I Namen des Frühmittelalters als sprachliche Zeugnisse und als Geschichtsquellen
II
Ergänzungsbände zum Reallexikon ...
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I Namen des Frühmittelalters als sprachliche Zeugnisse und als Geschichtsquellen
II
Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Herausgegeben von Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer
Band 66
Walter de Gruyter · Berlin · New York
III
Namen des Frühmittelalters als sprachliche Zeugnisse und als Geschichtsquellen Herausgegeben von Albrecht Greule und Matthias Springer
Walter de Gruyter · Berlin · New York
IV
Ü Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt
ISSN 1866-7678 ISBN 978-3-11-020815-3 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar
© Copyright 2009 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
Inhalt
V
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Matthias Springer Eröffnungsvortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Thorsten Andersson Germanische Personennamen vor indogermanischem Hintergrund
9
John Insley Kontinentalgermanische Personennamen in England in altenglischer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
Hermann Reichert Sprache und Namen der Wandalen in Afrika . . . . . . . . . . . . .
43
Nicole Eller/Sabine Hackl-Rössler/Jürgen Strothmann Personen- und Ortsnamen auf merowingischen Münzen des 7. Jahrhunderts. Das interdisziplinäre DFG-Projekt „Die merowingischen Monetarmünzen als interdisziplinärmediävistische Herausforderung – eine Projektskizze“ . . . . . . . .
121
Maria Giovanna Arcamone Die langobardische Anthroponymie zwischen Germania und Romania. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Albrecht Greule Spuren der Vorzeit: Die Flussnamen Sachsen-Anhalts und andere Namengeschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Friedrich E. Grünzweig Das Forschungsprojekt ‚Altgermanische Toponyme‘, Die Probeartikel AITUI, LUGIDUN und OSAND . . . . . . . . . 159
VI
Inhalt
Inge Bily Lexikographische Bearbeitung der aus Ortsnamen erschlossenen slawischen Personennamen (am Material des ehem. altsorbischen Sprachgebietes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
173
Ernst Eichler Nochmals zu Thietmars Umgang mit slavischen Namen in seiner Chronik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
189
Christian Warnke Belcsem/Belkesheim/Balsemerlande – Betrachtungen zu einem angeblichen Gaunamen im elbslawisch-deutschen Berührungsgebiet
193
Reinhard Härtel Probleme der Erschließung von Orts- und Personennamen in mediävistischen Quellenwerken zum Alpen-Adria-Raum . . . . .
235
Monique Bourin/Pascal Chareille Anthroponymie et migrations: les difficultés d’une enquête
. . . .
251
Walter Kettemann/Christa Jochum-Godglück Namenüberlieferung und Personennennung im Kontext. Bedingungen und Möglichkeiten von Erfassung und Auswertung in der Datenbank „Nomen et gens“ . . . . . . . .
267
Inhalt
VII
Vorwort Vom 25. bis zum 29. Oktober 2007 fand in der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg die internationale Tagung zum Jahr der Geisteswissenschaften statt, deren Überschrift lautete: „Namen des Frühmittelalters als sprachliche Zeugnisse und als Geschichtsquellen“. Die Veranstaltung vereinte Teilnehmer aus sieben europäischen Ländern. Sie fügte sich in die jahrelange Arbeit der Forschungsgruppe „Nomen et gens“ ein. Die Unterzeichner legen hiermit die Beiträge der Tagung in gedruckter und zum Teil erweiterter Fassung vor. Leider sahen sich Prof. Dr. J. van Loon (Antwerpen) sowie Prof. Dr. P. Beck und Dr. P. Chareille (Paris/ Nantes) nicht in der Lage, ihre Vorträge noch rechtzeitig druckfertig zu machen. Nicht vorgetragen wurden 2007 der Aufsatz von N. Eller, S. HacklRößler und J. Strothman sowie der von Ch. Warnke, die in diesem Band enthalten sind. Den Gegenstand der Untersuchungen bilden sowohl Namen von Örtlichkeiten (Fluß-, Orts- und „Gau“-namen) als auch Personennamen. Das behandelte Gebiet erstreckt sich von Skandinavien bis nach Nordafrika sowie von England bis ins nördliche und südöstliche Mitteleuropa. Ein wesentliches Ziel der Tagung war es, die Möglichkeiten und Grenzen der Datenverarbeitung innerhalb der Namenforschung zu zeigen sowie neue Vorhaben vorzustellen. Die Tagung selber wurde vornehmlich in Magdeburg vorbereitet. Die Erstellung dieses Bandes erfolgte vornehmlich in Regensburg, wobei die Druckfertigmachung in den Händen von Michael Faltermeier und Silke Schiekofer lag, denen wir für ihre wertvolle Mitarbeit danken. Ebenso gilt unser Dank dem Verlag de Gruyter und den Herausgebern der Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, die die Aufnahme des Tagungsbandes in diese Reihe ermöglichten. Januar 2009
Albrecht Greule Matthias Springer
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Inhalt
Namen des Frühmittelalters – RGA-E Band 66 – Seiten 1–8 © Copyright 2009 Walter de Gruyter · Eröffnungsvortrag Berlin · New York
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Eröffnungsvortrag Matthias Springer
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zunächst möchte ich meine Begrüßung ausführlich wiederholen: Ich heiße Sie also in Magdeburg und genauer in der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg herzlich willkommen. Es ist mir ein Bedürfnis, besonders die Teilnehmer und Gäste zu begrüßen, die vom Ausland her den weiten Weg zur mittleren Elbe nicht gescheut haben und die möglicherweise zum ersten Mal die Stadt Magdeburg und das Land Sachsen-Anhalt besuchen. Wir sind versammelt, um über Namen des Frühmittelalters als sprachliche Zeugnisse und als Geschichtsquellen zu sprechen. Unsere Tagung könnte nicht stattfinden, wenn sie nicht in großzügiger Weise von mehreren Seiten unterstützt worden wäre. Folglich komme ich einer angenehmen Pflicht nach, indem ich den Förderern zu Beginn meiner Ausführungen danke. Es sind dies: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die GerdaHenkel-Stiftung, das Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt, die Kulturstiftung Kaiser Otto Magdeburg sowie die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Es fügte sich glücklich, daß das Jahr 2007 in Deutschland als das Jahr der Geisteswissenschaften begangen wird. Folglich dürfen geisteswissenschaftliche Unternehmen wie das unsere mit einer erhöhten Aufmerksamkeit in der öffentlichen Wahrnehmung rechnen. Ich hoffe, daß diese Anteilnahme kein Strohfeuer bildet. Boshafte Gemüter könnten darauf verweisen, daß man am häufigsten von den Dingen spricht, denen man aus dem Wege gehen will. In der Tat ist die Stellung der Geisteswissenschaften gefährdet. Schon vor achtzig Jahren sagte der Philologe Ulrich von Wilamowitz-Möllendorf: „Heißt es zu schwarz sehen, wenn uns die Furcht ankommt, die Universitäten könnten auf einen ähnlichen Zustand herabsinken, wie er vor 1810 nur zu oft gewesen ist, so daß sie nur den nötigsten Wissensstoff übermittelten und an ein politisches Credo gebunden würden, schlimmer als einst an ein kirchliches … Droht uns nicht die Geistlosigkeit der spätantiken Rhetorik, neben der nur das im Grunde tote Wissen der sieben freien Kün-
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Matthias Springer
ste stand, das den Geist verliert, auch wenn Spezialisten im einzelnen noch so große praktische Erfolge haben.“ Heute wird man hinzufügen müssen, daß es auch ein wirtschaftliches Credo gibt. Nun brauchen Sie nicht zu fürchten, daß ich in Wehklagen ausbrechen wollte – so beliebt dieses Tun auch sein mag. Ich folge lieber dem Satz: „Wer sich beklagt, Verklagt sich selbst und seine eigne Torheit.“ (Grillparzer) Vielmehr möchte ich daran erinnern, daß die Geisteswissenschaftler selber das Heft in die Hand nehmen müssen, wenn sie ihre Fächer aus der Gefahr bringen wollen, völlig an den Rand gedrängt zu werden. Welche Öffentlichkeit soll sich nämlich um Wissenschaften kümmern, die sich nicht um die Öffentlichkeit kümmern und denen der Ruf anhaftet, nichts „praktisch“ Verwertbares hervorbringen zu können? (Ob dieser Ruf berechtigt ist, haben wir hier nicht zu untersuchen.) Ehemals hieß der Inhaber des Amtes, das einer heutigen C 4- oder W 3-Professur entspricht, „ordentlicher öffentlicher Professor“; und unsere Vorgänger waren sich durchaus der Verpflichtung bewußt, die aus einem solchen Amt folgte. Lassen Sie mich das einem Beispiel zeigen: Zu den Marksteinen der sprachwissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts gehört August Schleichers Buch „Die deutsche Sprache“, das 1860 in der ersten Auflage erschien. In seinem Vorwort schrieb Schleicher: „Wäre es mir nicht geglückt, ein für jeden Gebildeten zugängliches und brauchbares Werk zu schreiben, so müßte es als ein verfehltes bezeichnet werden …“ Können Sie sich vorstellen, daß ein heutiger Wissenschaftler ähnliche Worte in einer Vorrede schriebe? Der Ärmste sähe sich sofort dem Verdacht ausgesetzt, gar keinen Beitrag zur hehren Wissenschaft zu leisten und wohl gar der Langweiligkeit die Eigenschaft abzusprechen, ein Ausdruck der Wissenschaftlichkeit zu sein. Übrigens behandelte Schleicher keineswegs nur die deutsche Sprache. Vielmehr ging er von glottogonischen Fragestellungen aus. (Den Gegenstand glottogonischer Untersuchungen bildet die Entwicklung der Sprache und des Sprechens der Menschen überhaupt, also von der Zeit der ersten Menschen an.) Auf jeden Fall steht in Schleichers Buch viel mehr, als der Titel verspricht. Heute hat man beim Vergleich wissenschaftlicher Veröffentlichungen mit ihren Überschriften häufig das umgekehrte Erlebnis. Wir kehren aus dem 19. Jahrhundert in die unmittelbare Gegenwart – und mehr noch – in eben die Stadt zurück, in der wir uns befinden:
Eröffnungsvortrag
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Magdeburg wird von außen über das Mittelalter wahrgenommen. Bei Dresden oder Stuttgart, Potsdam oder Hannover ist das keineswegs der Fall. Man wird geradezu sagen dürfen, daß die Hauptstadt Sachsen-Anhalts mehr als jede andere der deutschen Landeshauptstädte in mittelalterlichen Bezügen erscheint. Auch beruft Magdeburg sich selber in zunehmendem Maße auf seine mittelalterlichen Wurzeln. Den deutlichsten Ausdruck dieses Sachverhalts bildet die hiesige „Kulturstiftung Kaiser Otto“, die 2003 gegründet wurde und die den Kaiser-Otto-Preis verleiht. Und mehr noch: Schon seit 1998 vergeben die Stadt Magdeburg und die Otto-von-Guericke-Universität zusammen den „Eike-von-Repgow-Preis“. Es ist mir ein besonderes Vergnügen, den ersten Inhaber dieses Preises, nämlich Herrn Eichler, als Teilnehmer unserer Tagung begrüßen zu dürfen. Die mittelalterlichen Bezüge ließen sich beliebig erweitern. Zum Beispiel richtete der Franziskanerorden schon 1228 eine Hochschule in Magdeburg ein, ein studium, wie die zeitgenössische Bezeichnung lautete. Hier wirkte seit 1231 der Bruder Bartholomäus. Während der vierziger Jahre schuf dieser Mönch eine Enzyklopädie, die Jahrhunderte in Gebrauch blieb und in der – soweit ich unterrichtet bin – noch Shakespeare nachschlug. Bartholomäus trug den Beinamen Anglicus. Das heißt, er stammte aus England wie Herr Insley, der jedoch leider nicht in Magdeburg, sondern in Heidelberg wirkt. Nun war Bartholomäus Anglicus nicht unmittelbar aus seiner Heimat nach Magdeburg gelangt, sondern über Paris, wo er als Hochschullehrer gearbeitet hatte, bevor es ihn von der Seine an die mittlere Elbe verschlug. Heute haben wir wie vor 775 Jahren die Ehre, Wissenschaftler, die aus Frankreich kommen, in den Mauern unserer Stadt empfangen zu dürfen: Frau Bourin sowie die Herren Beck und Chareille. Aus dem Gebiet Frankreichs im heutigen Sinne stammen die drei ältesten Nennungen des Namens Magdeburg. Die erste findet sich in einem Kapitular, das Karl der Große 805 zu Diedenhofen/Thionville erlassen hat. Zum selben Jahr und nochmals zu 806 sprach die Chronik von Moissac von Magdeburg. Dann verschwand der Ort für 130 Jahre aus der Geschichte. Wir richten unsren Blick auf Italien, woher Frau Arcamone den Weg zu uns gefunden hat. Vom 10. Jahrhundert bis zum Ende des Mittelalters tritt Magdeburg häufig in Beziehungen zu dem Land südlich der Alpen, so daß lange und viel darüber zu erzählen wäre. Nur an drei Dinge sei hier erinnert: Die 968 erfolgte Gründung des Erzbistums Magdeburg wurde 967 in Ravenna beschlossen. Von den mehr als sechzig Bischöfen, die das entsprechende Schriftstücke unterzeichneten, kamen nur zwei aus Deutschland. Die meisten anderen stammten aus Italien.
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Matthias Springer
Der Erzbischof Albrecht. II. von Magdeburg, der von 1205 bis 1232 regierte, bekleidete in Oberitalien die Würde eines Reichslegaten und war Graf der Romagna. Schließlich besteht noch heute in Magdeburg eine Ambrosiuskirche, wenn auch nicht mehr an ihrem ursprünglichen Platz. Das AmbrosiusPatrozinium ist in Deutschland außerordentlich selten. Der Name der Kirche läßt eine ungewöhnliche Verbindung zu Italien erkennen. Wenn man von Magdeburg nach Schweden blickt, woher Herr Andersson stammt, so gerät mit Sicherheit und an erster Stelle der König Gustav Adolf in unser Blickfeld. „Der Löwe aus Mitternacht“ gehört aber in die Neuzeit, über die wir nicht zu sprechen haben. Jedoch war schon 1368 ein schwedischer König in unmittelbare Beziehungen zu Magdeburg getreten. Es handelt sich um Albrecht „von Mecklenburg“, der damals den Hansestädten ihre Freiheiten in seinem Herrschaftsgebiet bestätigte. Unter den Orten, die in der Urkunde des Königs namentlich genannt werden, findet sich Magdeburg. Wir schauen wieder nach Westen: Antwerpen, das nach heutigen Begriffen in Belgien liegt und Herrn Van Loons Arbeitsstätte bildet, ist mit der weitreichenden Tätigkeit des Norbert von Xanten (oder von Gennep) verbunden, der den Orden der Prämonstratenser gründete und von 1126 bis 1134 Erzbischof von Magdeburg war. Während des Jahres 1124 hatte Norbert „sein erstes Stift in einer Stadt“, nämlich „St. Michael in Antwerpen“ erhalten. In der frühen Neuzeit wurde er „nicht nur zu einem der Nebenpatrone der Stadt Antwerpen, sondern auch zu einem Apostel der Niederlande.“ Damit trat er neben die Heiligen Eligius und Willibrord, so daß wir einen Verbindungsfaden ins Frühmittelalter knüpfen könnten, wenn wir genügend Zeit hätten. Zwischen Österreich, also Herrn Härtels, Herrn Reicherts sowie Herrn Grünzweigs Heimat, und Magdeburg bestand im 12. Jahrhundert ein sehr enger Zusammenhang, denn der doch wohl bedeutendste der hiesigen Erzbischöfe, nämlich Wichmann (1152–1192), war „der zweite Gründer“ des Klosters Seitenstetten in Niederösterreich. Es sei daran erinnert, daß auch die Stadt Wien, bevor sie ein eigenes Bundesland bildete, in Niederösterreich (oder Österreich unter der Enns) lag. Damit mein Schweifen in der Ferne nicht den Verdacht erweckt, ich würde die Nähe mißachten, sei schließlich erwähnt, daß Leipzig, Frau Bilys und Herrn Eichlers Arbeitsort, bereits zwischen 1161 und 1170 mit dem Magdeburger Stadtrecht bedacht wurde. Indem der Begriff des Magdeburger Rechts fällt, könnten wir die Veranlassung finden, unsere Betrachtungen bis nach Witebsk auszudehnen. Diese Stadt liegt immerhin 1400 km von Magdeburg entfernt, aber nur 475 km von Moskau. Die Selbstzucht
Eröffnungsvortrag
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zwingt mich, die Namen all der Städte zu verschweigen, die längs jener 1400 Kilometer mit dem Magdeburger Recht versehen worden sind. Über Regensburg, Herrn Greules Universitätsort, wäre im gegebenen Zusammenhang auch allerhand erzählen. Ich begnüge mich mit einem einzigen Beispiel: 961 empfing Otto I. dort die Gebeine des heiligen Mauritius, die er feierlich nach Magdeburg geleiten ließ. Als der König 937 hier das Moritzkloster gegründet hatte, mußte er sich mit dem Leib des Innozentius begnügen. Von diesem Blutzeugen aus der Thebaischen Legion hatte man bis dahin wenig gehört. Auf jeden Fall führt die Verehrung dieses Heiligen nach St. Moritz/St. Maurice in der Schweiz, während des 10. Jahrhunderts natürlich ins Königreich Burgund. Ich übergehe die Verbindungen zu den Wirkungsstätten der Sitzungsleiter. Jedenfalls dürfte klar sein, daß gesamteuropäische Bezüge sich aus der mittelalterlichen Geschichte Magdeburgs mühelos ergeben und daß sie nicht an den Haaren herbeigezogen werden müssen. Man wird also sagen können, daß Magdeburg aus einem Lehrstuhl für Geschichte des Mittelalters an ihrer Universität Nutzen zieht, denn er dient dem Ansehen der Stadt. Indem ich das sage, bekenne ich mich zu Goethes Spruch: „Nur die Lumpe sind bescheiden. Brave freuen sich der Tat.“ Die Angelegenheit hat jedoch auch eine ernste Seite: Mit dem Ende dieses Semesters trete ich in den Ruhestand; und mehrere Jahre sah es aus, als ob mein Lehrstuhl ersatzlos wegfallen sollte. Neuerdings haben sich die Dinge jedoch zum Besseren gewendet: Meine Nachfolge ist ausgeschrieben, wenn auch nur als W 2-Professur. Der Wegfall der Mittelalterforschung in Magdeburg wäre nicht nur dem Ansehen der Landeshauptstadt abträglich, sondern auch dem des Landes, denn es bestehen in Sachsen-Anhalt überhaupt nur zwei Mittelalterprofessuren: die meine hier und die in Halle. Hoffen wir also, daß die Vernunft und die Selbstachtung siegen und der Universität Magdeburg die Mittelalterforschung erhalten bleibt! 2007 heißt also das „Jahr der Geisteswissenschaften“. Diese Bezeichnung trägt den Untertitel: „Sprachen des Menschen. Wort – Bild – Gedächtnis.“ In eben diesen Rahmen fügt sich die Überschrift unserer Tagung: „Namen des Frühmittelalters als sprachliche Zeugnisse und als Geschichtsquellen“. Daß die Namen Bestandteile der Sprache sind, wird man nicht bestreiten wollen. Und daß in allen Sprachen der Welt Namen vorkommen, dürfte auch nicht zu bezweifeln sein. Eine andere Frage ist die, ob in allen
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Matthias Springer
Sprachen der Welt die Namen oder wenigstens die Personennamen als eine besondere Wortart vertreten sind. Es können nämlich ganze Sätze als Namen gebraucht werden, zum Beispiel dann, wenn Sie Ihren Sohn „Fürchtegott“ nennen. „Fürchtegott“ ist ein Satz. Damit die anwesenden Linguisten nicht unruhig auf den Stühlen hin und her rutschen, bemerke ich im selben Atemzug, daß Fürchte Gott! nicht nur ein Satz, sondern sogar ein Text ist. Den Nichtlinguisten habe ich zu erläutern, daß der Begriff des Textes hier gleich dem Begriff der obersten sprachlichen Einheit ist, also gleichermaßen Gesprochenes wie Geschriebenes erfaßt. Man könnte die oberste sprachliche Einheit auch mit dem Wort die Äußerung bezeichnen; und das wäre sogar besser, aber es ist nicht üblich. Auf jeden Fall bildet die Namenkunde einen Teil der Sprachwissenschaft. Die Namenkunde ist gewiß derjenige Teil der Sprachwissenschaft, der unter Laien am ehesten Aufmerksamkeit erweckt. Jeder will wissen, was sein Name bedeutet. Jeder will wissen, was der Name seines Wohnorts bedeutet – und so weiter. Nun bildet die Suche nach der ursprünglichen Bedeutung und nach der vormaligen Lautgestalt eines Namens oder sonst eines Wortes, also die Etymologie, ohne Zweifel einen Bestandteil der Namenkunde. Doch beschränkt sich die Namenkunde nicht auf die Etymologie. Zumindest sollte sie es nicht tun. Sei es, wie es sei: Unzweifelhaft entspricht die Beschäftigung mit den Namen den Forderungen des Jahrs der Geisteswissenschaften, die Aufmerksamkeit den Sprachen zuzuwenden. Wie steht es nun mit der Geschichte? Das Wort kommt im Untertitel des Jahrs der Geisteswissenschaften nicht vor. Doch brauchen wir keine Angst zu haben, daß die Geschichte nicht dazu gehöre. Wer sich mit der Vergangenheit beschäftigt, betätigt sich als Historiker – einerlei, ob er sich dessen bewußt ist oder nicht. Nun haben wir gesehen, daß die Etymologie nach vergangenen Formen und Bedeutungen sucht. Zumindest dieser Teil der Sprachwissenschaft – die Etymologie meine ich – ist also zugleich eine geschichtliche Wissenschaft. Im Untertitel des Jahrs der Geisteswissenschaften erscheint auch das Wort Gedächtnis. Was soll das bedeuten? Ist gemeint, daß die Sprache ein Gedächtnis wäre oder ein Gedächtnis enthielte? Oder ist gemeint, daß wir mit Hilfe der Sprache zum Gedenken kommen können, also zu einer Erinnerung? Gehen wir davon aus, daß das letzte gemeint sei. Im Begriff des Gedenkens liegt der Begriff der Vergangenheit beschlossen. Der Zukunft wird man schwerlich gedenken können. Sie dürfte nur zu bedenken sein. Wenn ich vermittels der Sprache zum Gedenken, also zur Erinnerung komme, gelange ich mit Hilfe der Sprache zu einer Kenntnis
Eröffnungsvortrag
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der Vergangenheit. Das heißt, die Sprache bildet eine Geschichtsquelle. Für den Historiker liegt darin nichts Verwunderliches, denn in der Geschichtsforschung gilt der Satz: „Alles ist Quelle“. Die Namen der Vergangenheit bilden jedoch oftmals Quellen besonderer Art. Wir wollen es uns am Beispiel der Elbe veranschaulichen: Der Name des Flusses wird zuerst in der Zeit um Christi Geburt genannt, und zwar von dem griechischen Geographen Strabo. Bevor Schriftwerke an der Elbe selbst geschaffen wurden, sollten noch achthundert oder neunhundert Jahre vergehen. Das heißt, Jahrhunderte bevor ein Land selber Aufzeichnungen hervorbrachte, konnten seine Namen überliefert werden. Es geht aber noch weiter: Der Name Magdeburg kommt zuerst im Jahre 805 vor. Das bedeutet ganz und gar nicht, daß der Name damals erst geschaffen worden wäre. Nach aller Wahrscheinlichkeit konnte er zur Zeit seiner ersten Erwähnung bereits auf ein mehrhundertjähriges Leben zurückblicken. Unsere Erkenntnis läßt sich erweitern: Die meisten der Namen, die in den frühesten Schriftwerken überhaupt erscheinen – ich denke an ägyptische Hieroglyphen oder an Keilschriften – waren zur Zeit ihrer ersten Niederschrift längst in Gebrauch. Die Namen der Vergangenheit gleichen den Funden von Knochen, aus denen die Biologen den Körperbau riesiger, längst ausgestorbener Tiere erschließen. Die Historiker erschließen aus dem Vorkommen bestimmter Namen die Wanderungen ganzer Völker. Ob die biologischen und die geschichtlichen Schlüsse immer fehlerfrei sind, bleibe dahingestellt. Die Auswertung der frühmittelalterlichen Namen setzt das Zusammenwirken von Historikern und Sprachwissenschaftlern voraus. Sie beruht auf einer fächerübergreifenden Zusammenarbeit. Damit sind wir bei einem Schlagwort der gegenwärtigen Wissenschaftspolitik angekommen: der „Transdisziplinarität“. Ich kann das Wort kaum aussprechen. Der wehklagende Ruf nach der Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachgebiete hat etwas Befremdliches. Wie soll die Forschung sonst vorankommen? „Isolieren ist der Tod Wissenschaft“, sagte Eduard Norden, einer meiner geistigen Großväter. Geistige Väter und Großväter kann man in beliebiger Anzahl haben, ohne daß die Sittlichkeit leidet. Die Erwähnung des notwendigen Zusammenwirkens verschiedener Fachgebiete soll mir die Brücke zum letzten Teil meiner Ausführungen bilden. Die Tagung, zu der wir uns zusammengefunden haben, findet ihre geistigen und persönlichen Grundlagen in der der Forschergruppe „Nomen et gens“. Diese Arbeitsgemeinschaft, die immerhin auf ein siebzehnjähriges Dasein zurückblicken kann, beruht eben auf der fächerübergreifenden Zusammenarbeit. Sie vereint Althistoriker und Mittelalterforscher, Germa-
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Matthias Springer
nisten, Romanisten und Slawisten. Es sei nicht verheimlicht, daß diese Arbeitsgemeinschaft zugleich eine menschlich angenehme, ich darf sagen: freundschaftliche Gemeinschaft bildete. Unser Magdeburger Treffen stellt insofern einen Einschnitt dar, als zum letzten Mal die im Dienst befindlichen Professoren die Mehrzahl der Forschergruppe „Nomen et gens“ bilden. In sechs Monaten werden sie in der Minderzahl sein. Die gegenwärtige Tagung wird auch dazu dienen, Grundlagen für die zukünftige Arbeit mit dem Namengut des Mittelalters zu schaffen, und zwar sogar auf einer erweiterten Grundlage. Zum Schluß möchte ich allen danken, die an der Vorbereitung mitgewirkt haben. Ich nenne zuerst meinen verehrten Freund Dieter Geuenich, der die Verbindung mit den ausländischen Partnern hergestellt hat, die seiner Einladung gern gefolgt sind. Zweitens drängt es mich, nachdrücklich hervorzuheben, daß die Zusammenarbeit mit meinem verehrten germanistischen Fachgenossen Professor Albrecht Greule als dem Mitveranstalter der Tagung trotz der großen Entfernung zwischen Regensburg und Magdeburg völlig reibungslos und zeitsparend verlaufen ist. Drittens wende ich mich meiner unmittelbaren Umgebung zu: Meine geschätzte Sekretärin Frau Fischer hat als Leiterin des Organisationsbüros die Zügel ständig fest in der Hand gehalten und vor allem auch die finanziellen Angelegenheiten, die nicht immer ganz leicht zu handhaben sind, mit Umsicht und Geschick geregelt. Im Zusammenhang mit der organisatorischen Vorbereitung muß unbedingt auch der Einsatz meiner wissenschaftlichen Hilfskräfte genannt werden. Nach dem ABC geordnet sind das Herr Anders, Herr Kannmann, Herr Schulze und Herr Stollberg. So möchte ich denn unserer Tagung einen reibungslosen Verlauf und allen Gästen einen angenehmen Aufenthalt in Magdeburg wünschen.
Namen des Frühmittelalters – RGA-E Band 66 – Seiten 9–25 indogermanischem Hintergrund © Copyright Germanische 2009 Walter dePersonennamen Gruyter · Berlinvor · New York
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Germanische Personennamen vor indogermanischem Hintergrund Thorsten Andersson
Einführung Etwas zögernd habe ich die Einladung angenommen, auf dieser Tagung über germanische Personennamen zu sprechen. Dem, was ich schon veröffentlicht habe (Andersson 1990, 1998, 2003, 2005b), habe ich wenig hinzuzufügen. Gelegentlich lässt sich allerdings die Analyse etwas vertiefen. Vor allem sind in der letzten Zeit Beiträge erschienen, die die Stellung der Frau in der nordischen Wikingerzeit in einer Weise beleuchten, die auch für die Personennamenforschung von Gewicht ist. Genderspezifische Fragen spielen in der Anthroponomastik immer eine wesentliche Rolle1, nicht zuletzt in der Beurteilung germanischer Frauennamen. Zunächst möchte ich hier die Gelegenheit wahrnehmen, auf zwei neue nordische Namenbücher hinzuweisen, die die urnordischen Personennamen bzw. die Personennamen der wikingerzeitlichen Runeninschriften behandeln. Diese Namenbücher, die für das Studium des alten nordischen Personennamenschatzes einen enormen Fortschritt bedeuten, sind beide von Lena Peterson, führender nordischer Personennamenforscherin und Runologin, geschaffen worden. Das wikingerzeitliche Lexikon, „Nordiskt runnamnslexikon“, liegt seit dem Jahr 2000 in einer Internetversion vor; eine vierte Auflage ist 2002 zusätzlich als CD-ROM erschienen, und gedruckt liegt die fünfte Auflage seit 2007 vor (Peterson 2002, 2007a). Das Buch enthält die Eigennamen der wikingerzeitlichen nordischen Runeninschriften, und zwar die zahlreichen Personennamen (über 1 500 Namen), die wenigen Ortsnamen (139 Namen) sowie einige Namen mythischer Gestalten, christlicher Zentralgestalten und Heiliger. Das Lexikon der urnordischen Personennamen, „Lexikon över urnordiska personnamn“, liegt seit 2004 vorerst nur im Internet vor (Peterson 1
Grundsätzlich dazu Brylla 2001.
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Thorsten Andersson
2004). Es umfasst die Zeit von Christi Geburt bis ca. 700, also etwas mehr als die Zeit, die wir gewöhnlich „urnordisch“ nennen (ab ca. 200; s. näher Andersson 2005a, 129, 2006, 559 f.). Hauptquellen sind die urnordischen Runeninschriften (96 Namen). Als Ergänzung sind die nordischen Ortsnamen auf -lev (= dt. -leben), die zum großen Teil mit Personennamen zusammengesetzt sind, sowie das altenglische Beowulf-Gedicht, das ja skandinavische Verhältnisse schildert, herangezogen. Die Ortsnamen sind für die Ermittlung alter Personennamen eine unentbehrliche Quelle, wie es Albrecht Greule (1997, 2002) für den Kontinent hervorgehoben hat, und die -lev-Namen bilden einen gelungenen Anfang. Am allerwichtigsten, nicht nur für die nordische, sondern überhaupt für die germanische Forschung ist die Aufarbeitung des Personennamenbestandes der ältesten Runeninschriften, da es sich hier um sehr frühe Originalurkunden handelt. Das Lexikon kann auch als eine bescheidene Ergänzung zum deutschen Projekt „Nomen et gens“ und zum österreichischen Projekt „Studien zur altgermanischen Namenkunde“ (Nedoma 2002) betrachtet werden. In der alten germanischen Gesellschaft herrschte bekanntlich Einnamigkeit. Die Individualnamen konnten wie alle Eigennamen in drei verschiedenen Weisen gebildet werden: durch Proprialisierung vorhandener Wörter, durch Ableitung und durch Zusammensetzung. Die Proprialisierung von Appellativen und Adjektiven dürfte in allen Kulturen die ursprünglichste Art der Personennamenbildung sein. So gebildete Namen machen eine heterogene, zeitlose Gruppe aus, die auf der ganzen Welt Entsprechungen hat. Sie sind etwa mit Beinamen zu vergleichen, die heute noch oft durch Umfunktionierung von Wörtern des normalen Wortschatzes entstehen. Historisch gesehen haben sich ja auch Beinamen nicht selten zu Individualnamen entwickelt (Andersson 2003, 589 f., 604). Urnordische Personennamen, die durch Proprialisierung entstanden sind, sind z. B. die in Runeninschriften belegten Brai&o¯ f. ‚die Breite‘, Hrab–naz m. ‚Rabe‘ und Wakraz m. ‚wacker‘ (vielleicht ursprüngliche Beinamen; Peterson 2004, 7, 11, 18). Morphologisch deutlicher tritt der Charakter eines Eigennamens in Ableitungen hervor, z. B. *Swartingaz m. (Swerting; Beowulf) ‚der Schwarze‘, Waian- m., zu awn. veig f. ‚Kraft‘ (Peterson 2004, 40, 18). Die Bildung von Personennamen durch Proprialisierung ist ursprünglich auch für das Urindogermanische anzunehmen. Allmählich entwickelt sich aber im Indogermanischen der charakteristische Personennamentyp der zweigliedrigen oder dithematischen Namen. Dieser Namentyp, der somit als gemeinindogermanisch zu betrachten ist, ist u. a. für den germanischen Personennamenschatz kennzeichnend. Der zweigliedrige Namentyp, der ursprünglich in den hohen und höchsten Gesellschaftsschichten zu Hause war, sich aber zu immer weite-
Germanische Personennamen vor indogermanischem Hintergrund
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ren Kreisen verbreitete, ist, wie Gottfried Schramm in seiner bahnbrechenden Arbeit „Namenschatz und Dichtersprache“ (1957) gezeigt hat, aus Mannbezeichnungen oder Heldenepitheta der indogermanischen und germanischen Heldendichtung entstanden. Schramm knüpft dabei an eine alte Vorstellung des nahen Zusammenhangs zwischen Dichtung und Personennamen an, die u. a. bei Andreas Heusler (1943, 16 f.) und Edward Schröder (1944, 8) zum Ausdruck kommt. Bekannt ist Schröders Äußerung, dass „der Name selbst ein konzentrierter poetischer Heilwunsch“ sei. Später ist die nahe Verwandtschaft zwischen Dichtung und Personennamen von indogermanistischer Seite nachdrücklich unterstrichen worden (Schmitt 1968a, 5, 1973, 1991). Schramm macht in seiner Untersuchung eingehende Vergleiche sowohl mit der griechischen Dichtung, der Ilias und der Odyssee, als auch mit der germanischen Dichtung, dem Beowulf-Epos und altwestnordischen Preisliedern. Ursprünglich bestehen die zweigliedrigen Namen aus sinnvollen Zusammensetzungen. Diese können aus dem nicht-proprialen Wortschatz übernommen oder neu gebildet sein. Dieselbe poetische Ausdrucksweise kann auch sowohl in Dichtung wie in Personennamen unabhängig voneinander erscheinen. Es kann durchaus ein Zufall sein, dass zwei Namen einer nordischen Häuptlingsfamilie des 7. Jahrhunderts, Hariwulfr und Heruwulf r, in überlieferter germanischer Dichtung Entsprechungen haben, ein dritter Name der Familie, Haquwulfr, dagegen nicht (vgl. Andersson 2003, 592). Die Grundstruktur mit sinnvollen Namen ist dann allmählich durch die Variation der Namenglieder gestört worden. Die sinnvollen Zusammensetzungen werden im Anschluss an Otto Höfler (1954) bekanntlich Primärkombinationen genannt, im Gegensatz zu den nicht-sinnvollen Sekundärkombinationen, z. B. ae. Wulfsta¯ n ‚Wolfstein‘ aus Gliedern der Namen der Eltern, Æthelsta¯ n und Wulfgeva (Höfler 1954, 27, 30). Eine Komplikation dieser Unterscheidung besteht darin, dass auch Variationsnamen durchaus sinnvoll sein können. Das ist z. B. mit den gotischen Fürstennamen Theodericus, Fredericus, Euricus und Alaricus der Fall, deren wörtliche Bedeutung, ‚Volksherrscher‘, ‚Friedensherrscher‘, ‚ewiger Herrscher‘ bzw. ‚Allherrscher‘, zweifellos beabsichtigt war (Andersson 2003, 593, 605). Die Grenze zwischen Primär- und Sekundärkombinationen ist also keinesfalls scharf. Personennamen wie urn. Hrab–naz oder Waian-, die durch Proprialisierung oder Ableitung entstanden sind und die wir als eingliedrig oder monothematisch zusammenfassen können, machen oft einen größeren Anteil des Personennamenschatzes aus als die zweigliedrigen (s. dazu Pulgram 1947, 1960). Unter den von Peterson verzeichneten 96 Personennamen der urnordischen Runeninschriften ist nur etwa ein Drittel zweigliedrig.
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Thorsten Andersson
Die spezifisch indogermanische und germanische Personennamenstruktur kommt aber, wie gesagt, vornehmlich eben in den zweigliedrigen Namen zum Ausdruck2. Die indogermanische zweigliedrige Namenstruktur lebt im Germanischen nur zum Teil weiter. Teils wird dabei die indogermanische Tradition gut bewahrt, teils wird mit ihr aber radikal gebrochen. Die indogermanische Semantik bleibt, die Morphologie nicht.
Semantik: indogermanische Grundzüge Grundlegende semantische Komponenten der indogermanischen Personennamen sind Religion, Kampf und Ruhm sowie Sippengefühl. Die Bedeutung der Religion, d. h. der Beziehung des Menschen zu höheren Mächten, scheint für die Anthroponymie der Welt ein universaler Zug zu sein. Theophore Namen sind für den germanischen Personennamenschatz charakteristisch (Andersson 2003, 594 f., 2005b, 448 ff.). Germ. *ansu- m.3 und *gu&a- n., die häufigsten Bezeichnungen germanischer Gottheiten, kommen als Erstglied zahlreicher Namen vor, z. B. urn. A(n)sugastiz, ogot. Guduin (Zweitglied: ‚Gast‘ bzw. ‚Freund‘). Dazu treten im Nordischen einzelne Götternamen, praktisch nur awn. Freyr und Qórr, als Erstglied auf. Göttinnennamen kommen in dieser Funktion nicht vor, was aber weniger auffällt, da die Erstglieder Frey- und Qór- offensichtlich eine sekundäre Entwicklung darstellen (Andersson 2003, 595, 2005b, 449). In Bezug auf Genderunterschiede ist es wichtiger, auf Personennamen, ursprüngliche Beinamen, hinzuweisen, die die pagane Priesterschaft bezeichnen. Beispiele sind awn. Véseti m., eigentlich ‚einer, der am Heiligtum (vé n.) „sitzt“, d. h. dem Heiligtum vorsteht‘, und – wahrscheinlich – adän. Guthir (awn. *Gu&vér) m., dessen Zweitglied, awn. -vér, -vir, mit got. weiha m. ‚Heiliger, Priester‘ zusammenzuhalten ist (Andersson 2003, 602). Entsprechende feminine Bildungen fehlen, obwohl das Altwestnordische durchaus gy&ja f. ‚Priesterin‘ neben go&i m. ‚Priester‘ (zu go& ‚Gott‘) kennt. Dieser anthroponymische Gegensatz soll aber nicht übertrieben werden. Die Bedeutung der Frau innerhalb der vorchristlichen religiösen Sphäre scheint z. B. durch den Frauennamen awn. Gu&rún hervorzugehen, der sich – als Primärkombination betrachtet – als ‚eine, die die rúnar, d. h. die Geheimnisse oder die geheimen Kenntnisse der Götter, besitzt‘ verstehen lässt (Andersson 2003, 594). 2 3
Zur Terminologie vgl. Andersson 2003, 593 f. mit Hinweisen. Zur Stammbildung s. Bammesberger 1996.
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Das Sippengefühl kommt in den Personennamen in unterschiedlicher Weise zum Ausdruck. Indogermanisches Erbe ist die Variation, durch die die Bindung innerhalb der Familie und der Sippe ausgedrückt wird. Ein Beispiel, ae. Wulfsta¯ n, gebildet aus Gliedern der Namen der Eltern, ist schon genannt worden, ein anderes ist die althochdeutsche Generationsreihe Heribrant, Hiltibrant, Hadubrant (Andersson 2003, 604 f.). Die Variation ist eben eine geniale Erfindung, um mit Hilfe der Namen die Verwandtschaft auszudrücken; Otto Höfler (1954, 26) spricht von Sippenkombination. Beachtenswert ist dabei, dass die Namenglieder der Mütter dieselbe grundlegende Rolle spielen wie die der Väter, was mit der späteren überwältigenden Dominanz der Patronymika den Metronymika gegenüber zu vergleichen ist. Die Variation kann als partielle Nachbenennung aufgefasst werden und wird im Laufe der Zeit weitgehend eben durch Nachbenennung innerhalb der Familie ersetzt. In Skandinavien ist Nachbenennung nach Verwandten in der Wikingerzeit das vorherrschende Namengebungsprinzip. Zusätzlich zu der aus dem Indogermanischen ererbten Variation kann im Germanischen die familiale Bindung auch durch Alliteration ausgedrückt werden. Der Stabreim ist ja eine germanische Neuerung, die die Verlagerung des germanischen Akzentes auf die Stammsilbe voraussetzt. Beispiele sind – mit Variation kombiniert – die drei gerade genannten Namen Heri-, Hilti-, Hadubrant. Während die Religion eine universale Rolle zu spielen scheint, hängt die Bedeutung der Zusammengehörigkeit der Familie von der jeweiligen Gesellschaftsstruktur ab. Die Namenbindung zwischen Generationen ist natürlich für Gesellschaften mit Fokus auf Abstammung, während andere Gesellschaften in den Personennamen stärker die Individualität hervorheben können. Die indogermanische Gesellschaft fokussiert die vertikale Verwandtschaft, wie es die Anthropologen ausdrücken (Andersson 2003, 609). Dass diese Verwandtschaft durch die Anknüpfung der Kinder an ältere Generationen ausgedrückt wird, ist bei uns natürlich, während in anderen Kulturen – in einer kürzeren Zeitperspektive – Benennung nach den eigenen Kindern, d. h. durch Teknonymika (‚NN:s Mutter, Vater‘), üblich ist. Während Religion und Abstammung in der Anthroponymie globale Verbreitung haben, ist die Einrichtung auf Kampf und Ruhm typisch für die indogermanischen und germanischen Personennamen. Als Vergleich sei auf die urfinnische Namenstruktur, so wie sie sich im Ostseefinnischen äußert, hingewiesen. Sie zeichnet sich durch Begriffe wie Liebe, Güte, Freude, Anmut, Schönheit, Hoffnung aus, Begriffe, die im Germanischen vom heroischen und kriegerischen Inhalt der Personennamen überschattet
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werden (Stoebke 1964, 148, Andersson 2003, 610, Saarelma-Maunumaa 2005, 159 f.). Die musterbildenden Heldenepitheta der indogermanischen Personennamen stammen aus der Heldendichtung, z. B. der Ilias und der Odyssee. Den vornehmlichsten Gegenstand der heroischen Dichtung stellen die $, d. h. ‚die Rühme der Männer‘, dar (Schramm 1957, 117 f., Schmitt 1968a, 8, 1968b, 341 f., von See 2006, 14). Griech. « n. ‚Ruhm‘ ist der Kernbegriff der indogermanischen Heldendichtung, und dieses Wort nimmt eine entsprechende Stellung in der indogermanischen Anthroponymie ein. Sowohl Heldendichtung wie Heldennamen sind durch den Wunsch nach « Ν ‚unvergänglicher, unverwelklicher Ruhm‘ gekennzeichnet. Namenbeispiele sind griech. E«/-« (zu « ‚wohlberühmt‘), M«/-« (zu « ‚großer Ruhm‘) und ähnliche vedisch-indoarische Namen. Zu dieser Namengruppe gehört sicherlich auch germ. Hlewa-, u. a. in Hlewagastiz auf dem Horn von Gallehus, das dann in griech. K « eine direkte semantische Entsprechung hat (Andersson 1998, 21 f., 2003, 592). Ein anderes Namenelement mit der Bedeutung ‚Ruhm‘ ist awn. hró&r m., z. B. in urn. *Hro¯ qiwal&az (s. unten). Im Mittelpunkt steht primär der Ruhm, und der Ruhm war in der alten Gesellschaft in erster Linie eben durch kriegerischen Kampf zu erzielen – in dieser Weise haben Achill und Beowulf ihren Ruhm erworben. Ich glaube, man hat etwas zu stark den kriegerischen Charakter germanischer Namen betont. Die Menge von Kampfwörtern, awn. bo˛& f., gunnr f., hildr f., víg n., wahrscheinlich leikr m. (vgl. Sonderegger 1997, 14), und von Waffenbezeichnungen, brandr m. ‚Schwert‘, geirr m. ‚Speer‘ u. a., gibt den germanischen Personennamen ein durchaus kriegerisches Gepräge, aber es ging, so wie ich es sehen möchte, nicht so sehr um den Kampf des Kampfes wegen, sondern um den Kampf des Ruhmes wegen. „Kampfberühmt“ ist ein zentraler Personennamenbegriff in mehreren indogermanischen Sprachen (Naumann 1912, 637, Andersson 1998, 18 f.). Eine gewisse Bestätigung findet diese Auffassung bei einem Vergleich mit den griechischen Personennamen. Auch in diesen sind zwar die kriegerischen Namenglieder hervortretend, aber daneben kommen – in der fortgeschritteneren Zivilisation der Griechen – Glieder vor, die sich ganz allgemein auf Führerschaft und Teilnahme am politischen Leben beziehen. Dies wird sowohl in den frühen Darstellungen von Fick/Bechtel (1894, 13 f.) und Solmsen/Fraenkel (1922, 113 ff., 154) als auch in einem späteren Beitrag von Ernst Pulgram (1947, 201) unterstrichen. Solmsen/Fraenkel (1922, 114 f.) verzeichnen in ihrem bekannten Überblick über verschiedene Sparten des griechischen Personennamenschatzes zunächst eine Gruppe „Mannhaftig-
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keit, Wahrhaftigkeit, Kraft, Mut“, darunter „Ausdrücke für Kampf, Heer, Sieg“, dann aber auch eine Gruppe „Herrschaft und Führung des Volkes in Krieg und Frieden, in Rat und Tat“, z. B. #A « (‚führen‘ + ‚Volk‘), « (‚Volk‘ + ‚Führer‘), K (Zweitglied: ‚waltend‘). Entsprechende Beispiele finden sich nicht so leicht im germanischen Personennamenschatz. Solmsen/Fraenkel (1922, 158) erwähnen zwar neben den charakteristischen germanischen Namen kriegerischen Inhalts auch Namen aus dem Bereich „des Friedenlebens“, die „waltende Tätigkeit des Herrschers, seine Macht, den klugen Rat in der Versammlung“ ausdrücken, aber diese Namen, u. a. solche auf dt. -rat, -wald, sind allgemeinerer Art als die genannten griechischen. Was die Häufigkeit betrifft, mag dazu noch erwähnt werden, dass der Personennamenschatz der urnordischen Runeninschriften neben zahlreichen kriegerischen Namen nur ein paar Beispiele auf -ra¯ &az, -wal&az enthält: Frawara¯ &az, Haira¯ &az, *Hro¯ qiwal&az (Peterson 2004, 8, 9, 12; für *Hro¯ qi- vgl. oben). Wir stoßen hier auf semantische Probleme der vergleichenden indogermanischen Personennamenforschung, die durch Vertreter der verschiedenen Philologien noch näher zu untersuchen und durch Indogermanisten vergleichend zu studieren wären (Andersson 1998, 18 f.). Der kriegerische Zug, der für germanische Männernamen charakteristisch ist, ist auch für germanische Frauennamen kennzeichnend, allerdings mit der schon von Edward Schröder (1944, 10) bemerkten Einschränkung, dass Waffenbezeichnungen als Zweitglied in Frauennamen fehlen. Die Beurteilung der Frauennamen kriegerischen Inhalts gehört zu den interessantesten, gleichzeitig aber auch schwierigsten Fragen germanischer Personennamenforschung. Ehe wir uns ihnen zuwenden, ist es nötig, einen Blick auf die Morphologie indogermanischer und germanischer Personennamen zu werfen.
Morphologie In Personennamen, die durch Proprialisierung entstanden sind, stimmen normalerweise Geschlecht und Genus überein: feminine Substantive werden als Frauennamen, maskuline als Männernamen gebraucht, und von Adjektiven werden je nach Geschlecht verschiedene Flexionsformen benutzt. Urnordische Beispiele dieser normalen Verteilung sind schon genannt worden, der Frauenname Brai&o¯ , die Männernamen Hrab–naz und Wakraz. Dieselbe Struktur eingliedriger Namen finden wir im Griechischen. Zu Tier- und Pflanzenbezeichnungen gehören z. B. Frauennamen wie M ‚Myrte‘, ‚Löwin‘ und Männernamen wie 5A «
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‚Weinstock‘, ‚Löwe‘. Auf Abstrakta gehen Frauennamen wie ! ‚Nachdenken‘ zurück, während Männernamen wie K « ‚Herrscher‘ Standesbezeichnungen als Ursprung haben (Solmsen/Fraenkel 1922, 133 f.; s. weiter Fick/Bechtel 1894, 314 ff.). Diese natürliche Verteilung maskuliner und femininer Wörter ist bekanntlich auch für die Zweitglieder germanischer zweigliedriger Personennamen kennzeichnend. Neben Männernamen wie awn. Gu&brandr, Vígleikr (s. oben), Qorsteinn (steinn m. ‚Stein‘) stehen Frauennamen wie Hildigunnr, Gunnhildr, Gu&rún (s. oben). Edward Schröder (1944, 5 f., 22 ff.) betrachtete diese Verteilung als ursprünglich, was sich als unhaltbar herausgestellt hat. Nach Gottfried Schramms überzeugender Darstellung (s. oben) wurden die indogermanischen zweigliedrigen Frauennamen ursprünglich durch Movierung entsprechender Männernamen oder Zweitglieder gebildet, und zwar durch o¯ - bzw. ¯ı-/io¯ -Stammbildung (vgl. Sonderegger 1997, 17 f.). Griechische Beispiele sind #A! zu #A «, - (< *-j), z. B. in #I , zu -« ‚geboren‘ (Andersson 2003, 596). Alexandra hat dann etwa die Bedeutung ‚mit dem heldenhaften Männernamen Alexander zusammengehörig‘. Deutlicher kann die Abhängigkeit der Frau vom Mann kaum ausgedrückt werden. Diese Bildung von Frauennamen spiegelt gut die Welt der Ilias wider, in der die Männer Helden sind und die Frauen vor allem als Kriegsbeute dienen, darunter Helena und auch Briseis, um die sich Achill und Agamemnon streiten. Reste der indogermanischen Art der Bildung von Frauennamen durch Movierung kommen im Altnordischen vor, was aber Schröder (1944, 6) nicht gebührend berücksichtigte. Awn. -laug f. und -leif f. betrachtet Schramm als feminine Movierungen, germ. *-lauo¯ zu *-lauaz (zu got. liugan ‚heiraten‘, eigentlich ‚eine eidliche Verbindung eingehen‘) bzw. germ. *-laib–o¯ zu *-laib–az ‚Nachkomme, Spross‘. Wichtig aus indogermanischer Sicht sind besonders die ¯ı-/io¯ -Movierungen awn. -elfr f. zu -alfr m. ‚Elf (Naturgeist)‘, -ger&r f. zu -gar&r m., eigentlich ‚Zaun‘, von Schramm als Fürstenmetapher aufgefasst (Andersson 2003, 596 mit Hinweisen). Die im Germanischen vorherrschende Verteilung der Zweitglieder zweigliedriger Personennamen ist als morphologische Neuerung zu betrachten. Vom Gesichtspunkt der Gleichstellung zwischen Frau und Mann aus betrachtet, kann dies als ein Fortschritt angesehen werden, der allerdings dadurch relativiert wird, dass sich im Germanischen eine neue Art femininer Movierung, nämlich durch schwache Flexion, einbürgert, z. B. urn. Ailamundo¯ zu *Ailamunduz (-mundaz?), Finno¯ zu awn. Finnr (zu finnr m. ‚Same; Finne‘; Peterson 2004, 5, 7, 2007b). Auf jeden Fall hat man in unserer Kultur zu allen Zeiten Frauen- und Männernamen unterscheiden wollen; geschlechtsneutrale Personennamen,
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z. B. dt. Eike, Friedel, Kirsten, Toni, sind Ausnahmen. Ein Vorschlag der schwedischen politischen Partei „Feministiskt initiativ“ (FI), die Grenze zwischen Frauen- und Männernamen aufzuheben (För en feministisk politik, Punkt C 28), so dass Männer Lena und Frauen Thorsten heißen könnten, hat außerhalb der Partei wenig Anklang gefunden4. Hier geht es, um zum Hauptthema zurückzukehren, jetzt um die ältere, aus dem Indogermanischen ererbte feminine Movierung von Männernamen und deren Zweitgliedern. Die in nordischen Runeninschriften der Wikingerzeit häufig vorkommenden Namenglieder -ælfr und -gær&r (Peterson 2007a, 101, 263) bekunden diese ältere Struktur.
Semantik: germanische Frauennamen Der hier kurz umrissene morphologische Hintergrund ist für die Beurteilung germanischer Frauennamen von großem Gewicht. Zur Erklärung des auch für die Frauennamen kennzeichnenden kriegerischen Inhalts sind verschiedene Antworten gegeben worden. Karl Müllenhoff zögert nicht. In jenem bekannten Aufsatz von 1852, in dem er sich über die mangelnde Kompetenz des Herrn Förstemann beklagt, dessen Sammlung altdeutscher Personennamen gerade vorlag, betrachtet er die Namen aus dem Blickwinkel des Heldentums. Am einfachsten sind dabei die kriegerischen Männernamen zu verstehen: „Das Ideal des Mannes war der Held.“ Die Frauennamen bereiten ihm auch keine Schwierigkeiten: „Das Ideal des Weibes aber ist in der Mythologie in den göttlichen oder halbgöttlichen Schlacht- und Schicksalsjungfrauen ausgebildet“. Das Heldenideal sei dasselbe, für Männer in der realen, für Frauen in der mythischen Welt zu verwirklichen, und dieses Ideal komme auch in den Frauennamen zum Ausdruck, so dass „wir bei jedem der valkyrischen Natur des Weibes wenigstens eingedenk sein müssen“ (Müllenhoff 1852, 44). Ähnliche Gesichtspunkte sind später mehrmals geäußert worden. Dieses Idealbild der germanischen Frau konnte natürlich nicht unwidersprochen bleiben. Wichtig ist es, zunächst mit Friedrich Kluge (1920, 262) und Anton Scherer (1953) festzuhalten, dass die zweigliedrigen Frauennamen keinesfalls durchgehend kriegerisch sind. Scherer (1953, 21, 29) lenkt vor allem die Aufmerksamkeit auf Zweitglieder wie ahd. -fla¯ t f. ‚Schönheit‘, awn. -frí&r ‚schön‘, frk. -swinda ‚stark‘. Die repräsentativsten 4
Eine mit den geschlechtsspezifischen Vornamen zusammenhängende Spezialfrage ist in den letzten Jahren im schwedischen Reichstag diskutiert worden. Es handelt sich um die Möglichkeit transsexueller Personen, den Vornamen zu wechseln. (Entzenberg 2006, 44 f.)
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Frauennamen sieht Scherer (1953, 25) in eingliedrigen Namen wie ahd. Bl¯ıda ‚die Fröhliche‘, Holda ‚die Holde‘, Liuba ‚die Angenehme, Liebe‘, Staracha ‚die Starke‘, Triuwa ‚die Treue‘. Namen dieser Art zeugen seiner Meinung nach von wahren weiblichen Idealen, „von Idealen, denen wir durchaus Verständnis entgegenbringen können“. Solche Namen, heißt es, „reden von Liebenswürdigkeit und Anstand, von Frohsinn und Klugheit, von Schönheit und Kraft, von Adel und Treue“ (Scherer 1953, 26). Es handelt sich hier in der Tat um einen Typ von Frauennamen, der über die Welt weit verbreitet ist und offensichtlich einen universalen Zug bildet. Es ist aber zu bemerken, dass Scherer neben Liebenswürdigkeit und Schönheit ausdrücklich auch Kraft betont. Die von Scherer hervorgehobene – an sich natürliche – Modifizierung ist wichtig. Andererseits bilden die kriegerischen Frauennamen zweifellos eine charakteristische Gruppe, was eine Erklärung erfordert. Scherer möchte das Kriegerische im Frauennamenschatz als eine Folge der Namenvariation innerhalb der Familie sehen. Aus den Namen der Väter und Großväter seien Erstglieder kriegerischen Inhalts in die Frauennamen integriert worden. Die Variation spielt zweifellos für die starke Übereinstimmung zwischen Frauen- und Männernamen eine wichtige Rolle, genügt aber nicht als Erklärung. Gegen diese Annahme spricht vor allem, dass die beiden beliebtesten Zweitglieder germanischer Frauennamen, awn. -gunnr und -hildr (germ. *-gunq¯ı, *-hil&¯ı < *-hel&-), die beide ‚Kampf ‘ bedeuten, unerklärt bleiben (Andersson 2003, 596 f.). Den richtigen Weg zur Erklärung der kriegerischen Frauennamen hat Gottfried Schramm mit seinem Hinweis auf die indogermanische Sitte der Movierung gezeigt, aber auch ihm bereiten, wie ich anderswo näher ausgeführt habe, eben die beiden genannten femininen Zweitglieder, awn. gunnr und hildr, große Schwierigkeiten. Sie lassen sich nämlich nicht als feminine Movierungen erklären. Wir können meines Erachtens nicht umhin, im Anschluss an Müllenhoff und seine Nachfolger, die Walküren, in der altwestnordischen Überlieferung eben mit Namen wie Gunnr und Hildr5, heranzuziehen, und zwar dürfte die Walkürenvorstellung nicht, wie Schramm meint, erst als sekundäre Stütze gewisser Namen dienen, sondern zusammen mit der Movierung eben die Grundlage germanischer Frauennamen kriegerischen Inhalts bilden (Andersson 1990, 1998, 26 ff., 2003, 597). Diese Auffassung wirft mehrere Fragen auf, die auch in der Frauenforschung der letzten Zeit aufgegriffen wurden. 5
Vgl. den Göttinnennamen Sinthgunt im zweiten Merseburger Zauberspruch; dieser „Name mutet wie ein Walkürenname an und könnte vielleicht als späte Mythologisierung aufzufassen sein“ (Lundgreen 2001, 602).
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Zunächst ist die Frage zu stellen, ob die kämpfenden germanischen Frauengestalten nur in der Mythologie zu finden sind. Tacitus erwähnt in seiner Germania (Kap. 18), dass Frauen am Kampf teilnehmen, und diese Auskunft ist von verschiedenen Seiten durchaus ernst genommen worden. In einem auf Genderfragen eingerichteten Symposium 2006 zieht eine Forscherin, Lydia Klos (2006), neben Erzählungen von Schildmaiden (awn. skjaldmeyjar)6 u. a. die – allerdings seltenen – Frauengräber mit Waffenfunden als Stütze dafür heran, dass Frauen, deren Hetzen (awn. hvo˛t f.) zum Kampf wir durch die Literatur gut kennen, auch als Kriegerinnen mitkämpfen konnten7. Es ist wohl die Frage, in welchem Umfang damit zu rechnen ist. Hauptsächlich sind die kämpfenden Frauen zweifellos in Dichtung und Walkürenmythen zu Hause. Müllenhoff spricht um die Mitte des 19. Jahrhunderts von „Schlachtund Schicksalsjungfrauen“ und von „der valkyrischen Natur des Weibes“. In der deutschen wissenschaftlichen Literatur ist oft die Rede von Schlachthelferinnen. Die Walküren kennen wir aus der nordischen Mythologie vor allem als die Dienerinnen Odins, die in seinem Auftrag die zu fallenden Kämpfer auswählen und sie dann in Walhall bewirten. Am ehesten liegt hier eine Entwicklung vor: Mythische Wesen, die am Kampf teilnehmen und dabei die Toten (awn. valr m.) auswählen (so die Etymologie), treten in den Dienst Odins. Die Geschichte des Wortes awn. valkyrja f., das im Altenglischen eine Entsprechung, wælcyrge, hat, ist aber noch nicht genügend klargelegt (Andersson 1998, 26 ff., Zimmermann 2007; vgl. Zimmermann 2006). Wie können die Schlachthelferinnen die Struktur der germanischen Frauennamen mit beeinflusst haben? Ist die hier zugrunde liegende Mentalität zu erfassen? Für Müllenhoff war es einfach. Das Heldenideal sei für Männer und Frauen ein und dasselbe, mit entsprechenden Männer- wie Frauennamen als Folge. Auf einer abstrakteren, nicht unbedingt auf Waffenkampf bezogenen Ebene verkörpern die Schlachthelferinnen Mut, Tatkraft und Stärke – awn. Qrú&r (zu qrú&r f. ‚Kraft‘) ist eben als Walkürenname bezeugt. Auch Scherer, dem das Walkürenhafte an Frauen missfällt, betont, wie gesagt, neben Liebenswürdigkeit und Schönheit auch Kraft als eine wichtige semantische Komponente germanischer Frauennamen.
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Zur Vorstellung von Schildmaiden s. Ney 2004. Über Gräber mit bewaffneten Frauen s. weiter Steuer 2007, 197, 205. Über solche Gräber im skythischen Raum, die die antiken Amazonenmythen beeinflusst haben, s. Wenskus 1999a, 1999b. Diese Hinweise verdanke ich Prof. Dr. Dieter Geuenich, Duisburg-Essen, bzw. Prof. Dr. Helmut Castritius, Darmstadt.
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Mut, Stärke und Tatkraft sind durchaus weibliche Eigenschaften, die in unsere heutige Vorstellungswelt gut hineinpassen. Es ist somit logisch, dass die kriegerischen Frauennamen jetzt, mit feministischem Vorzeichen, wieder analysiert werden. Einen Anfang – denn auf Fortsetzung ist zu hoffen – bildet ein Aufsatz der norwegischen Forscherin Else Mundal (2002). Ihr Fach ist „norrøn filologi“, und sie hat sich in mehreren Beiträgen mit der Stellung der Frau in der altwestnordischen Gesellschaft eingehend beschäftigt (u. a. Mundal 1998, 1999, 2001). Im Anschluss daran analysiert sie das Verhältnis zwischen den kriegerischen Frauennamen und der Einstellung der Frauen zum bekannten Heldenideal. Sie findet die Anknüpfung an die Walkürenvorstellungen überzeugend, möchte aber die Walküren als Symbol eines Frauenideals sehen, das weitgehend mit dem Männerideal identisch sei (Mundal 2002, 131). Sie macht in ihrer Argumentation auf den wichtigen Gegensatz zwischen Rollen einerseits sowie Charakter und Eigenschaften andererseits aufmerksam. Die Geschlechterrollen sind durchaus verschieden, wie uns aus den Sagas wohlbekannt ist. Die männliche Rolle ist strikt definiert, was nicht zuletzt durch das Abweichen von ihr, durch ergi, hervortritt. Das altwestnordische Adjektiv argr, zu dem das Substantiv ergi f. gebildet ist, kann zusammenfassend als ‚unmännlich‘ wiedergegeben werden. Dazu zählte u. a. die in der Heldenideologie besonders auffallende Feigheit. Der Waffenkampf war eine Aufgabe der Männer, damals wie ja auch – vorwiegend – heute. Die Beteiligung der Frauen kam, so wie es in den Sagas dargestellt wird, oft in ihrem Hetzen zum Ausdruck (s. oben), und die Rolle der Frau als Hetzerin betrachtet Mundal (1994, 1999, 70 f.) ebenso wie der norwegische Historiker Sverre Bagge (1997, 178 ff.) als durchaus historisch. Die Rollen der Frauen und Männer waren verschieden, nicht aber die Wertung der weiblichen und männlichen Charakterzüge, stellt Mundal fest, und damit liege auch kein Hindernis einer gemeinsamen Heldenideologie für Frauen und Männer vor. Mundal fasst zusammen (in Übersetzung): „Mann und Frau in der altwestnordischen Gesellschaft teilten die kriegerische Ehrenkultur.“8 Vor diesem Hintergrund erscheint die Kombination von Kämpfern der realen Welt und Kämpferinnen der mythischen Welt ganz natürlich. Die ausführliche Analyse Mundals beinhaltet eine willkommene Vertiefung der Bedeutung der Walkürenvorstellungen für die Frauennamen. Ihre Auffassung und die 150 Jahre ältere, kurz gehaltene Feststellung von Müllenhoff stimmen, trotz verschiedener Vorzeichen, erstaunlich gut miteinander 8
Mundal 2002, 131: „Mann og kvinne i det norrøne samfunnet delte den krigerske æreskulturen.“
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überein. Frauen und Männer gehören einer auf Heldentum eingerichteten Gesellschaft an, die im Grunde dasselbe Idealbild für beide Geschlechter aufstellt. Kein Wunder dann, dass die Frauen- und Männernamen so ähnlich sind. Den Ausgangspunkt dieser Übereinstimmung bildet allerdings die indogermanische feminine Movierung. Die durch die Walkürenvorstellungen zum Ausdruck kommende Weltanschauung bestimmt die kriegerische Komponente der Frauennamen mit, die auch durch die Variation gestützt wird. So ließe sich wohl der Ursprung der germanischen Frauennamen kriegerischen Inhalts zusammenfassen. Der nahe Zusammenhang zwischen Dichtung und Personennamen sollte auch noch einmal betont werden; er ist grundlegend sowohl für Männer- wie für Frauennamen. Die Helden der Dichtung ebenso wie die des Personennamenschatzes sind Krieger, Kämpfer. Wären sie Bauern oder Gelehrte gewesen, hätte der Namenschatz anders ausgesehen.
Ausblick Mit meinen Ausführungen habe ich versucht, die Grundrisse des alten germanischen Personennamenschatzes zu zeichnen. Die weitere Entwicklung in den verschiedenen gentes und regna wird für das Kontinentalgermanische im groß angelegten Projekt „Nomen et gens“ eingehend analysiert. Dieses Projekt hat schon wesentliche Ergebnisse erbracht, und das ist nur ein Anfang. Ähnliche Studien der englischen und der nordischen Personennamen wären sehr zu begrüßen (vgl. Andersson 2002). Um die alte germanische Personennamenstruktur besser zu verstehen, gibt es mehrere Desiderate. Vor dem indogermanischen Hintergrund wäre ein Vergleich mit der Namenstruktur anderer indogermanischer Sprachfamilien wünschenswert. Die Rolle der heldenhaften, kriegerischen Namen, die für die germanischen Personennamen so charakteristisch ist, ließe sich dann sicherer beurteilen. Im nächsten Schritt wäre ein Vergleich mit Anthroponymien anderer Sprachfamilien und Kulturen zu begrüßen. Durch solche, kontrastierende Vergleiche würden die germanische Namenstruktur und die sich in ihr widerspiegelnde Mentalität noch deutlicher hervortreten. Besondere Aufmerksamkeit erfordern die germanischen Frauennamen. Für ein besseres Verständnis des auch ihnen eigenen kriegerischen Charakters wären weitere Untersuchungen erforderlich. Die Vorstufen des Walkürenbildes der altwestnordischen Literatur müssten sicherer ermittelt werden, und im Anschluss daran wäre der Stellung der Frau in verschiedenen altgermanischen Gesellschaften näher nachzugehen.
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Es fehlt nicht an Aufgaben für die zukünftige germanische Personennamenforschung. Die von Else Mundal eingeleitete Analyse der Beziehung zwischen Personennamen und Gesellschaft pocht auf Fortsetzungen. Hier liegt eine Herausforderung vor, der die Frauenforschung von heute wohl nicht ausweichen kann.
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Namen des Frühmittelalters – RGA-E Band 66 – Seiten 27–42 Kontinentalgermanische in England in altenglischer Zeit © Copyright 2009 Walter de GruyterPersonennamen · Berlin · New York
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Kontinentalgermanische Personennamen in England in altenglischer Zeit John Insley
Während es viele Fortschritte in mehreren Aspekten altenglischer Personennamenkunde gegeben hat – man denke besonders an das skandinavische Element oder an späte Texte wie das Domesday Book – bleibt die Untersuchung der kontinentalgermanischen Personennamen des Altenglischen unterentwickelt. Das grundlegende Werk zu diesem Thema ist immer noch Thorvald Forssners Uppsala-Dissertation von 1916, ein Buch, das nach wie vor verwendet werden muss. Dazu kommen eine Ergänzung, die Olof von Feilitzen für die Smith-Festschrift 1963 schrieb, und die Untersuchung von Feilitzen und Blunt über die Namen der Münzmeister König Edgars, die 1971 in der Whitelock-Festschrift erschien. Die Forschung hat sich auf die frühmittelenglische Zeit konzentriert. Dies ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass unvergleichbar mehr Material aus dieser Zeit zur Verfügung steht. Forssner bezeichnete die Namen als „Old German“, was eine eher unglückliche Formulierung ist, da sie die dialektale Gliederung verschleiert. Ihm war bekannt, dass das Material heterogen ist, und er bedauerte die Abwesenheit eines Kompendiums der germanischen Personennamen auf dem Gebiet der Romania1. Deshalb war er auf Förstemann (1900) angewiesen, obwohl er versuchte, wo immer es möglich war, Förstemanns Angaben in Einklang mit den romanischen Formen zu bringen. Auf der lexikalischen Ebene ist die Identifizierung kontinentalgermanischer Namen in England relativ einfach. Es gibt Namenelemente wie Agin-, Amal-, Brand-, Erl-, Gôz-, Îsen-, Ôd-, Odel- und Thank-2, die im Altenglischen nicht vorhanden sind, sowie charakteristische Kurznamen wie Drogo3, Fulco4 und Wido5. Auf der morphologischen Ebene finden wir Suf-
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Forssner 1916, S. vi–vii. Vgl. Forssner 1916, S. 273–278. Forssner 1916, S. 60–61. Forssner 1916, S. 98. Forssner 1916, S. 254.
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fixbildungen, wie in Hamelin6 und Tezelin7 oder Derekin8 und Tepekin9. Hier habe ich natürlich weitgehend Material aus der Zeit nach 1066 verwendet, da dieses unvergleichbar umfangreicher ist als das Material aus der angelsächsischen Zeit. Das Problem der dialektalen Gliederung ist das gleiche, und nach der Eroberung hat man die Komplikation, dass die Namen in lateinischen Texten eingebettet sind und dass normalisierte latinisierte Formen die volkssprachlichen Varianten verdecken, so z. B. Amalricus für altfranzösisch Amauri10 und Willelmus für altnordfranzösisch Williaume11. In England gibt es nach der Eroberung einige Fälle, wo es nicht möglich ist, kontinentalgermanische Personennamen von altenglischen oder altnordischen Personennamen zu unterscheiden. Formal könnte die Form Osbertus für den ae. Personennamen O¯sbe(o)rht stehen, aber Osbertus ist recht häufig in der Normandie, wo der Name entweder eine Entlehnung aus England in der Zeit vor 1066 war oder – was wahrscheinlicher ist – ein Relikt früherer Siedlungen aus dem ingwäonischen Raum, vgl. altsächsisch Ôsberht12. Oft muss der Kontext entscheiden. Einer der Münzmeister König Eadreds (946–955) hieß Hildvlf 13. Diese Form kann sowohl dem ostnordischen Hildulf entsprechen als auch dem westfränkischen Hildulfus. Eine weitere Möglichkeit wäre ae. Hildewulf. Andererseits ist der Name des Münzmeisters Hildvlf, Hildolf, der in York zur Zeit Æthelreds II. und Knuts tätig war, aller Wahrscheinlichkeit nach skandinavisch14. Der altnordische Personenname Hróaldr erscheint sporadisch in altenglischen Quellen als Hrowald, Rold, Roold usw.15. Es gibt jedoch einen kontinentalen Namen Roald, eine romanische Form des fränkischen Hrôd–owald (< *Hro¯ qa-walda-). Dieser Name war recht beliebt bei den Bretonen, und in England findet man nach der Eroberung Bretonen, die der feudalen Aristokratie angehören und diesen Namen tragen, z. B. Roaldus constabularius, erblicher Konstabler der bretonischen Grafen von Richmond in Yorkshire Anfang des 12. Jahrhunderts. Dieser Roaldus war sicherlich Bretone. Sein Vater hieß Harscod (altbretonisch Hoiarnscoit16) und sein Sohn Alan17. Außerhalb dieser feuda6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
Forssner 1916, S. 142. Forssner 1916, S. 229. Insley 1993, S. 59. Feilitzen 1937, S. 383. Forssner 1916, S. 25–26. Vgl. Forssner 1916, S. 255–257. Vgl. Feilitzen 1937, S. 338. Vgl. Feilitzen/Blunt 1971, S. 198; Blunt/Stewart/Lyon 1989, S. 298. Smart 1973, S. 226. Vgl. Björkman 1910, S. 69; Fellows Jensen 1968, S. 219–221. Jackson 1967, S. 211–212 (§ 292). Vgl. Clay 1936, S. 89–95.
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len Schicht gibt es allerdings keinen Grund zu zweifeln, dass Roaldus skandinavischen Ursprungs ist, z. B. kann der Roaldus, der ca. 1210 ein toftum und ein croftum in Lea in Lancashire besaß18, kaum Mitglied der feudalen Aristokratie gewesen sein, und man kann davon ausgehen, dass sein Name ein Reflex des skandinavischen Hróaldr war. Feilitzen war bewusst, dass das Bestimmen der dialektalen Provenienz kontinentalgermanischer Personennamen äußerst schwierig ist. Insbesonders sah er den Mangel an Vergleichsmaterial aus Frankreich als ein schwieriges Problem. 1963 schrieb er: On the whole, however, collections like these that deal with specific areas on the Continent are disappointingly few. This is particularly true of France where the works of Drevin, Michaëlsson and Jacobsson cover only a small part of the field, geographically and chronologically. Hence the assignment of the supposed Continental etyma of ME names to their precise area of origin or dialect is often impossible, and it is inevitable that the majority of parent forms adduced should be described rather vaguely as Old German (OG). However, there can be no doubt that the Low German element was very important. A few name bearers are explicitly described as Flemings or Saxons (cf. Ailbodo, Thiedlef) and some themes, such as -l¯ef (see Brunlef) and Su¯ th- (see Sudhard), point distinctively to that provenance19.
Feilitzen konnte sich auf die Arbeiten von Mansion (1924) über Gent, von Schlaug über die altsächsischen Namen (1955, 1962) und von Bohn (1931) über die Personennamen der Werdener Urbare stützen. Er hätte auch die Urkundensammlung von Koch und Gysseling (1950) als Quelle für Namen aus dem Altniederfränkischen verwenden können. Inzwischen ist der Forschungsstand etwas besser. Mansions Arbeit über Gent (1924) wird von Tavernier-Vereecken (1968) fortgesetzt, und das Werden-Material wurde von Heinrich Tiefenbach in einer Reihe von Aufsätzen weiter bearbeitet (vgl. Tiefenbach 1997, 2002). Die Lage für das Westfränkische ist immer noch problematisch, obwohl eine Reihe von Textausgaben, wie diejenigen von Devroey (Polyptychon von Reims) oder Hägermann (Polyptychon von Saint-Germain-des-Prés), hilfreich sind. In einem Aufsatz über die Namen der Münzmeister König Edgars schrieb Feilitzen 1971: „On general historical grounds it seems reasonable to assume that many of them [i.e. Continental Germanic personal names] are Old Low German, more specifically Old Saxon or Old Flemish (Old Low Franconian), whereas others are undoubtedly of West Frankish origin“20. Dies, scheint mir, ist ein vernünftiger Ausgangspunkt.
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Lumby 1936, S. 24 (no. 75 = Lancashire Record Office, Preston, DDHo H 408). Feilitzen 1963, S. 47. Feilitzen/Blunt 1971, S. 208.
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Als Hauptquelle für kontinentalgermanische Personennamen in England in altenglischer Zeit werden die Namen spätaltenglischer Münzmeister dienen. In der sogenannten „St. Edmund Memorial Coinage“ (ca. 895–915)21, die im südlichen Teil des Danelaws geprägt wurde, sind Münzmeister mit kontinentalgermanischen Namen wie Gvndbert 22, Wandefred 23 und Vvidbald 24 belegt, aber die Münzinschriften dieser Gruppe sind manchmal fehlerhaft25, und weitere Forschung scheint angebracht. Die Lage ist besser, wenn wir uns die Namen der Münzmeister der westsächsischen Könige im 10. Jahrhundert anschauen, und hier habe ich die kontinentalgermanischen Namen der Zeit Athelstans (924–939) und Edgars (959–975) untersucht. Dies lässt sich machen, da wir die Studie Blunts (1974) über die Münzen Athelstans haben und den vorbildlichen Aufsatz von Feilitzen und Blunt (1971) über die Namen der Münzmeister Edgars. Die Münzmeister Athelstans mit kontinentalgermanischen Namen sind wie folgt: Abonel 26, Abun 27, Abbon 28, Adelbert 29, Amelric 30, Arnvlf 31, Bald(e)ric 32, Baldwin 33, Beorard 34, Beorger 35, Berngar 36, Efrard 37, Folcred 38, Fredard 39, Frotger 40, Fvlrad 41, Gislemer 42, Godfred 43, Gvntere 44, Harger 45, Hildebert 46, Hldvlf 47, 21 22 23 24 25
26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47
Vgl. Smart 1985. Smart 1985, S. 85. Smart 1985, S. 87. Ebd. Beispielhaft ist die Form Pancrad (Blunt/Stewart/Lyon 1989, S. 304), die sicherlich für Qancrad ), der interessante Hybridbildung ist deg(e)nwine Name eines Münzmeisters aus Exeter unter Cnut und Harthacnut178. Das zweite Glied ist ae. -wine, und zweifellos ist der Name eine Hybridbildung, die in England entstanden ist. Eine Parallele wäre der feminine Personenname Thanggeoue < niederdtsch. Thank- und ae. *-geofu, der im DurhamLiber Vitae vorkommt179. Vom Standpunkt der Wortbildung her ist der englische Name Qeg(e)nwine identisch mit kontinentalen Bildungen des Typs Theganhard, Theganrâd. Als zweites Glied kommt -qeg(e)n im Altenglischen vor, vgl. die northumbrischen Namen E¯at&egn (= E¯ad&egn), Cyni&egn, Le¯of&egn, Til&egn, Wil&egn. Als zweites Glied ist -thegan im Althochdeutschen belegt. In Skandinavien ist der Typ lediglich durch an. Farqegn, ODan Farthin, OSwed Farqiægn vertreten. Man muss wohl jeden Namen einzeln betrachten und mit den festländischen Belegen räumlich und chronologisch vergleichen. Dies ist sehr mühsam, und die Ergebnisse werden nicht immer klare Antworten geben. Die kontinentalgermanischen Münzmeisternamen des 10. Jahrhunderts scheinen überwiegend westfränkischen Ursprungs zu sein, und die romanischen Formen werfen Fragen des Sprachkontaktes auf, die untersucht wer167 168 169 170 171 172 173 174 175 176 177 178 179
Autenrieth/Geuenich/Schmid 1979, S. 155 [th 25]. Autenrieth/Geuenich/Schmid 1979, S. 155 [th 28]. Autenrieth/Geuenich/Schmid 1979, S. 155 [th 30]. Autenrieth/Geuenich/Schmid 1979, S. 155 [th 33]. Autenrieth/Geuenich/Schmid 1979, S. 155 [th 24]. Schlaug 1962, S. 159. Tavernier-Vereecken 1968, S. 35. Ebd. S. 44. Ebd. Ebd. S. 74. Vgl. Feilitzen 1963, S. 57–58. Smart 1987b, S. 302. Rollason/Rollason 2007, II, S. 75 [A.2.304].
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den sollten, obwohl das Risiko bleibt, dass die Ergebnisse recht mager ausfallen könnten. Es ist leichter, wenn wir uns mit Anzeichen der Anglisierung befassen. Die Namen erlauben uns Vermutungen, aber die Abwesenheit von zeitgenössischen Berichten über die Sprache von Münzmeistern bedeutet, dass wir nicht über die Interpretation der Formen als linguistische Zeichen hinausgehen können.
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Namen des Frühmittelalters – RGA-E Band 66 – Seiten 43–120 und · Namen in Afrika © Copyright 2009 WalterSprache de Gruyter Berlin · der NewWandalen York
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Sprache und Namen der Wandalen in Afrika Hermann Reichert
Vorliegende Arbeit ist eine stark erweiterte Fassung meines Beitrags für die Edition des Pseudo-Augustinus „Collatio Aurelii Augustini cum Pascentio Arriano“ (hg. Müller / Weber / Weidmann 2008 [8]). Si enim licet dicere non solum barbaris lingua sua, sed etiam Romanis ‚Froia arme‘ quod interpretatur ‚Domine miserere‘, cur non liceret in conciliis patrum in ipsa terra Graecorum, unde ubique destinata est fides, lingua propria homousion confiteri … (Anonymus, Collatio Aurelii Augustini cum Pascentio Arriano, 15, 205 ff.)
1 Problemlage, Zielsetzung, Methoden, Ergebnisse 1.1 Problemlage Ferdinand Wrede veröffentlichte 1886 eine Untersuchung des gesamten damals bekannten sprachlichen Materials der Wandalen. Einer der Schlüsse, die er aus seiner Materialsammlung ziehen konnte, war, dass der wandalische Lautstand „in den Hauptpunkten ganz gotisch“ erscheint (Wrede 1886 [84], 7). Morphologie und Wortschatz sind auf Grund der spärlichen Quellen mit noch geringerer Sicherheit zu beurteilen, doch in dem Wenigen, das wir besitzen, ergeben sich auch in diesen Bereichen keine feststellbaren Unterschiede. Nach dem, was wir über die Wanderungen der Wandalen wissen, ist dieses Ergebnis nicht selbstverständlich. Dass Wandalen und Goten dieselbe Sprache sprachen, ist insofern erstaunlich, als beide Völker weite Wanderungen in Wandergemeinschaften mit anderen Völkern mitmachten und die Heereszüge der Barbaren oft kurzlebige Zufallsgemeinschaften waren. So waren die Wandalen, Ostgermanen, als sie im Jahr 429 nach Afrika eindrangen, in Wandergemeinschaft mit iranischen Alanen; als sie 406 Gallien plünderten, außerdem in Wandergemeinschaft mit westgermanischen Sueben. Der Historiker resümiert: „Die gentes waren aufnahmebereit für Einzelne oder ganze Gruppen. Die Frage nach Sprache, Hautfarbe oder selbst Religion war nicht das Thema“ (Steinacher 2002 [69], 10 f.). Daher könnte man der Ansicht sein, es sei unmöglich, dass die
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Wandalen in Afrika ein mehr oder weniger reines Gotisch gesprochen hätten, und man müsse die betreffenden Zeugnisse anders erklären. Nun hat sich seit Wrede an der Materialbasis viel geändert.
1.2 Auswahl des Materials Nicoletta Francovich Onesti (2002 [25], 139–179) verzeichnet 121 Eigennamen und 10 sonstige Wörter, deren Zugehörigkeit zum Wandalischen sie für sicher oder wahrscheinlich hält. Wrede nannte 53 Namen und nur zwei sonstige Wörter; allerdings hat sich im Bereich der ‚sonstigen Wörter‘ die Materialbasis nicht durch Neufunde vergrößert, sondern nur durch die Zuweisung zum Wandalischen bzw. die Bewertung als Appellativ. Auch die Vermehrung des Namenmaterials beruht nur zum geringeren Teil auf Neufunden. Unter den Namen schied Wrede vor allem die von Katholiken aus, da er irrigerweise annahm, alle Wandalen seien Arianer gewesen, und germanische Namen von Katholiken müssten sich auf Angehörige anderer germanischer Stämme beziehen. Anderseits finden sich unter Wredes 53 sicher oder möglicherweise wandalischen Namen einige, die von Francovich Onesti ausgeschieden und in ihre nachfolgenden Listen alanischer oder sonstiger Namen aufgenommen wurden. Damit ergibt sich insgesamt eine gegenüber Wrede zunächst stark veränderte Quellensituation für die hier zu untersuchende Frage, ob wir von einer eigenen Sprache ‚Wandalisch‘ sprechen können, oder ob es sich um einen vom Ost- oder Westgotischen geringfügig oder gar nicht abweichenden Dialekt des Gotischen handelte. Für diesen Zweck ist aber nur sicher wandalisches Material brauchbar. Nicht von allen 69 Namen, die Francovich Onesti über Wrede hinaus aufnahm, ist die Zugehörigkeit zum Wandalischen so sicher, dass sie für die Frage, ob die Wandalen eine eigene Sprache oder Gotisch sprachen, herangezogen werden könnten. Bei einigen ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ungermanische Namen handelt, sehr groß. Für die vorliegende Untersuchung war daher eine eigene Bestimmung der Materialbasis zu treffen. Die Erweiterung der Materialbasis gegenüber Wrede ergibt sich durch – die Edition früher unbekannter Inschriften der Wandalenzeit (die bis 1954 bekannten zusammengefasst bei Courtois [12], 1955; seither Nachträge in den jährlichen Bänden von AE und bei manfredclauss). – die vollständige Edition der wandalischen Münzen durch Hahn 1973. Korrekturen der Materialbasis ergeben sich durch – die Neuedition eines bekannten Textes, des Pseudo-Augustinus „Collatio Aurelii Augustini cum Pascentio Arriano“ – Neubewertung bekannter Belege.
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1.3 Kriterien für Aufnahme oder Ausschluss Wenn man alles ausscheidet, was mit für diese Untersuchung relevanten Unsicherheiten behaftet ist, wird das Material gegenüber FrancovichOnesti stark reduziert. Z. B. wird man kaum einen in Nordafrika belegten Frauennamen Mannica mit Wahrscheinlichkeit für das Germanische reklamieren können, wenn die Mutter des Augustinus den punischen Namen Monnica trug; einheimische Namen mit Mann- begegnen mehrfach; schon a. 343 trug ein afrikanischer Bischof den Namen Manninus (Mandouze 1982 [46], 669). Gerade im Bereich der eingliedrigen oder anscheinend hybriden Namen ist die Gefahr, dass es sich um tatsächlich ungermanische Namen mit Zweitgliedern aus nur schlecht belegten nordafrikanischen Sprachen handelt, sehr groß. Ableitungen wie -ik- sind in zu vielen Sprachen möglich; Namen mit wenig komplexer Silbenstruktur ebenfalls. Manchmal erlebt man Überraschungen; z. B. ist das häufige germanische Zweitglied -meres nicht ausschließlich germanisch; ein homographes Element findet sich z. B. auch im Iranischen. Dass man in einem zweigliedrigen Namen einem Zufallsbefund aufsitzt, ist allerdings wenig wahrscheinlich: dass beide Glieder eines zweigliedrigen Namens sowohl aus dem Germanischen als auch einer uns unbekannten Sprache stammen könnten, wird nicht oft vorkommen. Z. B. den iranischen Namen Barzimeres entlarvt das ungermanische Erstglied. Bei zweigliedrigen Namen, deren beide Glieder gut aus dem Germanischen deutbar sind, und die von Personen getragen werden, für die auf Grund des Ortes und der Epoche germanische Herkunft nicht unwahrscheinlich ist, wird man daher auch ohne weitere Angaben zur Person annehmen, dass es sich um Germanen handelt. Ebenso wird man bei Personen, von denen im Kontext angegeben wird, dass sie Germanen sind, wenn sie eingliedrige Namen tragen, die sich problemlos germanisch deuten lassen, als sicher gelten lassen, dass der Name germanisch ist. Wenn wir uns aber auf einen eingliedrigen Namen ohne weiteren Hinweis auf germanische Herkunft der Person verlassen müssten, bezeichnen wir ihn als ‚möglicherweise germanisch‘, und verzichten darauf, ihn als Beweismittel für irgendeine sprachliche Erscheinung zu gebrauchen. Da wäre doch mit allerlei Zufällen zu rechnen. Wenn die nordafrikanischen Namen Gauda und Bocchus nicht aus Sallusts ‚Bellum Jugurthinum‘ stammten, würden wir sie für germanisch halten, ebenso einen Presbyter in Numidien, Gildo, wenn wir nicht von Ammianus Marcellinus wüssten, dass ein anderer Träger dieses Namens Sohn des Maurenkönigs Nuba ist (Mandouze 1982 [46], 539 f.). Aus analogen Erwähnungen scheiden hier Hybridbildungen aus. Bei fast allen der von
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Frankovich-Onesti (2006 [26]) als ‚hybrid‘ oder ‚möglicherweise hybrid‘ gelisteten Namen ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ungermanische Namen handelt, größer als die der Annahme von Hybridbildungen. Außerdem ist, wenn man von einem Namen annimmt, dass er eine Hybridbildung ist, noch nicht gesagt, ob es sich um Wandalen auf dem Weg der Romanisierung handelt oder um Einbeziehung von Namenelementen aus der Familie des wandalischen Dienstherrn in die Namengebung alteingesessener Bevölkerung, und somit ein Eindringen wandalischer Namengebung in die Kultur der alteingesessenen Bevölkerung (unten 3). Ebenso problematisch sind germanische Namen, die an ähnlich klingende antike Namen angeglichen wurden: Eugetius (Nr. $ 24) ist ein christlicher Name, der auch weit außerhalb germanischer Bereiche auftritt. Wenn aber ein Träger dieses Namens möglicherweise identisch ist mit dem Bruder des Wandalen Oamer, kann es sein, dass die betreffende Person einen ähnlich klingenden germanischen Namen trug. Wörter, auch appellativische, nicht nur Namen, werden oft aus einer fremden Sprache in die eigene eingedeutet; ein Beispiel ist deutsch Hängematte für einen Gegenstand, der in der Karibik hamaca heißt. Ich bezeichne Hängematte als deutsch, und Eugetius als griechisch-lateinisch, auch wenn es im betreffenden Fall wahrscheinlich nur ein Pseudo-Griechisch ist. Für eine Prosopographie des Wandalenreiches ist es wichtig, auch solche Namen zu verzeichnen; für eine sprachliche Untersuchung germanischer Namen geben sie nichts her. Die Angleichung germanischer Namen an ähnlich klingende antike / christliche war möglicherweise häufig; wir können sie aber nur dann nachweisen, wenn wir für dieselbe Person beide Namen überliefert haben, was nur sehr selten zutrifft und nur für Kulturen, für die die Quellenlage besser ist – z. B. nennt Agnellus von Ravenna den bei Cassiodor stets Theodahadus genannten ostgotischen König immer Deodatus. Für das Wandalische ist da nur die Gleichung Hunirix = Honorius evident; und auch diese nur bedingt vergleichbar, weil es sich bei den auf Honorius geprägten Münzen des Hunirix (477–484; Belege LAN Bd. 1, 436 und 438) um Prägungen auf den Namen des lange verstorbenen Kaisers (393–423) und um einen gewollten Hinweis auf die Ähnlichkeit des Namens handelt: eine Prägung lautet Honorius pius Augustus). Das Bestreben, an Ostrom anzuknüpfen, wird dadurch verständlich, dass er eine Tochter Kaiser Valentinians heiratete. Nennungen des regierenden wandalischen Königs auf Münzen kommen erst unter Gunthamund auf; aber seit der Entführung der Eudoxia durch Gaisericus (a. 455) werden postume Münzen des Honorius zum Hinweis auf die Verwandtschaft mit dessen Familie geprägt, um nicht den regierenden Kaiser nennen zu müs-
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sen:1 ein Kompromiss zwischen Selbständigkeitsstreben und Gehorsam gegen Ostrom. Wieder eine andere Ursache, nämlich nur die Lautähnlichkeit mit dem Namen des Honorius, haben einige falsche Handschriftenlesarten Honorius an Stellen, wo vom Wandalenkönig Hunirix die Rede ist.
1.4 Ergebnisse Das Ergebnis der folgenden Untersuchung wird sein, dass die Ergebnisse Wredes in Details zu korrigieren sind, aber die Korrekturen die Wirkung haben, dass wir mit noch größerer Sicherheit als früher sagen können, dass man keine Unterschiede zwischen Wandalisch und Gotisch nachweisen kann. Als vom 5. Jahrhundert an sich Ostgotisch und Westgotisch vielleicht in der Behandlung der alten Diphthonge ai und au zu unterscheiden begannen, verblieb das Wandalische in dieser Hinsicht konservativ wie das Westgotische, während das Ostgotische anscheinend Änderungen unterworfen war, die sich allerdings nicht so sicher rekonstruieren lassen, wie man gemeinhin annimmt: Wegen der ‚Vokalverwirrung‘ in der romanischen Sprache der Schreiber in den erhaltenen Handschriften und Inschriften herrscht auch in genuin lateinischen Wörtern in der Schreibung der Vokale ein Chaos; dadurch sind sichere Rückschlüsse auf die gebende ostgermanische Sprache in diesem Bereich nicht möglich. Wilhelm Streitberg (1920 [71], 39) formulierte überkritisch: „Wredes Versuch, mit Hilfe der Eigennamen die ostgotischen und wandalischen Spracheigentümlichkeiten festzustellen, ist mißlungen, da er versäumt hat, durch die Untersuchung des romanischen Schreibgebrauchs eine zuverlässige Grundlage zu schaffen“. Aber zumindest zum Teil werden die sogenannten ‚ostgotischen Lautveränderungen‘ vielleicht besser ‚Romanisierungen durch nicht gotische Schreiber oder Steinmetzen‘ genannt. Eine Folgerung aus dem Ergebnis, dass die Wandalen ‚Gotisch‘ sprachen, wird zur Kenntnis frühmittelalterlicher Identitätsbildungen beitragen: nämlich, dass in Wandergemeinschaften die Teilgruppen sich ihrer sprachlichen Eigenart bewusst blieben, und insbesondere die ostgermanischen Völker, so weit wir es beurteilen können, trotz unterschiedlicher Wanderwege und Wandergemeinschaften im 6. Jahrhundert eine einheitliche Sprache sprachen, die wir ‚Gotisch‘ nennen können. Ganz überraschend wird dieser Befund doch nicht kommen: Obwohl wir von Ammianus Marcellinus bis Jordanes immer wieder von Kontakten 1
Freundliche Mitteilung von Wolfgang Hahn, Institut für Numismatik der Universität Wien.
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von Goten mit Hunnen erfahren und Priskos Fremdsprachenkenntnisse von Barbaren bezeugt,2 ist es niemandem gelungen, in der Sprache gotischer Bibeltexte ein hunnisches Wort nachzuweisen. Das Gotische behielt trotz seiner zahlreichen Kontakte mit anderen Völkern seinen ostgermanischen Wortschatz und seine ostgermanische Grammatik.
2 Fremdbeurteilung 2.1 Prokop Prokop (Bell. Vand. 1, 2, 2) konnte feststellen, dass die barbarischen Eindringlinge ins Reich meist gotische Völker, " % & '%, waren, und die berühmtesten von ihnen "% (Ostgoten), Wandalen, O % (Westgoten) und Gepiden. Doch dann setzt er fort: „Früher nannte man sie Sauromaten und Melanchlainoi, bei einigen heißen sie Geten. … Auch haben sie eine Sprache, die gotische.“ Ähnlich nennt er noch Bell. Goth. 4, 5, 5 „Tetraxitische Goten, Goten (Ostgoten), Westgoten, Wandalen und die anderen " % & '%, die man früher Skythen genannt habe, wie alle Völker dieser Gegenden.“ Was er „früher“ nennt, ist teilweise aus sehr alter Literatur; die Melanchlänen hatte er vielleicht aus Herodot. Dass diese Völker nicht Gotisch gesprochen hatten, konnte er nicht wissen. Aber Bell. Goth. 1, 1, 3 zählt er neben den Skiren auch die Alanen zu den Gotenvölkern; Bell. Vand. 1, 3 die Alanen neben den Wandalen. Die Nennung der Alanen in Bell. Goth. 1, 1, 3 bezieht sich auf die Zeit Odoakars und davor, also noch vor Prokops Geburt; die Nennung der Alanen in Bell. Vand. 1, 3 auf die früheren Wanderungen an den Rhein. Bell. Vand. 1, 5 sagt er, dass die Alanen nach der Zeit des Gaisericus ganz in den Wandalen aufgingen; Prokop hat sie als Zeitgenossen nicht mehr als eigene sprachliche Gruppe wahrgenommen. Der Titel ‚König der Wandalen und Alanen‘ meinte also damals keine getrennten, von Prokop als solche wahrnehmbare ethnische Gruppen mehr. Bezüglich der Völker, mit denen Prokop selbst Kontakt hatte, glauben wir ihm vertrauen zu dürfen, wenn er angibt, sie sprächen alle die gotische Sprache: Ostgoten, Wandalen, Westgoten und Gepiden. Die Rugier nennt er Bell. Goth. 2, 14, 24 '% « % ; Agathias zählt 1, 3, 3 auch die Burgunder dazu, doch hatte Agathias nicht dieselbe Sachkenntnis wie Prokop. Walter Pohl (2002 [54], 80 f.) stellt fest „Die Kultur 2
Fragmenta Historicorum Graecorum ed. Carl Müller Bd. 4, 92B: ein Maurusier spricht Latein untermischt mit hunnischen und gotischen Brocken; überliefert in den Excerpta de Legationibus Romanorum.
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der ‚gotischen Völker‘ war in vieler Hinsicht schon am Beginn der Wanderung recht einheitlich“; wir werden Entsprechendes für die Sprache der Wandalen und Goten der Zeit um 500 feststellen. Die Franken zählt Prokop nicht zu den Gotenvölkern. Für einen Griechen waren anscheinend Gotisch und Wandalisch dieselbe Sprache, Gotisch und Fränkisch verschiedene Sprachen.
2.2 ‚De conviviis barbaris‘: gesprochenes Wandalisch-Gotisch Das Epigramm ‚De conviviis barbaris‘ (Anthologia Latina, ed. Shackleton Bailey 279 = Riese 1, 285) enthält einen gotischen Satz. Es lautet im Codex Salmasianus: Inter eils goticum scapia matzia ia drincan non audit quisquam dignos edicere versos.
(„Unter dem gotischen [in wulfilanischer Orthographie] ‚Hails! Skapiam matjan iah drigkan! ‘ [oder] ‚Hails! Skap iah matjan iah drigkan! ‘ ‚Heil! Schaffen wir uns Essen und Trinken!‘ oder ‚Heil! Schaff sowohl Essen als auch Trinken!‘ non audet quisquam dignos educere versus wagt niemand, würdige Verse zu zitieren.“). Es ist gesprochenes Wandalisch, zeigt aber keine Unterschiede zum Gotischen. Dieser Beleg wird kontrovers datiert, entweder schon bevor die Wandalen nach Afrika kamen, oft aber auch erst nach dem Ende der Wandalenherrschaft. Kay (2006 [38], 7) kommt jedoch zu dem Schluss, dass mehrere Indizien dafür sprechen, dass die ganze Sammlung (nicht nur die von ihm edierten Teile) um 500, wahrscheinlich noch während der Wandalenherrschaft, entstanden ist, und kein Indiz gegen diese Datierung der Sammlung spricht. Die Supposition der Extremdatierungen ist: man meint, Goticum könne nicht ‚Wandalisch‘ bedeuten; da dieser Teil der Anthologia Latina sicher in Nordafrika entstanden ist, müsse es sich um vor oder nach der Wandalenzeit in Nordafrika anwesende Goten gehandelt haben; in der Wandalenzeit selbst hätten hier ja nur Wandalen in den Wirtshäusern gegrölt. Der Irrtum dahinter ist: Convivium heißt nicht, dass eine Gruppe von Barbaren, vielleicht irgendwelche ihrer ethnischen Herkunft nach nicht näher bestimmbare Hilfstruppen einer römischen Einheit, also zufälligerweise tatsächlich Goten, in ein Gasthaus stürmte, in dem der Dichter gerade lateinische Verse vortragen wollte, durch die Ankömmlinge gestört wurde und die Worte aufschnappte, die sie beim Eintritt riefen.3 Ein convivium ist eine Veranstaltung von hochgestellten Persönlichkeiten für ge3
Die Gasthaus-Szenerie findet sich noch bei Scardigli (1974 [62]).
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ladene Gäste. Um vor den Gästen mit seiner Bildung zu protzen, lädt der Gastgeber einen gebildeten Dichter ein, der die Gäste mit seinen Versen zu unterhalten hat. Germanische Barbaren in politischer Stellung, die solche convivia veranstalten konnten, waren in Nordafrika nur die Wandalen, und diese nur während der Zeit ihrer Herrschaft. Dass die Gäste wegen des Essens und Trinkens kamen und die Verse missachteten, traf nicht nur römische Dichter im Wandalenreich. Germanisten denken an Walther von der Vogelweide, der sich beklagte, dass er unter den betrunkenen Rittern am Landgrafenhof in Thüringen seine Gedichte nicht vortragen konnte; in anderen Epochen war es nicht anders. Der Dichter dieses Epigramms aber schiebt es auf die Unkultur der Wandalen, mit denen er persönlich zu tun hat und deren Worte er hört und wiedergibt, deren Sprache er als ‚Gotisch‘ bezeichnet. Zu Beginn der Wandalenherrschaft unterhielt man sich sicher beim Gastmahl auf WandalischGotisch. Aber später? Dass man überhaupt einen römischen Dichter einlud, zeigt vermutlich, dass der Gastgeber erwartete, alle Gäste könnten Latein, und dass sie nichts gegen lateinische Dichtung hatten. Das zeigt die Wandalen auf dem Weg der Romanisierung, auch wenn sie noch gotisch grölten, wenn es um Essen und Trinken ging. Ein Gastmahl an einem germanischen Fürstenhof stellen wir uns so vor, dass ein Sänger Heldenlieder über die Taten der Vorfahren vortrug und alle begeistert zuhörten oder mitsangen, wenn auch mit rauhen Stimmen und ungeordnet, wie der Augenund Ohrenzeuge Ammianus Marcellinus den Schlachtgesang der Goten bei Beginn der Schlacht von Marcianopolis beschreibt (31, 7, 11; zu a. 377): maiorum laudes clamoribus stridebant inconditis (‚sie kreischten das Lob ihrer Vorfahren in ungeordnetem Geschrei‘).
3 Der Personennamenbestand als Zeugnis für kulturelle Zugehörigkeit Die Namenelemente der PN von Wandalen und Goten sind zu einem großen Teil gleich; es gibt mehr gemeinsame Namen zwischen Goten und Wandalen als zwischen Goten und Franken. Ein gemeinsamer PN-Wortschatz ist kein Indiz im Sinne der Linguistik dafür, dass Goten und Wandalen eine gemeinsame Sprache sprachen; doch gehört der Namenschatz zum geistigen Umfeld der Sprache. Nicht alle Personen, die im Ostoder Westgotenreich gotische bzw. im Wandalenreich wandalische Namen trugen, waren Goten bzw. Wandalen: es könnten auch Romanen Namen der germanischen Herrenschicht benutzt haben, so wie Germanen auch römische, besonders christliche, Namen annahmen. Dann wären etwaige
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Hybridbildungen nicht so zu erklären, dass man, wie im nachwestgotischen Spanien im Namen *Christomil (Piel / Kremer 1976 [53], 109 f.), ohne selbst Gotisch zu können, aus Stolz auf (angebliche, nicht unbedingt biologisch gemeinte) gotische Vorfahren pseudo-gotische Namen wählte und ein ungermanisches Namenelement in eine zweigliedrige pseudogermanische Bildung mischte. Für die iberische Halbinsel betont Kremer (2006 [42], 167), dass es sich anscheinend meist um „automatische Kombination beliebter (oder konnotierter?) Namenwörter“ handelt. Dass die westgotische Namengebung in Spanien nach der westgotischen Epoche weiterlebt, also Romanen sich an die früheren Herren der Halbinsel pseudologisch ansippten, ist kein Beweis dafür, dass auch früher Romanen westgotische Namen benutzten, da die Benutzung von Namen einer idealisierten Vergangenheit doch etwas anderes ist als die Benutzung von Namen der augenblicklichen Herrenschicht. Aber es ist nicht einzusehen, warum man das nicht hätte tun sollen; es wäre als Höflichkeitsgeste gegenüber der Familie des Herrn zu verstehen gewesen.4 Die Namenwahl kann politische oder kulturpolitische Gründe haben; wenn man sich eine Identität als gotischer Stamm gibt, bringt man das durch die Namengebung zum Ausdruck. Es hätte auch keinen Sinn, hier einen numerischen Vergleich vorzuführen: die meisten erhaltenen Namen sind solche der Königsfamilien, und diese sind durch Heirats- und sonstige Politik am stärksten beeinflussbar. Ein Beispiel dafür ist: In den westgotischen, wandalischen und ostgotischen Königshäusern trat im 5. Jh. der Name ‚Theoderich‘ mehrfach auf, dann auch bei den Franken, obwohl er früher nirgends belegt ist. Wir haben vor dem 5. Jh. weniger Belege von germanischen Namen, als es verschiedene PN gegeben haben wird; ein Argument ex silentio, einen bestimmten Namen habe es früher nicht gegeben, ist daher nicht zulässig. Aber einer der häufigsten Namen kann Theoderich früher nicht gewesen sein; sonst hätten wir zumindest einen Träger des Namens vor dem 5. Jh. belegt. Wenn ein Königshaus mit der Vergabe eines Namens begann und andere nachfolgten, war das eine politische Aussage. Man betonte aber damit nicht unbedingt eine gemeinsame Sprache, die hatte sicher untergeordnete Bedeutung. Auch bei PN weniger hoch gestellter Persönlichkeiten kann der Wunsch, gemeinsame Absammungstraditionen mit den Goten zu besitzen, die Verwendung gotischer PN begünstigen, die dann eine sprachliche Verwandtschaft vorspiegeln könnten, die in Wirklichkeit nicht gegeben war. Am geringsten ist diese Gefahr, wenn sich Namen finden, die bei beiden Völkern belegt sind, aber bei beiden ausschließlich von Perso4
Überzeugt davon, dass auch Romanen sehr früh germanische Namen übernehmen konnten, ist Claude (1971 [6], 111–113).
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nen getragen wurden, die nicht Mitglieder eines Herrscherhauses sind. Obwohl uns solche selten überliefert sind, besitzen wir drei solche Namenpaare zwischen Gotisch und Wandalisch (unten 3.1). Anscheinend zufällig nur wandalisch und althochdeutsch belegt ist Scarila (Nr. $ 74) / Scerilo: Obwohl dieser Name in die Semantik der altgermanischen Namen passt (ahd. scara ‚Kriegerschar‘; scerio ‚Scharmeister‘; scerita ‚ordnete in eine Kriegerschar ein‘ Hildebrandslied), scheint er zufälligerweise selten oder nicht in höheren Sozialschichten üblich gewesen zu sein. Die wenigen althochdeutschen Belege mit Schwerpunkt im Alemannischen, St. Gallen; darunter einen lautlich genau entsprechenden Scerilo von a. 855, verzeichnet Förstemann 1900 [22], 1306). Dazu ergänzt Kaufmann (1968 [37], 305) einige langobardische nach Bruckner (dazu jetzt Francovich-Onesti 2000 [23]). Es könnte sein, dass ein Name dieser Bedeutung für die Schicht der niedrigeren Gefolgsleute und Krieger, die in den Quellen fast nicht repräsentiert ist, kennzeichnend gewesen wäre und daher in diesem wandalischen Zufallsbeleg und im Althochdeutschen überlebt. Das wäre ein Indiz für das Zusammenstimmen der wandalischen mit der allgemeinen altgermanischen Namengebung auch außerhalb des Hochadels.
3.1 Gotisch-wandalische Namenpaare 3.1.1 Den Namen Andvit (Nr. $ 5) trägt quidam presbyter eorum (der Arianer; Victor von Vita, Persecutio 1, 41), der im Rahmen der von Gaisericus angeordneten Katholikenverfolgung eine Schar bewaffneter Arianer anführt; also sicher ein Wandale, und ein Bittsteller beim Ostgotenkönig Theoderich (Cassiodor, Variae 5, 29, 1), also höchstwahrscheinlich ein Ostgote. 3.1.2 Den Namen Tanca trägt ein Wandale (Nr. $ 83), dessen Name auf einem Fußbodenmosaik in einer Basilika in Carthago erhalten ist (Zusammenfassung unter Hostrildi Nr. $ 55). Ebenfalls Tanca* (Ablativ: Tancane) heißt bei Cassiodor (Variae 8, 28 von a. 527) ein Grundbesitzer; sicher ein Ostgote. Ein comes Tanco, der 499 gegen die Bulgaren fällt (Marcellinus comes, Chron. Min. Bd. 2, 95), scheint, der Endung o nach zu schließen, Westgermane zu sein (aber: siehe Stilico; Nr. $ 80). 3.1.3 Den Namen Vitarit (Nr. $ 97) trägt ein Notarius des wandalischen Königs Hunirix (Victor von Vita, Persecutio 2, 3 und 2, 41; in der Ausgabe von Halm, MGH AA Bd. 3, 1, im Index S. 83 falsch ‚Notarius Zenons‘); also sicher ein Wandale. Außerdem erscheint ein Fl. Vitalis Vitarit auf einer
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Inschrift aus Tebessa – Theveste, Numidia, unter deren Merkwürdigkeiten der Herausgeber, Paul-Albert Février (1972 [20], 148, Tebessa Nr. 1) auf die Zählung des Lebensalters nach Halbjahren (semis annos) hinweist, ohne eine Erklärung dafür geben zu können. Dem altgermanischen Gebrauch würde die Zählung nach Halbjahren jedoch entsprechen (Reichert 2007 [58], 868). Diese beiden, sicher Wandalen, tragen denselben Namen wie der ostgotische Witterit (Genitiv) auf einem Papyrus aus Ravenna von a. 539 (Tjäder 1982 [74], 58 Nr. 30).
4 Ermittlung der sicher wandalischen Namen Der Großteil der Germanen, die in Nordafrika zur Wandalenzeit belegt sind, waren Wandalen. Wegen der mehrfach angesprochenen Wandergemeinschaften ist jedoch für jeden Fall zu überprüfen, ob es sich nicht etwa um einen Angehörigen eines anderen germanischen Stammes handelt. Es genügt daher nicht, germanische von nicht germanischen Namen zu trennen, sondern es ist zu untersuchen, ob für einen Beleg eine Feinzuordnung möglich ist; je mehr Bestimmungsstücke für einen Beleg klar sind, desto höher ist seine Aussgekraft. Die folgende Liste wurde so erstellt: Namen, die in der Literatur nur gelegentlich als möglicherweise germanisch bzw. wandalisch bezeichnet wurden, und von denen es offensichtlich ist, dass sie es nicht sind, wurden hier fortgelassen. Namen, die eindeutig wandalische Namen von Wandalen sind (Beispiel: Geilamir), kommen ohne Diskussion in die Liste. Bei allen anderen Namen ist die Entscheidung pro oder contra zu begründen. Als Argumente wären nicht nur sprachwissenschaftliche anzuwenden, sondern, sofern zugänglich, auch archäologische. Koenig (1981 [40], 300) nennt als archäologische Kriterien formale Übereinstimmung mit merowingischen Grabfunden bei Fremdartigkeit im gleichzeitigen nordafrikanischen Fundgut, sowie „ostgermanische“ Tracht (spezifische Fibeltracht): „Historisch verbirgt sich hinter einem Grab mit ostgermanischer Tracht ein Angehöriger der privilegierten wandalischen Herrenschicht“ (Koenig 1981 [40], 302). Koenig weist allerdings darauf hin, dass eine „saubere Grabungsbeobachtung“ nötig wäre, um sicherzustellen, dass die Beigaben zu dem die Inschrift tragenden Grabstein gehören, und dass diese Bedingungen leider nur sehr selten erfüllt sind. Gerade dieses wichtige Kriterium spielt daher in der Praxis nur selten eine Rolle. Ein Problem stellen Namen dar, bei denen der Verdacht, sie könnten nicht wandalisch sein, dadurch hervorgerufen wird, dass sie, wären sie wandalisch, Lautveränderungen zeigen würden, von denen wir annehmen, dass
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das Wandalische sie nicht mitmachte. Solche Namen auszuscheiden, weil ein entsprechender Lautwandel im Gotischen nicht belegt ist, könnte das Ergebnis verfälschen, da ein Ergebnis ‚Das Wandalische unterscheidet sich nicht vom Gotischen‘ vorprogrammiert wäre. Um einem Zirkelschlusses zu entgehen, werden solche Namen genau auf mögliche Relevanz überprüft. Nun die Liste der Namen von Wandalen während der Zeit ihrer nordafrikanischen Herrschaft, die aufzunehmen oder nach Diskussion von Pro und Contra auszuscheiden sind:
$ 1. Abiarica oder Abtarica (Carthago; Courtois 1955 [12], Nr. 149) ist ein eigenartiger Name, der durch die unsichere Lesung weiter an Aussagekraft verliert. Francovich-Onesti (2006 [26], 120) entscheidet sich ohne Diskusson für die Lesung Abiarica und setzt einen Frauennamen mit lateinischer Endung an, der aus einem das sehr seltene germ. Namenelement *Awja- enthaltenden Namen *Awja-r¯ıkaz moviert ist. Unter der Unmenge germanischer Namen mit dem Zweitglied -r¯ık- findet sich aber, wie die Liste im LAN (Bd. 2, 595–601) zeigt, kein einziger Frauenname außer den beiden von Francovich-Onesti (2002 [25], 145 f. bzw. 173 und 2006 [26], 120) für das Wandalische reklamierten Namen Abiarica / Abtarica und Supserika (Nr. $ 81). Zur ungermanischen Bildungsweise des Zweitglieds käme ein sehr seltenes Erstglied: Zum Namenstamm *Awja- bietet Förstemann (1900 [22], 217–219) unter „AVI (vielleicht ist AUJA anzusetzen)“ auf nur ca. zwei Spalten Belege, von denen ein Gutteil als mehr als fraglich zu bezeichnen ist (Kaufmann 1968 [37], 48 fügt s.v. *Awja- noch einen Verweis auf den gallischen PN Avi-cantus hinzu). Aus altgermanischer Zeit stammen mit einiger Sicherheit nur ostgotisch Augis, ohne ja-Ableitung; sowie auf südgermanischen Runeninschriften Awimund m. (Weimar) und Awa f. (Nordendorf 1); dazu kommt eine kleine Zahl minder sicherer (LAN Bd. 2, 472 f.; Nedoma 2004 [50], s. v. Awimund, 227 ff.). Aus dem appellativischen Wortschatz ist im Gotischen die Zusammensetzung awi-liuq ‚Dank‘ (! «, ) bzw. awiliudon ‚danken‘ ( !( , )) belegt (Streitberg 1910 [70], 15). Ansonsten erscheint das Namenelement germ. *Awja- nur im Nordischen, wobei zu berücksichtigen ist, dass der nordische PN-Schatz sich stark von dem der übrigen germanischen Völker unterscheidet. Dort haben wir PN wie Eysteinn, Eydís und auf 2 Brakteaten (Skodborg und Seeland 2) in magischen Zeichenketten die Zeichenfolge auja. Die genaue Bedeutung des Namenselementes lässt sich dadurch nicht ermitteln, doch muss es ein positiver Wert sein
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(Düwel 2005 [17], 19; Krause 1971 [41], 73; Nedoma 2004 [50], 230). Die Deutung des Namens als *Awja-r¯ıka würde daher einen guten Sinn ergeben. Verdacht erregend ist trotzdem die geringe Belegzahl des Namenelements *Awja-. Da ist, wenn Courtois die betreffende Lesung nur als eine von zwei möglichen bezeichnet, Vorsicht geboten. Falls die konkurrierende Lesung in Betracht gezogen werden soll, könnte man für das Erstglied auch eine romanisierende Schreibung von germ. *aud-, wie in Apta-charius bei Gregor von Tours für langobardisch Authari, annehmen (LAN Bd. 1, 107). Sicherheit, dass der Name germanisch ist, haben wir nicht: Namen mit (latinisiert) -icus / ica sind häufig und offensichtlich aus verschiedenen Sprachen belegt; das r zum 2. Glied zu ziehen ist die nächstliegende Lösungsmöglichkeit, aber nicht die einzige. Trotzdem wird, solange die Suche nach passenden Namenelementen in anderen Sprachen ergebnislos bleibt, germanische Herkunft beider Namenelemente in jeder der beiden Lesungsmöglichkeiten wahrscheinlich bleiben. In der germanischen Namengebung kommen für Movierungen nur bestimmte Zweitglieder in Frage (Schramm 1957 [65], 122 ff. und 157 ff.). Zu diesen gehört *r¯ıkaz nicht. Um eine genuin germanische Bildung kann es sich bei Abiarica – Abtarica daher nicht handeln. Die Annahme eines movierten Namens bedeutet nicht notwendig, dass es sich um eine germanische Familie handelt, die in Romanisierung begriffen ist; es ist auch denkbar, dass einheimische Bevölkerung Namen der germanischen Herrenschicht verwendet, aber nach ihren Regeln verändert: Movierung von Frauennamen aus Männernamen wäre für die romanische Namengebung gewöhnlich. Zeugniswert für einen bestimmten Sprachzustand des Wandalischen kommt diesem Beleg nicht zu.
$ 2. Abragila wurde von Wrede doppelt unberechtigt als Katholik ausgeschieden, da Katholizismus allein kein Ausscheidungsgrund wäre, Abragila aber ohnehin nach der Darstellung bei Ferrandus arianischer Presbyter gewesen sein müsste (Lapeyre 1929 [43], 166; Wagner 1982b [78], 362; LAN Bd. 2, 1; Francovich-Onesti 2002 [25], 146; unsicher Mandouze 1982 [46], 29). Namen mit gotisch abrs ‚stark; heftig‘ sind, wenn überhaupt, nur sehr selten belegt: Die Wortbildung im einzigen Beleg, dem Namen des Fl. Abruna (in einer Bataverkohorte in Aquileia) ist unklar, daher könnte er ungermanisch und mit dem italischen Namen Abrunus verwandt sein; der Eintrag im LAN Bd. 1, 8 berücksichtigt die im Thesaurus Linguae Latinae s. v. verzeichneten Belege dieses Namens nicht und ist in ‚möglicherweise
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germanisch‘ zu korrigieren. Der Vorschlag von Wagner (1982b [78], 361–367), in Abr-Agila (‚der starke Agila‘) zu segmentieren, scheint mir nicht gangbar, ebensowenig die von ihm angenommene Parallele, bei Jordanes überliefertes Eterpamara als et erpa Amara (‚und der dunkelfarbige Amara‘) zu deuten. Ein gotisches Adjektiv bei Jordanes ist nirgends belegt; es ist angemessener, Erpamara als undeutbar zu bezeichnen als eine sonst nicht belegte Vorgangsweise des Jordanes anzunehmen. Erpamara (Gen.!) als Name eines mythischen Heros muss nicht der Bildungsweise normaler PN gehorchen und bleibt schon deshalb, wenn vielleicht auch nicht verderbt, doch undeutbar. Die Segmentierung von Abragila in Abr.a-gil.a ist zwar nicht eindeutig, aber die wahrscheinlichste (LAN Bd. 2, 451 mit ‚?‘ bezeichnet). Förstemann (1900 [22], 637) verweist für alle Namen auf -gil zu *g¯ısil, bezweifelt jedoch (Sp. 648), dass Abragila schon hierher gehören kann, da Verkürzungen von -gisil zu -gil sonst erst viel später belegt sind. Auch Kaufmann (1968 [37], 146) stellt fest: „ein Primärstamm Gil- besteht nicht“. Abzulehnen ist der Vorschlag von Lapeyre (1929 [43], 210), den Namen als Hybridbildung eines punischen Erstglieds Ab- (‚Vater des …‘) mit einem gotischen Zweitglied anzusehen, da sich ein gotisches †Ragil nicht plausibel machen lässt. Aber auch in den semitischen Sprachen scheint es kein †Ragil zu geben. Ab-raham könnte also nicht als Parallele gelten. Abr- allein könnte auch aus anderen Sprachen stammen; es gibt italischeNamen wie Abro, Abronius, Abrosus, Abrenus, Abrius. Diese werden von Otto (Thesaurus Linguae Latinae Bd. 1, 136) zu lat. aper gestellt, was nicht für alle zutreffen muss. Ein dritte Quelle von Abr-Namen scheint der Name Abradas (L. Aelius Habradas CIL 6 1058, 1, 20; a. 210 in der cohors V vigilium) zu verlangen, den unter anderen ein Christ trug, der um 600 Ephesos besuchte (Flavius Abradas). Eine Erweiterung eines solchen Namens scheint in den iranischen Namen Abradatas und Abraga¯ n (Justi 1895 [36], 2) vorzuliegen. Einheimische nordafrikanische Namen ergeben nichts Naheliegendes; der Thesaurus Linguae Latinae verhilft nur zu einem Ortsnamen bei Victor von Vita, der einen Abaradirensis (Bewohner von Abadira, Ort in Byzacena) nennt. Nicht in Frage kommt der PN Abra f., da er von einem Nomen der Bedeutung ‚Magd‘ abgeleitet ist. Da bei allen diesen ungermanischen Namen das (a)-gil ungedeutet bleibt, wäre eine Deutung aus dem Germanischen vorzuziehen. Das Zweitglied -gil erinnert zwar an Gil- Schreibungen für Gail- (in Gilimir für Geilamir u. a.), doch tritt dieses gail–geil–gil nie als Zweitglied auf (LAN Bd. 2, 513). Der Name ist also mehrdeutig, vielleicht sogar undeutbar und bleibt daher außer Betracht. Der Vollständigkeit halber sei vermerkt, dass auf Baskisch ebregile ‚Regenmacher‘ heißt.5 5
Freundliche Mitteilung von Gerhard Böhm, Institut für Afrikanistik der Universität Wien.
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$ 3. Agisild[ (LAN Bd. 1, 15 nach Courtois 1955 [12], Nr. 147; Abbildung: Ennabli 1991 [19], Nr. 544). Die Editionen geben als Geschlechtsbezeichnung „f.“ an; wahrscheinlich richtig, weil germanische Männernamen auf -hildus sehr selten sind (z. B. ]aroildus CIL 6 38488; LAN Bd. 1, 74); das Bruchstück enthält nichts, was auf das Geschlecht der oder des Begrabenen hinweist. Die Inschrift ist christlich; in einem zur Wandalenzeit häufigen Duktus. Das gotische Appellativ agis – agisis n. ‚Schrecken; Furcht‘ (* «) ergäbe mit -hild guten Sinn für einen Frauennamen aus dem Sinnbezirk der weiblichen Schlachtenlenkerinnen (nordisch: Walküren). Es ist der einzige sicher germanische Beleg von Agis- Namen mit erhaltenem s des ehemaligen s-Stammes. Die anderen Namen mit Age- bzw. Agi- können auch zu anderen Stämmen gehören (Kaufmann 1968 [37], 20–24). Bei dem häufiger belegten Namenselement Sigi- treten oft Varianten mit Sigis- auf, und zwar, wie die LAN Bd. 1, 601–609 verzeichneten Sigi-Namen zeigen, öfter in Namen von Ostgermanen als in Namen von Franken. Unter den Sigis-Namen ist auch der eines Wandalen (Sigisteus Nr. $ 77). Es ist also wahrscheinlich, dass Agisild[ eine ostgermanischen Charakter tragende wandalische Namenform ist. Zum erhaltenen ld s. unten (5.1.13); zum Ausfall des h (5.1.10); zur Morphologie (5.3.5).
$ 4. #A!«, ein Bruder Geilamirs; nur bei Prokop genannt (LAN Bd. 1, 46). Die von Wrede angenommene Etymologie, zu germ. *am.at- (in deutsch emsig; Ameise) wird allgemein akzeptiert. Der Name ist sicher sowohl der eines Wandalen als auch direkt aus wandalischem Mund in die antike Überlieferung (sei es zu Prokop direkt oder über Latein sprechende Gewährsleute) gelangt.
$ 5. Andvit (s. 3.1.1). Dieser Name eines Wandalen zeigt denselben Lautstand wie der entsprechende ostgotische Name; zu nd unten (5.1.13); zu v (5.1.15); zur Endungslosigkeit (5.3.2).
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$ 6. Ansila ist schon für die ostgotische Königsfamilie des 4. Jh. belegt (Jordanes, Getica 14, 79); ein Gleichnamiger wird von Dracontius (Satisfactio 213 f.) in folgendem Kontext genannt: (deus) contulit absenti (rege Gunthamundo) terrae pelagique triumphos: Ansila testatur, Maurus ubique iacet. Vollmer merkt dazu im Index an (MGH AA Bd. 14, 296): „Ansila victus a Vandalis absente Gunthamundo“. Das berücksichtigt nur eine Möglichkeit. Die Interpretation hängt an der Bedeutung des ubique; dieses kann ‚wo überall‘ und ‚und überall‘ heißen. Möglichkeit 1 ist: ‚(Gott) ließ (den König; Gunthamund) zu Lande und zur See triumphieren, ohne dass er (Gunthamund) dazu persönlich anwesen sein musste: Ansila ist Zeuge dafür, wo überall die Mauren geschlagen wurden‘. Dann wäre Ansila als „Zeuge“ von Dracontius als Sieger oder Besiegter gemeint. Die ironische Deutung von testari, die den Besiegten als Zeugen des Sieges bezeichnet, wäre möglich, obwohl sich bei Du Cange (1883–1887 [1], Bd. 8, 85 ff.) unter den verschiedenen zu testis und seinen Ableitungen verzeichneten Beispielen kein solches findet. Aber wenn das gemeint wäre, müsste Ansila Maure sein, und das wird man nicht annehmen. Wrede (1886 [84], 73) scheint Ansila als siegreichen Feldherrn Gunthamunds aufzufassen; das ist bei der Übersetzung von ubique als ‚wo überall‘ die wahrscheinlichere Deutung. Eine andere Deutung liefert Übersetzungsmöglichkeit 2: ‚(Der Triumph über) Ansila bezeugt das; und die Mauren liegen überall darnieder‘. Dann wäre Ansila ein anderer Feind als die Mauren; da der vorhergehende Vers von Siegen zu Lande und zur See spricht, könnte Ansila der Kommandant einer feindlichen (gotischen?) Flotte sein. Das entspräche der Deutung Vollmers. Die ‚Satisfactio‘ entstand unter Gunthamund (484–496). Da Dracontius sie an den König adressierte, ist die sprachliche Umgebung, in der dieser Name auftritt, als wandalisch festgelegt. Ein fälschender Einfluss ostgotischer Namensformen ist hier nicht anzunehmen, selbst für den Fall, dass Ansila Gote und nicht Wandale war. Für den Lautstand können wir mit ziemlicher Sicherheit das Wandalische ansetzen; für die Person und ihren Namen käme auch die Alternative: ‚Gote‘ in Frage.
$ 7. Ariarith ist ein Name aus der nachwandalischen Epoche; es findet sich kein Hinweis auf wandalische Herkunft. Dieser Name ist daher auszuscheiden.
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$ 8. Arifridos (Courtois 1955 [12], Nr. 127; Nominativ), aus Thuburbo Maius, ist sicher aus der wandalischen Epoche. Koenig (1981 [40], 301, 312, 322 ff.) erwähnt „Beigaben, die zu einem ostgermanischen Männergrab gehören könnten“. Beide Elemente des Namens sind sowohl im Ostgermanischen als auch in anderen germanischen Sprachen belegt. Das Erstglied Ari- tritt auch bei einem Ostgoten auf, einem comes Theoderichs des Großen namens Arigernus, der in Cassiodors Variae und anderen Quellen6 mehrfach genannt wird; außerdem bei einem Westgoten #A ) (Dat.) von ca. a. 370. Namen mit dem Erstglied Ari- findet man jedoch auch bei anderen germanischen Stämmen, besonders wenn man die Variante Ariahinzurechnet, die auch im Namen des Suebenkönigs Ariamir in Spanien belegt ist (anscheinend, der Herkunft der Quelle entsprechend, in gotischer Lautung), und verschiedene außergermanische mit Ari- anlautende Namen, die von den germanischen nicht immer sicher getrennt werden können, sowie anscheinend germanische, aber nicht unbedingt wandalische Namensträger, wie der von Corippus genannte Waffenträger des Feldherrn Johannes namens Ariarith. Das Zweitglied -fridus7 ist anscheinend allen germanischen Stämmen gemeinsam; nach der Mitte des 2. Jh. erscheint -frid im Namen des Hnaudifridus, der einen am Hadrianswall stationierten friesischen numerus kommandierte (LAN Bd. 1, 432). Unter den westgermanischen Namen des 4. Jahrhunderts, von denen doch etliche belegt sind, so dass wir annehmen können, zwar nicht jede Kombination zweigliedriger Namen, aber doch die häufigeren Namensglieder erhalten zu haben, findet sich jedoch kein Name mit dem Zweitglied -frid. Die Namen mit dem Zweitglied -frid scheinen erst durch ostgermanischen Einfluss in der übrigen Germania beliebt geworden zu sein. Ausschließen kann man aber nicht, dass es auch im 4. und 5. Jahrhundert westgermanische Namen auf -frid gab; der Name Arifridos gehört daher nicht zu den Namen mit Elementen, die ausschließlich bei Goten und Wandalen vorkommen, ist hier aber sicher wandalisch. Zu d für q s. unten (5.1.12)
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Belege für diesen und die im Folgenden genannten Namen LAN Bd. 1, 64–65. Zur Geschichte des Namenelements -friq s. Reichert 2008a [59], 135–138.
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$ 9. Arimanus ist sicher ungermanisch; am ehesten iranisch. Justi (1895 [36], 23) verzeichnet die Namen Arimazes, Ariamenes und Ariaramnes bzw. Ariamnes, sowie (1895 [36], 26) Ariomandes und einige weitere ähnliche Namen, aus denen Arimanus entstellt sein könnte.
$ 10. Armogas (Nominativ, Victor von Vita, Persecutio 1, 46) ist LAN Bd. 1, 73 als ‚nicht germ.‘ eingetragen, ist aber wahrscheinlich germanisch: der Akkusativ Armogastem (Victor von Vita, Persecutio 1, 43) sieht aus, als enthielte er das Zweitglied germanisch gast, das in Namen häufig ist. Armogas wurde von Gaisericus verfolgt, weil er Katholik war, obwohl im Gefolge des Wandalen Theoderich; da ist er wahrscheinlich Wandale. Schwierigkeiten der Deutung lassen aber überlegen, ob auch andere Herkunft des Namens möglich wäre: Germanische Namen mit arm ‚pauper‘ gab es nicht; die Bedeutung war für Namen ungeeignet. Die wenigen, von Förstemann (1900 [22], 146 f.) hierher gestellten Namen entstammen späten Epochen; Kaufmann (1968 [37], 40) stellt sie zu *arma- ‚Arm‘. Das ergäbe für die Kombination Armo-gast* keinen Sinn; man muss zu *Arbogast oder *Anagast oder Ähnlichem konjizieren. Graphematisch nächstliegend wäre Arbogast; dieser Name tritt aber nur in fränkischem Kontext auf, ist also nicht sehr wahrscheinlich. Oder man erwägt, ob das Armogas des Nominativs richtig sein könnte und das -gastem eine falsche Deklination Victors. Dann wäre die Frage, ob es ähnliche einheimische Namen gäbe. Die ungermanischen Arm-Namen Nordafrikas (wie Armodius für Harmodius oder Sopitius Armutius (CIL 8 20559; in Mauretania Sitifensis) tragen charakteristisch andere Bildungsweisen. Einheimische Namen auf -gas gibt es in Africa Proconsularis allerdings: Diogas (Nom.), aus Hadrumetum – Sousse (manfredclauss; dort nach Merlin 1944 [47] Nr. 197) und Dogasi (Gen.) aus Uthina – Udhnah (manfredclauss; dort nach AE 2004, Nr. 1851). Überzeugende Parallelen bieten sie aber nicht. Bei der geringen Überlieferung einheimischer Namen in früher Zeit wird man vielleicht auch einen Namen erwägen, der erst im 16. Jh. aufgezeichnet wurde: der Portugiese Gaspar Fructuoso (um 1580–1590) nennt Aremoga als Namen (oder Titel?) einer Priesterin („molher savia“ ‚weise Frau‘) auf der Kanareninsel Gomera; wobei Are- anscheinend mehrfach priesterliche Titel bezeichnet.8 Nach Böhm 8
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könnte ein Endungs-tz eine entsprechende Maskulinform bilden und das -s bzw. st von Armogas – Armogastem ein Versuch sein, dieses wiederzugeben. Wölfel (1965 [82], IV 418 § 68) meint allerdings, Aremoga bedeute vielleicht nur ‚Einwohnerin von Gomeira‘. Ohne Kenntnis der afrikanischen Sprachen kann ich die Wahrscheinlichkeit solcher Möglichkeiten nicht beurteilen. Bei der großen Auswahl an Sprachfamilien (einige Sprachen Nordafrikas waren mit dem Baskischen verwandt) und den wenigen Namen, die in ihnen überliefert sind, kann ungermanische Herkunft des Namens nicht ausgeschlossen werden. Trotzdem wird man für den Namen, weil sein Träger sehr wahrscheinlich Germane war, germanische Herkunft annehmen – aber *A???gast ansetzen. Da die genaue Form nicht eruierbar ist, ist der Name als Basis für eine Untersuchung nicht geeignet.
$ 11. Asdingus für einen Angehörigen der Dynastie der Hasdingi ist die in nordafrikanischen Quellen der Wandalenzeit einzige Schreibung: der Genitiv Singular Asdingui, der in der Satisfactio des Dracontius erscheint, wird durch das Metrum gefordert. Die Anthologia Latina und Dracontius, und auch der spätere Victor von Tunnuna († ca. 570), spiegeln die vulgärlateinische Aussprache, ohne das anlautende H. Einzig einige Cassiodor-Handschriften überliefern die korrekte ostgermanische Form Hasding- (LAN Bd. 1, 421); zum *H- unten (5.1.10); zum sd (5.1.13).
$ 12. Aystheodori aus Labdah (Leptis Magna), Tripolitania, stammt der Datumsangabe nach (Indiktionsangabe, kein Regierungsjahr) aus nachwandalischer Zeit (Fiebiger / Schmidt 1939 Bd. 2, Nr 50); zum Auftreten von Indiktionsangaben erst nach dem Ende der Wandalenzeit Duval 1981 [16], 516 ff.). Es scheint den griechischen Namen Theodoros zu enthalten; das davor gesetzte Ays- ist als ungedeutet zu betrachten. Francovich Onesti (2002 [25], 149) will es als germanisch ansehen und vergleicht Aistomodius* (CIL 3 4453) und Aistulf. Diese Namen sind semantisch sinnvoll zu gotisch aistan (,% ‚sich vor etwas fürchten‘) gebildet: -modius gehört zu gotisch modags ‚zornig auf ‘ (. ( «); ulf ‚Wolf ‘ als Schrecken verbreitendes Tier ist ebenfalls einsichtig. Beide Namen sollen ihre Träger als dem Feind Furcht einjagend kennzeichnen. In Aystheodori wäre dagegen die Kombination nicht sinnvoll, es kann daher mit diesen Namen nicht
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verglichen werden. Auch falls man diese Namen mit Francovich Onesti (2000 [23], 199 f.) statt zu gotisch aistan zu gotisch haifsts ‚Streit; $/‘ stellt, was insbesondere für den sehr frühen Aistomodius* (2. Jh.) eine unwahrscheinlich frühe Romanisierung darstellen würde, wäre keine sinnvolle Kombination erzielbar.
$ 13. Babelo kann verschiedenen Sprachen entstammen.
$ 14. Balda[ (Carthago, Bruchstück; Francovich Onesti 2002 [25], 149, Ennabli 1975 [18], Nr. 323). Das Adjektiv balq ‚kühn‘ ist auch in den anderen germanischen Sprachen belegt und in der germanischen Namengebung allgemein. Dieser Beleg ist sicher wandalisch. Zur Behandlung des germanischen q unten (5.1.13).
$ 15. Baudus in einem Epigramm des Luxurius (Anthologia Latina ed. Shackleton Bailey 302 = Riese 1, 307) bezieht sich auf eine reiche Persönlichkeit des Wandalenreiches und spiegelt daher sowohl den wandalischen Wortschatz als auch Lautstand. Happ (1963 [29], 220–22; 1986 [30], 1, 289) weist darauf hin, dass es appellativisch (‚Gebieter‘) oder Personenname sein kann. Auch wenn der Name gemeint ist, ist er jedoch anscheinend mit Bezug auf die Bedeutung des Namens gesetzt; es ist ein lobendes Prädikat, sei es adjektivisch oder substantivisch, das im Kontext den Wert ‚siegreich, tapfer …‘ oder ‚Anführer, Gebieter …‘ vermittelt. Falls es Personenname ist, wird es im Epigramm ironisch gesetzt, da gesagt wird, dass das Verhalten des Kritisierten dem Sinngehalt des von ihm gewünschten Namens (oder der von ihm gewünschten Bezeichnung) widerspricht (Happ 1963 [29], 26; Wagner 1982a [77], 8 f.). Zum Diphthong au unten (5.1.1); zum intervokalischen d (5.1.12).
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$ 16. Beremut[ und Beremuda (Carthago; Francovich Onesti 2002 [25], 150; Ennabli (1975 [18], Nr. 82); nach manfredclauss: Beremut […] / Beremuda fid[(elis)] / vi(xit) d[ep?(osita?)] / III Idus No[vembres]. Die Inschrift ist bruchstückhaft erhalten; die rechte Seite fehlt. Zeile 1 endet mit ‚Beremut[‘. Ob danach der Name weitergeht, ist unbestimmbar. Man wird sowohl Beremut[ als auch Beremuda für wandalisch, Namen eines Mannes und einer Frau, halten. Der Ostgote Beremud, den Jordanes unter den amalischen Vorfahren Theoderichs nennt (LAN Bd. 1, 134), ist neben dem Wandalen und der Wandalin der einzige Träger dieses Namens. Dazu kommt vielleicht noch ein westgotischer Bischof des späten 7. Jh., da das Veremund der auf 683 bezogenen Konzilsakten eine falsche Schreibung für *Beremud durch romanische Schreiber sein könnte (LAN Bd. 1, 134). Das heißt, wir können mit einem bis zwei belegten Trägern dieses Namens rechnen, die beide Ostgermanen sind; außerhalb des Ostgermanischen ist der Name nicht belegt. Die beiden Namenelemente Bera- und *-mo¯ da sind allerdings gemeingermanisch; ebenso das Appellativ bzw. Adjektiv, gotisch modags ‚zornig auf ‘ (. ( «). Zur Aussprache von d/t unten (5.1.12) zu o¯ /u¯ (5.1.6).
$ 17. Bictoricus ist ungermanisch (rein lat. Ableitung von Victor).
$ 18. Blumarit wird in einem Epigramm des Luxurius (Anthologia Latina ed. Shackleton Bailey 321, 2 = Riese 1, 326) wegen seines Geizes verspottet. Er muss also ein Angehöriger der Oberschicht im Wandalenreich gewesen sein und war daher mit ziemlicher Sicherheit Wandale. Der Name ist ein hapax legomenon; das Namenelement Blo¯ m- ‚Blume‘ ist bei Förstemann (1900 [22], 317) in einem einzigen Beleg eines althochdeutschen Frauennamens Pluoma belegt. Trotzdem ist die Etymologie des Erstgliedes sicher; das Appellativ existiert in allen Teilen des Germanischen. Zur Schreibung u für o¯ unten (5.1.6). Für das Zweitglied -rit gilt die unten (5.3.3) zu besprechende Problematik.
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$ 19. Brandini (CIL 8 23324; Thala, Africa Proconsularis) ist, was das Suffix betrifft, wahrscheinlich lateinisch. Die Erweiterung von Namen verschiedenster Herkunft durch -inius in provinzialrömischer Bevölkerung ist aus keltischen und germanischen Gebieten, wie dem Rheinland, schon seit dem 1. Jh. bekannt; ein Indiz, dass hier das germanische Brand- (in Brandila, bei Cassiodor; LAN 1, 148) gemeint ist, gibt es nicht. Nach Koenig (1981 [40], 302) entstammt diese Inschrift vielleicht schon der vorwandalischen Epoche; selbst wenn die Basis des Namens, Brand-, germanisch sein sollte (aber vgl. keltisch Brandobrici, Holder 1896 [33], Bd. 1, 511 f.), könnte er nicht mit Sicherheit für das Wandalische in Anspruch genommen werden.
$ 20. Cudilu (Ennabli 1975 [18], Nr. 57 p. 186; die Abbildung dort lässt auch die Lesung Gudilu für möglich erscheinen) ist auszuschließen, da es in Nordafrika auch vor und nach der Wandalenzeit Namen wie Cududus, Cududa und ähnliche gab (Beispiele LAN Bd. 1, 392 f.), die anscheinend punisch sind. Da die Steinmetzen nicht immer zwischen C und G unterscheiden, könnte freilich der eine oder andere germanische Name mit Gud- sich hier verbergen; doch haben wir dafür im Einzelfall keine Indizien. Ein sicher ungermanischer Gudul Ilicibran (?) f(ilius) Birzic aus Mactaris – Makthar, Africa Proconsularis (nach manfredclauss) diene zur Warnung davor, ähnliche Namen als germanisch anzusehen.
$ 21. Cyrila (Victor von Vita, Persecutio 2, 8; 53 ff.) ist der Name eines arianischen Bischofs, der im Auftrag von Hunirix mit katholischen Bischöfen verhandelt und vorgibt, nicht Latein zu können, obwohl diese wissen, dass er bei anderen Gelegenheiten Latein sprechen konnte. Da kann man sicher sein, dass er ein Wandale ist. Victor berichtet weiter, dass die katholischen Bischöfe ihm vorwerfen, dass er superbe et illicite … sibi nomen Cyrila adsumpsit ‚aus Hochmut und unerlaubt den Namen Cyrila angenommen hatte‘. Ein nomen adsumptum, ein angenommener Beiname, soll Cyrila also sein, kein Taufname; und zu seiner Annahme sollte man eine Erlaubnis brauchen, für die die katholischen Bischöfe ein Monopol zu haben glauben. Man könnte vermuten, dass er den Namen eines der von den Katholiken
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als Heilige verehrten Bischöfe namens Kyrillos (eher wohl Kyrill von Alexandria als Kyrill von Jerusalem) angenommen hatte. Nun sieht die Nominativendung -a nach gotischer Sprache aus. Dann könnte der Name eine Hybridbildung sein. Wenn Victor nicht den zitierten Kontext überlieferte, würde man annehmen, Wandalen hätten einen Namen aus einem griechisch / lateinischen Wortstamm und einem germanischen Diminutivsuffix gebildet. So wie Cyrila sich als angenommener Bischofsname darstellt (auch der viel spätere Slawenapostel Kyrillos hieß nicht ursprünglich so, sondern nahm diesen Namen erst in hohem Alter an), könnte es auch so sein, dass die wandalische Sprache noch so gefestigt war, dass Wandalen, wenn sie einen christlichen Bischofsnamen annahmen, diesen in die gotische Deklination überführten – was für Cyrila, der behauptet, nicht Latein zu können, plausibel wäre. Erschwerend für die Deutung ist jedoch, dass ein Dux des westgotischen Königs Theoderich 2., den Hydatius und Isidor für die Zeit um 460 bezeugen, ebenfalls den Namen Cyrila trug, falls man der für Hydatius bestbezeugten Schreibung vertraut (bei Isidor haben im Namen des Dux alle berücksichtigungswerten Schreibungen den Diphthong eu; der Nominativ kann bei Isidor als Ceurilas, der Ablativ als Ceurila hergestellt werden). Da ein gotischer Heerführer kaum einen Bischofsnamen annahm, könnte man auch vermuten, Cyrila sei ein original gotischer Name und die katholischen Bischöfe hätten ihn wegen des Gleichklanges mit K « missinterpretiert. Dass wir für diesen Namen so viel Zusatzinformation besitzen wie sonst für kaum einen, lässt uns erkennen, dass er mehrdeutig ist. Förstemann (1900 [22], 384) meint, es sei „schwer, diesen namen … von dem schon frühe vorkommenden fremden Cyrillus zu scheiden.“ Weiter sind wir auch heute nicht.
$ 22. Dagila erscheint bei Victor von Vita (Persecutio 3, 33) als Gattin eines cellarita (Aufseher über die Vorratskammer) des Gaisericus und war daher sicher Wandalin, obwohl Namenelemente Dag- auch in nicht germanischen Sprachen existieren und daher ohne diesen Kontext keine eindeutige Zuweisung möglich wäre. Zum Fragment Dagili[ auf einem Grabmosaik in Hippo Regius (AE 1958, Nr. 293) bemerkt Koenig (1981 [40], 301), dass das Grabinventar eher dem einer Frau entspricht. Die Ergänzung durch Francovich Onesti (2002 [25], 151) zu *Dagilia (f.) ist daher wahrscheinlich, obwohl auch der Name des Gatten im Genitiv vorliegen könnte. Zu -agi- s. unten (5.1.14).
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$ 23. Damira, die Tochter des Wandalen Oageis (Anthologia Latina, ed. Shackleton Bailey 340 = Riese 1, 345), trägt trotz Happ (1963 [29], 23) keinen germanischen Namen, wenn man die Kontraktion von Daga- zu Daim nachwestgotischen Namen Damirus bzw. Damiro für romanisch ansieht: nach Piel / Kremer (1976 [53], 111 f.) stammt der älteste Beleg dieses Namens von a. 978. In alten Belegen findet sich Ausfall von g vor i, aber nicht vor a.
$ 24. E (Akkusativ), Bruder des 0O!, wird von Prokop (Bell. Vand. 1, 9, 9 und öfter) genannt; vielleicht derselbe in der Anthologia Latina (ed. Shackleton Bailey 327 = Riese 1, 332) unter dem Namen Eugeti (Genitiv). Die Diskussion der Prosopographie s. unter Nr. $ 64 Oageis. Sprachlich vielleicht für das Erstglied zu vergleichen ist Evarix für den 486 verstorbenen Westgotenkönig bei Sidonius Apollinaris und Greg. Tour. gegen Evericus und Euuericus (= Ewericus) bei Hydatius und Euricus bei den meisten übrigen Autoren (LAN Bd. 1, 263 f.) zu gotisch aiws ‚Zeit, Ewigkeit; 1/‘. Eine Eindeutung von griech. ‚gut‘ in E und Eugeti wäre denkbar, belegt sein könnte eine solche in Euandalicus (CIL 3 13673 aus Ak-Kioi – Trapezunt) von a. 545 in der Titulatur Justinians für Vandalicus (teilweise in griechischen Buchstaben). Für das Zweitglied ist zu überlegen, für welche germanischen Laute das -« des Zweitglieds stehen könnte; vielleicht für -geis? (5.1.2). Eugetius sollte in der überlieferten Form als ‚griechisch‘ gelten (1.3).
$ 25. Fastila (Courtois 1955 [12] Nr. 151), Name des Erbauers eines Gebäudes in Carthago, ist mit großer Sicherheit wandalisch, obwohl das Vandalorum in einer Lücke der Inschrift nur Ergänzung der Herausgeber ist. Nicht wandalisch ist Fastila (f.) aus Caesarea, aus heidnischer Zeit, Freigelassene eines Königs Juba (ob Juba 2., 25 v. Chr. bis 23 n. Chr., gemeint ist, ist mir mangels detaillierter Information über die Inschrift nicht bekannt). Im Germanischen sind Namen mit Fast- belegt für den Gepiden Fastida (Jordanes), für einen burgundischen Comes, der sein signum Fastile unter die burgundischen Constitutiones unter Sigismund von a. 517 setzt (MGH LL Bd. 2,
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1, 34), beides Ostgermanen, und Fl(avius) Fasta, einen Angehörigen der Bataverkohorte in Aquileia (LAN Bd 1, 267).
$ 26. Feva, Cognomen eines Ponponius (Courtois 1955 [12], Nr. 116; Albulae – ’Ain Temouchent, Mauretania Caesariensis; in die wandalische Epoche datiert, doch könnte er dem Inschrifttext nach auch älter sein), ist, als Kurzname ohne signifikant nur im Germanischen vorkommende Lautverbindungen, mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht germanisch als germanisch, weil die wandalische Besiedlung in Mauretania Caesariensis nicht dicht war (vgl. Schwarcz 2004 [66]). Es wäre der einzige überlieferte germanische Name aus Albulae. Der Beiname des Rugierkönigs Feletheus qui et Feva (Eugippius, Vita Severini 8, 1 u. ö.) ist möglicherweise ein ad hoc gebildeter Kurzname, da er nur für diese eine Person benutzt wird. Auszuschließen ist germanische Herkunft des Pomponius Feva nicht, aber die Wahrscheinlichkeit doch so deutlich kleiner, dass die Kennzeichnung als ‚nicht germanisch‘ gerechtfertigt ist.
$ 27. Fridamal, der in zwei Epigrammen des Luxurius genannt wird (Anthologia Latina, ed. Shackleton Bailey 299 und 300 = Riese 1, 304; 305), ist sicher ein Wandale. Aber sein Name, der als Umkehrung des Namens der mit Thrasamund verheirateten Tochter des Ostgotenkönigs Theoderich erscheint, könnte eine uns unbekannte Anspielung bergen und eventuell ostgotische Lautung wiedergeben. Wahrscheinlicher ist wohl wandalische Aussprache als Basis für die Schreibung des Luxurius, doch im Zweifel benutze ich solche Namen nicht als Quelle für das Wandalische. Wir haben auch ohne diesen genug Belege für Frid- (unten 5.1.12).
$ 28. Friderich in großteils griechischen Buchstaben auf der Inschrift eines Kindergrabes in Sitifis (CIL 8 8653 A) ist nach Gerd G. Koenig (1981 [40], 302) vielleicht vorwandalisch. Mit dem entsprechenden Vorbehalt wird es für die e/i-Problematik (unten 5.1.4) und den Lautwert von d (unten 5.1.12) herangezogen.
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$ 29. Fridila, aus Caesarea (CIL 8 21424; Courtois 1955 [12], Nr. 169), ist mit Wahrscheinlichkeit aus der wandalischen Epoche und, da die Silbenstruktur hinreichend komplex ist um zufällig unbelegte ungermanische Homonyme als unwahrscheinlich erscheinen zu lassen, sicher germanisch, obwohl in Caesarea sonst keine sicher wandalischen Namen vorkommen. Verwertbar ist es für die e/i-Problematik (unten 5.1.4) und den Lautwert von d (unten 5.1.12).
$ 30. Fridus (Genitiv!) bzw. Fridi ist Widmungsempfänger zweier Gedichte der Anthologia Latina (ed. Riese 1, 18 und ed. Shackleton Bailey 70 = Riese 1, 82); der Verdacht von Frankovich Onesti (2002 [25], 154), dass es sich dabei nicht um dieselbe Person handelt, ist nicht begründet; für den sprachlichen Befund ist diese Frage aber unwichtig. Die Vermutung von Happ (1986 [50], Bd. 1, 303 f.) der Genitiv Fridus im Titel von Anth. Lat. 1, 18 könnte durch die gotische Genitivendung -aus motiviert sein, ist nicht erhärtbar, da die Formulierung des Titels Epithalamium Fridus a Luxurio wohl nicht von Luxurius selbst stammt, sondern vom Sammler der Anthologie (zur Frage des Autors der Titel Happ (1986 [50], Bd. 1, 123 f.), dem wir vielleicht eher schlechtes Latein als Kenntnis gotischer Kasusendungen zutrauen können. Verwertbar ist es für die e/i-Problematik (unten 5.1.4) und den Lautwert von d (unten 5.1.12).
$ 31. Fronimuth (Corippus, Johannis 4, 525) ist ein römischer Feldherrr der nachwandalischen Epoche; selbst falls der Name germanisch ist, wäre die Wahrscheinlichkeit, dass er Wandale sei, nicht allzu groß. Doch hat Corippus einen weiteren Name auf -muth, der einer nicht germanischen Sprache entstammt: der Name Solumuth (so vom Herausgeber Partsch vereinheitlicht aus den in der einzigen Handschrift an allen vier Belegstellen unterschiedlichen Schreibungen *Sulumut [aus subulum ut], Sulumur, Solumuth, Solumur; LAN Bd. 1, 617), den wir in heidnischer Zeit in in Gallien stationierten Truppen finden: Soli / Muti No / licean(us?) M(onumentum) (Dijon – Dibio, Belgica, CIL 13 05572) und Solimuto (Bourges – Avaricum, Aquitania, CIL 13 11141).
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$ 32. Gaisericus: Dieser Name ist in vielen Belegen erhalten (LAN Bd. 1, 301 ff.). Hydatius, Victor von Vita, Prosper und die meisten anderen Chroniken stimmen im Diphthong (ai oder ei) gegen Monophthong (e oder i oder, für nasaliertes e, en) in ungenaueren Quellen überein; das sagt einiges über die Aussprache des alten Diphthongs ai (unten 5.1.1).
$ 33. Der Name des Gamuth (Victor von Vita, Persecutio 2, 15) Bruder des Heldica, gehört sicher zu gotisch *ga-moqs (moqs* %«, . ‚Zorn‘) ‚der Zornige‘. Der Kontext weist ihn als einen der wandalischen nobiles aus, die von Hunirix verfolgt wurden, weil er seinen Bruder Theoderich und dessen Anhänger fürchtete. Aussagekräftig ist dieser Name sowohl für den Lautwert des o¯ (unten 5.1.6) als auch für das q im Auslaut (5.1.12) und zur Endungslosigkeit (5.3.2). Ein nicht germanisches Beinahe-Homonym begegnet anscheinend auf einer Inschrift aus heidnischer Zeit aus Caesarea – Cherchell, Mauretania Caesariensis (manfredclauss): Gamu[s?] / Callip […] / v(otum) s(olvit) [l(ibens) a(nimo)].
$ 34. Gebamundus, Bruder des Gunthimer und des Hildirix, ist in drei Gattungen von Quellen belegt (LAN Bd. 1, 311): die Inschrift auf den von ihm errichteten Thermen (Courtois 1955 [12] Nr. 126), Gebam[, trägt offiziellen Charakter und ihre Anfertigung wurde vermutlich überwacht; ihr entspricht in den lateinischen Chroniken von Victor von Tunnuna und Isidor Gebamundus*. Dagegen schreibt Prokop immer " * 2 «. Zum Lautwert des wandalischen ˘e unten (5.1.4); zum u˘ vor Nasal (5.1.8); zum nd (5.1.13); zum intervokalischen b (5.1.15).
$ 35. Geilamir ist der Name eines Wandalenkönigs, den wir in erstklassigen Quellen besitzen: die Anfertigung der in Italien (Fonzaso bei Feltre?) aufgefundene Silberschüssel mit der Inschrift Geilamir (CIL 8 17412 = Courtois 1955 [12], Nr. 111) wurde sicher von einem Wandalen überwacht, auch
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wenn der Graveur vermutlich Vulgärlatein sprach; auch die prinzipiell weniger zuverlässigen (weil in der Ausführung oft nicht überwachten) Münzbelege dieses Herrschers zeigen dieselbe Schreibung. Mit diesen stimmen die Schreibungen bei einer Reihe von Autoren im Diphthong (ei) überein: Victor von Tunnuna, Corippus und andere (LAN Bd. 1, 312–314). Für diesen Namen ist die tatsächliche Aussprache gesichert. Durch den Vergleich mit Schreibungen in der wandalischen Kultur ferneren Quellen kann er Aufschlüsse darüber geben, mit welchen lautlichen Entstellungen wir in den überlieferten Formen der anderen wandalischen Sprachreste zu rechnen haben; besonders zu den Diphthongen (unten 5.1.1), zu den Vokalen der unbetonten Zwischensilben (5.3.4), zum Vokal in mer / mir (5.1.5) und zur Endungslosigkeit (5.3.2).
$ 36. " ! « (Genitiv), nur bei Prokop belegt (Bell. Vand. 1, 9, 6), Vater des " / Geilamir (Nr. $ 35), wirft außer dem unten (5.3.3) behandelten Problem des Zweitglieds das Problem auf, dass " - wohl dasselbe germanische Element repräsentieren soll wie "- im Namen des Sohnes; darüber unten (5.2).
$ 37. Gentonis (Belege dazu und zu den folgenden Namen LAN Bd. 1, 316) bei Hydatius entspricht Gentunis bei Victor von Vita und im Laterculus regum Vandalorum; dagegen "( bei Prokop. Denselben Namen tragen: ein Gote der Jahre vor 480, dessen Name aus Malchos in den Excerpta de Legationibus Romanorum als " (Dativ) überliefert ist, und ein Truppenkommandant des Kaisers Maurikios in den Balkankriegen der Zeit um 600, den Theophylaktos Simokattes abwechselnd " und "( nennt; möglicherweise ein Ostgermane. An strukturell vergleichbaren Namen kennt das Germanische nur Gantuni[s] (Dativ Plural) aus Köln (CIL 13 8218), vermutlich weibliche Gottheiten in Gestalt von Wasservögeln. Da das Wandalische, wie die anderen ostgermanischen Sprachen auch, keinen i-Umlaut von a zu e vor i/j der Folgesilbe kennt (gotisch sandjan : deutsch senden), ist diese Verbindung jedoch unmöglich. Für Kaufmann (1968 [50], 136) bleibt der Name „unklar“. Wredes halbherzig vorgetragener Versuch, ein gotisches *Ginta-hu¯ ns herzustellen (Wrede 1886 [52], 65), könnte bestenfalls die Form bei Victor von Vita erklären, aber nicht den Namen des
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bei Malchos genannten Goten, den man doch wohl nicht davon abtrennen wird. Als Möglichkeit, den Namen ungermanisch zu erklären, nennt Frankovich Onesti 2002 [25], 158) lat. Gentius, das aber eine nicht vergleichbare Wortbildung zeigt. „Dass mit dem Namen bis jetzt nichts zu beginnen ist“ (Wrede 1886 [52], 65) gilt noch immer.
$ 38. Gibali (Genitiv; Courtois 1952 [49] Nr. 15, Tablette 28b, 9; Tebessa – Theveste, Numidia; Verkaufsurkunde von a. 494 oder knapp danach) ist nordafrikanisch; ein Märtyrer von a. 304 heißt Givalius (Mandouze 1982 [46], 540).
$ 39. Gilesa (aus Tebessa – Theveste, Numidia) wird in einer Verkaufsurkunde von a. 494 genannt (courtois 1952 [49] Nr. 10). Dort wird angegeben, dass sie Gattin eines Iulius Quintianus ist und wie ihr Gatte litteras nescit. Sie gehört also einer Schicht von nur mäßig gebildeten provinzialen Grundbesitzern an; Namen mit Gil- sind unter Wandalen belegt; s-Suffixe zur Bildung eingliedriger Namen gibt es im Ostgermanischen ziemlich oft; es spricht nichts dagegen, den Namen als wandalisch anzusehen. Aber: Wer kann mit Sicherheit sagen, dass es nicht in irgendeiner anderen Sprache dieses Landes ebenfalls mit Gil- anlautende Namen und s-Suffixe gab? Da der Gatte einen romanischen Namen trägt, können wir uns der germanischen Herkunft des Namens der Frau nicht sicher sein, da es kein typisch germanischer Name ist. Bei Gilesa kommt noch dazu, dass es sich, falls sie Wandalin wäre, nicht um eine wandalische Monophthongierung von Geil- zu Gil- handeln würde, sondern um eine vulgärlateinische Erscheinung ihrer romanischen Umgebung, da der Name von König Geilamir in zuverlässigen lateinischen Quellen immer mit Diphthong geschrieben wird, hingegen a. 693, als das Westgotische in Spanien schon zumindest beinahe, vielleicht sogar ganz ausgestorben war, ein Bischof von Gerona Gilimirus (LAN Bd. 1, 356) heißt. Die Monophthongierung ist in Gilimirus sicher ein Zeichen der Romanisierung, nicht einer spätgotischen Lautentwicklung, und ebenso wäre Gilesa zu beurteilen, für den Fall, dass es wandalisch ist. Frankovich Onesti 2002 [25], 159) nimmt dagegen Metathese aus *Gisila oder Gesila an. Das halte ich für wenig wahrscheinlich. In keinem Fall können wir diesen Namen für die Ermittlung des Lautstandes des Wandalischen gebrauchen.
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$ 40. Godagis (Nominativ für Ablativ; Hss. var. Godagisum), nach Victor von Vita (Persecutio 2, 14) von Hunirix verbannter Sohn des Gentun. Informativ für die Aussprache des Wandalischen ist das o¯ , das nicht, wie in Blumarit und Beremud/t als u erscheint (unten 5.1.6). Diskutiert wird das Ablautsverhältnis der Namenelemente -g¯ıs ‚Sprössling‘ und -gais ‚Speer‘ zueinander (unten 5.1.2).
$ 41. " % (nur Akkusativ; Prokop Bell. Vand. 1, 24 7 und 13) ist als Gesandter Gelimers sicher Wandale. Schon auf Münzen des Kaisers Tacitus von a. 276 erscheint tth im Namen des Gotenvolkes. Da diese geläufige Schreibung auf die des PN eingewirkt haben könnte, ist nicht sicher, ob der Segmentierung Wredes (1886 [52], 85) in *Guth-theus zu folgen ist. Nach Wrede wäre als Zweitglied -theus, zu gotisch qius* ‚Haussklave; ! , 1«‘ anzusetzen. Dieses ist in Verbindung mit ‚Gott‘ in mehreren germanischen Namen belegt (sicher in Nr. $ 77 Sigisteus). In christlichen Kulturen geht die Verbreitung von griechisch 3 2 « aus. Falls beide % zum Vorderglied zu ziehen wären, würde das - allerdings kein Zweitglied, sondern ein Suffix repräsentieren.
$ 42. Gudulo, Gudulus entspricht dem numidischen Namen Gududus (z. B. der Mensor Cossutius Gududus AE 1904, Nr. 72; Lambaesis – Tazoult-Lambese, Numidia). Dieser Name ist vom einheimischen Wort für den Wildeber abgeleitet und lautet Gudud. us, wobei das d im Lateinischen und Griechischen manchmal durch l wiedergegeben wird; Gududus und Gudulus sind also derselbe einheimische Name.9
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Freundliche Mitteilung von Gerhard Böhm, Institut für Afrikanistik der Universität Wien.
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$ 43. Guiliaruna presbiterissa (AE 1958, Nr. 290; Hippo Regius – Annaba, Africa Proconsularis; 2. Hälfe 5. Jh.) ist ein für die altgermanische Kulturkunde interessanter Name. Das Zweitglied dieses Namens gehört zu urgerm. *ru¯ no¯ ‚Geheimnis‘; wenn eine Priesterin einen solchen Namen trägt, kann man vermuten, dass es sich nicht um einen PN im engeren Sinn handelt, wie sie anlässlich der Geburt verliehen werden, sondern um eine Art ‚Berufsnamen‘. Aus heidnischer Zeit gehören zu den wenigen Namen von Frauen, die wir insgesamt überliefert haben, gleich drei ‚Berufsnamen‘ von Seherinnen. Eine ist die bei Tacitus genannte Brukterin Velaeda (LAN Bd. 1, 770), deren Name wahrscheinlich germanisch und mit altirisch fili ‚Dichter‘ urverwandt ist (eine andere Möglichkeit wäre, ihn als Entlehnung aus dem Keltischen zu betrachten; das lange ae spricht für das Germanische); eine zweite ist die semnonische Seherin B * (LAN Bd. 1, 115; zu germ. *walu- ‚Zauberstab‘); eine dritte, bei Tacitus, Germania 8, 2, überlieferte, trägt einen Namen, der in den Handschriften unterschiedlich und vermutlich in allen entstellt wiedergegeben wird. Im 19. Jh. konjizierte man aus den bei Tacitus überlieferten Formen auriniam, fluriniam, albriniam (und anderen Varianten) *Albrunam, und hielt das für ziemlich sicher, weil das graphematisch als Quelle der Varianten verständlich (in albriniam wären nur die i-Punkte Fehlinterpretation eines Abschreibers) und außerdem sinnbehaftet wäre: ‚die mit Alben raunt‘ wäre ein guter Berufsname für eine Seherin. Da damals kein zweiter altgermanischer Name mit dem Zweitglied -runa belegt war, stellte er allerdings eine ungesicherte Konjektur dar, und Lena Peterson ist im Recht, wenn sie ihn als „zählebigen Geisternamen“ bezeichnet (Peterson 2002). Die wandalische christliche Priesterin Guiliaruna kann aber ihren Namen nicht aus genuin christlichen Vorstellungen haben; christliche Frauennamen mit dem Sinngehalt ‚prophetissa‘ gibt es nicht. Allerdings gibt es die Erscheinung, dass in erst kürzlich christianisierten germanischen Kulturen heidnische Vorstellungen nachwirken. Dadurch wird dieser Name für unsere Kenntnis der wandalischen Kultur und des Wandalischen in Afrika relevant, und auch für den in der Germania des Tacitus genannten Namen, da nun die Konjektur *Albruna für das Zweitglied eine Parallele in einer tatsächlich belegten Form bekommt. Das enthebt zwar nicht von der Verpflichtung, sie entsprechend als Konjektur zu kennzeichnen, damit hat Peterson Recht, aber der Grad der „Geisterhaftigkeit“ hat sich durch die Parallele Guiliaruna verringert. Das anlautende Gu- in Guiliaruna zeigt die typisch vulgärlateinisch-romanische Schreibung für W- aller germanischen Sprachen; zum .ia. der Kompositionsfuge unten (5.3.4); zum u¯ 5.1.6.
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$ 44. Guitifrida (Courtois 1955 [12], Nr. 160; Nominativ), aus Haidra (Ammaedara), könnte aus nachwandalischer Zeit stammen: die Entstehungszeit wird mit 6.–7. Jh. angegeben (AE 1968, Nr. 640). Der Name Guitifrida zeigt, wie vieles am von Courtois (1955 [12]), gesammelten Material, die vulgärlateinisch-romanische Schreibung Gu- für W-. Ob diese durch die romanische Sprache des Steinmetzen oder der Auftraggeber verursacht war, oder ob es sich um Verwendung von Namen aus der Sprache der wandalischen Herren durch romanische Bevölkerung handelt, ist nicht feststellbar. Namen sowohl mit dem Erstglied Viti- als auch das Zweitglied -frida in Frauennamen sind in der ganzen Germania häufig, so dass der Name auch nicht beweist, dass es sich um eine Ostgermanin handelt, was bei der möglicherweise späten Datierung einen weiteren Unsicherheitsfaktor darstellt. Zum Gu- unten (5.1.15).
$ 45. Gunda, Vater des ]remiro (CIL 8 7394; Cirta – Constantine, Numidia) ist nach Koenig (1981 [40], 302) vielleicht vorwandalisch. Das noch erhaltene Zweitglied des Namens des Sohnes zeigt ostgermanischen Lautstand. Zeugniswert hätte dieser Name für das Schwanken der Wiedergabe von nq als nd oder nt oder nth (unten 5.1.13).
$ 46. Gundericus († 428) stammt zwar noch aus der vorafrikanischen Zeit der Wandalen, doch ist die von Prokop angeblich von einem Wandalen gehörte Form "% « zu berücksichtigen: zu u/o unten (5.1.8) und zum Zweitglied (5.3.3).
$ 47. Guntha iuuenis (auf einem Mosaikfußboden in Sidi Bou Ali – Enfidaville, Africa Proconsularis; AE 1961 Nr. 202) entstammt sicher der Oberschicht des Wandalenreiches. Der Beleg bezeugt u für u˘ vor Nasal (5.1.8) und die Wiedergabe von *nq (unten 5.1.13).
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$ 48. Gunthamundus (LAN Bd. 1, 402 f.): Die Form, wie sie Dracontius in der Satisfactio verwendet, mit nth für germ. *nq in Guntha- und nd für germ. *nd in -mund, ist sicher die vom König für korrekt angesehene Schreibweise. Sie findet sich ebenso auf den unter Gunthamund geschlagenen Münzen. Die Handschriften der Chroniken verhalten sich mit nth oder nt für *nq uneinheitlich; nd für *nd ist konstant. Die Belege auf Verkaufsurkunden romanischer Bevölkerung zeigen meist nt für das *nq des Erstglieds und sonstige Entstellungen, aber das nd für *nd ist auch in ihnen konstant, sogar wenn sich in der sonstigen Schreibung weitere Entstellungen finden, wie z. B. in Ginttabundi (Courtois 1952 [10], Tablette Nr. 2,2b und 11, 22b Theveste – Thebessa, Numidia; 11. Mai und 5. Juni 494; also kein einmaliger Schreibfehler). Von dieser Regel weicht nur der einzige griechische Autor ab, der den Namen Gunthamunds überliefert, nämlich Prokop, der beide Male " 2 « schreibt. Dadurch erhalten wir nuancierte Einsichten in die Wiedergabe von *nq und *nd (unten 5.1.13). In der Kompositionsfuge ist a konstant (unten 5.3.4); zu u vor Nasal (5.1.8).
$ 49. Gunthimer (LAN Bd. 1, 415) wird zunächst nur bei Victor von Tunnuna genannt; die Nennung bei Isidor ist ein Exzerpt aus diesem (Mommsen in Chron. Min. Bd. 2, 299). Zu u vor Nasal unten (5.1.8); zu *nq (5.1.13); zum -mer / -mir-Wechsel (5.1.5); zur Endungslosigkeit (5.3.2).
$ 50. In Hegerit (AE 1953 Nr. 148b; Thibiuca – Zuwaytinat Al Bay, Africa Proconsularis) ist das Erstglied unklar. Die Interpretation von Francovich Onesti (2002 [25], 163) als latinisierte Schreibung für wandalisch *Aigwäre, was den Ersatz von ai durch e betrifft, möglich, da der Kontext serbus für servus (dei) vulgärlateinisches Milieu spiegelt. Aber da wäre der Wegfall eines h wahrscheinlicher als seine hyperkorrekte Einführung (s. unten 5.1.10). Das Erstglied bleibt ungeklärt. Zu -rit unten (5.3.3).
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$ 51. Heldica (LAN Bd. 1, 422) gehörte zu den unter Gamuth (oben Nr. $ 33) erwähnten, von Victor von Vita genannten Mitgliedern des wandalischen Hochadels, die von Hunirix aus dynastischen Gründen verfolgt wurden. Da an beiden Stellen die Überlieferung des e eindeutig ist, ist dieses für Victor gesichert. Da nur germ. *Hild- ‚Kampf ‘ für die Etymologie in Frage kommt (*haliq- ‚Mann; Held‘ hätte im Ostgermanischen keinen i-Umlaut), bezeugt es die Unsicherheit im e/i-Bereich schon für den Autor unten (5.1.4).
$ 52. Hildeguns (Courtois 1955 [12] Nr. 164; Mactaris – Makthar, Africa Proconsularis) auf einer nicht datierten, aber sicher der wandalischen Epoche entstammenden Grabinschrift ist wohl ein Frauenname, und das s steht wohl für wandalisches q. Francovich Onesti (2002 [25], 163) erwägt, ob das -s Rest einer Latinisierung zu -gund(i)s sein könnte. Hinreichendes Material für eine Entscheidung dieser Frage gibt es nicht: fränkische Namen latinisiert zu Baudegundis (Venantius Fortunatus), Berthegundis, Ermegundis, Fredegundis (Gregor von Tours) usw. sind häufig, doch existiert nur ein ostgermanisches Gegenstück (Theodagundae, Genitiv; Cassiodor, Variae 4, 37); dieses ohne Latinisierung mit -is. Die vergleichbaren Namen Alagu(n)q, Alirgu(n)q und Bliqgu(n)q auf Runeninschriften des 6. und 7. Jh. sind westgermanisch (Nedoma 2004 [50], 171 ff., 176 ff., 240 ff.). Zum i unten (5.1.4); zu ld und *nq (5.1.13); zu u vor Nasal (5.1.8); zur Frage der Endung (5.3.2)
$ 53. Hildimer findet sich nur bei Corippus (LAN Bd. 1, 430 unter ‚Hildirix 1‘). Die Schilderung dort legt nahe, dass Partsch (1879 [51], 161) im Recht ist, der annimmt, es handle sich um irrige Schreibungen des Namens von König Hildirix: am Ende der Schlachtschilderung, v. 262–264, heißt es, das Heer floh regemque trementem, / annorum fessum numero casumque paventem / deicit, et sceptrum saevo dedit inde tyranno. Das muss die Ablöse des Hildirix durch Gelimer meinen, und der nicht namentlich genannte rex wird wohl dieselbe Person sein wie der zu Beginn der Schlacht zwei Mal genannte Hildimer. Das wäre ein Zeichen dafür, dass Corippus, der über 30 Jahre
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nach den Ereignissen schrieb, die Namen der Wandalenkönige nicht mehr korrekt im Gedächnis hatte. Anders Courtois (1955 [49], 231 Anm. 15) und Francovich Onesti (2002 [25], 163), die annehmen, Hildimer sei ein Feldherr des Hildirix.
$ 54. Hildirix (LAN Bd. 1, 429 f.) ist vor allem durch mehrere Münzen gesichert; die Varianten Hild-rix und Hil-rix gehen auf das Konto der Stempelschneider. Daneben tritt Hildirit bei Victor von Vita, Hildericus bei Ferrandus, sowie bei Späteren: Hilderix und Hildericus bei Victor von Tunnuna, Hilderis und Ildirix bei Isidor. In der Anthologia Latina (ed. Shackleton Bailey 194, 1 = Riese 1, 203) bieten die Handschriften hildirigi A, hildirici B, hildrici V. Nach Happ (1963 [29], 25) ist davon nur das Letztgenannte metrisch korrekt. Ob aber diese Schreibung nur aus dem Zwang des Metrums zu erklären ist oder weitgehenden Schwund oder Tonlosigkeit des Fugenvokals im Wandalischen bezeugt, ist nicht entscheidbar. Ein gleichnamiger westgotischer Bischof unterschreibt a. 561 mit Ildericus (LAN Bd. 1, 430). Zu H- unten (5.1.10); zu i vor ld (5.1.4); zu ld (5.1.13); zur Kompositionsfuge (5.3.4); zum ¯ı in rix (5.1.5); zum endungslosen Auslaut (5.3.2).
$ 55. Hostrildi (Nominativ?) auf einer Grabinschrift (Fußbodenmosaik) in Carthago (Courtois 1955 [12], Nr. 142 b und c; Beschreibung bei Fiebiger 1944 [49], Nr. 3) zeigt durch die Vergesellschaftung mit Vilimut (Nr. $ 96) und Tanca (Nr. $ 83) sicher wandalische Herkunft. Die Etymologie des Erstglieds ist nicht eindeutig. Die Zuordnung zu *aust.r- setzt hyperkorrekte Einfügung des H durch einen Romanen voraus, der selbst kein anlautendes h sprach und sich nicht sicher war, ob der Name in korrektem Wandalisch mit Vokal oder H anlautete. Derlei ist bei Weitergabe des Textes an den Steinmetz möglich; die Häufigkeit von Hyperkorrekturen in Inschriften wird allerdings überschätzt (s. unten 5.1.10). Das Zweitglied zeigt das romanische Fehlen des h- in ildi für hildis (unten 5.1.10) und das ostgermanische i für germanisches ˘e (unten 5.1.4). Denkbar wären für den Anlaut auch Lautsubstitutionen oder Hörfehler des Steinmetzen; z. B. aus *west.r- oder *uzd- mit eingeschobenem r wie in Usdrilas (LAN Bd. 2, 637 und 649).
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$ 56. Hunirix (LAN Bd. 1, 436 ff.) ist so nur bei Victor von Vita belegt; es zeigt neben weiter nicht erklärungsbedürftigen Varianten wie Hunerix, Hunericus und Huniricus auch solche, die durch die Namensähnlichkeit mit Kaiser Honorius beeinflusst sind (oben 1.3). Zum Anlaut unten (5.1.10); zu ¯ı in rix (5.1.5); zu u¯ (5.1.6); zur Endung (5.3.2).
$ 57. Iuliateus ist provinzialrömisch. Die Annahme einer lateinisch-germanischen Hybridbildung (Francovich Onesti 2002 [25], 166) könnte die Wortbildung nicht erklären.
$ 58. Maioricus sieht nach einer provinzialrömischen Bildungsweise eines lateinischen Namens aus; die Rekonstruktion als germanisches *Malarix (Francovich Onesti 2002 [25], 166) ist ungesichert.
$ 59. Marivadus* ist als Vetrauter des Hunirix sicher Wandale; die Lesung seines Namens ist sehr wahrscheinlich herstellbar (die Metathese Varimadum bei Pseudo-Vergilius von Thapsos ist vereinzelt; die Lesung Mauridano der Edition princeps des Victor von Vita ebenfalls; Lesarten: LAN Bd. 1, 492). Problematisch ist jedoch die etymologische Zuordnung: das Erstglied sieht aus wie die westgermanische Entsprechung von ostgermanisch m¯er / m¯ır, wird aber zu einem Stamm mit a˘ zu stellen sein. Kaufmann (1968 [37], 248 f.) arbeitet überzeugend die Existenz eines Stammes *Ma˘ r- heraus (ob man seiner Interpretation dieses Stammes als „namenrhythmische Kürzung“ aus einem der Stämme *Marha- ‚Ross‘ oder *Marko¯ - ‚Grenzgebiet‘ folgen will, ist hier irrelevant). Das Zweitglied wird man am ehesten zu germ. *badu- ‚Kampf ‘ stellen. Förstemann (1900 [22], 1490) stellte es jedoch „unsicher“ zu *vadja und fand damit verschiedentlich Nachfolger. Trotzdem ist dieser Name für unsere Fragestellung brauchbar, da sich für ostgotisches Sunhivadus* und (nach)westgotisches Trasovado (Nominativ) dieselbe Frage stellt (LAN Bd. 1, 640 und 714; Bd. 2 474 und 638); man
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kann daher mit gleicher Problemlage im Gotischen und Wandalischen rechnen. Zu b/v unten (5.1.15).
$ 60. [M ]erobaudes (CIL 8 27545; Djeradou bei Henchir Certouta, Africa Proconsularis; Bruchstück anscheinend einer Nennung katholischer Märtyrer) ist ein häufiger und durch den gleichnamigen Konsul von a. 377 und 383 sowie durch den Dichter des 5. Jh. bekannt gewordener Name, dessen Schreibung durch die Tradition beeinflusst worden sein könnte. Andernfalls wäre es ein Beleg für erhaltenes altes au (5.1.1), b (5.1.15) und d (5.1.12).
$ 61. Munifrida (Carthago; Courtois 1955 [12], Nr. 148) zeigt älteres u in germ. -mun.i gegen -o- in merowingischen Quellen (unten 5.1.8). Das Erstglied ist selten und gerade dadurch ein guter Zeuge für die aktuelle Aussprache, weil es kaum durch schriftliche Traditionen beeinflusst ist. Es ist sicher ein Frauenname; keine erhaltene Endung eines schwachen Maskulinums, die Fiebiger-Schmidt (1917 [49], Nr. 69) annehmen. Zu u vor Nasal unten (5.1.8); zum i in frid (5.1.4); zu d für q (5.1.12).
$ 62. Muritta ist ein Kurzname, der verschiedenen Sprachen entstammen kann.
$ 63. ]ndilu ist nach Ennabli (1991 [19], Nr. 265) Fehllesung für ]udilu; vermutlich *Cudilu. Dieses ist wahrscheinlich nicht germanisch (s. zu Nr. $ 20).
$ 64. Oageis (Anthologia Latina, ed. Shackleton Bailey 340 = Riese 1, 345) wird von Wrede (1886 [84], 77) zu gotisch ho¯ ha ‚Pflug‘ gestellt. Das überzeugt weder semantisch, noch hätte es Parallelen in der sonstigen germani-
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schen Namengebung. Happ (1963 [29], 26) stellt es zu germ. *hauha-; ebenso das LAN (Bd. 2, 541), aber mit ‚?‘, denn es ist kein PN mit germ. *hauhs sicher belegt. Es ist daher sowohl in der Frage des anlautenden H als auch in der Diphthongenfrage nicht belastbar. Problematisch ist vor allem die Prosopographie: Oageis wird von vielen (z. B. Courtois 1955 [12], 398 f.; Happ 1986 [50], Bd. 2, 341) als identisch mit dem von Prokop E (Akkusativ; Nr. $ 24) genannten Bruder des 0O! (Nr. $ 65) angesehen. E« könnte aber der Namensform nach (ob auch der Person nach, ist wegen mangelnder Angaben in den Quellen unbekannt) eher identisch sein mit dem in der Anthologia Latina genannten Eugetius (Nr. $ 24), und es ist unwahrscheinlich, dass Luxurius den Namen derselben Person so unterschiedlich schrieb; Oageis und Eugetius sind prosopographisch eher nicht identisch (so auch Happ 1986 [50], Bd. 2, 289). Die Entscheidung bezüglich der Prosopographie hat sprachwissenschaftliche Konsequenzen: da Prokop angibt, dass 0O! und E« Brüder waren, muss er wohl ihre Namen zusammen und vom selben Gewährsmann vernommen haben. Wenn man nun annimmt, dass die Namen beider mit demselben Erstglied gebildet seien und bei anderen Autoren als Oamer und Oageis erscheinen, wäre zu folgern, dass Prokop keine einheitliche Substitutionstechnik benutzte, und zwar nicht nur in unterschiedlichen Quellensituatonen, sondern sogar im selben Kontext. Das wäre dann denkbar, wenn Oageis durch das Zweitglied an einen griechischen Namen erinnert hätte und unter Nichtwandalen allgemein Eugetius genannt worden wäre, Oamer aber ein Produkt normaler Lautsubstitution wäre. Ich bezweifle aber, dass *Hauha-geis tatsächlich stark an Eugetius erinnerte, und halte die Identifikation von Oageis mit E« für unwahrscheinlich. Das Zweitglied scheint die Erhaltung des Diphthongs ei/ai zu bezeugen; dazu unten (5.1.1; 5.1.2).
$ 65. Oamer begegnet uns bei Victor von Tunnuna und, in der Schreibung 0O!, bei Prokop (LAN Bd. 1, 432 und 527). Bei Prokop trägt etwa die Hälfte der handschriftlichen Belege den Spiritus asper, aber abgetrennt als Artikel ². Die Ursache für die Setzung des Spiritus asper kann gewesen sein, dass er sich tatsächlich in Prokops Original fand, oder die naheliegende Verwechslung des anlautenden O mit dem Artikel ² durch die Schreiber. Zu Gunsten der Etymologie zu germ. *hauhs ‚hoch‘ nimmt man das erste an. Beide Quellen stimmen überein in der Endungslosigkeit und im Lautwert e für den Vokal des Zweitgliedes. Zum möglichen Entfall des H- unten (5.1.10); zum e in mer unten (5.1.5); zur Endungslosigkeit (5.3.2).
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$ 66. Obadus bei Victor von Vita (LAN Bd. 1, 527) ist zwar auf Grund seiner Funktion (Praepositus Regni unter Hunirix) sicher Wandale, jedoch für welche germanische Lautung die überlieferte Schreibung ob steht, ist nicht mit Sicherheit auszumachen. Verschiedene Vorschläge listet Francovich Onesti (2002 [25], 169); am wahrscheinlichsten erscheint Substitution für germanisches W. *Wadus würde erhaltenes d bezeugen; ebenso die wenig wahrscheinliche Alternative zu -badu- ‚Kampf ‘. Zur w/b-Frage unten (5.1.15); zu d (5.1.12).
$ 67. ]orix (Francovich Onesti 2002 [25], 169) ist auf Grund der Kürze des Fragments nicht verwertbar; doch ist anzumerken, dass es dem ausschließlichen Auftreten des Vokals i in den Namen auf -rix nicht widerspricht (unten 5.1.5).
$ 68. Ostariccus (Courtois 1955 [12], Nr. 170; Tipasa, Mauretania Caesariensis) ist ein Katholik; die Datierung ist unsicher. Man würde eher Gemination des r als des c erwarten; daher setzt Tiefenbach (1991 [72], 264) *aust- wie im Altnordischen an. Doch vielleicht ist es nur Irrtum für *Ostar-ricus. Dass vor dem r-Suffix ein Sprossvokal erscheint, während die Namen sonst ohne diesen, mit aust.r-, gebildet sind, ist nicht weiter verdächtig: schon der älteste Beleg für germanisches *austr-, Auster-avia bei Plinius (eine friesische Insel), ist mit Sprossvokal gebildet. Einen eingliedrigen Namen mit Deminutivsuffix (*Austar-ika) wird man für wenig wahrscheinlich halten. Der Wandel von Au- zu O- kann auf das Konto der Romanisierung des Namens oder auf einen wandalischen Lautwandel gehen (unten 5.1.1).
$ 69. Pinta, Name eines arianischen Bischofs (LAN Bd. 1, 541), ist ungermanisch. Dieser Name tritt schon sehr früh und vor allem in den hispanischen Provinzen auf. Sonstige Vorkommen im Imperium Romanum bezeichnen bisweilen die Herkunft von der iberischen Halbinsel, wie in Leutstetten bei
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München: P(ublio) Iul(io) C(ai) f(ilio) Quir(ina) Pintam[o] / domo ex Hisp(ania) citerio[re] / Augusta Brac(ara) (AE 1972, 359; nach manfredclauss).
$ 70. Analoges gilt für Pintuni.
$ 71. Raginari (Courtois 1955 [12], Nr. 145) oder Ragihari (Koenig 1981 [40], 309) auf einem Gewicht aus Carthago könnte der wandalischen Epoche entstammen. Wegen der unsicheren Lesung ist die Frage, ob germanisches h erhalten ist, nicht entscheidbar, doch wäre es, falls wandalisch, ein Beleg für erhaltenes g vor i (unten 5.1.14).
$ 72. ]remiro s. bei Gunda Nr. $ 45. Vielleicht vorwandalisch; aber typisch ostgermanisch durch das i. Dazu unten (5.1.5); zur Endung (5.3.2).
$ 73. Salo (katholischer Bischof in Mauretanien; LAN Bd. 1, 583) ist ein im Thrakischen und vielen anderen Sprachen auftretender Kurzname, der ohne spezifischen Hinweis auf die Sprachzugehörigkeit des Namensträgers für keine Sprache in Anspruch genommen werden kann.
$ 74. Scarila (LAN Bd. 2, 8): Fulgentius von Ruspe (†533) richtet seine Abhandlung über die Dreifaltigkeit („De incarnatione filii Dei et vilium animalium auctore ad Scarilam liber unus“) an einen Scarila, der veram fidem cognoscere begierig ist und brieflich Fragen bezüglich der Trinität an Fulgentius gerichtet habe. Die historische Zuverlässigkeit der Aussagen solcher Widmungstexte ist gleich null, doch zeigt er, dass es denkbar erschien, dass Wandalen
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zum Katholizismus übertraten. Zur lautlichen Entsprechung mit althochdeutschen Scerilo oben (3).
$ 75. Sifila Sohn des Aystheodorus Nr. $ 12; aus nachwandalischer Zeit; möglicherweise germanisch, nicht unbedingt wandalisch.
$ 76. Sigibali in der Ortsbezeichnung riu sigibali (‚Bach des S.‘), in einer in sehr schlechtem Latein geschriebenen Urkunde der ‚Tablettes Albertini‘ aus dem 10. Regierungsjahr Gunthamunds (Courtois 1952 [10], 278; Tebessa – Theveste, Numidia). Die Namen der Beteiligten sind teils lateinisch, teils nordafrikanisch (Siddina f.); bei -bal könnte man auch an ein punisches Namenelement denken. Falls der Name germanisch ist, ist er vermutlich verballhornt aus *Sigivald. Als Beleg für wandalische Lautentwicklungen wäre das zu unsicher.
$ 77. Sigisteus bezeichnet sich selbst in seinem Brief an den Presbyter Parthemius (Patrologia Latina, Supplement 3/2, Paris 1964, 447) als comes; der Dativ (im Antwortschreiben des Parthemius; ebenda 448) lautet Sigisteo. Dieser Name bezeugt den intakten s-Stamm sigis; das Zweitglied, zu gotisch qius* ‚Haussklave; ! , 1«‘, bezeugt die Wiedergabe von q durch t nach stimmlosem Laut (unten 5.1.11) und vermutlich auch des Diphthongs wulfilanisch iu durch eu, obwohl das durch die lateinische Endung -us (Dativ: -o) vorgespiegelt sein kann.
$ 78. Zu Silibudi (Tebessa – Theveste, Numidia) äußert sich Gsell (1922 [27], Nr. 3455) zurückhaltend: „nom barbare, qui ne me fait pas l’effet d’être africain“. Dem entspricht die Eintragung im LAN (Bd. 1, 610): „möglicherweise germanisch“. Als Zeugnis für eine Lautentwicklung wäre es zu unsicher.
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$ 79. Sindivult (Courtois 1955 [12], Nr. 171; Tipasa, Mauretania Caesariensis): Namen mit *Sinq- haben einen klaren Schwerpunkt bei Ostgermanen (Goten, Eruler; LAN Bd. 1, 611). Allerdings wäre Vermischung mit *Svinq- möglich, da Münzen des westgotischen Königs Svinthila auch die Form Sindila zeigen. Zu i vor Nasal unten (5.1.8); zu nd für nq (5.1.13). -vult zeigt t für auslautendes q (5.1.12); zur Endungslosigkeit (5.3.2).
$ 80. Stilico war nach Orosius (7, 38, 1) Wandale, aber vor deren nordafrikanischer Epoche. Trotzdem ist der Name zu erwähnen, wegen der auffälligen Endung -o (unten 5.3.2). Manche versuchen sie als westgermanischen Einfluss zu erklären, andere als römischen, weil sie das Schimpfwort semibarbarus, mit dem Hieronymus (Epistel 123) ihn meint, als Hinweis auf eine römische Mutter verstehen. ‚Halb barbarisch‘ muss aber nicht eine halb römische Abstammung meinen; es kann auch heißen, dass er trotz seiner Karriere halb Barbar blieb.
$ 81. Supserik (endungsloser Nominativ), seine Tochter Supserika und eine Germa[na?], möglicherweise seine Gattin (LAN Bd. 1, 643 f.), sowie ein Bruchstück Supseri[ (Fevrier 1972 [20], 185 Nr. 12); Tebessa – Theveste, Numidia; offensichtlich aus der Wandalenzeit: Die Ableitung des Namens der Supserika vom Namen ihres Vaters ist im Romanischen, nicht im Germanischen üblich (s. zu Nr. $ 1 Abiarica / Abtarica); es werden daher, falls es sich nicht um ungermanische Namen handelt, eher (pseudo-)germanische Namen eingesessener Bevölkerung sein als teilweise romanisierte Wandalen.
$ 82. Svartifan (Corippus, Johannis 4, 861) ist Maure; mit demselben Zweitglied gebildet ist der Name des Mauren Guenfan (Corippus, Johannis 3, 66). Daher ist Svartifan wahrscheinlich maurisch und den Anklang an germanisch svarta- ‚schwarz‘ zufällig (LAN Bd. 1, 645); die Bildung eines germanisch-
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maurischen Hybridnamens (so Frankovich Onesti 2002 [25], 174) halte ich für unwahrscheinlich.
$ 83. Tanca (oben 3.1.2; Kontext s. Hostrildi Nr. $ 55) dient als Zeugnis für Lautsubstitution von T für *q im Namen eines Wandalen (unten 5.1.11); zur Endung -a des schwachen Nominativs (5.3.2).
$ 84. Theodoricus lautet die überwiegende Zahl der Handschriften-Lesarten bei Victor von Vita (LAN Bd. 1, 669), der angibt, dieser dritte Sohn des Gaisericus sei von Hunirix nach Ermordung von Gattin und Sohn exiliert worden (Persecutio 2, 14). Prokop (Bell. Vand. 1, 5, 11) irrig: Gaisericus habe seinen Besitz Hunirix und Gentun hinterlassen, weil 3 « bereits ohne Nachkommenschaft verstorben gewesen sei. Zu eo für wulfilanisches iu unten (5.1.3); zum Bindevokal o (5.3.4).
$ 85. Theudo[ (Courtois 1955 [12] Nr. 140) auf einem Bruchstück aus Carthago (Kindergrab), das wahrscheinlich zu einem zweigliedrigen Namen wie z. B. *Theudoricus zu ergänzen ist. Zu eu für wulfilanisches iu unten (5.1.3); zum Bindevokal o (5.3.4).
$ 86. Thrasamundus ist der Etymologie zu germ. *qras- ‚Streit‘ in gotisch qrasabalqei* ‚Streitsucht‘ (Skeireins) nach gesichert und in zahlreichen Belegen in verschiedenen Quellengattungen überliefert. Die Überlieferungssituation des nd ist so eindeutig, dass die wenigen Münzbelege mit -mud(u)s keine Zuweisung an *mo¯ d rechtfertigen (LAN Bd. 1, 699 ff.; Bd. 2 581); Thrasamuds scheint nur eine von Münzmeistern geschaffene Abkürzung zu sein. Die abweichenden Schreibungen geben Einblick in quellentypische Substitutionen für alle in diesem Namen vertretenen Laute. Zu q im Anlaut (5.1.11); zu u vor Nasal (5.1.8); zu nd (5.1.13); zum Fugenvokal (5.3.4).
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$ 87. Trigari in der Nr. $ 89 behandelten Inschrift entzieht sich eindeutiger Interpretation.
$ 88. Triova fidelis in pace dp wird von Courtois (1955 [12] Nr. 144; Carthago) ohne Begründung zu deposita (f.) ergänzt. Zu io für iu unten (5.1.3); zu ov für ostgermanisches ggw (unten 5.1.9).
$ 89. Hic iacent Untancus et Innocens partis Trigari (CIL 8 8650; Sitifis – Sétif, Mauretania Caesariensis): zeigt in Untancus t für q im Anlaut des Wortstammes (nicht im Wortanlaut). Das Un- könnte im In- von Innocens eine semantischstrukturelle Parallele haben. Namen mit Tanc- sind zahlreich und meist ostgermanisch (LAN Bd. 1, 648). Die Schreibung Untanccus für eine andere Person desselben Namens (Fiebiger-Schmidt 1939 [21] Nr. 83; Carthago), die aber nach Koenig (1981 [40], 302) vielleicht vorwandalisch ist, spiegelt den Umgang eines romanischen Steinmetzen mit dem germanischen Namen. Zu t für q unten (5.1.11); zu Vokal vor Nasal (5.1.8).
$ 90. Ustriut (Courtois (1955 [12] Nr. 155; Tebessa – Theveste, Numidia) ist weder eindeutig als Maskulinum oder Femininum klassifizierbar noch eindeutig segmentierbar. Die Segmentierung ist fraglich; es finden sich mehrere ostgermanische Namen mit Ust.r- bzw. Usd.r-, die man zu *Uzd-, *Austroder *Westr- stellen kann (LAN Bd. 2, 472 und 649); man könnte auch an eine Segmentierung Us-triut denken, mit verstärkendem us, wie in gotisch us-qriutan ‚einem Beschwerde bringen; ‘ und ähnlich. Sicher ist: es ist ein endungsloser Nominativ (unten 5.3.2).
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$ 91. Valilu (Koenig 1981 [40], 301; Hippo Regius – Annaba, Africa proconsularis) in einem Grab mit Schmuckstücken, die einer Ostgermanin gehören könnten, trägt die Endung -u für ostgermanisches o¯ und ist damit das feminine Pendant zum Namen des Flavius Valila (LAN Bd. 1, 752; Schenkender der Donatio Tiburtina, Rom, a. 471), der offenbar einen ostgermanischen Namen trägt. Zur Endung unten (5.3.2).
$ 92. Der Volksname Vandali (LAN Bd. 1, 755 ff.) hat eine alte Schreibtradition. Daher ist es nicht erstaunlich, dass viele gleichartige Schreibungen mit V- oder VV und nd im Lateinischen und B- und im Griechischen auftreten. Trotzdem finden sich abweichende Schreibungen, die auf den Umgang romanischer Schreiber mit germanischen Namen Licht werfen; insbesondere im Anlaut lateinisch Gu- und griechisch O. Bemerkenswert ist das starke Schwanken des Suffixvokals im Griechischen zwischen , und , das nichts mit dem altgermanischen Suffixablaut Vandili : Vandali zu tun hat. Zum Anlaut unten (5.1.15); zum nd (5.1.13).
$ 93. Varica (Carthago; Courtois (1955 [12] Nr. 146) ist ein unspezifischer, nicht unbedingt germanischer Kurzname.
$ 94. Vasila (Carthago) wird von Ennabli (1975 [18], Nr. 28) als zweifelsfrei wandalischer Name bezeichnet. Ein entsprechendes germanisches Namenelement ist aber nicht belegt. Gegen germanische Herkunft ist auch Francovich Onesti (2002 [25], 178).
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$ 95. Vifrede (Vokativ) auf einem Ring aus einem Grab auf Ibiza, das aus der Zeit stammen könnte, als die Balearen unter wandalischer Herrschaft standen, könnte nach Koenig ([40], 300) wandalisch sein; da es sich auch um einen Goten handeln könnte, bleibt es hier außer Betracht.
$ 96. Vilimut s. Hostrildis Nr. $ 55; zum Anlaut unten (5.1.15); zum Fugenvokal (5.3.4); zum u¯ in -muth (5.1.6); t für q im Auslaut (5.1.12); zur Endungslosigkeit (5.3.2).
$ 97. Vitarit s. zu der ostgotischen Parallele Witterit oben (3.1.3). Das Erstglied gehört zu germanisch *wit- (in althochdeutsch wizzan ‚wissen‘ usw.). Zum Anlaut unten (5.1.15); zu -rit (5.3.3).
4.1 Eine suebische Inschrift Von den nicht wandalischen Inschriften der wandalischen Epoche Nordafrikas ist die folgende bemerkenswert: Ermengon Suaba … conivves (= coniux) Ingomaris aus Hippo Regius (Courtois 1955 [12], Nr. 70; Abbildungen bei Courtois 1955 [12], Tafel V, S. 199 und bei Duval 1959 [14], nach S. 262). Die Datierung, ‚ANN XXXV‘, wird von Courtois gedeutet als Jahresangabe der wandalischen Ära (= a. 474), von Marec (1958 [48], 59 f.) weniger überzeugend als ‚30jährig‘ (das V ergänzt Marec zu vixit). Diese Inschrift zeigt, dass mit den Wandalen auch Sweben gezogen waren, ohne ihre Sprache an das Wandalische anzupassen: Während das Wandalische wie das Gotische urgermanisches ¯e zu ¯ı hebt und daher die Namen auf -m¯er Richtung -m¯ır tendieren, wird es im Westgermanischen zu a¯ . Sua¯ ba und Ingoma¯ r zeigen diesen Lautwandel so wie deutsch Schwaben und die PN auf -mar. Conivves für coniux zeigt, dass der Steinmetz des Lateinischen nicht ganz mächtig war. Das Suaba könnte der Wortform nach auch ungermanisch sein (zu lat. suavis); im Kontext von germ. Namen westgermanischer Lautgestalt ist der Bezug auf Sueben jedoch sicher. Höchstwahrscheinlich westgermanische
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Lautung und suebischen Namen vereint auch Suabila (Fevrier 1972 [20], 143; Hippo Regius – Annaba, Africa proconsularis), obwohl Février auch eine Bildung zu lat. Suavillus für möglich hält.
5 Dialektale Unterschiede zwischen Gotisch und Wandalisch-Gotisch? Die Wrede noch nicht bekannten wandalischen Namen stimmen zu seinem Befund, dass der Namenschatz der Wandalen weitgehend dem der Goten glich, ohne neue Akzente zu setzen. Erst die Übereinstimmung der Beobachtung, dass es zahlreiche Goten und Wandalen gemeinsame PN gibt, mit der Tatsache, dass die beiden wandalischen Sätzchen, die wir besitzen, nur gotische Wörter enthalten, lässt keine Möglichkeit für vernünftige Zweifel daran, dass die Wandalen ein ziemlich reines Gotisch sprachen. Das eine der beiden Sätzchen, das im Pseudo-Augustinus „Collatio cum Pascentio“, ist der Liturgie entnommen und daher vielleicht nicht Alltagssprache. Das andere, in „De conviviis barbaris“, zeigt das kulturelle Leben der Zivilbevölkerung im Wandalenreich. Es ist, wie ausgeführt (oben 2.2), ein Zeugnis dafür, dass die Sprache der Wandalen in Afrika von den Zeitgenossen als ‚Gotisch‘ bezeichnet wurde. Es empfiehlt sich daher auch für uns, zu sagen, die Wandalen sprachen Gotisch. Da bleibt noch die Möglichkeit, dass es Dialektunterschiede gegeben haben könnte, die sich in für uns feststellbarer unterschiedlicher Wahl lateinischer Schriftzeichen für wandalische und gotische Aussprache mancher Laute niedergeschlagen hätten.
5.1 Suche nach Dialektunterschieden zwischen Gotisch und Wandalisch-Gotisch im sprachlichen Material Die Hauptmasse der Belege gotischer Namen zur Zeit der Wandalen in Afrika entstammt den Varien Cassiodors. Die Wulfila-Bibel entstammt der 2. Hälfte des 4. Jh; einige Schreibvarianten gehen auf das Konto der leicht veränderten Aussprache im Ostgotischen des 6. Jh. Diese lässt sich leider nicht mit so großer Sicherheit aus den Namen rekonstruieren, wie Wrede meinte, weil oft die Eigenheiten romanischer Schreiber den Befund verfälschen können. Nur wenn die Varianten der im 6. Jh. geschriebenen Handschriften der gotischen Bibel dieselben Tendenzen zeigen, kann man von Lautwandel innerhalb des Gotischen sprechen.
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5.1.1 Das Problem der Diphthonge ai und au Eine Eigenheit des von Wulfila für die gotische Bibelübersetzung neu geschaffenen Schriftsystems sorgt schon seit dem 19. Jahrhundert für Diskussion und wurde durch den Strukturalismus der 1960er Jahre neu belebt: Die Frage der Vokalquantitäten und des Überganges von Diphthongen in Monophthonge im Gotischen. Sicher ist: Das Gotische unterschied Kurz- und Langvokale deutlich. Wulfila benutzte die Zeichen für o und e für die Langvokale; für die Kurzvokale musste er daher neue wählen. Im Griechischen waren und mit bzw. in der Aussprache zusammengefallen; die griechische Orthographie blieb aber konservativ und schrieb weiter die Wörter mit und , die man altgriechisch so geschrieben hatte. Nach diesem Vorbild benutzte Wulfila die Digraphen au und ai für o˘ und ˘e; er musste also apaustaulus für « schreiben.10 Ebenso schrieb er in gotischen Wörtern wairqan, das deutsch werden entspricht und immer ˘e hatte, gegen jer deutsch Jahr, das immer einen Langvokal (gotisch ¯e) hatte. Aber es gab im Gotischen auch Wörter, die in allen germanischen Sprachen Diphthonge hatten: stains, deutsch Stein, und hlaupan, deutsch laufen, waren diphthongisch, und falls dieses ai oder au einmal monophthongisiert worden wäre, in einer germ. Sprache doch eher zu einem Langvokal, wie im Deutschen (z. B. gotisch raus : deutsch Rohr), nicht zu einem Kurzvokal. Anders im Romanischen, wo es keine Differenzierung von Längen und Kürzen gab. Daher nahm man bis 1960 meist an, Wulfila habe in seinem neuen Alphabet die Zeichen ai und au für je zwei verschiedene Laute benutzt, nämlich für Diphthonge in Wörtern vom Typ stains und hlaupan und für Kurzvokale in Wörtern vom Typ wairqan (deutsch werden), waurd (deutsch Wort). Ist es denkbar, dass jemand ein neues Alphabet entwirft und dabei Inkonsequenzen begeht? Die Strukturalisten der 2. Hälfte des 20. Jh. sagten: Nein, und die Neuauflagen der Gotischen Grammatik, die ab 1961 von Ernst A. Ebbinghaus bearbeitet wurde, ab 2004 von Frank Heidermanns, geben an, Wulfila hätte die Stammsilbenvokale in wairqan und stains zwar nicht gleich ausgesprochen, aber als kurzes bzw. langes offenes e; während das Zeichen e ein langes geschlossenes e bezeichnet hätte. Dazu muss man das Zeugnis der Namen herunterspielen; die Angabe bei Heidermanns (2004 [50], 40), „solche Schreibungen [seien] traditionell und zählebig“ ist irreführend, da Namen wie der des Goten Gaina um 400 neu in den Gesichtskreis der Antike kamen und daher keinen älte10
Die gelegentliche Schreibung apaustulus wird als Einfluss der ostgotischen Schreiber des 6. Jh. aufgefasst. Belege bei Streitberg (1920 [71], 46).
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ren Sprachzustand als den Wulfilas repräsentieren können. Der Weg derjenigen Strukturalisten ist falsch, die bei der Rekonstruktion nicht oder nur trümmerhaft belegter Sprachstufen annehmen, synchron widerspruchsfreie Systeme seien wahrscheinlicher als synchron widersprüchliche: Das menschliche Denken knüpft an überkommene Strukturen an; die für neue Situationen nötigen Veränderungen werden nicht genau mit dem Übernommenen übereingestimmt; man bemüht sich eher, mit möglichst wenigen diachronen Veränderungen auszukommen. Daher sind alle natürlichen Systeme, seien es Sprachen oder schriftliche Zeichensysteme, irgendwie in sich widersprüchlich. Wulfila hatte sicher andere Sorgen, als sein Alphabet bis ins letzte Detail der Sprachstruktur anzugleichen. Die Belege für die Namen der Goten Gainas und Radagaisus in lateinischen Quellen zeigen durchgehend die Digraphe ai, wie auch für den Wandalenkönig Gaisericus oder Geisericus (Nr. $ 32; ai oder ei macht keinen wesentlichen Unterschied). Für das Gotische ist außerdem das hailag (entspricht etymologisch, wenn auch nicht im Bedeutungsumfang, deutsch heilig) in der Runeninschrift auf dem Ring von Pietroassa beweisend; wenn auch nicht unbedingt für die Entstehungszeit, da die Aussprache einer sakralen Formel konservativ gewesen sein kann. Die kunstgeschichtlich datierbaren Teile des Pietroassa-Schatzes wurden früher allgemein in die Zeit um 360 datiert; insbesondere eine Schüssel (patera) mit neuplatonischen Götterdarstellungen ist sicher in die Zeit Julian Apostatas zu stellen.11 Man nahm daher an, dass die Deponierung mit der Auswanderung der Westgoten zu Beginn der Völkerwanderung zu tun hat. Einige Objekte weisen jedoch Stilmerkmale auf, die für die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts kennzeichnend sind; daher wurde der Fund neuerdings mehrfach in diese Zeit gestellt.12 Die gotische Siedlung nahe Pietroassa wurde allerdings bald nach 370 aufgelassen;13 es finden sich dort keine Spuren einer Siedlung des 5. Jahrhunderts. Da die stilistischen Datierungen einen großen Spielraum erlauben, ist es sinnvoll, bei der alten Datierung und bei der Zuweisung an die Westgoten zu bleiben. Der Vokalismus der germanischen Namen der Spätantike ist in den Quellen uneinheitlich. Die Korrumpierungen der Vokale von Namen in den Handschriften sind aber allgemein und betreffen nicht nur Germanisches. Mommsen nimmt z. B. an, dass Hydatius Callaecia schrieb; die beste 11 12 13
Überzeugende Datierung in die Zeit Julians: von Heland (1973 [34], 86–101). So Harhoiu 2003 [31], 147–153. So datiert sie auch Harhoiu (2003 [31], 147 f.). Dass er trotz des frühen Endes der Siedlung auf Grund der doch nur mit großem Spielraum datierbaren Stilmerkmale der Fibeln den Schatzfund nach 400 datiert, erscheint nicht einsichtig: man wird den Schatz nicht unabhängig von der Siedlung betrachten; besonders, wenn ein Stück klar datierbar ist, nämlich die Patera in die Zeit Julians.
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Handschrift schreibt meist Gallec-, bisweilen aber auch Gallic-, selten Gallac-14; die Barbarei im Umgang mit Vokalen ist eine romanische. Generell empfiehlt es sich, vor der Bewertung einzelner Handschriftenlesarten von germanischen Namen in den Apparaten der Ausgaben zu kontrollieren, wie die betreffende Handschrift mit lateinischen Wörtern umgeht, was ein Zeichen für den Grad der Romanisierung der Sprache des Schreibers ist. Z. B. hat die Hydatius-Handschrift F auch Schreibungen wie Ocianum für Oceanum und umgekehrt mare Terrenum statt Tirrenum für das Tyrrhenische Meer; das heißt, dem Schreiber war der Gebrauch von e und i prinzipiell gleichgültig, nicht nur in germanischen Namen, und diese Handschrift (wie auch viele andere) kommt für die Beurteilung des Vokalismus der Barbarensprachen nicht in Betracht. Augustinus klagt (de doctr. Christ. 3, 10, 24): Afrae aures de correptione vocalium vel productione non iudicant. Das war nicht nur in Afrika so; das Vulgärlatein unterschied auch anderswo Längen und Kürzen nicht. Stattdessen unterschied man den Öffnungsgrad: die ehemals langen e und o wurden dem i bzw. u angenähert; die kurzen eher der „Aussprache von Diphthongen“ (Servius, Grammatici Latini ed. Keil 3, 421, 16 ff.). Servius meint damit wohl nicht, dass die Kurzvokale zu Diphthongen wurden, sondern dass der Öffnungsgrad der ehemaligen Kurzvokale dem der ehemaligen Diphthonge glich15. Dass die Überreste germanischer Diphthonge gering sind, erstaunt daher nicht. Das Schwanken zwischen ai und ei in den Namen von Goten und Wandalen in lateinischer Schrift ist nicht weiter interpretationsbedürftig; wichtig ist nur, dass es sich in jedem Fall um die Wiedergabe eines Diphthongs gehandelt haben muss. Man darf nicht mit dem monophthongierten altlateinischen ae argumentieren: dieses wurde in der Schrift meist mit e oder ˛e, nicht mit ai oder ei wiedergegeben. Für das Wandalische sind die am besten bezeugten Namen mit altem ai Geilamir (Nr. $ 35) und Gaisericus (Nr. $ 32). Auch das ei, das der lateinische Dichter von De conviviis barbaris in eils hörte, in wulfilanischer Othographie hieße es hails, ist trotz verschiedener Versuche von Strukturalisten nur als Diphthong erklärbar. Deutlich ist, dass in Quellen, die weiter vom wandalischen Sprecher entfernt sind, oft andere Schreibungen auftreten, insbesondere Formen mit Monophthong e oder n statt des zweiten Teiles des Diphthongs. Informativ
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Mommsen im Apparat, Chronica Minora Bd. 2, 13 zu Zeile 12. Weitere Belege für den geschlossenen, i-nahen Charakter des ehemals langen ¯e gegen das offenere ehemals kurze e, dessen Öffnungsgrad dem des ehemals diphthongischen ae glich (mit dem es daher von Sprechern bzw. Schreibern, die versuchten, klassisches Latein zu schreiben, oft verwechselt wurde), bei Seelmann (1885 [67], 175 ff.).
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ist da eine Inschrift mit der Namensform Gesiric (AE 1949, Nr. 60; Sufetula – Sbeitla, Africa Proconsularis): Es ist die Grabinschrift eines im 28. Regierungsjahr des Gaisericus / Gesiric geborenen und nach der überzeugenden Neulesung und Interpretation der Datumsangabe von Duval (1987 [15], 389 f.; anders Courtois 1955 [12] Nr. 54) im Alter von 78 Jahren, also 545/546, verstorbenen Presbyters. Das zeigt Romanisierung im Mund von Nichtwandalen von ai zu e: der Lautwandel von ai zu e scheint sich also erst in romanischem Mund, nicht in wandalischem, vollzogen zu haben. Bei Victor von Tunnuna findet sich für Gaisericus bei jeweils einheitlicher Überlieferung in beiden Überlieferungszweigen zu a. 455 und 464 Gensericus, hingegen zu a. 523 Giserico (LAN Bd. 1, 302 f.). Da lagen vielleicht schon Victor (um 560) divergente Quellen vor. Interessant ist, wie man im ostgotischen Italien mit wandalischen Namen umging, die den Diphthong ai enthielten: wandalisch Gaisericus erscheint bei Cassiodor als Gensiricus; ein früherer gotischer König, auf den Cassiodor verweist, als Gensimundus (Hss. var. Gesimundus nur in schlechteren Hss.); der letztgenannte scheint dieselbe Person zu sein wie der bei Jordanes als Sohn des Hunimundus bezeichnete Gesimundus (schlechtere Jordanes-Hss. Gise-). Einen Ostgoten seiner eigenen Zeit, dessen Name vermutlich dasselbe Namenelement enthält, nennt Cassiodor Gesila. Daraus kann man schließen, dass Cassiodor der Diphthong ai nicht geläufig war und er versuchte, die wandalischen und älteren gotischen Namen stattdessen mit nasaliertem e wiederzugeben. Weniger auf Genauigkeit bedachte Abschreiber machten dann daraus einfaches e. In ostgotischen Namen Italiens gibt es in den Cassiodor-Handschriften keine Schwankungen; sie zeigen generell e. Allerdings lassen sich auch andere etymologische Anknüpfungen finden; der Befund ist nicht eindeutig, doch ziemlich wahrscheinlich. Das Wandalische scheint diese ostgotische Neuerung nicht mitgemacht zu haben und in diesem Punkt wie das Westgotische konservativer gewesen zu sein. Auch im Zweitglied scheint ei erhalten zu sein; E (Nr. $ 24) und Oageis (Nr. $ 64) legen diese Annahme nahe. Für den anderen Diphthong, au, sind die Belege in wandalischen Namen zahlenmäßig gering, aber immerhin vorhanden (Baudus Nr. $ 15). Wenn man die Beibehaltung der diphthongischen Aussprache des alten ai im Gotischen wegen Gainas und Radagaisus für erwiesen hält, wird man auch Entsprechendes für das alte au annehmen. Unsichere Zeugen, daher nur schwache Indizien, in einem Fall für diphthongische, im anderen für monophthongische Geltung sind [M ]erobaudes (Nr. $ 60) und Ostariccus (Nr. $ 68): das letzte sieht wegen der Geminata cc nach einem nicht des Wandalischen mächtigen romanischen Schreiber aus.
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Im Westgotischen sind bis zum Ende des Westgotenreiches, vor allem in den westgotischen Konzilsakten, Belege für erhaltenes au überliefert. Erhaltenes au zeigt Gauterit, der Name eines Westgoten, der 470 aus Gallien nach Spanien einfiel. Überliefert ist er nur in der gallischen Chronik von 511.16 Außerdem ist für au noch Audemundus in den westgotischen Konzilsakten zu a. 683 bis 693 überliefert. Das ¯e im Namen Auredus, a. 693 Bischof von Lerida (LAN Bd. 1, 101), zeigt, dass es sich um einen gotischen, nicht etwa fränkischen Namen handelt; auch in ihm liegt gotisches au vor. Wenn Jordanes einen Ahnherrn der Amalergenealogie Augis nennt, wird er wohl die ostgotische Aussprache zur Zeit Cassiodors wiedergeben. Ein Indiz könnte auch sein, dass noch der sogenannte „Trebellius Pollio“ (Hist. Aug. Divus Claudius), vermutlich zur Zeit Wulfilas, den Volksnamen der Ostgoten Austrogothi schreibt. Im Ostgotischen scheint sich aber bereits im 5. Jh. au zu o entwickelt zu haben, nimmt man seit Wrede (1891 [85], 165 f.) allgemein an. Hinlänglich sicher bezüglich der Etymologie und auch mehrfach belegt sind Namen mit Od- für Aud-, die diesen Wandel freilich nur für die Stellung vor Dental bezeugen, sowie das Namenelement Ostro-, bei Jordanes sowohl im Namen der Ostgoten als auch im Namen der Ostrogotha, einer Tochter Theoderichs. Die fränkische Prinzessin, die der Ostgote Theoderich heiratete, wird in zwei Quellen namentlich genannt: im Anonymus Valesianus als Augoflada, mit fränkischem au und a¯ , bei Jordanes (wohl aus Cassiodor) als Audefleda, mit gotischem ¯e, aber seltsamerweise mit au, das eigentlich nur fränkisch, nicht ostgotisch sein dürfte.17 Man muss entweder annehmen, dass der Name bei der Verehelichung der Prinzessin nur halb der neuen Sprache angeglichen wurde, oder dass auch im Ostgotischen um 500 die Variante mit au noch als prinzipiell möglich galt. In einigen Fällen könnte bei lateinischen Autoren mit (mittelbar) griechischen Zwischenquellen die Schreibung apt für aud stehen; z. B. Gapt bei Jordanes, für einen Namen, den man sinnvoll nur als gotisch Gaut interpretieren kann. Eine Eigenheit der griechischen Orthographie ist, dass für [wt] geschrieben wird; [gawt] kann man als Lautsubstitution für [gaut] durch jemanden auffassen, der die diphthongische Natur des au wiedergeben wollte und das griechische als ungeeignet empfand, weil es als [o] ausgesprochen worden wäre. Da zeigt sich der Nachteil der Namen: wir wissen nicht, was der Name eines bestimmten Germanen bedeuten sollte; im Fall Gapt haben wir keine sinnvolle Alternative zum au; die anderen Fälle von griechischem in germanischen Namen sind leider doppel16 17
Chronica Minora Bd. 1, 664. Nur in einer Madrider Handschrift des 13. Jh. erhalten. Dass einer der beiden Autoren d oder g verhörte, ist hier irrelevant. Belege: LAN Bd. 1, 95, s. v. Audefled.
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deutig: 04 « bei Cassius Dio 71, 12, 1 wird üblicher Weise zu deutsch Raft gestellt, obwohl es auch zu germanisch *raud- ‚rot‘ gehören könnte, wenn man mit der Möglichkeit der Schreibung für aud rechnet. Der Mörder des Ostgotenkönigs Theodahad heißt nach Prokop, Bell. Got. 1, 11, 6 #O «. Wie soll man den Namen herstellen, wenn man über die Etymologie nicht informiert wird? Hätte Prokop versuchen können, so ein gotisches *Autharit wiederzugeben? Gregor von Tours hat, aus uns unbekannter schriftlicher Quelle und daher durch uns unbekannte Zwischenglieder bedingt, die Schreibung Aptacharius für den Langobardenkönig Autharit (oder Authari). Dass wir im Langobardischen aut anzusetzen haben, ist sicher. Dann könnte apt in gotischen Namen ebenfalls für aut stehen. Die anderen Namen mit sind jedoch bei nur je einem Schriftsteller belegt; wir haben keine Vergleichsmöglichkeit, die uns die richtige Etymologie sichert. Die Möglichkeit, dass einige verkappte gotische aut in der Schreibung überleben, ist also nicht unwahrscheinlich, aber im Einzelfall kaum beweisbar. Ein Problem für sich stellt der Name ]erobaudes (Nr. $ 60) dar, der wohl zu *Merobaudes zu ergänzen ist. Er scheint von einem katholischen Märtyrer der Verfolgungszeit getragen worden zu sein. Später wäre Mer- die korrekte ostgermanische Form gegen westgermanisch Mar-. Doch der Name des Franken Merobaudes und der Familie der Merowinger passen nicht in dieses Schema. Die Probleme des Bindevokals o, der nicht zu dem Adjektiv *ma¯ ri passt, und des ¯e werden weder von der alten, von Schönfeld (1911 [64], 167) noch von der neueren, von Kaufmann (1968 [37], 257 f.) und Tiefenbach (2001 [73]) angeführten Literatur gelöst. Die Aussprache des germanischen Diphthongs ai als wandalisches ei entsprach also nach den bisher behandelten Quellen in etwa der im Gotischen in den Namen Gainas und Radagaisus, sowie in hailag in der Runeninschrift auf dem Ring von Pietroassa. Unterschiede zwischen Gotisch und Wandalisch sind daher auch im Bereich der Diphthonge, der bei der Gliederung einer Sprache in Dialekte sehr sensibel ist, nicht feststellbar, zumindest nicht beweisbar. Für das späte Ostgotische sind keine sicheren Belege auszumachen, weder für erhaltenes ai noch für Monophthongierung zu e, da die wenigen Belege etymologisch unsicher sind. Doch ist es wahrscheinlich, dass, wie Wrede (1891 [52], 165) annimmt, das späte Ostgotische auch hier monophthongierte. Das Wandalische behielt jedoch den alten Lautwert. Wie das Zeugnis des Pseudo-Augustinus, froja arme, in diesen Befund einzupassen ist, s. unten (7.).
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5.1.2 -g¯ıs oder -gais? In E (Nr. $ 24) könnte das einen Diphthong ei spiegeln und -gais ‚Speer‘ anzusetzen sein; ebenso in Oageis (Nr. $ 64). In Godagis (Nr. $ 40) könnte das Namenelemen -g¯ıs ‚Sprössling‘ vorliegen. Das Ablautsverhältnis dieser nicht klar trennbaren Stämme zueinander wird diskutiert (Kaufmann 1968 [50], 147 f.).
5.1.3 Der Diphthong eu/eo Der häufigste bibelgotisches iu enthaltende Name ist Theodoricus (Nr. $ 84), der aber durch die Ähnlichkeit mit griechisch 3 « einerseits mit diesem verwechselt wird, so bei Prokop, welches anderseits vielleicht die Schreibung des germanischen Namens beeinflusste. Ob auch das eo für wulfilanisches iu bei Victor von Vita durch den Anklang an griechisch 3 « bewirkt wurde, ist nicht entscheidbar. Dasselbe gilt für Theudo[ (Nr. $ 85). Eine bessere Quelle für diesen Diphthong ist Triova (Nr. $ 88), weil hier kein störender Einfluss eines Traditionsnamens vorliegen kann. Doch bezeugt er io nur stellungsbedingt vor w, sodass man auch annehmen könnte, in anderer lautlicher Umgebung habe wulfilanisches iu weiterhin gegolten.
5.1.4 Der Kurzvokal e˘ /i Im Ostgermanischen sollte allgemein Fri- wie in Friqareikeikeis (Fehlschreibung für *Friqareikeis) des gotischen Kalenders stehen; doch erscheint in den Namen zahlreicher Ostgermanen, insbesondere Westgoten, Fre-, wie für den Bruder des westgotischen Königs Theoderich 2., um 450–460, in fast allen Hydatius-Handschriften und für mehrere andere Träger dieses Namens bei verschiedenen Autoren (LAN Bd. 1, 285 ff.). Sowohl das vielleicht vorwandalische Friderich (Nr. $ 28) und das vielleicht Beziehungen zum Ostgotischen spiegelnde Fridamal (Nr. $ 27) als auch die sicher wandalischen Fridus (Nr. $ 30), Fridila (Nr. $ 29) und Munifrida (Nr. $ 61) weisen dagegen einheitlich i auf, wie mehrheitlich die ostgotischen Belege. Die gotischen Belege mit e gehen, zumindest großteils, auf das Konto der romanischen Überlieferung. Auch im Wandalischen finden sich jedoch vereinzelt Belege mit ˘e, und zwar Gebamundus (Nr. $ 34) neben " *- bei Prokop. Das e auf der Inschrift der von ihm ebauten Themen, einem Repräsentationsbau, dessen Inschrift doch von einem Wandalen überwacht
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werden sollte, erstaunt, wenn man den Lautwert i für altgermanisches ˘e als gesichert annimmt. Einen ähnlichen Befund ergibt Heldica (Nr. $ 51) im Vergleich mit Hildeguns (Nr. $ 52); in beiden muss *hildi- ‚Kampf ‘ vorliegen. Wenn auch nicht gesichert werden kann, wo die romanische e/i-Verwirrung schuld an den unerklärten e ist und wo auch andere Ursachen in Frage kommen, so ist die Situation im Wandalischen dafür nicht anders als im Ostgotischen.
5.1.5 Das Nebeneinander von e¯ und ¯ı Die Wiedergabe des germanischen ¯e1 durch ¯e statt west- und nordgermanisch a¯ gehört zu den sichersten Kennzeichen ostgermanischen Lautstands. Die Wulfila-Bibel benutzt dafür allgemein und auch in den stärker durch ostgotische Schreiber beeinflussten Teilen fast fehlerfrei das Zeichen e . Außer im Lukasevangelium, das mehrfach Verwechslung von e- und i-Lauten in beide Richtungen kennt, finden sich nur gelegentliches Schwanken wie das für [¯ı ] stehende ei im Lehnwort akeitis neben aketis ‚des Essigs‘ (aus lateinisch acetum, nicht dem 6 « des griechischen Textes; Streitberg 1910 [70], 6 und 1920 [71], 73). Ob man daraus auf einen völligen Zusammenfall von ¯e und ¯ı im Ostgotischen des 6. Jh. schließen oder nur relativ geschlossene Artikulaton des ¯e1 annehmen soll, ist aus der Beleglage nicht rekonstruierbar. Wrede fand in seinem ostgotischen Material in den Belegen der Namen auf mer/mir (germanisch ¯e) ein Verhältnis von etwa 2 : 1 zu Gunsten von mer; aber -r¯ıx (germanisch ¯ı) erscheint immer mit i; nie mit -rex. In den wandalischen Namen ergibt sich auch mit den Wrede noch nicht bekannten Belegen kein anderes Bild: rix ist einheitlich in Hildirix (Nr. $ 54) und Hunirix (Nr. $ 56), wie uneinheitlich auch die anderen Vokale dieser Namen geschrieben werden. Auch das Fragment ]orix (Nr. $ 67) weicht nicht von der Regel ab. Für mer/mir ist dagegen mit Geilamir (Nr. $ 35) in der wandalischen Kultur nahe stehenden Quellen -mir vorherrschend; in späteren, ab Victor von Tunnuna, und in griechischen Quellen dagegen -mer. Die Interpretation des Befundes ist nicht eindeutig: erfolgt die konstante Schreibung -rix mit i aus lautlichen Gründen, trotz des Anklanges an lateinisch rex, oder gerade um diesen zu verhindern? Ist die unterschiedliche sprachgeschichtliche Herkunft Ursache für eine weiterhin unterschiedliche Aussprache von ¯e und ¯ı? Oder waren die beiden Vokale schon in einen zusammengefallen, der aber stellungsabhängig vor k heller klang als vor r? Oder ist es nur eine durch die Häufigkeit der Namen auf -rix/-ricus/- « verfestigte Schreibtradition? Die Einflüsse der
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e/i-Verwirrung im Lateinischen auf die gotischen Texte sind kaum abschätzbar. Dass der Latein schreibende Notar der Urkunde von Neapel Mirica hörte, obwohl dieser mit Merila unterschrieb, zeichnet vielleicht ein realitätsnahes Bild (unten 6). Obwohl keine objektiven Werte über den Klang dieser Laute ermittelt werden können, so ist doch vergleichbar, inwieweit sich die Schreibungen wandalischer und gotischer Namen entsprechen, und da gibt es bei -rix keine Unterschiede, bei mer/mir scheinen auf den ersten Blick im Wandalischen in guten Quellen die -mir stärker vorzuherrschen als im Gotischen; in schlechteren -mer. Wir haben allerdings zu wenige wandalische Namen auf -mir, um einen Zufallsbefund ausschließen zu können: nur Geilamir (Nr. $ 35), diesen zwar sehr gut belegt und in verschiedenen Quellengattungen, aber eben nur eine Person; ]remiro (Nr. $ 72) ist vielleicht vorwandalisch. Dagegen haben wir für drei Personen Namen auf -mer, allerdings bei Griechen oder erst bei Autoren nach dem Ende der Wandalenzeit: Gunthimer (Nr. $ 49) und Oamer (Nr. $ 65) erst bei Victor von Tunnuna, bzw. #O! bei Prokop, und Hildimer (sei es irrtümlich für Hildirix oder für dessen Heerführer; Nr. $ 53) bei Corippus. Zum Nachweis von Unterschieden zwischen Wandalisch und Ostgotisch reicht das nicht.
5.1.6 o¯ und u¯ Schreibungen von u für o¯ finden sich in der Wulfila-Bibel häufiger als von i für ¯e, wie man seit Wrede (1891 [85], 164) weiß. Doch sind auch diese geringfügig im Vergleich zur fast regelmäßigen Wiedergabe von gotischem o¯ durch u bei lateinischen Schreibern, wie in der Urkunde von Neapel gotisch Alamoda : lateinisch Alamud (unten 6). Die wandalischen Namen entsprechen diesem Befund: wulfilanischem modags entspricht ostgotisch Bere-mud bei Jordanes und wandalisch Beremut[ bzw. Beremuda (Nr. $ 16); Blumarit (Nr. $ 18; ahd. Pluoma) und Vilimut (Nr. $ 96). In Godagis (Nr. $ 40) erscheint das o¯ dagegen als o. Prokop nennt im Wandalenkrieg "/« (LAN Bd. 1, 358 ff.) einen Goten von Geburt; ob diese Schreibung auf gotische oder wandalische Aussprache zurückgeht, ist ungewiss. Altes u¯ ist dagegen belegt in Guiliaruna (Nr. $ 43) und Hunirix (Nr. $ 56). Dem ensprechen westgotisch Burila (7. Jh.; LAN Bd. 2, 3) und Trutila (LAN Bd. 1, 722). Auch im Ostgotischen fand Wrede (1891 [85], 164) keine Schreibungen von o für u¯ .
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5.1.7 Nasalierung germanischer Vokale Eine Möglichkeit der Lautsubstitution für die gotischen Diphthonge scheint in der Nasalierung des zweiten Teiles des Diphthongs bestanden zu haben; siehe oben (5.1.1) zu Gensericus usw. Ob Nasalierung germanischer Vokale, auch Kurzvokale, durch vulgärlateinische oder griechische Sprecher auch sonst eine Rolle spielte, ist ungewiss; man erklärt die Formen Transamundus* und Transimundus* für Thrasamundus (Nr. $ 86) vermutlich besser als Kontamination mit lateinisch trans.
5.1.8 Vokal vor Nasal Selten ist in der ganzen Germania end für ind. Folgender Nasal scheint trotz e/i-Verwirrung die Schreibung i begünstigt zu haben (während die Umgebung von Liquiden anscheinend e begünstigte: 5.1.4). Aus dem Wandalischen haben wir Sindivult (Nr. $ 79) zu germanisch *swenq-; aus dem Gotischen zahlreiche Belege (LAN Bd. 2, 619 f.). Fest ist auch die Wiedergabe von un in lateinischen Quellen: Gebamundus (Nr. $ 34); Gundericus (Nr. $ 46); Guntha (Nr. $ 47); Gunthamundus (Nr. $ 48); Gunthimer (Nr. $ 49); Munifrida (Nr. $ 61); Un-tancus (Nr. $ 89). Zum selben Resultat für das Ostgotische kommt Wrede (1891 [85], 164 f.). Die Verschiebung der Klangfarbe von u zu o bei a in "% « (Nr. $ 46) ist vermutlich durch Lautsubstitution im Griechischen verursacht, nicht durch innergermanische Entwicklungen. Auch in iberoromanischen Quellen tritt im 7. Jh. mehrfach gond für gund auf, doch können einige dieser Formen westgermanisch sein.
5.1.9 Ersatz von ggw durch w In Triova (Nr. $ 88) fehlt die ‚goto-nordische Verschärfung‘ von v zu ggw. Das könnte westgermanischer Einfluss sein, ist aber eher Unsicherheit der Romanen, wie der ostgermanische Laut in der Schrift wiedergegeben werden könne. Sicher ist das für das Ostgotische, wo die unterschiedlichen Schreibungen bei Ennodius Triggva (Ablativ), bei Boethius Triggvillam (Akk.), im Anonymus Valesianus 2 Triwane (Abl.), bei Cassiodor Triwilae (Dat.) sich auf insgesamt nur ein bis zwei (unwahrscheinlich drei) Personen beziehen (LAN Bd. 1, 722). Falls Trigari(i) (Nr. $ 87; s. Nr. $ 89) germanisch sein und zu gotisch triggwa ‚Bündnis‘ gehören sollte, entsprächen die Verhältnisse im Wandalischen dem Ostgotischen.
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5.1.10 Germanisches h Zu anlautendem H gibt es schwer erklärbare Befunde: Der bei 10 Autoren in teilweise mehr als einem Beleg überlieferte Name der Hasdingi (Nr. $ 11) ist korrekt mit H nur bei Cassiodor überliefert; die afrikanischen Belege wählen, wie die Griechen, alle A-. Die Namen der Könige Hunirix (Nr. $ 56) und Hildirix (Nr. $ 54) sind jedoch in guten lateinischen Quellen fast ausschließlich mit H- geschrieben. Vielleicht war vor i für die Romanen das germanische h besser hörbar oder nachsprechbar als vor a; Es könnte aber auch auf persönliche Anordnungen von Hunirix und Hildirix zurückgehen. Im ostgotischen Italien finden sich bei Cassiodor alle drei Möglichkeiten: Hyperkorrekturen in Hamal-, Hereleuva neben korrektem Ere(zu germ. *er-; verfehlt Wrede 1886 [84], 61 zu heru- ‚Schwert‘ oder h¯er ‚erhaben‘); Entfall des H- in Unigis, Unimundus; korrektes H in Herminafridus*, Hildericus*, Hasdingi*. Die Hyperkorrekturen treten bei anderen Autoren weniger auf, noch weniger in Inschriften von Zivilbevölkerung. Die Häufigkeit von Hyperkorrekturen in Inschriften wird überschätzt; sie finden sich eher bei Gelehrten, und auch Cassiodor verwendet, wo es sich nicht um den Namen (H)amal, (H)amali selbst handelt, meist Formen ohne H-, wie in Amalafrida. Daher mein Zögern, Etymologisierungsvorschläge mit anlautendem Vokal für inschriftlich mit anlautendem H belegte Namen zu akzeptieren, bei Hegerit (Nr. $ 50) und Hostrildi (Nr. $ 55). Fast alle in der antiken Überlieferung mit O anlautenden germanischen Namen sind, was die Etymologie betrifft, im LAN Bd. 2 mit einem ‚?‘ versehen, da die Möglichkeit von Lautsubstitutionen Mehrdeutigkeiten schafft: Für Oageis (Nr. $ 64) und Oamer (Nr. $ 65) sind in beiden lateinischen Quellen, einem Gedicht des Luxurius bzw. der Chronik Victors von Tunnuna, nur Formen ohne H belegt. Wegen der geringen Belegzahl sind da Zufälle möglich. Da der Spiritus asper, der sich in der Mehrzahl der Belege von 0O! bei Prokop findet, auch durch missverständliche Interpretation als Artikel ² durch die Schreiber entstanden sein kann, wäre außer *hauha- germ. wa- denkbar oder o¯ oder vielleicht sogar aiwa-. Noch ärgere Entstellungen müsste man annehmen, wenn man Oageis mit E« identifizieren will (s. zu Nr. $ 64). Wenn man darauf verzichtet und nur die Form Eugetius mit der griechischen Form E« vereinigt, käme man auf ein wandalisches *Aiwa-gais. Das hätte eine Parallele im Namen des westgotischen Königs Evarix (*Aiwa-r¯ıks), der bei Jordanes und anderen meist als Euricus erscheint (LAN Bd. 1, 263 f.). Oageis – Eugetius – E« ist jedenfalls mehrdeutig. Sehr zufällig werden die Handschriftenbefunde für H- im Griechischen, da ein dem Spiritus asper entsprechendes Zeichen zwar schon in der Antike
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existierte, aber nicht zuverlässig benutzt wurde. Obwohl das germanische h im Ostgermanischen sehr kräftig, reibelautartig, gesprochen wurde, ist im Griechischen Lautentfall das Normale und sind andere Lautsubstitutionen selten; eine Ausnahme ist, dass Malalas " - für Hild- schreibt (LAN Bd. 1, 354 und 429). Für den Anlaut *h- des Zweitglieds nach Konsonant haben wir, beides ohne h, Agisild[ (Nr. $ 3) und Hostrildi (Nr. $ 55). In Hostrildi wäre bei Annahme der übliche Etymologie, zu *Austr-, im Erstglied eine Hyperkorrektur, im Zweitglied Entfall des h anzunehmen; es bietet sich jedoch keine plausible Alternative an. Durch die stark autor- und überlieferungsabhängige Situation ist es nicht möglich, etwaige Unterschiede in der Aussprache des h zwischen Wandalisch und Gotisch festzustellen.
5.1.11 Anlautendes q In Thrasamundus (Nr. $ 86) wird anlautendes q durch Th- wiedergegeben; dagegen durch T- in Tanca (Nr. $ 83); ebenso im Anlaut des zweiten Teils von Zusammensetzungen: Un-tancus (Nr. $ 89); Sigisteus (Nr. $ 77). Die Belegzahl ist gering; die ostgotische Parallele Tanca* (oben 3.1) zeigt dieselbe Schreibung.
5.1.12 Postvokalisches d/q/t Germanisches postvokalisches d liegt sicher vor in: Baudus (Nr. $ 15), [M ]erobaudes (Nr. $ 60) und Obadus (Nr. $ 66). In den Auslaut geraten kann es in *baud-, *mo¯ d- und *r¯ed-, wenn sie als Zweitglied auftreten oder eingliedrige Namen von ihnen gebildet werden und keine lateinische Kasusendung antritt; dann erscheint es als t. Das ist der Fall in Vilimut (Nr. $ 96), sicher auch in Vitarit (Nr. $ 97), das von der ric/rit-Problematik nicht betroffen ist, weil die Zahl der Belege im Wandalischen und Gotischen hinreichend ist; möglich ist es in Beremut[ (Nr. $ 16), wenn die Vermutung richtig ist, dass das t bereits den Auslaut darstellt. Die Wiedergabe der germanischen Media im Auslaut durch t, im intervokalischen Inlaut durch d, entspräche dem, wie wir erwarten, dass germanische Medien in lateinische Buchstaben übertragen wurden, wenn man sich an der Aussprache des Lateinischen im 5. Jh. orientiert: der distinktive Unterschied zwischen d und t lag im Germanischen wahrscheinlich zwischen ‚Lenis‘ gegen ‚Fortis‘; im Lateinischen zwischen ‚stimmhaft‘ und ‚stimmlos‘; eine stimmlose Le-
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nis war für die Germanen wahrscheinlich eine stellungsbedingte allophonische Variante von d, in der lateinischen Laut-Graphem-Entsprechung hatte der Steinmetz dagegen für die stimmlose Variante das Zeichen t zu wählen. Jordanes wählt auch im Auslaut d: Beremud, Evermud, Thorismud; Cassiodor Thorismuth (nur schlechtere Handschriften haben -mund; LAN Bd. 1, 134; 243; 698). Wir sind, wo die Überlieferung nicht eindeutig ist, unsicher, wo *-mo¯ da- ‚Mut; Gesinnung‘ und wo *-munda- ‚Schützer‘ (Kaufmann 1968 [37], 262) vorliegt. Intervokalisches gotisches q erscheint in allen wandalischen Belegen als d: Beremuda (Nr. $ 16); Fridila (Nr. $ 29); Fridus (Nr. $ 30); Arifridos (Nr. $ 8); Munifrida (Nr. $ 61); Fridamal (Nr. $ 27). Das in Friderich (Nr. $ 28) legt eine Aussprache als & nahe, wie auch im Ostgotischen, wo Prokop (Bell. Goth. 3, 12) - « in 7 « bietet, da als stark stimmhafter Reibelaut ausgesprochen wurde.
5.1.13 Die Wiedergabe von *nd und *nq, *ld und lq Wandalisches d und q waren deutlich geschieden. Für nd finden sich keine Formen mit nt: Anduit (Nr. $ 5), Gebamundus (Nr. $ 34), Gunthamundus (Nr. $ 48), Thrasamundus (Nr. $ 86). Auch ld ist in Hildeguns (Nr. $ 52) und ld in Agisild[ (Nr. $ 3) erhalten. Die Provinzialen waren nicht im Zweifel, mit welchem Laut sie d nach Nasal oder Liquid wiedergeben sollten. Dagegen ist in den Namen mit nq in den sicher aus der wandalischen Epoche stammenden Belegen nt bzw. nth vorherrschend, doch findet sich bisweilen auch d. Die Provinzialen hatten offensichtlich keinen genau entsprechenden Laut und waren im Zweifel, wie sie ihn wiedergeben sollten: Die Namen mit *Gunq- in Afrika, die sicher aus der Wandalenzeit stammen, haben nt oder nth bzw. %: Guntha (Nr. $ 47); Gunthimer (Nr. $ 49); Gunda (Nr. $ 45) ist vielleicht vorwandalisch. Aber Sindivult (Nr. $ 79) hat vor Vokal nd für nq; im Auslaut lt für lq. Aufschlussreich ist die Behandlung des Namens des Königs Gunthamund (Nr. $ 48) in den verschiedenen Quellengattungen (LAN Bd. 1, 402 f.). Auf den Münzen ist Gunthamund vermutlich Abkürzung für Gunthamundi, nicht stimmloser Auslaut und auch nicht Zeichen von Endungslosigkeit im Wandalischen. Dracontius, der sich an den König wendet, schreibt Gunthamundus*. In den zeitgenössischen, aber sehr wandalenfernen Datierungs-Angaben der Tablettes Albertini, die von ausschließlich alteingesessener Bevölkerung stammen, kann er außer als Gunthamundi und Guntamundi als Guntamun, Gunthabundi, Guntabundi, Guthabondi, Ginttamundi, Ginttabundi erscheinen; bei Prokop erscheint er als " 2 ««. Da keine entsprechende lateinische Schreibung
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belegt ist und Prokop, hätte er den Namen von einem Wandalen gehört, wohl " % oder " geschrieben hätte, hörte er vermutlich diesen Namen von einem Provinzialen, dessen t wie d klang. Keinen Unterschied zum Gotischen erkennt man auch an der Verbindung lq, die Balda[ (Nr. $ 14) erhalten ist, denn auch die westgotischen Namen mit *Balq- ersetzen lq durch ld (Balderedus, Baldvigius; LAN Bd. 1, 114); die Leges Burgundionum kennen aber einen Baltamodus und Jordanes nennt das westgotische Königsgeschlecht Balthi (LAN Bd. 1, 115). Asdingus ist hier anzuschließen, da das s für stimmhaftes [z] steht, das so stark stimmhaft artikuliert wurde, dass das germanische d nicht, wie nach stimmlosem Konsonant zu erwarten wäre, wie im Auslaut stimmlos wurde, was im Romanischen als t interpretiert worden wäre, wie im 3. Jh. bei Cassius Dio 5A . 5.1.14 Intervokalisches g Die Lautverbindung agi ist erhalten: In Agisild[ (Nr. $ 3); Dagila (Nr. $ 22); Raginari (Nr. $ 71; allerdings unsicher datiert); Sigisteus (Nr. $ 77). Dagegen finden sich im Ostgotischen Zeichen von Ausfall: Vermutlich derselbe Name wie in Dagila (Nr. $ 22; f.) liegt vor in Daila (m.) bei Cassiodor (Variae 5, 30, 1); der Ausfall des g in agi zu ai findet sich bei Cassiodor auch in der Amtsbezeichnung saio ‚Gefolgsmann‘ (aus germ. *sagwia-, wie lat. socius zu sequi; Kögel 1889 [39], 18 f.). Aber möglicherweise liegen hier Wechselformen nach Verners Gesetzt vor (vgl. Pokorny, Indogermanisches Etymologisches Wörterbuch 897).
5.1.15 Intervokalisches und anlautendes b/v Unsicherheit in der Entsprechung von b/v zwischen Gotisch und Latein findet sich auch bibelgotisch: Silbanus für lateinisch Silvanus 7 « (Streitberg 1910 [70], 120). Im Wandalischen ist intervokalisches b noch intakt in Gebamundus (Nr. $ 34) und, sofern wandalisch, in [M ]erobaudes (Nr. $ 60). Dagegen findet sich v für b, sofern etymologisch zu *badugehörig, in Marivadus* (Nr. $ 59). Im Gotischen findet sich, ebenfalls etymologisch nicht eindeutig zu *badu-, Sunhivadus* und (nach)westgotisch Trasovado. Anlautendes wandalisches W bezeugt Vilimut (Nr. $ 96). Vandali (Nr. $ 92) ist durch die lange Schreibtradition verfestigt und daher nicht für die aktuelle Aussprache beweiskräftig. Doch das Schwanken zwischen griechisch
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B- und O- zeigt, dass * einen sehr stimmhaften Laut meint, und daher auch wo es für germanisches b steht, ebenfalls ein nicht stark explosiver, intervokalisch vielleicht reibelautartiger Laut gemeint ist. An romanisierenden Schreibungen findet sich bei Dracontius (Satisfactio 317) Gunthamundus rex Guandalorum (Nr. $ 92); möglicherweise, um eine Allitteration zu erzielen. Guitifrida (Nr. $ 44) ist möglicherweise nachwandalisch.
5.2 Unterschiede zwischen der Wiedergabe im Griechischen und Lateinischen als Mittel zur genaueren Bestimmung des Lautwertes Nicht verwertet werden in der Diskussion um den Lautstand des Gotischen üblicherweise Belege gotischer bzw. wandalischer Namen bei griechisch schreibenden Autoren, weil sie oft von den lateinischen abweichen. Manchmal liegt das daran, dass die Griechen weniger direkten Kontakt mit Germanen hatten als die Römer in Italien, Spanien oder auch Nordafrika, und Zwischenquellen eine zusätzliche Fehlermöglichkeit bedeuten. Aber es gab auch griechische Schriftsteller mit bester Sachkenntnis und direkten Berührungen mit Germanen; vor allem Prokop, der als Geheimschreiber Belisars sowohl den Wandalenkrieg als auch große Teile des Gotenkrieges mitmachte. Wrede (1886 [84], 5) glaubte sich daher berechtigt, zu konstatieren, dass die Griechen „für den germanischen Consonantismus wie Vocalismus (zumal die Diphthonge) gar kein Gehör“ hatten. So ähnlich formuliert man bis heute, obwohl sich zumindest bei einigen der Abweichungen zeigen läßt, dass sie auf genau beschreibbarer Lautsubstitution für germanische Laute, die das Griechische nicht besaß, beruhen, und daher gerade die Differenzen zwischen lateinischer und griechischer Wiedergabe ein genaueres Bild der germanischen Sprache vermitteln als die lateinischen Quellen allein. Ein wesentlicher Punkt ist: Prokop schreibt " ( «« für *Gaisarix (Hydatius: Gaisericus) und " für Geilamir. Den Namen des Vaters des Geilamir–" schreibt er jedoch (im Gen.) " ! ««. Die Lateiner hatten einen dem germanischen ai ähnlichen Laut nur in Formen wie Traianus, also mit intervokalischem j, während das germanische ai auch vor Konsonanten steht; aber sie waren in der Lage, es auszusprechen. Die Griechen in Prokops Umgebung konnten aber den Diphthong ai sicher nicht ordentlich aussprechen. Da das ai in der lateinischen Schreibung Gaisaricus nicht für einen wandalischen Monophthong e stand (für den man eine Variante des e-Zeichens gewählt hätte, s. o.), sondern eben für den Diphthong [ai], ist das ein beschreibbarer Fall von Lautsubstitution für einen in Prokops Sprache nicht vorhandenen Diphthong, wie sie ja auch heute etwa zwischen Deutsch und Englisch selbstverständlich
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ist, kein Fall von „weniger feinem Ohr“. Wenn das Lateinische und das Griechische denselben germanischen Namen unterschiedlich wiedergeben, ist zu schließen, dass es sich um einen Laut handelte, der in einer der beiden Sprachen reproduzierbar war, in der anderen nicht und in ihr daher durch einen anderen substituiert wurde; dafür kommt nur der germanische Diphthong in Frage. Außerdem hatte Prokop die zusätzliche orthographische Schwierigkeit, dass er nicht schreiben durfte, weil dies als ˘e missverstanden worden wäre – oder sogar von ihm missverstanden wurde, falls ihm der Name *Gailamir zuerst in einem schriftlichen Dokument zukam. Warum schrieb er "- für Gail- in ", aber " - in " ! «? Wir wissen es nicht; der einzige Unterschied, den wir feststellen können, ist, dass *Gailamir Zeitgenosse Prokops war, *Gailaris jedoch nicht; die Wahrscheinlichkeit, dass Prokop den Namen nicht hörte sondern las, ist daher für den zweiten Namen etwas größer als für den ersten. Die beiden letztgenannten Beobachtungen würden zu entgegengesetzten Folgerungen verleiten. Mit schwachen Indizien lässt sich nichts beweisen. Zu den Schwierigkeiten bei der direkten Übernahme aus dem Germanischen, die schon groß genug waren, kam für den Griechen noch die weitere Schwierigkeit hinzu, dass die Verkehrssprache in Nordafrika Latein war und kaum jemand Griechisch konnte. Ein Grieche in Belisars Armee hörte wandalische Namen normalerweise nicht von einem nordafrikanischen Griechen, der mit Wandalen zu verkehren gewohnt war (es lebten nur wenige Griechen in Nordafrika), sondern von einem Vulgärlatein sprechenden Provinzialen. Bei verzerrter Aussprache durch die lateinischen Gewährsleute sind noch mehr Hörfehler der Griechen möglich.
5.3
Morphologie
5.3.1 Flexionsendungen Die ungünstige Überlieferungslage lässt nur wenige und begrenzte Schlüsse auf Flexionsendungen zu. Die dabei auftretenden Probleme seien hier skizziert: Der Satz eils scapia matzia ia drincan (oben 2.2) zeigt eindeutig bestimmbare Flexionsendungen in eils und drincan. In eils haben wir den Nominativ Singular der maskulinen a-Stämme; er entspricht genau dem bibelgotischen. Der Infinitiv drincan weist ebenfalls keine Unterschiede zu bibelgotisch drigkan auf. Zweideutig ist matzia insofern, als der Unterschied zu bibelgotisch matjan auf ungenauem Hören des Römers, auf einer bei schnellem Sprechen verschliffenen Endung oder auf Endungsabfall hin-
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weisen könnte. Da in drincan die Infinitivendung erhalten ist, wird man die ersten beiden Möglichkeiten für wahrscheinlicher halten als die dritte. Zweideutig ist scapia insofern, als neben der wahrscheinlicheren Interpretation ‚Hails! Skap iah matjan iah drigkan! ‘, die einen Zuruf während des Conviviums an einen Diener wiedergibt, also während des Vortrags den Dichter stört, in der Literatur weniger oft genannt wird als ‚Hails! Skapiam matjan iah drigkan! ‘, das eine Selbstaufforderung wäre. Diese unhöfliche Äußerung setzt die oben (2.2) abgelehnte ‚Gasthausszenerie‘ voraus. Da der Imperativ im Bibelgotischen endungslos ist, wäre ein etwaiger Endungsverlust im Wandalischen hier nicht zum Tragen gekommen. Die zahlreichen Belege von Eigennamen auf -rix in lateinischen Texten lassen eine gotische Form *r¯ıks vermuten; sie könnten daher, wie eils, Zeugen für erhaltenes Endungs-s im Nominativ des Maskulinums sein. Die schwache Maskulinendung -a ist in zahlreichen sowohl eindeutig wandalischen als auch eindeutig maskulinen Namen erhalten (Nr. $ 25, 47, 51, 74, 83), davon ist ein Name im Ostgorischen identisch überliefert: Tanca (Nr. $ 83). Dazu kommen noch einige in Epoche oder Geschlecht oder Etymologie unsichere Belege. Das entspricht dem Gotischen, wo sie sowohl im Westgotischen als auch im Ostgotischen bis zum Aussterben der Sprache, und noch darüber hinaus in Namen, die von der romanischen Bevölkerung übernommen wurden, erhalten ist. Auch die burgundischen Sprachreste zeigen denselben Zustand; vermutlich behielten alle ostgermanischen Sprachen bis zu ihrem Aussterben diese Endung bei. Stilico (Nr. $ 80) ist ein Einzelfall einer ostgermanischen Maskulinendung -o, der verschieden zu begründen versucht wurde, am plausibelsten ist noch die Annahme, dass es eine politisch motivierte Romanisiernug darstellt, obwohl es auch lateinische Namen auf a gibt. Nicht entscheidbar ist, ob Hildeguns (Nr. $ 52), wie Francovich Onesti vorschlägt, als Kürzung von -gundis aufgefasst werden soll oder die Endung eines gotischen i-Stammes (wie q¯ens) repräsentiert. Die Endung in Valilu f. (Nr. $ 91) ist die vulgärlateinische Entsprechung des ostgermanischen o¯ der Nominativendung der femininen o¯ -Stämme; so auch Francovich Onesti (2002 [25], 177.
5.3.2 Formen ohne lateinische Kasusendung Gegen die wenigen genannten Fälle von erhaltenem Nominativ-s stehen endungslose Nominative auf -mir (Nr. $ 35, 49, 53, 65), -rit (Nr. $ 18, 50, 97; außerdem in einer einzelnen Schreibung von Nr. $ 54), -vit (Nr. $ 5), -mut(h) (Nr. $ 33; 96), -vult (Nr. $ 79), -amal (Nr. $ 27); falls Maskulinum
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auch -(tri)ut (Nr. $ 90) und, wegen des auf -s endenden Stammes nicht feststellbar, möglicherweise auf -gis (Nr. $ 40, 64). Eine lautgesetzliche Ursache darin zu suchen, wie Wrede (1886 [84], 105 f.), empfiehlt sich nicht, weil eils und amal (in Fridamal) gleichen Stammauslaut, aber unterschiedliches Endungsverhalten zeigen. Ob Fridamal eine genuin wandalische Bildung ist, könnte man allerdings bezweifeln (s. zu Nr. $ 27). Francovich Onesti (2002 [25], 162) weist darauf hin, dass mehrere der -mer-Namen ohne Endung von den Autoren übernommen werden, und, dass speziell Victor von Tunnuna Gunthimer, Oamer und Geilimer schreibt. Das ist bemerkenswert, da gerade Victor von Tunnuna, der kein Zeitgenosse der Wandalenherrschaft mehr war, sonst auch Namen, für die andere Quellen auch endungslose Formen bieten, mit der lateinischen Endung -us usw. versieht: Gensericus – Gisericus, Hugnericus – Ugnerico (Dativ), Ricimirus, Guntamundus – Gunthamundus, Trasamundus, Hilderix – Hildericum (Akkusativ), Gebamundum (Akkusativ). Allerdings muss dieser Befund nicht auf das Konto der wandalischen Sprache zu setzen sein: Auch der alanische Name Aspar erscheint bei Victor von Tunnuna wie in allen anderen Quellen auch endungslos; der Auslaut -r könnte als mögliche lateinische Form (Caesar) behandelt worden sein.
5.3.3 *-ric, *-red, *-r¯ıd? Das Wandalische überliefert drei Namen mit dem endungslosen Zweitglied -rit: Blumarit (Nr. $ 18); Hegerit (Nr. $ 50); Vitarit (Nr. $ 97). Diese könnten auf germanisch *r¯ed oder *r¯ıd zurückführbar sein. Dazu kommen einzelne Belege von Namen, die nur in einem Teil der Belege auf -rit enden und in anderen Belegen als -rix oder -ricus auftreten: Hildirit hat Victor von Vita, doch Hildirix (Nr. $ 54) erscheint auf allen Münzen dieses Herrschers, Hildericus bei Ferrandus, In der Anthologia Latina (ed. Shackleton Bailey 194, 1 = Riese 1, 203) bieten die Handschriften hildirigi A, hildirici B, hildrici V. Bei späteren Autoren, die den Namen nicht mehr aus dem Mund von Zeitgenossen hören konnten, findet man: Hilderix und Hildericus bei Victor von Tunnuna, Hilderis und Ildirix bei Isidor. In einem Fall gibt Prokop an, einen Namen von einem Wandalen gehört zu haben, und gerade diesen überliefert er wahrscheinlich falsch. Das muss nicht unbedingt bedeuten, dass er direkt die Worte des Wandalen vernahm, der Wandale könnte zu einem Dolmetscher gesprochen und Prokop dessen latinisierte Aussprache ins Griechische übertragen haben; in der Antike wird die Anwesenheit von Dolmetschern bei Gesprächen üblicherweise nicht erwähnt. Aber es ist wahrscheinlich, dass Prokop sich mit einem
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Wandalen direkt unterhielt, da sowohl Prokop als auch der Wandale Latein können mussten. Prokop behauptet (Bell. Vand. 1, 3, 33), persönlich von einem Wandalen eine Information über den Tod des "% « (belegt im Nom., sowie im Akk. "% ) erhalten zu haben, † 428 in Spanien, den Hydatius Gundericus nennt. Hydatius (ca. 394–469) war Zeitgenosse und von den Vorgängen in Spanien unmittelbar betroffen; er gab den Namen des Wandalenkönigs vermutlich richtig wieder; es gibt keine nennenswerten Handschriftenvarianten. Das u des Hydatius in Gundericus lag vermutlich näher an der Klangfarbe des Wandalischen als das o Prokops; das % Prokops lag dagegen vermutlich näher am q des Wandalischen als das d des Hydatius. Das sind für das Griechische bzw. Lateinische selbstverständliche Lautsubstitutionen. Für Verwirrung sorgt aber der Auslaut des Zweitgliedes: die bei Prokop belegten Kasus, Nominativ und Akkusativ, lassen den Gen. " %! « und den Dat. " %! erwarten. So gebraucht sie Prokop für einen bei Corippus Guntharith genannten, sicher ostgermanischen, aber nicht notwendig wandalischen Rebellen von a. 545–547. Dessen Name müsste auf Wandalisch-Gotisch im Nominativ *Gunqa-r¯ıqs oder *Gunqa-r¯ıq gelautet haben (je nachdem, ob das auslautende s erhalten war), im Akkusativ *Gunqa-r¯ıq, im Genitiv und Dativ *Gunqar¯ıd- + Vokal. Etymologisch geht das nicht auf, denn sowohl in germ. *r¯ıdan ‚reiten‘ als auch in *r¯edan ‚raten‘ liegt d vor, nicht q; aber man könnte annehmen, dass das ostgermanische d fallweise als & (also mit nicht vollständig durchgehaltenem Verschluss) realisiert wurde, was im stimmlosen Auslaut einen dem q ähnlichen Laut ergab. So könnten wir sowohl die Substitution Coripps, th für q, verstehen, als auch die Zuordnung Prokops zur griechischen Deklination auf - «, - «. Der 428 verstorbene König hatte aber *Gunqir¯ıx geheißen, wenn wir dem Gundericus des Hydatius (und späteren Quellen aus Spanien und Frankreich, die aber direkt oder indirekt von Hydatius beeinflusst sein könnten) Glauben schenken. Der erst Jahre später auftauchende Name *Gunqa-r¯ıq(s) kann Prokop nicht beeinflusst haben, als er zu Beginn des Wandalenkrieges den Namen Gundericus im Mund eines Wandalen hörte, der wohl wie *Gunqir¯ıks geklungen hat, und den Prokop nach griechischer Gewohnheit hätte mit " « oder " % « oder " %! « wiedergeben sollen.18 Dass er ihn falsch wiedergab, kann verschiedene Gründe haben. Unsere Chancen, den richtigen zu erraten, sind
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Das Problem der Kompositionsfuge lassen wir hier beiseite: in germanischen Quellen ist von Anfang an ein Nebeneinander von *Gunqi- und *Gunqa- feststellbar. Wenn der Fugenvokal bald als e, bald als a erscheint, kann die Ursache bei den Gunq-Namen auch bei den germanischen Sprechern liegen; abgesehen von den erwähnten Unsicherheiten der nicht germanischen Hörer.
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gering, doch ist es wichtig, auch dort, wo man keine Hypothese anbieten darf, weil keine bewertbaren Indizien vorhanden sind, Szenarien anzubieten, welche Arten von Irrtümern eine konkrete Schreibung, wie - « statt - «, verursacht haben könnten. So wäre es denkbar, dass Prokop in späteren Jahren den Namen *Gunqar¯ıq mehrfach hörte, und zwar nicht nur als den Namen des nordafrikanischen Rebellen, sondern auch als den eines Anführers von Erulern a. 538 (Bell. Goth. 2, 4, 8), den er ebenfalls "% (nur Akk.) nennt; nach seiner Praxis der Überführung der Wörter mit gotischem stammschließendem d in die griechische Deklination auf - «, - «. Das d geht dabei im Griechischen gerade in den häufigsten Kasus verloren, aber das war in der Antike allgemeine Praxis. Als Prokop gegen 550 die ersten sieben Bücher seiner Kriegsberichte zusammenstellte, könnte er diesen Namen im Ohr gehabt haben, ohne zu wissen, dass es sich um zwei nur ähnlich klingende Namen handelte, und, 15 Jahre nach seinem Aufenthalt in Afrika, geglaubt haben, es seien phonetische Varianten desselben Namens. Es ist nicht sinnvoll, sich auf eine Erklärung festzulegen, da wir nicht wissen, in welcher Form Prokop seine Notizen angelegt hatte, aus denen er seine Kriegsgeschichte zusammenstellte. Die Chronologie (Tod des Namensträgers a. 428; Prokop hört den Namen a. 535 und macht Notizen; Prokop schreibt den Namen a. 550 in die Reinschrift) lässt mindestens so breiten Spielraum für Verderbnisse wie für andere Annahmen (Hinzutreten eines Dolmetschers oder andere Zufälle). Die Instabilität des Zweitgliedes -rit/ric finden wir auch im Ostgotischen: auf einer ravennatischen Papyrus-Urkunde, die Tjäder (1982 [74], 146, Nr. 43) mit „542?“ datiert, unterschreibt ein Zeuge Ghiveric – in schlechtem und unbeholfenem Latein, die Buchstaben „kleinlich und schlichter ausgeformt“ (Tjäder 1982 [74], 146), zweifelsfrei eigenhändig. Der Notar gibt den Namen als Giberit wieder. Sollen wir dem Notar mehr vertrauen als dem Zeugen?
5.3.4 Die unbetonten Vokale der Kompositionsfuge zweigliedriger Namen Das Schwanken zwischen a, e, und i in der Kompositionsfuge; z. B. Geila-, Geili-, Geile- für Geilamir (Nr. $ 35) ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass diese unbetont war und daher die Vokalqualität vor allem für Nicht-Muttersprachler schwer erkennbar war. Dieses Phänomen findet sich bei der Wiedergabe von Namen aus allen germanischen Sprachen in fremdem Mund. Ich gehe daher hier nur auf einige bemerkenswerte Fälle ein. Das .ia. der Kompositionsfuge in Nr. $ 43. Guiliaruna zeigt gute Erhaltung des wandalischen Zustands, obwohl der Anlaut die romanisierende
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Schreibung Gu- für W- bietet. Dasselbe Erstglied liegt in ostgotisch Wiliarit vor; ebenfalls mit erhaltenem ia. Hier zeigt sich die enge Verwandtschaft von Gotisch und Wandalisch deutlich. In Vilimut (Nr. $ 96) erscheint dagegen einfaches i, wie in mehreren ostgotischen Namen bei Cassiodor (Wiligis, Wilitancus*), auf ravennatischen Papyri (Wilileva) und anderen (LAN Bd. 1, 779 f.). Schönfeld (1911 [64], 265) hält diesen Wechsel für schon gemeingermanisch, nicht erst durch die romanischen Schreiber verursacht; ihm folgt Kaufmann 1968 [37], 403). Konstant ist a der Kompositionsfuge in Gunthamundus (Nr. $ 48) und in guten Quellen für Thrasamundus (Nr. $ 86), das zum Themavokal in gotisch qrasa-balqei* ‚Streitsucht‘ stimmt; i in Hildirix (Nr. $ 54) und Hildimer (Nr. $ 53) zu germanisch *hildi-. Diese Fälle bezeugen mehr als zufällige Übereinstimmung mit den bibelgotischen Verhältnissen. Ein abweichender Fugenvokal, o statt a, ist dagegen konstant im Namen Theodoricus (Nr. $ 84) und Theudo[ (Nr. $ 85). Bei Prokop (Bell. Vand. 1, 5, 11) erscheint Theodoricus (Nr. $ 84) irrig als 3 «. Der oben bei Nr. $ 84 genannte Kontext zeigt, dass Prokop hier auf einer Quelle beruht, die über die wandalische Geschichte falsch informiert war. Wir können diesen Beleg daher nicht zum Anlass nehmen, Prokop ein schlechtes Ohr für die germanischen Sprachen oder Unachtsamkeit vorzuwerfen. Der Irrtum setzt voraus, dass die Quelle Theodoricus mit Bindevokal o bot. Der Ostgotenkönig Theoderich wird in erstklassigen Quellen, wie den Variae Cassiodors, stets Theodericus geschrieben. Der Apparat zeigt jedoch, dass die Handschriften eine bunte Vielfalt an Schreibungen bieten; die Standardform ist zwar die häufigste, doch eine Minderheit an Lesarten, die den Fugenvokal o bietet, findet sich an vielen Stellen (Lesarten: LAN Bd. 1, 672 f.). Das kann so zu erklären sein, dass das o von Theo- im Bewusstsein der späten Abschreiber hängen blieb; allerdings findet sich auch Theudo-. Da wird man wieder lateinisch-griechisch Theodorus bemühen müssen. Jedenfalls ist es nicht angebracht, diesen einzelnen Namen mit dem Problem, dass bei manchen Autoren, wie Ammianus Marcellinus, o statt a der Kompositionsfuge erscheint, zusammen zu sehen.
5.3.5 Reste originaler konsonantischer Kompositionsfuge In der Kompositionsfuge ist das stammbildende Element alter s-Stämme erhalten in Sigisteus (Nr. $ 81) und Agisild[(Nr. $ 3).
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6 Die ‚gotischen Bilinguen‘ als Vergleichsobjekte Die ältesten Bilinguen, die uns die Namen von Germanen in schriftlicher Fixierung durch Germanen gleichzeitig mit den latinisierten Formen bieten, betreffen Ostgoten und entstammen erst der Mitte des 6. Jahrhunderts. In gotisch geschriebenen ‚Unterschriften‘19 von zwei Urkunden, deren Vertragstexte lateinisch geschrieben sind, finden sich Entsprechungen von lateinisch und gotisch geschriebenen Namen, und zwar in der Urkunde von Neapel (Tjäder 1982 [74], 91 ff. Nr. 34) und in der Urkunde von Arezzo (Scardigli 1973 [61], 269 ff.). In der Urkunde von Neapel lauten die gotisch geschriebenen Namen Ufitahari (Nominativ), Alamoda (Dativ), Sunjaifriqas (Nominativ), Merila (Nominativ), Wiljariq (Nominativ). Aus der Urkunde von Arezzo kommt dazu Gudilaib (Nominativ). In den lateinischen Urkundenteilen entspricht: Optarit (Nominativ), Alamud (Akkusativ), Suniefridus, Mirica (Nominativ), Wiliarit (Nominativ und Genitiv), Gudilebus – Gudeliuus – Gudiliuus (-i usw.). Solche „Übersetzung“20 von Namen macht die Deutung von antiken Belegen germanischer Namen prinzipiell schwer; besonderes Erstaunen verursacht, dass jemand den wohl anders zu etymologisierenden Namen Optarit im lateinischen Text trägt, dessen Unterschrift Ufitahari lautet. Auch wenn man einkalkuliert, dass nach griechischer Schreibtradition pt die normale Schreibung für [ft] oder [wt] ist, und man daher zur Not die Erstglieder vereinigen könnte, würde man zumindest die Zweitglieder trennen, nämlich zu germ. *r¯e1da- ‚raten‘ (germanisches ¯e1 erscheint in allen ostgermanischen Sprachen als ¯ı, in den west- und nordgermanischen als a¯ ) bzw. *harja- ‚Heer‘. Die Kasusendungen 19
20
Das in der Literatur übliche Wort ‚Unterschrift‘ setze ich unter Anführungszeichen, weil es zur Annahme von Eigenhändigkeit im heutigen Sinn verführt, die nicht bei allen gegeben ist: ein Teil war Analphabeten und malte nur ein Kreuz, während der Schreiber ihre Namen einsetzte. So nennt Scardigli (1973 [61], 281) das Verhältnis von Ufitahari – Optarit bzw. Merila – Mirica. Der Ausdruck ist unglücklich, weil die später in Aktion tretenden gotischen Schreiber nicht die lateinischen Formen ins Gotische übersetzten, sondern die muttersprachlichen Namen der Urkundenden boten, während die Schreiber des lateinischen Textes vorher agierten und gängige Latinisierungen derselben benutzten, allerdings nicht lautlich transskribierend, sondern ähnliche, schon öfter gehörte Latinisierungen germanischer Namen (teilweise falsch) zuordnend. Ich stelle mir den Vorgang so vor, wie wenn jemand, der nicht Deutsch kann und nur wenige deutsche Namen kennt, und den heute seltenen Namen Wolfram hört, ihn als Wolfgang oder Wolfang niederschreibt. Die „Unterschriften“ dagegen wurden von Goten geschrieben. Die Existenz des im lateinischen Text gebotenen Namens Optarit wird durch den Namen des Mörders des Theodahath, den Prokop mit 5O « wiedergibt, gestützt. Vermutlich war er dem Notar geläufig, während wir Ufitahari zutrauen dürfen, seinen Namen phonetisch zutreffend geschrieben zu haben.
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sind hier, Mitte des 6. Jahrhunderts, gegenüber dem Wulfilanischen reduziert: von fünf Männernamen, deren Namen stark flektierende Zweitglieder haben und im Nominativ stehen, trägt nur einer (Sunjaifriqas) ein Endungs-s. Gerade dieser entspricht nicht unseren Erwartungen: germ. *friquhätte als u-Stamm bei Wulfila die Nominativendung -us. Das Fehlen der Nominativendung in den vier übrigen Namen lässt annehmen, dass auch im Gotischen noch anscheinend aus dem Urgermanischen ererbte Tendenzen weiterwirkten, deren Folgen im Westgermanischen erst nach dem Aussterben des Gotischen fassbar werden, und in denen möglicherweise West- und Ostgermanisch einander näher standen als das Nordgermanische: die westgermanischen Sprachen haben kein Nominativ-s. Ähnliche Fragen stellen sich uns, wenn wandalische Namen wie Guntarith und viele andere Namen auf -rith neben Guntharic, Gundaricus und anderen Schreibungen auftreten. Wrede ist auf dieses Phänomen mehrmals eingegangen (besonders Wrede 1886 [84], 54 ff.), hat aber nicht auf das analoge Problem in den ostgotischen Urkundenunterschriften hingewiesen, und bei der Behandlung dieses Problems im Ostgotischen (Wrede 1891 [85], 97 ff.) nicht auf die Parallele im Wandalischen. Das Gotische scheint sich noch nach Wulfila weiterentwickelt zu haben, und einige Entwicklungen könnten auch im Ostgotischen und Wandalisch-Gotischen gleichsinnig verlaufen sein.
7 Wer sprach froia arme? Besonders wertvoll für uns sind appellativische Bilinguen, weil wir nicht über die Bedeutung des Textes rätseln müssen, während wir z. B. bei PN mit dem Zweitglied -rith nicht wissen, ob es für -r¯ed (zu deutsch raten) oder für -r¯ıd (zu deutsch reiten) steht oder aus -r¯ık (zu deutsch Reich) verhört wurde. Die beiden Wörter eines Pseudo-Augustinus sind leider die einzige wandalische Bilingue. Wichtig wäre es, auch zu wissen, die Aussprache welcher Gewährsleute in ihr wiedergegeben werden soll. Gotisch könnte man ‚erbarme dich‘ durch den Imperativ (‚erbarme dich‘) oder Optativ (‚du mögest dich erbarmen‘) von arman ausdrücken. Der Imperativ lautet armai, der Optativ würde armais lauten. Aus der statistischen Überlegung, dass ein Abschreiber etwas öfter einen Buchstaben auslässt, als dass er einen zusätzlichen hinzufügt, wäre der Optativ ein wenig wahrscheinlicher, wenn sowohl die Lesung froia arme als auch die Lesung froia armes handschriftlich belegt ist. Wrede hatte die Lesung froia armes bevorzugt, weil mehr Hss. das -s haben. Doch vergesse man nicht die Definition von ‚Wahrscheinlichkeit‘ durch Aristoteles: ‚Es ist wahrschein-
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lich, dass sich auch Dinge gegen die Wahrscheinlichkeit ereignen‘. Und so ist es hier: Tiefenbach (1991 [72], 253) wies darauf hin, dass der Optativ hier nicht zu erwarten ist und auch in keiner der entsprechenden Anrufungen belegt ist. Dagegen, ergab meine Tiefenbach bestätigende Gegenprobe, ist der Imperativ armai in der Wulfila-Bibel sechsmal belegt: Mt IX, 27 , armai uggkis, sunau Daweidis! Ebenso Luk 17, 13: Iesu, talzjand, armai unsis! Luk 18, 38 Iesu, sunu Daweidis, armai mik! Luk 18, 39 sunau Daweidis, armai mik! Marc 10, 47 und 48 sunau Daweidis, Iesu, armai mik! Die Anrufungen um Erbarmen erfolgen alle im Imperativ. Außerdem ist die Handschrift, die froia arme bietet, die älteste der „Collatio“.21 Der Lautstand entspricht dem wulfilanischen Text, mit Ausnahme der Monophthongierung von au und ai. Die neue Ausgabe, die den Text der ältesten Handschrift wählt, bringt den wandalischen Text also dem Gotischen näher. Tiefenbach (1991 [72]) überlegte aus diesem Grund vorsichtig, ob nicht etwa der oberitalienische Schreiber des Gotischen mächtig gewesen sein könnte und die Schreibung der ostgotischen Aussprache in Italien angeglichen haben könnte. Tiefenbach vergleicht dazu den Codex 19 der Abtei Montecassino, der froa armi bietet, und von dem man mit großer Sicherheit annimmt, dass er in Spanien im 8.–9. Jahrhundert geschrieben wurde. Er meint, das -i von armi spiegle möglicherweise eine spätwestgotische Lautentwicklung. Vorliegender Beitrag entstand gleichzeitig mit der Handschriftenbeschreibung der Einleitung der Neuausgabe der „Collatio“, doch durch das freundliche Entgegenkommen von Hildegund Müller durfte ich das relevante Material der Einleitung bereits benutzen. Demnach bleibt die Datierung der Montecassiner Handschrift gleich oder könnte höchstens etwas jünger anzunehmen sein; die Entstehung in Spanien ist sicher. Doch die Anhebung des ¯e zu ¯ı im Gotischen betraf nicht das neue, aus ai postulierte ¯e, das im Althochdeutschen vor r, h, w und im Auslaut entstand, und das wir oben als in Wörtern vom Typ stains gotisches und wandalisches ai bestimmten. Dagegen ist im Romanischen die Verwechslung von e und i normal. Um 800, als die Montecassiner Handschrift entstand, gab es in Spanien niemanden, der gewusst hätte, wie man diese Wörter auf Gotisch ausgesprochen hatte, aber genug Unsicherheit im e–i-Bereich, die mit dem Gotischen nichts zu tun hatte. Dass der älteste Textzeuge des wandalischen domine miserere, der Turiner Codex, ein praktisch reines Gotisch bietet, scheint Tiefenbach suspekt. Er meint, der oberitalienische Schreiber des Turiner Codex hätte vielleicht den barbarischen Text dem Gotischen, das er aus Oberitalien kannte, angenähert, und 21
G.V.26 der Biblioteca Nazionale Universitaria in Turin; 2. Hälfte 6. Jh., geschrieben vermutlich in Oberitalien.
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die Identität mit dem Gotischen könne so zu erklären sein. Das erscheint mir unwahrscheinlich; es reicht hin, auf die auch sonst zu beobachtende Identität von Gotisch und Wandalisch hinzuweisen. Wenn wir aber Geilamir und andere sichere Belege als Zeugen für erhaltenes wandalisches ai finden konnten: wie sind die Monophthonge in froia und arme zu erklären? Wulfila schrieb eine Bibelübersetzung, die nach Meinung Schäferdieks (1998 [63], 446) auch von dem Katholiken Johannes Chrysostomos benutzt wurde und auch von Sokrates Scholastikos und anderen bewundert wird, obwohl sie bedauern, dass er die Goten arianisierte. Die Arianisierung wird also unabhängig vom Bibeltext gesehen, der nicht speziell arianisch ist (wie Schäferdieck betont). Wenn es im Pseudo-Augustinus heißt, dass auch Römer froia arme für domine miserere sagen dürfen: heißt das vielleicht, dass nicht der gotische Text an sich von Katholiken als anstößig empfunden wurde? Die Frage, warum Arianer und Katholiken nur in geringem Ausmaß versuchten, einander zu bekehren, könnte man vielleicht so sehen, dass man die theologischen Unterschiede nicht primär im Auge hatte. Die „von beiden Seiten gezogene religiös-kulturelle Demarkationslinie war ein Politikum ersten Grades“ (Castritius 2007 [4], 13). Die Versteifung der religiösen Fronten ist wohl so zu sehen: Die Wandalen legten auf Abstammungstraditionen größten Wert, und Hunirix und Thrasamund waren vermutlich der Meinung, die Wandalen könnten sich nur durch Betonung religiöser Unterschiede von den Römern getrennt und ohne Mischehen erhalten; daher versteiften sie sich auf ihren Arianismus und hatten nichts dagegen, wenn die Römer Katholiken blieben, wenn sie sich nur außerhalb des wandalischen Kerngebietes ansiedelten. Die ausführlichste Quelle, die Historia Persecutionis des Victor von Vita, stilisiert die Ereignisse, wie vor allem Shanzer (2004 [68], 281–286) herausarbeitete, so, dass katholische confessores dargestellt werden, als wären sie Märtyrer gewesen; was zeigt, dass es weniger echte Märtyrer gab, als die nordafrikanischen Nicäaner sich gewünscht hätten. Die Historia persecutionis bezeugt auch, indem sie dokumentiert, dass Hunirix Wandalen foltern ließ, die die Kirchen von Nicäanern betraten (Historia Persecutionis 2, 9) und die Tischgemeinschaft zwischen Arianern und Nicäanern verbot (Historia Persecutionis 2, 46), dass solche Vergehen tatsächlich vorkamen (Shanzer 2004 [68], 286 f.; dort weitere Beispiele für verbotene Kontakte). Nur unter Hunirix und Thrasamund gab es echte Katholikenverfolgungen. Schwarcz (2004 [66], 57) fasst zusammen, die Wandalen „were, sooner or later, indistuingishable from the Roman provincials of Africa in their costume and habits. What distinguished them was religion and an occupation in the Vandal army.“ Wenn als das Trennende zwischen den Völkern nicht
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die Sprache, sondern die Religion empfunden wurde, könnte auch die Sprache schon im Schwinden gewesen sein. Dass Cyrila (Nr. $ 21) vorgeben konnte, nicht Latein zu können, zeigt allerdings, unabhängig von der Diskussion seines Namens, dass die germanische Sprache der Wandalen zur Zeit des Hunirix noch lebte. Von der Kulturgeschichte zurück zur Lautlehre: wenn ein Römer hätte wiedergeben wollen, wie ein Wandale *frauia armai sprach, hätte er vermutlich auch so geschrieben, wie die Namen Gaisaricus, Geilamir und Baudus, analog zu gotisch Gainas, Radagaisus und wohl auch Auredus, zeigen. Wenn ein Römer aber den gotischen Text nachsprach, sprach er vermutlich auch dann Monophthonge, wenn er Diphthonge gehört hatte, und schrieb dafür auch die Buchstaben für die Monophthonge, e und o. Da froia arme einen wandalisch-gotischen Satz in vulgärlateinischem Mund wiedergibt, kann es die Diphthongenfrage nicht entscheiden; aber dass die „Collatio“ angibt licet dicere non solum barbaris lingua sua, sed etiam Romanis ‚Froia arme‘, zeigt, dass zumindest zentrale Worte des Gottesdienstes auch in die provinzialrömische Kultur Nordafrikas eindrangen. Das Weiterbestehen vieler Detailprobleme hindert nicht an der abschließenden Aussage: Die Wandalen sprachen ein ziemlich reines Gotisch; im Lautstand sind die Sprachen fast identisch; für die Morphologie haben wir kaum Zeugnisse, doch die wenigen, die wir besitzen, zeigen nur geringfügige Differenzen in der Form des allgemeinen Endungsabfalls; die Zeitgenossen, und wohl auch sie selbst, nannten ihre Sprache ‚Gotisch‘, und ihr Namenschatz spiegelt, soweit es sich um germanische und nicht um der christlichen Kultur entnommene Namen handelt, ein zu einem guten Teil mit den Goten gemeinsames Inventar.
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Abkürzungen und Symbole *Wort
rekonstruiert, nicht belegt
Wort*
hier angenommene Nominativendung nicht belegt
[
bzw.] in Inschriften: Bruchstück; Wortende bzw. Anfang fehlt
/
in Inschriften: Zeilengrenze
AE
L’Année Épigraphique, Paris 1889 ff.
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Chronica minora saec. IV. V. VI. VII., ed. Theodor Mommsen, MGH AA Bd. 9, 11, 13
CIL
Corpus Inscriptionum Latinarum
LAN
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Manfredclauss Epigraphik-Datenbank Clauss / Slaby, EDCS. http://www.manfredclauss.de/. Letzter Aufruf am 24. 7. 2008. MGH AA
Monumenta Germaniae Historica, Auctores Antiquissimi
MGH LL
Monumenta Germaniae Historica, Leges
Nr. $
Verweis auf die Liste in Abschnitt 4.
PN
Personenname(n)
Provinzeinteilung: Bei Inschriften gebe ich zur leichteren Auffindbarkeit die Provinz nach der Einteilung der großen Corpora an; das ist die augustäische. Die zur Wandalenzeit in der Byzacena gelegenen Orte erscheinen daher unter „Africa proconsularis“.
Literatur Quellentexte antiker Autoren sind, wo es im Wesentlichen um Textzitate geht, unter dem Namen des Autors (Anonyme unter dem Werktitel) bzw. der Sammlung eingereiht; wo hauptsächlich die Anmerkungen des Herausgebers oder die Einleitung zitiert werden, unter dem Namen des Herausgebers. 1. du Cange , Carolus du Fresne 1883–1887 / Léopold Favre : Glossarium ad scriptores mediae et infimae Latinitatis. 2. Anthologia Latina sive poesis Latinae supplementum, Bd. 1, Libri Salmasiani aliorumque carmina, Hg. Riese , Alexander, 2. Aufl. Leipzig, 1894. Hg. Shackleton Bailey, David, Stuttgart, 1982. 3. Castritius , Helmut (2006): Wandalen, in: Reallexikon der germanischen Altertumskunde, 2. Aufl. Bd. 33, Berlin/New York, S. 168–209. 4. Castritius , Helmut (2007): Die Vandalen. Etappen einer Spurensuche, Stuttgart. 5. Chronica Minora s. Mommsen . 6. Claude , Dietrich (1971): Adel, Kirche und Königtum im Westgotenreich (Vorträge und Forschungen Sonderbd. 8), Sigmaringen.
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Namen des Frühmittelalters – RGA-E Band 66 – Seiten 121–136 Personenund Ortsnamen merowingischen © Copyright 2009 Walter de Gruyterauf · Berlin · New York Münzen des 7. Jahrhunderts
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Personen- und Ortsnamen auf merowingischen Münzen des 7. Jahrhunderts Das interdisziplinäre DFG-Projekt „Die merowingischen Monetarmünzen als interdisziplinär-mediävistische Herausforderung – eine Projektskizze“ Nicole Eller/Sabine Hackl-Rössler/Jürgen Strothmann
Seit Anfang 2007 läuft ein von der DFG gefördertes interdisziplinäres Projekt, dessen Forschungsgegenstand die sogenannten „Merowingischen Monetarmünzen“ sind. Diese Münzen wurden von etwa 585 bis etwa 670 nur in Gold geprägt, nämlich als Trienten, also Drittelsolidi, ab 670 in Silber als Denare, deren Prägung dann 750 in die karolingische Münzprägung mündet. Sie tragen in den meisten Fällen keinen Königsnamen und führen auf der einen Seite ein, manchmal zwei Monetarnamen an und auf der anderen Seite einen Ortsnamen, was aber vor allem für die Trienten gilt.1 Insgesamt sind fast 2000 Personennamen und annähernd 800 Ortsnamen überliefert. Ein wesentlicher Schlüssel für die Nutzung des erheblichen Quellenwertes liegt in den Namen, sowohl in denen der Monetare als auch in denen der Orte. Das Monetarmünzprojekt verfügt über das beteiligte Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin mittelbar selbst über einen beachtlichen Bestand dieser Münzen, immerhin unter 474 Merowingermünzen etwa 250 reine Monetarmünzen, deren Umschriften ausreichend erhalten sind. Deren mustergültige Verzeichnung und wissenschaftliche Aufarbeitung ist zentrale Aufgabe des Projektes.
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Vgl. zur Einführung mit zahlreichen Abbildungen Blackburn/Grierson 1986.
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Nicole Eller/Sabine Hackl-Rößler/Jürgen Strothmann
1 Die Projektgruppen und die jeweiligen Projektziele Das interdisziplinäre DFG-Projekt „Die merowingischen Monetarmünzen als interdisziplinär-mediävistische Herausforderung“ konstituiert sich aus vier Projektgruppen: 1. Numismatische Fachdisziplin mit Sitz im Münzkabinett des Bodemuseums in Berlin (Professor Dr. Bernd Kluge): Autopsie und Dokumentation der insgesamt 474 Münzen im Bestand des Münzkabinetts. Durch die Materialedition soll zudem auch das numismatische Forschungsresümee seit Prou (Prou 1892/1969) und Belfort (Belfort 1892–1895) gezogen werden. Erstellen einer zusammenfassenden Betrachtung des merowingischen Münzwesens im 6. und 7. Jahrhundert, die einen ausführlichen Katalog des nach Paris zweitgrößten Sammlungsbestandes enthält. 2. Historische Fachdisziplin (Universität Paderborn, Professor Dr. Jörg Jarnut): Systematische Untersuchung der Frage, welchen Status die Personen, die sich selbst als Monetare auf fränkischen Solidi und Trienten bezeichnen, haben. Gleichzeitig erfolgt ein Abgleich der festgestellten Namen mit denen von Personen in epigraphischen, diplomatischen und historiographischen Quellen. Herausarbeitung neuer geographischer Zuordnungen der Münzprägungen; folgende zwei Faktoren sind dabei wesentlich: 1. Die Ortsqualifikationen (CIVITAS, VICVS, CASTRVM, PAGUS, MALLVS, etc.) und 2. Institutionenbezeichnungen (MONETARIVS, PALATIO, SCVOLA REGIA, etc.). Darüber hinaus ist die Frage zu klären, inwieweit die Unterscheidungen und Zuweisungen von Münzen nach antik-römischen Provinzen oder merowingischen Teilreichen noch tragfähig sind. 3. Germanistische Fachdisziplin (Universität Regensburg, Professor Dr. Albrecht Greule): Erstellen von Kommentaren zu allen Monetarnamen germanischer Herkunft und Verifizierung bzw. Falsifizierung der von Felder (Felder 2003) vorgebrachten Etymologien. 4. Romanistische Fachdisziplin (Universität Regensburg, Professor Dr. Maria Selig): Beratende Tätigkeit bei der Erstellung der Namenkommentare und Interpretation der Münzaufschriften. Aufbau eines Vergleichskorpus. Dieses kann als Basis zur Rekonstruktion (ortho-)graphischer, phonetischer,
Personen- und Ortsnamen auf merowingischen Münzen des 7. Jahrhunderts
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morphologischer, syntaktischer und semantischer Normen der merowingischen Latinität genutzt werden. Gemeinsames Ziel aller Projektdisziplinen ist die Erstellung eines umfassenden Typenkatalogs unter Berücksichtigung wirtschafts- und sozialhistorischer, numismatischer und philologischer Fragestellungen. Somit wird ein im deutschsprachigen Raum bislang noch nicht existentes umfassendes Nachschlagewerk zum Münzwesen des 6. und 7. Jahrhunderts im Frankenreich geschaffen. Durch den interdisziplinären Aspekt wird dem Defizit früherer Publikationen, die oftmals Erkenntnisse der Nachbardisziplinen unberücksichtigt ließen, entgegengewirkt. Dem Katalog soll auch ein Kapitel zu den Monetarnamen als Teil der merowingischen Namenslandschaft beigegeben werden, mit dem über eine rein etymologische Perspektive hinausgegangen wird. Darin ist zu erörtern, welche Namen auffällig sind und welche neue Typen darstellen, ferner auch, welche Namenschichten auszumachen sind und wie sich ihr Verhältnis verändert. Der Katalog soll in der Publikationsreihe des Münzkabinetts, den Berliner Numismatischen Forschungen, erscheinen.
2 Das Korpus Die Materialbasis setzt sich aus 474 Münzen zusammen, die sich im Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin2 befinden. Das Münzkabinett zählt mit über 500 000 Objekten zu einer der größten numismatischen Sammlungen der Welt.3 Eine Besonderheit der Merowingermünzen ist, dass sie zu einem Großteil nicht den König als Münzherren bezeichnen. „Es überwiegen bei weitem die Münzen, die einen Personennamen mit dem (zumeist verkürzten) Zusatz monetarius führen.“ (Kluge 1997, 1127) Die Monetarmünzen nennen zusätzlich ihren Prägeort.
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Anlässlich des 100. Geburtstages des Bode-Museums wurde das Münzkabinett am 22. Oktober 2004 nach einer sechsjährigen Sanierungszeit eröffnet, im Oktober 2006 wurde das gesamte Bode-Museum feierlich wiedereröffnet. Zu den bedeutendsten Beständen gehören 102 000 griechische und etwa 50 000 römische Münzen der Antike, 160 000 europäische Münzen des Mittelalters und der Neuzeit sowie 35 000 islamisch-orientalische Münzen. Vgl. dazu http://www.smb.museum/smb/sammlungen/details.php?lang=de&objID= 9&p=0 (Zugriff am 24. Oktober 2008) und Kluge 2004. Vgl. dazu Kluge 2004.
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Der Bestandskatalog der merowingischen Monetarmünzen setzt sich wie folgt zusammen (in eckigen Klammern steht die Anzahl der Münzen)4: 1. Pseudoimperiale5 Prägungen (ca. 500–585) [gesamt 82] A. Königliche Prägungen [12] B. Nach Regionen: 1. Austrasien [5] 2. Aquitanien [1] 3. Burgund und Provence [29] 4. Ungeklärte Zuordnung [35] 2. ‚Nationale‘ Prägungen (ca. 585–675) [gesamt 269] A. Königliche Prägungen [31] B. Prägeorte nach Regionen: 1. Austrasien und Friesland [97] 2. Neustrien [32] 3. Aquitanien [45] 4. Burgund und Provence [39] 5. Ungeklärte Zuordnung [25] 3. Periode der Silberprägung (ca. 675–750) [gesamt 118] A. Prägeorte nach Regionen: 1. Austrasien [8] 2. Neustrien [32] 3. Aquitanien [20] 4. Provence [44] 5. Ungeklärte Zuordnung [12] B. Bronzemünzen [2] C. Fälschungen [5]
3 Die Organisation des interdisziplinären Arbeitsablaufs Nachfolgend wird der interdisziplinäre Arbeitsablauf anhand der Münznummer 18206722 erläutert, im Anschluss daran wird der germanistische Namenkommentar präsentiert. Der bislang nicht edierte Sammlungsbestand des Münzkabinetts wurde zunächst digital photographiert und jede Münze eingehend dokumentiert, bestimmt und in eine interne Datenbank (mk_edit) eingepflegt. Dabei wurde dem Bemühen um eine klare Lesart der jeweiligen Orts- bzw. Personennamen der Monetarmünzen oberste Priorität eingeräumt. Die Münzen wurden daraufhin in Form eines interaktiven Katalogs über das Internet allen Projektbeteiligten durch einen Gastzugang zur Verfügung gestellt. Anhand des unten abgebildeten Screenshots6 wird die (nach der Publikation des gedruckten Projektbandes) zusätzlich angestrebte Präsentation im 4
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6
Die Liste wurde von Dr. Karsten Dahmen (Berlin) erstellt und für den vorliegenden Aufsatz zur Verfügung gestellt. Pseudoimperiale Prägungen sind Imitationen spätantiker und byzantinischer Münzen, die in fränkischen Werkstätten hergestellt wurden. Eine vorläufige Fassung wurde unter: https://www.smb.museum/ikmk/object.php?id= 18206722 online gestellt.
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WWW mittels des Interaktiven Kataloges des Münzkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin (ikmk)7 veranschaulicht. Jedes Datenblatt verfügt sowohl im internen mk_edit als auch in der Version des der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Internetkataloges ikmk über eine Druckversion. Bei der Autopsie der Münzen werden die Fundumstände, sofern sie bekannt sind, interpretiert, um Chronologie und Verortung der Münze zu verbessern. Allerdings ist dies nur bei einem geringen Prozentsatz der Münzen zu leisten. Jede Münze wird numismatisch nach folgenden Kriterien erfasst: – detaillierte Abbildung des Objekts (Münzbild der Vorder- und Rückseite) – wahrscheinlicher Prägeort (Provinz/Stadt/Atelier) – Münzherr (soweit feststellbar) – Wiedergabe der Legende im Original und „normalisiert“ – Vorstellung möglicher Lesarten 7
Zugriff unter www.smb.museum/ikmk. Zur Zeit sind über 7600 Münzen, Medaillen und andere Objekte aller Epochen aus dem Bestand des Münzkabinetts auf diese Weise zugänglich gemacht worden.
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Datierung Metall Gewicht Durchmesser Stempelstellung ausführliches Literaturzitat Verweis auf weitere Objekte mit demselben Münzmeisternamen mittels Zitat nach Felder Nachdem die Münzen von den Berliner Kollegen im mk_edit freigeschaltet worden sind, werden die Datenblätter einer ersten Sichtung unterzogen und nach germanistischen bzw. romanistischen Gesichtspunkten geordnet und unter den beiden Fachdisziplinen aufgeteilt. Gelegentlich werden bei unsicheren Lesungen Rückfragen an die Numismatik gestellt. Der romanistische Kollege behandelt Romanisierungstendenzen der Monetarnamen und formuliert Textbausteine, die dann in die germanistischen Namenkommentare integriert werden (siehe nachfolgenden Namenkommentar). Zu jedem Personennamen wird ein separater Namenkommentar erstellt. Die Datenbank und die Namenkommentare von Nomen et Gens (NeG)8 stellen dabei ein wichtiges Hilfsmittel dar, da zahlreiche Namenelemente bereits analysiert und auch etymologisiert wurden. Allerdings wurde der Aufbau der NeG-Personennamenkommentare, der die Aspekte „Lemma“, „Etymologie“, „Phonologie/Graphematik“, „Morphologie“ und „Namenlexik“ beinhaltet, modifiziert. Die einzelnen Namenkommentare werden analog nach folgendem Schema aufgebaut: 1. Lemma 2. Bedeutung 3. Namenbestandteile 4. Schreibung/Lautentwicklung 5. Morphologie 6. Bemerkungen Für den Katalog wird ein Verzeichnis der germanischen Namenelemente (ähnlich wie in Felder 2003) anzulegen sein; die der lateinischen Tradition 8
Nomen et Gens (NeG) ist eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Althistorikern, Mediävisten und Sprachwissenschaftlern, die Personennamen und Personennamengebung bei den Franken, den Bayern, den Alemannen, den Goten, den Burgundern, den Langobarden, den Sachsen, den Thüringern und einigen weiteren kleineren ostgermanischen beziehungsweise westgermanischen Stämmen von den ersten Zeugnissen der Völkerwanderungszeit bis ins 8. Jahrhundert hinein erforscht. Primäres Ziel ist es, alle erreichbaren Personennamenzeugnisse dieses Zeitraumes zu erfassen, auf elektronisch auswertbare Datenträger aufzunehmen und sowohl historisch als auch philologisch-namenkundlich zu beleuchten. Vgl. dazu exemplarisch Geuenich/Kettemann 1997 und Jarnut 2002.
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zuzuordnenden Namen werden von den Romanisten in einem weiteren Verzeichnis aufgeführt.
4 Exemplarische Analyse eines Monetarnamens (Peccane; Objektnummer 18206722) Die Basis für die nachfolgende exemplarische Analyse des Monetarnamens Peccane (geschrieben ) ist das zugehörige Datenblatt des Interaktiven Katalogs des Münzkabinetts der staatlichen Museen zu Berlin (ikmk) (siehe oben). Für die Namendeutung sind dabei folgende Informationen besonders relevant: x Wiedergabe der Legenden von Vorder- und Rückseite (im Original und „normalisiert“; Vorstellung möglicher Lesarten; außerdem Zusatzinformationen): Vorderseite: ROTO-M [Vor M ein Stern. Rotomo]. Büste mit Diadem nach rechts, ein Arm vor das Gesicht erhoben. Rückseite: + PECCANE M [N retrograd. M mit Überstrich. Peccane Monetarius]. Ankerkreuz über kleinem Balken. x Datierung der Münze: ca. 620–640 x Lokalisierung der Münze: Münzstätte: Rouen, Region: Seine-Maritime, Land: Frankreich x Foto der Münze, um sich selbst ein Bild von der Schreibung des Namens machen zu können (siehe Screenshot). Wie bereits oben erwähnt, erfolgt bei eventuellen Unklarheiten zur Münze bzw. zur Legende eine Rücksprache mit den Numismatikern in Berlin. Die Schreibung PECCANE ist auf der Münze recht deutlich zu erkennen und führt zu folgender Deutung des Monetarnamens Peccane:
1. Lemma (a) *bek-jan- / (b) *bekk-anDer vorliegende Monetarname Peccane kann nicht eindeutig auf nur ein Lemma zurückgeführt werden. Aus diesem Grund werden zwei verschiedene Lemmata angesetzt.
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2. Bedeutung Die Bedeutung von Peccane kann sowohl bei (a) *bek-jan- als auch bei (b) *bekk-an- mit ‚der Stoßer, der Stecher‘ umschrieben werden.9
3. Namenbestandteile (a) Eingliedriger germanischer Personenname (mask.), abgeleitet von einem Stamm *bek- ‚stechen‘ als maskuliner -jan-Stamm *bek-jan- ‚der Stecher‘ (Nomen agentis)10; vgl. das schwache Verb germ. *bek-jan (vgl. ahd. (ana)bicken sw. V. mhd. bicken, ‚stechen, stoßen‘, mndd. pecken, mndl. pecken, me. picchen; vgl. anord. bikkja ‚werfen, stoßen‘).11 (b) Eingliedriger germanischer Personenname (mask.), abgeleitet von einem Stamm *bekk- ‚stechen‘ (< *bek- (siehe oben) mit expressiv geminiertem k12), + germ. Suffix -an- zur Bildung von Nomina agentis.13
4. Schreibung/Lautentwicklung Sowohl bei (a) als auch bei (b) entwickelte sich im Anlaut b > p (*bek- > *pek-) durch expressive Anlautverschärfung in Kurz- und Kosenamen.14 Die Schreibung steht für inlautendes -kk-15. Während diese Geminata bei (b) bereits im Stamm *bekk- (< *bek-) durch expressive Gemination enthalten ist, muss für (a) von westgermanischer Konsonantenverdoppelung von k vor j (*bek-jan-)16 ausgegangen werden. Der Stammvokal e (PECCANE) ist beim Ansatz mit dem Lemma *bekk-an- (b) erhalten. Bei (a) (*bek-jan-) ist entweder die (bereits urgermanische) Hebung von germ. e zu i vor j der Folgesilbe17 unterblieben oder – 9
10 11 12
13 14 15 16 17
Nach Kaufmann 1968, 60 (so auch Förstemann, Sp. 300) handelt es sich beim PN-Stamm „bic“ wohl um die Bezeichnung für eine Stoß- oder Stichwaffe. Aufgrund der hier vorliegenden Ansätze mit dem Suffix -jan- (a) bzw. -an- (b) kann von einem Nomen agentis ‚der Stecher, Stoßer‘ ausgegangen werden. Vgl. auch NeG (Näßl). Vgl. Krahe/Meid III 1969, 96 ff., § 92. Kluge 2002, 701 zu Pickel, picken; vgl. NeG (Näßl). Zur Konsonantenverdoppelung vgl. Krahe/Meid III 1969, 13 f., § 12 und S. 242 f., § 184 (hier nur in Bezug auf Verben). Vgl. Krahe/Meid III 1969, 90 ff., § 91. Vgl. Greule 1996, 1185; vgl. Kaufmann 1965, 34, 42 f.; vgl. auch Felder 2003, 282. Braune/Reiffenstein 2004, 174, § 180. Braune/Reiffenstein 2004, 98 ff., § 96. Vgl. Braune/Reiffenstein 2004, 32, § 30.a); vgl. Krahe I 1966, 56, § 35.
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falls die Hebung stattgefunden hat (*bek-ja- > *bik-ja-) – der gehobene Vokal i wurde durch romanischen Einfluss wieder zu e abgesenkt.18
5. Morphologie Beim Kurznamen Peccane liegt die Endung -ane vor:19 Diese Endung ist bei maskulinen Personennamen Teil eines Deklinationsparadigmas -a, -anis etc. mit -ane als Endung des Ablativs (bzw. bei fortgeschrittenem Verfall des Kasussystems des Casus Obliquus). Bei den Feminina entspricht dieser Deklination -o, -onis etc. Die Verbreitung solcher Namen besonders in Spanien, Südfrankreich und Italien spricht dafür, dass das Muster auf Deklinationsendungen des Gotischen zurückgeht (Jud 1907, 35–37, 40–52, 114). In den westgermanischen Sprachen der Franken, Langobarden und Alemannen entspricht ihm umgekehrt -o, -onis für Maskulina gegenüber -a, -anis für Feminina. Als Monetarnamen auf -a, -anis sind Atila, Audora (=Adoura?), Baba, Babrica, Bera, Donnane (vgl. Dona), Ela (vgl. Ella in Spanien), Guerda, Peccane, Tinila und Vvita (vgl. Witiza) belegt (Jud 1907, 39). Das gelegentliche Auftreten solcher Namen in Nordfrankreich müsste durch dortige vereinzelte Präsenz von Goten erklärt werden.20 Sie wird durch den Ortsnamen Gueux (Dép. Marne) bestätigt, der im Polyptichon von Saint Rémy von 847 als Gothi erwähnt ist (Jud 1907, 38).
6. Bemerkungen Kluge geht davon aus, dass bei Wörtern wie Pickel, picken „sowohl mit Lautmalerei wie auch mit Entlehnung zu rechnen [ist], da entsprechende Wörter in den romanischen Sprachen erscheinen (vgl. etwa it. beccare ‚hacken‘, frz. bêche f. ‚Grabscheit‘)“ (Kluge 2002, 701). 18 19
20
Vgl. Lausberg I 1969, 145, § 156. Die Ausführungen zur Endung -ane wurden als Textbaustein vom Kollegen der Romanistik, Dr. Rembert Eufe, formuliert. Jud denkt an Goten, die nach der Eroberung Südfrankreichs durch die Franken in die Sklaverei geraten seien: „[…] il n’y a pas de difficulté à admettre qu’après la conquête du midi quelques Visigoths ou quelques Burgondes se soient trouvés transplantés comme esclaves dans le nord de la Gaule.“ Sieht man dies als die einzige Möglichkeit an, würde sich die Frage stellen, wie sich der Sklavenstatus zu ihrer Erwähnung als Monetare fügt. Es wäre dann entweder von Freigelassenen oder von einem niedrigen Rang der Monetare auszugehen. Aber warum sollen nicht auch Goten mit einer anderen sozialen Stellung nach Nordfrankreich gekommen sein?
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Die Verbindung zum Romanischen spielt auch bei Felders Deutung von Peccane eine Rolle. Er favorisiert einen Deutungsansatz mit *Bek(k)(und zusätzlich *Bik(k)-; ae. becca ‚Spitzhacke‘, nhd. Pickel, Bickel) als germanisch-sprachige Entsprechung für gall.-lat. beccus ‚Schnabel‘ (Felder 2003, 282 f.). Daneben führt er außerdem weitere Deutungsmöglichkeiten an (1. zu *Beg- = *B¯e1g- als ostgerm. bzw. got. Entsprechung von westgerm. *Ba¯ g-; 2. zu *Beg(g )- als hypokoristische Entsprechung von Berg- oder als zweistämmige Kürzung), die aber für die vorliegenden Ausführungen zu Peccane nicht übernommen werden.
5 Zum Wert der Merowingischen Monetarmünzen für die Geschichtswissenschaft Die Namen auf den Merowingischen Monetarmünzen (MM) stellen für das 7. Jahrhundert einen einzigartigen Datenbestand dar, da Orts- und Personennamen jeweils aus vergleichbaren Zusammenhängen stammen. Die insgesamt fast 2000 auf Monetarmünzen überlieferten Personennamen bezeichnen mit Ausnahme von Königsnamen und einzelnen Bischofsnamen allesamt Monetare als Personen mit grundsätzlich gleicher Funktion, vermutlich auch ähnlicher gesellschaftlicher und sozialer Stellung. Auch die insgesamt nahezu 800 überlieferten Ortsnamen bezeichnen durchweg Orte mit gleicher Funktion, ob es sich nun um Prägeorte handelt oder – wie für möglich gehalten wird – um Orte, an denen Abgaben erhoben werden.21 In jedem Fall handelt es sich um Orte mit politischer und sicher auch wirtschaftlicher Relevanz für das Frankenreich. Der Befund eines außerordentlich homogenen Datenbestandes zu Personen und Orten mit einer Funktion für die politische Ordnung, wie angenommen werden darf, wird in seiner Bedeutung deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Datenbestand einer zeitgenössischen Liste eines großen Teils der pagi und der zuständigen comites entspräche, wenngleich vermutlich der Rang der comites höher zu veranschlagen ist. Aber ganz ähnlich mag der Bestand einen Schlüssel zum Verständnis der politischen Ordnung unterhalb des königlichen Handelns darstellen. Die relative Homogenität des Datenbestandes ist für die Erforschung politischer, kultureller und wirtschaftlicher Strukturen ein methodischer Glücksfall. Hinzu kommt die Besonderheit, dass die Namen auf den originalen Datenträgern vorliegen, also nicht im Laufe der Zeit durch Abschrei21
Unter anderem Grierson 1991, 25; siehe auch Stahl 1982, 134, der die Münzprägung als Voraussetzung für die Steuererhebung sieht und so die zahlreichen Prägeorte erklärt.
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ben verändert wurden. Die Schreibungen der Namen auf den Münzen repräsentieren unmittelbar Irrtümer des Stempelschneiders und die zeitgenössische Aussprache, wobei sprachliche Abweichungen zu untersuchen sind und neben der groben Herkunft der Namen als weiteres Mittel dienen könnten, die Herkunft zumindest des Stempelschneiders (der nicht mit dem Monetar identisch sein muss) zu ermitteln. Ähnlich gilt für Schreibungen von Ortsnamen, dass mit ihrer Hilfe – bei entsprechender Parallelüberlieferung – die Münzen vermutlich grob datierbar werden, was neben den Sprachwissenschaften durchaus auch die Geschichtswissenschaft betrifft, etwa bei dem Wandel des Namens von Straßburg von „Argentorate“ zu „Strateburgo“.22 An solchen Fragen zeigt sich die Nähe von Sprach- und Geschichtswissenschaft, denn der Namenswechsel bei Orten hat einen historischen Hintergrund und bedarf neben der sprachwissenschaftlichen auch einer historischen Begründung. Diese Nähe der beiden Disziplinen setzt sich fort mit der Tatsache, dass es zu den Monetaren fast gar keine Parallelüberlieferung gibt. Einer der seltenen Fälle ist die Vita des heiligen Eligius, der die Goldschmiedekunst erlernte und später im Dienst des Königs Münzen herstellte, in der gesamten Vita aber nicht ein einziges Mal als „Monetarius“ bezeichnet wird. Dieser Eligius, der später Bischof von Noyon wurde, muss als eine Art „Obermonetar“ gelten, weil sein Name auf Königsmünzen erscheint und dies sowohl auf Münzen aus Marseille als auch aus Paris.23 Eine zentrale Frage im Hinblick auf die Monetarnamen ist die nach der gesellschaftlichen und sozialen Verortung der Monetare, damit auch auf ihre politische Funktion. Da sich das aus erzählenden Quellen kaum erfahren lässt, ist es notwendig, den Namenbestand mit anderen Beständen abzugleichen. Das können übrigens Sprachwissenschaftler und Historiker gemeinsam tun. Das ist daneben aber eine Frage, deren Beantwortung die Kenntnis und das weitgehende Verständnis des Systems der Monetarmün22
23
Greule, Straßburg 2005, 70–72; danach bedeutet der Ortsname Strateburg „(Siedlung / Platz an der) an der Straße bei der befestigten Stadt“ (ebenda 71); der Grund für den Namenswechsel der befestigten Stadt selbst aber ist unklar. Beide Namen sind auf Münzen erhalten: Depeyrot 1998, 118 f.: STRATEBVRGO C und ARGENTORATI FIT sowie ARGENTORATO FIT. Eine Frage etwa ist die, ob die beiden Namen in der Merowingerzeit jeweils als Fremd- oder Selbstbezeichnung zu verstehen sind bzw. als wessen Bezeichnung sie anzusehen sind. Zu Eligius vgl. Scheibelreiter 2004. – Die Datierung der Eligius-Vita ist kompliziert, wobei die herkömmliche Sicht eine starke Überarbeitung in der frühen Karolingerzeit annimmt und so die wenigen klaren Aussagen der Vita mit einem Fragzeichen zu versehen sind, weil sie möglicherweise nicht ganz zeitgenössisch sind. Eine Neubewertung nahm jüngst Bayer 2007 vor, der mit guten Argumenten die Vita ganz ihrem Autor Audoin von Rouen, dem Freund und Bischofskollegen des Eligius zuweist.
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zen voraussetzt, was eine Gemeinschaftsaufgabe für die Geschichtswissenschaft und die Numismatik darstellt. Die Forschergruppe Nomen et Gens (NeG), die aus Historikern und Sprachwissenschaftlern besteht und in ihrer Datenbank, die der Öffentlichkeit in absehbarer Zeit über eine Internetplattform zugänglich gemacht werden soll, einige zigtausend Namen aufgenommen, kommentiert und darüber hinaus prosopographisch erschlossen hat, bietet für das MM-Projekt einen wichtigen Referenzrahmen, sowohl methodisch als auch bei der Untersuchung der Monetarnamen. Dabei unterscheidet sich das Gliederungsinteresse zwischen beiden Projekten, da es im Monetarmünzprojekt wegen der fehlenden Parallelüberlieferung zu Monetaren nur am Rande möglich ist Prosopographie zu betreiben. Das bedeutet, dass bei der Konzeption einer projektinternen Datenbank eine gemeinsame Datenaufnahme für Sprachwissenschaften und Geschichtswissenschaft möglich war. Aufgenommen werden in der bisher noch auf die Berliner Münzen beschränkten MM-Datenbank als Basis der Name und ein ihm zugeordnetes an die germanistischen Lemmata in der NeG-Datenbank angelehntes sprachwissenschaftliches Lemma, nicht etwa die Person. Dabei wird die häufigste Schreibung des Namens zugrunde gelegt; Abweichungen werden aufgeführt, sowohl bei grundsätzlich anderen Schreibungen wie „Elegius“ für Eligius, als auch unter den Lesarten der Münzen. Die Konzeption der Datenbank wird die verschiedensten Abfragen erlauben, auch solche, die weit über die Standardabfrage hinausgehen, an welchen Orten ein bestimmter Name vorkommt. Dazu könnte die Frage gehören, wie viele Hybridnamen in einem bestimmten Departement vorkommen oder ob es eine statistisch greifbare Korrespondenz von Namen und einer bestimmten Münzikonographie gibt. Eine mögliche Frage wäre auch nach Namenelementen in Abhängigkeit von Ort und Raum. Für den Historiker ebenso interessant sind die Ortsnamen, etwa ob das – wie angedeutet – den Namenwechsel betrifft, der zum Teil noch in den Zeitraum der Monetarmünzen fällt, oder die Frage nach der Bedeutung der Münzorte: Sind sie schon auf der spätantiken Tabula Peutingeriana zu finden? Welcher Ort wird auf der Münze jeweils als Civitas, als Vicus oder als Villa bezeichnet? Von einiger Bedeutung für die Fragestellung des Projektes sind auch die vor allem für die Romanistik interessanten Wortendungen, die auf die Kasus der Namen verweisen, die im Falle der Ortsnamen selbst eben oft nicht dekliniert sind, obwohl die Wortendungen in den allermeisten Fällen romanisiert sind. Dabei zeichnet sich ab, dass die Ortsnamen vermutlich im Ablativ oder Kasus Obliquus stehen, vermutlich – anderen Hinweisen
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zufolge – eben meist nicht im Nominativ, was für weitere Fragestellungen von großem Wert ist. So stehen im Hinblick auf die Monetarmünzen Fragen zu den Ortsnamen durchaus gleichberechtigt neben solchen nach den Personennamen. Zudem ist die Identifizierung der Ortsnamen und die Lokalisierung der Orte eine wesentliche Voraussetzung zur Untersuchung der Personennamen. Von erheblicher Bedeutung für unser Verständnis sind die Ortsqualifikationen und weitere Zusätze auf manchen Münzen, die jeweils erklärende Funktion haben und deren separate Aufnahme in die Datenbank ebenso vorgesehen ist wie Angaben zu Gewicht und – wenn bekannt – zum Fundort der Münze.24 Die für die kleine aber komplexe Datenbank bisher gesammelten Daten beruhen wesentlich auf den Münzbeschreibungen der Numismatik und den Namenkommentaren der Sprachwissenschaften sowie auf den Überprüfungen bestehender Lokalisierungen durch die Geschichtswissenschaft und damit auf dem Berliner Bestand. Die Konzeption der Datenbank erlaubt aber durchaus eine Erweiterung auf weitere Referenzbestände. Neben der Arbeit für den Katalog der Berliner Monetarmünzen besteht eine wesentliche Aufgabe der beteiligten Historiker darin, das System der Merowingischen Monetarmünzen so weit möglich auch als Ausdruck des politischen Systems im merowingischen Frankenreich zu verstehen und – neben der Lokalisierungsarbeit – auch damit im Gespräch mit den Sprachwissenschaften und der Numismatik Ergebnisse zu liefern, die diesen wiederum nützlich sein können. Eine wesentliche Beobachtung, die dabei ist, sich zur vorläufigen Erkenntnis zu verdichten, liegt darin, dass – anders als die karolingische politische Ordnung – das Frankenreich des 7. Jahrhunderts noch stark von antiken Strukturen und institutionellen Formen geprägt ist, was sich unter anderem in der in manchen Regionen erkennbaren Kontinuität der Orte und ihrer Funktion als Hauptorte in der Herrschaftsorganisation abzeichnet, wie etwa sehr deutlich im Rheintal. So ist für den Historiker die Frage nach dem Übergang von der Goldzur Silberprägung, von Trienten zu Denaren, ebenso interessant wie für den Numismatiker, sie ist aber nicht so sehr mit dem Edelmetallwechsel verbunden, sondern auch mit den damit einhergehenden Veränderungen
24
Aus dem Abgleich von Prägeort und Fundort lässt sich der Geldumlauf feststellen. Erst in jüngster Zeit sind dazu zwei maßgebliche Arbeiten entstanden: Fischer 2000: Der Münzumlauf (Das reguläre Erscheinen dieser Freiburger Dissertation ist angekündigt) und Lafaurie/Pilet-Lemière 2005: Monnaies du Haut Moyen Âge; siehe nun auch Metcalf 2006.
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in der Gestaltung der Münzen, die bald nach 670 eigentlich keine Monetarmünzen mehr sind, weil sie nicht mehr der bis 670 frankenreichweit geltenden Regel folgen, dass auf einer Münze immer (außer bei Königsmünzen und solchen, die dem Fiscus zugewiesen werden) ein oder mehrere Monetare erscheinen. Außerdem wandeln sich die Ortsangaben zu sehr verkürzten, kaum identifizierbaren Abkürzungen. Die Zahl der Prägeorte nimmt mit der Silberprägung deutlich ab, ebenso die Zahl der Monetarnamen. Es lässt sich schließlich kaum noch von einem einheitlichen System reden. Das Geld scheint das zu werden, was es in den folgenden Jahrhunderten vorrangig sein wird: Zahlungsmittel. Nicht, dass es zuvor kein Zahlungsmittel gewesen wäre, aber es hatte darüber hinaus Funktionen in der staatlichen Verwaltung, die ganz wesentlich mit der Finanzverwaltung zusammenhingen.25 Zwischen 670 und der Münzreform König Pippins scheint es so gewesen zu sein, dass die Münzprägung der zentralen Kontrolle weitgehend entglitten ist, während die eigentliche Monetarmünzprägung vermutlich Ausdruck staatlicher Ordnung war. Darauf deuten die vorläufigen Ergebnisse hin. Sollte sich dieser Eindruck weiter verfestigen, bedeutet das für alle beteiligten Disziplinen, besonders aber für die Geschichtswissenschaft, dass die Merowingischen Monetarmünzen auch in ihrer Gesamtheit und nicht bloß als einzelne Prägungen als Quelle anzusehen sind. Dann würden sie nicht mehr bloß als Hilfe bei der Identifizierung von Orten dienen oder als Reservoir von Namen, die hier und da in anderen Quellen wiederkehren, sondern könnten maßgeblich dazu beitragen, das Frankenreich des 7. Jahrhunderts völlig neu zu verstehen, auch mit Konsequenzen für die Beurteilung von Einzelbefunden. So würde bis zur Mitte des 7. Jahrhunderts von einer nachantiken politischen Ordnung die Rede sein müssen und dieses spannende 7. Jahrhundert selbst müsste als ein wesentlicher Vorbereitungsraum für genuin mittelalterliche Strukturen verstanden werden. Diese Überlegungen sind Ergebnis und Voraussetzung des geschichtswissenschaftlichen Teilprojektes zugleich. Obwohl sie nach der Einbeziehung weiterer Bestände an Monetarmünzen, vor allem des umfangreichen Bestandes der Bibliothèque Nationale de France verlangen, und auch bei weitem nicht abgeschlossen sind oder sein könnten, dienen sie auch der Herstellung des Kataloges der Berliner Münzen, weil so die Einordnung der Münzen und ihres mutmaßlichen Systems in die wirtschaftliche und politische Landschaft des Frankenreiches erleichtert wird, so dass davon
25
Siehe für die spätrömische und durchaus auch für die nachantike Münzprägung Hendy 1988.
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neben den geschichtswissenschaftlichen Beiträgen des Katalogs zur Rolle des Geldes etwa auch Lokalisierungen und Lesungen profitieren können. Darüber hinaus verweisen diese Überlegungen auf die Notwendigkeit, die Merowingischen Monetarmünzen und ihr System weitaus stärker als bisher auch in der Geschichtswissenschaft als Quellen zu berücksichtigen. So entsteht aus der Zusammenarbeit von Numismatik, Germanistischer und Romanistischer Sprachwissenschaft und Geschichtswissenschaft ein umfassend kommentierter Katalog zu einem wesentlichen Bestand an Merowingermünzen. Es besteht die Aussicht, dass eine Folge dieses Projektes ist, dass Merowingische Monetarmünzen auf neuer Grundlage als Quelle von Sprach- und Geschichtswissenschaft dienen und neue Fragestellungen auch die Münzen selbst in einem neuen Licht sehen lassen.
Literatur Bayer, C.M.M. (2007): Vita Eligii. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 45. S. 461–524. Belfort, Auguste de (1892–1895): Description générale des monnaies Mérovingiennes par ordre alphabétique des ateliers. 5 Bände. Paris. Blackburn, Mark/Grierson, Philip (1986): Medieval European Coinage. With a Catalogue of the Coins in the Fitzwilliam Museum. Cambridge. I: The Early Middle Ages (5th–10th centuries). Cambridge. Braune, Wilhelm (2004): Althochdeutsche Grammatik I. Laut- und Formenlehre. 15. Auflage, bearbeitet von Ingo Reiffenstein. (= Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte.). Tübingen. Depeyrot, Georges (1998): Le Numéraire Mérovingien. L’Âge de l’Or. 4 Bände. Wetteren. Felder, Egon (2003): Die Personennamen auf den merowingischen Münzen der Bibliothèque Nationale de France. (= Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse. Neue Folge, Heft 122). München. Fischer, Josef (2000): Der Münzumlauf und Münzvorrat im Merowingerreich. Eine Untersuchung der zeitgenössischen Münzfunde aus dem Gebiet des Reihengräberkreises (Diss.). Freiburg im Breisgau. Förstemann, Ernst (1966): Altdeutsches Namenbuch. Erster Band. Personennamen. Nachdruck der zweiten, völlig umgearbeiteten Auflage. München. Geuenich, Dieter/Kettemann, Walter (1997): Das Pilotprojekt zur gens Alamannorum. Erste Erfahrungen mit einem Teilprojekt von nomen et gens. In: Geuenich, Dieter/Haubrichs, Wolfgang/Jarnut, Jörg (Hg.): ‚Nomen et gens‘. Zur historischen Aussagekraft frühmittelalterlicher Personennamen. Berlin/New York. S. 279–303. Greule, Albrecht (1996): Morphologie und Wortbildung der Vornamen: Germanisch. In: Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik. 2. Teilband. (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. Band 11.). Berlin/New York. S. 1182–1187.
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Namen des Frühmittelalters – RGA-E Band 66 – Seiten 137–143 Die langobardische Anthroponymie zwischen © Copyright 2009 Walter de Gruyter · Berlin · New York Germania und Romania
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Die langobardische Anthroponymie zwischen Germania und Romania Maria Giovanna Arcamone
Die ältesten Texte des frühmittelalterlichen Italiens zeigen von Anfang an neben ererbten Eigennamen hebräischen-griechischen-lateinischen Ursprungs Anthroponyme die sich nicht in die bis dahin übliche lateinische Überlieferung einreihen lassen: es handelt sich um germanische Namen, wie die Forschung schon im 18. Jh. deutlich erkannt hat. An diesen fremden Eigennamen sind die Privaturkunden besonders reich, weshalb sie hier die Basis für einige Überlegungen bilden sollen.1 Dieser Reichtum ist jedoch nicht der einzige Grund, warum die Privaturkunden in diese Untersuchung über die langobardische Anthroponymie einbezogen werden. Wenn auch andere Texte untersucht werden könnten, wie Geschichtsquellen und päpstliche Quellen, die auch gelegentlich konsultiert werden, haben die Privaturkunden mit ihrem unkorrekten Latein den Vorteil, der damals gesprochenen Sprache recht nahe zu sein und erlauben daher Schlüsse über den linguistischen Zustand dieser Anthroponyme und über ihre Anpassungstufe an die damals in Italien gesprochene Sprache. Es ist nicht ganz klar, wie diese Anthroponyme angepasst wurden, weil uns der italienische Sprachzustand der Zeit nicht ausreichend bekannt ist.2 Da er nicht mehr Latein genannt werden kann, spricht man vom Protoitalienischen, denn die italienische Sprache ist reichlich erst seit dem 13. Jh. bezeugt; wie sie früher war, muss man aus spärlichen und verstreuten Belegen erraten.3 Unter diesen Belegen spielen Personennamen und Ortsnamen jedes beliebigen Ursprungs eine wichtige Rolle, wie sie besonders in Privaturkunden vorkommen, wo aufgrund ihres spezifischen Inhalts Personen und Ortschaften reichlich bezeugt sind.4 Es lässt sich sogar behaupten, dass nicht nur die aus dem Lateinischen stammenden Eigennamen auf den Zu1 2 3 4
Siehe CDL. Migliorini 1960, II (Tra il latino e l’italiano, 476–960). Migliorini 1960, III (I primordi, 960–1225). Castellani 1960.
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Maria G. Arcamone
stand des Italienischen verweisen, sondern dass die germanischen Formen auch und manchmal sogar besser dazu beitragen, Merkmale des Protoitalienischen aufzuzeigen (z. B. siehe unten den Fall Teuderisci , Teuspranda <spr>, Uualtprand , usw. 5) Sie zeigen wiederkehrende fremde Elemente. Beispiele: Gausfridi, Gausperga, Gausprandus; Anselda, Anselenda, Anserada; Rochilda, Romilda, Theothilda, usw. 6) Viele dieser letztgenannten Elemente kommen auch zweisilbig vor, und zwar sind sie mit den Endungen -a bzw. -o versehen und folgen der schwachen Deklination. Beispiele: Aldul-a, All-o, Ans-a, Aud-o, Gaid-o, Gaus-o, Gis-a, Sind-o, Sisul-a, usw. 7) Diese wiederkehrenden Elemente kommen auch in zweigliedrigen Komposita vor, denn zu dieser Zeit gab es wenige Komposita in der einheimischen Namensetzung. Beispiele: Aldi-perga, Ali-perga, Ans-elda, Ar-gait, Audi-pert, Gaus-frit, Gis-ulf, Rode-gis, Sinde-ram, Sisi-pert, usw. 8) Einige dieser Elemente kommen nur als Erstglied des anthroponymischen Kompositums vor, z. B. alle die mit einem Vokal beginnen: *ala-, *ansi-, *erma-, usw., auch *qeudo¯ und *leudi- und einige andere. 9) Nur wenige werden sowohl als Erst – als auch als Zweitglied eines Kompositums verwendet: z.B. *berhta: Perti-funs, Al-pertu; *balda-: Palde-ris, Pal-truda e Gari-pald, Teut-pald; *hild¯ı-: Helde-pert, Hildi-prandus, usw. 10) Viele einfache und auch viele zusammengesetzte Elemente zeigen die lateinische Ableitungssilbe -UL, hauptsächlich in der Toskana: Alpulus, Pertulus, Maricindula, Teudipergula. 11) Einige der als Zweitglied häufigen germanischen Elemente verbinden sich mit oft vorkommenden lateinischen bzw. griechischen Elementen, die aber nur an der ersten Stelle gebraucht werden: Boni-pertus (lat. Bonus), Clari-sinda (lat. Clarus), Domni-chis (lat. Dominus), Dulci-pert (lat. Dulcis), Luci-prand, Luci-pert (lat. Lucius), Rom-ilda (lat. Roma), usw.9 12) Alle diese Elemente und Charakteristika kommen auch in den anderen germanischen Anthroponymien vor,10 d. h. es handelt sich um klassische ger9 10
Arcamone 1997, S. 174. Sonderegger 1997.
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manische Merkmale, die leicht erkennbar sind. Es sind also germanische Elemente in einem Teil der Romania, eben Italien. Sie werden den Langobarden zugewiesen, weil viele davon Spuren der zweiten Lautverschiebung zeigen, welche bekanntlich die Langobarden mitgemacht haben, siehe Pertifuns