Im Bann der Osiris-Statue Spannender Grusel-Krimi von Marcos Mongo Rötlicher Nebel stieg aus dem kalten Steinfuß boden...
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Im Bann der Osiris-Statue Spannender Grusel-Krimi von Marcos Mongo Rötlicher Nebel stieg aus dem kalten Steinfuß boden. Die kahlen Wände pulsierten. Fratzen tauchten schemenhaft auf und verschwanden wieder. Das faltige Gesicht des Hohepriester glich einer starren Totenmaske. In seinen Au gen funkelte es, als die blutleeren Lippen un verständliche Worte murmelten, geheimnis volle Zauberformeln, die niemand kannte. Schlagartig merkte er, welche Macht die Dä monen, die er dank seiner magischen Kraft ge rufen hatte, besaßen. Seine knochige Gestalt zitterte wie im Fieber wahn. Nur mühsam gelang es ihm, das Be wußtsein nicht zu verlieren. Hamdi, der Hohepriester des Gottes Osiris, spürte, wie ihm der Schweiß in Bächen von der Stirn floß. Aber er konnte die Beschwörung nicht mehr abbrechen. »Tötet den Pharao! Reißt ihn in die Tiefen ewiger Finsternis. Bemächtigt euch seiner See le!« Hamdis schrille Stimme überschlug sich
fast. Voll Wut auf den Todgeweihten verharrte er bewegungslos und wartete, was geschah. Irisierende Lichter und Flammenlanzen huschten über eine der kahlen Wände. Erste Konturen wurden sichtbar und zeigten die Ge mächer des Pharao. Die Umrisse des herbeigezauberten Bildes wurden deutlicher. Grinsend bemerkte der Hohepriester den Schemen, nicht mehr als ein Hauch, der auf den Ägypter zuschwebte und ihn umhüllte. Pharao begann heftig zu atmen. Schrecken und Angst traten in seine Augen. Plötzlich griff er sich an die Brust. Sein Körper wurde von Schmerzen gepeinigt. Ein erstickter Schrei entrann Pharaos Mund, dann fiel er kopfüber nach vorn und schlug auf den Marmorboden. Zweimal noch zuckte der Körper, bis alles Le ben aus ihm wich. * Hamdi verließ seinen Tempel nur selten zur Gräberstadt der Pharaonen. Dort wurde das Grab für den Pharao erbaut, wie es seit vielen Generationen üblich war. Am Tag des Regierungsantritts bestimmt der Pha rao einen Baumeister, der sein Grab nach den
Wünschen des Herrschers schaffen muß. Der Baumeister hieß Sesem und war einer der größten seiner Zeit. Er war seit frühster Ju gend der beste Freund des Hohepriesters. Hamdis Ankunft wurde früh gemeldet. Sesem stand bereit, als die Sänfte an der Bau stelle auftauchte. Er war ein gläubiger Anhän ger des Lichtes Osiris und sagte sachlich: »Das Grab ist bald fertig.« Er wandte sich dem Ein gang zu. Der Hohepriester folgte. Sie betraten die Grabkapelle, die so gut wie fertig war. Ein quadratischer Raum mit farbi gen Wandbildern von vollkommener Schön heit. »Und die Grabkammer?« wollte Hamdi wis sen. »Der Schacht ist schon fertig«, berichtete Se sem. Er führte mehr als zwanzig Meter in die Tiefe. Er endete in der Kammer, wo Sarkophage auf gestellt wurden mit den üblichen zahllosen Grabbeigaben. »Kann man sie besichtigen?« bat Hamdi. »Es ist noch nicht so weit.« »Und wenn der Pharao in dieser Nacht stirbt?« »Dann werden zehn Tage lang die Trauerfei erlichkeiten dauern. Und am elften Tag ist die
Kammer fertig.« »Ich warte schon seit Jahren darauf«, grollte Hamdi, der es besser wußte. Vor sechs Jahren war der Pharao zur Macht gekommen. Er war damals sechzehn Jahre alt und richtete im Land große Verwirrung an. Er hatte kein Interesse für Soldaten und Politik. Er ging ganz in der Religion auf. Er lebte nur für seinen Gott Aton. Die Ägypter beteten zahllose Götter an. Neben den Hauptgöttern Re und Amun, Osiris und Isis hatte noch jede Stadt ihren eigenen Gott. Alle sahen wie Menschen aus und wurden in Gemälden und Plastiken dargestellt. Der Gott des Pharao aber hatte keine Men schengestalt. Es war die Sonne. Man brauchte nur in einem Hof einen Tisch aufzustellen, so hatte man schon einen Tempel. Der Himmel war die Kuppel und die Sonnenscheibe der Gott. Hamdi hatte sich nie gegen Pharao aufge lehnt. Er hatte sich in seinen Tempel zurückge zogen und erwartete von Osiris ein Zeichen, wie der Pharao vom Leben zum Tod zu bringen war. Hamdi war mit Sesem allein in der Kapelle. Der Hohepriester sah seinen Freund bedeut sam an. »Sesem, sie sprechen mit mir«, gestand er er
griffen. Der Baumeister verstand nicht sofort. »Die Götter?« Hamdi schüttelte verärgert den Kopf. In seine Augen kam ein begeisterter Glanz. »Ich habe all die Jahre Hilfe gesucht. Endlich haben sie mit mir gesprochen.« »Wer? Sag doch schon!« »Die Dämonen… der Fürst der Finsternis!« Sprachlos stammelte der Baumeister: »Aber… Hamdi… du bist doch Priester…« Da er in den Augen des Freundes nur Ratlo sigkeit sah, wandte er sich um und verließ die Kapelle. Vor dem Eingang blieb er stehen und sah sich um. Etwa zwanzig Schritte entfernt stand ein Steinmetz im Arbeitsanzug. Er sah den Hohepriester wie eine Lichtgestalt an. Hamdi nickte ihm zu. Darauf ging der Stein metz langsam beiseite. Der Hohepriester lächelte seinen Freund an. »Ich werde mich noch ein wenig umschauen. Ich komme in der letzten Zeit so wenig aus meiner Klause.« »Sehen wir uns noch?« erkundigte sich Sesem besorgt. Der Hohepriester lächelte. »Warum nicht?
Ich laufe dir nicht davon.« Damit ging er die Stufen hinab. * Hamdi schlenderte umher, sah Baustoffe und Geräte mit gespieltem Interesse an und sprach mit den Arbeitern belanglose Worte. An einer Senke zwischen zwei Hügeln wartete der Steinmetz auf ihn. Hamdi sah ihm in die Augen. Er kannte die sen Blick. In der letzten Zeit begegnete er im mer mehr Menschen, die fanatisch an ihrem Glauben hingen und aus Verzweiflung zu allem bereit waren, das ihnen aus ihrer Seelennot helfen könnte. Der Steinmetz ging voran, Hamdi folgte. Ein schmaler Pfad führte um den rechten Hügel herum und endete vor einem Erdloch. Da stan den zwei weitere Männer, auch Steinmetze. Hamdi kannte sie. Zu viert hatten sie manche Stunde beisammengehockt und Pläne ge schmiedet. Einer der Männer zündete eine Fackel an. Er ging voraus, und Hamdi folgte ihm mit den bei den anderen Männern. Sie durchschritten einen mannshohen, mit Balken abgestützten Gang, der nach dreißig Schritten in einer Naturgrotte endete.
Sie war leer. In einer Ecke aber war in den Fels ein Loch geschlagen. Der Fackelträger hielt das Licht hinein. Hamdi trat näher und konnte erkennen, daß der Schacht fast senk recht nach oben führte. »Er kann nicht einstürzen«, erklärte der Steinmetz. »Er ist aus dem Felsen gehauen. Wir haben fünfzig Tage gebraucht.« »Und er endet…?« erkundigte sich Hamdi. »In der Grabkammer.« »Wir haben auch den Auftrag bekommen, den Sarkophag zu machen«, teilte er erste Stein metz mit. »Kein Wunder«, meinte Hamdi. »Ihr seid doch die besten Männer eures Standes in The ben.« Die drei schwiegen geschmeichelt. »Ihr werdet mir sagen, wann es so weit ist«, trug ihnen der Hohepriester auf. »Sesem ist ein großer Künstler und ein gläubiger Anhän ger des Lichtgottes. Ich mag ihn nicht in See lennot bringen.« Der Fackelträger ging vor, die anderen folg ten. Draußen trennten sie sich wieder. Hamdi ging zu Sesem zurück. *
Sesem wartete in großer Unruhe. »Hamdi«, fiel er ihn gleich an, »du hast mich tief beunruhigt. Hab ich dich recht verstanden? Hast du vom Fürsten der Finster nis gesprochen? Du hättest dich mit ihm oder wem auch immer unterhalten?« Hamdi, der mit dem, was ihm die Steinmetze gezeigt hatten, zufrieden war, lächelte mild. »Lieber Freund, ich muß tun, was die Götter von mir erwarten, und du mußt Häuser, Tem pel und Grabmale bauen. Wenn ich dich in dei ner Kunst beirren würde, könnte ich dir großen Schaden zufügen. Willst du mich in meinem Tun beirren?« »Nein nein«, wand sich Sesem. »Du tust nichts Unrechtes. Das hast du als Kind nicht getan, das wirst du heute erst recht nicht tun. Ich möchte nur, daß du dich in deinem Eifer nicht irrst. Manchmal muß man etwas ertra gen, das man nicht versteht. Wir können ja nicht alles wissen…« Später setzte sich Hamdi an seinen Studier tisch und nahm die Pergamente vor, die er von großen Magiern erworben hatte. In Ägypten gab es viele Priester und Priester helfer. Aber die Zahl der Magier und Okkultis ten war größer. Sie hatten ihre Künste in den arabischen Ländern, in Indien und China ge lernt.
Hamdi machte seine Übungen. Es hatte große Mühe gekostet, den ersten Kontakt mit den an deren herzustellen. Sie sprachen verschiedene Sprachen und hatten andere Ziele. Dann aber gelang es ihm fast immer, mit Dä monen ins Gespräch zu kommen. Noch hatte er ihnen nicht gesagt, was er er wartete. Das sollte sein Geheimnis bleiben bis zur großen Stunde. Ein Tempeldiener meldete Besuch. Hamdi wollte nicht gestört werden. Aber dann drangen die Besucher ein, zwei Priester, Sahali, ein Priester des Amun-Re, und Kutaba, ein Priester der Isis. Sie kamen von einer Versammlung, zu der Hamdi auch eingeladen worden war. Die Mehrzahl der Oberen Thebens waren zusammengekommen, um die Botschaft des Nubierfürsten Hassan entgegenzunehmen. Danach waren große Ver bände aufmarschiert, um in Ägypten einzufal len und den Pharao abzusetzen. »Ich kann es nicht verhindern, wenn der Nu bier sich an uns bereichern will«, sagte Hamdi dazu frostig. »Ich werde ihm aber auch dazu nicht meinen Segen geben.« »Bist du darum der Versammlung fern geblie ben?« »Ja.« »Man hat dich aber erwartet. Wenn der Pha
rao abgesetzt wird, soll nicht gleich ein neuer aus dieser Dynastie nachrücken. Wir wollen Zeit gewinnen, einen Mann unserer Wahl zu finden. In der Zwischenzeit sollst du die Re gentschaft wahrnehmen.« Hamdi glaubte nicht recht zu hören. »Mir wollt ihr die Macht…?« »Wem sonst als dir? Du hast das Vertrauen al ler.« »Nein«, lehnte Hamdi energisch ab. »Ich bin der Hohepriester des Lichtgottes Osiris. Ich will nichts anderes sein. Ich habe nur einen Wunsch: daß die alten Götter wieder in alle Rechte eingesetzt werden.« »Aber das kannst du doch nur«, meinte Kuta ba, »wenn du die Macht hast.« »Die Götter lieben keine Macht«, verkündete Hamdi. »Ich weiß, was ich zu tun habe, damit die Götter wieder so erscheinen können, wie das Volk sie liebt. Von eurem Nubier will ich nichts wissen. Und jetzt wäre ich euch dank bar, wenn ihr mich nicht länger in meinen Me ditationen stören würdet.« Er wandte sich ostentativ wieder den Perga menten zu. Die enttäuschten Priester zogen sich beküm mert zurück. Hamdi konzentrierte sich. Er sprach seine Formeln und Sprüche auf und versank allmäh
lich in Trance. Aber die Dämonen, die schon so freundlich zu ihm gewesen waren, hatten heute keine Zeit für ihn. Enttäuscht schloß er die Pergamente wieder weg. * Hamdi ging, von Dienern mit Fächern und Sonnenschirmen begleitet, durch den Basar. Die drängende Menschenmenge und die ange botenen Waren interessierten ihn nicht. Ihm gingen nur immer die Fragen durch den Kopf, woran es wohl liegen mochte, daß die Dämo nen so unzuverlässig auf seine Anrufe reagier ten. Was machte er falsch? Wer widersetzte sich ihm? Plötzlich blieb sein schweifender Blick an et was hängen. Er stand vor der Kaufnische eines Kunstschmieds. Unter attraktiveren Gegen ständen stand auf einem Tisch eine handgroße Figur. Sie faszinierte Hamdi. Er trat näher her an. Die Figur war aus Jade. Sie stellte seinen Gott dar, den Lichtgott Osiris – die hohe Krone mit der Sonnenscheibe, die gekreuzten Arme mit Zepter und Geißel, der lange spitze Bart – es war alles auf das feinste verarbeitet. Aber
das Stück war nicht so ungewöhnlich, daß es einen solchen Eindruck auf den Hohepriester machen mußte. Dem Priester kam der ketzerische Gedanke, die kleine Figur ströme irgendeine Kraft aus. Er wollte den Händler fragen, was er für das Stück verlange. Aber hinter dem Ladentisch stand niemand. Hamdi wollte sich auch nicht lächerlich ma chen und nach dem Händler suchen lassen. Er spielte Desinteresse und schlenderte wei ter. An diesem Abend setzte sich Hamdi widerwil lig hinter den Studiertisch. Er konnte sich nicht entschließen, mit welchem Stoffgebiet er beginnen sollte. Er griff blindlings in das Regal neben dem Tisch und legte eine Pergamentrol le vor sich hin. Er löste das Band und rollte das Pergament auf. Da polterte etwas auf die Tischplatte. Er griff danach. Es war die Osiris-Figur auf dem Bazar. Hamdi starrte fassungslos. Dann rief er den Tempeldiener. Der wußte nichts. An dem ganzen Tag hatte sich niemand an der Tempelpforte gemeldet, der den Hohepriester sprechen wollte. Hamdi schloß die Tür ab und betrachtete zu nächst minutenlang die Figur. Dann machte er seine Kontaktübungen und alles gelang. Als er
zum Schluß die Frage stellte, ob die Dämonen die Figur geschickt hätten, erfolgte keine Ant wort. Dafür spürte Hamdi, wie ihn Wärme anwehte. Gleichzeitig begann die Figur von innen her zu leuchten. Zum Schluß erstrahlte sie in einem Grün, das Hamdi noch nie gesehen hatte. * Am anderen Tag wollte Hamdi wissen, woher der Händler die Jadefigur hatte. Hamdi ging mit seiner üblichen Begleitung durch die Gas sen des Basars. In der Nische des Kunst schmieds wurden Glaswaren angeboten. Als der Hohepriester nach dem Kunstschmied fra gen ließ, erhielt er die Antwort, daß in dieser Nische nie ein Kunstschmied ausgestellt hätte. Hamdi ließ seine Begleitung die ganze Umge bung abfragen. Nirgendwo kannte man einen Kunstschmied. Die Auskunft versetzte den Hohepriester in einen rauschartigen Zustand. Er nahm es als Beweis, daß die Dämonen der Finsternis ihn angenommen hatten. Beschwingt ging er nach Hause. Vor dem Tempel wartete der Steinmetz auf ihn. Er näherte sich dem Hohepriester und flüs
terte: »Heute nacht ist es soweit.« Hamdi dankte mit einem Kopfnicken und ver schwand in seinem Tempel. Für den Abend hat er sich gründlich vorberei tet. Er stellte die Osirisfigur auf seinen Studier tisch. Dann murmelte er seine Formeln und Sprüche. Die Figur begann wieder zu glühen. Rötlicher Nebel stieg aus dem Steinboden. Die kahlen Wände pulsierten im Licht. Ein Wispern kam auf, das allmählich an schwoll, bis eine Stimme »Herr« rief. »Hört mich!« antwortete Hamdi. »Ich habe Befehle.« »Wir sind die Diener. Du bist der Herr. Sprich!« Hamdi war überglücklich. Endlich brauchte er sich nicht mehr zu ducken. Er konnte wie der befehlen, wie in all den Jahren, bevor der junge Pharao kam. »Kennt ihr den Baumeister Sesem, meinen Freund?« fragte er. »Wir kennen ihn. Er baut das Grabmal des Pharao.« »Sesem darf heute das Grabmahl nicht betre ten. Morgen soll Sesem nicht wissen, warum er heute nicht zum Grabmal gekommen ist.« »Sesem weiß schon nicht mehr, daß es ein
Grabmal gibt.« Hamdi dankte mit den vorgeschriebenen For meln und Sprüchen. Mit einem Schlag saß er wieder allein in sei ner Studierstube. * Sesem hatte in der Kapelle des Grabmals alle Mitarbeiter versammelt. Der Sarkophag war in der Kammer aufgestellt worden. Nun sollten die Beigaben hinuntergeschafft werden. Plötzlich wischte der Baumeister mit der Hand über die Stirn. Er mußte sich setzen. »Sind Sie krank?« fragte ein Steinmetz be sorgt. »Nein, nein«, beteuerte Sesem. »Mir ist nur eingefallen…, welchen Tag haben wir heute?« Man antwortete ihm. »Ich werde zu Hause erwartet. Geht nach Hause! Wir machen morgen früh weiter.« »Sollen wir Sie begleiten?« fragte der Stein metz. »Nein. Ich fühle mich wohl. Es war nur… ich hatte ganz vergessen…« Er grüßte und ging zu seinem Wagen. Es erstaunte ihn nicht, daß der Wagen mit Gespann vor dem Grabmal stand. Er stieg auf und nahm die Zügel in die Hand. Die Mitarbeiter eilten nach Hause. Die drei
Steinmetze blieben zurück und zündeten ihre Arbeitslampen an. Dann fuhren sie einer nach dem anderen durch den Schacht zur Grabkam mer. Die Wandmalereien waren fertig. In der Mitte der Kammer stand der Sarkophag noch ohne Deckel. Die Männer machten sich an die Arbeit. Sie lösten aus dem Sarkophag den Boden. Jetzt lag der Schacht, der in die Grotte führte, offen da. Statt des Bodens brachten die Män ner eine Falltür an, die man von außen auslö sen konnte. Der Schaltknopf war in einem Or nament des Sarkophags versteckt. Nach zwei Stunden hangelten sich die Stein metze wieder durch den Schacht hinauf in die Kapelle. * Hamdi versuchte Kontakt mit den Dämonen zu bekommen. Ohne ihr Zaubertheater waren sie sofort in seiner Stube mit ihren Stimmen. Er bat sie um Schutz, denn er wartete gedul dig auf die Todesnachricht, als ihm zwei Ge stalten in den weißen Gewändern des Priesters entgegen kamen. »Gut, daß sich unsere Wege kreuzen«, be merkte Sahali.
»Was gibt es?« fragte der Hohepriester gelas sen. »Man will die Mauern des Isistempels im Sü den der Stadt einreißen. Der Pharao erließ Be fehl, daß dies morgen zu geschehen habe«, mischte sich Sahalis Begleiter ein. »Wenn ich dich so sprechen höre, Kutaba«, amüsierte sich Hamdi, »könnte man meinen, daß die Welt unterginge.« Die beiden Priester sahen sich verdattert an. »Der Pharao, der Sohn der Sonne, der Herr der Welt ist tot!« Hamdi sah sie lächelnd an. »Tot, sagst du?« wiederholte Sahali. »Tot!« Hamdi nickte. »Wir haben noch nichts davon gehört«, äu ßerte Kutaba Bedenken. »Woher willst du es wissen?« »Die Götter haben es mir gesagt«, log er. »Sie haben ihn bestraft.« »Wenn das stimmt, was du da prophezeist, hätten wir Grund, ein Opfer darzubringen.« Tatsächlich aber dachten die beiden an die Reichtümer, die jeder nun behalten konnte. Hätte man die Tempel vernichtet, wären sie als arme Männer gestorben. »Ich glaube das Gesagte noch nicht ganz, Hamdi«, zweifelte Sahali. »Du wirst bald eines besseren belehrt, Un
gläubiger«, trumpfte Hamdi auf, als Unruhe sich breitmachte. Geschrei und Rufe schallten auf den Straßen. Irgendwo rasselten Waffen. Schwerbewaffnete Wächter besetzten jedes Tor. »Laßt uns in die Gemächer eilen und sehen, was geschehen ist.« Hamdi ging auf eine Trep pe zu, die von zwei Kriegern bewacht wurde. Sahali und Kutaba folgten ihm hastig. Beson ders Sahali war darauf gespannt, was sie er wartete. Jegliche Zweifel über die Worte des Hohepriesters verflogen, als er hörte, was ein weiterer Krieger rief, der die Stufen in den Hof hinunterrannte. »Der Pharao ist tot!« Er blieb kurz vor dem Hohepriester stehen, der ein entsetztes Ge sicht machte und die Treppen hinaufeilte. »Er hatte tatsächlich recht!« flüsterte Sahali und rannte hinter Hamdi und Kutaba her. Durch zahllose Gänge des riesigen Palastes hasteten die drei Priester zu den Privatgemä chern des Pharaos. Bereitwillig öffneten zwei Männer der Leib wache die goldüberzogene Tür zum Schlafge mach, als sie den Hohepriester besorgt herbei eilen sahen. Energisch trat Hamdi in den Raum und erfaß te mit einem Blick die Situation. Am Fenster des Zimmers stand die Frau des
Pharaos mit verweinten Augen. Der Befehlsha ber der Leibgarde stand betroffen neben ihr. Der Pharao lag bewegungslos auf dem Mar morboden und rührte sich nicht. Der Leibarzt untersuchte den Leichnam. Gerade als der Hohepriester den Raum be trat, erhob er sich. In seinen Augen standen Ratlosigkeit und Verwirrung. »Was ist geschehen?« fragte Hamdi und gab seiner Stimme einen entsetzten Klang. »Der Sohn der Sonne und des Lichtes ist tot. Die Götter haben ihn zu sich geholt«, erwiderte der Arzt. »Wer brachte ihn um?« fragte Hamdi. »Man greife den Attentäter.« Der Doktor winkte ab. »Nicht eine Meuchel hand und auch kein Gift nahmen ihm das Le ben. Sein Herz hat auf rätselhafte Weise ver sagt.« Beschwörend hob Hamdi die Arme und flüs terte: »So haben die Götter Rache für die Ab trünnigkeit des Pharaos genommen.« Er zeigte auf den leblosen Körper. »Sein Glau ben an Aton konnte ihn nicht retten. Die Götter dulden keinen Menschen auf Erden, der nicht an sie glaubt. Betet zu Osiris, damit nicht auch ihr die Rache der Götter zu fürchten habt. Hul digt ihnen und nichts kann euch geschehen!« Die Anwesenden senkten betroffen den Blick,
als der Priester mit funkelnden Augen in die Runde sah. Abrupt wandte Hamdi sich um. »Sorgt dafür, daß die sterblichen Überreste unseres gelieb ten Herrn in den Tempel kommen.« Forschen Schrittes verließ er den Palast. * Die Trauernden wußten, daß nur der Hohe priester und seine Helfer das Grab betreten durften. Vier Priester nahmen den Sarg und ver schwanden damit im Grabeingang. In der Ka pelle warteten zwei Steinmetze auf sie. Sie lie ßen zwei Priester mit dem Flaschenzug zur Grabkammer hinunter. Dann schickten sie den Sarg hinterher. Ihm folgten die zwei Priester und die Steinmetze. Der Hohepriester blieb in der Kapelle. In der Grabkammer hoben die Priester den mumifizierten Leichnam aus dem Sarg und legten ihn in den Sarkophag. Die Steinmetze legten den Deckel auf. Und ei ner drückte heimlich auf den Knopf im Orna ment, der die Falltür auslöste. Die Grabkammer wurde von den Steinmetzen verschlossen und von den Priestern versiegelt. Alle Männer stiegen darauf wieder in die Ka
pelle hinauf. Hier schlossen die Steinmetze den Schacht. Stolzen Hauptes und mit gespielter Trauer trat der Hohepriester wieder ans Tageslicht. »Der Pharao, der Sohn der Sonne, hat seinen Frieden gefunden«, verkündete er laut. Die Trauernden knieten nieder und beteten ein letztes Mal. Der Hohepriester erhob sich. Er stimmte einen Totengesang an. Die Menge fiel ein und pilgerte zur Stadt zu rück. »Er ist tot für die Zeit«, sagte der Hohepries ter vor sich hin. »Nun muß er auch noch ster ben für die Ewigkeit!« * Finsternis lastete beklemmend über der Wüs te. Die Sterne leuchteten spärlich und zeigten dem Mann auf dem einachsigen Wagen den Weg durch die Nacht. Eine schmale Staubfahne zog hinter dem Ge spann mit den zwei Pferden her, doch kein menschliches Auge sah sie. Hamdi, der Hohepriester, jagte den Dag-Hü geln entgegen, die schwarz und unwirklich vor ihm auftauchten. Der verkleidete Steinmetz hielt, nahm einen
kleinen Kasten vom Wagen und ging zwischen den Hügeln zum Grotteneingang. Unter seinen Sandalen knirschte der Sand. In der Ferne bellten sich zwei Wüstenfüchse an. Im Eingang lag eine Fackel. Hamdi zündete sie an und ging die dreißig Schritte bis zur Grotte. Er steckte die Fackel in eine Halterung und sah sich um. Unter dem Schacht lag die Mumie des Phara os. Der leere Sarg stand offen. Kärgliche Ton gefäße waren die einzigen Grabbeigaben. Da sie außerdem leer waren, würden sie dem Pha rao wenig nützen, wenn er mal aufwachte. »Du bist den Tod für die Zeit gestorben«, re dete der Hohepriester die Mumie triumphie rend an. »In dieser Kammer wirst du auch noch den Tod für die Ewigkeit sterben.« Er öffnete den kleinen Kasten, den er mitge bracht hatte, und entnahm ihm die kleine Ja defigur des Lichtgottes Osiris. Er hielt sie vor den Pharao hin. »In diese Figur werde ich dich verbannen. Da mit bist du nichts mehr, nur ein Sklave, der Osiris dienen muß.« Er schloß die Augen und wiegte den Oberkör per wie in Trance. Unverständlich murmelte er in einer magi schen Sprache Beschwörungsformeln. Offen bar wurde er erhört.
Tief in der Erde rollte ein Donner. Nebel stie gen auf und hüllten die Mumie ein. Hamdi hob beschwörend die Hände. »Hört mich, Dämonen des Verderbens, Fürs ten der Finsternis! Die Seele dieses Jungen soll euer sein als Dank für eure Dienste. Bannt ihn in diese Statue! Und er soll erst daraus befreit sein, wenn die Figur gewaltsam zerstört wird. Dann könnt ihr mit ihm machen, was euch ge fällt.« Schweflige Dämpfe verdichteten sich, kro chen aus dem Boden und nahmen dem Mann den Atem. Licht waberte aus den Felswänden mit einer unheimlichen Intensität. Plötzlich herrschte tödliche Stille. Er wußte sofort, daß etwas nicht stimmte. Verwirrt sah er auf. Schreiend prallte er zu rück und suchte irgendwo Halt. Der Geist des Pharao, fast leibhaftig wie zu Lebzeiten, stand vor Hamdi. Langsam und dro hend kam er näher. Eine Aureole gleißenden Lichtes umhüllte ihn wie einen goldenen Man tel. Auf dem Haupt trug er die aus Silberfäden gefertigte Pharaokrone. Im Gesicht des Geistes, das fahl und fast durchsichtig wie mattes Glas war, loderten Zorn und Empörung. »Du hast Dämonen gerufen, um mich zu tö ten«, hauchte seine Stimme, als käme sie aus
weiter Ferne. »Dein Zauber ist gelungen! Ich bin verdammt, bis in alle Ewigkeit in dieser Statue zu verweilen. Aber du hast die Dämo nen zu deinem Werkzeug gemacht. Nun mußt du büßen. Sie brauchen dich nicht mehr!« »Aber…«, jaulte der Hohepriester. »Schweig!« herrschte der Pharao ihn an. »Du hast mich durch deinen Bann in diese Statue gezwungen. Jeder, der eines Tages diese arm selige Grabkammer betritt, muß mit dem Le ben zahlen. Du bist der erste! Du bist mein ers tes Opfer!« Bebend vor Angst, den sicheren Tod vor Au gen, wollte Hamdi fliehen. Der Geist erreichte ihn und schlug ihn nieder. Er kroch auf allen vieren zum Grottenaus gang. Er kam auch noch zwei, drei Yard in den Gang. Da knirschten die Felsen. Aus den Deckenrit zen rieselte Staub. Polternd fielen die ersten Steinbrocken her ab, begleitet von ohrenbetäubendem Bersten. Der ganze Berg schien in Bewegung geraten zu sein, als stände ein Vulkanausbruch bevor. Das Gestein schüttete den Eingang der Höhle zu und begrub den toten Hohepriester unter sich, auf daß er von keinem Menschen gefun den würde. Die Mumie wurde von einer dicken Staub
schicht überzogen, blieb aber unversehrt wie die Statue des Osiris… * Die zwei VW-Busse kamen aus Theben und steuerten genau auf die Hügel im Westen zu. Bald hatten sie die erste Schlucht erreicht. In ihrem Schatten war es nicht wesentlich kühler. »Hier machen wir erst mal Pause«, meinte der Fahrer des ersten Wagens. Im Gegensatz zu seinem Nebenmann wirkte er auf den ersten Blick wie ein Typ, der das Abenteuer sucht. Steve Cordell war 27 Jahre alt und Student der Psychologie. Sein Nebenmann war das genaue Gegenstück: ein hagerer junger Mann mit altmodischer Brille. Man sah ihm an, daß die Mittagsglut ihm zusetzte. Sein Gesicht hatte trotz vierwöchigen Urlaubs noch keine Bräune angenommen. »Am liebsten säße ich am Swimmingpool un seres Hotels in Kairo«, stöhnte er und tupfte die Schweißperlen von der Stirn. Alles an Gordon Davis erinnerte an einen Klassenbesten, nur daß er zu alt für einen Schüler war. Er kam aus einer Arbeiterfamilie und hatte sich mit viel Fleiß durch die Schule
geschlagen. Nun studierte er mit Erfolg Mathe matik in Philadelphia. »He, was ist los, ihr Faulpelze?« Eine Gestalt tauchte neben dem Wagen auf. »Wollt ihr etwa schon Pause machen?« »Wir sollten hier zwei Stunden rasten, sonst werden wir in der Wüste bei lebendigem Leib geröstet.« Cordell zeigte auf seinen Beifahrer. »Unser Primus ist auch nicht auf der Höhe. Wir können nicht verantworten, daß seine Ma thematikformeln sich im Kopf auflösen. Wer sollte dann Einsteins Nachfolge antreten?« »Da hast du natürlich recht, Steve«, erwiderte der junge Mann vor dem VW-Bus todernst. Er hieß Kevin Crawford und studierte Physik im achten Semester. Er gehörte schon zu ei nem Forschungsteam. Wie Cordell trug er einen tiefschwarzen Voll bart, seine Augen strahlten Geduld aus, die nicht so schnell zu erschüttern war. Der Mann strich eine Locke aus der Stirn und meinte: »Okay, wir machen Rast.« Er ging zu seinem Bus. »Los, Michael, wir bauen das Sonnendach auf. Es geht erst in zwei Stunden weiter.« Mi chael stieg aus dem zweiten Wagen aus und reckte sich. Das Hemd spannte sich über einen muskulö sen Körper. Jede Bewegung verriet den durch
trainierten Sportler. Michael Thone hatte sein Studium bereits be endet und war Geschäftsführer bei seinem Va ter, der ein großes Transportunternehmen lei tete und mehrfacher Millionär war. Er war von allen der älteste. Seine Erschei nung versetzte die Frauen in Verzückung, wo er auch nur aufkreuzte. Der blonde, gebräunte Mann wußte um seine Chancen und nutzte sie nach Belieben. Seine Art hatte sich seit der Schulzeit sehr ge ändert – was die drei anderen auf dieser Tour zu spüren bekamen. Die vier jungen Männer hatten sich auf dem College kennengelernt und galten allgemein als unzertrennlich. Nach dem Schulabschluß hatte man sich aus den Augen verloren und erst vor einigen Mo naten durch Zufall wieder getroffen. »Meint ihr, ich bin euer Diener?« maulte Mi chael Thone. »Jeden Tag dasselbe Theater.« »Okay, dann mache ich es allein«, verzichtete Kevin Crawford. Michael Thone half dann doch, fuhr sich mit dem Zeigefinger über den gepflegten Bart, der den Eindruck eines Dandys noch mehr ver stärkte, und fragte: »Wo sind die Klamotten?« »Hinten auf den Wasserfässern.« Alle vier packten an, und in Windeseile war
das Lager aufgebaut. Ein leichter Wind kam von Osten und ver schaffte Linderung. »Ich habe gehofft, wir hätten es heute noch bis zum Roten Meer geschafft«, knurrte Micha el Thone. »Dann hätten wir uns wenigstens er frischen können.« »Ich habe gehört, daß es da niedliche Haifi sche gibt. Nicht auszudenken, wenn sie deinen Astralkörper angeknabbert hätten«, flachste Steve Cordell. Die anderen grinsten. Sie alle fanden, dieser arrogante Angeber war nicht mehr der Michael Thone von früher. Seit die Eltern viel Geld gemacht hatten, war er ein anderer geworden. Die Dollars hatten seinen Charakter lädiert. »Du kannst dir deine dummen Bemerkungen sparen«, fauchte der Playboy blasiert. Gordon Davis spürte, daß er eingreifen muß te. Er kannte seinen Freund, mit dem er in Philadelphia studierte. Steve konnte keiner Fliege etwas zuleide tun, aber wehe, wenn ihm jemand dumm kam. »Sag mal, Kevin«, lenkte er das Gespräch auf ein anderes Gleis, »was hältst du eigentlich von diesem Hügel? Du bist doch Hobbyarchäologe. Witterst du hier nichts? So ein Königsgrab könnte doch unserer Kasse gut tun.«
Das Ablenkungsmanöver gelang. Steve Cor dell reagierte sofort mit einer freundschaftli chen Stichelei. »Aber das ist doch nichts für unseren Kevin. Der ist ein toller Physiker, aber wird nie in sei nem Leben auch nur eine Scherbe finden.« »Meinst du?« ging Kevin auf die Herausforde rung ein. »Und wenn ich nun eines Tages das Echnaton-Grab fände, was noch keinem ge lang? Da möchte ich dein dummes Gesicht se hen.« Die anderen lachten. »Dann mach’ dich aber schnell an die Arbeit«, scherzte Michael Thone. »In ein paar Tagen ist unser Urlaub zu Ende.« Für kurze Zeit war er wieder der Alte. Der Streit, der scheinbar unabwendbar war, schien vergessen. Doch Gordon Davis hatte ge nug Menschenkenntnis und blieb wachsam. Michael Thone würde mit schlafwandlerischer Sicherheit keine Möglichkeit entgehen, um einen anderen vor den Kopf zu stoßen oder be wußt zu beleidigen. Stöhnend vor Hitze erhob sich Crawford vom Boden, auf dem er sich mit den anderen nie dergelassen hatte und klopfte den Sand von den Jeans. »Ich schau mich mal hier ein wenig um. Sieht zwar nicht aus, als ob etwas zu finden wäre,
doch die alten Ägypter haben ja überall ihre Verstecke gehabt.« Kevin ging los. Gedankenlos sahen die Männer ihm nach, bis er hinter einem Hügel verschwunden war. »Woran denkst du, Michael?« fragte Steve den Playboy. »Die Wildnis macht mich wahnsinnig. Ehrlich gesagt… ich habe mich auf die Tour gefreut. Aber der viele Sand und die Sonne schaffen mich.« »Was fehlt dir denn hier?« fragte Gordon. »Frauen«, gestand Michael. Erstaunt sah der Mathematikstudent ihn an. Der schüchterne Mann wurde rot trotz seiner 27 Jahre. »Und an was denkst du, wenn du nicht an Frauen denkst?« »An noch mehr Frauen«, warf Steve Cordell ein. »An was soll ein reicher Playboy sonst schon denken.« Michael Thone sprang auf und wollte seinem gegenüber an den Kragen. »Eins will ich dir sa gen, du armseliges Würstchen«, fauchte er. Sein Gesicht verfärbte sich vor Wut. »Sprich es ruhig aus! Es ist ja sowieso nur geistige Schmalspur, die du fährst«, forderte Steve ihn heraus. Tief Luft holend versuchte Michael Thone sei
nen Zorn zu bändigen. Als er aber in das grin sende Gesicht seines ehemaligen Klassenka meraden sah, sprang er vor Wut auf und be kam das Hemd des Gegners zu fassen. »Dir werd’ ich es zeigen.« Er schlug zu. Der Faustschlag verfehlte Steve nur um Haa resbreite. Er fiel auf den Rücken und zog die Beine an, um den zweiten Angriff abzuwehren. In diesem Moment sprang der schmächtige Gordon Davis zwischen die Kontrahenten. »Seid ihr von allen guten Geistern verlassen?« schrie er aufgebracht. »Ihr seid doch Freunde!« Die Stimme überschlug sich vor Empörung. Er begriff nicht, daß so etwas geschah. »Zuerst zu dir, Michael.« »Laß mich los, Gordon«, wehrte sich der Play boy. »Nein, ich laß nicht los.« Gordon war in sei nem Leben noch nie so energisch gewesen. »Du hörst dir an, was ich zu sagen habe.« Die Überraschung war perfekt. Der ängstliche Gordon Davis, dessen Stärke sein Wissen war, setzte sich gegen zwei Männer durch, die we sentlich stärker waren als er. »Ihr prügelt euch wie die Kinder. Seid ihr nicht mehr gescheit?« schimpfte er. »Habt ihr vergessen, daß wir die Tour unternehmen, um die Erinnerung an alte Zeiten wachzurufen?«
»Alte Zeiten lassen sich nicht wecken«, ant wortete Steve müde, »sie sind vergangen.« »Wenn dieser Urlaub zu Ende ist, macht, was ihr wollt. Aber bewahrt wenigstens so lange Frieden. Okay?« Gordons Blicke sprangen von einem zum anderen. Michael Thone besann sich zu seiner Überra schung als erster. »Ich glaube, die Sonne war schuld. War nicht so gemeint.« Er hielt seinem Gegenüber die Hand hin. Der andere zögerte einen Moment, bis er sich entschloß, die Hand anzunehmen. »Vergessen wir es. Ich glaube, ich war ein bißchen zu bis sig.« Von den dreien war einer am glücklichsten: Gordon Davis, der es geschafft hatte, den Streit beizulegen. »Darauf müssen wir einen trinken.« Cordell ging zum ersten Klein-Bus. Im Handschuhfach lag noch eine Flasche Bourbon. In diesem Moment kam ein Schrei aus den Hügeln… * Vorsichtig war Kevin Crawford an den Fels wänden entlang gegangen. Schwitzend machte er sich an den Aufstieg zu
einem Plateau, das der Wind im Lauf der Jahr tausende blankgeweht hatte. Kevin dachte, die Luft würde ihm wegbleiben, als er aus dem Schatten trat. Er fühlte sich wie in einem Glutofen. Die wenigen Schritte bis zu einem wuchtigen Stein, der einer von Wind und Wetter zerfres senen Kugel glich, waren schnell gemacht. Kaum hatte er ihn erreicht, als das Unvorher sehbare geschah. Der Felsboden ließ unter sei nen Stiefeln nach. Verzweifelt ruderte er mit den Armen und suchte Halt. Ein lauter Angstschrei entrann seinem Mund, als er wegsackte. Die Hände krallten sich in den Boden, doch er rutschte in eine Felsspalte. Der Schrei verstummte, als er hart aufschlug. Kleine Steine polterten hinterher. Siedendheißer Schmerz durchzuckte seinen Arm. Aufstöhnend fiel er nach hinten. Schleier legten sich vor seine Augen. Mühsam kämpfte er gegen die Schwäche an. Kevin raffte sich hoch. Sein erster Blick ging nach oben. Die Felsspalte, durch die er ge stürzt war, lag in etwa vier Meter Höhe. Sie war einen Meter lang und breit. Behutsam betastete er seinen schmerzenden Arm. Er stellte fest, daß er nur verstaucht war. Als nächstes begutachtete er sein unfreiwilli
ges Gefängnis. Im Halbdunkel der Höhle konn te er gerade die Hand vor den Augen sehen. Humpelnd ging er die Wände ab. Er hatte schnell begriffen, daß die Höhle von Men schenhand geschaffen worden war. Die Wände waren glatt, der Raum fast quadratisch. So sehr er auch suchte, er fand keinen Aus gang. Als seine Augen sich an das Halbdunkel ge wöhnt hatten, erkannte er mit einem Schlag, wo er sich befand. Mitten in dieser Kammer standen Tonkrüge und Schüsseln. »Mensch, das darf doch wohl nicht wahr sein«, keuchte Kevin erregt. »Ich habe eine Grabkammer gefunden.« Sein Herz pochte vor Erregung wild. Da stand auch der Sarg. Hier war wohl nur ein armer Teufel beigesetzt worden. Der einfa che Sarg war aus billigem Holz. Da waren kaum üppige Grabbeigaben zu erwarten. Kevin sah sich um. Es gab Schüsseln und Krüge. Ein paar kleine Figuren – Pferde, Kühe, Schafe – und… Kevin erschrak. In der Ecke hockte eine zu sammengekrümmte Gestalt. Sie war in Lein wandbinden eingepackt wie eine Mumie. Wie kam sie in die Ecke? War sie aus dem Sarg gestiegen?
Kevin schlug den Sargdeckel zurück. Der Kas ten war leer. Vielleicht hat man den… oder die… war es Mann oder Frau…? Kevin Crawford sah sich um und entdeckte in der Decke der Kammer ein Loch. Bei genaue rem Hinsehen sah es wie ein Schacht aus. Und gerade unter dem Schacht hockte die Mumie. Gab es da Zusammenhänge? Oder war das nur Zufall? »Das ist ja ein toller Fund«, dachte er erregt. Mitten in der Bewegung erstarrte er. Eine un natürliche Beklemmung ergriff ihn. Er fühlte eine nie gekannte Angst. Eisige Kälte herrschte in seinem unfreiwilli gen Verlies, die er erst jetzt spürte. Er schüttel te sich. Eine Gänsehaut lief über seinen Rücken. * »Das war Kevin«, rief Gordon entsetzt, als er den Schrei hörte. Die Männer rannten los. Der Schweiß schoß ihnen in die Poren. Die Sorge um den Freund ließ sie die Hitze vergessen. »Kevin!« brüllten sie. Aber eine Antwort blieb aus. »Es ist besser, wir trennen uns«, schlug Mi
chael Thone vor, als sie zu der Stelle kamen, wo sich Kevins Spuren verloren. Unter der Bräune war er blaß geworden. Gordon Davis winkte ab. Nachdenklich schau te der junge Mann über seine Brille. Sekunden lang standen die Männer ratlos herum. »Gehen wir mal davon aus, Kevin hätte die Richtung nicht geändert…« Weiter kam er nicht. »Seid mal ruhig, Jungs!« Steve Cordell lausch te angestrengt. Von irgendwo her kam ein Ruf, leise, wie aus weiter Ferne. Er wiederholte sich immer wie der. »Habt ihr es auch gehört.« »Ja«, bestätigte Gordon. Michael nickte nur erregt. Hastig machten sie sich an den kurzen Auf stieg. Im Gegensatz zu Steve und Michael hatte der ungelenke Gordon erhebliche Schwierig keiten. Aus sportlicher Betätigung hatte er sich nie viel gemacht. Als sie auf dem Plateau standen, sahen sie sich suchend um, konnten aber nichts entde cken. Ein erneuter Ruf, diesmal lauter und fordern der. »Das kam von da vorn.« Steve Cordell rannte weiter und blieb vor ei
ner kleinen Felsspalte stehen. »Kevin, bist du da unten?« Er versuchte die Dunkelheit, die unten herrschte, zu durchdringen. »Nee, ich bin der Geist meines Großvaters«, kam Kevins Stimme aus der Tiefe. Erleichtert richtete sich Steve auf. »Er ist putzmunter«, meinte er zu seinen Freunden, denen der Schreck noch in den Ge sichtern geschrieben stand. »Er macht schon wieder dumme Witze.« »Kommt herunter! Ich habe eine phantasti sche Entdeckung gemacht«, brüllte Kevin un geduldig. »Wir holen ein Seil.« Wie auf Kommando rannte Steve los. »Bring auch eine Taschenlampe mit«, forder te Kevin. Als Cordell wiederkam, hatte er alles bei sich. »Wir kommen hinunter.« Er zurrte das Seil um einen Felsen und prüfte es auf seine Festig keit. »Es ist besser; einer bleibt oben«, meinte Ke vin, »für den Fall, daß was mit dem Seil ge schieht.« Steve machte sich vorsichtig an den Abstieg. »Gordon, du bleibst oben.« Damit ver schwand er in der Felsspalte. Halbdunkel umgab ihn. Kälte griff nach ihm.
Seine Finger wurden steif. »Mensch, ist das kalt hier«, keuchte er und seilte sich schneller ab. »Vorsichtig, Steve!« mahnte Kevin, der das Seil straffte. Kaum hatte Steve Boden unter den Füßen, klopfte er Kevin erleichtert auf die Schulter. Crawford lächelte. Nun war er nicht mehr al lein. Die heimliche Angst wich. »Schau dich mal um!« forderte der Hobbyar chäologe seinen Freund auf. »Wie war das doch vorhin mit der Grabkammer? Hier ist sie!« Er grinste breit, als er Steves Gesicht sah. »Ist ja enorm. Tatsächlich eine Grabkammer.« Neugierig ging er auf den Sarg zu. Als er nä her trat, bekam er einen gewaltigen Schrecken. Mit der Mumie hatte er nicht gerechnet. »Ein merkwürdiger Zeitgenosse!« Er versuch te den Überlegenen zu spielen. Kevin konzentrierte sich auf den Abstieg Mi chaels. Als dieser ebenfalls unten war, machten sich die Männer daran, die Kammer mit der Ta schenlampe zu untersuchen. »Mensch, das sind Werte«, staunte Cordell, als er die Gegenstände sah. »Damit kann man ein Vermögen machen.« »Für die Archäologie ein ungeheurer Fund«,
meinte Kevin nüchtern. Steve stieß Michael an. »Hast du das gehört?« empörte er sich. »Dieser Idiot will die Sachen der Wissenschaft übergeben.« »Was denn sonst?« fragte Kevin. »Steve will damit nur sagen, daß die Dinger einige Tausender einbringen. Damit hätten wir unseren Urlaub doppelt und dreifach wieder heraus«, klärte Michael ihn auf. Im ersten Moment wollte Kevin widerspre chen. Doch dann grübelte er und kraulte nach denklich den Bart. »Eigentlich habt ihr recht, Jungs. Wenn ich an mein Studium denke… ein paar Kröten könnte ich schon brauchen.« »Na, dann nichts wie alles einsammeln und weg von hier!« schlug Steve Cordell gutgelaunt vor. »Ihr wißt natürlich, daß wir dran sind, wenn man uns mit dem Zeug erwischt«, gab Kevin zu bedenken. »Für Grabräuberei geben die Be hörden hierzulande kein Pardon.« »Wird schon schief gehen!« schlug Michael Thone die Warnungen in den Wind. »Den Ver kauf der Klamotten werde ich organisieren. In Kairo gibt es genug Leute, die mit ägyptischen Antiquitäten handeln.« Steve wurde unruhig. Die Kälte machte ihm zu schaffen. »Packen wir die Sachen zusam
men und raus hier!« »He, Gordon!« rief Michael nach oben. Im hellen Rund der Felsspalte tauchte das schmale Brillengesicht auf. »Was gibt es? Darf man vielleicht erfahren, was ihr so lange da unten macht?« »Erzählen wir dir gleich, Sonny!« versprach Michael. »Lauf zum Bus und hol’ einen der Campingsäcke und alle Handtücher, die du fin dest.« »Ist was mit Kevin?« wollte Gordon wissen. »Frag nicht soviel!« maulte Steve. »Beeil dich!« Der junge Mann entfernte sich. »Stellt die Schüsseln und Schalen schon inein ander. Wir wickeln sie in Tücher und packen sie in den Sack. Dann gehen sie bestimmt nicht kaputt.« Michael war wieder der große Organisator. Die Männer machten sich an die Arbeit. Sie zählten 15 Schüsseln aus bemaltem Ton, sechs Wein- und Wasserkrüge mit feinsten Verzie rungen und vier Statuen, keine größer als 15 Zentimeter. »Das sind Grabbeigaben«, wollte Kevin wis sen. »Lauter Dinge, die der Tote im Jenseits brauchen kann. Vieh und ein Pferd und…« Er hielt eine kleine Männergestalt in der Hand. »Das ist vielleicht ein Knecht, der den hohen
Herrn bedienen soll.« Steve nahm ihm die Figur aus der Hand. »Das ist aus Jade. Eine feine Arbeit. Bringt sicher viel Geld.« Kaum hatte er sie neben die Tonkrüge ge stellt, als er zurückprallte. Ihm war, als hätte eine feuchte Hand seine Kehle gestreift. »Was ist los?« fragte Michael. »Ist schon in Ordnung«, beruhigte er den Hobbyarchäologen. »Eine kleine Schwäche. Hab’ den plötzlichen Temperaturunterschied nicht verdaut.« »Ist ja auch seltsam«, bemerkte Kevin nach denklich. »Physikalisch in keiner Weise zu be gründen. Aber wir haben es bald hinter uns.« Oben näherten sich Schritte. »Hier habt ihr euren Kram«, rief Gordon schnaufend. Die Kraxelei mit dem Sack auf dem Buckel hatte ihn außer Atem gebracht. Der Sack kam heruntergeflogen. Die Männer fingen ihn auf und machten sich an die Arbeit. Zehn Minuten später war alles verpackt. Sorgfältig banden sie den Sack an das Seil. In der Hoffnung, der schmächtige Gordon würde es schaffen, rief Kevin: »He, Sonny, zieh den Sack hoch! Aber vorsichtig! Es sind kostbare Geräte drin.« »Was für kostbare Geräte?« fragte er. »Sei nicht so neugierig«, bremste Steve.
Ein undefinierbares Maulen kam von oben, langsam hob sich der Sack mit der Beute. Gor don hievte den schweren Sack an die Oberflä che. »Paß auf, wenn du ihn über den Rand ziehst«, mahnte Michael besorgt. »Kannst es ja besser machen!« schimpfte Gor don beleidigt. »Ich muß die schwere Arbeit ma chen und ihr seht zu.« Mit letzter Kraft wuch tete er den Sack hoch und stellte ihn behutsam ab. Ungeschickt, wie er war, brauchte er mehrere Minuten, bis er den Knoten gelöst hatte, um das Seil wieder hinabzuwerfen. Inzwischen kam es in der Tiefe der Grabkam mer zu einem Erlebnis, das die drei Männer in Schrecken versetzte. Ohne ersichtlichen Grund begannen die Wän de zu pulsieren. Sie strömten ein milchiges Licht aus. In der kalten Luft lag ein Wispern und Stöhnen. »Was ist denn das?« fragte sich Steve Cordell. Noch konnte er nichts mit der Situation anfan gen. »Wahrscheinlich eine Täuschung«, vermutete Kevin gleichgültig. »Die Geräusche könnten von einem unterirdischen Bach stammen.« Ein schrilles Lachen verhöhnte seine Vermu tung. Eine gräßliche Fratze tauchte vor ihnen
auf. Die Männer sprangen entsetzt zurück. Die Erscheinung verblaßte und verschwand. Steve lehnte an der Wand und rang nach Atem. »Was war das?« fragte er zitternd. Auch Kevin japste nach Luft. »Ich weiß nicht.« Er suchte nach einer natürlichen Erklärung. »Ich habe mal gelesen, daß die alten Ägypter Grabräuber von den Grabstätten mit Giftgasen verjagten. Vielleicht haben wir solch ein Zeug eingeatmet und glauben jetzt Gespenster zu se hen«, flüsterte Michael Thone. Nur mühsam konnte er seine Nerven beruhigen. Als das Seil herunterkam, war er der erste, der daran hinaufhangelte. Auch die zwei anderen beeilten sich, den un heimlichen Ort so schnell wie möglich zu ver lassen. Gordon sah sie erstaunt an. »Was ist denn mit euch passiert? Ihr seht ja aus, als wärt ihr mit dem Gesicht in einen Kalkeimer gefallen.« Die Männer antworteten nicht. Keiner von ih nen wollte sich eine Blöße geben. »Laßt uns die Sachen zu den Bussen bringen und weiterfahren.« Steve nahm den schweren Sack auf seinen Rücken. Gemeinsam gingen sie über das Pla teau zu den Wagen. Michael übernahm es,
Gordon Davis über ihren Fund aufzuklären. Die seltsame Erscheinung aber erwähnte er nicht. »Wenn ihr meint, es wäre richtig, was ihr tut?« ließ Gordon seine Bedenken erkennen. »Sag bloß, du hättest genug Geld, um so ein Geschäft auszuschlagen.« Steve stöhnte unter der Last. Gordon Davis wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die anderen deuteten sein Schwei gen als Einverständnis. Plötzlich vernahmen sie ein tiefes Grollen. Er schrocken sahen sie sich um. Der Hügel schien in Bewegung zu geraten. Staubwolken wirbelten hoch. Die Erde bebte leicht. Ein Krachen und Poltern erfüllte die heiße Luft. »Die Grabkammer stürzt ein«, rief Michael erschrocken. »Wenn wir jetzt noch unten wä ren…« Der Gedanke ließ ihn verstummen. Ein greuliches Lachen, das die Männer zu sammenzucken ließ, wehte heran und peinigte ihre Ohren. Kreidebleich sahen sie sich an, sagten aber kein Wort. Gordon war ahnungslos. »Was ist das?« Er bekam keine Antwort. So rasch wie er gekommen war, verflog der Spuk wieder. Gemeinsam erreichten sie die Busse und be
reiteten sich auf die Abfahrt vor. Ein jeder aber, außer Gordon, grübelte über den Erdstoß und das Lachen nach. Sie ahnten, daß die Grabkammer ein Geheimnis barg. * Die beiden VW-Busse bahnten sich einen Weg durch die engen Straßen der Altstadt von Kai ro. Aus den Läden erklang orientalische Mu sik. Es wimmelte von Touristen. Steve Cordell, der den ersten Wagen fuhr, stöhnte. Die Hitze im Innern des Wagens war schier unerträglich. »Hoffentlich sind wir bald da.« Sein Beifahrer Gordon bestätigte es mit hefti gem Nicken. »Wäre mir auch sehr recht. Die letzten Tage haben mir gar nicht mehr gefal len. Gut, daß wir bald wieder in den Staaten sind.« Über sein schmales Gesicht liefen einige Schweißperlen, die er unwirsch abwischte. Sei ne Augen leuchteten, als habe er Fieber. Sie kamen nur mühsam vorwärts. Die Men schen drängten sich zu Hunderten in den en gen Straßen. »Sieh mal aus dem Fenster. Michael soll uns Zeichen geben. Nicht, das wir falsch fahren.« Gordon kurbelte das Seitenfenster bis zum
Anschlag und steckte den Kopf hinaus. Der zweite VW-Bus fuhr wenige Meter hinter ihnen. Durch die Windschutzscheibe erkannte er die Gesichter der Freunde. Gerade streckte auch Michael den Kopf aus dem Seitenfenster. »Zweite Straße rechts!« brüllte er. Gordon hatte verstanden. Er lehnte sich wie der gemütlich an die Lehne und legte seinen Kopf gegen die Kopfstütze. »Hast du’s gehört?« fragte er den Fahrer. Steve nickte und trat auf die Bremse. Um ein Haar wäre ihm ein Araber vor den Wagen ge laufen. »Verdammt!« schimpfte er aufge bracht. Der Mann ging ungerührt weiter. »Soviel Gemütsruhe möchte ich haben«, be merkte Gordon kopfschüttelnd. »Das kann man wohl sagen. Der hat ein Fell wie ein Elefant.« »Wobei ich dich leider verbessern muß, da…« Gordon versuchte, seinen Freund zu verbes sern, aber der kam ihm zuvor. »Ich weiß, du Schlauberger«, stöhnte er ge quält. »Du hast mir schon tausendmal erklärt, daß Elefanten kein dickes Fell haben, sondern eine sehr empfindliche Haut.« Die Seitenstraße, in die sie einbiegen mußten, war erreicht. Im Rückspiegel sah er, daß Kevin und Michael folgten.
In diesem Teil herrschte nicht so viel Betrieb. Als er den Wagen an einem unscheinbaren Souvenirladen vorbeifuhr, hupte es hinter ihm. Wieder sah er in den Rückspiegel. Der VWBus hinter ihm stoppte. Mit einem Seufzer zog er den Zündschlüssel ab und stieg aus. Sein Freund Gordon tat es ihm nach. Er war froh, aus der Enge des Wagens herauszukom men. Gemeinsam gingen sie zu den beiden, die ebenfalls ihren Wagen verlassen hatten. »Das hier ist der Laden«, erklärte Michael und zeigte auf die Eingangstür, die in einen Keller führte. Über ihr hing ein Schild mit ara bischen Schriftzeichen. »Und was wird jetzt?« wollte Kevin wissen. »Ich würde sagen, ich gehe erst mal allein hin ein. Ich kenne den Besitzer in diesem Schup pen. Ist ein schräger Typ, doch wir können ihm trauen. Werde mit ihm verhandeln. Mal sehen, was er rausrückt.« Er verschwand in den La den. Minuten vergingen. Gelangweilt lehnte Gor don an der Wagentür, Kevin hantierte im Ge päck, und Steve rauchte eine Zigarette. Keiner ahnte Kevins Gedanken. Niemand be merkte seine Unruhe.
»Es ist eigentlich eine Schande, daß wir diese kostbaren Dinge an einen Gauner verschleu dern. Und das alles für ein paar Dollar«, dach te er. Seine Hand glitt in den Sack, der neben dem Gepäck auf dem Boden des Fahrzeuges lag. Er fühlte etwas Kaltes und zog es hervor. Es war die Jadefigur aus dem Grab. Sie stellte den Gott Osiris dar. Kevin hatte im Museums führer nachgesehen. Da war die hohe Krone mit der Sonnenscheibe und den beiden Strau ßenfedern, die über der Brust gekreuzten Hän de trugen Szepter und Geißel. Kevin betrachtete interessiert die kaum hand große Figur. Sie war ein kleines Meisterwerk. »Es wäre schade drum«, dachte Kevin be drückt. Mit einem Schlag stand sein Entschluß fest. Wie zufällig drehte er sich um. Keiner beob achtete ihn. Blitzschnell packte er die Statue in seine Rei setasche und deckte sie mit einem Hemd zu. Niemand hatte etwas bemerkt. »Dies soll mein Andenken an die Reise sein«, murmelte er vor sich hin. »Was hast du gesagt?« fragte Steve, der neben ihm auftauchte. Kevin wirbelte erschrocken herum. »Nichts… nichts«, stotterte er. »Ich habe nur
mit mir selbst geredet.« Steve wandte sich ab. »He, Männer!« Michael Thone kam aus dem Laden. Ein kleiner, dicklicher Mann mit stechendem Blick folgte ihm. Fast unterwürfig verbeugte er sich und begrüßte die Männer mit orientali schem Englisch. »Mir seien große Freude, Geschäft mit Ameri kanern zu machen«, schmeichelte er. Sein aalglattes Äußeres stieß Kevin Crawford ab. Auch Gordon Davis konnte seine Abnei gung nur schwer unterdrücken. »Bringt die Sachen in den Laden! Abdullah will sie sich ansehen«, verkündete Michael. Rasch ging Steve zum zweiten Bus, hievte den Sack vorsichtig heraus und schleppte ihn die Treppe hinunter in das Geschäft. Da weder Gordon noch Kevin Interesse hat ten, landesübliche Reinlichkeit und Ordnung kennenzulernen, wie es in solchen Räumen üb lich war, blieben sie draußen. Der Araber, der die Abneigung zu spüren schien, ließ sich nichts anmerken. Mit hinter gründigem Lächeln verabschiedete er sich. Mi chael folgte ihm, gab den Freunden aber vor her noch ein Zeichen der Zuversicht. »Bin gespannt, was der herausschlägt«, fragte sich Gordon.
»Das kann lange dauern, bis die da drin fertig sind«, befürchtete Kevin. Der Gedanke, daß er die Statue gerettet hatte, machte ihn glücklich. Mehr als eine Stunde warteten die Männer, bevor Steve und Michael aus dem Haus kamen. In ihren Gesichtern stand vollste Zufrieden heit. »Das hat sich gelohnt«, rief Steve lauthals. »Der Urlaub ist uns billig gekommen.« »Was habt ihr gekriegt?« Kevin wurde unru hig. Er haßte es, auf die Folter gespannt zu werden. Ohne ein Wort zu sagen, zog Michael ein Bün del Banknoten aus der Hosentasche. »2000 Dollar, bar auf die Hand!« »Mensch, du bist ein Genie«, lobte Kevin er staunt. »Das hätte ich nie gedacht.« »Macht die Hände auf!« Michael verteilte die Banknoten gerecht. Jeder bekam 500 Dollar. »So, und nun nichts wie zu dem Typ, der uns die Wagen geliehen hat. Dann machen wir einen drauf. Abends suchen wir uns eine tolle Bar und feiern bis in den Morgen«, schlug Ste ve Cordell ausgelassen war. Die anderen waren damit einverstanden. * Der Tag der Abreise war gekommen. Braunge
brannt und ausgeruht, voller Eindrücke und Erinnerungen saßen sie in der Maschine, einer Boeing 727. Nur Gordon Davis machte wie im mer einen erschöpften und kranken Eindruck. Außer einem Sonnenbrand auf der hohen Stirn hatte er keine Farbe im Gesicht. »Auf geht’s!« rief Steve ausgelassen und klatschte in die Hände, als die Düsen zu dröh nen begannen. Das Flugzeug setzte sich in Bewegung, schoß über die graue Startbahn und hob sich in den blauen Himmel. Keine 5 Minuten vergingen, und die Häuser und Straßen auf der Erde wur den kleiner. »In zwölf Stunden sind wir in der Heimat.« Kevin Crawford lehnte sich mit glücklichem Lächeln zurück. Er war der Besitzer einer kost baren Statue, für den Hobbyarchäologen ein Kleinod. Kevin schloß die Augen. Nach wenigen Minuten war er eingeschlafen. * Als Kevin nach drei Stunden erwachte, sah er in Gordons grinsendes Gesicht. »Mensch, du hast geschlafen wie ein Murmel tier«, meinte dieser bewundernd. Kevin reckte sich und sah zur Seite. »Wo sind die beiden?«
Die Plätze am Fenster waren leer. »In der Bar. Sie genehmigen sich einen. Die alten Streitigkeiten der letzten Zeit sollen wahrscheinlich ersäuft werden.« Etwas verwundert schaute der Physikstudent seinen Nachbarn an. Solch lässige Redensarten war er von Gordon Davis nicht gewöhnt. Der Mathematiker schien ein anderer Mensch zu sein, so gelöst wirkte er. »Wo sind wir eigentlich, Primus?« fragte er neugierig. Unter ihnen lag eine weiße Wolken decke. Der Angesprochene sah auf die Uhr. Sofort setzte er ein wissendes Gesicht auf und rea gierte fachmännisch: »Nach meinen Berech nungen müßten wir vor wenigen Minuten den Kontinent hinter uns gelassen haben, voraus gesetzt, die Maschine fliegt ihre gewohnte Rei segeschwindigkeit, und wir haben keinen Rückenwind.« Kevin konnte sich ein Grinsen nicht verknei fen. Er stand auf. »Wo willst du hin?« fragte Gordon. »Komm, wir nehmen auch einen Drink. Sonst vergeht die Zeit zu langsam.« An der Bar trafen sie Steve und Michael, der seine Arroganz in den letzten Tagen völlig ab gelegt hatte. Vertieft in Diskussionen und Erinnerungen
tranken sie einen Whisky nach dem anderen. Als die anderen sich dazu gesellten, war die Stimmung groß. So vergingen die Stunden wie im Flug, wäh rend die Boeing 727 sich dem amerikanischen Kontinent unaufhaltsam näherte. Die vier Freunde gingen erst drei Stunden vor der Landung zu ihren Sitzen zurück. »Gleich kommt ein Western«, gab Steve zu verstehen. »Schlage vor, den schauen wir uns an.« »Gute Idee«, meinte Michael Thone, leicht schwankend, »denn ich habe einen Film oder sowas doch leicht vermißt.« Kaum saßen sie, als der Western auch schon begann. Der Film wurde auf eine große Lein wand im vorderen Teil des Flugzeuges proji ziert, damit ihn jeder sehen konnte. Die Männer nahmen die Kopfhörer, die über ihnen hingen und lauschten. Für kurze Zeit herrschte Ruhe, doch bald begann der erste zu schnarchen. Es dauerte 10 Minuten, bis auch die anderen, müde vom Alkohol, eingeschlafen waren. Nur Kevin schaute sich den Film, den er schon mal in New York gesehen hatte, ausge ruht an. Nach zwei Stunden verblaßte die Leinwand. Er nahm den Kopfhörer ab.
Ein Seitenblick nach links und rechts zeigte ihm, daß die Kumpels noch schliefen. Es knackte im Bordlautsprecher. Eine dunkle Stimme meldete sich. »Ladys and Gentlemen! Wir befinden uns im Anflug auf New York. Bitte schnallen Sie sich an. Wir werden in wenigen Minuten landen.« Ein Knacken, dann war die Stimme des Kapi täns verschwunden. Kevin sah aus dem Fenster. Gerade stieß die Maschine durch eine dichte Wolkendecke. Unter sich sah er den grauen At lantik, dann die atemberaubende Silhouette der Millionenstadt im letzten Tageslicht. In elegantem Bogen schraubte sich die Boeing tiefer und flog direkt auf die Hochhäuser von Manhattan zu. »Los, aufgewacht!« Kevin war froh, bald wie der heimatlichen Boden unter den Füßen zu spüren. »Wir sind da.« Die Freunde wurden nach und nach wach und sahen durch die Bullaugen. »Die Heimat hat uns wieder«, strahlte Steve und schnallte sich an. Dann ging alles ganz schnell. Ein Ruck kün digte an, daß sie gelandet waren. Der Kapitän verabschiedete sich durch den Lautsprecher, und ehe sie es sich versahen, waren sie über die Gangway ausgestiegen und in einen Bus ge
langt, der sie zum Zoll brachte. Als sie den Zöllnern gegenüberstanden, wur de Kevin etwas nervös. »Hoffentlich findet er die Statue nicht.« Er fühlte, daß seine Handflächen feucht wurden. Scheinbar lässig stellte er die Reisetasche ab. Die Freunde, die die Kontrolle bereits über sich ergehen ließen, warteten geduldig außer halb des Zollbereiches. »Was führen Sie mit sich? Was haben Sie in der Tasche?« fragte der Beamte. »Das Übliche«, antwortete Kevin bestimmt. »Öffnen Sie bitte.« Im ersten Moment glaubte Kevin, sein Herz bliebe stehen. Wenn der Beamte anfing, sie zu durchsuchen, mußte er die Statue finden. Das bedeutete viel Ärger, wenn der Mann den Wert der Antiquität erkannte. Langsam öffnete Kevin den Reißverschluß. Seine Hände zitterten leicht. Der Beamte schi en es zu bemerken. In seinen Schläfen pochte das Blut vor Erregung, doch er versuchte, sich zu beherrschen. Tastend fingerte der Zöllner in der Wäsche herum und griff vorsichtig in die Seitenta schen. Zwischendurch schaute er Kevin an, der dem Blick nicht auswich, sondern sogar ein Schmunzeln auf sein Gesicht zauberte. Als der Beamte tiefer in die Tasche griff, fühl
te er etwas Kühles. Er stutzte und wollte es zum Vorschein bringen. Der Zöllner begann zu keuchen und griff mit beiden Händen an seine linke Brustseite. »Was ist mit Ihnen?« fragte Kevin besorgt. Der Zöllner antwortete nicht. Die anderen Fluggäste wurden unruhig. Das Stimmengewirr wurde lauter, weil es nicht weiterging. In diesem Moment riß der Zöllner die Augen auf. Seine Lippen versuchten, ein Wort zu for men, doch es gelang ihm nicht. Blankes Grauen flackerte in seinen Augen. Ein Kollege sprang herbei. »Mensch, Harry! Was ist mit dir?« Er stützte den Mann. Der Beamte versuchte, etwas zu sagen, doch auch diesmal gelang es ihm nicht. »Er hat wahrscheinlich einen Herzanfall.« Ke vin beugte sich über den Abfertigungstisch und nahm die Tasche an sich. »Soll ich einen Kran kenwagen holen?« bot er sich an. »Nicht nötig, Sir. Sie können passieren. Ich kümmere mich schon um ihn.« Kevin zuckte mit den Schultern. Mit ernstem Gesicht ging er auf seine Freunde zu, die unruhig geworden waren. »Warum hat das denn so lange gedauert?« fragte Steve Cordell.
»Einer der Zöllner hat einen Herzanfall be kommen. Scheint aber nicht so schlimm zu sein. Sein Kollege schien das zu kennen. Ist wohl nicht das erste Mal gewesen.« Gemeinsam strebten sie dem Ausgang zu. Draußen am Taxistand kam das große Ab schiednehmen. »Also, Freunde, nun ist die Zeit gekommen, Lebewohl zu sagen«, begann Gordon Davis eine Rede. »In dieser Stunde…« »Mensch, bloß keine Gefühlsduselei«, unter brach ihn Michael. »Ich würde sagen, wir tref fen uns alle drei Monate mal irgendwo in New York und machen einen drauf. Alte Freund schaft darf nicht rosten.« Die anderen fanden, daß dies eine gute Idee sei. Man tauschte die Telefonnummern und Adressen untereinander aus und trennte sich. Michael Thone nahm wie Kevin Crawford, der auch in New York wohnte, ein Taxi, während die beiden anderen mit ihren Koffern zum nächsten Busbahnhof gingen, um eine Fahrt nach Philadelphia zu buchen. Sie waren auf je den Fall noch einige Stunden unterwegs, bevor sie zu Hause waren. Leicht erschöpft stieg Kevin in ein Taxi. Der Fahrer half ihm, das Gepäck zu verstauen. »Wohin?« fragte der Mann. »Harbour-Street 234.«
* In der Unfallstation des Flughafens untersuch te ein Arzt den Zollbeamten, der zusammenge brochen war, als er in die Tasche von Kevin Crawford gegriffen hatte. »Wissen Sie, wie alt der Mann ist?« fragte der Arzt. »Fünfunddreißig«, kam die Antwort. »Stimmt das? Schauen Sie ihn sich doch mal an! Das ist doch ein Greis… die Runzeln… die welke Haut… Schickt die Leiche ins Gerichts medizinische. Ich kann nur feststellen, daß der Mann tot ist. Aber die Todesursache ist mir un erfindlich.« Der tote Zöllner wurde mit einem Laken zuge deckt und aus der Station gefahren. Sein Kolle ge ging verwirrt nebenher. * Im Taxi hing der Physikstudent Kevin Craw ford angenehmen Gedanken nach. Er freute sich auf seine Freundin, die ihn erst in ein paar Tagen erwarten würde. Aber er wollte nicht so lange aushalten. Ich werde sie anrufen, dachte er. Oder soll ich sofort zu ihr fahren?
So sehr ihm der Urlaub mit den Freunden auch gefallen hatte, mußte er sich doch einge stehen, sie vermißt zu haben. Der Taxifahrer riß ihn aus einen Gedanken. »Wir sind da, Mister. Macht acht Dollar.« Kevin stieg aus, zahlte und nahm sein Gepäck in Empfang. Während das Taxi sich wieder in den Verkehrsstrom einreihte, ging er in das Haus, in dem er ein gemütliches Apartment ge mietet hatte. Es war nicht gerade billig, doch seine Eltern schickten ihm jeden Monat 1000 Dollar. Mit dem Fahrstuhl fuhr er in den achten Stock und betrat seine kleine Wohnung. Müde warf er das Gepäck, einen Koffer und die Reisetasche, in die Ecke und setzte sich auf die Ledercouch. Kaum saß er, fiel ihm die Statue ein. Er ging zu der Reisetasche und wickelte das Bild des Gottes Osiris aus einem Handtuch. »Du sollst einen Ehrenplatz bekommen«, sag te er laut, als könne die Statue ihn verstehen. Behutsam stellte er sie in ein Regal, wo mehre re Stücke griechischer Kunst standen – von ei ner Reise nach Kreta. Dann ging er zum Telefon und wählte die Nummer seiner Freundin. Es tutete dreimal, bevor sich eine weiche Stimme meldete.
»Ich bin wieder im Land, mein Schatz«, flöte te Kevin und lächelte. »Kevin!« rief sie erfreut. »Bist du in New York?« »Wo denn sonst, mein Schatz?« »Seit wann bist du da?« »Seit fünf… nein, seit drei Minuten.« »Soll ich kommen?« »So schnell wie möglich. Ich habe Sehnsucht nach dir.« »Ich auch«, hauchte sie. Ein Knacken in der Leitung verriet, daß sie aufgelegt hatte. Susan konnte vor einer Stunde nicht da sein. Sie wohnte am anderen Ende der Stadt. Aus diesem Grund beschloß er, erst mal zu du schen und sein Solarium anzustellen, um die ägyptische Bräune aufzufrischen. Er zog sich rasch aus und drehte die Brause im Bad an. Die Kälte des Wassers vertrieb sei ne Erschöpfung. Die alten Lebensgeister kehr ten zurück. Der Gedanke an Susan und ihr Temperament, das er so lange missen mußte, putschte ihn auf. Pfeifend trocknete er sich ab und ging ins Wohnzimmer. Nackt legte er sich auf die Liege, die unter dem Solarium stand und stellte das Gerät an. Es dauerte nur kurze Zeit, bis er das Brennen
und Prickeln auf seiner Haut spürte. Aufseufzend streckte er sich. Er war rundher um zufrieden. Nichts zeigte das Grauen an, das vor ihm aus dem Nichts stieg. Kein Ton warnte ihn vor dem Schrecken, der ihn erwartete. Noch hielt er die Augen geschlossen. Fünf Minuten vergingen… »Nun ist genug.« Er schaltete das Gerät ab. Eine Weile blieb er noch liegen. Als er die Augen öffnete, packte ihn das Ent setzen. Mit weit aufgerissenen Augen erkannte er die Gefahr, der er nicht mehr entrinnen konnte. Kevin Crawford versuchte, von der Liege zu kriechen, doch der Schock lähmte ihn. Taten los mußte er zusehen, was geschah. Die Strahlen des Solariums waren auf die Sta tue gefallen. Obwohl Kevin das Gerät abgestellt hatte, ver sandte es weiterhin ultraviolette Strahlen auf die Osirisfigur. Die Jadefigur pulsierte stärker. Ein schrilles Singen schmerzte in den Ohren. »Sei verflucht, Elender, der du meine Ruhe störtest«, hauchte eine Stimme. Der Schock, der Kevin gelähmt hatte, war schlagartig gewichen, als er den Satz hörte. Keuchend sprang er in die unheimlichen Ne
belschleier, die aus den Wänden des Apart ments krochen. Eine unsichtbare Kraft schleuderte ihn gegen einen Sessel. Er blieb eine Weile benommen liegen. Im fiel die Kälte in der Grabkammer ein. Er hörte wieder das Wispern und Stöhnen. Da war auch die Fratze wieder, die ihn und seine Freunde geschreckt hatte. Das alles waren Warnungen gewesen und er hatte sie nicht be achtet… Er war besessen gewesen von dem Stolz, ein Königsgrab entdeckt zu haben. Warum waren ihm nicht die Geschichten eingefallen, die von Archäologen erzählten, die im Tal der Könige die Rache der aufgestörten Pharaonen zu spü ren bekommen hatten. Da war auch das böse Gelächter wieder. Er sah sich um. Der Raum war inzwischen von dichten Nebelschwaden angefüllt. Er konnte nichts mehr erkennen, kein Bild, kein Möbel stück. Kevin versuchte, sich aufzuraffen. »Du entgehst mir nicht«, donnerte eine herri sche Stimme. »Grabräuber… Leichenschänder… Königsmörder!« Mit dem letzten Wort verschwanden die Ne belschwaden. Kevin erstarrte.
Im Raum stand eine hochgewachsene Gestalt. Es war ein junger Mann. Er trug prachtvolle Gewänder und eine hohe, weiße Krone auf dem Kopf. Kevin kannte seinesgleichen von vielen Wandbildern, die er in den Tempeln und Museen Ägyptens gesehen hatte. In seinem Zimmer stand ein Pharao. Panik schnürte dem Mann die Kehle zu. Er wollte schreien. Aber er konnte nur den Mund aufreißen. »Du hast mich aus dem Schlaf gerissen«, grollte der Geist der Pharao. »Du mußt mich zu meinem Mörder bringen. Er wollte mich für alle Ewigkeit auslöschen. Du hast mich aufge weckt. Du mußt mich zu meinem…« Kevin ertrug die schrille Stimme des Dämons nicht. Er ergriff das, was ihm nahe war. Ein dickes Buch. Er warf es auf den Geist. Das Buch flog durch die Gestalt hindurch. Seine Gegenwehr blieb ohne Chance… Der junge Mann taumelte und sackte in die Knie, hilflos wie ein Gelähmter. Der Geist kam Schritt für Schritt näher. In seinen Augen glühte abgrundtiefer Haß. Seine Hand näherte sich Kevins Schulter. Mit letzter Kraftanstrengung versuchte er, dem Griff zu entkommen. Zu spät! Kaum hatte der Geist des Pharao seine Haut
berührt, durchwühlte wahnsinniger Schmerz den ganzen Körper. Wie ein Irrer schrie Kevin. Er sah die Augen des Dämonen wie durch einen Schleier. Er wollte sich abwenden, doch eine unheimliche Macht sog alle Kraft aus ihm. Schmerzgepeinigt schloß er die Augen. Eine Sekunde später brach er zusammen. Ein böses Lachen schwang durch das Zimmer, dann löste sich die unheimliche Gestalt ins Nichts auf. * Susan Hamilton parkte ihren Sportwagen in der Tiefgarage. Ein letzter Blick in den Spiegel zeigte ihr, daß das Make-up perfekt war. Wenige Minuten später stand sie vor dem Fahrstuhl und drückte einen Knopf. Ein leises Summen zeigte, daß die Kabine hin unterschwebte. Ungeduldig wartete sie auf das Auseinander gleiten der Tür. Endlich öffnete sie sich. Susan stieg ein. Gut gelaunt drückte sie den Knopf mit der Num mer 8. Die Tür schloß sich wieder. Der Fahr stuhl bewegte sich nach oben. Zwei Minuten später stand sie vor Kevins Wohnung und klingelte. Gleich würde sie den
Geliebten nach fünf Wochen wiedersehen! Niemand öffnete. Sie wurde unruhig. »Hallo, Kevin!« Sie klingelte ein zweites Mal. Niemand antwortete. In diesem Moment besann sich Susan Hamil ton, daß sie einen Schlüssel zur Wohnung hat te. Sie kramte ihn aus der Handtasche und schloß auf. »Kevin, bist du da?« fragte sie in die Diele hin ein. Sie bemerkte Licht im Wohnraum. Keine Antwort. »Mach es doch nicht so spannend«, rief sie la chend. Sicher wollte er sie überraschen. Vielleicht hatte er einen echt ägyptischen Kaftan mitge bracht und erwartete sie als huldvoller Pharao in seinem Zimmer… Mit sicherem Schritt ging sie durch die Diele zum Wohnraum. Susan erstarrte. Sie konnte den Blick nicht von dem fürchterlichen Bild wenden. Plötzlich wurde ihr bewußt, daß es stimmte, was sie sah. Sie schrie und lief auf den Flur, dem Haus meister genau in die Arme. Schluchzend brach sie zusammen. Es dauerte einige Minuten, bis der Mann er fuhr, was geschehen war.
»Was ist denn los, Miß?« fragte er besorgt. Susan wollte antworten, doch ihre Worte gin gen unter in einem Strom von Tränen. Sie konnte nur wie irr auf die Wohnungstür zei gen. Vorsichtig lehnte der Mann das Mädchen ge gen die Wand. »Bleiben Sie ganz ruhig, Miß! Ich sehe mal nach.« Den Schrei der jungen Frau ignorierend be trat er das Apartment. Energisch stieß er die Tür zum Wohnraum auf und erstarrte! Für Sekunden blieb er wie angewurzelt ste hen. Auf dem Teppichboden vor dem Heimsolari um lag eine Mumie. Nichts erinnerte mehr an einen jungen Menschen. Pergamentartige Haut überspannte ein morsches Skelett. »Herrgott!« keuchte Livington, als er sich ge faßt hatte. Dicke Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Keuchend, nicht mehr Herr seiner Sinne, wir belte er herum und schlug die Tür hinter sich zu, als habe er Angst, die Mumie könne ihn verfolgen. Kreidebleich hob er die junge Frau auf und brachte sie in seine Wohnung, die am Ende des Flurs lag. Nachdem er sie auf die Couch gebettet hatte,
rannte er gehetzt zum Telefon und wählte die Nummer der Polizei. Nach kurzer Zeit meldete sich eine Männer stimme. »City Police, Revier 35.« »Ich… ich habe einen… Toten gefunden…«, stotterte der Mann erregt. »Er… er… sieht aus… wie… wie eine Mumie.« »Entschuldigung, Sir! Würden Sie das bitte noch mal wiederholen?« verlangte der Polizist. Livington wiederholte. Am anderen Ende der Leitung herrschte eine Weile Stille. Dann folgte die Stimme des Beam ten: »Geben Sie mir Ihre Adresse!« Durch das Telefon vernahm man, daß er den Anrufer für einen Spinner hielt. »Harbour-Street 234. Livington ist mein Name.« Keuchend legte er auf. Im Polizeirevier drückte der Beamte in der Zentrale die Taste des Sprechfunks. »Wagen 36, wo seid ihr im Moment?« »Auf der Holloway-Avenue Richtung Süden.« »Okay, Jungs. Fahrt mal in die Har bour-Street 234. Dort will ein gewisser Mister Livington eine Mumie entdeckt haben.« Der Polizist im Patrolcar lachte. »Wieder ein Verrückter. Okay, wir schauen nach.« Zehn Minuten später wußte er, daß Livington kein Spinner war.
* Lieutenant Cooper, ein 100 Kilo-Mann, wandte sich angeekelt ab, als er die mumifizierte Lei che sah. »Das gibt es doch nicht«, stöhnte er und ging in den Flur hinaus. Es dauerte einige Augenblicke, bis er wieder Farbe im Gesicht hatte. »Wer hat sie gefunden?« fragte er. Sein Assistent, ein Bursche mit rotem Haar, blätterte gelangweilt in seinem Notizbuch. »Mensch, machen Sie schon, Parker«, brüllte Cooper, als er nicht sofort Antwort bekam. Ob wohl er schon dreißig Jahre bei der Mordkom mission war und viele Leichen aller Art gese hen hatte, war ihm noch immer übel von die ser Mumie. Parker blickte beleidigt auf. »Eine gewisse Miß Susan Hamilton, eine Bekannte des Besit zers dieses Apartments, hat die Mumie gefun den.« »Wo finde ich sie?« »Zwei Wohnungen weiter bei Mister Living ton«, antwortete der Rotschopf sofort. Er wuß te, daß Cooper keinen Spaß verstand, wenn er erst mal gebrüllt hatte. »Ich werde sie gleich noch mal befragen. Viel
leicht weiß sie, wer der Tote sein kann«, mur melte der Lieutenant geistesabwesend. »Wir haben etwas gefunden«, bemerkte der Assistent. Umständlich fingerte er einen Plas tikbeutel mit Ring aus der Jackettasche. Ohne Kommentar steckte Cooper ihn ein, ging zur Wohnungstür des Hausmeisters und klin gelte. Livington öffnete. Sein Gesicht wirkte einge fallen. Die Augen lagen tief in den Höhlen. »Sie wünschen, Sir?« »Lieutenant Cooper von der Mordkommissi on. Ich hätte einige Fragen an Miß Hamilton.« Der Hausmeister gab den Weg frei. »Kommen Sie herein! Ein Arzt ist gerade bei ihr gewesen und hat ihr eine Beruhigungsspritze gegeben.« Cooper sah eine junge Frau auf einer Couch liegen. Sie hielt die Augen geschlossen und at mete unruhig. »Miß Hamilton?« »Ja?« Sie öffnete die Augen und starrte den Beamten verwirrt an. »Könnten Sie mir einige Fragen beantworten?« fragte er vorsichtig. In der Hoffnung, die Beruhigungsspritze des Arztes würde schon wirken, packte er den Beu tel mit dem Ring aus. »Kennen Sie dieses Schmuckstück, Miß Ha milton?« Der schwergewichtige Lieutenant
zeigte ihr den Ring und ließ sie keinen Moment aus den Augen. Susan blickte zur Seite. Eine Weile sagte sie kein Wort, dann nickte sie heftig. »Ja, es ist ein Geschenk von mir zu Kevins letztem Geburts tag.« Weinend wandte sie sich zur Seite und ver grub ihr Gesicht in der Armbeuge. Cooper wußte, daß die Frau nicht mehr fähig war, noch Fragen zu beantworten. Schwerfällig wandte er sich ab. Er nickte dem Hausmeister zu und verließ die Wohnung. Auf dem Gang begegnete ihm David Parker. »Dr. Skees ist da.« »Danke«, knurrte Cooper. An die lässige Art seines jungen Kollegen würde er sich nie ge wöhnen. Als er in das Apartment kam, beugte sich der Doktor, ein weißhaariger Mann mit Nickelbril le, über die Mumie. Ungeduldig wartete er, bis die Untersuchung beendet war. Als Dr. Skees sich erhob, sah Cooper dessen verwirrten Blick. »Hallo, Cooper«, rief er erfreut »Auch mal wieder im Einsatz?« »Leider nicht gern«, erwiderte der Polizist. »Die Büroarbeit liegt mir mehr.« »Ist schon eine seltsame Sache.« Der Arzt rieb sich nachdenklich das stoppelbärtige Kinn. Ein
Beweis dafür, daß man ihn aus dem Bett geholt hatte. »Was halten Sie davon?« fragte der Lieuten ant. Der Polizeiarzt zuckte die Schultern. »Ich habe schon viel erlebt, doch das hier übersteigt meine Erfahrungen. Es sieht so aus, als sei dem Mann in Sekunden alle Körperflüssigkeit entzogen worden.« »Eine tolle Diagnose«, maulte der Polizist. »Tut mir leid, aber ich bin mit meinem Latein am Ende.« »Kann man halt nichts machen, Doc.« Kopfschüttelnd wandte sich der Polizist ab und ging zum Fenster. Gedankenverloren sah er auf das Lichtermeer New Yorks. »Hatte der Tote keinerlei Verwundungen?« fragte er, ohne den Mediziner anzusehen. »Ich konnte nichts entdecken.« Dr. Skees äug te über seine Nickelbrille. »Verdammt noch mal! Es muß doch eine Lö sung geben. Wir haben es doch nicht mit Ge spenstern zu tun.« »Ich kann nur noch mal wiederholen, was ich schon sagte.« Der Arzt blieb sachlich. Bei die sem Toten, der so seltsam ums Leben gekom men war, fand die Medizin ihre Grenzen. »Die Leiche ist regelrecht ausgesaugt worden. Die Schrumpelung der Haut, das Fehlen jegli
chen Blutes beweist es hundertprozentig. Da bei gibt es keinerlei Anzeichen von Gewaltan wendung.« Nach langem Schweigen fragte Lieutenant Cooper in die Runde. »Habt Ihr etwas gefunden, Boys?« Der Verantwortliche der Spurensicherung schüttelte den Kopf. »Es war garantiert kein anderer als der Tote in der Wohnung. Aber erst die Laborberichte werden Näheres erklä ren.« »Habt Ihr überhaupt nichts?« »Nur, daß das Solarium, das vor kurzem noch in Betrieb gewesen ist, aus unerklärlichem Grund den Geist aufgegeben hat.« »Könnte es sein, daß die ultravioletten Strah len zu stark waren? Es wäre immerhin mög lich, daß dieser Defekt dem Mann den Tod ge bracht hat. Oder?« Der Mann von der Spurensicherung winkte ab. »Das ist unmöglich. Soviel Kraft haben die Geräte nicht. Sie können einem zwar die Haut wegbrennen, aber keinen Körper in kurzer Zeit ausdörren.« »War ja auch nur eine Idee.« Cooper zuckte mit den Schultern. An den Doktor gewandt, meinte er deprimiert: »Das werden wieder schlaflose Nächte, bis der Fall gelöst ist, Doc!« Der Arzt lächelte mitleidig.
»Das ist eben das Los eines Polizisten, Cooper. Aber auch das werden Sie überstehen!« »Da haben Sie recht. Vielleicht stellt das La bor fest, daß es sich um eine 4000 Jahre alte Mumie handelt, die irgend jemand hierherge legt hat, um Miß Hamilton zu erschrecken. Wer weiß, welch eine Gaunerei dahintersteckt. Der Ring am Finger des Toten ist noch lange kein Beweis.« Von dieser Theorie plötzlich überzeugt, rief Cooper nach seinem Assistenten. Nachdem der Lieutenant zweimal wie ein Ber serker gebrüllt hatte, tauchte sein Mitarbeiter David Parker wie immer mit gleichgültigem Gesicht auf. »Wo treiben Sie sich denn rum?« »Ich war bei Miß Hamilton, um zu sehen, ob es ihr besser geht. Sie ist nicht vernehmungsfä hig. Der Arzt hat ihr eine starke Beruhigungs spritze gegeben. Sie schläft jetzt.« »Haben Sie den Hausmeister noch mal ver nommen?« »Ja, Sir. Er sagte, er hätte nichts gesehen und gehört, sondern wäre erst aufmerksam gewor den, als Miß Hamilton geschrien hätte.« »Auch nicht gerade ergiebig«, stöhnte Cooper. »Aber jetzt hören Sie mir genau zu!« »Ich bin ganz Ohr.« Der Assistent zückte
einen Block. »Sie werden dafür sorgen, daß die Leiche so fort zur Untersuchung gelangt. Ich will genau wissen, ob Gebiß, Blutgruppe und die Finger abdrücke mit denen von Mister Crawford iden tisch sind. Wie Sie das anstellen, ist mir schnuppe«, ergänzte er, als er bemerkte, daß Parker eine Entgegnung versuchte. Coopers Blick fiel auf die Männer von der Spurensicherung. Der Arzt, der sich gerade verabschieden woll te, wurde von ihm zurückgehalten. »Hören Sie bitte alle mal zu, meine Herren.« In seiner Stimme lag etwas Zwingendes. Die Beamten hielten mit ihrer Arbeit inne. »Jeder von ihnen weiß, daß dieser Fall mehr als außergewöhnlich ist. Daher sehe ich mich gezwungen, Sie aufzufordern, nichts darüber an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Höchs te Geheimstufe also!« Mit strengen Augen sah er sich um. An Parker gewandt, befahl er: »Sorgen Sie da für, daß die Wohnung versiegelt wird, wenn die Leute mit der Arbeit fertig sind.« Der Angesprochene nickte. »Und vergessen Sie nicht, Miß Hamilton und den Hausmeister für morgen früh zu bestellen. Ich will sie noch mal vernehmen.« Wieder nickte der junge Assistent und verließ
schnell die Wohnung, um nicht mit noch mehr Anordnungen bombardiert zu werden. Inzwischen grübelte der Lieutenant weiter. Vergeblich suchte er nach einer einfachen Er klärung. »Ich werde wohl nicht mehr gebraucht«, riß der Arzt ihn aus seinen Gedanken. »Bis bald!« verabschiedete Cooper den Medi ziner und reichte ihm die klobige Hand. »Hoffentlich nicht, Lieutenant«, grinste Dr. Skees. Sein Gesicht zersprang in zahllose Fal ten. »Der nächste Mord geschieht bestimmt«, pro phezeite Cooper seufzend. Kaum hatte der Doktor die Wohnung verlas sen, als sich auch der Leiter der Spurensiche rung abmeldete. »Wir sind fertig, Lieutenant. In drei Stunden haben Sie einen ausführlichen Bericht.« »In zwei Stunden wäre mir lieber.« »Ich sehe, was sich machen läßt.« Der Mann blickte sich um. Seine Kollegen hatten ihre Sa chen zusammengeräumt und verließen das Apartment. »Und was wird mit der Leiche?« »Wird in wenigen Minuten abgeholt. Die Leu te vom Leichenschauhaus sind benachrichtigt.« Zufrieden warf der Mann einen letzten Blick
auf den Toten und verließ ebenfalls den Raum. Der Anblick einer Leiche ließ ihn normalerwei se kalt. Dies aber war ein Toter, der ihm Furcht einflößte. Ungeduldig wartete er 10 Minuten auf dem Flur, bis die Männer mit dem Sarg kamen. Als sie den Living-Room betraten, erschraken sie. Noch nie standen sie einem so schrecklich anzusehenden Körper gegenüber. »Gentlemen! Ich muß Sie bitten, die Leiche ins Leichenschauhaus zu bringen und den Sarg so zu verschließen, daß niemand ihn öffnen kann. Kein Sterbenswort darf an die Öffent lichkeit dringen. Sollte einer von Ihnen zuwi der handeln, hat er mit Konsequenzen zu rech nen«, ermahnte Cooper die Sargträger. »Okay, Lieutenant«, meinte der Mann mit Kaugummi. »Sie können sich auf uns verlas sen.« Die anderen nickten zustimmend, ohne ein Wort zu sagen. Mit einigem Widerwillen hoben sie den Toten in den Sarg und transportierten ihn ab. Lieutenant Cooper blickte noch minutenlang auf die Stelle, an der die Mumie gelegen hatte. Auf dem Teppich zeigten weiße Kreidestriche die Umrisse des Toten. Ganz mit dem Fall beschäftigt, verließ Cooper die Wohnung und zog die Tür hinter sich zu. In
dem Vertrauen, daß sein Assistent das Apart ment versiegeln würde, stieg er in den Lift. »Jetzt bin ich auf den Bericht vom Labor ge spannt«, murmelte er vor sich hin, während der Lift nach unten rauschte. Er hoffte auf eine normale Erklärung, doch er ahnte, daß die Wahrheit schrecklich sein wür de. Als er in seinen Wagen stieg, griff er zum Funk. »Wagen 26 an Zentrale«, sprach er ins Gerät. Die Zentrale meldete sich. »Schicken Sie einen Streifenwagen Har bour-Street 234! Das Apartment von Mister Crawford muß Tag und Nacht bewacht werden. Niemand darf die Wohnung betreten. Ich wie derhole: Niemand!« »Geht klar, Sir!« Ein Knacken verriet, daß die Verbindung unterbrochen war. Müde und ausgelaugt lehnte sich Cooper zu rück und schloß die Augen. »Mehr kann ich für heute wohl nicht tun«, dachte er. Hoffentlich gelangte bloß nichts an die Öffentlichkeit, für die Presse wäre die Mu mie ein gefundenes Fressen… Er startete den Motor und fuhr los. In seinem Büro wartete noch viel Arbeit. *
Ed Williams, der Chef des FBI, musterte sein Gegenüber. Lässig lehnte er sich zurück und fragte: »Wel chen Fall bearbeiten Sie zur Zeit, Cliff?« Seine Stimme verströmte Gelassenheit. Der Angesprochene kratzte sich an der Schlä fe und antwortete nicht sofort. Es schien, als müßte er erst genau überlegen, was er sagen wollte. Cliff Falk war hochgewachsen und schlank. Der maßgeschneiderte Flanellanzug saß wie angegossen. »Zur Zeit beschäftigen mich zwei Fälle. Die Sache mit der Teufelssekte in Brooklyn, die Menschenopfer dem Satan weiht. Der Anfüh rer der Sekte scheint über unheimliche Kräfte zu verfügen, mit denen er unsere Ermittlungen immer wieder zunichte macht. Kein Zweifel, daß Schwarze Magie im Spiel ist. Und dann wäre da noch der Fall mit dem seltsamen Haus auf Long Island. Es ist über Nacht einfach ver schwunden. Dämonische Mächte haben es in eine andere Zeit versetzt. Die Bewohner sind ebenfalls verschwunden.« Mancher, der Cliff Falk so reden hörte, würde sich vor Lachen biegen, wenn er dem FBIAgenten nicht einen Platz im Irrenhaus von Brooks empfehlen könnte.
Ed Williams reagierte ganz anders. In seinen Augen blitzte es unruhig. Vor etwa drei Jahren hatte er das »Depart ment of mysterious affairs«, kurz DMA ge nannt, übernommen. Nur Eingeweihte wußten um diese Abteilung. Sie hatte die Aufgabe, un gewöhnliche Fälle zu bearbeiten. Die 20 Mitarbeiter, die Williams hatte, absol vierten alle eine erstklassige Ausbildung. Es gab Dinge zwischen Himmel und Erde, die nicht mit physikalischen und chemischen Ar gumenten erklärt werden konnten. Die DMA kämpfte gegen Geister und Dämo nen, die die Menschen zu unterjochen drohten. In den drei Jahren hatte das DMA schon man chen Schlag gegen das Reich des Bösen ge führt. Außerordentlichen Anteil daran hatte Cliff Falk, Ed Williams bester Mann. Der 36jährige zählte zu denen, die das Dämonische spürten, wenn es nahte und aktiv wurde. Sein Urgroßvater war ein Medizinmann der Cherokee gewesen. Von Generation zu Genera tion hatten die Männer der Sippe ihr Wissen um die Geister weitergegeben. Davon profitier te Cliff Falk bei seiner lebensgefährlichen Ar beit. »Um was geht es, Chef?« fragte Cliff. Seine ho hen Wangenknochen zuckten.
»Vor etwa sechs Tagen fand eine junge Frau ihren Freund in dessen Apartment«, begann Williams. »Er war zur Mumie geworden. Zu erst glaubte man, daß es sich um eine uralte Mumie handelte, die irgendein anderes Ver brechen vertuschen sollte. Die Untersuchun gen aber ergaben, daß der mumifizierte Tote der Physikstudent Kevin Crawford war. Außer dem ist auch bewiesen, daß kein anderer in dem Apartment war. Seltsam ist, daß Crawford wenige Stunden vor seinem Tod noch in Ägyp ten war. Er hat dort einen mehrwöchigen Ur laub verbracht.« Cliff Falk reagierte spontan. »Ägypten und Mumie passen doch gut zusammen. Wahr scheinlich ist dort anzusetzen.« »Ich hoffe, Sie haben schnell Erfolg, Cliff.« Lässig erhob sich der FBI-Agent aus dem Ses sel. »In der Akte steht alles, was von Bedeutung ist.« Ed Williams griff nach einer kleinen, roten Mappe, auf der mit schwarzen Buchstaben »top secret« stand. Wortlos nahm Falk sie und ging zur Tür. »Geben Sie auf sich acht, Cliff.« rief der Chef ihm besorgt nach. Der Mann wandte sich um, lächelte sanft und verließ mit federnden Schritten das geräumige
Büro. Schwerfällig setzte sich Williams nieder und nahm sich die Post vom Tag vor. So sehr er sich auch um Konzentration bemühte, es ge lang ihm nicht. Die Geschichte mit der Mumie ging ihm nicht aus dem Sinn. Hoffentlich bleibt es bloß bei dem einen To ten, wünschte er. * In seinem knallroten Alfa Romeo Spider, den er aus Europa hatte kommen lassen, raste Cliff Falk durch die Häuserschluchten New Yorks. In der Ferne drohte eine Gewitterfront. Der Sportwagenfanatiker achtete nicht auf die Tachonadel und hatte Glück. Er kam in die Grendon-Avenue, wo Susan Hamilton wohnte. Von ihr erhoffte er Fakten, die noch nicht be kannt waren. Er fand eine Parklücke und stand wenige Au genblicke später vor einem kleinen, zweistö ckigen Haus. Die Tür war offen. Er trat ins Treppenhaus. Mit großen Schritten sprang er in den ersten Stock und schellte an der Tür mit dem Schild »Susan Hamilton«. Es dauerte etwa eine Minute, bis sich die Tür
öffnete. Eine Frau erschien und sah ihn fra gend an. Die dunklen Augen der jungen Frau faszinier ten den FBI-Agenten. Überhaupt bewunderte er die ganze Erscheinung Susan Hamiltons. Nur das unnatürlich blasse Gesicht, das von lo ckigem, schwarzem Haar umrahmt wurde, paßte nicht dazu. Cliff Falk riß sich von dem Anblick los und legte ein höfliches Lächeln an den Tag. »Mein Name ist Falk, Miß Hamilton. Ich komme vom FBI und möchte Sie kurz sprechen.« Die Frau senkte den Kopf. »Kommen Sie herein!« Sie gab den Weg in den Korridor frei. Der Agent trat ein und ging ins Wohnzimmer. »Nehmen Sie Platz!« Cliff Falk sank in einen schweren Ledersessel. »Womit kann ich Ihnen dienen, Mister Falk.« Man brauchte kein Menschenkenner zu sein, um zu sehen, daß die Frau den Schock noch nicht verkraftet hatte. Falk mußte behutsam vorgehen, um die Lage nicht zu verschlim mern. »Ich will Sie nicht belästigen, Miß Hamilton. Ich hätte nur gern gewußt, ob Sie vor 14 Tagen, als Sie das Apartment von Mister Crawford be traten, irgend etwas bemerkt haben.« Cliff Falk erkannte die Dummheit seiner Fra
ge, doch es war die einzige Chance, die er hat te. Gewiß, es war kaum wahrscheinlich, daß je mand, der eine Mumie findet, sich ruhig um sieht. Doch man mußte irgendwo ansetzen. Susan Hamilton, die noch eine Spur bleicher geworden war und mit den Tränen kämpfte, schüttelte heftig den Kopf. »Nein, ich habe nichts bemerkt. Ich bin sofort aus dem Zimmer gerannt.« »Und Sie haben das Apartment seither nicht mehr betreten?« »Nein.« Susan Hamilton schluckte hart. »Wie ich hörte, wurde erst gestern die Versiegelung wieder aufgehoben.« Mit dieser negativen Antwort hatte Cliff Falk gerechnet. »Schade.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich hatte gehofft, Sie könnten mir weiterhelfen.« »Leider nicht!« hauchte sie müde. »Nur noch eine Frage«, bat der FBI-Agent, »dann bin ich wieder draußen.« Die Frau nickte kurz. »Wissen Sie, wo Mister Crawford in Urlaub war und mit wem?« Cliff Falk hatte darüber in den Akten nur spärliche Informationen gefunden. »Er wollte nach Ägypten und sich das Land ansehen. Sonst hat er nicht darüber geredet. Kurz vor dem Abflug erwähnte er, daß er nicht
allein führe. Ob es aber eine oder mehrere Per sonen waren, weiß ich nicht.« Sie sah den Mann offen an. In ihrem Blick lag Resignation. »Wissen Sie, Kevin war manchmal eigensin nig. Er ließ sich nicht hereinreden. Wenn ich zu neugierig war, wurde er schroff. Trotzdem habe ich ihn geliebt.« Es hat keinen Zweck, weiter zu bohren, die Frau weiß wirklich nichts, sie kann mir nicht helfen, dachte Cliff Falk und erhob sich. »Ich danke Ihnen, Miß Hamilton.« Er ließ sich von der Frau zur Wohnungstür geleiten. »Tut mir leid, daß ich Ihnen nicht helfen konnte.« Sie lächelte höflich. Cliff Falk drehte sich um, nachdem er ins Treppenhaus getreten war. Er wußte nicht, warum er die nächsten Worte sagte. »Ich werde den Mörder finden.« Sie seufzte laut auf. »Danke«, hauchte sie, dann schloß sie sanft die Tür. Durch das Holz hörte man ihr Schluchzen. Nun konnte sie ihr Leid nicht mehr zurückhal ten. Während Falk das Haus verließ und ins Auto stieg, packte ihn die Wut auf den Mörder Kevin Crawfords. »Ich werde den Dämon, der den Mann in eine Mumie verwandelt hat, unschädlich machen«,
schwor er sich. Daß ein Dämon seine Hand im Spiel gehabt hatte, war für ihn keine Frage. Für diesen Mord gab es keine logische Erklä rung. Kurzerhand beschloß er, das Apartment Cra wfords noch mal unter die Lupe zu nehmen. Vielleicht hatten die Männer von der Spurensi cherung etwas übersehen. Zudem hoffte er, daß er, wenn er Glück hatte, das Fluidum des Dämons noch spüren konnte. Das würde seine Vermutung bestätigen. Durch den Feierabendverkehr kam er nur langsam vorwärts. Am Himmel zogen riesige Gewitterwolken auf. Sie schluckten das Tageslicht, so daß man meinen konnte, die Sonne wäre schon unterge gangen. Ein greller Blitz, gefolgt von ohrenbetäuben dem Donner, ließen Cliff Falk zusammenfah ren. Vor lauter Schreck trat er auf die Bremse. Um ein Haar wäre ihm sein Hintermann aufge fahren. Ohne Vorankündigung öffnete der Himmel seine Schleusen. Es schüttete wie aus Eimern. Die Scheibenwischer leisteten vergeblich Höchstarbeit. Der FBI-Agent hatte Mühe, die Straße zu erkennen. So schnell wie begonnen, endete der Platzre
gen auch wieder. Aber immer häufiger zuckten Blitze über den grauen Himmel. Grollende Donner übertönten die Motorengeräusche der zahllosen Wagen. Endlich bog Cliff Falk in die Harbour-Street ein. Er steuerte seinen Alfa in das unterirdische Parkhaus. Mit dem Lift ließ er sich in den ach ten Stock fahren. Zwei Minuten später stand er mit etwas ge mischten Gefühlen vor der Tür des Apart ments, hinter der ein mysteriöser Mord gese henen war. Zaghaft fingerte er einen Schlüsselbund aus seiner Jacke, an dem einige Dietriche befestigt waren. Es dauerte nur fünf Sekunden, bis die Tür aufsprang. Vorsichtig trat er in den halbdunklen Flur und schloß die Tür hinter sich. Gespannt ging er in den Wohnraum, der nur spärlich von einer Leuchtreklame erhellt wur de. Falk schaltete die Wandlampe an. Als der Agent sich in die Mitte des Raumes be gab, spürte er die Ausstrahlung des Dämoni schen, ganz schwach, aber unverkennbar. Wie versteinert blieb Cliff Falk stehen. Er war gewarnt. Irgendwo in seiner Nähe gab es etwas Dämonisches.
Mit geschlossenen Augen konzentrierte er sich auf die seltsame Spannung, die im Zim mer lag. Doch alle Mühe blieb vergebens. Ein leichtes Singen, vom menschlichen Ohr gerade noch wahrzunehmen, wisperte. So sehr er sich auch bemühte, konnte er das Phäno men nicht lokalisieren. Hier versagte seine Fä higkeit, Dämonen aufzuspüren. Das Singen wurde schwächer, bis es schließ lich ganz verebbte. Verärgert sah der Agent sich flüchtig in der Wohnung um. Eins wußte er trotzdem. Er hat te es wieder mal mit Dämonen zu tun. Auf dem Teppichboden sah man noch die Kreidestriche, die die Lage des Toten umris sen. Inmitten dieser Striche war der Boden merkwürdig dunkel. Interessiert bückte sich der Mann und fuhr mit der Hand darüber. Der Teppich fühlte sich an, als seien die syn thetischen Fasern durch große Hitze ange schmort worden. »Seltsam«, dachte der FBI-Mann, davon, daß der Tote durch Hitzeeinwirkung umgekommen sein könnte, hat nichts im Bericht gestanden. Mehrere Male ging er durch das Apartment und suchte nach verdächtigen Gegenständen, doch er fand nichts. In den Regalen standen zahllose Bücher über Physik und Archäologie
und einige alte Vasen, Schalen und Statuen aus dem Altertum. Wahrscheinlich Kopien, dachte Cliff und un tersuchte sie nicht genauer. Ein Student wie Kevin Crawford hätte sich Originale wohl kaum leisten können. Nach wenigen Minuten verließ der Agent das Apartment und schloß es sorgfältig ab. Wenn er genauer darüber nachdachte, war er keinen Schritt weitergekommen. Kaum war er mit seinem Alfa wieder zwi schen den Häuserschluchten, als das Unwetter zurückkam. Diesmal war es schlimmer als das erste Mal. Orkanartige Windböen peitschten den Regen gegen die Wolkenkratzer. Grelle Blitze zerfetz ten den grauen Himmel. Ohne Unterlaß donnerte und blitzte es. Mit ohrenbetäubendem Knall schlug es ir gendwo ein. Cliff Falk vermochte kaum noch etwas durch die Windschutzscheibe zu sehen. Der Regen prasselte unaufhaltsam nieder und verwandel te die Straße in einen See. Mehrere Male mußte der Mann geblendet die Augen schließen, wenn es blitzte. Daher ent schloß er sich, anzuhalten und das Unwetter abzuwarten. Vorsichtig steuerte er den Wagen an den Stra
ßenrand und stellte den Motor ab. Lässig lehn te er sich zurück und überlegte sein weiteres Vorgehen. »Ich muß unbedingt herausbekommen, wer in Crawfords Begleitung war.« * Weißblaues Licht umtanzte die Jadestatue. Das Halbdunkel des Raumes wurde von die ser gleißenden Helligkeit in kaltes Licht ge taucht. Draußen wütete das Gewitter. Aus der Ener gie, die durch die Blitze frei wurde, zog der Geist seine verheerende Kraft. Die Statue dehnte sich, als würde sie atmen. Helles Singen kündigte das Erscheinen des Pharao an. Umhüllt von rotem Nebel materialisierte er aus dem Nichts. Seine fast transparente Ge stalt wurde fester, bis sie genau zu erkennen war. Der Geist des Pharao öffnete die Augen. In ih nen schwelte Mordlust. »Nun soll der nächste Grabschänder des To des sein«, hauchte er. Seine dunkle Stimme kam aus allen Richtungen und doch von nir gendwoher. Sein Körper verblaßte und verschwand.
Der Geist schwebte durch Zeit und Raum und durchstieß Dimensionen, die noch kein Mensch erahnte. Unbehindert fand er den Weg zu seinem nächsten Opfer. * In dem kleinen exklusiven Restaurant »Bei Pepe« herrschte Betrieb. In den Nischen saßen zum größten Teil Paare, denen man auf den ersten Blick ansah, daß sie gut betucht waren. Wer auf die Speisekarte schaute und die Preise studierte, wurde sich schnell klar, warum fast ausschließlich die High Society hier dinierte. An jenem Gewitterabend hatten sich die Ti sche in den Nischen nach acht Uhr rasch ge füllt. Nur im hinteren Winkel des Lokals stand ne ben der Bar ein leerer Tisch, der jedoch reser viert war. Gerade als Pepe Sagallo mit freundlichem Lä cheln durch den Raum schritt, sich nach dem Wohlbefinden der Herren erkundigte und die Begleiterinnen charmant mit Komplimenten überhäufte, wurde es laut an der Eingangstür. Der Inhaber verzog das Gesicht und entschul digte sich bei dem Gast, mit dem er gerade ge redet hatte. »Verzeihen Sie, ich muß einige Gäste begrüßen. Die Jugend, mama mia, sie ist
so ungestüm.« Er fuchtelte mit den Armen und hetzte zur Tür. Dort standen einige junge Männer mit hüb schen Mädchen. Alle schienen angeheitert zu sein. »Aber, Señores! Ich bitte Sie. Nicht so laut«, flehte Pepe Sagallo. »Was ist mit unserem Tisch?« rief ein schlan ker, gutaussehender Endzwanziger und schlug dem Spanier freundschaftlich auf die Schulter. »Es ist für alles gesorgt, meine Herren!« be eilte sich Pepe. »Ich habe den Tisch an der Bar für Sie reserviert.« »Das ist genau das Richtige für uns«, grölte ein anderer und schob eine Blonde an den Ni schen vorbei. Die anderen folgten ihm. Der Spanier atmete erleichtert auf. Er kannte die jungen Männer und ihr Temperament. Sie waren Stammgäste, doch nicht solche, wie er sie sich wünschte. Mehr als einmal schon hat ten sie sich fürchterlich aufgeführt. Vor die Tür setzen konnte er sie nicht. Alle waren Söhne steinreicher Eltern. Ihr Hinaus wurf würde das Ende seines Restaurants be deuten. Die drei Männer ließen sich nieder und be stellten. »He Pepe!« rief der Endzwanziger, Tom Har ley mit Namen. »Bring uns eine Flasche Whis
key. Aber dalli!« Die Arroganz in seiner Stim me hatte etwas Provozierendes. Nicht viel anders gab sich der Mann mit der Blondine im Arm. Er nannte sich King Johns. Seine Eltern wußten nicht, was sie mit dem vie len Geld, das sie besaßen, anfangen sollten. Ihr Sohn warf es zum Fenster hinaus. Arbeit war für ihn ein Fremdwort. Zu diesem lauten Kreis gehörte noch einer: Michael Thone. In Begleitung seiner Freunde benahm er sich nicht anders als die Millio närssöhne. »Nun wird es aber Zeit, daß du von deinem Trip in Ägypten erzählst, Sonny«, meinte Tom Harley. »Oh, ja!« hauchte seine rothaarige Begleite rin. »Habt doch Geduld!« forderte Michael. »Erst brauche ich einen Whiskey. Mein Alkoholspie gel ist gewaltig gesunken. In so einem Zustand kann ich unmöglich erzählen.« Die anderen grölten lauthals. Die empörten Blicke der anderen Gäste interessierte sie nicht. »Hier hast du deinen Whiskey.« King Johns nahm ein Glas und schüttete es bis zum Rand voll. »Erzähl endlich!« In einem Zug trank Michael das Glas leer. »Okay, jetzt ist mir besser.«
»Dann fang an«, bibberte die Blondine. Michael räusperte sich. »Eigentlich war es eine ganz miese Tour. Die drei Kumpels waren alles Flaschen. Die staunten schon, wenn ich einen Tausender aus der Tasche zog.« Die Zuhörer amüsierten sich köstlich. Die Art, wie Michael Thone über seine Schulfreunde sprach, fanden sie pfundig. »Warum bist du überhaupt mit den Typen los gezogen?« konnte King Johns nicht verstehen. »Einen Trip durch Ägypten kann man doch an genehmer haben.« »Es hat mich halt gereizt. Erinnerung an die Kinderzeit oder sowas. Ich bereue es gewaltig, das könnt ihr mir glauben. Tagein, tagaus im engen Bus. Hitze, Durst und Sand und nichts Anständiges zu essen.« »War das alles?« maulte Tom Harley. Er lallte schon. »Nein! Ein Erlebnis hat es schon gegeben. Mir wird jetzt noch mulmig, wenn ich daran denke. Es war kurz vor unserer Rückkehr. Einer der Jungs fiel in eine Felsspalte, und wir mußten ihn rausholen. Ich ließ mich also abseilen… und da… Was meint ihr wohl, was ich da gese hen habe?« Michael nahm einen kräftigen Schluck. »Nun was schon! Red doch, Mann! Mach es nicht so spannend«, wurde er ungeduldig be
drängt. »Ich stand in einer Grabkammer… in einem Königsgrab…« »In einem Königs…?« platzte die Blondine heraus. »So ein richtiges Königsgrab? So eins wie von dem Tutto?« »Ja, genau so eins. Mit Sarg und vielen Grab beigaben. Die hättet ihr sehen sollen. Schüs seln, Krüge, Gläser, und eine Menge Figuren«, schnitt er gewaltig auf. »Die haben wir natürlich eingepackt«, fuhr er lachend fort. »Haben eine hübsche Summe eingebracht.« »War es denn nicht unheimlich da unten?« fieberte die Blondine. »Erzähl doch, das muß doch gruselig gewesen sein. Sag doch!« »Na ja, unheimlich war das schon«, renom mierte Michael. »Als wir abhauen wollten, gab es auch eine Erscheinung. Es fing mit einem irrsinnigen Singsang an. Wißt ihr? So ein ganz heller Ton…« Weiter kam Michael Thone nicht. Kaum hatte er das Wort ausgesprochen, als der ganze Raum von jenem Singen erfüllt wurde. Kreidebleich erhob er sich. Langsam öffnete sich sein Mund. »Nein, nein«, keuchte er und faßte sich an den Hals. »Was ist mit dir, Mike?« fragte King Johns verwirrt.
Michael Thone gab keine Antwort. Er starrte ins Leere. Inzwischen horchten auch die anderen Gäste auf. Das Singen wurde lauter und drang unter die Haut. »Der Geist… der Geist…«, keuchte Michael Thone entsetzt, »er bringt mich um.« »Du hast zuviel getrunken«, witzelte Tom Harley. »Setzt euch doch wieder hin!« Zufällig hob er den Blick. Direkt vor dem Tisch, keine zwei Meter entfernt, begann die Luft zu flimmern. Rötlicher Nebel entstand. Die Spannung im Raum steigerte sich bis zur Unerträglichkeit. Keiner sprach ein Wort. Gra besstille herrschte in jeder Nische. Schimmernde Funken sammelten sich zu ei ner Form, aus der eine menschliche Gestalt wurde. Das Singen verstummte abrupt. Aus dem Nebel stieg eine Gestalt in den Ge wändern eines Pharao. Ein Kranz grünlichen Lichtes umhüllte ihn wie einen Mantel. Die unwirkliche Erscheinung brach die Läh mung der Spannung. Panik brach aus. Frauen geschrei vermischte sich mit irrsinnigem Krei schen. Stühle und Tische kippten um. Jeder versuchte den Ausgang zu erreichen und ins Freie zu fliehen. Die sechs Menschen an dem Tisch neben der Bar aber sahen keinen Fluchtweg. Der Geist
hatte ihn verstellt. Die Blondine und ihre rothaarige Freundin sanken ohnmächtig um. Michaels Freundin krallte sich an seinen Arm und kreischte in wilder Panik. Die Männer sahen wie erstarrte Statuen die Erscheinung mit vor Angst aufgerissenen Au gen an. Ihr Atem ging schwer. Sie waren mit ei nem Schlag stocknüchtern. Am schlimmsten reagierte Michael Thone. In seinen Augen flackerte Panik. Er wußte nur zu gut, was ihm bevorstand. »Elender Grabschänder!« keifte der Pharao mit tiefer Grabesstimme. »Deine Tat sollst du bezahlen!« Blitzschnell zuckten seine Hände vor und tra fen Michael am Kopf. Der junge Mann machte schreiend einen Schritt nach hinten und stürzte. Hart schlug er mit dem Rücken auf. Er wollte sich aufraffen. Doch dann fegte ein gewaltiger Schmerz wie ein Feuerorkan durch ihn. Wie von Sinnen schrie Michael Thone. Ihm wurde schwarz vor Augen, Schwindelanfälle rissen ihn in ein schwarzes Loch. Kraftlos blieb er am Boden liegen. Das Letzte, was er vernahm, war das böse Lachen. Grauen rüttelte die Männer, als sie den Todes
kampf ihres Freundes miterlebten. Flammen, die keine Hitze verbreiteten, verwandelten den Körper in Sekunden in eine Mumie. Für die Männer war das zuviel. Schreiend rannten sie aus dem Lokal auf die nasse Stra ße. Sie spürten den Regen nicht, der auf sie niederprasselte. Die Gestalt des Pharao wurde transparent. Sein häßliches Lachen hing noch in der Luft, als der Spuk bereits verschwunden war. Der einzige, der sich noch im Restaurant be fand, war Pepe Sagallo. Mit blassem Gesicht starrten seine dunklen Augen auf die mumifi zierte Leiche. Seine rechte Hand schlug immer wieder das Kreuz über der Brust. Es dauerte Minuten, bis er sich einigermaßen beruhigt hatte. Als erstes tat er etwas, was bei ihm äußerst selten war. Er packte eine Flasche und setzte sie an die Lippen. Als er den schar fen Alkohol durch die Kehle rinnen fühlte, kehrte das Blut in sein Gesicht zurück. Mit fahrigen Händen wählte er die Nummer der Polizei. »Polizeistation vier«, meldete sich eine sym pathische Stimme. »Hier Pepe Sagallo… Restaurant ›Bei Pepe‹ in der Inside-Street«, stotterte der Spanier ner vös. »Bei mir ist ein furchtbarer Mord pas
siert.« »Streifenwagen kommt«, versprach der Poli zist. »Sorgen Sie dafür, daß niemand das Lokal betritt oder verläßt!« »Si, si, Señor«, antwortete Pepe. Zitternd legte er den Hörer auf. Scheu blickte er sich im Lokal um. Alles war wieder ruhig, als sei nichts geschehen. Wenn nur diese schreckliche Mumie nicht gewesen wäre… * Das Funkgerät piepste. Cliff Falk nahm ab und meldete sich mit seinem Codenamen. »Fahren Sie sofort in die Inside-Street, Re staurant ›Bei Pepe‹. Vor wenigen Minuten ist dort ein Mord passiert. Der Anrufer sprach von einer Mumie.« Der Agent schluckte. Der Dämon hatte schnel ler zugeschlagen, als er geglaubt hatte, und das in der Öffentlichkeit. Nun war es unmöglich, die Sache länger geheim zu halten. Mit quietschenden Pneus raste er zum Tatort. Falk brauchte nicht lange zu suchen. Die riesi ge Menschenmenge zeigte ihm den Weg. Poli zisten waren bemüht, die Neugierigen zurück zuhalten. Cliff Falk sprang aus seinem Alfa und bahnte
sich einen Weg durch die gaffende Menge. Ein kräftiger Polizist riß ihn zurück. »Seien Sie vernünftig! Hier gibt es nichts zu sehen.« Falk zückte seinen Dienstausweis. »Tut mir leid, Sir«, entschuldigte sich der Uniformierte. »Geht in Ordnung. Halten Sie mir bloß die Meute aus dem Laden!« Mit eiligen Schritten ging er ins Lokal, das aussah, als wäre eine Viehherde durchgetrie ben worden. Der Polizeiarzt schlug gerade die Decke über den Toten und erhob sich mit blassem Gesicht. »Eindeutig derselbe Befund wie bei dem Stu denten«, meinte der Arzt zu einem dicken, glatzköpfigen Mann. Lieutenant Cooper grunzte verärgert. Gerade war er den Fall mit der ersten Mumie losge worden, da ging der gleiche Spuk von neuem los. Lässig kam Cliff Falk näher. Er kannte den Lieutenant von Bildern her und sprach ihn mit Namen an. »Lieutenant Cooper?« Der Schwergewichtige drehte sich mürrisch um. »Was wollen Sie?« fragte er. »Mein Name ist Cliff Falk, FBI.« Sogleich hellte sich die düstere Miene des
Lieutenant auf. »Sie kommen wie gerufen. Se hen Sie sich den Toten an! Genauso sah die Leiche vor einigen Tagen aus.« Cliff Falk trat an den Toten heran und schlug die Decke zurück. Sofort wehte ihn die Aus strahlung an, die er in der Wohnung des Stu denten verspürt hatte. Diesmal konnte er sie lokalisieren. Sie kam eindeutig von der Mumie und wurde allmäh lich schwächer. »Ich muß mich bedanken, daß sie meine Zen trale so schnell benachrichtigt haben, Lieuten ant«, lobte er den schwergewichtigen Polizis ten, ohne ihn anzusehen. Seine Augen huschten durch das verwüstete Lokal. Er konnte nichts Verdächtiges entde cken. »Wie heißt das Opfer überhaupt?« »In den Papieren stand der Name Michael Thone, 32 Jahre«, erwiderte Cooper diensteif rig. »Mehrere Anwesende haben die Tat miter lebt. So verrückt es sich auch anhört, ihre Aus sagen stimmen überein. Man erzählte von ei nem Geist, der wie ein Ägypter aussah und aus dem Nichts auftauchte. Die bloße Berührung hat dann den Mann in eine Mumie verwan delt.« »Ein Ägypter, sagen Sie?« wiederholte der FBI-Mann.
»Genau!« erwiderte der Lieutenant felsenfest. »Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, spre chen Sie am besten mit dem Inhaber des Re staurants. Meiner Meinung nach macht er den besten Eindruck nach diesem Schock.« Cliff Falk winkte ab. »Dazu bleibt mir keine Zeit. Sorgen Sie dafür, daß die Geschichte nicht zu breit in die Öffentlichkeit dringt.« Der Lieutenant räusperte sich. »Das wird sich wohl nicht verhindern lassen, Sir. Bevor wir hier waren, hat schon ein Reporter Bilder von dem Toten gemacht, bevor wir es unterbinden konnten.« Er zuckte hilflos mit den Schultern und wisch te sich den Schweiß von der Stirn. »Verdammt! Das gibt nur Unruhe in der Be völkerung. Wenn die Presse Sie anspricht und Genaueres wissen will, dementieren Sie ein fach die Sache. Erzählen Sie den Journalisten irgend etwas über Halluzinationen…« Mit diesen Worten wandte er sich ab und ver ließ das Lokal. Hinter ihm zurück blieb ein verdatterter Lieu tenant. * In seinem Wagen wählte Falk mit dem Autote lefon die Nummer von Susan Hamilton. Es
dauerte einige Zeit, bis sich jemand meldete. Der Agent kam gleich zur Sache. »Entschuldigen Sie bitte die Störung, Miß Ha milton, aber ich habe eine Frage.« »Ja?« kam es müde vom anderen Ende der Leitung. »Kennen Sie einen Mann namens Michael Thone?« Eine Zeitlang war nur Schweigen. Cliff wurde schon ungeduldig, als die Frau endlich antwor tete. »Der Name kommt mir bekannt vor. Ich glau be, Kevin hat mal von ihm erzählt. Er war, so weit ich mich erinnere, mit ihm auf der HighSchool. Seine Eltern müssen reiche Leute sein.« »Hat Kevin Crawford den Mann vor oder nach seiner Ägyptenreise erwähnt?« bohrte Falk weiter. »Tut mir leid, Mister Falk, aber ich kann Ih nen nicht helfen. Kevin hat selten über sich und seine Freunde gesprochen. Ich habe ei gentlich nur wenig von ihm…« Die Stimme versagte. Der Agent wollte nicht weiter fragen. Er riß nur alte Wunden auf. »Haben Sie vielen Dank, Miß Hamilton«, sag te er mit belegter Stimme. »Ich möchte Sie nur noch bitten, mir die kleinste Kleinigkeit mitzu teilen, wenn ihnen etwas einfällt.«
»Das werde ich tun«, versprach sie. Kaum hatte Falk aufgelegt, als das Telefon wieder anschlug. Er meldete sich. Am anderen Ende war die Zentrale. Die Stim me einer Telefonistin begrüßte ihn. »Ihre Vermutung können wir bestätigen, Sir. Kevin Crawford war nicht allein in Ägypten. Sowohl Hin- als auch Rückflug und das Hotel wurde von vier Personen gebucht. Nachfolgen de Herren mieteten sich auch zwei VW-Busse, um die Landschaft zu erkunden. Es handelt sich hierbei um Gordon Davis und Steve Cor dell, beide Weiße und wohnhaft in Philadel phia.« Sie nannte die genaue Adresse. Blitzschnell hatte Cliff Falk seinen Kassettenrecorder ein geschaltet, um das Gespräch lückenlos aufzu zeichnen. Die Telefonistin fütterte ihn mit noch mehr Informationen. »Der dritte Mann neben Kevin Crawford heißt Michael Thone, wohnhaft in New York, eben falls Weißer. Alle vier Männer besuchten bis 1964 die High-School in New-York und galten als eng befreundet.« Bevor die Stimme in der Zentrale weiterspre chen konnte, schaltete Cliff seinen Recorder aus und meinte lässig: »Das reicht mir, Süße.
Sie haben mir sehr geholfen. Wenn ich mal Zeit habe, lade ich Sie zum Essen ein. Vorher aber muß ich noch einiges erledigen.« »Ich freue mich, Ihnen gedient zu haben«, antwortete die sanfte Stimme, ohne auf die Einladung einzugehen. Ein Knacken verriet, daß die Leitung unter brochen war. Der FBI-Mann lenkte den Alfa nach Süden. Eins war ihm klar. Nur in Philadelphia, bei den Überlebenden, würde er Antworten fin den. Schnell spulte er die Kassette zurück und hörte sich das Band noch mal genau an. Beson ders die Adresse merkte er sich. Er griff zum Telefon und wählte die Nummer des Kennedy-Airport und buchte einen Flug nach Philadelphia, Er hatte Glück. In einer Stunde wurde abge flogen. Mit seinem Wagen würde er die Strecke bis zum Airport in dieser Zeit schaffen. * Nach dem Anruf von Cliff Falk fühlte sich Su san Hamilton am Ende ihrer psychischen Kraft. Die stete Erinnerung an ihren toten Freund, der auf so grausame Weise ums Leben gekommen war, hielt sie nicht mehr aus. Sie mußte heraus aus den vier Wänden, auch
wenn es draußen regnete. Sie zog einen Tren chcoat über und verließ das Haus. In ihrem Wagen brauste sie durch das nächtliche New York mit seinen Wolkenkratzern und den Mil lionen von Lichtern. Wie von einer fremden Macht gelenkt, fuhr sie in den Stadtteil, in dem ihr Freund gewohnt hatte. Sie wußte selbst nicht, warum sie gerade diesen Weg wählte. Als sie vor dem Haus ankam, stieg sie aus und sah an der Fassade hinauf. Sie überlegte nicht lange, sondern fingerte die Wohnungsschlüs sel Kevins aus der Manteltasche. Als sie in je ner Nacht zu ihm gefahren war, hatte sie auch diesen Mantel getragen. Ein paar Andenken an ihn will ich holen, dachte sie, während sie das Haus betrat. Ursprünglich hatte sie sich geschworen, das Apartment nie mehr zu betreten. Nun hatte sie ihre Meinung geändert, ohne sichtlichen Grund. Als sie den Flur betrat, in dem Kevins Apart ment lag, öffnete sich die Wohnungstür des Hausmeisters. »Hallo, Miß Hamilton!« Die Frau war in Gedanken gewesen und hatte den Mann nicht bemerkt. Sie wirbelte herum. Erst als sie den Hausmeister Livington sah, at mete sie hastig auf. »Ach, Sie sind es.«
Der Mann gab ihr zur Begrüßung die Hand. »Sie haben sich lange nicht mehr bei uns bli cken lassen«, bedauerte er offensichtlich. »Ich wollte nur einige Sachen aus Kevins Apartment holen. Andenken sozusagen.« Ihre Stimme klang leise. »Ja, ja. Es war ein schwerer Schlag für uns alle. Und jetzt steht in der Zeitung, daß schon wieder so ein grausamer Mord geschehen ist. In einem Restaurant. Im Lokalteil der ›Mor ning News‹ stand sogar, der Mörder wäre ein Geist.« Susan wurde blaß. Sie glaubte im ersten Mo ment, die Knie würden ihr einknicken. Mühsam beherrscht verabschiedete sie sich von dem Hausmeister und wandte sich ab. »Soll ich Ihnen behilflich sein?« fragte Living ton emsig. Susan lehnte dankend ab. Vorsichtig öffnete sie die Tür des Apartments und trat ein. Hastig drückte sie den Lichtschal ter, als habe sie Angst, länger als 10 Sekunden im Dunkel zu stehen. Obwohl Neonröhren den Raum hell erleuch teten, fühlte sie Unbehagen in sich aufkeimen. Nervös eilte sie in die Küche, nahm eine Ein kaufstüte aus dem Schrank und ging zurück ins Wohnzimmer. Ohne lange zu überlegen, packte sie einige
Stücke, die auf den Regalen standen, in die Tüte. Sie nahm die Stücke, die Kevin am liebsten ge mocht hatte. Eine Schale aus Griechenland mit Motiven aus dem Trojanischen Krieg, einen rö mischen Krug, den er im Mittelmeer gefunden hatte und eine Vase keltischer Herkunft. Zuletzt entdeckte sie in einer Ecke eine kleine Statue. Sie kannte sie nicht. Vermutlich hatte Kevin sie aus Ägypten mitgebracht. Susan sah sich die Figur genauer an. Die hohe Krone, die gekreuzten Arme mit Zepter und Geißel… das mußte doch eine Darstellung des Gottes Osiris sein. Natürlich hatte er sie aus Kairo mitgebracht. Vielleicht ein Geschenk für sie? Sie nahm einen Schal vom Hals und wickelte die Figur sorgfältig ein. Von einer plötzlichen Unruhe erfaßt, verließ sie Wohnung und Haus. Die Straßen waren fast leer. Eine dreiviertel Stunde später war sie wieder zu Hause. Sie packte die Andenkenstücke aus und stellte sie auf ihr Bücherregal. Den Mittelplatz erhielt der Lichtgott Osiris. * Die Boeing 727 setzte sanft auf. Durch den lei
sen Ruck wurde Cliff Falk, der während es gan zen Fluges geschlafen hatte, wach. Im ersten Moment wußte er nicht, wo er war. Erst lang sam fand er sich zurecht. Sobald die Gurte gelöst werden durften sprang er auf, hievte seine kleine Reisetasche aus dem Gepäckfach und strebte als einer der ersten über die Gangway ins Freie. Schnellen Schrittes ging er zum Abfertigungs schalter. Sein Ausweis als FBI-Agent beschleu nigte die Prozedur. Wenige Minuten später stieg er in ein Taxi. »Wo soll’s hingehen?« fragte der Fahrer, ein bulliger Mann mit Lederjacke und texani schem Akzent. »Greenwood-Avenue 226«, verlangte er und hielt dem Taxifahrer seinen Ausweis unter die Nase. »So schnell Sie können!« »Geht klar.« Der Fahrer trat das Gaspedal durch. Pneus quietschten. Fast brutal knallte er die Gänge rein und riß den Wagen wie ein Renn fahrer in die Kurven. Grinsend sah er zur Seite. Die Raserei schien ihm sichtlich Spaß zu machen, während Cliff fast bereute, ihn aufgefordert zu haben, so schnell zu fahren. »Mit Genehmigung des FBI macht es richtig Laune«, schmunzelte der Fahrer.
»Wie weit ist es eigentlich bis zur GreenwoodAvenue?« wollte, der Agent wissen. »Etwa noch eine Viertelstunde«. Der Texaner wurde neugierig. »Was treibt Sie denn nach Philadelphia. Sie kommen doch aus New York, oder? Ich erkenne die Leute sofort, die aus der Betonwüste kommen.« »Bin nur wegen einer Ermittlung hier«, wich Falk aus. »Und dann haben Sie es so eilig?« staunte der Taxifahrer. »Meine Maschine fliegt in vier Stunden zu rück«, erfand Cliff eine Ausrede. Der Driver schien sich damit zufrieden zu ge ben und konzentrierte sich auf den Straßen verkehr. Nach einer Weile bog er von der breiten Stra ße in einen schmalen Pfad. »So, wir sind da.« Der Chevrolet scherte in eine Parklücke. Der Mann drehte das Taxame ter zurück. »Macht 16 Dollar, 40 Cent.« Cliff griff in seine Jacke und fischte eine 20Dollar-Note heraus. »Der Rest ist für Sie.« Er stieg aus. »Thanks!« Der Driver steckte das Geld in eine Ledertasche. Hinter sich hörte Cliff Falk erneut das Radie ren der Reifen. Er beachtete es kaum. Mehr in teressierte ihn das Haus, in dem die zwei Män
ner wohnen mußten. Er stand vor einem alten Mietshaus mit trost loser Fassade. Ohne lange zu überlegen, trat er in den Flur. Kaum hatte er die erste Stufe betreten, als eine Tür aufging und ein mickriges Männchen auf ihn zukam. »Kann ich Ihnen helfen?« fistelte das Männ chen. »Ich bin hier der Hausmeister.« »Ich suche Mister Davis und Mister Cordell.« »Zweiter Stock, erste Tür rechts«, bekam er bereitwillig Antwort. »Mister Davis ist daheim. Sein Freund ist aber nicht mehr hier gewesen.« »Danke.« Ohne sich weiter um das Männchen zu küm mern, ging Cliff die Stufen hinauf, bis er vor der angegebenen Tür stand. Er drückte kurz auf die Klingel. Innen schlug die Glocke an. Hinter der Tür begann es zum rumoren. »Wer ist da?« fragte eine müde Stimme. »Ein Freund von Kevin«, erwiderte der Agent. Etwas zaghaft ging die Tür auf. Der Kopf eines jungen Mannes mit altmodischer Brille kam zum Vorschein. »Was wollen Sie von mir?« »Mit Ihnen und Mister Cordell reden«, ant wortete der Agent freundlich.
»Mister Cordell ist nicht hier. Er ist seit eini gen Tagen in Urlaub.« Der Brillenträger mach te keine Anstalten, den FBI-Mann einzulassen. Cliff Falk wurde es zu bunt. »Meinen Sie, es wäre nicht besser, wir wurden uns in Ihrer Wohnung unterhalten?« gab er zu bedenken und dachte an den Hausmeister, der gewiß lauschte. »Sie sind zwar, wie Sie sagten, ein Freund von Kevin. Aber ich kenne Sie nicht«, kamen Gor don Davis Bedenken. »Von diesen Zweifeln kann ich Sie befreien.« Kurzerhand zückte der Agent seinen Ausweis und hielt ihn dem Studenten unter die Nase. Ein kurzer Blick genügte, und Gordon Davis erbleichte. Er schloß für Sekunden die Augen. »Liegt etwas gegen mich vor?« fragte er leise. Der Ausweis schien ihn aus der Fassung ge bracht zu haben. Der Mann mußte etwas zu verbergen haben. Umsonst war er nicht so ner vös. Rasch machte er einen Schritt vor und trat in die Wohnung. Ohne Protest schloß der Student die Tür und folgte ihm in ein kleines Wohnzim mer, dem man genau ansah, daß hier zwei Junggesellen hausten. »Also kommen wir gleich zur Sache«, verlang te Cliff Falk. Das Lächeln war von seinem bronzefarbenen Gesicht verschwunden. »Ken
nen Sie Kevin Crawford und Michael Thone?« »Ja, ja, die… die… kenne ich.« Der junge Mann ließ sich in einen der Sessel rutschen und griff nach einer Whiskeyflasche. Er goß sich ein und leerte mit einem Seufzer das Glas. »Wenn ich Sie so sehe«, meinte der Agent scharf, »könnte man meinen, sie hätten etwas zu verbergen.« »Wie kommen Sie denn darauf?« »Weil Sie wie ein Schuljunge zappeln. Also heraus mit der Sprache«, forderte Cliff und sah dem Mann starr in die Augen. »Woher ken nen Sie Crawford und Thone? Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?« »Wir… wir kennen uns von der Schule her und sind erst vor ein paar Tagen aus Ägypten zurückgekommen. Haben dort Urlaub ge macht.« »Waren Sie zu viert?« »Ja, zu viert. Die ganze Zeit über«, antwortete Davis stockend. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. »Was ist während der Fahrt geschehen, Mr. Davis?« »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.« Gordon Davis stellte sich stur. Dem Agenten wurde es zu bunt. »Hören Sie mal zu! Wissen Sie eigentlich,
warum ich hier bin. Nein? Dann will ich es Ih nen zeigen.« Zornig riß er zwei Fotos aus der Innentasche seines Jacketts und warf sie auf den kleinen Rauchtisch. »Wissen Sie, was das ist?« Der Student hob die Bilder auf und betrachte te sie kurze Zeit. »Ich würde sagen, Mumien aus dem altägypti schen Reich zur Zeit der Pharaonen.« »Von wegen«, fauchte Cliff Falk. »Eine von ih nen ist Ihr Freund Crawford!« Er tippte auf die linke Fotografie, »und die andere Michael Tho ne! Beide sind auf seltsame Weise ums Leben gekommen…« Der letzte Satz verfehlte seine Wirkung nicht. Wie eine Marionette fiel Gordon Davis im Ses sel in sich zusammen. Cliff Falk bemerkte, daß sein Gegenüber einer Ohnmacht nahe war. Erst langsam fing der junge Mann sich wie der. »Der Geist des Toten«, keuchte er, »und ich bin sein nächstes Opfer.« Er zitterte und heulte wie ein kleiner Junge. Kurzerhand nahm Cliff ihn am Kragen und hob ihn hoch. »Hören Sie auf zu flennen! Erzählen Sie end lich!«
»Ja… ja!« stotterte der junge Mann. Gierig schüttelte er einen Whiskey in sich hin ein und begann zu berichten. »Eines Tages fand Kevin, der in eine Erdspal te gestürzt war, ein altes Grab. Wir, oder bes ser gesagt, die drei anderen, plünderten es aus. Ich war oben geblieben und zog sie heraus. Hinterher erzählten die Freunde von komi schen Erlebnissen in der Grabkammer. Aber sie erwähnten nichts Genaues. Als wir wieder beim Lagerplatz ankamen, geschah etwas Schreckliches. Die Felsen über der Grabkam mer kamen ins Rollen und verschütteten sie. Und plötzlich war ein furchtbares Lachen zu hören, das wir uns nicht erklären konnten. Wir… haben uns den Fluch des Toten zugezo gen. Er wird… auch nicht vor mir Halt machen«, heulte der Student und schlotterte vor Angst. Cliff Falk dachte angespannt nach. Dann kam ihm ein Verdacht. »Habt ihr etwas von den Sachen aus dem Grab behalten und hierher mitgebracht?« Davis schüttelte heftig den Kopf. »Es wurde alles verkauft. Michael hat darauf bestanden. Er sagte Grabschändung wäre in Ägypten ein schweres Verbrechen. Irgendeine Sache aus dem Grab hätte uns verraten. Ein Händler hat uns alles abgenommen.«
»Sind Sie ganz sicher?« bohrte der Agent wei ter. Er ahnte Zusammenhänge. »Nein, sicher bin ich nicht. Ich habe die drei anderen ja hinterher nicht untersucht. Aber soviel ich gesehen habe, sind alle Teile in den Besitz des Arabers übergegangen.« Der FBI-Mann seufzte. So heiß, wie seine Spur auch gewesen war, schon schien sie wie der kalt zu werden. Das Auftauchen des Pha rao konnte ganz andere Gründe haben. »Wo ist Mister Cordell?« fragte er plötzlich. Ein Schulterzucken war die Antwort. »Soviel ich weiß, auf dem Weg nach San Francisco. Er wollte sein Studium ein Jahr unterbrechen und erst mal das Land kennenlernen.« »Auch das noch!« fluchte Cliff Falk. Abrupt stand er auf. Es mußte etwas geschehen. Die beiden Männer waren in höchster Gefahr, und er konnte sie nicht schützen. »Sie wollen gehen?« fragte der Student ängst lich, als sein Gast sich erhob. »Was ist, wenn der Geist mich holt?« Seine Stimme zitterte. Falk griff in die Tasche und zog ein Amulett hinaus. »Wenn Sie das tragen, wird Ihnen nichts ge schehen. Dieses Amulett schützt Sie gegen die Macht des Bösen«, erklärte er und versuchte ein erleichterndes Lächeln. »Stimmt das wirklich?« fragte Gordon Davis
erlöst und hängte sich den Talisman um den Hals. In seiner Angst klammerte er sich an den dünnsten Zweig. »Es wird alles gut!« versprach Cliff Falk und strebte zur Tür. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, daß er den Studenten beschwindelt hatte. Das Amulett schützte nicht im gerings ten. Sollte er den Mann weiter in Angst leben lassen? »Vielen Dank, Mister Falk. Hoffentlich finden Sie meinen Freund bald.« »Keine Sorge!« Falk lächelte noch mal, dann schloß der Student die Wohnungstür. * Susan Hamilton hatte nach dem Besuch von Kevins Apartment keine Ruhe gefunden. Sie hatte ein leichtes Schlafmittel genommen und war bald eingeschlafen. Als sie am Morgen aufwachte, war es halb neun. Sie nahm ein Bad und frühstückte ausge dehnt. Mit der Post kamen zwei Briefe, die sie beantworten mußte. Dann hatte sie Zeit für ihre neuen Errungenschaften. Sie rückte einen Sessel vor das Bücherregal, setzte sich und betrachtete die Schale, den Krug und die Vase. Sie erzählten ihr viele Ge schichten von Kevin. Der Osiris aus Jade blieb
aber noch stumm. Hatte er ihr nichts über Ke vin zu sagen? Sie wandte sich ab. Im selben Moment kam ihr eine Idee. »Warum immer nur allein in der Wohnung hocken?« sagte sie zu sich. »Ruf doch mal Margaret, Elizabeth und Julia an. Vielleicht haben sie Lust auf eine Portion Spaghetti à la Susan Hamilton.« Nach wenigen Minuten hatte sie die drei Freundinnen zum Essen eingeladen. Sie freute sich darauf. Für eine Weile war ihr Kummer vergessen. Die Uhr zeigte 11.12 Uhr. Also blieb noch Zeit, bis die drei kamen. Eifrig machte sie sich an die Arbeit und deckte den Tisch. Geschickt würzte sie die Soße und stimmte al les geschmacklich aufeinander ab. Dies war ihr Geheimnis, um das sie beneidet wurde. Plötzlich fiel ihr etwas ein. »Verflixt, ich habe ja keinen Parmesankäse.« Wütend, daß sie das vergessen hatte, band sie die Schürze ab, dreh te den Gasofen aus, damit nichts während ih rer Abwesenheit überkochte, und eilte aus der Wohnung. »Hoffentlich hat Mister Catner Parmesan vor rätig«, dachte sie und sah auf die Uhr. Es war bereits kurz vor halb zwölf. Die Mädchen woll ten in einer halben Stunde kommen.
Kaum hatte sie das Haus verlassen, als etwas Merkwürdiges geschah. Ein lautes Krachen, als hätte ein Düsenflug zeug die Schallmauer durchbrochen, erschüt terte die Luft. Erstaunt blickte Susan zum Himmel, konnte aber nichts entdecken. Plötzlich zuckten bläuliche Blitze aus mehre ren Fenstern. Es gab ein knisterndes Zischen, als sei eine Leitung durchgebrannt. Susan erschrak. »Hoffentlich bricht nirgend wo Feuer aus«, dachte sie. Gerade wollte sie in ihre Wohnung zurück kehren, als einige Fenster aufgerissen wurden. Aufgeschreckte Gesichter sahen heraus. Alle Menschen sprachen durcheinander. »Der Strom ist weg«, brüllte jemand. »Bei uns zischte ein blauer Blitz durchs Zim mer«, tat sich ein anderer wichtig. »Da haben die von der Stromversorgung wie der Mist gemacht«, schimpfte ein alter Rent ner aus dem ersten Stock. »Das wissen Sie doch gar nicht«, polterte sein Nachbar. Bevor es zu einem Streit kam, rief plötzlich je mand: »Mein Fernseher spielt wieder.« Augenblicklich waren die Köpfe an den Fens tern verschwunden. Es war so, als hätte es kei nen Stromausfall gegeben.
Erleichtert atmete Susan auf und eilte zum Kaufmann an der nächsten Ecke. * Keiner der Hausbewohner ahnte, was in Sus ans Wohnung vor sich ging. Kaum hatte die junge Frau, die nicht wußte, welche Kräfte die Jadestatue besaß, die Woh nungstür hinter sich verschlossen, begann die Gestalt zu leuchten und zu pulsieren. Es dauerte eine ganze Weile, bis das grünliche Licht intensiv wurde. Plötzlich krachte es. Ein bläulicher Blitz zisch te aus einer der Steckdosen und traf die Statue. Das Pulsieren verstärkte sich. Penetranter Qualm wollte nicht abziehen. Die Statue dehn te und weitete sich. Sie verschwand in einem rötlichen Schleier. Tiefes Rumoren, schrilles Zischen und Heulen verkündete das Erscheinen des Pharao. Grimmig trat die Gestalt aus dem Nichts in ei nem Kranz gleißenden Lichtes. Die prunkvolle Kleidung glitzerte in allen Farben. Nur eines ließ außerdem noch erkennen, daß sie kein Mensch war. In den großen, dunklen Augen schwelte das Feuer der Dämonie. Zag haft ging der Pharao auf die Wand zu. Mit je dem Schritt wurde sein Lachen lauter.
Als wäre die Wand aus Luft, schritt er durch sie hindurch und verschwand, als hätte es ihn nie gegeben. Im Bücherbord stand die Statue. Kalt und starr. * Gedankenschwer ging Cliff Falk die Treppe hinunter. Ihm war nicht wohl zumute bei dem Gedanken, daß er gerade einen Mann aufge sucht hatte, über dem der Tod wie ein Damo klesschwert schwebte. Kaum hatte er die Hälfte der Treppe ge schafft, als ein Schrei durch das Treppenhaus gellte. Wie erstarrt blieb Cliff einen Atemzug lang stehen. Dann hastete er wie besessen die Stu fen hinauf. »Davis!« schrie er. Nur zu gut wußte er, was geschehen war. »Davis!« Er erhielt keine Antwort. Er war noch sechs Meter von der Wohnungstür entfernt, als sie aufgerissen wurde und eine Gestalt heraustor kelte. Cliff eilte ihr entgegen. Hilfesuchend streckte der Student dem Agen ten die Hände entgegen.
Cliff Falk war auf der Hut. Wer wußte, ob er nicht durch eine Berührung auch zum Opfer wurde? Er war verurteilt, tatenlos ansehen zu müs sen, was vor ihm geschah. Hilflos knickte Davis in die Knie. Seine Haut schrumpfte von Sekunde zu Sekunde. Der Kopf glich nur noch einem mit Haut überzogenen Totenschädel… Fassungslos stierten die brechenden Augen den Agenten an. Es knisterte, als der Sterbende zusammen brach. Ein letztes Zucken, und er lebte nicht mehr. Zurück blieb eine Mumie, die in nichts mehr an Gordon Davis erinnerte. Nur die Brille war unverändert geblieben. Cliff Falk fühlte ein Würgen in der Kehle. Sei ne Knie drohten ihren Dienst zu versagen. Jetzt wollte Cliff Falk auch die letzte Wahrheit wissen! Er sprang über den Toten und huschte in die Wohnung. Da lief er in eine riesige Faust hinein und wurde zurückgeworfen. Beinahe wäre er über die eigenen Beine gefallen. Instinktiv faßte er unter dem Jackett zur Schulterhalfter, zog aber dann doch die Hand leer wieder zurück. Hier war mit einem Revol
ver nichts zu machen. * Mitten im Raum stand eine imponierende Ge stalt in kostbaren Gewändern, wie sie vor Tau senden von Jahren die Pharaonen zu tragen pflegten. Die Erscheinung verblaßte, als Cliff sich ein Herz faßte und näher kam. Ein hämi sches Lachen peinigte sein Trommelfell. Er preßte seine Fäuste gegen die Ohren, weil es nicht zu ertragen war. Plötzlich war der Geist verschwunden. Nichts blieb von ihm zurück. Nur sein Opfer, der mu mifizierte Leichnam! Hastig suchte der Agent nach einer Decke. Er mußte den Toten bedecken, bevor Hausbewoh ner aufmerksam wurden und einen Schock be kamen. Auf einem Sessel entdeckte er eine Kamel haardecke, ergriff sie und stürmte zurück ins Treppenhaus. Seine Eile war umsonst. Er überschritt die Schwelle, als der Hausmeister auftauchte. Er sah die schreckliche Leiche und schrie wie eine Heulboje. Wild gestikulierend rannte er zurück in die unterste Etage. Sein Gezeter machte das ganze Haus mobil.
»Mörder, Mörder!« keifte er entsetzt, so daß man es auf der Straße hören konnte. Cliff Falk fluchte. Gerade das hatte er verhin dern wollen. Er legte die Decke über den Toten. »Was machen Sie da?« fragte eine weibliche Stimme hinter ihm. Er drehte sich um. Hinter ihm stand eine Frau, mitte Vierzig, wie er schätzte. Da es kurz vor Mittag war, trug sie einen Morgenrock. Man sah ihr an, daß diese Tageszeit für sie früher Morgen war. Ihr Haar war zerzaust. Letzte Schminkreste und falsche Wimpern verschönerten den An blick nicht. »Mister Davis ist ermordet worden«, erklärte Cliff Falk sachlich. »Es wäre gut, wenn Sie die Polizei benachrichtigen würden.« »Ist wohl nicht nötig«, schnarrte sie. »Das be sorgt schon der Blödmann im Parterre.« Gelangweilt wandte sie sich um. An der Tür drehte sie sich noch mal um. »Und wenn ich bitten darf – bitte etwas leiser. Ich habe die ganze Nacht gearbeitet und brauche meinen Schlaf.« Kopfschüttelnd starrte der Agent noch eine Weile auf die Tür. Minuten später war das Haus mit Polizei voll gestopft. Zwei Beamte der City-Police kamen
mit dem mickrigen Männchen die Treppe hin auf. »Da ist der Mörder, Sergeant«, keifte er los, als er Cliff neben dem Toten stehen sah. Die Beamten gingen mit gezückter Waffe auf ihn zu. »Los, Mister, die Hände hoch! Aber etwas fix, wenn ich bitten darf…« Der Polizist stieß Cliff unsanft gegen eine Wand. Der FBI-Agent gehorchte. Der Beamte tastete ihn ab. Plötzlich fühlte er die Waffe. »Ah, was haben wir denn da?« »Das ist meine Dienstwaffe«, erwiderte Cliff lässig. »Ich bin Agent beim FBI.« »Nette Scherze, mein Sohn«, kicherte der Uni formierte. »Der Humor wird dir noch verge hen.« »In meiner Innentasche steckt der Ausweis. Überzeugen Sie sich!« Cliffs Lichtbild kam zum Vorschein. Der Mann pfiff leise und erstaunt durch die Zähne. »Tut mir leid, Sir!« Der Agent winkte ab. »Ist schon gut. Sie haben nur Ihre Pflicht getan.« Das Gesicht des anderen hellte sich sofort auf. Er überreichte den Revolver, den er Cliff abge nommen hatte, und steckte seinen in die Pisto
lentasche zurück. Zu einem Kameraden meinte er: »Kannst die Knarre wegpacken, John. Ist wirklich einer vom FBI.« Der Körper des anderen entspannte sich. Auch er ließ die Dienstwaffe verschwinden. Den Hausmeister, der wie ein begossener Pu del stand, fuhr er barsch an. »Halten Sie sich zu unserer Verfügung in Ihrer Wohnung! Wir sprechen uns noch.« »Aber… aber…«, stotterte das Männchen ver wirrt. »Wir brauchen Sie im Moment nicht«, bellte der Polizist. Grinsend sah Cliff Falk, wie der Hausmeister sich beleidigt trollte. Kaum war er außer Hör weite, erklärte Falk: »Ich bin einem geheimnisvollen Mörder auf der Spur. Ich möchte, daß dieser Mord nicht an die Öffentlichkeit dringt. Es ist von höchster Wichtigkeit. Schauen Sie die Leiche an, und Sie verstehen.« Wortlos hob er die Decke. Die Kollegen prallten entsetzt zurück. Erst langsam wurden die hartgesottenen Poli zisten, die während ihrer Dienstzeit viel erlebt hatten, Herr ihrer selbst. So etwas überstieg ihr Vorstellungsvermögen. »Ich muß Sie um strengste Geheimhaltung
bitten. Ich muß dringend zurück nach New York. Ich brauche einen ausführlichen Bericht über den Obduktionsbefund. Werde darüber mit dem Polizeichef sprechen. Haben sie ver standen?« Die Beamten nickten stumm. Ohne sich zu verabschieden, verließ Cliff Falk das Haus. Ungehindert ließ man ihn passieren. Er hatte sich schon viel zu lange aufgehalten. Jede Sekunde war kostbar. Vom ersten leeren Taxi ließ er sich zum Flug hafen fahren. Von dort aus rief er die Zentrale des FBI an, meldete den Mord und gab Anweisung, den Po lizeipräfekten von Philadelphia einzuweihen. Eine bundesweite Fahndung nach Steve Cor dell war sofort erforderlich. »Es ist von höchster Wichtigkeit. Bringen Sie jeden Mann in den USA auf Trab«, forderte er den Beamten am anderen Ende der Leitung auf. * Gedankenverloren wusch Susan Hamilton die Teller und Gläser. Das erste Mal seit Tagen fühlte sie sich befreit von einer Last. Die Gespräche mit den Freundinnen, ihr auf
munterndes Zureden und die Fröhlichkeit von Elizabeth hatten ihr gezeigt, daß das Leben trotz allem unaufhaltsam weiterging. Mit flinken Händen räumte sie das Geschirr in den Schrank und ging in den Wohnraum, um noch etwas sauber zu machen. Draußen begann es zu dämmern. Überall flammten die Lichter in den Häusern und Stra ßen auf. Fast ohne Ansatz kam ihr ein Gedanke, wie sie dem FBI-Agenten helfen könnte. Hastig wählte sie die Nummer des FBI. Eine Männerstimme meldete sich. »Geben Sie mir bitte Mister Falk! Es ist sehr dringend!« »Tut mir leid, Madam. Mister Falk ist zur Zeit nicht in der Stadt.« »Dann geben Sie mir den Vorgesetzten. Es geht um die Mumienleichen…« Ihre Erregung steigerte sich bis zur Unerträglichkeit. Der Mann schien überrascht. »Einen Mo ment, ich verbinde.« Es knackte in der Leitung. Sekunden später meldete sich eine andere Stimme besonnen und ruhig. »Williams. Was kann ich für Sie tun, Miß…?« »Hamilton ist mein Name, Susan Hamilton. Mister Falk kennt mich. Er hat gesagt, ich soll ihn sofort anrufen, wenn mir etwas zu dem
Mord an meinem Freund einfällt.« »Mister Falk ist zur Zeit auf dem Weg von Philadelphia hierher. Ich erwarte jeden Mo ment seinen Anruf«, erklärte der Chef. »Dann bestellen Sie ihm bitte, daß Kevin ein Tagebuch zu führen pflegte. Ich habe es mal gesehen. Er schloß es in seinen Schreibtisch in ein Geheimfach.« Susans Stimme zitterte. Sie spürte, daß da durch das Geheimnis gelüftet werden konnte. Ähnlich ging es Falks Vorgesetzten beim FBI. »Das ist seine gute Nachricht, Miß Hamilton. Ich werde sofort Himmel und Hölle in Bewe gung setzen und meinen Mann direkt infor mieren.« * Cliff Falk ging vom Flugzeug aus sofort in das Parkhaus des Airport. Dort hatte er vor dem Abflug nach Philadelphia seinen Wagen abge stellt. Als er darauf zuging, hörte er schon von weitem das Heulen seiner Funksprechanlage. Er setzte sich in Trab, riß die Tür auf und griff nach dem Gerät. »Hier Falk. Was gibt’s?« fragte er atemlos. »Gut, daß Sie schon da sind, Cliff«, vernahm er die Stimme seines Chefs. »Fahren Sie sofort in das Apartment von Kevin Crawford! Seine
Verlobte hat vor zehn Minuten angerufen und gesagt, daß Kevin ein Tagebuch geführt hat. Er hat es im Geheimfach seines Schreibtisches versteckt.« »Bin schon unterwegs, Boß.« Cliff zog die Tür zu, legte das Funkgerät beiseite und startete den Motor. So schnell wie es der Verkehr erlaubte, raste er in die Stadt. Tausend Gedanken fegten durch seinen Kopf. Er mußte die Ereignisse der letzten Stunden erst mal richtig verdauen. Nach einiger Zeit hatte er das Apartmenthaus erreicht. Ungeduldig trat er das Bremspedal zu weit durch. Mit einem Ruck kam der Wagen zum Stehen. Sekunden später hetzte Cliff die Treppen hinauf. Erst als er die Wohnungstür mit einem Diet rich geöffnet hatte und in das Halbdunkel des Korridors trat, hielt er inne. Mit geschlossenen Augen versuchte er, dämo nische Ausstrahlung aufzufangen. Alles blieb ruhig. Nach kurzer Zeit voller Konzentration wußte er, daß er allein war. Es war keine Gefahr zu befürchten. Energisch knipste er das Licht an und sah sich um. Nichts schien sich geändert zu haben. Der Schreibtisch stand in der Nähe des Fens ters.
Cliff Falk grunzte unruhig. Solch alte Schreib tische konnten zehn Geheimfächer haben… Trotzdem machte er sich sofort an die Arbeit. Vorsichtig tasteten seine Finger über die Orna mente. Er merkte, daß sich eine der geschnitzten Lili en verschieben ließ. Der Erfolg blieb aber aus. Cliff suchte weiter. Kurze Zeit überlegte er. Die Logik sagte ihm, daß der Schlüssel zum Ge heimfach eine systematische Anordnung von Lilien sein könnte. Behutsam berührte er die Lilie an der ande ren Seite der Schublade, und dann noch die, die genau unter dem Knauf eingesetzt war. Kaum hatte er die letzte Verzierung nur um etwa zehn Millimeter gedreht, als es ein leises Knirschen gab. Zufrieden bemerkte der FBI-Agent, daß ein Türchen an der linken Seite des Schreibtisches sich öffnete, das zuvor unsichtbar gewesen war. Neugierig schaute er in die Öffnung. Da lag tatsächlich ein kleines, in Leder gebundenes Buch. Mit fahrigen Händen griff Cliff Falk danach. Jede Seite war für einen Tag vorgesehen. Has tig suchte er die Tage, die Kevin in Ägypten verbrachte. Flüchtig überflog er die Sätze. Als er am
sechstletzten Tag der Reise angekommen war, stutzte er. Halblaut las er die Worte, die dort gestochen scharf standen. »Wir haben eine Grabkammer gefunden und viele Sachen daraus mitgenommen. Zuerst hat te einer von uns Bedenken, doch dann ent schlossen wir uns doch, sie in Kairo zu Geld zu machen. Wenn ich an die seltsamen Geräusche in der Grabkammer denke, läuft mir noch im mer ein eisiger Schauer über den Rücken.« Cliff schlug einige Seiten weiter. Als er zu der Stelle kam, wo Kevin beschrieb, wie sie die Sa chen los geworden waren, saugte sich sein Blick an einem einzigen Satz fest. »Bevor wir die Sachen aus dem Wagen holten, ließ ich eine der Statuen verschwinden. Die Darstellung des Gottes Osiris scheint aus Jade zu sein. Sie könnte gut zu meinen anderen An tiquitäten passen.« Wie vom Schlag getroffen wirbelte der FBIMann herum und starrte das Regal an, auf dem die Kostbarkeiten antiker Kunst standen. Mit einem Blick sah er, daß die Statue, die Ke vin erwähnte, fehlte. Aber er bemerkte auch die Flecken, wo sich kein Staub gebildet hatte. Jemand mußte eini ge der Stücke geholt haben. In fieberhafter Eile überlegte Cliff, was zu tun
sei. Gestohlen worden waren die Dinge gewiß nicht. Ein Dieb hätte die halbe Wohnung aus geräumt. »Susan!« Hastig wählte er die Nummer der jungen Frau. Für ihn gab es keinen Zweifel, daß sie die Sachen geholt hatte. Ebensowenig hätte er sich davon abbringen lassen, daß die Statue der Schlüssel für den Geist des Pharao war. »Hamilton«, meldete sich eine leise Stimme. »Hier spricht Falk.« Er bemühte sich, seine Aufregung zu verbergen. Miß Hamilton durfte nicht merken, daß sie in Gefahr war. »Haben Sie etwas aus Mister Crawfords Wohnung ge holt?« »Ja. Einige Antiquitäten. Als Andenken«, ant wortete sie unbefangen. »Stimmt etwas damit nicht?« Der Mann ging nicht darauf ein. »Befindet sich auch eine Statue dabei? Sie müßte aus Jade sein.« Für Cliff dauerten die Sekunden bis zur Ant wort eine Ewigkeit. »Auch eine Statue ist dabei«, bestätigte Susan. Das Blut schoß dem Agenten in den Kopf. »Tun Sie mir einen Gefallen und verschwinden Sie aus der Wohnung! Erwarten Sie mich un ten vor ihrem Haus!« forderte er im Befehl ston.
»Aber warum? Ich…« wollte Susan aufbegeh ren. »Tun Sie, was ich Ihnen sage!« Cliff Falk legte auf. Wie noch nie in seinem Leben stürzte er aus der Wohnung, sprang die Treppen hinun ter und warf sich in seinen Alfa Romeo. Ihm war klar, daß keine Hoffnung für Susan bestand, wenn der Dämon sie angriff. Trotzdem hatte er sie aus der Wohnung ge schickt. Man konnte nicht wissen, ob schon die Ausstrahlung bei der Materialisierung des Geistes tödlich war. Minuten später schoß sein Wagen um die Ecke und raste in die Straße, wo Susan wohnte. Von weitem sah er sie schon am Straßenrand stehen. * Wie schon die Tage zuvor erstarkte der Geist des Pharao zu neuem Leben. Diesmal gelang es ihm leichter, die Statue zu verlassen und seine Gestalt anzunehmen. Bald würde er so stark sein, daß er nicht mehr in die Statue des Osiris zurückkehren mußte. Wenn der letzte Grabfrevler beseitigt war, soll ten die Menschen vor ihm zittern. Mit einem Zischen entsprang er, umhüllt von gleißender Helligkeit, der Statue und materia
lisierte. Nur kurz tastete er mit übernatürlichen Kräf ten die Dimensionen ab. Dann hatte er sein nächstes Opfer gefunden. Lautlos wie ein Schatten verschwand er so schnell, wie er gekommen war. * Die Nacht brach herein. Mit ihr kam die Kälte. Fröstelnd zog Steve Cordell seine Schultern hoch. Er fluchte vor sich hin und zog an seiner selbstgedrehten Zigarette. »Bisher bin ich gut vorwärts gekommen«, dachte er bei sich. Er konnte zufrieden sein. In den letzten Tagen hatte ihn ein Trucker, einer jener Männer, die mit ihren riesigen Lastern durch die Staaten zogen, bis Kansas-City mitgenommen. Dann hatte er aussteigen müssen. Der Trucker war nach Norden abgebogen. Er aber wollte unbe dingt so schnell wie möglich nach ColoradoSprings. Am Mittag hatte ihn ein Farmer bis kurz nach Topeka mitgenommen. Und nun saß er in einem dieser kleinen Städt chen, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sag ten und ein Diebstahl eine Sensation war. Mißmutig sah er, wie ein Polizeiwagen vorbei fuhr. Die Uniformierten musterten ihn kurz,
hielten aber nicht an. Je kälter es wurde, desto mehr überlegte Ste ve, ob er sich nicht in einer der Scheunen am Ortsrand verkriechen sollte. Unschlüssig sah er zu der kleinen Wüsten stadt hinüber, von denen es Hunderte in Kan sas gab. In einigen Holzhäusern flackerte schon Licht. Umständlich durchsuchte Steve die Innenta sche seines Parkas. Sein Magen knurrte. Er fingerte einen Fünf-Dollarschein aus seiner Ja cke und betrachtete ihn. »Soll ich mir ein Steak genehmigen oder lie ber das Geld sparen?« redete er mit sich selbst. Der Magen knurrte. »Also leisten wir uns den Luxus.« Entschlossen stand er auf, warf den Rucksack über die Schulter und marschierte die halbe Meile bis zur Stadt. Das letzte Rot der untergegangenen Sonne verblaßte. Bald war der Himmel nur noch eine graublaue Masse. Als Steve etwa 100 Yards hinter sich gebracht hatte, vernahm er ein dunkles Lachen, nicht lauter als das Wispern des Windes. Erschrocken drehte er sich um. Hinter ihm lag nur die Straße und die Wüste. Von einem Menschen keine Spur! Kopfschüttelnd ging er weiter.
Wieder dieses hämische Lachen! Steve blieb stehen. Langsam ließ er den Rucksack zu Bo den gleiten. Sein kantiges Kinn schob sich nach vorn. »Jetzt bin ich die Mätzchen aber leid.« Er mochte solche Späße nicht. Egal, wer es war. Gefährlich langsam wandte er sich um, um dem Spaßvogel, der ihn veralbern wollte, eine Tracht Prügel zu verabreichen. Die Straße war leer. Kein Mensch zu sehen. »Grabfrevler, wehe Dir und Deiner Seele!« hauchte eine Stimme aus dem Nichts. Steve Cordell erschrak bis in die letzte Faser seines Herzens. Vor Angst und Erregung keu chend, ging er langsam zurück. Es war die Stimme, die er vor Wochen in der Grabkammer gehört hatte. Keine 10 Yards vor ihm begann die Luft zu pulsieren. Rötliche Nebel strömten aus dem Asphalt der Straße. Schrilles Zischen mischte sich mit unterirdischem Grollen. Funken aller Farben durchtanzten den Nebel. Steve fühlte, wie ihm die Angst die Kehle zu schnürte. Ihm wurde schwarz vor Augen. Aber die Ohnmacht erlöste ihn nicht. Hilflos, wie von einer Lähmung befallen, mußte er mit ansehen, wie eine Gestalt aus dem Nebel trat. Ein Pharao! Erst jetzt wurde es Steve bewußt, daß er ei
nem Dämon gegenüberstand. Mit weit aufge rissenen Augen starrte er ihn an. Das Wesen wirkte fast durchsichtig. Man konnte die Konturen aber gut erkennen. Seltsamerweise verstärkten sie sich nicht, sondern der Pharao verblaßte. Das hämische Lachen traf Steve wieder wie Keulenschläge. Panik befiel ihn. Kaum war der Geist gewi chen, als er sich auf den Absätzen seiner Stiefel umdrehte und losrannte. Das Herz pochte ihm bis zum Hals. Seitensti che peinigten ihn, doch die Angst war stärker. »Schnell in die Stadt!« trieb er sich an, ob wohl er genau wußte, daß es da keine Hilfe vor den Mächten der Finsternis gab. Sein Ziel, die Stadtgrenze, vor Augen, prallte er zurück, als sei er vor eine Wand gelaufen. Stöhnend fiel er nach hinten und schlug mit dem Hinterkopf auf den Asphalt. Benommen blieb er einige Sekunden liegen. Das Lachen peitschte ihn auf. Gehetzt sah Steve Cordell sich um. Eine un sichtbare Wand hatte den Weg zur Stadt abge riegelt. Er war noch nicht richtig auf den Füßen, als Lichtkreise aus dem Nichts auftauchten und ihn umtänzelten. Erneut wallte Nebel aus dem Boden, träge und zäh. Er fürchtete, seine Lungen würden platzen. Er
schrie. Immer lauter brüllte er seine Todes angst in die Nacht. Dann ein Rumoren… Die Erde bebte. Der Nebel verschwand. Wie ein Mensch stand der Pharao vor ihm. Steve kreischte wie ein Wahnsinniger… * Cliff Falk trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Mit blockierten Reifen kam der Flitzer zum Stillstand. Der Agent nahm sich keine Zeit, den laufen den Motor abzustellen. Dafür war später noch Gelegenheit. Völlig erstaunt kam Susan Hamilton ihm ent gegen. Gerade wollte sie etwas fragen, als Cliff sie schon im Vorübergehen unterbrach. »Ich erkläre gleich alles«, rief er und war schon im Haus verschwunden. Als würde er selbst von dem Geist verfolgt, sprang er, drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf. Wachsend spürte er die dämonische Aus strahlung, die durch die Wände auf ihn ein drang. Endlich war die Wohnungstür erreicht. Die Mächte der Finsternis versuchten ihn auf zuhalten. Suggestive Strahlen trafen ihn. Er ge
riet ins Wanken. Zu groß wurde der Druck. Stöhnend konzentrierte er sich und sprang über die Schwelle. Die Tür, die nur angelehnt gewesen war, krachte gegen die Wand. Geschickt rollte er über eine Schulter ab und kam schnellstens wieder auf die Beine. Mit einem Blick erkannte er, daß seine Ver mutung richtig gewesen war. Die Statue glühte in grünem Licht, das eine giftige Farbe hatte, die er noch nie gesehen hatte. Die Intensität des Lichtes stach in seine Au gen. Gepeinigt schloß er sie. Ein Würgen in sei nem Hals verriet ihm, daß die Kräfte der ewi gen Dunkelheit ihn vernichten wollten. Sie ver suchten zu verhindern, daß das Geheimnis der Statue preisgegeben wurde. Röchelnd brach Cliff in die Knie. Für ihn gab es kein Entrinnen, wenn es ihm nicht gelang, die Statue zu vernichten. Wie unter einer tonnenschweren Last richtete er sich auf. Jeder Muskel war bis zum Zerrei ßen gespannt. Cliff Falk, Spezial-Agent des FBI und im Kampf mit den Mächten der Unterwelt nicht unerfahren, zwang sich zur Ruhe. Mit un menschlicher Kraftanstrengung zog er seine Smith and Wesson aus der Schulterhalfter und richtete die Waffe auf die gleißende Statue, von
der eine Kraft ausging, die er selten erlebt hat te. Noch nie hatte es ihm so viel Mühe bereitet, den Stecher der Pistole mit dem Zeigefinger zu erreichen. Kaum hatte er den Arm gehoben und das Ziel im Auge, als er auch schon abdrückte. Der Schuß ging los. Der Knall brach sich viel fach an den Wänden. Cliffs Trommelfelle drohten zu zerreißen. Von scharfen Schmerzen gepeinigt, fiel er zu Bo den. Vor seinen Augen zerfloß der Raum zu ei nem Wirrwarr greller Farben. Cliff dachte schon, die Kugel hätte nicht getroffen. Aber da steigerte sich die Umwelt zu einem Inferno. Schwefelgestank verpestete die Luft. Die Sta tue quoll auf. Das grelle, grüne Licht pulsierte nur noch schwach und wechselte durch alle Farben des Spektrums. Ein tiefes Grollen drang aus dem Bild des Osi ris. Wilder Funkenregen umtanzte es. Brechen und Bersten kündigten die Katastrophe an. Instinktiv robbte Cliff hinter einen Sessel und duckte sich so nahe an den Boden, wie er nur konnte. Mit einem ohrenbetäubenden Knall explo dierte die Statue in tausend Stücke. Die Teile schlugen durch jeden Stoff. Einige Stücke fie
len auf den langhaarigen Hirtenteppich. Die Jadeteile schmorten Brandflecke hinein. Angst im Nacken, hob Cliff den Kopf, als die seltsame Explosion vorbei war. Beklemmung, die sein Herz zusammenpreßte, steigerte sich zu Panik. Vor ihm tat sich die Hölle auf. Er sah greuliche Fratzen, die ihn böse an zischten. Ungeheuer fauchten Pestatem aus den Nüstern. Aber so schnell wie sie aufgetaucht waren, verschwanden die Ausgeburten der Hölle auch wieder. Cliff wollte schon aufatmen. Aber die Mächte der Finsternis zeigten den zweiten Akt der Tra gödie. Undeutlich erkannte er den Pharao inmitten des Nebels. Auf seinem Gesicht lag Verbitte rung. Er öffnete seinen Mund. Seine Lippen bewegten sich, Cliff konnte nichts verstehen. Gierige Hände griffen aus der Tiefe nach dem Pharao. Sie zerrten an ihm und zogen ihn hin ab in die ewige Finsternis. Begleitet von Grollen und Tosen vernahm Cliff einen Schrei, der furchtbarer war als al les, was er bisher gehört hatte. Es war der Ver zweiflungsschrei des Pharao, der die Abgründe der Hölle erblickte. Flammenlanzen schossen aus dem Boden, als
sich Cliff aufrichten wollte. Entsetzt sprang er zurück, verlor das Gleichgewicht und schlug hart gegen die Tischkante. Schlagartig schwand sein Bewußtsein. An sei nem Hinterkopf klaffte eine blutende Wunde. Um ihn herum ebbte das Inferno des Schre ckens langsam ab. Der Fürst der Finsternis wußte, daß seine Macht zu Ende war. Der Fluch des Pharao war erfüllt. * Nicht besser erging es Steve Cordell, der Hun derte von Kilometern von New York entfernt um sein Leben bangte. Schweiß lief ihm in Strömen über Stirn und Rücken, obwohl es schon empfindlich kalt war. Wie hypnotisiert starrte er auf den Pharao, der immer näher kam. Winselnd wich Steve vor dem Wesen, das ihn töten wollte, zurück. Der Geist weidete sich an der Angst des Menschen, für den es kein Ent rinnen mehr geben würde. »Geh weg!« schrie Steve wie von Sinnen. Mit wilden Armbewegungen versuchte er die Er scheinung zu verscheuchen. Ein Lachen war die Antwort. Ohne ersichtlichen Ansatz ging das Lachen in mordlüsternes Grunzen über. Der Geist streck
te seine Arme aus. Er wollte den Hals des Men schen fassen. Steve wich erschrocken aus und fiel über einen Stein. »Aus, vorbei!« durchzuckte es ihn. »Alles ist vorbei.« Die Hoffnungslosigkeit jeglicher Gegenwehr war ihm jetzt voll bewußt. »Nein, nein! Ich will nicht sterben«, bäumte er sich ein letztes Mal auf. Wortlos machte der Pharao einen Schritt auf ihn zu. Wie von Sinnen kroch er rückwärts, um dem tödlichen Griff zu entweichen. Der Pharao aber war schneller. Seine linke Hand schnellte vor, um Steves Schulter zu be rühren. In diesem Moment geschah das Unbegreifli che. Mit irrsinnigem Schrei bäumte das Phantom sich auf. Wahnsinnige Krämpfe durchliefen den Körper. Das Gesicht verzerrte sich zu ei ner Grimasse der Ohnmacht. Nebel umhüllten den Dämonen, der sich auf zulösen begann. Das Donnern aus dem Innern der Erde zeigte, daß der Fürst der Finsternis seinen Vasallen zurückrief. Steve Cordell ahnte nicht, warum der Geist von ihm abließ. Er wußte nicht, daß er sein Le ben einem Mann zu verdanken hatte, den er
nie zuvor gesehen hatte. Ebensowenig ahnte er etwas von der geheimnisvollen Statue, die das Böse mitgebracht hatte. Nun war sie zerstört. Steve war der einzige Überlebende der Grab schänder. Seine Nerven, sein Körper spielte nicht mehr mit. Eine tiefe Ohnmacht griff nach ihm und be freite ihn von Leid und Angst. * Langsam fuhren die zwei Sheriffs in ihrem Pa trolcar die Route ab. Der eine von ihnen, ein grauhaariger Mann mit tiefbraunem Gesicht, das von Wind und Wetter gegerbt war, starrte gelangweilt durch die Windschutzscheibe. »Heute ist mal wieder nichts los.« »Das wundert dich?« staunte der Fahrer, »hier in dem Kaff ist doch nie etwas los.« »Da hast du recht.« Der Mann nahm die Uniformmütze ab und warf sie auf den Rücksitz. »Was hältst du davon, wenn wir nach Aaron stown fahren und einen Kaffee trinken?« meinte der Fahrer. »Du hast tolle Einfälle. Gibst du einen aus?« »Ehrensache, mein Alter.« Der Fahrer steuer
te den Wagen Richtung Aaronstown, das 10 Meilen weiter westlich lag. Kaum hatte er das letzte Haus hinter sich ge lassen, als er hart auf die Bremse trat. Sein Kollege war auf die plötzliche Aktion nicht vorbereitet. Er fiel gegen die Wind schutzscheibe. »Mensch, willst du mich kurz vor der Rente umbringen?« fauchte er. »Da liegt einer auf der Straße. Ich hätte ihn beinahe überfahren.« Rasch stieg er aus und ging zu dem Mann. Vorsichtig betastete er dessen Kopf und Hand gelenke. »Er lebt! Los, benachrichtige die Zentrale und einen Krankenwagen! Ich glaube, der Mann steht unter Schockwirkung…« Der ältere Beamte war ebenfalls ausgestiegen. Er warf einen kurzen Blick auf den Bewußtlo sen. »Das ist doch der Kerl, der vorhin hier auf sei nem Rucksack gesessen und auf einen Truck gewartet hat.« Der Fahrer besah sich den Mann genauer. »Hast recht. Das ist er.« Er sah sich um. »Ich möchte bloß wissen, wer den umgefahren hat. Es ist uns doch niemand entgegengekommen.« »Vielleicht ist er betrunken.« Der Fahrer beugte sich über Steve und schnupperte.
»Der riecht nicht nach Schnaps.« Der ältere Sheriff zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hat er Drogen geschluckt. War wohl auf einem Horrortrip.« Der Fahrer sah auf. »Hast du nun schon Mel dung gemacht?« »Ich geh ja schon…« * Von weit, weit her wurden Cliff Falk leise Stim men bewußt. Sie wurden lauter. Eine helle und eine dunkle Stimme… Jäh schoß ein Schmerz durch seinen Kopf. »Er kommt zu sich«, hörte er eine sanfte Stimme. Mühsam hob er die bleiernen Lieder. Vor seinen Augen war die Welt nur ein Meer undefinierbarer Gebilde ohne jegliche Kontu ren, ein Gemälde verschwimmender Farben. Erst langsam wurden die Konturen schärfer. Er erkannte seinen Chef Ed Williams. »Was ist mit mir?« flüsterte er. Das Sprechen fiel ihm schwer. Seine Zunge war trocken wie ein Lappen. Er faßte sich an den Kopf und fühlte einen di cken Verband. »Sie hatten einen Unfall in der Wohnung von Susan Hamilton«, erklärte sein Vorgesetzter.
Cliff Falk wollte hochspringen. Eine Schwester kam besorgt näher. »Es ist alles in Ordnung, Mister Falk! Sie ha ben eine Gehirnerschütterung und eine Kopf wunde.« »Wo bin ich hier? Wie lange liege ich hier schon?« »Sie sind im Hospital. Um genau zu sein ha ben Sie 3 Tage und 5 Stunden geschlafen!« meinte Ed Williams. »Es hat Sie diesmal ganz schön erwischt.« »Habe ich ihn wenigstens geschafft… den Pha rao? Was ist mit diesem Steve Cordell?« Cliff hatte so viele Fragen. Er konnte sie gar nicht alle auf einmal stellen. »Sie haben es geschafft«, bestätigte Williams. »Sie sind schon ein toller Hecht«, bewunderte er seinen besten Agenten. »Und Steve Cordell… der hat auch Glück ge habt. Die Polizei fand ihn auf einer Straße. Er liegt jetzt in einem Krankenhaus in Kansas-Ci ty, und ist auf dem Weg der Besserung. Wenn Sie beide wieder fit sind, werden wir uns mal zusammensetzen und ihn fragen, was ihm alles widerfahren ist.« »Nun ist es genug«, meinte die Schwester und zog eine Spritze auf. »Mister Falk braucht Ruhe.« »Okay, ich gehe.« Ed Williams verließ das
Zimmer. Cliff sah ihm zufrieden nach. Die Kopf schmerzen meldeten sich wieder. Nebenbei merkte er den Einstich der Spritze. »Sie werden jetzt schlafen. Ich habe Ihnen ein Beruhigungsmittel…« Mehr hörte er nicht. Alles ging unter in Dun kelheit und Träume.
ENDE