LLOYD B I G G L E
Invasion der Supermenschen THE ANGRY ESPERS
Utopisch -technischer Abenteuerroman
WILHELM GOLDMANN ...
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LLOYD B I G G L E
Invasion der Supermenschen THE ANGRY ESPERS
Utopisch -technischer Abenteuerroman
WILHELM GOLDMANN VERLAG MÜNCHEN
Made m Germany • II • 11122 ©1961BYLLOYDBIGGLE. AUSDEMENGLISCHENÜBERTRAGENVON TONYWESTERMAYR. UNGEKÜRZTEAUSGABE.ALLERECHTE, AUCHDIEDER FOTOMECHANISCHENWIEDERGABE, VORBEHALTEN. JEDERNACHDRUCKBEDARFDER GENEHMIGUNGDES VERLAGES. UMSCHLAG: F, JÜRGENROGNER. GESETZTAUSDER- LINOTYPE-GARAMOND-ANTIQUA,DRUCK: PRESSE-DRUCKAUGSBURG. SF 0109 • ZE/HUISBN3-442-23109-4
ERSTER TEIL
Er ruhte schwerelos in einer herrlichen Leere völliger Empfindungslosigkeit, und sein langsam wiederkehrendes Bewußtsein entpuppte sich als rücksichtsloser Störenfried. Er leistete Widerstand und wies die ankräuselnden, dünnen Gedankenfetzen ab, bis sein Gehirn kühn eine Frage stellte: Wo bin ich? Sein Verstand antwortete: In einem Krankenhaus. Er hatte beim Absturz genug von dem Planeten gesehen, um zu wissen, daß er eine hochentwickelte Zivilisation beherbergte. Die medizinische Wissenschaft mußte in hoher Blüte stehen, und sie ließ all ihre Künste bei ihm spielen. Im anderen Fall wäre sein Erwachen ein peinigendes Inferno gewesen, statt dieser wunderbaren Abwesenheit jeglicher Empfindung. Oder es hätte vielleicht gar kein Erwachen gegeben. Für diese Möglichkeit hatte alles gesprochen, als er festen Boden auf sich zurasen sah. Er öffnete die Augen. Der Raum schimmerte in milchig-blauem Licht. Blaßblaue Kittel beugten sich über ihn. Zwei Männer mit feierlichen Gesichtern betrachteten Ihn ernsthaft, in der geheimnisvollen Art aller Ärzte. Eine Aura des Mitgefühls, der Macht zu heilen, umgab sie. Er lag da mit bewegungsunfähigen Gliedern und sah zu ihnen auf. Sein Denken floß träge dahin, gelöst von seinem regungslosen Körper. Ich muß mich ganz schön zugerichtet haben, dachte er. Plötzlich zeichnete Erregung die Gesichter über ihm. Die Veränderung war so drastisch, so überraschend, daß ihn Panik überfiel. Verzweifelt versuchte er, einen Arm zu heben oder den Kopf zu bewegen. Er wußte, daß sie seine Sprache nicht verstehen konnten, aber in seiner Verzweiflung begann er zu sprechen. »Ich heiße Paul Corban. Ich bin Offizier in der WeltraumMarine der Galaktischen Föderation. Mein Stützpunkt -«
Sie waren verschwunden. Zwischen ihrer Gegenwart und der entmutigenden Leere der schimmernd blauen Decke, die sich über ihm wölbte, lag nicht mehr als ein Wimpernschlag. Er schrie gellend auf. Als Antwort kam nichts. Nicht einmal ein dumpfes Echo, das ihn verspottet hätte. Er schrie wieder, während sein Verstand mit dem Entsetzen des völligen Allein- und Verlassenseins rang. Niemand erschien, und nach einiger Zeit beruhigte er sich und schlief wieder ein. Das Fehlen jeder Empfindung bot kein Vergnügen mehr, und sein Schlaf wurde heimgesucht von den Blicken, die ihm die beiden Ärzte beim Abschied zugeworfen hatten Ausdruck unaussprechlichen, unbarmherzigen Abscheus. Als er erwachte, schwebte ein neues Gesicht über ihm. Es gehörte einer Frau jung, nicht unattraktiv, wenn man von ihrer Frisur absah, kahlgeschoren um die Ohren, das Haar über dem Kopf aufgetürmt, so daß ihr Gesicht ein traurig verlängertes Aussehen bekam. Ihr Kittel war dunkelblau. Sie schob ihm einen Saughalm in den Mund. Er führte zu einem Gegenstand, den sie außerhalb seines Sehbereichs hielt. Er hatte Hunger und trank gierig die dicke, gewürzte Suppe. Die Haltung der Frau gab ihm Rätsel auf. Er lag hilflos auf dem Rücken, vermochte nur über Augen und Lippen zu verfügen. Er konnte kaum eine bedrohliche Erscheinung darstellen. Aber ihr Gesicht verriet Besorgnis, Mißtrauen, beinahe Angst. Und Abscheu. Unverwechselbar Abscheu. Es war, als sei sie dazu verurteilt worden, für ein gräßliches Reptil unbekannten Ursprungs zu sorgen. Er sprach mit dem Saughalm im Mund. »Warum hassen Sie mich?« Sie zuckte zusammen, und die schmale Linie ihrer zusammengepreßten Lippen unterstrich ihr Schweigen. Er beobachtete sie, während er die Suppe trank. War ihr Gesicht plötzlich blaß geworden, als er sie angesprochen hatte, oder täuschte er sich? Sie konnte ihn nicht verstehen. Sie war fremdartig für
ihn, fremdartiger vielleicht, als er sich vorstellen konnte, und es war vermutlich dumm von ihm, die Empfindungen eines fremden Lebewesens am Mienenspiel ablesen zu wollen. Er schlürfte den Rest der Suppe und gab den Saughalm frei. Die Frau verschwand. Sie entfernte sich nicht; sie bewegte sich überhaupt nicht. Im selben Augenblick beugte sich ihr Gesicht über ihn und beugte sich nicht über ihn. Er starrte blinzelnd an die Decke. »Vielleicht bin ich im Delirium«, sagte er. »Vielleicht sind sie im Delirium. Oder vielleicht machen sie das mit Spiegeln.« Er schlief und wurde wach. Man kümmerte sich um die Bedürfnisse seines Körpers. Geduldig unterwarf er sich der Untersuchung durch eine Vielzahl von Gestalten in unterschiedlichem Blau, die plötzlich über ihm auftauchten und ebenso plötzlich wieder verschwanden. Während der wachen Augenblicke hing er Tagträumen nach. Kurz vor seinem Abflug war ein aus Zivilisten bestehender Untersuchungsausschuß im Stützpunkt Qualo eingetroffen, um eine Häufung von Unfällen beim >11 C11 C< aus dem Dienst gezogen wurde, hatte er wenigstens etwas erreicht. Kein Kurierpilot hing an seinem Job. Es machte nicht viel Spaß, allein im Weltraum unterwegs zu sein, auch wenn die Vorgesetzten große Lobgesänge über die ausgezeichnete Ausbildung und Erfahrung anstimmten. Aber was der Untersuchungsausschuß auch vorschlagen würde, Paul Corban konnte damit nicht mehr geholfen werden. Er war zu schnell abgestürzt, um Anzeichen für Raumfahrt erkennen zu können. Vielleicht wurde sie von dieser unbekannten Zivilisation betrieben, vielleicht auch nicht. Wenn nicht, dann saß er hier fest. Man wußte, daß fremde Zivilisationen davor zurückscheuten, sich mit potentiellen Gegnern in Verbindung zu setzen, und zwar auch im Rahmen einer Rettungsaktion. Er fragte sich, wie seine Familie die Nachricht aufnehmen würde. Seine Eltern würden zuversichtlich darauf warten, daß er wieder auftauchte irgendwo, irgendwann. Sein Bruder Bill, der gegen alle Grundsätze der Vernunft verstoßen hatte und zum Heer gegangen war, würde überall seinen längst überholten Unsinn verzapfen, daß man wenigstens mit einem Bein auf dem Boden bleiben solle als könnte das Heer jemals etwas erreichen, wenn es am Boden blieb! Was seine Schwester Sue anging, die inzwischen das Datum für ihre Hochzeit festgelegt haben würde, so hoffte er, daß die Nachricht von seinem Verschwinden erst danach eintreffen würde. Sues Hochzeit sollte durch nichts getrübt werden. Er belustigte sich eine Weile damit, sich die kleine Sue in einem Hochzeitskleid vorzustellen, dann schlief er wieder ein. Langsam kehrten die Empfindungen zurück. Er vermochte einen Kopf zu bewegen und zu erkennen, daß er dick eingebunden war. Eine Seite seines Gesichts war bandagiert. Stufenweise stellte sich Gefühl in seinem rechten Arm ein. Er
begann seine Beine zu spüren, schwer und kaum beweglich. Die beiden Ärzte, die in regelmäßigen Abständen vor ihm auftauchten, untersuchten ihn weiterhin mit großer Gründlichkeit, aber er spürte sogar in der geschickten Sicherheit ihrer Bewegungen ein Widerstreben, ein Zögern. Er beobachtete sie und begriff, daß es sie Überwindung kostete, ihn zu berühren. Sie sprachen kein Wort, weder zu ihm noch untereinander, und sie verschwanden stets gleichzeitig. Sobald er den Kopf bewegen konnte, richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Zimmer, in dem er lag. Es gab wenig zu sehen. Es war mehr eine Kammer als ein Zimmer, klein, sechseckig, ohne Türen und Fenster. Eine Ecke war abgeteilt, und durch eine halbgeöffnete Schiebetür konnte man seltsame Gegenstände erkennen. Seltsam, aber unverwechselbar. Es war ein Badezimmer. Knapp unter der hohen Decke erstreckte sich ein Gitter durch den ganzen Raum. Es schien die Quelle für das Licht und auch für die Ventilation oder Wärme zu sein. Statt flüssiger bekam er bald feste Nahrung. Die weibliche Pflegerin fütterte ihn vorsichtig und tapfer, ohne einen Laut von sich zu geben. Keiner seiner Besucher gab einen Laut von sich, und das Schweigen begann ihn zu quälen. Er verlor den Sinn für die Zeit. Zwischen Tag und Nacht konnte er nicht mehr unterscheiden, selbst wenn es auf diesem Planeten Tag und Nacht gab, weil der trübe Schimmer des blauen Lichts im Zimmer stets gleich blieb. Es kam der triumphale Augenblick, als er sich erstmals aufsetzen konnte, aber das erhebende Gefühl verlor sich rasch im Staunen, das ihm sein Bett abnötigte. Als er sich hochschob, richtete sich das Bett hinter ihm auf, um sich seiner neuen Lage anzupassen. Das wirkte zunächst nur erfinderisch, bis er hinunterschaute und dahinterkam, daß sein von Verbänden umwickelter Körper auf gar nichts ruhte. Am Boden unter ihm befand sich ein kastenähnliches Objekt, zwei Meter lang, einen Meter breit, vielleicht zehn Zentimeter dick. Darüber nichts! Trotzdem ruhte er bequem
einen Meter über dem Boden. Er probierte das Bett mit den Händen, mit dem Körper aus. Es paßte sich seinen Konturen, seinen Bewegungen an, von fester Weichheit, völlig nachgiebig, ohne nachzugeben. Das einzige andere Möbelstück im Zimmer war ein kleiner Tisch. Eine hochentwickelte Zivilisation, dachte er. Großartige mechanische Geräte, die ideale Raumausnutzung erlaubten, weil so irdische Dinge wie Licht und Belüftung keine Bedeutung mehr hatten. Es gab eine hochstehende Medizin. Das blaue Licht tötete vermutlich Bakterien ab. Der Schmerz war gebannt. Und wenn ich jetzt noch wüßte, dachte er, wie sie ins Zimmer herein- und wieder hinauskommen ... Die beiden Ärzte standen neben dem Bett, als er sich umdrehte. Sie waren inzwischen vertraute Erscheinungen geworden - ihre Gesichter, ihre Haltung, sogar ihre Stimmungen, fand er, obgleich er nie genau wußte, was ihre Stimmung anzeigen mochte. Ein Arzt war hochgewachsen, mit langem, schmalem Gesicht, das seinen trauernden Ausdruck nie verlor. Der andere war kleiner und hatte ein rundes Gesicht, das gewöhnlich ausdruckslos blieb. Gehorsam legte er sich zurück, und das Bett folgte seiner Bewegung. Sie beugten sich über ihn und begannen, die Verbände von seiner Brust zu entfernen. Wie immer schienen sie sich von den Pflichten, die ihre Hände zu erfüllen hatten, fernzuhalten, und auf ihren Gesichtern spiegelte sich Ekel. Der letzte Verband löste sich. Sie untersuchten seinen Brustkorb, und während er sie noch beobachtete, verschwanden sie. Er richtete sich auf und starrte lange Zeit sitzend die Stelle an, wo sie gestanden hatten. Wenn sie nur etwas sagen würden, dachte er, dann wäre alles nicht so schlimm. Vielleicht könnte ich ein paar Brocken ihrer Sprache lernen und endlich erfahren, was eigentlich gespielt wird was ich an mir habe, das sie so verabscheuen. Es würde mir nicht einmal etwas ausmachen, wenn sie nicht mit mir sprächen, solange sie sich ab und zu miteinander unterhielten. Wenn er in dieser Gesellschaft bleiben mußte, würde er ein
Ausgestoßener sein. So viel schien festzustehen. Und der Grund dafür mochte ihm für immer verborgen bleiben. Als die Ärzte wiederkamen, schlief er. Sie weckten ihn, und er setzte sich hastig auf. Die Kraft kehrte pulsierend in seinen Körper zurück, und er wartete ungeduldig auf den Augenblick, sein Bett verlassen zu können. Er hätte sie gerne gefragt, wie lange es dauern würde, bis er seine Beine wieder gebrauchen konnte. Sie entfernten einen Verband von seinem Kopf, und plötzlich stand ein dritter Mann neben ihnen, ein jungenhaft aussehender Arzt, der eine Maschine bei sich hatte. Das Gerät war schmal, von Mannesgröße, und blendete mit einer Vielzahl von farbigen Skalen, Knöpfen und unerforschlichen Vorrichtungen. Der junge Arzt rollte die Maschine ans Bett und stülpte ein schimmerndes, helmartiges Gebilde über Corbans Kopf. Er spannte erschrocken die Muskeln an, zwang sich aber sofort zur Ruhe. Sie hatten ihm das Leben gerettet. Was immer sie von ihm denken mochten, sie hatten ihn mit Hingabe gepflegt. Er hatte keinen Anlaß zum Argwohn. Die Maschine summte und setzte sich glitzernd in Tätigkeit. Die älteren Ärzte zogen sich in eine Ecke des Zimmers zurück. Die Finger des jungen Arztes spielten geschickt mit den Knöpfen und Skalen. Schmerz vibrierte in Corbans Schädel, steigerte sich zu hämmernder Qual und schleuderte ihn explodierend in Bewußtlosigkeit. Als er die Augen aufschlug, war die Maschine verschwunden. Die Ärzte waren noch da und warteten, als sei nichts Besonderes geschehen. Der junge Arzt legte zwei schwarzweiß gestreifte Kugeln neben ihm auf das Bett. Sie sahen aus wie kleine Ballons. Corban berührte einen davon und stellte fest, daß es tatsächlich Luftballons waren. Der Gesichtsausdruck des jungen Arztes beschäftigte Corban. Er war eifrig, beinahe kindlich erwartungsvoll. Er zog die Brauen zusammen, als Corban ihn anstarrte, und verschob die beiden Ballons. Corban begriff und beobachtete die Bal-
lons. Einer von ihnen schwebte langsam in die Höhe. Er verharrte vor Corbans Gesicht. Verwirrt hob er die Hand und ließ sie darübergleiten. Der Ballon schwebte weiterhin vor ihm und sank schließlich langsam auf das Bett zurück. Die Ärzte beobachteten Corban. Er sah sie an, betrachtete die Ballons und zuckte die Achseln. Er sagte nichts. Daß der Klang seiner Stimme sie irritierte, wußte er längst. Ein Ballon stieg wieder empor, schwebte langsam hinauf, bis an die Decke. Als er nach unten schwebte, stieg der zweite Ballon empor. Beide kamen vor Corbans Gesicht zum Stehen. Impulsiv streckte er die Hand aus und stieß einen der Ballons an. Zu seiner Verblüffung ließ er sich nicht bewegen. Er schien in der Luft fest verankert zu sein. Er zog die Hand zurück und wartete. Ein Ballon glitt langsam auf das Bett hinunter. Der andere schwebte zur Decke hinauf. Auf und ab. Sie kreisten durch das Zimmer und kehrten zum Bett zurück. Corban streckte die Hand aus und schlug nach einem Ballon. Er erhob sich in die Luft, schwebte davon und sank langsam herunter. Er hüpfte auf dem Boden auf. Die Ärzte waren vorgetreten. Ganz offensichtlich wünschten sie, daß er etwas machte, aber sie konnten ihm nicht sagen, was es war. Zu zeigen vermochten sie es ihm offenbar auch nicht. Er sank auf sein Bett zurück, starrte an die Decke und fragte sich, was das Ganze zu bedeuten hatte. Als er wieder aufsah, stand der junge Arzt mit der Maschine neben ihm. Corban schob den Helm von sich. Er war bereit, notfalls zur Gewalt zu greifen, um diese Miniatur-Folterkammer von seinem Kopf fernzuhalten. Der junge Arzt versuchte es noch einmal, trat aber dann zurück. Er streckte eine Hand aus, vor Corbans Augen blitzte Licht auf, und er verlor das Bewußtsein. Er erwachte mit hämmernden Kopfschmerzen. Die Maschine war verschwunden. Die Ballons lagen neben ihm auf dem Bett, und die Ärzte warteten. Die unsinnige Prozedur wurde noch dreimal wiederholt. Die Ballons vollführten phantastische Manöver. Corban beobachtete
sie verwirrt, und die Ärzte warteten aufmerksam. Dann holten sie die Maschine wieder. Schließlich ließen sie ihn allein. Er lag lange wach und überlegte, wie bald er entfliehen konnte, und wie er es anstellen sollte. Er wußte, daß sie wiederkommen würden die Ärzte, die Ballons und die Maschine und der Gedanke erschreckte ihn. Als sie wiederkamen, entfernten sie die letzten Verbände. Er betrachtete seinen nackten Körper von oben bis unten, suchte nach Anzeichen für eine Beschädigung, nach Narben, und fand sich wie durch ein Wunder völlig unversehrt. Freudig bewegte er die Beine. Wenn man bedachte, was er durchgemacht hatte, erschien seine körperliche Verfassung ausgezeichnet. Während die Ärzte zusahen, stand er zögernd auf und tat den ersten, stockenden Schritt. Er bezweifelte nicht, daß sie ein Wunder der Heilung an ihm vollbracht hatten. Wenige Menschen überstanden einen Absturz, wie er ihn erlebt hatte. Sein Körper mußte völlig zerschmettert gewesen sein. Er spürte Schuldbewußtsein, weil er sich gewehrt hatte, nachdem sie so lange und so mühsam daran gearbeitet hatten, seine Gesundheit wiederherzustellen. Dann brachten sie die Maschine und die Ballons. Als sie ihn endlich allein ließen, stieg er von seinem Bett und begann das Zimmer abzugehen. Er suchte die Wände nach einer Schiebetür ähnlich jener ab, die zu seinem Badezimmer führte. Er fand nichts als eine glatte, metallische Oberfläche. Das Gitter an der Decke befand sich außerhalb seiner Reichweite, selbst wenn es eine Fluchtmöglichkeit bieten sollte. Er würde warten müssen; aber während er wartete, mußte er zu Kräften kommen. Er begann an den Wänden entlang durch das Zimmer zu traben. Seine ungenutzten Muskeln protestierten schnell, aber es befriedigte ihn, wenigstens einen Anfang gemacht zu haben. Er besaß keine Kleidung und scheute sich vor dem Auftauchen einer weiblichen Pflegerin. Es hatte ihn nicht gestört, betrachtet zu werden, solange er bandagiert und hilflos war,
aber nun, da er wieder für sich selbst sorgen konnte, kam er sich unnötig entblößt vor. Je näher die Essenszeit rückte, desto nervöser wurde er, aber niemand trat in Erscheinung. Statt dessen tauchte plötzlich auf dem Tisch ein Tablett auf. Er aß und stellte das Tablett wieder auf den Tisch. Es verschwand. Sein nächster Besucher war der junge Arzt. Er brachte zwei glänzende Scheiben mit, die er an gegenüberliegenden Wänden des Zimmers auf den Boden legte. Sie hatten einen Durchmesser von einem ganzen Meter und waren etwa acht bis zehn Zentimeter dick. Als der Arzt sah, daß Corbans Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet war, trat er auf eine der Scheiben. Corban sah mit offenem Mund zu, als der Arzt langsam in die Höhe schwebte. Er legte die Hand an die Wand, stieß sich ab und sank wieder herunter. Mit Gesten lud er Corban ein, es auch zu versuchen. Corban zuckte die Achseln und trat auf die Scheibe. Schlagartig verspürte er eine sonderbare Gewichtslosigkeit. Der Boden sank langsam unter ihm davon. Er stieß sich ab und schwebte wieder hinunter. Der Arzt strahlte zufrieden. Seit er zum erstenmal wieder zu sich gekommen war, schien das die erste Reaktion zu sein, die einem Lächeln nahekam, dachte Corban. Unter der eifrigen Überwachung des Arztes wiederholte er das Experiment. Beim dritten Versuch ließ er sich kühn bis zur Decke hinauftragen. Als er neugierig das Gitter anstarrte, hastete der Arzt heran und stellte am Rand der Scheibe etwas ein. Corban schwebte langsam herunter. Wenigstens war der Versuch nicht umsonst gewesen. Er wußte jetzt, daß es oben keinen Fluchtweg gab. »Hübscher Trick, Freund«, sagte Corban. »Aber sind wir nicht schon ein bißchen zu alt für so etwas?« Der Arzt machte ein finsteres Gesicht. Stirnrunzelnd trat er auf die Scheibe, schwebte aufwärts und verschwand. Corban riß die Augen auf, fuhr herum und sah ihn langsam auf der zweiten Scheibe herabsinken. Der Arzt wiederholte das Manöver zweimal. Scheibe Nummer eins, eine kurze Fahrt aufwärts, ver-
schwunden. Auf rätselhafte Weise über die Scheibe zwei auftauchen, herabsinken. Mit ihrer Wissenschaft können sie sich sehen lassen, dachte Corban. Jetzt verstehe ich, wie sie verschwinden. Vermutlich tragen sie in ihren merkwürdigen Sandalen ein atomares Antriebsgerät. In diesem Augenblick entwarf er einen Fluchtplan. Wenn ihm der Arzt das Umsteigen von einer Scheibe auf die andere beibrachte, vermochte er sich vielleicht in einem günstigen Augenblick außerhalb des Krankenhauses zu versetzen. Zu verlieren hatte er ja nichts, wenn er es versuchte. Der Arzt deutete auf die erste Scheibe. Corban wies auf seine Füße. Der Arzt begriff schließlich und zog widerwillig seine Sandalen aus. Corban zog sie an und trat erwartungsvoll auf die Scheibe. Er hielt den Atem an und wartete darauf, durch das Zimmer versetzt zu werden. Nichts geschah, außer daß er aufwärts schwebte und mit dem Kopf sanft an der Decke anstieß. Der Arzt holte ihn auf den Boden herunter und bewegte die zweite Scheibe näher zur ersten. Corban versuchte es noch einmal. Er schwebte hinauf, und als sich nichts tat, legte er die Hand an die Wand und stieß sich ab. Er hatte die Entfernung genau abgeschätzt. Sein Abstoß trug ihn über die zweite Scheibe, wodurch er sanft zu Boden sank. Der Arzt schien verwirrt zu sein. Während Corban wartete, stand er einige Minuten gedankenverloren da, ließ sich schließlich die Sandalen zurückgeben, ergriff die Scheiben und verschwand. Corban setzte seine Übungen fort. Er trieb anstrengende Gymnastik und zermarterte sich das Gehirn nach muskelkräftigenden Methoden. Es machte ihm großen Spaß, auf sein seltsames, nicht vorhandenes Bett zu hechten, das selbst die verwegensten Sprünge nicht übelnahm. Seine Kräfte kehrten rasch zurück. Der junge Arzt besuchte ihn weiterhin in regelmäßigen Abständen. Er brachte seine Ballons, die Scheiben oder irgend etwas anderes Idiotisches mit. Es gab ein kleines Spiel, das sich
von selbst zu spielen schien, mit Figuren, die sich nach einem verwickelten Schema verschoben. Als Corban nach dem Spielbrett griff, blieben die Figuren bewegungslos. Es gab eine Anordnung von Stufen, und der Arzt bewegte sich von einer zur anderen mit blendender Technik, die darin zu bestehen schien, daß man auf einer Stufe verschwand und im selben Augenblick auf der nächsten auftauchte. Als Corban an die Reihe kam, ging er lässig hinauf und hinab. Der Arzt war offensichtlich enttäuscht. Schließlich begann sich Corban über den Arzt und sein Spielzeug zu ärgern. Er fühlte sich körperlich fit, seine Gesundheit war wiederhergestellt, und der fortgesetzte Aufenthalt im Krankenhaus nur zu dem Zweck, die Spielereien eines jugendlichen Arztes mitzumachen, kam ihm sinnlos vor. Er beschloß, den Sitzungen ein Ende zu machen, indem er sie ins Lächerliche zog. Nach einer Weile hatte er Erfolg damit. Der Arzt spielte mit seinen Scheiben, war eben von einer auf die andere umgestiegen und schwebte selbstzufrieden auf den Boden herunter. Corban sagte laut: »Nicht übel, Freundchen, aber ich kann auch ein paar Tricks. Paß auf.« Er machte einen Kopfstand. Er schlug Rad. Er ging ein Stück auf den Händen spazieren. Er sprang elegant auf das Bett, schlug einen Purzelbaum und landete mit höflicher Verbeugung vor dem Arzt. Der Arzt sammelte seine Ausrüstung ein und verschwand. Corban sah ihn nie wieder. Für einen Zeitraum, der ihm endlos vorkam, ließ man ihn völlig allein. Seine Mahlzeiten trafen ein, und er aß sie. Das Tablett verschwand, sobald er es auf den Tisch zurückstellte. Die Besuche des jungen Arztes begannen ihm zu fehlen, und er bedauerte sein voreiliges Handeln. Die nächsten Besucher waren keine Ärzte, sondern stämmige Gestalten in gelben Kitteln und Hosen, und sie brachten keine Spiele mit. Sie ergriffen ihn, jeder auf einer Seite, und bevor er sich einer Veränderung gewahr wurde, befand er sich
nicht mehr in seinem Zimmer. Der neue Raum war sechseckig, wie sein erstes Zimmer, aber viel größer. Eine eindrucksvolle Zahl von blaubekittelten Ärzten war zur Stelle, Männer und Frauen. Es gab auch Frauen in dunklerem Blau, das er mit Krankenschwestern in Verbindung brachte. In der Mitte des Raumes befand sich eines der seltsamen, unsichtbaren Betten, erkennbar nur durch die Bodenplatte. Die Beleuchtung des Raumes konzentrierte sich mit erstaunlicher, blendungsfreier Helligkeit auf das Bett. Die anderen Geräte waren fremdartig, aber Corban brauchte keine Erläuterungen, um zu wissen, wozu sie dienten. In jedem Krankenhaus auf der Erde oder am fernsten Ende der Galaxis konnte derlei nur eines bedeuten Chirurgie. Und der Patient war Paul Corban. Er riß sich los. »Was soll das heißen? Mir fehlt überhaupt nichts.« Ein Arzt trat vor. Corban rannte davon und preßte sich mit dem Rücken an eine Wand. Alle Gesichter im Raum waren auf seine Blöße gerichtet. Die gelbgekleideten Männer gingen ruhig auf ihn zu. »Laßt mich in Ruhe!« schrie Corban. »Ich lasse mich nicht auf eine Operation ein. Ich brauche keine.« Seine Worte tropften hohl in den schalldichten Raum. Sonst hörte man nur seine eigenen schnellen Atemzüge. Der schwache Geruch einer Droge oder Medizin verwandelte seine Angst in Panik. Er schlug einen Mann zu Boden, und der andere wich langsam zurück. Die Ärzte traten auf ihn zu. Corban duckte sich. Ein Arzt hob die Hand, Licht blitzte auf, und Corban verlor das Bewußtsein. Er erwachte in seinem eigenen Zimmer, oder in einem Raum, der genauso aussah. Er spürte überhaupt nichts, obwohl er Arme und Beine frei bewegen konnte. Er stand auf und suchte angstvoll seinen Körper ab. Was hatten sie gemacht? Ihn verkrüppelt? Ihn entmannt? Er hob die Hand und entdeckte den Verband. Man hatte ihn am Kopf operiert.
Er fühlte sich völlig entnervt und mutlos. Sein Tablett mit der Mahlzeit erschien auf dem Tisch, blieb dort und verschwand schließlich unberührt. Er wollte nichts mehr essen. Er wollte nichts als dieses verdammte Krankenhaus verlassen, menschliche Stimmen hören, im Gras liegen und die Sonne untergehen sehen. Nachdem er die dritte Mahlzeit nicht angerührt hatte, erschienen seine zwei Ärzte, um ihn zu untersuchen. Sie überprüften seinen ganzen Körper, mit Ausnahme des verbundenen Kopfes. Er beachtete sie nicht. Eine Pflegerin erschien und versuchte ihn zu füttern. Er drehte sich auf den Bauch, und als er sich wieder umsah, war. sie verschwunden. Die Nahrung traf weiterhin pünktlich ein, und der Hunger zwang ihn schließlich dazu, wieder zu essen. Eine ganze Delegation erschien, um ihm den Verband abzunehmen. Es waren fünf Ärzte, alles Unbekannte, bis auf einen, an den er sich aus dem Operationssaal erinnerte. Sie brachten alle Utensilien mit die Ballons, die Scheiben, die Spiele. Die Ärzte untersuchten der Reihe nach seinen Kopf, dann traten sie zurück, während einer von ihnen seine Vorführung gab. Corban sah mürrisch zu. Die Ballons schwebten auf und ab. Corban ignorierte sie. Der Arzt vollführte fachmännisch den Trick mit den Scheiben. Corban weigerte sich mitzutun. So ging es weiter. Die Ärzte beobachteten ihn aufmerksam. Ihre Mienen waren ihm ein Rätsel. Interesse spiegelte sich dort, gewiß. Eifer - vielleicht. Aber darunter zeigte sich ein Abscheu, vor dem er sich am liebsten verkrochen hätte. Aber es gab kein Versteck. Stumm sahen sie zu. Stumm sammelten sie ihre Geräte ein. Jeder Arzt trat nah an ihn heran und wieder zurück. Dann wandten sie ihm den Rücken zu und verschwanden. Es wirkte symbolisch. Sie gaben ihn auf. Er war ein hoffnungsloser Fall. Zehn Minuten später verließ er das Krankenhaus. Zwei männliche Pfleger brachten Kleidung, und Corban schlüpfte gehorsam in Hose und Kittel, beide schwarz. Die Pfleger ergriffen seine Arme, und das Krankenzimmer verschwand. Sie standen in einem riesigen, hell erleuchteten, runden
Raum. Die hohe Kuppel der Decke wölbte sich weit über ihnen. Im Raum befand sich eine Anzahl von Personen. Einige verschwanden, während Corban zusah, andere tauchten vor seinem verblüfften Blick auf. Diejenigen, die Corban sahen, betrachteten ihn haßerfüllt oder wandten sich ab. Die Pfleger packten ihn wieder an den Armen. Sie kamen durch eine Reihe solcher Räume, die alle einander ähnlich und doch nicht ganz gleich waren. Corban konnte nur vage raten, welche Entfernung sie zurücklegten. Die Zahl der Zwischenaufenthalte vermochte er bald nicht mehr zu zählen. Schließlich wurde er aus einem runden Raum in einen Korridor geführt. Die Pfleger übergaben ihn einem muskulösen jungen Mann, der Hose und Kittel in Dunkelblau trug. Worte wurden nicht gewechselt. Sie verließen das Gebäude, Corban sah kurz Sonnenschein und bläulich-grünes Gras, dann befand er sich in einem Fahrzeug. Die Fahrt dauerte lange eine halbe Stunde, schätzte er, auf einer völlig ebenen Straße. Im fensterlosen Inneren des Fahrzeugs konnte er nicht erkennen, wie schnell sie fuhren. Ihr Ziel war ein ausgedehntes, einstöckiges Gebäude mit metallisch-grauer Fassade. Corban wurde Nahrung angeboten, die er ablehnte. Man führte ihn durch einen langen Korridor und bedeutete ihm, er solle ein Zimmer betreten. Die Tür schloß sich hinter ihm. Er versuchte sofort, sie zu öffnen, aber es war unmöglich. Immerhin etwas anders, sagte er sich. Und Fenster gibt es auch! Er sah auf einen herrlichen, bewaldeten Park hinaus. Es gab Plätze, auf denen irgendein Spiel getrieben wurde. Männer und Frauen, die wie er gekleidet waren, spazierten umher oder saßen da. Zwischen den Bäumen konnte er ausgedehnte Felder erkennen. Ein Bach schlängelte sich durch den Park. Muß eine Art Erholungsheim sein, dachte er. Hätte schlimmer kommen können. Es hätte wesentlich schlimmer kommen können. Er grinste zufrieden und begann sein Zimmer zu besichtigen. Er erkannte das unsichtbare Bett sofort. Es gab auch einen
unsichtbaren Stuhl und einen kleinen Tisch ähnlich dem im Krankenhaus. In die Wände waren sogar Bilder eingelassen dreidimensionale, bewegte Naturszenen, wo Bäche plätscherten, Wasserfälle rauschten und Vögel um Bäume flogen, die realistisch vom Wind bewegt wurden. Es gab ein Badezimmer und einen kleinen Wandschrank mit Schubladen. Corban probierte sie aus und stellte fest, daß sie herauszufallen, nicht herauszuziehen waren. »Wie zu Hause«, sagte er. Jemand hatte sich viel Mühe gemacht, das Zimmer wohnlich zu gestalten. Er fragte sich, wie lange er hier zu Hause sein würde. Eine Tafel der grauen Tür begann plötzlich rosig zu glühen. Corban probierte sie aus, und sie öffnete sich. Ein Ärztetrio stand mit ernsten Mienen vor ihm. Sie bewegten sich nicht, bis er zurücktrat und mit einer Geste zum Eintreten aufforderte. Wenigstens hier schien man seine Privatsphäre zu respektieren. Das gefiel ihm. Mit Gesten baten sie ihn, sich auszuziehen. Er wurde untersucht. Mit Gesten forderte man ihn auf, sich wieder anzukleiden. Sie sagten nichts und verließen das Zimmer mit einer Bewegung, die halb Verbeugung, halb Salut war. Er probierte die Tür, nachdem sie sich hinter ihnen geschlossen hatte, und fand sie verschlossen. Ein junger Mann im Dunkelblau der Pfleger brachte zusätzliche Kleidung, alles im trüben Schwarz, das er trug. Die Tür blieb verschlossen. Er trat wieder an das Fenster und schaute in den Park hinaus. Das Fenster widerstand allen Bemühungen, bis ihm an der Wand daneben ein Hebel auffiel. Ein Druck, und das ganze Fenster bewegte sich etwa zehn Zentimeter nach außen. Er sog erregt die Brise ein, die ins Zimmer drang. Irgendwo in der Nähe spielte jemand ungeschickt ein Saiteninstrument. Plötzlich begann eine Stimme zu singen. Er fühlte sich seltsam bewegt. Es war die erste menschliche Stimme, seit er Qualo vor langen Monaten verlassen hatte. Und sie bewies, daß diese Wesen eine Sprache hatten auch wenn sie nicht geneigt waren, sie Fremden gegenüber zu gebrauchen. Als die ersten Schatten der Dämmerung den Park erreichten,
tauchte auf seinem Tisch ein Tablett mit Nahrung auf. Er aß und sah zum Fenster hinaus. Das Zimmer wurde dunkel, und er wußte nicht, wie die Beleuchtung einzuschalten war. Es kümmerte ihn auch nicht. Er blieb am Fenster und lauschte, um den Klang von Schritten oder das ferne Murmeln einer unverständlichen Unterhaltung zu erhaschen. Am nächsten Morgen badete er, zog sich an und aß, was auf dem Tisch erschien. Er wunderte sich darüber, daß man ihn immer noch einsperrte. Es war nicht unverständlich, daß man einen Fremden einige Zeit isolierte, bis man über seinen Gesundheitszustand Aufschluß erlangt hatte, aber das konnte doch wohl nicht für eine Person gelten, die eben erst nach langem Aufenthalt aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Eine Reihe musikalischer Töne wurde hörbar. Er schaute sich um und sah, daß die Tafel an der Tür rosig schimmerte. Eifrig hastete er hin. Seine Besucherin war ein junges Mädchen. Sie trug den hellblauen Kittel und die hellblaue Hose eines Arztes, was merkwürdig erschien, weil sie so jung aussah. Sie trat ein, als er sie mit einer Geste dazu einlud, schloß die Tür hinter sich und lächelte ihn an. Mit ausholender Handbewegung bot er ihr seinen Stuhl an. Sie drehte sich um, ging zum Schrank und holte die Bodenplatte für einen zweiten Stuhl heraus. Sie legte sie auf den Boden, stellte etwas ein und ließ sich auf dem unsichtbaren Polster nieder. Sie war ausgesprochen hübsch. Die Frisur mit den kahlen Stellen über den Ohren kam ihm immer noch merkwürdig vor, aber das Mädchen hätte überall attraktiv gewirkt, ohne Rücksicht auf modische Fragen. Sein Kontakt mit anderen Frauen dieses Planeten war kurz und flüchtig gewesen, aber er spürte sofort, daß sie auf irgendeine Weise anders war. Er betrachtete ihr Lächeln und begriff. Sie akzeptierte ihn als Mitmenschen, ganz beiläufig. Ihr Ausdruck verriet eine reizende, unschuldige Begeisterung. Er nahm gehorsam ihre unausgesprochene Einladung an, sich neben sie zu setzen, und starrte sie immer noch verwundert an.
Aus einem Beutel schüttelte sie eine Anzahl glänzender Würfel auf den Tisch vor ihm. Sie schob sie auseinander, wählte vier davon aus und brachte sie in eine Reihe. »Alir«, sagte sie. Ihre Stimme klang weich und melodisch, und er ließ den Laut lange in sich nachwirken. Die Würfel ja, auf den Seiten waren seltsame Symbole eingeritzt. Das mußten Buchstaben sein. Sie lehrte ihn ihre Sprache. »Alir«, widerholte er. Sie deutete auf sich. »Alir.« Er nickte. Sie hieß also Alir. Ein wunderschöner Name, bis ihm einfiel, daß es eine vorher oder nachher anzubringende Bezeichnung für >Arzt< geben mußte. Sie wies auf ihn. »Paul«, sagte er. Sie wählte vier Würfel, stellte sie nebeneinander und wiederholte: »Paul.« Nachdem die Vorstellung zustande gebracht war, begann sie mit der ersten Lektion. Sie verbrachte mehrere Vormittage bei ihm, und als er über einen kleinen Wortschatz verfügte, führte sie ihn durch das Gebäude. Es wirkte endlos, obwohl er sich fragte, ob das nicht eine natürliche Reaktion darauf sein mochte, daß er so lange eingesperrt gewesen war. Sie zeigte ihm den Speisesaal, ein rundes Hallenschwimmbad, und eine Vielzahl von Unterhaltungseinrichtungen, von denen ihm die meisten unverständlich blieben. Er wurde zu einem Spaziergang durch den Park mitgenommen und einer Reihe von Personen vorgestellt, die wie er Schwarz trugen. Impulsiv probierte er die Tür, nachdem sie ihn in sein Zimmer zurückgebracht hatte. Sie war unverschlossen. Er schloß sie wieder und streckte sich auf dem Bett aus. Er war schon so lange Gefangener, daß ihn ein gewisses Maß an Freiheit unsicher machte. Er fürchtete, die unverschlossene Tür könnte das Ende seiner Sprachlektionen bedeuten, aber Doktor Alir kam wie gewohnt auch am nächsten Morgen. Sie gab sich große Mühe,
ihm den Tagesablauf klarzumachen. Er konnte zu den Mahlzeiten in einen der Speisesäle gehen oder sie sich ins Zimmer bringen lassen. Im Gebäude und im Park durfte er sich frei bewegen, abgesehen von den Räumen oder Gebieten, die, deutlich gekennzeichnet, dem Personal vorbehalten waren. Die Frauen lebten in den Flügeln auf der anderen Seite, und es stand ihm frei, dort Bekanntschaften zu schließen, falls ihm danach zumute war. Einige Patienten beschäftigten sich in Berufen, die sie interessierten. Manche hatten Steckenpferde, die sie Zerstreuungen nannte. Wenn er sich mit dem einen oder anderen beschäftigen wollte, brauchte er es nur zu sagen. Sie werde jeden Vormittag erscheinen, um den Sprachunterricht fortzusetzen, bis er sich fließend verständigen könne. Außerdem habe er nur die Pflicht, sich, wenn es verlangt wurde, einer ärztlichen Untersuchung zu stellen. Er stellte eine Frage, die er mit seinem beschränkten Wortschatz formulierte, so gut es ging. Wie lange würde er bleiben müssen? War es Einbildung, daß ihr Lächeln unsicher wurde? »Bis Sie sich erholt haben«, sagte sie, was in diesem Augenblick ganz vernünftig klang. Erst später brachte er das mit seinem anscheinend perfekten Gesundheitszustand in Zusammenhang und machte sich Gedanken. Als sie gegangen war, verließ er sein Zimmer und eilte durch den langen Korridor. Er verließ das Gebäude durch einen Nebenausgang, eilte um den Park herum und lief durch die Felder. Im hellen Sonnenschein reifte Getreide. Es wuchs in weit voneinander getrennten, runden Stellen. Die braunen Körner schwankten an hüfthohen Halmen. In der Ferne betrieben zwei schwarzgekleidete Männer eine niedrige, längliche Maschine. Corban lief leichtfüßig durch das Feld, parallel zur Straße, die rechts von ihm einen Bogen beschrieb. Die unbehinderte Aussicht begeisterte ihn. Es gab keine Zäune, keine Hindernisse. Ein niedriger Erdwall lief an der Straße entlang, die Grenze des Besitzes anzeigend, wie er
vermutete. Jenseits der Straße erstreckte sich eine sanft geschwungene, blau-grüne Landschaft, und in der Ferne sah man Gebäude. Der Boden stieg leicht an. Als er der Kurve folgte, konnte er sich umdrehen, und das Bogentor sehen, das den Haupteingang - soviel er wußte, den einzigen Eingang - bezeichnete. Über dem Tor hing ein Schild, aber er konnte es nicht entziffern. Auf der linken Seite befand sich ein bewaldeter Hügel. Von dort kam der Bach, der in der Nähe seines Zimmers durch den Park floß. Rechts war die Straße, deren dunkle Oberfläche sich in die Ferne erstreckte, soweit sein Auge reichte. Verkehr gab es keinen. Er drehte sich impulsiv um und ging zur Straße. Als er den Erdwall erreichte, prallte er ohne vorherige Warnung gegen etwas Massives. Er tastete vorsichtig mit den Händen und erkannte die Substanz. Sie war von derselben unsichtbaren, schwammigen Festigkeit, die von seiner Bettplatte ausging. Er trat zurück, versetzte der Barriere wütend einen Tritt, sprang plötzlich in einer zornigen Aufwallung vor und begann hinaufzuklettern. Es ging überraschend leicht. Füße und Hände bohrten sich in die schwammige Substanz und fanden Halt. Er stieg hinauf, zwei Meter, drei Meter das Hindernis schien nicht aufzuhören. Er sah unsicher auf den Boden hinunter und hielt sich an der unsichtbaren Mauer fest. Er schaute wieder in die verlockende, grenzenlose Ferne. Zu seiner Überraschung entdeckte er einen Mann, der auf der anderen Seite der Straße stand und ihn beobachtete. Er trug blaugrüne Kleidung, offensichtlich eine Uniform. Er trug eine Waffe, die er aber nicht in Anschlag brachte. Als Corban zögerte, nahm plötzlich neben dem einsamen Wächter eine ganze Einheit bewaffneter Männer Gestalt an. Sie wirkten aufmerksam, aber nicht angriffslustig. Sie beobachteten ihn und warteten. Corban kletterte wieder herunter. Als er sich umdrehte, war die Einheit verschwunden. Der Wächter behielt ihn im Auge.
Corban trat hastig den Rückzug an und suchte Zuflucht zwischen den Bäumen auf dem Hügel. Es war ein herrlicher, friedlicher Ort. Aus dem Boden perlte Wasser und floß gluckernd über mehrere kleine Wasserfälle den Hügel hinab. Schöne, exotisch gefärbte Vögel flatterten durch das großblättrige Laub. Corban verbarg sich darin und betrachtete die Landschaft auf der anderen Seite der Straße. Nach und nach konnte er die Wächter ausmachen. Sie waren an verschiedenen Stellen versteckt und durch ihre Uniformen schwer zu erkennen. Aber sie waren da, in regelmäßigen Abständen, so weit er in beide Richtungen sehen konnte. Er zuckte die Achseln und verbannte diese Gedanken. Seit zu langer Zeit häufte sich Rätsel auf Rätsel, und sein Verstand weigerte sich, darüber weiter nachzudenken. Er streckte sich auf dem weichen Gras aus und beobachtete die Vögel, bis er einschlief. Am Abend ging er, als Musik zum Fenster hereindrang, hinaus und setzte sich zu dem Musiker. Es war ein älterer Mann, der ungeschickt an einem primitiven Instrument mit drei Saiten zupfte. Er ließ die Hände sinken, als er Corban sah. »Sie sind neu, was?« sagte er. »Ja.« Ein Zuschauer in der Nähe begann aufgeregt zu sprechen. Corban verstand ihn nur mit Mühe. Soviel er heraushörte, hatte jemand, der im Büro arbeitete, Corbans Unterlagen gesehen. Er hatte einen Unfall hinter sich. Der alte Mann wandte sich an Corban. »Was für ein Unfall?« Die Frage überforderte Corbans Wortschatz. »Ein schwerer Unfall«, erwiderte er lahm. Der alte Mann schien zufrieden zu sein. Er begann wieder die Saiten zu zupfen. Corban stellte eine Frage. »Wie lange sind Sie schon hier?« Der alte Mann hob überrascht den Kopf. Unter den zehn oder zwölf Zuschauern herrschte ein merkwürdiges Schweigen. »Immer«, sagte der alte Mann.
Corban ging langsam davon, von einem neuen Rätsel geplagt. Gab es denn nirgends Aufschlüsse? Über dem Haupteingang befand sich ein Schild. Vielleicht konnte es ihm etwas erklären, vielleicht auch nicht, er mußte es lesen. Bei der nächsten Sprachlektion begann er von dem kleinen Hain auf dem Hügel zu erzählen. »Die Vögel sind hübsch«, sagte er, verärgert über die Grenzen seiner Sprachkenntnisse. Doktor Alir lächelte. »Ja. Sie sind sehr hübsch.« »Ich möchte sie beobachten«, sagte er. »Ich möchte etwas haben, das mir dabei hilft.« Sie zog die Brauen zusammen. »Ich verstehe nicht.« Mit stockenden Worten und Gesten machte er ihr klar, daß er ein Fernglas meinte. Seine Bemühungen brachten ihm ein kleines Rohr mit verblüffender Vergrößerung ein, aber seine Bitte um eine Art Handbuch über Vogelarten blieb unerfüllt. Doktor Alir erklärte ihm widerstrebend, daß es so etwas nicht gebe. Er schlug den Weg vom Vortag ein, ging durch das Kornfeld und hielt sich parallel zur Straße. Als er so weit gekommen war, daß er das Tor sehen konnte, setzte er sich auf den Boden und rastete. Einen Wärter hatte er schon entdeckt. Er stand regungslos in einem Gebüsch jenseits der Straße. Corban gab sich Mühe, seine Bewegungen natürlich erscheinen zu lassen. Er verbarg das kleine Teleskop in der Hand und fuhr sich damit übers Gesicht. Das Schild über dem Tor rückte heran. Einen Teil der Worte erkannte er er hatte sie oft genug an anderen Stellen gelesen: >Zutritt nur für Personals Darüber, mit größeren Buchstaben, stand nur ein einziges Wort. Er ließ die Hand sinken, reckte sich und sah wieder durch das Fernrohr. Seine Lippen formten das Wort nach: >RaxtinuSeeblick< auf Porina bedeuten konnte, wohin eine alte Tante von ihm gebracht worden war. Möglich, aber er bezweifelte es. Das Sanatorium hatte sich nicht mit Kraftfeldern und bewaffneten Aufpassern umgeben. Er lag auf dem Rücken im Gras, beobachtete die herrlichen Vögel und fragte sich nach einer Erklärung - nach irgendeiner beliebigen Erklärung. Der alte, singende Mann, die anderen, die er kennengelernt hatte konnten sie Verbrecher sein. Sie wirkten in keiner Beziehung gefährlich. Er hatte nicht einen Angehörigen des Personals bewaffnet gesehen, und Doktor Alir kam in sein Zimmer, ohne irgendwelche Befürchtungen erkennen zu lassen. Die Patienten er konnte sich selbst als Patienten sehen hatten innerhalb des Bereiches jede Freiheit und wurden überaus fürsorglich behandelt. Waren sie etwa politische Gefangene? Und wenn ja, warum war er dann hier? Immer, hatte der alte Mann gesagt. Bis Sie sich erholt haben, hatte Doktor Alir gesagt. Erholt wovon? Als er es müde wurde, die Vögel zu beobachten, wanderte er durch die Felder. Von einer niedrigen Erhebung aus sah er in der Ferne ein Dorf. Er betrachtete es durch sein Fernglas. Es schien ein normales Dorf zu sein. Die Frauen gingen ihren Tätigkeiten nach, Kinder spielten, Männer kamen von der Arbeit nach Hause. Aber alle trugen Schwarz. Im Gebäude gab es eine Bibliothek, einen kleinen Raum mit einer rührend kleinen Sammlung von Büchern. Die Bücher waren schlecht gedruckt und ungeschickt gebunden, und ohne die haltbaren Seiten aus Kunststoff hätte Corban sie für Importe aus einer kaum entwickelten Zivilisation gehalten. Sie waren alle einfach geschrieben und befaßten sich mit so unschuldigen Themen wie Landwirtschaft oder der Herstellung einfacher Dinge, an der sich manche Patienten beteiligten, oder auch mit den verschiedenen Möglichkeiten der Zerstreu-
ung. Auf seine Bitte hin fand Doktor Alir einen schmalen Band, der seiner ungeschickten Beschreibung eines Wörterbuchs entsprach. Er verwirrte ihn sofort, weil die Anordnung nicht alphabetisch war. Statt dessen schien sie sich nach einem unklaren Schema zu richten, das sich, wenn auch nicht ausschließlich, am Sinn orientierte. Es glich einer Wortaufstellung, die einem Verfasser von Büchern für Analphabeten nützlich sein konnte. Weil das Buch dünn war, hatte er es schnell durchgelesen. Das Wort >Raxtinu< kam nicht darin vor. Die Barriere umschloß ein riesiges Gebiet. Corban machte sich eines Vormittags nach seinem Unterricht bei Doktor Alir auf den Weg und versuchte, den ganzen Umkreis abzuschreiten. Als er am Spätnachmittag umkehrte, hatte er noch nicht das Ende der Seite erreicht, die an der Straße verlief. Auf dem ganzen Weg sah er Wachtposten, und der letzte Teil seines Ausflugs war von diffusem Licht erhellt, das bei Anbruch der Dunkelheit von der Barriere ausgestrahlt wurde. >Raxtinu< zu verlassen würde nicht einfach sein. Abends machte er es sich zur Gewohnheit, im Park zu sitzen und dem Gesang des alten Mannes zuzuhören. Seine brüchige Stimme hatte etwas Rührendes an sich, und er kannte nur sehr wenige Lieder. Es waren kindliche Fabeln über fremdartige Tiere, die Corban hübsch fand. Er verglich sie mit Liedern, an die er sich aus seiner eigenen Jugendzeit erinnerte. Andere Patienten blieben stehen, um zuzuhören, langweilten sich und spazierten weiter. Corban zeigte wenig Interesse an ihnen, aber eine Zeitlang schienen sich alle für ihn zu interessieren. Er war ein neues Gesicht, und aus irgendeinem Grund, den er nicht kannte, waren neue Gesichter ganz offensichtlich eine Seltenheit. Die hübschen, jüngeren Frauen bekundeten ein ganz besonderes Interesse an ihm und wurden sehr direkt. Er reagierte verlegen. Als Offizier der Weltraum-Marine war er vor einer Ehe zurückgescheut. Monate und Jahre der Trennung schienen nicht die geeignete Grundlage für eine glückliche
Ehe zu sein. Sein Vorgesetzter, Fregattenkapitän Winslow, vertrat eine andere Meinung. Aus irgendwelchen Gründen betrachtete er Corban als klugen, jungen Offizier mit Zukunft, und nach seiner Ansicht gab es für einen klugen, jungen Offizier nichts Nützlicheres als eine verständnisvolle Ehefrau. »Ich lade meine Schwester auf ein paar Monate zu Besuch ein«, hatte er zu Corban gesagt, »sie sieht gut aus und ist tüchtig. Wir haben uns immer gut verstanden. Sie wäre für einen jungen Offizier die ideale Frau, und ich möchte, daß Sie sie kennenlernen.« So war Fregattenkapitän Winslow; Heimlichkeiten gab es bei ihm nicht. Corban hatte Sylvia Winslows Foto betrachtet und zugeben müssen, daß sie sogar außerordentlich hübsch war. Offenkundig war ihr der Fregattenkapitän sehr zugetan. Sie zu heiraten mochte Corbans Laufbahn in mehr als einer Hinsicht fördern, aber eine Ehe auf dieser Grundlage behagte ihm nicht. Natürlich konnte ihn eine Begegnung mit ihr zu nichts verpflichten, schließlich konnte er dem Fregattenkapitän nicht sagen, daß er keine Lust hatte, seine Schwester kennenzulernen. Das war kurz vor seinem Abflug von Qualo gewesen. Er hatte seinen letzten Auftrag mit dem Wissen angetreten, daß Sylvia Winslow bei seiner Rückkehr da sein würde, und sich auf die Begegnung beinahe gefreut. Aber inzwischen würde der Fregattenkapitän sicher einen anderen jungen Offizier für sie gefunden haben. Corban hatte trotzdem keine Lust, eine dieser Patientinnen zur Frau zu nehmen und sich in einem der kleinen Dörfer niederzulassen, die er gesehen hatte. Die Bemerkung des alten Mannes ließ ihm keine Ruhe. >ImmerRaxtinu< zu bleiben. Zwei männliche Patienten kamen aus der Dunkelheit heran und setzten sich neben ihn. Corban hatte sie noch nie gesehen und vermutete, daß sie in einem anderen Gebäude wohnten. Bei seinen Wanderungen hatte er mehrere geräumige Unterkünfte wie die seine gesehen. Während der alte Mann sang,
betrachteten sie Corban, und er starrte sie ebenfalls an. Einer von ihnen, dunkel, mittleren Alters, hatte das übliche Äußere der Bewohner dieses Planeten. Der andere, jünger, fast kindlich aussehend, besaß flammend rotes Haar, was Corban bei diesen Leuten zum erstenmal sah. Der alte Mann beendete sein Lied und zupfte verträumt an seinem Instrument. »Sie sind neu, was?« fragte der Rothaarige. Corban gab es zu. Es war eine gängige Frage ein Patient, der ihn zum erstenmal hier sah, wußte sehr wohl, daß er neu war, aber die Frage wurde immer wieder gestellt. »Name?« »Paul«, sagte Corban. Der Rothaarige schien verblüfft zu sein. Er öffnete den Mund, als wolle er noch etwas fragen, zögerte und sah seinen Begleiter an. Der alte Mann mischte sich in das Gespräch. »Er hat einen Unfall gehabt. Einen schweren Unfall.« »Aha«, sagte der Rothaarige. »Kopfverletzungen?« »Alle möglichen Verletzungen«, sagte Corban. »Verstehe.« Die beiden Männer zogen sich zurück. Sie unterhielten sich leise in einiger Entfernung und beobachteten ihn den ganzen Abend mit unverhüllter Neugier. Mehrere Tage hintereinander erschienen sie regelmäßig jeden Abend, setzten sich in Corbans Nähe, beobachteten ihn und hörten zu. Dann sah er sie nicht mehr. Das Wort hieß >RaxtinuVögel< ein Die Erläuterung war ellenlang, und er begann Namen und Beschreibungen von Vögeln zu notieren. Doktor Alir ließ ihn allein. Nach einiger Zeit beachtete ihn das Personal nicht mehr, mit Ausnahme einer jungen Frau, die offenkundig den Auftrag hatte, ihn im Auge zu behalten. Von Zeit zu Zeit kam sie herüber und fragte ihn, ob er zurechtkomme. Corban schrieb geduldig mit und wartete auf seine Chance. Schließlich verließ die junge Frau das Zimmer. Die anderen schienen nicht auf ihn zu achten. Hastig wählte er das Wort >RaxtinuRaxtinufür die Geisteskranken. Das Wort Raxtinu wird für Personen gebraucht, die an Geisteskrankheiten leiden, und umfaßt Störungen von schlichter Geistesschwäche bis zu Arruclam, Cilloclam...< Er kritzelte die unbekannten Worte hin, stellte das Gerät wieder auf >Vögel< ein und starrte blind auf den Bildschirm. Er war in einem Irrenhaus. Man hielt ihn für geisteskrank. An einem warmen, sonnigen Nachmittag, der auf eine Regenwoche folgte, wurde Corban klar, daß er sich in Doktor Alir
verliebt hatte. Er war zu dem Entschluß gekommen, daß endgültig geklärt werden mußte, wie es weitergehen sollte, aber statt direkt zur Sache zu kommen, lud er sie ein, mit ihm die Vogelarten zu beobachten. Zu seiner grenzenlosen Überraschung nahm sie an. Nun, da er mit ihr unter den Bäumen saß und ihrem Geplauder über die Vögel zuhörte, wußte er, daß er sie liebte. Er sehnte sich danach, ihr hochaufgetürmtes Haar aufzulösen und sein Gesicht in der schimmernden Weichheit zu verbergen, ihre feingeformte Nase mit den Lippen zu berühren, sie in passender weiblicher Kleidung zu sehen, statt in Kittel und Hose, die von der Figur nichts ahnen ließen. Nicht, daß ihre Schönheit durch den Mangel an weiblicher Kleidung oder durch die seltsame Frisur gelitten hätte. Sie wäre immer schön gewesen, gleichgültig, welche Frevel an ihrem Haar verübt wurden, und ihre sicheren, graziösen Bewegungen verliehen dem Ärztekittel ein Aussehen, an das man beim Entwurf dieses Kleidungsstücks bestimmt nicht gedacht hatte. Corban hätte sich nicht als das Opfer einer unglücklichen Liebe denken können. Selbst auf seiner eigenen Welt war er nicht gerade eine ideale Partie, hatte aber doch dort wenigstens eine gewisse Position. In ihrer Welt war er weniger als nichts. Er war ein entsetzliches Minus. Er war geisteskrank. Bedrückt hob er den Kopf, als sie mit ihrer leisen, melodischen Stimme die Namen der Vögel nannte und ihre Gewohnheiten schilderte. Sie kannte sie alle. Sie wußte alles über sie. Und es gab kein Buch über das Thema! »Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte sie. Nichts war in Ordnung. Aber dieser Augenblick schien so geeignet wie jeder andere, dagegen aufzubegehren. »Was heißt >Arruclam