Behandlung der Qualitätsaspekte eines Hauses von der Zielsetzung bis zur Planung und Durchführung und schließlich der Überprüfung des Erfolges der gesetzten Ziele und ggf. einer Anpassung der Ergebnisse. Die Entwicklung des Qualitätsansatzes in Museen in Deutschland, z.T. beeinflusst durch das Ausland, ist in Abb. 1 schematisch dargestellt, die auf einer ausführlichen Erörterung dieser Entwicklung in Brüggerhoff und Tschäpe (2001) beruht. Ein wichtiger Faktor waren ökonomische Zwänge, die in die Bewertung von Einrichtungen durch die öffentlichen Zuwendungsgeber und Förderer einflossen. Um die knapper werdenden Mittel gezielt an gute Einrichtungen vergeben zu können, wurde auch deren Qualität immer stärker in die Vergabekriterien einbezogen. Kommunale Spitzenorganisationen in der BRD haben bereits Anfang der neunziger Jahre erste Konzepte für eine Umstrukturierung der öffentlichen Organisationsstrukturen entwickelt.
Gütesiegel, Zertifikat und Akkreditierung
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Entwicklung der Qualitätsdiskussion in Deutschland Öffentlicher Sektor (kommunal)
Entwicklung des QM in der BRD
Entwicklung des QM im Ausland
Entwicklung in der Museumslandschaft
KGST und NSM
Entwicklungslinien d. Verwaltungsreform im öffentlichen Museumssektor Modelle mit branchenübergreifenden Bewertungsrichtlinien Organisationsansätze ohne externe Begutachtung
Orientierung an Prozessen und Strukturen der gesamten Organisation Evaluation/ISO 9000/EFQM Registrierung/Zertifizierung von Rahmenbedingungen
Museumsspezifische Modelle des Auslands Auszeichnungen
Orientierung an Spitzenleistungen
Abbildung 1: Entwicklung des Qualitätsansatzes
Das bekannteste Konzept ist das Neue Steuerungsmodell (NSM). Name und Entstehung gehen auf die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) zurück. Das NSM greift die wesentlichen Elemente eines Qualitätsmanagementsystems auf und passt sie an die kommunalen Verhältnisse an. An dieser Grundlage orientieren sich alle bundesdeutschen Kommunen, Gemeinden und Stadtstaaten, zunehmend auch die Institutionen auf Landes- und Bundesebene. Da das NSM jedoch keine Handlungsanleitung anbietet, haben sich innerhalb der verschiedenen hoheitlichen Ebenen, auch innerhalb der Kommunen verschiedene Strategien und Schwerpunkte entwickelt. Kommunalen Einrichtungen wie den Museen wurde bereits Anfang der neunziger Jahre empfohlen, eine engere Kooperation mit den Querschnittsämtern wie Kulturdezernaten, Kämmereien, Organisationsämter u. a. Einrichtungen anzustreben. Damit wies man insbesondere auf die Notwendigkeit hin, die eigene Organisationsstruktur unter Berücksichtigung des gesamten politisch-administrativen Umfeldes zu hinterfragen und nicht auf der „gegenwärtig praktizierten, arbeitsplatzbezogenen Ordnungsmäßigkeit“ – so ein Zitat der KGST – zu beharren. Bei der Umsetzung der Verwaltungsreform wurde der Kultur- und Museumsbereich
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Stefan Brüggerhoff
von den zuständigen Verwaltungsinstitutionen jedoch lange Zeit nicht berücksichtigt. Noch 1997 wurde auf der Jahrestagung der KGST von vielen Teilnehmern mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass die öffentliche Verwaltungsreform auch im Kulturbereich bereits eine Rolle spielte. So ist es verständlich, dass man in diesem Sektor verstärkt auch auf Entwicklungen im europäischen und außereuropäischen Ausland schaute und auch heute noch schaut. An dieser Stelle seien daher einige Ansätze vorgestellt, mit denen im Ausland das Thema Qualität im Museum behandelt wird.
3.1 Gütesiegel Der Begriff Gütesiegel wird vor allem in Österreich zur Beschreibung der Qualität im Museum herangezogen. Dabei wird Museen, „die einem Mindeststandard an Präsentation und Dokumentation folgen und sich dadurch von sonstigen Schaustellungen abheben, die sich aufgrund der Ungeschütztheit des Wortes ebenfalls Museum nennen dürfen“, eine Chance geboten „eine deutliche Qualitätsabgrenzung zu diesen zu ermöglichen“ (http://www.museumsguetesiegel. at/). Damit soll Auswüchsen entgegen gewirkt werden, wie Hanreich (2001) sie beschreibt: eine Vinothek stellt sich als Weinmuseum dar oder ein Restaurant als Gulaschmuseum. Das Österreichische Museumsgütesiegel (Abb. 2) wird seit 2002 von den beiden Dachorganisationen des Museumswesens in Österreich ICOM-Österreich und Museumsbund Österreich vergeben. Die Beantragung des Österreichischen Museumsgütesiegels erfolgt freiwillig. Von einem Fachgremium, welches sich aus den beiden Trägern zusammensetzt, wurde ein Bewertungsverfahren für Museen in Österreich erarbeitet. Dabei werden Grundanforderungen an die Bewerber gestellt, deren Umsetzung im betreffenden Hause diese in einer Selbstevaluation für das Bewertungsgremium beschreiben müssen. Dabei werden die folgenden Belange in der Museumsarbeit angesprochen:
Rechtliche Basis Museumssammlungen und Sammlungspolitik Museumsleitbild und Museumskonzept Finanzielle, stabile Basis Dokumentation der Sammlung Erhaltung des kulturellen Erbes Erforschung der Sammlung Ausstellen Vermitteln
Gütesiegel, Zertifikat und Akkreditierung
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Basiseinrichtungen für die Öffentlichkeit Zugänglichkeit für die Öffentlichkeit
In den genannten Bereichen werden Mindeststandards verlangt, vor allem aber die Beschäftigung mit diesen Themen bei der Selbstevaluation. Bei erkannten Defiziten wird Unterstützung durch Beratung und Schulung angeboten. Der Kriterienkatalog ist somit als Hilfestellung speziell für kleine und mittlere Museen sowie neue Museumsprojekte zu verstehen, um diese Standardrichtlinien zu erreichen. Das Österreichische Museumsgütesiegel wird für die Dauer von fünf Jahren vergeben, dann kann eine entsprechende Verlängerung beantragt werden. Dies weist darauf hin, dass besonderer Wert wird auf Langfristigkeit und stabile Struktur eines Museums gelegt wird. Bis zum Jahre 2008 wurde das Gütesiegel an 177 Museen vergeben. 7 Museen erhielten in 2009 erstmals das Gütesiegel, 96 Museen wurde das Gütesiegel für weitere fünf Jahre zuerkannt.
Abbildung 2: Österreichisches Museumsgütesiegel
Ein analoges Gütesiegel gibt es in Deutschland nicht. Allerdings haben sich hier einige Museen (z.B. Deutsches Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven, Überseemuseum und Kunsthalle in Bremen) regional mit dem Blick auf ihre Servicequalität mit einem Gütesiegel zertifizieren lassen. Ziel dieses Gütesiegels „ServiceQualität Bremen & Bremerhaven“ ist es, „branchenübergreifend allen touristischen Leistungsanbietern in Bremen und Bremerhaven ein Bewertungsinstrument für die Erfüllung von Gästeansprüchen, also für die Dienstleistungsqualität zur Verfügung zu stellen“ (vgl. http://www.bremerhaven.de zu Stichwort ServiceQualität in Deutschland). Damit wird hier nur ein Segment aus dem Museumsbereich herausgegriffen und man befindet sich in einer größeren
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unspezifischeren Gruppe, in der auch gastronomische Betriebe, Hotels und andere Service orientierte Einrichtungen agieren.
3.2 Registrierung/Akkreditierung Wurde oben die Aussage getroffen, dass in Deutschland kein Gütesiegel für Museen vergeben wird, so bezieht sich dies ausschließlich auf den Begriff Museumsgütesiegel. In Deutschland wird das Verfahren, wie es in Österreich praktiziert wird, unter dem Begriff der Museumsregistrierung durchgeführt. Damit wird hier die Aufnahme einer Einrichtung unter Erfüllung bestimmter Qualitätsstandards in einen ausgewählten Kreis namensgebend verwendet. Aufgrund der Kulturhoheit der Länder kommt es zu einer stärkeren Regionalisierung der Bewertungseinrichtungen. Vorreiter in Deutschland sind der „Museumsverband Niedersachen und Bremen“, sowie Rheinland-Pfalz und MecklenburgVorpommern, wo an der Registrierung gearbeitet wird. Träger der Museumsregistrierung in Niedersachsen und Bremen sind das Land Niedersachsen (Ministerium für Wissenschaft und Kultur), der Museumsverband Niedersachen und Bremen e.V. sowie die Sparkassenstiftung. Das Verfahren verläuft sehr ähnlich dem Österreichischen Modell des Gütesiegels. Von Museumsfachleuten ist eine Liste mit Basisanforderungen zu verschiedenen Aspekten der Museumsarbeit entwickelt worden, die den sich bewerbenden Museen zur Selbstevaluation vorgelegt wird.
Dauerhafte institutionelle und finanzielle Basis Leitbild und Museumskonzept Museumsmanagement / Organisation Qualifiziertes Personal Sammeln Bewahren Dokumentieren und Forschen Ausstellen und Vermitteln
Die teilnehmenden Kultureinrichtungen müssen die qualitative Museumsarbeit in allen Aufgabenbereichen des Museums nachweisen. Nach der Selbstevaluation und dem Ausfüllen der entsprechenden Unterlagen wird das Museum von einer unabhängigen Expertenkommission überprüft und erhält die Bescheinigung, dass seine Arbeit die Standards für Museen erfüllt. Sind die Ziele annähernd erreicht, wird das Museum vorläufig registriert und kann in einer Frist von 2 bis 4 Jahren die festgestellten Schwächen beheben. Besonders wichtig werden die beglei-
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tenden Fortbildungen und Beratungen gesehen, die die Bewerber unterstützen sollen. Die Beteiligung an der Registrierung ist natürlich ebenso freiwillig wie in Österreich. Die Registrierung selbst wird hier für 7 Jahre befristet vergeben, damit der Erstellungsaufwand und dessen Wiederholung insbesondere kleinere Häuser nicht von einer Teilnahme abhalten. In den bisherigen Bewerbungsrunden haben sich etwa 60 Museen beteiligt: Periode 2007 - 2014: 21 (registrierte Museen) - 7 (vorläufig registrierte) Periode 2008 – 2015: 15 (registrierte Museen) - 4 (vorläufig registrierte) Periode 2009 – 2016: 5 (registrierte Museen) - 7 (vorläufig registrierte)
Die Übereinstimmung der Museumsregistrierung mit dem Österreichischen Museumsgütesiegel wird auch dadurch deutlich, dass beide Träger des Verfahrens den erfolgreichen Bewerbern empfehlen (vorschreiben), ein spezifisch gestaltetes Hinweisschild bezogen auf die erfolgreiche Qualitätsdokumentation an ihrem Eingangsbereich zu befestigen Das Verfahren der Museumsregistrierung hat neben Österreich auch Vorbilder in anderen Ländern. Bereits sehr lange wird in Großbritannien (heute organisiert vom Museums, Libraries and Archives Council, MLA) eine Museumsakkreditierung (Accreditation Scheme for Museums in the UK) angeboten. Diese Akkreditierung beinhaltet wieder die Basisanforderung mit Standards, die die Einrichtungen erfüllen müssen. Diese Standards sollen Museen aber auch die Chance bieten, an einer Verbesserung ihrer Qualität zu arbeiten. In Großbritannien sind derzeit über 1800 museale Einrichtungen entsprechend akkreditiert. Auch die American Association of Museums und Museums Australia betreiben ein entsprechendes Akkreditierungsprogramm. Anleihen wurden in Deutschland darüber hinaus besonders bei der Nederlandse Museumsvereniging genommen. Diese betreibt das Museumregister Nederland, das ein direktes Vorbild für das Museumsregister Niedersachsen und Bremen darstellt.
3.3 Qualitätsmanagementsysteme Betrachtet man die oben aufgeführten Beispiele wie das Österreichische Museumsgütesiegel oder die Museumsregistrierung in Deutschland, so wird deutlich, dass hier eine Vorgabe von Fachleuten für die sich bewerbende Einrichtung als Selbstbewertungsmaßstab benutzt wird. Damit sind solche Verfahren sicherlich eher der Qualitätssicherung zu zurechnen. Will man darüber hinaus gehen, bieten sich Qualitätsmanagementsysteme wie die DIN-EN ISO Normen-
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reihe 9000ff, das EFQM-Modell (European Foundation of Quality Management) oder der Ansatz des TQM (Total Quality Management) an. Ziel ist es hier, jeweils durch eine ständig neu ausgeführte Analyse seiner Situation, eine Verbesserung der Qualität zu erreichen (kontinuierlicher Verbesserungsprozess). Das Deutsche Bergbau-Museum Bochum wurde bereits 1998 als erstes deutsches Museum entsprechend der DIN-EN ISO 9001 zertifiziert. Damit besteht nun eine schon zwölfjährige Erfahrung in der Umsetzung und im Umgang mit dem Thema Qualitätsmanagement. Schwerpunkte sind die Prozessorientierung des Systems sowie eine Kunden- und Mitarbeiterorientierung. Dabei wird beim Begriff Kunde weit über den Ansatz Besucher hinaus gegangen. Hier sind auch Zuwendungsgeber, die Museumscommunity und der Gesetzgeber eingebunden. Dadurch werden alle notwendigen Anforderungen durch Regelwerke bis hin zu ethischen Grundsätzen, die in oder durch diese Gruppen vorgegeben sind, auch in die Strukturen des Qualitätsmanagementsystems eingebunden. Weiterer wichtiger Aspekt der DIN-EN ISO 9001 ist die Messung und Dokumentation von Ergebnissen der Prozesse im Hause unter Qualitätsgesichtspunkten. Damit wird nicht nur das Vorgehen festgelegt, sondern die Auswirkung der Vorgehensweise kontinuierlich (jeweils soweit als möglich) erfasst und damit eine Bewertung der Entwicklung über längere Zeiträume ermöglicht. Hierdurch werden die oben angesprochenen kontinuierlichen Verbesserungsprozesse in Regelkreisen angeregt. Zugleich bietet das Verfahren durch ständige Evaluierungen auch und gerade durch Externe eine hohe Transparenz nach außen. Kernstück des Qualitätsmanagementsystems des Deutschen Bergbau-Museums ist die Prozessorientierung. Dabei werden alle Prozesse der Einrichtung erfasst, die eine Relevanz für die Qualität der Einrichtung aufweisen. Dies betrifft vor allem solche, die von mehreren Bereichen gestaltetet werden und daher Übergabe-Punkte von Teilergebnissen besitzen, an denen Reibungsverluste entstehen können. Die Prozesse sind in einer Prozesslandkarte in Führungs-, Kernund Serviceprozesse gegliedert. Mit dieser Gliederung ist die (Zu)Ordnung entsprechender Vorgänge im Gesamtgefüge besser zu strukturieren und auch darzustellen.
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Abbildung 3: Ausschnitt aus der Prozessliste des QM-Managementsystems des Deutschen Bergbau-Museums (screen shot des elektronischen QM-Systems).
Das ganze Qualitätsmanagementsystem ist online in einem Firmen-Intranet abgelegt und damit für alle Mitarbeiter direkt verfügbar. Alle Prozesse können sowohl der Prozesslandkarte als auch einer Prozessliste entnommen werden (Abb. 3). Am Beispiel des Prozesses „Besucherzufriedenheit ermitteln“ (Abb.4) werden die Vorteile der Vorgehensweise deutlich. Durch klare Zuweisung von (Teil)Verantwortung wird die angestrebte Netzwerkorganisation deutlich. Die Übergabe von Teilergebnissen ist klar geregelt.
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Abbildung 4: Ausschnitt aus der elektronischen Darstellung des Prozesses „Besucherzufriedenheit ermitteln (Interview-Verfahren)“ im Deutschen Bergbau-Museum
Die Prozessorientierung verbunden mit einer festgelegten Messung des Erfolges erlaubt eine eigene Bewertung der Leistung und damit Einschätzung der Qualität. Dies gilt für den Einzelprozess aber natürlich auch für die Summe der Teilprozesse also für die ganze Einrichtung. Bewertungen sind nicht mehr subjektiv und hierarchisch geprägt, sondern können auf objektiven Kriterien aufbauen. Diese Vorgehensweise wirkt sich positiv aus auf Faktoren wie das Arbeitsklima, die Motivation der Mitarbeiter, Entscheidungsbildungen, den Informationsfluss und auch den Führungsstil. Geht man von der DIN-EN IS0 9000 Normenreihe zu den weiteren Qualitätsmanagementsystemen über, so betont das Modell des Total Quality Management (TQM) insbesondere die Mitwirkung aller Mitarbeiter, die Einplanung eines
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langfristigen Erfolges durch zufriedene Kunden und eine termingerechte Ausführung von Arbeiten zu möglichst niedrigen Preisen. Ineffiziente Doppelarbeit soll dadurch verhindert werden. TQM ist das komplexeste Konzept der Qualitätsmanagement-Modelle und kann die anderen aufnehmen. TQM allerdings eher eine ganzheitliche Philosophie und keine konkrete Handlungsanweisungen. In seiner europäischen Weiterentwicklung, dem EFQM-Modell (EFQM = European Foundation for Quality Managemement), ist für die Umsetzung des Qualitätsmanagements ein sehr viel besser fassbarer Ansatz entwickelt worden. Das EFQM-Modell (Abb. 5) ist über eine Potenzial- bzw. Prozessdimension (den sogenannten Input) auf die Ergebnisdimension (den Output) ausgerichtet. In der Ergebnisdimension werden bezogen auf ein Museum sowohl dessen klassische, gesellschaftliche Aufgaben – wie Sammeln, Bewahren, Erforschen und Vermitteln – als auch die Mitarbeiter- sowie Kundenzufriedenheit angesprochen. Unter Berücksichtigung aller Ressourcen und Prozesse werden dann die Geschäftsergebnisse betrachtet. Im EFQM-Modell müssen damit die verschiedenen Teilaspekte der Organisation, ihr Zusammenspiel und die resultierenden Ergebnisse der Arbeit konkret erfasst und anteilig bewertet werden. Hiermit kann quasi zahlenmäßig ein Stand der Qualitätsentwicklung abgelesen werden. INPUT
OUTPUT
MitarbeiterMitarbeiterorientierung orientierung 9% 90 Punkte 9% Ressourcen 9%
Führung 10 % Ressourcen 9% 90 Punkte
Politik & Strategie 8%
Mitarbeiterzufriedenheit 9%
Prozesse 14 %
Kundenzufriedenheit 20 % Ressourcen
Ressourcen
9%
Ressourcen 9% Ressourcen
Geschäftliche Verantwortung 6%
9% Potenial- und Prozessdimension
Geschäftsergebnisse 15 %
Ressourcen 9% Ergebnisdimension
Abbildung 5: EFQM-Modell mit prozentualen Angaben zur Bedeutung der Faktoren beim In- und Output
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Das EFQM-Modell stellt damit einen Schlusspunkt in der Entwicklungskette im Rahmen des Qualitätsmanagements dar, in der die Zertifizierung gemäß der Normenreihe der DIN-EN ISO 9000ff (bzw. nach der neuen Reihe ISO 9000:2008ff) etwa eine Zwischenstufe einnimmt. In der ISO-Norm werden Strukturen und Prozesse einer Organisation im Rahmen allgemein gültiger, abstrahierter Qualitätskriterien festgeschrieben und individuell – bezogen auf ihre Verhältnisse – in ein konkretes auf sie zugeschnittenes QM-System umgesetzt. Die Einhaltung der selbst auferlegten Regeln in diesem System wird durch das Zertifikat mit jeweils begrenzter Dauer (das es also kontinuierlich zu erneuern gilt) bestätigt. Damit wird Transparenz nach außen geschaffen und gleichzeitig die eigene Anstrengung zum Einhalten seiner Qualitätskriterien und zum Verbessern der eigenen Einrichtung motiviert.
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Fazit und Bewertung des aktuellen Stands
Nach der kurzen Darstellung der verschiedenen Qualitätsansätze gilt es nun eine Bewertung zu treffen und ein Fazit zu ziehen. Dabei sei vorausschickend festgestellt, dass es sicher nicht die eine ausschließliche Lösung für alle Museen geben kann. Hierfür sind die Größe der Einrichtung, ihre thematische Breite und auch die finanzielle Ausstattung zu unterschiedlich. Eine wichtige allgemeine Aussage kann und muss nichts desto trotz postuliert werden: Qualität qua Amtes oder Stellung gibt es nicht und kann daher auch nicht eingefordert werden. Somit existiert keine Alternative zur aktiven Beschäftigung mit der eigenen Qualität. Die im Gütesiegel oder in der Museumsregistrierung vorgelegten Mindeststandards sind sehr sinnvoll, da sie gerade kleinen Häusern mit weniger erfahrenem Personal ein Stützgerüst an Fragen zur eigenen Situation liefern. Die Beschäftigung mit dem eigenen Leitbild und dem Museumskonzept – um nur ein Beispiel zu nennen – ist eine entscheidende Voraussetzung sich über die eigene Einrichtung klar zu werden und Ziele für die zukünftige Arbeit festlegen zu können. Die große Betonung der Unterstützung der Bewerber durch Beratung und Schulung zeigt darüber hinaus, dass hier nicht ein Qualitätsstand dokumentiert sondern eine aktive Verbesserung erreicht werden soll. Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement dienen somit letztlich nicht nur dem Museumsbesucher oder dem finanzierenden Träger, sondern richten sich auch und gerade an die verantwortungsbewusste Museumsmannschaft, die ein Instrument und eine Hilfestellung für die Verbesserung ihrer Arbeit erhalten möchte. Qualitätsbewertungen sollen dabei Hilfe zur Verbesserung einer gege-
Gütesiegel, Zertifikat und Akkreditierung
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benen Situation sein, sie sollten keinen Einstieg in eine Klassengesellschaft im Bereich der Außendarstellung darstellen. Mindeststandards sind, wie das Wort schon ausdrückt, nur ein eine untere Zielmarke, die erreicht werden soll. Es sollte in allen Einrichtungen daher stets motiviert werden, dort nicht stehen zu bleiben, sondern weiterzugehen. Der Übergang von der Qualitätssicherung zum aktiven Qualitätsmanagement ist immer lohnenswert. Qualitätsmanagementsysteme sind andererseits aber auch personalintensiver in ihrem Betrieb. Daher ist bei größeren, mitarbeiterstärkeren Häusern mit komplexen Strukturen hier einerseits die Notwendigkeit größer solche Werkzeuge einzusetzen, andererseits aber auch die Chance größer, den Betrieb der Systeme gewährleisten zu können. Qualitätsauszeichnungen sind ein Marketing-Instrument und sollten auch entsprechend genutzt werden. Sie dürfen aber nicht auf den reinen Marketingansatz reduziert werden und nur noch das polierte Schild am Museumseingang bedeuten. Der Besucher hat ein Empfinden für Qualitätsanstrengung und wird bei einer solchen Haltung eines Museums besonders enttäuscht sein. So bleibt angesichts einer bereits lange geführten Diskussion um den richtigen Weg zur Qualität im Museum nur noch eine abschließende Forderung: Diskutieren wir nicht zu lange, sondern beginnen wir mit der Qualitätsverbesserung.
Literaturverzeichnis Brüggerhoff, St. / Tschäpe, R. (2001): Entwicklungen und Tendenzen des Qualitätsmanagements, in Brüggerhoff, St. / Tschäpe, R. (Hrsg.): Qualitätsmanagement im Museum?! Qualitätssicherung im Spannungsfeld zwischen Regelwerk und Kreativität – Europäische Entwicklungen, Bielefeld, S. 15-29 Bremerhaven Online unter http://www.bremerhaven.de/meer-erleben/service-infos/ servicequalitaet-bremen-bremerhaven/servicequalitaet-bremen-bremerhaven/ servicequalitaet-deutschland.13388.html) Duden (2007): Deutsches Universalwörterbuch, 6. Aufl., Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich. Hanreich, G. (2001): Das Kärntner Museumsgütesiegel: ein österreichisches Modell, in Brüggerhoff, St. / Tschäpe, R. (Hrsg.): Qualitätsmanagement im Museum?! Qualitätssicherung im Spannungsfeld zwischen Regelwerk und Kreativität – Europäische Entwicklungen, Bielefeld, S. 125-129 Scheytt, O. / Zimmerman, M. (2000): Qualitätsmanagement in Kultureinrichtungen. Handbuch KulturManagement, Berlin, B8.1 S. 1-26
Der Markt der Älteren – Besonderheiten einer wachsenden Zielgruppe im Kulturtourismus Der Markt der Älteren
Laura Murzik Laura Murzik
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Einführung
Der demographische Wandel und die älter werdende Bevölkerung stellen nicht nur die Wirtschaft vor neue Herausforderungen. Hochrechnungen nennen die älteren und sehr alten Menschen als die stärkste Bevölkerungsgruppe der kommenden Jahrzehnte. In der Wirtschaft wurde daher bereits begonnen, sich der einzigen, wachsenden Konsumentengruppe, den älteren Kunden, zuzuwenden. Das gilt auch für den Kulturtourismus und seinen Kultureinrichtungen, die künftig mit tiefgreifenden demografischen Veränderungen konfrontiert werden und deswegen ihre Angebotsgestaltung an diesen Markt anpassen müssen. Doch worauf muss sich der Markt in Bezug auf die Älteren einstellen? In der Auseinandersetzung mit den Älteren und Alten wird ein Strukturwandel konstatiert, der vor allem durch vermehrte Ein-Personen-Haushalte, höheren Frauenanteil sowie Verjüngung und Hochaltrigkeit gekennzeichnet ist (vertiefend dazu z.B. Tews 1993). Dies lässt eine stark heterogene Gruppe der Alten vermuten. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit eine Marktsegmentierung unternommen werden kann und damit, nach welchen Kriterien sich diese heterogene Zielgruppe unterteilen lässt. Letztlich bleibt zu fragen, welche Konsequenzen diese Bevölkerungsentwicklungen auf die Angebotsgestaltung der kulturtouristisch ausgerichteten Kulturinstitutionen hat. Zu diesem Zweck sollen Studien und Schriften aus unterschiedlichen Wissenschaften herangezogen werden, da sich in der Literatur zum Kulturtourismus und Kulturmanagement bisher nur wenige Ansätze (vgl. hierzu Hausmann/Körner 2009, Haehling von Lanzenauer/ Klemm 2006) zu diesem Themenkomplex finden lassen. Auf eine Besonderheit soll bereits an dieser Stelle hingewiesen werden. Da der Begriff „Senioren“ zwar von einigen Institutionen bevorzugt wird, allerdings weder bei den Älteren selbst noch in der Altersforschung Anklang gefunden hat (vgl. Reimann/Reimann 1994, S. 6), werden im Folgenden die Termini „Ältere“ (55- bis 70-Jährige) und „Alte“ (ab 70-Jährige) benutzt (vgl. hierzu 2.2).
A. Hausmann L Murzik (Hrsg.), Neue Impulse im Kulturtourismus, DOI 10.1007/978-3-531-92757-2_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Im zweiten Kapitel werden zunächst der demografische Wandel und die Bedeutung der älteren Zielgruppe für den Kulturtourismus in Deutschland behandelt. In einem nächsten Schritt beschäftigt sich das 3. Kapitel mit der Marktsegmentierung für die Gruppe der Älteren nach verschiedenen Kriterien. Im 4. Kapitel werden ausgewählte Handlungsempfehlungen für im Kulturtourismus involvierte Kultureinrichtungen vorgestellt.
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Ausgangslage und Bezugsrahmen
2.1 Bevölkerungsentwicklung in Deutschland Die Ergebnisse der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes (StBA) bestätigen das bekannte Bild: Die Bevölkerung in Deutschland nimmt ab, seine Menschen werden älter und es werden momentan – auch bei leicht steigender Geburtenhäufigkeit – noch zu wenige Kinder geboren. Derzeit leben ca. 82 Millionen Menschen in Deutschland, 2060 werden es voraussichtlich noch 65 bis 70 Millionen sein. Daneben kommt es zu erheblichen Veränderungen in der Altersstruktur der Bevölkerung (StBA 2009b). Das Vorausberechnungsmodell des StBA liefert in seiner Berechnung die entsprechenden Ergebnisse nach der Kohorten-Komponenten-Methode. Während derzeit 20% der Bevölkerung 65 Jahre oder älter sind, wird im Jahr 2060 annahmegemäß bereits jeder Dritte mindestens 65 Lebensjahre erreicht haben. Die Bevölkerung geht zurück, da die Zahl der Geburten bis 2060 stetig sinken und die Zahl der Sterbefälle bis Anfang der 2050er Jahre ansteigen wird (StBA 2009b). Zur Bevölkerung im Erwerbsalter von 20 bis 64 Jahren gehören momentan ca. 50 Millionen Menschen. Je nach Ausmaß der angenommenen Zuwanderung, werden es 2060 ca. 30 Prozent weniger sein. Dagegen wird die Zahl der 65Jährigen und Alten nach 2020 sehr stark ansteigen, da 2020 die geburtenstarken Jahrgänge in dieses Alter kommen. Damit wird auch der Altenquotient1 erheblich zunehmen. Heute kommen 34 Senioren im Alter von 65 Jahren und mehr auf 100 Personen zwischen 20 und 64 Jahren. 2030 werden es bereits über 50 sein. Für die Altersgrenze 67 Jahre wird der Altenquotient 2030 je nach Variante 43 oder 44 betragen und 2060 56 oder 59; heute liegt er bei 29 (vgl. BMFSFJ 2005: 35 ff.). Demzufolge gleicht die Bevölkerungspyramide2 mehr und mehr einem Pilz, wie Abbildung 1 verdeutlicht. 1 2
Der Altersquotient errechnet sich aus der Anzahl der Menschen im Rentenalter je 100 Personen im Erwerbsalter. Eine animierte Bevölkerungspyramide für mehrere Varianten ist ebenfalls im Internetangebot des Statistischen Bundesamtes abrufbar.
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Abbildung 1: Bevölkerungsentwicklung bis 2060 (StBA 2009b), mittlere Variante
Die Repräsentanz der über 55-Jährigen wird damit in der Zukunft ansteigen und als wichtige Zielgruppe für den Kulturtourismus in den kommenden 50 Jahren wachsen. Zu Gründen und Faktoren der gesellschaftlichen Alterung und der Abnahme der Bevölkerungszahl liefert eine Vielzahl von Publikationen Analysen. Hierzu finden sich:
die zehnjährige Arbeit der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ (1992 – 2002; vgl. dazu Deutscher Bundestag), das Sonderheft des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung „Bevölkerung“ aus dem Jahr 2004 (BIB 2004), die Altenberichte der Bundesregierung (BMFSFJ 2005, 2002; zudem erschienen 2001, 1998, 1993), die Bevölkerungsvorausberechnungen des StBA oder die Darstellungen zu Schrumpfungsproblemen der Bevölkerungszahl (Kaufmann 2005), der gesellschaftlichen Lage (vgl. Tesch-Römer/Engstler/ Wurm 2006; Reimann/Reimann 1994) sowie zu dem sozialen Wandel (vgl. Tesch-Römer/Engstler/Wurm 2006; Kohli/ Künemund 2000).
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Bedingt durch die demographischen Entwicklungen in Deutschland, kam es zu einem Strukturwandel des Alters, der in der Gerontologie mit dem Begriff des „dreifachen Alterns“ (Tews 1993) beschrieben wird:
die absolute Zahl der älteren Menschen nimmt zu, der prozentuale Anteil der Älteren wird steigen und der Anteil der über 75-Jährigen (Hochaltrigen) wird weiter wachsen (Tews 1993, S. 17).
In diesem Kontext ist offenkundig, dass sich auch die Kultureinrichtungen mit diesen neuen Anforderungen auseinandersetzen müssen. Dabei müssen sich Kultureinrichtungen gerade mit Blick auf die Ausgestaltung ihres Marketing-Mixes, z.B. des Serviceangebots oder ihrer Kommunikationsmaßnahmen, in höherem Maße auf die besonderen Bedürfnisse eines älteren Publikums einstellen, womit die Charakterisierung der Älteren notwendig wird.
2.2 Stand der Forschung und Begriffsabgrenzung Die Beschäftigung mit dem Alter und den Älteren findet auf zwei Ebenen statt: einerseits auf der Ebene des demografischen Alterns einer Bevölkerung und andererseits auf der Ebene der Alterung von Individuen. Mit ersterem beschäftigen sich u.a. Kohli/Künemund (2005), Tesch-Römer/Engstler/Wurm (2005) oder Baltes/Mittelstraß mit dem Altersbild in einer Gesellschaft (1992). Aus der Perspektive der individuellen Alterung lassen sich diverse Ansätze finden, zum Beispiel bei Kohli aus soziologischer Perspektive (1992), Weinert aus psychologischer Perspektive (1992) oder diverse andere Forschungsbeiträge, die die innere Medizin, Biologie, Psychiatrie sowie Geriatrie berücksichtigen (zu finden bei Baltes/Mittelstraß 1992). Des Weiteren haben sich 2008 Staudinger/Häfner mit dem Alter auseinandergesetzt und lassen dieses unter Aspekten des Körpers, Verhaltens, der Gesellschaft sowie weiteren Bedeutungskonstruktionen erörtern. Hier finden sich erste Anhaltspunkte zu einer möglichen Einteilung der älteren Zielgruppe in Bezug auf physiologische Veränderungen (vgl. Staudinger/Häfner 2008). Letztlich steht für die Gerontologie nicht die Typologisierung von Alten für strategische Zwecke im Vordergrund, vielmehr sollen Ansätze zur Erklärung der verschiedenen Altersphänomene gefunden werden. Somit wird keine Unterteilung der Älteren vorgenommen, die marketingstrategischen Zwecken und damit den hier interessierenden Forschungsfragen dienlich sein könnten.
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Im Rahmen des sogenannten Seniorenmarketing wurden erste Marktsegmentierungen versucht (vgl. Senf 2008, Gassmann/Reepmeyer 2006, Rutishauer 2005, Meyer-Hentschel/Meyer-Hentschel 2004), die jedoch nicht ausdifferenziert genug sind. Abstand muss genommen werden von Begrifflichkeiten eher populärwissenschaftlicher Schriften (Reidl 2007, Haimann 2005, Hunke/Gerstner 2006, Pompe 2007, Schöler 2006) und den Medien: Dort finden sich diverse Bezeichnungen3, die zu unprägnant und teilweise künstlich sind. In den genannten Schriften besteht zudem nach wie vor die Annahme, dass die Gruppe der Älteren ab dem 50. Lebensjahr beginnt. Hingegen hat sich in der Gerontologie längst die Grenze nach oben verschoben: 55 bis 70-Jährige werden als Ältere und über 70-Jährige als Alte bezeichnet (vgl. Reimann/Reimann 1994; Naegele/Tews 1993). Dennoch wird auch in dieser Disziplin mit der Schwierigkeit gekämpft, eine allgemein verbindliche Grenze für das Eintreten in „das Alter“ zu bestimmen. Festhalten lässt sich, dass die Altersphase, durch früh einsetzende Berentung4 oder Pensionierung und den späten Tod, lang geworden ist. Allein in der Gerontologie lässt sich eine Kategorisierung der Älteren nach Lebensstilen finden, die im 3. Kapitel vorgestellt werden soll.
2.3 Bedeutung der Zielgruppe der Älteren Das Potential einer wachsenden Altersgruppe kann und muss von den Kultureinrichtungen genutzt werden. Besondere Bedeutung hat die ältere Zielgruppe hinsichtlich ihres Reiseverhaltens, des Einkommens sowie ihrer Kaufkraft für den kulturtouristischen Markt. Reiseverhalten Im Fünften Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland wird festgestellt, dass durch die finanzielle Lage und die zeitlichen Ressourcen der älteren Menschen ein hohes Potenzial für Tourismusangebote gegeben sei (BMFSFJ 2005, S. 242 ff.). Demnach liegt die Reiseintensität der Älteren mit 67 Prozent unter dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung (76 Prozent), jedoch war ein Viertel aller urlaubsreisenden erwachsenen Deutschen älter als 60 Jahre (BMFSFJ 2005, S. 242). 3
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Als Bezeichnungen lassen sich z.B. finden: Best Ager, Silver Ager, Golden Ager, Junggebliebene, Rentner, Drittes Drittel, Busy Fit Oldies, Generation 50plus, Golden Generation, Jungsenioren, Senioren. Das grundsätzliche Rentenalter liegt bei 65 Jahren gemäß § 35 SGB. Es wird ab 2012 schrittweise auf das 67. Lebensjahr erhöht (vgl. BMAS 2010).
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In ihren Untersuchungen zur Reiseintensität in verschiedenen Altersgruppen der deutschen Bevölkerung von 1972 – 2004 (vgl. dazu Abb. 2) kommen Zahl/ Lohmann/Meinken zu dem Ergebnis, dass die Über-70-Jährigen seltener reisen als Jüngere, sowohl heute als auch vor 30 Jahren (Zahl/Lohmann/Meinken 2007, S. 97). Es zeigte sich jedoch auch, dass sich das Reiseverhalten der Älteren heute anders verhält als vor 30 Jahren und die höhere Reiseintensität dieser Gruppe (60-69 Jahre), die 2004 bei knapp 80 Prozent liegt, einer der wichtigsten Gründe für die allgemeine Steigerung der Reiseintensität darstellt. Urlaubsreiseintensität 1972 2004 % %
Veränderung 1972 - 2004 %
Altersgruppe (in Jahre) 14 – 29 57 74 30 – 39 53 77 40 – 59 49 77 60 – 69 41 79 70 + 33 60 Gesamt 49 74 Basis: Deutsche Wohnbevölkerung ab 14 Jahre; Werte in % der Altergruppen
+ 30 + 45 + 57 + 93 + 82 + 51
Abbildung 2: Veränderung der Urlaubsreiseintensität 1972 – 2004 (Zahl/Lohmann/Meinken 2007, S. 97 aus F.U.R., Reiseanalyse RA 1972 und RA 2005)
Ferner wird in Abbildung 2 deutlich, dass die Reiseintensität bis zum Alter von 59 Jahren steigt und bis ins höhere Alter konstant bleibt. Erst ab einem höheren Alter von 75 – 85 Jahren sind die Zahlen wieder rückgängig. (vgl. dazu Zahl/ Lohmann/ Meinken 2007, S. 100 f.). Somit lässt sich festhalten, dass der Anstieg der Anzahl der älteren Reisenden einerseits das Resultat der demografischen Entwicklung ist, andererseits als Folge der im Lebensverlauf erworbenen Reisegewohnheiten zu verstehen ist. Die gewohnten Reise- und Verhaltensmuster im Urlaub werden somit auch im Alter beibehalten, jedoch an den aktuellen Gesundheitszustand angepasst und dementsprechend modifiziert. Dennoch gibt es einige typische altersbedingte Verhaltensweisen, die im 3. Kapitel erörtert werden sollen. Die Bereitschaft der Älteren, für Reisen Geld aufzuwenden, ist besonders hoch: Ältere Paare liegen zwar mit durchschnittlich 798 Euro pro Person nur knapp über dem Gesamtdurchschnitt aller Urlaubsreisen (793 Euro), dafür investieren allein stehende Ältere 965 Euro pro Person und Urlaubsreise. Bei hochgerechneten 17,5 Mio. Urlaubsreisen ergeben sich Gesamtausgaben von ca. 15 Mrd. Euro (BMFSFJ 2005, S. 242 f.).
Der Markt der Älteren
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Bezüglich der Wahl des Reiseziels ergeben sich auch Unterschiede zu anderen Altersgruppen. Während innerhalb der Gesamtbevölkerung nur rund ein Drittel den Urlaub im eigenen Land verbringt, sind es in der Gruppe der Älteren trotz leicht abnehmender Tendenzen rund 50 Prozent. Im Hinblick auf die bevorzugte Reiseform macht sich die Heterogenität der Altersgruppe bemerkbar. Besonders beliebt sind Strandurlaube mit Sonnengarantie, wobei ein besonderer Wert auf eine komfortable Umgebung gelegt wird. Aber auch Wanderurlaube und Kulturreisen sind beliebt (BMFSFJ 2005, S. 243). So kommt das Institut für sozialökologische Forschung (ISOE)5 zu dem Ergebnis, dass 15 Prozent der Befragten sich dem Segment der „anspruchsvollen Kulturreisenden“ zuordnen lassen, wobei davon knapp 70 Prozent älter als 50 Jahre sind (ISOE 2005). Darüber hinaus sei diese Zielgruppe überwiegend durch einen hohen Bildungsabschluss und mittleres sowie höheres Einkommen gekennzeichnet. Zudem stellen auch der Wunsch nach körperlicher sowie geistiger Fitness wichtige Motive dieser Reisenden dar (vertiefend zu Kulturtouristen Pröbstle 2010). Einkommen und Kaufkraft Im Zusammenhang mit dem Reiseverhalten sind auch das Einkommen und die Kaufkraft wichtig. Das Einkommensverwendungspotenzial im Alter wird durch Einkommen und Vermögen6 geprägt. Beides wiederum wird maßgeblich durch ökonomische, demografische und politische Bedingungen, aber auch durch individuelle Entscheidungen in der vorgelagerten Erwerbsphase beeinflusst (u.a. dort getroffene Vorsorgeentscheidungen), darüber hinaus dann aber auch durch die in der Altersphase herrschenden politischen Rahmenbedingungen und Regelungen – z.B. des Sozialversicherungs- und Steuerrechtes – sowie „im Alter“ getroffene individuelle Entscheidungen. Die Folge ist eine hohe Heterogenität in der Höhe wie auch der Struktur von Einkommen und Vermögen im Alter (BMFSFJ 2005: 187 f.).
5
6
Das ISOE entwickelte in Zusammenarbeit mit den INVENT-Partnern ein Zielgruppenmodell nach Urlaubs- und Reisestilen. Basis des Modells ist eine repräsentative Befragung von 2000 deutschen Reisenden. Daraus entstand eine Typologie von insgesamt sieben Zielgruppen mit charakteristischen Lebens- und Reisestilen. Zur derzeitigen Vermögenslage im Alter vgl. Untersuchungen, die im Rahmen des 5. Altenberichtes vorgestellt werden BMFSFJ 2005: 202 f.).
72 Für das Jahr 2007
Erfasste Haushalte (Anzahl)
Laura Murzik Haushalte insgesamt
Davon nach dem Alter der Haupteinkommensbezieher von … bis unter … Jahren Unter 25 – 35 – 45 – 55 – 65 – 70 – 80 u. 25 35 45 55 65 70 80 mehr 315
1.30 5
7.679
(48)
2.094
3.584
(1.878 )
3.156
4.23 2
4.438
2.839
(1.498 )
2.346
3.26 3
3.315
1.773
834
1.007
321
3.651
2.52 6
2.383
2.12 7
2.914
2.31 3
2.193
1.95 6
Je Haushalt und Monat in EUR Haushaltsbruttoeinkommen Haushaltsnettoeinkommen
Abbildung 3: Haushaltsbrutto- und Haushaltsnettoeinkommen nach je Alter pro Monat (eigene Darstellung nach StBA 2008, S. 38)
Wie in Abbildung 3 deutlich wird, liegt die Zielgruppe ab 55 Jahre aufwärts mit einem monatlichen Durchschnittsnettoeinkommen von ca. 2.914 Euro pro Haushalt hinter den 45- bis 55-Jährigen, die monatlich 3.315 Euro Netto pro Haushalt verdienen (StaBA 2008, S. 38). Allerdings fallen für diese Altersgruppe monatliche Belastungen, wie abzuzahlende Kredite oder im Haushalt lebende Kinder an, sodass den ab 55-Jährigen im Verhältnis zu den anderen Altersgruppen ein deutlich höheres, frei verfügbares Einkommen zur Verfügung steht (Senf 2008, S. 31). Daraus resultiert, dass diese Altersgruppe eine höhere Kaufkraft aufweist. Laut GfK sind die 40- bis 49-Jährigen zwar mit durchschnittlich 26.798 Euro pro Einwohner und Jahr die kaufkräftigste Gruppe. Allerdings lässt sich bei der Betrachtung der Gesamtvolumina feststellen, dass allein die über 60-Jährigen mit einer Kaufkraft von 316 Milliarden Euro unmittelbar hinter den 40- bis 49-Jährigen mit 368 Milliarden Euro liegen. Demographisch bedingt soll diese Kaufkraft sogar auf 413 Milliarden Euro bis 2030 ansteigen (BMFSFJ 2009). Festhalten lässt sich somit, dass sowohl zum einen die älteren Reisenden insgesamt einen Wachstumsmarkt in Deutschland darstellen und dies auch mittelfristige bzw. langfristige Auswirkungen auf den Kulturtourismus dergestalt haben wird, dass die jetzigen Kulturreisenden und Reisenden mit kulturellen Ambitionen auch in Zukunft ihre Gewohnheiten nicht ändern werden. Des Weiteren besteht in dieser Altersgruppe im Durchschnitt eine relativ hohe Kaufkraft. Zwar wird das Einkommen hauptsächlich für Gesundheitsleistungen und Medikamente verwendet, jedoch beinhalten die Aufwendungen auch Reisen, Verkehr und (neue) Medien (vgl. dazu Hilbert/ Naegele 2002). Davon werden fast 12 Prozent des frei verfügbaren Einkommens allein für Urlaubs- und Kurzreisen
Der Markt der Älteren
73
aufgewendet, womit Reisen zum bedeutendsten Posten der Freizeitausgaben werden (Cirkel/Hilbert/Schalk 2004, S. 28). Konsequenzen für den Kulturtourismus Die Tourismusanbieter müssen die Chancen des Marktes der Ältern erkennen und für diese Zielgruppe verstärkt maßgeschneiderte Angebote und Marketingkonzepte entwickeln. Zum Beispiel Kurregionen tendieren dazu, sich auf bestimmte Spezialkompetenzen im Gesundheitsbereich zu konzentrieren und ansonsten – mit Blick auf die breite Kundschaft – auf Ältere zu zielen. Es wäre sinnvoll, sich stärker am Reisemarkt für ältere Menschen zu präsentieren, indem die vorhandenen gesundheitsbezogenen Einrichtungen verstärkt mit Fitness-, Gesundheits- sowie Sicherheits- und Betreuungsangeboten verknüpft werden. Daran können auch die jeweils ansässigen Kulturinstitutionen partizipieren. Zudem müssen intensiver Reise- und Kulturangebote für Pflegebedürftige entwickelt werden. Die Qualifikationen der Mitarbeiter in den Branchen, die für die Entwicklung altenorientierter Angebote zuständig sind (von der Kultur- und Reisebranche über das Beherbergungsgewerbe und die Gastronomie bis hin zu den Gesundheits- und Sozialdienstleistern), reichen oft nicht aus, um dem Tourismus in einer alternden Gesellschaft gerecht werden zu können. Dienlich können hierfür Weiterbildungsangebote für Beschäftigte mit seniorenorientierter Ausrichtung sein. Des Weiteren ist auch die vielerorts bereits implementierte Barrierefreiheit der Kulturinstitution oder -stätte auch für die ältere Zielgruppe bedeutsam und sollte berücksichtigt werden (vgl. vertiefend zu Barrierefreiheit BMWI 2008; Föhl et al. 2007). Letztlich zeigen die dargestellte finanzielle Lage und das Reiseverhalten der älteren Menschen ein hohes Potenzial für Kulturtourismusangebote. Welche Faktoren nunmehr für die alterspezifische Angebotsgestaltung zu berücksichtigen sind, soll im Rahmen der Marktsegmentierung und der Abgrenzung des Marktes der Älteren erörtert werden.
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Abgrenzung und Segmentierung des Marktes der Älteren
3.1 Grundlagen der Marktsegmentierung Die Marktsegmentierung gilt als eine der wichtigsten strategischen Optionen des Marketing (vgl. dazu allgemein Freter 2008). Für die kulturtouristisch ausgerichtete Kultureinrichtung stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob sie
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sich z.B. in ihrer Angebotserstellung oder Ansprache undifferenziert an ihre Kunden und Besucher richtet oder ob eine zielgruppenspezifische Strategie entwickelt wird. Marktsegmentierung ist hierbei die Zergliederung eines gegebenen oder potenziellen, heterogenen Gesamtmarktes in homogene Teilmärkte (Segmente) mit Nachfragergruppen (Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 182). Hauptziel der Marktsegmentierung ist dabei die Erreichung eines hohen Identitätsgrades zwischen der angebotenen Leistung einer Kultureinrichtung und den Bedürfnissen der entsprechenden Zielgruppen. Damit trägt die Marktsegmentierung unterschiedlichen Bedürfnissen und Interessen von Besuchern, dem unterschiedlichen Kenntnisstand sowie verschiedenen Besucheranlässen und -motiven Rechnung. Ein wesentliches Erfordernis für die Durchführung der Marktsegmentierung ist jedoch, dass die aktuellen und potenziellen Besucher Unterschiede im Besuchs- bzw. Nutzungsverhalten und in ihrer Reaktion auf die verschiedenen Marketinginstrumente aufweisen. Anderenfalls, z.B. bei einer sehr homogenen Besucherschaft, wäre die Besuchersegmentierung wenig sinnvoll (vgl. dazu auch Günter/Hausmann 2009). Entsprechend müssen durch die Besuchersegmentierung hinreichend große und ökonomisch interessante Marktsegmente entstehen.7 Kriterien der Marktsegmentierung sind: 1. 2. 3. 4.
Soziodemographische und sozioökonomische Kriterien, geographische Kriterien, psychographische Kriterien und verhaltensorientierte Kriterien.
Die Abbildung 4 zeigt die Segmentierungsmerkmale im Überblick (vgl. Günter/Hausmann 2009, S. 42). Die Abgrenzung von Segmenten kann je nach Bedarf z.B. anhand soziodemografischer Daten erfolgen und ergänzend an verhaltensorientierten Kriterien wie Preisverhalten oder Entscheidung über die Produktwahl beschrieben werden.
7
Vgl. zu den Komponenten der Marktsegmentierung auch Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 184.
Der Markt der Älteren
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Kriterien der Marktsegmentierung (1) Soziodemographische Kriterien Demographische Merkmale Sozioökonomische Merkmale (2) Geographische Kriterien Makrogeographische Merkmale (3) Psychographische Kriterien Allgemeine Persönlichkeitsmerkmale
Kulturproduktspezifische Merkmale
-
Geschlecht, Alter Familienstand Zahl der Kinder Haushaltsgröße Beruf Ausbildung Einkommen Bundesländer Stadt/Land Gemeinden Lebensstil: Aktivitäten, Interessen, allgemeine Einstellungen Soziale Orientierung Risikoneigung Wahrnehmungen Besuchsmotive Besuchsanlässe Besuchsabsichten
(4) Verhaltensorientierte Kriterien Qualitätsnutzen, Imagenutzen, Servicenutzen, symbolischer Nutzen
Abbildung 4: Kriterien der Marktsegmentierung im Kulturbereich
In der Altersforschung wird seit langem eine interindividuelle Variabilität festgestellt, die erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen gleichaltrigen Individuen beschreibt. So belegt bereits die Berliner Altersstudie 1996 dieses hohe Ausmaß an Unterschieden, vor allem in Bezug auf wichtige Funktionen wie Intelligenz und Alltagskompetenz (vgl. dazu Baltes 1996). Mit Blick auf die klassischen Kriterien der Marktsegmentierung, muss dieser Umstand berücksichtigt werden. Daher müssen die klassischen Kriterien um Kriterien der Multimorbidität des Alters erweitert werden (vgl. dazu 3.2.4). In der folgenden Bearbeitung soll der Fokus auf die soziodemographischen, psychographischen, verhaltensorientierten Kriterien sowie jene das Altern und der Multimorbidität gesetzt werden.
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Laura Murzik
3.2 Der Markt der Älteren: Kriterien zur Segmentierung 3.2.1 Segmentierung nach soziodemographischen Kriterien Demographische Merkmale: Alter und Familienstand Wie Naegele oder Lehr schon festgestellt haben: Es besteht eine große Variabilität im Alter, wodurch diese Gruppe sehr heterogen ist. Die zahlenmäßige Verteilung der Bevölkerung nach Alter und Geschlecht wird in Abbildung 5 dargestellt (berücksichtigt wird nur das Alter ab 55 Jahre). Bevölkerung am 31.12. 2007 nach Geschlecht und Alter insgesamt
männlich
weiblich
in 1000 55 - 60
5271
2616,2
2654,9
60 - 65
4250,9
2088,9
2162
65 - 70
5324
2552,3
2771,8
70 - 75
4218,7
1933,4
2285,3
75 - 80
3048,9
1281,1
1,767,9
80 - 85
2192,1
730
1461,9
85 - 90
1202,2
319,6
882,6
90 - 95
356,2
79,9
276,3
95 und älter
176,6
48,6
128
Gesamtbevölkerung
82.217,80
40.274,30
41.943,50
Abbildung 5: Bevölkerung nach Geschlecht und Alter für das Jahr 2007 (eigene Darstellung nach StBA 2009a, S. 44)
Die Zahl der 1,7 Millionen Alten im Alter von 85 Jahren und mehr in Abbildung 5 macht nochmals die eingangs erwähnte Hochaltrigkeit deutlich. Des Weiteren zeigen die Zahlen in Abbildung 5 den prozentual größeren Anteil an Frauen im Vergleich zu Männern (in der Literatur als Feminisierung bezeichnet) mit zunehmendem Alter. Die zunehmende Zahl der Ein-Personen-Haushalte (sog. Singularisierung) wird u.a. anhand des Familienstandes deutlich, der in Abbildung 6 anhand des Alters dargestellt ist. Männer sind bis ins hohe Alter hinein überwiegend
Der Markt der Älteren
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verheiratet. Selbst die über 80-jährigen Männer sind zu knapp 60 Prozent verheiratet und auch der Anteil der verwitweten Männer ist in diesem Alter mit knapp 30 Prozent relativ gering im Vergleich zu den Frauen. Gründe dafür können in der geringeren Lebenserwartung von Männern im Vergleich zu Frauen oder dem Altersunterschied der Ehepartner liegen. Zudem stammen die heutigen ab 80-Jährigen aus den Kriegsjahrgängen, die möglicherweise für einen höheren Frauenanteil insgesamt sorgen. Bei den Frauen fallen die Prozentzahlen etwas niedriger aus: ab 60-Jährige sind noch zu 70 Prozent und ab 70 Jahre noch zu 54 Prozent verheiratet. Ab dem 60. Lebensjahr steigt der Anteil der verwitweten Frauen von 13 Prozent auf das Dreifache ab dem 70. Lebensjahr. Damit betrifft die Singularisierung vornehmlich die weiblichen Älteren. Somit kann einerseits zwar von einer großen Anzahl an Ehepaaren im Alter von 55 – 70 Jahren aber andererseits von allein reisenden Frauen ab 65 Jahren ausgegangen werden. Bevölkerung nach Alter und Familienstand 2007 Alter Ledig Verheiratet Verwitwet von … männ- weib- männ- weib- männ- weibbis lich lich lich lich lich lich unter … Jahren
in Prozent
in Prozent
Geschieden männweiblich lich
in Prozent
in Prozent
55 - 60
10,1
6,2
74,6
72
2,3
8,3
13,1
13,5
60 - 65
7,8
4,8
77,5
70,2
3,7
13,2
11,1
11,9
65 - 70
6,7
4,7
79,3
65,1
5,9
20,7
8,2
9,5
70 - 75
5,3
5,2
79,5
54,9
9,3
32,6
5,9
7,3
75 - 80 80 und mehr insgesamt
4,3
6,5
75,7
40,1
15,8
47,7
4,2
5,7
4,6
9
60,2
18,6
31,6
67,2
3,6
5,2
45,7
37,5
44,5
43,1
2,8
11,5
6,9
7,9
Abbildung 6: Bevölkerung nach Altersgruppen und Familienstand für das Jahr 2007 (eigene Darstellung nach StBA 2009a, S. 43)
Sozioökonomisches Merkmal: Bildungsstand der Älteren Da kulturtouristisch affine Reisende in der Regel einen höheren Bildungsstand aufweisen (vgl. dazu Pröbstle 2009), soll im Folgenden der Bildungsstand der Älteren vorgestellt werden. Dieser hat maßgeblich Einfluss auf die aktuelle
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Lebenssituation und den Lebensstil im Alter. Wie in Abbildung 7 dargestellt, haben die meisten der heute lebenden 65-Jährigen und Älteren einen Volksschulabschluss (entspricht dem heutigen Hauptschulabschluss). Das trifft auf zwei Drittel der Männer und auf drei Viertel der Frauen dieses Alters zu (vgl. StaBA 2009, S. 130) Bevölkerung 2008 nach Altersgruppen und Bildungsabschluss Insgemit allgemeinem Schulabschluss samt ohne Alter AnAbFachvon … gabe Haupt- schluss hochbis Real(Volks) schul- zur Art d. unter schuld. Abschulo. poly… ababHoch- schlustechn. Jahren schluss ses schluss Oberschulschule reife
ohne allgemeinen Schulabschluss
1.000 männlich 55 - 60
2.664
1.175
337
347
697
11
85
60 - 65 65 und mehr
2.146
1084
153
285
522
10
82
7.171
4.697
87
740
1.319
35
243
weiblich 55 - 60
2.738
1.261
376
514
458
11
106
60 - 65 65 und mehr
2.217
1.195
169
425
313
10
94
9.653
7.000
97
1.283
695
62
303
Abbildung 7: Bevölkerung nach Altersgruppen und Bildungsabschluss für das Jahr 2007 (eigene Darstellung nach StBA 2009a, S.130)
Bei den Älteren fällt zudem auf, dass es einen starken Unterschied zwischen Männern und Frauen in Bezug auf die Hochschulreife gibt: Nur 7 Prozent der Frauen über 65 Jahren besitzen die Hochschulreife, währenddessen 18 Prozent Männer der gleichen Altersgruppe das Abitur absolvierten. Jüngere, nachrückende Kohorten hingegen weisen einen größeren Anteil an höheren Schulabschlüssen auf und auch die geschlechtlichen Unterschiede werden geringer. Somit werden die nachrückenden Älteren ein höheres Bildungsniveau insgesamt aufweisen (vgl. vertiefend Menning 2008).
Der Markt der Älteren
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3.2.2 Segmentierung nach psychographischen Kriterien Zunächst liegt für die Segmentierung der Älteren die Unterteilung in Altersgruppen nahe. Allerdings würde dies zu der Annahme verleiten, dass zum Beispiel die Kulturnutzung und das Reiseverhalten vom Alter der Person abhängig sind. Wie bereits angedeutet, stammen die älteren Menschen jedoch bereits aus den unterschiedlichsten Segmenten eines früheren Marktes und besitzen damit die unterschiedlichsten Erfahrungen, Einkommen, Bildungsstand sowie Lebensstile. Eine Unterteilung der älteren Zielgruppe in Bezug auf Lebensstile lässt sich bei Tews finden. Für die Begründung seiner Kategorisierung werden neben den Lebensstilen auch soziale Lagen, Wohnsituation, Lebenspartner und soziale Kontakte herangezogen und wie folgt beschrieben:
die „neuen Alten“ finden sich vor allem bei den Akademikern in der Großstadt mit überdurchschnittlichem Einkommen und Vermögen, die „Pflichtbewusst-Häuslichen“ sind insbesondere familienorientierte Witwen in kleinen Landgemeinden aus mittlerem bis kleinbürgerlichem Milieu, die „Sicherheits- und Gemeinschaftsorientierten“ stammen aus dem traditionellen Arbeitermilieu oder Kleinbürgermilieu; sie genießen den Ruhestand in bescheidenen, traditionsgebundenen Verhältnissen, und die „Resignierten“ sind vor allem weibliche Alte, für die die „kumulative Benachteiligung“ gilt: niedriges Bildungsniveau, Kleinstrente, Verwitwung, Gesundheitsprobleme, Einsamkeit (vgl. dazu Tews 1994).
Von besonderem Interesse für den kulturtouristischen Markt sind die „Neuen Alten“. Selbstverwirklichung, Kreativität, Persönlichkeitswachstum, Aufgeschlossenheit für das Neue gehören zu ihren Lebensansprüchen genauso wie Lebensgenuss, Mobilität (Reisen), vielfältige Kommunikation, soziale Kontakte und das Wahrnehmen kultureller Angebote (Tews 1994, S. 48 f.). Damit werden die „Neuen Alten“ eine interessante aber auch sehr anspruchsvolle Zielgruppe für den Kulturtourismus. Im Folgenden soll in Ergänzung zu dieser Charakterisierung der „Jungen Alten“ auf den Aspekt der Mediennutzung und insbesondere der neuen Medien eingegangen werden.
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3.2.3 Segmentierung nach verhaltensorientierten Kriterien Neue Medien Wirtschaftliche Entwicklungsimpulse zur Förderung der Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität im Alter werden insbesondere von den modernen Informations- und Kommunikationstechnologien erwartet, die eine Fülle von Möglichkeiten bieten, vorhandene Angebote neu zu organisieren und neue Angebote zu entwickeln. Nach empirischen Studien stehen ältere Menschen der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien durchaus offen gegenüber. Die europaweite Studie seniorwatch erstellt für über 50-jährige Deutsche folgende Nutzer-Typologie (vgl. dazu BMFSFJ 2005, S.245):
Die „älteren Neueinsteiger“, d.h. Computernutzer mit Grundkenntnissen bei geringer Nutzungshäufigkeit (14 Prozent). Die „erfahrenen Vorreiter“ sind Computernutzer mit guten Kenntnissen bei häufiger Nutzung (35 Prozent). Die „gedanklich Offenen“, die keinen Computer nutzen, neuen Technologien gegenüber aber aufgeschlossen sind (32 Prozent) sowie die „Verweigerer“, die keinen Computer nutzen und auch kein Interesse an der Nutzung neuer Technologien haben (19 Prozent).
Eng einher mit der Computernutzung geht die Nutzung des Internets. Auch für die Älteren hat das Internet deutlich an Bedeutung gewonnen. Mittlerweile ist davon auszugehen, dass jede vierte Person zwischen 50 und 79 Jahren zumindest gelegentlich online ist. Auffällig sind die Unterschiede innerhalb der Altersgruppe. Liegt die Altersklasse von 50 bis 59 Jahren mit 43 Prozent sogar leicht über dem Bundesdurchschnitt (40 Prozent), nutzen in der Altersklasse 70 bis 79 Jahre nur noch 7 Prozent das Internet (BMFSFJ 2005, S.245 f.). Zudem verfügen überdurchschnittlich viele Nutzer über ein höheres Bildungsniveau (Abitur/ Studium). Bevorzugte Angebotsseiten, die von älteren Menschen besucht werden, sind die Bereiche Nachrichten, Wohnen, Reisen (inkl. Buchung) und der Themenkomplex Gesundheit/ Wohlbefinden/ Wellness. In letzterem Bereich überwiegt das Informationsinteresse mit über 40 Prozent, aber auch die Konsultation eines Arztes per E-Mail oder per Bildübertragung stößt zunehmend – vor allem mit höherem Bildungsgrad – auf Interesse. Limitierend wirkt auf Seiten der älteren Nutzer vor allem die nicht angemessene Berücksichtigung funktionaler Einschränkungen bei der Produktgestaltung. Interessant scheint der Blick auf zukünftige Potentiale: Etwa 15 Prozent der momentanen Nichtnutzer
Der Markt der Älteren
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bekunden generelles Interesse an der Nutzung des Mediums Internet, umgerechnet sind das fast 3 Mio. Menschen (BMFSFJ 2005, S.246 f.). Strukturierung von freier Zeit Als zweiter Aspekt wird die Strukturierung von Zeit aufgenommen, da sich gerade mit Blick auf die Freizeitgestaltung, in welcher das Reisen eine Rolle spielt, die Älteren besondere Gewohnheiten aufweisen. Mit zunehmendem Alter nehmen die außerhäuslichen Aktivitäten8 ab, die zu Hause verbrachte Zeit nimmt zu (Tews 1994, S. 57). Die Strukturierung von Zeit muss somit auch im Alter erfolgen und bedeutet die Schaffung von Tagens- und Wochenstrukturen. Dabei spielt die Freizeit nach Tews eine zentrale Rolle, zu der er einige Ergebnisse (vgl. dazu Tews 1994, S. 58 f.) vorstellt:
Freizeitverhalten weist nach den bisherigen Ergebnissen eine hohe Kontinuität vom mittleren bis zum höheren Alter auf. Es kommen nur wenige Freizeitaktivitäten im Alter hinzu, in aller Regel gibt es kein höheres Engagement in der Freizeit, Sind Freizeitverhalten oder Freizeitstile nicht bereits vor dem Eintritt ins höhere Alter oder zum Beispiel vor Berufsaufgabe entwickelt, so findet sich auch im Alter kaum ein variables oder gar neues Freizeitverhalten. Es gibt eine Reihe von Ergebnissen der Bindung von Aktivitäten an soziodemographische (z.B. Alter, Geschlecht) und sozioökonomische Merkmale (z.B. Einkommen, Schulbildung), jedoch ist das Ausmaß der Bestimmung des Verhaltens hierdurch umstritten. Wiederholt wurde ein deutlich passiveres Verhalten und stärkere Konzentration auf häusliche Aktivitäten bei eher niedrigeren sozialen Schichten und ein häufigeres außerhäusliches, aktiveres Verhalten bei höheren sozialen Schichten festgestellt.
Diese skizzierten Ergebnisse bestätigen die Annahmen, dass erstens die Älteren eine Gruppe mit differenzierten Interessen und Lebensstilen sind und die gewohnten Verhaltensmuster in der Regel im Alter fortgesetzt werden. Insbesondere die „Jungen Alten“ legen Wert auf ein aktives, anspruchsvolles, auf Selbstbestimmung und Selbstorganisation angelegtes Leben im Alter. Ebenso kann davon ausgegangen werden, dass die nachrückenden Kohorten diesen Anspruch teilen. Zweitens sind der Bildungsstand und der soziale Stand bedeutsam für eine höhere Aktivität auch im Alter. Dennoch müssen als letzte Kriterien 8
Zur außerhäuslichen Aktivität im Alter vgl. auch Menning 2005.
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zur Beschreibung der Alten mit dem Alterungsprozess eintretende Funktionseinschränkungen und Multimorbidität dargestellt werden, die in der Regel unabhängig von Einkommen, Bildung, Familienstand oder Lebensstil eine Determinante im Leben eines Alten darstellen.
3.2.4 Segmentierung nach Kriterien des Alterns und der Multimorbidität Der Alterungsprozess ist – in unterschiedlichem Ausmaß – gekennzeichnet durch Funktionseinschränkungen, Immobilität, herabgesetzte Belastbarkeit, Gebrechlichkeit, Instabilität, Sturzneigung, kognitiven Defiziten, Störung der Kommunikationsfähigkeit, Depression oder Angst. Im Folgenden sollen einige Veränderungen im Alter und der Multimorbidität dargestellt werden, wobei der Schwerpunkt auf die überblicksartige Darstellung von physiologischen, motorischen, psychischen sowie kognitiven Veränderungen gelegt wird. Physiologische Veränderungen Die physiologischen Veränderungen betreffen vor allem den Bewegungsapparat und die Sinnesorgane (Sehen, Hören, Geschmack und Geruch). Im Rahmen körperlicher Abbauprozesse, die mit dem Altern einhergehen, nimmt oftmals auch die Sehfähigkeit ab. Es vermindert sich bspw. häufig die Sehschärfe, welche Grundlage für das Erkennen von Gegenständen ist. Des Weiteren haben alte Menschen häufiger Probleme, sich an verändernde Beleuchtungsverhältnisse anzupassen. Somit ist der Prozess der Hell-Dunkel-Adaption durch eine starke Blendeempfindlichkeit gemindert. Dies würde beispielsweise für Ausstellungsräume und Lichtinstallationen oder Beleuchtungen eine Rolle spielen, sollte explizit ein älteres Publikum angesprochen werden. Ebenso kann die veränderte Farbwahrnehmung, auch als Farbsinnstörung bezeichnet, eine Alterserscheinung sein. Ursache dafür ist die Trübung der Linse (vgl. Wurm/Tesch-Römer 2006, S. 329 ff.). Allgemein lässt sich feststellen, dass der Abbau visueller Fähigkeiten dazu führt, dass das Blick- und Gesichtsfeld eingeschränkt wird und visuelle Reize allgemein schlechter wahrgenommen und integriert werden. Weitere Alterserscheinungen können die Abnahme des Hörsinns und die Veränderung des Geschmackssinns sein.
Der Markt der Älteren
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Motorische Veränderungen Weitere altersbedingte Abbauprozesse können auch im Rahmen der motorischen Fähigkeiten stattfinden. Alterskrankheiten wie bspw. Rheuma oder Altersdiabetis nehmen zu und die körperliche Beweglichkeit und Kraft lassen nach/sind gemindert. Dies entsteht in Folge der Abnahme der Muskelmasse ab ca. dem 50. Lebensjahr. Darüber hinaus kann es mit zunehmendem Alter zu einer Versteifung der Gelenke kommen. Somit wird unter Umständen der „körperliche Aktionsradius“ älterer Menschen verkleinert. Viele Ältere verspüren daher Unsicherheiten beim Gehen oder eine generell höhere Angst vor Unfällen, wie z.B. Stürzen. Psychische/kognitive Veränderungen In der Intelligenzforschung findet man zunehmend eine altersbedingte Abnahme der sogenannten fluiden Fähigkeiten. Hierbei kommt es auf eine schnelle, flexible Informationsaufnahme und -verarbeitung an, bei denen schnell auf neue Informationen reagiert werden muss und Umstellungsfähigkeit sowie schnelle Kombinationsfähigkeit verlangt (Lehr 2004, S. 155 f.). Hingegen seien kristalline Funktionen der Intelligenz, die Wissen, Übersicht sowie Problemlösungen ohne Zeitdruck verlangen, weniger altersanfällig, da sie im Alltag stärker herausgefordert und damit erhalten werden. Damit nimmt die Gedächtnisleistung nicht generell ab, sondern verändert sich altersbedingt (vertiefend dazu Lehr 1996). Dies hat zur Folge, dass zwar Alte nicht mehr so viel Neues lernen können, jedoch aufgrund ihres Erfahrungsschatzes und der früheren Lernerfahrungen Neues schneller integrieren und Verknüpfungen zu bestehendem Wissen herstellen können. Kognitive Veränderungen Neben den physiologischen Alterserscheinungen können auch kognitive Veränderungen im Laufe des Alterns eines Menschen eintreten. Ausgelöst durch die Verlangsamung der Prozesse im Zentralnervensystem kann es zum Beispiel zu einer geringer werdenden Informationsverarbeitung und Lernleistung kommen. Diese Veränderungen können dazu führen, dass ältere Menschen zunehmend langsamer auf Reize reagieren. Dieser Leistungsverlust führt zu Schwierigkeiten bei der Verarbeitung ungewohnter, komplexer und unübersichtlich dargestellter Informationen (vgl. Wurm/Tesch-Römer 2006, S. 329 ff.). Daher ist es sinnvoll im Rahmen des Marketing Informationen bildlich zu unterstützen und wenn möglich, an bereits Bekanntes anzuknüpfen.
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Letztlich vollziehen sich auch im Hormonhaushalt Veränderungen. Stressund Angsthormone werden verstärkt ausgeschüttet, wobei stimulierende Hormone wie zum Beispiel Testosteron stark zurückgehen. Dies hat zur Folge, dass die ältere Zielgruppe mit zunehmendem biologischen Alter häufiger sensibilisiert auf kleinere Störungen im Alltag reagiert. Aus diesem Grund legen Ältere verstärkt Wert auf Planung und Organisation des Alltags, um so Situationen zu meiden, in denen sie unter Zeitdruck oder enormen Reizeinfluss stehen.
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Fazit und ausgewählte Handlungsempfehlungen für den Kulturtourismus
Altern ist stets das Ergebnis eines langen Lebens mit eigenen Erfahrungen und Erlebnissen. So werden die Menschen, die morgen oder übermorgen in das sogenannte Dritte Alter kommen, wiederum andere Bedürfnisse haben als jene von heute. Dennoch gibt es einige Gemeinsamkeiten (vgl. dazu Lehr 2004, S. 159 f.):
Bessere finanzielle Lage Geringe familiäre Integration, zunehmende Singularisierung Zunehmende Zahl an Frauen Höhere Qualitätsansprüche Differenzierte Freizeitinteressen Bedürfnisse sind vornehmlich freizeitorientiert Altersbedingte körperliche und geistige Einschränkungen Generell jedoch bessere Gesundheit
Interessant für den Markt des Kulturtourismus sind vor allem die „Jungen Alten“, die bereits dargestellt worden sind. Bei der Angebotsgestaltung einer Kulturinstitution sind vor allem folgende Aspekte zu berücksichtigen:
Familienstand und Geschlecht (reisende Ehepaare oder allein reisende Frauen/Männer mit dem Bedürfnis nach Gruppenanschluss) Zeitgestaltung (wie ist die Zeit unterhalb der Woche und am Wochenende strukturiert) Informationsverhalten (wie informieren sich die Alten zum Beispiel über Angebote und Leistungen) Physische Veränderungen, die unabhängig vom Alter und Hochalter, sozialem Status oder anderen demographischen Faktoren eintreten
Der Markt der Älteren
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Daher muss der Kulturbetrieb zunächst mittels geeigneter Analysemethoden den eigenen Handlungsspielraum ermessen. Eine solche Situationsanalyse sollte neben einer Bestandsaufnahme im eigenen Haus auch die Wettbewerber und die Zielgruppen umfassen. Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass der Markt der Älteren eine große Chance für die am Kulturtourismus beteiligten Kultureinrichtungen bietet. Diese muss mit zielgruppenspezifischen Angeboten unbedingt zur Erreichung der Besucherzufriedenheit und letztlich der Garantie der Umsatzsteigerung genutzt werden. Im Folgenden werden dazu abschließende einige Aspekte zusammengefasst. Zusatzleistungen Zusatzleistungen sind zusätzliche Dienstleistungen und Produkte, die helfen, die primäre Marktleistung erfolgreich zu verkaufen. Ältere Konsumenten ziehen verschiedene Kriterien für ihren Kaufentscheid in Betracht, dabei sind insbesondere Zusatzleistungen wie Beratung und sonstige Serviceleistungen von großer Bedeutung. Hierzu gehört vor allem die Beratung: Ältere Konsumenten lassen sich gerne beraten und legen Wert auf eine persönliche Bedienung. Sie wollen sicher sein, dass sie das Richtige kaufen und eine umfassende Beratung das Risiko eines Fehlkaufes minimiert. Keine andere Zielgruppe macht den Kaufentscheid derart stark von der Qualität der Beratung abhängig, wie die der Alten. Preis und Konditionen Für viele Älteren ist die Qualität wichtiger als dessen Preis. Deshalb ist für diese Zielgruppe die Variante der Differenzierungsstrategie besser geeignet, als eine aggressive Preisstrategie. Wichtig ist auch die Reduktion des Risikos eines Fehlkaufes, dass Ältere in der Regel vermeiden möchten. Eine klare, stringente Kommunikation über Qualität und Leistung ist daher unumgänglich, um Senioren diese Angst zu nehmen und in ihrer Kaufabsicht zu bestärken. Faktor Sicherheit Der Faktor Sicherheit spielt bei älteren Reisenden eine zentrale Rolle. Ältere reisen ungern allein und bevorzugen klassische Gruppenreisen mit einem persönlich bekannten Veranstalter oder Organisator. Die hierdurch gewährleistete adäquate Betreuung und Unterstützung am Urlaubsort ist für ältere Reisende von hoher Bedeutung. Dies gilt für die medizinische Versorgung
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ebenso wie für einen zuverlässigen Informationsservice und Unterstützungsangebote. Die Einrichtungen am Urlaubsort sollten selbstverständlich eine barrierearme Gestaltung aufweisen. (dazu BMSFSJ 2005, S. 243) Faktor Flexibilität Nicht zu unterschätzen ist in Bezug auf die Distributionspolitik, im Rahmen der Marketing-Mixes, die zunehmende Spontaneität und Flexibilität der 50 bis 59Jährigen, die z.B. gelegentlich kurzfristig nutzbare Ticketingformen wünschen und ihre Karten auch über das Internet beziehen möchten. Somit ist auch der professionelle Internetauftritt für diese Zielgruppe von großer Bedeutung. Anforderungen an das Personal Das Bedürfnis der umfassenden Beratung muss sich in der Kompetenz der Mitarbeiter wiederfinden. Dazu gehören Höflichkeit, Freundlichkeit und Aufmerksamkeit sowie Fachkompetenz. Darüber hinaus muss sich der Mitarbeiter genügend Zeit für die Beratung nehmen und damit rechnen, dass die Kaufentscheidung etwas mehr Zeit beansprucht. Zudem schätzen es ältere Menschen, wenn sie mit ihrem Namen angesprochen werden. Da sie ebenfalls Wert auf Vertrauen und Konstanz legen, sollte das Personal nicht zu oft gewechselt werden. Eine auf die Älteren ausgerichtete Personalschulung kann ein erster wichtiger Schritt sein, dem Personal die wachsende Bedeutung der älteren Konsumenten und deren spezifische Bedürfnisse und Verhaltensweisen zu vermitteln. Das Personal muss mit den körperlichen und kognitiven Veränderungen des Alters und der Altersverträglichkeit von Leistungen vertraut gemacht werden. Eine andere lohnende Maßnahme kann die Präsenz von älterem Personal sein. Älteren Mitarbeitern attestiert die ältere Zielgruppe Reife, Erfahrung, Kompetenz und mehr Verständnis. (Hölper, S. 2002, S. 78) Weitere Maßnahmen Weitere Maßnahmen können sein: Anpassung der (früheren) Anfangszeiten von Veranstaltungen für diese Zielgruppe, Anschluss an öffentlichen Nahverkehr, Länge bzw. Häufigkeit der Pausen zwischen den Stücken, bauliche Beschaffenheit (Barrierefreiheit), Akustik, Übersichtlichkeit der Informationen (z.B. klare und große Schriften).
Der Markt der Älteren
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Beispiel des Reiseveranstalters TUI Abschließend sei ein Bespiel aus dem kommerziellen Dienstleistungsbereich vorgestellt. Für erfolgreiches Marketing auf dem Markt der Älteren steht der Reiseveranstalter TUI, der in umfangreichen Studien die Reisemotive der 60plus-Touristen untersucht hat. Aus der zentralen Erkenntnis, dass 80 Prozent der Älteren – anders als etwa in den USA – nicht in „Seniorenhotels“ Urlaub machen wollen, geht die TUI auf die Motive der Zielgruppe ein und weist bei besonders geeigneten Hotels auf Schlüsselaspekte hin, die für sie von erheblicher Bedeutung sind. „Tradition“, „Komfort“, „persönlicher Service“ sind die Botschaften und Kaffee und Kuchen am Nachmittag und Abendessen, das ab 18 Uhr am Tisch serviert wird, einige der Dienstleistungen. Spitzenreiter dieser Hotels kommen auf eine 60plus-Quote von fast zwei Dritteln, ohne dass sich ein Gast in einem Seniorenhotel wähnt.
Literaturverzeichnis Baltes, Paul B. (2004): Das hohe Alter – mehr Bürde als Würde? In fundiert – Das Wissenschaftsmagazin der Freien Universität zu Berlin, 01/2004; Berlin S. 10 – 17 Baltes, Paul B./ Mittelstraß, Jürgen (Hrsg.) (1992): Zukunft des Alterns und gesellschaftliche Entwicklung, Akademie der Wissenschaften, Arbeitsgruppe Altern und Gesellschaftliche Entwicklung, Forschungsbericht; Berlin Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2010): Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) zur gesetzlichen Rentenversicherung, Gesetzestext abrufbar unter http://bundesrecht.juris.de/sgb_6/BJNR122610989.html #BJNR122610989BJNG001801308 (Zugriffsdatum: 07.07.2010) Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2004): Bevölkerung. Fakten – TrendsUrsachen – Erwartungen – Die wichtigsten Fragen, Sonderheft der Schriftenreihe des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, 2. erweit. Auflage; Wiesbaden Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2002): Vierter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland. Risiken, Lebensqualität und Versorgung Hochaltriger – unter besonderer Berücksichtigung demenzieller Erkrankungen; Berlin Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2005): Fünfter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland. Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft; Berlin Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2009): Studie „Wirtschaftsmotor Alter“. Wie ältere Menschen und die Wirtschaft vom demografischen Wandel profitieren können, http://www.wirtschaftsfaktoralter.de/ fileadmin/user_upload/Infoflyer_Wirtschaftsfaktor_Alter_01.pdf (Zugriffsdatum: 15.03.2010)
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Der Markt der Älteren
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Zur Bedeutung personalpolitischer Maßnahmen für den Erfolg touristischer Strategien von Kulturbetrieben Zur Bedeutung personalpolitischer Maßnahmen
Andrea Hausmann Andrea Hausmann 1
Einführung
Tourismus gilt als ein wichtiges Standbein der deutschen Wirtschaft und ist, wie die nachfolgenden Zahlen für 2009 verdeutlichen, „big business“: Als Querschnittsbereich verschiedener Branchen hat der Tourismus in Deutschland einen gesamtwirtschaftlichen Produktionswert von 185 Milliarden Euro und eine Wertschöpfung von 94 Milliarden Euro. Damit erzielt der Tourismus einen direkten Anteil von rund 3,2 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP). Erwirtschaftet werden diese Summen vor allem durch mittelständisch geprägte Betriebe (wie z.B. die rund 53.000 Unternehmen des Beherbergungsgewerbes), die zusammen rund 2,8 Millionen Beschäftigten nicht exportierbare Arbeitsplätze bieten. Und ungeachtet der gegenwärtigen Wachstumspause im Tourismus, die konjunkturell bedingt ist und sich in einem weltweiten Rückgang der internationalen Ankünfte um knapp 6 Prozent zeigt, hat Deutschland seine Stellung als beliebtestes Reise- und Urlaubsziel der Deutschen weiter ausgebaut und verzeichnet im Inlandstourismus ein Plus von einer Million Übernachtungen gegenüber 2008 (ausführlich hierzu DZT 2010, S. 2ff.). Diese wachsende Binnennachfrage ist derzeit der Stabilisator der deutschen Tourismusbranche und wie sich aus jüngsten Untersuchungen der Deutschen Zentrale für Tourismus ableiten lässt, sind neben den Erholungsregionen an den deutschen Küsten vor allem die Metropolen mit einem hohen Anteil an Städteund Kulturreisen Nutznießer dieser Entwicklung (DZT 2010, S. 4). Kulturtourismus ist damit auch weiterhin eine Reiseform, die für die zahlreichen Akteure auf dem Tourismusmarkt interessant ist, und die anhaltende Bedeutung dieses Marktsegments schlägt sich auch in einer fortschreitenden Auseinandersetzung der Forschung mit diesem Thema nieder. Doch obgleich zunehmend mehr Publikationen diesem Teilmarkt des Tourismus gewidmet sind, zeigen sich verschiedentlich noch deutliche Forschungslücken. Während z.B. Themenfelder wie „Kooperationen“, „Serviceorientierung/-kette“, oder „Qualitäts(-management)“ im Kulturtourismus bereits A. Hausmann L Murzik (Hrsg.), Neue Impulse im Kulturtourismus, DOI 10.1007/978-3-531-92757-2_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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umfassender behandelt worden sind, finden sich bezogen auf das Spannungsfeld Tourismus und Kultur noch kaum Arbeiten zur Bedeutung des Personalmanagement im allgemeinen und der Beschaffung, Entwicklung und Führung der in diesem Bereich arbeitenden Mitarbeiter im speziellen. Eine etwas überraschende Tatsache, gilt doch die (Dienst-)Leistungserstellung im Tourismus als besonders personalintensiv und die Bedeutung von qualifiziertem sowie motiviertem Personal für den Erfolg bei der touristischen Leistungserbringung als hoch. Vor diesem Hintergrund lauten die Forschungsfragen der vorliegenden Untersuchung wie folgt:
Welche Bedeutung hat das Personalmanagement im Dienstleistungsbereich Kultur und für die touristischen Aktivitäten von Kulturanbietern? Welche personalpolitischen Maßnahmen können Kulturanbieter ergreifen, um die Bearbeitung des Markts für Kulturtourismus zu professionalisieren?
Um diese Fragen beantworten zu können, wird nachfolgend zunächst ein Überblick zum Stand der Forschung gegeben. Im hieran anschließenden Kapitel werden die verwendeten Termini „Dienstleistungsbetrieb“, „Kulturtourismus“ und „Personalmanagement“ abgegrenzt, die Notwendigkeit von Serviceorientierung und Dienstleistungsqualität diskutiert und Kultureinrichtungen im Hinblick auf die Personalintensität ihrer Leistungserstellung und charakteristische Besonderheiten ihres Personalwesens untersucht. Das sich anschließende vierte Kapitel beschreibt mögliche personalpolitische Maßnahmen, um Kulturbetriebe und ihre Mitarbeiter (besser) auf das Marktsegment Kulturtourismus einzustellen. Im Abschlusskapitel wird schließlich ein kurzes Fazit gezogen und ein Ausblick auf künftig notwendige Forschungsaktivitäten gegeben.
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Stand der Forschung
Zum Stand der Forschung in Deutschland lässt sich festhalten, dass das Thema Kulturtourismus in den letzten Jahren zunehmend intensiver bearbeitet worden ist. Neben den Standardwerken von Heinze (1999 und 2008) und Steinecke (2007) finden sich mittlerweile verschiedene Sammelbände (u.a. Kargermeier/ Raab 2010; John/Schild/Hieke 2010) sowie Beiträge in wissenschaftlichen Zeitschriften, die sich mit Teilaspekten des Kulturtourismus befassen (u.a. Hausmann 2006; 2007). Deutlich weniger gut sieht der Stand der Forschung im Bereich des Personalmanagement für Kulturbetriebe aus. Hier gibt es derzeit nur einige wenige, überwiegend praxeologisch und eher populärwissenschaftlich ausgerichtete Bücher (u.a. Fischer 2004). Eine Ausnahme hiervon bilden
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lediglich Klein (2009), der sich in seinem Buch zum Leadership dezidiert mit einem (sehr bedeutsamen) Teilbereich des Personalmanagement beschäftigt, und Mertens (2010), der in seiner aktuellen Publikation neben anderen Aspekten unter anderem auch auf Fragen des Personalmanagement (bezogen auf den Orchesterbereich) eingeht. Wer sich nun vertiefend mit dem Thema in seiner gesamten Breite beschäftigen will, muss vor diesem Hintergrund zwangsläufig auf die in der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre (zahlreich) vorhandenen Standardwerke zurückgreifen (u.a. Scherm/Süß 2010; Scholz 2000; StockHomburg 2008; Olfert 2008). Allerdings finden sich auch in der klassischen Managementliteratur nur wenige konkrete Aussagen zur Themenkombination „Personal“ und „Tourismus“. Als eine der wenigen haben sich Weiermair und Wöhler (1998) in ihrem Herausgeberband „Personalmanagement im Tourismus. Konzepte und Strategien“ mit dieser konkreten Fragestellung befasst. Auf die besonderen Problemstellungen, mit denen Kulturbetriebe konfrontiert sind, wird hierbei allerdings nicht eingegangen. Insgesamt kann damit eine Forschungslücke konstatiert werden, die mit Hilfe der weiteren Ausführungen einen ersten Ansatz zur Schließung erfahren soll. Dazu werden im folgenden Kapitel zunächst die im Rahmen dieser Untersuchung verwendeten Begrifflichkeiten abgegrenzt und präzisiert, um das weitere Verständnis zu erleichtern.
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Kultureinrichtungen als Dienstleistungsbetriebe
3.1 Terminologische Abgrenzungen Die Angebote von Kulturbetrieben verfügen im Regelfall über einen hohen Immaterialitätsgrad: Vor allem im Kernbereich von Theatern, Museen, Opernhäusern oder Orchestern sind viele Leistungen nicht greif- und damit auch im Vorfeld ihrer Inanspruchnahme vom Besucher nicht überprüfbar. Es ist leicht nachvollziehbar, dass daraus vor allem für Erstbesucher von Kultureinrichtungen eine gewisse Unsicherheit im Hinblick auf die erwartbare und tatsächliche Leistungsqualität einer Kultureinrichtung resultiert. Weitere typische Merkmale kultureller Leistungen sind die Gleichzeitigkeit von Leistungserstellung und -inanspruchnahme sowie die häufig anzutreffende Notwendigkeit zur Integration eines externen Faktors (in der Regel der Besucher) in die Leistungserstellung (ausführlich hierzu Günter/Hausmann 2009, S. 53ff.). Vor diesem Hintergrund werden Kultureinrichtungen in der Literatur allgemein als Dienstleistungsbetriebe subsumiert. Diese Einordnung ist insofern von Bedeutung, als sich hieraus wesentliche Konsequenzen z.B. für das Kulturmarketing, aber auch für das Personalmanagement ergeben.
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In den letzten Jahren haben viele Kultureinrichtungen das Spektrum ihrer (Dienst-)Leistungen deutlich erweitert. Vor allem Museen, Festivals und Festspiele, aber auch Parks und Gartenanlagen haben dabei zunehmend auch das Marktsegment Kulturtourismus in ihr Visier genommen. Definitionsgemäß umfasst Kulturtourismus sämtliche Reisen und Aktivitäten von außerhalb einer bestimmten Destination lebenden Personen, die entweder ganz oder bis zu einem bestimmten Grad motiviert sind durch das kulturelle Angebot und Profil dieser Destination (Hausmann 2006, S. 579). Hervorzuheben ist, dass der Kulturbegriff im Kulturtourismus weit ausgelegt ist (Steinecke 2007, S. 3f.): Kultur umfasst nicht nur Angebote von Theatern, Museen, Festspielen etc. (Hochkultur), sondern bezieht z.B. auch Riten, Traditionen, Gebräuche etc. (Alltagskultur) ein. Das kulturelle Angebot kann dabei bereits vorhanden („originäre/endogene Angebote“), das heißt natürlich gewachsen (z.B. Bauten, Relikte, Brauchtum) oder auch eigens für den Tourismus geschaffen worden sein („derivative/ exogene Angebote“), wie z.B. die verschiedenen Besucherzentren anlässlich Ruhr.2010. Wie aus der Begriffsabgrenzung deutlich wird, ist Kulturtourismus aus Sicht der Nachfrager mit dem Wunsch verbunden, im Urlaub etwas „Kulturelles“ zu erleben. Dieser Wunsch kann sowohl wesentlicher Auslöser für eine Reise sein als auch andere Urlaubsmotive begleiten. Aufgrund der unterschiedlichen Intensität in der Motivation zu kulturtouristischen Reisen gibt es entsprechend unterschiedliche Typen von Kulturtouristen. In der Literatur und empirischen Forschung werden in der Regel folgende drei unterschieden (ausführlich hierzu u.a. Hausmann 2008, S. 4ff.): (a) Kulturtouristen im engeren Sinne, für die der Besuch von Kultureinrichtungen der Hauptanlass ihrer Reise ist; (b) Kulturtouristen im weiteren Sinne (Gelegenheits- oder Auch-Kulturtouristen), für die der Hauptzweck ihrer Reise nicht kulturbezogen ist, vielmehr werden verschiedene Reiseanlässe miteinander verbunden; (c) Zufallskulturtouristen, die im Vorfeld ihrer Reise eher keinen (klassischen) Kulturbesuch eingeplant haben, aber z.B. aufgrund von Wetterbedingungen umdisponieren (müssen). Die obigen Ausführungen zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Kultureinrichtungen Dienstleistungsbetriebe sind, die auf verschiedenen Märkten, so auch auf dem Markt für Kulturtourismus, agieren und dort Leistungen mit einem hohen Immaterialitätsgrad anbieten. Dabei spielt der Faktor „Personal“ in Dienstleistungsbetrieben zwangsläufig eine besonders wichtige Rolle, was sich u.a. durch folgende Aspekte belegen lässt (siehe hierzu auch Meffert/Bruhn 2006):
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Die Leistungserstellung muss in der Regel „auf den Punkt genau“ stimmen und qualitativ hochwertig sein, da es keine oder nur wenige Möglichkeiten zur Nachbesserung gibt. Bei Dienstleistungen mit engem Kunden-Mitarbeiter-Verhältnis spielen nicht nur die fachlichen, sondern auch die sozialen Qualifikationen der Mitarbeiter eine ausschlaggebende Rolle. Dienstleistungen mit hoher Kundenfrequenz stellen darüber hinaus erhebliche Anforderungen im Umgang mit Stress etc. an die Mitarbeiter. Die Einbeziehung des externen Faktors (v.a. Besucher) erschwert die Standardisierung eines Dienstleistungserstellungsprozesses. Durch die Immaterialität der Leistungen wirkt der Mitarbeiter häufig als Qualitätssurrogat für den Nachfrager.
Aus diesen Ausführungen wird bereits deutlich, wie wichtig personalpolitische Maßnahmen für die Ausgestaltung der Beziehung zwischen Kulturanbieter und Kultur(tourismus)nachfrager ist. Personalmanagement stellt dabei die Summe der mitarbeiterbezogenen Maßnahmen zur Verwirklichung der (strategischen) Ziele eines Kulturbetriebs dar (allgemein hierzu Stock-Homburg 2008, S. 13). Als Personal bzw. Mitarbeiter werden jene Personen im Kulturbereich bezeichnet, die in abhängiger Stellung dauerhaft angestellt (Hauptamtliche) bzw. temporär beschäftigt (Saisonkräfte) sind oder auf freiwilliger Basis (Ehrenamtliche) für einen Kulturbetrieb arbeiten und in arbeitsteiliger Form Leistungen für die übergeordneten Ziele dieses Betriebs erbringen. Welche Bedeutung diese Mitarbeiter unabhängig von ihrer arbeitsrechtlichen Zuordnung im Zusammenhang mit der Erschließung des Kulturtourismus haben und welche Handlungsfelder des Personalmanagement vor diesem Hintergrund Beachtung finden müssen, verdeutlicht das nachfolgende Zitat von Weiermair (1998, S. 15f.): „Touristische Dienstleistungen sind zunächst persönliche Dienstleistungen, deren Qualität vornehmlich durch das Kontaktpersonal des Produzenten geprägt wird. […] Der unmittelbare Kontakt mit dem Konsumenten (Touristen) im Augenblick der Erstellung der touristischen Dienstleistung erfordert sehr spezifische Qualifikationen der Mitarbeiter und damit auch besondere Aktivitäten im Bereich des Human Resource Management. Dazu gehören die Analyse der Qualifikationsanforderungen von Mitarbeitern aufgrund der zu produzierenden Dienstleistungsqualität, die Personalbeschaffung und/oder Personalentwicklung sowie die Herstellung von adäquaten Anreizsystemen durch Führung und Entgeltsmanagement“. Auf die zitierten Handlungsfelder wird nachfolgend im Kontext der besonderen Bedingungen im Kulturbereich eingegangen. Einen ersten Überblick zu den jeweiligen Aufgabenschwerpunkten in den Handlungsfeldern ermöglicht Abbildung 1.
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3.2 Dienstleistungsqualität und Serviceorientierung Es ist bereits auf die besondere Bedeutung hingewiesen geworden, die die Mitarbeiter eines Kulturbetriebs für die Leistungserstellung und die Qualität des Leistungsergebnisses sowie die Reduktion des Qualitätsunsicherheitsrisikos beim Besucher bzw. Nutzer haben. Ganz allgemein kann die Dienstleistungsqualität eines Kulturbetriebs als Schlüsselfaktor für die Besucherzufriedenheit und -bindung gelten: Unter Annahme eines weitgehend funktionalen Zusammenhangs zwischen dem Verhalten eines Kulturbetriebs (Service- und Qualitätsorientierung) und seinen Auswirkungen auf die Besucher (Besucherzufriedenheit und Besucherbindung) kann davon ausgegangen werden, dass zufriedene Besucher eher wiederkommen (positive Wiederbesuchsabsicht), ihren Freunden und Bekannten von ihrem Kulturerlebnis erzählen (positives Weiterempfehlungsverhalten) und eher dazu bereit sind, sich für eine Kulturinstitution zu engagieren (z.B. im Freundeskreis). Daraus folgt, dass die Sicherstellung einer überlegenen Dienstleistungsqualität ein zentraler Impetus in der Arbeit von Kultureinrichtungen sein muss, wenn die Institutionen ihre Existenz am Markt langfristig sichern und legitimieren wollen.
Personalbedarfsplanung
Personalbeschaffung
qualitativ: benötigte Fähigkeiten der Mitarbeiter quantitativ: benötigte Anzahl der Mitarbeiter
intern: Versetzung, Beförderung extern: Stellenanzeigen, soziale Netzwerke Personalauswahl: v.a. Bewerbungsunterlagen/-gespräche
Personalführung
Personalentwicklung
Beeinflussung von Einstellungen und Verhaltensweisen Führung von Individuen Führung von Gruppen
Weiterbildung: lern- und erfahrungsbasierte Methoden Coaching und Mentoring
Abbildung 1: Ausgewählte Handlungsfelder des Personalmanagement
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Zum Begriff der Dienstleistungs- bzw. Servicequalität gibt es sowohl in der betriebswirtschaftlichen Literatur als auch in der Praxis kontroverse Diskussionen (siehe hierzu Meffert/Bruhn 2006, S. 290 ff.). Gemäß einer etablierten Abgrenzung von Bruhn soll hier unter Dienstleistungsqualität die „Fähigkeit eines Anbieters, die Beschaffenheit einer primär intangiblen und der Kundenbeteiligung bedürfenden Leistung aufgrund von Kundenerwartungen auf einem bestimmten Anforderungsniveau zu erstellen“ (Bruhn 2008, S. 38) verstanden werden. Diese Begriffsauslegung verfügt über den Mehrwert, dass sie sowohl einen leistungsbezogenen Qualitätsbegriff enthält (die Qualität ist die Beschaffenheit einer Leistung, die auf einem bestimmten, guten oder schlechten Niveau erstellt wird) als auch einen kundenbezogenen (die Anforderungen an das Niveau werden aus subjektiver Sicht, das heißt vom Kunden festgelegt; der Qualitätsbegriff ist damit relativ). Für Kultureinrichtungen impliziert dieses Begriffsverständnis die häufig noch ungewohnte Anforderung, dass sie bei der Festlegung ihres Serviceniveaus (auch) die „Brille“ der Besucher aufsetzen müssen: Was macht aus der Perspektive des Publikums die Qualität einer Kultureinrichtung aus? Zu betonen ist dabei, dass es hier weniger um eine Bewertung der Qualität der (künstlerischästhetischen) Kernleistungen von Kultureinrichtungen gehen soll. Im Vordergrund steht vielmehr die Qualität der Zusatzleistungen, die dieses Kernangebot ergänzen und seine Nutzung oftmals erleichtern. Diese Einschränkung gewährleistet zum einen die künstlerische Autonomie; das Denken in Besucher- und Serviceorientierung führt also nicht zu der in deutschen Kulturbetrieben vielfach befürchteten Nivellierung der künstlerischen (Kern-)Leistung. Zum anderen sind es oftmals genau diese so genannten Zusatzleistungen, deren Qualität einen erheblichen Einfluss auf die Beurteilung der Kerndienstleistung und des Kulturerlebnisses insgesamt durch Besucher haben kann. Um diese Service- und Qualitätsorientierung auch im Rahmen der Leistungserstellung im Kulturtourismus umzusetzen, muss entsprechendes Personal eingestellt, motiviert und geführt werden. Bevor hierauf näher eingegangen wird, sollen zunächst kurz die Besonderheiten des Personalwesens im Kulturbereich skizziert werden.
3.3 Personalpolitische Besonderheiten im Kulturbereich Gemäß dem ressourcenbasierten Ansatz von Barney (1991) können die Mitarbeiter mit ihren Fähigkeiten und ihrem Know-how den immateriellen, strategisch wichtigen Ressourcen eines Kulturbetriebs zugeordnet werden. Damit ist die mittel- und langfristige Versorgung mit (qualifiziertem) Personal eine
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wesentliche Voraussetzung dafür, dass ein Kulturbetrieb wettbewerbsfähig bleibt. Allerdings ist dieses theoretische Postulat oft genug nur schwer in die Praxis des Kultursektors zu transferieren, der im öffentlichen Bereich an vielen Stellen chronisch mit Unterkapazitäten zu kämpfen hat und im privatwirtschaftlichen Bereich viele Kleinunternehmer kennt, in denen von übergeordneten strategischen Planungs- und Führungsaufgaben bis hin zu kleinstteiliger operativer Arbeit alles von wenigen Mitarbeitern erledigt werden muss. Da ein professionelles Personalmanagement, in dessen Mittelpunkt die Effizienz und Effektivität des Handelns von Mitarbeitern steht, unter diesen Umständen besonders wichtig wird, erstaunt umso mehr die bereits oben konstatierte Forschungslücke im Kulturmanagement zu diesem Themengebiet. Liegt dies daran, dass die Kulturbetriebe aufgrund der Finanznöte und sonstigen kultur- und gesellschaftspolitischen Umwälzungen in den letzten Jahre auf Themen wie Marketing, Audience Development und Sponsoring fixiert waren, dass kein Raum für die Beschäftigung mit dem Personalwesen war? Oder ist die Bedeutung der Ressource Mitarbeiter bei vielen Verantwortlichen (Führungskräfte wie Träger) im Kulturbereich noch gar nicht angekommen? Unabhängig von den Antworten auf diese Fragen lässt sich konstatieren, dass die Beschäftigung mit dem Personalmanagement eine nähere Betrachtung der Mitarbeitertypologie und der Besonderheiten des Personalwesens im Kulturbetrieb erfordert. Dazu gehören im Zusammenhang mit dem hier interessierenden Thema unter anderem:
Heterogenität der Berufsgruppen: Typischerweise lässt sich im Kulturbetrieb unterscheiden zwischen den künstlerischen oder wissenschaftlichen Mitarbeitern auf der einen und den Mitarbeitern aus Management/Verwaltung auf der anderen Seite. In der Regel kommen als dritte übergeordnete Berufsgruppe die Mitarbeiter aus dem technischen Bereich hinzu. Es ist leicht nachvollziehbar, dass sich die Mitarbeiter dieser Bereiche stark unterscheiden im Hinblick auf ihren Ausbildungsweg, ihre (Fach-)Sprache, ihre Arbeits- und Denkweise sowie z.B. auch ihre Entlohnung, und dass es hier oftmals zu erheblichen Reibungspunkten und Verständigungsschwierigkeiten, v.a. auch im Hinblick auf die Notwendigkeit der Erfüllung von Kundenbedürfnissen, z.B. von Kulturtouristen, kommt. Kontaktpersonal vs. Nicht-Kontaktpersonal: In engem Zusammenhang mit der genannten Heterogenität von Mitarbeitergruppen steht auch die Tatsache, dass manche Mitarbeiter (Kassenpersonal, Garderobieren, Gastronomiemitarbeiter, Pädagogen etc.) in sehr engem und regelmäßigen Kontakt mit den Besuchern, stehen und vielfältige Austauschsituationen mit diesen erleben, und viele andere Mitarbeiter kaum Besucherkontakt haben und daher z.B. nicht aus „erster Hand“ erfahren, an welchen Stellen der
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Kulturbetrieb kundenfreundlich agiert und es z.B. den Kulturtouristen leicht macht, seine Angebot zu nutzen, und an welchen nicht. Festangestellte vs. ehrenamtliche Mitarbeiter: Während die in Teil- oder Vollzeit arbeitenden Festangestellten ihre Leistungen gegen (monetäre) Gegenleistungen des Kulturbetriebs als Arbeitgeber erbringen, arbeiten die ehrenamtlichen Mitarbeiter in der Regel unentgeltlich. Auch zwischen diesen beiden Gruppen kommt es immer wieder zu Spannungen. Unklare Entscheidungskompetenzen und organisatorische Zuordnungen (Wer gibt dem Volunteer welche Anweisungen?) sowie Macht- bzw. Kompetenzüberschreitungen (Welche Aufgaben sollen vom Volunteer konkret erfüllt werden und welche nicht?) sind dabei die häufigsten Ursachen für Störungen im Verhältnis zwischen Ehrenamtlichen und Festangestellten. Personalabbau bzw. chronisches Personaldefizit: Wie bereits thematisiert kämpfen viele Kultureinrichtungen um den Erhalt und die Wiederbesetzung von Stellen. Häufig genug übernehmen immer weniger Mitarbeiter immer mehr Aufgaben – für die sie im Zweifelsfall nicht (ausreichend) qualifiziert sind. Auch mit der Erschließung des Marktsegments Kulturtourismus kommen neue Anforderungen auf die Mitarbeiter zu und nur wenige Kultureinrichtungen, wie z.B. das Jüdische Museum in Berlin oder die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, können sich im Stellenplan eine eigenständige Position für die neue Aufgabe leisten. Neben der Überforderung von Mitarbeitern, die bis hin zu gesundheitlichen Problemen führen kann, kann eine kontinuierlich steigende Arbeitsbelastung zu Demotivation und sogar „innerer Kündigung“ führen. Wie aus den Ausführungen in Kapitel 3.2 ableitbar, bleibt die Unzufriedenheit von Mitarbeitern dabei nicht ohne Auswirkung auf die Leistungsqualität und damit die Zufriedenheit der Besucher bzw. Kulturtouristen.
Unter Berücksichtigung der in diesem Kapitel dargestellten Erkenntnisse soll nachfolgend untersucht werden, welche Maßnahmen des Personalmanagement geeignet sind, um die Bearbeitung des Marktsegments für Kulturtourismus zu erleichtern und zu fördern. Hierzu wird auf die drei Handlungsfelder der Personalbedarfsplanung und -beschaffung, der Personalentwicklung und der Personalführung eingegangen.
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Andrea Hausmann Maßnahmen des Personalmanagement im Spannungsfeld Kultur und Tourismus
4.1 Instrumente der Personalbedarfsplanung und -beschaffung Eine grundlegende Aufgabe im Personalmanagement ist die Bedarfsplanung, die zur Ermittlung des derzeitigen und künftigen Bedarfs an Mitarbeitern eines Kulturbetriebs insgesamt oder z.B. für ein konkretes kulturtouristisches Projekt führt. Während sich die quantitative Bedarfsplanung mit der Frage beschäftigt, wie viele Mitarbeiter zu einem bestimmten Zeitpunkt beschäftigt sein müssen, damit der Kulturanbieter in seinen verschiedenen Geschäftsfeldern leistungsund wettbewerbsfähig ist, geht es bei der qualitativen Bedarfsplanung um die Bestimmung von Kenntnissen und Fähigkeiten, die die Mitarbeiter für die Leistungserbringung jetzt und in Zukunft besitzen sollten. Um dies vornehmen zu können, muss der Kulturbetrieb seine (künftigen) Aufgaben kennen und über eine Vision, langfristige Ziele und daraus abgeleitete Strategien verfügen – dies sowohl übergeordnet als auch bezogen auf bestimmte Aufgabenfelder, wie z.B. dem Kulturtourismus (allgemein hierzu Stock-Homburg 2008, S. 91). Ein wichtiges und relativ einfach handhabbares Instrument der qualitativen Personalbedarfsplanung ist die Stellenbeschreibung, auch als Arbeitsplatz- oder Tätigkeitsbeschreibung bezeichnet. Eine solche Beschreibung enthält die schriftliche, unabhängig von einer Person angelegte Darstellung einer Stelle mit ihrer hierarchischen Einordnung, ihren Zielen, Aufgaben, Kompetenzen und Befugnissen sowie Beziehungen zu anderen Stellen. Hieraus kann ein Anforderungsprofil abgeleitet werden, das die erforderlichen Qualifikationen eines für diese bestimmte Stelle geeigneten Mitarbeiters eindeutig festlegt: Neben fachlichen Fähigkeiten (Ausbildung, Fachkenntnisse, Berufserfahrung, Branchenkenntnisse) sollten hierin auch Aussagen über notwendige soziale Fähigkeiten enthalten sein (Olfert 2008, S. 83). Im Hinblick auf die Stellenbeschreibung für eine/n Mitarbeiter/in, der bzw. die vorrangig Aufgaben im Geschäftsfeld Kulturtourismus bearbeiten soll, lassen sich beispielhaft folgende Qualifikationen festhalten:
Fachliche Fähigkeiten: Studium Kulturmanagement, BWL oder Touristik; (u.U. mehrjährige) praktische Berufserfahrung in relevanten, kultur- und tourismusnahen Arbeitsgebieten; Kenntnisse in MS-Office und touristisch relevanter Software (u.a. CRS-Systeme); Kenntnisse in Web 2.0 und Social Media; spezifische Branchenkenntnisse im ausschreibenden Kulturbetrieb; bestehende Kontakte zu relevanten Kooperationspartnern (Medien, Reiseveranstalter, DZT etc.); Fremdsprachenkenntnisse; Kenntnisse bezüglich
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Budgetplanung und -kontrolle; Kenntnisse bei der Akquise von Fördermitteln (z.B. EU). Soziale Fähigkeiten: Entscheidungsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Serviceorientierung, Teamfähigkeit (Nennung der Stellen, mit denen am meisten zusammengearbeitet werden muss, z.B. Marketing, Öffentlichkeitsarbeit, Development), Belastbarkeit, Einfühlungsvermögen, Kommunikationsfähigkeit, Bereitschaft zu Überstunden und Arbeiten an Wochenenden, Fähigkeit zum Netzwerken (mit Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Medien), Reisebereitschaft etc.
Es ist offensichtlich, dass die Erstellung einer möglichst detaillierten Stellenbeschreibung wichtige Voraussetzung für die nächsten Schritte, d.h. die Beschaffung und Auswahl von stellenadäquaten Mitarbeitern für die Bearbeitung des Segments Kulturtourismus ist. Im Mittelpunkt des Handlungsfelds der Personalbeschaffung steht die fristgerechte Deckung eines vorhandenen oder absehbaren Personalbedarfs in quantitativer und qualitativer Hinsicht. Für die Beschaffung von Mitarbeitern können dabei zwei grundsätzliche Wege eingeschlagen werden (Scherm/Süß 2010, S. 31ff.): Die interne Beschaffung erfolgt durch Versetzung oder Beförderung von bereits dem Kulturbetrieb zugehörigen Mitarbeitern. Alternativ kann eine externe Beschaffung vorgenommen werden, bei der die benötigten Mitarbeiter – über Stellenanzeigen, Personalberatungen oder neuerdings auch über Social Media wie Facebook und XING – auf dem Arbeitsmarkt gesucht werden. Mit Blick auf die langfristige Bedeutung der Personalauswahl kommt dem Entwurf einer adäquaten Stellenanzeige bei der externen Beschaffung eine wichtige Rolle zu. Die Stellenanzeige ist dabei nicht als „Chance“ zu verstehen, den Kulturbetrieb mit allen seinen Vorzügen ins beste Licht zu rücken und möglichst vorteilhaft darzustellen, sondern sollte dazu genutzt werden, präzise und transparent die mit einer Stelle verbundenen, derzeitigen und künftigen Anforderungen aufzuführen. Denn je konkreter diese Anforderungen benannt werden, desto präziser kann die Identifizierung, die Beurteilung und der Vergleich von (geeigneten) Bewerbern im folgenden Auswahlprozess erfolgen. Unter Berücksichtigung der in der Stellenbeschreibung festgehaltenen Punkte sollten folgende Fragen typischerweise in Stellenanzeigen beantwortet werden:
Wer ist die Kultureinrichtung und welche Leistungen bietet sie an? Welche Aufgaben und Funktionen erfüllt die ausgeschriebene Stelle innerhalb der Gesamtorganisation? Welche fachlichen Schlüsselqualifikationen sind für die zu besetzende Stelle erforderlich?
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Andrea Hausmann Sollen Führungsaufgaben wahrgenommen werden und mit welchen Kooperationspartnern wird primär zusammengearbeitet?
Es wird an dieser Stelle auch noch einmal deutlich, wie wichtig es ist, dass sich ein Kulturbetrieb mit seiner strategischen Ausrichtung befasst, eine hieran orientierte Personalbedarfsplanung vornimmt und die dabei gewonnenen Erkenntnisse in Stellenbeschreibungen gießt. Allerdings tut sich der Kulturbereich noch häufig schwer bei der Formulierung aussagefähiger Stellenanzeigen. Dies zeigt sich auch, aber nicht nur bei der Recherche der Autorin für diese Untersuchung. So finden sich trotz der gewachsenen Bedeutung des Kulturtourismus und dem regen Interesse vieler Kultureinrichtungen am Thema kaum Stellenanzeigen, in denen explizit Kenntnisse und/oder (Berufs-)Erfahrungen in diesem Bereich vorausgesetzt werden. Im Zeitraum Juli – August 2010 fand sich lediglich die Anzeige der Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim für die Position „Referent/in für Marketing“, die das Stichwort Kulturtourismus allerdings auch nur schlaglichtartig streift und insgesamt wenig präzise bleibt: „Wir suchen eine teamfähige, leistungsstarke, kreative und ambitionierte Persönlichkeit mit abgeschlossenem Studium in einer der Disziplinen Kulturwissenschaften/Publizistik/Touristik/Journalismus/Geschichte/Archäologie/Kunstgeschichte/Kulturmanagement/Kommunikationswissenschaften sowie mindestens zweijähriger praktischer Berufserfahrung in den Arbeitsgebieten von Museumsmarketing/ Kulturtourismus/Kulturmanagement […]“1. Von derart unspezifischen Texten ist dabei auch deshalb abzuraten, als solche Anzeigen nicht nur der Ansprache geeigneter Kandidaten sondern auch der Positionierung und Profilierung des Kulturbetriebs auf einem wettbewerbsintensiven Arbeitsmarkt dienen. Insgesamt lässt sich damit bereits in diesem Aufgabenfeld des Personalmanagement erheblicher Handlungsbedarf konstatieren, wenn die Kulturbetriebe den Kulturtourismus wirklich professionell, d.h. mit Hilfe geeigneter Mitarbeiter angehen wollen.
4.2 Instrumente der Personalentwicklung Wie in Kapitel 3.3 angesprochen, wird es in vielen Fällen jedoch (zunächst) nicht zu einer Neueinstellung von Mitarbeitern in einer an der Erschließung des Marktsegments Kulturtourismus interessierten Einrichtung kommen. Zum Beispiel weil die finanziellen Mittel für eine Stellenaufstockung nicht aus-
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Diese Anzeige wurde im April 2010 unter http://www.museumsbund.de/de/aktuelles/ jobboerse/ online gestellt.
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reichen, ein Personalstopp verhängt worden ist oder andere Stellen vorrangig besetzt werden müssen. Damit muss ein bereits eingestellter und bislang mit anderen Tätigkeitsfeldern betrauter Mitarbeiter die mit dem Kulturtourismus verbundenen Aufgaben übernehmen und künftig (in aller Regel zusätzlich zu seinem originären Tätigkeitsgebiet) wahrnehmen. Vor allem jene Mitarbeiter, die aus klassischen Studiengängen wie z.B. Kunstgeschichte, Theaterwissenschaften oder Kommunikationswissenschaften etc. kommen und keine Zusatzqualifikationen im Kulturmanagement erworben haben, können mit einer Bearbeitung des Kulturtourismusmarkts möglicherweise zunächst überfordert sein – selbst wenn sie für inhaltlich am Kulturtourismus nahe liegende Aufgaben, wie Marketing oder Öffentlichkeitsarbeit, bereits zuständig waren. Tourismusspezifische Kenntnisse müssen dementsprechend im Rahmen von Weiterbildung erlernt werden, wie z.B. hinsichtlich
der wichtigsten touristischen Leistungsträger (DZT, Tourismusorganisationen, Reiseveranstalter, Reisemittler, Vertriebsagenturen, Reisejournalisten, Busunternehmer etc.) und ihren jeweiligen Anforderungen, den Produktionszyklen der Reiseindustrie, der relevanten touristischen Fachveranstaltungen (u.a. Internationale Tourismus Börse Berlin, Germany Travel Markt, RDA-Bustouristik Workshop) des Informations-, Buchungs- und Nutzungsverhaltens von Kulturtouristen sowie deren Reiseerfahrenheit und Anspruchsdenken, der Kalkulation von Vertriebsprovisionen, der Funktionsweise von Ticketplattformen (CRS-Systeme) und der Nutzung von Kontingentmanagement, Möglichkeiten und Formen der Besucherlenkung, der Akquise von Fördermitteln im Bereich Tourismus.
Aber auch im Zuge der Personalbeschaffung neu eingestellter Mitarbeiter werden sich im Laufe der Zeit zwangsläufig Veränderungen bei den Stellenanforderungen ergeben, z.B. aufgrund technologischer Fortschritte, rechtlicher Änderungen, sich wandelnder Kunden-/Touristenbedürfnisse oder Neuausrichtungen im Leistungsangebot einer Kultureinrichtung, und auch hier werden dann Maßnahmen zur Weiterentwicklung unumgänglich. Ganz allgemein werden Maßnahmen der Personalentwicklung eingeleitet, um Qualifikationen zu vermitteln, die zur Steigerung der Leistungsfähigkeit und der beruflichen Entwicklung von Mitarbeitern dienen. Dabei geht es allerdings keinesfalls nur darum, die organisationale Seite im Blick zu behalten und den Zielen des Kulturbetriebs genüge zu tragen. Vielmehr können (sinnvolle) Maßnahmen der Personalentwicklung die Motivation und Zufriedenheit der betroffenen Mit-
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arbeiter steigern und so insgesamt zu mehr Leistungsbereitschaft führen (vgl. hierzu auch Tab. 1). Von den zahlreichen in der klassischen Personalentwicklung zur Verfügung stehenden Methoden (siehe ausführlich hierzu Stock-Homburg 2008, S. 154ff.; Jung 2008, S. 250ff.) soll im Folgenden näher auf die Weiterbildung eingegangen werden – als dem im Kulturbetrieb am meisten genutzten Instrument. Neben regulären und berufsbegleitenden Weiterbildungsstudien auf universitärem Niveau (u.a. Master „Kulturmanagement und Kulturtourismus“ an der Europa-Universität Viadrina), gibt es Zertifikatskurse von Hochschulen bis hin zu freien Trägern oder auch die Möglichkeit zum Besuch von Einzelseminaren, Vorträgen oder Konferenzen zum Thema. Diese typisch lernorientierten Methoden werden „off the job“ angeboten, d.h. sie finden nicht unmittelbar am Arbeitsplatz statt. Aufgrund der Heterogenität der Anbieter – nicht nur in institutioneller Hinsicht, sondern v.a. im Hinblick auf Qualität und Anspruch – ist das Weiterbildungsangebot allerdings schwer überschaubar, was die unter Kosten- und Effektivitätsaspekten richtige Auswahl erschwert. Tabelle 1: Ziele der Personalentwicklung (in Anlehnung an Stock-Homburg 2008, S. 155) Ziele der Personalentwicklung aus Sicht des Kulturbetriebs Erhöhung von Leistungsfähigkeit und bereitschaft der Mitarbeiter Steigerung der Anpassungsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter Stärkung der Identifikation von Mitarbeitern mit dem Kulturbetrieb und seinen Zielen Erhöhung der Attraktivität von Kulturbetrieben als (potenzielle) Arbeitgeber
Ziele der Personalentwicklung aus Sicht der Mitarbeiter Steigerung von Motivation und Zufriedenheit Verbreiterung von persönlichen und fachlichen Kenntnissen Selbstverwirklichung Erhöhung der individuellen Attraktivität für den (internen und externen) Arbeitsmarkt Realisierung von Karriere- und Aufstiegschancen
Dessen ungeachtet ist die Bedeutung der Weiterbildung für die langfristige Existenz- und Wettbewerbsfähigkeit von Kulturbetrieben deutlich zu betonen. Bedenklich scheint der Autorin vor diesem Hintergrund der Umstand, dass sich in den vergangenen Jahren immer mehr die Tendenz zeigt, dass immer weniger Institutionen – vor allem aufgrund anhaltend knapper Budgets, aber auch aus anderen Gründen – bereit oder in der Lage sind, ihren Mitarbeitern Weiterbildung zu ermöglichen. Hier muss letztlich jeder Kulturbetrieb selbst abwägen, ob die daraus resultierenden Konsequenzen, wie z.B. Demotivation und anhaltende Überforderung aufgrund fehlender Qualifikationen, die möglicherweise „burn out“-Syndrome nach sich ziehen, nicht langfristig zu mehr Schaden führen (vor allem aufgrund von Krankheitsausfällen oder nachlassender Leistungs-
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bereitschaft der Mitarbeiter, aber auch im Hinblick auf die hierdurch u.U. sinkende Qualität der Angebote für das Publikum, den Rückgang von Sponsorengeldern etc.), als die zumindest punktuelle Investition in das Humankapital und die Ressource „Mitarbeiter“. Alternativ zu den lernorientierten Methoden können erfahrungsbasierte Methoden eingesetzt werden, die die Weiterentwicklung eines Mitarbeiters in seinem gewohnten Arbeitsumfeld („on the job“) ermöglichen (ausführlich hierzu Jung 2008, S. 282ff.). Während beim „job enlargement“ eine Erweiterung bisheriger Aufgaben um qualitativ gleichwertige Aufgaben stattfindet, die jedoch bislang im Leistungserstellungsprozess vor- oder nachgelagert waren und von Kollegen oder externen Zulieferern übernommen wurden, werden beim „job enrichment“ zusätzliche Aufgaben übernommen. Diese sind in der Regel mit höheren Anforderungen als die bisherigen Tätigkeiten verbunden, die Stelle und damit der Stelleninhaber werden also aufgewertet. Bei der „job rotation“, der dritten Möglichkeit zur unmittelbar anwendungsorientierten Wissensvermittlung soll der Mitarbeiter durch einen systematisch geplanten, jedoch temporär angelegten Arbeitsplatzwechsel neue Erfahrungen gewinnen und sich zusätzliche Fachkenntnisse aneignen. Alle genannten Methoden setzen jedoch voraus, dass der Kulturbetrieb entweder bereits über Erfahrungen im Kulturtourismus verfügt oder kontinuierlich in die Weiterbildung (s.o.) seiner Mitarbeiter investiert.
4.3 Instrumente der Personalführung Wie in den zahlreichen anderen Aufgabenfeldern von Kultureinrichtungen auch, setzt der Erfolg kulturtouristischer Aktivitäten nicht nur (weiter-)qualifizierte und motivierte Mitarbeiter voraus, sondern gleichfalls das Engagement und Commitment von unmittelbar Vorgesetzten (in größeren Häusern wird die Stelle Kulturtourismus häufig der Abteilung Marketing zugeordnet sein) bis hinauf zur obersten Leitungsebene. Nur wenn dort die Bedeutung von Aspekten wie Dienstleistungsqualität, Serviceorientierung, Kundennähe oder die Entwicklung segmentspezifischer Maßnahmen (z.B. für den Kulturtouristen) angenommen und durch entsprechende (Führungs-)Handlungen auch vorgelebt werden, ist zu erwarten, dass sich Mitarbeiter mit vollem Elan der Bearbeitung ihrer besucherbezogenen Aufgaben widmen. Der in diesem Herausgeberband publizierte Aufsatz von Heinz Buri, Marketingdirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, veranschaulicht ein solches vorbildliches Commitment einer Führungskraft für den Kulturtourismusmarkt. Ganz allgemein wird unter dem Begriff der Führung im Personalmanagement die zielorientierte Beeinflussung des Verhaltens und der Einstellung von
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Mitarbeitern verstanden. Zweck ist es hierbei, durch die Koordination und Kontrolle arbeitsteiliger Handlungen bestimmte Ergebnisse zu erzielen, die sich in erster Linie auf den Kulturbetrieb im Ganzen beziehen, dann nachgelagert aber auch individuelle Interessen der Mitarbeiter zu berücksichtigen und diese durch die Gewährung von Anreizen zu motivieren. Führung kann dabei durch Strukturen erfolgen, d.h. z.B. durch die Etablierung von Organigrammen, Stellenbeschreibungen oder Verfahrensvorschriften. Demgegenüber steht die Führung durch Personen, die formell (z.B. aufgrund ihrer hierarchischen Position) oder informell (z.B. aufgrund ihres Fachwissens oder ihrer langjährigen Betriebszugehörigkeit) dazu befugt sind. Im Folgenden werden ausgewählte Führungsinstrumente vorgestellt, die von Führungskräften zur Beeinflussung der Mitarbeiter eingesetzt werden können, um z.B. die Koordination der Maßnahmen zur Bearbeitung des Segments Kulturtourismus zu verbessern und die Kommunikation an Schnittstellen, z.B. zwischen den Stellen Kulturtourismus, Pressearbeit und Denkmalpflege, zu verbessern. Dabei lassen sich, wie in Abbildung 2 dargestellt, zwei grundsätzliche Typen unterscheiden: Instrumente der Kommunikation und Instrumente der Koordination. Beide sollen nachfolgend skizziert werden (ausführlich hierzu Stock-Homburg 2009, S. 442ff.).
Mitarbeiterführung
Kommunikation Anerkennung/Kritik Feedbackgespräch Mitarbeiterbesprechung
Koordination Führung durch Zielvereinbarungen
Abbildung 2: Ausgewählte Instrumente der Mitarbeiterführung
Instrumente der Kommunikation zielen darauf ab, den Informationsaustausch zwischen Führungskräften und Mitarbeitern zu verbessern. Während die Anerkennung auf eine Wiederholung gewünschter Verhaltensweisen ausgerichtet ist, zielt die Äußerung von Kritik auf eine Verhaltensänderung bei Mitarbeitern
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ab. Um die Betroffenen durch Anerkennung und Kritik erfolgreich zu beeinflussen und ihnen eine eindeutige Orientierung im Hinblick auf den Stand ihrer Leistungserstellung zu geben, ist ein bewusster Umgang mit diesen beiden Methoden erforderlich. In engem Zusammenhang hiermit steht das Feedbackgespräch, das eine regelmäßige, persönliche Rückmeldung an die geführten Mitarbeiter über ihre Verhaltensweisen, Leistungen oder auch ihre fachliche und persönliche Entwicklung in bestimmten Situationen enthält. Während das Feedbackgespräch eher informellen Charakter und sich auf den Austausch bzw. die Kommunikation mit einzelnen Mitarbeitern bezieht, kann die Mitarbeiterbesprechung formalisiert werden. Zum Beispiel durch die Etablierung turnusmäßiger Teamsitzungen (z.B. wöchentlich), in denen alle Mitarbeiter zusammenkommen und z.B. über Stärken und Schwächen aktueller kulturtouristischen Maßnahmen konferieren. Instrumente der Koordination zielen darauf ab, die Abstimmung zwischen Mitarbeitern dadurch zu verbessern, dass eindeutige Ziele vereinbart werden oder in sich geschlossene Aufgabenpakete in ihrer Verantwortung eindeutig zugeordnet werden. Ein wichtiges Instrument der Mitarbeiterführung, das auch im Kulturbereich mehr und mehr an Beachtung gewinnt, ist hierbei die Führung durch Zielvereinbarungen („management by objectives“). Dazu bedarf es der frühzeitigen Einbeziehung der Mitarbeiter bei der Zielfindung, das Führen von Zielvereinbarungsgesprächen mit der Festlegung von innerhalb einer Periode zu erreichenden Zielen, die Zwischenkontrolle zur Identifikation möglicher Probleme bei der Zielerreichung und das Zielerreichungsgespräch. Die Vorteile dieser Methode liegen u.a. in einer verbesserten Kommunikation zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter, Herstellung von Transparenz, Steigerung von Arbeitsmotivation und insgesamt einer stärkeren Integration des Einzelnen in den Gesamtbetriebsablauf. Mögliche Ziele im Zusammenhang mit der Erschließung des Kulturtourismus könnten z.B. sein:
Erhöhung der Nachfrage nach fremdsprachigen Führungen um 20%, Erhöhung der Kontakte zu touristischen Leistungsträgern, wie z.B. Busreiseveranstaltern, um 10%, Ausarbeitung eines Provisionssystems bis zum nächsten Quartal, Eruierung der Besucherlaufwege und Verbesserung der Besucherleitsysteme innerhalb eines Jahres, Verbesserung der telefonischen Erreichbarkeit bis Ende des Monats, Etablierung eines online Ticketreservierungssystems bis zum Sommer, Gewinnung von privatwirtschaftlichen Projektpartnern und Akquise von EU-Fördermitteln bis zum Ende des Jahres.
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Das Führungsinstrument der Zielvereinbarungen ist dabei auch wegen seiner motivierenden Funktion von besonderer Bedeutung für den Kulturbereich, wo Ziele noch selten im Management eingesetzt werden. Dazu muss allerdings gemeinsam zwischen Führungskraft und Mitarbeiter vereinbart werden, welche Ziele in einem bestimmten Zeitraum erreicht werden sollen. Grundsätzlich ist eine solche Zielvereinbarung auf allen Hierarchieebenen eines Kulturbetriebs möglich (auch im Kassenbereich kann die Dauer von Warteschlangen etc. reduziert, die Höflichkeit von Mitarbeitern und die Abnahme von Beschwerden erreicht werden). Dabei ist es eine wesentliche Aufgabe der Führungskraft darauf zu achten, dass die vereinbarten Teilziele kongruent zu den jeweiligen Oberzielen bzw. der „corporate mission“ des Kulturanbieters und auch durch den jeweiligen Mitarbeiter aus eigener Kraft und bei der gegebenen Ressourcenverteilung erreichbar sind. Dazu sind Rückkopplungsmechanismen (z.B. quartalsweise Berichterstattung) einzubauen und Soll-Ist-Vergleiche durchzuführen.
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Fazit und Ausblick
Im Rahmen der obigen Ausführungen ist deutlich geworden, dass die Teilnahme am Markt für Kulturtourismus nicht nur Kenntnisse im Hinblick auf Marketing, Service, Kooperationen etc. erfordert. Auch personalpolitische Entscheidungen müssen in diesem Zusammenhang getroffen werden. Von der Beantwortung der Frage, wie viele Mitarbeiter die kulturtouristischen Aufgaben künftig bearbeiten sollen und welche Qualifikationen sie benötigen (Personalbedarfsplanung) bis hin zur Beschaffung und Auswahl geeigneter Kandidaten sowie der Entwicklung und Führung der vorhandenen Mitarbeiter sind viele Einzelaspekte zu berücksichtigen. Angesichts der Tatsache, dass derzeit noch wenige Publikationen zum Thema vorliegen, zeigen sich verschiedene Ansätze für weitere Forschungsaktivitäten. Ein wichtiger erster Schritt wäre sicher die Bestandsaufnahme dahingehend, wer derzeit eigentlich in den Kulturbetrieben (und hier unterschieden nach Sparten) die Verantwortung für die Bearbeitung des Kulturtourismusmarkts trägt, wie diese Mitarbeiter qualifiziert sind und welche Arbeitsbedingungen vorliegen (z.B. im Hinblick auf die Unterstützung durch die Leitungsebene, die organisatorische Zuordnung im Kulturbetrieb, die Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen und die Ausstattung mit Ressourcen).
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Kooperationen als Wesenselement des Kulturtourismus Patrick S. Föhl / Yvonne Pröbstle Patrick S. Föhl und Yvonne Pröbstle Kooperationen als Wesenselement des Kulturtourismus
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Kultur und Tourismus: ein ungleiches Paar? „In der Tierwelt ist es im Prinzip so: Wenn es wichtig ist, dass ich etwas haben muss, dann werde ich versuchen, das mit Aggressivität zu erlangen. Und wenn ich clever bin, werde ich versuchen, mit anderen zu kooperieren, weil ich unter Umständen alleine weniger habe, als wenn ich mit dreien oder vieren zusammenarbeite und das gemeinsam Eroberte teile.“ (Sommer 2008)
Diese Einschätzung des Anthropologen Volker Sommer hat auch für den Kulturbereich seine Gültigkeit. Neben den bestehenden und mitunter auch progressionsförderlichen Konkurrenzsituationen um abnehmende Fördermittel, Leuchtturmprojekte und künstlerische Innovationen, gewinnen Kooperationen gegenwärtig wieder zunehmend an Bedeutung (Diller 2009, Föhl 2009a/b). Angesichts der gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen und stagnierender oder sinkender Fördermittel rücken die Akteure und Kommunen näher zusammen. Auch die Erkenntnis, dass sich gemeinsam künstlerisch interessante Synergien ergeben können, veranlasst Kulturschaffende zunehmend, an einem Strang zu ziehen. Hierbei entsteht ein Wechselspiel zwischen Konkurrenz und Kooperation, dass mit dem Begriff „Coopetition“ umschrieben wird und davon zeugt, dass die eine Strategie die andere nicht ausschließt (Voesgen 2009). Brandenburger und Nalebuff sehen im „kooperativen konkurrieren“ sogar die zentrale Erfolgsstrategie für Unternehmen (Brandenburger/Nalebuff 2009). Der Bedeutungsgewinn von Kooperationen betrifft allerdings nicht nur Kooperationen zwischen Kultureinrichtungen und -projekten, sondern ebenfalls zwischen Kultur und Wirtschaft, Kultur und sozialen Einrichtungen und vielen anderen Konstellationen. Ein Bereich, der ohne Kooperationen nicht denkbar bzw. entwicklungsfähig ist, ist der Kulturtourismus. Als Ende der 1980er Jahre Touristiker erstmals gezielt ihren Fokus auf das kulturelle Angebot bzw. Potenzial von Destinationen richteten, wurde dem Kulturtourismus eine Erfolgsgeschichte vorhergesagt. Glaubt man den vielfach zitierten Good-Practice-Beispielen und verschiedenen empirischen Studien, so scheint diese Geschichte Realität geworden zu sein. „Kultur als wichtigster A. Hausmann L Murzik (Hrsg.), Neue Impulse im Kulturtourismus, DOI 10.1007/978-3-531-92757-2_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Attraktivitätsfaktor“ für Städtereisende (DTV 2006, S. 13), so etwa lautete einer der zentralen Befunde der Grundlagenuntersuchung des Deutschen Tourismusverbandes e.V. (DTV). Es scheint daher nicht zu verwundern, dass die touristischen Verantwortlichen von Bund (Deutsche Zentrale für Tourismus), Ländern (Landesmarketingorganisationen), Regionen, Städten und Gemeinden (kommunale Tourismusorganisationen) neben privatwirtschaftlich organisierten Spezialanbietern (zum Beispiel Studiosus) in Deutschland seit einigen Jahren verstärkt auf das Zugpferd Kulturtourismus setzen. Aber auch in den zunehmend um Besucherorientierung bemühten Kulturbetrieben erfolgte eine Hinwendung zum Tourismus, da sich Perspektiven auf eine neue Zielgruppe, die Kulturtouristen, eröffneten. Unter kulturpolitischen Vorzeichen kann Kulturtourismus gleich in zweifacher Hinsicht die Legitimation eines Kulturbetriebs stärken helfen: zum einen mit zusätzlichen Besuchern und zum anderen in der Wahrnehmung als Image- und Standortfaktor (Hausmann 2002, S. 50; Klein 2007, S. 284). Mit einer in den 1990er Jahren durchgeführten Studie zum Eigen- und Fremdimage von deutschen Mittelstädten konnte beispielsweise offengelegt werden, dass potenzielle (Kultur-)Touristen, „die eine (…) Stadt vorwiegend über das kulturelle Angebot wahrnehmen, zu 92 % eine positive Einschätzung von ihr haben“ (Heinrichs et al. 1999, S. 137). Tatsächlich anreisende Kulturtouristen können darüber hinaus für die Tourismuswirtschaft und in Konsequenz für die Kommune zusätzliche Einnahmen sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen bedeuten. In der Grundlagenuntersuchung des DTV wurden die vom Städte- und Kulturtourismus in Deutschland profitierenden Wirtschaftszweige wie folgt aufgeschlüsselt: Der Einzelhandel profitierte im Jahr 2004 mit einem Anteil von 50 % und einem Brutto-Umsatz von 41,06 Mrd. Euro, gefolgt von der Gastronomie (29 %/24,25 Mrd. Euro), dem Freizeit- und Unterhaltungsgewerbe (8 %/6,35 Mrd. Euro), dem Beherbergungsgewerbe (7 %/5,91 Mrd. Euro) und sonstigen Dienstleistungen (6 %/4,8 Mrd. Euro) (DTV 2006, S. 56). Doch trotz der immanenten Bedeutung von Kultur auf der einen und Tourismus auf der anderen Seite verläuft die Kooperation in der Praxis kaum reibungslos und oftmals noch konfliktbeladen. Kritiker führen an, dass die Handlungslogiken von touristischer Privatwirtschaft und Kulturbetrieben derart divergieren, dass ein Zusammenkommen kaum möglich scheint (u. a. McKercher/Du Cros 2002, S. 14; Schwark 1996, S. 121; Wolber 1999, S. 140). Unausweichlich stellt sich in solchen Aussagen die Vorstellung eines ungleichen Paars ein, das es nicht vermag die gleiche Sprache zu sprechen. Gänzlich anders argumentierte jüngst Buri, indem er eine Annäherung der scheinbar kontrastierenden Handlungslogiken feststellt:
Kooperationen als Wesenselement des Kulturtourismus
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„Tourismusunternehmen und -organisationen haben originär einen wirtschaftlichen Auftrag. Sie sind indessen in einem sich verschärfenden internationalen Wettbewerb der Destinationen zunehmend auf Alleinstellungsmerkmale angewiesen und wachsen mit der steigenden kulturtouristischen Nachfrage mehr und mehr auch in bildungs- und kulturdidaktische Themenkomplexe hinein. Sie nutzen Geschichte und Kultur zur Positionierung und leisten die überregionale und internationale Vertriebsarbeit, die Kultureinrichtungen aus eigener Kraft nicht erbringen könnten. Kultureinrichtungen hingegen sind in Zeiten knapper öffentlicher Kassen mehr und mehr auf die Erwirtschaftung von Eigeneinnahmen angewiesen, sie sind damit – unbesehen ihrer Rechtsform und ihres didaktischen und konservatorischen Auftrages – auch Wirtschaftsunternehmen.“ (Buri 2009a, S. 22; ausführlich Buri 2009b)
Unabhängig davon, zu welcher Position man in dieser Diskussion tendieren mag, kommt man nicht umher zur Kenntnis zu nehmen, dass jedwede Form von Tourismus ohne Kooperation nicht existieren kann. Eine Diskussion und Ursachenanalyse im vermeintlichen Spannungsfeld von Kultur und Tourismus ist zweifelsfrei unentbehrlich, um gemeinsam Problemlösungen zu erarbeiten und langfristig die Grundlage einer erfolgreichen Zusammenarbeit zu schaffen. Allerdings ist an dieser Stelle dafür zu plädieren, die Kooperationen als Wesenselement des Tourismus stärker im Bewusstsein der Akteure zu verankern. Insbesondere gilt es ein solches in Kulturbetrieben zu forcieren, die sich dem Aufgabenfeld Kulturtourismus öffnen möchten, aufgrund ihrer eigentlichen Kernaufgaben aber bisher nicht mit dem System Tourismus und inhärenten touristischen Prozessen und Kreisläufen vertraut sind (exemplarisch John 2010). Ein Ja zum (Kultur-)Tourismus muss folglich ein Bekenntnis und die Bereitschaft zur Kooperation einschließen. An diesem Scheidepunkt beginnt die Weichenstellung für einen erfolgreichen (Kultur-)Tourismus. Die Immanenz von Kooperationen im (Kultur-)Tourismus gründet in der Beschaffenheit von Tourismusprodukten. Diese stellen ein Bündel von touristischen Einzelleistungen dar, die von verschiedenen Leistungsträgern der Tourismuswirtschaft erbracht werden. Der Tourist beurteilt die Qualität seiner Reise folglich nicht an der Einzelleistung, die er in der Regel als solche überhaupt nicht wahrnimmt, sondern bewertet schließlich das Gesamtprodukt. Einzelne Angebotsbausteine können in letzter Konsequenz erst im kooperativen Verbund mit anderen touristische Attraktivität erlangen. Die Bündelung solcher Einzelleistungen bedarf einer koordinierenden Instanz (u. a. Freyer 2007, S. 96 ff., Steingrube 2003, S. 441 und Stolpmann 2007, S. 24). In der Praxis wird diese Funktion häufig von Tourismusorganisationen übernommen, die darüber hinaus für ein betriebsübergreifendes Destinationsmarketing verantwortlich sind und gleichermaßen als Diskussionsplattform, Interessensvertretung und beratendes Organ fungieren (Roth 1999, S. 142; Stolpmann 2007, S. 89). Ein Blick auf die
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Vielzahl von Akteuren, die unter dem Dach einer Destination zusammenkommen und auf verschiedenste Weise an der touristischen Leistungserstellung beteiligt sind, lässt erahnen, dass Kooperation und Koordination keineswegs frei von Konflikten verlaufen:
Abbildung 1: Ausgewählte Beteiligte an der Leistungserstellung im Kulturtourismus (eigene Abb. in Anlehnung an Steinecke 2007)
Als Hürden in der Zusammenarbeit nennt Steingrube:
„Dualität von Verbandsstrukturen und wirklichen touristischen Leistungserbringern, Interessenvertretungen mit divergierenden Zielen (sowohl Branchen als auch Akteure betreiben Lobbyarbeit), gewachsene Organisationsstrukturen, gewachsene Personalstrukturen (und -bestände), tradierte Arbeitsorganisation und -abläufe, sehr unterschiedliche Betriebsstrukturen bei den Leistungserbringern (von familiären Kleinstbetrieben bis zu global agierenden Konzernen),
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bei großräumigen Destinationen teilweise keine hierarchischen Verbandsstrukturen, was trotz gleichartiger Interessen dennoch zu unkoordinierten Abläufen und widersprüchlichen Zielstellungen führen kann, politische Einflussnahme auf administrativ unterschiedlichen Ebenen mit uneinheitlichen Interessen, Orientierung der staatlichen Tourismuspolitik an administrativen Grenzen, die nicht immer deckungsgleich mit touristischen Destinationen sind.“ (Steingrube 2003, S. 451 f.)
Diese Ursachenanalyse bezieht sich nicht ausschließlich auf das vermeintlich ungleiche Paar Kultur und Tourismus, sondern schließt alle touristischen Leistungsträger mit ein. Damit wird deutlich: Zwischen Kultur- und Tourismusakteuren mag es Unterschiede in Zielsetzungen, Denk- und Handlungsweisen geben, allerdings handelt es sich dabei nicht um ein Spezifikum dieser Konstellation, vielmehr stellt das System Tourismus ein Sammelbecken ungleicher Paare dar, deren Zusammenarbeit aufgrund der Beschaffenheit des touristischen Produkts ohne Alternative ist.
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Kulturtourismus: Hype oder Heilsbringer? – Ein kritischer Einwurf
Bevor den Fragen nach den Formen, Akteuren und Zielen im Kulturtourismus nachgegangen werden kann, ist kritisch zu hinterfragen, welche kulturellen Einrichtungen, Veranstalter oder Einzelpersonen für kulturtouristische Aktivitäten in Frage kommen. Aufgrund der positiven Eigenschaften und Effekte, die dem Kulturtourismus nicht zuletzt aufgrund seiner kulturwirtschaftlichen Potenziale attestiert werden (Deutscher Bundestag 2008, DTV 2006), zeichnet sich der Trend ab, dass viele Kultureinrichtungen und Kommunen einen Heilsbringer im Kulturtourismus suchen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass zahlreiche Akteure Ressourcen im Bereich des (Kultur-)Tourismus investieren, ohne entsprechende Potenziale aufzuweisen (exemplarisch Neisener/Föhl 2007). Dabei scheinen sie die Wettbewerbssituation im Segment Kulturtourismus zu verkennen, denn eine „neue strategische Option ist Kulturtourismus längst nicht mehr. […] Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine Reisedestination ohne kulturtouristisches Angebot nicht mehr mithalten kann“ (ITB Auftakt Bericht 2008, S. 50), so eine der zentralen Erkenntnisse auf der Internationalen Tourismus Börse in Berlin. Der Wandel von einem ursprünglichen Verkäufermarkt zu einem Käufermarkt hat sich bereits vollzogen. Kennzeichnend für den (kultur-)touristischen Käufermarkt ist das im Zeitvergleich deutlich gestiegene Anspruchsniveau der Reisenden, das sich in zunehmend
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komplexeren Bündeln von Reisemotiven niederschlägt und eine stetig fortschreitende Differenzierung ehemals klar voneinander abgrenzbarer Zielgruppen zur Folge hat (F.U.R 2005a, S. 25 f.). „Es genügt [folglich] heute nicht mehr ,schön‘ zu sein. ,Schön‘ ist es nach Aussagen der Tourismuswerbung überall auf der Welt“ (Richard 2006, S. 122). Die Akteure sind aufgefordert, ein unverwechselbares Profil zu entwickeln, andernfalls wird das Ergebnis aller Anstrengungen und Mühen ein beliebig austauschbares Produkt im Marktsegment Kulturtourismus sein (Stolpmann 2007, S. 8). McKercher und Du Cros sehen die Tendenz zur zunehmenden Austauschbarkeit in der „Betriebsblindheit“ sowie der hohen Identifikation vieler Akteure mit „ihrem“ Produkt bzw. „ihrer“ Destination begründet: „One of the biggest mistakes that inexperienced marketers (or people given to marketing role) make is to assume that their product or experience has universal appeal. Often this mistake is made naively by well-intentioned people who become absorbed by the asset and believe that everyone else, given the right chance, will find it as fascinating as they do. Because of this misguided belief, they embark on a series of unfocused promotional activities that send out unclear messages aimed at no one in particular. The result is the inefficient use of scarce resources, lowered visitation levels, lowered satisfaction levels, and the suboptimal performance of the asset on almost all levels.“ (McKercher/Du Cros 2002, S. 205)
Hinzu kommt, dass sich Kulturschaffende und Kulturpolitiker im Wettbewerb der Regionen und Destinationen (Föhl 2009b) nicht selten zu sehr auf eine positive Außenwahrnehmung mittels (kultur-)touristischer Angebote konzentrieren und darüber die drängenden Fragen einer Bürger orientierten Kulturentwicklung aus den Augen verlieren. Eine Entwicklung, die bei einer überwiegend durch kommunale und Landesmittel finanzierten Kultur zumindest kritische Fragen aufwirft. D. h., neben der Frage, ob das eigene Haus bzw. Angebot überhaupt hinreichende touristische Relevanz aufweist, stellt sich vor allem für die öffentlich getragenen oder substanziell geförderten Kultureinrichtungen die Frage, welchen Beitrag eine kulturtouristische Ausrichtung zur Realisierung des eigenen kulturellen Vermittlungsauftrages leisten kann. Demzufolge ist es geboten, nicht nur von Fall zu Fall genauer hinzuschauen, ob der touristische Markt attraktiv ist und wenn ja, mit wem zusammengearbeitet werden muss, sondern es gilt zudem, ein annehmbares Gleichgewicht zwischen lokaler/regionaler und überregionaler Orientierung herzustellen (Föhl 2010a). Vor der Entwicklung und Umsetzung eines Kulturtourismuskonzepts bedarf es folglich einer möglichst detaillierten und objektiven Potenzialanalyse, die in Folge die wesentliche Entscheidungsgrundlage für den Fortgang des Projekts bildet. Die Frage nach dem kulturtouristischen Potenzial stellt sich dabei in
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zweierlei Hinsicht, nämlich sowohl in Bezug auf die Attraktivität des Kulturangebots als auch im Hinblick auf die touristische Infrastruktur. Besucherstatistiken, die (Kultur-)Touristen explizit als Besuchergruppe ausweisen, zeigen, dass Kultureinrichtungen, -projekte und -events in der Intensität ihrer Attraktivität deutlich voneinander abweichen können. So geht z. B. aus einer Gästebefragung in den Jahren 2004 bis 2007 in Wien eindeutig hervor, dass Theater und Konzerte deutlich seltener von Kulturtouristen besucht werden als beispielsweise Museen oder historische Stätten (Wien-Tourismus 2007). Die so genannte Kulmon-Besucherstudie, die seit 2009 und noch bis 2011 ausgewählte tourismusrelevante Kultureinrichtungen in Berlin untersucht, kommt im Rahmen erster Zwischenergebnisse zu der Erkenntnis, dass 30,26 % der Besucher der Einrichtungen der Stiftung Oper in Berlin und des Friedrichstadtpalastes aus Deutschland und 8,20 % aus dem Ausland kommen. Das heißt, ein gutes Drittel der Berliner Opernbesucher und des Friedrichstadtpalastes sind Kulturtouristen, ein beachtlicher Anteil, wenngleich die großen Berliner Museen (unter anderem Gemäldegalerie und Jüdisches Museum) 72,35 % Besucher zählen, die nicht aus Berlin stammen (Berlin Tourismus/Senatskanzlei 2009). Aber auch abweichende Besucherzahlen von Museen und historischen Stätten lassen Rückschlusse auf Gefälle in der touristischen Attraktivität ziehen. So zählte das Museum der Moderne in Salzburg 2008 nach aktuellen Angaben des touristischen MarketingInformationssystems TourMIS 81.000 Besuche während das Mozart Geburtsund Wohnhaus 490.000 verzeichnete. An der Spitze der touristischen Attraktionen lag die Festung Hohensalzburg mit 930.000 Besuchen. Während sich in Großstädten tendenziell die Frage stellt, in welcher Intensität vom kulturtouristischen Reiseaufkommen profitiert werden kann, rückt mit der Zunahme ländlicher Strukturen vielmehr die bereits oben aufgeworfene Frage in den Mittelpunkt, ob überhaupt Kulturtourismus induziert werden kann (Pröbstle 2008). Das UNESCO-Weltkulturerbe Kloster Maulbronn oder das niederösterreichische Schloss Hof im Marchfeld stellen z. B. Ausnahmen dar. Die Mehrheit der kulturellen Angebote im ländlichen Raum ist in ihrer Attraktivität auf eine lokale bis regionale Reichweite begrenzt. Ein Ansinnen über eine kulturtouristische Entwicklungsstrategie kann in diesem Kontext nur dann als sinnvoll erachtet werden, wenn eine Kombination mit anderen touristischen Angeboten möglich ist. Eine solche Anbindung ist beispielsweise im Lieblichen Taubertal, einer ländlich geprägten Destination in den Regionen Franken und Heilbronn-Franken, durch den Wander-, Rad- und Weintourismus gegeben. Von diesem Tourismusaufkommen profitiert heute auch das Kloster Bronnbach, das sich nach grundlegender Sanierung nun zu einem kulturtouristischen Ausflugsziel für die Reisenden in der Destination entwickelt. Ausschlaggebend für diese Entwicklung aber ist darüber hinaus eine schrittweise Anpassung an (kultur-)touristische
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Rahmenbedingungen innerhalb des Kulturbetriebs. Neben guter Erreichbarkeit durch Rad- und Wanderwege sowie vorhandener Parkmöglichkeiten werden von März bis November täglich Führungen angeboten. Unverwechselbares Merkmal des Klosters ist u. a. die hauseigene Vinothek, die Besuchern zur Weinprobe und -kauf zugänglich ist. Darüber hinaus wurde in der Orangerie ein Gastronomiebetrieb angesiedelt und Übernachtungsmöglichkeiten eingerichtet. In seiner Außendarstellung und Erscheinung fügt sich das Kloster harmonisch in das Profil der Destination Liebliches Taubertal ein. Wie ausschlaggebend die Gewährleistung der erwähnten (kultur-)touristischen Rahmenbedingungen ist, zeigen zahlreiche Sehenswürdigkeiten im ländlichen Raum, die aufgrund erheblich eingeschränkter Öffnungszeiten oder nicht vorhandener Informationsmaterialien für Kulturtouristen kaum zugänglich sind. Am Beispiel Kloster Bronnbach erweist sich darüber hinaus eine bestehende und funktionierende touristische Infrastruktur und diverse Kooperationsbeziehungen (Wagner 2009) als wesentlicher Schlüssel zum Erfolg. Aus (kultur-)touristischer Perspektive ist ein singuläres kulturelles Angebot ohne Anbindung an z. B. Gastronomie und Beherbergung kaum entwicklungsfähig. Wie soll es beispielsweise gelingen, ein Festival ohne vorhandene und den Ansprüchen der Zielgruppe entsprechenden Übernachtungsmöglichkeiten überregional zu positionieren? Das Gesamtbündel Tourismus bedarf einer ganzheitlichen Betrachtung der Bedürfnisse und Motive der Reisenden. Ein Blick auf die Zielgruppen im Kulturtourismus bestätigt diesen Anspruch an die Akteure im Kulturtourismus: 2005 legte die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V. (F.U.R) eine Studie zu den Urlaubsmotiven der Deutschen vor. Die Befragten sollten insgesamt 29 Reisemotive auf einer Skala von 1 bis 5 nach der persönlichen Wichtigkeit einstufen (F.U.R 2005a, S. 9). Das Motiv „Etwas für Kultur und Bildung tun“ wurde von 14 % der Befragten als „besonders wichtig“ bewertet. 78 % der Reisenden hingegen stuften das Reisemotiv auf der Skala zwischen den Werten 2 und 4 ein: „besonders wichtig“
„völlig unwichtig“
1
2
3
4
5
14 %
30 %
31 %
17 %
9%
Kulturtouristen
Auch-Kulturtouristen
NichtKulturtouristen
Abbildung 2: Wichtigkeit des Reisemotivs „Etwas für Kultur und Bildung tun“ (eigene Darstellung in Anlehnung an F.U.R 2005a, S. 12)
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Für das Segment der „Kulturtouristen“ stellt „Etwas für Kultur und Bildung tun“ den primären Reiseanlass dar. Das deutlich größere Segment der „AuchKulturtouristen“ verreist hingegen primär aus nicht-kulturellen Gründen, nimmt aber, am Reiseziel angekommen, durchaus das kulturelle Angebot vor Ort in Anspruch. Es ist also nicht ungewöhnlich, wenn sich beispielsweise der Naturund Sporturlauber bei näherer Betrachtung darüber hinaus als Auch-Kulturtourist entpuppt (vertiefend Pröbstle 2010). Eine kulturtouristische Potenzialanalyse kann folglich nicht nur das kulturelle Angebot zum Gegenstand haben, sondern muss die touristische Infrastruktur sowie notwendige Kooperationsbeziehungen in ihrer Gesamtheit in den Blick nehmen. Ob die komplexen Motivbündel der Touristen befriedigt werden können, entscheidet im Wesentlichen über den Erfolg im Segment Kulturtourismus.
3
Ziele und Chancen der Zusammenarbeit
Der Kooperationsbegriff ist von einer Vielfalt existierender Definitionen und Interpretationen geprägt: das Bündnis, die Strategische Allianz, die Arbeitsgemeinschaft oder das Netzwerk sind nur einige Umschreibungen, die für den Oberbegriff Kooperation stehen, in ihrer jeweiligen Form jedoch teilweise voneinander abgrenzbar sind. Kooperationen sind generell von folgenden Merkmalen gekennzeichnet (Föhl 2008, S. 2 f.):
Es handelt sich um eine Zusammenarbeit zwischen zwei oder mehreren Partnern, die zumeist vertraglich fixiert ist. Entgegen einer Fusion bleiben die Partner jedoch rechtlich selbständig. Im Mittelpunkt der Zusammenarbeit steht der Austausch bzw. das Einbringen von Ressourcen, Wissen und Fähigkeiten zwischen den Partnern. Die Einrichtungen weisen dieselben bzw. miteinander kompatible Ziele vor, die zur Zusammenarbeit veranlassen. Gemeinsames Ziel ist es, die wirtschaftliche, künstlerische oder eben touristische Position eines jeden Partners zu verbessern bzw. zu erhalten. Im Vergleich zu einer individuellen Vorgehensweise bestehen bei Kooperationen größere Chancen auf eine Zielerreichung (dies wird zumindest zu Beginn der Kooperation angenommen). Dafür sind die Partner bereit, sich in ihrer Autonomie einzuschränken, denn je nach Inhalt und Intensität der Kooperation geben die Partner schließlich z. B. ihre politische, und/oder künstlerische, und/oder wirtschaftliche Unabhängigkeit partiell – zugunsten eines kooperativen Handelns – auf. Kooperationen sind folglich Ausdruck eines freiwilligen Handelns.
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Im Hinblick auf Kooperationen im Kulturtourismus bedarf diese Aufzählung einer weiteren Spezifizierung: Im einleitenden Kapitel wurde dafür plädiert, Kooperationen stärker als Wesensmerkmal des (Kultur-)Tourismus zu begreifen. Gemeinsames Ziel aller touristischen Leistungsträger ist eine erfolgreiche Positionierung des im Verbund erstellten Produkts auf dem Tourismusmarkt. Durch Zusammenarbeit der verschiedenen touristischen Akteure werden nicht nur die Chancen verbessert, dieses Ziel in der Realität zu erreichen, sondern vielmehr die Voraussetzung für eine solche Zielerreichung überhaupt erst geschaffen. Denn ein singuläres (kulturelles) Angebot induziert in der Regel noch keinen Tourismus. Kulturtourismus muss von allen beteiligten Akteuren von Beginn an als kooperatives Leistungsbündel gedacht werden, ansonsten wird aus einem freiwilligen schnell ein notgedrungenes Handeln, das jeglicher Grundlage einer erfolgreichen Zusammenarbeit entbehrt. Eine Spezifikation möglicher Partner und Ressourcen sowie der Intensitäten der Zusammenarbeit werden im nachfolgenden Kapitel ausführlich erfolgen. Zunächst wird ein Überblick ausgewählter Chancen formuliert, die aus Kooperationen im Kulturtourismus resultieren können.
3.1 Kräfte bündeln Zentrales Moment von Kooperationen stellt der Austausch von Ressourcen dar. In der Regel entsprechen diese Ressourcen den Kernkompetenzen der einzelnen Kooperationspartner. Indem jeder Partner möglichst das einbringt, was er am besten zu bewerkstelligen vermag und dem gemeinsamen Ziel von Nutzen ist, wird die Grundlage für eine optimale Ressourcenallokation geschaffen. Demzufolge wird die Partnerwahl bestimmt durch Ressourcen, die man gerne austauschen möchte und sich ggf. gut ergänzen lassen. Hierzu zählen sowohl materielle Ressourcen, wie z. B. Gebäude, Geräte oder finanzielle Mittel sowie immaterielle Ressourcen, wie z. B. Know-how, Reputation, künstlerische Fähigkeiten und Netzwerkzugänge. Im Kulturtourismus sind diese Ressourcen vorwiegend als touristische Dienstleistungen zu begreifen, die von unterschiedlichen Leistungsträgern erbracht und gebündelt das vom Reisenden nachgefragte Produkt ergeben. Das nachfolgende Beispiel soll dies verdeutlichen: 2009 waren bei den Bregenzer Festspielen insgesamt 260.000 Besucher zu Gast. Diese beachtliche Publikumszahl, die mit einer Auslastung von 98 % zugleich die bislang höchste darstellt, verdankt sich u. a. der Kooperation mit diversen Reiseveranstaltern, die für den Vertrieb von insgesamt 40 % der verkauften Tickets verantwortlich waren. Logistisch wäre dieses Event schließlich nicht ohne die Zusammenarbeit
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mit dem örtlichen Beherbergungs- und Gastronomiegewerbe sowie der Unterstützung vieler anderer touristischer Leistungsträger, die für das Wohlergehen der Tages- und Übernachtungsgäste mitverantwortlich waren und in die Paketgestaltung der Reiseveranstalter integriert waren, möglich gewesen (o. A. 2009, S. 87). An diesem Beispiel lassen sich Ressentiments entkräften, die aus der Angst der einzelnen Akteure davor geboren werden, in seinen jeweiligen Kompetenzen beschnitten zu werden. Im Gegenteil, so obliegt z. B. die künstlerische Leistung ausschließlich den Kulturakteuren, die eine entsprechende künstlerische Kompetenz aufweisen. Die Zusammenarbeit mit touristischen Akteuren und die Aufgeschlossenheit gegenüber deren Wissen und Know-how ist dann gefordert, wenn es um die Entwicklung und die Positionierung eines kulturtouristischen Produkts geht. Vor diesem Hintergrund ist ein häufig anzutreffendes Negativbeispiel anzuführen, das durch Kooperationen aufgelöst werden kann. In vielen Reiseregionen existieren eine Vielzahl von Werbeartikeln und Angeboten, die schwer zu überblicken und die nicht aufeinander abgestimmt sind. So konnten beispielsweise im Rahmen von Recherchen zur Erarbeitung einer Museumsentwicklungskonzeption für alle 31 öffentlichen, privaten und ehrenamtlichen Museen im südlich von Köln gelegenen Kreis Euskirchen innerhalb weniger Wochen 32 Kg Prospektmaterial (kultur-)touristisch relevanter Anbieter im Kreis Euskirchen und der Eifel zusammengetragen werden (Föhl/Neisener 2008). Ein unüberschaubares „Dickicht“ an Informationen verstellte in Folge nicht selten den Blick auf die zahlreichen Attraktionen dieser Natur- und Kulturregion.
3.2 Mehrwert schaffen Kooperationen im Kulturtourismus helfen jedoch nicht nur Kräfte zu bündeln, sondern werden darüber hinaus eingegangen, um einen Mehrwert zu erzielen. Im Verbund kann aus einem einzelnen touristischen Baustein ein Produkt werden, das weit mehr Attraktivität ausstrahlt als ein singuläres Angebot. Der Kreis der Zielgruppen kann sich so schließlich erweitern. Aufgrund der bereits konstatierten komplexen Motivstrukturen der Reisenden wird die Reiseentscheidung überwiegend zu Gunsten eines solchen multioptionalen Verbundsproduktes ausfallen. Darüber hinaus kann eine komplexe Angebotsstruktur positive Auswirkungen auf die Aufenthaltsdauer haben und in Folge zur Erhöhung der touristischen Wertschöpfung beitragen. Diverse Erhebungen haben bereits deutlich werden lassen, dass Reisende, am Ziel angekommen, in der Regel mehr Aktivitäten nachgehen als es ihr Hauptreisemotiv jeweils vermuten lässt (z. B. F.U.R 2005b; ISOE 2005). Eine Befragung in der Kunsthalle Würth hat so
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beispielsweise ergeben, dass nur 24,2 % der Besucher ausschließlich das Museum besuchen, 75,8 % hingegen weitere Angebote in Schwäbisch Hall wahrnehmen, wie z. B. den Besuch des Hällisch-Fränkischen Museums (10,2 %) oder einen Stadtbummel machen (52 %) (Klein et al. 2002, S. 38). Deshalb ist es als sinnvoll zu erachten, bereits in der Analysephase einer KulturtourismusKonzeption das Interesse an zusätzlichen Angeboten mit einzubeziehen. So geschehen ist es beispielsweise in einer kulturtouristischen Studie über das Gartenreich Dessau-Wörlitz. Nach ihrem Interesse an anderen Sehenswürdigkeiten gefragt, antworten 80,2 % der Besucher, dass sie sich für einen Besuch der Lutherstadt Wittenberg interessieren, gefolgt vom Bauhaus Dessau (64,7 %), dem Biosphärenreservat Flusslandschaft Mittlere Elbe (61,8 %) und der Industrielandschaft in der Region (36,4 %) (NORD/LB, Regionalwirtschaft 2002, S. 31). In der strategischen und operativen Umsetzung wäre eine Kooperation mit den genannten Einrichtungen eine plausible Konsequenz. Mehrwert können Kooperationen im Kulturtourismus aber auch dadurch schaffen, indem sie Perspektiven für Profilierungsstrategien eröffnen, z. B. mit Hilfe eines übergeordneten Themas, das kulturtouristische Akteure miteinander verbindet. Da im Rahmen einer solchen Thematisierungsstrategie einzelne touristische Leistungen nicht bloß aneinander gereiht werden können, sondern sinnvoll thematisch miteinander verknüpft werden müssen, sind die beteiligten Akteure herausgefordert, eine quantitative Fülle von Angeboten auf ein thematisch qualitatives Produkt zu reduzieren. Der Prozess der Produktentwicklung mag hier mühsam sein, im Ergebnis aber entsteht ein transparentes Produkt, das im Wettbewerbermarkt sichtbar positioniert und abgegrenzt werden kann. Aktuelle Beispiele sind das jüngst ausgerufene Wikingerjahr 2010 am Ostseefjord Schlei oder das 2009 begründete Projekt „Fahrtziel Kultur – Reisen ins deutsche Mittelalter“ der Städte Aachen, Bamberg, Braunschweig, EisenachWartburg, Görlitz, Magdeburg, Mannheim, Nürnberg, Quedlinburg und Regensburg. Insbesondere Einrichtungen und Veranstaltungen, die singulär nur bedingt über kulturtouristische Attraktivität verfügen, wie es etwa häufig im ländlichen Raum der Fall ist (Proebstle 2008), können im thematischen Verbund einen kulturtouristischen Mehrwert erlangen. Ein gelungenes Beispiel stellt das Verbundprojekt „Klösterreich“ dar, das 22 Klöster, Stifte und Orden überwiegend in Österreich vernetzt. Im Rahmen dieser thematischen MarketingKooperation erhalten bislang weniger bekannte Klöster, Stifte und Orden die Möglichkeit, sich im Lichte beliebter Sehenswürdigkeiten wie Stift Melk einem kulturtouristischen Publikum zu präsentieren. Von solch einem „Huckepackverfahren“ (Pieke 2010, S. 191) profitierte auch das Ägyptische Museum der Universität Bonn, das 2004/2005 in Kooperation mit den großen Ausstellungen
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„Tutanchamun“ und „Ägyptens versunkene Schätze“ in der Bundeskunsthalle eine Sonderausstellung über Howard Carter zeigte. Schließlich resultiert ein Mehrwert für die beteiligten Akteure aus der Tatsache, dass Kooperationen (unproduktive) Konkurrenz eindämmen helfen können, z. B. indem Absprachen über Öffnungszeiten getroffen oder Kombitickets angeboten werden. Auch im Hinblick auf finanzielle Fördermittel lassen sich im Verbund oftmals größere Erfolge erzielen als im Alleingang, wie aktuell das Kulturnetzwerk Ostfriesland oder die Straße der Römer in Rheinland-Pfalz beweisen; beides Kooperationsprojekte, die u. a. aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums gefördert werden.
3.3 Frischen Wind entfachen Die bisher aufgeführten Chancen wurden explizit in einem kulturtouristischen Kontext verortet. Perspektiven, die sich aus der Zusammenarbeit von Kultur und Tourismus ergeben, lassen sich jedoch darüber hinaus von einem stärker kulturmanagerialen und kulturpolitischen Fokus aus betrachten. Der umfangreiche Katalog an Herausforderungen, dem sich der Kulturbetrieb gegenwärtig gegenübersieht und der bereits vielfach an anderer Stelle aufgeschlagen und analysiert wurde (z. B. Klein 2007), zwingt die verantwortlichen Akteure zu einem Umdenken, weg von einer starren und strukturkonservativen Organisation hin zu einem lernenden Kulturbetrieb. Veränderung wird in der lernenden Kulturorganisation als Normalfall angenommen, steter Wandel gilt als selbstverständlicher Prozess (vertiefend Klein 2009). Ein Blick in die Realität genügt jedoch um festzustellen, dass dieses Umdenken in vielen Kulturbetrieben, die überwiegend noch in ihrer traditionellen bürokratischen Grundstruktur verharren, schwer anzustoßen und umzusetzen ist. Hier kann die Zusammenarbeit mit touristischen Leistungsträgern einen entscheidenden Impuls geben. Die Konfrontation mit ungewohnten Zielsetzungen, Organisations- und Handlungslogiken kann die eigene Innenorientierung und Betriebsblindheit aufbrechen helfen. Dies gilt für alle beteiligten Akteure gleichermaßen, so können also z. B. auch Touristiker von der Begegnung mit künstlerischen Denkweisen und Abläufen lernen. Die Kooperation ist folglich als gegenseitiger Lernprozess zu verstehen, in dem im Idealfall kontinuierlich neues Wissen generiert wird, das in die Systeme Kultur und Tourismus einfließen und langfristig Qualität sichern kann. Die Grundlage für eine solche Entwicklung wurde beispielsweise auch im Rahmen von Culture Tour Austria gelegt, einem strategischen Schwerpunktprogramm für den Kulturtourismus in Österreich. Im Austausch miteinander wurde neben einem Kooperationskodex, der Bedin-
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gungen und Ziele der Zusammenarbeit beinhaltet, Qualitätsstandards für den österreichischen Kulturtourismus definiert und in ihrer Wichtigkeit von den Akteuren aus Kultur und Tourismus bewertet.
3.4 Zukunft sichern helfen Frischen Wind in den Kulturbetrieben zu entfachen geht einher mit der kulturpolitischen Prämisse Zukunft sichern zu wollen. Diesem Ziel steht seit nunmehr einigen Jahren eine „zunehmende Marginalisierung der Kulturpolitik“ (Klein 2007, S. 25) in Politik und Gesellschaft entgegen. Kultureinrichtungen stehen vor der Herausforderung, diese Defensive zu überwinden und ihre Daseinsberechtigung zu stärken. Da die schützende Wand der öffentlichen Hand bereits bröckelt, bedarf es neuer Partner mit Hilfe derer es gelingen kann, Kultur wieder stärker in der Gesellschaft zu verankern (Klein 2007, S. 249 ff.). Kulturtourismus kann in diesem Prozess eine wichtige Rolle spielen, da es sich um ein Schnittstellenthema handelt, das zur Umsetzung einer Vielzahl an Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bedarf und folglich die Aufmerksamkeit vieler auf die kulturelle Infrastruktur im betreffenden Raum gerichtet sein wird (siehe hierzu auch für den Begriff der Governance Föhl 2009b, S. 15 ff.). So wenig Kulturtourismus ohne Kooperationen auskommen kann, so sehr ist er an die Existenz eines attraktiven kulturellen Angebots gebunden. Destinationen, die auf das Zugpferd Kulturtourismus setzen, kommen also nicht umher, die Kultur vor Ort entsprechend zu fördern. Welchen Stellenwert Kulturtourismus gegenwärtig in der politischen Diskussion einnimmt, sieht man an dem neuesten Antrag der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP „Kulturtourismus in Deutschland stärken“ (Deutscher Bundestag 2010) ebenso wie auf Länder- und kommunaler Ebene, wo in zahlreichen (Kultur-)Entwicklungsplänen das Themenfeld Kulturtourismus relevanter Bestandteil ist (exemplarisch Föhl/Neisener 2008; Neisener/Föhl 2009; Föhl 2010b, Köstering 2009, Landtag Brandenburg 2009).
3.5 Zwischenfazit Kräfte bündeln, Mehrwert schaffen, frischen Wind entfachen und Zukunft sichern helfen sind Chancen, die in der Zusammenarbeit im Kulturtourismus liegen, aber sich nicht nur auf das Handlungsfeld Kulturtourismus erstrecken. Insbesondere die beiden letztgenannten Perspektiven haben deutlich werden lassen, dass Kulturtourismus für die strategische Ausrichtung eines Kultur-
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betriebs durchaus von Nutzen sein kann und folglich mehr Potenzial bereithält als „nur“ eine Marketingmaßnahme zu sein. Im Folgenden werden Konstellationen kulturtouristischer Kooperationen in den Fokus rücken und der Versuch einer Systematisierung unternommen.
4
Wer mit wem?: Formen und Praxisbeispiele
4.1 Kooperationen als intermediäre Form zwischen Markt und Hierarchie Die bisherigen Ausführungen veranschaulichen die (mögliche) Akteurs- und Konstellationsvielfalt von Kooperationsbeziehungen im (Kultur-)Tourismus. Als „Einzelkämpfer“, so viel steht fest, kann ein Bestehen auf dem touristischen Markt kaum gesichert werden. Kooperationen im (Kultur-)Tourismus stellen sich je nach Ziel, Inhalt und Intensität unterschiedlich dar. Dazu zählen u. a. ad-hoc geprägte Zusammenarbeiten (z. B. punktuelle Absprachen), formalisierte Kooperationen in Einzelfragen (z. B. Arbeitsgemeinschaft) und strategische Planungen (z. B. gemeinsame, regionale Tourismusentwicklung) bis hin zu gemeinsamen Serviceeinheiten im Vertrieb oder der Produktion (kooperative Ressourcenkoppelung/steuerung). Für die Systematisierung der Zusammenarbeit nach unterschiedlichen Intensitätsgraden bietet sich folgende Unterteilung an:
Abbildung 3: Zunahme der Bindungsintensität von Formen der Zusammenarbeit (Abb. nach Föhl/Huber 2004, S. 55)
An diesen Systematisierungsansatz anknüpfend, hat sich die Klassifizierung von Kooperationen hinsichtlich Verflechtungsintensität und Institutionalisierungsgrad als intermediäre Organisationsform zwischen Markt und Hierarchie durchgesetzt. Der Netzwerkforscher Sydow legt hierfür folgendes Schema vor, das sich auch auf den kulturtouristischen Bereich anwenden lässt:
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Abbildung 4: Organisationsformen ökonomischer Aktivitäten von Kulturbetrieben im kulturtouristischen Feld (eigene Abb. in Anlehnung an Sydow 1992, S. 104)
Kooperationen nehmen eine hybride Position zwischen rein hierarchischen und rein marktlichen Organisationsformen ein (Sydow 1992, S. 103). Der Markt stellt hierbei eine Organisationsform ökonomischer Aktivitäten dar, in der Marktteilnehmer Leistungen austauschen, wie z. B. der Einkauf einer touristischen Dienstleistung. Die Koordination erfolgt hier primär über den Preis und ggf. die Qualität. Austauschbeziehungen sind daher eher lose und zumeist von einem direkten Wettbewerb mit anderen Anbietern geprägt. Im Gegensatz dazu funktionieren Hierarchien in Einrichtungen nach dem Prinzip der Weisung als internes Koordinationsinstrument und sind auf Dauer angelegt. Sie haben das Ziel, das gewünschte Produkt in Eigenleistung herzustellen (z. B. eigenständiger Auftritt im touristischen Markt). Kooperationen nehmen zwischen diesen Polen eine intermediäre Stellung ein und enthalten marktliche als auch hierarchische Elemente (Liebhardt 2002, S. 27). D. h., es handelt sich nicht um „reine“ bzw. „neue“ Formen der Organisation, sondern um intermediäre Mischformen der genannten Elemente (Sydow 1992, S. 102). Je nach Bindungsintensität sind diese Elemente jeweils stärker bzw. schwächer vertreten. Zur weiteren Ausdifferenzierung von Kooperationsaktivitäten im kulturtouristischen Bereich bietet sich folgende Systematisierung an (Föhl 2008, S. 5):
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Horizontale Kooperationen: Zusammenarbeit zwischen zwei oder mehreren Partnern, die ein gleiches oder ähnliches Produkt anbieten (z. B. Museumsregion mit entsprechender Reiseroute). Vertikale Kooperationen: Allianz von Akteuren, die auf einer vor- und/oder nachgelagerten Wertschöpfungskette liegen (z. B. Kooperation von Bahn, Theater, Gastronomie und Hotellerie). Laterale Kooperationen: Die Produkte der Partner weisen keinen bzw. nur einen sehr geringen direkten Bezug zueinander auf. Die Bezüge werden erst durch die Kooperation definiert (z. B. Dachmarketingnetzwerk aller Kulturund Freizeitakteure einer Region). Vor allem in groß angelegten Allianzen sind Vermischungen der beschriebenen Kooperationsebenen zu erwarten.
4.2 Horizontale Kooperationen im Kulturtourismus Horizontale Verbindungen zwischen zwei oder mehr Partnern, die ein gleiches – z. B. zwei Opernhäuser – oder ähnliches Produkt anbieten – wie z. B. ein Stadtund Landestheater –, können verschiedene Potenziale fokussieren. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass zwischen den Partnern meistenteils viele Ähnlichkeiten hinsichtlich ihrer Strukturen, Zielstellungen und Fokusgruppen vorliegen werden. Hierdurch sind zahlreiche Synergiepotenziale vorhanden. Gleichfalls besteht zwischen den Akteuren eine direkte Konkurrenzsituation, da sie ein gleiches oder ähnliches Produkt für ggf. dieselben (potenziellen) Besucher anbieten. D. h., eine Kooperation kann nur funktionieren, wenn der gemeinsame Mehrwert und der individuelle Nutzen nachvollziehbar sind sowie Parität für alle Partner hinsichtlich der Kooperationskosten und des Kooperationsnutzens vorliegt. Horizontale Kooperationen von Kulturbetrieben können viele Gestalten annehmen. Hierzu zählen im kulturtouristischen Bereich u. a.:
Kooperative Produktentwicklung und kooperatives Marketing wie die Kooperation „CROSSART“, eine Allianz von Museen mit dem Sammlungsschwerpunkt Moderne Kunst in der Region Niederrhein/Niederlande (Dachmarke, Messestand ITB, gemeinsame Website, Informationsmaterialien, Kombi-Angebote u. a.; vertiefend Schild 2010a), das kooperative Ausstellungsprojekt „Konstantin der Grosse“ (ausführlich Schild 2010b) oder aktuell „Miss Preussen. Drei Ausstellungen für die Königin“ der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Gebündeltes Vorgehen durch eine Makro-Marketingstrategie wie im Museumsquartier Wien (gemeinsame Website, Informationsmaterialien,
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Patrick S. Föhl / Yvonne Pröbstle Besucherzentrum mit Info- und Ticketservice sowie Shop) oder in anderen Kreativquartieren (z. B. Design District in Helsinki, Distillery District in Toronto); sowie den UNESCO-Welterbestätten in Deutschland. Einzelne Marketingmaßnahmen wie z. B. Museumscards, gemeinsame Informationsbroschüren (z. B. Museen, Stadtrundfahrten und Führungen), gering formalisierte/ausgestattete Kulturrouten, wie die Straße der Romantik, die Baudenkmäler verbindet, oder kooperative Veranstaltungskalender. Koordination und Abstimmung von Terminen und Angeboten, um Überschneidungen zu vermeiden oder bspw. Öffnungszeiten aufeinander abzustimmen.
Diese Beispiele verdeutlichen, dass zahlreiche Kooperationen, die auf einer horizontalen Ausrichtung aufbauen, weitere Kooperationsebenen beinhalten. So ist „CROSSART“ zwar primär ein kulturtouristischer, horizontaler Zusammenschluss (als Kernprodukt), der aber bei der Vermarktung und Einbettung weiterer Angebote (z. B. Übernachtung und Transport) auch vertikale Kooperationselemente beinhaltet. Weitere horizontale Kooperationen im kulturtouristischen Bereich können z. B. Reisegebiets- und themenbezogene Arbeitsgemeinschaften zwischen Kommunen darstellen (exemplarisch Neisener/Föhl 2009) oder der gemeinsame Betrieb eines regionalen Tourismusverbandes und die Etablierung eines gemeinsamen Kultur-/Reiselabels durch mehrere Kommunen.
4.3 Vertikale Kooperationen im Kulturtourismus Die vertikale Vernetzung stellt die zentrale Verknüpfungsebene im Kulturtourismus dar. Einerseits können hier dem Kulturangebot als „Hauptprodukt“ vor- und nachgelagerte Wertschöpfungsbereiche (z. B. Bahn und Hotel) zu einem Paket bzw. einer Vermarktungskette formiert werden, um gemeinsame Angebote zu erstellen, Marketingbudgets kooperativ einzusetzen und touristische Vermarkter für diese Produktangebote gewinnen zu können. Dabei baut sich das Angebot um das Kulturangebot auf und dieses muss dementsprechend über eine große Strahlkraft verfügen. Gleichfalls können z. B. zwei gleichwertige Kernprodukte, wie z. B. eine Radroute mit einer Museumscard verknüpft und um weitere vor- sowie nachgelagerte Angebote ergänzt werden. Im Folgenden finden sich hierfür und für weitere vertikale Kooperationskonstellationen ausgewählte Beispiele. Zu den klassischen Kooperationen zwischen Kulturbetrieben und Transportunternehmen zählen z. B. die gemeinsame Produktentwicklung und ein
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entsprechendes Marketing wie im Rahmen des DB Kultur-Tickets (z. B. Fahr-/ Kombi-Angebote zur Botticelli-Ausstellung im Städel Museum in Frankfurt/ Main), die Verwertungskette Busunternehmen, Gastronomie und kulturelle Abendveranstaltung an einem historischen Ort (wie die Konzerte im Dom von Brandenburg/Havel) oder einzelne Marketingmaßnahmen. Gängiges Beispiel sind Eintrittskarten, die auch als Ticket für den ÖPNV gelten. Die Verbindung von Kulturbetrieben sowie Beherbergungs- und Gastronomiebetrieben bezieht sich ebenfalls überwiegend auf eine kooperative Produktentwicklung und ein gemeinsames Marketing. Die Sightsleeping Hotels in Bayern bieten beispielsweise von Designern eingerichtete Hotels u. a. in Schlössern und Burgen an. Die Bereitstellung von Bettenkontingenten, z. B. im Rahmen von Festivals, ist ebenfalls eine klassische vertikale Kooperationsform. Darüber hinaus sind einzelne Marketingmaßnahmen anzuführen, wie der Verkauf von Eintrittskarten in Hotels oder Gastronomiebetrieben, die mündliche Weiterempfehlung von Kulturangeboten (und vice versa) und die Auslage von Informationsmaterialien (Flyer, Plakate u. a.). Kulturbetriebe und lokale/regionales Gewerbe finden im kulturtouristischen Bereich überwiegend durch einzelne Marketingmaßnahmen zusammen. Hierzu zählen Destination-Cards wie die Ruhr.TopCards oder die WienCard, die neben einem Ticket für den ÖPNV Eintritte oder vergünstige Eintritte in Kulturbetriebe sowie weitere Rabatte für das lokale Gewerbe beinhalten. Kulturbetriebe und Reiseveranstalter sowie Reisemittler verbinden kooperative Ziele in der Produktentwicklung und im Marketing. Exemplarisch sind die Aktivitäten von Studiosus zu nennen, die in ihrer Kulturreihe „Kultimer“ spezifische Produkte platzieren und touristisch vermarkten. Ein Beispiel ist das letztjährige Angebot der Stiftung Schloss Neuhardenberg, die um ein Konzert von Gidon Kremer mit seinem Orchester Kremerata Baltica in der örtlichen Schinkel-Kirche, gemeinsam mit Studiosus ein Produkt aufgebaut hat, um Interessierte für vier Nächte in den Ort und das betriebseigene Hotel zu locken. Hierzu zählte neben dem Transfer, hochwertiger Verpflegung und Übernachtungen der Besuch verschiedener Attraktionen in Märkisch Oderland, wie dem Schiffshebewerk in Niederfinow und einer Wanderung auf Fontanes Spuren. Das Highlight bildete dann am letzten Abend das Konzert. Touristeninformationen übernehmen für Kulturbetriebe in erster Linie eine Servicefunktion. Sie bieten spezifische Beratung an und lenken somit interessierte Besucher in die Kultureinrichtungen einer Stadt oder Region, sie legen Informationsmaterialien aus und offerieren nicht selten Tickets für Kultureinrichtungen und -veranstaltungen. Der Kulturbetrieb und die Tourismusorganisationen sind in vielerlei Hinsicht kooperativ verbunden. Zunächst ist anzumerken, dass sehr unterschiedliche
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Formen von Tourismusorganisationen (häufig Verbände) existieren, die sich z. B. auf eine Region konzentrieren oder thematisch ausrichten, wie das oben beschriebene „Fahrtziel Kultur“ (Reisen ins deutsche Mittelalter). Sie sind häufig für eine gemeinsame Entwicklungsstrategie als „Vernetzer“ (z. B. Culture Tour Austria, Kulturtourismus Sachsen) und/oder eine gemeinsame Produktentwicklung zuständig (z. B. LutherTour, Haydn-Jahr Burgenland 2009 [jeweils Personalisierungs- und Limitierungsstrategie], Creative Austria, Musikland Sachsen-Anhalt [jeweils Thematisierungsstrategie]). Für sparten- und themenübergreifende Packages, die primär durch Tourismusorganisationen formiert werden, lassen sich die Grand Tour 2010 im Rahmen von RUHR.2010 oder das Stuttgarter Erlebnispaket zur Großen Landesausstellung „Schätze des Alten Syrien“ (in Kooperation mit der Stuttgart Marketing GmbH) anführen. Für eine Makro-Marketing-Strategie, die gemeinsam mit Kulturbetrieben durch Tourismusorganisationen gesteuert wird, ist das Musikland Sachsen exemplarisch anzuführen (Messeauftritt, Broschüren, Website u. a.). Darüber hinaus bestehen zahlreiche einzelne Marketing-Maßnahmen, wie die Aufnahme von Kultureinrichtungen in regionale Imagebroschüren oder die Auslage von Informationsmaterial bei Messen. Im Rahmen des Schiller-Jahres 2009 bewegten sich zahlreiche Besucher der Stadt Mannheim „Auf des Dichters Spuren durch die Quadrate“, ein Netz verschiedenartiger vertikaler Zusammenschlüsse. An diesem Package waren neben der Deutschen Bahn, Hotels und einer gastronomischen Einrichtung auch Museen, Stadtführer und das Nationaltheater Mannheim beteiligt. Angesichts der dargestellten Beispiele ist ferner ersichtlich, dass ausgehend von einer primär vertikalen Orientierung der Kooperationen, nicht selten die Integration lateraler und horizontaler Partner notwendig ist, um ein attraktives Produkt zu kreieren.
4.4 Laterale Kooperationen im Kulturtourismus Laterale Kooperationen bringen Akteure zusammen, die ein jeweils zu definierender Kontext verbindet. Es kann sich um ein gemeinsames Interesse, ein gemeinsames Ziel/kompatible Zielvorstellungen und/oder die Formierung eines facettenreichen kulturtouristischen Produktes handeln. Ein besonderes kulturtouristisches „Event“ stellen z. B. die Auftritte der Wiener Philharmoniker auf diversen Kreuzfahrtschiffen in den letzten Jahren dar. Eine Konstellation von Partnern, die auf den ersten Blick keinerlei Verbindungen aufweisen und für die weder eine horizontale noch eine direkte vertikale Verbindung vorliegt. Ebenfalls laterale Kooperationen stellen z. B. die ADAC Musikreisen oder die ZEITreisen
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der gleichnamigen Wochenzeitschrift dar. Solche Kooperationen können sich auch zwischen Beherbergungsbetrieben und Kultureinrichtungen ausbilden. So wandelte sich z. B. das ThermenResort Warmbad-Villach nach Bericht des Infodienstes destinet.de mit Unterstützung von Galerien und Museen kurzerhand in eine Ausstellung. Aufgrund der Offenheit in der Zusammensetzung lateraler Kooperationen, besteht eine denkbar große Bandbreite möglicher Zusammenschlüsse.
4.5 Morphologischer Kasten Abschließend findet sich im Folgenden ein morphologischer Kasten, der für die möglichst detaillierte und individuelle Beschreibung einer Kooperation herangezogen werden kann: Tabelle 1: Bestimmungskriterien für Kooperationen (Quelle: Föhl 2008, S. 8) Kooperationsrichtungen
horizontal
Vertikal
lateral
innerhalb eines Sektors (z. B. privat)
sektorenübergreifend
innerhalb eines Ressorts (z. B. Kultur)
ressortübergreifend
Hauptauslöser
Intrinsisch
extrinsisch
Anzahl der Partner
bilaterale Bindung
Größe der Partner
kleiner
Gleich
größer
Herkunft der Partner
öffentlich
Privat
3. Sektor
Kulturbereich
rechtliche Grundlage
nicht-vertraglich (z. B. Absprachen)
Zeitaspekt
einmalig
multilaterale Bindung
Gastronomie, Handel, Hotellerie, Transportwesen
touristischer Dienstleister
sonstige Querschnittsbereiche
vertraglich Sporadisch
Befristet
regelmäßig
dauerhaft
unbefristet
Kooperationsbereiche
Vordergrund (z. B. Marketing)
Hintergrund (z. B. Produktion und Einkauf)
Vorder- und Hintergrund
Perspektiven
Abstimmung/ Marketing
Produktkoppelung
gemeinsames Produkt
Finanzen
Kunde
Entwicklung
Personal
Input
Output
Outcome
Grad der Intensität
Informationsaustausch
gemeinsame Planung und Strategie
gemeinsame Steuerung/Ressourcen
Raumaspekt
lokal
Regional
national
international
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Patrick S. Föhl / Yvonne Pröbstle Stolpersteine und Erfolgsfaktoren kulturtouristischer Kooperationen
5.1 Stolpersteine von Kooperationen In den Kapiteln 1 und 2 wurden bereits ausgewählte Stolpersteine kulturtouristischer Kooperationen benannt. Diese sollen an dieser Stelle verdichtet und ergänzt werden:
Kulturtourismus ist als Erfolgsfaktor in Kultur und Tourismus gegenwärtig ein prominentes Themenfeld, allerdings existiert vielerorts nur eingeschränktes Wissen und Erfahrung im Handlungsfeld Kulturtourismus. So geschieht es auch, dass sich Kulturtourismus erst im Handeln als wenig erfolgversprechende Entwicklungsstrategie herauskristallisiert, etwa wenn nur bedingt kulturtouristisches Potenzial (Kulturangebot, touristische Infrastruktur) vorhanden ist, die Zielgruppen nicht bedient werden können und zudem keine entsprechende Vorabplanung durchgeführt worden ist. Eine nicht bzw. nur bedingt vorhandene strategische Planung im Vorfeld kann eine suboptimale Ressourcenallokation verursachen. Das Ergebnis sind hohe Transaktionskosten und ein Aufwand, der den Nutzen ggf. deutlich übersteigt. Fehlendes Wissen, mangelnde Erfahrung und eine mangelhafte Planung können darüber hinaus dazu führen, dass insgesamt der Aufwand bzw. die erforderlichen Kompetenzen und Ressourcen unterschätzt werden. Fehlendes Verständnis füreinander – bedingt durch disparate Denk- und Handlungslogiken, Ziele und Qualitätsstandards – können große Frustrationen zur Folge haben und das Verbundprojekt gefährden. Insbesondere was Planungshorizont und -flexibilität anbelangt, kann es zu Unstimmigkeiten kommen, da Touristiker einen deutlich größeren zeitlichen Vorlauf haben als Kulturakteure und darüber hinaus marktbedingt wesentlich flexibler agieren (müssen). Diese Marktorientierung kann zu dem Vorwurf führen, Kultur werde zu kommerziellen Zwecken von Tourismusakteuren vereinnahmt und missbraucht. Die Tatsache, dass in finanzieller Hinsicht vor allem das Gewerbe vom Kulturtourismus profitiert (siehe Kapitel 1) erhärtet solche Ansichten (z. B. Wöhler 2008). Der Umfang und direkter Nutzen der eingebrachten Ressourcen für einzelne Kooperationspartner lassen sich nur schwer bemessen und zuordnen. Nur allzu schnell kann sich einer der Partner daher übervorteilt fühlen. Die Wahl der Kooperationspartner gleicht einer Gratwanderung, denn einerseits kommt das Leistungsbündel Kulturtourismus ohne Partner-
Kooperationen als Wesenselement des Kulturtourismus
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schaften nicht aus, andererseits erhöhen sich mit zunehmender Zahl der Akteure und Netzwerke die Komplexität und die aufzubringen Ressourcen. Schließlich kann ein eingeschränkter Blick auf das gemeinsame Vorhaben und die verfolgten Ziele zur Folge haben, dass die notwendige Innenorientierung vernachlässigt wird, d. h. es wird nur ein geringer Aufwand in das Funktionieren der Zusammenarbeit selbst investiert.
5.2 Erfolgsfaktoren von Kooperationen im Kulturtourismus Aus den Stolpersteinen lassen sich nun die Erfolgsfaktoren von Kooperationen im Kulturtourismus ableiten und ergänzen (BMWA 1999; Föhl 2008, 2009a/b; Grabow 2006; MWFK/TMB 2005):
Der Einstieg in das Handlungsfeld Kulturtourismus muss zugleich eine bewusste und von den Akteuren freiwillig getroffene, strategische Entscheidung zur Kooperation sein. Kulturtourismus darf folglich nicht oktroyiert werden, sondern bedarf vielmehr der grundsätzlichen Bereitschaft der Akteure zur Zusammenarbeit. Daneben ist ein hohes Maß an Empathie und Lernfähigkeit der involvierten Akteure in kooperativen Systemen gefragt. Grundsätzlich sollte die Machbarkeit bei intensiveren Kooperationen hinsichtlich strategischem und organisatorischem Fit überprüft werden (vertiefend Föhl 2007). Alle Beteiligten müssen die Gründe für die Kooperation kennen, um sich mit diesen identifizieren bzw. arrangieren zu können. Es müssen klare Zielabsprachen erfolgen und Verträge vereinbart werden. Die Ziele müssen identisch bzw. zumindest miteinander vereinbar sein. Es muss eine Verständigung auf gleiche Normen und Standards in der Aufgabenerfüllung erfolgen. Abläufe müssen definiert (Zeitplan, Inhalte etc.) und Aufgaben verteilt werden, um einen effizienten Kooperationsablauf gewährleisten zu können. Dabei sind Kooperationen wie komplexe Projekte zu denken und zu koordinieren. Die Durchführung der Zusammenarbeit sollte partnerschaftlich auf gleicher Augenhöhe stattfinden, damit sie Erfolgspotenziale mobilisieren kann. Interne und externe Kommunikation sind wichtige Schlüssel zum Erfolg.
Zusammenfassend lassen sich die Erfolgsfaktoren einer Kooperation auf folgende Formel bringen (Scheytt 2005, Bl. 14):
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Patrick S. Föhl / Yvonne Pröbstle
gemeinsam Ja zur Zusammenarbeit sagen (Bereitschaft), gemeinsam eine Sprache lernen (Verständnis), gemeinsam Ziele und Interessen definieren und verfolgen (Inhalt), und gemeinsam Erfolge feiern (Ergebnis). Denn nur wenn sich tatsächlich Erfolge einstellen, können bestehende Kooperationen mit der notwendigen Motivation weitergeführt werden.
6
Resümee
In dem Wissen um die Chancen und Risiken von kulturtouristischen Allianzen, ist es insbesondere die Aufgabe eines integrativen Kulturmanagements – in Hinblick auf dessen immanente Schnittstellen- und Vermittlungskompetenz –, die Pole Kultur und Tourismus behutsam zusammenzuführen. Gleiches gilt auch für andere Kooperationskonstellationen, speziell zwischen Kultureinrichtungen, die sich gemeinsam auf den kulturtouristischen Markt begeben wollen. Hier gilt es zu vermitteln und diese bei nachgewiesener Machbarkeit professionell zu verbinden, um eine win-win Situation herzustellen. Gleichfalls ist es aber auch Aufgabe eines strategischen Kulturmanagements, unproduktive Kooperationen – bestenfalls ex ante – zu identifizieren, zu modifizieren, zu verhindern oder ggf. zu beenden. Zusammenfassend kann ein erheblicher Forschungs- und Evaluationsbedarf hinsichtlich der tatsächlichen Wirkungsweisen von Kooperationen im Kulturtourismus, der Akteurskonstellationen, der materiellen und immateriellen Austauschprozesse sowie der harten und weichen Faktoren dieser interorganisationalen Verbindungen festgestellt werden. Der vorliegende Beitrag leistet in diesem Kontext eine erste thematische Annäherung und Hilfestellung bei der Systematisierung von Kooperationen im Kulturtourismus.
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Netzwerke und Kooperationen – das kulturtouristische Potential im ländlichen Raum Netzwerke und Kooperationen
Karin Drda-Kühn / Dietmar Wiegand Karin Drda-Kühn / Dietmar Wiegand
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Einleitung
Eine Studie des Vereins Kultur und Arbeit e.V. (Bad Mergentheim) und der Technischen Universität Wien hat untersucht, unter welchen Voraussetzungen sich wirtschaftliche Effekte im Kulturtourismus für möglichst viele lokale Akteure in kleinen Städten im ländlichen Raum generieren lassen, unterscheiden sich diese doch erheblich von denen des Kulturtourismus in großen Städten. Fazit: Netzwerke als kontinuierlich lernende Systeme sind der zentrale Erfolgsfaktor. Doch gibt es derzeit nur wenige funktionierende Netzwerke, die modellhaft für den Kulturtourismus kleiner Kommunen stehen könnten. Institutionalisierte Formen der Zusammenarbeit, die mit dem klaren Ziel agieren, Akteur/innen aus Kultur und Wirtschaft zum gegenseitigen Vorteil zusammen zu bringen, und gemeinsam kulturtouristische "Produkte" zu entwickeln, sind rar. Lokale Akteur/innen über Netzwerke zu wirtschaftlichen ausgerichteten Kooperationen zu motivieren, birgt aber ein immenses wirtschaftliches Potential, das bislang seiner Erschließung harrt.
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Kulturwirtschaft und Kulturtourismus – Ausgangslage
Große deutsche Kommunen wie Berlin oder Hamburg haben sich auf den Weg gemacht, kulturwirtschaftliche Potenziale zu erschließen. Dabei spielt der Kulturtourismus eine wesentliche Rolle. Ganze Regionen wie der Kölner Raum, das Ruhrgebiet oder die Metropolregion rund um Mannheim richten ihre Stadtentwicklung auf die Kultur aus. Ihre Akteure vernetzen sich mit Einrichtungen der Wirtschaft und koordinieren ihre Aktivitäten mit europäischen Städten wie Wien, London, Amsterdam, die bereits nachhaltige Strategien und zahlreiche Projekte entwickelt haben. Mit guten Gründen: Die Kultur- und Kreativwirtschaft leistet zur gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung in Deutschland einen Beitrag in Höhe von 61 Milliarden Euro und liegt damit zwischen den „klassischen“ WirtschaftsA. Hausmann L Murzik (Hrsg.), Neue Impulse im Kulturtourismus, DOI 10.1007/978-3-531-92757-2_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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branchen der Automobilindustrie (71 Milliarden Euro) und der Chemischen Industrie (49 Milliarden Euro). Im direkten Zahlenvergleich der sozialversicherungsrechtlichen Arbeitsplätze kann sich die Kultur- und Kreativwirtschaft erst recht sehen lassen: mit 719.000 abhängig Beschäftigten liegt sie fast gleichauf mit der Automobilindustrie mit 720.000 Beschäftigten, während die Chemische Industrie und die Energiewirtschaft 448.000 bzw. 234.000 Erwerbstätige beschäftigen (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 2009, S. 4). Allein für den Städte- und Kulturtourismus erfasste eine Studie des Deutschen Tourismusverbands einen jährlichen Bruttoumsatz von 65,3 Mrd Euro in 2004, was über einem Zeitraum von rund 10 Jahren einem Plus von 122 Prozent entsprach (Deutscher Tourismusverband 2006, S. 12). Der Kulturtourismus gilt als einer der „Megatrends“ im Tourismus, als eines der wenigen Wachstumssegmente der touristischen Nachfrage überhaupt, auch wenn er ein vergleichsweise kleines Segment im Tourismus umfasst (Steinecke 2007, S. 4). Mit dem Kulturtourismus können weit mehr Zielgruppen angesprochen werden als beispielsweise mit dem Sporttourismus oder dem reinen Erholungstourismus, was ihn unabhängiger von Moden, Konjunkturzyklen und demographischen Entwicklungen macht.
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Kulturtourismus im ländlichen Raum
Die genannte Studie bezieht sich allerdings ausschließlich auf Städte über 25.000 Einwohner und setzte Städte- und Kulturtourismus größtenteils gleich. Was aus der Methodik der Studie nachvollziehbar ist, wird dem Kulturtourismus nicht wirklich gerecht und macht umso deutlicher, dass ökonomische Kennziffern für den Kulturtourismus dringlich generiert werden müssen. Eine nähere Betrachtung der Situation von kleinen Städten, vor allem im ländlichen Raum, steht noch immer aus. So viel scheint jedoch klar zu sein: Die in Großstädten erfassten Daten und entwickelten Methoden sowie Instrumente aus der Kulturwirtschaft basieren nicht nur auf langjährigen Erfahrungen, sondern auch auf evaluierten Daten aus den Kulturwirtschaftsberichten dieser Städte (Berlin, Köln, Aachen, Hamburg ). Sie sind jedoch auf kleine Städte (unter 25.000 Einwohner) kaum übertragbar, da wesentliche Voraussetzungen fehlen:
Ein sensibilisiertes Umfeld ist kaum gegeben; die Kulturwirtschaft wird als Wirtschaftsfaktor (noch) nicht wahrgenommen.
Netzwerke und Kooperationen
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Die Datenlage ist meist rudimentär; so gut wie nie werden Daten zur Kulturwirtschaft systematisch erfasst und ausgewertet. Qualifizierte Akteur/innen fehlen, welche die Kulturwirtschaft vor Ort fördern und vernetzen könnten. Gerade kleine Kommunen befinden sich oft in ländlichen Räumen mit vergleichsweise geringer Bevölkerungsdichte, was komplexere Anforderungen an Kommunikationsprozesse und die Logistik stellt als in urban verdichteten Zentren. Orte der kulturellen Kommunikation sind weniger häufig anzutreffen, diese müssen oft organisiert werden (beispielsweise über Veranstaltungen), während in großen Städten solche Orte (Zentren, Cafés, Quartiere) selbstverständlicher infrastruktureller Bestandteil sind.
Für den Kulturtourismus gilt die fehlende Übertragbarkeit gleichermaßen und wurde bereits in einer Studie des Creative City Networks Canada angemahnt: „Some researchers warn of the potential of introducing inappropriate frameworks to rural based cultural initiatives, and question the idea of transferring „urban-centric“ creative economy policies and practices to rural locations. … (Duxbury et al. 2009, S. 5).
Dass der Kulturtourismus weiter an touristischem Potenzial gewinnt, zeigt die Tourismusanalyse 2010 der Stiftung für Zukunftsfragen. Eine Aussage daraus dürfte für den Kulturtourismus im ländlichen Raum besonders interessant sein: Im Kulturtourismus steigt das Interesse an breitenkulturellen Angeboten: „Nicht mehr nur hochkulturelle Angebote (Museen, Theater, Kunstausstellung) stehen im Interesse der Reisenden, sondern zunehmend auch breitenkulturelle Angebote – vom Straßentheater über Open-Air-Konzerte bis zu Stadt- und Volksfest.“ (Stiftung für Zukunftsfragen 2010, S. 29). Dies kommt dem ländlichen Raum mit seinem immensen Angebot an volkskulturellen Veranstaltungen entgegen.
4
Altenkirchen – Modellgemeinde im ländlichen Raum
Die rund 24.000 Einwohner zählende Verbandsgemeinde Altenkirchen im Westerwald, bestehend aus 41 Ortsgemeinden und der Stadt Altenkirchen (www.vg-altenkirchen.de ), hat beispielhaft ihr kulturwirtschaftliches Potenzial erfassen lassen. Die Ergebnisse zweier Studien geben erste Aufschlüsse, wie ökonomische Effekte insbesondere durch eine Vernetzung von Akteurinnen und Akteuren der Kulturwirtschaft, des Tourismus und des Handels generiert
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Karin Drda-Kühn / Dietmar Wiegand
werden können (Drda-Kühn/ Wiegand 2009). Die Studien und die darin vorgeschlagenen Strategien für die Verbandsgemeinde könnten Modellcharakter für kleine Städte im ländlichen Raum haben. Für die Gemeinde Altenkirchen ging es darum, kulturwirtschaftliche Potenziale zu identifizieren und insbesondere Wege aufzuzeigen, durch eine Vernetzung von Akteuren aus der Kulturwirtschaft mit anderen Bereichen der Wirtschaft zu einer Vitalisierung des Wirtschafts- und Lebensraums beizutragen. Dabei sollten die besonderen Voraussetzungen einer kleinen Kommune Berücksichtigung erfahren.
4.1 Methodik und Fallbeispiele Zur Erstellung einer Datenlage wurden
rund 20 kulturtouristische Konzepte in ländlichen Gemeinden bundesweit recherchiert und analysiert, eine explorative Untersuchung der kulturellen und touristischen Angebote und Qualitäten vor Ort sowie Recherchen im Internet und bei Anbietern durchgeführt, persönliche Interviews mit rund 30 Akteur/innen aus der Kultur- und Tourismuswirtschaft in und um Altenkirchen geführt, deren „Schlüsselfunktion“ mit Unterstützung der Verbandsgemeindeverwaltung Altenkirchen identifiziert worden war, potenzielle Nachfrage- bzw. Zielgruppen abgeleitet, eine zielgruppenspezifische Analyse der Vertriebsstrukturen durch „Ghost Shopping“ durchgeführt (5 unterschiedliche fiktive Besuchergruppen fragten ein kulturtouristisch ausgerichtetes Angebot an).
Eine zusammenfassende Analyse diente zur Vorbereitung einer detaillierten SWOT-Analyse („Stärken und Schwächen“). In der Auswertung wurde deutlich, wie wenig lokale und regionale Akteurinnen und Akteure zusammen arbeiten, um gemeinsame Strategien zu entwickeln, Synergien zu entdecken und vor allem in der Zusammenarbeit dienstleistungsorientierte Stärken für potenzielle Kundinnen und Kunden aufzubauen.
Netzwerke und Kooperationen
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Beispiel „Koppelschleuse Meppen“ – Kooperation als Erfolgskonzept Umgekehrt zeigten die wenigen erfolgreichen Beispiele einer Zusammenarbeit zwischen Kultur und Tourismus im ländlichen Raum, dass in der Bildung kooperativer Strukturen der Schlüssel für ökonomischen Erfolg liegt: Wenn es dem grenzübergreifenden Kulturnetzwerk „Koppelschleuse Meppen“ gelingt, im ländlichen Emsland jährlich rund 20.000 Übernachtungen in einem Jugendund Kulturgästehaus zu generieren, so wird daran der „Wirtschaftsfaktor Kulturtourismus“ anschaulich (www.koppelschleuse-meppen.de ). Das Konzept: Das Kulturnetzwerk Koppelschleuse Meppen, vertreten durch Diplom-Kulturpädagogen Burkhard Sievers, entwickelt mit verschiedenen Partnern, u.a. einem Jugend- und Kulturgästehaus, einer Kulturstiftung, einem archäologischen Ausstellungszentrum und einem Kunstkreis, einzelne kulturelle oder touristische Bausteine, die dann zu einem Programm für Schulklassen, Projektgruppen, aber auch Familien zusammengestellt werden. Die Angebote sind über das Internet (Website der Koppelschleuse Meppen und Plattform des Deutschen Jugendherbergswerks DJH, Landesverbandes Unterweser-Ems) und Broschüren einsehbar. Gebucht wird über eine einzige Einrichtung, das Jugendund Kulturgästehaus. Vorteil für Gäste: Sie erhalten in der Regel nur eine Rechnung. Auch der Bustransfer zu den Veranstaltungsorten wird organisiert, was im ländlichen Raum ein nicht zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil ist. Außenbild der Region und des Netzwerks
Innenbild der Region und des Netzwerks
Landwirtschaft Tourismus Beispiel für Geschäftsnetzwerke
Industrie
Kultur
Kreativwirtschaft
IKT
Abbildung 1: Beispiel eines Geschäftsnetzwerks als Quelle eines neuen Selbstverständnisses und Außenbild ländlicher Räume (Quelle: eigene Darstellung)
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Karin Drda-Kühn / Dietmar Wiegand
4.2 Kulturtourismus und Netzwerkbildung Für Altenkirchen machte eine SWOT-Analyse deutlich, dass das größte ungenutzte Potenzial der Gemeinde in der Vernetzung von Kultur und Tourismus liegt: Spannende Kulturerbestätten, vielfältige Kulturangebote und eine intakte Landschaft bieten dafür gute Voraussetzungen. Erfolgreicher Kulturtourismus zielt auf die Zusammenarbeit verschiedenster Akteurinnen und Akteure im Rahmen unterschiedlicher Handlungsfelder. Das heißt, neben den Akteurinnen und Akteuren der Kultur und der tourismusrelevanten Wirtschaft (Gastronomie, Hotellerie, Kulturanbieter, Einzelhandel, Sport- und Freizeitgewerbe, Verkehrsträger, weitere Dienstleister) gehören die Einrichtungen der lokalen und regionalen Tourismusförderung sowie die kommunale Politik und Verwaltung zu den entscheidenden Partnern. Hier kann ein professionell gesteuertes Netzwerk maßgeblich zum ökonomischen Erfolg aller Beteiligten beitragen. Die Ergebnisse der Studien deuten darauf hin, dass die Initiierung, Bildung und professionelle Begleitung von kulturwirtschaftlich ausgerichteten Netzwerken von zentraler Bedeutung für kleine Kommunen im ländlichen Raum ist. Das Thema Kooperation ist der „rote Faden“ durch alle Handlungsfelder. Netzwerke als kontinuierlich lernende Systeme schaffen Voraussetzungen, um die Attraktivität des Lebens- und Arbeitsraums der kleinen Stadt abzusichern und auszubauen. Aber: Es gibt derzeit kaum funktionierende kulturwirtschaftliche Netzwerke, die modellhaft für kleine Kommunen stehen könnten. Institutionalisierte Formen der Zusammenarbeit, die mit dem klaren Ziel agieren, Akteurinnen und Akteure aus Kultur und Wirtschaft zum gegenseitigen Vorteil zusammen zu bringen und gemeinsam „Produkte“ zu entwickeln, sind rar. Die wenigen deutschen Beispiele, die im Rahmen der Studien recherchiert wurden (darunter die oben beschriebene „Koppelschleuse Meppen“), haben noch keinen Modellcharakter, sondern fußen auf der Eigeninitiative einzelner, befähigter „Netzwerker“, die erkannt haben, dass sich über kooperative Netzwerkstrukturen ein vielfacher Benefit für alle Beteiligten erzielen lässt. Deren Erfahrungen legen den Schluss nahe: Lokale Akteurinnen und Akteure über Netzwerke zu wirtschaftlich ausgerichteten Kooperationen zu motivieren, birgt ein immenses wirtschaftliches Potenzial. Allerdings fehlt es an Modellen im Sinne von praktikablen „Handlungsanleitungen“, dieses Potential zu erschließen. Dass es sich dabei keineswegs nur um ein bundesdeutsches Desiderat handelt, beweist ein laufendes Vernetzungsvorhaben aus dem europäischen URBACT-Programm: „Creative Clusters in Low Density Areas“, das unter-
Netzwerke und Kooperationen
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sucht, ob und wie ein „creative – city model“ übertragbar ist auf Strukturen im ländlichen Raum.
4.3 Wichtigste Voraussetzung: zu einer gemeinsamen Sprache finden Kultur und Tourismus finden jedoch nicht leicht zueinander: Kultureinrichtungen zeigen Berührungsängste und mangelnde Kenntnisse über das Funktionieren des Tourismus. Sie können ihre Vermarktungspotenziale im Verbund mit dem Tourismus schlecht einschätzen und überschauen nicht, welche Anforderungen die Tourismuswirtschaft an sie stellt und was Kulturtouristen erwarten. Es fehlt die Vorstellung, wie touristische Partner gewonnen und attraktive kulturtouristische Angebote entwickelt werden können. Touristiker und tourismus-affine Einrichtungen wiederum können Vermarktungspotenziale der Kultur nicht unbedingt erkennen, obgleich sie sich grundsätzlich aufgeschlossen zeigen für eine Zusammenarbeit. Sie tun sich schwer damit, Kooperationen mit Kulturanbietern zu suchen, gemeinsame Angebote zu entwickeln und zu verkaufen und eine adäquate Angebots- und Servicequalität für kultur-affine Zielgruppen aufzubauen. Es fehlt an:
Bündelung der bestehenden Einzelangebote im Bereich Tourismus und Kultur zu attraktiven und komplexen Produkten und an zielgruppenorientierter, kundenfreundlicher und maßgeschneiderter Vermarktung dieser Produkte.
In Altenkirchen wurde deshalb mit Unterstützung der Ersteller der Studien folgender Weg beschritten:
Aus einer Analyse der Stärken und Schwächen und den daraus ableitbaren Chancen und Risiken der Region wurde eine Handlungsstrategie erarbeitet und mit den lokalen und regionalen Akteurinnen und Akteuren kommuniziert. Zur Vernetzung der Anbieter und um die verschiedenen Angebote zusammen zu führen, wurden möglichst viele regionale Anbieter an einen Tisch geladen. Ein „Altenkirchener Kulturtouristisches Netzwerk (AKULTOUR)“ wurde mit dem Ziel gegründet, positive Effekte für alle Beteiligten zu generieren und dabei eine Entwicklung „vom Konkurrenten zum Partner“ anzustoßen. Ziel: Ein institutionalisiert aufgestelltes Netzwerk mit klaren
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Karin Drda-Kühn / Dietmar Wiegand Vereinbarungen zu gründen, um Vertrauen zu bilden und eine „Kultur des Miteinander“ zu schaffen.
4.4 Bündelung von Angeboten in einem Kulturtouristischen Netzwerk Die Charakteristika der Produkte eines Kulturtouristischen Netzwerks wurden folgendermaßen definiert:
Qualität und Professionalität der Anbieter ist nach außen sofort transparent, auch, dass ein Netzwerk bereit steht, um Individualwünsche zu erfüllen. Eine adäquate, professionell aufbereitete Außendarstellung, vor allem im Internet, ist selbstverständlich. Angebote aus einer Hand erzeugen ein wettbewerblich ausschlaggebendes „Service-Plus“, das der Markt honoriert. Profilierte Paketangebote aus Tourismus und Kultur mit Wahlmöglichkeiten (Packages aus „Wandern – gut schlafen-essen-trinken – Wahrnehmung eines Kulturangebots“) erleichtern potenziellen Kund/innen den Konsum vielfältiger Angebote und schaffen Wertschöpfungsketten für mehrere Anbieter. Die Profilierung der Gemeinde und ihrer kulturtouristischen Angebote schafft Alleinstellungsmerkmale und damit Wettbewerbsvorteile. das Internet als Vermarktungs- und Kommunikationsinstrument bietet die Möglichkeit, Veranstaltungshighlights, Sehenswürdigkeiten, Informationen, Tipps zu Ausflügen in die Region, Pauschalen oder Informationen für Gruppen mit wenig Aufwand gebündelt zu kommunizieren, um Kulturinteressierte für den Tourismus zu interessieren und umgekehrt.
4.5 Konkrete Empfehlungen: Netzwerkbildung und -entwicklung Die Ersteller sprechen in den Studien zur Erschließung des kulturtouristischen Potentials insgesamt rund 25 Empfehlungen für Kultureinrichtungen, tourismusaffine Unternehmen und Kommunen aus. Diese zielen auf qualitativ hochwertige, stark vernetzte Angebote, die möglichst viele Akteu/innen und Akteure einbeziehen. Denn was im urbanen Raum inzwischen zum kulturtouristischen Basisrepertoire gehört mit hoch-vernetzten Angeboten für Besucher (Eintrittskarten für Kultureinrichtungen, Übernachtung, passende gastronomische Angebote, Besuche von Vorträgen usw. als Packages), ist im ländlichen Raum noch lange nicht ausreichend entwickelt. Der Übertragbarkeit sind zudem Grenzen
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gesetzt: “Overall, the interconnected world of creative production is more complicated than the image of a simple “city-country divide” and should focus on networks and flow of people, information, and creative production.” (Duxbury et al. 2009, S. 6 )
4.6 Netzwerkbildung als Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg Geschäftsnetzwerke und Unternehmenscluster sind in der Betriebswirtschaftslehre ein vergleichsweise junges Thema. Netzwerke sind per Definition soziale Organisationsformen, die Personen, Tätigkeiten und Gedanken enthalten und nicht an einem bestimmten Ort festgemacht werden können (Gummesson 1994, S. 5). Cluster dagegen sind geografische Konzentrationen von miteinander verbundenen Unternehmen und Institutionen innerhalb eines Wirtschaftzweiges, die auf bestimmten Ebenen zusammenarbeiten, mit dem Ziel einer gesteigerten Wettbewerbsfähigkeit (Porter, M. 2008, S. 215). Die Charakteristik eines Clusters ist, so sie vom Netzwerk überhaupt unterschieden wird, dass es keiner Mitgliedschaft in einem strengeren Sinn bedarf. In der vorliegenden Studie werden die Begriffe Netzwerk und Cluster synonym verwendet. Drei Typen des Clustering werden in der Literatur unterschieden (Michael 2007, S. 24): 1) 2)
3)
Horizontal – Co-location von Konkurrenzfirmen auf gleicher Stufe der Wertschöpfungskette; z.B. Hotelbetriebe, die miteinander kooperieren; Vertikal – Co-location von Unternehmen auf unterschiedlichen und nacheinander folgenden Stufen der Wertschöpfungskette; z.B. Automobilindustrie und ihre Zulieferer; Diagonal – Co-location von Unternehmen auf unterschiedlichen und nacheinander folgenden Stufen der Wertschöpfungskette, wobei Unternehmen auf gleicher Stufe der Wertschöpfungskette durchaus Konkurrenzfirmen sein können; z.B. ein Kulturnetzwerk, das Paketangebote schnürt und konkurrierende „Zulieferer“ aus den Bereichen Kultur, Bildung, Sport, Hotellerie und Gastronomie.
Die Studien des Vereins Kultur und Arbeit e.V. und der Technischen Universität Wien haben gezeigt, dass kulturtouristische Angebote im ländlichen Raum sehr erfolgreich durch diagonale Netzwerke angeboten werden. Sowohl konkurrierende Unternehmen, z.B. im Bereich Hotellerie und Gastronomie, als auch nicht gewinnorientierte Einrichtungen, z.B. im Bereich der Kultur, und gegebenenfalls auch staatliche Einrichtungen, z.B. für den Vertrieb oder den Personentransport, kooperieren in diesen Netzwerken. Es handelt sich dabei um
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semi-formale oder formale Austauschnetzwerke (Gibson et al 2005, S.87), d.h. die Netzwerkpartner regeln ihre Austauschbeziehungen über bilaterale Verträge oder gründen für die Netzwerksorganisation einen eigenen Verein, eine GmbH oder ähnliches.
Einzelangebote Paketangebote mit Wahlmöglichkeiten
Kunden/ Zielmarkt
aus den Bereichen: Kultur, Sport, Bildung, Beherbergung, Transportdienste, Gastronomie, Einzelhandel.
kulturtouristisches Netzwerk als Leitindustrie
konkurrierende Anbieter als Zulieferer
Abbildung 2: schematische Darstellung der Wertschöpfungskette kulturtouristischer Netzwerke (eigene Darstellung)
Die im ländlichen Raum fehlende räumliche und zeitliche Dichte der kulturtouristischen Angebote und die damit verbundenen Unannehmlichkeiten für die Kunden werden durch das Netzwerk organisatorisch kompensiert:
durch eine zeitliche Abstimmung und Bündelung der Angebote, durch räumliches Clustering der Angebote oder durch Organisation und integrierte Bereitstellung von Transportdienstleistungen, durch die buchungs- und abrechnungstechnische Bündelung der Angebote.
Die genannten organisatorischen Leistungen, insbesondere die zeitliche, räumliche und abrechnungstechnische Bündelung der Angebote, werden im Netzwerk erbracht und den Kunden abgenommen. Die Kunden werden auch von der vergleichsweise aufwändigen Suche nach nur zeitweise bestehenden Angeboten durch das Netzwerk entlastet.
Netzwerke und Kooperationen
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Kulturtouristische Angebote im ländlichen Raum können in der zuvor beschriebenen Form durch diagonale Austauschnetzwerke von ihren aus Kundensicht bestehenden Defiziten befreit werden. Die Verweildauer der Kunden in der Region wird erhöht, mit den entsprechenden positiven Effekten für die regionale Wertschöpfung und das Arbeitsplatzangebot. Allein betrachtet völlig unattraktive Angebote werden in zeitlich und raumzeitlich „verdichteter“ Form für Kunden plötzlich hoch attraktiv. Zudem können im ländlichen Raum insbesondere im Zusammenhang mit der offenen Landschaft Angebote gemacht werden, die eine Differenzierung vom städtischen Kulturtourismus ermöglicht – Kunst in der Landschaft oder Angebote im Bereich der Agrikultur, Naturerlebnisse, um nur einige Beispiel zu nennen. Der Sprung von den im ländlichen Raum häufig bestehenden sozialen Netzwerken zu diagonalen Austauschnetzwerken stellt jedoch eine enorme Hürde mit finanziellen Risiken dar. Die Hürde kann durch Hilfe Dritter bei der Initiierung, Förderung und Beratung der Netzwerke in der Startphase und durch Weiterbildung der Akteure, d.h. der handelnden Personen, überwunden werden. Gemeindegrenzen übergreifende Bündnisse staatlicher Akteure bieten sich an. In Zentral- und Osteuropa übernehmen mitunter private Stiftungen oder Allianzen privatwirtschaftlicher Akteure die Rolle des Staates – auch bei der Starthilfe für kulturtouristische Netzwerke.
5
Beschäftigungssicherung und -förderung durch den Kulturtourismus
Beschäftigungssichernde und beschäftigungsfördernde Effekte aus dem Kulturtourismus gelten zwischenzeitlich als gesichert. Sie können auch im ländlichen Raum zur Stabilisierung der örtlichen Beschäftigungsfähigkeit beitragen:
gerade wirtschaftsschwächere Regionen, die von Wegzug gut ausgebildeter Arbeitskräfte bedroht sind, erhalten im Kulturtourismus eine ausbaufähige beschäftigungspolitische Perspektive, die in anderen Wirtschaftsbereichen, z.B. dem produzierenden Gewerbe oder der Forschung, nicht glaubhaft wäre, und gewinnen gleichzeitig an Attraktivität als Wohnstandort für Berufspendler der Kulturtourismus erzeugt im Dienstleistungsbereich Beschäftigungsverhältnisse, die auch minder Qualifizierten und zeitlich eingeschränkt Erwerbstätigen offen stehen; dies ist überall dort infrastrukturell relevant, wo es um Regionen geht, die von starkem Wegzug Hochqualifizierter betroffen sind, wo arbeitsuchende Frauen und Männer auf Arbeitsangebote mit Vereinbarkeit von Familie und Beruf angewiesen sind oder wo ehrenamtliches
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Karin Drda-Kühn / Dietmar Wiegand Engagement einen hohen Stellenwert für die Identifikation mit dem Lebensumfeld hat. der Kulturtourismus ist in gewissem Umfang von Moden, Konjunkturzyklen und demographischen Entwicklungen unabhängig, weil unterschiedlichste Zielgruppen angesprochen werden können, was z. B. beim Sporttourismus oder dem reinen Erholungstourismus weniger der Fall ist: kultur-affine Gruppen wie Eltern mit Kindern, kulturinteressierte Urlauber, „silver ager“ mit Zeit und ausreichend finanziellen Mitteln, Schulklassen, IncentiveReisende sowie Bildungsinteressierte sind gleichermaßen bereit und in der Lage, kulturtouristische Angebote nachzufragen. der Kulturtourismus führt tendenziell zu einer Qualifizierung und nicht zu einer Dequalifizierung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, da die Vernetzung des Wunsches nach Gastlichkeit und Kultur wesentlicher Bestandteil vieler Dienstleistungen ist.
Informationstechnologien zur Erschließung kulturtouristischer Effekte
Kleine Städte im ländlichen Raum haben in der Nutzung ihrer kulturwirtschaftlichen und damit auch kulturtouristischen Potenziale gegenüber großen Städten einen gravierenden Nachteil: In der Regel finden Kulturschaffende sich nicht als „Communities“ in speziellen Stadtteilen oder Quartieren zusammen, sondern arbeiten verstreut über die Ortschaften. Orte der informellen, fachlich-inspirierenden Kommunikation (Kulturcafés, In-Places, Diskussionsforen, Clubs, Public Viewing) fehlen. Kulturerbestätten und Kultureinrichtungen liegen nicht unbedingt konzentriert und gut erreichbar im Netz des öffentlichen Personennahverkehrs, sondern sind ebenfalls verstreut. Kommunikationswege ergeben sich deshalb nicht „im Vorübergehen“, sondern bedürfen der Organisation in Form von Events oder der Schaffung infrastruktureller Voraussetzungen. Netzwerke sind stärker als in urban verdichteten Räumen auf institutionelle Foren und Formen angewiesen, um lebendig zu bleiben. Der neuen Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) kommt in diesen Prozessen eine überaus wichtige, doppelte Rolle zu. Ihre Instrumente können
Kommunikationsprozesse und Abstimmungswege nachhaltig unterstützen, den Informationsfluss sichern und Kristallisationspunkte sein und
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sie leisten einen Beitrag zur Innovationsfähigkeit in der (Kultur)Wirtschaft, denn in den Schnittmengen von Kultur und Informationstechnologien ist der Nährboden für besonders innovative neue Geschäftsfelder.
6.1 Unterstützung der Netzwerkentwicklung durch IKT Aus der Arbeit in Schnittmengen und Netzwerken entstehen neue Nutzeranforderungen, die noch nicht in Instrumente der IKT „übersetzt“ zu sein scheinen. Besonders die Vernetzung, in der mit Kultur, Kulturwirtschaft, Tourismus, Einzelhandel usw. selbstständige und hoch-komplexe Arbeitsgebiete zusammengeführt werden, noch dazu mit unterschiedlichen Kommunikationstraditionen, könnte von IKT in hohem Maße profitieren.
6.2 Das Internet als Vermarktungs- und Kommunikationsinstrument Spielen die Kommunikationstechnologien für die Organisation des Netzwerks „nach innen“ eine maßgebliche Rolle, so gilt dies mindestens ebenso für die zeitgemäße Vermarktung und die Kommunikation von kulturtouristischen Angeboten. Mit Unterstützung der Multimediainitiative des Landes Rheinland-Pfalz ist das Kulturtouristische Netzwerk Altenkirchen zwischenzeitlich dabei, die Möglichkeiten der online-Kommunikation über soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter etc. für die Kommunikation von kulturtouristischen Produkten (beispielsweise Reisebausteine aus Übernachtung-Wandern-KulturveranstaltungShopping-Gutschein) auszuloten. Gemeinsam mit dem Netzwerk entsteht derzeit eine elektronische Plattform, die sich gesamtstrategisch auf drei Säulen stützt: 1. 2. 3.
Netzwerkorganisation „nach innen“ Kommunikation von kulturtouristischen Angeboten nach außen Integration von Gästeanforderungen und -interessen
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Netzwerkorganisation
Kulturtouristische Angebote
Gästeanforderungen über soziale Netzwerke
Kulturtouristische Plattform
Abbildung 3: Kulturtouristische Plattform Altenkirchen
Ziel ist, das Kommunikationspotenzial sozialer Netzwerke aufzugreifen, Angebotstransparenz zu schaffen und Strategien, Chancen und Risiken für den Kulturtourismus im Web 2.0 zu erfassen. Ob es dabei tatsächlich um Alternativen zu gängigen Kommunikationsstrategien und traditionellen Medien (Broschüren, Homepages, Messebeteiligungen) gehen wird, ist derzeit noch offen angesichts nicht unerheblicher Personalkosten, die das professionelle Agieren in sozialen Netzwerken bedingt. Im Falle des Altenkirchener Kulturtouristischen Netzwerks geht es derzeit darum, entsprechendes Wissen kontinuierlich aufzubauen und so ein zukunftsfähiges Marketing-Instrument zu erschließen.
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Ausblick und Bedarf in der Netzwerkentwicklung und -forschung
Die genannten Studien und Projekte beschäftigen sich aufgrund der speziellen Ausgangsvoraussetzungen in Altenkirchen schwerpunktmäßig mit der Netzwerkbildung für den Kulturtourismus. Methodisch gesehen steht jedoch zu vermuten, dass sich eine Übertragbarkeit des Netzwerkprozesses auf weitere Schnittmengen für kleine Städte an den Rändern der Ballungszentren oder im ländlichen Raum durchaus herstellen lässt:
Netzwerke und Kooperationen
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Kulturwirtschaft und Stadtentwicklung („Neue Nutzungskonzepte / Leerstandsmanagement in historischen Ortskernen“) Kulturwirtschaft und Naturerlebnis / Kulturwirtschaft und Landwirtschaft („Einkommensmöglichkeiten für Frauen im ländlichen Raum“) Kulturwirtschaft und demographischer Wandel („Kultur im Alter“)
Hier liegt ein augenscheinlicher Bedarf nahe, denn die Ergebnisse machen deutlich,
dass es gegenwärtig keine wissenschaftlich fundierten Modelle und Handlungsanweisungen zur Initiierung, Etablierung und Förderung kulturtouristischer Netzwerke gibt, dass die Übertragung vorhandener Netzwerktheorien auf kulturwirtschaftliche Netzwerke nur sehr eingeschränkt möglich ist (verstanden als gemeinsamer „Motor“ für die Kultur- und Tourismuswirtschaft), und dass der besonderen Ausgangssituation einer kleinen Kommune im ländlichen Raum Rechnung getragen werden muss.
Mit welchen Instrumenten Politik und Verwaltung effizient dazu beitragen können, positive Effekte für die Entwicklung der Region als Lebens- und Wirtschaftraum mit Hilfe der Kulturwirtschaft zu erzielen, ist weitgehend unerforscht. Bedarf besteht an:
einem generischen Modell für das techno-soziale System „kulturtouristisches Netzwerk im ländlichen Raum“ mit den wesentlichen Einfluss- und Handlungsfaktoren für die Zielerreichung, geeigneter Gestaltung des organisatorischen Aufbaus sowie der Lenkungsund Entwicklungsmechanismen „kulturtouristische Netzwerke im ländlichen Raum“, geeigneten Prozessen zum Aufbau, zum Erhalt und zur Weiterentwicklung eines techno-sozialen Systems „kulturtouristisches Netzwerk im ländlichen Raum“ einer Untersuchung zur netzwerk-unterstützenden Rolle von innovativen Anwendungen der Informationstechnologien.
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Literaturverzeichnis „Creative Clusters in Low Density Areas“ – http://urbact.eu/en/projects/innovationcreativity/creative-clusters/homepage/ Deutscher Tourismusverband e. V. (2006): „Städte- und Kulturtourismus in Deutschland, Bonn (Zusammenfassung) Drda-Kühn, Karin/ Wiegand, Dietmar: (2009): „Förderung von Unternehmen der Kulturwirtschaft und des Handels in der Raiffeisenregion“, Studie beauftragt von der Gemeinde Altenkirchen (Westerwald), gefördert vom Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau des Landes Rheinland-Pfalz, Altenkirchen. Drda-Kühn, Karin/ Wiegand, Dietmar: (2009):„Identifizierung des kulturell-touristischen Potenzials der Verbandsgemeinde Altenkirchen“, Studie beauftragt von der Gemeinde Altenkirchen (Westerwald), gefördert vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz; Altenkirchen Duxbury, Nancy / Campbell, Heather / Keurvorst, Elizabeth (2009): “Developing and Revitalizing Rural Communities Through Arts and Culture” – Summary Overview, Vancouver Gibson, L./ Lynch, Paul/ Morrison, Alison (2005), The local destination tourism network: Development issues, Tourism and Hospitality Planning & Development, Vol. 2, Num. 2, S. 87-99 Gummesson, Evert, (1994), Making Relationship Marketing Operational, International Journal of Service Industry Management, Vol. 5, Num. 5, S. 5-20 Lynch, Paul / Morrison, Alison: “The Role of Networks”, in: Michael, Ewen. (2007), Micro-Clusters and Networks: The Growth of Tourism, Netherland, Elsevier S. 4362 Michael, Ewen (2007): Micro-Clusters and Networks: The Growth of Tourism, Netherland, Elsevier Steinecke, Albrecht (2007 ): Kulturtourismus, München Stiftung für Zukunftsfragen: Tourismusanalyse 2010, Hamburg 2010 Porter, M. (2008), On Competition – Updated and expanded ed., Boston: Harvard Business School Press
„Fisch sucht Fahrrad“ – Partnerschaften zwischen Kultur und Tourismus aus Sicht der Transaktionskostentheorie „Fisch sucht Fahrrad“
Martina Dillmann / Matthias Dreyer Martina Dillmann / Matthias Dreyer
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Kultur und Tourismus: Ein Beziehungsproblem?
Wer kennt sie nicht: „Fisch sucht Fahrrad“ – Partnerschaftsbörsen, bei denen es darum geht, den richtigen Partner für das Leben oder zumindest für eine Lebensphase zu finden. Was für den zwischenmenschlichen Bereich zutrifft, lässt sich auf Partnerschaften zwischen Kultur und Tourismus übertragen: Wie lernt man Partner kennen, die ähnliche Interessen verfolgen und die sich binden wollen? Wie tritt man mit ihnen in Kontakt und wie teilt man seine Absichten mit? Wie kann man feststellen, dass man wirklich gut zusammen passt? Wenn es dann funkt: Wie wird die Partnerschaft geregelt – formlos gutgläubig oder vertraglich kontrolliert? Wie stellt man sicher, dass es der Partner ehrlich meint und die Erwartungen erfüllt? Und wenn es dann doch einmal schief läuft, was ja durchaus passieren kann: Ist eine nachträgliche Anpassung der Grundlagen und der Vereinbarung der Partnerschaft möglich? Oder wie ist es mit rechtlichen Streitigkeiten, wenn es zu einer (vorzeitigen) Trennung kommt? Alle diese Fragen stellen sich auch, wenn Kultureinrichtungen mit Akteuren aus dem Tourismussektor oder umgekehrt zusammenarbeiten möchten. Mit kulturtouristischen Partnerschaften werden große Hoffnungen verbunden: Für Kunst und Kultur z.B. die Erschließung neuer Zielgruppen, als zusätzliche Einnahmequelle oder zur Rechtfertigung von (öffentlichen) Investitionen und Zuwendungen (Bößert 2007, Klein 2007 und Strobel Y Serra 2007). Für die Politik ist die Initiierung von Kulturtourismus oftmals ein Instrument der Wirtschaftsförderung. Von öffentlichen Investitionen in tourismusaffine Projekte werden die Schaffung bzw. der Erhalt von Arbeitsplätzen und die Stärkung regionaler Wirtschaftskraft erwartet. Kunst und Kultur werden zunehmend als Wirtschafts- und Standortfaktoren für Städte und Regionen gesehen. Mit kulturökonomischen Studien werden diese wirtschaftlichen Effekte kulturtouristischer Angebote dargestellt (Dreyer 2005 und Maschke/Zeiner 1999).
A. Hausmann L Murzik (Hrsg.), Neue Impulse im Kulturtourismus, DOI 10.1007/978-3-531-92757-2_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Wenn die Zusammenarbeit zwischen Kultur und Tourismus weiterentwickelt und ausgebaut werden soll, es aber anscheinend schwierig ist, den richtigen Partner zu finden: Was kann getan werden, damit der Kultur- und Tourismussektor bzw. deren Akteure häufiger zusammenkommen und Partnerschaften entstehen?
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Transaktionskostentheorie – Grundansatz und Begrifflichkeiten
Mit der Transaktionskostentheorie – einem Ansatz der Neuen Institutionenökonomik – besteht ein instrumenteller Rahmen, um Kooperationen, wie z.B. zwischen Kultur und Tourismus, hinsichtlich möglicher Hemmnisse und Erfolgsfaktoren zu analysieren und zu systematisieren. Der Ursprung der Transaktionskostentheorie geht zurück auf Ronald H. Coase (Coase 1960 und 1937). Hauptvertreter der Theorie ist Oliver E. Williamson, der mit „The Economic Institutions of Capitalism: Firms, Markets, Relational Contracting“ eine umfassende und detaillierte Darstellung der Theorie leistete (Williamson 1985). Anwendungsgebiet der Transaktionskostentheorie ist beispielsweise die Erklärung, warum bestimmte Leistungen über den Markt und andere in hierarchischen Organisationsformen, wie in Unternehmen, erbracht werden (Schenck 1996). Diese Theorie leistet Hilfestellung bei der Vorbereitung von Make-orbuy-Entscheidungen (Nienhüser/Jans 2004). Aber auch vertragliche Vertriebssysteme können Untersuchungsgegenstand sein (Beck 1997). Erkenntnisinteresse der Transaktionskostentheorie sind im Wesentlichen die Informationsprobleme in arbeitsteiligen Leistungsbeziehungen (Picot 1982). Wirtschaftssubjekte bzw. Vertragspartner haben demnach beim Leistungsaustausch unterschiedliche Informationsstände (Trumpp 1995), wodurch bei der Beschaffung der notwendigen Informationen Kosten entstehen. Diese Kosten sind der Ansatzpunkt, um zu analysieren, wie bestimmte Koordinationsformen bei arbeitsteiligen Leistungsbeziehungen entstehen. Dem theoretischen Rahmen liegen insbesondere zwei Verhaltensannahmen zu den beteiligten Partnern zugrunde (Schramm 2005, Williamson 1993):
„Beschränkte Rationalität“: Die Partner verfügen nur begrenzt über Können, Wissen, Zeit und über die Verarbeitungsfähigkeit von Informationen. Dadurch können sie nur beschränkt rational handeln; es entstehen Unsicherheiten. „Opportunistisches Handeln“: Die Transaktionskostentheorie geht davon aus, dass die Partner ihre eigenen Interessen verfolgen und sich strategisch
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verhalten, um den eigenen Nutzen auch ggf. auf Kosten Dritter durchzusetzen. Die Herausforderung besteht darin, für eine Leistungsbeziehung ein Koordinationsmuster zu finden, das eine möglichst reibungsfreie Erledigung der Aufgaben zwischen den beteiligten Partnern ermöglicht. Transaktionskosten werden als geeignetes Kriterium angesehen, effiziente und tragfähige Organisationsstrukturen und damit auch Partnerschaftsmodelle auszuwählen (Rao 2003). Üblicherweise wird zwischen Ex ante- und Ex post-Transaktionskosten differenziert. Picot nennt vier Kostenarten (Picot 1982): Ex ante-Transaktionskosten, d.h. Kosten bis zum Vertragsabschluss: (1) Anbahnungskosten für die Suche und Beschaffung von Informationen zu Partnern und deren Leistungen, z.B. in Form der Arbeitszeit für die Recherche oder den Kauf erforderlicher Informationsunterlagen, (2) Vereinbarungskosten im Rahmen von Verhandlungsprozessen oder der Vertragsabstimmungen, z.B. für die Personal- und Reisekosten bei Verhandlungen oder für rechtliche Beratungen, Ex post-Transaktionskosten, d.h. Kosten nach dem Vertragsabschluss: (3) Kontrollkosten bei der Überwachung und Sicherstellung der vertraglich vereinbarten Leistungsversprechen, z.B. für den Arbeitsaufwand laufender Qualitätskontrollen gemeinsamer Angebote oder für die Prüfung, dass abgesprochene Kommunikationspflichten eingehalten werden, und (4) Anpassungskosten zur Durchsetzung und nachträglichen Anpassung von vertraglichen Bedingungen, z.B. für Aufwendungen bei Rechtsstreitigkeiten oder aufwendige Nachbesserungen von Kooperationsangeboten. Diese Kosten können bei verschiedenen Transaktionsformen unterschiedliches Gewicht einnehmen und abhängig von der Häufigkeit von Leistungsbeziehungen eher fixen oder variablen Charakter haben (Williamson 1993). Es handelt sich dabei um keine direkten Aufwendungen bei der Durchführung, wie z.B. Marketingausgaben oder Kosten der Produktgestaltung. Es sind indirekte Kosten, die bei der Organisation und Steuerung eines Projektes entstehen. Organisatorische und vertragliche Arrangements sind nach der Transaktionskostentheorie so zu gestalten, dass die Transaktionskosten minimiert werden.
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Problem des Ansatzes ist die Rechenbarkeit der Transaktionskosten. Vergleichbar zu den meisten Informationskosten, zu Aufwendungen in Abstimmungsprozessen oder zum Kontrollaufwand in Geschäftsbeziehungen ist die Quantifizierbarkeit nur eingeschränkt gegeben (Fritz 2006, Jost 2001 und Döring 1998). Gleichwohl sind diese Kosten für die beteiligten Partner wahrnehmbar und können von erheblicher ökonomischer Auswirkung sein. Trotz dieser Einschränkung erlaubt das theoretische Konstrukt eine gute Systematisierung und gedankliche Durchdringung der Prozesse und Optimierungspotenziale beim Zustandekommen (vertraglicher) Leistungsbeziehungen.
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Transaktionskosten kulturtouristischer Partnerschaften
Welche Transaktionskosten spielen bei der Zusammenarbeit von Kultur- und Tourismusanbietern eine Rolle? Was sind spezifische Faktoren und Umfeldbedingungen, die die Transaktionskosten kulturtouristischer Partnerschaften beeinflussen? Das Hauptaugenmerk ist auf die Ex ante-Transaktionskosten, d.h. auf die Anbahnungs- und Vereinbarungskosten zu legen. Es geht insbesondere darum, einen bzw. die richtigen Partner zu finden, um mit ihnen zusammen eine Kooperation entwickeln und vereinbaren zu können. Vier Aspekte wirken sich im Wesentlichen auf die Transaktionskosten und damit auf das Zustandekommen kulturtouristischer Partnerschaften aus: Kultur und Tourismus haben unterschiedliche Zielsetzungen Bei Kultureinrichtungen, wie z.B. Museen, Theater und Gedenkstätten oder Musik- und Theaterfestivals, stehen die inhaltlichen Leistungsziele im Vordergrund (Witt 2000). Die kulturelle Bildung und Vermittlung oder der Erhalt des kulturellen Erbes sind primäre Ziele, obwohl in den vergangenen Jahren auch im Kulturbereich die Erwirtschaftung von Einnahmen angesichts der kulturellen Finanzmisere an Gewicht gewonnen hat. Im Tourismussektor dominiert dagegen die erwerbswirtschaftliche Ausrichtung mit der Gewinnerzielung. Mit den überwiegend öffentlich getragenen und finanzierten traditionellen Kultureinrichtungen und den zumeist privatwirtschaftlichen Tourismusanbietern treffen Sektoren mit unterschiedlichen Zielen aufeinander. Diese differierende Zielsetzung der beiden Bereiche schafft insbesondere auf Seiten der Kultur Berührungsängste und erschwert das Aufeinanderzugehen (Hausmann 2009). Die Verflachung künstlerischer Inhalte und die Anpassung an den geschmacklichen Mainstream werden befürchtet. Eine erste Voraussetzung für das Zustandekommen kulturtouristischer Partnerschaften ist deshalb die grundsätzliche Aufgeschlossenheit
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für eine Zusammenarbeit und eine Toleranz für die Unterschiede der Bereiche. Kultureinrichtungen sind zudem häufig die Ausgestaltungsformen der Zusammenarbeit nicht bekannt. Das gilt für die Organisationsstruktur, die Finanzierung oder die vertraglichen Regelungen; das bezieht sich auch auf die Möglichkeiten und Grenzen der Kooperationspartner. Durch die Berührungsängste, die unterschiedlichen Zielsetzungen beider Bereiche und die mangelnde Kenntnis potenzieller Partnerschaftsmodelle entstehen erhebliche Informationskosten. Kultur und Tourismus nutzen verschiedene Sprachen Der zweite Punkt, der eng mit den unterschiedlichen Zielsetzungen zusammenhängt, ist eine kommunikative Herausforderung: Kultur und Tourismus nutzen verschiedene Sprachen (John 2009). Probleme in der gemeinsamen Kommunikation und Differenzen im Sprachverständnis wirken sich auf die Höhe der Transaktionskosten aus. Sprache und Kommunikation sind somit von großer Relevanz für die Anbahnung kulturtouristischer Kooperationen sowie für deren Vereinbarung und vertragliche Ausgestaltung. Wenn Touristiker von „Destinationsmarketing“, „modalsplit“ oder „incoming“ sprechen, muss nicht unbedingt gleich Verständnis auf Seiten der Kultureinrichtungen vorausgesetzt werden (Bößert 2010). Sprachbarrieren weiter abzubauen und einen gemeinsamen kulturtouristischen Sprachkanon zu entwickeln, würde das Zusammenfinden von Kultur und Tourismus erleichtern. Kultur und Tourismus agieren nicht in den gleichen Netzwerken Die richtigen Partner für eine kulturtouristische Zusammenarbeit zu finden, ist einfacher, wenn diese im engeren Umfeld der eigenen Einrichtung aktiv sind. Das erleichtert die Anbahnung und spart langfristige Such- und Informationsprozesse. Allerdings ist diese Voraussetzung bei kulturtouristischen Partnerschaften nur selten erfüllt, denn kulturelle und touristische Akteure agieren i.d.R. nicht in gleichen Netzwerkstrukturen (John 2009). Es ist also für beide Seiten ein hoher Aufwand erforderlich, um den Markt und das in Frage kommende Spektrum an potenziellen Partnern zu sondieren, Kontakte aufzunehmen und eine Zusammenarbeit zu entwickeln. Kunst und Kultur bewegen sich auf einem ungewohnten Parkett, was Verunsicherungen und damit Transaktionskosten hervorruft. Kultur und Tourismus differieren in den Planungshorizonten Mit Kultureinrichtungen und Tourismusanbietern oder Tourismusvermarktern treffen Akteure zusammen, deren Planungshorizonte und -abläufe sehr ver-
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schieden sein können (Bößert 2004). Das führt zu hohen Abstimmungsbedarfen und Reibungsverlusten. Die Entwicklung gemeinsamer kulturtouristischer Angebote oder die touristische Vermarktung kultureller Formate, wie z.B. von Sonderausstellungen oder Festivals, setzen bestimmte zeitliche Vorläufe voraus. Das schließt die Koordination mit zeitgleichen Veranstaltungsformen, die ein identisches Besucherpotenzial ansprechen, ein. Partnerschaften erfordern somit eine frühzeitige planerische Abstimmung. Auch dadurch können Transaktionskosten in erheblichem Umfang entstehen. Diese Unterschiede bzgl. der Zielsetzung, Sprache, Netzwerke und Planungszeiträume betreffen im Wesentlichen die Anbahnung und Vereinbarung kulturtouristischer Partnerschaften. Transaktionskosten entstehen aber auch während kulturtouristischer Partnerschaften und nach deren Abschluss. Die Einhaltung des vereinbarten Leistungsaustausches muss überwacht werden. In dieser Phase zeigt sich, wie gut die vertragliche Ausgestaltung getroffen und Ziel- bzw. Erfolgskriterien formuliert worden sind. Informationsasymmetrien zwischen kulturellen Einrichtungen und touristischen Anbietern führen hier zu Transaktionskosten. Dazu zählt z.B., dass die Partner aus der Tourismusbranche gegenüber dem kulturellen Sektor über differenzierte Informationen zur Entwicklung von Übernachtungs- und Umsatzzahlen verfügen oder erfolgreiche touristische Angebotsformen früher einschätzen können. Bei Kultureinrichtungen, die noch keine oder wenige Erfahrungen mit dieser Zusammenarbeit haben, kann der Aufwand bei der Kontrolle der gemeinsamen Leistungsangebote deshalb stärker ausgeprägt sein. Ein Partner würde seinen Informationsvorsprung der opportunistischen Verhaltensannahme folgend zu seinem Vorteil nutzen. Das gilt für Kultur- und Tourismusanbieter gleichermaßen. Die Transaktionskosten hängen daneben von den Umfeldbedingungen ab: dem rechtlichen und ökonomischen Rahmen. Mit dem Tourismus überschreitet die Kultur z.B. leicht den Grenzbereich zwischen Gemeinnützigkeit und wirtschaftlicher Tätigkeit. Kulturtouristische Angebote, die kulturelle Leistungen mit touristischen Gewinnabsichten verknüpfen, sind für gemeinnützige Kulturförderer nur bedingt bzw. überhaupt nicht förderfähig. Insofern besteht hier ein Dissens zwischen der (kultur-)politischen Forderung nach einer stärkeren kulturtouristischen und damit marktorientierten Ausrichtung der Kultureinrichtungen und dem geltenden Gemeinnützigkeitsrecht. Dies muss bei der konzeptionellen Vorbereitung kulturtouristischer Partnerschaften bedacht werden, um negative Folgen für Kulturanbieter zu vermeiden. Die rechtlichen Grenzen zu berücksichtigen und ggf. aufwändige vertragliche Regelungen zu vereinbaren oder Trägerschaftsformen zu entwickeln, kann mit hohen Transaktionskosten verbunden sein, wie beispielsweise in Form von Rechtsberatungskosten.
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Verbesserte Rahmenbedingungen für Kooperationen im Kulturtourismus: Handlungsempfehlungen und Praxisbeispiele
Bis es zu einer kulturtouristischen Kooperation kommt, sind von den potenziellen Partnern also nicht unerhebliche Vorleistungen in Form von Recherchen, Verhandlungen oder vertraglichen Regelungen zu erbringen. Dabei können die beschriebenen Aufwendungen entstehen. Mit folgenden Ansätzen und Maßnahmen können diese Transaktions- bzw. Informationskosten reduziert und die Möglichkeiten für kulturtouristische Partnerschaften verbessert werden. Aufnahme einer kulturtouristischen Orientierung in das Leitbild und in die Unternehmenskultur Touristische Angebote und Kooperationen mit dem Tourismussektor zählen oft nicht zum originären Leistungsspektrum von Kultureinrichtungen und Kulturschaffenden. Zunächst einmal ist eine Offenheit der beiden Sektoren Kultur und Tourismus füreinander notwendig. Kultureinrichtungen sind noch immer stark geprägt von dem bereits beschriebenen grundsätzlichen Konflikt zwischen den (künstlerischen) Inhalten und der Vermarktung der Angebote bzw. dem „Marketing“. Von der Leitungsebene müssen Strukturen für ein Aufeinanderzugehen von Kultur und Tourismus geschaffen werden. Um diese Grundeinstellung zu verankern und zu dokumentieren, dass eine Kultureinrichtung kulturtouristischen Angeboten positiv gegenübersteht, bieten sich Leitbildprozesse an. Im Rahmen entsprechender Diskussionen können die verschiedenen Abteilungen und Mitarbeiter für entsprechende Überlegungen sensibilisiert werden. Ein Leitbildprozess sollte dabei von der Leitungsebene initiiert werden und möglichst alle Mitarbeiter einschließen. Gesteuert von einer Projektgruppe findet im Rahmen dieses Prozesses ein Dialog zur Führung, zu den Aufgaben und Leistungen sowie zur zukünftigen Entwicklung des Hauses statt. Im Ergebnis würde ein Leitbild entwickelt, das die Identität, Vision, Werte und Ziele einer Kultureinrichtung einschließlich der anvisierten Zielgruppen enthält. Die Integration von touristischen Besuchern als bedeutende Besuchergruppe ist dabei nur dann sinnvoll, wenn die Inhalte des Leitbildes in der Praxis von der Leitungsebene und den Mitarbeitern umgesetzt und gelebt werden. Eines der wenigen deutschen Museen, die Touristen als Zielgruppe in ihr Leitbild aufgenommen haben, ist beispielsweise das Jüdische Museum Berlin (Dillmann 2009). Ein evtl. extern begleiteter Leitbildprozess bietet dabei nicht nur eine Plattform, um die Vereinbarkeit der kulturellen und künstlerischen Ziele und Inhalte einer Einrichtung mit einer Öffnung gegenüber dem Tourismus auszuloten und auch Grenzen zu
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definieren. Darüber hinaus werden Kreativitätspotenziale freigesetzt, die Anknüpfungspunkte für kulturtouristische Angebote und Kooperationen schaffen. Diese frühzeitige und grundlegende Auseinandersetzung von Kultureinrichtungen mit der touristischen Ausrichtung – z.B. in Form eines Leitbildprozesses – ist eine Voraussetzung, ohne die das Zugehen auf den touristischen Sektor mit Unsicherheiten und Abstimmungsbedarfen und damit mit Kosten verbunden ist. Wenn Kultureinrichtungen wissen, in welchem Umfang und welcher Form sie sich kulturtouristischen Angeboten öffnen wollen, werden unnötige Abstimmungs- und Reibungsverluste vermieden und der Zugang auf potenzielle Partner erleichtert. Vermittlung von Know-how und Beratung und Bereitstellung eines infrastrukturellen Rahmens Für viele Kultureinrichtungen und Kulturschaffende ist der Kulturtourismus nach wie vor terra incognita; sie stehen einem relativ unbekannten Sektor mit Akteuren gegenüber, gegen die aufgrund ihrer kommerziellen Orientierung z.T. Vorbehalte bestehen. In dieser Phase geht es darum, sich die notwendigen Einstiegsinformationen zu beschaffen und grundsätzliches Know-how anzueignen. Dies ist mit Aufwand verbunden – für Kultureinrichtungen mit einem schmalen Budget und begrenzten Personal- und Zeitressourcen eine nicht unerhebliche Barriere. Kostengünstige, wie z.B. durch die öffentliche Hand geförderte, Einstiegsangebote reduzieren die Informations- und Anbahnungskosten. Es können Anreize für Kultureinrichtungen geschaffen werden, sich kulturtouristischen Überlegungen zu öffnen und Kooperationen zu entwickeln. Kulturtouristische Partnerschaften müssen nicht immer neu erfunden werden; es gibt erfolgreiche Beispiele. Dieses Know-how zu vermitteln und für Kultureinrichtungen nutzbar zu machen, ist ein weiterer Ansatzpunkt, um Transaktionskosten beim Einstieg in die „Kulturtourismuswelt“ zu senken. Dies sind z.B. Informationsveranstaltungen oder individuelle Beratungen in Form eines „Möglichkeiten-Checks“, bei dem in einem ersten Schritt kulturtouristische Potenziale einer Einrichtung geprüft würden. Die verschiedenen kulturellen Interessenvertretungen, wie z.B. Museumsverbände, Tourismusverbände aber auch Dritte mit standortpolitischen Interessen, wie z.B. regionale Wirtschaftsförderzusammenschlüsse oder lokal agierende Unternehmen, wie z.B. Sparkassen, Volksbanken oder Versicherungen, können beim Einstieg in den kulturtouristischen Bereich mögliche Partner für Kultureinrichtungen sein (Ostdeutscher Sparkassen- und Giroverband). Mit »PartiTouren Niedersachsen« besteht in Niedersachsen beispielsweise ein Programm mit Musikkurzurlauben, das bestehende Musikveranstaltungen mit Übernachtungen, Restaurantbesuchen und touristischen Zusatzleistungen
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kombiniert und im Paket anbietet. Hierfür wurde ein landesweites Netzwerk für die Zusammenarbeit von Musikveranstaltern und Tourismus- und Marketingfachleuten organisiert, die ihre Angebote in diesem Vermarktungsprogramm kostenlos platzieren können. Eingebettet ist dieses Netzwerk in die Anstrengungen des Landes, Niedersachsen als Musikland zu profilieren. Mit »Musikland Niedersachsen« existiert hierzu ein Gemeinschaftsprojekt der Stiftung Niedersachsen, der Niedersächsischen Sparkassenstiftung und dem Land Niedersachsen, das z.B. einen Dienst für Musikvermittlung etabliert und ein Kommunikationskonzept mit einem Internetportal für das Musikland entwickelt. Der Träger des Projektes »PartiTouren Niedersachsen«, die TourismusMarketing Niedersachsen GmbH, übernimmt die Koordination und Vermarktung. Mit »PartiTouren Niedersachsen« wurde hierfür eine eigene Marke kreiert. Bei diesem Projekt arbeitet das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur mit dem Wirtschaftsministerium zusammen. Auf Grundlage einer Ausschreibung wurden von einer interdisziplinären Jury die Projekte ausgewählt, die in das kostenlose Programm »PartiTouren Niedersachsen« aufgenommen wurden. Mit diesem Ansatz soll die Zusammenarbeit von Kultur und Tourismus in Niedersachsen gestärkt und die touristische Nutzung von Musikangeboten attraktiver und einfacher gestaltet werden.
Abbildung 1: Internetangebot »PartiTouren Niedersachsen«
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Abbildung 2: Plakat »PartiTouren Niedersachsen«
Gerade die regionalen oder lokalen Tourismusorganisationen sind neben Reiseveranstaltern, Hotels oder Incoming-Agenturen wichtige Partner von Kultureinrichtungen für finanziell tragbare Marketingmaßnahmen, wie z.B. mit der Platzierung eines Museums oder Theaters auf touristischen Websites oder bei Messebeteiligungen. Tourismusorganisationen bieten Kulturinstitutionen kostenlose bis kostspielige Kooperationsmöglichkeiten zur touristischen Vermarktung an. Bei der Berlin Tourismus Marketing GmbH (BTM) können Kultureinrichtungen beispielsweise folgende Angebote nutzen (Dillmann 2010):
Platzierung in Printprogrammen und im Internetauftritt sowie als Bestandteil von Mailings und Newslettern, Berücksichtigung bei saisonbezogenen Informationspaketen, die auf Anfrage an Interessierte verschickt werden und Bewerbung über spezifisch inszenierte Kampagnen oder Themenjahre.
Personelle Verankerung kulturtouristischer Ansätze sowie Fort- und Weiterbildung Kulturtouristische Angebote und Partnerschaften entstehen nicht von selbst. Sie setzen eine personelle Grundausstattung und eine Verankerung in der Organisationsstruktur einer Kultureinrichtung voraus (Dillmann 2007a). Eine der
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wenigen Kultureinrichtungen mit einer eigenen Abteilung für Tourismusmarketing ist das Jüdische Museum Berlin. Zumeist wird dieser Bereich aber von Mitarbeitern bearbeitet, die z.B. in der Marketingabteilung oder der Öffentlichkeitsarbeit angesiedelt sind. Wenn eine kulturtouristische Ausrichtung sich in der Personalstruktur einer Kultureinrichtung niederschlägt, werden Qualifikationen und Erfahrungen geschaffen, die den Aufbau und die Pflege von Kontakten zum Tourismussektor erleichtern. Mittelfristig werden die Kosten bei der Anbahnung und Umsetzung von kulturtouristischen Kooperationen gesenkt. Lerneffekte bei den Mitarbeitern und der Aufbau eines eigenen Netzwerkes reduzieren Transaktionskosten. Nur selten kann zusätzliches Personal speziell für kulturtouristische Projekte eingestellt werden. I.d.R. muss mit der bestehenden Personalstärke gearbeitet werden. Häufig ist hierbei der Erfindungsgeist der einzelnen Kultureinrichtungen gefragt, um einen kulturtouristischen Schwerpunkt zu etablieren. Die Ansätze reichen von einer klassischen Volontariatslösung bis zu unterschiedlichen Formen in der Zusammenarbeit mit Universitäten. Hierzu zählen insbesondere Fort- und Weiterbildungsangebote. Neben kulturtouristischen Symposien und Tagungen mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen sind in den vergangenen Jahren bundesweit verschiedene Studienangebote und Weiterbildungsangebote entstanden, wie z.B. an der Europa-Universität Viadrina mit einem Masterabschluss oder einem berufsbegleitenden Seminarangebot an der Fachhochschule Potsdam. Duale Studiengänge bieten beispielsweise die Möglichkeit, über mehrere Semester Studenten der Tourismusbetriebswirtschaft in einer Kultureinrichtung halbjährlich zu beschäftigen; im Gegenzug würden die kulturellen Institutionen als Nutznießer dieses Know-how-Transfers die Studiengebühren der Studenten tragen. Ein weiterer Weg ist die Unterstützung kulturtouristischer Projekte durch die öffentliche Hand oder andere Kulturförderer. Die zumeist befristete Förderung der personellen Ausstattung zur Durchführung eines kulturtouristischen Vernetzungsprojektes in einer Region kann durchaus in das Spektrum von Kulturförderern fallen – so z.B. beim Projekt »Garten Eden«. Im Zusammenhang mit der Ausstellung „Garten Eden – Der Garten in der Kunst seit 1900“ in der Kunsthalle Emden haben sich 30 große und kleinere Institutionen aus Kunst, Kultur und Tourismus unter dem Motto »Garten Eden« zusammengeschlossen, um das kulturtouristische Profil Ostfrieslands weiterzuentwickeln. Die Bedeutung Ostfrieslands als attraktives Reiseziel – auch in kulturtouristischer Perspektive – sollte gefestigt werden. Mit diesem Pilotprojekt wurde die Etablierung eines dauerhaften Netzwerkes angestrebt, um Marketingaktivitäten in Form eines einheitlichen Produkt- und Printdesigns sowie eines gemeinsamen Internetauftritts zu bündeln und Synergien zu erzielen. Für »Garten Eden« wurde eine
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gemeinsame Projektkoordination in der Marketing/PR-Abteilung der Kunsthalle Emden eingerichtet. Ermöglicht wurde diese Stelle durch eine Förderung der Stiftung Niedersachsen. Diese Projektkoordination war – so die spätere Auswertung – wesentlicher Erfolgsfaktor für das Kooperationsprojekt. Dies zeigt den Investitionsbedarf, den umfassende kulturtouristische Kooperationsprojekte voraussetzen. Erkennungszeichen des Netzwerkes war ein Signet, das Grundlage der gesamten Öffentlichkeitsarbeit aller Partner war. Dieses Signet stand allen Projektpartnern zur Verfügung. Für den Internetauftritt von »Garten Eden« wurde die bestehende Website der Ostfriesland Tourismus GmbH zum Vorteil aller Beteiligten genutzt. Die Evaluation des Projektes, u.a. mit Befragungen der beteiligten Partner und der Besucher, dokumentierte die positive Resonanz auf diese Form der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Kultur- und Tourismusanbietern. In 2010 fand dieses Netzwerk-Projekt unter dem Titel »Abenteuer Wirklichkeit« eine Fortsetzung; das Projekt knüpfte an die Ausstellung „Realismus – Das Abenteuer der Wirklichkeit“ der Kunsthalle Emden an.
Abbildung 3: Signet »Garten Eden«
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Abbildung 4: Öffentlicher Auftritt »Garten Eden«
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Informationsgrundlagen durch Kontaktbörsen und Networking Kultureinrichtungen und Touristiker arbeiten überwiegend in verschiedenen Netzwerken. Wie kann es gelingen, die beiden Sektoren häufiger zusammen zu bringen und Anbahnungskosten zu reduzieren? Kontaktbörsen, (regionale) Kulturtourismuskonferenzen oder die Schaffung von „Räumen“ zum Networking sind der richtige Weg. Eine Internetplattform eignet sich insbesondere, um mögliche – auch überregionale, nationale oder internationale – Partner zu finden. Gleiches gilt für den Austausch der Kultureinrichtungen untereinander. Zum einen bietet sich die spartenübergreifende Zusammenarbeit verschiedener Kulturinstitutionen einer Region gerade im kulturtouristischen Bereich an. Zum anderen können die Kultureinrichtungen auch im Sinn eines „Best-Practice“ voneinander lernen. Das Angebot und die Betreuung solcher Foren und Netzwerke kann in unterschiedlicher Verantwortung wahrgenommen werden: Kultureinrichtungen übernehmen selbst eine aktive Rolle, der öffentliche Bereich gibt Impulse (Degener 2007) oder auch kommerzielle Akteure bieten einen entsprechenden Rahmen. Ein Beispiel für eine Internetplattform, mit der Kunst und Kultur und Tourismus angenähert und kulturtouristische Partnerschaften lanciert werden sollen, ist »arTour. Kulturtourismus Burgenland«. Zurückgehend auf eine politische Initiative des Landes Burgenland wurde das Internetportal gemeinsam von der Regionalmanagement Burgenland GmbH und der Region Uckermark geschaffen und 2007 der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Projekt geht auf den grundsätzlichen Standpunkt zurück, dass das Burgenland mit seiner Kultur über ein Alleinstellungsmerkmal mit hoher Authentizität verfügt, an das touristische Angebote anknüpfen sollten. »arTour. Kulturtourismus Burgenland« soll mit dem Internetportal und begleitenden Veranstaltungen, wie z.B. Roundtables und Expertengesprächen, das Thema Kulturtourismus für potenzielle Partner aufbereiten. Ziel des Angebots, das im Wesentlichen aus Leader-Fördermitteln der Europäischen Gemeinschaft finanziert wird, ist es, Künstler und Kulturorganisationen und Touristiker in Verbindung zu bringen, um neue und gemeinsame Wege partnerschaftlicher Zusammenarbeit gehen zu können. »arTour. Kulturtourismus Burgenland« versteht sich dabei als Impulsgeber für innovative Projekte im Bereich Kunst- und Kulturtourismus. Durch die Präsentation von Kooperationsbeispielen sollen Berührungsängste abgebaut werden. Die Plattform bietet den potenziellen Partnern aus Kultur und Tourismus – neben einem allgemeinen Einstieg mit Marktinformationen zum Kulturtourismus – einen Projektleitfaden, der bei der Konkretisierung und Umsetzung kulturtouristischer Ideen von der Marktanalyse bis zur Produktentwicklung hilft. Mit transnationalen Best-Practice-Beispielen
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stellt »arTour. Kulturtourismus Burgenland« den Interessenten Erfahrungswerte anderer kulturtouristischer Projekte zur Verfügung und informiert über Erfolgsfaktoren. Die Partnerfindung und die dafür erforderlichen Voraussetzungen sind ein weiterer Schwerpunkt: mit Checklisten für die Projektvorstellung und grenzüberschreitenden Informationen zu relevanten Akteuren in Österreich und Deutschland.
Abbildung 5: Internetportal »arTour. Kulturtourismus Burgenland«
In der Weiterentwicklung der Plattform entstand das Projekt »arTour. Kulturtourismus im Südburgenland«. Als Modellregion werden auf Basis eines Pools der Kunst- und Kulturschaffenden der Region Vernetzungen, Kooperationen und gemeinsame Aktivitäten erarbeitet; angeboten werden u.a. Qualifizierungen für die Vermarktung kulturtouristischer Projekte oder die Bündelung buchbarer kulturtouristischer Events. Eine weitere Möglichkeit zum Networking – neben Internetangeboten – bieten Messen und Informationsbörsen; dort kann Fachpublikum in einer hohen Dichte erreicht werden. Ein eigener Messeauftritt ist aber zumeist kostenintensiv. Es bedarf eines speziellen Know-hows, um sich als Kultureinrichtung angemessen präsentieren zu können. Mit dem boomenden Kulturtourismus sind hierfür in den letzten Jahren zahlreiche neue Fachmessen und -foren entstanden. Es bestehen aber durchaus auch „budgetfreundliche“ Möglichkeiten, wenn die Standkosten mit passenden Institutionen gemeinsam getragen werden (Dillmann 2009). Das Jüdische Museum Berlin präsentierte sich z.B. über mehrere Jahre
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mit wechselnden Partnern auf der Internationalen Tourismus-Börse Berlin (ITB). Die Standgebühren und sonstige Aufwendungen, wie z.B. die Produktion eines Flyers, konnten mit den Partnern geteilt werden. Eine weitere Alternative ist es, sich als „Unteranschließer“ an Gemeinschaftsständen regionaler oder lokaler Tourismusverbände zu präsentieren. Entsprechende Gemeinschaftsauftritte werden von Reiseveranstaltern bevorzugt aufgesucht, weil sie dort i.d.R. die kulturellen Anbieter einer Region gebündelt vorfinden. Kleine, national ausgerichtete Messen sind ebenfalls eine sinnvolle Alternative zu den großen international ausgerichteten Veranstaltungen, um mit vertretbarem Aufwand ein ausgewähltes Fachpublikum zu erreichen. Die kostengünstigste Variante ist schließlich, sich auf die Auslage von Informationsmaterialien auf Messen zu beschränken. Die Deutsche Zentrale für Tourismus bietet ihren Partnern beispielsweise die Verteilung von Printprodukten bei ihren Messeauftritten an. Ein bislang wenig erprobter Ansatz ist es, Mitarbeiter von Kultureinrichtungen in touristischen Unternehmen hospitieren zu lassen und vice versa. Der Schaffung und Festigung kulturtouristischer Kontakte unmittelbar auf der persönlichen Ebene ist sicherlich zukünftig verstärkt Augenmerk zu schenken. Dies scheint ein effizienter Ansatz, spezifische Qualifikationen zu vermitteln und die Arbeitsweise der Ansprechpartner kennen zu lernen. Mit der Hospitation von Mitarbeitern aus Kultureinrichtungen in der Hotellerie kann beispielsweise auf beiden Seiten die Sensibilität für Möglichkeiten und Grenzen des jeweils anderen Sektors gefördert werden. Die inhaltliche Ausrichtung der Tourismusbetriebe und Komplementäranbieter und deren finanzielle Vorgaben werden erfahrbar. Oder: Es wird nachvollziehbar, wie z.B. Hotels auf Trends der Freizeit- und Reisebranche reagieren und wie sie auf Dauer die Qualität für ihre Kunden verbessern und sicherstellen. Kontinuität und Nachhaltigkeit kulturtouristischer Partnerschaften Kontakte zu schließen und Netzwerke aufzubauen, setzt einen zeitlichen Vorlauf voraus. Genauso zahlen sich Investitionen in Personal nicht kurzfristig aus. Erst bei einer längerfristigen Zusammenarbeit zwischen Kultur und Tourismus stellen sich Vertrauenseffekte ein. Kulturtouristische Partnerschaften sollten deshalb auf Kontinuität und Nachhaltigkeit angelegt sein. Das reduziert Anbahnungskosten, wenn sich nicht immer wieder auf neue Partner eingestellt werden muss. Eingespielte Teams senken den Abstimmungs- und Organisationsaufwand, weil z.B. die Planungsprozesse beider Partner transparent sind. Eine Vertrauensbasis hilft dabei nicht nur, unnötige Kontrollkosten zu vermeiden; sie schafft auch die Basis für gemeinsame Angebote, die eine enge gemeinsame Entwicklung und Abstimmung benötigen. Der kontinuierliche Austausch zwischen den Partnern, das
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gemeinsame Erörtern von Trends, die Suche nach und das Ausprobieren von innovativen Angebotsformen sollten deshalb zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zählen. Der Aufbau und die Pflege von persönlichen Kontakten sind mit Zeitaufwand verbunden. Diese sind jedoch die Voraussetzung für gemeinsame und langfristig erfolgreiche Maßnahmen, wie z.B. mit der Erweiterung des eigenen Leistungsspektrums oder der Nutzung von Vertriebswegen, die die touristischen Partner über Jahre etabliert und die sich bewährt haben. In dieser Form kann der eigene Aktionsradius bei kalkulierbarem finanziellem Aufwand national oder international erweitert werden (Dillmann 2010 und 2007b). Das Jüdische Museum Berlin hat z.B. bereits vor seiner Eröffnung die Zusammenarbeit mit der Berlin Tourismus Marketing GmbH (BTM) begonnen; mit einer langjährigen Zusammenarbeit ist die BTM zu einem der zentralen Partner bei der touristischen Vermarktung des Jüdischen Museums Berlin geworden. Die Kooperation mit dem Deutschen Auswandererhaus Bremerhaven in Form eines Kombitickets ist ein weiteres Beispiel. Grundlage dieser Zusammenarbeit war das Reiseverhalten deutsch-jüdischer Emigranten, die sich für Kulturreisen in Deutschland interessieren, die der Erforschung familiärer Wurzeln und Geschichte gewidmet sind. Das Jüdische Museum Berlin und das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven fokussierten in diesem Zusammenhang kulturtouristische Aktivitäten auf dieselbe Zielgruppe. Mit dem gemeinsam entwickelten und beworbenen Kombiticket können Vertriebswege des jeweiligen Partners mitgenutzt werden. Für das Jüdische Museum Berlin eröffnete sich die Möglichkeit eines internationalen Marketings auf dem amerikanischen Markt, da vom Auswandererhaus Bremerhaven ein intensiver Bezug zu den USA besteht. Für die Zielgruppe der amerikanischen Besucher wurde mit der Verknüpfung beider kultureller Einrichtungen in Berlin und Bremerhaven ein Kombiangebot in Deutschland geschaffen.
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Kultur und Tourismus – Partner mit Zukunft
Fisch und Fahrrad, Kultur und Tourismus – was zunächst relativ beziehungslos und kaum miteinander vereinbar nebeneinander steht, bietet auf den zweiten Blick vielfältige Kooperationsmöglichkeiten zum Vorteil beider Partner. Wie im „wirklichen Beziehungsleben“ gehört auch beim Kulturtourismus das Quäntchen Glück dazu, den richtigen Partner zu finden. Nicht alles ist planbar – die skizzierten Handlungsansätze können aber einen Beitrag leisten, dem Glück eine größere Chance zu geben. Den Einstieg in die kulturtouristische Kooperation durch geringere Transaktionskosten zu erleichtern, indem z.B. der Informationsaufwand reduziert, Abstimmungsbedarfe systematisiert oder Kontakte personell
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verstetigt werden, ist hierfür eine wesentliche Voraussetzung. Die Basis für eine tragfähige Zusammenarbeit bilden allerdings vor allem die Inhalte oder gemeinsam angebotene Pakete. Es liegt an den Partnern dies im respekt- und vertrauensvollen Miteinander umzusetzen. Denn: Kultur und Tourismus sind Partner mit und für die Zukunft!
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Kulturelle Lernorte im (Massen-)Tourismus? Potentiale und Strategien kultureller Bildung von Musentempel bis Disneyland Kulturelle Lernorte im (Massen-)Tourismus?
Birgit Mandel Birgit Mandel
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Einführung
Kulturtourismus wird bislang vorwiegend aus Sicht der Anbieter und ihrer Marketingperspektiven betrachtet. Kunst und Kultur sind aktuell vor allem deshalb von großem Interesse für den Tourismus, weil Kultur ein Attraktionsfaktor für den Tourismusmarkt und wichtiger Standortfaktor im Regionalund Städtemarketing geworden ist und weil mit Kulturangeboten neue Nachfrager für die Kulturinstitutionen generiert werden können. Hier soll Kulturtourismus dagegen unter der Perspektive seines Potentials für die kulturelle Bildung aus Sicht der Nachfrager analysiert werden. Warum werden kulturelle Angebote vor allem im Urlaub besucht und worin liegt der Wert für den Touristen? Wie eignen sich Touristen Kunst und Kultur an? Welche Prozesse kultureller Bildung werden dabei stimuliert und können diese zu einem nachhaltigen Interesse an Kunst und Kultur beitragen? Welche kulturellen Formen werden vor allem nachgefragt, welche Präsentations- und Vermittlungsformate sind besonders erfolgreich und warum? Kulturtourismus wird dabei bewusst nicht auf die speziell kulturinteressierten Touristen begrenzt, die der kleinen Gruppe der Kernkulturnutzer mit hoher Bildung angehören, und in Deutschland nur etwa 8 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Vielmehr soll der Durchschnittstourist in den Fokus gerückt werden, der im Urlaub sehr viel häufiger als zu Hause auch mal kulturelle Angebote wahrnimmt.
A. Hausmann L Murzik (Hrsg.), Neue Impulse im Kulturtourismus, DOI 10.1007/978-3-531-92757-2_9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Birgit Mandel Die Beschäftigung mit Kunst und Kultur auf touristischen Reisen. Rückblick, Trends und Perspektiven
2.1 Warum der Tourismus Potential für kulturelle Bildung bietet „Der Tourismus wird die Kultur popularisieren“, so prognostiziert FAZ-Feuilletonist Strobel Y Serra: „Dank des Tourismus bleibt die Kultur ein lebendiger Teil unseres Lebens, unseres Alltags. Der Tourismus wird quasi ihre Lebensversicherung sein.“ (Strobel y Serra 2007, S. 14) „Der Massentourismus holt die elitäre Kultur vom Sockel“, so proklamiert auch Freizeitforscher Opaschowski die Bedeutung des Tourismus für die von abnehmendem Interesse bedrohte Hochkultur (Opaschowski 2001, S. 97). Können Kunst und Kultur über den Umweg der touristischen Reise attraktiv werden für bislang nicht kunstinteressierte Bevölkerungsgruppen? Und können über den Umgang mit Kultur im Tourismus darüber hinaus kulturelle Schlüsselkompetenzen vermittelt werden, wie etwa die Fähigkeit mit anderen Kulturen konstruktiv umzugehen? „Heute sind Freizeit und Reisen Trainingsfelder des notwendigen Selbstdesigns. (…) Sie sind eminent notwendig für die Zukunftsfähigkeit der Bürger“ (Romeiß-Stracke 1999, S. 85/86). Die Urlaubsreise dient immer weniger der körperlichen Reproduktion von Arbeitskraft, sondern soll neue Anregungen vermitteln und wird häufig als ein informelles Lernfeld genutzt für individuelle Bildungsprozesse. Die Beschäftigung mit Kunst und Kultur als einem emotional und ästhetisch aufgeladenen, als auratisch und authentisch empfundenen, sinnliche Erfahrungen ermöglichenden Gegenstand könnte sich für solche informellen Bildungsprozesse im Urlaub auf besondere Weise anbieten. Kulturrezeption im Tourismus als Chance interkultureller Erfahrungen und Reflexionen Für die Analyse von kulturtouristischen Phänomenen muss von einem weiteren Kulturbegriff ausgegangen werden als dies üblicherweise in Deutschland der Fall ist, wo Kultur eher mit den schönen Künsten (der Hochkultur) assoziiert wird. In der Kultur im ethnologischen Sinne, als Volks-Kultur einer Region oder eines Landes, manifestiert sich deren besondere Geschichte, Traditionen, Landschaftskultur, Esskultur, ökonomische Verhältnisse – Eigenheiten, die sowohl in der Alltagskultur erfahrbar werden können, wie auch im Besichtigen kultureller Sehenswürdigkeiten und dem Besuch kultureller Veranstaltungen. Dabei handelt es sich im touristischen Kontext häufig um traditionelle Kunst-Kulturen, die oft speziell für den Tourismus wieder aufbereitet werden (z.B. Folklore). Auch zeitgenössische Kunst-Kultur kann Hinweise auf die Kultur eines bereisten
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Landes geben, wird aber häufig von Touristen nicht als typisch wahrgenommen, da zeitgenössische Kunst in ihren Ausdrucksformen häufig global ist bzw. zwischen verschiedenen Kulturen agiert. Die Beschäftigung mit der fremden Kultur fordert den Vergleich mit der eigenen Kultur heraus und ermöglicht im besten Fall ein differenzierteres Verständnis des bereisten wie des eigenen Landes. Die direkte Begegnung mit Menschen des bereisten Landes kann diese interkulturellen Erfahrungen weiter bereichern. Angesichts der Herausforderungen einer zunehmend von Migration geprägten Gesellschaft kann der Tourismus auch ein Lernfeld sein für die Herausbildung interkultureller Kompetenz. Kulturrezeption im Tourismus als Chance, mehr Menschen für Kunst und Kultur auch über die touristische Reise hinaus zu interessieren Das Besichtigen kultureller Sehenswürdigkeiten und ansatzweise auch das Besuchen kultureller Veranstaltungen gehört zum touristischen Rollenrepertoire und wird auch von vielen derjenigen auf Reisen wahrgenommen, die im Alltag kein Interesse für Kunst und Kultur zeigen. Dabei kann es sich nur um eine Konvention, eine reine Pflichtübung ohne nachhaltige Wirkung handeln. Solche Besichtungsprogramme im Urlaub könnten aber auch zu einem besseren Verständnis der anderen Kultur und sogar zu einem dauerhaften Interesse an kulturellen und künstlerischen Manifestationen beitragen. Hierbei dürfte eine entscheidende Rolle spielen, wie Kultur auf einer Reise vermittelt wird. Die touristische Reise als Ort und Zeit für eigene kreative ästhetische kulturelle Tätigkeiten Reisen kann auch mit eigenen kreativen ästhetischen Aktivitäten verbunden sein, z.B. im Rahmen von Kreativkursen (Malen, Musizieren, Fotografieren etc.) oder eher en passant wie beim Urlaubs-Knipsen. Diese Aktivitäten können sich auf das kreative Gestalten beschränken oder sich auch bewusst mit Kultur und Natur des bereisten Landes ästhetisch auseinandersetzen. Die Urlaubsreise bietet Zeit, Muße und Distanz zum Alltag sowie neue Eindrücke, die zu einer ästhetischen Aneignung anregen.
2.2 Was die massentouristische Reise von den Bildungsreisen früherer Reisender unterscheidet Der Tourismus, der der Erholung, dem Vergnügen und der Ablenkung dient, ist ein jüngeres Phänomen, das sich erst mit der fortschreitenden Industrialisierung entwickelte. Voraussetzungen für den Tourismus waren ein relativ gesichertes
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Einkommen größerer Bevölkerungsgruppen in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, die klare Trennung von Arbeit und Freizeit sowie gesetzliche Urlaubsregelungen. Vor Ort waren ein gut ausgebautes Verkehrssystem, die Entwicklung einer touristischen Infrastruktur sowie die Standardisierung und Serienherstellung touristischer Angebote notwendig. Viele der Reiseformen vor dem Tourismus waren explizit am Motiv der kulturellen Bildung orientiert. Die Grand Tour der Adligen im 16./17. Jahrhundert, die in der Regel ein Jahr dauerte und von einem Mentor als Kulturvermittler begleitet wurde, diente der Persönlichkeits-Bildung, der Erweiterung des Weltbildes, dem Knüpfen von Kontakten zu anderen Adligen in Europa sowie vor allem der Herausbildung kommunikativer, diplomatischer und interkultureller Fähigkeiten. Neben den Studienreisen der Adligen nutzten auch Handwerkerstände und Studenten Reisen als Wissens- und Bildungserwerb. Die Bildungsreise, geistesgeschichtlicher Vorläufer des „spezifisch Kultur interessierten Touristen“, entstand im 19. Jahrhundert als Veranstaltung des höheren Bildungsbürgertums. Sie diente vor allem der Selbstbildung vorwiegend in Auseinandersetzung mit Kulturleistungen vorangegangener Generationen. Ihre innere Orientierung erhielt sie durch die deutsche Klassik, die maßgeblich in kulturhistorischen Zeugnissen der Antike Anregungen und ideellen Halt für die Gegenwart suchte. Die Idee, dass die Begegnung mit dem „Guten, Wahren, Schönen“ analoge Kräfte der Seele wecke und ausbilde wurde besonders durch Goethes „Italienische Reise“ zum Gemeinplatz bürgerlicher Kultur. Über die Auseinandersetzung mit der klassischen Kunst wollte er seine Persönlichkeit erweitern und mit sich und der Welt ins Reine kommen. „Mir ist es jetzt um die sinnlichen Eindrücke zu tun, die mir kein Buch und kein Bild geben kann, dass ich wieder Interesse an der Welt nehme und dass ich meinen Beobachtungsgeist versuche, ob und wie mein Auge licht, rein und hell ist, was ich in der Geschwindigkeit fassen kann und ob die Falten, die sich in mein Gemüt geschlagen haben, wieder auszutilgen sind. (...)Ich mache diese wunderbare Reise nicht, um mich selbst zu betrügen, sondern um mich an den Gegenständen kennen zulernen.“ (Goethe 1786/ 1976, S. 35 u. S. 61). Die Bildungsreise wurde überwiegend mit dem Ziel unternommen, durch die persönliche Begegnung mit Natur und vor allem mit Kultur das Wissen zu erweitern, den Geschmack zu verfeinern und die Urteilsfähigkeit zu schärfen, das „Buchwissen“ in persönlicher Erfahrung bewusst zu machen. „Man sieht nur, was man weiß“ – sie ist also ein Idealfall kultureller Selbstbildung. „Die Bildungsreise fällt in die heroische Phase der Formierung des modernen Bürgertums und liefert zumeist den Vergleichsmaßstab für die kulturkritische Verdammung des heutigen Tourismus.“ (Spode 1993, S.3)
Kulturelle Lernorte im (Massen-)Tourismus?
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Was unterscheidet den Massentourismus von dieser klassischen kulturellen Bildungsreise? Im Wesentlichen ist es der Faktor Zeit. Während der Bildungsreisende mindestens ein Jahr zur Verfügung hatte, um sich ein Reiseland und seine Kultur anzueignen, hat der Tourist im Durchschnitt nur zwei Wochen Urlaubszeit. Im Tourismus werden die lange Vorbereitung auf eine Reise und das eigene Studium während der Reise ersetzt durch einen Reiseleiter oder gedruckten Reiseführer, der alles Wesentliche vermittelt und den Touristen in kurzer Zeit an den bekanntesten Sehenswürdigkeiten vorbei führt. Der zweite Unterschied ist die Massenhaftigkeit. Nicht nur eine kleine Elite, sondern viele Millionen Menschen sind unterwegs und wollen die häufig beschriebenen und abgebildeten Sehenswürdigkeiten mit eigenen Augen sehen, was nur mit Hilfe standardisierter touristischer Infrastruktur möglich ist.
2.3 Fakten, Trends und Perspektiven im (Kultur-)Tourismus Touristisches Reisen war in Deutschland bis in die 50er Jahre im Wesentlichen auf eine kleine, finanzstarke und gebildete Bevölkerungsgruppe beschränkt. Die meisten Arbeitnehmer reisten (mit Ausnahme der im Nationalsozialismus organisierten Kraft-Durch-Freude-Reisen) erst mit umfassenden Urlaubsregelungen und einsetzendem Massenwohlstand seit den 60er Jahren. 1954 unternahmen nur 24 % der deutschen Bevölkerung eine Urlaubsreise, 1964 waren es schon 39 %, heute sind es bereits 75 %, die mindestens einmal jährlich eine Urlaubsreise von mindestens 5 Tagen unternehmen. (vgl. Mandel 1996, S. 24 sowie Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V. 2009) Inzwischen gilt der Tourismus selbst in Krisenzeiten als relativ sicherer Markt. Bei den Urlaubsformen sind die größten Zuwächse bei den KurzurlaubsStädtereisen zu verzeichnen. Senioren, die bevorzugt Kulturreisen unternehmen, sind der größte Wachstumsmotor des Tourismus (Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V., Urlaubreisetrends 2009). Kulturtourismus ist die Bezeichnung für Reisen, auf denen sich der Tourist bewusst mit Kunst und Kultur im weitesten Sinne auseinandersetzt, seien es die Kulturen anderen Völker, Kulturdenkmäler oder kulturelle und künstlerische Veranstaltungen.
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Birgit Mandel Steinecke benennt vier mögliche Merkmale von Kulturtourismus: „1. das Interesse der Touristen an Kultur (mit unterschiedlich ausgeprägter Intensität) 2. Besichtigung kultureller Einrichtungen (sowohl der Hoch- als auch der Alltagskultur) 3. die Teilnahme an Kulturveranstaltungen 4. die zentrale Rolle einer fachlich fundierten Informationsvermittlung.“ (Steinecke 2007, S. 5)
Kulturinteresse ist in seiner Definition auch als untergeordnetes Motiv denkbar, es gibt also nicht nur den reinen Kulturtouristen („den specific cultural tourist“), sondern den „Auch-Kulturtouristen“ (General cultural tourist). Nach Steinecke sind sogar ein Großteil der Kulturtouristen „Auch Kulturtouristen, die im Urlaub auch mal Kultur besichtigen oder eine kulturelle Veranstaltung besuchen“ (Steinecke 2007, S. 4). Dies wird durch aktuelle Daten der Reisestatistik bestätigt: 4 % der Deutschen unternehmen Kulturreisen im engeren Sinne; das Potential der spezifischen Kulturtouristen wird auf 5 bis 10 % der Bevölkerung geschätzt. Darüber hinaus besuchen 77 % der Deutschen im Urlaub mindestens gelegentlich kulturelle Sehenswürdigkeiten, 37 % besuchen Musikaufführungen (Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V. 2009). Auch Antz beobachtet, dass sich das Klientel im Kulturtourismus zunehmend verändert, anders als bei früheren Bildungs- und Studienreisen, die sich auf die kleine Gruppe des gebildeten Bürgertums beschränkten, sind es nun auch andere gesellschaftliche Gruppen: „Die neuen Kulturtouristen fahren entweder – wie die Lemminge – an ein bestimmtes Reiseziel, weil es zu den Orten gehört, die man nach unausgesprochenen gesellschaftlichen Vorgaben gesehen haben muss. Dies betrifft fast ausschließlich die Großstädte Europas, die vom kulturtouristischen Boom überdurchschnittlich profitieren. Oder sie fahren in einen Erholungsurlaub einer ländlichen Region und nehmen ein Kulturhighlight am Wegesrand mit, das ebenfalls zu den regional vorgeschriebenen Musts gehört.“ (Antz 2008, S. 2) Er unterscheidet zwischen drei Kategorien von Kulturtouristen: 1. Kulturtouristen im engeren Sinne (hoch gebildete, zumeist ältere mit relativ hohem Einkommen und hohen Ansprüchen) 2. Gelegenheits-Kulturtouristen (breites Spektrum sozialer Gruppen, für Kultur aufgeschlossen, jedoch nicht Hauptzweck, wird wahrgenommen, weil man bestimmte Sehenswürdigkeiten gesehen haben muss) 3. Zufalls-Kulturtouristen (beschließen zufällig und spontan, ein kulturelles Angebot wahrzunehmen, z.B. weil es regnet) (Antz 2008, S. 4 ff.).
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Der spezifische, primär kulturell motivierte Kulturtourist nutzt auch im Alltag regelmäßig (Hoch-)Kulturangebote. Für diesen Touristen ist Kulturrezeption auf Reisen nur eine weitere Möglichkeit sein Wissen zu bestätigen, sein „kulturelles und symbolisches Kapital“ (Bourdieu) zu erweitern und seinen Distinktionsvorsprung auszubauen. Für den Gelegenheitskulturtouristen, den Auch-Kulturund Zufalls-Kulturtouristen könnte die Urlaubsreise jedoch eine erste Chance sein, sich Welt über Kunst und Kultur anzueignen. Dabei ist zu fragen, ob die Gelegenheits-Kultur-Touristen die Reiseziele und Aneignungsformen der spezifischen Kultur-Touristen übernehmen oder ob sie andere Reiseziele und Rezeptionsformen wahrnehmen. Orientieren sie sich dabei an ihren gewohnten alltagsästhetischen Schemata, die der Soziologe Schulze unterscheidet in „Hochkulturschema“, „Trivialschema“ und „Spannungsschema“ (Kombination von Kultur mit Entertainment, Erlebnisse, Nervenkitzel wie sie Erlebnisparks bieten) (Schulze 2000, S. 145 ff.)? Oder hat der Tourismus ein universales Set von kulturellen Sehenswürdigkeiten entwickelt, unabhängig von milieu-spezifischen kulturellen Präferenzen? Steinecke sieht aktuell zwei Trends im Kulturtourismus: Zum einen die Wahrnehmung immer perfekter aufbereiteter Erlebniswelten, die den Bedürfnissen der Touristen nach Edutainment, Kultur + Erlebnis + Shopping entgegenkommen. Zum anderen das Bedürfnis nach Sinnsuche und Muße, das von traditionellen Kultureinrichtungen bedient werden könne. „Mit diesen beiden Mega-Trends des touristischen Spektakels und der komplexen Freizeitwelten, aber auch dem Gegentrend zur Erfahrungs- und Sinnsuche werden sich auch die Kultureinrichtungen künftig verstärkt auseinandersetzen müssen. Für sie stellt sich dabei die grundsätzliche Frage, ob speziell die Perspektiven der Erlebnisinszenierung und Kommerzialisierung noch vereinbar sind mit den klassischen Aufgaben des Sammelns, Forschens, Bewahrens und Vermittelns. Für Kulturanbieter ergibt sich aus einer konsequenten Marktorientierung nämlich die „Modifikation des aufklärerisch-pädagogischen Anspruchs, vielleicht sogar seine Aufgabe.“ (Steinecke 2007, S. 340) Es wird damit in Frage gestellt, ob Erlebnisorientierung und Aufklärung/Bildung im Tourismus vereinbar sind. Nahrstedt postuliert den Tourismus explizit als ein „offenes Bildungssystem“ und sieht einen generellen Trend in Deutschland vom Erholungstourismus zum stärker bildungsorientierten kommunikativen Tourismus, in dem Kultur auch für weniger gebildete gesellschaftliche Gruppen eine Rolle spielt. „Statt um „Verfreizeitung“ von Kultur geht es um die Kultivierung von Freizeit und Tourismus. Nicht das Vertreiben von Freizeit und Urlaubszeit, sondern die Wiedergewinnung von historischem Bewusstsein scheint die Grundlage für einen neuen Kulturtourismus.“ (Nahrstedt 2000, S. 5). Nahrstedt sieht vor allem
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das Phänomen einer neuen kulturhistorisch orientierten Deutschland-Kulturreise. Er unterscheidet eine qualitativ nach oben sich steigernde Entwicklung im Tourismus vom Erholungstourismus in den 50erJahren bis zum Kulturtourismus in den 90er Jahren und dem Kommunikativen Tourismus als touristischem Ideal der Zukunft. „Kulturtourismus ist ein Tourismus der Reflexion und Kommunikation. Kulturtourismus könnte ein Weg des Menschen zur Neubesinnung werden.“ (Nahrstedt 2000, S.14 ff.). Um dieses Potential des Tourismus zur Wirkung zu bringen, braucht es nach Nahrstedt „verstärkt pädagogischer Vermittlungskonzeptionen“ (Nahrstedt 2000, S.11) und professionelle Vermittler. Nach Nahrstedt wäre damit jede touristische Reise potenziell auch als kulturtouristische Bildungsreise zu nutzen, wenn dies von professionellen Vermittlern angestoßen wird. Auch Romeiß-Stracke sieht einen Trend zum Interesse an Kulturkonsum auf Urlaubsreisen auch bei nicht-spezifisch Kulturinteressierten: „Heute interessieren sich Menschen für Kathedralen und Kunstausstellungen, die arrogante Bildungsbürger dort nicht vermuten. Zwar fehlt vielen dieser Besucher offensichtlich die fachliche Vorbildung, um ein Musikstück, Kunstobjekt oder Architektur beurteilen zu können, wie sich der passionierte Kunstkenner das wünschen würde. Aber sie genießen die Schönheit und symbolische Tiefendimensionen, die die Kunstwerke ausstrahlen trotzdem: Ach, ist das schön, seufzen sie und können nicht erklären, warum eigentlich.“ Aufgrund der mangelnden Vorbildung würde das Bedürfnis vieler Nicht-Bildungstouristen nach Kultur jedoch häufiger von kommerziellen Betreibern in billige Erlebnisparks umgeleitet: „Kulturerlebnis verkommt dort zum Konsum des berechenbaren, am Fliessband produzierten Imitats (…) Kulturgüter als Unterhaltung und Ablenkung für die neuen Freizeitproletarier, für die Arbeitslosen, für die Desorientierten, für die aus dem sozialen Netz Gefallenen.“ Sie prognostiziert im Negativfall eine zunehmende Schere zwischen den Gebildeten und den anderen, die bewusst dumm gehalten würden, um „die sanfte Gewalt der Freizeitverdummung, die perfekte Illusion, alles erleben zu dürfen, ohne irgend etwas dabei zu erfahren. Fast Food Events als Herrschaftsinstrument“. Und sie setzt dem die Vision eines qualitativen Kulturtourismus „für alle“ entgegen: „Vielleicht nehmen wir aber auch die Chance wahr, McDisney etwas Europäisches entgegenzusetzen. Wir haben alle Möglichkeiten dazu: die historischen Stadtkerne, die Schlösser und Burgen, die alten Bauernhäuser, die Museen, die Musik, die Malerei.“ (Romeiß-Stracke 1999, S.82 ff.) Romeiß-Stracke weist dabei explizit auch auf die Chance hin, die qualitativ hochwertige künstliche Erlebniswelten bieten könnten, um auch bildungsfernere Bevölkerungsgruppen für Kultur zu interessieren.
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Gibt es eine neue Form des nachhaltigen, wertorientierten „authentischen“ Kulturtourismus, wie von Nahrstedt postuliert? Können Prozesse kultureller Bildung auch in populären Freizeitsettings erfolgreich stattfinden oder sind Bildung und Unterhaltung im Tourismus nicht gleichzeitig zu haben? Findet kulturelle Bildung nur in spezifisch kulturtouristischen Kontexten wie der Studienreise statt oder nebenbei zum Beispiel auch im Animationsprogramm von Cluburlauben? Werden die traditionellen Hochkultureinrichtungen durch den Marktdruck und die Notwendigkeit, das touristische Marktsegment zu nutzen, zu zugänglichen Erlebnisorten?
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Kulturelle Bildung im Tourismus
„Der Begriff Kulturtourismus verstärkt das Bewusstsein, dass Tourismus immer selbst bereits Kultur ist und zwischen Kulturen des Herkunftslandes der Reisenden wie des Gastlandes der Bereisten vermittelt.“ (Nahrstedt 2000, S.8). Reisen beinhalten immer die Auseinandersetzung mit Kultur, auch im Zeitalter des Massentourismus, und dementsprechend finden also immer auch Prozesse kultureller Bildung statt, so entgegnet Nahrstedt den Tourismuskritikern. Was sind nun aber Kennzeichen kultureller Bildung und inwieweit sind gängige touristische Aneignungsformen geeignet, Prozesse kultureller Bildung zu initiieren? 3.1 Kennzeichen kultureller Bildung im Verhältnis zur Reisepädagogik und touristischen Animation Der Begriff Kulturelle Bildung impliziert zum einen den Besitz kulturellen Wissens und ästhetisch-künstlerische Kompetenzen und zum anderen den Erwerb dieser Kompetenzen. Kulturelle Bildung soll hier verstanden werden als Selbstbildungsprozess in der rezeptiven und in der aktiven, gestalterischen Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur, häufig angeregt durch professionelle Kulturvermittlung. Sie findet lebenslang und oftmals informell statt, sie ist ressourcen- bzw. stärkenorientiert, basiert auf Freiwilligkeit und auf sinnlich-ästhetischer Wahrnehmung über kognitive Lernprozesse hinaus. Kulturvermittlung ist der Oberbegriff für diverse Formen der Vermittlung zwischen künstlerischer Produktion und Rezeption sowie der Animation zu eigenem ästhetischen Gestalten und umfasst sowohl kulturpädagogische wie kulturmanageriale Vermittlungsformen medialer wie personaler Art (Mandel
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2008). Kulturvermittlung geht von der professionellen Seite des Vermittlers aus, kulturelle Bildung von der Seite des sich bildenden Subjekts. In der Literatur zum Thema lassen sich zwei unterschiedliche Ansätze unterscheiden: 1. Kulturelle Bildung, um Zugänge zu Kunst und zum Kulturleben als Selbstzweck zu schaffen (entsprechend dem deutschen Selbstverständnis, wonach Kunst nicht instrumentalisiert werden darf) und 2. Kulturelle Bildung, um über die Beschäftigung mit Kunst allgemeine Kompetenzen zu erlangen sowie als Chance zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und Mitgestaltung an einer demokratischen Gesellschaft. In letzterer Position ist kulturelle Bildung eine spezifische Form, häufig kulturpädagogisch vermittelter Allgemeinbildung (Fuchs 2008, S. 9). Zugrunde liegt dieser Position ein Kulturbegriff, der über Kunst deutlich hinausgeht und von Kultur gesellschaftliche Relevanz fordert. „Kulturelle Bildung im aktuellen Sinne einer humanistisch verstandenen Kultur verbindet die individuelle mit der gesellschaftlichen Entwicklung“ (Fuchs 2008, S. 100). Vor allem auf internationaler Ebene wird auch die funktionale Bedeutung von kultureller Bildung für zukunftsfähige Gesellschaften betont: „Wir sind überzeugt, dass die heutigen, auf Wissen basierenden und postindustriellen Gesellschaften Bürgerinnen und Bürger benötigen, die über eine selbstbewusste flexible Intelligenz verfügen, die kreative verbale und nicht-verbale Kommunikationsfähigkeiten aufweisen, die kritisch und phantasievoll denken, die sich über die Kulturen hinweg verständigen können und die sich einfühlend der kulturellen Vielfalt verschreiben.“ (Deutsche Unesco Kommission e.V. 2008, S. 56). Kulturelle Bildung ist besonders wirksam in der Auseinandersetzung mit Kunst, weil diese nicht nur neue Sichtweisen auf den eigenen Alltag zeigen und die Wahrnehmung des Gewohnten verrücken kann, sondern ebenso eine bestimmte, nicht nur kognitive, sondern auch emotionale Art des Denkens, Kommunizierens und Handelns vermitteln kann. Eine Sichtweise, die konventionelle Grenzen überschreitet und aufzeigt, dass alles auch ganz anders sein könnte. Die Beschäftigung mit professioneller Kunst ist jedoch in der kulturellen Bildung kein Selbstzweck, sondern sie hilft, kommunikative Prozesse und eigenes Gestalten in Gang zu setzen. (Mandel 2008, S. 23) Kulturelle Bildung im Sinne eines angeleiteten Bildungsprozesses kann unterschiedliche Ziele haben:
Die Rezeption von Kunst und Kultur ermöglichen im Sinne des Audience Development Eigenes Ausdrucksvermögen und künstlerische Kompetenz vermitteln
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Kreativität anregen Allgemeine Schlüsselkompetenzen fördern (Wahrnehmungsfähigkeit, Reflexionsfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit) Empowerment/Stärkung des Subjekts
Auffällig ist, dass sich Wissenschaftler und Politiker fast ausschließlich auf kulturelle Bildung für Kinder und Jugendliche beziehen. Kulturelle Bildung ist besonders nachhaltig, wenn sie in frühem Alter einsetzt, sie ist jedoch prinzipiell für sämtliche Gruppen der Gesellschaft wünschenswert und vermittelbar. Kulturelle Bildung ist ein lebenslanger Lernprozess. Die Bedeutung des Tourismus als nicht-formales und informelles Lernfeld für die kulturelle Bildung von Erwachsenen ist bislang noch nicht in den Blick genommen. Der Begriff Reisepädagogik taucht explizit so gut wie gar nicht in der Literatur auf, sondern wird eher en passant im Kontext von Freizeitpädagogik und Erlebnispädagogik oder im Kontext von Sozialpädagogik und Jugendreisen behandelt. In den 70er Jahren wurden im Zusammenhang von Studienreisen Modelle „länderkundlicher Animation“ entwickelt (Müllenmeister 1978), in den 80er Jahren sozialer Tourismus und sanftes Reisen im Kontext von „Reisen lernen“ propagiert (Kippendorf 1984, Steinecke 1989). Dabei ging es vor allem darum, die negativen Folgen des Tourismus durch einen bewussteren, Ressourcen schonenden, die kulturelle Eigenart der anderen Länder respektierenden Tourismus einzudämmen, weniger um die nachhaltige, über den Urlaub hinausreichende kulturelle Bildung des einzelnen Urlaubers. Rosenberger vermutet, dass die defizitäre Forschung im Bereich Reisepädagogik und Erwachsenenbildung an der unzureichenden Kooperation von Tourismus-Wirtschaft und Pädagogischer Wissenschaft liegen könnte (Rosenberger 2004, S. 150). „Kann aber die Pädagogik vermarktet werden, ohne sich aufzugeben?“, fragt Nahrstedt im Kontext von kommerziellen Jugendreiseanbietern (Nahrstedt 1997, S. 290). Wie lassen sich marktwirtschaftliche Interessen privater Reiseanbieter mit Zielen kultureller Bildung vereinbaren? „Freizeit und Urlaub sind, der gängigen Freizeitideologie zufolge, das Reich der Freiheit, das durch ganz andere Werte bestimmt sein soll wie Selbstbestimmung, Eigengestaltung und persönliche Entfaltung: Lernen im Urlaub – ja bitte, Pädagogik im Urlaub – nein Danke.“, so vermutet Steinecke die Abstinenz der Pädagogik im Kontext mit Tourismus (Steinecke 1989, S. 3).Der Begriff Reisepädagogik impliziert tendenziell, dass es sich um formale Lernprozesse mit gezielten didaktischen Methoden handelt. Kultureller Bildung im Kontext von touristischen Reisen liegt jedoch eher informelles, selbst bestimmtes, unmittelbares, emotionales und sinnliches Lernen ohne explizite Ziele und Leistungsdruck zugrunde.
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Interessant ist in diesem Kontext das Konzept der touristischen Animation als „Anregung und Förderung von Kommunikation und Kreativität in offenen Situationsfeldern“ (vgl. Opaschowski 1979, S. 47.) Die Urlaubsanimation, die seit den 70er Jahren mit Aufkommen von Ferienclubs eingesetzt wurde, ist in Deutschland tendenziell eher einer undifferenzierten Kritik ausgesetzt als Methode, gelangweilte Urlauber seicht zu beschäftigen (vgl. Bachleitner/Kiefl 2005, S. 32) ohne dass ihr Potential als „kulturpädagogisches“ Format, in dem Lernen mit Kommunikation und gemeinschaftlichem Erleben verbunden wird, bislang näher betrachtet wurde.
3.2 Reisemotivationen und -erleben Ob es im Urlaub zu Bildungsprozessen kommt, hängt auch von den Reisemotiven, den individuellen Beweggründen für eine Urlaubsreise ab. Nach den Ergebnissen diverser empirischer Studien steht in der Regel ein Bündel ganz unterschiedlicher, häufig nicht einmal bewusster Motive hinter jeder touristischen Reise, die je nach Urlaubsart, Alter, Bildung und Einkommen variieren. Als zentrale touristische Motive werden vor allem folgende übergreifende Motivkategorien identifiziert:
Erholung/Faulenzen/Sich verwöhnen lassen Zusammensein mit Partner und Familie Ablenkung/Vergnügen/ Erlebnisse und Geselligkeit Neue Eindrücke/Den Horizont erweitern/ Bildung Naturerleben Bewegung/Sport Sinnsuche/Selbstverwirklichung und persönliches Glück (vgl. u.a. Schober 1975, Cohen 1997, Opaschowski 2000, Braun 1993, Lohmann 2009)
Einige dieser Motive können als Auslöser von Prozessen kultureller Bildung wirken, wie „Neue Eindrücke und Horizonterweiterung“ oder „ Sinnsuche und Selbstverwirklichung“. Das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung , „das eigene Verhalten als wirksam zu erleben und die eigenen Anlagen individuell bestmöglich zu entfalten und zur Geltung zu bringen (...) stößt im weitgehend entfremdeten Arbeitsalltag häufig an Grenzen, weshalb versucht wird, es auf Reisen teilweise zu kompensieren.“ (Bachleitner/Kiefl 2005, S. 137).
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Auch das Motiv „besondere Erlebnisse/Vergnügen/Geselligkeit“ ist von Bedeutung ist für kulturelle Aneignung, die meistens auch eine emotionale und soziale Komponente hat. Schober (1993) unterscheidet vier Erlebnisbereiche im Tourismus, die auch im Kontext von kulturtouristischen Erlebnissen relevant sind:
exploratives Erleben (etwas Neues erleben, neugierig sein, suchen, entdecken) soziales Erleben (Geselligkeit, neue Kontakte) biotisches Erleben (Körpererleben) optimierendes Erleben (Status/Prestige)
Was könnten nun Motivationen oder motivierende Bedingungen des Gelegenheits-Kulturtouristen sein, sich auf Reisen unter anderem auch mit Kunst und Kultur zu beschäftigen? Generell gilt sicherlich, dass eine (Urlaubs-) Reise Zeit und Energie freisetzt, die für Kulturrezeption genutzt werden kann. Die neue Umgebung einer Urlaubsreise kann dazu anregen bewusst ästhetisch wahrzunehmen, ebenso das Bedürfnis hervorrufen, eine andere Kultur im Verhältnis zur eigenen Kultur besser zu verstehen. Der Besuch kultureller Stätten und Sehenswürdigkeiten muss jedoch nicht notwendigerweise mit einem spezifischen kulturellen Interesse oder einem bestimmten Zweck verbunden sein, sondern kann eine reine Konvention sein, ein fester Bestandteil der touristischen Rolle. Solche Aktivitäten können Eckpfeiler in der Programmgestaltung einer touristischen Reise sein oder auch nur als Lückenfüller für Regentage dienen. Ein nicht explizites Motiv könnte auch darin bestehen, das positive Image von Kultur zu nutzen, um einen gehobenen Lebensstil zu demonstrieren. Ob sich ein Tourist während seiner Reise mit Kunst und Kultur beschäftigt, dürfte auch mit deren jeweiligen Präsentations-, Kommunikations- und Vermittlungsformen zu tun haben, die bei vorwiegend touristisch genutzten kulturellen Einrichtungen möglicherweise eher allgemeinen Bedürfnissen nach Unterhaltung, gemeinschaftlichen Erleben und sinnlicher Wahrnehmung entsprechen als die üblichen Formen der Kulturrezeption in den traditionellen Kulturinstitutionen.
3.3 Die touristische Rolle und ihre Formen der Aneignung von Kultur Grundsätzlich kann man dem Touristen den Wunsch nach Bewusstseinserweiterung unterstellen, selbst wenn die Hauptmotivation seiner Reise in der physi-
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schen und psychischen Erholung und dem Streben nach positiven Erlebnissen liegt und sein Verhalten überwiegend passiv und reproduktiv erscheint. Reisen kann die Erfahrungs- und Erkenntnistätigkeit in besonderer Weise anregen, denn in Distanz zur gewohnten Umgebung intensiviert sich die Wahrnehmung und fordert Vergleiche zwischen eigener und anderer Kultur heraus. Entfernt von der üblichen Routine, frei von Alltagsverpflichtungen sind „Blick und Geist“ offen für neue Wahrnehmungen, die im Kontrast zu den Alltagserfahrungen verglichen und reflektiert werden. Es spricht viel für die Annahme, dass bei Touristen grundsätzlich der Wunsch nach selbst bestimmter Integration des Neuen in bestehendes Wissen und Erfahrungen, also nach kultureller Bildung besteht. Zu fragen ist allerdings, inwieweit dieser Wunsch unter den Bedingungen des Massentourismus realisiert werden kann. Durch die Tourismusindustrie und die Massenmedien ist die Welt für den Touristen aufbereitet im Angebot. Aufgrund der Normierung dieser touristischen Welten zu „Urlaubswelten“ und der Normierung seiner eigenen Rolle als Tourist sind seine individuellen Erfahrungs- und Erlebnismöglichkeiten eingeschränkt. Reiseziele werden durch mitgebrachte touristische Images und Wunschbilder als Urlaubswelten wahrgenommen. Der durch Massenmedien vorgeprägte „touristische Blick“ (vgl. Urry 1990) selektiert die fremde Welt. Und so ist auch Authentizität, häufige Wunschkategorie des Tourismus, immer nur ein Wahrnehmungskonstrukt, keine gegebene Eigenschaft einer touristischen Situation (vgl. Bachleitner/Kiefl 2005, S. 35). Die Prozesse touristischer Aneignung verlaufen in stark ritualisierter Weise und zeichnen sich vor allem durch das Konsumieren von Symbolen aus: „Touristische Aneignung von Fremdkulturellem verläuft vorwiegend über ritualisierten Symbolkonsum. (…) Den Symbolen ist eine spezifische Mischung von lokaler Einmaligkeit, Universalität und produzierter Sakralität zu eigen, zu der jeder Tourist in kurzer Zeit und ohne Anstrengungen universelle Verbindungen herstellen kann, gerade deshalb weil die Symbole ein verkürztes Verhältnis zur natürlichen, historischen, sozialen und kulturellen Fremdwirklichkeit vermitteln“ (Gyr 1988, S. 234). Universelle Formen von touristischem Symbolkonsum sind etwa das Sonnenbaden am Strand als Inbegriff des Urlaubsfaulenzen und biotischen Naturerlebens, das Essen und Trinken besonders typischer Speisen des Gastlandes und vor allem das Besichtigen berühmter Sehenswürdigkeiten. Das Sightseeing entspricht einer sozialen Konvention, der zufolge man bestimmte bekannte Attraktionen gesehen haben muss. Zugleich bieten Sehenswürdigkeiten in der ansonsten für den einzelnen Touristen schwer überschaubaren fremden Realität erste Orientierung und strukturieren sie. Kulturelle Sehenswürdigkeiten werden aber auch als „authentische“ Manifestationen
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menschlicher (Kultur-) Geschichte betrachtet. Indem er sie besichtigt, erhofft der Tourist, die großen gesellschaftlichen Zusammenhänge zu begreifen (Mc Cannell 1976). In der Sehenswürdigkeit manifestiere sich die Sehnsucht des Touristen nach dem Sakralen, Festlichen im Gegensatz zum profanen Alltag. Die Sehenswürdigkeit verspreche also besonderen Erlebnisgewinn, so der Tourismuswissenschaftler Nelson Graburn (Graburn 1978, S. 18 - 31). Wie aber gelingt es dem Touristen, sich die bekannte Sehenswürdigkeit persönlich anzueignen? „Schauen alleine ermüdet!“, wusste schon Goethe vom Besuch der vorwiegend antiken Sehenswürdigkeiten auf seiner Italienreise zu berichten (Goethe 1878/1976 S. 629) und versuchte vor allem durch Zeichnen und Schreiben das Gesehene für sich einzuordnen. Der Tourist nutzt zur Aneignung von Sehenswürdigkeiten vor allem Souvenirs. Souvenirs sind materialisierte Erinnerungen im weitesten Sinne, vom eigenen Fotografieren über den Konsum massenmedial für den Tourismus hergestellter Produkte. Da sich der Urlaub wesentlich in der „schönen Erinnerung“ optimiert, wird auf das Nacherleben zu Hause von Anfang an hingearbeitet. Inwiefern Erleben überhaupt noch vor Ort stattfindet, oder sich mittels prestigeträchtiger Souvenirs als „demonstrativer Erfahrungskonsum“ (Knebel 1962) in ein Später verlagert, ist in der Tourismuswissenschaft umstritten. Jede touristische Attraktion, so Dean McCannell bestehe aus „sight“ (Sehenswürdigkeit), „tourist„ und „marker“ (Anzeiger, Repräsentant, jegliche Information über eine Sehenswürdigkeit, wozu auch Souvenirs gehören). Der Tourist eignet sich die bekannte Sehenswürdigkeit persönlich an durch seinen „Marker“, er gibt einen Kommentar ab, macht ein Foto, kauft ein Souvenir. „An authentic tourist experience involves a participation in a collective ritual, in connecting one´s own marker to a sight already marked by others.“ (Mc Cannell 1976, S. 136) Diese Marker sind das eigentlich Wichtige für Erleben und Aneignung. Innerhalb der sozial und kulturell festgelegten Bedeutungen schafft jeder Tourist noch mal seine persönliche Verbindung zwischen Sehenswürdigkeit und eigener Lebenswelt und konstruiert damit, so Mac Cannell, zugleich seinen Bedeutungsbereich in der Welt. Souvenirs sind für den Touristen der Beweis, dass seine Reise wirklich ist, dass er selbst den touristischen Mythos realisiert hat (Graburn 1978, S. 28). Im Gegensatz zu Knebel konstatieren Mc Cannell und Graburn damit, dass Erleben mithilfe von Souvenirs bereits vor Ort stattfinden kann. Souvenirs haben jedoch nicht nur individuelle Bedeutung, sondern sind auch im öffentlichen Leben überall präsent als gesamtgesellschaftlich akzeptierte Symbole authentischer Erfahrungen „at other times and in other places.“ (Mc Cannell 1976, S. 147) Diese massenmedial verbreiteten Souvenirs haben wiederum Rückwirkung auf das Erleben des einzelnen Touristen. Jede Repro-
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duktion, jedes Souvenir scheint das Original noch authentischer und erstrebenswerter zu machen. Einige Sehenswürdigkeiten sind in diesen massenmedialen Prozessen geradezu zu touristischen Mythen geworden in ihrem Wert als internationale Reisesymbole (wie etwa der Eiffelturm, der Markusplatz in Venedig, die Freiheitsstatue). Souvenirs sind Ausdruck der persönlichen Teilhabe an einem gesellschaftlichen Ritual. Anders als das übermächtige, nicht fassbare Original sind sie in ihrer Verkleinerung handhabbar und individuell in Besitz zu nehmen. Über die Aktivität des Auswählens von Souvenirs kann das Sehenswürdige noch einmal persönlich definiert und die faktische Realität vor Ort für den Touristen in selbst erfahrene Realität verwandelt, d.h. angeeignet werden. Als Materialisierungen des Gesehenen und Erlebten zeugen Souvenirs davon, dass man selbst da war, und als Reliquie bewahrt, können sie im Nachhinein das Gefühl, etwas Besonderes erlebt zu haben, immer neu reproduzieren. Über das Sammeln und Aufbereiten von Souvenirs ordnet, klassifiziert, erhöht und gestaltet der Tourist das Gesehene und Erlebte. Das Medium Fotografie ist die populärste, weil besonders geeignete Form des Sammelns und Gestaltens von Urlaubs-Souvenirs. Knipsen einschließlich der Aufbereitung der selbst erstellen Urlaubsfotos ist eine ästhetische Form der Aneignung von Urlaubswelt, die Erleben und bewusste Wahrnehmung intensivieren kann und damit Prozesse kultureller Bildung befördern könnte. „Das Urlaubsknipsen und Aufbereiten der Fotosouvenirs geht über die bloße Reproduktion hinaus. Es beinhaltet einen persönlichen, ästhetischen und zum Teil auch schöpferischen Umgang mit den medial vermittelten Vorstellungsbildern des Urlaubslandes und den Fundstücken der Urlaubswelt“ (Mandel 1996, S. 218). Auch die stark ritualisierten Aneignungsformen im Tourismus können damit Spielräume für kulturelle Selbstbildungsprozesse ermöglichen, wenn sie bewusst reflektiert werden, entweder bereits vor Ort oder aber in der Aufbereitung der Souvenirs im Nachhinein.
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Formate von Kulturvermittlung im Tourismus
Kunst und Kultur sind für den Touristen in verschiedensten Formaten im Angebot. Nachfolgend werden einige der gängigsten Angebotsformen in Bezug auf ihre Vermittlungspotential kurz vorgestellt.
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4.1 Traditionelle Kulturinstitutionen als touristische Sehenswürdigkeiten, Festivals und Kultur-Denkmäler Neben der Suche nach immer herausragenderen Erlebnissen haben Touristen zunehmend Bedürfnisse nach Sinnsuche und Muße, die von traditionellen Kultureinrichtungen bedient werden könnten, so die These von Steinecke. Besonders mit dem Boom der Städtereisen profitieren vor allem Museen, aber auch Konzerthäuser, Opernhäuser und zum Teil auch Theater vom stark zunehmenden Tourismus. Museen sind deswegen besonders geeignete Orte für Touristen, weil sie ohne Vorbuchungen besucht werden können, weil sie zeitlich flexibel und individuell nutzbar sind und weil sie weniger sprachliche Barrieren beinhalten. Häufig ist die Architektur von Museen, ebenso wie ihr Restaurant/Cafe und der Museumsshop als Ort für die Auswahl von Souvenirs weitere wesentliche Attraktionen für den Touristen. Der Besuch traditioneller Kultureinrichtungen ist Bestandteil des GesamtUrlaubs-Settings und Teil der Aneignung einer besuchten Stadt: Die Semperoper wird nicht primär besucht, weil man schon lange mal eine bestimmte Oper sehen wollte, sondern weil sie perfekt in das Gesamterlebnis-Paket Dresden passt. Inwieweit verändern Kulturinstitutionen ihre Präsentations-, Marketings- und Vermittlungsstrategien in Bezug auf die Zielgruppe Touristen? Sollten sie diesen entgegenkommen durch spezifische Angebote, die z.B. eine Opernaufführung mit einer architektonischen Einführung und einem gastronomischen Abschluss kombinieren? „In der Vorstellung der Städtetouristen hat sich der Museumsbesuch längst von der primären Lernerfahrung zum Gesamtevent gewandelt, in dem auch Erlebnis-, Konsum- und Verwöhnelementen eine Rolle zukommt. (…) In der Konsequenz sind die Museen gefordert, über ihr Kernangebot der Sammlungs- und Ausstellungspräsentation hinaus zusätzliche Leistungen für die Besucher anzubieten“(Dillmann 2007, S. 67). In kulturwirtschaftlich betriebenen Formaten wie dem Musical wurden von Anfang an unterschiedliche Elemente zum Gesamterlebnis gebündelt: Aufsehen erregende Architektur, eine interdisziplinäre, eingängliche, künstlerische Inszenierung, Merchandising Shops als Möglichkeit Souvenirs zu kaufen, eine zum Inszenierungskonzept passende Gastronomie, häufig auch ein ästhetisch passendes Hotel. Auch die vielen neu entstandenen Musik-Festivals an touristisch relevanten Orten, die auf die Verbindung von Kunst, Architektur und Natur setzen, häufig auch in Form von Open Air Veranstaltungen, sind ein Indikator dafür, dass Kulturanbieter sich den Bedürfnissen von Touristen nach schönen und stimmigen Gesamterlebnissen öffnen. „Die Verbindung von Kulturdenkmal (Hardware) und Event (Software), ob mit Musik- und Theaterveranstaltungen,
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Tagungen, Ausstellungen ist eine Erfolgsgeschichte geworden. In der Verlebendigung des kulturellen Erbes liegen denn auch die größten Chancen des Kulturtourismus“, so vermutet Antz (Antz 2008, S. 17). Gegenstimmen plädieren dafür, dass traditionelle Kultureinrichtungen im Gegenteil darauf beharren sollten, Bedürfnisse des Touristen nach kurzweiliger Kulturrezeption nicht zu bedienen: „Bei einer Ausrichtung auf den Trend der Sinnsuche und neuen Muße müssen sich Kulturinstitutionen als Orte der Ruhe und Kontemplation verstehen, in denen Kultur und Kreativität als Mythen lebendig werden – wie in den Wunderkammern und Raritätenkabinetten, die nur wenigen Besuchern zugänglich waren.“(Steinecke 2007, S. 3). Hier wäre zu fragen, ob Bildungsprozesse tatsächlich nur an kontemplativen Orten stattfinden können, oder inwiefern die Besonderheiten originärer KunstKultur nicht so inszeniert werden könnten, dass sie sie sich auch dem kunstungeübten Besucher emotional erschließen und zu seinem Gesamturlaubserlebnis passen und zugleich Neugier wecken, diese Kultur in ihrem besonderen Eigenwert zu begreifen.
4.2 Studienreisen Betrachtet man die Angebote der führenden Studienreiseveranstalter in Deutschland (wie Studiosus und TUI), so ist hier ein deutlicher Trend erkennbar weg von der klassischen Studienreise hin zur erlebnisorientierten Kulturreise. „Ein frischer Wind weht durch die Studienreise: Sie darf Spaß machen, ist erlebnisreich und unterhaltsam. (....) Die moderne Studienreise ist eine intelligente Form des Urlaubs. Sie ermöglicht eine intensive Begegnung mit dem Gastland, indem sie gegenwärtige Lebenssituationen und Kultur aufzeigt, Bezug zur Vergangenheit herstellt und dieses zu einem Erlebnis für alle Sinne werden lässt“, so etwa das Leitbild des Marktführers Studiosus (Krohm 2007, S. 99). Offensichtlich geht damit auch das Klientel der Studienreise inzwischen über den klassischen Bildungsbürger hinaus und umfasst auch Menschen, die nicht primär kulturell motiviert sind, sondern z.B. auch das Gruppenerlebnis im Rahmen einer Studienreise suchen ebenso wie die perfekte Organisation aller Rahmenbedingungen, was gerade in Ländern, deren Sprache man nicht kennt, sehr erleichternd ist. Die Reiseleitung ist die Schlüsselfigur einer Studienreise. Sie muss kulturelle Sehenswürdigkeiten ebenso sachkompetent vermitteln können wie über interkulturelles Wissen verfügen, sie muss Kommunikationsprozesse in der Gruppe erfolgreich steuern und jeden Teilnehmer einbeziehen können. „Der entscheidende Faktor für den Erfolg einer Studienreise ist der Reiseleiter. (…)
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Die Ausbildung des Reiseleiters muss so angelegt sein, dass er neben einem ausreichenden Einblick in die Werte, Verhaltensnormen und Umgangsformen der fremden Kultur einige Fertigkeiten erwirbt, um sich eine nicht-direktive Art der Gruppenleitung anzueignen, um den Teilnehmern zwanglose Anregungen für die Selbstentscheidung und das Sammeln von neuen Erfahrungen geben zu können.“ (Hartmann 1982, S. 75). Für den Reiseleiter als multifunktionalem Kulturvermittler gibt es keine zertifizierte Ausbildung, vielmehr bilden die Reiseveranstalter ihr Personal selbst weiter. Studiosus hat dabei als einziger Reiseveranstalter in Europa eine eigene Ausbildung inklusive Qualitätsmanagementsystem entwickelt. Zu untersuchen ist, ob und wie es den kommerziellen StudienreiseVeranstaltern gelingt, neue Formen der erlebnisorientierten Kulturvermittlung zu entwickeln, bei denen Interesse an Kunst und Architektur ebenso geweckt werden wie an der Beschäftigung mit ethnischen kulturellen Unterschieden.
4.3 Kulturelle Animation in Cluburlauben Die Pauschalreise mit Clubanimation hat in den vergangen 15 Jahren stark an Zuwachs gewonnen, es gibt kaum noch ein Ferienhotel, das nicht über Sport-/ Spiel und Kulturanimationsangebote verfügt. Animation basiert auf Freiwilligkeit und zeichnet sich aus durch offene, eher unverbindliche Angebote, bei denen jeder voraussetzungslos mitmachen kann. Dabei geht es um „Belebung“, um Aktivierung, um die Senkung von Zugangsschwellen, um Bewegung und um soziale Kontakte (Opaschowski 1979). Obwohl der Animateur im Idealfall ein Kulturpädagoge sein könnte, ist die touristische Animation bislang noch nicht unter dem Aspekt der kulturellen Bildung untersucht worden, was u. a. damit zusammen hängt, dass die Tätigkeit des Animateurs keinem akademischen Berufsbild entspricht, sondern als Gelegenheitsjob gilt, der allenfalls gewisse sportliche Kompetenzen voraussetzt. Qualitativ hochwertige kulturelle Animation wird aktuell in Ferienclubs vermutlich nicht systematisch angelegt, sondern dürfte eher Zufall sein. Kulturangebote in Ferienclubs gibt es in der Regel in Form landeskundlicher Exkursionen, Musik-Theater-/Tanzaufführungen und Mitmach-Shows am Abend, zum Teil unter aktiver Beteiligung von Touristen als Darsteller sowie in Form sogenannter Kreativ-Ateliers, in denen vor allem im Bereich der bildenden Kunst gearbeitet wird. Zu fragen ist, inwieweit die kulturellen Angebote von Clubanbietern über ihre kommunikationsstiftende Bedeutung hinaus auch für neue ästhetisch-kulturelle Erfahrungen öffnen können.
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4.4 Kulturelle Themenparks Auch künstliche Erlebniswelten und Themenparks wie etwa der Europa-Park Rust oder die Autostadt Wolfsburg, die für sehr viele Touristen von großer Attraktivität sind, – oder das Disneyland Paris, das viermal so viele Besucher wie der Louvre hat – könnten populäre kulturelle Lernorte sein. „Da die kommerziellen Erlebniskomplexe keine klassischen öffentlichen Kulturaufgaben haben (Sammeln, Bewahren, Forschen, Bilden) können sie sich konsequent an den Infotainment-Bedürfnissen der Kunden orientieren. (…) Die Konsumenten suchen zunehmend illusionäre Gegen- und Traumwelten, in die sie für kurze Zeit vollständig eintauchen können. Gemeinsames Merkmal dieser Parks, Welten, Paradiese ist ihr komplexes und multifunktionales Angebot: Vergnügen und Information, Shopping und Kultur, Gastronomie und Geselligkeit sind gängige Bestandteile vieler entsprechender Einrichtungen. Damit bedienen sie nicht nur den Wunsch der Konsumenten, über möglichst viele Handlungsoptionen zu verfügen, sondern auch ihr Interesse, an einem Ort zu sein, an dem offensichtlich viel passiert und viele Menschen anzutreffen sind.“ (Steinecke 2007, S. 337). Ein weiterer Grund für die Attraktivität dieser Themenparks ist die perfekte Inszenierung, in der alle realen Widrigkeiten und störenden, hässlichen Elemente ausgeschaltet sind und etwa Länder, wie im Europapark Rust, sich so darstellen wie sie den touristischen Wunschbildern entsprechen. Themenwelten sind „auf populären Mythen basierende, optimierte Orte“ (Steinecke 2009, S. 32), an denen mit perfekt aufeinander abgestimmten Inszenierungstechniken Geschichten erzählt werden. Das, was die gängige Tourismuskritik den künstlichen Erlebniswelten vorwirft: die vermeintlich mangelnde Authentizität wird zum Vorteil, indem diese Welten sich auf die touristischen Symbole von Reiseländern konzentrieren, die als besonders typisch und im Sinne der eigenen Erwartungen auch als authentisch empfunden werden. Häufig sind die Inszenierungen interaktiv angelegt, so dass der Betrachter unmittelbar beteiligt ist und Kultur mit verschiedenen Sinnen erleben kann. Auch die Themenwelten sind bislang, mit einer Ausnahme (Nahrstedt 2002), noch nicht daraufhin untersucht worden, inwieweit dort über Spaß, Action und eine gute Atmosphäre hinaus auch kulturelle Bildungsprozesse stattfinden.
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Fazit
Betrachtet man die Formate, in denen Kultur im Tourismus auftritt und möglicherweise auch vermittelt wird, so werden folgende Prinzipien sichtbar:
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ein unkonventioneller Umgang mit kulturellen Inhalten, die Verknüpfung verschiedener hoch- und alltagskultureller Sphären; das Schnüren von Gesamtpaketen und das Gestalten von emotional erfahrbaren Erlebnisräumen mithilfe verschiedener Inszenierungstechniken, in denen unterschiedliche Bedürfnisse befriedigt werden, alle Sinne einbezogen sind und zugleich das Eintauchen in eine besondere Atmosphäre möglich ist; das Bemühen um aktive Beteiligung der Touristen, niedrigschwellige Animation statt Didaktik; die Betonung der sozialen und kommunikativen Dimension von Kulturveranstaltungen.
Während man Studienreisen zweifelsohne Bildungswirkungen zugestehen wird, sind die Potentiale informeller kultureller Bildung von Event-Sightseeing, Cluburlauben und Themenwelten bislang noch kaum betrachtet worden. Um die Potentiale des Tourismus für die kulturelle Bildung auszuschöpfen, müssten die im touristischen Kontext entwickelten Präsentations-, Kommunikations- und Vermittlungsformen so ausgestaltet werden, dass Verständnis für und Interesse an den Inhalten und Perspektiven von Kunst und Kultur nachhaltig geweckt werden können. Dabei dürften die Kulturvermittler eine Schlüsselrolle spielen. Die Analyse der Wirkungen populärer Aneignungs- und Vermittlungsformen von Kultur im Tourismus sind Gegenstand eines aktuellen, empirischen Forschungsprojekts der Autorin. „Der Urlaubgast ist unerbittlich. Er verlangt nach immer neuen Attraktionen.“ (Opaschowski 2001, S. 84). Dieses Verlangen könnte ein Reflex darauf sein, dass die gewachsenen Attraktionen nicht hinreichend zugänglich gemacht werden. Bleiben diese auf ihre Oberflächenreize beschränkt, weil es keine sinnfällige Vermittlung ihrer verschiedenen Bedeutungsebenen und ihrer Relevanz für das Leben des Touristen gibt, verbraucht sich ihr Attraktionswert tatsächlich sehr schnell. Der Tourismus in seiner Massenhaftigkeit hat das Potential, den Umgang mit Kunst und Kultur zu popularisieren und dabei auch das in Deutschland vorherrschende Image von Kultur als Hochkultur, die nur für eine kleine Elite von Bedeutung ist, zu erweitern. Kunst und Kultur im Tourismus sind eingebettet in einen weiten Kulturbegriff, der auch Lebensformen und alltägliche kulturelle Ausdrucksformen beinhaltet und damit vielschichtigere Zugangsmöglichkeiten bietet. Der Tourismus als kulturelles Lernfeld könnte zeigen, dass Kultur in ihren vielfältigen Auftrittsformen, von den kulturhistorischen Denkmälern über zeitgenössische Kunstformen bis zu alltagskulturellen Formen, von hoher Relevanz ist, dass Kultur die Fähigkeit hat, Gesellschaften zu reflektieren
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und zu bereichern, interkulturelle Unterschiede verständlich zu machen, Kommunikation zu stiften und Lebensqualität jedes einzelnen zu erhöhen.
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Kulturdestinationen als Wettbewerbssysteme – Good Practice in Europa Kulturdestinationen als Wettbewerbssysteme – Good Practice in Europe
Hubert Bratl / Patrick Bartos Hubert Bratl / Patrick Bartos
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Einleitung
Die Erfolgsgeschichten des Städtetourismus in Europa (Sager 2003) sind engstens mit dem Faktor Kultur verknüpft. Die besondere touristische Attraktivität von Städten wie Barcelona, Berlin, Glasgow oder Wien baut auf einer kreativen touristischen Nutzung des kulturellen Erbes, des zeitgenössischen Kultur- und Kunstschaffens, der Kultur- und Kreativwirtschaft und der Alltagskultur auf, die für die einzigartige Atmosphäre und den Flair dieser Städte als Tourismusdestination sorgt. Städte wie Glasgow oder Bilbao demonstrieren dabei, dass man auch mit weniger erfolgversprechenden Ausgangsbedingungen bei anhaltendem kulturtouristischem Engagement erfolgreich sein kann. Auch international angelegte Evaluierungsstudien wie die 2009 von der OECD herausgegebene Studie The Impact of Culture on Tourism (OECD 2009a) belegen die besondere Bedeutung des kulturellen Geschehens für die Entwicklung von Tourismusdestinationen. „Kultur wird ein immer wichtigeres Element des Tourismus-Produktes, da sie dazu verhilft, in einem unüberschaubar gewordenen Weltmarkt Besonderheiten zu betonen“ (OECD 2009b, S. 1). Die Aktualität und die Möglichkeiten des Themas werden durch die Trend- und Marktforschung bestätigt: Kurz- und Städtetrips zählen am Beginn des 21. Jahrhunderts zu den Reiseformen mit den größten Zukunftschancen (Opaschowski 2008, S. 243). Verständlicherweise hegen daher auch Städte und Regionen, die bisher auf der kulturtouristischen Landkarte kaum in Erscheinung getreten sind die Hoffnung, dass auch ihnen bei entsprechendem Engagement und Einsatz eine Zukunft als erfolgreiche Kulturtourismusdestination möglich sein sollte. Kann aus der aktuellen Omnipräsenz des Themas Kultur nun aber auch auf seine Omnipotenz bei der Lösung touristischer Entwicklungsherausforderungen geschlossen werden? Erfolglose international angelegte Festivals, nicht aufgegangene kulturell geprägte Stadtentwicklungsprojekte und nur in Ansätzen erfüllte touristische Entwicklungshoffnungen großer Kulturstädte zeigen, dass diese einfache Rechnung nicht gemacht werden kann. Die Voraussetzungen für die touristische Inwertsetzung von Kultur, Kunst und Kreativität haben sich A. Hausmann L Murzik (Hrsg.), Neue Impulse im Kulturtourismus, DOI 10.1007/978-3-531-92757-2_10, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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geändert. In den letzten beiden Jahrzehnten ist, genährt von Initiativen wie der Kulturhauptstadt Europas, der Wiederentdeckung und Aufwertung der historischen Innenstädte und großen Investitionen in kulturelle Infrastrukturen, ein kulturtouristischer Markt mit deutlichem Angebotsüberhang entstanden. Einfache „Me-too“- Strategien funktionieren in der Regel unter den verschärften Wettbewerbsbedingungen nicht mehr. Viele unterschiedliche Studien und Expertisen sind daher heute den aktuellen Erfolgskonzepten der Benchmarks im Städtetourismus auf der Spur und haben eine Vielzahl und Vielfalt von wichtigen Erfolgsfaktoren und strategischen Leitlinien für eine erfolgreiche Gestaltung kulturtouristischer Angebote und Entwicklungsstrategien herausgearbeitet (Dreyer 2000, Heinze 1999 u. a.). International vergleichende Evaluierungsstudien wie die genannte OECD-Studie The Impact of Culture on Tourism (OECD 2009a) rücken dabei insbesondere das Verhältnis von Kultur- und Tourismusinstitutionen und das kulturtouristische Marketing als entscheidende Faktoren für die kulturtouristische Entwicklung in den Mittelpunkt. Was in den bisher realisierten Benchmark- und Evaluierungsstudien unterbelichtet bleibt ist eine genauere systemische Analyse der zwischen den relevanten Institutionen des Kultur- und Tourismusgeschehens angelegten Interorganisationssysteme, die dafür sorgen, dass Kulturstädte und Kulturregionen die genannten Erfolgsfaktoren auch realisieren, ihre kulturellen Potenziale zu wettbewerbsfähigen Angebotslandschaften kombinieren und auf nationalen und internationalen Märkten in Wert setzen können. Der Erkundung und Rekonstruktion dieser Systemzusammenhänge, die Kulturstädte auch unter verschärften Wettbewerbsbedingungen zu erfolgreichen national und international handlungsfähigen Kulturdestinationen werden lassen, ist der gegenständliche Beitrag gewidmet. Der Beitrag leitet seine zur Diskussion gestellten Aussagen und Erkenntnisse aus einer international angelegten Studie der invent GmbH zu Good-Practice-Beispielen im Kulturtourismus Europas ab. Kernziel der Studie war die Rekonstruktion der überbetrieblich angelegten Systemzusammenhänge, die aus interessanten Kulturstädten national und international wettbewerbsfähige Kulturdestinationen machen können.
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Vorstellung der Basisstudie: Kulturdestinationen als Wettbewerbssysteme
Die Studie der invent GmbH – Innovationsagentur für Wirtschaft, Tourismus und Kultur wurde im Rahmen des vom österreichischen Bundesministerium für
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Wirtschaft und Arbeit initiierten strategischen Schwerpunktprogramms Culture Tour Austria realisiert. Die Studie war darauf ausgelegt, über explorative Fallstudien zur Entwicklungspraxis besonders erfolgreicher Kulturdestinationen Europas die entscheidenden systemischen Entwicklungszusammenhänge abzuleiten, die für die nachhaltige Etablierung der Kulturstädte als Reiseziele und kulturtouristische Wettbewerbssysteme gesorgt haben. Für die Einlösung dieses Untersuchungsinteresses wurden zwei Projekte organisiert. Projekt 1: Explorationsstudie zu den kulturtouristischen Entwicklungszusammenhängen in erfolgreichen Kulturdestinationen Europas Hier wurden über explorative Fallstudien zu den Entwicklungswegen von Barcelona, Wien, Berlin, Salzburg, Glasgow und Bodensee-Vorarlberg die entscheidenden dauerhaft wirksamen Zusammenhänge der kulturtouristischen Entwicklung über ein iteratives Konstruktionsverfahren herausgearbeitet und zu einem idealtypischen Systemmodell für Kulturdestinationen als Wettbewerbssysteme verdichtet. Projekt 2: Destination Survey Kulturtourismus in Europa Im zweiten Schritt wurde über eine schriftliche Befragung von insgesamt 20 Kulturdestinationen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz überprüft, inwieweit das qualitativ bestätigte Systemmodell auch auf breiterer Ebene anzutreffen ist. Die Destination Management Organisationen der Städte Bayreuth, Bremen, Chemnitz, Goslar, Graz, Hannover, Karlsruhe, Kassel, Krems, Lüneburg, Luzern, Magdeburg, Osnabrück, Steyr, St. Gallen, Stralsund, Ulm, Wien, Winterthur und Zürich haben sich am Destination Survey beteiligt. Damit wurde ein Überblick über eine große Bandbreite von Kulturdestinationen realisiert (Deutscher Tourismusverband 2006). Sowohl Kulturmetropolen wie auch multifunktionale Großstädte, große Tagungsstädte mit kultureller Bedeutung und mittelgroße und kleinere Kulturstädte beteiligten sich an der Befragungsaktion des Destination Survey. Die erzielten Ergebnisse der Good-Practice-Studie wurden abschließend mit den Ergebnissen der 2008 abgeschlossenen internationalen Evaluierungsstudie der OECD „The Impact of Culture on Tourism“ (OECD 2009a) abgeglichen, an der auch die invent GmbH mitgewirkt hat. Systemisch orientierte Explorationsstudie Die Bezeichnung „systemisch“ bezieht sich im Rahmen dieser Arbeit zuallererst auf die Tatsache, dass anspruchsvollere Formen des Kulturtourismus über ein soziales, interorganisatorisches Zusammenwirken von Institutionen und Organi-
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sationen aus dem Kultur- und Tourismusbereich realisiert werden müssen. Den Voraussetzungen und dem Funktionieren dieses Zusammenwirkens wurde besonderes Interesse geschenkt. Diese Perspektive fokussierte die Studie auf eine besondere Beachtung von systemkonstituierenden Strukturen und Prozesse: Interorganisationssysteme von Verbundwirtschaften Bei genauer Betrachtung stellen Destinationen regional verdichtete Verbundwirtschaftssysteme dar (Bratl/Trippl 2001 und 2002). Über das Verbundsystem einer Kulturdestination schaffen und vermarkten unterschiedliche, rechtlich selbstständige Organisationen und Einrichtungen aus dem Kultur-, Tourismus- und Infrastrukturbereich gemeinsam überlegt kombinierte kulturtouristische Dienstleistungen für ausgewählte Märkte und Kundengruppen. Die einzelnen Organisationen profitieren von dem durch ihre Koordinations- und Kooperationsleistungen geschaffenen Mehrwert und können durch ihre Kooperationen den Markt- und Markenwert wie auch andere bedeutende Wertpotenziale für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Destinationen beständig erhöhen. Es wird außerdem sichtbar, dass eine gut funktionierende Destination nicht nur ein etwas differenzierter ausgestaltetes Netzwerk darstellt, sondern über ein Set von zusammenwirkenden Interorganisationssystemen tatsächlich zu einem strategisch agierenden System mit entsprechender Eigendynamik werden kann. Dabei spielen unterschiedliche Netzwerke eine entsprechend große Rolle, sie werden jedoch in der Regel durch weitere Interorganisationssysteme und intermediär geprägte Organisationen mit spezifischen Zwecksetzungen ergänzt. Neben offenen regionalen Netzwerken, strategisch orientierten Unternehmensnetzwerken, vertraglich klar geregelten Kooperationen und kreativen Innovationssystemen spielen bei großen Kulturdestinationen auch unterschiedliche Kerngeschäftssysteme mit spezifischen Wertschöpfungsnetzwerken, Cluster und speziell eingerichtete intermediäre Organisationen (Destination Management Organisationen, Kulturhauptstadtgesellschaften, u. a. m.) zur Sicherung notwendiger Koordinations- und Steuerungsleistungen (Benz et al. 2002) für die Wertund Ertragssicherung im wettbewerbsorientierten Verbundsystem einer Destination eine entscheidende Rolle. Blick auf Systempotenziale Kooperations- und Entwicklungszusammenhänge entstehen auch im Kulturtourismus nicht von selbst oder aufgrund selbstloser Engagements. Wer sie verstehen will, muss deshalb vor allem die Kooperationspotenziale bestimmen und transparent werden lassen, deren Nutzung den beteiligten Institutionen die geforderten Vorteile verschafft, die sie zu kulturtouristischen Kooperationen motivieren.
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Prozesse des Organisierens Aus bestehenden Synergiepotenzialen für nutzenstiftende kulturtouristische Kooperationen darf nicht auf deren automatische Einlösung durch die Akteure geschlossen werden. In der Entstehung und Entwicklung der Kulturdestinationen bedarf es vielmehr permanent wirksamer Prozesse des Organisierens (Weick 1985, Baecker 1999), um über konkrete Projekte ausreichende Motivation für ein dauerhaftes Zusammenwirken zwischen Institutionen aus dem Kultur-, Tourismus- und Stadtentwicklungsbereich entstehen zu lassen. Systemische Perspektiven sollten diese Kunst des Organisierens transparent und nachvollziehbar machen. Systemfunktionen Die Realisierung und der entstehende Nutzen und Effekt von konkreten Systemfunktionen konstituieren über ihr Zusammenwirken ein Kulturtourismussystem und lassen es in den für das System entscheidenden Entwicklungs- und Wettbewerbskontexten erfolgreich bleiben. Der folgende Ergebnisbericht zu den durchgeführten Explorationsstudien konzentriert sich aus Platzgründen in erster Linie auf eine Darstellung der systemkonstituierenden Systemfunktionen, die Kulturdestinationen bzw. den Kulturtourismus einer Stadt zu einem strategisch agierenden Geschäfts- und Wettbewerbssystem (Bratl/Schmidt/Trippl 2002) machen können.
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Der funktionale Zusammenhang von Kulturdestinationen als Wettbewerbssysteme
Der funktionale Systemzusammenhang gibt das „Big Picture“ einer erfolgreich arbeitenden Kulturdestination wieder. Der funktionale Systemzusammenhang fokussiert auf die Darstellung und das Zusammenwirken der wichtigsten Systemfunktionen, die in einer Kulturdestination dauerhaft erfüllt werden müssen, um diese zu einem eigendynamischen Entwicklungs- und Wettbewerbssystem zu machen. Die Systemfunktionen konstituieren ein strategisch orientiert handelndes Destinationssystem, das dafür sorgt, dass Kulturstädte ihr kulturtouristisches Entwicklungspotenzial auch auf dafür relevanten Märkten dauerhaft in Wert setzen können. In den untersuchten Kulturmetropolen wurden diese Systemfunktionen von den kulturtouristisch engagierten und für ihn bedeutsamen Institutionen und Organisationen aus dem Kultur-, Tourismus- und Kreativwirtschaftsbereich umgesetzt. Die Destination Management Organisationen spielten dabei in der Regel die bedeutsamste Rolle, können jedoch für die Entwicklung
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des Wettbewerbssystems der Kulturdestination nicht allein verantwortlich gemacht werden. Kulturdestinationen als Wettbewerbssysteme Stadt-, Infrastruktur u. Standortentwicklung
Kulturtouristischer Nachfragemarkt
S2 Kulturaffines Markenmanagement
S1 Destinationsmanagement
S3 Strategie Kulturtourismus
ist ur To
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d S4 Kerngeschäftsmanagement
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Kulturtouristische Potenziale
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Mitbewerber
Abbildung 1: Kulturdestinationen als Wettbewerbssysteme ©invent GmbH
Die explorativen Fallstudien zu den besonders erfolgreichen Kulturdestinationen Europas förderten sechs entscheidende Systemfunktionen zu Tage. Die dauerhafte Erfüllung dieser sechs Systemfunktionen sorgt für die Mobilisierung und Nutzung gegebener Synergie- und Kooperationspotenziale und lässt die notwendigen verbindenden Netzwerke, strategischen Kooperationen und Innovationssysteme für die Entwicklung der Kulturdestination entstehen. Die Motivation für das notwendige Engagement der Akteure entsteht durch die Nutzen und Vorteile, die sie aus der Mobilisierung der vorhandenen Synergiepotenziale gewinnen können. In der Regel wurden in den untersuchten Kulturdestinationen die genannten Systemfunktionen vor allem durch starke Destination Management Organisa-
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tionen realisiert, die sich dabei auch für den Auf- und Ausbau von notwendigen Koordinations- und Governancestrukturen für das geforderte Zusammenwirken mit wichtigen Institutionen aus dem Kultur-, Standort- und Stadtentwicklungsbereich engagierten. Im Falle besonders bedeutsamer temporärer Großveranstaltungen und intensiver Transformations- und Entwicklungsphasen, wie bei Kulturhauptstadt- und Themenjahren, wurden auch eigene kulturtouristische Organisations- und Vermarktungsgesellschaften eingerichtet. Wichtig ist dabei, dass Kulturdestinationen als Wettbewerbssysteme stets interorganisatorisch angelegte Verbundsysteme darstellen, über die sehr unterschiedlich orientierte, eigenständige Organisationen aus den Kultur-, Tourismus- und Kreativwirtschaftsbereich sowie der Standortentwicklung zusammenwirken müssen. Die Realisierung einer leistungs- und wettbewerbsfähigen Kulturdestination und die Etablierung eines Kerngeschäfts Kulturtourismus bleiben daher auf das Leistungsvermögen und den Kooperationswillen der relevanten Partner aus dem Kultur-, Tourismus- und Kreativwirtschaftsbereich wie auch dem Stadtentwicklungsbereich angewiesen. Das Kooperationsvermögen dieser Partner und die Leistungsfähigkeit der sie verbindenden Strukturen und Organisationen sind dabei die wesentlichen Faktoren. In einem vereinfachend idealtypisch orientierten Schnellüberblick stellt sich das funktionale Zusammenwirken der sechs Systemfunktionen folgendermaßen dar: Destinationsmanagement Kulturtourismus stellt in der Regel auch in Kulturdestinationen nur eines von mehreren touristischen Kerngeschäften dar. Neben dem Kulturtourismus werden in der Regel auch der Geschäftstourismus und der Kongress- und Tagungstourismus als eigenständige Kerngeschäfte organisiert. Strategisches Destinationsmanagement sichert für die Entwicklung des Kulturtourismus jene optimalen Rahmenbedingungen und strategischen Kooperationen und Koordinationsleistungen, die dem Kulturtourismus besondere Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen. Ohne ein strategisches Management der Gesamtdestination findet in der Regel auch keine strategisch orientierte Entwicklung des Kulturtourismus statt. Kulturgeprägtes Markenmanagement Kulturgeprägtes Markenmanagement sorgt vor allem dafür, dass eine Destination in den Köpfen der Gäste präsent ist, wenn es um Kaufentscheidungen zu kulturorientierten Urlaubsreisen geht. Die Führung der Gesamtdestination ist im Normalfall auch für das Markenmanagement der Destination verantwortlich. Für kulturtouristische Erfolge und Entwicklungsmöglichkeiten ist es entscheidend,
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dass sich die Gesamtdestination durch eine stark kulturell geprägte Identität auszeichnet und dies auch in ihrer Destinationsmarke entsprechend zum Ausdruck bringt. Kulturgeprägte Marken schaffen einen unterstützenden Kommunikationsraum für kulturtouristische Angebote, vermitteln den kulturtouristischen Anbietern Orientierung und bestätigen und belohnen ihr Engagement und ihre Identität als kulturtouristische Akteure. Strategieentwicklung Kulturtourismus Die erfolgreichsten Kulturdestinationen zeichnen sich auch durch klar formulierte und kontrolliert umgesetzte Spezialstrategien für den Kulturtourismus aus. Transparente Strategien geben den kulturtouristischen Akteuren Orientierung und Planungssicherheit und motivieren sie zu entsprechenden Investitionen und Engagements. Fundiert erarbeitete und von den wichtigsten Akteuren mitgetragene Strategien sichern die Effizienz und Effektivität kulturtouristischer Engagements und stellen die Vereinbarungs- und Orientierungsbasis für die Organisation eines strategisch koordinierten und geführten Kerngeschäfts Kulturtourismus dar. Kerngeschäftsmanagement Kulturtourismus Kerngeschäftsmanagement sorgt in erster Linie dafür, dass die kulturtouristischen Erlebnisversprechen für die Gäste mit hoher Wahrscheinlichkeit und in komfortabler und beeindruckender Form eingelöst werden. Kerngeschäftsmanagement macht die besten kulturtouristischen Potenziale der Kulturdestination erlebbar und verkaufbar und sorgt für eine marktorientierte und erfolgskontrollierte Entwicklung und ein entsprechendes Qualitätsmanagement im Kulturtourismus. Nachhaltig angewandt verbindet das Kerngeschäftsmanagement die relevanten kulturtouristisch interessierten Einrichtungen und Organisationen aus dem Kultur-, Tourismus- und Kreativwirtschaftsbereich zu kreativen Gestaltungspartnerschaften für den Kulturtourismus. Kerngeschäftsmanagement sichert eine marktgerechte Angebotsqualität und schafft die wichtige entwicklungsbezogene Austausch- und Vermittlungsplattform für eine strategisch orientierte Entwicklung des Kulturtourismus. Differenziertes Kulturtourismusmarketing Ein überregionales, auf nationale und internationale Märkte hin ausgerichtetes Marketing ist die erfolgsentscheidende Systemfunktion von Kulturdestinationen. Sie verbindet Kultur- und Tourismusakteure, weil sie mit markt- und markengerechten Leitangeboten und leistungsfähigen Kommunikations- und Vertriebsnetzwerken für neue Gäste sorgt und dem Wettbewerbssystem Kulturtourismus den wirtschaftlichen Erfolg und die ideelle überregionale Anerkennung bringen
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kann, die es zur Bestätigung und Rechtfertigung des Engagements seiner Akteure benötigt. Strategisches Controlling Besonders erfolgreiche Kulturdestinationen wie Glasgow oder Barcelona sorgen auch immer wieder und bewusst dafür, dass die praktizierten und eingeschlagenen Entwicklungsstrategien als Kultur- und Tourismusdestination bezüglich ihrer Effektivität und Effizienz evaluiert werden. Evaluierung und strategisches Controlling bilden die Systemfunktion, die Wesentliches zur Stärkung der Lernfähigkeit des Wettbewerbssystems der Kulturdestination und ihres Kerngeschäftssystems zum Kulturtourismus beiträgt und diese vor gefährlichen Lockin-Effekten schützt.
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Die Systemfunktionen von Kulturdestinationen
4.1 Destinationsmanagement der analysierten Kulturmetropolen Kulturtourismus stellt in allen untersuchten Kulturmetropolen und multifunktionalen Großstädten ein besonders bedeutsames Kerngeschäft dar. In Kulturmetropolen wie Wien und Barcelona bezeichnen sich weit mehr als die Hälfte aller Touristen selbst als Kulturtouristen (Wien Tourismus 2008), die Destination Management Organisationen widmen dem Kulturtourismus dementsprechend auch große Aufmerksamkeit. Dennoch stellt der Kulturtourismus auch in diesen Städten keine „Alleinveranstaltung“ dar, sondern ist nur eines von mehreren bedeutsamen Kerngeschäften. Neben dem Kulturtourismus werden in den untersuchten Destinationen vor allem der Geschäftstourismus und der Kongress- und Tagungstourismus als bedeutende Kerngeschäfte wahrgenommen und mit entsprechendem Engagement organisiert. Der Kulturtourismus ist das imageprägende Rückgrat dieser Kulturdestinationen, dem in der Regel auch der höchste Wertschöpfungsanteil zufällt. Kulturtourismus bleibt in seiner Entwicklung und Vermarktung jedoch auf die Leistungsfähigkeit und das Verständnis des für die Entwicklung der Gesamtdestination verantwortlichen Destinationsmanagements angewiesen. Die analysierten Kulturmetropolen Wien, Barcelona und Glasgow verfügen über vergleichsweise sehr leistungsfähige Destination-Management-Organisationen, die zumeist auch in die bedeutendsten Gremien der Stadtentwicklung integriert sind. In diesen Städten werden von den Destination-ManagementOrganisationen sowohl die direkten inneren Koordinationsleistungen für die Entwicklung des Tourismusgeschehens wahrgenommen wie auch indirekt wirk-
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same strategische Koordinationsleistungen mit städtischen Entwicklungsbereichen wie der Stadt- und Infrastrukturentwicklung und der Kultur- und Kreativwirtschaft realisiert. Durch das kooperationsoffen gestaltete Destinationsmanagement dieser Städte konnten für die kulturtouristische und städtische Entwicklung neue zusätzliche Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet werden. Die über Jahre und auch mit Schwierigkeiten und Rückschlägen gewachsenen strategischen Kooperationen zwischen dem Tourismus-, Kultur- und Stadtentwicklungsbereich waren vor allem auch für den Erfolgsweg von Kulturdestinationen wie Glasgow oder Barcelona mitverantwortlich, die im Gegensatz zu manchen imperial geprägten Metropolen und Hauptstädten von schwierigeren Ausgangsbedingungen gestartet sind. Ein in der inneren Koordination und in der Vermarktungsunterstützung starkes und nachhaltig wirksames Destinationsmanagement, dem auch echte Kooperationsleistungen mit den tourismusrelevanten Kultur-, Kreativwirtschafts- und Stadtentwicklungsbereichen gelingen, kann daher als wesentliche Systemfunktion für die erfolgreiche Gestaltung des kulturtouristischen Kerngeschäfts gesehen werden. Zur Sicherung einer strategisch orientierten Handlungsfähigkeit der Kulturdestination und zur Gestaltung wettbewerbs- und vermarktungsfähiger Kerngeschäftssysteme müssen relativ lose verbundene regionale Netzwerke in strategisch orientierte, marktgerechte und strategisch geführte Kerngeschäftsnetzwerke übergeführt bzw. durch diese ergänzt werden. Für die Betreuung und Führung dieser Netzwerke und die Realisierung der notwendigen Koordinations- und Führungsleistung der Kulturdestination als Wettbewerbssystem erscheinen Destination-Management-Organisationen als unverzichtbar, jedoch nicht als alleinverantwortlich. Sie übernehmen als intermediär geprägte Organisationen die bedeutendsten Vermittlungs-, Koordinations- und Führungsfunktion, können diese jedoch nur bei guter Akzeptanz und Mitwirkung der wichtigsten Institutionen und Organisationen aus dem Kultur-, Tourismus- und Stadtentwicklungsbereich entfalten. Destinationsmanagement ist daher nur als systemisches Management (Nagel/Wimmer 2002), also unter enger Einbeziehung und Mitwirkung der wichtigsten Systempartner, realisierbar. Eine leistungsfähige Abdeckung der Systemfunktion Destinationsmanagement garantiert zwar noch keine optimale Wahrnehmung kulturtouristischer Möglichkeiten, stellt jedoch eine wichtige Systemfunktion und Rahmenbedingung für die Entwicklung des Kulturtourismus innerhalb einer Destination dar, die auch noch andere Kerngeschäfte erfolgreich zu gestalten hat. In industriell vorgeprägten Kulturhauptstädten wie Glasgow, Liverpool oder der Metropole Ruhr, in denen derartige Tourismusstrukturen nicht von vornherein gegeben waren, mussten diese durch neue Initiativen und Einrichtungen zur touristischen Entwicklung und Vermarktung des kulturtouristischen Angebots geschaffen
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werden, um nachhaltige touristische Wirksamkeiten der kulturellen Großereignisse absichern zu können. Die untersuchten Städte Glasgow, Barcelona, Wien und Berlin stellen durchwegs echte Good-Practice-Beispiele für die Erfüllung der Systemfunktion des Destinationsmanagements dar. In all diesen Städten konnten gerade auch deshalb besondere international beachtete Leistungen in der kulturell geprägten touristischen Entwicklung und in der Stadtentwicklung erzielt werden. Ergebnisse des Destination Survey Schließt man für die 20 am Destination Survey beteiligten Städte aus den Angaben der Destination-Management-Organisationen zur Qualität der strategischen Planung auf die Qualität des Destinationsmanagements, dann zeigen sich durchaus gute Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Kulturtourismus in diesen Destinationen. Tabelle 1: Tourismusstrategie, n = 20 Tourismusstrategie Gibt es eine schriftlich dokumentierte strategische Planung, wie sich Ihre Destination in den nächsten 5-10 Jahren entwickeln soll? 15%
5%
10%
35%
20%
15%
0 nein / nicht vorhanden
1 kaum / nur in Ansätzen vorhanden
2 unterdurchschnittliche Qualität / großer Handlungsbedarf
3 durchschnittliche Qualität / Verbesserungsmöglichkeiten
4 überdurchschnittliche Qualität
5 Spitzenqualität
80% aller am Survey beteiligten Destinationen verfügen heute über schriftlich dokumentierte Tourismusstrategie mit der sie im Großen und Ganzen zufrieden sind. 4 (20 %) der beteiligten Städte verfügen noch über keine derartige Tourismusstrategie. 9 der untersuchten Städte orten trotz vorhandener Tourismusstrategie für sich noch einen klaren diesbezüglichen Verbesserungsbedarf. 35% aller beteiligten Städte sind der Meinung, dass sie ihre Tourismusstrategie mit überdurchschnittlicher Qualität oder Spitzenqualität realisiert haben. Für die beteiligten Städte darf daher insgesamt von einem hohen Realisierungsgrad bei der Entwicklung von Tourismusstrategien gesprochen werden.
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Großstädte und Tagungsstädte mit kultureller Bedeutung weisen dabei einen höheren Realisierungs- und Qualitätslevel als mittelgroße und kleine Kulturstädte aus. Strategien können nur wirksam werden, wenn ihre Vorhaben und Ziele den relevanten touristischen Leistungspartnern auch bekannt sind. Diesbezüglich fällt das Survey-Ergebnis nicht mehr so gut aus: Tabelle 2: Ambition, n = 20 Ambition Sind die strategischen Ziele der Destination den Leistungspartnern bekannt?
10%
0%
25%
35%
20%
10%
0 nein / nicht vorhanden
1 kaum / nur in Ansätzen vorhanden
2 unterdurchschnittliche Qualität / großer Handlungsbedarf
3 Durchschnittliche Qualität / Verbesserungsmöglichkeiten
4 überdurchschnittliche Qualität
5 Spitzenqualität
4.2 Kulturgeprägtes Markenmanagement Nach einer repräsentativen Umfrage bei an Städteurlauben interessierten Gästen in Europa (Wien Tourismus 2001) sind für 37% der Gäste vor allem Flair und Image einer Destination dafür verantwortlich, dass eine Stadt für sie als Reiseziel in Frage kommt. Eine erfolgreiche Entwicklung des Kulturtourismus ist daher darauf angewiesen, dass sich die Destination als kulturgeprägte Marke in prägnanter und einprägsamer Form präsentiert. Die untersuchten Städte Barcelona, Glasgow, Berlin und Wien verfügen heute über ein engagiert betriebenes, strategiebasiertes Markenmanagement, das ihr reichhaltiges kulturelles Potenzial nutzt und sie als attraktive zeitgemäße Kulturmarken präsentiert. Diese Städte sichern sich damit die Aufmerksamkeit kulturinteressierter Gäste und sind in deren Köpfen präsent, wenn es um Reiseentscheidungen zu kulturell orientierten Urlauben geht. Kulturstädte ohne entsprechende Markenpräsenz haben daneben schlechte Chancen, den Reiseentscheidungsprozess zu gewinnen. Die Kulturmarken sorgen für Präsenz und Aufmerksamkeit, machen den Gästen die Reiseentscheidung leicht. Sie geben kulturorientierte Erlebnisversprechen ab und
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schaffen einen entsprechenden Resonanzraum für die Kommunikation kultureller Angebote. Die Stadt Glasgow und die Region Vorarlberg mussten kulturaffine Marken neu realisieren und positionieren, um im Kulturtourismus eine Chance zu bekommen. Ihr gesamtes Tourismusgeschehen wie auch das Standortmarketing konnten danach von der kulturellen Aufwertung der Destinationsmarken profitieren. Kulturgeprägte Destinationsmarken komprimierten die kulturtouristischen Anliegen und Strategien der Städte in eine Markenessenz, die auch für die kulturtouristischen Anbieter in der Innenkommunikation eine wichtige Orientierungsfunktion für die Ausrichtung von Strategien und Angeboten bekam und für die Träger und Realisierungspartner des Kulturtourismus identitätsstiftend und bestätigend wirkte. Kulturgeprägtes Markenmanagement und eine von diesem geprägte Markenkommunikation erfüllten damit im Zusammenspiel mit entsprechenden Destinationsstrategien eine wichtige dauerhaft wirksame Systembildungsfunktion. Kulturdestinationen als sich eigendynamisch entwickelnde Wettbewerbssysteme sind ohne kulturorientiertes Markenmanagement daher nicht vorstellbar. Good Practice: Ruhr.2010 – Kulturhauptstadt Europas In jüngster Vergangenheit wurden viele neue Kulturdestinationsmarken mit großem Engagement und Einsatz entwickelt. Unter anderen realisierten die Kulturmetropolen Wien, Berlin und Glasgow neue Marken und in Barcelona wird über einen umfassenden Strategieprozess die Repositionierung der erfolgreichen kulturell geprägten Tourismusmarke vorbereitet. Kulturgeprägtes Markenmanagement ist bei den untersuchten Städten zu einer besonders engagiert betriebenen Entwicklungsfunktion geworden. Ein besonders spannendes und ambitioniertes Beispiel der Markenentwicklung und Neupositionierung realisieren die 53 Ruhrstädte. Der Anlass der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 wird dazu genutzt, die ehemals schwerindustriell geprägte Städtelandschaft als unkonventionelle Metropole neuen Stils zu präsentieren. Die Metropole Ruhr will sich neben den ganz großen Kulturdestinationsmarken Deutschlands und Europas als neues, unkonventionelles Reiseziel etablieren und in ihrem Transformationsweg dem Good-Practice-Beispiel Glasgow folgen. Der Imagewandel des Ruhrgebiets konnte mit seiner Entwicklung lange nicht Schritt halten und blieb hinter den realen Veränderungen weit zurück: noch 2008 wurde die Städtelandschaft des Ruhrgebiets im In- und vor allem im Ausland in erster Linie als schwerindustriell geprägte Industrielandschaft und nur im
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Nischenbereich der Industriekultur als Kulturdestination wahrgenommen. Der Erfolg der Bewerbung um die Kulturhauptstadt wurde in dieser Situation zum Auslöser und zur Chance und Möglichkeit, das Image als Industrieregion radikal zu wenden und die Kulturhauptstadt Ruhr.2010 als interessantes kulturtouristisches Reiseziel zu etablieren. Ähnlich wie in Glasgow oder Liverpool soll die Kulturhauptstadt zum Start eines radikalen Imagewandels genutzt werden. Zur Lösung dieser Kommunikations- und Entwicklungsherausforderung wurden mit der invent GmbH – Innovationsagentur für Wirtschaft, Tourismus und Kultur folgende Projekte realisiert:
Entwicklung einer Kulturtourismusstrategie für die Kulturhauptstadt Ruhr.2010 Entwicklung eines Markenkonzepts für die Metropole Ruhr als Kulturtourismusdestination Entwicklung von Sub-Markenkonzepten für die fünf bedeutsamsten Erlebnisareale der Metropole Ruhr Entwicklung eines Erlebnisraumkonzepts und entsprechender Leitangebotskonzeptionen Ästhetisches Briefing und Storytelling-Konzept für das Roll-Out der neuen Kulturtourismusmarke
Die entwickelte Essenz der neuen Marke kommuniziert die Städtelandschaft des Ruhrgebiets als Europas neue unkonventionelle Metropole und stärkt insbesondere ihre neue Identität und Bedeutung als Kulturhauptstadt und Kulturmetropole: europäisch, kreativ, echt, integrierend, anpackend, selbstbewusst, innovativ und weltoffen. Die Kulturhauptstadt Ruhr.2010 und die Metropole Ruhr sollen eine inspirierende Atmosphäre der Möglichkeiten vermitteln, die man als kulturinteressierter Reisender gesehen haben muss. Die neuen unkonventionellen Formate für Kunst, Kultur und Kreativität in der industriekulturell geprägten Städtelandschaft sind kaum sonst wo zu erleben und sollten 2010 und danach jedenfalls eine Reise wert sein.
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Ergebnisse Destination Survey Tabelle 3: Markenstrategie, n = 20 Markenstrategie Existiert für Ihre Destination ein schriftlich dokumentiertes Markenkonzept?
5%
15%
5%
20%
25%
30%
0 nein / nicht vorhanden
1 kaum / nur in Ansätzen vorhanden
2 unterdurchschnittliche Qualität / großer Handlungsbedarf
3 durchschnittliche Qualität / Verbesserungsmöglichkeiten
4 überdurchschnittliche Qualität
5 Spitzenqualität
Der Destination Survey vermittelt den Eindruck, dass die Tourismusverantwortlichen der beteiligten Destinationen mit dem realisierten Ausmaß und Niveau der Markenentwicklung und mit ihren kulturellen Implikationen sehr zufrieden sind. Nur mehr vier der beteiligten Städte geben an, dass sie noch über kein oder ein nur in Ansätzen vorhandenes Markenkonzept verfügen. 80% der beteiligten Städte verfügen über ein Markenkonzept. 5 Städte orten ein ausgearbeitetes Markenkonzept mit klarem Verbesserungsbedarf. 25% geben an, über ein Markenkonzept mit überdurchschnittlicher Qualität zu verfügen. 6 Städte (30%) sind der Meinung, ihr Markenkonzept in Spitzenqualität realisiert zu haben. Die Markenentwicklung weist aus Sicht der Beteiligten also eine hohe Realisierungsrate und ein hohes Qualitätsniveau auf. Die realisierten Markenkonzepte setzen auch die vorhandenen kulturellen Potenziale nach Meinung der Befragten mehrheitlich sehr überzeugend in Wert. Bei 2 untersuchten Städten ist dies nicht der Fall, 3 weitere Städte orten großen Handlungsbedarf. 25% sehen den Anspruch in durchschnittlicher Qualität realisiert und konstatieren dabei klaren Verbesserungsbedarf. Aber die Hälfte der beteiligten Städte sehen diesen Anspruch in überdurchschnittlicher und ausreichender Qualität oder in Einzelfällen in Spitzenqualität realisiert. Die Beteiligung der Kulturpartner an der Umsetzung der Markenstrategie hält sich aus Sicht der Touristiker aber in Grenzen. Mehr als 65% der Kulturpartner scheinen sich nur in Ansätzen oder mit großem Handlungsbedarf und klaren Verbesserungsmöglichkeiten an der Umsetzung der Destinationsmarke zu beteiligen. Nur in 35% der Destinationen scheinen sich die Leistungspartner aus
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dem Kulturbereich in ausreichendem Maß oder in Spitzenqualität an der Umsetzung der kulturorientierten Marken zu beteiligen.
4.3 Strategieentwicklung Kulturtourismus Der Kulturtourismusmarkt hat sich, wie bereits dargestellt, zu einem Nachfragermarkt mit hartem Wettbewerb zwischen den vielen nationalen und internationalen Anbietern entwickelt. Relativ unbedarft agierende Anbieter und Newcomer, die ihre Ressourcen und Attraktionen nicht gezielt zum Einsatz bringen besitzen keine guten Zukunftsperspektiven. Die explorative Studie der kulturtouristisch besonders ambitionierten Städte und von ehemaligen Newcomern zeigte, dass die Entwicklung von Kulturdestinationen in der Regel langfristig angelegte Vorhaben darstellen, die ihren Erfolg auch konsequent durchgehaltenen strategischen Grundorientierungen und speziellen Kulturtourismusstrategien verdanken. Diese Erfahrung wird in der explorativen Studie insbesondere durch Städte mit schlechten Ausgangsbedingungen für die kulturtouristische Entwicklung wie Glasgow oder Barcelona bestätigt und wird im Prinzip auch von der jüngsten OECD Studie zum Thema zum Ausdruck gebracht: „The most important policy implication seems to be that leadership is required to provide the long-term vision, positioning, partnership arrangements and innovative products necessary to succeed in a highly competitive global market. A long-term view is also particularly important because changing the image of a destination or increasing its attractiveness is not something that happens overnight. In most cases, a period of 20-25 years is required to realise the full benefits of sustained interventions in the field of culture and tourism, as the examples of Glasgow and Barcelona indicate“ (OECD 2009a, S. 12/13).
Die untersuchten Good-Practice-Beispiele Glasgow, Barcelona und BodenseeVorarlberg demonstrierten aber auch ein hohes Engagement in der formalen Ausarbeitung von Strategien und in der Nutzung von Strategieentwicklungsprozessen als bedeutsame Entwicklungsinterventionen. Auch unter Beteiligung von bedeutenden Entwicklungspartnern entwickelte und gut kommunizierte Strategien konnten den angesprochenen Städten zwar noch keine Entwicklungserfolge garantieren, haben sich jedoch als aktivierende und vernetzende Entwicklungsinterventionen bewährt und stellten gut orientierende und motivierende Fixpunkte in langfristig angelegten Umsetzungs- und Transformationsprozessen dar. Strategien für die Entwicklung des Kulturtourismus wurden dabei in der Regel im Rahmen von Gesamtstrategien für den
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Tourismus der Destination entwickelt. Die angesprochenen Städte und der Vorarlberg Tourismus realisierten über eigenständige Arbeitsgruppen auch spezialisierte Kulturtourismusstrategien und machten damit gute Erfahrungen. Besonders entwicklungswirksam zeigten sich dabei Kulturtourismusstrategien, die nicht als reine Expertenstrategien erstellt wurden, sondern die unter Beteiligung regionaler und internationaler Kompetenz- und Entwicklungsträger als systemisch fundierte Strategien (Nagel/Wimmer 2002) entstanden sind. Die Erfahrungen der untersuchten Destinationen zeigen, dass die Entwicklung von spezialisierten Strategien für den Kulturtourismus von Metropolen und Großstädten, in denen der Kulturtourismus aufgrund seiner besonderen Anforderungen in der Angebotsentwicklung und Vermarktung von zentraler Bedeutung ist, jedenfalls als empfehlenswert erscheint. Kulturdestinationen benötigen für die volle Ausschöpfung ihrer besonderen kulturtouristischen Entwicklungspotenziale auch eigenständige Kulturtourismusstrategien. Kulturtourismus stellt für diese Destinationen oft den bedeutsamsten touristischen Geschäftsbereich und damit ein Kerngeschäft dar, dem auch entsprechend konzentrierte Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Die konzentrierte Aufmerksamkeit und daraus entstehende praktische Aktionen und Kooperationen signalisieren die besondere Wertschätzung und Bedeutung des Kulturtourismus und lassen institutionenübergreifende Entwicklungszusammenhänge und Netzwerke entstehen, die für eine strategisch koordinierte Entwicklung der Kulturtourismus notwendig sind. Funktional und systemisch betrachtet besitzt eine permanent betriebene Funktion der Strategieentwicklung hohe Integrations- und Orientierungskraft. Strategien werden von professionellen Marken vereinfacht und komprimiert nach innen kommuniziert und stellen selbst die Grundvoraussetzung für situationsgerecht angelegte Destinationsmarken dar. Die Systemfunktionen eines kulturgeprägten Markenmanagements und einer speziellen Strategieentwicklung für den Kulturtourismus steigern wechselseitig ihre Wirksamkeit in der Systembildung für Kulturdestinationen. Good Practice: Strategie der Kulturdestination Vorarlberg Besonders engagiert betriebene und erfolgreiche Strategieentwicklungen für den Kulturtourismus konnten in Glasgow, Barcelona und in Vorarlberg beobachtet werden. Glasgow und Barcelona halten seit Jahrzehnten an einem relativ konsequent betriebenen Rhythmus der Erstellung, Umsetzung und Evaluierung ihrer touristischen Entwicklungsstrategien unter besonderer Berücksichtigung des Kulturtourismus fest und verbinden dabei die Tourismusstrategien produktiv und intensiv mit den Strategien der Stadt- und Infrastrukturentwicklung und der
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kulturellen Entwicklung. Ein interessantes und erfolgreiches Beispiel einer speziellen Strategieentwicklung für den Kulturtourismus ist in der Urlaubsdestination Vorarlberg beobachtbar: Die Bregenzer Festspiele und andere international beachtete Festivals wie die Schubertiade in Schwarzenberg und Hohenems, das renommierte Kunsthaus Bregenz, eine hoch entwickelte Baukultur mit international beachtetem Schaffen der in Vorarlberg tätigen ArchitektInnen, ein kreatives Kunsthandwerk im Bregenzerwald und regionale Kulturzentren und Festivals zeichnen Vorarlberg schon seit geraumer Zeit als einzigartigen Kultur-, Kunst- und Kreativwirtschaftsstandort aus, ohne dass dies für die Positionierung des Vorarlberg Tourismus entsprechend bedeutsam genutzt werden konnte. Mit dem Jahr 2004 sollte sich das ändern. Initiiert und gefördert durch das strategische Schwerpunktprogramm für den österreichischen Kulturtourismus Culture Tour Austria übernahm der Vorarlberg Tourismus im Zusammenwirken mit den wichtigsten Kulturveranstaltern und der Kulturverwaltung die Koordination und Ausarbeitung einer eigenen Kulturtourismusstrategie für die Destination Vorarlberg. Diese Kulturtourismusstrategie sollte zu einer verbesserten touristischen Verwertung der kulturellen Potenziale Vorarlbergs beitragen und Vorarlberg zur am stärksten kulturell geprägten Feriendestination im Alpenbogen machen. Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft sollten in der Neupositionierung und im Differenzierungsprofil der Marke Vorarlberg eine entscheidende Rolle spielen. Die Zukunftsstrategie Kulturtourismus formulierte folgende strategische Ziele: 1. 2. 3. 4. 5.
Vorarlberg wird zur attraktivsten Kulturtourismusdestination in der internationalen Bodenseeregion Vorarlberg gilt als das Land mit international bedeutsamem Kulturleben und zeitgenössischen Kulturschaffen Vorarlberg positioniert und differenziert sich über den Faktor Kultur erfolgreich gegenüber anderen Urlaubsdestinationen im Alpenbogen Eine nachhaltige Zusammenarbeit zwischen Kultur und Tourismus wird etabliert Vorarlberg etabliert eine vorbildliche leistungsfähige Vertriebs- und Verkaufsstruktur für den Kulturtourismus
Die Evaluierung im Rahmen der OECD Vergleichsstudie im Jahr 2008 (OECD 2009a) bestätigt Vorarlberg eine erfolgreiche Entwicklungsdynamik zur Einlösung seiner strategischen Ziele. Die Ziele 1-3 scheinen bereits erreicht, das Ziel 4 konnte bis 2008 auf informeller Basis eingelöst werden. Dabei wurden zahl-
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reiche projektbezogene Kooperationen zwischen dem Vorarlberg Tourismus und den touristisch wichtigsten Kultur- und Kunstinstitutionen realisiert. Ein strategisches Management für die kontrollierte lernstarke Umsetzung und Weiterentwicklung der Strategie war zwar über längere Zeit nicht bzw. nur über informell geregelte Abstimmungs- und Controllingleistungen gegeben, aufgrund des großen Entwicklungsinteresses der beteiligten kulturwirtschaftlichen und touristischen Partner konnte diese Entwicklungszusammenarbeit zwischen Kultur und Tourismus jedoch im Jahr 2009 wirksamer gestaltet und strukturell abgesichert werden. In diesem Jahr erfolgte die institutionelle Gründung der Kooperationsplattform Kultur und Tourismus. Dadurch soll die Wirksamkeit der Systemfunktion Strategieentwicklung für den Kulturtourismus intensiviert und dauerhaft abgesichert werden. Ergebnisse Destination Survey Tabelle 4: Tourismusstrategie, n = 20 Tourismusstrategie Gibt es eine schriftlich dokumentierte strategische Planung, wie sich Ihre Destination in den nächsten 5-10 Jahren entwickeln soll? 15%
5%
10%
35%
20%
15%
0 nein / nicht vorhanden
1 kaum / nur in Ansätzen vorhanden
2 unterdurchschnittliche Qualität / großer Handlungsbedarf
3 durchschnittliche Qualität / Verbesserungsmöglichkeiten
4 überdurchschnittliche Qualität
5 Spitzenqualität
16 aller am Destination Survey beteiligten Destinationen verfügen heute über eine schriftlich dokumentierte Tourismusstrategie mit der sie im Großen und Ganzen zufrieden sind. 20% der beteiligten Städte verfügen noch über keine derartige Tourismusstrategie. 9 der Städte orten allerdings trotz vorhandener Tourismusstrategie für sich noch einen klaren diesbezüglichen Verbesserungsbedarf. 35% aller beteiligten Städte sind der Meinung, dass sie ihre Tourismusstrategie mit überdurchschnittlicher Qualität oder mit Spitzenqualität realisiert haben. Besonders wichtig ist nun, wieweit die gegebenen Strategien kulturtouristische Möglichkeiten berücksichtigen. Aus touristischer Perspektive ist dazu folgende Einschätzung zum Ausdruck gebracht worden:
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Tabelle 5: Inwertsetzung kultureller Potenziale, n = 20 Inwertsetzung kultureller Potenziale Werden mit der Strategie die wesentlichen kulturellen Potenziale und Möglichkeiten Ihrer Destination in Wert gesetzt? 10%
0%
15%
25%
40%
10%
0 nein / nicht vorhanden
1 kaum / nur in Ansätzen vorhanden
2 unterdurchschnittliche Qualität / großer Handlungsbedarf
3 durchschnittliche Qualität / Verbesserungsmöglichkeiten
4 überdurchschnittliche Qualität
5 Spitzenqualität
Ein Viertel der beteiligten Städte sind der Meinung, dass die vorhandene Tourismusstrategie ihre kulturellen Potenziale nicht, nur in Ansätzen oder nur mit großem Handlungsbedarf in Wert setzt. Ebenso orten ein Viertel der analysierten Städte klare Verbesserungsmöglichkeit. Jedoch sind 40% der beteiligten Städte der Meinung, dass die Tourismusstrategie ihre kulturellen Potenziale in überdurchschnittlicher Qualität und ausreichend realisiert. 10% orten sogar eine diesbezügliche Spitzenqualität.
4.4 Kerngeschäftsmanagement Strategisches Destinationsmanagement sorgt in den untersuchten Destinationen dafür, dass diese ihre touristischen Entwicklungsmöglichkeiten effizient ausschöpfen können und dabei wettbewerbsfähig bleiben. Um das relativ vielseitig bleibende Tourismusgeschehen und Tourismusgeschäft marktgerecht und effizient gestalten zu können, wird dieses in Kulturdestinationen in die bedeutsamsten Kerngeschäfte untergliedert, die sich durch unterschiedliche Entwicklungs-, Gestaltungs- und Vermarktungsherausforderungen auszeichnen. In der Regel werden dabei für die Kerngeschäftsbereiche des Kongress- und Tagungstourismus, des Geschäftstourismus sowie des Kulturtourismus eigenständige Strategien und Vermarktungsformen entwickelt und für deren Umsetzung eigenständige Formen der Kerngeschäftsorganisation realisiert. Die Formen der Kerngeschäftsorganisation reichen dabei in den großen Städten von ausgegliederten Gesellschaften für den Seminar- und Kongresstourismus oder für große Kulturevents bis zu eigenständigen Organisationseinheiten innerhalb der Destination
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Management Organisation, die speziell auf das Kerngeschäftsmanagement des Kulturtourismus ausgerichtet sind. Die untersuchten Beispiele von Wien, Barcelona und Glasgow zeigen, dass sich die Konzentration auf die Entwicklung des Kulturtourismus in Form einer Kerngeschäftseinheit sehr positiv auf dessen Entwicklung auswirkt und die interessanten und relevanten Partner aus dem Kultur- und Tourismusbereich zu einer kreativen und starken Entwicklungs- und Vermarktungsgemeinschaft zusammenführen kann. Die untersuchten Städte realisieren dafür relativ offen gestaltete Informations- und Austauschnetzwerke, über die die aktuellen Strategien und zukünftigen Projektvorhaben kommuniziert werden. Diese relativ offen organisierten Informations- und Servicenetzwerke sorgen für die Integration einer Vielzahl und Vielfalt von interessierten Partnern aus dem Kultur-, Tourismus- und Kreativwirtschaftsbereich. Für das Kerngeschäft Kulturtourismus werden dabei auch Angebotskooperationen und Koordinationsleistungen etabliert, die entlang der Wertschöpfungskette Serviceleistungen und Angebotsensembles bereitstellen und absichern, die den kulturinteressierten Gästen mit hoher Wahrscheinlichkeit die ihnen versprochenen kulturellen Markenerlebnisse auf komfortable Art und Weise einlösbar und erlebbar machen. Kerngeschäftsmanagement sorgt jedoch vor allem für konsequente, qualitätsgesicherte und markengerechte Leitangebotsensembles und für die Sicherung von deren Nutzbarkeit und Verkaufbarkeit. Dafür muss das relativ offen und lose gestaltete regionale Kulturtourismusnetzwerk um ein strategisch geführtes Kerngeschäftsnetzwerk und um Unternehmenskooperationen ergänzt werden, die für eine qualitätsgesicherte Organisation und Inszenierung der wichtigsten markenprägenden Leitangebote sorgen und diese über ein attraktives Set von Leitprodukten verkaufbar machen. Für diesen Zweck werden auch vertraglich gesicherte Angebots- und Vermarktungskooperationen realisiert, die als flexible Partner für Reiseveranstalter auftreten. In den untersuchten Destinationen war zudem beobachtbar, dass sich das unterschiedlich organisierte Kerngeschäftsmanagement auch für das notwendige kulturtourismusspezifische Wissens- und Qualifizierungsmanagement, für die Organisation von passenden Qualitätssicherungssystemen und Leitangebotslandschaften engagiert. Darüber hinaus praktiziert es unterschiedliche Formen eines strategischen Controllings für eine effizientere Umsetzung und effektive Ausrichtung der Kulturtourismusstrategie. Kerngeschäftsmanagement kann somit innerhalb der Gesamtdestination aus dem Kerngeschäft Kulturtourismus ein sich eigendynamisch entwickelndes System entstehen lassen, von dem die strategischen Partner über ihre Kooperationen relevante Vorteile beziehen. Das von den strategischen Partnern unterstützte und mitgetragene Kerngeschäftsmanagement realisiert für den Kulturtourismus die Systemfunktionen, die ihn zu einem
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marktorientierten Entwicklungs- und Wettbewerbssystem in der Destination machen. Good Practice Good Practice zum Kerngeschäftsmanagement im Kulturtourismus ließ sich am besten an der Organisation der Kulturtourismus von Kulturhauptstädten wie Glasgow oder Liverpool und an Themenjahren wie dem Mozartjahr von Wien und Salzburg beobachten. Die untersuchten Good Practice Beispiele von Glasgow, Berlin oder Wien und Salzburg und die Ergebnisse des Destination Survey zeigen freilich auch, dass ein organisatorisch wirklich engagiert betriebenes Kerngeschäftsmanagement für den Kulturtourismus im geschilderten idealtypischen Sinn in der Regel nur für die Realisation von kulturellen Großereignissen wie Kulturhauptstädte oder Themenjahre realisiert wird. In den Zwischenphasen geben sich die Städte auch mit weniger anspruchsvollen und weniger aufwändigen Organisationsformen für das Kerngeschäft Kulturtourismus zufrieden. Was sich aber an einigen praktisch realisierten Beispielen zeigte ist, dass die Systemfunktion des Kerngeschäftsmanagements für den Kulturtourismus Entscheidendes dazu beitragen kann, dass die kulturtouristischen Entwicklungsmöglichkeiten weitgehend ausgeschöpft werden und dass die relevanten Realisierungspartner aus dem Kultur-, Tourismus- und Kreativwirtschaftsbereich über gemeinsam und erfolgreich realisierte und verkaufte Angebote zu flexiblen und kreativen Entwicklungspartnerschaften zusammenwachsen. Insbesondere bei Kulturhauptstadt- und Themenjahren sowie Großereignissen zeigt sich, dass die Systemfunktion des Kerngeschäftsmanagements für den Kulturtourismus und die Kulturdestinationen oft völlig neue Möglichkeiten erschließt, die Wesentliches dazu beitragen können, dass aus interessanten Kulturstädten auch erfolgreiche Kulturdestinationen werden. Ergebnisse Destination Survey Der Destination Survey, in dem nur relativ wenige Metropolen und Großstädte vertreten sind, zeigt, dass der Kulturtourismus in der Mehrheit der beteiligten Städte nicht als eigenständiges Kerngeschäft organisiert ist:
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Tabelle 6: Geschäftsfeld, n = 20 Geschäftsfeld Ist der Kulturtourismus bei der Destinationsorganisation als eigenes Geschäftsfeld organisiert? 35%
10%
10%
15%
20%
10%
0 nein / nicht vorhanden
1 kaum / nur in Ansätzen vorhanden
2 unterdurchschnittliche Qualität / großer Handlungsbedarf
3 durchschnittliche Qualität / Verbesserungsmöglichkeiten
4 überdurchschnittliche Qualität
5 Spitzenqualität
In 45% der befragten Städte ist der Kulturtourismus nicht oder nur in Ansätzen als eigenes Geschäfts- bzw. Angebotsfeld organisiert. In 5 der analysierten Städte wird diesbezüglich ein großer Handlungsbedarf oder klarer Verbesserungsbedarf gesehen. 20% der beteiligten Städte geben an, ihren Kulturtourismus als eigenständiges Geschäftsfeld mit überdurchschnittlicher Qualität realisiert zu haben, nur 2 Städte vermelden eine Spitzenqualität. Dieses Ergebnis erklärt sich wohl aus der geringeren Bedeutung und den finanziell sowie organisatorisch eingeschränkten Möglichkeiten des Kulturtourismus in kleinen und mittleren Städten.
4.5 Differenziertes Kulturtourismusmarketing Im Systemmodell von Kulturdestinationen und für die entsprechend geforderten Kooperationen zwischen Kultur- und Tourismusinstitutionen stellt ein leistungsfähiges spezialisiertes Kulturtourismusmarketing die entscheidende vorteilsstiftende und systembildende Funktion dar. Im Zusammenspiel mit der Systemfunktion des Kerngeschäftsmanagements sorgt das spezialisierte Marketing für die Gestaltung und Bereitstellung von attraktiven Produkt-Marktkombinationen in den wichtigsten kulturtouristischen Leitangebotsbereichen. Als entscheidend stellen sich in der Analyse der Kulturdestinationen die erbrachten Kommunikations- und Vertriebsleistungen dar, die neue Kulturgäste in die Destination bringen und das Kerngeschäftssystem des Kulturtourismus mit den wirtschaftlichen Erfolgen und der ideellen Energie versorgen, die es für die Sicherung seiner Attraktivität und Leistungsfähigkeit benötigt.
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Die Notwendigkeit für diese Feststellung ergibt sich aus der Tatsache, dass auch die explorativen Studien der großen Kulturdestinationen zeigten, dass nur wenige finanzkräftige Festivals, Museen, Konzert- und Opernhäuser oder Großausstellungen über die notwendigen Mittel, Strukturen und Erfahrungen für ein überregional und international wirksames Marketing verfügen. Die Masse der Kultureinrichtungen bleibt im überregionalen und internationalen Marketing auf enge Kooperationen mit den Destination Management Organisationen ihrer Stadt, mit Landestourismusorganisationen und mit den nationalen Marketingorganisationen des Tourismus angewiesen. Die untersuchten international positionierten Kulturdestinationen Glasgow, Barcelona, Berlin u. a. leben von der Vielfalt ihres Angebots und von Cross Over Produkten zwischen dem Kultur- und Erlebnistourismusbereich, die von der Masse der General-Interest-Kulturgäste eingefordert werden. Ohne relativ breit angelegte Marketingkooperationen zwischen Tourismus und tourismusrelevanten Kultureinrichtungen erscheint die dauerhafte internationale Etablierung von Kulturdestinationen nicht mehr machbar zu sein. Die Beispiele zeigten zwar, dass sich einzelne starke Festivals und Großveranstaltungen auch selbstständig und auf sich allein gestellt erfolgreich vermarkten. Dieses Engagement reicht jedoch nicht aus, um eine Kulturdestination als Ganzjahresangebot erfolgreich zu positionieren und ihre kulturtouristischen Möglichkeiten voll ausschöpfen zu können. Andererseits benötigen Kulturstädte und Kulturmetropolen gerade international beachtete und marktwirksame Attraktionen und international vermarktungsfähige Institutionen, um sich im Wettbewerb behaupten zu können. In den untersuchten Kulturmetropolen und Großstädten stellt die erfolgreiche Vermarktung des vielfältigen kulturtouristischen Angebots für unterschiedliche Zielgruppen deshalb eine kollektive Leistung von starken marketingorientierten Einrichtungen des Kulturbetriebs, von interessierten Incomern und Reiseveranstaltern, von Festivalorganisatoren und von vermarktungsstarken Destination Management Organisationen dar. Nur im produktiven Zusammenwirken dieser Einrichtungen können die unterschiedlich orientierten großen Zielgruppen des Kulturtourismus in Kulturmetropolen wie die General Interest Kulturtouristen, die an Spezialthemen interessierten Profis und Special Interest Kulturtouristen und Gäste, die aus anderen Gründen in die Stadt kommen aber auch an Kultur interessiert sind, passend angesprochen und bedient werden. Kulturmetropolen, die all diese Gästezielgruppen ansprechen müssen, sollten daher auch über ein entsprechend differenziertes und auch spezialisiertes Kulturtourismusmarketing verfügen, das weit über das traditionelle städtetouristische Marketing hinausgeht. Die untersuchten Kulturmetropolen Berlin, Wien und Barcelona stellen Knoten in den Produktions-, Entwicklungs- und Vermarktungsnetzwerken unter-
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schiedlicher Kunst-, Kultur- und Kreativwirtschaftssparten dar und ziehen entsprechende Besucher mit Spezialinteressen an, die zu Kongressen, Symposien, Großausstellungen und Themenwochen anreisen und für das kulturelle Renommee und die internationale Reputation der Kulturmetropolen von großer Bedeutung sind. Diese Kulturmetropolen versuchen daher auch für die Kultur-, Kunst- und Kreativwirtschaftssparten, die sie zu Kulturmetropolen und Knoten in internationalen Kompetenznetzwerken und kreativwirtschaftlichen Austauschnetzwerken machen, ein entsprechend differenziertes Besucher- und Standortmarketing zu realisieren. Die untersuchten Kulturmetropolen Barcelona, Berlin und Wien zeigten, dass ein derartig differenziertes Marketing für die Ansprache und Gewinnung von General- und Special-Interest-Kulturgästen, von Investoren, Profis und jungen kreativen Talenten möglich ist, jedoch ein sehr hohes strategisches Kooperationsniveau voraussetzt, das auch von den genannten Städten nur mit großen Anstrengungen und außergewöhnlichen Koordinationsleistungen realisiert werden kann. Auch in engerem kulturtouristischen Sinn betrachtet müssen sich starke erfahrene Akteure wie Festivalveranstalter, große international orientierte Museen und Veranstaltungs- und Kompetenzzentren aus unterschiedlichen Kunst- und Kreativwirtschaftsbereichen gemeinsam für die Einlösung internationaler Marketingherausforderungen engagieren. Der Destination-Management-Organisation fällt dabei eine wichtige Koordinationsrolle in der Angebotskombination und im Ausbau von zeitgemäßen leistungsfähigen Kommunikations- und Vertriebsnetzwerken für nationale und internationale Märkte zu. Good Practice: Bodensee-Vorarlberg Tourismus. Festspiele nach Maß Die unterschiedlichen Beispiele von Vorarlberg, Glasgow und Barcelona zeigen, dass dabei engagierte Destination Management Organisationen im Zusammenwirken mit starken marketingorientierten Einrichtungen aus dem Kultur- und Kreativwirtschaftsbereich eine zentrale innovative Rolle spielen können. Im untersuchten Good-Practice-Beispiel von Bodensee-Vorarlberg Tourismus wurden sie zur treibenden Kraft für die notwendigen technologischen und organisatorischen Innovationen zur Optimierung des Marketings. Die Initiative der Destination Management Organisation führte über die elektronische Vernetzung der wesentlichen Leistungsträger aus dem Kultur- und Tourismusbereich und die Organisation eines Incoming Centers zu einem in seiner Arten neuen, kostengünstigen Dynamic Packaging System, das heute das Kulturtourismusangebot weltweit elektronisch verkauf- und buchbar macht. Um die Vertriebs- und Verkaufsmöglichkeiten zu optimieren, engagierten sich die Destination Management
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Organisationen oft auch in den anderen untersuchten Kulturdestinationen im Zusammenwirken mit Incomern, Reiseveranstaltern und Transportdienstleistern für eine Optimierung der Vertriebssysteme und für die Bereitstellung unterstützender Vertriebs- und Verkaufsservices. Die Destination Management Organisationen schlugen Brücken zu einer Vielzahl von unterschiedlichen Vertriebspartnern und organisierten das Abwicklungsclearing für die wichtigsten Angebotspakete und Markenleitprodukte. Dabei übernahmen die Destination Management Organisationen auch die Verantwortung für die Optimierung der Pakete, für die Abwicklung und Haftung des Geschäfts, die Betreuung der Partner vor Ort und das Beschwerdemanagement, das Abrechnungs- und Informationswesen sowie einen Gutteil des Marketings für die Leistungsträger. Die Destination Management Organisationen konzentrierten sich dabei auf das Marketing für das Kerngeschäft Kulturtourismus und realisierten dafür ein spezialisiertes Kulturtourismusmarketing für den General Interest Kulturtourismus. Für Großveranstaltungen wie Kulturhauptstadt- oder Themenjahre und Großausstellungen wurden dabei auch eigenständige Marketinggesellschaften für die optimale Vermarktung gegründet. Dabei wurden mit unterschiedlichen Vermarktungspartnern Vermarktungsnetzwerke realisiert, über die intensiv verkauft wurde und die auch zur Einholung wichtiger Informationen zu aktuellen und zukünftigen Marktentwicklungen dienten. Destination-Management-Organisationen übernahmen damit die entscheidenden Koordinations- und Umsetzungsaufgaben für die Einlösung der für Kulturdestinationen erfolgsentscheidenden Systemfunktion eines differenzierten und spezialisierten Kulturtourismusmarketings. Die Good-Practice-Beispiele lassen sich dabei gut an den Marketingaktionen zu realisierten Kulturhauptstädten und Themenjahren wie dem von Wien und Salzburg gemeinsam gestalteten Mozartjahr beobachten. Technologisch und organisatorisch besonders interessant erscheint das bereits angesprochene Beispiel des Bodensee-Vorarlberg Tourismus. Zwischen Kulturinstitutionen und Tourismusorganisationen bestehen oftmals Berührungsängste. Die einen verkaufen Kultur und Karten. Die Aufgabe der anderen ist es, Betten zu verkaufen. So die vereinfachte Sichtweise. Vielfach werden daher Gäste, die auf einer Festival-Website Tickets kaufen, zum Buchen von Hotels auf die touristischen Websites verwiesen – sofern dieses Service überhaupt angeboten wird. Die Bregenzer Festspiele und Bodensee-Vorarlberg Tourismus entschieden sich, einen anderen Weg zu gehen und ihren Gästen ein komfortableres Service anzubieten. Immerhin sind es gut 200.000 Besucher, die die Bregenzer Festspiele pro Saison zählen. Etwa 80 Prozent der Besucher verbinden den Besuch mit einem Aufenthalt – und somit mit Übernachtungen – in der Region. 2007 bot
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Bodensee-Vorarlberg Tourismus über seine Reservierungszentrale erstmals unter dem Motto „Festspiele nach Maß“ und basierend auf dem Prinzip von Dynamic Packaging individuell gestaltbare Festspiel-Packages an. In einer Buchungsmaske wählt der Gast dabei Schritt für Schritt alles, was er für seinen Festspielbesuch braucht: die Tickets, das Hotel und Eintrittskarten für ausgewählte Sehenswürdigkeiten und Ausflugsziele (z.B. Kunsthaus Bregenz, Pfänderbahn). 2009 erweiterte Bodensee-Vorarlberg Tourismus seine Servicepalette um das Festspiel-Freizeitpaket. Das Festspiel-Freizeitpaket inkludiert den Eintritt zu wichtigen Sehenswürdigkeiten und Ausflugszielen. Es gilt außerdem für Bahnund Busfahrten in der Region. Angeboten wurde es als Bonusleistung innerhalb von Festspiel-Packages mit zwei und mehr Übernachtungen sowie als Paket, das an Hotelrezeptionen gekauft werden konnte. Die Technologie des Festspiel-Freizeitpaketes basiert auf der ConventionCard Vorarlberg, die zum ersten Mal bei der Weltgymnaestrada 2007 in Dornbirn (20.000 Teilnehmer) zum Einsatz kam. Die Card ist individuell mit Leistungen bestückbar. Je nach Wunsch des Veranstalters gilt sie als Eintrittskarte für bestimmte Sehenswürdigkeiten und Ausflugsziele sowie für Bahn- und Busfahrten innerhalb der jeweiligen Region und in ganz Vorarlberg. Zum Einsatz kommt die Card bei Großveranstaltungen und auch bei Kongressen. Die Bregenzer Festspiele und der Bodensee-Vorarlberg Tourismus sind mit dieser Entwicklung im elektronischen Marketing voll handlungsfähig geworden und können ihren Gästen das gesamte kulturtouristische Angebot in einfach kaufbarer und komfortabel konsumierbarer Form anbieten. Ergebnisse aus dem Destination Survey Der Destination Survey bestätigte im Wesentlichen die Grundergebnisse der qualitativen Vorstudien und Systemanalysen. Insbesondere in Kulturmetropolen und großen Städten werden neue Marketingkooperationen und innovative Marketing- und Vertriebsstrategien sichtbar. Mittelgroße und kleinere Städte scheinen sich bei der Realisierung von Marketing- und Vertriebsinnovationen um vieles schwerer zu tun. Die entsprechenden Antworten auf wichtige Fragen zum Marketing- und Vertriebsmanagement stellen sich folgendermaßen dar:
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Tabelle 7: General Interest Marketing General Interest Marketing Existiert innerhalb Ihrer Destinationsorganisation ein eigenständig organisiertes Kulturtourismusmarketing? 25%
15%
15%
15%
20%
10%
0 nein / nicht vorhanden
1 kaum / nur in Ansätzen vorhanden
2 unterdurchschnittliche Qualität / großer Handlungsbedarf
3 durchschnittliche Qualität / Verbesserungsmöglichkeiten
4 überdurchschnittliche Qualität
5 Spitzenqualität
Eine eigenständige Markenstrategie für den Kulturtourismus wird von 12 der befragten Städte realisiert. 8 Städte realisieren keine oder nur in Ansätzen eine eigenständige Marketingstrategie für den Kulturtourismus. 15% realisieren eine Marketingstrategie in unterdurchschnittlicher Qualität und orten großen Handlungsbedarf. 15% realisieren die Kulturtourismusstrategie in durchschnittlicher Qualität und sehen klare Verbesserungsmöglichkeiten. 20% realisieren nach eigener Einschätzung eine Marketingstrategie für den Kulturtourismus in überdurchschnittlicher Qualität. 2 von 20 untersuchten Destinationen sehen eine Spitzenqualität realisiert. Neue Technologien spielen im Vertrieb und Verkauf des Kulturtourismus eine wesentliche Rolle. Nur mehr ein Viertel der befragten Destinationen verfügten noch über kein integriertes Informationsangebot zum Kulturtourismus. 6 Städte haben dieses nur in verbesserungsbedürftiger Form realisiert. 35% haben das Informationsangebot in überdurchschnittlicher Qualität realisiert, 10% mit Spitzenqualität. In 15% der beteiligten Destinationen ist das Info- und Buchungsangebot nicht oder nur in Ansätzen mit den bedeutendsten kulturellen Leistungspartnern verflochten, 10% weisen diesbezüglich großen Handlungsbedarf auf. 9 Städte haben diesen Anspruch mit durchschnittlicher Qualität realisiert, stellen aber gleichzeitig noch klare Verbesserungsmöglichkeiten fest. 15% haben die elektronische Umsetzung mit den Kulturpartnern in überdurchschnittlicher Qualität realisiert. 15% der Städte sehen dabei für sich ein Spitzenniveau erreicht. Datenbasiertes Marketing wird im Kulturtourismus noch nicht in breiter Form betrieben. 20% der Städte betreiben kein datenbasiertes Marketing, oder machen dies nur in Ansätzen. 35% realisieren es in unterdurchschnittlicher
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Qualität mit großem Handlungsbedarf. 45% sehen bei sich einen durchschnittlichen Qualitätsanspruch realisiert. Obwohl elektronische Kommunikations-, Vertriebs- und Verkaufsformen ganz entscheidend an Bedeutung gewonnen haben, realisieren nur relativ wenige Destinationen auch für sie zufriedenstellende E-Marketing Konzepte. 35% der befragten Destinationen realisieren kein E-Marketing Konzept oder machen dies nur in Ansätzen. 35% realisieren ein E-Marketing Konzept in unterdurchschnittlicher Qualität und orten großen Handlungsbedarf. 35% realisieren ein EMarketing Konzept in durchschnittlicher Qualität und sehen klaren Verbesserungsbedarf. Nur 2 Destinationen konstatierten für sich ein mit überdurchschnittlicher Qualität realisiertes E-Marketing Konzept. Im Vergleich zu allen bisher abgefragten Marketingengagements der befragten Destinationen schneidet auch das Vertriebsengagement relativ schlecht ab. Die Hälfte der befragten Destination Management Organisationen realisieren kein überbetrieblich angelegtes Vertriebssystem oder machen dies nur in Ansätzen. 25% sehen eine überdurchschnittliche Qualität mit großem Handlungsbedarf gegeben. 20% eine durchschnittliche Qualität mit Verbesserungsbedarf. 5% sehen bei sich eine Spitzenqualität gegeben. Bei 19 von 20 beteiligten Destinationen gibt es buchbare kulturtouristische Leitprodukte. Nur 2 Städte orten eine unterdurchschnittliche Qualität und großen Handlungsbedarf. 20% sehen eine durchschnittliche Qualität mit klaren Verbesserungsmöglichkeiten gegeben. 45% sehen bei sich eine überdurchschnittliche Leitproduktqualität realisiert. 20% der Städte sehen bei sich eine Spitzenqualität realisiert. Insgesamt betrachtet weisen diese Ergebnisse auf einen starken Entwicklungs- und Verbesserungsbedarf im Marketing- und Vertriebsmanagement von Kulturdestinationen hin. Relativ viele Destinationen sind noch nicht in der Lage, ein zufriedenstellend datenbasiertes Marketing zu betreiben. Elektronische Vermarktungs- und Vertriebswege werden zwar genutzt, weisen aber hohen Verbesserungsbedarf auf. Viele Tourismusorganisationen sind primär im Werbeund Kommunikationsbereich für den Kulturtourismus aktiv und im Vertriebsbereich und im Verkauf noch nicht professionell engagiert.
4.6 Strategisches Controlling Die untersuchten und sich besonders erfolgreich entwickelnden Kulturdestinationen Glasgow und Barcelona sorgen auch immer wieder und bewusst dafür, dass die praktizierten und eingeschlagenen Entwicklungsstrategien als Kulturund Tourismusdestination bezüglich ihrer Effektivität und Effizienz evaluiert
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werden. Evaluierung und fortlaufendes strategisches Controlling stellen in der Entwicklung von Kulturdestinationen die Systemfunktion dar, die Wesentliches zur Sicherung der Lern- und Wettbewerbsfähigkeit des Systems der Kulturdestination beitragen kann und es vor Lock-in-Effekten bewahren kann. Beim strategischen Controlling der Entwicklung einer Kulturdestination geht es auch tatsächlich um ein Controlling der Entwicklung des in dieser Arbeit im Mittelpunkt stehenden überbetrieblich interorganisatorisch angelegten Wettbewerbssystems der Destination, für das in Kulturmetropolen die Destination Management Organisation und wichtige national und international orientierte Kultur- und Kreativwirtschaftseinrichtungen, Infrastrukturträger und zuständige Stadtentwicklungsinstitutionen verantwortlich zeichnen. Strategisches Controlling für die Umsetzung von Strategien zur Entwicklung von Kulturdestinationen kann also nur gelingen, wenn die relevanten gestaltenden Akteure über die interorganisatorisch angelegten Strukturen der Kulturdestinationen auch in die Entwicklung und Umsetzungsvereinbarungen der Destinations- und Kulturtourismusstrategien eingebunden werden und geeignete Strukturen für die Sicherung der Wirksamkeit des Controllings aufgebaut und gepflegt werden. In Glasgow und Barcelona scheinen dafür die notwendigen Grundvoraussetzungen realisiert worden zu sein. Das übergeordnete Ziel des Controllings ist die Sicherung der Entwicklungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Destination und des Standorts und die Optimierung der Strukturen und Prozesse, welche die kulturellen und kulturwirtschaftlichen Möglichkeiten der Destination erweitern, ihren Wert als Reiseziel und Wirtschaftsstandort erhöhen und jene materiellen und immateriellen Voraussetzungen schaffen, die für die Einlösung der vereinbarten strategischen Ziele benötigt werden. Im engeren Sinne betrachtet geht es um begleitende Kontroll-, Informations- und Unterstützungsleistungen zur effizienten Umsetzung der vereinbarten kulturtouristischen Entwicklungsstrategie und zur Wahrung ihrer effektiven Ausrichtung in sich immer rascher wandelnden Marktumfeldern. Good Practice: Impacts 08 – European Capital of Culture Research Programme Von den untersuchten Beispielen realisierten vor allem Glasgow und Barcelona eine Form der Entwicklungsevaluierung und eines strategischen Controllings, das den geschilderten idealtypischen Grundanliegen in Form einer Good Practice gerecht wird. Auch die OECD (OECD, 2009a) verweist darauf, dass die kulturtouristisch besonders ambitionierten Städte Glasgow und Barcelona auch als Good-Practice-Beispiele für eine langjährig engagierte, kontrolliert vollzogene
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Kulturdestinationsentwicklung zu sehen sind, bei der auch ein relativ konsequentes strategisches Controlling vollzogen wurde. Das jüngste langfristig angelegt gewesene Beispiel einer anspruchsvollen, kultur- und kulturtouristisch orientierten Evaluierung, die über die Beobachtung von Standortindikatoren der kulturellen und kulturtouristischen Entwicklung (Sager 2003) weit hinausgeht und die Entwicklung der wichtigen Governance Strukturen mitberücksichtigt, bezieht sich auf die Entwicklung und die Auswirkungen der Kulturhauptstadt Liverpool 08. Impacts 08, das European Capital of Culture Research Programme berücksichtigt fünf Wirkungsbereiche: 1. 2. 3. 4. 5.
Cultural Access and Participation Economy and Tourism Cultural Vibrancy and Sustainability Image and Perceptions Governance and Delivery Process
Das fünfjährige Forschungs- und Evaluierungsprogramm wurde vom Liverpool City Council beauftragt und von der Universität Liverpool und der Liverpool John Moores University realisiert. Das komplex angelegte Programm beleuchtete über unterschiedliche Projekte wichtige Etappen und Faktoren in der Entwicklung des Kulturhauptstadtprogramms und der Kulturhauptstadtorganisation, erhob die durch die Kulturhauptstadt realisierten wertsteigernden Effekte im kulturellen, touristischen und kreativwirtschaftlichen Bereich und kommentierte die parallel laufenden Veränderungen in den Strukturen und Prozessen zur Entwicklung von Liverpool 08. Das Programm bezog die Hauptträger der Kulturhauptstadt, die wichtigsten kulturellen Organisationen und die tourismusrelevanten Institutionen in seine Aktivitäten mit ein und konnte so zu einer fundierten Unterstützungsleistung für die Bewältigung der nicht immer friktionsfreien Entwicklungen zur Kulturhauptstadt und zur Ausrichtung der Folgeentwicklung im kulturellen und touristischen Bereich werden. Das Hauptanliegen in der Vorgehensweise bestand in der Implementierung eines aktiven Wissensaustauschs zwischen Impacts 08 und den wichtigsten Partnern wie dem Liverpool City Council, der Liverpool Culture Company und wichtigen regionalen, nationalen und internationalen kulturellen Organisationen (Impacts 08 2010). Der artikulierten Feststellung“Impacts 08 [...] is an excellent example of how valuable a rigorous, longitudinal and holistic approach to research and evaluation can be. The commitment to evaluation and research which Liverpool has shown in commissioning Impacts 08 shows the city’s determination to build
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on success, learn from mistakes, and all the while improve and strengthen its cultural offer for generations to come” (Impacts 08 2010, S. 3) kann daher zugestimmt werden. Ergebnisse Destination Survey Sowohl die durchgeführten qualitativen Analysen wie die Ergebnisse des Destination Survey und auch andere Arbeiten zum Thema (Becher 2007) verweisen darauf, dass heute zwar bereits gut entwickelte Controllingsysteme für ein Destinationsmanagement zur Verfügung stehen, aber von den Destination Management Organisationen bzw. Destinationsgemeinschaften kaum eingesetzt werden. Auch die Evaluierungskultur bei der Umsetzung kulturtouristischer Strategien erscheint nicht als besonders ausgeprägt. Ausnahmen bilden dabei einige ambitioniert evaluierte Kulturhauptstadtprojekte (Palmer-Rae 2004, Impacts 08 2010) und die Destinationen des Destination Management Monitor Austria (Bratl/Schmidt/Trippl 2002). Tabelle 8: Evaluierungssysteme, n = 20 Evaluierungssysteme Existiert zur Umsetzung der Kulturtourismusstrategie ein Controlling- und Evaluierungssystem im Bereich Strategie? 40%
10%
10%
20%
10%
10%
0 nein / nicht vorhanden
1 kaum / nur in Ansätzen vorhanden
2 unterdurchschnittliche Qualität / großer Handlungsbedarf
3 durchschnittliche Qualität / Verbesserungsmöglichkeiten
4 überdurchschnittliche Qualität
5 Spitzenqualität
Bei den am Destination Survey beteiligten Kulturdestinationen scheint die Entwicklungskultur einer gezielt reflektierten und mit einem strategischen Controlling versehenen Umsetzung von touristischen und kulturtouristischen Entwicklungsstrategien über alle relevanten Entwicklungsbereiche hinweg nicht besonders stark ausgeprägt zu sein. Sowohl für die Bereich Strategie, Marke, Leitangebotsentwicklung, Management und Organisation, wie auch für den gesamten Marketingbereich vermelden die befragten Städte kein besonders hohes Engagement.
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Die Hälfte der beteiligten Städte betreiben in all diesen Bereichen keine oder nur in Ansätzen vorhandene Controllingsysteme. 10% sehen für sich eine unterdurchschnittliche Qualität mit großem Handlungsbedarf realisiert. 20% sehen eine durchschnittliche Qualität mit klaren Verbesserungsmöglichkeiten. Nur 10% sehen eine überdurchschnittliche Controllingqualität gegeben. 10% sehen Controlling in Spitzenqualität realisiert.
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Good Practice für Kulturdestinationen als Wettbewerbssysteme: Kulturdestination Glasgow
Alle explorativ untersuchten Städte hatten die sechs konstituierenden Systemfunktionen Destinationsmanagement, kulturgeprägtes Markenmanagement, Kulturtourismusstrategie, Kerngeschäftsmanagement, differenziertes Kulturtourismusmarketing und strategisches Controlling in der Grundform und mit unterschiedlichen organisatorischen Ausprägungen realisiert. Einen besonders konsequent und erfolgreich beschrittenen Entwicklungsweg haben dabei die Städte Barcelona und Glasgow hinter sich. In Barcelona findet derzeit eine konsequent und sehr diskursiv betriebene Neuausrichtung der Entwicklungsstrategie als Metropole und Kulturdestination statt. Aktuell lässt sich Glasgow als gutes abgerundetes Beispiel für eine Kulturdestination als Wettbewerbssystem präsentieren: Die schottische Stadt Glasgow ist das internationale Vorbild für eine dynamische Entwicklungskultur, in der die Kulturlandschaft, die Tourismuslandschaft und die Kooperation zwischen Kultur und Tourismus stetig nach Plan weiterentwickelt und evaluiert wird. Der Wandel von der heruntergekommen ehemaligen Industriestadt hin zu einem ernsthaften Spieler im internationalen Kulturtourismus wurde in den 1980er Jahren eingeleitet. Die Austragung des Europäischen Kulturhauptstadtjahrs 1990 wurde bewusst als Katalysator und Beschleuniger gesehen. Die darauffolgende Entwicklung folgte klaren strategischen Konzepten und Leitlinien. Die Commonwealth Games 2014 sollten den großen Entwicklungsbogen abschließen, der Glasgow zu einer modern geprägten Kulturdestination gemacht hat. Destinationsmanagement Das Glasgow City Marketing Bureau wird heute von der Glasgower Stadtregierung und privaten Stakeholdern getragen. Das Glasgow City Marketing Bureau zeichnet zusammen mit Visit Scotland, dem Glasgow City Council, Scottish Enterprise und der Glasgow Chamber of Commerce für eine umsichtig geplante Tourismusstrategie bis 2016 verantwortlich. Die Destinationsmanagement-
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Gesellschaft war maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Destinationsmarke eine individuelle kulturelle Prägung bekam. Sie ist für das Markenmanagement und die Markenkommunikation zuständig. Auch die Destinationsstrategie für Glasgow, die besonderen Fokus auf Kulturtourismus legt, wurde unter der Ägide des Glasgow City Management Bureaus gestaltet. Darüber hinaus wurden starke Partnerschaften zwischen Kultur und Tourismus etabliert: die Leitangebotsgruppe Glasgow's Leading Attractions, die Mackintosh Kulturerbe Kontaktgruppe und die Merchant City Development Gruppe. Kulturgeprägtes Markemanagement Die Tourismusmarke Glasgow mit der Essenz „Glasgow – Scotland with Style“ wurde 2004 gelauncht. Sie baut auf 20 Jahren Stadtentwicklung auf und ist ein ganzheitliches Kommunikationsinstrument, das die Stadt positioniert und klar von ihren Mitbewerbern wie Edinburgh differenziert. Die Marke ist der Anknüpfungspunkt für sämtliche Aktivitäten des Glasgow Tourismus. „Culture, leisure and visitor attractions“, „architecture“, „major events“ und die Weiterentwicklung des Stadtviertels „Merchant City“ zu einem touristisch attraktiven Kultur- und Kreativquartier sind die bedeutendsten Schwerpunkte in der Angebots- und Produktentwicklung unter der Marke „Glasgow – Scotland with style“. Strategie Kulturtourismus Seit dem Europäischen Kulturhauptstadtjahr 1990 spielt Kultur die zentrale und tragende Rolle in den Tourismusstrategien Glasgows, die in regelmäßigen Zeitabständen evaluiert und erneuert werden. Mit der gegenwärtig wirksamen „Glasgows Tourism Strategy to 2016“ wird der Fokus auf Kultur bestätigt und vertieft. Kerngeschäftsmanagement Kulturtourismus - Leitangebote Die viktorianische Innenstadt, das architektonische Erbe des Jugendstilarchitekten Charles Rennie Mackintosh und die „Glasgower Passion“ waren die Ausgangspunkte einer systematischen Entwicklung kultureller Attraktoren seit 1990. Die Leitangebote der Marke Glasgow – Scotland with style umfassen heute insbesondere:
Kelvingrove Art Gallery and Museum Merchant City und das Merchant City Festival Kulturevents
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Das Strategic Major Events Forum ist eine Partnerschaft aus sieben öffentlichen und privaten Institutionen, darunter auch das Kultur- und Sportamt Glasgow. Es wurde gegründet um Veranstaltungen und Festivals zu veranstalten, die den strategischen und kulturellen Ambitionen der Stadt entsprechen. 1990 wurde das Europäische Kulturhauptstadtjahr veranstaltet, 1996 ein Jahr der Bildenden Künste, 1999 die Hauptstadt für Architektur und Design und seit 2005 das biennale Glasgow International Festival of Contemporary Visual Art. Differenziertes Kulturtourismusmarketing Das Glasgow City Marketing Bureau versucht zusammen mit den großen Galerien, Festivals und Kunst- und Kulturevents und in Kooperation mit Visit Scotland und Scottish Enterprise die Bekanntheit und Attraktivität Glasgows für Besucher aus Großbritannien und internationale Besucher ständig zu steigern und sich so neben London und Edinburgh seine starke Position als eine der attraktivsten Kulturdestinationen in Großbritannien zu sichern. Dafür wird ein beachtlicher Mix von General Interest und Special Interest Marketinginitiativen für einen kulturorientierten Tourismus realisiert. Strategisches Controlling Glasgow’s Tourism Strategy to 2016 und Glasgow’s Action Plan to 2016 stellen wie die vorangegangenen Strategie- und Aktionsphasen fundierte Planungen für die zukünftige Tourismusentwicklung Glasgows dar und sind mit entsprechenden Evaluierungs- und Controllingmaßnahmen verbunden. An der Strategieentwicklung und Umsetzungsvereinbarung waren das Glasgow City Council, das Glasgow City Marketing Bureau, Scottish Enterprise, Visit Scotland und die wichtigsten Unternehmen der Tourismusindustrie beteiligt.
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Resümee
Die explorativ untersuchten Fallbeispiele und der realisierte Destination Survey zu 20 Städten zeigen, dass die kulturtouristische Nutzung oft gegebener hochwertiger und umfangreicher kultureller Potenziale durch den verschärften Wettbewerb am Kulturtourismusmarkt zu einer äußerst herausfordernden Angelegenheit geworden ist. Die laut Untersuchung besonders erfolgreichen Städte Glasgow und Barcelona zeigen jedoch auch, dass diese Herausforderungen durch langfristig angelegte Entwicklungsstrategien und eine konsequent und professionell betriebene Umsetzung auch bei schwierigen Ausgangsbedingungen erfolgreich bewältigt werden können.
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Um sich auf nationalen und internationalen Märkten durchzusetzen, müssen Kulturstädte heute zu konsequent marktorientiert ausgerichteten, sich strategisch orientiert entwickelnden Kulturdestinationen werden. Kulturdestinationen mit konsequent organisierten kulturtouristischen Kerngeschäften stellen die geforderten Entwicklungs- und Wettbewerbseinheiten für eine Positionierung auf nationalen und internationalen Tourismusmärkten dar. Die untersuchten international erfolgreichen Destinationen zeigten, wie Destinationen als Wettbewerbssysteme funktionieren und welche Systemfunktionen sie idealtypisch auszeichnen sollten. Für erfolgversprechende Strategien konnten in der Vergangenheit bereits zahlreiche Erfolgsfaktoren und Entwicklungsleitlinien genannt werden. Das gegenständliche Projekt hat nun jedoch über systemisch ausgerichtete Explorationsstudien zu besonders erfolgreichen und sich ambitioniert entwickelnden Kulturstädten Europas das Destinationssystem selbst und das Kerngeschäftssystem Kulturtourismus als die entscheidenden überbetrieblich angelegten Systeme identifiziert, die dafür sorgen können, dass empfohlene Erfolgsfaktoren auch tatsächlich realisiert werden und das Kulturstädte ihre Angebote so entwickeln und vermarkten, dass sie sich damit auf nationalen und internationalen Märkten durchsetzen können. Idealtypisch konstruierten Modellen haftet per Definition eine gewisse Praxisferne an. Die analysierten Beispiele von Barcelona, Glasgow, Wien, Berlin, Salzburg und Vorarlberg liefern jedoch starke empirische Hinweise darauf, dass dem vorgestellten Systemmodell für Kulturdestinationen als Wettbewerbssysteme doch auch beachtliche Praxisnähe und Erfolgsrelevanz zugesprochen werden kann.
Literaturverzeichnis Baecker, D. (1999): Organisation als System, (1.Aufl.), Frankfurt am Main Becher, M. (2007): Entwicklung eines Kennzahlensystems zur Vermarktung touristischer Destinationen, (1. Aufl.), Wiesbaden Benz, A./Lütz, S./Schimank, U./Simonis, G. (Hg.) (2007): Handbuch Governance – Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, (1. Aufl.), Wiesbaden Bratl, H./Schmidt, F. (1998): Destination Management, (1. Aufl.), Wien Bratl, H./Schmidt, F./Trippl, M. (2002): DestinationsManagement Monitor Austria zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von touristischen Verbundökonomien, in: Pechlaner, H./ Weiermair, K./ Laesser, C. (Hg): Tourismuspolitik und Destinationsmanagement, Berlin/Stuttgart/Wien, S. 123-144 Bratl, H./Trippl, M. (2001): Systemische Entwicklung regionaler Wirtschaften, (1. Aufl), Wien
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Kulturelle Einrichtungen als kulturtouristische Akteure – Strategische Ausrichtung und Praxis im touristischen Marketing am Beispiel der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg Kulturelle Einrichtungen als kulturtouristische Akteure
Heinz Buri Heinz Buri
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Einführung
„Wir sind doch keine Touristenbude!“ – es war vor rund fünfzehn Jahren, als Helmut Baumann, langjähriger Intendant der Berliner Theaters des Westens, mit diesem Ausruf in einer der großen Boulevardzeitungen seinem Unmut über Bustouristen in seinem Haus Luft verschaffte. Dazu muss man wissen, dass das Theater des Westens nicht etwa ein Haus der klassischen Hochkultur war und ist, sondern ein Musicaltheater. Es gibt sie auch heute noch, die Idiome aus diesem Geiste. Touristen treten auf als „Horden“ und „Schwärme“, sie werden „gekarrt“, sie „fallen ein“, das Vokabular bewegt sich semantisch zwischen marodierenden Paramilitärs und den Geißeln der Menschheit im Altertum. Und dennoch hat sich das Bild gewandelt, auf der Seite von Kulturanbietern erkennt man die Besucher mehr und mehr auch als Kunden, die Aufwendungen zur Erfüllung des kulturellen Auftrages refinanzieren helfen, die umworben werden wollen und die auch an den Service Anforderungen stellen. Dass dieser Wandel in Zeiten knapper werdender öffentlicher Ressourcen stattfindet, ist nicht direkt ursächlich für den Gesinnungswandel, aber auch keine rein zufällige Koinzidenz. Schließlich sind die meisten Menschen Touristen, fast überall. Die Gäste in kulturellen Einrichtungen und Stätten haben unterschiedliches Vorwissen, sind in ihren Erwartungen und Motiven unterschiedlich prädisponiert – und genau das ist die Herausforderung für die verantwortlichen Akteure auf Seiten der Kultur, es sind in besonderem Maße die Anforderungen an ein intelligentes Besuchermanagement, an ein Handeln im Sinne des Gastes und im Sinne des Kulturgutes. Kulturvermittlung ist nicht auf die Fachleute beschränkt, es ist nicht das „stille Zwiegespräch des Kurators mit seinem Objekt“, was wir unter „Kultureller Bildung“ verstehen. Der Auftrag der Kultureinrichtungen ist wesentlich komplexer und Vermittlung in ihren Ausprägungen muss als breit gefächertes
A. Hausmann L Murzik (Hrsg.), Neue Impulse im Kulturtourismus, DOI 10.1007/978-3-531-92757-2_11, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Angebot mit ausdifferenzierter Zielgruppenausrichtung verstanden werden. Kultureinrichtungen stehen nicht außerhalb von wirtschaftlichen Kreisläufen, sie sind Glieder von komplexen Mehrwertschöpfungsketten und das ist auch gar kein Widerspruch zum öffentlichen Auftrag. Im Gegenteil: Durch wirtschaftliches Denken und Handeln können Kultureinrichtungen die Handlungsspielräume im Rahmen ihres Auftrages erweitern. Dafür ist der Tourismus ein guter Komplementär, auf ihn jedoch muss sich das Angebot einstellen, dann funktioniert der Kreislauf. Damit ist in keiner Weise der stromlinienförmigen und nivellierten Angebotspolitik das Wort geredet. Kunst und Kultur müssen immer autonom bleiben, die touristische Vermarktung von Kultur hingegen muss sich an Nachfragestrukturen und an den Märkten orientieren. Ob Tourismus gut oder schlecht ist, das kann nicht die Frage sein. Auch nicht, ob es gute und schlechte Touristen gibt. Die Hausaufgabe ist vor Ort zu leisten, die Distinktion lautet im Falle von historischen Anlagen: gutes oder schlechtes Besuchermanagement – unter Einhaltung der denkmalpflegerischen Obergrenzen. Ein kluges Besuchermanagement sichert im Falle hochsensibler Ensembles die Denkmalverträglichkeit. „Touristenrennbahn“ hat man die im Rahmen des Masterplans Berliner Museumsinsel vorgesehene unterirdische Quererschließung gescholten. Sie ermöglicht dem Gast, der nur „Highlights“ wie Nofretete oder den Pergamonaltar sehen möchte, den schnellen Zugang zu den Objekten seiner Begierde, der Gast ist „fast in – fast out“, erfreut sich möglicherweise weniger kognitiv und eher intuitiv an der Schönheit der Kunst und lässt durch die Kürze seiner physischen Präsenz denjenigen Raum, die Kontemplation suchen und die Aura des Originales möglichst ungestört erleben möchten. Ist das obsolet? Man selbst ist der Bildungsreisende, die anderen sind die Touristen – mit diesem Denkmodell wird man den Anforderungen eines Museumsbetriebes im 21. Jahrhundert nicht gerecht, die Forderung eines Zensus auf der Grundlage von Bildungsnachweisen wäre zweifellos ein anachronistisches Verfahren.
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Zur Rolle der Kultur in der touristischen Angebotsentwicklung
Es gibt kaum eine Studie, die nicht belegen würde, dass Kulturtourismus im Trend liegt und ein Wachstumssegment ist. Allein die zahllosen kulturtouristischen Aus- und Weiterbildungsangebote sind ein Indikator dafür. Aber: Was genau liegt im Trend, und wo im touristischen Leistungsportfolio spielt Kultur zunehmend eine Rolle? Kultur als Motivationsträger für Reisen und Reiseentscheidungen? Eine Zunahme von Studienreisen zu antiken Stätten in Griechenland? Kultur als entscheidender Faktor im Wettbewerb der Destinationen? Ohne den mittlerweile zahllosen Definitionen von Kulturtourismus eine weitere hinzu-
Kulturelle Einrichtungen als kulturtouristische Akteure
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fügen zu wollen: Es geht um die Frage, in welchem Ausmaß Kultur in touristischer Angebotsentwicklung und Angebotspräsentation eine Rolle spielt und umgekehrt in der Nachfrage als subjektiver Motivationsfaktor auch rezipiert, für die Reiseentscheidung wirksam und gegebenenfalls als Angebotsbestandteil mit gebucht wird. Damit wird schon deutlich, dass Kulturtourismus über keine konsistente Begriffsextension verfügt. Kurzum: Kultur ist für die Reisemotivation produktions- und nachfrageseitig ein Faktor, der sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann und damit auch unterschiedlich wirksam wird. Städtetourismus zum Beispiel lässt sich per definitionem als Kulturtourismus auffassen. Städte sind Kulturträger, und für jeden, der eine Stadt besucht, spielt Kultur als Motivationsmoment in unterschiedlicher Ausprägung eine Rolle. Jede Städtereise führt auch zu Zeugnissen der Geschichte: Historisches Stadtbild, Kirchen, Solitäre und Ensembles von historischen wie zeitgenössischen Baukörpern. Im engeren buchbaren Angebotsbereich spielen dann kulturelle Einrichtungen wie Museen, Theater, Opernhäuser, Konzerthäuser, aber auch Veranstaltungsformate wie Festivals eine besondere Rolle. Es ist deswegen sinnvoll, im Zusammenhang mit Städtetourismus unterschiedliche Rollen von Kultur und unterschiedlich geprägte kulturelle Motivationsgrade zu unterscheiden. Denn selbst im touristischen MICESegment (Meetings, Incentives, Conventions, Events) – im Kongress und Tagungstourismus – wird Kultur indirekt als Standortfaktor wirksam: Wenn der Deutsche Chirurgenverband sich dazu entschließt, die Jahreshauptversammlung in Berlin durchzuführen, dann hat die Wahl des Standortes auch mit der Attraktivität, mit dem Kulturangebot und mit dem kulturell geprägten Image der Stadt zu tun. Und mit der Möglichkeit, attraktive Post-Convention-Programme anzubieten.
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Tourismusunternehmen und Kultureinrichtungen: Komplementäre mit unterschiedlichem Auftrag
Tourismusunternehmen und -organisationen haben einen originär wirtschaftlichen Auftrag. Sie sind indessen in einem sich verschärfenden internationalen Wettbewerb der Destinationen zunehmend auf Alleinstellungsmerkmale angewiesen und wachsen mit der steigenden kulturtouristischen Nachfrage mehr und mehr auch in bildungs- und kulturdidaktische Themenkomplexe hinein. Sie nutzen Geschichte und Kultur zur Positionierung und leisten die überregionale und internationale Vertriebsarbeit, die Kultureinrichtungen aus eigener Kraft nicht erbringen könnten. Kultureinrichtungen hingegen sind in Zeiten knapper öffentlicher Kassen mehr und mehr auf die Erwirtschaftung von Eigeneinnahmen angewiesen. Sie sind damit – unbesehen ihrer Rechtsform und ihres didaktischen und konservatorischen Auftrages – auch Wirtschaftsunternehmen. Eine Erhö-
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hung der Auslastung und die Erhöhung der Refinanzierungsquote in Kultureinrichtungen ist nicht zuletzt über eine Steigerung des auswärtigen Besucheraufkommens zu erreichen, ergo über Tourismus. Schloss Charlottenburg in Berlin beispielsweise hat rund 88% auswärtige Gäste, davon 53% Gäste aus dem Ausland. Um hier eine Steigerung der Besuchszahlen und der Einnahmen zu erzielen, ist die Beschäftigung mit touristischem Marketing und Vertrieb auch für eine Kultureinrichtung unabdingbar. Im Zeitalter der globalisierten Räume bilden Alleinstellung und Distinktion den entscheidenden Wettbewerbsvorteil, und hier wiederum ist die Kultur der ideale Counterpart für die Tourismuswirtschaft. Wir leben in einer Welt der Versatzstücke und der Globalisierung: Gastronomie, Einzelhandel und auch die Kultur sind – in unterschiedlichem Ausmaß – macdonaldisiert: McDonald, McPaper und McStage. Genau deswegen werden Kultur, Tradition und Geschichte zum Distinktivum, zur Alleinstellung und zum Wettbewerbsvorteil. Und zwar gegenläufig zur Angleichung der Innenstädte und der Nivellierung von Angeboten. Denn natürlich gibt es auch diesen Trend, den so genannten raumlosen Tourismus, die Urban Entertainment Parks, die all-inclusive-Erlebniswelten von TUI, Neckermann und anderen. Es sind Versatzstücke im Angebotsportfolio der Reiseindustrie, die überall sein und funktionieren können. Wir haben damit zeitgleich gegenläufige Trends in der Angebotspolitik von Reiseunternehmen. Für den kulturtouristischen Anbieter darf die Strategie nicht in der Nivellierung der Angebote liegen, Kultur ist ein Produkt mit singulärem Charakter, die Alleinstellung ist der Wettbewerbsvorteil. Profilschärfung und die Herausstellung von Uniqueness sind die marketingstrategischen Ansätze, die der Kulturtourismus dem Trend zum raumlosen, stromlinienförmigen Vollkasko-Pauschalreiseangebot entgegenzusetzen hat. Die Definition der Alleinstellung einer kulturellen Einrichtung oder eines Kulturangebots ist indessen nicht allein durch Nachdenken zu ermitteln, vielmehr spielt hier die Außensicht die zentrale Rolle. In der Prozesskette der Vermarktung kulturtouristischer Angebote ist die touristische Nachfrage der zentrale Faktor, ihre Qualifizierung und Quantifizierung bezogen auf das eigene Angebot ist die Hausaufgabe jedes Kulturanbieters, der sein Produkt kulturtouristisch vermarkten möchte.
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Strategien im kulturtouristischen Marketing
4.1 Marktforschung – auch für Kultureinrichtungen ein Pflichtprogramm Natürlich ist nicht jedes Kulturangebot per se auch ein kulturtouristisches Pro dukt, nicht alle Kulturangebote lassen sich touristisch vermarkten: Die gesamte
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Kulturproduktion einer Stadt oder Region ist nur in Teilen kongruent mit der kulturtouristischen Nachfrage. Berlin hat – alles zusammengenommen – rund 1.500 Veranstaltungen, Tag für Tag. Nur ein Bruchteil davon hat eine Reichweite über den lokalen/regionalen Bereich hinaus. Welche Anteile der Kulturproduktion indessen über touristische Potenziale verfügen, entscheiden nicht die Kulturschaffenden und auch nicht die Politiker. Das entscheidet allein die Marktnachfrage. Denn auch für die touristische Vermarktung gilt: „Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler“. In der Konsequenz heißt das: kulturtouristische Marktforschung muss zum Pflichtprogramm werden, der Kulturproduzent muss auch seine Fische kennen lernen. Berlin startete Ende 2008 ein Pilotprojekt, das genau diese Quantifizierung und Qualifizierung der kulturtouristischen Nachfrage zum Gegenstand hat: das Projekt KULMON (Kontinuierliches Besucher-Monitoring an tourismusaffinen Berliner Kulturinstitutionen). Das über EFRE-Mittel und die Berlin Tourismus Marketing GmbH finanzierte Projekt ist auf drei Jahre angelegt. Insgesamt beteiligen sich zwölf große Berliner Kultureinrichtungen am Projekt, darunter die Staatlichen Museen, die Opernstiftung, die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, aber auch z.B. der Berliner Friedrichstadtpalast. Im Jahre 2010 wurde der Kreis der teilnehmenden Einrichtungen um neun weitere Kulturinstitutionen erweitert, darunter die großen Konzerthäuser Philharmonie und Konzerthaus sowie mehrere Sprechtheater. Alle zwei Monate, werden in allen Einrichtungen jeweils vierhundert Personen befragt, per Black-Berry erfolgt dann die Datendirektübertragung auf einen Zentralserver. Erfasst werden: Gästeprofil, demographische Daten und Herkunft, Informationswege, Vertriebswege, Bewegungsprofile von Berlin-Gästen, Kundenzufriedenheit und Servicequalität. Durch die kurzen Befragungsintervalle über einen langen Zeitraum wird die zeitnahe Abbildung von Entwicklungstendenzen und Trends im Kulturtourismus möglich, die Auswertung ermöglicht zudem auch den Benchmark, die Vergleichsmöglichkeit mit den Wettbewerbern vor Ort, jederzeit und in Echtzeit. Aus dem Projekt gewonnene Erkenntnisse über Besucherprofile, Informations- und Buchungswege sind für das Marketing sowohl von Kultureinrichtungen als auch von touristischen Leistungsträgern ein zentrales Steuerungsinstrument. So haben die ersten Erhebungsintervalle etwa für Schloss Charlottenburg – neben interessanten demographischen Informationen über die Besucherstruktur – einen überdurchschnittlich hohen Anteil an internationalen Gästen ergeben. Zudem haben überdurchschnittlich viele Besucher von Schloss Charlottenburg andere historisch-museale Einrichtungen besucht. Dies bietet Anlass, über Kooperationsformen mit den im Bewegungsprofil der Besucher signifikanten weiteren Stationen nachzudenken (Kombi-Ticket, gegenseitige Auslage von Informationsträgern, besondere Verlinkung im Internet usw.). Die im Vergleich zu ande-
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ren Kultureinrichtungen überdurchschnittlich hohe Zufriedenheit mit den Eintrittspreisen für Schloss Charlottenburg indessen legt eine moderate Anpassung der Preispolitik nahe, die inzwischen auch erfolgt ist. Marktforschung muss nicht immer teuer sein. Multiplikatoren aus dem touristischen Umfeld, Partner aus der Hotellerie, Experten aus Reisebüros, lokalen Incoming-Agenturen und die lokalen, regionalen oder nationalen Tourismusorganisationen können Informationen über die Außensicht auf Angebote lokaler und regionaler Kultureinrichtungen vermitteln: Bei diesen Partnern läuft die (kultur-)touristische Nachfrage auf. Die Standardfragen von Gästen in der lokalen Touristinformation enthalten wertvolle Marktinformationen. Hier weiß man in der Regel auch, welche Angebotssegmente besonders und von welchen Zielgruppen präferiert werden.
4.2 Marktforschungsbasierte strategische Ausrichtung im Marketing Wie andere Wirtschaftsbereiche arbeiten Touristiker einschließlich der Kulturtouristiker im Marketing nach dem Key-Account-Management-Prinzip: Das heißt man bedient besonders die großen Quell- oder Herkunftsmärkte mit den großen Themen, den Highlights oder Blockbustern, und man kümmert sich in besonderer Weise um die umsatzstarken Partner. Aus den Ergebnissen kulturtouristischer Marktforschung müssten sich im Sinne eines effektiven Mitteleinsatzes marketingstrategische Ansätze ableiten lassen. Praktisch heißt das: Wenn die Gäste der Kultureinrichtung hauptsächlich aus dem Raum NordrheinWestfalen kommen, dann wirbt sie hauptsächlich in NRW. Wenn die Besucher mehrheitlich der Altergruppe 60+ angehören, dann werden Medien und Partner genutzt, die besonders auf diese Zielgruppe ausgerichtet sind. Wenn die Gäste mehrheitlich mit Busreiseveranstaltern reisen, dann sollte sich besonderer Weise um diese Multiplikatoren gekümmert werden, indem man etwa an Fachmessen und -veranstaltungen der Bustouristik teilnimmt. Der Kurzschluss wäre: Aus dem Saarland kommen noch wenige Gäste, ergo gibt es Potenziale, ergo investiert die Kultureinrichtung ihre Werbemittel im Saarland. Das führt dann zu Aktionen, bei denen man die über den Marketing-Mitteleinsatz zusätzlich generierten Gäste mit Handschlag und 100-EURO-Schein begrüßen kann. Mit anderen Worten: das wäre dann schlechtes Marketing. Deswegen sind Marktforschung und die Kenntnis über Besucherstrukturen und Besuchermotivation zentrale Grundlagen für die strategische Ausrichtung im Marketing. Sie helfen, die zumeist begrenzten finanziellen Ressourcen im Marketing möglichst effizient im Sinne der Steigerung von Besucherzahlen und Nettomehrwertschöpfung einzusetzen. In der Frage der Entscheidung über die Strategien im touristischen
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Marketing stehen kulturelle Einrichtungen strukturell in der gleichen Situation wie touristische Organisationen und Unternehmen, die klassisches Destinationsmarketing betreiben: Die Herkunft der Gäste ist das entscheidende Kriterium für die Ausrichtung und den Mitteleinsatz im touristischen Marketing. Die zentrale Frage ist daher die nach den touristischen Hauptquellmärkten. Alle gewerblichen Übernachtungsbetriebe sind per Gesetz verpflichtet, die Zahl der Übernachtungsgäste nach Herkunft und Aufenthaltsdauer an das Statistische Landesamt zu melden. Diese Zahlen – sie werden von den Statistischen Landesämtern in der Regel auch im Internet veröffentlicht – bilden die Grundlage für die strategische Ausrichtung und die Marktpriorisierung. Auch wenn Kultureinrichtungen nicht selbst operativ in den touristischen Herkunftsmärkten tätig werden, so ergeben sich doch Anhaltspunkte für maßnahmebezogene Kooperationen mit den eigenen lokalen und regionalen Tourismusorganisationen, aber auch für banale Fragen der Sprachversionen von Print- und Online-Medien. Key-Account-Management heißt für die Marketingstrategie der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg etwa, die Endverbraucherwerbung auf den aufkommensstärksten Schlossbereich – das sind Schloss und Park Sanssouci – im Hauptquellmarkt – das ist Berlin – zu konzentrieren. Die hoch frequentierten Standorte werden in den aufkommensstarken Quellmärkten insbesondere durch City Light Poster und die Belegung von Linien- und Stadtrundfahrtbussen beworben. Ziel ist die Sichtbarkeit im Stadtbild, die optisch-werbliche Präsenz vor Ort. Dass neben dieser Strategie auch Strategien für die kleineren, geografisch von den Zentren Berlin und Potsdam entfernter liegenden Häusern der Stiftung, z.B. Schloss Paretz oder Schloss Oranienburg entwickelt werden müssen, versteht sich von selbst. Aber auch hier müssen Reichweite und Quellmärkte beachtet werden: Für diese Standorte spielt der Binnenmarkt Berlin eine wichtige Rolle, für viele Berliner sind die Märkischen Schlösser spannende Ausflugsziele, die in der Kombination von Kultur und Naturlandschaft eine eigene Anziehungskraft entfalten. Hier sieht die Stiftungsstrategie eine gute lokale und regionale Verankerung vor, verbunden mit dem Auftritt in geeigneten Medien im Berliner Quellmarkt. Die Stiftung bringt daher ihr Besuchermagazin als Verlagsbeilage einer großen Berliner Tageszeitung heraus und hat damit eine vielfache erhöhte Reichweite und ein breiteres Zielgruppenspektrum, von dem besonders auch die dezentral gelegenen, märkischen Schlösser als Ausflugsziel für Berliner profitieren. Auch Kulturangebote brauchen aufmerksamkeitsstarke, intelligente Werbung und eine adäquate Zielgruppenansprache. Das Beispiel der Kampagne zu den Ausstellungen anlässlich des 200. Todestages von Königin Luise zeigt, dass im Überangebot von Werbung im öffentlichen Raum auch für eine eher an der Tradition orientierte Kultureinrichtung Distinktion und Aufmerksamkeit die
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entscheidenden Faktoren sind. Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten hat sich für die Luisen-Ausstellungen im Jahre 2010 ganz bewusst für ein – auch für die Stiftung neuartiges – Werbekonzept entschieden. Anlass war die Zielsetzung, Königin Luise als historische Figur gerade heute eine über die klassischtraditionellen Luisenbilder hinausgehende Beachtung zu verschaffen. Sie war eine mutige Frau, die Geschicke in die Hand nahm, eine Frau, die eine Vorreiterrolle auch in Bereichen wie Mode, Interieurs, Gestaltung einnahm, heute würde man sagen: die auch Trends gesetzt hat. Ziel war also, mit den Ausstellungsprojekten zum Luisenjahr möglichst viele Menschen für die Person von Königin Luise zu interessieren und zu begeistern. Daher sollten in der Kommunikation für dieses Ausstellungsprojekt auch neue Zielgruppen – über die, die Luise bereits kennen, verehren und lieben hinaus, – angesprochen werden. Dafür musste zunächst Aufmerksamkeit erzielt werden, zumal der Kontext und der Hauptquellmarkt für die Besucher der Luisenausstellungen der Großraum Berlin ist und die Projekte im Wettbewerb mit einer Vielzahl von größeren und kleineren Ausstellungen stehen.
Abbildung 1: Große Ausstellungsprojekte: Luise – Miss Preußen 2010
Im Überangebot der Veranstaltungswerbung im öffentlichen Raum, besonders in Berlin, braucht man den „zweiten Blick“, der zum entscheidenden Punkt wird. Um Aufmerksamkeit in diesem Sinne zu erzeugen und gleichzeitig neue, jüngere Zielgruppen anzusprechen, die mit der Person von Königin Luise noch wenig verbinden können, hat sich die Stiftung für ein Werbekonzept entschieden, das auf kontrastierende Effekte setzt und mit einer durchaus beabsichtigten irritierenden Wirkung auf eine bemerkenswerte Protagonistin der weit über Preußen hinausgehenden Geschichte verweist. Die Farbwahl (Neon) und die Form des runden Aufdrucks verstärkt die Signalwirkung. Hierfür werden auch
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sprachlich-semantische Elemente genutzt, die der Erlebniswelt von heutigen jungen Menschen entnommen sind (Miss Preußen, IT-Girl, Working Mom, Fashion Victim).
Abbildung 2: Große Ausstellungsprojekte: Luise – Miss Preußen 2010
Über diesen Weg geht die Kampagne durchaus auf Rollen der Königin in der Geschichte ein – wenngleich auf heutige Idiome und Lebenswirklichkeiten junger Menschen transponiert. Dass dieses Werbekonzept erfolgreich war, zeigte die Besucherresonanz: Die erwartete Anzahl der Besucher wurde deutlich überschritten und erfreulicherweise fanden viele junge Menschen den Weg in die Ausstellungen.
4.3 Beseitigung von Hürden im Kulturtourismus Kulturschaffende und touristische Leistungsträger haben unterschiedliche Produktionszyklen und Arbeitsweisen. Das führt in der Regel zu Reibungsverlusten an den Schnittstellen. Nach wie vor gibt es kulturtouristische Vermarktungshemmnisse, die beseitigt werden müssen. Kultureinrichtungen planen ihre Programme oftmals kurzfristig, allen voran die Sprechtheater. Die Reiseindustrie hat indessen saisonale Produktionszyklen, die für eine touristische Vermarktung Vorläufe von 10-18 Monaten voraussetzen. Insbesondere große Veranstaltungen oder Festivals mit überregionaler Reichweite müssen frühzeitig an die Reiseindustrie kommuniziert werden mit den hierfür erforderlichen Materialien: Titel, Kurztext, Bild und Serviceinformationen.
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Außerdem muss die Verfügbarkeit des Produktes für den Reisemittler sichergestellt werden: Erforderlich ist die Vernetzung im Ticketing und die Nutzung der großen überregionalen Ticketplattformen (CRS-Systeme), für Reiseveranstalter müssen außerdem Kontingente bereitgestellt werden. Über die Einrichtung von Zeitfenster-Tickets lassen sich in musealen Einrichtungen Besucherströme zeitlich-räumlich steuern und distribuieren. Dies ist gerade im Hinblick auf die Denkmalverträglichkeit eine zentrale Herausforderung (siehe auch Kap. 5). Kultureinrichtungen – wenn sie sich überregional positionieren möchten – müssen sich auf die Reiseindustrie einstellen und Verfahren und Arbeitweisen von Touristikern mitdenken und mitkalkulieren: Die Kalkulierung von Vertriebsprovisionen etwa bei der Preisgestaltung von Kulturangeboten ist zwingend erforderlich. Provision für einen Reisemittler ist die Abgeltung einer geldwerten Vertriebsleistung und nicht Ausdruck eines parasitären Verhältnisses. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der Reiseindustrie ist die Chance, eine vertriebliche Reichweite zu erlangen, die man aus eigener Kraft nicht erreichen würde. Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg hat als eine der wenigen Kultureinrichtungen in Deutschland im Stellenplan eine Position für Tourismus geschaffen, eine Volltouristikerin ist hier die zentrale Ansprechpartnerin für die Reiseindustrie. Zudem erscheint jährlich ein Sales Guide: ein über 50 Seiten starkes Kompendium mit speziell auf die Bedürfnisse der Reiseindustrie zugeschnittenen Informationen wie Gruppentarife, langfristige Ausstellungsplanung, Führungsangebote, Fachinformationen für die Bustouristik u.a. Die Präsenz der Stiftung auf touristischen Fachveranstaltungen – teilweise im Schulterschluss mit regionalen und überregionalen TourismusorgaAbbildung 3: Sales Guide 2010 nisationen – und eine gezielt auf die Multiplikader Stiftung Preußische Schlöstoren der Reisepresse ausgerichtete Kommunikaser und Gärten Berlin-Brantionsstrategie sind weitere Instrumente der denburg touristischen Vertriebs- und PR-Arbeit. Studienreisen von Multiplikatoren aus der Reiseindustrie werden von den touristischen Organisationen regelmäßig als Maßnahmen der Produktschulung angeboten. Solche Study Tours für Reiseveranstalter, Reisebüroagenten und Reisejournalisten führen in touristische Zielgebiete und werden von den regionalen Tourismusorganisationen, den Landesmarketing Organisationen (LMO) und der
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Deutschen Zentrale für Tourismus e.V. (DZT) organisiert. In der Regel erfolgt die Akkreditierung von ausländischen Multiplikatoren über die DZT, die über ein Netz von 29 Auslandsvertretungen und Vertriebsagenturen rund um die Welt präsent ist. Gerade Journalisten aus Reiseredaktionen von Tageszeitungen, von Reisemagazinen und -journalen oder Autoren von Reiseführern sind wichtige Multiplikatoren. Eine auf sie ausgerichtete Strategie verspricht mit geringem Mitteleinsatz große (PR-)Effekte.
4.4 Vernetzung: Gemeinsames Agieren mit Partnern erhöht die Reichweite – am Beispiel des Netzwerkes „UNESCO-Welterbestätten Deutschland e.V.“ Wenn Partner aus unterschiedlichen Bereichen gemeinsam in Netzwerken agieren, so ergeben sich Mehrwerte im Binnenbereich und in der Reichweite. Die Binnenkommunikation generiert Verständnis und Wissen um unterschiedliche Verfahren, Arbeitsweisen und Interessen und damit idealiter produktive, synergetische gemeinsame Verfahrensweisen. Das gilt besonders, wenn Denkmalschützer und Touristiker in gemeinsamen Netzwerken agieren. Vernetzung bringt außerdem Reichweite:
Abbildung 4: Präsenz auf der ITB, Internetauftritt, Wanderausstellung und Broschüre des UNESCO-Welterbestätten Deutschland e.V.
Das Beispiel des Netzwerks „UNESCO-Welterbestätten Deutschland e.V.“ zeigt das. Im Verein zusammengeschlossen sind alle 33 deutschen Welterbestätten und die jeweiligen touristischen Organisationen. Sie alle haben gemeinsam die
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Alleinstellung durch das Qualitätslabel des erfolgreichsten internationalen Programms. Den Welterbestätten-Verein zeichnet das Zusammenwirken von Denkmalschützern und Touristikern aus. Mitglieder im Verein sind die touristischen Organisationen vor Ort und die Deutsche Zentrale für Tourismus e.V. (DZT), die verantwortlichen Träger der Welterbestätten, die Deutsche UNESCOKommission und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz. Sie alle haben sich mit dem Ziel zusammengeschlossen, die Bekanntheit des Welterbeprogramms und der deutschen UNESCO-Welterbestätten im In- und Ausland zu steigern sowie einen behutsamen und hoch qualifizierten Tourismus in einem denkmalverträglichen Ausmaß zu fördern. Damit sind die denkmalpflegerischen Belange Bestandteil der touristischen Verkaufsförderung. Gemeinsam mit der DZT, die auf der Grundlage einer umfangreichen Kooperationsvereinbarung den operativen Partner des Vereins bildet, unternimmt der Verein Vertriebsaktivitäten in den touristischen Herkunftsmärkten weltweit und es werden Broschüren für Endverbraucher und Professionals produziert und distribuiert. Eine interaktive Internetplattform wird betrieben, Wanderausstellungen über die deutschen UNESCOWelterbestätten werden organisiert. Der Verein präsentiert die Welterbestätten auf touristischen Fachveranstaltungen, auf der Internationalen Tourismus Börse in Berlin, auf dem Germany Travel Mart oder dem RDA-Workshop, der größten Fachveranstaltung für Bustouristik in Deutschland, und organisiert nicht zuletzt auch den Deutschen Welterbetag jährlich am ersten Sonntag im Juni. Der Welterbestätten-Verein steht beispielhaft für kooperatives Miteinander von Touristikern, Kulturschaffenden und Denkmalschützern. Weiter veranstaltet der Verein jährlich eine Konferenz zu bestimmten Fachthemen wie „UNESCO-Welterbe – Bildung für die Zukunft“ (Jahreskonferenz 2010) oder „UNESCO-Welterbestätten – ein Beitrag zur regionalen Entwicklung“ (Jahreskonferenz 2009) oder „Bedrohtes Welterbe in Deutschland“. Konferenzen dieser Art befördern der Austausch unter den Akteuren aus Denkmalpflege und Tourismus und bauen Hürden und Vorbehalte ab.
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Denkmalverträglichkeit und Steigerung des touristisches Aufkommens
Denkmalpfleger und Touristiker sind keine natürlichen Freunde. Sie haben unterschiedliche Aufträge, und diese stehen sich strukturell und oftmals auch in der Praxis entgegen. Für den einen sind Besucher „potenzielle Immissionsquellen“, die den Schutz des Kulturgutes gefährden, für den anderen geht der wirtschaftliche Erfolg mit der Steigerung der Besucherzahlen einher. Was die beiden versöhnt, ist das Geld. Denkmalpflege kostet Geld, Tourismus bringt Geld. Deswegen müssen Denkmalpfleger und Touristiker ein Interesse an einem
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denkmalverträglichen Besuchermanagement haben. Für museale Angebote hat ein vernetztes, CRS-basiertes Zeitfenster-Ticketing (Computer-Reservation-System) den Vorteil, dass sich damit auch ein intelligentes Besuchermanagement verbinden lässt, mit dem Besucherströme gezielt gesteuert und zeitlich-räumlich distribuiert werden können. Denn gerade sensible historische Gebäude und Anlagen haben denkmalpflegerisch definierte Kapazitätsgrenzen. Für Schloss Sanssouci beispielsweise liegt diese bei 1.800 Besuchern täglich und die Nachfrage übersteigt das Angebot regelmäßig. 2011 wird die Stiftung eine neue Buchungs- und Ticketingsoftware einführen, die eine Vernetzung im Ticketing und die Nutzung der großen überregionalen Ticketplattformen (CRS-Systeme) ermöglicht. Für Reiseveranstalter werden außerdem Kontingente bereitgestellt. Das neue System operiert mit Zeitfenster-Tickets und bietet damit den Vorteil, dass sich bereits im Fernvertrieb über die Reiseindustrie oder über Internet, Tourist-Informationen und Vorverkaufskassen mittels Kontingentmanagement die Nachfrage steuern lässt. Beispielsweise weg von Schloss Sanssouci auf den Standort Neue Palais oder weitere der 13 museal zugänglichen Schlossbereiche im Bereich Park Sanssouci. Ebenso entzerrt werden können mit dem System die zeitlichen Peaks im Besucheraufkommen. So können gezielt die Tagesrandzeiten aber auch auslastungsschwächere wöchentliche oder saisonale Phasen durch Kontingentsteuerung im Vorverkauf angesteuert und damit besser ausgelastet werden. Intelligente Besucherlenkung bietet damit Lösungsansätze, Steigerungen im Aufkommen und damit im Ertrag denkmalverträglich zu gestalten. Notorisch eher schwach ausgelastete Zeitfenster im Tages-, Wochen- oder saisonalen Verlauf können bereits im Fernvertrieb über die Reiseindustrie oder über Internet, Tourist-Informationen und Vorverkaufskassen angesteuert werden. Vernetztes Ticketing bietet auch die Chance, kleinere, weniger bekannte Angebote und Bereiche zu kommunizieren und Besucherströme damit weg von den hoch frequentierten Bereichen zu lenken. Dieselbe Funktion erfüllen für den Endverbraucher vor Ort die Besucherempfänge und Besucherzentren. Diese haben neben den üblichen Service-Funktionen auch die Aufgabe, Besucherströme zeitlich und räumlich zu distribuieren und damit die Einhaltung denkmalpflegerischer Vorgaben sicher zu stellen und gleichzeitig über Motivationsanreize die Mehrwertschöpfung vor Ort zu erhöhen. Multimedial ausgestattete Infotainmentbereiche informieren in den Besucherzentren nicht nur über kulturgeschichtliche Hintergründe, sondern verweisen – etwa im Falle von Sanssouci – auch auf weniger frequentierte Schlossbereiche oder auf besondere Führungs- und Serviceangebote.
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Heinz Buri Neue Trends im Städtetourismus: Vagabundierende Zielgruppen
Für 2007 wies die Übernachtungsstatistik des Statistischen Landesamtes für Berlin gegenüber dem Vorjahr einen Zuwachs von 39,4% bei den Übernachtungen von Gästen aus Spanien aus. Ein Zuwachs in dieser Höhe binnen eines Jahres ist absolut außergewöhnlich – hierfür mussten Gründe vorliegen. Und in der Tat, es gab eine plausible Erklärung, sie hieß: Easy-Jet und Air Berlin. Beide Flugunternehmen – damals noch wirkliche Low Cost Carrier – hatten 2007 neue Flugverbindungen zwischen Barcelona und Berlin sowie zwischen Madrid und Berlin eröffnet. Die Folge davon: Geradezu explodierende Besucherzahlen aus dem spanischen Herkunftsmarkt. Mit dem „Easy-Jet“-indizierten quantitativen Zuwachs einher geht jedoch auch ein struktureller Wandel der Gästeprofile. Es gibt ein neues Besucher-Profil: der Easy-Jetter. Er lässt sich nicht mehr nach den klassischen demographischen Zielgruppenschemata segmentieren: Weder Alter noch Einkommen taugen als Merkmale, allenfalls Bildung, aber auch eher sekundär. Und das Besucherverhalten unterscheidet sich grundlegend vom klassischen Städtereisenden, der über einen Reiseveranstalter ein Städtereisepaket mit mehreren Angebotsbestandteilen bucht. Der Easy-Jetter ist Direktbucher über das Internet, er entzieht sich damit der Domestizierung durch Reisemittler und Reiseveranstalter. Er bucht keine kombinierten, pauschalisierten Angebote (Packages), sondern in der Regel nur die touristischen Primärleistungen vorab, nämlich Transport (Flug, Bahnfahrt, Busfahrt) und allenfalls Unterkunft. Seine Reiseentscheidung und die Buchung der Reise sind eher kurzfristig, er betreibt keine langfristige Reiseplanung, er informiert sich über Angebote vor Ort und trifft auch erst hier die Kaufentscheidung. Das betrifft besonders das Veranstaltungs- und Kulturangebot. Der Easy-Jetter ist gewissermaßen ein Voluntarist und Hedonist: heute besucht er einen Szene-Club, morgen geht er in die Philharmonie und ins Schloss Charlottenburg. Auch in dieser Hinsicht entzieht er sich den klassischen Zielgruppenschemata. Er gehört damit zu den „vagabundierenden“ Zielgruppen, die tendenziell angebotssensibel sind und sich erst „in situ“ von Angeboten inspirieren lassen. Auch Kulturanbieter müssen sich auf diese Zielgruppen einstellen. Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg hat unter anderem auch aus diesem Grund für die Anlagen von Potsdam Sanssouci die Endverbraucherwerbung konsequent auf das touristische Gateway Berlin ausgerichtet und auf diesen Hauptquellmarkt konzentriert.
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Die Stiftung startete im Sommer 2009 in Kooperation mit einem WerbeflächenVermarkter, den Berliner Flughäfen und einem Stadtrundfahrtenunternehmen eine Kampagne, die mit den Mitteln von CityLight-Postern, der Komplett- und Teilbelegung von Linien- und Stadtrundfahrtenbussen und der optisch-werblichen Präsent an den beiden Berliner Flughäfen für die Schlösserlandschaft von Potsdam Sanssouci wirbt. Dass mit dieser Maßnahme auch Binneneffekte erzielt und lokale Zielgruppen erreicht werden, ist ein positiver Nebeneffekt. Schwerpunkt der Konzeption bildete die konsequente Ausrichtung der Endverbraucherwerbung auf Besucherpotenziale im Quellmarkt Berlin, insbesondere auf das städtetouristische AufkomAbbildung 5: Sanssouci-Plakat men. Die Imagewerbung für die Schlösser richtet sich vorzugsweise an so genannte „vagabundierende“ touristische Zielgruppen vor Ort, d.h. angebotssensible, noch unentschlossene Zielgruppen, aber auch an Berliner und deren Gäste. Es geht um Visibility im Stadtbild, um die optisch-werbliche Präsenz vor Ort. Konzeptionell baut die Kampagne auf der Kraft der Bilder und der suggestiven Wirkung des Begriffs „Sanssouci“ auf. Insgesamt vier Plakat-Motive wurden entwickelt: Motiv „Teehaus“, Motiv „Neues Palais“, Motiv „Orangerieschloss“ und Motiv „Weinterrassen, Schloss Sanssouci“. Auf den Motiven wird das UNESCO-Logo als hochwertige Marke genutzt. Teil der Konzeption bildet auch die semantische Extension des Begriffes „Sanssouci“: der Begriff soll weg von den hochsensiblen und hoch frequentierten privaten königlichen Wohnräumen in Schloss SansAbbildung 6: Image-Kampagne der SPSG souci führen und begrifflich die gesamte Schloss- und Parkland-
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schaft Sanssouci kennzeichnen. Als Absenderadresse erscheint neben dem Stiftungslogo die Internet-Adresse „www.sanssouci.de“. Diese Domain hatte die Stiftung registrieren lassen, bisher aber nicht genutzt. Da die Adresse – sie führt direkt auf den Bereich Sanssouci auf dem SPSG-Portal – im Rahmen der Kampagne zum ersten Mal kommuniziert wird, lassen sich über die Zugriffsstatistik Effekte der Kampagne quantifizieren und in der Auswertung eine Responsmessung erreichen. Partner für das Projekt konnten erfolgreich gewonnen werden: Mit der Firma WALL AG wurde ein Sponsoring-Paket entwickelt, das die Belegung von zwei Linienbussen der BVG, die im zentralen Bereich verkehren, sowie die Plakatierung von insgesamt 1.000 City Light Postern an zentralen Standorten vorsehen. Mit der Firma Severin und Kühn, einem Stadtrundfahrten-Unternehmen und Hauptzubringer für Schlösser und Gärten von Potsdam-Sanssouci, wurde die Belegung von drei Bushecks mit den Kampagnenmotiven vereinbart, komplementäre Interessen und Synergien in der gemeinsamen Werbung waren Grundlage der Kooperation.
Abbildung 7: Image-Kampagne der SPSG
Eine großflächige Präsenz in den Terminals von Berlin-Tegel und BerlinSchönefeld wurde mit den Berliner Flughäfen vereinbart, auch hier lag eine attraktive Standortwerbung durchaus im Interesse des Partners.
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Resümee
Natürliche Feinde sind Kultur und Tourismus längst nicht mehr: Das Verhältnis zwischen Kulturschaffenden und Touristikern hat sich in den letzten Jahren zunehmend synergetisch entwickelt. Kulturschaffende sehen die überregionale, nationale und internationale Vertriebsarbeit von Touristikern als Leistung, mehr und mehr auch als geldwerte Leistung, die aus eigener Kraft nicht zu erbringen ist. Umgekehrt erkennen Touristiker zunehmend die Alleinstellung durch Kultur. Das hat vor allem damit zu tun, dass mittlerweile besser miteinander kommuniziert wird, dass sich Touristiker mit Denkmalpflege befassen – befassen müssen. Ebenso wie sich Denkmalpfleger und Kulturschaffende zur Steigerung der Refinanzierungsquote mit Ertrag steigernden Maßnahmen und touristischen Vertriebsstrukturen auseinandersetzen müssen. Feindbilder sind in diesem Prozess tendenziell abgebaut worden. Mit der dynamischen Entwicklung im Kulturtourismus und der Einsicht in die komplementären Interessen haben kooperative Haltungen auf beiden Seiten zu wirtschaftlichen Synergieeffekten geführt. Auch deshalb ist Kulturtourismus – und das inkludiert nun alle denkbaren definitorischen Varianten – zum Wachstumssegment geworden.
RUHR.2010 – eine neue Marke im Kulturtourismus Ruhr.2010 – eine neue Marke im Kulturtourismus
Oliver Scheytt Oliver Scheytt
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Einführung
Seit 1985 verleiht die Europäische Union jährlich mindestens an eine europäische Stadt den Titel „Kulturhauptstadt Europas“. Die Bewerbung „Essen für das Ruhrgebiet“ hat 2006 den Zuschlag der EU-Jury erhalten. Damit hat das Ruhrgebiet die einmalige Chance bekommen, sich als Ziel im Städtetourismus national und international neu zu positionieren. Schon in der Bewerbungsphase wurde dafür ein touristisches Begleitkonzept entwickelt, zusammen mit den touristischen Akteuren in den Ruhrgebietsstädten, dem Regionalverband Ruhr (RVR) und vor allem der Ruhrtourismus GmbH (RTG). Das Konzept wurde koordiniert und zusammengeführt von Touristik-Spezialisten der Firmen invent und Tao aus Österreich. In diesem Prozess stellte sich heraus, dass der unter dem Motto „Wandel durch Kultur - Kultur durch Wandel“ in der Programmentwicklung herausgearbeitete „rote Faden“, den Strukturwandel der größten Kohle- und Montanregion Europas in eine neue kulturell geprägte Zukunft zu präsentieren, auch sehr gut für das im Tourismus bedeutsame „Storytelling“ geeignet ist. Die Bilder in den Köpfen innerhalb und außerhalb des Ruhrgebiets sind nach wie vor ganz wesentlich von den Hinterlassenschaften der Stahl- und Kohleproduktion geprägt: Zechentürme, Gasometer, Stahlwerke, ein verwirrendes Netz von Verkehrswegen, Brachflächen und Hafenanlagen. All diese typischen Elemente eines Industriestandortes prägen auch das Image. Indes hat es Ende des zwanzigsten Jahrhunderts eine große Kraftanstrengung gegeben, in der viele dieser Orte in ihrer Schönheit und Begabung für eine neue wirtschaftliche und kulturelle Zukunft entdeckt und umgewandelt worden sind. Diese Kraftanstrengung ist verbunden mit der Internationalen Bauausstellung Emscherpark (IBA), die von 1989 bis 1999 in einem europaweit einzigartigen Prozess alte Industrieareale zu neuen Arbeits-, Erlebnis- und Kulturorten verwandelt hat. In der Schlussphase der IBA wurde ein erster „Masterplan Tourismus Ruhrgebiet“ erarbeitet, der bei seiner Vorstellung 1998 viel Verwunderung ausgelöst hat. Als Mitglied der Masterplan – Kommission habe ich die damalige Skepsis unmittelbar zu spüren bekommen. Kaum jemand konnte sich vorstellen, dass das Ruhrgebiet im Städtetourismus reüssieren würde. Auch der Versuch einer neuen A. Hausmann L Murzik (Hrsg.), Neue Impulse im Kulturtourismus, DOI 10.1007/978-3-531-92757-2_12, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Kampagne mit dem Hauptslogan „Der Pott kocht“ entfaltete wenig Wirkung. Beide Bemühungen lösten zwar die eine oder andere Aktion aus, doch letztlich ergab sich daraus noch kein touristischer Aufwind. Die IBA distanzierte sich schließlich von der Werbekampagne und es entwickelte sich auch keine schlagkräftige touristische Struktur auf regionaler Ebene zur Fortführung der touristischen Strategie. Zukunftsweisend war indes, dass die IBA eine neue Infrastruktur herausragender Orte hinterlassen hat, die Basis für den Erfolg der Kulturhauptstadt-Bewerbung und der RUHR.2010 im Kulturtourismus war, genannt seien beispielhaft nur das Welterbe Zollverein, der Gasometer in Oberhausen, die Jahrhunderthalle in Bochum oder der Innenhafen in Duisburg. Genau diese Orte sind die Hauptattraktionen, an denen sich auch die neugeschaffenen touristischen Besucherzentren orientieren. Anders als die IBA hat die RUHR.2010 jedoch nicht nur das neue Emschertal im nördlichen Ruhrgebiet in den Blick genommen, sondern den gesamten Ballungsraum mit seinen 53 Städten und 5,3 Millionen Einwohnern. Dafür galt es, eine neue kulturtouristische Konzeption zu entwickeln. Nach der Erläuterung der kulturtouristischen Marke „Metropole Ruhr“ wird die neue touristische Infrastruktur zur Einlösung des Leistungsversprechens skizziert, um sodann Kampagne und Effekte von RUHR.2010 zu erläutern.
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Die Marke RUHR.2010
Basis für jedes Tourismusmarketing ist es, eine starke Marke zu haben. Für die Metropole Ruhr galt es, diese überhaupt erst zu entwickeln. Im Kulturtourismus bestehen solche Marken zum einen in der Gesamtausstrahlung einer Stadt, ihrer kulturellen Atmosphäre und dem Ambiente. Marken manifizieren sich zum anderen in Sehenswürdigkeiten, die als Bilder in den Köpfen der Menschen abrufbar sind. Das Ruhrgebiet hatte bis dato zwar Freizeitmarken wie Musicaltheater, Erlebnisparks, Einkaufszentren etc., in die vor allem für den Binnentourismus von Bedeutung sind und für den Quellmarkt Niederlande. Einzelne Kulturmarken, wie das Museum Folkwang mit seinen großen BlockbusterAusstellungen, die Ruhrtriennale oder die Villa Hügel sowie die Kurzfilmtage Oberhausen konnten schon in der Vergangenheit als kulturtouristische Marken Attraktion erzielen. Für speziell interessierte Kreise galt Industriekultur auch nach dem Ende der IBA Emscherpark als touristische Attraktion. Die wirklich bekannteste Marke war und ist Zollverein, das 2001 zum Weltkulturerbe ernannt wurde. Immerhin hat Zollverein im Jahr 2009 fast eine Million Besucher gehabt. Doch auf diesem Feld gab es bis zur Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 keine wirkliche Markenentwicklung und -führung. RUHR.2010 hat in der
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touristischen Profilierung der werdenden Metropole von Beginn an auf die industriekulturellen Orte als wesentliche Markenzeichen für die touristische Markenentwicklung gesetzt – haben doch die Bilder von Zollverein, Gasometer oder auch von der Jahrhunderthalle ein Alleinstellungsmerkmal im Kulturtourismus in jedem Fall in Deutschland, wenn nicht in Europa. Die Ernennung zur Europäischen Kulturhauptstadt bot die einmalige Chance, Kräfte zu bündeln, eine überregionale Aufmerksamkeit zu erzielen und das Ruhrgebiet neu zu positionieren. Dafür wurde in der Bewerbungsphase und erst recht mit der Trägergesellschaft RUHR.2010 GmbH, die im Dezember 2006 gegründet wurde und Anfang 2007 ihre Arbeit aufnahm, eine konsequente Strategie entwickelt und umgesetzt. Diese war die Basis des gesamten Marketings und vor allem auch die kulturtouristische Markenführung. Die Strategie umfasste zum einen die Entwicklung eines Corperate Designs mit einem Logo das für die Anwendungen Identifikation aller Kulturstädte, Kultureinrichtungen und der Bürgerinnen und Bürger geeignet war, die Entwicklung eines Markenstory um einen Markenkern herum sowie die Verwendung von klaren Bildern und Wortbildbotschaften.
2.1 Wort/Bildmarke Nachdem in der Bewerbungsphase weitgehend noch von der Bezeichnung „Ruhrgebiet“ ausgegangen worden war, wurde nach der Juryentscheidung 2006 intensiv an der Analyse der Marke und den Strategien für eine Markenführung gearbeitet. Noch bis Mitte 2006 hieß es „Essen für das Ruhrgebiet“ und „Ruhrgebiet 2010“. Bevor die Gesellschaft für die Realisierung des Kulturhauptstadtjahres gegründet wurde, habe ich den vier Gesellschaftern Stadt Essen, RVR, Land NRW und Initiativkreis Ruhrgebiet (IR) vorgeschlagen, die Wortmarke „RUHR.2010“ als Firmenname zu wählen und mit dem bestehenden sogenannten „Fähnchenlogo“ als Wort-Bild-Marke zu kombinieren. Dies war ein entscheidender Schritt in der Markenentwicklung, hat doch die Kombination mit vier Buchstaben und vier Zahlen mehr Klarheit und Einfachheit und konnte sodann tatsächlich später immense Wirkung erzielen, insbesondere auch in den redaktionellen Beiträgen zur Kulturhauptstadt.
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Abbildung 1: Wort/Bildmarke RUHR.2010
2.2 Markenkern und Markenstory Im April 2007 wurde sodann zu einem Markenworkshop eingeladen, an dem von Kabarettisten wie Frank Goosen oder Siggi Domke bis hin zu Marketingexperten wie Sebastian Turner (Scholz & Friends) oder Tilmann Meuser (CP/Compartner) mitgewirkt haben. Im Vorfeld dieses Workshops wurde bereits analysiert, dass die „Kulturhauptstadt Europas“ lediglich für ein Jahr eine Marke ist und danach möglicherweise verblasst. Es sollte daher entscheidend darauf ankommen, mit dieser Marke eine andere Marke, nämlich die Marke „Metropole Ruhr“ zu befördern. Auf diesen Begriff hatten sich bereits vorher der Regionalverband Ruhr, aber auch eine Reihe weiterer Akteure geeinigt, nachdem noch 2004 und 2005 vielfach mit dem Begriff „Ruhrstadt“ operiert worden war. Die Regionalzeitung WAZ hatte ab 2004 in der Anfangsphase der Bewerbung um die Kulturhauptstadt sogar eine eigene „Ruhrstadt Kampagne“ entfaltet. In dem Markenworkshop hat man sich von dem Motiv „Region lebt Stadt“ und damit auch von der Ruhrstadt verabschiedet, zugunsten von „RUHR.2010 – Europas neue Metropole“. Damit wurde zugleich eine strategische Herausforderung nach innen und außen formuliert. In einer Darstellung aus dem touristischen Begleitkonzept von invent/Tao ist die folgende Grafik (Abbildung 2) entnommen, die diesen Markenkern durch Metropole neuen Typs – in Verbindung bringt mit dem Leistungsversprechen, den ideellen Werten, der einzigartigen Atmosphäre und der ästhetischen Werten. Damit wird veranschaulicht mit welchen Elementen um den Markenkern herum die Programme in Botschaften für die Ansprache von Kulturtouristen konfiguriert wurden. Dabei wurde Wert darauf gelegt, auf Botschaften zu verzichten – wie in der Vergangenheit geschehen – die das Ruhrgebiet im Vergleich zu anderen Metropolen gesetzt haben, meistens mit dem Stichwort: „Das haben wir auch.“ Vielmehr ging es uns darum zu sagen: „Das sind wir. Das haben nur wir.“
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Abbildung 2: Darstellung aus dem touristischen Begleitkonzept von invent/Tao
Die Herausforderung bestand also darin, sich auf Augenhöhe mit anderen Metropolen wie München, Hamburg oder Berlin zu bringen. So wurde bereits vorher in den Darstellungen des Ruhrgebiets der Satz gebraucht: Das Ruhrgebiet ist der drittgrößte Ballungsraum Europas nach Paris und London. Dabei war und ist klar, dass das Ruhrgebiet eben keine klassische Metropole ist, viele infrastrukturelle Andersartigkeiten und eine Reihe von Defiziten aufweist. Im Lauf des Jahres 2007 wurden in weiteren Workshops und Klausuren die Markenwerte und die Strategie der Markenführung entwickelt. Die Markenwerte sind: unkonventionell, unfertig, inspirierend und wandlungsfähig. In der folgenden Markenstory wurden diese Überlegungen ausformuliert. Sie ist auch auf der Internetseite www.ruhr2010.de zu finden: „Das Ereignis RUHR.2010 Kulturhauptstadt Europas vereint die 53 Städte und Gemeinden des Ruhrgebiets mit ihren 5,3 Millionen Einwohnern zu einer neuen Metropole in nie zuvor gekannter Art und Weise. Das Ruhrgebiet ist ein Europa im Kleinen. Es wurde durch Einwanderung aus allen europäischen Ländern geprägt. Jahrhundertelang bestimmte die Arbeit in den Zechen das Leben in der Region. Seine Bewohner machten unter härtesten Bedingungen einen unbedeutenden Landstrich zu einem Herzstück der deutschen Industriewirtschaft. Früher mussten sich die Arbeiter unter Tage und an den Hochöfen trotz Sprachbarrieren und kultureller Eigenarten blind aufeinander verlassen. Die gemeinsame
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Oliver Scheytt Arbeit mit Kohle und Stahl prägte die Identität, war Basis für den Stolz der Menschen und den Mythos Ruhrgebiet. Der Niedergang der Montanindustrie bedeutete für das Ruhrgebiet eine enorme Veränderung. Die Herausforderungen des Strukturwandels nehmen die Menschen heute mutig mit Pragmatismus und Tatkraft an und definieren ihre Identität neu: als Dienstleistungs- und Innovationsmetropole, bei der die Kultur die Klammer bildet, die unterschiedlichste Interessen vereinigt und für Aufbruchstimmung unter den Menschen an der Ruhr sorgt. Eine aufregende kulturelle Vielfalt bildet das neue Markenzeichen im drittgrößten europäischen Ballungsraum und ist Basis für die Entwicklung der Region zu einer inspirierenden und unkonventionellen ,Metropole im Werden. Die Kulturhauptstadt Europas bietet dafür eine einmalige Chance.“
Bei der Markenführung wurde eine genaue Systematik für die Logonutzung und das Co-Branding entwickelt, aufgrund dessen das Logo als Wort – Bild – Marke für die offiziellen Projekte oder lediglich als Wortmarke mit dem Schriftzug RUHR.2010 in abgestuften Varianten sowohl von allen Städten, den Partnern und Sponsoren der Kulturhauptstadt, aber auch von den Bürgerinnen und Bürgern (nur die Wortmarke RUHR.2010) angewendet werden konnte. So ist es gelungen, sehr viele Akteure mitzunehmen und eine hohe Identifikation der Städte und der kulturtouristischen Anbieter zu erreichen. Letztlich liegt aber der Erfolg der Marke RUHR.2010 in den neuen kreativen Allianzen in der Metropole Ruhr die die Kulturhauptstadt initiiert hat. Die Marke wächst und lebt aus der kulturellen Kraft der Institutionen und Kulturschaffenden sowie aus dem Wandel, der an vielen Orten erlebnisreich gezeigt werden kann. Deshalb lautet der Titel der ersten Imagebroschüre von RUHR.2010 aus dem Jahr 2008 „Bleibt alles anders“.
2.3 Bilderketten und Wort-Bild-Botschaften Attraktive kulturtouristische Marken können Bilder und Bilderketten in den Köpfen auslösen. Man denke nur an den Eiffelturm, Montmartre, Potsdamer Platz, Hackesche Höfe, Brandenburger Tor, St. Pauli, Big Ben, Freiheitsstatue etc. Ohne einen Städtenamen genannt zu haben, verbinden sich mit diesen Ikonen Images von Städten. Atmosphäre wird vermittelt, selbst wenn jemand noch nicht dort war. Die ausgelösten Assoziationen basieren nicht nur auf eigenen Erlebnissen, sondern auch auf Berichten in Zeitschriften, Büchern, Filmen oder Erzählungen von Freunden und Verwandten. Das Ruhrgebiet war bisher weit entfernt davon, dass Bilderketten den Effekt auslösen, sich als Tourist dorthin auf den Weg zu machen. Auch die IBA Emscherpark konnte keinen „BilbaoEffekt“ auslösen, obwohl einzelne Objekte, wie etwa der Gasometer oder Zollverein die Begabung hätten, Staunen auszulösen.
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Mit dem Programm der Kulturhauptstadt wurde intensiv daran gearbeitet, mit herausragenden Orten, Passagen, aber auch besonderen Ereignissen neue Bilder in den Medien und den Köpfen der Menschen zu erzeugen. Dabei war klar, dass Zollverein die Begabung dafür hat, die Ikone für die Metropole Ruhr zu werden. Zollverein liefert unmittelbar die Assoziation „Ruhrgebiet“. Zollverein ist als großer Standort mit den Themen Geschichte, Architektur, Design und Künste von einem großen Facettenreichtum und einem beispiellosen Wandel geprägt, finden sich dort die weltgrößte Designschau ebenso wie eines der besten internationalen Zentren für Performing Arts. Und Zollverein hat eine magische Wirkung auf die Besucher. Bei RUHR.2010 wurde daher konsequent daran gearbeitet, Zollverein zu dem Bild für die Metropole Ruhr werden zu lassen. Dabei spielt bis in das Kulturhauptstadtjahr hinein allerdings eine entscheidende Rolle, dass viele Bürger und Vertreter von Institutionen aus weiter entfernten Städten im Ruhrgebiet sich nicht ohne weiteres mit Zollverein als ihrer Ikone identifizieren. So kam es häufig vor, das Dortmunder oder Duisburger zu Beginn der Planungen für das Kulturhauptstadtjahr bei der Präsentation von Zollvereinbildern formuliert haben: „Das sind doch sind doch nicht wir, das ist doch in Essen.“ Die Touristiker und vor allem die Reiseveranstalter haben jedoch ganz überwiegend Zollverein als Eye-catcher für ihre Reisekataloge verwendet. Nach der Eröffnungsfeier auf Zollverein hat sich dieser Trend weiter verstärkt. Indes wird das Leistungsversprechen den Strukturwandel erlebbar zu machen nicht nur auf Zollverein eingelöst, sondern ebenso in den anderen Erlebnisräumen der Metropole Ruhr.
Abbildung 3: Wort-Bild-Botschaften der RUHR.2010
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Abbildung 4: Wort-Bild-Botschaften der RUHR.2010
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Das Leistungsversprechen
Entscheidend für den kulturtouristischen Gast ist, wo er ankommt und wie er dann weitergeleitet wird, wie er sich also orientieren kann. Dies ist in der Metropole Ruhr eine ganz besondere Herausforderung angesichts der Komplexität und Polyzentralität der Städteagglomeration. Daher wurde zusammen mit den touristischen Akteuren ein „Erlebnisraumdesign“ entwickelt, aufgrund dessen das gesamte Ruhrgebiet in fünf Erlebnisareale eingeteilt wurde mit den oben schon genanten fünf Portalstädten Duisburg, Oberhausen, Essen, Bochum und Dortmund. In jeder dieser Portalstädte gibt es inzwischen ein zentrales Besucherzentrum. Mehr als zwanzig Infolounges bzw. Infopoints versorgen an hoch frequentieren Orten die Besucher mit den notwendigen Informationen. Diese völlig neue touristische Infrastruktur wurde jenseits des Kulturhauptstadtetats mit insgesamt zwölf Millionen Euro aus EU- und Landesmitteln finanziert, wobei ein zehnprozentiger Eigenanteil von den Städten beigebracht wurde. Sowohl programmatisch als auch kulturtouristisch sind die Ost-WestPassagen Ruhr, Hellweg/A40, Emscher/Rhein-Herne-Kanal/Parkautobahn A42 sowie Lippe und Seseke von größter Bedeutung. Entlang dieser Ost-West-Achsen haben wofür herausragende Kulturhauptstadtprojekte wie Ruhr-Atoll, B1/A40 Die Schönheit der großen Straße, Still-Leben A40, EMSCHERKUNST und KulturKanal entwickelt. Entlang dieser Achsen gibt es zudem spezielle
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kulturtouristische Angebote und Produkte wie Ruhrtal-Radweg, Passagierschifffahrt, Route der Industriekultur etc., die anlässlich von RUHR.2010 profiliert oder auch neu etabliert worden sind. Die Kulturhauptstadt 2010 hat darüber hinaus sieben Hochpunkte definiert, die in allen Publikationen als besondere Sehenswürdigkeiten und kulturtouristische Highlights herausgestellt worden sind: Gasometer, Nordsternturm, Tetraeder auf der Halde in Bottrop, Dortmunder U, Duisburger Landschaftspark, Zollverein sowie die Schurenbachhalde mit der Serra-Skulptur. Mit all diesen Maßnahmen hat sich die RUHR.2010 zusammen mit ihren touristischem Partner RTG von dem bisher auf die jeweilige einzelne Stadt bezogenen Marketing abgelöst und eine neue Orientierung auf das Ganze geschaffen, die das einzelne Profil der Städte und Kultureinrichtungen nicht beiseite schiebt, sondern diese als Mosaiksteine eines neuen Gesamtbildes der Kulturmetropole Ruhr versteht und einsetzt. Mit den Passagen, den Ikonen und den Akupunkturen von RUHR.2010 konnte so in der Komplexität dieses Ballungsraumes eine neue Orientierung entwickelt werden. Es sind neue „kognitive Landkarten“ bei Besuchern und Bewohnern entstanden. Der Auftritt bei der Internationalen Tourismusbörse (ITB) 2009 in Berlin hat erstmals eine solche Gesamtschau vermittelt. Sowohl in der Kampagne der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010, als auch in der kulturtouristischen Entwicklung des Ruhrgebiet schlechthin ist damit ein ganz entscheidender Meilenstein gesetzt worden.
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Kampagne
Für die Marketingkampagne der RUHR.2010 stand ein im kulturellen Sektor außergewöhnlich hohes Budget von mehr als 10 Millionen Euro zur Verfügung. Mit diesem Marketingbudget musste allerdings die gesamte Palette der Kulturhauptstadtprojekte über ein ganzes Jahr mit Vorlauf beworben werden. Zudem bestand der Anspruch, neben dem Binnenmarketing, auch nationales und internationales Marketing zu betreiben. Insgesamt war klar, dass angesichts der Größe des Ballungsraumes eine flächendeckende Außenwerbung zur Begrüßung von Gästen nicht möglich war. Schwerpunkt in der kulturtouristischen Vermarktung lag darin, Produkte und Packages zu entwickeln, in einer klaren Rollenverteilung zwischen RUHR.2010 und den weiteren touristischen Partnern, insbesondere der Ruhr Tourismus GmbH möglichst zielgruppengerecht zu arbeiten und schließlich inszeniert von Ereignissen und Orten Spannung zu erzielen, die für PR attraktiv ist. Es war klar, dass eine gute PR zu redaktionellen Beiträgen in den Medien führen würde und dies allemal mit weniger Ressourcenaufwand verbun-
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den sein würde als teure Anzeigenkampagnen und Werbematerialien. Hinzu kam die rasante Entwicklung des Internet und des Web2.0, in der der Anspruch bestand, alle möglichen neuen Wege zu beschreiten, auch als Experimentallabor für ein zukünftiges Kulturmarketing für die Metropole Ruhr. Die touristische Kampagne umfasste daher eine ganze Mischung von unterschiedlichen Botschaften, Informationswegen und Allianzen.
4.1 Produktentwicklung Nicht nur die einzelnen touristischen Akteure in den Städten, sondern auch die Konzerthäuser, Festivals, Theater- und Opernhäuser, Museen, Anbieter aus der freien Kulturszene haben in der Vergangenheit in der Regel jeder für sich ein eigenständiges Marketing betrieben. Die unübertroffene kulturelle Vielfalt des Ruhrgebiets hat sich so gepaart mit einer Unübersichtlichkeit für jeden Bewohner und Besucher. Zudem gab es keine echte kulturtouristische Produktentwicklung. Diese ist zunächst sehr wesentlich darauf angewiesen, dass es Sehenswürdigkeiten gibt, die tagtäglich möglichst in den Abend hinein als Attraktion das Rückgrat des Städtetourismus bilden. Durch die Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 hat sich die Angebotsstruktur grundsätzlich gewandelt, konnte doch insbesondere Zollverein, Gasometer, Innenhafen, RuhrKunstMuseen, EMSCHERKUNST, Ruhr-Atoll mit einer entsprechenden Begabung als attraktive Zielpunkte und permanent vorhandene Sehenswürdigkeiten in den Kern eines kulturtouristischen Angebotes gestellt werden. RUHR.2010 hat darüber hinaus eine ganze Reihe von Veranstaltungsfolgen und Ausstellungen aus den dreihundert Projekten mit ihren fünftausend Veranstaltungen als touristisch relevant ausgewählt und erstmals zur ITB 2009 in einer Broschüre „RUHR.2010 zum Mitnehmen“ gebündelt angeboten. Durch die Besucherzentren, die Hochpunkte, die Passagen und Tourenvorschläge insbesondere für Fahrradtouristen konnte zudem eine neue räumliche Orientierung geschaffen werden, die für die Produktentwicklung von entscheidender Bedeutung ist.
4.2 Rollenverteilung, Zielgruppen und Inszenierung Für die gesamte Kampagne von Frühjahr 2009 bis Ende 2010 wurde ein Spannungsbogen entwickelt mit den Elementen: Programmatische Aufladung (Storytelling), Schrittfolge der Veröffentlichungen mit zunehmender Intensität bis
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Herbst 2009, zielgruppenspezifische Ansprache und gezielte Platzierung von Großveranstaltungen (Eröffnungsfeier im Januar, Odyssee Europa im Februar, „Das schönste Museum der Welt“ im März, SchachtZeichen im Mai, !SING Day of Song im Juni, Still-Leben A40 im Juli etc.). Grundlegend dabei war die Unterscheidung zwischen dem Binnenmarketing bezogen auf die Bevölkerung in den 53 Städten und dem Außenmarketing bezogen auf deutsche und internationale Besucher. Die Rollenverteilung zwischen der RUHR.2010 und der Ruhr Tourismus GmbH wurde dabei wie folgt abgesprochen:
Markenmarketing für die Kulturhauptstadt: RUHR.2010 Nationales und internationales Kulturtourismusmarketing: RTG Binnenbesucher-Marketing Ruhr: RTG sowie RUHR.2010 gemeinsam mit dem Tourismus- und Stadtmarketingorganisationen der Städte. Special interest Kulturmarketing: RUHR.2010 gemeinsam mit Kompetenzpartnern aus der jeweiligen Szene. Standort-Marketing Kulturmetropole Ruhr: RUHR.2010 mit Kompetenzpartnern in den Städten.
Abbildung5: Der Tourismusmarkt 2007
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Der Tagestourismusmarkt (Entfernung 200 Kilometer) umfasst 25 Millionen Menschen, worin das eigentliche Gebiet der Metropole Ruhr mit 5,3 Millionen Einwohnern enthalten ist. Ein für die Metropole Ruhr noch viel zu wenig gehobenes Potenzial ist der Übernachtungsmarkt Deutschland und Europa/Übersee, wobei die Hauptquellenmärkte Niederlande und die anderen Benelux-Staaten, Großbritannien, Polen, Österreich und USA sind. Insgesamt wurden daher bis Anfang 2010 fünfunddreißig internationale Pressereisen durchgeführt, mit Journalisten aus aller Welt. Dies hat entscheidend dazu beigetragen, dass bis zum Mai 2010 tausend Artikel in vierzig Ländern erschienen sind, bei denen die Metropole Ruhr als Reiseziel empfohlen wurde. Zahlreiche Messeauftritte haben die Kampagne ergänzt. Bei den Zielgruppen lassen sich des Weiteren die Kulturreisenden (Spezial interest Kultur) und die Städtereisenden (General interest, Freizeitsektor) unterscheiden. Der Unterschied zwischen den „Kulturreisenden“ und den „Städtereisenden“ ist für das Tourismusmarketing sehr wesentlich: Bei den Kulturreisenden handelt sich um Menschen, die ganz gezielte Interessen im Kultursektor verfolgen etwa der Besuch von Opern oder Festivals oder Museen. Bei den Städtereisenden besteht der Hauptanlass darin, die Atmosphäre, das Besondere einer Stadt zu erleben; dieses urbane Erlebnis wird sodann mit kulturellen Angeboten weiter aufgeladen. Reiseanbieter wie Studiosus, ZeitReise, Dr. Tigges sind dem erstgenannten Segment zuzuordnen: Dertour, Ameropa etc. dem zweitgenannten. Im Bereich der Kulturreisen hatte das Ruhrgebiet bisher überhaupt keinen Stellenwert, was sich durch RUHR.2010, insbesondere nach der ITB 2009, komplett gewandelt hat. Inzwischen sind Reiseanbieter aus allen Segmenten mit Angeboten der „Metropole Ruhr“ unterwegs. Im Herbst 2008 gab es die erste Programmveröffentlichung in der der „Metropolenblick“ vorgestellt wurde. Zielgruppe dieses Kampagnenelements waren vor allem Multiplikatoren aus der Kunst- und Kulturszene, aber auch die Akteure im Ruhrgebiet selbst, denn dieser Gesamtblick war nicht „gelernt“. Erstmals wurde die Metropole Ruhr mit Arealen, Passagen und Hochpunkten vorgestellt. Die Botschaften orientierten sich an den Zielen der Kulturhauptstadt: Wir sind eine Metropole und vernetzen uns neu, wir sind international und interkulturell und damit modellhaft für Europa, wir arbeiten nicht nur für ein Jahr, sondern zielen auf Nachhaltigkeit. Diese erste Programmpublikation stieß bei einigen Partnern und in manchen Medien auf Unverständnis, zumal in der Programmdarstellung noch kein über den neuartigen Metropolenblick hinausgehender inhaltlicher roter Faden erkennbar war, wurden die Programme und Projekte noch mit allgemeinen Überschriften (Nachtgestalten, Perspektiven, Brücken etc.) vermittelt. Für die ITB 2009 und insbesondere für die Programmveröffentlichung im Herbst 2009 wurde
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konsequent an einer „Geschichtserzählung“ mit instruktiven Kapiteln gearbeitet. Diese wurde im Herbst 2009 mit Buch zwei und einem komplett neuen InternetAuftritt veröffentlicht: Mythos Ruhr begreifen, Metropole Ruhr gestalten, Europa bewegen sind die Leitthemen; diese Leitthemen durchziehen die sechs inhaltlichen Felder: Bilder, Theater, Musik, Sprache, Kreativwirtschaft und Feste. Sämtliche Projekte sind diesen neun Kapiteln zugeordnet. Die inhaltliche und dramaturgische Aufteilung hat sich auch in der Veröffentlichung entsprechender „Clusterbroschüren bzw. – folder“ fortgesetzt. Zu fast allen neun Kapiteln kamen im Laufe des Jahres 2010 entsprechende Publikationen im einheitlichen Design heraus. Auch der Internetauftritt, die Einzelpublikationen und die PR-Arbeit wurden den Kapiteln entsprechend durchstrukturiert. Diese thematische Aufgliederung war einer der Schlüssel zum Erfolg der gesamten Kampagne, wurde sich doch nicht auf die Einzelvermarktung beschränkt, die letztlich nur für vierundzwanzig der dreihundert Projekte realisiert wurde, sondern mit der Clustervermarktung auf einen Gesamteffekt abgezielt, der bei den jeweiligen Zielgruppen eine adäquate Ansprache mit einem ganzen Strauß von Projekten aus einen Themenfeld bewirkt hat.
4.3 Partnerschaften Für die Kommunikation war es von größter Bedeutung, starke Partner zu gewinnen. Die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) hat ihre Aktivitäten im Herbst 2009 unter das Motto „ Creative Germany- RUHR.2010“ gestellt und bei einer sogenannten „Welcome Tour“ in europäischen Metropolen (u.a. Wien, Stockholm, Istanbul) die Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 vorgestellt und erhebliche Aufmerksamkeit erweckt insbesondere bei Multiplikatoren in den Quellmärkten. Mit den Marktführern für Städtereisen Dertour, Ameropa, Neckermann, TUI etc. und Paketreiseveranstaltern wie Grimm Touristik, IFB und ITC wurden Kooperationen eingegangen, die dazu geführt haben, dass die Metropole Ruhr im Jahr 2010 in einer Gesamtauflage von 10 Millionen Reisekatalogen beworben wurde. Darüber hinaus gab es eine Fülle von Medienkooperationen etwa mit ZeitReisen oder dem ADAC-Reisemagazin. Mit der „Reisewelt“ wurde ein neues Reisemagazin mit monatlichem Erscheinungsrhythmus für die Welt am Sonntag entwickelt. Eine Fülle von weiteren Publikationen hat RUHR.2010 als touristisches Ziel platziert, so haben alle führenden Reiseverlage neue Reiseführer aufgelegt. Die touristische Infrastruktur wurde auf allen möglichen Feldern ausgebaut, wobei – und das zeigt, wie defizitär bis dato das touristische Angebot war erst anlässlich RUHR.2010 – ein RUHR.2010 Ticket, Rabattierungssysteme bei Mu-
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seen, Gastronomieführer und -plattformen für die gesamte Metropole etc. eingeführt worden sind. Auch mit einer gemeinsamen Ticketplattform wurde Neuland betreten, allerdings mit einigen Anlaufschwierigkeiten bei den Ticketanbietern und in der komplexen kulturellen Infrastruktur der Metropole Ruhr.
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Besucherbefragungen, Qualitätsmonitor Tourismus
RUHR.2010 hat zusammen mit einer Reihe von Partnern Befragungen zur Wahrnehmung und Nutzung des Kulturangebotes, der Identifikation mit der gesamten Metropole Ruhr, zu Qualität der eingesetzten Publikationen und Informationsmedien, zur Bewertung einzelner Veranstaltungen etc. durchgeführt. Diese Ergebnisse werden bis zum Anfang des Jahres 2011 in einer Evaluation zusammengetragen, die auch Basis für den Vergleich der EU mit anderen Kulturhauptstädten ist. Besondere Bedeutung kommt dem Qualitätsmonitor Tourismus der DZT zu, die in mehreren Befragungswellen auswärtige Besucher zu ihren Erlebnissen und Eindrücken befragt. Erfreulich ist, dass das Angebot der Metropole Ruhr von mehr als der Hälfte der Befragten bereits als gleichwertig oder besser gegenüber Berlin, München oder Hamburg eingestuft wird. Darüber hinaus haben die Besucher ganz überwiegend bekundet, erneut die Metropole Ruhr besuchen zu wollen. Insgesamt gibt es zahlreich sehr positive Ergebnisse. Verbesserungswürdig erscheint das Ticketing, die nächtlichen Verbindungen im Öffentlichen Nahverkehr und an vielen Stellen auch noch der touristische Service in den Besucherzentren. Insgesamt zeigt sich, dass die Metropole Ruhr im Tourismus noch eine Menge zu lernen und entwickeln hat. Doch hat die Kulturhauptstadt sehr positive Resonanzen bei den Touristen erfahren, worauf für die Zukunft aufgebaut werden kann.
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Effekte
Bereits im ersten Halbjahr 2010 sind deutliche Steigerungen bei den touristischen Zahlen festzustellen. Die Übernachtungszahlen sind im zweistelligen Prozent-Bereich gewachsen, insbesondere aus dem Ausland konnte eine Steigerungsrate von 18 Prozent bei den Hotelübernachtungen festgestellt werden. Die RUHR.2010 hat im ersten Halbjahr 4,8 Millionen Besucher gezählt. Zollverein hat bis Mai 2010 bereits eine Million Besucher gehabt, was der Marke des gesamten Vorjahres entspricht. Somit wird sich die Besucherzahl dort schlichtweg verdoppeln. Die Kampagne von RUHR.2010 hat gegriffen. Das Ruhrgebiet
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konnte sich als neue Kulturmetropole Europas auf der touristischen Landkarte neu positionieren.
Literaturverzeichnis Frohne, Julia / Langsch, Katharina / Pleitgen, Fritz / Scheytt, Oliver: RUHR.2010 – Vom Mythos zur Marke. Essen 2010 (Klartext Verlag) Scheytt, Oliver / Beier, Nikolaj: Kulturhauptstadt. In: Lewinski-Reuter, Verena / Lüddemann, Stefan (Hg.): Glossar Kulturmanagement. Wiesbaden 2010 (VS Verlag) Scheytt, Oliver / Beier, Nikolaj: Begreifen, gestalten, bewegen – die Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010. In: Volke, Kristina (Hg.): Intervention Kultur. Wiesbaden 2010 (VS Verlag)
Lernen von den Frühaufstehern – Best-Practices des Kulturtourismus in Sachsen Anhalt Lernen von den Frühaufstehern Christian Antz Christian Antz
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Kulturtourismus in der Tourismusstrategie Sachsen-Anhalts
Das Land Sachsen-Anhalt ist eine Reise wert: Ob frühe Menschheitsgeschichte, Mittelalter, Reformation, ob Barock, Aufklärung oder klassische Moderne – kaum irgendwo findet sich auf so engem Raum eine derartige Vielfalt von kulturellen Zeugnissen, die zu touristischen Wallfahrtsorten geworden sind. Kein deutsches Bundesland besitzt mehr UNESCO-Weltkulturerbestätten oder mehr Erinnerungsorte der Barockmusik. Sachsen-Anhalt ist eine Schatzkammer für den Kultur-, Bildungs- und Städtetouristen, aber auch für denjenigen, der Bildung und Erholung auf einmalige Weise verknüpfen möchte. Denn auch beim Naturangebot braucht sich Sachsen-Anhalt nicht vor anderen touristischen Wettbewerbern zu verstecken. Das UNESCO-Biosphärenreservat Elbe, der Nationalpark Harz, die Naturparke, die Seen- und Flusslandschaften von Saale, Goitzsche, Havel oder Arendsee mit dem Rückgrat der Mittelelbe – die Liste der Einmaligkeiten ließe sich fortsetzen. Die Hauptgeschäftsfelder des Tourismus in Sachsen-Anhalt müssen deshalb aus gutem Grund der Kultur- sowie der Naturtourismus sein. Denn ohne ein herausragendes Angebot als so genanntes Alleinstellungsmerkmal kann es auch keine Nachfrager, also Besucher, geben (zur Tourismusstrategie Sachsen-Anhalts insgesamt Antz/Dreyer 2005). Diese Schwerpunktgeschäftsfelder sind jedoch auch vielen anderen Ländern Deutschlands und Europas eigen. Deshalb muss das Landesangebot des Kultur(einschließlich Städte) und Naturtourismus (einschließlich Aktiv und Gesundheit) auf Alleinstellungen im Themenmarketing fokussiert werden, die das Land nach außen touristisch stärker profilieren. Dazu gehören die landesweiten Markensäulen Straße der Romanik® (Kultur), Blaues Band® (Natur und Aktiv), Gartenträume® (Kultur und Natur) sowie die regionale Markensäule Himmelswege® (Kultur und Saale-Unstrut) sowie weitere überregionale Schwerpunktthemen wie UNESCO-Welterbe Sachsen-Anhalt, Sachsen-Anhalt – Luthers Land oder Musikland Sachsen-Anhalt. Diese werden auch regional weiter untersetzt bzw. durch regionale Schwerpunktthemen ergänzt.
A. Hausmann L Murzik (Hrsg.), Neue Impulse im Kulturtourismus, DOI 10.1007/978-3-531-92757-2_13, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Daneben haben sich touristische Schwerpunktregionen (Reisezielgebiete, Destinationen) in Sachsen-Anhalt herausgebildet, die sich im Gegensatz zu anderen geographischen Einheiten bundesweit aus sich heraus und ohne jede Art von Erklärung begreifen, profilieren und vermarkten lassen. Dies sind in Sachsen-Anhalt von Nord nach Süd die Landschaften Altmark, Gartenreich DessauWörlitz, Harz (Länder übergreifend mit Thüringen und Niedersachsen) und die Weinregion Saale-Unstrut (Länder übergreifend mit Thüringen). Dadurch entstand nach Innen wie nach Außen ein geradezu idealer touristischer Angebotsmix aus Regionen- und Themenmarketing, mit dem das Land Sachsen-Anhalt in den vergangenen Jahren große Erfolge bundesweit erzielen konnte (zum Wettbewerb der Destinationen und zur Profilierung durch Kulturtourismus Roth 1998; Antz 1999; Dreyer 2000; Antz/Dreyer 2005; Antz/Juranek 2005; Heinze 2005; Antz/Thäger/Feige 2006; Feige/u.a. 2006; Steinecke 2007; Antz 2008; Günter/Hausmann 2009). Die zentralen touristischen „Produkte“, die dem Land innewohnen und durch die das Land Gäste nach Sachsen-Anhalt zieht, müssen deshalb konsequent weiter profiliert und penetriert werden, wie jährlich durch mit diesen verknüpften (und nicht losgelösten) Verstärkerthemen (sogenannte Jahresthemen). Das Land versucht nicht mehr alles und jedes, einen touristischen „Gemischtwarenladen“, der für den Kunden immer unübersichtlicher wird, zu vermarkten, sondern wenige, gut profilierte Schwerpunkte. Dabei werden örtliche und regionale Angebote in keiner Weise ausgegrenzt. Aber das übergeordnete touristische Profil des Landes kann nach außen nur eindeutig und langfristig sein. Nur mit jahrelangem Penetrieren kommen im weltweiten Wettbewerb der Botschaften und Nachrichten die oben genannten Themen und Regionen überhaupt in den Köpfen der Menschen an. Diese zwanzigjährige touristische Profilierung des Tourismus in Sachsen-Anhalt liest sich zunächst wie ein tourismuswissenschaftliches Lehrbuch, doch die Realität sieht nicht immer so geradlinig aus. Immer wieder versuchen selbst ernannte Experten einerseits eine touristische „Dachmarke Sachsen-Anhalt“ zu erfinden, die es im Gegensatz zum Standortmarketing einfach nicht gibt. Das Land kann sich touristisch nicht als „Reiseland Sachsen-Anhalt“ vermarkten, da das Bundesland an sich kein emotionales Reisegebiet (Destination) ist, sondern die oben genannten wenigen Schwerpunktthemen und Schwerpunktregionen innerhalb Sachsen-Anhalts. Andererseits wurden und werden von mehr oder weniger einflussreichen Lobbyisten immer wieder Randthemen zu vermarktungsfähigen Schwerpunkten hochstilisiert. Dieser Vorgang wiederholt sich in jedem Bundesland und über alle Jahre hinweg, kann – je nach Einflussreichtum – viel Ärger und Unruhe verursachen sowie Arbeitskraft und Finanzmittel binden. Die Themen werden jedoch
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auf dem Markt im Regelfall nicht angenommen und verschwinden, nachdem viel Energie und Geld eingesetzt wurde, in der Versenkung. Deshalb ist es um so bewundernswerter, dass es Sachsen-Anhalt über Parteigrenzen und Legislaturperioden hinweg geschafft hat, Reisedestinationen kontinuierlich und langfristig aufzubauen, die dem Land eigen sind (Alleinstellungsmerkmale des Angebots) und vom Markt (Nachfrage großer Zielgruppen) angenommen wurden (zu Marketingstrategien im Kulturtourismus Roth 1998; Antz 1999; Dreyer 2000; Heinze 2005; Feige/u.a. 2006; Steinecke 2007; Antz 2008; Günter/Hausmann 2009). Die Erfolgsbilanz bei den Gästen gibt dieser Strategie recht. Nachfolgend sollen zwei Alleinstellungsmerkmale und Markensäulen des Kulturtourismus in Sachsen-Anhalt, die „Straße der Romanik“ – ,,eine Entdeckungsreise ins Mittelalter – und die „Gartenträume“ – Historische Parks in Sachsen-Anhalt – vorgestellt und analysiert werden, um die Strategie und den Erfolg nachvollziehbar zu machen.
2 Straße der Romanik® – Entdeckungsreise ins Mittelalter Die Straße der Romanik ist eine touristische Kulturstraße, die die bedeutendsten erhaltenen Denkmäler der Ottonik und Romanik in Sachsen-Anhalt zusammenführt. Ihre Bedeutung ermisst sich einerseits darin, dass sie die erste Tourismusstraße in den neuen deutschen Bundesländern war. Durch ihre Regionen umgreifende Form ist sie andererseits die erste Tourismusstraße Deutschlands, die sich auf ein Bundesland beschränkt und dieses gleichzeitig flächendeckend umfasst. Wie kein anderes Land der Bundesrepublik Deutschland besitzt Sachsen-Anhalt einen unschätzbaren Reichtum an Denkmälern aus der Ottonik und der Romanik. In ungewöhnlicher Dichte sind hier Klöster und Dome, Dorfkirchen und Wohnhäuser, Stadtanlagen und Burgen, Straßen und Skulpturen, Malerei und Schatzkunst Ausdruck eines gemeinsamen abendländischen Denkens. Zum größeren Teil besitzen diese mittelalterlichen Kunstwerke zudem europäischen Rang. In Deutschland kann sich in Hinblick auf Qualität und Anzahl der erhaltenen romanischen Kunst nur noch das Rheinland mit Sachsen-Anhalt messen (zur Strasse der Romanik siehe Reschke 1995; Antz 1996; Antz/ Dreyer 2002). Sachsen-Anhalt ist noch eine relativ junge Verwaltungseinheit: Das im Wesentlichen aus preußischen und anhaltischen Gebieten 1947 gebildete Land wurde bereits 1952 aufgelöst und erst im Jahre 1990 wieder gegründet. Doch der Schein trügt. So wie Sachsen-Anhalt durch die deutsche Einigung wieder ins Zentrum Deutschlands und der Integration von West- und Osteuropa gerückt ist, so wurde hier bereits vor 1000 Jahren internationale Politik gemacht. Es gab eine
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Zeit, da war dieser Raum nicht nur geeint, sondern hat weit über seine Grenzen hinaus gestrahlt, nämlich zwischen dem Zerfall des fränkischen Großreiches der Karolinger und dem Ende der Herrschaft der Hohenstaufen in Deutschland. Vor allem im 10. Jahrhundert, als die sächsischen Herzöge der Liudolfinger bzw. der Ottonen von ihrem Stammland aus als Könige und Kaiser das deutsche Reich einigten, lag Sachsen-Anhalt im Zentrum der Macht. Diese historisch-geographische Bedeutung und die Fülle mittelalterlicher Kunst waren Anlass zur Projektierung der Straße der Romanik. Das auf sanften Kulturtourismus angelegte Projekt eröffnete dem Land vielfältige Chancen. Als Zielgruppen waren gerade am Anfang nicht nur auswärtige Besucher (Außenmarketing), sondern auch die Landesbevölkerung angesprochen (Innenmarketing). In einem Bundesland, dessen einzelne Regionen sich historisch unterschiedlich entwickelt haben und das dadurch eine erst junge gemeinsame Vergangenheit besitzt, trug die landesumgreifende, orts- und regionenumfassende Straße der Romanik zur Identitätsstiftung bei. Preußische, brandenburgische, magdeburgische, anhaltische oder wettinische Traditionen wurden auf der Grundlage der gemeinsamen romanischen Wurzeln zu einem neuen landestragenden Gefühl „Wir in Sachsen-Anhalt“ zusammengeführt. Die touristische Landesstrategie Sachsen-Anhalts firmierte mit dem landesweiten Markenzeichen der Straße der Romanik auch nach außen lange Zeit unter dem Slogan „Ein Land macht Geschichte“. Die Straße der Romanik beschäftigt sich zwar mit Geschichte und Kunstgeschichte, doch zielt sie auf die Zukunft der Geschichte. Tourismuspolitik ist Wirtschaftspolitik, und der Kulturtourismus entwickelt sich seit Jahren zu einem der bedeutenden Segmente dieses Wirtschaftszweiges in Deutschland und in Europa. Das Mittelalter erfuhr spätestens seit der Erstpublikation von Umberto Ecos Buch „Der Name der Rose“ 1980 und dessen Verfilmung 1986 eine deutliche Nachfrage in diesem Kulturtourismuszweig. Sachsen-Anhalt hat diesen Trend frühzeitig erkannt und die Straße der Romanik auf dem Reisemarkt eingeführt sowie etabliert. Ziel der Straße der Romanik war von Beginn an auch die Schaffung eines von Landschaft und Kultur geprägten, wirtschaftlich stabilen Arbeits- und Lebensraumes. Die Idee zur Straße der Romanik entstand 1992 und kam über Umwege nach Sachsen-Anhalt. In Zusammenhang mit den Vorbereitungen zu der 1993 eröffneten Ausstellung „Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen“ in Hildesheim wurde vom Wirtschaftsministerium Niedersachsens eine kulturtouristische Profilierung dieser Großausstellung angestrebt. Das damalige Partnerland Sachsen-Anhalts spielte zunächst mit dem Gedanken, das Jahr 1993 als „Jahr der Romanik '93“ touristisch aufzuwerten, hat sich jedoch später für ein Pendant zu Sachsen-Anhalt, den „Wegen in die Romanik '93“, entschieden. Von Niedersachsen angefragt, sich an diesem Jahr der Romanik zu beteiligen, griff
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das Wirtschaftsministerium Sachsen-Anhalts den Gedanken auf, erkannte den einmaligen kulturellen Bestand und das touristische Potential dieses Themas und entwickelte den Gedanken einer „Straße der Romanik“. Im Wirtschaftsministerium wurde 1992 die Projektentwicklung und -leitung der Straße der Romanik etabliert. Ein aus verschiedenen Fachgebieten gebildetes Expertengremium unter Teilnahme des Wirtschafts- und Kultusministeriums, des Landesamtes für Denkmalpflege, des Landestourismusverbandes, der evangelischen und katholischen Kirchen, wurde berufen und mit der kritischen Auswahl der ottonischen und romanischen Objekte betraut. Als Kriterien dienten zunächst Qualität und Erhaltungszustand, in zweiter Linie Abwechslungsreichtum und regionale Ausgewogenheit. Aus der Vielzahl der romanischen Objekte hatten sich 72 Kulturdenkmäler in 60 Städten und Gemeinden herauskristallisiert; eine Evaluierung 2007 erweiterte die Zahl der Objekte auf 80 in 65 Orten. Für das Außenmarketing ist diese Größenordnung kaum zu händeln, nach Innen aber durchaus ein Erfolgs- und Identitätsfaktor. Deshalb wurde 2007 auch eine Kategorisierung mittels Sterne-Klassifizierung nach touristischer Bedeutung eingeführt. Im Expertengremium und in Abstimmung mit dem Landesamt für Straßenbau wurde auch die Streckenführung der Tourismusstraße festgelegt (zum damaligen Wettbewerb von Tourismusstraßen in Deutschland siehe Bschor u.a. 1996). In Form einer „8“ mit dem Schnittpunkt Magdeburg führt sie auf einer Nord- und einer Südroute ungefähr 1000 Kilometer quer durch Sachsen-Anhalt. Je nach Zeitansatz können die Gesamtstrecke, die Nord- bzw. die Südroute oder nur Teilstrecken abgefahren werden. In ihrer Gesamtheit stellt die Straße der Romanik ein einzigartiges, raumumgreifendes Freilichtmuseum mittelalterlicher Geschichte dar. Die Idee ist das eine, die Umsetzung das andere. Die vielfältigen Aktivitäten zur Etablierung der Straße der Romanik aus den letzten 15 Jahren lassen sich hier nur summarisch aufführen. Ein fundamentaler Baustein waren erhebliche Investitionen mit Hilfe unterschiedlicher Fördermittel des Landes, des Bundes, der Europäischen Union, aus Kirchen oder Stiftungen. Damit wurden in relativ kurzer Zeit die grundhafte Restaurierung der romanischen Objekte, deren räumliche und städtebauliche Gestaltung, Straßen-, Rad- und Wegebau, die Ausschilderung oder das Angebot in Gastronomie und Hotellerie geschaffen. In Zusammenarbeit mit Tourismus- und Marketingagenturen entwickelte sich ein umfängliches Außenmarketingportfolio von örtlichen und landesweiten Faltblättern, Broschüren und Werbeträgern aller Art und vielen Sprachen, die von anderer Seite über Buch- und Kartenpublikationen ergänzt wurden. Jährliche Verstärkerthemen, vor allem in Zusammenhang mit zugkräftigen Ausstellungen wie 2001 zu „Otto der Große, Magdeburg und Europa“ in Magdeburg (350.000 Besucher) im Jahr „Glanz der Romanik – Entdeckungsreisen ins deutsche
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Mittelalter“ der Deutschen Zentrale für Tourismus, begleiten das eher statische Produkt der Straße der Romanik ebenso wie feste und wechselnde Musik- oder Theaterveranstaltungen vor Ort (zu Verstärkung der Straße der Romanik durch Jahresthemen siehe Antz/Hasse/Puhle 2002; Antz 2003; Antz 2008). Auch hier zeigt sich, dass nur die gemeinsamen Anstrengungen aller, vor allem von Kultur, Kirche und Wirtschaft, ein kulturtouristisches Projekt zum Erfolg führen können. Alle Vermarktungsaktivitäten nach Außen sind jedoch nichts ohne die Dienstleistung vor Ort. Deshalb spielte die Entwicklung eines kontinuierlichen und auf Qualität gerichteten Innenmarketings, ständige Kommunikation und Schulung, Erweiterung von Öffnungszeiten, Gästeführerausbildung, Ausrichtung des Romanik-Preises oder Entwicklung buchbarer Angebote, einen zentralen, immer noch verbesserungsfähigen Baustein der Besucherbindung an die Straße der Romanik (zur Qualitätssicherung im Innenmarketing siehe Antz/Dreyer 2002; Dreyer/Linne 2004). Das gesamte Innenmarketing zur Straße der Romanik lag von Anfang an – und heute verstärkter denn je – als zentrale Aufgabe in den Händen des Landestourismusverbandes. Entscheidend positiv hat das bereits 1992 entwickelte und bis heute einprägsame weinrote Logo alle Maßnahmen an der Straße der Romanik begleitet und Besucher wie Bewohner, im Innen- wie im Außenmarketing, den Kern einer Corporate Identity vermittelt. Am 7. Mai 1993, dem 1020. Todestag Kaiser Ottos der Großen, wurde die Straße der Romanik im Magdeburger Kloster Unser Lieben Frauen in Anwesenheit des deutschen Staatsoberhauptes, Dr. Richard von Weizsäcker, eröffnet. Noch fünfzehn Jahre später schärft er seinem Umfeld ein: „Nicht in Berlin stand die Wiege Deutschlands, sondern in Sachsen-Anhalt“. In der kurzen, aber intensiven Planungsphase wurde jedoch vieles auf die richtige Schiene gesetzt. Die Straße der Romanik ist mit ungefähr 1,3 Mio. Besuchern im Jahr 2008 immer noch das Zugpferd des (Kultur-)Tourismus in Sachsen-Anhalts und eine der zehn bekanntesten (von insgesamt ca. 200) Tourismusstraßen Deutschlands. Tourismus schafft Bekanntheit und Sympathie, aber auch Umsatz und Arbeitsplätze. Durch die Straße der Romanik wurden in Sachsen-Anhalt seit 1993 erfolgreich Kulturschätze in Tourismuswerte umgemünzt. Dafür erhielt die Route im Rahmen des europäischen, ab 2007 als Verein geführten Netzwerkes „Transromanica“ vom Europarat 2007 die Anerkennung als Europäische Kulturstraße (siehe dazu Antz/Thäger/Feige 2006).
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Gartenträume® – Historische Parks in Sachsen-Anhalt
Erst dreizehn Jahre später, im Jahr 2006 wurde das kulturtouristische Landesprojekt Gartenträume auf den Tourismusmarkt mit der Kampagne „Schlösser, Parks und Gärten – Romantisches Deutschland“ der Deutschen Zentrale für Tourismus eingeführt und als neue Markensäule und Wirtschaftsfaktor für das Land Sachsen-Anhalt etabliert. Als sich im Sommer 1999 die Idee und die Konzeption eines gartentouristischen Netzwerkes in Sachsen-Anhalts entwickelte und im Herbst auf der Garten- Tagung der Niedersächsischen Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz in Oranienbaum erstmals vorgestellt wurde, gab es eher Kopfschütteln zu einer Verknüpfung von Gärten, krisengeschüttelter Region und Träumen. Man hätte es sich im „Traum“ nicht einfallen lassen, dass das Thema erstens nach knapp fünfjähriger eigentlicher Umsetzungsarbeit wirklich marktreif sein kann sowie sich zweitens der Gartentourismus in dieser Zeit zu einem europäischen Wachstumsmarkt entwickeln würde. Das nennt man landläufig Weitsicht (zu den Gartenträumen siehe Antz/u.a. 2001; Antz 2002; Maiwald 2003; Antz 2004; Antz 2006). Auch vor dem Hintergrund der nach zwanzig Jahren immer noch stattfindenden Ost-West-Deutschland-Diskussion kann mit Stolz gesagt werden, dass landesweite Tourismusprojekte aus Sachsen-Anhalt, wie Straße der Romanik, Blaues Band oder Gartenträume, in dieser Struktur und in dieser Zeit nur in den neuen Bundesländern entstehen konnten. Denn nur das gemeinsame, zielgerichtete, fach- und ressortübergreifende, umsetzungsorientierte Arbeiten ließen die Gartenträume reifen. Nur weil alle Partner, Kultus- und Wirtschaftsministerium, Planungsbüro Hortec und Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, Landesheimatbund und Gartenträume e.V., Parkeigentümer und Landschaftsplanungsbüros, Kommunen und Vereine, Landesmarketinggesellschaft und Tourismusorganisationen sowie alle weiteren Initiatoren, die kulturelle und wirtschaftliche Chance der Gartenträume erkannt haben, war dies möglich. Und letztendlich sind es natürlich nicht die Institutionen, sondern wenige engagierte Menschen, die voller Elan und Energie das Projekt ins Rollen gebracht und im Rollen gehalten haben. Was war nun zuerst da – sind die Gartenträume die Henne oder das Ei? Wie zur Zeit der Entwicklung der Straße der Romanik die gesellschaftlichen Tendenzen „back to the roots“ wiesen und der Mittelaltertourismus als Thema in der Luft lag (Antz 1996; Dreyer 2000; Steinecke 2007), so war auf jeden Fall der Trend zum „Garten“ als kultur- und freizeittouristisches Thema europaweit spürbar (Hlavac 2006; Steinecke 2007). Gärten, sie nutzen und anzuschauen, sie zu bewirtschaften und zu besuchen, durchziehen die gesamte Menschheitsgeschichte, scheinen aber gerade im globalisierten und technisierten Heute ein tieferes
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Bedürfnis zu sein. „Lust auf Garten“ titelt schon das Lufthansa-Magazin 2000 und dokumentiert, was nicht nur in der sprunghaft angewachsenen Zahl von Gartenmagazinen deutlich wird: Freizeitgärtnern ist in Deutschland ein Wachstumsmarkt. Auch der dort zitierte Hamburger Trendforscher Peter Wippermann bescheinigt dem Thema Garten eine „große Zukunft“. Neben Gärtnern und Gartenlektüre erleben Gartenreisen in historische und neue Parks einen Boom. Für die Touristen sind Schauen und Nachmachen wichtige Gründe für einen solchen Besuch. Befragungen bestätigen die Prognosen der Experten: die Gäste wollen in erster Linie Blumen sehen und Pflanzen bestaunen, Spazieren gehen und Ruhe, Erholung und Entspannung empfinden sowie Kaffees, Restaurants und eventuell Veranstaltungen in Gärten besuchen. Wenn auch der wachsende Markt des Freizeitgärtnerns nicht direkt mit dem Gartentourismus verglichen werden darf, sind doch dessen Zahlen beeindruckend: danach wurden 2001 im Bereich Gartenbedarf (Möbel, Geräte, Dekoration, Erden, Dünger etc.) rund 6 Mrd. und für lebendiges Grün (ohne Schnittblumen) rund vier Mrd., somit insgesamt ca. 10 Mrd. Euro in Deutschland ausgegeben. Diese Werte decken sich auch mit den positiven Prognosen der Demoskopen, die den Deutschen 2002 eine ungebrochene Leidenschaft für Gärten attestieren: 58 Prozent der Bevölkerung besitzen einen Garten, weitere 7,4 Mio. hegen einen bisher unerfüllten Gartenwunsch. Neben den traditionellen Gartenreisen nach England und Frankreich, in den vergangenen Jahren auch nach Holland und Belgien entstehen in Deutschland nunmehr in zunehmendem Maße Gartenrouten (siehe Bernbach/u.a. 2002; Füllenbach 2003; Werner 2003; Brandt/Brothmer/Rohde 2004; Brandt 2005). Quer zum virtuellen Zeitgeist wächst also die Neigung zu Gärten – anschauen, genießen, gärtnern, kreativ sein. Dabei führt wie beim Mittelaltertourismus die ältere Generation deutlich die Zielgruppe an – dies aber konstant. Und dies bedeutet, dass die Gartenbegeisterung wie der Kulturkonsum mit dem Alter zunimmt und damit das Gartenthema die einzige, in den nächsten zwanzig Jahren rasant wachsende Altersgruppe bedient (zum Gartentourismus und -marketing und den entsprechenden Zielgruppen siehe Tessin 2001; Füllenbach 2003; Maiwald 2003; Werner 2003; Brandt/Bothmer/Rohde 2004; Brandt 2005). Parallel zu diesen allgemeinen Trends gab es in Sachsen-Anhalt die Initialzündung der Gartenträume, die die Sehnsüchte und Bedürfnisse des postmodernen Menschen zumindest teilweise befriedigen möchten. Aus diesem Bewusstsein heraus wurde ab 2000 auf Initiative des Wirtschaftsministeriums das Landesprojekt „Gartenträume“ als einmaliges Bindeglied zwischen dem Kulturund Naturerbe Sachsen-Anhalts entwickelt. Ausgehend von der Beschäftigung einerseits mit dem Gartenreich Dessau-Wörlitz (zur touristischen Bedeutung des Gartenreiches Dessau-Wörlitz Weiss 1999; Brandt 2002) und andererseits mit
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der Bundesgartenschau Magdeburg 1999 sind die Gartenträume wie das Blaue Band und die Straße der Romanik nicht aus einem willkürlichen Akt oder allein von der Nachfrageseite her entstanden, sondern aus der endogenen und gewachsenen, einmaligen und authentischen Gartenkulturlandschaft, die sich über das ganze Bundesland zieht. Ungefähr 1000 denkmalgeschützte Garten- und Parkanlagen finden sich in Sachsen-Anhalt. Neben den bekannten Parks, insbesondere den Anlagen des im Jahr 2000 anerkannten UNESCO-Weltkulturerbes „Gartenreich Dessau-Wörlitz“, stellen auch die vielen, noch weniger bekannten historischen Gärten ein wichtiges historisches Erbe dar, das es zu schützen und zu pflegen, wissenschaftlich zu erforschen und zu verbreiten gilt. Aus der schier unüberschaubaren Zahl der historischen Parks in Sachsen-Anhalt wurden gemeinsam von Wirtschaftsministerium, Landesamt für Denkmalpflege und Kultusministerium 40 Parkanlagen ausgewählt. Aufgrund von Erfahrungen ergibt sich eine Prioritätensetzung notwendigerweise aus der Beschränkung der finanziellen Ressourcen zur Sanierung der Parkanlagen und aus einer klaren überschaubaren Produktdefinition im Tourismusmarketing. Gerade die Ausweitung auf einen Park des 21. Jahrhunderts, die Goitzsche in Pouch bei Bitterfeld, das weltweit größte Landschaftskunstprojekt, an einem gefluteten Braunkohletagebausee, demonstriert die Vorwärts- und nicht Rückwärtsgewandtheit des Gesamtprojektes. Zur Analyse, Koordinierung, Förderung und Sanierung der einzelnen Gärten und im Zusammenhang mit dem Gesamtprojekt bediente sich das Land von 2001 bis 2008 des Projektmanagements durch das Planungsbüro Hortec Gartendenkmalpflege in Wörlitz und Berlin, das durch seine Umsetzungsorientierung die Gartenträume in dieser kurzen Zeit zum deutschlandweiten Modell gemacht hat (Antz/u.a. 2001). Denkmalpflegerahmenpläne, Ehrenamtliches Engagement, Sanierungen, Beschilderungssysteme, Finanzierungslösungen, Umfeldplanungen, Lobbyarbeit sind nur einige leicht hingesagte Stichworte, die in harter Arbeit in kurzer Zeit mit prallem Leben gefüllt wurden. Um die Verknüpfung von Denkmaleigentum und -nutzung, -sanierung und -pflege vom Kopf auf die Füße zu stellen, haben sich die Parkeigentümer und -träger auf Anregung der Landesregierung 2003 zum Verein Gartenträume e.V. zusammengeschlossen. Hier werden alle relevanten Themen landesweit ausgetauscht, diskutiert und umgesetzt; und natürlich auch vermarktbare Produktbausteine und Veranstaltungen mit der Hotellerie und der Gastronomie, den touristischen Regional- und Fachverbänden gemeinsam entwickelt (Innenmarketing) und dann über das Landesmarketing und die Deutsche Zentrale für Tourismus auf den Reisemarkt gebracht (Außenmarketing). Das bereits 2001 entwickelte, einprägsame grüne Logo der Gartenträume weist den Gästen den Weg im Land (Beschilderung an Straßen und vor Ort) und
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im Marketing (Buch- oder Werbepublikationen). Denn neben dem kulturgeschichtlichen Erbe sind die vielen Garten- und Parkanlagen ein wichtiges und wertvolles touristisches Potential für das Land. Es ging mit der Sanierung und der Vermarktung der einmaligen Parks auch um die Zukunft Sachsen-Anhalts. Zum ersten Mal wurde in Deutschland ein auf Alleinstellungsmerkmale beruhendes, landesweites touristisches Netzwerk historischer Gärten und Parks unter dem Dach und dem Titel der Gartenträume geschaffen – das kann man anderenorts Sachsen-Anhalt nun nur noch nachmachen. Ein bundesweiter Austausch der gartentouristischen Landes- und Regionalprojekte findet seit 2007 im Gartennetz Deutschland – Bundesverband regionaler Garteninitiativen e. V. statt, in dem die Gartenträume denn auch eine wichtige und neuartige Transferrolle von Ost nach West übernehmen. Durch frühzeitige Einbeziehung aller Beteiligten konnten mögliche Konflikte mit dem Naturschutz, dem Forst, der Bauleitplanung, den Nutzern etc. minimiert oder ausgeräumt werden. Die Denkmalpflege stellt dabei einen Garanten für die Qualität der historischen Garten- und Parkanlagen und damit auch der touristischen Vermarktbarkeit dar. Aber gerade die Einbindung der historischen Gartenanlagen in die spezifische Siedlungs- und damit Landesgeschichte bildet einen wesentlichen Aspekt des Erhaltungspostulats. Ihre Einordnung in Städtebau und Dorfgestalt und dadurch in Städtebausanierungs- und Dorferhaltungsprogramme verdeutlicht ihren Ensemblecharakter. Eine „Biotopisierung“ des Einzelparks steht nicht im Interesse des Gesamtprojektes. Ein korrekt sanierter, national bedeutsamer historischer Garten in einem beliebigen siedlungsräumlichen Umfeld minimiert das Gästeinteresse gegen Null; hier sitzen Denkmalpflege und Tourismus mehr denn je in einem „Boot“. Dazu zählen auch die naturräumlichen und landwirtschaftlich genutzten Bereiche des Parkumfeldes. Ob Auenlandschaften und Flussräume, Solitärbäume und Sichtachsen, Schafsweiden und Kulturpflanzungen, die „Umwelt“ der historischen Gärten trägt entscheidend zu ihrer historischen, naturräumlichen wie touristischen Bedeutung bei. Am Musterbeispiel der historischen Gärten im Gartenreich Dessau-Wörlitz entlang der Elbe kann diese Einheit von vegetabilen Natur- und Kulturformen unter dem Dach der Kulturlandschaft am besten nachvollzogen werden. Aber auch sonst dürfen bei der Betrachtung der historischen Gärten der gesetzliche Schutz in Raumordnung, Naturschutz und Denkmalschutz nicht als Gegensätze betrachtet werden. Das Projekt Gartenträume kann eine konstruktive Gesprächsplattform für Naturschützer und Denkmalpfleger bieten und im Ergebnis vielleicht ein Modell für Deutschland sein (zum Aufbau der Gartenträume Antz 2002; Antz 2004; Antz 2006). Wirtschaftliche Wertschöpfung, die Schaffung von Arbeit, das Einbringen von Investitionen und der touristische Umsatz sind neben der kulturellen Be-
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deutung ein wichtiger Baustein bei der Betrachtung des Landesprojektes Gartenträume. Diese Einheit von Wirtschaft und Kultur hat Fürst Franz von AnhaltDessau, der Begründer der Kulturlandschaft Gartenreich Dessau-Wörlitz schon im 18. Jahrhundert verstanden und sie selbst auf dem Sterbebett nochmals formuliert: „Man muss für Arbeit sorgen, darauf kommt alles an!“. Die Trends in Großbritannien und Frankreich haben gezeigt, dass das Thema Garten sowohl als Freizeitbeschäftigung als auch in der Tourismusnachfrage „en vogue“ ist. Mit Besucherzahlen im Bereich von 15 Mio. jährlich verzeichnen beide Länder eine hohe Nachfrage im Gartentourismus (siehe weiter Tessin 2001; Füllenbach 2003; Maiwald 2003; Werner 2003; Brandt/Bothmer/ Rohde 2004; Brandt 2005). Das Interesse der typischen Gartenbesucher hat den Schwerpunkt auf dem generellen Bedürfnis nach Ruhe, Idylle, Ästhetik und Natur. Die Mehrheit der Besucher will einfach einen erholsamen Tag in attraktiver (!) Umgebung. Sie sind keine Gartenspezialisten, jedoch oftmals in Zusammenhang mit einem eigenen Garten am Thema Gärtnern interessiert und spüren unterbewusst die hohe ästhetische Qualität und Authentizität sowie das Distanz schaffende Anderssein der historischen Gartenanlagen (Vieth 2002). So bringt auch Franz Sattlecker, Geschäftsführer des Schlosses Schönbrunn in Wien, die Chancen der Gartenträume auf den Punkt: „Den Konsumenten geht es nicht darum, ihre Bedürfnisse abzudecken, sondern um Wünsche und Träume“. Gärten üben deshalb in einer globalisierten und hektischen Welt vor allem für die Naherholung und den Kurzzeittourismus eine hohe Anziehungskraft aus, wobei wie Frankreich und England auch Sachsen-Anhalt die Chance erkannt hat, Gäste über das Thema Gärten an das Land touristisch zu binden. Dies zeigt sich traditionell bereits im Gartenreich Dessau-Wörlitz, das einerseits einen hohen Stammkundenanteil aus dem Nahbereich aufweist und andererseits natur-, kultur- und erlebnisorientierte Gäste überregional akquiriert. Die Gartenträume führen denn auch Besucher mit steigendem Erfolg, immerhin ca. 2,5 Mio. Gäste im Jahr 2006, zum Bilden, Träumen, Spazieren und Entspannen nach Sachsen-Anhalt.
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Fazit und Plädoyer
Sachsen-Anhalt hat im Tourismus etwas erreicht. Von einem wechselnden Marketing des Diffusen hin zu einem kontinuierlichen Marketing durch Profilbildung in einer engen Durchdringung von Themen und Regionen sind die Gästezahlen bei den Ankünften von 1993 bis 2008 von 1,2 auf 3,4 Mio. und bei den Übernachtungen von 2,6 auf 6,7 Mio. gewachsen. Und wenn die Besucher kommen, sollten die Gastgeber stolz sein auf die eigene Kulturlandschaft und auf das in zwanzig Jahren aus sich selbst heraus und selbst Geschaffene. Und in dem
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eigenen Stolz entsteht dann das Selbstbewusstsein, Gäste an den Schätzen des Landes Sachsen-Anhalt teilhaben zu lassen. Vor einer deutschland- und europaweiten Vermarktung eines touristischen Landesproduktes stand und steht aber immer der kontinuierliche und steinige Weg der inhaltlichen, infrastrukturellen und marketingmäßigen Produktentwicklung, wo Sachsen-Anhalt mit der Straße der Romanik ab 1993 und den Gartenträumen ab 2006 Zeichen zu setzen versucht hat. „Nicht die Gärten oder Schlösser stehen im Mittelpunkt, sondern der Besucher, der Kunde!“, formuliert 2004 selbst Hartmut Dorgerloh als Leitbild für die ihm unterstehende Stiftung Preußische Gärten und Schlösser. Und wenn es ein Mann der Kultur ausspricht, sollte dies – so müsste man meinen – schon längst für alle Leistungsträger in der Tourismuswirtschaft zutreffen. Ob sich die Anstrengungen in die Markensäulen, Investitionen und Marketing, für Sachsen-Anhalt kulturell und wirtschaftlich lohnen, liegt aber nun vor allem in der Hand jedes einzelnen Gastgebers vor Ort. Der Kunde ist König – und muss es auch bleiben, wenn Tourismus Erfolg haben will. Eigentlich ist dieses Ziel einfach zu erreichen – nur ein bisschen Dienstleistungsbereitschaft und Gastgeberbewusstsein sind erforderlich (Antz/Dreyer 2002; Dreyer/Linne 2004). Aber den durch Medien, Technik, Convenience oder Bürokratie dem realen Menschen manchmal entwöhnten Gastgebern fällt der Service am Menschen doch mitunter schwer. Was statistisch keiner glaubt, aber jeder weiß, dort fällt die eigentliche Reiseentscheidung. Denn 70 Prozent der deutschen Bevölkerung fährt dahin in Urlaub, wo sie schon waren und äußerst zufrieden waren bzw. ihre Bekannten waren und ebendiesen Eindruck mitbrachten. Die Reiseentscheidung fällt trotz noch so viel Marketings, Broschüren, Messen, Internet etc., beim Gastgeber vor Ort. Und hier muss die Qualität stimmen, und hier müssen wir alle noch an uns arbeiten. Der ehemalige Trainer der Fußballmeister Bayern und Wolfsburg und Sachsen-Anhalter Neubürger Felix Magath hat uns die einfache Handlungsstrategie dafür geliefert: „Qualität kommt von Quälen!“. Und der hohe Qualitätsanspruch gilt auch weiter für das schon in Sachsen-Anhalt Erreichte, die Straße der Romanik als Freilichtmuseum des Mittelalters, das Blaue Band als Wasser geprägte Kulturlandschaft und die Gartenträume als Garten Eden für das 21. Jahrhundert.
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König Laurin versetzt Berge. Von der Destination zur Marke: Kultur und Tourismus in Südtirol – ein Praxisbeispiel König Laurin versetzt Berge
Gabriele Crepaz Gabriele Crepaz
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Südtirols Erfolg als Destination: Eine Frage der Wahrnehmung
2005 hat Südtirol sich zum Ziel gesetzt, eine Destination mit Markencharakter zu werden. Die Marke Südtirol wurde entwickelt. Zugleich wurde eine Markenstrategie festgelegt. Im Folgenden wird ausgeführt, von welchen Überlegungen der Markenführungsprozess geleitet wird und welche Inhalte die Marke Südtirol tragen. Dabei wird vor allem auf die Bedeutung der Südtiroler Kultur eingegangen. Schwerpunktmäßig wird anhand von Beispielen erläutert, welche Auswirkungen die Entscheidung, Südtirol zur Marke zu machen, auf die touristische Produktentwicklung und auf die Kommunikationsstrategie hat.
Abbildung 1: Ein Markenbild für Südtirol auf der Seiser Alm, der größten Hochalm Europas (Foto: Clemens Zahn) A. Hausmann L Murzik (Hrsg.), Neue Impulse im Kulturtourismus, DOI 10.1007/978-3-531-92757-2_14, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Südtirol liegt in den Alpen, aber auf deren Südseite, es ist alpin, aber schon Italien. Wie diese besondere Lage im Bild sichtbar werden soll, ist bei Südtirol Marketing klar definiert: Berge sind in Südtirol spektakulär, aber nicht bedrohlich, der Schnee ist kalt, aber nicht polareisig, Wintersonne gleißend, aber immer noch lieblich, Menschen sind im Bild oder als menschliche Spuren im Foto zu sehen, da Südtirol nicht Kanada ist und unberührte Landschaften in Südtirol nicht bedeuten, dass das Land unbewohnbar ist. Südtirol – wie es ist. Beschreiben soll man das nicht. Wer Südtirol im Bild sieht, soll sich ein Bild machen, besser noch: ein Bild im Kopf und ein Gefühl im Bauch. Eine Sache von wenigen Sekunden. So schnell entscheidet der Betrachter. Im Kopf macht es Klick. „Erfolgreiches Marketing kommuniziert vor allem mit dem Autopiloten“, sagt der Neuropsychologe Christian Scheier (Scheier/Held 2008, S. 60). Die Hirnforschung weiß seit kurzem: In jeder Sekunde dringen 11 Millionen Bits in unser Gehirn ein. Zum Vergleich: Ein Buchstabe entspricht etwa fünf Bits. Nur 40 Bits – oder acht Buchstaben – werden vom Gehirn in einer Sekunde bewusst verarbeitet. Alle übrigen Eindrücke, 10.999.960 Bits, speichert der Autopilot – für uns unbewusst. Er ist „hoch effizient, intuitiv (zum Beispiel durch die Spiegelneuronen), spontan, entscheidet in zwei Sekunden, liebt Geschichten und Symbole und hasst Argumente und Logik. Er arbeitet im Untergrund, er arbeitet implizit.“ (Scheier/Held 2008, S. 60) Die neuen Erkenntnisse haben Auswirkungen auf das Kommunikationsverhalten. Bisher ging man zwar von der Annahme aus, Botschaften seien nur so gut, wie sie von den Empfängern wahrgenommen würden. Die Hirnforschung belegt jetzt, wie subtil Wahrnehmung wirklich geschieht. Vor diesem Hintergrund gewinnt ein Satz der Marketingvirtuosen Al Ries und Jack Trout besondere Bedeutung. In ihrem Buch The 22 Immutable Laws of Marketing formulierten Ries/Trout bereits 1993 als Gesetz Nr. 4: „Marketing ist kein Kampf von Produkten, Marketing ist ein Kampf von Wahrnehmungen.“ (Ries/Trout 1993, S. 18ff) In der Südtirol Marketing Gesellschaft (SMG), jener Institution, die von der Südtiroler Landesregierung beauftragt ist, das Bild Südtirols im restlichen Italien und im Ausland zu prägen, werden die jüngsten Studienergebnisse aus dem Bereich Neuromarketing ernst genommen. War bisher im Südtirol-Marketing in Entscheidungsprozessen die Frage ausschlaggebend „Welches Bild zeigen wir den Menschen“, so bestimmt jetzt folgende Frage Denkstrategien und Handlungsoptionen: Welches Bild sollen die Menschen von Südtirol haben? Oder wie es Scheier definiert: „Es geht darum, das Produkt oder die Dienstleistung so zu inszenieren, dass der Kunde nachempfinden kann, wie sich das Konsumerlebnis anfühlt. Kunden schlüpfen also aufgrund der Spiegelneuronen wie im Kino unbewusst in die Haut des Protagonisten, auch wenn sie der
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Werbung anders als im Kino nur wenig Aufmerksamkeit schenken. Denn diese Vorgänge laufen im Gehirn unbewusst und automatisch, also implizit ab.“ (Scheier/Held 2008, S. 46)
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Die Marke Südtirol: Mehr als ein Logo
Seit 2005 arbeitet die SMG daran, dass Südtirol als Marke wahrgenommen wird. 2005 wurde mit Unterstützung der Berliner Markenagentur MetaDesign die Marke Südtirol eingeführt. Marke – das bedeutet Konzentration auf Wesentliches, Vermittlung von Typischem, Entscheidung zu Emotion und Konsequenz, und schließlich auch ein dazu stimmiges Logo, als visualisierte Strategie. Südtirol soll als begehrenswerte Destination im In- und Ausland wahrgenommen werden. Beworben werden neben den Hauptmärkten Deutschland, Italien, Schweiz und Österreich auch die westeuropäischen Märkte Großbritannien, Belgien und Niederlande sowie Polen und Tschechien in Zentraleuropa. Als Südtirol 2005 beschloss, eine Marke zu werden, wurde auch die Stoßrichtung für die Positionierung festgelegt, jener Markensatz, an dem sich alle Aktionen der Südtirol Marketing Gesellschaft orientieren: „Südtirol ist die kontrastreiche Symbiose aus alpin und mediterran, Spontaneität und Verlässlichkeit, Natur und Kultur.“
Abbildung 2: Der Markensatz ist das Wertegerüst der Destination Südtirol (Quelle: SMG)
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Vor der Markeneinführung war Südtirol relativ undifferenziert als großartiges und ein bisschen altmodisches Naturland bekannt, mit der Marke Südtirol treten jetzt gezielt drei große Themen in den Vordergrund: Landschaft (alpinmediterran), Menschen (spontan-verlässlich), Produkte (Natur-Kultur). Lange präsentierte Südtirol sich als Tourismusregion mit den 300 Sonnentagen. Heute wird es als Land kommuniziert, dessen klimatische Bedingungen es zulassen, dass jeder zehnte Apfel in Europa aus Südtirol kommt und die besten italienischen Weißweine aus Südtiroler Weingütern stammen. Lange war Südtirol für Nordländer einfach undifferenziert der Süden des Nordens, für Südländer der Norden des Südens. Jetzt ist Südtirol stolz darauf, sich als das Land mit den drei Kultur- und Sprachgruppen zu präsentieren. Lange war Südtirol das Land mit 13.000 Kilometer naturbelassenen Wanderwegen. Rekordverdächtig. Heute werden an diesen Wegen die Sagen und Mythen „aufgefädelt“, die von großen Zauberreichen und wildem Hexentreiben, aber zugleich auch von der Ehrfurcht der Bergbewohner vor der übermächtigen Natur erzählen. Nicht jeder wird sich merken, wie hoch das Rosengartenmassiv, das von Bozen aus sichtbar ist, an seiner höchsten Stelle ist, aber alle erinnern sich an die tragische Liebesgeschichte, die sich dort oben abspielte. Der Zwergenkönig Laurin will Similde heiraten. Er entführt die Schöne, im Kampf mit Dietrich von Bern wird Laurins Rosengarten zerstört. Und Laurin flucht: Niemand soll mehr seinen Rosengarten sehen, weder bei Tag noch bei Nacht. Doch Laurin hat die Dämmerung vergessen. Seitdem glüht der Rosengarten in der Abendsonne, in Südtirol denkt dabei niemand an Physik, sondern alle an den Fluch des Zwergenkönigs. Der Anspruch ist klar: Die Marke Südtirol ist keine Ansammlung von Superlativen. Bergbildlich gesprochen könnte man sagen, alle Südtiroler Berge – die höchsten wie die schwierigsten – sind bestiegen. Es geht also um eine neue Art des Erlebens. Sogar bei Extrembergsteigern. Eine Marke Südtirol muss anhaltende Erlebnisse vermitteln. Ziel der SMG ist es daher, dass Südtirol nicht nur als geografischer Raum wahrgenommen wird, sondern als Erlebnisraum, der Südtiroler Themen, Geschichten von Menschen und Eigenarten aus dem Südtiroler Alltag erfahrbar macht. Themen bergen Emotion. Emotionen bewegen Menschen. Die Marke Südtirol bringt also Gefühle ins Spiel. Mit der Markenstrategie verlässt Südtirol die Landkarte der Destinationen mit Hotelsternen und Autobahnen; wenn Menschen nach gelungener Markenführung an Südtirol denken, soll sich in ihnen die Erinnerung an ein besonderes Lebensgefühl regen.
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Urlaub in Südtirol: „Ich bewege mich in der Natur – Kultur bewegt mich“
Allen ist klar: Südtirol ist in erster Linie ein Flecken, in dem Natur die Hauptrolle spielt. Die Menschen kommen zum Wandern und Skifahren in die Region. Südtirol ist keine Kulturdestination im herkömmlichen Verständnis, die Region ist – anders als die europäischen Metropolen – kein Ziel für klassische Kulturtouristen. Südtirols einzige Wolkenkratzer sind die Berge. Welche Rolle kann Kultur also in der Positionierung Südtirols als Marke spielen? Der deutsche Tourismus- und Trendexperte Albrecht Steinecke benennt die Bedeutung von Kulturtourismus im ländlichen Raum wie folgt: „Vor dem Hintergrund der zunehmenden Standardisierung und Globalisierung von Wirtschaft und Kultur wuchs das Interesse der Bevölkerung an traditionellen Sitten und Bräuchen, aber auch an alten Handwerkstechniken und regionaltypischen Produkten.“ (Steinecke 2007, S. 223) Regionen im Alpenraum unterscheiden sich weniger durch ihre Landschaft als durch ein klein gerastertes Mosaik der kulturellen Ausprägungen. Kultur wird deshalb künftig im Tourismusmarketing zum großen Profilierungsmerkmal. Kultur lässt Menschen hinter die Kulissen schauen und macht sie mit einer Region vertraut. Immer seltener reichen das Naturerlebnis und gute Hotels allein aus, um Menschen in eine Region zu locken bzw. sie an diese zu binden. Es ist die jeweilige Lebensart, die eine Region unverwechselbar macht. Darin liegt auch die Chance für Südtirol. Die Natur liefert das Postkartenmotiv, Kultur liefert die Geschichten, die sich hinter der schönen Kulisse abspielen und die erahnen lassen, warum Südtirol ist, wie es ist. Idealerweise ist Südtirol – aus Touristenperspektive – eine landschaftlich und klimatisch attraktive Region, die auch kulturell viel zu bieten hat. Berge und Weinberge ziehen die Menschen an, Kultur hält sie fest. Im Positionierungssatz der Marke Südtirol ist die Säule Kultur fest verankert. Kulturthemen tragen also wesentlich zur Positionierung Südtirols bei. Südtirol will in den nächsten Jahren erreichen, in den Köpfen der potentiellen Kunden unter den zehn begehrtesten Destinationen Europas gelistet zu sein. Mit den großen Themen Gesundheit und Kultur hat Südtirol außerdem das Potential erkannt, sich zu einer qualitativ anspruchsvollen Ganzjahresdestination zu entwickeln. Dieses Südtirol muss sich nicht auf die klassischen Einteilungen nach Jahreszeiten beschränken.
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Kultur passt zu Südtirol Landschaften formen Menschen. Menschen prägen Lebensräume. In Südtirol leben Deutsche, Italiener, Ladiner in ihren Sprachen und Kulturen neben- und miteinander. 480.000 Menschen sind es insgesamt, es gibt drei offizielle Landessprachen: 70 Prozent der Bevölkerung sprechen deutsch, 26 Prozent sind italienischsprachig, vier Prozent sind Ladiner. Fünf Prozent der Bevölkerung Südtirols sind ausländische Staatsbürger. Stadt und Land gehen in Südtirol nahtlos ineinander über. Einmal geht es alpin klar, ein anderes Mal locker mediterran zu. Eine Stimmung, die man nicht benennen kann, deutsche und italienische Schlagzeilen am Kiosk, ein „Grüß Gott“, wo man ein „Buon giorno“ erwartet hätte, Atmosphäre im Wechselspiel, heimisch geworden beim 10-Uhr-Macchiato, beim Aperitif am Feierabend, beim Kartenspiel am Stammtisch. Deutsche, Italiener, Ladiner, alle haben ihre eigenen Geschichten und Erinnerungen. Mit der Zeit sind die Mauern durchlässiger geworden, Gewohnheiten und Geschichten beginnen sich zu ähneln, Sprachen greifen ineinander über. Die SMG verwendet in ihrer Kommunikation den weiten Begriff der Alltagskultur, der z.B. die Dreisprachigkeit und die Südtiroler Küche ebenso wie Museen und kulturelle Veranstaltungen beinhaltet. Kultur ist für die SMG immer dann ein Thema, wenn es sich mit Südtirol verbindet. Wenn Kultur etwas über Südtirol und seine Menschen aussagt und von den Südtirolern selber als „Lebensart“ gelebt wird. So kann ich im Museum mein Wissen über verschiedene Facetten der Südtiroler Geschichte vertiefen und im Konzerthaus Claudio Abbado erleben, auf dem Bozner Waltherplatz, dem Salon der Landeshauptstadt, erlebe ich, wie die Kulturen in Südtirol heute miteinander verflochten sind. Am Wanderweg steht bestimmt ein Kirchlein, 10.000 Südtirolerinnen und Südtiroler sind Mitglied in einer Musikkapelle, die am Sonntag aufspielt, es gibt 16 Sternerestaurants, so viele wie in keiner anderen Region vergleichbarer Größe. Obwohl der Tourismus der stärkste Wirtschaftszweig ist, werden noch heute gleich viele Bergbauernhöfe wie Hotels gezählt. Die Verwendung des Begriffs der Alltagskultur bedeutet nicht, dass die SMG Kulturthemen willkürlich auswählt und kommuniziert. Die Themen werden am Südtirol-Bild gemessen, das vermittelt werden soll, und an den Qualitätsansprüchen, denen die Südtiroler Kultur in den einzelnen Märkten gerecht werden muss. Zwei Kriterien sind für die Bewertung wesentlich: Kultur kann im Einzigartigen der Südtiroler Lage und Lebensart liegen. Dann tragen Kulturthemen und Kulturangebote zur Profilierung Südtirols bei. In diese Kategorie fallen etwa die Gletschermumie Ötzi und Reinhold Messner, Extrembergsteiger und Herr der fünf Bergmuseen.
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Wo Kultur nicht den Status eines Alleinstellungsmerkmals (USP) hat, muss die Qualität des Angebots dies kompensieren und Südtiroler Kultur – vor allem im Bereich der zeitgenössischen Kultur – dem internationalen Vergleich standhalten. Hier sind etwa die 450 Burgen, Schlösser und Ansitze zu nennen, 150 von ihnen stehen Besuchern offen; unerreicht in Europa ist die Dichte an romanischen Fresken im Vinschgau; Bozen verfügt über ein nahezu lückenloses Ensemble erstklassiger rationaler Architektur aus den 1930er Jahren, das mit dem mittelalterlichen Stadtzentrum kontrastiert; heute gelten Südtiroler Architekten als Vorreiter in der zeitgemäßen Renovierung historischer Bausubstanz und bei der Einbettung ihrer Entwürfe in die Landschaft. Ah! Oh! Hurra! oder Aha!: Welches Erlebnis suchen Menschen in Südtirol? 5,6 Millionen Menschen buchten 2009 einen Urlaub in Südtirol; mehr als 28 Millionen Übernachtungen wurden verzeichnet, eine größere Zahl als je zuvor; im Schnitt bleiben die Urlauber 5,1 Tage in Südtirol. Die Gäste kommen zum Großteil aus dem restlichen Italien und aus den deutschsprachigen Nachbarländern. Zuwachsmärkte sind Großbritannien, Niederlande, Belgien, Polen und Tschechien. Die Erwartungen an das Land und an das Urlaubserlebnis sind jedoch unterschiedlich, es gibt unterschiedliche Interessen, unterschiedliche Bedürfnisse. Während zum Beispiel Tschechen und Polen Südtirol vor allem wegen seiner modernen Skigebiete schätzen, sind Deutsche und Italiener bereit, sich stärker auf das Land einzulassen. Gerade aus den Hauptmärkten reisen viele Menschen wiederholt nach Südtirol, viele sind Stammgäste, sie kennen Südtirol von früheren Aufenthalten. Damit steigen die Ansprüche an das Angebot und die Lust auf Neues. 2007/2008 gab die SMG bei den Agenturen Sturm&Drang in Hamburg und Coesis Research in Mailand eine qualitative Studie in Auftrag. Ziel war es herauszufinden, wie Menschen die Marke Südtirol sehen und bewerten und welche Erwartungen an Südtirol als Urlaubsland gestellt werden. 250 Menschen in Südtirols Hauptmärkten Italien und Deutschland – Südtirol-Kenner und potentielle Südtirol-Urlauber – wurden in Einzelinterviews jeweils eine Stunde lang befragt. Die Menschen gaben u.a. Auskunft über ihre Urlaubsmotive und über das Bild, das sie vom Urlaubsland Südtirol haben.
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Das Ergebnis in Kürze: Deutsche Südtirol-Gäste suchen im Urlaub „Bewegung und Fitness in der Naturlandschaft“, Regeneration und Entspannung, aber auch Kultur („Ich will mich bilden“ und neue Impulse für mein Leben kriegen). Potentielle deutsche Südtirol-Urlauber (Menschen, die Südtirol als Urlaubsland in Betracht ziehen, aber noch nie in Südtirol waren) erwarten von einem Südtirol-Besuch viel eher Entspannung, Ruhe, Stressabbau; besonders wichtig sind ihnen die Themen „Kontakt zu Land&Leuten“, „Alltagskultur erleben“, „städtische Aspekte & Shopping“. Laut der von der SMG in Auftrag gegebenen Studie von 2007/2008, liegen die Präferenzen bei den befragten Italienern etwas anders: Sie wollen im Urlaub verwöhnt werden, suchen Entspannung (z.B. Wellness und Genuss), zugleich ist der Wunsch nach Natur und Regeneration klar erkennbar. Jene Italiener, die Südtirol noch nicht kennen, wollen in Südtirol auch Kultur erleben. Und sie glauben, dass Südtirol ihre Bedürfnisse auch befriedigen kann. Die Studie zeigt, dass Südtirol in seiner Positionierung auf einem guten Weg ist. Die Menschen haben ein klares Bild von Südtirol; sie haben klare Vorstellungen von dem, was Südtirol ihnen bieten kann. Natur und Kultur sind die großen Themen, die Menschen im Urlaubsland Südtirol zu finden hoffen. Außerdem belegt die Studie, dass die Botschaft – Südtirol: ein Naturland mit Kultur – verstanden und angenommen wird. Während bei Südtirol-Kennern die Bewegung in der Natur noch stark im Vordergrund steht, bauen Menschen, die noch nie im Land waren, über den Wunsch, die Menschen und die Alltagskultur Südtirols kennenzulernen, bereits eine emotionale Brücke zur Urlaubsregion Südtirol auf. Die Suche nach dem besonderen Lebensgefühl wird spürbar. Damit liegt Südtirol – salopp gesagt – voll im Trend. In der 2009 erschienenen Studie Sinnmärkte – Der Wertewandel in den Konsumwelten beschreibt Eike Wenzel vom Zukunftsinstitut Kelkheim, dass sich die Konsumenten heute nach mehr Lebenssinn sehnen. Dieser Wunsch geht mit dem Trend der Individualisierung einher. Laut Wenzel entsteht gerade eine neue Bewusstseinsindustrie und eine Gesellschaft der Sinnsuchenden. „Wer möchte heute noch ein doof aus dem Bus glotzender Tourist sein“, wird Wenzel in der Zeitschrift W&V Innovation (2/2009) zitiert. Die „Sinntouristen“ – glaubt Wenzel – werden in den nächsten zehn bis 20 Jahren bis zu 40 Prozent aller Urlauber ausmachen. Globalisierung, Konkurrenzdruck, Unsicherheit im beruflichen und privaten Alltag lassen neue alte Werte wichtig werden: Ruhe, Zeit, Raum, Aufmerksamkeit, Sinn. Tourismusforscher orten eine Abkehr vom Konsum, von der Anhäufung von Gütern und Erlebnissen. „Nach der Flut von Inszenierungen vermissen wir geerdete, authentische Erlebnisse“, schreibt Nicole Lüdi (GDI IMPULS, Nr.2/2009, S. 104 ff.). Den Menschen sei die Welt entglitten. Produktionsabläufe entziehen sich ihrer Kontrolle, an die Möglichkeit des einzelnen, die neue
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komplexe Welt mitzugestalten, ist nicht mehr zu denken. „Wir sehnen uns danach, die gefühlte Abkoppelung von unseren Wurzeln rückgängig zu machen“ (GDI IMPULS, Nr.2/2009, S. 104 ff.). Neben einer neuen Hinwendung zur Natur gewinnen in diesem Kontext Kulturthemen – ganz im Sinn einer Alltagskultur – an Bedeutung. Kultur ist in diesem Fall nicht nur Besichtigungstour von Kirche zu Museum, sondern der Wunsch, den Lebensbedingungen und Menschen einer Region näher zu kommen. So melden sich etwa Menschen im Urlaub zum freiwilligen Arbeitseinsatz auf Südtiroler Bergbauernhöfen. Es besteht zudem große Nachfrage nach regionalen Produkten. Die Milch vom Bauern nebenan gibt Sicherheit – man hat seine Kühe ja mit eigenen Augen auf der Wiese gesehen. Diese Sehnsucht nach Wiederanbindung an den Ursprung habe – so Lüdi – nicht zuletzt mit der Wunschvorstellung zu tun, die Dinge wieder im Griff zu haben, sie zu verstehen und beeinflussen zu können. Das gibt Orientierung und schafft Vertrauen. Südtirol hat laut der Studie von 2007/2008 glaubhaft kommuniziert, dass es imstande ist, die neuen Sehnsüchte der Menschen ernst zu nehmen oder sogar weitgehend zu erfüllen. Die Studie hat aber auch ergeben, dass das Logo der Südtirol Marke nach Einschätzung der Interviewpartner die Botschaft – Südtirol ist eine Destination, die Natur und Kultur zu bieten hat – noch nicht transportiert. Für die Mehrheit der Befragten steht das Südtirol-Logo, eine dem Dolomitenpanorama nachempfundene Grafik, für Vielfalt, Lebendigkeit, Aktivität, für Berge und Natur, aber (noch) nicht für Kultur. Gründe können darin liegen, dass Kultur noch immer vorzugsweise mit Veranstaltungskultur und Sehenswürdigkeiten gleichgesetzt wird, andererseits kommt Kultur – im Gegensatz zu mit dem Logo versehenen Produkten – ohne Verpackung daher; das Logo wird daher kaum mit Kulturangeboten in Verbindung gebracht. Bisher hat Südtirol in seinen Bildern und Kampagnen vor allem auf Landschaft und Produkte wie Wein, Äpfel, Speck etc. gesetzt. Menschen kamen kaum vor, die Headlines spielten wenig mit Sprache bzw. mit pointierten Aussagen über die Südtiroler Kultur der Kontraste. Dass Landschaft in Südtirol immer auch Kulturlandschaft ist, ist bisher als Botschaft offenbar zu kurz gekommen und in den Köpfen der Menschen noch nicht angelangt. Die SMG sieht eine ihrer Aufgaben der nächsten Jahre darin, den Kulturaspekt in der Marke Südtirol zu verstärken und Südtirols Kulturerbe und Kulturangebote mit dem Logo in Verbindung zu bringen. Eine Branding Kampagne in der Schweiz geht gerade in diese Richtung, etwa mit der Headline: „Nicht immer spielt sich großes italienisches Kino im Filmsaal ab“, über einem Foto des vom Künstler Franz Messner hoch über dem Etschtal zwischen Bozen und Meran gestalteten Knottnkinos (Knott bedeutet im Südtiroler Dialekt Felsen), das Südtirols Landschaft wie einen Film auf einer Großleinwand erleben lässt.
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Gabriele Crepaz Das Markenversprechen wird eingelöst: Produktgestaltung in der Destination Südtirol
In der Regel sehen Menschen ihrem Urlaub sehnsüchtig entgegen, jener Zeit fernab vom Alltag, die alles bieten soll, was zum Glück fehlt. Die Erwartungen an ein Urlaubsland sind daher hoch. Sie erwachsen persönlichen Bedürfnissen und Sehnsüchten und werden auch durch gute Werbeversprechen ausgelöst. Südtirol verspricht: „Südtirol ist die kontrastreiche Symbiose aus alpin und mediterran, Spontaneität und Verlässlichkeit, Natur und Kultur.“ Die Zufriedenheit eines Südtirol-Urlaubers misst sich daran, ob dieses Versprechen eingelöst wird. Mit der Markeneinführung 2005 setzte in den einzelnen Ferienregionen und bei einzelnen Wirtschaftsverbänden Südtirols ein Prozess ein, das touristische Angebot und die Vermarktung der wichtigsten landwirtschaftlichen Produkte (wie Wein, Äpfel, Speck) stimmig zu den Grundsätzen der Marke Südtirol zu entwickeln. Dieser Prozess wird von der SMG gesteuert und ist von der Erkenntnis geleitet, dass die Kraft der Destination nur im Zusammenspiel zwischen Landschaft, Menschen und Produkten aus der Region entsteht. Die Notwendigkeit herauszufinden, was wirklich gut ist in Südtirol, stellt hohe Anforderungen an die Destination Südtirol, an Hoteliers und Bauern, Entscheidungsträger aus den Bereichen Tourismus, Handel und Wirtschaft, aber auch an Kulturveranstalter und Kulturerbeverwalter. Wer am Bild Südtirols mitbaut, muss in sich gehen, muss sich und sein Tun hinterfragen, muss fragen, was Südtirol ausmacht. Erst wenn den Südtirolern klar ist, was daran gut ist, wie sie leben, und warum sie so leben, kann dieses Image an Menschen von auswärts weitergegeben werden und bei diesen glaubhaft ankommen. Das „Produkt Kultur“ wird in der SMG gerne mit „Lebensgefühl“ umschrieben. Dementsprechend ist Kultur ein Thema, das sich durch alle Bereiche durchzieht: Landschaft ist im kleinteiligen Südtirol fast immer vom Menschen geformte Kulturlandschaft, Tradition und Brauchtum werden von Menschen – Deutschen, Italienern und Ladinern – gepflegt, zeitgenössische Ausdrucksformen entspringen dem Selbstverständnis der Menschen, die heute in der Region leben, hochwertige landestypische Produkte entstehen durch das Weitergeben von Wissen von einer Generation zur anderen. Im Folgenden wird an drei Beispiele erläutert, wie die Südtirol Marketing Gesellschaft Südtirols Kultur erlebbar macht:
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4.1 Culturonda® - Zwölf Wege zu Kultur und Lebensart in Südtirol Culturonda® heißt das wichtigste Kultur-Projekt der SMG. Bereits im Titel, der neben dem Begriff Kultur auch die Assoziation zur sogenannten Sellaronda als Südtiroler Skirunde par excellence ins Spiel bringt, suggeriert das Projekt, dass Kultur in Südtirol sich nicht auf das Besichtigen von Sehenswürdigkeiten beschränkt. Kultur erleben in Südtirol heißt also, sich im Land zwischen Berg und Tal, mitten unter den Sprachgruppen, zwischen Südtirols Kochtöpfen und Weinbergen zu bewegen, um bewegt zu werden. Eine vollkommen andere Sichtweise also, als klassische Kulturführer aus dem Buchhandel von Südtirols Kultur bieten. Culturonda® ist als Kulturerlebnis angelegt und hat zugleich den Anspruch, ein Wegweiser zu den kulturellen Höhepunkten Südtirols zu sein. Das Projekt wird vom Begriff der „Alltagskultur“, wie er oben beschrieben worden ist, bestimmt: Alltag in Südtirol, Lebensräume, Sprachenvielfalt, Küche, Brauchtum, Landschaft und Kulturgüter wurden zu zwölf Kulturerlebnissen mit je drei Erlebnispunkten konzentriert. Das Projekt umfasst geografisch und thematisch das ganze Land. Bei der Auswahl der Themen und Erlebnispunkte wurde ausschließlich auf bestehende Kulturgüter und Kulturangebote zurückgegriffen. Ein Hauptmerkmal von Culturonda® ist, dass Kultur nicht mehr nach geografischen Gebieten geordnet ist, sondern Themen folgt. Kultur erleben bedeutet damit, sich auf die vorgeschlagenen zwölf Südtiroler Themen einzulassen, damit Südtirol näher zu kommen und schließlich zu verstehen, was Südtirol ausmacht: das Land der drei Sprachen und vielen Dialekte erschließt sich dem Culturonda®-Reisenden z.B. beim Besuch eines Dorfgasthauses; der Ursprung der Kulturlandschaft beim Besuch eines Bergbauernhofes; die Geschichte Südtirols beim Besuch des Stammschlosses der Tiroler Grafen und seines Ausstellungsparcours zur Geschichte Südtirols. Die neue Herangehensweise an Kultur stellt Ansprüche an die Vermittlung des Projektes: Wenn Kultur nicht mehr nach geografischen Gebieten geordnet ist, sondern Themen folgt, darf der Kulturbesucher die Orientierung nicht verlieren. In den Materialien – Broschüre, Internetauftritt, Buch – wurde deshalb auf eine gute Landkarte und Orientierungshilfen Wert gelegt. Bildstrecken, im Internet als Film emotionalisiert, schaffen Anreize, sich mit den einzelnen Themen zu beschäftigen, Buchtipps sorgen für die Vertiefung der Themen, ein Veranstaltungskalender macht deutlich, dass Südtirol starke Wurzeln hat und darum offen Neues wagen kann. Momentan befindet sich das Projekt in der Weiterentwicklung. Zeitgleich zur Aufnahme der Dolomiten in die Weltnaturerbe-Liste der Unesco erschien die Broschüre Culturonda® Dolomythos. Nach dem Muster von Culturonda werden
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hier zwölf Themen zu Kultur und Lebensart in den Dolomiten vorgestellt. In Vorbereitung ist Culturonda® Wein, die ab Frühjahr 2011 ein eminent wichtiges Südtiroler Thema erlebbar machen wird.
4.2 Die museumobil Card: Mehr als 80 Museen unter einer Haube Es gibt 84 Museen in Südtirol. Fast alle sind in den vergangenen 20 Jahren entstanden. Zu einem Zeitpunkt also, in dem Südtirol politisch an Selbstbewusstsein und Autonomie gewann, aber auch zu einem Zeitpunkt, als Südtirol es sich schon nicht mehr leisten konnte, einfach auf den Schnee und auf seine Touristen zu warten. Es mussten Anreize geschaffen werden, damit die Menschen weiterhin nach Südtirol kamen. 2008 besuchten 1,5 Millionen Menschen die Südtiroler Museen. Gut 80 Prozent der Besucher waren Touristen. Museen sind daher ein wichtiger Bestandteil der Südtiroler Kulturlandschaft. Aber nur einige Südtiroler Museen sind geeignet, das Südtirol-Bild in den Märkten zu prägen und Südtirols Kernthemen im Ausland ein Profil zu geben: das Ötzimuseum, die MMM-Bergmuseen von Reinhold Messner, das Touriseum (Museum für Tourismusgeschichte), das Museum Ladin im Gadertal, das Südtiroler Bergbaumuseum, das Museion (Museum für moderne und zeitgenössische Kunst) in Bozen und als Spezialmuseum gelegentlich das Frauenmuseum in Meran. Die meisten Museen erfüllen ihre Aufgabe im Tourismus als wertvolles Zusatzangebot, sobald die Menschen sich im Land befinden. Sie zeigen, dass Südtirol eine Region mit vielfältiger Kultur ist, ein Land, das auf Tradition und Kultur Wert legt. 84 Museen einzeln zu kommunizieren, ist unmöglich. Die SMG hat deshalb gemeinsam mit den Abteilungen Deutsche Kultur, Mobilität und Tourismus der Landesverwaltung, mit den Landesmuseen und dem Südtiroler Museumsverband 2009 die museumobil Card entwickelt. Diese Gästekarte, die als 3- und 7Tagekarte erhältlich ist, verbindet zwei Angebote: die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel und den Eintritt in die Südtiroler Museen. Das einfach konzipierte Angebot lässt den Mehrwert für Kulturinteressierte sofort erkennen. Der Preis von 22 Euro (für die 7-Tage-Karte) schafft auch für Nicht-Museumsliebhaber genügend Anreiz, vielleicht doch ein Museum in Südtirol zu besuchen. Zugleich präsentiert sich Südtirol als umweltbewusstes Land, das Gästen eine günstige Alternative zum Individualverkehr anbietet. Die Vorteile für die Sichtbarkeit der Südtiroler Museen und für die Museen als Angebot sind sofort erkennbar. Mit einer Karte werden unmittelbar alle Südtiroler Museen beworben. Langfristig sollen die Museen einen Besucherzuwachs und ein Umsatzplus verzeichnen.
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Die Dachmarkenfamilie: Qualität entwickelt Anziehungskraft
Konzeption der Marke Südtirol Mit der Konzeption der Marke Südtirol rückte die SMG eine Frage in den Vordergrund: „Was können wir den Kunden bieten?“ Damit verbunden ist die Frage: Was macht die Marke Südtirol attraktiv? Welche Werte soll die Marke vermitteln? Sofort wird klar: Es können nur die eigenen Werte sein, es kann nur über eigene Erfahrungen berichtet werden, auf den Tisch kommen die Produkte aus der Region. Und: Es müssen einmalige Geschichten sein, die erzählt werden, nur gelebte Traditionen entfalten Anziehung und nur die Rückbesinnung auf regionale Qualitätsprodukte kann die Marke stärken. Die Marke kam zur richtigen Zeit. Erst vor 20 Jahren hat Südtirol begonnen, wirklich modern zu werden. Bis dahin haben die Menschen im Land, hat die Politik – aufgrund der Geschichte Südtirols, das 1919 von Österreich zu Italien kam und dem erst 1972 eine echte Autonomie gewährt wurde – Tradition, Brauchtum und alte Ansichten bewahrt. Die Wurzeln stecken also noch tief. Wenn es gelingt, das Neue gut zu verankern und vom Alten, was gut war, zu bewahren, hat Südtirol eine spannende Symbiose von Gestern und Heute zu bieten. Qualität ist der Schlüssel, der zur Dachmarke Südtirol passt. Die Vergabe dieser Marke ist streng geregelt. Die SMG betreut Vergabe und Führung der Dachmarke Südtirol und ist somit für das Brand Management verantwortlich. Es gibt heute 1.850 eingetragene Lizenznehmer der Dachmarke Südtirol. 291 Betriebe tragen das aus der Marke hervorgegangene Qualitätszeichen „Qualität Südtirol“ (z.B. Milchprodukte) und das Zeichen „geografisch geschützte Angabe“ (EU) für Lebensmittel (Speck, Äpfel). So werden Lebensmittel und deren Derivate aus der Region gekennzeichnet, wenn sich diese im Verarbeitungsprozess besonderen Qualitätsrichtlinien verpflichtet haben. 540 Firmen nutzen das Standortzeichen „Ein Unternehmen aus Südtirol“. Unternehmen der Produktions- und Dienstleistungsbranche drücken damit ihre Zugehörigkeit zur Marke Südtirol aus, selbst wenn ihre Produkte nicht markenfähig wären.
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Abbildung 3: Die Dachmarkenfamilie Südtirol – ein Qualitätsversprechen mit Produkten, Unternehmen und bestehenden touristischen Angeboten; letztere haben ihren Eigenauftritt in Farbe, Schrift und Stilelementen an die Marke Südtirol angepasst. (Quelle: SMG)
Anwender der Dachmarke darf sein, wer sich dem oben mehrmals zitierten Marken-Kernsatz verpflichtet. Umgekehrt verleiht die Marke z.B. landwirtschaftlichen Lebensmitteln der Region über den Hinweis auf geprüfte Produktqualität und Herkunft einen emotionalen Mehrwert von Authentizität. Die Prämissen von Authentizität und Transparenz „Authentisch ist das, was ist.“ In einem Satz hat Simonetta Carbonaro alles gesagt. Im Juni 2009 lud die SMG die Expertin für Konsumpsychologie und Professorin für „Humanistic Marketing and Design Management“ an der Universität Borås in Schweden nach Bozen ein. Beim traditionellen SMG-Forum, der strategisch wichtigsten Veranstaltung der SMG im eigenen Land, erklärt Simonetta Carbonaro 500 geladenen Entscheidungsträgern aus Wirtschaft, Tourismus, Kultur und Verwaltung: „Auch wenn dies oft verwechselt wird, hat Authentizität nichts mit ethischen Werten wie ,Echtheit und ,Ehrlichkeit zu tun und schon gar nichts mit den Platonischen Werten des Wahren, Guten und Schönen (…) Das Authentische impliziert keinerlei moralische Haltung oder
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Bewertung und kennt keinen Standpunkt. Es richtet seinen Blick ganz neutral auf das, was ist.“ Wie viele andere Unternehmen und Marken hat auch Südtirol diesen Weg eingeschlagen. Es ist ein Weg, der intensive Beschäftigung mit sich selbst und den eigenen Werten notwendig macht.
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Die Kommunikation: Wo Südtirol drauf steht, ist Südtirol drin
In der Kommunikation über Südtirol müssen – so das Ziel – Authentizität und Transparenz in der Art der Themensetzung und im Themeninhalt spürbar werden. Hintergründe aufzeigen, Geschichten erzählen, von sich erzählen, Menschen an den eigenen Geschichten teilhaben lassen. Das ist die Linie, die die SMG in ihrer Kommunikationsstrategie vorgibt. Im Folgenden werden einige Schwerpunkte dieser Strategie kurz vorgestellt.
6.1 Südtirol bewegt: Eine differenzierte Darstellung von Südtirol Das 2009 von der SMG herausgegebene Buch Südtirol bewegt ersetzt alle Werbematerialien, die noch vor einigen Jahren Südtirol mit großen Bildern und werbeträchtigen Sprüchen als Urlaubsziel feilboten. Damit wird ein vollkommen neues Konzept auf dem Markt probiert. Texte und Grafik sind redaktionell gestaltet und dem Stil bzw. den Farben der Dachmarke nachempfunden. Auf 120 Seiten und in sechs Kapiteln gibt die Publikation, die als Visitenkarte der Destination Südtirol gilt, Einblick in ein Land, in dem Kultur und Natur ineinander greifen, wo man an Tradition und Brauchtum festhält und Neues in Angriff nimmt. Neben Geschichten aus und über Südtirol fanden auch Reportagen von jungen deutschen Journalisten, Gedichte und Auszüge aus literarischen Werken Platz. Die Reaktion auf das Südtirol Buch war überraschend gut, in ausländischen Agenturkreisen, aber auch in Südtirol selbst. Im März 2010 wurde Südtirol bewegt im kritischen Südtiroler Wochenmagazin ff auf zwei Seiten rezensiert. Christoph Thun-Hohenstein, Geschäftsführer der departure wirtschaft, kunst und kultur GmbH in Wien, schreibt: „Schon beim ersten Durchblättern von Südtirol bewegt beschleicht einen das Gefühl, diese Publikation ist mehr als eine gewöhnliche Tourismusbroschüre – ein Buch mit dem Anspruch, ernst genommen zu werden… Keine kitschige Phrasendrescherei, sondern immer wieder einfühlsame Texte...“ Thun-Hohensteins abschließendes Urteil zeigt, dass die SMG einen Nerv getroffen hat: „,Südtirol bewegt ist ein überzeugendes Plädoyer, dieses Land differenziert zu sehen.“
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6.2 Eine Destination im Dialog: Südtirol in den neuen Medien Wo sind die potentiellen Südtirol-Besucher? Wie informieren sie sich? Welche Informationskanäle nutzen sie? Und was denken sie von Südtirol? Wie erleben sie Südtirol? Im vergangenen Jahr hat die SMG neue Bahnen beschritten, um Geschichten aus und über Südtirol zu erzählen. Mit einem Klick mitten in Südtirol dürfen sich die Besucher der SüdtirolWebsite suedtirol.info fühlen. Downloadbare Audiobeiträge (Podcasts) lassen mit Originaltönen und Interviews Südtiroler Atmosphäre aufblühen und liefern kostenlos Informationen zu Südtirols Kultur, zur alpin-mediterranen Gastronomie, zu unzähligen Sehenswürdigkeiten, zur Südtiroler Geschichte und zu den Menschen, die in Südtirol leben. Im Jahr 2010 kommen Filme hinzu, welche als Themenwelt Südtirol in wenigen Minuten bei den potentiellen Kunden (Aktive, Familien, genuss- und kulturaffine Menschen) Emotionen für Südtirol wecken sollen. Seit Herbst 2009 gibt es Südtirol als mobilen Reiseführer für das iPhone und den iPod Touch. Als erste Urlaubsdestination in Italien ist Südtirol als iTunes-Applikation verfügbar. 9.650 Beherbergungsbetriebe, 1.400 Restaurants, der Wetterbericht, aktuelle Veranstaltungen, Top-Sehenswürdigkeiten und die besten Wanderungen – alles mit Georeferenzierung versehen – können kostenlos auf dem iTunes Store heruntergeladen werden. Innerhalb eines Monats wurden 10.000 Downloads der Applikation gezählt. Bis Mitte Mai 2010 wurde die App 25.000 mal heruntergeladen: Südtirol ist damit unter den 50 wichtigsten Applikationen in der Kategorie Reise gelistet. Dennoch: Der moderne Kunde begnügt sich nicht mehr mit schön gefärbten Infos. Er informiert sich. Vorzugsweise im Internet. Er tauscht in Blogs Informationen aus. Er gibt Urteile ab, die alle lesen können. Und glaubt Berichten, die Gleichgesinnte zu einem Thema schreiben, mehr als jeder Werbung. Er bestimmt mit, ob eine Marke Fans hat, welche und wie viele, er bastelt an den Botschaften mit, die eine Marke aussendet. Die SMG fand, dass es Zeit sei, mit den Menschen in Dialog zu treten. Im Herbst 2009 stieg Südtirol in die sozialen Netzwerke Facebook und Twitter ein. Und siehe: Das Land gewann auf einen Schlag viele Freunde. Von November 2009 bis Mai 2010, in nur sechs Monaten, wuchs die Mitgliederzahl auf der offiziellen Facebook-Fanpage des Tourismus in Südtirol auf 13.900 an. Ende April 2010 twitterten 500 Followers in Deutsch, Englisch, Italienisch zu Südtiroler Themen.
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6.3 Die Außensicht: Wie entdecken und erleben Journalisten Südtirol? Klassische Anzeigenwerbung nimmt im Südtiroler Marketingbudget trotz der jüngsten Investitionen in TV-Werbung und Fotokampagnen einen relativ kleinen Teil ein. In den Hauptmärkten Italien und Deutschland wird besonders viel in Marketing-Kooperationen und sogenannte Printkooperationen mit Verlagen sowie in eine dichte Presse- und PR-Arbeit investiert. Die SMG agiert hier nach dem Motto: Wir schalten wenig Anzeigen, sondern lassen andere auf uns zeigen. Aus gutem Grund. Journalisten und Gäste aus den Hauptmärkten kennen Südtirol, ihr Interesse am Land ist bereits geweckt, sie brauchen andere Anreize als reine Anzeigen. Neue Perspektiven bekannter Themen, Hintergrundwissen, aber auch ungewohnte Aspekte von Südtirol bergen Überraschungseffekte und haben die Kraft, das Interesse für das Urlaubsland wach zu halten. Andererseits bietet der direkte Kontakt zu ausgewählten Journalisten die Möglichkeit, auf Bedürfnisse des Mediums einzugehen, geeignete Interviewpartner zu finden und aktuelle Aspekte zu einem Kernthema schnell unterzubringen. Einmal geknüpfte Kontakte werden gepflegt: Wir liefern Redaktionen Themen. Wir laden Journalisten ein, nach Südtirol zu kommen und über uns zu schreiben. Seit 2004 schreibt die SMG jedes Jahr einen Förderpreis für junge Journalisten im deutschen Sprachraum aus. Seit 2007 wird auch die beste Foto-Reportage über Südtirol prämiert. Wir regen ausgewählte Redaktionen zur Gestaltung von Südtirol-Beilagen oder Südtirol-Specials an, d.h. wir bezahlen dafür, dass Redaktionen Südtirol zu einem Spezialthema machen. Und riskieren, nicht immer so beschrieben zu werden, wie wir es gerne hätten. Die Redaktion genießt völlige Freiheit bei der Themenwahl und in den Inhalten. Südtirol will sich nicht einmal dann verstellen, wenn es dafür Geld zur Verfügung stellt.
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Die Marke Südtirol: Begehrt ist besser als bekannt
Markenführung ist ein sensibles Terrain. Es gibt Marken, die jeder kennt, aber nicht jeder haben will, und es gibt Marken, die einem kleineren Kreis bekannt sind, aber darum eine hohe Attraktion entwickeln. Südtirol verfolgt das Ziel, eine Marke mit Anziehungskraft zu sein: Wer sie kennt, will sie haben und ist bereit, dafür einen angemessenen Preis zu zahlen. Oder wie Klaus-Dieter Koch in seinem Buch Was Marken unwiderstehlich macht schreibt: „Charismatische Marken gieren nicht nach Aufmerksamkeit um jeden Preis. (…) sie zählen nicht die Menschen, die sie kennen, sondern sie wollen die Menschen, die zählen.“ (Koch 2009, S.52). Nach dieser Definition will Südtirol eine charismatische
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Marke werden, eine Marke, die begehrt wird. Südtirol will ein Urlaubsland sein, das in Betracht kommt. Jedes Jahr, wenn die Frage diskutiert wird, wohin fahren wir heute in die Berge, zum Wintersport, zum Mountainbiken, zum niveauvollen Entspannen, immer dann soll im Kopf der Menschen Südtirol aufblinken, als eine der zehn in Frage kommenden Destinationen. Wir leben in einer „Zuvielisation“, konstatiert die Konsumpsychologin Simonetta Carbonaro. Es gibt von allen Produkten „zuviel“, und es gibt unzählige erstklassige Produkte. Qualität ist also die Voraussetzung, um überhaupt wahrgenommen zu werden, es ist aber keineswegs die Garantie für den Erfolg. Wenn der Kunde sich entscheidet, tut er das aufgrund der Marke, die ihm im Kopf geblieben ist und aufgrund des Nutzens, den er sich von einem Produkt verspricht. In gewisser Weise stimmt das auch für ein Urlaubsland, das natürlich nicht im Supermarktregal steht. Südtirol steht als Urlaubsdestination in Konkurrenz zu anderen Alpenregionen. Warum sollen Menschen sich für Südtirol entscheiden? An dieser Frage hat Südtirol angesetzt. Die Marke Südtirol, die 2005 vorgestellt wurde, ist die Antwort. Die Marke steht nicht für einen Punkt auf der Landkarte zu einer bestimmten Jahreszeit. Die Marke öffnet eine Welt, das ist ihr Anspruch. Es gilt also, Themen zu finden, die diese Welt ausmachen können. Ein großes Thema, das Südtirol in allen Facetten erlebbar machen kann, ist die Kultur, verstanden als Alltagskultur, die im Dorfgasthaus und auf dem Bauernhof genauso spürbar ist wie im Museum und im Konzertsaal und die im Zusammenspiel mit Natur und Genuss anhaltende Erlebnisse möglich macht. Gleichzeitig kann auf Klischees in der Kommunikation und in der Bildgestaltung nicht verzichtet werden. Egal, ob nur bekannt oder schon begehrt: Zentral für jede Marke ist die Stärke ihres Wiedererkennungsgrades.
Literatur- und Quellenverzeichnis Hempel, A. (2008), Culturonda Südtirol. Kultur und Lebensart erwandern und erleben, Bozen: Folio Verlag Koch, K.-D. (2009), Was Marken unwiderstehlich macht. 101 Wege zur Begehrlichkeit, Zürich: Orell Füssli Verlag Lüdi, N. (2009), Auf dem Weg zur Sehnsuchts-Konsumgesellschaft, in: GDI IMPULS, Nr.2/2009, S. 104-107. Ries, A./Trout, J. (1993), The 22 Immutable Laws of Marketing. Violate Them at Your Own Risk!, New York: Harper Collins Ries, A./Ries, L. (2005), Die Entstehung der Marken. Über die Naturgesetze der Innovation und das Überleben der Stärksten im Business, Frankfurt: Redline Wirtschaft Verlag
König Laurin versetzt Berge
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Rothfuß, D. (2009), Sinnsuche als Wirtschaftsgröße, in: W&V Innovation Nr.2/2009, S. 4-7 Scheier, Chr. (2009), Welche Wirkung zeigen TV und Print beim Kaufverhalten?, in: persönlich Nr.9/2009, S. 118-121 Scheier, Chr./Held, D. (2008): Wie Werbung wirkt. Erkenntnisse des Neuromarketing, Planegg/München: Haufe Verlag Steinecke, A. (2007), Kulturtourismus. Marktstrukturen, Fallstudien, Perspektiven, München (u.a.): Oldenbourg Verlag Thun-Hohenstein, Chr. (2010), Griffige Annäherungen (Rezension zum Buch Südtirol bewegt), in: Wochenmagazin ff, Jg. 30, Nr. 13/2010, S. 42-43 Studien und Vorträge Carbonaro, S./Votava, Chr., Die neue Sehnsucht nach Authentizität, Keynote Speech beim SMG-Forum in Bozen am 3. Juni 2009 Die Konsumenten & das Markenbild Südtirols, Studie im Auftrag der Südtirol Marketing Gesellschaft (SMG), durchgeführt von Sturm&Drang Hamburg (2007) und Coesis Mailand (2008) Sinnmärkte – Der Wertewandel in den Konsumwelten, Studie, durchgeführt vom Zukunftsinstitut Kelkheim (2009) Internet und SMG-Quellen Offizielle Website des Tourismuslandes Südtirol, www.suedtirol.info Offizielles Dachmarkenportal, www.provinz.bz.it/dachmarke Offizielle Website der Südtirol Marketing Gesellschaft, www.smg.bz.it Offizielle Website der museumobil Card, www.museumobilcard.info Südtirol Marketing Gesellschaft (Hrsg., 2009), Südtirol bewegt, zum Download unter: http://flipflashpages.uniflip.com/2/12396/48104/pub/index.html
Erfolgsfaktor Qualität – Einführung von Qualitätsmanagement im Museum am Strom Erfolgsfaktor Qualität
Patricia Paulus Patricia Paulus
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Die Ausgangssituation
Die Stadt Bingen zählt als Tor zum UNESCO-Welterbe „Oberes Mittelrheintal“ zu einer beliebten Tourismusdestination am Rande des Rhein-Main-Gebiets. Durch die Landesgartenschau Bingen 2008 hat die Stadt erneut an Bekanntheit und Beliebtheit über die Landesgrenzen hinaus gewonnen. Der damit zusammenhängende große Besucheransturm im Museum am Strom hat gezeigt, dass ein grundsätzliches Interesse an der Geschichte dieser Region vorhanden ist. Jedoch wurde gerade bei dem Gartenschaupublikum, das während der Landesgartenschau kostenlos das Museum besuchen konnte, deutlich, dass Erlebnis und Unterhaltung eine große Rolle spielen. Das Museum am Strom ist sich dessen bewusst und möchte sich – ohne seinen Bildungsauftrag aus den Augen zu verlieren und ohne zur reinen Freizeiteinrichtung zu mutieren – für den gesellschaftlichen Wandel rüsten. Es hat sein Qualitätsverständnis überdacht und überarbeitet und möchte mit dem Ziel „Kundenzufriedenheit“ seine Arbeitsweise optimieren.
1.1 Das Museum am Strom Das Museum am Strom versteht sich im Verbund mit dem angeschlossenen Stadtarchiv als zentrale Dienstleistungseinrichtung zur Stadtgeschichte Bingens. Als solche arbeitet das Museum in den traditionellen Bereichen Sammlung, Forschung, Bewahrung und Vermittlung. Als Bildungs- und Freizeiteinrichtung mit durchschnittlich 15.000 Besuchern im Jahr wendet sich das Museum zum einen an Schüler, Jugendliche, Familien, Urlauber und Kulturtouristen, zum anderen mit wechselnden Sonderausstellungen gezielt auch an die einheimischen Besucher. Drei zentrale Themen der Binger Stadtgesichte, die sich in der Dauerausstellung wieder finden, sind die Themen Hildegard von Bingen, die Römerzeit in Bingen und damit verbunden das Binger Ärztebesteck sowie die Rheinromantik. Ein bis zwei große Sonderausstellungen pro Jahr greifen regionale A. Hausmann L Murzik (Hrsg.), Neue Impulse im Kulturtourismus, DOI 10.1007/978-3-531-92757-2_15, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Themen auf und stellen diese im kulturhistorischen Kontext dar. In regelmäßigen Abständen ist das Museum auch Veranstaltungsort für Konzerte, Aktionstage und Preisverleihungen.
1.2 Qualitätsverständnis im Kontext der Einführung von Qualitätsmanagement Das bisherige Qualitätsverständnis des Museums wurde vom Produkt her definiert, d.h. im Mittelpunkt stand die Anzahl von Sonderausstellungen und Themenführungen oder die Anzahl verkaufter Publikationen. Auch wenn bisher inhaltlich qualitativ hochwertige Arbeit im Museum geleistet wurde, erfolgte diese nicht nach dem Aspekt der Kundenorientierung. Es gab eine Sammlung mit klar definierten Schwerpunkten, passende Objekte wurden dazu angekauft. Ein detailliertes schriftliches Sammlungskonzept gab es bisher jedoch nicht. Diese Betrachtung von Qualität reicht heute jedoch nicht mehr aus. Durch die große Konkurrenz auf dem Freizeitmarkt muss sich das Museum am Strom verstärkt dem Kunden zuwenden. Dessen Zufriedenheit steht nun im Mittelpunkt allen Handelns. Nur wer seine Besucher begeistern kann, wird sie auf Dauer an sich binden können und somit konkurrenzfähig bleiben! Mit dem Selbstverständnis, Bildungsund Dienstleistungseinrichtung zur Stadtgeschichte Bingens zu sein, das 2006 in einem Leitbild niedergeschrieben wurde, verschob sich auch das Qualitätsverständnis des Museums. (Vgl. Internetpräsenz des Museums auf der Homepage der Stadt Bingen am Rhein: URL: http://www.bingen.de/de/4/historischesmuseum_ueber _uns_auftrag.html.) Der Kunde und dessen Zufriedenheit bildet den Schwerpunkt des neuen Qualitätsverständnisses. Als Kunden werden alle mit dem Museum in Verbindung stehenden Personen und Institutionen verstanden. Kunden sind u.a. Besucher, aber auch Geldgeber, Lieferanten, Forschungseinrichtungen, andere Museen und auch die eigenen Mitarbeiter (Vgl. Eversheim 2000). Qualität wird umfassender gesehen, bestehend aus Produkt-, Prozess- und Servicequalität, immer mit der Ausrichtung auf das übergeordnete Ziel, die Kundenzufriedenheit. Dies bedingt eine Systematisierung und Abstimmung aller im Museum ablaufenden Geschäftsprozesse. Dabei stellt sich in allen Bereichen die Frage, wie Kundenzufriedenheit möglichst erfolgreich erzielt werden kann. Hierfür bedarf es eines Qualitätsmanagements, das Qualitätsziele formuliert, die Systematisierung der Prozesse vornimmt, Verbesserungsprozesse einführt und die Effizienz der Prozesse in regelmäßigen Abständen prüft (Vgl. Schwarz 2008). Dabei ist zu unterstreichen, dass Qualitätsmanagement weder ein Sammlungs- noch ein Ausstellungsmanagement ersetzt. Es unterstützt lediglich die Ausrichtung aller Museumsbereiche auf das oberste Museumsziel „Kundenzufriedenheit“ und die konsequente Umsetzung dieses Zieles.
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Einführung eines ganzheitlichen Qualitätsmanagements
Die Museumsleitung des Museums am Strom hat sich langfristig für die Einführung eines ganzheitlichen Qualitätsmanagements entschieden. Das heißt, dass innerhalb von fünf Jahren ein Qualitätsmanagement eingeführt werden soll, das alle Museumsbereiche umfasst, systematisch die einzelnen Aufgabengebiete strukturiert und mit Hilfe einer konsequenten Qualitätspolitik auf das gemeinsame, übergeordnete Ziel „Kundenzufriedenheit“ ausrichtet. Hierfür wurde ein Masterplan erstellt. Die Umsetzung erfolgt in mehreren kleinen Teilschritten. Der erste Museumsbereich, in dem Qualitätsmanagement eingeführt wurde, war die Museumsverwaltung. In der Museumsverwaltung laufen alle Tätigkeiten, die zur Organisation und Gestaltung des Museums notwendig sind, zusammen. Sie bildet die Schnittmenge aller Museumsbereiche. Durch die klar definierten Tätigkeitsbereiche, in denen überwiegend Routineprozesse ablaufen, ist die Verwaltung in sich gut strukturiert. Aufgrund ihrer vielfältigen Arbeitsbereiche haben die Mitarbeiter in der Museumsverwaltung Kontakt zu vielen Kundengruppen des Museums. Dies waren gute Vorraussetzungen für die Einführung von Qualitätsmanagement.
2.1 Auseinandersetzung mit Kundenerwartungen und Prozessen Alle Museumsmitarbeiter wurden im Vorfeld informiert, dass ein Qualitätsmanagement im Museum eingeführt werden soll. Ausgehend von den Alltagserfahrungen der Mitarbeiter wurden in einem ersten gemeinsamen Treffen die Begriffe „Qualität“, „Qualitätskriterien“ und „Qualitätsmanagement“ erarbeitet und definiert. Hierauf aufbauend wurden mögliche Kundenerwartungen an das Museum abgeleitet. Diese wurden den einzelnen Kundengruppen (Besucher, Geldgeber, Mitarbeiter) des Museums zugeordnet. Genannt wurden folgende Erwartungen seitens der Besucher: Museumsbesucher erwarten vor ihrem Museumsbesuch eine schnelle Verfügbarkeit wichtiger Informationen (Öffnungszeiten, Preise, Themen, Anreise). Dies kann über die Homepage, Informationsflyer oder einen kurzen Anruf im Museum erfolgen. Tätigt der Interessent einen Anruf, erwartet er die Erreichbarkeit eines Museumsmitarbeiters sowie eine freundliche, kompetente, zuverlässige und individuelle Bedienung. Ist der Besucher im Museum eingetroffen, möchte er sich willkommen fühlen, freundlich empfangen werden und eventuell kurz in den Ausstellungsaufbau (Leitsystem) eingewiesen werden. Von der Ausstellung erwartet er etwas Besonderes, Außergewöhnliches geboten zu bekommen, das ihn kulturell und geschichtlich weiterbildet, das ihn aber auch etwas
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erleben lässt. Die Ausstellung soll ihm Inhalte leicht und interaktiv vermitteln, an die er sich noch zu Hause erinnert. Selbstverständlich erwartet er ein angenehmes Raumklima sowie ein sauberes Museum und saubere Sanitäreinrichtungen. Nach dem Museumsbesuch möchte er in einem reichhaltigen Museumsshopangebot stöbern können, um sich eventuell ein Andenken mitzunehmen. Um die Erreichung der formulierten Kundenerwartungen künftig messbar zu machen, wurden Qualitätskriterien für alle Kundengruppen erarbeitet, anhand derer die Kundenzufriedenheit mit Hilfe von regelmäßigen Evaluationen oder durch Eintragungen im Gästebuch nachprüfbar ist. Im Bereich Besucherzufriedenheit wurden folgende Kriterien für Kern- und Zusatzleistungen erarbeitet:
Begeisterungsfähigkeit der Besucher Aktualität und Ausgefallenheit der Ausstellung Außergewöhnliche Objekte Art der Wissensvermittlung Freundlichkeit, Zuverlässigkeit, Qualifikation der Mitarbeiter Adäquate Öffnungszeiten Erreichbarkeit Außenausschilderung Preisgestaltung Angebotsgestaltung und -vielfalt Leitsystem durch die Ausstellung Ambiente und Raumklima Sauberkeit des Museums und der sanitären Anlagen Sitzgelegenheiten Vielfalt des Museumsshopangebotes
Der Träger und weitere Geldgeber wie Freundeskreis oder Historische Gesellschaft haben ebenfalls Erwartungen an das Museum. Zum einen erwarten sie einen verantwortungsvollen Umgang mit den von ihnen zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln und zum anderen den Einsatz unterschiedlicher betriebswirtschaftlicher Instrumente, wie die Anwendung des Marketing-Mixes, und Methoden, wie beispielsweise Besucherevaluation, um alle Kunden auch im Sinne der Träger zufrieden zu stellen. Die Stadt Bingen als Träger erwartet einen Imagegewinn durch gute Arbeit des Museums, der wiederum weitere Touristen in die Stadt locken kann bzw. den Einheimischen ein gutes, abwechslungsreiches Bildungs- und Freizeitangebot bieten kann. Erwartungen des Freundeskreises oder der Historischen Gesellschaft könnten zudem die exklusive Pflege von Vereinsmitgliedschaften in Form von Sonderführungen, Vorträgen oder Ausflügen sein.
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Wichtige Qualitätskriterien für Träger und Geldgeber sind:
Umfang & Wert des Sammlungsbestandes Pflege und Organisation des Sammlungsbestandes Aktualität der Forschung Anzahl der jährlichen Publikationen Vielfalt der Museumsangebote Attraktivität der Sonderausstellungen Besucherzahlen Alleinstellungsmerkmale Image Kooperationshäufigkeit Jahreseinnahmen Verkaufszahlen des Museumsshops
Mitarbeiter des Museums erwarten, dass sie über Änderungen, Neuigkeiten und Termine rechtzeitig informiert werden und dass sie in Verbesserungs- und Ideenfindungsprozesse mit eingeschlossen werden. Zudem werden klare organisatorische Strukturen vorausgesetzt, die jedem einzelnen Verantwortlichkeiten zuweisen, so dass jeder Mitarbeiter autonom seiner Arbeit nachgehen kann. Mitarbeiter im weitesten Sinne, also nicht nur hausinterne Museumsmitarbeiter, sondern auch die Kollegen der Stadterwaltung, der Stadtkasse beispielsweise, haben auch Erwartungen, z.B. die Einhaltung bestimmter Arbeitsabläufe beim Buchen von Rechnungen. Folgende Qualitätskriterien beschreiben Mitarbeitererwartungen:
Arbeitsklima Kompetenz- und Verantwortungszuweisung Geregelte Strukturen Existenz unterschiedlicher Arbeitsanreize Führung durch Museumsleitung Transparenz Kommunikation Möglichkeit zur Identifikation mit Inhalten Arbeitsplatzgestaltung, Raumklima, Sauberkeit
Nach der gemeinsamen Erarbeitung der möglichen Kundenerwartungen unterstrich die Museumsleitung das neue Qualitätsverständnis des Museums, in dem die Kundenzufriedenheit Mittelpunkt allen Handelns sein soll.
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Die Wahl des ersten Prozesses in der Museumsverwaltung, der untersucht und optimiert werden sollte, fiel auf den Arbeitsablauf „Telefonische Kundenberatung“. Die Beschreibung dieses Prozesses scheint trivial. Doch gerade am Anfang der Implementierung von Qualitätsmanagement ist es wichtig, dass alle Mitarbeiter den Sinn von Prozessbeschreibungen und deren Methode verstehen und verinnerlichen. Durch die Beschreibung des einfachen Prozesses „telefonische Kundenberatung“ lernten alle die wichtigen Prozessschritte kennen, wussten, dass Verantwortlichkeiten zu benennen waren und begannen, sich mit dem Prozess zu identifizieren. Eine erfolgreiche Modifizierung des Prozesses führte wiederum zur Motivation der Beteiligten. Zudem erschien der Prozess „telefonische Kundenberatung“ gut für den Anfang geeignet, da täglich Menschen mit Fragen und Wünschen im Museum anrufen, sich dieser Arbeitsablauf somit ständig wiederholt. Ein hoher und direkter Kundenkontakt motivierte, das neue Qualitätsziel „Kundenzufriedenheit“ auf relativ einfache Art zu erreichen. Eingeleitete Maßnahmen waren an diesem Beispiel leicht zu überprüfen und zeigten schnell einen direkten Erfolg, der sich wiederum motivierend auf die Mitarbeiter und weitere Verbesserungsmaßnahmen auswirkte. Die gemeinsame Beschreibung dieses idealen Prozessablaufs zeigte, wo derzeit noch Schwierigkeiten bei der Bearbeitung eines solchen Prozesses auftraten. So wurde deutlich, dass die Mitarbeiter nicht über die entsprechenden Informationen verfügten. Jeder hatte sein eigenes System, wie er Informationen ablegt, speichert und weitergibt. Oft kamen nicht alle Informationen, beispielsweise über neue Führungsangebote, die im „Salesguide“ der Stadt angeboten werden, an die entsprechenden Mitarbeiter. Zudem wurde bemängelt, dass es schwierig sei, ein Produkt zu verkaufen, das man selbst nicht kennt. Wie soll man einem Besucher begeistert eine „Hildegard von Bingen – Führung“ anbieten, wenn man diese noch nie miterlebt hat und vielleicht auch gar nichts von Hildegard weiß? Weiter wurde kritisiert, dass intern Verantwortlichkeiten nicht klar definiert waren. Bei fachspezifischen Kundenanfragen, die beispielsweise die Sammlung betrafen oder die persönliche Informationen vom Stadtarchiv Bingen erforderten, wusste man nicht, wie man damit verfahren sollte. Ebenso war bei Werbeanfragen von Zeitschriften, Presseanfragen und beispielsweise Anfragen von Münzvertretern unklar, wie man vorzugehen hatte. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich alle klare Arbeitsabläufen wünschten, die Vorgehensweisen vorgeben und Verantwortlichkeiten klären. Um jedoch den Kunden bestmöglich bedienen zu können, fehlte es den Mitarbeitern an Detailinformationen und Produktkenntnis.
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2.2 Maßnahmenentwicklung Nach der gemeinsamen Erarbeitung des idealen Prozesses „Telefonische Kundenberatung“ und dem Soll-Ist-Vergleich wurde schnell deutlich, dass Einiges verbessert werden musste, um den Idealzustand zu erreichen. Durch die Anregungen des Museumsteams wurden folgende Maßnahmen eingeführt:
Einigung auf einen einheitlichen Begrüßungssatz bei Telefonanrufen. Da der Name „Historisches Museum am Strom – Hildegard von Bingen“ zu lang für eine telefonische Begrüßung ist, einigten sich die Mitarbeiter auf „Museum am Strom“. Dieser Name soll dem Museum eine eigene Identität verleihen, man ordnet sich nicht in die Reihe x-beliebiger „Historischer Museen“. Durch die direkte Lage am Rhein wird es durch den Namen unverwechselbar und tritt dem Besucher auch bildhaft in Erinnerung. Des Weiteren soll nach dem Museum auch der Name des Mitarbeiters genannt werden, der den Anruf entgegen nimmt. Damit weiß der Kunde, mit wem er redet und hat bei Nachfragen einen Ansprechpartner. Nach der eigenen Namensnennung soll ein „Guten Tag“ folgen, um dem Anrufer das Gefühl zu vermitteln, willkommen zu sein. Erstellung und Bereitstellung eines Informationsordners für jeden Arbeitsplatz. Bestandteil des Ordners ist eine systematische Zusammenfassung aller nötigen Informationen und Checklisten, die bei der Bearbeitung von telefonischen Kundenanfragen notwendig sind. Nach einem Fragebaumverfahren sind in den einzelnen Kapiteln Informationen und Listen zu folgenden Themen enthalten: -
Allgemeine Informationen zu Öffnungszeiten, etc., Angebot Museumsführungen, Angebot Museumspädagogik Schulen/ Kindergeburtstag, Angebot Museumsshop, Allgemeine touristische Angebote, Wichtige Binger Telefonnummern Antwortliste FAQs Liste über Zuständigkeiten der einzelnen Mitarbeiter, um Anrufe ggf. weiterleiten zu können Kapitel „Aktuelle Infos“ zu Änderungen der Öffnungszeiten, Pressemitteilungen, Aktionstagen
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Patricia Paulus Veröffentlichung einer einheitlichen Servicenummer, auf der von nun an alle Kundenanfragen bearbeitet und weitergeleitet werden. Ist das Sekretariat nicht besetzt, muss das Telefon an die Museumskasse umgestellt werden. Verteilung aller Formulare (Führungsanfragen, Telefonnotiz) an allen Arbeitsplätzen. Formulierung von Sonderregelungen, d.h. wann vorgegebene Prozessschritte modifiziert werden. Beispielsweise während der Winterschließzeit des Museums oder montags muss das Sekretariat wesentliche Aufgaben der Museumskasse übernehmen. Einladung aller Museumsmitarbeiter zu einer exklusiven Führung vor Beginn einer Sonderausstellung während der Arbeitszeit. Zudem hat jeder Museumsmitarbeiter die Möglichkeit, in seiner Freizeit gemeinsam mit seinem Partner kostenfrei an den öffentlichen Themenführungen des Museums teilzunehmen, die monatlich angeboten werden. Überarbeitung von veralteten Briefvorlagen, wie Führungsbestätigungen oder Rechnungen.
2.3 Monitoring und Verbesserungen Um sicherzustellen, dass alle überarbeiteten Prozesse auch die erwünschten Ergebnisse erzielen, ist regelmäßiges Monitoring notwendig. Zunächst musste jedoch festgelegt werden, in welchen Abständen, anhand welcher Daten und unter wessen Verantwortung die Überwachung der Prozesse erfolgt. Für den ersten definierten Prozess in der Museumsverwaltung „Telefonische Kundenanfrage“ wurden vorerst zwei Intervalle festgelegt. Da Führungs- und Programmanfragen in der Regel in den Monaten Januar bis März seltener eingehen, wurde das erste Monitoring auf Mitte März festgelegt. Nach einer Probezeit von drei Monaten sollte überprüft werden, ob der Prozess zufriedenstellend verlief, ob er noch Schwachstellen aufwies und ob weitere Hilfsmittel erstellt werden müssen. Bei Bedarf wurden Abläufe, eventuell Zuständigkeiten sowie Mittel angepasst und in den folgenden Monaten getestet. In den besucherstarken Monaten Mai bis September fand alle zwei Monate ein Monitoring statt, um schneller bei Handlungsbedarf reagieren zu können. Um eine sinnvolle Überwachung der Prozesse durchführen zu können, war es notwendig festzulegen, welche Daten erhoben und dokumentiert werden müssen. Dies gestaltete sich bei mündlichen Anfragen und Auskünften als schwierig, denn nicht auf jede Auskunft folgte eine Reservierung oder Buchung. Mit Reservierungen und Buchungen war leichter zu verfahren, da diese Formulare und Bestätigungsschreiben in einem eigenen Ordner gesammelt werden
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konnten. So war es möglich, einen Überblick zu bekommen, wie viele konkrete Anfragen eingingen und im Schnitt bearbeitet wurden. Für die Handhabung unverbindlicher Informationsauskünfte wurde entschieden, vorerst eine Strichliste der angefragten Themengebiete zu führen. Zudem wurde eine „Verbesserungsliste“ geführt, in die direkt nach dem Telefonat erfahrene Schwachstellen eingetragen wurden. Dies waren beispielsweise das Fehlen von Informationsmaterial, falsche Angaben im Ordner oder technische Mängel der Telefonanlage. Reservierungsformulare, schriftliche Buchungsbestätigungen, Strichlisten und Listen mit Verbesserungsvorschlägen waren und sind die Datengrundlage für das Monitoring. Anhand dieser Daten können somit Trends und Mängel erkannt werden. Kommen Schwächen und Fehler zum Vorschein, müssen diese durch die entsprechenden Maßnahmen verbessert werden. Auf diese Weise kann der Prozess „Telefonische Kundenberatung“ kontinuierlich verbessert werden.
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Einführung eines Beschwerdemanagements als Teil des Qualitätsmanagements im Museum am Strom
Ein oft unterschätztes und wenig beachtetes Thema in Dienstleistungsunternehmen und Museen ist das Beschwerdemanagement. Durch Beschwerden drücken Besucher ihren Unmut über bestimmte Sachverhalte mit der Absicht aus, Wiedergutmachung oder Verhaltensänderung zu bezwecken (Stauss/Seidel 2002). Somit sind Beschwerden „ein gutes Mittel, um Verbesserungspotential zu erkennen.“ (Schwarz 2008, S. 113) Bedenkt man, dass nur knapp 4% der Besucher, die sich geärgert haben, ihren Unmut schriftlich im Besucherbuch oder einem Mitarbeiter gegenüber äußern, so ist auffallend, wie viel Kritik nicht laut formuliert wird. In der Regel erzählt ein unzufriedener Kunde seine schlechte Erfahrung an zehn Personen weiter, ein zufriedener Kunde erzählt es nur zwei Personen.
Abbildung 1: Bedeutung von Beschwerden Quelle: Leicht verändert nach Schwarz (2008)
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Jede nicht zur Kenntnis genommene Kritik bedeutet für das Museum eine verpasste Möglichkeit, „Nichtqualität“ des eigenen Hauses zu erfahren und potentiellen Besucherverlust. Jede formulierte Kritik bedeutet jedoch die Möglichkeit, Fehler zu entdecken, Maßnahmen dagegen einzuführen und letztlich Qualität zu verbessern und somit Kundenbindung, nicht Abwanderung (vgl. Abb. 1). Beschwerdemanagement ist daher ein wichtiges Instrument des Qualitätsmanagements, „da es Aufschluss darüber gibt, in welcher Qualität die Leistungen aus Sicht der Kunden erbracht werden. Durch die Vernetzung im Rahmen des Beschwerdemanagements kann sich die Einrichtung ein umfassendes Bild davon machen, wie die Qualität von den Kunden in den unterschiedlichen Bereichen der Leistungserbringung eingeschätzt wird. Dieser Gesamteindruck verschafft der Einrichtung die notwendigen Informationen, um die eigene Organisation und gleichzeitig die Wirksamkeit der qualitätssichernden Maßnahmen überprüfen zu können.“ (Vergnaud 2002, S. 35)
Beschwerden über defekte Glühbirnen, schlechte Ausschilderung oder fehlendes Toilettenpapier sind bisher im Museum am Strom überwiegend beim „armen“ Kassenpersonal eingegangen. Armes Kassenpersonal daher, weil sie bisher nichts anderes tun konnten, als aufmerksam zuhören, beschwichtigen und die Informationen an die Museumsverwaltung weiterzugeben, jedoch zweifelnd, wann diese aktiv werden würde. Viele der aufgenommenen Beschwerden verliefen im Sand, wurden von der Verwaltung nicht ernst genommen und Mängel wurden erst mit großer Zeitverzögerung beseitigt. Dies sollte durch ein systematisches Beschwerdemanagement verbessert werden, denn ohne ein integriertes Beschwerdemanagement, das Verbesserungsprozesse definiert, sind wenige Beschwerden kein Beweis für gute Leistung, viele Beschwerden jedoch sind potentielle Verbesserungsvorschläge und somit Möglichkeiten das übergeordnete Museumsziel, noch mehr Kundenzufriedenheit, zu erlangen.
3.1 Maßnahmen zur Beschwerdestimulierung Die herkömmlichste Art, Besuchermeinungen abzufragen, ist die Besucherevaluation mit Hilfe standardisierter Fragebögen. In regelmäßigen Abständen sollte dies in jedem Museum durchgeführt werden, auch wenn es viel Aufwand bedeutet. So kann auf diesem Wege viel über Kunden(un)zufriedenheit und Kundenwünsche erfahren und sich verstärkt danach ausrichten. In den besucherstarken Monaten Mai – Oktober haben wir zunächst in einem Teilbereich des Museums, im angeschlossenen „Hildegarten“, eine Besucherbefragung durchgeführt, die als Grundlage für Verbesserungen und die Formulierung neuer Qualitätsziele diente. Zukünftig sollen in regelmäßigen Abständen (alle 5 Jahre) Besu-
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chervaluationen stattfinden. Ein kürzeres Intervall ist bei der Größe unseres Museums aufgrund des hohen Personal- und Zeitaufwandes leider nicht realisierbar. Das Logbuch Im alltäglichen Umgang mit den Museumskunden sollte jedoch auch Wert darauf gelegt werden, dass Kunden ihre Zufriedenheit oder Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen. Dazu sollten sie allerdings animiert werden, ohne das Gefühl zu haben, lästig zu sein, wenn sie ihre Beschwerden persönlich, schriftlich oder telefonisch vortragen. Daher wurde im Bereich des persönlichen Kundenkontakts ein Plakat an der Museumskasse mit der Aufschrift „Wenn Sie mit Ihrem Museumsbesuch zufrieden sind, sagen Sie es Ihren Freunden. Wenn Sie unzufrieden sind, sagen Sie es bitte uns!“ angebracht. Somit wird das Interesse und die Bereitschaft signalisiert, dass Kritik durchaus erwünscht ist und die Zufriedenheit der Museumskunden im Mittelpunkt der Museumsarbeit steht. Zudem wurde das Kassenpersonal oder ein Museumsführer ermutigt, bzw. beauftragt, durch gezielte Ansprache der Besucher nach dem Rundgang mit Fragen wie: „Hat es Ihnen bei uns gefallen? Hätten wir etwas besser machen können? zu motivieren, seine Meinung zu äußern. Damit diese Antworten und Anregungen nicht in Vergessenheit geraten, müssen sie schriftlich in Anwesenheit des Besuchers in einem „Logbuch“, das immer an der Kasse liegt und jeden Freitag ausgewertet wird, festgehalten werden. Dadurch nimmt der Kunde wahr, dass seine Kritik, auch in banalen Fällen, ernst genommen wird. Diese Methode funktioniert in der Praxis des „Museum am Strom“ sehr gut. Durch den engen persönlichen Kontakt ist es vor allem den Museumsführern relativ leicht möglich viele Rückmeldungen zu erhalten. Da das „Logbuch“ jeden Freitag ausgewertet wird, fühlen sich die Museumsmitarbeiter auch ernst genommen und „angehört“. Es wurde schnell deutlich, dass dieses System stark zur Mitwirkung aller angeregt hat, da es von allen als notwendig erachtet wurde und schnell erste Erfolge sichtbar wurden. Das Gästebuch Für Besucher, die ihre Kritik lieber anonym äußern möchten, bietet das Gästebuch Platz für Lob und Tadel. Auch wenn viele Besucher dieses Medium oft nur zur eigenen Verewigung nutzen, motiviert ein Hinweisschild „Lob und Tadel“ den einen oder anderen, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen, ohne dies in einem persönlichen Gespräch mit dem Kassenpersonal klären zu müssen. Hier hat sich jedoch gezeigt, dass relativ wenig Kritik geäußert wird, bzw. Vorschläge gemacht werden.
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„Lob und Tadel“ online In Zeiten der elektronischen Kommunikation kommen vermehrt Beschwerden per E-Mail. Um auch hier Kunden zu stimulieren, Ihre Meinung kund zu tun, wurde auf der Homepage des Museums ein zusätzlicher Link „Lob und Tadel“ eingefügt. Dieser Link zeigt zum einen die Bereitschaft, Kritik anzuhören und Schwachstellen zu verbessern, zum anderen erspart er dem Kunden die lange Suche nach einem Ansprechpartner, nach E-Mail-Adressen oder Telefonnummern. Interessanterweise sind bis heute keine Beschwerden über diesen Kanal eingegangen. Die Hauptzielgruppen des Museums scheinen das Medium Internet wenig zu nutzen. Das Telefon Bleibt noch das Telefon. Um auch hierfür Kunden zu gewinnen, ihre Kritik zu äußern, war es notwendig, eine eindeutige Servicenummer zu veröffentlichen. Dies haben wir in der neuen Informationsbroschüre des Museums vorgenommen, sowie auf allen aktuellen Ausstellungsplakaten oder Publikationen.
3.2 Beschwerdeannahme und -erfassung Hat sich ein Kunde mit einer Beschwerde per Gästebuch oder in anderer Form an das Museum gewandt, muss gewährleistet sein, dass diese auch dokumentiert und bearbeitet wird. Hierfür wurden gemeinschaftlich Verantwortlichkeiten festgelegt und die systematische Erfassung von Beschwerden sichergestellt. In der betriebswirtschaftlichen Praxis hat sich das Prinzip der „Complaint Ownership“ durchgesetzt. Dies bedeutet, dass für den Eingang und die Bearbeitung einer Beschwerde derjenige Mitarbeiter, der die Beschwerde entgegen nimmt, verantwortlich ist.(Stauss/Seidel 2002) Seine Aufgabe ist es, den Beschwerdeführer möglichst umgehend zufrieden zu stellen, wenn er die Kompetenz dazu hat, oder die entsprechenden Fachkräfte heranzuziehen. Dieses Prinzip findet aufgrund der überschaubaren Zahl an Mitarbeitern auch im Museum am Strom Anwendung. Damit dieses Prinzip auch durchgeführt werden kann, mussten den einzelnen Mitarbeitern Kompetenzen und Zuständigkeiten zugewiesen sowie Verhalten trainiert werden. Im Rahmen der Zuständigkeit obliegt es allen Mitarbeitern, Kunden genau zuzuhören, sich der Beschwerde anzunehmen, den Kunden zu beruhigen und Verständnis für die Verärgerung zu zeigen. Kassenpersonal, Kassenvertretungen, Museumspädagogen und Sekretariatsmitarbeiter
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können zukünftig nach eigenem Empfinden Maßnahmen vorschlagen und Entschädigungen anbieten, beispielsweise Preisnachlass bei Großkunden. Die Entschädigungsgrundlagen hierfür wurden gemeinsam mit dem Management erarbeitet und sind auf einer Liste dokumentiert, die für alle jederzeit zugänglich ist. Innerhalb des vorgegebenen Rahmens haben die Mitarbeiter Handlungsfreiheit. Übersteigen die Fälle die Kompetenz der Mitarbeiter, so sind diese entsprechend weiterzuleiten, z.B. bei Beschwerden über inhaltlich falsche Objektbeschilderungen. Dieses System hat sich als praktikabel erwiesen. War das Prinzip des „Complaint Ownership“ zu Beginn noch als möglicherweise unfair skeptisch betrachtet worden, da beim Kassenpersonal wesentlich mehr Beschwerden eintreffen als in der Museumsverwaltung, so zeigte sich doch schnell, dass diese Methode der Beschwerdebetreuung sinnvoll ist. Gerade das Kassenpersonal hat durch die Zuschreibung eigener Verantwortung an Selbstsicherheit und auch Motivation gewonnen. Da nicht immer alle Beschwerden sofort bearbeitet werden können, ist es wichtig, dass diese systematisch erfasst werden. Auch die Erfassung bereits gelöster Beschwerden ist für die Qualitätssicherung notwendig. An der Kasse werden die Beschwerden in einem „Logbuch“ eingetragen, an allen weiteren Stellen auf vorgefertigten Formularen. Zu erfassen sind Informationen über den Beschwerdeführer (Name, Adresse, Verärgerungsgrad) sowie über das aufgetretene Problem (Art des Problems, Umstände des Beschwerdevorfalls, Problemursache) und eventuell über den Verbesserungsvorschlag des Kunden, bzw. über seine Forderungen. Hierfür ist die Einteilung der Beschwerden in bestimmte Kategorien hilfreich. Im Museum gibt es folgende Kategorien: Serviceproblem, Museumsaufenthalt, technische Mängel, Allgemeines.
3.3 Beschwerdebearbeitung und -auswertung Um alle eingegangenen, erfassten und kategorisierten Beschwerden möglichst effizient bearbeiten zu können, war die Definition des Bearbeitungsprozesses mit allen Arbeitsabläufen, Verantwortlichkeiten und Bearbeitungsterminen notwendig. Hierbei ist zwischen direktem und indirektem Beschwerdemanagement zu unterscheiden. Beim direkten Beschwerdemanagement ist der Prozess mit seinen Teilaufgaben direkt auf den Kunden und dessen Zufriedenstellung bezogen. Das indirekte Beschwerdemanagement beschreibt nach Bearbeitung der Kundenbeschwerde die ablaufenden Arbeitsschritte hinter den Kulissen, von denen der Kunde nicht unmittelbar betroffen ist, d.h. Ursachenermittlung und Einleitung abstellender Maßnahmen (Vgl. Stauss, Bernd/Seidel).
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Museumsmitarbeiter
Beschwerde anhören
Museumsmitarbeiter
Direktes Handeln möglich?
Ja
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evtl. Telefon
Checkliste
Nein Kunde beruhigen, Entschuldigung aussprechen
Kunde beruhigen, Entschuldigung aussprechen
Entschädigung nötig?
Ja
Entschädigung ermitteln
Museumsmitarbeiter
Museumsmitarbeiter
Checkliste
Museumsmitarbeiter
Checkliste
Nein Kunde über Entschädigung informieren
Museumsmitarbeiter
Fixieren der Beschwerde auf Formular
Museumsmitarbeiter
Logbuch oder Beschwerdeformular
Museumsleitung
Logbuch oder Beschwerdeformular
Beschwerdeformular
Indirektes Beschwerdemanagement
Zufriedener Beschwerdeführer
Abbildung 2: Prozess „Umgang mit Besucherbeschwerden“ beim direkten Beschwerdemanagement
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Abbildung 3: verdeutlicht den Prozess des indirekten Beschwerdemanagements
Im direkten Umgang steht die Beschwerdezufriedenheit des Kunden im Vordergrund. Für die Erreichung dieser Zufriedenheit sind vier Faktoren ausschlaggebend. Zunächst beeinflusst die Zugänglichkeit, also die Frage, wie leicht Ansprechpartner und Beschwerdemöglichkeiten (persönlich, telefonisch, schriftlich) gefunden werden, die Stimmung des Kunden. Ein weiterer wichtiger Punkt für die Zufriedenstellung des Beschwerdeführers ist die Interaktionsqualität des Personals. Das beinhaltet alle Aspekte wie Freundlichkeit, Einfühlungsver-
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mögen, Hilfsbereitschaft, Eigeninitiative und Verlässlichkeit der zuständigen Person. Zudem muss diese möglichst schnell auf die Kritik reagieren. Bei komplexen schriftlichen Beschwerden erfolgt dies durch eine Eingangsbestätigung oder einen Rückruf. Der Kunde muss das Gefühl haben, dass sein Anliegen ernst genommen und zügig bearbeitet wird. Hierfür ist in Anlehnung an die Vorgaben der Stadtverwaltung Bingen eine Bearbeitungsfrist von 14 Tagen festgelegt worden. Als letzter wichtiger Faktor, der zur Beschwerdezufriedenheit beiträgt, zählt die Angemessenheit des Ergebnisses. Der Kunde ist nicht in jedem Fall durch eine bloße Entschuldigung zufrieden zu stellen, sondern erwartet, je nach Beschwerdegrund, eine faire Wiedergutmachung, beispielsweise einen Preisnachlass (Vgl. Stauss/Seidel 2002 sowie Fürst 2005). Da Beschwerden als nützliche Hinweise auf Schwachstellen des Unternehmens oder mangelnde Zufriedenstellung der Museumskunden aufgefasst werden, mit denen immer Verbesserungsvorschläge einhergehen, ist es unbedingt notwendig, Beschwerden ernst zu nehmen. Es gilt nicht nur, den Kunden zu besänftigen, sondern es müssen die Ursachen gefunden und abgestellt werden, die Anlass zur Beschwerde gegeben haben. Auch dieses Vorgehen, das Teil des Qualitätsmanagements ist, muss in einem Prozess definiert sein, der wiederum eines regelmäßigen Monitorings bedarf. Hier müssen Daten die Grundlage der Prozessbewertung schaffen. In diesem Fall werden schriftlich eingegangene Beschwerden, schriftliche Antwortschreiben, Gästebucheinträge, Auswertung von Besucherevaluationen und mündliche Kritik, die im Logbuch oder auf Beschwerdeformularen dokumentiert wurden, als Datengrundlage zur Prozessbewertung herangezogen. Diese gesammelten Daten dienen jedoch auch dazu weitere Mängel im gesamten Museum aufzudecken und zeigen somit auf, welche Prozesse zukünftig definiert und überarbeitet werden müssen. Da der direkte und indirekte Prozess „Umgang mit Besucherbeschwerden“ im Museum am Strom völlig neu eingeführt wurde, wurden die Monitoringintervalle zunächst kürzer gestaltet. Zu Beginn waren monatliche Treffen und Auswertungen sinnvoll. So konnten möglichst zeitnah bestehende Mängel behoben werden und der Prozess somit verbessert werden, bzw. weitere Erkenntnisse über noch zu verbessernde Prozesse gewonnen werden. An dieser Stelle beginnt im Sinne des Qualitätsmanagements der qualitätssichernde Teil der Arbeit. Begreift man Beschwerden als „Kooperationsangebot des Kunden“ (Vergnaud 2002, S. 21.), wird deutlich, dass jeder Hinweis auf Mängel und unzureichenden Service eine Hilfeleistung der Kunden für das Museum ist. Das Museum muss nicht in langwierigen Arbeitsschritten nach Schwachstellen suchen, sondern bekommt diese direkt vor Augen gehalten. In den meisten Fällen nehmen unzufriedene Kunden eine angemessene Entschuldigung und Wiedergutmachung an und sind somit erneut zufrieden zu stellen.
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Forschungen haben erwiesen, dass sich erfolgreich zufrieden gestellte Beschwerdeführer durch eine höhere Loyalität zum Unternehmen auszeichnen, als zufriedene Kunden, die nie einen Grund zur Beanstandung hatten (Stauss/Seidel 2002 sowie Fürst 2005).
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Qualitätsmanagement: Wegweiser in die museale Zukunft
Es wurde deutlich, dass die Qualität der geleisteten Museumsarbeit nicht mehr nach rein quantitativen Kriterien bewertet werden kann. Besucherzahlen, Verkaufszahlen und Einnahmen rücken mehr und mehr in den Hintergrund der Betrachtungen. Die Qualität der Museumsarbeit zeichnet sich heute letztlich durch die Zufriedenheit der Kunden aus und damit, ob sie ihre positiven Museumserfahrungen weiter erzählen und wiederkommen. Was Qualität ist, bestimmt letztlich der Kunde. Und den interessieren weit mehr als nur Zahlen! Neue, differenzierte Indikatoren machen die Qualität eines Museums aus und auch messbar. Hierzu zählt an erster Stelle die Kundenzufriedenheit, die durch viele Faktoren beeinflusst werden kann. Eine hohe Aufenthalts- und Servicequalität tragen zur Zufriedenheit der Besucher bei, aber auch die Aktualität der Angebote und deren Vermittlung. Die Ausrichtung der einzelnen Museumsaktivitäten auf die jeweiligen Kundenerwartungen, also sowohl die Erwartungen von Besuchern als auch die von Trägern, Geldgebern und Mitarbeitern, steht im Mittelpunkt allen Handelns. Produkt-, Prozess- und Servicequalität sind ausschlaggebend für das Endergebnis, die Kundenzufriedenheit. In diesem Sinne lässt sich sagen, dass Qualität auch der Umgang mit internen und externen Erwartungen an das Museum ist. Auf den Punkt gebracht: Es geht um Partnerschaften und die Frage des miteinander Umgehens (Brüggerhoff/Tschäpe 2004). Sollen diese vielfältigen Erwartungen befriedigt werden, so bedarf es eines ganzheitlichen Qualitätsmanagements im Museum, das im Rahmen einer Qualitätspolitik Qualitätsziele für alle Museumsbereiche vorgibt, Arbeitsprozesse für diese Bereiche definiert, Verbesserungsprozesse einführt, diese regelmäßig überprüft und gegebenenfalls an neue Bedürfnisse anpasst. Diesen Weg beschreitet auch das Museum am Strom. Innerhalb der nächsten fünf Jahre soll in den Bereichen Verwaltung, Vermittlung, Sammlung, Bewahrung und Forschung ein ganzheitliches Qualitätsmanagement eingeführt werden. Nach langer Auseinandersetzung mit deutschen und europäischen Vorbildern hat das Museum am Strom einen individuellen Weg gefunden, wie es ein Qualitätsmanagement etablieren kann. Als erster Museumsbereich fiel die Wahl auf die Verwaltung, da diese Schnittstelle für alle Museumsbereiche ist und sich durch einen großen Kundenkontakt auszeichnet. In Zusammenarbeit aller Museums-
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mitarbeiter wurden Qualitätskriterien erarbeitet, an denen die Qualität des Museums gemessen werden kann. Träger, Sponsoren und Unterstützer arbeiten gemeinsam mit der Museumsleitung an einer umfassenden Qualitätspolitik, die in den nächsten Jahren richtungsweisend sein wird und in deren Fokus die Zufriedenheit aller Museumskunden ist. Hiermit ist die Grundlage für die Einführung von Qualitätsmanagement geschaffen, die nur erfolgen kann, wenn die oberste Managementebene, Museumsleitung und Träger, hinter dem Konzept und dem Wunsch einer solchen steht. Die Einführung von Qualitätsmanagement im Museum am Strom ist ein langwieriger Prozess, der die völlige Zustimmung und Verantwortung des oberen Managements voraussetzt, der aber gleichzeitig auch eine Veränderung der Unternehmenskultur bedingt. D.h., dass die Ausrichtung aller Museumsaktivitäten darauf beruht, Kundenzufriedenheit zu erzielen. Ein solcher Wandel bedarf einer guten Vorbereitung. Ein Teil der Kulturveränderung besteht darin, dass Ziele, Leistungskriterien, Verhaltens- und Vorgehensweisen im Team zwischen Management, Prozesseignern und Prozessbetroffenen abgesprochen werden. In dem Zusammenhang sind im Museum am Strom viele Gespräche mit den einzelnen Mitarbeitern nötig gewesen und werden es auch weiterhin sein, da alle Mitarbeiter zunächst von der Idee und der Notwendigkeit eines Qualitätsmanagements überzeugt und begeistert werden müssen. Ist es gelungen, Begeisterung für diese Sache zu entfachen, dann können eingefahrene Strukturen aufgeweicht und verändert werden. Doch es bedarf einer ernormen Überzeugungsarbeit und hohen Motivation. Dies ist der Museumsleitung gelungen und die Mitarbeiter konnten für die Einführung eines Qualitätsmanagements gewonnen werden. Es ist aber auch klar, dass es weiterhin viel Energie kosten wird, die Motivation aufrechtzuerhalten und bei eventuellen Rückschlägen von der Wichtigkeit der Sache zu überzeugen. Bisher kann man die Qualitätsbemühungen als wellenförmig beschreiben. Nach anfänglicher Motivationsarbeit konnten die Mitarbeiter relativ schnell für ein Qualitätsmanagement gewonnen werden. Schnell zeigten sich erste Veränderungen, die sich hoch motivierend auf die Mitarbeiter auswirkten. Leider muss auch gesagt werden, dass erste Rückschläge beim Monitoring erfolgten, als festgestellt werden musste, dass nicht alle eingeführten Maßnahmen zum Erfolg geführt haben und als „schon wieder“ tägliche Arbeitsprozesse verändert werden mussten. Diese Erkenntnisse waren oftmals ein kleiner Rückschlag, der erneut viel Motivationsarbeit bedurfte, um die Mitarbeiter zum Weitermachen zu animieren und von der Richtigkeit des Systems zu überzeugen. Aus diesen Erfahrungen heraus mussten viele zeitliche Vorgaben nachgebessert werden. Die Einführung und konsequente Durchführung von Qualitätsmanagement bedarf viel Zeit und Ausdauer! In den nächsten Jahren steht dem Museum
Erfolgsfaktor Qualität
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noch viel Arbeit bevor, Qualitätsarbeit, die auf lange Sicht zum Erfolgsfaktor des Museums wird!
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Autorenverzeichnis Autorenverzeichnis Inhaltsverzeichnis Autorenverzeichnis
Dr. Christian Antz, Jahrgang 1961, 1998ff. Referatsleiter und 1992-1998 Referent im Wirtschaftsministerium Sachsen-Anhalt in Magdeburg, 2007ff. Vorsitzender „Gartennetz Deutschland“. Bundesverband regionaler Garteninitiativen, 2001ff. Begründer und Herausgeber der Reiseführerreihen „Kulturreisen in Sachsen-Anhalt“, „Naturreisen in Sachsen-Anhalt“ und „Kulinarische Reisen in Sachsen-Anhalt“. 1996ff. Dozent am Institut für Kunstgeschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Halle/ Saale, 2002ff. im Studiengang Tourismuswirtschaft an der Hochschule Harz in Wernigerode, 2009ff. im Fachbereich Soziale Arbeit, Medien, Kultur an der Hochschule Merseburg und 2009ff. am Institut für Management und Tourismus an der Hochschule Westküste in Heide,1992-1994/ 1998-2006 Aufbau der touristischen Landesprojekte und Markensäulen „Straße der Romanik® – Reise ins Mittelalter“, „Blaues Band® – Wassertourismus in Sachsen-Anhalt“ und „Gartenträume® – Historische Parks in SachsenAnhalt“, 1988-1992 Promotionsstipendiat der Friedrich-Naumann-Stiftung und Promotion zum Dr. phil. in Trier, 1982-1988 Studium der Kunstgeschichte, Germanistik, Philosophie und Politologie. Publikationsübersicht: in Kürschners Deutscher Sachbuch-Kalender. 2. Jg. 2003/ 2004. Bd. 1. München-Leipzig 2004. Dr. Patrick Bartos, geb. 1972. Internationaler Experte, Berater und Lehrender in Kulturund Kreativwirtschaft, Destinationsentwicklung, Markenstrategie und Kulturmanagement mit herausragender Erfahrung in Kulturplanung und Kulturtourismusplanung. Senior Consultant bei der invent – Innovationsagentur für Wirtschaft, Tourismus und Kultur. Hubert Bratl, geschäftsführender Gesellschafter von invent – Innovationsagentur für Wirtschaft, Tourismus und Kultur GmbH Wien Dr. Stefan Brüggerhoff, geb.1956, studierte Chemie an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist stellvertretender Direktor für den Gesamtbereich Forschung im Deutschen BergbauMuseum in Bochum und leitet gleichzeitig den Fachbereich Denkmalschutz und Materialkunde. Stefan Brüggerhoff engagiert sich für die Erhaltung und Vermittlung kulturellen Erbes und ist Mitinitiator der 2008 gegründeten Forschungsallianz »Kulturerbe« der Fraunhofer-Gesellschaft, Leibniz-Gemeinschaft und Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Zudem ist er Herausgeber des 2002 erschienenen Buches „Qualitätsmanagement im Museum?!“
A. Hausmann L Murzik (Hrsg.), Neue Impulse im Kulturtourismus, DOI 10.1007/978-3-531-92757-2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Dr. Heinz Buri, der Verfasser ist seit 2008 Marketingdirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, zuvor war er langjähriger Kulturbeauftragter der Berlin Tourismus Marketing GmbH, er ist zudem stellvertretender Vorsitzender des „UNESCO-Welterbestätten Deutschland e.V.“ Gabriele Crepaz, geb. 1970, Studium der Journalistik, Politikwissenschaft und Klassischen Archäologie (Ludwig-Maximilians-Universität München), Kulturbeauftragte der Südtirol Marketing Gesellschaft (SMG) in Bozen. Dr. Martina Dillmann, geb. 1962, studierte Kunstgeschichte, klassische Archäologie sowie Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften an der Johann Wolfgang GoetheUniversität Frankfurt am Main, wo sie 1996 auch promovierte. Ab 2000 war sie im Jüdischen Museum Berlin in der Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig und im Anschluss für den Aufbau des Bereichs Marketing verantwortlich. 2004 gründete sie die Abteilung Tourismusmarketing, die sie bis 2008 verantwortete. Von 2009 bis 2010 war sie Professorin und Leiterin des Instituts für Kulturmanagement an der Internationalen Hochschule für Exekutives Management in Berlin. Martina Dillmann ist Lehrbeauftragte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), an der Fachhochschule Potsdam und an der Universität Hamburg. Sie ist Autorin zahlreicher Veröffentlichungen zum Kulturmanagement und Kulturtourismus. Dr. Karin Drda-Kühn, Karin, Kunsthistorikerin, seit 2006 Geschäftsführerin Kultur und Arbeit e. V., einem Dienstleister der Kulturwirtschaft und Betreiber des Kulturwirtschaftsportals www.vertikult.de. Arbeits- und Forschungsschwerpunkt: Generierung von Wirtschafts- und Beschäftigungseffekten aus Kulturwirtschaft und Kulturtourismus im ländlichen Raum. Autorin und Herausgeberin zahlreicher Studien und Publikationen zu Beschäftigungsaspekten von Kulturschaffenden; Leiterin und Partnerin nationaler und europäischer Forschungs- und Anwendungsvorhaben in den Bereichen Kulturwirtschaft, Kulturerbe und Kulturtourismus. Die Autorin entwickelt derzeit mit der TU Wien ein kulturtouristisches Portal für den ländlichen Raum in Rheinland-Pfalz.
[email protected], www.kultur-und-arbeit.de. Dr. Matthias Dreyer, geb. 1967, studierte Wirtschaftswissenschaften in Hannover. Er ist Gründungsmitglied des 1994 initiierten Arbeitskreises Museumsmanagement in der Stiftung Freilichtmuseum am Kiekeberg in Harburg und Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg, der Leibniz Universität Hannover und der Europa Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Veröffentlichungen zum Museums- und Stiftungsmanagement. Seit 2001 leitet Matthias Dreyer die Verwaltung der Stiftung Niedersachsen in Hannover. Dr. phil. Patrick S. Föhl, geb. 1978 in Berlin, ist seit 2006 Leiter der von ihm gegründeten Forschungsgruppe „Regional Governance im Kulturbereich“ des Studiengangs Kulturarbeit an der FH Potsdam, er gründete 2005 das Netzwerk für Kulturberatung und hat seit 1996 in verschiedenen Kultureinrichtungen gearbeitet (u.a. Stiftung Schloss Neuhardenberg, Stiftung Jüdisches Museum Berlin und Klassik Stiftung Weimar). Gastdozent und
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Referent an verschiedenen Hochschulen in Deutschland, in Polen, in der Schweiz und in den USA sowie Autor zahlreicher Publikationen. Arbeits-, Publikations- und Forschungsschwerpunkte: strategisches Kulturmanagement, Kooperationen, Governance, Kulturmarketing, Ausstellungsmanagement, Kulturfinanzierung und Kulturentwicklungsplanung. Prof. Dr. Bernd Günter, geb. 1946, studierte Betriebswirtschaftslehre an den Universitäten Münster und Bochum, wo er 1978 auch promovierte. Seit 1991 ist er Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing, an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Zudem ist er seit 1998 Direktor des Düsseldorfer Instituts für Dienstleistungsmanagement sowie seit 2002 Mitbegründer und Dozent der Düsseldorfer Business School. Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen, u.a. im Bereich Markenpolitik von Kulturbetrieben, Kulturmanagement, Theater- und Museumsmarketing sowie Kulturtourismus. Prof. Dr. Andrea Hausmann, geb. 1972 in Düsseldorf, Diplom-Kauffrau, ist Professorin für Kulturmanagement, Leiterin des Masterstudiengangs Kulturmanagement und Kulturtourismus an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Gründerin der ArtRat | Marketing- und Managementberatung und Herausgeberin der Reihe „Kunst- und Kulturmanagement“ im VS Verlag. Sie wirkt seit Jahren als Lehrbeauftragte an verschiedenen Hochschulen in Deutschland sowie auch international und ist Autorin einer Vielzahl von Büchern und Artikeln u.a. zu den Themenschwerpunkten Marketing, Personalmanagement, Kulturtourismus und Existenzgründung. Prof. Dr. habil Birgit Mandel, geb. 1963, Leitung des Studienbereichs Kulturmanagement und Kulturvermittlung im Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim; Forschungsprojekte in den Bereichen Audience Development, Kulturbesucherforschung, Kultur-PR und Kulturmarketing, Kultur und Arbeitsmarkt, Theorie des Kulturmanagements. Mandel hat langjährige Praxis-Erfahrungen im Kulturmanagement durch die Beratung für die Public Relations Agentur ABC Eurocom 1989 bis 1991, die Pressearbeit für die Berliner Festspiele GmbH 1997, die Marketingleitung des Theaters „Bar jeder Vernunft“ von 1996 bis 2001 und von 2000 bis 2001 durch die Leitung der Kommunikation für die bundesweite GmbH Wissenschaft im Dialog. Darüber hinaus ist sie Herausgeberin der Forschungsplattform: www.kulturvermittlung-online.de und Autorin einer Vielzahl von Büchern und Artikeln u.a. zu den Themenschwerpunkten Audience Development, PR für Kunst und Kultur, Kulturvermittlung und Kulturunternehmertum. Laura Murzik, geb. 1980, studierte Kulturmanagement und Kulturtourismus in Frankfurt (Oder) und war maßgeblich an der Entwicklung und Durchführung des Projekts „Jakobswege östlich und westlich der Oder“ beteiligt. Derzeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Kulturmanagement, Europa-Universität Frankfurt (Oder) mit den Arbeitsschwerpunkten Kulturtourismus und Personalmanagement in Kulturbetrieben.
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Patricia Paulus, geb. 1981, studierte Kulturmanagement und Kulturtourismus an der Europauniversität Frankfurt (Oder). Seit 2007 ist sie stellvertretende Museumsleitung im „Museum am Strom – Hildegard von Bingen“ und Kulturreferentin der Stadt Bingen. Seit 2007 ist sie stellvertretende Kulturamtsleiterin der Stadt Bingen. Yvonne Pröbstle, M.A.; Studium der Europäische Kulturgeschichte (B.A.) in Augsburg und Wien, anschließend Magisteraufbaustudiengang Kulturmanagement in Ludwigsburg; seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kulturmanagement an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg mit den Arbeitsschwerpunkten Kulturtourismus und Bürgerschaftliches Engagement im Kulturbereich; Doktorandin bei Prof. Dr. Armin Klein und Prof. Dr. Albrecht Steinecke mit einer Dissertation zum Thema „Kulturtouristen. Marktsegmentierung und Strategieentwicklung“; Autorin verschiedener Artikel im Bereich Kulturtourismus; seit 2006 verschiedene Tätigkeiten in Kultureinrichtungen (Schwerpunkt Marketing/ Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) und freiberufliche Kulturberatung (Schwerpunkt kulturtouristische Machbarkeitsstudien). Prof. Dr. Oliver Scheytt, geb. 1958, hat nach Musik- und Jurastudium von 1986 bis 1993 beim Deutschen Städtetag gearbeitet, zuletzt als Beauftragter für die Städte in den neuen Bundesländern. In der Zeit von 1993 bis 2009 war er Kulturdezernent der Stadt Essen sowie Beigeordneter für Bildung (1997-2007), Grün und Gruga (2001-2006) sowie Jugend (2005-2007). Seit 2006 ist er Geschäftsführer der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 GmbH, die zum Motor für die kulturpolitische und kulturtouristische Entwicklung der Metropole Ruhr geworden ist. Seit 1997 ist er Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft und seit 2007 Professor für Kulturpolitik an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Oliver Scheytt ist Mitherausgeber des Standardwerkes „Kulturmanagement und Kulturpolitik“ und Autor zahlreicher Publikationen, zuletzt von „Kulturstaat Deutschland. Plädoyer für eine aktivierende Kulturpolitik“ (Bielefeld 2008). Prof. Dr. Albrecht Steinecke hat den Lehrstuhl für Wirtschafts- und Fremdenverkehrsgeographie an der Universität Paderborn inne. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Trendforschung in Freizeit und Konsum, Erlebnis- und Konsumwelten, Kulturtourismus und Destinationsmanagement. Er ist Herausgeber und Autor zahlreicher Publikationen – u. a. „Tourismus – eine geographische Einführung“ (Braunschweig 2006), „Kulturtourismus“ (München/Wien 2007), „Themenwelten im Tourismus“ (München 2009) sowie „Populäre Irrtümer über Reisen und Tourismus“ (München 2010). E-Mail:
[email protected] Univ. Prof. Arch. Dipl.-Ing. Dietmar Wiegand, Leiter des Fachbereichs Projektentwicklung und -management an der Fakultät für Architektur und Raumplanung der TU Wien. Der Fachbereich forscht international u.a. zu geeigneten Akteuren, Modellen und Prozessen der Stadt- und Regionalentwicklung mit Projekten und den Möglichkeiten der Projektoptimierung über den Lebenszyklus. E-Mail:
[email protected] Internet: www.red.tuwien.ac.at