DORGON F a n - S e r i e
d e s
P e r r y
R h o d a n
O n l i n e
C l u b s
Das Quarterium Band 130
Kampf der USO Geheimagenten im offenen Krieg – die Schlinge um die USO zieht sich zu
von Michael Berg und Jürgen Freier Titelbild von Jürg Rinaldi
Hauptpersonen Pace Joharr und Jaaron Jargon – Die Linguiden sind die perfekte Falle. Akaho da Purok – Der Spezialist der USO soll Joharr befreien. Rosan Orbanashol-Nordment – Die Leiterin der USO in Cartwheel muss ihre Organisation retten. Werner Niesewitz und Reynar Trybwater – Die C.I.P-Führung verfolgt einen perfiden Plan. Imperatore de la Siniestro – Der Spanier muss sich endgültig entscheiden. Nataly Andrews und Kathy Scolar – Die Beiden versuchen Jaaron zu befreien.
Prolog
Das Jahr 1305 NGZ war vorüber. Was gegen Ende des Jahres so hoffnungsvoll begonnen hatte, war in Blut und Tränen untergegangen. Nachdem es kurz so ausgesehen hatte, als könnte die Diktatur des Quarteriums zerbrechen, war es vor allem C.I.P-Chef Werner Niesewitz zu verdanken, dass die Macht der Söhne des Chaos gestärkt aus der Lingus-Krise hervorging. Für das neue Jahr war zu befürchten, dass das Quarterium die Gunst der Stunde nutzen würde, um jede Opposition endgültig zu zerschlagen.
1. Mut und Ängste einer Frau 3. Januar 1306 NGZ Quinto, Hauptquartier der USO Nataly Andrews
Eine kahle, leblose Welt zog einsam in den Außenbezirken des Inneren Rings Cartwheels seine Bahn. Hierbei handelte es sich um den Astroiden Quinto, dem Hauptquartier der Neuen USO. Vor kurzem war eine Space-Jet mit den Überlebenden der »Blutnacht von Siniestro«, wie der 31.12.1305 nun bezeichnet wurde, eingeschleust worden. Endlich waren wir auf Quinto in Sicherheit. Wir, das waren Rosan, eine neue, völlig ungewohnte Kathy, der akonische Präsident Mirus Traban und Aurecs Stellvertreter Rauoch. Wider Erwarten wurden wir nach unserer Flucht in den Raum nicht von der im Sektor SOLAR stationierten Wachflotte angegriffen. Diese war auf ihren Parkpositionen geblieben. Eigentlich hätte ich froh und glücklich sein sollen, aber solange mein Onkel und der Friedensstifter sich in der Gewalt dieser Mörder befanden, würde ich keine frohe Minute mehr verbringen können. Und wieder vermisste ich Jonathan. Warum war er nicht hier? Warum musste er sich in fernen Galaxien herumtreiben, wo ich ihn hier so dringend nötig hätte. So langsam ging es mir wie Kathy. Wir hatte zwar unsere Partner gefunden, aber was nützte uns das, wenn diese nie da waren, wenn man sie brauchte.
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Gewaltsam beendete ich meine unnützen Grübeleien. Ich musste mit Rosan und den Anderen unbedingt unsere Vorgehensweise besprechen, denn eines war klar, mein Onkel und Pace Joharr durften nicht in den Fängen dieser Despoten bleiben. Wenig später waren wir alle im Lagezentrum des Astroiden versammelt. Rosan wertete die Berichte ihrer Agenten aus. Und dann war sie fertig. Aus den Berichten ging hervor, dass mein Onkel in New Turin auf Mankind interniert war. Über den Friedensstifter konnten wir nur in Erfahrung bringen, dass man ihn gestern zurück nach Lingus gebracht hatte. Und dann spielte uns Rosan die Aufzeichnung der Erklärung Jenmuhs vor, in der dieser die Linguiden quasi für vogelfrei und die USO zu Staatsfeinden erklärte. Diese Rede stellte ein Glanzstück verlogener Propaganda dar, indem die Schuld an dem Terroranschlag auf Siniestro den Linguiden und der USO in die Schuhe geschoben wurde. Danach war uns allen klar, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein würde, bis das Quarterium auch nach Saggittor und Akon greifen würde. Rauoch und Miros Traban verließen Quinto, um den Widerstand ihrer Völker zu organisieren. Bald hatte sich eine hitzige Diskussion zwischen Rosan, Kathy und mir entwickelt. Rosan vertrat die Meinung, dass es die Sache ihrer Spezialisten sei, meinen Onkel und Joharr zu befreien. Dem widersprach ich aufs Heftigste. Ich wollte und konnte es nicht fremden Menschen überlassen, meinen Onkel aus den Fängen dieser Unmenschen zu retten. Und zu meiner Überraschung unterstützte mich Kathy tatkräftig. Es glich einem Wunder, welche Wandlung sie seit den Ereignissen auf Lingus und Siniestro vollzogen hatte. Schließlich einigten wir uns darauf, dass sich Rosans Spezialisten um die Befreiung des Friedensstifters kümmern würden, während Kathy und ich versuchen wollten, meinen Onkel zu befreien. Doch zuvor gab mir Rosan noch einen Pass, der mich zur Diplomatin der LFT erklärte. Als ich sie fragte, woher sie so schnell an dieses Dokument gekommen und
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vor allem ob es echt wäre, erklärte sie mir mit einem kleinen Lächeln, übrigens ihr erstes heute, dass sie gute Beziehungen zu Militärattaché Henry Portland hätte und dieser ihr, für alle Fälle, einige Blanko-Dokumente überlassen hätte. Ob der Pass mir etwas nützen würde, sei zwar fraglich, aber er wäre auf jeden Fall besser als nichts.
Bis jetzt war alles gut gegangen, wenn man in unserer Situation überhaupt von gut reden konnte. Wir waren auf Mankind und konnten uns, nach endlosen Formalitäten, Sicherheitsüberprüfungen und Rückfragen diverser großspuriger Beamter bei ihren Vorgesetzten, relativ frei bewegen. Wider Erwartung hatte sich der Pass, den Nataly von Rosan erhalten hatte, als unbezahlbar erwiesen. Es schien, dass man es nicht wagte, einen diplomatischen Eklat mit der LFT zu riskieren. Und mich behandelte man zwar wie eine unerwünschte Person, vermied aber ebenfalls alles, was zu einer direkten Konfrontation führen konnte. Am späten Abend des gestrigen Tages hatten wir den Bungalow von Natalys Onkel erreicht und dort die Nacht verbracht. Den heutigen Tag wollten wir dazu nutzen, um Jaaron Jargon zu suchen. Aber zuerst bereitete ich unser Frühstück vor. Nataly war erst sehr spät eingeschlafen, was angesichts der Sorgen, die sie sich um ihren Onkel machte, nicht verwunderlich war. Während ich wartete, dass der Kaffee durch die Maschine lief und einige Brötchen aus den Vorräten aufgebacken wurden, machte ich mir so meine Gedanken. Unsere Reise hierher hatte einem wahren Irrgarten geglichen, jeder Bürokrat schien nur ein Interesse zu haben, uns schnellstmöglichst weiterzureichen und die Verantwortung auf eine andere Stelle abzuwälzen. So kamen wir in den zwei Tagen, die wir uns auf Mankind befanden, in den Genuss einer unfreiwilligen Rundreise über den Planeten. Was war nur aus der terranischen
Die DORGON-Serie – Das Quarterium – ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUBs. Band 130 zuletzt geändert am 2005-05-02. Autoren: Michael Berg (
[email protected]) und Jürgen Freier (
[email protected]). Titelbild-Zeichner: Jürg Rinaldi. Korrekturleser: Nils Hirseland (
[email protected]). Generiert mit Xtory 3.0 (powered by Apache Cocoon 2.1) von Alexander Nofftz (
[email protected]). Homepage: http://www.dorgon.net/. E-Mail:
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[email protected]). Adresse: PROC c/o Nils Hirseland, Redder 15, 23730 Sierksdorf. Copyright © 1999-2004. Alle Rechte vorbehalten!
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Bevölkerung geworden? Oberflächlich betrachtet waren sie alle glücklich, gingen emsig ihrer Arbeit nach und feierten ausgelassen mit Freunden und Familie die Zeit nach dem Feierabend. Das Bild eines perfekten Terraners. Doch hinter der Fassade schien alles anders. Die einen Terraner strotzten vor Arroganz und Nationalismus. Sie waren nur gut zu dir, wenn du einer der ihren warst. Mit allen anderen waren sie erbarmungslos. Die anderen – die vielen Mitläufer – lebten in Angst. Angst vor Bestrafung und Verlust ihres Status. Es war eine seltsame Atmosphäre in den Straßen New Turins. Auf jeden Fall gefiel diese Stimmung Kathy nicht sonderlich. Das Signal der Kaffeemaschine riss mich aus meinen Gedanken. Ich füllte für Nataly und mich jeweils eine Tasse und deckte den Frühstückstisch. Danach weckte ich Nataly, die mich mit vor Müdigkeit verquollenen Augen ansah. Ein lautloses Schluchzen schüttelte ihren Körper. Ich verstand und nahm sie in meine Arme und versuchte sie zu trösten. Widerstrebend folgte sie mir zum Frühstückstisch, am liebsten wäre sie sofort aus dem Haus gestürmt, um nach ihrem Onkel zu suchen. Drei Stunden später hatten wir endlich eine Adresse. Man verwies uns an eine Polizeistation im 7. Bezirk New Turins. Bezirk? Früher gab es keine Bezirke, sondern nur ganz einfach Straßen oder Stadtteile. Aber was soll’s, wenn wir nur endlich eine zuständige Stelle finden würden. So schnell wie möglich machten wir uns auf den Weg. Doch der Weg zu dieser Station glich einem wahren Irrweg und würde eine eigene Geschichte darstellen. Niemand,
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absolut niemand traute sich, uns irgendwelche Auskünfte zu geben. Über der ganzen Stadt lag eine unwirkliche Atmosphäre der Angst und der Unsicherheit. Die Menschen mieden uns, als ob wir Aussätzige wären. Gegen 15 Uhr erreichten wir endlich die Polizeistation. Man führte uns in einen kahlen, schmucklosen Raum, indem nur ein Tisch mit zwei unbequemen Holzstühlen stand. Und dann begann wieder das Warten. Niemand fühlte sich zuständig. Auf unsere Fragen hörten wir nur immer wieder die stereotype Antwort : Sie müssen warten, wir haben Wichtigeres zu tun, als uns um zweifelhafte Subjekte zu kümmern. So langsam wurde mir das System klar. Der Einzelne bedeutete nichts, absolut nicht, nur die Interessen der Staatsführung zählten. Die Macht der Bürokratie und die Überwachung durch die Sicherheitsorgane war allgegenwärtig. Das Quarterium war zu einem reinen Polizeistaat verkommen. Und so vergingen die Stunden. Nataly war mit den Nerven am Ende. Wieso hörte uns hier niemand zu? War es nicht offensichtlich, dass Jaaron hier zu Unrecht gefangen gehalten wurde? Er war Linguide, aber doch kein Attentäter. Warum sah das nur niemand ein? Nataly fing an zu schluchzen und ich nahm sie in den Arm. Wie gut konnte ich ihre Sorgen nachfühlen, schließlich hatte ich auch erst vor kurzem Schreckliches erlebt, als ich zusammen mit Joak Cascal aus der Nervenheilanstalt geflohen war. Die C.I.P hatte uns erbarmungslos gejagt. Schließlich wurde die Tür aufgestoßen und knallte gegen die Wand. Ein großer, korpulenter Mann betrat schnaufend den Raum. »So, man sagte mir, hier seien zwei zweifelhafte Subjekte, die einen Gefangenen
Was bisher geschah Nach der Gründung des Quarterium im Jahre 1302 NGZ ist es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis es zu einem intergalaktischen Eklat kommen würde. Dieser ist Anfang 1305 NGZ eingetreten, als Truppen der dorgonisch kaiserlichen Flotte die estartischen Galaxien angegriffen haben. Innerhalb weniger Monate sind Siom-Som und Trovenoor in die Hände Dorgons gefallen. Um den Not leidenden Völkern zu helfen, entsendet Perry Rhodan zusammen mit der Saggittonischen Republik USO-Agenten nach Siom-Som. Niemand ahnt, dass bereits zu diesem Zeitpunkt MODRORs Söhne des Chaos das Quarterium kontrollieren und nur auf einen Fehler Rhodans warten. Aufgrund des Paktes zwischen Dorgon und dem Quarterium greift das 1. Estartukorps des Imperiums in Cartwheel zugunsten der Dorgonen in Siom-Som ein, als Saggittor nun offiziell in den Krieg gegen Dorgon eintritt. Im Herbst 1305 NGZ kommt es zur ersten Schlacht zwischen dorgonisch-quarterialen Truppen und den »Alliierten«. Das Quarterium obsiegt. Damit demonstriert das neue Reich seine militärische Dominanz und eilt fortan von Sieg zu Sieg. In Cartwheel selbst löst das diktatorische Regime mehr und mehr Proteste aus. So entwickelt sich nach
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sehen wollen. Ich habe wenig Zeit, sagt mir einfach, worum es geht, damit ich wieder meine Arbeit tun kann.« »Es geht um Jaaron Jargon, den Chronisten der Insel. Er wurde bei der Sylvesterfeier auf Siniestro gefangen genommen und hat nichts mit den Anschlägen …«, begann ich, während Nataly sich wieder aufsetzte und die Tränen aus dem Gesicht strich. »Klar, natürlich hat er nichts mit dem Anschlag zu tun, völlig klar. Genau wie die anderen Linguiden. Erzählt mir was Neues.« »Aber er ist mein Onkel«, brach es aus Nataly heraus, »er hat noch nie einem Menschen etwas zuleide getan. Und er ist doch schon so alt.« »Soso, dein Onkel …« Der C.I.PKommandeur setzte ein bösartiges Grinsen auf. »Ah, Nataly. Wie schön, dich wiederzusehen. Welch unerwartetes Vergnügen.« Nataly blickte auf. »Was? Sie sind …« »Ewald Kessel, ganz genau der. Du erinnerst dich vielleicht noch an mich, du Miststück?« Kessel war früher Natalys Chef gewesen. Beide hatten für Aurec während seiner Zeit im Paxus-Parlament gearbeitet. Nataly war ihm wohl ein Dorn im Auge gewesen. Jetzt erinnerte ich mich daran, dass Nataly erzählt hatte, Kessel wäre hier Gruppen-Kommendeur in New Turin. Das paßte ja hervorragend. »Aber wieso? Was machst du hier?«, fragte Nataly erstaunt. »Und ich bin davon überzeugt, dass wir Jaaron Jargon noch eine Weile hier behalten sollten. Er wird uns sicherlich einige interessante Fragen beantworten können«, sagte Kessel schließlich. »Aber er weiß doch nichts! Er hat doch nur auf spezielle Einladung des Imperatore die Silvesterfeier besucht, wie Hunderte weitere Gäste.« »Und das weißt du also so ganz genau? Aber vielleicht ist dein Onkel doch kein solcher Saubermann, wie ihr linguistisches Pack uns immer glauben machen wollt.« »Linguidisch«, verbesserte ich mit einem wenig herzlich gemeinten Schmunzeln. »Egal! Schau nur mal in seine Chroniken, wo er ach so unabhängig und neutral über die Machtstrukturen des Quarteriums schreibt.
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Alles Lüge und Propaganda für die USO!« »Nein, mein Onkel schreibt nur die Wahrheit! Er ist vielleicht der anständigste Mensch in ganz Cartwheel!« »Anständig, sagtest du anständig?« Kessel spuckte auf den Boden. »Wenn eine Brut wie du zur Familie zählt, kann man wohl kaum anständig sein.« Jetzt hielt ich es an der Zeit einzugreifen. »Jetzt reicht es mir! Nur weil du persönliche Resaintiments gegen Nataly hägst, solltest du deine Kompetenzen nicht ausreizen!« Kessel lachte verächtlich auf: »Zum letzten Mal! Für euch bin ich immer noch GruppenKommandeur Kessel, ich bitte mir aus, mit SIE angesprochen zu werden. Mit Kleinkrieg hat das hier überhaupt nichts zu tun. Manchen verwöhnten Gören muss man einfach einmal deutlich klarmachen, dass es für sie keine Sonderrechte gibt, nur weil ihr Vater der Heilige Judas oder wer auch immer ist. Wer bist du denn überhaupt?« »Ich bin Kathy Scolar, die Verlobte von Aurec, dem Kanzler von Saggittor. Wenn er erfährt, mit welcher Willkür hier verfahren wird, dann rollen hier die Köpfe!« »Saggittor? Ach nein, was du nicht sagst! Da bekomme ich es direkt mit der Angst zu tun.« Kessel spuckte mir ins Gesicht. Empört wollte ich ihm eine Ohrfeige verpassen, doch er war darauf vorbereitet und wehrte meine Hand mühelos ab. »So, kommt jetzt der allmächtige Aurec angerannt, um mir Manieren beizubringen? Merkt euch mal eines, ihr eingebildeten Weibsbilder, weder Aurec noch irgendwelche anderen Gegner des Quarteriums, können euch hier helfen. Hier haben inzwischen nur wir das Sagen!« Kessel wandte sich ab und ging zur Tür. Bevor er den Raum verließ, sagte er: »Ich rate euch, meine Station jetzt zu verlassen, bevor ich euch auch noch einsperren lasse!« Er verließ den Raum und knallte die Tür hinter sich zu. Nataly brach erneut in Tränen aus und ich tröstete sie. Eigentlich dürfte die Willkür dieser Unterdrücker keine Überraschung mehr sein, aber die offensichtliche Ungerechtigkeit und die Abhängigkeit von einem Scheusal wie Kessel waren einfach zu viel. Nachdem Nataly sich beruhigt hatte, verließen wir die Polizeistation. Anschließend wollten wir zum Bungalow
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von Natalys Onkel zurück. Auf dem Weg zu unserem Gleiter trafen wir den Inhaber von INSELNET Robert Mohlburry. Wir berichteten ihm, was Jaaron Jargon zugestoßen war und baten ihn um Hilfe. Vielleicht konnte er es schaffen, den alten Chronisten aus dem Gefängnis zu befreien. Doch das Gegenteil war der Fall, Mohlburry wurde aus der Polizeistation regelrecht hinausgeworfen. Normalerweise störte sich der alte Reporter an solchen Zurechtweisungen nicht, doch am 8. Januar teilte er uns mit, dass INSELNET verstaatlicht worden war. Zum neuen Chefintendanten wurde Guy Pallance ernannt, der gute Kontakte zur C.I.P. pflegte. Man empfahl ihm anschließend, Cartwheel innerhalb der nächsten zwei Tage zu verlassen, sonst könne man nicht mehr für seine Sicherheit garantieren. Er verstand den Wink und teilte uns mit, dass er für sich in Cartwheel keine Zukunft mehr sehen würde. Kathy versuchte noch, ihn zum Bleiben zu überreden, doch er lehnte, auch aus Rücksicht auf seine Tochter Janela, ab. Zum Abschluss versprach er noch, die Öffentlichkeit der Milchstraße über die wahren Zustände im Quarterium aufzuklären. Am selben Tag verließ er zusammen mit seiner Tochter auf der FOCUS die Insel. Nataly ging es immer schlechter, wieder hatte ein guter Freund sie verlassen. Von ihrem Onkel gab es immer noch kein Lebenszeichen. Vielleicht war er bereits zu Tode gefoltert, oder unter den unmenschlichen Haftbedingungen gestorben. Sie drohte unter dem Druck und der Sorge zu zerbrechen und machte sich große Vorwürfe, ihren Onkel in seiner kritischen Haltung zum Quarterium auch noch gestärkt zu haben. Hätte er doch nur die Chronik im Sinne der Despoten weitergeschrieben und sich nicht um eine wahrheitsgemäße Darstellung bemüht. Der schreckliche Zustand der Ungewissheit endete am 9. Januar, als völlig unerwartet Ronald Kreupen uns besuchte. Er war als Bezirks-Kommandeur für den Bereich New Turin und somit auch für Natalys Onkel verantwortlich. Mit Zuckerbrot und Peitsche Nataly Andrews »Immer wieder schön im Hause des
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Chronisten zu sein«, bemerkte Kreupen höflich, als sie sich alle im Wohnzimmer gesetzt und jeder eine Tasse Tee vor sich stehen hatte. Kreupen hatte bereits früher meinen Onkel besucht, um ihn von den Zielen des Quarteriums zu überzeugen. »Ich bin auch ein großer Verehrer von Joel Haleyson. Seine Werke sind so ausdrucksvoll.« Er betrachtete eine kleine 3D-Projektion, die auf einer Kommode stand. »Leider verabscheut meine Frau seine Werke, daher haben wir keines im Haus. Ein Jammer.« »Es freut mich sehr, dass es Ihnen hier gefällt«, sagte ich unsicher. »Doch was führt Sie zu uns? Gibt es Neuigkeiten von Jaaron?« Kreupen lächelte. »Gut, kommen wir zur Sache, teure Nataly. Ich bin in der Tat wegen Jaaron hier. Eines vorneweg: Es geht ihm gut und er erfreut sich bester Gesundheit.« Da atmete ich erleichtert auf. »Gott sei Dank! Ich hatte das Schlimmste befürchtet. Wann kommt er denn frei?«, ich sah misstrauisch zu Kreupen und fuhr fort, »er wird doch freikommen, oder?« »Gewiss, gewiss wird er das!« Roland Kreupen warf mir einen freundlichen Blick zu. »Doch leider gibt es da noch eine Kleinigkeit, die wir noch aus der Welt schaffen müssen, bevor wir Jaaron zu dir zurückschicken können.« »Und was ist das für eine Kleinigkeit?« »Nun, ich möchte nicht um den heißen Brei herumreden: Jaaron war dem Quarterium nicht immer sehr freundlich gesonnen. Oder besser gesagt, er steht unserem System sehr kritisch gegenüber. Außerdem hat er mit Pace Joharr zusammengearbeitet. Undenkbar für einen unparteiischen Chronisten der Geschehnisse! Ich würde sagen, er hat seine Aufgabe sehr voreingenommen wahrgenommen.« »Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte ihn Kathy misstrauisch. »Jaaron wurde offensichtlich durch Pace Joharr und die USO beeinflusst. Mittlerweile ist uns klar, dass Joharr und die Linguiden ihre Fähigkeiten dazu missbraucht haben, um die Bewohner einer Gehirnwäsche zu unterziehen und sie so zu seinen Marionetten zu machen. Hinter dem Ganzen steht die USO, die die Lage in Cartwheel destabilisieren wollte, um dann offiziell Friede und Ordnung wiederherzustellen. Was das Ziel der USO und
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der Linguiden ist, haben wir auf der Sylvesterfeier gesehen, als Joharrs Landsleute auftauchten und ein Massaker veranstalteten.« »Und was verlangen Sie von uns?«, fragte Kathy eindringlich. Ihr gefiel Kreupens Einleitung absolut nicht, aber sie wollte endlich hören, welchen Preis er für die Freilassung Jaaron Jargons forderte. »Nun gut, also Klartext. Ich will, dass sich Jaaron offiziell von Pace Joharr und seinen Landsleuten distanziert und den Bewohnern Cartwheels in einer Rede über INSELNET erklärt, dass er, wie alle Menschen der Insel, durch diesen so genannten Friedensstifter und die USO manipuliert wurde. Des Weiteren …« »Das ist doch …«, unterbrach ihn Kathy, schwieg dann aber, als Kreupen sie mit einer Handbewegung zum Schweigen anhielt. »Des weiteren wird Jaaron eine Sonderausgabe seiner Insel-Chronik herausbringen, die sich eingehend mit dem Quarterium befassen wird. Jaaron wird sich darin ausführlich mit dem System, seinen Strukturen und seinen Methoden auseinander setzen und dabei selbstverständlich ein sehr positives Gesamturteil fällen. Und bevor diese Ausgabe frei zugänglich wird, werden unsere Lektoren sie natürlich probelesen und bearbeiten. Wir wollen ja nicht, dass sich kleine Fehler oder Missverständnisse einschleichen.« Kathy sprang wütend auf. Ihr FormenergieStuhl fuhr automatisch ein Stück zurück. »Das können Sie nicht verlangen! Das ist reine Manipulation, verlogene Propaganda! Jaaron schreibt seine Chronik allein und ohne Zensoren!« »Das mag ja sein, aber derzeit haben wir ihn in sicherem Gewahrsam. Und das sind die Bedingungen für seine Freilassung. Ich habe sie nicht gemacht. Doch nur so kriege ich Jaaron frei. Er muss mit uns kooperieren. Andernfalls kann ich für seine Gesundheit nicht mehr garantieren. Die Lage ist sehr ernst, meine Damen.« Kreupen unterstrich die letzen Worte mit einer eindeutigen Geste. »Mit einer so plumpen Erpressung kommt ihr nicht durch. Die Öffentlichkeit wird davon erfahren und Jaaron wird …« antwortete Kathy. »Nein, wir müssen es tun!« unterbrach ich sie. »Bitte, lasst meinen Onkel frei, er wird
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alles tun, was Sie gesagt haben! Dafür werde ich schon sorgen.« Sie kämpfte gegen die Tränen an. »Nataly, nein! Wir können ihnen doch nicht so in die Hände spielen!« »Es tut mir Leid, Kathy! Aber ich kann nicht mehr und mein Onkel kann auch nicht mehr, das fühle ich. Er leidet im Lager und hält nicht mehr lange aus. Er muss jetzt wieder nach Hause, sonst wird er sicher sterben!« »Wir sind uns also einig, Nataly?«, fragte Kreupen. Ich nickte nur schwach. »Gut, das genügt mir.« Kreupen sprach einige Worte in sein Armband-Minikom. Kurz darauf klopfte es an der Tür. »Nataly, möchten Sie nicht Ihren Onkel begrüßen?«, forderte der BezirksKommandeur sie auf. Ich lief schnell zur Tür, öffnete und sah in das zerfallene Gesicht meines Onkels, der von zwei Soldaten des Quarteriums gestützt wurde. Dunkle Schatten hatten sich unter seinen trüben Augen gebildet, in denen es aber aufblitzte, als er mich sah. »Nataly, mein Schatz …«, flüsterte er. »Onkel, Onkel Jaaron!«, schluchzte ich und umarmte ihn vorsichtig. Dann brachten die Soldaten ihn zu seinem Bett. Jaaron würde viel Ruhe brauchen, bis er wieder zu seiner alten Stärke zurückfinden würde. Ronald Kreupen trat neben mich und sagte: »Wir werden Sie jetzt alleine lassen. Aber vergessen Sie bitte nicht, wir haben eine Abmachung und ich will Ergebnisse sehen! Schnellstens! Wir bleiben in Kontakt. Bis bald!« Dann verließen er und seine Soldaten den Bungalow.
2. Ein Reich, ein Volk und ein Imperatore
Nach
den Ereignissen zum Jahreswechsel hatte sich der Imperatore aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, da er durch den Anschlag auf Siniestro angeblich schwer verletzt wurde. Anlässlich des alten terranischen Feiertages der Heiligen Drei
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Könige am 6. Januar war er wieder nach Paxus zurückgekehrt, um die Regierungsgeschäfte nicht allein seinem Stellvertreter Jenmuhs zu überlassen. Er befürchtete, dass der Gos’Shekur seine Abwesenheit dazu nutzen würde, seine Machtposition innerhalb der Führung des Quarteriums auszubauen. Es wurde Zeit, dass er in einer Konferenz mit den Quarteriumsfürsten, soweit diese in Cartwheel waren, die weitere Vorgehensweise absprach. Vor allem musste er Klarheit über die weitere Politik gegenüber Saggittor und den Akonen schaffen. Auch die weiteren Maßnahmen gegen die Linguiden und die USO mussten endlich abgesprochen werden. Jenmuhs hatte für den Geschmack des Imperatore etwas vorschnell gehandelt, aber das konnte er jetzt nicht mehr rückgängig machen. 10. Januar 1306 NGZ – Paxus
Der Imperatore betrat, gestützt auf seinen Diener Diabolo, den Moncloa-Saal des PaxusTowers. Während seines Weges durch den Regierungssitz hatte er die Maske des Schwerverletzten aufrecht gehalten. Mit einem Blick erkannte er, dass Despair, Jenmuhs und Niesewitz schon anwesend waren. Nur Torsor fehlte, was ihn aber nicht besonders störte. Leticron war natürlich noch immer in den estartischen Galaxien, um die Aktionen dort zu koordinieren. Sie alle hatten sich bereits um den Eichentisch versammelt und erwarteten seine Ankunft. Er hatte Diabolo losgelassen, denn hier wusste jeder Bescheid. Der Posbi bewegte sich seitlich hinter ihm, seine Sinnesorgane überwachten den Raum. Theatralisch ließ er sich von ihm in einen Formenergiesessel helfen, den der Posbi neben seinem Thron platzierte. Niesewitz quittierte diese Aktion mit einem schiefen Grinsen und führte sein Gespräch mit dem Gos’Shekur weiter. Nachdem er sich einen Weinkelch aus der vor ihm stehenden Karaffe gefüllt und einen tiefen Schluck genommen hatte, räusperte er sich und begann: »Meine Herren, die Aktion auf Siniestro war ein voller Erfolg, wenn das Ergebnis auch nicht gerade als optimal für uns bezeichnet werden kann. Ich habe Sie heute hierher gebeten, damit wir unsere zukünftige Strategie festlegen. Insbesondere müssen wir uns über unser Vorgehen gegen Saggittor und Akon
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Klarheit verschaffen. Auch der Status der Linguiden sollte endgültig geklärt werden, wenn auch der Gos’Shekur«, hier warf er dem Arkoniden einen vorwurfsvollen Blick zu, »etwas vorschnell einige Entscheidungen schon getroffen hat.« Der Arkonide bekam einen hochroten Kopf und versuchte sich zu rechtfertigen. »Imperatore, ich habe lediglich die Gunst der …« Doch dieser beendete seinen Redefluss. »Noch nicht, zuerst möchte ich von unserem allwissenden C.I.P-Chef einen Überblick über den aktuellen Stand der Aktionen gegen die USO. Dies dürfte unser dringlichstes Problem sein.« Werner Niesewitz erhob sich und schob den unbequemen Holzstuhl etwas nach hinten. Damit befand er sich mit den übrigen Anwesenden etwa auf Augenhöhe. Im Stillen verfluchte er diesen altmodischen Spanier, der hier strikt darauf achtete, dass nur Mobiliar aus seiner Zeit vorhanden war. Das war natürlich wieder eine spezielle Schikane, die vor allem ihn traf, denn auf Grund seiner Körpergröße konnte er auf seinem Stuhl kaum über die Tischplatte blicken. »Leider war unsere Aktion auf Siniestro«, dabei warf er dem Spanier einen undefinierbaren Blick zu, »nur teilweise von Erfolg gekrönt. Es gelang uns zwar, Joharr und Jargon zu inhaftieren, aber die Führungsclique der Staatsfeinde …« Hier wurde er von Jenmuhs unterbrochen, der in scharfem Ton einwarf: »Das ist nur die Schuld ihrer inkompetenten Einsatzplanung. Wenn ich diesen Einsatz geplant hätte, wäre kein Stein auf dem anderen geblieben. Und ihr könnt sicher sein, dass keiner dieser Terroristen entkommen wäre.« Niesewitz warf ihm einen kalten Blick der Verachtung zu und entgegnete: »Gos’Shekur«, er betonte den Titel des Arkoniden in besonderer Weise, »ich möchte hierzu nur anmerken, dass die äußeren Umstände des Einsatzes nicht meiner Befehlsgewalt unterlagen. Der Imperatore hat mir ausdrücklich untersagt, im Umfeld des Schlosses schwere Waffen zu stationieren. Und die Erlaubnis, dass diese Space-Jet auf dem Schlosshof landen konnte, hat allein der Imperatore zu verantworten.« Nun hielt Despair die Zeit gekommen,
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schlichtend einzugreifen. Er erhob sich und brachte durch seine imposante Gestalt den Streit zum Erliegen. Mit der gepanzerter Faust donnerte er auf den schweren Eichentisch, um seine Worte zu unterstreichen. »Seid ihr von allen guten Geistern verlassen? Diese gegenseitigen Schuldzuweisungen bringen doch überhaupt nichts. Letztendlich war die Aktion ein voller Erfolg. Vor der Öffentlichkeit sind die Linguiden und die USO als Terroristen diskreditiert, Joharr und Jargon sind in unserem Gewahrsam, wir haben alle Trümpfe in der Hand. Ich bitte also den MarschallKommandeur, mit seinen Ausführungen fortzufahren. Und ich bitte mir aus, dass«, hiermit warf er Jenmuhs einen drohenden Blick aus seinen glühenden Augen zu, »keine unqualifizierten Bemerkungen mehr gemacht werden.« Niesewitz musste kurz schlucken und fuhr dann fort: »Unser vordinglichstes Problem ist die USO. Solange diese Organisation noch handlungsfähig ist, kann unsere Machtposition nicht als gesichert angesehen werden. Aber wir haben einen attraktiven Köder ausgelegt, der diese Dunkelmänner ans Licht locken wird. Inzwischen wurde Joharr nach Lingus gebracht und dort interniert. Wir haben dafür gesorgt, dass entsprechende Informationen an den richtigen Stellen platziert werden. Inzwischen dürfte unsere arkonidische Freundin«, mit einem Seitenblick auf Jenmuhs fuhr er fort, »darüber genauestens informiert sein. Wir haben es natürlich vermieden, den genauen Aufenthaltsort zu nennen, so dass unsere verehrte Rosan unbedingt weitere Informationen braucht. Deshalb wird sie einen ihrer Top-Agenten einsetzen, um den genauen Ort zu ermitteln. Wenn wir nun diesen in eine Falle locken könnten, müsste es uns möglich sein, endlich die Position dieses verdammten Astroiden zu bekommen, der ihre Zentrale darstellt. Und der Rest dürfte ein Kinderspiel sein.« Niesewitz ließ sich zufrieden wieder auf seinen Stuhl fallen, während der Gos’Shekur aufsprang. »Ich werde sofort eine entsprechende Flotte zusammenstellen und mir das Pack dieser anmaßenden Essoya persönlich vornehmen!« Bevor jemand eine Entgegnung machen konnte, räusperte sich der Silberne Ritter und
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sagte nur ein einziges Wort: »Nein!« Es war, als ob eine Bombe eingeschlagen hätte. Alle schauten auf ihn. Er fuhr fort: »Die Vernichtung von Quinto ist zu wichtig, als dass sie durch persönliche Eitelkeiten gefährdet werden darf. Wir werden einen gemischten arkonidisch-terranischen Verband zusammenstellen und ich persönlich werde den Oberbefehl übernehmen. Niemand, ich wiederhole, absolut niemand handelt ohne meinen persönlichen Befehl. Und damit ist die Diskussion zu diesem Thema abgeschlossen.« Despair wandte sich wieder an Niesewitz. »Bitte fahren Sie fort, MarschallKommandeur!« »Danke Quarterium-Marschall. Unser zweites Problem ist der Status der Linguiden. Nachdem der Gos’Shekur bereits erklärt hat, dass diese aus der lemurischen Völkergemeinschaft ausgeschlossen und interniert werden, sollten wir unsere weiteren Planungen an diesem Tatbestand ausrichten. Hierzu hat ihre Tochter«, dabei blickte er zu mir hinüber, »einige sehr interessante Gedanken geäußert.« »Davon weiß ich nichts!«, entgegnete der Angesprochende. »Nun, diese Gedanken waren noch nicht ausgereift, vielleicht wollte sie noch warten, bis diese ausgearbeitet sind. Das ist jedoch in der Zwischenzeit geschehen. Zusammen mit meinem persönlichen Beauftragten für die ABR, Oberst-Kommandeur Trybwater und Minister Katschmarek habe ich eine umfassende Konzeption für den zukünftigen Status dieser gefährlichen Rebellen«, hier verzog sich sein Gesicht zu einem zynischen Grinsen, »erarbeitet. Unsere Konzeption ist in dieser Arbeitsmappe zusammengefasst.« Mit diesen Worten teilte er an jeden der Anwesenden einen altertümlichen Hefter aus, der mehrere Seiten eng beschriebenes Papier enthielt. Die Anwesenden vertieften sich in die Unterlagen, nur Despair warf nach kurzer Zeit die Mappe achtlos vor sich auf den Tisch und lehnte sich zurück. Nach einiger Zeit meldete sich Jenmuhs, indem er an Niesewitz gewandt, meinte: »Manchmal sind Sie trotz Ihrer anmaßenden Art geradezu genial. Genau die richtige Medizin für dieses Pack. Viel besser, als einfach umbringen.«
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Dann las er weiter. Der Imperatore verzog während der Lektüre mehrmals angewidert sein Gesicht und schüttelte seinen Kopf. Schließlich waren alle fertig. Und wieder war der Gos’Shekur der Erste, der sich zu Wort meldete. »Niesewitz, ich kann nur sagen, hierfür haben Sie meine vollste Unterstützung. Und was meinen Sie, Imperatore?« Der Angesprochene ließ sich Zeit, bevor er antwortete. Seinen umständlichen Ausführungen war zu entnehmen, dass er zwar eigentlich moralische Bedenken gegen die Maßnahmen hätte, jedoch letztendlich zustimmen würde. Nur Despair äußerte sich nicht. Und dann war es Jenmuhs, der das Ganze auf einen kurzen Nenner brachte. »Ich darf den Ausführungen entnehmen, dass alle am Tisch einverstanden sind. Torsor wird sich, meiner Meinung nach, nicht dafür interessieren und Letricons Zustimmung dürfen wir wohl voraussetzen. Also ist es unser Beschluss, dass auf Lingus Freizeitlager«, bei diesem Wort grinste er dreckig, »für unsere kämpfenden Truppen eingerichtet werden. Alle Linguiden, die nicht zum Dienst in diesen Lagern geeignet sind, werden nach Objursha deportiert. Dabei dürfte es sich wohl um den überwiegenden Teil der männlichen Bevölkerung und die Alten handeln.« Anschließend beendete der Imperatore die Diskussion, indem er feststellte: »Ich möchte in Zukunft von den unappetitlichen Einzelheiten dieser Angelegenheit verschont bleiben. MarschallKommandeur Niesewitz erhält hiermit alle Vollmachten, dieses Projekt in eigener Verantwortung durchzuführen. Ich lege Wert darauf, dass wir in Zukunft in diesem Kreis mit diesem Thema nicht mehr belästigt werden. Es wird Zeit, dass wir uns endlich mit dem eigentlichen Thema dieser Sitzung beschäftigen, Saggittor und Akon. Irgendwelche Vorschläge?« Und wieder war es Niesewitz, der sich zu Wort meldete. »Es bestehen leider keine Aussichten, dass wir von innen einen Umschwung in der Politik der beiden Reiche einleiten können. Auf Saggittor wurde die gesamte Opposition nach den Ereignissen um Serakan kaltgestellt, sein Nachfolger Rauoch unterstützt die Politik Aurecs vorbehaltlos und auf Akon konnten
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wir, dank der Politik des Gos’Shekur, nie einen Fuß auf den Boden bringen.« Niesewitz spielte dabei auf einen Umsturzversuch an, der von Jenmuhs initiiert war, und das Ziel hatte, die akonische Republik in den arkonidischen Block einzugliedern. Bevor dies jedoch wieder zu einem allgemeinen Streit ausarten konnte, ergriff Despair das Wort. »Marschall-Kommandeur, mäßigen Sie sich. Das ist Vergangenheit und gehört nicht hier her. Viel wichtiger sind die Alternativen, die wir im Augenblick haben. Ihren Ausführungen entnehme ich, dass keinerlei Aussichten bestehen, durch entsprechende Maßnahmen eine Änderung der Politik in unserem Sinne zu ermöglichen.« »Das ist die absolut korrekt.« »Gut, dann bleibt uns nur eine Alternative: Krieg!« Dieses Wort des Silbernen Ritters hing drohend im Raum. Krieg! Einen Augenblick herrschte eine beklemmende Atmosphäre. Doch dann beendete der Imperatore das betretene Schweigen. »Bleibt uns wirklich keine andere Möglichkeit? Krieg, schon wieder Krieg? Warum können diese Narren nicht vernünftig werden? Ich habe ihnen doch mehrmals meine Hand zum Frieden gereicht. Immer wieder. Es muss doch einmal zu Ende sein. Ich wollte der Insel Frieden und Sicherheit bringen, wollte allen ein gütiger und gerechter Herrscher sein, gibt es wirklich keine andere Möglichkeit?« »Nein Imperatore, unser Herr verlangt große Taten von uns. Und dafür muss die Insel geeint, ganz Cartwheel ein einheitliches Reich sein. Alle müssen sich einem Willen unterordnen, und diesen Willen verkörpern wir.« »Nun gut, zum letzen Mal. Es sei: Krieg! Quarteriums-Marschall Despair, arbeiten Sie zusammen mit dem Gos’Shekur einen Angriffsplan auf Saggittor und Akon aus. Aber ich möchte vorher über jede Einzelheit des Angriffsplanes informiert werden. Vermeidet unter allen Umständen unnötige Opfer unter der Zivilbevölkerung. Wir brauchen die Menschen von Saggittor und Akon und nicht die Friedhöfe. Und noch etwas, schafft mir endlich dieses USO-Gesindel vom Hals. Vorher werden wir überhaupt keine Ruhe haben. Und nun geht!«
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Jenmuhs und Niesewitz verließen den Raum, Despair blieb jedoch auf einen Wink des Imperatore zurück. Siniestro umfasste seine Schultern und fragte: »Cauthon, warum müssen wir zu Massenmördern werden, warum das alles? Sind wir nicht stark genug? Im landläufigen Sinn war ich nie ein moralischer Mensch. Für die Macht bin ich über Leichen gegangen und werde das auch in Zukunft tun. Aber das, was wir jetzt tun, das ist etwas ganz anderes. Wir betreiben systematischen Massenmord, vernichten ganze Bevölkerungen. Wozu? Welcher Sinn steckt dahinter? Warum muss ich überhaupt den großen Imperatore spielen. Sie und ich wissen genau, wer tatsächlich die Macht hat. Ich glaube, Sie genau zu kennen. Sie verachten uns alle, mich eingeschlossen. Sie haben recht, ich habe mich an MODROR verkauft, verkauft für das ewige Leben, verkauft für die Macht, verkauft für die Sicherheit meiner Kinder. Aber warum Sie? Sie sind viel stärker als ich. Ich weiß, dass Sie keine materiellen Interessen haben. Die Macht ist Ihnen gleichgültig. Warum also Sie, warum spielen Sie den Massenmörder? Warum unterstützen Sie MODROR?« Der Silberne Ritter rührte sich nicht. Er ließ zu, dass der Spanier seine Schultern immer noch umklammert hielt. »Mein Imperator, es ist meine Bestimmung. Ich bin der dunkle Schlächter. Ich muss die Völker einigen, mit Feuer und Schwert. Nur wenn wir einig sind, haben wir eine Zukunft. Ein einiges Reich der Menschheit, zuerst hier in Cartwheel und dann in der Milchstraße. Nur das Ergebnis zählt. Aber jetzt müssen Sie gehen, gehen Sie Don Philippe, gehen Sie und kümmern sich um ihre Kinder.« Mit diesen Worten drehte sich Despair um und verließ den Raum. Familienbande
Der Imperatore hatte seine Kinder in seine Privatgemächer innerhalb des Paxus-Towers bestellt. Bis auf Stephanie waren inzwischen alle eingetroffen. Mit väterlichem Stolz blickte er in die Runde. Und dann kam auch seine Tochter, wie üblich als Letzte. Ohne sich groß um ihre Geschwister zu kümmern, umarmte sie ihn. »Bitte setzt euch, ich habe etwas Wichtiges
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mit euch zu besprechen.« Der Imperatore blickte nochmals in die Runde. Ja, das waren seine Kinder. Zuerst Peter, der große Junge, nur dass er statt mit Bleisoldaten jetzt mit ganzen Armeen spielte. Orlando, ruhig und beherrscht, die Zuverlässigkeit in Person. Brettany, die empfindliche Idealistin und natürlich Stephanie, sein ganzer Stolz. »Ich komme gerade von einer Sitzung der Quarteriumsfürsten, wo wir weitreichende Beschlüsse gefasst haben, über die ihr unbedingt informiert werden müsst.« Er machte eine kurze Pause, um sich die weiteren Worte zurechtzulegen. Dann fuhr er fort: »Wie ihr gewiss bereits erfahren habt, haben linguidische Terroristen mit Unterstützung der USO einen Terroranschlag auf mich verübt, den ich, dem Allmächtigen sei Dank, nur leicht verletzt überstanden habe. Wir werden mit aller Härte gegen dieses Gesindel vorgehen. Die Linguiden werden interniert und die USO wird ausge …« Er konnte seinen Satz nicht zu Ende sprechen, denn Brettany unterbrach ihn voller Empörung. »Das kann doch nicht dein Ernst sein, Vater! Die USO schützt die Prinzipien von Demokratie und Freiheit und die armen Linguiden haben noch nie irgendjemand etwas zuleide getan.« Nun war es Stephanie, die ihre Schwester hohnlachend unterbrach. »Demokratie und Freiheit, dass ich nicht lache. Und deine ach so harmlosen und friedlichen Linguiden stürmen Vaters Schloss, werfen mit Bomben um sich und veranstalten ein Massaker. Wach endlich auf, Schwesterherz. Schau der Wahrheit ins Gesicht. Deine Freunde von der USO sind eine niederträchtige Mörderorganisation und die linguidischen Friedensapostel eine Terroristenbande. Müssen sie Vater erst umbringen, bevor du aufwachst?« »Das glaube ich einfach nicht. Schuld an dem Anschlag müssen andere sein. Irgendjemand hat ihnen die Schuld in die Schuhe geschoben. Vater, du musst mir glauben!« Der Imperatore setzte seinen strengsten Gesichtsausdruck auf. »Brettany, so geht das nicht. Wir haben die
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Schuld der USO und der Linguiden einwandfrei festgestellt. Es gibt keinerlei Zweifel. Die Beweise, die C.I.P-Chef Niesewitz vorgelegt hat, sind eindeutig. Kind, komm zu …« Wieder konnte er seinen Satz nicht beenden. Brettany war wütend aufgesprungen. Ihre Augen blitzten. »Niesewitz! Natürlich wer sonst. Dieser Widerling lügt, wenn er nur den Mund aufmacht. Wie kannst du irgendwelchen Beweisen glauben, wenn sie von ihm stammen? Peter, Orlando! Sagt ihr doch auch mal etwas. Ihr fällt doch nicht auf diesen Schwachsinn herein!« Peter war aufgesprungen. Sein Gesicht verzerrte sich, als er schrie: »Du bist eine niederträchtige Verräterin! Du gönnst mir nur nicht, dass ich einen glorreichen Sieg gegen …«, seine Stimme überschlug sich und er lief rot an, »gegen, gegen dieses niederträchtige Pack … ich werd's euch allen zeigen. Ich bin der größte Feldherr der …« Weiter kam er nicht, Stephanie ging sein Redeschwall auf die Nerven. Sie schrie ihn an: »Halt endlich dein blödes Maul. Das ist ja nicht auszuhalten!« Der Imperatore war fassungslos. Was war nur mit seinen Kindern los. Nur Orlando blieb weiter ruhig sitzen. »Kinder, bitte streitet nicht. Wir sind doch eine Familie. Wir müssen zusammenhalten. Ich habe euch doch noch gar nicht alles erzählt. Wir müssen endlich in Cartwheel für klare Verhältnisse sorgen. Saggittor und Akon arbeiten gegen uns. Das kann nicht länger hingenommen werden. Wir haben …« Und wieder unterbrach ihn Brettany. »Sag bitte, dass das nicht wahr ist, Vater. Das kann doch nicht dein Ernst sein. Du kannst doch nicht um deiner Machtg …« Weiter kam sie nicht. Stephanie war aufgesprungen. Mit zwei Schritten war sie bei ihrer Schwester und zog diese an ihren langen Haaren in die Höhe. »Du verblödete Ziege. Du meinst wohl, du wärst was Besseres? Wo wären wir, wenn Vater und ich nicht für euch immer wieder den Karren aus dem Dreck ziehen würden?« Mit diesen Worten gab sie ihrer Schwester zwei schallende Ohrfeigen. »Ich hab dein moralisches Gequatsche so satt. Brettany, die
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Edle. Brettany, die Heilige. Dass ich nicht lache. Zu was bist du denn überhaupt zu gebrauchen? Du bist selbst zu blöd, um deine Beine breit zu machen. Geh doch zu diesem linguidischen Pack und spiele die heilige Samariterin. Dann bist du wenigstens für was nutze. Da kommen dann viele stramme Sch …« Nun war es der Imperatore, der Stephanie unterbrach. »Jetzt reicht es aber. Ich will von euch nichts mehr hören. Stephanie, du bist gerade zu weit gegangen. Ich will, dass du dich sofort bei deiner Schwester entschuldigst.« »Ich denke nicht daran. Diesem verzogenen Fräulein-Rühr-Mich-Nicht-An, wollte ich schon lange die Meinung sagen. Und übrigens, wenn du hier nicht Klartext reden willst, ich kann es. Also hört mir alle genau zu. Wir haben es satt, dass Saggittor und Akon uns auf der Nase herumtanzen. Das muss aufhören. Und deshalb haben wir beschlossen, dass endlich aufgeräumt wird. Es kann in Cartwheel nur eine Regierung geben, und das sind wir. Wer sich nicht unterordnet, der wird aus dem Weg geräumt. Das ist alles, was Vater euch eigentlich sagen wollte.« Orlando hob den Kopf. Dann wandte er sich an den wie versteinert dastehenden Imperatore. »Ist das wirklich so, Vater? Geht es wirklich nur um Macht? Antworte Vater!« »Nein, nein mein Sohn. Deine Schwester hat sich nur ungeschickt ausgedrückt. Die USO steckt tatsächlich hinter den ganzen Anschlägen. Und Saggittor und Akon arbeiten gegen mich. Solange sie nicht befriedet sind, werden in Cartwheel immer Hass und Zwietracht herrschen. Deshalb müssen wir endlich für klare Verhältnisse sorgen. Bitte, meine Kinder, glaubt mir.« Orlando hatte sich erhoben und blickte seinen Vater mit ernstem Gesichtsausdruck an. »Gut Vater, ich glaube dir. Aber ich will die Angriffspläne ausarbeiten. Die Zivilbevölkerung muss, soweit es geht, geschont werden. Und Vater, wenn ich erfahren sollte, dass du mich gerade getäuscht hast, dann werde ich mich gegen dich wenden.« Und dann war es Peter, der das Fass zum Überlaufen brachte. Mit großspuriger Mine erklärte er: »Ich weis gar nicht, was ihr alle habt. Krieg
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ist doch so schön. Ich kann endlich meine Soldaten kommandieren, viele Orden verteilen und der ganzen Welt zeigen, dass ich der größte Feldherr aller Zeiten bin. Vater, ich verspreche dir, dass ich viele glorreiche Siege erringen werde. Ich werde alle unsere Feinde zerschmettern. Der Name unserer Familie wird in die Geschichte eingehen. Man wird mir überall Standbilder errichten, die an meine großartigen Siege erinnern.« »Das ist zu viel«, schrie Brettany und war aufgesprungen, »ich halt das hier nicht mehr aus. Ein intriganter und skrupelloser Vater, ein verrückter Bruder, der Zinnsoldaten mit Menschen verwechselt, noch ein Bruder, der die Augen vor der Wirklichkeit verschließt und eine Schwester, die so abgrundtief böse ist, dass es mich fröstelt, wenn ich die gleiche Luft wie sie atmen muss. Ich gehe in die Milchstraße, da gibt es wenigsten Menschen, die fühlen, die ein Herz haben. Auch wenn ich da wohl nicht lange vor euresgleichen verschont bleiben werde. Ihr schreckt vor keiner Gemeinheit, vor keiner Niedertracht zurück. Mitfühlende Menschen mit moralischer Verantwortung, selbst ein Mann wie Rhodan, sind euch nicht gewachsen, weil sie nicht eure Skrupellosigkeit, eure Verachtung des Lebens haben. Aber vielleicht habt ihr euch getäuscht. Vielleicht, und das wünsch ich mir, bekommt ihr die Antwort. Einen Gegner, der es euch mit gleicher Münze heimzahlt, nur dass es dann nicht mehr das Leben ungezählter geknechteter, versklavter Lebewesen ist, sondern euer Leben. Ich kann euch nicht mehr sehen. Ihr widert mich an.« Mit diesen Worten wollte sie den Raum verlassen. Doch der Imperatore donnerte: »Halt! Du stehst sofort unter Hausarrest! Diablo! Du bist dafür verantwortlich, dass sie ohne meine Erlaubnis ihr Zimmer nicht verlässt. Schaff sie mir aus den Augen, bevor ich mich vergesse.« Stephanie konnte sich nicht zurückhalten und giftete hinterher: »Ja Diabolo! Schaff sie endlich raus. Schade, dass du kein Mann bist, dann könntest du ihr endlich mal zeigen, zu was sie dieses Ding zwischen ihren Schenkeln hat.« Der Posbi hatte inzwischen Brettany ergriffen, um sie in ihr Zimmer zu bringen. Bei diesen Worten drehte er seinen durchsichtigen, einem Menschen nachgebildeten Kopf um 180 Grad und antwortete:
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»Madam! Ich glaube, Sie verwechseln mich mit Ihresgleichen.«
Peter
und Orlando waren gegangen. Nur Stephanie war bei ihrem Vater geblieben, um ihn zu trösten. Der Imperatore war außer sich. Während Steph ihm über die Haare strich, meinte er: »Warum musstest du nur so direkt sein? Das war doch nicht nötig. Du weißt doch genau, dass Brettany so empfindlich, so weltfremd ist. Und selbst Orlando war wie vor den Kopf geschlagen.« »Aber Vater, das musste mal heraus. Schon seit Jahren geht mir mein Fräulein Schwester unsäglich auf die Nerven. Ich habe es einfach satt, mir immer ihr affektiertes Getue ansehen zu müssen. Du hast immer viel zu viel Rücksicht auf sie genommen.« »Ich glaube, du hast recht. Irgendwann musste es wohl so weit kommen. Viel mehr Sorgen bereitet mir Orlando. Wir müssen etwas tun, damit er nicht anfängt, unsere Politik zu hinterfragen. Hast du nicht irgendeine Idee?« »Eigentlich fällt mir dazu nichts ein. Peter ist absolut ungefährlich, der hat seine Soldaten, mit denen er spielen kann. Und auch das Andere haben wir zu unserer Zufriedenheit gelöst. Aber Orlando? Womit könnten wir ihn ablenken?« »Hm, auch mir fällt absolut nichts ein. Aber halt, da kommt mir eine Idee! Steph, hast du eigentlich schon mal etwas über irgendwelche Affären von ihm gehört?« »Nein Vater, Orlando scheint absolut kein Sexualleben zu haben.« »Du meinst doch nicht, dass er … hm … du weißt schon, was ich meine!« »Aber nein Vater, das bestimmt nicht. Es ist nur so, dass er, wie ich glaube, einfach Angst vor Frauen hat.« »Dann haben wir die Lösung! Stephanie, du musst ihm eine Frau suchen. Es muss eine starke Frau sein, die sein Denken beherrscht, die seinen Ehrgeiz lenkt, der er völlig verfällt, eigentlich eine Frau wie du. Aber ich weiß ja, das geht natürlich nicht.« »Aber natürlich Väterchen, das ist die Lösung. Nur müssen wir mit äußerster Behutsamkeit vorgehen. Und natürlich muss ich auch erst noch die Richtige finden. Hm,
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Kampf der USO
vielleicht käme eine Arkonidin in Frage. Es gibt da einige, die würden genau unseren Ansprüchen entsprechen und außerdem müssen wir auch auf die Standesgemäßigkeit dieser Verbindung achten. Es kommt nicht in Frage, dass ein primitives Weibsstück aus dem Volk meinen Bruder in ihr Bett zieht. Nein, es muss schon jemand von Adel sein. Und da kommen eben nur Arkonidinnen in Frage. Ich werde mir das auf jeden Fall genau durch den Kopf gehen lassen. Wenn ich eine geeignete Kandidatin gefunden habe, werde ich sie dir vorstellen.« »Das ist gut Tochter. Ich verlasse mich dabei voll auf dich. Aber ich habe noch ein anderes Problem. Bei der Besprechung mit den Fürsten hat Niesewitz bezüglich der Linguiden einen Plan vorgestellt, der angeblich von dir stammt. Was hast du dir dabei nur gedacht?« »Aber Vater, das ist doch leicht zu erklären. Diese Unruhestifter sind, wie du weißt, auch Lemurerabkömmlinge. Jenmuhs wollte sie, wie die Aliens, einfach ausrotten lassen. Dazu sind sie aber viel zu schade. Wir haben in der Flotte ein Problem. Millionen Männer sind monate- oder gar jahrelang ohne Frauen. Und du weißt ja selbst am Besten, wie Männer sind, die jahrelang keine Gelegenheit haben …, na du weißt schon was. Wir würden größere disziplinäre Probleme bekommen. Bald wäre jede Frau in der Flotte praktisch Freiwild. Und deshalb ist mir die Idee gekommen, wie wir das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden können. Dieses linguidische Pack, das bisher ein Schmarotzerdasein auf unsere Kosten geführt hat, ist endlich zu etwas nutze. Und als angenehmen Nebeneffekt können wir die Finanzierung der ABR etwas entschärfen. Denn die Dienste unserer Freizeiteinrichtungen werden natürlich nicht kostenlos sein. So bekommen wir, zumindest ein Teil des Soldes, den wir zahlen müssen, wieder in unsere Kassen zurück. Wie du siehst Väterchen, hat meine Idee nur Vorteile für uns.« »Tochter, Tochter! Du sorgst immer wieder für Überraschungen. Welch eine geniale Idee. Ich bin richtig stolz auf dich Stephanie!«
3. Katz und Maus
Die Neue USO war innerhalb weniger Jahre, unter der Führung des Oxtorners Monkey, zu
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einer großen, mächtigen und auch von den Feinden der Menschheit gefürchteten, Organisation aufgestiegen, zumindest in der Milchstraße. Die Zweigorganisation in Cartwheel hingegen stand unter keinem guten Stern. Da Jan Scorbit und Rosan OrbanasholNordment, die beiden Leiter der Organisation, sich weigerten, mit dem Quarterium zu kooperieren, wurde bereits seit Jahren nach dem Hauptquartier der Organisation gesucht bisher jedoch ohne Erfolg. Die USOSpezialisten waren hervorragend ausgebildet und konnten sich immer wieder dem Zugriff der C.I.P entziehen. Gelang es einen der Spezialisten zu fassen, was äußerst selten vorkam, so starb dieser eher, als dass er irgendwelche Informationen preisgab. Doch Rosan war klar, ewig würde die Position von Quinto nicht sicher sein. Für den Ernstfall hatte Jan Scorbit bereits Evakuierungspläne ausarbeiten lassen. Rosan jedoch hoffte, dass dieser Fall nie eintreten würde. Mit Speck fängt man die Mäuse
Das Interkom blinkte. Ihr Besucher war eingetroffen. Rosan bat darum, ihn zur Einsatzzentrale zu bringen und setzte sich in den bequemen Formenergie-Sessel hinter ihrem Arbeitstisch. Sie fühlte sich in der Zentrale wohl; innerhalb der letzten Monate hatte sie diese nach ihrem Geschmack gestaltet: Über ihrem Arbeitsplatz war eine Syntronik mit eingebautem Positronik-Modus installiert, für den Fall, dass eine Korra-Vir Attacke erfolgte. An den Wänden gab es einige syntronisch gesteuerte Fensterholos. Sie konnte per Knopfdruck oder durch AkustikBefehl typische Landschaften von Terra, Arkon, Mankind, Bostich oder anderen Planeten in die Fensterprojektionen zaubern. Oder sie wählte einfach ein Himmelsmotiv: Sonnenauf- und Untergänge waren ebenso gespeichert, wie gewaltige Gewitter oder Schneestürme. In einer Ecke neben der Eingangstür hatte Rosan sich eine kleine Bar eingerichtet, in der diverse Erfrischungsgetränke gelagert wurden. Natürlich gab es auch Vurguzz und sonstige alkoholische Spezialitäten, aber die waren eher für Gäste bestimmt, sie selbst trank selten Alkohol. Die Wand rechts von ihrem Arbeitsplatz schließlich war mit allerlei technischen
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Raffinessen bestückt: Zum einen war ein großer Trividbildschirm eingebaut, der natürlich auch für interstellare Fernverbindungen verwendet werden konnte. Zudem gab es, für den Besucher nicht zu erkennen, einige Verteidigungs-Systeme wie Paralysatoren, Schutzschildprojektoren oder für den Notfall auch Desintegratoren. Als Rosan die Wand betrachtete, an der gerade das Innere eines Aquariums mit niedlichen Clownund Goldfischen zu sehen war, musste sie schmunzeln. Die Sicherheitseinrichtungen waren nie ihr Wunsch gewesen, sie wurden ihr von Jan Scorbit regelrecht aufgezwungen. Das Eingangsschott öffnete sich und Rosans Besucher betrat die Zentrale. »Akaho, wie schön, Sie wieder zu sehen!« »Ich freue mich auch.« Sein Blick fiel auf einen kleinen Haufen von Datenkristallen in einem Behälter auf dem Tisch. »An Arbeit scheint ja kein Mangel zu bestehen«, bemerkte er. Rosan lachte und strich sich eine Strähne ihres rotblonden Haares aus der Stirn. »In der Tat, es gibt viel zu viel zu tun. Leider ist unsere Lage zurzeit nicht erfreulich. Und da die Zeit drängt, müssen wir gleich zur Sache kommen. Sie sind über die Ereignisse auf Siniestro informiert?« »Es kam angeblich zu einem Terroranschlag der Linguiden, wobei Pace Joharr als Drahtzieher verhaftet wurde. Auch Jaaron Jargon wurde inhaftiert und wir sollen natürlich wieder an allem schuld sein.« »In Wirklichkeit war das Ganze eine Falle, wir waren das eigentliche Ziel. Der Imperatore hatte ein Ende der Kämpfe in Cartwheel versprochen, er wollte sogar ein Parlament wählen lassen. Als das Ganze dann schief ging, hat man natürlich uns und den Linguiden die Schuld in die Schuhe geschoben und Joharr verhaftet und nach Lingus deportiert. Dort soll ihm, nach unseren Informationen, ein Schauprozess gemacht werden, der uns in aller Öffentlichkeit zu Terroristen stempelt. Weitere Informationen besitzen wir nicht.« »Und welches wird meine Aufgabe sein?«, erkundigte sich der Arkonide, obwohl er bereits eine Ahnung hatte. »Ich möchte, dass Sie herausfinden, wo genau Joharr gefangen gehalten wird. Wir müssen unbedingt verhindern, dass dieser Schauprozess stattfinden kann. Militärisch sind wir jedoch einfach zu schwach, um
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Lingus zu besetzten und nach dem Friedensstifter zu suchen. Ihre Aufgabe wird sein, den genauen Aufenthaltsort Joharrs festzustellen und an uns zu übermitteln. Wir haben im Lingus-System noch eine geheime Hyperfunksonde, die im Moment inaktiv ist, aber jederzeit aktiviert werden kann. Wenn wir die genaue Position haben, werden wir nach alter USO-Taktik ein Einsatzteam landen, Joharr befreien und dann wieder verschwinden. Die Simulationsauswertungen ergaben für dieses Szenario eine Erfolgsquote von über 90%, in Anbetracht der allgemeinen Lage also fast eine Erfolgsgarantie.« »Und wie soll ich nach Lingus gelangen? Ich kann wohl kaum einen Einreiseantrag stellen.« Rosan lächelte. »Wenn ich richtig informiert bin, verfügen Sie doch durchaus über gute Kontakte zum Quarterium. Gibt es da nicht eine gute Bekannte, die innerhalb der höchsten Befehlsebene des arkonidischen FlottenKommandos auf Bostich arbeitet?« Akaho grinste. Er wusste genau, wenn Rosan im Sinne hatte. »Aber natürlich, dass ich nicht gleich daran gedacht habe«, antwortete er etwas theatralisch, »dabei kann es sich nur um Falbela de Lorgon handeln, nicht wahr?« Dabei wurde sein Gesicht plötzlich ernst. Nachdenklich blickte er Rosan an. »Ist dir eigentlich das Risiko«, hier wechselte er plötzlich zum vertrauten du, »bewusst, was Falbela eingeht, wenn sie mich in die imperiale Flotte einschleust? Ist Joharr das überhaupt wert? Bedenke bitte, dass sie eine der wenigen Quellen ist, die wir im auf dieser Ebene des Flotten-Kommandos haben. Wenn sie verbrannt wird, ist der Verlust für uns eigentlich nicht zu ersetzen. Ganz abgesehen davon, dass das persönliche Risiko für sie viel zu groß ist. Sie ist keine ausgebildete Spezialistin, sondern hilft uns, weil sie die rassistische Politik des Quarteriums ablehnt. Hältst du es wirklich für vertretbar, eine Amateurin diesen Gefahren auszusetzen? Und davon abgesehen, ich liebe sie!« Rosan musste schlucken. Da war sie wieder, die Verantwortung. Nie hatte sie nach dieser Position gestrebt. Auch sie war eigentlich eine Amateurin. Ihre jetzige Position war das Ergebnis der aktuellen Notlage. Eigentlich war es nicht ihre Aufgabe, die Kampfeinsätze zu planen. Das war ursprünglich die Funktion Jan
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Scorbits oder Sam Tylers. Aber Beide waren in den estartischen Galaxien. Und Frank, Frank de Boor war tot. Gestorben auf Siniestro. Gestorben für ihr Leben. Wie vermisste sie seinen Rat. Warum nur musste sie solche Entscheidungen treffen. Und jetzt verstand sie, warum ihr Unsterbliche wie Monkey oder Atlan immer so unnahbar, so kalt und abweisend vorgekommen waren. Wie oft hatten diese schon solche Entscheidungen treffen müssen. Wie oft hatten sie Männer oder Frauen in den Tod geschickt. In dieser Position, das erkannte sie nun, mussten persönliche Gefühle ausgeschaltet werden. Das war überlebensnotwendig. Nur kalt geplante Entscheidungen ohne persönliche Gefühle garantierten eine Erfolgschance. Und sie verstand, dass sie sich am Scheidepunkt befand. Würde sie die Kraft aufbringen, diese Last, diese Schuld auf sich zu nehmen? Hatte sie die Überzeugungsfähigkeit Akaho von der Notwendigkeit dieses Risikos zu überzeugen? »Akaho, glaub mir, es ist notwendig. Joharr darf nicht vom Quarterium zu einem Schauprozess missbraucht werden. Der Öffentlichkeit muss klar gemacht werden, dass nicht wir und die Linguiden schuld an dem Terroranschlag haben, sondern dass die Geschichte genau umgekehrt laufen sollte. Wenn es uns nicht gelingt, das nachzuweisen, sind Rhodan und der LFT die Hände gebunden. Auch die USO in der Milchstraße wird uns schwerlich unterstützen können, wenn wir als Terroristen und Mörder gebranntmarkt werden. Und deshalb Akaho, deshalb muss Joharr frei kommen. Nur er besitzt die Überzeugungskraft und die moralische Glaubwürdigkeit, diesen Quarteriums-Mördern die Maske vom Gesicht zu reißen. Die Öffentlichkeit muss über die wahren Ziele des Quarteriums aufgeklärt werden. Wir müssen eine Allianz aller demokratischen und freiheitlichen Kräfte in Cartwheel und der Milchstraße schaffen, die der imperialistischen und rassistischen Politik des Imperatore entgegentritt. Und dafür brauchen wir die öffentliche Meinung. Der Druck muss so stark werden, dass es das Kristallimperium unter Bostich nicht wagt, seine Drohung wahrzumachen, und auf Seiten dieser Mörder in den Krieg eingreift. Was wir brauchen ist eine neue GAVÖK oder ein neues Galaktikum, und nur Pace Joharr kann die Völker in diesem Sinne einen. Und deshalb Akaho, deshalb ist jedes Risiko gerechtfertigt,
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um ihn zu retten.« »Schon gut Rosan, ich habe verstanden. Wenn das intergalaktische Wohl auf dem Spiel steht, dann … Ach, vergiss es. Du hast ja recht. Irgendjemand muss diese Mörderbande stoppen. Und wenn nicht wir, wer denn sonst? Was mir gegen den Strich geht ist, dass wir eine Zivilistin, noch dazu eine Idealistin, einer solchen Gefahr aussetzen müssen. Zugegeben, es sind auch persönliche Gefühle im Spiel, aber können wir das verantworten?« »Wir müssen es, wir haben keine andere Wahl! Bitte Akaho, es geht nicht anders.«
4. In der Hölle der Katze
Nun
war es endlich soweit. Er war nach Lingus versetzt. Dank der Papiere und diverser Manipulationen seiner Freundin Falbela hatte es keine Schwierigkeiten gegeben. Offiziell bekleidete er den Rang eines Obersten im Generalstab des Flottenkommandos, der auf Lingus bei der Planung der neuen Freizeiteinrichtungen für Flottenangehörige beteiligt werden sollte. Falbela hatte ihm bereits kurz, nachdem er sie eingeweiht hatte, von diesem geheimnisumwitterten Projekt erzählt. Es war geradezu ein Wink des Schicksals, dass ausgerechnet sie, als persönliche Assistentin des kommandierenden Admirals Jasor da Isaak, damit beauftragt wurde, ein spezielles Team zusammenzustellen, um die geplanten Freizeiteinrichtungen auf Lingus zu beurteilen. Für den gestrigen Tag war eine Inspektionsreise in ein so genanntes Internierungslager angesetzt gewesen, wo man ein erstes Modell der geplanten Anlagen vorführen wollte. Ein schmierig grinsender C.I.P-Kommandeur hatte ihm mit einer eindeutigen Geste erklärt, dass die Benutzung der Modelleinrichtungen für die Mitglieder der Kommission natürlich kostenlos wäre. Es schüttelte ihn immer noch, als er an die »Vorführung« zurückdachte. Rosan hatte recht gehabt. Das waren keine Menschen mehr, die sich solches ausgedacht hatten, das waren sadistische Monster, die mit allen Mitteln bekämpft und ausgerottet werden mussten. Und für morgen war eine Demonstration des Straflagers angekündigt. Straflager, wenn er sich nur vorstellte, was für Teufeleien sich
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hinter diesem Begriff verbargen, dann hätte er seine Mission am Liebsten abgebrochen. Aber er musste seine Rolle weiter spielen, er hatte immer noch keine Informationen über den Aufenthaltsort Pace Joharrs erhalten. 9. Februar 1306 NGZ – Lingus
Der Chef der C.I.P war am Vormittag auf Lingus eingetroffen. In seiner Begleitung befanden sich der Minister für die ABR, Reinhard Katschmarek und der neu ernannte Sonderbeauftragte ABR-Cartwheel, OberstKommandeur Reynar Trybwater. Niesewitz war bester Laune, zum Einen war es ihm am Vorabend gelungen, seinen alten Kumpel Katschmarek unter den Tisch zu saufen und zum Anderen hatte die Spanierin genauso reagiert, wie er es vorausgesagt hatte. Wie leicht war dieses Weib doch auszurechnen, er drehte, bzw. Trybwater drehte an ein paar Schaltern, und schon erhielt man das gewünschte Ergebnis. Und er war nur einem besonderen Wunsch des Imperatore und seiner geliebten Tochter nachgekommen. Zusammen mit Katschmarek und Trybwater betrat er gegen 10 Uhr den Verwaltungskomplex des StraLa-1. Der Lagerkommandant hatte ihnen in einem kurzen Rundgang das Lager, und auch den Sondergefangenen gezeigt. Niesewitz hatte sich danach für das Lagerpersonal interessiert und sich die entsprechenden Personalakten kommen lassen. Fast interesselos überflog er die Angaben. Auch hier hatte man sich an seine Vorliebe für gedruckte Informationen gehalten. Er vertraute seiner Intuition, sie hatte ihn oft weitergebracht, als alle neumodischen Datensysteme. Schließlich warf er die ganzen Papiere achtlos beiseite. Hier würde er bestimmt nichts finden. Wo war der verdammte USO-Agent? Er war sich sicher, dass die USO versuchen würde, Joharr zu befreien. Und dann viel sein Blick auf eine Gruppe Arkoniden, die gerade aus einem Gleiter stieg. Interessiert beobachtete er die Gruppe. »Bezirks-Kommandeur, wer sind denn die?«, wandte er sich in scharfem Ton an den neben ihm stehenden Lagerkommandanten. Dieser zuckte zusammen und erklärte hastig: »Marschall, dies ist eine Kommission des arkonidischen Flotten-Kommandos auf Bostich, die auf besonderen Wunsch des
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Gos’Shekur unsere geplanten Lagereinrichtungen inspizieren soll.« In Niesewitz schrillten die Alarmglocken. »Wurde eine spezielle Sicherheitsüberprüfung vorgenommen?«, bellte da Trybwater. »Nein, Oberst-Kommandeur. Man hat die gesamte Kommission bereits auf Bostich für unbedenklich erklärt.« Niesewitz mischte sich wieder ein: »Ich möchte sofort alle Personalakten dieser Kommission vorgelegt haben. Und halten sie diese Bande hin. Ich will, dass sie zusammenbleiben und auf Schritt und Tritt überwacht werden.« Der BezirksKommandeur war kreidebleich geworden und hastete davon, um die gewünschten Unterlagen zu holen. »Das darf doch nicht wahr sein. Da habe ich ein wunderbar feinmaschiges Netz ausgelegt, um unseren USO-Agenten zu fangen und da kommen diese Arkoniden und durchbrechen so mir nichts, dir nichts sämtliche Sicherheitsvorkehrungen.« Wenig später hastete der Kommandant wieder in das Verwaltungsbüro. Unter dem Arm hatte er eine dicke Mappe mit den Personalpapieren. »Hier MarschallKommandeur, das ist alles, was wir haben.« Niesewitz überflog die Akten. Nach der dritten oder vierten Seite warf er sie wütend an die Wand und brüllte: »Das ist Bullshit, reiner Bullshit! Zu nichts zu gebrauchen!«, und nach kurzer Überlegenspause, »was haben die Herren Arkoniden eigentlich gestern gemacht?« »Nun, sie bekamen die Gelegenheit unsere neuen Freizeiteinrichtungen zu testen.« »Das volle Programm?« »Aber natürlich, sie haben nichts ausgelassen!« »Das ist gut. Aber sagen Sie mir nun ja nicht, dass die Überwachungssysteme ausgeschaltet waren.« Der Bezirks-Kommandeur wurde nun sichtlich ruhiger. »Aber natürlich nicht! Wir haben alles!« »Dann bringen Sie mir sofort ein Abspielgerät und die entsprechenden Aufzeichnungen.« Wenig später war das Gewünschte eingetroffen. Nachdem die Kristallspeicher eingelegt waren, wurden die Aufnahmen mit erhöhter Abspielgeschwindigkeit durchlaufen. Wieder verließ er sich nur auf seine Intuition.
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Und plötzlich stoppte er den Durchlauf und rief die Kennung des Datensatzes ab, danach nochmals den Datensatz mit normaler Geschwindigkeit. Schließlich schaltete er das Gerät aus und ließ sich zufrieden auf einen Stuhl fallen. »Kommandeur, können Sie mir mal aus den Akten da unten die Unterlagen eines gewissen Oberst Rokalo de Percur heraussuchen. Unser kleines USO-Mäuschen ist uns in die Falle gegangen.« »Sofort erschießen, das Schwein!«, brüllte da Katschmarek. »Aber nein Reini, du würdest mir meinen ganzen schönen Plan kaputtmachen. Wer tot ist, kann nicht mehr reden, geht das denn nicht in dein Spatzengehirn? Bin ich hier eigentlich nur von Idioten umgeben? Im Gegenteil, dass mir ja niemand unserem Mäuschen zu nahe kommt. Nur unauffällige Fernüberwachung.« Trybwater sah seinen Chef fragend an. Sein Gesichtsausdruck besagte, dass er nicht verstand, warum Niesewitz den Arkoniden als USO-Spezialisten enttarnt hatte. Mit einem selbstgefälligen Grinsen ließ er die Aufnahmen der Überwachungskamera nochmals ablaufen. »Oberst, aus ihrem fragenden Gesicht entnehme ich, dass Ihnen nicht klar ist, warum gerade dieser Percur unser Mäuschen sein soll. Schauen Sie sich diese Aufnahmen genau an und vergleichen sie das Verhalten dieses Arkoniden mal mit seinen Kollegen.« Trybwater verfolgte das Schauspiel auf dem Bildschirm. Nachdem er die Aufnahmen mit den Anderen verglichen hatte, hellte sich sein Gesichtsausdruck auf. »Ich hab’s, Marschall. Dieser de Percur verhält sich gegenüber den anderen Arkoniden absolut untypisch. Man hat fast den Eindruck, als widere ihn das, was er da tut, regelrecht an. Besonders deutlich wird das gegen Ende der Aufnahme. Da nimmt er sogar diese linguidische Schlampe in den Arm und streichelt ihr Gesicht, als ob er sie trösten wollte.« »Ganz genau, Sie haben es erkannt Oberst! Das ist typisch für diese Idealisten. So gut sie auch sein mögen, wenn es an das Eingemachte, an ihre so genannten Ideale von Menschenwürde und Humanität geht, dann ist es aus. Dann wird ihre Maske durchsichtig. Und deshalb merken Sie sich: Schwein bleibt
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Schwein und edler Idealist bleibt eben edler Idealist!« Niesewitz vertiefte sich wieder in einige Personaldossiers, die er kurz zuvor achtlos zur Seite geworfen hatte. Immer wieder verglich er Percurs Dossier mit den Unterlagen anderer Kommissionsmitglieder. Nach etwa zehn Minuten lehnte er sich zufrieden zurück. »Dachte ich mir es doch. So gerissen wie die, bin ich schon lange!«, murmelte er. Und dann warf er Trybwater einige Dossiers zu. »Führen Sie sich mal diese Machwerke zu Gemüte. Und dann berichten Sie mir, ob Ihnen etwas auffällt«, und zu Katschmarek gewandt, »du kannst dich auch nützlich machen, bring was ordentliches zu saufen, das hab ich mir gerade mehr als verdient.« Wenig später kam Katschmarek mit einer Flasche und drei Gläsern zurück, die er voll schenkte. Genussvoll schütteten die Beiden den Schnaps in ihre Kehlen, machten dreckige Witze, während Trybwater nur an seinem Glas nippte. Schließlich blickte er auf. »Ich glaube, ich hab es gefunden. Sie sind einfach genial, Marschall! Ohne Ihren Hinweis hätte ich das glatt überlesen.« »Na dann berichten Sie mal, mal sehen, ob ich aus Ihnen noch einen anständigen Geheimdienstmann machen kann.« »Nun es ist so: Diese verdammte Kommission wurde von einer gewissen Falbela da Lorgon zusammengestellt, ihres Zeichens angeblich die persönliche Assistentin von Admiral Jasor da Isaak. Soweit ist alles unverdächtig. Alle Mitglieder sind jedoch, bis auf eine Ausnahme, schon mehrfach innerhalb Cartwheels eingesetzt worden, und haben sich dabei ausgezeichnet. Die Empfehlungen sind durch die jeweiligen kommandierenden Offiziere abgesegnet. Nur bei unserer Ausnahme ist es anders. Das sieht aus, als ob unsere Freunde von der USO improvisieren mussten. Percur hat keine entsprechende Karriere innerhalb Cartwheels vorzuweisen, nein seine Empfehlungen beziehen sich ausschließlich auf das Kristallimperium, also für uns schlecht nachzuprüfen. Und als Gipfel segnet diese blöde Kuh die Empfehlung noch persönlich ab: Mit besonderer Empfehlung Admiral da Isaaks, gezeichnet Falbela da Lorgon! Wie kann man nur so blöd sein? Halten die uns für Dilettanten? Nun, liege ich richtig, Marschall?«
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»Genau das ist es Oberst! Aber Sie sollten nicht überheblich werden. Ohne meine Hinweise wäre Ihnen das wohl nie aufgefallen. Aber lassen wir das. Und nun will ich sehen, wozu Sie tatsächlich fähig sind. Ich möchte, dass Sie diese da Lorgon auf Bostich verhaften und dann hierher bringen. Es wäre interessant, mal einige der kleinen Gemeinheiten, die uns in unserem Straflager zur Verfügung stehen, an einem interessanten Objekt zu testen. Damit wir uns richtig verstehen, OberstKommandeur, ich erwarte, dass dieses arkonidische Miststück morgen angeliefert wird, und zwar ohne, dass auf Bostich die verdammten Arkoniden einen Aufstand machen. Weder Jenmuhs, noch sonst ein Arkonide, wird über diese Aktion informiert. Das ist allein unsere Sache. Habe ich mich klar ausgedrückt?« »Gewiss, Marschall-Kommandeur. Sie können sich auf mich verlassen.« »Genau das hoffe ich.«
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und Katschmarek saßen vor der Holowand, und beobachteten die »Testversuche« der Arkoniden. Katschmarek hatte wieder eine Schnapsflasche mitgebracht, die sie zwischen sich kreisen ließen. Mit unflätigen Bemerkungen, zynischen Vergleichen und anfeuernden Rufen kommentierten sie die Aktionen, die aus den einzelnen Zellen übertragen wurden. Dann schaltete Niesewitz auf die Zelle, die man Rokalo de Percur zugewiesen hatte. Interessiert verfolgten Beide das Geschehen. Schließlich schaltete Katschmarek mit einem Fluch die Bildschirme ab. »Ich halt das nicht länger aus, Werner. Hast du für mich nicht auch so ein kleines, niedliches Versuchsobjekt? Ich hab einen Druck in der Hose, ich glaube, ich platze gleich.« Niesewitz antwortete nicht, sondern nahm die Schnapsflasche und kippte den Rest über Katschmareks Kopf. »Wie blöd bist du eigentlich, Reini? Hast du das bisschen Verstand, das dir geblieben ist, jetzt vollständig versoffen? Weist du eigentlich, wo wir hier sind? Mitten auf dem Präsentierteller! Geh da hinunter und melde dich bei diesem Überschweren. Der steht übrigens auf Letricons Gehaltsliste. Und du kannst sicher sein, dass der alles, was er hier
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erfährt, brühwarm dem pariczanischen Sicherheitsdienst weitergibt. Und danach landet alles natürlich bei Jenmuhs auf Bostich. Legst du wirklich Wert darauf, dass deine Vorlieben überall bekannt werden, dann geh! Aber für mich bist du nicht mehr zu gebrauchen.« »Entschuldige Werner, daran habe ich nicht gedacht. Es war nur, dass ich …« »Seit wann kannst du denn überhaupt denken? Wir machen es wieder wie früher. Ich bin der, der für uns beide denkt und du bist meine Hand fürs Grobe. Und glaub mir Reini, ich bin hier erst am Anfang.« Die Mäuse in den Fängen der Katze
Gegen 6 Uhr am nächsten Morgen wurde Niesewitz durch ein Interkomsignal geweckt. Eine kurze Nachricht Trybwaters teilte ihm mit, dass das Mäuschen eingetroffen wäre. Er wusch sich das Gesicht und kämmte die kurzen Haare durch. Er wusste genau, wie wichtig seine äußere Erscheinung war. Der allmächtige Chef der C.I.P erschien niemals unausgeschlafen oder verkatert. Er signalisierte eiserne Disziplin und Selbstbeherrschung gegenüber seinen Untergebenen. Nachdem er die schmucklose Uniform angelegt hatte, musterte er sich kurz im Spiegel. Dann verließ er sein Quartier und stieg in seinen Gleiter. Wenig später betrat er ein unscheinbares Gebäude, das abseits des Lagerkomplexes lag. Wieder ging es in die Tiefe. Etwa zehn Meter unter der Oberfläche waren umfangreiche Anlagen bis in den nahen Gebirgszug getrieben worden, die jedoch noch weitgehend unausgebaut waren. Nur ein kleinerer Torbogen-Transmitter und einige Räume im Zentrum der Anlage waren bereits eingerichtet. Mit raschen Schritten eilte er zu einem geparkten Personen-Gyro, den er ins Zentrum steuerte. Trybwater erwartete ihn schon und wollte zur gewohnten Meldung ansetzen. Doch der C.I.P-Chef winkte ab. »Ich bin mit Ihnen sehr zufrieden, Trybwater. Das war hervorragende Arbeit. So nebenbei müssen wir uns mal genauer darüber unterhalten, was Sie in ihrer Zeit als Mitglied des Liga-Dienstes der LFT so alles getrieben haben. So weit ich es bisher beurteilen kann, müssen Sie eine hervorragende Ausbildung
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genossen haben.« »Das stimmt Marschall, aber man hat meine Fähigkeiten nicht mehr gewollt. Ich …« Niesewitz unterbrach den Redefluss des Terraners: »Später Reynar, jetzt habe ich keine Zeit für alte Geschichten.« Mit diesen Worten klopfte er Trybwater auf die Schulter. »Lassen Sie uns nach Ihrem Mäuschen sehen, ich hoffe es ist unversehrt und gut verwahrt!« »Aber natürlich Marschall, ich bin doch kein Stümper! Kommen Sie, das Mäuschen ist wirklich äußerst niedlich.« Niesewitz folgte Trybwater in eine der bereits eingerichteten Kammern. Mitten im Raum schwebte eine nackte Arkonidin in einer Haltung, die einem X glich. »Ich habe ein Fesselfeld benutzt, um keine Spuren an den Hand- und Fußgelenken zu hinterlassen, falls wir Sie nochmals der Öffentlichkeit vorführen wollen. Zurzeit befindet sie sich im Land der Träume, die übrigens nicht sehr angenehm sein dürften, ich habe der Schlafinjektion einige Psychodrogen beigemischt, die ihre Ängste potenzieren. Wenn wir Sie brauchen, können wir sie innerhalb von fünf Minuten in die Wirklichkeit zurückholen.« »Ich habe mich in Ihnen nicht getäuscht, Sie entwickeln auch Phantasie. Genau so jemand brauche ich an meiner Seite. Wie ich sehe, ist unser Mäuschen wirklich gut untergebracht, jetzt müssen wir nur noch ihren Mäuserich haben.« Mit diesen Worten verließ Niesewitz den Raum, Trybwater folgte ihm. Akaho da Purok
Ich wachte schweißgebadet auf, mein Kopf fühlte sich an, wie wenn eine Herde Goldan darauf herumtrampelte. Das, was ich gestern erlebt hatte, war unbeschreiblich. Ich fragte mich, wie Angehörige meines Volkes, nein verbesserte ich mich, wie überhaupt intelligente und fühlende Wesen zu solchen Scheußlichkeiten fähig sein können. Ich, Akaho da Purok, schämte mich, ein menschliches Wesen zu sein. Was war nur aus uns in Cartwheel geworden? Wo war der Traum DORGONs von einer Einheit aller intelligenten Lebewesen, die auf Humanität und Würde des Individuums beruhte, geblieben? Vergessen, in den Dreck gestampft,
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zu bestialischen Gelüsten verkommen! Quarterium, dieses Wort hatte seit gestern für mich eine neue Bedeutung: Schlächterreich des Teufels. Ich musste weg von hier, Rosan, nein Rhodan, Atlan und alle Führer der Menschheit mussten erfahren, was das Quarterium wirklich bedeutete. Und danach würde ich Amok laufen, zuerst dieser pockennarbige Spanier, dann das fette Scheusal Jenmuhs, ich würde weitermachen, bis irgendein Strahler meinem erbärmlichen Leben ein Ende setzte. Nein Rosan, der Zweck heiligt nicht die Mittel. Der Zweck heiligt nicht, dass ich zum sadistischen Mörder werden musste. Warum darf ich nicht einfach eine Waffe nehmen, und diese sadistischen Mörder zur Hölle schicken? Joharr, wer bei Kralas ist Joharr? Ja Rosan, ich bring dir den Linguiden. Aber danach gehöre ich nicht mehr zur USO. Danach bin ich nur noch Akaho da Purok, der Mörder. Automatisch griff ich wieder zur Flasche. Der hochprozentige terranische Schnaps rann mir durch die Kehle und setzte meinen Magen in Brand. Egal. Wieder schluckte ich. Vergessen, ich musste die Bilder wenigstens für die nächsten Stunden vergessen. Sonst würde ich den Ersten dieser Mörder, der mir über den Weg lief, erschießen. Vergessen! Schließlich wurde ich ruhiger. Der Alkohol tat seine Wirkung. Ich richtete meine Uniform provisorisch und verließ den Raum.
An
einem anderen Ort saß Niesewitz vor einem Überwachungsmonitor. Die winzige Kamera war als Hummel getarnt und schwebte über dem Arkoniden. Bald habe ich dich da, wo du hingehörst. Du wirst dich noch wundern, mein idealistischer arkonidischer Freund. Der Arkonide hatte inzwischen das Tor eines düsteren Barackenkomplexes erreicht. Er schwankte leicht und griff sich immer wieder an den Kopf. Kurz zögerte er, doch dann betrat er den Eingang. Auf diesen Moment hatte Niesewitz gewartet. Er drückte langsam einen Knopf auf einem Kontrollgerät, das er in der Hand hielt. Im gleich Augenblick entstand im Eingangsbereich der Baracke ein gleißendes Energiefeld. Der Arkonide fiel zu Boden, als ob er mit einer Axt gefällt worden wäre. So, jetzt habe ich auch den Mäuserich in der Falle. Er aktivierte sein Interkom: »Trybwater, bringen Sie unsere Maus in die medizinische Station. Und zieht ihm die Giftzähne!«
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Einige Minuten später betrat er die Medeostation. Zwei C.I.P-Ärzte beugten sich über den nackten Arkoniden. Eine MedeoAssistentin tastete seinen gesamten Körper mit einem Scanner ab. Einer der Ärzte blickte kurz auf. »Bis jetzt haben wir zwei Kapseln gefunden, eine in einem Backenzahn, eine andere unter einem Fingernagel.« »Machen Sie ruhig weiter, Doc. Lassen Sie sich Zeit, ich habe keine Eile. Aber eines«, und hier wurde seine Stimme messerscharf, »wenn Sie nur ein kleines Spielzeug übersehen, stehen Sie fünf Minuten nach seinem Tode vor einem Erschießungskommando. Und mit Ihnen alle, die hier zuständig sind. Habe ich mich klar ausgedrückt?« »So, jetzt haben wir unsere Mäuschen in der Mausefalle. Oberst, würde es Ihnen viele Umstände bereiten, sie wieder aus dem Land der Träume zurückzuholen. Ich glaube, dass einige sehr interessante und erfolgreiche Stunden vor uns liegen. Doch zuerst wollen wir unsere Medeo-Kontrolleinheit mal anschließen. Wir wollen doch nicht, dass die Mäuschen zu früh in den Mäusehimmel kommen.« Trybwater aktivierte eine kleine Positronik, auf die die Körperfunktionen der Gefangenen übertragen wurden. Niesewitz hatte durch die C.I.P-Ärzte einige Sonden einsetzen lassen, durch die eine genaue Kontrolle der Lebensfunktionen möglich war. »Warum haben wir die Ärzte nicht hier gelassen, Marschall? Die könnten das doch viel besser.« »Oberst, Sie müssen noch viel lernen. Der Zweck der ganzen Übung ist doch, dass wir endlich die Koordinaten von Quinto erfahren. Was glauben Sie, was beispielsweise Jenmuhs dafür bieten würde, wenn er diese erhalten würde. Ich traue nur den Mitgliedern des Inneren Kreises, und Oberst, ab heute gehören Sie dazu. Wenn wir mit dieser Geschichte fertig sind, werde ich Sie noch entsprechend einführen. Aber jetzt wollen wir anfangen, unsere Mäuschen werden so langsam wach.« »Soll ich das Verhör durchführen?« »Aber natürlich, ich möchte Ihre Vorgehensweise genau kennen lernen.«
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»Danke Marschall, ich werde Sie bestimmt nicht enttäuschen!« »Das hoffe ich Trybwater, das hoffe ich. Denn ich habe Großes mit ihnen vor.« Trybwater entnahm aus einer bereitstehenden Schale nacheinander diverse Elektroden, die er an den Körpern der Gefangenen befestigte. Schließlich war er fertig. Mit einem zufriedenen Grinsen positionierte er die Gefangenen so, dass sie sich genau gegenüber befanden. Jeder konnte in das Gesicht des Anderen blicken. Und dann begann er. »So, ich denke, unsere Mäuschen haben lange genug geschlafen. Ich darf mich ihnen kurz vorstellen. Ich bin der böse, böse Kater, der die kleinen Mäuschen fressen will. Aber zuvor möchte ich, dass die Mäuschen singen. Um mich unmissverständlich auszudrücken, ich möchte die Koordinaten von Quinto. Ich habe hier ein wunderbares Steuergerät, das mit einem sogenannten Schockwellengenerator verbunden ist. Dieses kleine Instrument ist in der Lage, euch die gesamte Scala von grenzenloser Lust bis zu unsagbarem Scherz zu bieten. Ich möchte das euch mal kurz demonstrieren, wenn ihr erlaubt!« Mit diesen Worten drückte er einige Bedienungselemente der Kontrolleinheit und wenig später bebten die Gefangenen vor grenzenloser Lust. »Na hat es euch gefallen? Und jetzt wie versprochen, die Kehrseite der Medaille.« Plötzlich erfüllte ein unmenschlicher Schrei des Schmerzes den Raum. Die Arkonidin hatte ihn ausgestoßen. Doch ihr Partner schwieg. Kein Laut kam über seine Lippen. Nur sein Gesicht glich einer hasserfüllten Fratze. Doch einige Zeit später brach er zusammen. »Hört auf. Hört endlich damit auf ihr dreckigen Schlächter. Ich gebe euch die Koordinaten, aber lasst Falbela in Ruhe. Sie hat mit der ganzen Sache nichts zu tun.«
Kurz darauf saßen Niesewitz und Trybwater zusammen. Sie hatten eine Robotsonde ausgeschickt, um die angegebene Position zu verifizieren. Diese war so programmiert, dass die Sonde, wenn sich Quinto an der angegebenen Position befand, sich deaktivieren und antriebslos in den interstellaren Raum treiben sollte. Im anderen Falle sollte sie zurückkommen. Während des
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Wartens vertrieben sie sich die Zeit, indem sie die Bilder der Überwachungskameras verfolgten. Die Stimmung wurde immer lockerer, denn Niesewitz hatte wieder eine Flasche mitgenommen, die er mit Trybwater teilte. »Wissen Sie was Oberst, Sie passen genau zu uns. Wer zum Inneren Kreis gehört, muss saufen können. Prost!« »Marschall, was ist denn dieser Innere Kreis? Ich hab noch nie von ihm gehört und kann mir absolut nichts darunter vorstellen.« »Wir Oberst, wir sind die Auserwählten, die absolute Elite. Wir führen die Menschheit, besser gesagt die terranische Menschheit, wieder zurück zu ihrer kosmischen Bestimmung, die sie vergessen hat. Uns wurde, vielleicht erinnern Sie sich daran, vor langer Zeit von irgendeiner Superintelligenz prophezeit, dass wir zu den Erben des Universums bestimmt wären. Und genau das ist das Ziel des Inneren Kreises. Wir werden die Herrschaft des Menschen über das Universum ausbreiten, Sonnensystem für Sonnensystem, Galaxie für Galaxie. Und hier in Cartwheel fangen wir an. Und Sie werden meine rechte Hand. Aber davon später.« Und schließlich war genug Zeit verstrichen. Die Sonde hatte sich nicht gemeldet. Die Position stimmte.
Nun endlich fand Niesewitz Zeit, um sich mit dem Problem Meyers zu beschäftigen. Seine Kommandoeinheiten hatten, kurz nachdem sie Lingus übernahmen, die gesamte Gruppe Zero vorsorglich interniert und nach Fertigstellung der ersten Gebäude des Lagerkomplexes dort inhaftiert. Die GLORY war auf ein abgelegenes Landefeld gebracht worden, um sie vor neugierigen Blicken zu verbergen. Zusammen mit Trybwater betrat er den Haftkomplex und ließ Meyers Kommandeure in den Vernehmungsraum bringen. Er nahm hinter dem schweren Schreibtisch platz, den er kurz zuvor in den Raum hatte bringen lassen. Trybwater baute sich daneben auf. »Sie können mit der Befragung beginnen, Oberst.« »Danke, Marschall-Kommandeur«, und dann mit eisiger Stimme an die in einer lockeren Gruppe versammelten Mitglieder der Gruppe Zero, »in einer Reihe aufstellen und
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nehmt Haltung an!« Es dauerte etwas, bis die gewünschte Linie gebildet war. Trybwater hatte seinen Platz neben Niesewitz verlassen und schritt, mit auf dem Rücken verschränkten Händen, die in Reihe und Glied stehenden Kommandeure ab. Immer wieder blieb er kurz stehen und musterte jeden mit durchdringendem Blick. Und plötzlich begann er zu brüllen. »Ihr seit also die gefürchtete Gruppe Zero, die angeblich fähigste Truppe in ganz Cartwheel. Welcher Idiot ist für diesen Saustall von Truppe verantwortlich?« Er blieb vor dem etwas korpulenten Plophoser Josh Hondro stehen, der mit lässiger Körperhaltung in der Linie stand. »Name und Dienstgrad?« »Mein Name ist …« »Sind Sie von allen guten Geistern verlassen, Mann? Ich will eine ordentliche Meldung, kein Zivilistengequatsche. Also noch mal, Name und Dienstgrad?« Der Plophoser riss sich zusammen. »Kommandeur Josh Hondro, Führer des 2. Zuges der Gruppe Zero, OberstKommandeur.« »So, so, Kommandeur eines Zuges wollen Sie sein? Wissen Sie, was Sie sind, Sie sind eine Schande, ein Zerrbild eines Soldaten. Stehen Sie stramm, Mensch. Brust raus, Bauch rein, Sie Fettsack. Hat Ihnen das niemand beigebracht? Ich schätze, dass wir uns auf dem Exerzierplatz recht häufig sehen werden. Ich werde dafür sorgen, dass aus Ihnen noch ein anständiger Soldat wird.« In dieser Art ging es endlos weiter. An jedem der angetretenen Kommandeure hatte Trybwater etwas auszusetzen. Doch an den beiden Oxtornern biss er sich die Zähne aus. Der »Rote Drache« gewann das Duell der Blicke und bevor die absehbare Auseinandersetzung mit Shan Mowac ausarten konnte, griff Niesewitz ein. »Kommandeur Mowac, ich erwarte Ihre Meldung.« Der Oxtorner ging einige Schritte nach vorne und nahm Haltung an. »Marschall-Kommandeur, wir erhielten den Befehl, die Lage auf Lingus zu …« Weiter kam er nicht. Niesewitz unterbrach ihn und brüllte: »Ich weis genau, welche Befehle ich erteilt
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habe. Ich will wissen, was hier vorgefallen ist. Und vor allem will ich wissen, wo GruppenKommandeur Meyers abgeblieben ist.« »Nun Marschall-Kommandeur, soweit ich …« »Ich habe jetzt genug. Wir machen es ganz anders. Jeder von Ihnen verfasst einen schriftlichen Bericht. Hierzu werden Sie in getrennte Räume geführt. In genau 15 Minuten habe ich die Berichte vorliegen. Und nun abtreten.« Eine Stunde später. Niesewitz und Trybwater hatten inzwischen die Berichte studiert und verglichen. Das Ergebnis war äußerst unbefriedigend. Sie hatten keine Widersprüche gefunden. Und eine Frage blieb weiterhin ungeklärt: Was genau hatte Meyers vor? Niesewitz trat vor die in Reih und Glied wartenden Kommandeure. Er begann: »Soweit ich Ihren Berichten entnehmen konnte, ist folgendes passiert. Nach der Landung auf Lingus hat Ihr Kommandeur die Kontrolle über sein Kommando verloren. Er hat dann mit Joharr eine Übereinkunft getroffen, um die gespannte Lage zu entschärfen. Die Folgen dieser Übereinkunft sind bekannt. Später hat er den Planeten an Bord eines Beibootes verlassen, um sich angeblich durch eine besondere Leistung zu rehabilitieren. Was er dabei genau plant, ist Ihnen nicht bekannt. Hat irgendjemand noch etwas hinzuzufügen?« Niesewitz schwieg und musterte die Angetretenen mit durchdringendem Blick. Doch niemand antwortete ihm. »Nun gut, lassen wir das. Nun zu Ihnen. Sie bleiben bis auf weiteres auf Lingus stationiert. Ich ernenne hiermit Oberst-Kommandeur Trybwater zu Ihrem Vorgesetzten. Seine Hauptaufgabe wird sein, aus Ihnen wieder eine disziplinierte Kampfgruppe zu machen. Er hat von mir sämtliche Vollmachten, die disziplinäre Maßnahmen gegen Sie oder Mitglieder Ihres Kommandos betreffen. Die gesamte Gruppe Zero bekommt den Status einer Strafeinheit. Jeder Ausgang, jeder Urlaub ist vorläufig gestrichen. Erst wenn Sie wieder der Fahne des Quarteriums Ruhm und Ehre einlegen, werden diese Maßnahmen aufgehoben. Oberst-Kommandeur Trybwater, lassen Sie abtreten!« Der Angesprochene war nach vorne getreten
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und brüllte: »Gruppe Zero, stillgestanden. Habt acht!« Bei diesem Kommando schlugen sechs Fäuste an das C.I.P-Symbol auf der linken Schulter. Und dann: »Begeben Sie sich in die Quartiere. Morgen früh, Punkt 7 Uhr erwarte ich, dass die gesamte Truppe auf dem Exerzierplatz angetreten ist. Ihre weiteren Befehle werden Sie dann morgen erhalten. Abtreten!« Die Kommandeure verließen den Raum. »So Oberst, die Arbeit ist getan, jetzt kommt das Vergnügen. Kommen Sie, unsere Mäuschen warten schon.«
5. Das Ende der USO 11. Februar 1306 NGZ – Paxus
Wieder hatte sich die illustere Runde der Quarteriums-Fürsten im Moncloa-Saal des Paxus-Towers versammelt. Niesewitz hatte gerade die Position von Quinto bekannt gegeben. Diese Nachricht schlug wie eine Bombe ein. Jenmuhs war aufgesprungen. »Ich werde sofort eine Flotte aufstellen und mir diese Orbanashol-Essoya persönlich vornehmen. Endlich hat sie ausgespielt. Danach blase ich diesen Astroiden …« Weiter kam er nicht. Er fühlte sich plötzlich an seiner prunkvollen Weste gepackt und strampelte hilflos in der Luft. Vor ihm stand der Silberne Ritter, der außer sich vor Wut zischte: »Nichts wirst du tun, du verdammter Narr. Gar nichts. In dieser Angelegenheit geschieht nichts, ohne meine ausdrückliche Anordnung. Wir werden eine gemischte terranisch-arkonidische Flotte zusammenstellen, den Oberbefehl übernehme ich persönlich. Solange lasst ihr die Finger von Quinto, habt ihr mich alle verstanden?« »Aber ich will diese Schlampe, sie hat meinen Bruder auf dem Gewissen. Ich muss …« »Dein verdammter Bruder interessiert mich überhaupt nicht. Hier geht es um viel zu viel, als dass ich es zulassen kann, dass persönliche Rachegelüste uns um die Früchte der ausgezeichneten Arbeit der C.I.P bringen. Übrigens meinen Glückwunsch, Marschall-
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Kommandeur. Hervorragende Arbeit. Nochmals, ich und nur ich führe diese Aktion durch. Und nun will ich Ihr Einverständnis, Gos’Shekur.« Jenmuhs zitterte am ganzen Körper. Nur mit äußerster Mühe brachte er sich einigermaßen unter Kontrolle. »Verdammt sollen Sie sein, Despair! Aber gut, Sie sollen Ihren Willen haben. Aber ich werde mich nicht mehr an der Durchführung dieser Aktion beteiligen. Machen Sie den Mist alleine. Ich gehe, meine Anwesenheit wird wohl hier nicht gewünscht.« Mit diesen Worten stürmte Jenmuhs aus dem Saal. Wenig später meldete die Raumkontrolle, dass der Gos’Shekur nach Bostich gestartet war. Nachdenklich schaute Despair in die Runde. Dann erklärte er seinen Plan. Dieser sah vor, dass eine überlegene Flotteneinheit den Astroiden abriegeln sollte. Ziel war die totale Vernichtung der USO. Kein Schiff durfte entkommen. Und am Ende gab der Silberne Ritter die Order aus, dass keine Gefangenen gemacht werden sollten. Innerlich schüttelte es ihn, als er diesen Befehl gab. Aber er war sich sicher, dass dies die sauberste Lösung war, er wusste genau, was den USO-Mitgliedern bevorstehen würde, wenn sie der C.I.P in die Hände fallen würden. Fast zynisch sagte er zu sich selbst: Lieber ein schneller, ehrenhafter Tod eines Soldaten, als ein langsames Dahinsiechen auf Objursha oder Davau. 11. Februar 1306 – Quinto am späten Abend
Rosan wanderte durch die Einsatzzentrale. Sie fühlte sich wie eine Raubkatze im Käfig. Wo blieb nur die Nachricht von Akaho? Nichts, absolut nichts. Seit er mit der arkonidischen Delegation nach Lingus abgereist war, keinerlei Kontakt. Sie kannte Akaho. Dies war absolut untypisch für ihn. Irgendetwas musste schief gegangen sein. Sie erschauderte innerlich. Nicht auch noch Akaho. Sein Verlust wäre für die USO eine Katastrophe. Und außerdem, sagte sie zu sich selbst, außerdem hast du ihn ins Verderben geschickt. Doch es brachte nichts, wenn sie sich Vorwürfe machte. Nicht jetzt. Nicht hier und heute. Sie musste mit dem Schlimmsten rechnen. Kurz blieb sie vor der in die Wand
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eingebauten Bar stehen. Doch dann griff ihre Hand zu der Karaffe mit dem synthetischen Fruchtsaft. Automatisch schenkte sie sich ein Glas voll. Die gelbe Flüssigkeit mit dem Geschmack von Orangen rann durch ihre Kehle. Bei aller Supertechnik, dachte sie, haben wir es immer noch nicht geschafft, diesen künstlichen Geschmack zu verhindern. Aber seit Monaten waren sämtliche Lieferungen von natürlichen Lebensmitteln nach Quinto eingestellt. Die Besatzung lebte von dehydrierten Vorräten und synthetisch erzeugten Nahrungsmitteln. Man wollte das Risiko einer zufälligen Entdeckung minimieren. Sie riss sich aus ihren fruchtlosen Überlegungen. Das alles war nicht wirklich das Problem. Dieses hatte einen Namen: Akaho da Purok. Wenn er tatsächlich von der C.I.P enttarnt worden war, bedeutete das höchste Gefahr für Quinto. Zwar war Akaho, genau wie die anderen Spezialisten, mit entsprechenden Selbstmordkapseln ausgerüstet, aber sie konnte die Möglichkeit nicht ausschließen, dass Niesewitz einen Weg fand, diese Kapseln zu neutralisieren. Sie musste etwas unternehmen. Mit sicheren Handgriffen aktivierte sie die interne Kommunikation. Auf dem Bildschirm wurde wenig später das Gesicht von Traban Saranos, dem ehemaligen Sicherheitschef der GOLDSTAR, sichtbar, der inzwischen als ihr Stellvertreter fungierte. »Traban, kannst du bitte sofort zu mir in die Einsatzzentrale kommen?« »Natürlich Rosan, was gibt es?« »Später Traban, ich erkläre es dir, wenn du hier bist.« Wenig später zeigte der Zentralservo an, dass Traban angekommen war. Sie öffnete das Sicherheitsschott. Der über 80 Jahre alte Akone betrat die Zentrale. Das Schott schloss sich hinter ihm. »Komm setz dich. Wir müssen einiges besprechen.« Sie reichte ihm ebenfalls ein Glas mit dem synthetischen Fruchtsaft. Und dann begann sie zu berichten. Sie schloss mit ihrer Befürchtung, dass die C.I.P Akaho erwischt hätte. Der schwarzhaarige Akone blieb einige Momente ruhig sitzen, nur das Glas, mit dem er nervös spielte, verriet seine Anspannung. Und schließlich meinte er: »Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen, Rosan. Es kann sein, dass er lebend in Niesewitzs Fängen gelandet ist. Und was
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das bedeutet, dürfte wohl klar sein.« »Ich bin zu dem gleichen Schluss wie du gekommen. Wir müssen die Evakuierung Quintos vorbereiten. Aber wohin sollen wir fliehen? Der Weg in die Milchstraße ist uns versperrt, Despair wird uns wohl nicht durch das Sternentor lassen.« »Ich sehe nur eine Möglichkeit, wir verstecken uns vorläufig im äußeren Ring Cartwheels. In dem hyperenergetischen Chaos, das dort herrscht, müsste es uns möglich sein, unentdeckt zu bleiben.« »Gut Traban, bereite bitte alles vor. Vielleicht machen wir uns auch unnötige Sorgen und Akaho hat nur keine Möglichkeit, sich mit uns in Verbindung zu setzen.« »Nein Rosan, wir müssen mit allem rechnen. Es wäre absolut töricht, wenn wir nicht vom Schlimmsten ausgehen würden. Ich werde mich um die Vorbereitungen der Evakuierung kümmern. Hoffentlich haben wir noch genügend Zeit.« Der Akone verließ die Zentrale. Wenig später folgte ihm Rosan. Es war schon sehr spät und die Müdigkeit überfiel sie schlagartig. Warnung aus der Unendlichkeit
Die einsame Frau verließ die Hygienezelle. Sie hoffte, etwas Schlaf zu finden. Doch die Sorgen und die Verantwortung lasteten schwer auf ihren schmalen Schultern. Sie hüllte sich in einen seidenen Morgenmantel und legte sich auf die Strukturliege. Die Decke aus Wildseide gab ihr das Gefühl der Geborgenheit, das sie an ihre Jugend auf Terra erinnerte. Ihre Hand suchte im Halbdunkel des gedimmten Lichtes nach dem alten, zerschlissenen Plüsch-Gucky. Zärtlich nahm sie ihn in den Arm, wenigstens ihn hatte sie, trotz aller Widrigkeiten, als ihren persönlichen Tröster, durch alle Abenteuer gerettet. Kurz dachte sie zurück an ihren Cousin Attakus, der ihr Schmusetier immer als persönliche Beleidigung angesehen hatte. Aber Attakus war längst Vergangenheit. Genauso Vergangenheit wie Wyll. Wieder drohte sie der Schmerz der verlorenen Liebe zu überwältigen. Wyll, warum musste Wyll sterben? Ihre Nächte bestanden aus Einsamkeit. Seit Wylls Tod war sie keine Partnerschaft mehr eingegangen, sie hatte noch niemand gefunden, der die Persönlichkeit Wylls aus
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ihren Gedanken, aus ihrem Sehnen verdrängen konnte. Und One-Night-Stands waren nicht ihre Welt. Nein, da blieb sie lieber allein. Langsam glitt sie in eine Traumwelt hinüber. So konnte sie später nicht mehr genau sagen, ob das folgende Erlebnis Traum oder Wirklichkeit war. Es wäre sowieso bedeutungslos gewesen. Ob Traum oder Wirklichkeit, die Warnung war höchst real. Im Halbdunkel der Kabine bildete sich ein geisterhaftes Leuchten. Die Umgebung neben der Liege schimmerte plötzlich in allen Farben des Regenbogens. Die Farben flossen ineinander über und überdeckten sich immer wieder gegenseitig. Und plötzlich trat aus diesem Feld eine große, schemenhaft sichtbare Gestalt, die zunehmend körperlicher wurde. Und plötzlich begann diese Gestalt zu reden. »Hab keine Angst, ich möchte euch vor einer großen Gefahr warnen.« Immer noch im Halbschlaf antwortete Rosan: »Wer, wer bist du?« Die Gestalt begann zu lächeln. »Erkennst du mich nicht, Tochter?« Rosan antwortete etwas schärfer: »Tochter? Mein Vater ist längst tot. Wie kann ich dann deine Tochter sein?« Die nur schemenhaft gegen das regenbogenfarbene Feld erkennbare Gestalt verzog das Gesicht zu einem geheimnisvollen Lächeln. »Ich meinte natürlich nicht eine biologische Abstammung, nein, ich spreche von geistiger Abstammung. Bald, wenn alles gut geht, wirst du verstehen. Aber das spielt im Moment auch keine Rolle. Es wird für euch höchste Zeit!« »Höchste Zeit wofür? Und nochmals, wer bist du?« Bei diesen Worten begann das Regenbogenfeld heller zu leuchten und umgab die Gestalt mit einem warmen Lichtschein. Jetzt konnte Rosan endlich Einzelheiten erkennen. Sie gab einen Laut der Überraschung von sich. »Osiris! Du bist Osiris, der Gott der Unterwelt!« »Endlich hast du mich erkannt, Tochter. Ich bin gekommen, um euch zu warnen. Ihr seit hier nicht mehr sicher. Die dunklen Mächte haben eure Position und werden bald hier sein, um euch zu vernichten.«
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Rosan stieß einen leisen Schrei des Erschreckens aus. »Was ist mit Akaho? Konnte er entkommen?« »Nein, es tut mir unendlich Leid, aber die Schlächter des Quarterium haben ihn und seine Gefährtin nach unsagbaren Qualen in ihr finsteres Reich geholt. MODROR hat sich an den Qualen ihrer Seelen gelabt.« Rosan begann zu weinen. »Warum musste Akaho sterben? Warum hast du und die höheren Mächte das nicht verhindert? Warum sind wir Sterblichen nur dazu da, um auf euren unbegreiflichen Schlachtfeldern wie Vieh abgeschlachtet zu werden?« Der Kemete blickte Rosan nur traurig in die Augen. Dann antwortete er: »Ich kann dich gut verstehen, Tochter. Aber mir waren und sind in dieser Angelegenheit die Hände gebunden. Ich kann und darf nicht zu euren Gunsten eingreifen. Noch nicht. Die Gesetze hinter dem Multi-Universum sind unerbittlich, selbst ich verstehe sie nicht vollständig. Aber Osiris will sich nicht an die Gesetze halten. Die Menschheit bedeutet mir zuviel. Deshalb nehme ich mit dir Kontakt auf! Verlasst diese Welt und kommt nach UDJAT. Auf diesem Datenkristall, der für eure Technik lesbar ist, habe ich die Navigationskoordinaten gespeichert. Flieht nach UDJAT, dort werde ich euch erwarten.« Ein kleines Päckchen schwebte, wie von Geisterhänden getragen, in Rosans Hand. Automatisch griff sie danach. Bevor sie weitere Fragen stellen konnte, begann die Gestalt zu verblassen. Kurz bevor sie endgültig verschwand, hörte sie nochmals die Stimme des Gottes der Unterwelt: »In wenigen Zeiteinheiten wird ein Schiff der Quarterialen erscheinen. Die Wesen an Bord sind voller Zweifel, über ihren zukünftigen Weg. Bestärke ihren Willen, den Weg der Sonne zu gehen. Vergiss alles Misstrauen, denn sie müssen auf den Weg des Lichts geführt werden!« Mit diesen Worten verschwand Osiris und das Regenbogenfeld verblasste. Rosan war wieder allein und dämmerte in einen kurzen Schlaf hinüber. Ihre Hand umklammerte das Päckchen.
27 Das Ende ist zugleich der Anfang
Das schlanke Schiff voll tödlicher Schönheit trieb antriebslos zwischen den Sternen. Ein zufälliger Beobachter wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass hier, von diesem Schiff aus, kosmische Ereignisse ihren Anfang nahmen. Niemand hatte das Schiff und seine Besatzung auf der Rechnung. In der Zentrale des Schiffes hatte eine groß gewachsene, schlanke Terranerin gerade ein Analyseprogramm gestartet, um die abgehörte Kommunikation der C.I.P und der quarterialen Flotte auszuwerten. Schließlich war die Bordpositronik fertig. Die Terranerin studierte kurz das Ergebnis und stieß einen schrillen Pfiff aus. »Großer Meister, unser ganz spezieller Freund scheint endlich Erfolg gehabt zu haben, na auch eine stinkende Ratte findet …« Sie wurde mitten im Satz unterbrochen. Der Terraner, der etwas abseits stand, unterbrach sie in scharfem Ton. »Maya, könntest du dich bitte klar und verständlich ausdrücken. Ich habe jetzt keine Lust auf deine Rätselspiele.« »Aber natürlich, mein Kommandant. Der allmächtigen Ratte Niesewitz ist es gelungen, einen USO-Spezialisten in die blutigen Krallen zu bekommen. Und dieser hat leider gesungen. Kurz gesagt, Niesewitz kennt die Position von Quinto. Unsere Ratte ist tatsächlich so blöd, dass sie die internen Geheimcodes der EinsatzGruppen nicht gewechselt hat, da scheint übrigens ein gewisser Trybwater die kommende große Nummer zu werden. Der soll wohl in deine Quadratlatschen treten. Ich hab mich übrigens gerade in die interne Befehlskommunikation der Flotte eingeschaltet, so wie es aussieht, stellt Despair gerade eine Flotte von etwa zehntausend Supremos zusammen, um der USO den Garaus zu machen. Was gedenkt unser großer Kommandant nun zu tun?« Das Gesicht des Terraners verfinsterte sich und dann sagte er: »Es reicht jetzt. Zum letzten Mal Maya, dies ist ein Kampfschiff, wir sind immer noch Soldaten und ich bitte mir ein Mindestmaß an Disziplin aus. Du magst zurzeit deine zweite Pubertät erleben, aber was zu viel ist, ist zu viel.« Das Gesicht der Terranerin wurde plötzlich ernst.
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»Du weißt nicht, wie recht du hast, Roland. Ich erlebe eine Art zweite Pubertät, nur dass ich die Erste nie gehabt habe. Zum ersten Male in meinem Leben bin ich frei. Frei meine eigenen Entscheidungen zu treffen, frei so zu leben, wie ich es für richtig erachte. Weißt du wie es ist, wenn du nie eine Kindheit gehabt hast? Weißt du, was man fühlt, wenn jeder, seit ich denken kann, versucht, meine Persönlichkeit zu brechen? Weißt du, was es bedeutet, durch die Ausbildungslager des Liga-Dienstes gegangen zu sein? Nein, das alles kannst du nicht wissen, Roland. Und deshalb, komm mir nie wieder mit Disziplin oder Befehlen, nie wieder!« Die letzten Worte hatte sie geradezu hinausgebrüllt. Meyers wurde blass. So hatte er Maya noch nie erlebt. Instinktiv wechselte er das Thema. »Wir müssen Quinto natürlich warnen. Kannst du Corph und deine Gruppe informieren?« Sie blickte ihn einen Augenblick eigentümlich an. Dann meinte sie: »Ist gut Roland, wird gemacht.« Wenig später waren alle in der Zentrale versammelt. Es wurde ziemlich eng. Meyers berichtete, was Maya herausgefunden hatte. »Und nun«, stellte er die entscheidende Frage, »nun müssen wir uns endgültig entscheiden. Wir können versuchen, uns weiterhin zu verstecken oder wir ergreifen jetzt und hier eindeutig Partei. Ich möchte euch in keinster Weise beeinflussen, die Entscheidung, die wir fällen, muss unsere gemeinsame Entscheidung sein.« Und dann fragte er direkt: »Wer ist dafür, dass wir die USO warnen?« Und das Ergebnis war eindeutig. Die gesamte Besatzung sprach sich dafür aus. Wenig später sprang das Schiff in den Hyperraum und rematerialisierte etwa ein Lichtjahr von Quinto entfernt.
Rosan war gerade aufgestanden und auf dem Weg in die Zentrale. Das Päckchen mit dem Datenkristall erinnerte sie daran, dass das Erlebnis in der Nacht kein Traum gewesen sein konnte. Traban Saranos erwartete sie bereits. Mit kurzen Worten berichtete sie ihm von ihrem Erlebnis. Der Akone schüttelte den Kopf und meinte:
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»Götter, Enitäten und was weiß ich noch alles. Warum nur können uns die nicht einfach in Ruhe lassen? Was haben wir mit ihren Kämpfen zu tun? Wir bilden das Schlachtvieh für ihre Intrigen, ob dabei Millionen von intelligenten Wesen ermordet werden, spielt für diese anscheinend keine Rolle. Ich hab das Ganze so satt.« Mit diesen Worten legte er den Speicherkristall in das Lesegerät der zentralen Positronik. Die Daten wurden gelesen und anschließend auf die Positroniken der auf Quinto stationierten Schiffe übertragen. Und plötzlich gellte der Raumalarm. »Unbekanntes Schiff in unmittelbarer Umgebung rematerialisiert. Entfernung ein Lichtjahr, rasch abnehmend. Abfangjäger werden gestartet.« In diesem Augenblick griff Rosan ein. Sie wusste plötzlich, wer da angekommen war. »Abfangjäger bleiben in den Hangern. Bereitschaft bleibt bestehen.« Der Akone war herumgefahren. »Rosan, was soll das. Wir sind entdeckt?« In diesem Augenblick meldete sich der Spezialist, der in der Hyperfunkzentrale Dienst hatte. »Wir bekommen einen chiffrierten Funkspruch des unbekannten Schiffes, können diesen aber nicht entschlüsseln. Alle bekannten Codes versagen.« Rosan war mit wenigen Schritten am Terminal. Blitzschnell huschten ihre Finger über die Konsole. Und plötzlich klärte sich das Bild. Meyers war zu erkennen. Er teilte mit, dass Despair gerade dabei war, eine Flotte zur Vernichtung Quintos zusammenzustellen. Rosan überlegte kurz, dann antwortete sie: »Kommandeur, bitte landen Sie auf Quinto und kommen Sie in die Zentrale. Ich schicke Ihnen einen Leitstrahl.« Trabon Saranos war fassungslos. »Rosan, bist du von allen guten Geistern verlassen? Das sind Mitglieder der C.I.P! Und du …« Weiter kam er nicht. Rosan unterbrach ihn. »Nein, Traban, das waren Mitglieder der C.I.P. Und bitte, tu mir einen Gefallen, vergiss einen Augenblick dein Misstrauen. Osiris hat mir angekündigt, dass sie kommen werden. Es tut mir Leid, dass ich dich nicht darauf vorbereiten konnte, aber die Ereignisse haben
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sich regelrecht überschlagen.« Wenig später betraten Meyers, Maya und der sonderbare Arkonide die Zentrale. Meyers machte auf sie einen legeren Eindruck als auf Lingus, vor allem fiel ihr auf, dass er sein Haar in der Zwischenzeit länger trug. Auch diese Maya wirkte heute weniger aggressiv. Doch ihr Blick blieb immer wieder auf dem Arkoniden haften. Irgendwie weckte er Assoziationen an ihre Jugendzeit auf Arkon. Und plötzlich fiel es ihr wieder ein. Vor ihrem inneren Auge entstand ein Bild aus einem uralten Mythos, den ihr eine alte Dienerin des Hauses Orbanashol immer wieder erzählt hatte, die Geschichte der sagenhaften Tron'athorii Huhany-Zhy, der Hüter des göttlichen Feuers. Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. Des fehlte noch, dass sie anfing, an alte arkonidische Ammenmärchen zu glauben. Nach einer kurzen Begrüßung bat sie ihre Besucher, Platz zu nehmen. Meyers berichtete kurz von seiner Flucht von Lingus und den Informationen über den bevorstehenden Angriff von Despairs Flotte. Rosan bemerkte, dass sie bereits von anderer Seite vor dem bevorstehenden Angriff gewarnt worden wären und mit Hochdruck die Evakuierung Quintos vorbereiten würden. Dann machte sie Meyers den Vorschlag, dass er sie nach UDJAT begleiten solle. Doch Meyers lehnte ab. Er erklärte ihr, dass die gesamte Besatzung der VIPER beschlossen hatte, in Cartwheel zu bleiben und das Quarterium zu bekämpfen. Außerdem wolle er sein Schiff zurückhaben. Rosan versuchte ihm klarzumachen, dass das Selbstmord bedeuten würde, aber er blieb stur bei seiner Entscheidung. Und dann ergriff, zu Rosans Überraschung, diese Maya das Wort. Sie entwickelte einen Plan, um dem Quarterium die Vernichtung der VIPER vorzutäuschen. Fast wider ihren Willen musste Rosan zugeben, dass der Plan eine gewisse Erfolgschance bot. In diesem Augenblick meldete die Raumüberwachung, dass die um Paxus zusammengezogenen Schiffe Despairs Fahrt aufgenommen hätten. Zum Glück hatten sie dort noch einige bisher unentdeckte Robotsonden stationiert, die nun die Schiffsbewegungen meldeten. Dass das gleichzeitig das Ende dieser Sonden bedeutete, war belanglos. Und dann erlebte Rosan noch eine
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Überraschung. Traban Saranos bat um die Erlaubnis, mit Meyers an Bord der VIPER zu gehen und in Cartwheel zu bleiben. Obwohl sie dadurch einen weiteren Freund aus alten Tagen verlor, stimmte sie zu. Die Erfahrung des alten Akonen konnte für Meyers Pläne entscheidest sein. Und so nahm ein Plan seinen Anfang, der später als »Bluff von Quinto« in die Geschichte Cartwheels eingehen sollte. »Hast du alles vorbereitet, Maya?« »Aber natürlich großer Kommandant. Gleich steht die Verbindung zur bluttriefenden Ratte …« »Maya bitte, geht das nicht auch in normalem Ton?« »Entschuldige, aber ich kann nicht anders.« Mit diesen Worten gab sie ihren Platz hinter dem Kommunikationsterminal der VIPER frei und wies einladend auf den Kontursessel. Während dieses Disputes hatte der Akone diese Szene still beobachtet. Er nahm sich vor, bei Gelegenheit einmal in aller Ruhe mit dieser Maya zu reden. Sie glich einem Vulkan, der jederzeit ausbrechen konnte. Irgendwie fühlte er, dass, tief in der Seele der Terranerin vergraben, irgendwelche düsteren Geheimnisse ans Licht drängten. Und das konnte gefährlich für sie alle werden. Meyers hatte sich inzwischen in das Kommunikationsnetz der C.I.P eingeschaltet. Auf dem Bildschirm wurde ein weiblicher Offizier sichtbar, die Meyers mit sichtbarer Überraschung anblickte. »Hier spricht Gruppen-Kommandeur Meyers. Stellen Sie mir sofort eine Verbindung zu Marschall-Kommandeur Niesewitz her.« »Aber Gruppen-Kommandeur, Sie können durch nicht einf …« Meyers unterbrach sie im schneidenden Befehlston. »Wenn ich nicht sofort die Verbindung bekomme, sorge ich persönlich dafür, dass Sie Ihre Karriere auf Objursha beenden. Ich habe keine Zeit um den üblichen Dienstweg einzuhalten.« Man konnte sehen, dass die Offizierin erschrak. Wenig später erschien tatsächlich das Bild von Niesewitz, der völlig konsterniert wirkte. »Kommandeur Meyers, wo sind Sie?«
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»Marschall, ich habe wenig Zeit. Es ist mir gelungen, die Position von Quinto zu ermitteln. Ich überspiele Ihnen die Daten …« »Meyers, sind Sie total übergeschnappt? Sofort abbrechen.« Plötzlich verzerrte sich das Bild. Die Kamera war so positioniert, dass der Panoramaschirm der Zentrale im Hintergrund sichtbar war. Er zeigte einige USO-Schiffe, die das Feuer auf die VIPER eröffneten. In diesem Moment überschlugen sich die Ereignisse. Etwa 4.500 Schiffe der USO starteten von Quinto. Sie nahmen gemeinsam Kurs auf einen vorher festgelegten Raumsektor und beschleunigten mit Höchstwerten. Praktisch im gleichen Augenblick fiel Despairs Flotte von etwa 10.000 SUPREMOs aller Größenklassen aus dem Hyperraum. Die Austrittsvektoren waren so gewählt, dass diese eine Kugelschale um Quinto bildeten. Und dann begann das Inferno. Die überschweren bodengestützten Transformkanonen Quintos schickten Tod und Verderben auf die Reise. Genau im Fluchtvektor der USO-Flotte rematerialisierten die Fusions- und Gravitationsbomben der Transformkanonen und schlugen eine Bresche in Despairs Belagerungsring. Gleichzeitig schickten die Bodenforts ihre Raumtorpedos in das Inferno. In den entfesselten Gewalten vergingen etwa 300 SUPREMOs. Der Weg in die Freiheit war geöffnet. »Marschall, ich versuche …« In diesem Augenblick startete Maya ein vorbereitetes Programm der Bordpositronik. Rings um die VIPER explodierten vorher positionierte Fussionsbomben. Gleichzeitig löste die Positronik eine Nottransition aus, durch die die VIPER um etwa 12 Lichtjahre versetzt wurde. Für Niesewitz entstand der Eindruck, dass die VIPER in der atomaren Hölle der Transformbomben vernichtet wurde. Mit einem Fluch trennte er die nun nutzlose Hyperfunkverbindung. Für ihn war das Problem Meyers erledigt. Der »Bluff von Quinto« war aufgegangen. Zur gleichen Zeit an Bord der EL CID
Despair registrierte die Hiobsbotschaften mit stoischer Ruhe. Er hatte sofort erfasst, dass sein schöner Plan gescheitert war. Mit einem
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Fingerdruck aktivierte er die interne Flottenkommunikation. »Formation aufheben, Einzeljagd freigegeben.« Aber er wusste, dass es zu spät war. Die gewählte Kugelformation erwies sich jetzt als gravierender strategischer Nachteil. Auch ein Raumschiff war den Gravitationsgesetzen unterworfen. Es war leider unmöglich, dass ein Schiff nach dem Hyperraumaustritt ohne weiteres aus seinem Kursvektor gerissen werden konnte. Der ursprüngliche Plan hatte vorgesehen, dass die SUPREMOs in einer Kugelformation um Quinto rematerialisieren und dann mit höchster Beschleunigung auf den Mittelpunkt dieser imaginären Kugel, Quinto, Kurs nehmen sollten. Und nun mussten die Schiffe in einer langen Parabel diesen Kurs verlassen, um praktisch in die entgegengesetzte Richtung zu beschleunigen. Die Naturgesetze wurden zu Verbündeten der USO. Und dann registrierte er, dass ein SUPREMOVerband der pariczanischen Flotte weiterhin Kurs auf Quinto hielt. Fluchend stellte er die Verbindung mit dem Flottenführer her. Auf dem Bildschirm wurde das vierschrötige Gesicht eines Überschweren sichtbar. »Oberst, brechen Sie sofort den Angriffskurs auf Quinto ab. Ich rechne jeden Moment damit, dass der Asteroid mit einer Arkon-Bombe vernichtet wird.« »Es tut mir Leid Quarteriums-Marschall, aber ich habe meine Befehle. Admiral Poleycra hat mit dem Gos’Shekur abgesprochen, dass wir unter allen Umständen Quinto besetzen müssen.« »Dieser Befehl ist hiermit aufgehoben. Brechen Sie Ihren Angriff sofort ab.« »Quarteriums-Marschall, ich kann nicht. Admiral Poleycra hat uns mit standrechtlicher Erschießung gedroht, wenn wir diesen Befehl nicht ausführen.« Mit diesen Worten unterbrach der Überschwere die Verbindung. Inzwischen hatte die USO-Flotte die Eintrittsgeschwindigkeit für den Übergang in den Hyperraum erreicht. Es war nur gelungen, etwa 30 Schiffe, die zu langsam waren, zu zerstören. Despair machte sich keine Illusionen. Das Quarterium hatte seine erste Niederlage erlitten. Und dann kam das Verderben für den pariczanischen Verband.
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Dieser hatten Quinto erreicht und setzte zur Landung an. Genau in diesem Moment explodierten vier Arkonbomben und verwandelten den Astroiden in eine kleine Sonne. In den entfesselten atomaren Gewalten vergingen die pariczanischen Schiffe. Insgesamt hatte Despairs Flotte etwa 700 Einheiten verloren, die bisher höchsten Verluste während einer Raumschlacht.
6. In letzter Minute
Auf Lingus verfolgten Werner Niesewitz und Reynar Trybwater die Ereignisse um Quinto. Niesewitz war beruhigt, dass im allgemeinen Chaos die Vernichtung der VIPER untergegangen war. Meyers war tot und außer der Tochter des Imperatore wusste niemand über seine Rolle bei den Ereignissen Bescheid. Die rasche Flucht der USO-Schiffe von Quinto konnte darüber hinaus auch nicht durch Meyers ausgelöst worden sein. Irgendjemand anderes musste die USO schon vorher gewarnt haben, anders war die erfolgreiche Flucht nicht zu erklären. Wie dem auch sei, die Vernichtung Quintos bedeutete das Ende der USO als Machtfaktor in Cartwheel. Nach der geplanten »Befriedung« Akons und Saggittors würde jede Opposition gegen das Quarterium ausgeschaltet sein und dann konnte er sich endlich auf die ABR und den Aufbau seiner Einsatzgruppen konzentrieren. Doch zuvor gedachte er sich noch eine Geisel zu beschaffen, die später äußerst nützlich sein konnte: Kathy Scolar, die Verlobte Aurecs. Er trat an sein Kommunikationsterminal und aktivierte das geheime Kommunikationssystem. Mit geübten Fingern stellte er eine Verbindung mit Paxus her. Auf dem Bildschirm wurde das Gesicht Stephanies sichtbar. »Was gibt es Niesewitz?« Wieder musste er seine ganze Selbstbeherrschung aufbringen, um dieser hochnasigen Schlampe nicht endlich die Meinung zu sagen. Aber die Zeit war noch nicht gekommen. Noch nicht. Er zwang sich einen unterwürfigen Gesichtsausdruck ab. »Eure Hoheit, ich möchte Sie noch auf ein Problem hinweisen, das unseren Plänen gefährlich werden könnte.«
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»Nun reden Sie nicht um den Brei herum. Was gibt es?« Niesewitz erklärte seine Pläne hinsichtlich Kathy Scolars. Stephanie begann zu grinsen. »Niesewitz, manchmal sind Sie geradezu genial. Ich bin unter einer Bedingung einverstanden, dieser Oberst, ich glaube Trybwater heißt er, wird die Aktion auf Mankind durchführen. Ich erwarte ihn morgen früh in meinen Privaträumen in New Terrania zur Entgegennahme weiterer Instruktionen. Und noch etwas«, hierbei verzog sich ihr Gesicht zu einer Maske purer Drohung, »vergiss nie, was du ohne uns bist, nämlich nichts. Wir haben dich aus der Gosse geholt und können dich jederzeit wieder dorthin zurückschicken. Wage es nicht zu glauben, dass du uns gleichwertig bist. Du bist nichts, absolut nichts!« Mit diesen Worten trennte sie die Verbindung. Niesewitz kochte. Im Stillen schwor er sich, dass er ihr diese Beleidigung hundertfach zurückzahlen würde. Aber er hatte Zeit, seine Rache konnte warten.
Kathy
Scolar verließ das Bad. Sie gehörte, seit sie sich von Drogen und ähnlichen Rauschmitteln verabschiedet hatte, zu den Frühaufstehern. Nach einer ausgiebigen Dusche begab sich in die kleine Einbauküche, um für Nataly und deren Onkel das Frühstück vorzubereiten. Sie liebte diese frühen Morgenstunden, denn sie gaben ihr Gelegenheit, ihre Gedanken zu ordnen. Automatisch schaltete sie das Trivid-Gerät ein, um die Nachrichtenshow zu verfolgen. Während sie die Brötchenmischung in den Backautomaten gab, hörte sie mit halbem Ohr auf die Nachrichtensendung. Plötzlich erregte die Hymne des Quarteriums ihre Aufmerksamkeit. Sie wandte ihre volle Aufmerksamkeit der Sendung zu. Der neue Intendant von Inselnet, Guy Pallance, war zu sehen, der eine wichtige Verlautbarung der Reichsregierung ankündigte. Kurze Zeit wurde das Reichsbanner eingeblendet, bevor nach Paxus umgeschaltet wurde. Auf dem Bildschirm wurde kein geringerer als Imperatore de la Siniestro sichtbar: »Mein geliebtes Volk, in dieser ernsten Stunde habe ich eine wichtige Mitteilung zu machen. Am gestrigen Tag ist es unserer glorreichen Flotte endlich gelungen, das
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Rattennest auszuheben, in dem sich die Verbrecher der USO verkrochen hatten. Dank der Ermittlungsarbeit der C.I.P unter ihrem unermüdlichen Befehlshaber MarschallKommandeur Niesewitz war es uns endlich gelungen, dieses Krebsgeschwür in unserem Volkskörper zu lokalisieren. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass der heldenhafte Kampf unserer Flotte viele Opfer gekostet hat. Die Verbrecher …« Mit einem Schrei der Bestürzung schaltete Kathy das Trivid-Gerät aus. Sie hatte keinen Bedarf, die Propagandalügen des Quarteriums länger anzuhören. Quinto war vernichtet, die USO zerschlagen. Sie musste unbedingt Nataly und Jaaron Jargon wecken, um zu besprechen, was sie tun sollten. Sie weckte beide und erzählte ihnen anschließend von der Zerstörung Quintos. Wenig später saßen sie alle um den Frühstückstisch zusammen und berieten, was sie nun tun konnten. Natalie war der Meinung, dass ihr Onkel die Chronik im Sinne des Quarteriums weiterschreiben solle, dann würde Kreupen sie schon schützen. Dem widersprach Kathy energisch. Sie vertrat die Ansicht, dass sie über kurz oder lang, spätestens wenn Jaaron die Chronik fertig gestellt haben würde, von der C.I.P verhaftet würden. Statt dessen schlug sie vor, dass sie versuchen sollten, nach Saggittor zu fliehen. Die Diskussion zwischen Kathy und Nataly ging hin und her, ohne dass sie sich einigen konnten. Schließlich entschied Jaaron Jargon den Streit, indem er erklärte, dass er für sich und Nataly auf Mankind keine Zukunft mehr sehen würde. Hier würden sie immer erpressbar bleiben, der Willkür des Quarteriums ausgeliefert. New Terrania, Mankind
Oberst-Kommandeur
Trybwater erreichte am frühen Morgen Mankind. Wider aller Vernunft musste er zuerst der Tochter des Imperatore seine Aufwartung machen, bevor er sich um die eigentlich wichtigen Dinge kümmern konnte. Innerlich schüttelte es ihn, als er an die angekündigten »Instruktionen« der Außenministerin des Quarteriums dachte. Doch Niesewitz hatte ihm geradezu befohlen, die abartigen Gelüste der Prinzessin in jeder Hinsicht zu erfüllen. Mit sicherer Hand steuerte er den Gleiter durch den Morgenverkehr von New Terrania. Er benutzte
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ein getarntes C.I.P-Einsatzmodell, dessen Codegeber es ihm ermöglichte, diverse Staus und Sperrungen zu umfliegen. Schließlich erreichte er den etwas abseits gelegenen Wohnkomplex, der für die Elite des Quarteriums vorbehalten war. Elite bedeutete in diesem Zusammenhang Beziehungen, Macht und Geld. Der abgestrahlte C.I.P-Code verschonte ihm vor der obligatorischen Überprüfung durch den Sicherheitsdienst. Er parkte den Gleiter in der abgeschlossenen Parkbucht, die für die Regierungsmitglieder des Quarteriums vorbehalten war. Die Tochter des Imperatore hatte ihm den Code übermittelt, als er sich nach seiner Ankunft bei ihr meldete. Ein separater Expresslift brachte ihn direkt zu ihrer Suite, die sich auf der Spitze eines der Wohntürme befand. Aus dem Studium der alten terranischen Geschichte wusste er, dass man früher diese Wohnlage als Penthouse bezeichnete. Er verließ die Liftkabine und aktivierte den Codegeber, der sich an einem kunstvoll gestalteten Torportal befand. Mit einem leisen Zischen öffnete sich das Portal. Für Trybwater begann der unangenehme Teil seiner »Arbeit«. Zur gleichen Zeit in New Turin
Kathy,
Nataly und Jaaron Jargon hatten alle Vorbereitungen zur Flucht getroffen. Ihr Plan sah vor, dass sie versuchen wollten, die Botschaft der LFT in New Terrania zu erreichen. Militärattaché Henry Portland würde ihnen bestimmt helfen. Es war natürlich aussichtslos, ohne eine gültige Reisegenehmigung New Terrania zu erreichen, aber Kathy hatte einen Plan entwickelt, der nach dem Motto »Frechheit siegt«, Erfolg versprach. Nataly überprüfte in dem uralten Glasspiegel, den ihr Onkel einst als Geschenk Julian Tifflors erhalten hatte, als er diesem ein handsigniertes Exemplar seines Bestsellers »Eines Linguiden ES« überreicht hatte, nochmals ihr Aussehen. Es war leider nicht zu ändern, aber der Spiegel musste, wie alle ihre persönlichen Gegenstände, im Hause ihres Onkels zurückbleiben, um keinen Verdacht zu erregen. Dann machte sie einige Atemübungen, um sich zu beruhigen. Sie wusste, alles kam darauf an, ob es ihr gelang, Kreupen zu täuschen. Es musste ihr einfach eine schauspielerische Meisterleistung
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gelingen. Die Atemübungen hatten inzwischen ihren Zweck erfüllt, ihr Puls hatte sich beruhigt. Mit einigen Schritten ging sie an den Hausinterromanschluss und aktivierte eine Verbindung zur örtlichen C.I.P-Zentrale. Auf dem Bildschirm wurde das Gesicht einer jungen Terranerin sichtbar, deren kalte Gesichtszüge sie gnadenlos musterten. Innerlich lief ihr eine Gänsehaut über den Rücken, sie spürte, wie der feine Körperflaum sich aufstellte, Angst – nur keine Angst anmerken lassen. Sie riss sich zusammen und versuchte einen möglichst hochmütigen Gesichtsausdruck aufzusetzen. »Können Sie mich bitte mit BezirksKommandeur Kreupen verbinden?« Die Terranerin verzog ihr Gesicht zu einer Verachtung ausdrückenden Grimasse und antwortete: »Was kann ein terranisch-linguidischer Bastard von Bezirks-Kommandeur Kreupen schon wollen? Verschwende nicht meine Zeit, sonst werde ich dafür sorgen, dass es euch Pack schlecht ergeht.« Nataly riss sich zusammen. Nur jetzt nicht die Nerven verlieren. »Ich verlange sofort Bezirks-Kommandeur Kreupen zu sprechen. Wenn Sie mich nicht sofort mit ihm verbinden, werde ich mich bei ihm über Ihre Inkompetenz und Unverschämtheit beschweren.« Einen Augenblick verzerrte sich das Gesicht zu einer Maske blanker Wut. »Wenn ich dich in meine Finger be …« Dann verschwand sie. Auf dem Schirm wurde kurze Zeit das C.I.P-Symbol sichtbar. Und dann erschien Kreupen. »Guten Morgen Nataly. Mir wurde gesagt, dass Sie mich sprechen wollen. Was kann ich für Sie tun?«, fragte er zuvorkommend. Nataly schluckte. Jetzt kam es darauf an. »Roland«, es kostete ihre ganze Überwindung, diese persönliche Anrede mit gewissen Schwingungen zu versehen, »mein Onkel ist gerade dabei, Material zu der geplanten Sonderausgabe der Chronik von Cartwheel zu sammeln. Im Zuge der Recherchen stieß er auf Hinweise zu einigen Dokumenten aus der Zeit, als der Imperatore Administrator des Terrablocks war. Diese Dokumente sind nur im Original in der Zentralbibliothek in New Terrania zugänglich.
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Mein Onkel erwartet, dass sich daraus noch weitere interessante Hinweise ergeben, die er gleich vor Ort prüfen will. Ich möchte Sie bitten, meinem Onkel eine Reisegenehmigung nach New Terrania mit einer Rechercheerlaubnis in der Zentralbibliothek auszustellen. Und dann habe ich noch eine persönliche Bitte«, sie schenkte ihm ein kurzes Lächeln, bevor sie weiterfuhr, »könnten Sie nicht auch für mich und Kathy eine Reiseerlaubnis ausstellen, wir langweilen uns so langsam hier, in New Terrania ist bestimmt mehr los, als in der Provinz.« Und dann spielte sie ihren Trumpf aus. »Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie uns begleiten würden. Sie kennen sich inzwischen bestimmt viel besser in der Hauptstadt aus, als wir. Vor allem wissen Sie bestimmt«, und hier zwang sie sich einen koketten Augenaufschlag ab, »wo etwas los ist. Ich habe es einfach satt, hier zu versauern. Und Kathy geht es genauso.« Einen Augenblick schien es, als ob es Kreupen die Sprache verschlagen würde. Doch dann glitt ein breites, selbstgefälliges Lächeln über sein Gesicht. »Endlich kommst Sie zur Vernunft, Nataly. Wir sind die Sieger. Wenn ihr mit uns zusammenarbeitet, wird es euer Schaden nicht sein.« Er grinste wieder überheblich. »Aber leider kann ich euch nicht begleiten, ich habe heute Nachmittag einen wichtigen Termin, den ich nicht aufschieben kann. Ich lasse die Papiere gleich ausstellen und zu Ihnen bringen. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Soweit ich es überblicken kann, habe ich Morgen Zeit und würde mich sehr freuen, Ihnen und Miss Scolar mal das Quarterium von einer anderen Seite zu zeigen.« Mit diesen Worten trennte er die Verbindung. Nataly war wie vor den Kopf geschlagen. Der Kerl war ganz schön überbehblich. Kathy ergriff sie am Arm und zog sie in das Badezimmer. Mit einer Hand verhinderte sie, dass Nataly ihrer Empörung lautstark Ausdruck gab. Schnell ließ sie die Dusche laufen und schaltete die Musikanlage ein. Die mächtigen Bässe eines aktuellen Militärmarsches erfüllten den Raum. Auch im 14. Jahrhundert neuer Zeitrechnung funktionierten die alten Mittel immer noch zuverlässig. Etwas später hatte sich Nataly beruhigt und
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kam gerade rechtzeitig aus dem Bad, um die Reisepapiere entgegenzunehmen. Ihr aus purer Verzweiflung geborener Plan hatte funktioniert.
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Kurierschiffes gehen, das Portland organisiert hatte. Kurz nach Mittag lag Mankind hinter ihnen, der Weg nach Saggittor war offen. Der Weg in die Sicherheit. Auf Saggittor würde sich alles zum Guten wenden.
Nun waren sie auf dem Weg. Kreupen hatte sich nicht lumpen lassen. Zusätzlich zu der Reiserlaubnis hatte er ihnen ein Reiseticket der »Sonderklasse« zukommen lassen. Nataly und Kathy mussten ihre ganze Überredungskunst aufbieten, um zu verhindern, dass Jaaron seiner Empörung über den dekadenten Luxus des neuen Feudalismus, der im Quarterium im Entstehen war, Ausdruck gab. In den Luxusklassen fehlte es an nichts, auch für den Normalbürger war bestens gesorgt. Außerirdische hingegen hatten einen eigenen, abgeschirmten Schutzbereich. Die Aliens sollten nicht geschützt werden – der Rest sollte vor den Außerirdischen geschützt werden. Jaaron missfiel diese Kastentrennung. Den beiden Frauen auch, doch sie waren froh, nun auf dem Weg in die Freiheit zu sein.
Der
Rest war ein Kinderspiel. Kreupens Papiere öffneten ihnen Tür und Tor. Und jetzt wurde auch die Achillesferse des Quarteriums sichtbar: Bürokratie und nochmals Bürokratie. Niemand hinterfragte die Papiere, kleine Beamte überschlugen sich geradezu, den »wichtigen Persönlichkeiten« behilflich zu sein. Es war kaum zu glauben, aber sie konnten ohne weiteres einfach die Botschaft der LFT betreten. Henry Portland brach in schallendes Gelächter aus, als sie ihm von ihrer Flucht erzählten. Nur als die Sprache auf die unglaublichen sozialen Zustände kam, wurde er nachdenklich. Er erklärte, dass sie bisher dieser Entwicklung zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatten. Hier ergab sich vielleicht die Möglichkeit, das Quarterium von innen zu destabilisieren. Aber noch waren die Missstände nicht so offensichtlich, dass es zu Aufständen kam. Noch überdeckten die militärischen Erfolge des Quarteriums die sozialen Spannungen. Auch der Rest ging leichter, als gedacht. Die LFT wurde zwar misstrauisch beobachtet, aber niemand getraute sich, den diplomatischen Status in Frage zu stellen. So konnten sie ungehindert an Bord eines
Wer zu spät kommt …
Reynar Trybwater war fertig, fix und fertig. Es graute ihm vor weiteren »Instruktionen« von der Art der vergangenen Stunden. Endlich konnte er sich um seine eigentliche Aufgabe kümmern. Er steuerte den Gleiter aus der Parkbucht in den klaren Nachmittagshimmel über New Terrania und aktivierte den Autopiloten. Obwohl er normalerweise die manuelle Steuerung bevorzugte, war er heute für die Automatik dankbar. Sie verschaffte ihm die Zeit, die er brauchte, um das Erlebte wenigstens oberflächlich zu verarbeiten. Er lehnte sich in den Kontursessel zurück und zündete sich eine Zigarette an. Genüsslich inhalierte er den Rauch und ließ seinen Blick über die vorbeihuschende Landschaft streifen. Sein Blick blieb auf einem trostlosen Gebäudekomplex haften, der unter dem Gleiter sichtbar wurde. Hier vegetierten die Arbeitssklaven des Quarteriums. Und plötzlich begann er zu zweifeln. Stand er auf der richtigen Seite? Er war in der liberalen Gesellschaft der LFT groß geworden. Freiheit, Demokratie und Menschenwürde waren keine Fremdworte für ihn gewesen. Es gab einmal eine Zeit, da wäre er bereit gewesen, für diese Ideale zu sterben. Doch man hatte seine Methoden nicht gebilligt. Bitter dachte er an den Tag zurück, als man ihm wortlos seine Entlassungspapiere übergeben hatte. Er schüttelte den Kopf. Ideale? Was hatten sie ihm gebracht? Unehrenhafte Entlassung aus dem Ligadienst. In der LFT war er ein Niemand, verachtet und geächtet. Früher hätte er einen Verbrecher wie Niesewitz einfach erschossen. Aber es war vorbei. Die Ideale, die Vision einer starken und gerechten Gesellschaft, waren auf Terra begraben. Er drückte die Zigarette aus. Vorbei, endgültig vorbei. Er hatte die Seite gewählt. Hier, heute und jetzt, begann sein Aufstieg. Es galt allein das Recht des Stärkeren. Und er, und das wusste er genau, er gehörte zu den Starken. Der Gleiter setzte inzwischen über New Turin zur Landung an. Er deaktivierte den
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Autopiloten und steuerte den C.I.P-Landeplatz an. Nachdem er seine Uniform geschlossen hatte, betrat er die Kommandantur und baute sich vor einer muskulösen Terranerin mit kurz geschnittenen Haaren auf, die hinter dem Kommunikationsterminal saß. »Ich bin Oberst-Kommandeur Trybwater, ABR-Sonderbeauftragter für Cartwheel«, bellte er. »Bezirks-Kommandeur Kreupen erwartet mich.« Die Terranerin errötete und starrte ihn bewundernd an. »Bitte folgen Sie mir, Sir! Kommandeur Kreupen erwartet Sie schon.« Mit einer geschmeidigen Bewegung erhob sie sich und ging voran, wobei sie sich vielversprechend in den Hüften wiegte. Wenig später betraten sie Kreupens Büro. Der örtliche C.I.P-Kommandeur hatte sich hinter seinem Schreibtisch erhoben und starrte Trybwater unsicher an. »Was kann ich für Sie tun, OberstKommandeur?« »In ihrem Zuständigkeitsbereich befinden sich drei zweifelhafte Subjekte, die unverzüglich festzunehmen und an das ABRLager Lingus zu überstellen sind.« Kreupen bekam unsicher zu stottern. »Es tut mir Leid, aber das ist nicht leider möglich, wenn Sie den Chronisten und seine Nichte mit ihrer Freundin meinen. Diese befinden sich im Augenblick nicht in New Turin.« »Was heißt, sie befinden sich nicht in New Turin? Reden Sie, Mann!« »Nun das ist so, ich habe …« Trybwater unterbrach das unsichere Gestottere, indem er sich an die abwartend in der Türe stehende Terranerin wandte. »Chief-Agent, können Sie mir eine klare Auskunft geben, was hier gespielt wird?« »Aber natürlich Oberst-Kommandeur. Dieses Pack ist mit persönlicher Genehmigung des Bezirks-Kommandeurs nach New Terrania gereist, noch dazu als ›Sonderklasse‹ eingestuft. Er hat, entgegen meinen Einwänden, sogar auf jede Bewachung verzichtet.« Trybwater fuhr herum. »Kreupen, ich enthebe Sie hiermit wegen ausgewiesener Unfähigkeit Ihres Kommandos. Sie sind mit sofortiger Wirkung zum einfachen Agenten degradiert. Sie haben sich unverzüglich nach
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Lingus in Marsch zu setzen und sich beim dortigen Lager-Kommandeur zur weiteren Verwendung zu melden.« Kreupen fing an zu schwitzen. Er zitterte. Trybwater genoss die Furcht seines Untergebenen. Er war hier der Gott. Kreupen schien sich zusammen zu reissen und rang nach Worten. Trybwater sah ihn ungeduldig an. »Ich habe meine Befehle von der Außenministerin persönlich. Wir wollen den Chronisten für unsere Zwecke gewinnen, um eine gewichtige Propagandawaffe gegen den Feind zu haben. Deshalb genießt er gewisse Privilegien.« »Soso«, sagte Trybwater. »Dann wollen wir um Ihretwillen hoffen, dass die drei wieder zurück kommen. Ansonsten sollten Sie Jargon und seine Brut schnellstens wiederfinden, wenn Sie nicht eine Schreibstelle auf Objursha als zukünftige Tätigkeit bekommen wollen …« Kreupen schluckte. Jegliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Trybwater verließ den Raum und genoss die Macht, die er ausübte. Kreupen hingegen mussste erst einmal einen Schluck Cognac zu sich nehmen. Anschließend entließ er die verräterische Sekräterin und betete bei allem, was ihm heilig war, dass Jaaron und die anderen zurück kehrten.
Epilog 25. Februar 1306 NGZ – Paxus, Oberkommando
Die Angriffspläne waren ausgearbeitet. Despair hatte 100.000 SUPREMO-Schiffe zum Angriff bereitgestellt, die in zwei Flottengruppen aufgeteilt wurden. Die Flottengruppe »Mitte« mit 65.000 Einheiten wird unter dem Kommando von Admiral Terz da Eskor Saggittor angreifen, während die Flottengruppe »Süd« mit 35.000 Schiffen, unter dem Oberbefehl von Admiral Orlando de la Siniestro, Akon attackieren wird. Das Oberkommando bilden gemeinsam Quarterium-Marschall Despair und Gos’Shekur Uwahn Jenmuhs. In einer gemeinsamen Sitzung der
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Quarteriums-Fürsten mit Imperatore Siniestro, seiner Tochter Stephanie und der Admiralität der Flotte wurde als Angriffstermin der 1. März 1306 NGZ festgelegt. Vorher hatte der Imperatore nochmals durch ein Ultimatum versucht, Saggittor und Akon zur Aufgabe zu bewegen. Doch seine Aufforderung zur Kapitulation war bis zum 25. Februar
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unbeantwortet geblieben. So erteilte auch er seine Zustimmung zu den Angriffsplänen.
E N D E Der Entschluss Saggittor und Akon anzugreifen, ist gefasst. Die letzten freien Völker Cartwheels gehen schweren Zeiten entgegen. Jens Hirseland schildert in Band 131
Die Saggittor-Offensive den weiteren Verlauf der Ereignisse.
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Kampf der USO
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Dorgon-Kommentar Das Quarterium scheint unbesiegbar. Die USO ist aus Cartwheel vertrieben und nun wird eine Offensive nach Saggittor und Akon geplant. Das Quarterium steht vor dem endgültigen Sieg in Cartwheel. Doch es gibt auch gute Nachrichten. Die Agenten der USO konnten relativ unbeschadet fliehen. Osiris hat sich zu Wort gemeldet. Die Kemeten sind immer noch aktiv. Der Gott der Unterwelt aus dem alten Ägypten hat die USO Agenten in Sicherheit gebracht. Offenbar liegt Osiris viel an der Menschheit, weshalb er nun doch wieder für sie eingreift. Liegt das aber im Interessenbereich der hohen Mächte? Was wird der Kosmokrat Amun sagen? Die blutjunge Superintelligenz KEMET mischt sich gleich in die Belange eines Volkes ein. Was auch interessant ist: Nicht KEMET hat zu Rosan OrbanasholNordment gesprochen, sondern Osiris. Offenbar gibt es nach der Vergeistigung des gesamten Volkes immer noch Individualität innerhalb der Superintelligenz KEMET. Unsere drei Gefährten Jaaron Jargon, Kathy Scolar und Nataly Andrews sind nun nach Saggittor gereist. Vom Regen in die Traufe wie es aussieht. Gerade noch wähnten sie sich in Sicherheit und nun steht die Invasion kurz bevor. Man darf auch gespannt sein, wie es mit Roland
Meyers und seinem Team der Verstoßenen weitergeht. Immerhin hat eine Handvoll seiner martialischen Truppe dem Quarterium den Kampf angesagt. Meyers hat seinen Tod vorgetäuscht, um nun geheim operieren zu können. Doch was hat er vor? Hat er überhaupt eine Chance gegen das Quarterium etwas auszurichten? Zum Schluss möchte ich noch die Rolle des Werner Niesewitz genauer beleuchten. Der Mann gewinnt langsam an Format seitdem er die C.I.P leitet. Niesewitz zeigt, dass er intelligent und verschlagen ist, durchaus in der Lage ernsthaft die Geheimpolizei des Quarterium zu leiten. Er baut seine eigene Truppe auf, seinen inneren Kreis, und träumt offenbar davon, einmal selbst das Quarterium zu beherrschen. Wahrscheinlich genauso wie es Leticron, Jenmuhs oder gar Stephanie de la Siniestro tun. Es stellt sich hier mir die Frage, ob dieser Verbrecherhaufen wirklich die von MODROR gesteckten Ziele erreichen kann oder die Wölfe sich irgendwann selbst anfangen zu zerfleischen. Wir werden sehen …
Dorgon-Glossar Akaho da Purok
Arkonide Alter ca. 60 Jahre Der Arkonide ist der Spitzenagent der USO in Cartwheel. Da Purok war ursprünglich Mitglied der IPRASA und trat nach Gründung der Neuen USO dieser bei. Da Purok wurde von Monkey persönlich nach CARTWHEEL entsandt, um Jenmuhs und den arkonidischen Block zu überwachen. Rosan Orbanashol-Nordment
Geboren: 19.10.1264 NGZ Vater Terraner, Mutter Arkonidin Die kosmischen Ereignisse um DORGON und MODROR sind untrennbar mit der charismatischen Halbarkonidin verknüpft. Bei den Ereignissen um die Luxusraumer LONDON und LONDON II findet sie in Wyll Nordment die Liebe ihres Lebens. Nach vielen Wirrungen heiratet sie diesen und will eine Familie gründen. Bei den Ereignissen um die LONDON II traf sie zum ersten Mal mit den Zwillingsbrüdern Hajun und Uwahn Jenmuhs zusammen, eine
Begegnung, aus der sich eine Todfeindschaft entwickeln sollte. Nach einer Vergewaltigung durch Hajun tötete sie diesen. Uwahn Jenmuhs ganzes Streben war nun davon geprägt, den Tod seines Bruders zu rächen. Rosan und Wyll reisen nach Cartwheel, um die Hintermänner eines Mordanschlages gegen sie zu entlarven. Dabei wird Wyll Nordment von Cauthon Despair getötet, da dieser Beweise für unmenschliche Verbrechen Uwahn Jenmuhs erhalten hat. Aus ihrer Trauer um die verlorene Liebe wird Rosan Mitglied der USO in Cartwheel und Stellvertreterin Jan Scorbits. Seit der Abwesenheit von Jan Scorbit und Sam Tyler führt sie die USO. Reynar Trybwater
Terraner Geboren: 22.04.1259 NGZ in Great-Liverpool, Terra Trybwater wuchs als Kind armer Eltern auf, die ihm jedoch eine gute Schulbildung ermöglichten. Seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten prädestinieren ihn zu einer raschen Karriere innerhalb der LFT. Politisch entwickelt Trybwater
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immer radikalere Ansichten, die auf die Verstaatlichung der Wirtschaft und eine Wohlfahrtsdiktatur zielen. Er ist inzwischen Mitglied des Liga-Dienstes und beginnt zunehmend Anhänger um sich zu scharen. Ein von ihm mit äußerster Brutalität niedergeschlagener Aufstand auf einem ehemaligen Kolonialplaneten, der Kontakte zum Kristallimperium aufnehmen wollte, wird von Paola Daschmagan zum Anlass genommen, Trybwater aller Ämter zu entheben
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und zur »Persona non crata« zu erklären. Völlig verbittert und enttäuscht folgt Trybwater DORGONs Ruf nach Cartwheel und tritt in die C.I.P ein, wo er rasch Karriere macht.